Grundlagen des CRM : Konzepte und Gestaltung [2., überarb. u. erw. Aufl]
 3409225188, 9783409225182 [PDF]

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Zitiervorschau

Hajo Hippner/Klaus D. Wilde (Hrsg.) Grundlagen des CRM

Hajo Hippner/Klaus D. Wilde (Hrsg.)

Grundlagen des CRM Konzepte und Gestaltung 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Prof. Dr. Klaus D. Wilde ist Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Wirtschaftsinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dr. Hajo Hippner ist an seinem Lehrstuhl tätig und begleitet ihn bei allen CRM-Projekten.

1. Auflage Februar 2004 2. Auflage Februar 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Barbara Roscher / Renate Schilling Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-409-22518-8

Vorwort zur zweiten Auflage Der vorliegende Herausgeberband „Grundlagen des CRM“ wurde vom Markt überaus positiv aufgenommen. Die zahlreichen Reaktionen der Leser verdeutlichen dabei, dass sich die Thematik Customer Relationship Management zunehmend durchsetzt. Dies gilt nicht nur für die Wissenschaft, die intensiv versucht, die gesamte Bandbreite des Konstrukts umfassend abzudecken. In noch stärkerem Maße lässt sich diese Entwicklung in der Unternehmenspraxis beobachten. So verstehen immer mehr Unternehmen CRM als einen notwendigen Erfolgsfaktor, wobei sich die einzelnen CRM-Strategien und -Realisierungen zunehmend branchen- und unternehmensspezifisch differenzieren. Die Gliederung aus der ersten Auflage wurde beibehalten. Allerdings sind einige Beiträge aus Aktualitätsgründen nicht in die zweite Auflage übernommen worden. Im Gegenzug wurden neue Autoren gewonnen, deren Beiträge neuere Entwicklungen des CRM abbilden. Der erste Teil des Buches wurde so um den Aspekt der informationstechnischen Realisierung des CRM erweitert. Im zweiten Teil stellen Frank Wimmer und Julika Göb Möglichkeiten vor, wie die Informationsgrundlage des CRM durch die Marktforschung verbessert werden kann. Matthias Gouthier schließlich erläutert unter dem Begriff Customer Empowerment die Beobachtung, dass der Kunde zunehmend mehr Macht in einer Geschäftsbeziehung besitzt, und stellt vor diesem Hintergrund ein entsprechendes Managementkonzept vor. Wie auch schon bei der vorangegangenen Auflage bedanken wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den Autoren, ohne deren Engagement dieser Herausgeberband nicht hätte entstehen können. Besonderer Dank gilt abermals Frau Fischermeier für die überaus kompetente Erstellung und Durchsicht des Manuskripts.

Ingolstadt, im November 2005 Hajo Hippner, Klaus D. Wilde

6

Vorwort

Vorwort zur ersten Auflage Customer Relationship Management (CRM) versteht sich als kundenorientierte Unternehmensstrategie, die mit Hilfe moderner Informationstechnologie versucht, auf lange Sicht profitable Kundenbeziehungen durch ganzheitliche und individuelle Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen. Ein zentraler Auslöser für den seit einigen Jahren zu beobachtenden CRM-Boom war das Verfügbarwerden integrierter CRM-Softwaresysteme, die als „technological enabler“ völlig neue Wege im Management von Kundenbeziehungen eröffneten. Während der Markt für CRM-Software boomte und interessierte Unternehmen heute unter ca. 100 integrierten und zahllosen spezialisierten IT-Werkzeugen wählen können, wurde jedoch immer deutlicher, dass CRM mehr ist als ein IT-Projekt. Zahlreiche gescheiterte CRM-(IT-)Projekte machten deutlich, dass die Voraussetzung für ein erfolgreiches CRM-Projekt eine durchdachte Kundenbeziehungsstrategie ist, ebenso wie darauf abgestimmte Geschäftsprozesse, ein Mitarbeiterstab, der die für CRM charakteristische Kundenorientierung des gesamten Unternehmensgeschehens als Unternehmensphilosophie aktiv mit trägt und – last but not least – IT-Systeme, welche die Mitarbeiter bei der Abwicklung kundenbezogener Geschäftsprozesse unterstützen. Gleichzeitig wurden aber auch die attraktiven Erfolgspotenziale erfolgreicher CRMProjekte durch eine wachsende Anzahl von Fallstudien und systematischer wissenschaftlicher Arbeiten glaubhaft belegt, so dass die Faszination von CRM trotz des vorübergehend in Literatur und Konferenzen aufschäumenden Lamentos über gescheiterte CRM-Projekte ungebrochen blieb. In der Fülle der Literatur, die den CRM-Boom der letzten Jahre begleitete, findet sich jedoch nach Kenntnis der Herausgeber kein Werk, das CRM in dieser umfassenden Sichtweise systematisch und umfassend darstellt und konkrete Hilfestellung gibt, wie die Klippen eines CRM-Projekts umschifft und seine Erfolgspotenziale realisiert werden können. Dementsprechend war es das Ziel der Herausgeber des vorliegenden Bandes, unter Mitwirkung führender Fachvertreter der einschlägigen Wissenschaftsdisziplinen eine Gesamtdarstellung von CRM vorzulegen, die ƒ einen systematischen und in sich geschlossenen Überblick über alle Facetten von CRM gibt, ƒ die einzelnen Teilsapekte von CRM auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung umfassend darstellt und ƒ der Wirtschaftspraxis konkrete Gestaltungshilfe für die Abschätzung der Erfolgspotenziale und die praktische Ausgestaltung von CRM gibt. Bereits bei der Ausarbeitung der ersten Grobkonzeption wurde deutlich, dass dieses Vorhaben den Rahmen eines Buches (technisch ebenso wie finanziell) sprengen würde.

Vorwort

7

Die Herausgeber entschieden sich deshalb für eine Gesamtdarstellung in Form von drei thematisch aufeinander abgestimmten Bänden, die gemeinsam das oben skizzierte CRM-Konzept umfassend abdecken und als eigenständige Werke jeweils einen Ausschnitt dieses Konzepts beleuchten: Der erste Band Grundlagen des CRM – Konzepte und Gestaltung stellt die Grundkonzeption von CRM, die Charakteristika von Kundenbeziehungen, die daraus resultierenden Gestaltungsoptionen für die Formulierung von Kundenbeziehungsstrategien sowie deren Einbindung in „klassische“ marktstrategische Konzepte in den Fokus. Der zweite Band Management von CRM-Projekten – Handlungsempfehlungen und Branchenkonzepte befasst sich mit der operativen Umsetzung von Kundenbeziehungsstrategien auf der Grundlage einer kundenorientierten Geschäftsprozessoptimierung und eines Change Management, das veränderte Strategien und Prozesse den Mitarbeitern aktiv nahe bringt. Die unterschiedlichen Ausprägungen, die das CRM-Konzept unter den Rahmenbedingungen verschiedener Märkte und Branchen findet, werden ausführlich und mit zahlreichen Fallstudien dargestellt und sollen der Praxis konkrete Anknüpfungspunkte für eine unternehmensindividuelle Umsetzung von CRM vermitteln. Der dritte Band IT-Systeme im CRM – Aufbau und Potenziale beschreibt die Möglichkeiten, welche eine moderne IT-Unterstützung heute dem CRM eröffnet. Im Mittelpunkt steht dabei neben den Möglichkeiten der Kostensenkung bei der Abwicklung kundenbezogener Geschäftsprozesse vor allem die Verbesserung der Wettbewerbsposition durch in sich stimmige Kundendialoge und die Erschließung zusätzlicher Kundennutzen und Dienstleistungen, die durch moderne IT-Systeme im CRM überhaupt erst möglich werden. An dieser Stelle möchten die Herausgeber den zahlreichen Fachkollegen danken, die durch ihre Beiträge die Vision einer systematischen, umfassenden und wissenschaftlich fundierten CRM-Gesamtdarstellung Wirklichkeit werden ließen. Nicht minder zu Dank verpflichtet sind wir den Mitarbeitern und Kollegen am Lehrstuhl für Allg. BWL und Wirtschaftsinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, vor allem Frau Waltraud Fischermeier, die mit der Organisation und technischen Fertigstellung der drei parallel laufenden Buchprojekte betraut war und diese mit außerordentlichem Einsatz und Sorgfalt bewältigte. Schließlich gilt unser ausdrücklicher Dank auch dem Gabler-Verlag, vertreten durch Frau Renate Schilling und Frau Barbara Roscher, die sich trotz des erheblichen Umfangs und schwieriger Zeiten, gerade auch im Verlagswesen, spontan für die Unterstützung unseres Vorhabens entschlossen haben.

Ingolstadt, im Januar 2004

Hajo Hippner und Klaus D. Wilde

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................................... 5

Erster Teil Grundlagen des CRM CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte ..................................................................... 15 Hajo Hippner Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen ....................................................... 45 Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde IT-Unterstützung durch Customer Relationship Management-Systeme am Beispiel von mySAP CRM ..................................................................................... 75 Hajo Hippner, Onno Hoffmann, Udo Rimmelspacher, Klaus D. Wilde Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg ...................... 97 Hermann Diller Mit Mass Customization basiertem CRM zu loyalen Kundenbeziehungen ............... 121 Christian Schaller, Christof M. Stotko, Frank T. Piller Beziehungslos im Dschungel des Beziehungsmarketing oder: Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive ............................... 145 Ursula Hansen Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen .................................................... 167 Matthias H. J. Gouthier CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung ........................................... 195 Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde Die Bedeutung der Marke im CRM ............................................................................ 225 Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll Die Bedeutung des Preises im CRM .......................................................................... 251 Georg Tacke, Felix Krohn

10

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil Die Kundenbeziehung als zentrales Element des CRM Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen ................................................................................................... 269 Ralf Terlutter Modifikation von Kundenverhalten als Kernaufgabe des CRM ................................. 291 Roland Kantsperger Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet ................................................ 305 Georg Fassott Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sowie deren Erfolgswirkungen ......................................................... 325 Manfred Krafft, Oliver Götz Kundenbewertung im Rahmen des CRM ................................................................... 357 Bernd Günter, Sabrina Helm Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts ................................................ 379 Sabrina Helm Customer Intelligence: Marktforschung und Kundenanalyse als Informationsgrundlagen im CRM ......................................................................... 399 Frank Wimmer, Julika Göb

Dritter Teil Kundenorientierte Managementaufgaben im CRM Grundlagen und Phasen der Kundenbeziehung: Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus ....................................................................... 421 Bernd Stauss

Inhaltsverzeichnis

11

Interessentenmanagement ........................................................................................... 443 Alexander Haas Neukundenmanagement ............................................................................................. 473 Matthias H. J. Gouthier Zufriedenheits- und Kundenbindungsmanagement .................................................... 509 Manfred Bruhn Beschwerdemanagement ............................................................................................ 541 Armin Töpfer Kündigungspräventionsmanagement .......................................................................... 583 Silke Michalski Rückgewinnungsmanagement .................................................................................... 605 Andreas Schöler Der Einsatz von Instrumenten im Rahmen des Relationship Marketing – Ergebnisse einer empirischen Erhebung .................................................................. 633 Ralf Terlutter, Andreas Kricsfalussy

Autorenverzeichnis...................................................................................................... 651 Stichwortverzeichnis ................................................................................................... 659

Erster Teil

Grundlagen des CRM

Hajo Hippner

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte 1

Einleitung

2

Grundlagen des CRM 2.1 Definition 2.2 Begriffsabgrenzung

3

Rahmenkonzept des CRM 3.1 Überblick 3.2 Ökonomischer Erfolg durch profitable Kundenbeziehungen 3.2.1 Wertorientierte Betrachtung der Kundenbeziehungen 3.2.2 Determinanten des Kundenwerts 3.3 Kundenzufriedenheit und -bindung als Basis des ökonomischen Erfolgs 3.4 Kundenorientierte Reorganisation des Unternehmens 3.5 Kundenbeziehungsstrategie als Ausgangspunkt des CRM

4

Fazit und Ausblick

Anmerkungen Literaturverzeichnis

1

Einleitung

In den letzten Jahren hat sich der Ansatz des Customer Relationship Management (CRM) in der Praxis fest etabliert. Im CRM-Konzept werden dabei zahlreiche vorhandene Gedanken und Ideen unter der Maxime der Kundenorientierung synergetisch vereint und in diesem mit positiven Grundwerten versehenen Ziel zusammengeführt. Zwar hat auch die Marketingwissenschaft schon seit geraumer Zeit das Thema „Beziehungsmarketing“ aufgegriffen und ganzheitlich theoretisch durchleuchtet. Allerdings konnte sie sich in den meisten Fällen nur mit isolierten Teilaspekten aus den Bereichen ƒ beziehungsorientierte Ziele (Kundenbindung, Erhöhung des Kundenwerts etc.), ƒ beziehungsorientierte Instrumente (Kundenclubs, Kundenkarten etc.), ƒ beziehungsorientiertes Management (Beschwerdemanagement, Interessentenmanagement etc.) in der Marketingpraxis positionieren. Mit dem Aufkommen des umfassenden CRMAnsatzes und der großen Resonanz in der Praxis erhält die Marketingwissenschaft nun jedoch endlich die Chance, ihre ganzheitlichen, konzeptionellen Überlegungen der vergangenen Jahre unter der Ägide des CRM in die Praxis zu überführen.

2

Grundlagen des CRM

2.1

Definition

Setzt man sich mit dem CRM-Begriff auseinander, lässt sich beobachten, dass CRM häufig auf seine technologische Komponente reduziert wird (Brill 1998, Fischer-Neeb 2000, Jost 1999, Schwede 2000, Schwetz 2000). CRM wird hierbei mehr oder weniger mit CRM-Systemen gleichgesetzt, deren Aufgabe in der Sammlung und Auswertung von Kundendaten sowie in der Automatisierung kundenbezogener Prozesse liegt. Zwar ist es unbestritten, dass moderne IT-Systeme das Management von Kundenbeziehungen nachhaltig unterstützen können – jedoch birgt diese starke IT-Orientierung die Gefahr in sich, die notwendigen Rahmenbedingungen im Unternehmen nicht zu beachten. Diese Problematik wird zunehmend erkannt und so wird vermehrt eine „strategische Ausrichtung statt IT-getriebenem Aktivismus“ gefordert (Homburg/Sieben 2005, S. 435). Ausgangspunkt dieses eher betriebswirtschaftlich orientierten CRM-Verständnisses ist die Überlegung, dass IT-Lösungen nur dann ihre Möglichkeiten ausschöpfen können, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sind. Publikationen, denen dieses Verständnis zugrunde liegt, wenden sich tendenziell Aspekten des Kundenwissens, Kundenwerts, Konstrukten der Kundenzufriedenheit und -bindung etc. zu, wobei häufig das Fehlen der IT-basierten Realisierung anzumahnen ist (z.B. bei Raab/Lorbacher 2002). Aus der einseitigen Konzentration auf die betriebswirtschaftli-

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Hajo Hippner

chen Aspekte des CRM und der Vernachlässigung der technologischen Komponente resultiert, dass viele gut gemeinte Ideen und Ratschläge auf einer theoretisch-konzeptionellen Ebene verharren und keine praktische Umsetzung erfahren. Weder eine einseitige Konzentration auf CRM-Systeme noch eine ausschließliche Fokussierung auf eine betriebswirtschaftliche CRM-Konzeption versprechen folglich eine erfolgreiche CRM-Umsetzung. Nur die aufeinander abgestimmte Ausgestaltung von kundenorientierter Strategie und kundenorientierten Informationssystemen kann die Potenziale des CRM-Konzepts ausschöpfen. Vor diesem Hintergrund schlagen wir folgende CRM-Definition vor (Hippner/Wilde 2002, S. 6 ff.): „CRM ist eine kundenorientierte Unternehmensstrategie, die mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien versucht, auf lange Sicht profitable Kundenbeziehungen durch ganzheitliche und individuelle Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen.“ CRM umfasst folgendermaßen zwei zentrale Gestaltungsbereiche: ƒ Zum einen erfordert CRM den Einsatz von integrierten Informationssystemen (CRM-Systeme). Nur die Zusammenführung aller kundenbezogenen Informationen und die Synchronisation aller Kommunikationskanäle erlauben eine ganzheitliche Abbildung des Kunden („One Face of the Customer“) und somit auch eine abgestimmte Kundenansprache („One Face to the Customer“). ƒ Hinter der CRM-Idee verbirgt sich allerdings weitaus mehr als nur eine reine Softwarelösung – CRM steht auch für eine neue kundenorientierte Unternehmensstrategie. Um erfolgreiches CRM zu betreiben, muss eine Neuausrichtung sämtlicher Geschäftsprozesse und Verantwortlichkeiten auf den Kunden hin erfolgen. In einem ersten Schritt muss demzufolge – entsprechend den strategischen Zielsetzungen des Unternehmens – eine CRM-Konzeption erarbeitet werden (Homburg/Sieben 2005, S. 446 ff.). Hierbei wird z.B. festgelegt, welche Kundengruppen über welche Kanäle mit welchem Instrumentarium bearbeitet werden sollen (Wehrmeister 2001, S. 113 ff.). Darüber hinaus gilt es, die organisatorischen und personellen Rahmenbedingungen sowie die zur Kundenbearbeitung erforderlichen kundenorientierten Geschäftsprozesse zu definieren. Auf Basis dieser konzeptionellen Eckpfeiler gilt es im zweiten Schritt ein CRM-System auszuwählen und zu implementieren, das den unternehmensspezifischen Anforderungen und Prozessen am besten entspricht.

2.2

Begriffsabgrenzung

In zunehmendem Maße beherrschen Begriffe wie „Beziehungsmanagement“ („Relationship Management“ ), „Beziehungsmarketing“ („Relationship Marketing“), „Kundenbindungsmanagement“ („Customer Retention Management“) oder eben „Kundenbeziehungsmanagement“ („Customer Relationship Management“) die relevante Literatur.

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

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Diese Begriffe werden in der Praxis häufig nicht sauber voneinander abgegrenzt bzw. sogar synonym verwendet oder aber es wird versäumt, das eigene Verständnis der Begrifflichkeiten aufzuzeigen. Aus diesem Grund soll nachfolgend eine Abgrenzung der einzelnen Begriffe erfolgen sowie ihre Beziehung zueinander dargelegt werden. Eine systematische Abgrenzung der Begriffe „Beziehungsmanagement“ und „Beziehungsmarketing“ lässt sich bei Diller (1995) finden. Er versteht unter Beziehungsmanagement „ ... die aktive und systematische Analyse, Selektion, Planung, Gestaltung und Kontrolle von Geschäftsbeziehungen im Sinne eines ganzheitlichen Konzeptes von Zielen, Leitbildern, Einzelaktivitäten und Systemen.“ (Diller 1995, S. 442). Als maßgeblich erachtet er dabei eine Unterscheidung von Einzeltransaktionen und den unter einer längerfristigen Perspektive betrachteten Geschäftsbeziehungen, die aber beide im Beziehungsmanagement gleichermaßen Beachtung finden. Das Beziehungsmanagement beschränkt sich hierbei keineswegs auf Kundenbeziehungen, sondern wird als umfassendes Konzept verstanden, das ebenso horizontale (z.B. Vertriebsgemeinschaften), vertikale (z.B. Zuliefererbeziehungen), laterale (z.B. Beziehungen zu Behörden) oder aber auch unternehmensinterne Beziehungen (z.B. zum Personal) einbezieht (Diller/ Kusterer 1988, S. 212). Der Begriff des Beziehungsmarketing entstand Anfang der 80er Jahr im angloamerikanischen Raum: „Relationship Marketing is attracting, maintaining and (...) enhancing customer relationships.“ (Berry 1983, S. 25). Auch wenn beim Relationship Marketing meist die Kundenseite im Vordergrund steht, umfasst es doch auch die Austauschbeziehungen zu vorgelagerten Märkten der Unternehmung, d.h. beim Relationship Marketing werden auch die Beziehungen zu den Lieferanten mit einbezogen (Köhler 2001, S. 82; Wehrli 1994, S. 193). Abb. 1 fasst obige Ausführungen zusammen und zeigt auf, dass das Beziehungsmarketing als eine Teilmenge des umfassenden Beziehungsmanagements verstanden werden kann. Das Kundenbeziehungsmanagement hat sich direkt aus dem Beziehungsmarketing heraus entwickelt und weist demzufolge vom Grundverständnis her eine große Ähnlichkeit auf. Im Gegensatz zum Beziehungsmarketing beschränkt sich das Kundenbeziehungsmanagement jedoch ausschließlich auf die Gestaltung der Beziehungen zum Kunden, so dass es als integraler Bestandteil des Beziehungsmarketing verstanden werden muss. Homburg/Bruhn verstehen unter Kundenbindungsmanagement „... die systematische Analyse, Planung, Durchführung sowie Kontrolle sämtlicher auf den aktuellen Kundenstamm gerichteten Maßnahmen mit dem Ziel, dass diese Kunden auch in Zukunft die Geschäftsbeziehung aufrechterhalten oder intensiver pflegen.“ (Homburg/Bruhn 2005, S. 8). Im Fokus des Kundenbindungsmanagement stehen folgendermaßen ausschließlich die aktuellen, bereits bestehenden Kundenbeziehungen. Es schließt die Gewinnung von Neukunden sowie die Rückgewinnung abgewanderter Kunden nicht mit ein. Somit kann das Kundenbindungsmanagement lediglich als ein Teilaspekt der bisher angesprochenen Ansätze verstanden werden.

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Hajo Hippner

Beziehungsmanagement

Transaktionsart

Einzeltransaktion

Beziehungsmarketing

Beziehung

horizontal

vertikal

lateral

Personal

extern

intern

Transaktionsrichtung

Abb. 1: Beziehungsmanagement und Beziehungsmarketing Quelle: in Anlehnung an Diller 1995, S. 442

Abb. 2 greift obige Überlegungen auf und grenzt die einzelnen Begriffe systematisch voneinander ab.

Beziehungsmanagement Beziehungsmarketing sonstige externe Beziehungen sonstige interne Beziehungen

Kundenbindungsmanagement sonstige vertikale Beziehungen

potenzielle Kunden

aktuelle Kunden

verlorene Kunden

Customer Relationship Management

Abb. 2: Die Abgrenzung des Customer Relationship Management von verwandten Begriffen [1]

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

3

Rahmenkonzept des CRM

3.1

Überblick

21

Gemäß der in Kap. 2.1 eingeführten Definition erfolgt CRM mit dem Ziel, profitable Kundenbeziehungen auszugestalten und somit den Unternehmenserfolg bzw. den Unternehmenswert zu erhöhen (Matzler et al. 2002, S. 7 ff.). Das CRM-Konzept basiert somit grundsätzlich auf einem rein ökonomischen Verständnis (siehe Kap. 3.2). Nichtsdestotrotz ist das Ziel profitabler Kundenbeziehung nur über eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit bei unzufriedenen Kunden bzw. eine Stabilisierung der Zufriedenheit bei bereits zufriedenen Kunden zu erreichen, aus der (häufig) eine stärkere Bindung der Kunden an das Unternehmen erwächst (siehe Kap. 3.3). Um dies zu erreichen gilt es, kundenorientierte Reorganisationsmaßnahmen im Unternehmen durchzuführen. Diese Reorganisationsmaßnahmen umfassen die Optimierung kundenbezogener Geschäftsprozesse, deren Unterstützung durch CRM-Systeme sowie die systematische Planung und Kontrolle dieser Veränderungen durch ein CRM-Projektmanagement und ein Change Management (siehe Kap. 3.4). Die Realisierungsrichtlinien für die kundenorientierte Reorganisation des Unternehmens werden der vorher definierten Kundenbeziehungsstrategie entnommen. Diese legt u.a. die Struktur und den Einsatz der Interaktionskanäle zwischen Kunde und Unternehmen sowie die Ausgestaltung der CRM-Prozesse fest (siehe Kap. 3.5). Abb. 3 skizziert in Grundzügen diese Wirkungskette des CRM. Hierbei gilt es hinsichtlich des Ablaufs der Wirkungskette zwei generelle Anmerkungen zu berücksichtigen: (1) Zum einen kann der letztendlich angestrebte monetäre Erfolg der CRM-Maßnahmen meist erst mittel- oder langfristig beobachtet werden. Auch wenn die ersten beiden Phasen relativ zügig durch das Unternehmen realisiert werden können, so vergeht doch eine geraume Zeit bis diese Veränderungen von der großen Masse der Kunden adoptiert werden und sich in einem messbaren ökonomischen Erfolg niederschlagen. (2) Zum anderen wird die CRM-Wirkungskette in den einzelnen Phasen durch unternehmensinterne und -externe Faktoren negativ oder aber auch positiv beeinflusst. Die Wirkung der meisten Faktoren lässt sich hierbei schwerpunktmäßig den einzelnen Phasen zuordnen. Darüber hinaus existieren allerdings noch generelle Faktoren des Markts und Wettbewerbs, die – mehr oder weniger stark – auf alle Phasen der CRM-Wirkungskette ausstrahlen.

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Hajo Hippner

Externe Einflüsse

Genereller Einfluss durch Markt und Wettbewerb • Marktstellung und -dynamik • Branche • Wettbewerbsstruktur • Wettbewerberverhalten • etc.

• • • • • •

Kundenerwartungen Variety Seeking Preisempfinden Markenempfinden Bindungsbereitschaft etc.

• Kundenfluktuation • Ertragspotenzial der Kunden • etc.

Phase 1: Konzeption einer Kundenbeziehungsstrategie

Phase 2: Kundenorientierte Reorganisation

Phase 3: Veränderung der Kundeneinstellung und des Kundenverhaltens

Phase 4: Ökonomischer Erfolg

ƒ Formulierung von Basisstrategien ƒ Kundenorientierte Managementkonzepte ƒ Multi Channel Management

ƒ Geschäftsprozessoptimierung ƒ CRM-Systeme ƒ Change Management ƒ CRM-Projektmanagement

ƒ Kundenzufriedenheit ƒ Kundenloyalität ƒ Kundenbindung

ƒ Quantität der Kundenbeziehungen ƒ Qualität der Kundenbeziehungen ƒ Dauer der Kundenbeziehungen

• Akzeptanz der Mitarbeiter • Unterstützung durch Management • Bestehende IT- und Organisationsstruktur • Investitionsvolumen • etc.

• Qualität der CRMProzesse • Qualität der Produkte und Dienstleistungen • Individualisierungsgrad • Mitarbeitermotivation • etc.

• Aufbau von Wechselbarrieren • Horizontale und vertikale Programmvielfalt • etc.

Interne Einflüsse

Abb. 3: Wirkungskette des CRM

3.2

Ökonomischer Erfolg durch profitable Kundenbeziehungen

3.2.1 Wertorientierte Betrachtung der Kundenbeziehungen „Die Kundenbeziehung ist das zentrale Handlungsobjekt des Customer Relationship Management.“ (Eggert 2001, S. 90). Mit diesem Grundverständnis verfolgt CRM als primäre Zielsetzung den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen, so dass der Wert der Kundenbeziehung im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Dieser Begriff bietet jedoch dahingehend einen Interpretationsspielraum, ob er aus Kundensicht („customer value“ – Wert für den Kunden) oder aus Unternehmenssicht („Kundenwert“ – Wert des Kunden) betrachtet wird (Cornelsen 2000, S. 33; Helm/Günter 2001, S. 6; Wilkoszewski 2001, S. 37 ff.). Im Fokus des CRM steht der Kundenwert aus Unternehmenssicht, der als Beitrag eines Kunden oder einer Kundengruppe zur Erreichung der Ziele eines Unternehmens verstanden werden kann (Cornelsen 2000, S. 38). Grundsätzlich lässt sich hierbei anmer-

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

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ken, dass der ökonomische Beitrag eines Kunden für das Unternehmen nicht auf dessen bereits getätigten oder zukünftigen Umsätze reduziert werden darf. Gleichermaßen kommt den indirekten Beiträgen zum Unternehmenserfolg, wie z.B. Weiterempfehlungen durch den Kunden, eine zentrale Bedeutung im CRM zu (eine Erläuterung der einzelnen Determinanten des Kundenwerts findet sich in Kap. 3.2.2). Aus nachfragerorientierter Sicht geht der Kunde mit dem Unternehmen eine Beziehung ein, das ihm den höchsten „customer value“ bietet (Meyer/Schaffer 2001, S. 66 ff.). Dabei beurteilt der Kunde bei seiner Entscheidung, ob er eine Beziehung zu dem Unternehmen aufbauen bzw. beibehalten will, den aktuellen oder den zukünftig zu erwartenden Nettonutzen der Geschäftsbeziehung (entspricht dem „customer value“). Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen dem wahrgenommenen Nutzen und den Kosten einer Beziehung aus Nachfragersicht (Eggert 2001, S. 98). Kundenwert und „customer value“ stehen in einer engen Beziehung zueinander, die es auszubalancieren gilt. So ist ein positiver „customer value“ zwingend erforderlich, um Geschäftsbeziehungen aufbauen bzw. erhalten zu können. Je positiver den Kunden der „customer value“ erscheint, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine enge und langfristige Kundenbindung eingehen, aus der höhere Umsätze, Cross SellingWerte, Weiterempfehlungsraten etc. und somit höhere Kundenwerte resultieren können. Ein hoher Kundenwert wiederum verpflichtet ein Unternehmen geradezu, die Beziehung nachhaltig dahingehend zu optimieren, dass aus Kundensicht ein bestimmtes Anspruchsniveau erreicht oder überschritten wird. Durch diese kundenwertorientierte Steuerung der Beziehung wird ein fortlaufender „Kundenwert-Kreislauf“ aufgespannt (Cornelsen 2000, S. 292 ff.; siehe Abb. 4). Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass die Investitionen in die Kundenbeziehungen immer mit dem (erwarteten) Kundenwert und den Eigenheiten des einzelnen Kunden abzugleichen sind.

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Hajo Hippner

Teilwert

Umsatz

Kundenwert

• • • •

Werttreiber

„partial values“

Kaufmengen Kaufhäufigkeit Preis Rabatte

Produkteigenschaften

Cross SellingWert

• Leistungsaffinitäten • Lebenszyklusphase

Referenzwert

• Soziales Netz • Meinungsführer • Zufriedenheit

. . .

. . .

„customer value“

Beziehungsgestaltung

Image

. . .

„value drivers“ • Haltbarkeit • Produktausstattung • Design • Funktionalität

• Beratungsqualität • Offenheit im Gespräch • Beschwerdereaktion • Einfühlungsvermögen

Kundenwertorientierte Steuerung der Kundenbeziehung

• Bekanntheit • Vertrauenswürdigkeit • Kompetenz • Reputation . . .

Abb. 4: Kundenwert und „customer value“ im Rahmen eines wertorientierten CRM Quelle: in Anlehnung an Cornelsen 2000, S. 294

Obige Überlegungen implizieren, dass es grundsätzlich möglich ist, aus jeder Kundenbeziehung einen positiven Kundenwert zu erlangen. Allerdings lässt es sich realiter immer wieder beobachten, dass viele Unternehmen mit nur relativ wenigen Kunden einen großen Teil ihres Gewinns erzielen. Auf der anderen Seite stehen dagegen Kunden, die einen negativen Gewinnbeitrag liefern und somit die von den restlichen Kunden erwirtschafteten Gewinne zum Teil wieder vernichten (Eberling 2002, S. 43). Dieser Asymmetrie gilt es im Rahmen eines kundenwertorientierten CRM aktiv zu begegnen. Grundsätzlich stehen hierfür zwei Optionen zur Verfügung (siehe Abb. 5): ƒ Option 1: Im ersten Schritt sollte das Unternehmen den Versuch unternehmen, Kunden mit einem negativen Gewinnbeitrag in die Gewinnzone zu überführen. Dies kann zum einen über eine Erhöhung des Umsatzes erfolgen, die z.B. mit individualisierten Kommunikationsmaßnahmen und Angeboten erreicht werden soll. Zum anderen bietet sich eine Kostenreduktion an, die sich z.B. durch eine Beschränkung auf kostengünstigere Kommunikations- und Vertriebskanäle erzielen lässt. ƒ Option 2: Falls die erste Option nicht erfolgreich realisiert werden kann, gilt es, den Kundenstamm von Kunden mit einem negativen Gewinnbeitrag zu bereinigen. Hierzu werden sämtliche beziehungsrelevanten Maßnahmen auf ein Minimum reduziert, um dadurch eine „natürliche“ Erosion der verlustbringenden Kunden zu forcieren. Im Extremfall kann es sich sogar anbieten, die Geschäftsbeziehungen unternehmensseitig abzubrechen (wobei allerdings die negativen Folgen, wie z.B. negative Mundpropaganda, zu berücksichtigen sind). Folglich

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

25

kann aus einem konsequenten, wertorientierten CRM heraus eine gewollte Reduzierung des Kundenstamms resultieren. Idealerweise wird diese durch die Gewinnung neuer, profitabler Kunden überkompensiert.

Customer Equity in % vom Istwert

angestrebte Situation

100

Option 1: Umwandlung in gewinnbringende Beziehungen

aktuelle Situation

Option 2: gezielte Reduktion des Kundenstamms

Kunden mit positivem Gewinnbeitrag

Kunden mit negativem Gewinnbeitrag

100

Kunden in %

Abb. 5: Konzentration auf profitable Kundengruppen

3.2.2 Determinanten des Kundenwerts Im Fokus des CRM stehen die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten der Kundenbeziehungen. Die Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen darf sich folglich nicht nur an der kurzfristigen Profitabilität eines Kunden orientieren, da es sich durchaus rechnen kann, sich auch um solche Kunden zu bemühen, die dem Unternehmen zunächst nur Verluste bescheren. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Kunde ein hohes zukünftiges Potenzial besitzt (unter Berücksichtigung der Langfristigkeit der Kundenbeziehung). So weisen z.B. Studenten kurzfristig betrachtet eine nur geringe Kaufkraft auf. Bei ihnen kann jedoch durchaus berechtigt angenommen werden, dass sie sich zukünftig zu einer äußerst finanzstarken und somit profitablen Kundengruppe entwickeln können. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich z.B. die Motivation von Banken erklären, in den ersten Jahren einer Geschäftsbeziehung auch negative Deckungsbeiträge hinzunehmen (z.B. das Betreiben eines Girokontos für einen Studenten – in der Erwartung einer

26

Hajo Hippner

profitablen Geschäftsbeziehung bei Eintritt in das Berufsleben; Rosemann et al. 1999, S. 109). Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Profitabilität eines Kunden nicht nur von der Intensität der Geschäftsbeziehung, sondern eben auch von ihrer Dauer abhängt. Aus diesem Grund wird bei der Kundenwertermittlung in zunehmendem Maße dem zukünftigen Potenzial eines Kunden eine höhere Bedeutung beigemessen. Als wesentlicher Anstoß für die intensivere Betrachtung der langfristigen Aspekte einer Kundenbeziehung kann eine von Reichheld und Sasser durchgeführte Untersuchung identifiziert werden, die mittlerweile als wesentliche Argumentationsgrundlage zahlreichen CRMPublikationen zugrunde liegt (Reichheld/Sasser 1990).

Jährlicher Gewinn pro Kunde

Preisprämien Weiterempfehlungen

Kosteneinsparungen

Umsatzwachstum pro Kunde

Basisgewinn

1

2

Akquisitionskosten

3

4

5

6

7

Jahre

Abb. 6: Monetärer Nutzen langfristiger Kundenbeziehungen Quelle: Reichheld 1997, S. 52

Die Untersuchung verdeutlicht, dass mit zunehmender Dauer der Kundenbeziehung auch der daraus resultierende Gewinn ansteigt (siehe Abb. 6). Auch wird hierbei offensichtlich, dass sich die hohen anfänglichen Investitionen zum Aufbau der Kundenbeziehung sowie die laufenden Kosten für deren Erhalt und Ausbau mit zunehmender Dauer rechnen (Hougaard/Bjerre 2002, S. 99) [2]. Darüber hinaus lässt sich erkennen, dass der Nutzen einer Kundenbeziehung nicht nur aus der eigentlichen Transaktion erwächst (z.B. Umsatzwachstum), sondern ebenso „weiche“ Faktoren, wie z.B. Weiterempfehlungen, einen Einfluss ausüben.

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

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Vor diesem Hintergrund wird der Wert des Kunden in der Literatur häufig in einen quantitativen bzw. monetären und in einen qualitativen bzw. nichtmonetären Kundenwert unterteilt (siehe z.B. Helm/Günter 2001, S. 7; Homburg/Schnurr 1999). Eine dahingehende Differenzierung erscheint jedoch als problematisch, da jeder qualitative, nichtmonetäre Wert grundsätzlich – zumindest approximativ – quantifiziert bzw. monetarisiert werden kann (siehe z.B. Cornelsen 2001a). Aus diesem Grund soll an dieser Stelle der Kundenwert auf zwei wesentliche Aspekte zurückgeführt werden, die von dieser gebräuchlichen Unterteilung abweichen (siehe Abb. 7).

Kundenwert

Transaktionspotenzial

Relationspotenzial

Basisvolumen

Wachstumspotenzial

Kostensenkungspotenzial

Intensivierungspotenzial

Cross SellingPotenzial

Up SellingPotenzial

Referenzpotenzial

Informationspotenzial

Kooperationspotenzial

Potenzial aus sinkender Preiselastizität

Determinanten

Abb. 7: Determinanten des Kundenwerts Auf der einen Seite steht das Transaktionspotenzial, das den Verkaufserfolg, den ein Kunde gegenwärtig oder zukünftig als Abnehmer von Leistungen im Rahmen seiner Geschäftsbeziehung dem Unternehmen verschafft, repräsentiert. Dieses setzt sich aus dem Basisvolumen sowie einem Wachstums- und Kostensenkungspotenzial zusammen. Das Basisvolumen leitet sich aus der Kaufhistorie des Kunden ab und steht somit für die bisherige Intensität der Kundenbeziehung. Hinter dem Basisvolumen verbirgt sich der Gedanke, dass aus einer bereits bestehenden Kundenbindung heraus der Kunde eine Habitualisierung seines Kaufverhaltens sowie eine Immunisierung gegenüber Konkurrenzangeboten aufweist und somit auch in Zukunft ein relativ stabiler Umsatz erwartet werden kann. Am deutlichsten wird dieser Umstand bei vertraglich gebundenen Kunden, die keine Chance besitzen, einen anderen Anbieter zu wählen (Diller 2002, S. 302 f.).

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Das Wachstumspotenzial repräsentiert die zu erwartenden (positiven oder negativen) Veränderungen im Kaufverhalten des Kunden. Im Einzelnen werden hierbei folgende Determinanten des Kundenwerts berücksichtigt: ƒ Das Intensivierungspotenzial steht für die zukünftig zu erwartende Ausweitung (bzw. Reduzierung) des Basisvolumens. Häufig lässt sich dabei beobachten, dass die Wiederkaufrate bzw. der Share of Wallet mit der Dauer der Kundenbeziehung ansteigt. ƒ Das Cross Selling-Potenzial steht für die erwartete zusätzliche Nutzung des Produktangebots des Unternehmens durch den Kunden (Schäfer 2002). So lässt sich z.B. bei Versicherungen häufig beobachten, dass Kunden nicht nur eine, sondern häufig mehrere Versicherungen bei einem Unternehmen abschließen (z.B. Hausrat, Leben, Kfz etc.). ƒ Dem Up Selling-Potenzial liegt die Beobachtung zu Grunde, dass Kunden mit der Zeit vermögender werden und sich somit höherwertigere Produkte aus der Produktpalette des Unternehmens leisten können. So wird z.B. in der Automobilbranche versucht, Neukunden mit Einstiegsmodellen zu gewinnen und dann kontinuierlich in der Modellpalette nach oben zu führen (z.B. Audi: A2 Æ A3 Æ A4 Æ A6 Æ A8). ƒ Als letzte Determinante des Wachstumspotenzials kann eine mit der Dauer der Kundenbeziehung sinkende Preiselastizität angenommen werden. So sind Kunden mit einer hohen Kundenbindung eher bereit, auf kurzfristige Preisvorteile („Schnäppchen“) oder auf zuvorkommende Konditionen (z.B. Rabatte, Boni) zu verzichten. Neben dem Basisvolumen und dem Wachstumspotenzial stellt das Kostensenkungspotenzial die dritte Komponente des Transaktionspotenzials dar. Auch das Kostensenkungspotenzial wird positiv von der Dauer der Kundenbeziehung beeinflusst. Demgemäß ist eine langfristige Kundenorientierung insofern kosteneffizienter als eine kurzfristig ausgelegte Transaktionsorientierung, als dem Unternehmen die spezifischen Bedürfnisse eines Kunden bekannt sind und diese dadurch effizienter bearbeitet werden können. So erlauben z.B. die über die Jahre angesammelten Kundeninformationen eine Reduzierung von Streuverlusten bei Marketingaktionen. Aus den verfügbaren Informationen können zielgerichtete Kundenprofile gewonnen werden, die eine differenzierte Kundenansprache bzw. Angebotserstellung und somit höhere Response versprechen. Neben dem Transaktionspotenzial, das aus dem eigentlichen Kaufvorgang erwächst, kann der Kunde durch sein Verhalten während der gesamten Geschäftsbeziehung für das Unternehmen einen zusätzlichen Werttreiber darstellen. Diese als Relationspotenzial bezeichnete Wertkomponente umfasst folgende Wertdeterminanten: ƒ Das Referenzpotenzial spiegelt die Einflussnahme aktueller Kunden auf die Kaufentscheidungen Dritter wider (Cornelsen 2001b, S. 161). Es wird durch die Anzahl potenzieller Kunden bestimmt, die ein Kunde innerhalb eines bestimmten Zeitraums aufgrund seines Weiterempfehlungsverhaltens und Einflussver-

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mögens sowie der Größe, Art, Kontakthäufigkeit und -intensität seines sozialen Beziehungsnetzwerks für das Unternehmen gewinnt (Rudolf-Sipötz/Tomczak 2001, S. 30). ƒ Hinter dem Begriff des Informationspotenzials steht die Idee, dass der Kunde dem Unternehmen wertvolle Informationen (z.B. Anregungen oder Beschwerden) zur Verfügung stellt, die dieses zur Optimierung seiner Leistungserstellungsprozesse verwenden kann (Homburg/Schnurr 1999, S. 5). ƒ Das Kooperationspotenzial umfasst alle Werttreiber, die aus der Bereitschaft der Kunden zur Zusammenarbeit mit dem Unternehmen entstehen. Dieser Wertdeterminante kommt insbesondere im B2B-Bereich eine Bedeutung zu. Exemplarisch kann hier der Ansatz des Efficient Consumer Response angeführt werden, mit dem alle Glieder der Wertschöpfungskette auf den maximalen Nutzen für den Endkunden ausgerichtet und die Kosten für alle Beteiligten gesenkt werden (Fischer/Städler 1999, S. 349). Der Kundenwert aus Unternehmenssicht stellt für das mit dem CRM-Ansatz verfolgte Ziel der Profitmaximierung den zentralen Orientierungspunkt dar, an dem alle kundenbezogenen Maßnahmen auszurichten sind. Nur solche Kundengruppen, mit denen gegenwärtig oder zukünftig ein positiver Deckungsbeitrag zu erwirtschaften ist, werden nachhaltig und intensiv betreut. Vor diesem Hintergrund steht der Potenzialbegriff folglich nicht nur für bestehende, sondern gleichermaßen für zukünftige Potenziale (Tomczak/Rudolf-Sipötz 2001, S. 131). Die Berücksichtigung der zukünftig zu erwartenden Erfolgspotenziale eines Kunden geht konform mit der dem CRM-Ansatz inhärenten Forderung nach einer langfristigen Ausgestaltung der Kundenbeziehungen. Aus diesem Grund bieten sich zur Ermittlung des Kundenwerts in erster Linie Verfahren zur Berechnung des Customer Lifetime Value an, bei denen explizit eine Dynamisierung der Kundenwertbetrachtung erfolgt (Bruhn et al. 2000; Weiber/Weber 2000). Vor dem Hintergrund der angestrebten langfristigen Maximierung des Profits über alle Kundenbeziehungen hinweg, steht aus Unternehmenssicht jedoch weniger der Wert der einzelnen Kundenbeziehung, sondern vielmehr die Customer Equity als die Summe der Customer Lifetime Values über alle Beziehungen im Mittelpunkt (Burmann 2002, S. 2).

3.3

Kundenzufriedenheit und -bindung als Basis des ökonomischen Erfolgs

Auch wenn bei der Ausgestaltung der Kundenbeziehungen der Einfluss der Neukundengewinnung sowie der Kundenreaktivierung nicht zu vernachlässigen ist, kommt der Kundenbindung und den daraus resultierenden positiven Effekten eine erhöhte Bedeutung zu. So werden die in Kap. 3.2.2 dargestellten Kernelemente profitabler Kundenbeziehungen und der damit verbundene ökonomische Erfolg maßgeblich von dem Grad

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Hajo Hippner

der realisierten Kundenbindung beeinflusst (eine systematische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Kundenbindung“ findet sich bei Gerpott 2000). Das Konstrukt Kundenbindung wird in der Literatur häufig mit inhaltlich unterschiedlichen Akzentuierungen verwendet. Zum einen werden hierunter aus einer anbieterbezogenen Sicht sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens subsummiert, die darauf hinzielen, die Kundenbeziehungen stabil zu gestalten. Zum anderen werden darunter aus einer nachfragerorientierten Perspektive die beobachtbaren Verhaltensmuster beim Kunden zusammengefasst, in denen sich die Kundenbindung widerspiegelt. Insbesondere in diesem zweiten Punkt manifestiert sich der ökonomische Erfolg, der aus der Kundenbindung erwachsen kann (siehe Abb. 8). Kundenbindung wird hierbei als ein mehrdimensionales Konstrukt verstanden, welches durch das bisherige und zukünftig beabsichtige Verhalten des Kunden beschrieben werden kann.

Kundenbindung

Bisheriges Verhalten

Wiederkauf

Verhaltensabsichten

Weiterempfehlung

Wiederkaufabsicht

Zusatzkaufabsicht (Cross Selling)

Weiterempfehlungsabsicht

Abb. 8: Konzeptionalisierung des Konstruktes Kundenbindung Quelle: Homburg/Fassnacht 1998, S. 415

In Wissenschaft und Praxis wird – mehr oder weniger implizit – davon ausgegangen, dass als wesentlicher Bestimmungsfaktor der Kundenbindung die Kundenzufriedenheit anzusehen ist (Herrmann/Johnson 1999, S. 579). Dabei wird die Kundenzufriedenheit zumeist mittels des Confirmation/Disconfirmation-Paradigmas operationalisiert und als das positive Ergebnis eines psychischen Vergleichsprozesses zwischen den Erwartungen eines Kunden sowie dem von ihm tatsächlich wahrgenommenen Leistungsniveau verstanden (Krafft 1999, S. 517; Stauss 1999, S. 6 ff.). Der positive Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und der daraus resultierenden Kundenbindung wurde in zahlreichen empirischen Untersuchungen festgestellt, wobei häufig ein progressiver oder sattelförmiger Verlauf der Beziehung unterstellt

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

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wird (Fischer et al. 2001, S. 1164 f.; Homburg et al. 1999, S. 182 ff.). Allerdings mehren sich auch zunehmend kritische Stimmen, die eine Pauschalisierung dieser Beziehung in Frage stellen und die Bedeutung von moderierenden Faktoren hervorheben (siehe hierzu z.B. Stauss 1997). Trotz solcher durchaus berechtigten Einschränkungen lässt sich dennoch konstatieren, dass Kundenzufriedenheit zwar kein Garant für Kundenbindung ist, allerdings eine wesentliche Voraussetzung hierfür darstellt. Auf dieser grundsätzlichen Annahme basiert die klassische Wirkungskette, die durchlaufen werden muss, um Kundenbindung und die daraus resultierenden ökonomischen Erfolge zu erzielen (siehe Abb. 9).

Unternehmensexterne moderierende Faktoren ƒ Heterogenität der Kundenerwartungen ƒ Marktbezogene Dynamik ƒ Marktbezogene Komplexität

Erstkontakt ƒ Kauf ƒ Inanspruchnahme einer Leistung

Phase 1

ƒ Variety Seeking-Motive ƒ Image ƒ Alternativenzahl ƒ Bequemlichkeit der Kunden

Kundenzufriedenheit ƒ Bewertung durch Soll-Ist-Vergleich

Phase 2

ƒ Individualität der Leistung ƒ Heterogenität des Leistungsspektrums ƒ Leistungskomplexität

Kundenloyalität ƒ Akzeptanz ƒ Vertrauen ƒ positive Einstellungen

Phase 3

ƒ Ertragspotenzial der Kunden ƒ Leistungsbedürfnis der Kunden ƒ Preisrestriktionen ƒ Kundenfluktuation

Kundenbindung ƒ Wiederkauf ƒ Cross Buying ƒ Weiterempfehlung

Phase 4

ƒ Ausgestaltung der kundenbezogenen Informationspolitik ƒ Mitarbeitermotivation u.ä. ƒ Persönliche Beziehungen

Ökonomischer Erfolg

Phase 5

ƒ Wechselbarrieren ƒ Möglichkeit vertraglicher Bindungen ƒ Funktionaler Verbund der angebotenen Leistungen

Unternehmensinterne moderierende Faktoren

Abb. 9: Wirkungskette der Kundenbindung Quelle: Homburg/Bruhn 2005, S. 10

Stark vereinfacht sind hierbei fünf wesentliche Phasen zu unterscheiden (Homburg/ Bruhn 2000, S. 9): (1) Die Wirkungskette wird durch den Erstkontakt des Kunden, der durch den Kauf eines Produkts oder die Inanspruchnahme einer Leistung hergestellt wird, angestoßen. (2) In der zweiten Phase bewertet der Kunde die erhaltenen Leistungen bzw. die Interaktion mit dem Unternehmen und bildet sich sein persönliches Zufriedenheitsurteil.

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Hajo Hippner Hierfür bietet es sich an, das Konstrukt „Kundenzufriedenheit“ nicht als das Ergebnis eines einmaligen Kauf- und Konsumerlebnisses – also transaktionsspezifisch – zu definieren, sondern vielmehr als Ausdruck aller bisherigen Kauf- und Konsumerfahrungen des Kunden und somit kumulativ zu verstehen (Herrmann/Johnson 1999, S. 582).

(3) Fällt das Zufriedenheitsurteil des Kunden grundsätzlich positiv aus oder werden seine Erwartungen evtl. sogar deutlich übertroffen, kann in der dritten Phase Kundenloyalität entstehen. Diese ist als eine intensivere Hinwendung des Kunden zum (als kompetent erachteten) Unternehmen zu verstehen und äußert sich in einem grundsätzlichem Vertrauensverhältnis und einer allgemein positiven Einstellung des Kunden gegenüber dem Unternehmen. Bereits in dieser Phase weist der Kunde eine geringere Wechselbereitschaft auf. (4) Der Übergang zur Kundenbindung wird in der vierten Phase realisiert, wenn sich die positive Grundeinstellung dem Unternehmen gegenüber in tatsächlichen Wiederkäufen, Cross- und Up Selling-Käufen bzw. in Weiterempfehlungen durch den Kunden niederschlägt. (5) Schlussendlich wird die Wirkungskette mit der fünften Phase abgeschlossen, in der sich die positiven Effekte der Kundenbindung in einer Steigerung des ökonomischen Erfolgs manifestieren.

3.4

Kundenorientierte Reorganisation des Unternehmens

Ausgehend von den in Kap. 3.2 und 3.3 angestellten Überlegungen wird als wesentlicher Bestandteil des Erfolgs von CRM-Maßnahmen die Wirkungskette Kundenzufriedenheit Æ Kundenloyalität Æ Kundenbindung Æ profitable Kundenbeziehungen zugrunde gelegt. Um diese Wirkungskette anzustoßen gilt es nun, das erste Glied dieser Kette – die Kundenzufriedenheit – aktiv zu beeinflussen. Hierfür muss das Unternehmen seine Schnittstellen zum Kunden sowie die dahinter liegenden Prozesse kundenorientiert ausgestalten. Grundlage dieser angestrebten Veränderungen ist ein vorher definiertes strategisches CRM-Konzept, das spezifiziert, welche Kundengruppen auf welche Weise und über welche Kanäle bearbeitet werden sollen (siehe Kap. 3.5). Die Realisierung dieser CRM-Strategie verlangt nach einer kundenorientierten Reorganisation des Unternehmens, die es durch konkrete CRM-Maßnahmen zu verwirklichen gilt. CRM wird hierbei ausdrücklich nicht als ein zeitlich eng begrenztes Projekt oder gar als reines IT-Projekt verstanden, sondern als kundenorientierte Unternehmensstrategie, deren Implementierung in einem kontinuierlichen organisatorischen Lernprozess abläuft (Hippner et al. 2002, S. 269). Voraussetzung für diesen Lernprozess ist neben weiteren Kernkompetenzen im Bereich Geschäftsprozessoptimierung und Change Management die intensive IT-Unterstützung durch leistungsfähige CRM-Systeme („technological enabler“).

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

33

Die Diskussion um CRM war in den letzten Jahren sehr stark durch eben diese CRMSysteme und somit informationstechnologisch geprägt: operative und analytische CRMSysteme, Customer Interaction Center und Data Warehouse-Systeme zeichneten ein faszinierendes Bild, wie das Unternehmen seine Kundenbeziehungen im Sinne der oben dargestellten strategischen Ziele effektiver und effizienter gestalten kann. Die Informationstechnologie stellt dabei aber nur einen „Enabler“ dar, der die notwendigen Voraussetzungen für eine effektivere und effizientere Gestaltung der Kundenbeziehungen schafft, ohne diese automatisch sicher zu stellen. So kann z.B. ein modernes Textverarbeitungssystem für einen Schriftsteller, der einen Roman schreiben möchte, eine wichtiges Hilfsmittel sein. Aber kein Schriftsteller erwartet, dass sein Roman wie von selbst entsteht, sobald er einen Computer gekauft und sein Textverarbeitungsprogramm installiert hat. Derartig triviale Zusammenhänge werden jedoch oft aus den Augen verloren, wenn es sich um komplexe und umfangreiche CRM-Systeme handelt. Mit diesem Verständnis lassen sich neben der Informationstechnologie drei weitere Kernkompetenzen unterscheiden, die zur erfolgreichen Implementierung eines CRMProjekts gegeben sein müssen (siehe Abb. 10; ergänzend Alt et al. 2005 und Meier 2004).

CRM-Projektmanagement

Optimierung der Geschäftsprozesse

Implementierung der Informationstechnologie

CRM-Strategie

Change Management

Abb. 10: Kernkompetenzen im CRM-Prozess ƒ Geschäftsprozessoptimierung: Die spezifizierte Kundenbeziehungsstrategie kann nur dann realisiert werden, wenn die kundenbezogenen (aber auch die un-

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Hajo Hippner terstützenden, sekundären) operativen Geschäftsprozesse den Anforderungen der Kundenbeziehungsstrategie in vollem Umfang gerecht werden und in der Lage sind, notwendige strategische Maßnahmen im operativen Tagesgeschäft umzusetzen. Meist müssen dazu die bestehenden Geschäftsprozesse abteilungsübergreifend reorganisiert oder neue abteilungsübergreifende Geschäftsprozesse implementiert werden. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit den Geschäftsprozessen erwächst häufig die Notwendigkeit, bislang wenig berücksichtigte organisatorische Aspekte im Unternehmen neu zu überdenken und strukturelle Änderungen mit dem Ziel einer verbesserten Kundenorientierung durchzuführen (Bruhn/Bunge 1994). ƒ Informations- und Kommunikationstechnologie: Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien stellen als „CRM-Enabler“ Werkzeuge zur Unterstützung und Optimierung kundenbezogener Geschäftsprozesse zur Verfügung und erlauben, deren Effizienz und Effektivität nachhaltig zu verbessern. Operative CRM-Systeme unterstützen die Mitarbeiter an den Kundenkontaktpunkten bei der Abwicklung kundenbezogener Geschäftsprozesse. Die Konfiguration operativer CRM-Systeme muss deshalb auf den Ergebnissen der Geschäftsprozessoptimierung aufsetzen, wenn eine optimale Unterstützung der strategischen Ziele des CRM-Prozesses angestrebt wird. Analytische CRM-Systeme dienen der Auswertung der in den kundenbezogenen Geschäftsprozessen anfallenden Daten zur Optimierung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse. Die Konfiguration analytischer CRM-Systeme erfolgt deshalb im Regelfall aufbauend auf den operativen CRM-Systemen (zum Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien im CRM siehe z.B. Hippner/Wilde 2003). ƒ Change Management: Die Durchsetzung einer neuen Kundenbeziehungsstrategie und der daraus resultierenden Veränderungen in den Geschäftsprozessen des Unternehmens erfordert neben dem Commitment der Geschäftsführung, dass die Mitarbeiter an allen Kundenkontaktpunkten dieses Projekt aktiv mittragen. Dies setzt voraus, dass die Mitarbeiter vom Start des CRM-Projekts an im Rahmen eines begleitenden Change Managements dazu motiviert und qualifiziert werden sowie Widerstände gezielt abgebaut werden (zum Change Management im CRM siehe Helmke et al. 2002). ƒ CRM-Projektmanagement: Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, handelt es sich bei der CRM-Realisierung um einen komplexen Prozess der Organisationsentwicklung, in dessen Verlauf verschiedene Kernkompetenzen zeitpunktgenau integriert werden müssen. Die Steuerung dieses Prozesses erfordert klare Vorgaben, welche strategischen Ziele erreicht werden sollen. Da hier meist mittelund langfristige Ziele im Vordergrund stehen, werden jedoch zur Steuerung eines CRM-Projekts zusätzlich auch Frühindikatoren benötigt, die rechtzeitig signalisieren, wenn die Erreichung der strategischen Ziele gefährdet ist, und konkrete Hinweise auf erforderliche Anpassungsmaßnahmen geben. Der Bewertung von CRM-Projekten im Rahmen eines CRM-Controllings kommt damit eine zentrale Rolle im CRM-Projektmanagement zu.

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

3.5

35

Kundenbeziehungsstrategie als Ausgangspunkt des CRM

Die Ausgestaltung der einzelnen im vorangegangenen Kapitel skizzierten Reorganisationsdimensionen hat sich strikt an den Eckpunkten einer vorher definierten Kundenbeziehungsstrategie zu orientieren. Diese bildet den zentralen Ausgangspunkt für die Wirkungskette des CRM und determiniert somit in erheblichem Maße den letztendlichen Erfolg des CRM (siehe Abb. 3). Dem Begriff der Strategie liegt ein sehr weiter definitorischer Spielraum zugrunde, so dass auch der Begriff der CRM-Strategie relativ eng als Strategie zur Kundenbearbeitung oder aber auch eher weit als umfassende Unternehmensstrategie aufgefasst werden kann. Unabhängig von der jeweiligen Akzentuierung steht im Fokus einer jeden CRMStrategie die Entwicklung eines Konzepts zur Ausgestaltung der Kundenbeziehungen. Diese Kundenbeziehungsstrategie umfasst im Wesentlichen die Dimensionen Kundensegmente, CRM-Prozesse sowie Interaktionskanäle zwischen Kunde und Unternehmen. Bei der Formulierung einer CRM-Strategie werden eingangs im Rahmen von Basisstrategien die grundlegenden Eckpfeiler aufgestellt, auf welche Weise und über welche Kommunikations- und Vertriebskanäle mit den einzelnen Kunden(segmenten) umgegangen werden soll. Vor dem Hintergrund der in den vorangegangenen Kapiteln angestellten Überlegungen muss hierbei definiert werden, wie z.B. bei wertvollen Kundengruppen ein hohes Maß an Zufriedenheit erreicht werden kann. Hierfür ist es zwingend erforderlich, die unmittelbaren Leistungen und Interaktionen zwischen Anbieter und diesen Abnehmern kundenorientiert auszugestalten. Eine derartige leistungs- und interaktionsbasierte Interpretation des Begriffs „Kundenorientierung“ verlangt nach einer hohen Qualität der unternehmerischen Leistungen und Kommunikationsfähigkeiten. So wird die Kundenorientierung des Leistungsangebots vorrangig durch eine hohe Produkt- und Servicequalität bestimmt. Ein kundenorientiertes Interaktionsverhalten definiert sich dagegen dadurch, dass die Erwartungen der Kunden im Umgang mit dem Unternehmen, z.B. bei Beschwerden oder bei Anfragen, umfassend erfüllt werden (Bruhn 1999, S. 8). Da diesem Verständnis der Kundenorientierung eine Kundensicht zugrunde liegt, wird von Homburg auch der Begriff „Kundennähe“ statt „Kundenorientierung“ präferiert (Homburg 1998). Mit dem Ansatz der Kundennähe (bzw. der Kundenorientierung) wird das Ziel verfolgt, über unternehmensseitige Maßnahmen den durch den Kunden wahrgenommenen Wert der Geschäftsbeziehung zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund müssen sich Unternehmen der zentralen Aufgabe stellen, den kundenseitigen Aufwand für den Aufbau und die Bewahrung der Geschäftsbeziehung zu reduzieren und gleichzeitig den Nutzen der Beziehung für die Kunden zu erhöhen. Grundsätzlich lassen sich zu diesem Zweck in der unternehmerischen CRM-Praxis zwei wesentliche Tendenzen zur Optimierung der Kundenbeziehungen identifizieren, die sich in der CRM-Strategie niederschlagen müssen (siehe Abb. 11).

36

Hajo Hippner

Unternehmen Marketingmix

Kundenorientierte Managementkonzepte

Interaktionskanäle (Multi Channel Management)

Product

Interessentenmanagement

Filiale

Neukundenmanagement

Außendienst

Zufriedenheitsmanagement

Telefon

Beschwerdemanagement

WWW

Kündigungspräventionsmanagement

Post

Rückgewinnungsmanagement

etc.

Price

Kunde

Promotion

Place

Personalisierung

Abb. 11: Realisierung von Kundennähe als zentrale Zielsetzung einer Kundenbeziehungsstrategie Zum einen wird der Fokus auf eine Verbesserung der „räumlichen“ Nähe zwischen Unternehmen und Kunden gelegt, indem von den Unternehmen eine wachsende Anzahl an unterschiedlichen Kommunikations- und Vertriebskanälen zur Interaktion mit dem Kunden angeboten werden. Im Rahmen eines Multi Channel Management wird hierbei ein verstärktes Augenmerk auf die Ausgestaltung sowie die Koordination der Kanäle gelegt, da sie als das zentrale Bindeglied zwischen Unternehmen und Kunde angesehen werden (Schögel/Sauer 2002, S. 26). Das Multi Channel Management kann als Antwort auf das Phänomen der Multioptionsgesellschaft verstanden werden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Kunden nicht für die eine oder andere bestimmte Alternative endgültig entscheiden wollen, sondern vielmehr eine Integration der unterschiedlichen Möglichkeiten fordern. Die Aufgabe des Multi Channel Management ist es daher, für den Kunden denjenigen Kontaktmix, d.h. die optimale Allokation der Produkte, Serviceleistungen und Kanäle bereitzustellen, der von dem Kunden gewünscht wird, gleichzeitig die Kostenstruktur des Unternehmens jedoch so wenig wie nötig belastet (Stäger 1999, S. 11). Qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen sowie vielfältige und komfortable Zugangskanäle werden vom Kunden jedoch zunehmend lediglich als ein „Hygiene-

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

37

faktor“ aufgefasst: sie werden als selbstverständlich vorausgesetzt, reichen aber nicht aus, um profitable Kunden dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Dies erfordert neben Produkten und Dienstleistungen, die individuell auf den einzelnen Kunden zugeschnitten sind (z.B. durch Mass Customizing), ergänzende Pre- and After-Sales-Services, die dem Kunden greifbaren Mehrwert bieten, sowie eine unaufdringliche, personalisierte Kommunikation, die dem Kunden das Gefühl vermittelt, mit seinen Bedürfnissen und Problemen verstanden zu werden und das Unternehmen jederzeit in der von ihm gewünschten Form erreichen zu können. Dieser personalisierte Marketing-Mix muss differenziert, d.h. weitestgehend kundenindividuell, gestaltet werden, je nachdem in welcher Phase sich ein Kunde im Beziehungszyklus befindet. Der diesem Verständnis zugrunde liegende Customer Relationship Cycle stellt eine Analogie zum bekannten Konzept des Produktlebenszyklus dar und gliedert eine Kundebeziehung in charakteristische Phasen, die sich hinsichtlich der Intensität der Kundenbeziehung unterscheiden und jeweils spezifische Aufgaben für das Unternehmen mit sich bringen (Stauss 2000; siehe Abb. 12).

Zeitpfad

Phasen

Anbahnung

Sozialisation

Wachstum und Reife

Ziele

Anbahnung von neuen Geschäftsbeziehungen

Festigung von neuen Geschäftsbeziehungen

Stärkung von stabilen Geschäftsbeziehungen

Stabilisierung gefährdeter Beziehungen von beschwerenden Kunden

Aufgaben

Interessentenmanagement

Neukundenmanagement

Zufriedenheitsmanagement (KBM i.e.S.)

Beschwerdemanagement

Interessentenmanagement

Kündigung

Revitalisierung

Verhinderung von Kündigungen

Rücknahme von Kündigungen

Wiederanbahnung der Geschäftsbeziehung

Kündigungspräventionsmanagement

Kündigungsmanagement

Revitalisierungsmanagement

Gefährdung

Kundenbindungsmanagement

Rückgewinnungsmanagement

Abb. 12: Aufgaben des CRM in den Phasen des Customer Relationship Cycle Quelle: Stauss 2000, S. 16

Dies verlangt danach, phasenspezifisch kundenorientierte Managementkonzepte zu konzipieren und in der CRM-Strategie zu berücksichtigen, um die angestrebte Kundennähe nicht nur räumlich, sondern ebenso hinsichtlich des Kundenbedarfs zu realisieren. Hierzu gilt es, spezifische Konzepte zu entwickeln, die mit konkreten Inhalten und Maßnahmen auszufüllen sind. Mit diesen spezifischen Konzepten werden die Ziele

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verfolgt, neue Kundenbeziehungen aufzubauen (Interessentenmanagement), bestehende Kundenbeziehungen zu festigen und zu erhalten (Neukundenmanagement, Zufriedenheitsmanagement), gestörte Kundenbeziehungen zu stabilisieren (Beschwerdemanagement), drohende Abwanderungen zu verhindern (Kündigungspräventionsmanagement) oder verlorene Kunden wieder zu gewinnen (Kundenrückgewinnungsmanagement). Die beiden zentralen Stoßrichtungen im CRM zur Erreichung von Kundennähe – die Ausweitung der Interaktionskanäle sowie die phasenspezifische Betreuung der Kunden durch kundenorientierte Managementkonzepte – orientieren sich am zentralen Prinzip der Personalisierung. Da nicht nur die Produkte bzw. Dienstleistungen eines Unternehmens sondern ebenso die Ausgestaltung seiner Zugangskanäle sowie seine Managementkonzepte oft durch die Konkurrenz kopiert werden können, liegt in der konsequenten Personalisierung aller Bemühungen des Unternehmens in Hinblick auf die spezifischen Erwartungen des einzelnen Kunden die wesentliche Chance, sich nur schwer imitierbare Wettbewerbsvorteile aufzubauen (Peck et al. 1999, S. 410). Die Personalisierung umfasst hierbei alle Dimensionen des Marketingmix, wobei sich insbesondere bei produktbegleitenden Dienstleistungen, bei der Betreuung der Kunden über den Kaufzeitpunkt hinaus sowie bei einer individualisierten und bidirektionalen Kommunikationspolitik große Spielräume ergeben (Diller 1995, S. 443).

4

Fazit und Ausblick

Das Konzept des CRM ist in einer Vielzahl an bereits bestehenden Ansätzen und Denkmodellen, die im Wesentlichen aus dem Marketing stammen, eingebettet. Die Diskussion und Konkretisierung des CRM-Begriffs ergibt, dass es als ein integraler Bestandteil des seit den 80er Jahren populären Relationship Marketing anzusehen ist. Die Unterschiede, die der CRM-Ansatz im Vergleich zum Relationship Marketing aufweist, sind allerdings als recht ausgeprägt einzustufen. Zum einen konzentriert sich der CRM-Ansatz im Gegensatz zum Relationship Marketing ausschließlich auf die Geschäftsbeziehungen mit den Kunden, zum anderen wird der ökonomische Aspekt dieser Kundenbeziehungen bei weitem stärker akzentuiert als es beim Relationship Marketing der Fall ist (Ahlert/Hesse 2002, S. 5). Darüber hinaus wird im CRM der IT-Unterstützung eine deutlich größere Bedeutung beigemessen. Analog zum Relationship Marketing erschwert die Vielschichtigkeit und Komplexität des CRM-Begriffs nachhaltig die Entwicklung einer umfassenden Systematik. Der vorliegende Beitrag zeigt vor diesem Hintergrund – zumindest ansatzweise – einzelne Facetten des CRM auf, wobei der Fokus auf die einzelnen Phasen einer CRMWirkungskette gelegt wird. Die einfache Strukturierung in einzelne, aufeinander aufbauende Phasen impliziert hierbei einen „Automatismus des Erfolgs“, der in der Realität jedoch nicht gegeben ist. Die Komplexität der Aufgabe sowie die nur schwer zu kontrollierenden und vorhersagbaren Einflussfaktoren führen dazu, dass zahlreiche CRM-Projekte scheitern (siehe z.B. Rigby et al. 2002, S. 55 f.).

CRM – Grundlagen, Ziele und Konzepte

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Unter den vielfältigen Einflussfaktoren wird häufig dem zentralen Punkt eines jeden CRM-Projekts – dem Kunden – zu wenig Beachtung eingeräumt, indem implizit davon ausgegangen wird, dass jeder Kunde nur darauf wartet, eine enge, langfristige und für das Unternehmen gewinnbringende Geschäftsbeziehung zu pflegen. Tatsächlich trifft dies jedoch nur auf einen relativ kleinen Teil der Kunden zu. Die Mehrheit der Kunden sucht dagegen keine aktive Beziehung zu nur einem Unternehmen und empfindet daraufhin abzielende Kontaktaufnahmen durch ein Unternehmen als störend (Grönross 2000, S. 36; Hippner et al. 2006, S. 206 f.). Hier gilt es, die CRM-Maßnahmen differenziert an den einzelnen Kundengruppen auszurichten und auf deren Wünsche und Bedürfnisse abzustimmen.

Anmerkungen [1] Die Abbildung reduziert das CRM ausschließlich auf (abstrakte) Beziehungen zum Kunden. Streng genommen ist dies nicht ganz korrekt, da CRM von den Mitarbeitern eines Unternehmens gelebt werden muss und somit den internen Beziehungen zum Personal eine wichtige Rolle zukommt. Dies gilt für jeden der hier skizzierten kundenorientierten Ansätze. Aus Gründen der Zuordenbarkeit und Übersichtlichkeit wird allerdings darauf verzichtet, die internen Beziehungen zentral anzuordnen. [2] Der insbesondere in der CRM-Literatur immer wieder postulierte positive Zusammenhang zwischen Kundendauer und Kundenprofitabilität erscheint allerdings als zu undifferenziert betrachtet. So wird in letzter Zeit vermehrt darauf hingewiesen, dass durchaus auch mit transaktionalen Kunden, die eine nur kurze Bindungsdauer aufweisen, hochprofitable Beziehungen bestehen können (z.B. Reinartz/Krafft 2001; Reinartz/Kumar 2000).

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Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen 1

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme

2

Analytisches CRM 2.1 Data Warehouse und OLAP 2.2 Data Mining 2.3 Web Mining 2.4 Text Mining

3

Operatives CRM 3.1 Front Office 3.1.1 Marketing Automation 3.1.2 Sales Automation 3.1.3 Service Automation 3.2 Customer Touch Points und Kanäle 3.2.1 Customer Interaction Center 3.2.2 Internet 3.3 Operative IT 3.3.1 Operative Kundendatenbank 3.3.2 Content Management-System

4

Fazit

Literaturverzeichnis

1

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme

CRM wird ausdrücklich nicht als zeitlich eng begrenztes Projekt oder gar als reines ITProjekt verstanden, sondern als kundenorientierte Unternehmensstrategie, deren Implementierung in einem kontinuierlichen organisatorischen Lernprozess abläuft. Voraussetzung für diesen Lernprozess ist neben weiteren Kernkompetenzen im Bereich Geschäftsprozessoptimierung und Change Management die intensive IT-Unterstützung durch leistungsfähige CRM-Systeme. Ein CRM-System kann somit als „technological enabler“ der CRM-Strategie angesehen werden. In vielen Unternehmen liegt vor der Einführung eines CRM-Konzepts im Marketing-, Vertriebs- und Service-Bereich eine IT-Landschaft vor, die durch zahlreiche Insellösungen geprägt ist. Die einzelnen, historisch gewachsenen Systeme (z.B. Computer Aided Selling, Helpdesks, Call Center, Marketing Support, Analysesysteme, Web-Anwendungen etc.) gestatten keine einheitliche Sicht auf die im Unternehmen vorhandenen Kundendaten. Dies führt zwangsweise zu inkonsistenten und somit teilweise veralteten, falschen und unvollständigen Informationen über den Kunden. CRM-Systeme zielen auf eine Zusammenführung der einzelnen Insellösungen ab. Anwendungen aus Marketing, Vertrieb und Service, wie auch aus den Bereichen Internet, Call Center etc. werden nun in einer koordinierten Systemlandschaft vereint. Zusätzlich wird an ein CRM-System über Schnittstellen betriebswirtschaftliche Standardsoftware (ERP-Systeme, SCM-Systeme etc.) angebunden. Es liegt somit nur noch eine (logische) Kundendatenbank vor, auf die alle Unternehmensbereiche zugreifen. Dies ermöglicht eine ganzheitliche Sicht auf den einzelnen Kunden und erlaubt einen ganzheitlichen, in sich stimmigen Dialog mit ihm. Die integrative Aufgabenstellung von CRM-Systemen, d.h. ƒ die Synchronisation und operative Unterstützung der zentralen Customer Touch Points Marketing, Vertrieb und Service, ƒ die Einbindung aller Kommunikationskanäle zwischen Kunde und Unternehmen, ƒ sowie die dazu erforderliche Zusammenführung und Auswertung aller Kundeninformationen bedingen eine hohe Komplexität der CRM-Systeme. Den Anforderungen entsprechend lassen sich CRM-Systeme dabei grundsätzlich in zwei zentrale Aufgabenbereiche unterteilen, die in engen Austauschbeziehungen zueinander stehen (siehe Abb. 1).

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Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Pers. Kontakt

Kanäle

Enterprise Resource Planning

Front Office

Operative IT

E-Mail

Außendienst

Innendienst

CIC

Filiale

Website

Sales Automation

Service Automation

Marketingprozesse

Vertriebsprozesse

Serviceprozesse

Operative Kundendatenbank

Data Mining

Content Management System

OLAP

Analytisches CRM

Business Intelligence

etc.

Marketing Automation

Customer Data Warehouse bzw. Data Marts

Back Office

etc.

Brief/Fax

Operatives CRM

Supply Chain Management

Customer Touch Points

Internet

Telefon

Abb. 1: Komponenten eines CRM-Systems Operatives CRM (oCRM) Das operative CRM umfasst alle Bereiche, die im direkten Kontakt mit dem Kunden stehen (Front Office): Marketing, Vertrieb und Service. Aufgabe des CRM-Systems ist die Unterstützung der dazu korrespondierenden Prozesse (CRM-Prozesse), wofür im Rahmen der Marketing-, Sales- und Service-Automation die hierzu benötigten Funktionalitäten zur Verfügung gestellt werden. Dabei gilt es zu beachten, dass sowohl alle Customer Touch Points (Außendienst, Customer Interaction Center, Filiale etc.) als auch alle Kanäle, über die die Kontakte zwischen Kunde und den Customer Touch Points abgewickelt werden, in die Prozessunterstützung eingebunden werden. Das operative CRM umfasst somit die gesamte Steuerung und Unterstützung aller Customer Touch Points und deren Synchronisation. Die Basis zur Abwicklung des operativen Tagesgeschäfts in den CRM-Prozessen bildet eine operative Kundendatenbank. Ergänzend können Content Management-Systeme eingesetzt werden, um neben den strukturierten Informationen einer Kundendatenbank auch unstrukturierte Informationen in Form von Text, Grafik, Audio- und Videoinformationen zu integrieren und für die Unterstützung der CRM-Prozesse zur Verfügung zu stellen. Um verlässliche Aussagen z.B. über Liefertermin, Verfügbarkeit etc. machen zu können, muss das operative CRM an vorhandene Back Office-Lösungen (ERP, SCM etc.) angebunden werden.

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen

49

Analytisches CRM (aCRM) Während das operative CRM auf die unmittelbare Unterstützung kundenbezogener Geschäftsprozesse (z.B. Verkaufsgespräche, Kundendienstleistungen, Bearbeitung von Kundenanfragen etc.) zugeschnitten ist, werden im analytischen CRM Kundenkontakte und Kundenreaktionen systematisch aufgezeichnet (Customer Data Warehouse) und zur kontinuierlichen Optimierung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse ausgewertet (On-Line Analytical Processing, Data Mining). CRM wird somit zu einem lernenden System (Closed Loop Architecture), in dem Kundenreaktionen systematisch genutzt werden, um die Abstimmung von Kundenkommunikation, Produkten und Dienstleistungen auf fein differenzierte Kundenbedürfnisse kontinuierlich zu verbessern.

2

Analytisches CRM

2.1

Data Warehouse und OLAP

Grundlage für die Differenzierung der Kundenbeziehungen bildet die Zusammenführung aller kundenbezogenen Informationen in einem Customer Data Warehouse. Hierbei handelt es sich um eine von den operativen Datenbanken getrennte Analysedatenbank, die zur Unterstützung der Entscheidungsprozesse im Unternehmen genutzt wird (Kurz 1999, S. 50). Diese Entkopplung der Datenanalyse von den operativen Systemen gewährleistet, dass das Tagesgeschäft nicht von rechenintensiven Analyseanwendungen beeinträchtigt wird (Alpar/Niedereichholz 2000, S. 15). In einem Data Warehouse werden Daten aus verschiedenen Funktionsbereichen – wie z.B. Marketing, Vertrieb und Service – zusammengeführt und bewahrt. Im analytischen CRM sind alle Interaktionen mit dem Kunden an den einzelnen Customer Touch Points (Filiale, Customer Interaction Center, Website etc.) relevant (Hippner/Wilde 2002, S. 15). Das Customer Data Warehouse liefert eine für die Datenanalyse geeignete Aufbereitung der relevanten Daten. Die Aufdeckung der in diesen Daten verborgenen, erfolgsrelevanten Geschäftserfahrungen erfordert jedoch spezielle Werkzeuge zur Analyse umfangreicher, multidimensionaler Datenbestände. Für diesen Zweck wurde von Codd das Konzept des On-Line Analytical Processing (OLAP) entwickelt (Codd et al. 1993). OLAP-Systeme bilden betriebswirtschaftlich relevante Maßgrößen (z.B. Absatz, Umsatz, Kosten, Deckungsbeiträge, Marktanteile) in Form eines multidimensionalen Datenwürfels ab, dessen Dimensionen betriebswirtschaftlich relevante Gliederungskriterien (z.B. Produktgruppen, Kundengruppen, Verkaufsgebiete, Vertriebskanäle) sind (Chamoni 1998, S. 233). Entlang dieser Dimensionen können die betriebswirtschaftlichen Maßzahlen je nach Fragestellung aufgebrochen (Drill down) oder aggregiert (Roll up) werden. Ergänzend kann der Anwender diesen Würfel drehen und kippen (dice) oder in einzelne „Scheiben“ zerlegen (slice).

50

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Auf diese Weise kann ein Anwender mit OLAP beispielsweise analysieren, welche Stückzahl eines Produkts in welcher Filiale in welchem Jahr verkauft wurde. Durch diese mehrdimensionale Sichtweise wird im Vergleich zur zweidimensionalen Abbildung in relationalen Systemen eine problemadäquatere Darstellung des naturgemäß mehrdimensionalen Unternehmensumfeldes ermöglicht (Reinke/Schuster 1999, S. 174). Die multidimensionale Darstellungsform kann dabei Aufschluss über Zusammenhänge geben, die mit den „klassischen“ zweidimensionalen Tabellen, wie beispielsweise in Tabellenkalkulations- oder Datenbankprogrammen, nicht aufgedeckt hätten werden können. Das Prinzip lässt sich anhand des in Abb. 2 dargestellten Datenwürfels verdeutlichen.

1999

2000

2001

2002

Filiale 5 Filiale 4

Stückzahl

Filiale 3 Filiale 2 Filiale 1

Subventionen

Variable Kosten

Preis

Abb. 2: Navigation in einem dreidimensionalen Datenwürfel Quelle: Reinke/Schuster 1999, S. 47

OLAP-Tools zeichnen sich durch eine einfache, intuitive und somit leicht zu erlernende Benutzerführung aus. Grundsätzlich verfügt das Management mit OLAP somit über einen direkten Zugriff zur Datenanalyse. Allerdings weisen OLAP-Systeme die Einschränkung auf, dass nur solche Fragestellungen analysiert werden können, die vorher vom Anwender konkret formuliert wurden. Die Komplexität der Zusammenhänge innerhalb der Daten sowie das begrenzte Zeitbudget des Managements verhindern jedoch

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen

51

die Lösung von anspruchsvollen, verborgenen und somit besonders interessanten Fragestellungen. An dieser Stelle setzt das Data Mining an. Data Mining erweitert die anwendergetriebene Suche nach interessanten Zusammenhängen mit OLAP-Systemen um eine automatisierte Suche nach bislang unbekannten Beziehungen innerhalb der Daten.

2.2

Data Mining

Der Begriff „Data Mining“ nimmt Bezug auf ein griffiges Bild aus dem Bergbau (Mining), wo mit großem technologischen Aufwand enorme Gesteinsmengen maschinell abgebaut und aufbereitet werden, um Edelmetalle und Edelsteine zu fördern (Adriaans/Zantinge 1997, S. 5). Analog dazu werden beim Data Mining riesige Datenvolumina mit anspruchsvollen, automatisierten Methoden nach neuen und handlungsrelevanten Geschäftserfahrungen durchsucht (Berry/Linoff 1997, S. 5). Ausgehend von Methodenansätzen aus Statistik, Künstlicher Intelligenz, Maschinellem Lernen und Mustererkennung sollten dabei ursprünglich „... allgemein verwendbare, effiziente Methoden [gefunden werden], die autonom aus großen Datenmengen die bedeutsamsten und aussagekräftigsten Muster identifizieren und sie dem Anwender als interessantes Wissen präsentieren“ (Hagedorn et al. 1997, S. 601). Der Wunsch nach völliger Automatisierung hat sich als unrealistisch erwiesen – trotzdem erweitert Data Mining die bisherigen Analyseansätze ganz erheblich durch die automatische Überprüfung möglicher Zusammenhänge zwischen dem Kundenverhalten und der Gestaltung kundenorientierter Geschäftsprozesse. Hierzu stellt Data Mining verschiedene Verfahren zur Verfügung, die sich nach ihrer Aufgabenstellung in die drei Gruppen „Klassifikation und Prognose“, „Segmentierung“ sowie „Abhängigkeitsentdeckung“ einteilen lassen. Ein typisches Beispiel der Klassifikation ist die Kündigeranalyse, bei der nach Variablen gesucht wird, die einen möglichst starken Zusammenhang zum Kündigungsverhalten aufweisen und aufgrund derer eine Klassifikation der Kunden möglich wird. Ein solches Klassifikationsmodell lässt sich auch zur Prognose der Kündigungswahrscheinlichkeit bestehender Kunden einsetzen (Bensberg 2002, S. 208). Eine Segmentierung verfolgt das Ziel, Individuen in vorab unbekannte homogene Segmente zusammenzufassen. Hierbei werden durch das Verfahren selbständig Kundensegmente ermittelt, die sich durch ähnliche Merkmalskombinationen auszeichnen. Ein Beispiel für eine Abhängigkeitsentdeckung ist die Warenkorbanalyse, bei der untersucht wird, welche Produkte typischerweise gemeinsam innerhalb der Käufe eines Kunden auftreten. Data Mining stellt sich in der Praxis als sehr anspruchsvolle Aufgabe dar. Der Analyst muss neben methodischen Kenntnissen auch Erfahrungen im Umgang mit Datenbanken sowie einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund besitzen. Der Data Mining-Prozess umfasst die Auswahl, Bereinigung, Transformation und die eigentliche Analyse der Daten. Die erzielten Ergebnisse müssen abschließend interpretiert und evaluiert werden (für eine umfassende Einführung siehe Hippner/Wilde 2001a).

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Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Im Hinblick auf die Forderung nach langfristigen und differenzierten Kundenbeziehungen weist Data Mining im CRM-Kontext ein enorm weites Einsatzfeld auf (Hippner/ Wilde 2001b). Unter Rückgriff auf das Konzept des Beziehungslebenszyklus kann Data Mining in den einzelnen Phasen unterschiedliche Beiträge zur Optimierung der Kundenbeziehung liefern. Die Möglichkeiten dieser phasenspezifischen Unterstützung werden in Abb. 3 dargestellt (nähere Erläuterungen finden sich bei Hippner et al. 2004b).

Potenzielle Kunden

Aktive Kunden

Verlorene Kunden

Reaktivierte Kunden

Kunden mit hohem Wert

Zielmarkt

Reagierer

Kunden mit hohem Potenzial

Neukunden

Erfolgsbeitrag eines Kunden

Aufgaben

Kunden mit geringem Wert

Anbahnung von neuen Geschäftsbeziehungen

Festigung der Beziehungen

Intensivierung der Beziehungen

Freiwillige Kündiger

Zurückgewonnene Altkunden

Gezwungene Kündiger Zeit

Vermeidung von Kündigungen

Rücknahme von ungewollten Kündigungen

Interessentenmanagement

Kundenbindungsmanagement

Rückgewinnungsmanagement

Data MiningUnterstützung

• Zielgruppenselektion • Responseanalysen • etc.

• Warenkorbanalysen • Cross- und Up Selling-Analysen • Kundenbewertungen • etc.

• Churn-Analysen • etc.

Verfügbare Daten

• Zugekaufte Adressen • Soziodemographie

• Produktnutzung • Zahlungshistorie • Umfangreiche Kontakthistorie • Kommunikationspräferenzen • Selbstauskünfte • etc.

• Kündigungsgrund • etc.

• Mikrogeographie • Kontakthistorie • etc.

Abb. 3: Data Mining im Beziehungslebenszyklus Quelle: in Anlehnung an Berry/Linoff 2000, S. 72 ff. und Stauss 2000a, S. 452 ff.

2.3

Web Mining

Die Basis für ein erfolgreiches Management der Kundenbeziehung ist das Wissen über den Kunden und seine Bedürfnisse. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung des Internets als Kommunikations- und Distributionskanal ist es entscheidend, das Internet auch als Datenquelle zu sehen und Wissen über die Nutzung und die Nutzer der Website zu generieren. Von besonderem Interesse für ein Unternehmen können beispielsweise die Zusammensetzung der Besucher einer Website, die Wirkung von On-

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen

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line-Werbung oder die Analyse des Online-Verkaufsverhaltens der Kunden sein (Hippner et al. 2002, S. 4 f.). Die Aufgabe des Web Mining liegt in der Analyse des Inhalts und der Struktur von Websites sowie des Kundenverhaltens auf einer Website. Hierbei lehnt sich das Web Mining bezüglich des verwendeten Instrumentariums und der Vorgehensweise an die Methoden des Data Mining an. Der wesentliche Unterschied zum Data Mining liegt in der zu analysierenden Datenbasis, die im Wesentlichen aus den Logfiles der Webserver besteht. Die größte Bedeutung im Rahmen des Web Mining kommt dem Web Usage Mining zu, mit dem das Navigations- und Nutzungsverhalten der Besucher analysiert wird (Zaiane et al. 1998, zur ausführlichen Darstellung der einzelnen Anwendungsgebiete siehe Kosola/Blockeel 2000). Dadurch können wertvolle Hinweise zur Anpassung der Internetseiten an die individuellen Interessen der Online-Kunden geliefert werden (Cooley et al. 1999). So können z.B. mit Clickstream-Analysen – ausgehend von einzelnen Einstiegsseiten – „Trampelpfade“ aufgefunden werden, auf denen sich die Internetnutzer überdurchschnittlich häufig durch die Websitestruktur bewegen. Entlang dieser Pfade können dann Hinweise auf Produktneuheiten, Werbung oder Bestellformulare etc. platziert werden. Ein anderes mögliches Einsatzgebiet von Web Mining liegt in der Generierung von Regeln zum personalisierten Aufbau von Websites. Kann z.B. eine Online-Bank beobachten, dass ein Kunde immer wieder dieselben Aktienkurse abfragt, so können diese dem Kunden automatisch beim nächsten Aufruf der Homepage angezeigt werden. Weitere Anwendungen bestehen in der Optimierung der Webseitengestaltung und in der Klassifikation der Kunden nach ihrem Informations- und Einkaufsverhalten.

2.4

Text Mining

Da ein Großteil der Kundeninformationen im Unternehmen nicht in numerischer Form, sondern in Textform vorliegen, ist in der automatischen Analyse von Textdokumenten eine interessante Informationsquelle zur Anreicherung des Customer Data Warehouse zu sehen. Text Mining Tools können eingesetzt werden, um diese vielversprechende Datenquelle zu nutzen: Hierzu bedienen sie sich Methoden verwandter Disziplinen wie z.B. Information Retrieval, Computational Linguistics und Data Mining mit dem Ziel, Wissen in Textdokumenten zu entdecken und zu extrahieren (Renz/Franke 2003, S. 1 ff.). Im Rahmen des CRM ergeben sich vielfältige Einsatzpotenziale des Text Mining: Während des gesamten Kundenbeziehungslebenszyklus fallen zahlreiche Textdaten an. Dies können zum einen Dokumente sein, die der Kunde selbst erstellt (z.B. E-Mails an das Unternehmen) oder aber Textdokumente, die Mitarbeiter über einen Kunden anlegen (z.B. Transkripte von Kundenanrufen in einem Call Center). Auf Basis dieser Dokumente können Text Mining Tools dazu beitragen, analytische Fragestellungen zu beantworten, die im Rahmen des CRM relevant sind. Ein Beispiel hierfür ist die Analyse von Kundenfeedback, um ein Produkt den Kundenwünschen entsprechend zu gestalten

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Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

bzw. zu verbessern (Bohnacker et al. 2002, S. 442 f.). Darüber hinaus kann Text Mining zur Anreicherung der Kundendaten eingesetzt werden, indem qualitative Textdaten in das Kundenprofil miteinbezogen werden. Eine operative Unterstützung kann Text Mining durch die Analyse eingehender E-Mails und die anschließende automatische Weiterleitung an die zuständigen Sachbearbeiter auf Basis des Themenschwerpunkts leisten.

3

Operatives CRM

Das operative CRM umfasst Lösungen zur Marketing-, Sales- und Service-Automation, die den Dialog zwischen Kunden und Unternehmen sowie die dazu erforderlichen Geschäftsprozesse unterstützen. Dies bezieht die Steuerung der einzelnen Kommunikationskanäle mit ein, wobei auf die im Rahmen des aCRM gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen wird. Die einzelnen Automation-Bereiche decken somit administrative, analytische und kontaktunterstützende Aufgaben ab.

3.1

Front Office

3.1.1 Marketing Automation 3.1.1.1 Administrative Aufgaben Aufgabe der Marketing Automation ist die Steuerung und Unterstützung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse im Marketing, um den Informationsaustausch sowohl im Unternehmen als auch in der Interaktion mit dem Kunden sicherzustellen. Im Mittelpunkt steht dabei die ganzheitliche und logisch aufeinander aufbauende Gestaltung der Kundenkontakte. Kern der Marketing Automation ist somit das Kampagnenmanagement (Campaign Management), das ƒ dem richtigen Kunden, ƒ das richtige Informations- und Leistungsangebot, ƒ im richtigen Kommunikationsstil, ƒ über den richtigen Kommunikationskanal, ƒ zum richtigen Zeitpunkt vermittelt. Hierbei wird im Rahmen eines kundenorientierten Ansatzes – ausgehend von Kauf- und Kontakthistorien – für jeden Kunden die optimale (Folge-)Aktion und der optimale Zeitpunkt bestimmt (Hippner/Wilde 1998, S. 9). Die Aktionen werden also nicht zeitlich geblockt abgewickelt, sondern orientieren sich zeitlich versetzt an den tatsächlichen Bedürfnissen des einzelnen Kunden. Dabei werden alle Customer Touch Points im Hinblick auf die Forderung nach „one face to the customer“ synchronisiert, indem alle

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen

55

Werbemaßnahmen (z.B. Direct Mailings, E-Mail- oder Telemarketing bzw. Printanzeigen, Wurfsendungen etc.) sowie die Kundenkontakte über Service, Vertrieb oder ECommerce einbezogen werden. Standen bisher im Rahmen des „klassischen“ Database Marketing zumeist isolierte Marketingaktionen im Vordergrund, so strebt das Kampagnenmanagement nun die Umsetzung integrierter Kontaktketten an, die aus dem kombinierten Einsatz der einzelnen Kommunikationskanäle bestehen können (Multi Channel Integration). Im Wesentlichen besteht das Kampagnenmanagement dabei aus den Phasen Kampagnenplanung, Kampagnensteuerung sowie der abschließenden Kampagnenauswertung. Kampagnenplanung Wichtige Teilphasen im Rahmen der Planung und Entwicklung von Kampagnen sind die Zieldefinition, die Zielgruppenselektion, die Kanalwahl sowie die Prozessdefinition. ƒ In einem ersten Schritt muss die Kampagne anhand der verfolgten Zielsetzung (z.B. Kundenrückgewinnung oder Umsatzsteigerung in einem bestimmten Unternehmensbereich) näher definiert werden. ƒ Die Selektion der Zielgruppe einer Kampagne untergliedert sich im Normalfall in die Segmentierung der Potenzialkunden sowie die Auswahl der Zielsegmente und Kontrollgruppen (Leitzmann 2002, S. 389). Die Segmentierung der in sich heterogenen Kundschaft erweist sich im Kampagnenmanagement als zentraler Ausgangspunkt für eine zielgruppengerechte Kundenbearbeitung. Dabei gewinnen neben den klassischen Kriterien wie Alter oder Wohnort zunehmend verhaltensbezogene und psychografische Merkmale an Bedeutung (Pepels 1993, S. 244 f.). Die Kundenselektion in einem Kampagnenmanagementsystem ist beispielhaft in Abb. 4 dargestellt. ƒ Hauptkriterien für die Wahl des passenden Kommunikationskanals sind die Präferenzen des Kunden auf der einen, sowie die Kosten-Nutzen-Relation für das Unternehmen auf der anderen Seite. Aus strategischer Sicht soll für den Kunden der gewünschte Kommunikations- und Absatzmix bereitgestellt werden, der gleichzeitig die Kostenstruktur des Unternehmens so wenig wie möglich belastet (Stäger 1999, S. 11 f.).

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Abb. 4: Beispiel für die Kundenselektion im Chordiant Marketing Director ƒ Im Rahmen der Prozessdefinition fließen alle zuvor getroffenen Überlegungen hinsichtlich der Zielsetzung der Kampagne, Zielgruppe, Medienwahl sowie der Zeit- und Budgetplanung ein und werden gegebenenfalls in einem Kampagnenmanagementsystem visualisiert. Grundlegend für die Definition der Prozesse ist die Entscheidung über die Organisation der Kampagne. Neben Kriterien wie der Steuerung einer Kampagne (zentral oder dezentral) wird insbesondere zwischen einstufigen und mehrstufigen Kampagnen unterschieden. Bei einstufigen Kampagnen werden die Kunden bzw. Kundengruppen nur einmalig angesprochen und es werden nur einmalige Kundenreaktionen erwartet. Im Rahmen von mehrstufigen Kampagnen werden dagegen in Abhängigkeit von der jeweiligen Kundenreaktion mehrere, aufeinander aufbauende Aktionen geschaltet (Engels/ Smolarz 1999, S. 27). Mehrstufige Kampagnen stellen angesichts der im CRM angestrebten kontinuierlichen Kundeninteraktion den Normalfall dar. Kampagnensteuerung Kerngedanke der Kampagnensteuerung ist, dass jede erzielte Kundenreaktion in die Marketingdatenbank eingespeist und mit vordefinierten Werten für das Auslösen einer

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen

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Folgeaktion abgeglichen wird. Die richtige Reaktion auf ein bestimmtes Kundenverhalten im Rahmen komplexer Kampagnen ist dabei nur möglich, wenn vorher Kommunikationsregeln aufgestellt wurden (z.B. „Wenn Kunde nicht auf Mailing reagiert, dann telefonisches Nachfassen.“). Bei diesem so genannten eventgetriggerten Marketing werden Marketingmaßnahmen nach dem Eintreten bestimmter Ereignisse automatisch ausgelöst (getriggert). Ein solches Ereignis könnte im einfachsten Fall einer einstufigen Kampagne z.B. der Geburtstag eines Kunden sein, der dann automatisch eine Geburtstagskarte zugeschickt bekommt. In komplexeren Regelstrukturen kann beispielsweise ein bestimmtes Kauf- oder Informationsverhalten zum Auslösen einer Kampagne oder von Kampagnenschritten führen. Diese Prozessautomatisierung wird durch den Einsatz von so genannten Business Rules ermöglicht (Herbst/Knolmayer 1994). Ziel dieser vordefinierten Regeln ist es dabei die Vorgänge zu automatisieren, zu beschleunigen und gleichzeitig die Komplexität der integrierten Prozesse zu bewältigen (Pfahrer/Walser 2002, S. 147). Damit der Kunde nicht zu häufig oder zu konkurrierenden Themen angesprochen wird, müssen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Kampagnen und Aktionen berücksichtigt werden. Dies verlangt nach der Definition von Ausschlusskriterien für einzelne Kontakte, um ein schlüssiges und harmonierendes Gesamtkonzept zu garantieren (Engels/Smolarz 1999, S. 27). Kampagnenauswertung Dem Grundgedanken eines Closed Loops folgend, werden die Reaktionen der Kunden auf einzelne Kampagnen bzw. Kampagnenstufen kontinuierlich dem Customer Data Warehouse zugeführt. Die Aufgabe der Wirkungsanalyse ist es nun, diese aktualisierten Daten auszuwerten und daraus handlungsrelevante Informationen für den weiteren Verlauf der Kampagne bzw. für weitere Kampagnen zu gewinnen. Insbesondere beim kundenorientierten Ansatz verspricht ein „Nachsteuern“ anhand der bisherigen Response eine optimierte Kundenansprache. Wie schon bei der Zielgruppenselektion können auch im Rahmen der Erfolgsmessung Methoden des Data Mining zusätzliche Informationen liefern. Dazu kann beispielsweise das Reaktionsverhalten verschiedener Kundensegmente in Abhängigkeit von der jeweiligen Kauf- und Kontakthistorie analysiert und zur Steuerung nachfolgender Aktionen genutzt werden. Der Wirkungsanalyse liegen dabei zahlreiche Fragestellungen zugrunde, wie z.B.: ƒ Welchen Erfolg kann die Kampagne aufweisen? ƒ Wie effizient und effektiv erweisen sich die einzelnen Kommunikationskanäle? ƒ Existieren Ähnlichkeiten in der Kauf- und Kontakthistorie der Kunden, die positiv bzw. negativ auf die Kampagne reagiert haben?

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3.1.1.2 Analytische Aufgaben Wie oben aufgezeigt, kommen kontinuierlichen Analysen der Kundencharakteristika und des Kundenverhaltens im Rahmen der Marketing Automation eine zentrale Bedeutung zu. Diese unter Einsatz von OLAP und Data Mining durchgeführten Analysen können dabei in Abhängigkeit von der jeweils verfolgten Zielsetzung unterschiedlichster Natur sein (siehe dazu auch Kap. 2.1 und 2.2). Insbesondere erweist sich die Segmentierung der in sich heterogenen Kundschaft im Kampagnenmanagement als zentraler Ausgangspunkt für eine zielgruppengerechte Kundenbearbeitung. Die solcherart erhaltenen Gruppen können dann entsprechend ihrer jeweiligen Bedürfnisstruktur effektiver angesprochen werden als durch ein undifferenziertes Massenmarketing. Aufbauend auf diesen Segmentierungen kann mit Kundenbewertungsmodellen für jeden Kunden anhand ausgewählter Merkmale sein Wert für das Unternehmen ermittelt werden (Kundenscoring). Dies erfolgt mit der Zielsetzung, in den einzelnen Segmenten die profitabelsten Kunden herauszufiltern, wobei man in zunehmendem Maße den Customer Life Time Value als Orientierungsgröße heranzieht (vgl. u.a. Krafft/Rutsatz 2003; Diller 2001).

3.1.1.3 Kontaktunterstützende Aufgaben Eine weitere Aufgabe der Marketing Automation liegt in der Erstellung, Verwaltung und komfortablen Bereitstellung von Marketingmaterialien, um somit den Kundenkontakt an den Customer Touch Points zu unterstützen. Hierfür wurden in der Vergangenheit Marketing-Enzyklopädie-Systeme (MES) eingesetzt. In Form von multimedialen Wissensarchiven wurden darin alle verfügbaren Informationen über Produkte, Werbematerialien, Marktsituation, Trainingsunterlagen etc. abgelegt und an die entsprechenden Kommunikationskanäle verteilt (Dommershausen et al. 1999, S. 30). Heute werden diese Aufgaben im Regelfall von einem Content Management-System (CMS) übernommen (vgl. Abschnitt 3.3.2), das zusätzlich die Mitarbeiter bei der Erstellung der Inhalte unterstützt. Die Nutzung der Inhalte kann dabei sowohl intern durch Mitarbeiter als auch extern durch den Kunden direkt erfolgen. Die Aufgabe des Marketing ist in diesem Zusammenhang die Erstellung und regelmäßige Aktualisierung der marketingrelevanten Inhalte des CMS.

3.1.2 Sales Automation 3.1.2.1 Administrative Aufgaben Der Vertrieb stellt die Schnittstelle zwischen Kunden und Unternehmen dar, welche die intensivste Beziehung zum Kunden aufbauen kann. Durch den persönlichen Kontakt kennt der Vertrieb die Bedürfnisse, Anforderungen und Erwartungen der Kunden am

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genausten und gelangt somit auch an wichtige Informationen über Wettbewerber und deren Vorgehen (Ackerschott 1997, S. 202). Aufgrund der persönlichen Kundenkenntnis ist im Vertrieb noch am ehesten eine Individualisierung und nicht nur eine Differenzierung der Kommunikation möglich. Da viele CRM-Anbieter aus dem CAS-Bereich (Computer Aided Selling) kommen, werden von den heutigen CRM-Systemen die Routine- und Administrationsaufgaben des Vertriebs intensiv unterstützt. Dies umfasst z.B. (Link/Hildebrand 1993, S. 93 ff.): ƒ Termin- und Routenplanung, ƒ Spesenabrechnung, ƒ Besuchsberichterfassung, ƒ Unterstützung bei der Angebotserstellung, ƒ Unterstützung bei der Zielplanung und Budgetierung, ƒ automatische Wiedervorlage, ƒ Verkaufsübersichten und geographische Informationssysteme, ƒ Kundendatenverwaltung etc.

3.1.2.2 Analytische Aufgaben Ausgangspunkt eines anbieterseitigen Kundenkontakts sollte auch im Vertrieb eine handlungsorientierte Analyse der verfügbaren Informationen über die bestehenden und potenziellen Kunden sein. Dabei sollten die Potenziale des einzelnen Kunden erkannt und entsprechende Akquisitionsziele gesetzt werden. Dies umfasst z.B. folgende Analysen: ƒ Bei der Lost Order-Analyse werden alle Angebote, die nicht zu einem Auftrag führen, dahingehend analysiert, weshalb es zu keinem Abschluss gekommen ist. Aus dieser Analyse sollen Erkenntnisse über Veränderungen in der Wettbewerbsfähigkeit und Ansatzpunkte für die Änderung der strategischen Vorgehensweise gewonnen werden. ƒ Eine weitere Unterstützung bietet die Sales Cycle-Analyse. Diese dient der Vormerkung von Wiederbeschaffungszeitpunkten (z.B. für Telefonkartenverträge), um dann zum richtigen Zeitpunkt den Kunden auf einen möglichen Ersatzkauf ansprechen zu können. Der Vorteil für den Verkäufer ist darin zu sehen, dass er den Kunden frühzeitig ansprechen kann, bevor dieser sich selbständig auf die Suche nach einem neuen Angebot macht und bei seiner Suche womöglich zur Konkurrenz abwandert. ƒ Das Opportunity Management unterstützt den Vertriebsmitarbeiter dahingehend, Verkaufschancen aktiv nachzugehen. Unter Opportunity Management versteht

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Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde man die mehrstufige Erfassung, Pflege und Qualifizierung jedes Kundenkontakts – von der noch anonymen Adresse bis zum letztendlichen Vertragsabschluss. Hierbei kann jederzeit der Status eines Kontakts/Angebots abgefragt werden, um einen aktuellen Gesamtüberblick über bestehende Verkaufschancen (Abschlusswahrscheinlichkeiten, erwartete Abschlusshöhe und -datum) zu erhalten. Unterstützt wird der Vertriebsmitarbeiter hierbei u.a. durch graphische Pipeline-Analysen, in denen die einzelnen Opportunities (Verkaufschancen) in den verschiedenen Stufen des Verkaufsprozesses, die vom Erstkontakt bis zum erfolgreichen Abschluss reichen, dargestellt werden (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Pipeline-Analyse von Siebel

3.1.2.3 Kontaktunterstützende Aufgaben Herkömmliche CAS-Systeme setzen ihren Schwerpunkt auf die administrative Unterstützung der Verkaufsprozesse. Während des eigentlichen Verkaufsgesprächs kommt es jedoch in erster Linie darauf an, dem Kunden ein individuelles Verkaufserlebnis zu vermitteln. Hierbei kommen Interactive Selling Systeme (ISS) zum Tragen, welche sich als Ergänzung von CAS verstehen und speziell für die Unterstützung des Verkaufsgesprächs entwickelt werden.

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ISS umfassen elektronische Produktkataloge, Produktkonfiguratoren sowie die bereits angesprochenen Marketing-Enzyklopädien. Sie finden nicht nur im Vertriebsaußendienst, sondern auch in anderen Verkaufskanälen, wie dem Internet oder an KioskSystemen, ihren Einsatz. ISS geben dem Verkäufer alle Informationen zur Hand, die er zur Unterstützung seiner Argumentation beim Kunden benötigt (wie Preise, Lieferbedingungen, Vertragslaufzeiten usw.). Die einfachste Darstellung solcher Informationen erfolgt durch elektronische Produktkataloge, welche die Inhalte eines herkömmlichen Katalogs auf einem elektronischen Speichermedium (CD-Rom, Produktdatenbank etc.) bereitstellen und durch Selektionsund Beratungsfunktionen ergänzt sind. Während sich die elektronischen Kataloge nur auf die wesentlichsten Informationen in einfacher Darstellungsform beschränken, ermöglicht die Marketing-Enzyklopädie multimediale Produktpräsentationen und liefert dem Verkäufer und Kunden wesentlich mehr Hintergrundinformationen. Besteht ein Produkt aus mehreren konfigurierbaren Komponenten (z.B. Auto oder PC), so kann bei der individuellen Zusammenstellung des Produkts der Produktkonfigurator zum Einsatz kommen. Dieser führt z.B. automatische Kompatibilitätsprüfungen durch und ermittelt anschließend den Angebotspreis der zusammengestellten Variante. Dabei kann ein solches System nicht nur aktuelle Sonderpreise berücksichtigen, sondern auch individuelle Konditionen, die z.B. zwischen Kunde und Key Account Manager ausgehandelt wurden. Durch eine Anbindung an das ERP-System ist eine Online-Auftragserfassung möglich. So können noch vor Ort sowohl die Lieferfähigkeit und der Liefertermin abgerufen werden als auch Aufträge direkt in das Back Office-System übertragen werden.

3.1.3 Service Automation 3.1.3.1 Administrative Aufgaben Der Servicebereich eines Unternehmens umfasst den Kundenservice im Außendienst sowie den Serviceinnendienst. Der Aufgabenbereich des Serviceinnendienstes liegt in der Annahme und Bearbeitung der von Kunden initiierten Kontakte, so dass die Service Automation hier v.a. die Kontaktunterstützung umfasst. Dagegen wird der Außendienstmitarbeiter im Rahmen der Service Automation schwerpunktmäßig bei seinen administrativen Aufgaben unterstützt. Hierbei ähneln sich viele Aufgabenstellungen von Vertriebs- und Serviceaußendienst, so dass die entsprechenden Funktionen vom Sales Automation-System auch im Service genutzt werden können. Analog zum Vertrieb wird der Serviceaußendienstmitarbeiter somit bei seinen Routineund Administrationsaufgaben unterstützt, z.B. durch Funktionalitäten zum Kontaktmanagement, zur Angebotserstellung, Spesenverwaltung, Routenplanung etc. Einige Systeme gehen dabei sogar so weit, dass dem Außendienstmitarbeiter besuchsspezifisch

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vorgeschlagen wird, welche Werkzeuge und Ersatzteile beim einzelnen Kunden benötigt werden. Stellt sich vor Ort das Fehlen von Ersatzteilen heraus, kann der Servicemitarbeiter über entsprechende Schnittstellen zum ERP-System die Verfügbarkeit der Teile ermitteln und dem Kunden genaue Angaben für den nächsten Besuchstermin geben. Im Rahmen der Besuchsnachbereitung erfasst der Servicemitarbeiter die vorgenommenen Arbeiten und ggf. erkannte Cross und Up Selling-Optionen. Ergänzend können entsprechende Kundenbewertungen und triggergeeignete Marketing- und Vertriebsmaßnahmen vorgeschlagen werden.

3.1.3.2 Analytische Aufgaben Wie bereits im Marketing und im Vertrieb bietet es sich auch im Servicebereich an, aus den bei den zahlreichen Kundenkontakten anfallenden Informationen weiterführende Erkenntnisse abzuleiten. So ist z.B. von Daimler-Chrysler bekannt, dass die gemeldeten Schadensfälle von Pkws dahingehend analysiert werden, ob die Schäden von bestimmten Ausstattungskombinationen, von der Betriebsdauer etc. abhängen. Mit solchen Analysen kann prognostiziert werden, bei welchen Pkws wann mit Problemen zu rechnen ist, um diese bereits bei vorgelagerten Inspektionen proaktiv zu beheben. Die große Bedeutung des Beschwerdemanagements führt dazu, dass auch in diesem Bereich verstärkt Analysen durchgeführt werden. Hier können Merkmale wie die Zahl und die Art der eingegangenen Beschwerden, die durchschnittliche Erreichbarkeit des Mitarbeiters, die Dauer der Beschwerdebearbeitung, die Zufriedenheit des Kunden mit der Beschwerdebearbeitung, die angefallenen Kosten etc. berücksichtigt werden (Arzenheimer/Hippner 2000). Derartige Untersuchungen liefern ein wertvolles Feedback über das realisierte Serviceniveau, Verbesserungspotenziale bei der Beschwerdebehandlung, Einsparungspotenziale etc. In letzter Zeit verstärken sich darüber hinaus die Anstrengungen, das Beschwerdemanagement mittels Text Mining zu unterstützen. Text Mining ermöglicht einen Zugang zur Analyse nichtstrukturierter Texte, wie z.B. Beschwerde-E-Mails. Eingehende E-Mails können so anhand ihrer Inhalte und Dringlichkeit klassifiziert und automatisch an den entsprechenden Sachbearbeiter weitergeleitet werden (siehe hierzu auch Kap. 2.4).

3.1.3.3 Kontaktunterstützende Aufgaben In vielen Fällen wird ein Servicemitarbeiter dann vom Kunden kontaktiert, wenn dieser ein Problem mit der Leistung des Unternehmens hat (Reklamationen, Beschwerden, Wunsch nach Beratung etc.). In dieser kritischen Phase der Kundenbeziehung ist es erforderlich, dem Kunden möglichst zuvorkommend zu begegnen. Den besten Beweis für unternehmerische Kundenorientierung stellt das Beschwerdemanagement dar (Stauss 2000b). Beschwerden sind zunächst einmal Ausdruck von nicht

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erfüllten Erwartungen. Umso wichtiger ist es, die Beschwerde als eine Chance zu verstehen, die Erwartungen bei der Beschwerdebehandlung zu übertreffen und durch diese Reaktion den Kunden wieder an das Unternehmen zu binden – und zwar in der Regel sogar stärker als es vorher der Fall war. Dies bedeutet auch, dass Beschwerden nicht nur adäquat behandelt, sondern sogar stimuliert werden sollen. Schließlich kann Beschwerdeminimierung nicht das Ziel sein, wenn man bedenkt, dass sich viele unzufriedene Kunden nicht beklagen, sondern ihre Unzufriedenheit durch Abwanderung und negative Mund-zu-Mund-Propaganda kanalisieren. Unter diesem Gesichtspunkt stellt eine geringe Beschwerdeanzahl nicht zwangsläufig den Beweis für eine hohe Kundenzufriedenheit dar (Stauss/Seidel 1998, S. 69). Eine Beschwerdestimulierung verlangt nach der Bereitstellung eines oder mehrerer geeigneter Kommunikationskanäle wie Telefon, Fax, E-Mail oder Internet. Dies erfordert die explizite Kommunikation der Beschwerdemöglichkeiten nach außen hin, z.B. durch die Einrichtung einer Info- und/oder Beschwerde-Hotline, welche auf Produkten und Broschüren abgedruckt ist. Alle eingehenden Beschwerden müssen systematisch in einer Beschwerdedatenbank erfasst und bearbeitet werden. In der Regel wird dazu eine Beschwerdenummer vergeben und die weiterführenden Aktionen festgelegt, die zur Behandlung des Beschwerdegrunds angebracht sind. Kann die Beschwerde nicht behoben werden, so wird sie automatisch an eine übergeordnete Abteilung weitergeleitet (Eskalation). Wenden sich Kunden mit technischen Fragen an den Service (persönlich, telefonisch oder über das Internet), so kann dieser durch einen Help Desk unterstützt werden. Ein Help Desk ist ein wissensbasiertes Datenbanksystem, das für die Aufnahme von Störungsfällen, für die Beantwortung von Benutzeranfragen und die Weiterleitung nicht beantwortbarer Fälle zuständig ist. Dabei werden vom System Fragen vorgegeben, um das Problem möglichst detailliert zu beschreiben. Handelt es sich bei der Problemstellung um ein bereits bekanntes Problem, so können aus dem System unmittelbar Lösungsvorschläge ermittelt werden. Unbekannte oder sehr komplexe Probleme erfordern allerdings nach wie vor den Einsatz eines Spezialisten. Der Aufgabenbereich des Serviceinnendiensts erstreckt sich nicht nur auf die After Sales-Phase, sondern auch auf die Sales-Phase. So wünscht sich der Kunde während der eigentlichen Auftragsdurchführung häufig aktuelle Statusinformationen. Er möchte sich möglichst zeitnah über den Stand der Auftragsbearbeitung bis hin zum Versandtermin erkundigen. Können hier vom Servicemitarbeiter verlässliche Aussagen getroffen werden, so spiegelt dieses „Order Tracking“ gut organisierte Abläufe im Unternehmen wider.

3.2

Customer Touch Points und Kanäle

Der CRM-Ansatz bezieht explizit alle Customer Touch Points sowie die Kanäle, die zur Kommunikation mit den Kunden und auch zur Distribution eingesetzt werden, mit ein. Die Steuerung und Koordination mehrerer Kanäle wird als Multi Channel Management

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bezeichnet (Schulze 2002, S. 43). Jedes Unternehmen muss festlegen, welche Kanäle es überhaupt bedienen möchte (Schneider 2002, S. 39 ff.): Das Internet wird von Kunden vielfach als Such- und Informationsmedium genutzt, die Filiale hingegen ermöglicht die Erfahrung des Produktes und bietet den persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter. Ein Call Center gibt den Kunden die Gelegenheit, ortsunabhängig das Unternehmen zu kontaktieren. Mögliche Kriterien zur Auswahl der Kanäle sind beispielsweise (Schulze 2002, S. 43; Wehrmeister 2001, S. 123): ƒ Kundenbedürfnisse ƒ Grad der Funktionserfüllung ƒ Erträge und Kosten des Kanals ƒ Marktpräsenz der Kanalzugangspunkte ƒ Image des Kanals ƒ Flexibilität des Kanals ƒ Steuerbarkeit und Kontrollierbarkeit des Kanals ƒ Servicezeit ƒ Rechtliche Sicherheit Abb. 6 veranschaulicht beispielhaft die Nutzung verschiedener Kanäle durch unterschiedliche Kunden(-gruppen) im Rahmen eines Kaufprozesses.

Kundenprozess

Vor dem Kauf

Beim Kauf

Nach dem Kauf Familienvater, viel beschäftigt

Persönlich

Kanäle

Internet

Telefon

Brief/Fax

Student, das erste Mal selbständig

Ältere Dame, weniger technisch versiert

Abb. 6: Beispielhafte Nutzung verschiedener Kanäle in einzelnen Phasen eines Kaufprozesses Quelle: in Anlehnung an Schögel/Sauer 2002, S. 26 ff.

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Das Multi Channel Management muss gewährleisten, dass die Kunden über alle Kanäle eine einheitliche Sicht auf das Unternehmen (one face to the customer) erhalten, auf der anderen Seite jedoch auch das Unternehmen eine einheitliche Sicht auf den Kunden bekommt (one face of the customer), d.h., dass z.B. Außendienst- und Filialmitarbeiter auch über telefonische Kontakte des Kunden mit dem Unternehmen informiert sein müssen (Schulze 2002, S. 43). Unabhängig davon, welche Kanäle der Kunde für seine Anfrage präferiert, kann so eine verlässliche, schnelle und kompetente Reaktion auf seine Wünsche sichergestellt werden. Einen zunehmenden Stellenwert unter den Kommunikationskanälen nehmen dabei das Customer Interaction Center sowie das Internet ein, die nachfolgend näher betrachtet werden. Welchen Beitrag ein CRM-System für die Unterstützung weiterer Customer Touch Points (wie z.B. Außen- und Innendienst) leisten kann, ist bereits im Rahmen der Marketing-, Sales- und Service-Automation verdeutlicht worden.

3.2.1 Customer Interaction Center Während bisher die einzelnen Kanäle noch überwiegend isoliert voneinander organisiert wurden, werden sie heute zunehmend in ein Customer Interaction Center (CIC) integriert (Steidle 2000, S. 70 ff.). CICs stellen Weiterentwicklungen „klassischer“ Call Center dar, die verstärkt in das CRM-Konzept eingebunden werden. Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Call Center, dessen Fokus auf der Telefonie liegt, unterstützen CICs zusätzlich weitere Kommunikationskanäle, wie z.B. ƒ Internet (Webseiten, Webformulare, Chats, Voice over IP etc.), ƒ E-Mail, ƒ Fax und Post, ƒ SMS, ƒ Mobile Internet. Ausgangspunkt für CICs stellen Call Center dar, die über Outbound-Funktionalitäten die Kontaktaufnahme zum Kunden (z.B. für Telemarketing- bzw. Telesales-Aktivitäten) und über Inbound-Funktionalitäten die Bearbeitung von kundeninitiierten Anfragen (z.B. Auftragserteilungen, Reklamationen, Terminvereinbarungen, Problembehebung etc.) unterstützen. Eingehende Anrufe werden in eine Telekommunikationsanlage (TKAnlage) vermittelt. Damit eine hohe Reaktionsfähigkeit und die effiziente Bearbeitung dieser Anrufe gewährleistet werden kann, verfügt eine TK-Anlage über Automatic Call Distribution (ACD). Darunter versteht man die automatische Weiterleitung und gleichmäßige Verteilung aller eingehenden Gespräche auf die einzelnen Service-Mitarbeiter. Durch Computer Telephony Integration (CTI) wird die Verbindung von Computern mit der TK-Anlage gewährleistet. Damit soll die Verbesserung der Anrufverarbeitung und die Erhöhung der Servicequalität erreicht werden. Der Anrufer wird anhand seiner im System gespeicherten Telefonnummer direkt über das CTI-System identifiziert. Durch

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die Verbindung des Call Centers mit dem CRM-System werden dann alle für die Anrufbearbeitung relevanten Daten auf den Arbeitsplatz des Agents überspielt (z.B. genutzte Produkte des Kunden, spezielle Hinweise zur Betreuung des Kunden usw.). Für die Ermittlung des geeignetsten Mitarbeiters oder um standardisierte Anfragen automatisch zu bearbeiten, sollte die Call Center-Lösung mit einem Interactive Voice Response (IVR) System ausgestattet sein. Dabei wird der Anrufer von einer digitalisierten Audio-Aufzeichnung begrüßt und kann seinen Input entweder verbal oder über die Tastatur seines Telefons geben (z.B. Haben Sie ein Kundendienstproblem drücken Sie die „1“ oder sagen Sie bitte „Ja“). So kann der Kunde bzw. sein Anliegen qualifiziert werden und der dafür zuständigen Mitarbeitergruppe zugeordnet werden – noch bevor der Kunde mit einem Call Center Agent in persönlichen Kontakt tritt (Thieme/Steffen 1999, S. 86). Eine weitere Unterstützung bei der automatischen Weiterleitung von Anrufen bietet das so genannte Skill Based Routing. Anhand dieser Technologie werden Anrufe an Agents entsprechend deren Fähigkeiten weitergeleitet. So wird beispielsweise ein Anruf aus Italien in einem deutschen Call Center automatisch an einen Agent „weitergeroutet“, der Italienisch spricht. Dadurch wird vermieden, dass der Kunde lange in einer Warteschleife hängt bzw. immer wieder weitervermittelt werden muss, bis er endlich mit der für sein Anliegen zuständigen Person verbunden ist. Um eine optimale Kommunikation zwischen dem Call Center und den anderen Unternehmensbereichen wie Marketing, Vertrieb, Service etc. zu gewährleisten, sind so genannte Workflow-Systeme unerlässlich. Diesen Systemen kommt die Aufgabe zu, dass die von Kunden angestoßenen Geschäftsprozesse möglichst automatisiert und kontrolliert abgearbeitet werden können. Sie ermöglichen es somit, den Kunden gegenüber getroffene Zusagen einzuhalten. So hat beispielsweise der Call Center Agent Zugriff auf den Terminkalender des Außendienstes. Möchte nun ein Kunde über das Call Center einen Termin vereinbaren, so müssen diese Vereinbarung und alle erforderlichen Informationen automatisch an den/die betreffenden Außendienstmitarbeiter weitergeleitet werden. Die Definition eines Workflows beinhaltet allerdings auch den Ausschluss bestimmter Handlungen. So sollte beispielsweise keine Bestellung angenommen werden, wenn gegen den betreffenden Kunden gerade ein Mahnverfahren läuft. Wichtig bei der Bearbeitung eines kundenbezogenen Geschäftsprozesses ist, dass dessen Status durch einen virtuellen Workflow-Manager kontrolliert wird bzw. kontinuierlich vom Call Center Agent verfolgt werden kann (Tracking). Dies soll garantieren, dass im Interesse des Kunden alle Wünsche so schnell wie möglich erfüllt werden und die Bearbeitungszeiten nicht unnötig in die Länge gezogen werden. Sobald vordefinierte Zeitlimits für die Bearbeitung einer Kundenanfrage überschritten werden, wird die Aufgabe automatisch an eine andere Stelle weitergeleitet (Eskalation) oder der Call Center Agent wird benachrichtigt. Durch solche Systeme werden kürzere Reaktionszeiten und die Einhaltung hoher Service-Qualitätskriterien gesichert (Wiencke/Kroke 1999, S. 144).

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Eine weitere Unterstützung zur zufriedenstellenden Behandlung von Kundenanfragen stellen Gesprächsleitfäden und Einwandkataloge (Skripting) dar. Diese unterstützen den Call Center-Mitarbeiter bei der Gesprächsführung mit dem Kunden. Dabei können die wichtigsten Informationen stichwortartig auf dem Bildschirm angezeigt werden, zudem ist auch eine komplette Ausformulierung möglich. Mit derartigen Skripts können Gesprächsziele in minimaler Gesprächszeit erreicht werden, da seltene und besonders kritische Einwände von Kunden mit adäquater Argumentationskraft behandelt werden können. Häufig dienen sie auch der Vereinheitlichung von Argumenten, so dass spontanen Aussagen bestimmter Call Center Agents vorgebeugt werden kann wie z.B. der Gewährung eines unüblichen Rabatts bei Neukunden (Menzler-Trott 1999, S. 37 f.).

3.2.2 Internet Die zunehmende Popularität des Internets und damit auch des E-Commerce unterstreicht die Notwendigkeit, das Internet als Kommunikationskanal in das CIC aufzunehmen. Dabei kann durch eine entsprechende Internetpräsenz der gesamte Customer Buying Cycle abgedeckt werden (Muther 1999, S. 167). So fungiert das Internet in der Pre Sales-Phase, in der sich der Kunde bereits für konkrete Produkt- und Preisinformationen interessiert, als klassischer Informationskanal, über den Unternehmen diesbezügliche Informationen bereitstellen können. Wichtig ist hierbei eine möglichst umfassende und gleichzeitig benutzerfreundliche Darstellungsform dieser Informationen. Interaktive Systeme, wie z.B. eine im Internet eingebundene Marketing-Enzyklopädie, fördern dabei das „virtuelle Verkaufserlebnis“. In der Sales-Phase, in der für den Kunden eine unkomplizierte Bestell- und Zahlungsabwicklung gewährleistet sein muss, bietet das Internet die Möglichkeit z.B. OnlineProduktkonfiguratoren in die Homepage zu integrieren. Je stärker der Kunde in die Erstellung seines Angebots eingebunden wird, desto höher ist die Chance, dass das Angebot seine individuellen Bedürfnisse trifft. Beispiel hierfür ist der Computerhersteller DELL, der seine Kunden bei der Auswahl von Computern/Laptops durch einen Produktkonfigurator unterstützt. So kann der Kunde alle möglichen Varianten durchprobieren, bis er sein individuell gewünschtes Modell selbst zusammengestellt hat. Dabei kann er nach jeder Änderung sehen wie sich der Preis erhöht bzw. verringert und ggf. gegensteuern. Über eine Anbindung an das ERP-System kann der Kunde Aufträge mitverfolgen und Statusmeldungen über den Verkaufsprozess online abrufen. In der After Sales-Phase steht der Online-Support im Vordergrund, was insbesondere die zügige Beantwortung aller auftretenden Fragen umfasst. Dies kann durch die Einbindung eines Help Desk-Systems in das Internet oder durch die Bereitstellung so genannter FAQs (Frequently Asked Questions) erfolgen. Um auf die Anliegen der Kunden etwas „menschlicher“ eingehen zu können, wurden in letzter Zeit vermehrt Avatare eingesetzt (siehe Abb. 7). Unter einem Avatar versteht man einen virtuellen Ansprechpartner im Internet, der dem Nutzer durch die grafische Präsenz das Gefühl eines per-

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sönlichen Gesprächs vermitteln soll und damit den Nachteil der „Unpersönlichkeit“ des Internets auszugleichen versucht.

