Grundlagen der Wirtschaftspolitik: Institutionen — Makroökonomik — Politikkonzepte [3., überarb. und erw. Aufl] 9783540747727, 3540747729, 9783540747734, 3540747737 [PDF]


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German Pages 859 Year 2008

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Table of contents :
Front Matter....Pages I-XVI
Grundlagen der Volkswirtschaftslehre....Pages 1-195
Makroökonomische Analyse....Pages 197-471
Probleme der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung....Pages 473-567
Konzeptionen der Wirtschaftspolitik....Pages 569-625
Funktionsweise von Märkten und Marktversagen....Pages 627-692
Wettbewerbspolitik....Pages 693-769
Wirtschaftliche Integration und Globalisierung....Pages 771-846
Back Matter....Pages 847-857
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Grundlagen der Wirtschaftspolitik: Institutionen — Makroökonomik — Politikkonzepte [3., überarb. und erw. Aufl]
 9783540747727, 3540747729, 9783540747734, 3540747737 [PDF]

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Zitiervorschau

Springer-Lehrbuch

Paul J.J. Welfens

Grundlagen der Wirtschaftspolitik Institutionen – Makroökonomik – Politikkonzepte

Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage

123

Professor Dr. Paul J.J. Welfens Bergische Universität Wuppertal Lehrstuhl für Makroökonomische Theorie und Politik, Jean Monnet Chair for European Economic Integration FB B Gaußstraße 20 42119 Wuppertal [email protected] Alfred Grosser Professorship 2007/08 Sciences Po, Paris

ISBN 978-3-540-74772-7

e-ISBN 978-3-540-74773-4

DOI 10.1007/978-3-540-74773-4 Springer-Lehrbuch ISSN 0937-7433 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.com

Vorwort

Tausende von Gütern werden täglich für Milliarden von Menschen produziert und von diesen für Konsum- oder Investitionszwecke verwendet; in vielen Ländern funktioniert das Wirtschafts- und Politiksystem zufriedenstellend, da die Bedürfnisse der Menschen weitgehend erfüllt werden. Wie kommt es, dass es in den meisten OECD-Ländern und in einigen Schwellenländern eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung gibt, in einigen Ländern jedoch nicht? Was müsste getan werden, um bestehende Probleme zu lösen bzw. welche Ursachen sind hier relevant? Welche Marktmechanismen helfen quasi automatisch, Knappheit zu mindern bzw. den Wohlstand zuverlässig zu erhöhen? Welche Rolle hat der Staat in einer Marktwirtschaft – in Normalzeiten und in Krisenzeiten? Was ist in offenen Volkswirtschaften bzw. bei regionaler Integration mit Globalisierung eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen Staat und Markt bzw. dem privaten Sektor? Welche typischen Probleme, Herausforderungen und Möglichkeiten ergeben sich im 21. Jahrhundert? Diese Fragen sind ein relevanter Hintergrund dieses Lehrbuchs. Bei Konsum und Investition entstehen in der Regel auch eine Umweltbelastungen, zu deren Minimierung wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen beitragen können. In der volkswirtschaftlichen Analyse wird das Spannungsverhältnis zwischen begrenzten Ressourcen und unbegrenzten bzw. wachsenden weltweiten Bedürfnissen untersucht: Wie kann Knappheit bestmöglich überwunden werden? Welche Rolle kommt dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage auf einzelnen Märkten zu, wenn es um eine effiziente Bedürfnisbefriedigung geht? Wodurch kann Instabilität auf Einzelmärkten entstehen? Neben diesen und anderen mehr mikroökonomischen Problemen geht es in dem vorliegenden Buch auch um gesamtwirtschaftliche Entwicklungen und Fragen: Kann man Rezessionen und Arbeitslosigkeit sowie Inflation erfolgreich vermeiden bzw. kann der Staat diese Probleme bekämpfen? Welche Instabilitäten sind gesamtwirtschaftlich zu verzeichnen – wieso gibt es etwa zeitweise instabile Finanzmärkte und wie wirkt z.B. die Geldpolitik auf den Aktienmarkt? Welche Rolle hat schließlich die Wirtschaftsordnung bzw. die Wirtschaftspolitik insgesamt, wenn es um Weichenstellungen für wirtschaftliches Verhalten des Einzelnen und die Positionierung von Unternehmen bzw. eines Landes im globalen Standortwettbewerb geht? Schließlich: Welche Chancen und Probleme bringen die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, eben Handel, Kapitalverkehr, Migration und das Internet bzw. die internationale Telekommunikation? Was bedeutet längerfristig die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen? Was heißt regionale Wirtschaftsintegration? Wirtschaftspolitik als gezielte Gestaltung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen und als rationaler Einsatz von Maßnahmen zur Beeinflussung von Wirt-

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Vorwort

schaftsprozessen und -entwicklungen ist eine wesentliche Aufgabe des Staates. Funktionsfähige Wettbewerbsprozesse zu erhalten, monetäre Instabilitäten zu vermeiden oder zu bekämpfen, extreme Konjunkturausschläge zu dämpfen und Vollbeschäftigung zu erhalten, die internationale Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen und eine nachhaltige ökologische Entwicklung zu realisieren, ist Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Politik versucht dabei, einerseits durch bestimmte Anreize, gewünschte Verhaltensmuster herbeizuführen. Andererseits kann der Staat durch seine eigene Wirtschaftstätigkeit und bestimmte Eingrenzungen privater Entscheidungsfreiheit Fehlentwicklungen zu vermeiden suchen. In industrialisierten offenen Volkswirtschaften kann der Staat allerdings Impulse aus dem Ausland nur begrenzt kontrollieren, was besondere wirtschaftspolitische Probleme schafft; sie ergeben sich in anderer Weise auch als interne Koordinierungsprobleme innerhalb eines föderalen Staatssystems. Dabei vermag der Staat angesichts der Informations-, Verhaltens-, Natur- und Technologiedynamik ohnehin nur in begrenztem Maße dynamische Entwicklungsprozesse zu beeinflussen. Hierbei stellt sich das Problem, dass staatliche Institutionen selbst bestimmten Informations- und Handlungsbeschränkungen ausgesetzt sind, die das Gestaltungsvermögen der Politik begrenzen. Sie zu identifizieren, zu erklären und in ihrer Bedeutung für eine rationale Wirtschaftspolitik zu analysieren, ist Aufgabe der Theorie der Wirtschaftspolitik. Angesichts großer Machtfülle des Staates, begrenzter Kompetenz der Akteure und hoher Komplexität von Wirtschaftssystemen besteht die Gefahr, dass bestimmte staatliche Eingriffe Probleme auslösen oder verstärken und das Handlungsalternativen der Öffentlichkeit gegenüber verzerrt präsentiert werden. Weshalb bedarf es einer Wirtschaftsordnung, welche Ineffizienzen können sich auf Märkten, aber auch in der Politik ergeben und was folgt hieraus für eine rationale Wirtschaftsordnung in einer offenen Volkswirtschaft? Welche konzeptionellen Erfordernisse sind für eine rationale Politik zu beachten? Welche Probleme der wirtschaftspolitischen Praxis sind in industrialisierten Marktwirtschaften charakteristisch? Welche Kriterien für wirtschaftspolitische Eingriffe bieten sich für eine rationale Wirtschaftspolitik an? Wie entstehen wirtschaftspolitische Programme im Spannungsfeld wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Interessen in offenen Volkswirtschaften? Wie sind Kompetenzen lokal, regional, national und supranational zu ordnen? Wo und in welchem Umfang ist internationale wirtschaftspolitische Kooperation bei zunehmend integrierten Märkten notwendig und erfolgversprechend? Dies sind einige der Kernfragen, die in dieser Grundlegung der Theorie der Wirtschaftspolitik behandelt werden. Kapitel A ist eine Einführung in die Volkswirtschaftslehre. Vor allem Angebot und Nachfrage auf einzelnen Märkten werden betrachtet; sowie grundlegende wirtschaftspolitische Prinzipien. Das Kapitel bietet eine facettenreiche Darstellung und zeigt wesentliche Fragestellungen, Methoden der Analyse und Möglichkeiten der Modellierung grundlegender Zusammenhänge auf. Auch werden wohlfahrtsökonomische Aspekte angesprochen sowie Fragen der Interdependenz von Märkten; aber auch Marktverzerrungen wie durch das OPEC-Kollektivmonopol. Kapitel B ist eine Kurzdarstellung der Makroökonomik. Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht auf Finanzmärkten und auf Geld-, Güter- und Arbeitsmarkt werden ebenso thematisiert wie Inflations- und Wechselkursfragen. Zudem wer-

Vorwort

VII

den auch Fragen der Währungsintegration, der Einkommensverteilung, des Wirtschaftswachstums und der Ölpreisbildung thematisiert. Kapitel C skizziert wirtschaftspolitische Grundprobleme und insbesondere zwei Ausgangspunkte der Wirtschaftspolitik: (i) Die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung auf Basis theoretischer Überlegungen zur Leistungsfähigkeit von Unternehmen und Märkten; (ii) die Staatsaufgaben in einer Marktwirtschaft. Kapitel D behandelt die Konzeption der Wirtschaftspolitik und die Grundfragen politischer Entscheidungsprozesse. Wie können Zielsysteme bestimmt, Strategien sinnvoll ausgewählt und Kompetenzen sowie Mittel zugeordnet werden? Hierbei geht es auch um Fragen der wirtschaftspolitischen Kooperation und die Rolle internationaler Organisationen. Dabei werden auch Fragen des "Politikversagens" diskutiert. Einige theoretische Überlegungen zur Funktionsfähigkeit von Märkten werden gesondert in Kapitel E angesprochen. Dieses Kapitel, das für mit der Materie vertraute Leser im Wesentlichen Bekanntes zur Allokation in Märkten sowie zum Problemkreis Marktversagen und zur Wohlfahrtsökonomik präsentiert, ist ein Angebot zur Auffrischung einiger besonders wichtiger Theoriebausteine. Kapitel F behandelt Grundprobleme der Wettbewerbspolitik in einer Marktwirtschaft. Dabei wird auch auf einige neuere theoretische Entwicklungen und Fragen der EU-Wettbewerbspolitik eingegangen. Hier wird unmittelbar eine Brücke zur Problematik von Wettbewerb und Wettbewerbspolitik bei internationaler Verflechtung aufgebaut. Ein besonderes Augenmerk gilt seit der zweiten Auflage den Fragen des Wettbewerbs in Netzindustrien. Kapitel G behandelt Integration und Globalisierung. Hier werden grundlegende Fragen des Außenhandels, des Kapitalverkehrs bzw. der Direktinvestitionen sowie der regionalen Integration thematisiert, zudem auch wichtige Themen der Globalisierungsdebatte. Kapitel H – abrufbar auf der Website des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen e.V. (www.euroeiiw.de) – behandelt die Grundlagen der internationalen Währungs- und Handelsordnung. Eine offene, internationale Marktprozesse sichernde Handelsordnung und Währungsordnung gehört angesichts der Vielzahl der beteiligten Länder und Organisationen zu den besonders schwierigen Problemen der internationalen Wirtschaftspolitik. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion wird ebenso in diesem Kapitel behandelt. Kapitel I, ebenfalls unter www.euroeiiw.de verfügbar, behandelt Transformations- und Entwicklungsfragen, also die für die Transformation hin zu einer Marktwirtschaft für postsozialistische und Entwicklungsländer relevanten Kernfragen. Zugleich kann die Lektüre wohl auch als Warnung vor den Versuchungen der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft dienen. Das Buch verweist im Kontext der Grundfragen der Volkswirtschaftslehre in der Neuauflage nun auch auf einen interessanten Vorgänger von Adam Smith, nämlich Pieter de la Court (1618-1685), der als Leidener Tuchfabrikant 1662 das Buch verfasste „Interest van Holland...“/“Das Interesse Hollands oder Ursachen des holländischen Wohlstandes“ – ein Buch, auf das der Ökonom Laspeyres in seiner Darstellung „Geschichte der volkswirtschaftlichen Anschauungen der Niederländer“, Leipzig 1863, einging.

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Vorwort

Die einzelnen Kapitel des Lehrbuches können als Lernmodule im Grund- und Hauptstudium betrachtet werden, die jeweils für sich oder in Kombination mit ausgewählter Literatur der Vermittlung von Basiswissen aus dem Lehrgebäude der Volkswirtschaftslehre bzw. der Theorie der Wirtschaftspolitik dienen können. Eine bewährte Kombination jenseits der lexikographischen Folge ist es z.B. Kapitel A mit Kapitel F (Wettbewerbspolitik) zu kombinieren um dann über Kapitel B, C, etc. im Stoff des Grundstudiums fortzufahren. Das Buch deckt insgesamt den volkswirtschaftlichen Stoff für das Bachelor-Studium ab und gibt Basis für ein Masterprogramm. Einige besondere Aspekte sind durch einen Rahmen um den Text hervorgehoben. Je nach Vorwissen und Lerninteresse können Leser sich dieser Thematik besonders annehmen, oder gerade diese Textteile übergehen. Dieses Buch bietet den Lesern hoffentlich einen interessanten und verständlichen Zugang zum Stoff der Volkswirtschaftslehre in Bachelor-Studiengängen – in Teilbereichen auch gelegentlich darüber hinaus. Dabei wurde in diesem Buch auch versucht, neben den institutionellen bzw. theoretischen Ansätzen praxisrelevante Probleme aufzuarbeiten und so den vielfältigen Nutzen des volkswirtschaftlichen Wissens zu verdeutlichen. Letztlich erhält man einen Überblick über wichtige Entwicklungen bzw. Kontroversen in der Volkswirtschaftslehre; und vor allem einen Handwerkskasten, mit dessen Werkzeugen sich die nationale und internationale Wirtschaftsdynamik einordnen bzw. die Probleme der Realität mit Aussicht auf guten Erfolg (auch Prüfungserfolg) bewältigen lassen. Hauptanliegen dieses Buches ist es, die zentralen Fragen der Volkswirtschaftslehre bzw. nationaler und internationaler Wirtschaftspolitik in kompakter Form für Studenten der Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie interessierte Praktiker aus dem Wirtschafts- und Politikleben darzustellen. Den Lesern sollen durch Übersichten immer wieder Möglichkeiten einer zusammenfassenden Betrachtung des Lehrstoffs geboten werden. Komplizierte formale Zusammenhänge und periphere Theoriebausteine wurden teilweise in einen Anhang gesetzt. Mit dem vorliegenden Lehrbuch werden die Themenbereiche der einzelnen Kapitel systematisch aufgegriffen, aber angesichts der fortschreitenden Spezialisierung in den Wirtschaftswissenschaften ist naturgemäß keine vollständige Abdeckung der jeweiligen Thematik möglich; weiterführende Literaturhinweise mögen einen ersten Hinweis auf komplementäre Literatur geben. Das vorliegende Lehrbuch entstand aus einer Reihe von Vorlesungen im Grund- und Hauptstudium an den Universitäten Münster, Potsdam und Wuppertal. Studentinnen und Studenten aus West- und Ostdeutschland verdanke ich daher zahlreiche Anregungen; dies gilt auch für Diskussionen mit Fachkollegen bei mehreren Forschungsaufenthalten am AICGS/The Johns Hopkins University. Mein Dank gilt für technische Unterstützung und Diskussionen Constanze Wachner, Matthias Pintsch, Tanja Kirn und Albrecht Kauffmann (Potsdam), Anja Pochotov und Stephanie Kullmann sowie den Mitarbeitern Michael Vogelsang, Andre Jungmittag und Dora Borbély; ein besonderer Dank geht an Herrn Martin Keim (Wuppertal). Darüber hinaus bin ich dankbar weiteren früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Frau Ulrike Scharte, Herrn Johannes Kemner und Herrn Lars Petzold sowie insbesondere Frau Ilona Monz, Herrn Cornelius Graack und Herrn Rainer Hillebrand, die mit Lektüre, Kritik und technischer Unterstützung dieses

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Vorwort

Buches mitgestaltet haben. Für die technische Unterstützung bei der Überarbeitung bzw. Neuauflage bin ich Jens Perret, EIIW, Eva Gregova, Thomas Domeratzki und Martin Keim sowie insbesondere Christian Schröder, Bergische Universität Wuppertal, zu großem Dank verpflichtet. Wuppertal, September 2007

Paul J.J. Welfens

Inhaltsverzeichnis

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre .............................................1 A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre ...............................3 A.1.1 Ausgangspunkte der Volkswirtschaftslehre.........................................3 A.1.2 Knappheitsprobleme und Produktionsfaktoren .................................17 A.1.3 Volkswirtschaftliche Problemstellungen ...........................................22 A.1.4 Teilgebiete der Volkswirtschaftslehre ...............................................28 A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden .......................................39 A.2.1 Einführung.........................................................................................39 A.2.2 Modellanalyse ...................................................................................45 A.2.3 Gleichgewicht als analytisches Konzept ...........................................47 A.2.4 Partialanalyse und Totalanalyse ........................................................48 A.2.5 Formale Analyse in Mikroökonomik und Makroökonomik: Einige Beispiele...........................................................................................82 A.2.6 Erkenntnistheoretische Grundfragen ...............................................103 A.3 Grundfragen der Wirtschaftspolitik ........................................................107 A.3.1 Wirtschaftsordnung und Marktwirtschaft........................................107 A.3.2 Soziale Marktwirtschaft...................................................................114 A.3.3 Institutionelle Rahmenbedingungen ................................................118 A.4 Staat und Wirtschaft................................................................................122 A.4.1 Grundlegende Kompetenzverteilung in der Wirtschaftspolitik .......122 A.4.2 Staat als Wirtschafts- und Politikakteur ..........................................122 A.4.3 Opportunitätskosten, Güterarten, Marktversagen ............................125 A.4.4 Geld .................................................................................................127 A.5 Herausforderungen der Wirtschaftspolitik ..............................................127 A.5.1 Standardprobleme des Wirtschaftens ..............................................127 A.5.2 Allokation, Ökonomisches Prinzip und Effizienz ...........................131 A.5.3 Verhalten von Unternehmen und Haushalten..................................132 A.5.4 Verhalten von Politikern..................................................................134 A.5.5 Problem Marktversagen und Problem politische Entscheidungen ..135 A.5.6 Probleme beim Vergleich historischer und internationaler Wirtschaftszahlen ......................................................................................137 A.5.7 Marktwirtschaftsdynamik, Wettbewerb und Sozialstaat .................140 A.6 Umweltökonomische und Energie-Aspekte............................................146 A.7 Strukturwandel, Innovation und Außenwirtschaft ..................................153 A.8 Politische Interessenkonflikte und Demokratie.......................................154 A.9 Ordoliberales Denken und Freiburger Schule.........................................161 A.10 Innovation und Evolutorische Ökonomik ............................................. 166

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Inhaltsverzeichnis

A.11 Moderne Analyse zu Freiheit und Wohlstand in frühholländischer Sicht .................................................................................. 174 Anhang A.1 Internationale Angleichung von Einkommen............................ 176 Anhang A.2 Systemtransformation und Grenzen der Marktwirtschaft.......... 178 Anhang A.3 Makrofundierung der Mikroökonomik...................................... 183 Anhang A.4 Lagrange-Funktion: Anwendung im Zwei-Perioden-Fall ......... 184 Anhang A.5 Preisdiskriminierung ................................................................. 187 Anhang A.6 Nutzenfunktion, Altruismusgrad und Nutzenmaximierung ...... 189 Anhang A.7 Medien, Werbung und Opportunitätskosten.............................. 190 Literatur ......................................................................................................... 193 Kapitel B. Makroökonomische Analyse .......................................................... 197 B.1 Grundbegriffe und Probleme................................................................... 199 B.2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ................................................... 202 B.2.1 Grundlagen Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung ....................... 202 B.2.2 Verwendungsgleichung des Bruttoinlandsproduktes....................... 211 B.2.3 Pole in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung........................ 212 B.3 Verhaltensfunktionen .............................................................................. 220 B.3.1 Konsum, Investition, Export, Import ............................................... 220 B.3.2 Konsum und Permanentes Einkommen........................................... 229 B.3.3 Arbeitsmarkt .................................................................................... 230 B.4 Budgetrestriktion des Staats.................................................................... 239 B.5 Zahlungsbilanz, Devisenmarkt und Wechselkurs ................................... 242 B.6 Geldmarkt ............................................................................................... 246 B.7 Gleichgewichtsanalyse............................................................................ 252 B.8 Finanzmarktgleichgewicht: Aktien-, Geld- und Bondsmarkt ................. 259 B.9 Keynesianisches Unterbeschäftigungsmodell ......................................... 262 B.9.1 Ausgangsbedingungen..................................................................... 262 B.9.2 Gütermarkt und Gütermarktgleichgewicht ...................................... 266 B.9.3 Geldmarkt und Geldmarktgleichgewicht......................................... 268 B.9.4 Keynesianisches System.................................................................. 274 B.9.5 Gleichgewicht im Totalmodell ........................................................ 277 B.9.6 Expansive Fiskal- und Geldpolitik .................................................. 279 B.9.7 Preisniveauänderung: Keynes-, Pigou- und Nettoexport-Effekt...... 285 B.9.8 Expansive Geld- und Fiskalpolitik im Fixkurssystem ..................... 288 B.9.9 Expansive Geldpolitik bei flexiblem Wechselkurs.......................... 293 B.9.10 Expansive Fiskalpolitik bei flexiblem Wechselkurs...................... 294 B.10 Nichtkeynesianische Effekte und Resümee zur Stabilitätspolitik ......... 301 B.11 Langfristiges Gleichgewicht im Wachstumsmodell.............................. 307 B.12 Strategische Aspekte der Stabilitätspolitik............................................ 315 B.12.1 Stabilitätspolitik und Wettbewerb ................................................. 315 B.12.2 Strategische Aspekte der Wirtschaftspolitik und Interventionsspiralen ................................................................................. 317 B.12.3 Arbeitsmarkt in der offenen Volkswirtschaft ................................ 328 B.12.4 Kaufkrafttheorie des Lohns in einer offenen Volkswirtschaft....... 329 B.12.5 Strukturwandel und Arbeitslosigkeit ............................................. 330

Inhaltsverzeichnis

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B.12.6 Unternehmensgündungen und Jobs ...............................................334 B.12.7 Monetärer Ansatz der Zahlungsbilanz ...........................................334 B.13 Mundell-Vollbeschäftigungsmodell......................................................339 B.14 Währungsintegration und Währungsunion............................................346 B.15 Inflation, Staatsverschuldung, Wechselkurs..........................................349 B.16 Stabilitätspolitische Strategiealternativen .............................................353 B.17 Rolle von Zeitverzögerungen für Wirtschaft und Wirtschaftspolitik ....357 B.18 Neue Keynesianische Ökonomik ..........................................................361 B.19 Politische Ökonomie der antizyklischen Stabilitätspolitik ....................362 B.20 Neue Klassische Ökonomik ..................................................................366 B.21 Zeitinkonsistenz-Probleme....................................................................369 B.22 Euro und EZB .......................................................................................370 B.23 Strukturelle Defizitquote und Staatsschuldenpolitik .............................376 B.24 Konjunkturzyklus: Der Lotka-Volterra-Ansatz von GOODWIN .........379 B.25 Inflationsanalyse: Monetaristischer Ansatz und Phillips-Kurven-Ansatz und Politischer Konjunkturzyklus...........................383 B.26 Einkommensverteilung .........................................................................385 B.27 Arbeitsmarktinflexibilitäten und Investitionsquote ...............................401 B.28 Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Wachstum..............................................404 B.29 Akkumulationsdynamik, Wachstum, Nachhaltigkeit............................411 B.30 OPEC und Ölpreis-Einfluss ..................................................................417 Anhang B.1 Makro-Politikanalyse.................................................................420 Anhang B.2 VGR und Vermögen..................................................................427 Anhang B.3 Zusammenhang zwischen Aktien- und Rentenmarktentwicklung ...............................................................................436 Anhang B.4 Faktorpreisrelation und Kapitalintensität...................................437 Anhang B.5 Expansive Geldpolitik und Inflation..........................................440 Anhang B.6 Empirische Ergebnisse der Einkommensverteilung ..................443 Anhang B.7 Effizienz von Geld- und Fiskalpolitik .......................................444 Anhang B.8 Fiskalpolitik, Defizite und erwarteter Steuersatz.......................446 Anhang B.9 Mathematischer Anhang zu einfachen Differentialgleichungen bzw. für Bernoulli-Differentialgleichung................447 Anhang B.10 Dynamische Prozesse ..............................................................454 Anhang B.11 LUCAS-Angebotskurve und Phillips-Kurve ...........................461 Anhang B.12 CAPM und Konjunktur............................................................462 Anhang B.13 Ausgewählte internationale Makrodaten .................................463 Anhang B.14 Tangente an die Produktionsfunktion und gleichgewichtige Kapitalintensität.............................................................................................466 Anhang B.15 Einfache Verteilungsfragen .....................................................467 Literatur .........................................................................................................470 Kapitel C. Probleme der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung ........473 C.1 Relevanz der Wirtschaftspolitik ..............................................................475 C.2 Hauptaufgaben der Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft................483 C.3 Bereiche der Wirtschaftspolitik...............................................................488 C.4 Dimensionen wirtschaftspolitischer Probleme ........................................491

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Inhaltsverzeichnis

C.5 Gegenstand der Theorie der Wirtschaftspolitik....................................... 493 C.6 Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik .............................................. 494 C.7 Wirtschaftsordnungspolitik ..................................................................... 498 C.7.1 Markt versus Unternehmen.............................................................. 501 C.7.2 Transaktionskosten und Netzwerkeffekte........................................ 502 C.7.3 Unternehmen aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik ............. 504 C.7.4 Wirtschaftsordnung, Verfassung und Eigentumsrechte................... 506 C.8 Staatsaufgaben in der Marktwirtschaft.................................................... 509 C.9 Wirtschaftspolitische Analyse................................................................. 512 C.9.1 Analyse von Politikeffekten ............................................................ 512 C.9.2 Analyse internationaler Wirtschaftsentwicklung............................. 514 C.9.3 Regionale Integration und Wirtschaftsordnung ............................... 520 C.9.4 Wirtschaftspolitik und Wirtschaftswissenschaft.............................. 521 C.9.5 Demografie und Rentenversicherung .............................................. 523 C.10 Steuerpolitik: Maßnahmen und Inzidenzprobleme ............................... 524 C.10.1 Mengensteuer ................................................................................ 526 C.10.2 Wertsteuer...................................................................................... 530 C.11 Globalisierung....................................................................................... 533 C.11.1 Historische Globalisierung und Neue Globalisierung ................... 544 C.11.2 Ausgewählte Globalisierungsprobleme ......................................... 548 C.12 Wissenschaft, Politikberatung und Reformdruck in der Wirtschaftspolitik .......................................................................................... 550 Anhang C.1 Ausgewählte Internationale Indikatoren.................................... 554 Anhang C.2 Aspekte einer Totalanalyse einer Steuer.................................... 558 Anhang C.3 Sozialversicherung: Arbeitsmarkteffekte .................................. 559 Anhang C.4 Gewinnbesteuerung und F&E-Förderung.................................. 562 Anhang C.5 Theoretische Aspekte einer Wertsteuer ..................................... 563 Anhang C.6 Wirkung eines Importzolls ........................................................ 564 Literatur ......................................................................................................... 566 Kapitel D. Konzeptionen der Wirtschaftspolitik ............................................ 569 D.1 Wirtschaftspolitische Konzeptionen ....................................................... 571 D.1.1 Ziele der Wirtschaftspolitik............................................................. 573 D.1.2 Zielbeziehungen und Zielbezüge..................................................... 573 D.1.3 Zielsetzung durch Kollektiventscheidungen ................................... 574 D.1.4 Zielpyramiden ................................................................................. 576 D.1.5 Mittelauswahl .................................................................................. 578 D.2 Trägerauswahl und Koordinationserfordernisse ..................................... 579 D.3 Internationale Organisationen und internationale Koordination ............. 587 D.4 Zielkonflikte: Effizienz versus Verteilungsgerechtigkeit ....................... 590 D.5 Wirtschafts- und Politiksystem: Neue Politische Ökonomie .................. 593 D.6 Strategische Ansatzpunkte der Wirtschaftspolitik .................................. 601 D.7 Wirtschaftspolitische Entscheidungsprozesse......................................... 605 D.7.1 Zieldiskussion.................................................................................. 605 D.7.2 Entscheidungsprozess...................................................................... 606 D.8 Wirtschaftspolitische Konzeption im historischen Überblick................. 611

Inhaltsverzeichnis

XV

D.9 Europäische Integration ..........................................................................613 D.9.1 Optimale Integrationsgebiete...........................................................615 D.9.2 Optimale Währungsräume...............................................................619 D.9.3 Kompetenzverteilung in der EU ......................................................619 Literatur .........................................................................................................624 Kapitel E. Funktionsweise von Märkten und Marktversagen.......................627 E.1 Knappheit als Problem und Politikinterventionen ...................................629 E.2 Marktversagen .........................................................................................645 E.3 Wettbewerb im Hochschulbereich als Problem der Wirtschaftspolitik ...663 E.4 Makroökonomische Aspekte der Kapitalbildung ....................................670 E.4.1 Marktwirtschaft und Vermögensverwaltung....................................675 E.4.2 Internationale Interdependenzprobleme...........................................675 E.4.3 Direktinvestitionen...........................................................................679 E.5 Angebots- und Nachfrageelastizität.........................................................680 E.6 Elementare Besteuerungsaspekte ............................................................683 E.6.1 Steuerinzidenz..................................................................................686 E.6.2 Inflationssteuer.................................................................................690 Literatur .........................................................................................................691 Kapitel F. Wettbewerbspolitik .........................................................................693 F.1 Wettbewerbsordnung als Chance.............................................................695 F.2 Wettbewerbsordnung als Aufgabe der Wirtschaftspolitik .......................701 F.2.1 Anfänge der modernen Wettbewerbspolitik.....................................701 F.2.2 Grundprobleme ................................................................................703 F.2.3 Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsfähigkeit ...............................704 F.3 Wettbewerb und Kooperation..................................................................705 F.4 Funktionen des Wettbewerbs...................................................................706 F.5 Wettbewerbstheoretische Basis der Wettbewerbspolitik .........................707 F.5.1 Wettbewerb als Prozess....................................................................709 F.5.2 Kartelle als Problem der Wettbewerbspolitik...................................714 F.6 Leitbilder der Wettbewerbspolitik ...........................................................716 F.6.1 Neoklassischer Ansatz der Wettbewerbsfreiheit ..............................716 F.6.2 Chicago-School-Ansatz....................................................................717 F.6.3 Workable Competition und Optimale Wettbewerbsintensität..........718 F.6.4 Koordinationsmängelkonzept...........................................................719 F.7 Bereiche der Wettbewerbspolitik im weiteren Sinn ................................720 F.8 Werbefinanziertes TV als wettbewerbspolitisches Problem....................723 F.9 Praktische Wettbewerbspolitik ................................................................727 F.9.1 Grundlagen praktischer Wettbewerbspolitik....................................727 F.9.2 Praktische Wettbewerbspolitik in Deutschland................................732 F.10 EU-bezogene Wettbewerbsregeln..........................................................734 F.11 Internationalisierung der Wirtschaft und Theorie der Wettbewerbspolitik........................................................................................739 F.11.1 Internationalisierung als Konkurrenz- und Handelsproblem..........739

XVI

Inhaltsverzeichnis

F.11.2 Wirtschaftspolitische Konsequenzen der Internationalisierung von Märkten und Unternehmen................................................................. 743 F.12 Wettbewerb in Netzindustrien ............................................................... 744 Anhang F.1 Konkurrenz in Raumwirtschaftsmodellen.................................. 749 Anhang F.2 Industriepolitik als internationale Umlenkung von Monopolrenten............................................................................................... 755 Anhang F.3 Nationale und internationale Wettbewerbsbehörden ................. 757 Anhang F.4 Marginalkalkül, Monopolpreissetzung, Regulierung................. 758 Literatur ......................................................................................................... 766 G. Wirtschaftliche Integration und Globalisierung ....................................... 771 G.1 Internationale Wettbewerbsfähigkeit ...................................................... 773 G.2 Internationale Einkommensvergleiche, Einkommenshöhe und Konsumniveau ............................................................................................... 778 G.3 Spekulations- und Arbitragegleichgewicht am Devisenmarkt................ 781 G.4 EU-Binnenmarkt..................................................................................... 782 G.5 Außenhandel und Kapitalverkehr ........................................................... 793 G.6 Dimensionen regionaler Wirtschaftsintegration ..................................... 810 G.6.1 Regionalismus und multilaterale Integration................................... 820 G.6.2 Effizienzgewinne und Politikversagensproblematik ....................... 821 G.6.3 Grundlegende Aspekte der Wirtschafts- und Politikintegration...... 824 G.6.4 Bedeutung außenwirtschaftlicher Beziehungen und grundlegende Einsichten ........................................................................... 826 Anhang G.1 Balassa-Samuelson-Effekt, ökonomische Aufholprozesse und Inflation .................................................................................................. 836 Anhang G.2 Zwei-Länder-Makromodell mit Interdependenz ....................... 839 Anhang G.3 Rechnen mit einer Zufallsvariablen X und Konstanten a’ und b’............................................................................... 842 Literatur ......................................................................................................... 844 Sachverzeichnis ..................................................................................................... 847

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre A.1.1 Ausgangspunkte der Volkswirtschaftslehre Nutzen der Volkswirtschaftslehre und Grundsachverhalte des Wirtschaftens Unternehmen und Arbeitnehmer sind auf Märkten aktiv, die von nationalen und internationalen Impulsen beeinflusst werden: Die Konjunkturentwicklung (z.B. Rezession vs. Boom) im nationalen und im ausländischen Markt ist zu beachten und auch veränderte Preise und Preiserwartungen auf Güter- und Finanzmärkten haben einen Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen. Wer erfolgreich handeln will, sollte wichtige Einflussfaktoren des Marktgeschehens und eigene daraus erwachsende Handlungsoptionen erkennen können. Politiker wollen die wirtschaftliche Entwicklung gestalten, Fehlentwicklungen vermeiden und Wahlen bzw. Macht gewinnen; und in der internationalen Standortkonkurrenz mittel und langfristig bestehen. Es ist für das Verständnis vieler wirtschaftlicher und politischer Probleme in einer Region, einem Land und in der Weltwirtschaft insgesamt von großem Nutzen, wenn man die Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaftslebens und die Handlungsmotive bzw. -muster der Politik nachvollziehen kann, ggf. auch Prognosen bzw. neue Informationen sinnvoll aufzunehmen vermag. Die Volkswirtschaftslehre stellt allgemeine Erkenntnis-, Untersuchungs- und Prognosemethoden für wirtschaftliche Vorgänge auf sektoraler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene dar. Die Volkswirtschaftslehre ist damit für Akteure, die sich erfolgreich wirtschaftlich entfalten möchten, ein wertvolles Mittel für Analyse und Prognose. Unerlässlich ist die volkswirtschaftliche Analyse auch für rationale Wirtschaftspolitik. Hier ergeben sich auch Ansatzpunkte für ökonomische Aufholprozesse – oder Abstiegsprozesse von Ländern. Die Volkswirtschaftslehre behandelt umfassend Kernelemente bzw. -phänomene des Wirtschaftens und daraus sich ergebende Fragen: • Knappheit: Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen den tendenziell unbeschränkten Bedürfnissen und begrenzten Ressourcen bzw. vorhandenen Gütern. Das Ausmaß an Knappheit ist in der Gesellschaft sinnvoll zu signalisieren. In einer Marktwirtschaft ist der wichtigste Signalgeber der (relative) Preis. • Arbeitsteilung: Menschen spezialisieren sich und tauschen Leistungen aus, national sowie international. Hieraus ergeben sich Produktivitätssteigungen; zur Ausbildung, zur Spezialisierung und zur Leistung müssen Menschen motiviert werden: Einkommen und Einkommenserwartungen sind hier wesentlich. • Interdependenz bzw. Unübersehbarkeit: Es gibt eine nationale bzw. internationale Arbeitsteilung, wobei gegenseitige Abhängigkeiten und eine gewisse Intransparenz entstehen. • Dynamik: Aus technologischer, demographischer und ökologischer Sicht gibt es längerfristig erhebliche Veränderungen. Kurzfristig sind das technische Wissen, die Bevölkerungszahl und der Umweltzustand gegeben (analytisch gehören die entsprechenden Variablen zum gegebenen Datenkranz eines kurzfristigen Modells); mittel- und langfristig kann es aber in einem Land bzw. in einer Re-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

gion zu erheblichen Änderungen kommen. Unternehmer passen sich an oder sie entwickeln Innovationen – also technische Neuerungen, die sich am Markt durchsetzen. Mitarbeiter wechseln den Arbeitsplatz oder das Unternehmen. Bei hinreichenden Anreizen investieren Unternehmer bzw. Unternehmen, wobei für hohes Wirtschaftswachstum insbesondere eine hohe Relation von Investitionen („Investitionsquote“) zum Nationaleinkommen wichtig ist. • Interessengebundenheit ökonomischen Handelns: Menschen möchten ihre Bedürfnisse befriedigen, wobei es Konflikte geben kann; z.B. könnte in einer schönen Landschaft ein vorhandenes Industrieunternehmen verstärkt expandieren wollen, was neue Arbeitsplätze und zusätzliche Steuereinnahmen verspricht – es kann aber auch zu einer Beeinträchtigung der Natur kommen. Zudem kann es in der Wirtschaft große Machtzusammenballungen – etwa bei einzelnen Unternehmen oder Verbänden – geben: Hier bedarf es einer Kontrolle in direkter oder in indirekter Form, etwa durch Wettbewerb oder Publizitätspflichten. Wegen der Abhängigkeit von Großunternehmen von der nationalen Politik kann durch eine Verbindung von wirtschaftlicher und politischer Macht eine kritische Machtzusammenballung entstehen: Die Macht der jeweiligen Regierung wächst; sie kann nämlich nicht nur Steuersätze verändern und Subventionen vergeben, sondern auch auf ausländischen Märkten Türen für Export und Import sowie Beteiligungsoptionen öffnen. Politiker, die eine Steuerung der Gesamtwirtschaft anstreben, werden ggf. gerade auf Großunternehmen setzen und damit auch Fusionen – ggf. auch zulasten der Konsumenten – jenseits eines vernünftigen Maßes begünstigen bzw. erlauben (es ist für die Politik relativ bequem, ggf. auf nur wenige Dutzend Großunternehmen einwirken zu müssen). • Internationalität: Es bestehen internationale Wirtschaftsbeziehungen, z.B. in Gestalt von Exporten und Importen von Gütern und Dienstleistungen, Kapitalverkehr (z.B. Direktinvestitionsflüsse ins Ausland, d.h. inländische multinationale Unternehmen investieren im Ausland) oder Migration sowie via Informationsaustausch über das Internet. Eine sinnvolle Ausgestaltung einer Wirtschaftsordnung wird diese grundlegenden Sachverhalte des Wirtschaftens durch angemessene Regeln und Institutionen berücksichtigen müssen. In einer Marktwirtschaft werden wirtschaftliche Probleme ansatzweise durch die Wirtschaftsordnung – ein Netzwerk von Institutionen plus Regeln bzw. Gesetze – einerseits und durch staatliche wirtschaftspolitische Eingriffe (z.B. Steuerpolitik) andererseits gelöst. Im Zuge der Internationalisierung des Wirtschaftens und der Bildung regionaler Integrationsräume (z.B. Europäische Union, NAFTA = USA+Kanada+Mexiko in Nordamerika oder ASEAN in Asien) haben die genannten Probleme zunehmend auch internationale Dimensionen. Dabei werden in Integrationsräumen Teilfelder der Wirtschaftsordnung harmonisiert. Zugleich verschärft sich der Wettbewerb auf den Gütermärkten, und die Standortkonkurrenz – der Wettbewerb um mobiles Kapital und mobile Arbeitnehmer – nimmt zu. Hierdurch entsteht Anpassungsdruck. Unternehmen passen sich an, aber auch die Wirtschaftspolitik in einzelnen Ländern; es kommt zum Wandel von Institutionen, wobei etwa in relativ schwach wachsenden Ländern der Re-

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formdruck auf die Übernahme überlegener institutioneller Arrangements aus dem Ausland hinwirkt. Das Marktsystem führt bei freier Preisbildung und Wettbewerb auf den einzelnen Märkten zu Gleichgewichtspreisen und -mengen, wie noch zu zeigen sein wird. Preise sind Signale für Anbieter und Nachfrager. Ein erhöhter Preis stimuliert auf der Marktangebotsseite die Produktion, da sich die Gewinnerwartungen verbessern. Ein erhöhter Preis bewirkt auf der Marktnachfrageseite, dass die gekaufte Menge sinkt. Aus verschiedenen Gründen kann das politische System auf einzelnen Märkten intervenieren, wobei Preisinterventionen in „Marktausnahmebereichen“ anzutreffen sind. Hierbei werden z.B. Mindestpreise (Preisfixierung oberhalb des Preises bei freier Marktpreisbildung) oder Höchstpreise (Preisfixierung unterhalb des „freien Marktpreises“) festgelegt, womit Preise nicht länger als Anpassungssignal auf dem betreffenden Markt bzw. mit Blick auf andere Märkte (z.B. Substitutionsprodukte) wirken können. Neben dem Staat greifen die Tarifvertragsparteien in den Markt ein, genauer in die Arbeitsmärkte, wo in Kollektivverträgen Arbeitsbedingungen und Löhne bzw. Lohnstrukturen festgelegt werden. Unterhalb der Tariflöhne dürfen Firmen in der Regel Arbeitnehmer nicht beschäftigen. Arbeitgeberverbände handeln auf Seiten der Unternehmen die Lohnsätze mit den Gewerkschaften aus. Gewerkschaftsvertreter sitzen vielfach im Aufsichtsrat von Großunternehmen. Daher ist das marktwirtschaftliche System durch vielfältige Verhandlungsprozesse überlagert, wobei auch Unklarheiten über Verantwortlichkeiten entstehen können. Die Zusammenarbeit von Individuum i mit Individuum j erlaubt es dabei unter bestimmten Umständen, dass beide Akteure ihre Nutzenposition verbessern (es gibt allerdings auch Ausnahmen, wie sie etwa beim spieltheoretischen „Gefangenendilemma“ geschildert werden). Zudem geht es in der Volkswirtschaftslehre um Institutionen (z.B. Zentralbank, Wettbewerbsaufsichtsbehörde, Regierung, Parlament, im Wirtschaftsverkehr relevante Traditionen bzw. Regeln) – also auch eine Institutionentheorie –, die menschliche Verhaltensweisen kanalisieren, die Erwartungsbildung erleichtern und Kooperation bzw. Austausch von Leistungen fördern. Schließlich geht es um empirische Analyse, nämlich das Herausarbeiten von systematischen Zusammenhängen zwischen Variablen (z.B. Preishöhe und Nachfragemenge, Zusammenhang zwischen Stärke des Patentschutzes und Innovationsdynamik) auf Basis statistischer Daten. Dabei werden etwa auch ökonomische Unterschiede zwischen Ländern erfasst und analysiert. Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, welch enorme Fülle von Gütern und Dienstleistungen das Wirtschaftssystem moderner Industrieländer zuverlässig – bei großer Fülle von Produktdifferenzierungen – hervorbringt. Es gelingt offenbar den Menschen, durch sinnvolle eigene Aktionen und durch Interaktionen mit anderen das überlebenswichtige Problem der Knappheit zu überwinden: also das Spannungsverhältnisses zwischen Bedarf und vorhandenen Gütern bzw. Ressourcen erfolgreich zu lösen. Einzelne Individuen haben bestimmte Fähigkeiten, die sie z.B. als Arbeitsleistung zur Verfügung stellen können. Zudem verfügen sie über Ressourcen (z.B. Kapital), die für Produktion und Leistungsaustausch wichtig sind. Eigenes Verhalten eines Individuums in Verbindung mit Koordination mit anderen Individuen (z.B. im Betrieb oder wenn man an Marktangebot und

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Marktnachfrage denkt) ermöglicht Einkommenserzielung, Konsum und Sparen (Konsumverzicht) bzw. Vermögensakkumulation. Die Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich mit Knappheitsfragen und hat dabei eine Handlungstheorie für Individuen entwickelt; Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Individuen ihren Nutzen unter Nebenbedingungen zu maximieren suchen. Zudem gibt es eine Interaktionstheorie, die zeigt, wie Zusammenwirken bzw. Zusammenarbeit von Individuen möglich ist: Trotz Verhaltensunsicherheiten und möglicherweise konfligierenden Interessen kommt es zu Kooperation bzw. sozialem Handeln, also der zielgerichteten Aktion von Individuen mit anderen (Abb. A.1.). Fähigkeiten (Arbeit)

Ressourcen (z.B. Kapital)

Individuelles wirtschaftliches Verhalten (i) Überwindung von Knappheit (Güterproduktion, Wohlstand)

Institutionen

Interaktion (i mit j etc.)

Fähigkeiten (Arbeit)

Ressourcen (z.B. Kapital)

Abb. A.1. Überwindung von Knappheit

Es gibt arme Länder und reiche Länder in der Weltwirtschaft; manche Länder holen ökonomisch und technologisch auf, andere fallen zurück. In fast jedem Land gibt es Phasen ökonomischer Expansion und anschließend jeweils Phasen der Stagnation oder gar eines wirtschaftlichen Einbruchs. Es gibt also Konjunkturzyklen, nämlich ein zyklisches Auf und Ab der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Es gibt in jedem Land Reiche und Arme; mancher wiederum ist heute ein armer Student und morgen sehr wohlhabend (siehe Bill Gates). Es gibt Länder mit hoher Unternehmensgründerdynamik und solche mit schwacher Entwicklung bei neuen Unternehmen. Welche Gründe gibt es für diese Entwicklungen? Es gibt Regionen in der Weltwirtschaft, wo Nachbarländer untereinander in besonderer Weise Handels- oder Investitionshemmnisse abbauen (man danke etwa an die 27 EU-

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Länder oder die zehn ASEAN-Länder): Woher kommt der politische und ökonomische Drang zu Integration und welche Vor- und Nachteile ergeben sich hieraus? Wie kann der Einzelne ein hohes Einkommen, viel Freizeit und eine hohes Vermögen kurz-, mittel- und langfristig erreichen? In den Wirtschaftswissenschaften werden oft Geldgrößen wie Löhne, Gewinne oder Vermögen betrachtet. Das heißt aber nicht, dass man annimmt, dass Menschen nur durch monetäre Anreize zu motivieren sind. Gefühle und religiöse Motivationen haben Menschen immer auch stark motiviert. In der Volkswirtschaftslehre versucht man allerdings weitgehend, eine monetäre Bewertung vorzunehmen; etwa bei der Freizeit, deren Wert man nach dem Opportunitätskostenkonzept – es fragt nach dem Wert einer Sache in einer alternativen Verwendung – mit dem (alternativen) Stundenverdienst bei Erwerbstätigkeit ansetzen könnte. Eine monetäre Bewertung erlaubt es etwa, bestimmte Mengen an Äpfeln und Birnen bei einem Obstgeschäft in einer Umsatzgröße zusammenzuzählen, so dass man umfassende Indikator- und Vergleichsgrößen erhält. Von daher sind monetäre Größen in einer Bilanz oder einer Gewinn- und Verlustrechnung eben wichtig. Wenn Länder bzw. Firmen verschiedener Länder miteinander Handel treiben, so ist dies mit Chancen verbunden, denn beide Handelspartner werden profitieren – dies ist das Kennzeichen jeder freiwilligen Tauschbeziehung. Aber es gibt auch Risiken und Konfliktpotenziale: Risiken gibt es etwa beim Transportieren oder bei Bezahlvorgängen, Konflikte könnten z.B. aus unterschiedlichen Interpretationen von Kaufverträgen oder von zwischen Ländern bzw. Akteuren geschlossenen Handelsverträgen entstehen. Dem jeweiligen Rechtssystem und den dort angelegten Möglichkeiten, Verträge bzw. Rechte durchzusetzen und Konflikte zu lösen, kommt eine große Bedeutung zu. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sich treffen, wird den Akteuren oft erst die Verschiedenartigkeit der jeweiligen Wertesysteme bewusst. Es gibt Regionen bzw. Völker oder Gruppen mit jeweils eigenen Wertstrukturen – Werte wie Freiheit, Sicherheit und Wohlstand werden unterschiedlich stark betont, was etwa für Teilvölker in China wie in Europa, Amerika oder Afrika gilt. Wie nimmt Wirtschaftspolitik die unterschiedlichen Wertvorstellungen von Menschen auf, inwieweit können sich Gruppen in der Gesellschaft auf wichtige Werte einigen (man denke z.B. an den US-Bürgerkrieg bei dem es u.a. um Freiheitsrechte bzw. die Abschaffung der Sklaverei ging)? Wie beeinflussen Werte oder auch bestimmte Problemkonstellationen die Herausbildung von Institutionen? Wie viel (Einkommens-)Ungleichheit ist vertretbar bzw. akzeptabel? Aus bestimmten Wertvorstellungen mit Blick auf akzeptable Einkommensunterschiede können sich u.a. staatliche Aufgaben bei der Umverteilung bzw. Umverteilungsmechanismen ergeben, mit denen arme Menschen oder Haushalte unterstützt werden können; diesbezügliche Vorstellungen divergieren etwa zwischen den USA, Europa und Asien sowie Lateinamerika und Asien deutlich. Bevor man Einkommen umverteilen kann, muss Einkommen entstehen bzw. eine hohe Produktion pro Kopf bzw. Beschäftigten erreicht werden. Produziert wird, wenn man von der Selbstversorgungswirtschaft absieht, legal in der offiziellen Wirtschaft durch Unternehmen. Unternehmen produzieren, forschen, investieren und verkaufen End- oder Zwischenprodukte, wobei die Höhe der Investitio-

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nen für das gesamtwirtschaftliche Einkommenswachstum besonders wichtig ist. Zudem ist der Wohlstand von Menschen seit Jahrtausenden vom Handel – inklusive Außenhandel – abhängig. Unternehmen sind ein dauerhafter Verbund von Mitarbeitern, Managern, Maschinen und Technologien, wobei die Art der Verbindung betriebswirtschaftlich mit Blick auf ein einzelnes Unternehmen untersucht werden kann. Oder man thematisiert aus volkswirtschaftlicher Sicht, wie typische Unternehmen bzw. die Gesamtheit der Unternehmen produzieren und auf Märkten Leistungen verkaufen. Unternehmen produzieren im Rahmen einer vom Staat gesetzten Rahmenordnung (z.B. Eigentumsrechte, Wettbewerbsordnung, Währungsordnung) einerseits und unter der Nebenbedingung staatlicher Wirtschaftspolitik andererseits. Von daher sind Unternehmen an den Rahmenbedingungen und an der laufenden Politik interessiert: Unternehmens- bzw. Verbändevertreter werden versuchen, Einfluss auf die langfristige Wirtschaftsordnung (Rahmenbedingungen) bzw. die aktuelle Wirtschaftspolitik – laufende Eingriffe in Politikfeldern – zu nehmen. Der Staat ist ein Akteur, der dem Individuum und den Unternehmen bzw. Verbänden in Form bestimmter Institutionen gegenübertritt; z.B. kann der Staat Monopole auf Gütermärkten verbieten, oder bei der Geldemission allein eine einzige staatliche Notenbank vorsehen, oder die Finanzmärkte einer besonderen Behörde (Finanzmarkt - Aufsichtsbehörde) unterstellen. Bei der Wirtschaftspolitik geht es etwa um die Besteuerung, die Staatsschuldenpolitik, die Geldpolitik (Erhöhung der Geldmenge um x % pro Jahr oder Änderung des Notenbankzinssatzes), die staatliche Innovationsförderung oder den Schutz des Außenhandels durch internationale Vereinbarungen oder auch durch militärische Macht. Beim Setzen des Ordnungsrahmens, sichtbar etwa in der institutionellen Ausgestaltung der Notenbank oder den Eigentumsrechten, geht es um einen langfristigen – und daher sehr wichtigen – Entscheidungsrahmen für die Unternehmen. Da die Politik durch das Setzen der Rahmenordnung und die Wirtschaftspolitik doppelt wichtig als potenzieller Einfluss für Unternehmen ist, kann von staatlicher Seite bei optimaler Politik ein sehr wichtiger positiver Impuls für Produktion bzw. Einkommenswachstum gesetzt werden. Dabei sind vernünftig durchdachte Maßnahmen und eine Stabilität der Rahmenordnung bzw. der Wirtschaftspolitik für die Unternehmen wichtig. Denn hierdurch entsteht ein verlässlicher Rahmen, Unsicherheit wird begrenzt und Transparenz geschaffen. Von John Locke über Adam Smith bis zu modernen Ökonomen ist immer wieder gefordert worden, dass der Staat klare Eigentumsrechte gewähren und sichern soll: Für Immobilien, Maschinen und Mobilien (Schiffe, Flugzeuge). Denn nur bei klaren Eigentumsrechten und guten Aussichten auf eine positive Rendite sind hohe Investitionen zu erwarten; zudem wird sich das Management dann auf Anpassungs- und Innovationsmaßnahmen im Wettbewerbsprozess konzentrieren können. Bei instabiler Politik und unklaren Eigentumsrechten (z.B. der Staat vergibt bestimmte Rechte bzw. Privilegien nur für ein Jahr oder die Grundsätze der Steuerpolitik andern sich häufig) fallen die Investitionen relativ gering aus. Unternehmer werden dann große Teile ihrer Zeit und Ideen in die Pflege guter Beziehungen zu staatlichen Akteuren bzw. Politikern investieren; dann aber wird weniger produziert. Starke zeitintensive managementseitige Fixierungen auf dauernde Politikänderungen schwächen die Unternehmensdynamik im Wettbewerbs-

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prozess. Das betreffende Land wird gegenüber anderen Ländern mit stabiler Rahmenordnung und klaren Eigentumsrechten in der Einkommensentwicklung zurückfallen. Von daher ist es von Interesse, die Bausteine einer durchdachten Wirtschaftsordnung und einer vernünftigen Wirtschaftspolitik zu erkennen. Wie wichtig die Qualität der Wirtschaftsordnung und der Wirtschaftspolitik (CASSEL/WELFENS, 2003) sind, erkennt man u.a. aus dem Vergleich von reichen und armen Ländern; und daran, wie sich in reichen Ländern die Produktivität bzw. das Einkommen von Einwanderern aus armen Ländern entwickelt: nämlich rasch nach oben. So gesehen hat Arbeitsproduktivität eine individuelle Komponente (z.B. Bildungsgrad, Leistungsmotivation), aber auch einen gesellschaftlichen bzw. institutionellen Kontext. Adam Smith als Begründer der Volkswirtschaftslehre Mit dem 1776 veröffentlichten Werk “An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations” (Untersuchung der Natur und Ursachen des Wohlstands von Nationen; dem Leser sei die deutsche Ausgabe mit der Einleitung von H.C. Recktenwald zur Lektüre empfohlen) hat der schottische Ökonom ADAM SMITH die moderne Volkswirtschaftslehre begründet. Smith war eigentlich in erster Linie ein Philosoph; er war ein weitgereister Mann, der hervorragende Sprach- und Geschichtskenntnisse hatte. Zudem war Smith ein sorgfältiger Beobachter der Wirtschaftsentwicklung seiner Zeit. Aus seiner ethisch-philosophischen Analyse geht hervor, dass er als wesentlichen Impuls der Wohlstandssteigerung in einem Land das Bemühen der Individuen verstand, ihre ökonomische Lage und den sozialen Status zu verbessern. Das Eigeninteresse der Individuen bringt aus der Sicht von Smith ein ökonomisch und sozial sinnvolles Verhalten der Menschen mit sich: Indem sie ihren Eigeninteressen folgen, dienen sie dennoch in einer Markt- bzw. Tauschwirtschaft auch den Interessen anderer Menschen. Eigeninteresse und gesellschaftliche Interessen können übereinstimmen (solange kein Monopol vorliegt). Der Bäcker etwa produziert und verkauft Brot, damit er ein Einkommen für sich und seine Familie erzielt – mit diesem Einkommen kann er dann beim Schneider, beim Reisebüro etc. gewünschte Waren und Dienste kaufen. Das Verhalten der Menschen im Verhältnis zu anderen wird laut Smith eingeschränkt durch das natürliche Gefühl der Sympathie, das Menschen für andere haben – ein Mindestsinn für Gerechtigkeit ist von daher aus der Sicht von Smith unerlässliche Basis für eine lebensfähige Gemeinschaft. Da die natürlichen Sympathiegefühle recht schwach sind, ist die auf Vernunft und Lebenserfahrung gestützte freiwillige Anerkennung von Regeln der Ethik und der Gerechtigkeit wesentlich. Ergänzend notwendig ist schließlich ein System positiver Gesetze mit sanktionsbewährten Normen, deren Durchsetzung staatlicher Institutionen bedarf. Zu diesen kommt im Wirtschaftsbereich noch das Disziplinierungsinstrument der Konkurrenz hinzu. Das Werk von Smith bietet viele kluge Einsichten. Eine interessante Analyse betrifft den Zusammenhang von gesellschaftlich-wirtschaftlicher Entwicklung und Institutionen. Smith betrachtet hierbei die vier Entwicklungsstufen Jäger und Sammler, Hirten, Agrargesellschaft und Industriegesellschaft. Auf der einfachsten Entwicklungsstufe der Jäger und Sammler ist die Großfamilie die relevante Le-

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bensgemeinschaft, wobei Privateigentum noch kaum eine Rolle spielt – es herrscht allgemeine Armut und dabei eine erhebliche Gleichheit (Geburt bzw. Erbschaft spielt keine große Rolle). In der folgenden Entwicklungsstufe der Hirten führt die Haltung von Herden ohne weiteres zu Privateigentum an Vieh, das man auch akkumulieren kann. Ungleichheiten und einseitige Abhängigkeiten sind die Folge, es kommt zu sozialen Spannungen zwischen Armen und Reichen. Eine Zivilregierung ist erforderlich, um bestehende Vermögen vor Raub und Zerstörung durch Arme zu schützen. Hierarchische Positionen in der Gesellschaft ergeben sich nicht nur vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Menschen in unterschiedlichem Maße Eigentum haben, sondern auch Geburt bzw. Erbschaft spielt hier eine Rolle. In der dritten Entwicklungsstufe ergibt sich die Agrargesellschaft, in der Menschen den Lebensunterhalt vorwiegend durch Bodennutzung sichern. Bodeneigentum ist die dominante Vermögensform. Hier gibt es klare Unterschiede in den Vermögenspositionen der Menschen, aber die Agrargesellschaft hat weitere Charakteristika. Wenige Menschen sind die wichtigsten Großgrundeigentümer, für andere Menschen entstehen enorme ökonomische und soziale Abhängigkeiten. Der Staat ist instabil, da rivalisierende Feudalherren um die Herrschaft ringen, die relative Autarkie der Agrargesellschaft lässt kaum Wachstum zu. In der neuen vierten Entwicklungsstufe, der Industriegesellschaft, besteht eine Markt-, Tausch- oder Handelswirtschaft. Individuen erhalten für die Zurverfügungstellung von Arbeit, Boden oder Kapital eine monetäre Einkommenszahlung. Entscheidend ist, dass die Subsistenzwirtschaft nicht länger typisch ist, sondern dass Anbieter in Handwerk und Landwirtschaft über den Eigenbedarf hinaus für den Markt produzieren. Die Tauschbeziehungen über Märkte bedeuten eine gegenseitige Abhängigkeit, woraus letztlich auch ein Mehr an persönlicher Freiheit für viele entsteht. Politisch kommt es zu einem gewissen Ausgleich der Machtpositionen verschiedener Gruppen, wie etwa Unternehmern, Handwerkern, Händlern, Grundbesitzer und ggf. Arbeitern – soweit Letztere ein Wahlrecht haben. In der dynamischen Entwicklungstheorie von Smith passen sich die politischen Verhältnisse beim Übergang auf eine neue Entwicklungsstufe den ökonomischen Änderungen an (Marx übernahm diesen und eine Reihe anderer Gedanken von Adam Smith), wobei Smith jedoch keine Zwangsläufigkeiten annimmt. Wo schiffbare Flüsse oder Küsten vorhanden sind, sieht Smith besonders gute Voraussetzungen für eine Marktwirtschaft – oder Verkehrswirtschaft, um ein deutsches Wort aus dem späten 19. Jahrhundert zu nehmen –, in der Menschen die über den jeweiligen Eigenbedarf hinausgehenden Gütermengen zum Tausch auf Märkten anbieten. Arbeitsteilung ist aus der Sicht von Smith wesentlich für Effizienzbzw. Produktivitäts- und Wohlstandsgewinne. Daher ist in einer Marktwirtschaft langfristiges Wirtschaftswachstum möglich. Das Eigeninteresse von Menschen führt zu gesellschaftlich sinnvoller Knappheitsminderung: In der Hoffnung auf ein Markteinkommen produzieren Bäcker, Schneider und Stahlproduzenten, arbeiten Kaufleute und Arbeitnehmer. „Die unsichtbare Hand des Marktes“ koordiniert über Preissignale die Entscheidungen von Abertausenden von Menschen. Eine Ausweitung des Marktradius ist mit einem Mehr an Arbeitsteilung verbunden, daher bringt bessere Infrastrukturausstattung einen realen Einkommensge-

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winn. Mit der Arbeitsteilung verbunden ist eine Spezialisierung der Arbeiter und zugleich auch eine gewisse Monotonie des Arbeitslebens; diese auszugleichen ist der Staat aufgefordert, der – so Smith – durch Bildung einen intellektuellen Ausgleich schaffen kann. Smith unterscheidet natürlichen Preis und Marktpreis, wobei der Letztere durch aktuelle Knappheiten bestimmt ist, während der natürliche Preis, ein langfristiger Gleichgewichtspreis, sich als langfristig normaler Preis in einer Höhe einstellt, die eine normale („natürliche“) Entlohnung der Produktionsfaktoren erlaubt. Wirtschaftspolitisch ist Smith gegen den Merkantilismus und die damit verbundenen Importzölle und Exportfördermaßnahmen eingestellt; der Merkantilismus hat insbesondere das Ziel, Exportüberschüsse zu erreichen und verkennt, dass Freihandel den Wohlstand aller beteiligten Länder erhöhen kann. Internationaler Handel wird als Nullsummenspiel betrachtet, bei dem Land I gewinnt was Land II verliert. Der Merkantilismus ist eine Konflikt-Ideologie auch insofern, als im Zwei-Länder-Modell – als einfachster Darstellung der Weltwirtschaft – natürlich nicht beide Länder gleichzeitig einen Exportüberschuss realisieren können. Ordnungspolitisch fordert Smith neben dem Freihandel – mit denkbaren begründeten Ausnahmen – eine Abschaffung von Monopolen; sie seien für den Wohlstand schädlich. Smith fordert weitgehende wirtschaftliche Freiheiten, wobei der Staat Privilegien aufheben und die Wirtschaft liberalisieren soll; insbesondere auch private Monopole und den Zunftzwang. Die Bildung freier Gewerkschaften bzw. Koalitionsfreiheit von Arbeitern wird von Smith grundsätzlich befürwortet. Es gibt eine Reihe von Kernaufgaben des Staates. Er soll Sicherheit nach außen und innen gewährleisten, die Münzprägung über eine Notenbank durchführen und Bildungseinrichtungen sowie Infrastrukturnetze betreiben (Dinge anbieten, die „ihrer ganzen Natur nach niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug für eine oder mehrere Privatpersonen sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken, weshalb man von diesen nicht erwarten kann, dass sie diese Aufgaben übernehmen“). Der Staat soll notwendige Ausgaben über Steuern finanzieren. Solange es einen Staat gibt, ist nach der Festlegung von staatlichen Aufgaben und Ausgaben sowie der Erzielung von Einnahmen zu fragen, wobei zunächst Zwangseinnahmen via Steuern problematisch sind, sofern sie nicht Finanzierungsbasis für eine von den Bürgern klar gewünschten Aufgabenrealisierung sind. Es gibt einen natürlichen Widerstand von Bürgerinnen und Bürgern gegen Besteuerung. Zudem sind verschiedene Politikebenen zu unterscheiden. Welche sinnvolle Aufgabenteilung ergibt sich innerhalb eines Staates, wenn man etwa an Bund, Region und Kommune – oder an internationale Organisationen – denkt? Wie werden Staatsaufgaben und Staatsausgaben bzw. -einnahmen festgelegt oder sinnvoll zugeordnet? Die Theorie des fiskalischen Föderalismus geht etwa davon aus, dass Betroffene bzw. Nutznießer von Staatsausgaben auch für die entsprechenden Staatseinnahmen zu sorgen haben; da die Menschen in verschiedenen Regionen unterschiedliche Bedarfsstrukturen in Bezug auf die Versorgung etwa mit staatlichen Leistungen – wie etwa schulische und medizinische Grundversorgung – haben, wird eine allgemein zentralistische Staatsverwaltung zu undifferenziert ausfallen (bei zentralisierter Einheitsversorgung gäbe es in der Wahrneh-

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mung der Bürger einiger Regionen Unterversorgung, in der anderer Regionen Überversorgung). Dabei sprechen auch Effizienzaspekte bzw. die Idee des Wettbewerbs zwischen Anbietern für eine dezentrale Aufgabenzuweisung. In der Regel sind Aufgaben also nicht zentralistisch wahrzunehmen und zu finanzieren, sondern auf der Ebene von Regionen (oder gar auf kommunaler Ebene). Allerdings gibt es auch so genannte Kollektivgüter oder öffentliche Güter, von deren Nutzung alle Menschen in einem Land einen Nutzen gleichzeitig haben und wo es keine Rivalität im Konsum – wie bei privaten „normalen“ Gütern wie Bier oder Brot – gibt: Landesverteidigung, also Sicherheit gegen militärische Angriffe von außen, ist ein typisches Beispiel. Die ökonomisch relevanten Unterschiede von privaten Gütern, die problemlos effizient über Märkte bei Wettbewerb bereitgestellt werden können, und öffentlichen Gütern werden in der Volkswirtschaftslehre behandelt. Bei privaten Gütern erhält in einer Marktwirtschaft nur derjenige das betreffende Gut, der den Marktpreis zu zahlen bereit ist. Bei den öffentlichen Gütern werden dabei im Grenzfall sogar globale Kollektivgüter behandelt, um die es etwa beim CO2-Problem bzw. dem Treibhaus-Problem oder auch beim Freihandel geht. Hier besteht das Problem des Marktversagens, da Anbieter keine klaren Kaufsignale erhalten. Denn auf der Nachfrageseite bestehen Anreize zu verzerrter Präferenzbekundung, da es ja Trittbrettfahrerprobleme gibt; auch wer sagt, er wünsche das Gut nicht – obwohl er/sie dies heimlich tut – kann das Kollektivgut konsumieren bzw. nutzen. Jedes Land bzw. alle Menschen können von Freihandel profitieren: Wie aber sichert man international den Freihandel? Welche Organisation(en) spielt bzw. spielen hier welche Rolle? Die wirtschaftliche Entwicklung in Marktwirtschaften verläuft zyklisch, so dass auf eine ökonomische Boom-Phase eine Periode der Stagnation der Produktion – oder gar ein Produktionseinbruch – und erhöhter Arbeitslosigkeit folgt. Wie soll man mit solchen seit der Industrialisierung für die meisten Länder der Weltwirtschaft typischen Konjunkturzyklen umgehen? Wie kann man verhindern, dass in Ländern mit rückläufiger Wirtschaftsentwicklung protektionistische Interessen einiger Sektoren zur Erhöhung von Importzöllen führen, auf die andere Länder wiederum ihrerseits mit eigenen Zollerhöhungen reagieren? Woher kommt die Erhöhung des langfristigen Wirtschaftswachstums, d.h. die prozentuale Steigerung der nationalen Güterproduktion seit 1820? Folgt man der MADDISON-Analyse der Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens, so war das globale jährliche Wirtschaftswachstum in der Zeit zwischen 1500 und 1820 bei 0,04 %. Im Zeitraum 1820 bis 1992 stieg das weltweite Wachstum auf 1,2 % p.a., einige Länder haben über mehr als ein Jahrzehnt sogar 3% oder sogar 7% erreicht. Eine Wachstumsrate von 1% bedeutet eine Verdopplung des Einkommens binnen einer Generation (in 75 Jahren). Aber nicht in allen Ländern stieg im 20. Jahrhundert das Pro-Kopf-Einkommen. Es gibt vor allem in Afrika Länder, wo in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Pro-Kopf-Einkommen langfristig fiel. Armut und Migrationsdruck sowie Konflikte – bis hin zum Bürgerkrieg – sind einige der beobachtbaren Folgen. Was sind die Ursachen für nachhaltige Armut? Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, damit in armen Ländern ein nachhaltiger ökonomischer Aufholprozess stattfindet?

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Die Dynamik der Finanzmärkte hat seit der Industrialisierung große Aufmerksamkeit in der Wirtschaft, d.h. bei Investoren, aber auch bei Wissenschaftlern gefunden. Ohne funktionsfähige Finanzmärkte, die helfen Ersparnisse zur Finanzierung profitabler Investitionen und Innovationsprodukte zu nutzen, gibt es keine anhaltende Kapitalakkumulation. Besonders groß sind beim zyklischen Auf und Ab der Wirtschaftsentwicklung die Ausschläge an den Finanzmärkten, wobei der Aktienmarkt für Wellen steigender und später sinkender Aktienkurse bekannt ist. Private Haushalte bzw. Individuen sowie Unternehmen und staatliche Institutionen sind Akteure auf den Märkten; zudem gibt der Staat viele Regeln für Märkte vor: Aber welche Regeln sind vernünftig, welche Regeln helfen, damit aus einem verfügbaren Einsatz von Produktionsfaktoren (z.B. Arbeit und Kapital) ein möglichst großes und qualitativ hochwertiges Konsumgüterangebot wird; in der laufenden Periode und in künftigen Perioden. Welchen Regeln sollte der Staat selbst vernünftigerweise unterworfen sein, damit staatliches Handeln den Bürgerinteressen entspricht? Hierbei geht es um eine normative „Soll-Frage“, die volkswirtschaftliche Analysen beantworten helfen. Von normativen Fragen ist die positive Theorie zu unterscheiden, die einfach nur erklärt, warum in bestimmten Ländern staatliche Akteure in bestimmter Weise handeln (z.B. wollen Politiker bekannt und mächtig werden sowie ein hohes Einkommen erzielen). Die Logik der Demokratie, wonach Politiker eine Stimmenmehrheit für Machtgewinn brauchen, könnte etwa in einer alternden Gesellschaft – mit langfristig sinkenden Kinderzahlen pro Familie – dazu führen, dass die politische Mehrheit von Rentnern gestellt wird und die Politik die Bedürfnisse junger Menschen vernachlässigt. Besonders schockierend war im historischen Rückblick der Einbruch der USAktienkurse im Krisenjahr 1929-30, als die Kurse sich in etwa halbierten bzw. massive Vermögensverluste eintraten, Bankenzusammenbrüche erfolgten und in den USA die Arbeitslosenquote – die Relation Arbeitslose zu Erwerbsfähigen – auf fast 30% anstieg; die Produktion sank in der US-Krise in drei Jahren um etwa ein Drittel, während in einer normalen Rezession in OECD-Ländern (führenden Industrieländern) die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung um 1 bis 2 Prozentpunkte sinkt. Wie kann man die Weltwirtschaftskrise 1929/30 oder die Asienkrise 1997 erklären – als viele Länder ihre Währungen massiv abwerten mussten und Produktion sowie Beschäftigung einbrachen (in der Asienkrise konnten viele Menschen geschlossene Verträge, z.B. bei Kredit- oder Miet- oder Ratenverträgen nicht mehr einhalten; das Vertrauen in Regeln und die Gesetze sank)? Wie lautet die Erklärung für den Aufstieg und Zerfall der Zentralverwaltungswirtschaft Sowjetunion, die als staatliche sozialistische Planwirtschaft über Jahrzehnte in Teilen der Welt Ansehen genoss – und erst in 1991 nach einem langen Stagnationsprozess zerfiel? Wieso ist hohe Arbeitslosigkeit in vielen EU-Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein so hartnäckiges Phänomen gewesen? Was bedeutet die im Jahr 1978 erfolgte Öffnung Chinas zur Weltwirtschaft? Auch hier liegen volkswirtschaftliche Fragen vor, bei denen es um Produktion, Konsum, Investition, Handel und internationalen Kapitalverkehr sowie staatliche Eingriffe geht. Transaktionen auf Märkten brauchen Verträge; und Vertragsdurchsetzung zwischen Fremden braucht Gesetze und Regeln. Gesetze werden in modernen Gesell-

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schaften von einem Parlament beschlossen, wobei Gesetze nur dann effektiv wirksam sind, wenn die Bürger dem Gesetzgeber eine gewisse Legitimität („faire Berechtigung zur Regelsetzung“) zuerkennen und wenn man gegen Regelverstöße – auch solche des Staates – klagen kann. Hier liegt die große Bedeutung des Rechts für die Marktwirtschaft; ohne Rechtsstaat werden Markttransaktionen nur eine relativ geringe Rolle spielen, und eine geringe Rolle von Märkten heißt Effizienzbzw. Einkommensverluste für die Menschen: Armut; in armen Gesellschaften besteht Emigrationsdruck. Länder ohne staatliche Ordnung – wie zeitweilig der Libanon in den 80er Jahren oder Somalia in den 90er Jahren – sind nicht nur gefährliche Aufenthaltsorte, sie können auch zum Ausgangspunkt von Nachbarregionen destabilisierender Massenflucht oder militärischer Aggression gegen Nachbarländer werden. Ein diktatorischer Staat mit Abschottungsmaßnahmen von der Weltwirtschaft – wie etwa Nordkorea – bleibt arm und rückständig, kann keine Inspirationsquelle für andere Länder sein. Welche Rolle könnte der Staat vernünftigerweise spielen? Der moderne Staat schützt zunächst Leben und Eigentum der Bürger, wobei die Basisform dieses Schutzes auch die territoriale Integrität eines Landes ausmacht; ein Staat bzw. eine Regierung ohne diese Fähigkeit, Leben und Eigentum zu schützen, ist rasch am Ende. Militärische Sicherheitsinteressen sind von großer Bedeutung für sehr viele Länder. Sicherheit bzw. Unsicherheit entsteht aber auch aus einem ökonomischen Kontext heraus. In Stadtvierteln mit großer Armut und starken sozialen Gegensätzen ist die Kriminalität hoch. Möglicherweise sinkt dort die Lebensqualität weiterhin dadurch, dass Taxifahrer und Ärzte nachts diese Stadtviertel nicht – oder nur mit Polizeischutz – aufsuchen. Wenn man von verteidigungspolitischen Fragestellungen absieht – wie dies in der Volkswirtschaftslehre meistens getan wird –, so hat der Staat dennoch grundlegende Aufgaben. Sie zu identifizieren, ihre Finanzierungsmöglichkeiten zu analysieren und Überlegungen zu notwendigen Ausgaben darzulegen, ist Teil der wirtschaftspolitischen Analyse. Eine grundlegende Annahme der volkswirtschaftlichen Analyse ist, dass Menschen auf Anreize reagieren; und entsprechend gilt, dass veränderte Anreize zu einem veränderten Verhalten führen können. Der Analyse von Anreizstrukturen kommt daher in der Volkswirtschaftslehre große Bedeutung zu. Menschen handeln dabei nicht nur mit Blick auf materielle Anreize. Letztlich müssen Menschen um zu überleben produzieren bzw. investieren und konsumieren. Da in der Realität vielfach in Großunternehmen produziert wird, die für einen bestimmten hohen Wert von Kapitalgütern und ggf. Patentrechten stehen, sind von Seiten der Aktionäre (eine AG wird hier als typische Rechtsform angenommen) Manager auszuwählen und nach sinnvollen Prinzipien zu entlohnen. Soweit Manager die Möglichkeit grundsätzlich haben – wegen unvollkommen informierter Aktionäre –, Vermögensbestandteile des Unternehmens einseitig zu den eigenen Gunsten (man denke an Luxusautos oder Megabüros) zu verwenden bzw. den Gewinn suboptimal ausfallen zu lassen, werden von Aktionären ggf. hohe Prämien als Gehaltsbestandsteile für gewinnambitionierte Manager festgelegt: Es gibt dann oft große Unterschiede zwischen den Top-Einkommen von Managern in Großunternehmen und durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen.

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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Unternehmen agieren in einer sich wandelnden Umwelt, wobei auch Verhaltensweisen, Nachfragerwünsche und Technologien sich immer wieder ändern. Im Internetzeitalter sind Informationsfragen offensichtlich in vielen Fällen wichtig und z.T. rasch zu beantworten, so dass die digitale Wirtschaft neue Chancen für Unternehmer und Konsumenten bedeutet. Ergeben sich aus der verstärkten internationalen Vernetzung auch neue Probleme? Zudem ist zu fragen, ob die staatliche Aufgabe der Universaldienste, z.B. die flächendeckende Bereitstellung bestimmter Telekommunikationsdienste im Internetzeitalter nicht neu interpretiert bzw. preiswerter und internationaler realisiert werden können: Denkbar (und wohl auch sinnvoll) ist, dass alle Länder der Welt für eine bestimmte Zeit eine Universaldienstausschreibung für Internet-Telefonie machen, bei dem der Anbieter mit dem geringsten Subventionserfordernis zum Zuge kommt: Jeder InternetTelefonierer kann dann zu geringen Preisen mit dem ausgewählten Anbieterkonsortium weltweit telefonieren, sofern er einen DSL-Telefonanschluss hat (auch breitbandige Anschlüsse könnten als neuartiger digitaler Universaldienst ausgeschrieben werden). Alternativ kann man Web-Telefonie-Universaldienste auch national ausschreiben, wobei Web-Telefonierer (Voice over IP nutzend) dann jedoch Gebühren bei Gesprächen mit anderen Anbietern zu zahlen hätten. Einem solchen nationalen oder weltweiten VOIP-Universaldienst bzw. Web-Telefondienst steht der Staat mit Eigeninteressen entgegen, sofern er Eigentümer eines Festnetzunternehmens – wie etwa in Deutschland – ist, denn Festnetzunternehmen möchten in der Regel vor allem herkömmliche Telefondienste profitabel anbieten. Eigentümerinteressen beeinflussen hier also verfügbare Bürgerdienste. Immer mehr Länder sind in der Weltwirtschaft miteinander verflochten, die gegenseitigen Abhängigkeiten von Ländern haben im Zeitalter der Globalisierung zugenommen: Welche Chancen und Risiken sind mit außenwirtschaftlicher Verflechtung verbunden? Welche Informationen über die internationale Wirtschaftsentwicklung und die wirtschaftlichen bzw. politischen Bedingungen alternativer Wirtschaftsstandorte sollte man aus Arbeitnehmer-, Unternehmer- oder Verbandssicht kennen? Wo findet man diese Informationen? Wie wirkt die Globalisierung auf den technischen Fortschritt, die Entwicklung der relativen Faktoreinkommen (z.B. Einkommensrelation Löhne zu Gewinneinkommen) und die Schockanfälligkeit von offenen Volkswirtschaften – Letzteres meint z.B. den Einfluss einer starken Ölpreiserhöhung auf die gesamtwirtschaftliche Produktion, die Beschäftigung und das Preisniveau (eine Art gewichteter Durchschnitt von Einzelpreisen)? Was kann Politik Sinnvolles leisten, wenn es um Produktion, Umverteilung und Stabilisierung im Wirtschaftssystem geht? Welche Kräfte wirken auf ein Zuviel oder Zuwenig an staatlicher Intervention auf den Märkten? Wie können Menschen zu eigenverantwortlichem Handel und zum Arbeiten einerseits und in bestimmten Lebensbereichen zur Kooperation mit anderen Menschen andererseits motiviert werden? Dies sind Grundfragen der Volkswirtschaftslehre. Sie befasst sich mit dem Verhalten von Haushalten und Unternehmen, aber auch mit dem von Politikern und Parteien bzw. von Menschen in politischen Institutionen. Bezüglich des Verhaltens geht es um die Motive von Aktivitäten, aber auch um Zeithorizonte, nämlich inwieweit Entscheidungsverhalten eher kurz-, mittel- oder langfristig ausgerichtet ist. Volkswirtschaftliche Analyse befasst sich nicht mit der systemati-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

schen Ausleuchtung der Aktivitäten in einem einzelnen Unternehmen – diese Analyse erfolgt in der Betriebswirtschaftslehre. Die Volkswirtschaftslehre ist zunächst vor allem an gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen interessiert, d.h. dass nicht ein einzelnes Unternehmen oder ein einzelner Markt betrachtet wird, sondern die Gesamtheit aller Märkte; so gesehen verlangt volkswirtschaftliche Analyse ein bestimmtes Maß an Abstraktion. Während eine betriebswirtschaftliche Analyse für Unternehmen X etwa nahe legt, dass eine internationale Ölpreiserhöhung in einem Ölimportland zu einem Kostenbzw. Preisanstieg führt (Unternehmen X hat höhere Energiekosten; wie auch seine Konkurrenten in der Branche), kann die gesamtwirtschaftliche Analyse bei der Frage, wie sich das Preisniveau – der gewichtete Durchschnitt aller Einzelpreise – entwickelt zu einer anderen Einschätzung kommen: Bei gegebener Geldmenge ist die monetäre gesamtwirtschaftliche Nachfrage gegeben, so dass höhere Geldausgaben auf Märkten mit energieintensiv produzierten Produkten zwar mit einer deutlichen Preiserhöhung auf diesen Märkten einhergehen werden. Aber auf den Märkten für andere Produkte kann die Nachfrage durchaus zurückgehen, was dort einen Rückgang der Preise bedeutet. Da das Preisniveau der gewichtete Durchschnitt der Preise aller Märkte ist, könnte das Preisniveau im Grenzfall konstant bleiben. Wie sich das Preisniveau kurz-, mittel- und langfristig im Fall eines Ölpreisschocks entwickelt, ist genauer zu untersuchen. Noch ein Beispiel für die Unterscheidung einzelwirtschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher Sichtweisen: Aus der Sicht eines einzelnen Unternehmens mag in einer Rezessionsphase die Forderung nach Einführung eines Importzolls für einen Sektor sinnvoll klingen. In einem System flexibler Wechselkurse führt aber der Rückgang der Importrechnung – als Folge der Zolleinführung bzw. Importpreiserhöhung und sinkender Importmengen – zu einer Währungsaufwertung, d.h. dass die ausländische Währung billiger wird: Damit wird der Kauf importierter Güter billiger, was den Zollschutzeffekt praktisch automatisch aufhebt. Was einzelwirtschaftlich bzw. sektoral zunächst plausibel klang, muss gesamtwirtschaftlich keineswegs gelten. So gesehen erkennt man bereits hier, dass volkswirtschaftliche Analysen ein solides Maß an Wissen verlangen; wer in der Wirtschaftspolitik verantwortlich handeln will, der wird dies sinnvollerweise auf Basis von volkswirtschaftlichem Wissen machen wollen. Schließlich noch eine einfache, aber wichtige Überlegung für die Analyse offener Volkswirtschaften, wobei offen heißt „mit Handelsbeziehungen“ (plus ggf. internationalem Kapitalverkehr): In einem einfachen Zwei-Länder-Modell der Weltwirtschaft gilt offenbar, dass der Nettoexportüberschuss – die Differenz von Güterexporten und -importen – von Land I gleich dem Nettoimportüberschuss von Land II sein muss. Von daher wären etwa in beiden Ländern bestehende wirtschaftspolitische Zielsetzungen, einen Nettoexportüberschuss zu erzielen, konfliktträchtig – diese im Merkantilismus als politische Ideologie verbreitete Zielsetzung verschiedener Staaten machte naturgemäß einen Teil der internationalen Konfliktträchtigkeit des in Europa verbreiteten Merkantilismus in den Jahrzehnten vor der Französischen Revolution von 1789 aus. Im Übrigen gilt natürlich, dass die einzig wirklich „geschlossene Volkswirtschaft“ die Weltwirtschaft als Ganzes ist.