Abb. 7: Beispiel eines Avatars (www.finanzen.net) Während die oben dargestellten Funktionen lediglich eine unpersönliche Informationsbereitstellung für den Kunden bzw. Interessenten ermöglichen, können durch die Einbindung des Call Centers persönliche Dialoge mit dem Besucher der Website realisiert werden. Dies kann z.B. durch das Angebot eines Call Back Buttons erfolgen, mit dem der Besucher um einen Rückruf eines Call Center Agents bittet. Ähnlich kostengünstig erweist sich für den Interessenten die direkte telefonische Kontaktaufnahme über einen VoIP-Kanal (Voice over Internet Protocol). Die derzeit eleganteste Lösung stellt das Shared Browsing dar, bei dem sich der Call Center Agent parallel zum persönlichen Gespräch die Internetseiten des Kunden betrachten kann. Wie oben dargestellt, sind die Möglichkeiten, den Internetauftritt um CRM-Funktionalitäten zu erweitern, vielfältigster Natur. Insbesondere auch durch diese erweiterten Funktionalitäten hinterlässt der Kunde bei jedem Besuch aussagekräftige Spuren, die für eine Personalisierung des Kundenkontakts herangezogen werden können. Zur Realisierung der Personalisierung kann auf unterschiedliche Möglichkeiten (z.B. Customization, Profiling, regelbasierte Personalisierung, Collaborative Filtering) zurückgegriffen wer-

Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen

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den (Neus 2000). Die einzelnen Möglichkeiten können hierbei darin unterschieden werden, ob die Profilinformationen explizit durch den Besucher angegeben oder vom Unternehmen aufbereitet werden. Im zweiten Fall liefert Web Mining häufig wertvolle Erkenntnisse, um die einzelnen Kundenprofile anzureichern.

3.3

Operative IT

3.3.1 Operative Kundendatenbank Die operative Kundendatenbank dient zur Unterstützung des Tagesgeschäfts derjenigen Mitarbeiter, die an der Schnittstelle zum Kunden arbeiten. Sie enthält somit – anders als das für Analysezwecke entkoppelte Data Warehouse – vornehmlich Daten auf Individualebene und über laufende Transaktionen. Über die Inhalte einer operativen Kundendatenbank können keine generellen Aussagen getroffen werden; diese hängen u.a. von der Branche, dem Geschäftszweig sowie den anvisierten CRM-Anwendungen ab (Rudolph/ Rudolph 2000, S. 81). Als Richtlinie sollten jedoch all diejenigen Informationen in eine Kundendatenbank aufgenommen werden, die (in Anlehnung an Kreutzer 1991, S. 628) ƒ zur Identifikation und gezielten Ansprache beitragen, ƒ nachhaltigen Einfluss auf das Kaufverhalten haben, ƒ etwas über die Wahrscheinlichkeit des Geschäftsabschlusses aussagen, ƒ Transparenz über die bisherigen Tranksaktionsepisoden schaffen, ƒ einen potenzialorientierten Einsatz der Kommunikationsinstrumente erlauben, ƒ Grundlage der Erfolgskontrolle und Erfolgsprognose sein können. Für eine detaillierte Betrachtung möglicher Inhalte einer Kundendatenbank sei auf Hippner et al. (2004a) verwiesen.

3.3.2 Content Management-System Unter einem Content Management-System (CMS) versteht man ein computergestütztes Erstellungs-, Verwaltungs- und Archivierungssystem für den Content in unterschiedlichsten digitalen Formaten (Winand/Schellhase 2000, S. 1334; Schramm 2001, S. 616). Bei Content handelt es sich um von Menschen erzeugte und in medienspezifischer Form präsentierte digitale Information unterschiedlichster Art, vor allem in unstrukturierten Formaten (Schramm 2000, S. 3). Die Kernaufgabe eines CMS ist die Integration aller vorhandenen Contents im Unternehmen und ihre Bereitstellung für die Geschäftsprozesse im Marketing-, Sales- und Service-Bereich. Ein CMS kann somit als ideale Ergänzung der operativen Kundenda-

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tenbanken angesehen werden, da es zusätzlich unstrukturierte Informationen integriert. Z.B. kann ein Customer Interaction Center sinnvoll durch ein CMS unterstützt werden, da die vom CIC zu koordinierenden Kundenkommunikationskanäle mit den Contentzugriffskanälen übereinstimmen. Produktinformationen können z.B. im CMS zentral verwaltet und in kanalspezifischer Formatierung entweder dem Kunden direkt wahlweise per Internet zur Verfügung gestellt werden oder in Form eines Faltblattes für den Außendienst zur Unterstützung persönlicher Kundengespräche bereitgestellt werden. Für eine detaillierte Erörterung der Einsatzpotenziale eines CMS im Rahmen des CRM sei auf Berchtenbreiter (2004) verwiesen.

4

Fazit

Ein CRM-System stellt den technologischen Enabler der CRM-Strategie dar. In diesem Beitrag sind die Unterstützungspotenziale eines CRM-Systems zur Umsetzung der CRM-Strategie detailliert vorgestellt worden: Sie reichen von der operativen Unterstützung der Marketing-, Vertriebs- und Serviceprozesse bis hin zur Analyse der Kundendaten im Rahmen des analytischen CRM. Grundsätzlich kann zwischen zwei Klassen von CRM-Systemen entschieden werden (Amberg/Schumacher 2002, S. 23 ff.): selektive und integrative CRM-Systeme. Selektive CRM-Systeme dienen zur Unterstützung einer bestimmten Phase der AnbieterKunden-Beziehung bzw. zur Unterstützung bestimmter Aufgabenbereiche wie z.B. Computer Aided Selling (CAS), Help Desk, Database Marketing u.a. Gemäß dem „best of breed“-Ansatz lassen sich diese funktionalen Teillösungen zu einer individuellen, umfassenden Lösung zusammenstellen. Entscheidend ist hierbei, dass die einzelnen Lösungen über entsprechende Schnittstellen verfügen, um mit den anderen Teillösungen kommunizieren zu können. Enterprise Application Integration (EAI) und Middleware entschärfen die Problematik der Integration dieser Teillösungen in die bestehende Systemlandschaft. Integrative CRM-Systeme vereinen die Funktionalitäten selektiver Systeme in einem System bzw. einer Systemgruppe und bieten so eine durchgängige Unterstützung der gesamten CRM-Prozesse an (Amberg/Schumacher 2002, S. 23 ff.). Das breite Spektrum an Funktionalitäten ist jedoch im Allgemeinen mit einem hohem Customizing-Aufwand verbunden. Es lässt sich keine allgemeine Aussage darüber treffen, ob ein integratives CRMSystem besser zur Realisierung der CRM-Strategie beiträgt als die Kombination verschiedener Teillösungen. Diese Frage muss für jedes Unternehmen individuell beantwortet werden, denn sie hängt von zahlreichen Faktoren ab: die Unternehmensgröße, das Budget und die bestehende IT-Landschaft im Unternehmen (insbesondere auch bereits realisierte CRM-Funktionalitäten) sind nur einige der möglichen Kriterien.

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Hajo Hippner, Onno Hoffmann, Udo Rimmelspacher, Klaus D. Wilde

IT-Unterstützung durch Customer Relationship Management-Systeme am Beispiel von mySAP CRM 1

Integrative CRM-Systeme 1.1 CRM-Informationstechnologie 1.2 Klassifizierung von CRM-Systemen

2

Komponenten des mySAP CRM-Systems 2.1 Überblick 2.2 Kommunikation zwischen den Komponenten 2.3 Kommunikation innerhalb der Komponenten

3

IT-Unterstützung durch mySAP CRM im Front Office 3.1 mySAP CRM-Server-Applikationen 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4

Grundlagen Marketing Automation Sales Automation Service Automation

3.2 Beispiel eines übergreifenden CRM-Prozesses 4

Fazit

Anmerkung Literaturverzeichnis

1

Integrative CRM-Systeme

Die IT-Unterstützung im CRM verfolgt im Wesentlichen zwei zentrale Ziele: Zum einen sollen alle kundenorientierten Prozesse durchgängig unterstützt werden. Zum anderen – und dies ist eine notwendige Voraussetzung für das erste Ziel – muss hierfür eine Integration der vorliegenden Datenbestände und Altsysteme (Legacy Systems) erfolgen. Vor diesem Hintergrund lassen sich in der betrieblichen Praxis zwei unterschiedliche Strategien der IT-Unterstützung von CRM finden: ƒ Beim „Best of Breed“-Ansatz wird eine unternehmensindividuelle Lösung durch die Kombination spezialisierter CRM-Funktionsmodule konfiguriert. Hierbei wird auf spezielle Nischenlösungen und auf funktionierende Altsysteme zurückgegriffen, die sich jeweils auf die Unterstützung weniger ausgewählter Aufgabenbereiche konzentrieren. ƒ Dagegen handelt es sich bei ganzheitlichen Standardlösungen um umfassende CRM-Systeme, die Komponenten für Marketing, Vertrieb und Service zur Verfügung stellen und somit den gesamten CRM-Bereich unterstützen. Die Frage, welche der beiden Alternativen vorzuziehen ist, kann jeweils nur unternehmensindividuell gelöst werden. Einigkeit herrscht jedoch bei der Bewertung von isolierten Insellösungen. Diese lassen keine einheitliche Sicht auf den Kunden zu (One face of the Customer) und stellen eine Barriere für ein einheitliches Auftreten gegenüber dem Kunden dar (One Face to the Customer). Die Bewältigung der integrativen Aufgabenstellung von CRM-Systemen soll nachfolgend am Beispiel einer ganzheitlichen Standardlösung dargestellt werden. Hierfür wird das CRM-System mySAP CRM der SAP AG vorgestellt, wobei insbesondere dessen Komponenten und Front Office-Anwendungen detaillierter beschrieben werden [1].

1.1

CRM-Informationstechnologie

Abb. 1 skizziert auf einer abstrakten Ebene den konzeptionellen Aufbau eines „typischen“ CRM-Systems (eine detaillierte Beschreibung hierzu findet sich in Hippner et al. 2006). Der operative Bereich von CRM-Systemen unterstützt die Mitarbeiter an den Kundenkontaktpunkten (Customer Touch Points) bei der Abwicklung kundenbezogener Geschäftsprozesse. Hierfür werden die im Rahmen der Marketing-, Sales- und ServiceAutomation benötigten Funktionalitäten zur Verfügung gestellt. Zu beachten ist hierbei, dass alle kundennahen Bereiche auf dieselbe Kundendatenbank zugreifen, wodurch die Integrität dieser Daten gewährleistet ist.

78

Hajo Hippner, Onno Hoffmann, Udo Rimmelspacher, Klaus D. Wilde

Im analytischen CRM werden alle kundenbezogenen Geschäftsereignisse systematisch aufgezeichnet und zur kontinuierlichen Optimierung der zugrunde liegenden Prozesse ausgewertet. CRM stellt somit ein lernendes System dar, bei dem sämtliche Kundenreaktionen genutzt werden, um fortdauernd die kundenindividuelle Personalisierung der Kommunikation sowie von Produkten und Dienstleistungen voranzutreiben.

Pers. Kontakt

Kanäle

Enterprise Resource Planning

Front Office

Telefon

Brief/Fax

E-Mail

Außendienst

Innendienst

CIC

Filiale

Website

etc.

Marketing Automation

Sales Automation

Service Automation

Marketingprozesse

Vertriebsprozesse

Serviceprozesse

Operative IT

Operative Kundendatenbank

Business Intelligence

Content Management System

OLAP

Data Mining

Analytisches CRM

Customer Data Warehouse bzw. Data Marts

Back Office

etc.

Operatives CRM

Supply Chain Management

Customer Touch Points

Internet

Abb. 1: Komponenten eines CRM-Systems Quelle: Hippner et al. 2006, S. 48

1.2

Klassifizierung von CRM-Systemen

Trotz des sehr heterogenen Marktes lassen sich generell drei Gruppen von CRMSystemen unterschieden (siehe Abb. 2). Integrierte Globallösungen decken (nahezu) alle geforderten CRM-Funktionalitäten ab. Hierzu zählen autonome CRM-Systeme, die eine auf die CRM-spezifischen Anforderungen zugeschnittene technische Architektur bereitstellen, und um CRM-Funktionalitäten erweiterte ERP-Systeme (Enterprise Ressource Planning). Ein ERP-System ist eine „standardisierte Anwendungssoftware zur Unterstützung der Prozesse und Funktionen in den betrieblichen Funktionsbereichen“ (Leßweng et al. 2004, S. 221). Integrierte Globallösungen zeichnen sich in der Regel

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

79

durch einen hohen Customizing-Aufwand und damit verbundenen hohen Kosten aus. Als Customizing werden Systemanpassungen an unternehmensspezifische Anforderungen bezeichnet. Customizing-Einstellungen müssen bei der Erstinstallation des ITSystems durchgeführt und später u.U. aufgrund von Änderungen bei den Unternehmensprozessen und -organisationseinheiten angepasst werden.

CRM-Markt

Integrierte Globallösungen

Funktionale Teillösungen

Autonome CRM-Systeme

Operatives CRM

• große Funktionalität • hoher Customizing-Aufwand

Spezialisierte Lösungen für die Bereiche • Marketing Automation • Sales Automation • Service Automation • Kommunikationsunterstützung (Customer Interaction Center, eCRM)

Erweiterte ERP-Systeme • optimale Integration in bestehende ERP-Landschaften • Geschäftsprozesse im Fokus

Branchenlösungen

• vertikale Standardlösungen • branchenspezifisch abgestimmter Funktionsumfang

Analytisches CRM Spezialisierte Lösungen für die Bereiche • Data Warehouse • Data Mining • OLAP

Abb. 2: Klassifizierung von CRM-Systemen Quelle: Hippner et al. 2005, S. 1063

Vorteile von integrierten Globallösungen sind bspw. das performante Verarbeiten großer Datenmengen, die internationale Verfügbarkeit und das breite Funktionsspektrum, ohne zusätzlichen Integrationsaufwand. Daneben existieren CRM-Systeme, welche sich auf funktionalen Teillösungen, d.h. auf ausgewählte Funktionalitäten einer CRM-Architektur, konzentrieren. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die einzelnen Lösungen über entsprechende Schnittstellen verfügen müssen, um mit den anderen Teillösungen kommunizieren zu können. Spezialisierte Lösungen existieren u.a. für Bereiche des operativen CRM (Marketing Automation, Sales Automation, Service Automation, Kommunikationsunterstützung) und für das analytische CRM (Data Warehouse, Data Mining und OLAP).

80

Hajo Hippner, Onno Hoffmann, Udo Rimmelspacher, Klaus D. Wilde

Da in einzelnen Branchen spezielle Anforderungen an CRM-Systeme gestellt werden, bieten mittlerweile viele Hersteller von integrierten Globallösungen und funktionalen Teillösungen auch branchenspezifische Standardlösungen an. Je nach Branche werden einzelne CRM-Funktionalitäten nur eingeschränkt oder aber verstärkt benötigt (bspw. die Außendienstunterstützung in der Pharmabranche), auf die dann der Fokus bei der Ausgestaltung dieser CRM-Systeme liegt.

2

Komponenten des mySAP CRM-Systems

2.1

Überblick

Beispielhaft für eine der am Markt führenden integrierten Globallösungen wird nachfolgend die Software mySAP CRM der SAP AG in den Grundzügen vorgestellt. Neben einem sehr großen Funktionsumfang beinhaltet dieses System auch spezielle Funktionen für einzelne Branchen (vgl. Abb. 3). Analog zu Abb. 1 lässt sich mySAP CRM in einen operativen und einen analytischen Bereich einteilen. Das operative CRM wird dabei durch den mySAP CRM-Server abgedeckt, der das Hauptsystem von mySAP CRM darstellt und auf dem alle CRMServer-Applikationen (siehe Kap. 3.1) laufen. Die analytische Komponente ist in mySAP CRM selbst nur rudimentär enthalten, kann jedoch durch das SAP Business Warehouse nahezu beliebig ausgebaut werden. Mit mySAP CRM können nahezu alle Kanäle und Customer Touch Points integriert werden. Auch ist es möglich über entsprechende Adapter die Kommunikation mit Anwendungen aus dem Back Office herzustellen. mySAP CRM kann zwar auch als eigenständige Software im Sinne eines autonomen CRM-Systems genutzt werden, entfaltet seine ganze Funktionalität aber erst bei der Anbindung an ein oder mehrere ERP-Systeme (z.B. SAP R/3), ein Data Warehouse (z.B. SAP Business Warehouse), Groupware (z.B. Microsoft Outlook) und eventuell ein Planungs- und Prognosesystem (z.B. SAP Advanced Planner and Optimizer). Das SAP Advanced Planner and Optimizer-System (SAP APO) erweitert ein SAP R/3System um differenziertere, unternehmensinterne oder -übergreifende, regelbasierte Planungsfunktionen und deren Terminierung und Überwachung. Es umfasst u.a. Prognosesysteme für die Absatzplanung, Planungssysteme für die Prozesse und Materialflüsse über die gesamte Supply Chain, eine Produktionsplanung unter Berücksichtigung kurzfristiger Kapazitätsänderungen, eine Transportplanung unter Berücksichtigung von Restriktionen und eine Verfügbarkeitsprüfung (Available-to-Promise) bei bestellten Produkten (Knolmayer et al. 2002, S. 116 f.; SAP SI 2005).

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

Kanäle

Außendienstkontakt mit Laptops und Handhelds

E-Mail, Fax, Telefon, ...

Außendienst (Mobile Clients)

Interaction Center

SAP R/3

Website

Channel Management

(E-Commerce mit B2B und B2C)

(indirekter Vertrieb mit Partnern)

SAP phone

ICI IPC

TREX

Geschäftspartnersegmentierung

Kampagne

Lead



Opportunity

Marketing-Prozesse

Auftrag

Faktura

Sales-Prozesse



Rekla-

Werkstatt-

mation

reparatur



Service-Prozesse

Zusätzliche Branchenfunktionen (Pharma, High Tech, Leasing/ Finanzen, Medien,...), Business Objekte (u.a. Kunden, Produkte) und weitere Funktionen

CRM-Server

mit XML-und IDoc-Interface

SAP connect

CRM-Server Applikationen

GroupwareAdapter

ASCIIAdapter

External InterfaceAdapter

Internet

CTI Communication Station

Consolidated Database CRM-Datenbank

SAP R/3Adapter

Microsoft Outlook, Lotus Notes

Weitere mySAPSysteme, SAP APO und/ oder Fremdsysteme

Customer Touch Points

81

PlugIn

(für Mobile Clients)

CRM-Adapter

CRM-Middleware

SAP BWAdapter

SAP Business Warehouse Back Office

Business Intelligence

incl. Data-Mining-Tools und OLAP

Abb. 3: Wichtige Bestandteile, Funktionen und angebundene Systeme des CRMServers der SAP AG Quelle: Hippner et al. 2005, S. 1064

In einem Data Warehouse werden Informationen aus verschiedenen Quellsystemen gesammelt und für Kontroll- und Entscheidungsprozesse bereitgestellt. Das SAP Business Warehouse (SAP BW) stellt hierfür Funktionalitäten zum Datenmanagement, zur Behandlung von OLAP-Abfragen (On-Line Analytical Processing) mit dem SAP Business Explorer und zur Definition, Steuerung und Überwachung von Datenflüssen zur Verfügung. Es bietet im Gegensatz zu anderen Data Warehouses auch den sog. Business Content. Dieser beinhaltet für die Analyse von kompletten Geschäftsprozessen vorgefertigte Szenarien, welche aus Definitionen des gesamten zugehörigen Datenflusses, Programmen zur Datenextraktion und Templates zur Datenanalyse bestehen (Mehrwald 2004, S. 1 ff.). Auf Basis des SAP BW können dynamische Analysen über Kunden, Produkte, Interaktionskanäle, Marketing-, Vertriebs- und Serviceaktivitäten etc. durchgeführt werden. Kunden können beispielsweise bezüglich ihrer Zufriedenheit und Treue, Migrationspfaden, Cross Selling-Potenzialen und Kundenwerten analysiert werden. Für weiterführende Analysen stellt das SAP BW darüber hinaus Data MiningVerfahren wie z.B. Cluster- und Assoziationsanalysen, Entscheidungsbaum-, Scoringund Regressionsverfahren zur Verfügung. Im Gegensatz zu OLAP-Systemen, welche

82

Hajo Hippner, Onno Hoffmann, Udo Rimmelspacher, Klaus D. Wilde

Analysen nach vorher festgelegten Dimensionen ermöglichen, werden mit Data Mining noch nicht bekannte Muster innerhalb von Datenbeständen identifiziert und zur Modellbildung herangezogen. Die Einbindung von Groupware, wie z.B. Microsoft Outlook oder Lotus Notes, unterstützt die Koordination einzelner CRM-Aktivitäten nachhaltig. Als Groupware bezeichnet man Anwendungen, mit denen die Zusammenarbeit, insbesondere die Kommunikation, Koordination und Kooperation, innerhalb von Arbeitsgruppen erleichtert wird. Mit mySAP CRM können z.B. Daten aus dem SAP Marketing Planner mit Microsoft Outlook ausgetauscht werden. Dies erlaubt die Einbindung und Koordination von einzelnen Marketing-Aktivitäten mit den sonstigen Terminverpflichtungen von Mitarbeitern. Ein ERP-System (z.B. SAP R/3) beinhaltet typischerweise Funktionen für Rechnungswesen, Personal, Materialwirtschaft, Produktion, Vertrieb, Instandhaltung, Qualitätssicherung usw. Bei vielen CRM-Prozessen erweist sich die Anbindung eines ERPSystems an das CRM-System als vorteilhaft. Ein Beispiel für das Zusammenwirken mit dem SAP R/3-System wird in Abschnitt 3.2 vorgestellt.

2.2

Kommunikation zwischen den Komponenten

Der Austausch von Daten aus mySAP CRM mit anderen Systemen innerhalb einer heterogenen Systemlandschaft erfolgt in der Middleware über Adapter mit sog. Business Documents (BDocs). Ein BDoc ist ein Datencontainer, welcher Informationen zu Business Objects enthält. Business Objects bilden reale Objekte – z.B. Kunden, Kundenaufträge usw. – mit deren zugehörigen Struktur- und Implementierungsdetails ab. Es wird zwischen Messaging BDocs zum Austausch zwischen mySAP CRM und externen Systemen und Synchronization BDocs zur Datensynchronisation mit Mobile Clients innerhalb von mySAP CRM unterschieden. Für die Anbindung an Fremdsysteme stehen bei mySAP CRM verschiedene Adapter zur Verfügung, die nachfolgend knapp vorgestellt werden. SAP R/3-Adapter: Beim Datenaustausch mit SAP R/3 können verschiedene Filterkriterien definiert werden. Beim initialen Datentransfer („initial download“) werden z.B. spezielle Customizing-Einstellungen und Geschäftsdaten (wie Kunden- und Produktdaten) von einem oder mehreren SAP R/3-Systemen nach mySAP CRM übertragen (bei einem ERP-System von einem Fremdhersteller entfällt der Transfer von CustomizingDaten). Später werden Änderungen bei zuvor festgelegten Objekten durch einen DeltaDatentransfer („delta downloads“) automatisch zwischen beiden Systemen abgeglichen. Bei einem sog. „synchronization download“, welcher manuell erfolgt oder als periodischer Batch-Job automatisiert werden kann, werden Customizing-Tabellen aus dem SAP R/3 mit ihren jeweiligen Pendants in mySAP CRM verglichen und ggf. aktualisiert. Auf der Seite des SAP R/3-Systems ist dazu ein Plug-In für den Datenaustausch mit mySAP CRM installiert.

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

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Groupware-Adapter: Dieser Adapter ermöglicht den Datenaustausch mit Programmen wie bspw. Microsoft Outlook und Lotus Notes. External Interface Adapter: Die Technik der Remote Function Calls (RFC) und der Intermediate Documents (IDocs) bildet die Grundlage für die Ausführung von einzelnen Funktionen über verschiedene Systeme hinweg. Ein IDoc ist ein von SAP definiertes Belegformat zum Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen. Unterschiedliche IDoc-Typen bilden verschiedene Nachrichtentypen, z.B. Bestellungen oder Lieferscheine, ab. Der strukturierte Datenaustausch mit Fremdsystemen über das Internet erfolgt mittels XML-Dateien (Extensible Markup Language) (Schneider-Neureither 2003, S. 68 ff.). ASCII-Adapter: Es können auch ASCII-Dateien (ASCII steht für American Standard Code for Information Interchange) in mySAP CRM importiert werden. Eine ASCIIDatei unterstützt jedoch keine BDocs. Die Inhalte werden dann genau in eine Datenbanktabelle transferiert. Dabei entspricht jede Zeile in der ASCII-Datei genau einem Tabelleneintrag. Der Datenaustausch über ASCII-Dateien bietet sich insbesondere bei solchen Systemen an, die keine modernen Austauschformate unterstützen (z.B. selbsterstellte Software, die schon sehr lange im Einsatz ist). SAP BW-Adapter: Für alle Analysen, Prognosen, Optimierungen und Planungen mit SAP BW werden Daten aus mySAP CRM über eine Extrakt- und Transferstruktur (Struktur der DataSource) in die korrespondierende Transferstruktur (DataSource mit identischer Struktur) auf Seiten des SAP BW geladen, dort mit Übertragungsregeln an eine InfoSource mit einer Kommunikationsstruktur übergeben und mittels Fortschreibungsregeln an eine Operational DataSource (ODS) weitergeleitet. Diese bildet die Basis für sog. InfoCubes, auf die man im SAP BW Abfragen (Queries) einrichten kann.

2.3

Kommunikation innerhalb der Komponenten

Die SAP Communication Station verbindet die konsolidierte Datenbank des CRM Servers („consolidated database“; die Datenbank von mySAP CRM, welche alle Daten der mobilen Clients enthält) mit den Laptops und Handhelds der Außendienstmitarbeiter und repliziert und synchronisiert mit (Synchronization-)BDocs die Daten zwischen beiden Systemen. Die Außendienstmitarbeiter können somit temporär unabhängig von einer Netzwerkverbindung auf die für sie relevanten Kundendaten zugreifen. Das Interaction Center (IC) kann mit dem GUI (graphical user interface) von mySAP CRM als Win- oder als Web-Client (im Rahmen des SAP Enterprise Portal) betrieben werden. Standardisierte Schnittstellen des Interaction Center WinClient sind ƒ SAPphone und eine nachgeschaltete Computer Telephony Integration (CTI) für die Telefonanbindung sowie ƒ SAPconnect für die E-Mail-Anbindung des mySAP CRM-Systems.

84

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Beim Interaction Center WebClient übernimmt das Integrated Communication Interface (ICI) die Kommunikation über XML und SOAP (Simple Object Access Protocol) zwischen mySAP CRM und Fremdsystemen. Die Funktionalitäten des IPC-Servers sowie der Suchmaschine TREX stehen grundsätzlich allen Applikationen des CRM-Servers und somit auch an allen Customer Touch Points zur Verfügung. Mit dem SAP IPC (Internet Pricing and Configurator) werden z.B. bei OnlineBestellungen Produkte konfiguriert und Preise bestimmt. Generell gilt, dass jede Preisfindung mit dem IPC durchgeführt wird. Die Preisfindung wird in den Geschäftsvorgängen (Kundenauftrag, Servicevorgang, Kontrakt, Angebot, usw.) genutzt, um einen passenden Preis (z.B. zeitbezogen und kundenbezogen) zu ermitteln. Alle Applikationen können auf die integrierte Suchmaschine TREX (Text Retrieval & Information Extraction) zurückgreifen, um sämtliche Text- und HTML-Dokumente übergreifend zu indizieren und zu durchsuchen. TREX wird z.B. für die Suche von Problemlösungen in Lösungsdatenbanken eingesetzt. Der CRM-Adapter empfängt BDocs von den angeschlossenen Systemen, übergibt die Daten an die CRM-Server-Applikationen und speichert die eingegangen Daten in den entsprechenden Tabellen der CRM-Datenbank, welche u.a. Kunden-, Produkt-, Organisationsdaten, Preise, Konditionen, Bewegungsdaten beinhaltet.

3

IT-Unterstützung durch mySAP CRM im Front Office

Ausgehend von einer allgemeinen Erklärung zu Geschäftsvorgängen und Funktionalitäten in mySAP CRM soll die konkrete Unterstützung der operativen Geschäftsprozesse vorgestellt werden. Das operative CRM im Front Office umfasst Lösungen zur Marketing-, Sales- und Service-Automation, die den Dialog zwischen Kunden und Unternehmen sowie die dazu erforderlichen Prozesse unterstützen. Die Reihenfolge der Applikationenbeschreibung entspricht dabei der Struktur des mySAP CRM-Anwendungsmenüs (vgl. Abb. 4).

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

85

Abb. 4: Screenshot des mySAP CRM-Anwendungsmenüs

3.1

mySAP CRM-Server-Applikationen

3.1.1 Grundlagen Die mySAP CRM-Applikationen umfassen Geschäftsvorgänge und Funktionalitäten, die in den Marketing-, Vertriebs- und Serviceprozessen zur Anwendung kommen. Sie werden durch einen maximal 20 Zeichen langen Transaktionscode aus Zahlen und/oder Buchstaben identifiziert. Aufgrund der Verbindung von CRM-Server und -Datenbank schlagen sich die Ergebnisse von Geschäftsvorgängen und Funktionalitäten stets als Datenbankänderung nieder (vgl. Abb. 5).

86

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CRM-Server Applikationen

Funktionalitäten

Opportunities

Leads Geschäftspartnersegmentierung

Produktvorschläge



Vertriebsplanung

Marketing-Prozesse

Verkaufsvorgänge

Aktionsmonitor

Kontrakte

Provisionenund Leistungsanreize



Servicevorgänge Servicepläne

Servicerückmeldungen

Produktänderungsanweisungen

Sales-Prozesse

Enterprise Intelligence

Reklamationen Ressourcenmanagement

Service-Prozesse

Zusätzliche Branchenfunktionen (Pharma, High Tech, Leasing/ Finanzen, Medien,...), Business Objekte (u.a. Kunden, Produkte) und weitere Funktionen



CRM-Server

Geschäftsvorgänge

Consolidated Database CRM-Datenbank

(für Mobile Clients)

CRM-Adapter

Abb. 5: Ausschnitt der mySAP CRM-Server-Architektur Ein Geschäftsvorgang ist die Vorbereitung (z.B. Aktivität), der Anstoß (z.B. Opportunity) oder das Ergebnis (z.B. Verkauf) einer (potenziellen) betriebswirtschaftlichen Interaktion mit einem Geschäftspartner. Er beschreibt Zeitpunkt und Gegenstand (z.B. Produkte oder Dienstleistungen) der Interaktion und kann über alle Customer Touch Points (z.B. Mobile Clients, Interaction Center, Website) erfasst, angezeigt und weiterverarbeitet werden (SAP AG 2005). Geschäftsvorgänge lassen sich den Hauptfunktionen Marketing, Vertrieb und Service wie folgt zuordnen: ƒ Marketing: Leads ƒ Vertrieb: Opportunites, Kontrakte und Verkaufsvorgänge (Anfragen, Angebote und Aufträge) ƒ Service: Servicevorgänge, Reklamationen und Servicerückmeldungen Zudem zählen noch Kontakte und Aufgaben als Geschäftsvorgänge. Sie werden dem Aktivitätenmanagement zugeordnet und sind daher erst durch ihre spezifische Verwendung kategorisierbar. Zusammen mit den operativen Geschäftsvorgängen bilden die Funktionalitäten den Kern der mySAP CRM-Server-Applikationen. Sie grenzen sich allerdings von den Geschäftsvorgängen als solche Transaktionen ab, die nicht auf eine betriebswirtschaftliche Interaktion gerichtet sind. Meist handelt es sich um interaktionsunterstützende Funktionalitäten (vgl. Abb. 5). Im Mittelpunkt des CRM-Verständnisses von SAP steht die Verarbeitung der Geschäftsvorgänge als kundenbezogener Teil der operativen Prozesse in Marketing, Vertrieb und Service. Ein wichtiges Merkmal des Vorgangskonzepts ist die strikte Trennung zwischen Benutzungsoberfläche und Verarbeitung. Struktur und Format der Bildschirmanzeige aller Geschäftsvorgänge sind identisch. Sie bestehen aus Kopf- und Posi-

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

87

tionsdaten, d.h. grundlegenden (z.B. Kunde) und speziellen Informationen (z.B. Verkaufsmenge), die auf Karteireitern zusammengefasst sind. Es können jedoch nur bestimmte Grundfunktionen je Vorgangsart ausgelöst werden (Buck-Emden/Böder 2004, S. 55). Grundfunktionen beschreiben zum einen die funktionalen und logischen Zusammenhänge zwischen einzelnen Vorgängen und ergänzen zum anderen in Abhängigkeit von wenigen manuellen Eingaben automatisch weitere Positionen in den Geschäftsvorgangsbelegen (vgl. Abb. 6).

Vertrag/Kontrakt

Kontraktfindung

Vorgängerbeleg

Vorgang

Kopiersteuerung

Kopiersteuerung

Folgevorgang

Partnerfindung

Organisationsfindung

Produktfindung

Preisfindung

Welche Personen sind wie am Vorgang beteiligt?

Welcher Vertriebsbereich ist zuständig?

Welche Produkte können vertrieben werden?

Zu welchem Preis werden die Produkte vertrieben?

Positionstypenfindung

Bestimmt den Positionstyp einer Position, d.h. deren Behandlung.

Abb. 6: Übersicht der Grundfunktionen Die Kopiersteuerung bestimmt, welche Geschäftsvorgänge das System für eine Verknüpfung empfiehlt, welche Vorgänge aufeinander folgen und welche Informationen auf Kopf- und Positionsebene von einem Vorgang in einen anderen kopiert werden dürfen. Besondere Bedeutung hat dabei die Verwendung von Belegflüssen. Sie zeigen an, ob ein Vorgang in Bezug zu einem anderen (Quell-)Vorgang steht. Die Organisationsfindung (vgl. Abb. 6) erfolgt über die Ermittlungswege der Zuständigkeiten oder des Organisationsmodells. Wird auf diese Funktion verzichtet muss der zuständige Unternehmensbereich manuell für einen Geschäftsvorgang bestimmt werden. Über die Partnerfindung werden z.B. bei Eingabe des Kunden dessen Adresse, die zuständigen Mitarbeiter und andere beteiligte Personen oder Gruppen ergänzt. Die Positionstypenfindung ermittelt den Typ einer Belegposition (z.B. Produkt im Verkaufsvor-

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gang = Verkaufsposition). Über die entsprechende Positionstypengruppe wird bestimmt, dass z.B. bei einem kostenlosen Produkt wie einem Werbegeschenk keine Preisfindung stattfindet. Diese ermöglicht ansonsten die Kalkulation der in einem Auftrag enthaltenen Positionen. Bei der Erstellung eines Vorgangs existieren mehrere Möglichkeiten, ein Produkt einzugeben: System Produkt ID, Global Trade Item Number (GTIN) (entspricht der EAN, European Article Number), Produktbestellnummer (PON) etc. Neben diesen Eingabemöglichkeiten steuert die Produktfindung auch die Produktsubstitution. Durch diese Funktion ist ein automatisches Ersetzen von Produkten im Vorgang möglich. Dies wird beispielsweise bei saisonalen Verkaufsaktionen, Nachfolgeprodukten oder reduzierten Produkten angewendet. Ein Kontrakt ist ein Rahmenvertrag, der es dem Kunden erlaubt, Produkte oder Dienstleistungen zu besonderen, zuvor vereinbarten Konditionen, wie etwa niedrigere Preise, abzurufen. Die Kontraktfindung kann für Verkaufs- und Servicevorgänge manuell oder automatisch (anhand von Übereinstimmungskriterien) durchgeführt werden (SAP AG 2004).

3.1.2 Marketing Automation Im Mittelpunkt der Marketingunterstützung steht die ganzheitliche und individuelle Gestaltung der Kundenkontakte. Bei der strategischen Marketingplanung steht die TopDown-Planung von Budgets und Zielvorgaben im Vordergrund. Marketingpläne werden im Marketing Planner bearbeitet. Ihnen können Kampagnen wie Preis- oder Produktpromotionen untergeordnet werden. Die operative Marketingplanung findet auf Kampagnenebene statt. Wesentliche Bestandteile einer Marketingkampagne sind die Produktzuordnung, die Mengenplanung, die Festlegung spezieller Konditionen, die Auswahl einer bestimmten Zielgruppe und des Kommunikationskanals. Die ersten beiden Funktionen werden ausschließlich im Marketing Planner durchgeführt. Zur Auswahl einer Zielgruppe muss diese erst im Segment Builder generiert werden. Auch für die personalisierte Ansprache über einen Kommunikationskanal sind Vorarbeiten nötig. Für eine E-Mail-Kampagne müssen z.B. Mailformulare erstellt werden. Ein Marketingkalender ermöglicht die globale Synchronisation aller Marketingaktivitäten. Das Interesse eines potenziellen Kunden an den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens (= Lead) wird im Lead Management erfasst. Ziel ist es dabei, den Wert eines Kundenkontakts einzuschätzen. In Abhängigkeit vom einzelnen Kunden und der interessierenden Leistung wird für die Lead-Bewertung ein bestimmter Fragebogen verwendet. mySAP CRM umfasst hierfür eine Survey Suite mit einem Survey Builder zur Edition der Fragebögen sowie diversen Verwaltungsfunktionen. Externe Adressdaten werden zur Neukundengewinnung gekauft oder gemietet und über festgelegte Mapping-Regeln in ein benutzerdefiniertes Zielformat in das CRM-System importiert. Dabei lassen sich auch Informationen wie Herkunft, Typ, Anzahl der Daten-

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

89

sätze und das Feldtrennzeichen erfassen sowie die Nutzungsbedingungen und -kosten kontrollieren. Geschäftspartner (Zulieferer, Kunden etc.) können nach frei definierbaren Kriterien segmentiert werden. Die Segmentierung erfolgt anhand so genannter Marketingmerkmale, die zu Merkmalsgruppen zusammengefasst werden. Ziel der Segmentierung ist die Generierung homogener Kundengruppen. Diese sollen untereinander möglichst heterogen sein, um eine differenzierte Kundenansprache zu ermöglichen. Personalisierte Produktvorschläge sollen Verkaufsaktivitäten im Tele- und Internetvertrieb unterstützen. Zur Umsatzerhöhung werden sowohl Top-N-Produktlisten als auch Produktassoziationsregeln wie Cross-, Up- oder Down-Selling verwendet. Top-N-Listen sind dabei Produktlisten, die unter marketingstrategischen Gesichtspunkten als Verkaufsempfehlungen zusammengestellt wurden. Unter Down-Selling wird eine günstigere Alternative zu einem erstellten Angebot verstanden. Die mySAP CRM-Server-Applikationen zur Personalisierung von E-Mails beschränken sich auf die Erstellung von Textkomponenten mit Personalisierungsmerkmalen. Ein Kundenszenario definiert dabei, welche Marketingmerkmale zur Personalisierung von Anschreiben herangezogen werden können. Anhand der Merkmale steuern Bedingungen die Zusammenstellung der Komponenten zu einer Mail. Als Mailformate können Plain-Text, HTML, PDF oder Multi-MIME gewählt werden.

3.1.3 Sales Automation Der Vertrieb stellt die Schnittstelle zwischen Kunden und Unternehmen dar, welche die intensivste Beziehung zum Kunden aufbauen kann. Gerade in diesen Bereich werden daher die meisten Geschäftsvorgänge ausgeführt (Buck-Emden 2002). Eine Opportunity ist die erkannte Gelegenheit, ein Geschäft abschließen zu können. Sie beinhaltet nicht nur Informationen über den Interessenten, dessen Produkt- und Leistungswünsche u.ä., sondern auch über die geschätzte Auftragswahrscheinlichkeit. Mit der fortschreitenden Anbahnung des Geschäfts konkretisieren sich diese Informationen immer weiter und werden dokumentiert. Ein typischer Verkaufsvorgang stellt sich i.A. so dar, dass als Reaktion auf eine Anfrage ein Angebot erstellt wird und auf dieser Basis letztendlich ein Auftrag erstellt wird. Ein solcher ist die verbindliche Aufforderung eines Kunden an die Unternehmung, eine bestimmte Menge an Produkten oder Leistungen zu einem festgelegten Zeitpunkt zu erbringen. Eine wichtige Funktion bei der Auftragserstellung ist dabei die Verfügbarkeitsprüfung. Sie ermittelt, ob der vorhandene Lagerbestand die Forderungen des Kunden bedienen kann oder ob eine eventuell notwendige Nachlieferung bzw. Produktion rechzeitig erfolgen kann. Während der Auftragsbearbeitung erfolgt auch eine Kreditprüfung.

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Verkaufskontrakte sind Rahmenbedingungen für Verkaufsvorgänge, die für einen bestimmten Zeitraum gültig sind. Beispielsweise können Preise oder Mengen vereinbart werden. Unterschieden wird die Form des Mengenkontrakts, bei dem eine festgelegte Menge an Produkten abzunehmen ist, und der Wertkontrakt, bei dem durch den Kunden ein festgelegter Wert an Produkten umgesetzt werden muss. Die Vertriebsplanung ermöglicht neben der operativen Planung die Vertriebsaktivitäten mit den Unternehmenszielen abzustimmen. Durch eine kombinierte Top-Down/BottomUp-Planung werden Mengen und Erlöse, Vertriebs- und Marketingkosten sowie die Deckungsbeiträge nach Abzug der direkten Vertriebskosten und der Vertriebsgemeinkosten auf unterschiedlichen Aggregationsebenen berücksichtigt. Gemäß benutzerdefinierter Selektionskriterien zeigt der Aktionsmonitor eine Liste von Aktionen und deren Status (unverarbeitet, verarbeitet oder fehlerhaft) an. Aktionen können beispielsweise der Versand von Nachrichten, Verarbeitung von Folgebelegen und ähnliches sein. Es ist möglich, einzelne Aktionen aus der Liste auszuwählen und die Verarbeitung anzustoßen. Durch die Festlegung von Startbedingungen kann das System Aktionen auch automatisch als Hintergrundjob starten. Die Fakturierung lässt sich als das Erstellen von Kundenrechnungen für gelieferte Produkte und erbrachte Leistungen beschreiben. Im Fakturavorrat sind alle belieferten und teilbelieferten Positionen enthalten. Dabei werden eine oder mehrere Fakturapositionen in einen Fakturabeleg überführt. Die Verwaltung von variablen Vergütungsplänen erfolgt über die in SAP R/3 Enterprise eingebettete ICM-Engine (Incentive and Commission Management). Als Grundlage für variable Vergütungsprozesse können entweder Bewegungsdaten aus dem CRM-System (Kundenauftrag, Verkaufskontrakt oder Weiterverkauf) oder Daten aus dem SAP Business Information Warehouse (BW) herangezogen werden.

3.1.4 Service Automation Wichtigste Aufgabe des Service ist die Wahrung der Kundenzufriedenheit (Stauss/ Seidel 2002). Nicht zuletzt deswegen sind die Serviceapplikationen auf eine effiziente Bearbeitung und proaktive Vermeidung von Beschwerdevorfällen ausgerichtet. Serviceleistungen (z.B. Reparaturen, Wartungen etc.) werden im Gegensatz zu tangiblen Gütern nicht über den Vertrieb abgesetzt. Hierzu stehen spezielle Geschäftsvorgänge im Service zur Verfügung. Diese Servicevorgänge haben entweder Auftragscharakter oder dienen zur Erfassung einer Anfrage. Der Vorgangsmonitor ist ein ABAP-Programm (Advanced Business Application Programming = Programmiersprache von SAP) für die Listenanzeige von Servicevorgängen. Auf Grund der vereinheitlichten Bedienung von Listen im SAP-System, durch den SAP List Viewer, entspricht der Servicevorgangsmonitor in vielen Funktionen dem Aktionsmonitor.

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

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Ein Geschäftsvorgangsdatensatz enthält detaillierte Angaben zur benötigten Zeit, den ausgeführten Tätigkeiten und dem Material, das für eine Serviceaktivität verwendet wurde. In den Positionsdaten sind detaillierte Informationen zu jeder Position enthalten. Dazu zählen Einzelheiten zu verwendeten Ersatzteilen, der benötigten Arbeitszeit, der Störungsursache sowie den Tätigkeiten, die zur Lösung des Problems ausgeführt wurden. Beschwerden werden in mySAP CRM über einen Reklamationsbeleg erfasst und bearbeitet. Eine flexible Vorgangsgestaltung soll dabei gefährdete Geschäftsbeziehungen stabilisieren. Bei Materialproblemen müssen häufig Teile ausgetauscht oder ersetzt werden. Die Rückgabe von beschädigten oder defekten Produkten erfolgt über Retouren. Außer von Servicemitarbeitern vor Ort kann ein beschädigtes Produkt auch in der unternehmenseigenen Werkstatt repariert werden. Insbesondere umfangreichere Schadensanalysen und Einsätze von speziellem Gerät können oft nicht im Serviceaußendiensteinsatz durchgeführt werden. Hierfür muss im System der Vorgang Werkstattauftrag angelegt werden. Produktänderungsanweisungen bilden angeforderte Serviceleistungen im System ab. Die Serviceleistung bezieht sich auf Referenzobjekte (ein oder mehrere Produkte), die bereits einen Mangel aufweisen oder wahrscheinlich in absehbarer Zeit aufweisen werden. Dies kann zu Schäden und kostspieligen Reparaturen führen, die durch die rechtzeitige Durchführung einer Produktänderungsanweisung und der damit verbundenen Serviceleistung vermieden werden sollen. Serviceauftragsvorlagen beinhalten dabei die benötigten Ersatzteile und Fähigkeiten, die geschätzte Arbeitszeit, die notwendigen Werkzeuge sowie andere technische Instruktionen für die erfolgreiche Durchführung einer Produktänderungsanweisung. Sie dienen als Kopiervorlage für die Servicevorgänge, die aus Produktänderungsanweisungen resultieren. Serviceverträge sind langfristige Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Kunden über bestimmte Dienstleistungen, Ersatzteile und Zusatzprodukte. Ein Servicevertrag beinhaltet drei charakteristische Positionen (Serviceinformationen): ƒ Partner: Für wen sollen die Dienstleistungsvereinbarungen gelten? ƒ Serviceprodukte: Welche Leistungen beinhaltet der Servicevertrag? ƒ Konditionen: Welchen Preis bezahlt der Kunden für diese Absicherung? Servicepläne sind funktionale Erweiterungen von Serviceverträgen um Serviceplanpositionen. Die Terminierung der Positionen legt fest, wann eine periodisch wiederkehrende Serviceleistung (z.B. eine Wartung) zu erbringen ist. Ein Servicevorgang wird dann automatisch angelegt. Es wird zwischen prozessbezogener und ressourcenbezogener Fakturierung unterschieden. Die prozessbezogene Fakturierung berechnet einen Pauschalpreis für Ersatzteile und Leistungen. Die ressourcenbezogene Fakturierung fällt in Höhe der bestätigten

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Services und verbrauchten Materialien an. Pauschale und ressourcenbezogene Faktura können kombiniert werden. Durch die Identifizierung von Problemäquivalenten können automatisch Lösungen z.B. für eingehende Beschwerde-E-Mails vorgeschlagen werden. Eine Lösungsdatenbank bietet den Außendiensttechnikern und anderen Benutzern eine einfache Benutzeroberfläche für die Suche nach Problemen und Lösungen. Aber auch im Internet Customer Self-Service können sie als so genannte Frequently Asked Questions (FAQs) online gestellt werden. Die Einplanung der Humanressourcen z.B. zur Bearbeitung von Servicevorgängen erfolgt über die Einsatztafel. Der Ressourcenplaner prüft hiermit die Bearbeitung der Vorfälle. Servicerückmeldungen (Bestätigungen) erfassen verbrauchte Materialien und geleistete Dienste. Für ungeplante Dienstleistungen sind Servicerückmeldungen ohne Bezug zu einem Prozess anzulegen. Ein Audit ist im Sinne der DIN EN ISO 9000 eine systematische unabhängige Untersuchung, um festzustellen, ob qualitätsbezogene Tätigkeiten und damit zusammenhängende Ergebnisse so genannten Auditkriterien entsprechen und ob diese Qualitätsanforderungen tatsächlich verwirklicht und auch geeignet sind, die Ziele des Unternehmens zu erreichen. Die mySAP CRM-Lösung umfasst die Bereiche Auditplanung, -durchführung, -dokumentation und -auswertung. Ebenso sind Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen zum Audit Teil der Auditabwicklung.

3.2

Beispiel eines übergreifenden CRM-Prozesses

Aufgrund einer vorgenommenen Segmentierung wird bspw. für eine nach spezifischen Ausprägungen von Marketing-Merkmalen ausgewählte Kundengruppe eine neue Kampagne mit personalisierten E-Mails gestartet, für die Fragebögen zur besseren Kenntnis der Kundenbedürfnisse und -anforderungen entwickelt wurden. Nachdem einige Kunden die Fragebögen ausgefüllt haben, kann das Unternehmen deren „Spur“ (Lead) aufnehmen und diese potenziellen Kunden kontaktieren. Nach den spezifischen Antworten in den Fragebögen werden die Leads vom System automatisch z.B. über ScoringModelle (jeweils Gewichtung der einzelnen Fragen und Antwortmöglichkeiten bei den Fragebögen) als vielversprechend („heiß“) qualifiziert. Bei einer „heißen Spur“ wird der Vertrieb versuchen, die erkannte Gelegenheit (Opportunity) für eine Transaktion zu nutzen und potenzielle Kunden dazu gezielt zu kontaktieren. Bei Interesse eines möglichen Kunden wird diesem auf eine zuvor unverbindliche Anfrage i.d.R. nach einer Verfügbarkeitsprüfung in SAP R/3 oder SAP APO ein befristetes, rechtlich verbindliches Angebot über eine bestimmte Menge zu bestimmten Preisen unterbreitet. Nimmt der Kunde das Angebot an, so kann der Auftrag in mySAP CRM über den Außendienst, im Interaction Center, auf der Website oder über das Channel Management bzw. auch bei Bedarf in SAP R/3 im Modul Sales & Distribution (SD) erfasst werden. Je nachdem, in

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

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welchem System die Erfassung erfolgte, werden die Daten über die im Customizing eingestellte Belegverteilung auch an das andere System übertragen (siehe Abb. 7).

MySAP CRM

SAP R/3 Belegverteilung

Auftragserfassung

Auftragserfassung

Status Erfolgreiche Verteilung Verarbeitet

Lieferung

Kommissionieren Verpacken Lagermanagement

Komplett verarbeitet Transport

Fakturierung (CRM-Fakturierung)

oder

Transportplanung & -durchführung

Fakturierung

Abb. 7: Ablauf von Verkaufsvorgängen Quelle: SAP 2004

Bei Versandfälligkeit erfolgt die Abwicklung der Lieferung in SAP R/3. Dort muss im Modul SD die Auslieferung angelegt und die Ware kommissioniert und verpackt werden. Danach wird der Warenausgang vom Lager gebucht und der Transport geplant und durchgeführt. Die Fakturierung (Erstellen der Kundenrechnung) erfolgt normalerweise ebenfalls in SAP R/3 (mit Bezug zum Auftrag), wahlweise aber auch in mySAP CRM (mit Bezug zur Lieferung). Zwischen beiden Systemen wird der neue Status jeweils automatisch übermittelt, so dass die Vertriebsmitarbeiter dem Kunden immer Auskunft über den aktuellen Bearbeitungsstand geben können. Bei der lieferbezogenen Fakturierung in mySAP CRM wird die Faktura angelegt und die Rechnung an den Kunden gesendet. Dann erfolgt die Übergabe bzw. Freigabe für die Finanzbuchhaltung in SAP R/3, wo auch die spätere Zahlung gebucht wird. Zusätzlich zu den gekauften Produkten kann der Kunde bspw. auch noch einen Servicevertrag (z.B. über die Wartung der Produkte) abschließen. Später müssen eventuell Wartungsarbeiten, Reklamationen und Retouren, welche Reparaturen, monetäre Vergütungen oder die Lieferung von Ersatzprodukten nach sich ziehen können, bearbeitet werden. Im gesamten Bereich dieser Prozesskette bietet mySAP CRM viele neue Funk-

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Hajo Hippner, Onno Hoffmann, Udo Rimmelspacher, Klaus D. Wilde

tionalitäten (gerade im Bereich des Marketing und des Services) und Erweiterungen gegenüber dem „alten“ Modul SD des SAP R/3-Systems. Zusätzlich stehen bei Bedarf weitere Funktionen z.B. für die Branchen Pharma, High Tech, Leasing/Finanzen und Medien zur Verfügung, so dass beispielsweise auch Finanzierungsprodukte und -verträge (wie beim Leasing) und immaterielle Werte wie Rechte und Lizenzen (wie in der Medienbranche) informationstechnisch differenziert abgebildet und behandelt werden können.

4

Fazit

Bei der Realisierung eines CRM mit mySAP CRM ergeben sich u.a. folgende Vorteile: Alle Informationen aus den verschiedenen Systemen sind integriert, d.h. es gibt keine Redundanzen oder Inkonsistenzen zwischen den einzelnen Systemen (u.a. durch zahlreiche Tools der SAP AG zum Datenabgleich, Überprüfung des Datentransfers etc.). Auch sind weniger Schnittstellenanpassungen nötig, da bereits Adapter für die Anbindung vieler Systeme ausgeliefert werden. Beim Customizing von mySAP CRM und bei der Synchronisation zu SAP BW sowie SAP R/3 existieren Hilfen und Anleitungen wie z.B. der SAP Solution Manager, in welchen die einzelnen Customizing-Schritte detailliert beschrieben werden. Die konsequente Ausrichtung der operativen Geschäftsprozesse in mySAP CRM auf eine betriebswirtschaftliche Interaktion im Sinne des CRM zeigt sich in der Unterscheidung der Server-Applikationen in Geschäftsvorgänge und Funktionalitäten. Als Nachteil ist zu nennen, dass die Kosten aufgrund des größeren Funktionsumfangs, des aufwändigeren Customizing und der Pflege der Systemlandschaft und Schnittstellen meist höher sind als bei funktionalen Teillösungen.

Anmerkung [1] „SAP“, mySAP.com, SAP BW, SAP APO, mySAP CRM (und dessen einzelne Bestandteile) und alle im Text genannten mySAP- und SAP-Komponenten sind Marken der SAP Aktiengesellschaft Systeme, Anwendungen, Produkte in der Datenverarbeitung, Neurottstraße 16, D-69190 Walldorf. Die Autoren bedanken sich für die freundliche Genehmigung der SAP Aktiengesellschaft, das Warenzeichen im Rahmen des vorliegenden Titels verwenden zu dürfen. Die SAP AG ist jedoch nicht Herausgeberin des vorliegenden Titels oder sonst dafür presserechtlich verantwortlich.

IT-Unterstützung durch CRM-Systeme am Beispiel von mySAP CRM

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Literaturverzeichnis Buck-Emden, R. (2002): mySAP CRM – Geschäftserfolg mit dem neuen Kundenbeziehungsmanagement, Bonn. Buck-Emden, R.; Böder, J. (2004): Kundenbeziehungsmanagement mit SAP Branchenlösungen, Bonn. Hippner, H.; Hoffmann, O.; Rimmelspacher, U.; Wilde, K.D. (2005): Integriertes Customer Relationship Management am Beispiel von mySAP CRM, in: WISU, Nr. 8-9, S. 1061-1068. Hippner, H.; Rentzmann, R.; Wilde, K.D. (2006): Aufbau und Funktionalitäten von CRM-Systemen, in: Hippner, H.; Wilde, K.D. (Hrsg.): Grundlagen des CRM – Konzepte und Gestaltung, 2. Aufl., S. 45-74. Knolmayer, G.; Mertens, P.; Zeier, A. (2002): Supply Chain Management Based on SAP Systems, Berlin u.a. Leßweng, H.-P.; Lanninger, V.; Thome, R. (2004): Betriebliche Standardanwendungssoftware, in: WISU, Nr. 2, S. 219-227. Mehrwald, C. (2004): SAP Business Information Warehouse 3: Architektur, Konzeption, Implementierung, 2. Aufl., Heidelberg. SAP AG (2004): Schulungsunterlagen zu mySAP Customer Relationship Management, Walldorf. SAP AG (2005): Dokumentation für SAP Customer Relationship Management, Release SAP CRM 4.0 – Support Release 1, http://help.sap.com/saphelp_crm40sr1/ helpdata/de/1a/023d63b8387c4a8dfea6592f3a23a7/frameset.htm (Zugriff: 06.06.2005). SAP SI (2005): Informationsintegration im SAP APO, http://www.sap-si.com/de/ services/cross-industry/scm/apo/ (Zugriff: 06.06.2005). Schneider-Neureither, A. (2003): Optimierung von SAP-Systemlandschaften – Schneller ROI durch effiziente Systeme, Walldorf. Stauss, B.; Seidel, W. (2002): Beschwerdemanagement – Kundenbeziehungen erfolgreich managen durch Customer Care, 3. Aufl., München/Wien.

Hermann Diller

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg 1

Vorbemerkungen

2

Ökonomische Effekte des Beziehungsmarketing 2.1 Kundenbindung und Sicherheitsstreben 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5

Kundenbindung und Stabilität der Geschäftsbeziehung Kundenbindung und Informationsversorgung Kundenbindung und beziehungspolitischer Aktionsspielraum Kundenbindung und Vertrauensstärkung Konfliktäre Zielbeziehungen zwischen Kundenbindung und Sicherheit

2.2 Kundenbindung und Unternehmenswachstum 2.2.1 Wachstum durch Kundenpenetration 2.2.2 Wachstum durch Kundenempfehlungen 2.2.3 Negative Wachstumseffekte durch Kundenbindung 2.3 Kundenbindung und Gewinn 2.3.1 Kostensenkende Wirkungen der Kundenbindung 2.3.2 Kundenbindung und Erlössteigerungen 2.3.3 Bindungskosten 2.4 Zusammenfassung 3

Die Nachhaltigkeit des Beziehungsmarketing

Literaturverzeichnis

1

Vorbemerkungen

Die „Bedeutung“ eines Phänomens kann in der betriebswirtschaftlichen Analyse von ganz verschiedenen Perspektiven aus beleuchtet werden. Dies gilt auch für das Beziehungsmarketing (synonym: Customer Relationship Marketing, CRM), einem strategischen Marketingkonzept, bei dem der Markterfolg durch systematisches Management, d.h. Analyse, Planung, Organisation und Kontrolle individueller Kundenbeziehungen gesucht wird (Diller 1995, 2001). Im Gegensatz zum „Transaktionsmarketing“ (Plinke 1992) steht dabei nicht (nur) der kurzfristige Umsatzerfolg, sondern die Erschließung des gesamten, über den ganzen Kundenlebenszyklus hinweg realisierbaren Kundenwertvolumens im Mittelpunkt der Bemühungen (Cornelsen 2000; Günter/Helm 2001). Damit wird die Aufmerksamkeit auf eine erste mögliche Perspektive zur Erörterung der Bedeutung des Beziehungsmarketing gerichtet, nämlich die ökonomischen Wirkungen dieses Konzeptes. „Bedeutung“ entsteht danach durch große ökonomische Effekte, d.h. Verbesserungsmöglichkeiten betriebswirtschaftlicher Ziele, wie Gewinn, Wachstum und Sicherheitsstreben. Darauf gehen wir nachfolgend als erstes und am ausführlichsten ein, weil diese Perspektive der betriebswirtschaftlichen Aufgabenstellung von Effizienz und Effektivität am ehesten entspricht. Auf einen kurzen Nenner gebracht lautet die zu prüfende Frage: „Lohnt sich Beziehungsmarketing“? Wir versuchen sie im nachfolgenden ersten Hauptabschnitt zu beantworten. Daneben lässt sich die Bedeutung des Beziehungsmarketing aber auch aus einer eher deskriptiven, makroökonomischen bzw. wettbewerbsanalytischen Perspektive heraus überprüfen. Hierbei richtet sich die Aufmerksamkeit dann auf die Diffusion und Akzeptanz dieses Konzeptes in der Wirtschaftspraxis und die dabei erkennbaren Trends, denen sich die Anbieter in irgendeiner Weise stellen müssen. Darauf soll im Abschnitt 3 zumindest kurz eingegangen werden, um der Frage gerecht zu werden, ob es sich beim Beziehungsmarketing um eine nachhaltige Entwicklung handelt oder nur um eine Modeerscheinung. Schließlich könnte man die Bedeutung des Beziehungsmarketing auch aus organisatorischer Sicht getreu dem Motto „Structure follows Strategy“ analysieren und so die innerorganisatorischen Auswirkungen unter die Lupe nehmen. Aus Platzgründen muss darauf in diesem Beitrag verzichtet werden. Ohne Zweifel hat CRM aber bei konsequenter Realisierung nicht selten sogar drastische Veränderungen der innerbetrieblichen Prozesse und Schnittstellen sowie der eingesetzten Management-Methoden zur Folge, um das Ziel der strikten Kundenorientierung tatsächlich realisieren zu können (vgl. z.B. Homburg/Werner 1998).

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2

Hermann Diller

Ökonomische Effekte des Beziehungsmarketing

In diesem Abschnitt widmen wir uns der ökonomischen Bedeutung des Beziehungsmarketing. Es geht m.a.W. um eine betriebswirtschaftliche Analyse der von diesem Marketingkonzept ausgehenden Effekte auf ökonomische Zielgrößen. Grundsätzlich entstehen alle diese Effekte durch die im Wege des Beziehungsmarketing bewirkte bzw. angestrebte Kundenbindung. Kundenbindung stellt damit keinen Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Erreichung ökonomischer Ziele dar. Nachfolgend wird diskutiert, zu welchen dieser ökonomischen Ziele positive oder negative Zielbeziehungen bestehen. Es geht m.a.W. also gleichzeitig um die Wirkeffekte der Kundenbindung. Sie waren zumindest teilweise auch Gegenstand empirischer Untersuchungen, auf die im Folgenden zurückgegriffen wird. Für ein systematisches Beziehungsmarketing ist eine solche Diskussion auch deshalb notwendig, weil gezielte Aktivitäten von Unternehmen zur Erhöhung der Kundenbindung stets mit Kosten verbunden sind, denen man in einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung die jeweiligen Nutzeffekte gegenüberzustellen hat. Eine entsprechende quantitative Modellierung der Wirkungszusammenhänge ist dabei freilich noch selten möglich, weil es an entsprechenden empirischen Untersuchungen fehlt, anhand derer Stärke, Monotonie und Stetigkeit der Wirkungszusammenhänge überprüft werden könnten. Darüber hinaus ist der Einfluss moderierender Umstände, z.B. bestimmter Produkteigenschaften oder Marktseitenverhältnisse, auch theoretisch bisher kaum ausgeleuchtet. Die nachfolgenden Ausführungen sind deshalb eher als Strukturierung, denn als exakte Belegführung der Wirkungseffekte des Beziehungsmarketing zu verstehen. Wie in Abb. 1. im Überblick dargestellt, lassen sich hierfür grundsätzlich drei Zielsektoren, nämlich Sicherheit, Wachstum und Gewinn, unterscheiden (Diller 1996). Dabei lassen sich sowohl positive (komplementäre) als auch negative (konfliktäre) Zielbeziehungen aufdecken, die nachfolgend näher diskutiert werden sollen.

2.1

Kundenbindung und Sicherheitsstreben

Das Streben nach Existenzsicherung kann als prinzipiell dauerhaft angelegte und übergeordnete Zielsetzung der Unternehmensführung angesehen werden (vgl. Becker 1993, S. 26 ff.). Sie erfolgt durch die Absicherung sogenannter Erfolgspotentiale, die teilweise nicht unmittelbar quantitativ erfassbar sind (vgl. Sandig 1965, S. 105). Unstrittig zählt dazu auch der Kundenstamm, d.h. die Zugänglichkeit einer bestimmten Anzahl von Kunden. Zwischen der Kundenbindung und der Unternehmenssicherheit kann demnach eine vermutlich monotone Zielkomplementarität unterstellt werden. Sie beruht auf insgesamt vier Haupteffekten, die sich wiederum in mehrere Untereffekte aufgliedern lassen (vgl. Kap. 2.1.1 - 2.1.4).

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

101

2.1.1 Kundenbindung und Stabilität der Geschäftsbeziehung Kundenbindung ist als wiederholte Transaktion eines Kunden bei einem bestimmten Anbieter bzw. als entsprechende Wiederkaufabsicht definiert (Diller 1996, S. 82). Dabei kann es sich um eine freiwillige Verbundenheit (commitment) mit dem Anbieter und/oder um eine (z.B. durch Preisanreize oder Verträge) aufgedrängte Gebundenheit handeln (Bliemel/Eggert 1998). Gleich welche Form der Kundenbindung vorliegt, wird damit definitionsgemäß aus Vorperioden Umsatz wiederholt, ohne dass der Anbieter dafür entsprechende Akquisitionsbemühungen unternimmt.

MEHR SICHERHEIT

+

y mehr Stabilität der Geschäftsbeziehung - Habitualisierung - Immunisierung - Toleranz y mehr Feedback - Beschwerdebereitschaft - Auskunftsbereitschaft - Bereitschaft zur Mitarbeit y mehr Aktionsspielraum y mehr Vertrauen y Commitment - Inflexibilität

¯

y Trägheit

MEHR WACHSTUM

y bessere Kundenpenetration - Beschaffungskonzentration - Kaufhäufigkeit - Kaufintensität - Cross Buying y mehr Kundenempfehlungen - Adressenvermittlung - Referenzbereitschaft - Mund-zu-MundWerbung - Kundenvermittlung y einseitige Kundenstruktur y negative Mund-zu-MundWerbung

MEHR GEWINN / RENTABILITÄT

y Kosteneinsparungen - bessere Amortisation von Akquisitionskosten - Opportunitätskosten der Kundengewinnung - geringere Kundenbearbeitungskosten - effizientere Orderverfahren - geringere Streuverluste y Erlösesteigerungen - geringere Preiselastizität - Cross Selling-Erlöse y Bindungskosten - zurechenbare Kosten - zurechenbare Erlösminderungen

y Reaktanzgefahr

Abb. 1: Wirkungseffekte der Kundenbindung Habitualisierungseffekt Aus Kundensicht liegt eine erste mögliche Ursache für diesen Sicherungseffekt in zunehmender Habitualisierung des Einkaufsverhaltens. Da im Hintergrund dieses Habitualisierungseffektes das Entlastungsstreben der Kunden und das mit der Kaufentscheidung verbundene subjektive Kaufrisiko stehen, ist damit freilich nur für den Fall zufriedener Kunden mit positiver Einstellung zum jeweiligen Anbieter zu rechnen. Unfreiwillige oder zwangsläufige Formen der Kundenbindung, etwa bei ausschließlichem Abonnementvertrieb, müssen auf diesen Absicherungseffekt u.U. verzichten, sobald die vertragsrechtliche Bindung vorüber ist. Dies zeigt sich z.B. bei den Mobilfunk-Providern,

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die ihren Kunden bei Auslaufen des Vertrages stets neue Anreize (Handy, Gebührengutschriften o.ä.) anbieten müssen, um sie als Kunden zu behalten. Immunisierungseffekt Eine weitere Stabilisierung erhält die Geschäftsbeziehung zum gebundenen Kunden dadurch, dass Wettbewerbern weniger Gelegenheit zu Kontakten und Geschäften mit diesem geboten wird (Immunisierungseffekt). Je mehr ein Kunde seinen Bedarf bei einem bestimmten Anbieter A deckt, umso seltener kann er die Qualität und den Service der Wettbewerbsprodukte bzw. -anbieter "eigenhändig" verspüren und auf diese Weise zum Lieferantenwechsel verleitet werden. Habitualisiertes Kaufentscheidungsverhalten führt aber darüber hinaus auch zur Ausblendung von Informationsangeboten anderer Anbieter im Wege der selektiven Wahrnehmung. Freilich wird dieser Effekt durch das vermutlich individuell bedingte Ausmaß des sog. "Variety Seeking" moderiert (Helmig 1997). Grundsätzlich wird der positive Zusammenhang zwischen Kontaktbereitschaft und Kundenbindung dadurch jedoch nicht zerstört, sondern schlimmstenfalls nur abgeschwächt, wobei auch hier Zufriedenheit bzw. positive Einstellung zum Anbieter vorausgesetzt werden müssen. Toleranzeffekt Ein dritter Stabilisierungsfaktor für die Geschäftsbeziehungen ergibt sich aus der üblicherweise größeren Toleranz gebundener Kunden gegenüber Fehlern des Anbieters („Toleranzeffekt“). Erklärbar ist dies u.a. durch das Bemühen um Aufrechterhaltung der kognitiven Konsonanz des positiven Bildes vom Anbieter. Ein Anwendungsbeispiel für diesen Effekt findet man in der geschickten Umkehrung einer qualitätsbedingten Rückrufaktion, die den Kunden normalerweise negativ berühren müsste, in eine positiv empfundene Aktivität zur vollkommenen Zufriedenstellung des Kunden, der sich (bei entsprechender Ansprache) umso stärker umsorgt fühlt (vgl. Fischer 2002). Die Stabilisierung der Geschäftsbeziehungen ist in einer Zeit zunehmender Wettbewerbsintensität von besonderer unternehmenspolitischer Bedeutung. Einerseits steigen in solchen Phasen die Bemühungen der Wettbewerber um die Abwerbung von Kunden bei anderen Anbietern, andererseits wird die Erreichung genau dieses Ziels bei stärker gebundenen Kunden immer schwieriger. Insofern können Wettbewerber von dem Versuch ferngehalten werden, gezielt auf die Destabilisierung von Geschäftsbeziehungen des eigenen Unternehmens hinzuarbeiten. Die Wirksamkeit des Stabilisierungseffekts stammt also nicht nur vom gebundenen Kunden selbst, sondern auch von dem darauf abgestimmten Wettbewerbsverhalten der Konkurrenten.

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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2.1.2 Kundenbindung und Informationsversorgung Mehr Festigkeit kann der Kundenbindung nicht nur im Wege des Wiederkaufs, sondern auch im Wege einer besseren Informationsversorgung über Kundenbedürfnisse und Marktverhältnisse verliehen werden. Auch hierbei lassen sich drei Untereffekte unterscheiden: Größere Beschwerdebereitschaft Schon Hirschman (1970) hatte mit seiner bekannten Dreiteilung möglicher Kundenreaktionen in „Exit“, „Voice“ und „Loyalty“ deutlich gemacht, dass Unzufriedenheit auf seiten der Kunden einem Anbieter u.U. gar nicht bekannt wird, weil unzufriedene Kunden abwandern ("Exit“), während gleichzeitig neue Kunden deren Umsätze kompensieren. "Widerspruch" („Voice“) ist als grundsätzliche Kundenreaktion umso eher zu erwarten, je aussichtsreicher diese vom Kunden eingeschätzt wird. Da für gebundene Kunden mehr auf dem Spiele steht als für ungebundene, dürfte bei ihnen der Feedback zum jeweiligen Anbieter stärker ausfallen. Statt dann ohne Kenntnis der Kundenprobleme die alte Politik weiterzubetreiben, kann der Anbieter in diesem Fall aktiv gegensteuern und damit sogar zusätzliches Vertrauen beim Kunden gewinnen, wenn dieser das Bemühen um optimale Bedienung seitens des Lieferanten anerkennt (vgl. Stauss/ Seidel 2002, S. 74 ff.). Auskunftsbereitschaft Über eine aktive Bereitschaft zur Beschwerde hinaus sind gebundene Kunden auch eher bereit, auf Anfragen des Anbieters hinsichtlich Zufriedenheit, Verbesserungsmöglichkeiten und anderen marketingpolitisch relevanten Tatbeständen Auskunft zu geben. Insofern erleichtert Kundenbindung Marktforschung und verbessert deren Zuverlässigkeit (vgl. Adamson 1993). Besonders wichtig ist dieser Umstand bei noch nicht vollständig ausgereiften, innovativen Leistungsangeboten sowie bei individuell zugeschnittenen Problemlösungen, die zunehmend an Marktbedeutung gewinnen. Ein extremes Beispiel für die Aktivierung dieses Effektes stellt das sogenannte Lead-User-Konzept dar, bei dem ausgewählte Kunden in enger Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Lieferanten die Vor- und Nachteile von Innovationen erproben (von Hippel 1988, S. 102 ff.). Mit zunehmender Bedeutung des Benchmarking gewinnt dieser Effekt an Wichtigkeit, weil der Kunde u.U. nicht nur über unmittelbar mit dem Kauf verbundene Aspekte Auskunft geben kann, sondern darüber hinaus auch über Umstände aus seinem eigenen Geschäftsbetrieb, die für den Lieferanten von Interesse sein können. Bereitschaft zur kreativen Mitarbeit Mit derartigen Informationspartnerschaften wird häufig schnell ein Punkt erreicht, wo der Kunde nicht nur als passiver Informationsüberbringer, sondern darüber hinaus auch als aktiver Mitdenker und kreativer Partner für den Anbieter nutzbringend wird. Viele

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Unternehmen nutzen dies z.B. bereits im Wege von sogenannten Kundenforen oder Kundenarbeitskreisen, bei denen über Verbesserungen der eigenen Absatzpolitik mit den Kunden gesprochen werden kann. Die Bereitschaft hierzu wird seitens der Kunden umso größer sein, je stärker diese sich an den jeweiligen Anbieter gebunden fühlen. Der Grund dafür liegt erstens in dem Umstand, dass Verbesserungen des Anbieters diesem Kunden unmittelbar zugute kommen und der Kunde sich durch eine Einbindung in die Entscheidungsprozesse des Anbieters möglicherweise auch herausgehoben sowie in besonderem Maße umsorgt fühlt, was wiederum seine eigene Einstellung bestätigt und kognitive Konsonanz aufbaut. Insgesamt wird der Feedback-Effekt der Kundenbindung umso stärker ausfallen, je mehr die Bindung auf einer positiven Einstellung zum Anbieter bzw. einer entsprechenden Zufriedenheit mit ihm aufbaut. Der Effekt wird angesichts wachsender Reserviertheit vieler Kunden gegenüber einer nicht selten überhandnehmenden Zahl echter und unechter Befragungen und wachsender Bedenken angesichts des Datenschutzes zunehmend wichtiger. Von generell größerer Bedeutung ist der Feedback-Effekt ferner für Unternehmen mit indirektem Vertrieb, da dieser den Marktkontakt stark beeinträchtigt. Nicht selten ist es den Lieferanten dabei gar nicht möglich, Endkunden bzw. Nutzer eigener Produkte zu identifizieren und für Marktforschungszwecke anzusprechen, weil der Kundenkontakt über Absatzmittler erfolgt.

2.1.3 Kundenbindung und beziehungspolitischer Aktionsspielraum Kundenbindung entwickelt sich in aller Regel nicht stillschweigend, sondern unter dem Einfluss aktiver Bemühungen des Anbieters um Interaktion mit dem Kunden. KundenEvents, Kunden-Clubs, Kunden-Foren oder Dialogkettenkonzepte im Direkt-Marketing sind Beispiele dafür, wie Unternehmen die Nähe zum Kunden suchen. Dies gelingt umso besser, je enger diese bereits an den Anbieter angebunden sind. Insofern birgt Kundenbindung einen selbstverstärkenden Erfolgseffekt in sich, weil mit ihr zusammen auch die Möglichkeiten und Erfolgswahrscheinlichkeiten für bestimmte Kundenbearbeitungsaktivitäten steigen. Beispielsweise besitzt ein gemeinsames Projektteam aus Lieferant und gewerblichem Abnehmer erst dann Erfolgsaussichten, wenn bereits eine gewisse Vertrauensbasis existiert, von der aus die notwendige Offenheit und Vertraulichkeit kooperativer Schritte möglich sind. Ähnliches gilt für Kontaktketten, die umso vielfältiger ausgestaltet werden können, je mehr Informationen über den Kunden vorliegen, was wiederum eine gewisse Kundenbindung voraussetzt. Beispielsweise wird der Kunde persönliche Daten und Präferenzen einem anonymen Anbieter zögerlicher vermitteln als einem vertrauten.

2.1.4 Kundenbindung und Vertrauensstärkung Gerade der letztgenannte, aber auch die vorher erläuterten Effekte machen deutlich, dass ein Zuwachs an (freiwilliger) Kundenbindung i.d.R. mit einem Zuwachs an Ver-

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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trauen einhergeht. Dieses Vertrauen bildet wiederum die Basis für die Festigung und Vertiefung der Beziehungen in der Zukunft ("Vertrauensspirale"), so dass dem Sicherheitsziel durch Kundenbindung auch langfristig Rechnung getragen wird (vgl. z.B. Doney/Cannon 1997). Die sich im Laufe der Zeit aufbauende Vertrauensbasis ist gleichzeitig eine der Voraussetzungen für das Wirksamwerden der in den nachfolgenden Abschnitten behandelten Wachstums- und Rentabilitätseffekte.

2.1.5 Konfliktäre Zielbeziehungen zwischen Kundenbindung und Sicherheit Flexibilitätseinbußen Bei aller Hervorhebung der komplementären Zielbeziehungen zwischen Kundenbindung und Sicherheitsstreben von Unternehmen darf nicht übersehen werden, dass daneben auch Zielkonflikte auftreten können. So erfordert gerade der zuletzt erläuterte Vertrauenseffekt i.d.R. ein stärkeres Commitment auch des Anbieters selbst, der dadurch u.U. Flexibilitätseinbußen hinnehmen muss. Beispielsweise ist es häufig schwierig, neue Kundenbeziehungen mit Wettbewerbern von bisherigen Kunden aufzubauen, wenn letztere sich dadurch diskriminiert fühlten. Dadurch kann auf Veränderung in der Marktbedeutung bestimmter Kundenkreise (z.B. bestimmter Handelskanäle) nicht hinreichend reagiert und ein langfristig unumgänglicher Strukturwandel u.U. unnötig verzögert werden. Insofern erscheint es durchaus folgerichtig und im Sinne einer systematischen Kundenportfolio-Politik, wenn neuerdings im Rahmen des Beziehungsmarketing auch die Auflösung von Geschäftsbeziehungen als relevantes Aufgabenfeld behandelt wird (Fischer/Schmöller 2001). Veralterungseffekt Ein weiterer negativer Effekt kann darin gesehen werden, dass die Unternehmung zusammen mit ihren an sie gebundenen Kunden "altert" und zu träge wird, um neue Kundenpotentiale zu erschließen. Deutlich wird dieser Veralterungseffekt gelegentlich im Verlagsgeschäft, wo manche Zeitschriften (z.B. "BRIGITTE") mit ihren eng angebundenen Leserschaften gemeinsam veralteten und entsprechende Umsatzeinbußen hinnehmen mussten. Reaktanzeffekte Ein dritter Zielkonflikt könnte sich dann auftun, wenn die Kunden auf die Bemühungen um ihre Anbindung an das Unternehmen mit Reaktanz reagieren und damit statt besser weniger an das Unternehmen angebunden werden können (Diller 2000). Da mit der Kundenbindung die Autonomie des Kunden bewusst oder unbewusst eingeschränkt werden soll und Reaktanz definitionsgemäß gerade in solchen Fällen auftritt, ist diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen.

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Ähnlich verhält es sich, wenn sich durch die bevorzugte Behandlung bestimmter Kundenkreise andere Segmente der Kundschaft diskriminiert fühlen. Dies kann z.B. bei VIP-Clubs, Lead-Userships o.ä. Formen der Kundenbindung der Fall sein. Insgesamt erscheint Kundenbindung aber trotz der durchaus auch vorhandenen Zielkonflikte als ein hervorragendes Instrument, um den Sicherheitsbedürfnissen vieler Unternehmen in einer Zeit turbulenter Marktverhältnisse und sinkender Spielräume bei der Neukundenakquisition entgegenzukommen.

2.2

Kundenbindung und Unternehmenswachstum

Für viele Unternehmen ist Wachstum – gemessen am Absatz oder Umsatz – notwendige Voraussetzung zum Überleben und zur Erleichterung der Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. In Perioden expandierender Gesamtmärkte kann dieses Wachstum relativ leicht aus dem Absatzzuwachs durch neue Kunden und durch Konsumintensivierung geschöpft werden. In Zeiten der Marktstagnation, die für viele Konsum- und Investitionsgütermärkte der Gegenwart charakteristisch ist, entfällt dieses Potential. Insofern verwundert es nicht, dass viele Unternehmen ihre Wachstumsstrategien verändern und der Kundenstammpflege größere Bedeutung im Vergleich zur Neukundenakquisition beimessen. "Kundenstamm-Marketing richtet spezifische Leistungen der Unternehmung auf bestehende Kunden aus, um Beziehungen und geschäftliche Transaktionen mit ihnen fortzusetzen, zu erweitern und zu vertiefen." (Belz 1989, S. 286). Die Diskussion um die Kundenbindung hat gezeigt, dass es hierbei keineswegs nur um defensive Zielsetzungen geht, sondern Kundenbindung auch Umsatzzuwächse erzeugen kann. Zwei grundsätzlich mögliche Wachstumsquellen hierfür sind die bessere Kundenpenetration einerseits und die Ausweitung des Kundenstamms durch Kundenempfehlungen andererseits.

2.2.1 Wachstum durch Kundenpenetration Unter Kundenpenetration soll hier die Ausschöpfung des kundenspezifischen Absatzbzw. Umsatzpotentials durch einen bestimmten Anbieter verstanden werden. Einfluss darauf nehmen ƒ das Ausmaß der Beschaffungskonzentration des Kunden bei diesem Anbieter, ƒ die Nutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung der Kaufintensität des Kunden sowie ƒ die Abschöpfung der Absatzchancen in anderen Produktbereichen (CrossSelling) und ƒ der Umsatzpotentiale wegen höherer Preise. Auf die Preisspielräume soll allerdings erst im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden.

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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Abb. 2 macht den Penetrationseffekt der Kundenbindung an einem fiktiven Beispiel deutlich: Konzentriert der Kunde seine Einkäufe bei einem Anbieter, hier A, so gewinnt dieser Marktanteile gegenüber den Wettbewerbern dazu. Im Falle des sog. single sourcing kann er sogar den Gesamtabsatz des Kunden auf sich vereinen. Darüber hinaus entsteht Wachstum aber auch durch den Anstoß zu häufigeren und intensiveren Käufen. Deutlich wird dies etwa an Instrumenten wie der Bahncard, die manche Kunden dazu verleiten mag, häufiger zu reisen oder längere Reisen anzutreten. Ähnlich verhält es sich bei Mitgliedern in Bonusprogrammen wie Miles & More, die durch den häufigeren Kontakt mit entsprechenden Angeboten zu häufigeren oder teureren Käufen bewegt werden können. Dies ist auch Hintergrund des sog. Permission Marketing, mit dem mit expliziter Erlaubnis des Kunden dieser regelmäßig über bestimmte Angebote und Serviceleistungen eines Anbieters informiert wird, was Kaufanstöße auslöst. Ein spezieller Aspekt steigernder Kaufhäufigkeit ist darin zu sehen, dass bei engerer Kundenanbindung auch die Entsorgung von Produkten durch den Anbieter selbst erfolgen kann, was sowohl Image- als auch Umsatzpotentiale in sich birgt. Bei vielen Unternehmen bietet es sich darüber hinaus an, die bestehenden Kundenkontakte für den Absatz bisher nicht oder nur schwach vertriebener Produkte aus dem eigenen oder speziell für diesen Kunden als Handelsware angebotenen Produkten zu nutzen. Der Kundenpenetrationseffekt gewinnt zusätzlich an Reiz, wenn man bedenkt, dass die Wiederkaufwahrscheinlichkeit gebundener Kunden ex definitione höher ist als jene ungebundener Kunden. Insofern beziehen sich dann die in Abb. 2 nur für eine Periode dargestellten Anteile nicht nur auf eine Betrachtungsperiode, sondern auf den sog. Lebensumsatz mit dem Kunden (CLTV = Customer Life-Time-Value). Darunter ist die Summe der im Laufe einer kundenspezifischen Geschäftsbeziehung getätigten Umsätze (bzw. Deckungsbeiträge) zu verstehen. Die frappierende Vernachlässigung der aus einer solchen Kundenbindung stammenden Umsatzzuwachspotentiale ist nicht zuletzt dadurch zu begründen, dass die dem Vertrieb gewohnten Anforderungen und psychologischen Ausgangssituationen bei der Stammkundenbetreuung gänzlich anders ausfallen als bei der Neukundenakquisition. "Bei Stammkunden ist der Zugang leichter, das Erfolgsrisiko gering, aber die Bereitschaft, Außergewöhnliches zu leisten, sinkt." (Belz 1989, S. 286). Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass vor allem Letztverbraucher nicht selten eine eigenständige Motivation zum Wechsel der Anbieter in sich tragen ("Variety seeking"). Vor allem im Industriegütersektor steht einer tiefen Kundenpenetration ferner das Unabhängigkeitsstreben der Abnehmer gegenüber, die sich nicht durch zu starke Konzentration ihrer Einkäufe von einem Anbieter all zu sehr abhängig machen wollen. So haben z.B. Befragungen industrieller Einkäufer gezeigt, dass die Verbreitung des single sourcing in der Praxis weit weniger groß ausfällt als es die intensive Propagierung dieses Konzeptes vermuten läßt (vgl. Homburg 1995).

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unausgeschöpftes Absatz-Potential

höhere Preise Cross Buying Kaufintensität Kaufhäufigkeit Käufe bei D

Käufe bei D

Käufe bei C

Beschaffungskonzentration

Käufe bei B

Käufe bei A Käufe bei A

ungebundener Kunde

gebundener Kunde

Abb. 2: Wachstumseffekte durch Kundenbindung und Kundenpenetration Einen Eindruck von den Größenordnungen, Unterschieden und damit auch den Potentialen bei der Kundenpenetration in der Konsumgüterpraxis gibt Abb. 3. Sie zeigt (Stand 1998) die auf Basis von Paneldaten ermittelten sog. Erstmarken- bzw. Erstladentreue für verschiedene Waren- bzw. Ladengruppen. Gemeint sind damit jene Kaufanteile, welche die Panelhaushalte auf ihre jeweils am meisten präferierte Marke bzw. Einkaufsstätte verwenden (Goerdt 1999, S. 67). Auch in der Industriegüter-Praxis verfügt man häufig über recht gute Vorstellungen von der Höhe des kundenspezifischen Umsatzpotentials (z.B. auf der Basis von Verbrauchskoeffizienten) und – etwa aufgrund von persönlichen Außendienstkontakten mit dem Kunden – über die diesbezügliche Potentialausschöpfung. Solange derartige Kenngrößen jedoch nicht regelmäßig in das Marketinginformationssystem einfließen, wird ein entsprechendes Controlling gar nicht angeregt bzw. vermisst.

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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75% Eiscreme

Sauerkraut

Ersteinkaufsstättentreue

Einkaufsstättentreue stärker

Spülmittel Waschmittel

70% Konfitüre Sekt Zahncreme 65%

Kaffee Markentreue stärker

60% 60%

65%

70%

75%

Erstmarkentreue

Abb. 3: Erstmarken- und Ersteinkaufsstättentreue in verschiedenen KonsumgüterWarengruppen Quelle: Goerdt 1999, S. 67

2.2.2 Wachstum durch Kundenempfehlungen Ein weiterer, in seiner Bedeutung oft unterschätzter Wachstumseffekt der Kundenbindung erwächst aus dem Referenzeffekt der Kundenbindung (vgl. hierzu ausführlich: Cornelsen 2000). Dieser liegt darin, dass gebundene Kunden aufgrund ihrer besseren Kenntnis des Anbieters, ihrer aus der Produktnutzung stammenden Produktexpertise und ihrer höheren Glaubwürdigkeit als Privatpersonen oder Berufskollegen bevorzugt als Meinungsführer und als Informationsquelle und Kaufinitiatoren bei bisher unerschlossenen Kundenkreisen fungieren. Es lässt sich dabei ein aktives und ein passives Empfehlungsverhalten unterscheiden. Aktive Kundenempfehlung liegt vor, wenn der Kunde von sich aus, d.h. im wesentlichen eigeninitiiert, in seinem privaten und/oder geschäftlichem Umfeld über die Vorzüge eines Produktes bzw. dessen Anbieters berichtet. Voraussetzungen für diese aktive Referenz sind einerseits ein gewisses Involvement, d.h. eine Interesse am jeweiligen Produktfeld und eine dadurch bedingte Fachkompetenz einerseits, und eine das übliche Maß überschreitende Zufriedenheit mit dem Produkt bzw. Anbieter andererseits. Dies wird auch durch die Umfrageergebnisse des deutschen Kundenbarometers belegt, bei denen "überzeugte Kunden" in erheblich höhe-

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rem Maße als nur zufriedene oder gar enttäuschte Kunden dazu bereit waren, bestimmte Marken an Freunde oder Bekannte weiter zu empfehlen. Die Chance, durch Weiterempfehlungen zur Ausweitung des Kundenstamms zu gelangen, ist von vielerlei Einflussfaktoren abhängig, die insbesondere in der Theorie der Meinungsführerschaft ausführlich erörtert und diskutiert werden (vgl. z.B. Beba 1992; Brüne 1989). Wichtig erscheint uns der Umstand, ob es sich um ein sog. Vertrauensgut handelt, bei dem die Qualitätsbeurteilung im wesentlichen auf der Vertrauenswürdigkeit des Anbieters selbst oder eben auf bestimmten Referenzen vertrauenswürdiger Ersatzpersonen beruht. Demgegenüber spielen Empfehlungen bei Such- und – in abgemilderter Form – bei Erfahrungsgütern eine geringere Rolle. Höhere Relevanz dürften Kundenempfehlungen auch dort spielen, wo dem Weiterempfehler mit seiner Empfehlung direkt oder indirekt eine materielle oder immaterielle Gratifikation zuwächst. Dies ist beispielsweise bei Versicherungen der Fall, wo die Versicherungsgemeinschaft durch Zuwachs "guter", d.h. risikoarmer Kunden, gestärkt wird. Eine andere Gratifikation liegt u.U. darin, dass der Empfehler mit seinen Empfehlungen an Kompetenz und Ansehen gewinnt. Insofern kann in bestimmten Fällen auch mit einem Selbstverstärkungseffekt hinsichtlich der Kundenbindung gerechnet werden, weil sich der Kunde mit seiner Weiterempfehlung sozusagen selbst ins Obligo setzt.

2.2.3 Negative Wachstumseffekte durch Kundenbindung Einen negativen Einfluss auf das Wachstum kann die Kundenbindung insofern erzeugen, als durch sie eine einseitige Kundenstruktur gefördert wird. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn durch Empfehlungen der Kundschaft der Kundenkreis stets in alten Schichten der Bevölkerung verbleibt und auf die Erschließung neuer, insbesondere junger, nachwachsender Kunden weniger Wert gelegt wird. Insbesondere dort, wo die Produktleistungen stark an die Kundeneigenschaften angepasst werden, etwa bei Zielgruppenzeitschriften, kann es sogar zu gewissen Isolationseffekten kommen. Diese bieten zwar einerseits große Immunisierungspotentiale, andererseits aber auch die Gefahr der zunehmenden Veralterung des Angebotsprogramms gemeinsam mit der Kundschaft (s.o.). Als weiterer Negativeffekt enger Kundenbindung auf das Wachstum kann die Gefahr gewertet werden, dass negative Ereignisse, z.B. wenig gelungene Produktinnovationen oder Produktfehler, durch negative Mund-zu-Mund-Werbung auch schneller weiterkommuniziert werden als im Falle einer ungebundenen Kundschaft. Dies wird freilich nur dann der Fall sein, wenn die Toleranzschwelle für Negativerfahrungen überschritten wird (s.o.). In der Natur der Sache liegt es schließlich, dass durch die Ausschöpfung von Kundenpenetrationspotentialen Spielraum für zukünftiges Wachstum verloren geht. Möglicherweise sind diese Umsatzreserven in künftigen Perioden für eine Unternehmung jedoch lebenswichtiger als in der gegenwärtigen. Andererseits steigt mit der Nichtausschöp-

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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fung dieser Potentiale aber die Gefahr des Zugriffs von Wettbewerbern. Darüber hinaus sinken die Erfolgschancen, weil der positive Selbstverstärkungseffekt einer freiwilligen Kundenbindung in die Zukunft hinein vom jeweiligen Anbieter nicht hinreichend ausgenutzt werden kann. Insgesamt überwiegen die komplementären Zielbeziehungen zwischen Kundenbindung und Wachstum die konfliktären deutlich. Dies gilt um so mehr, wenn man auch die Negativeffekte ungebundener Kunden in die Betrachtung mit einbezieht, die im Wege negativer Mund-zu-Mund-Werbung entstehen können.

2.3

Kundenbindung und Gewinn

Neben stabilitäts- und wachstumssteigernden Wirkungen kann die Kundenbindung auch direkte Gewinn- bzw. Rentabilitätssteigerungen zur Folge haben, indem sie dazu beiträgt, komparative Kosten der Kundenbearbeitung zu senken und/oder kundenspezifische Erlöse zu steigern. Andererseits gilt es demgegenüber, die spezifischen Kosten aufzurechnen, die im Wege spezieller Maßnahmen der Kundenbindung entstehen.

2.3.1 Kostensenkende Wirkungen der Kundenbindung Komparative Kostenersparnisse sind zunächst dadurch möglich, dass spezielle Kosten der Kundenakquisition vermieden werden, wenn an die Stelle von Neukundenumsätzen solche bereits vorhandener Kunden treten. In diesem Falle entstehen Opportunitätsgewinne, deren Höhe leicht unterschätzt werden kann, weil die Kosten der Kundenakquisition selten detailliert ausgewiesen werden. Hierbei handelt es sich z.B. um die Kosten für – oft sehr zeitaufwendige – Kundenbesuche und den in solchen Fällen ebenfalls deutlich höheren Vorbereitungszeiten (aufgrund größerer Ungewissheit und fehlender Daten), aber auch um Kosten für kundenspezifische Investitionen, z.B. Muster, spezifische Produktentwürfe, notwendige Vorleistungen für die Ingangsetzung der Geschäftsbeziehung (Informationsvernetzung, Logistik etc.) und andere spezifische Investitionen. Je länger eine Geschäftsbeziehung andauert, um so mehr verteilen sich derartige Anlaufkosten auf die nachfolgenden Geschäftstransaktionen und entlasten insofern die Kalkulation. Gebundene Kunden erlauben es im übrigen u.U., die eigenen Aktivitäten zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes zu reduzieren, weil der Kunde selbst aktiv wird, wenn er Bedarf verspürt. Insofern sind auch laufende Kosten der Kundenbearbeitung einsparbar, wenn die Kundenbindung ein gewisses Ausmaß erreicht hat. Ähnliche Wirkungen gehen von effizienteren Orderverfahren aus, die bei gebundenen Kunden möglich sind. Ein Beispiel dafür ist die elektronische Anbindung von Kunden, etwa im Bankgeschäft oder im B2B-Bereich via EDI, aber auch schon die überflüssige Eingabe von Kundenmerkmalen durch Rückgriff auf entsprechende Kundendatenban-

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ken. Dies gilt aber auch im B2C-Geschäft für elektronische Bestellplattformen oder EShops, an die der Kunde bei der erstmaligen Nutzung so angebunden wird, dass auch für ihn die künftigen Bestellungen einfacher und bequemer werden. Ein größerer Anteil von Stammkunden kann darüber hinaus auch zur Einsparung von Werbekosten beitragen, weil gebundene Kunden in aller Regel im Wege der Direktwerbung ansprechbar sind, bei der weit weniger Streuverluste auftreten als bei ungebundener Kundschaft. So kann z.B. im Geschäft der Seminarveranstalter eine gute Kundendatenbasis dazu beitragen, dass bei entsprechender Selektion der vorhandenen Adressdaten die Erfolgswahrscheinlich einer Kundenreaktion auf über 10% steigt, während sie bei unselektierter Anwendung oft bei unter 1% liegt. Naturgemäß hängen die Einsparpotentiale sehr stark von der Art der Kundenbindung, der in der jeweiligen Branche üblichen Art der Kontaktaufnahme und anderen situativen Faktoren ab. Eine generelle Angabe von Einsparpotentialen erscheint deshalb nicht möglich.

2.3.2 Kundenbindung und Erlössteigerungen Unmittelbar gewinnwirksam wird die Kundenbindung auch insofern, als sie häufig die Preiselastizität der Nachfrager mindert. Dies kann einerseits ein direkter Effekt des Ausschlusses bestimmter Wettbewerber vom Geschäft, aber auch indirekte Wirkung geringerer Informationsbemühungen und größerer Zufriedenheit sein. Insofern zeigt sich aber hier bereits die Zweischneidigkeit einer preispolitischen Diskriminierung gebundener Kunden, die langfristig die Basis der Kundenbindung u.U. erodieren lässt. Überzeugende empirische Belege für die höhere Preisbereitschaft gebundener Kunden stehen bisher aus. Vermutlich verbinden sie sich auch mit Effekten des Upselling (Verkauf höherwertigerer Produktvarianten und/oder added values) auf Grund besserer Kundenkenntnis. Wichtiger erscheinen deshalb als erlössteigernde Effekte die möglichen cross sellingUmsätze, auf die im Rahmen des Abschnitts 2.2.1 bereits hingewiesen wurde. Auch hier sind generelle Aussagen über Ausmaß und relative Bedeutung dieser Effekte kaum möglich, da sie von vielfältigen branchenspezifischen, unternehmensindividuellen und kundenabhängigen Merkmalen bedingt werden.

2.3.3 Bindungskosten Kostensenkungen und Erlössteigerungen stehen auf der anderen Seite speziellen Kosten der Kundenbindung gegenüber. Diese können z.B. in entsprechenden kommunikativen Aktivitäten, Kosten der spezifischen Produktanpassung, speziellen Investitionen in den Geschäftsverkehr oder in vergünstigten Preisen für gebundene Kunden begründet sein. Kostenträchtig und fixkostensteigernd sind insb. Investitionen in Kundendatenbanken bzw. -warehouses, Call Center, Kundenclubs oder ähnliche Marketingtools, die als

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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Kundenplattform fungieren und die spezifische Ansprache besonders wertvoller Kunden ermöglichen. In all diesen Fällen handelt es sich zunächst um Vorlauf-Investitionen, die sich erst über den Kundenlebenszyklus hinweg amortisieren können. Als Warnzeichen muss auch angesehen werden, dass es viele Unternehmen der New Economy in der heißen Phase des E-Commerce-Hypes (1998-2001) nicht schafften, so viel Kundenbindung aufzubauen, dass die hohen Werbeinvestitionen in die Neukundengewinnung amortisiert werden konnten. Reichheld/Schefter (2000) stellten diesbezüglich in drei Branchen fest, dass zwischen 20 und 60% der erstmals gewonnenen Kunden dem jeweiligen Anbieter wieder wechselten, bevor die Werbekosten pro Neukunde durch entsprechende Deckungsbeiträge aus Verkäufen wieder eingespielt waren (vgl. Abb. 4).

Bekleidung Lebensmittel Consumer-Electronics 0

20

Akquisitionskosten/Kunde ($)

40

60

80

100

Kundenverlust vor BEP (%)

Abb. 4: Kundenbindungs(miss)erfolge in der New Economy Quelle: Reichheld/Schefter 2000

2.4

Zusammenfassung

Die in diesem Abschnitt diskutierten ökonomischen Wirkungen eines auf Kundenbindung ausgerichteten Beziehungsmarketing stellen naturgemäß keine „automatischen“ Effekte, sondern lediglich Potentiale dar, die es in jedem Einzelfall jeweils unternehmens- und marktspezifisch zu erschließen gilt. Die diesbezüglich Anfang der 90er Jahre insbesondere von Reichheld/Sasser propagierten Erfolge, die darauf hinausliefen, dass gebundene Kunden sieben mal produktiver seien als immer wieder neue Kunden, erwiesen sich dabei nicht selten als all zu optimistisch bzw. auf einer nicht repräsentativen Stichprobe dieser Berater stammend. Wie Abb. 5 deutlich macht, basierte diese Einschätzung zu großen Teilen auf Effekten der Kundenpenetration, sinkender Transaktionskosten sowie auf Erlössteigerungen durch Kundenreferenzen. Offenkundig können diese Effekte nicht immer und überall so stark realisiert werden, wie in den untersuchten Beratungsfällen der Autoren.

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Erträge aus höheren Preisen Erträge aus Kundenreferenzen Erträge aus niedrigeren Transaktionskosten Erträge aus größerer Kundenpenetration und Cross Selling Basis-Erträge

0 1

2

3

4

5

6

7

Jahr

Kundengewinnungskosten

Abb. 5: Wirkeffekte der Kundenbindung nach Reichheld/Sasser (1992) Am ehesten scheinen noch die Sicherungseffekte des Beziehungsmarketing (Abschnitt 2.1) einzutreten, nicht zuletzt deshalb, weil das Beschwerdemanagement einschließlich neuer Direktkanäle zu Endkunden (z.B. Hotlines, Call Center etc.) dafür gute organisatorische Voraussetzungen schuf und wie ein Blitzableiter eine erfolgsneutrale „Ableitung“ vielerlei Ärgernisse seitens der Kunden ermöglichte. Auch bei gewissen Wachstumseffekten, insb. beim Cross Selling und den Kundenreferenzen, können manche Branchen bzw. Firmen gute Erfolge vorweisen. Allerdings fehlt es hier an durchgängigen und systematisch ermittelten Belegen. Meist werden nur Fallbeispiele ohne harte ökonomische Überprüfung bekannt. Noch weniger wissenschaftlich brauchbare Belege existieren über Kostenkonsequenzen. Die hohen Investitionen, die viele Unternehmen in den letzten Jahren in die CRMTools, insb. in Data Warehouses, steckten, scheinen jedoch in nicht wenigen Fällen (noch) nicht die erhofften Kosteneinsparungen bei der zielgruppengenaueren Ansprache bzw. Umsatzzuwächse aus Cross Selling und Kundenpenetration erbracht zu haben (vgl. die oben dargestellten Befunde zur New Economy). Auch Beziehungsmarketing und schon gar nicht allein entsprechende Daten- und Methoden-Tools garantieren also Markt- und Ertragserfolge, zumal der Beziehungswettbewerb auch hier für Auslese der Schwächeren und wachsende Ansprüche der Kunden sorgt.

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

115

Start der GB Loyalität Vertrauen Commitment Bekanntheit Bekanntheitsgrad

Wiederkaufwahrscheinlichkeit

Bekanntheitswert (KG-Kosten)

Basis-Wert KG-Kosten

Kompetenz Präferenz

Cross-Selling-Wert; Penetrationswert; Transaktionskostensenkung

Treue Begeisterung

Referenzwert Preispremium Informationswert

Abb. 6: Entwicklung der bindungsbedingten Kundenwertkomponenten im Zeitablauf Quelle: Diller 2002, S. 317

Offenkundig liegen hierbei auch überzogene Erwartungen bezüglich Wahrscheinlichkeit und notwendiger Zeitdauer bis zur „vollkommenen“ Kundenbindung sowie Missverständnisse hinsichtlich der Zwangsläufigkeit der verschiedenen Kundenbindungseffekte vor. Wie Diller (2002) in einem dynamischen Kundenwertmodell aufgezeigt hat, entwickeln sich die Kundenbindungseffekte erst sukzessive mit Fortschreiten auf der Loyalitätstreppe (vgl. Abb. 6). Demzufolge lassen sich auch die verschiedenen, auf den oben dargestellten Kundenbindungseffekten basierenden Kundenwertkomponenten oft erst nach langer Zeit und auch nur dann abschöpfen, wenn die sachlichen Voraussetzungen, also hervorragende Angebotsleistungen und exzellente Kundenbetreuung, gegeben sind. Ein „Schlaraffenland“ stellt das Beziehungsmarketing also wahrlich nicht dar. Andererseits wurde mit diesem Marketingkonzept zweifellos eine nachhaltige Veränderung des Marketing ausgelöst, der sich die Anbieter in sehr vielen Branchen kaum entziehen können. Damit ist bereits die zweite Perspektive angesprochen, unter der die Bedeutung des Beziehungsmarketing nachfolgend noch ergänzend betrachtet werden soll.

116

3

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Die Nachhaltigkeit des Beziehungsmarketing

Managementkonzepte unterliegen in zunehmenden Maße gewissen Modetrends. Einen erheblichen Beitrag dazu leisten Weiterbildungs- und Beratungsinstitutionen, die nach neuen Themen suchen und sie propagieren bzw. auf die Tagesordnung setzen, ohne dass oft schon hinreichend geklärt ist, ob und wie das Thema für die Unternehmen wirklich relevant ist. Für das Beziehungsmarketing galt dies in besonderem Maße, weil dabei den Anbietern einschlägiger IT-Tools Milliardenumsätze winkten und die Vertriebsanstrengungen entsprechend hoch geschraubt wurden. Auf diese Weise entstand nachgerade ein „Hype“ bezüglich elektronisch gestützter CRM-Systeme („eCRM“). Insgesamt rechnet z.B. Metagroup mit einem Umsatzwachstum für eCRM-Systeme von 20 Mrd. US-$ in 2001 auf 46 Mrd. in 2004, also eine gute Verdoppelung in nur drei Jahren. Allein die Unternehmen des europäischen Handels haben im Jahr 2000 (also in nur einem Jahr) 1 Mrd. US-$ in eCRM-Systeme gesteckt. Ist das Konzept aber wirklich nachhaltig? Kommen die Unternehmen also früher oder später nicht umhin, auf Strategien und Instrumente des Beziehungsmarketing einzugehen und ihr Marketing entsprechend umzugestalten? Unbestritten bleibt u.E. trotz der vermutlich überzogenen Euphorie, dass die elektronische Unterstützung für das Beziehungsmarketing auf Massenmärkten nahezu unverzichtbar ist und dort erst die Voraussetzung für eine Individualisierung der Marktbearbeitungsaktivitäten schafft. Grundlage dafür sind (1) ein Data Warehouse zur Integration kundenbezogener Daten, (2) operative Softwareprogramme zur Bewältigung kundenbezogener Prozesse, wobei üblicherweise kundenaktive und kundenpassive Prozesse unterschieden werden, sowie (3) analytische Tools zur Analyse der Daten, die letztlich einem besseren Kundenverständnis, Kundenklassifikationen und anderen Formen sekundärstatistischer Beziehungsforschung dienen sollen. In B2B-Märkten war das Marketing schon jeher viel direkter und individueller, so dass der Innovationsgrad des CRM zumindest im Anlagen- und Systemgeschäft nicht allzu groß ist. Auch haben dort wegen der geringeren Kaufhäufigkeiten die Datenaufbereitungsprozesse zum Kaufverhalten nicht jenes Potential wie im Konsumgüter- und Dienstleistungsmarketing (B2C-Geschäft). Selbst beim B2C-Geschäft erwies sich allerdings das eCRM nicht als unproblematisch, im Gegenteil: Es kam nahezu flächendeckend zu drastischen Kostenunterschätzungen der einschlägigen Investitionen, weil die eigentlichen Lizenzgebühren für die Softwareund die Hardwareaufwendungen oft nur ein Drittel der Gesamtaufwendungen betragen, während der Rest der Kosten auf Implementations- und Abstimmungsaktivitäten entfällt. Ferner ergaben sich z.T. gravierende Implementationsprobleme und entsprechende

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

117

Verzögerungen, insbesondere weil sich die Datenbestände in vielen Unternehmen als zu heterogen erwiesen, um sie wirklich in Date Warehouses harmonisieren zu können. Darüber hinaus erwies es sich als ein gravierender Fehler, dass in vielen Unternehmen zunächst die informationstechnischen Grundlagen geschaffen wurden, bevor die Verwendung der dabei zur Verfügung gestellten Daten geklärt war. Die Entwicklung war damit zu sehr EDV-getrieben statt vom Marketing bestimmt. In vielen Fällen fehlte einfach eine schlüssige Marketingstrategie, welche die Leitlinien zeigen konnte, unter denen die Daten ausgewertet werden mussten. Schließlich fehlte in vielen Unternehmen auch die unternehmensinterne Akzeptanz der neuen Systeme, insbesondere im Vertrieb und im Marketing, aber auch beim Top Management, so dass nicht selten riesige Investitionsruinen entstanden und der Ruf des eCRM entsprechend beschädigt wurde. Auf der anderen Seite ist nicht davon auszugehen, dass diese Enttäuschungen dem Beziehungsmarketing – sei es nun elektronisch oder nicht – den Todesstoß verleihen. Vielmehr wird das Beziehungsmarketing seinen strategischen Lebenszyklus evolutorisch weitergehen (Abb. 7).

2000-2005 Reifephase • Elektronisierung

90er

• Professionalisierung

Wachstumsphase

80er Gründungsphase • Grundideen

• Konzeptualisierung • Instrumente

2005-2010 Modifikationsphase • Selektion • Weiterentwicklung • Modifikation (Relaunch) • Differenzierung

• Implementierung

Abb. 7: Lebenszyklus des Beziehungsmarketing Quelle: Diller 2003

Dieser Lebenszyklus begann in den 80er-Jahren mit der Gründungsphase und dem ersten Entwicklungspfad einer Konzeptionierung der neuen Beziehungsmarketing-Strategie. In den 90er-Jahren kam es dann zur Umsetzung und in eine Wachstumsphase mit sehr vielen Aktivitäten zur Instrumentalisierung und Implementierung des Systems. In den letzten Jahren und laufend sind wir schon in der Reifephase des Beziehungsmarketing-Konzeptes angelangt, die lange andauern mag. Hier geht es – wie geschildert – um die Elektronisierung, aber auch die Professionalisierung dieses Konzeptes. Professionalisierung bedarf insbesondere das Management der Kundenprozesse (Bindungsaktivitäten). Dazu benötigt man eine bessere Quantifizierung der Kundenbindungserfolge als dies bisher üblich war. Es ist kaum zu glauben, dass in vielen Unter-

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nehmen Millionenbeträge in das Beziehungsmarketing gesteckt werden, ohne zu wissen, ob sich diese Investitionen lohnen. In Verbindung damit werden sich die Praxis und auch die Wissenschaft bemühen müssen, genauere und besser anwendbare Kundenwertsysteme zu entwickeln. Schließlich müssen alle Kundenbindungsaktivitäten einem konsequenten Prozessmanagement unterworfen werden, d.h. darauf überprüft werden, ob die Organisation, die Personalbestückung, die Informationsunterstützung und das Controlling hinreichend sind, um diese Aktivitäten effizient zu machen (vgl. hierzu: Saatkamp 2002). Schließlich muss auch nochmals auf die systematische organisatorische Verankerung und die Entwicklung einer Beziehungskultur im Unternehmen verwiesen werden (Bruhn 2001, S. 183 ff.). All dies sind Punkte, die bereits im Gange sind, und sich mit der Elektronisierung des Beziehungsmarketing verknüpfen. Die eCRM-Systeme werden vielleicht vorsichtiger und langsamer implementiert, aber auf sie kann man letztlich nicht verzichten. Darüber hinaus wird die Einbindung des Internets das Beziehungsmarketing zusätzlich befruchten (vgl. hierzu Eggert/Fassot 2001). Insbesondere ist hier an virtuelle Communities im Internet sowie an andere virtuelle Netzwerke, seien sie horizontal, vertikal oder lateral, zu denken. Wagt man einen Blick in die Zukunft, so ist andererseits schon heute abzusehen, dass das Beziehungsmarketing in einigen Branchen scheitern wird und insofern Selektionsprozesse auftreten werden. In der Mehrzahl der Fälle erwarte ich jedoch eher eine Weiterentwicklung und Modifikation dieses Konzeptes, also sozusagen einen Relaunch, bei dem insbesondere die bisher schon aufgezeigten Schwachpunkte ausgemerzt werden. Eine besondere Bedeutung messe ich dabei der Differenzierung des Beziehungsmarketing bei. Diese Differenzierung bedeutet, dass einerseits der „Beziehungsstil“ (Ivens 2002) gegenüber ganz bestimmten Kunden unterschiedlich ausgestaltet wird und andererseits, dass man nicht nur auf Kundenbindung abzielt, sondern auch andere Ziele, wie die Kundenrückgewinnung und die Kundenneugewinnung in das BeziehungsmarketingKonzept einbezieht (Bruhn 2001). Wie auch immer die Entwicklung voranschreiten wird, unzweifelhaft erscheint, dass die strategischen, die operativen und die EDV-technischen Aspekte besser integriert werden müssen, um das Beziehungsmarketing-Konzept letztendlich zu den Erfolgen zu führen, die man schon immer von ihm erwartet hat. Dies gilt um so mehr, als die Unternehmen zunehmend in einen immer anspruchsvolleren Wettbewerb um das beste Beziehungsmarketing geraten, der den Kunden viele attraktive Anreize bietet, an die sie sich schnell gewöhnen könnten. Wer hier zurückbleibt, kann schnell erheblich an Kundenpräferenz verlieren und deshalb praktisch gezwungen sein, beim Beziehungsmarketing mit zu machen, auch wenn die sachlichen Voraussetzungen möglicherweise nicht optimal ausfallen. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass gute Beziehungspartner am Markt nur in begrenzter Zahl verfügbar sind, es aber gerade das Ziel des Beziehungsmarketing darstellt, diese Kunden für sich einzunehmen und damit dem Zugriff der Wettbewerber zu entziehen. Auf diese Weise entsteht ein Wettlauf um die besten Partner, bei denen die

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing für den Unternehmenserfolg

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Pioniere des Beziehungsmarketing Wettbewerbsvorteile erringen können. Es verwundert deshalb nicht, dass auch noch bei einer Umfrage im Sommer 2002 unter 280 Managern und 85 Hochschulprofessoren (Kreuz 2002) Kundenbindung trotz seiner inzwischen rd. 20-jährigen Entwicklung noch immer und mit Abstand an der Bedeutungsspitze der abgefragten Zukunftstrends (und zusätzlich Beziehungsmarketing an Rang 3) stand. Dies unterstreicht die Nachhaltigkeit, die man diesem Konzept aus ökonomischer und wettbewerbspolitischer Perspektive bescheinigen kann. Beziehungsmarketing ist zwar keine Patentlösung für alle Marketingprobleme, aber eine sehr gut begründbare, der individuellen Ausgestaltung viel Raum lassendes Konzept, das in sehr vielen – freilich nicht in allen – Branchen seinen Siegeszug weitergehen wird.

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Christian Schaller, Christof M. Stotko, Frank T. Piller

Mit Mass Customization basiertem CRM zu loyalen Kundenbeziehungen 1

Der Kunde im Fokus

2

Warum so viele CRM-Projekte scheitern

3

Wie entstehen Kundenbindung und -loyalität?

4

Mass Customization basiertes CRM

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Fallbeispiel Reflect

6

Resümee

Literaturverzeichnis

1

Der Kunde im Fokus

Marketing als Denkhaltung, Führungsfunktion und Aktivität betrifft alle Bereiche, Abteilungen und Prozesse von Unternehmen und Organisationen und sollte diese daher gleichermaßen durchziehen. Dementsprechend hoch ist auch traditionell sein Stellenwert in Forschung und Praxis. Während die einen jedoch bereits voller Stolz auf das Erreichte zurückblicken (Sheth et al. 1988, S. v), sehen andere das Marketing einem epochalen Wandel unterworfen: „An abundancy of scholarly research and practitioner proclamations have suggested that marketing is undergoing a fundamental, epoch breaking change.“ (Palmer/Ponsonby 2002, S. 173). Sie streben die Etablierung eines neuen Marketings an, eines mit Fokus auf Beziehungen als „unit of analysis“ – und in expliziter Abgrenzung zum vorherrschenden „marketing mix management paradigm“ (Grönroos 1994, S. 4 oder auch Grönroos 1997, S. 407). Die Zeit scheint reif für diesen Wandel, einen „Rebirth of Marketing“: Verstärkter Wettbewerbsdruck, technologischer Fortschritt und der Wandel zur Informationsgesellschaft sowie verändertes Käuferverhalten und eine zunehmende Individualisierung des Konsums haben den Kontext des Wirtschaftens seit der Geburt des Marketings Anfang des 20. Jahrhunderts radikal verändert (Sheth/Parvatiyar 1995, S. 403 ff.). Diese Faktoren stärken nachhaltig die Position des Käufers und „... machen den Kundennutzen zum bestimmenden Faktor für den Markterfolg eines Unternehmens“ (Picot et al. 2003, S. 6). Auch die Ergebnisse zahlreicher Studien (z.B. Diller 1996; Meyer/Dornach 2001) weisen eindrucksvoll in die Richtung der Notwendigkeit einer „... Abkehr vom einseitigen Fokus auf die Neukundengewinnung (bei gleichzeitigem Verlust von Stammkunden) zugunsten einer stärkeren Bindung bestehender Kunden an die Unternehmung“ (Diller/Müllner 1998, S. 1220). Die Umsetzung dieses neuen Gedankengutes jedoch scheint noch Probleme zu bereiten. Den immensen Aktivitäten und Investitionen auf Unternehmensseite stehen zunehmende Unzufriedenheit und sinkende Bindung von Kunden gegenüber (Fournier et al. 1998b, S. 42 f. oder Meyer/Dornach 2001, S. 14 f.): „Unterschiedlichen Studien zufolge scheitern ca. 60-80 Prozent aller CRM-Projekte.“ (Frank et al. 2001, S. 44). Der Philosophie des Relationship Marketing zuwider wird zu häufig noch in traditionellen Strukturen gedacht und gehandelt. So schreiben auch Gummesson et. al.: „There is the tendency to preserve the traditional thought structures in marketing by squeezing RM [Relationship Marketing, Anm. d. Verf.] into mainstream thought structures ...“ (Gummesson et al. 1997, S. 14). Das Ziel dieses Beitrages soll es nun sein, dieser Umsetzungsbarriere mit der Forderung nach einem ganzheitlichen Kundenbeziehungsmanagement zu begegnen, das die Kommunikations- und Leistungsebene integriert betrachtet, und den Ansatz eines Mass Customization basierten CRM vorzustellen. Den Ausgangspunkt bildet in Abschnitt 2 die Diskussion, warum so viele CRM-Projekte scheitern, was also die zentralen Gründe für die so oft proklamierten hohen Misserfolgsraten sein könnten. Doch wie entsteht dauerhafte Kundenloyalität? Hierauf gehen wir in Abschnitt 3 ein, dort wird ein Wirkmodell mit den grundlegenden Einflussfaktoren zur Kundenloyalität vorgestellt. Der dort proklamierten zentralen Bedeutung der Individualisierung gemäß

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Christian Schaller, Christof M. Stotko, Frank T. Piller

wird dann in Abschnitt 4 der Ansatz eines Mass Customization basierten CRM beschrieben und anhand von Beispielen untermauert.

2

Warum so viele CRM-Projekte scheitern

Kundenloyalität hat für viele Unternehmen höchste Priorität. Manche Branchen (z.B. Mobilfunk, Kreditkartenunternehmen, Autovermietungen) verlieren heute innerhalb weniger Jahre mehr als die Hälfte ihrer Kunden – und alle Zeichen sprechen dafür, dass dies erst der Anfang ist (z.B. Jones/Sasser 1995). Pine bezeichnet langfristige Kundenbeziehungen gar als „... das wichtigste Kapital jeder Unternehmung.” (Pine 1998). Die Rückbesinnung auf die Verkaufstugenden der handwerklichen Produktion hat dabei viele schöne Namen: One-to-One-, Direkt- oder Beziehungsmarketing; Individualverkehr, Egonomics, Kundenbindungsmanagement und Treueprogramm; und natürlich das Mega-Buzzword Customer Relationship Management (CRM) – viele Ausdrücke für den gleichen Trend: die Abkehr vom Massenmarketing. Der wesentliche Unterschied der neuen „individuellen“ Marketingansätze zum altbekannten Massenmarketing ist, dass heute Informationstechnologien zur Verfügung stehen, mit denen die Ansprache eines einzelnen Kunden genauso einfach funktioniert wie die von einer Million Kunden. Was ist Customer Relationship Management? CRM will durch eine individuelle Gestaltung der wechselseitigen Interaktion (Kommunikation) „...die Käufer in ein für beide Seiten nachhaltig wertstiftendes Austauschverhältnis einbinden” (Wehrli/Krick 1998, S. 63; siehe auch Ludwig 2000; Morgan/Hunt 1994). Ziel ist die Erhöhung der Effektivität aller marktgerichteten Maßnahmen auf Basis kundenspezifischer Informationen, um „... dem richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt ein maßgeschneidertes Informations- oder Leistungsangebot zu machen.“ (Hildebrand 1997, S. 228). Diese Sichtweise bricht mit der klassischen transaktionsbezogenen Vorstellung des (massenhaften) Marketing, das den einzelnen Austauschakt in den Vordergrund stellt, und trägt der Erfahrung Rechnung, dass zwischen einem Anbieter und Abnehmer nicht nur im Laufe der Zeit wiederholte Transaktionen stattfinden können, sondern diese auch in einem Zusammenhang gesehen werden müssen (Dwyer et al. 1987). Für die Erklärung des Marktgeschehens sind deshalb nicht nur die Kontakte relevant, die sich auf den einzelnen Güteraustausch beziehen, sondern vielmehr auch darüber hinausgehende Interaktionen, die das Verhältnis der Marktpartner beeinflussen (Hildebrand 1997). Neben diesem Ziel sollen Kostensenkungen durch die Elimination von Streuverlusten und eine effizientere Kommunikation erreicht werden. Weiterhin kann eine vergleichsweise einfache Kunden, Wettbewerber- und Gesamtmarktbetrachtung (Aufbau von Kunden-Know-how) die Früherkennung strategischer Chancen und Risiken verbessern. Viele CRM-Ansätze umfassen schließlich über die Technik hinaus noch ein Managementkonzept zur Steigerung des Kundenwertes als Folge eines umfassenden Kundendif-

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ferenzierungs- und Kundenbindungssystems (siehe zum Thema CRM z.B. Ludwig 2000; Rapp 2000; Stolpmann 2000; Krafft 2002; Hippner et al. 2002). Investitionsfalle Customer Relationship Management? Angesichts dieser Fülle von Potenzialen verwundert es nicht, dass mit jährlich kräftig steigenden Wachstumsraten in CRM-Systeme investiert wird. Für viele Millionen Euro bauen einzelne Firmen Kundendatenbanken und entsprechende Auswertungstools auf – und versprechen sich so quasi über Nacht bessere Kundenbindungen. Doch die Wirklichkeit ist weniger rosig. 60 Prozent aller CRM-Einführungen funktionieren laut einer Gartner-Studie nicht so wie geplant. Und jede fünfte CRM-Initiative hätte nicht nur keinen Profit geliefert, sondern auch noch gute Kunden verärgert (Metagroup 2000). Wir sehen drei Gründe für das Scheitern (Piller/Ihl 2002; Piller et al. 2003): (1) Fehler bei der Implementation und organisationalen Verankerung (2) Falsche Nutzung richtiger Systeme (3) Falsche CRM-Strategie und CRM-Philosophie CRM-Misserfolgsgrund 1: Fehler bei der Implementation und organisationalen Verankerung Die Einführung komplexer Systeme, wie sie eine umfassende CRM-Lösung darstellt, bedeutet einen hohen Implementierungsaufwand sowohl auf technischer als auch auf organisatorischer Ebene. Wir wollen an dieser Stelle nicht auf die vielen Fallstricke einer CRM-Einführung eingehen: Projektmanagement, Auswahlentscheidungen, Marktübersicht, Systemintegration im Unternehmen und über die Unternehmensgrenzen hinaus, Datenpflege und Nutzung der Daten bieten viele Fehlermöglichkeiten (z.B. Rapp 2000; Freeland 2003; Woodcock et al. 2003). Gleiches gilt für die organisationale Klammer der Systeme. CRM ist in erster Linie keine Aufgabe der IT-Abteilung, sondern sollte auf einer eigenen Querschnittsfunktion angesiedelt sein, um die notwendige Verankerung zu haben. Wichtiger als zu wissen, wie Daten und Kundeninformation gesammelt und ausgewertet werden, ist es zu wissen, wofür und wie diese Informationen zu nutzen sind. CRM-Misserfolgsgrund 2: Falsche Nutzung richtiger Systeme Hier liegt eine zweite Ursache, warum CRM-Initiativen nicht ihre Ziele erreichen. Die vermehrte Anwendung entsprechender Methoden durch immer mehr Unternehmen hat dazu geführt, dass Konsumentengruppen sich gegen zu aufdringliche Unternehmen wehren und der Nutzung ihrer Kundendaten widersprechen (Fournier et al. 1998a; Piller 1998). Beispiele für eine falsche Nutzung der Systeme kennt jeder:

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ƒ eine Katalogfirma, die ungefragt ihre Kundendaten verkauft, ƒ unpassende quasi-persönliche Werbeschreiben, ƒ inkompetente Mitarbeiter im Call-Center und nicht erreichbare Ansprechpartner ƒ oder gar höhere Service-Gebühren für treue Kunden, um Preisnachlässe für Neukunden zu finanzieren. „Das heute praktizierte Relationship Marketing hat die Unternehmen ihren Kunden nicht näher gebracht. Ganz im Gegenteil, der Abstand ist größer geworden.“ (Fournier et al. 1998a, S. 108). Immer mehr Konsumenten verweigern die Angabe ihrer Adresse in Telefonbüchern, immer mehr beklagen sich erfolgreich bei ihren Internet-Providern gegen Werbesendungen, und die Zufriedenheit der Kunden mit vielen praktizierten CRM-Anwendungen sinkt in vielen Branchen kontinuierlich. CRM-Misserfolgsgrund 3: Falsche CRM-Strategie und CRM-Philosophie Doch neben der falschen bzw. inkonsequenten Nutzung der richtigen Systeme scheitern viele CRM-Anstrengungen, da sie die falschen Hebel und Ansatzpunkte nutzen, um dauerhafte Kundenbindung zu schaffen. Diese Ursache ist viel schwerwiegender und nicht so „leicht“ zu korrigieren wie die ersten beiden – erfordert sie doch eine radikal neue Sichtweise der Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden. Die wesentliche Frage ist, worauf eine dauerhafte Beziehung zwischen Abnehmer und Anbieter überhaupt basiert. Macht eine Response-Möglichkeit per Call-Center, das dann einen massenhaften Prospekt verschickt, wirklich schon „individuelles Marketing“ aus? Zwar handelt es sich hier um direkte Kundenkommunikation, aber aus Sicht des Unternehmens wird jeder Kunde gleich behandelt und als Individuum nicht wahrgenommen. Auch der letzte Verbraucher hat heute die Massenhaftigkeit vermeintlich direkter, „individueller“ Werbesendungen durchschaut. Solches CRM verschönert bestehende, unveränderte Prozesse mit einer Individualitätsanmutung an der Kundenschnittstelle, die jedoch in Wahrheit nicht existiert, sondern die Prinzipien des Massenmarketing weiterführt. Treating customers ethically Eine Verbesserung dieser Zustände fordert eine „ethisch-korrekte“ Behandlung der Kunden: „Treating customers ethically“ (Peppers 2001). Viel mehr als die reine Privacy-Debatte müssen CRM-Initiativen einem weiten Begriff der Kundenethik folgen. Pragmatisch bedeutet dies zunächst den strikten Schutz der Kundendaten, nicht nur als Folge gesetzlicher Vorschriften, sondern aus eigenem Interesse und als Bestandteil der Geschäftsstrategie eines Unternehmens. Dies bedeutet z.B. die Verwendung des Opt-inPrinzips, d.h. ein Kunde gibt explizit die Einwilligung zur Nutzung seiner Daten. „Treating customers ethically“ geht aber viel weiter. Eine wesentliche Aufgabe ist die Lösung des Zielkonflikts zwischen Unternehmens- und Kundeninteresse. Nimmt ein

Mit Mass Customization basiertem CRM zu loyalen Kundenbeziehungen

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Anbieter für sich in Anspruch, mit einem Personalisierungssystem auf Basis von Kundenprofilen genau passende Produkte zu empfehlen, dann entsteht hier häufig ein Konflikt zwischen Kundeninteresse (Vertrauen und Fit der Empfehlung mit Profil) und Geschäftsinteresse (Steigerung der Profitmarge). Sind Sie als Amazon-Kunde immer sicher, dass Ihnen tatsächlich die Bücher, CDs, DVDs oder PC-Spiele empfohlen werden, die am besten zu Ihrem Profil passen, oder nicht vielleicht auch die, die einen höheren Profit versprechen (bzw. noch in Bergen auf Lager sind)? CRM ist die Schaffung vertrauensstiftender Erlebnisse Ein wesentlicher Anspruch an CRM ist damit die Vermittlung von Vertrauen. Nur wenn die Kunden einem Anbieter wirklich vertrauen können, d.h., dass ihnen das CRMProgramm zusätzlichen Nutzen stiftet und nicht nur ihre Privatsphäre und persönlichen Interessen belastet, werden sie langfristig der Nutzung ihrer Daten zustimmen bzw. nicht genau konträr zu den eigentlich angestrebten CRM-Zielen handeln. Doch Vertrauen kann weder verkauft noch beworben werden. Vertrauen kann nur erlebt werden (Luhmann 1989, S. 23 ff.). Damit stehen Erlebnisse im Mittelpunkt der Kundenbeziehung. CRM muss dazu dienen, den Kunden nachhaltige vertrauensstiftende Erlebnisse zu vermitteln. Viele Firmen haben noch nicht die Erkenntnis umgesetzt, dass bei direkten Kundenbeziehungen in erster Linie zwei Menschen miteinander kommunizieren. In Zeiten von Outsourcing und hohem Kostendruck wird oft am „Kundenkontaktpersonal“ gespart, mit der Folge schlecht ausgebildeten und unmotivierten Fremdpersonals, das sich mit den zu betreuenden Produkten und erst recht mit dessen Kunden nicht identifiziert. Hinzu kommen unflexible und nicht gepflegte Datenbanken und ein mangelnder Einsatz der heute möglichen technischen Potenziale. Kunden sollen aber wie „Freunde“ oder „gute Bekannte“ behandelt werden. Doch genauso wie jeder von uns nicht jeden seiner Freunde gleich behandelt, genauso darf auch ein Unternehmen nicht jeden Kunden als „gleichen Freund“ ansehen. CRM muss zu einem individuellen „Beziehungsmarketing“ werden, das der Tatsache Rechnung trägt, dass jede Kundenbeziehung verschieden ist, jeder Kunde andere Wünsche und Bedürfnisse hat. Welches Unternehmen fragt z.B. heute schon ihre Kunden nach der bevorzugten Kommunikationsart (Brief, Fax, Telefon, E-Mail) – und hält sich auch konsequent daran? Doch dies ist nur der Anfang. Auch wenn „moderne“ Konzeptionen eines Direktmarketing heute über die Individualisierung der Kommunikation in Form mikrosegmentierter Serienbriefe hinausgehen und das gesamte Marketinginstrumentarium individualisieren, so beziehen sie sich in der Regel lediglich auf standardisierte, vorproduzierte Güter. Aus Sicht der Abnehmer ist eine individuelle Beziehung zu einem Anbieter jedoch nur dann vorteilhaft, wenn sie Produkte oder Leistungen erhalten, die ihren Bedürfnissen genau entsprechen, und/oder eine wesentliche Vereinfachung (Kostenreduktion) der Transaktionsabwicklung erfahren. CRM ist dann erfolgreich, wenn die Beziehung zwischen beiden Marktpartnern auf einem echten Mehrwert für beide Seiten beruht.

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Im Folgenden werden wir darlegen, welchen positiven Einfluss Individualisierung auf Kundenbindung und -loyalität haben kann.

3

Wie entstehen Kundenbindung und -loyalität?

Nun wissen Sie, was CRM nicht ist. Doch wie entsteht dauerhafte Kundenloyalität? Zur Konzeptualisierung der Begriffe Kundenbindung und Kundenloyalität soll das Modell in Abb. 1 dienen (Schaller/Piller 2002; siehe für weitere Beschreibungen der Einflussfaktoren z.B. Hildebrand 1997; Herrmann/Johnson 1999; Homburg et al. 1999; Fulkerson/Shank 2000; Kleinaltenkamp 2000; Ludwig 2000). Es beschreibt drei zentrale Determinanten der Loyalität: Kundenzufriedenheit, Vertrauen und Commitment (das Modell baut auf sozialpsychologischen Verhaltenstheorien der Marketingforschung auf, siehe z.B. Diller 1996; Bauer et al. 1999; Matzler/Stahl 2000). Basis des Modells ist die Individualisierung, die alle Einflussfaktoren von Kundenloyalität und Kundenbindung positiv beeinflussen kann. Kundenbindung ist in unserem Modell eine Vorstufe von Kundenloyalität, wobei die beiden Ebenen wie folgt verbunden sind: ƒ Kundenbindung ist Kundenzufriedenheit plus Vertrauen, ƒ Kundenloyalität ist Kundenbindung plus Commitment.

Kundenloyalität

Commitment

Kundenbindung

Vertrauen

+

Wettbewerbsintensität

++

Wechselbarrieren

++

Kundenzufriedenheit

O

++

Individualisierung vermutete Stärke der Wirkungszusammenhänge:

++ = stark positiv + = positiv o = neutral

Abb. 1: Entstehung und Einflussfaktoren von Kundenloyalität

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Vertrauen Wie oben bereits erwähnt, spielt das Vertrauen des Kunden im Zusammenhang mit Mass Customization eine wichtige Rolle. Die erste Antecedentsvariable von Kundenbindung ist daher das Vertrauen. Dies gilt insbesondere im Umfeld neuer Technologien. Vertrauen reduziert unkontrollierbare Komplexität und das Risiko opportunistischer Verhaltensweisen und wirkt insbesondere aufgrund seiner selbstverstärkenden Wirkung (Echo-Effekt, Bauer et al. 1999, S. 288). Eine Beziehung zwischen einem Anbieter und Abnehmer wird nur dann dauerhaft sein und zu einer echten Kundenbindung führen, wenn die Interaktion zwischen beiden Seiten durch Vertrauen gestützt bzw. nicht durch Misstrauen gehindert ist (Kundenbindung als vertrauensvolle Kundenbeziehung) (Diller 1996, S. 89). Kundenzufriedenheit Als zentrale Antecedentsvariable der Kundenbindung gilt die Kundenzufriedenheit. Kundenzufriedenheit entsteht als Ergebnis einer subjektiven Beurteilung der wahrgenommenen Problemlösungsfähigkeit einer Leistung durch den Abnehmer. Unter Betonung der Langlebigkeit von Geschäftsbeziehungen (statt einzelner Transaktionen) ist Kundenzufriedenheit die „... kognitive und affektive Evaluierung der gesamten Erfahrungen mit einem bestimmten Anbieter und dessen Produkten ...“ (Homburg et al. 1999, S. 177) auf Basis eines Vergleichs aus wahrgenommener (Ist) und erwarteter Leistung (Soll). Kundenzufriedenheit drückt sich im Beschwerde-, Wiederkauf- und Kommunikationsverhalten der Kunden aus (Herrmann/Johnson 1999; Homburg et al. 1999; Krafft 2002). Wettbewerbsintensität und Wechselbarrieren Die Stärke der Beziehung zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung wird von Moderatorvariablen beeinflusst. Wir haben uns hier auf Wettbewerbsintensität und Wechselbarrieren als wesentliche Größen beschränkt (Herrmann/Johnson 1999; Homburg et al. 1999; siehe Krafft 2002 für eine ausführliche Diskussion weiterer Einflussfaktoren). Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung ist dabei umso schwächer, je stärker die Wettbewerbsintensität in einem Markt ist. Umgekehrt wirken sich Wechselbarrieren positiv auf den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung aus, d.h. der Zusammenhang ist umso stärker, je höher die Wechselbarrieren sind. Während also z.B. im monopolistisch geprägten Telekommunikationsmarkt die Kunden aufgrund von Wechselbarrieren gebunden bleiben, ist im wettbewerbsintensiven Automobilmarkt der Grad der Bindung zwischen zufriedenen und sehr zufriedenen Kunden extrem unterschiedlich ausgeprägt. Eine positive Auswirkung von Wechselbarrieren auch auf die Kundenloyalität wird jedoch nur dann eintreten, wenn sie freiwillig akzeptierte Wechselhemmnisse für den Kunden darstellen, und nicht, wenn sie den Kunden über faktische Wechselhürden zur „Treue“ zwingen (wie z.B. in einem monopolistischen Markt, siehe Eggert 1999).

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Commitment Kundenloyalität stellt in unserem Modell gewisser Maßen eine Steigerung von Kundenbindung dar. Damit wollen wir dem oben formulierten Anspruch gerecht werden, dass ein CRM-Konzept nur dann dauerhaft erfolgreich ist, wenn es ein für beide Seiten wertstiftendes Verhältnis begründet. Kunden sollen nicht Wiederholungskäufe tätigen, da sie an ein Unternehmen aufgrund von Wechselhürden gebunden sind, sondern wollen diesem „freiwillig treu“ bleiben. Kundenloyalität beruht damit auf Kundenbindung plus Commitment. Commitment bezeichnet die innere Verpflichtung einer Person gegenüber einem Bezugsobjekt und beinhaltet dabei „... a desire to develop a stable relationship, a willingness to make short term sacrifices to maintain the relationship, and a confidence to the stability of the relationship.“ (Anderson/Weitz 1992, S. 19). Unter einer loyalen Kundenbeziehung soll also eine Beziehung mit hohem Commitment des Nachfragers verstanden werden, d.h. eine freiwillige und belastbare Kundenbindung. Hier kann die Individualisierung des Leistungsangebotes eine wichtige Voraussetzung schaffen. Dies wird im Folgenden näher erläutert. Individualisierung Maßnahmen zur Kundenbindung sollten gewissen Prinzipien Rechnung tragen, nämlich individuell auf den Kunden ausgerichtet sein, eine wechselseitige Interaktion mit dem Kunden suchen und die Integration des Kunden in die Wertschöpfungskette des Anbieters anstreben (Diller/Müllner 1998, S. 1223; Hildebrand 1997, S. 91 ff.). Die Wirkungen der Individualisierung – und ihrer konstitutiven Eigenschaften der Interaktion und Integration – auf die Kundenbindung und ihre Einflussfaktoren sind daher in unser obiges Modell integriert (Abb. 1). Eine Individualisierung kann grundsätzlich auf zwei Ebenen erfolgen, Individualisierung der (Kern)Leistung und Individualisierung der Beziehung/Kommunikation. Welchen Einfluss haben aber individualisierte Leistungen und Beziehungen auf die Kundenbindung und ihre zentralen Einflussfaktoren? Der derzeitige Stand der Forschung stimmt, sowohl theoretisch als auch empirisch, weitestgehend darin überein, „... dass sich die Individualisierung grundsätzlich positiv auf die Kundenbindung auswirkt.“ (Hildebrand 1997, S. 171). Dabei gehen sowohl von der Individualisierung der Leistungen als auch der Beziehungen positive Wirkungen aus. Bei einer detaillierteren Betrachtung der Auswirkungen der Individualisierung auf die Einflussfaktoren der Kundenbindung und -loyalität können wir also folgende Wirkungszusammenhänge vermuten: ƒ Die Kundenzufriedenheit erfährt durch die explizite Orientierung am individuellen Idealpunkt einer optimalen Leistung, d.h. an den individuellen Präferenzen des Kunden, eine deutliche Stärkung. Des weiteren sind – insbesondere im Feld der affektiven Komponenten der Kundenzufriedenheit – die Imagevorteile und das Begeisterungspotenzial einer individuellen Leistung zu berücksichtigen (Piller 1998, S. 92 f.; Piller 2003). ƒ Das Vertrauen wird durch die Individualisierung nicht direkt beeinflusst, lediglich indirekt und positiv über den Einfluss der Individualisierung auf die Kun-

Mit Mass Customization basiertem CRM zu loyalen Kundenbeziehungen

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denzufriedenheit (Bauer et al. 1999, S. 295). Im Rahmen einer Beziehung zwischen Anbieter und Kunde wird jedoch der sich selbst verstärkende Effekt des Vertrauens, insbesondere in einer individuellen und sich optimierenden learning relationship, positive Auswirkungen auf die Kundenloyalität entfalten können (Diller 1996, S. 89). ƒ Die Wettbewerbsintensität wird durch die Individualisierung von Leistungen und Beziehungen wesentlich reduziert. Das Differenzierungspotenzial einer Individualisierungsstrategie hat eine schwer imitierbare Marktposition mit entsprechenden Wettbewerbsvorteilen zur Folge (Wehrli/Wirtz 1997, S. 123). ƒ Wechselbarrieren bzw. die vom Kunden freiwillig akzeptieren Wechselhemmnisse werden durch die Individualisierung von Leistungen und Beziehungen ebenfalls deutlich positiv beeinflusst, d.h. erhöht. Das Beziehungspotenzial der Individualisierung als Ausgangspunkt einer learning relationship stellt ein wesentliches Instrument zur Erhöhung der Kundenloyalität dar: „Hat ein Kunde einmal erfolgreich ein individuelles Gut bei einem Anbieter bezogen, stellt das im Rahmen der Interaktion gewonnene Wissen eine wesentliche Barriere (im Sinne von Umstellungskosten) für einen Anbieterwechsel dar.“ (Piller 2001, S. 181). ƒ Commitment wird durch die Individualisierung positiv beeinflusst. Wesentliche Gründe für diesen positiven Einfluss sind das Begeisterungspotenzial der Individualisierung und die Zielsetzung der freiwilligen Bindung der Kunden auf Basis eines überlegenen Nutzens. Der Kunde soll also nicht entsprechend des klassischen „create-capture-keep“-Prinzips (Clemons 1986) an einen Anbieter gefesselt werden, sondern freiwillig aufgrund eines einmaligen Nutzens seinem Anbieter treu bleiben (Piller 2001, S. 178 f.). Weiterhin wirkt die Individualisierung auch über den sehr positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit indirekt, aber positiv auf das Commitment (Bauer et al. 1999, S. 295). Im Folgenden erfolgt die Vorstellung und Diskussion des Ansatzes der Mass Customization zur Kundenbindung und als integraler Bestandteil einer effektiven CRM-Strategie.

4

Mass Customization basiertes CRM

Während die meisten in der Praxis verfolgten Ansätze zur Kundenbindung derzeit lediglich auf mehr oder weniger individualisierte Kommunikation mit dem Kunden vertrauen, sucht der Ansatz der Mass Customization (z.B. Pine 1997; Piller 1998; Piller 2003; Piller/Stotko 2003) darüber hinaus auch die eigentliche Kernleistung zu individualisieren und damit nicht zuletzt auch zur Kundenbindung zu erschließen. Ziel ist eine integrierte und individualisierte Gestaltung der zwischen Anbieter und Abnehmer im Laufe der Zeit stattfindenden Interaktionen und Transaktionen, und das nicht nur auf der

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Kommunikationsebene, sondern auch auf der Ebene der eigentlichen Leistungsbestandteile. Ebenen der Mass Customization Der von Davis geprägte Ausdruck verbindet die an sich gegensätzlichen Begriffe „Mass Production“ und „Customization“ und bedeutet, „... that the same large number of customers can be reached as in mass markets of the industrial economy, and simultaneously they can be treated individually as in the customized markets of pre-industrial economies.“ (Davis 1987, S. 169). Ziel von Mass Customization ist die Produktion von Gütern und Leistungen, die folgende Bedingungen erfüllen: (1) Die angebotenen individuellen Produkte erfüllen die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Nachfragers (Differenzierungsoption). (2) Dabei wird auf einen (relativ) großen Absatzmarkt gezielt, der den Marktsegmenten entspricht, die auch mit traditionellen Massengütern (bzw. Varianten von Massengütern) angesprochen werden würde. (3) Der Preis, den der Kunde für individuelle Güter bereit ist zu zahlen, entspricht dem Preis, den der Kunde auch für ein vergleichbares massenhaft hergestelltes Gut bereit wäre zu zahlen (Kostenoption). (4) Die Informationen, die im Zuge des Individualisierungsprozesses erhoben werden, dienen zum Aufbau einer dauerhaften individuellen Beziehung zu jedem einzelnen Abnehmer (Beziehungsoption) (Pine 1993; Piller 1998; Piller 2003).

Differenzierungsebene (indiv. Produkte / Leistungen)

Potentialebene: Solution Space (stabile Prozesse und Produktarchitekturen) Kostenebene (Massenproduktion-Effizienz)

Abb. 2: Die drei Ebenen von Mass Customization

Beziehungsebene (Kundenloyalität)

Mit Mass Customization basiertem CRM zu loyalen Kundenbeziehungen

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Mit der persönlichen Interaktion zwischen Hersteller und jedem einzelnen Kunden wird der Grundstein für eine langfristige Kundenbeziehung gelegt. Während der Leistungskonfiguration (Erhebung der zur Leistungsindividualisierung notwendigen Informationen) vermittelt der Kunde dem Anbieter viele Informationen über sich, sei es explizit durch Angabe seiner Wünsche oder implizit durch die Konfiguration eines individuellen Produktes. Dieses Wissen, das durch die Auswertung des Kundenkontakts gewonnen werden kann, dient dazu, weiteren Kundennutzen beim Wiederholungskauf zu stiften (Piller/Stotko 2003). Das Zusammenspiel aus Differenzierungs-, Kosten- und Beziehungsoption (Abb. 2) der Mass Customization überwindet die von Porter formulierte Alternativhypothese zwischen Kostenführerschaft und Differenzierung - eine langjährig bewährte Maxime erfolgreicher Unternehmensführung. Die Alternativhypothese steht jedoch bereits seit längerem im Mittelpunkt kritischer Betrachtungen (Corsten/Will 1994; Fleck 1995; Proff/Proff 1997; Jenner 2000). So belegen zahlreiche empirische Beispiele, dass gerade viele Unternehmen mit hybriden Wettbewerbsstrategien – verstanden als Synthese aus Kosten- und Differenzierungsstrategien – beachtliche Erfolge erzielen. Mass Customization kann als Prototyp einer solchen hybriden Strategie gesehen werden. Der Weg zu Mass Customization: Variantenmanagement und Customer Relationship Management Der Weg zu Mass Customization führte in der Praxis über das Variantenmanagement und die Konzeption des Customer Relationship Management. Viele Anbieter begegnen der Heterogenisierung der Nachfrage mit einer immer ausgedehnteren Modell- und Variantenvielfalt. Moderne flexible Fertigungssysteme scheinen in Zusammenhang mit neuen Ansätzen in der Entwicklung (Rapid Prototyping, Simultaneous Engineering) die effiziente Produktion von unzähligen Varianten in kürzester Zeit zu ermöglichen (Höck 1998). Doch die vermeintlich marktbezogene Variantenfertigung bedeutet in der Regel eine große Produktpalette ähnlicher Erzeugnisse, die vorab auf Lager produziert werden. Dabei sind die genauen Absatzzahlen aber immer schwerer zu prognostizieren (Huchzermeier 1998; Lee et al. 1997), da die Fertigung lediglich auf Marktprognosen und Schätzungen des Vertriebs basiert. Die Fertigung vieler Varianten in kleinen Losgrößen ermöglicht es immer weniger, die Skaleneffekte einer Massenproduktion zu nutzen. Damit entfällt für Märkte, die eine hohe Anzahl von Varianten fordern, das wichtige Kostenargument, das sich auf Effizienzvorteile einer Massenproduktion stützt. Eine Lösungsmöglichkeit stellt das Streben nach langfristigen Kundenbeziehungen dar. Zwar wurden Notwendigkeit und Wert langfristiger Kundenbeziehungen schon lange als kritischer Erfolgsfaktor betont. Eine hohe Produktqualität oder ein besonderer Markenname reichen aber immer weniger aus, dauerhafte Kundenbindung zu erreichen (Abb. 3). Notwendig sind heute vielmehr die Schaffung von Mehrwert für die Abnehmer und ein systematisches Customer Relationship Management, das an der integrierten Gestaltung der zwischen einem Anbieter und Abnehmer im Laufe der Zeit stattfindenden Interaktionen und Transaktionen ansetzt.

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Kundenloyalität

+

• Monopolstellung • Hohe Wechselbarrieren

• Ziel von Mass Customization als CRMStrategie

• Proprietäre Technologie

• Allgemeine Marktkräfte wirken zufriedenstellend



• Standardisierte Produkte • Geringe Differenzierung • Konsumenten-Indifferenz

Mass Customization als Differenzierungsmerkmal geeignet, um hohe Kundenzufriedenheit in hohe Kundenloyalität umzuwandeln.

• Geringe Wechselbarrieren



+ Kundenzufriedenheit

Abb. 3: Mass Customization im Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und -loyalität Quelle: in Anlehnung an Jones/Sasser 1995, S. 91

Ein neues Prinzip industrieller Wertschöpfung stellt Mass Customization dar, das sich von dem Fokus der Skalenerträge löst. Kostenvorteile in der Fertigung werden statt dessen durch die Einbeziehung des einzelnen Abnehmers in die Wertschöpfungskette realisiert (Piller/Stotko 2003, S. 189 ff.). Diese Kundenintegration, die insbesondere durch die neuen IuK-Technologien ermöglicht wird, eignet sich letztendlich auch zum Aufbau einer engen Bindung zum Kunden. Dies wird im weiteren Verlauf dieses Artikels gezeigt. Für den Kunden bietet Mass Customization eine Motivation, Daten von sich preiszugeben, da er im Gegenzug reellen Wert in Form eines individuellen Produktes erhält (Reichwald et al. 2003). Damit erfüllt Mass Customization eine Grundvoraussetzung, die an CRM-Instrumente gestellt werden, nämlich, dass sie insbesondere für den Kunden Wert stiften müssen, um von diesem akzeptiert zu werden. Ziel von Mass Customization ist eine individuelle Interaktion je nach Profil und Ansprüchen (und Wert (Stotko 2002)) des jeweiligen Kunden. Viele Unternehmen (und auch Anbieter entsprechender Software-Systeme) beziehen sich dabei jedoch lediglich auf die personalisierte Gestaltung der Kommunikation zwischen Anbieter und Abnehmer in Form personalisierter Werbebriefe, individueller Kataloge oder personalisierter Web-Sites. Abnehmer werden sich jedoch nur dann dauerhaft an ein Unternehmen binden, wenn dieses auch Produkte und Leistungen bereitstellt, die genau ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche treffen. Sowohl im B-to-B- wie auch B-to-C-Markt sind die Kunden nicht per se an einer individuellen Beziehung zu einem Anbieter interessiert, sondern an einer Leistungserfüllung, die möglichst genau und bequem (transaktionskostenminimal) ihre individuellen Präferenzen trifft. Der Wettbewerbsdruck fordert dabei,

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dass dies auch bei einer günstigen relativen Preisposition möglich sein muss. Dies ist letztendlich Ziel von Mass Customization. Betriebswirtschaftliche Potenziale von Mass Customization basiertem CRM Möglich wird diese Preisoption des Mass Customization durch die Realisierung von Mass Customization spezifischen Kostensenkungspotenzialen. Abb. 4 veranschaulicht die ökonomische Wirkung von Mass Customization als CRM-Instrument, die der folgenden Argumentation zu Grunde liegt.

Allgemeine Faktoren, die die Kundenzufriedenheit und -bindung erhöhen

Kundenbindung

Ökonomische Auswirkungen

Mass Customization als CRMInstrument

Umsatzsteigerung • Wiederholungskauf • Cross-selling Potenzial • Erzielen von PremiumPreisen • Verringerung der Zeitabstände zwischen den Kaufakten • Erhöhung des Wertes der Kundenbeziehung Kostensenkungspotenzial • Reduktion der Transaktionskosten • Verringerung von Streuverlusten im Marketing • Mass Customization als Marktforschungsinstrument

Investitionen in die Erhöhung der Kundenbindung

Abb. 4: Ökonomische Auswirkungen erhöhter Kundenbindung durch Mass Customization als CRM-Instrument Quelle: Fischer et al. 2001; Piller/Stotko 2003, S. 214

Die Integration der Abnehmer in die Leistungserstellung begründet sowohl neue Kostenstrukturen, die sich aus den Saving-Potenzialen des „made-to-order“-Prinzips ergeben, als auch aus neuen Erlöspotenzialen über die im Zuge der Leistungskonfiguration gewonnenen Informationen (Piller/Stotko 2003, S. 189 ff.). Das klassische Erlöspotenzial einer Leistungsindividualisierung entspricht dem Wert, den die Reduktion der Unsicherheit über die „Passgenauigkeit“ der gekauften Güter aus Abnehmersicht widerspiegelt (Homburg et al. 1999). Durch die Differenzierung erlangt der Anbieter den Status eines Quasi-Monopolisten („akquisitorisches Potenzial“ nach Gutenberg 1984). Dies erlaubt einen Preissetzungsspielraum, da der Preis der Leistung über dem Preis

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eines konkurrierenden Produkts liegen kann, ohne sofort jegliche Nachfrage zu verlieren (Matson 1995; Skiera 2003). Diese Differenzierungsstrategie wird durch andere differenzierende Faktoren wie die Adressierung von Begeisterungseigenschaften oder eine Imageführerschaft noch verstärkt. Spezifische Erlöspotenziale der Mass Customization folgen aus der Steigerung der Kundenbindung als Folge hoher Kundenzufriedenheit. Eine kundenindividuelle Leistungserstellung bietet weitreichende Möglichkeiten zur Steigerung der Kundenzufriedenheit. Vor allem aber resultieren aus der Interaktion Informationsvorsprünge für die Anbieter, die zur Kundenbindung genutzt werden können. In dieser weiter oben bereits beschriebenen Beziehungsoption der Mass Customization liegen letztendlich die größten Potenziale dieses Konzepts (Piller 2003). Spezifische Kostensenkungspotenziale resultieren dagegen aus einer gesteigerten Effizienz der Leistungserstellung als Folge der durch die direkte Interaktion mit jedem Abnehmer erlangten Informationen. Sie sollen mit dem Begriff der Economies of Interaction bezeichnet werden (Piller 2003). Die „make-to-order“-Strategie vermeidet Fehlprognosen auf Endproduktebene ebenso wie hohe Lagerkosten. Produktionsseitig kann sich die Lagerhaltung auf Rohmaterialien und Bauteile beschränken, die zudem teilweise noch auftragsbezogen beschafft werden können. Der Abbau von Fertigwarenbeständen kann die Bestandskosten drastisch reduzieren – bei gleichzeitig steigender Planungssicherheit. Auch entfallen Abschriften auf überschüssige Produkte durch Modellwechsel. In der Produktionsplanung und Fertigung können Fixkostenblöcke abgebaut werden, die bei einer klassischen Produktion durch die Notwendigkeit einer hohen Leistungsbereitschaft bei schwankender Nachfrage entstanden sind. In der Bekleidungsindustrie schätzen Experten z.B. den Anteil der „Verschwendung“ im Sinne nicht abgesetzter Stoffe und Produkte aufgrund einer ungenauen Absatzplanung auf über 30% der Wertschöpfung (Sanders 2000). Hinzu kommen noch die Kosten der Lagerhaltung in den Absatzkanälen, und dies trotz einer hohen Unzufriedenheit vieler Kunden bezüglich der verfügbaren Größen, Farben und Modelle. Durch eine friktionslose, doppelte Prozesse und Leerzeiten vermeidende Abwicklung der verschiedenen Schritte der Wertkette als Folge der Kundeninteraktion können sowohl Kosten gespart als auch der Kundennutzen erhöht werden. Dabei ist die Verbesserung der Informationsbasis der jeweiligen Planungs- und Steuerungsprobleme die Basis für eine Verbesserung der Prozesse selbst. Bei Wiederholungskäufen sinken zudem bei beiden Partnern die Kosten der Interaktion und Transaktion. Damit wird auch für den Kunden eine Grundvoraussetzung geschaffen, sich auf eine längerfristige Kundenbeziehung einzulassen.

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Fallbeispiel Reflect

Umgesetzt hat dieses Prinzipien beispielsweise der amerikanische Mass Customizer Reflect (www.reflect.com), eine von Procter&Gamble (P&G) und Institutional Venture

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Partners (IVP) gegründeten (Internet-)Firma, die frischen Wind in die Kosmetik-Branche bringen soll (für weitere Beispiele siehe Piller/Stotko 2003 bzw. www.mass-customization.de): “Reflect.com represents the next phase in the evolution of e-commerceintegrating personalized content, personalized products and world class customer service.“, beschreibt Projektleiter Denis Beausejour, Vice President of Global Marketing von P&G, das Programm. Reflect revolutioniert unseres Erachtens den Handel mit Pflegeprodukten – durchaus Supermarktartikel wie Shampoos oder Tagescremen –, denn P&G gelingt hiermit erstmals, wovon viele große Markenartikler nur träumen können: individuelle Beziehungen zu treuen Endverbrauchern aufzubauen. Ziel des Unternehmens ist es, Frauen ein völlig neues Einkaufserlebnis zu vermitteln, eine interaktive und hochgradig personalisierte Online-Kosmetik- und Schönheitsberatung. Dazu müssen die Interessentinnen zunächst einen längeren Online-Fragebogen durchgehen. Auf Basis des so generierten Nutzerprofils erhalten die Kundinnen dann eine individualisierte Stil- oder Schönheitsberatung. Bis zu diesem Schritt unterscheidet sich Reflect noch nicht von den vielen anderen Wellness-, Beauty- und Health-Beratungen im Internet. Diese finanzieren sich in der Regel entweder durch Werbung oder aber Cross-Selling, indem zum Beratungsergebnis passende Produkte angeboten werden (www.alwaysinstyle.com). Jedoch eben nur Standardprodukte, Markenware, die es auch im Discount um die Ecke gibt, so dass für eine Nutzerin kein Anlass besteht, der WebSite (und deren Verkaufskatalog) treu zu bleiben, wenn sie erst einmal weiß, welche Produkte zu ihrem Typ oder zu ihrer Haut am besten passen. Doch Reflect geht hier genau den entscheidenden Schritt weiter, der letztendlich zu dauerhafter Kundenbindung führt. Denn aufbauend auf den Profilinformationen jeder Kundin wird für diese eine individuelle Web-Site erstellt, die eine personalisierte Produktlinie an Haar- und Hautpflegeprodukten enthält. Der Traum jeder Frau wird so wahr: Eine eigene Kosmetiklinie, die nicht nur deren eigenen Namen trägt, sondern bei der die Kundinnen neben der inhaltlichen Zusammensetzung der Produkte auch Duft, Farbe und Verpackung selbst wählen können. Möglich sind ca. 50.000 verschiedene Produkt- und Verpackungskombinationen. In der Fertigung baut P&G auf seine führende Rolle in der Entwicklung erfolgreicher Consumer-Goods. Während bislang vielleicht eins von 100 getesteten neuen Shampoos den Markttest überstand und tatsächlich im klassischen Massenmarkt eingeführt wurde, ermöglicht das Mass-Customization-Programm nun auch Produktvariationen, die zwar genau den Bedürfnissen einer kleineren Nische entsprechen, für den Massenmarkt aber unattraktiv waren (oder keine Regalfläche im Laden bekommen). Eventuelle Mehrkosten in der Produktion soll das nahezu lagerlose Produktionssystem sowie die Produkttreue der Kundinnen wieder ausgleichen. Denn Reflect ist ein gutes Beispiel für ein echtes, Mass Customization basiertes CRM-Programm. Nach einem einmaligen anfänglichen interaktiven Dialog zwischen Kundin und Anbieter wird ein Profil der Kundin aufgebaut, das die Erstellung von Produkten und Leistungen erlaubt, die auf ihre Bedürfnisse und Wünsche genau zugeschnitten sind. Damit wird die Grundlage einer dauerhaften Kundenbeziehung gelegt: Denn der zweite und jeder weitere Kauf wird für die Kundin immer einfacher, da nicht nur auf vorhandenes

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Wissen zurückgegriffen werden kann, sondern dieses auch durch Bewertungsmöglichkeiten immer mehr verbessert wird. Das Resultat? Shampoo und Tagescreme quasi im Abo! Denn das Angebot von Reflect ist unvergleichbar. Solange die Prämisse entsprechender Preise von vergleichbaren höherwertigen Standardartikeln erfüllt wird, besteht nun für die Kundin kein Anlass mehr, das nächste Schnäppchen im Supermarkt zu kaufen. Denn ihre ganz persönliche Kosmetiklinie gibt es nur im Internet, nur bei Reflect. Die Kosten, die P&G für den Aufbau und die Pflege des CRM-Instruments Reflect entstehen, lassen sich durch mehrere Vorteile, die P&G daraus für seine massenhaft produzierten Waren ableiten kann, amortisieren. Einerseits können die Kunden von Reflect zielgerichtet und effizient bedient werden. Die Aggregation und der Vergleich der Informationen über die einzelnen Kunden steigern die Informationsintensität von Reflect über seinen Absatzmarkt und erlaubt eine erfolgreiche Marktbearbeitung (Ludwig 2000; Peppers/Rogers 1997). Neue Kunden können effizienter und besser bedient werden, da ihnen beispielsweise eine individuelle Produktvariation vorgeschlagen wird, die Abnehmer mit ähnlichem Profil in der Vergangenheit erworben haben („Profiling”). Andererseits kann P&G aus den Erfahrungen mit Reflect für seine Hauptsparte mit Massengütern lernen. Die Verarbeitung von Informationen aus einem Segment innovativer (individueller) Reflect Käufer (Lead User) kann dazu beitragen, marktkonforme neue Produkte oder Produktmodifikationen für den Massenmarkt zu entwerfen, indem die Häufigkeit bestimmter individueller Kombinationen als Anhaltspunkt für Modifikationen im Produktprogramm verwendet wird (z.B. auffällig häufige Konfiguration von Shampoo mit Geschmacksrichtung „grüner Tee“ bei Reflect Kunden). Dies bietet gerade Unternehmen wie P&G, die neben der individuellen Leistungserstellung noch eine traditionelle massenhafte Lagerfertigung betreiben, Möglichkeiten zur Reduktion des Marktforschungsaufwands und des Risikos von Fehlschlägen bei Neuprodukteinführungen. Reflect wird so zur Lernfabrik für das Massengütermarketing von P&G (Piller/ Stotko 2003, S. 37). Durch diesen Einsatz von Reflect quasi als „Life-panel“ werden finanzielle Mittel frei, die die Aufwendungen für das CRM-Instrument Reflect mehr als decken. Beispielsweise können Ausgaben für klassische Marktforschung (z.B. PanelErhebungen, Promotion-Aktionen etc.) wenn nicht eliminiert, so doch erheblich gesenkt werden. Ein Beispiel hierfür sind die so genannten „Pröbchen“, die Kosmetikhersteller Zeitschriften, die von der Zielgruppe gelesen werden, beilegen. Ein enormer Anteil dieser „Pröbchen“ wandert ohne vom potenziellen Kunden eines Blickes gewürdigt worden zu sein, in den Mülleimer. Ein Verzicht auf diese Art der Kundenkommunikation setzt erhebliche Mittel frei, die deutlich nutzbringender bei Reflect eingesetzt werden können.

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Resümee

Die derzeitigen ökonomischen Herausforderungen und gesellschaftlichen Wandlungen zusammen mit den technologischen Entwicklungen führen zu Veränderungen der Wett-

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bewerbsbedingungen. Der Kunde rückt wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Die Kundenbindung wird zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Das Ziel des Beitrages war es, den Umsetzungsbarrieren der Praxis mit der Forderung nach einem ganzheitlichen Kundenbeziehungsmanagement zu begegnen, einem Kundenbeziehungsmanagement, das sich nicht in einer Individualitätsanmutung an der Kundenschnittstelle erschöpft und in Wahrheit aber die Prinzipien des Massenmarketing weiterführt. Während die meisten in der Praxis verfolgten Ansätze zur Kundenbindung derzeit lediglich auf mehr oder weniger individualisierte Kommunikation mit dem Kunden vertrauen, sucht der Ansatz der Mass Customization darüber hinaus auch die eigentliche Kernleistung zu individualisieren und damit nicht zuletzt auch zur Kundenbindung zu erschließen. Ziel ist eine integrierte und individualisierte Gestaltung der zwischen Anbieter und Abnehmer im Laufe der Zeit stattfindenden Interaktionen und Transaktionen, und das nicht nur auf der Kommunikationsebene, sondern auch auf der Ebene der eigentlichen Leistungsbestandteile.

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Ursula Hansen

Beziehungslos im Dschungel des Beziehungsmarketing oder: Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive 1

Entwicklung und Bedeutung des Beziehungsmarketing

2

Verbraucherbenefits und -kosten des Beziehungsmarketing 2.1 Theoretischer Stand der kundenorientierten Forschung 2.2 Arten von Verbraucherbenefits 2.3 Verbraucherkosten des Beziehungsmarketing

3

Ausgewählte Elemente einer Typologie von Geschäftsbeziehungen

4

Probleme und Grenzen des Beziehungsmarketing aus kundenorientierter Sicht 4.1 Grundsätzliche Probleme 4.1.1 Inflationierung 4.1.2 Missbrauch 4.1.3 Überforderung des personellen Potentials der Anbieter 4.2 Kosten der Markttransparenz 4.3 Einschränkung der mobilitätsbedingten Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs 4.4 Diskriminierungsproblematik 4.5 Sozialpsychische Schäden durch Kommerzialisierung von Beziehungen

5

Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

1

Entwicklung und Bedeutung des Beziehungsmarketing

Von den Marketingkonzepten der 90er Jahre hat das Beziehungsmarketing die steilste wissenschaftliche und praktische Karriere durchlaufen. Zahlreiche Anhänger sehen in ihm euphorisch einen Paradigmawechsel, der auf die griffige Formel gebracht wird: Von der Transaktions- zur Beziehungsorientierung. Der Theoriewandel setzt an der Begrenztheit einer kurzfristigen Transaktionsorientierung an. Diese Kurzfristigkeit bezieht sich zum einen auf die Erfolgperspektive und zum anderen auf die Interaktionsperspektive. Während für die Transaktionsorientierung der Verkauf die Interaktion beendet, sieht die Beziehungsorientierung hierin den Beginn einer längerfristigen Geschäftsbeziehung. Mit dieser soll Kundenorientierung realisiert werden, in der die „Nach-mir-die-Sinnflut-Mentalität“ des kurzfristigen transaktionsbezogenen Denkens überwunden werden soll. Es ist in gewisser Weise erstaunlich, wie überzeugend von verschiedenen Autoren die Kundenorientierung als innovative strategische Vision im Rahmen des Beziehungsmarketing gepriesen wird, nachdem das Marketing in den 60er und 70er Jahren genau mit diesem Anspruch angetreten war und seine konstituierende Idee gerade in der marktorientierten und damit vorrangig kundenorientierten Unternehmensführung gesehen wurde. Teilweise handelt es sich sogar um die gleichen Personen. Bei einer Renaissance der Kundenorientierung kann nur neu sein entweder (a) eine Revitalisierung des bisher nicht genügend realisierten, konstitutiven Marketinggedankens oder (b) eine Re-Interpretation im Sinne situativ anders zu gestaltender Marketingaktivitäten. Die methodologische Entwicklung des Beziehungsmarketing ist geprägt von verschiedenen sozialpsychologischen und ökonomischen theoretischen Grundlagen, die hier nicht weiter ausgeführt werden sollen. Für unser Thema relevant erscheint dagegen eine Unterscheidung der Ansätze nach ihrer Wertbasis. Danach ergeben sich einerseits mehr verbraucherzentrierte und andererseits mehr erfolgsstrategische Ansätze, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Erste Wurzeln für die theoretische Entwicklung des Beziehungsmarketing bestehen in der Bundesrepublik mit dem verbraucherzentrierten Ansatz des Marketing. Dieser resultierte wesentlich aus der Wahrnehmung erheblicher Kritik an dem Marketing und aus einem verbraucherorientierten Interesse an Konsumentenzufriedenheit mit dem Marketing, an gesellschaftlichen Konsumfolgen und an der Entwicklung von Marketingkonzepten zur Verbesserung der Konsumentenzufriedenheit. Der Anspruch des Marketing auf eine markt- und speziell kundenorientierte Unternehmensführung wurde hier also ernst genommen, indem Wege für Interaktionsbeziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern – sei es auf kollektiver oder auf individueller Ebene – für die Gestaltung zufriedenstellender Transaktionsepisoden entwickelt wurden. In diese Richtung weist das Konzept des Beschwerdemanagements (Hansen/Schoenheit 1987; Hansen et al. 1995; Riemer 1986; Stauss/Seidel 2002), das zum umfassenderen Nachkaufmarketing ausgebaut wurde (Jeschke 1995; Hennig-Thurau 1998). In die gleiche Rich-

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tung gehen strategische Gedanken zur Einrichtung von Verbraucherabteilungen oder Kundenforen (Hansen 1979; Hansen/Stauss 1982; Raabe 1985). Diese Forschungsansätze konnten auf amerikanischen Vorbildern aufbauen, da in den USA sowohl das Complaint Management als auch Consumer Affairs-Departments in Theorie und Praxis bereits weiter entwickelt und stärker anerkannt waren (Andreasen/Best 1977; Fornell 1978). In eher erfolgsstrategischer Absicht entstanden in den 80er Jahren erste Ansätze des Beziehungsmarketing für das Anwendungsfeld des Investitionsgütermarktes. Dies ist insofern naheliegend, als in diesem Bereich die prozessualen Elemente der Kundenbeziehung sehr erfolgsrelevant sind (Diller/Kusterer 1988; Jackson 1985) und Kundenorientierung sich daher auf zufriedenstellende Transaktionsfolgen mit den Kunden beziehen muss. Dabei nimmt die aktive Gestaltung der Nachkaufphase zur Aufrechterhaltung dauerhafter Geschäftsbeziehungen einen besonderen Stellenwert ein (Günter 1992, S. 386 ff.; Vavra 1992, S. 251 ff.). In den 90er Jahren wurde das strategische Erfolgspotential dauerhaft zufriedengestellter und gebundener Kunden für den Dienstleistungs- und Konsumgütersektor entdeckt (Christopher et al. 1991; Grönroos 1994), und es wurde ein differenziertes Instrumentarium der Beziehungsgestaltung mit den Kunden entwickelt. Dieses Interesse an der Gestaltung dauerhaft zufriedenstellender Transaktionsepisoden deckt sich zwar mit dem erst genannten verbraucherzentrierten Ansatz, ist jedoch vor einem anderen theoretischen Hintergrund zu verstehen. Die derzeitige marketingstrategische Aktualität erklärt sich nämlich zu einem wesentlichen Teil situativ als Antwort auf rezessive Marktsättigungserscheinungen, die eine Ursache dafür bilden, dass bestehende Kundenbeziehungen wertvoller werden gegenüber den Möglichkeiten der Kundenneugewinnung. Darüber hinaus haben neue Informations- und Kommunikationstechnologien situativ wichtige Voraussetzungen für die individuelle Gestaltung von Kundenbeziehungen geschaffen. In der derzeitig vorherrschenden Literatur zum Beziehungsmarketing wird der Beziehungserfolg als primäre Zielgröße betrachtet, die durch Kostenwirtschaftlichkeit, Beziehungssicherheit sowie durch die Ergiebigkeit der Geschäftsbeziehung determiniert wird (Diller 1995, S. 445). Diese ökonomischen Zielgrößen werden durch die Beziehungsqualität beeinflusst, die sich ihrerseits aus den psychografischen Komponenten der Kundenzufriedenheit bzw. wahrgenommenen Leistungsqualität, Vertrauen und Commitment zusammensetzt (Hennig-Thurau/Klee 1997, S. 750 ff.; Hadwich 2003, S. 22 ff.). Besondere Beachtung wird unternehmensinternen Zielen gewidmet, wie z.B. dem kundenorientierten Arbeitsverhalten, das als instrumentelle Voraussetzung für den Beziehungserfolg gesehen wird (Schulze 1992). Der Maßnahmenkatalog des Beziehungsmarketing wird zunehmend differenzierter. Tab. 1 zeigt die diskutierten Ansätze einer beziehungsorientierten Modifikation des Marketing-Mixes (Bruhn/Bunge 1994, S. 64; Hansen/Bode 1999, S. 304).

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

149

Produktpolitik

Preispolitik

Kommunikationspolitik

Distributionspolitik

Co-Produktion

Kundenwert

Beziehung

Individualisierung

ƒ Qualität ƒ Konsum-

ƒ Treue-

Kompetenz

ƒ Service ƒ Cross-Selling Tab. 1:

ƒ Kundenindividuelle ƒ Kundenklubs Dialoge ƒ Kooperation ƒ Monetäre ƒ Database-Systeme Zusatzleistungen ƒ Direkt-Marketing /Mengenrabatte

Beziehungsorientierte Modifikation des Marketing-Mixes Quelle: Hansen/Bode 1999, S. 304

In diesen Handlungsfeldern werden Prinzipien der individualisierten Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen (customization), der Selektion und Priorisierung langfristig ausgelegter erfolgsversprechender Geschäftsbeziehungen (Kundenwert), der Interaktion in einem Kundendialog, wie z.B. in einem Beschwerdeprozess, und der Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess als Koproduzent verwirklicht. Die Entwicklung des Beziehungsmarketingkonzeptes kann durch folgende Tendenzen charakterisiert werden: ƒ In den Anfängen des Beziehungsmarketing bildete das unternehmerische Leistungsangebot den Fokus der Beziehungsgestaltung. Dies gilt auch für den zufriedenheitsorientierten Ansatz des verbraucherzentrierten Marketing. Demgegenüber gewinnt nun die leistungsunabhängige Gestaltung von Beziehungen zunehmende Bedeutung. ƒ Das Instrumentarium der Beziehungsgestaltung wird ständig differenzierter und führt zu einer Auflösung und Vermischung der klassischen vier „P‘s“. Dadurch erhöht sich die Komplexität der marktlichen Austauschprozesse. ƒ Es findet eine zunehmende Integration des Beziehungsmarketing in interne unternehmerische Prozesse statt. So wachsen z.B. die Service- und Marketingabteilungen über dem gemeinsamen Problem einer Gestaltung von Transaktionsepisoden mehr zusammen. Demgegenüber waren bei der Transaktionsorientierung des Marketing die abteilungsspezifischen Ziele oft sogar konfliktär, indem einer Verkaufsorientierung des Marketing im Sinne einer kurzfristigen Umsatzsteigerung die Käuferbetreuung der Serviceabteilung nach dem Kauf oft entgegenstand und hier überzogene Kundenerwartungen abgebaut werden mussten, die durch Verkaufsargumente geweckt worden waren. Insgesamt bewirkt das Beziehungsmarketing eine zunehmende Sensibilisierung für die notwendigen unternehmensinternen Implementationsmaßnahmen und die Perspektivenverschiebung, die den Kunden auch nach dem Kauf im Mittelpunkt unternehmerischer Maßnahmen sieht.

150

Ursula Hansen

2

Verbraucherbenefits und -kosten des Beziehungsmarketing

2.1

Theoretischer Stand der kundenorientierten Forschung

Die mit dem Beziehungsmarketing verbundene Euphorie hat sich in einer umfangreichen Forschung zu den Vorteilen für Unternehmen niedergeschlagen. Dagegen haben weit weniger Autoren sich mit der kundenorientierten Fragestellung beschäftigt, was das Beziehungsmarketing dem Kunden nützt. Diesen Mangel haben verschiedene Autoren beklagt (z.B. Gwinner et al. 1998, S. 101 f.; Hansen/Bode 1999, S. 308 ff.). Die entscheidende Frage, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen die Konsumentenbeziehungen mit Anbietern wollen, wurde bisher relativ selten gestellt. Vielmehr wurde wahrscheinlich als nicht hinterfragte Grundthese und selbstevidente Wahrheit von der Bejahung der Frage nach dem Sinn und dem Nutzen für Kunden ausgegangen. Dieser Forschungsstand weist insofern fast anachronistische Züge auf, weil das Beziehungsmarketing – wie oben festgestellt – angetreten ist zur Korrektur einer vom Transaktionsmarketing nicht genügend berücksichtigten Kundenorientierung. Da diese jedoch nur verwirklicht werden kann, wenn eingehende und differenzierte Kenntnisse über diesbezügliche Interessen und Bedürfnisse der Kunden vorhanden sind, ist zu befürchten, dass auch dieses Konzept nicht immer wirklich kundenorientiert gemeint ist. Besonders heikel ist dabei der Tatbestand, dass gerade eine interaktive Kundenansprache und -betreuung, wie sie mit dem Beziehungsmarketing beabsichtigt wäre, ohne wirkliche diesbezügliche Kundenkenntnis zu einer Pseudoaktion degenerieren muss. Als weitere Quelle für die Aufklärung über Verbraucherinteressen an Geschäftsbeziehungen mit Anbietern könnte die Theorie der Verbraucherpolitik herangezogen werden. Auch hier ist der Befund weitgehend negativ, da sich Theorie und Praxis der Verbraucherpolitik dieser aktuellen Entwicklung des Marketing bisher kaum zugewendet haben. Aus einer Durchsicht diesbezüglicher Dokumente und Literaturbeiträge waren kaum Ansätze einer Auseinandersetzung verbraucherpolitischer Interessen bzw. Leitziele mit den Intentionen des Beziehungsmarketing zu entnehmen. Der insofern noch wenig entwickelte Forschungsstand ermutigt, einige kundenorientierte Gedanken und hier insbesondere auch einige kritische Aspekte aus Kundensicht zu formulieren. Dazu sollen zunächst die wenigen Autoren zu Rate gezogen werden, die in diesbezügliche Konsumforschung investiert haben. Es gibt zum einen Beiträge, die sich auf das Konsumentenverhalten in Bezug auf partielle Gestaltungsbereiche des Beziehungsmarketing beziehen. Dazu gehören z.B. Untersuchungen über das mit dem Beschwerdemanagement korrespondierende Beschwerdeverhalten der Konsumenten (Hansen/Jeschke 1991) oder über die Konsumkompetenznachfrage im Rahmen des CoProduzentenansatzes (Hansen/Hennig 1995). Zum anderen sind in diesem Zusammenhang relevant einige jüngere Arbeiten zu den Verbraucherbenefits aus langfristigen Geschäftsbeziehungen (Fournier et al. 1998; Gwinner et al. 1998; Jeker 2002). Auf sie

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

151

soll in folgendem kurz eingegangen werden, weil sie die Grundlage für die Beurteilung der Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbrauchersicht bilden.

2.2

Arten von Verbraucherbenefits

Die Verbraucherbenefits werden in den verschiedenen empirischen Untersuchungen unterschiedlich strukturiert. Relativ konstant erscheinen allerdings ökonomische, soziale und psychologische Arten von Beziehungsbenefits (Tab. 2). Die ökonomischen Benefits entstehen zum einen aus individueller Bevorzugung durch Preisnachlässe und sonstige geldwerte Sonderleistungen. Weiterhin sind Transaktionskostenersparnisse zu berücksichtigen, wie z.B. Zeit- und Wegekosten sowie Informationskosten der Alternativenüberprüfung; diese Aspekte können mit der Transaktionskostentheorie systematisch begründet werden. Eng damit verbunden sind die psychologischen Benefits. Diese entstehen auf der Basis von Vertrauen in eine Beziehung und werden daher in der Literatur auch als Confidence-Benefits bezeichnet. Der Konsument erlebt psychische Entlastung durch verminderte Komplexität von Kaufentscheidungen; er fühlt sich sicherer durch Reduktion seines Risikoempfindens in Hinblick auf mögliche falsche Entscheidungen und ist weniger kognitiver Dissonanz ausgesetzt. Diese Effekte sind für den Konsumenten unterschiedlich hoch je nach situativem Involvement, den Produkteigenschaften und seiner persönlichen Risikoneigung. Die sozialen Benefits resultieren aus dem Kontakt mit Unternehmensangehörigen oder aus den von Unternehmen organisierten Kontakten mit anderen Kunden (Beispiel des Kundenclubs). Sie umfassen soziale Anerkennung, Zugehörigkeitsgefühle (z.B. IKEA„Family“) und sogar Freundschaft oder auch soziale Erlebnisse in Interaktionen. Gwinner et al. (1998) haben in ihren empirischen Untersuchungen soziale und confidence Benefits sowie special treatment Benefits gefunden. Letztere sollen die oben genannten ökonomischen Benefits enthalten. Diese Strukturierung schafft erhebliche Überschneidungsprobleme, da eigentlich alle Benefits ihre Wurzel in special treatments finden. Neben den Beziehungsbenefits erhalten die Kunden auch Benefits aus der angebotenen Leistungsqualität. Diese sind hier themenrelevant, soweit sie durch langfristige Geschäftsbeziehungen und nicht bereits durch eine einmalige Transaktion realisierbar sind. Dies ist der Fall einerseits durch längerfristige Beeinflussung der Qualitätswahrnehmung während der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden und zum anderen durch Verbesserungen der Leistungsnutzung durch den Kunden in der Nachkaufphase, wie sie z.B. durch Betreuung nach dem Kauf oder durch Steigerung der Kompetenz des Kunden im Produktge- und -verbrauch entstehen.

152

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Beziehungsbenefits

Benefits aus angebotener Leistungsqualität

Ökonomisch z.B. Transaktionskostenersparnisse

Längerfristige Beeinflussung der Qualitätswahrnehmung

Psychologisch z.B. Entlastung durch Vertrauen

Verbesserung der Nutzung der angebotenen Leistung

Sozial z.B. soziale Anerkennung

Tab. 2:

2.3

Verbraucherbenefits aus dem Beziehungsmarketing

Verbraucherkosten des Beziehungsmarketing

Zur Bestimmung des aus einer Geschäftsbeziehung für den Kunden resultierenden Nettonutzens sind seine zum Aufbau und zur Erhaltung der Beziehung entstehenden Kosten zu berücksichtigen. Diese sind nicht ganz einfach von den ökonomischen Benefits abzugrenzen, in die ja – wie oben ersichtlich – eingesparte Kosten eingerechnet werden. Dies ist insofern sinnvoll, als die Kunden hier ein Vorteilsempfinden haben. Es verbleiben als Kosten der Beziehung im Bereich der Leistungen alle zusätzlichen Entgelte, die bei einmaligen Transaktionen nicht angefallen wären. Als Beziehungskosten können Entgelte für Mitgliedschaften in Kundenbindungsprogrammen betrachtet werden. Auch der monetäre Kommunikationsaufwand für den Kunden stellt eine nicht zu vernachlässigende Größe dar. So können z.B. Post-, E-Mail- oder Telefonkosten für den angestrebten interaktiven Dialog auch bei dem Kunden entstehen. Bei allen monetären Kosten ist es aus Kundensicht wichtig, zu unterscheiden, ob sie für ihn transparent als zurechenbare Kosten anfallen oder in allgemein zu entgeltenden Beträgen untergehen. Neben den monetären Kosten fallen für die Kunden auch nicht monetäre Kosten an, die mit der Aufwendung von Kraft und Zeit für die Beziehungsgestaltung verbunden sind. Die Zeitbilanz einer Beziehung ist kompliziert, da es weitgehend von dem Empfinden der Kunden abhängt, ob die in eine Beziehung investierte Zeit im Sinne eines Zeitvertreibs als Benefit oder als nicht monetärer Kostenfaktor empfunden wird.

3

Ausgewählte Elemente einer Typologie von Geschäftsbeziehungen

Die Beurteilung von Problemen und Grenzen von Geschäftsbeziehungen aus Verbrauchersicht ist nicht pauschaliert, sondern nur unter Berücksichtung von Unterschieden zwischen Geschäftsbeziehungen zu leisten. Daher sollen im folgenden einige problemrelevante Typenelemente dargestellt werden.

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

153

Es ist zunächst sinnvoll, das Anwendungsfeld zu berücksichtigen, d.h. also die Art des Kerngeschäftes, an dem die Beziehungsgestaltung anknüpft. Dieses beeinflusst Form und Bedeutung der Beziehungsgestaltung aus Kundensicht erheblich. Grundsätzlich sind hier Dienstleistungen und Sachleistungen zu unterscheiden, da sich Dienstleistungen generell mit dem Prozess der Leistungserstellung wesentlich stärker für den Einsatz des Beziehungsmarketing eignen als Sachleistungen. Die starke Heterogenität von Sachleistungen macht allerdings weitere Differenzierungen notwendig, wie z.B. nach der Beratungs- und Serviceintensität, nach der Wertigkeit der Produkte, ihrem Prestigewert, nach dem von ihnen ausgelösten Involvement und schließlich nach ihren Informationsqualitäten (search-, experience- und credence qualities). Die Beziehungen selbst unterscheiden sich entsprechend der Art der Bindung in Zustände der Gebundenheit oder Verbundenheit beziehungsweise in freiwillige oder zwanghafte Beziehungen (Bliemel/Eggert 1998, S. 39 ff.). Freiwilligkeit heisst, dass der Kunde trotz Alternativen in der Verbindung bleibt, sei es, dass bei rationalem Kalkül der Nettonutzen der Beziehung seinen Ansprüchen genügt oder sei es auch, dass er aus Gewohnheit bleibt (habitualisiertes Verhalten) oder er sich emotional gebunden fühlt. Zwanghaftigkeit entsteht, wenn sich der Kunde abhängig fühlt, d.h. einen „... Zustand eingeschränkter Substituierbarkeit des als wichtig erachteten Gegenstandes der Bindung ..." (Plinke/Söllner 1998, S. 58) empfindet. Auf Zwang bzw. Abhängigkeit basierende Geschäftsbeziehungen werden in der Regel nicht aufrechterhalten, wenn deren Gründe entfallen (Bendapudi/Berry 1997, S. 18 ff.). Derartige Gründe sind verschiedenartig; sie können marktpolitischer Natur sein (fehlende Alternativen bei Angebotsmonopolen), technisch-funktional (bei produktspezifischen Inkompatibilitäten), ökonomisch (bei hohen Wechselkosten oder „sunk costs“ durch spezifische Investitionskosten) oder rechtlich (bei bindenden vertraglichen Vereinbarungen). Wie aus dieser Aufzählung geschlossen werden kann, werden Bindungszwänge teilweise von den Anbietern geschaffen (z.B. Konditionen in Bezug auf Vertragslaufzeiten), teilweise resultieren sie auch aus allgemeinen situativen Bedingungen (z.B. Monopolsituationen), wobei allerdings das Abhängigkeitsgefühl der Kunden mit der Ausnutzung der Situation durch den Anbieter beeinflusst werden kann. Ein drittes typenbildendes Merkmal ist der inhaltliche Bezug der Beziehungsgestaltung. Hier ist die Unterscheidung in kernleistungsbezogene und kernleistungsunabhängige Beziehungsgestaltung von großer Themenrelevanz. Erstere dient dazu, die angebotene Leistung als Grundlage der Geschäftsbeziehung in faktischer oder wahrnehmungsbezogener Hinsicht zu verbessern. Demgegenüber verschaffen rein beziehungsorientierte Gestaltungsformen soziale oder psychologische Zusatzerlebnisse. Viele Anbieteraktivitäten enthalten gleichzeitig Elemente beider Ausprägungen. Dies gilt insbesondere für den Dienstleistungsbereich, wo oft Prozesse der Leistungserstellung um eine Erlebniskomponente angereichert werden mit leistungsunabhängigen Angeboten (z.B. zeitvertreibende Aktionen in Wartezeiten). Daher kann der inhaltliche Bezug der Beziehungsgestaltung im einzelnen nur schwerpunktmäßig bestimmt werden. Innerhalb eines Profils von Beziehungsleistungen kann eine horizontale und eine vertikale Dimension unterschieden werden (Abb. 1). In horizontaler Hinsicht werden ver-

154

Ursula Hansen

schiedene Beziehungsleistungen zu einem Angebotsbündel zusammengestellt, während in vertikaler Hinsicht die Maßnahmen auf verschiedene Transaktionen ausgerichtet werden und insofern eine zeitliche Verknüpfung erfolgt (z.B. eine Preisoptimierung über mehrere Transaktionen hinweg).

Anzahl notwendiger Transaktionen in Bezug zur Leistung

5

Beziehungsleistung 2 4

3

Beziehungsleistung 3

Beziehungsleistung 6

2

Beziehungsleistung 1

Beziehungs- Beziehungsleistung 4 leistung 5

1

Beziehungsleistung

Abb. 1: Profil von Beziehungsleistungen

4

Probleme und Grenzen des Beziehungsmarketing aus kundenorientierter Sicht

4.1

Grundsätzliche Probleme

Wenn in einer Zeit der euphorischen Arbeit an einem neuen Konzept, einer Zeit aktiver Forschung und vielfältiger Publikationen, umfangreicher Implementierungen in der Praxis und begleitender fleißiger Weiterbildung nach Problemen und Grenzen gefragt wird, so kann diese Haltung leicht sauertöpfisch und miesmacherisch wirken. Da ich selber den Einstieg in diese Konzeptentwicklung aktiv in der Bundesrepublik betrieben habe und unter dem Begriff des Nachkaufmarketing zur Förderung des Konzeptes vieles beigetragen habe, mag diese Frage aus meiner Feder um so mehr verwundern. Eine Reflexion der Frage soll aber möglichen Fehlentwicklungen vorbeugen, um die zweifellos zahlreichen positiven Aspekte des Konzeptes zu erhalten. Wie seiner Zeit bei meinen kritischen Überlegungen zum Transaktionsmarketing (Hansen/Stauss 1983), die mich zu ersten Vorschlägen zum Nachkaufmarketing im Sinne einer Verbesserung der

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

155

Verbraucherzufriedenheit geführt haben, soll im folgenden das Konzept des Beziehungsmarketing wiederum an seinem eigenen Anspruch gemessen werden, nämlich zu einer Verbesserung der Kundenorientierung beitragen zu können.

4.1.1 Inflationierung Paradoxerweise scheinen einige gewichtige Probleme des Konzeptes aus seiner begeisterten und vielfältigen Anwendung zu resultieren, die zu einer Inflationierung des Beziehungsangebots führen könnte. Derartige Entwicklungen sind grundsätzlicher Natur und auch in vielen anderen Bereichen des Marketing festzustellen. So hat die starke Differenzierung und Kurzlebigkeit des Markenangebots zu hypertrophen Erscheinungen geführt, die den Markenmanagern das Leben schwer machen und die erstrebten Markenbindungen der Konsumenten verkomplizieren. Nicht anders ist es mit der ständig ansteigenden Flut von Werbebotschaften, die eine Informationsüberlastung der Konsumenten bewirkt hat und die Aufwendungen für Aufmerksamkeitsziele in die Höhe treibt. Inflationierungen in der Anwendung von Marketinginstrumenten bergen mehrere Gefahren in sich: Sie können an Kapazitätsgrenzen bei den Konsumenten stoßen, wie es mit der mentalen Aufnahmekapazität für Informationen im Rahmen der Werbung geschehen ist, sie steigern das Anspruchsniveau, so dass wettbewerbliche Potentiale verloren gehen, und sie führen zu Abnutzungserscheinungen hinsichtlich ihrer Attraktionswirkung. Soweit sind hier also nur marktpolitische Phänomene „as usual“ zu beklagen. Ich möchte nun allerdings die These wagen, dass im Bereich des Beziehungsmarketing Inflationierungen besonders kritisch sind, weil teilweise empfindliche sozial-psychische und emotionale Phänomene angesprochen sind, die eine Übersteigerung nicht vertragen und erhöhte Reaktanzgefährdung (Stahl 2004) beinhalten. Zu viele Beziehungsangebote, zu viele Freundschaftsofferten werden leicht als unglaubwürdig oder lästig, peinlich oder lächerlich empfunden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der leistungsunabhängigen Beziehungsgestaltung.

4.1.2 Missbrauch Eine verwandte Argumentationslinie ist in Bezug auf eine Missbrauchsgefahr aufzubauen. Diese soll in der Ausprägung möglicher Irreführungen und Gefährdungen diskutiert werden. Grundsätzlich kann jede Sozialtechnologie – wie das Marketing sie darstellt – aus Sicht der Betroffenen in positiver oder negativer Weise verwendet werden. So gibt es aus Verbrauchersicht bekanntlich viele Segnungen des Marketingeinsatzes, wie z.B. die innovative Vielfalt der Produkte, der erlebnisreiche Einkauf im Handel oder die schnelle Verfügbarkeit von Konsumkrediten. Jedoch sind natürlich auch die Gefahren des Missbrauchs deutlich, wie sie mit Irreführungen und Verführungen durch manche Werbemaßnahme oder mit Unsicherheits- oder Gesundheitsproblemen bei Produkten bestehen. Je subtiler die verhaltenswissenschaftliche Kenntnis über die Konsumenten ist, um so größer wird auch die Missbrauchsgefährdung. Um diese allerdings richtig

156

Ursula Hansen

einschätzen zu können, wären auf Verbraucherseite konkrete Formulierungen des Verbraucherinteresses notwendig. Bezogen auf das Beziehungsmarketing ist nun wiederum zu diskutieren, ob sich die allgemeinen Missbrauchsgefahren in diesem Bereich anders darstellen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der direkten Problematik missbräuchlich gestalteter Beziehungen oder der indirekt wirksamen Schaffung von Voraussetzungen für missbräuchliches Verhalten in anderen Marketingbereichen durch Beziehungen. Die Beziehungsgestaltung kann hinsichtlich ihres emotionalen Gehalts missbräuchlich und für den Verbraucher irreführend gestaltet werden, wie z.B. das Angebot von pseudoindividualisierten Dialogen. Hier ist im einzelnen schwer zu ermitteln, was für den Verbraucher wirklich irreführend ist. Gehen wir von dem gleichen Problem bei der Werbung aus, so muss gefragt werden, wie weitgehend der Verbraucher Botschaften ernst nimmt und dadurch zu bestimmten Verhaltensweisen angeregt wird. Ähnlich wie in der Werbung, wo (hoffentlich!) kein Verbraucher mehr die Aussage der Superlative („das weißeste Weiß Ihres Lebens“) wörtlich nimmt, wird er auch bei einer Inflationierung von Beziehungsangeboten so vielversprechende Worte wie „Anerkennung“ und „Zuneigung“ oder gar „Freundschaft“ nicht mehr ernst nehmen. Das Beziehungsmarketing wirkt indirekt, wenn mit ihm ein begünstigendes Klima für missbräuchliches Verhalten in anderen Marketingbereichen geschaffen wird und damit opportunistisches Verhalten ermöglicht wird. Dies ist im Prinzip bei allen bindenden und emotionalisierenden Maßnahmen der Fall, die irrationalisierende und die Markttransparenz einschränkende Wirkungen entfalten.

4.1.3 Überforderung des personellen Potentials der Anbieter Bei der Gestaltung des Beziehungsmarketing ist das Personal des Anbieters gefordert, Kundenorientierung zu praktizieren. Dies gilt für das front office-Personal im Kontakt mit den Kunden in besonderem Maße, sollte aber auch im back office-Bereich im Sinne einer unternehmensweiten Philosophie und Konzeptimplementierung gelebt werden. Aus diesem Grunde wird heutzutage im Rahmen des Beziehungsmarketing Sozialkompetenz der Mitarbeiter gefordert, und Konzepte des internen Marketing sollen bei dem Personal kundenorientierte Einstellungen erzeugen. Hier stößt man allerdings an deutliche Grenzen. Versprechen des individualisierten, verständnisvollen und emotional positiven Kundenkontaktes können von dem Personal nur begrenzt eingelöst werden. Gerade in den Call Centers, Beschwerde- und Kundenkontaktabteilungen gibt es burn-outProbleme, die etwas zu tun haben mit dem Ausverkauf an guter Laune, Geduld, menschlicher Zuwendung und allumfassendem Verständnis. Dies sind Eigenschaften des Personals, die – in großen Mengen gebraucht – weder unbegrenzt beschafft noch produziert werden können. Wenn warme, individuelle Kundenkontakte von vielen Firmen sogar durch Outsourcing hergestellt werden sollen (vgl. Abb. 2), dann zeigt sich überdeutlich, dass hier Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realisierung bestehen,

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

157

und das ist auch ein Problem aus Verbrauchersicht, wie wir es noch in verschiedener Hinsicht konkretisieren wollen.

Abb. 2: Outsourcen individueller Kundenbeziehungen: Das Beispiel BertelsmannServices

4.2

Kosten der Markttransparenz

Markttransparenz stellt eine wichtige Einflussgröße für die Funktionsfähigkeit des Marktes dar, die auch das bereits von John F. Kennedy propagierte Recht des Verbrauchers auf freie Wahl stark tangiert. Informationsmöglichkeiten über das Marktangebot – und zwar sowohl über Qualitäten wie auch über Preise – bilden die Basis für eine marktgerechte Produktwahl. Zur Beurteilung der Informationsmöglichkeiten sind sowohl die grundsätzlichen Informationszugänge wie die Informationskosten zu berücksichtigen, die monetäre und geldwerte zeitliche sowie psychische und physische Anstrengungen umfassen. Es ist davon auszugehen, dass eine Individualisierung des Marktangebots grundsätzlich die Informationszugänge und Informationskosten für die Verbraucher erhöht, da Vergleichsmöglichkeiten erschwert sind. Dies trifft auch für Aktivitäten des Beziehungsmarketing zu, soweit mit ihnen eine Individualisierung des

158

Ursula Hansen

Angebots intendiert wird, wie z.B. die nach Kundenwert bemessenen Sonderkonditionen und Zusatzleistungen nach dem Kauf. Ein anderer, die Markttransparenz beeinflussender Aspekt betrifft die zunehmende Komplexität durch Beziehungsangebote. Wenn die Kernleistungen in steigendem Maße mit z.T. völlig kernleistungsfremden Angeboten verknüpft und damit Transaktionsepisoden miteinander verbunden werden, entsteht in horizontaler (Leistungsbündel) und vertikaler Hinsicht (zeitlich sukzessive Leistungsabfolge) ein für die Konsumenten undurchschaubares Paket an Leistungen, das in Bezug auf Konkurrenzangebote wenig oder sogar nicht mehr einschätzbar ist. Diese Komplexität verstärkt sich, wenn die zu bezahlenden Entgelte pauschaliert und nicht zurechenbar sind. Im Sinne ökonomischrationaler Kaufentscheidungen müsste der Konsument eine Beziehungsbewertung mit einem Vergleich der einzuzahlenden abgezinsten Entgelte und den bewerteten empfangenen Leistungen vornehmen, da ja einzelne Transaktionen bei längerfristiger Beziehungsgestaltung der Anbieter nicht mehr sinnvoll vergleichbar sind. Dass dies die Entscheidungsfähigkeit des Konsumenten überfordert, ist offensichtlich. Die Argumentation auf der individuellen Ebene einzelner Konsumenten muss ergänzt werden um kollektive, verbraucherpolitische Aspekte der Verbraucherinformation (Hansen 2003). Betrachten wir hier exemplarisch den Warentest als klassisches und für die Markttransparenz zentrales verbraucherpolitisches Instrument, so muss festgestellt werden, dass seine Leistungsfähigkeit und Aussagekraft bei einer steigenden Verbreitung des Beziehungsmarketing nachlässt. Der Warentest ist derzeitig in seiner Anwendung auf den Konsumgütersektor in der Bundesrepublik sehr sachleistungsverhaftet und macht vergleichende Qualitätsaussagen über konkurrierende Produkte. Dazu sind Testverfahren auf ein gewisses Maß an Standardisierung der Testobjekte angewiesen. Die Testarbeit wird daher bereits durch customization in der Produktgestaltung erschwert. Je mehr darüber hinaus Produkte mit Beziehungsleistungen verknüpft werden, die der Intention der Anbieter entsprechend ja gerade zunehmende Kaufrelevanz und damit marktsteuernde Wirkungen entfalten sollen, um so weniger kann der Warentest mit seiner sachleistungsbezogenen Kernkompetenz kaufrelevante vergleichende Informationen für den Konsumenten zur Verfügung stellen und damit Unterstützung für Kaufentscheidungen bieten. Außerdem kann ein Testverfahren immer nur auf Kaufobjekte in einzelnen Transaktionen zugeschnitten sein und erfasst nicht den Wert längerfristiger Transaktionsepisoden. Als Ergebnis müssen wir festhalten, dass mit der Entwicklung des Beziehungsmarketing zunehmend marktsteuernde Elemente des Wettbewerbs der Verbraucherinformation durch Warentests entzogen werden. Dies gilt einerseits für die vertikale Verknüpfung verschiedener Transaktionsepisoden und andererseits für die horizontale Kombination von sachbezogenen Kernleistungen mit Beziehungsleistungen. In horizontaler Hinsicht wird die Testarbeit um so schwieriger, je mehr sich die Beziehungsleistungen von den Sachleistungen entfernen. Eine Überprüfung anderer Instrumente der Verbraucherinformation, wie z.B. der Verbraucherberatung, führt zu ähnlichen Einschätzungen. Zwar kann in face-to-faceBeratungen der Differenziertheit des Beziehungsmarketing besser entsprochen werden,

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

159

doch bleibt auch hier für die verbraucherpolitischen Institutionen die Problematik der erschwerten Beschaffung von Informationen.

4.3

Einschränkung der mobilitätsbedingten Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs

Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs basiert neben der Information des Verbrauchers auf dessen Artikulations- und Handlungsmöglichkeiten („exit“ und „voice“ gemäß Hirschman). Im Rahmen des Beziehungsmarketing wurden einerseits die voiceOptionen für die Konsumenten verbessert. In diese Richtung weist der ganze Bereich des Beschwerdemanagements, der in Theorie und Praxis einen großen Aufschwung genommen hat. Die Grundidee besteht hier darin, den Konsumenten in Fällen von Unzufriedenheit erleichterte Artikulationsmöglichkeiten zu verschaffen. Darüber hinaus gibt es im Beziehungsmarketing verschiedene Ansätze, ganz allgemein den Dialog mit den Konsumenten zu verbessern. Demgegenüber ist dem Beziehungsmarketing seiner Intention gemäß inhärent, dass sich die exit-Optionen verschlechtern, wozu verschiedene Mittel der Kundenbindung eingesetzt werden (Pressey/Mathews 2000, S. 274). Damit geht eine Einschränkung der Konsumentenmobilität einher, was sich negativ auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auswirkt. Zur Beurteilung dieses Effektes des Beziehungsmarketing kann auf die oben angelegte Differenzierung nach Art der Kundenbindung in Zustände der Gebundenheit und Verbundenheit beziehungsweise in freiwillige und zwanghafte Beziehungen verwiesen werden. Bei Gebundenheit hat das Festhalten in einer Beziehung eher unfreiwilligen oder zumindest passiven Charakter. Aus verschiedenen Gründen sind die Austrittsbarrieren faktisch sehr hoch oder werden als sehr hoch empfunden. Die Kunden entwickeln Gebundenheits- bzw. Abhängigkeitsgefühle und damit einhergehend Reaktanz, die dazu führen kann, dass sie Ausschau nach Alternativen halten („interest in alternatives“, Bendapudi/Berry 1997, S. 28 f.) und in die Beziehung relativ teilnahmslos einwilligen („acquiescence“, Morgan/Hunt 1994, S. 25 f.). Insofern besteht Mobilitätswille, der aber wegen der Austrittsbarrieren nur beschränkt in Handeln umgesetzt werden kann (z.B. längerfristige Verträge, Austrittsgebühren, spezifische Beziehungsinvestitionen). Aktuelle Beispiele bieten derzeitig verschiedene Anbieter auf dem deutschen Mobilfunktmarkt (Pieper 1999). Wettbewerber würden bei dieser Beziehungskonstellation mit einem attraktiven Leistungsangebot Aufmerksamkeit erzielen können. Demgegenüber beruht Verbundenheit auf einer hohen Beziehungsqualität und hier auf Vertrauen und dem Willen, an der Beziehung festzuhalten, als Eigenschaft des relationship commitment (Bendapudi/Berry 1997, S. 20; Crosby et al. 1990, S. 70). Eine Verbundenheitsbeziehung kann über die Bedürfnisbefriedigung in ökonomischem Sinne hinausgehen und mit emotionalen Elementen der Anerkennung, Zuneigung oder Dankbarkeit angereichert sein (Diller/Kusterer 1988, S. 214 ff.; Westbrook 1987, S. 258 ff.). Die faktischen Mobilitätsmöglichkeiten sind hier oft groß, jedoch ist der Mobilitätswille eingeschränkt. Daher findet ein Wettbewerber auf der Sachleistungsebene oft wenig Aufmerksamkeit.

160

Ursula Hansen

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass sich bei den Beziehungsarten der Verbundenheit und Gebundenheit Mobilitätswille und faktische Möglichkeiten des Mobilitätsverhaltens konträr gestalten. Welche Form der Mobilitätseinschränkung die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs mehr beeinträchtigen, kann generell nicht beurteilt werden.

4.4

Diskriminierungsproblematik

Grundsätzlich entsteht eine Diskriminierungsproblematik durch unterschiedliche Kundenbehandlung, bei der Vorteile nicht gleich verteilt werden. Damit enthält die Idee der Marktsegmentierung dann diskriminierende Elemente, wenn die Differenzierung der Marktbearbeitung im vertikalen Sinne Qualitätsunterschiede beinhaltet. Fraglich ist nun, ob derartige Diskriminierungen im Beziehungsmarketing besondere Ausprägungen haben und damit spezifische Probleme mit sich bringen (Hohm et al. 2003). Ein wichtiges Prinzip des Beziehungsmarketing richtet sich darauf, Kundenloyalität nicht über alle Kunden hinweg anzustreben, sondern am Kundenwert auszurichten, dessen Definition von den Zielen des Beziehungsmarketing abhängt, wie z.B. langfristige Deckungsbeiträge mit einem Kunden, Umsatzsicherheit oder Kundenakquisition durch Mundwerbung. Segmentierung im Beziehungsmarketing bedeutet aus Anbietersicht, je nach Kundenwert in unterschiedlichem Ausmaß in Beziehungen zu investieren. Ein erstes spezifisches Problem entsteht dabei mit der Trennung der Segmente. Unerwünschte Kommunikation zwischen den Segmenten über ungleiche Behandlung ist bei längerfristigen Beziehungsleistungen u.U. schlechter zu verhindern als bei einmaligen Transaktionen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kunden auch gegenseitig für die Entwicklung sozialer Identifikation zu Kontakten ermuntert werden. So bieten z.B. Dialoge im Internet nicht nur für die Kommunikation zwischen Unternehmung und Kunden sondern auch zwischen den Kunden untereinander Kommunikationsmöglichkeiten Ein anderer Aspekt schließt sich hier direkt an und betrifft die Beurteilung differenzierender Marktsegmentierung durch die betroffenen Kunden. Soweit die Beziehungsgestaltung darauf gerichtet ist, mit den Kunden eine Solidargemeinschaft zu bilden, wie es sich u.a. in der Kundenclubidee ausdrückt (z.B. IKEA-„Family“), womit eine Integration der Kunden in die Unternehmenskultur erreicht werden soll, können durch differenzierende Beziehungsmaßnahmen kontraproduktive Effekte entstehen. Ungleichbehandlung wird u.U. nicht als gemeinschaftsbildend, sondern als ungerecht empfunden (Stauss 2002). Damit sind mit differenzierender Beziehungspolitik in erhöhtem Maße Probleme moralischer Sensibilität angesprochen. Für sehr komplexe Austauschbeziehungen ist es fraglich, ob wenigstens annäherungsweise ein objektives Gerechtigkeitsurteil zustande kommen könnte. Aufgrund hoher Informationsdefizite und zusätzlicher Wahrnehmungsverzerrungen wird der Kunde lediglich zu subjektiven Fairnessabschätzungen in der Lage sein (Müller 1998, S. 260). Dies könnte zu weitreichenden Konsequenzen für den Verlauf einer Beziehung führen, obwohl die wahrgenommene Gerechtigkeit nicht den Tatsachen entsprechen muss.

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

4.5

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Sozialpsychische Schäden durch Kommerzialisierung von Beziehungen

Die Erfolgsgeschichte des Beziehungsmarketing hat – abgesehen von oben erwähnten marktwirtschaftlichen Aspekten – motivationale gesellschaftliche Wurzeln. In einer Gesellschaft, die durch zunehmende Anonymität und Technokratisierung gekennzeichnet ist, und in der Einsamkeiten aufgrund sich auflösender Familienstrukturen entstehen, wird die persönliche Beziehung ein knappes Gut, was möglicherweise zu einer Sehnsucht nach Verständigung auf der Basis von persönlichen Kontakten führt. Dialoge werden zur „Wohltat aus vergangenen Zeiten“. Dies gilt dann sogar für Beziehungen und darin stattfindende Dialoge in der Konsumentenrolle, die u.U. eine kompensatorische Funktion für private Defizite haben. Wenn also die soziale Situation bei vielen Konsumenten eine Beziehungsbereitschaft bewirkt, so lässt sich gleichzeitig die Frage stellen, ob die erhoffte Kompensation privater Defizite überhaupt funktionieren kann. Es besteht die Gefahr, dass die damit einhergehende Kommerzialisierung privater Lebensbereiche zu Enttäuschungen und Frustrationen führt. Die von Anbietern initiierten Beziehungsgestaltungen dienen letztlich ökonomischen Zielen und es ist zu befürchten, dass auf dieser Grundlage Pseudobeziehungen entstehen können oder sogar Missbrauch mit menschlichen Emotionen und Bedürfnissen betrieben wird (Eckel 1997). Ein Überangebot von beziehungsbezogenen Maßnahmen inflationiert und entleert u.U. Begriffe wie Freundschaft und Zuneigung; die versprochene individuelle und persönliche Ansprache und Behandlung kann oft nicht eingehalten werden, weil – wie oben bereits dargestellt – das Personal überfordert ist. Neue individualisierte Kommunikationstechniken können zu Scheinindividualisierungen missbraucht werden, die den Konsumenten in seiner Erwartung u.U. irreführen und täuschen. Wenn z.B. eine Mitarbeiterin im Kundenkontaktzentrum die Kunden telefonisch dazu auffordert, sich mit allen Problemen „vertrauensvoll“ an sie zu wenden, dann ist ein derartiges Beziehungsangebot völlig unangemessen, nicht einhaltbar und damit fehlleitend. Man könnte hier zwar einwenden, dass der Kunde, der zunehmend mit derartig übertriebenen Beziehungsangeboten konfrontiert wird, in seiner Wahrnehmung abstumpft und seine Erwartungen anpasst, ähnlich wie gegenüber den Übertreibungen in Werbeversprechungen. Allerdings ist dem entgegenzuhalten, dass im sozialen und emotionalen Bereich gesellschaftlicher Beziehungsgestaltung größere Sensibilität herrscht und daher auch die Gefahr sozialpsychischer Schädigungen größer ist.

5

Schlussfolgerungen

Die mit diesem Beitrag gestellte Aufgabe besteht darin, Grenzen und Probleme des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive aufzuzeigen und damit den selten diskutierten und angezweifelten Nutzen des Beziehungsmarketing für Verbraucher zu hinterfragen. Um dem Verdacht des unverbesserlichen Nörglers und Zweiflers entgegenzutreten, sei betont, dass die prinzipiellen Vorteile des Beziehungsmarketing kei-

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Ursula Hansen

neswegs in Frage gestellt werden sollen. Natürlich ist es grundsätzlich von Vorteil, wenn dem Konsumenten mehr Artikulationsmöglichkeiten eingeräumt werden und er dadurch Chancen erhält, besser verstanden zu werden. Es ist eine ökonomisch sinnvolle Konzeption, die Ge- und Verbrauchsphase des Konsums im Sinne der Co-Produzentenschaft des Konsumenten in den Wertschöpfungsprozess zu integrieren. Auch kann durch Beziehungserlebnisse in positivem Sinn Bedürfnisbefriedigung erzielt werden, und es ist sicherlich ein unschätzbarer Vorteil, wenn die international beschimpfte „Servicewüste Deutschland“ durch Leitprinzipien des Beziehungsmarketing wiederbelebt wird. Zugleich haben die vorangehenden Argumente gezeigt, wo Grenzen und Probleme des Beziehungsmarketing liegen. Sie resultieren im Prinzip aus negativen Effekten einer Inflationierung, die insbesondere dort nachteilig ist, wo die Konsumenten wenig Involvement haben und damit dem Kaufgeschehen wenig Bedeutung beimessen, so dass Beziehungsangebote zur Last fallen können. In qualitativer Hinsicht entstehen Nachteile einer Inflationierung des Beziehungsmarketing durch eine schwerpunktmäßige Umorientierung von kernleistungsabhängigen zu leistungsunabhängigen Beziehungsangeboten und durch übertriebene Beziehungsversprechungen. Hieraus erwachsen insbesondere sozialpsychische Probleme der Beziehungskommerzialisierung. Schwierigkeiten liegen weiterhin in der Gefahr einer missbräuchlichen Beziehungspolitik, die auf Irrationalität des Kaufgeschehens und dadurch gefördertem opportunistischem Verhalten der Anbieter beruht. In engem Zusammenhang damit steht das Problem einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs durch Verringerung der Markttransparenz und durch abnehmende Mobilität der Konsumenten. Abschließend ist zu fragen, welche Konsequenzen gezogen werden können und welche Möglichkeiten es gibt, um Gefahren der Fehlentwicklungen des Beziehungsmarketing einzuschränken. Handlungsbedarf besteht auf Verbraucher- und auf Anbieterseite. Über den Markterfolg des Beziehungsmarketing entscheidet der Verbraucher. Insofern erscheint es notwendig, dass die verbraucherpolitischen Organisationen sich des Themas annehmen und das Instrumentarium der Verbraucherpolitik auch auf Phänomene des Beziehungsmarketing lenken. So wird Verbraucherforschung notwendig in Bezug auf Verbraucherinteressen an verschiedenen Gestaltungsformen des Beziehungsmarketing, um dazu grundsätzliche Positionen zu erarbeiten. Es ist zu prüfen, ob in der Verbraucherinformationspolitik zumindest kernleistungsorientierte Beziehungsangebote mehr berücksichtigt werden könnten, wie z.B. Beschwerde- oder Beratungspolitik der Anbieter. Ein geeignetes Instrument stellt u.U. der Ansatz des Unternehmenstests dar (Council on Economic Priorities 1994; Hennig 1995; imug 1997). Im Rahmen der Verbraucherbildung könnte eine Sensibilisierung der Verbraucher und Reaktanzstärkung gegenüber Pseudo-Beziehungsangeboten angestrebt werden. Auf Anbieterseite sind kollektive und einzelbetriebliche Maßnahmen zu unterscheiden. Auf der Ebene kollektiver Marketingpolitik bestehen Möglichkeiten der Selbstregulierung und Selbstbeschränkung zum Schutz vor Auswüchsen und Missbräuchen. Ähnliche Bestrebungen sind z.B. aus der deutschen Werbewirtschaft bekannt mit dem deutschen Werberat, der Beschwerden über unsittliche Werbung entgegennimmt und verar-

Grenzen des Beziehungsmarketing aus Verbraucherperspektive

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beitet, um das Problem „schwarzer Schafe“ im Vorfeld rechtlicher Regelung zu mildern. Der Erfolg derartiger kollektiver Regulierungsversuche ist davon abhängig, ob Missstände konkret definiert werden können und ob die Kontrolle auf der betroffenen Nachfrageseite sowie die Missstandsbeseitigung auf Angebotsseite funktioniert. Dies ist angesichts der Vielfalt von Beziehungsmaßnahmen nur für einen kleineren Teil möglich. Viele Praktiken sind in ihrer missbräuchlichen Ausprägung nur schwer konkret greifbar, wie z.B. Pseudoindividualisierung in der Kommunikationspolitik oder fehlleitende emotionalisierende Beziehungsangebote der Freundschaft und Fürsorge. Damit entzieht sich das Problemfeld des Beziehungsmarketing in vielen Bereichen der Möglichkeit kollektiver Regelung. Es verbleiben Überlegungen zu den Konsequenzen auf einzelbetrieblicher Ebene. Hier können auf der Basis empirisch orientierter Konsumverhaltensforschung Empfehlungen erarbeitet werden, um den Bedürfnissen der Konsumenten in diesem Bereich zu entsprechen, wie z.B. zu dem Problem der Autonomiebedürfnisse in Bezug auf Gebundenheit in Beziehungen oder des variety seeking als Barriere der Konsumentenbindung. Hier besteht z.B. die Möglichkeit, das unternehmenseigene Produktangebot zu erweitern, um die Erfüllung des kundenseitigen Bedürfnisses nach Abwechslung durch einen Wechsel innerhalb des eigenen Produktsortimentes befriedigen zu können. Weitere Empfehlungen betreffen das oben angesprochene Problem der Realisierung von Beziehungen durch das Personal. Hierzu müssen mitarbeiter- und konsumentenorientierte verhaltenswissenschaftliche Aspekte miteinander verknüpft werden, wie z.B. die gegenseitige Beeinflussung von Personal- und Kundenzufriedenheit. Nicht alle Probleme des Beziehungsmarketing, die oben angesprochen wurden, sind auf verhaltenswissenschaftlicher Basis lösbar, sondern haben eine ethische Dimension und werfen die Frage nach „echten“ Beziehungen auf. Kann das Management überhaupt in kommerzieller Absicht Beziehungen anordnen, die zwischen Mitarbeitern und Konsumenten realisiert werden müssen? Und wo sind moralische Grenzen?

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Matthias H. J. Gouthier

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen 1

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen – alle Macht den Kunden!

2

Relevanz des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

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Theoretische Grundlagen eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen 3.1 Begriffsfassung von Customer Empowerment 3.2 Kontrolle als Schlüsselmotiv von Customer Empowerment-Prozessen

4

Das Managementkonzept des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen 4.1 Modell und konzeptioneller Rahmen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen 4.2 Ansätze und Instrumente des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen 4.2.1 Customer Participation Empowerment in Geschäftsbeziehungen 4.2.2 Customer Information Empowerment in Geschäftsbeziehungen 4.2.3 Customer Education als Voraussetzung eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

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Risiken und Grenzen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen – alle Macht den Kunden?

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Fazit

Anmerkungen Literaturverzeichnis

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Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen – alle Macht den Kunden!

Die Rolle des Kunden hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark gewandelt. Wurde er früher eher als ein passives Objekt im Wirtschaftsgeschehen betrachtet, das primär die Waren eines Produzenten konsumiert hat, wird er heute als aktives Subjekt zunehmend in die unternehmerische Wertschöpfungskette integriert (siehe z. B. Grün/Brunner 2003). So fungieren Kunden als Co-Designer des Unternehmens, die zunehmend an der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen beteiligt werden. Des Weiteren konfigurieren sie sich selbst die gewünschte Leistung, z. B. das Wunschauto mittels Car Configurator. Letztlich akquirieren diese als Co-Marketer aufbauend auf Programmen wie „Mitglieder werben Mitglieder“ sogar neue Kunden für ein Unternehmen (Gouthier/Schmid 2001, 2003; Mellewigt/Nothnagel 2004). Neben dieser Einbindung in die unternehmerische Wertschöpfungskette erlangen Kunden auch zusehends Marktmacht über die Anbieter von Produkten bzw. Leistungen, indem sie über einen immer besseren Marktüberblick und bessere Marktinformationen verfügen (Rezabakhsh 2003). Heutzutage können sich Kunden vergleichsweise einfach über die Leistungen und die Preise der Anbieter informieren, wobei dem Internet hierbei eine Schlüsselrolle zugesprochen wird (Horx et al. o. J., S. 4 und S. 6; MacDonald/ Tobin 1998, S. 202; Prahalad/Ramaswamy 2000, S. 82; Slywotzky/Morrison 2001, S. 24). Interessierte Kunden können sich im Internet nicht nur über ein einzelnes Unternehmen, dessen Produkte bzw. Leistungen und Preise Informationen einholen, sondern gelangen zudem (oftmals) problemlos an Angaben über Konkurrenzprodukte und deren Preis-Leistungs-Verhältnis. Des Weiteren lernen sie, z. B. über Meinungsforen wie ciao.com, die Einschätzungen und Produkterfahrungen anderer Kunden kennen. Als Konsequenz steigt die Markttransparenz, und die Wechselbarrieren sinken (Wirtz/Vogt 2001, S. 117). Infolgedessen kommt es zu einer gestärkten Machtposition der Kunden, da diese eine günstigere Ausgangsposition zum Verhandeln innehaben (Wirtz 2001, S. 175 ff.). Somit lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass durch eine bessere Informationsausstattung der Kunden und deren aktive Einbindung sie in der Beziehung zum Anbieter mehr Macht erhalten. Dementsprechend findet sich in der Literatur ein neues Schlagwort, dass genau diese Machtverschiebung im Fokus hat: Customer Empowerment. Dessen Leitgedanke besteht in der Ermächtigung der Kunden, im überspitzten Sinne formuliert als: „Alle Macht den Kunden!“. Mit solch einer Machtverschiebung verändern sich aber auch gleichzeitig die Anforderungen an ein Beziehungsmanagement bzw. Customer Relationship Management. Das Ziel dieses Beitrags besteht demzufolge darin, ein Managementkonzept für ein Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen zu entwickeln. Welche Bedeutung bzw. positiven Effekte solch ein Konzept für Unternehmen haben kann, wird im zwei-

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Matthias H. J. Gouthier

ten Teil erörtert. Der dritte Teil widmet sich sodann der Aufarbeitung der theoretischen Grundlagen eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen. Hierbei gilt es erst einmal, den Begriff des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen zu klären (Kapitel 3.1). Des Weiteren wird das Konstrukt der wahrgenommenen Kontrolle als Schlüsselmotiv von Customer Empowerment-Prozessen identifiziert sowie diskutiert (Kapitel 3.2). Daran anknüpfend lässt sich im vierten Teil sodann das Managementkonzept des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen entwickeln. Dazu werden in einem ersten Schritt das Modell und der konzeptionelle Rahmen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen erarbeitet (Kapitel 4.1), bevor in einem zweiten Schritt näher auf die verschiedenen Ansätze und Instrumente eingegangen wird (Kapitel 4.2). Dass mit einer derartigen Machtverlagerung an den Kunden jedoch auch Risiken und Grenzen einhergehen, wird im sich hieran anschließenden fünften Teil diskutiert. Der Beitrag endet mit einem kurzen Fazit im sechsten Teil.

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Relevanz des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

In der Einleitung dieses Beitrags wurde Customer Empowerment gleichgesetzt mit einer Machtverlagerung in Geschäftsbeziehungen hin zum Kunden aufgrund einer besseren Informationsversorgung und letztlich Informationsausstattung der Kunden sowie einer stärkeren Einbeziehung der Kunden in die unternehmerische Wertschöpfungskette (Meyer 1999, S. 15 ff.). Neben dem so genannten Information Empowerment (siehe hierzu insbesondere Fitzsimmons/Fitzsimmons 2001, S. 129 ff.) wird somit in der Literatur die Möglichkeit, dass Kunden z. B. ihre Produkt-Features selbst spezifizieren, als weitere wesentliche Komponente des Customer Empowerments angesehen (Wathieu et al. 2002, S. 298). Ein derartig ausgeprägtes Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen kann zu positiven Wirkeffekten auf die Kosten, auf das Innovations- und das Qualitätsmanagement sowie auf die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung führen. Durch die stärkere Einbeziehung der Kunden lassen sich zunächst einmal Kosten einsparen (Berthon et al. 1999, S. 93; Meyer/Davidson 2001, S. 670). Dies begründet sich zum einen in der Inanspruchnahme einer für das Unternehmen kostengünstigeren Alternative durch den Kunden. Folgende zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: ƒ Wenn z. B. ein Kunde auf den Webseiten von FedEx selbst nachschaut, wo sich sein Paket befindet, anstatt wie früher im Call Center anzurufen, so sinken für FedEx die Kosten erheblich (Vandermerwe 1999, S. 242; siehe generell auch Wirtz/Vogt 2001, S. 120). ƒ Cisco Systems, nach eigenen Angaben der weltgrößte Anbieter von Networking-Lösungen, schätzt die Einsparungen durch die Nutzung der Online HelpSeite, und damit den Verzicht der Inanspruchnahme des Customer Support Centers, auf etwa 200.000 Dollar pro Jahr (Hood 1998, S. 33).

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

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Zum anderen können Kunden Leistungen auch gänzlich übernehmen. So führen Kunden die Beratung und Schulung anderer Kunden durch, wie bei Lotus, und helfen sich gegenseitig, z. B. bei Cisco Systems (Hood 1998, S. 31 und S. 33; Prahalad/Ramaswamy 2000, S. 81; Seybold/Marshak 1999, S. 336 f.; Vandermerwe 1999, S. 242 f.). Aber auch die freiwillige Mundkommunikation der Kunden senkt Kosten (siehe z. B. Kießling/Koch 1999, S. 25 und S. 61 f.). Firmen wie Netscape, Google, Yahoo und Amazon erlangten ihre heutige Popularität primär mittels kostenloser Internet-word-ofmouth (Prahalad/Ramaswamy 2000, S. 83). Neben den kostensenkenden Effekten lässt sich gleichermaßen Nutzen im Rahmen des Innovations- und Qualitätsmanagements erzielen. Ausgangspunkt ist die Befähigung, den Kunden an den Beginn der unternehmerischen Wertschöpfungskette stellen zu können (Hood 1998, S. 37; Meyer 1999, S. 15 ff.; Slywotzky 2000a; Slywotzky/ Morrison 2001, S. 24) [1]. Kunden sind keine reinen „Produktnehmer“ mehr, sondern „Produktdesigner“ (Slywotzky 2000a, S. 40) bzw. Co-Designer und liefern wertvolle Ideen zur Neuproduktgestaltung und Produktmodifikation. Lehmann weist dementsprechend auf die spezifische Rolle des Kunden als Qualitäts(sicherungs)ressource hin (Lehmann 1998a, S. 838; 1998b, S. 44 f.), die möglichst frühzeitig in den Entwicklungsprozess der Marktleistung einzubeziehen ist. Diesen Gedanken hat sich z. B. OBI, Branchenführer unter den Bau- und Heimwerkermärkten in Deutschland (Creusen 1999, S. 609), schon sehr frühzeitig zu Nutze gemacht. Das Unternehmen führt seit den achtziger Jahren Kundenforen durch, in denen Kunden neue Leistungen für das Unternehmen entwickeln (Creusen 1999, S. 614). Es finden sich sogar Beispiele aus der Unternehmenspraxis, die Kunden an der Gestaltung der Unternehmenspolitik beteiligen. So bindet z. B. die Raiffeisenbank Witzenhausen eG ihre Kunden im Rahmen einer so genannten Erlebnis-Mitgliedschaft in die Erstellung ihres Leitbildes ein (Thiesler 2001, S. 205). Die Münchner Direkt Anlage Bank, die auf Börsengeschäfte per Internet spezialisiert ist, hat auf Kundenwunsch hin sogar die Vertriebsstruktur um so genannte DAB Anlage-Center in Kaufhof Filialen ergänzt (Maier 2000). Durch den höheren Grad an Selbstbestimmung des Kunden kann es zudem zu einer gestiegenen Kundenzufriedenheit und folglich Kundenbindung kommen (Minkoff 2000, S. 2; Slywotzky/Morrison 2001, S. 25). So bewirkt ein positiver Leistungsbeitrag des Kunden mittelbar über ein Gefühl der Selbstbestätigung (Ernenputsch 1986, S. 117) bzw. über eine Erhöhung des Selbstwertgefühls (zu Selbstkonzept-Theorien Wiswede 1995, S. 96 ff.) eine Zufriedenheitssteigerung beim Kunden. Gefühle der Selbstbestätigung holen sich Kunden des Weiteren durch die Beratung anderer Kunden (Seybold/ Marshak 1999, S. 340) im Sinne einer Kompetenzprofilierung. Sollen die genannten positiven Effekte erzielt werden, bedarf es des Einsatzes eines entsprechenden Managementkonzepts. Daher werden im nun folgenden Teil 3 die theoretischen Grundlagen eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen erarbeitet. Dabei wird u. a. auf grundlegende Erkenntnisse aus anderen Anwendungsbereichen des Empowerment-Gedankens zurückgegriffen und diese werden – soweit als möglich – auf die vorliegende Problemstellung übertragen.

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Matthias H. J. Gouthier

3

Theoretische Grundlagen eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

3.1

Begriffsfassung von Customer Empowerment

Der Begriff Empowerment bedeutet übersetzt „Ermächtigung“ und „Bevollmächtigung“ (Schäfer 1996, S. 274). Dementsprechend ist der Grundgedanke eines Empowerments im Sinne der Ermächtigung und Bevollmächtigung eines bzw. mehrerer Individuen in vielen sozialen Bereichen und damit auch im organisatorischen Kontext anwendbar sowie auffindbar. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass die in der geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Literatur verwendeten Begriffsfassungen von Empowerment sehr heterogen ausfallen. Selbst in Einzeldisziplinen wie der Betriebswirtschaftslehre besteht – z. B. im Falle der Fokussierung auf die Ermächtigung der Mitarbeiter – keine Einigkeit über den Begriff, die Inhalte und die Implikationen eines Empowerments (siehe u. a. Bowen/Lawler 1998, S. 1032; Gerum et al. 1996, S. 498). Dennoch lassen sich als Kernelemente vieler Definitionsansätze von Empowerment zum einen der Aspekt der Selbständigkeit, der Handlungsautonomie von Individuen, zum anderen der Aspekt der Verlagerung bzw. Verschiebung von Macht identifizieren. Demnach geht Empowerment einher mit der Ausdehnung des Grads der Autonomie von Personen zur Beeinflussung und damit zur Kontrolle eigener Aktivitäten sowie ihrer Umwelt (Van Looy et al. 1998, S. 294). Gerade das Bewusstsein eines Individuums, Situationen oder Ereignisse prinzipiell beeinflussen zu können, wurde im Rahmen der Untersuchung von Empowerment-Prozessen durch die Sozialpsychologie als eine psychologische Schlüsselkategorie identifiziert (Stark 1996, S. 131). Dieses Kontrollbewusstsein („perceived control“) drückt sich darin aus, Aufgaben selbst(ändig) bewältigen zu können und nicht (vollkommen) von äußeren Einflüssen abhängig oder diesen ausgeliefert zu sein. In dem hier vorliegenden Kontext interessiert nun ausschließlich das Kontrollbewusstsein von Kunden bezüglich vorkauf-, kauf- und nachkaufbezogener Aktivitäten. So stehen Kunden im Verlauf einer Geschäftsbeziehung vor den unterschiedlichsten Entscheidungen, wie der Auswahl unter Produktalternativen, und müssen die verschiedensten Handlungen ausführen, z. B. das Ausfüllen von Formularen. Dementsprechend soll unter einem Customer Empowerment die Ermächtigung von Kunden im Sinne eines gestiegenen Grads der wahrgenommenen Kontrolle von vorkauf-, kauf- und nachkaufbezogenen Aktivitäten verstanden werden. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass das Customer Empowerment primär als Managementkonzept und damit aus der Perspektive von Unternehmen erörtert wird. Zwar kann ein Empowerment von Kunden grundsätzlich nur dann erfolgreich sein, wenn die Kunden auch einen höheren Machtgrad akzeptieren, weshalb im folgenden Kapitel 3.2 diskutiert wird, welche Beweggründe Kunden überhaupt zu einer Übernahme von Macht führen. Allerdings interessiert dann im Weiteren der Vorgang der und die Ansätze so-

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

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wie Instrumente zur Ermächtigung der Kunden durch das Unternehmen und weniger das Ergebnis dieses Prozesses aus der Perspektive der Kunden. Ansonsten müssten in Abgrenzung zum Customer Empowerment Konstrukte wie „Konsumentensouveränität“ (siehe z. B. Beier 1975) und „Kundenemanzipation“ (Bauer et al. 2002) diskutiert werden.

3.2

Kontrolle als Schlüsselmotiv von Customer Empowerment-Prozessen

Die Kontrolle der Umwelt stellt von Natur aus ein basales Motiv menschlichen Handelns dar (Nerdinger 1994, S. 136; Wiswede 1995, S. 88), das der Aufrechterhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit dient. Dabei lassen sich als Kontrollarten die Verhaltenskontrolle („behavioral control“), die Entscheidungskontrolle („decisional control“) und die kognitive Kontrolle („cognitive control“) unterscheiden (Averill 1973; Bateson 1985; Bateson/Hoffman 1999, S. 36; Hui/Bateson 1991). Während unter der Verhaltenskontrolle die Fähigkeit eines Individuums zu verstehen ist, durch das eigene Verhalten eine (bedrohlich wirkende) Situation beeinflussen bzw. verändern zu können (Averill 1973, S. 286; Bateson 2000, S. 131), wird unter der Entscheidungskontrolle die Möglichkeit einer Person verstanden, zwischen verschiedenen Ergebnissen oder Zielen auswählen zu können (Averill 1973, S. 289; Bateson 2000, S. 132). Der konkrete Unterschied zur Verhaltenskontrolle beruht dabei auf dem Gedanken, „that the availability of alternative goals in complex situations need not to be related to the aversive stimulus“ (Bateson 2000, S. 132). Kognitive Kontrolle beinhaltet dagegen zum einen die retrospektive Erklärung bzw. Bewertung von (negativen) Ereignissen, zum anderen deren Vorhersagbarkeit (Averill 1973, S. 293; Nerdinger 1994, S. 137). Sie stellt folglich im Vergleich zur Verhaltenskontrolle keine reale Einflussnahme auf äußere Ereignisse dar, sondern lediglich eine individuelle Wahrnehmung des Individuums. Der Verhaltens- und Entscheidungskontrolle ist gemein, dass sie das Streben des Individuums nach einem höheren Grad an Mitbestimmung bis hin zur Selbstbestimmung widerspiegeln (Toffler 1980, S. 272 f.). Zur Erreichung dieser bedarf es demzufolge einer realen Ausdehnung des Grads an Handlungsautonomie und damit im Falle von Kunden einem höheren Grad der Partizipation bzw. Mitwirkung an der Produktion bzw. Leistungserstellung. Demgegenüber bedingt eine Steigerung der kognitiven Kontrolle lediglich eine Verbesserung des Informationsangebots. Ein größerer Grad an Kontrolle, z. B. durch mehr Mitbestimmungsrechte bei der Erstellung von Produkten bzw. Dienstleistungen, geht zumeist mit einer höheren Anforderung an ein Individuum einher. Eine, zu einem gewissen Grade autonome Bewältigung von Ereignissen muss durch diese erst einmal erlernt werden. Ein Individuum benötigt hierzu spezifische Kontrollkompetenzen. Damit stellt das Vorhandensein einer adäquaten Kontrollkompetenz eine zentrale Voraussetzung von Empowerment-Prozessen dar (siehe ähnlich Bowen 2000).

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Matthias H. J. Gouthier

Bislang wurde das Streben nach Kontrolle als ein allgemeines menschliches Bedürfnis beschrieben. Dieses Motiv spielt jedoch gerade in geschäftsbezogenen Situationen eine wichtige Rolle (Seybold/Marshak 1999, S. 163; Wathieu et al. 2002, S. 298). Mit einer Einbuße an wahrgenommener Kontrolle steigt simultan das Maß an wahrgenommenem Risiko an. Dieses ist sozusagen das Spiegelbild des vom Kunden empfundenen Kontrollverlusts (Bateson 1985, S. 78) und kann sich negativ auf das „Wohlempfinden“ des Kunden auswirken (Averill 1973; Hui/Bateson 1991). Daher sollten Unternehmen versuchen, das vom Kunden wahrgenommene Risiko zu reduzieren bzw. möglichst weitgehend zu minimieren. Dies ist zum einen durch einen Vertrauensaufbau möglich, da Vertrauen quasi als Substitut für Kontrolle fungieren kann (Das/Teng 1998, S. 491; Hennig-Thurau et al. 2002, S. 468; Rousseau et al. 1998, S. 399). Zum anderen ist eine Reduktion des wahrgenommenen Risikos über eine Erhöhung des Kontrollgrads möglich (Bateson 1985, S. 78). Im Rahmen dieses Beitrags interessiert lediglich die letztere Strategie in Form der Ausdehnung der wahrgenommenen Kundenkontrolle. Vor dem geschilderten Hintergrund wird verständlich, dass Kunden versuchen, Kontrolle zurück zu gewinnen. Ein Anstieg des Grads der Kontrolle wird demzufolge im Allgemeinen positiv aufgefasst. Dabei sei an dieser Stelle nochmals explizit darauf hingewiesen, dass hierbei nicht unbedingt der tatsächliche Kontrollgrad – im Sinne der Verhaltens- und Entscheidungskontrolle – die entscheidende Größe ist, sondern die vom Kunden wahrgenommene Kontrolle (Bateson 2000, S. 131; Bateson/Hoffman 1999, S. 38). Dementsprechend sorgt u. U. schon das Gefühl, eine (kognitive) Kontrolle über die Situation zu haben, für ein ausreichendes Kontrollbewusstsein beim Kunden. Andererseits geht eine Steigerung des Grads der objektiven Kontrolle, z. B. durch eine Erhöhung der Produktalternativen und Wahlmöglichkeiten, nicht unbedingt mit einer Verbesserung der wahrgenommenen Kontrolle einher. Es kann auch im Sinne eines Overloads an Alternativen zu einer Überforderung des Kunden und damit Einschränkung der wahrgenommenen Kontrolle kommen. Differenzierter wird auf diesen Effekt in Teil 5 eingegangen. Abschließend kann festgehalten werden, dass sich mittlerweile eine Reihe von Autoren dafür ausspricht, die wahrgenommene Kontrolle als zentrales Element des Empowerments von Kunden anzusehen (siehe u. a. Schaaf 1995, S. 275 ff.; Wathieu et al. 2002).

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

4

Das Managementkonzept des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

4.1

Modell und konzeptioneller Rahmen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

175

Da Kunden nach einer erhöhten Kontrolle bzw. einem gesteigerten Kontrollbewusstsein streben, stellt sich Unternehmen die Frage, wie sie dieses Bedürfnis befriedigen können (Seybold/Marshak 1999, S. 163 und S. 168 f.). Dazu bieten sich die drei erörterten Kontrollarten der Verhaltens-, Entscheidungs- und kognitiven Kontrolle als Bezugsgrößen an. Möchte ein Unternehmen seine Kunden empowern, kann es an diesen drei Größen isoliert oder kombiniert ansetzen. Zunächst ist eine Erhöhung der Verhaltenskontrolle durch die Ausdehnung des Tätigkeitsspielraums der Kunden möglich. Werden Kunden stärker an der Ausführung einzelner Aufgaben beteiligt, so wächst auch deren Kontrolle hierüber. Die Entscheidungskontrolle lässt sich demgegenüber durch die Vergrößerung des Entscheidungsspielraums der Kunden erreichen. Als unabhängige Dimensionen ergeben sie zusammengenommen den Handlungsspielraum der Kunden, der durch eine Erweiterung der Kundenpartizipation ausgedehnt wird (in Anlehnung an das organisationstheoretische Konzept des Handlungsspielraums; Conradi 1983, S. 70 f. und Oechsler 1997, S. 234 f.). Dabei handelt es sich um eine objektive Form des Customer Empowerments. Schließlich ist eine kognitive Kontrolle über eine verbesserte Informationsausstattung zu realisieren, die als subjektive Form des Customer Empowerments zu bezeichnen ist. Voraussetzung einer Vergrößerung des Handlungsspielraums der Kunden im Speziellen und der Kontrolle im Allgemeinen ist, dass die Kunden die entsprechenden Kompetenzen zur Bewältigung dieser Herausforderungen besitzen. Dementsprechend muss ein Unternehmen, will es seine Kunden empowern, für eine entsprechende Qualifizierung der Kunden sorgen. Die Schaffung kompetenter Kunden durch die Vermittlung der benötigten Qualifikationen ist die Aufgabe der Kundenentwicklung bzw. Customer Education (Gouthier 1999; 2003). Abb. 1 zeigt überblicksartig die Verknüpfungen zwischen den Formen des Customer Empowerments, den Kontrollarten, den Dimensionen und den Ansätzen eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen auf. Dabei kann Customer Empowerment zum einen als Prozess der Machtverlagerung vom Unternehmen hin zu den Kunden aufgefasst werden, zum anderen stellt Customer Empowerment gleichermaßen als ergebnisorientierte Perspektive die gestiegene wahrgenommene Kundenmacht und -kontrolle dar.

176

Matthias H. J. Gouthier

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen als Ergebnis Ergebnis

Customer Empowerment als wahrgenommene Kundenkontrolle

Formen des Customer Empowerments

Objektives Customer Empowerment

Subjektives Customer Empowerment

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen als Prozess

Kontrollarten

Dimensionen

Verhaltenskontrolle

Tätigkeitsspielraum der Kunden

Ansätze

Customer Participation

Entscheidungskontrolle

Entscheidungsspielraum der Kunden

Kognitive Kontrolle

Informationsausstattung

Customer Information

Qualifikationsausstattung

Customer Education

Kundenkompetenzen als Voraussetzung der Wahrnehmung und Ausübung von Kontrolle

Abb. 1: Das Modell des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen Quelle: in Anlehnung an Gouthier 2004a, S. 236

Ein unternehmerisches Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen beinhaltet dementsprechend ein breites Instrumentarium zur Unterstützung bzw. Durchführung der beschriebenen Ansätze (Kapitel 4.2). Dementsprechend behandelt Abschnitt 4.2.1 zunächst einmal Instrumente zur Steigerung der Kundenpartizipation. In diesem Falle soll von einem Customer Participation Empowerment in Geschäftsbeziehungen gesprochen werden. Darüber hinaus werden in Abschnitt 4.2.2 Überlegungen bezüglich der Weitergabe von Informationen an den Kunden zur Steigerung der kognitiven Kontrolle angestellt. Dies ist, wie bereits in Teil 1 angesprochen, das so genannte Customer Information Empowerment in Geschäftsbeziehungen. Unterstützend zu diesen Kernansätzen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen ist mittels verschiedener Instrumente der Kundenentwicklung bzw. Customer Education eine entsprechende Kontrollkompetenz der Kunden zu fördern. Damit befasst sich schließlich Abschnitt 4.2.3. Dieser konzeptionelle Rahmen ist in Abb. 2 graphisch aufbereitet wiedergegeben.

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

177

Kontrolle des Kunden

Customer Participation Empowerment

Customer Information Empowerment

Customer Education

Abb. 2: Konzeptioneller Rahmen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

4.2

Ansätze und Instrumente des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen

4.2.1 Customer Participation Empowerment in Geschäftsbeziehungen Eine reale Kontrolle über vorkauf-, kauf- und nachkaufbezogene Situationen können Kunden zum einen durch die (zu einem gewissen Grade) selbständige Erledigung von Tätigkeiten (Verhaltenskontrolle), zum anderen durch das Treffen von Entscheidungen (Entscheidungskontrolle) erreichen. Hieran lässt sich erkennen, dass die vom Kunden zu erfüllenden Aufgaben nach deren Rangkriterium in Ausführungs- und Entscheidungsaufgaben differenziert werden können. In beiden Fällen bedeutet dies, dass zur Erhöhung des tatsächlichen Kontrollgrads den Kunden ein größerer Anteil an bisher durch das Unternehmen bewerkstelligten Aufgaben übertragen werden muss (Fitzsimmons/Fitzsimmons 2001, S. 132). Diese Entwicklung weg vom passiven Käufer eines Produkts bzw. einer Leistung hin zum aktiv Mitwirkenden („mastery-seeking consumers“; Herzlinger 1997, S. 47) kann als zentrales Element eines Customer Empowerments angesehen werden (Dyson 1997, S. 202), das es von Unternehmensseite her aktiv zu gestalten gilt. Ein Customer Participation Empowerment in Geschäftsbeziehungen beinhaltet demzufolge sowohl eine Erweiterung des Tätigkeitsspielraums (Customer Job Enlargement), d.h. der Aufgaben(vielfalt) als auch des Entscheidungsspielraums der Kunden (Custom-

178

Matthias H. J. Gouthier

Hoch

Entscheidungsspielraum des Kunden

Gering

Customer Job Enrichment

er Job Enrichment) (Abb. 3; siehe ähnlich Gouthier 2003, S. 430 f.). Dabei bestimmt der Tätigkeitsspielraum den Umfang der zu erbringenden Leistungen, d. h. die Zahl der zu erledigenden Aufgaben, und stellt somit die quantitative Dimension des Handlungsspielraums dar. Dagegen determiniert der Entscheidungsspielraum den Grad des autonomen Handelns des Kunden und kann damit als Anspruch der Aufgabenbewältigung bezeichnet werden. Der Entscheidungsspielraum spiegelt folglich die qualitative Dimension wider. Dieser sieht eine qualitative Anreicherung der Integrationsaufgaben des Kunden dergestalt vor, dass die Zahl der Entscheidungsaufgaben wächst. Hiermit findet eine Erhöhung der Relation zwischen Entscheidungsaufgaben und Ausführungsaufgaben statt, das Anforderungsniveau an den Kunden steigt.

er m to s Cu

Aktueller Handlungsspielraum des Kunden

n io at p i ic rt Pa

t en rm e w po Em

Customer Job Enlargement

Gering

Hoch

Tätigkeitsspielraum des Kunden

Abb. 3: Customer Participation Empowerment als Vergrößerung des Handlungsspielraums von Kunden Quelle: in Anlehnung an Gouthier 2003, S. 431

Dabei ist zu beachten, dass sowohl der Tätigkeitsspielraum als auch der Entscheidungsspielraum nicht unendlich ausdehnbar sind, wie dies aus der gängigen graphischen Darstellung des Handlungsspielraums hervorgeht (siehe z. B. Conradi 1983, S. 71), sondern dass diese sich durch zwei Fixpole auszeichnen. So reicht die Bandbreite des Entscheidungsspielraums von einer fast völligen Fremdbestimmung des Kunden durch das Unternehmen bis hin zu einer fast totalen Selbstbestimmung des Kunden. Sowohl eine

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

179

vollkommene Fremd- als auch Selbstbestimmung des Kunden sind nicht möglich, da es den Marktpartnern obliegt, in einen Tausch bzw. eine Transaktion einzuwilligen [2]. Auch bezüglich der Ausdehnung des Tätigkeitsspielraums sind Grenzen gesetzt. Die Möglichkeiten reichen von einer fast vollkommenen Fremderstellung der Leistung durch das Unternehmen, d. h. einer passiven Präsenz des Kunden und reinen Zurverfügungstellung des externen Faktors durch den Kunden, bis hin zu einer fast vollständigen Selbsterstellung durch den Kunden (Lehmann 1998b, S. 25). Eine völlige Untätigkeit des Kunden ist nicht möglich, da dieser zumindest seiner Käuferrolle nachkommen muss. Auch eine komplette Eigenerstellung der Leistung kann ausgeschlossen werden, da sich ansonsten das Unternehmen selbst obsolet machen würde. Wie eine Ausdehnung des Handlungsspielraums der Kunden bezogen auf die Dimensionen des Tätigkeits- und Entscheidungsspielraums konkret aussehen kann, wird kurz anhand von einigen Beispielen beschrieben. Dabei stehen zunächst Ansätze zur Erweiterung des Tätigkeitsspielraums im Blickpunkt. Kunden müssen heutzutage viele Ausführungstätigkeiten in Form von Selbstbedienungsleistungen erbringen. Kunden können online ihren Flug, ihren Mietwagen und ihr Hotelzimmer buchen oder ihre Bankgeschäfte, wie Überweisungen und Aktienkäufe, tätigen. Auch müssen Kunden heutzutage z. B. ihren Strom-, Gas- und/oder Wasserzähler selbst ablesen und die Zählerstände an die Versorgungsunternehmen schicken. Daneben kommt den Kunden aus der Perspektive des Unternehmens die bedeutsame Rolle von „Co-Marketer” (siehe z. B. Gouthier/Schmid 2001, S. 226; Lovelock 2001, S. 298) zu. Dabei reicht das Spektrum dieser Co-Marketer-Rolle von der einfachen Beurteilung einer Leistung bzw. eines Produkts bis hin zur aktiven Werbung von anderen Kunden. Als eins der bekanntesten Beispiele lassen sich die Buchbewertungen bei Amazon.de nennen [3]. Nach dieser knappen Schilderung von Ausführungsaufgaben wird nunmehr auf Ansätze zur Ausdehnung des Entscheidungsspielraums der Kunden näher eingegangen. Hierbei gibt es verschiedene Grade zu unterscheiden (siehe Abb. 4). Ausgehend von einem rein standardisierten Produkt- bzw. Leistungsangebot („Pure Standardization“; Lampel/Mintzberg 1996, S. 25) können die Kunden unterschiedlich tief in den Produktionsprozess eingebunden werden (siehe Abb. 4). Die einfachste Variante ist die Erhöhung der Wahlmöglichkeiten bzw. Optionen, die einem Kunden zur Verfügung stehen (Dyson 1997, S. 202; SIIA 2000). Ein erster Schritt, den Entscheidungsspielraum von Kunden zu erhöhen, stellt ein nach Kundensegmenten differenziertes Angebot von Produkten bzw. Dienstleistungen dar („Segmented Standardization“; Lampel/Mintzberg 1996, S. 25). Damit gibt es für den Kunden erstmals Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Produkten bzw. Dienstleistungen, die somit seinen Entscheidungsspielraum erweitern. Zusätzlich lassen sich Wahlmöglichkeiten durch die Einrichtung weiterer Vertriebskanäle schaffen, z. B. mittels Bestellmöglichkeit über das Internet. Ein weiter gehender Schritt besteht im Angebot einer Palette von Komponenten, aus denen der Kunde auswählen bzw. die er individuell kombinieren kann (van Well 2001,

180

Matthias H. J. Gouthier

S. 21). Im Mittelpunkt dieser „Customized Standardization“ (Lampel/Mintzberg 1996, S. 25 f.) steht im Sinne einer Modularisierung die Kombination standardisierter Produkt- bzw. Leistungsbestandteile, die von Kundenseite aus als individualisiertes Angebot wahrgenommen werden. Damit gelangt man letztendlich zu einer Leistungsindividualisierung auf Basis der artikulierten Kundenwünsche. Den Extremfall stellt eine Leistungspersonalisierung auf Massenmärkten, eine so genannte Mass Customization bzw. Mass Personalization (Corsten 2003, S. 195 ff.; Frielitz et al. 2001, S. 14; Piller 2000), als Instrument des Customer Empowerments dar (Bowen 2000; Hood 1998, S. 33; Spring/Sweeting 2002, S. 117 f. und S. 121 f.). So können Kunden bei Dell ihren Computer, bei BMW – und anderen Automobilproduzenten – ihr Auto, bei dem Versender mydisc.de eine Musik-CD, bei dem Kosmetikanbieter Reflect.com eigene Kosmetikprodukte und bei Charles Schwab ihr Investment-Portfolio selbst konfigurieren. Slywotzky (2000a, 2000b) bezeichnet diesen Systemansatz als so genanntes Choiceboard für Kunden. Dieses stellt ein interaktives Online-System dar, das es Kunden erlaubt, sich die Produkte bzw. Leistungen aus einer Vielzahl von Komponenten nach deren eigenem Geschmack bzw. Bedürfnis zusammen zu stellen.

Pure Standardization

Segmented Standardization

Customized Standardization

Tailored Customization

Pure Customization

Design

Design

Design

Design

Design

Fabrication

Fabrication

Fabrication

Fabrication

Fabrication

Assembly

Assembly

Assembly

Assembly

Assembly

Distribution

Distribution

Distribution

Distribution

Distribution

Keine Wahlmöglichkeiten

Eingeschränkte Wahlmöglichkeiten

Weiter gehende Wahlmöglichkeiten

Mitbestimmung bei der Anfertigung

Selbstbestimmung bei der Anfertigung

Standardization

Individualization

Anstieg des Grads an Entscheidungsspielraum

Abb. 4: Ansätze zur Ausdehnung des Entscheidungsspielraums der Kunden Quelle: in Anlehnung an Lampel/Mintzberg 1996, S. 24

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

181

Falls selbst die Produktion auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet wird, wie z. B. im Falle der Maßanfertigung von Hosen und Schuhen (wie dies z. B. Nike mit Nike iD bei bestimmten Modellen anbietet), liegt eine „Tailored Customization“ (Lampel/Mintzberg 1996, S. 26) vor. Ausgehend von einem Standarddesign wird die Produktion bzw. der Leistungserstellungsprozess an die Kundenwünsche angepasst (Corsten 2003, S. 200; van Well 2001, S. 22). Damit kann von einer Mitbestimmung des Kunden im Rahmen der Fertigung des Produkts bzw. der Dienstleistung gesprochen werden. Eine (fast) völlige Selbstbestimmung erlangt der Kunde, wenn selbst das Design individuell auf den Kunden zugeschnitten wird. Als Beispiele solch einer „Pure Customization“ (Lampel/Mintzberg 1996, S. 26) lassen sich die Arbeiten eines Goldschmieds oder Architekten, die nach Kundenwünschen individuell angefertigt werden, anführen. Dabei kommt es zwar oftmals zu Beratungen bzw. Vorschlägen vonseiten des Produzenten, die Entscheidungsmacht liegt jedoch letztlich beim Kunden. Abschließend sei noch erwähnt, dass Kunden auch unabhängig von einem konkreten Kaufakt in die generelle Produkt- bzw. Leistungsentwicklung eines Unternehmens eingebunden werden können (Hood 1998, S. 31) und hierdurch ein Gefühl der Macht sowie der Kontrolle erhalten. Die Kunden nehmen damit die Rolle eines Co-Designers des Unternehmens ein (Gouthier/Schmid 2001, S. 225; Meyer et al. 2000, S. 55 f.; Prahalad/ Ramaswamy 2000, S. 80). Sie beteiligen sich an unternehmerischen Entscheidungen, welche die Richtung der Organisation maßgeblich beeinflussen.