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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A.1.2 Knappheitsprobleme und Produktionsfaktoren In der Volkswirtschaftslehre geht es um die erfolgreiche Bewältigung von Knappheitsproblemen. Üblich ist die Annahme, dass Menschen materielle Güter (z.B. Brot und Wasser) und immaterielle Güter (z.B. Frieden, Gerechtigkeit, Zerstreuung) wünschen. Kulturell gibt es in der Realität allerdings auch Grenzen legitimer Wünsche bzw. Präferenzen: es gibt also bestimmte Tabus, in einigen Fällen auch religiös motivierte Konsumverbote (z.B. Alkoholkonsum, Schweinefleischkonsum). Grundsätzlich gilt, dass eine Versorgung mit knappen Gütern Produktion erfordert. Produktion wiederum verlangt den Einsatz bestimmter knapper Produktionsfaktoren. Als Produktionsfaktoren gelten insbesondere Kapital, Arbeit, Technologie und Boden/Natur. Produktionsfaktoren werden für die Produktion in Unternehmen benötigt. Die vorhandenen Produktionsfaktoren in einer Volkswirtschaft heißen Faktorausstattung. Die Faktorausstattung kann man nach Menge und Qualität erfassen. Häufig wird bei der Analyse der Wirtschaftsentwicklung angenommen, dass die Qualität der Produktionsfaktoren konstant ist. Zumindest in längerfristiger Betrachtung kann sich die Qualität von Produktionsfaktoren verändern: • Der Produktionsfaktor Natur (Boden) kann durch Umweltschutzmaßnahmen verbessert werden; denkbar ist allerdings auch, dass durch Erosion und Umweltverschmutzung der Produktionsfaktor Natur sich mengen- und qualitätsmäßig reduziert. • Der Produktionsfaktor Arbeit kann durch Bildung bzw. Weiterbildung qualitativ verbessert werden; im Zuge des natürlichen Alterungsprozesses dürfte sich die Qualität des Faktors Arbeit ab einem bestimmten Alter verschlechtern (viele Menschen werden im Alter vergesslicher – für Professoren gilt das für praktisch jedes Alter). • Technischer Fortschritt einer bestimmten Art verbessert die verfügbare Technologiequalität; allerdings ist beim technischen Wissen bzw. bei Technologie die Unterscheidung zwischen Menge und Qualität relativ schwierig. Beim technischen Wissen bzw. dem Fortschritt unterscheidet man zwischen ungebundenem Wissen und in Maschinen inkorporiertem Wissen. • Die Qualität des Produktionsfaktors Kapital verbessert sich, wenn das Durchschnittsalter des Kapitalbestands einer Volkswirtschaft sinkt (als Folge verstärkter Neuinvestitionen) – diese Überlegung gilt dann, wenn jüngere Maschinenjahrgänge höherwertigeres, produktiveres Wissen darstellen als ältere. Welche Güter unter den Millionen denkbaren sollen in welcher Menge, mit welchen Produktionsfaktoren, wie, wo und für wen produziert werden? Vor dieser Frage steht jede Volkswirtschaft. Ein Grundziel des Menschen ist es zu überleben; also brauchen Menschen Nahrung – inklusive Wasser –, Wohnraum und vieles andere. Welche Güter in einer Gesellschaft möglichst zur Verfügung stehen sollten, ergibt sich aus den Wünschen der Individuen. Jeder Mensch hat bestimmte Wünsche bzw. Präferenzen. Die individuellen Wünsche werden in der Volkswirtschaftslehre als für die Güterproduktion relevante Präferenzen angenommen.

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Es fragt sich allerdings, woher die Produzenten wissen, was die Nachfrager wünschen; und welche Anreize für Produzenten bzw. Unternehmen bestehen, die gewünschten Güter auch tatsächlich zu produzieren und sich dabei sinnvoll zu koordinieren. Es ist – wie noch zu zeigen ist – der Wettbewerb zwischen den Anbietern, der die Unternehmen in einer Marktwirtschaft zur Anpassung an die Verbraucherwünsche zwingt: Es herrscht „Konsumentensouveränität“. In einer vereinfachten Darstellung der Realität, in einem Modell, kann man die Wirkung von Konkurrenz zwischen Unternehmen aufzeigen. In den Wirtschaftswissenschaften wird oft vereinfachend angenommen, dass die Präferenzen der Wirtschaftssubjekte gegeben sind. Allerdings sind durchaus Modelle auch mit endogenen Präferenzen denkbar, d.h. dass die Entwicklung von Präferenzen durch bestimmte Einflussfaktoren – z.B. Elternhaus, Einkommen etc. – erklärt wird. Werte werden, so gesehen, in einem kulturell-persönlichen Entwicklungsprozess quasi produziert. Aus analytischer Sicht kann alles als knapp gelten, was Menschen für sich oder andere – inklusive Familienmitglieder – subjektiv als knapp betrachten. Dies gilt auch für Werte. So kann man etwa beobachten, dass Eltern in allen Kulturen und Erdteilen erhebliche Anstrengungen unternehmen bzw. Ausgaben vornehmen und Zeit einsetzen, damit ihren Kindern bestimmte Werte ausreichend vermittelt werden. Das heißt, dass Werte unter bestimmten Bedingungen als knappes „Gut“ aufgefasst werden können, deren Verankerung beträchtlichen Zeit- und Ressourcenaufwand erfordert. Relativ diffus wirksam bei der Wertebildung bzw. dem Aufbauen von Vorbildern sind Medien, vor allem das Fernsehen, das via Unterhaltungs- und Werbesendungen implizit Werte und Rollenmodelle transportiert. Insbesondere Elternhaus und Schule sowie Religionsgemeinschaften versuchen explizit, Werte zu vermitteln; also auf die „Präferenzordnung“ („Zielfunktion“ aus mathematischer Sicht) von Kindern und Jugendlichen einzuwirken. Einige Ziele des Menschen sind wohl anthropologisch vorgegeben: Menschen müssen z.B. essen und trinken, um zu überleben. Andere Werte bzw. Ziele sind gesellschaftlich vermittelt, wobei einige Wertesysteme möglicherweise besonders hilfreich sind, wenn es um die erfolgreiche Bewältigung von Knappheitsproblemen geht. So sind Kulturen, die den Wert von Vermögensbildung bzw. Kapitalakkumulation betonen – wie etwa die protestantische Ethik – vermutlich wachstumsförderlich. Ehrlichkeit als Tugend einerseits und die Verurteilung von Raub und Mord andererseits finden sich als Elemente bzw. Werte praktisch aller Kulturen. Soweit Arbeitsteilung und Tauschhandel für den Wohlstand in einer Gesellschaft förderlich sind, dürften derartige moralische Vorgaben (positive wie negative Ziele) wichtig sein. Die Existenz bestimmter Werte schränkt offenbar die Verhaltensoptionen der Akteure menschenfreundlich ein, man kann als eingeborenes Mitglied der Gesellschaft wie als Fremder/Tourist ohne Furcht in dieser Gesellschaft produktiv agieren. Der Mensch als soziales Wesen agiert leichter im Kontext einiger Kulturen, in anderen Kulturen bzw. unter instabilen politischen Rahmenbedingungen bestehen Furcht und Unsicherheit im täglichen Leben für fast jedermann. Zu den großen Herausforderungen auf nationaler und internationaler Ebene gehört die Fähigkeit bzw. der Wille zu friedlicher Konfliktlösung und zum gewaltlosen Interessenausgleich. Ideologien und Religionen sind von be-

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stimmten Machthabern immer wieder als angeblich vernünftige Grundlage für Angriffskriege missbraucht worden. Dabei gibt es Vernunft als Ergebnis widerspruchfreien Denkens im strengen Sinn nur in der Wissenschaft. Wissenschaft und Religion aber unterscheiden sich nach Karl Poppers Logik der Forschung (1939) deutlich voneinander. Dieses Buch wurde in viele Sprachen übersetzt, aber nicht ins Arabische und Äthiopische… Kulturell bzw. gesellschaftlich geprägte Werte müssen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Wenn Kindern, etwa via Schule, Werte vermittelt werden sollen, dann vergleichen die Kinder die Empfehlens-Werte mit der realen Welt. Gibt es sehr drastische Widersprüche zwischen den Empfehlens-Werten und der realen Welt, dann werden die empfohlenen Werte nicht akzeptiert. Zu den Ende des 20. bzw. Anfang des 21. Jahrhunderts auf politischer Ebene populären Werten in Europa und einigen anderen Kontinenten gehören etwa Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit (ein der Forstwirtschaft entlehnter Begriff mit der Bedeutung, dem Wald nicht mehr Holz zu entnehmen, als nachwachsen kann) ist ein relativ neuer Wert und bedeutet, dass man in langen Zeiträumen in die Zukunft denken soll bzw. langfristige Auswirkungen des eigenen Handels bedenken soll, was insbesondere mit Blick auf den Umweltbereich betont wird. Was die Idee der Nachhaltigkeit angeht, also einer langfristigen Orientierung im Handeln jedes Einzelnen, so ist für viele Erwachsene kaum ein Widerspruch zur realen Welt mit oft kurzfristigen Entscheidungshorizonten zu erkennen (Erwachsene haben sich an die Doppelbödigkeit der politischen Moral meist gewöhnt). Kritischer nehmen Kinder und Jugendliche die Realität bzw. Widersprüche wahr. Sie können sich in den täglichen TVNachrichten einen umfassenden mittelbaren Eindruck über die Welt bzw. Weltwirtschaft verschaffen. Will man einen genaueren Eindruck der Wirtschaftsentwicklung, dann braucht man bestimmte Indikatoren, wie sie die Wirtschaftsstatistik zur Verfügung stellt: Etwa Zahlen zum Pro-Kopf-Einkommen, zur Arbeitslosigkeit, zur Inflation (Geldentwertung). Unter Inflation versteht man einen anhaltenden Anstieg des Preisniveaus. Eine Nachrichtensendung eines x-beliebigen Monats im frühen 21. Jahrhundert vermittelte folgenden Eindruck: Es gibt immer wieder Kriege mit Toten, Not und Hunger. Es gibt viele Länder mit großer Armut; und es gibt viele Länder mit Millionen von Arbeitslosen. Zudem gibt es Seuchen – wie AIDS oder SARS –, die sich weltweit ausbreiten. Wieso soll man als Kind langfristig denken wollen, also Nachhaltigkeit als Ziel im Leben haben, wenn offenbar in großen Teilen der Welt kurzfristiges Überleben und das momentane Sich-Durchsetzen im Konkurrenzkampf am Arbeitsmarkt wichtiger ist als langfristig angelegte Bildungsanstrengungen und stabile mehrstufige Karrierewege? Wieso soll man langfristig denken, wenn die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in den Unternehmen von Jahr zu Jahr sinkt? Wieso soll man im Übrigen langfristig denken, wenn man durch kurzfristige glückliche Börsenspekulationen u.U. sehr reich werden kann? Wieso soll man langfristig denken, wenn Politiker selbst oft nur kurzfristige Ziele bzw. kurze Zeithorizonte haben? (In Kriegs- bzw. Bürgerkriegsregionen gilt ohnehin, dass das Überleben für den nächsten Tag das Wichtigste ist). Solange Kinder und Jugendli-

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che extreme Widersprüche der geschilderten Art wahrnehmen, wird Nachhaltigkeit kein weit verbreiteter Wert in der Präferenzordnung der Individuen sein. Die Realität selbst wirkt Normen bzw. Werte bildend: Dies ist die „normative Kraft des Faktischen“. Für Ökonomen ist die Existenz von Werten bzw. Kulturen von großem Interesse. Tatsächlich haben auch einige Wirtschaftswissenschaftler – z.B. Adam Smith: Moralphilosoph und Ökonom; Begründer der modernen Ökonomie mit seinem 1776 erschienenen Werk „An Inquiry into the Wealth of Nations“ – maßgeblich zur Wertedebatte beigetragen. Aus einer so genannten kritisch-rationalen Wissenschaftsauffassung (nach KARL POPPER) lassen sich Werte nicht wissenschaftlich begründen, man muss sich für Werte persönlich entscheiden. Es lässt sich allerdings untersuchen, unter welchen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Einzelne eine Chance hat, seine Werte ohne „unnötige Beschränkung“ zum Ausdruck zu bringen. Ohne ein gewisses Maß an Toleranz sind diese Chancen gering. Eine Beschränkung von Präferenzen wird von OECD-Staaten in der Regel dort vorgenommen, wo das Ausleben entsprechender Wünsche anderen Menschen schaden bzw. deren Freiheit zur Persönlichkeitsentfaltung stark beschränken würde. Toleranz bringt eine Vielfalt an Ideen und Lebensstilen hervor, die implizit oder explizit im Wettbewerb stehen, was wiederum Produktivität und Wohlstand fördert. Intolerante Systeme sind langfristig wenig innovativ bzw. produktiv, sie können ggf. dank zufälligem Ressourcenreichtum aber über viele Jahrzehnte überleben, sofern sie eine starke Militärmacht mit ihrer Ideologie verknüpfen. In der Weltwirtschaft gibt es arme Länder und reiche Länder; innerhalb eines Landes gibt es relativ arme Menschen und relativ wohlhabende Menschen. Die nachfolgende Tabelle für die EU 27 gibt Informationen über internationale Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen (auf Kaufkraftparität KKP-Basis, d.h. dass die Unterschiedlichkeit der Preise nichthandelsfähiger Dienstleistungen (z.B. Wohnungsvermietung, Haarschnitt) angemessen berücksichtigt wird – die relativ niedrigen Preise in armen Ländern wurden nach oben korrigiert). Es ist erstaunlich, wie groß die internationalen Unterschiede sind.

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Tabelle A.1. Pro-Kopf-Einkommen auf Basis von Kaufkraftparitäten (in 1.000 € KKP) Belgien Tschechien Dänemark Deutschland Estland Griechenland Spanien Frankreich Irland Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Slovenien Slovakei Finnland Schweden Vereinigtes Königreich Bulgarien Rumänien Bulgarien / Deutschland

1960 1,05

1970 2,43

1980 8,12

1,19 1,31

2,68 2,80

7,89 8,86

0,52 0,63 1,03 0,68 0,90

1,68 1,75 2,41 1,50 2,22

5,87 5,47 7,70 5,02 7,51

1,68

3,35

9,84

1,23 1,05

2,70 2,39

8,09 8,24

0,45

1,29

4,45

0,92 1,31 1,24

2,15 2,90 2,34

7,41 8,33 6,83

1990 16,48 10,56 16,23 18,21 10,08 11,84 15,89 11,64 15,94 10,20 7,55 8,12 25,64

16,09 17,05 5,35 10,10 10,10 16,09 16,91 14,65 4,75

2000 2005 2006 2007 2008 23,42 27,64 28,89 30,12 31,25 13,02 17,27 18,65 20,00 21,29 25,33 28,90 30,32 31,67 32,93 22,46 25,25 26,37 27,23 28,24 8,47 13,66 15,51 17,41 19,26 14,62 19,61 20,69 21,84 22,98 18,53 23,09 24,15 25,25 26,37 22,79 25,52 26,44 27,46 28,36 25,35 32,48 34,02 35,79 37,36 22,74 24,26 25,08 25,91 26,69 16,23 19,38 20,12 20,92 21,69 7,10 10,98 12,50 13,97 15,42 7,63 12,00 13,25 14,51 15,72 44,63 56,70 60,66 64,35 67,80 10,83 14,73 15,66 16,41 17,18 15,79 16,51 17,06 17,62 18,16 24,94 29,19 30,63 32,22 33,64 25,24 28,57 29,89 31,19 32,26 9,39 11,66 12,52 13,40 14,31 16,15 16,71 17,15 17,65 18,14 14,62 19,05 20,33 21,59 22,91 9,52 12,93 14,06 15,37 16,52 22,93 27,02 28,85 30,31 31,62 23,88 27,76 29,32 30,82 32,24 22,48 27,46 28,61 29,84 30,96 5,32 7,49 8,13 8,82 9,56 5,00 7,76 8,50 9,20 9,91 0,2368 0,2968 0,3081 0,3239 0,3386

Quelle: Ameco Datenbank/EU

Adam Smith (Klassiker der Volkswirtschaftslehre) befasste sich u.a. mit der Frage, welches die Grundlagen des Wohlstands eines Landes seien. Seine wesentliche Antwort lautete: Arbeit bzw. Arbeitsteilung in einer Marktwirtschaft, Sparen und Bildung, sowie ein Staat, der wirtschaftliche Freiheit gewährt – durch eine Rechtsordnung stützt – und den Frieden gegen Bedrohung von außen sichert. Zu den bemerkenswerten Einsichten von Smith gehörte die Überlegung, dass wir das Brot des Bäckers nicht der Menschenfreundlichkeit des Bäckers primär verdanken, sondern in der Regel eigennutzorientiertem Handeln: Der Bäcker möchte ein hohes Einkommen erzielen, etwa um für sich und seine Familie Kleidung kaufen zu können. Ein Schneider wiederum arbeitet auch nicht einfach aus Menschenliebe, sondern möchte ein Einkommen erwirtschaften, um dann für sich und die Seinen Brot zu kaufen. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft – mit verschiedenen Berufsgruppen – führt eigennutzorientiertes Handeln zu gesellschaftlich sinnvollen Interaktionen, die den Nutzen aller Beteiligten steigern: Etwa, wenn sich (frierende) Bäcker und (hungrige) Schneider auf einem Markt zum Tauschhandel bzw. zu Transaktionen treffen. Egoistisches, eigennütziges Verhalten kann durchaus zu sinnvollem sozialen Handeln führen. Das ist kein Argument gegen altruistisches Verhalten, bei dem ein Individuum – wie etwa innerhalb der

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Familie – ein direktes Interesse an der Bedürfnisbefriedigung von Anderen hat. Im Übrigen zeigt die historische Erfahrung, dass viele Herrscher, die die Menschen „von oben“ begrüßen wollten, sehr vielen Menschen Unglücke, Leid und Tod brachten. Demokratische Systeme in Verbindung mit einem Rechtsstaat – mit garantierten Menschenrechten einerseits und Gewaltenteilung anderseits – lassen in der Regel eine willkürfreie, an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit ausgesuchte Politik erwarten. Demokratie basiert auf einer Konkurrenz von Parteien bzw. auf dem Prinzip von Regierung und parlamentarischer Opposition. Dies bedeutet auch, dass eine öffentliche Kontroverse die Politik prägt. Dieses Moment der Kontroverse ist in Gesellschaften mit hoher Betonung von Harmonie bzw. Ablehnung öffentlicher Diskurse – wie in Teilen Asiens – durchaus problematisch, wenn es um die Akzeptanz von Demokratie außerhalb des „Westens“ geht. Unter den Klassikern gilt auch David Ricardo als sehr einflussreich, da er die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung betonte: Für die Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung sei nicht entscheidend, welche absoluten Kostenvorteile ein Land jeweils habe; entscheidend seien relative Kostenvorteile: Ein Land wird wohlhabend bzw. eine hohe gesamtwirtschaftliche Produktion realisieren, wenn es sich auf die Güter spezialisiert – und diese exportiert –, bei denen es einen komparativen (d.h. relativen) Produktivitäts- bzw. Kostenvorteil hat. Es werden die Güter importiert, bei denen es einen relativen Kostennachteil hat. Selbst wenn in einem einfachen Zwei-Länder-Modell ein „führendes“ Land theoretisch alle Güterarten mit relativ geringerem Faktoreinsatz als das Nachbarland herstellen könnte, entsteht durch freien Außenhandel und eine Spezialisierung in beiden Ländern ein Nutzengewinn für beide Länder. Außenhandel ist ein Positivsummenspiel: beide Transaktionspartner gewinnen. Diese klassische Sichtweise ist deutlich entgegengesetzt dem Merkantilismus aus der Zeit unmittelbar vor der Französischen Revolution, als unter Finanzminister Colbert der Staat in Frankreich eine Doktrin verfolgte, die hieß: Staatliche Subventionierung und Förderung von Manufakturen in der Exportwirtschaft (plus Infrastrukturausbau) in der Absicht, einen möglichst hohen Exportüberschuss – und damit einhergehend Geldvorrat – zu erzielen. In einem Zwei-Länder-Modell der Weltwirtschaft führt eine solche Haltung von Land I zu einem permanenten Handelsbilanzdefizit (Handelsbilanz ist die Gegenüberstellung von Exportwert und Importwert für eine gegebene Periode) von Land II: Land II führt wertmäßig immer mehr Waren aus I ein, als es nach I ausführt, woraus sich eine langfristig steigende Auslandsverschuldung von II ergibt. Da nicht beide Länder gleichzeitig einen Handelsbilanzüberschuss erzielen können, sind langfristige Konflikte angelegt, sobald Land I und II gleichzeitig eine merkantilistische Wirtschaftspolitik mit dem Ziel von Handelsbilanzüberschüssen verfolgen wollten. A.1.3 Volkswirtschaftliche Problemstellungen Wenn man an die Güterversorgung bzw. den Wohlstand im internationalen Vergleich denkt, dann ist offensichtlich: Es gibt Länder mit hohem gesamtwirtschaftlichen Einkommen Y bzw. „Wertschöpfung“ – das ist die Summe aller neu er-

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stellter Güter und Dienstleistungen der abgelaufenen Periode. Wenn man im Inland bei einer Bevölkerung L das gesamtwirtschaftliche Einkommen Y verzeichnet, im Ausland (Variable mit * gekennzeichnet) aber bei einer Bevölkerung bzw. Beschäftigtenzahl L* das gesamtwirtschaftliche Einkommen Y*, dann kann man zunächst Y und Y* vergleichen. Man kann darüber hinaus auch das ProKopf-Einkommen im Inland y = Y/L mit dem im Ausland y* = Y*/L* vergleichen. Es gibt in der Realität reiche Länder (hohes Pro-Kopf-Einkommen y) und arme Länder (niedriges Pro-Kopf-Einkommen) sowie innerhalb jedes Landes unterschiedliche Einkommenspositionen von Bevölkerungsgruppen bzw. jedes Einzelnen. Wie können die beobachteten Phänomene erklärt werden? Kann der Staat die Produktivität – z.B. die durchschnittliche Arbeitsproduktivität y = Y/L – und die Einkommensverteilung beeinflussen? Können reiche Länder armen sinnvoll helfen, ökonomisch aufzuholen? Oder gibt es eine Art automatisierten Aufholprozess? Offenbar geht es bei der Volkswirtschaftslehre oftmals um die Analyse der Wirtschaftsentwicklung in Ländern; im Einzelfall auch in Regionen bzw. Sektoren. Während die Betriebswirtschaftslehre die Unternehmung als Erkenntnisobjekt hat, ist das Erkenntnisobjekt der Volkswirtschaftslehre häufig eine Volkswirtschaft – im Extremfall die Weltwirtschaft. Von daher ist ein gewisses Abstraktionsniveau bei der Analyse wichtig. Auf Basis wissenschaftlicher Analyse (=strukturiertes Denken) gelingt es in der Regel, aktuelle oder latente Probleme zu verstehen und mögliche Gegenmaßnahmen der Wirtschaftspolitik zu identifizieren. Die Volkswirtschaftslehre (Economics) befasst sich mit verschiedenen Erscheinungen, wozu unter anderem zählen: • Marktangebot: Wer bietet welche Produkte in welcher Menge bzw. zu welchen Preisen an? • Marktnachfrage: Wer fragt welche Produkte in welcher Menge bzw. zu welchem Preis nach? • Marktpreisbildung: Welcher Preis ergibt sich auf einem Markt, wieso und wie schnell ändert sich der Markträumungspreis: der Preis, der Angebot und Nachfrage zum Ausgleich bringt? Wie stark sind Preisfluktuationen (sie sind erfahrungsgemäß besonders hoch auf Finanzmärkten)? • Innovation: Wodurch kommt es zu Kosten senkenden Prozessinnovationen – also neuen Herstellungsverfahren – und Produktinnovationen? Welche Auswirkungen ergeben sich auf den Wirtschaftsprozess? • Selbständigkeit: Wovon hängt der Anteil der Selbständigen in der Bevölkerung ab und welche Bedeutung hat die Selbständigenquote? • Demographie: Welche ökonomischen Einflussgrößen sind relevant für das Bevölkerungswachstum? • Warum gibt es Außenhandel und Kapitalverkehr (Kapitalexport: z.B. Kauf einer Immobilie oder eines Wertpapiers im Ausland bzw. Land II; Kapitalimport: z.B. Ausländer kauft Immobilie oder Wertpapier in Land I)? Wieso sind einige Länder besonders stark von Außenhandel und Kapitalverkehr abhängig? Ist die viel zitierte Globalisierung ein für die Weltwirtschaft eher negativer oder positiver Prozess?

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

• Konjunktur, also zyklische Entwicklungen der Wirtschaftsaktivität: Wieso gibt es regelmäßige Auf- und Ab- Entwicklungen der Produktionsmengen in Marktwirtschaften? • Wirtschaftswachstum: Warum gibt es seit der Industriellen Revolution einen langfristigen Anstieg der Güterproduktion in vielen Ländern bzw. warum wächst die gesamtwirtschaftliche Gütermenge in vielen Ländern schneller als die Bevölkerung? Kommt es dann zu einem Anstieg der Pro-KopfEinkommen? Wieso gibt es Länder, in denen das Pro-Kopf-Einkommen über längere Zeiträume sinkt? • Woraus ergibt sich der Strukturwandel der Wirtschaft (Struktur gemessen am Anteil der Produktion bzw. der Beschäftigung von Sektor i an der Gesamtwirtschaft; z.B. sank in Japan der Anteil der Wertschöpfung bei Textil & Chemie von 33% in 1960 auf unter 2% in 2000, in Deutschland verdoppelte sich der Wertschöpfungsanteil des Sektors der Informations- und Kommunikationstechnologie in den 90er Jahren und erreichte – gemessen in Preisen von 1995 – in 2000 10%)? • Welche Rolle hat der Staat in einer Marktwirtschaft und welche institutionellen Arrangements sind wirtschaftlich vorteilhaft für die Gesellschaft? Wie hoch sollten Staatsausgaben und -einnahmen sein? • Kann der Staat die Einkommensverteilung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Arbeitnehmer vs. Unternehmer) dauerhaft beeinflussen? Diese und andere Fragen werden in der Volkswirtschaftslehre behandelt. Zu den typischen Fragen gehören regelmäßig auch die nach Kosten und Nutzen, wobei man in der Ökonomik eine monetäre Bewertung versucht. Bestehen Marktpreise, so ist dies relativ einfach; wie aber bewertet man ein historisches Schloss oder den Verlust von Menschenleben bei Autounfällen? Bis zu welchem Grad sollte man gesundheitliche Vorsorgeprogramme ausbauen, die doch Geld kosten, zugleich aber Leben retten können? Die Erde ist unter allen Planeten und Sternen unseres Sonnensystems ziemlich einmalig, da sie im Gegensatz zu anderen bekannten Himmelskörpern Wasser in großer Menge an der Oberfläche führt, das für die Entstehung von Leben sehr wichtig ist. Folgt man dem Ansatz der ständig bewohnbaren Zone (continuously habitable zone, was als Konzept von dem Astrophysiker Michael Hart 1978 vorgeschlagen wurde), dann sind die Existenz von Ozeanen und einer Atmosphäre auf der Erde, die höhere Lebensformen möglich machten, ein ziemlicher Glücksfall. Dies ergibt sich aus diversen Berechnungen vor dem Hintergrund der Entstehung unseres Sonnensystems: Hätte der Vorgang, der zur Entstehung der Erde geführt hat, 1% weiter weg von der Sonne oder 5% näher dran begonnen, dann wäre die Erde entweder wie die Venus von einem Treibhausgas-Effekt zum unbewohnbaren Planet gemacht worden oder seit etwa 2 Mrd. Jahren zugefroren (TREFIL, 2002). Auch von daher ist vermutlich Umweltschutz, und zwar insbesondere die Erhaltung einer intakten Erdatmosphäre und der Meere, ein gewichtiges Anliegen vieler Menschen und Politiker. Während saubere Atemluft – und bisweilen auch Wasser – meist ein freies Gut ist, das sozusagen im Überfluss vorhanden ist, sind bestimmte Qualitätsmerkmale der Umwelt eben knapp; vor allem in stark in-

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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dustrialisierten Großstädten. Neben Konsum und Produktion sind aus volkswirtschaftlicher Sicht also auch Fragen der Abfall- und Umweltwirtschaft zu bedenken. Während die Industrielle Revolution schon um 1850 begann, hat sich ein allmählich ausgeprägtes Bewusstsein für Umweltschutz erst um 1900 im Zuge von städtischen Hygieneproblemen und später vor dem Hintergrund neuerer Forschungen ergeben. Die UN-Umweltkonferenz in Stockholm 1972 ist hier als international öffentlichkeitswirksame Veranstaltung zu nennen. In der Volkswirtschaftslehre arbeitet man mit vereinfachenden Annahmen: Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse, wobei man aus ökonomischer Sicht annimmt, dass der Mehrkonsum von Gütern – bis zum Erreichen einer Sättigungsmenge (!) – den Nutzen des jeweiligen Individuums steigert. Individuen streben annahmegemäß danach, den höchstmöglichen Nutzen zu erreichen: formell gesprochen geht es um die Maximierung einer Nutzenfunktion U(q1,q2) unter Nebenbedingungen; dabei bleibt hier offen, welche konkreten Variablen in der Nutzenfunktion stehen. Eine übliche Annahme lautet, dass der Nutzen U positiv von den Gütermengen q1 und q2 abhängt. Da Menschen verschiedene Güter konsumieren können, ist zu analysieren, inwieweit Individuum A bestimmte Güter präferiert, während B vorzugsweise andere Güter bzw. Gütermengen wünscht. Gibt es in einem einfachen Modell zwei verschiedene Güter wie Brot und Milch, dann muss man nicht nur untersuchen, wie stark der Mehrkonsum bei Brot und Milch jeweils das Nutzenniveau beeinflusst, sondern auch wie eine Erhöhung des Brotkonsums (Milchkonsums) auf die Nutzenempfindung beim Milchkonsum (Brotkonsum) einwirkt. Darüber hinaus kann man fragen, wie der Nutzen von Person A auf den von Person B einwirkt, wobei ein positiver Einfluss einen Hinweis auf eine altruistische Einstellung oder bestimmte gefühlsmäßig positive Verbindungen – wie innerhalb der Familie – gibt. Eine positive interpersonelle Nutzenabhängigkeit kann einseitig sein, aber auch ein wechselseitiges symmetrisches Phänomen bezeichnen. Grundsätzlich ist auch eine interpersonelle Nutzenneutralität denkbar, wie dies in der Ökonomie meist angenommen wird. Schließlich wäre auch eine negative interpersonelle Nutzenbeziehung denkbar, was auf Rivalität oder gar Feindschaft zwischen den betrachteten Personen hinweist. Knappheit bezeichnet das Spannungsverhältnis zwischen Bedarf und vorhandener Gütermenge. Der Bedarf weltweit hängt u.a. von der Bevölkerungsentwicklung ab. Um 1900 gab es 1,5 Mrd. Menschen, in 2000 lag die Bevölkerungszahl bei über 6 Mrd., 2050 könnten um 10 Mrd. – mit nachfolgender Stabilisierung dieser Zahl – erreicht werden. Die produzierten Gütermengen hängen ab von der einsetzbaren Menge und Qualität der Produktionsfaktoren: Arbeit, Boden bzw. Natur, Kapital und technisches Wissen. Der Faktor Arbeit hat sich im Zuge der Bevölkerungsexplosion quasi automatisch vermehrt, während der Faktor Boden schon seit langem als offenbar begrenzt angesehen wurde (durch Erosion kann er sich weltweit sogar vermindern). Inwieweit Kapital und technisches Wissen in ihrem Bestand in einzelnen Regionen, Ländern und der Weltwirtschaft zunehmen können, ist zu prüfen. Im Übrigen können Faktorbestände auch durch Naturkatastrophen oder Kriege vernichtet werden. In der Volkswirtschaftslehre ist das Wissen um relevante Größenordnungen unverzichtbar. Das Weltnationaleinkommen – die für alle Länder kombinierte Wertschöpfung (Wert der Neuproduktion von Gütern

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

und Dienstleistungen) – betrug etwa 28.000 Mrd. Euro im Jahr 2003. Das Bruttonationaleinkommen in Deutschland lag bei 2.200 Mrd. Euro. Das Bruttonationaleinkommen der USA wie der EU-25 lag bei jeweils knapp 1/3 des Welteinkommens. Die Bevölkerung der USA betrug 295 Millionen, die der EU-25 rund 455 Mio. (EU-27: 495 Mio., die Japans 127 Mio., die Indiens fast 1 Milliarde, die Chinas 1,2 Mrd). Güter und Produktionsfaktoren werden auf Märkten gehandelt. Die Anbieter bieten in Abhängigkeit vom Preis p alternative Gütermengen an: Je höher der Preis, desto höher die geplante Menge q auf der Angebotsseite. Die nachgefragte Menge ist umso geringer, je höher der Preis. Es gibt einen bestimmten Preis pE, bei dem Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind (Angebotsmenge = Nachfragemenge). Wenn (bei bestimmten Nebenbedingungen) alle Märkte im Gleichgewicht sind – also Nachfrage = Angebot gilt –, dann herrscht ein allgemeines Gleichgewicht. Wenn zugleich Vollbeschäftigung und inflationsfreies Wachstum in Friedenszeiten bestehen, dann könnte man von einer Art Idealzustand der Volkswirtschaft sprechen. Dabei meint inflationsfrei ein stabiles Preisniveau P (der gewichtete Durchschnitt der einzelnen Güterpreise), so dass die Kaufkraft des Geldes (1/P) erhalten bleibt, während Wirtschaftswachstum auf ein fortlaufendes Ansteigen der Gütermengen abstellt. Tatsächlich sind die genannten Idealzustände selten längere Zeit gleichzeitig realisiert, vielmehr beobachtet man immer wieder ernsthafte Probleme in Volkswirtschaften: • Immer wieder kommt es in einigen Ländern zu Phasen erhöhter Arbeitslosigkeit und Stagnation (gesamtwirtschaftliche produzierte Gütermenge wächst nicht bzw. bleibt konstant); oder gar einer Kontraktion („Rezession“) der gesamtwirtschaftlichen Gütermenge. Hier sind verschiedene Akteure zu Korrekturmaßnahmen aufgefordert: Die Tarifvertragsparteien und die Wirtschaftspolitik etwa im Fall der Arbeitslosigkeit; dabei kann hinter einer Arbeitslosenquote (Relation von gemeldeten Arbeitslosen zu abhängig Beschäftigten) von 10% eine bunte Vielfalt von Problemen stehen. Es könnte sich bei den Arbeitslosen z.B. überwiegend um Ungelernte handeln (wie in Deutschland Anfang des 21. Jahrhunderts) oder aber überwiegend um qualifizierte Arbeitnehmer. Um notwendige bzw. sinnvolle Maßnahmen für die Beseitigung des Problems zu identifizieren, bedarf es eines umfassenden Wissens über die Charakteristika der Ursachen der Probleme und Nutzen sowie Kosten alternativer Reaktionen. Wenn überwiegend Ungelernte arbeitslos sind, kämen sowohl eine Politik der Lohnzurückhaltung bei unteren Lohngruppen als auch staatlich mitfinanzierte Qualifizierungsmaßnahmen in Betracht. Zudem ist zu prüfen, ob Mängel im Bereich der schulischen Bildung mitverantwortlich sind für den hohen Anteil ungelernter Arbeitskräfte unter den jungen Arbeitnehmern. Wenn hingegen gut Qualifizierte den überwiegenden Anteil der Arbeitslosen ausmachen würden, dann kann eigentlich nur eine Politik der Lohnzurückhaltung helfen. Dazu könnten möglicherweise ergänzend staatliche Maßnahmen zur Belebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kommen (höherer Staatskonsum oder Reduzierung der Steuerquote), was zu erhöhter Produktion und Neueinstellungen führen und Anreize für Unternehmensgründungen bieten könnte.

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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• Es gibt über Jahrzehnte gesehen immer wieder Phasen mit hoher Inflation, in denen das allgemeine Preisniveau (gewichteter Durchschnitt von Einzelpreisen: auf Basis eines repräsentativen Warenkorbes) wiederholt stark ansteigt. Steigt das Preisniveau P an, dann sinkt der Realwert – in Gütereinheiten ausgedrückter Wert – eines Geldscheins bzw. von nominalen Größen (Größen in Währungseinheiten). Beträgt der Geldbestand von Person I 100 Euro, während das Preisniveau den Indexwert 1 hat, dann ist nach einer Verdoppelung von P binnen Jahresfrist der reale Wert eines 100 Euro-Scheins nur noch halb so groß. Produziert die Volkswirtschaft nur Brot und kostet 1 kg Brot 5 Euro, so ist quasi ein 100-€-Schein 20 kg Brot wert. Steigt der Brotpreis auf 10 Euro, so entspricht ein Geldvermögen von 100 Euro nur noch 10 kg Brot. Im Übrigen können auch Deflationsphasen, bei denen das Preisniveau sinkt – wie etwa in Japan in den 90er Jahren – problematisch sein; etwa weil Verbraucher in Erwartung weiterer künftiger Preissenkungen zu einem Rückgang der Konsumnachfrage in der laufenden Periode motiviert werden. Inflation und Deflation führen jeweils zu einer Reihe von Problemen, so dass hier die Wirtschaftspolitik gefordert ist einzugreifen und Maßnahmen zur Erreichung von Preisniveaustabilität zu realisieren. • In vielen armen Ländern steht die Aufgabe für den Staat obenan, einen ökonomisch-technologischen Aufholprozess zu organisieren. Dabei ist der Staat u.U. vielfältig gefordert: etwa im Bereich der Infrastrukturpolitik oder bei der Bildungs- und Sozialpolitik. Tatsächlich gilt für arme Länder wie für reiche Länder, dass eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen Staat und privatem Sektor (bzw. der Wirtschaft) festzulegen ist. Wenn es in Teilbereichen staatlicher Aktivitäten anhaltende gravierende Probleme gibt, so ist über strukturelle Reformen nachzudenken. • Eine vernünftige Finanzierung des Staatshaushaltes ist eine in allen Ländern der Welt zu lösende Aufgabe. Dabei scheitern nicht wenige Regierungen, die das jeweilige Land womöglich in die Hyperinflation oder den Staatsbankrott führen. Länder, in denen die Menschen unter hohen Steuer- und Abgabenlasten leiden, stehen oft vor dem Problem, dass viele Individuen in die steuer- und abgabenfreie Schattenwirtschaft abwandern und weniger arbeiten wollen bzw. mehr Freizeit wünschen – das reale Bruttoinlandsprodukt (vereinfacht: die gesamtwirtschaftliche Gütermenge) wird dann sinken. Möglicherweise werden Menschen auch in großer Zahl auswandern. • Ein sinnvolles Miteinander mit anderen Ländern in der Weltwirtschaft ist zu organisieren: Internationale Wirtschaftsbeziehungen im Sinn von Handel, Kapitalverkehr oder Kauf bzw. Verkauf von Devisen, sind für den Wohlstand der Nationen wichtig. Auch muss eine sinnvolle politische Arbeitsteilung zwischen nationaler Politikebene und den regionalen bzw. globalen Organisationen – wie etwa Internationaler Währungsfond (IWF), Weltbank oder Welthandelsorganisation (WTO) bzw. etwa EU – gefunden werden. Menschen handeln auf Basis von Werten oder Zielen und verfügbaren Ressourcen (Kapital, Arbeit etc.) bzw. Einkommen. In der Praxis vollzieht sich das Handeln des Einzelnen in der Regel in Verbindung mit anderen Menschen, die als Ar-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

beitskollegen, Transaktionspartner auf Märkten oder Gesprächs- und Akteurspartner in anderen sozialen Kontexten wichtig sind. Die Gesellschaft ist durch bestimmte Regeln und Institutionen geprägt, die etwa den einsamen Robinson Crusoe auf seiner Insel nicht zu interessieren brauchten. Regeln und Institutionen können als wichtige Bausteine gelten, wenn es in der Gesellschaft um erfolgreiche Knappheitsbewältigung geht. Regeln, die einzelwirtschaftliche Verhaltensspielräume begrenzen, ermöglichen eine bessere Erwartungsbildung jedes Einzelnen, so dass soziales (auf andere bezogenes) Handeln einerseits und Kooperation andererseits erleichtert werden. Institutionen mit bestimmten Aufgabenfeldern reduzieren Interpretationskonflikte in der Gesellschaft, da die Vorabfestlegung und -zuweisung von bestimmten Kompetenzen Verantwortungen klarstellt. In der Gesellschaft aber gibt es Regeln und Institutionen, die einzelwirtschaftliche Entscheidungen stillschweigend, etwa dank Tradition oder durch Ge- oder Verbote bzw. Anreize oder Sanktionen für bestimmte Aktivitätsfälle, beschränken bzw. beeinflussen wollen. Abhängig von der konkreten Ausgestaltung können bestimmte Regeln (und Institutionen) nützlich – oder auch schädlich – sein, wenn es um das Problem geht, Knappheit zu vermindern. Der moderne Staat kann sinnvolle oder unsinnige Regeln durchsetzen, er kann seinen Aktionsradius gegenüber der privaten Wirtschaft bzw. den Bürgern eng oder weit definieren. Der Staat mit seinem Gewaltmonopol tritt machtvoll gegenüber dem Einzelnen auf, indem er Regeln auf vielfältige Weise durchsetzt und die Bürgerinnen und Bürger zu Steuerzahlungen oder bestimmten Leistungen (z.B. Militärdienst) heranzieht. A.1.4 Teilgebiete der Volkswirtschaftslehre A.1.4.1 Überblick Die Volkswirtschaftslehre beschreibt, analysiert und prognostiziert gesamtwirtschaftlich relevante Sachverhalte, die sich aus Entscheidungen und Verhaltensweisen der Wirtschaftseinheiten innerhalb der staatlich gesetzten Rahmenbedingungen des Wirtschaftens ergeben. Je nach der konkreten Fragestellung werden dabei Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften Politologie und Soziologie sowie der Betriebswirtschaftslehre einbezogen und die Methoden der Wirtschaftsmathematik und -statistik sowie der modernen Datenverarbeitung genutzt. Die Volkswirtschaftslehre – von ADAM SMITH 1776 als systematischer Wissenschaftszweig begründet – stellt die Basis für das Erkennen gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen für Wirtschaft, Wissenschaft und Wirtschaftspolitik zur Verfügung. Dabei ist es keineswegs so, dass der Sachverhalt der Knappheit nur ökonomische Aspekte beinhaltet. Auch soziologische Perspektiven sind wichtig, wobei das „Rollenverhalten“ von Individuen untersucht wird; oder auch die Bildung von Gruppen.