4.2.2 Customer Information Empowerment in Geschäftsbeziehungen Während die Ausdehnung des Handlungsspielraums der Kunden Auswirkungen auf die Leistungspolitik und zum Teil auch auf die Unternehmenspolitik hat, bedarf es zur Schaffung einer kognitiven Kontrolle lediglich der Vermittlung von Informationen an den Kunden. Somit kann die Informationsweitergabe (Customer Information Empowerment) als ein weiterer Ansatz eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen angesehen werden (Hood 1998, S. 36; Bowen 2000). Dabei soll zwischen der Schaffung einer vom Kunden wahrgenommenen Markt- bzw. Produktkontrolle durch das Angebot von produktbezogenen Informationen und der Erreichung einer vom Kunden empfundenen Fortschrittskontrolle mittels der Übermittlung von Prozessinformationen unterschieden werden. Auf das Angebot von produktbezogenen Informationen sei nur kurz eingegangen, da dies dem in der Literatur vorherrschenden Verständnis eines Information Empowerments von Kunden entspricht (siehe z. B. Fitzsimmons/Fitzsimmons 2001, S. 129 ff.; Warner 2000). So können mittels Kundenzeitschriften, Produktkatalogen, (elektronischen) Newslettern, Webseiten u. Ä. den Kunden Informationen zum Unternehmen, den verschiedenen Produkten bzw. Services, zu den Features und Preisen angeboten werden. Speziell dem Dienstleistungsbereich eröffnet das Internet dabei neue Möglichkeiten der produktbezogenen Informationsvermittlung, die zuvor so nicht denkbar waren. Bei-

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spielsweise ist es durch den Einsatz von Web-Cams möglich, dass sich Touristen die sie interessierenden Sehenswürdigkeiten bereits zuhause anschauen. Eine Besonderheit ist dabei die Möglichkeit der 360°-Perspektive, die dem Touristen einen Rund-um-Blick erlaubt (z. B. bei www.strolling.com). Neben der Produktkontrolle generiert bei den Kunden gerade das Angebot von Prozessinformationen ein Gefühl der kognitiven Kontrolle (siehe ähnlich Kleinaltenkamp 2000, S. 21) im Sinne einer Fortschrittskontrolle. Im Fokus steht hierbei die Erhöhung der wahrgenommenen kognitiven Kontrolle durch die Information über den Fortgang des Kauf-, Produktions- oder Problemlösungsprozesses. Dazu bietet es sich an, diverse Checkpoints einzurichten (Wathieu et al. 2002, S. 300), an denen sich der Kunde z. B. zum aktuellen Stand der Bearbeitung seiner Bestellung bzw. seines Problems informieren kann. Die Relevanz solcher Checkpoints mittels des aktiven Versands von prozessbezogenen Informationen erkannte frühzeitig z. B. der Discount-Wertpapierhändler Charles Schwab. Dem Unternehmen fiel auf, dass den Kunden ein Gefühl der Sicherheit beim Handel über das Internet wichtiger war als ein absolut niedriger Preis. Diesem Sicherheitsbedürfnis entsprach Schwab, in dem den Kunden umgehend Auftragsbestätigungen per Computer offeriert wurden (Kim/Mauborgne 2001, S. 90). Der Einsatz solcher Bestätigungsmails ist bei Bestellungen im Internet mittlerweile zum Standard geworden. Ein weiteres, fast klassisches Beispiel für Informationen zur Steigerung der Prozesskontrolle ist das Order Tracking-Verfahren. Dieses ermöglicht es den Kunden, den aktuellen Stand der Abwicklung ihrer Aufträge im Internet zu erfahren (Seybold/Marshak 1999, S. 134). Ein Pionier dieser Tracking-Systeme ist der Service des Paketversenders Federal Express (FedEx). Kunden können auf den Webseiten von FedEx mit der Eingabe der Versandnummer des Pakets herausfinden, wo sich dieses gerade befindet (Fitzsimmons/Fitzsimmons 2001, S. 132; Ritzer/Stillman 2001, S. 112 f.). Aber auch in vielen anderen Bereichen findet dieses System mittlerweile Anwendung. Bei der Lufthansa kann sich ein Kunde z. B. per „Baggage Tracking“ online über den Status seiner vermissten Gepäckstücke erkundigen. Eine Statusabfrage ist gleichermaßen im Rahmen von Produktionsprozessen sinnvoll einsetzbar. So wird bei einer Kopplung von Choiceboard mit dem ERP-(Enterprise Resource Planning-)System eines Unternehmens eine direkte Online-Auftragserfassung und -Statusabfrage möglich. Kunden können damit schon während der Zusammenstellung des gewünschten Produkts die Lieferfähigkeit und den -termin erfahren (Frielitz et al. 2001, S. 28 f.). Beispielsweise können sich Kunden des Versandhandelsunternehmens OTTO im Internet über den Lieferstatus und den Liefertermin mittels Online-Sendungsauskunft frühzeitig erkundigen. Ein breites Angebot an verschiedensten Varianten von Statusabfragen bietet auch Dell seinen Kunden im Internet an. So können sich diese im Rahmen des Customer Care-Programms informieren über:

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

183

ƒ Bestellstatus: Im Rahmen dieser Statusabfrage können sich Kunden in Echtzeit über den aktuellen Stand ihrer Bestellungen informieren. Dazu müssen sie lediglich ihre Kundennummer und Auftragsnummer angeben. ƒ Serviceeinsatzstatus: Diese Form des Customer Service informiert die Kunden über den Status des aktuellen Servicevorgangs. Erforderlich ist hierbei eine Eingabe der Servicekennung. ƒ Auftragsüberwachung („Orderwatch“): Bei dieser Art der Fortschrittskontrolle erhalten Kunden eine E-Mail, sobald die Bestellung zur Auslieferung bereitsteht. Zusätzlich zur Kundennummer und Bestellnummer ist daher durch den Kunden auch dessen E-Mail-Adresse anzugeben. Weitergehend als eine punktuelle Kontrolle mittels Checkpoints ist eine permanente Fortschrittskontrolle, die den Kunden idealer Weise zu jedem Zeitpunkt über den Fortgang des Kauf- bzw. Produktionsprozesses informiert. Hierdurch kann wiederum die Transparenz und damit die wahrgenommene Kontrolle gesteigert werden. Zwei einfache Beispiele verdeutlichen die Anwendungsmöglichkeiten: ƒ Bei der Installation von Software-Programmen lässt sich der aktuelle Stand zum einen in Prozent, zum anderen als Balkendiagramm ablesen. ƒ Beim Download von Dateien aus dem Internet wird die voraussichtliche Restladezeit angezeigt. Eine vollständige Fortschrittskontrolle wird jedoch insbesondere aus Kostengründen oftmals nicht möglich sein.

4.2.3 Customer Education als Voraussetzung eines Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen Durch die Übernahme von zusätzlichen Entscheidungs- und Ausführungsaufgaben wird der Kunde zu eigenmächtigen Handlungen „befähigt“ (Bieger 1998, S. 140). Steigende Entscheidungsbefugnisse sowie ein anwachsendes Aufgabenspektrum können vom Kunden jedoch nur dann übernommen werden, wenn er zum einen bereit, zum anderen vor allem auch fähig ist, diese Zusatzaufgaben zu übernehmen. Ein Kunde nimmt eine Ausdehnung des Handlungsspielraums nur dann positiv wahr, wenn er sich fähig bzw. kompetent fühlt, mit diesen neuen Bedingungen auch umgehen zu können (Gouthier 2003, S. 432; Grün/Brunner 2003, S. 91; Ritzer/Stillman 2001, S. 111; Wathieu et al. 2002, S. 299). Eine Verlagerung von Tätigkeiten an den Kunden ohne eine entsprechende Kommunikation des Nutzens und, abhängig von der Aufgabe, entsprechende Schulung des Kunden führt eher zu Problemen als zu positiven Wirkungen für das Unternehmen (Corsten 2000, S. 152 ff.). Bevor also die Handlungsautonomie der Kunden ausgedehnt werden kann, muss dafür Sorge getragen werden, dass diese auch über die entsprechenden Qualifikationen und damit über die notwendige Kompetenz zur Steigerung der wahrgenommenen Kontrollkompetenzen verfügen. Diese Qualifizierung der

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Matthias H. J. Gouthier

Kunden ist Aufgabe der Kundenentwicklung bzw. Customer Education (Gouthier 1999; 2003). Unter Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen der Entscheidungskontrolle und der Verhaltenskontrolle gilt es zum einen die wahrgenommene Entscheidungskompetenz, zum anderen die wahrgenommene Verhaltenskompetenz der Kunden zu fördern. Die Einschätzung der eigenen Entscheidungskompetenz hängt sehr stark von der wahrgenommenen Komplexität der Entscheidungssituation ab. Diese wiederum wird determiniert von den Erfahrungen und dem Kenntnisstand des Kunden. Dieser kann durch produktbezogene Informationen vonseiten des Unternehmens verbessert werden (siehe die Ausführungen in Abschnitt 4.2.2). Zur Ausführung zusätzlicher Aufgaben im Sinne der Erweiterung des Tätigkeitsspielraums benötigt ein Kunde die verschiedensten Fähigkeiten und Fertigkeiten und muss sich vor allem dieser auch sicher sein. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten werden unter den Begriff der wahrgenommenen Verhaltenskompetenz gefasst. Im Folgenden werden mit der Kundenunterweisung, dem Kundenseminar und der „Guided Tour“ drei mögliche Instrumente dargestellt, um eine derartige Verhaltenskompetenz aufzubauen (zu weiteren Instrumenten der Kundenentwicklung siehe Gouthier 2003, S. 383-428). Ein grundlegendes Instrument zur Qualifizierung von Kunden ist die persönliche Kundenunterweisung. Dieses Verfahren findet dann häufig seinen Einsatz, wenn es um die Nutzung neuer Selbstbedienungstechnologien geht. Beispielsweise leiten Angestellte von Lufthansa Flugreisende in der Nutzung der Quick Check-in Automaten an. Die Kundenunterweisung setzt sich, in Anlehnung an die Vier-Stufen-Methode der Arbeitsunterweisung (Berthel 2000, S. 307), grundsätzlich aus vier Schritten zusammen. In einem ersten Schritt ist zu überlegen, in welchen Aufgaben, die der Kunde zu erfüllen hat, er unterwiesen werden soll. Dazu sind auch die Unterweisenden, wie Kundenkontaktmitarbeiter, im Hinblick auf den Unterweisungsvorgang zu schulen. Der zweite Schritt bezieht sodann die Kunden mit ein. Hierbei wird dem Kunden der Lösungsweg zur Bewältigung der Aufgabe vorgeführt und erläutert. Der dritte Schritt besteht im Nachmachen bzw. Ausführen durch den Kunden selbst. Falls dabei Probleme auftreten, steht der Mitarbeiter dem Kunden weiterhin unterstützend zur Seite und kann diesem (durch Korrekturmaßnahmen) helfen (Fassott 1995, S. 94). Der Vollständigkeit halber sei auch noch der vierte Schritt erwähnt, der in einem Ausüben der Kundenaufgabe bis hin zu deren vollkommener Beherrschung besteht. Dabei können dem Kunden bei Rückfragen Mitarbeiter als Ansprechpartner genannt oder schriftliche Instruktionsanweisungen an die Hand gegeben werden. Bei diesem Verfahren werden observative Trainingsphasen im Sinne eines Beobachtungslernens mit aktionalen Trainingselementen verknüpft. Ein weiteres Instrument, um die Kunden zu schulen, stellt das Kundenseminar dar. Bei diesem wird ein aktiver Dialog mit den teilnehmenden Kunden geführt, und diese werden aktiv in den Seminarverlauf einbezogen. Ein Vorteil des permanenten Einbezugs der Kunden durch die dialogische Gestaltung der Kundenseminare liegt darin, dass die Kunden somit „gezwungen“ sind, den Gedankengängen des Moderators bzw. Präsenta-

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

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tors zu folgen. Zudem ermöglicht es dem Referenten, individuell auf die Kunden und deren Wünsche einzugehen (Rüdenauer 1988, S. 90). Kundenseminare sind in der Finanzbranche besonders beliebt (Honebein 1997, S. 13; Marchetti 1992, S. 36). Beispielsweise bieten die Wertpapierhändler Cortal Consors und Charles Schwab verschiedene Kundenseminare an, die sich zu einem großen Teil mit relativ allgemeinen Aspekten von Finanz- und Investmentfragen beschäftigen. Weiterhin werden die Vorteile des eigenen Unternehmens in diesen Kundenseminaren hervorgehoben, so dass auch spezifische Qualifikationsinhalte vermittelt werden. Die eigentliche Intention dieser Kundenseminare liegt primär darin, dass „these customers have a vivid image of the firm’s service offerings“ (McDougall/Snetsinger 1990, S. 38). Zudem besteht für das durchführende Unternehmen die Möglichkeit von Cross-SellingAktivitäten. Dementsprechend stellen Kundenseminare eine Kombination von Produktbzw. Leistungs-Promotion und Kundenentwicklung dar (Marchetti 1992, S. 36). Diese Chancen der Kundenqualifizierung hat auch das Internet-Auktionshaus eBay erkannt und eine eBay University gegründet. So findet sich auf den Webseiten von eBay ein spezielles Trainingsportal, das Informationen zu Workshops, das Angebot von kostenlosen Online-Trainings und darüber hinaus spezielles Trainingsmaterial zu verschiedenen Themenbereichen umfasst. Der Vorteil von Online-Trainings ist dabei die hohe Lernflexibilität, welche die Kunden erhalten. Sie können selbst festlegen, wann, wie häufig und wie lange sie an einer Schulung teilnehmen (Hünerberg/Mann 2000, S. 365). Ein Instrument, um Kunden zur Bewältigung von interaktionsbezogenen Situationen im Internet zu qualifizieren, stellen „Geführte Touren“ bzw. „Guided Tours“ dar (Gouthier 2003, S. 414 f.). Beispielsweise können Neukunden bei der Sparkasse Regensburg an einer so genannten „Internet Banking Guided Tour“ teilnehmen, um die wichtigsten Funktionen des Internet Banking erläutert zu bekommen. Dieses Instrument der „Guided Tour“ wird mittlerweile von vielen Unternehmen eingesetzt, um den Neukunden die zentralen Funktionalitäten zu erläutern, wie z.B. beim Internetangebot von Quelle (www.quelle.de).

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Risiken und Grenzen des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen – alle Macht den Kunden?

Eingangs des Beitrags wurde der Kerngedanke des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen in der pointierten Forderung „Alle Macht den Kunden!“ vorgestellt. Diese Leitidee gilt es jedoch in ihrer Absolutheit sowohl aus Unternehmens- als auch aus Kundenperspektive kritisch zu hinterfragen. Zunächst werden mögliche Risiken und Grenzen aus Sicht der Unternehmen diskutiert. Im Sinne eines Customer Information Empowerments erlangen Kunden durch die Vermittlung verschiedenster Informationen eine bessere Einschätzung des Unternehmens

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und der Produkte bzw. Leistungen (MacKenna 1991, S. 175 f.). Damit einher geht, dass die Kunden auch – und das ist das Problem – die Angebote der Konkurrenten auf einmal viel besser einschätzen können. Als Folge sinkt bei den Kunden die Unsicherheit in Bezug auf einen möglichen Anbieterwechsel und die Wechselbereitschaft steigt entsprechend (Wirtz/Vogt 2001, S. 117). Besser informierte Kunden führen zudem zu einem intensiveren Preiskampf zwischen den Anbietern (Prahalad/Ramaswamy 2000, S. 86 f.; siehe auch MacKenna 1991, S. 176). Dadurch, dass Kunden besser über die Leistungen des Anbieters und insbesondere über die Angebote der Konkurrenz Bescheid wissen, können erfahrene Kunden stärker verhandeln und die Preise drücken. Des Weiteren ist als Problem aus Unternehmensperspektive die Frage nach der Verantwortungsübernahme zu sehen. Steigt die Handlungsautonomie der Kunden, d. h. haben Kunden eine höhere Entscheidungskompetenz und führen mehr Aufgaben selbständig aus, so müsste eigentlich auch deren Eigenverantwortung zunehmen. Ob sie hierzu jedoch bereit sind, d. h. eine größere Verantwortung zu tragen, ist indes sehr fraglich. Generell neigen Menschen dazu, die Verantwortung bei Erfolgen problemlos zu übernehmen, aber bei Misserfolgen lehnen sie diese eher ab (Bateson 2000, S. 133). Dies gilt – gleichermaßen wie für Mitarbeiter (Argyris 1998, S. 9) – wohl auch für Kunden (Wathieu et al. 2002, S. 303). Nach einer Darstellung der Risiken eines Customer Empowerments aus Unternehmensperspektive ist noch auf ein gewichtiges Problem aus der Sicht der Kunden hinzuweisen. Eine zentrale Annahme, die dem Konzept des Customer Empowerments in Geschäftsbeziehungen zugrunde liegt, ist, dass Kunden eine höhere Kontrolle und Selbstbestimmung wünschen und dies auch als Nutzensteigerung ansehen (Wathieu et al. 2002, S. 298). Ihnen sei es lieber, Aktivitäten selbst auszuführen und Entscheidungen eigenständig zu treffen. Nicht in allen Situationen und bei allen Kunden trifft dieser Kerngedanke des Customer Empowerments jedoch auch zu. Einige Kunden werden durch höhere Kompetenzen sowie Aufgaben eher verängstigt und stehen einer solchen Entwicklung folglich ablehnend gegenüber (Bowers et al. 1990, S. 65; Silpakit/Fisk 1985, S. 120; Slywotzky/Morrison 2001, S. 26; Wathieu et al. 2002, S. 299). Dieses Problem kommt in folgendem Zitat von Meyer/Davidson (2001, S. 678) besonders deutlich zum Ausdruck: „Wie viele Wahlmöglichkeiten, Informationen und auch Macht verträgt der Kunde überhaupt? Viele Indizien sprechen dafür, dass wir Kunden immer mehr überfordern, indem wir ihnen zu viele Wahlmöglichkeiten und zu viele Informationen anbieten.“ Hat ein Kunde zu viele Informationen und/oder zu viele Wahlmöglichkeiten, so folgt daraus für diesen eine kognitive Überlastung („cognitive overload“; Wathieu et al. 2002, S. 299), Stress (siehe z. B. Jones/Jones 1990), Angst (siehe z. B. Ritzer/Stillman 2001, S. 111) und Frustration (Meyer/Davidson 2001, S. 679; siehe auch Meyer 1999, S. 20 f. und Prahalad/Ramaswamy 2000, S. 85) [4]. Als Konsequenz hieraus kann es zu einer Vermeidungsstrategie kommen, d. h. das Produkt bzw. die Dienstleistung werden nicht gekauft (Ram/Sheth 1989). Daher werden die Rufe nach Einfachheit und Reduktion und damit nach einem so genannten „Simplicity Marketing“ (zu den Ansätzen eines Simplicity Marketing siehe Gouthier 2004b) immer lauter (siehe z. B. Bosshart 2002;

Customer Empowerment in Geschäftsbeziehungen

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Grünewald 2004; Vogler 2004). Als Zwischenfazit lässt sich an dieser Stelle entsprechend festhalten, dass die Erhöhung des objektiven Kontrollgrads nicht unbedingt auch zu einem subjektiv wahrgenommenen Empowerment der Kunden führt. Darüber hinaus besteht das Risiko, gerade bei einer Ausdehnung des Entscheidungsspielraums im Sinne einer Erweiterung der Wahlmöglichkeiten, dass das Bedauern über das Ablehnen der nicht gewählten Alternativen hoch ist und damit Unzufriedenheit entsteht (Wathieu et al. 2002, S. 299). Daneben wird die Unzufriedenheit eines Kunden bei Vorliegen mehrerer Optionen höher sein, wenn die gewählte Variante seine Bedürfnisse nicht in der erwarteten Art und Weise erfüllt (Wathieu et al. 2002, S. 302 f.). Kunden können also gleichermaßen einen nur geringen Handlungsspielraum anstreben. Dementsprechend wichtig ist es für Unternehmen, sich permanent Feedback von den Kunden einzuholen, welche Informationen sie benötigen, welches Level an Kontrolle sie wünschen und welche Art von Entscheidungen sowie Tätigkeiten sie ausführen möchten (siehe ähnlich Slywotzky/Morrison 2001, S. 26). Daher kann in bestimmten Fällen bzw. für bestimmte Kunden(gruppen) ein Customer Depowerment im Sinne der Reduktion der Handlungsautonomie durchaus eine sinnvolle Strategie sein. Wathieu et al. (2002, S. 299 f.) empfehlen, parallel zu einem Ausbau der Wahlmöglichkeiten den Kunden gleichzeitig den Weg der Reversibilität anzubieten, d. h., dass die Kunden die Ausdehnung des Handlungsspielraums wieder rückgängig machen können.

6

Fazit

Ausgangspunkt dieses Beitrags war das Aufkommen einer Machtverschiebung in Geschäftsbeziehungen hin zu den Kunden. Angelegt als Konzept des Kundenmanagements vermag die Machtverlagerung Unternehmen helfen, Kosten zu senken, Innovations- und Qualitätsbeiträge zu generieren sowie Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zu fördern. Als Schlüsselgröße, weshalb eine derartige Machtverlagerung auch vonseiten der Kunden gewünscht ist, wurde das Streben nach Kontrolle bzw. das Kontrollbewusstsein der Kunden identifiziert. Im darauf folgenden Schritt war es möglich, verschiedene Kontrollarten zu identifizieren und zu erörtern, welche Ansätze eine Realisierung der wahrgenommenen Kundenkontrolle unterstützen. Hieran anknüpfend wurden Instrumente dargelegt, wie Unternehmen ihre Kunden empowern können. Im Allgemeinen gilt: Je besser der Kunde informiert ist, je berechenbarer die Prozesse sind, je mehr Aufgaben der Kunde selbst übernimmt und je mehr Entscheidungen er treffen kann, umso höher wird der von ihm wahrgenommene Kontrollgrad sein (Silpakit/Fisk 1985, S. 120). Dementsprechend hängt die vom Kunden empfundene Kontrolle von dem Grad der Partizipation des Kunden, von dessen Informationsausstattung und von dessen Kontrollkompetenzen ab (Johns 1999, S. 966; Rushton/Carson 1989, S. 30). Die wahrgenommene Kontrolle wird somit durch eine Vergrößerung der Partizipation des Kunden, durch einen Ausbau des Informationsangebots und einer Förderung der Kundenkompetenz gesteigert. Während sich das Konzept des Hand-

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lungsspielraums für die Betrachtung der Kundenbeteiligung eignet, widmet sich die so genannte Kundenentwicklung bzw. Customer Education der Vermittlung von Qualifikationen an die Kunden. Dass jedoch auch ein Konzept des Customer Empowerments mit Risiken und Grenzen verbunden ist, wurde abschließend gezeigt. Eine Ermächtigung des Kunden hat dann seine Grenzen erreicht, wenn dieser sich überfordert und gestresst fühlt und damit letztlich unzufrieden ist. Von daher gilt es immer, die Bedürfnisse der Kunden nach dem Grad ihrer Handlungsautonomie zu erheben und zu berücksichtigen.

Anmerkungen [1] Es wird auch von den so genannten Reverse Markets gesprochen. Dabei werden die Wertschöpfungsaktivitäten vom Kunden initiiert und getrieben (Meyer/ Davidson 2001, S. 676). [2] Ausnahmen könnten aufgrund von vertraglichen Bestimmungen, technologischen Notwendigkeiten oder rechtlichen Bestimmungen auftreten, wie z. B. der Einweisung eines Individuums in eine Strafvollzugsanstalt. [3] An diesem Beispiel wird zudem die Vermengung von Ausführungs- und Entscheidungsaufgaben deutlich. So muss sich der Kunde, um eine Bewertung überhaupt vornehmen zu können, bewusst werden, d. h. sich entscheiden, wie er das Buch einstuft. [4] Diese Überforderung der Kunden wird laut Einschätzung der Prognos-Studie „2020 – So werden wir leben“ in den kommenden Jahren weiter zunehmen (Ernst et al. 2000, S. 130).

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Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung 1

Einleitung

2

Kundenbeziehungen im CRM 2.1 Begriffsverständnis einer Kundenbeziehung 2.2 Vorteile einer Kundenbeziehung aus Sicht der Kunden 2.3 Grenzen der Beziehungsorientierung aus Sicht der Kunden

3

Empirische Untersuchung zum Thema „CRM aus Kundensicht“ 3.1 Das Untersuchungsdesign 3.2 Kundentypologien zur Erklärung des Kundenverhaltens 3.3 CRM entlang des Kundenbeziehungslebenszyklus 3.3.1 Anbahnungsphase 3.3.2 Sozialisation, Wachstum und Reife 3.3.3 Gefährdungsphase und Revitalisierung

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Fazit

Literaturverzeichnis

1

Einleitung

CRM strebt durch eine individuelle Ausgestaltung der Kundeninteraktion eine möglichst intensive und langfristige Kundenbeziehung an. Die Gründe, warum Unternehmen langfristige Beziehungen zu ihren profitablen Kunden anstreben, resultieren aus den positiven Wirkungen der Kundenbindung auf den Unternehmenserfolg: So haben (freiwillig) gebundene Kunden häufig eine höhere Preisbereitschaft als ungebundene Kunden, oft steigt ihre Kauffrequenz und sie sind empfänglicher für Cross Buying (Homburg/Bruhn 2005, S. 17). Auch Kostenaspekte sprechen für langfristige Kundenbeziehungen: Die Gewinnung neuer Kunden bzw. die Wiedergewinnung eines ehemaligen Kunden verursachen höhere Kosten als eine von Anfang an zufriedenstellende Betreuung und die daraus resultierende Kundenbindung (Lessmann 2003, S. 190). Doch welche Kunden(-gruppen) wünschen sich überhaupt eine so intensive Beziehung zu einem Unternehmen, wie es die Philosophie des CRM anstrebt? Diese Frage wird oft vernachlässigt. Der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt nahm die einseitig unternehmerische Betrachtungsweise zum Anlass für eine empirische Untersuchung und beleuchtete das Thema CRM aus einem anderen Blickwinkel – aus Sicht der Kunden. Auch vor dem Hintergrund zahlreicher gescheiterter CRM-Projekte kann dieser Perspektivenwechsel wertvolle Informationen liefern. Als Einstieg in diese Thematik wird die Kundenbeziehung als Kern der CRMPhilosophie näher betrachtet. Ein kurzer Literaturüberblick dient dazu, ein Verständnis des Begriffes „Kundenbeziehung“ zu vermitteln und Vor- und Nachteile einer Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen aus Sicht der Kunden darzulegen. Auf diese Weise wird eine konzeptionelle Grundlage für die empirische Studie zum Thema „CRM aus Kundensicht“ geschaffen, die in den Monaten August und September 2002 durchgeführt wurde. 411 Haushalte aus ganz Deutschland wurden hierzu anhand von Telefoninterviews befragt. Unter der Annahme, dass es verschiedene Kundentypen gibt, die sich in ihrer Beziehungsaffinität zu einem Unternehmen unterscheiden, wurde das Verhalten dieser Kundengruppen über den gesamten Kundenbeziehungslebenszyklus hinweg analysiert. Die Studie gibt somit Antworten auf Fragen wie z.B.: ƒ Welche Merkmale sind für die Kunden bei der Anbieterwahl entscheidend? ƒ Wie groß ist die Bereitschaft, persönliche Daten preiszugeben? ƒ Welche Rolle spielt ein professionelles Beschwerdemanagement für die Kunden? Zahlreiche interessante Ergebnisse sind das Resultat der Auswertung. Sie ermöglichen Aussagen über die Potenziale einer CRM-Strategie, zeigen aber auch die Grenzen der Beziehungsorientierung auf.

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2

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Kundenbeziehungen im CRM „CRM ist eine kundenorientierte Unternehmensstrategie, die mit Hilfe moderner Informationstechnologie versucht, auf lange Sicht profitable Kundenbeziehungen durch ganzheitliche und individuelle Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen.“ (Hippner et al. 2003, S. 10).

Die Kundenbeziehung stellt das zentrale Element einer CRM-Strategie dar: Die am kurzfristigen Verkaufserfolg ausgerichtete Kundeninteraktion ist durch eine langfristige Pflege der Kundenbeziehungen zu ersetzen, die den gesamten Kaufzyklus und Kundenbeziehungslebenszyklus mit aufeinander aufbauenden und auf den jeweiligen Kundenstatus abgestimmten Maßnahmen abdeckt (Hippner et al. 2002, S. 270). Die vielfältigen Gründe, die aus Sicht der Unternehmen dafür sprechen, Kunden langfristig zu binden, sollen hier nicht weiter erörtert werden. Für eine weitergehende Behandlung dieser Thematik sei auf Homburg/Bruhn (2005) verwiesen. An dieser Stelle interessiert vor allem, unter welchen Voraussetzungen eine Kundenbeziehung vorliegt und welche Motive die Kunden verfolgen, wenn sie eine Beziehung zu einem Unternehmen eingehen.

2.1

Begriffsverständnis einer Kundenbeziehung

Bei der Definition des Begriffs „Kundenbeziehung“ ist der Blickwinkel von großer Bedeutung: Eine Kundenbeziehung wird nicht allein dadurch etabliert, dass das Unternehmen dies so empfindet. Es sollte zwar Interaktions- und Kommunikationsprozesse implementieren, die eine solche Beziehung unterstützen, aber es ist der Kunde, der festlegt, ob sich eine Beziehung entwickelt hat oder nicht (Grönroos 2000, S. 32 f.). Einige Autoren erheben vor diesem Hintergrund die fundamentale Frage, ob es für eine Firma als unpersönliche Einheit überhaupt möglich ist, eine Beziehung zu einem Kunden aufzubauen (z.B. Sheaves/Barnes 1996, S. 218). Sie gelangen nach der Rezension sozial-psychologischer Literatur zu der Erkenntnis, dass Beziehungen lediglich zwischen Individuen bestehen können (Sheaves/Barnes 1996, S. 239). Auch Iacobucci/ Ostrom sehen die eigentliche Beziehung im Kontext Kunde-Unternehmen zwischenmenschlicher Natur, also zwischen dem Kunden und den Mitarbeitern an den Interaktionspunkten (Iacobucci/Ostrom 1996, S. 57 f.). Sheaves/Barnes ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass es für technologiebasierte Dienstleister schwer ist, enge Beziehungen (aus Kundensicht) zu etablieren (Sheaves/Barnes 1996, S. 239 f.). Dies wirft die Frage auf, inwieweit es z.B. für reine E-Commerce-Anbieter möglich ist, Kundenbeziehungen aufzubauen, da sie in der Regel keine persönliche Face-to-faceInteraktion offerieren. Hier ist es hilfreich, den Kontext zu erweitern: so untersucht Fournier, inwieweit eine Marke als aktiver Beziehungspartner fungieren kann. Problematisch ist hierbei, dass eine Marke keine objektive Existenz besitzt, sondern nur als ein

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

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Bündel an Wahrnehmungen in den Köpfen der Konsumenten besteht (Fournier 1998, S. 345). Um als legitimer Beziehungspartner zu dienen, muss eine Marke sich als aktiver, mitwirkender Partner qualifizieren. Marketing-Aktionen mit interaktivem Charakter können hierzu beitragen (Fournier 1998, S. 345). So gelangt Fournier anhand einer empirischen Untersuchung zu der Schlussfolgerung, dass Marken sehr wohl ein fähiger Beziehungspartner sein können (Fournier 1998, S. 360 f.). Als entscheidend kristallisiert sich die Zielkompatibilität von Produktattributen und Persönlichkeitsmerkmalen heraus: „… consumer-brand relationships are more a matter of perceived goal compatibility than congruence between discrete product attributes and personality trait images. Meaningful relationships are qualified … by the perceived ego significance of the chosen brands.“ (Fournier 1998, S. 366). An dieser Stelle soll nicht weiter erörtert werden, auf welcher Ebene die Beziehung eines Kunden zu einem Unternehmen vorliegen kann. Es gilt vielmehr die konstituierenden Merkmale einer solchen Beziehung zu betrachten. Ein mögliches Kriterium zur Definition einer Kundenbeziehung stellt die Anzahl der Käufe bei einem Anbieter dar. Dieses Merkmal sollte jedoch nicht allein ausschlaggebend sein, denn Wiederholungskäufe sind nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass der Kunde eine Beziehung zu der Firma wahrnimmt. Zahlreiche andere Gründe können dafür sprechen, dass ein Kunde wiederholt bei einem Anbieter kauft, so z.B. günstige Preise oder räumliche Nähe. Fallen diese Vorteile weg, wechselt der Kunde zur Konkurrenz (Grönroos 2000, S. 33). Morgan/Hunt sehen innere Beweggründe wie „Commitment“ und „Trust“ als Schlüsselfaktoren einer Beziehung: „Commitment“ eines Beziehungspartners bedeutet, dass er die Beziehung als so wichtig erachtet, dass er maximale Anstrengungen unternimmt, um das Andauern dieser Beziehung zu garantieren. „Trust“ liegt dann vor, wenn die eine Partei Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Integrität der anderen hat (Morgan/Hunt 1994, S. 22 f.). Hennig-Thurau et al. unterscheiden bei der Definition einer Beziehung aus Kundensicht zwei Komponenten (Hennig-Thurau et al. 2000, S. 371): (1) Eine Verhaltenskomponente („behavioral component“): Der Kunde kauft wiederholt Produkte bzw. Dienstleistungen bei der gleichen Firma. (2) Eine Absichtskomponente („intentional component“): Die Wiederholungskäufe basieren auf rationalen Gedanken. Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass der Kunde sich einer Beziehung zwischen ihm und der Firma bewusst ist. Darüber hinaus ist auch die Grundlage einer Kundenbeziehung von Interesse. Bendapudi/Berry haben ein Modell entwickelt, das zwischen zwei Arten von Beziehungen differenziert: „constraint-based“ und „dedication-based“. „Constraint-based relationships“ sind durch Abhängigkeiten geprägt (Bendapudi/Berry 1997, S. 18 ff.). „Abhängigkeit ist ein Zustand eingeschränkter Substituierbarkeit des als wichtig erachteten Gegenstands der Bindung (des Produkts, der Technologie, des Unternehmens usw.), mit anderen Worten heißt Kundenbindung bzw. Abhängigkeit, dass aus der Sicht des Kunden Austrittsbarrieren aus der Geschäftsbeziehung existieren.“ (Plinke/Söllner 2005, S. 70). Kunden in „dedication-based relation-ships“ bleiben in der Beziehung, weil sie sich

200

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

diese Kontinuität wünschen (Bendapudi/Berry 1997, S. 20). Diese Beziehungen basieren auf Vertrauen. Allerdings kann sich auch in Abhängigkeitsbeziehungen „dedication“ entwickeln, u.a. dann, wenn der Partner fair ist und das Abhängigkeitsverhältnis nicht ausnutzt (Bendapudi/Berry 1997, S. 20). Bliemel/Eggert zielen in die gleiche Richtung wie Bendapudi/Berry, indem sie – aus Sicht des Kunden – zwei mögliche Zustände der Kundenbindung definieren: Gebundenheit und Verbundenheit (Bliemel/Eggert 1998, S. 39). Kundenbindung ist ein Ursachenkomplex zur Erklärung des „Relationship Buying“ (Plinke/Söllner 2005, S. 69). Gebundenheit wird durch den Aufbau von Wechselbarrieren erreicht. Wechselbarrieren an sich generieren keinen Nutzen für den Kunden, sie werden aber akzeptiert, wenn sie im Gesamtangebot durch andere Vorteile überkompensiert werden. Verbundenheit dagegen versuchen die Untenehmen durch die Schaffung von Zufriedenheit und Vertrauen zu erreichen (Bliemel/Eggert 1998, S. 39 ff.). Plinke positioniert die Kunden nach der Art ihrer Bindung zum Unternehmen und unterscheidet vier Fälle (siehe Abb. 1). „Transaction Buying“ liegt dann vor, wenn Kunden nicht wiederkaufen wollen und es auch nicht müssen. In einer „Fan“-Position befinden sich Kunden, die Wiederkäufe tätigen, weil sie das wollen, ohne sich irgendwie gebunden zu fühlen. Sie genießen subjektiv einen Kundenvorteil, da die Leistung des Lieferanten sie zufrieden stellt. Kunden, die ebenfalls diesen Kundenvorteil haben, aber zusätzlich noch andere Bindungen an den Lieferanten empfinden, befinden sich aus Sicht des Lieferanten in einer Soll-Position. Diese Kunden werden auch nicht sofort den Anbieter wechseln, wenn sie einmal nicht zufrieden sind, sondern in diesem Fall wegen ihrer Bindungen eine Wiederherstellung ihrer Zufriedenheit anstreben. In einer Ausbeutungsposition befinden sich Kunden, die aufgrund von Wechselbarrieren in der Beziehung bleiben müssen – auch wenn sie unzufrieden mit ihrem Anbieter sind und wechseln möchten (Plinke 1997, S. 50 f.).

Kunde bleibt in Beziehung, weil er das „will“

„Fan-“ Position

SollPosition Kunde bleibt in Beziehung, weil er das „muss“

Transaction Buying

„Ausbeutungs-“ Postion

Abb. 1: Positionierung von Kunden nach Art ihrer Bindung Quelle: in Anlehnung an Plinke 1997, S. 50

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

2.2

201

Vorteile einer Kundenbeziehung aus Sicht der Kunden

Um die Beweggründe der Kunden, eine Beziehung zu einem Unternehmen einzugehen, besser zu verstehen, ist es hilfreich, Motivatoren und Demotivatoren von Kundenloyalität zu betrachten. Kundenloyalität versteht Diller als positive Einstellung des Kunden gegenüber einem Anbieter verbunden mit einer Wiederkaufabsicht (Diller 2000, S. 31). Er nennt drei Kategorien von sich entgegenwirkenden Faktoren, die einen positiven bzw. negativen Einfluss auf die Kundenloyalität besitzen (Diller 2000, S. 39 ff.; siehe auch Abb. 2): ƒ Opportunismus versus Fürsorge („relief“): Opportunismus (hier verstanden als die Bereitschaft des Kunden, jede Möglichkeit wahrzunehmen, um mehr für sein Geld zu bekommen) wirkt Loyalität entgegen. Ein Bedürfnis nach Fürsorge kann sich in der Achtung von Werten wie Menschlichkeit und Solidarität äußern und fördert Loyalität. ƒ Variety seeking versus Kontinuität: „Variety seeking behaviour“ bezeichnet das Phänomen, dass Konsumenten in ihrem Produktwahlverhalten eine Wechselneigung aufweisen, die auf einem Bedürfnis nach Abwechslung basiert (ter Haseborg/Mäßen 1997, S. 164 f.). Die Produktwahl wird somit durch zwei Kräfte beeinflusst: Auf der einen Seite durch den Nutzen, der sich aus dem Konsum eines bestimmten Produkts ableitet, auf der anderen Seite durch den Nutzen, der aus dem Produktwechsel selbst resultiert (Givon 1984, S. 3). Variety seeking hat somit einen negativen Einfluss auf die Kundenloyalität, während das Bedürfnis nach Kontinuität eine langfristige Beziehung zu einem Unternehmen attraktiv erscheinen lässt. ƒ Autonomität versus soziale Integration: Das Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung wirkt Loyalität entgegen, der Wunsch nach sozialer Integration und Aufnahme in eine Gemeinschaft (z.B. einen Kundenclub) verstärkt diese.

Opportunismus

Soziale Integration

Variety seeking

Kontinuität

Autonomität

Fürsorge

Intensität der Loyalität

Abb. 2: Motivatoren und Demotivatoren der Kundenloyalität Quelle: in Anlehnung an Diller 2000, S. 40

+

202

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Betrachtet man die Vor- und Nachteile, die der Kunde bei einer intensiven Beziehung zu einem Unternehmen wahrnimmt, spielen die oben genannten Faktoren implizit eine Rolle. Es ist üblich, den Nutzen, den der Kunde aus einer langfristigen Beziehung zu einem Unternehmen zieht, in drei Kategorien zu unterteilen: ökonomisch, sozial und psychologisch (Hansen 2000, S. 420). Eine vergleichbare Differenzierung findet sich auch bei Gwinner et al.: Sie haben eine empirische Untersuchung zum Thema „Relational Benefits in Services Industries: The Customer´s Perspective“ durchgeführt, aus der sie die folgenden drei Klassen von Beziehungsvorteilen für den Kunden ableiten (Gwinner et al. 1998, S. 104 ff.): ƒ „Social benefits“: Der Kunde entwickelt eine persönliche Beziehung zu Mitarbeitern der Firma, die er ggf. sogar als Freundschaft empfindet. ƒ „Confidence“: Durch Erfahrungen im Laufe einer Beziehung kann Unsicherheit reduziert und Vertrauen aufgebaut werden. ƒ „Special Treatment“: Dieser Faktor umfasst spezielle zusätzliche Dienstleistungen – wie die Berücksichtigung persönlicher Wünsche des Kunden („customization“) – und eine ökonomische Komponente. Diese äußert sich in Preisnachlässen und Zeitersparnis. Zeitersparnis kann auf der einen Seite aus schnellerem Service resultieren, auf der anderen Seite aber auch dadurch, dass für Kunden, die eine Beziehung zu einem Anbieter wahrnehmen, die Suche nach anderen Anbietern entfällt. Die in Abb. 2 dargestellten Motive der Kunden, eine Beziehung zu einem Unternehmen einzugehen, spiegeln sich in den wahrgenommenen Beziehungsvorteilen – aus Sicht der Kunden – wider: Das Bedürfnis einiger Kunden nach „sozialer Integration“ und „Fürsorge“ verdeutlicht, welchen Stellenwert „Social Benefits“ und „Confidence“ in einer Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen einnehmen können. Auch die Berücksichtigung persönlicher Kundenwünsche kann dazu beitragen, dem Bedürfnis nach „Fürsorge“ gerecht zu werden.

2.3

Grenzen der Beziehungsorientierung aus Sicht der Kunden

Neben den vielen euphorischen Stimmen zum Potenzial des CRM gibt es auch Autoren, die Grenzen dieser unternehmerischen Beziehungsorientierung aufzeigen (so z.B. Fournier et al. 1998; Hansen 2000; Hennig-Thurau et al. 2000; Rosenberger 2000). So sehen Fournier et al. eine Inflation an „beziehungssuchenden“ Unternehmen. Sie beurteilen die Anzahl an 1-to-1-Beziehungen, die Firmen zu ihren Kunden aufbauen möchten, als unhaltbar und verweisen hierbei auf das Privatleben der Konsumenten, in dem diese oftmals nur eine Handvoll enger und intensiver Beziehungen haben: „How can we expect people to do anymore in their lives as consumers?” (Fournier et al. 1998, S. 44).

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

203

Die Entwicklung von Beziehungen zwischen Kunde und Unternehmen ist dann gefährdet, wenn der Nutzen aus einer Beziehung für den Kunden entweder nicht relevant oder unwahrscheinlich ist. Außerdem können die Kosten für den Kunden, diesen Nutzen zu bekommen, den wahrgenommenen Wert übersteigen, z.B. dann, wenn der Kunde persönliche Informationen preisgeben muss. Hennig-Thurau et al. nennen vier Hürden für Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden (Hennig-Thurau et al. 2000, S. 378): ƒ Streben nach Unabhängigkeit, ƒ Wahlfreiheit, ƒ Variety seeking behaviour, ƒ Bedürfnis nach Privatsphäre. Eine enge Beziehung zu einem Unternehmen widerspricht dem „Streben nach Unabhängigkeit“ einiger Konsumenten und ihrem Bedürfnis nach Wahlfreiheit. Wünschen sich Kunden viele wählbare Alternativen, kann eine Einschränkung dieser Wahlfreiheit für diese Konsumenten ein Grund sein, eine intensive Beziehung zu einem Unternehmen zu vermeiden (Hennig-Thurau et al. 2000, S. 378). Eine weitere Hürde, eine Beziehung zu einem Unternehmen aufzubauen, liegt dann vor, wenn Kunden durch die Preisgabe persönlicher Daten ihre Privatsphäre gefährdet sehen (Hennig-Thurau et al. 2000, S. 379). Hansen weist darauf hin, dass auch der Grad des Involvements der Konsumenten mit dem Produkt eine Rolle für den Erfolg des Relationship Marketing spielt. Insbesondere bei Low-Involvement-Käufen können Beziehungsofferten der Unternehmen von den Konsumenten als lästig empfunden werden (Hansen 2000, S. 431). Low-InvolvementKäufe sind aus Sicht der Konsumenten weniger wichtig; finanzielle, soziale und psychologische Risiken schätzen sie bei diesen als gering ein. Daher wenden sie kaum Zeit und Mühen für die Informationssuche und den Vergleich von Alternativen auf. HighInvolvement-Käufe dagegen sind eng verbunden mit dem Ego der Konsumenten und bergen finanzielle, soziale und persönliche Risiken. Daher lohnt es sich, Produktalternativen gründlich zu vergleichen (Asseal 1998, S. 68). Grönroos weist darauf hin, dass sich die Kunden darin unterscheiden, welche Bedeutung sie den möglichen Vor- und Nachteilen einer Beziehung zu einem Unternehmen beimessen. Er definiert drei verschiedene Kundentypen (Grönroos 2000, S. 35 f.): Nicht alle Kunden sind daran interessiert, Beziehungen zu ihren Anbietern bzw. Dienstleistern aufzubauen. Kunden (Individuen bzw. Organisationen) können somit entweder an einem relationalen oder einem transaktionalen Kontakt zu einem Unternehmen interessiert sein. Der relationale Modus wiederum hat zwei Ausprägungen: aktiv oder passiv relational. Aktiv relationale Kunden suchen den Kontakt zu einem Unternehmen, passiv relationale Kunden sind bereits zufrieden, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird (z.B. durch Telefonnummern oder E-Mail-Adressen auf Produktverpackungen), sich an das Unternehmen zu wenden. Sie werden diese Gelegenheit nicht unbedingt nutzen, aber sie sind enttäuscht, wenn ihnen diese Kontaktmöglichkeit vorenthalten wird. Tab. 1 veranschaulicht die Charakteristika der verschiedenen Kundentypen.

204

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Für eine ausführliche Beschreibung der Grenzen des Relationship Marketing sei an dieser Stelle auf den Beitrag von Hansen in diesem Buch verwiesen.

Kundentyp

Erwartungen und Reaktionen des Kunden

transaktional

Möchte seine Wünsche zu einem akzeptablen Preis erfüllen. Zwischen den einzelnen Käufen wünscht er keine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen.

passiv relational

Braucht die Gewissheit, mit dem Unternehmen in Kontakt treten zu können, wenn er das will. Er reagiert aber selten auf Angebote des Unternehmens.

aktiv relational

Sucht aktiv nach Möglichkeiten, um mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten und empfindet dadurch einen persönlichen Nutzen.

Tab. 1:

Kundentypen nach ihrem Beziehungsverständnis Quelle: Grönroos 2000, S. 36

3

Empirische Untersuchung zum Thema „CRM aus Kundensicht“

Ein Impuls für die Durchführung der hier dargestellten Untersuchung war die grundlegende Fragestellung, wie viele und welche Kunden sich überhaupt so intensive und langfristige Kundenbeziehungen wünschen, wie sie die Philosophie des CRM anstrebt. Wie bereits im Literaturüberblick deutlich geworden ist, hat diese Beziehungsorientierung der Unternehmen Grenzen – aus Sicht der Kunden. Die empirische Studie geht davon aus, dass es verschiedene Kundentypen gibt, die sich in ihren Erwartungen an eine Beziehung zu einem Unternehmen unterscheiden. Die Verteilung dieser Kundentypen in der Gesellschaft soll Aufschluss über das Potenzial des CRM geben. Ein elementares Problem der Untersuchung war, in welcher Form sich CRM beim Kunden konkretisiert. CRM wurde hierbei bewusst als Philosophie angesehen, d.h. es galt weiche Faktoren wie das Verhalten der Mitarbeiter ebenso zu berücksichtigen wie die Auswirkungen der IT-Unterstützung. Als Anhaltspunkt wurde der Kundenbeziehungslebenszyklus herangezogen, dessen Phasen zur Vereinfachung auf drei reduziert wurden: Anbahnung, Sozialisation/Wachstum/Reife und Gefährdung/Revitalisierung (siehe Abb. 3). Entlang dieser Phasen wurden Interaktionen zwischen Kunde und Unternehmen analysiert.

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

205

Die beiden grundlegenden Fragestellungen dieser Studie lauten: ƒ Wie stark sind die einzelnen Kundentypen in der Gesellschaft repräsentiert? ƒ Wie verhalten sich die Kunden(-typen) in den einzelnen Phasen des Kundenbeziehungslebenszyklus? Den einzelnen Phasen des Kundenbeziehungslebenszyklus sind jeweils mehrere Fragen gewidmet; insbesondere den folgenden galt bereits im Vorfeld der Untersuchung ein großes Interesse: ƒ Anbahnungsphase: Welche Merkmale sind für die Kunden bei der Anbieterwahl entscheidend? ƒ Sozialisation/Wachstum/Reife: Wie loyal verhalten sich die einzelnen Kundentypen? ƒ Gefährdung/Revitalisierung: Welche Bedeutung hat ein professionelles Beschwerdemanagement für die Kunden? Der bereits erwähnte Zusammenhang zwischen dem Involvement mit dem Produkt und dem Erfolg einer Beziehungsstrategie wurde im Rahmen dieser Studie nicht weiter untersucht und als gegeben vorausgesetzt. Die Studie konzentriert sich auf vier Branchen mit High-Involvement-Produkten: Banken, Versicherungen, Automobil und Reise/ Touristik.

Umsatz

Gefährdung

Revitalisierung Anbahnung

Sozialisation

Anbahnungsphase

Wachstum

Reife

Sozialisation/Wachstum/Reife

Abb. 3: Der Kundenbeziehungslebenszyklus Quelle: in Anlehnung an Stauss 2000, S. 16

Kündigung Abstinenz

Gefährdung/ Revitalisierung

Zeit

206

3.1

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Das Untersuchungsdesign

Für die empirische Untersuchung wurde als Methode eine Telefonumfrage gewählt, da sie gegenüber Face-to-face-Umfragen einige Vorteile bietet (Häder 2000, S. 2): ƒ Die Interviews können leicht regional gestreut werden. ƒ Aufgrund der relativ geringen Kosten sind viele Kontaktversuche möglich. ƒ Supervisor können die Arbeit der Interviewer kontrollieren. ƒ Die anonyme Interviewsituation verringert häufig die Bedenken der Zielpersonen, sich auf ein Interview einzulassen. Zwei Interviewer waren zu verschiedenen Tageszeiten an allen sieben Wochentagen im Einsatz. Insgesamt wurden 411 Haushalte aus der ganzen BRD befragt. Die Ziehung einer Stichprobe erfolgte durch das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA), Mannheim, gemäß des Gabler-Häder-Designs, das sich in den letzten Jahren als methodischer Standard in der empirischen Sozialforschung in Deutschland etabliert hat (Häder 2000, S. 7 f.). Auf diese Weise wird sichergestellt, dass eine zufällige Verteilung vorliegt und somit statistisch zuverlässige Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit möglich sind. Die Grundgesamtheit entspricht in diesem Fall allen Haushalten in der BRD, die über einen Festnetztelefonanschluss verfügen. Dieser Zusatz ist aber vernachlässigenswert, da 99% der Haushalte mit Festnetztelefonen ausgestattet sind (Statistisches Bundesamt 1999). Die Grundlage der Untersuchung bildet ein Fragebogen, der sich am Kundenbeziehungslebenszyklus orientiert und aus einem einheitlichen Grundgerüst besteht, welches jeweils an die vier Branchen Banken, Versicherungen, Reise/Touristik und Automobil angepasst wurde.

3.2

Kundentypologien zur Erklärung des Kundenverhaltens

Aus Sicht des CRM sind vor allem die aktiv relationalen Kunden interessant, denn sie empfinden eine intensive Interaktion mit dem Unternehmen als persönlichen Mehrwert. Erfüllt ein Unternehmen ihr Bedürfnis nach Interaktion, sind langfristige Kundenbeziehungen, wie sie die Philosophie des CRM anstrebt, bei ihnen am wahrscheinlichsten. Zu dieser CRM-affinen Gruppe zählen sich allerdings nur 17% der befragten Haushalte (siehe Abb. 4). Die passiv relationalen Kunden dagegen sind mit einem Anteil von 42% erheblich stärker vertreten. Die Studie zeigt aber auch, dass über 40% der befragten Haushalte kein Interesse an einer engen Beziehung zu einem Unternehmen haben. Sie möchten ihre Bedürfnisse zu einem akzeptablen Preis erfüllen und schätzen zwischen einzelnen Käufen keine Kontaktaufnahme durch den Anbieter. Diesen hohen Anteil transaktionaler Kunden gilt es

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

207

bei einer Beurteilung des Potenzials einer CRM-Strategie zu berücksichtigen, da hier Investitionen in eine Kundenbeziehung nicht auf fruchtbaren Boden stoßen.

aktiv relational 17%

transaktional 41%

passiv relational 42% Prozent der Befragten

Abb. 4: Kundentyp der befragten Personen Betrachtet man die Verteilung der Kundentypen in Abhängigkeit vom Alter, ist die besonders hohe Zahl aktiv relationaler Kunden unter den jungen Befragten auffallend (siehe Abb. 5). Unter den 18- bis 25-Jährigen ist der Anteil an aktiv Relationalen (28,1%) fast doppelt so hoch wie unter denjenigen, die älter als 25 sind (15%). Darüber hinaus sind die jüngeren Kunden tendenziell aufgeschlossener gegenüber modernen Kommunikationskanälen wie E-Mail und SMS, so dass sich den Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten der Interaktion bieten (siehe auch Abb. 12). Hinsichtlich weiterer soziodemographischer Merkmale wie Geschlecht und Bildung waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Kundentypen nur marginal.

208

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

aktiv relational

älter als 25

15,0

18-25

passiv relational

42,2

28,1

0%

20%

transaktional

42,8

43,8

40%

28,1

60%

80%

100%

Prozent der Kundentypen

Abb. 5: Kundentyp in Abhängigkeit vom Alter

3.3

CRM entlang des Kundenbeziehungslebenszyklus

3.3.1 Anbahnungsphase In der Anbahnungsphase zielen die Unternehmen darauf ab, im Rahmen eines Interessentenmanagements Aufmerksamkeit bei potenziellen Kunden zu wecken und diese zu einem Erstkauf zu animieren. Die Haushaltsbefragung konzentriert sich in dieser Phase somit darauf, relevante Informationsquellen und Kriterien bei der Unternehmenswahl aus Sicht der Kunden zu ermitteln. Informationsquellen Wenn es darum geht, eine neue Dienstleistung oder ein neues Produkt zu wählen, steht die Filiale für den Kunden bei der Informationssuche an oberster Stelle (siehe Abb. 6). Erstaunlich ist die hohe Bedeutung, die die befragten Personen in dieser Phase den Meinungen, Erfahrungen und Empfehlungen von Freunden und Verwandten beimessen. Diese rangieren noch vor Fach- und Testzeitschriften und dem Internet. Hier wird bereits deutlich, welche entscheidende Rolle die Mund-zu-Mund-Kommunikation spielt. Diese wird durch die Anzahl der Empfehlungen (bei Zufriedenheit) bzw. der negativen Äußerungen (bei Unzufriedenheit) belegt (siehe Abb. 16). Bei näherer Betrachtung der einzelnen Informationsquellen fällt auf, dass es beim Internet zwei extreme Positionen gibt: Eine Vielzahl der Befragten (über 45%) erachten das Internet als wichtig bzw. sehr wichtig, doch ca. ein Viertel der Befragten sieht es als absolut unwichtig an (siehe

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

209

Abb. 7). Diese beiden Gruppen divergieren in ihrem Alter und ihrer Bildung: Insbesondere jüngere Befragte mit Abitur oder Hochschulabschluss favorisieren das Internet.

wichtig

mittel

unwichtig

74,3

vor Ort

19,3

49,1

Freunde/Verwandte Fach-/ Testzeitschriften

46,1

Internet

45,7

0%

10%

34,9

19,4

23,3

31,0

28,1 20%

16,0

34,5

26,9

Telefon

30%

6,4

40%

45,0 50%

60%

70%

80%

90% 100%

Prozent der Befragten

Abb. 6: Wichtigkeit einzelner Informationsquellen

30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% sehr wichtig

wichtig

eher wichtig

eher unwichtig

Abb. 7: Wichtigkeit der Informationsquelle Internet

unwichtig

sehr unwichtig

210

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Kriterien bei der Wahl eines Anbieters Wählt ein Kunde ein Unternehmen aus, mit dem er eine Geschäftsbeziehung eingehen möchte, stellt das Preis-/Leistungsverhältnis für ihn das wichtigste Kriterium dar (siehe Abb. 8). Dieser hohe Stellenwert des Preises unterstreicht die Gefahr, aufgrund der zahlreichen euphorischen Stimmen zum CRM die Bedeutung von Auswahlkriterien zu überschätzen, die mit CRM assoziiert werden können, wie z.B. „Freundlichkeit der Mitarbeiter“, „Individuelles Eingehen auf Anforderungen“ oder „Geschwindigkeit der Anfrageerledigung“. Diese Kriterien folgen aus Sicht der Kunden erst auf den weiteren Plätzen.

wichtig

mittel

unwichtig

95,5

Preis-/Leistungsverhältnis

4,3

7,3

individuelles Eingehen auf Anforderungen

91,5

Freundlichkeit der Mitarbeiter

90,0

7,3

gute Erreichbarkeit

88,5

10,2

Image/Ruf persönliche Beziehung zum Kundenbetreuer

15,3

83,2

Geschwindigkeit der Anfrageerledigung

72,4 66,5

21,3 28,4

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Prozent der Befragten

Abb. 8: Bedeutung einzelner Merkmale für die Unternehmenswahl Hervorzuheben ist, dass auch dem Merkmal „Individuelles Eingehen auf Anforderungen“ eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Dieses Kriterium wird in der Literatur als ein Ziel des CRM aus Kundensicht genannt (Meyer 2002, S. 9) und kann als beziehungsspezifischer „Special Treatment“-Vorteil (Gwinner et al. 1998, S. 109) für die Kunden angesehen werden. CRM kann ein „Individuelles Eingehen auf Anforderungen“ gezielt unterstützen. Hiefür ist es allerdings erforderlich, dass der Kunde relevante Daten über seine Interessens- und Bedarfslage preisgibt. Genau hierin liegt aber ein Kernproblem: Bereits in der Literatur wurde das Bedürfnis nach Privatsphäre als Hürde zum Aufbau einer Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen genannt (Hennig-Thurau et al. 2000, S. 379). Dies wird durch die vorliegende empirische Studie bestätigt: Obwohl dem individuellen Eingehen auf Anforderungen eine hohe Bedeutung zuteil wird, sind 76% der befragten

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

211

Personen nicht bereit, entsprechende Daten preiszugeben (siehe Abb. 9). Hier gilt es somit für die Unternehmen, Ängste der Kunden vor einem Datenmissbrauch abzubauen und sie von möglichen Vorteilen der Datenpreisgabe zu überzeugen. Denn nur so kann eine ausreichende Datenbasis geschaffen werden, die dem Anspruch der Kunden auf eine individuelle Betreuung gerecht wird.

weiß nicht 2%

nein 76%

ja 22%

Prozent der Befragten

Abb. 9: Bereitschaft zur Preisgabe persönlicher Daten Betrachtet man die Bedeutung einzelner Merkmale in Abhängigkeit der Kundentypen, wird die große Bedeutung, die die relationalen Kundentypen der Beziehung zu dem Unternehmen beimessen, ersichtlich. Transaktionalen Kunden ist der gesamte Beschaffungsprozess weniger wichtig bzw. sie erkennen keine ausgeprägten Unterschiede zwischen den verschiedenen Anbietern, so dass sie auch den einzelnen Merkmalen eine geringere Bedeutung zusprechen (siehe Abb. 10).

transaktional

passiv relational

aktiv relational

Preis-/Leistungsverhältnis gute Erreichbarkeit individuelles Eingehen auf Anforderungen Freundlichkeit der Mitarbeiter Geschwindigkeit der Anfrageerledigung Image/Ruf persönliche Beziehung zum Kundenbetreuer 0%

20%

40%

60%

80%

100%

Prozent der Kundentypen, die Merkmal als wichtig einstufen

Abb. 10: Bedeutung einzelner Merkmale in Abhängigkeit der Kundentypen

212

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

3.3.2 Sozialisation, Wachstum und Reife Kauft ein Kunde erstmalig bei einem Anbieter und geht damit eine Geschäftsbeziehung ein, befindet er sich in der Sozialisationsphase. Hier sammelt er erste Erfahrungen mit den Produkten bzw. Dienstleistungen und der Betreuung durch das Unternehmen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die Kunden überhaupt Interesse an einer intensiven Betreuung durch das Unternehmen haben. Interesse an aktuellen Unternehmensinformationen Die Haushalte wurden befragt, ob sie von den Unternehmen aktuelle Informationen erhalten möchten und welche Kontaktwege sie dafür bevorzugen. Auffallend ist das große Informationsinteresse bei Bankkunden (siehe Abb. 11). Dies lässt folgende Schlussfolgerung zu: Je höher die Transaktionshäufigkeit in einer Beziehung ist (Autokauf nur alle paar Jahre, Reisen teils mehrfach pro Jahr, Bank zumindest monatlich), desto mehr Informationen wünscht der Kunde.

Bank

37,5

62,5

Reisebranche

49,0

51,0 ja nein 51,0

49,0

Versicherung

61,8

38,2

Automobilbranche 0%

20%

40%

60%

80%

100%

Prozent der Befragten

Abb. 11: Kundeninteresse an aktuellen Informationen Bei der Befragung der Kunden nach der Wichtigkeit einzelner Kontaktwege wurde über alle Altersgruppen hinweg dem herkömmlichen schriftlichen Mailing die größte Bedeutung beigemessen (siehe Abb. 12). Die folgenden Plätze variieren in Abhängigkeit vom Alter: Bei jugendlichen Zielgruppen hat sich SMS als ernst zu nehmender Kontaktweg etabliert. Jüngere präferieren SMS und E-Mail noch vor dem Telefon, bei den über 35Jährigen ist diese Reihenfolge umgekehrt. Es ist anzunehmen, dass der Kontaktweg E-Mail in den kommenden Jahren immer mehr an Akzeptanz gewinnen wird. Bereits

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

213

heute versuchen zahlreiche Unternehmen durch besondere Anreize für ihre Kunden ihre regelmäßige Korrespondenz (z.B. Rechnungen, Kontoauszüge) per E-Mail zu erledigen.

18-35

älter als 35

86,1

schriftlich

77,5 20,6

E-Mail

58,7 6,5

SMS

40,8 31,3

telefonisch

24,7 0%

20%

40%

60%

80%

100%

Prozent der Altersgruppe, die Kontaktweg als wichtig einstufen

Abb. 12: Präferierter Kontaktweg für aktuelle Unternehmensinformationen differenziert nach Altersgruppe Die Bedeutung der Kundenzufriedenheit für die Wiederwahl eines Anbieters Fragt ein Kunde wiederholt dieselbe Leistung nach oder kauft er auch andere Produkte des Unternehmens, befindet er sich in der Wachstumsphase. Ein wichtiger Faktor für den Wiederkauf ist die Zufriedenheit des Kunden mit dem Produkt bzw. Anbieter. Mögliche Reaktionen einzelner Kunden auf Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit sind in Abb. 13 dargestellt. Hier wird ein positiver Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Wiederkauf unterstellt, während Kunden mit Abwanderung bzw. Markenwechsel auf nicht zufriedenstellende Erfahrungen reagieren können (Homburg et al. 2005, S. 99). Daneben bietet sich unzufriedenen Kunden auch die Möglichkeit der Beschwerde. Mund-zu-Mund-Propaganda kann in positiver Ausführung von zufriedenen Kunden betrieben werden, aber auch unzufriedene Kunden äußern ihren Frust bei Freunden oder Verwandten.

214

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Produktnutzung

Zufriedenheit

Unzufriedenheit

Mund-zu-MundPropaganda

Wiederkauf

Abwanderung

Beschwerde

Abb. 13: Mögliche Reaktionen einzelner Kunden auf Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit Quelle: in Anlehnung an Homburg et al. 2005, S. 98

Die vorliegende Studie hat ein interessantes Ergebnis bezüglich der Anbieterwiederwahl hervorgebracht: Ausgangspunkt ist ein Vergleich der Anbieterwiederwahl bei hoher und sehr hoher Zufriedenheit mit dem entsprechenden Anbieter. Über alle untersuchten Merkmale hinweg zeigt sich, dass von denjenigen Kunden, die sehr zufrieden waren, ca. doppelt so viele ihren Anbieter wieder wählen würden als von denjenigen, die „nur“ eine hohe Zufriedenheit angegeben haben (siehe Abb. 14). Für die Unternehmen reicht es somit nicht aus, die Kunden „nur“ zufrieden zu stellen, sondern es sollte das Ziel sein, die Kunden von dem Unternehmen bzw. seinen Produkten zu begeistern. Hierzu kann das CRM-Konzept beitragen: Entscheidende Kriterien wie „Geschwindigkeit der Anfrageerledigung“ und „Individuelles Eingehen auf Anforderungen“ können durch CRM optimiert werden. Die Bedeutung „weicher“ Faktoren wie „Freundlichkeit der Mitarbeiter“ und „Persönliche Beziehung zu einem Kundenbetreuer“ sollte durch ein die CRM-Einführung begleitendes Change Management den Mitarbeitern verdeutlicht werden. Allerdings gilt es zu beachten, dass Kundenloyalität (und damit eine Absicht zum Wiederkauf) auch dann fehlen kann, wenn die Kunden zufrieden sind. Loyalität und Kundenzufriedenheit dürfen somit nicht als synonym angesehen werden (Diller 2000, S. 34). Dieses Verhältnis wird deutlich, wenn man die Anbieterwiederwahl bei sehr hoher Zufriedenheit in Abhängigkeit vom Kundentyp betrachtet: Selbst von den sehr zufriedenen transaktionalen Kunden wählen nur 57% den Anbieter wieder, während dies bei den relationalen Kunden ca. zwei Drittel tun (siehe Abb. 15). Dieses Verhalten unterstreicht den hohen Wert relationaler Kunden für ein Unternehmen. Der Unter-

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

215

schied im Verhalten von aktiv und passiv relationalen Kunden ist in diesem Fall nur marginal. Dies verdeutlicht, dass auch für passiv relationale Kunden eine beziehungsorientierte Marketingstrategie erforderlich ist.

hohe Zufriedenheit

70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

sehr hohe Zufriedenheit

35,5 27,9

25,5

Freundlichkeit der Mitarbeiter

Erreichbarkeit

individuelles Eingehen auf Anforderungen

60,4

59,5

58,1

53,1

51,5

31,9

30,2

Geschwindigkeit der Anfrageerledigung

persönliche Beziehung zum Kundenbetreuer

Merkmale

Abb. 14: Anbieterwiederwahl bei hoher und sehr hoher Zufriedenheit mit ausgewählten Merkmalen

90% 80%

76,5

72,7

70% 60%

57,1

50% 40% 30% 20% 10% 0% aktiv relational

passiv relational

transaktional

Prozent der Kundentypen

Abb. 15: Anbieterwiederwahl bei sehr hoher Zufriedenheit nach Kundentyp

216

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

Zufriedene Kunden können als Multiplikator für ein Unternehmen tätig werden und positive Mund-zu-Mund-Propaganda betreiben. Dieser Effekt kann aber auch bei unzufriedenen Kunden eintreten, wenn sie anderen Personen von ihrer Unzufriedenheit berichten. Studien haben gezeigt, dass unzufriedene Kunden ihre Enttäuschung gegenüber mehr Personen kommunizieren als zufriedene (TARP 1979, 1986). Dieses Resultat wird auch durch die vorliegende Studie bestätigt (siehe Abb. 16): Über alle Branchen hinweg haben die Kunden bei Unzufriedenheit mit einem Unternehmen ein höheres Kommunikationsbedürfnis als bei Zufriedenheit.

Empfehlungen pro Jahr 12

10,47 8,94

10

9,94

9,26

8,40 7,16

6,93

8 6

Unzufriedenheitsäußerungen an andere Personen pro Jahr

9,1 7,49

5,44

4 2 0 Bank

Reise/Touristik

Versicherung

Automobil

Gesamt

Mittelwerte

Abb. 16: Vergleich Empfehlungen – Unzufriedenheitsäußerungen gegenüber anderen Personen in verschiedenen Branchen Kundenkarten als Instrument der Kundenbindung Um die Beziehung zu grundsätzlich zufriedenen Kunden zu festigen, das Entstehen von Unzufriedenheit zu vermeiden und die Kundenbindung zu intensivieren, verfolgen zahlreiche Unternehmen Club- und Cardkonzepte (Stauss 2000, S. 17). Eine Kundenkarte bringt häufig finanzielle Anreize in Form von Rabatten und schafft auf diese Weise Wechselbarrieren. Es ist nicht überraschend, dass besonders die relationalen Kunden für Kundenkarten empfänglich sind, während die transaktionalen Kunden sich weniger auf diese Weise binden lassen (siehe Abb. 17). Dies verdeutlicht auch, dass eine Kundenkarte nicht für jeden Kunden das geeignete Bindungsinstrument ist.

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

60%

50,7

217

46,8

50%

39,2 40% 30% 20% 10% 0% aktiv relational

passiv relational

transaktional

Prozent der Kundentypen

Abb. 17: Besitz einer Kundenkarte in Abhängigkeit vom Kundentyp

3.3.3 Gefährdungsphase und Revitalisierung Gefährdungsphasen können auftreten, wenn der Kunde unzufrieden ist oder aus anderen Gründen an eine Beendigung der Geschäftsbeziehung denkt. Im Rahmen der Studie bilden zwei Themen den Schwerpunkt dieser Phase: Wie viele Kunden haben bereits einen Anbieter gewechselt und welche Rolle spielen Gegenmaßnahmen des Unternehmens in Form eines Beschwerdemanagements für die Kunden? Der Wechsel eines Anbieters Offensichtlich neigen die Kunden dazu, eher bei Käufen von Autos oder Reisen ihre Anbieter zu wechseln, wohingegen bei Banken und Versicherungen die Kunden treuer sind (siehe Abb. 18). Hierfür gibt es zwei mögliche Gründe: ƒ Wechselbarrieren: Bei Banken und Versicherungen können Wechselbarrieren aufgrund von vertraglichen Bindungen bestehen. Außerdem nehmen die Kunden oft mehrere Dienstleistungen dieser Anbieter gleichzeitig in Anspruch und der Wechsel eines Anbieters kann zu Unbequemlichkeiten führen (z.B. müssten bei einem Schließen des Girokontos bei einer Bank und dem Eröffnen eines neuen bei einem anderen Institut alle Daueraufträge neu eingerichtet und alle Einzugsermächtigungen geändert werden). Diese Unbequemlichkeiten können aus Sicht des Kunden ebenfalls als Wechselbarriere wahrgenommen werden. Der Kauf eines Autos oder die Buchung einer Reise dagegen kann als jeweils neue Kaufentscheidung betrachtet werden, die der Kunde aufgrund einer Vielzahl von Faktoren immer wieder von neuem abwägt.

218

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

ƒ Wahrgenommene Distanz: Es lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass Kunden eher Anbieter wechseln, mit denen sie keine direkten Interaktionen haben. Zu Autoherstellern und Reiseveranstaltern ist die wahrgenommene Distanz der Kunden größer, daher fällt ein Wechsel leichter als bei einer Bank oder einem Reisebüro mit persönlichem Kontakt zu den Mitarbeitern.

ja

Automarke

nein

weiß nicht

26,5

73,5

Reiseveranstalter

27,2

69,9 65,7

Autohaus

32,4 56,8

42,2

Versicherung Reisebüro

37,5

62,5

Bank

37,5

62,5

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Prozent der Befragten

Abb. 18: Vollzogene Anbieterwechsel je Branche Die Bedeutung des Beschwerdemanagements Ist ein Kunde unzufrieden mit einem Anbieter, bietet sich ihm neben einem Wechsel auch die Möglichkeit der Beschwerde. Da beschwerende Kunden ihre Unzufriedenheit direkt gegenüber dem Unternehmen äußern, besteht für das Unternehmen die Chance, Beschwerdezufriedenheit herzustellen und Kosten anderer Reaktionsformen unzufriedener Kunden wie Abwanderung, negative Mund-zu-Mund-Propaganda oder Einbeziehung von Medien zu vermeiden (Stauss 2005, S. 318 f.). Hiefür ist ein professionelles Beschwerdemanagement erforderlich. Es wird angenommen und von einer Reihe von Studien auch empirisch belegt, dass Kunden, die mit der Beschwerdereaktion des Unternehmens zufrieden sind, auch ihre Zufriedenheit mit dem Produkt und Unternehmen wieder erlangen und diese sogar ggf. höher ist als vor Eintritt des Beschwerdegrundes (Stauss 2005, S. 320 f.). Zu diesem Ergebnis gelangt auch die vorliegende Haushaltsbefragung: Von den Befragten haben sich bereits mehr als ein Drittel bei einem Unternehmen beschwert (siehe Abb. 19). Vergleicht man die Gesamtzufriedenheit dieser Beschwerdeführer mit der der Nicht-Beschwerdeführer, so fällt auf, welche große Be-

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

219

deutung die Zufriedenheit mit der Beschwerdeabwicklung hat: Hervorzuheben ist, dass diejenigen Beschwerdeführer, die sehr zufrieden mit der Beschwerdeabwicklung sind, sogar eine höhere Gesamtzufriedenheit aufweisen, als diejenigen Befragten, die sich noch nie beschwert haben (siehe Abb. 20).

keine Angabe 1% schon beschwert 35% noch nicht beschwert 64%

Prozent der Befragten

Abb. 19: Anteil der Beschwerdeführer

4,7

4,2 Durchschnittliche Gesamtzufriedenheit über alle Befragten: 4,01 3,7

4,13

Beschwerdeführer

„NichtBeschwerdeführer“

3,78

4,27

zufrieden mit Beschwerdeabwicklung

sehr zufrieden mit Beschwerdeabwicklung

unzufrieden mit Beschwerdeabwicklung

3,91

3,42

3,2 Mittelwerte (1 = unzufrieden, 6 = sehr zufrieden)

Abb. 20: Gesamtzufriedenheit von „Beschwerdeführern“ und „Nichtbeschwerdeführern“ Diese Erkenntnis unterstreicht das hohe Potenzial eines professionellen Beschwerdemanagements. Neben dieser Bindungswirkung des Beschwerdemanagements spricht auch

220

Hajo Hippner, René Rentzmann, Klaus D. Wilde

die Erwartungshaltung der Kunden dafür, einen Beschwerdemanagementprozess zu implementieren (siehe Abb. 21). Mehr als die Hälfte der befragten Haushalte wünschen sich eine Beschwerdeannahmestelle. Dies gilt insbesondere für Branchen, in denen der Kunde über keinen persönlichen Ansprechpartner verfügt, wie dies im indirekten Vertrieb generell der Fall ist.

90%

80,2

80% 65,3

70%

58,8

60%

53,0

52,5

Autohaus

Bank

50% 40% 30% 20% 10% 0% Autohersteller

Reiseveranstalter

Versicherung

Prozent der Befragten

Abb. 21: Wunsch nach Beschwerdestelle bei Anbieter

4

Fazit

Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung war die Annahme, dass verschiedene Kundentypen existieren, die sich in ihren Erwartungen an ein Unternehmen unterscheiden. Die Haushalte wurden gebeten, sich einem dieser Kundentypen zuzuordnen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die vom CRM angestrebte hohe Beziehungsintensität keineswegs von allen Kunden geschätzt wird. Über 40% der Befragten sehen sich als transaktionale Kunden und empfinden eine permanente Kontaktsuche vom Unternehmen sogar als störend. Soziodemographisch ließen sich die Kundentypen nur schwer voneinander differenzieren. Hier konnte nur das Alter einen Anhaltspunkt derart liefern, dass der Anteil an aktiv Relationalen unter den jungen Befragten erheblich höher ist. Die Verteilung der Kundentypen verdeutlicht für die Unternehmen die Notwendigkeit einer genauen Kundenanalyse vor dem Einsatz kostspieliger CRM-Maßnahmen. Auf diese Weise sollte festgestellt werden, welche Kunden überhaupt eine enge Beziehung zu einem Unternehmen suchen, denn nur bei diesen können CRM-Aktivitäten auf fruchtbaren Boden stoßen.

CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

221

Neben der Verteilung der Kundentypen standen das Verhalten bzw. die Erwartungen der Kunden in den einzelnen Phasen des Kundenbeziehungslebenszyklus im Fokus. Die empirische Untersuchung hat gezeigt, dass in der Anbahnungsphase dem Preis die größte Bedeutung bei der Wahl eines Anbieters zukommt. Hierdurch wird zum einen deutlich, dass man den Einfluss von Merkmalen, die mit CRM assoziiert werden können, auf den Kunden nicht überschätzen sollte. Auf der anderen Seite bieten diese Merkmale wie „Freundlichkeit der Mitarbeiter“ oder „individuelles Eingehen auf Anforderungen“ für die Unternehmen die Möglichkeit, sich von Wettbewerbern abzuheben und zur Zufriedenheit der Kunden beizutragen. Dass die Kunden dies zu schätzen wissen, ist im Rahmen der Studie ebenfalls gezeigt worden, denn die genannten Kriterien folgen in ihrer Bedeutung dicht hinter dem Preis. Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und -loyalität hat die Studie ein ambivalentes Ergebnis hervorgebracht. Einerseits wird ein positiver Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren ersichtlich: Sehr zufriedene Kunden neigen erheblich eher dazu, den Anbieter wieder zu wählen als „nur“ Zufriedene und sorgen auch für die erwünschte positive Mund-zu-Mund-Kommunikation. Dies sollte vor allem auch vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Informationsquelle „Freunde und Verwandte“ gesehen werden. Andererseits hat die Studie auch Grenzen dieser positiven Wirkungsbeziehung aufgezeigt: Sehr zufriedene transaktionale Kunden sind längst nicht so loyal wie relationale Kunden. Eine Optimierung der Kundenzufriedenheit führt für die Unternehmen somit nicht immer zu der gewünschten Kundenloyalität. Dieses Ergebnis verdeutlicht auch, welches enorme Erklärungspotenzial eine firmenindividuelle Kundenanalyse für die Entscheider im Unternehmen birgt. In der Gefährdungsphase stand das Beschwerdemanagement im Vordergrund der Studie. Die Ergebnisse belegen die große Bedeutung einer professionellen Beschwerdeabwicklung aus zwei Gründen: Zum einen erwarten die Kunden einen kompetenten Ansprechpartner für ihre Anliegen, zum anderen hat die Studie verdeutlicht, dass eine sehr zufriedenstellende Beschwerdebehandlung einen erheblichen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit der Kunden mit dem Unternehmen hat.

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CRM aus Kundensicht – Eine empirische Untersuchung

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Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

Die Bedeutung der Marke im CRM 1

Customer Relationship Management zur Maximierung des Kundenwerts

2

Zur Beziehung zwischen Customer Relationship Management und Marke 2.1 Marken als zentrale immaterielle Wertschöpfer in Unternehmen 2.2 Orchestrierung von Markenmanagement und CRM 2.3 Relevanz von Markenmanagement und CRM für unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen 2.4 Zusammenspiel zwischen Markenmanagement und CRM

3

Marken als Grundlage zur Gestaltung von Kundenbindungsmaßnahmen 3.1 Markenidentität und Markenpositionierung als Leitplanken für die Gestaltung von Kundenbindungsmaßnahmen 3.2 Markenarchitektur als Differenzierungsmerkmal für Kundenbindungsmaßnahmen 3.3 Wirksame Umsetzung markenadäquater Kundenbindungsmaßnahmen

4

Ausblick: Koordiniertes Markenmanagement und CRM für eine effektive und effiziente Wertschöpfung in Unternehmen

Literaturverzeichnis

1

Customer Relationship Management zur Maximierung des Kundenwerts

„The Purpose of a Business is to Create a Customer.“ (Peter Drucker, 1954)

Das Thema Customer Relationship Management gehört bereits seit Jahren zu den herausragenden Managementthemen (vgl. zu den historischen Entwicklungslinien Hippner 2005). Erste systematische Erörterungen des Beziehungsmanagements gehen dabei auf Berry (1983) zurück. Ziel des Customer Relationship Managements ist die aktive und systematische Gestaltung der Beziehungen eines Unternehmens zu seinen Kunden (Hartmann 2002; Sieben 2005). Auf Basis der Analyse von Beziehungsstrukturen, -profilen und -perspektiven soll eine strategische Zusammenarbeit entwickelt werden, durch die Wettbewerbsvorteile aufgrund der größeren Nähe zwischen den beteiligten Personen realisiert werden sollen (Diller 1995a, Sp. 286; Diller 1995b; S. 442). „Aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive wird diese Sichtweise deshalb ergänzt. Aus Kundenperspektive kann Kundenbindung als ein psychisches Konstrukt der Verbundenheit oder Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen Person oder einem Unternehmen verstanden werden.“ (Weinberg/Terlutter 2005, S. 46). Demzufolge zielt das Customer Relationship Management auf die Langfristigkeit einer Kundenbeziehung ab (Hartmann 2002, S. 81) und umfasst die Planung, Durchführung, Kontrolle und Anpassung aller unternehmerischen Aktivitäten zur Erhöhung der Profitabilität der Kundenbeziehung und zur Optimierung des Kundenportfolios (Homburg/Sieben 2005, S. 437; Sieben 2005, S. 331). Als magische Größe gilt dabei vor allem der Share of Wallet, also der Anteil der Kaufkraft eines Kunden, der beim Unternehmen bleibt (Hippner et al. 2001, S. 417). Es erfolgt demnach eine Betrachtung der Beziehung zu Kunden über den gesamten Kundenlebenszyklus hinweg. Schon vor rund 15 Jahren beschrieben Diller und Kusterer (1988) vier konstituierende Elemente eines solchen Beziehungsmanagements. Im Einzelnen waren dies ƒ eine interaktionsbezogene Mehrweg- statt Einwegbetrachtung, ƒ eine historisch-ganzheitliche Perspektive statt einer Episoden- und Transaktionsorientierung, ƒ die Ergänzung der sachlichen Beziehungsebene durch Einbeziehung personenbezogener Aspekte sowie ƒ die Betonung des Investitionscharakters von Beziehungen (Diller/Kusterer 1988).

228

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

Letzteres zieht zwangsläufig Kundenerfolgsrechnungen und Maßnahmen zur Erhöhung des Kundenwerts nach sich (Diller/Kusterer 1988; Stauss 2002; Cornelsen 2000). Die Betrachtung eines Kunden über den gesamten Kundenlebenszyklus hinweg zur Maximierung des Kundenwerts führt zwangsläufig zu einer Erweiterung der Marketingperspektive, bei der lange Zeit vor allem das Marketing-Mix im Zentrum der Betrachtung stand. Manche Wissenschaftler betrachten deshalb das Customer Relationship Management gar als Ausgangspunkt eines Paradigmenwechsels im Marketing vom (reinen) Transaktions- zum Beziehungsmanagement (Grönroos 1994). Dies ist zweifelsfrei zu einseitig, da das Customer Relationship Management keinesfalls für alle strategischen Konstellationen und Märkte relevant ist (Backhaus 1997). In Konsumgütermärkten, z.B. bei Fast Moving Consumer Goods, in denen Kunden sich meist mit nur geringem Involvement den verschiedenen Marken zuwenden, spielt das Customer Relationship Management eine geringere Rolle, wenngleich auch hier Bemühungen wie die Cadbury-World, das Maggi-Kochstudio oder die Buitoni-Villa der Kundenfaszination und -bindung dienen. In vielen anderen Bereichen sind Kundenbindungsmaßnahmen hingegen bedeutsam, weil durch Wettbewerbsverschärfungen, zunehmend vergleichbare Angebote bzw. Dienstleistungen sowie differenziertere Kundenbedürfnisse und -wünsche der Kampf um Kunden schwieriger wird. Kundenbindung ist dabei kein Selbstzweck. Der richtungsweisende Beitrag von Reichheld und Sasser (1990) zur Zero-Migration untermauerte eindrucksvoll, dass die Erträge eines Unternehmens um so stärker ansteigen, je länger die Beziehung zu einem Kunden anhält. Bei ausschließlicher Betrachtung eines Erstkaufs ist der Ertragswert eines Kunden hingegen relativ gering. Erst durch langfristige Kundenbindung erfolgt eine Ausschöpfung des Kundenertragspotenzials (Meffert 2005, S. 14). Entsprechend erhöht sich der Kundenwert je nach Branche bei einer 5-prozentigen Senkung der Kundenmigrationsrate um zwischen 25 und 85% (Reichheld/Sasser 1990, 1999; siehe Abb. 1). Andere Autoren weisen gar Zahlen von bis zu 125% aus (Payne 2003). Die Kundenbindung nimmt somit als psychographische Größe maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens (Homburg/Bruhn 2005; Fritz 1995). Dies erklärt sich einerseits durch entsprechende Umsatzzuwächse aufgrund ƒ erhöhter Kauffrequenzen bzw. gestiegener Rechnungsbeträge, ƒ Cross- und Up-Selling Potenzialen, ƒ Gewinnen aus Preisaufschlägen aufgrund einer höheren Preisbereitschaft und ƒ Weiterempfehlungen, und andererseits durch Kostenersparnisse aufgrund besserer Kenntnisse der Kunden und geringerer Kundenbetreuungskosten (Reichheld/Sasser 1990; Hippner et al. 2001). Diese Vorteile der Kundenbindung reflektieren sich nicht zuletzt in der häufig zitierten Tatsache, dass die Kosten einer Neukundenakquisition das Fünffache der Kosten für die Pflege vorhandener Kunden betragen (Müller/Riesenbeck 1991).

Die Bedeutung der Marke im CRM

229

% Anstieg des Kundenwerts* (in %)

100 85 75

80

60 50 40

45

45 40 35

35 25

20

0

Auto- Depot- Kredit- Kredit- Ver- Groß- Wäsche- Büro- Softrei Gebäu- warekunden verkarten- ver- siche- handel dever- haus dienst waltung orga- siche- rungswaltung nisation rung agentur

* Zugrunde gelegt wurden die Berechnungen der Kapitalwerte der Gewinnzuflüsse, die bei einer durchschnittlich langen Kundenbeziehung sowie bei gegebenen Abwanderungsraten anfallen, verglichen mit den Kapitalwerten der Gewinnzuflüsse bei um 5 Prozent reduzierten Abwanderungsraten.

Abb. 1: Zusammenhang zwischen einer 5-prozentigen Senkung der Migrationsrate und dem durchschnittlichen Kundenwert in verschiedenen Branchen Quelle: Reichheld/Sasser 1999, S. 143

2

Zur Beziehung zwischen Customer Relationship Management und Marke

2.1

Marken als zentrale immaterielle Wertschöpfer in Unternehmen

So unbestritten die Bedeutung eines wirksamen Kundenbindungsmanagements in Unternehmen ist, so eindeutig ist auch die Rolle der Marke als zentraler Wertschöpfer in Unternehmen. Dafür gibt es eine Reihe von Indikatoren. Beispielhaft seien nur zwei genannt (Esch 2005a): (1) Managereinschätzungen zufolge liegt der Anteil des Markenwerts am Unternehmenswert bei 56% (Sattler/PriceWaterhouseCoopers 1999). Dieser Anteil schwankt je nach Branche: Er ist bei Konsumgütern am größten, bei Industriegütern hingegen am niedrigsten (Abb. 2).

230

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

(2) Der Total Return to Shareholder liegt einer Analyse von McKinsey zufolge bei starken Marken um 1,9% über dem Durchschnitt aller 130 analysierten Unternehmen, bei schwachen Marken hingegen um 3,1% darunter (Court et al. 1999 S. 101).

Beziehung: Markenwert / Wert des Gesamtunternehmens % 70 60 50

62% 53% 43%

40 30

40% 18%

20 10

0 services industry goods diverse long lasting Dienstshort dated GebrauchsIndustrie(n=85) Verbrauchsconsumer consumer güter güter leistungen güter products products

Sektor

Unternehmen schätzen, dass 56% des gesamten Unternehmenswerts durch den Markenwert bestimmt werden.

Abb. 2: Anteil des Markenwerts am Unternehmenswert in unterschiedlichen Branchen Quelle: Sattler/PriceWaterhouseCoopers 1999

Marken sind Vorstellungsbilder in den Köpfen der Anspruchsgruppen, die eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion bewirken (Esch 2005a). Dadurch sollen einerseits Präferenzen für eine Marke aufgebaut werden, die zu einem Erstkauf führen und – bei Zufriedenheit mit der Nutzung der Marke – letztendlich auch eine Markenbindung bewirkt werden, um die notwendigen Investitionen in eine Marke bestmöglich zu kapitalisieren. Je klarer und relevanter die in den Köpfen der Kunden verankerten Vorstellungsbilder zur Marke sind, um so besser lässt sich die Marke über die Menge und/oder über den Preis kapitalisieren. Wertschöpfung für ein Unternehmen ist demnach sowohl über die Marke als auch durch CRM-Maßnahmen möglich. Es scheint daher naheliegend, die Markenführung und das Kundenbindungsmanagement einer gemeinsamen Betrachtung zu unterziehen, um zu analysieren, wie sich beide Ansätze zueinander verhalten.

Die Bedeutung der Marke im CRM

2.2

231

Orchestrierung von Markenmanagement und CRM

Die meisten Autoren, die sich zum Thema Customer Relationship Management äußern, betonen die Notwendigkeit einer Ergänzung bzw. eines Übergangs von einer Markenzu einer Kundenbindungsperspektive. Exemplarisch seien zwei Sichtweisen vorgestellt: Meffert (2005, S. 148) pointiert den Übergang wie folgt: „In vielen Unternehmen herrschte die Ansicht, über „Markenpersönlichkeiten“ und „Markentreue“ eine langfristige Beziehung und Bindung zum Konsumenten aufgebaut zu haben. Tendenzen einer zunehmenden Markenerosion und einer steigenden Markenwechselbereitschaft von Kunden zeigen jedoch, dass der alleinige Einsatz der klassischen Markenpolitik heute vielfach nicht mehr ausreicht, um die Hersteller-/Kundenbindung zu halten.“ In die gleiche Kerbe schlägt Hartmann (2002, S. 81): „Während die Langfristigkeit der Betrachtung im Industriegütermarketing schon seit geraumer Zeit dominiert, wird die lange vorherrschende Fokussierung auf den „Brand Equity“ im Konsumgütersektor zunehmend durch einen Beziehungsfokus ergänzt – in Zeiten zunehmender Markenerosion, abnehmender Markenloyalität und nicht zuletzt Dominanz von Handelsmarken eine unabdingbare Notwendigkeit.“ Danach ergibt sich die Notwendigkeit zur Forcierung von Kundenbindungsmaßnahmen durch eine zunehmende Markenerosion und eine abnehmende Markenloyalität auch im Konsumgüterbereich. Hingegen gelten andere Bereiche, wie der Industriegüter- und der Dienstleistungsbereich, ohnehin schon als Domänen des Kundenbeziehungsmanagements. Spiegelbildlich gestützt wird diese Ansicht auch durch die in Abb. 2 dargestellten Managereinschätzungen zum Anteil des Markenwerts am Unternehmenswert. Danach hat die Marke im Investitionsgüterbereich und im Dienstleistungsbereich noch eine geringere Bedeutung als im Konsumgüterbereich. Dies lässt zwei mögliche Interpretationen zu: (1) In den Branchen, bei denen die Marke noch eine geringere Rolle spielt, liegt dies vor allem daran, dass man bislang das Markenmanagement vernachlässigt hat. Demnach würde es sich hier um eine „sleeping beauty“ handeln, die es wach zu küssen gilt. (2) Die Marke ist in solchen Branchen von untergeordneter Bedeutung, weil andere Aspekte wie das Beziehungsmanagement aufgrund einer vorwiegend persönlichen Interaktion mit den Kunden dominieren. Umgekehrt könnte man für den Konsumgüterbereich argumentieren, dass hier aufgrund der Bedeutung der Marke das Kundenbindungsmanagement nicht in dem Maße erforderlich ist, oder es noch nicht genügend forciert wurde. Alles in allem scheint die Kundenbindung dann zur zentralen Aufgabe im Unternehmen zu werden, wenn die Kraft der Marke alleine zur Bindung nicht ausreicht. Ähnlich betonen auch Homburg und Bruhn (2005) bei der Skizzierung der Entwicklungstendenzen des Kundenbindungsmanagements zwei Bereiche: In dem ersten und „älteren“ Bereich

232

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

liegt der Fokus der Betrachtung klar auf der Marke, in dem zweiten und „jüngeren“ Bereich liegt der Fokus hingegen klar auf der Kundenbeziehung (Abb. 3).

Fokus Beziehung (Relationships) Relationship Marketing Investitionsgüter

Relationship Marketing Dienstleistungen Kundenloyalität

Verhaltenswissenschaftliche Modelle Behavioristische Modelle

1930

KundenbindungsManagement (KB) Studien zum Zusammenhang KZ und KB

Zufriedenheitsforschung (KZ)

Markentreue/ Brand Loyalty 1920 Fokus Marke (Brand Loyalty)

Integriertes Kundenbindungsmanagement

1940

1950

1960

1970

1980

1990

1998

2000 Zeit

Abb. 3: Entwicklungstendenzen des Kundenbindungsmanagements nach Bruhn und Homburg Quelle: Homburg/Bruhn 2005, S. 6

Diese Betrachtungsweise suggeriert einen Übergang von der Marke zur Kundenbindung. Eine solche Entwicklung ist allerdings nicht ohne weiteres generalisierbar. Folgt man Ergebnissen der GfK Nürnberg, so tritt eine Markenerosion, die sich in abnehmenden Marktanteilen widerspiegelt, vor allem bei schwächeren Marken ein (Wübbenhorst/ Wildner 2002, S. 19; Abb. 4). Starke Marken können hingegen ihren Marktanteil im Konsumgüterbereich halten bzw. ausbauen. Insofern sind plakative Aussagen eines Übergangs von der Marken- zur Kundenorientierung mit Vorsicht zu genießen, entspringen sie letztendlich doch einer ideologischen Prägung. Sowohl aus praktischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht geht es weniger um ein entweder/oder, sondern stärker um die Frage einer sinnvollen Integration von Marken- und Kundenbindungsmaßnahmen. Zudem sind Investitionen in Marken- und Kundenbindungsmaßnahmen danach zu beurteilen, woraus man sich die größte Kapitalisierung erwartet. Daraus ergibt sich folgende Anforderung:

Die Bedeutung der Marke im CRM

233

Marken- und Kundenbindungsmaßnahmen sind so zu orchestrieren, dass dadurch die bestmögliche Kapitalisierung für ein Unternehmen erwächst.

Index Marktanteil 2001 zu 1998 = 100

1998

1999

2000

2001

Marktführer

26,1

26,9

26,5

26,4

101

zweitstärkste Marke

12,8

12,9

12,7

12,7

99

drittstärkste Marke

7,8

7,9

7,7

7,5

96

restl. Marken

37,0

35,3

34,7

33,4

90

Handelsmarken/Aldi

16,3

17,0

18,4

20,0

123

Abb. 4: Entwicklung durchschnittlicher wertmäßiger Marktanteile von starken und schwachen Marken von 1998 bis 2001 Quelle: Wübbenhorst/Wildner 2002, S. 19

Gründe für die Notwendigkeit einer Abstimmung von Marken- und Kundenbindungsmaßnahmen: Markenmanagement und Kundenbindungsmanagement sind miteinander verknüpft. Im Customer Relationship Management differenziert man grundsätzlich zwischen einer faktischen Bindung aufgrund situativer, vertraglicher, ökonomischer oder technisch-funktionaler Ursachen (Meyer/Oevermann 1995) und einer emotionalen Bindung (Meffert 2005, S. 157; Homburg/Bruhn 2005). Von entscheidender Bedeutung ist jedoch vor allem die emotionale Bindung der Kunden an ein Unternehmen. Kramer (2002, S. 78) meint hier zu Recht: „Eine echte Beziehung muss emotional sein – und das wird meistens missachtet. Wenn einem Kunden ohne Unterbrechung nur Angebote zugeschickt werden, dann entsteht keine emotionale Beziehung. Der Direktmarketer muss deshalb versuchen, die Emotion zu treffen und das ist die wahre Kunst des CRM.“ Aus Markensicht steht eine solche emotionale Bindung der Kunden ebenfalls im Zentrum der Betrachtung. Gerade starke Marken lassen sich durch starke gefühlsmäßige Bindungen von Kunden an die Marke kennzeichnen (Esch 2005a). Darin liegt somit ein zentraler Ansatzpunkt zur Verknüpfung der Marke mit Kundenbindungsmaßnahmen. Eine emotionale Kundenbindung ist jedoch immer eine freiwillige Kundenbindung. Eine solche freiwillige Kundenbindung resultiert aus einer größeren Bekanntheit eines Un-

234

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

ternehmens, einem größeren Vertrauen von Kunden gegenüber dem Unternehmen und einem besseren Unternehmensimage. Diese Faktoren gehen offensichtlich mit einer erfolgreichen Kundenbindung einher (Peter 1998; Weißenberger 1998). Nach Rusbult (1983) entsteht Bindung durch beziehungsspezifische Investitionen, die von einem Wechsel abhalten. Die Bindung wird dabei umso höher, je größer die Zufriedenheit und je kleiner die Attraktivität der anderen Optionen ist (Homburg/Bruhn 2005, S. 13). Die Attraktivitätsdifferenz wird durch Markenabstand geschaffen. Demzufolge hängt auch der Grad beziehungsspezifischer Investitionen in hohem Maße von dieser Attraktivitätsdifferenz der Marke ab. Die oben genannten Faktoren sind zentrale Dimensionen zur Operationalisierung des Markenwerts aus kundenorientierter Perspektive: Er setzt sich aus der Markenbekanntheit und dem Markenimage einer Marke zusammen (Esch 2005a). Diese Größen wiederum beeinflussen in einem komplexen Zielsystem weitere Erfolgsgrößen, die im Rahmen der Markenführung vorgegeben und kontrolliert werden. Starke Marken führen demnach zur Bindung von Kunden an eine Marke und dies zunächst einmal unabhängig davon, ob umfangreiche Kundenbindungsprogramme initiiert wurden oder nicht. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise kann man sich natürlich die Frage stellen, ob Markenbindung und Kundenbindung lediglich zwei Seiten einer Medaille sind, oder ob sich grundlegende Unterschiede ergeben. Dazu muss man sich zunächst das Zusammenspiel zwischen Marke und Kundenbeziehungsmanagement näher betrachten.

2.3

Relevanz von Markenmanagement und CRM für unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen

Bislang wurden bereits Bereiche herausgearbeitet, in denen Maßnahmen zur Markenführung und zur Kundenbindung unterschiedlich verankert sind. Allerdings fehlt es noch an einer groben Klassifikation, wann stärker Marken- bzw. Kundenbindungsmaßnahmen im Vordergrund stehen sollten. In Anlehnung an Jeschke (1995) und Meffert (2005, S. 152 f.) kann man folgende wesentlichen Kriterien der Kundenbindungsrelevanz für Angebote herausstellen: ƒ Involvement: Unter dem Involvement versteht man das Engagement, mit dem sich Kunden mit Angeboten auseinandersetzen (Kroeber-Riel/Esch 2004). Dieses kann auf einem Kontinuum von wenig bis stark involviert ausgeprägt sein. Kundenbindungsmaßnahmen sind vor allem bei stark involvierten Kunden erforderlich, hingegen weniger bei schwach involvierten Kunden, weil deren Interesse, sich mit einem Angebot und Informationen dazu auseinander zu setzen, gering ist. Weinberg (1999, S. 43) meint deshalb zu Recht: „Daher ist es aus Marketingsicht nicht zweckmäßig (und häufig auch nicht praktikabel), LowInvolvement-Kunden so zu aktivieren, dass sie sich langfristig stark aktiviert

Die Bedeutung der Marke im CRM

235

dem Angebot zuwenden. Gerade Low-Involvement-Kunden sind einer emotionalen Ansprache (z.B. mittels Kommunikation) zugänglich, um die psychische Kundenbindung zu festigen.“ Nun gibt es ganze Produktbereiche, in denen das Involvement der Kunden eher gering ausgeprägt ist, weil weder ein sachlich/funktionales, wirtschaftliches oder soziales Risiko beim Kauf vorliegt. Hier spielen Kundenbindungsmaßnahmen demnach eine untergeordnete Rolle. ƒ Produktnutzungsdauer: Mit zunehmender Nutzungsdauer bzw. geringerer Kundenkontaktfrequenz steigt die Notwendigkeit eines aktiven Kundenbindungsmanagements. Dies gilt vor allem dann, wenn ein entsprechend hohes Involvement bei den Kunden vorliegt. ƒ Benutzerfreundlichkeit von Produkten: Je höher die Benutzerfreundlichkeit von Produkten, um so weniger relevant sind entsprechende Kundenbindungsmaßnahmen. ƒ Servicebedürftigkeit: Je höher die Serviceansprüche werden, um so bedeutsamer wird das Customer Relationship Management. In allen genannten Fällen kann die Marke eine große Rolle spielen, da Marken oft den Erstkauf entscheidend beeinflussen und zudem auch die subjektive Wahrnehmung der Leistung eines Angebotes positiv beeinflussen. Allerdings werden Kundenbindungsmaßnahmen je nach Ausprägung der oben genannten Merkmale zunehmend wichtiger (Abb. 5).

Einflussfaktoren auf CRM-Maßnahmen

Involvement

niedrig

Produktnutzungsdauer

kurz hoch

Benutzerfreundlichkeit

gering

Servicebedürftigkeit

hoch lang gering hoch

CRM Markenmanagement

Abb. 5: Wesentliche Kriterien der Kundenbindungsrelevanz Quelle: erweitert und ergänzt in Anlehnung an Meffert 2005, S. 153

236

2.4

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

Zusammenspiel zwischen Markenmanagement und CRM

Grundsätzlich existieren zwei Zugänge für ein Zusammenspiel zwischen Marke und CRM, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen können: (1) Durch die Markenführung werden bei den entsprechenden Kunden so starke Präferenzen aufgebaut, dass diese zur Bindung an die Marke führen. Die Markenbindung ergibt sich hierbei dadurch, dass das Markenimage mit den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden übereinstimmt. Dadurch wird automatisch eine Kundenbindung aufgebaut. Es würde die Formel gelten: Markenbindung = Kundenbindung. (2) Kundenbindungsmaßnahmen verstärken die Bindung an eine Marke oder bauen diese erst auf. Demzufolge würde hier der Anspruch lauten: Markenbindung durch Kundenbindung. Kundenbindungsmaßnahmen wären in diesem Fall ein Katalysator für die Markenbindung. Zu (1): Wenn man üblicherweise von Kundenbeziehungsmanagement spricht, impliziert dies üblicherweise auch die Interaktion zwischen mindestens zwei Personen: dem Kunden und einem Unternehmensvertreter. Ähnlich wie sich zwischen Personen Beziehungen aufbauen lassen, ist dies auch zwischen Konsumenten und Marken möglich. Grundsätzlich leisten Beziehungen einen wesentlichen Beitrag für den Sinn des Lebens einer Person, indem sie diesen bereichern und strukturieren (Fournier 2005). Marken stellen für eine Vielzahl von Konsumenten lebendige und demnach aktive Beziehungspartner dar. Zwischen einer Marke und deren Nutzer bestehen ähnliche Beziehungen wie zwischen Menschen. Die Beziehungsqualität beeinflusst in starkem Maße die Beziehungsstabilität und die Befriedigung, die man aus der Nutzung einer Marke zieht (Fournier 2005). Zudem resultieren aus der Beziehungsqualität eine voreingenommene Wahrnehmung der eigenen Marke und der Konkurrenzmarken, eine mehr oder weniger starke Abwertung anderer Alternativen sowie Toleranz und Nachsichtigkeit gegenüber der Leistungsfähigkeit der eigenen Marke. Die Katzenfuttermarke Sheba kennzeichnet beispielsweise eine Liebesbeziehung zwischen Katze und Mensch, während eine Marke wie Whiskas eher auf die Qualität der Marke als Partner abzielt. Fournier betont zu Recht, dass die Markenbeziehung ein besseres Maß zur Prüfung der Markenbindung darstellt als beispielsweise die häufige Erfassung des Wiederkaufverhaltens über Kaufsequenzen, die möglicherweise ein besseres Bild über die Trägheit der Konsumenten als über deren Loyalität vermittelt (Esch 2005a). Zu (2): Es steht außer Frage, dass adäquate Kundenbindungsmaßnahmen die Bindung an eine Marke noch verstärken können. Folgt man den Ergebnissen der Studie „Triebfeder Kunde IV“ der Unternehmensberatung Droege & Comp., so zeichnen sich Unternehmen mit einem umfassenden und differenzierten CRM-Instrumentarium durch ein stärkeres Umsatz- und Rentabilitätswachstum aus als Unternehmen, die nicht so han-

Die Bedeutung der Marke im CRM

237

deln (Hartmann 2002, S. 85). Allerdings sind CRM-Maßnahmen zwischenzeitlich so selbstverständlich für Unternehmen geworden, dass vor allem der analytisch-kreative Einsatz des CRM-Instrumentariums über Erfolg oder Misserfolg entscheidet (ebenda). Hierbei darf die Perspektive keinesfalls nur einseitig auf den Kunden liegen. Vielmehr sind CRM-Maßnahmen zunächst markenspezifisch zu gestalten. Erst in einem zweiten Schritt hat dann eine Zuordnung verschiedener Maßnahmen entsprechend heterogener Kundenbedürfnisse zu erfolgen. Folgt man herkömmlichen Schritten zur Umsetzung einer CRM-Strategie, so wird gerade der erste Aspekt, die Marke als Ausgangspunkt für Maßnahmen zu sehen, außer acht gelassen (z.B. Sieben 2005, S. 337).

3

Marken als Grundlage zur Gestaltung von Kundenbindungsmaßnahmen

3.1

Markenidentität und Markenpositionierung als Leitplanken für die Gestaltung von Kundenbindungsmaßnahmen

Der Fokus im Customer Relationship Management liegt auf einer Betrachtung der jeweiligen Wünsche und Bedürfnisse der Kunden. Eine einseitige Orientierung an der Bedürfnislage der Kunden kann allerdings zur Verabschiedung von Maßnahmen führen, die nicht markenkonform sind. Es käme zu einer Zersplitterung von Kundenbindungsmaßnahmen und dem sonstigen Markenauftritt, aus dem mittel- bis langfristig eine Schwächung der Marke resultieren würde. Deshalb ist es erforderlich, die Markenidentität und die Markenpositionierung als Grundlage einer markenkonformen Gestaltung der Kundenbindungsmaßnahmen heranzuziehen. Die Markenidentität bringt zum Ausdruck, wofür eine Marke stehen soll. Sie umfasst die essenziellen, wesensprägenden und charakteristischen Merkmale einer Marke (Esch 2005a, S. 82). Die Markenidentität dient demnach dazu, ein einzigartiges Bündel von Markenassoziationen zu bilden, die bei den Konsumenten als Wissensstrukturen zur Marke aufgebaut bzw. bewahrt werden sollen (Esch 2005a; ähnlich Aaker 1996, S. 68). Sie dient als Ausgangspunkt für die Markenpositionierung. Diese soll die Identität unter Berücksichtigung relevanter Markt- und Kommunikationsbedingungen durch eine klare Fokussierung auf für Kunden und Anspruchsgruppen wichtige und von der Konkurrenz differenzierende Eigenschaften wirksam umsetzen (Esch 2005a). Die Markenpositionierung dient zur Abgrenzung der eigenen Marke von Konkurrenzmarken. Die gewählten Positionierungseigenschaften müssen dabei den Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen und für diese relevant sein. Die Befriedigung von Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten gilt dabei als notwendige Bedingung, die Vermittlung eines aus Sicht der Anspruchsgruppen eigenständigen und unverwechselbaren Profils als hinreichende Bedingung (Esch 2005a; Kroeber-Riel/Esch 2004). Das Markenimage

238

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

ist demnach die durch Markenmaßnahmen realisierte Wirkung bei Kunden. Sie ist die Maßgröße für den mehr oder weniger erfolgreichen Transfer der Markenidentität durch die Positionierung der Marke im Markt (Abb. 6).

Unternehmenssicht

Sicht der Anspruchsgruppen (Kunden, usw.)

beeinflusst

Wettbewerbsposition

st lus inf e be

Wettbewerbsmaßnahmen beeinflusst

Markenidentität

Zielvorgabe

Markenpositionierung beeinflusst

Umsetzung in sichtbare Maßnahmen

Markenimage

beeinflusst

Feedback Kommunikativer Gesamtdruck beeinflusst

Abb. 6: Zusammenhang zwischen Markenidentität, Markenpositionierung und Markenimage Quelle: Esch 2005a, S. 91

So bewegen sich BMW und Mercedes-Benz im Automobilmarkt auf gleichem Niveau, bedienen jedoch aufgrund ihrer Markenpositionierung durchaus unterschiedliche Kundenbedürfnisse und Wünsche: BMW steht für Sportlichkeit, Dynamik und Freude am Fahren, welche die „Points of Difference“ zu Mercedes-Benz darstellen. Diese Marke steht hingegen stärker für Prestige, Luxus und Sicherheit, die die Differenzierung zu BMW ausmachen. Dass die Orientierung an der Markenidentität und der Markenpositionierung grundlegend für die Initiierung von Kundenbindungsmaßnahmen ist, mag ein Beispiel verdeutlichen: Harley Davidson ist eine Marke, die klare Vorstellungsbilder und klare Gefühle und Emotionen bei (potenziellen) Kunden auslöst: Dies sind u. a. Freiheit und Abenteuer, das Dahingleiten auf der Route 66, individuelle Motorräder mit einem unnachahmlichen Sound usw. Harley Davidson verfügt als Marke über eine klare Identität, ein starkes Firmenimage und eine enge Kundenbeziehung (Holland/Heeg 1998, S. 108 ff.). Allerdings erschwert die große Heterogenität der Zielgruppe eine einheitliche Kommunikationspolitik. Deshalb spielen bei Harley Davidson das Direktmarketing und der direkte Kundenkontakt eine zentrale Rolle. Dieser direkte Kundenkontakt wird u. a. dadurch

Die Bedeutung der Marke im CRM

239

gesucht, dass das Top Management regelmäßig an Treffen von Harley-Fahrern teilnimmt, genauso wie Willie G. Davidson, ein Enkel des Firmengründers (Holland/Heeg 1998). Zudem wurde die Harley-Owners-Group als Kundenkontaktprogramm gebildet. Es handelt sich mit mehr als 900.000 Mitgliedern um die größte Motorradorganisation der Welt, die die Leidenschaft vereint, den Harley-Davidson-Traum zu leben (www.harley-davidson.com/wcm/Content/Pages/HOG/about_hog.jsp?locale=en_XX; Zugriff: 20.06.05). Folgender Kurzsteckbrief verdeutlicht die markenbezogenen Inhalte der HarleyOwners-Group (H.O.G.) (Holland/Heeg 1998, S. 109 ff.): ƒ Im Kaufpreis für eine Harley-Davidson ist ein Mitgliedsbeitrag für ein Jahr enthalten. Danach kostet der Beitrag 50 EURO im Jahr. ƒ Das Welcome Package enthält eine Mitgliedskarte in einem Folder, einen gestickten Aufnäher, der die Markenidentität vermittelt, eine Anstecknadel und ein Touring-Handbuch. ƒ Die Mitglieder der H.O.G. erhalten Clubzeitschriften mit den vielsagenden Namen „Hog Tales“ oder „The Enthusiast“. ƒ Es besteht die Möglichkeit, weltweit Harley-Davidson Motorräder zu mieten, an gemeinsamen Ausfahrten und Veranstaltungen teilzunehmen. Zudem wird für Frauen ein „Ladies of Harley“-Programm angeboten. ƒ Fragebögen zur Kundenzufriedenheit mit Maschine und Service des Händlers dienen zur Kontrolle der Händlerleistungen. ƒ Ziel der H.O.G. ist den Fahrern dieser Marke das gemeinsame Erleben des Harley-Mythos und des Harley-Fahrens zu ermöglichen. ƒ Clubmitglieder können Member in einem lokalen Chapter werden. ƒ Der Kundenclub ist dabei nicht primär kommerziell orientiert. Allerdings wird keine andere Motorradmarke so häufig umgebaut und individualisiert wie eine Harley (Customization). Die Kundenbindungsmaßnahmen von Harley-Davidson sind markenbezogen. Sie stützen den Mythos der Marke. In der Markencommunity wird das Vorstellungsbild zur Marke gestärkt. Dies ist insofern wichtig, weil die Instrumente und Mittel zur Kundenbindung endlich sind, nicht jedoch die Art und Weise, wie diese ausgestaltet werden. Jeder Fahrzeughersteller bietet beispielsweise Fahrertrainings zur Kundenbindung an (z.B. Holland/Heeg 1998 zu Kundenbindungsmaßnahmen bei Saab, Porsche, Toyota, Subaru, Volkswagen, Audi, Peugeot usw.). Entscheidend ist demnach hier die Passung einer solchen Maßnahme zum Markenimage. Demnach ist folgendes Vorgehen zur markenbezogenen Entwicklung von Kundenbindungsmaßnahmen sinnvoll (erweitert in Anlehnung an Sieben 2005, S. 337):

240

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

(1) Erfassung des Ist-Status: Dies umfasst die Bestimmung des Markenimages in relevanten Kundensegmenten und den Vergleich des Ist-Images mit den Soll-Vorgaben sowie die Erfassung markenbezogener Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zur Marke und von Informations- und Markenbindungsdefiziten in den einzelnen Kundensegmenten. Dieser Ist-Status bildet die Grundlage für die später zu ergreifenden markenbezogenen Kundenbindungsmaßnahmen. Da die Kundenzufriedenheit im Rahmen des Kundenbeziehungsmanagements zweifelsfrei eine große Rolle spielt, ist diese ebenfalls zu erfassen. Darüber hinaus sind allerdings auch Zukunftsorientierungen und Zukunftserwartungen der Kunden rechtzeitig einzubeziehen, da diese neben der Zufriedenheit mit der Marke entscheidenden Einfluss auf die Fortführung oder das Beenden einer Kundenbeziehung zum Unternehmen nehmen (Lemon et al. 2002, S. 4 ff.). Die zukünftig erwartete Nutzung und das möglicherweise auftretende Bedauern, eine Beziehung zu beenden, beeinflussen wesentlich die Entscheidung, als Kunde bei einem Unternehmen zu bleiben oder dieses zu verlassen. Demnach wird hier in diesem ersten Schritt Art und Umfang des Bedarfs von Kundenbindungsmaßnahmen ermittelt. Schon in dieser Phase sollte eine Planung des Datenmanagements erfolgen und geklärt werden, welche Datengrundlagen wie und in welcher Form aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden müssen. (2) Bestimmung einer segmentspezifischen Basisstrategie zur Stärkung von Marke und Kundenbindung. Welche markenbezogene Kundenbindungsstrategie soll für ein spezifisches Kundensegment zum Einsatz kommen? (3) Auswahl von markenbezogenen Inhalten, adäquaten Instrumenten zur wirksamen Vermittlung der Inhalte und von Kundenkontaktkanälen für die jeweils relevanten Kundensegmente. (4) Modellierung einer marken- und lebenszyklusorientierten Kundenbearbeitung. Markenbezogene Kontaktzeitpunkte mit den relevanten Kundensegmenten sind hier festzulegen. (5) Konkretisierung von Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens. Hierbei sollten die Markenverantwortlichen die Gesamtkoordination übernehmen, damit Kundenbindungsmaßnahmen zu dem übrigen kommunikativen Auftritt der Marke passen. Einzubindende Unternehmensbereiche in die Maßnahmen und deren Koordination sowie Schnittstellen zwischen einzelnen Bereichen sind ebenfalls zu konkretisieren. (6) Umsetzung markenbezogener Kundenbindungsmaßnahmen. Auf diesen Aspekt wird noch näher in Kapitel 3.3 eingegangen. (7) Erfolgskontrolle und Monitoring der jeweiligen markenbezogenen Kundenbindungsmaßnahmen. Hier ist ein integriertes Marken- und KundenbindungskontrollCockpit zu erstellen (Esch 2005a). Im Kern ist demnach für ein markenbezogenes Kundenbindungsmanagement ein dreidimensionaler Raum zu spannen, in dem auf Basis relevanter Positionierungseigen-

Die Bedeutung der Marke im CRM

241

schaften für den Bedarf entsprechender Kundensegmente adäquate Kundenbindungsinstrumente und -maßnahmen initiiert werden (Abb. 7).

Markenimage

Positionierungseigenschaft 4

Positionierungseigenschaft 3

CRMMaßnahmen ... CRMMaßnahme 3

Positionierungseigenschaft 2 CRMMaßnahme 2 CRMPositionierungsMaßnahme 1 eigenschaft 1

Kundensegment 1 Kundensegment 2 Kundensegment 3 (abweichende (abweichende (abweichende Bedürfnisse bzw. Bedürfnisse bzw. Bedürfnisse bzw. Imagedefizite) Imagedefizite) Imagedefizite)

Kundengruppen ...

Abb. 7: Gestaltungsraum markenbezogener Kundenbindungsmaßnahmen

3.2

Markenarchitektur als Differenzierungsmerkmal für Kundenbindungsmaßnahmen

Bei den bisherigen Überlegungen wurde davon abstrahiert, dass Kundenbindungsmaßnahmen für Marken sich auf mehreren Markenebenen sowie zwischen mehreren Marken abspielen können. Anders ausgedrückt: Implizit wurde zunächst davon ausgegangen, dass die Bindung an eine Marke der Bindung an ein Unternehmen entspricht. Dies ist häufig jedoch nicht der Fall. Wenigstens zwei weitere Differenzierungen sind ins Kalkül zu ziehen: (1) Marke und Unternehmen sind nicht immer gleichzusetzen. So gehören Einzel- und Familienmarke oft zu ein- und demselben Unternehmen. Lediglich bei einer Dachmarke oder Corporate Brand existiert der unmittelbare Bezug (Esch 2005a). (2) Marken haben auf unterschiedlichen Ebenen Beziehungen zueinander. Bei einer vertikalen Betrachtung spricht man hier von Markenarchitekturen, also der Kombi-

242

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll nation von wenigstens zwei Marken auf unterschiedlichen Ebenen, z.B. einer Corporate Brand und einer Produktmarke, horizontal von Mehrmarkenstrategien, also von Markenportfolios wie bei dem Volkswagen-Konzern, die jedoch wiederum an eine Unternehmung bzw. eine Corporate Brand geknüpft sind (Esch 2005a; Esch/Bräutigam 2005).

Ob nun eine Bindung an ein Unternehmen erfolgt bzw. dies überhaupt erwünscht ist oder die Marke bei den Bindungsüberlegungen im Vordergrund steht, hängt auch stark von der Ausgestaltung der Markenarchitektur und dem Management der Markenportfolios ab. Unter einer Markenarchitektur versteht man die Anordnung aller Marken eines Unternehmens zur Festlegung der Positionierung und der Beziehung der Marken und der jeweiligen Produkt-Markt-Beziehungen aus strategischer Sicht (Esch/Bräutigam 2005; Aaker/Joachimsthaler 2000). Komplexe Markenarchitekturen lassen sich folglich definieren als Markenarchitekturen, ƒ bei denen zwei oder mehr Marken ƒ auf unterschiedlichen Hierarchieebenen angeordnet sind (Esch/Bräutigam 2005, S. 844; Esch 2005a). Aufbauend auf Erkenntnissen des Instituts für Marken- und Kommunikationsforschung kann man bei komplexen Markenarchitekturen mit Blick auf die bei Zielgruppen erzielbaren Wirkungen folgende Typen unterscheiden (Esch/Bräutigam 2005; Esch 2005a; siehe Abb. 8): (1) Eine Corporate Brand-Strategie. Diese „Branded House“-Strategie entspricht einer klassischen Dachmarkenstrategie. Alle Produkte werden ausschließlich durch die Dach- oder Unternehmensmarke markiert, zusätzliche Familien- oder Produktmarken werden nicht geführt bzw. spielen keine Rolle. Demzufolge bezieht sich hier die Kundenbindung auf die Corporate Brand. Es lassen sich demzufolge neben den klassischen Vorteilen der Kundenbindung auch Cross- und Up-Selling-Effekte erzielen. (2) Eine gemischte Markenstrategie, bei der entweder die Unternehmensmarke dominant herausgestellt wird, ein gleichberechtigter Auftritt von Unternehmens- und Familien- oder Einzelmarke erfolgt, bzw. die Einzel- oder Familienmarke dominant herausgestellt wird. In diesem Fall kann sich die Kundenbindung sowohl auf die Corporate Brand als auch auf eine der Corporate Brand untergeordnete Familienoder Einzelmarke beziehen. Wie stark die empfundene Bindung an die Corporate Brand oder an die untergeordneten Marken ist, hängt in hohem Maße von der Art der Markierung und den daraus resultierenden Präferenzen der Kunden ab. (3) Eine Einzelmarkenstrategie. Bei einer solchen „House of brands“-Strategie tritt das Unternehmen in den Hintergrund. Eine gemeinsame Klammer in Form einer übergeordneten Unternehmensmarke wird nicht kommuniziert. Die Bindung erfolgt demzufolge auch nicht an das Unternehmen, sondern an die einzelne Marke.

Die Bedeutung der Marke im CRM

243

Markenarchitektur

Unternehmensmarke

Unternehmensmarke dominant

Bindung an Corporate Brand

Bindung an Corporate Brand, teilweise aber auch an Einzel- bzw. Familienmarke

gemischte Marken

gleichberechtigter Auftritt

Einzelmarke

Einzel-/ Familienmarke dominant

Bindung an Bindung an Bindung an Corporate Einzel- bzw. Einzelmarke Brand Familienmarke, und/oder teilweise Einzel- bzw. auch an Familienmarke Corporate Brand

Abb. 8: Markenarchitekturen und deren Beziehung zur Kundenbindung Quelle: in Anlehnung an Esch/Bräutigam 2005, S. 855; Esch 2005a, S. 429

Mehrmarkenstrategien im Rahmen von Markenportfolios haben ebenfalls Auswirkungen auf die Kundengewinnung und die Kundenbindung, die sich für Unternehmen auszahlen (Meffert/Perrey 2005, S. 820 f.; Esch 2005a). Grundsätzlich erhöht sich die Kundenbindung durch den Marktauftritt mit mehreren Marken. Gerade in Märkten mit eher niedriger Markentreue eröffnet die Mehrmarkenstrategie Möglichkeiten, Markenwechsler innerhalb des eigenen Unternehmens zu halten. Durch die differenzierte Positionierung einzelner Marken bietet sich zudem die Chance einer ganzheitlichen Kundenbetreuung während des gesamten Kundenlebenszyklus. So kann beim VolkswagenKonzern ein Kunde mit dem Kauf eines Skoda starten, dann auf VW umsteigen und in Folgephasen zu Audi wechseln oder gar in die Luxussparte vom Volkswagen-Konzern einsteigen. Je nachdem, wie stark die Corporate Brand im Rahmen der Mehrmarkenstrategien in den Vordergrund tritt und mit den einzelnen Marken verbunden wird, ist die Kundenbindung an die Unternehmensmarke eher explizit oder implizit. Da die Waschmittelmarken Persil, Spee und Weißer Riese deutlich mit dem Absender der Unternehmensmarke Henkel versehen sind, wäre eine Bindung an das Unternehmen eher eine explizite Bindung, weil man sich der Beziehung der Marken zu der Corporate Brand bewusst

244

Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

ist (siehe auch Markenarchitekturen). Hingegen könnten Bindungen an den Volkswagen-Konzern eher impliziter Natur sein, da sich nicht jeder Kunde über die Beziehungen der Einzelmarken zum Konzern bewusst sein muss.

3.3

Wirksame Umsetzung markenadäquater Kundenbindungsmaßnahmen

Die Berücksichtigung der Markenidentität und die positionierungskonforme Ausgestaltung von Kundenbindungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der vorliegenden Markenarchitektur ist als konzeptionelle Aufgabe zweifelsfrei eine Herausforderung. Das Nadelöhr, dass über die Erfolgswirksamkeit markenbezogener Kundenbindungsmaßnahmen entscheidet, ist jedoch die markenbezogene Umsetzung solcher Kundenbindungsmaßnahmen. Zur Gewährleistung einer solchen markenkonformen Umsetzung sind drei Anforderungen zu erfüllen (Esch 2005a): (1) Wahrnehmbarkeit der Markenpositionierung bei den Kundenbindungsmaßnahmen sichern, (2) Eigenständigkeit des Markenauftritts bei Kundenbindungsmaßnahmen wahren, (3) Integrierte Markenkommunikation bei Kundenbindungsmaßnahmen realisieren. Auf diese drei Aspekte wird im Folgenden eingegangen. Zu (1): Wahrnehmbarkeit der Markenpositionierung bei den Kundenbindungsmaßnahmen sichern Im Rahmen der Kundenbindungsmaßnahmen ist sicherzustellen, dass durch die jeweiligen Maßnahmen auch relevante Markenimages vermittelt werden. Die Maßnahmen müssen sichtbar markenkonform gestaltet sein. Dies ist häufig ein zentraler Engpass von Kundenbindungsmaßnahmen, die nur selten einen klar erkennbaren Markenbezug aufweisen. Wenn ein Pharmaunternehmen beispielsweise Ärzte zu einem Go-CartEvent einlädt, so kann ein solches Event einen hohen Unterhaltungswert aufweisen und auch Nähe zum Kunden aufbauen, es wäre allerdings kaum markenspezifisch. Die Marke würde zwar aktualisiert, aber nicht mit spezifischen Inhalten verbunden werden. Wenn das Generika-Unternehmen betapharm, das sich ein soziales Engagement gegenüber Patienten auf die Fahnen geschrieben hat, hingegen ein Symposium mit Ärzten zu Nachsorgethemen für Patienten veranstaltet, würde das Markenimage durch eine solche Maßnahme entsprechend gestärkt werden. Zu (2): Eigenständigkeit des Markenauftritts bei Kundenbindungsmaßnahmen wahren Eigenständigkeit zielt auf die Unterscheidbarkeit eigener Kundenbindungsmaßnahmen von denen der Konkurrenz ab. Dies erweist sich in der Praxis oft als schwieriges Unterfangen, weil in verschiedenen Branchen meist stereotype, also branchentypische, Kundenbindungsmaßnahmen zum Einsatz kommen. So gibt es praktisch keinen angesehenen Automobilbauer, der nicht eigene Fahrertrainings anbietet. Solche Maßnahmen

Die Bedeutung der Marke im CRM

245

können zwar eine kurzfristige Kundenbindung bewirken, möglicherweise aber nicht unmittelbar eine langfristige Markenbindung aufbauen. Deshalb sind solche Kundenbindungsmaßnahmen markenspezifisch und somit eigenständig zu gestalten: Bei BMW müsste demnach bei einem Fahrertraining, Sportlichkeit, Dynamik, Freude und der Gedanke des „Challenge“ durch entsprechende Maßnahmen (Wettbewerbe, Fun-Kurse usw.) vermittelt werden. Zu (3): Integrierte Markenkommunikation bei Kundenbindungsmaßnahmen realisieren Markenmaßnahmen entfalten dann ihre volle Kraft, wenn sie aufeinander abgestimmt sind. Dies ist das Ziel der integrierten Kommunikation. Die integrierte Kommunikation kennzeichnet die inhaltliche und formale Abstimmung aller Kommunikationsmaßnahmen, um die durch die Kommunikation erzeugten Eindrücke zu vereinheitlichen und zu verstärken (Kroeber-Riel/Esch 2004). Bei der integrierten Kommunikation ist zwischen Dimensionen und Mitteln der Integration zu unterscheiden (Esch 2001). Dimensionen der Integration beziehen sich auf die Abstimmung zwischen den eingesetzten Kommunikationsinstrumenten sowie auf die Abstimmung der Kommunikationsmaßnahmen im Zeitablauf, um eine entsprechend kontinuierliche Umsetzung der Markenpositionierung zu realisieren (Esch 2001). So erfolgt die Abstimmung zwischen den Kommunikationsinstrumenten zum Aufbau einer Kundenbeziehung und zur Kundenbindung bei Kinderüberraschung dergestalt, dass in den Überraschungseiern ein Code enthalten ist, der Kindern Zugang zu einem Spiel auf der Ferrero-Homepage im Internet ermöglicht. In Verkaufsförderungsmaßnahmen und in der Werbung wird auf dieses Spiel und den dazu notwendigen Code in den Überraschungseiern hingewiesen. Zwischenzeitlich spielen mehr als 50.000 Personen täglich dieses Spiel. Bei den Flugtagen von Red Bull am Wannsee, die ebenfalls zur Kundenbindung und zum Aufbau einer Red Bull-Community dienen, erfolgen Vorankündigungen ebenfalls durch Massenkommunikationsmedien. Das Event selbst wird wiederum im Internetauftritt wiedergegeben. Gerade hinsichtlich des Kundenbindungsmanagements ist hierbei auch eine vertikale Integration auf unterschiedlichen Marktstufen erforderlich, um insbesondere eine Abstimmung zwischen Hersteller und Absatzmittlern sicherzustellen (Homburg/Bruhn 2005, S. 24; Bruhn 1997). So ist es beispielsweise für einen Automobilhersteller zwingend erforderlich, dass die Absatzmittler Maßnahmen zur Kundenbindung aktiv im Sinne der Marke mittragen. Schließlich ergibt sich auch hier ein Integrations- sowie ein Bindungskonflikt, da eine Bindung entweder an den Automobilhändler und/oder an die Automobilmarke erfolgen kann. Das Problem ist in der Automobilbranche hinreichend bekannt. So nahm die Kundentreue in der Automobilbranche mit zunehmender Produktqualität ab, da Werkstätten nicht mehr so häufig aufgesucht werden mussten. Für eine entsprechende Markentreue entstehen somit Kontaktverluste, die man durch andere Maßnahmen ausgleichen muss (Holland/Heeg 1998, S. 99 f.). Mittel der Integration beziehen sich auf eine formale und/oder inhaltliche Abstimmung der Kommunikation (Esch 2001). Die formale Abstimmung der Kundenbindungsmaßnahmen mit dem übrigem Kommunikationsauftritt der Marke zielt auf die Wiederer-

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Franz-Rudolf Esch, Thorsten Möll

kennbarkeit der Marke ab. Dadurch soll die Markenbekanntheit gestützt werden. Bei dem oben aufgeführten Beispiel der Überraschungseier ist dies durch den Farbcode orange/weiß, der sich durch alle Maßnahmen durchzieht, gewährleistet. Die inhaltliche Integration zielt hingegen auf die Durchsetzung der Positionierung zur Stärkung des Markenimages ab, indem Aussagen zur Marke und bildhafte bzw. modalitätsspezifische Eindrücke zur Marke die Markenbotschaft transportieren. So tragen die Rezepte, die man sich über das Internet im Maggi-Kochstudio abrufen kann, zur Kundenbindung bei und stärken zugleich die Positionierung von Maggi. Die inhaltliche Integration des permanenten quattro-Allradantriebs von Audi erfolgt z.B. durch ein intensives Engagement im Wintersport oder durch ein Fahrtraining auf Eis und Schnee in Finnland.