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A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

Bereiche der Volkswirtschaftslehre

Mikroökonomik

Makroökonomik

Haushaltstheorie

Wirtschaftssystemtheorie

Unternehmenstheorie

Konjunkturtheorie Wachstumstheorie

Preistheorie

Geldtheorie

Wettbewerbstheorie

Außenwirtschaftstheorie

Abb. A.2. Teilbereiche der Volkswirtschaftslehre

Die Volkswirtschaftslehre erklärt neben einzelwirtschaftlichen Sachverhalten auch gesamtwirtschaftliche nationale und internationale Phänomene: so z.B. die Weltwirtschaftskrise von 1929 oder die Schuldenkrise der Dritten Welt von 1982 (als u.a. Mexiko hinsichtlich der Bedienung der Auslandsschulden illiquide wurde) oder die Asienkrise in 1997/98; oder die Globalisierung der Wirtschaft, wobei Globalisierung als verstärkte internationale Vernetzung durch Außenhandel, Kapitalverkehr – inklusive Direktinvestitionen (d.h. Investitionen im Ausland) von multinationalen Unternehmen – und Medien (z.B. Internet) zu verstehen ist. Volkswirtschaftliche Analysen können Trends sowie Gefahrenmomente der Wirtschaftsentwicklung einerseits erklären und andererseits politische Handlungsalternativen aufzeigen. Erfahrungen der Vergangenheit sind dabei oftmals hilfreich, weil man aus vorangegangenen ähnlichen Problemkonstellationen Erfolg versprechende Handlungsmöglichkeiten ableiten kann. Jedoch bleibt bei von der Sache her völlig neuartigen Situationen nur der Rückgriff auf die theoretische Untersuchung der Phänomene. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank sowie die UN tragen mit ihren Analysen zur theoretischen und wirtschaftspolitischen Debatte bei – und natürlich Wissenschaftler aus Universitäten und Forschungszentren. In der Bundesrepublik Deutschland leisten die halbjährlichen Gutachten der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sowie die Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Monats- und Geschäftsberichte der Deutschen Bundesbank wesentliche Beiträge. Hier werden wirtschaftliche Entwicklungstendenzen beschrieben und dokumentiert sowie gegebenenfalls politische Handlungsalternativen diskutiert. Auch die Jahresberichte der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, die Publikationen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sowie der EU bieten auf internationaler Ebene wichtige Daten-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

sammlungen und Analysen, die in der Wirtschaftspresse regelmäßig kommentiert werden. Dabei hat aufgrund der rasch voranschreitenden Internationalisierung der Volkswirtschaften (Ausbreitung multinationaler Unternehmen, wachsende Auslandsverschuldung, steigender Welthandel) die Tendenz zugenommen, dass menschliche Bedürfnisse im Rahmen eines international von gegenseitiger Abhängigkeit geprägten Weltwirtschaftssystems befriedigt werden. A.1.4.2 Mikroökonomik Um die Funktionsweise gesamtwirtschaftlicher Prozesse zu verstehen, bedarf es zunächst einer realitätsnahen Vorstellung über die Verhaltensweisen und Anpassungsreaktionen der einzelnen Wirtschaftssubjekte. Weiß man, wie der Einzelne sich typischerweise verhält, kann man dann in einem weiteren Schritt das Verhalten ganzer Gruppen, Sektoren oder Regionen bzw. Länder erklären. Grundlage der volkswirtschaftlichen Analyse ist daher zunächst das Verhalten einzelner (kleiner bzw. überschaubarer) Wirtschaftseinheiten. Das einzelwirtschaftliche Verhalten ist Gegenstand der Mikroökonomik. Sie untersucht: • das typische Entscheidungsverhalten privater Haushalte (Haushaltstheorie). So werden in der Haushaltstheorie insbesondere das Spar- und Konsumverhalten sowie das Arbeitsangebotsverhalten der privaten Haushalte untersucht. Zum Beispiel kann man bezüglich des Sparverhaltens aufgrund von theoretischen Überlegungen zeigen, dass die Ersparnisentscheidung unter anderem vom Zinssatz und vom verfügbaren Einkommen abhängt. Beobachtungen und Befragungen stützen diese Überlegungen; • die Organisation von Produktions- und Leistungsprozessen in Unternehmen (Unternehmenstheorie). Die Unternehmenstheorie zeigt z.B. auf, weshalb alternative Rechtsformen der Unternehmung unterschiedlich starke Kontrollmöglichkeiten durch die Eigentümer bezüglich der Verwendung von finanziellen und materiellen Ressourcen im Unternehmen beinhalten. Auch kann z.B. ein Zusammenhang aufgezeigt werden zwischen alternativen Formen betrieblicher Vermögensbeteiligungsmodelle und der Leistungsmotivation von Mitarbeitern im Unternehmen; • die Preisbildung auf einzelnen Märkten (Preistheorie). Die Preistheorie erklärt z.B., weshalb großvolumige PKW mit hohem Benzinverbrauch bei einer Erhöhung der Benzinpreise auf dem Gebrauchtwagenmarkt gegenüber verbrauchsgünstigen Kleinwagen einen relativen Preisabschlag verzeichnen. Oder weshalb die Mieten in Städten steigen, in denen die Grundstückspreise sich erhöht haben; • den Einfluss der Veränderung der Zahl von Anbietern oder Nachfragern sowie die Bedeutung von Produktinnovationen auf die Marktpreisbildung (Wettbewerbstheorie). Wenn z.B. im PKW-Markt neue Anbieter aus Japan oder Korea auftreten, wird sich der Wettbewerb auf den PKW-Märkten intensivieren. Preisreduktionen könnten die Folge sein. Reagiert die deutsche Autoindustrie hierauf mit innovativen, vom Kunden besonders gefragten Produktentwicklungen (z.B. Einführung des Vierrad-Antriebs), erlaubt dies den deutschen Anbietern dennoch höhere Preise für ihre Produkte durchzusetzen. Denkbar ist, dass

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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die ausländische Konkurrenz versuchen wird, den technologischen Vorsprung der Hersteller aus Land X aufzuholen, so dass sich der Wettbewerb im PKWMarkt wieder verschärft. A.1.4.3 Makroökonomik Während in der Mikroökonomik einzelne Wirtschaftseinheiten und isolierte oder eng begrenzte Vorgänge im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, richtet sich das Erkenntnisinteresse der Makroökonomik auf größere gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Während z.B. die Haushaltstheorie untersucht, weshalb einzelne Haushalte bzw. Haushaltsgruppen (Arbeitnehmer-Haushalte, SelbstständigenHaushalte) auf Konsum zugunsten von Ersparnis verzichten, fragt die Makroökonomik, welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen sich ergeben, wenn die privaten Haushalte in ihrer Gesamtheit den Konsum einschränken bzw. mehr sparen. Wird unerwartet mehr gespart, also weniger konsumiert, dann bedeutet dies aus der Sicht der Konsumgüterindustrie einen Nachfrageausfall. Er führt zu ungeplanten Lagerbestandserhöhungen, möglicherweise im Weiteren auch zu verminderten Investitionen. Dies bedeutet einen Nachfrageausfall in der Investitionsgüterindustrie und kann schließlich zu unterausgelasteten Kapazitäten führen. Die Unternehmen erwägen einen Abbau der Belegschaften. In den industrialisierten Volkswirtschaften kommt der Lagerhaltung von daher eine wichtige Rolle beim Konjunkturzyklus zu. Ob und unter welchen Bedingungen z.B. Entlassungen möglich sind, hängt vom Wirtschaftssystem ab, das für alle wirtschaftlichen Aktivitätsbereiche Rahmenbedingungen einzelwirtschaftlicher Entscheidungen vorgibt. Die Makroökonomik, die Haushalte, Regionen und Sektoren gedanklich zusammenfasst ("aggregiert"), untersucht: • Arten und Bedeutung von Wirtschaftssystemen (Wirtschaftssystemtheorie). Die Theorie der Wirtschaftssysteme erklärt, wie die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens das Verhalten von Haushalten und Unternehmen beeinflussen und wie Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte (alternativ) koordiniert werden können. • Ursachen, Formen und Wirkungen von Konjunkturschwankungen (Konjunkturtheorie). Als Konjunktur bezeichnet man zyklische Schwankungen im Kapazitätsauslastungsgrad des Produktionspotenzials. Das Produktionspotenzial – d.h. die theoretisch mögliche Produktion – ist bestimmt durch die zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital (einschließlich Boden) und technisches Wissen. Je niedriger der Kapazitätsauslastungsgrad, den man unter Verwendung einer Skala zwischen 0 und 100 durch Beobachtung oder Befragung ermitteln kann, desto geringer ist bei gegebenem Produktionspotenzial die tatsächliche Produktion. • Ursachen und Wirkungen des Wirtschaftswachstums (Wachstumstheorie). Als Wirtschaftswachstum im engeren Sinne bezeichnet man die langfristige Erhöhung des Produktionspotenzials bzw. die Tatsache, dass aufgrund vermehrt zur Verfügung stehender Produktionsfaktoren eine wachsende Menge von Gütern und Dienstleistungen erzeugt werden kann. Das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial bezeichnet die maximal mögliche Produktion auf Basis

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

der in den Unternehmen vorhandenen Produktionsfaktoren. Ob tatsächlich – bei gestiegenen Produktionsmöglichkeiten – mehr produziert wird, hängt dann insbesondere vom Auslastungsgrad ab. • Ursachen, Formen und Wirkungen der Geldwirtschaft (Geldtheorie). Der Übergang von einer reinen Naturaltauschwirtschaft (Barter-Wirtschaft) zu einer Geldwirtschaft mit indirekten, durch Geld vermittelten Tauschakten wird hier ebenso erklärt wie die Bedeutung des Geldes als Recheneinheit, Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel, die Bestimmungsgründe von Geldangebot und Geldnachfrage oder die Wirkungen geldpolitischer Impulse. • Ursachen, Formen und Wirkungen außenwirtschaftlicher Transaktionen (Außenwirtschaftstheorie). Hier werden z.B. Höhe und Struktur des Warenaustausches zwischen Ländern sowie die Entwicklung des internationalen Kapitalverkehrs erklärt. Auch Fragen der regionalen Wirtschaftsintegration und der Globalisierung sind hier relevant. Dabei ist zu beachten, dass die Teilgebiete der Makroökonomik sich überschneiden bzw. ergänzen. Zum Beispiel zeigt die Außenhandelstheorie die Vorteilhaftigkeit des internationalen Handels auf. Es ist jedoch denkbar, dass z. B. steigende Importe einen starken Druck erzeugen, die Wirtschaftsstrukturen im Inland an veränderte außenwirtschaftliche Bedingungen anzupassen. Inländische Industrien, die gegen günstigere Importe konkurrieren, sehen sich veranlasst, Entlassungen vorzunehmen. Die allgemeinen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens – die Wirtschaftsordnung – beeinflussen dabei die Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen, einen Stellenabbau vorzunehmen. Steigende Arbeitslosigkeit und eine sich verbreitende Unsicherheit hinsichtlich des Erhalts von Arbeitsplätzen können dann insgesamt zu Kaufzurückhaltung und zu verminderten Investitionen führen, sodass es zu einem Wirtschaftsabschwung kommt. Idealerweise realisiert die Wirtschaft im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht Vollbeschäftigung, aber eine solche Konstellation ist auch in historischer Perspektive keineswegs selbstverständlich. In der Weltwirtschaftskrise 1929-34 herrschten über mehrere Jahre eine starke Kapazitätsunterauslastung (tatsächliche Produktion dividiert durch die maximal mögliche gesamtwirtschaftliche Produktion) und eine sehr hohe Arbeitslosenquote in den USA und Westeuropa. In Deutschland trug die anhaltende Massenarbeitslosigkeit deutlich zur politischen Radikalisierung bei. Es sind viele Gründe für einen Konjunkturabschwung bzw. einen Rückgang der Kapazitätsauslastung denkbar: Ein starker Rückgang der Auslandsnachfrage, ein Ölpreisschock oder einfach ein negativer Stimmungsumschwung auf Seiten der Investoren. Im Aufschwung kann es im Übrigen zu hoher Inflation (Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus, das einen gewichteten Durchschnitt von Einzelpreisen darstellt) kommen, die von der Zentralbank durch eine restriktive Geldpolitik bekämpft werden kann: Der Zins steigt, woraufhin die Investitionen einbrechen könnten; es kommt zu Entlassungen in der Investitionsgüterindustrie und die gesamtwirtschaftliche Produktion des Einkommen Y sinkt, also fällt auch die Konsumnachfrage. Bei einem Boom, in dem die gesamtwirtschaftliche Produktion stark ansteigt und die Lagerhaltung in der Regel ungeplant stark abgebaut

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A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

wird – während der Konsum bei allgemeinen steigenden Preisen und zunehmender Beschäftigung anwächst – werden die Importe zunehmen; die Exporte werden wegen der starken Inlandsnachfrage nur noch langsam wachsen. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Tatsächlich kann gerade auch ein übersteigerter Aufschwung – wie im Zuge der Aktienhausse in den 20er Jahren – schon den Keim für einen späteren starken Abschwung enthalten: So reduziert eine starke Hausse an der Börse die Kapitalkosten der Unternehmen, so dass sehr viele Kapitalgesellschaften zeitweilig gleichzeitig die Kapazitäten stark ausbauen werden – bis sich bei Inbetriebnahme der neuen Kapazitäten zeigt, dass auf vielen Märkten enorme Überkapazitäten entstanden sind. Letztere führen zu massiven Preissenkungen, Unternehmenskonkursen, Entlassungen, ökonomischer Unsicherheit, Kaufzurückhaltung, Aktienkurseinbruch, Investitionskürzungen und letztlich einer starken Rezession. Von daher ist der Staat bzw. die Notenbank gefordert, spekulative Blasen am Aktienmarkt und andere „Übertreibungen“ im Wirtschaftsaufschwung zu verhindern. Allerdings soll der Staat auch im Fall einer Rezession – bei Unterauslastung des Produktionspotenzials bzw. wenn das reale (preisbereinigte) Bruttoinlandsprodukt mehrere Quartale hintereinander zurückgeht – durch geeignete Maßnahmen gegensteuern: etwa über erhöhte Staatsnachfrage bzw. Anhebung der öffentlichen Investitionen, ggf. auch über Steuersenkungen für Unternehmen und private Haushalte (im Rahmen bestimmter – z. B. keynesianischer – Konzepte). Denkbar ist alternativ auch, die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft zu stärken. Weltwirtschaftskrise Lehrreich ist die Weltwirtschaftskrise 1929-34, in der das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland drei Jahre hintereinander fiel, in den USA sogar vier Jahre lang. Der kumulierte Rückgang des Bruttoinlandsprodukts betrug in Deutschland 16%, in den USA gar 29%, wobei die US-Arbeitslosenquote rund ¼ erreichte. Tabelle A.2. Produktionsrückgang während der Großen Depression, 1930-34 Länder Frankreich Deutschland Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten

Zahl der Schrumpfungsjahre 3 3 2 4

Kumulierter BIP– Rückgang (%) 11 16 6 27

Quelle: World Bank country office data; Maddison (1995)/World Bank (2002)

Die damals in den USA und Westeuropa herrschende ökonomische Lehre betonte als wirtschaftspolitische Priorität einen ausgeglichenen Staatshaushalt, so dass der Staat z.B. in Deutschland unter Reichskanzler Brüning in der Weltwirtschaftskrise die Beamtengehälter im Interesse eines Haushaltsausgleichs kürzte. Der Staat verschlimmerte damit die Krise; auch in den USA reduzierte der Staat in der Rezession die Staatsausgaben, die – gemäß den Analysen von MILTON FRIEDMAN – durch eine restriktive Geldpolitik 1929/30 verschlimmert worden war. In den USA wurde erst im Zuge des New Deal unter Roosevelt mit einem

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Programm zur Erhöhung der Staatsnachfrage die Great Depression (Große Depression) überwunden. Arbeitslosigkeit In Marktwirtschaften gibt es durch den Konjunkturzyklus bedingte Änderungen der Arbeitslosenquote im Zeitablauf. Insbesondere steigt die konjunkturelle Arbeitslosenquote in einer Rezession – bei geringem Auslastungsgrad des Produktionspotenzials an. Die Arbeitslosenquote ist das Verhältnis von gemeldeten Arbeitslosen und Erwerbstätigen. Als strukturelle Arbeitslosigkeit wird hier das Phänomen bezeichnet, dass es auch konjunkturabhängige Joblosigkeit von Arbeitswilligen gibt – diese Arbeitslosigkeit geht auch im Boom nicht weg (z.B. passen die angebotenen und nachgefragten Profile von Arbeitsanbietern (Haushalte) und Arbeitsnachfragern (Unternehmen) nicht zusammen. Wachstum Ein nachhaltiges reales Wirtschaftswachstum (Steigerung des inflationsbereinigten gesamtwirtschaftlichen Einkommens) wird in den meisten Ländern der Welt als wichtiges Ziel erachtet. Eine Wachstumsrate von 1% p.a. bedeutet eine Verdopplung des Pro-Kopf-Einkommens binnen in 75 Jahren; hingegen bedeutet eine Wachstumsrate von 3% eine Verneunfachung binnen 75 Jahren, wobei ggf. auch die Emissionen und der Energieverbrauch in ähnlicher Größenordnung zunehmen könnten. So sehr man langfristiges Wachstum wünschen mag, so weist doch der letztgenannte Aspekt darauf hin, dass die „Qualität des Wachstums“ gerade in Ländern mit hohem Wachstum nicht vernachlässigt werden darf. Bedeutung der Wachstumsrate: Die logarithmische Ableitung einer Größe nach der Zeit ist eine Wachstumsrate. In diskreter Betrachtung der Zeit ist die periodendurchschnittliche Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP zu konstanten Preisen; Symbol ist Y) [lnYT-lnYt0]/T, wobei T der Endzeitpunkt und t0 der Anfangszeitpunkt ist. Viele arme Länder leiden unter geringem Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens; in einigen Ländern sinkt das Pro-Kopf-Einkommen, weil das Wachstum der Gütermenge geringer als das Wachstum der Bevölkerung ist. Aber auch sehr hohes Wachstum kann problematisch sein, etwa wenn die Infrastruktur zu langsam wächst oder die Emissionen massiv steigen.

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A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

12

10

8

%

6

EU-15* EU-15** BRD BRD-West USA Japan

4

2

0

-2

-4 1960

1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

* Inkl. Neue Bundesländer der BRD ** Inkl. BRD: nur alte Länder. Quelle: ECFIN Ameco Database April 2003, eigene Berechnungen. Abb. A.3. Wachstumsraten der realen Bruttonationalprodukte von Deutschland, EU-15, Japan und USA, in Preisen von 1995 (Jahreswerte: Änderungsrate gegenüber Vorjahreswert)

Betrachtet man die langfristigen Pro-Kopf-Wachstumsraten von 16 Industrieländern (europäische Länder, USA, Kanada, Australien), dann zeigt sich nach 1870 eine Wachstumsrate von über 1%, wobei mit 1,5% im Zeitraum 1890-1910 und im Zeitraum 1950-70 mit 3,7% sowie im Zeitraum 1970-1990 eine relativ hohe Wachstumsrate erreicht wurde. Bemerkenswert ist auch die hohe Wachstumsrate der USA von knapp 4% in den 90er Jahren gewesen. Im 20. Jahrhundert betrug die Wachstumsrate insgesamt etwa 1,9% p.a. Tabelle A.3. Langfristige reale Wachstumsraten pro Kopf für ausgesuchte asiatische und lateinamerikanische Länder Periode 1900–1913 1913–1950 1950–1973 1973–1987

Wachstumsrate (Prozent pro Jahr) 1,2 0,4 2,6 2,4

Zahl der Länder 15 15 15 15

Quelle: BARRO/SALA-I-MARTIN, 1998

Betrachtet man Schwellenländer aus Lateinamerika und Asien, so sind insbesondere die Perioden 1950-73 und 1973-87 Phasen relativ hohen Wachstums, als 2,6% bzw. 2,4% p.a. erreicht wurden.

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

In langfristiger wirtschaftshistorischer Betrachtung gibt es erhebliche regionale Kräfteverschiebungen. Um 1500 war China die größte Volkswirtschaft der Welt und trieb dabei auch internationalen Handel über Land- und Wasserwege; Letzteres endete 1436, als der Kaiser in einem Anflug von Hochmut die Seeschifffahrt verbot und damit eine Art Autarkiepolitik einleitete, die zum langfristigen Abstieg Chinas in der Weltwirtschaft führte. Im 1750 war Indiens Anteil an der Weltindustrieproduktion mit 24,5% etwas höher als die in Europa 23,2%, während China mit 32,8% immer noch führte. Im 19. Jahrhundert übernahm dann Europa im Zuge der modernen Industrialisierung klar die Führung: 1900 betrugen die Anteile Europas, der USA, Chinas und Indiens 62%, 23,6%, 6,2% bzw. 1,7%. Vermutlich werden China und Indien in 21. Jahrhundert ihre globale ökonomische Position gegenüber den USA und Europa ausbauen; allerdings dürften die USA bis 2050 dominieren. Tabelle A.4. Anteile an der Weltindustrieproduktion (%, Zahlen nach Bairoch bzw. Kennedy) Europa USA China Indien

1750 23,2 0,1 32,8 24,5

1800 28,1 0,8 33,3 19,7

1880 34,2 2,4 29,8 17,6

1990 62,0 23,6 6,2 1,7

Quelle: KENNEDY, P. (1987), Aufstieg und Fall der großen Mächte

Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiesen die Wachstumsraten der Volkswirtschaften und Regionen erhebliche räumliche und zeitliche Schwankungen auf, wobei Parallelentwicklungen auf gemeinsame exogene Schocks (z.B. Ölkrisen 1974-75 und 1979-80) hinweisen. Hohes Wachstum haben vor allem Länder, die eine hohe Investitionsquote (Relation von Investitionen zum gesamtwirtschaftlichen Einkommen) verzeichnen; eine hohe Investitionsquote kann nur realisiert werden, wenn die inländische Sparquote auch relativ hoch ist, oder wenn eine niedrige inländische Sparquote (Relation von Ersparnissen zum gesamtwirtschaftlichen Einkommen) mit hohen Nettokapitalimporten aus dem Ausland – relativ zum Bruttoinlandsprodukt – verknüpft ist. Letzteres ist etwa für Australien und Kanada im Zeitraum 1870-1929 charakteristisch, wobei über längere Zeiträume Nettokapitalimportquoten von 5% des Bruttoinlandsproduktes realisiert wurden; damit einher ging natürlich ein erhebliches Wachstum der Auslandsverschuldung. Im Zeitraum 1870-1889 war die US-Investitionsquote gut doppelt so hoch wie im damaligen industriellen Führungsland Großbritannien, und daher war es nur eine Frage der Zeit, bis die USA Großbritannien im Pro-Kopf-Einkommen überholt hatten. Allerdings sank die Investitionsquote in den USA im Zeitraum 193049 stark ab, und zwar auf 12,7%, was einem Rückgang gegenüber der Vor- bzw. Nachperiode von rund 5 Prozentpunkten entspricht. Sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich sank im Zeitraum 1930-49 die Sparquote (Relation von Ersparnis zu gesamtwirtschaftlichem Einkommen) um etwa 5 Prozentpunkte.

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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Bemerkenswert in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ist der enorme Anstieg der Investitionsquote in Südkorea, die von 16,3% im Zeitraum 1950-69 auf 29,1% im Zeitraum 1970-89 stieg. Die relativ niedrige Sparquote von 5,9% in Korea im Zeitraum 1950-69 stieg in den folgenden beiden Dekaden stark an und erreichte 26,2%. Die Republik Korea hat in den 70er, 80er und 90er Jahren einen enormen ökonomischen Aufholprozess realisiert. Dabei hat der Staat in Korea durch hohe öffentliche Investitionen, hohe Ausgaben im Bildungssystem bzw. Forschungsbeihilfen – und einen gewissen Protektionismus – das Wachstum gefördert. Bei steigenden Pro-Kopf-Einkommen stieg dann die Sparquote allmählich an. Es darf nicht übersehen werden, dass es in der Weltwirtschaft erhebliche Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt. Die Armut von Entwicklungsländern hat viele Ursachen: • Unterernährung bei Kindern verhindert eine volle körperliche und geistige Entwicklung bei Heranwachsenden. • Mängel im Gesundheitssystem bedeuten, dass viele Menschen über längere Zeit krank sind und weder lernen noch arbeiten können. • Mängel im Bildungssystem bedeuten, dass der Humankapitalfaktor sehr gering ist, so dass das Produktionspotential viel geringer als in einem OECDLand mit vergleichbarer Bevölkerung ist. • Unterdimensionierte Infrastrukturausgaben – und überhöhte Militärausgaben – bedeuten, dass die private Investitionsquote relativ gering ausfällt. • Häufig führt auch ein großer Einfluss von ineffizienten Staatsbetrieben und fehlender bzw. schwacher Wettbewerb zu geringer Effizienz – inklusive langsamer Diffusionsprozesse bei technischem Wissen, das ohnehin oft relativ gering ist. • Da die Sparquote (Relation Ersparnis zu Einkommen) in armen Ländern relativ gering ist, könnte eine relativ hohe Investitionsquote nur über hohe Kapitalzuflüsse finanziert werden. Oft fehlt aber auch das Vertrauen der ausländischen Investoren, da das politische System im möglichen Investitionsland instabil ist und weil dort Korruption, fehlende Rechtsstaatlichkeit und Behördenwillkür als Probleme in Erscheinung treten. Es fehlt in vielen Entwicklungsländern an den politischen Voraussetzungen für hohe Nettokapitalimporte bzw. es fehlen Reformen in Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, die über hohe langfristige internationale Nettokapitalimporte eine hohe Investitionsquote – so wie im armen Kanada und im armen Australien im Zeitraum 1870-1929 – und damit hohes Wachstum der Pro-Kopf-Einkommen ermöglichen würden. Die Armut des Südens kann kaum auf den reichen Norden der Weltwirtschaft zurückgeführt werden, soweit man einen gewissen Agrarprotektionismus des Nordens und geringfügige Handelsbarrieren bei Industrieprodukten nicht als Alleinverursacher für die Armut vieler Entwicklungsländer ansehen will. Es liegt vor allem an den Entwicklungsländern selbst, durch kluge Reformen in vier Bereichen die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum zu legen: • Staat (Verfassung, Gewaltenteilung, Demokratie – inklusive Minderheitenschutz);

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

• Wirtschaftssystem: Schaffung einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung auf der Basis von Wettbewerb und Privateigentum; • Rechtsstaatlichkeit: Verträge sind Basis des Handelns bei Markttransaktionen, und von daher ist ein funktionsfähiges Rechtssystem wesentlich für funktionsfähige Märkte; • Wirtschaftspolitik: Sie muss vor allem handels- und investorfreundlich sein und Bildung bzw. Forschung stimulieren sowie das Gesundheitssystem ausbauen. Viele erfolgreiche ökonomische Aufholprozesse im Gebiet der heutigen OECD-Staaten – USA gegenüber Großbritannien bzw. Schweiz, Finnland, Irland, Deutschland und Italien sowie Japan und Korea gegenüber Großbritannien oder USA – haben gezeigt, dass es durchaus möglich ist, über hohe Wachstumsraten den Rückstand zu den jeweils führenden Industrieländern binnen weniger Jahrzehnte deutlich zu verringern. Vermutlich kann Hilfe der OECD-Länder für Entwicklungsländer besonders viel erreichen, wenn man seitens der Industrieländer erstens jeglichen Protektionismus gegenüber den Entwicklungsländern abbaut. Außerdem sollte die Entwicklungshilfe auf Schwerpunkte in den Bereichen Gesundheit und Bildung einerseits und bei marktwirtschaftlichen Institutionen andererseits setzen. Hilfestellung beim Aufbau marktwirtschaftlicher Institutionen bieten neben westlichen Industriestaaten (auf bilateraler Ebene) vor allem internationale Organisationen wie Weltbank, IMF, EBRD und EU. Die Gesamtthematik ist im Einzelnen zu untersuchen. Zu den Grundlagen für hohe Pro-Kopf-Einkommen in OECD-Ländern gehört, dass dort relativ gut ausgebildete und relativ gesunde Menschen dank hoher Arbeitsproduktivitäten – z.T. basierend auf hoher Kapitalausstattung pro Kopf – effizient (unter Wettbewerbsbedingungen) und in Frieden produzieren. Als elementare Voraussetzungen für Wohlstand gelten von daher unbedingt: • Ein allgemeines Bildungssystem; • Ein funktionsfähiges Bankensystem; • Eine klare Wettbewerbsgesetzgebung; • Wachstumsförderliche Ausgabeprioritäten des Staats; • Investorfreundliche Steuergesetze und allmählich sich verbessernde Infrastruktur (Strom, Wasser, Verkehrswege); • Abwesenheit hoher Haushaltsdefizite und hoher Inflation: Eine stabilitätsorientierte Haushalts- und Geldpolitik sind gefordert; • Abwesenheit von Bürgerkrieg und regionalen Militärkonflikten; • Ein funktionsfähiges Gesundheitssystem. Ein flächendeckendes öffentliches Gesundheitssystem gibt es nicht in allen Ländern der Welt, so dass es in vielen Regionen erhebliche Hygiene-Probleme bzw. infektiöse Krankheiten gibt, die die individuelle und soziale Entwicklung behindern. Ein flächendeckendes öffentliches Schulsystem fehlt ebenfalls in vielen Ländern, so dass die Möglichkeiten, hohe Produktivitäten bzw. Einkommen zu erzielen in diesen Ländern begrenzt sind. Die Armut in Ländern mit schlechtem Gesundheits- und Bildungssystem hat grundsätzlich wenig mit dem Reichtum der OECD-Länder zu tun; vielmehr liegt es an den entsprechenden Entwicklungslän-

A.1 Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre

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dern selbst, ihre Budgetprioritäten zugunsten funktionsfähiger medizinischer Versorgungssysteme und öffentlicher Schulsysteme zu setzen. Allerdings sind die OECD-Staaten gefordert, jenen Entwicklungsländern, die nachhaltige eigene Reformen und Anstrengungen unternehmen, um Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie zu verwirklichen, besonders bei der Entwicklung des Gesundheitsund Bildungssystems zu helfen. Eine Starthilfe dürfte auch bei besonders armen Ländern notwendig sein.

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden A.2.1 Einführung Die Volkswirtschaftslehre beschreibt das Wirtschaftsgeschehen in der Wirtschaftsgeschichte, erklärt wirtschaftliche Sachverhalte in der Wirtschaftstheorie und stellt zugleich in der Theorie der Wirtschaftspolitik Grundlagen für wirtschaftspolitische "Therapievorschläge" bzw. konkrete Maßnahmen bereit. Verfügt man aufgrund der Wirtschaftstheorie z.B. über eine Erklärung für Inflation – z.B. zu hohe Wachstumsraten der Geldmenge –, dann ergibt sich hieraus: Eine Verringerung des Geldmengenwachstums ist ein zu prüfender wirtschaftspolitischer Therapievorschlag für die Bekämpfung hoher Inflationsraten. Wichtige Voraussetzungen einer systematischen Analyse sind allgemein: • eine sinnvolle Definition (Definitionen sind eine Frage der Zweckmäßigkeit) des zu untersuchenden Sachverhalts; z.B. müssen Begriffe wie Inflation, Konjunktur und Wirtschaftswachstum zweckmäßig bzw. im Sinne einer eindeutigen Sprachregelung definiert werden, damit diese Phänomene konkret beschrieben und im Weiteren theoretisch reflektiert bzw. erklärt werden können; • die Entwicklung von Messkonzepten, um einen Vergleich der Entwicklung im Zeitablauf oder zwischen Sektoren, Regionen oder Nationen vornehmen zu können; z.B. kann die konjunkturelle Situation durch objektive Indikatoren oder anhand der subjektiven Einschätzung von Unternehmern, Managern und Bankiers im Rahmen von Umfragen ermittelt werden; • die Formulierung von Aussagensystemen bzw. Theorien, die Sachverhalte theoretisch erklären ("Wenn-dann-Aussagen"). Zur Erklärung der komplexen Wirklichkeit bedient man sich häufig eines vereinfachten, den Kern des Prolems erfassenden Modells, aufgrund dessen man begründete Vermutungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge formulieren kann; man spricht hier von der Formulierung von Hypothesen und Theorien. So gibt es z.B. die Hypothese: "Wenn die Wachstumsrate der Geldmenge die Wachstumsrate der Produktion von Gütern und Dienstleistungen dauerhaft übersteigt, dann kommt es langfristig zu Inflation." Liegt in der Realität Inflation vor, erklärt dieser Theorieansatz die Inflation genau dann, wenn zuvor der Sachverhalt vorlag, dass die Geldmenge schneller als das reale Sozialprodukt gewachsen ist; • die Ableitung von Prognosen aus Theorien und empirischen Beobachtungen: So folgt (in Verbindung mit einer Inflationstheorie) aus der Beobachtung, dass

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

in den 70er Jahren die Wachstumsrate der Geldmenge in der BRD und den USA die Wachstumsrate des realen Sozialprodukts, also der gesamtwirtschaftlichen Gütermenge, deutlich überschritten hatte, die Prognose, dass in den 70er Jahren ein Wiederanstieg der Inflationsrate erfolgen würde (die Ölpreisschocks spielten für die Inflation allerdings auch eine Rolle). Die Theorie der Wirtschaftspolitik kann dann geeignete Maßnahmen zur Begrenzung des Geldmengenwachstums und damit zur Eindämmung der Inflation vorschlagen; • die Simulation von Modellen, wobei ein Modell ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit – etwa für eine Region, ein Land oder die Weltwirtschaft – ist. Es gibt im ökonomisch-mathematischen Modell erklärte Größen, das sind die endogenen Variablen; daneben gibt es vorbestimmte oder nicht erklärte exogene Variablen, die etwa politisch festgelegt werden (z.B. Geldmenge durch die Zentralbank, Staatskonsum durch die Regierung bzw. das Parlament). Bei der Ex-post-Simulation können bestimmte Modellvariablen oder Parameter im Computermodell verändert werden, um eine Vorstellung zu bekommen, wie sich die Volkswirtschaft entwickelt hätte, wenn in der Vergangenheit eine Variable bzw. ein Parameter anders als die Ist-Größe gewesen wäre (z.B. wie hätten sich Investition und Beschäftigung in den 70er Jahren entwickelt, wenn es keine Ölpreisschocks gegeben hätte?). Statt einer vergangenheitsorientierten Ex-post-Betrachtung kann man auch eine zeitlich vorwärtsgerichtete Simulation („ex ante“) vornehmen, die dann fragt, wie bei Zugrundelegung des, die Vergangenheitsentwicklung relativ gut erklärenden Modells die künftige Wirtschaftsentwicklung sein wird, wenn eine wichtige Modellgröße sich annahmegemäß in bestimmter Weise verändert (z.B. wenn die Bevölkerung jährlich um 0,2% schrumpft; oder der US-Zinssatz sich ab Zeitpunkt t+n verdoppelt). Anhand solcher Simulationen können Unternehmen, Verbände, Analysten, Wirtschaftspolitiker, Journalisten und Wissenschaftler den Einfluss kritischer Größen auf die Wirklichkeit abschätzen bzw. nachvollziehen. Die volkswirtschaftliche Analyse vermag reale Phänomene mit ihren Kategorien systematisierend zu beschreiben und weitgehend zu erklären. Die Analyse der Ist-Entwicklung nennt man Positive Theorie. Dabei findet man ökonomische Gesetzmäßigkeiten, die man allgemein für die Analyse der wirtschaftlichen Wirklichkeit nutzen kann. Soweit es konkurrierende Hypothesensysteme zur Erklärung der Realität gibt, kann durch empirische Analyse versucht werden, falsche Hypothesensysteme zu eliminieren. Bei der empirischen Analyse geht es darum, dass man auf Basis statistischer Daten Theorien testet. Von daher kommt der Sammlung und der ökonometrischen Analyse statistischer Daten große Bedeutung zu. Eine Hypothese gilt solange als valide, wie sie in ökonometrischen Tests nicht durchfällt; solange man immer wieder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit positive empirische Evidenz für eine Theorie findet, wird man sie weiter verwenden. So hat sich etwa die Hypothese, dass eine sehr starke Geldmengenexpansion über mehrere Jahre zu Inflation führt, in sehr vielen Tests für verschiedene Länder und Zeiträume bewährt. Die ökonomische Analyse kann etwa das Konsum- und Sparverhalten der Wirtschaftssubjekte recht gut erklären. Auf Basis bewährter Hypo-

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

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thesen wiederum kann man dann auch für Unternehmen oder den Staat Prognosen zu den entsprechenden Fragestellungen entwickeln. Menschliches Entscheidungsverhalten kann auch durch die Spieltheorie erklärt bzw. im „Versuchslabor“ als spieltheoretische Aufgabe modelliert und simuliert werden. „Spieler“, also Akteure mit Wahlmöglichkeiten zwischen alternativen Strategien, müssen Entscheidungen treffen; dabei wird angenommen, dass jeder Akteur seinen Nutzen unter Nebenbedingungen (Entscheidungen der anderen Akteure und Budget) maximiert. Statt einen Einzelakteur zu betrachten, kann die Analyse auch auf einen Typ Haushalt oder Unternehmen oder einen ganzen Sektor oder die Wirtschaft insgesamt ausgerichtet sein. Wenn Menschen ein bestimmtes Einkommen haben, dann ist zu entscheiden, wie hoch Konsum und Ersparnis (sowie als Zwangsabgabe die Steuerzahlungen) ausfallen sollen. In einem Mehrperiodenmodell ist eine Entscheidung über den Zeitpfad der Konsumausgaben in mehreren Perioden zu treffen. Ersparnis ist die Grundlage der Vermögensakkumulation. Im Rahmen der Vermögensanlageentscheidung ist über die Vermögensstruktur zu entscheiden; z.B. kann man annehmen, dass ein Teil der laufenden Ersparnis in die Sachkapitalbildung (Kapitalakkumulation bzw. Investition) fließt, also dank Nettoinvestition zu einem erhöhten Kapitalbestand in der Folgeperiode führt. Statt in Sachkapital könnte die Anlage auch in Realkapital z. B. in einem staatlichen Wertpapier erfolgen. In einer offenen Volkswirtschaft sind zudem der Güterexport und -import (bzw. der Nettogüterexport) zu beachten; es ist auch denkbar, dass inländische Ersparnisse im Ausland angelegt werden. Schließlich könnten auch Erträge aus Auslandsanlagen für die laufende inländische Kapitalakkumulation herangezogen werden. Die privaten Haushalte bieten Arbeit (L) an und tragen durch Investitionen zur Kapitalakkumulation bei: Dank Nettoinvestitionen steigt der Kapitalbestand (K). In Universitäten, Hochschulen, industriellen Forschungslabors und seitens von Einzelerfindern wird Forschung und Entwicklung (F&E) betrieben, was zur Verbesserung des technischen Wissens beiträgt. Innovationen in Form von Produktinnovation (neuartiges Produkt wird im Markt erfolgreich eingeführt) und Prozessinnovation (bessere bzw. preiswertere Produktionstechnologie) sind ein Kennzeichen dynamischer Marktwirtschaften, erweitern die Produktvielfalt und tragen zum Wohlstand bei. Die Höhe der Produktion bzw. der Einkommen in einem Land hängen auf der Angebotsseite der Unternehmen von den verfügbaren Produktionsfaktoren ab – eben von Arbeit, Kapital und Technologie. Die Einkommensentstehung ist unmittelbar mit der Produktion verbunden.

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Arbeitsangebot

Volkswirtschaftslehre

Produktion

Technisches Wissen

Vermögensakkumulation

Einkommen

Konsum

Ersparnis

Kapitalakkumulation

Nettogüterexport

Abb. A.4. Ausgewählte Verbindungslinien der volkswirtschaftlichen Analyse

Analysiert wird in der Volkswirtschaftslehre insbesondere auch, welche Vermögensanlageentscheidungen bzw. Kreditaufnahmenentscheidungen Menschen für sich persönlich oder in Unternehmen oder beim Staat treffen. Besonders wichtige Märkte sind die Wertpapiermärkte, nämlich die „Rentenmärkte“ für festverzinsliche Obligationen (Schuldverschreibungen, die ökonomisch eine Kreditnachfrage reflektieren) und die Aktienmärkte. Eine Aktie ist ein verbriefter Anteil an einem Unternehmen bzw. an Realkapital, also Gebäude plus Maschinen plus Anlagen plus immaterielle Vermögenswerte – minus Schulden – im jeweiligen Unternehmen. Aktionäre erwarten eine explizite Rendite in Form einer Dividendenzahlung – dies setzt Gewinne des Unternehmens voraus – oder eine implizite Verzinsung via Kurssteigerung (Teilverkauf von Aktien ergibt dann entsprechende pekuniäre Rendite, falls gewünscht). In einer Marktwirtschaft befindet sich Aktienvermögen in der Hand einer Minderheit von Haushalten und insbesondere auch im Eigentum älterer Menschen, die typischerweise mehr Vermögen akkumuliert haben als junge Menschen (junge Familien nehmen in einer ersten Lebensphase typischerweise Kredite auf, sind also in einer Nettoschuldnerposition). Der Übergang des bestehenden Realkapitals von einer Generation auf die nächste erfolgt – abgesehen vom Erbfall – dadurch, dass vermögende Rentnerhaushalte mit Aktienvermögen im Alter zwecks Finanzierung des Lebensunterhalts sukzessive Anteile des Aktienvermögens an mittelalte oder junge Haushalte verkaufen. Besonders wichtig ist der Prozess der Realkapitalakkumulation, d.h. die Vergrößerung des Kapitalbestands durch Nettoinvestitionen. Die Nettoinvestition (Bruttoinvestition minus Abschreibungen bzw. Ersatzinvestition) muss durch entsprechende Ersparnis, d.h. freiwilligen Konsumverzicht, finanziert werden. Nettoinvestitionen werden nur stattfinden, wenn die Menschen Vertrauen in die Zu-

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

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kunft haben – also an wirtschaftliche und politische Stabilität sowie Frieden mit hoher Wahrscheinlichkeit glauben. Da die Realkapitalakkumulation mit über die Höhe der Produktion bestimmt, wird in der Volkswirtschaftslehre in der Regel die Verbindung zwischen Produktion, Einkommensverwendung (Konsum versus Investition) und Vermögensakkumulation untersucht. Ein erhöhter Kapitalbestand bedeutet bei gegebener Zahl der Beschäftigten und gegebenem technischen Wissen, dass das Produktionspotenzial – das gesamtwirtschaftliche Güterangebot darstellend – gestiegen ist: Es kommt zu erhöhter Produktion, womit die Zahlung erhöhter Einkommen (an Arbeitnehmer, Aktionäre, Patenteigentümer – Letztere erhalten Lizenzzahlungen) verbunden ist. Ein Teil der erhöhten Einkommen wiederum wird gespart bzw. für die Finanzierung von Nettoinvestitionen verwendet, so dass der Kapitalbestand weiter zunimmt. Wesentliches Kennzeichen der Volkswirtschaftslehre ist, dass Probleme in ihrer Vernetzung – mit sektoraler oder gesamtwirtschaftlicher – Perspektive analysiert werden. Dabei werden in die Betrachtung nicht nur die unmittelbaren Wirkungen einer Maßnahme, sondern auch Folge- bzw. Rückwirkungen oftmals einbezogen. So gilt z.B. für eine offene Volkswirtschaft, dass ein Boom im Nachbarland zu einer Steigerung der Exporte führt, wodurch das Bruttoinlandsprodukt, die inländische Wertschöpfung, steigt. Davon aber geht wiederum ein positiver Effekt auf die inländischen Importe – wenn das inländische Realeinkommen steigt, dann erhöhen sich die importierten Gütermengen (Vorprodukte oder Endprodukte) – bzw. spiegelbildlich auf die Exporte des Nachbarlandes aus: Daher werden Produktion und gesamtwirtschaftliches Einkommen in beiden Ländern steigen. Wenn aber die Einkommen aller Wirtschaftssubjekte gestiegen sind, dann werden auch Konsum und Ersparnis in beiden Ländern zunehmen. Man kann die Ziele und Einstellungen bzw. das Verhalten von Individuen analysieren und dann typisierend repräsentative Verhaltensfunktionen aufzustellen versuchen. Grundsätzlich kann auch das Verhalten bzw. die Entscheidungsfindung von Organisationen – z.B. Staat, Internationaler Währungsfonds, Greenpeace, Tarifvertragsparteien – untersucht werden. Die Entscheidung von Organisationen kann man aus theoretischer Sicht unterschiedlich betrachten: Man kann die Organisation quasi als einen eigenständigen Akteur betrachten; oder aber man führt die Entscheidung der Organisation auf Entscheidungen von entscheidungsmächtigen Individuen zurück. Analytisch wird in der Ökonomie häufig der so genannte methodologische Individualismus angewendet, bei dem die Entscheidungsfindung einer Organisation auf die Interessen bzw. die Entscheidungen konkreter Individuen (etwa in der Leitungsebene) zurückgeführt wird. Sofern Individuen als Repräsentanten von Mitgliedsländern auftreten, so sind ggf. auch die Entscheidungen in den involvierten Ministerien bzw. Regierungen zu untersuchen. In den Wirtschaftswissenschaften geht man vereinfachend oft vom Verhaltensmodell eines „homo oeconomicus“ aus, der sich rational verhält und dabei eine Zielfunktion unter Nebenbedingungen maximiert. Bei gegebener Umwelt wird eine der möglichen Handlungsalternativen gewählt: Diejenige, die die Zielfunktion bzw. Nutzenfunktion maximiert. Eine solche Verhaltensannahme ist eine grobe

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Vereinfachung. In der Realität spielen Emotionen z.B. bei vielen Käufen eine wichtige Rolle – siehe auch die Werbespots im TV oder Internet.