4

Ausblick: Koordiniertes Markenmanagement und CRM für eine effektive und effiziente Wertschöpfung in Unternehmen

Markenmanagement und Kundenbindungsmanagement lösen einander nicht gegenseitig ab, wie vielfach suggeriert, sie ergänzen einander. Es geht um eine optimale Orchestrierung beider Aspekte. Ausgangspunkt der Betrachtung ist dabei die Marke. Die Markenidentität und die Markenpositionierung bilden die Leitplanken für Kundenbindungsmaßnahmen. Erst auf Basis der bestehenden Markenidentität und -positionierung sind verschiedene Kundensegmente nach ihren Bedürfnissen und Wünschen anzusprechen. Würde man sich ausschließlich und einseitig an divergierenden Kundenbedürfnissen relevanter Kunden orientieren, könnte dies eine Zersplitterung der Marke zufolge haben. Insofern dienen Kundenbindungsmaßnahmen letztendlich dazu, die Kundenbindung in imagerelevanten Bereichen für eine Marke zu stärken. Kundenbindungsmaßnahmen sind demzufolge immer in Bezug auf ihren Beitrag zur Marke und für Kunden zu bewerten. Erst dann erfolgt eine effektive und effiziente Wertschöpfung in Unternehmen.

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Die Bedeutung der Marke im CRM

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Georg Tacke, Felix Krohn

Die Bedeutung des Preises im CRM 1

Der Preis als Stütze von CRM-Strategien

2

Methoden des CRM-Pricing 2.1 Mengenabhängiges Pricing 2.2 Zeit- und loyalitätsabhängiges Pricing 2.3 Mehrprodukt-Pricing 2.4 Mehrpersonen-Pricing 2.5 Verträge und Garantien

3

Umsetzung, Information, Systeme

4

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1

Der Preis als Stütze von CRM-Strategien

Customer Relationship Management (CRM) verspricht eine engere Kundenbindung und den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen. Das jedoch ist keine neue Erkenntnis, sondern die Grundphilosophie des Marketinggedankens. Das Schlagwort CRM ist entstanden, als moderne Informationstechnologien die Marketing-Grundphilosophie erheblich umfassender und effizienter umzusetzen vermochten. Der Charakter von ITSystemen als "Enabling-Factor" des CRM hat jedoch dazu geführt, dass zunehmend ITExperten die Entwicklung der Marketingstrategie gleich mit übernommen haben. Folglich vermisst man in vielen CRM-Projekten eine ausgearbeitete Marketingkonzeption. Nicht umsonst sind neben Fehlern bei der Implementierung vor allem fehlende Marketingstrategien einer der Hauptgründe, dass ein Teil aller CRM-Projekte seine Ziele verfehlt (Wübker/Buckler 2002). Das Marketing liefert verschiedene wirkungsvolle Instrumente zur Erzielung einer engeren Kundenbindung sowie „Monetarisierung“ dieser Kundenbeziehung. Neben direkten Maßnahmen wie Kundenclubs und -karten, Value-Added-Services, Retentionmanagement u.v.m. kann auch der Preis als wirkungsvolles Marketinginstrument zur Steuerung einer Erhöhung der Kundenbindung eingesetzt werden. Wir werden uns im Folgenden ausschließlich auf dieses Instrument konzentrieren. Zunächst werden die verschiedenen Methoden des Kundenbindungs- bzw. CRM-Pricing im Überblick vorgestellt. Das sich anschließende Kapitel beschreibt diese Methoden im Detail und gibt konkrete Beispiele. Wir schließen mit Anmerkungen und Empfehlungen zu Umsetzungsaspekten. Im Rahmen des CRM-Pricing unterscheiden wir folgende Methoden und Ansätze, wobei auch einzelne Ansätze kombiniert werden. ƒ Mengenabhängiges Pricing: Mengen- oder Umsatzrabatte, zweiteilige Tarife sowie andere Formen der nichtlinearen Preisbildung (Tacke 1989; Dolan/Simon 1996; Simon et al. 1998) veranlassen Kunden dazu, in einem bestimmten Zeitraum höhere Stückzahlen eines Produktes oder einer Dienstleistung beziehungsweise einen größeren Teil ihrer Gesamtnachfrage von einem Unternehmen (Share of Wallet) zu beziehen und nicht bei jeder Bestellung zu wechseln. ƒ Zeit- und loyalitätsabhängiges Pricing: Hauptaspekt ist die Gewährung unterschiedlicher Preise, Rabatte etc. in Abhängigkeit von der Dauer einer Kundenbeziehung. Der langjährig loyale Kunde erhält einen anderen Endpreis als der sporadische Einmal-Käufer. Viele Bonusprogramme enthalten beispielsweise solche zeit- und loyalitätsabhängige Komponenten. ƒ Mehrprodukt-Pricing: Das Angebot günstiger Paketpreise, in denen mehrere Produkte oder Sortimente eines Unternehmens „gebündelt“ werden (Preisbündelung), führt dazu, dass Kunden mehr verschiedene Produkte oder Sortimente vom gleichen Unternehmen kaufen. Der Kunde konzentriert seinen Bedarf auf ein Unternehmen; die Kundenbindung wird erhöht.

254

Georg Tacke, Felix Krohn

ƒ Mehrpersonen-Pricing: Dieses Instrument der Preisbildung ist eine Sonderform der nichtlinearen Preisbildung. Einer zweiten oder weiteren Person, die das gleiche Produkt oder die gleiche Dienstleistung kauft wie die erste („Haupt-“) Person, werden Preisnachlässe angeboten. Die Folge: Über die Hauptperson versucht man, weitere Personen oder eine ganze Gruppe an das Unternehmen zu binden. ƒ Verträge und Garantien: Hier sehen wir in erster Linie langfristig bindende Lieferverträge. Bei Preisgleitklauseln wird der Preis über die Laufzeit des Vertrages gemäß genau festgelegter Kriterien angepasst. Preisgarantien innerhalb solcher Verträge (entweder als Element oder separat eingesetzt) sollen den Kunden gewährleisten, dass der angebotene Preis entweder über einen bestimmten Zeitraum konstant bleibt oder günstiger beziehungsweise mindestens so günstig ist wie der der Konkurrenz. Die sogenannte Meistbegünstigung garantiert den Kunden, dass sie den für sie günstigsten Preis bekommen.

Methode/Ansatz des CRM-Pricing

Beispiele für Einzelmaßnahmen

Mengenabhängiges Pricing

- Nichtlineare Preisbildung - Mengenrabatte

Zeit- und loyalitätsabhängiges Pricing

- Treuerabatte - Bonusprogramme

Mehrprodukt-Pricing

- Preisbündelung

Mehrpersonen-Pricing

- Sonderform der nichtlinearen Preisbildung - Preisnachlässe für weitere Personen/Gruppen

Verträge und Garantien

- Langfristige Liefer- oder Exklusivverträge (inklusive Preisgarantien, Preisgleitklausel) - Meistbegünstigung

Tab. 1:

2

Übersicht über Methoden/Ansätze des CRM durch Preispolitik

Methoden des CRM-Pricing

Im folgenden gehen wir auf die einzelnen Methoden des Kundenbindungs-/CRMPricing im Detail ein. Die Wirkungsweise wird beschrieben und die praktische Anwendung anhand konkreter Beispiele verdeutlicht.

Die Bedeutung des Preises im CRM

2.1

255

Mengenabhängiges Pricing

Wir sprechen von mengenabhängigem Pricing, wenn eine Preisdifferenzierung nach der gekauften Menge erfolgt, das heisst wenn mit zunehmender Kaufmenge der Preis pro Stück zurückgeht. Anstatt der Menge kann natürlich auch der Umsatz die Grundlage für den Rabatt bilden. Anwendungsformen des mengenabhängigen Pricing sind alle Arten von Mengenrabatten, zweiteilige Tarife (zum Beispiel Telefon oder BahnCard), Blocktarife (zum Beispiel Strompreise oder Internet-Tarife), usw. Eine genaue Beschreibung dieser Formen der nichtlinearen Preisbildung findet sich bei Tacke (1989). Die beiden bedeutendsten Formen des Mengenrabattes sind der „angestoßene“ inkrementelle und der „durchgerechnete“ oder retroaktive Mengenrabatt. Beim angestoßenen Mengenrabatt wirkt der Rabatt auf alle gekauften Einheiten (vgl. folgendes Beispiel) ab Überschreiten der für die Rabattgewährung notwendigen Mindestmenge; der durchgerechnete Rabatt wirkt dagegen auf die gesamte Nachfragemenge in dem betreffenden Zeitraum – also auch auf die Einheiten unterhalb der „Rabatt-Mindestmenge“. Die Bindungswirkung des Mengenrabattes erläutern wir beispielhaft an einem einfachen inkrementellen Mengenrabatt. Ein Unternehmen bietet ein Produkt zu einem Preis von 10 Euro pro Stück an. Ab einer Abnahme von 100 Stück pro Jahr reduziert sich der Preis für alle weiteren Einheiten um 10 Prozent. Ab 200 Stück steigt der Rabatt auf 20 Prozent und ab 400 Stück auf 25 Prozent. Tab. 2 zeigt die Umsatzklasse, den Stufenrabatt sowie den effektiven kumulierten Rabatt.

Menge

Umsatzklasse (in EUR)

Stufenrabatt

Durchschnittlicher Rabatt

0 – 100

0 – 1000

0%

0%

101 – 200

1010 – 2000

10 %

5%

201 – 400

2010 – 4000

20 %

12,5 %

401 – 700

4010 – 7000

25 %

17,9 %

Tab. 2:

Entwicklung des effektiven Rabattsatzes bei inkrementellem Mengenrabatt

Die Tabelle verdeutlicht die Bindungswirkung. Der Kunde, der bereits 300 Einheiten nachgefragt hat, wird durch einen 20-prozentigen Rabatt auf jedes weitere Stück an den Hersteller gebunden – und das, obwohl der durchschnittliche Rabatt über die Gesamtmenge von 300 Einheiten nur 10 Prozent beträgt. Außerdem ist die nächste Preisabsenkung ab 400 Einheiten „in Sicht“. Diese Bindungswirkung ist erheblich; die Konkurrenz kann in diesem Fall – um einen Auftrag von dem Kunden zu erhalten – nur durch ähnlich hohe Rabatte nachziehen. Allerdings kostet sie das deutlich mehr, da man „sofort“, das heisst bereits für die erste Lieferung an diesen Kunden, einen Rabatt von 20 bezie-

256

Georg Tacke, Felix Krohn

hungsweise 25 Prozent gewähren muss und nicht über die ertragsstärkeren Anfangsumsätze ohne beziehungsweise mit nur geringem Rabatt verfügt. Neben diesem Beispiel gibt es zahlreiche, z.T. indirekte Formen nichtlinearer Preisbildung, die alle das Prinzip abnehmender Stückpreise bei steigender Abnahmemenge verfolgen. Die folgenden Beispiele zeigen die vielfältigen Anwendungen in der Praxis. ƒ Die Deutsche Bahn bietet die BahnCard – nach Korrektur der vielkritisierten Tarifreform – nunmehr zum Preis von 200 Euro (bzw. 50 Euro für die BC 25) für die zweite Klasse und 400 Euro (bzw. 100 Euro für die BC 25) für die erste Klasse an. Die BahnCard 50 gewährt dem Besitzer ein Jahr lang einen Rabatt von 50 Prozent (BC 25: 25%) auf alle Normal-Fahrkarten. Mit jeder Bahnfahrt erhöht sich der tatsächliche Rabatt, die Karte „amortisiert“ sich mehr und mehr (Firner/Tacke 1993; Simon/Tacke 1992). Mit dem niedrigeren variablen Fahrpreis nach Kauf der BahnCard wird die Bahnfahrt zur ökonomisch sinnvolleren Alternative zum Auto und dessen Betriebskosten; die Bindungswirkung ist enorm. Die Folge: Die Deutsche Bahn AG hat bei BahnCard-Kunden einen sehr ausgeprägten Anstieg der Bahnfahrten beobachtet. Heute gibt es mehr als drei Millionen BahnCard-Kunden, die sich jeweils für den Zeitraum von einem Jahr an die Bahn „binden“. Mittlerweile wird das BahnCard-Prinzip in nahezu allen Dienstleistungsbereichen eingesetzt; es gibt HotelCards, TheaterCards, viele Städte bieten Cards an, die einen ermäßigten Eintritt für Museen, Ausstellungen und sonstige Kulturereignisse gewähren. ƒ Ein klassisches Kundenbindungsinstrument in diesem Zusammenhang sind Rabattmarken, die heute eine Renaissance erleben. In einer Drogeriemarktkette wird sie beispielsweise erfolgreich eingesetzt, um die Eigenmarken in den Vordergrund zu stellen. Für jedes gekaufte Eigenprodukt der Drogeriekette ab einem Verkaufspreis von 0,5 Euro erhalten die Kunden Treuepunkte, die sie sammeln und später gegen Bargeld oder Waren eintauschen können. Erfahrungen zeigen, dass dieses alte Instrument kaum etwas von seiner Attraktivität eingebüßt hat. Etwas weiter interpretiert spricht man heute von Couponing, wobei die Coupons keineswegs nur zur Kundenbindung, sondern auch zum Cross Selling und zur Verkaufsunterstützung eingesetzt werden. ƒ Insbesondere werden Bonusprogramme als gezieltes Instrument zur Kundenbindung eingesetzt. Dabei erhalten Vielnutzer Prämien oder auch Rabatte beziehungsweise Boni. Miles & More, das Vielfliegerprogramm der Deutschen Lufthansa, ist ein Beispiel für ein solches Bonusprogramm. Weitere Programme sind etwa das mittlerweile auf 27 Mio. Karten angewachsene PAYBACK oder Happy Digits der Deutschen Telekom. Letztendlich handelt es sich auch hier um eine Art Mengenrabatt, der aufgrund seiner Prämien und Vergünstigungen kundenbindend wirkt. ƒ Schließlich findet man die verschiedensten Mengenrabattformen nahezu überall im Business-to-Business-Bereich oder gegenüber dem Handel. Bei dem oben erwähnten durchgerechneten Mengenrabatt ist teilweise eine noch stärkere Bindungswirkung zu beobachten, weil der Rabatt ab einer bestimmten Abnahme-

Die Bedeutung des Preises im CRM

257

menge nicht nur für die folgenden Einheiten, sondern für den gesamten (also auch den bisherigen) Absatz gilt. Die nichtlineare oder mengenabhängige Preisbildung ist eine der interessantesten und wirkungsvollsten Methoden der Preisdifferenzierung. Die optimale Anwendung – unter Berücksichtigung gewünschter Kundenbindungseffekte – erfordert allerdings gründliche Analysen. Die folgenden Aspekte sollten dabei beachtet werden: ƒ Nichtlineare Preisbildung funktioniert sowohl bei einer sehr homogenen als auch bei heterogener Kundenstruktur; bei homogener Kundenstruktur ist sie allerdings wirkungsvoller. ƒ Die nichtlineare Preisbildung kann – wie beschrieben – vielfältige Formen annehmen (zum Beispiel Mengenrabatt, zweistufiges Preissystem, Preispunkte). Es ist nötig, die für das jeweilige Unternehmen gewinnoptimale Form sorgfältig auszuwählen. Die komplexeren Formen erlauben, die Preisdifferenzierung besser abzustimmen, machen es jedoch erforderlich, mehrere Parameter festzulegen, und sind schwieriger umzusetzen. ƒ Die Informationsanforderungen für eine erfolgreiche nichtlineare Preisbildung sind hoch. Idealerweise müssen Preisbereitschaften auf Segmentniveau erhoben oder geschätzt werden. Unzureichende Informationen beinhalten das Risiko, dass keine Bindungswirkung einsetzt, Deckungsbeiträge verschenkt werden oder man vielleicht sogar Kunden an den Wettbewerb verliert. ƒ Die Anwendung nichtlinearer Preisbildung erfordert die Einhaltung bestimmter Bedingungen, wie zum Beispiel die Identifizierung des Anspruchsberechtigten, das heisst die Verhinderung der Nachfragebündelung über mehrere Personen; in diesem Fall würde der Bindungseffekt „unterlaufen“. Diese Bedingungen sind am ehesten im Dienstleistungsbereich erfüllt.

2.2

Zeit- und loyalitätsabhängiges Pricing

Schwerpunkt einer zeit- und loyalitätsabhängigen Preispolitik zur Steigerung der Kundenbindung sind Vergünstigungen, die der Anbieter in Abhängigkeit von der Dauer der Kundenbeziehung oder Loyalität gewährt. Der loyale Dauerkunde stellt sich besser als der „sporadische Kunde“. Dies ist ein Anreiz, nicht permanent den Lieferanten zu wechseln, und führt zu Kundenbindung. Das zeit- und loyalitätsabhängige Pricing wird – wie die folgenden Beispiele belegen – in den unterschiedlichsten Formen umgesetzt. ƒ Mit der Dauer der Zugehörigkeit zu einer Autohaftpflichtversicherung sowie abhängig von der Unfallhäufigkeit sinkt der Beitragssatz für die Versicherung. Hier treten sehr spürbare „Vergünstigungen“ auf, da die Beiträge im Extremfall über die Jahre von 275 auf 30 Prozent fallen können. Ähnliche Effekte gibt es bei privaten Krankenversicherungen.

258

Georg Tacke, Felix Krohn

ƒ In zahlreichen Fitness- und Sportclubs wird eine längere Vertragsdauer durch niedrigere Mitgliedsbeiträge belohnt: so zahlt z.B. ein Kunde von Kieser Training 280 € für 6 Monate, aber nur 400 € für 12 Monate und 640 € für 24 Monate. Dies entspricht einem um 43% niedrigeren Monatspreis bei einem Zweijahresvertrag gegenüber einer 6-Monats-Mitgliedschaft. ƒ Die Zeitschrift „Newsweek“ bietet ein Einjahresabonnement (54 Ausgaben) für 0,79 Dollar pro Ausgabe an, ein Zweijahresabonnement (108 Ausgaben) kostet nur noch 0,69 Dollar pro Ausgabe. Bei diesen Ex-ante-Vereinbarungen über die Kundenbeziehung herrscht sowohl ein fließender Übergang zu den längerfristigen Lieferverträgen, die unten noch einmal im Detail behandelt werden, als auch zu dem oben diskutierten Mengenrabatt (Rabatt auf die Anzahl der Hefte). Die Gewährung von Rabatten über die Zeit wird besonders dort begünstigt, wo zwischen Unternehmen und Kunden tatsächliche Vertragsbeziehungen bestehen. Sie tragen in aller Regel dazu bei, dass ein Unternehmen regelmäßige Zahlungen von den Kunden erhält (zum Beispiel bei Abonnements, Telekommunikationsverträgen), so dass die „Investition“ in Rabatte durch laufende Rückflüsse von den Kunden amortisiert werden kann. Zudem kann beispielsweise bei Vielfliegerprogrammen ohne vertragliche Bindung kaum ermittelt werden, wie lange ein Kunde dem Unternehmen treu ist. Hier würde eine zeitabhängige Belohnung insofern riskant, als nicht gewährleistet ist, dass sich die Investition in die Kundenbeziehung durch weitere Umsätze seitens des Kunden tatsächlich für das Unternehmen lohnt.

2.3

Mehrprodukt-Pricing

Mehrproduktunternehmen sind oft an einer gesamthaften Kundenbindung über alle Produktbereiche hinweg interessiert. Beim Mehrprodukt-Pricing werden deshalb Paketangebote mit verschiedenen Sortimenten oder bestimmten Vergünstigungen (zum Beispiel Sortimentsrabatte) angeboten, falls ein Kunde gleichzeitig Produkte aus verschiedenen Sortimenten nachfragt. Die wichtigsten Formen des Mehrprodukt-Pricing in der Praxis sind: ƒ Paketpreise (Bundling): Paketpreise liegen vor, wenn verschiedene Produkte zusammen in einem Paket zu einem Paketpreis angeboten werden, der unter der Summe der Einzelpreise liegt. Wir unterscheiden einerseits das „Pure Bundling“. Hier wird nur das Paket angeboten, die Produkte können nicht einzeln gekauft werden. Beim „Mixed Bundling“ werden sowohl das Paket als auch die Einzelprodukte zum Verkauf angeboten. Normalerweise werden die Preise für jedes Einzelprodukt und für das Paket festgelegt. Microsoft setzt diese Form für sein „Office“-Programmpaket ein. Alternativ kann ein Rabatt auf das zweite Produkt gewährt werden, wenn für das erste Produkt („Leitprodukt“) der volle Preis gezahlt wird.

Die Bedeutung des Preises im CRM

259

ƒ Koppel-/Komplementärprodukte (Tie-in Sales): Der Käufer des Hauptproduktes (bindendes Gut) kauft zusätzlich ein oder mehrere Komplementärprodukte (verbundene Güter) vom gleichen Lieferanten. Häufig ist das bindende Gut ein Gebrauchsgut – eine Maschine, ein Kopierer, ein Computer –, während die verbundenen Güter Verbrauchsgüter sind wie Toner, Papier, Filme usw. Manchmal sind die beiden Produktarten aus System- oder Kompatibilitätsgründen auch direkt miteinander verknüpft. Der Kauf des Hauptproduktes – häufig durch Preisnachlässe/Rabatte unterstützt – führt damit automatisch zu einer längerfristigen Kundenbindung. Indirekt fallen auch die typischen Angebote von Mobiltelefongesellschaften in diese Kategorie: Ein Paket aus einem preiswerten Handy und einer Aktivierungsgebühr wird angeboten, wenn der Kunde sich verpflichtet, den Service dieser Gesellschaft zumindest für eine Mindestdauer, normalerweise zwei Jahre, zu nutzen. ƒ Umsätze aus Folgeprodukten: Ein typisches Beispiel für Folgeverkäufe sind Upgrades, wie es sie beispielsweise bei Software gibt. Diese werden meist günstiger angeboten als die gleichen Produkte für Neukunden. Bestehende Kunden könnten zwar auf ein anderes System wechseln, aber die Wechselbarrieren sind höher. Zusätzlich zum höheren Preis müsste man sich neu einarbeiten, neue Schulungen vornehmen usw. Auch bei industriellen Produkten, wie zum Beispiel Maschinen, entsteht eine starke Kundenbindung aus Folgeprodukten, die sehr ähnlich ist zu der vorher beschriebenen Form des Mehrprodukt-Pricing. Häufig werden Werkzeuge und Ersatzteile von Maschinen preislich viel höher kalkuliert als die Maschinen selbst. Unter dem Gesichtspunkt der Kundengewinnung wird darauf verzichtet, mit dem Verkauf der Maschinen viel zu verdienen. Statt dessen werden über Ersatzteile, die die Kunden notgedrungen beim gleichen Maschinenhersteller beziehen müssen, Gewinne realisiert. Die letztere Form der Kundenbindung birgt jedoch Gefahren, wenn zum Beispiel die Ersatzteilpreise überzogen werden. So behauptet beispielsweise ein Kunde eines bekannten deutschen Maschinenherstellers, dass sich dieser über „Werkzeuge finanziert (300 bis 400 Prozent Marge)“. Ein anderer Kunde beklagt, dass es seinem Unternehmen aufgrund „der erheblichen Investitionen in Werkzeuge oder beispielsweise Ersatzteile sehr schwer fallen wird, zu einem anderen Anbieter zu wechseln“. Hier kann man nicht mehr von Kundenbindung durch Zufriedenheit sprechen. Immerhin 13 Prozent der Kunden dieses Unternehmens gaben an, dass sie Kunden bleiben, obwohl sie unzufrieden sind. Dies sind zwar gehaltene, jedoch keine langfristig „loyalen“ Kunden für den Hersteller, da sie voraussichtlich bei der nächstmöglichen, finanziell vertretbaren Gelegenheit zum Wettbewerber wechseln werden. ƒ Sortimentsrabatt: Manche Unternehmen geben Nachlässe in Abhängigkeit von der Anzahl der nachgefragten Sortimente/Produkte. Dies soll die Kunden dazu veranlassen, ihren gesamten Bedarf aus verschiedenen Produktbereichen auf möglichst einen Lieferanten zu konzentrieren. Besonders „bindend“ ist der Sortimentsrabatt, wenn der Anbieter über ein hervorragendes Produkt mit deutli-

260

Georg Tacke, Felix Krohn chen Wettbewerbsvorteilen verfügt. In diesem Fall können durch den Sortimentsrabatt auch Standardprodukte „mitverkauft“ werden.

ƒ Gesamtumsatz-Bonus: Häufig bieten Firmen ihren Kunden zum Jahresende einen Rabatt auf den Jahresumsatz aller gekauften Produkte an. Diese Boni verfolgen hauptsächlich das Ziel, die Kundentreue zu verstärken. Konzeptionell liegen Umsatzboni zwischen Paketpreisen und nichtlinearer Preisbildung, da es keine Rolle spielt, ob der Umsatz mit einem oder mehreren Produkten erzielt wurde. Das Mehrprodukt-Pricing ist eine interessante Methode, um die Kundenbindung eines Unternehmens zu erhöhen und damit zugleich das Gewinnpotenzial eines Unternehmens besser auszuschöpfen. Es muss jedoch sorgfältig analysiert werden, ob das Konzept zur Situation passt und tatsächlich die Kundenbindung erhöht. Die Informationsanforderungen an eine optimale Gestaltung sind hoch, doch die Gewinne können nachhaltig gesteigert werden.

2.4

Mehrpersonen-Pricing

Das Mehrpersonen-Pricing dient vor allem im Bereich der Reise-, Verkehrs- und Telekommunikationsdienstleistungen als Mittel zur Kundenbindung aber auch zur Verkaufsunterstützung. Ziel ist es, durch ein günstiges Angebot nicht nur die „Hauptperson“ selbst, sondern zusätzliche Kunden zu gewinnen und zu halten. Das Hauptziel dieser Preisstrategie besteht darin, zusätzlichen Umsatz zu generieren. Kundenbindungseffekte werden jedoch ebenfalls realisiert. Ganze Gruppen können beispielsweise von der Konkurrenz schwieriger „abgeworben“ werden als Einzelkunden (vgl. Partner & Family-Option von e-plus). Zum Mehrpersonen-Pricing gibt es zahlreiche Anwendungsbeispiele in der Praxis: ƒ Viele Fluggesellschaften bieten regelmäßig Programme an, in denen die Begleitperson eines voll zahlenden Passagiers zur Hälfte des Preises (zum Beispiel Deutsche Lufthansa, Air New Zealand) oder sogar kostenlos fliegen kann (zum Beispiel das Programm „Freunde fliegen kostenlos“ der Southwest Airlines). Ähnliche Systeme sind in der Hotelbranche beliebt. Die Begründung für den Rabatt liegt in der geringeren Zahlungsbereitschaft der zweiten Person. Betrachten wir zum Beispiel ein reisendes Paar. Der Ehemann ist auf Geschäftsreise, und die Ehefrau begleitet ihn. Der Geschäftsreisende ist bereit, maximal 500 Euro zu zahlen, während die ihn begleitende Ehefrau nur eine Preisbereitschaft von maximal 300 Euro besitzt. Bei Einheitspreisbildung kann eine Fluggesellschaft zum Beispiel 500 Euro berechnen, dann fliegt jedoch nur der Geschäftsreisende, und es ergibt sich ein Umsatz von 500 Euro. Die Fluggesellschaft kann ihren Gewinn dadurch erhöhen, dass sie für jede Person 300 Euro in Rechnung stellt. Dann fliegen beide, und der Umsatz steigt auf 600 Euro. Ein MehrpersonenPreissystem mit 500 Euro für die erste und 300 Euro für die zweite Person ist jedoch wesentlich besser. Beide Eheleute fliegen, und die Fluggesellschaft er-

Die Bedeutung des Preises im CRM

261

zielt einen Umsatz von 800 Euro, was einer Steigerung von 33 Prozent gegenüber dem Preis von 300 Euro pro Person entspricht. ƒ Fälle, in denen der Fahrpreis einer Person durch die Firma und der Fahrpreis der anderen Person privat bezahlt wird, eröffnen interessante Möglichkeiten für die Übertragung von Zahlungsbereitschaft vom geschäftlichen auf den privaten Bereich. Häufig kann man Gruppenpreis-Systeme sehen, die eine kostenlose Teilnahme oder einen kostenlosen Flug gewähren; vorausgesetzt, die erste Person zahlt den vollen Preis. Aufgrund von Partnerangeboten wird die Fluggesellschaft nicht nur für die Geschäftsreisen, sondern auch für Privatreisen genutzt. ƒ American Express versucht, Kunden dadurch zur Verwendung ihrer Platinkarte zu veranlassen, dass mit einem regulären Flugticket für die First oder Business Class bei bestimmten Fluglinien der Flug für eine Begleitperson in einem bestimmten Zeitraum kostenlos ist. Die französische Hotelkette Ibis und Southwest Airlines in den USA bieten ähnliche Programme an. ƒ Auch Telefontarife mit „Friends & Family“-Vergünstigungen können als Rabattgewährung für mehrere Personen interpretiert werden. Hierbei werden Telefonate zu vorher angegebenen Personen (Friends & Family) rabattiert. Es entsteht eine Art „Closed User Group“, die erfahrungsgemäß eine hohe Kundentreue aufweist. ƒ Kinder und Jugendliche stellen etwa im Mobilfunk und Internet eines der kommunikationsfreudigsten Segmente dar; die eigenen finanziellen Mittel sind dagegen meist noch begrenzt. Die in den USA weitverbreiteten Family-Plans bieten den Telekommunikations-Anbietern Forderungssicherheit, den Eltern mobile Erreichbarkeit ihrer Kinder und den Kindern Zugang zur Kommunikationswelt – quasi eine Win-Win-Win-Situation. "Buy 1 get up to 3 free Nokias" ist beispielsweise der Einstieg zum Family Share Plan von Verizon. Die ganze Familie telefoniert auf eine Rechnung. Der Anbieter bekommt dadurch mehr und sichereren Umsatz (Stadie 2003). ƒ Mehrpersonen-Preise werden auch für größere Gruppen eingesetzt. Club Med bot zum Beispiel in einem Sommerkatalog bezogen auf jeweils vier Personen, die den vollen Preis entrichten, für eine zusätzliche Person einen kostenlosen Aufenthalt an. Die Deutsche Bahn bietet spezielle Mitfahrer-Preise an: Wenn bis zu 5 Erwachsene gemeinsam reisen, muss nur die erste Person (ein Erwachsener) den vollen Preis zahlen. Die 4 Mitfahrer fahren jeweils zum ermäßigten Preis von 50 Prozent. Kinder unter 15 Jahren reisen in Begleitung eines Elternteils sogar kostenlos. Das Mehrpersonen-Pricing ist häufig notwendig, um in diesem Segment gegen spezialisierte Konkurrenten überhaupt bestehen zu können. Falls es gelingt, eine ganze Gruppe als Kunden zu gewinnen, dann lässt sich eine starke Bindungswirkung realisieren.

262

2.5

Georg Tacke, Felix Krohn

Verträge und Garantien

Ziel des CRM-Pricing ist das Erreichen einer möglichst dauerhaften Kundenbeziehung. Neben den beschriebenen „indirekten Maßnahmen“, die mehrheitlich über Incentives wie Rabatte, Nachlässe usw. die Kunden „freiwillig“ binden sollen, wird häufig auch der direkte Weg – nämlich der Abschluss eines langfristigen Kontraktes – gewählt. Als Gegenleistung zur langfristigen Bindung des Abnehmers macht der Lieferant in der Regel Zugeständnisse im preislichen Bereich. Boeing versuchte, die Kundenbindung durch eine Strategie extrem langfristiger Exklusivverträge zu erhöhen. Mit den amerikanischen Fluggesellschaften American Airlines, Delta Airlines und Continental Airlines wurden Exklusivverträge über 20 Jahre abgeschlossen. Die Kunden verpflichteten sich, ihren Bedarf nur von Boeing zu decken. Boeing wollte den Airlines im Gegenzug niedrigere Einkaufspreise gewähren. Diese extreme Vertragsdauer ist außergewöhnlich: Es wurde eine so starke und lange „Kundenbindung“ erzeugt, dass sie sowohl vom Wettbewerb als auch von den Kunden selber hinterfragt wurde. Aus Sicht der Kunden könnte es sich als nachteilig erweisen, (voraussichtlich) über mehrere CEO-Generationen hinweg eine Entscheidung für nur einen Lieferanten zu treffen. Die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit von Boeing lässt sich über einen so langen Zeitraum nur schwer voraussagen. Der Wettbewerb (vor allem Airbus Industries) sowie die Wettbewerbsbehörde der EU protestierten ausdrücklich gegen diese neue Boeing-Strategie, da für die Dauer von 20 Jahren Teile des amerikanischen Marktes für Airbus Industries effektiv geschlossen würden. Im übrigen hätten Verträge mit derart langer Laufzeit ihre ökonomische Belastbarkeit erst noch beweisen müssen. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit der EU-Kommission musste Boeing daher auch Zugeständnisse machen. Es dürfen keine weiteren Exklusivverträge abgeschlossen werden und auch die bestehenden Verträge mit den drei Fluggesellschaften wurden aufgehoben. Kürzere Kontrakte von bis zu fünf Jahren sind dagegen in zahlreichen Branchen verbreitet. Die Unsicherheit der Kunden über die zukünftige Preisentwicklung reduziert man durch Einbau von Preisgleitklauseln, Preisgarantien usw., und erhöht somit die Günstigkeit der langfristigen Bindung. Preisgleitklauseln legen die Preisentwicklung in Abhängigkeit von Indikatoren (zum Beispiel Lebenshaltungsindex usw.) fest. Verträge mit Preisgleitklauseln sollten folgende Regelungen enthalten: ƒ Die benutzten Indizes sollten aus zuverlässigen und neutralen Quellen stammen (zum Beispiel die vom Sachverständigenrat prognostizierte Inflationsrate). ƒ Die der Indexierung unterworfenen Kostenbestandteile (zum Beispiel Materialund Lohnkosten) sollten genau spezifiziert sein.

Die Bedeutung des Preises im CRM

263

ƒ Die Häufigkeit der Preisanpassung (zum Beispiel wöchentlich, monatlich, vierteljährlich, indikatorabhängig) sollte ebenfalls präzise festgelegt werden. Preisgarantien werden im Rahmen von Lieferverträgen, häufig aber auch als separates Instrument eingesetzt. Sie garantieren – wie der Name schon sagt – dem Kunden bestimmte Preise und kommen in folgenden Formen vor: ƒ Dem Kunden wird garantiert, dass er für einen bestimmten Zeitraum denselben Preis bekommt. ƒ Im Handel gibt es Preisgarantien, bei denen der Händler garantiert, dass der Kunde sein Geld zurückerhält, wenn er das identische Produkt bei einem anderen Händler in der gleichen Stadt billiger bekommt (Preisgarantie im engeren Sinne). Es handelt sich damit quasi um eine Niedrigstpreisgarantie. Gelegentlich wird auch die Erstattung der Differenz zu dem niedrigeren Preis zugesichert. ƒ Alternativ wird garantiert, dass der Händler das Produkt zu dem Preis abgibt, zu dem der Kunde das identische Produkt auch woanders kaufen kann. Der Nachweis erfolgt dabei in der Regel durch Vorlage einer entsprechenden Anzeige. Man nennt diese Form in den USA „Price Matching-Plans“. Auch hierbei spielt der Gedanke der Preisdifferenzierung eine Rolle. Diejenigen Käufer, die sich der Mühe eines Preisvergleiches unterziehen, kommen gegebenenfalls in den Genuss des günstigeren Preises. Allerdings ist der Anteil der Käufer, die einen niedrigeren Preis tatsächlich reklamieren, eher gering. Es ist jedoch nicht klar, ob dies daran liegt, dass die Geschäfte, die Price Matching-Pläne offerieren, tatsächlich im Verhältnis zu ihren Konkurrenten besonders preisgünstig sind, oder ob das Einfordern eines niedrigeren Preises den Verbrauchern zu mühsam ist. Das Risiko einer Handels-Preisgarantie wird auch dadurch eingeschränkt, dass sie sich auf identische Artikel bezieht. Der Kunde muss also exakt den gleichen Artikel an anderer Stelle preisgünstiger angeboten finden. Die Firma Binhold, Weltmarktführer bei anatomischen Lehrmitteln, hat sogar eine weltweite Preisgarantie. Sie hat sich nicht nur als Kundenbindungsinstrument bewährt, sondern funktioniert auch hervorragend als System zur Information über Konkurrenzpreise (Simon 1996). Die Gefahr von Preisgarantien besteht darin, dass eine Preisspirale nach unten in Gang gesetzt wird. Falls ein Wettbewerber über den Preis angreifen will und den aktuellen Preis des Unternehmens unterbietet, muss das Unternehmen wegen der Preisgarantie folgen, um den Kunden zu halten. Insofern macht sich der Garantiegeber vom Verhalten der Konkurrenz abhängig. Ein positiver Nebeneffekt von Preisgarantien ist der, dass ein Unternehmen von vergleichenden Kunden aus erster Hand Informationen zu Konkurrenzpreisen erhält.

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Georg Tacke, Felix Krohn

Umsetzung, Information, Systeme

Wir haben bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, dass Information ein grundlegender Bestandteil eines erfolgreichen Einsatzes der jeweiligen Methoden ist. Falls ein Unternehmen gezielt mit Hilfe der Preispolitik Kunden binden will, ist es erforderlich, entsprechende Systeme zur Information, Implementation und Kontrolle zu installieren. Folgende Aspekte sollten bei der Organisation der Preisfindung im Unternehmen im Hinblick auf Informationen, Abläufe, Strukturen und das Vorgehen bei der Umsetzung beachtet werden: ƒ Wichtigste Basisinformation für ein optimales CRM-Pricing neben den aktuellen kundenindividuellen Absatz- und Umsatzzahlen ist die ungefähre Kenntnis der Preiselastizität verschiedener Kundensegmente, das heisst die Reaktion dieser Segmente auf Veränderung einzelner Preiskomponenten. Ohne die systematische Berücksichtigung der Preiselastizität im Preisfindungsprozess bleibt die Gestaltung einer optimalen Preisstruktur Zufall. Heute gibt es verschiedene Methoden, um Preiselastizitäten beziehungsweise Reaktionen der Kunden auf bestimmte Preisstrukturen valide zu messen. Z.B. besteht die Möglichkeit, Kundenreaktionen in einem systematischen Expert Judgement-Prozess mit einem internen Expertenteam zu schätzen. ƒ Die Preissenkung zur Erhöhung der Kundenbindung bedeutet häufig einen kurzfristigen Deckungsbeitragsverlust bei loyalen Kunden, wobei dieser auch durch eine Mehrnachfrage kompensiert werden kann. Dieser Deckungsbeitragsverlust ist als eine Art Investition in die größere Kundenbindung zu interpretieren. Das Ausmaß sollte präzise quantifiziert und dem Bindungseffekt gegenübergestellt werden. Eine solche Gegenüberstellung macht die Zusammenhänge für die Beteiligten klarer und erleichtert die Entscheidung. ƒ An der Preisfindung und an der Etablierung von CRM-Systemen müssen sowohl die Funktionen Marketing/Vertrieb als auch Finanz- und Rechnungswesen/Controlling beteiligt werden. Es ist entscheidend, dass diese beiden Funktionen konstruktiv zusammenarbeiten. ƒ Große Aufmerksamkeit muss der Kommunikation bindungswirksamer Preissysteme geschenkt werden. Nur wenn die Kunden das Preissystem verstehen und richtig nutzen, wird der gewünschte Kundenbindungseffekt erzielt. ƒ Die Delegation von Preiskompetenzen an den Außendienst sollte vorsichtig gehandhabt werden. Hier besteht insbesondere bei der nichtlinearen Preisbildung und Rabattgewährung die Gefahr, dass von Vertriebsmitarbeitern Rabatte lediglich zur Vereinfachung von Vertragsabschlüssen und unter Vernachlässigung von Kundenbindungseffekten gewährt werden. Unterstützende Tools für den Vertrieb aber auch zu Monitoring-/Controllingzwecken sind hier wichtig. ƒ Bei vielen Methoden der Preisdifferenzierung zum Zwecke einer verstärkten Kundenbindung ist es wichtig, die juristische Zulässigkeit zu überprüfen. Mit

Die Bedeutung des Preises im CRM

265

dem Fall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung in Deutschland hat sich der Spielraum für Vergünstigungen zur Belohnung von Kundentreue stark erweitert. Für marktbeherrschende Unternehmen (Indikator: Marktanteil > 33%) bleiben dennoch Einschränkungen, die bei der Entwicklung eines Kundenbindungsprogramms unbedingt zu berücksichtigen sind. ƒ Wichtig sind Monitoring und Preiscontrolling. Es sollte permanent geprüft werden, ob die erwarteten Kundenbindungseffekte eintreten; Plan- und Ist-Werte für die Kosten-Nutzen-Relation sind zu vergleichen. Nur durch permanentes Preiscontrolling ist es möglich, die Preisstruktur regelmäßig anzupassen und zu optimieren. Fehlt ein solches Preiscontrolling, beobachten wir häufig ein komplexes, ausgewuchertes Preissystem, bei dem niemand wagt, alte Zöpfe abzuschneiden (weil die Wirkung unbekannt ist), aber permanent neue Komponenten zur Stärkung der Kundenbindung hinzugefügt werden.

4

Zusammenfassung

CRM ist keine Software und keine Datenbank, sondern ein ganzheitlicher Ansatz zur Unternehmensführung basierend auf den Interaktionen mit Ihren Kunden. Neben anderen modernen Marketinginstrumenten bietet auch das Pricing intelligente Optionen zur Vertiefung der Kundenbindung und verbesserter Ausschöpfung der sich ergebenden Potenziale. Pricing und CRM ist jedoch ein Zusammenhang, der bisher nur ungenügend theoretisch erforscht, geschweige denn empirisch durchdrungen wurde. Der Anbieter gewährt Preiskonzessionen, die der Kunde in Form höherer Mengen, Umsätze, Lieferanteile, Treue usw. honoriert. Für beide Partner kann eine „Win-win-Situation“ entstehen. Diese lässt sich jedoch nur durch größere Anstrengungen im Hinblick auf Information und intelligente Pricing-Systeme ausschöpfen.

Literaturverzeichnis Dolan, R.; Simon, H. (1996): Power Pricing, New York. Firner, H.; Tacke, G. (1993): BahnCard – Kreative Preisstruktur, in: Absatzwirtschaft, Nr. 5, S. 66-70. Simon, H. (1992): Preismanagement – Analyse, Strategie, Umsetzung, Wiesbaden. Simon, H. (1996): Die heimlichen Gewinner – Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Frankfurt/Main. Simon, H.; Lauszus, D. (2001): Pricing Strategy and the Euro, in: European Business Forum, Issue 8, S. 67-70.

266

Georg Tacke, Felix Krohn

Simon, H.; Schumann, H. (2000): Pricing in the Digital Age, in: The Journal of Professional Pricing, Vol. 9, No. 2, S. 7-14. Simon, H.; Tacke, G. (1992): Mit nichtlinearer Preisbildung zu höherem Gewinn, in: Harvard Manager, Nr. 4, S. 48-62. Simon, H.; Tacke, G.; Woscidlo, B. (1998): Mit einfallsreicher Preispolitik die Kunden binden, in: Harvard Business Manager, Nr. 2, S. 94-103. Stadie, E. (2003): Von den Amerikanern lernen, in: Absatzwirtschaft, Nr. 3, S. 34. Tacke, G. (1989): Nichtlineare Preisbildung: Höhere Gewinne durch Differenzierung, Wiesbaden. Wübker, G.; Buckler, F. (2002): Customer Relationship Management: Worauf kommt es an?, in: Direkt Marketing, Nr. 5, S. 26-31.

Zweiter Teil

Die Kundenbeziehung als zentrales Element des CRM

Ralf Terlutter

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen 1

Beiträge der Verhaltenswissenschaften zur Analyse von Kundenbeziehungen

2

Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Kundenzufriedenheit

3

Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Kundenbindung 3.1 Die Bedeutung der psychologischen Bindungsfaktoren 3.2 Konzeptionalisierung der Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht 3.3 Emotionen, Motivationen und Einstellungen als Basis der Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht

4

Grundlegende austauschtheoretische Aspekte von Kundenbeziehungen

5

Sach- und Erlebniskomponenten von Kundenbeziehungen

6

Ausgewählte sozialtechnische Implikationen für das Marketing

Literaturverzeichnis

1

Beiträge der Verhaltenswissenschaften zur Analyse von Kundenbeziehungen

Unter Verhaltenswissenschaften können nach Kroeber-Riel/Weinberg (2003, S. 8) alle Wissenschaften verstanden werden, die sich auf das menschliche Verhalten beziehen. Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz zieht damit Erkenntnisse aus einer Vielzahl unterschiedlicher Forschungsdisziplinen heran. Bei der verhaltenswissenschaftlichen Untersuchung von Kundenbeziehungen geht es vor allem um die Analyse von Faktoren, die Grundlage einer dauerhaften und erfolgreichen Kundenbeziehung sind, sowie um die innerhalb einer Anbieter-Kunde-Beziehung ablaufenden psychischen Prozesse und Verhaltensweisen. Dabei beziehen verhaltenswissenschaftliche Analysen meist eine Nachfragersicht, d.h., in erster Linie werden Prozesse beim Kunden untersucht. Für die Analyse von Kundenbeziehungen sind Erkenntnisse der Zufriedenheitsforschung, der Einstellungs-, Motivations- und Emotionsforschung sowie der Austauschtheorien von besonderer Relevanz. In Wissenschaft und Praxis zieht das Denken in systematischen und auf Langfristigkeit angelegten Kundenbeziehungen ein immer stärkeres Interesse auf sich (Diller 1995). Prägnant hat Grönroos (1994, 2000) diese Entwicklung mit einem Paradigmenwechsel vom transaktionsorientierten Marketing zum Relationship Marketing formuliert. Bruhn (2001, S.10 f.) unterscheidet zwei Ausgestaltungsformen des Relationship Marketing: (1) Das Relationship Marketing im engeren Sinne betrifft ausschließlich Kundenbeziehungen. (2) Das Relationship Marketing im weiteren Sinne betrifft die Beziehungen des Unternehmens zu sämtlichen Anspruchsgruppen (vgl. auch Gordon 1998). Der vorliegende Beitrag legt den Fokus auf die Kundenbeziehungen (Punkt 1). Betrachtet man die Kundenbeziehungen, liegt eine Wirkungskette vor, die als Ausgangspunkt vom Anbieter initiierte kundenorientierte Maßnahmen (z.B. Besuch des Kunden, Direct Mail, Kundenkarte) hat. Auf die Maßnahmen folgen Kundenreaktionen (wie Kundeninteresse/-desinteresse, Kundenzufriedenheit/-unzufriedenheit, Kauf/Nichtkauf). Diese Kundenreaktionen ihrerseits haben dann wieder Auswirkungen auf Erfolgsgrößen des Anbieters (z.B. ökonomischer Erfolg/Misserfolg). Bruhn (2001) spricht von „Erfolgsketten“, die die aus Kunden- und aus Anbietersicht relevanten Aspekte von Kundenbeziehungen strukturieren (vgl. auch Storbacka et al. 1994; Heskett et al. 1997; Anderson/Mittal 2000). Die Kundenbeziehungen bestehen aus einer Vielzahl einzelner Transaktionen, deren Steuerung Gegenstand des Relationship Marketing ist (Liljander/Strandvik 1995). Wesentlich für den Denkansatz des Relationship Marketing ist es, dass nicht einzelne Transaktionen zur Beeinflussung von Kunden im Fokus des Interesses stehen, sondern die aus vielen Transaktionen bestehende Beziehung zum Kunden, die für die beteiligten Parteien längerfristig erfolgreich sein soll.

272

Ralf Terlutter

Die grundlegende Struktur einer Erfolgskette besteht demnach aus: (1) Unternehmensaktivitäten als Input des Unternehmens (2) Wirkungen der Unternehmensaktivitäten beim Kunden (3) ökonomischen Erfolgen als Output des Unternehmens Diese drei Größen werden durch unternehmensinterne und -externe Faktoren beeinflusst.

Überblick über die Erfolgskette Anbieter

Kunde

Anbieter

Kundengrößen

Maßnahmen des Unternehmens

- psychische Prozesse - Kundenverhalten

Erfolgsgrößen im Unternehmen

Wichtige Variablen: - Kundenzufriedenheit - Kundenbindung

Beeinflussende Faktoren

Abb. 1: Überblick über die Erfolgskette Die Verhaltenswissenschaften liefern vor allem Erkenntnisse über die Kundengrößen im Rahmen der Erfolgskette. Die beim Kunden ablaufenden Prozesse folgen dem neobehavioristischen SOR-Schema. Auf den Stimulus des Anbieters (S) folgen psychische Prozesse des Kunden wie zum Beispiel Wahrnehmung, Aktivierung, Motivation (O) und daraufhin Reaktionen des Kunden wie Hinwendung zur Maßnahme des Anbieters oder Kauf (R). Bei der Analyse der Kundengrößen im Rahmen der in Abb. 1 dargestellten Erfolgskette haben sich vor allem die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung als besonders bedeutsame Konstrukte für die verhaltenswissenschaftlich fundierte Analyse von Kundenbeziehungen erwiesen. Daneben gibt es eine große Anzahl verwandter Konstrukte, die Aspekte von Kundenbeziehungen untersuchen und oftmals eine enge inhaltliche

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

273

Ähnlichkeit zu Kundenzufriedenheit und Kundenbindung aufweisen, wie Kundennähe (z.B. Albers 1989; Homburg 2000) oder Kundenloyalität (z.B. Dick/Basu 1994; Reichheld 1996).

2

Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Kundenzufriedenheit

Kundenzufriedenheit ist eine Variable, die als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Kundenbeziehungen angesehen wird und den langfristigen Erfolg von Unternehmen mitdeterminiert (z.B. Oliver 1999; Homburg et al. 2000b, S. 93 ff.; Anderson/ Sullivan 1993; Halstead/Page 1992; Zeithaml et al. 1996; Mittal et al. 1999; vgl. zu einer zusammenfassenden Darstellung auch Homburg/Stock 2001). Dabei geht man davon aus, dass sowohl die psychischen Variablen des Kunden (wie Einstellung, Vertrauen) als auch die daraus resultierenden Verhaltensvariablen (wie Wiederkaufsverhalten, Weiterempfehlung, Cross Selling) durch Kundenzufriedenheit positiv beeinflusst werden. Es hat sich gezeigt, dass die Erreichung von Kundenzufriedenheit vor allem in Märkten mit starkem Wettbewerb ein wichtiges Unternehmensziel darstellt (Fornell 1992). Meist geht man in der Zufriedenheitsforschung vom C/D-Paradigma aus (Churchill/ Surprenant 1982; Oliver 1997, 1999), das einen integrativen Rahmen für die Analyse von Zufriedenheit darstellt (zum Teil findet man auch abweichende Terme, wie z.B. Consumer Satisfaction/Dissatisfaction (CS/D), vgl. Hunt 1977). Unter dem C/D-Paradigma lässt sich eine größere Anzahl spezieller Ansätze und Konzepte mit verwandter Struktur der Entstehung von Zufriedenheit subsumieren (vgl. auch Homburg/Stock 2001). Nach dem C/D-Paradigma ist Zufriedenheit (oder Unzufriedenheit) das Resultat eines Vergleichsprozesses, bei dem die vor dem Kauf oder der Nutzung einer Leistung bestehenden Erwartungen des Kunden mit der tatsächlich erfahrenen Leistung verglichen werden. Stimmt die tatsächliche Leistung mit den Erwartungen überein, kommt es zur Bestätigung (Confirmation). Die meisten Autoren gehen davon aus, dass aus Bestätigung Zufriedenheit des Kunden resultiert. Andere Autoren (z.B. Hill 1986) sind der Meinung, dass bei Bestätigung der Erwartungen eher Indifferenz entsteht und dass zur Erreichung von Zufriedenheit die Erwartungen übertroffen werden müssen. Stimmen Erwartungen und Leistungen nicht überein, kommt es zur Nicht-Bestätigung (Disconfirmation). Übersteigt die tatsächliche Leistung die Erwartungen (positive Disconfirmation), kann es nicht nur zur Zufriedenheit des Kunden, sondern sogar zur Kundenbegeisterung kommen (vgl. dazu Rust/Oliver 2000; Ngobo 1999, die die Auswirkungen von Kundenbegeisterung weiter untersuchen). Eine Untererfüllung der Erwartungen (negative Disconfirmation) führt zur Nichtzufriedenheit. Der Vergleich der tatsächlich erfahrenen Leistung mit den Erwartungen an die Leistung zeigt, dass die Zufriedenheit eines Kunden auch vom Anspruchsniveau des Kunden abhängig ist (Oliver 1997, S. 14). Der

274

Ralf Terlutter

Vergleichsstandard, der mit der erlebten Leistung verglichen wird, kann unterschiedlich sein (vgl. z.B. Cadotte et al. 1987; Tse/Wilton 1988; Parasuraman et al. 1994; Johnson et al. 1995). Eine Anbieter-Kunde-Beziehung ist eine Folge von Kontakten zwischen dem Anbieter und dem Kunden. Bei der Analyse von Kundenzufriedenheit kann unterschieden werden, ob sich die Zufriedenheit auf einen einzelnen Kontakt, auf einzelne Transaktionen innerhalb einer Inanspruchnahme einer Leistung bezieht oder ob die Zufriedenheit eine kumulative Größe aus allen mit einem Anbieter gemachten Erfahrungen darstellt (Anderson et al. 1994; Fornell et al. 1996; Oliver 1997; Johnson et al. 1995; Stauss/ Seidel 2001). Die kumulative Zufriedenheit eines Kunden kann als Einstellung, also als eine relativ stabile psychische Prädisposition dem Anbieter gegenüber aufgefasst werden (zur Einstellungsforschung vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 168 ff.). Die kumulierte Kundenzufriedenheit, die eine Einstellung ausdrückt, ist für die Analyse von Kundenbeziehungen und Kundenbindung von übergeordneter Bedeutung (vgl. auch Homburg et al. 2003b, S. 95).

3

Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Kundenbindung

Neben der Kundenzufriedenheit ist die Kundenbindung eine weitere zentrale Variable für die Analyse von Kundenbeziehungen im Rahmen der Erfolgskette eines Unternehmens. Bevor die Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive genauer konzeptionalisiert wird, wird zunächst auf die Bedeutung einer verhaltenswissenschaftlich fundierten Analyse von Kundenbindung eingegangen.

3.1

Die Bedeutung der psychologischen Bindungsfaktoren

Die Bedeutung einer verhaltenswissenschaftlichen Analyse der Kundenbindung ergibt sich vor allem aus der Bedeutung der psychischen Prozesse des Kunden, die zur Kundenbindung führen. Kundenbindung lässt sich nach einem Typologisierungsansatz von Meyer/Oevermann (1995, Sp. 1340 ff.) auf fünf Ursachen zurückführen, auf (1) situative Bindungsursachen (z.B. der günstige Standort eines Anbieters aus Kundensicht), (2) vertragliche Bindungsursachen (z.B. die 24-Monatsverträge von Mobilfunkanbietern), (3) ökonomische Bindungsursachen (z.B. aufgrund hoher Wechselkosten), (4) technisch-funktionale Bindungsursachen (z.B. aufgrund einer einheitlichen Software) und

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

275

(5) psychologische Bindungsursachen (z.B. aufgrund von Kundenzufriedenheit oder persönlichen Beziehungen). Den psychologischen Bindungsursachen kommt für die Kundenbindung eine übergeordnete Bedeutung zu (Weinberg/Terlutter 2003). Sie sind bei praktisch allen weiteren Bindungsursachen beteiligt: ƒ Die psychologischen Bindungsursachen sind Folge der übrigen vier Bindungsursachen bzw. begleiten diese. Im positiven Fall unterstützen sie die Bindung durch die weiteren Ursachen, im negativen Fall können sie der Bindung des Kunden an das Unternehmen entgegenstehen. Beispielsweise kann eine Bindung des Kunden durch technische Standards beim Kunden zu einem Gefühl der unfreiwilligen Gebundenheit und Unzufriedenheit führen. Der Standortvorteil eines Anbieters (situative Bindungsursache) führt zur habitualisierten Wahl des Anbieters oder eine auf ökonomischen Faktoren beruhende Kundenbindung führt zu psychischen Wechselkosten, die als hoch empfunden werden und zu Unzufriedenheit führen. Situative, vertragliche, ökonomische und technisch-funktionale Bindungsursachen werden praktisch immer von psychischen Determinanten begleitet. ƒ Die psychologischen Bindungsursachen sind Determinanten der weiteren Bindungsursachen (sie ermöglichen die weiteren Bindungsursachen erst). Beispielsweise führt erst das Gefühl einer Bindung aufgrund eines partnerschaftlichen Verhältnisses in der Anbahnungsphase einer Kooperation oder das Gefühl von Vertrauen oder Zufriedenheit zum Abschluss eines Vertrages oder zur Einwilligung in bestimmte technische Standards. ƒ Die psychologischen Bindungsursachen bestimmen wesentlich die Fortführung von Kundenbeziehungen, wenn die Grundlagen der übrigen Bindungsursachen entfallen. Läuft beispielsweise der 24-Monatsvertrag mit einem Mobilfunkanbieter aus, entscheiden die psychologischen Bindungsfaktoren (z.B. aufgrund von Zufriedenheit) wesentlich über das Ausmaß der Kundenbindung und die Fortführung der Kundenbeziehung. Weinberg/Terlutter (2003) bezeichnen die psychologischen Bindungsursachen deshalb als eine Art „Superdimension“, die immer auch beim Vorhandensein der anderen Bindungsursachen beteiligt ist. Die große Bedeutung der psychologischen Bindung wird auch durch Ergebnisse einer im Jahr 2002 durchgeführten Befragung des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes von 686 Unternehmen in Deutschland, USA und Asien gestützt, nach denen den psychologischen Aspekten einer Kundenbindung eine größere Bedeutung beigemessen wurde als den übrigen Bindungsursachen (vgl. Abb. 2).

276

Ralf Terlutter

Bedeutung der Bindungsursachen Bindungsursachen situativ/marktseitig

3,43

vertraglich

3,24

ökonomisch technisch-funktional

3,30 3,14

psychologisch

4,21 1

2

3

4

5

Basis: n = 686 Unternehmen Frage: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie ein Unternehmen versuchen kann, Kunden an sich zu binden. Bewerten Sie bitte, für wie bedeutsam Sie die folgenden fünf Möglichkeiten halten, einen Kunden in Ihrer Branche an das Unternehmen zu binden. Wenn Sie die Möglichkeit für sehr bedeutsam halten, bewerten Sie sie bitte mit 5, wenn Sie sie für wenig bedeutsam halten, bitte mit 1. Zwischen diesen Werten können Sie wiederum Abstufungen vornehmen. • Technologische Bindungen (z.B. gemeinsame Technologie, gemeinsame Software oder ITPlattform, ...) • Vertragliche Bindungen (z.B. langfristige Rahmenverträge, ...) • Psychologische Bindungen (z.B. durch Vertrauensverhältnis von Anbieter und Kunde, Zufriedenheit des Kunden, Partnerschaftliches Verhältnis, ...) • Ökonomische Bindungen (z.B. über Preise oder Verursachung von hohen Wechselkosten beim Kunden, z.B. über Vorinvestitionen, die der Kunde leistet, ...) • Marktseitige Bindungen (z.B. Standortvorteile des Anbieters aus Sicht des Kunden, ...) Die Daten wurden in Kooperation mit der Droege&Comp. AG, Düsseldorf erhoben. Der Dank des Verfassers gilt Herrn Dr. Andreas Kricsfalussy, Partner.

Abb. 2: Einschätzung der Bedeutung verschiedener Bindungsursachen aus Unternehmenssicht Quelle: Weinberg/Terlutter 2003

Die große Bedeutung der psychologischen Faktoren für die Kundenbindung zeigt die Notwendigkeit einer umfassenden Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse auf den Forschungsbereich der Kundenbindung.

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

3.2

277

Konzeptionalisierung der Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht

Unter dem Begriff der Kundenbindung werden in vielen Konzeptionalisierungen zum einen das bisherige Verhalten eines Kunden und zum anderen die zukünftigen Verhaltensabsichten eines Kunden gegenüber dem Anbieter subsumiert (z.B. Homburg/Bruhn 2003; Homburg et al. 2003a). Damit drückt sich Kundenbindung in tatsächlich gezeigtem Verhalten oder in sehr „verhaltensnahen“ psychischen Konstrukten aus. Damit liegt ein operables Konzept vor, das allerdings aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht eher an den (vom Anbieter gewünschten) Resultaten einer Kundenbindung ansetzt, nicht jedoch an den Ursachen der Kundenbindung selbst. Aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive wird das Konstrukt der Kundenbindung weiter gefasst (Weinberg/Terlutter 2003). Aus Kundenperspektive kann Kundenbindung als ein psychisches Konstrukt der Verbundenheit oder Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen Person oder einem Unternehmen verstanden werden. Kundenbindung kann auch ein Zustand der Gebundenheit sein, wobei dieser Zustand immer mit psychischen Konsequenzen einhergeht (zur Unterscheidung von Kundenbindung durch Verbundenheit versus Gebundenheit vgl. Bliemel/Eggert 1998). Der Definitionskern von Kundenbindung liegt damit auf dem inneren Zustand eines Individuums (vgl. Kap. 3.3). Ist ein Kunde dem Unternehmen verbunden, ist die Kundenbindung freiwillig und beruht meist auf der Zufriedenheit des Kunden. Ist der Kunde an das Unternehmen gebunden, kann die Bindung sowohl freiwillig als auch unfreiwillig sein. Gebundenheit bedeutet, dass sich der Kunde in seiner zukünftigen Wahlfreiheit eingeschränkt sieht (Eggert 1999, S. 52). Ein Beispiel für eine unfreiwillige Gebundenheit ist ein Vertrag, den der Kunde gern auflösen würde, weil er mit den Leistungen des Anbieters nicht mehr zufrieden ist. Ein Beispiel für eine Gebundenheit, die der Kunde freiwillig eingeht, ist der Abschluss eines Vertrages bei ohnehin guter Einstellung einem Anbieter gegenüber. Hier kann Gebundenheit auch mit Verbundenheit und/oder Verpflichtung einhergehen. Das Gefühl der Verpflichtung kann ebenfalls positiv oder negativ empfunden werden. Kundenbindung, die auf einem Gefühl von Verbundenheit und/oder positiv empfundener Verpflichtung beruht, löst von Seiten des Kunden den Wunsch nach einer dauerhaften Geschäftsbeziehung aus, in die sich der Kunde selbst einbringt. Diese Konzeptionalisierung von Kundenbindung findet sich auch in der Alltagssprache wieder, wenn unter zwischenmenschlichen Bindungen ein „Wir-Gefühl“ verstanden wird, dem im positiven Fall ein Bedürfnis nach gegenseitiger Verbundenheit und eine gegenseitige Wertschätzung zugrunde liegt und mit dem eine positive Verhaltensdisposition verbunden ist (Weinberg/Terlutter 2003). Das tatsächlich geäußerte Verhalten ist Resultat und Ausdruck der psychischen Kundenbindung.

278

3.3

Ralf Terlutter

Emotionen, Motivationen und Einstellungen als Basis der Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht

Liegt der Definitionskern von Kundenbindung auf dem inneren Zustand eines Kunden, lässt sich Kundenbindung auf das System der psychischen Variablen, wie es von Kroeber-Riel/Weinberg (2003) vorgeschlagen wird, zurückführen. Nach Kroeber-Riel/ Weinberg (2003) können die psychischen Prozesse des Menschen in primär aktivierende und in primär kognitive Prozesse unterteilt werden. Als aktivierend werden Prozesse bezeichnet, die mit inneren Erregungen verbunden sind und das Verhalten des Individuums antreiben. Als kognitiv werden Prozesse bezeichnet, durch die das Individuum Informationen aufnimmt, verarbeitet und speichert. In der Regel hat man es beim Menschen mit komplexen Prozessen zu tun, bei denen sowohl aktivierende als auch kognitive Komponenten beteiligt sind. Als aktivierend werden die Prozesse bezeichnet, bei denen die aktivierende Komponente dominant ist. Die Kundenbindung aus Perspektive der Verhaltenswissenschaften wird den aktivierenden Prozessen zugeordnet (Weinberg/Terlutter 2003). Es bietet sich daher an, das bewährte System der psychischen Variablen (Kroeber-Riel/Weinberg 2003) für die weitere Analyse der Kundenbindung heranzuziehen. Die aktivierenden Prozesse werden dabei weiter unterteilt in: ƒ Emotionen (innere Erregungsvorgänge, die angenehm oder unangenehm erlebt werden), ƒ Motivationen (Emotionen mit kognitiver Zielorientierung), ƒ Einstellungen (Motivationen mit kognitiver Gegenstandsbeurteilung). Kundenbindung ist (im positiven Fall) zum Beispiel bereits das Gefühl der Verbundenheit (Emotion), das mit Motivationen einhergeht, sich weiterhin in der Geschäftsbeziehung zu engagieren. Weiterhin liegen der Kundenbindung positive Einstellungen gegenüber dem Anbieter zugrunde. Die Motivation, eine Bindung einzugehen, kann auf die Motivationshierarchie, wie sie von Maslow (z.B. 1970) vorgeschlagen wurde, zurückgeführt werden. Die Motivationshierarchie von Maslow unterstellt, dass es Bedürfnisse mit unterschiedlicher Bedeutung für den Menschen gibt, die sich hierarchisch gliedern lassen. Am wichtigsten für den Menschen sind nach Maslow die Befriedigung grundlegender biologischer Bedürfnisse (Hunger, Durst) sowie darauf folgend die Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen. Darauf folgen soziale Motive wie Zuneigung, Liebe und Geltung, die die Einbettung des Individuums in zwischenmenschliche Beziehungen betreffen und für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand besonders relevant sind. Die höchste Stufe stellt nach Maslow das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung dar. Die Motivationen, die aus den Bedürfnissen der einzelnen Stufen resultieren, werden, folgt man dem Maslow´schen Ansatz, beginnend auf der niedrigsten Stufe der biologischen Bedürfnisse nacheinander

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

279

und hierarchisch wirksam. Diese strenge Hierarchie der Bedürfnisbefriedigung wird allerdings relativiert, auch von Maslow selbst. Die Reihenfolge der Bedürfniskategorien gilt nicht immer. Es gibt Individuen, denen sind soziale Motive wie z.B. enge zwischenmenschliche Bindungen wichtiger als Sicherheitsmotive. Weiterhin muss eine Bedürfniskategorie nicht erst vollständig befriedigt sein, bevor die Befriedigung der nächsten Kategorie angestrebt wird. Wird der Motivationsbegriff um kognitive Variablen erweitert, kann eine Geschäftsbeziehung von Kundenseite als ein Ziel-Mittel-Zusammenhang gesehen werden. Die Kundenbeziehung ist Mittel (= kognitive Interpretation), um das Ziel der Befriedigung ökonomischer und persönlicher Bedürfnisse (= Motivation) zu erreichen. Diese Auffassung entspricht dem Einstellungsbegriff, wie er von Kroeber-Riel/Weinberg (2003, S. 168 ff.) verwendet wird. Einstellungen werden nach der Means-End-Analyse als die subjektiv wahrgenommene Eignung von Objekten zur Befriedigung einer Motivation definiert. Objekte können dabei auch Personen, Institutionen oder Handlungen sein. Einstellungen sind relativ stabile und überdauernde emotional und kognitiv fundierte Urteile, die durch Lernen erworben werden. Nach der Drei-Komponenten-Theorie umfassen Einstellungen neben den affektiven (emotionalen, motivationalen) und kognitiven Komponenten noch eine Verhaltenskomponente. Aus der stärkeren positiven oder negativen Einschätzung des Geschäftspartners oder der Geschäftsbeziehung folgt die entsprechende Bereitschaft, sich als Kunde in einer bestimmten Weise zu verhalten, zum Beispiel die Kundenbindung zu intensivieren und die Partnertreue zu erhöhen. Damit können die Verhaltensabsichten in der eingangs vorgestellten Konzeptionalisierung auch als Verhaltenskomponente der Einstellungen aufgefasst werden. Sowohl die Motivation als auch die Einstellung im Rahmen der Kundenbindung sind verknüpft mit Emotionen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003), die der Kunde in der Anbieter-Kunde-Beziehung empfindet. Beispielsweise kann es sein, dass die Befriedigung des Bindungsbedürfnisses gesucht wird, weil sie mit angenehmen Emotionen verknüpft ist. Eine Bindung durch technische Standards, mit denen der Kunde unzufrieden ist, führt möglicherweise zu negativen Emotionen wie Ärger. Emotionen können sich nach Kroeber-Riel/Weinberg (2003, S. 105) auf den Dimensionen Stärke, Richtung, Qualität und Bewusstsein ausdrücken. Stärke gibt dabei die Höhe der mit den Emotionen verbundenen Aktivierung an, die Richtung, ob die Emotionen als angenehm oder unangenehm empfunden werden, und die Qualität die Emotionsinhalte, also z.B. Vertrauen, Freude. Die Dimension Bewusstsein gibt an, inwieweit die Emotionen auch bewusst werden. Der Vorteil der Einbeziehung der psychischen Variablen Emotionen, Motivationen und Einstellungen in die Analyse von Kundenbindung liegt auch darin, dass sozialtechnische Implikationen für die Beeinflussung der Kundenbindung abgeleitet werden können. Aus dem Zusammenspiel von Emotionen, Motivationen und Einstellungen können Einsichten gewonnen werden, wie die Kundenbindung beeinflusst und gesteigert werden kann. Ziele sozialtechnischer Beeinflussung sind beispielhaft

280

Ralf Terlutter

ƒ die Auslösung von Emotionen, indem z.B. Gefühle wie Vertrauen erzeugt werden, ƒ der Appell an Motivationen, z.B. an das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, oder ƒ die Beeinflussung von Einstellungen, z.B. durch eine hohe Servicequalität. Aus diesen grundlegenden psychischen Variablen beim Kunden resultieren Verhaltensabsichten und tatsächliches Verhalten. Für die Anwendung in Unternehmen bedeutet das, dass die Verhaltensabsichten und das Verhalten über diese grundlegenden psychischen Prozesse beeinflusst werden. Diese Zusammenhänge werden in die Konzeptionalisierung der Kundenbindung integriert. Abb. 3 verdeutlicht die Ausführungen zur Konzeptionalisierung von Kundenbindung aus der hier zugrunde liegenden Sicht.

Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht

Stimuli

Kundenbindungsmaßnahmen

Emotionen Innere psychische Prozesse beim Kunden

• Stärke: Aktivierung • Richtung: Angenehm vs. unangenehm • Emotionsqualität: z.B. Vertrauen, ... • Bewusstsein

Motivationen • Bedürfnis nach Bindung • Bedürfnis nach Akzeptanz (u.a. normativ) • Bedürfnis nach Hedonismus/ Erlebnissen • ...

Verhaltensabsichten

Tatsächliches Verhalten

Einstellungen

Verhalten

Wahrgenommene Zweckeignung des Produktes/ Anbieters, abhängig von: • Produkt-, Servicequalität • Erlebnisvermittlung • ...

• Wiederkaufabsicht • Cross-Buying Absicht • Weiterempfehlungsabsicht

• Wiederkauf • Cross-Buying • Weiterempfehlung

Abb. 3: Konzeptionalisierung der Kundenbindung aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht Quelle: Weinberg/Terlutter 2003

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

281

Der Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung Kundenzufriedenheit wird in der Literatur und in empirischen Forschungen immer wieder als eine Variable identifiziert, die als Voraussetzung für die Bindung von Kunden gesehen wird (Rust/Zahorik 1993; vgl. auch den umfassenden Literaturüberblick bei Homburg et al. 2003b, S. 91 ff. und bei Giering 2000; dort werden auch Variablen berücksichtigt, die mit der Kundenbindung eng verwandt sind, z.B. das Wiederkaufsverhalten oder die Kundenloyalität). Allerdings bestehen unterschiedliche Auffassungen über den funktionalen Verlauf des Zusammenhangs von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung (vgl. z.B. Herrmann/Johnson 1999). Neben der Beeinflussungsrichtung Kundenzufriedenheit auf Kundenbindung kann auch die umgekehrte Wirkrichtung vermutet werden. Dabei kann festgestellt werden, dass der Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung asymmetrisch ist: Loyale Kunden – und damit in der dieser Arbeit zugrunde liegenden Terminologie verbundene Kunden (psychologische Bindungsursache) – sind überwiegend auch zufriedene Kunden, während zufriedene Kunden sich weit weniger häufig auch loyal verhalten (vgl. Oliver 1999; Jones/Sasser 1995).

4

Grundlegende austauschtheoretische Aspekte von Kundenbeziehungen

Da es bei Kundenbeziehungen um Interaktionen von Anbieter und Kunde geht, schließt eine verhaltenswissenschaftliche Betrachtung auch grundlegende austauschtheoretische Aspekte von Kundenbeziehungen ein. Grundlage der austauschtheoretischen Betrachtungen sind die Arbeiten von Blau (1964), Homans (1961) und Thibaut/Kelley (1959). Immer wenn Menschen interagieren, entstehen wechselseitige Beeinflussungen und Abhängigkeiten, da die Handlungen des einen positive oder negative Konsequenzen für den anderen haben. Die Aktivitäten vollziehen sich in einer Art Tauschprozess, in dem die beteiligten Personen je nach Verlauf dieses Prozesses der wechselseitigen Belohnung und Bestrafung unterliegen. Als typische Formen von Belohnungen können nach Foa/Foa (1980, S. 78 ff.) die sechs Kategorien Liebe (Zuneigung, Wärme, Beistand), Status (Prestige, Selbstwert, Selbstachtung), Information (Rat, Meinung, Instruktion, Aufklärung), Geld, Güter und Dienstleistungen unterschieden werden. Dabei gehen die Austauschtheorien davon aus, dass die Individuen, die an der Interaktion beteiligt sind, versuchen, die positiven Konsequenzen ihres eigenen Handelns zu maximieren und die negativen Konsequenzen zu minimieren. Eine grundlegende These der Austauschtheorien besagt, dass Verhaltensweisen, die belohnt werden, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erneut gezeigt werden. Verhaltensweisen, die bestraft werden, treten mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit wieder auf. Dabei geht man häufig davon aus, dass der empfundene Wert einer Belohnung mit

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Ralf Terlutter

der Häufigkeit des Erhalts der Belohnung abnimmt, d.h., die ersten Belohnungen werden als wertvoller empfunden als weitere Einheiten der Belohnung. In der Sozialisation haben die Interaktionspartner Erfahrungen gesammelt, welche Konsequenzen sich unter bestimmten sozialen Bedingungen aus Interaktionen ergeben. Die Bewertung der Konsequenzen von Handlungen hängt von Vergleichsmaßstäben ab, die Individuen aufgrund von Erfahrungen bilden können (Thibaut/Kelley 1959, S. 21 ff.). Das Vergleichsniveau (comparison level (CL)) ist das Niveau von Konsequenzen, das ein Interaktionspartner aufgrund eigener Erfahrung oder aufgrund von Erfahrungen, die durch Beobachtung von Referenzgruppen bzw. -personen gesammelt wurden, mit vergleichbaren Interaktionen als gerechtfertigt ansieht und erwartet. Liegen die Konsequenzen oberhalb des Vergleichsstandards, wird die Interaktion als zufrieden stellend wahrgenommen. Das Vergleichsniveau für Alternativen (comparison level for alternatives (Clalt)) bezeichnet das Niveau an Konsequenzen, das ein Individuum in einer alternativen Beziehung gerade noch zu akzeptieren bereit ist. Die Abhängigkeit von der aktuellen Beziehung nimmt zu, je mehr die Konsequenzen der aktuellen Beziehung die noch tolerierten Konsequenzen der alternativen Beziehung übertreffen. Das Vergleichsniveau für Alternativen beeinflusst die Entscheidung eines Individuums, in der aktuellen Beziehung zu verbleiben oder nicht. Wenn die Konsequenzen der aktuellen Beziehung schlechter ausfallen als das Vergleichsniveau für Alternativen, verlässt die Person mit großer Wahrscheinlichkeit die aktuelle Beziehung. Nach den Austauschtheorien wird eine (freiwillige) Beziehung langfristig nur dann aufrechterhalten, wenn beide beteiligten Parteien von der gegenseitigen Beziehung profitieren, also Belohnungen erhalten. Aspekte der grundlegenden Thesen zur Erklärung und Prognose von Verhalten in Austauschbeziehungen können auf Kundenbeziehungen übertragen werden. Wird ein Kunde in einer Interaktionssituation im Rahmen der Anbieter-Kunde-Beziehung belohnt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Verhalten des Kunden in einer ähnlichen Reizsituation wiederholt. Geht der Kunde von einer zufrieden stellenden Belohnung im Rahmen einer Geschäftsbeziehung aus, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Geschäftsbeziehung. Geschäftsbeziehungen unterliegen sozialtechnischen Regeln (Weinberg 2000, S. 48). Wird gegen diese Regeln z.B. durch Unfreundlichkeit oder mangelnde Empathie des Anbieters verstoßen, beeinträchtigt das die vom Kunden empfundene Belohnung und die Anbieter-Kunde-Beziehung wird als weniger attraktiv eingeschätzt. Damit verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer langfristig erfolgreichen Beziehung. Die Austauschtheorien versuchen, Regeln darüber aufzustellen, wie Austauschprozesse zwischen Anbieter und Kunde verlaufen. Mithilfe dieser Regeln lassen sich Interaktionen beurteilen und es ist möglich, Vorhersagen zu machen, wie sich Anbieter und Kunde in bestimmten Handlungssituationen verhalten werden.

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

5

283

Sach- und Erlebniskomponenten von Kundenbeziehungen

In den Kapiteln zuvor wurden wesentliche verhaltenswissenschaftliche Grundlagen von Kundenbeziehungen dargestellt. Schwerpunktmäßig wurden dabei die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung als wichtigste Konstrukte beim Kunden sowie grundlegende austauschtheoretische Aspekte von Kundenbeziehungen analysiert. Ziel dieses Kapitels ist die Darstellung von Sach- und Erlebniskomponenten im Rahmen von Kundenbeziehungen. Die Produkte eines Anbieters (Sachgüter und Dienstleistungen) bestehen aus Sicht des Kunden aus Sachkomponenten und aus Erlebniskomponenten. Die Sachkomponenten umfassen die technisch-funktionalen Eigenschaften des Angebotes. Im Falle einer Uhr ist dies die korrekte Anzeige der Uhrzeit, im Falle eines Pkw die Sicherstellung der Mobilität von A nach B oder im Falle einer Reparaturdienstleistung die formal korrekte Behebung der aufgetretenen Fehler. Die Sacheigenschaften eines Angebotes sind unter den heutigen Markt- und Kommunikationsbedingungen jedoch immer weniger geeignet, das Angebot von der Konkurrenz zu differenzieren. Der Kunde geht von einer hohen Qualität und einem hohen Reifegrad der technisch-funktionalen Sacheigenschaften aus, die Angebote sind in seinen Augen vielfach austauschbar. Das gilt vor allem im Konsumgüterbereich und oft auch im Business-to-Business-Bereich. Um das Angebot von der Konkurrenz zu differenzieren, kann das Angebot um Erlebniskomponenten bereichert werden. Erlebniskomponenten zielen darauf ab, das Angebot in der Gefühls- und Erfahrungswelt der Kunden zu verankern, und geben dem Angebot einen emotionalen Erlebniswert (Weinberg 1992). Der Kunde prüft, welchen Beitrag ein Angebot zu seinem individuellen Lebensstil leisten kann. Die Erlebniskomponente eines Angebotes bietet dem Kunden eine Möglichkeit, den Lebensstil zu kommunizieren, der gewünscht wird. Beispielsweise dient die Armbanduhr zur Demonstration von Prestige, das Fahren des Pkw vermittelt „Freude am Fahren“ (BMW) und dient der Kommunikation von Erfolg und Sportlichkeit. Bei der Inanspruchnahme einer Reparaturdienstleistung kann der Kunde durch freundliches und zuvorkommendes Personal das Gefühl bevorzugter Behandlung und von Wertschätzung erhalten. Die emotionalen Komponenten tragen wesentlich zur Zufriedenheit mit einem Angebot und zur Bindung des Kunden bei. Bei vielen Produkten des Konsumgüterbereichs sind es fast ausschließlich Erlebniskomponenten, die die Attraktivität eines Angebotes ausmachen (z.B. bei Zigaretten, Kaffee). Die Schaffung von Erlebniskomponenten des Angebotes ist vor allem eine kommunikative Herausforderung. Die Überlegungen zu Sach- und Erlebniskomponenten können auch auf Kundenbeziehungen übertragen werden. Im Rahmen von Kundenbeziehungen sind die Sachkomponenten allerdings nicht so austauschbar wie bei Sachgütern und bieten stärker Möglichkeiten der Differenzierung und der Kundenbindung (Weinberg/Terlutter 2003). Ein

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Ralf Terlutter

professionell arbeitender Kundenservice, der termingenau und kompetent arbeitet, bietet die Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben. Die Beschwerdeabteilung, die eine eingehende Beschwerde nach vorgegebenen Standards verlässlich bearbeitet, kann einen Differenzierungsvorteil darstellen. Allerdings besteht bei der Sachkomponente in einer Kundenbeziehung die Gefahr, dass die Konkurrenz die Leistungsstandards der Sachkomponente imitiert und so der Wettbewerbsvorteil verloren geht. Bei Kundenbeziehungen kommt der Erlebniskomponente ebenfalls eine große Bedeutung zur Differenzierung von der Konkurrenz zu. Durch die Orientierung der Interaktion von Anbieter und Kunde an der Erlebnislinie oder Markenwelt des Unternehmens, z.B. bei der Veranstaltung von Events oder beim Besuch eines Kunden durch den Anbieter, kann das Unternehmen versuchen, auch Erlebnisinhalte innerhalb der Kundenbeziehung zu kommunizieren.

Lebensstilorientierung Kundenbindungskonzepte im Rahmen des Lebensstils in einer erlebnisorientierten Gesellschaft

Erlebnisorientierung Ausrichtung des Angebots (Geschäftsergebnis, Geschäftsbeziehung und Serviceumgebung) am Beitrag zur individuellen Lebensqualität

Psychische Kundenbindung Kundenbindung in Abhängigkeit von Lebensstil und Wertetrends

Verhaltensgrößen der Kundenbindung Anbietertreues Kaufverhalten, Cross Selling, ... als Ausdruck einer zeitlich stabilen Anbieter-Kunde-Beziehung

Abb. 4: Hypothese zum Zusammenhang von Kundenbindung und übergeordneten gesellschaftlichen Determinanten Quelle: Weinberg/Terlutter 2003

Die Vermittlung von Erlebnissen ist deshalb so wichtig, weil in der heutigen Gesellschaft in der zunehmenden Erlebnisorientierung ein grundlegender Wandel gesehen wird (Schulze 2000). Der erlebnisorientierte Mensch strebt nach emotionaler Verwirklichung. Der Wunsch nach einem individuellen Lebensstil findet sich in allen Lebensbe-

Verhaltenswissenschaftliche Beiträge zur Gestaltung von Kundenbeziehungen

285

reichen wieder (Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 114), was auch das berufliche Umfeld umfasst. Diese Erlebnisorientierung wird von Kroeber-Riel/Weinberg (2003, S. 114 ff.) als Ausdruck eines übergeordneten Trends zur Verwirklichung eines individuellen Lebensstils aufgefasst. Für die Erreichung von Kundenbindung als Ausdruck einer stabilen Anbieter-KundeBeziehung können die in Abb. 4 dargestellten Zusammenhänge von Kundenbindung und übergeordneten gesellschaftlichen Determinanten postuliert werden (Weinberg/ Terlutter 2003; vgl. auch Weinberg 2000).

6

Ausgewählte sozialtechnische Implikationen für das Marketing

Unter Sozialtechnik versteht man die Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse zur Gestaltung (Beeinflussung) des sozialen Lebens (Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 35 ff.). Aufbauend auf den Ausführungen der Kapitel zuvor sollen ausgewählte Implikationen für die Gestaltung von Kundenbeziehungen abgeleitet werden. Im Rahmen der Erfolgskette von Unternehmen sind bei den Kundengrößen die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung als wichtige Variablen zur Sicherstellung einer dauerhaften Kundenbeziehung identifiziert worden. Die Kundenzufriedenheit ergibt sich aus einem Vergleich von erwarteter und tatsächlich erfahrener Leistung und ist damit auch vom Anspruchsniveau der Kunden abhängig. Für die Steuerung von Kundenzufriedenheit können damit grundsätzlich zwei Stellhebel identifiziert werden, (1) die Beeinflussung der Erwartungen der Kunden und (2) die Beeinflussung der tatsächlichen Leistung. Darüber hinaus wurde bei der Kundenzufriedenheit unterschieden, ob sich die Zufriedenheit auf einzelne Transaktionen der Kundenbeziehung bezieht oder als kumulative Größe eine zusammenfassende und übergeordnete Beurteilung der Kundenbeziehung darstellt. Für die Analyse dauerhafter Kundenbeziehungen stellt die kumulative Kundenzufriedenheit die relevantere Größe dar. Eine Kundenzufriedenheit mit Teilaspekten der Kundenbeziehung darf deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kunde die gesamte Anbieter-Kunde-Beziehung möglicherweise abweichend einschätzt und ggf. weniger zufrieden ist. Bei der Analyse unterschiedlicher Ursachen, durch die Kunden an ein Unternehmen gebunden werden können, wurde die psychologische Bindungsursache als wichtigste der Ursachen identifiziert. Sie begleitet die weiteren Bindungsursachen (situativ, vertraglich, ökonomisch, technisch-funktional) und entscheidet langfristig über den Fortbestand einer Kundenbeziehung. Ziel einer Kundenbindungsstrategie sollte es deshalb sein, eine gegenseitige Verbundenheit von Anbieter und Kunde aufzubauen. Es geht darum, beim Kunden ein „Wir-Gefühl“ zu erzeugen, das Ausdruck des Wunsches nach

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Ralf Terlutter

gegenseitiger Verbundenheit mit dem Anbieter ist, weil der Kunde in der Geschäftsbeziehung die beste Möglichkeit sieht, seine ökonomischen (und auch persönlichen) Bedürfnisse zu befriedigen. Es konnte gezeigt werden, dass sich psychologische Kundenbindung auf die grundlegenden aktivierenden Prozesse des Menschen zurückführen lässt. Zur Beeinflussung der Kundenbindung kann das Marketing demnach versuchen, Emotionen, Motivationen und Einstellungen der Kunden im Sinne einer langfristigen Kundenbeziehung zu beeinflussen. Dazu steht eine Vielzahl bekannter Sozialtechniken zur Verfügung. Kundenbeziehungen bestehen nicht nur aus Sachkomponenten, die die grundlegenden funktionalen Eigenschaften der Kundenbeziehung darstellen, sondern auch aus Erlebniskomponenten, die die Kundenbeziehung emotional beim Kunden verankern sollen. Der Aufbau von Erlebniskomponenten in einer Kundenbeziehung sollte eingebettet sein in den Aufbau einer übergeordneten Erlebnislinie des Unternehmens und betrifft alle Unternehmensbereiche. Der Aufbau einer Erlebnislinie ist damit eine strategische Entscheidung und ermöglicht eine langfristige Differenzierung von der Konkurrenz. Der Wunsch des Kunden nach einem individuellen Lebensstil wurde als eine zentrale Orientierung des Kunden beschrieben. Der Kunde prüft – auch im beruflichen Umfeld –, wie der Beitrag einer Geschäftsbeziehung zum individuellen Lebensstil ist. Der Anbieter kann innerhalb der Geschäftsbeziehung versuchen, zentrale Werte- bzw. Lebensstiltrends aufzugreifen. Dazu bieten sich vor allem erlebnisorientierte Konzepte an. Wenngleich diese Empfehlung vornehmlich für den Konsumgüterbereich gilt, sind Ansatzpunkte auch im Business-to-Business-Bereich zu finden. Die systematische Anwendung von Sozialtechniken, die auf verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, kann unterstützen, eine langfristige Geschäftsbeziehung zu etablieren.

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Roland Kantsperger

Modifikation von Kundenverhalten als Kernaufgabe des CRM 1

Customer Relationship Management und Kundenverhalten

2

Lerntheorien als Ansatzpunkt zur Modifikation des Kundenverhaltens

3

Veränderung des Kundenverhaltens auf Basis des instrumentellen Konditionierens

4

Veränderung des Kundenverhaltens auf Basis des Lernens am Modell

5

Fazit

Literaturverzeichnis

1

Customer Relationship Management und Kundenverhalten

Das Kundenbeziehungsmanagement bzw. Customer Relationship Management (CRM) zählt zu den am meisten diskutierten Themen des Marketing und der Unternehmensführung in den letzten Jahren. Die Standpunkte hierzu sind nicht selten kontrovers. Während manche Protagonisten darin geradezu euphorisch eine Revolutionierung des Marketing oder gar ein grundsätzlich neues Paradigma sehen (Gummesson 1987; Grönroos 1994; Sheth 2000), vermuten andere Autoren hinter dem Konzept lediglich eine Neukombination bekannter Sachverhalte und eine Akzentverschiebung in der aktuellen Diskussion (Backhaus 1997; Sexauer 2002). In Anbetracht der Vielzahl der Veröffentlichungen herrscht, neben partikulären Einsichten, häufig auch noch Unklarheit was genau den Kern des CRM ausmacht. Trotz der Vielzahl von Beiträgen und Definitionsversuchen lassen sich vier grundsätzliche Prinzipien bzw. Zielsetzungen identifizieren (Hettich et al. 2002; Kantsperger 2002). Interaktion und Integration: Kunden nutzen im Kommunikationszeitalter eine Vielzahl von Kanälen und Medien, um mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten. Waren vor noch gar nicht langer Zeit das persönliche Gespräch oder der Brief die Mittel der Wahl, wird von den meisten Kunden der Kontakt über Telefon, E-Mail oder Internet mittlerweile als selbstverständlich angesehen. Hieraus ergibt sich für die Unternehmen die Herausforderung, die an den verschiedenen Kanälen und Kontaktpunkten auflaufenden Informationen mittels einer entsprechenden Infrastruktur zu integrieren und aufzubereiten, um so zu einem „one face of the customer“ und „one face to the customer“ zu kommen und sich vom Wettbewerb zu differenzieren (Hettich et al. 2002; Kantsperger/ Wolff 2002). Differenzierung und Individualisierung: Interaktion und Integration ist in vielen Fällen auch der Schlüssel zur Differenzierung und zum Aufbau einer individualisierten Kundenbeziehung (Sisodia/Wolfe 2001; Dangelmaier et al. 2002). Individualisierung sollte sich nicht auf eine personalisierte Ansprache beschränken oder dem Missverständnis unterliegen, dass die einmal erkannten Kundenbedürfnisse im Zeitablauf automatisch konstant bleiben. Eine feste und dynamische Kundenbeziehung zeichnet sich vielmehr durch das Prinzip einer „learning relationship“ aus. Hierunter versteht man in Analogie zu echten Freundschaften Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunde, die im Zeitablauf fortwährend individueller, intensiver und intelligenter werden und in der Regel auf beiden Seiten zur Realisierung von Effektivitäts- und Effizienzvorteilen führen (Peppers/Rogers 1997; Backhaus 1997; Meyer et al. 1999; Rapp 2000). Langfristigkeit: Reichheld und Sasser konnten in ihrer im Marketing-Bereich vielbeachteten „zero-migration-Studie“ zeigen, dass eine Senkung der Kundenabwanderungsrate um nur 5% zu einer Steigerung des Gewinns je nach Branche von 25-85% führt (Reichheld/Sasser 1990; 1991). Hieraus leitet sich unter der Annahme knapper Ressourcen unmittelbar die Notwendigkeit ab, zunächst die Entwicklung, Pflege und Ausschöpfung bestehender Kundenbeziehungen zu fokussieren, bevor eine Akquisition von Neu-

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Roland Kantsperger

kunden in den Blickpunkt des Interesses rückt. Eine Vielzahl weiterer Studien konnte nachweisen, dass es um ein Vielfaches teurer ist neue Kunden zu werben, anstatt bestehende Kunden zu halten (Rapp 2000; Sexauer 2002). Zudem erweisen sich die mit viel Aufwand geworbenen Neukunden häufig als opportunistische „Schnäppchenjäger“, die bei der nächsten Gelegenheit zu einem Wettbewerber wechseln. Neben der grundsätzlichen Priorisierung des bestehenden Kundenstamms meint das Prinzip der Langfristigkeit aber auch, dass Kunden nicht ausschließlich nach ihren aktuellen oder kurzfristigen Umsätzen, sondern zudem nach ihrem langfristigen Wertpotential für das Unternehmen beurteilt werden. Profitabilität: Der Aspekt der Langfristigkeit leitet nun auch direkt zum Aspekt der Werthaltigkeit von Kundenbeziehungen über. Im Gegensatz zu manchen Übertreibungen der Kundenorientierung in den 80-er und 90-er Jahren kann es nun nicht mehr darum gehen, möglichst jeden Kunden unter weitgehender Vernachlässigung von Kostenund Effizienzgesichtspunkten zufriedenzustellen. Vielmehr ist es für das Unternehmen zielführend wertvolle Kunden zu identifizieren und mit dem Ziel einer hohen Kundenbindung entsprechend zu priorisieren (Cornelsen 2000; Storbacka 2000; Bruhn 2000; Grant/Schlesinger 1995). Dies führt sogar so weit, dass in der Literatur vereinzelt gefordert wird, sich von unprofitablen Kunden zu trennen (Rudolf-Sipötz/Tomczak 2001). Rapp bezieht zu der Problematik wie folgt Stellung (Rapp 2000, S. 90 f.): „Unprofitable Kunden sind keine schlechten Kunden, sondern sie sind deswegen nicht profitabel, weil die Unternehmensstrategie und die Arten der Kundenbehandlung ein nicht rentables Kundenverhalten möglich machen. Kundenprofitabilität ist immer eine Funktion des Gestaltens der Kundenbeziehung, und dieses Verhalten kann auf verschiedenste Arten und Weisen beeinflusst werden.“ Dieses Zitat beinhaltet nun einige interessante Implikationen. Zum einen, dass Kunden nicht per se unprofitabel sind, sondern häufig erst durch ihr Verhalten innerhalb der Geschäftsbeziehung zu unprofitablen Kunden werden. Diese Aussage lässt sich mittels einer Vielzahl von Beispielen aus der Praxis intuitiv gut nachvollziehen. Versandhändler sehen sich mit der Problematik konfrontiert, dass bei manchen Kunden häufig kostenintensive Retouren auftreten. Andere Kunden erreichen einen nur so geringen Bestellwert, dass aufgrund der Versand- und Logistikkosten die enthaltene Gewinnmarge überkompensiert wird. Und Angestellte in vielen Geschäftsbanken verbringen einen guten Teil ihrer teuren Arbeitszeit mit Routineaufgaben wie Überweisungen, Auszahlungen oder Daueraufträgen, obwohl die Kunden diese Transaktionen genauso gut an den wesentlich effizienteren Selbstbedienungsterminals erledigen könnten. Anhand der genannten Beispiele wird somit plausibel, dass Kunden durch bestimmte Verhaltensweisen wie z.B. die Wahl vergleichsweise kostenintensiver Vertriebswege oder durch die permanente und unverhältnismäßige Inanspruchnahme persönlicher Betreuung zu unprofitablen Kunden werden. Eine differenziertere Sichtweise ergibt sich, sofern man einen detaillierteren Blick auf die Bestimmungsfaktoren wirft, die für die Werthaltigkeit einer Kundenbeziehung verantwortlich sind. Cornelsen unterscheidet fünf verschiedene Wertbeiträge des Kunden und nennt hierzu den Umsatz, den Kundenerfolg bzw. Deckungsbeitrag, den Cross-

Modifikation von Kundenverhalten als Kernaufgabe des CRM

295

Selling-Wert, den Referenzwert und den Informationswert (vgl. Abb. 1). Hierbei wählt Cornelsen bewusst den Begriff des Kundenwertes, der eine subjektive Komponente aufweist, da er nur vor dem Hintergrund der jeweils individuellen Unternehmensziele bzw. des unternehmerischen Zielsystems fassbar ist und überhaupt erst bestimmbar wird (Cornelsen 2000, S. 21 ff.).

Kundenerfolg Referenzwert

Umsatz

Kundenwert

CrossSellingWert

Informationswert

Abb. 1: Determinanten des Kundenwerts Quelle: Cornelsen 2000, S. 171

Von Bedeutung ist ferner, dass Cornelsen mit dem Umsatz und dem Deckungsbeitrag nicht nur klassische, monetäre Ziele aufführt, sondern mit Cross-Selling-Wert, Referenzwert und Informationswert auch nicht-monetäre Komponenten berücksichtigt, die sich gleichwohl zumindest potentiell monetarisieren lassen (Cornelsen 2000, S. 30). Hiermit trägt er nicht nur explizit der Tatsache Rechnung, dass Kunden bspw. durch das Aussprechen positiver oder negativer Empfehlungen positive oder negative Wertbeiträge für das Unternehmen leisten können, sondern das auch die Weitergabe von Anregungen, Informationen, Vorschlägen etc. von den Kunden an das Unternehmen ein wesentliches Wertpotential beinhalten kann. Für die Gestaltung der Geschäftsbeziehung ist nun entscheidend, dass sich hinter den einzelnen Werttreibern der Kundenbeziehung jeweils spezifische Verhaltensweisen des Kunden verbergen. Diese Verhaltensweisen des Kunden gilt es im Rahmen des Customer Relationship Management zu identifizieren und nach Möglichkeit so zu beeinflussen, dass die Werthaltigkeit einer Kundenbeziehung gesteigert oder eine nicht werthaltige Kundenbeziehung in eine werthaltige Beziehung transformiert werden kann.

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Roland Kantsperger

Auch Rapp geht in seinem eingangs aufgeführten Zitat offenbar davon aus, dass sich das Kundenverhalten bewusst beeinflussen lässt und somit unprofitable Kunden zu profitablen und werthaltigen Kunden gemacht werden können. Gleichwohl wird der Aspekt der Modifikation des Kundenverhaltens von ihm nicht weiter vertieft. Gegenstand der folgenden Überlegungen ist daher, wie im Rahmen des Customer Relationship Management durch gezielte Maßnahmen, die an den Verhaltensweisen des Kunden ansetzen, die Werthaltigkeit von Kunden verbessert werden kann.

2

Lerntheorien als Ansatzpunkt zur Modifikation des Kundenverhaltens

Begibt man sich auf die Suche nach theoretischen Bezügen, welche die Entstehung und Veränderung des Kundenverhaltens erklären können, so stößt man unmittelbar auf die psychologischen Lerntheorien, die direkt am menschlichen Verhalten ansetzen. Im folgenden soll daher schlaglichtartig untersucht werden, welchen Beitrag ausgewählte Lerntheorien zur Modifikation des Kundenverhaltens Im Hinblick auf eine werthaltige Kundenbeziehung leisten können. Innerhalb der Lerntheorien lässt sich zwischen dem klassischen Konditionieren, dem instrumentellen bzw. operanten Konditionieren, dem kognitiven Lernen sowie dem Lernen am Modell unterscheiden. Während das klassische und das instrumentelle Konditionieren zumindest in ihrer Urform den behavioristischen Lerntheorien zuzurechnen sind, stellt das Modelllernen eine Verknüpfung von behavioristischen und kognitiven Ansätzen dar. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Anwendung des instrumentellen Konditionierens und des Lernens am Modell, die für die Modifikation des Kundenverhaltens sehr offensichtliche und fruchtbare Anknüpfungspunkte liefern. Dementsprechend ist es ein wenig verwunderlich, dass bestehende Studien bislang lediglich die Anwendung der beiden Theorien im Führungsbereich und hinsichtlich der Veränderung des Mitarbeiterverhaltens im Kundenkontakt untersuchen, den überaus relevanten Bereich des Kundenverhaltens selbst jedoch außer acht lassen (Luthans 1985; Luthans/Kreitner 1985).

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Veränderung des Kundenverhaltens auf Basis des instrumentellen Konditionierens

Das instrumentelle Konditionieren fokussiert als behavioristische Lerntheorie auf ReizReaktions-Konstellationen und objektiv beobachtbaren Sachverhalten. Kognitive Elemente und Prozesse wie Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen oder Einstellungen bleiben hingegen weitgehend ausgeblendet (Herkner 1991, S. 22 f.). Grundprinzip des instrumentellen Konditionierens ist, dass das Verhalten durch seine Konsequenzen gesteuert wird (Edelmann 2000, S. 65 ff.; Wiswede 2000, S. 67; Mazur 2004, S. 202 f.).

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Nach dem fundamentalen Effektgesetz, der sogenannten „law-of-effect“, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Verhalten erneut auftritt, sofern es zu positiven Konsequenzen führt und somit verstärkt wird. Spiegelbildlich sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verhalten wiederholt gezeigt wird, falls es mit negativen Folgen verknüpft ist bzw. bestraft wird (Zimbardo 1992, S. 240; Nord/Peter 1980). Im Prinzip lässt sich nahezu jedes Konsumerlebnis in den Kategorien des instrumentellen Konditionierens beschreiben (Mowen/Minor 1998, S. 139). So wird bspw. ein bestimmtes Restaurant erneut aufgesucht, weil der Aufenthalt mit positiven Konsequenzen verknüpft war, ein bestimmtes Hotel hingegen in Zukunft gemieden, da hier negative Erfahrungen gemacht wurden. Hierbei wird ebenfalls deutlich, dass dem intrumentellen Konditionieren die Annahme des adaptiven Hedonismus zugrunde liegt (Zimbardo 1992, S. 229, 238). Hinsichtlich der Verstärkung des Verhaltens ist zwischen der positiven Verstärkung und der negativen Verstärkung zu differenzieren (Edelmann 2000, S. 76 ff.; Kardes 2002, S. 205). Von einer positiven Verstärkung spricht man, sofern auf ein bestimmtes Verhalten eine Belohnung dargeboten wird. Für Unternehmen ergibt sich daraus die logische Konsequenz, dass sie die günstigen bzw. erwünschten Verhaltensweisen ihrer Kunden belohnen sollten. Dieses Prinzip sollte wiederum möglichst umfassend an den verschiedenen, eingangs diskutierten Wertbeiträgen der Kunden ansetzen und sich keineswegs auf das klassische Ziel der Erhöhung des Umsatzes bzw. der gerade im Konsumgüter-Marketing relevanten Erhöhung der Nutzungsrate beschränken. So bieten viele Fluggesellschaften für die kostengünstige Buchung von Flügen über das Internet einen Preisnachlass an und auch die Online-Banken bieten für eine Order per Internet einen günstigeren Preis als für eine Bestellung per Telefon. Versandhändler könnten bspw. Kunden mit Bonuspunkten, Gutscheinen oder Prämien belohnen, sofern sie auf die für das Unternehmen kostenintensive Rücksendung von Waren verzichten. Geradezu klassisch sind im Marketing sogenannte „Kunden-werben-Kunden“ Programme, bei der bestehende Kunden für jeden erfolgreich geworbenen Neukunden mit einer Prämie belohnt werden und somit eine Ausschöpfung des Referenzwertes angestrebt wird (vgl. Abb. 2). Auch hinsichtlich des Informationswertes ergeben sich eine Reihe interessanter Anknüpfungspunkte zur Beeinflussung des Kundenverhaltens im Rahmen der Kundenbeziehung. So könnte bspw. im Rahmen des Beschwerdemanagements die Abgabe von Beschwerden nicht nur stimuliert oder erleichtert werden, sondern es könnte auch darüber nachgedacht werden, Kunden für die Abgabe ihrer Beschwerde materiell oder immateriell zu belohnen, da sich mit Hilfe der Beschwerden häufig wichtige Anregungen und Verbesserungsvorschläge gewinnen lassen. Hierauf aufbauend könnte man nun auch Kunden, deren Anregungen sich als besonders gehaltvoll erwiesen haben, gezielt in die Gestaltung neuer Produkte und Leistungen einbinden.

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Roland Kantsperger

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Abb. 2: Ausschöpfung des Referenzwertes durch positive Verstärkung Quelle: www.quelle.de

Interessant ist auch der Fall einer Bank in den USA. Hier wurde Kunden nach dem Benutzen des Selbstbedienungsterminals automatisch ein Gutschein für eine Portion Pommes in einem örtlichen Fast Food Restaurant ausgedruckt, um diese Form der Abwicklung von Transaktionen zu fördern und zu verstärken. Verschiedene Studien aus dem Bereich der Pädagogik zeigen den grundsätzlich großen Erfolg von Gutschein-Verstärkungssystemen (Zimbardo 1992, S. 250) und lassen so eine Übertragung dieser „token systems“ in den Bereich des Marketing, bspw. in Form des gerne praktizierten Frequenz-Marketing, erfolgversprechend erscheinen (Solomon et al. 2001, S. 100). Im Gegensatz zur positiven Verstärkung liegt eine negative Verstärkung vor, sofern durch ein bestimmtes Verhalten eine negative Konsequenz vermieden wird. Einige Versandhändler machen sich dieses Prinzip zu nutze, indem sie bei Erreichen eines Mindestbestellwertes auf eine anteilige Versandkostenpauschale verzichten. Der Versandhändler buch.de kombiniert dieses Prinzip sogar noch mit einer positiven Verstärkung, indem dem Kunden zusätzlich Bonusmeilen gutgeschrieben werden (vgl. Abb. 3). Andere Händler versuchen ihre Umsatzwerte zu steigern, indem sie ab einer bestimmten Mindestbestellmenge die Lieferung frei Haus anbieten und so dem Kunden die Mühe des Transports der Ware abnehmen.

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Gebundene Ausgabe Erschienen: 02.2005 Versandfertig innerhalb von 24 Std. ISBN: 3-409-12697-X Herausgeber: Meyer, Anton, Kantsperger, Roland Erschienen bei: GABLER

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Abb. 3: Kombination von positiver und negativer Verstärkung Quelle: eigene Darstellung, www.buch.de

Eine weitere interessante Problemstellung besteht darin, ob jede erwünschte Verhaltensweise des Kunden belohnt werden soll oder ob man sich hinsichtlich der Verstärkung auf einige oder wenige Belohnungen, also auf eine Art „Ausnahmeregelung“, beschränken sollte. Im ersten Fall würde man von einem kontinuierlichen Verstärkerplan sprechen, die zweite Möglichkeit bezeichnet einen intermittierenden Verstärkerplan (Herkner 1991, S. 28). Studien im Bereich der allgemeinen Psychologie und der Sozialpsychologie erbrachten die zunächst verblüffende Erkenntnis, dass sich intermittierende Verstärkerpläne hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Häufigkeit des erwünschten Verhaltens als wirkungsvoller herausgestellt haben und dass sich das hiermit erlernte Verhalten zudem als besonders löschungsresistent erwiesen hat (Skinner 1938; Herkner 1991, S. 23 ff.; Solomon et al. 2001, S. 93 f.). Demzufolge könnte es im Rahmen des Relationship Management sogar sinnvoller sein, nicht jede erwünschte Verhaltensweise des Kunden mit einer Belohnung zu versehen. Gleichzeitig sind mit dieser Vorgehensweise unter Umständen auch erhebliche Kostenvorteile verbunden. Hinsichtlich der intermittierenden Pläne ist weiter zwischen Verhältnisplänen (Häufigkeitsplänen) und Intervallplänen (Zeitplänen) sowie hierauf aufbauend zwischen fixen und variablen Verhältnisplänen sowie fixen und variablen Intervallplänen zu unterscheiden. Bei einem fixen Verhältnisplan wird ein festes Verhältnis zwischen verstärkten und unverstärkten Handlungen festgelegt. Dies könnte bspw. bedeuten, dass der Kunde nicht bei jeder, sondern nur bei jeder fünften Bestellung über das Internet einen Rabatt erhält. Demgegenüber wird bei einem variablen Verhältnisplan das erwünschte Verhalten zwar grundsätzlich, jedoch nach einer nicht vorhersehbaren Zahl an Wiederholungen belohnt. So könnte man bspw. besonders involvierte und kompetente Kunden für das Geben von Anregungen und Verbesserungsvorschlägen belohnen, hierbei jedoch

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nicht kommunizieren, nach welcher Anzahl von Hinweisen eine Belohnung verteilt wird. Einige Studien führten zu dem Ergebnis, dass gerade dieser Modus der Verstärkung in der Lage ist die Häufigkeit des jeweiligen Verhaltens nachhaltig zu steigern (Solomon et al. 2001, S. 94). Für die ebenfalls angesprochenen Zeitpläne ergibt sich die analoge Argumentation, mit dem Unterschied, dass nicht auf Häufigkeiten sondern die zeitlichen Abstände der Handlungen abgestellt wird. Im Gegensatz zur Verstärkung senkt die Bestrafung die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verhalten erneut auftritt. Hierbei lässt sich zwischen der positiven und der negativen Bestrafung unterscheiden (Wiswede 2000, S. 68). Von positiver Bestrafung spricht man, sofern auf ein bestimmtes Verhalten aversive Reize bzw. „Strafreize“ verabreicht werden. Unternehmen könnten nun gezielt versuchen, unerwünschte und unprofitable Verhaltensweisen des Kunden zu bestrafen, um so ein erneutes Auftreten desselben Verhaltens zu unterbinden. So verlangen einige Banken zusätzliche Gebühren für das Abheben von Geld am Schalter, die bei der Vornahme derselben Transaktion am Automaten nicht erhoben werden und viele Banken erheben eine zusätzliche Gebühr für Überweisungen per klassischem Überweisungsträger, die bei einer Überweisung per Internet nicht entstehen würde. Auch das Zahlen per Nachnahme belegen zahlreiche Unternehmen mit zusätzlichen Gebühren, da hierdurch für das Unternehmen höhere Kosten resultieren. In Abgrenzung zur positiven Bestrafung liegt eine negative Bestrafung vor, sofern in Folge einer bestimmten Handlung eine Belohnung entzogen bzw. vorenthalten wird (Entbelohnung). Unternehmen könnten bspw. einen Preisnachlass nur bei Kauf über das Internet, nicht jedoch bei Bestellung über Fax gewähren. Die meisten Online-Banken verlangen für die Aufgabe von Aktienorders per Telefon oder Fax deutlich höhere Gebühren als für eine Order per Internet, da hier auch für das Institut höhere Abwicklungskosten entstehen. Aufgrund der hier offensichtlichen und im Einzelfall nicht sehr trennscharfen Abgrenzung verzichten einzelne Autoren oft auch auf eine Unterscheidung zwischen positiver und negativer Bestrafung (Edelmann 2000, S. 69). Einige Studien weisen ferner darauf hin, dass eine Belohnung erwünschter Verhaltensweisen erheblich verhaltenswirksamer ist als eine Bestrafung unerwünschten Verhaltens (Kroeber-Riel/Weinberg 1999, S. 330). Aufgrund der zu vermutenden Asymmetrie zwischen Belohnung und Bestrafung sollten sich Unternehmen folglich in Kundenbeziehungen darauf konzentrieren, gewollte Verhaltensweisen zu verstärken und mit Bestrafungen sparsam umzugehen. Daneben gilt es weitgehend die Bedingungen abzustellen, die ein ungewünschtes bzw. unprofitables Kundenverhalten überhaupt erst möglich machen. Dies bedeutet, dass man bestimmte und für das Unternehmen wenig werthaltige Kundengruppen gar nicht erst die Möglichkeit gibt durch bestimmte Verhaltensweisen ihren Wertbeitrag zu mindern. So könnte man bspw. umfangreiche Betreuungskonzepte, wie gerne praktiziert, nur ausgewählten Premium-Kunden anbieten oder bestimmte, weniger bedeutende Kundengruppen auf vergleichsweise günstige Kommunikations- und Vertriebskanäle umlenken. Eine mögliche Erweiterung der Theorie des instrumentellen Konditionierens besteht in der Berücksichtigung kognitiver Prozesse wie Einsichten oder Erwartungen hinsichtlich

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der Konsequenzen zukünftigen Handelns (Nord/Peter 1980, S. 103). Die kognitive Anreicherung des behavioristischen Paradigmas erweitert folglich die vergangenheitszentrierte Perspektive in Form der individuellen Lerngeschichte um zukunftsgerichtete Aspekte in Gestalt des Erwartungslernens. Im Ergebnis ist hierdurch mit einer Beschleunigung des Lernvorgangs und somit besseren Ergebnissen hinsichtlich der Modifikation des Kundenverhaltens zu rechnen. Gerade in diesem Aspekt liefert die im folgenden kurz diskutierte Theorie des Modell-Lernens wertvolle Anknüpfungspunkte und könnte daher in Kombination mit dem instrumentellen Konditionieren für eine Beeinflussung des Kundenverhaltens im Rahmen des CRM angewendet werden.

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Veränderung des Kundenverhaltens auf Basis des Lernens am Modell

Die maßgeblich von Bandura (1986) entwickelte Theorie des Modell-Lernens betont, dass Menschen bestimmte Verhaltensmuster unter Umständen nicht nur durch eigene Erfahrung, sondern auch durch Beobachtung erlernen können. Ein solches Imitationslernen erweist sich in vielen Fällen als zielführender und effizienter als eine Ausformung des Verhaltens durch eine Reihe aufeinander folgender Versuchs-IrrtumsProzesse (Wiswede 2000, S. 71 f.). Modell-Lernen beinhaltet eine gedankliche Trennung des Erwerbs von Verhaltensweisen und deren tatsächlicher Anwendung. Die Verhaltensweisen werden zunächst bei einem Modell beobachtet und im Langzeitgedächtnis gespeichert. Das nun potentiell beherrschte Verhalten wird erst dann gezeigt, wenn die äußeren Umstände danach sind und das Individuum motiviert ist, das jeweilige Verhaltensmuster zu zeigen (Herkner 1991, S. 73; Schermer 2002, S. 84 ff.). Dies impliziert, dass die Person auch in der Lage ist, das fragliche Verhalten zu zeigen bzw. in geeigneter Weise zu reproduzieren (Mielke 2001, S. 66). Das beochbachtete Verhalten des Modells wird vor allem dann großen Einfluss haben, wenn (Zimbardo 1992, S. 261): ƒ beobachtet wird, dass das Modell belohnt bzw. das Verhalten verstärkt wird (Prinzip der stellvertretenden Erfahrung). ƒ das Modell positiv wahrgenommenen wird, einen hohen Status genießt und vom Beobachter bspw. aufgrund seiner Intelligenz respektiert wird. ƒ eine hohe empfundene Ähnlichkeit zwischen dem Modell und dem Beobachter besteht. ƒ das Verhalten des Modells sichtbar und klar ist. Hieraus ergibt sich, dass es für das Customer Relationship Management eine geeignete Strategie sein könnte gezielt Modelle einzusetzen, um die Übernahme bzw. Imitation erwünschter Verhaltensweisen zu erreichen. Zielsetzung ist es erneut, Verhaltensmuster zu fördern, die im Rahmen der Kundenbeziehung die Werthaltigkeit des Kunden steigern. Hierbei lässt sich idealtypisch zwischen Modellen im Bereich der Werbung bzw.

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Unternehmenskommunikation sowie realen bzw. „lebenden“ Modellen im persönlichen Kundenkontakt unterscheiden. Der Einsatz von Modellen in Form von meist prominenten „testimonials“ ist im Bereich der Werbung eine bekannte Strategie. Eine interessante Akzentverschiebung könnte aber darin bestehen, dass das Model nicht genutzt wird, um die Verwendung des Produkts „an sich“ zu zeigen, sondern um zu demonstrieren, wie sich der Kunde im Rahmen der Kundeninteraktion in den Leistungsprozess integrieren könnte. Ein Werbespot könnte also bspw. nicht nur den zufriedenen Kunden einer Fluggesellschaft zeigen, sondern ergänzend demonstrieren, wie der Kunde die Vorteile eines automatischen Check-in nutzt, da bei einer Diffusion bzw. Übernahme dieser Verhaltensweise aufgrund der reduzierten Personalkosten für das Unternehmen höhere Gewinne entstehen würden. Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz dieser Strategie ist, dass sich die gewünschte Verhaltensweise auch wirklich über das Modell vermitteln lässt und dass beim jeweiligen Kunden in der Folge auch die Erwartung erzeugt werden kann, dass er die zum Ausüben der jeweiligen Verhaltensweise nötigen Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzt. Dieser Sachverhalt ist in manchen Fällen, man denke beispielsweise an die Vornahme einer Bestellung über das Internet durch einen technisch nicht versierten älteren Menschen, als problematisch einzustufen. Somit bietet es sich an, die Wirkung dieser Strategie durch reale Modelle zu unterstützen bzw. zu verstärken. Lebende Modelle könnten dem Kunden zeigen, wie genau er die Vorteile des automatischen Check-in nutzt, wie er Überweisungen am automatischen Terminal vornimmt oder wie er seine Kundenkarte verwendet, um im Zuge einer langfristigen Kundenbeziehung Vorteile zu erhalten.

5

Fazit

Im Rahmen der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden stellt das Kundenverhalten eine wesentliche Bestimmungsgröße der Kundenprofitabilität dar. Es konnte gezeigt werden, dass bestimmte Verhaltensmuster von Kunden dem Ziel der Profitabilität und Werthaltigkeit im Rahmen des Customer Relationship Management zuwiderlaufen können. Unternehmen haben dann zum einen die Option sich von unrentablen Kunden zu trennen. Zum anderen sollten Unternehmen im Rahmen des Relationship Management aber auch versuchen, Verhaltensweisen der Kunden so zu modifizieren, dass sich unprofitable Kundenbeziehungen in werthaltige Beziehungen transformieren lassen. Hierzu liefern die Lerntheorien, und im Besonderen das instrumentelle Konditionieren und die Theorie des Modell-Lernens, eine Reihe wertvoller Anknüpfungspunkte. Da einerseits das umfassende und nachhaltige Management der Beziehung zum Kunden immer mehr an Bedeutung gewinnt, andererseits jedoch bisherige Studien die diskutierten Lerntheorien primär im Binnenbereich von Organisationen verwenden, ist zu erwarten, dass der skizzierte Themenbereich in der Zukunft wachsende Beachtung auf sich ziehen wird.

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Roland Kantsperger

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Georg Fassott

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet 1

Kundenbeziehungsmanagement im Internet zwischen Anspruch und Wirklichkeit

2

Komponentenmodell einer Kundenbeziehung im Internet 2.1 Kognitive Komponente 2.2 Affektive Komponente 2.3 Konative Komponente 2.4 Lernende Anbieter-Kundenbeziehungen im Internet

3

Gestaltung von Kundenbeziehungen im Internet 3.1 Instrumente des E-CRM 3.2 Ein Modell zur Wirkung von E-CRM-Instrumenten auf Kundenbeziehungen im Internet 3.3 Empirische Studie zur Wirkung von E-CRM-Instrumenten

4

Zusammenfassung

Anmerkung Literaturverzeichnis

1

Kundenbeziehungsmanagement im Internet zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Neue Informations- und Kommunikationstechnologien erweitern die bestehenden Kommunikations- und Absatzkanäle und ermöglichen eine direkte und individualisierte Kundenansprache. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für das Kundenbeziehungsmanagement, insbesondere dort, wo Unternehmen aufgrund der Vielzahl der Kunden bisher keine persönliche Betreuung des einzelnen Kunden durchführen konnten. Entsprechend betonen viele Autoren die einzigartigen Möglichkeiten des Internet für bessere und intensivere Kundenbeziehungen (Brookner et al. 2000, S. 7; Dholakia et al. 2001, S. 77 ff.; Rapp 2000, S. 227). Deutsche Unternehmen versprechen sich durch die Einführung von Kundenbeziehungsmanagement im Internet vor allem eine Steigerung der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung (Frielitz et al. 2001, S. 10). Andere Autoren vertreten dagegen die Auffassung, dass das Internet eine Bedrohung für erfolgreiche Kundenbeziehungen darstellt. Unter dem Stichwort „Ein besseres Angebot ist nur einen Mausklick entfernt“ verweisen sie auf die Angebotstransparenz und einfachere Wechselmöglichkeiten. Eine Website als maschinelle Schnittstelle zum Unternehmen zu wechseln ist leichter, als ein, durch einen Kundenbetreuer, den man kennt und zu dem man einen persönlichen Kontakt pflegt, repräsentiertes Unternehmen zu verlassen (Dholakia/Dholakia 2001, S. 34; Sinha 2000, S. 43). Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich nicht nur auf konzeptioneller Ebene sondern auch in empirischen Daten. Demnach kehren durchschnittlich 80 Prozent der Besucher einer Website nicht mehr zu einem zweiten Besuch zurück (Dholakia et al. 2000, S. 3). Anbieter können bei einem beträchtlichen Anteil ihrer Neukunden nicht genügend Wiederholungskäufe erzielen, um zumindest die Akquisitionskosten zu decken (Reichheld/Schefter 2000, S. 111). Ein hoher Anteil von Besuchern, die auf einer Website etwas kaufen wollen, kann die gewünschten Produkte nicht finden, obwohl sie im Sortiment sind, oder bricht aus eigenem Antrieb, z.B. aus Ärger über einen zu komplizierten Bestellprozess, oder aufgrund technischer Probleme den Bestellprozess ab (A.T. Kearney 2000, S. 8). Die Leistungen der Anbieter weisen teilweise so hohe Qualitätsmängel auf, dass man versucht ist zu sagen: „web service [...] is so poor as to almost qualify as an oxymoron“ (Gow 1999). Eine Studie zum E-Mail-Antwortverhalten zeigt beispielhaft, zu welchen Kuriositäten Unternehmen fähig sind (Markt & Daten 1999). Auf der anderen Seite konzentrieren Webnutzer ihre Besuche und Einkäufe auf wenige Websites. Allerdings werden als Gründe für die wiederholte Nutzung einer Website vor allem Komfort und Vertrautheit mit dem Design und der Navigation einer Website genannt, weniger besondere Leistungsmerkmale der Website oder ein emotionaler Bezug zur Website (BCG 2000, S. 26).

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Zur Auflösung der widersprüchlichen Einschätzungen und Befunde trägt sicherlich anstelle einer Schwarz-Weiß-Malerei eine ausgewogene Analyse der Möglichkeiten und Grenzen des Internet für den Aufbau und die Pflege von Kundenbeziehungen bei. Dies sollte verknüpft werden mit Analysen, inwiefern unterschiedlichen Kundengruppen mit unterschiedlichen Nutzenerwartungen das Internet nutzen. So konnten in einer Untersuchung der Unternehmensberatungen Bain & Company und Mainspring drei Segmente unterschieden werden: Convenience-orientierte, die den wiederholten Besuch von vertrauten Websites anstelle des aufwändigen Zurechtfindens auf unbekannten Websites präferieren, Markenorientierte, die den bevorzugten Marken treu bleiben, und Preisbewusste, die als Schnäppchenjäger die Informationstransparenz des Internet ausnutzen (Reichheld/Schefter 2000, S. 110). Schließlich sollte auch unterschieden werden, inwieweit die angesprochenen Probleme bei der Internetnutzung, die die Kundenbeziehungen unterminieren, auf Problemen der generellen Umsetzbarkeit oder auf mangelnder Umsetzung durch die Anbieter basieren. Um die Chancen und Risiken des Kundenbeziehungsmanagements im Internet (im folgenden als E-CRM bezeichnet) besser verstehen und sie in ein erfolgreiches E-CRM umsetzen zu können, werden in diesem Beitrag folgende Fragestellungen untersucht: (1) Welche Besonderheiten zeichnen Kundenbeziehungen im Internet aus? (2) Wie lassen sich durch E-CRM-Instrumente Kundenbeziehungen im Internet gestalten?