Zielfunktion/Präferenzen

Handlungsalternativen

Umweltsituation

Entscheidung

Nutzenmaximierung

Abb. A.5. Entscheidungsmodell „Homo oeconomicus“

Ökonomische Perspektive: Rolle von Anreizen für Individuen in Wirtschaft und Politik Wirtschaftswissenschaftliche Analysen gehen davon aus, dass menschliches Verhalten von Anreizen geleitet wird. Anreizsysteme wirken auf den Einzelnen, wobei z.B. ein hoher Zinssatz zum Sparen besonders motivieren mag. Da aber das Verhalten der Individuen sich – abgesehen vom Fall Robinson Crusoe als Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel – in einem gesellschaftlichen Kontext vollzieht und weil die Produktivität von Individuum i auch von den Aktionen der Mitmenschen j=1,2,...,N abhängt, gilt: Je nach geltendem Anreizsystem ergeben sich gesellschaftlich mehr oder weniger vernünftige Effekte. Wenn man z.B. eine saubere Umwelt wünscht bzw. das gedankenlose und umweltschädliche Wegwerfen von Flaschen oder Dosen verhindern will, dann kann eine Pfandregelung den Anreiz zum Zurückgeben leerer Dosen und Flaschen steigern. Wenn man Arbeitnehmer zu Überstunden motivieren möchte, dann muss man als Arbeitgeber typischerweise erhöhte monetäre Anreize, nämlich Überstundenzuschläge anbieten; Arbeitnehmer werden bei Aussicht auf erhöhten Nettolohn eher bereit sein, mehr zu arbeiten. Arbeitnehmer interessieren sich nämlich nicht für die Höhe des

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

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Bruttoeinkommens, sondern die Höhe des Nettoeinkommens. Wenn man ein ProKopf-Einkommen y (die Bevölkerung sei L; y:=Y/L) hat und der Einkommensteuersatz τ beträgt, so ergibt sich das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen (y’) als y’ = (1–τ)y. Die Arbeitsnachfrage der Unternehmen hängt hingegen von den Arbeitskosten ab, die sich aus dem Bruttolohnsatz plus Lohnnebenkosten (z.B. Sozialversicherungsbeiträge) ergeben. Je höher die Arbeitskosten, desto geringer die Bereitschaft der Unternehmen, Arbeitnehmer zu beschäftigen. Auch Manager werden durch Anreize beeinflusst: Scharfe Strafen gegen Bilanzfälschung – bei effektiver Umsetzung und Strafverfolgung – können helfen, Fälle von Bilanzfälschung relativ selten zu halten. Sinnvoll ausgestaltete Aktienoptionspläne können Managern in Aktiengesellschaften Anreize geben, sich so zu verhalten, dass der Unternehmenswert langfristig erhöht wird. Schließlich gilt auch für Wähler und Politiker, dass Anreize verhaltenswirksam sind. So wird – wie schon der Philosoph KANT aus Königsberg feststellte – eine Demokratie seltener zu Kriegshandlungen neigen als eine Diktatur bzw. eine Monarchie. Denn wenn eine demokratische Abstimmung bzw. parlamentarische Mehrheit notwendig ist, um in den Krieg zu ziehen, dann ist die Zustimmung in einer Demokratie relativ schwierig. Denn die Bürger, die abstimmen, wissen in einer Demokratie mit Wehrpflicht, dass Kriegsführung zum Verlust von Menschenleben (wehrpflichtige Söhne werden sterben) und zu Zerstörungen an Hab und Gut sowie erhöhten Steuerzahlungen führen wird. Ein Diktator kann hingegen bei geringem eigenen Risiko eine Armee in den Krieg schicken – am einfachsten wäre sicher für ihn die Entsendung eines Söldnerheeres. Da nun Kriege meist mindestens zwei Länder betreffen, genügt offenbar die Durchsetzung von Demokratie und Wehrpflicht in einem Land allein nicht, um nachhaltig Frieden zu sichern. Dem Weltfrieden wäre unter Anreizgesichtspunkten am ehesten gedient, wenn alle Länder Demokratien mit Wehrpflicht wären; und zugleich Rechtsstaaten, die internationale Konfliktfelder über Verträge und internationale Institutionen regeln würden. Mag auch eine Berufsarmee unter Effizienzaspekten einer Wehrpflichtigen-Armee überlegen sein – eine Berufsarmee besteht in der Regel aus gut ausgebildeten, gewaltbereiten und bezahlten Männern/Söldnern –, so ist unter dem gesellschaftlichen Aspekt des Interesses an Friedenswahrung eine Wehrpflichtigen-Armee vorziehenswert. Wenn man die häufigen internationalen Militärinterventionen der USA und Großbritanniens – Länder mit einer Berufsarmee – nach 1945 betrachtet, hat man schon einige relevante Fallbeispiele. A.2.2 Modellanalyse In den vorhergehenden Absätzen wurde insofern eine vereinfachende Analyse der Weltwirtschaft vorgenommen, als dass man – unter anderem – statt der wirklichen großen Zahl von Ländern ein „Zwei-Länder-Modell“ betrachtet hat. Ein Modell ist ein vereinfachtes Abbild der Realität. Das Zwei-Länder-Modell zeigt sehr einfach und klar, dass nicht alle Länder gleichzeitig einen Handelsbilanzüberschuss haben können, weil eben die Importe von Land I (II) die Exporte von Land

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

II (I) darstellen, so ist es logisch unmöglich, dass beide Länder gleichzeitig höhere Exporte als Importe haben. Richtig ist vielmehr, dass der Exportüberschuss des einen Landes sich spiegelbildlich als Importüberschuss des anderen Landes zeigt. Die Realität ist häufig sehr komplex, ein von zahlreichen eher nebensächlichen Einzelheiten abstrahierendes einfaches Modell ist in vielen Fällen geeignet, grundlegende Probleme sinnvoll zu beleuchten und wichtige Handlungsalternativen der Politik zu klären. Bei der Analyse offener Volkswirtschaften beschränkt man sich häufig auf ein 2x2x2-Modell: • mit zwei Ländern (In- und Ausland); • mit zwei Gütern (Gut 1 und Gut 2); • mit zwei Produktionsfaktoren (Kapital und Arbeit). Für viele Fragestellungen kann man aus relativ einfachen Modellen sehr wichtige Erkenntnisse gewinnen. Eine überschaubare Modellanalyse hilft, logische Fehlschlüsse zu vermeiden und grundlegende Funktionsprobleme im Modell zu klären. Hier ist es in der Ökonomik nicht anders als in der Physik. Die Physik hat allerdings den großen Vorteil, dass man im Labor unter kontrollierten Bedingungen eine ganze Serie von Versuchen vornehmen kann, um weitere Detailfragen auszuleuchten, etwa das Innenleben der Atome. Hingegen kann man in den Sozialwissenschaften das Interagieren von Tausenden oder Millionen Menschen nicht einfach im Labor unter kontrollierten Bedingungen untersuchen, zumal Menschen – die Erkenntnisobjekte – sich in ihrem Verhalten im Kontext sich ändernder Informationen und Erwartungen selbst im Zeitablauf ändern. Diese Einsicht schließt allerdings experimentelle Laborversuche in der Ökonomik nicht aus, etwa dass man aus diversen Modellversuchen mit einer Untersuchungsgruppe A (alle Personen der Gruppe A erhalten etwa als Begrüßung in einem bestuhlten Arbeitslabor eine Schokolade) – und ggf. einer Kontrollgruppe B (Personen in Gruppe B erhalten nichts zur Begrüßung) – wichtige Erkenntnisse gewinnen kann – etwa, dass die Menschen in der Gruppe mit dem Schokoladen-Begrüßungsgeschenk mit mehr Eifer an die Arbeitsaufgabe herangehen werden als die schokoladenfreie Kontrollgruppe. Experimentelle Laborversuche werden etwa im Rahmen der Spieltheorie gemacht, die tatsächlich eine Reihe von typischen Verhaltensweisen von Menschen in diversen Ländern und Kulturen hat identifizieren können: z.B. dass die meisten Menschen „risikoscheu“ sind, also vor der Alternative, einen halben Apfel mit Sicherheit zu bekommen oder um einen Apfel – bei Augenzahl 6 wird der Apfel weggenommen, bei Augenzahlen 1,2,3,4,5 gewinnt der Spieler den Apfel – erst würfeln zu müssen, der sichere Weg zum Apfel gegenüber einer alternativen Würfelsituation bevorzugt wird. Die Spieltheorie untersucht Entscheidungen von „Spielern“ unter bestimmten Bedingungen bzw. die Verhaltensweisen und Strategien (z.B. Spieler A1 überlegt, ob er mit Spieler A2 kooperieren soll oder nicht) der Spieler. Dabei ist allerdings auch nicht zu übersehen, dass Menschen auf ihre Mitmenschen reagieren, also in einer Gesellschaft mit stark verbreitetem Verhaltensstandard X – Person 1 schüttelt Person 2 die Hand zur Begrüßung (Beispiel aus westlichen Ländern) – die große Mehrheit der Menschen den dominanten Verhaltensstandard übernimmt.

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

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Der Verhaltensstandard X wird dann zu einem stabilen Verhaltensmuster über längere Zeit. Dies wiederum erleichtert die Erwartungsbildung. A.2.3 Gleichgewicht als analytisches Konzept Zu den analytischen Konzepten in der Ökonomik gehört die Überlegung, dass bestimmte Problemkonstellationen, bei denen diverse Einflussfaktoren etwa auf Person oder Sektor x wirken, immer wieder zur selben Lösung führen. Es ergibt sich ein „Gleichgewicht“, und zwar in einem Sinn ähnlich wie in der Physik: • ein stabiles Gleichgewicht ist eine Situation, zu der x nach einer Störung – einem Impuls von außen – wieder zurückfindet; es stellt sich dann die Frage, welche Mechanismen zu dem Gleichgewicht systematisch zurückführen; • ein Gleichgewicht im Sinn einer stationären Lösung, d.h. dass x mit Erreichen des Gleichgewichtswerts x’ dauerhaft diesen Wert beibehält; • ein labiles Gleichgewicht ist eine Situation, die x nach einem Störimpuls verlässt, wobei statt dem Gleichgewichtswert x’ dann x“ gilt. Existenz, Eindeutigkeit und Stabilität einer Gleichgewichtslösung sind wichtige zu untersuchende wirtschaftswissenschaftliche Fragen. So kann etwa eine geschlossene (ohne Handel und Kapitalverkehr mit anderen Ländern) Volkswirtschaft in einem einfachen Modell mit zwei GleichgewichtsBedingungen bzw. Gleichungen – eine Gleichung für den „Gütermarkt“, eine Gleichung für den „Geldmarkt“ – beschrieben werden, was bei linear unabhängigen Gleichungen zur Lösung x=x1 und y=y1 führt. Jede Gleichung kann im Zwei-Variablen-Fall, im einfachsten Fall, als Gerade geometrisch dargestellt werden; der Schnittpunkt der beiden Kurven im x-y-Diagramm ergibt dann die Gleichgewichtslösung. Die Frage stellt sich in der Analyse oft, was geschieht, wenn ein Störimpuls (z.B. Ölpreisschock 1974 und 1979, als der Ölpreis sich jeweils vervierfachte) einwirkt. Oder: wie unterscheiden sich die alte und die neue Gleichgewichtslösung, was im Rahmen der so genannten komparativen Statik untersucht wird. Wichtiger – und analytisch schwieriger – ist es bisweilen, die genauen Anpassungspfade beim Übergang von der alten Konstellation bzw. dem alten Gleichgewicht auf die neue Gleichgewichtssituation zu bestimmen. In der Physik ist der Gleichgewichtsbegriff seit Jahrhunderten bekannt und sehr wichtig. So bewegt sich etwa der Mond in stabilem Abstand auf einer Kreisbahn um die Erde, wobei die Zentrifugalkraft des Mondes (sie würde den Mond von der Erde eigentlich weglenken) und die Gravitationskraft (sie zieht den Mond zur Erde an) gerade gleich groß sind: Es ergibt sich ein Gleichgewicht, das hoffentlich noch viele Jahrtausende fortbesteht. Man kann nun in der Tat die Erdmasse (M) auch ohne Waage bestimmen – nämlich aus dem Gleichgewicht der Kräfte: Bezeichnet man die Mondmasse mit M’, die Umlaufdauer des Mondes um die Erde mit T (2,36 106 s), die Entfernung Erde-Mond mit r (3,84 108 m) und die Gravitationskonstante mit f (6,67 10-11 m3/[kg s2]), dann ist das Gewicht der Erde leicht bestimmbar. Wenn man die Formel für die Zentrifugalkraft (4πM’r/T2) und die Gravitationskraft (fM’M/r2) kennt, dann kann man die Gleichung für das Kräfte-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

gleichgewicht nach der Masse M der Erde auflösen; das Gleichgewicht der Kräfte wird durch die Gleichung beschrieben: 4 πM’r/T2 = fM’M/r2. Daher finden wir (siehe GÖTZ, 2001; Unsere Erde im Universum): Die Erdmasse M = 6 1024 kg. Wenn es also ein physikalisches oder ökonomisches Gleichgewicht gibt, dann kann man aus der Gleichgewichtsbedingung bzw. der entsprechenden Gleichung interessante und oftmals (ge-)wichtige Informationen entnehmen. Wissenschaftliche Analyse führt in der Physik wie in der Ökonomik häufig zu interessanten, bisweilen dann auch überraschenden Einsichten. Systematische wissenschaftliche Analyse hat im Verlauf von vielen Jahrhunderten dazu beigetragen, die Natur besser zu verstehen und die Gesetze der Natur in den Dienst des Menschen zu stellen – so wie jeder gute Ingenieur oder Architekt dies schafft. Es gibt auch in der Wirtschaft Gesetzmäßigkeiten, allerdings wohl kaum Naturkonstanten wie die Gravitationskonstante. Dennoch ist man auch in den Sozialwissenschaften aufgefordert, systematische Entwicklungen • zu beschreiben (Deskription); • theoretisch zu erklären (Analyse); • datenmäßig mit Bezug auf konkurrierende Theorien zu untersuchen (empirische Analyse); die statistischen Untersuchungen sollen helfen, „schwache“ Theorien bzw. falsche Erklärungsansätze auszusortieren; • zu beeinflussen (Politik). Wissenschaft ist dabei grundsätzlich als intersubjektiver Prozess angelegt, bei dem etwa eine Theorie (wenn Einfluss Z in bestimmter Ausprägung vorliegt, stellt sich X ein) zu Phänomen X so kommuniziert werden soll, dass die Theorie von Dritten nachvollziehbar ist. Wissenschaftliche Analyse gilt oft komplizierten Phänomenen, so dass hierbei nicht selten unterschiedliche Theorienansätze konkurrieren. Annäherung an Wahrheit im wissenschaftlichen Sinn besteht insbesondere im Aussortieren falscher Theorien – solchen, die zur beobachteten Realität im Widerspruch stehen. A.2.4 Partialanalyse und Totalanalyse Bei der ökonomischen Analyse richtet sich die Aufmerksamkeit der Wirtschaftswissenschaftler u.a. auf Preise, Mengen und Produktivitäten bzw. deren Veränderung im Zeitablauf. Betrachtet werden auch die hinter den Produktionsaktivitäten stehenden Verhaltensweisen von Unternehmen bzw. Unternehmern und Nachfragern bzw. privaten Haushalten. Von besonderem Interesse ist zunächst bei der Analyse die Betrachtung einzelner Märkte (z.B. Markt für neu produzierte Kleinwagen), wobei man die Angebotsseite bzw. -kurve – kostendeterminiert (Grenzkostenkurve k’: k’ bezeichnet die Kosten einer zusätzlichen Mengeneinheit) – und die Nachfrageseite unterscheiden kann. Die Nachfragekurve (DD0) zeigt, dass die nachgefragte Menge (q) umso größer ist, je niedriger der Preis p ist. Die Angebotskurve (SS0) zeigt, dass die geplante Angebotsmenge der Produzenten umso höher ist, je größer p ist (Abb. A.6). Die Analyse eines einzelnen Marktes zum Zeitpunkt t ist eine Partialanalyse. Das Zusammenwirken von Nachfrage und

49

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

Angebot bestimmt den Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichtsmenge: der Schnittpunkt E beider Kurven stellt das Marktgleichgewicht dar, wobei die Darstellung im p-q-Diagramm erfolgt. Wenn die Kostenfunktion lautet k(q)=fq+gq2 – dabei sind f und g positive Parameter –, dann heißt die Grenzkostenfunktion k’(q) = f+2gq; die Grenzkostenfunktion ist, wie sich unter Annahme der Gewinnmaximierung zeigen lässt, gerade gleich der Angebotskurve. Die Fläche unterhalb der Grenzkostenkurve ist gleich den Produktionskosten (ohne Fixkosten). Die Fläche unterhalb von k’(q) entspricht genau einem Integral ∫k’dq. Die Kosten der Produktion der Menge q0 entsprechen also der Fläche 0JEK. Da aus Sicht aller Unternehmen die Erlöse p0q0 betragen, ergibt sich im betrachteten Markt für die Unternehmen ein Gewinn in Höhe des Dreiecks p0EJ.

p A

SS0 (k’0)

p1 F

G

p0

E H

p2 I

DD0

J 0

K qd1

q0

Z qs1

q

Abb. A.6. Einfacher Gütermarkt

Märkte und Anpassungsprozesse auf einem Markt Ein Markt ist definiert als das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Es gibt Märkte für materielle und immaterielle Güter. Es gibt Spotmärkte für sofortigen Leistungsaustausch, aber es gibt auch Terminmärkte, wo man in t0 bereits Menge und Preis für den Leistungsaustausch in t1 festlegt.

50

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Der Preis, den man für ein bestimmtes Gut oder Vermögensobjekt zahlen muss, ergibt sich normalerweise auf einem Markt: Der Marktpreis p ist eine wichtige Information für alle Marktakteure und zwar konkret auf dem betrachteten Markt – aber auch auf anderen Märkten (ein sehr hoher lukrativer Preis in Markt i könnte z.B. den Markteintritt von Unternehmen aus Markt j hervorrufen). Alternativ kann auch der Staat bestimmte Preise – z.B. für staatliche Dienstleistungen (etwa auf Kostenbasis) – festlegen; ggf. könnte der Staat einzelne Preise auch heruntersubventionieren. Ob dies vernünftig ist, muss allerdings im konkreten Einzelfall untersucht werden. Sofern der Marktpreis als eine umfassende unverzerrte Bewertungsbasis gelten kann, ist ein funktionierendes Marktsystem außerordentlich wertvoll, wenn es um eine effiziente Knappheitsminderung geht. Grundsätzlich steht hinter der Güterangebotskurve SS0 im betrachteten Markt bzw. Sektor die Grenzkostenkurve der jeweiligen Unternehmen. Da die Grenzkosten k’ (die Zusatzkosten in Unternehmen j bei einer Erhöhung der Produktionsmenge qj um eine Einheit) normalerweise mit zunehmender Produktionsmenge eines Unternehmen ansteigen, hat die sektorale Angebotskurve – hergeleitet aus der horizontalen Aggregation (Aneinanderreihung) der firmenindividuellen Angebotskurveabschnitte – im k’, q-Diagramm eine positive Steigung. Je höher der Preis, desto höher die Angebotsmenge: Die Anbieter reagieren positiv auf eine Preiserhöhung (dies zeigt die Angebotskurve). Die Güternachfragekurve DD0 hat eine negative Steigung, wobei einem Preis von Null die so genannte Sättigungsmenge (Punkt Z) entspricht. Formal lautet die hier lineare Nachfragekurve p = a-bq (a und b sind positive Parameter). Der Anfangspunkt der vereinfacht als Gerade dargestellten Nachfragekurve ergibt sich beim so genannten Prohibitivpreis (Punkt A): Hier ist die Nachfrage gerade Null. Insgesamt sieht man, dass die nachgefragte Menge umso geringer ist, je höher der Preis ist. Nachfrager reagieren negativ auf eine Preiserhöhung. Die Nachfragekurve ist für ein gegebenes Nettoeinkommen der Haushalte eingezeichnet (wenn das Einkommen der Haushalte steigt, dann verschiebt sich die Nachfragekurve nach rechts – die Haushalte wären bereit, alternative Mengen zu einem höheren Preis abzunehmen als bisher). Preismechanismus Der Preismechanismus bringt den Markt im Normalfall zum Ausgleich, und zwar in dem Sinn, dass im Punkt E als Schnittpunkt von DD0 und SS0 die geplante Angebotsmenge gleich der geplanten Nachfragemenge ist. Die Pläne von Anbietern und Nachfragern kommen zum Ausgleich. Der Markt wird geräumt. Wenn die Nachfrage die Angebotsmenge übersteigt (Preis p2), dann wird bei freier Preisbildung der Preis nach oben getrieben; übersteigt hingegen die Angebotsmenge die Nachfrage, dann sinkt der Marktpreis. Erst im Marktgleichgewicht – wenn weder ein Angebots- noch ein Nachfrageüberschuss besteht – ergibt sich ein Gleichgewichtspreis: Der Markt wird geräumt. Nicht ohne weiteres ist sichergestellt, dass ein einmal in t0 realisierter Markträumungspreis tatsächlich ein Gleichgewichtspreis in dem Sinn ist, dass bei unveränderter Parameterkonstellation bzw. nach einer kleinen zufälligen Störung der Gleichgewichtspreis sich auch in tn wieder einstellt.

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

51

Wenn der Staat einen Mindestpreis in Höhe von p1 festsetzt und damit die freie Preisbildung außer Kraft setzt, dann entsteht ein Angebotsüberschuss, den der Staat aufkaufen muss – dies ist mit Lagerhaltungskosten verbunden. Die Anbieter planen die Menge qs1, die Nachfrager wünschen nur qd1. Der marktmäßige Erlös beträgt p1qd1, die Anbieter realisieren den Umsatz p1qs1; die Differenz zum Markterlös ist vom Staat zu finanzieren. Da Menschen unterschiedliche Interessen haben, können Interessenskonflikte entstehen. Die Bäcker z.B. wünschen einen eher hohen Brotpreis, die meisten Verbraucher wollen möglichst preiswertes gutes Brot kaufen. Über den Marktpreismechanismus findet dieser latente Konflikt einen friedlichen Ausgleich. Nur die Anbieter werden Brot produzieren, für die der Marktpreis zumindest eine Deckung der Produktionskosten erbringt. Nur die Nachfrager kommen auf dem Brotmarkt zum Zuge, die bereit sind, den Marktpreis zu bezahlen. Falls man auf Seiten der Wirtschaftspolitik den Brotpreis für „zu hoch“ hält, könnte man Eingriffe in den Marktmechanismus erwägen. Eingriffe in den Marktmechanismus sind oft problematisch und haben nicht nur Auswirkungen auf den betrachteten Einzelmarkt, sondern auch auf vor- und nachgelagerte Märkte. Im Übrigen gilt es bei Eingriffen des Staates zu unterscheiden zwischen: • marktkonformen Eingriffen wie etwa Subventionen für die Produzenten oder Einkommenstransfers für die Nachfrager, die den Marktmechanismus in seiner Signalfunktion – basierend auf Preissignalen – grundsätzlich nicht beschädigen: Wenn die kaufkräftige Nachfrage wächst, steigt normalerweise der Gleichgewichts- bzw. Marktpreis und die Absatzmenge erhöht sich; • marktinkonformen Eingriffen wie etwa ein Preisstopp bzw. einen staatlich festgelegten „administrierten“ Preis, bei dem der Preis für Anbieter und Nachfrager nicht länger Signalfunktion hat. Güter und Vermögensobjekte, für die Märkte mit flexiblen Preisen existieren, kann man auf Marktpreisbasis bewerten. Man kann darüber streiten, ob Marktpreise immer vernünftige Bewertungsmaßstäbe liefern. Es ist durchaus möglich, dass viele Käufer subjektiv dem betrachteten Gut oder Vermögensobjekt einen höheren Wert beimessen als dem Marktpreis. Als eine mögliche Bewertungsalternative bietet sich an, auf die Herstellungskosten Bezug zu nehmen; natürlich kann der Marktpreis grundsätzlich von den Herstellungskosten nach oben und unten abweichen. In einer Geldwirtschaft kann man ohne weiteres auf Basis von Preisen eine unternehmensseitige Wertschöpfung (Erlös minus Wert der Vorleistungen) oder auch eine gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungssumme ermitteln. Güter wünscht man zu erwerben, weil man vom jeweiligen Gut einen bestimmten Nutzen erwartet; Konsumgüter haben einen Konsumnutzen zu einem bestimmten Zeitpunkt t, nämlich dann, wenn der Konsum erfolgt. Nicht nur Konsumgüter vermitteln einen Nutzen, auch Aktiva bzw. Vermögensobjekte können unmittelbar Nutzen stiften – etwa ein Sicherheitsgefühl oder einen Prestigenutzen. Jenseits dieser beiden Aspekte ist Vermögen nur indirekt nützlich, weil man nämlich einerseits Kaufkraft über die Zeit hinweg übertragen kann (Wertaufbewahrungsfunktion) und weil andererseits Vermögensobjekte in der Regel Erträge abwerfen.

52

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Vermögen Vermögen ist definiert als Quelle von zukünftigem Einkommen. Wer eine Ölquelle oder ein zinstragendes Bankguthaben oder ein Mietshaus – mit Nettomieteinnahmen (Bruttoeinnahmen minus Erhaltungsaufwand) – sein eigen nennt, der hat Vermögen. Vermögensobjekte, etwa Immobilien, langfristige Wertpapiere oder Kunstgegenstände, werden in der Realität von Generation zu Generation weitergegeben bzw. verkauft, vererbt oder verschenkt. Der sorgfältige und ertragserhaltende Umgang mit Aktiva sichert eine Einkommensquelle in der Zukunft. Einkommenserzielung, Vermögensverwaltung und Konsum sowie Investition (Vermögensakkumulation) sind in der realen Welt mit Risiken verbunden. Der Mensch trifft aufgrund technischer und politischer Gegebenheiten Entscheidungen unter Risiko. Es ist eine interessante empirische Frage, wie Menschen mit verschiedenen Einstellungen sich angesichts von Risiken verhalten. Es stellt sich auch die Frage, wie man einzelne Risiken misst, ob man Risiken durch Poolen von risikobehafteten Geschäften bündeln bzw. mindern kann und welche Risikobepreisung sich auf Finanzmärkten ergibt. Tatsächlich sind längerfristige Vermögensanlageentscheidungen erfahrungsgemäß mit besonderen Risiken verbunden. Eine grundlegende Frage ist, wie sich der Wert von Aktien ergibt bzw. warum die Aktienkurse erfahrungsgemäß mittelfristig relativ instabil sind. Grundsätzlich ergibt sich der Wert des Vermögensobjektes – aus theoretischer bzw. fundamentaler Sicht – aus den erwarteten, auf den Gegenwartswert abdiskontierten künftigen Gewinnen des jeweiligen Unternehmens. Während 100 Währungseinheiten als Dividende der laufenden Periode einfach ökonomisch einzuordnen sind, muss derselbe Währungsbetrag, der erst in einem Jahr anfällt, über den Marktzins i auf die Gegenwart „abdiskontiert“ werden. Zukünftig anfallende Gewinne bzw. Einnahmen werden über die Diskontierung in einen Gegenwartswert überführt. Beträgt der Zinssatz 10%, dann beträgt der Gegenwartswert einer Dividendenzahlung von 100 in Periode t+1 eben 100/(1+i)=91. Der Wert der Aktie in einem ZweiPeriodenmodell wäre also – vor jeglicher Dividendenzahlung – 191 Währungseinheiten. Tatsächlich wird der Sachverhalt der Aktien- bzw. Aktivabewertung – ähnlich gilt dies für Passiva – durch den Bezug auf die Zukunft kompliziert bzw. unsicher. Marktanalyse Auf jedem Markt treffen Angebot und Nachfrage zusammen. In der Angebotskurve (von Sektor I als Beispiel) kommen die Kosten κ der Produktion – bei einer bestimmten angenommenen Produktionstechnologie – zum Ausdruck; genauer die Grenzkosten k’ der Produktion. Die Grenzkosten k’ bezeichnen die jeweiligen Zusatzkosten der Produktion einer weiteren Mengeneinheit q; also gilt k’ = ∂κ/∂q. Für Gewinn maximierende Anbieter ist die Höhe der Grenzkosten eine wichtige Information. Gewinnmaximierung bei Wettbewerb wird realisiert, wenn die Bedingung „gegebener Marktpreis gleich Grenzkosten“ erfüllt ist. Jeder Anbieter kann zu bestimmten Grenzkosten k’ produzieren; wenn man Anbieter 1,2...n fragt, wie groß die Produktionsmenge bei einem angenommenen Preis von pi sein werde, dann nennt jeder Anbieter seine individuelle Planmenge.

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

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Durch horizontale Aggregation (Zusammenzählen) der individuellen Produktionsmengen erhält man das sektorale Gesamtangebot auf dem Markt. Normalerweise geht man von steigenden Grenzkosten aus, d.h. dass mit steigender Produktionsmenge die Grenzkosten k’ ansteigen: also wenn etwa der Übergang von der Produktionsmenge 100 auf 101 zu einer stärkeren Kostenzunahme führt als bei einer Erhöhung der Produktionsmenge von 10 auf 11. Man kann die Angebotskurve in ein Preis-Mengen-Diagramm eintragen (p = Preis, q = Menge). Die Angebotskurve SS0 beginnt in der Regel nicht im Nullpunkt im p,q-Diagramm bzw. k’,qDiagramm, da bei einem Preis von Null kein Anbieter für andere produzieren und anbieten würde. Da die Grenzkostenkurve die erste Ableitung der Kostenkurve ist, stellt das Integral über k’ (also die Fläche unter k’) die Kosten der Produktion dar. Die Nachfragekurve (DD0) verläuft von oben nach unten im p,q-Diagramm; jede Nachfragekurve wird gezeichnet für gegebene andere Einflussgrößen – Lageparameter genannt: etwa die Zahl der Nachfrager N, die Höhe der verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen y. Steigt die Zahl der Nachfrager oder aber steigt das verfügbare Pro-KopfEinkommen, dann wird sich die Nachfragekurve nach rechts verschieben. Eine Verschlechterung des Produktimages – man denke etwa an den Rindfleischmarkt im Kontext der Rinderwahndiskussion – verschiebt die Nachfragekurve in Richtung Koordinatenursprung. Bezeichnet man die durchschnittlichen totalen Kosten mit DTK und die durchschnittlichen variablen Kosten mit DVK, so wird bei einer Produktion von qE und einem Markträumungspreis pE ein Stückgewinn in Höhe der Strecke EF entstehen. Die durchschnittlichen Fixkosten betragen FG, die durchschnittlichen variablen Kosten GH. Wie kann man eine Nachfragekurve in der Realität ermitteln? Wenn man die zu alternativen Preisen gewünschten individuellen Nachfragemengen aggregiert (zusammenzählt), dann erhält man die Marktnachfragekurve. Marktforschungsunternehmen versuchen häufig, durch Befragungen den Verlauf einer Nachfragekurve zu ermitteln. In seit langen Jahren bestehenden Märkten kann man aus Anbietersicht ohne weiteres aus Absatzerfahrungen heraus die Nachfragekurve abschätzen. Die Marktnachfragekurve kann relativ steil oder relativ flach im Preis-MengenDiagramm verlaufen; bei einer flach (steil) verlaufenden Nachfragekurve ist die Mengenreduktion bei einer Preiserhöhung um eine Einheit relativ groß (gering). Eine relativ flach (steil) verlaufende Nachfragekurve nennt man eine elastische (unelastische) Nachfragekurve. Davon zu unterscheiden ist die so genannte Punktelastizität in einem Punkt auf einer gegebenen Nachfragekurve: Die – negative – Preiselastizität der Nachfragekurve, die die prozentuale Änderung der Nachfragemenge als Reaktion auf eine 1%-Preiserhöhung angibt, ist in Höhe der halben Sättigungsmenge immer gleich 1 dem Betrage nach: Eine Preiserhöhung um 1% führt also zu einem Mengenrückgang von 1%, und damit bleibt der Umsatz u = pq gleich. Punkte auf der Nachfragekurve oberhalb dieses Punktes mit einer Preiselastizität von Betrag 1 weisen eine Preiselastizität absolut größer 1 auf. Elastizitäten spielen eine wichtige Rolle in der Ökonomik. Eine Elastizität bezeichnet die prozentuale Änderung der abhängigen Variablen als Reaktion auf eine Änderung der unabhängigen Variablen um 1%.

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Der Schnittpunkt von gegebener sektoraler Angebotskurve und gegebener Nachfragekurve (DD0) bestimmt bei Wettbewerb bzw. vollständiger Konkurrenz den Gleichgewichtspreis pE. Bei diesem Preis stimmen die Pläne beider Marktseiten miteinander überein. Der Preis entspricht den Grenzkosten k’, d.h. dass der letzte gerade noch zum Zuge kommende Anbieter gerade noch seine Grenzkosten der Produktion decken kann. Eine Veränderung von Nicht-Preis-Einflüssen – diese (z.B. Nachfragerzahl, Einkommen) nennt man Lageparameter der Nachfragekurve – führt im Preis-Mengen-Diagramm zu einer Verschiebung der Nachfragekurve. Das Minimum der Durchschnittskostenkurve liegt streng genommen auf der Grenzkostenkurve der Anbieter.

p A

SS0(k’0)

DTK

E pE

DVK

D

F G DD0

B 0

H qE

Z q

Abb. A.7. Marktgleichgewicht im Preis-Mengen-Diagramm und Kosten

Da jeder Nachfrager bei Wettbewerb das Gut zum Marktpreis pE kaufen kann, haben Nachfrager mit einer Zahlungsbereitschaft oberhalb von pE einen Zusatznutzen (siehe den Kurvenabschnitte AE): Das Dreieck AEpE bezeichnet man als Konsumentenrente, wobei die Klassiker die Ökonomie „unverdiente Einkommen“ als Rente bezeichneten. Die Fläche unter der Grenzproduktkurve k´ (entspricht dem Integral zur k`-Funktion, die ja die erste Ableitung der Kostenfunktion ist) entspricht den Produktionskosten: 0BEH sind daher die Kosten, was bei einem Erlös pEqE bedeutet, dass die Unternehmen einen “Residualgewinn“ in Höhe des Dreiecks BEpE realisieren. In der Wohlfahrtökonomik wird die Größe von Konsumentenrente und Produzentenrente – des Residualgewinns - betrachtet, um den Zusatznutzen von Transaktionen auf Märkten zu erfassen. Nicht-Preis-Einflussfaktoren (x,y,z) können auch im p,q-Diagramm betrachtet werden: Kommt es etwa zu einer Erhöhung der Zahl der Nachfrager, dann ver-

55

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

schiebt sich die Nachfragekurve nach rechts. Der Gleichgewichtspreis steigt, die Gleichgewichtsmenge ebenfalls. Kommt es auf der Angebotsseite zu technischem Forschritt (alle Anbieter haben ein verbessertes Produktionsverfahren), dann verschiebt sich die Angebotskurve nach rechts unten, der Gleichgewichtspreis sinkt, die Gleichgewichtsmenge steigt. Ein anderer denkbarer Fall wäre die Erhöhung des Preises von Vorprodukten – etwa Computerchips; im Fall einer allgemeinen Erhöhung der Preise von Vorprodukten wird sich die Angebotskurve für das Endprodukt nach oben verschieben. Nachfrager, die weniger zu zahlen bereit sind als den Marktpreis, kommen nicht zum Zuge. Diese Marktlogik wird in vielen Fällen gesellschaftlich und politisch akzeptiert. Es gibt aber Märkte, bei denen etwa aus politischen Gründen eine größere Nachfragemenge gewünscht wird, als sie im Zuge einer Marktlösung zustande käme: Soll der Preismechanismus seine Rolle weiterhin spielen, dann kann der Staat über Transferzahlungen an arme Haushalte den unteren Teil der Nachfragekurve nach oben verschieben bzw. hochknicken (es erhalten also nur bestimmte Haushalte einen Zuschuss, z.B. Mietzuschuss; siehe Abbildung A.8): Die Gleichgewichtsmenge steigt im Zuge dieser sozialpolitischen Transfermaßnahme. Hätte man das Einkommen aller Nachfrager gleichmäßig erhöht – oder wären die Markteinkommen aller Nachfrager angestiegen –, hätte sich die Nachfragekurve parallel zur DD0-Kurve nach rechts verschoben.

p A

k’0 B H E1

p1

F

p0 E0 DD0

G

DD1 Z0

0

q0

Z1

q1

Abb. A.8. Wirkung von Sozialtransfers auf die Nachfrage bzw. das Marktgleichgewicht

q

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Preissenkung auf Null Denkbar ist auch, dass der Staat den Preis administrativ festsetzt, und zwar im Extremfall auf Null – zugleich wird den Produzenten eine Kostenerstattung versprochen oder der Staat selbst tritt als Anbieter auf: Bei einem Preis von Null wird natürlich die Sättigungsmenge Z0 nachgefragt, die Kosten der Bereitstellung der Sättigungsmenge können im Diagramm abgelesen werden (Fläche OGHZ0) und müssen aus dem Steueraufkommen bezahlt werden. Falls die Fläche E0HZ0 gleich hoch wie AE0G ist, entsteht ein sozialer Überschuss von Null: Die Konsumentenrente ist gleich AZ00, während die Kosten der Produktion von q1 der Fläche GHZ00 entsprechen. Die in Abb. 9 schraffierte Fläche GE0Z00 ist wohlfahrtsökonomisch neutral, da hier die Kostenfläche der Nutzenfläche – eben einem Teil der Konsumentenrente - entspricht. Das allgemeine Schulsystem kann hier eingeordnet werden. Das Zusammenspiel von Angebots- und Nachfragekurve auf dem Markt für ein Gut i ergibt bei freier Preisbildung einen Schnittpunkt, der den Gleichgewichtspreis festlegt: Angebot und Nachfrage kommen zum Ausgleich, der Markt wird geräumt; und zwar im Schnittpunkt der Nachfragekurve und der Angebotskurve. Betrachtet wird nachfolgend eine Nachfragekurve, wobei eine gegebene Nachfragerzahl und ein gegebenes verfügbares Pro-Kopf-Einkommen y’=y(1-τ) angenommen wird (y ist das Pro-Kopf-Bruttoeinkommen, τ der Einkommenssteuersatz).

p A k’0 DD0

p0

H

E0 G

Z0 0

q0

Abb. A.9. Marktlösung und Sättigungsmenge

q1

q

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A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

Die Angebotskurve (SS bzw. k’0) ergibt sich – wie noch zu zeigen sein wird – auf Basis der Grenzkosten k’ der Produktion. Grenzkosten meint die zusätzlichen Kosten bei einer jeweiligen Erhöhung der Produktionsmenge um eine Einheit (mathematisch heißt Grenzkosten einfach, die erste Ableitung der Kostenfunktion k(q) zu bilden). Der Schnittpunkt E0 der DD0-Kurve und der k’0-Geraden bestimmt das Marktgleichgewicht: Der Preis ist gleich den Grenzkosten k’0, die Gleichgewichtsmenge ist qE0. Da der Umsatz bzw. der Erlös p0q0 beträgt und die Kosten übersteigt, entsteht bei einer reinen Marktlösung ein (Residual-)Gewinn in Form des Dreiecks: Das Dreieck p0EE0G (siehe obige Abbildung). Wird ein Subventionssatz b an die Produzenten gezahlt, dann verschiebt sich die Angebotskurve parallel nach unten. Dadurch steigt die nachgefragte Gütermenge und der Verkaufspreis sinkt auf p1. Allerdings fallen Stück-Subventionskosten für die Steuerzahler in Höhe der Strecke E1G an, so dass in der folgenden Abbildung das Subventionsbudget E1G mal qE1 beträgt. Eine Partialanalyse eines Einzelmarktes ist für manche Fragen durchaus nützlich, allerdings ist für eine umfassende Analyse auch die analytische Einbeziehung anderer Märkte wesentlich. Hier ist zu bedenken, dass jedes Subventionsbudget finanziert werden muss, etwa durch Steuerzahlungen. Wenn der Staat zur Subventionierung der Produktion im Markt i eine Steuer im Markt j führt, dann verschiebt sich dort die Nachfragekurve Richtung Ursprung und daher vermindert sich im j-Markt - sowohl die Konsumenten- und die Produzentenrente. p

a)

p

b)

p

c) DD0

SS0(k’0)

SS0(k’0) E0 G

DD0

p0 p1

SS1 E1 C

q

q

F qE0 qE1

q

Abb. A.10. a) Nachfrage, b) Angebot und c) Gleichgewicht bei Subventionierung mit Subventionssatz b

Inspektions-, Erfahrungs- und Vertrauensgüter Es gibt unterschiedliche Arten von Gütern; eine einfache Unterscheidung ist: • Inspektionsgüter, die man einfach in ihrer Qualität durch Ansehen, Messen oder Wiegen beurteilen kann. Hier funktionieren Märkte meist problemlos, sofern Wettbewerb herrscht. Leistungsfähige Anbieter überleben bzw. expandieren. Anbieter mit qualitätsmäßig schlechten Gütern scheiden bald aus dem Markt aus. • Erfahrungsgüter, bei denen man die Qualitätskontrolle erst nach dem Kauf wirklich vornehmen kann – man denke an Software oder Urlaubsreisen. Je größer die Qualitätsunsicherheit, desto geringer die Zahlungsbereitschaft der Nach-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

frageseite. Daher besteht für Anbieter von Erfahrungsgütern der Anreiz, Qualitätsreputation als Anbieter aufzubauen (am einfachsten durch zufriedene Kunden, deren Erfahrungswerte entsprechend wirken); oder Anbieter arbeiten nur mit Hotels mit bestimmten Qualitätseinstufungen (Sterne-System) zusammen oder geben Garantieversprechen ab (z.B. ein Teil des Gebrauchtwarenhandels von PKW-Händlern). Es besteht die Gefahr von Marktversagen, wenn die Qualitätsvermutung auf einen kritisch niedrigen Wert fällt (market for lemons problem). • Vertrauensgüter, bei denen Nachfragerinnen und Nachfrager erst nach mehreren Monaten oder gar Jahren die Qualität des Produktes erkennen können (Beispiele: Operationen, Hochschulausbildung). Hier sind Märkte für Qualitätsprodukte schwer organisierbar; es kann zu Marktversagen kommen: etwa in dem Sinn, dass wirklich gute leistungsfähige Anbieter ausscheiden; schwache, billige Anbieter aber den Markt dominieren. Das Problem wird verschärft, falls Anbieter verzerrende Signale senden, die an die Bequemlichkeit der Nachfrager bzw. Studenten und an Marktintransparenz anknüpfen. So könnte eine schlechte medizinische Hochschule z.B. besonders leichte Prüfungen anbieten, womit sie vielleicht viele Studierwillige anziehen kann. Allerdings werden Absolventen einer solchen Hochschule möglicherweise viel Unheil an Patienten anrichten (Kunstfehler begehen, die Patienten faktisch verletzen oder töten). In den USA, wo Ärzte eine Haftpflichtversicherung abschließen müssen, würden schlechte Mediziner nach zwei verlorenen Prozessen wegen Kunstfehlern prohibitiv hohe Versicherungsbeträge zahlen, also Einkommen gleich Null (und ggf. Gefängnis). Die Anreize für Studenten der Medizin sich eine leichte Medizinische Hochschule auszusuchen sind aber in den USA gering, da Studierwillige praktisch an allen Universitäten bzw. Fakultäten Informationen über die Anfangsgehälter von Absolventen erfahren können. In Ländern, wo Universitäten solche qualitätsrelevanten Informationen nicht angeben, muss von einer Tendenz zu eher schwacher Ausbildungsqualität in einer Reihe von Fällen ausgegangen werden. Einfache Marktanalyse: Einflüsse von Güternachfrage und -angebot Betrachten wir zunächst einen Einzelmarkt, den Markt für Gut i, wobei wir eine gegebene Zahl von Nachfragern unterstellen. Zu den wichtigen Einflussfaktoren der Nachfrage nach Gut i gehören: • Preis von Gut i (pi): je höher der Preis des Gutes, desto geringer die von den Nachfragern gewünschte Menge; wenn man zu alternativen Preisen jeweils die von jedem einzelnen Nachfrager gewünschte Menge zu der von allen anderen Nachfragern gewünschten Menge hinzuzählt, ergibt sich die Marktnachfrage; • Verfügbares Pro-Kopf-Einkommen (yv) der Nachfrager: je höher das verfügbare Einkommen, desto größer die Nachfrage. • Preis von Gut j (pj): ist j ein Substitutionsgut – bezüglich der Bedürfniserfüllung sind i und j also in Maßen austauschbar: man denke an Wasser bzw. Obstsaft –, dann führt eine Preiserhöhung bei j zu einer Mehrnachfrage bei Gut i (falls j jedoch ein Komplementärgut zu i ist – man denke an Tabak und Pfeife

59

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

oder Benzin und PKW –, dann führt eine j-Preiserhöhung zu einer Rechtsverschiebung der i-Nachfragekurve). a) p

b) p

SS0

SS0 E1

p1 p0

p0 E0

c) p

E0 DD0

q0

p2

E2

p1 p0

E1

E0 DD0

qi

SS0

q0

DD1

qi

DD2 DD0

q0

DD1

qi

Abb. A.11. Einfluss der Erhöhung von Pro-Kopf-Einkommen und j-Preis auf Lage der iNachfragekurve

In einem pi,qi-Diagramm wird zunächst eine Nachfragekurve (DD0, Abbildungsteil a)) dargestellt, und zwar unter der Annahme, dass die anderen Einflussfaktoren konstant sind; das verfügbare Einkommen und der j-Preis sind also gegeben. Wir gehen vereinfachend von einem konstanten Güterangebot aus, die Angebotskurve SS0 ist daher als Vertikale eingezeichnet. Was geschieht bei einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens? Die Nachfragekurve verschiebt sich nach rechts (DD1, Fall b)), so dass sich ein neuer Schnittpunkt bzw. Gleichgewichtspunkt ergibt: Der i-Preis steigt an. Wenn nun zusätzlich als isoliertes Ereignis der j-Preis steigt, dann verschiebt sich wegen der Substitution auf der Nachfrageseite nunmehr die i-Güternachfragekurve nochmals nach rechts (DD2, Fall c)): Es kommt zu einer nochmaligen Preiserhöhung gemäß dem neuen Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve. Wenn die Angebotskurve eine normale positive Steigung hat, würde sich neben der Preiserhöhung auch eine Erhöhung der i-Produktionsmenge ergeben. Steigt allein die Güternachfrage an (DD1 statt DD0), dann steigt der Gleichgewichtspreis; zudem erhöht sich in der nachfolgenden Abbildung auch die Gleichgewichtsmenge (vergleiche Punkt E1 mit E0).

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

p

SS0(k’0) E1

p1 p0

E0 DD1 DD0

0

q0

q1

q

Abb. A.12. Preis- und Mengeneffekt einer Nachfrageerhöhung

Problem externer Effekte Bislang wurde davon ausgegangen, dass in der k’-Kurve die wahren bzw. gesamten Grenzkosten der Produktion enthalten sind. Im Fall negativer externer Effekte – wie etwa bei für die Unternehmen kostenloser Umweltverschmutzung – muss zwischen den privaten Grenzkosten k’0 und der auch externe (bei Dritten anfallende) Grenzkosten berücksichtigenden Kurve k’1 unterschieden werden: k’1 stellt die gesellschaftlichen oder „sozialen“ Grenzkosten dar, k’0 sind die im unternehmerischen Entscheidungskalkül relevanten Grenzkosten. Eine normale Marktlösung ist der Punkt E0: Der Preis beträgt p0, die Menge q0. Die Wertschöpfung entspricht – bei Abwesenheit von Vorleistungen – dem Umsatz, also der Fläche E0L0p0. Es entstehen private Produktionskosten in betrachtetem Sektor von 0HE0L. Hinzu kommen externe Kosten, die der Fläche KFE0H entsprechen (die externen Kosten zeigen sich als Schädigung anderer Sektoren oder auch – im Fall der Kohleförderung – in der Gestalt von Gesundheitsschäden und einer Klimaerwärmung bzw. den davon ausgehenden Nettoschäden im In- und Ausland).

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A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

p

A

k’1

F k’0

E1 p1 K M p0

E0 J

G

DD0

H I 0

L q1

q0

Z0 q

Abb. A.13. Wohlfahrtsverluste (schraffierte Flächen) bei externen Kosten der Produktion

Die optimale volkswirtschaftliche Produktionsmenge ist durch die Übereinstimmung von sozialen Grenzkosten der Produktion und (marginaler) Zahlungsbereitschaft der Nachfrage definiert. Da der Marktprozess zum Punkt E0 führt, ist an einen Staatseingriff zu denken, der die Unternehmen zu einer Reduzierung der Produktion veranlasst: Mit einer Emissionssteuer in Höhe von E0F lässt sich in der Tat die private Grenzkostenkurve entsprechend nach oben verschieben. Es wird die Menge q1 produziert. Die Steuereinnahmen sind gleich der Fläche E1GJP1, wobei wir eine sinnvolle Verausgabung bzw. bei gegebenem Staatsausgaben eine Senkung anderer Steuern annehmen. Die externen Emissionskosten wurden durch die Emissionssteuer internalisiert, d.h. ins Entscheidungskalkül der Unternehmen einbezogen (siehe Anhang A2). Eine angemessene Emissionssteuer (Pigou-Steuer) kann durchaus ökonomisch sinnvoll sein, da sie das Marktsystem bzw. den Preismechanismus wirken lässt und Anreize zur Reduzierung von Emissionen gibt. Ein wichtiger Internalisierungsmechanismus in der Energiewirtschaft (oder anderem Sektor) können handelbare Emissionszertifikate sein, deren Preis sich auf

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

einem Markt für solche Zertifikate bilden wird: Es entstehen bei einem positiven Zertifikatpreis effizienz-förderliche Anreize zur Vermeidung von Umweltschädlichen Emissionen (z.B. CO2 –Emissionen). Kontraproduktiv sind allerdings Politikmaßnahmen, die in Deutschland Anfang des 21. Jahrhunderts realisiert wurden; die Bundesregierung verschenkte Millionen Emissionszertifikate an die großen Stromkonzerne als freie Basisemissionsmenge. Die Stromkonzerne bewerten nicht nur die am Markt käuflich erworbenen Zertifikate mit dem Zertifikatspreis, sondern alle Zertifikate. Das treibt künstlich die Preise hoch und läuft auf künstlich erhöhte Gewinne der Stromkonzerne hinaus. Preiselastizität der Nachfrage und Einkommenselastizität der Nachfrage Unter der direkten Preiselastizität (Eq,p) der Nachfrage versteht man die prozentuale Änderung der Nachfragemenge, wenn sich der Güterpreis um 1% bzw. relativ ändert: Die Preiselastizität Eq,p=(dq/q)/(dp/p)=(dq/dp)(p/q)=dlnq/dlnp. Nehmen wir an, dass im Ausgangszustand bei einem Preis von 100 die Güternachfrage 200 Mengeneinheiten beträgt. Steigt der Güterpreis auf 101, während die nachgefragte Menge auf 190 sinkt, dann ist die prozentuale Mengenänderung -5%. Also beträgt die Preiselastizität der Nachfrage dann hier offenbar –5%/1% = -5. Je höher die Preiselastizität dem Betrage nach ist, um so stärker reagiert die Nachfrage auf eine Preiserhöhung. Wenn man eine lineare Nachfragekurve p=A-Bq auf halber Höhe der Sättigungsmenge markiert, dann ist dort die betragsmäßige Preiselastizität gerade 1, oberhalb dieses Teilungspunktes größer 1, unterhalb kleiner 1. Einfach zu erkennen – und konstant – ist die Preiselastizität der Nachfrage bei einer besonderen Spezifikation der Nachfragefunktion, nämlich q=p-a (oder p=q-1/a) bzw. nach Logarithmierung lnq=-alnp. Der Ausdruck dlnq ist aber gerade gleich dq/q, und dlnp ist gleich dp/p, so dass -a die Preiselastizität ist; betragsmäßig liegt sie zwischen Unendlich und Null. Die so genannte Kreuzpreiselastizität gibt an, um wie viel die nachgefragte Menge prozentual sich ändert, wenn der j-Preis, also der Preis eines anderen Gutes, um 1% steigt. Wenn Gut i und Gut j Substitute sind, also in der Nutzenstiftung annähernd austauschbar sind (z.B. Milch und Wasser in Bezug auf das Bedürfnis den Durst zu stillen), dann führt eine Erhöhung des i-Preises zu einem Anstieg der mengenmäßigen Nachfrage im j-Markt. Wenn die Kreuzpreiselastizität z.B. 1 ist, dann führt eine einprozentige Erhöhung des j-Preises zu einer Nachfrageerhöhung beim Gut i um 1%. Die Nachfrage hängt auch positiv vom realen (d.h. inflationsbereinigten) Geldvermögen M/P ab, wobei M die Geldmenge in den Händen aller Nachfrager ist und P das Preisniveau, das man definieren kann als P=PiaPj(1-a); hier ist a der auf das Gut i entfallende Ausgabenanteil der Haushalte. Je höher das Vermögen, desto größer die Nachfrage – Goldfunde (in einer Wirtschaft mit oder ohne Goldwährung) im Garten lösen eine höhere Güternachfrage aus: Die Nachfragekurve verschiebt sich nach oben. Den Einfluss des Vermögens auf die Nachfrage wollen wir an dieser Stelle außer acht lassen. Schließlich gibt die so genannte Einkommenselastizität der Güternachfrage an, um wie viel Prozent die Nachfragemenge steigt, wenn das (verfügbare) Einkommen um 1% ansteigt. Wenn die Elastizität größer 1 ist, dann steigt die Güternachfrage beim Gut i im Zuge des allgemeinen Wirtschaftswachstums um mehr als 1%. Wer als Anbieter

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

63

in einem solchen Markt aktiv ist, kann sich glücklich schätzen, da die Nachfrage langfristig offenbar überproportional steigt. Gilt im Markt i eine einfache Nachfragekurve mit L Nachfragern, dann kann (mit y’’ als Symbol für verfügbares ProKopf-Einkommen) die Nachfragekurve vereinfacht geschrieben werden als qi = pi-αy’’Lpjα ; α > 0

(A.1)

Die Nachfragemenge für Gut i ist eine negative Funktion des i-Preises und eine positive Funktion des j-Preises. Wenn α = 1 gelten würde, könnte man einfach schreiben: qi = y’’L/[pi/pj]

(A.2)

Je höher das gesamtwirtschaftlich verfügbare Pro-Kopf-Einkommen y’’ bzw. je höher die Nachfragerzahl L und je geringer der Relativpreis [pi/pj], desto höher die Nachfrage nach Gut i. Man beachte, dass y’L das verfügbare Realeinkommen in der Volkswirtschaft darstellt. Es lässt sich unter Berücksichtigung von y’=y(1-τ) – mit τ für Einkommenssteuersatz, y als Bruttoeinkommen pro Kopf und q’=q/L als Pro-KopfNachfrage – schreiben q’i/[y(1-τ)]= (pi/pj)- α

(A.3)

q’i/y =(1-τ)(pi/pj)- α

(A.4)

Der Anteil der Nachfrage von Gut i am Einkommen pro Kopf (des repräsentativen Haushaltes, er realisiert ja das Durchschnittseinkommen – hierbei sei angenommen, dass nur eine Person pro Haushalt arbeitet) hängt negativ vom relativen Preis pi/pj und vom Einkommenssteuersatz τ ab. Letzteres ist nur folgerichtig, da ein höherer Steuersatz bedeutet, dass der Staat einen höheren Güteranteil von y für sich beansprucht. Wenn der relative Preis eines Gutes langfristig fällt – so wie etwa bei PCs -, dann wird der mengenmäßige Anteil der Computernachfrage an der Gesamtnachfrage des repräsentativen Haushaltes zunehmen. Man kann von daher die relative i-Güternachfrage als negative Funktion des Relativpreises grafisch darstellen. Das relative i-Güterangebot kann grundsätzlich als positive Funktion des Relativpreises dargestellt werden. Nachfolgend wird eine relative Angebotskurve (das Angebot an i-Gütern relativ zu j-Gütern sei eine positive Funktion von pi/pj) bzw. Nachfragekurve dargestellt. Die relative Angebotskurve geht hierbei aus von: qi = b(pi/pj)-α bzw. qj = b’(pj/pi)-α. Das Gleichgewicht für den i-Markt ist daher durch den Relativpreis – bei gegebenem Pro-Kopf-Einkommen und Steuersatz – eindeutig bestimmt. Für den jMarkt gilt eine spiegelbildliche Überlegung. Bei n Märkten gibt es nur n-1 Relativpreise. Im Fall einer Volkswirtschaft mit zwei Gütermärkten bestimmen die Gleichgewichtsbedingungen für zwei Gütermärkte letztlich nur einen einzigen Relativpreis (γ).

64

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

pi/pj

SSrel

E γ DDrel

0

qi/qj

Abb. A.14. Relatives Marktgleichgewicht

Wenn man die Güternachfrage (mit yv als Symbol für verfügbares Pro-KopfEinkommen) in einem Markt vereinfacht als q=q(p,yv) schreiben kann, dann gilt bei Verwendung des Symbols g für prozentuale Änderung, also prozentualer Wachstumsrate (gq=dq/q) – und tiefgestellter zugehöriger Variable: gq = Eq,p gp+ Eq,y’ gy’. Das Wachstum der Güternachfrage ergibt sich als Summe der mit den jeweiligen Elastizitäten gewichteten Wachstumsraten der Einflussfaktoren: hier Güterpreis und Realeinkommen (man beachte, dass die Preiselastizität negativ, die Einkommenselastizität positiv ist). Es gilt allgemein die Rechenregel, dass wenn Y=Y(X,Z), dann gy= EY,X gX + EY,Z gZ. Einflussfaktoren des Güterangebots und Wettbewerbsfähigkeit Das Güterangebot in einem Unternehmen (Einzelunternehmen i; oder ggf. Branche i) hängt in ingenieurmäßiger vereinfachter Betrachtung ab von den betrieblichen Einsatzmengen der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit L. Die angebotene Gütermenge ergibt sich im einfachen Fall einer Cobb-DouglasProduktionsfunktion als qi =KißL iß’, wobei ß und ß’ jeweils im Wertebereich zwischen 0 und 1 liegen. Der Parameter ß ist die so genannte Produktionselastizität des Kapitals. Diese Elastizität gibt an, um wie viel Prozent die Produkti-

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

65

onsmenge steigt, wenn der Kapitaleinsatz um 1% erhöht wird. ß’ ist entsprechend die Produktionselastizität der Arbeit. Im Weiteren nehmen wir an, dass ß’=1-ß sein soll. Wenn z.B. ß=0,5 beträgt, dann ergibt sich die produzierte Gütermenge dadurch, dass man aus dem Produkt von Kapitaleinsatz K und Arbeitseinsatz L die Wurzel zieht. Natürlich stellt sich die Frage, was die Einsatzmengen der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit L bestimmt. Aus ökonomischer Sicht ist es nicht weiter erstaunlich, dass im Kontext eines Gewinnmaximierungskalküls die Faktorpreise und damit die Kosten der Produktion einerseits und der am Markt erzielbare Güterpreis andererseits aus Unternehmersicht wesentlich sind. Angemerkt sei, dass Gewinnmaximierung eine ökonomisch bzw. ökologisch sinnvolle Verhaltensweise insofern ist, als sie ein gegebenes Produktionsziel mit minimalem mengenmäßigen Faktoreinsatz erreicht. Wenn alle Firmen der Branche gleich sind, kann im Fall von n Firmen das geplante Marktangebot einfach durch Ver-n-fachung der geplanten Angebotsmenge einer repräsentativen Firma ermittelt werden. Dabei wird normalerweise bei steigender Produktionsmenge ein Anstieg der Grenzkosten k’ – der Produktionskosten einer zusätzlichen Produktionseinheit – zu verzeichnen sein. Das Marktangebot für Gut i ergibt sich durch horizontale Aggregation – genauer Addition – der bei alternativen Preisen pi geplanten Produktionsmengen der n Unternehmen der Branche i. Ausgehend von gegebenen Faktorpreisen (z.B. Lohnsatz in Geldeinheiten, W; es gelte W=Wi, was einen wegen nationaler Faktormobilität branchenübergreifend einheitlichen Lohnsatz bedeutet) wird der Unternehmer typischerweise versuchen, den Gewinn zu maximieren: nämlich das, was vom Erlös R(q)=pq nach Abzug der Kosten k(q) übrig bleibt. Es gilt: Gewinn= R(q) – k(q)=pq –k(q)

(A.5)

Leitet man unter Annahme eines bei Wettbewerb für die Unternehmen gegebenen Preises P die Gleichung nach q ab und setzt sie gleich Null – notwendige Bedingung für Gewinnmaximierung –, so ergibt sich die Bedingung Grenzerlös R’=k’(q): Bei Wettbewerb aber ist der Grenzerlös (zusätzlicher Erlös bei Verkauf einer weiteren Gütereinheit) aus Sicht jeder Firma gegeben, und zwar durch den Marktpreis p; daher gilt bei Wettbewerb als Gewinnmaximierungsbedingung Preis p = Grenzkosten k’(q); k’(q) bezeichnet die Grenzkosten, also die erste Ableitung der Kostenfunktion nach der Produktionsmenge, oder ökonomisch gesprochen: die jeweiligen Zusatzkosten bei einer produktionsmäßigen Mengenerhöhung um eine weitere Einheit. Der einzelne Anbieter dehnt bei Gewinnmaximierung die Produktion solange aus, bis der für den Anbieter bei Wettbewerb gegebene Marktpreis p gleich den Grenzkosten k’(q) ist. Es ergibt sich im i-GutMarkt eine Angebotskurve SSi, hinter der die Grenzkostenkurve k’i(qi) der entsprechenden Industrie bzw. der dort tätigen Unternehmen steckt. Je höher der iPreis ist, desto größer die Angebotsmenge qi, die die Unternehmen im i-Sektor planen: Mit steigendem i-Preis erhöht sich die gewinnmaximale Produktionsmenge. Ein Blick noch auf andere Einflussfaktoren der Angebotsmenge lässt folgenden Schluss zu: Die Angebotsmenge jedes Anbieters wird sich vermindern, falls (bei gegebener Arbeitsproduktivität) der Nominallohnsatz steigt; eine

66

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Lohnsatzerhöhung verschiebt – wie jede Kostenerhöhung – die i-Angebotskurve nach oben, z.B. würde die alte Angebotsmenge q0 nur bei einem erhöhten Preis entsprechend Punkt F produziert werden. Die i-Angebotsmenge hängt negativ vom j-Preis insofern ab (je höher der j-Preis, desto geringer das i-Angebot!), als Unternehmen mittelfristig von der Produktion von i-Gütern auf j-Gütern umstellen können. Wenn der j-Preis relativ sinkt, dann wird die j-Güter-Produktion für Unternehmen weniger attraktiv sein; die i-Produktion steigt mengenmäßig an. Die Angebotskurve verschiebt sich nach rechts. In einer Welt mit Unsicherheit führt eine Erhöhung des Unsicherheitsgrades bei den Kosten dazu, dass die Angebotskurve sich nach links verschiebt. Der Gleichgewichtspreis steigt, die Gleichgewichtsmenge sinkt. Hier ergibt sich ein theoretischer Anknüpfungspunkt an das Wirtschafts- und Politiksystem: Je instabiler z.B. das Politiksystem, desto höher die Kostenunsicherheit, was einzelwirtschaftlich bzw. auf einzelne Sektoren bezogen – letztlich also gesamtwirtschaftlich – zu weniger Produktion und Beschäftigung führt. a) p

b) p

SS1 E1

p

E1

SS0

E0

p1 p0

SS1

p0 p1

E0

DD0

q

q0 q1

SS0 E0

E1

DD0

q1 q 0

SS1

SS0

F

p1 p0

c)

DD0

q

q1 q 0

q

Abb. A.15. Einfluss von Lohnsatzerhöhung (a), j-Preissenkung (b) und erhöhter Kostenunsicherheit (c) auf die Angebotskurve im i-Markt

Angesichts eines intensiven Wettbewerbs auf den Märkten für handelsfähige Güter besteht ein starker Druck bei Firmen bzw. Großunternehmen in Hochlohnländern, national und international Outsourcing zu betreiben bzw. die Fertigungstiefe zu vermindern. Es besteht dann ein wachsender Unterschied zwischen dem Bruttoproduktionswert in einem Unternehmen bzw. einer Branche und der jeweiligen Wertschöpfung. Den Unterschied machen die Vorleistungen aus. Outsourcing bedeutet aus Sicht von Großunternehmen, die typischerweise relativ innovations- und produktivitätsstark sind und daher relativ hohe Lohnsätze zahlen und hohe Renditen erwirtschaften, dass Vorprodukte auf kleinere Betriebsgrößen bzw. Lieferanten ausgelagert werden. Kleineren Unternehmen mit geringeren Renditen kann ein Großunternehmen oftmals günstige Preiskonditionen abpressen, die sich auch in relativ geringeren Lohnsätzen in der Zulieferindustrie niederschlagen. Outsourcing stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Großunternehmen und ist oft verbunden mit strategischer Kontrolle der Lieferanten (bei Autozulieferern sind

67

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

z.B. Werkzeuge oft Eigentum des PKW-Endproduzenten; Customer-RelationManagement-Systeme gewähren dem Endproduzenten detaillierte digitale Einblicke in die Kalkulation aller Zulieferer). Internationales Outsourcing bedeutet, dass der Anteil importierter Komponenten in einem Endprodukt zunimmt. Grenzüberschreitendes Outsourcing ist dabei teilweise mit der Gründung von multinationalen Tochterunternehmen verbunden, so dass der Anteil des konzerninternen Außenhandels am Gesamtaußenhandel steigt. Zwischen 1992 bis 2003 erhöhte sich in Deutschland die Industrieproduktion um etwa 20%, während die reale Wertschöpfung im selben Zeitraum um nur 10% anstieg. Der Unterschied in den Zuwachsraten weist auch darauf hin, dass verstärkt Vorleistungen aus dem Ausland bezogen wurden, wobei die osteuropäischen Beitrittsländer mit ihren geringen Lohnkosten an Bedeutung zugenommen haben. Produktinnovation und Preiselastizität der Nachfrage Wenn in Sektor i eine Produktinnovation hervorgebracht wird, steigt die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager: Die Nachfragekurve wird steiler. Preis und Menge im Gleichgewicht steigen an.

p

DD1

SS0 (k’0)

DD0

p1 p0

E0

E1

q0 q1 Abb. A.16. Produktinnovation

q

68

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Je steiler die Nachfragekurve ist, umso geringer die Reaktion der Nachfrager auf eine Preiserhöhung: Die Preiselastizität der Nachfrage, die angibt um wie viel Prozent (dq/q) die nachgefragte Menge auf eine relative (einprozentige) Preiserhöhung reagiert, ist bei einer recht steilen Nachfragekurve gering – dem Betrage nach (denn natürlich gilt im Normalfall, dass dq/q negativ auf eine einprozentige Preiserhöhung reagiert). Zur Illustration betrachten wir zwei Nachfragekurven für zwei Regionen A bzw. B, wobei vereinfachend konstante und identische Grenzkosten k’0 in der Ausgangssituation für beide Regionen gelten sollen. Der Schnittpunkt von Grenzkostenkurve und Nachfragekurve bestimmt das Gleichgewicht (E0 in Region A; E0’ in Region B). Kommt es nun zu einer Kostensteigerung (k’1 statt k’0) und damit zu einer – in beiden Regionen gleichen – Preissteigerung, so ist der relative Mengenrückgang in der Region mit der relativ preiselastischen, bzw. flacheren Nachfragekurve relativ groß. Dies zeigt der Vergleich des alten mit dem neuen Gleichgewichtspunkt in Region A bzw. B. Man beachte, dass die Nachfragekurve umso flacher verläuft, je mehr enge Substitute auf Märkten verfügbar sind. Region B

p

Region A

DDA0

DDB0 E’1

E’0

q’

q0 ’

p1

E1

E0

p0

q1’

k’1

q1

q0

k’0

q

Abb. A.17. Rolle der Preiselastizität der Nachfrage in verschiedenen Regionen

Hinter der Angebotskurve steckt die Grenzkostenkurve der Unternehmen. Bei technischem Fortschritt (im Sinn von Prozessinnovationen) wird sich die Grenzkostenkurve in allen Unternehmen nach unten verschieben: d.h. dass die Marktangebotskurve sich nach unten verschiebt. Es kommt – freie Preisbildung vorausgesetzt – zu einem reduzierten Gleichgewichtspreis (p1) und einer erhöhten Gleichgewichtsmenge (q1).

69

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

p k’0

E0

k’1

p0 E1

p1 C

G DD0

C’

0

q0

q1

q

Abb. A.18. Technischer Fortschritt (Prozessinnovation) auf einem Einzelmarkt

Erhöht sich die Zahl der Nachfrager – etwa im Zuge von Zuwanderung –, dann erhöht sich die Gleichgewichtsmenge, aber auch der Gleichgewichtspreis; demnach auch der Umsatz im Gleichgewicht. Auch eine Erhöhung des Pro-KopfEinkommens der Nachfrager verschiebt die Nachfragekurve nach rechts, wie die nachfolgende Abbildung zeigt.

70

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

p SS0(k’0)

E1 p1

SS1(k’1)

p0 E0 DD0

0

q0 q1 q2

DD1

q

Abb. A.19. Wirkung der Erhöhung der Zahl der Nachfrager (oder Einkommenssteigerung) auf einem Einzelmarkt

Kommt es außerdem zu einer Kostensenkung (Angebotskurve verschiebt sich nach unten →SS1), dann erhöht sich die Gleichgewichtsmenge auf q2. Ob das Zusammenspiel von Einkommenssteigerung und technischem Fortschritt zu einer Preissenkung oder Preiserhöhung im Vergleich zu p0 führt, hängt von der relativen Stärke der Verschiebung von Nachfrage- und Angebotskurve ab. Besteuerung Der Staat erzielt auf vielfältige Weise Steuereinnamen. Das Markteinkommen unterliegt der progressiven Einkommenssteuer. Aber auch Transaktionen auf Gütermärkten werden besteuert, wobei man je nach Steuerbasis (Anknüpfungspunkt bzw. Bemessungsgrundlage der Steuer) zwischen Mengen und Wertsteuern unterscheidet.

71

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

Bei Einführung einer (Mengen-)Steuer muss man zwischen einer ursprünglichen Nachfragekurve DD0 und einer Nettonachfragekurve DDnet (ohne Steuerlast) unterscheiden.

p A

k’0 E’

p’1

F

p0 p1

E C

DD0 DD0net

0

q1

q0

q

Abb. A.20. Mengensteuer und Marktgleichgewicht

Der Schnittpunkt der Netto-Nachfragekurve DD0net und der Grenzkostenkurve k’ bestimmt das Marktgleichgewicht. Bei Wettbewerb ergibt sich der Gleichgewichtspunkt E (statt bei F ohne Steuer). Der Durchschnittserlös netto für die Unternehmen ist p1, der Bruttopreis für die Nachfrager beträgt p’1 = p1(1+t’), wobei t’ der Steuersatz ist. Die Besteuerung reduziert die Gleichgewichtsmenge. Das Steueraufkommen entspricht dem Rechteck p1EE’p’1. Die Besteuerung ist mit einem Wohlfahrtsverlust verbunden: Der soziale Überschuss reduziert sich um das Dreieck E’FE (Abb. A.20). Indikatoren der Wettbewerbsfähigkeit und Spezialisierung In wirtschaftspolitischen Diskussionen wird bei der Frage nach der Stärke einer Wirtschaft oft auf den Außenbeitrag (Differenz von Güterexporten und -importen) oder auf die Höhe der Exportquote hingewiesen. Nicht unproblematisch ist die Interpretation der Exportquote, also der Relation Exportwert dividiert durch Bruttoinlandsprodukt (oder Bruttonationaleinkommen). Ein Anstieg der Exportquote

72

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

kann bei naiver Interpretation als eindeutiger Beleg für eine verstärkte Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bzw. der inländischen Wirtschaft gewertet werden. Wenn jedoch der Anteil importierter Vorprodukte überproportional zunimmt, dann liegt eher eine Abnahme der nationalen Wettbewerbsfähigkeit vor. Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist in einer Weltwirtschaft mit Innovationen vor allem auch daran gebunden, dass sich Firmen auf bestimmte Güter spezialisieren und dabei auch neue Güter entwickeln, für die eine höhere Zahlungsbereitschaft am Markt gilt (Nachfragekurve wird steiler) oder wo man zumindest zeitweise Alleinanbieter (das bedeutet eine temporäre Monopolpreissetzung, wobei der Marktpreis nicht länger wie bei Wettbewerb vorgegeben ist) ist – nämlich solange, bis die Konkurrenten im Weg der Imitation dasselbe Produkt auch herstellen. Die Spezialisierungen bzw. Innovationsschwerpunkte von Unternehmen und Ländern kann man anhand von Patentanmeldestatistiken untersuchen. Wenn man eine Produktionsfunktion Y=F(K,L,A) betrachtet, wobei A das technische Wissen ist, kann man im Fall einer linear-homogenen Produktionsfunktion – eine Funktion vom Typ Cobb-Douglas etwa (linear-homogen heißt: ver-n-fachte Einsatzmengen aller Faktoren bedeuten eine Ver-n-fachung der Produktionsmenge) – auch schreiben Y/L=y=f(K/L; A/L). Die Pro-Kopf-Produktion y ist eine positive Funktion der Kapitalintensität K/L und der Technologieintensität A/L. Man kann Sektoren nach ihrer Technologieintensität ordnen. Dies geschieht in der Literatur in der Regel recht pragmatisch, wobei nach einfachen, mittleren und Spitzentechnologien unterschieden wird. Klassifikationsmerkmal hierbei sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) relativ zum Umsatz: Zwischen 3 und 8,5% F&E-Ausgaben relativ zum Umsatz ist der Bereich der mittleren Technologien. Sektoren mit einer F&E-Intensität oberhalb von 8,5% gelten als Spitzentechnologiesektoren. Im Übrigen muss man strikt zwischen den Wettbewerbsfähigkeiten von Unternehmen und dem Weltexportanteil eines Landes (Indikator für internationale Wettbewerbsfähigkeit) unterscheiden. Während etwa der Anteil der USA an den Weltexporten in den 80er Jahren deutlich sank, blieb der globale Export von multinationalen US-Unternehmen in etwa konstant. Letztere hatten ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit – auf Basis der Produktion und des Exports in vielen Ländern – behauptet, die USA hingegen an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Relativ hohes Wirtschaftswachstum in den USA in den 90er Jahren hat im Übrigen zu einem wachsenden Leistungsbilanzdefizit relativ zum US-Bruttoinlandsprodukt geführt. Mit einer Defizitquote von etwa 5% in 2003 haben die USA ein für ein großes Land bedenklich hohes außenwirtschaftliches Ungleichgewicht. Hohe Leistungsbilanzdefizitquoten führen langfristig zu einer Abwertungstendenz bei der Währung. Im Übrigen bedeutet im Zwei-Länder-Modell der Weltwirtschaft USA-Rest der Welt, dass der Rest der Welt über Kapitalexporte in die USA das Leistungsbilanzdefizit finanziert, was entsprechende Renditeerwartungen bei Staatsanleihen und Aktien voraussetzt.

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

73

Wohlstand, Wettbewerb und Interessengruppen Die Koordination von Tausenden oder gar Millionen von Einzelunternehmen erfolgt über Märkte, was – Wettbewerb auf Güter- und Faktormärkten vorausgesetzt – zu vernünftigen stabilen Ergebnissen bzw. einem hohen Wohlstand bei Vollbeschäftigung führen kann: Knappheit wird bestmöglich gemindert. Wettbewerb ist allerdings nicht ohne weiteres gesichert, denn ohne Gesetze, die den Wettbewerb schützen (also auch etwa Kartelle verbieten), tendiert Wettbewerb unter ungünstigen Bedingungen zur allmählichen Selbstzerstörung. Denkbar ist etwa, dass bei jeder Rezession bzw. Wirtschaftskrise verstärkte Konzentrationstendenzen durch Zusammenschlüsse und Übernahmen entstehen oder der Markteintritt aus technologischen Gründen zunehmend schwieriger wird (Beispiel Office-Softwaremarkt). Im Übrigen haben Anbieter und Arbeitnehmer sowie Verbraucher in modernen Staaten bzw. Gesellschaften die Freiheit, sich jeweils in Interessengruppen zu organisieren. Die Arbeitnehmer haben sich das Koalitionsrecht, faktisch also das Recht zur Gewerkschaftsbildung, im Gefolge der Industriellen Revolution erkämpft. Löhne und Arbeitsbedingungen werden von daher in vielen Branchen nicht individuell zwischen Arbeitgeber bzw. der Firma und dem jeweiligen Arbeitnehmer ausgehandelt, sondern zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft bzw. Gewerkschaften. Solange Interessengruppen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren, keine De-facto-Kartellierungen entstehen und keine negativen externen Effekte zulasten Dritter erzeugen, ist die Tätigkeit von Interessengruppen sinnvoll. Beliebige Zusammenschlüsse von Arbeitgeberverbänden oder Branchengewerkschaften sind mit dem Gedanken des Wettbewerbs jedoch nicht vereinbar. Problematisch ist ein auf Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften basierender Lohnabschluss dann, wenn diese Organisationen nicht mehr repräsentativ sind, weil der Organisationsgrad im Zeitablauf abnimmt. Bedenklich ist insbesondere auch, wenn Tarifvertragsparteien undifferenziert Lohnabschlüsse aus Regionen mit niedriger Arbeitslosigkeit auf Regionen mit hohen Arbeitslosenquoten übertragen bzw. wenn die qualifikationsbezogenen Lohndifferenziale unzureichend die bestehenden Produktivitätsunterschiede von qualifizierten Arbeitnehmern und Ungelernten reflektieren. Bei unzureichender Lohndifferenzierung tragen die Tarifvertragsparteien Mitverantwortung an der Arbeitslosigkeit. Im Übrigen ist die Arbeitslosenversicherung nicht wirklich an Versicherungsprinzipien orientiert: Regionen bzw. Firmen, die relativ häufig hohe Arbeitslosenzahlen „produzieren“ müssten mit höheren Beitragssätzen zur Arbeitslosenversicherung belastet werden als Regionen mit Vollbeschäftigung bzw. Firmen, die selten und wenig Arbeitnehmer entlassen. Wie so oft besteht Reformbedarf dann, wenn die Anreizstrukturen vernünftiges Verhalten der Akteure nicht belohnen bzw. unvernünftiges Verhalten nicht bestrafen. Einheitliche Beitragssätze in der Arbeitslosenversicherung sind ungefähr so vernünftig wie Einheitsbeiträge in der PKW-Haftpflichtversicherung jemals sein könnten.

74

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

Stabilität von Märkten Wie entwickeln sich Märkte, wenn es zu Veränderungen von Angebot oder Nachfrage kommt? Die Stabilität von Märkten ist nicht ohne weiteres immer gegeben, wie man etwa am Beispiel des so genannten Schweinezyklus (SpinnwebEntwicklung; Cobweb-Theorem) sehen kann, der ein historisch bekanntes Phänomen aus der Landwirtschaft widerspiegelt. Wenn die Nachfragekurve eine Steigung hat, die absolut gesehen größer als die der Angebotskurve ist, dann kommt es – kurzfristige Inflexibilität des Angebots bzw. eine Orientierung der Anbieter bei der Produktionsausweitung an der aktuellen (!) Preisentwicklung vorausgesetzt – zu wachsenden Instabilitäten. Wenn sich z.B. die Güternachfragekurve verschiebt, dann entsteht folgender Anpassungsprozess. Es kommt ausgehend vom Punkt E0 bei gegebenem Güterangebot zunächst zu einem Preisanstieg (Punkt D), was bei gegebener Angebotskurve zu einer Produktionsausweitung führt (Punkt F); das entstehende Überangebot kann nur abgesetzt werden – siehe die Nachfragekurve DD1 –, wenn der Preis fällt (Punkt H), weshalb die Produzenten wiederum die Produktionsmenge reduzieren (I); der Nachfrageüberschuss führt in den Punkt J etc. Wenn die Steigung von Angebots- und Nachfragekurve zufällig betragsmäßig gleich ist, dann entsteht ein oszillierender Preisverlauf. Wenn die Steigung der Nachfragekurve betragsmäßig kleiner als die der Angebotskurve ist, ergibt sich eine allmähliche Entwicklung hin zum neuen Gleichgewichtspreis. Der Fall der Instabilität kann – sofern empirisch relevant – als Ausgangspunkt für eine staatliche Intervention gesehen werden. Zu prüfen ist vorab, ob in der Realität die Annahmen des Modells bezüglich des Anbieterverhaltens wirklich gelten und ob die Steigung der Kurven kritisch ausfällt. Der Staat könnte den Preis im neuen Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve festsetzen oder einen Auktionator beauftragen, dies entsprechend vorzunehmen. Zu bedenken ist im Übrigen, dass der Staat auf einer Reihe von Märkten selbst Anbieter oder Nachfrager ist.