2

Komponentenmodell einer Kundenbeziehung im Internet

Die Kundenbeziehung ist das zentrale Handlungsobjekt des E-CRM. Ein präzises Verständnis von der Natur einer Kundenbeziehung ist eine notwendige Voraussetzung, um Kundenbeziehungen erfolgreich managen zu können. Zwei sich ergänzende Sichtweisen einer Kundenbeziehung können voneinander abgegrenzt werden, die als handlungsfokussiert bzw. als zustandsfokussiert bezeichnet werden (Eggert/Stief 1999). Weil sich eine Kundenbeziehung nicht nur an der Transaktionshäufigkeit festmachen lässt, sondern auch einen inneren Zustand des Kunden umfasst, definieren Bliemel/Eggert (1997, S. 2) eine Beziehung als „a state of mutual acknowledgement of parties that at any point in time can help set the stage for exchanges to take place.“ Im Kundenbeziehungsmanagement sollten beide Sichtweisen berücksichtigt werden. Bei ausgewählten Kunden sollten auf der Basis ihres inneren Zustands der Anerkennung und Wertschätzung des Anbieters als Austauschpartner wiederholte Transaktionen zum Vorteil von Anbieter und Kunde bewirkt werden (Bliemel/Fassott 2002, S. 337).

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

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Im Rahmen einer Beziehung lernen sich beide Seiten kennen (kognitive Komponente einer Beziehung), es bilden sich gefühlsmäßige Einstellungen in bezug auf die andere Seite (affektive Komponente) und es formen sich Handlungsabsichten, die mehr oder weniger verwirklicht werden (konative Komponente). Diese drei Komponenten können in Abhängigkeit von der Phase einer Beziehung unterschiedlich ausgeprägt sein. Während die handlungsfokussierte Sichtweise eine Beziehung an dem Verhalten eines Kunden festmacht, hebt die zustandsfokussierte Sichtweise auf den kognitiven und affektiven Zustand des Kunden ab. Anhand der drei Komponenten einer Kundenbeziehung soll nun untersucht werden, was eine Kundenbeziehung im Internet auszeichnet.

2.1

Kognitive Komponente

„The Internet, however, presents a very different shopping experience, one that appeals to people’s cognitive faculties“ (Sinha 2000, S. 48). Kundenbeziehungen im Internet zeichnen sich i.d.R. durch eine Betonung der kognitiven Beziehungskomponente aus. Durch die Möglichkeit kostengünstiger und zielgerichteter elektronischer Kommunikation können Anbieter ihre Kunden leicht mit individuell zugeschnittenen Informationen versorgen. Dabei besteht jedoch die latente Gefahr, die Aufmerksamkeit der Kunden übermäßig zu beanspruchen und sie durch ständige Ansprache und Informationsbereitstellung zu belästigen. Auf traditionellen Märkten entsteht die kognitive Basis einer Kundenbeziehung oftmals nach dem Bring-Prinzip. Hierbei versorgt der Anbieter seine Kunden unaufgefordert mit Informationen über sich und seine Produkte. Nach dem Bring-Prinzip ist beispielsweise die TV-, Radio- und Zeitungswerbung organisiert, mit der Kunden täglich konfrontiert werden. Das Internet ist dagegen nach dem Hol-Prinzip organisiert. Der Kunde ist ermächtigt („empowered“) zu entscheiden, welche der bereitgestellten Informationen er im Internet aufnehmen und weiter verfolgen möchte. Im Unterschied zu traditionellen Märkten bestimmt der Kunde durch seine Informationsentnahme das Ausmaß der Kundenkommunikation. Er entscheidet, welche Information er zu welcher Zeit und in welchem Detaillierungsgrad aufnehmen und verwerten möchte. Die Aufgabe eines Anbieters besteht darin, wertstiftende Informationen bereitzustellen und das Informationsangebot unter den potentiellen Kunden bekannt zu machen. So kann der neuartige Typus einer „Selbstbedienungs-Beziehung“ entstehen, bei welcher der Kunde die Stärke der Beziehung gemäß seinen Bedürfnissen und Wünschen selbständig steuert (Eggert 2001, S. 100 f.). Insbesondere für Dienstleistungsunternehmen bietet das Internet bei Kunden, die regen Gebrauch von einer solchen Selbstbedienungs-Beziehung machen, neue Möglichkeiten, das Problem der Immaterialität und der notwendigen Integration des Kunden in die Dienstleistungserstellung besser zu beherrschen. So kann ein Unternehmen über seine Website seine spezifische Kompetenz dokumentieren. Beispielsweise bieten Paketdienste an, über ihre Website zu verfolgen, wo sich die Lieferung gerade befindet. Andere Anbieter, wie z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen oder Autoreparaturwerkstätten,

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Georg Fassott

gewähren mittels Webcams aktuellen Einblick in die Dienstleistungserstellung (Pitt et al. 1999, S. 12). Gerade bei komplexen Dienstleistungen können Kunden ihren Informationsstand vor Inanspruchnahme einer Dienstleistung wesentlich erweitern. So können sich Patienten relativ einfach über Webseiten von Medizinischen Fakultäten oder Selbsthilfegruppen die aktuellsten Informationen über Behandlungsmöglichkeiten für ihre Erkrankung ermitteln, bevor sie zum Arzt gehen (Barnes 2001, S. 229). Dies kann dem Arzt die Diagnose und Behandlung erleichtern. Allerdings muss er auch mit der Situation umgehen, dass seine Patienten möglicherweise besser informiert sind als er selbst. Eine solche Verschiebung des Wissensgefälles zwischen Anbieter und Kunde berührt nicht nur die kognitive Komponente einer Beziehung, sondern wirkt auch auf die emotionalen Aspekte einer Beziehung, die im folgenden Abschnitt behandelt werden.

2.2

Affektive Komponente

Die affektive Beziehungskomponente ist im Internet durch den Wegfall bzw. die Reduktion persönlicher Kontakte zwischen Kunden und Kundenkontaktpersonal des Anbieters geprägt. Als technologisches System steht das Internet in Distanz zu affektiven Konzepten, die sich in Begriffen wie „persönliche Beziehung“, „Vertrauen“ oder gar „Freundschaft“ manifestieren (Fassott 2001, S. 142). Barnes (2001, S. 133) berichtet, dass durch die Einführung von Bankautomaten, Telefon- und Internet-Banking Bankkunden ihre Beziehung zur Bank heute als weniger eng einstufen als noch vor einigen Jahren. Das vorherrschende Geschäftsgebaren im Internet entspricht eher einem Misstrauensdenn einem Vertrauensmarketing: „Im Internet stehen die Kunden zum großen Teil in ihrer Kompetenz noch nicht bekannten Anbietern gegenüber, deren Verkaufsversprechen infolgedessen schwer einzuschätzen sind. Die Anbieter können ihrerseits kaum einschätzen, ob Online-Kunden seriös sind und z.B. ihren Zahlungsverpflichtungen korrekt nachkommen werden. Aufgrund dieser Ausgangslage etablieren sich im Internet Geschäftspraktiken, die einem Vertrauensmarketing geradezu diametral entgegenstehen: Zahlung im voraus oder per Nachnahme, Verschlüsselung von Bestellvorgängen, Einschaltung von Trust-Centers sind anbieterseitig nicht selten genutzte Beispiele hierfür, während Kunden in einschlägigen, oft auch von Negativmeinungen dominierten Chatrooms einschlägiger Nutzergruppen nach Qualitätssignalen fündig zu werden versuchen“ (Diller 2001, S. 71). Die affektive Komponente einer elektronischen Kundenbeziehung kann gestärkt werden, indem der persönliche Kontakt zwischen den Kunden und dem Kundenkontaktpersonal des Anbieters durch das Internet nicht ersetzt, sondern ergänzt wird. So warnt Gummesson (2001, S. 117 ff.) davor, im „High-tech“ einen Ersatz für „High-touch“ zu sehen. In einem wirksamen Kundenbeziehungsmanagement müssten sich beide Phänomene ergänzen und in Symbiose weiterentwickelt werden (siehe Abb. 1).

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

Hightech

High-tech als Ersatz für High-touch

Hightouch

Hightech

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ausgewogenes Kundenbeziehungsmanagement

Hightouch

Abb. 1: Ausgewogenes Kundenbeziehungsmanagement als Kombination von High-tech und Hich-touch Quelle: Gummesson 2001, S. 118

2.3

Konative Komponente

Für ein Unternehmen ist die Beziehung zum Kunden kein Selbstzweck. Wenngleich die kognitive und die affektive Komponente die Grundlage einer Kundenbeziehung darstellen, sollen beim Kunden letztlich für das Unternehmen positive Handlungen wie Kauf oder Weiterempfehlung ausgelöst werden. Deshalb muss das Unternehmen die Handlungsbereitschaft des Kunden stimulieren und dem handlungsbereiten Kunden seine Handlungen erleichtern. Durch die Beobachtung und Analyse der Kundenhandlungen kann das Unternehmen Erkenntnisse zur Verbesserung bzw. Individualisierung seines Angebots gewinnen, um zukünftige Handlungen besser stimulieren und erleichtern zu können. Bei einer elektronischen Kundenbeziehung kann auch die Abwicklung der Transaktionen zwischen Kunde und Anbieter nach dem Selbstbedienungsprinzip organisiert werden. Dabei ist zunächst zu unterscheiden, inwiefern die gesamte Dienstleistung (z.B. Informationsdienste) oder nur einzelne Teilleistungen (z.B. einzelne Serviceleistungen) im Internet erstellt werden können bzw. sollen (Meffert/Bruhn 2000, S. 402 ff.). Im ersten Fall steht der Anbieter vor der Gefahr, zu einem gesichtslosen und beliebig wechselbaren Automaten zu werden. Auch hat er nur eingeschränkte Möglichkeiten, den sich in den Kundenhandlungen manifestierenden kognitiven und affektiven Zustand des Kunden zu erkennen und entsprechend zu berücksichtigen. Hier gilt es, persönliche Kontaktmöglichkeiten zwischen Kunde und Unternehmen zu schaffen. Im zweiten Fall stehen die Gestaltung elektronischer Serviceleistungen (Fassott 2000) sowie die Integration von Online- und Offline-Angebot im Vordergrund.

312

Georg Fassott

Die Selbstbedienung bzw. Integration des Kunden in die Dienstleistungserstellung im Internet wirft weiterhin die Frage auf, inwiefern die Kunden die Selbstbedienung im Internet akzeptieren, die dazu erforderlichen Kenntnisse haben und wie sich die im Verlauf von Selbstbedienungs-Interaktionen gesammelten Erfahrungen auf die Kundenbeziehung auswirken. Wo Kunden die Selbstbedienung nicht akzeptieren oder damit nicht zurechtkommen, ob für alle Kunden generell oder je nach Situation, muss über alternative bzw. parallele Angebote innerhalb und außerhalb des Internet nachgedacht werden. Dies betrifft z.B. die Kommunikationskanäle, mit denen der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt treten kann. So dient z.B. die Weiterentwicklung des klassischen Call-Center hin zum sogenannten Customer-Interaction-Center der Integration bisher isolierter Kommunikationskanäle. Egal ob der Kunde per Telefon, Briefpost, Fax oder Internet in Kontakt zum Unternehmen steht, kann so eine verlässliche, schnelle und kompetente Reaktion auf sein Anliegen gewährleistet werden (Hettich et al. 2001, S. 194).

2.4

Lernende Anbieter-Kundenbeziehungen im Internet

Zusammenfassend können Kundenbeziehungen im Internet in Anlehnung an Bliemel/Fassott (2002) als Lernmodell beschrieben werden. Dabei wird das systematische Lernen durch das eher alltägliche, unbewusste und beiläufige Lernen ergänzt. So nimmt z.B. ein Kunde, der auf der Website eines Anbieters nach Informationen zu einem bestimmten Produkt sucht, nicht nur die gesuchte Information auf. Er lernt z.B. auch, wie er auf der Website navigieren muss, um die gewünschte Information zu erhalten, und gewinnt einen Eindruck, ob das Zurechtfinden auf der Website einfach oder schwierig ist. Sein Lernen besteht letztendlich darin, dass die beim Besuch der Website gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse in seine zukünftigen Verhaltensweisen eingehen. Aber auch der Anbieter kann, wenn er das Navigationsverhalten dieses Kunden auf seiner Website beobachtet, lernen. Beispielsweise kann er die Erkenntnis über das Interesse des Kunden an einem bestimmten Produkt dazu verwenden, den Kunden im Verlauf seines Website-Besuchs auf aktuelle Angebote für das Produkt bzw. die Produktkategorie hinzuweisen oder ihm später ein Angebot per E-Mail zu schicken. Durch die Interaktionen im Internet ist es naheliegend, dass sich das Lernen auf die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen mit den Verhaltensweisen des Kunden bzw. Anbieters bezieht. Allerdings dürfen die kognitiven und affektiven Elemente, die hinter den jeweiligen Verhaltensweisen stehen, nicht vernachlässigt werden. Dies wird in dem in Abb. 2 gezeigten Konzept für die Analyse der Lernprozesse zwischen Anbieter und Kunde im Internet berücksichtigt.

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

313

Anbieter (Automatisierung)

Kunde (Selbstbedienung)

Wissen:

Kognitive Komponente

Kognitive Komponente

Gefühlsmäßige Einstellungen:

Affektive Komponente

Affektive Komponente

Handlungen:

Konative Komponente

Konative Komponente

Abb. 2: Lernmodell in der Anbieter-Kundenbeziehung per Internet Quelle: Bliemel/Fassott 2002, S. 341

Die lernende Anbieter-Kundenbeziehung im Internet ist geprägt durch die Automatisierung der Interaktionen durch den Anbieter und der entsprechenden Selbstbedienungspflicht für den Kunden. Es dominiert eine Feedbackschleife (s. dicke Pfeile in Abb. 2), in der der Anbieter Erkenntnisse aus dem Verhalten des Kunden auf der AnbieterWebsite gewinnt. Dieses Wissen fließt in die Anbieterhandlungen z.B. in Form personalisierter Webseiten ein, die mit ihrem Informationsangebot hauptsächlich dem Wissenserwerb des Kunden über das Unternehmen und sein Angebot dienen sollen und dadurch die zukünftigen Handlungen des Kunden im Internet beeinflussen. Diese Feedbackschleife erlaubt es aber einem Anbieter nicht, die Gründe für die Handlungen des Kunden zu erkennen und dies in den eigenen Aktivitäten zu berücksichtigen. Entsprechend muss er auch Erkenntnisse über das Wissen bzw. die Ansichten und die gefühlsmäßigen Einstellungen des Kunden zu dem Anbieter gewinnen. Beides kann der Anbieter aber nicht direkt beobachten. Er kann jedoch Online-Befragungen durchführen oder textliche Artikulationen des Kunden gegenüber dem Anbieter (z.B. in Form von EMail oder in Internetforen) auswerten. Ein vollständig automatisiertes Internet-Angebot ist in der Praxis nicht anzutreffen. Durch das Angebot zusätzlicher Kontaktmöglichkeiten wie z.B. E-Mail oder CallCenter können sich auch auf Anbieterseite, d.h. bezogen auf die einzelnen Mitarbeiter, die mit dem Kunden in Kontakt stehen, gefühlsmäßige Einstellungen über den Kunden bilden. Dies kann die Handlungen des Kundenkontaktpersonals beeinflussen und somit auch beim Kunden einen Eindruck von der gefühlsmäßigen Einstellung des Anbieters ihm gegenüber erzeugen.

314

Georg Fassott

3

Gestaltung von Kundenbeziehungen im Internet

3.1

Instrumente des E-CRM

Das Ziel des Kundenbeziehungsmanagements besteht darin, mit potentiell wertvollen Kunden eine positive Beziehung zu knüpfen und diese über einen Kauf zu einem Wiederkauf auszubauen (Aebi 1999, S. 52). Zum Aufbau einer von beiden Seiten als positiv empfundenen Beziehung gehört eine gewisse Ausgewogenheit zwischen dem, was beide Parteien in eine Beziehung einbringen, und dem, was sie von der Beziehung haben. Zur Gestaltung des Unternehmensbeitrags kommen unterschiedliche E-CRM-Instrumente in Frage (siehe die Übersicht in Tab. 1). Wissen (kognitiv)

Wissenserwerb des Unternehmens (z.B. Clickstream-Analyse; Kundenprofile mit Selbstauskunft des Kunden; Kundenreaktion auf Produktvorschläge basierend auf Collaborative Filtering; analytisches E-CRM u.a. mittels DataMining) Wissenserwerb des Kunden durch: • Erfahrungen bei Inanspruchnahme der (individualisierten) Produkte, • elektronische Kommunikationsinstrumente (z.B. Informationen auf Website; Chat-Forum; Mail-Liste; E-Mail-Newsletter; Kontaktmöglichkeit zu Beratungspersonal)

Emotion (affektiv)

Kontakt zu Unternehmensmitarbeitern (z.B. per E-Mail; Live-Chat; Call-BackButton; Internet-Telephonie; geführtes Browsen) Kontakt zu anderen Kunden (z.B. per Newsgroup; Chat-Forum; Mail-Liste; Online-Kundenclub)

Handlung (konativ)

Stimulation des Website-Besuchs (Werbung; E-Mail-Newsletter) Stimulation Weiterempfehlungsverhalten (Bereitstellung elektronischer Kommunikationsinstrumente; automatisierte Weiterempfehlungs-Mails) Erleichterung von Kundenhandlungen (Bedienungsfreundliche Website; Identifikation von Erstbesuchern; Analyse des Abbruchverhaltens, ggf. proaktive Hilfestellung bei Abbruchgefahr) Beobachtung und Analyse der Kundenhandlungen durch analytisches E-CRM Steigerung des Nettonutzens durch gesamtes Leistungsspektrum des Unternehmens (Individualisierter Marketing-Mix; Elektronische Sekundärdienstleistungen)

Tab. 1:

Überblick über E-CRM-Instrumente Quelle: Fassott 2002, S. 481

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

3.2

315

Ein Modell zur Wirkung von E-CRM-Instrumenten auf Kundenbeziehungen im Internet

Basierend auf einer Untersuchung von De Wulf et al. (2001) wurde ein Modell für die Wirkung von E-CRM-Instrumenten entwickelt. De Wulf et al. (2001) untersuchten, wie unterschiedliche Beziehungsmarketing-Instrumente (Direct Mail, Preferential Treatment, Interpersonal Communication sowie Tangible Rewards) dazu führen, dass Konsumenten eine Investition eines Handelsunternehmens in die Kundenbeziehung wahrnehmen (Perceived Relationship Investment). Die wahrgenommene Investition beeinflusst die von den Konsumenten wahrgenommene Beziehungsqualität und diese wiederum die Loyalität der Konsumenten. Moderierende Variablen sind dabei die Beziehungsneigung der Konsumenten und das Produktinvolvement. Die Untersuchung fand in drei Ländern und für zwei Handelsbereiche (Supermarkt, Bekleidungshandel) statt. Da die Gesamtdaten nicht homogen waren, wurden die sechs Land-Handel-Kombinationen separat analysiert. Das Modell sowie die über die sechs Einzelanalysen gemittelten Ergebnisse zeigt Abb. 3. Die vier Beziehungsmarketing-Instrumente erklären im Durchschnitt 39% der Varianz der wahrgenommenen Beziehungsinvestition, wobei nur die persönliche Kommunikation in fast allen (5 von 6) Fällen einen signifikanten Effekt auf die wahrgenommene Beziehungsinvestition aufweist.

Preferential Treatment

Direct Mail

Interpersonal Communication +

+ 0.18 3/6 signifikant

+ 0.20 5/6

0.09 1/6 Perceived Relationship Investment

Product Category Involvement

+ 0.20 3/6

R² = 0.39 +

+ 3/6

Tangible Rewards

+

0.68 6/6

Relationship Quality

+

3/6

R² = 0.47

0.36 6/6

Behavioral Loyalty

R² = 0.14

Abb. 3: Wirkung von Beziehungsmarketing-Instrumenten Quelle: in Anlehnung an DeWulf et al. 2001, S. 34

Consumer Relationship Proneness

316

Georg Fassott

Dieses Modell wurde als Ausgangspunkt für die Analyse der Effekte von E-CRMInstrumenten auf die Wahrnehmung der Kunden bezüglich der Beziehungsinvestition von Internetshops (und des weiteren auf die Beziehungsqualität und Kundenloyalität) in der im folgenden Abschnitt erläuterten eigenen Untersuchung übernommen. Bei der Adaption auf den Internetbereich wurde folgendes verändert: (1) Die E-CRM-Instrumente wurden wie im nachfolgenden Absatz beschrieben formativ operationalisiert, (2) anstelle der Beziehungsqualität als Konstrukt höherer Ordnung wurden die von De Wulf et al. (2001) operationalisierten Konstrukte Zufriedenheit, Vertrauen und Commitment einzeln im Modell berücksichtigt, (3) die Loyalität wurde als Wiederkaufabsicht anstelle einer Beschreibung bisherigen Kaufverhaltens operationalisiert, und (4) als moderierende Variable des Effektes von Beziehungsinvestition auf Beziehungsqualität wurde entsprechend der besonderen Möglichkeiten des Internets für Preisvergleiche und Suche nach Sonderangeboten die Neigung zur Schnäppchenjagd einbezogen.

3.3

Empirische Studie zur Wirkung von E-CRMInstrumenten

Grundsätzlich können latente Variable auf zwei unterschiedliche Arten operationalisiert werden: mit Hilfe eines reflektiven oder eines formativen Messmodells (Bollen/Lennox 1991, S. 305 f.; Homburg 1995, S. 64 f.). Entscheidet sich der Forscher für ein reflektives Messmodell, so geht er von der Prämisse aus, dass die latente Variable ihre Indikatoren verursacht. Hingegen unterstellt ein formatives Messmodell, dass die Indikatoren die latente Variable verursachen. Letzteres erscheint der sinnvollere Ansatz, wenn Aussagen zu konkreten Marketinginstrumenten die Indikatoren bilden (Diamantopoulos/ Winklhofer 2001, S. 274 f.). Ausgehend von einer Literaturanalyse und einer Fokusgruppen-Erhebung wurden folgende E-CRM-Instrumente deshalb als formative Indikatoren berücksichtigt: Persönliche Ansprache bei Website-Start, Individualisierte Angebote, Individualisierte E-Mail-Kommunikation, Newsletter, Produktinformationen auf der Website (von FAQ bis Kundenforen), Kontaktmöglichkeit zu Mitarbeitern, Besonderer Service für Stammkunden, Materielle Vorteile durch Rabatte bzw. Gutscheine für Stammkunden. Die Befragten beurteilten anhand einer 7-stufigen Rating-Skala mit den Endpunkten „(1) trifft voll zu“ bzw. „(7) trifft gar nicht zu“, inwiefern der von ihnen bewertete Internetshop das jeweilige Instrument einsetzt. Auch die Indikatoren der übrigen (reflektiv operationalisierten) Konstrukte wurden anhand dieser Rating-Skala erhoben.

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

317

In begrenztem Umfang können formative Indikatoren auch innerhalb der üblichen Programmpakete zur Strukturgleichungsanalyse (insbes. LISREL, AMOS, EQS) abgebildet werden (MacCallum/Browne 1993). Allerdings sind sie bei diesen Programmen nicht als Indikatoren im üblichen Sinne interpretierbar. „Rather, they are exogenous measured variables that influence the composite (= latente Variable mit formativem Messmodell, d.V.) defined as a causally indicated variable” (MacCallum/Browne 1993, S. 534). Eine seit langem bekannte und genutzte Spezifikation ist das sogenannte MIMIC-Modell (Multiple Indicators and Multiple Causes) (Winklhofer/Diamantopoulos 2002, S. 272 f.). Wie im Strukturmodell (s. Abb. 4) dargestellt bedeutet dies, dass die latente Variable „Beziehungsinvestition“ nicht nur reflektiv operationalisiert ist (genauso wie die anderen mit Ellipsen gekennzeichneten Konstrukte), sondern auch von den in Rechtecken dargestellten E-CRM-Instrumenten, die die formativen Indikatoren bilden, direkt beeinflusst wird. Die Daten wurden im Rahmen einer Online-Befragung nach der Methode des n-ten Besuchers erhoben (Theobald 2000, S. 37 ff.). In einem Zeitraum von vier Wochen wurde im Sommer 2002 jeder 20. Besucher der Internetseite www.suchmaschinen.de mit einem Popup-Fenster um Teilnahme an der Befragung gebeten [1]. Dabei sollten die Befragten jeweils den Online-Shop beurteilen, in dem sie am häufigsten einkaufen. Von den kontaktierten 6084 Personen haben 365 an der Befragung teilgenommen. Darunter waren 209 Online-Käufer. Nach Elimination unvollständig ausgefüllter Interviews gingen 196 Datensätze von Online-Käufern in die Auswertung ein. Entsprechend den Empfehlungen von Homburg/Giering (1996) wurden die reflektiven Messmodelle auf Erfüllung der Gütekriterien analysiert. Nach einer Indikatorenbereinigung beim Commitment-Konstrukt wurde das in Abb. 4 dargestellte Strukturmodell mit dem AMOSSoftwarepaket analysiert. Bis auf einen etwas zu niedrigen AGFI-Wert erfüllt das Strukturmodell die gängigen Gütekriterien (Homburg/Baumgartner 1995, S. 172). Alle Effekte zwischen den latenten Variablen sind signifikant (p < 0,05, Fettdruck in Abb. 4). Die wahrgenommene Investition der Internetshops in die Kundenbeziehung wirkt am stärksten auf die Zufriedenheit mit der Beziehung und auf das Vertrauen. Diese beiden Konstrukte zeigen auch deutliche Effekte auf die Loyalität. Dagegen ist der Effekt von Commitment auf die Loyalität nur gering und Commitment seinerseits ist im Vergleich zu Zufriedenheit und Vertrauen am geringsten von der wahrgenommenen Beziehungsinvestition beeinflusst. Die acht E-CRM-Instrumente erklären zusammen 65% der Varianz der wahrgenommenen Investition der Internetshops in die Kundenbeziehung. Dabei zeigen der Einsatz von Rabatten und Gutscheinen für Stammkunden und ein umfangreicherer Service für Stammkunden die größten Effekte. Dagegen weisen die Instrumente Individualisierte Angebote, E-Mail und Newsletter keine signifikanten Effekte auf die wahrgenommene Beziehungsinvestition auf, d.h. sie tragen nicht zur Erklärung der Varianz dieses Konstruktes bei. Im Vergleich zu den Ergebnissen von De Wulf et al. (2001), die in Abb. 3 dargestellt sind, wird in der Internetstudie ein deutlich höherer Anteil der Varianz der wahrgenommenen Beziehungsinvestition (65 vs. 39%) und der Loyalität (25 vs. 14%) erklärt. Dies ist ein weiterer Beleg, dass das Strukturmodell zur Wirkung von E-CRM-Instrumenten durch die empirischen Daten gestützt wird.

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Georg Fassott

Persönliche Ansprache

Individualisierte Angebote 0,05

E-Mail

0,10

-0,04 0,69

Zufriedenheit

0,28

R² = 0,48 Newsletter

0,04 Beziehungsinvestition

WebsiteInformationen

0,12

Mitarbeiterkontakt

0,13

0,42

R² = 0,65

Vertrauen

0,31

R² = 0,18

0,27

Commitment

Loyalität R² = 0,25

0,11

R² = 0,07 0,33 Umfangreicherer Service

0,41 Rabatte / Gutscheine

N = 196; F²/df = 1,55; GFI = 0,90; AGFI = 0,85; CFI = 0,96; RMSEA = 0,05 (PCLOSE = 0,33)

Abb. 4: Wirkung von E-CRM-Instrumenten Der moderierende Effekt der Schnäppchenneigung wurde durch eine MehrgruppenAnalyse in AMOS untersucht. Zwar unterschreitet die Größe der Teilgruppen (77 bzw. 119) die Größenanforderungen für eine solche Analyse. Allerdings konnten mit einer parallel durchgeführten PLS-Analyse (Fornell/Bookstein 1982; Fornell/Cha 1994), die geringere Anforderungen an die Sample-Größe stellt (Chin 1998, S. 332), die Werte der Pfadkoeffizienten nachvollzogen werden. Für die Mehrgruppen-Analyse in AMOS wurden die Befragten in zwei Gruppen eingeteilt, je nachdem ob ihre Bewertungen bezüglich den Indikatoren zur Schnäppchenneigung über oder unter dem Durchschnitt lagen. In einem „Gleichheits“-Modell wurden alle Pfade zwischen den beiden Gruppen gleichgesetzt, in dem „Moderator“-Modell wurden die Pfade zwischen Beziehungsinvestition und Zufriedenheit, Vertrauen sowie Commitment frei geschätzt. Ein signifikanter Ȥ²-Unterschied zwischen diesen beiden Modellen belegt, dass der Effekt der Beziehungsinvestition auf diese drei Konstrukte für die beiden Gruppen unterschiedlich ist. Insbesondere ist der Effekt auf Zufriedenheit und Vertrauen für die Gruppe der „Schnäppchenjäger“ erwartungsgemäß niedriger (siehe die Pfadkoeffizienten in Tab. 2). Dies gilt nicht für Commitment. Insgesamt kann in der Gruppe der Schnäppchenjäger anhand des Modells nur ein deutlich geringerer Anteil der Varianz für die Wiederkaufabsicht (22 vs. 38%) erklärt werden.

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

Alle (N = 196)

Persönliche Ansprache Individualisierte Angebote E-Mail Newsletter Website-Informationen Mitarbeiterkontakte Umfangreicherer Service Rabatte / Gutscheine

_ x 3,34 4,65 4,05 3,22 2,58 3,51 4,37 4,97

s 2,48 2,19 2,47 2,46 1,75 1,98 2,04 2,09

Pfad 0,10 0,05 -0,04 0,04 0,12 0,13 0,33 0,41

319

Keine Schnäppchenjäger (N = 77) _ x 3,47 4,71 4,05 3,32 2,88 3,61 4,36 4,87

s 2,58 2,22 2,42 2,48 1,99 2,10 2,01 2,18

Pfad 0,23 0,01 -0,05 -0,02 0,23 0,08 0,17 0,49

Schnäppchenjäger (N= 119) _ x 3,25 4,61 4,05 3,16 2,39 3,44 4,37 5,04

s 2,43 2,19 2,51 2,46 1,56 1,91 2,06 2,04

Pfad -0,03 -0,04 0,12 0,10 0,07 0,10 0,45 0,34

R² Pfad R² Pfad R² Pfad Investition 0,65 0,69 0,67 0,69 0,81 0,62 Investition - Zufriedenheit 0,48 0,66 0,39 0,42 0,62 0,32 Investition - Vertrauen 0,18 0,38 0,10 0,27 0,43 Investition - Commitment 0,07 0,00 -0,01 0,19 0,28 0,57 Zufriedenheit - Loyalität 0,12 0,31 0,38 Vertrauen - Loyalität 0,25 0,38 0,10 0,2 2 0,11 Commitment - Loyalität 0,10 0,14 _ x = Mittelwert (Skala 1 „trifft voll zu“ bis 7 „trifft gar nicht zu“); s = Standardabweichung R² = Quadrierte Multiple Korrelation (Werte beziehen sich jeweils auf das zweitgenannte Konstrukt) Signifikante (p < 0,05) Pfadkoeffizienten in Fettdruck

Tab. 2:

Moderierender Effekt der Schnäppchenneigung auf die Wirkung von E-CRMInstrumenten

Darüber hinaus zeigt Tab. 2 auch Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen in Bezug auf die Effekte der E-CRM-Instrumente auf die wahrgenommene Beziehungsinvestition sowie deren Effekte auf die Loyalität. So wirkt die wahrgenommene Beziehungsinvestition in der Gruppe der Schnäppchenjäger hauptsächlich über das Vertrauen auf die Loyalität, während in der Gegengruppe die Wirkung im Wesentlichen über die Zufriedenheit verläuft. Bezüglich der E-CRM-Instrumente ist die wahrgenommene Beziehungsinvestition bei der Gruppe der Schnäppchenjäger vom umfangreicheren Service und Rabatten für Stammkunden geprägt, in der Gegengruppe insbesondere von Rabatten für Stammkunden, Website-Informationen und Persönlicher Ansprache. Generell scheinen Internet-Anbieter E-CRM-Instrumente nicht ausreichend einzusetzen bzw. das Angebot ihren Kunden hinreichend bewusst zu machen, wie die Mittelwerte der Kundenwahrnehmungen in Tab. 2 zeigen. Kritisch ist insbesondere, dass die Unternehmen es versäumen, ihren Stammkunden handfeste Vorteile wie umfangreicheren Service oder Rabatte anzubieten, die einen wesentlichen Effekt für die Erklärung der wahrgenommenen Beziehungsinvestition aufweisen. Ebenso scheint es den Anbietern

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Georg Fassott

nicht zu gelingen, ihre Stammkunden so gut kennen zu lernen, dass ihnen maßgeschneiderte Angebote gemacht werden, zu denen die Kunden nur noch „Ja“ sagen können.

4

Zusammenfassung

Kundenbeziehungen im Internet zeichnen sich i.d.R. durch eine Betonung der kognitiven Beziehungskomponente aus. Das Hol-Prinzip des Internet ermöglicht dem Kunden eine Selbstbedienungs-Beziehung, bei der er die Stärke der Beziehung gemäß seinen Bedürfnissen und Wünschen selbständig steuern kann. Dagegen birgt der Wegfall bzw. die Reduktion persönlicher Kontakte zwischen Kunde und Kundenkontaktpersonal eine Gefahr für die affektive Komponente einer Beziehung. Dem kann durch ein vielfältiges Angebot elektronischer Kommunikationskanäle entgegengewirkt werden. Bezüglich der konativen Komponente wirft die Selbstbedienung im Internet die Frage auf, inwiefern Kunden diese Selbstbedienung akzeptieren, die dazu erforderlichen Kenntnisse haben und wie sich die im Verlauf von Selbstbedienungsinteraktionen gesammelten Erfahrungen auf die Kundenbeziehung auswirken. Eine Reihe von Instrumenten stehen zur Umsetzung einer E-CRM-Strategie zur Verfügung. In einer empirischen Studie wurde gezeigt, dass Anbieter im Internet mit diesen Instrumenten eine Wahrnehmung beim Kunden bewirken können, dass der Anbieter in die Beziehung zu seinen Kunden investiert. Diese wahrgenommene Beziehungsinvestition zeigt positive Effekte auf die Beziehungsqualität und über diese auf die Loyalität der Kunden. Sowohl die Effekte der E-CRM-Instrumente als auch die Wirkung der wahrgenommenen Beziehungsinvestition auf Beziehungsqualität und Loyalität waren für Schnäppchenjäger und den Rest der Befragten deutlich unterschiedlich. Dadurch bestehen Ansatzpunkte für eine segmentspezifische Ausgestaltung und für einen angesichts der in der Studie ermittelten Defizite intensiveren Einsatz der E-CRMInstrumente. Dieser Beitrag hat sich auf die Anbieter-Kundenbeziehung im Internet konzentriert. Viele Unternehmen sind jedoch auch außerhalb des Internet präsent, z.B. mit Verkaufsund Kundendienstpersonal, oder gestalten ihre Internetaktivitäten als Ergänzung des bisherigen Angebots. Hier muss das Kundenbeziehungsmanagement sicherstellen, dass die richtige Mischung aus Offline- und Online-Elementen gefunden wird und beide Teilbereiche miteinander verzahnt sind.

Anmerkung [1] Ich danke der Rogator AG, Nürnberg, für die Bereitstellung der Befragungssoftware und die Nutzung der Internetseite www.suchmaschinen.de sowie Herrn cand. Wirtsch.-Ing. Tim Löschner für die Datenerhebung.

Besonderheiten von Kundenbeziehungen im Internet

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Manfred Krafft, Oliver Götz

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sowie deren Erfolgswirkungen 1

Einleitung

2

Kundenbeziehung als Investitionsentscheidung

3

Begriffliche Abgrenzung entscheidender Kundenkonstrukte 3.1 Kundennähe 3.2 Kundenzufriedenheit 3.3 Kundenbindung 3.4 Zusammenhänge zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

4

Beziehungsgefüge zwischen den Kundenkonstrukten und dem ökonomischen Wert von Kundenbeziehungen 4.1 Begriffsabgrenzung des ökonomischen Werts 4.2 Effekt der Kundenkonstrukte auf den ökonomischen Wert 4.3 Effekt des Customer Relationship Managements auf den ökonomischen Wert

5

Diskussion

Literaturverzeichnis

1

Einleitung

Die Bedeutung des Beziehungsmarketing hat in den letzten Jahren sowohl in der Praxis als auch in der wissenschaftlichen Forschung stark zugenommen. Insbesondere die jüngere Marketing-Literatur ist von zahlreichen Beiträgen geprägt, die sich mit Konstrukten und Phänomenen von Kundenbeziehungen, wie Kundennähe, -orientierung, -zufriedenheit und -bindung beschäftigen. Mit dem vorliegenden Beitrag wird eine Systematisierung dieser kundenbezogenen Themen vor dem Hintergrund einer optimalen Gestaltung von Kundenbeziehungen angestrebt. Die derzeitige Literatur zeigt, dass eine Einigkeit weder hinsichtlich der abgedeckten Aspekte der Kundenbeziehung noch bezüglich der theoretischen Fundierung, der Messkonzepte und der Implikationen für Forschung und Praxis besteht. Es zeigt sich zudem, dass noch Defizite im Hinblick auf die Verknüpfung der Kunden-Konstrukte mit zentralen, ökonomischen Zielen wie der Unternehmensprofitabilität zu beobachten sind. Um diese Mängel aufzuheben, sind insbesondere moderne, kundenbezogene Instrumente des Marketing-Controlling zu entwickeln und dauerhaft einzusetzen. Die Marketing-Forschung und -Praxis beschäftigt sich in jüngster Vergangenheit immer mehr mit der Frage, ob und in welcher Form der Wert von Kundenbeziehungen gemessen und optimiert werden kann. Als potentielle Prädiktoren der Profitabilität von Kundenbeziehungen werden in diesem Beitrag die Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung diskutiert. Es soll dabei untersucht werden, welches Beziehungsgefüge zwischen diesen Konstrukten besteht, welche theoretischen Grundlagen und Ansätze zur Operationalisierung und Messung in bisherigen Publikationen herangezogen wurden und inwieweit es schon gelungen ist, diese Konstrukte mit ökonomischen Größen, wie dem Customer Lifetime Value (CLV) oder der Customer Equity, in Verbindung zu bringen. Dazu wird im folgenden Abschnitt die Relevanz der Wertigkeit von Kundenbeziehungen beschrieben sowie diskutiert, ob die Selektion, Akquisition und Bindung von Kunden als Investitionsentscheidungen anzusehen sind. Im dritten Abschnitt werden Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung als potenzielle Determinanten des ökonomischen Werts vorgestellt. Zugleich wird nach der theoretischen Fundierung, den relevanten Determinanten und Konsequenzen sowie den Interdependenzen zwischen diesen Konstrukten gefragt. Im vierten Abschnitt wird untersucht, wie diese Konstrukte mit dem ökonomischen Wert zusammenhängen und welche Befunde über Wirkungsbeziehungen aus der Literatur abzuleiten sind. Unser Beitrag schließt mit zentralen Implikationen für Forschung und Praxis, Hinweisen für weiteren Untersuchungsbedarf sowie hilfreichen Literaturquellen.

2

Kundenbeziehung als Investitionsentscheidung

Im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung werden zunehmend auch Marketing-Maßnahmen daraufhin überprüft, ob sie positiv zum Unternehmenswert und zu einem langfristigen, möglichst hohen Cash Flow beitragen. Im Gegensatz zu materiellen Vermögensgegenständen haben aber Maßnahmen des Marketing die Eigenschaft, über-

328

Manfred Krafft, Oliver Götz

wiegend nur immaterielles Vermögen zu schaffen (sogenannte "intangible assets"). Dadurch ergibt sich aus Finanzierungs- und Bewertungssicht die Erfordernis, diese intangiblen Werte verlässlich zu quantifizieren. Erste Ansätze dieser Art sind für den Bereich des Markenwerts entwickelt und umgesetzt worden (Sattler 1995, S. 663 ff.). Nun zeigt sich gerade im industriellen Bereich sowie in Branchen wie dem Versandhandel oder der Telekommunikationsbranche, dass selbst Unternehmen ohne typische Markenartikel außergewöhnlich hohe Market-to-book-Verhältnisse aufweisen, die auf bedeutende intangible Vermögensgegenstände hindeuten (Krafft et al. 2003). Neben der Reputation und spezifischen Ressourcen (z.B. Kernkompetenzen) der Unternehmen ist diese Höherbewertung seitens der Anteilseigner auch auf den Wert bestehender Kundenbeziehungen zurückzuführen (siehe Abb. 1).

Kunden als Cash-Flow-Generatoren Unternehmenswert Cash Flow

tangible Vermögensgegenstände

andere intangible Vermögensgegenstände

Customer Equity

Kundenwerte Akquisition

Bindung

Potentielle Kundenbeziehungen

Ressourcenpotential

Marktpotential

Bestehende Kundenbeziehungen

Marktpotential

Leistungserschließung

Ressourcenpotential

Leistungsausschöpfung

Abb. 1: Kundenertrags- und Unternehmenswert Empirische Studien und Fallbeispiele zeigen dabei, dass es sich häufig lohnt, von einer transaktionalen Sicht Abstand zu nehmen und Kundenbeziehungen über die Gesamtdauer des Kundenlebenszyklus zu beurteilen. So berichten Reichheld und Sasser, dass Kundenwertsteigerungen von 25% (Kreditversicherung) bis 85% (Depotverwaltung) möglich sind, wenn die Abwanderungsquote relevanter Kunden um 5% gesenkt werden kann (Reichheld/Sasser 1990, S. 110; Sheth/Parvatiyar 1995, S. 265). Somit kann eine erfolgreiche Kundenbindung potenziell einen nachhaltigeren positiven Einfluss auf den

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

329

langfristigen Unternehmenserfolg entfalten als Economies of Scale and Scope, Kosteneinsparungen, hohe Neukundenakquisitionen etc. Bei jährlichen Kundenmigrationsquoten von z.B. weit über 20% im Abonnement- und Versandhandelsgeschäft und einer gleichzeitig zu beobachtenden Homogenisierung von Produkt- und Dienstleistungsmerkmalen kann eine wirksame Bindung von profitablen Kunden schnell zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden.

Kundenattraktivität / Periode

Geschäftsbeziehungen sind durch unterschiedliche Phasen gekennzeichnet, die sich von der Anbahnungs- bis hin zur Revitalisierungsphase erstrecken (Stauss 2000, S. 16). Abgesehen von dem Fall, dass ein Kunde selbst aktiv wird, sind es die Unternehmen, die sich in der ersten Phase einen Überblick über ihre potenziellen Kunden verschaffen. Die Neukundenakquisition ist nach ökonomischen Aspekten vorzunehmen, da alternativ Marketing-Budgets in die erhöhte Bindung bereits gewonnener Kunden investiert werden können (Verhoef/Donkers 2005). Abb. 2 verdeutlicht die KundenlebenszyklusPhasen und zeigt beispielhaft, wie sich die Attraktivität einer Geschäftsbeziehung im Laufe der beschriebenen Phasen entwickeln kann.

(Degenerationsphase) Anbahnungsphase

Sozialisationsphase

Gefährdungsphase

Churn Management

Akquisitionsmanagement

Wachstumsphase

Gefährdungsphase

Churn Management

Kundenbindungsmanagement

Reifephase

RevitaliAbstinenz- sierungsphase phase

Gefähr- Kündigungsphase dungsphase

Zeit

Churn Management

Rückgewinnungsmanagement

Abb. 2: Phasen der Kundenbeziehung und deren Attraktivitätsentwicklung Quelle: Rutsatz 2003, S. 23; Stauss 2000, S. 16

Gerade der soeben beschriebene Kundenwert als eine Messgröße der Kundenrentabilität wird in der Literatur als Folge einer nachhaltig kundenorientierten Gestaltung von Geschäftsbeziehungen bezeichnet (Peter 1997, S. 46 ff.; Homburg/Bucerius 2003, S. 63 ff.). Im Weiteren betrachten wir mit der Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung drei zentrale Konstrukte eines kundenorientierten Beziehungs-Managements und analysieren zuerst, welche theoretischen Fundierungen, Determinanten und Konsequenzen

330

Manfred Krafft, Oliver Götz

der Konstrukte in der Literatur diskutiert werden, bevor wir im vierten Abschnitt der Frage nachgehen, ob auch Wirkungsbeziehungen zwischen den Kunden-Konstrukten und der interessierenden Größe des ökonomischen Werts bisher betrachtet bzw. nachgewiesen werden konnten.

3

Begriffliche Abgrenzung entscheidender Kundenkonstrukte

Im Folgenden werden die Konstrukte der Kundennähe, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung voneinander abgegrenzt. Sie stellen wichtige Voraussetzungen für die Profitabilität von Kundenbeziehungen dar. Aus diesem Grund sind sie als zentrale Begriffe eines Beziehungsmarketing anzusehen. So ist die Kundennähe im Wesentlichen als Voraussetzung für ein erfolgreiches Kundenmanagement zu verstehen. Im folgenden Abschnitt werden Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung als potentielle Determinanten des ökonomischen Werts vorgestellt. Zugleich wird nach der theoretischen Fundierung dieser Konstrukte gefragt, die es zu präzisieren gilt. Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Größen einen Einfluss auf die jeweiligen Konstrukte ausüben bzw. welche Konsequenzen aus einer größeren Kundennähe, -zufriedenheit bzw. -bindung folgen. Die bisherigen Erkenntnisse der vorherrschenden Literatur zu diesen Fragestellungen werden je Konstrukt gesondert dargestellt.

3.1

Kundennähe

Mit institutionellen Phänomenen der Kundennähe haben sich im deutschsprachigen Raum Albers und Eggert schon früh auseinandergesetzt (Albers/Eggert 1988). Homburg baut in seiner Arbeit auf diesen und weiteren Ansätzen auf und leitet nach einer umfassenden Literaturrecherche mit Hilfe moderner statistischer Methoden sieben Faktoren ab, die geeignet sind, Kundennähe von Industriegüterunternehmen zu quantifizieren (Homburg 1998). Neben der Arbeit von Homburg finden sich in der deutschsprachigen Marketing-Literatur nur noch der Beitrag von Wildemann, der sich mit Fragen der kundennahen Produktion und Logistik auseinandersetzt (Wildemann 1998, S. 97 ff.), und die Arbeit von Zollner, die aber methodische Schwachstellen aufweist (Zollner 1995; Homburg 1996, S. 1442). Ansonsten ist erstaunlicherweise festzustellen, dass sich deutschsprachige Arbeiten zu kundenbezogenen Themen kaum um eine Abgrenzung des jeweils betrachteten Konstrukts vom Begriff "Kundennähe" bemühen. Es ist aber auch abzusehen, dass sich die Begriffe Markt- und insbesondere Kundenorientierung gegenüber der Kundennähe als dominante Konstrukte durchsetzen (Krafft 2002, S. 9). In der anglo-amerikanischen Literatur gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die quantitativ-empirisch ausgerichtet sind. Dabei sind insbesondere Beiträge zu erwähnen, die von Kohli und Jaworski bzw. Narver und Slater publiziert wurden (Jaworski/Kohli

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

331

1993; Narver/Slater 1990). In ihrer Vorgehensweise und den Befunden ähneln diese Beiträge sehr der Arbeit Homburgs. Dabei werden umfassende Item-Listen generiert, zu Konstrukten verdichtet und dabei mit gängigen Prozeduren der Psychometrie hinsichtlich ihrer Reliabilität und Validität beurteilt. Zu bemängeln ist allerdings die unzureichende theoretische Fundierung dieser Beiträge. Daher erfolgt im Weiteren eine Konzentration auf die Arbeit Homburgs und insbesondere auf das darin operationalisierte und validierte Kundennähe-Konstrukt. Albers und Krafft verstehen Kundennähe als die Strategie eines Unternehmens, sich vollständig auf die Erfüllung von Kundenwünschen auszurichten (Albers/Krafft 2001, S. 867 ff.). Wesentliche Voraussetzungen für die Umsetzung von Kundennähe sind demnach Produkte und Dienstleistungen außerordentlicher Qualität, eine kundengerichtete und offene Informations- und Organisationsstruktur sowie ein konsequentes Nachkaufmarketing. Dies bedeutet, es ist nicht ausreichend, sehr gute Produkte anzubieten und den Kunden damit zufrieden zu stellen. Vielmehr betrachtet das Konzept der Kundennähe mögliche Beschwerden, die im Anschluss an den eigentlichen Kaufakt auftreten könnten, als Chance, mehr über den Kunden und seine Wünsche zu erfahren sowie Verbesserungspotenziale und Schwachstellen im Unternehmen aufzudecken. Eine kundengerichtete Informationsstruktur stellt dabei sicher, dass diese Informationen nicht verloren gehen, sondern für die Weiterentwicklung und Verbesserung des Produkt- und Dienstleistungsangebots verwendet werden können. Theoretische Fundierung und Konzeptionalisierung Homburg findet Anhaltspunkte für die Konzeptionalisierung in der Mikroökonomie bzw. der mikroökonomisch geprägten Betriebswirtschaftslehre, d.h. dem Gutenbergschen Begriff vom "akquisitorischen Potential", der letztlich Käuferpräferenzen widerspiegelt, die auch auf eine besondere Kundennähe von liefernden Unternehmen zurückgeführt werden können (Homburg 1998, S. 33 ff.). Aus der mikroökonomischen Literatur zieht der Autor den Transaktionskostenansatz heran, der neben der PrinzipalAgenten-Theorie und dem Property-Rights-Ansatz unter dem Begriff „Neue Institutionenlehre“ subsumiert wird. Während Homburg die Prinzipal-Agenten-Theorie als für eine theoretische Durchdringung des Phänomens Kundennähe wenig geeignet bezeichnet, deuten andere Veröffentlichungen darauf hin, dass Vertrauensstrategien zur Reduktion von Agency-Problemen im Verhältnis Lieferant-Kunde in Prinzipal-Agenten-Ansätzen modelliert werden können (Weißenberger 1998). Homburg zeigt in seiner Arbeit, wie er bei der Konzeptionalisierung und Operationalisierung des Konstrukts Kundennähe vorgegangen ist. Bei der Messung der Kundennähe stellen sich zwei zentrale Dimensionen und sieben den Dimensionen untergeordnete Faktoren heraus (Homburg 1998, S. 90 ff.). Die Faktoren der Dimensionen „Kundennähe des Leistungsangebots“ und „Kundennähe des Interaktionsverhaltens“ sind in Abb. 3 dargestellt.

332

Manfred Krafft, Oliver Götz

Kundennähe

Dimension 1: Kundennähe des Leistungsangebots

Dimension 2: Kundennähe des Interaktionsverhaltens

Faktor 1:

Faktor 2:

Faktor 3:

Faktor 4:

Faktor 5:

Faktor 6:

Faktor 7:

Produkt- und Dienstleistungsqualität

Qualität der kundenbezogenen Prozesse

Flexibilität im Umgang mit Kunden

Qualität der Beratung durch Verkäufer

Offenheit im Informationsverhalten gegenüber Kunden

Offenheit gegenüber Anregungen von Kunden

Kundenkontakte von nicht im Verkauf tätigem Personal

Abb. 3: Konzeptionalisierung der Kundennähe nach Homburg Quelle: Homburg 1998, S. 120

Das Konzept Kundennähe findet sich mit seinen Inhalten – vor allem dem Fokus auf die schnelle und flexible Erfüllung von Kundenwünschen – in vielen Strategien wieder, die den Kunden in den Mittelpunkt stellen. Hier sind vor allem die Begriffe Marktorientierung und Kundenorientierung zu nennen, die in der englischsprachigen Literatur dominieren (Kohli/Jaworski 1990; Krafft 2002; Ruekert 1992). Determinanten der Kundennähe Auch bei der Frage, welche Faktoren einen Einfluss auf die Kundennähe von Unternehmen ausüben, kann man in der deutschsprachigen Literatur neben Beiträgen zu Teilaspekten nur auf Homburgs Arbeit zurückgreifen (Homburg 1998, S. 181 ff.). Der Autor konzentriert sich auf organisatorische Determinanten und untersucht insbesondere, wie die Kundennähe durch Management-Maßnahmen beeinflusst werden kann. Im Einzelnen werden für die organisatorischen Strukturen nach Maßgabe der Forschung der Aston-Gruppe wiederum Konstrukte gebildet und validiert (Spezialisierung, Koordination, Konfiguration, Entscheidungsdelegation, Formalisierung). Wie von Homburg postuliert, bestätigt sich ein negativer Zusammenhang von Spezialisierung bzw. Formalisierung und Kundennähe, während von Dezentralisierung und Entscheidungsdelegation ein signifikanter positiver Einfluss ausgeht. Als Kontingenzfaktoren werden weiterhin Unternehmensgröße und Formen der Unternehmenskultur daraufhin untersucht, wie sie mit dem Ausmaß an Kundennähe korrelieren. Wie in der Literatur vermutet, zeigt sich ein negativer Zusammenhang von Unternehmensgröße und Kundennähe. Während für hierarchische Unternehmenskulturen geringe und für Clan- und Markt-Kulturen mittlere Werte beobachtet werden, ergibt sich für die sogenannte Ad-Hocracy-Kultur die höchste Ausprägung der Kundennähe. Homburg hat sich in seiner Arbeit somit auf

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

333

Einflussgrößen konzentriert, die "steuerbar" sind, um Management-Implikationen ableiten zu können. Die anglophile Literatur zu Determinanten der Kundennähe ist wiederum auf Beiträge von Narver und Slater bzw. Jaworski und Kohli beschränkt. Die letztgenannten Autoren untersuchen den Zusammenhang von Aspekten der Unternehmensführung, der funktionsübergreifenden Zusammenarbeit und der Organisationsstruktur mit der Marktorientierung von Unternehmen (Jaworski/Kohli 1993). Der nachhaltigste Einfluss auf die Marktorientierung geht nach Maßgabe der empirischen Befunde von Komponenten der Unternehmensführung (wie Einstellung des Managements und Kriterien der Vergütung und Karriereentwicklung) aus, während die Organisationsstruktur kaum mit der Marktorientierung zusammenhängt. Narver, Slater und Tietje messen über fünf bzw. drei Indikatoren mit dem "programmatic approach" bzw. dem "market-back approach" zwei alternative Ansätze zur Steigerung der Marktorientierung von Unternehmen (Narver et al. 1998). Der "programmatic approach" wird dabei als bewusster und geplanter Ansatz mit dem Ziel einer höheren Marktorientierung konzeptualisiert, während der "marketback approach" als Lernprozess von Unternehmen, d.h. als Reaktion auf Marktanforderungen angesehen wird. Von diesem "market-back approach" geht ein nachhaltiger Effekt auf die Marktorientierung von Unternehmen aus, während der "programmatic approach" kaum einen Einfluss ausübt. Konsequenzen der Kundennähe Homburg fokussiert seine Arbeit auf Auswirkungen von Kundennähe auf die Gestaltung der Geschäftsbeziehung und den Geschäftserfolg (Homburg 1998, S. 130 ff.). Das Ausmaß der Kundennähe wird dabei richtigerweise als Optimierungsproblem erkannt und es wird mit Hilfe nichtlinearer Regressionsanalysen überprüft, bis zu welchem Grad Kundennähe zu höheren Gewinnen führt. Generell zeigt sich, dass Kundennähe signifikant mit Merkmalen der Geschäftsbeziehung zusammenhängt und dabei eine S-förmige (logistische) Funktionsform die beste Anpassung an die empirisch beobachteten Zusammenhänge aufweist. Dies ist konform mit der von Simon postulierten Hypothese, dass die mit größerer Kundennähe einhergehenden Grenzkosten steigen, während der damit verbundene Grenznutzen immer geringer wird, also dass es einen optimalen Grad an Kundennähe gibt (Simon 1991, S. 272). Zudem werden die frühen Befunde von Albers, Bauer und Eggert, die empirisch positive Zusammenhänge zwischen Aspekten der Kundennähe und des Unternehmenserfolgs nachweisen, bestätigt (Albers et al. 1988, S. 24 ff.). Allerdings beschränken sich diese Autoren ebenso wie Fritz in seiner Habilitationsschrift auf lineare Beziehungen von Kundennähe bzw. -orientierung und ausgewählten Erfolgsgrößen (Fritz 1992). Homburg stellt außerdem fest, dass die signifikanten Wirkungen auf "weiche" Faktoren wie Commitment, Vertrauen und Kundenzufriedenheit tendenziell stärker sind als die Zusammenhänge mit den untersuchten objektiven Größen (Zahl der alternativen Lieferanten und Wettbewerbsposition des Lieferanten) (Homburg 1998, S. 154 ff.). In einer weiteren Studie wird ebenfalls ein substanzieller positiver Einfluss einer kunden- bzw. marktorientierten Unternehmensführung auf den Unternehmenserfolg berichtet, wenngleich mit einem linearen Strukturgleichungs-

334

Manfred Krafft, Oliver Götz

modell wiederum nur lineare Beziehungen betrachtet werden, die betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll sind (Becker/Homburg 1999, S. 31 f.). Die angloamerikanische Literatur ist bei der Analyse von Konsequenzen der Kundennähe bzw. Kunden- und Marktorientierung in erster Linie darauf fokussiert, inwieweit diese Konstrukte die Rentabilität positiv beeinflussen. Einzig Narver und Slater berichten zusätzlich, dass ein positiver Zusammenhang von Marktorientierung und der Bleibequote von Kunden zu beobachten ist (Narver/Slater 1990, S. 31). In dieser wie in drei weiteren empirischen Studien wird zudem festgestellt, dass die Kunden- bzw. Marktorientierung von Unternehmen mit höheren Erfolgen einhergeht (Desphandé et al. 1993, S. 30; Jaworski/Kohli 1993, S. 62; Narver/Slater 1990, S. 30 ff.). Einen abweichenden Befund berichten Narver, Jacobson und Slater, die keinen signifikanten Einfluss der Marktorientierung auf die Rentabilität nachweisen können (Narver et al. 1993, S. 14 f.). Es bleibt als Zwischenfazit festzuhalten, dass die quantitativen und qualitativen Konsequenzen einer höheren Kundennähe bzw. Kunden- oder Marktorientierung zumeist nur partiell analysiert worden sind. Dabei hat sich bisher kein eindeutiger Standard der Messung von Kundennähe bzw. Kunden- oder Marktorientierung herausgebildet.

3.2

Kundenzufriedenheit

Der vorangegangene Abschnitt beschäftigt sich mit dem Konstrukt der Kundennähe. Ein wesentliches Merkmal von Kundennähe besteht darin, schneller und genauer auf eine Veränderung der Kundenwünsche einzugehen und den einzelnen Kunden seinen Bedürfnissen entsprechend zu bedienen. Eine erfolgreiche Strategie der Kundennähe ermöglicht somit dem Unternehmen, das Leistungsangebot den Erwartungen der Kunden anzupassen. Auf diese Weise kann Kundennähe einen wichtigen Beitrag zur Steigerung von Kundenzufriedenheit leisten. Nach herrschender Auffassung wird Kundenzufriedenheit als positive emotionale Reaktion auf einen kognitiven Vergleichsprozess zwischen den Erwartungen des Kunden und des von ihm wahrgenommenen Leistungsniveaus verstanden. Sie tritt ein, wenn das wahrgenommene Leistungsniveau die Erwartungen erfüllt oder übersteigt. Theoretische Fundierung und Operationalisierung In der Kundenzufriedenheitsliteratur mangelt es an systematischen Darstellungen zu theoretischen und konzeptionellen Grundlagen dieses Konstrukts. Häufig werden Modellierungsrahmen, Theorien hinsichtlich des Prozesses der Zufriedenheitsbildung und der Konsequenzen von (Un-)Zufriedenheit nicht hinreichend unterschieden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf Modellierungsrahmen und die verhaltenswissenschaftlichen Theorien zum Prozess der Zufriedenheitsbildung. Als Modellierungsrahmen werden in erster Linie die Attributionstheorie (Folkes 1984; Homburg/Rudolph 1998, S. 35 ff.), die Equity Theory (Oliver/Swan 1989) und das Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (oder C/D-Paradigma) diskutiert, wobei sich

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

335

das C/D-Paradigma als das bedeutendste und am häufigsten angewandte Erklärungsmodell herauskristallisiert, das im Wesentlichen auf Vergleichen von Soll-Leistungen (Vergleichsstandards der Kunden) mit wahrgenommenen Leistungsniveaus (Ist-Leistungen) basiert (Bearden/Teel 1983; Oliver 1980). Entsprechen sich Soll- und IstLeistungen, liegt eine ‚Confirmation’ und folglich Zufriedenheit vor. Eine Übererfüllung der Soll-Leistung wird als positive ‚Disconfirmation’ bezeichnet, die ebenfalls Zufriedenheit nach sich zieht, während eine Untererfüllung oder negative ‚Disconfirmation’ zu Unzufriedenheit führt (Anderson 1994, S. 20; Herrmann/Johnson 1999, S. 581 f.; Homburg/Rudolph 1998, S. 35 ff.; Krüger 1997, S. 58 ff.; Stauss/Seidel 2003, S. 156 ff.). Zur Erklärung der mit diesem Vergleich verbundenen psychologischen Vorgänge wird aus der Verhaltenswissenschaft zumeist auf die Konsistenz-, die Kontrast- und die Assimilations-Kontrast-Theorie zurückgegriffen, die aus der Sozialpsychologie stammen und Kundenzufriedenheit als einen kognitiven Vergleichsprozess begreifen (Homburg/ Rudolph 1998; Krüger 1997; Anderson 1973; Mano/Oliver 1993; Oliver 1980). In der Literatur ist eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit diskutiert worden. Neben objektiven Indikatoren wie Umsatz, Marktanteil oder Kundenwanderungsdaten, die aufgrund nachhaltiger zeitlicher Verzögerungen und der starken Abhängigkeit von weiteren Einflüssen oft nur ergänzend eingesetzt werden, haben in erster Linie subjektive Messansätze zur Quantifizierung von Kundenzufriedenheit Verwendung gefunden. Während einzelne Autoren in der jüngsten Vergangenheit die Vorteilhaftigkeit ereignisorientierter Verfahren (z.B. Critical Indicident Technique) hervorheben (Bitner et al. 1990; Stauss/Seidel 2003, S. 172 f.), zeigt eine Recherche der Veröffentlichungen zum Kundenzufriedenheits-Konstrukt, dass bisher überwiegend explizite, merkmalsorientierte Methoden in Form multiattributiver Messansätze (Zufriedenheitsskalen) eingesetzt werden (Werner 1998, S. 150 ff.). Neben diesen expliziten Verfahren werden auch implizite Methoden vorgeschlagen, die in erster Linie die Analyse des Beschwerdeverhaltens umfassen (Meffert/Bruhn 1981, S. 597 ff.; Fornell/ Wernerfelt 1987; Fornell/Wernerfelt 1988). Die unterschiedlichen Ansätze zur Messung der Kundenzufriedenheit sind in Abb. 4 dargestellt. Letztendlich muss man feststellen, dass sich bisher keine Methode zur Operationalisierung und Messung von Kundenzufriedenheit in der Wissenschaft durchgesetzt hat. Vielmehr sind globale Kundenzufriedenheitsmessungen (wie das Deutsche Kundenbarometer) von spezifischen Messmethoden zu unterscheiden, für die zuerst relevante Leistungsmerkmale für den jeweiligen Untersuchungsgegenstand zu ermitteln sind, um anschließend Fragen zur Zufriedenheit mit diesen Merkmalen zu entwickeln. Eine übersichtliche Darstellung, inwieweit Spezifitäten einzelner Branchen oder AnbieterKunden-Verhältnisse einen Einfluss auf die Messung von Kundenzufriedenheit ausüben, findet man im Beitrag von Homburg, Rudolph und Werner (Homburg et al. 1998).

336

Manfred Krafft, Oliver Götz

Ansätze zur Kundenzufriedenheits-Messung

Objektive Verfahren

Subjektive Verfahren

Merkmalsbezogene Verfahren

Implizite Methoden

Ereignisorientierte Verfahren

Explizite Methoden

Abb. 4: Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit Quelle: Schütze 1994, S. 184; Homburg/Rudolph 1998, S. 48; Werner 1998, S. 153

Determinanten der Kundenzufriedenheit Als Bestimmungsgrößen der Kundenzufriedenheit sind nicht die Zufriedenheiten mit einzelnen Leistungskomponenten anzusehen. Diese sind vielmehr Ausdruck der Komplexität des Konstrukts Kundenzufriedenheit und zeigen, dass es sich dabei um ein mehrdimensionales, mehrstufiges Konstrukt handelt (Homburg/Giering 1996). Wenn die Zufriedenheit von Kunden nach Maßgabe des C/D-Paradigmas Folge eines Soll/Ist-Vergleichs ist, müssten deren wesentliche Determinanten aus dem Vergleichsprozess resultieren. Einen derartigen Befund berichtet Rapp, der fünf Faktoren identifiziert, welche die Kundenzufriedenheit beeinflussen, nämlich „Technische Produktqualität“, „Servicequalität“, „Reputationsqualität“, „Persönliche Beziehungsqualität“ und „Preiswahrnehmung“ (Rapp 1995, S. 119 ff.). Damit hat der Autor zwar gezeigt, dass diese Qualitätsdimensionen zur Erklärung des Konstrukts Zufriedenheit dienen können, ob weitere Determinanten einen Einfluss ausüben, wird jedoch nicht geprüft. Krüger leitet konzeptionell her, dass Leistungsmerkmale (Produktqualität, After-Sales-Support und Kunden-Mitarbeiter-Interaktion) Determinanten der Zufriedenheit sein können. Als Alternative führt sie eine prozessuale Sicht der Zufriedenheitsbildung an (in der Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase), die mit dem Ansatz von Schütze konform geht, der Pre-Sales- und After-Sales-dominierte Zufriedenheitsquellen unterscheidet. Beide Autoren führen jedoch keine explizite Überprüfung des Zusammenhangs dieser Größen mit der Kundenzufriedenheit durch (Krüger 1997, S. 70 ff.; Schütze 1994, S. 212 ff.). Homburg berichtet signifikante Zusammenhänge der Kundennähe-Konstruktdimensionen ‚Leistungsangebot‘ und ‚Interaktionsverhalten‘ mit der Kundenzufriedenheit (Homburg 1998, S. 149 und S. 154 ff.).

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

337

Im American Customer Satisfaction Index (ACSI) haben sich die wahrgenommene Qualität, Kundenerwartungen und der wahrgenommene Kundennutzen als Determinanten der Kundenzufriedenheit herausgestellt (Fornell/Bryant 1998, S. 175 ff.). Ähnliche Befunde berichten Anderson und Sullivan, die jedoch einen nur indirekten Effekt der Kundenerwartungen auf die Kundenzufriedenheit beobachten und zusätzlich die Variable "Leichtigkeit der Qualitätsbeurteilung" einführen (Anderson/Sullivan 1993, S. 136 ff.). Fundamentale Kritik an den bisherigen Arbeiten zu Determinanten der Kundenzufriedenheit üben Herrmann, Huber und Wricke, die darauf verweisen, dass sich Kundenzufriedenheit nicht nur aus der Qualität des erlebten Produkts bzw. der erfahrenen Dienstleistung bildet (Herrmann et al. 1999, S. 677 ff., insbesondere S. 682 ff.). Vielmehr spielt auch die Einschätzung der Zwecktauglichkeit alternativer Leistungen von Wettbewerbern eine Rolle, wie in einer empirischen Studie festgestellt wurde. Daher fordern die Autoren für zukünftige Forschungsarbeiten, dass dem sogenannten "regret"-Effekt (Bell 1982, S. 961 ff.; Loomes/Sugden 1982, S. 805 ff.) aus nicht gewählten Alternativen durch entsprechende Untersuchungsdesigns Rechnung getragen wird. Konsequenzen der Kundenzufriedenheit Mit den Folgen von Kundenzufriedenheit setzen sich insbesondere die Theorie der kognitiven Dissonanz, die Lerntheorie und die Risikotheorie auseinander (Homburg/Rudolph 1998, S. 46 f.; Schütze 1994, S. 138 ff.). Hierbei sind individuelle, mikro- und makroökonomische Effekte zu unterscheiden (Anderson/Sullivan 1993, S. 131 ff.). Makroökonomische Ansätze wie das Deutsche Kundenbarometer, der ACSI oder ECSI (European Customer Satisfaction Index) überprüfen, inwieweit sich Kundenzufriedenheit auf Branchen oder Volkswirtschaften auswirken. Dieses Gebiet ist als noch relativ unerforscht einzuschätzen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind individuelle Auswirkungen interessant, da sie als Vorstufe der mikroökonomischen Konsequenzen (insbesondere der Unternehmensprofitabilität) eingestuft werden (Fischer et al. 2001, S. 1178 ff.). So weisen auch Adam, Herrmann, Huber und Wricke einen positiven Zusammenhang zwischen den beiden Größen Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft empirisch nach (Adam et al. 2002, S. 773 ff.). Homburg et al. bestätigen in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie diesen Zusammenhang und identifizieren einen S-förmigen Funktionsverlauf (Homburg et al. 2005). Als individuelle Effekte von Kundenzufriedenheit werden in der rezensierten Literatur Kundenloyalität und positive Mund-zu-MundPropaganda angesehen, als Folgen hoher Unzufriedenheit Beschwerden, KundenAbwanderung, negative Mund-Werbung oder gar keine (äußere) Reaktion. Empirische Befunde zu diesen unterstellten Effekten sind im deutschen Schriftgut – im Gegensatz zur amerikanisch dominierten Literatur – nur verstreut zu finden. Beispielsweise werden bei der Wirkung von (Un-)Zufriedenheit auf positive (negative) Mund-zu-MundPropaganda regelmäßig die Studien des Technical Assistance Research Program angeführt, die im Auftrag der amerikanischen Regierung erstellt wurden und zeigten, dass unzufriedene Kunden ihre negativen Erfahrungen mit neun, zufriedene Kunden ihre Erfahrungen dagegen nur mit drei Personen teilen (o.V. 1986). Bezüglich des Be-

338

Manfred Krafft, Oliver Götz

schwerdeverhaltens gibt es dagegen schon eine lange Forschungstradition in Deutschland (Meffert/Bruhn 1981), wobei aktuelle, messmethodisch anspruchsvolle Untersuchungen derzeit kaum vorliegen (Krafft 2002, S. 21). Ähnlich wie bei der Mund-zuMund-Propaganda basieren empirische Befunde zur Abwanderungsneigung von Kunden fast ausschließlich auf Studien aus den USA (Andreasen 1985). Dort sind Kundenzufriedenheitsmessungen nicht nur regulärer Bestandteil der Marketing-Forschung von Unternehmen, sondern fließen auch in die Vergütung von Managern und Marketingbzw. Vertriebsmitarbeitern ein (Hauser et al. 1994, S. 327 ff.; Reichheld/Sasser 1990, S. 110 ff.; Müller 1994, S. 208). Die vorliegenden Werke konzentrieren sich hierbei überwiegend auf den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.

3.3

Kundenbindung

Das in englischsprachigen Publikationen unter der Bezeichnung "Customer Retention" insbesondere von Reichheld und seinen Ko-Autoren beschriebene Phänomen Kundenbindung (Reichheld/Sasser 1990; Reichheld 1996) ist in Deutschland in erster Linie von Diller aus wissenschaftlicher Sicht beleuchtet worden (Diller 1996). Neben der Dissertation von Peter sind auch die Arbeiten von Krüger, Oevermann und Eggert schwerpunktmäßig dem Kundenbindungs-Konstrukt, dessen Determinanten und Konsequenzen gewidmet (Peter 1997; Krüger 1997; Oevermann 1996; Eggert 1999). Als "Kundenbindung" wird im Wesentlichen die Aufrechterhaltung einer Geschäftsbeziehung bezeichnet, die durch eine nicht zufällige Folge von Markttransaktionen zwischen Lieferant und Kunde gekennzeichnet ist (Diller 1996, S. 84; Eggert 1999, S. 30 ff.; Krüger 1997, S. 22; Peter 1997, S. 7). Dabei ist aus Anbietersicht das Binden von Kunden mittels verschiedener Marketing-Maßnahmen zentral, aus Nachfragersicht die Einstellung (Bindung) zum Lieferanten, die sich z.B. in wiederholten Abschlüssen, Weiterempfehlungs- und Wiederkaufabsichten widerspiegelt. Konkretisiert wird die Kundenbindung im bisherigen, gegenwärtigen und zukünftigen Kauf- oder Bestellverhalten (Krafft 1999, S. 22). Theoretische Fundierung und Operationalisierung Bei der konzeptionellen Durchdringung des Kundenbindungs-Begriffs sind zum einen Theorien heranzuziehen, die dieses Phänomen direkt erklären, zum anderen aber auch Ansätze zu prüfen, die das Streben nach Abwechslung als konträre Haltung beschreiben. Die wissenschaftliche Literatur identifiziert Hirschmans mikroökonomische Theorie, die Transaktionskostenanalyse und die sozialpsychologische Interaktionstheorie als Ansätze, die das Phänomen der Kundenbindung direkt erklären (Homburg/Bruhn 2003, S. 12 ff.; Peter 1997, S. 203 ). Um die Wechselneigung von Abnehmern als eine die Kundenbindung beeinträchtigende Größe zu erfassen, zieht Peter das behavioristische Konstrukt „Variety Seeking“ heran (Peter 1997, S. 99 ff.). Der verhaltenswissenschaftlich geprägte Ansatz Hirschmans führt zur Ableitung von „Kundenzufriedenheit“, „Attraktivität von Konkurrenzangebo-

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

339

ten“ und „Wechselbarrieren“ als Bestimmungsfaktoren (Hirschman 1970). Ökonomische, soziale und psychische Wechselbarrieren werden auch von der Transaktionskostenanalyse identifiziert, wobei hier der Kostenaspekt dieser Barrieren dominiert. Ausgehend vom Anreiz-Beitrags-Gedanken dienen nach Maßgabe der sozialpsychologischen Interaktionstheorie Vergleichsmaßstäbe ("comparison levels") dazu, Kosten und Nutzen von Partnerschaften zu bewerten. Wie Hirschmans Ansatz nennt diese Theorie attraktive Konkurrenzangebote und Kundenzufriedenheit als zentrale Einflussfaktoren auf den Aufbau, die Aufrechterhaltung bzw. Beendigung von Austauschbeziehungen. Eggert konzentriert seine Betrachtungen auf Kundenbindung als Einstellung der Kunden zur Geschäftsbeziehung bzw. als beabsichtigtes Wiederkaufverhalten (Eggert 1999, S. 61 ff.). Daher formuliert er sein Modell der Kundenbindung auf der Basis der verhaltenstheoretischen Ansätze der „Theory of Reasoned Action“ von Fishbein und Ajzen und der darauf aufbauenden Erweiterung um unfreiwilliges Verhalten, der „Theory of Planned Behavior“ von Ajzen (Fishbein/Ajzen 1975; Ajzen 1985). Aus diesen Überlegungen resultiert ein mehrstufiges Modell, das als sukzessive Stufen kundenbindende Aktivitäten des Anbieters, kognitive und normative Ansichten der Kunden, Einstellungen und subjektive Normen, Verhaltensabsichten hinsichtlich des Wiederkaufs und Verhaltenskontrolle durch den Anbieter sowie deren Effekt auf das bindungsinduzierte Wiederkaufverhalten umfasst (Eggert 1999, S. 74). Darauf aufbauend differenziert Eggert in seiner Konzeptionalisierung des Konstrukts Kundenbindung aus Kundensicht die beiden Dimensionen „Verbundenheit“ und „Gebundenheit“ (Eggert 1999, S. 129 ff.). Üblicherweise werden bei der Messung des als komplex und multidimensional eingeschätzten Konstrukts Kundenbindung zwei Dimensionen unterschieden, und zwar erstens das bisherige Verhalten im Sinne des Kaufverhaltens und der Weiterempfehlung sowie zweitens die Verhaltensabsichten im Sinne der Wieder- bzw. Zusatzkauf- und der Weiterempfehlungsabsicht (Meyer/Oevermann 1995, Sp. 1341). Anglophile Beiträge zur Kundenbindungs-Literatur stellen in der Operationalisierung dieses Phänomens auffällig oft auf direkt messbare Größen wie Dauer der Geschäftsbeziehung, Share of Customer (Anteil der von einem Anbieter bezogenen Ware am Gesamtbeschaffungsvolumen), Häufigkeit des Lieferantenwechsels, Kaufreihenfolge sowie Einkaufsstättentreue ab (Peter 1997, S. 364 ff.). Determinanten der Kundenbindung Bei der Analyse zentraler Determinanten der Kundenbindung identifiziert Peter die Einflussgrößen ökonomischer, psychischer und sozialer Wechselbarrieren, Kundenzufriedenheit, Variety Seeking und Attraktivität von Konkurrenzangeboten (Peter 1997, S. 198 ff.). Krüger beschränkt sich in ihrer Arbeit auf den Zusammenhang der globalen Kundenzufriedenheit mit Indikatoren der Kundenbindung. Die Analyse zeigt, dass eine hohe Kundenbindung positiv mit den Variablen Wiederabschlussabsicht, Einstellung sowie Weiterempfehlungsabsicht und negativ mit einer aktiven Alternativensuche zusammenhängt (Krüger 1997, S. 224 ff.). Eine weitere Untersuchung zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung stammt von Burmann, der einen

340

Manfred Krafft, Oliver Götz

konvexen Zusammenhang zwischen der Kauf-, Kundendienst- bzw. Produktzufriedenheit und der Händlertreue feststellt (Burmann 1991, S. 249). Betz und Krafft identifizieren in ihrer jüngst veröffentlichten Studie drei wesentliche Determinanten der Händlerbindung (Betz/Krafft 2003; Betz 2003, S. 196). Dazu zählen die Konstrukte Produktund Kaufzufriedenheit sowie die Zufriedenheitsakzeptanz. Im angloamerikanischen Raum sind bereits Anfang der 90er Jahre auf der Basis nationaler Kundenbarometer Analysen zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und deren Konsequenzen (wie Kundenbindung oder Marktanteil) veröffentlicht worden (Fornell 1992; Fornell 1995; Fornell et al. 1996). Wesentlicher Befund dieser Studien ist die Feststellung, dass zwar ein positiver Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und -bindung zu beobachten ist, dass die Stärke des Zusammenhangs aber je nach betrachteter Branche deutliche Unterschiede aufweist (Herrmann/Johnson 1999, S. 580). In einer weiteren Studie identifiziert Li die Kovariablen Nutzungsintensität, MarketingInstrumente und demographische Merkmale, die einen Einfluss auf die Länge der Kundenlebenszeit im Ferngesprächmarkt der USA ausüben (Li 1995, S. 20 ff.). Bolton findet in ihrer Untersuchung heraus, dass die kumulierte Kundenzufriedenheit der Vergangenheit bei der Entscheidung, ob ein Mobilfunkdienst weiter in Anspruch genommen wird, ein stärkeres Gewicht besitzt als die jüngst wahrgenommene Zufriedenheit (Bolton 1998, S. 57 ff.). Dadurch wird den bisherigen Studien ein weiterer Aspekt hinzugefügt, nämlich die Frage der Dynamik der Beziehung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. Konsequenzen der Kundenbindung Bei der Untersuchung der Wirkungen, die von einer höheren Kundenbindung ausgehen, ist man überwiegend auf einzelne Fallbeispiele und Beraterschriften angewiesen (Reichheld/Sasser 1990; Reichheld 1993; Reichheld 1996; Müller 1991; Diller 1996). Auch Peter liefert keine eigenen empirischen Befunde über Konsequenzen der Kundenbindung, sondern bezieht sich auf bisher veröffentlichte Studien (Peter 1997, S. 41 ff.). Lediglich Krüger überprüft anhand von Mittelwertvergleichen, welches Verhalten bei neuen Kunden bzw. Reisemittler-Kunden mit mittlerer oder hoher Kundenbindungsdauer zu beobachten ist. Es zeigen sich signifikante, wenngleich nur schwach ausgeprägte Unterschiede bezüglich des Umsatzes, des Weiterempfehlungsverhaltens in der Vergangenheit, der Weiterempfehlungsabsichten und der erforderlichen Betreuungsintensität (Beratungsdauer). Dabei ist eine längere Kundenbindung mit höheren Umsätzen, häufigeren Empfehlungen bzw. Empfehlungsabsichten und kürzeren Beratungszeiten verbunden (Krüger 1997, S. 233 ff.). Als Quintessenz einer Recherche der deutschsprachigen Literatur kann vorläufig festgestellt werden, dass zumeist ein substanzieller, positiver Zusammenhang von Kundenbindung und Unternehmenserfolg berichtet wird. In der angloamerikanischen Literatur finden sich Studien zum Zusammenhang von Kundenbindung und ökonomischen Erfolgsgrößen. Diese Studien sind Gegenstand des vierten Kapitels und sollen an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden. Insgesamt verbleibt der Eindruck, dass die bisher vorliegenden Studien zur Wirkung von Kundenbindung eher anekdotischer Natur sind.

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

3.4

341

Zusammenhänge zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

Die Zusammenhänge zwischen den Konstrukten „Kundennähe“, „Kundenzufriedenheit“ und „Kundenbindung“ wurden in der Literatur bereits vielfach diskutiert und werden von wenigen empirischen Studien unterstützt. Gemein ist den Ansätzen in der Literatur der postulierte positive Zusammenhang zwischen den drei genannten Konstrukten. Aufgrund der Befunde aus Homburgs Habilitationsschrift (Homburg 1998) und einigen englischsprachigen Publikationen (Desphandé et al. 1993; Jaworski/Kohli 1993; Narver/ Slater 1990) ist von einem positiven Zusammenhang von Kundennähe bzw. Marktorientierung und Kundenzufriedenheit auszugehen, der von einigen Größen (marktbezogene bzw. technologische Dynamik und Komplexität sowie spezifische Investitionen) moderiert wird (Homburg/Faßnacht 1998). Homburg berichtet die höchste Erklärungskraft der Beziehung von Kundennähe und Kundenzufriedenheit für eine logistische, d.h. S-förmige Funktion. In einigen wissenschaftlichen Arbeiten wird hinsichtlich des Zusammenhangs von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung eine positive Korrelation nachgewiesen. Giering et al. und Homburg/Bucerius geben einen breiten Überblick über die bisherigen Arbeiten und empirischen Studien, die sich mit den Auswirkungen der Kundenzufriedenheit auf die Kundenbindung bzw. Kundenloyalität und der Form des Zusammenhangs beschäftigt haben (Giering 2000, S. 22 ff.; Homburg et al. 2000, S. 93 f.; Homburg/ Bucerius 2003, S. 57 ff.). Bei näherer Betrachtung lassen sich jedoch teilweise erhebliche Differenzen feststellen: So ordnen Homburg et al. das Werk von Auh/Johnson (Auh/Johnson 1997) den Vertretern eines progressiven Funktionsverlaufs zu, während Homburg/Bucerius diese der Kategorie der Vertreter eines S-förmigen Zusammenhangs zuweisen. Auch in der jüngst veröffentlichten Untersuchung von Yeung, Ging und Ennew kommen die Autoren letztlich zum Ergebnis, dass eine eindeutige funktionale Beziehung noch nicht empirisch nachgewiesen werden konnte (Yeung et al. 2002, S. 32). Hieraus wird ersichtlich, dass sich bisher kein einheitliches Bild über die Gestalt des funktionalen Zusammenhangs herauskristallisiert hat. Es fällt zudem auf, dass große Unterschiede zwischen der theoretischen Diskussion und den empirischen Studien bestehen. Im Wesentlichen werden vier unterschiedliche Formen des Zusammenhangs postuliert bzw. durch empirische Studien fundiert. Während in der theoretischen Diskussion vor allem progressive (Rust et al. 1995; Jones/Sasser 1995; Mittal/Kamakura 2001) und sattelförmige (Müller/Riesenbeck 1991) Verläufe im Mittelpunkt stehen und von vielen Autoren favorisiert werden, ist festzustellen, dass in empirischen Arbeiten ein S-förmiger Zusammenhang das häufigste Ergebnis der Untersuchungen darstellt (Auh/Johnson 1997; Bolton 1998; Burmann 1991; Herrmann/ Johnson 1999; Oliva et al. 1992). Jones/Sasser und Mittal/Kamakura haben in ihren Studien neben einem progressiven auch einen degressiven Zusammenhang feststellen können, der jedoch in der Wissenschaft eher eine untergeordnete Bedeutung hat (Jones/Sasser 1995; Mittal/Kamakura 2001).

342

Manfred Krafft, Oliver Götz

Progressiv Kundenbindung

Sattelförmig Kundenbindung

Kundenzufriedenheit

Degressiv Kundenbindung

Kundenzufriedenheit

S-förmig Kundenbindung

Kundenzufriedenheit

Kundenzufriedenheit

Abb. 5: Funktionale Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung Quelle: Homburg/Bucerius 2003, S. 60

Die Vorstellung der verschiedenen Funktionsverläufe hat deutlich gemacht, dass sich eine einheitliche Meinung bezüglich eines Funktionsverlaufs noch nicht gebildet hat. Die teilweise großen Unterschiede in den beobachteten bzw. postulierten Funktionsverläufen sind womöglich auf die unterschiedlichen Ausgangssituationen der einzelnen Studien und Standpunkte zurückzuführen. Im Rahmen dieser Arbeit wird daher lediglich festgehalten, dass sich eine erhöhte Kundenzufriedenheit i.d.R. positiv auf die Kundenbindung auswirkt. Sowohl der Zusammenhang zwischen Kundennähe und Kundenzufriedenheit als auch der zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung wird maßgeblich von moderierenden Variablen beeinflusst, die jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. Krafft gibt in seiner Habilitationsschrift einen umfassenden Überblick über weitere zentrale Beiträge, die sich mit den Konstrukten der Kundennähe, -zufriedenheit, und -bindung beschäftigen (Krafft 2002, S. 42 ff.).

4

Beziehungsgefüge zwischen den Kundenkonstrukten und dem ökonomischen Wert von Kundenbeziehungen

Insbesondere in führenden akademischen Marketingzeitschriften sind in den letzten Jahren einige Beiträge veröffentlicht worden, die sich fokussiert mit den ökonomischen Konsequenzen der bisher diskutierten Kundenkonstrukte auseinandergesetzt haben. Dabei kam der als Kundenlebenszeit direkt gemessenen Kundenbindung eine besondere Bedeutung zu. Im vierten Abschnitt unseres Buchbeitrags soll in der erforderlichen Kürze vorab eine begriffliche Eingrenzung des ökonomischen Werts erfolgen. Daran

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

343

anschließend werden ausgewählte Befunde zur Wirkung der hier diskutierten Kundenkonstrukte auf den ökonomischen Wert diskutiert. Das in diesem Herausgeberband zentrale Konzept des Customer Relationship Management wird abschließend anhand einer aktuellen branchen- und länderübergreifenden Studie daraufhin untersucht, ob ein nachhaltiger Zusammenhang mit dem Unternehmenserfolg vorliegt.

4.1

Begriffsabgrenzung des ökonomischen Werts

In grundlegenden Veröffentlichungen zu Erfolgsmaßen im Kundencontrolling werden ein- bzw. mehrdimensionale Bewertungsansätze sowie individuelle (disaggregierte) bzw. kumulierte (aggregierte) Darstellungen unterschieden (Krafft/Albers 2000, S. 516 ff.; ähnlich auch Burmann 2003, S. 114 f.). Als individuelle Kenngrößen zur Beurteilung des ökonomischen Werts einzelner Kundenbeziehungen nennt die einschlägige betriebswirtschaftliche Literatur insbesondere den Umsatz, Deckungsbeitrag, Kunden-Lieferanteil („share of wallet“ oder „share of customer“) und den Kundenertragswert („customer lifetime value“/CLV). Als kumulierte Informationen werden dagegen Renditemaße, Kunden-Portfolios, Marktanteile, Kundenstamm-Wert („customer equity“) oder Entwicklungen des Shareholder Value betrachtet. Auf detailliertere Ausführungen zu Kennziffern des ökonomischen Werts von Kundenbeziehungen, die im Zusammenhang mit der sogenannten Kundensegmentierung zu sehen sind, soll an dieser Stelle verzichtet werden, da mit dem Beitrag von Krafft und Albers bereits eine sehr umfassende Darstellung vorliegt (Krafft/Albers 2000). Es sei hier aber explizit darauf verwiesen, dass Krafft und Albers zeigen, dass Umsatz- und Rentabilitätsinformationen nicht ausreichen, um eine optimale Marketing- und Vertriebspolitik zu ermöglichen. Vielmehr ist die Effektivität der eingesetzten Marketing-Instrumente zwingend mittels Elastizitäten in die Bewertung zu integrieren. Dieser Hinweis ist für unseren Buchbeitrag und die gesamte Kundenkonstrukte-Forschung insofern von eminenter Bedeutung, als Studien ohne Einbezug der Marketing-Mix-Effektivität nicht dazu dienen können, umfassende Aussagen zur Optimalität von Kundenmanagement-Aktivitäten abzuleiten. Da unseres Wissens auch im internationalen Kontext keine einzige Studie diese Variable berücksichtigt hat, ist dies als generelles Defizit der im Nachfolgenden präsentierten Veröffentlichungen anzusehen.

4.2

Effekt der Kundenkonstrukte auf den ökonomischen Wert

Eine Überprüfung der Literatur hinsichtlich des Effekts von Kundenkonstrukten auf den ökonomischen Wert zeigt, dass zumeist keine Überprüfung eines derartigen Zusammenhangs vorgenommen wird, sondern unter Hinweis auf Beiträge von Unternehmensberatern oder einzelne Fallbeispiele von einem positiven Effekt ausgegangen wird (Reichheld/Sasser 1990). Das Fehlen empirischer Analysen zur Kosten- bzw. Nutzen-

344

Manfred Krafft, Oliver Götz

wirkung des Kundenmanagements kann darauf zurückgeführt werden, dass die dafür erforderlichen Controlling-Systeme bisher höchstens bei Telekommunikations-, Versandhandels- oder Finanzdienstleistungsunternehmen zu finden sind (Peter 1997, S. 276). Im englischsprachigen Raum finden sich zwei zentrale Publikationen zum Zusammenhang zwischen der Kundenbindung und dem ökonomischen Erfolg. Zum einen berichten Kalwani und Narayandas in einer empirischen Studie der Industriegüterbranche für Anbieter mit langfristigen Kundenbeziehungen signifikant höhere Umsatz- und RoI-Werte sowie eine höhere Innovationsrentabilität als für Anbieter mit transaktionalen Kundenbeziehungen (Kalwani/Narayandas 1995, S. 8 ff.). Zum anderen zeigt die Auswertung der Daten von 600 Versandhandelskunden durch Sinha, DeSarbo und Young-Helou, dass mit einer höheren Kundenbindung ein signifikanter positiver Zusammenhang mit dem Kaufverhalten, der Wiederkauf- und der Weiterempfehlungsabsicht der Kunden einhergeht. Zudem fällt der Prozentsatz der zurückgegebenen Waren signifikant niedriger aus (Sinha et al. 1999, S. 14 ff.). Im deutschsprachigen Raum liegen mit der Arbeit von Krafft (2002) und dem Beitrag von Reinartz/Krafft (2001) weitere Studien vor, in denen der Zusammenhang von Kundenertragswert und Kundenbindung (gemessen als Kundenlebenszeit) direkt analysiert wurde. Ihre Analysen zeigen, dass hochprofitable Kundensegmente existieren, die sich aus loyalen oder transaktionalen Kunden zusammensetzen. Im Einzelnen weisen die Autoren nach, dass Kundenbeziehungen existieren, die hohe Ertragswerte, prozentual niedrige Mailing-Kosten und hohe mittlere Preise je bestelltem Artikel bei kurzen Bindungsdauern aufweisen. Dieser Befund, der mit Ergebnissen aus den USA einhergeht (Reinartz/Kumar 2000), impliziert, dass bei der Gestaltung kundenspezifischer Marketing-Maßnahmen der zeitlichen Dimension in Form des Kundenlebenszyklus-Status eine dominante Rolle zukommt. Trotz der letztgenannten Befunde, die den positiven Zusammenhang von Kundenwert und Kundenbindung nachhaltig in Frage stellt, wird zumeist ein positiver, mit zunehmender Kundenbindung degressiv zunehmender Effekt auf den ökonomischen Erfolg als betriebswirtschaftlich sinnvoll erachtet. Dies wird nicht zuletzt mit den einleuchtenden analytischen Überlegungen von Blattberg und Deighton als intuitiv richtig angesehen (Blattberg/Deighton 1996). Führt man die diskutierten Befunde zwischen den Kundenkonstrukten und dem ökonomischen Erfolg zusammen, gelangt man zu einem vorläufigen Beziehungsgefüge, wie es in Abb. 6 dargestellt ist. Der Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und ökonomischem Wert ist u.a. von Anderson, Fornell und Rust empirisch überprüft worden. Die Autoren berichten einen signifikanten, positiven Effekt (Anderson et al. 1997, S. 139). Insgesamt gilt für die deutsche wie internationale Literatur, dass ein Nachweis über einen direkten Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg noch nicht geführt werden kann. Vielmehr ist vorläufig von einer indirekten Wirkung der Zufriedenheit über die Bindung von Kunden auf die Unternehmensprofitabilität auszugehen (Homburg/ Rudolph 1998, S. 55).

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

Moderierende Variablen

Kundennähe (KN)

Moderierende Variablen

Kundenzufriedenheit (KZf)

KZf

Moderierende Variablen

Kundenbindung (KB)

KB KN

345

ökonomischer Wert (öW)

öW KZf

KB

Abb. 6: Skizziertes Beziehungsgefüge zwischen Kundennähe, -zufriedenheit, -bindung und ökonomischem Wert Quelle: Krafft 1999, S. 525; Homburg/Faßnacht 1998, S. 420

Bei der Frage, in welcher Form Kundennähe als erste Stufe unseres Beziehungsgefüges mit dem ökonomischen Erfolg zusammenhängt, findet Homburg einen signifikant positiven Zusammenhang und die beste Erklärung für eine nichtlineare Regression (Homburg 1998, S. 173 ff.). Dies unterstreicht, dass Kundennähe nicht zu maximieren, sondern zu optimieren ist. Es erhebt sich an dieser Stelle aber die Frage, ob dieser Befund nicht ggf. auf eine umgekehrte Kausalität zurückzuführen ist ("Wir können es uns leisten, kundennah zu sein"), was z.B. Krafft in einer Kundenzufriedenheits-Analyse von 219 Industriegüterunternehmen vermutet (Krafft 1997). Um dies zu überprüfen, müssten allerdings Zeitreihen untersucht oder adäquate experimentelle Designs verwendet werden. Dieser Einwand gilt übrigens für die Konsequenzen aller drei hier betrachteten Phänomene. Zudem ist die Sequenz des in Abb. 6 skizzierten Beziehungsgefüges zu beachten: Wenn die postulierte, nur indirekte Wirkung der Kundennähe über Kundenzufriedenheit und -bindung auf die Rentabilität gegeben ist, erscheint die Frage berechtigt, ob die von Homburg berichtete direkte Wirkung der Kundennähe auf den ökonomischen Erfolg auf das Konstrukt Kundennähe zurückgeführt werden kann. Solange kein erweitertes Modell ähnlich dem aus Abb. 6 überprüft worden ist, sollte der von Homburg berichtete empirische Zusammenhang von Kundennähe und Profitabilität daher als vorläufig angesehen werden. Ebenso bleibt festzuhalten, dass der Nachweis noch aussteht, in welcher Sequenz und funktionalen Form Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung zusammenhängen. Desgleichen besteht aus akademischer Sicht ein erhebliches Forschungsdefizit hinsichtlich der Wirkung dieser Konstrukte auf den ökonomischen Wert, die sich auf der Ebene der Abnehmer im Kundenertragswert konkretisiert. Wenn man dabei der oben angeführten Argumentation folgt, sind zukünftige Erlöse, aber auch Kosten zu berücksichtigen und zu diskontieren, um den Netto-Gegenwartswert von Kundenbeziehungen ermitteln zu können. Einen Ansatz zur Ermittlung dieses Kundenlebenszeitwertes oder Customer

346

Manfred Krafft, Oliver Götz

Lifetime Value (CLV) auf der Basis von Kunden-Kaufhistorien schlägt Krafft vor, wobei er an den Beitrag von Gupta anknüpft (Gupta 1988). Mit diesem Konzept, das in Abb. 7 skizziert wird, kann prognostiziert werden, ob, in welcher Menge und wann gekauft wird. Sofern Vergangenheitsdaten vorliegen, kann die erste ("ob") und dritte ("wann") Frage mit Hilfe sogenannter Hazard-Regressionen geschätzt werden, während die Kaufmenge mittels linearer Regressionen ermittelt werden kann. Diese Größen können dann zur Prognose des Kundenertragswerts herangezogen werden. Zukünftige Beiträge sollten untersuchen, inwieweit gebräuchliche Skalen der Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung als Erlös- oder Kostentreiber des Kundenwerts anzusehen und in das Modell in Abb. 7 zu integrieren sind.

Kundennähe

Kauf (ja/nein)

Kundenzufriedenheit

Kaufmenge

Kundenbindung

Dauer der Beziehung

Zukünftige Erlöse

Kundenwert

Kosteninformationen

Abb. 7: Einordnung der Kunden-Konstrukte in ein Erklärungsmodell des Kundenwerts (CLV) Quelle: Krafft 1999, S. 526

4.3

Effekt des Customer Relationship Managements auf den ökonomischen Wert

In diesem Herausgeberwerk wird Customer Relationship Management (CRM) überwiegend als umfassende Unternehmensstrategie aufgefasst und beleuchtet. Unter CRM versteht man Allgemein die Ausrichtung aller unternehmerischen Strukturen, Prozesse und Aktivitäten auf Kundenbedürfnisse, die darauf gerichtet sind, profitable Kundenbeziehungen zu identifizieren, zu begründen, zu intensivieren und bei nicht mehr gegebener Vorteilhaftigkeit zu beendigen (Krafft/Götz 2003, S. 340). Die bisher vorliegende Literatur zum Thema CRM ist dagegen von einer Technologielastigkeit geprägt. Mit anderen Worten sind zahlreiche bisherige Publikationen dadurch gekennzeichnet, dass

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

347

CRM im sehr engen Sinne als Thema der Informationstechnologie und des Data Mining verstanden wurde (Alt et al. 2005, S. 186 f.). Daher sind Untersuchungen zur Erfolgswirkung von CRM-Strategien nur spärlich zu finden. Aus diesem Grund wurde in einem internationalen Forschungsverbund des INSEAD, der University of Texas at Austin und der Universität Münster eine empirische Studie durchgeführt, in der für den gesamten deutschsprachigen Raum und branchenübergreifend für 211 Unternehmen der Hotellerie, der Finanzdienstleistungsbranche, für Energieversorger und die IT/Online-Branche folgende Kernfragen untersucht wurden (Reinartz et al. 2004): (1) Wie ist ein Konstrukt des Ausmaßes der Implementierung von CRM-Prozessen zu konzeptionalisieren? (2) Kann ein derartiges Konstrukt umfassend operationalisiert und validiert werden? (3) Welchen Effekt übt das Ausmaß der CRM-Implementierung auf den Erfolg von Unternehmen aus? Im folgenden sollen die Befunde der dritten Forschungsfrage fokussiert vorgestellt werden. Der Unternehmenserfolg wurde dabei von Reinartz, Krafft und Hoyer nicht nur mit Hilfe der üblichen Multi-Item-Batterien gemessen, sondern auch über objektive Erfolgsdaten von Unternehmen. Zudem wurde in jedem Unternehmen ein zweiter Informant identifiziert und angeschrieben, so dass insgesamt drei Datenpunkte für das Erfolgsmaß und zwei Datenpunkte für die Messung und Validierung des CRM-Konstruktes zur Verfügung standen. Der Beziehungsrahmen der Studie ist in der nachfolgenden Abb. 8 wiedergegeben.

CRM Process (a) Relationship Initiation

Economic performance

H1

(b) Relationship Maintenance

Perceptual

Objective

(c) Relationship Termination

H2

H3

Moderators: CRM Compatible Organizational Alignment

Control: Industry

CRM Technology

Abb. 8: Bezugsrahmen zur Erfolgswirkung strategischer CRM-Prozesse Quelle: Reinartz et al. 2003, S. 295

348

Manfred Krafft, Oliver Götz

Die empirischen Analysen von Reinartz, Krafft und Hoyer zeigen, dass CRM-Prozesse nach den drei Kundenlebenszyklus-Stufen der Akquisition (Relationship Initiation), der Bindung (Relationship Maintenance) und der Beendigung (Relationship Termination) zu differenzieren sind. Eine Auswertung der Effekte des Umfangs von CRM-Aktivitäten auf diesen drei Stufen ergibt, dass extensivere CRM-Prozesse mit höheren Unternehmenserfolgen einhergehen. Diese Effekte fallen sowohl für den subjektiv gemessenen als auch für den objektiv erhobenen Unternehmenserfolg moderat positiv und statistisch signifikant aus. Lediglich für die Phase der Beendigung sind die Koeffizienten mit dem subjektiv gemessenen Erfolg nicht signifikant. Somit ist die Hypothese H1 aus Abb. 8 als vorläufig bestätigt anzusehen. Moderierte Regressionsanalysen zeigen, dass dieser grundsätzlich erfolgssteigernde Effekt von CRM-Prozessen durch geeignete Anreizsysteme und organisatorische Strukturen noch signifikant verstärkt werden kann. Während somit H2 eindeutig bestätigt wird, sind die Befunde zum Einfluss von CRMTechnologien gemischt. Hier zeigt sich, dass CRM-Technologien hypothesenkonform den positiven Zusammenhang von ‚Relationship Termination’ und dem Unternehmenserfolg verstärken, während ein signifikant negativer hypothesenkonträrer moderierender Effekt auf den Zusammenhang von Akquisitions-Prozessen und Erfolg festzustellen ist. Da die befragten Unternehmen dieser Studie auf der Bindungs-Stufe CRM-Prozesse bereits in nennenswertem Umfang realisiert haben, bietet die Akquisitions- und die Beendigungs-Phase die größten Gestaltungsfreiräume. Der erfolgsmindernde moderierende Effekt von CRM-Technologien in der Akquisitionsphase wird von den Autoren mit Ergebnissen kommerzieller Studien in Verbindung gebracht, in denen berichtet wird, dass CRM-Technologie-Projekte überwiegend nicht erfolgssteigernd gewirkt haben. Zudem erwarten Reinartz, Krafft und Hoyer, dass die überwiegend erst vor kurzem getätigten CRM-Investitionen sich mittel- bis langfristig auszahlen werden und dann zu einer Verstärkung des positiven Zusammenhangs von CRM-Prozessen und dem Erfolg von Unternehmen führen.

5

Diskussion

In diesem Beitrag wurden zentrale Publikationen zu Aspekten der Kundenbeziehung systematisch dargestellt und diskutiert. Insbesondere sollte der Buchbeitrag dazu dienen, die deutschsprachige und internationale Literatur zu den als zentral angesehenen Konstrukten Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung zu besprechen und strukturiert darzustellen. Es wurde deutlich, dass davon auszugehen ist, dass diese Kundenkonstrukte als sequenziell anzusehen sind. Mit anderen Worten weisen bisherige Studien darauf hin, dass Kundenzufriedenheit als Effekt einer größeren Kundennähe einzuschätzen ist, zugleich aber eine zentrale Einflussgröße auf die Bindung von Kunden darstellt. Des Weiteren wurde analysiert, inwieweit diese Kundenkonstrukte bzw. Customer Relationship Management als übergeordnete, unternehmensweite Ausrichtung auf den Kunden zur Steigerung des ökonomischen Erfolgs beitragen. Als wesentlicher Befund ist festzuhalten, dass nur sehr wenige seriöse empirische Studien vorliegen, die diese

Der Zusammenhang zwischen Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung

349

Zusammenhänge fundiert betrachten. Überwiegend wird dabei ein moderater positiver Effekt der Kundennähe, -zufriedenheit und -bindung auf Maße des Unternehmenserfolges berichtet. Die Studien von Reinartz und Krafft bzw. Kumar relativieren dies allerdings dahingehend, dass auch transaktionale Kundenbeziehungen hoch profitabel sein können. Mit anderen Worten ist der oft als normativ unterstellte erfolgssteigernde Effekt der Kundenbindung zu hinterfragen. Für die weitere Diskussion in diesem Herausgeberband bedeutet dies, dass Maßnahmen zur Etablierung und Steuerung von Stammkunden-Beziehungen zur Steigerung der Unternehmensrendite beitragen können, aber nicht zwangsläufig erfolgssteigernd sind. Die in 4.3 abschließend diskutierte Studie von Reinartz, Krafft und Hoyer zum Erfolgsbeitrag CRM-orientierter Prozesse auf den Kundenlebenszyklus-Stufen der Akquisition, Bindung und Beendigung von Geschäftsbeziehungen hat gezeigt, dass die Implementierung umfassender CRM-Prozesse erfolgssteigernd wirkt. Dieser positive Effekt auf den Unternehmenserfolg kann weiter gesteigert werden, wenn geeignete Anreizsysteme und organisatorische Strukturen zum Einsatz kommen. Das in der Unternehmenspraxis noch heute gelegentlich anzutreffende Missverständnis, dass CRM ein Technologiethema sei und Schwächen in der Gestaltung des Kundenmanagements durch den Einsatz intelligenter CRM-Software und ein Data Mining überwunden werden können, wird durch die Befunde von Reinartz, Krafft und Hoyer widerlegt. Es zeigt sich nämlich, dass CRMTechnologien kein Allheilmittel für eine unzureichende Kundenausrichtung von Strategien, Strukturen oder Prozessen darstellt. Vielmehr können derartige Technologien nur unterstützend dazu beitragen, dass kundenorientierte Unternehmen systematisch die Zufriedenheit profitabler Kunden mit dem eigenen Leistungsangebot beeinflussen, um deren Verbundenheit und Loyalität zu steigern. Organisationen, die diese Zusammenhänge verstanden haben und im Rahmen ihrer unternehmensweiten CRM-Strategie steuern, erweisen sich nach dem derzeitigen Stand der theoretisch-konzeptionellen und empirischen Forschung gegenüber ihren Wettbewerbern als überlegen und erfolgreich.

Literaturverzeichnis Adam, R.; Herrmann, A.; Huber, F.; Wricke, M. (2002): Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft – Empirische Erkenntnisse aus der Hotelbranche, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Nr. 12, S. 762-77. Ajzen, I. (1985): From Intentions to Actions: A Theory of Planned Behavior, in: Kuhl, J., Beckmann, J. (Hrsg.): Action Control: From Cognition to Behavior, Berlin/ New York, S. 11-39. Albers, S.; Bauer, H.H.; Eggert, K. (1988): Ergebnisse einer empirischen Studie bei mittelständischen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in den Kammerbezirken der IHK Koblenz und IHK Lüneburg-Wolfsburg, Arbeitsbericht Nr. 47 der Hochschule Lüneburg, Lüneburg.

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Manfred Krafft, Oliver Götz

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Bernd Günter, Sabrina Helm

Kundenbewertung im Rahmen des CRM 1

Einleitung: Die Bewertung von Kundenbeziehungen als aktuelle Herausforderung für das CRM

2

Grundlagen der Kundenbewertung 2.1 Begriff und Determinanten des Kundenwerts 2.2 Methoden der Bewertung von Kundenbeziehungen

3

Wertorientiertes Kundenmanagement 3.1 Begriff des wertorientierten Kundenmanagements 3.2 Ziele und Aufgaben des wertorientierten Kundenmanagements 3.3 Integration mit Ansätzen des CRM 3.4 Mehrstufige Kundenbewertung und CRM-Konzeptionen

4

Ausblick auf offene Forschungsfelder

Literaturverzeichnis

1

Einleitung: Die Bewertung von Kundenbeziehungen als aktuelle Herausforderung für das CRM

Neben der Forderung, effektive Verbesserungen der Leistungsangebote für Kunden zu realisieren, wird das praktische Marketing von Unternehmen in einer Wettbewerbswirtschaft mit dem Gebot konfrontiert, Geschäftsbeziehungen mit Kunden auch effizient zu gestalten (Cornelsen 2000, S. 2). Schließlich lohnen sich aus Anbieterperspektive Investitionen in die Zufriedenstellung und Bindung von Kunden nur dann, wenn hierdurch längerfristig profitable Kundenbeziehungen aufgebaut werden können (Scheiter/Binder 1992, S. 18; Blattberg/Deighton 1997, S. 29). Aus unternehmerischer Perspektive ist es in erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Betrieben sinnlos, „ein Füllhorn an Wohltaten undifferenziert über alle Kunden auszuschütten“ (Pepels 2002, S. 261) oder anders ausgedrückt: „Not all customers are worth attracting and keeping.” (Rust et al. 2000, S. 187). Die Messung des Kundenwerts aus der Sicht von Anbieterunternehmen sowie Maßnahmen zur wertorientierten Steuerung von Kundenbeziehungen sind damit zu aktuellen Herausforderungen für das Marketing geworden. Diese Herausforderung deckt sich mit dem Anspruch des Customer Relationship Management, welches darauf ausgerichtet ist, eine Kundenbeziehung in allen ihren Phasen zu gestalten (Pepels 2002, S. 259). In der Praxis richten zwar viele Unternehmen nach wie vor ihre Bemühungen auf produktzentrierte Messungen (z.B. die Markenbewertung) aus und verfolgen produktorientierte Strategien (z.B. Marktanteilssteigerungen) und Organisationsformen (z.B. Produkt- oder Markenmanagement). CRM ist jedoch strikt auf eine Analyse der einzelnen Kunden, einzelner Segmente und des aggregierten Kundenstamms ausgerichtet. Allerdings ist zu konstatieren, dass bisher nur wenige akzeptable und praxistaugliche Methoden der Messung solcher Kundenwerte diskutiert werden (Günter/Helm 2003). Für das CRM liegt hierin eine bislang allenfalls ansatzweise gelöste Aufgabe. Das Ziel dieses Beitrags liegt darin, die Verknüpfung zwischen der aktuellen Diskussion um die Kundenbewertung und dem CRM herzustellen. Nach der kurzen Einführung werden Begriff und Determinanten des Kundenwerts vorgestellt, um anschließend auf Methoden der Bewertung von Kundenbeziehungen einzugehen. Dem folgen Ausführungen zum wertorientierten Kundenmanagement, welche den Begriff, Ziele und Aufgaben, Schnittstellen zum CRM sowie das innovative Themenfeld der mehrstufigen Kundenbewertung fokussieren. Ein Ausblick auf zusätzliche Forschungsfelder rundet den Beitrag ab.

360

Bernd Günter, Sabrina Helm

2

Grundlagen der Kundenbewertung

2.1

Begriff und Determinanten des Kundenwerts

Der Begriff ‚Kundenwert’ bietet Interpretationsspielraum, der durch die in der USamerikanischen Literatur aktuell breiten Raum einnehmende Diskussion des Konstrukts ‚Customer Value’ weiter ausgedehnt wurde. Ein Kunde beurteilt bei seiner Entscheidung, eine Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten oder zu beenden, den in dieser Beziehung erhaltenen oder noch zu erwartenden Nettonutzen (Eggert 2003, S. 49; zu einem Überblick siehe auch Beutin 2000, S. 7 ff.). Dieser Nettonutzen ist der Wert, den der Kunde einer Geschäftsbeziehung beimisst, also der Kundenwert aus Kundensicht bzw. eben der Customer value (Anderson/Narus 1998). Der vorliegende Beitrag ist jedoch vorwiegend der Anbieterperspektive gewidmet, in welcher der Nettonutzen der Geschäftsbeziehung aus Anbietersicht zu analysieren ist (also der Supplier Value; vgl. Günter/Helm 2002, S. 49). Als Kundenwert wird hier der vom Anbieter wahrgenommene, bewertete Beitrag eines Kunden bzw. des gesamten Kundenstamms zur Erreichung der monetären und nichtmonetären Ziele des Anbieters verstanden (Schemuth 1996, S. 19; Cornelsen 2000, S. 38; Gelbrich 2001, S. 5). Folglich ist in einem weiteren Schritt stets danach zu differenzieren, ob die Gesamtheit der Kundenbeziehungen eines Anbieters zu bewerten ist (Kundenstammwert bzw. ‚Customer Equity’, vgl. z.B. Rust et al. 2000; Rudolf-Sipötz 2001, S. 14), ob einzelne Kundengruppen bzw. -segmente oder ob individuelle Kundenbeziehungen das Bewertungsobjekt bilden. Der Begriff Customer Equity lässt anklingen, dass es in Bezug auf die Gesamtheit der Kundenbeziehungen eines Anbieterunternehmens um eine Aufstockung des in den Kunden gebundenen Kapitals geht. Unter zeitbezogenen Aspekten kann sich ein solcher Kundenwert auf einen historischen Zeitpunkt beziehen und Vergangenheits- bzw. Ist-Werte enthalten, aus denen Schlüsse gezogen werden können. Zumeist interessanter ist aber der potenzielle, also zukünftig zu erwartende Wertbeitrag von Kunden. Eine solche Potenzialbetrachtung enthält naturgemäß Prognoseelemente. Der Kundenwert sollte nicht allein die aggregierten Umsätze umfassen, die mit einem Kunden bereits getätigt wurden. Zu betrachten sind vielmehr die Wertbeiträge des Kunden in verschiedenen Rollen bzw. Funktionen, die er für ein Anbieterunternehmen ausfüllt. Diese können zum Beispiel in der Rolle des Kunden als Co-Produzent und Lieferant externer Faktoren, als Informant, Käufer, Parttime-Marketer oder auch Kostenverursacher gesehen werden (vgl. z.B. Gouthier 1999, S. 19; Rudolf-Sipötz/Tomczak 2001, S. 15; Kleinaltenkamp/Dahlke 2003, S. 223 ff.). Neben eindimensionalen Messansätzen, die nur einen Baustein bei der Berechnung von Kundenwerten berücksichtigen, existieren mehrdimensionale Modelle, welche Kriterien gleicher oder unterschiedlicher Art miteinander verbinden und somit eine höhere Komplexität aufweisen (Rieker 1995, S. 49). Dabei können unterschiedliche Arten von Bausteinen in Kundenwertmodelle

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

361

integriert werden, wie quantitative und qualitative bzw. monetäre und nicht-monetäre Bestandteile. In die Kategorie quantitativer und gleichzeitig monetärer Wertbestandteile fallen als Bewertungskriterien etwa der (relative oder absolute) Umsatz, der Kundendeckungsbeitrag oder die Preisbereitschaft (Woratschek/Roth 2003, S. 391 ff.). Zudem wird in der Literatur eine Vielzahl qualitativer Determinanten diskutiert: das Entwicklungs-, Ausstrahlungs-, Innovations-, Einfluss- und Kooperationspotenzial (Rieker 1995, S. 59), der informatorische und kommunikativ/akquisitorische Kundenwert (Schemuth 1996, S. 48) oder gar der Aufmerksamkeitswert (Günter 2003, S. 249 ff.). Cornelsen integriert qualitative Elemente wie Referenz-, Informations- sowie Cross Selling-Wert und weist diesen auf Basis empirischer Beobachtungen monetäre Werte zu (Cornelsen 2000, S. 171 ff.). Teilweise können also qualitative und zunächst nicht-monetäre Bausteine in monetäre Größen überführt werden (hierzu kritisch Helm 2003). Dabei sollte das Ziel der Kundenwertanalyse allerdings nicht allein darin liegen, den Kundenwert in einer einzigen Zahl bzw. einem konkreten Währungsbetrag auszudrücken, sondern vielmehr darin, die Werttreiber hinter diesem Konstrukt zu identifizieren (Rudolf-Sipötz/ Tomczak 2001, S. 80). Der Wertbeitrag eines Kunden liegt nicht nur in dem (zusätzlichen) Nutzen, den er einem Anbieter bringt. Der Wert eines Kunden rührt für ein Unternehmen vielmehr von beiden Seiten her: der Absatzseite über die Erlöse sowie der Leistungserstellungsseite über die Kosten (Schemuth 1996, S. 24). Die ‚Customer Profitability’ ist die Differenz zwischen kundenbezogenen Nettoerlösen und den Kosten der Kundenbetreuung (Shapiro et al. 1987, S. 102), die auf Perioden- oder Lebenszyklusbasis berechenbar ist und die monetäre und indirekt-monetäre Beiträge (Referenzwert, Informationswert usw.) enthalten kann. Allerdings sind die überwiegend produkt-, prozess- oder organisationsorientierten Messsysteme im Marketing-Controlling bislang kaum darauf ausgerichtet, den ökonomischen Beitrag einzelner Kunden oder Kundengruppen zu erfassen (so z.B. Köhler 2000, S. 418). Das traditionelle Rechnungswesen kann nur begrenzt als Informationsquelle dienen, da in der Praxis eine verursachungsgerechte kundenbezogene Kostenaufspaltung bzw. Zurechnung von Auszahlungen in den meisten Fällen nicht erfolgt (Scheiter/Binder 1992, S. 18).

2.2

Methoden der Bewertung von Kundenbeziehungen

Ein erster Ansatzpunkt zur Kundenklassifikation liegt in der eindimensionalen ABCAnalyse nach Umsatz bzw. Deckungsbeitrag, die in der Praxis sehr weit verbreitet ist. Der Umsatz ist sicherlich der am häufigsten berücksichtigte Kundenbeitrag (Rieker 1995, S. 50; Gelbrich 2001, S. 55). Die ABC-Analyse ist auch als Kontrollinstrument für die Veränderung der Kundenstruktur im Zeitablauf zu verstehen, wenn beispielsweise der Anteil der A- und B-Kunden zu Lasten der C-Kunden ausgebaut werden soll (Homburg/Daum 1997, S. 395).

362

Bernd Günter, Sabrina Helm

Ein fiktives Beispiel der ABC-Kundenanalyse ist in Abb. 1 mit Hilfe einer sogenannten Lorenz-Kurve dargestellt. Die Lorenz-Kurve weist auf der Ordinate die kumulierten Umsätze der Kunden in Prozent des Gesamtumsatzes des Anbieters und auf der Abszisse die Kundenzahl in Prozent der Gesamtkundenzahl auf. Die Wölbung der Kurve über der 45°-Achse verdeutlicht den Grad der Umsatzkonzentration. Bei Gleichverteilung der Lieferumfänge über alle Kunden entspräche die Lorenz-Kurve der 45°-Achse (Plinke 1997, S. 130 f.). In diesem Beispiel entfallen auf 19 Prozent der Kunden 79 Prozent des Gesamtumsatzes, die B-Kunden tragen weitere 16 Prozent zum Umsatz bei, der zahlenmäßig große Anteil der C-Kunden 5 Prozent.

Kumulierter Umsatzanteil 100% 95%

C -Kunden 79%

B -Kunden

A -Kunden

19%

48%

100%

Kumulierter Kundenanteil

Abb. 1: Beispiel einer umsatzbezogenen ABC-Analyse Häufig wird durch die ABC-Analyse eine Bestätigung der sogenannten ‚80:20-Regel’ vermutet: Auf 20 Prozent der Kunden entfallen 80 Prozent des Gesamtumsatzes (Homburg/Daum 1997, S. 395; Plinke 1997, S. 117). In vielen Unternehmen findet also eine ‚Quersubventionierung’ vieler kleiner Kunden zu Lasten weniger großer statt (Eberling 2002, S. 2; Rudolf-Sipötz 2001, S. 1). Eine detaillierte erfolgsorientierte Betrachtung kann jedoch in vielen Fällen zeigen, dass nicht nur die C-Kunden durch ihre stark fragmentierte Auftragsstruktur und den resultierenden hohen Bearbeitungsaufwand zu Verlustbringern werden. Dies trifft nämlich auch auf solche A-Kunden zu, die

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

363

unter Berücksichtung der durch sie erzielten Erlöse und der durch sie verursachten Kosten negative Nettobeiträge erbringen. Das kann etwa dadurch begründet sein, dass die starke Nachfrageposition großer Kunden zu Niedrigpreisen, hohen Rabattforderungen und Sonderleistungen führt (Scheiter/Binder 1992, S. 18). Gleichzeitig verlangen viele A-Kunden eine intensive Betreuung, die entsprechende Kostenwirkungen zeitigt. Weite Verbreitung haben auch Punktbewertungsverfahren bzw. Scoring-Modelle. Diese sind mathematisch einfach strukturierte, dabei aber differenzierbare und anpassungsfähige Bewertungsverfahren, welche in einer multikriteriellen Analyse die Wertschätzung eines Objektes – hier: des Kunden – mit Hilfe eines Scoring-Werts wiedergeben (Cornelsen 2000, S. 149). In einem ersten Schritt sind alle aus Anbietersicht relevanten Kundenmerkmale aufzulisten, wobei quantitative und qualitative Kriterien herangezogen werden können. In einem zweiten Schritt können (z.B. prozentual formulierte) Gewichtungsfaktoren für die Merkmale integriert werden, welche in der Summe 1 bzw. 100 Prozent ergeben. Anschließend sind die zu beurteilenden Kundenbeziehungen auf Basis jedes einzelnen Kriteriums zu überprüfen und Punktwerte zuzuordnen. Dies wird typischerweise ein multipersonaler bzw. ein Team-Prozess sein. Die einzelnen Kundenbeziehungen können gemäß der Summe ihrer gewichteten Punktzahlen (Score bzw. Scoring-Index) in eine Rangreihe gebracht werden. Auch können sie analog der ABCAnalyse gemäß ihrer Bedeutung in Gruppen zusammengefasst werden (Plinke 1997, S. 140). Neben weiteren, generell mit Scoring-Modellen verbundenen Schwächen (Weber 2002, S. 342 ff.) ist an diesen Verfahren unter anderem die Subjektivität der Kriterienauswahl, der Zuordnung der Punktwerte zu individuellen Kunden, der Gewichtung der einzelnen Kriterien und der kompensatorische Charakter des Modells problematisch. Eine weitere Möglichkeit zur Bewertung von Kundenbeziehungen liegt in der Erstellung von Portfolios. Kundenportfolios sind gegenüber den bisher beschriebenen Verfahren zweidimensional und können durchaus differenziertere Auskünfte über Kundenbeiträge bzw. -potenziale bieten. Die Methode der Kundenportfolios hat recht weite Verbreitung gefunden, wobei die Vorgehensweise analog zu den Unternehmensportfolios der strategischen Planung – zum Beispiel dem Marktanteil-MarktwachstumPortfolio – erfolgt (Rieker 1995, S. 72; Plinke 1997, S. 141). Auch hier wird ein zweioder mehrdimensionaler Beurteilungsraum aufgespannt, der die wichtigsten Merkmale zur Kundenbewertung umfasst.

364

Bernd Günter, Sabrina Helm

Kundenattraktivität 1

2

3

4

5

6

7

8

9

hoch

mittel

niedrig

niedrig

mittel

hoch

Relative Lieferantenposition

Abb. 2: Beispiel eines Kundenattraktivität-Relative Lieferantenposition-Portfolios Quelle: in Anlehnung an Böing/Barzen 1992, S. 88

Ein Beispiel für ein solches Portfolio stellt das Kundenattraktivität-Relative Lieferantenposition-Portfolio dar, in dem die Flexibilität des Scoring-Modells mit der Anschaulichkeit eines Portfolio-Modells verknüpft ist (Plinke 1997, S. 146). Der Kundenwert wird hier anhand einer Mehrzahl von Kriterien gemessen. Wie in Abb. 2 ersichtlich, wird auf der vertikalen Achse des Portfolios die Kundenattraktivität, auf der horizontalen die relative Lieferantenposition abgetragen. Die beiden Dimensionen repräsentieren eine Mehrzahl von Kriterien, die im Rahmen eines Scoring-Modells analysiert und verdichtet werden. Die relative Lieferantenposition beinhaltet als Kriterien unter anderem die Produktqualität, Vollständigkeit des Angebots, Beratung/Service, Logistik, Größe der Aufträge, Dauer der Beziehung sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis (Fiocca 1982, S. 57; Plinke 1997, S. 146). Die Kundenattraktivität ergibt sich zum einen aus dem Kundenwachstum (dem jährlichen Bedarf des Kunden an den Anbieterleistungen und dem geschätzten Wachstum des Bedarfs) sowie einer Reihe qualitativer Kriterien wie beispielsweise dem Preisniveau, das bei diesem Kunden erzielt werden kann, sein Image, seine Kooperationsbereitschaft, sein Know-how, seine Innovationsrate usw. (Fiocca 1992, S. 57; Homburg/Daum 1997, S. 396). Zusätzlich ist als dritte Beurteilungsdimension der aktuelle Lieferumfang integrierbar, dessen Höhe durch die Kreisgröße um den Koordinatenpunkt veranschaulicht wird (Plinke 1997, S. 144). Die Be-

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

365

deutung des individuellen Kunden für den Anbieter kommt allerdings auch in diesem Modell nur teilweise zum Ausdruck. Die Portfolios sollten als Analyseinstrument eingesetzt werden; generelle Empfehlungen für Verhaltensweisen gegenüber Kunden – im Sinne von ‚Normstrategien’ – sind hieraus theoretisch kaum zu begründen (Plinke 1997, S. 144). Ergänzend zu den bereits beschriebenen, eher strukturbezogenen Ansätzen können auch Rentabilitätsanalysen wie Kundendeckungsbeitragsrechnungen durchgeführt werden. Die kundenspezifische Erfassung von Kosten und Erlösen ist hierzu Voraussetzung. Im Sinne einer hierarchischen Kostenerfassung werden einzelnen Kunden die kundenspezifischen Einzel- und Gemeinkosten verursachungsgerecht zugerechnet, wobei sukzessiv produktspezifische Kosten einzelnen Aufträgen und diese wiederum einzelnen Kunden zugeordnet werden (Homburg/Daum 1997, S. 398). Diese – in Abb. 3 ohne nähere Erläuterungen veranschaulichte – Vorgehensweise bietet sich vor allem deshalb an, da herkömmliche Kostenerfassungssysteme in der Regel produktbezogen sind. Typische kundenbezogene Kosten sind beispielsweise Kosten aufgrund von Sonderwünschen, besonderen Serviceleistungen wie kundenspezifische Verpackungen, Preisauszeichnungen oder Lieferkonditionen, Kosten der Kundenpflege bei Kundenbesuchen oder für den Kundendienst (Homburg/Daum 1997, S. 398; Krüger 1997, S. 115 f.). Nicht kundenspezifisch zurechenbare Kosten (z.B. Verwaltungsgemeinkosten) werden getrennt aufgelistet bzw. es wird eine stufenweise Rechnung angelegt.