75

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

p

J

SS0

K D

F E1

E0 H I

DD1 DD0 0

q0

q

Abb. A.21. Instabile Spinnweb-Entwicklung (Schweinezyklus), Erhöhung der Nachfrage bei kurzfristig starrem Angebot

Wenn der Staat in die Preisbildung eingreift, dann geht dies erfahrungsgemäß mit Problemen einher: Setzt er den Interventionspreis oberhalb des Gleichgewichtspreises („Mindestpreis“) fest, ergibt sich ein Angebotsüberschuss, was eine Verschwendung von Ressourcen bedeutet (noch dazu, wenn er – wie im Fall der EU-Milchmarkt-Ordnung – die Milch aufkauft und in Form von Butter einlagert, um die Lagerbutter später zu subventionierten Preisen auf den Inlands- oder Exportmarkt zu schleusen). Setzt er den Interventionspreis unterhalb des Gleichgewichtspreises („Höchstpreis“) fest, ergibt sich ein Nachfrageüberschuss. Es entsteht ein Schwarzmarkt, der in der Regel mit Bestechungszahlungen von Seiten von Nachfragern mit hoher Zahlungsbereitschaft einhergeht.

76

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

p

SS0

p1

E1

p0

E0

DD1 DD0 0

q0

q

Abb. A.22. Stabile Anpassung bei Cobweb-Theorem

Märkte funktionieren kaum, wenn das Ausschlussprinzip (nur wer zahlt, bekommt das gewünschte Gut) nicht angewendet werden kann; und wenn keine Rivalität im Konsum vorliegt. Diese Problematik entsteht bei Kollektivgütern bzw. öffentlichen Gütern. Wer etwa durch abendliche Feuerwerke seinen Lebensunterhalt verdienen wollte, wird arm bleiben. Denn jeder in der betreffenden Region kann kostenlos „zusehen“ und der Konsum von Person A beeinträchtigt nicht den von B. Es gibt auch internationale öffentliche Güter, die nur mit besonderen Mühen – sprich durch eine internationale Organisation (ggf. in Verbindung mit einem globalen Führungsland) – bereitgestellt werden können: Man denke an den Freihandel und die Rolle der WTO, oder an den Klimaschutz und das KyotoProtokoll der UN. Es entsteht in Marktwirtschaften regelmäßig eine hohe Güterproduktion und ein hohes Einkommensniveau bei annähernder Vollbeschäftigung. Viele arme Länder, die sich für eine Marktwirtschaft bzw. Freihandel – die internationale Variante von Wettbewerb auf Gütermärkten (für handelbare Güter) – entschieden haben, konnten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ökonomisch eindrucksvolle Aufholeffekte beim Pro-Kopf-Einkommen verzeichnen: Die asiatischen Schwel-

A.2 Ökonomische Analysekonzepte und -methoden

77

lenländer, die noch 1960 dasselbe Pro-Kopf-Einkommen hatten wie die Länder Afrikas, haben in den 70er und 80er Jahren einen nachhaltigen Wachstumsprozess erlebt. Einige Entwicklungsländer – so die meisten in Afrika, aber auch Argentinien – sind allerdings auch in einen Abwärtsprozess in den 80er und 90er Jahren geraten. Dahinter steckt aber nicht ein Zuviel an Marktwirtschaft, sondern regelmäßig sind es politische Instabilitäten oder Bürgerkriege sowie verstärkter Protektionismus, die zum ökonomischen Abstieg führen. Allerdings haben auch einige OECD-Länder seit den 70er Jahren mehrere Jahrzehnte mit hoher Unterbeschäftigung erlebt. Marginalbetrachtung und ökonomische Optimierung In den Wirtschaftswissenschaften geht man davon aus, dass jedes Individuum das Beste, entsprechend den jeweiligen Wünschen, aus seiner Situation – definiert durch die persönliche Einkommenssituation oder Ressourcenausstattung und bestimmte andere Nebenbedingungen (z.B. Gesetze) – machen möchte. Das läuft mathematisch gesehen auf ein Maximierungskalkül hinaus: Es gibt also eine Zielfunktion U(V), die unter Nebenbedingungen Z1,Z2,...,Zn zu maximieren ist. Eine einfache Lösungsmethode ist die Optimierung mit Hilfe des Lagrange-Verfahrens; oder aber man setzt die Nebenbedingung in die Zielfunktion ein und setzt dann die erste Ableitung gleich Null. Hinreichende Bedingung für ein Maximum ist, dass die zweite Ableitung negativ ist. Wenn die Nutzenfunktion U eines Haushalts bzw. einer Person durch U(q1,q2) beschrieben werden kann, während als Nebenbedingung die Budgetrestriktion im Geldeinheiten Y’=p1q1+p2q2 gilt, so verlangt die Maximierung des Nutzens, dass die Indifferenzkurve (Kombination von q1 und q2, die denselben Nutzenindex ergeben) tangential an die Budgetgerade läuft bzw. eine Indifferenzkurve möglichst weit rechts vom Ursprung erreicht wird. Der Grenznutzen (Ableitung von U nach q1 bzw. q2) eines Gutes gibt an, wie stark der Nutzen steigt, wenn die Menge eines bestimmten Gutes um eine Einheit erhöht wird. Es gilt dU=(∂U/∂q1)dq1+(∂U/∂q2)dq2

(A.6)

Setzt man U konstant bzw. dU=0, so ergibt sich dq2/dq1= – (∂U/∂q1)/( ∂U/∂q2)

(A.6’)

Die Budgetgerade (BB0) lässt sich schreiben als q2=(Y’/p2) – [p1/p2]q1

(A.6’’)

Notwendige Bedingung für ein Nutzenmaximum ist, dass die Grenzrate der Substitution beim Konsum (∂U/∂q1)/(∂U/∂q2)=p1/p2

(A.6’’’)

Die Grenznutzen der Güter verhalten sich also wie die Preise. Falls der Relativpreis p1/p2 ansteigt, so wird ein neues Haushaltsoptimum E1 mehr von q2 und weniger von q1 konsumiert; dies ergibt sich aus der Betrachtung der im Vergleich zu

78

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

BB0 steileren Budgetgeraden BB1 bzw. dem Vergleich von Punkt E1 mit dem Punkt E0.

q2 B’ BB1 tg α = -p1/p2 B

F

E1 E0

q0

II1

α 0

q0

C’

BB0 C

II0 q1

Abb. A.23. Nutzenoptimum des Haushalts

Betrachtet man eine Nachfragefunktion (mit 0 0 vorteilhaft. Den RCA kann man sich dann auch im Zeitablauf ansehen. Logarithmiert man ggf. die Werte, dann wird man bei einem positiven RCA eine positive Spezialisierung bzw. eine relativ gute sektorale Wettbewerbsposition feststellen. Zudem kann man den Export-Durchschnittserlös (Export Unit Value/EUV: Erlös pro Mengeneinheit bzw. kg Exportgut) über längere Perioden betrachten und von daher feststellen, bei welchen Sektoren eine relativ hohe Preisposition im jeweils relevanten Markt – dies kann die EU oder auch der Weltmarkt sein – besteht. Ein Land, das relativ am Ende des sektoralen Wertschöpfungsprozesses steht bzw. in vertikalen Außenhandel mit Zwischenprodukten eingebunden ist, wird einen höheren Exportdurchschnittserlös haben als den hierzu entsprechenden sektoralen Importdurchschnittserlös, so dass man auch aus einem Vergleich der sektoralen Exportdurchschnittserlöse interessante Schlüsse ziehen kann. Exemplarisch betrachten wir zum Export-Durchschnittserlös und zum an dieser Stelle modifizierten RCA (es wird bei den sektoralen Exporten und Importen wie

154

Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

bei den Gesamtexporten und –importen ein Bezug auf die EU15 vorgenommen; also nicht auf den Weltmarkt) Deutschland. Dabei sind von links nach rechts die hier dargestellten Gütergruppen mit zunehmender Technologieintensität geordnet, wobei die Gütergruppen-Einteilung dem OECD-Schema folgt. Man kann erkennen, dass Deutschland bei den meisten arbeitsintensiven Industriegütern eine relativ schwache internationale Wettbewerbsposition hat, aber längerfristig in einigen technologieintensiven Gütergruppen einen RCA > 0 hat (zudem auch steigende Exportdurchschnittserlöse erzielt hat). Die Spezialisierung der Bundesrepublik Deutschland ist erkennbar bei skalenintensiven und technologieintensiven Gütern. Dies gilt ähnlich auch für die USA. 1,2

1,0

0,8

0,6

0,4

0,2

0,0

-0,2

-0,4

-0,6

-0,8

-1,0 Arbeitsintensiv

Ress.

Ressourcenintensiv

-1,2 17 1988

Wiss.

Skalenintensiv

Skalen 18 1989

19 1990

28 1991

36 1992

15 1993

16

20 1994

23 1995

26 1996

27 1997

Wissensbasiert

Differenzierte Güter

Skalen 21 1998

22

24 1999

25 2000

34 2001

35 2002

30

33

2003

29 2004

31 2005

32 2006

Abb. A.38. RCA –Entwicklung in Deutschland (RCA normiert auf [1,-1])

A.8 Politische Interessenkonflikte und Demokratie Der demokratische Staat ist durch sein Gewalt-Monopol und auch dank Optionen zur Besteuerung bzw. zur Gesetzesverabschiedung mächtig. Hier die Freiheit des einzelnen zu sichern, ist eine große Herausforderung. Dem Staat müssen selbst durch die Verfassung und zudem Beschränkungen der Wirtschaftspolitik auch klare Grenzen gesetzt werden. Ein Zuviel an Staat bedroht die Freiheit der Bürger und bedroht am Ende das Demokratieprinzip, da die Akteure des Staates – wie Militär, Beamte und Politiker – am Ende eine unlegitime umfassende Herrschaft ausüben könnten. Ein Zuwenig an Staat aber ist auch bedrohlich; ein schwacher Staat wird kaum Umweltschutzgesetze verhängen und ggf. etwa auch eine Überfi-

A.8 Politische Interessenkonflikte und Demokratie

155

schung der Meere zulassen, die durch unkoordinierte Fangaktionen von Fischen – sie werden in der EU mit ihren Flotten noch zudem subventioniert – eine Überfischung herbeiführen können. Dem kann der Staat durch Verbote bzw. Fischfangquoten entgegenwirken; beim internationalen Hochseefischfang ist hierzu eine grenzüberschreitende Koordination von Mitgliedsländern notwendig. Zugleich sieht man hier, dass Märkte allein – hier Fischerei-Märkte – keineswegs immer aus sich selbst heraus vernünftige Wirtschaftsergebnisse erbringen. In der Demokratie werden die Gesetze und staatliche Einnahmen bzw. Ausgaben durch Mehrheitsbeschluss festgelegt. In einem westlichen Demokratieverständnis geht es dabei um eine pluralistische Gesellschaft mit um die politische Macht konkurrierenden Parteien, die im öffentlichen Diskurs auf die Aufmerksamkeit der Wähler ringen bzw. durch Vorbringen von Argumenten und Schnüren diverser Politikprogramme eine Mehrheit beim Wähler zu erringen suchen. Bei politischen Maßnahmen bzw. Reformprojekten gibt es in der Regel Gewinner und Verlierer unter den diversen gesellschaftlichen Gruppen, wobei hier die Politikentscheidung nicht ohne weiteres ökonomischen Kriterien folgen wird. Tatsächlich sind etwa Kosten-Nutzen-Analysen, die man aus ökonomischer Sicht gerne bei alternativen Maßnahmen betrachtet, nur eine – allerdings auch sehr wichtige – Dimension zur Beurteilung menschlichen Handelns; rechtliche und ethische Aspekte spielen in der Regel auch eine wichtige Rolle. Die Interessengegensätze in der Demokratie werden oft durch das Suchen nach einem Kompromiss bzw. nach einer konsensbasierten Regelung von Streitfragen überwunden. Dies gilt in hohem Maß bei einer großen Koalition, bei der so die beiden führenden Parteien Regierungsmacht teilen; bei anderen Konstellationen gilt das weniger, da hier eben die politischen Gegensätze medienmächtig von den Parteien in die Öffentlichkeit vermittelt werden. Zeiten mit einer großen Koalition sind politisch eher wenig innovativ, da für Innovationen kein Handlungsspielraum besteht. In vielen Ländern Asiens spielt die westliche Demokratie keine so große Rolle: Öffentliche Diskurse gelten aus einem konfuzianisch geprägten Kulturverständnis als problematisch, da man durch eine öffentliche Debatte sein Gesicht verlieren könnte bzw. seinen politischen Gegner in seiner Ehre beschädigen könnte. Dass es etwa in Japan über viele Jahrzehnte eine immer gleichartige Mehrheit der liberaldemokratischen Partei im Parlament gegeben hat, heißt allerdings nicht, dass es in diesem Land keine Interessengegensätze oder Meinungsverschiedenheiten gäbe. Diese kommen einerseits im Gegeneinander von Parteien zum Ausdruck, zudem werden sie in den Kämpfen der „Fraktionen“ innerhalb der liberaldemokratischen Partei sichtbar. In Asien ist die Suche nach dem Konsens in stillen Hinterzimmern ein wichtiges Element der Politik; bisweilen auch der harte – kompromissferne – politische Kampf um Sieg oder Niederlage. Wenn Politiker/innen Entscheidungen treffen, dann geht es aus ökonomischer Sicht dabei um die Maximierung einer Zielfunktion. So könnte man versuchen, das größte Glück der größten Zahl von Wählern zu realisieren, wobei man Glück im einfachsten Fall durch eine Zielfunktion Z = αLy – α’π – u erfassen kann, wobei L die Einwohnerzahl des Landes, y das Pro-Kopf-Einkommen, π die Inflationsrate (Wachstumsrate des Preisniveaus P), u die Arbeitslosenquote bezeichnen;

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

die Parameter α und α’ sind als Gewichtungsfaktoren zu verstehen (der relative Gewichtungsfaktor für u ist -1, wobei an dieser Stelle bei 3 Zielgrößen zwei Gewichtungsparameter ausreichend sind). Wir gehen dabei davon aus, dass mit steigender Inflationsrate und auch mit steigender Arbeitslosenquote – definiert als Zahl der Arbeitslosen/Zahl der Beschäftigten - alle Bürger/innen sich weniger glücklich fühlen. Was geschieht nun, wenn man eine Nebenbedingung beachten muss, wonach aus bestimmten Gründen gilt: π = π0- ß“u, wobei ß“ ein positiver Parameter und π0 die exogene Inflationsrate (Änderungsrate des Preisniveaus in % p.a.) bei Vollbeschäftigung ist; die Inflationsrate sinkt also mit steigender Arbeitslosenquote. Hier gibt es also einen Zielkonflikt. Denn die Rückführung der Arbeitslosenquote führt zu einer höheren Inflationsrate (dies ist eine bekannte Aussage der sogenannten Phillips-Kurve; s. Folgekapitel). Wir können hier die Zielfunktion daher nun entsprechend einfach modifizieren, indem wir jetzt die Gleichung aus der Nebenbedingung in die Zielfunktion einsetzen: Z = αLy – α’π0 + (α’ß“-1)u

(A.38)

Die Arbeitslosenquote u wiederum sei hier eine positive Funktion der Differenz zwischen Reallohnsatz w und dem Grenzprodukt der Arbeit bzw. ß’Y/L (hier ist Y/L das Durchschnittsprodukt des Faktors Arbeit, ß’ ein positiver Parameter). Der Reallohnsatz w ist die Relation des nominalen Stundenlohnsatzes W und dem Preisniveauindex P, der eine Art gewichteter Durchschnitt aller Einzelpreise ist. Es gelte (mit λ als positivem Parameter) u = λ[w – ß’Y/L]. Dies ergibt nun für den Fall eines vom Pro-Kopf-Einkommen abhängigen Pro-Kopf-Einkommens bzw. L(y) = v-v’y, wobei v und v’ positive Parameter sind: Z = α(v-v’y)y – α’π0 + (α’ß“-1)λ (w – ß’y)

(A.39)

Es gilt also mit v“=: (α’ß“-1)λ: Z = αvy - αv’y2 – α’π0 + v“w – v“ß’y)

(A.40)

Die Maximierung von Z durch geeignete Wahl von y verlangt als notwendiger Bedingung nach dZ/dy = αv – 2 αv’y – v“ß’=0

(A.41)

y= (αv - v”ß’)/(2αv’)

(A.42)

Wir nehmen hierbei an, dass αv > v”ß’. Wenn man nun genauer wüsste, wovon die Höhe das langfristigen Pro-Kopf-Einkommens y abhängt, dann könnte man durch geeignete Wirtschaftspolitik die Maximierung der Zielfunktion erreichen. Tatsächlich wird zu zeigen sein, dass die neoklassische Wachstumstheorie das Pro-Kopf-Einkommen relativ einfach erklärt. Geht man etwa von einer Sparfunktion S= s(1-τ)Y aus, wobei s die Sparquote der Haushalte und τ der Einkommenssteuersatz ist, dann lässt sich hier bei Beachtung einer aggregierten Produktionsfunktion – sie umfasst alle Produktionssektoren – zeigen, dass sich aus der Gleichgewichtslösung ergibt: Eine Senkung des Einkommenssteuersatzes erhöht das Niveau des Wachstumspfades (das läuft nun hierbei allerdings bei einer Pro-

A.8 Politische Interessenkonflikte und Demokratie

157

duktionsfunktion mit durch Staatseinnahmen zu finanzierender Infrastruktur nicht einfach nur auf eine plumpe Steuersenkungspolitik hinaus), so dass der Staat durchaus die Gleichgewichtslösung für das Pro-Kopf-Einkommen beeinflussen kann. In der Praxis der Wirtschaftspolitik steuert aber ohnehin nicht einfach „der Staat“ den Einkommenssteuersatz, sondern schon die Festlegung des Steuersatzes – oder der Steuersätze - ist ein komplexer politischer Prozess, der das Ausbalancieren der Interessen verschiedener Gruppen erfordert. Gibt es bei Reformen Gewinner und Verlierer, dann ist – nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium - eine ökonomische Reformmaßnahme sinnvoll, wenn man aus den ökonomischen Gewinnen der Reform dann auch die Verlierer entschädigen könnte. Wenn dieser hypothetischen Entschädigungsmöglichkeit keine praktische Kompensation entspricht, dürfte der politische Widerstand gegen Reformen groß sein. Von daher bietet es sich für Politiker an, Reformpakete – mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen – zu schnüren, die unterm Strich einen Nutzenzuwachs für alle Individuen bzw. einflussreiche Gruppen bringen. Es kann von daher paradoxerweise bisweilen leichter sein, mehrere Probleme gleichzeitig zu lösen als nur ein einziges. Wenn sich nur auf ein einziges Problem zu konzentrieren hat, dann ist dies aus ökonomischer Sicht eben häufig ein Optimierungsproblem. Man kann dann das Verhalten von Haushalten, Unternehmen und Gewerkschaften sowie ggf. anderen Verbänden modellieren, d.h. bestimmte Verhaltensannahmen setzen. Daraus erhält man dann im einfachsten Fall eine Gleichung, die den Zustand der Wirtschaft charakterisiert. Man kann sich dann im zweiten Schritt fragen, ob die individuelle Nutzenmaxierung der genannten Akteure zu einem Wohlfahrts- bzw. zu einem Nutzenoptimum führt. Für individuelles Verhalten nicht zu einem (definierten) gesellschaftlichen Optimum – z.B. einem maximalen langfristigen Pro-KopfKonsum -, dann kann man über staatliche Eingriffe bzw. wirtschaftspolitische Maßnahmen nachdenken. Man reformuliert das Optimierungsproblem also aus der Perspektive eines politischen Planers, wobei man im einfachsten Fall die für politische Prozesse oft typischen Erscheinungen wie Ineffizienz beim Einsatz von Ressourcen – verglichen mit dem Privatsektor – oder auch das Phänomen von Bestechungszahlungen außen vorlässt; bei einer realistischen Modellierung von Politikerverhalten kann dies dann in einer zweiten Stufe der Modellierung ggf. einbezogen werden. Im Übrigen wird man aus analytischer Sicht in der Regel komparative Statik betreiben, also die genaue Änderung der Optimallösung in Abhängigkeit von der (dann angenommenen) Veränderung von Modellparametern betrachten. An dieser Stelle nehmen wir ein modifiziertes Beispiel (WÄLDE, 2007), das für die Globalisierungsdebatte von Interesse ist und auf die Wirkung von Standards, insbesondere Arbeitssicherheitsstandards abstellt. Die Produktion Y ergibt sich bei gegebenem Kapitalbestand in Abhängigkeit vom Einsatz arbeitsfähiger, also gesunder Beschäftigter; der Anteil der gesunden Beschäftigten sei z(S’), wobei S’ der von den Gewerkschaften durchgesetzte Arbeitsplatz-Sicherheitsstandard ist; er ist so definiert, das er im Wertebereich zwischen 0 und 1 liegt. Die betrachteten Gewerkschaften sind als Firmen-Gewerkschaften zu verstehen. Die Produktion ei-

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Kapitel A. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre

ner einzelnen Firma i ist – bei Unterdrückung des Subskripts i (alle Firmen seien identisch) – gegeben durch Y= A(S’,F) Kß {[z(S’)]L}1-ß

(A.43)

Die Produktion ist also demnach Faktoreinsatz von K hoch ß mal Arbeitseinsatz gesunder Arbeitnehmer zL hoch 1-ß, wobei zudem noch eine Effizienzvariable A einwirkt (00; • die Wachstumsrate des technischen Fortschritts zunimmt (da/dt>0); • wenn Y/(AL), also das Einkommen relativ zu Arbeit in Effizienzeinheiten zunimmt – eben weil dy’/dt>0. Im Zeitraum 1990-2007 spielen zeitweise alle drei Erklärungselemente in den USA bzw. der Eurozone eine wichtige Rolle. Was die Akzeptanz des Euros beim Bürger angeht, so findet sich in der Eurozone außerhalb Deutschlands eine recht stabile positive Einschätzung. Allein in Deutschland ist die Unzufriedenheit mit dem Euro groß und im Zeitablauf gewachsen: Ende 2003 war in Deutschland die Relation Zufriedene zu Unzufriedenen bei gerade noch 1:2. Dass es der Euro in Deutschland besonders schwer hat, ist wenig erstaunlich vor dem Hintergrund von fünf Jahrzehnten erfolgreicher Bundesbank-Politik und stabiler DM, die auch ein nationales Erfolgssymbol war. Hinzu kommen bei der Euro-Akzeptanzfrage psychologische Einführungsprobleme unter der griffigen Überschrift Euro=Teuro. Eine wichtige Ursache für die Euro-Ablehnung in Deutschland und einigen Euro-Ländern ist insbesondere das Gefühl vieler Menschen, dass die Einführung des Euros zu versteckten und offenen Preiserhöhungen geführt hat. Jenseits aller offiziellen Statistiken – sie geben

B.22 Euro und EZB

373

für das Jahr der Bargeld-Einführung kaum 2% Inflationsrate her – empfindet eine große Zahl von Menschen in der Eurozone, dass der Euro zu einem besonderen „gefühlten Kaufkraftverlust“ geführt hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das im Zuge der Einführung von Euro-Bargeld zum 1.1.2002 erfolgte fast bevölkerungsweite Kontrollrechnen von Preisen bzw. Umrechnung auf einen psychologisch relevanten subjektiven Teuerungseffekt hinausläuft. Anders als in den Jahren zuvor hat eben die Bargeld-Einführung die Konsumenten motiviert, zu Jahresanfang einmal selbst genauer nachzurechnen. Das ist aber ein Einmaleffekt im Kontext der öffentlichkeitswirksamen Bargeldeinführung in 2002. Allerdings, man hätte seitens der Politik hier psychologisch sorgfältiger Flankenschutz geben können, indem man staatlich administrierte Preise in 2002 stabil gehalten hätte und für mehrere Jahre eine doppelte Preisauszeichnung vorgeschrieben hätte. Eine Erfolgsstory ist die Emission von Euro-Unternehmensanleihen, die von 46 Mrd. Euro in 1998 – noch auf ECU-Basis (ECU wurde 1:1 auf Euro umgestellt) – auf gut 150 Mrd. Euro in den Folgejahren im Volumen gestiegen sind; in 2001 gar auf 204 Mrd. Während Jumbo-Anleihen großer Unternehmen vor 1999 nur in Dollar marktgängig waren, hat sich dank Euro ein liquider Anleihemarkt für alle Laufzeiten und diverse Stückelungen ergeben. Während nach EZB-Angaben vor der Euro-Einführung die Länder der jetzigen Eurozone kaum an einen 20% Anteil an den internationalen Wertpapieremissionen heranreichten, waren es im Zeitraum Mitte 2002 bis Mitte 2003 immerhin schon 30,4%. Führende Emittenten Eurodenominierter Emissionen waren in diesem Zeitraum die Europäische Investitionsbank mit 24 Mrd. Euro und die US-Hypothekenbank Freddie Mac mit 15 Mrd. Euro. Ein Erfolg ist auch, dass zunehmend Notenbanken in aller Welt Währungsreserven in Euro halten. Der Anteil des Euros an den globalen Reserven erhöhte sich von 16,4 % in 2001 auf 18,7% in 2002. Der Anteil des US-Dollars fiel von 67 % auf 65,4%. Auch als Fakturierungswährung im Außenhandel mit Drittländern verzeichnete der Euro in 2002-2007 Anteilsgewinne. Bleibt ein bitterer Wehrmutstropfen aus dem Jahr 2003, als Deutschland und Frankreich als Länder mit überhöhter Defizitquote die Anwendung des 1997 feierlich verkündeten Stabilitäts- und Wachstumspaktes aussetzten. Während das erste Defizitsünder-Land Portugal brav das Defizitverfahren der Kommission über sich ergehen ließ, setzten die beiden größten Länder der Eurozone durch, dass sie „gleicher als gleich“ sind. Damit ist der Pakt, der solide Staatsfinanzen sichern soll und dabei eine maximale Defizitquote von 3% – außerhalb einer Rezession – zulässt, schwer beschädigt. Die Glaubwürdigkeit von Verträgen von Ländern der Eurozone ist nach innen und außen beschädigt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist faktisch tot. Ob der Euro ein Erfolg wird, ist weiter offen. Die EZB täte gut daran, ihren Inflationszielwert von knapp unter 2% zu überprüfen. Er erscheint mit Blick auf Deutschland und Frankreich als zu restriktiv, da er in Phasen gut gehender Konjunktur im Rest der Eurozone – bei Inflationsraten von 3-4% – zu einem faktischen Deflationsdruck in Deutschland und Frankreich führt: 1% Inflationsrate in Deutschland und Frankreich heißt, wegen der Tendenz zur Qualitätsverbesserung bei vielen Produkten und wegen Messproblemen in der Regel schon Deflation. Eine mehrjährige Deflation für große EU-Kernländer wür-

374

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

de aber dort Wachstum und Beschäftigung beeinträchtigen und wegen des starken außenwirtschaftlichen Gewichts von Deutschland und Frankreich innerhalb der Eurozone würde damit auch die Wirtschaftsentwicklung in den anderen zehn Euro-Ländern längerfristig erschwert. Ein Inflationszielwert von 2,5% wäre als mittelfristige Vorgabe angemessen. Dies gilt umso mehr, als im Zuge der EUOsterweiterung dann ab etwa 2010 vermutlich mehrere relativ arme Länder zu den bisherigen zwölf Euro-Ländern hinzutreten werden. Diese Länder werden ein relativ hohes Wachstum und eine eher hohe Inflationsrate aufweisen, da gemäß dem sogenannten Balassa-Samuelson-Effekt der relative Preis nichthandelsfähiger Güter in armen Ländern mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen erheblich ansteigt. Bedenklich ist schließlich, dass die EZB in der vorgesehenen EU-Verfassung relativ schwach dasteht. Allerdings ist es durchaus vernünftig, wenn die EZB nicht sakrosankt ist; man bedenke, dass die erfolgreiche Deutsche Bundesbank dem politischen Risiko gegenüberstand, dass das Gesetz über die Deutsche Bundesbank mit einfacher Mehrheit des Deutschen Bundestages geändert werden konnte. Was die Bundesbank relativ unangreifbar von Seiten der Regierung machte, war ihr hohes Ansehen in der Öffentlichkeit; die potenzielle politische Angreifbarkeit der Bundesbank motivierte sie zu besonderen Leistungen, die wiederum hohes Ansehen brachten. Dieses verdankte sie einer erfolgreichen Geld- und Währungspolitik. Hier gilt es für die EZB anzusetzen. Ein guter Anfang ist gemacht. Sollte die Fiskal- und Arbeitsmarktpolitik aber in den Euro-Kernländern Deutschland, Frankreich und Italien nicht nachhaltige Erfolge bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen bzw. der Reduzierung der Arbeitslosenquote erreichen, könnte dem internationalen Aufstieg des Euros bald ein Abstieg der neuen Währung folgen. Nachhaltige Erfolge des Euros hängen von daher nicht allein von der Geldpolitik in Frankfurt, sondern ebenso von vernünftiger Haushaltspolitik in den Mitgliedsländern der Eurozone und einer beschäftigungsorientierten Tariflohnpolitik ab. Es bleibt also noch einiges zu leisten, um der historischen Innovation von Euro und EZB zum nachhaltigen Erfolg zu verhelfen. Von einem Erfolg würden nicht nur die EU-Bürger profitieren, sondern es ergäben sich globale Impulse für mehr regionale monetäre Integration und Kooperation. In einer Weltwirtschaft mit gewachsener Zahl von Staaten bzw. Politikakteuren und erhöhter globaler Wirtschaftsverflechtung wäre dies wahrlich eine Chance für mehr globalen Wohlstand. Griechenland, Belgien und Italien traten trotz einer Schuldenquote von gut 100% in die Startgruppe der Euro-Länder, allerdings mussten diese Länder Konvergenzprogramme vorlegen, die eine mittelfristige Rückführung der Schuldenquote erwarten ließen. Erstes Sünderland mit einer Defizitquote von über 3% war in 2002 Portugal, dann folgten in 2002 und 2003 Deutschland und Frankreich. Die beiden letztgenannten Länder setzten aber per Mehrheitsbeschluss in 2003 die Anwendung des Defizitverfahrens – gegen den Willen der Europäischen Kommission – aus. Dies war ein erstmaliger Fall von deutsch-französischer NegativFührung in der EU. In den Jahrzehnten zuvor waren Deutschland und Frankreich als Tandem ein recht zuverlässiges Führungsduo, das auf das EU-Gesamtinteresse erkennbar Rücksicht nahm. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat technisch den Start des Euro sehr gut umgesetzt und ist auch in der Geldpolitik rasch zu einem glaubwürdigen Akteur

B.22 Euro und EZB

375

geworden. Die EZB ist institutionell weitgehend mit der Deutschen Bundesbank verwandt und hat auch das prioritäre Ziel der Preisniveaustabilität quasi übernommen (soweit dieses Ziel nicht gefährdet ist, soll die EZB die allgemeinen Ziele der EU-Wirtschaftspolitik unterstützen). Zudem hat die EZB auch geldpolitisch Teile der Bundesbank-Strategie zur Geldmengensteuerung bis 2003 übernommen; ein Geldmengenziel mit Bezug auf M3 – eine breite Geldmengenabgrenzung, die Bargeld, Sichteinlagen, Termin- und Spareinlagen umfasst – wurde festgesetzt, und zwar 4,5% p.a. für die Anfangsjahre 1999 und 2000 sowie 2001 und 2002. Als kritische Inflationsobergrenze hat die EZB 2% p.a. auf Basis eines harmonisierten Preisindex festgesetzt. 2% Inflation erscheint als ein relativ ehrgeiziges Inflationsziel, da bei 12 Mitgliedsländern in einer Reihe von schnell wachsenden Ländern – besonders solchen mit relativ geringem Pro-Kopf-Einkommen – eine Inflationsrate von 3 % bis 4% rechnerisch für Deutschland und Frankreich (mit einem Anteil von 55% am Bruttoinlandsprodukt der Eurozone) eine implizite Inflationsrate von knapp 1% bedeutet. Da der relative Preis nichthandelsfähiger Güter im Zuge eines steigenden Pro-Kopf-Einkommens ansteigt, ist – so der sogenannte BALASSA-SAMUELSON-Effekt – vor allem in relativ armen Ländern der Eurozone mit einer überdurchschnittlich hohen Inflationsrate zu rechnen; in Wahrheit liegt diesem aber teilweise ein relativer Preiseffekt zugrunde, der sich in einer Währungsunion mit in etwa gleich hohen Pro-Kopf-Einkommen nicht zeigen würde (in einer solchen relativ homogenen Währungsunion wäre eine Inflationsratenzielsetzung von 2% durchaus angemessen). Das Preisniveau P lässt sich schreiben als P=PTaPN (1-a), wobei PT der Teilpreisindex für handelsfähige Güter – also tradables – und PN für nichthandelsfähige Güter ist. Also kann man schreiben P=[PT] a(PT/PN) 1-a, wobei PT=PT* gilt – mit * für Euro-Partnerland, d.h. Rest der Eurozone. Die Inflationsrate ergibt sich daher als gP=agPT + (1-a)gλ, wobei λ der relative Preis der nichthandelsfähigen Güter ist. Wenn der relative Preis λ pro Jahr stärker ansteigt als die Inflationsrate der handelsfähigen Güter im Rest der Eurozone ist, dann wird die Inflationsrate bedingt durch den Balassa-Samuelson-Effekt relativ hoch ausfallen. Eine bei einer Zielsetzung von maximal 2% Inflation im Durchschnitt der Eurozone (zeitweise) implizierte Inflationsrate von knapp 1% für Deutschland und Frankreich – als Länder mit hohem Pro-Kopf-Einkommen – ist in der relativ heterogenen Eurozone für beide Länder nahe an Deflation. Denn eine langfristige Qualitätsverbesserung bei Gütern und Dienstleistungen – sowie Messunsicherheit – bedeutet, dass bei 1% Inflationsrate in etwa faktische Kaufkraftstabilität herrscht. Die EZB erreichte tatsächlich im Durchschnitt der Jahre 1999-2003 in etwa eine Inflationsrate von 2%. Anders als die Bundesbank mit ihrem Konzept der Geldmengensteuerung 1975-1998 setzte die EZB bzw. das Europäische System der Zentralbank (EZB plus nationale Zentralbanken der Eurozone) eine zweite strategische Säule dazu: nämlich auch auf andere inflationsrelevante Einflussfaktoren, wie etwa Wechselkursentwicklung und Ölpreisverlauf zu achten. Die Wachstumsrate der Geldmenge lag in 2002/03 deutlich über dem Zielwert, und offenbar aus diesem Grund wurde die Zielgröße Geldmengenwachstumsrate aufgegeben. Dies kann als einigermaßen überraschend gelten, hätte man doch eher ein Aufgeben der zweiten

376

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

Säule der Geldpolitik erwartet. Die Geldnachfrage in „Euroland“ ist offenbar gegenüber der DM-Zeit gestiegen. Sonst hätte eine deutlich über 4,5% liegende Geldmengenwachstumsrate bei einem realen Wachstum von etwa 2% in der Eurozone zu einer relativ hohen Inflationsrate führen müssen. Nach einer ersten Phase 1999-2001 mit einer deutlichen Abwertungstendenz des Euro gegenüber dem USDollar hat sich in 2002/2003 eine Aufwertungstendenz ergeben: im Dezember 2003 wurde gar ein historischer Euro-Rekord gegenüber dem Dollar gemessen. Die anfängliche Abwertungsphase erschwerte für die EZB das Ziel, die Inflationsrate bei maximal 2% zu halten; die Aufwertungsphase erleichtert der EZB diese Zielerreichung. Denn eine Aufwertung verbilligt importierte Vor- und Endprodukte bzw. dämpft das Inflationsklima.

B.23 Strukturelle Defizitquote und Staatsschuldenpolitik Das Defizit des Staates ist – mit T’ als Symbol für Steuereinnahmen, inklusive Sozialversicherungsbeiträge, G’, Symbol für Summe aus Staatsverbrauch. Sozialtransfers (Zahlungen an Haushalte ohne Gegenleistung, wie etwa Wohngeld), Sozialausgaben (u.a. Rentenzahlungen und Ausgaben für Arbeitslosengeld), Subventionen und Zinsausgaben, jeweils in realer Rechnung –, definiert als: (G’-T’) Man ermittelt das konjunkturbereinigte Defizit, das sogenannte strukturelle Defizit D’, indem vom tatsächlichen Defizit D das konjunkturelle Defizit abgezogen wird. Das konjunkturelle Defizit lässt sich berechnen als V’ mal Produktionslücke – letztere definiert als [Y-Ypot]/Ypot: Es gilt also: D’ = D – {V’[Y-Ypot]/Ypot }

(B.213)

Dabei ist V’ ein Koeffizient, der angibt, um wieviel das Defizit pro Prozentpunkt Unterauslastungsgrad – also bezogen auf die Produktionslücke – ansteigt. Das konjunkturelle Defizit {V’[Y-Ypot]/Ypot }kann man bei Unterscheidung von direkten Steuern Td (inklusive Sozialversicherungsaufkommen) und indirekten Steuern Ti schreiben (mit E als Symbol für Elastizität; T gesamte Steuereinnahmen, gap für Produktionslücke) als konjunkturbedingte Mindereinnahmen dT: dT=[Td/T]ETd,gap[Y-Ypot]/Ypot dTd + [Ti/T]ETd,gap [Y-Ypot]/YpotdTi

(B.214)

plus konjunkturbedingte Mehrausgaben im Kontext erhöhter zyklischer Arbeitslosenquote G“=EG’’,uEu,gap [Y-Ypot]/Ypot

(B.215)

Von daher muss man sich V’ als eine Summe von zwei gewichteten Steuerelastizitäten und dem Produkt der Elastizität von Mehrausgaben in Bezug auf die Arbeitslosenquote (das wird in der Praxis auch erhöhte Sozialhilfe beinhalten) und der Elastizität der Arbeitslosenquote in Bezug auf die konjunkturelle Lücke vorstellen. Wenn man, wie hier geschehen, bei der Messung der Produktionslücke auf den Unterschied zwischen tatsächlicher Produktion Y und Produktionspotenzial

B.23 Strukturelle Defizitquote und Staatsschuldenpolitik

377

Ypot abstellt, dann kommt der Messung des Produktionspotenzials bzw. der Erfassung der Produktionslücke natürlich erhebliche Bedeutung zu. Man kann die Produktionslücke auch als Abweichung der tatsächlichen Produktion von einem Trendwert für Y definieren, der z.B. über einen Hodrick-Prescott-Filter geschätzt werden kann. Unterschiedliche Messungsarten bzw. Schätzmethodiken bei der Produktionslücke bedeuten also ggf. unterschiedliche strukturelle Defizitquoten. Nicht befriedigend an dieser Standardberechnung des strukturellen Defizits ist, dass die in einer Rezession niedrigeren Zinszahlungen des Staates (auf eine hypothetisch konstante Staatsschuld) nicht als zyklische Minderausgabe berücksichtigt werden; typischerweise ist jedenfalls der Zinssatz in einer Rezession geringer als bei Vollauslastung. Ein um Zinseffekte bereinigtes strukturelles Defizit wird höher ausfallen als bei der Standardberechnung, da eine positive zyklische Minderausgabe bei einer Produktionslücke bzw. Rezession bedeutet, dass vom Ist-Defizit ein geringeres konjunkturelles Defizit abgezogen wird. Die Ermittlung der konjunkturellen und strukturellen Defizitquote ist u.a. im Kontext des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes wichtig, der eine maximale Defizitquote von 3% vorsieht – es sei denn, dass eine merkliche Rezession vorliegt (Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes im Jahresverlauf um 0,75 % bzw. mehr als 2%). Wenn die Defizitquote die 3% außerhalb einer merklichen Rezession mehr als zwei Jahre hintereinander überschreitet, dann kann die Europäische Kommission Sanktionen gegen das Sünderland verhängen. Dabei ist als Sanktion eine zinslose Einlage von bis zu 0,5% des Bruttoinlandsproduktes denkbar, die ggf. sogar in eine Geldbuße – sie fällt den Nichtsünderländern zu – verwandelt werden kann. Grenzsteuersätze versus Durchschnittssteuersätze In öffentlichen Debatten wird gerne über die Notwendigkeit gesprochen, die Steuerbelastung in den EU-Ländern zu vermindern. Dabei verweisen einige Reformgegner darauf, dass der Durchschnittssteuersatz – also die Relation Steueraufkommen zu gesamtwirtschaftlichem Einkommen – im betreffenden Land relativ niedrig sei. Daher sei es fraglich, ob Steuersenkungen überhaupt angebracht seien, zumal der Staat doch zahlreiche Staatsaufgaben finanzieren müsse. Oftmals fordern Steuerreformbefürworter, recht häufig Juristen, dass man die Steuersätze insgesamt absenken müsse und zwar bei Abschaffen von Steuerausnahmetatbeständen, damit möglichst geringe Steuersätze gelten sollten. Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in Verbindung mit niedrigen Steuersätzen sei das Allheilmittel für mehr Wachstum und Beschäftigung. Populär wurde vor einiger Zeit in Deutschland ein Reformvorschlag, wonach man mit wenigen Steuersätzen – etwa 15% für niedrige Einkommen bzw. Eingangssteuersatz, 20% als Steuersatz für den mittleren Einkommenszuwachs und 25% als Spitzensteuersatz – auskommen solle. Beide Sichtweisen sind ökonomisch fragwürdig, denn für die Anreizeffekte bei Arbeit, Investitionen und Bildung kommt es auf die Grenzsteuersätze an! Der Grenzsteuersatz besagt, wieviel Steuern auf die gerade letzte zusätzlich verdiente Einkommenseinheit zu zahlen sind. In einer offenen Volkswirtschaft mit intensivem Standortwettbewerb kann der Spitzensteuersatz nicht beliebig hoch sein. Bei

378

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

etwa 35% dürfte eine Grenze sein, zugleich muss das System ergiebig sein, was bedeutet, dass der Eingangssteuersatz vernünftigerweise nicht sehr niedrig sein kann: 20% erscheinen hier als angemessen, was eine Erhöhung des Eingangssteuersatzes gegenüber der jetzigen Situation bedeutet. Um ausreichende Staatseinnahmen zu sichern, ist im Zweifelsfall eine Mehrwertsteuererhöhung notwendig, wobei diese Notwendigkeit in der allgemeinen Steuerdiskussion bisweilen verkannt wird. Allerdings sind Forderungen nach dem Abbau von Subventionen – außerhalb des Bereichs der Forschungsförderung und des Vereinswesens (positive externe Effekte, d.h. einen Zusatznutzen für die Gesellschaft bringend) – sicher vor jeder Steuererhöhung erwägenswert. Staatsverschuldungspolitik und Wachstum Der Staat unterliegt einer Budgetrestriktion, wobei der Staat selbst Güter nachfragt – dies ist der Staatsverbrauch – und zudem Zinsen (Nominalzins i) auf die nominale Staatsschuld Dn zahlen muss. Übersteigen die nominalen Ausgaben (Staatsverbrauch Gn + Zinsausgaben i Dn) die nominalen Staatseinnahmen in Form von Steuern Tn (plus Gebühren und Abgaben), dann ist eine entsprechende Neuverschuldung notwendig. Damit aber steigt der Staatsschuldenbestand Dn entsprechend an, wobei dDn/dt die Neuverschuldung darstellt (Veränderung des Schuldenbestands pro Zeiteinheit). Von einem so genannten Münzgewinn auf der Einnahmenseite, der sich aus der Geldproduktion bzw. der Tätigkeit der Notenbank ergibt, sei hier abgesehen. Die staatliche Budgetrestriktion lautet also Staatsausgaben minus Steuereinnahmen gleich Neuverschuldung: {Gn + iDn} – Tn = dDn/dt

(B.216)

Man kann nun annehmen, dass der Staat eine bestimmte Relation von nominalem Staatsverbrauch zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (Yn) anstrebt, also Gn/Yn = γ (Staatsquote). Ähnlich gelte eine gewünschte Relation von Steuereinnahmen zu Bruttoinlandsprodukt: Tn/Yn = τ (Steuerquote bzw. Einkommensteuersatz). Also gilt: dDn/dt = γYn + iDn – τYn

(B.217) n

Wird die Relation von nominalem Staatsschuldenbestand D zum nominalen Bruttoinlandsprodukt als Ω definiert und das Symbol a’ für die Defizitquote ([dDn/dt]/Yn) verwendet, dann gilt: a’ = iΩ + (γ- τ)

(B.218)

Wir sehen also, dass die Relation von Haushaltsdefizit zu Bruttoinlandsprodukt sich aus der Summe der Zinsausgabenquote (Zinsausgaben relativ zum Bruttoinlandsprodukt = Zins mal Schuldenquote) plus der Differenz von Staatsverbrauchsquote und Steuerquote ergibt. Die Differenz von Staatsverbrauchsquote und Steuerquote heißt Primärdefizitquote. Als Primärdefizit wird das Haushaltsdefizit ohne Zinszahlungen bezeichnet.