Kunden-Bruttoerlöse pro Periode - Erlösschmälerungen = Kunden-Nettoerlöse pro Periode - Kosten der vom Kunden bezogenen Produkte (variable Stückkosten lt. Produktkalkulation, multipliziert mit den Kaufmengen) = Kundendeckungsbeitrag I - Eindeutig kundenbedingte Auftragskosten (z.B. Vorrichtungen, Versandkosten) = Kundendeckungsbeitrag II - Eindeutig kundenbedingte Besuchskosten (z.B. Kosten der Anreise zum Kunden) - Sonstige relative Einzelkosten des Kunden pro Periode (z.B. Gehalt eines speziell zuständigen Key-Account-Managers; Engineering-Hilfen; Mailing-Kosten; Zinsen auf Forderungsaußenstände; bei Kunden auf der Handelsstufe: Werbekostenzuschüsse, Listungsgebühren und ähnliche Vergütungen) = Kundendeckungsbeitrag III

Abb. 3: Grundaufbau einer Kundendeckungsbeitragsrechnung Quelle: Köhler 2000, S. 424

366

Bernd Günter, Sabrina Helm

Erst die Durchführung dieser Analysen erlaubt es einem Anbieterunternehmen, die Effizienz einzelkundengerichteter Maßnahmen zu beurteilen. Haag beispielsweise bezeichnet Kundendeckungsbeitragsrechnungen als den „Prüfstein des Key-AccountManagements“ (Haag 1992, S. 25) – was allerdings voraussetzt, dass die entsprechende Datenorganisation und -verfügbarkeit gewährleistet ist und eine Identifizierung kundenrelevanter Kosten und Erlöse beispielsweise nach Kundennummern vorgenommen werden kann (Köhler 2000, S. 423). Unvollständig bleibt die Betrachtung des Kundenwerts auf Basis der Kundendeckungsbeitragsrechnung im Hinblick auf die nicht in Kosten- und Erlösdaten vorliegenden Kundenbeiträge. Hierzu können beispielsweise der Referenz- und Informationswert eines Kunden gezählt werden (Diller 2002, S. 6 ff.). Ansätze einer kundenbezogenen Prozesskostenrechnung, bei der auch die Gemeinkosten auf die Kunden als Kalkulationsobjekte zu verteilen sind, werden in der Literatur ebenfalls diskutiert (Freiling/Reckenfelderbäumer 2000; Köhler 2000, S. 225 ff.). Für die Ermittlung längerfristiger Kundenwerte, auf deren Basis die Erfolgsträchtigkeit einer Investition in Kundenbeziehungen abgeschätzt werden kann, sind Methoden der dynamischen Investitionsrechnung heranzuziehen. Ein solches Verfahren stellt die Berechnung des sogenannten Customer Lifetime Value (CLV) dar, im Rahmen dessen der Wert eines Kunden über die durchschnittliche Dauer einer Geschäftsbeziehung betrachtet wird (Homburg/Daum 1997, S. 400). Aus der hierbei eingenommenen investitionspolitischen Perspektive ist die Bindung von Kunden nur dann erstrebenswert, wenn das Verhältnis der zu erwartenden kundenbezogenen Einzahlungen und Auszahlungen positiv bewertet wird (Homburg/Daum 1997, S. 400). Da eine Geschäftsbeziehung verschiedene Phasen durchläuft (ähnlich dem Produktlebenszyklus; vgl. z.B. Dwyer et al. 1987, S. 15 ff.), werden als charakteristische Merkmale zur Beschreibung des Verlaufs Umsatzvolumen und Kostenverlauf – wie in Abb. 4 dargestellt – zur Berechnung des CLV etwa anhand der Kapitalwertmethode herangezogen. Die Kapitalwertmethode als Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung basiert auf dem Prinzip, dass Zahlungen in der Zukunft weniger wert sind als gleich hohe gegenwärtige Zahlungen. Zukünftige Ein- und Auszahlungen sind deshalb mit einem Kalkulationszinsfuß über die Anzahl der betrachteten Perioden abzuzinsen. Eine weitere Berechnungsmethode liegt in der Bestimmung des Vermögensendwertes (Schirmeister/Kreuz 2003, S. 47 ff.).

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

n

KW = ¦ t=0

et - a t (1 + i)t

= e 0 – a0 +

367

e 1 – a1 e –a e –a + 2 22 + ... + n nn (1 + i) (1 + i) (1 + i)

et = (erwartete) Einzahlungen aus der Geschäftsbeziehung in der Periode t at = (erwartete) Auszahlungen aus der Geschäftsbeziehung in der Periode t i = Kalkulationszinsfuß zur Abzinsung auf einen einheitlichen Referenzzeitpunkt t = Periode (t = 0, 1, 2, ..., n) n = Dauer der Geschäftsbeziehung

Abb. 4: Berechnung des Kapitalwerts einer Kundenbeziehung Quelle: in Anlehnung an Homburg/Daum 1997, S. 402

Abschließend sei zu den Instrumenten der Kundenbewertung angemerkt, dass eine wirklich solide und umfassende Messung des Kundenwerts anhand einer einzelnen der vorgestellten Methoden nicht möglich ist. Der Aussagegehalt der Ansätze ist speziell; verfügt etwa der Customer Lifetime Value über den großen Vorteil, mit nur einer Zahl eine Angabe über die Vorteilhaftigkeit einer Kundenbeziehung machen zu können, ist diese doch auf die monetisierbaren, in Ein- und Auszahlungsströmen erfassbaren Beiträge von Kunden reduziert. Demgegenüber ist es für eine Gesamtwürdigung zweckmäßig, ein Scoring-Modell einzusetzen, das offen für eine Beurteilung jedweder Kundenbeiträge ist (Diller 2002, S. 17); es unterliegt allerdings durch Gewichtungsfaktoren, Punktzuordnung usw. dem subjektiven Urteil des Bewertenden. Entsprechend ist auch bezüglich der Entscheidung für oder gegen bestimmte Bewertungsmethoden eine zielund strategieorientierte Vorgehensweise anzuraten. Im Übrigen muss bei allen zukunftsgerichteten Methoden, die eine wertorientierte Planung untermauern sollen, auf die Unsicherheit der erwarteten bzw. prognostizierten Werte hingewiesen werden, die in die Kundenwertalgorithmen eingehen.

3

Wertorientiertes Kundenmanagement

3.1

Begriff des wertorientierten Kundenmanagements

Das wertorientierte Kundenmanagement umfasst in einem funktionalen Verständnis die Planung, Durchführung und Kontrolle bei Selektion, Aufbau, Gestaltung und Erhaltung bzw. Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu bestimmten Kunden(-gruppen) auf Basis von deren Wertbeitrag zu den Anbieterzielen. Generell ist das Kundenmanagement „auf die Selektion und die ebenso ressourcen- wie potentialorientierte Betreuung be-

368

Bernd Günter, Sabrina Helm

stimmter Kunden bei allen Transaktionen“ ausgerichtet (Diller 1995, Sp. 1363), baut also auf einer ressourcenorientierten Prioritätssetzung bezüglich bestimmter Kunden auf (ebenda, Sp. 1364). Kundenorientierung, -zufriedenheit und -bindung sind Voraussetzungen für den Erfolg des Kundenmanagements, der sich im ‚vierten K’ des Kundenmanagements manifestiert: dem Kundenwert. Das Zusammenspiel dieser Konstrukte sowie ihr Zusammenhang mit dem Unternehmenserfolg sind Gegenstand einer Reihe aktueller Untersuchungen (siehe etwa Krafft 2002, S. 45 ff.; vgl. auch Abb. 5). Wertorientiertes Management bedeutet eine Ausrichtung aller Geschäftsprozesse an den Beiträgen, die diese Prozesse und ihr Ergebnis für den Wert des Unternehmens, speziell für seine Anteilseigner bedeuten. Der Shareholder Value wird damit letztlich zum Maßstab des betrieblichen Handelns. Entgegen manchen landläufigen Vorurteilen bedeutet dies nicht automatisch einen Konflikt mit dem Wert, den die Unternehmenstätigkeit für andere Stakeholder wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten usw. impliziert. Die Erlöskomponente in allen Methoden zur Ermittlung des Shareholder Value deutet auf die Relevanz der absatz-, also kundenbezogenen, Prozesse hin. Diese gehen mit Zielkennzahlen wie Marktanteilen, Umsätzen, Deckungsbeiträgen in Shareholder Value-Berechnungen einher.

Unternehmenserfolg

Kundenzufriedenheit

Kundenorientierung

4K des Kundenmanagements

Kundenwert

Abb. 5: Die ‚vier K’ des Kundenmanagements

Kundenbindung

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

3.2

369

Ziele und Aufgaben des wertorientierten Kundenmanagements

Anbieterseitiges Ziel des wertorientierten Kundenmanagements ist es, die langfristigen Beiträge der Kundenbeziehungen zum Wert des Anbieterunternehmens zu steigern oder auf ein vorgegebenes Niveau zu bringen. Aufgaben eines wertorientierten Kundenmanagements liegen demnach unter anderem darin, ƒ kundenwerttreibende Faktoren zu ermitteln und zu beeinflussen, ƒ wertvolle Markt-/Kundensegmente zu identifizieren und deren Bearbeitung zu intensivieren, ƒ Kundenanalysen zur Verfügung zu stellen, die zufriedenheitsorientierte Kundenbearbeitung ermöglichen und damit Kundenbindung erhöhen sowie beispielsweise zur Vertriebs- und Kundendienststeuerung beitragen, ƒ werterhöhende Maßnahmen in allen Business Units und Funktionsbereichen des Unternehmens zu konzipieren und zu implementieren, ƒ insgesamt wertbeeinträchtigende Faktoren in allen Business Units und Funktionsbereichen des Unternehmens zu identifizieren, auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu reduzieren, ƒ wertbeeinträchtigende Kundenbeziehungen zu identifizieren und auf den Prüfstand zu stellen. Mögliche Wege zur Erfüllung dieser Ziele und Aufgaben liegen in der Anwendung eines breit gefächerten Instrumentariums. Vormals ‚wertvernichtende’ Kundenbeziehungen sind zu rentabilisieren, also (wieder) profitabel zu gestalten (Gerth 2002, S. 247). Im Extremfall kann die Auflösung bzw. der Abbruch einer Kundenbeziehung unter Wertmanagementaspekten in Betracht kommen (Rudolf-Sipötz/Tomczak 2000, S. 1; Günter/Helm 2002, S. 61). Schließlich ist die von vielen Unternehmen angestrebte hohe Kundenorientierung nur auf Basis einer Kundenfokussierung erreichbar (Homburg/Daum 1997, S. 394). Damit sind bereits im Vorfeld kostenintensiver Kundengewinnungs- und -bindungsmaßnahmen die richtigen Kunden durch eine wertorientierte Kundenanalyse ausfindig zu machen (Reichheld 1996, S. 63; Gerth 2002, S. 258 ff.). Es bietet sich an, eine Auffächerung des Handlungsspektrums nach den Facetten des Kundenmanagements vorzunehmen (vgl. Abb. 5). Dazu gehören – entsprechend den o.a. Bausteinen – folgende Teilziele: ƒ Verfügbarmachung von Inhalten/Ergebnissen der Markt- und Kundenanalyse, unter anderem zur Steigerung der Kundenorientierung des Anbieterunternehmens,

370

Bernd Günter, Sabrina Helm

ƒ Erreichen eines festgelegten Niveaus der Kundenzufriedenheit, ƒ Erreichen eines festgelegten Kundenbindungsgrades, der angestrebten Bindungsqualität und -intensität, ƒ Erreichen eines angestrebten Niveaus von Kundenwerten in den verschiedenen Segmenten des relevanten Marktes (auf den gesamten Kundenstamm bezogen: Customer Equity-Ziel), ƒ Erreichen eines definierten Beitrags des Kundenmanagements zu den Unternehmenszielen. Es zeigt sich, dass im Sinne des Marketing-Controlling ein informationsbasierter Zielfindungsprozess die materielle Arbeit des Kundenmanagements begleitet. Dies ist gleichzeitig Gegenstand der informatorischen Bausteine des CRM. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die Logik einer Verbindung der Bausteine des Kundenmanagements einen Algorithmus nahe legt, der letztlich von einer angestrebten KundenwertKonstellation ausgeht, die die davor liegenden Bausteine ‚rückwärts’ in diese Mechanik einbaut. In einem derartigen Gegenstromverfahren könnten dann – ausgehend von einem ‚optimalen Kundenwert’ – Maßnahmen zur Optimierung der einzelnen Kundenbeiträge entwickelt werden.

3.3

Integration mit Ansätzen des CRM

Es zählt zu den zentralen Aufgaben des CRM, mögliche und tatsächliche Wertbeiträge von Kunden zu ermitteln bzw. zu optimieren. CRM kann in Anlehnung an Link definiert werden als „informationstechnologisch gestützte Herstellung, Aufrechterhaltung und Nutzung von Kundenbeziehungen“ (Link 2001, S. 3). Auch Hippner und Wilde verstehen hierunter eine kundenzentrierte und auf moderner Informations- und Kommunikationstechnologie basierende Unternehmensphilosophie, die darauf ausgerichtet ist, profitable Kundenbeziehungen aufzubauen und zu festigen (Hippner/Wilde 2002, S. 6; ähnlich Wessling 2001, S. 11). Damit baut auch CRM im Sinne des wertorientierten Kundenmanagements auf einer ressourcenorientierten Prioritätssetzung bezüglich bestimmter Kunden auf. Analog benennt Link als Ziel des CRM die Gestaltung erfolgreicher Kundenbeziehungen, als Strategie den Aufbau bestimmter Wettbewerbsvorteile (beides Aspekte, die das Marketing generell kennzeichnen). Auf der Umsetzungsebene des CRM stehen im Mittelpunkt dann der Aufbau eines kundenorientierten Informationssystems sowie des Computer Aided Business. Link erwähnt weiter, dass „CRM der Unternehmensführung die Chance bietet, für das Unternehmen neue und zusätzliche Überlegenheitspositionen und darüber wiederum höhere Gewinnpotentiale aufzubauen“ (Link 2001, S. 8). Zu ergänzen bleibt, dass dies allein aus der durch CRM (auf der operativen Ebene) erlangten Transparenz resultiert. CRM schafft keine neuen Wettbewerbsvorteile, sondern liefert den systematischen Background für das Finden und Umsetzen von Wettbewerbsvorteilen. Dies geschieht vor allem durch eine Systematisierung, Vereinheitlichung und Verknüpfung der markt- und kundenbezogenen Informati-

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

371

onsbasis, durch Optimierung der Wissensakkumulation und -verteilung sowie durch Steuerungselemente und -methoden bei der Gestaltung der Absatzpolitik, insbesondere der einzelnen Kundenbeziehungen. CRM umfasst zwei zentrale Bereiche. Zum einen integrierte Informationssysteme, zum anderen – nach Auffassung vieler Autoren – eine neue Unternehmensstrategie (Hippner et al. 2001, S. 417), die auf das Relationship Management gerichtet ist. Allerdings ist zum letztgenannten Aspekt einschränkend festzuhalten, dass eine (lediglich) auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtete Unternehmensstrategie aus Perspektive des Marketing nichts Neues ist. Neu an CRM-Konzeptionen sind die heutigen und zukünftig noch zu erwartenden elektronischen ‚Tools’, mit denen das Ziel der Kundenanalyse und selektiven Kundenbindung sehr viel umfassender unterstützt und effizienter erreicht werden kann (Link 2001, S. 3). Von einem durch CRM eingeleiteten oder forcierten ‚Paradigmenwechsel’ (vgl. z.B. Zipser 2001, S. 36), sollte allerdings nicht unbedingt die Rede sein, um die Methodik nicht zu überfordern und um keine zu hohen Erwartungen hervorzurufen. In CRM-Konzeptionen lassen sich grundsätzlich Elemente des wertorientierten Managements und damit auch solche der Kundenbewertung integrieren. Dies darf aber nicht auf Analysekomponenten begrenzt sein, sondern kann und sollte Gestaltungsoptionen einbeziehen. Das wertorientierte Kundenmanagement bleibt nämlich nicht bei der Analyse der Bausteine des Werts von Kundenbeziehungen und deren Messung stehen, sondern repräsentiert einen umfassenderen, entscheidungsorientierten Ansatz. Kundenbeziehungen sind demnach auf Basis ihrer wertorientierten Analyse zu gestalten und die Ursachen für hohe oder zu geringe Wertbeiträge von Kunden systematisch zu untersuchen. Diese Identifizierungsaufgabe kann zum Beispiel über sinnvolle Kennzahlenbildung im Rahmen von CRM-Konzeptionen angegangen werden. Die Gestaltungsaufgabe, die typischerweise planmäßige Kundenbindungsstrategien fokussiert, ist in gleicher Weise Bestandteil von CRM-Systemen. Mit Blick auf die Customer Equity identifiziert Wessling drei Stellschrauben der ‚CRM-Wertschöpfung’: der Lebenszyklus einzelner Kunden muss verlängert werden, deren Profitabilität erhöht sowie die Anzahl der (profitablen) Kunden gesteigert werden (Wessling 2001, S. 17 f.). Kundengewinnung und -bindung sind kein Selbstzweck, sondern in die einzelne Kundenbeziehung ist nur soviel zu investieren, wie es ihr ökonomisches Potenzial rechtfertigt. „In diesem Sinne liegt in der expliziten Ungleichbehandlung der Kunden ein Erfolgsgeheimnis des CRM“ (Link 2001, S. 3). Letzteres gilt nur unter der Voraussetzung, dass die Informationen, die zur korrekten Beurteilung einer Kundenbeziehung (inklusive ihrer Verbundeffekte und qualitativer Komponenten) dem Anbieterunternehmen vorliegen und in Entscheidungen einbezogen werden. Kundendatenbanken, die konstitutiver Bestandteil einer CRM-Konzeption sind, enthalten häufig bereits eine Reihe von Daten, welche zur Kundenbewertung herangezogen werden können. Neben den Grund-, Aktions- und Reaktionsdaten sind hier vor allem Potenzialdaten von Interesse (Link 2001, S. 8 f.). Die Merkmalsprofile je Einzelkunde bzw. die so gebildeten Kundenmodelle weisen unter anderem auf Möglichkeiten zur Ausschöpfung des Share of Wallet (Gerth 2002, S. 250 f.) und Cross Selling- oder Up

372

Bernd Günter, Sabrina Helm

Selling-Chancen hin (Link 2001, S. 10). Hierzu müssen Kundenbedürfnisse frühzeitig erkannt werden, um dem richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt das richtige Produkt anbieten zu können. Die Produktkombinationen, die der Kunde bereits in Anspruch nimmt, sind zu analysieren, sowie Kundengruppen zu identifizieren, welche sich bezüglich ihres Produktportfolios ähneln (Zipser 2001, S. 51). Churn- bzw. Storno-Analysen oder -Vorhersagen sollen das Eintreten von Kündigungen verhindern, indem frühzeitig Abwanderungstendenzen erkannt werden. Hierzu bieten sich Lost Customer-Analysen an, in deren Mittelpunkt abgewanderte Kunden stehen. Dabei sind Präventionsmaßnahmen auf die profitablen Abwanderungswilligen auszurichten, während unprofitable Kunden an der Abwanderung nicht gehindert werden (‚To be lost-Analyse’). Auch Regain Management-Aktivitäten für abgewanderte Kunden, denen ein akzeptabler Kundenwert beigemessen wird, können als Bausteine in CRMSysteme integriert werden. Beim Data Mining (Berry/Linoff 2000) wird – anders als beim empirisch-analytischen Forschungsvorgang – nicht von einer Theorie ausgegangen und hypothesengeleitet vorgegangen, sondern Data Mining erfolgt in erster Linie datengeleitet. Das Ziel liegt darin, durch Auswahl, Erklärung und Modellierung großer Datenmengen vorher unerkannte Zusammenhänge wie etwa Verhaltensmuster zu entdecken (Zipser 2001, S. 44). Dies kann im Zusammenhang mit Kundenwertanalysen Informationen über bisher vernachlässigte oder zumindest nicht erkannte Wertbeiträge einzelner Kunden liefern. So lassen sich beispielsweise kundenbezogene Betreuungs- und Auszahlungsmuster identifizieren, eventuell auch übersehene oder unterschätzte Einzahlungsrhythmen, -häufungen oder ähnliche Zusammenhänge, die den Wert eines Kunden in einem veränderten Licht erscheinen lassen. Kundeninformationssysteme dienen auch dazu, das kundenbezogene Wissen im Anbieterunternehmen und innerhalb einer Symbiose mit Kooperationspartnern zu verteilen und zugänglich zu machen. Dabei ist zu bedenken, dass auch typischerweise ‚kundenferne’ Abteilungen letztlich zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen beitragen und insbesondere über die Intensität und Wirksamkeit kundenbezogener Prozesse (Betreuung, Beratung, Service, Logistik, Kundendienst usw.) den Kundenwert beeinflussen können. Auch vermeintlich kundenferne und nur indirekt beteiligte Mitarbeiter im sogenannten Backoffice können nachhaltig die einzelne Kundenbeziehung beeinflussen. So fragt etwa Zipser – unter dem Eindruck differenzierter Kundenbewertung – ob es gerechtfertigt sei, kundenunabhängig einheitliche Mahnzyklen für nicht bezahlte Waren anzuwenden (Zipser 2001, S. 49). In einer tiefer gehenden CRM-Konzeption sind schließlich nicht nur die primären Effekte der Kundenbindung zu erfassen, sondern auch die von Pepels als spekulative Sekundäreffekte bezeichneten Kundenbeiträge (z.B. Weiterempfehlungen und Cross Buying) sowie Tertiäreffekte aus Informations- und Kooperationsnutzen, die jedoch nur schwer zu operationalisieren sind (Pepels 2002, S. 262). Hier zeigen methodische Ansätze (im Überblick Günter/Helm 2003), welche Möglichkeiten der Erfassung und Steuerung solcher Bausteine des Kundenwerts existieren.

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

3.4

373

Mehrstufige Kundenbewertung und CRM-Konzeptionen

Eine bisher in der Diskussion um den Kundenwert praktisch vollständig vernachlässigte Fragestellung bezieht sich im Business-to-Business-Bereich auf die Abhängigkeit des Kundenwerts von Kundenwerten der folgenden Abnehmerstufe, also auf ein aus dem mehrstufigen Marketing bekanntes Problem (Helm/Günter 2003, S. 33). Um es an einem abstrakten Beispiel zu verdeutlichen: Anbieter A will neben anderen Kundenbeziehungen die Geschäftsbeziehung zu einem Kunden K1 bewerten und dafür etwa eine Customer Life Time Value-Berechnung anstellen. Es ist evident, dass die Bewertung dieses Kunden K1 von dessen prognostizierter Geschäftstätigkeit abhängt, wie z.B. Analysen der abgeleiteten Nachfrage (‚derived demand’) in der ökonomischen Theorie immer wieder betont haben. Wenn also beispielsweise eine Fracht-Airline ihre Logistik-Kunden bewerten will, so hängt diese Bewertung von deren Absatztätigkeit gegenüber Logistiknachfragern sowie von weiteren Entwicklungen der Folgestufe(n) ab.

Anbieter A

Kundenstufe 1 Kunde K1 n

KW K1 = ¦

Kunde a von K1 et - at

t = 0 (1 + i)t

Customer Equity des Anbieters A

Kunde K2 n

KW K2 = ¦

Kundenstufe 2

n

KW Ka1 = ¦

et - at

n

KW Kb1 = ¦



Kunde Kn

Kunde m von K1 et - at

t = 0 (1 + i)t

Abb. 6: Mehrstufige Kundenbewertung

et - at



t = 0 (1 + i)t



n



t = 0 (1 + i)t

Kunde b von K1

t = 0 (1 + i)t

KW Kn = ¦

et - at





n

KW Km1 = ¦

et - at

t = 0 (1 + i)t



374

Bernd Günter, Sabrina Helm

Abb. 6 veranschaulicht die Systematik mehrstufiger Kundenbewertung anhand einer Customer Lifetime Value-Berechnung. Der Kundenstammwert des Anbieters A setzt sich zusammen aus den (über die Lebensdauer abgezinsten) Ein- und Auszahlungsströmen aus seinen n Kundenbeziehungen. Der Kundenwert des Kunden 1 wiederum setzt sich zusammen aus den abgezinsten Ein- und Auszahlungsströmen seiner m Kunden usw. Diese Überlegungen weisen auf die Begrenztheit vieler Bewertungsmodelle hin, denn eine solche stufenübergreifende Prognoserechnung wird in der Realität kaum durchführbar sein, zumindest nicht für Anbieterunternehmen in frühen Wertschöpfungsstufen. Grundsätzlich jedoch ist eine tiefgehende und möglichst präzise begründete Kundenbewertung verknüpft mit Informationen, Erwartungen und Einschätzungen, die die übernächste Absatzstufe und deren Entwicklungen, Verhalten etc. betreffen. Eine Kundenwertberechnung ist nur so gut und zutreffend, wie das Verständnis des Anbieters vom Geschäft der bewerteten Kunden es zulässt. Daraus sollten sich dann deren Absatzerfolge prognostizieren lassen und die Bedarfe an Zulieferungen von Produkten, Anlagen oder Dienstleistungen projizieren lassen. Dass dieses Problem der Mehrstufigkeit hinter den existierenden Ansätzen der Kundenbewertung steht, werden Wissenschaftler wie Praktiker anerkennen – es wird allerdings zu wenig explizit gemacht. Methodische Ansätze zum Umgang mit diesem Problem sind infolgedessen bisher weitestgehend ausgespart. Einige Leitlinien für den Umgang mit diesem Problem im Rahmen theoretischer wie auch unternehmenspraktischer Analyse seien nachfolgend gegeben: ƒ Eine mehrstufige Kundenbewertung besitzt umso größere Chancen, je mehr Kunden tiefergehende Kundenbewertungsmethoden einsetzen. ƒ Da kundenübergreifend Daten verglichen und integriert werden müssen, bedarf es eines gewissen Konsenses hinsichtlich der anzuwendenden Bewertungsmethodik sowie entsprechender rechnungswesenbezogener Grundlagen bei den Kunden des Kunden. ƒ Mehrstufige Kundenbewertung ist am ehesten durchführbar, wenn ein Anbieter es mit nicht allzu stark verzweigten und nach Verwenderbranchen differenzierten Abnehmern auf den nächsten Stufen zu tun hat. ƒ Eine mehrstufige Kundenbewertung verlangt weitgehend kooperatives Vorgehen zwischen dem betrachteten Anbieter und seinen unmittelbaren Kunden (direkte Abnehmerstufe). ƒ Eine mehrstufige Kundenbewertung hat größere Chancen, wenn standardisierte, gegebenenfalls miteinander verknüpfbare CRM-Systeme auf Anbieter- und Kundenebene eingesetzt werden. Für CRM-Konzeptionen ‚der nächsten Generation’ kann und sollte gerade der letztgenannte Punkt eine bedeutsame Herausforderung sein. Ansätze zur informatorischen Vernetzung in Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen müssten derartige kundenwertorientierte Überlegungen mit enthalten. Dafür müssten allerdings zunächst im Anbieterunter-

Kundenbewertung im Rahmen des CRM

375

nehmen konsolidierte Kundendaten in einer ‚Kunden-ID’ verfügbar sein und nicht – wie bislang die Regel – ungebündelte Kundendaten in verschiedenen Datenformaten und bei mehreren Funktionsbereichen (Gerth 2002, S. 256).

4

Ausblick auf offene Forschungsfelder

Ein Überblick über die bisherige Literatur zum Thema Kundenwert bzw. Customer Equity zeigt, dass viele Fragestellungen noch der näheren Analyse bedürfen – insbesondere auch im Zusammenhang mit CRM-Systemen, Kundendatenbanken und der Kundenanalyse. Im Folgenden wird kurz auf einzelne derartige Forschungsfelder und Diskussionsbereiche hingewiesen und damit zu breiterer und tieferer Behandlung der Thematik angeregt. Über längere Zeit waren Entwicklung und Einführung von CRM-Systemen durch technologische Erwägungen dominiert (Link 2001, S. 22). Verhaltensoptionen und -annahmen gehen eher implizit in die Architektur von CRM-Systemen ein. Gerade die Kundenwertthematik zeigt aber, in welchem Maße Verhaltensaspekte zu integrieren wären. So scheint die subjektive Bewertung von Kunden unter anderem von der Intensität der persönlichen Kundenbeziehung abzuhängen, aber auch von der hierarchischen Position und der Funktion des bewertenden Mitarbeiters. Diese Thematik wäre tiefer zu durchdringen und für CRM-Aspekte nutzbar zu machen. Sie betrifft unter anderem auch den Bereich der wertorientierten Vertriebssteuerung. Ein zweiter, eng verbundener Aspekt ist derjenige der organisatorischen Kompetenz im Zusammenhang mit kundenwertbezogenen CRM-Komponenten. Die Frage nach der Zuständigkeit für Dateninput wie auch den Datenzugriff bedarf intensiverer Analyse. Dabei sind die realen Entscheidungen der Unternehmen ebenso zu eruieren wie die optimale Gestaltung der aufbau- und prozessorganisatorischen Kompetenz zu klären wäre. Eine dritte Frage bezieht sich auf die Nutzung von CRM-Systemen für kundenwertorientiertes Management. Offenbar gibt es bisher erst rudimentäre Erfahrungen mit dem Nutzen von Daten und Systemen für praktische Zwecke der Steuerung von Geschäftsbeziehungen. Hier darf in der nächsten Zeit eine Sammlung und Aufbereitung der Erfahrungen ebenso erwartet werden wie der Versuch, Lösungsansätze im Sinne des Kunden- bzw. Geschäftsbeziehungscontrolling zu präsentieren und zu diskutieren. Viertens ist auf dem Gebiet der Operationalisierung, Quantifizierung oder gar Monetisierung von Kundenwertbausteinen noch Forschungsbedarf evident. Entsprechende Messansätze werden zwar beispielsweise für die Bewertung von Kundenempfehlungen in der Literatur diskutiert (Cornelsen 2000, S. 186 ff.; Helm 2000, S. 354 ff.), jedoch in der Praxis aus Praktikabilitäts- und anderen Gründen eher vernachlässigt. Zur Zeit überwiegen CRM-Systeme, die auf direkt monetäre Kundenwertkomponenten zurückgreifen wie den Umsatz oder im besseren Fall den Kundendeckungsbeitrag (Gerth 2002, S. 249). Qualitative Komponenten wie etwa Referenz- oder Innovationspotenziale des

376

Bernd Günter, Sabrina Helm

Kunden finden kaum Berücksichtigung. Für ein wertorientiertes Kundenmanagement bieten derartige Tools nicht die notwendige Unterstützung. Als fünfter Punkt dieser – mitnichten abgeschlossenen – Liste offener Fragen ist noch anzuführen, dass die zur Zeit beobachtbare Dominierung des Themas CRM durch Informatiker bzw. Techniker eine bislang recht invariate Schnittstelle zum Marketing bzw. dem Kundenmanagement geschaffen hat. Diese zu überwinden und CRM zu einem für die Entscheider im Kundenkontakt besser dienlichen Instrument zu machen, sollte ein maßgebliches Ziel der weiteren Entwicklung sein.

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Kundenbewertung im Rahmen des CRM

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Sabrina Helm

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts 1

Einleitung: Kundenempfehlungen als qualitative Komponente der Kundenbewertung

2

Kundenempfehlungen und Kundenmanagement 2.1 Begriffliche Grundlagen 2.2 Kundenempfehlungen im Spektrum des CRM

3

Die Integration von Kundenempfehlungen in die Kundenbewertung 3.1 Erfassung, Quantifizierung und Monetisierung von Kundenempfehlungen 3.2 Das Verhältnis positiver zu negativer Mundwerbung: Der Nettoempfehlungswert 3.3 Die Rolle von Kundenempfehlungen im Kundenlebenszyklus 3.4 Ein quantitatives Modell der Nutzen- und Schadenswirkungen von Kundenempfehlungen

4

Fazit

Literaturverzeichnis

1

Einleitung: Kundenempfehlungen als qualitative Komponente der Kundenbewertung

„Zufriedene Kunden sind die beste Werbung“ oder „Der beste Verkäufer eines Unternehmens ist sein zufriedener Kunde“ sind allseits bekannte Redensarten der Unternehmenspraxis. Kundenempfehlungen sind in vielen Branchen die bedeutendste Quelle der Neukundengewinnung (Reichheld 1996, S. 48). Hierzu zählen vor allem Dienstleistungen bzw. alle Produkte, die von potenziellen Kunden vor einer Kaufentscheidung nicht getestet werden können. Diese Anbieterleistungen weisen vorwiegend Vertrauens- und Erfahrungsqualitäten auf (Parasuraman et al. 1985, S. 48), die gar nicht bzw. erst nach Nutzung des Produkts bekannt werden. Mit steigender Komplexität der gehandelten Produkte und dem zunehmenden Stellenwert von Dienstleistungen werden Kundenempfehlungen zukünftig für Kaufentscheidungen vermutlich noch wichtiger. Dennoch findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kundenempfehlungen kaum statt. Der Empfehlungswert zufriedener Kunden stellt aus Anbietersicht einen Baustein des Kundenwerts dar. Die durch die neuen Kundenbeziehungen verursachten Erlöse und Kosten sind auf die Empfehlung zurückzuführen. Darüber hinaus reduziert der empfehlende Kunde durch seine „Vertriebsaktivität“ die Akquisitionskosten des Anbieters und wird außerdem durch seine Empfehlung auch selbst stärker an den Anbieter gebunden (Helm 2000, S. 396). Die Messung des „Werts“ solcher Empfehlungen aus Anbietersicht ist kein gängiger Bestandteil von CRM-Systemen, obwohl diese zunehmend auch auf das Thema „Messung von Kundenwerten“ ausgerichtet werden (Meyer/Hippner 1998, S. 178). Will man in Modellen der Kundenbewertung jedoch ein komplettes Bild der Erfolgsbeiträge von Kunden zeichnen, ist die Integration von Empfehlungswerten sinnvoll. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern Kommunikation unter Kunden quantifizierbar ist. Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, inwiefern Kundenempfehlungen in ein umfassendes Kundenbewertungsmodell integrierbar sind. Aufgrund des aktuell zu verzeichnenden starken Interesses stehen dabei die Methoden zur Berechnung des Customer Lifetime Value bzw. der Customer Equity im Vordergrund. Es wird sich einerseits heraus stellen, dass Kundenempfehlungen grundsätzlich bewertbar sind. Andererseits ist der mit einer Monetisierung eines exakten Empfehlungswerts verbundene Aufwand beträchtlich. Deshalb werden verschiedene Annäherungsmethoden vorgestellt, die grundsätzlich im Rahmen von CRM-Systemen angewendet werden könnten. Im Anschluss an diese Einleitung wird detaillierter auf Kundenempfehlungen, Empfehlungswerte und deren mögliche Rolle im CRM eingegangen, um im anschließenden Abschnitt die Berücksichtigung der Empfehlungswerte von Kunden in Kundenwertmodellen zu analysieren. Dabei wird auf Ansätze zur Datengenerierung eingegangen, auf ein methodisch anspruchsvolles Modell zur Ermittlung individueller, monetärer Empfehlungswerte, auf die zusätzliche Integration negativer Mundwerbung in die Berechnung, auf die Rolle von Empfehlungen in einem Kundenlebenszyklus sowie auf ein

382

Sabrina Helm

kundenstammbezogenes Modell der Nutzen- und Schadenswirkungen von Kundenempfehlungen. Ein kurzes Fazit beschließt die Ausführungen.

2

Kundenempfehlungen und Kundenmanagement

2.1

Begriffliche Grundlagen

Kundenempfehlungen sind negative, neutrale oder positive Berichterstattungen eines Kunden über die objektiven und/oder subjektiv wahrgenommenen Merkmale einer Anbieterleistung bzw. des Anbieters selbst im privaten und/oder geschäftlichen Umfeld des Kunden. Diese Kommunikation kann von Anbieter- oder Nachfragerseite initiiert werden (Helm 2000, S. 7 f.). Damit sind zwei Unterfälle zu differenzieren (siehe Abb. 1).

Kundenempfehlungen

Ausprägungsformen

Initiator der Kommunikation

Mundwerbung

Referenzen

(nachfragerinduziert)

(anbieterinduziert)

Potenzieller Kunde

Aktueller Kunde

Anbieter

Potenzieller Kunde

Aktueller Kunde

Abb. 1: Ausprägungen von Kundenempfehlungen Die Mundwerbung von Nachfragern („word-of-mouth“) umfasst die anbieterunabhängige, informelle Kommunikation – in negativer oder positiver Ausrichtung – über Eigenschaften und Leistungen von Unternehmen zwischen aktuellen und potenziellen Kunden. Beispiele wären Gespräche unter zwei Konsumenten über die von dem einen gesammelten Beschwerdeerfahrungen mit einem bestimmten Anbieter oder der Rat, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Hiervon können die anbieterinitiierten Referenzen abgegrenzt werden. Referenzen beinhalten ebenfalls Auskünfte von aktuellen oder ehemaligen Kunden über die Ausprägung des von diesen bereits in Anspruch genommenen

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

383

Leistungsbündels eines bestimmten Anbieters. Auf diese wird jedoch in anderen Transaktionen durch den Anbieter Bezug genommen. Hier findet also eine direkte Einflussnahme des Anbieters auf die Empfehlung des Kunden statt (Helm 2000, S. 20 ff.). Ein typisches Beispiel aus dem Business-to-Business-Bereich ist ein Referenzbesuch bei einem Kunden, an dem Mitarbeiter des Anbieters und des potenziellen Kunden teilnehmen. Der Fokus der nachfolgenden Ausführungen ist im Wesentlichen auf den ersten Fall, also die Mundwerbung, gerichtet. Ein im Zusammenhang mit der Bewertung von Kundenempfehlungen zu klärender Begriff ist der des Empfehlungs- bzw. Referenzpotenzials. Dieses umfasst nach Cornelsen (1998, S. 11) alle Aktivitäten, im Rahmen derer Kunden ihre eigenen Erfahrungen oder die anderer mit dem Anbieter und dessen Leistungen an weitere (anbieterunabhängige) Personen vermitteln können. Dieses Potenzial ist in quantitativer und qualitativer Hinsicht differenzierbar. Die quantitative Komponente bezieht sich auf die Anzahl möglicher Kommunikationspartner eines Kunden, die von den Leistungen eines Anbieters erfahren. In qualitativer Hinsicht ist die Intensität der hierdurch beim potenziellen Kunden realisierten Wirkung von Interesse, die im Begutachten oder im Kauf der Anbieterleistungen durch die geworbenen Kunden liegen kann (Helm 2000, S. 30). Für ein Anbieterunternehmen ist es von Interesse, das Empfehlungspotenzial einzelner Kunden oder auch des gesamten Kundenstamms zu evaluieren und auf diese Weise Empfehlungswerte zu ermitteln. Diese können dann in eine umfassende Betrachtung des Kundenwerts integriert werden. Als Kundenwert können die insgesamt von einem Anbieterunternehmen wahrgenommenen, bewerteten Beiträge eines individuellen Kunden bzw. des Kundenstamms zur Erreichung der monetären und nicht-monetären Ziele des Anbieters bezeichnet werden (Helm/Günter 2003, S. 7; Schemuth 1996, S. 19). In einer zweckmäßigerweise zukunftsgerichteten Perspektive beinhaltet der Kundenwert vor allem die zukünftig zu erwartenden Wertbeiträge des Kunden (Cornelsen 2000, S. 192). Neben quantitativen, monetären Bausteinen wie Umsatz oder Kundeneinzelkosten fließen in eine umfassende Kundenwertbetrachtung auch qualitative Bausteine ein. Diesbezüglich differenziert beispielsweise Cornelsen (2000, S. 171 ff.) Empfehlungs-, Informations- und Cross Selling-Werte von Kunden. Der Großteil der aktuellen und umfassenderen Analysen zum Kundenwert betrachtet Empfehlungen als eine Kundenwertkomponente (siehe etwa Gelbrich 2001, S. 59 ff.; Eberling 2002, S. 149 ff.; Tomczak/Rudolf-Sipötz 2003, S. 137), was ihre Bedeutung unterstreicht. In Analogie zur obigen Definition des umfassenden Kundenwerts sollen hier unter dem Empfehlungswert alle Beiträge des Kunden im Rahmen seines Empfehlungsverhaltens verstanden werden, welche zur Erreichung der Ziele des Anbieters beitragen.

2.2

Kundenempfehlungen im Spektrum des CRM

Betrachtet man Kundenempfehlungen als einen Wertbeitrag von Kunden, zählt es zu den Aufgaben des CRM, diese Wertbeiträge zu ermitteln bzw. zu optimieren. Customer

384

Sabrina Helm

Relationship Management (CRM) kann in Anlehnung an Hippner und Wilde verstanden werden als kundenzentrierte und auf moderner Informations- und Kommunikationstechnologie basierende Unternehmensphilosophie, die darauf ausgerichtet ist, profitable Kundenbeziehungen aufzubauen und zu festigen (Hippner/Wilde 2002, S. 6). Es baut im Sinne eines wertorientierten Kundenmanagements auf einer ressourcenorientierten Prioritätssetzung bezüglich bestimmter Kunden auf (zum Kundenmanagement siehe z.B. Diller 1995). Die Berechnung des Kundenwerts ist ein viel diskutiertes, bisher jedoch nur rudimentär gelöstes Problem. Eine Reihe von Erkenntnissen der Kundenzufriedenheitsforschung hat dabei den Trend hin zur Diskussion des Konstrukts Kundenwert unterstützt. Dabei werden immer wieder die Ergebnisse einiger empirischer Studien – vor allem jener von Reichheld und Sasser (1990) – herangezogen. Auf Basis eher anekdotischer als empirisch verifizierter Beobachtungen stellten diese Autoren fest, dass der Gewinn pro Kunde positiv mit der Dauer einer Geschäftsbeziehung korreliert. Unternehmen können annahmegemäß ihren Gewinn maßgeblich steigern, indem die Kundenbindungsrate und in der Folge auch der Kundenwert erhöht werden (Reichheld/Sasser 1990). Eine entsprechende Betrachtung liegt dem in Abb. 2 skizzierten Zusammenhang zugrunde, wonach der Gewinn durch Empfehlungen zufriedener Kunden eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Allerdings stellt dieses Modell nur Näherungswerte dar, zumal es Durchschnittsdaten unterschiedlicher Branchen und Unternehmen integriert und eher eine Checkliste der „customer lifecycle economics“ (Reichheld 1996, S. 42) repräsentiert. So ist fraglich, ob der Empfehlungswert mit der Dauer der Kundenbeziehung immer weiter ansteigt. Dies wäre beispielsweise durch wachsendes Involvement des Kunden (Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 345 ff.) zu erklären, das jedoch nur in ausgewählten Branchen bzw. Produktbereichen angenommen werden kann. Generell ist anzumerken, dass selbst der verallgemeinerte, positive Zusammenhang zwischen der Dauer der Kundenbeziehung und dem Anbietererfolg zwischenzeitlich auch kritisch betrachtet wird und Gegenbeispiele vorliegen (siehe etwa Dowling/Uncles 1997, S. 78; Reinartz/Kumar 2000, S. 24 ff.). Die starke Resonanz des Modells in Wissenschaft und Praxis rückte mit der Kundenbindung auch die Bedeutung von Kundenempfehlungen näher ans Rampenlicht. So stellen Heskett et al. fest: „[...] the lifetime value [...] can be astronomical, especially when referrals are added“ (Heskett et al. 1994, S. 164). Eine Reihe von Wissenschaftlern betrachtet die Bewertung von Empfehlungen als wichtige Forschungsaufgabe (vgl. z.B. Zeithaml 2000, S. 77), was zusätzlich dadurch bekräftigt wird, dass auch das renommierte Marketing Science Institute (MSI) die Messung der Erfolgsauswirkungen eher qualitativer Marketingphänomene als herausragende Aufgabe der kommenden Jahre benennt (MSI 2002, S. 4).

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

385

Gewinn aus Preisaufschlägen Gewinn aufgrund von Weiterempfehlungen

Gewinn aufgrund geringerer Verwaltungs- und Vertriebskosten Gewinn aus erhöhter Kauffrequenz und gestiegenen Rechnungsbeträgen

Grundgewinn Kosten der Kundenakquisition 0 Jahre

1 Jahr

2 Jahre

3 Jahre

4 Jahre

5 Jahre

6 Jahre

7 Jahre

Abb. 2: Effekte der Kundenbindung nach Reichheld und Sasser Quelle: in Anlehnung an Reichheld/Sasser 1990, S. 108

Um im Rahmen des analytischen CRM aus den gesammelten Kundendaten umfassende Kundenwerte abzuleiten, steht man bezüglich der Empfehlungswerte vor einer Reihe von Herausforderungen. Wie einleitend erwähnt, wäre neben der Quantifizierung von Empfehlungen als notwendiger Bedingung der Integration in anspruchsvollere Kundenbewertungsverfahren auch deren Monetisierung als hinreichende Bedingung zu verlangen. Ein mögliches Verfahren stellt die Berechnung des Customer Lifetime Value dar. Der Wert eines individuellen Kunden wird hierbei über die durchschnittliche Dauer einer Geschäftsbeziehung betrachtet (Dwyer 1989; Homburg/Daum 1997, S. 400). Es handelt sich um ein Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung und dient der Ermittlung längerfristiger Kundenwerte, auf deren Basis die Erfolgsträchtigkeit einer Investition in Kundenbeziehungen abgeschätzt werden kann (Helm/Günter 2003, S. 22; Schirmeister/Kreuz 2003, S. 347 ff.). Dafür sind dem Kunden alle durch ihn verursachten Ein- und Auszahlungen zuzurechnen, also theoretisch auch sämtliche durch Empfehlungen bewirkte Zahlungsströme. Werden demgegenüber Durchschnittswerte für den gesamten Kundenstamm errechnet, spricht man von Modellen zur Erfassung der Customer Equity (Rust et al. 2000; Helm/Günter 2003, S. 7). Nachfolgend werden entsprechende Ansätze näher analysiert.

386

Sabrina Helm

3

Die Integration von Kundenempfehlungen in die Kundenbewertung

3.1

Erfassung, Quantifizierung und Monetisierung von Kundenempfehlungen

Eine erste logische Voraussetzung für effektives Data Mining in Bezug auf Kundenempfehlungen ist die Verfügbarkeit entsprechender Daten (Berry/Linoff 2000, S. 62). Das Empfehlungsverhalten von Kunden bzw. deren Empfehlungsbereitschaft wie auch Daten der über Empfehlungen geworbenen Kunden sind in einem Customer Data Warehouse zu sammeln und aufzubereiten. Neben den üblicherweise erfassten Daten zu Kaufhistorien des Kunden wären also entsprechend „Kommunikationshistorien“ des Kunden einzupflegen, die sich allerdings nicht aus Daten des Rechnungswesens ableiten lassen. Auch sonst liegen Sekundärdaten hierzu im Großteil der Unternehmen nicht vor. Ansätze zur Abschätzung der allgemeinen Relevanz von Kundenempfehlungen bietet der Kundenmonitor Deutschland (vormals Deutsches Kundenbarometer). In dieser branchenübergreifenden, umfassendsten Studie zur Kundenzufriedenheit und -bindung in Deutschland werden auch Kundenempfehlungen berücksichtigt. Erfasst wird konkret die Weiterempfehlungsbereitschaft. Dies ist eine Möglichkeit, Empfehlungen zu operationalisieren, um sie dann für eine Kundenbewertung zugänglich zu machen. Daneben liegen aus diesen Untersuchungen branchenbezogene Informationen über den Zusammenhang zwischen Empfehlungsbereitschaft und Kundenzufriedenheit vor. Wie in Abb. 3 veranschaulicht, werden die Befragten entsprechend ihrer Angaben zur Empfehlungsbereitschaft in „Aktive Referenzen“, „Unsichere Referenzen“ und „Inaktive Referenzen“ untergliedert. Zwar bescheinigen die Initiatoren der Studie der letztgenannten Gruppe (hauptsächlich zu suchen unter den weniger zufriedenen bzw. unzufriedenen Kunden) ein „aktives, negatives Verhalten“ (Meyer/Dornach 1998, S. 185) mit Blick auf Empfehlungen. Die negative Mundwerbung wird im Kundenmonitor jedoch nicht erhoben. Im Rahmen von Primärerhebungen durch Anbieterunternehmen kann der Empfehlungswert beispielsweise durch schriftliche oder mündliche Kundenbefragungen ermittelt werden (Schulz 1994, S. 114). Hierbei werden die Befragten gebeten, ihr bisheriges Empfehlungsverhalten (Anzahl und Art der Kommunikationspartner) oder ihre Empfehlungsabsicht zu benennen (zur Messung von Empfehlungen siehe Helm 2000, S. 85 ff.). Aber auch Befragungen von Mitarbeitern werden als Informationsgrundlage für die Erfassung von Empfehlungswerten vorgeschlagen. So entwickelt etwa Schemuth (1996, S. 86) ein entsprechendes Scoring-Modell zur Quantifizierung von Empfehlungswerten. Die Kundenbetreuer eines Anbieterunternehmens beurteilen bestimmte Kunden anhand einer Reihe von Kriterien. Die zugrunde gelegte 3er-Skala weist die Ausprägungen „schlecht/niedrig“ mit einem gewichteten Punktwert von 0, „neutral/mittel“ mit einem Wert von 1 oder 2 und „gut/hoch“ mit einem Wert von 2 oder 4 auf. Zur Veranschaulichung dient Abb. 4, in die – durch die Kreise veranschaulicht – ein fiktiver Beispielfall

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

387

für einen bewerteten Kunden eingetragen ist. Neben dem in der Grafik aufgeführten Empfehlungs-Scoring werden der monetäre und der informatorische Kundenwert sowie sonstige Faktoren (z.B. Preissensibilität und Zahlungsmoral) ins Kalkül einbezogen. Die Gesamtpunktsumme führt zu einer Zuordnung der Kunden zu verschiedenen Kategorien, zum Beispiel A- bzw. Top-Kunden, B- und C-Kunden (Schemuth 1996, S. 84 ff.; ähnlich auch Schleuning 1995, S. 161 ff.).

„Werden Sie diesen Anbieter an Freunde oder Bekannte weiterempfehlen?“

bestimmt ja

wahrscheinlich ja

eventuell

wahrscheinlich nicht

bestimmt nicht

1

2

3

4

5

Aktive Referenzen

Unsichere Referenzen

Inaktive Referenzen

Abb. 3: Erhebung der Empfehlungsbereitschaft im Kundenmonitor Deutschland

schlecht/ niedrig

neutral/ mittel

gut/ hoch

keine Angaben

• Image des Kunden

0

1

2

0

• Bekanntheit des Kunden in der Öffentlichkeit

0

1

2

0

• Zugehörigkeit des Kunden zu interessanter Zielgruppe

0

1

2

0

• Anzahl der via Mundwerbung kontaktierten Kunden (positive Mund-zu-Mund-Werbung)

0

2

4

0

3

4

Empfehlungs- bzw. Referenzwert

Abb. 4: Auszug aus dem Kundenbewertungsraster Quelle: in Anlehnung an Schemuth 1996, S. 86

Summe: 7

388

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Dieses Scoring-Modell stellt eine erste Annäherung an eine Quantifizierung von Empfehlungs- bzw. Referenzwerten dar. Problematisch ist unter anderem, dass die mit der Beurteilung der Kunden betrauten Mitarbeiter nur bedingt valide Kenntnis etwa über die Anzahl der Mundwerbekontakte oder auch den Bekanntheitsgrad des Kunden in der Öffentlichkeit haben. Ihre Eigeninteressen und Auskunftsbereitschaft können die Qualität der Ergebnisse beeinflussen. Zudem finden weitere Aspekte zur Beurteilung der Effektivität der Mundwerbung in Bezug auf einen potenziellen Kunden, wie etwa Intensität, Dauer oder Häufigkeit, keine Berücksichtigung. Die Subjektivität der Kriterienauswahl, der Zuordnung der Punktwerte zu individuellen Kunden, der Gewichtung der einzelnen Kriterien wie auch der kompensatorische Charakter des Modells sind – neben weiteren, generell mit Scoring-Modellen verbundenen Schwächen – zusätzlich zu bedenken (Helm 2000, S. 355). In der Literatur finden sich mehrere Ansätze zu einer Monetisierung von Kundenempfehlungen (Gierl/Kurbel 1997, S. 176 ff.; Herrmann/Fürderer 1997; Bruhn et al. 2000, S. 174 ff.; Cornelsen 2000, S. 199 ff.). Exemplarisch herausgegriffen sei das Modell von Wangenheim und Bayón (2002). Dieses misst nicht das vergangene Empfehlungsverhalten von Kunden und damit einen retrospektiven Empfehlungswert. Vielmehr zielt es darauf, den Empfehlungswert eines Kunden A in der Periode t zu schätzen, wobei die Anzahl der durch A geworbenen Neukunden VWOM innerhalb dieser Periode festzustellen ist. Wie in Formel (1) dargestellt, muss zunächst bekannt sein, wie viele Empfehlungen Kunde A voraussichtlich in der Periode t aussprechen wird (Variable yA,t). Dies entspricht der oben bereits angesprochenen quantitativen Komponente des Empfehlungspotenzials. Sodann ist die Konversionsrate Prob(purchase) festzustellen. Dies ist im Sinne der qualitativen Komponente des Empfehlungspotenzials der geschätzte Prozentsatz der Empfehlungen von A, die zu einem Kauf durch den geworbenen Kunden während der Periode führen. VWOM(A,t) = yA,ty Prob(purchase)

(1)

In den Empfehlungswert eines Kunden werden auch solche Wertkomponenten einbezogen, die ihren monetären Niederschlag letztlich in anderen Kundenbeziehungen des Anbieters finden (Cornelsen 2000, S. 188). Der monetäre Empfehlungswert des Altkunden A in Periode t umfasst nämlich bei Wangenheim und Bayón (2002) alle monetisierten Beiträge (Ein- und Auszahlungen), die mit der neuen Kundenbeziehung n über deren gesamte Lebensdauer (= Kundenbindungsdauer des Neukunden) verbunden sind. Der Empfehlungswert des Kunden A wird berechnet durch Multiplikation der Anzahl der durch A geworbenen Kunden (VWOM(A,t)) und den geschätzten Zahlungsüberschüssen C dieser neu geworbenen Kunden N (siehe hierzu Formel 2). RV(A,t) = VWOM(A,t) y C(N)

(2)

Der Empfehlungswert RV(A,t) des Kunden A wird dann mit anderen Bausteinen des Kundenwerts C(A) zu einem Gesamtkundenwert in der Periode t summiert, wie Formel

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

389

(3) veranschaulicht. Ergänzend kann durch Abzinsung der Wert des Kunden im Betrachtungszeitpunkt ermittelt werden. r CLV( A)

C( A) 

¦ RV( A)

(3)

t 1

Mit dieser Vorstellung einer möglichen Monetisierung von Empfehlungswerten über die Kapitalwertmethode sind verschiedene Probleme verbunden. Methodische Probleme umfassen etwa die Einführung eines Zinssatzes, mit dem die Ein- und Auszahlungen abzuzinsen sind, die Schätzung der Perioden der Kundenbeziehung oder die Herkunft der notwendigen (Schätz-)Daten (siehe ergänzend Schirmeister/Kreuz 2003, S. 349 ff.). Inhaltliche Probleme liegen etwa in der bereits angesprochenen Frage, wie die Anzahl geworbener Kunden im Zeitablauf variiert oder wovon die Konversionsrate abhängt. Eine umfassende kritische Betrachtung kann hier nicht vorgenommen werden (siehe hierzu Helm 2003). Eine wesentliche inhaltliche Einschränkung aller bisher beschriebenen Untersuchungen und Messansätze liegt darin, dass keine negative Mundwerbung betrachtet wird. Mögliche konterkarierende Effekte negativer Mundwerbung auf die Kundenbindung sind somit nicht zu analysieren. Will man in einer umfassenden Kundenwertbetrachtung alle dem Kunden zurechenbaren Nutzen- und Kostenwirkungen integrieren, müssten auch Wege zur Quantifizierung und Monetisierung der negativen Mundwerbung gefunden werden.

3.2

Das Verhältnis positiver zu negativer Mundwerbung: Der Nettoempfehlungswert

Eine allgemein, vor allem auch in der Praxis akzeptierte „Faustregel“ lautet, dass die interpersonelle Kommunikation im Markt asymmetrisch verläuft. So wird beispielsweise vermutet, dass unzufriedene Kunden doppelt so häufig von negativen Erlebnissen berichten wie zufriedene von ihren positiven Erfahrungen. Diese Annahme basiert unter anderem auf den empirischen Ergebnissen von Untersuchungen der Beratungsgesellschaft TARP (Technical Assistance Research Program), wonach zufriedene Kunden ihre Erfahrungen an 5 bis 8, unzufriedene Kunden an 10 bis 16 andere Personen weitergeben (TARP 1979). De facto kommen Untersuchungen bezüglich dieser Quasi-Gesetzmäßigkeit aber zu divergenten Ergebnissen, der Faustregel der Mundwerbung liegt kein eindeutiger empirischer Befund zugrunde. So berichtet Anderson von durchschnittlich 9,1 Kontakten bei negativer und 9,5 Kontakten bei positiver Mundwerbung, was einem nahezu symmetrischen Verhältnis entspricht (Anderson 1994, S. 8). Die Möglichkeit, dass positive Erfahrungen von Kunden an mehr Personen kommuniziert werden als negative, wird zumindest in der deutschsprachigen Literatur kaum aufgegriffen (zu einer entsprechenden

390

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Studie siehe Helm 2000, S. 231 ff.). Auch kann vom erzielten Grad der Kundenzufriedenheit bzw. der Ausprägung der Kundenbindung nicht direkt auf das Empfehlungsverhalten (positiv oder negativ) geschlossen werden. Ergebnisse des bereits zitierten Kundenmonitors Deutschland zeigen beispielsweise, dass 14% der von den Leistungen der Banken und Sparkassen überzeugten (zufriedenen) Kunden diese nicht unbedingt weiterempfehlen wollen, während 13% der enttäuschten (unzufriedenen) Kunden die Anbieterleistungen dennoch bestimmt oder wahrscheinlich weiterempfehlen möchten (Meyer/Dornach 2001, S. 73). Zudem können Kunden parallel positive wie auch negative Mundwerbung betreiben, und dies selbst bezogen auf ein und denselben Anbieter (aber etwa im Hinblick auf unterschiedliche Leistungen bzw. Produkte). Analysiert man den Empfehlungswert eines Kunden, so wird deutlich, dass eine bloße Betrachtung positiver Mundwerbung irreführt bzw. den Wert zu stark in positiver Richtung beeinflusst. Es müsste vielmehr eine Saldierung der positiven und negativen Empfehlungen des Kunden erfolgen, der Nettoempfehlungswert wäre also zu ermitteln. Bevor auf ein entsprechendes Modell eingegangen wird, ist zusätzlich noch der Verlauf von Kundenempfehlungen im Kundenlebenszyklus zu analysieren, da bei der Anwendung investitionsrechnerischer Kundenbewertungsmethoden eine mehrperiodige Betrachtung durchgeführt wird.

3.3

Die Rolle von Kundenempfehlungen im Kundenlebenszyklus

Zur Veranschaulichung der Bedeutung positiver und negativer Kundenempfehlungen im Kundenlebenszyklus kann ein Modell von Stauss (2000) herangezogen werden. Die einzelnen Phasen des Zyklus sind in Abb. 5 dargestellt, wobei auch kritische Zeitspannen betrachtet werden, in denen ein Abbruch der Geschäftsbeziehung droht (Gefährdungsphasen). In dieses Modell sind grundsätzlich alle Nutzen- und Kostenwirkungen eines individuellen Kunden integrierbar, also auch seine Empfehlungen. Wie bereits deutlich wurde, kann der Kunde parallel positive und negative Mundwerbung betreiben, wobei eine entsprechende Saldierung zu einem positiven oder negativen Nettoempfehlungswert (NEW) führt. Es ist wahrscheinlich, dass in den Gefährdungsphasen vom Kunden eher negative Mundwerbung betrieben wird (siehe Abb. 5), während in den „Aufschwüngen“ der Sozialisations-, Wachstums- und Reifephase eher positive Mundwerbung überwiegen dürfte. In der Kündigungsphase, in der es zum Abbruch der Geschäftsbeziehung kommt, wie auch in der Abstinenzphase, ist erneut mit einem negativen Nettoempfehlungswert zu rechnen. Stauss integriert zudem eine Betrachtung der Kundenrückgewinnung, die zu einem Wiederaufleben der Kundenbeziehung und damit einem neuen Kundenlebenszyklus mit entsprechenden positiven und negativen Mundwerbeaktivitäten des Kunden führt (Stauss 2000, S. 17).

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

391

Beziehungsintensität (z.B. Kundenwert)

Positiver NEW Negativer NEW Negativer NEW Positiver NEW Negativer NEW Positiver NEW

Positiver NEW

Anbahnungsphase

Sozialisationsphase

Gefährdungsphase

Wachstumsphase

Gefährdungsphase

Reifephase

Gefährdungsphase

Kündigungsphase

Zeit Abstinenzphase

Revitalisierungsphase

NEW = Nettoempfehlungswert

Abb. 5: Der Kundenbeziehungslebensyklus Quelle: in Anlehnung an Stauss 2000, S. 16

In mehr oder weniger vereinfachter Form ist ein individueller Kundenlebenszyklus durch ein umfassendes CRM-System erfassbar. Allerdings ist die Ermittlung mehrperiodiger Aus- und Einzahlungsreihen im Rahmen des Customer Lifetime Value bereits bei quantitativen Kundenwertbausteinen wie Umsätzen und Kundeneinzelkosten nicht unproblematisch und durch Unsicherheiten gekennzeichnet. In verstärktem Maße muss dies für die qualitativen Bausteine wie die Kundenempfehlungen gelten. Deren Bestimmungsgründe werden zwar zunehmend analysiert (vgl. z.B. Sundaraman et al. 1998; Helm 2000, S. 129 ff.; Wirtz/Chew 2002), eine mehrperiodige Prognose ist durch die gewonnenen Erkenntnisse jedoch schwerlich zu untermauern. Es ist beispielsweise äußerst fraglich, ob das vergangene Kunden(empfehlungs-)verhalten ein guter Prädiktor für zukünftiges Kundenverhalten ist. Wenn dem nicht so sein sollte, ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung effektiver Prognosemodelle natürlich nicht erfüllt (Berry/Linoff 2000, S. 61). Erkenntnisse hierzu sind in Wissenschaft und Praxis bislang kaum dokumentiert.

3.4

Ein quantitatives Modell der Nutzen- und Schadenswirkungen von Kundenempfehlungen

Die oben beschriebenen Informationen zu Kundenempfehlungen werden zur Entwicklung eines vereinfachten Modells herangezogen, in dem monetäre Auswirkungen der Kommunikation unter Kunden quantifiziert werden. Ein ähnliches Modell wurde bereits

392

Sabrina Helm

von Stauss und Seidel (2002) entwickelt, auf das hier Bezug genommen wird. Die Autoren schätzen die durch die Mundwerbung von Kunden erzielten Nutzenwirkungen des Beschwerdemanagements auf den Unternehmenserfolg (Stauss/Seidel 2002, S. 349 ff.). Im Folgenden werden ihre Überlegungen adaptiert und erweitert, um die Nutzen- und Schadenswirkungen von Kundenempfehlungen abschätzen bzw. simulieren zu können. Es handelt sich dabei um eine einfache Durchschnittsrechnung für den gesamten Kundenstamm (Customer Equity). Individuelle Kundenempfehlungswerte werden dabei nicht monetisiert.

Daten aus der Kundenkalkulation: • • • •

Anzahl der Kunden: Durchschnittsumsatz/Kunde im Jahr: durchschnittliche Umsatzrendite: durchschnittliche Lebensdauer einer Geschäftsbeziehung:

Tab. 1:

100.000 Euro 1.000 6% 8 Jahre

Daten aus der Kundenzufriedenheitsbefragung • Anteil der überzeugten Kunden: • Anteil der zufriedenen Kunden: • Anteil der enttäuschten Kunden: • Anzahl der Kommunikationspartner der überzeugten Kunden: • Anzahl der Kommunikationspartner der zufriedenen Kunden: • Anzahl der Kommunikationspartner der enttäuschten Kunden: • Kaufempfehlungsrate der überzeugten Kunden: • Kaufempfehlungsrate der zufriedenen Kunden: • Kaufwarnungsrate der enttäuschten Kunden:

47% 43% 10% 6 3 9 60% 40% 80%

Daten für die Modellrechnung

Das Simulationsmodell betrachtet ausschließlich den Nettoempfehlungswert der Kunden und keine weiteren Kundenwertbausteine. Ein fiktives Beispiel dient zur Illustration des Modells. Die in der Tab. 1 aufgeführten Daten liegen der Beispielunternehmung annahmegemäß im Customer Data Warehouse (aus dem Rechnungswesen bzw. der Kundenkalkulation sowie aus Befragungen zur Kundenzufriedenheit) vor. Die Daten aus der Kundenkalkulation sind identisch mit jenen in der Beispielrechnung von Stauss und Seidel (2002, S. 370); die Daten zu den Zufriedenheitsraten entstammen dem Kundenmonitor Deutschland (Globalzufriedenheit über alle teilnehmenden Branchen, die Skalenwerte 1 und 2 wurden zu den „überzeugten Kunden“ zusammengefasst, die Skalenwerte 4 und 5 zu den „enttäuschten Kunden“; Meyer/Dornach 2001, S. 12); die restlichen Werte sind fiktiv.

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

überzeugte Kunden (47%)

dabei ausgesprochene Kaufempfehlungen

Anzahl angesprochener pot. Kunden X 6 = 282.000

393

X

60%

=

Kauf aufgrund der Kaufempfehlungen

169.200

= 47.000 220.800 Kunden gesamt

X

zufriedene Kunden (43%)

100.000

X 3 = 129.000

X

X 9 = 90.000

dabei ausgesprochene Kaufwarnung X 80% =

= 43.000 enttäuschte Kunden (10%)

40%

=

X

1%

=

potenziell gewonnene Kunden

1.440

potenziell verlorene Kunden

51.600 kein Kauf aufgrund der Kaufwarnung 72.000

X

2%

=

= 10.000 ökonomischer Marktnutzen durch positive Mundwerbung:

2.208

ökonomischer Marktschaden durch negative Mundwerbung:

zusätzlicher Umsatz/Jahr

2.208 X Euro 1.000 = Euro 2,208 Mio.

entgangener Umsatz/Jahr

1.440 x Euro 1.000 = Euro 1,44 Mio.

zusätzlicher Gewinn

Euro 2,208 Mio. X 6% = Euro 0,132 Mio.

entgangener Gewinn

Euro 1,44 Mio. x 6% = Euro 86.400

Euro 0,132 Mio. X 8 Jahre = Euro 1,06 Mio.

entgangener Lebenszeitgewinn

Euro 86.400 x 8 Jahre = Euro 691.200

zusätzlicher Lebenszeitgewinn

Abb. 6: Marktschaden und -nutzen durch Kundenempfehlungen In einer Beispielrechnung, die in Abb. 6 illustriert ist, wird für eine fiktive Anbieterleistung davon ausgegangen, dass von einem Gesamtbestand an 100.000 Kunden zum Betrachtungszeitpunkt 47% zu den überzeugten, 43% zu den zufriedenen und 10% zu den enttäuschten Kunden zu zählen sind. Allein durch positive Mundwerbung der ersten beiden Kundengruppen sowie durch negative Kommunikation der enttäuschten Kunden sind ausgeprägte Wirkungen auf Umsatz und Gewinn der Unternehmung zu verzeichnen. Aus Befragungen zur Kundenzufriedenheit werden empfehlungsbezogene Rückschlüsse gezogen. Stellt man fest, dass enttäuschte Kunden durchschnittlich mit 9 Personen über ein entstandenes Problem sprechen und dabei in 80% der Fälle vom Kauf bei diesem Anbieter abraten, heißt das im Beispielfall, dass 72.000 potenzielle Kunden vor dem Kauf des entsprechenden Produkts gewarnt werden. Die genauen Auswirkungen dieser Warnungen auf das Kaufverhalten der potenziellen Kunden lassen sich kaum exakt bestimmen, aber Stauss und Seidel gehen in ihrem Modell bei den diesbezüglichen Berechnungen von Daten aus den Untersuchungen des TARP-Instituts aus, was zu einer sehr vorsichtigen Schätzung der Effektivität der Mundwerbung führt. Von 50 Kunden, die mit negativer Mundwerbung in Berührung kommen, wird hiernach einer vom Kauf abgehalten (Stauss/Seidel 2002, S. 376, 392). Im betrachteten Beispiel bedeutet dies, dass 1.440 potenzielle Kunden nicht gewonnen werden (vgl. Abb. 6). Stellt man eine ausgeprägtere Wirksamkeit der Mundwerbung fest, was in vielen Branchen (vor allem den Dienstleistungen) der Fall sein wird, ist die Verlustrate potenzieller Kunden entsprechend höher.

394

Sabrina Helm

Der Durchschnittsumsatz im Beispielfall beträgt Euro 1.000 pro Kunde und Jahr bei einer Umsatzrendite von 6%. Betrachtet man den Kundenwert über die gesamte durchschnittliche Lebensdauer einer Geschäftsbeziehung, so wird hier von einer durchschnittlichen Dauer von 8 Jahren ausgegangen. Nicht berücksichtigt ist, dass die kundenbezogenen Umsätze mit der Dauer einer Geschäftsbeziehung ansteigen können (Reichheld 1996, S. 43), und es wird auch keine Verzinsung der (entgangenen) Umsätze vorgenommen. Unter Berücksichtigung dieser Werte entsteht im Beispielfall ein Marktschaden durch die negative Mundwerbung in Höhe von Euro 1,44 Mio. entgangenem Jahresumsatz, Euro 86.400 entgangenem Jahresgewinn bzw. Euro 691.200 entgangenem Lebenszeitgewinn. Analog sind die Wirkungen der positiven Mundwerbung in das Simulationsmodell integrierbar. Unter der Annahme, dass begeisterte Kunden durchschnittlich mit 6, zufriedene Kunden mit 3 Personen über die Anbieterleistungen sprechen und es in 60% respektive 40% der Fälle zu einer Kaufempfehlung kommt, wird 220.800 potenziellen Kunden zum Kauf der Anbieterleistung geraten. Bei der (erneut sehr vorsichtigen) Schätzung, dass nur jeder 100ste der Empfänger der Mundwerbeinformationen sich deshalb für den Kauf entscheidet, werden im Beispiel 2.208 Kunden gewonnen. Dies entspricht einem Marktnutzen bzw. einem zusätzlichen Lebenszeitgewinn von Euro 1,06 Mio. Der „Schneeball-Effekt“ der Mundwerbung ist in das Modell nicht integriert worden. Grundsätzlich ist denkbar, dass potenzielle Kunden, die eine Kaufempfehlung erhalten haben, diese ihrerseits an andere potenziellen Kunden weitergeben – unabhängig davon, ob sie selbst die Anbieterleistung erwerben oder nicht. Gleiches gilt für negative Schneeball-Effekte. Durch Variation der Daten sind Szenarien ableitbar, in denen wesentliche Nutzenaspekte von Anbietermaßnahmen, beispielsweise im Rahmen eines Empfehlungsmanagements (Helm 2000, S. 311 ff.), zu veranschaulichen sind. Die Verminderung des Marktschadens durch Eindämmung der negativen Mundwerbung und die Gewinnung neuer Kunden auf dem Wege positiver Mundwerbung stehen hierbei im Mittelpunkt. Mit Hilfe dieser oder ähnlicher Szenarien können mindestens Näherungswerte für Kosten und Nutzen der Mundwerbung auf Basis der Empfehlungsaktivitäten von Kunden bestimmt werden, auch wenn derart vereinfachte Modelle der komplexen Realität nicht gerecht werden. Auch eine Kundenpriorisierung auf Basis der durch sie verursachten empfehlungsbezogenen Nutzen- und Kostenwirkungen ist grundsätzlich möglich, würde aber eine kunden(gruppen)individuelle Datenerfassung voraussetzen.

4

Fazit

Die ausschließliche Betrachtung umsatz- und kostenbezogener Determinanten des Kundenwerts kann im Rahmen des CRM – verstanden als wertorientiertes Kundenmanagement – sicherlich nicht befriedigen. Die Integration empfehlungsbezogener Daten ist ein Ansatz, um auch eine der qualitativen Wertkomponenten des Kunden zu erfassen und zu steuern.

Kundenempfehlungen als Baustein des Kundenwerts

395

Ein umfassendes Konzept zur Bewertung von Kundenempfehlungen wäre methodisch in Data Warehousing-Lösungen gut integrierbar. Allerdings steht die praktische Umsetzung in diesem Bereich vor einer Reihe von Herausforderungen. Die Erfassung von Empfehlungsdaten erfordert in der Regel eigene Erhebungen, die nur bedingt für jeden einzelnen Kunden durchgeführt werden können. Die Quantifizierung individueller Empfehlungswerte ist über verschiedene Methoden der Kundenbewertung denkbar, wobei Scoring-Modelle und die Integration in Customer Lifetime Value-Modelle vorgestellt wurden. Letztere sind zur Zeit sicherlich das dominierend diskutierte Verfahren zur Kundenbewertung. Die erforderliche Monetisierung von Empfehlungswerten ist jedoch extrem aufwändig. Die Ermittlung eines „wahren“ Empfehlungswerts würde unter anderem die Berücksichtigung der vielfältigen und bislang kaum theoretisch durchdrungenen Bestimmungsfaktoren des Kommunikationsverhaltens von Kunden verlangen, was bislang allenfalls ansatzweise lösbar erscheint. Ebenso ist die Betrachtung des Empfehlungsverhaltens in individuellen Kundenbeziehungslebenszyklen grundsätzlich denkbar, aber kaum praktikabel. Es verbleibt daher der Näherungsansatz, über eine Customer Equity-Betrachtung eine Durchschnittsberechung über den gesamten Kundenstamm vorzunehmen, die zumindest für die Verlust- und Gewinnoptionen sensibilisiert, welche mit Kundenempfehlungen einhergehen. Ähnlich kommen auch Rust et al. (2000) zu der Erkenntnis: „The effect of Word-ofMouth is significantly large but notoriously hard to measure“. Doch selbst wenn die Erhebung exakter Empfehlungswerte im Rahmen des Customer Lifetime Value vermutlich in der Praxis eine Utopie bleibt, sollten Annäherungen unternommen werden, wie sie etwa mit dem equity-basierten Modell vorliegen. Da Empfehlungen unbestreitbar einen wichtigen Bestandteil des Kundenwerts ausmachen können, wäre ihre völlige Außerachtlassung bei der Kundenbewertung in der Praxis nicht nur gefährlich, sondern fahrlässig. Die Ermittlung und Aufbereitung empfehlungsbezogener Daten ist dementsprechend zu den Aufgabenstellungen des CRM zu addieren.

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396

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Frank Wimmer, Julika Göb

Customer Intelligence: Marktforschung und Kundenanalyse als Informationsgrundlagen im CRM 1

Einleitung

2

Phasen und Prozesse im CRM

3

Konsequenzen für das Informationsmanagement im CRM 3.1 Im CRM benötigte Informationen 3.2 Für das CRM beantwortbare Fragestellungen

4

Integration von Marktforschung und Kundenanalyse 4.1 Schritte der Datenintegration 4.2 Von Kundendaten zur Customer Intelligence

Literaturverzeichnis

1

Einleitung

Erfolgreiches CRM ist ohne Informationen und ohne die Unterstützung durch integrierte Informationssysteme undenkbar (Alt et al. 2005, S. 86; Hippner 2005, S. 116). Angesprochen ist damit das analytische CRM, das „Kundenkontakte und Kundenreaktionen systematisch aufzeichnet (Customer Data Warehouse) und zur kontinuierlichen Optimierung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse auswertet (On-Line Analytical Processing, Data Mining)“ (Hippner et al. 2004, S. 17). Gegenstand des analytischen CRM sind zunächst individuelle „Kundendaten“, die größtenteils aus Kundeninteraktionen bzw. -transaktionen gewonnen werden. Solche Kundendaten muss man also nicht erst originär erheben; sie fallen mehr oder weniger automatisch an. Für ihre zielgerichtete und intelligente Auswertung soll hier der Terminus der „Kundenanalyse“ verwendet werden. Ebenso wichtig für erfolgreiches CRM sind aber auch zusätzlich durch Befragung zu erhebende Daten. Anbieter interessieren sich beispielsweise für den von ihnen pro Kunde erzielten Kundenanteil (share of customer) oder auch für die Motive und Einstellungen einzelner Kundengruppen. Darüber hinaus unterstellt das Beziehungsmarketing einen weit gefassten Kundenbegriff, der auch potenzielle, noch nicht namentlich erfasste Kunden einschließt, die aus Zielmärken zu rekrutieren sind. Es werden mithin zunächst Daten über Märkte und Interessenten benötigt, um Entscheidungen über zu akquirierende und dann zu bindende Kunden bzw. Kundengruppen treffen zu können. Solche Daten über vorhandene und potenzielle Kunden fallen nicht automatisch an; man muss sie extra erheben. Das wird nachfolgend als typische Aufgabe der „Marktforschung“ verstanden (ohne damit die der Marktforschung immanente Forderung nach Aggregation bzw. Anonymisierung von Daten in Frage zu stellen). Durch beides, „Kundenanalyse“ und „Marktforschung“, werden für Strategien und Maßnahmen des operativen und kollaborativen (kommunikativen) CRM die notwendigen Informationsgrundlagen bereitgestellt. Darauf wird anschließend näher eingegangen.

2

Phasen und Prozesse im CRM

CRM als eine technologiegestützte, kundenorientierte Unternehmensstrategie des Beziehungsmarketings umfasst nicht nur die systematische Analyse, Planung, Durchführung sowie Kontrolle der auf den aktuellen Kundenstamm ausgerichteten Strategien und Maßnahmen. Es geht über die Gestaltung der Beziehungen zu aktuellen, bereits gewonnenen Kunden (Kundenbindungsmanagement) hinaus auch um die Kundengewinnung sowie gegebenenfalls auch um die Rückgewinnung abgewanderter Kunden. Die Aufgaben des entsprechend umfassenderen „Kundenmanagements“ im Rahmen des Beziehungsmarketings bestehen aus:

402

Frank Wimmer, Julika Göb

ƒ Kundenakquisition (potenzielle Kunden) ƒ Kundenbetreuung und Kundenbindung (aktuelle Kunden) ƒ Kundenrückgewinnung (verlorene Kunden). Abb. 1 ordnet diese Aufgaben entlang des sog. Kundenlebenszyklus idealtypisch einzelnen Phasen einer Kundenbeziehung (Geschäftsbeziehung) zu. Konsequenterweise wird deshalb CRM als eine unternehmensweite Strategie bezeichnet, „die dem systematischen Verständnis, der Beeinflussung und anschließenden Kontrolle der Kunden(rück)gewinnung, Kundenbindung und ggf. Beendigung der Kundenbeziehung dient“ (Müller 2004, S. 81).

Qualität der Geschäftsbeziehung

Stabilität Ausbau Beendigung

Entwicklung

Initiierung Zeit

Kundenakquisition

Kundenbetreuung/ Kundenbindung

Kundenrückgewinnung

Abb. 1: Kundenlebenszyklus Quelle: Bruhn/Homburg 2001, S. 344

In jeder der drei Phasen des Kundenlebenszyklus geht es darum, das Kundenpotenzial zu erkennen und optimal auszuschöpfen. Zentrale Zielgröße ist der über die Dauer einer Kundenbeziehung realisierbare Kundenertragswert (Customer Lifetime Value). Anbieter nehmen durch die Gestaltung ihrer kundenbezogenen CRM-Prozesse im Bereich von Marketing, Vertrieb und Service auf den Customer Lifetime Value aktiv Einfluss. Die Kern- und Subprozesse des operativen und kollaborativen (kommunikativen) CRM sind beispielhaft in Abb. 2 dargestellt. Sie richten sich auf potenzielle Kunden im Sinne von „Markt“ und „Interessenten“ sowie auf aktuelle und verlorene Kunden.

Customer Intelligence

Zielgruppe

Kernprozesse

403

Markt

Interessenten

Marketing

Vertrieb

Kunden

Service

Kampagnenmanagement Angebotsmanagement

Subprozesse

Beschwerdemanagement Servicemanagement Kundenmanagement

Abb. 2: Kundenprozesse im CRM (Beispiele) Quelle: Moosmayer et al. 2001, S. 76

Beziehungsmarketing und CRM weisen hinsichtlich Zielsetzung und Ausrichtung einen anderen Schwerpunkt auf als das klassische Transaktionsmarketing (vergleichende Übersichten siehe zum Beispiel bei Hennig-Thurau/Hansen 2000, S. 5; Baker/Mouncey 2002, S. 695). Mit Blick auf die Anforderungen an die benötigten Informationen sind als Schwerpunkt besonders hervorzuheben: ƒ Ausrichtung auf profitable Kundenbeziehungen Kundengewinnung und erstmalige Transaktionen werden nicht als abgeschlossene Prozesse betrachtet; sie erfolgen vielmehr von vornherein mit dem Ziel des Aufbaus einer dauerhaften Geschäftsbeziehung mit dem Kunden. Maßgabe für den gezielten Einsatz von Strategien und Maßnahmen des Kundenmanagements ist dabei der langfristig erzielbare Kundenwert. Nur bei ausreichender Kenntnis bzw. Abschätzung des (potenziellen) Customer Lifetime Value können Unternehmen erkennen, bei welchem/welchen Kunden sich eine Akquisition, eine intensivere Bindung sowie gegebenenfalls eine Rückgewinnung lohnen oder eine Beendigung der Geschäftsbeziehung als vorteilhaft erweisen würde. Das Ziel sind profitable Kundenbeziehungen (Cornelsen 2000, S. 37 ff.).

404

Frank Wimmer, Julika Göb

ƒ Ausrichtung auf individuelle Kundenansprache und -interaktion „Im Beziehungsmarketing geht es weniger um massenhafte, denn um individuelle Beeinflussung des Marktes. Dialogkommunikation und individuelle Marketingaktivitäten haben den Vorzug vor 'Broadcasting'-Kommunikation und anonymer Werbung.“ (Diller 2002, S. 6). In allen Phasen des Kundenmanagements, insbesondere natürlich in denen der Kundenbindung und -rückgewinnung, sind CRM-Prozesse darauf angelegt, einzelne Kunden oder zumindest Kundengruppen in der Kommunikation möglichst persönlich anzusprechen sowie in den Leistungsbereichen möglichst individuell zu bedienen. Diesem Ziel dient eine aktive Kundeninteraktion.

3

Konsequenzen für das Informationsmanagement im CRM

Die knappe Schilderung des spezifischen Schwerpunktes im Beziehungsmarketing sowie der zentralen Phasen und Prozesse im CRM lässt schon erkennen, dass Unternehmen ein besonderes Kundeninformationsmanagement benötigen. Sie können nur dann langfristige, profitable Kundenbeziehungen aufbauen, wenn sie über umfassende Informationen ihrer Kunden verfügen. Hinsichtlich Fragestellung und Zielsetzung einerseits sowie Art und Inhalt der benötigten Informationen andererseits ergeben sich dabei spezifische Anforderungen.

3.1

Im CRM benötigte Informationen

In Bezug auf den Inhalt sind die benötigten Daten zu unterscheiden in individuelle Kundendaten und aggregierte Marktdaten. Sie werden durch Kundenanalyse oder Marktforschung als den beiden unterschiedlichen Wegen, auf denen man zu Daten über aktuelle und potenziell Kunden gelangen kann, generiert. Wie Abb. 3 deutlich macht, fallen individuelle Kundendaten einerseits unternehmensintern „automatisch“ an; ein großer Teil der benötigten individuellen Kundendaten muss aber erst extra (extern) erhoben werden. Darüber hinaus werden aber auch aggregierte Daten über Kunden(gruppen) und Märkte gebraucht. (1) Individuelle Kundendaten Individuelle Kundendaten sind auf einzelne Kunden(-adressen) bezogene, beziehungsmarketingrelevante Daten. Es handelt sich um unternehmensinterne oder -externe Kundendaten:

Customer Intelligence

405

ƒ Intern anfallende Kundendaten Interne Kundendaten fallen unternehmensintern „an den einzelnen Customer Touch Points entlang der gesamten Wertschöpfungskette“ (Hippner et al. 2004, S. 158) an. Sie kommen durch Kundenkommunikation und -interaktion (Direktmarketing) sowie durch Kundentransaktionen im Rahmen von Marketing-, Vertriebs- und Serviceprozessen zustande und werden im Rechnungswesen, im Außendienst, generell im Vertrieb, im Kundendienst etc. generiert (Homburg/ Sieben 2000, S. 477). Diese Daten sind es, die den zentralen Inhalt spezifischer Data Marts und umfassender Kundendatenbanken und somit das primäre Objekt des analytischen CRM mittels statistischer Verfahren wie Data Mining, OLAP etc. bilden.

Marktforschung

Kundenanalyse Kundendaten (indiv.)

Marktdaten (aggr.) Extern zu erheben • Sekundärdaten: Amtliche Statistiken, vorhandene Marktstudien, Datenbanken

• Ex ante individuelle Kundendaten: - (Qualifizierte) Adressdaten - Profildaten - Kauf-, Service- und Kontaktdaten (auch wettbewerberbezogen)

• Primärdaten: Studien zum Informations-, Kauf- und • Ex post individualisierbare Verwendungsverhalten von ZielMarktdaten: gruppen/Segmenten - Verhaltensweisen (z.B. Kaufverhalten, - Mikrogeographische Daten Konsumgewohnheiten, Medien- Lifestyles, Motive, Einstellungen nutzung etc.) - Konsumgewohnheiten - Verhaltenshintergründe (sozial- Mediennutzung etc. psychologische Größen, z.B. Lifestyles, Motive, Einstellungen, Zufriedenheit etc.)

Intern anfallend • Profildaten: Adressdaten, Strukturdaten etc. • Kontaktdaten: Art und Häufigkeit von Kommunikationsaktivitäten, Zeitpunkt der Kontakte, Kundenreaktionen etc. • Transaktionsdaten: Kaufmengen, -häufigkeit, -zeitpunkte, Wieder- und Zusatzkäufe, Zahlungsverhalten etc. • Servicedaten: Anfragen, Reklamationen und Retouren, Inanspruchnahme von Serviceleistungen etc.

Abb. 3: Kundenanalyse vs. Marktforschung ƒ Extern zu erhebende Kundendaten Die intern anfallenden Kundendaten sind um extra zu erhebende, externe (hier: individuelle) Kundendaten zu ergänzen. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Kundendaten, die als solche außerhalb des Unternehmens bereits ex ante individuell existieren, sowie aggregierten Marktdaten, die sich aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf individuelle Kundenadressen beziehen und insofern ex post individualisieren lassen.

406

Frank Wimmer, Julika Göb o

Extern existierende, ex ante individuelle Kundendaten Zur ersten Kategorie der ex ante individuellen, aber erst zu erhebenden Kundendaten zählt zum einen das weite Feld der Adressdaten, wie sie insbesondere von kommerziellen Adressverlagen in teilweise erstaunlich weitgehender „Qualifizierung“, zum Beispiel hinsichtlich Kaufverhalten und Mediennutzung, angeboten werden. Aus ihnen generieren Unternehmen häufig ihren Pool potenzieller Kunden, indem sie ihre definierten anonymen Zielmärkte auf individuelle potenzielle Kunden(adressen) herunterbrechen. Zum anderen zählen zu den ex ante individuellen, externen Kundendaten weitere Kundenprofildaten, die über die intern bereits vorliegenden Profilmerkmale hinausgehen. Unternehmen erheben sie zusätzlich im Zusammenhang mit Kundenkontakten, Transaktionen etc., beispielsweise im Kontext von Promotionaktionen mit Rückantwort, Kundenkarten und Kundenclubs oder eben durch gezielte Ad hoc-Kundenbefragungen. Bei letzteren besteht die Möglichkeit, die Kunden auch nach ihrem Kontakt-, Kauf- und Serviceverhalten bezüglich anderer Unternehmen zu befragen, sodass sich für das Customer Profiling zusätzliche beziehungsrelevante Informationen ergeben.

o

Extern existierende, ex post individualisierbare Kundendaten Die zweite Kategorie besteht aus ursprünglich in aggregierter Form vorliegenden Markt- bzw. Marktforschungsdaten, die anhand von MatchingVariablen mit für Marketingzwecke ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit auf individuelle Kundenadressen bezogen werden können (siehe Abschnitt 4). So erlauben es beispielsweise mikrogeographische Daten über kleinräumige Zellen (Nachbarschaftsebene), den einzelnen darin vorhandenen Adressen spezifische Struktur-, Ausstattungs- und Kaufverhaltensmerkmale per Projektion zuzuordnen; zum Beispiel typische Haushaltsstrukturen, Wohnungsgrößen, Ausstattung mit Einrichtungsgegenständen und Geräten, Besitz von Fahrzeugen bestimmter Klassen etc. (Böhler/ Scigliano 2005, S. 44 f.). Nach demselben Prinzip ist es möglich, an sich anonyme, aggregierte Marktforschungsdaten über Informations-, Kaufund Verwendungsverhaltensweisen sowie dahinter stehende Motiv- und Einstellungsstrukturen oder Konsumstile einzelner Konsumentengruppen (Segmente) anhand deren Strukturmerkmale auf individuelle Kundenadressen zu transferieren – wiederum mit einer gewissen Fehlerquote, aber mit einer für die Praxis oft ausreichenden Wahrscheinlichkeit.

Diese Kategorie der (durch Marktforschung) extern zu erhebenden, aber dennoch individuellen oder individualisierbaren Kundendaten macht bereits das große Potenzial der Marktforschung für das analytische CRM deutlich. Darüber

Customer Intelligence

407

hinaus bilden auch aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten für das CRM eine bedeutsame Informationsgrundlage. (2) Aggregierte Marktdaten Vor allem strategische Entscheidungen im Rahmen des Beziehungsmarketings kommen ohne „klassische“ Marktdaten nicht aus. Marktdaten sind grundsätzlich aggregierte, anonymisierte Daten über Kunden(gruppen), Marktteilnehmer und Marktverhältnisse, die durch Marktforschung (Sekundär- und Primärforschung) gewonnen werden. Im Unterschied zu den oben angesprochenen Markt- bzw. Marktforschungsdaten, die für CRM-Zwecke nachträglich individualisiert werden, geht es hier um unverändert aggregierte Daten. Sie interessieren insbesondere im Kontext der Phase der Kundenakquisition und beziehen sich dann generell auf Konsumenten oder institutionelle Abnehmer. Als „Kundendaten“ können sie insofern bezeichnet werden, als sie sich auf potenzielle Kunden beziehen. Sie interessieren aber auch für Strategien und Maßnahmen der Kundenbindung und -rückgewinnung und beziehen sich dann auf die aktuellen Kunden eines Unternehmens insgesamt oder auf Kundengruppen, nicht jedoch auf einzelne Kunden. Das Spektrum der relevanten Daten umfasst Verhaltensweisen bzw. -muster im Bereich des Informations-, Kauf- und Verwendungs- bzw. gesamten Nachkaufverhaltens, etwa mit der Zielsetzung, für eine bestimmte Produktkategorie Käuferreichweiten, Kaufintensitäten oder Marktanteile des Unternehmens und der Wettbewerber zu identifizieren. Zusätzliche „Insights“ in Verhaltenshintergründe sozial-psychologischer Natur können dazu dienen, interessante Zielgruppen/Zielmärkte oder Kundengruppen auch über Motivkonstellationen, wahrgenommene Produktpositionierungen, generelle Konsum- und Lebensstile oder zum Beispiel auch hinsichtlich ihres Referenzpotenzials näher zu beschreiben. Neben generellen Markt- und Konsumenten- bzw. Abnehmerstudien stellen auch die Ergebnisse aus Kundenbefragungen einen typischen Fall aggregierter Marktdaten dar. Befragt werden hier nicht Konsumenten(gruppen) bzw. Betriebe/Institutionen als potenzielle Kunden, sondern aktuelle Kunden – beispielsweise die Kunden einer Autovertragswerkstatt nach Inanspruchnahme derselben zu ihrer Kundenzufriedenheit oder die Käufer eines Einzelhandelsgeschäfts zu ihrer Herkunft und zur Resonanz auf Promotionmaßnahmen. Marktdaten repräsentieren also häufig auch sog. „soft facts“, wohingegen insbesondere die intern anfallenden, individuellen Kundendaten typischerweise „hard facts“ zum Ausdruck bringen.

408

3.2

Frank Wimmer, Julika Göb

Für das CRM beantwortbare Fragestellungen

Die oben systematisierten Datenkategorien lassen zum Teil bereits erkennen, für welche beziehungsmarketingrelevante Fragestellungen sie eine nützliche Entscheidungshilfe darstellen können. Nachfolgend sollen deshalb nur einige prototypische Anwendungsbezüge skizziert werden. So erfolgt mit individuellen bzw. individualisierten Kundendaten insbesondere das „Customer Profiling“, das heißt eine Charakterisierung von Kundengruppen oder einzelnen Kunden anhand marketing- bzw. erfolgsrelevanter Kriterien. Customer Profiles sollen z.B. folgende Fragen beantworten (Neckel/Knobloch 2005, S. 92, Elliott et al. 2003, S. 3): ƒ Weisen meine Kunden spezifische Verhaltensmuster bezüglich des Kaufverhaltens auf? ƒ Welche Kundensegmente lassen sich innerhalb des Unternehmens identifizieren? ƒ Welche Abwanderungstendenzen sind erkennbar? Durch welche Maßnahmen können Abwanderungen verhindert werden? ƒ Welches sind meine profitabelsten Kunden und durch welches Kaufverhalten zeichnen sie sich aus? ƒ Welche Leistung bzw. welchen Service bietet man welchem Kunden an? Aggregierte Markt- oder auch Kundendaten werden im CRM zum Beispiel zur Beantwortung folgender Fragen benötigt (Böhler 2004, S. 24 f.; Neckel/Knobloch 2005, S. 91 f.; Elliott et al. 2003, S. 4): ƒ Wie sind die ökonomischen und politischen Gegebenheiten auf dem Markt? ƒ Wer sind die gegenwärtigen und potenziellen Wettbewerber, wo liegen deren Stärken und Schwächen? ƒ Wie hoch ist die Kaufkraft definierter Zielmärkte oder der Kunden? Wie ist das Kaufverhalten der Kunden? ƒ Welche Marktsegmente existieren auf den Märkten und welche Zielgruppen sind für das Unternehmen interessant? Welche spezifischen Merkmale weisen die identifizieren Marktsegmente auf? ƒ Welche Märkte sollen mit welchem Produkt bearbeitet werden? ƒ Wie wird das Produkt bzw. die Leistung des Unternehmens wahrgenommen? Welche Unterschiede gibt es zwischen verschiedenen Zielgruppen? Wiedmann et al. (2005) kommen im Zusammenhang mit den für eine effiziente Steuerung des Beziehungsmarketings notwendigen Informationen und somit den durch Marktforschung und Kundenanalyse für die Steuerung von CRM-Prozessen beantwort-

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409

baren Fragestellungen auf die „Customer Management Scorecard“ (CMS) als Variante der bekannten Balanced Scorecard (Kaplan/Norton 1997) zu sprechen. Darunter wird ein kundenmanagementbezogenes Kennzahlensystem verstanden, das auf zentrale Werttreiber bzw. Erfolgsdeterminanten des CRM abstellt. Es hat die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen zum Ziel, „mit deren Hilfe die Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle von Programmen auf strategischer, taktischer und operativer Ebene des CRM unterstützt wird“ (Wiedmann et al. 2005, S. 28 f.). Eine CMS findet ihre Anwendung als Analyse-, Steuerungs- und Kontrollinstrument von CRMStrategien und deren Umsetzung. Sie kann unter den folgenden drei Perspektiven angelegt werden: ƒ Kundenbezogene Perspektive: Hierzu gehören Kennzahlen über Eigenschaften des Kunden (einerseits soziodemographische, psychographische und ökonomische Merkmale wie zum Beispiel Kundendeckungsbeiträge, Customer Lifetime Value, Cross-Selling-Wertpotenziale, offene Posten, Forderungsausfälle; andererseits Eigenschaften des Informations-, Kauf-, Integrations-, Beschwerde- und Referenzverhaltens). ƒ Instrumentenbezogene Perspektive: Hier steht die Anlage und Analyse von Kennzahlen über den Einsatz und die Wirkung von produkt-, preis-, kommunikations- und distributions- bzw. vertriebspolitischen Aktivitäten im Vordergrund. ƒ Prozessbezogene Perspektive: Hier werden unternehmensinterne Leistungsprozesse im CRM, die eine kundenorientierte Wertschaffung zum Inhalt haben, hinsichtlich ihres Wertbeitrages für das Unternehmen beleuchtet. Dabei spielen Informationen über die „Mitarbeiter-Performance“ eine besondere Rolle (zu detaillierten Übersichten über entsprechende Kennzahlensysteme siehe Wiedmann et al. 2005, S. 36 ff.). Mit anderer Terminologie und unter anderen Perspektiven geht Diller (2002) die Herausforderungen und Trends des Kundeninformationsmanagements im Beziehungsmarketing an. Für die Kundenanalyse, -strategie, -bearbeitung und -kontrolle als den zentralen Aufgaben des Kundenmanagements leitet er (unter anderem) neue Messgrößen und Methoden der „Marktforschung“ ab. „Marktforschung“ wird in diesem Falle umfassend interpretiert; eine klare Differenzierung zwischen Marktforschung und Kundenanalyse wie im vorliegenden Beitrag erfolgt nicht. ƒ Neue Messgrößen: Hier steht der Kundenwert zunächst im Mittelpunkt. Marktforschung zur Unterstützung des Kundenmanagements hat die Aufgabe, branchen- oder kundengruppenspezifisch den (potenziellen) Kundenwert zu operationalisieren, empirisch zu erfassen und zu analysieren (Diller 2002, S. 15). Neben dem ökonomischen Kundenerfolg gehören dazu als Komponenten auch der Referenz- und In-

410

Frank Wimmer, Julika Göb formationswert sowie der Cross-Selling-Wert von Konsumenten- bzw. Kundengruppen. Daneben stellt sich für die Marktforschung die Aufgabe, Informationen über die Kundenbindung bzw. die Wirkung entsprechender Bindungsaktivitäten bereitzustellen. Dazu sind aus den jeweiligen Transaktionsdaten heraus zum Beispiel Besuchshäufigkeiten von Kunden, Erstkaufpräferenzen, Kundenpenetration, Marken- oder Ladentreue bzw. Churn-Rates sowie Cross-Selling-Rates zu ermitteln und auf entsprechende Kundenbindungsprogramme und -maßnahmen zurückzuführen. (Innere) Kundenloyalität, Wiederkauf- und Weiterempfehlungsbereitschaften sowie die Kundenzufriedenheit lassen sich zusätzlich durch Kundenbefragung ermitteln. Wie ersichtlich, ist diese Systematisierung kompatibel mit der oben in Abschnitt 3.1 vorgenommenen.

ƒ Neue Methoden: Über traditionelle Verfahren der Marktforschung hinaus (beispielsweise Zufriedenheitsmessungen) legt Diller das Augenmerk insbesondere auf neue, durch das Internet ermöglichte Erhebungsmethoden: Online-Befragungen von Kunden, Verfahren des User Tracking (beispielsweise Click Stream- oder Conversion-Analysen, die Aufschluss über die Präferenzbildung beim Online-Kauf geben). Ein besonderes, CRM-relevantes Potenzial der „Marktforschung“ sieht er aber zu Recht in dem, was oben „Kundenanalyse“ genannt wurde: Data Mining und Data Warehouses sowie im Internet Verfahren des Information Filtering, speziell des Collaborative Filtering, bei denen Kunden anhand vordefinierter Merkmale einer Gruppe ähnlicher Kunden zugewiesen werden (Diller 2002, S. 22 f.). Ersichtlich wird schon, dass es für die Steuerung und Kontrolle von CRM-Prozessen nicht nur darauf ankommt, alle relevanten Daten heranzuziehen, sondern diese auch zu aussagekräftigen Informationen über potenzielle und aktuelle Kunden zu verdichten – sowohl individuelle Kundendaten als auch aggregierte und gegebenenfalls ein Stück weit individualisierbare Markt- bzw. Marktforschungsdaten. Die besondere Herausforderung eines Kundeninformationssystems im Beziehungsmarketing liegt in einer entscheidungs- und entscheiderorientierten Datenintegration.

Customer Intelligence

411

4

Integration von Marktforschung und Kundenanalyse

4.1

Schritte der Datenintegration

Bei der Datenintegration werden die unternehmensintern anfallenden „harten“ Kundendaten durch extern zu erhebende, zum Teil auch „weiche“ Kunden- und Marktdaten ergänzt. Um wirkliche „Customer Insights“ zu erhalten gilt es, die vergangenheitsorientierten, internen Kundendaten aus dokumentierten Kundentransaktionen und -kontakten sowohl um extern zu erhebende Kundendaten wie zum Beispiel Adressdaten oder auch mikrogeographische Daten als auch um aggregierte Marktdaten zu Verhaltensweisen (wie zum Beispiel Kaufverhalten, Konsumgewohnheiten und Mediennutzung) sowie zu sozial-psychologischen Verhaltenshintergründen (wie zum Beispiel Motive, Einstellungen und Lifestyles) anzureichern. Kunden- und Marktforschungsdaten sind sinnvoll zu integrieren. Abb. 4 verdeutlicht die einzelnen Schritte der Datenintegration im CRM.

Profildaten

Geschäftsbetrieb

Analytisches CRM

Kontaktdaten Transaktionsdaten Servicedaten

Transformieren

Harmonisieren

Individuelle Kundendaten

Unternehmen/ Markt

Individualisierbare Marktdaten

Fusionieren

Marktstudien Zielgruppenstudien

Analysieren



Marketing

Planung/ Steuerung

Vertrieb Service

Instruieren

Interpretieren

Customer Intelligence

Operatives CRM Kollaboratives CRM

Abb. 4: Integration der Daten aus Marktforschung und Kundenanalyse im CRM

412

Frank Wimmer, Julika Göb

Eine besondere Schwierigkeit besteht dabei darin, die anonymen, in aggregierter Form vorliegenden Marktforschungsdaten mit den personalisierten Kundendaten zu verknüpfen und zu einer einheitlichen Datenbasis zu verdichten. Der Weg dorthin erfordert mehrere Schritte: Datentransformation und -harmonisierung Die vorhandenen, in der Regel heterogenen Daten beziehen sich nicht auf identische Abgrenzungen und Kodierungen und sie liegen teils personenbezogen und teils anonymisiert vor. Deshalb ist es notwendig, zunächst eine Datentransformation vorzunehmen. Hierzu werden alle Daten aus den verschiedenen unternehmensinternen und -externen Informationsquellen in ein einheitliches, für die Datenanalyse geeignetes Format überführt. Aufgrund unterschiedlicher Bezugsquellen auftretende Inkonsistenzen in den Daten werden dabei beseitigt. Beispielsweise können die Identifikationsschlüssel für Untersuchungseinheiten aus verschiedenen Informationsquellen inkompatibel sein. So liegen in verschiedenen Datensätzen in der Regel keine identischen Kundennummern zur Identifikation des einzelnen Kunden vor. Es ist dann erforderlich, durch Abgleich von Identifikationsdaten der Kunden „zusammengehörige“ Kundennummern zu bestimmen. Dies kann anhand gemeinsamer Strukturmerkmale, zum Beispiel anhand soziodemographischer Merkmale der Kunden (Name, Adresse), erfolgen (Adriaans/Zantinge 1997, S. 85). Darüber hinaus können Inkonsistenzen in den Daten auch durch eine unterschiedliche Kodierung gleicher Merkmale hervorgerufen werden. Variablen, die den gleichen Dateninhalt erfassen bzw. messen, werden dann durch divergierende Variablenbezeichnungen beschrieben. Eine Datentransformation dient der Vereinheitlichung des Datenformats der Daten aus verschiedenen Informationsquellen. In einem weiteren Schritt gilt es, die Daten zu harmonisieren, das heißt, sie in eine einheitliche Struktur zu bringen. Eine Vereinheitlichung der Datenstruktur ist beispielsweise notwendig, wenn in verschiedenen Datenquellen unterschiedliche Maßeinheiten verwendet werden. Insbesondere in internationalen Unternehmen, die ihre Informationen aus verschiedenen Ländern und Regionen beziehen, wird es erforderlich, die Daten hinsichtlich ihrer zunächst oft unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte anzugleichen und damit vergleichbar zu machen. Eine Harmonisierung erfolgt somit auch hinsichtlich der Struktur der Daten über Länder und Regionen hinweg sowie hinsichtlich der Periodizität der Datenerhebung (Schroiff 1999, S. 31 ff.; Schöll 2004, S. 8). Datenfusion (Data Matching) Erst wenn transformierte und harmonisierte Kundendaten vorliegen, können diese zu einer gemeinsamen Datenbasis fusioniert werden. Dafür ist das Vorhandensein von sog. „Link-Variablen“ notwendig, die identisch in den verschiedenen Datenquellen enthalten sind und deshalb als „Brücke“ fungieren können (Liehr 2001, S. 730 f.). Voraussetzung des Data Matching ist allerdings, dass die Verknüpfungsmerkmale der sog. „LinkVariablen“ in einem einheitlichen Datenformat vorliegen und eine identische Datenstruktur aufweisen. Im Unternehmen bereits vorhandene, ex ante individuelle Kunden-

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413

daten können dann leicht anhand ausgewählter Verknüpfungsmerkmale mit den unternehmensexternen Kundendaten direkt fusioniert werden. Im Gegensatz zu solchen individuellen Kundendaten lassen sich aber aggregierte Marktforschungsdaten nicht so einfach individuell zuordnen. Hier besteht allerdings die Möglichkeit, die per Marktforschung gewonnenen allgemeinen Markt- und Kundendaten über die Identifikation gemeinsamer Strukturmerkmale (zum Beispiel gemeinsamer soziodemographischer Kundenmerkmale oder auch Daten zum Kauf- und Verwendungsverhalten der Kunden) zumindest in kleinere, homogene Kundengruppen „hineinzuschätzen“. Aggregierte Marktdaten werden auf die vorliegenden personalisierten Kundendaten projiziert, sodass sie dort mit für Praxiszwecke ausreichender Wahrscheinlichkeit zutreffen. Datenanalyse Werden die transformierten, harmonisierten und fusionierten Kundendaten in einem Data Warehouse gespeichert, so stehen sie für zielgerichtete (mathematisch-statistische) Datenanalysen zur Verfügung. Durch den Einsatz vordefinierter spezieller Analysewerkzeuge lassen sich dann bestimmte CRM-Prozesse automatisch auslösen. Auch fallweise auftretende Fragestellungen des CRM, aber auch anderer Aufgaben- und Entscheidungsbereiche im Unternehmen (z. B. Controlling, Finanzplanung), sollen mittels geeigneter Analysewerkzeuge schnell und einfach beantwortet werden können. Werkzeuge zur Analyse von strukturierten Datenbeständen sind beispielsweise OLAP (Online Analytical Processing) oder Data Mining. OLAP-Systeme speichern die Kundendaten in einem mehrdimensionalen Datenwürfel, der Auswertungen nach verschiedensten Kriterien zulässt (Chamoni 1998, S. 233; Hippner et al. 2004, S. 244). Aufgrund des anwenderorientierten Gestaltungsrahmens erhält der Anwender schnell und direkt entscheidungsrelevante Kundeninformationen. Im Gegensatz zu OLAP erlaubt es Data Mining, in der Vielzahl von Kundendaten verdeckt enthaltene Muster, zum Beispiel hinsichtlich der Konsumgewohnheiten und Mediennutzung bestimmter Kundengruppen, zu identifizieren. Data Mining kann als “process that uses a variety of data analysis and modeling techniques to discover patterns and relationships in data that are used to understand what your customers want and predict what they will do” (Edelstein 2000, S. 2) bezeichnet werden. Werkzeuge des Data Mining werden häufig zur Analyse der Wirkung bestimmter Marketingmaßnahmen herangezogen. Somit können anhand von historischen und aktuellen Kundendaten Vorhersagen über das zukünftige Kundenverhalten sowie deren Einstellungen und Bedürfnisse abgeleitet werden ('predictive analytics'). Auf Grundlage der gewonnenen Ergebnisse kann eine Optimierung von strategischen und operativen Marketingmaßnahmen erfolgen (SPSS 2004, S. 3). Datentransformation und Datenharmonisierung sowie Datenfusionierung und Datenanalyse obliegen im CRM-Konzept dem analytischen CRM. Dessen Aufgabe liegt in der systematischen Erhebung und Integration sowie der zielgerichteten Auswertung aller entscheidungsrelevanten Kundeninformationen. Angestrebt wird ein „360-Grad-Bild des Kunden“ (Tomczak/Cristofolini 2002, S. 74). Im Normalfall fällt also die Datenanalyse in das Aufgabenfeld der dafür kompetenten Experten aus dem Bereich des Data Warehousing, der Marktforschung, der Business

414

Frank Wimmer, Julika Göb

Intelligence oder Ähnliches. Man kann Kundendaten und Analysewerkzeuge dem Management auch unmittelbar abrufbar für eigene Auswertungen zur Verfügung stellen. Das Management verlangt aber weniger nach selbst zu analysierenden umfangreichen Daten als nach komprimierten Informationen zur Entscheidungsunterstützung. Diese Forderung wird in Theorie und Praxis unter dem Stichwort der „Marketing Intelligence“ (Wimmer/Göb 2005) diskutiert, im Kontext des Kundenmanagements unter dem der „Customer Intelligence“.

4.2

Von Kundendaten zur Customer Intelligence

Kundendaten alleine, so viele und verschiedenartige es auch immer sein mögen, zeigen noch keine Problemlösung auf. Dazu bedarf es über die Datenanalyse hinaus einer problembezogenen Dateninterpretation und davon ausgehend einer entscheidungsorientierten Aufbereitung und Aufwertung der Ergebnisse in Richtung umsetzbarer Handlungsempfehlungen (Instruktion). Vorhandene Kundendaten sind durch gezielte Analysen in Kundeninformationen und diese wiederum durch Interpretation und sachkundige Bewertung in Kundenwissen zu überführen. Erst auf dieser Basis lassen sich instruktive Handlungsempfehlungen für intelligente Entscheidungen ableiten (siehe ebenfalls Abb. 4). „Kundendaten“ liegen prinzipiell zunächst noch zusammenhanglos vor. Erst wenn man sie in einen zweckbezogenen Kontext bringt, werden sie zu Nachrichten und erhalten so für den Empfänger eine Bedeutung, einen Informationswert. „Kundeninformationen“ sind also schon aussagekräftiger als einfache Daten. Noch aussagekräftiger werden sie, wenn die Experten des analytischen CRM und die Entscheider im angewandten CRM bzw. im Kundenmanagement solche Informationen in den Kontext ihres (impliziten) Erfahrungswissens einbetten und mit Verstand bewerten, um daraus mögliche Schlussfolgerungen für das Handeln zu ziehen. Zu „Kundenwissen“ werden Informationen also erst im Zusammenspiel mit subjektiven Erfahrungen und theoretischem Wissen („Know-that“). Für tatsächlich handlungsorientierte, praktische Empfehlungen bedarf es dann im optimalen Falle auch noch eines praktischen Wissens („Know-how“, siehe Burmann 2001, S. 17 f.). Die aufgezeigten Zusammenhänge werden in Abb. 5 beispielhaft verdeutlicht.

Customer Intelligence

415

Daten

Informationen

Wissen

• Kunde K

Kunde K hat letzte Woche Produkt P1 (Maschine) gekauft (das wollten wir schon lange!).

Kunde K befindet sich noch ganz am Anfang eines potenziell langen Kundenlebenszyklus.

Aus allen Käufen des Kunden K im letzten Jahr ergibt sich ein Kunden-DB von -x € (wir verdienen an K nichts!).

Bei gezielten Kundenbindungsmaßnahmen kann er für uns bis spätestens ... profitabel werden (Æ CLV)

• Produkte P1,P2,... • Kaufakte a1, a2,... • Zeitpunkte t1, t2,... • Erlöse EP1, EP2,… • Vertriebskosten VP1,VP2...

Handlungsrelevanz Entscheidungsorientierung

Abb. 5: Von Kundendaten über Kundeninformationen zu Kundenwissen „Kundenwissen“ ist demnach in Adaption einer allgemeinen Definition für „Wissen“ zu verstehen als eine „Mischung aus strukturierten Erfahrungen, Wertvorstellungen, Kontextinformationen und Fachkenntnissen, die in ihrer Gesamtheit einen Strukturrahmen zur Beurteilung und Eingliederung neuer Erfahrungen und Informationen bietet“ (Davenport/Prusak 1999, S. 32) – im vorliegenden Falle bezogen auf Kunden und angewandt auf das Kundenmanagement. Eine umfassende Kundenwissensbasis stellt dabei auf drei Arten des Kundenwissens ab (Stauss 2002, S. 276 ff.): Zum einen auf das im Unternehmen bereits vorhandene Wissen über den Kunden, seien es aktuelle oder potenzielle Kunden. Zum anderen auf das Wissen des Kunden, für das sich das Unternehmen interessiert, aber selbst noch nicht Wissensträger ist. Hierzu zählen zum Beispiel Einstellungen und Erfahrungen der Kunden hinsichtlich der Produkte und Leistungen des Unternehmens und der Wettbewerber. Solches Wissen, das in den Köpfen der Kunden vorliegt, kann das Unternehmen in der Regel nur durch spezifische Marktstudien und Kundenbefragung erlangen. Für das Kundenmanagement ist darüber hinaus das Wissen für den Kunden von Bedeutung, bei dem es darum geht, existierende Wissenslücken und -defizite der Kunden in Bezug auf die vom Unternehmen angebotenen Leistungen zu entdecken und durch geeignete Kommunikation zu schließen. Customer Intelligence besteht darin, solches Kundenwissen zu gewinnen und für das Kundenmanagement, speziell das CRM, nutzbar zu machen. „Customer IntelligenceSysteme“ bedienen sich zu diesem Zweck in der Regel informationstechnologischer Unterstützung (Knowledge Management-Systeme) und haben die Aufgabe, Wissen über

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Frank Wimmer, Julika Göb

den Kunden im Unternehmen zu sammeln, aufzubereiten und explizit verfügbar zu machen. Wissensbasierte Entscheidungsunterstützungssysteme speichern und kodifizieren das Marketingfachwissen sowie die Problemlösungsstrategien von Experten und machen die Expertenkompetenz mittels Softwareanwendungen einem breiteren Personenkreis zugänglich (Wierenga/van Bruggen 2000, S. 119 ff.). Customer Intelligence bildet mit seinen beiden Informationssäulen der Marktforschung und der Kundenanalyse ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Kunde und Kundenmanagement. Ein Unternehmen bekommt erst durch die Verknüpfung von Marktforschung und Kundenanalyse ein detailliertes und tiefes Kundenverständnis (Elliot et al. 2003, S. 4 ff.). Nur auf der Grundlage einer fundierten Kundenwissensbasis können erfolgsversprechende CRM-Strategien abgeleitet und Prozesse des operativen und kollaborativen CRM gestaltet werden. Operatives CRM unterstützt den direkten (und teilweise automatisierten) Kontakt mit dem Kunden auf Marketing- (zum Beispiel Kampagnenplanung und -durchführung), Vertriebs- (zum Beispiel Kontaktmanagement) und Serviceseite (zum Beispiel Beschwerdemanagement); kollaboratives CRM unterstützt die Integration verschiedener Vertriebskanäle sowie die synchrone Kundenansprache. Bei sämtlichen Prozessen zur Steuerung und Unterstützung der Kundeninteraktionen geht es darum, an allen Kontaktpunkten Kundeninformationen zu gewinnen und diese durch analytisches CRM wieder unmittelbar oder mittelbar für das operative und kollaborative CRM zu nutzen. So erhält das Unternehmen eine ganzheitliche Sicht auf den einzelnen Kunden und umgekehrt wird dem Kunden ein einheitliches Unternehmensbild präsentiert (Neckel/Knobloch 2005, S. 42).

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Dritter Teil

Kundenorientierte Managementaufgaben im CRM

Bernd Stauss

Grundlagen und Phasen der Kundenbeziehung: Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus 1

Problemstellung

2

Kundenbeziehungen

3

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus 3.1 Ein Phasenkonzept der Geschäftsbeziehung als Grundlage 3.2 Die Weiterentwicklung in Analogie zum Produkt-Lebenszyklus-Konzept 3.3 Die Nutzung des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus für die inhaltliche Strukturierung des Customer Relationship Management

4

Ausblick

Literaturverzeichnis

1

Problemstellung

Das Kundenbeziehungsmanagement (Customer Relationship Management) als systematischer Aufbau und Ausbau langfristiger, ökonomisch attraktiver Geschäftsbeziehungen hat in den letzten Jahren eine stark zunehmende Bedeutung erlangt. Hierfür ist eine Reihe von Faktoren verantwortlich. Zu ihnen gehört vor allem die Sättigung vieler Märkte mit der Notwendigkeit, anstelle der Konzentration auf Neukundengewinnung das Ertragspotenzial bestehender Kunden auszuschöpfen. Darüber hinaus tragen weitere Trends wie Konzentrationsprozesse auf Kundenseite, die verstärkte Individualisierung der Bedarfe und die Entwicklung neuer Kommunikations- und Datenbanktechnologien zur quasi-individuellen Kundenbearbeitung auf Massenmärkten zum Bedeutungszuwachs des Beziehungsmanagements bei (Diller 2001a, S. 164). Eine planmäßige Gestaltung von Kundenbeziehungen setzt allerdings ein klares Verständnis von den charakteristischen Merkmalen einer Beziehung und ein beziehungsorientiertes Konzept des Management-Instrumentariums voraus. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, zunächst grundsätzliche Merkmale einer Kundenbeziehung zu beschreiben. Darauf aufbauend wird gezeigt, dass sich während der Lebensdauer einer Kundenbeziehung charakteristische Phasen identifizieren lassen, die jeweils einen unterschiedlichen Status der Geschäftsbeziehung aus Kundensicht präsentieren und damit spezifische Anforderungen an das Management stellen. Dies erfolgt anhand des KundenbeziehungsLebenszyklus-Konzepts, das sich als sinnvolle konzeptionelle Basis erweist, um die Aktivitäten des Kundenbeziehungsmanagements beziehungsorientiert auszurichten und das Handlungsfeld des Customer Relationship Management sinnvoll inhaltlich zu strukturieren.

2

Kundenbeziehungen

Kundenbeziehungen stellen eine aus ökonomischen Motiven heraus aufrechterhaltene Folge von Interaktionen zwischen einem Anbieter von Gütern und Dienstleistungen einerseits und dessen potenziellen und aktuellen Kunden andererseits dar (Diller 2001b, S. 529). Solche Kundenbeziehungen – oder auch Geschäftsbeziehungen – unterscheiden sich von Einzeltransaktionen durch eine Anzahl von Merkmalen (Diller 2001b, S. 529 f.): ƒ Sie stellen mehrmalige, nicht zufällige Interaktionen (wie Informationsaustausch oder Kaufprozesse) dar, ƒ haben eine zeitliche Struktur (durchlaufen typische Phasen), ƒ weisen mehrere Ebenen auf (wie eine sachliche und eine emotionale Ebene), ƒ lassen aufgrund der Erfahrungen im Zeitablauf Vertrauen entstehen, ƒ führen über die Zeit häufig zu spezifischen Investitionen (wie z.B. kundenindividuellen Leistungsentwicklungen) und

424

Bernd Stauss

ƒ sind in Abhängigkeit vom Ausmaß des Vertrauens und vom Umfang der spezifischen Investitionen durch eine bestimmte Beziehungsintensität und -qualität geprägt, die wesentlich die Bindung zwischen den Partnern bestimmt. Diese Charakterisierung liefert bereits wesentliche Hinweise auf zentrale Herausforderungen für das Kundenbeziehungsmanagement: Es gilt, durch die planmäßige Gestaltung aller Interaktionen mit dem Kunden dafür zu sorgen, dass sich eine Beziehung auf verschiedenen Ebenen entwickelt und durch den Aufbau von Vertrauen und den Einsatz kundenspezifischer Investitionen eine Intensität und Qualität der Beziehung erreicht wird, die zu einer längerfristigen Bindung im gegenseitigen Interesse führt. Ein gezielter Aufbau und eine entsprechende Gestaltung von Kundenbeziehungen setzen aber grundsätzliche Vorstellungen über die Entstehung und die Entwicklung von Beziehungen voraus. Hierfür liefert das Konzept des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus ein fruchtbares Orientierungsmodell.

3

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus stellt ein in Analogie zum Produkt-Lebenszyklus entwickeltes allgemeines Erklärungsmodell eines idealtypischen zeitlichen Verlaufs einer Kundenbeziehung dar (Stauss 2000a; Bruhn 2001, S. 46 ff.). Dieses liefert ein Rahmenkonzept für eine systematische Beziehungsanalyse und einen differenzierten Einsatz von Maßnahmen des Kundenbeziehungsmanagements, das auf den im Zeitablauf variierenden Status der Kundenbeziehung ausgerichtet ist. Die bisherige Diskussion zur Entwicklung des Modells und zu Überlegungen bezüglich seiner Nutzung im Rahmen des Kundenbeziehungsmanagements lässt sich grob drei Stufen zuordnen, die in der Folge kurz charakterisiert werden: Am Anfang steht der verhaltenswissenschaftlich fundierte Entwurf von Phasenkonzepten einer Geschäftsbeziehung. Diese werden dann in einem zweiten Schritt in starker Analogie zum ProduktLebenszyklus-Konzept graphisch dargestellt und weiterentwickelt. In jüngster Zeit steht dabei nicht das Modell des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus selbst, sondern dessen Nutzung für die inhaltliche Strukturierung des Customer Relationship Management im Vordergrund.

3.1

Ein Phasenkonzept der Geschäftsbeziehung als Grundlage

Die wesentliche Basis für die Entwicklung eines Kundenbeziehungs-LebenszyklusKonzepts haben Dwyer et al. (1987) gelegt, indem sie unter Nutzung von austauschtheoretischen Erkenntnissen ein erstes Phasenkonzept der Geschäftsbeziehung entwickelten. Danach lassen sich Geschäftsbeziehungen grundsätzlich durch folgende fünf aufeinander folgende Phasen charakterisieren:

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

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(1) Die Phase der Kenntnisnahme („Awareness“) ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Marktseite auf einen potenziellen Austauschpartner aufmerksam wird und Überlegungen in Bezug auf die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen anstellt, ohne dass schon Transaktionen abgeschlossen werden. (2) In der „Exploration“-Phase (oder Erkundungsphase) kommt es zu direkten Interaktionen und ersten Käufen, wobei die Prüfung der Leistungsfähigkeit und Bereitschaft des Partners im Vordergrund steht. Die gegenseitige Abhängigkeit steigt in dieser Phase nur graduell. Die Geschäftsbeziehung ist noch relativ instabil und wird bei Unzufriedenheit oder hohem Risikoempfinden schnell beendet. (3) Die Wachstumsphase („Expansion“) ist durch ein hohes Maß gegenseitiger Zufriedenheit geprägt, was zu einer Ausdehnung und Vertiefung der Geschäftsbeziehung führt und zugleich mit einer verstärkten gegenseitigen Abhängigkeit verbunden ist. (4) In der Phase der gegenseitigen Bindung („Commitment“) steigt die Zufriedenheit noch weiter an, so dass die Geschäftspartner nicht nur die aktive Suche nach Alternativen unterlassen, sondern die Aufrechterhaltung einer stabilen Beziehung wünschen. Sie investieren daher in den Erhalt und den Ausbau der Geschäftsbeziehung und institutionalisieren sie gegebenenfalls, z.B. durch den Abschluss vertraglicher Vereinbarungen. (5) Die Lösungsphase („Dissolution“) umfasst die Beendigung einer längerfristig stabilen Beziehung. Diese Phase unterscheidet sich von den vorangegangenen u.a. dadurch, dass der Abbruch der Geschäftsbeziehung nicht das Ergebnis einer gegenseitigen Verabredung darstellen muss, sondern auch in Form eines einseitigen Aktes und sehr kurzfristig erfolgen kann.

Awareness

Exploration

Expansion

Commitment

Dissolution

Abb. 1: Phasenkonzept der Geschäftsbeziehung nach Dwyer et al. 1987 Quelle: Dwyer et al. 1987, S. 15 ff.; in Anlehnung an Preß 1997, S. 71

Mit diesem Phasenmodell der Geschäftsbeziehung eröffnen die Autoren der Marketingwissenschaft und -praxis eine völlig neue Perspektive. Sie machen deutlich, dass es beim Übergang vom traditionellen Transaktionsmarketing zum Beziehungsmarketing nicht nur darauf ankommt, den Bestandskunden stärkere Aufmerksamkeit zu widmen, sondern dass Beziehungen einem Wandlungsprozess in der Zeit unterliegen. Sie zeigen vor allem wissenschaftlich fundiert auf, dass sich verschiedene Phasen der Beziehung

426

Bernd Stauss

unterscheiden lassen, die durch spezifische psychische Zustände und Aktivitäten der Partner gekennzeichnet sind. Insbesondere weisen sie der Konsumentenverhaltensforschung einen neuen Weg, die Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensweisen der Kunden in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu einer der Phasen näher zu untersuchen. Hentschel (1991) gehört zu den ersten, die diese Idee aufgreifen. Er spricht bereits vom Beziehungslebenszyklus und diskutiert, inwiefern sich das Beziehungsverhalten der Kunden in den verschiedenen Phasen verändert. Dabei zeigt er, dass sich das Verhalten der Kunden in der Geschäftsbeziehung in den verschiedenen Phasen durch ein jeweils spezifisches Mix von Verhandlungs-, Bewertungs- und Investitionsaktivitäten sowie durch mehr oder weniger ausgeprägte Aktivitäten der Alternativensuche beschreiben lässt. Wendet man seine Überlegungen leicht modifiziert auf das Phasenmodell von Dwyer et al. (1987) an, dann lässt sich beispielsweise die Erkundungsphase („Exploration“) durch hohe Informations-, Verhandlungs- und Bewertungsaktivitäten und geringe Investitionsaktivitäten kennzeichnen (siehe Tab. 1).

Kundenverhalten

Awareness

Exploration

Expansion

Commitment

Dissolution

Informationsaktivitäten (einschließlich der Suche nach Alternativen)

hoch

hoch

gering

gering

hoch

Verhandlungsaktivitäten

gering

hoch

mittel

mittel

mittel

Bewertungsaktivitäten

mittel

hoch

mittel

gering

hoch

Investitionsaktivitäten

keine

gering

mittel

hoch

gering/keine

Tab. 1:

Typische Kundenaktivitäten in verschiedenen Phasen des KundenbeziehungsLebenszyklus Quelle: in Anlehnung an Hentschel 1991, S. 27

In weiterer Verfeinerung dieser Überlegungen kann das Lebenszyklus-Konzept dazu genutzt werden, durch eine entsprechende Beobachtung des Kundenverhaltens eine Einschätzung des Kundenstamms hinsichtlich seiner Verteilung über die verschiedenen Phasen vorzunehmen. Man erhält auf diese Weise wichtige Einsichten in die Kundenstruktur unter Beziehungsgesichtspunkten, beispielsweise ob aufgrund eines unausgewogenen Verhältnisses zwischen den Kundengruppen eine strategische Risikoposition besteht. Zudem wird hier die Basis gelegt für eine differenzierte Analyse der Phasen-

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

427

übergänge, beispielsweise inwiefern es gelingt, Kunden von der Explorationsphase in die Wachstumsphase zu überführen, bzw. welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass Kunden von einer Phase der empfundenen Bindung („Commitment“) in die Lösungsphase überwechseln. Darüber hinaus erhält man wichtige Ansatzpunkte für den Einsatz der Marketing-, Vertriebs- und Serviceinstrumente, die entsprechend der jeweiligen Zugehörigkeit des Kunden zu einer der Phasen des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus differenziert einzusetzen sind (Hentschel 1991, S. 27). So geht es beispielsweise darum, in der Explorationsphase Nachkaufdissonanzen des Kunden zu vermeiden oder abzubauen, in der Expansions- und Commitmentphase Vertrauen und emotionale Bindung zu entwickeln und in einer sich abzeichnenden Lösungsphase konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des Abbruchs einer Geschäftsbeziehung einzusetzen.

3.2

Die Weiterentwicklung in Analogie zum ProduktLebenszyklus-Konzept

Das Phasenkonzept der Kundenbeziehung von Dwyer et al. (1987) und darauf aufbauende Varianten beinhalten Elemente, die eine Analogie zu dem seit langem bekannten Produkt-Lebenszyklus-Konzept aufweisen. Dazu gehört zum einen die Vorstellung, dass eine Geschäftsbeziehung durch einen grundlegenden Ablauf gekennzeichnet ist, der mit dem biologischer Organismen vergleichbar ist. Zum anderen liegt eine Analogie in der zentralen Annahme, dass die Existenz einer Beziehung bestimmte Phasen durchläuft, unabhängig von ihrer absoluten Lebensdauer. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass zum Teil bereits der Begriff des Kundenlebenszyklus auf diese Phasenkonzepte angewendet wird. Allerdings fehlen den ersten Phasenkonzepten für eine vollständige Analogie zum Produkt-Lebenszyklus-Modell noch wesentliche Elemente: ƒ Der Produkt-Lebenszyklus wird primär als Umsatzkurve über die Zeit dargestellt, wobei idealtypisch ein glockenförmiger (normalverteilter) Umsatzverlauf zugrunde gelegt wird. Meist wird diesem Umsatzverlauf eine idealtypische Gewinnkurve zugeordnet (Meffert 2000, S. 339; Becker 2002, S. 724). Demgegenüber machen die Phasenkonzepte der Geschäftsbeziehung keine Aussage darüber, welcher Indikator für die Existenz und den Wandel der Geschäftsbeziehung über die Zeit herangezogen werden soll und welcher Verlauf dieses Indikators erwartet wird. ƒ Die bekannten Phaseneinteilungen des Produkt-Lebenszyklus weisen hohe Übereinstimmungen mit den Phasenkonzepten der Kundenbeziehung auf. Angesichts der Tatsache jedoch, dass keine Formalisierung des idealtypischen Beziehungsverlaufs existiert, können auch keine (idealtypischen) Grenzpunkte benannt werden, ab denen eine spezifische Phase endet und eine andere beginnt. ƒ Die einzelnen Phasen des Produkt-Lebenszyklus lassen sich durch unterschiedliche Marktsituationen, d.h. vor allem spezifische Nachfrage- und Wettbewerbssituationen charakterisieren, und erlauben daher Schlüsse in Bezug auf phasen-

428

Bernd Stauss bezogene Anforderungen an den Einsatz des Marketinginstrumentariums (Meffert 2000, S. 344 f.; Fischer 2001, S. 1407). In Analogie dazu weisen die Phasenkonzepte auf spezifische Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensweisen der Kunden in den einzelnen Phasen der Geschäftsbeziehung hin. Es fehlt aber noch an einer systematischen Entwicklung eines auf die einzelnen Phasen ausgerichteten Maßnahmenbündels.

ƒ Neben der Anpassung des Marketinginstrumentariums an die Phasen des Produkt-Lebenszyklus besteht eine wesentliche marketingpolitische Nutzung des Produkt-Lebenszyklus-Konzepts in der Entwicklung von Maßnahmen zur Beeinflussung des Lebenszyklus, meist im Sinne einer systematischen Ausdehnung der Produktexistenz am Markt (Life Cycle Stretching). Hier wird insbesondere versucht, ökonomisch attraktive Phasen (insbesondere der Wachstums- und Reifephase) zu verlängern und damit die Degenerationsphase zeitlich hinauszuschieben (Becker 2000). Die Phasenkonzepte der Kundenbeziehung bieten zwar die Grundlage, diese Gedanken aufzunehmen, machen dazu aber noch keine systematischen Vorschläge. In der Diskussion des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus-Konzepts werden einige dieser Punkte aufgegriffen, und es wird versucht, eine stärkere Übertragung des ProduktLebenszyklus-Ansatzes vorzunehmen. Dies erfolgt insbesondere durch die Übernahme der graphischen Zyklusdarstellung, was mit der Wahl eines Indikators für die Intensität der Geschäftsbeziehung verbunden ist. Will man den idealtypischen zyklischen Verlauf einer Kundenbeziehung in Analogie zum Produkt-Lebenszyklus in Form einer Kurve darstellen, dann bedarf es der Wahl eines Indikators, der verlässlich Auskunft über den Zustand der Geschäftsbeziehung gibt. Nahe liegend und in völliger Übereinstimmung mit dem Produkt-LebenszyklusKonzept ist die Wahl des kundenspezifischen Umsatzes als Indikator für die Intensität der Geschäftsbeziehung. Begründen ließe sich die Entscheidung für diesen Indikator damit, dass sich die Anbahnung und Ausweitung der Geschäftsbeziehung ebenso im Umfang der geschäftlichen Transaktionen widerspiegelt wie die Abschwächung und Auflösung. Homburg/Daum (1997a, S. 400 ff.; 1997b, S. 97 ff.) gehen von diesen Überlegungen aus. Sie wählen als Merkmal zur Beschreibung des Verlaufs einer Geschäftsbeziehung das kundenspezifische Umsatzvolumen und machen auch Aussagen zum Kostenverlauf, so dass sich eine korrespondierende Kurve des kundenspezifischen Gewinns im Zeitablauf ableiten lässt. Schultz (1994) schlägt den periodenbezogenen Ergebnisbeitrag als Indikator vor, der die Attraktivität des Kunden im Zeitablauf zum Ausdruck bringt. Legt man den Umsatz als Indikator der Beziehungsintensität zugrunde, dann lässt sich unter Anwendung des Phasenschemas von Dwyer et al. (1987) das in Abb. 2 dargestellte Grundmodell des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus entwickeln.

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

429

Kundenumsatz Kundendeckungsbeitrag

Zeit

Awareness

Exploration

Expansion

Commitment

Dissolution

Abb. 2: Grundmodell des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus in Analogie zum Produkt-Lebenszyklus Der idealtypische Verlauf eines Kundenbeziehungs-Lebenszyklus lässt sich folgendermaßen beschreiben und mit Rückgriff auf die Theorie der Geschäftsbeziehung begründen (Homburg/Daum 1997a, S. 401 f.; Diller 2001c, S. 865): In der Awarenessphase (Kenntnisnahme) erfolgt noch kein Geschäftsabschluss, sondern nur ein Informationsaustausch. Hier stehen den Kosten der Informationsbereitstellung noch keine Umsätze gegenüber, so dass kundenspezifische Verluste entstehen. In der Explorationsphase (Erkundung) werden zwar erste vorsichtige Käufe getätigt, so dass Umsätze generiert werden, aber es ist durchaus möglich, dass hier aufgrund einer erforderlichen hohen Betreuungsintensität die kundenindividuellen Kosten noch im Vergleich zur Awarenessphase ansteigen. Mit der Intensivierung der Geschäftsbeziehung in der Expansionsphase (Wachstum) steigen die Umsätze stark an und zugleich sinken die Kosten der Lieferanten, da sich die Beziehung eingespielt hat und der Kunde die Leistung mit einem geringen Aufwand in Anspruch nimmt. In der Commitmentphase (Bindung) ist mit einem weiteren Anstieg des Gesamtumsatzes des Kunden u.a. durch Cross-Selling zu rechnen. Gleichzeitig können weitere Kostensenkungspotenziale erschlossen werden, so dass hier die kundenspezifischen Deckungsbeiträge am größten sein werden. Mit dem kontinuierlichen Sinken der Umsätze zeigt sich die Erosion der Kundenbeziehung, die in der Lösungsphase zum Ende der Geschäftsbeziehung führt. Diese Darstellung geht von einem idealtypischen Verlauf aus. Dem steht keineswegs entgegen, dass in der Realität große Variationen in Bezug auf die Abfolge und Dauer der Phasen existieren (Hentschel 1991, S. 27; Bruhn 2001, S. 51). So ist es bezüglich

430

Bernd Stauss

des Ablaufs der Phasen real keineswegs zwingend, dass alle Phasen durchlaufen werden. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehung ist zu jedem Zeitpunkt, insbesondere auch während und nach der Sozialisationsphase möglich. Zudem macht das Modell keine Aussagen über die Dauer der Phasen, die in Abhängigkeit von der Komplexität der Güter, der Ausprägung des Neugiermotivs bei den Kunden („Variety Seeking“), dem unternehmerischen Einsatz von Bindungsinstrumenten sowie weiterer Faktoren variieren (Bruhn 2001, S. 52). Aus diesen Gründen und auch aufgrund des Fehlens der erforderlichen Daten erscheint es auch sehr schwierig, den Kundenbeziehungs-Lebenszyklus empirisch zu bestätigen. Dies mag erklären, warum bisher kaum entsprechende Studien vorliegen. Immerhin konnten Diller et al. (1992) nachweisen, dass 26% der untersuchten Kundenbeziehungen eines industriellen Produzenten dem idealtypischen Kurvenverlauf nahe kamen. So plausibel es zunächst erscheint, die Intensität der Kundenbeziehung über den Kundenumsatz bzw. den Kundendeckungsbeitrag zu erfassen, so lassen sich dagegen doch gewichtige Einwände vorbringen. Diller (2001c, S. 865) kritisiert die Verwendung dieser Größen, weil sie maßgeblich auch durch Faktoren beeinflusst und überlagert werden, die außerhalb der Kundenbeziehung liegen (z.B. die Konjunktursituation oder Entwicklungen der Produkttechnik). Dazu kommt die Tatsache, dass der Umsatz keinerlei Aussage über die Einschätzung der Beziehung aus Kundensicht ermöglicht bzw. kein exakter Indikator für die phasenbezogen differenzierten Kundenbedürfnisse, -erwartungen und -verhaltensweisen darstellt. Dementsprechend fordert er den Einsatz von Maßstäben der Kundenbindung, beispielsweise die Kundendurchdringungsrate, die Wiederkaufrate oder die Kundenzufriedenheit. Bruhn (2001, S. 46) weist darauf hin, dass zur Kennzeichnung der Beziehungsintensität neben den ökonomischen Kriterien wie Kundenumsatz oder -deckungsbeitrag auch psychologische und verhaltensbezogene Indikatoren herangezogen werden können. Zu den psychologischen Indikatoren gehören die wahrgenommene Beziehungsqualität aus Sicht des Kunden, dessen Commitment und Vertrauen bzw. seine Beziehungszufriedenheit. Verhaltensbezogene Indikatoren können sich z.B. auf das Kaufverhalten (z.B. Kauffrequenz), das Integrationsverhalten (z.B. Kooperationsbereitschaft in der Leistungserstellung) oder das Kommunikationsverhalten (z.B. Weiterempfehlung) beziehen. Allerdings liegt bisher nur eine solche Systematisierung von Indikatoren vor; es gibt aber noch keine Erkenntnisse darüber, ob sich ein Indikator in isolierter Anwendung als überlegen erweist oder ob eine kombinierte Anwendung mittels eines Beziehungsintensitäts-Scores fruchtbarer ist. Solange diese Erkenntnisdefizite bestehen, bietet es sich an, mehrere Indikatoren aus verschiedenen Indikatorengruppen parallel zu verwenden. Diller (2001c, S. 865) legt diesbezüglich ein interessantes Modell eines Kundenbeziehungs-Lebenszyklus vor, der aus drei Kurvenverläufen in Bezug auf die Kundendurchdringungsrate (Anteil des Anbieters an der gesamten Nachfrage eines einzelnen Kunden), die Beziehungsqualität und das Informationsverhalten besteht. Diese Größen sind allerdings nur schwer und mit großem Aufwand ermittelbar. Insofern besteht eine pragmatische Modifikation dieser Grundidee darin, an der umsatzbezogenen Kundenbeziehungs-Lebenszyklus-Betrachtung festzuhalten, diese aber zu ergänzen durch die parallele Betrachtung von Entwicklungen in Bezug auf psychologische und verhaltensbezogene Kriterien, die regelmäßig

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

431

im Rahmen kontinuierlicher Kundenbefragungen erhoben werden. Dies trifft in vielen Unternehmen z.B. für die Beziehungszufriedenheit des Kunden und sein Weiterempfehlungsverhalten zu. Abb. 3 zeigt eine entsprechend modellhafte Darstellung. Dabei wird unterstellt, dass Beziehungszufriedenheit und Weiterempfehlungsverhalten Frühindikatoren für die Umsatzentwicklung sind. So ist ein Mindestmaß der Zufriedenheit mit dem Informationsaustausch in der Awareness-Phase die Voraussetzung dafür, dass Kunden überhaupt mit der gründlichen Exploration beginnen. Zudem ist zu erwarten, dass das Weiterempfehlungsverhalten überproportional auf Zufriedenheitsveränderungen reagiert und einer entsprechenden Kaufverhaltensänderung vorausgeht. Sollten sich diese Annahmen unternehmensindividuell empirisch bestätigen, kann nachfolgend eine Konzentration der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus-Betrachtung auf den verlässlichsten Frühindikator und damit wieder auf einen Kurvenverlauf erfolgen.

Kundenumsatz Beziehungszufriedenheit Weiterempfehlungsverhalten

Zeit

Awareness

Exploration

Expansion

Commitment

Dissolution

Abb. 3: Beziehungszufriedenheit und Weiterempfehlungsverhalten als ergänzende Frühindikatoren der Beziehungsintensität Mit der dargestellten Weiterentwicklung der frühen Phasenkonzepte in Anlehnung an das bekannte Produkt-Lebenszyklus-Konzept werden die Vorteile der Kunden-Lebenszyklus-Betrachtung als wichtige konzeptionelle Grundlage für Kundenanalyse und Kundenbeziehungsmanagement noch offenkundiger. Diller (2001c) sieht vor allem drei relevante Nutzen: die diagnostische Kraft bei der Analyse der Beziehungsqualität, das heuristische Potenzial für die Ausgestaltung von Beziehungsmarketing und -management und die Verwendung im Rahmen der systematischen Bearbeitung von Wettbewerbskunden.

432

Bernd Stauss

Die diagnostische Kraft einer Analyse des Indikatorenverlaufs ist dann gegeben, wenn Höhe und Veränderungsrichtung des Indikators eine eindeutige Zuordnung zu einer Beziehungsphase gestatten. Dies wird vielfach zumindest schwerpunktmäßig möglich sein. Für eine exakte Analyse sind allerdings weitere Erkenntniszuwächse erforderlich. Insbesondere bedarf es weiterer Forschungsbemühungen im Hinblick auf die Fragen, ob die gewählten (vor allem ökonomischen) Kenngrößen tatsächlich aussagefähige Indikatoren für die Beziehungsintensität bzw. -qualität darstellen und welche Kriterien eine relative Überlegenheit in Bezug auf ihre Diagnosefähigkeit aufweisen. Einen zweiten Vorteil sieht Diller (2001c, S. 866) in den anregenden Hinweisen auf eine phasenbezogene Ausgestaltung von Beziehungsmarketing und -management und führt dies in Bezug auf die von ihm vorgeschlagene Phaseneinteilung aus. Angewendet auf das hier zugrunde gelegte Phasenkonzept von Dwyer et al. (1987) heißt dies u.a., dass in den ersten Phasen der umfassenden Kundeninformation eine besondere Bedeutung zukommt. In der Explorationsphase sind überzeugende Leistungen die entscheidenden Zufriedenheits- und damit Beziehungstreiber. In der Expansionsphase kann Cross Selling zusätzliche Potenziale erschließen. In der Commitmentphase gilt es, die Geschäftsbeziehung vital und für beide Seiten interessant zu halten, z.B. durch gemeinsame strategische Aktivitäten. In der Dissolutionsphase ist gegebenenfalls ein Wechsel in der Person des Kundenbetreuers oder die Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle notwendig, um den endgültigen Abbruch der Geschäftsbeziehung zu verhindern. Überlegungen dieser Art nehmen die Grundgedanken der ersten Phasenkonzepte auf und führen sie weiter. Allerdings beschränkt man sich in der Literatur meist auf die beispielhafte und knappe Darstellung einzelner Aktivitäten, ohne dass ein phasenspezifisches Handlungskonzept entwickelt und dieses systematisch in den Kontext des Kundenbeziehungsmanagements eingeordnet würde. Einen dritten Ansatz zur Nutzung des Modells im Management sieht Diller (2001c, S. 866) im Zusammenhang einer gezielten Abwerbung von Kunden anderer Anbieter. Eine Analyse der Lebenszyklen von Kunden der Konkurrenz kann nämlich wettbewerbsstrategische Aufschlüsse hinsichtlich des optimalen Angriffszeitpunkts auf bestimmte Wettbewerbskundenbeziehungen geben. Bisher fehlen aber tiefer gehende Überlegungen und Beispiele, wie die entsprechenden Probleme der Datenbeschaffung und -auswertung gelöst werden können.

3.3

Die Nutzung des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus für die inhaltliche Strukturierung des Customer Relationship Management

Von dem genannten (zum Teil noch hypothetischen) Nutzen der KundenbeziehungsLebenszyklus-Betrachtung ist dessen heuristisches Potenzial für die phasenbezogene Differenzierung des Beziehungsmanagements der weitaus Wichtigste. Die diesbezüglich vorgenommenen Anregungen sind auch plausibel, bewegen sich aber meist auf

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

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einem relativ abstrakten Niveau. Zudem sind sie geeignet, den Eindruck zu erwecken, als müsste der Kundenmanager mit der Veränderung der Intensität der Geschäftsbeziehung über die Zeit auch nur Art und Intensität des im Prinzip gleichen MarketingInstrumentaleinsatzes variieren. Dies erscheint aber nicht zutreffend. Stattdessen lässt sich zeigen, dass der jeweilige Beziehungsstatus, in dem sich ein Kunde im Rahmen einer Geschäftsbeziehung befindet, teilweise unterschiedliche Managementaufgaben stellt, die nicht alle im herkömmlichen Marketingmix abgebildet sind, sondern eigenständige Aufgaben darstellen und in ihrer Gesamtheit das Customer Relationship Management inhaltlich strukturieren. Im Sinne dieser Zielsetzung befasst sich Stauss (2000a) mit dem Kundenlebenszyklus. Seine Überlegungen basieren auf dem Grundmodell, sehen allerdings einige Modifikationen und Weiterentwicklungen vor. Es wird ein Lebenszyklus vorgeschlagen, das insgesamt folgende Phasen umfasst: Anbahnungsphase, Sozialisationsphase, Wachstumsphase, Reifephase, Gefährdungsphase(n), Kündigungsphase, Abstinenzphase und Revitalisierungsphase. Abb. 4 zeigt dieses Konzept, wobei in der graphischen Darstellung als Indikator der Beziehungsintensität beispielhaft wiederum der ökonomische Indikator des Kundenumsatzes herangezogen wird. In der Anbahnungsphase erkundigt sich der Kunde nach Einzelheiten des Angebots oder reagiert auf eine Kommunikationsmaßnahme des Anbieters. Da keine Transaktionen stattfinden, sind hier noch keine Umsätze zu verzeichnen. Kommt es erstmals zum Kauf und damit zur Aufnahme der Geschäftsbeziehung, tritt der Kunde in die Sozialisationsphase ein und macht erste Erfahrungen mit Produkten und Dienstleistungen sowie der unternehmerischen Betreuung. Nimmt der Kunde Folgekäufe vor, indem er beispielsweise dieselbe Leistung wiederholt nachfragt oder er den Nutzungsumfang auf andere Produkte ausdehnt, befindet er sich in der Wachstumsphase. Ist der Wendepunkt der Kundenumsatzkurve erreicht, d.h. steigt der Kundenumsatz nur noch mit sinkenden Wachstumsraten, liegt die Reifephase der Geschäftsbeziehung vor. Der Übergang zur Degenerationsphase erfolgt, wenn kein positives Wachstum mehr stattfindet, sondern die Ergebnisbeiträge im Vergleich zur Vorperiode stagnieren oder sinken. Sofern noch keine Kündigung seitens des Kunden besteht, kann die Degenerationsphase zugleich als Gefährdungsphase bezeichnet werden. Denn häufig ist das Absinken des Kundenumsatzes ein Indikator für eine nachlassende Attraktivität des Anbieters aus Kundensicht. Es kann zu einem Abbruch der Geschäftsbeziehung kommen, wenn das Unternehmen keine Gegenmaßnahmen einleitet.

Revitalisierungsphase

Abstinenzphase

Kündigungsphase

Degenerationsphase

Gefährdungsphase

Reifephase

Gefährdungsphase

Wachstumsphase

Gefährdungsphase

Sozialisationsphase

Bernd Stauss

Anbahnungsphase

Beziehungsintensität (z.B. Kundenwert)

434

Zeit

Potenzielle Kunden

Aktuelle Kunden

Verlorene Kunden

Interessentenmanagement

Kundenbindungsmanagement

Rückgewinnungsmanagement

Abb. 4: Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus Quelle: Stauss 2000a

Aber nicht nur am Ende, sondern während der Gesamtdauer der Kundenbeziehung können Gefährdungsphasen auftreten, nämlich immer dann, wenn Kunden Anlass zur Unzufriedenheit haben oder sich aus anderen Gründen mit dem Gedanken der Auflösung der Geschäftsbeziehung bzw. der Einschränkung ihres Engagements befassen. In der Kündigungsphase haben die Kunden bereits ihre Entscheidung, die Geschäftsbeziehung zu verlassen, getroffen und gegenüber dem Unternehmen artikuliert. Von den Kunden, die die Kündigung endgültig vollzogen haben und aus der Geschäftsbeziehung ausgeschieden sind, wird ein Teil nie mehr bereit oder in der Lage sein, die Geschäftsbeziehung wieder aufzunehmen. Für sie endet der Beziehungs-Lebenszyklus nach Abschluss der Kündigungsphase. Andere sind nach einer Abstinenzphase zur Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung bereit, z.B. weil sich ihre Lebens- und Bedürfnissituation wieder verändert hat, weil eine zwischenzeitlich eingegangene anderweitige vertragliche Verpflichtung ausläuft oder weil sie vom Wettbewerbsangebot enttäuscht sind. In dieser Revitalisierungsphase sind ehemalige Kunden wieder ansprechbar, und im Erfolgsfall beginnt ein zweiter Zyklus.

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

435

Dieses Modell unterscheidet sich vom Standardmodell vor allem ƒ durch eine differenziertere Phaseneinteilung, ƒ die Berücksichtigung von Gefährdungen in allen Phasen der Geschäftsbeziehung, was in Abb. 4 durch die Einbrüche im Wachstumsprozess verdeutlicht wird, und ƒ durch die Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Auflösung der Geschäftsbeziehung nicht ein endgültiges Ende darstellen muss, sondern dass z.B. nach einer Phase der Kaufabstinenz die Beziehung erneut aufgenommen werden kann. Dies wird in Abb. 4 durch den Beginn eines zweiten Kundenbeziehungslebenszyklus zum Ausdruck gebracht. Diese Phaseneinteilung ist nun bezüglich ihrer Managementrelevanz zu betrachten. Dabei ist in einem ersten Schritt darauf hinzuweisen, dass unter Beziehungsgesichtspunkten die Kunden in verschiedenen Phasen als unterschiedliche Segmente betrachtet werden können: In der Anbahnungsphase sind sie potenzielle Kunden, mit dem ersten Kauf bis zur vollzogenen Kündigung bzw. zum faktischen Ausscheiden handelt es sich um die aktuellen Kunden, nach Kündigung und Abbruch gehören sie zur Gruppe der verlorenen Kunden. Diesen drei Segmenten können völlig unterschiedliche Teilbereiche des Kundenbeziehungsmanagements zugeordnet werden: Interessentenmanagement, Kundenbindungsmanagement und Rückgewinnungsmanagement (Stauss 2000a, S. 16, 2000b, S. 454; Bruhn 2001, S. 48, Bruhn 2002, S. 44). Diese generelle Zuordnung ist in Abb. 4 bereits vorgenommen. In einem zweiten Schritt lassen sich diese Managementüberlegungen noch differenzieren, indem den Phasen bzw. Teilphasen des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus verschiedene Elemente eines umfassenden Kundenmanagements zugeordnet werden (Abb. 5). Das Interessentenmanagement zielt darauf ab, Aufmerksamkeit und Interesse bei potenziellen Kunden zu wecken und diese zu einem Erstkauf zu bewegen. Diese Aktivität im Rahmen der Anbahnungsphase stellt den Aufgabenschwerpunkt des traditionellen (Transaktions-) Marketing dar, das sich primär der Akquisition neuer Kunden widmet. Das Kundenbindungsmanagement hat grundsätzlich die Aufgabe, die aktuellen Kunden zu halten und die Beziehungen zu ihnen zu gestalten und auszubauen. Diesem Managementbereich kommt insbesondere in verteilten Märkten mit hohen Akquisitionskosten eine große strategische Bedeutung zu. Die Managementaufgaben unterscheiden sich jedoch nach dem Status der Geschäftsbeziehung, d.h. je nachdem, wie lange die Kundenbeziehung bereits etabliert ist und welche Stabilität bzw. welchen Gefährdungsgrad die Kundenbeziehung aufweist.

Kundentyp

Relationship

Potenzielle Kunden

Beziehungsstatus

Customer

Potenziell

Ziel

Bernd Stauss

Initiieren

Aufgabenschwerpunkt

436

Interessentenmanagement

Verlorene Kunden

Aktuelle Kunden

Neu

Stabil

Festigen/stärken

Management Neukundenmanagement

Kundenbindungsmanagement i.e.S.

Gefährdet aufgrund Beschwerdevorfall

Gefährdet aus sonstigen Gründen

Stabilisieren/sichern

Beschwerdemanagement

Kundenbindungsmanagement

Abwanderungspräventionsmanagement

Verloren, aber revitalisierbar

Faktisch verloren

Wieder gewinnen

Kündigungsmanagement

Revitalisierungsmanagement

Rückgewinnungsmanagement

Abb. 5: Beziehungsstatus des Kunden und Aufgaben des Kundenbeziehungsmanagements Quelle: Stauss/Seidel 2002, S. 31

In Bezug auf die Dauer der Kundenbeziehung ist entscheidend, ob eine neue Beziehung vorliegt, d.h. ob der Kunde Erstkäufer ist oder bereits Folgekäufe getätigt hat (Stauss/Seidel 2002, S. 28 ff.). Erstkäufer, die in eine neue Beziehung mit dem Unternehmen eintreten, sind häufig noch unsicher darüber, ob ihre Entscheidung richtig war und ob sie zukünftig daran festhalten wollen. Deshalb kommt es für Unternehmen in dieser Sozialphase darauf an, die Geschäftsbeziehung zu festigen und im Rahmen des Neukundenmanagements aktiv zu gestalten. Dazu gehört es, Neukunden durch spezifische Informations- und Dialogangebote in der Sozialisationsphase aufmerksam zu betreuen, sie in ihrer Kaufentscheidung zu bestärken und mit ihnen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ein zweites, den Kundenstatus charakterisierendes Merkmal ist die Stabilität der Kundenbeziehung. Kundenbeziehungen sind stabil, wenn Kunden grundsätzlich zufrieden sind bzw. sich nicht ernsthaft mit dem Gedanken der Einschränkung oder Beendigung der Geschäftskontakte befassen. Die Beziehung zu diesen stabilen Kunden ist zu stärken, d.h. weiterzuentwickeln, auszubauen und zu vertiefen. Dies erfolgt vor allem durch den Einsatz von Instrumenten des Kundenbindungsmanagements im engeren Sinne. Mit ihrer Hilfe sollen Kunden dadurch an das Unternehmen gebunden werden, dass sie eine bevorzugte und individuelle Behandlung erfahren und/oder Wechselbarrieren errichtet werden. Hierfür steht ein umfangreiches Bündel an Maßnahmen zur Verfügung. Diese können entweder ihren Schwerpunkt darin haben, beim Kunden ein Gefühl der Verbun-

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

437

denheit gegenüber dem Unternehmen zu erzeugen („Commitment“), oder aber ihn vertraglich, ökonomisch oder aufgrund technischer Gegebenheiten zu binden. Zu den diesbezüglichen Aktivitäten gehören u.a. Kundenkontaktprogramme, Viel-Nutzer-Programme, Kundenkarten und Kundenclubs. Gefährdet sind Geschäftsbeziehungen dann, wenn Kunden die Möglichkeit des Beziehungsabbruchs erwägen. Dies ist vor allem der Fall, wenn Kunden mit Produkten, Dienstleistungen oder unternehmerischen Handlungsweisen unzufrieden sind. Denn Unzufriedenheit ist eine zentrale Ursache dafür, dass Kunden ihre Loyalität zum Unternehmen aufkündigen und für Angebote des Wettbewerbs empfänglich werden. Deshalb kommt es für Unternehmen in hohem Maße darauf an, Kundenunzufriedenheit zu entdecken, zu analysieren und mittels gezielter Maßnahmen wieder in Zufriedenheit umzuwandeln. Einen zentralen Ansatzpunkt hierfür stellen Beschwerden dar. Insofern zielt das Beschwerdemanagement auf die Stabilisierung der durch Unzufriedenheit gefährdeten Geschäftsbeziehungen. Kundenbeziehungen können auch gefährdet sein, ohne dass dies in Beschwerden zum Ausdruck kommt. Das ist z.B. der Fall, wenn sich unzufriedene Kunden ohne vorherige Artikulation gegenüber dem Unternehmen zur Abwanderung entscheiden. Aber auch Kunden, die keine besonders negative Erfahrung mit dem Anbieter gemacht und damit keinen Anlass zur Beschwerde haben, können zu der Gruppe der gefährdeten Kunden gehören, etwa weil über die Dauer der Geschäftsbeziehung das Verbundenheitsgefühl verloren geht, der Wunsch nach Abwechslung steigt, Wettbewerber dem Kunden ein attraktives Angebot machen oder die Kunden die Abhängigkeit vom Lieferanten reduzieren wollen. Daher gilt es, Anzeichen für einen Rückgang der Beziehungsintensität frühzeitig zu entdecken, Abwanderungsgefahren durch ein proaktives Monitoring von Kündigern („Churn-Analyse“) zu identifizieren und die betroffenen Kunden durch Maßnahmen des Abwanderungspräventionsmanagements zur Fortführung ihrer Geschäftsbeziehung zu bewegen. Da auch der konsequente Einsatz von Bindungsmaßnahmen Kundenabwanderungen nicht vollständig verhindern kann, ergänzen mehr und mehr Unternehmen das strategische Mix des Kundenbeziehungsmanagements um ein Rückgewinnungsmanagement, mit dessen Hilfe Kunden, die explizit die Geschäftsbeziehung aufgekündigt bzw. diese faktisch verlassen haben, für das Unternehmen zurückgewonnen werden sollen. Die besondere Aktualität und Relevanz dieser Strategie ergibt sich insbesondere aus der zunehmenden Wechselbereitschaft von Kunden. Das Rückgewinnungsmanagement ist ebenfalls phasenspezifisch zu differenzieren. Befinden sich die Kunden in der Kündigungsphase, können sie aus Anlass ihrer Kündigung angesprochen werden (Kündigungsmanagement). Ein anderes Segment und ein anderer Handlungsbereich liegen vor, wenn es sich um Kunden handelt, die bereits vor einer längeren Zeit die Geschäftsbeziehung verlassen haben und zu denen nach einer bestimmten Abstinenzphase die eingeschlafene Geschäftsbeziehung wieder belebt werden soll (Revitalisierungsmanagement). Diese auf das Kundenbeziehungsmanagement bezogene Perspektive integriert wesentliche Elemente der bisherigen Diskussion und beleuchtet den Kundenbeziehungs-Lebens-

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zyklus unter einer neuen Perspektive. Mit den ersten Phasenkonzepten hat sie gemeinsam, dass sie den Status der Geschäftsbeziehung aus Kundensicht in den Mittelpunkt stellt und daraus Konsequenzen für das Management zieht. Diese können hier aber viel konsequenter und konkreter gezogen werden, da sich eindeutige und eigenständige Handlungsbereiche identifizieren lassen. So ist das Interessentenmanagement beispielsweise ebenso klar vom Beschwerdemanagement abzugrenzen wie das Revitalisierungsmanagement vom Neukundenmanagement. Damit wird eine fokussierte Aufgabenerfüllung im Rahmen des Customer Relationship Management möglich. Von den Weiterentwicklungen des Konzeptes in Analogie zum Produkt-Lebenszyklusmodell übernimmt die neue Variante in modifizierter Form die idealtypische Darstellung des Beziehungszyklus. Doch diese erhält einen ganz anderen Stellenwert. Der Kurvenzug hat nunmehr vor allem „didaktische“ Funktionen. An seinem Verlauf kann auf einleuchtende Weise der Tatbestand der Dynamik in Kundenbeziehungen von der Anbahnung über Wachstum, Reife und Degeneration bis zum Ende und einer möglichen Wiederanbahnung demonstriert werden. Zudem stellt er die konzeptionelle Basis für die Differenzierung in Interessentenmanagement, Kundenbindungsmanagement und Rückgewinnungsmanagement dar. Darüber hinaus bietet diese graphische Darstellung einen konzeptionellen Rahmen für die Gruppierung der Einzelmaßnahmen des Customer Relationship Management entsprechend der Richtung, in der sie den Lebenszyklus beeinflussen. Grundsätzlich lassen sich zwei Beeinflussungsstrategien unterscheiden: die Dehnung (Cycle Stretching) und die Intensivierung (Cycle Leveraging) des KundenbeziehungsLebenszyklus. Cycle Stretching zielt primär darauf an, die Stabilität der Kundenbeziehung aufrechtzuerhalten, eine frühzeitige Erosion der Beziehung zu verhindern und auf diese Weise die Gesamtlebensdauer auszudehnen. Dies gilt insbesondere für die ökonomisch attraktiven Phasen wie die Wachstums- und Reifephase. Hier setzen insbesondere das Beschwerdemanagement, das Kündigungspräventionsmanagement und das Kündigungsmanagement an (Abb. 6). Beim Cycle Leveraging steht dagegen vor allem die Vertiefung der Geschäftsbeziehung im Mittelpunkt, d.h. es geht darum, Intensität und Qualität der Beziehung zu steigern. Für diese Zielsetzung sind vor allem das Neukundenmanagement, das Kundenbindungsmanagement im engeren Sinne und das Revitalisierungsmanagement einzusetzen (Abb. 7). Eine solche Zuordnung von Customer Relationship Management-Instrumenten zu Beziehungs-Lebenszyklus-Strategien kann allerdings nur schwerpunktartig vorgenommen werden, da im Einzelfall durchaus Dehnungs- und Intensivierungsziele gleichermaßen verfolgt werden können.

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

Beziehungsintensität (z.B. Kundenwert)

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Beschwerdemanagement

Abwanderungspräventionsmanagement

Zeit

Kündigungsmanagement

Beziehungsintensität (z.B. Kundenwert)

Abb. 6: Cycle Stretching

Zeit Neukundenmanagement

Abb. 7: Cycle Leveraging

Kundenbindungsmanagement i.e.S.

Revitalisierungsmanagement

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Bernd Stauss

Im Vergleich zu dieser „didaktischen“ Funktion des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus verlieren die Vorstellungen eines einzigen Maßstabs für die Beziehungsintensität und eines allein zeitlich determinierten Phasenkonzepts an Gewicht. Auch wenn aus Gründen der graphischen Darstellung ein Indikator für die Beziehungsintensität angeführt wird, so wird doch de facto der Versuch aufgegeben, in Analogie zum Produkt-Lebenszyklus den einen Indikator zu finden, der für jeden Beziehungsstatus in allen Phasen aussagefähig ist. So ist für die Sozialisationsphase beispielsweise weniger entscheidend, dass erstmals Kundenumsätze generiert werden, sondern dass sich der Kunde in einer Unsicherheitssituation befindet, auf die mit risikoreduzierenden Maßnahmen reagiert werden muss. Der Beziehungsstatus eines Beschwerdeführers wird primär durch dessen Unzufriedenheit und Verärgerung geprägt und nicht durch den Umsatzrückgang, auch wenn dieser nach einiger Zeit eintreten kann. Ein alleiniger Blick auf den Umsatzrückgang gibt dem Management keinen Hinweis auf die Kundenunzufriedenheit, auf dessen Ursache oder die zu ergreifenden Maßnahmen. Deshalb geht es nicht darum, einen Indikator bzw. mehrere Indikatoren zu suchen, die empirisch den idealtypischen Verlauf der Beziehungskurve bestätigen, sondern – wie hier vorgenommen – spezifische relevante Beziehungssituationen zu identifizieren und ihnen korrespondierende Aufgaben des Beziehungsmanagements zuzuordnen. Damit stellt sich auch die herkömmliche Frage bezüglich einer exakten und einander ausschließenden Abgrenzung der einzelnen Phasen in anderer Art. Relevant ist nicht, ob aus dem Kurvenverlauf eindeutig die Phasenzugehörigkeit und der Übergang von der einen in eine andere Phase ablesbar ist, sondern ob sich der jeweilige Beziehungsstatus eines Kunden eindeutig feststellen lässt. Dies ist ganz weitgehend der Fall, und zwar unter Bezug auf variierende Kriterien: ƒ Die Unterscheidung zwischen Anbahnungs- und Sozialisationsphase ist präzise mit dem Erstkauf festgelegt. Die Zugehörigkeit zur Sozialisationsphase lässt sich unternehmensindividuell auf einen spezifischen Zeitraum festlegen. ƒ Ob eine Beziehung als stabil einzuschätzen ist, kann über Zufriedenheitsgrade operationalisiert und mittels Zufriedenheitsbefragung festgestellt werden. Dabei ist es selbstverständlich auch möglich, weitere Indikatoren der Kundenloyalität wie Weiterempfehlungs- und Wiederkaufbereitschaft heranzuziehen. ƒ Gefährdete Kundenbeziehungen aufgrund eines Beschwerdefalls werden eindeutig durch das Eintreffen einer Beschwerde signalisiert. Gefährdete Kundenbeziehungen aus anderen Gründen können im Rahmen der Churn-Analyse identifiziert werden. ƒ Kündiger artikulieren explizit ihren Wunsch, die Geschäftsbeziehung zu beenden und können damit Maßnahmen des Kündigungsmanagements auslösen. Wenn keine vertraglichen Beziehungen vorliegen, ist unternehmensindividuell festzulegen, ab wann ein Kunde als faktisch verloren gelten soll und wann Erfolg versprechend mit einer Revitalisierung der Geschäftsbeziehung gestartet werden soll.

Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus

441

Der Wert eines Kunden (z.B. gemessen am Kundenumsatz oder am Kundendeckungsbeitrag) erhält in diesem Konzept ebenfalls eine andere und komplexere Bedeutung. Als Indikator zur Diagnose einer Beziehungssituation spielt er nur in einzelnen Fällen eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Diagnose von Gefährdungsphasen. Eine sehr viel größere Relevanz erhält das Kriterium des Kundenwertes allerdings in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der verschiedenen Maßnahmen des Kundenbeziehungsmanagements. So ist es denkbar, dass bestimmte Maßnahmen wertvollen Kunden vorbehalten werden, da nur ökonomisch attraktive Kunden gebunden bzw. zurückgewonnen werden sollen, oder aber es erfolgt eine kundenwertspezifische Differenzierung von Maßnahmen. Zudem bietet die Analyse des Kundenwerts die Grundlage für ein weiteres unternehmerisches Handlungsfeld, nämlich ein Beziehungsauflösungsmanagement, mit dessen Hilfe die bewusste Auflösung einer Kundenbeziehung durch das Unternehmen betrieben wird.

4

Ausblick

Das Kundenbeziehungs-Lebenszyklus-Konzept gibt dem Customer Relationship Management eine wertvolle Basis. Es spiegelt nicht nur die generelle Erkenntnis, dass sich Beziehungen im Zeitablauf verändern, sondern liefert auch den Rahmen für eine systematische und differenzierte Beziehungsanalyse. Darüber hinaus kann es zur Ableitung beziehungsorientierter Strategien und Maßnahmenbündel genutzt werden. In Bezug auf die Weiterentwicklung des Konzepts sind zwei unterschiedliche Wege möglich. Auf der einen Seite kann man die Bemühungen verstärken, einen Indikator für die Beziehungsintensität zu finden, der valide Auskunft über den jeweiligen Stand der Beziehungsintensität und die Zugehörigkeit einer individuellen Kundenbeziehung zu einer speziellen Phase gibt. Der zweite Weg führt in die Richtung einer verstärkten Nutzung der „didaktischen Funktion“ des Modells. Hier käme es primär darauf an, zu überprüfen, ob das vorgelegte Konzept alle relevanten Situationen einer Beziehung sinnvoll erfasst, ob das Customer Relationship Management-Instrumentarium somit vollständig benannt ist und wie eine kundenbezogene Integration aller Aktivitäten – auch unter Einbeziehung der traditionellen Marketinginstrumente – erfolgen soll. Gründe der praktischen Relevanz sprechen dafür, sich zunächst für diesen zweiten Weg zu entscheiden.

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Bernd Stauss

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Alexander Haas

Interessentenmanagement 1

Notwendigkeit des Interessentenmanagements als Element des CRM

2

Gegenstand des Interessentenmanagements

3

Konzeption des Interessentenmanagements als CRM-Element 3.1 Database Marketing als Grundlage des Interessentenmanagements 3.2 Prozess der Neukundengewinnung als Ansatzpunkt 3.3 Identifizierung und Qualifizierung potenzieller Interessenten 3.4 Priorisierung der Interessenten 3.5 Konversion der Interessenten in Neukunden 3.6 Interessentenmanagement als permanente Aufgabe des CRM 3.7 Interessentenmanagement als integraler Bestandteil des CRM

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Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1

Notwendigkeit des Interessentenmanagements als Element des CRM

Neue Kunden zu akquirieren, ist eine der zentralen Aufgaben des Marketing (Tomczak/ Reinecke 1996, S. 5): Zum einen ist die Gewinnung neuer Kunden zur Absicherung der erreichten Marktposition notwendig. Denn vorhandene Kunden gehen kontinuierlich verloren, indem diese zu Wettbewerbern wechseln, mit anderen Unternehmen fusionieren oder sich vom Markt zurückziehen (Dalrymple 1988, S. 98). Zum anderen lassen sich dadurch Marketingziele, wie Wachstum und Ertrag, erreichen. So zeigen empirische Befunde, dass Unternehmen, die die Akquisition neuer Kunden besonders betonen, über alle Branchen hinweg ein vergleichsweise überdurchschnittliches Umsatzwachstum erzielen. Darüber hinaus fällt das Gewinnwachstum solcher Unternehmen speziell auf Konsum- und Industriegütermärkten häufig höher aus als das der Wettbewerber (Tomczak et al. 1998, S. 56, S. 76, S. 90). Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass Führungskräfte in einer aktuellen Umfrage das Gewinnen neuer Kunden in vorhandenen Märkten als wichtigste Wachstumsquelle einstufen (McKinsey 2005, S. 63). Insofern verwundert es nicht, dass Unternehmen der Akquisition neuer Kunden umfangreiche Ressourcen widmen. Wie eine jüngere US-amerikanische Studie für verschiedene Märkte zeigt, nutzen Verkäufer im Durchschnitt 14% ihrer Zeit allein dafür, potenzielle Käufer zu identifizieren (Fenemore Group 1998, S. 96). Unternehmen kommen nicht nur durch die eigenen Bemühungen, sondern auch auf Initiative potenzieller Kunden mit zahlreichen Interessenten in Kontakt. So wird beispielsweise von General Electric berichtet, dass ca. ein Drittel der jährlich drei Millionen im Call Center eingehenden Anrufe von Unternehmen und Personen sind, die sich für einen Kauf interessieren (Stern 1991). Trotz der zahlreichen Gelegenheiten bleibt der Erfolg der Neukundenakquise jedoch nicht selten hinter den Möglichkeiten zurück. Sieht man davon ab, dass ein Verkaufsabschluss am Fehlen geeigneter Produkte scheitert, können insbesondere Probleme im Verlauf der pre sales-Kontakte dazu führen, dass potenzielle Kunden ihr Kaufinteresse verlieren: Stehen Interessenten verschiedene Kontaktkanäle zur Verfügung, können ein ungenügendes, insbes. widersprüchliches Informationsangebot, ein von Kanal zu Kanal differierender, insbes. lückenhafter Informationsstand über Inhalt und Ergebnis der Kontakthistorie sowie eine unkoordinierte, insbes. mit den falschen Instrumenten erfolgende Bearbeitung der potenziellen Kunden zu Frustration und Unzufriedenheit bei diesen führen (Gerth 2001, S. 107). Daneben finden sich aber auch innerhalb ein und desselben Kanals immer wieder mangelhafte Kontaktverläufe. Entsprechend legen etwa jüngste Daten aus dem Finanzdienstleistungsbereich offen, dass selbst Anfragen per E-Mail in hohem Maße schlecht (75% der Fälle), spät (Antwort meist erst nach mehreren Tagen) oder gar nicht (ca. 1/3 der Fälle) beantwortet werden (o.V. 2002). Derartige Erfahrungen dürften auf Seiten der Interessenten ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit den Abbruch des Kaufprozesses nach sich ziehen. Im Rahmen der Neukundengewinnung gilt es nicht nur, die skizzierten Probleme bei der Auftragsgewinnung zu lösen. Vielmehr muss die Auswahl und Bearbeitung der Interes-

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Alexander Haas

senten auch unter Kostengesichtspunkten erfolgen: Während ein Kontakt über das Internet weniger als 5 Euro und über Call Center ca. 65 Euro kostet, können die durchschnittlichen Kosten eines Außendienstbesuchs in Abhängigkeit von der Branche 400 bis 500 Euro betragen – bei in den vergangenen Jahren steigender Tendenz (Sonntag 2001, S. 67; Marchetti 1999, S. 56). Berücksichtigt man, dass im Durchschnitt sieben Besuche nötig sind, um einen neuen Kunden zu akquirieren (O´Connell/Keenan 1990, S. 38), können allein durch den Außendienst durchschnittliche Kosten in Höhe von bis zu 3.500 Euro pro Neukunde entstehen. Angesichts dieser Kosten ist es unter Ertragsgesichtspunkten von besonderer Bedeutung, möglichst hochwertige Interessenten durch einen möglichst effizienten Einsatz des Marketinginstrumentariums zum Kaufabschluss zu bewegen (Rapp 2000, S. 47). Sowohl die Relevanz als auch die Herausforderungen der Neukundengewinnung lassen es zweckmäßig erscheinen, diese Aufgabe als ein wesentliches Element des CRM zu begreifen. Obwohl dieser Ansicht in der Literatur an verschiedenen Stellen gefolgt wird (Rapp 2000, S. 47; Gerth 2001, S. 104; Rudolph/Rudolph 2001, Vorwort; Swift 2001, S. 12; Tiwana 2001, S. 23), bleibt dort die konkrete, in sich schlüssige Ausgestaltung dieses Elements innerhalb des CRM-Konzeptes offen. Als Konsequenz besteht im Entwurf einer solchen Ausgestaltung das Ziel des vorliegenden Beitrags. Dabei wird neben den theoretischen Erkenntniszielen mit der Präzisierung der für die Bearbeitung der Interessenten erforderlichen Informationen auch eine Unterstützung der Praxis angestrebt. Denn die Kenntnisse über die zweckmäßige Gewinnung und Analyse relevanter Kundeninformationen scheinen trotz ihrer Relevanz für das CRM bei vielen Unternehmen bisher unzureichend zu sein (Wolf 2002, S. 107).

2

Gegenstand des Interessentenmanagements

Definiert man Interessenten als Wirtschaftssubjekte, die einen spezifischen Bedarf haben, der sich durch die eigenen Produkte und Dienstleistungen decken lässt (Jolson 1988, S. 191), und die bisher keine Kunden waren, lassen sich unter Interessentenmanagement alle Aktivitäten subsumieren, die dazu dienen, den Kaufprozess von Neukunden zu initiieren, zu gestalten und mit einem Verkauf zum Abschluss zu bringen (Stauss/ Seidel 2002, S. 31). Ausgehend vom englischen Begriff für potenzielle Interessenten („Lead“), hat sich in der Praxis dafür der Name Lead Management eingebürgert (Steimle 2000). Konzeptionell kann man das Interessentenmanagement dem Kundenmanagement zuordnen, welches nicht nur die Gestaltung und Erhaltung von Geschäftsbeziehungen zu Kunden umfasst, sondern auch all diejenigen Aktivitäten, die nötig sind, um Geschäftsbeziehungen zu initiieren (Diller 1995, Sp. 1363; Diller et al. 2005). Insofern steht es als das auf potenzielle Kunden gerichtete Aufgabenfeld des Kundenmanagements neben dessen weiteren Säulen des Kundenbindungsmanagements und des Recovery Managements (Homburg/Schäfer 1999, S. 1). Gleichzeitig weist das Interessentenmanagement aber auch eine enge Verbindung zum Verkauf auf: Die Vertriebspolitik zielt im Rahmen

Interessentenmanagement

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der marktgerichteten akquisitorischen Aktivitäten mehr oder minder unmittelbar auf das Erzielen von Verkaufsabschlüssen (Homburg/Krohmer 2003, S. 701). Als Konsequenz wurde die Neukundenakquise innerhalb der Marketingforschung seit jeher als bedeutsame Aufgabe des Verkaufs angesehen und konzeptionell als frühe Phase des Verkaufsprozesses verortet (Johnson et al. 1986, S. 60 f.; Dalrymple 1988, S. 96; Anderson 1987, S. 12 f.). Damit übt das Interessentenmanagement letztlich eine Art Scharnierfunktion aus, indem es die Perspektiven von Kundenmanagement (Aspekt: Neukundengewinnung) und Verkaufsmanagement (Aspekt: Erstauftragsgewinnung) miteinander verzahnt (Diller et al. 2005). Gemäß dem konzeptionellen Ansatz des Marketing (Becker 1998, S. 4 f.) muss eine schlüssige und ganzheitliche Konzeption des Interessentenmanagements die drei konzeptionellen Ebenen Ziel, Strategie und Instrumente umfassen (s. Abb. 1).

Interessentenmanagement

KonzeptEbene

Profitable Neukundengewinnung

Ziel

Strategie

Instrumente

Interessentengenerierung

Direktmarketing

Interessentenkonversion

Persönlicher Verkauf

Marketing-Mix

Abb. 1: Konzeption des Interessentenmanagements Aus dem Anspruch des Kundenmanagements (Krafft 2001, S. 866) lässt sich als Ziel des Interessentenmanagements ableiten, das Ertragspotenzial bisheriger Nicht-Kunden zu erschließen. Dabei ist es unter ökonomischen Gesichtspunkten allerdings nicht zweckmäßig, das Gewinnen neuer Kunden als Selbstzweck zu betrachten. Denn sowohl das Erlös- und Ertragspotenzial als auch der Bearbeitungsaufwand variieren von Kunde zu Kunde. Als Folge unterscheiden sich die potenziellen Ergebnisbeiträge der Interessenten nicht nur in ihrer Höhe. Vielmehr können diese Ergebnisbeiträge kurz- und/oder langfristig auch negativ sein. Insofern empfiehlt sich eine differenzierte Behandlung der Interessenten, indem man zunächst auf Interessenten mit einem grundsätzlich negativen

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Alexander Haas

Ergebnisbeitrag von vornherein verzichtet. Hinsichtlich der übrigen Interessenten bieten sich zwei einander ergänzende Vorgehensweisen an, um einen positiven Kundenlebenszeitwert sicherzustellen (Gerth 2001, S. 104, S. 106): Man kann sich zum einen auf die Gewinnung der richtigen, d.h. möglichst hochwertigen, Interessenten als Neukunden konzentrieren (Effektivitätsaspekt des Interessentenmanagements). Zum anderen gilt es, die Interessentenbearbeitung – und folglich den damit verbundenen Aufwand – am interessentenspezifischen Potenzial auszurichten (Effizienzaspekt des Interessentenmanagements). Im Ergebnis lässt sich somit als eigentliches Ziel des Interessentenmanagements die profitable Neukundengewinnung präzisieren. Auf der strategischen Ebene lässt sich das Ziel der profitablen Neukundengewinnung in zwei (aufeinander abzustimmende) Aufgaben zergliedern: Mit einer ersten Strategie geht es darum, Interessenten zu generieren. Dazu ist es in bestimmten Fällen sogar nötig, den Kaufprozess potenzieller Kunden zu initiieren (Futrell 2001, S. 253). Um mit den eigenen Verkaufsbemühungen Erfolg zu haben, reicht es dabei allerdings nicht aus, lediglich dafür zu sorgen, dass potenzielle Kunden ihren Bedarf erkennen, ihnen die weitere Bedarfsdeckung aber völlig autonom zu überlassen. Denn damit besteht das Risiko, dass das eigene Angebot vom potenziellen Käufer aufgrund fehlender Informationen oder einer Fehleinschätzung nicht als Problemlösungsalternative angesehen wird und als Folge im weiteren Entscheidungsprozess unberücksichtigt bleibt (Backhaus 1997, S. 56 f.). Insofern muss dem potenziellen Käufer zumindest die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch das entsprechende Angebot deutlich werden. Darüber hinaus muss man die potenziellen Käufer dazu bringen, den Kontakt mit dem potenziellen Lieferanten zumindest zuzulassen oder gar zu suchen. Denn erst dadurch werden die Interessenten einer gezielten weiteren Bearbeitung zugänglich – ganz zu schweigen von den Unternehmen, die einen entsprechenden Kaufprozess von sich aus in Gang gesetzt haben und somit mit der Kontaktaufnahme überhaupt erst als Interessenten sichtbar werden (Dallmer 2002, S. 5). An dieser Stelle setzt schließlich die Interessentenkonversionsstrategie an, die darauf abzielt, die an den eigenen Produkten interessierten Unternehmen tatsächlich zu einem Kaufabschluss zu bewegen (Jolson 1988, S. 190 ff.). Auf der Ebene der Instrumente sind die Mittel zu bestimmen, mit denen man die beiden Strategien des Interessentenmanagements umsetzen kann. Obwohl dabei für beide Strategien grundsätzlich auf das gesamte Marketing-Instrumentarium zurückgegriffen werden kann, lassen deren spezielle Stoßrichtungen einzelne Instrumente besonders geeignet erscheinen. So lässt sich zur Interessentengenerierung insbesondere das Direktmarketing – z.B. in Form des Kampagnenmanagements – einsetzen, da es durch eine gezielte Kontaktaufnahme, häufig in Verbindung mit einer individuellen Ansprache, in besonderer Weise dazu beitragen kann, unmittelbare Informationsbeziehungen zu potenziellen Kunden herzustellen (Dallmer 2002, S. 4 f.; Finsterwalder et al. 2004; Link 2001, S. 308; Wilde et al. 2005). Im Rahmen der Interessentenkonversion nimmt dagegen der persönliche Verkauf eine besondere Stellung ein, da das Verkaufspersonal nicht nur inhaltliche Fragen des potenziellen Käufers unmittelbar klären kann, sondern auch eventuell bestehende Kaufwiderstände durch darauf ausgerichtete, sich an die Interessentenbedürfnisse anpassende Verkaufsgespräche und -präsentationen effektiv beseitigen kann (Sujan et al. 1988).

Interessentenmanagement

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Die Frage nach der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung des Interessentenmanagements lässt sich nur situations- und unternehmensspezifisch beantworten. Dabei steht die Güte der entsprechenden Entscheidungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den dafür verfügbaren Informationen. Insofern besitzt das Interessentenmanagement neben der Aktions- auch eine Informationsseite. Die Informationsproblematik ist für ein schlagkräftiges Interessentenmanagement insofern besonders bedeutsam, als in den frühen Phasen des Neukundengewinnungsprozesses nur sehr wenige Informationen über die potenziellen Käufer vorliegen. Als Konsequenz erscheint es im Hinblick auf eine effektive und effiziente Neukundengewinnung zweckmäßig, das Generieren geeigneter Informationen als eigenständiges Aufgabenfeld des Interessentenmanagements zu begreifen (Anderson 1987, S. 137, S. 142 ff.). Damit wird bereits auf den nächsten Abschnitt verwiesen, in dem die Gewinnung und Nutzung relevanter Interessentendaten für ein in das CRM integriertes Interessentenmanagement diskutiert wird.

3

Konzeption des Interessentenmanagements als CRM-Element

3.1

Database Marketing als Grundlage des Interessentenmanagements

Um potenzielle Käufer gezielt identifizieren, bearbeiten und zu einem Erstkauf bewegen zu können, sind interessentenindividuelle Informationen nötig, die für einen erfolgreichen Einsatz des Marketinginstrumentariums zur Neukundengewinnung relevant sein können. Damit es auf Grundlage dieser Daten möglich ist, die „richtigen“ Interessenten zum „richtigen“ Zeitpunkt mit den „richtigen“ Maßnahmen anzusprechen, bietet es sich an, vier Informationsfelder bei der Datenzusammenstellung zu berücksichtigen (Link/ Hildebrand 1993, S. 34 ff.): ƒ Die Grunddaten beinhalten im Wesentlichen längerfristig gleich bleibende und produktunabhängige Interessentendaten. Dazu gehören zunächst all jene Daten, die grundsätzlich nötig sind, um einen potenziellen Käufer überhaupt kontaktieren zu können (Adressdaten). Daneben handelt es sich dabei aber auch um solche Daten, die eine segmentspezifische Bearbeitung ermöglichen, also z.B. soziodemografische und psychografische Daten im Falle von Konsumenten bzw. bei Unternehmen Daten über die Branche, die Größe, die Bonität usw. Den Grunddaten von Unternehmen sind schließlich ebenfalls kontaktrelevante Daten über Personen, Strukturen und Prozesse zuzurechnen, die im Zuge der Neukundengewinnung von Bedeutung sind, also etwa Informationen über die Führungskräfte, die Ansprechpartner, das Buying Center etc. ƒ Die Potenzialdaten liefern produkt(gruppen)- und zeitpunktbezogene Anhaltspunkte über das potenzielle Nachfragevolumen des einzelnen Interessenten. Neben der Erfassung des produkt(gruppen)spezifischen Gesamtbedarfs ergeben

450

Alexander Haas sich insbesondere aus Art und Anfall der konkreten Bedarfssituationen nützliche Hinweise. Darüber hinaus lässt sich auf den (potenziellen) Bedarf nicht selten aus einer Kombination von Daten über die Pläne der potenziellen Käufer und über Art und Umfang der Käufe bei Wettbewerbern sowie – speziell bei Unternehmen – über Ausstattungsmerkmale schließen. Ergänzende Angaben über das langfristige Potenzial des Interessenten können hilfreiche Zusatzinformationen darstellen.

ƒ Die Aktionsdaten dokumentieren die interessentenspezifischen Maßnahmen nach Art, Umfang und zeitlichem Anfall. ƒ Die Reaktionsdaten halten das Verhalten der Interessenten auf die eingesetzten Marketingmaßnahmen fest und erlauben so Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der eigenen sowie der konkurrenzseitigen Interessentenbearbeitung. Neben Einstellungen und Kenntnissen der Interessenten sind dabei insbesondere Daten von Interesse, die Aufschluss über die Auftragsnähe geben (Brankamp/Hemmer 1984, S. 68; Link/Hildebrand 1993, S. 33), also beispielsweise Daten über Art, Intensität und Zeitpunkt von Anfragen, über die anfragende Person usw. Im Sinne des Database Marketing lassen sich die für die Neukundengewinnung relevanten Daten bedarfsgerecht in Form einer (relationalen) Datenbank speichern, bei Bedarf durch den Aufbau entsprechender Dateien weiter ausbauen und im konkreten Fall zur Analyse und Bearbeitung der Interessenten heranziehen. Die auf diese Weise systematisch erfassten Daten liefern kombiniert ein plastisches Profil der einzelnen Interessenten, das sich nach und nach verfeinern lässt. Dadurch wird eine maßgeschneiderte Bearbeitung der individuellen Interessenten wie auch der verschiedenen Interessentensegmente möglich (Link 2001a, S. 8 ff.). Da in aller Regel (zunächst) nur wenige Informationen über potenzielle Käufer vorhanden sind, die Informationsbeschaffung aber mit Kosten verbunden ist, ist es zweckmäßig, sich bei der Beschaffung von Informationen speziell auf diejenigen zu konzentrieren, die das Interessentenmanagement in besonderer Weise unterstützen. Welche dies sind, leitet sich aus den Aufgabenfeldern des Interessentenmanagements ab, die nunmehr betrachtet werden.

3.2

Prozess der Neukundengewinnung als Ansatzpunkt

Im Einklang mit der prozessorientierten Ausrichtung des CRM (Wolf 2002, S. 89) lassen sich die Aufgaben des Interessentenmanagements von den verschiedenen „Entwicklungsstufen“ ableiten, die seitens der potenziellen Kunden bis zum Kauf durchlaufen werden. Denn das Interessentenmanagement hat dafür zu sorgen, dass sich der „Übergang“ der Kunden von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe möglichst effektiv und effizient vollzieht. Dazu müssen pro Stufe spezifische Informationsbedarfe gedeckt und Aufgaben gelöst werden (s. Abb. 2): In einem ersten Schritt ist es nötig, potenzielle Interessenten zu identifizieren. Dabei lassen sich als potenzielle Interessenten („Leads“)

Interessentenmanagement

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solche Kunden definieren, die einen Bedarf für die eigenen Produkte und Dienstleistungen haben könnten (Hite/Johnston 1997, S. A-3).

Interessentenmanagement als CRM-Element Informationsseitige Aufgaben

Zielkunden Nicht-Interessenten

Aktionsseitige Aufgaben

Identifizieren

Potenzielle Interessenten Qualifizieren Kaufprozess initiieren Priorisieren

Interessenten Kaufwiderstände beseitigen Kaufanreize schaffen

Neukunden

Database Marketing

Abb. 2: Interessentenmanagement als CRM-Element Den Ausgangspunkt zur strategiekonformen Identifizierung potenzieller Interessenten stellen die im strategischen Marketing festgelegten Zielgruppen dar (Johnston/Marshall 2003, S. 51). Die dadurch beschriebenen Zielkunden sind jedoch nicht deckungsgleich mit der Gruppe der potenziellen Interessenten. Denn zum einen gibt es Unternehmen bzw. Konsumenten, die zwar zu den Zielkunden gehören, für die ein Kauf des fraglichen Produkts jedoch gerade nicht ansteht – etwa weil sie ihren Bedarf bereits anderweitig gedeckt haben. Zum anderen kann es potenzielle Interessenten geben, die aufgrund der strategischen Vorgaben nicht zur Gruppe der Zielkunden gehören. Obwohl man damit Wachstumschancen ausschlägt, sind solche potenziellen Interessenten aus strategischer Sicht zu vernachlässigen. Ansonsten setzt man sich dem Risiko aus, die bewusst gewählte Strategie zu verwässern und die Komplexität durch zunehmende Kundenheterogenität zu erhöhen. Gleichwohl implizieren potenzielle Interessenten, die außerhalb der Zielgruppen stehen, die Frage, ob die ursprüngliche Zielgruppendefinition

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noch zeitgemäß ist oder ob eine Anpassung vorteilhaft wäre. Entsprechend kann deren systematische Analyse zukünftige Marktchancen aufdecken helfen. Sind die potenziellen Interessenten identifiziert, gilt es, eine Informationsbeziehung zu diesen herzustellen. Dabei können interaktive Kontakte zwischen potenziellen Interessenten und dem Unternehmen grundsätzlich auf zwei Arten zustande kommen: Einerseits kann der Kontakt durch das Unternehmen hergestellt werden, indem das eigene Verkaufspersonal den potenziellen Interessenten telefonisch oder persönlich kontaktiert. Andererseits kann die Kontaktaufnahme das Ergebnis einer autonomen Entscheidung des Kunden sein (Jolson 1988, S. 191). Der zuletzt genannte Fall bedeutet dabei nicht, dass die Kontaktaufnahme ohne jedes Zutun des Unternehmens erfolgt. Vielmehr können reaktionsorientierte Instrumente des Direktmarketing, wie etwa Direct MailPackages oder Coupon-Anzeigen, gezielt eingesetzt werden, um potenzielle Interessenten zu einer Kontaktaufnahme zu bewegen (Dallmer 2002, S. 5). Insgesamt besteht das Ziel in dieser Phase folglich darin, die potenziellen Käufer dazu zu bringen, den Kontakt mit dem potenziellen Lieferanten zu suchen oder zumindest zuzulassen, um die identifizierten potenziellen Interessenten überhaupt in Richtung eines Verkaufsabschlusses bearbeiten zu können. Neben der Notwendigkeit, die Voraussetzung zur weiteren Bearbeitung der potenziellen Interessenten herzustellen, ergibt sich ebenfalls die Frage, welche der potenziellen Interessenten als tatsächliche Interessenten zu qualifizieren sind – und damit für eine weitere Bearbeitung in Frage kommen. Denn die Menge der identifizierten potenziellen Interessenten übersteigt in der Regel die Anzahl, die man mit dem eigenen Verkaufspersonal bearbeiten kann. Um sich auf die Erfolg versprechenden Neukundengewinnungsprozesse konzentrieren zu können, gilt es somit, im Zuge einer ersten Vorauswahl zu prüfen, inwiefern die grundsätzlichen Voraussetzungen für einen späteren Verkauf vorliegen: Aus inhaltlicher Sicht ist festzustellen, ob der potenzielle Interessent tatsächlich Bedarf an den Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens hat (Szymanski 1988, S. 66 f.). Das Erkennen eines solchen Bedarfs kann dabei auch auf die Bearbeitung durch das anbietende Unternehmen zurückgehen (Futrell 2001, S. 253). Liegt Bedarf vor, lässt sich der potenzielle Interessent als Interessent einstufen. Auch nach einer derartigen Vorauswahl ist eine differenzierte Bearbeitung der Interessenten zweckmäßig: Interessenten unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer potenziellen Ergebnisbeiträge, sondern auch bezüglich der Abschlusswahrscheinlichkeit. Diese Aspekte gilt es zu beurteilen, um die aus Unternehmenssicht interessanten potenziellen Käufer identifizieren, priorisieren und gemäß ihrer Priorität bearbeiten zu können (Szymanski 1988, S. 67). Für eine derartige Bearbeitung sind abgestimmte Maßnahmenbündel zu entwickeln und umzusetzen, die sich inhaltlich an den spezifischen Interessentenbedürfnissen ausrichten, in ihrem Ausmaß dagegen an der unternehmensseitigen Bewertung des fraglichen Interessenten bemessen. Auf diese Weise wird nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Auftragsabschlusses erhöht, sondern auch dem Gewinnerzielungsziel der Unternehmen Rechnung getragen. Gelingt es im Rahmen der Bearbeitung schließlich, durch das Ausräumen bestehender Kaufwiderstände und/oder das Setzen geeigneter Kaufanreize einen Verkaufsabschluss herbeizuführen, wird der

Interessentenmanagement

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Interessent mit diesem Abschluss zum Neukunden. Damit endet gleichzeitig der Betätigungsbereich des Interessentenmanagements. Das Lösen der skizzierten informations- und aktionsseitigen Aufgaben wird durch den intensiven Einsatz von Informationstechnologie, auf dem das CRM-Konzept basiert, nicht nur unterstützt. Vielmehr stellen die kontaktkanal- und funktionsübergreifende Datensammlung, -auswertung und -analyse in Verbindung mit der darauf aufbauenden Möglichkeit zur IT-unterstützten, koordinierten und maßgeschneiderten Bearbeitung von (potenziellen) Kunden Eigenschaften des CRM dar (Wolf 2002, S. 89), die ein gleichermaßen effektives wie effizientes Management des Neukundengewinnungsprozesses erst ermöglichen (Steimle 2000). Wie sich dieser Prozess als Element des CRM gestalten lässt, wird nunmehr im Detail vorgestellt.

3.3

Identifizierung und Qualifizierung potenzieller Interessenten

Die Grundproblematik bei der Identifizierung und Qualifizierung potenzieller Interessenten lässt sich durch zwei Aufgabenfelder charakterisieren: Zum einen geht es darum, einen Pool potenzieller Interessenten zusammenzustellen, an dem Bemühungen zur Neukundengewinnung ansetzen können (Futrell 2001, S. 254). Entsprechend stellt sich die Frage, woher man die Namen – genauer: Adressdaten – potenzieller Interessenten bekommt. Zum anderen gilt es, aus der vorhandenen Menge der potenziellen Interessenten diejenigen herauszufiltern, die grundsätzlich für einen Verkaufsabschluss in Frage kommen (Szymanski 1988, S. 66 f.). Aus dieser Perspektive ist es von Interesse, wie man an die Daten gelangt, mit denen man die potenziellen Interessenten als Interessenten qualifizieren kann. Mit Blick auf die erste Fragestellung stehen einem Unternehmen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um an Adressdaten potenzieller Interessenten zu gelangen (Exler 1991, S. 529 ff.; Link/Hildebrand 1993, S. 37 ff.; Futrell 2001, S. 254; Johnston/Marshall 2003, S. 51 f.): ƒ Bestehende Kunden sowie weitere persönliche Kontakte können potenzielle Interessenten nennen; ƒ Adressen potenzieller Interessenten lassen sich von Adressverlagen oder sog. Listbrokern kaufen; ƒ potenzielle Interessenten können von sich aus oder als Folge (unpersönlicher) Kommunikations-, insbes. Direktmarketingmaßnahmen (z.B. Response-Anzeige, Service-Nummern) Kontakt aufnehmen; ƒ Events, insbes. Messe-Auftritte, können zu Kontakten mit potenziellen Interessenten führen;

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ƒ das Internet, (Branchen)Telefonbuch usw. stellen weitere Quellen dar, um an Adressen potenzieller Interessenten zu gelangen. Durch die skizzierten Möglichkeiten kann man jedoch nicht nur Adressdaten erhalten. Vielmehr unterscheiden sie sich mit Blick auf Art und Umfang zusätzlicher qualifizierungsrelevanter Information. So liefert das Telefonbuch im Wesentlichen nur die Adressdaten potenzieller Interessenten, während mit Empfehlungen mehr oder minder genaue weitere Informationen einhergehen können und schließlich Listbroker die reinen Adressdaten sogar um eine Vielzahl qualitativer Informationen ergänzen, die sich zur Qualifizierung potenzieller Interessenten heranziehen lassen (Futrell 2001, S. 254; Link/ Hildebrand 1993, S. 37; Lehr 1991, S. 499).

Weg der Informationsbeschaffung Informationsbedarf

Direct-Mail ResponseAnzeige

Telefon-Marketing aktiv passiv

Personal AdressSelling verlag

Allgemein Adresse

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ƒ „Auftragsnähe“ - Informationsbedarf - Aktionsbedarf

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ƒ Produkt-Feedback ƒ Medien-Feedback

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Consumer ƒ Familienstruktur

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ƒ Life-Style - Aktivitäten - Interessen - Meinungen

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Business-to-Business ƒ Unternehmensgröße ƒ Branche/Produktprogramm

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ƒ Buying Center - Struktur

Tab. 1:

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Instrumente zur Deckung ausgewählter Informationsbedarfe Quelle: in Anlehnung an Kreutzer/Ernd 1991, S. 610 f.

x

Interessentenmanagement

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Unabhängig von der quellenspezifischen Informationstiefe lassen sich weitere Aktivitäten zur Beschaffung relevanter Informationen initiieren – und damit die vorhandenen (Adress)Daten im Sinne der Datenqualifizierung ergänzen. Beispielsweise können Instrumente, wie Direct Mail, aktives Telefonmarketing und der persönliche Verkauf, eine Vielzahl an Informationen zutage fördern (s. Tab. 1). Bei dem Einsatz dieser Instrumente gilt es allerdings zu beachten, dass darüber nicht nur der Versuch der Informationsgewinnung, sondern auch eine Informationsvermittlung stattfindet. Diese kann je nach Art der Ansprache in unterschiedlicher Weise dazu beitragen, das Kaufinteresse potenzieller Interessenten zu wecken oder – im anderen Extrem – völlig nutzlose Adressen zu generieren (Kreutzer/Ernd 1991, S. 612 ff.; Jolson 1988, S. 192 f.). Ausgehend von diesen ersten Informationen ist es möglich, die Interessentendatenbank auf- und auszubauen. Diese dient zunächst als Grundlage für die Analyse und weitere Bearbeitung der Interessenten, um dann – im Falle eines späteren Abschlusses – als Kundendatenbank weitergeführt zu werden.

3.4

Priorisierung der Interessenten

Um die verfügbaren Ressourcen in geeigneter Weise zur Bearbeitung der identifizierten Interessenten einsetzen zu können, ist es nötig, die Attraktivität der durch die laufenden Neukundengewinnungsprozesse möglichen Abschlüsse zu beurteilen: Aufgrund der von Interessent zu Interessent verschiedenen potenziellen Ergebnisbeiträge erscheint es unter ökonomischem Blickwinkel wenig zweckmäßig, alle Interessenten mit demselben Aufwand zu bearbeiten. Gleichwohl greift eine allein an der Attraktivität des einzelnen Interessenten orientierte Priorisierung zu kurz. Denn es mag aus Unternehmenssicht zwar sehr wohl attraktiv sein, einen bestimmten Interessenten als Neukunden zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Interessent auch tatsächlich einen Kaufabschluss beim eigenen Unternehmen tätigt, kann dagegen eher gering ausfallen (Szymanski 1988, S. 66 f.). Dann schlagen sich die Bemühungen zur Neukundenakquisition selbst im Erfolgsfalle in höheren Kosten nieder, die das Potenzial des Interessenten nicht nur herabsetzen, sondern sogar überkompensieren können. Als Konsequenz gibt die Interessentenattraktivität erst in Verbindung mit der jeweiligen Abschlusswahrscheinlichkeit Auskunft auf die Frage, inwiefern eine Investition in die Neukundengewinnung im konkreten Fall Sinn macht. Analog zum Kundenportfolio (Krafft/Albers 2000, S. 519 ff.) kann man die Bewertung der Abschlussattraktivität folglich in Form eines Interessentenportfolios durchführen, welches sich dann aus den zwei Dimensionen der Interessentenattraktivität und der Abschlusswahrscheinlichkeit zusammensetzt. Die Operationalisierung des Interessentenportfolios erfolgt im einfachsten Fall über jeweils ein Kriterium pro Achse. Dies könnte für die Interessentenattraktivität beispielsweise der (geschätzte) jährliche Bedarf des Interessenten an den eigenen Produkten sein (Homburg/Daum 1997, S. 65), während man die Abschlusswahrscheinlichkeit etwa aus der Dringlichkeit des Bedarfs folgern kann.

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Zur Berücksichtigung mehrerer Kriterien pro Achse kann man formal auf ScoringModelle zurückgreifen (Diller 1998): Interessentenattraktivität bzw. Abschlusswahrscheinlichkeit werden anhand der wesentlichen Kriterien auf einer einheitlichen Bewertungsskala beurteilt. Der (u.U. gewichtete) Durchschnitt der zugewiesenen Werte ergibt den jeweiligen Gesamtwert pro Achse. Mittels der beiden Gesamtwerte lassen sich die Interessenten innerhalb des Portfolios darstellen. Aufgrund methodischer Probleme, des in der pre sales-Phase in aller Regel rudimentären Informationsstandes sowie des mit der Datenbeschaffung einhergehenden Aufwandes ist es dabei zweckmäßig, die Zahl der Kriterien je Achse gering zu halten. Greift man für das Interessentenportfolio auf einen mehrdimensionalen Ansatz zurück (s. Abb. 3), kann die Beurteilung der Interessentenattraktivität inhaltlich an der Frage ansetzen, inwiefern der jeweilige Interessent dazu beiträgt, die grundsätzlichen Marketingziele des Unternehmens zu erreichen: Marketingziele lassen sich danach unterscheiden, inwiefern sie die interne Sphäre des Unternehmens („Leistungsziele“), die Stellung im Markt („Marktziele“), die Gewinnsituation („Ertragsziele“) oder die Geschäftsbeziehung („Beziehungsziele“) betreffen (Fritz et al. 1985; Diller 1996).

Interessentenportfolio

hoch Fragezeichen

Stars

Verzichtsinteressenten

Mitnahmeinteressenten

Interessentenattraktivität

niedrig niedrig

hoch

Abschlusswahrscheinlichkeit Beitrag zu • Leistungszielen • Marktzielen • Ertragszielen • Beziehungszielen

Abb. 3: Interessentenportfolio

• Abschlussfähigkeit • Abschlussabsicht

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457

Zu den Leistungszielen von Unternehmen können potenzielle Käufer positiv beitragen – etwa wenn der Interessent über spezifisches Know-how verfügt, das man sich im Falle einer Belieferung (zumindest in Teilen) aneignen kann. Negativ wirkt sich dagegen eine durch den Interessenten bedingte Komplexitätssteigerung (z.B. durch Sonderwünsche) aus, die nicht selten zu Zeit-, Qualitäts- und letztlich Kostenproblemen führt. Bezüglich der Marktziele können Aspekte wie das erwartete Absatz- bzw. Umsatzpotenzial, aber auch die strategische Bedeutung der Akquisition des Kunden für die weitere Bearbeitung des Marktes (z.B. im Sinne eines Referenzkunden bzw. Meinungsführers) von Bedeutung sein. Das Erreichen angestrebter Ertragsziele hängt wesentlich vom Ausmaß des Preisinteresses und der Preisbereitschaft ab. Schließlich gibt die prognostizierte Dauer der Geschäftsbeziehung Auskunft über die Möglichkeiten zur Amortisation der Investitionen in den Neukundengewinnungsprozess. Zudem sichert eine stabile Geschäftsbeziehung die erreichten Markt- und Ertragsziele dauerhaft ab. Die Abschlusswahrscheinlichkeit lässt sich aus der Kaufabschlussfähigkeit und -absicht der Interessenten ersehen: Tatsächlich vollzogene Kaufabschlüsse basieren darauf, dass die Interessenten, insbes. aber auch deren Kontaktperson(en), zum einen Kaufabschlüsse tätigen können (Hite/Johnston 1997, S. A-4), zum anderen dieses auch tun wollen (Witte 1976, S. 324 f.). Ansonsten verhindern entweder mehr oder minder ausgeprägte Restriktionen die Durchführung von Kaufhandlungen, oder es handelt sich lediglich um ein Potenzial, das jedoch nicht handlungswirksam wird. Ob der Interessent einen Kaufabschluss tätigen kann, lässt sich etwa aus den verfügbaren finanziellen Mitteln ersehen oder aus bestehenden Verträgen schließen, in denen die Abnahme eines analogen Produktes bei einem anderen Wettbewerber mehr oder minder dauerhaft festgeschrieben ist. Speziell bei Unternehmen stellt sich zudem im Hinblick auf die Organisation des Kaufprozesses die Frage, ob einem Kaufabschluss in formaler Hinsicht keine Gründe entgegenstehen, weil es sich beispielsweise bei der Kontaktperson auch um den Entscheider handelt sowie, falls ein Buying Center existiert, dieses bereits ausreichend einbezogen ist. Um den Abschlusswillen von Interessenten beurteilen zu können, benötigt man dagegen Informationen darüber, inwiefern der Interessent speziell beim eigenen Unternehmen einen Kaufabschluss zu tätigen beabsichtigt (etwa weil der Einkäufer bzw. Konsument eine entsprechende Präferenz hat) oder dies nicht vorhat (z.B. weil man mit dem bisherigen Lieferanten zufrieden ist). Auch Informationen darüber, inwiefern ein Kauf getätigt werden muss (z.B. weil die Ersatzanschaffung eines entsprechendes Produktes ansteht bzw. der bisherige Lieferant nicht die erforderlichen Kapazitäten besitzt) oder nicht getätigt werden darf (etwa aufgrund familieninterner Absprachen bzw. unternehmensinterner Vorgaben), lassen entsprechende Rückschlüsse zu (Backhaus 1997, S. 92). Das Interessentenportfolio unterteilt potenzielle Käufer in vier Typen. Anhand dieser Typologie lassen sich grundsätzliche Aussagen zur Steuerung der Vertriebs- und Marketingaktivitäten treffen. So erhält man zunächst Auskunft darüber, wie und mit welcher Priorität mit den Interessenten zu verfahren ist: Aus Unternehmenssicht am interessantesten sind solche Interessenten, die sowohl eine hohe Attraktivität als auch eine hohe Abschlusswahrscheinlichkeit aufweisen („Stars“). Obwohl damit kein „Abschlussauto-

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matismus“ verbunden ist, stehen die Chancen doch überdurchschnittlich gut, diese hochwertigen Interessenten als Neukunden gewinnen zu können. Entsprechend zielführend ist es, sich auf die Bearbeitung dieser Gruppe zu konzentrieren. Auch die Fragezeicheninteressenten sind als Neukunden interessant. Allerdings impliziert die geringe Abschlusswahrscheinlichkeit, dass eine intensive Bearbeitung nötig ist, um den Kaufentscheidungsprozess der Interessenten voranzutreiben und/oder die eigene Position im interessentenseitigen Alternativenfeld der potenziellen Bezugsquellen zu stärken. Dabei kann eine Analyse der einzelnen Aspekte der Abschlusswahrscheinlichkeit helfen, die grundsätzliche Möglichkeit einer weiteren Bearbeitung zu beurteilen sowie den effektivsten Ansatzpunkt dafür zu bestimmen. Insgesamt lassen sich die Mitglieder dieser Gruppe – wenn überhaupt – nur unter Inkaufnahme höherer Kosten zu einem Abschluss bewegen. Diese werden aber angesichts der hohen Attraktivität der Interessenten zumindest in gewissem Umfang gerechtfertigt. Anders verhält es sich mit den Mitnahmeinteressenten. Deren geringe Attraktivität lassen intensive Bemühungen zur Neukundengewinnung nicht angebracht erscheinen. Diese sind jedoch auch gar nicht nötig, da die Wahrscheinlichkeit, dass man die Interessenten dieser Gruppe zu einem Kaufabschluss bewegen kann, bereits relativ hoch ist. Obwohl also zumindest nichts Grundsätzliches gegen die „Mitnahme“ dieser Interessenten spricht, sind die dafür erforderlichen Maßnahmen aufgrund des fehlenden Potenzials der Interessenten speziell auf kurze Sicht am Rentabilitätskriterium auszurichten: Der durch die Interessentenbearbeitung induzierte Aufwand darf den durch den Erstauftrag möglichen Ertrag nicht übersteigen. Bei der letzten Gruppe („Verzichtsinteressenten“) lässt das geringe Interessentenpotenzial in Verbindung mit den intensiven Bemühungen, die zu diesem Zeitpunkt für einen Abschluss erforderlich wären, eine weitere Bearbeitung (vorerst) nicht angebracht erscheinen. Erst in Ermangelung anderer Interessenten bietet sich eine verfeinerte Analyse an, um solche „Grenzgänger“ zu identifizieren, deren Bearbeitung zumindest noch in akzeptabler Weise möglich ist. Das Interessentenportfolio kann nicht nur zur Planung der Neukundenakquise, sondern auch zur Diagnose eingesetzt werden. In Analogie zu entsprechenden Analysen auf Basis des Kundenportfolios (Homburg/Daum 1997, S. 72 ff.) ermöglicht die Beurteilung der Interessenten hinsichtlich der Abschlussattraktivität etwa ein Urteil darüber, inwiefern die Vertriebsmitarbeiter ihre Bemühungen zur Neukundengewinnung auch auf die richtigen Interessenten fokussieren. Dafür kann man beispielsweise die von den einzelnen Mitarbeitern gewonnenen Neukunden oder das von diesen erzielte Auftragsvolumen den vier Kategorien des Interessentenportfolios zuordnen und vor dem Hintergrund des von Mitarbeiter zu Mitarbeiter unterschiedlichen Erfolgs bei der Neukundengewinnung interpretieren. Im Falle einer falschen Schwerpunktlegung lassen sich konkrete Maßnahmen für den betroffenen Mitarbeiter entwickeln, um dessen Produktivität zu erhöhen. Das Interessentenportfolio lässt nicht nur statische Analysen zu. Vielmehr kann man zu einer Zeitraumbetrachtung übergehen, indem man auf Basis neu gewonnener Informati-

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459

onen die Position der einzelnen Interessenten regelmäßig aktualisiert und so die jeweiligen Positions- und insbesondere Feldwechsel sichtbar macht. Aufbauend auf den erkannten und extrapolierten Trends lässt sich der zweckmäßige Zeitpunkt für eine Anpassung der Akquisitionsmaßnahmen ableiten. Speziell die Analyse der zeitlichen Struktur der Veränderungen lässt erfolgskritische Aspekte und Phasen der Interessentenbearbeitung erkennen und macht diese als Folge frühzeitig einer gezielten Einflussnahme zugänglich. Darüber hinaus erlaubt die Verbindung der Informationen über Art und Umfang der bis dato eingesetzten Maßnahmen mit denen über die Veränderung der Abschlusswahrscheinlichkeit des fraglichen Interessenten Rückschlüsse auf die Effektivität der eingesetzten Instrumente. Alles in allem lassen sich auf Basis dieser Informationen „Positivcluster“ (Link/Hildebrand 1993, S. 62) bilden, die die Charakteristika besonders erfolgreich verlaufener Akquisitionsbemühungen wiedergeben und als solche Hinweise auf den idealtypischen Ablauf erfolgreicher Neukundengewinnungsprozesse liefern. Als Ergänzung können analog gebildete Negativcluster mögliche Ursachen erfolglos verlaufener Versuche der Neukundengewinnung aufdecken und abstellen helfen.

3.5

Konversion der Interessenten in Neukunden

Hat man die aus Unternehmenssicht interessanten Verkaufsabschlüsse identifiziert, stellt sich die Frage, wie man diese auch tatsächlich realisieren kann. Da durch vorherige Prüfung bereits sichergestellt ist, dass ein Verkaufsabschluss in dieser Phase nicht daran scheitern kann, dass der Interessent keine wirkliche Kaufabsicht hegt oder kein für seinen Bedarf adäquates Produkt erwerben kann, können aus formaler Sicht zwei Ursachen einen Kaufabschluss verhindern (Futrell 2001, S. 261 ff.): Zum einen können seitens des Interessenten Widerstände gegen einen Kaufabschluss bestehen; diese gilt es abzubauen. Zum anderen kann selbst bei abgebauten Widerständen der Antrieb, den Kauf tatsächlich zu tätigen, nicht in ausreichendem Maße vorhanden sein; in diesem Fall sind geeignete Kaufanreize nötig, um einen Abschluss zu erzielen. Kaufwiderstände können daraus erwachsen, dass der Interessent entweder Zweifel daran hat, dass die angebotenen Produkte für ihn zweckmäßig sind; dieser Aspekt verweist auf das Fehlen einer adäquaten Beratung. Oder dem Interessenten kommen Zweifel daran, dass das anbietende Unternehmen den eigenen Ansprüchen genügt; ursächlich dafür kann ein nicht adäquater Kontaktverlauf in der pre sales-Phase sein. Im Falle eines Interessentenkontaktes, bei dem der potenzielle Neukunde keinen direkten Kontakt zum Personal hat, kann darüber hinaus auch eine ungenügende Umsetzung des Kontaktes, z.B. des Internet-Auftritts, dazu führen, dass der Interessent den Kaufvorgang abbricht, weil er etwa das für seinen Bedarf passende Produkt schlicht nicht findet oder die Erteilung eines Kaufauftrages als zu umständlich empfindet (Zipser 2001, S. 53). Sieht man von der Umsetzungsproblematik ab, besteht das Ziel der Interessentenbearbeitung im Hinblick auf den Abbau der Kaufwiderstände also darin, das interessentenseitig wahrgenommene Risiko durch eine entsprechende Kontaktgestaltung abzubauen, zumindest aber unter den individuellen Schwellenwert zu senken, der einen Kaufab-

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schluss verhindert (Backhaus 1997, S. 113). Aus konzeptioneller Sicht beurteilt der Interessent dabei mehr oder minder bewusst und aus seiner subjektiven Perspektive, ob aus inhaltlicher Sicht die für einen möglichen Kauf erforderlichen Informationen vorliegen. Daneben erfolgt die Beurteilung der Informations- bzw. Kaufquelle, also des anbietenden Unternehmens (s. Abb. 4).

Ursachen des Nicht-Kaufs (zu) hohe Kaufwiderstände Produktrisiko

Problemlösungsorientierte Informationen

Lieferantenrisiko

Qualität der • Ressourcen • Prozesse • Ergebnisse

Interessentenorientierte Informationsvermittlung

Vertrauensbildende Maßnahmen

Beratung

Kontaktgestaltung

(zu) geringer Kaufantrieb Kaufabsicht

Abschlussabsicht

Präferenz-orientierter Marketing-MixEinsatz

Abschlussorientierter Einsatz geeigneter Marketinginstrumente

Marketing-MixKonzeption

Kaufanreize

Aufgabenfelder der Interessentenbearbeitung

Abb. 4: Nicht-Kauf-Ursachen als Ansatzpunkte zur Interessentenbearbeitung Damit der Kunde hinsichtlich seines Informationsstandes kein Risiko wahrnimmt, das gegen einen Kauf spricht, muss das anbietende Unternehmen im Verlauf der pre salesPhase zum einen das erforderliche Ausmaß an nützlichen Informationen vermitteln. Inhaltlich kann dies geschehen, indem man als Anbieter insbesondere darauf achtet, dass der potenzielle Käufer die gewünschte Funktionalität des Produktes erkennt und das finanzielle Risiko nicht als übermäßig empfindet sowie dass man ein eventuell bei diesem bestehendes psychisches Risiko bzgl. der Kaufentscheidung durch geeignete Maßnahmen, etwa durch Rücknahmegarantien oder den Verweis auf Referenzkunden, entsprechend senkt (Kroeber-Riel/Weinberg 1996; Backhaus 1997, S. 113). Darüber hinaus gilt es, darauf zu achten, dass die Informationen nicht nur nützlich, sondern auch vom Interessenten nutzbar sind, d.h. von diesem nachvollzogen werden können. Insbesondere bei anspruchsvolleren Produkten bzw. – im Business-to-Business-Bereich – im

Interessentenmanagement

461

Falle eines multi-personalen Kaufentscheidungsprozesses, etwa in Form eines Buying Centers, oder bei „produktfernen“ Kontaktpersonen, etwa wenn technische Produkte durch einen kaufmännisch ausgebildeten Einkäufer beschafft werden, tritt dieser Aspekt besonders deutlich zu Tage. Der Abbau möglicher Vorbehalte gegenüber dem potenziellen neuen Lieferanten basiert auf dem Urteil über dessen Fähigkeiten sowie auf der Einschätzung darüber, inwiefern das fragliche Unternehmen eher kundenorientiert ist oder aber seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt (Saxe/Weitz 1982; Michaels/Day 1985). Der erste Aspekt bezieht sich auf das fachliche Vermögen des Unternehmens, die seitens des Interessenten gewünschten Produkte und Leistungen erwartungskonform zu erbringen. Die Tatsache, dass der potenzielle Lieferant in der Lage ist, die kundenseitigen Ansprüche zu erfüllen, heißt jedoch noch nicht, dass er sein Handeln auch zwingend am Kundeninteresse ausrichtet. Insofern stellt der zweite Aspekt darauf ab, in grundsätzlicher Weise abzuschätzen, inwiefern man dem potenziellen Lieferanten vertrauen kann oder aber davon ausgehen muss, dass dieser sich opportunistisch verhält, falls die Möglichkeit dazu besteht. Der Versuch, den potenziellen Lieferanten zu beurteilen, gründet darauf, dass die Interessenten im Falle einer erstmaligen Auftragserteilung nicht auf das Wissen und die Erfahrungen zurückgreifen können, die sich im Verlaufe einer bestehenden Geschäftsbeziehung nach und nach entwickeln. Da noch keine gesicherten Erkenntnisse über die Produktqualität des potenziellen Lieferanten vorliegen, besitzt diese Beurteilung eine Absicherungsfunktion und ist insofern in hohem Maße erfolgskritisch. Gleichzeitig kommt damit dem Kontaktverlauf in der pre sales-Phase eine zentrale Bedeutung zu. Denn zum einen können Interessenten auftretende Defizite nicht mit Sicherheit als Ausnahme klassifizieren. Zum anderen bietet sich ihnen in dieser frühen Phase in Ermangelung einer fundierten Informationsbasis die Beurteilung auf Basis sichtbarer Kriterien, insbes. gemachter Erfahrungen, an. Als Folge kann die Urteilsbildung in Form eines indikatorgeleiteten Urteilsprozesses ablaufen (Kroeber-Riel/Weinberg 1996, S. 298 f.): Die Ausprägung einzelner Aspekte wird verallgemeinert und ersatzweise herangezogen, um den potenziellen Lieferanten zu beurteilen. Entsprechend schlagen Defizite bei den Ressourcen (z.B. mangelhafte Kompetenz der Verkäufer; unübersichtlicher InternetAuftritt), Prozessen (z.B. nicht abgestimmte Kontaktaufnahme durch verschiedene Kanäle/Personen) oder Ergebnissen (z.B. falsches und/oder verspätetes Angebot) negativ bei der Beurteilung des potenziellen neuen Lieferanten zu Buche – und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch des Kaufprozesses. Selbst wenn der Interessent den potenziellen Lieferanten als grundsätzlich geeignet einstuft, die sich aus einer Zusammenarbeit ergebenden Anforderungen hinreichend zu erfüllen, bleibt zunächst offen, ob er auch darauf vertrauen kann, dass das anbietende Unternehmen sich ernsthaft (und dauerhaft) darum bemüht, ihn zufrieden zu stellen, statt sich opportunistisch zu verhalten. In den entsprechenden Beurteilungsprozess gehen dabei verschiedene Einflüsse ein: Zum Vertrauensaufbau beim Interessenten tragen nicht nur Mitarbeiter mit sozialer Kompetenz bei, sondern auch die generelle Vermeidung opportunistischer, insbes. rein auf den eigenen Verkaufsabschluss zielender Ver-

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haltensweisen. Darüber hinaus können einseitige vertrauensbildende Maßnahmen den Beurteilungsprozess positiv beeinflussen, speziell wenn sie als Antwort auf critical incidents während der Kontaktphase erfolgen. Schließlich lässt sich das Vertrauen auch dadurch auf- und ausbauen, dass man den Kontaktpersonen auf Anbieterseite solche Mitarbeiter gegenüberstellt, die hinsichtlich ihres Status, ihrer Erscheinung und des Lifestyle interessentenähnlich sind (Plötner 1995, S. 162). Um eine möglichst starke Wirkung entfalten zu können, sollten diese vertrauensbildenden Einflüsse eine starke zeitliche Konsistenz aufweisen. Neben dem Abbau der Kaufwiderstände gilt es, die interessentenseitigen Präferenzen im Rahmen der Bearbeitung und beim Einsatz von Kaufanreizen in adäquater Weise zu berücksichtigen: Hat das anbietende Unternehmen das seitens des Interessenten wahrgenommene Risiko in ausreichendem Maße gesenkt, folgt daraus nicht zwingend ein Kaufabschluss. Vielmehr entscheidet in diesem Fall die Kaufabsicht des Interessenten darüber, ob dieser tatsächlich einen Abschluss tätigt. Insofern geht es bei der Interessentenbearbeitung zunächst grundsätzlich darum, die Kaufabsicht zu steigern. Dazu ist es von Bedeutung, die Präferenzen des Interessenten hinsichtlich des Produktes sowie der Kontaktgestaltung in Erfahrung zu bringen und in die Angebotserstellung und -unterbreitung zu integrieren. So lassen sich auf dieser Basis etwa Art, Anzahl und Reihenfolge der eingesetzten Kontaktkanäle präzise auf den spezifischen Interessenten ausrichten (Link/Hildebrand 1993, S. 65 ff.). Gleichermaßen liefern diese Informationen aber auch dem Außendienst eine konkrete Hilfestellung für den Aufbau der Verkaufspräsentation. Trotz präferenzkonformer Bearbeitung des Interessenten kann es jedoch sein, dass sich dieser nicht (unmittelbar) zu einem Kauf entschließen kann, sich der Verkaufsabschluss damit also nicht „von selbst“ ergibt. Als Konsequenz ist es zweckmäßig zu ermitteln, welche Anreize bei dem jeweiligen Interessenten am wirkungsvollsten sind. Darauf aufbauend kann ein in den verschiedenen Instrumentalbereichen entsprechend modifiziertes Angebot entwickelt werden, welches grundsätzlich zum Einsatz kommt (z.B. Rabatt bei Online-Bestellung) oder bei Bedarf zur Verfügung steht (z.B. interessentenspezifische Produktmodifikation). Diese Informationen lassen sich ebenfalls bei der Vorbereitung und Durchführung der Verkaufsverhandlungen nutzen – etwa um das Ausmaß sinnvoller, d.h. vor dem Hintergrund der Interessentenattraktivität vertretbarer, Preisnachlässe zu bestimmen.

3.6

Interessentenmanagement als permanente Aufgabe des CRM

Um die skizzierten informations- und aktionsseitigen Aufgaben effektiv und effizient erfüllen zu können, muss man systematisches Interessentenmanagement als permanenten Prozess verstehen: Das Ziel des Interessentenmanagements als Baustein des CRM besteht im Kern darin, über den Aufbau interaktiver Beziehungen zu Interessenten diese mit ihren Bedürfnissen zunehmend besser zu verstehen und zu befriedigen. Analog zu sog. Kundenorientierten Informationssystemen (Link 2000, S. 36 ff.) bedeutet dies auf

Interessentenmanagement

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der Informationsseite die kontinuierliche IT-gestützte Sammlung, Verarbeitung, Auswertung und entscheidungsorientierte Aufbereitung interessentenspezifischer Informationen. Aktionsseitig unterstützen die im Rahmen des Interessentenmanagements bereitgestellten Informationen die Neukundengewinnung während der gesamten pre salesPhase – sowohl im Hinblick auf die Planung und Umsetzung als auch bzgl. der Kontrolle und Steuerung segmentspezifischer, nicht selten sogar interessentenindividueller Strategien. Die Phasen des Interessentenmanagement-Kreislaufs lassen sich aus den vorgestellten Teilaufgaben ableiten (s. Abb. 5): Sammlung und Analyse der relevanten Daten bilden den Ausgangspunkt, um Interessenten identifizieren, priorisieren und segmentieren zu können. Das IT-System unterstützt das Interessentenmanagement dabei durch eine integrierte und flexible Datenhaltung (z.B. in Form eines Data Warehouse) sowie durch die Ermittlung interessentenspezifischer Profile und Zuordnungen zu ermittelten Interessentensegmenten, etwa durch Data Mining (Zipser 2001, S. 39 ff.).

Prozess des Interessentenmanagements Lernen, Anpassen, Verfeinern

Datensammlung und -analyse

Individuelle Interessentendaten Response Tracking und Controlling

Grunddaten Potenzialdaten Aktionsdaten

Interessentenidentifizierung, -priorisierung und -segmentierung

Reaktionsdaten DATABASE Kontaktgestaltung; Umsetzung und Koordination der CRM-Maßnahmen

Marketingplanung; Design CRM-Maßnahmen

Abb. 5: Prozess des Interessentenmanagements Aufbauend auf dem Wissen über die Interessenten können in der nächsten Phase spezifische Neukundengewinnungsstrategien entwickelt werden. Im Fokus steht hier die Planung der Interessentenbearbeitung. Dafür muss speziell die Kontaktstrategie (unter

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Integration unterschiedlicher Vertriebs- und Kommunikationskanäle) festgelegt und ein geeignetes Angebot konzipiert werden. In der folgenden Phase erfolgt die über alle Maßnahmen und Kanäle hinweg koordinierte Umsetzung der entwickelten Konzepte unter Berücksichtigung sämtlicher Interessentenschnittstellen. Insbesondere gilt es dabei zu gewährleisten, dass der Dialog mit dem Interessenten genau dort aufgenommen und fortgesetzt wird, wo er (unabhängig vom eingesetzten Kontaktkanal) beim letzten Mal geendet hat (Link 2001a, S. 15). Zudem sind an dieser Stelle speziell Sales Force Automation und Computer Aided Selling von besonderer Bedeutung für die Steigerung von Verkaufseffektivität und -effizienz (Hermanns 2001) und daher möglichst nahtlos in das Interessentenmanagement zu integrieren. Im Falle eines Verkaufsabschlusses erfolgt die Übergabe der Auftrags- und Kundendaten in die bestehenden Auftragsmanagement- und Fakturierungssysteme. Im Anschluss an die Umsetzung der Konzepte erfolgt in der Phase des Response Tracking und Controlling die Kontrolle und Steuerung der eingeleiteten Maßnahmen. Dies ist zum einen auf „klassische“ Art und Weise möglich, indem geeignete Kennzahlen und Ergebnisgrößen, beispielsweise von Kontaktkosten oder Responsekosten und -quoten (Homburg/Sieben 2000, S. 477), ermittelt und als Ausgangspunkt für Steuerungsimpulse und neue Planungen herangezogen werden. Zum anderen lassen sich die Möglichkeiten des Electronic Customer Relationship Management (eCRM) nutzen. Dieses integriert direkte, elektronische Interaktionskanäle, z.B. Online-Angebote, mobile Mehrwertdienste etc., in das „traditionelle“ CRM-Konzept und zeichnet sich durch interessenteninitiierte Interaktionen und eine automatisierte Personalisierung von Inhalten und Produktangebot aus. Dies bedeutet, dass der Einsatz aller Instrumente im Rahmen des eCRM auf der Grundlage eines Informations- und Entscheidungssystems beruht, welches weitgehend automatisiert und selbststeuernd implementiert ist (Pritchard/ Cantor 2000, S. 170 ff.; Strauß 2001, S. 351). Die Bündelung aller bei der Interessentenbearbeitung gemachten Erfahrungen erlaubt eine integrierte Informationsrückkopplung, auf deren Basis schließlich sowohl die bis dato genutzten Daten und Analysemethoden als auch die darauf beruhenden Ergebnisse sukzessive überprüft, angepasst und verfeinert werden (Wolf 2002, S. 91). So kann man die besonders effizienten Prozesse der Neukundengewinnung als Benchmark denjenigen gegenüberstellen, bei denen ein erhöhter Ressourceneinsatz erforderlich war, um so Rückschlüsse auf vorhandene Schwachstellen und Effizienzpotenziale ziehen zu können. Ebenfalls kann man die Bearbeitung und die Verlaufsformen der pre sales-Phase von späteren Käufern und Nicht-Käufern vergleichen und erhält wertvolle Hinweise auf diskriminierende Merkmale und erfolgsträchtige Bearbeitungsmuster. Auf Basis dieser Informationen lassen sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der pre sales-Phase – nach und nach verfeinerte – Prognosen über den Erfolg der Neukundengewinnungsprozesse aufstellen und geeignete (Gegen-)Steuerungsmaßnahmen ergreifen. Insgesamt führt das Interessentenmanagement damit zu einer permanenten Verbesserung der Neukundengewinnung im Sinne eines lernenden Systems.

Interessentenmanagement

3.7

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Interessentenmanagement als integraler Bestandteil des CRM

Das Interessentenmanagement stellt zwar einen eigenständigen, jedoch keinen isolierten Aufgabenbereich dar. Denn es kann seine Wirkung erst dann voll entfalten, wenn es als integraler Bestandteil des CRM konzipiert und als Konsequenz sowohl mit dem Kundenmanagement als auch mit dem Verkauf möglichst eng verzahnt ist. Betrachtet man die Verzahnung innerhalb des Kundenmanagements, kann das Interessentenmanagement sowohl die Aufgabe der Kundenbindung als auch jene der Kundenrückgewinnung unterstützen: Für das Beziehungsmarketing liefert das Interessentenmanagement zunächst die gesamte Informationsbasis, die am Anfang der Kundenbeziehung über den neuen Kunden zur Verfügung steht. Daraus kann man nicht nur inhaltliche Ansatzpunkte für die weitere Bearbeitung identifizieren (z.B. Bedarfszyklus, Komplementärprodukte und -services, Kontaktpräferenzen), sondern auch deren Umfang gemäß der im Rahmen der Interessentenbewertung vorgenommenen (vorläufigen) Attraktivitätsbeurteilung adäquat festlegen. Mit Blick auf das Recovery Management weist die Aufgabe der Kundenwiedergewinnung eine starke Ähnlichkeit zu derjenigen des Interessentenmanagements auf (Büttgen 2003, S. 62 ff., S. 70). Entsprechend kann es die Informationen zur erfolgreichen Erstkundengewinnung unmittelbar für die eigenen Zwecke nutzen. Speziell für einen spezifischen verlorenen Kunden dokumentieren dessen individuelle Daten aus der pre sales-Phase einen bereits schon einmal erfolgreich verlaufenen Kundengewinnungsprozess und zeigen dadurch erfolgsträchtige Maßnahmenbündel für dessen Rückgewinnung auf. Beziehungsmarketing und Recovery Management können aber auch das Interessentenmanagement unterstützen: Bei den vorhandenen Kunden kann man die pre sales-Phase vor Folgeaufträgen analysieren. Insbesondere dann, wenn es sich nicht um reine Wiederholungskäufe handelt, sondern der Versuch des Cross Selling unternommen wird, dürfte die Aufgabenstellung – zumindest in Grundzügen – mit derjenigen des Interessentenmanagements vergleichbar sein. Gleichwohl lassen sich als Folge der bestehenden Geschäftsbeziehung ungleich umfassendere und präzisere Informationen über den Kunden gewinnen. Daraus kann man etwa ersehen, welche Merkmale besonders relevant für eine Aussage über die Abschlusswahrscheinlichkeit sind. Daneben lässt sich anhand des tatsächlichen Beitrags des Kunden zu den Unternehmenszielen bestimmen, inwiefern die Attraktivität des Interessenten korrekt beurteilt wurde. Auf solchen Informationen aufbauend, lässt sich die Interessentenbewertung nach und nach verbessern und verfeinern (z.B. Verfeinerung des Bewertungsansatzes und der Kriteriengewichtung; Aufnahme/Eliminierung von Kriterien). Analoges gilt für die Informationen, die durch das Recovery Management gewonnen werden. Durch die analoge Aufgabenstellung können diese die Wissensbasis des Interessentenmanagements unmittelbar anreichern. Auch Interessentenmanagement und Verkauf profitieren wechselseitig von einer engen Verzahnung: Nicht nur im Business-to-Business-Bereich, sondern auch auf vielen Busi-

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ness-to-Consumer-Märkten ist es häufig der Verkäufer, der letztlich mit dem Interessenten über die Auftragsvergabe verhandelt. Dabei kann das Interessentenmanagement insofern eine hilfreiche Vorarbeit für den Verkäufer leisten, als es Informationen über bestehende Kaufmotive und -widerstände sowie über die interessentenseitig bestehenden Entscheidungsstrukturen systematisch zusammenstellt und analysiert. Diese kann der Verkäufer bei seinen Verkaufsgesprächen berücksichtigen. Durch den persönlichen Kontakt kommt andererseits aber gerade dem Verkaufspersonal eine herausragende Rolle bei der Beschaffung von Interessenteninformationen sowie der Beurteilung von Effektivität und Effizienz der Interessentenbearbeitung zu (Kreutzer/Ernd 1991, S. 617 f.). Somit kann die planvolle Erfassung dieser Daten innerhalb des Interessentenmanagements dessen Wirksamkeit nachhaltig verbessern. Mit Blick auf den konkreten Verkaufsprozess gilt es daran zu denken, dass die Informationen, die das Interessentenmanagement dem Verkäufer zur Verfügung stellen kann, nicht hinreichend sind. Vielmehr benötigen die Verkaufsmitarbeiter noch vielfache andere Informationen zur Aufgabenerfüllung. So erfordert die Planung und Durchführung eines effektiven Verkaufsgesprächs neben den Interessenteninformationen auch situations-, produkt- und wettbewerbsbezogene Informationen sowie die Zielvorgaben der Verkaufsleitung (Link/Hildebrand 1993, S. 104 f.). Entsprechend gilt es, für eine aufgabenadäquate Bereitstellung dieser Daten Sorge zu tragen. Denn Erfolg und Misserfolg bei der Neukundengewinnung – und damit des Interessentenmanagements – lassen sich erst vor dem Hintergrund dieser Informationen wirklich vollständig beurteilen.

4

Schlussbetrachtung

Für Unternehmen stellt die Neukundengewinnung eine wichtige, gleichzeitig aber auch kostenträchtige Aufgabe dar. Um diese gleichermaßen effektiv wie effizient zu lösen, bedarf es aussagekräftiger Informationen und einer präzisen interessentenorientierten Bearbeitung, wie sie ein in das CRM eingebundenes Interessentenmanagement ermöglichen kann. Dass dies auch in der Unternehmenspraxis erkannt wurde, dokumentieren die zahlreichen Softwarelösungen (z.B. von SAP, Siebel, Aprimo etc.), die für dieses Betätigungsfeld inzwischen angeboten werden und die über alle Anbieter hinweg dabei helfen sollen, wertvolle Interessenten zu identifizieren, gezielt anzusprechen und als Neukunden zu gewinnen. Allerdings scheinen die Kenntnisse über die zweckmäßige Gewinnung und Analyse relevanter Interessenteninformationen bei vielen Unternehmen bisher unzureichend zu sein. Zudem besteht durch die sich bietenden informationstechnologischen Möglichkeiten die Gefahr, alles zu machen, was man kann, statt sich innerhalb des CRM auf ein zweckmäßiges Konzept des Interessentenmanagements zu konzentrieren. Bei der Frage, wie ein solches Konzept inhaltlich aussehen kann, erfährt die Praxis durch die Wissenschaft bisher allerdings nur wenig Unterstützung.

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Angesichts der praktischen Relevanz und des vorhandenen Forschungsdefizits wurde im vorliegenden Beitrag ein ganzheitliches, in das CRM integriertes Konzept des Interessentenmanagements entwickelt. Demnach ist es aus Praxissicht zum einen ratsam, speziell solche Informationen zu generieren, die Auskunft über die Attraktivität der Interessenten und über deren Abschlusswahrscheinlichkeit geben. Zum anderen sind Informationen über Treiber und Barrieren von Kaufprozess und Abschlussentscheidung nötig. Auf Basis der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse lassen sich die Interessenten priorisieren und gemäß ihrer Priorität effektiv bearbeiten, indem man dabei auf die individuellen oder segmentspezifischen Kaufwiderstände und Präferenzen abstellt. Die Bearbeitung muss sich dabei nicht zwingend auf die hochwertigsten Interessenten beschränken. Denn durch den intelligenten Einsatz informationstechnologischer Lösungen können über den richtigen Grad an „Entpersonalisierung“, d.h. Substitution von Personal durch Technologie, selbst Interessenten mit geringer Attraktivität bzw. Abschlusswahrscheinlichkeit profitabel bearbeitet werden (Brown/Brucker 1987, S. 186; Lichtenthal et al. 1989, S. 15 f.; Gerth 2001, S. 105 f.). Aus wissenschaftlicher Sicht liegt mit dem entwickelten Konzept der Versuch vor, einen Beitrag zum besseren Verständnis der erfolgsrelevanten Aspekte in der pre salesPhase zu leisten. Die Erfolgswirkungen sind bisher jedoch lediglich theoretisch postuliert. Auch sonst existieren kaum empirische Befunde zu Ablauf und Erfolg des Interessentenmanagements. Insofern besteht zunächst weiterer Forschungsbedarf in der Frage, welche Informationen die Unternehmen wie nutzen, um die Aufgabe der Neukundengewinnung möglichst erfolgreich lösen zu können. Von größerem Interesse dürfte allerdings sein, wodurch sich unternehmensseitig unterschiedlicher Erfolg in der Neukundengewinnung erklärt. Die dazu erforderlichen (empirischen) Analysen könnten auf der im vorliegenden Beitrag vorgeschlagenen Systematik aufbauen.

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Matthias H. J. Gouthier

Neukundenmanagement 1

Neukundenmanagement – Eine vernachlässigte Aufgabe des CRM

2

Neukundenmanagement als Teilfunktion des Kundenbindungsmanagements 2.1 Definition eines Neukunden 2.2 Definition und Faktoren der Kundenbindung 2.3 Definition von Neukundenmanagement und dessen Einordnung in das Kundenbindungsmanagement

3

Geschäftsbeziehungen zu Neukunden 3.1 Der Einstieg in eine neue Geschäftsbeziehung 3.2 Besonderheiten von Geschäftsbeziehungen zu Neukunden

4

Das Management von Neukundenbeziehungen 4.1 Notwendigkeit eines Neukundenmanagements 4.2 Ziele des Neukundenmanagements 4.3 Maßnahmen des Neukundenmanagements 4.3.1 Überblick 4.3.2 Aspekte der Produktpolitik und des Qualitätsmanagements im Rahmen des Neukundenmanagements 4.3.3 Zufriedenheitsmanagement bei Neukunden 4.3.4 Signaling-Maßnahmen bei Neukunden 4.4 Kontrollaspekte im Rahmen des Neukundenmanagements 4.4.1 Überprüfung der Zielerreichung des Neukundenmanagements 4.4.2 Identifikation von Neukundenproblemen 4.5 Implementierung des Neukundenmanagements

5

Fazit

Anmerkungen Literaturverzeichnis

1

Neukundenmanagement – Eine vernachlässigte Aufgabe des CRM

Die Grundvoraussetzung für das Überleben eines jeden For-Profit-Unternehmens ist die kontinuierliche Sicherstellung einer genügend großen Anzahl an Käufern des eigenen Produkts bzw. der eigenen Dienstleistung. Dabei hat sich in den letzten Jahren der Fokus von der Akquisition neuer Kunden auf deren Bindung verlagert. Unternehmen legen zwischenzeitlich mehr Wert auf die Bindung der aktuellen Kunden als auf die Gewinnung neuer Kunden (Stauss 2000, S. 15) [1], da sich hierdurch diverse positive Effekte einstellen. So zeigen Studien, dass die Kosten der Kundenbindung deutlich unter den Akquisitionskosten liegen, der Gewinn eines Kunden mit der Dauer der Kundenbeziehung steigt und sich durch das ständige Feedback neue Marktchancen eröffnen (siehe z.B. Reichheld/Sasser 1991; kritisch äußern sich hierzu u.a. Reinartz/Krafft 2001; Reinartz/Kumar 2000). Daher stellt die Bindung von Kunden mittlerweile ein zentrales (psychographisches) Ziel vieler Unternehmen dar (Bruhn 2001, S. 3; Diller 1996, S. 81; Homburg/Bruhn 2003, S. 17; Meffert 2003, S. 128). Entsprechend der generellen Unterscheidung von Kundenakquisition und Kundenbindung findet sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft zumeist eine Dichotomisierung des Kundenstatus in Interessenten, die es zu gewinnen gilt, und Stammkunden, die es zu halten gilt, statt. Der Typ des Neukunden, der zum ersten Mal einen Kauf tätigt, und nunmehr in eine neue Geschäftsbeziehung „startet“, wird bislang in den wenigsten Fällen explizit behandelt [2]. Dies ist verwunderlich, da die Neukundenphase einen äußerst kritischen Abschnitt im Lebenszyklus einer Kundenbeziehung darstellt, die einerseits mit Startkosten für das Unternehmen verbunden ist, andererseits im Allgemeinen noch nicht zu kostendeckenden Erlösen führt (Bruhn 2001, S. 48). Kommt es in dieser Phase zu einem Abbruch der Beziehung, ist eine Amortisation der unternehmerischen Investitionen, die bisher in die Kundenbeziehung getätigt wurden, nicht mehr möglich (Homburg/Schnurr 1999, S. 18 f.). In dieser frühen „Phase entscheidet sich, ob es zu einer länger andauernden Kundenbeziehung kommt“ (Homburg/Schnurr 1999, S. 18), weshalb gerade der Einstieg eines Neukunden in eine Geschäftsbeziehung durch das Unternehmen aufmerksam begleitet und gesteuert werden sollte (Bruhn 2001, S. 153 f.; Kenning 2002, S. 93). Es gilt, den Kunden in der Richtigkeit seiner Entscheidung zu stärken, kognitive Dissonanzen abzubauen bzw. zu beseitigen, Zufriedenheit zu schaffen und den Vertrauensaufbau zu unterstützen (Schrick 2000, S. 479). Letztlich wird hiermit der Grundstock für den Aufbau einer stabilen Geschäftsbeziehung und folglich der Bindung der Kunden gelegt. Da somit das übergeordnete Ziel des Neukundenmanagements darin gesehen werden kann, das Fundament für den Aufbau einer stabilen Geschäftsbeziehung und der Kundenbindung zu legen, lassen sich die diversen theoretischen Forschungsrichtungen und -ansätze, die Erklärungen liefern, wieso es zur Kundenbindung kommen kann, somit auch sinnvoll im Kontext des Managements von Neukundenbeziehungen anwenden. Zu

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diesen zählen u.a. die soziale Austauschtheorie (siehe z.B. Thibaut/Kelley 1959), die Interaktionsansätze, lerntheoretische Ansätze wie Verstärkungslernen, die Risikotheorie (z.B. Jacoby/Kaplan 1972), die Dissonanztheorie (z.B. Festinger 1957), die Transaktionskostentheorie (siehe z.B. Williamson 1979) und das Nachkaufmarketing (siehe z.B. Hansen/Jeschke 1992; 2001). Es stellt sich hierbei die Frage, ob für ein Neukundenmanagement andersartige Überlegungen anzustellen sind als für ein Kundenbindungsmanagement generell bzw. für ein Stammkundenmanagement. Da sich Geschäftsbeziehungen entwickeln, verändern sich im Zeitablauf auch die Anforderungen an ein Kundenbeziehungsmanagement bzw. Kundenbindungsmanagement (Georgi 2000; Diller/ Müllner 1998, S. 1234). So belegen Studien, dass speziell zwischen Neukunden und Stammkunden für ein Bindungsmanagement relevante Unterschiede existieren. Beispielsweise zeigen Mittal/Katrichis (2000) in ihren Studien, dass die Zufriedenheitsurteile von Neukunden auf anderen Kriterien als die von Stammkunden basieren. Zudem weist Bolton (1998) darauf hin, dass die Kundenzufriedenheit bei Stammkunden einen größeren Einfluss auf die Dauer der Geschäftsbeziehung ausübt als bei Neukunden. Diese beiden Studien geben erste Hinweise darauf, dass es einer spezifischen Betrachtung des Neukundenmanagements bedarf. Der Kundenstatus – Interessent, Neukunde und Stammkunde – bzw. die Geschäftsbeziehungsdauer sollte damit als Segmentierungskriterium herangezogen und entsprechende Implikationen sollten für die Gestaltung des Beziehungsmanagements abgeleitet werden (siehe auch Diller/Müllner 1998, S. 1234). In der Literatur zum Kundenbeziehungsmanagement, Kundenbindungsmanagement und Customer Relationship Management findet jedoch noch immer so gut wie keine konzeptionelle Auseinandersetzung mit der unternehmerischen Aufgabe des Managements von Neukundenbeziehungen statt [3]. Es fehlt ein Ansatz, der unter expliziter Berücksichtigung der Besonderheiten von Neukundenbeziehungen ein Neukundenmanagement mit spezifischen Instrumenten systematisch zusammenstellt und dessen Eignung zum Aufbau einer Geschäftsbeziehung und der erstmaligen Bindung der Neukunden an das Unternehmen diskutiert. Das Ziel dieses Beitrags besteht dementsprechend darin, unter Bezugnahme auf die Besonderheiten von Neukundenbeziehungen ein systematisches Neukundenmanagement-Konzept zu entwickeln. Dazu wird nach einer Begriffsfassung von Neukunden (Kapitel 2.1) auf die Definition und die Faktoren von Kundenbindung näher eingegangen (Kapitel 2.2). Hieran anknüpfend lässt sich das Management von Neukundenbeziehungen definieren und als spezielle Teilfunktion in das Kundenbeziehungsmanagement und speziell das Kundenbindungsmanagement einordnen (Kapitel 2.3). Um zu erörtern, ob und welche Besonderheiten ein Neukundenmanagement im Vergleich zu einem Bindungsmanagement von Stammkunden aufweisen sollte, ist sodann zu analysieren, welche Spezifika mit dem Aufbau von Geschäftsbeziehungen aus der Perspektive der Kunden verbunden sind. Daher setzt sich Teil 3 mit dem Aufbau von Geschäftsbeziehungen (Kapitel 3.1) und den grundlegenden Besonderheiten von Geschäftsbeziehungen zu Neukunden (Kapitel 3.2) auseinander. Diese Eigenschaften dienen als Grundlage für die Ableitung entsprechender Implikationen für ein Neukundenmanagement. Das Neukundenmanagement spielt jedoch nicht in jedem Falle eine gleich wichtige Rolle für

Neukundenmanagement

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Unternehmen. Daher wird zunächst betrachtet, in welchen Fällen ein Neukundenmanagement besonders von Relevanz ist (Kapitel 4.1). Im Anschluss hieran werden die Ziele (Kapitel 4.2), Maßnahmen (Kapitel 4.3), Kontrollaspekte des Neukundenmanagements (Kapitel 4.4) und Implementierungsüberlegungen (Kapitel 4.5) aufgezeigt. Der Beitrag endet mit einem kurzen Fazit (Teil 5).

2

Neukundenmanagement als Teilfunktion des Kundenbindungsmanagements

2.1

Definition eines Neukunden

Der Begriff des Kunden taucht in Deutschland im 16. Jahrhundert erstmals im kommerziellen Sinne auf. Ein Kunde ist, „wer (regelmäßig) ein Geschäftsangebot wahrnimmt, einen Laden, Dienstleistungsbetrieb (wiederholt) in Anspruch nimmt“ (Pfeifer 1997, S. 744). Er bildet die (potenzielle) Marktpartei auf der Nachfrageseite eines Markts (Diller 2001a) und zeichnet sich dadurch aus, dass er Geld an das Unternehmen im Tausch gegen dessen Produkte bzw. Leistungen liefert (Simon 1981, S. 59). Dabei stellt der Erstkauf und damit die Aufnahme der Geschäftsbeziehung den Übergang vom Interessenten- zu einem Neukundenstatus dar (Diller/Kusterer 1988, S. 211; Stauss 2000, S. 16; Stauss/Seidel 2002, S. 24) [4]. Von Relevanz ist des Weiteren die Unterscheidung der Begriffe des Käufers und des Kunden. Nötzel (1979, S. 392) sieht den Unterschied zwischen den Begriffen in der Regelmäßigkeit des Vollzugs von Kaufakten. Dementsprechend ist für ihn ein Kunde ein regelmäßiger Käufer im Sinne eines Stammkunden. Folglich werden als Neukunden nur solche Kunden in die Betrachtung mit einbezogen, die eine (mittel- bis langfristige) Geschäftsbeziehung anstreben. Wichtig ist, dass es nicht bei einer einmaligen Transaktion bleibt, sondern dass es zu mehreren, über einen Zeitraum hinweg miteinander verknüpften Transaktionen kommt, die einem planmäßigen und nicht zufälligen Muster folgen, was letztlich als Beziehung bezeichnet wird (Gundlach/Murphy 1993, S. 36; Liljander/Strandvik 1995; Plinke 1989, S. 307). Während die Unterscheidung zwischen einem Interessenten und einem Neukunden hiermit relativ unproblematisch ist, gestaltet sich die Grenzziehung zwischen einem Neukunden und einem Stammkunden sehr schwierig. Stammkunde im Sinne von Nötzel (1979, S. 392) ist wie oben bereits dargelegt ein Käufer, der regelmäßig bei einem Anbieter das Produkt bzw. die Dienstleistung in Anspruch nimmt. Damit ist indes noch nicht geklärt, wie viele Folgekäufe in welchem Zeitraum ein Kunde tätigen muss, um als Stammkunde zu gelten. Diese Frage ist pauschal auch nicht zu lösen, sondern hängt insbesondere vom konkreten Produkt bzw. von der jeweiligen Dienstleistung ab. So kann z.B. ein Käufer, der innerhalb von fünf Jahren zum zweiten Mal ein Auto einer bestimmten Marke erwirbt, und insbesondere in der Zwischenzeit die Serviceleistungen des Händlers in Anspruch nimmt, als Stammkunde angesehen werden. Solch ein Ver-

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ständnis liegt auch dem Relationship Marketing-Ansatz der Firma LOEWE zugrunde. Demnach wird ein Neukunde durch den erstmaligen Wieder- bzw. Folgekauf, der innerhalb von wenigen Tagen oder mehreren Jahren erfolgen kann, zum Stammkunden („Commited Customer“; Hupp 2000, S. 65). Dagegen lässt sich ein Käufer, der zweimal in einem Jahr die gleiche Fernsehzeitschrift gekauft hat, noch lange nicht als Stammkunde bezeichnen. Alternativ zur Kaufhäufigkeit könnte auch ein ökonomischer (Grenz-)Wert definiert werden. Dies wäre in statischer Hinsicht der periodenbezogene Kundendeckungsbeitrag und in dynamischer Hinsicht der Customer Lifetime Value (Bruhn 2001, S. 46 f.). Gerade bei formalisierten Geschäftsbeziehungen, die auf Mitgliedschaften beruhen, wie z.B. im Falle von Fitnessstudios, Kreditinstituten, Lebensversicherungen und Buchclubs, ist es zudem denkbar, statt von der Häufigkeit der Leistungsinanspruchnahme oder einem (monetären) Beziehungsintensitätswert von einer bestimmten Beziehungsdauer auszugehen, nach der ein Neukunde zu einem Stammkunden wird [5]. Auch Diller (2001a) verfolgt diesen Ansatz, wenn er Kunden dann zu den Stammkunden rechnet, wenn diese nicht zufällig bereits seit mehreren Perioden zu den Kunden zu zählen sind. Allerdings geht auch aus dieser Definition keine konkrete Zeitdauer hervor. Generell lässt sich konstatieren, dass die Neukundenphase bei Standardgütern bzw. -leistungen wie Konsumgüterartikeln des täglichen Gebrauchs sehr kurz ausfallen kann, dagegen bei (mitgliedschaftsähnlichen) Individualleistungen wie Bankdienstleistungen von einem ausgedehnten Zeithorizont ausgegangen werden kann (siehe ähnlich Bruhn 2001, S. 52). Im Folgenden seien zur Verdeutlichung einige Beispiele aus der Unternehmenspraxis genannt. So setzt der Online-Broker Consors drei Monate für die Neukundenphase an (Fichtel 2002, S. 21). Beim Club Bertelsmann dauert die Neukundenphase dagegen ein Jahr, da nach diesem sich die Mitgliedschaft automatisch um ein Jahr verlängert, wenn keine fristgerechte Kündigung erfolgt (Brosius et al. 2002, S. 267). Mittal/ Katrichis (2000, S. 30 f.) berichten im Rahmen einer Studie bei einem KreditkartenUnternehmen auch von einer Zeitdauer von einem Jahr. Dieser Zeithorizont wurde gewählt, da im ersten Jahr die Wechselrate der Kunden am höchsten ist. Danach trete eine gewisse Stabilisierung ein (Mittal/Katrichis 2000, S. 32). Die genannten Beispiele zeigen, dass abhängig von der Branche und den Kundenbeziehungen – hierbei spi