379

B.23 Strukturelle Defizitquote und Staatsschuldenpolitik

Man kann nun fragen, wie sich die langfristige Schuldenquote in einer wachsenden Wirtschaft – sie möge eine konstante reale Wachstumsrate z aufweisen – entwickelt. Diese Frage wurde von DOMAR (1944) für den Fall einer nichtinflationären Wirtschaft behandelt, wobei der Autor als langfristige Schuldenquote Ω# im langfristigen Gleichgewicht (Steady State) erhält: Ω# = a’/z

(B.219)

Eine modifizierte Formel für den Fall einer inflationären Wirtschaft wurde von WELFENS (2002) hergeleitet. Im Stabilitäts- und Wachstumspakt für die Länder der Eurozone ist eine Schuldenquote von 60% als langfristiges Ziel vereinbart worden.

B.24 Konjunkturzyklus: Der Lotka-Volterra-Ansatz von GOODWIN Mit Blick auf die Konjunkturerklärung griff GOODWIN (1967) die dynamische Jäger-Beute-Populationsbeschreibung von Lotka und Volterra auf, wonach sich die Zahl der Beutetiere v’ in Abhängigkeit von der Raubtierzahl u’ entwickelt. Ohne Raubtiere wächst v’ mit konstanter Rate b, während die Raubtierpopulation dämpfend auf die Wachstumsrate wirkt: (dv’/dt)/v = b – b’u’; Koeffizienten b, b’>0.

(B.220)

Bei Abwesenheit von Beutetieren wird die Population der Raubtiere mit konstanter Rate h schrumpfen, hingegen trägt die Präsenz von Beutetieren positiv zur Wachstumsrate der Raubtiere bei: (du’/dt)/u’ = -h + h’v’; Koeffizient h, h’>0.

(B.221)

Im GOODWIN-Modell wird die Rivalität zwischen den Beziehern von Arbeitsund Kapitaleinkommen betont, so dass die Lohnquote eine wichtige Rolle spielt. Unternehmer bzw. Bezieher von Kapitaleinkommen setzen ihre Ersparnisse für Investitionen ein und erhöhen damit die Zahl der Jobs. Entsteht ein Mangel an Arbeitskräften, so erlaubt dies den Arbeitnehmern einen höheren Reallohnsatz w durchzusetzen, was mit zu einer anhaltenden konjunkturellen – einer zyklischen – Dynamik führt. Die Modellbausteine sind überschaubar: Die Erwerbsbevölkerung N wächst mit konstanter Rate n. Die Beschäftigungsquote ist definiert als Zahl der Beschäftigten L in Relation zu N. (dN/dt)/N = n

(B.222)

v’ = L/N

(B.223)

Die Arbeitsproduktivität ist definiert als Y/L und die Arbeitsproduktivität wächst annahmegemäß mit konstanter Rate

380

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

Α =: Y/L

(B.224)

(dA/dt)/A = a

(B.225)

Die Kapitalproduktivität κ’ ist annahmegemäß konstant. Alle Gewinne – also die Differenz zwischen Bruttoinlandsprodukt Y und dem realen Arbeitseinkommen wL - werden investiert. κ’=: Y/K

(B.226)

dK/dt= Y – wL

(B.227)

Bezüglich der realen Lohnentwicklung wird angenommen, dass diese negativ von der Wachstumsrate der Bevölkerung abhängt (hier modifizieren wir das GOODWIN-Modell leicht), aber von der Beschäftigungsquote positiv beeinflusst ist: (dw/dt)/w = -φn + θv’; Parameter φ, θ>0.

(B.228)

Wir können aus diesen Gleichungen ein System von zwei Differenzialgleichungen bilden, nämlich für den Beschäftigungsgrad v’ und die Lohnquote u’=: wL/Y. Es gilt nämlich (dv’/dt)/v’ = (dL/dt)/L – n;

(B.229)

Nun wird die Arbeitsnachfrage nur zunehmen, wenn das Produktionswachstum die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität übersteigt: (dL/dt)/L = (dY/dt)/Y – a

(B.230)

Da die Kapitalproduktivität (Y/K) annahmegemäß konstant ist, wird die Wachstumsrate der Produktion durch die Wachstumsrate des Kapitalbestandes bestimmt, also: (dY/dt)/Y = (dK/dt)/K

(B.231)

Da aber die Investitionen durch den Gewinn bestimmt sind, gilt: (dY/dt)/Y = (Y-wL)/K = κ’ [1- (wL/Y)] = κ’(1-u’)

(B.232)

Setzen wir nun κ’(1-u’) für die Wachstumsrate von Y in (dL/dt)/L = (dY/dt)/Y – a ein, dann ergibt sich eine Gleichung für die Wachstumsrate der Beschäftigung, die eingesetzt in die Gleichung für (dv’/dt)/v’ ergibt. (dv’/dt)/v’ = (κ’-a-n) – κ’u’

(B.233)

Für die Veränderungsrate der Lohnquote können wir - mit A=:Y/L – schreiben (du’/dt)/u’ = (dw/dt)/w - a bzw. nach Einsetzen aus der Reallohngleichung: (du’/dt)/u’ = -(φn + a) + θv’.

(B.234)

381

B.24 Konjunkturzyklus: Der Lotka-Volterra-Ansatz von GOODWIN

Das Gleichungssystem für dlnv/dt bzw. dlnu’/dt hat mehrere Lösungen (trivial und ökonomisch irrelevant: u’=0; v’=0), wobei eine Lösung ein dynamisches Gleichgewicht im Sinn einer kreisähnlichen Bewegung um den Mittelpunkt u’#, v’# ist: u’# = 1- [(a+n)/κ’]

(B.235)

v’# = [φn +a]/θ

(B.236)

Die historischen Anfangswerte von u’ und v’ bestimmen, auf welchem „Radius“ die Bewegung um den Mittelpunkt u’#, v’# erfolgt; u’#, v’# zeigt eine Art zeitlichen Durchschnittswert an. Exogene Schocks bedeuten den Übergang zu einem anderen Radius. In der folgenden Abbildung sehen wir vier Konjunkturphasen:

u’ C

II

III

B

D I

IV

A v’ Abb. B.63. GOODWIN-Konjunkturzyklus - Lohnquote und Beschäftigungsgrad

382

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

Phasen-Diagramm für die Beziehung zwischen Beschäftigungsrate und Lohnquote 1. Boom – die Pro-Kopf-Produktion hängt hinter dem Wachstum der Arbeitsproduktivität zurück, die gestiegene Lohnquote hat die Investitionen reduziert. Der Beschäftigungsgrad beginnt zu fallen; die Lohnquote wächst dabei noch. 2. Aufschwung – der Beschäftigungsgrad ist relativ hoch, weshalb das Wachstum des Reallohns das der Arbeitsproduktivität übersteigt. Die Gewinneinkommen sind aber noch hoch und induzieren ein Wachstum des Beschäftigungsgrades. 3. Rezession – die Lohnquote ist relativ niedrig und daher ist die Investition relativ hoch, weshalb das Produktionswachstum höher als das Wachstum des Arbeitsangebots bzw. der Arbeitsproduktivität ist. Damit steigt dann der Beschäftigungsgrad. Der durch die niedrige Beschäftigungsquote bedingte Lohnsenkungsdruck führt dazu, dass die Lohnquote sinkt. 4. Depression: Die Profite der Unternehmen sind zu gering, um für ein Produktionswachstum zu sorgen, das über der Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität und dem Wachstum der Erwerbsbevölkerung zu liegen. Daher sinkt der Beschäftigungsgrad. Im Arbeitsmarkt ist der Lohnmoderationsdruck so hoch, dass die Reallohnsätze langsamer wachsen als die Arbeitsproduktivität: Die Lohnquote sinkt daher. Eine interessante Schlussfolgerung ist, dass die Lohnreaktion auf eine Erhöhung der Beschäftigungsquote möglichst moderat ausfallen sollte, damit der Mittelpunkt, um den sich die Zyklen vollziehen, bei einem möglichst hohen langfristigen bzw. durchschnittlichen Beschäftigungsstand liegt. Sofern der entsprechende Parameter θ positiv mit der Staatsverbrauchsquote bzw. dem Anteil der beim Staat Beschäftigten korreliert ist, wäre eine Reduzierung der Staatsverbrauchsquote empfehlenswert. Hier sind empirische Fragen angesprochen. Die Arbeitslosenquote ist offenbar 1 minus Beschäftigungsquote. Eine im Durchschnitt relativ hohe Beschäftigungsquote erreicht man, wenn die Wachstumsrate der Bevölkerung bzw. der Arbeitsproduktivität gering und die Kapitalproduktivität relativ gering ist. Diese Implikation ist mit Blick auf eine in der Realität offene Volkswirtschaft problematisch, da gerade eine hohe Kapitalproduktivität – relativ zum Ausland – hohe Zuflüsse an Direktinvestitionen erwarten lässt. Unter wohlfahrtsökonomischen Aspekten hat man im Übrigen auch ein Interesse an einer hohen Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität bzw. des technischen Fortschritts. Das Modell zeigt immerhin auf Basis weniger Modellbausteine, die insbesondere die Investitionen und die Lohnbildung betreffen, dass sich ein ewiger Konjunkturzyklus herleiten lässt. Diese zyklische Entwicklung gibt es jedenfalls in der Realität seit der Industriellen Revolution. Allerdings gibt es eine Reihe alternativer Konjunkturtheorien, die das zyklische Auf und Ab der Wirtschaftsentwicklung im Zeitablauf erklären. Weitgehend ungeklärt ist das Verhältnis von Zyklusintensität und Trendwachstum, also die Frage, ob etwa ein erhöhtes Trendwachstum notwendigerweise mit größeren Amplituden der zyklischen mittelfristigen Wirtschaftsentwicklung einhergeht.

B.25 Inflation: Monetarist. u. Phillips-Kurven-Ansatz u. Pol. Konjunkturzyklus

383

B.25 Inflationsanalyse: Monetaristischer Ansatz und Phillips-Kurven-Ansatz und Politischer Konjunkturzyklus Monetarismus Aus monetaristischer Sicht gilt, dass die Inflationsrate π ein monetäres Phänomen ist: Bei konstanter Umlaufgeschwindigkeit bzw. konstantem Nominalsatz gilt: π = gM-gY

(B.237)

Die Wachstumsrate der Geldmenge relativ zur realen Wachstumsrate ergibt die Inflationsrate. Antiinflationspolitik muss also bei der Verminderung der Geldmengenwachstumsrate ansetzen. Phillips-Kurven-Ansatz Geht man davon aus, dass das Preisniveau P – in einer unterausgelasteten Wirtschaft – erst mittelfristig reagiert, dann ist die Analyse der Inflationsrate in einem mittelfristigen Modell sinnvoll. Ein einfaches keynesianisches Modell ist die sogenannte Phillips-Kurve, die einen stabilen negativen Zusammenhang von Inflationsrate π (bzw. ursprünglich Wachstumsrate der Nominallöhne gW) und Arbeitslosenquote u behauptet. π = b0 – b1u

(B.238)

Die Inflationsrate kann man aus der Gewinnmaximierung bzw. einer Art Kostendruckmodell herleiten und zwar unter Berücksichtigung der Entlohnung der Arbeitnehmer nach dem Grenzprodukt der Arbeit ∂Y/∂L, das im Fall einer CobbDouglas-Produktionsfunktion proportional zur durchschnittlichen Arbeitsproduktivität Y/L ist. Es gilt zunächst wegen Gewinnmaximierung: (1-ß)Y/L= W/P

(B.239)

In Wachstumsraten ergibt sich – mit konstantem ß – demnach: gP= gW – g(Y/L)

(B.240)

Notwendige Bedingung für Preisniveaustabilität bzw. gP=0 ist daher eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik, bei der gilt: gW=gY/L. Ist die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität konstant, dann kann der von Phillips gefundene Zusammenhang zwischen gW und der Arbeitslosenquote u durch einen völlig analogen Zusammenhang zwischen gP und u ersetzt werden. Statt auf Gewinnmaximierung abzustellen, kann man auch von einer Zuschlagskalkulation der Unternehmen ausgehen, wonach sich der Preis aus einem Zuschlagsfaktor x“ auf die Lohnstückkosten WL/Y ergibt: [WL/Y][1+x“] = p

(B.241)

Ist x“ konstant, so gilt wiederum (B.240). Wenn man sich vorstellt, dass die nominale Lohnzuwachsrate gW von den Tarifvertragsparteien festgelegt wird und die Wachstumsrate der durchschnittlichen

384

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

Arbeitsproduktivität (Y/L) exogen bzw. konstant ist, dann ergibt sich die Inflationsrate aus dem Lohnbildungsprozess. Allerdings kann hinter der Festlegung des Nominallohnsatzes durchaus ein Erwartungsbildungsprozess der Tarifvertragsparteien stehen, wobei die Wachstumsrate der Geldmenge langfristig positiv auf die Wachstumsrate des Nominallohns wirken dürfte. Die keynesianische Phillipskurve geht davon aus, dass eine expansive Geldpolitik bzw. eine Erhöhung der Wachstumsrate der Geldmenge und damit ein Inflationsanstieg zu einem Mehr an Beschäftigung führt. Dies basiert auf der Annahme, dass ein Inflationsanstieg mittelfristig immer unterschätzt wird, weshalb vorübergehend der Reallohnsatz bei Inflation sinkt; wenn aber der Reallohnsatz wegen unvollständig antizipierter Inflationsrate sinkt, erhöht sich die Arbeitsnachfrage. Eine inflationäre Erhöhung der Geldmengenwachstumsrate (vermutlich ein bis zwei Jahre vor der Wahl) führt, ausgehend von Punkt A, in den Punkt B: Die Inflationsrate ist angestiegen, die Arbeitslosenquote gesunken und zwar wegen der temporären Reallohnsatzminderung: Die Lohnzuwächse passen sich annahmegemäß erst mit Verzögerung der steigenden Inflationsrate an. Wenn die Inflationsratenerwartung auf π1E angestiegen ist, gilt die neue kurzfristige Phillips-Kurve PPS1: Falls π1 = π1E ist, befindet sich die Wirtschaft im Punkt C (vermutlich nach dem Wahltag), also auch auf der langfristigen PPLKurve. Wenn ausgehend von C eine Disinflationspolitik verfolgt wird, steigt die Arbeitslosigkeit an (Punkt D), ehe die langfristige Anpassung der Inflationserwartung an die reduzierte tatsächliche Inflation in den Punkt A zurückführt. Von Seiten der Monetaristen ist eingewendet worden, dass in der keynesianischen Phillips-Kurve die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte ignoriert würden. Insbesondere sei die erwartete Inflationsrate ein Lageparameter der Phillipskurve, so dass mit erhöhter Inflationserwartung eine Phillipskurve stärker im Norden des Diagramms relevant wäre. Langfristig – definiert ist dieser Zeithorizont durch die Übereinstimmung von tatsächlicher und erwarteter Inflationsrate – sei davon auszugehen, dass die Arbeitslosenquote unabhängig von der Inflationsrate sei. Die langfristige Phillipskurve sei eine Vertikale über dem Wert der sogenannten natürlichen Arbeitslosigkeit. Das ist die Arbeitslosenquote unat, die durch die Strukturparameter des Wirtschaftssystems bestimmt ist.

B.25 Inflation: Monetarist. u. Phillips-Kurven-Ansatz u. Pol. Konjunkturzyklus

π

385

PPL0 PPL1

B

C

π1 D

π0 A

PPS1(π1E) PPS0(π0E)

0

u1

u0

u

Abb. B.64. Einfache Phillipskurven und senkrechte Phillipskurven

Angemerkt sei noch, dass MILTON FRIEDMAN auf die Möglichkeit verwiesen hat, dass die langfristige PHILLIPS-Kurve eine positive Steigung hat (PPL1 statt PPL0). In der empirischen Inflationsanalyse finden sich z.B. Hinweise, dass mit erhöhter Inflationsrate eine Reduzierung der durchschnittlichen Laufzeit von Schuldverschreibungen bzw. Krediten einhergeht. Eine kurzrahmigere Finanzierung wiederum könnte das Wachstum schwächen bzw. die langfristige Arbeitslosenquote erhöhen.

B.26 Einkommensverteilung Bei der Einkommensverteilung unterscheidet man zunächst grob die funktionale Einkommensverteilung – Einkommen auf Produktionsfaktoren verteilt (z.B. Arbeit und Kapital) – von der personellen Einkommensverteilung (size income distribution); bei letzterer geht es darum, welche unterschiedlichen Einkommenshöhen auf einzelne Haushalte bzw. Haushaltsgruppen entfallen. Ingesamt kann man folgende Arten der Einkommensverteilung unterscheiden: • funktionale (nach den Produktionsfaktoren; sie entspricht der Primärverteilung), • personelle (nach Haushalten),

386 • • • •

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

intertemporal (über den Lebenszyklus bzw. Generationen hinweg), sektorale (nach Sektoren), regionale (nach Regionen). internationale (nach Ländern bzw. Ländergruppen: z.B. Nord vs. Süd, also Industrieländer versus Entwicklungsländer)

Die am Markt sich ergebende Einkommensverteilung heißt Primärverteilung; die sich nach Staatseingriff – z.B. im Rahmen der Sozialpolitik oder Steuerpolitik – ergebende Einkommensverteilung heißt Sekundärverteilung. Empirische Befunde Es gibt eine Reihe bekannter empirischer Regelmäßigkeiten bei der Einkommensverteilung: • Zu den empirische Befunden zur Einkommensverteilung gehört die, dass die Lohnquote – das Verhältnis von Lohneinkommen W’ zum Nominaleinkommen Y’ – langfristig konstant ist; dies ist das Gesetz von BOWLEY. • Die personelle Einkommensverteilung zeigt eine Pyramidenform; dies ist das Gesetz von PARETO: Die Zahl der Personen N’, die ein Einkommen oberhalb von Y beziehen, lässt sich beschreiben durch eine fallende Gerade in einem logarithmischen Koordinatensystem; oder durch die Funktion N’= BY-a. Dabei sind B und a Verteilungsparameter. Die Funktion ist eine Aufsummierungskurve der Einkommensempfänger, wobei die eigentliche Verteilungskurve dN’/dY ebenfalls einen hyperbolischen Verlauf aufweist. Die empirische rechtsschiefe Verteilungskurve hat ein Maximum bei relativ geringen Einkommen, so dass PARETO nur den abfallenden Kurvenast erklärt. Die Lorenzkurve der Einkommensverteilung erlaubt die Einkommensungleichheit als Gini-Koeffizienten zu messen: Das ist das Verhältnis zwischen der Abstandsfläche von Verteilungskurve und Gleichverteilungslinie (Diagonale) und der Dreiecksfläche bei Gleichverteilung. Bei der Lorenzkurve werden – anfangend mit den niedrigsten Einkommensklassen – sowohl die kumulierten relativen Anteile der Einkommensbezieher jeder Einkommensklasse als auch die kumulierten relativen Einkommensanteile, die auf die jeweiligen Einkommensklassen entfallen, graphisch dargestellt. Eine 45o-Linie wäre Gleichverteilung. Typischerweise entfallen auf die ärmsten 20% der Haushalte – das unterste Einkommensquintil – in OECD-Ländern 4-7% der verfügbaren Einkommen, auf das oberste Einkommensquintil (Top-Einkommensbezieher) etwa 40-45% der Einkommen. Die offizielle Statistik bietet für viele Länder Daten zur Einkommensverteilung. Viel schwieriger ist es mit der Vermögensverteilung, wobei diese natürlich in die Einkommensverteilung hineinwirkt. Denn Vermögen – sei es Sachvermögen (Immobilien oder Realkapital, also Maschinen und Anlagen) oder Finanzvermögen (Obligationen, Bargeld, Sichteinlagen, Spareinlagen) – ist Quelle von gegenwärtigem oder künftigem Einkommen. Da die Relation von Vermögen zu Einkommen z.B. in Deutschland 6:1 beträgt, würde eine durchschnittliche reale Rendite von 6% bei Vermögen auf einen Anteil der Vermögens-

387

B.26 Einkommensverteilung

einkommen am Realeinkommen von 36% hinauslaufen; die Vermögenserfassung und -bewertung erfolgt in der Statistik aber nur lückenhaft. Die Lorenzkurve zeigt die folgende Abbildung:

100%

Y

E0

0

X0

Y0

100%

Abb. B.65. Lorenzkurve der Einkommensverteilung

Verteilungstheorien Wie kann man die beobachtbare Verteilung der Einkommen erklären? Es gibt neben grenzproduktivitätsorientierten Verteilungstheorien eine Reihe von Ansätzen zur Erklärung der funktionalen Einkommensverteilung oder anderer Verteilungsmaße: KALECKI-Ansatz Ausgangspunkt bei KALECKI (1954) ist, dass der Produktionswert sich schreiben lässt als H = Q’+F’+W’+R’

(B.242)

wobei Q’ Unternehmensgewinne, F’ die als Fixkosten betrachteten AngestelltenEinkommen, W’ die als variabel betrachteten Arbeitereinkommen und R’ die Materialkosten darstellen. Im Markt lässt sich die Monopolmacht von Unternehmen

388

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

an der Relation von Preis zu Grenzkosten ablesen, wie dies beim LERNERMonopolgrad geschieht. Bei Kalecki wird eine absolute Preis-Kosten-Relation für den Monopolgrad definiert als: h’ =H/(W’+F’)

(B.243)

Zudem wird die Struktur der variablen Kosten betrachtet, die definiert als j’ = R’/W’

(B.244)

Der Anteil v’ der Arbeiterlöhne am Volkseinkommen (Q’+F’+W’) kann von daher geschrieben werden als v’ = 1/[1 +(h’-1)(j’+1)]

(B.245)

Die beobachtbare Stabilität von v’ kann durch das Zusammenwirken eines steigenden Monopolgrades h’ und eines sinkenden j’ erklärt werden, wobei letzteres das langfristige relative Sinken der Rohstoffpreise reflektiert. Unklar ist, wie sich h’ und j’ im Konjunkturverlauf entwickeln; zumindest müssten beide im Boom ansteigen, was eine Senkung der Lohnquote im Boom bedeutet. KALDOR-Ansatz Der Ansatz von Kaldor unterscheidet Lohn- und Gewinnbezieher, womit er an die Verteilungslehre der Klassiker anknüpft (Ricardo etwa hatte neben Kapital und Arbeit noch den Faktor Boden betrachtet). Das Realeinkommen Y setzt sich zusammen aus Gewinneinkommen Q’ und Lohneinkommen W“: Y = Q’ + W“

(B.246)

Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt in einer geschlossenen Wirtschaft ohne Staat lautet: S=I

(B.247)

Die Sparquoten von Gewinneinkommensempfängern und Lohnbeziehern seien mit s’ und s“ bezeichnet, wobei 01) benutzt, um qualifizierte Arbeitskräfte H quasi in Ungelernte umzurechnen. • H/L zur Charakterisierung der relativen Ausstattung mit Humankapital. Die Ausstattung mit Humankapital kann durch Ausbildung bzw. Lernen verbessert werden. • T/[L+H] als Indikator für Technologieintensität, wobei T für die Patentanmeldungen stehen mag, so dass der Indikator die Patentanmeldungen pro Kopf misst. In einer offenen Volkswirtschaft muss man T noch um eine Größe T’ ergänzen, die dem Technologieinput aus Technologieimporten entspricht. Grundsätzlich ist Technologie, anders als die üblichen Produktionsfaktoren, ein be-

B.26 Einkommensverteilung

395

sonderer Faktor, da er sich durch Nichtrivalität in der Nutzung auszeichnet: Wenn Firma 1 die Technologie x nutzt, kann dies ohne weiteres auch Firma 2 oder n machen. Bei patentfreiem Wissen gilt dies grundsätzlich, allerdings kann nicht jede Firma einfach Technologie x nutzen, da ein bestimmtes Vor- bzw. Anwenderwissen vorhanden sein muss, um etwa die nach Patentablauf freie Patentnutzung sinnvoll durchführen zu können. In einfachen Modellen (etwa bei der neoklassischen Wachstumstheorie) wird T als exogen vorgegeben betrachtet; erst in Modellen endogenen Wachstums wird die Entwicklung von T selbst – z.B. als Folge von Innovationsaufwendungen – erklärt. • q“R/A’ – mit A’ für Gesamtvermögen in realer Rechnung (siehe zu q“R/A’ Weltbankzahlen für 2000) – zur Charakterisierung der relativen Ausstattung mit Naturkapital, wobei q“ eine Preisrelation ist, nämlich für den Preis P“ von Naturkapital zum Preisindex des Bruttoinlandsprodukts [P] (z.B. wäre für den Fall eines reinen Ölförderlandes P“ der Rohölpreis). Angemerkt sei, dass im Fall einer einfachen Modellwirtschaft mit den Vermögensobjekten Naturkapital, Realkapital und Realkasse (M/P, also Relation Geldbestand M zu Preisniveau P) das reale Gesamtvermögen zu berechnen ist als q’N + [P’/P]K + M/P, wobei P’ das Aktienkursniveau bezeichnet (es sei angenommen, dass alle Unternehmen Aktiengesellschaften seien). Naturkapital vermindert sich im Fall nicht-nachwachsender Ressourcen durch Ressourcenabbau – sofern nicht durch technischen Fortschritt beim Ressourcenabbau die zeitliche Reichweite der Lagerstätten indirekt verbessert werden kann. Naturkapital – im engen Sinn des Wortes etwa Berge, Flüsse und Seen, die Grundlage der Tourismuswirtschaft sind – kann durch sinnvollen Umweltschutz erhalten oder ggf. sogar in seiner Qualität verbessert werden. Tatsächlich ist hier das Wort Naturkapital (i.e.S.) bzw. Naturvermögen angemessen, denn Kapital bzw. Vermögen ist definiert als Quelle von zukünftigem Einkommen; und sofern eben schöne Berge und saubere bzw. fischreiche Flüsse oder Seen zur Einkommenserzielung in der Tourismuswirtschaft beitragen, ist Natur im ökonomischen Sinn ein wertvolles Vermögen. Schließlich sei noch angemerkt, dass man neben den genannten Produktionsfaktoren auch eine Art „Sozialkapital“ definieren könnte, was u.a. die im Zeitablauf erworbenen Fähigkeiten einer Gesellschaft abbildet, gesellschaftliche Konflikte friedlich zu lösen. Man könnte einen Indikator Sozialkapital S’ als positive Funktion der Streikseltenheit (Kehrwert der Streikhäufigkeit=Streiktage p.a. relativ zum Jahresarbeitsvolumen) X“ und der Beschäftigungsquote (1-u) (vereinfacht definiert als 1 minus Arbeitslosenquote u) berechnen, wobei beide Teilindikatoren ggf. mit gleichem Gewicht von ½ in die Berechnung eingehen könnten. Staatstätigkeit, Verhalten und Kontrolle Die Staatstätigkeit kann man mit Blick auf das Ausmaß an Regulierungen und Vorschriften erfassen (anschaulich gesprochen: am Seitenumfang der Gesetzgebung bzw. Verordnungen). Allerdings kann man den Umfang der Staatstätigkeit auch durch die Relation von Staatsausgaben zu Bruttonationaleinkommen charakterisieren: Man könnte einfach die nominalen Staatsausgaben durch das nominale

396

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

Bruttonationaleinkommen dividieren, um eine Maßzahl für den Umfang der Staatstätigkeit zu haben. Die Staatsausgaben umfassen folgende Hauptpositionen: • Staatsverbrauch (d.h. Staatskonsum plus staatliche Investitionen; der Staatsverbrauch beinhaltet z.T. die Bereitstellung öffentlicher Güter – wie etwa Rechtssicherheit oder äußere Sicherheit); • Sozialleistungen (Staatsausgaben im Rahmen der staatlichen Renten-, Krankheits- und Arbeitslosenversicherung); • Transfers an die privaten Haushalte; • Subventionen an Unternehmen; • Zinszahlungen auf die Staatsschuld. Offensichtlich hängt die Höhe der letztgenannten Position von der Höhe der Staatsschuld und der Höhe des Zinssatzes ab. Bei den Subventionen unterscheidet man Beihilfen an Unternehmen (ausgabenwirksam) und Steuervergünstigungen (sie entsprechen Einnahmeausfällen und könnten alternativ auf der Einnahmenseite betrachtet werden). In der Regel werden Subventionen als Erhaltungssubventionen an kränkelnde Unternehmen gegeben, was – von Ausnahmen abgesehen – fragwürdig ist; allerdings werden Subventionen auch für Forschungsförderung eingesetzt, was aus ökonomischer Sicht sehr wohl zu rechtfertigen ist: solange der Subventionssatz die positive Differenz von sozialem Grenznutzen von Innovationen und privatem (auf ein einzelnes Unternehmen bezogen) Grenznutzen bzw. positive externe Effekte der Forschungsförderung reflektiert. Transfers an private Haushalte knüpfen meist an eine besondere Bedürftigkeit an – wie etwa die Zahlung von Kindergeld. Grundsätzlich können Renten-, Krankheits- und Arbeitslosenversicherung auch privat bzw. über Märkte organisiert werden, zumindest jenseits eines über staatliche Organisation festgelegten minimalen Absicherungsniveau: Von daher liegt hier ein Bereich, der auch weitgehend an Märkte übertragen werden könnte, wobei man ggf. an einen Kontrahierungszwang für entsprechende konkurrierende Versicherungsunternehmen denken könnte. Der Staatsverbrauch umfasst u.a. Verwaltungs-, Polizei-, Militär- und Bildungsausgaben, wobei zumindest der Hochschulbereich z.T. privat organisiert werden könnte (und zu prüfen ist, wie groß der Polizei- und Militärapparat sein soll). Wie hoch sollen die Ausgabenkategorien im Einzelnen sein? Hierüber dürften Politiker und Bürger unterschiedliche Vorstellungen haben. Die Politiker möchten im Zweifelsfall oft noch Ausgaben erhöhen, weil bestimmten Wählerschichten ein Vorteil verschafft werden soll, oder weil bestimmten Unternehmen „geholfen“ werden soll. Unternehmen bzw. Sektoren und bestimmten Wählerschichten kann man im Übrigen auch indirekt Vorteile zukommen lassen, nämlich durch bestimmte staatliche Regulierungen oder auch durch staatliche Beschaffungsprogramme – sofern letztere diskriminierend ausfallen. Ähnlich wie im Markt bei Wettbewerb die Produzenten gezwungen werden, Produktionsmenge bzw. -struktur gemäß den Nachfragerwünschen bereitzustellen, so wird dies auch im „politischen Markt“ (Politiker bieten das Produkt Parteiprogramm & Politikpersonen an; Nachfrager sind die Wähler, die mit ihrer Stimme quasi an der Wahlurne zahlen) bei starker Konkurrenz und informierten Wählern grundsätzlich geschehen können.

B.26 Einkommensverteilung

397

Abwanderung und Widerspruch Der Druck auf die Politik, sich den Wünschen der Wählerinnen und Wähler anzupassen, ist besonders hoch, wenn Elemente einer Referendumsdemokratie regelmäßig eine Rolle spielen – wie etwa in der Schweiz, oder wenn es einen intensiven Wettbewerbsföderalismus gibt. Letzteres setzt föderale Politikstrukturen (wie etwa in USA, Deutschland, Österreich, Australien, Kanada) und eine gewisse Politikautonomie voraus – inklusive eigene Steuersetzungs- und Steuervereinnahmungsrechte. Bei mobilen Produktionsfaktoren werden die Politikanbieter einzelner Regionen unter Anpassungsdruck dergestalt kommen, dass die Politik auf die differenzierten Präferenzen der jeweiligen Bürgerschaft eingehen muss. Abwanderung ist bei föderalen Systemen – innerhalb eines Landes – eine zumindest mittelfristig mögliche Anpassungsreaktion von Arbeitnehmern und Unternehmern auf regional nicht akzeptable Politikangebote. Ohne Föderalismus bzw. bei internationaler Immobilität von Produktionsfaktoren bliebe nur (öffentlicher) Widerspruch als Mechanismus, um Korrekturen im Politikangebot zu erreichen. Zugang von Protestgruppen zu freien Medien bzw. das Demonstrationsrecht sind in diesem Kontext sehr wichtig. Im Übrigen werden der Föderalismus und die entsprechenden Wirkungsmechanismen außer Kraft gesetzt, falls die regionalen Politikakteure sich stark abstimmen bzw. eine Art Politikkartell bilden. Parteienkonkurrenz kann diese Gefahr grundsätzlich mildern. Je größer das Gesamtsystem ist und je schwächer das Parlamentarische System bzw. die Kontrolle durch die Öffentlichkeit (die Medien), desto eher besteht die Gefahr lang anhaltender Fehlentwicklungen; so ist z.B. der Gesetzes- und Verordnungsumfang bei der EU mit 90 000 Seiten zu Beginn des 21. Jahrhunderts außerordentlich hoch (viele Lebensbereiche bräuchte die EU nicht zu regulieren, sondern sollte dies den Marktakteuren oder Anbieterorganisationen überlassen – Stichwort: Vorschriften zum Krümmungsgrad von Gurken!!). Im Zuge der Globalisierung hat sich die Standortkonkurrenz intensiviert, so dass gerade die großen multinationalen Unternehmen die diversen Standortattribute sehr genau untersuchen. Das World Economic Forum gibt – neben anderen Organisationen – jährlich Einzel- und Summations-Länder-Rankings heraus, die für Investoren von besonderem Interesse sind. Aus theoretischer Sicht kann die Frage nach der Angemessenheit der Staatsquote – der Relation von Staatsausgaben zu Bruttonationaleinkommen – nicht beantwortet werden, ohne auf die spiegelbildliche Frage zu achten: Wie hoch ist die von den Bürgerinnen und Bürgern gewünschte Belastung durch Steuer- und Abgabenquoten? Hinzu kommen naturgemäß die Fragen: • Wie intensiv ist die Kontrolle der Staatstätigkeit bzw. der Staatsausgaben durch das Parlament und den Rechnungshof? • Wie vertrauenswürdig sind die Akteure in Politik und Verwaltung – oder wie wenig bzw. hoch ist Korruption verbreitet? Eine relativ hohe Staatsquote kann am ehesten dann als unproblematisch gelten, wenn es einerseits eine intensive Kontrolle durch Parlamente und Rechnungshöfe gibt und andererseits die Korruption sehr gering ausgeprägt ist (dies ist u.a. in den skandinavischen Staaten der Fall, wo die Staatsquote im internationalen Vergleich relativ hoch ist). Von daher ist es instruktiv, einen Blick auf den Korruptionsindex

398

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

verschiedener Länder zu werfen. Es gibt in der Tat erhebliche Unterschiede. In Ländern mit relativ hohem Korruptionsindex wäre von daher in Bereichen, in denen alternativ eine Befriedigung von Bedürfnissen über den Staat oder aber über den Markt erfolgen kann, regelmäßig die Marktlösung strikt vorzuziehen. Tabelle B.6. Korruptionsindex nach Transparency International, 2003

Country rank 1 2 3 5 6 7 8 11 14 16 17 18 20 21 23 25 26 27 29 30 32 33 35 37 131 132 133

Country Finland Iceland Denmark New Zealand Singapore Sweden Netherlands Australia Norway Switzerland Canada Luxembourg United Kingdom Austria Hong Kong Germany Belgium Ireland USA Chile Israel Japan France Spain Portugal Oman Bahrain Cyprus Slovenia Botswana Taiwan Qatar Estonia Uruguay Italy Kuwait Malaysia United Arab Emirates Haiti Nigeria Bangladesh

CPI 2003 score 9.7 9.6 9.5 9.5 9.4 9.3 8.9 8.8 8.8 8.8 8.7 8.7 8.7 8.0 8.0 7.7 7.6 7.5 7.5 7.4 7.0 7.0 6.9 6.9 6.6 6.3 6.1 6.1 5.9 5.7 5.7 5.6 5.5 5.5 5.3 5.3 5.2 5.2 1.5 1.4 1.3

B.26 Einkommensverteilung

399

Internationale Politikclubs Über Jahrhunderte hat es eine Zusammenarbeit von Staaten in gemeinsamen Interessenfeldern gegeben – häufig unter der Führung eines dominanten Landes (z.B. Römisches Reich, Osmanisches Reich, Britisches Imperium, USA im 20. Jahrhundert). Betrachtet man das 20. Jahrhundert nach 1945 und das frühe 21. Jahrhundert, so ist die wichtige und wachsende Rolle internationaler Organisationen (IWF, WTO, UN etc.) nicht zu übersehen. Ein besonderes Augenmerk verdient auch der G8-Gipfel, der ursprünglich als G5-Gipfel in 1975 auf Initiative des deutschen Kanzlers Helmut Schmidt und des französischen Staatschefs Giscard d’Estaing begann und sich internationalen Wirtschaftsproblemen auf Basis von Gesprächen im kleinen Kreis widmete. Die Funktion der jährlichen Gipfeltreffen war es, die jeweiligen Positionen zu internationalen Problempunkten informell darzulegen und zu erörtern, um dann gemeinsame Lösungsansätze zu entwickeln. An der Aufrechterhaltung einer stabilen funktionsfähigen internationalen Wirtschaftsordnung sind vor allem relativ offene Volkswirtschaften mit großem Handels- und Direktinvestitionsvolumen interessiert. Deutschland ist relativ offener als etwa die USA oder Japan und ist daher tendenziell an Handelsfragen bzw. der Handelsdynamik stärker interessiert als die beiden letztgenannten Länder. Im frühen 21. Jahrhundert stellen die G-8-Länder USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Japan sowie Russland (ab 2005) zusammen gut die Hälfte des Weltsozialproduktes dar. Wenn China längerfristig als G-9-Land hinzuträte, so wären es etwa 70% des Weltsozialproduktes, wobei dann auch die wichtigsten Handelsländer im Politikclub säßen. China wird man wegen der Bevölkerungsgröße von etwa 1,3 Mrd. Menschen (bei einer Weltbevölkerung von 6 Mrd. zu Beginn des 21. Jahrhunderts) und seiner zunehmenden ökonomischen Bedeutung als Handelsland schon mittelfristig in die regelmäßigen internationalen Politikberatungen einbeziehen müssen, wenn nicht einer der wichtigsten Akteure in der Weltwirtschaft außen vor bleiben soll. Wirklich globalen Charakter hätte der Club der führenden Länder, wenn eines Tages auch Indien und Indonesien (das zahlenmäßig größte moslemische Land) hinzutreten würden. Ein G-11-Club wäre in jedem Fall kompakter als der G-20-Club, der ein Gesprächsforum zwischen führenden Industrie- und Entwicklungsländern ist. Je größer der Politikclub ist, desto schwieriger wird in der Regel eine Einigung zu erzielen sein. Denn die Einigungskosten sind eine Funktion der Zahl der Länder und zudem der ökonomischen Heterogenität von Ländern, die sich etwa durch das Pro-KopfEinkommen ermitteln lässt; Länder mit ähnlichen Pro-Kopf-Einkommen haben häufig ähnliche Politikpräferenzen, was die Einigungskosten senkt. Staatsverschuldung in einer wachsenden Wirtschaft Aus der Analyse von DOMAR (1944) ergeben sich einige wichtige Einsichten in die Entwicklung der Staatsverschuldung D(t) in einer wachsenden Wirtschaft. Ausgangspunkt sei hier eine doppelte Annahme: • Die reale Neuverschuldung des Staates sei proportional zum Realeinkommen Y; also dD/dt= ωY

400

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

• Das Realeinkommen der Wirtschaft wachse mit konstanter Rate, so dass gilt: Y(t) = Y0e’at (dabei bezeichnet e’ die Euler-Zahl und Y0 das Realeinkommen im Zeitpunkt t=0). Demnach gilt für die Entwicklung der Staatsschuld – nach Integration der Gleichung dD/dt = ω Y0e’at – die folgende Gleichung (mit C’ als Integrationskonstante): D(t) = (ω/a)Y0 e’at + C’

(B.267)

Die Anfangsbedingung D(0)= D0 ergibt C’= D0– (ω/a)Y0, so dass wir hier als Funktion erhalten: D(t)= D0 +(ω/a) Y0 (e’at -1)

(B.268)

Also gilt für die Entwicklung der Schuldenquote des Staates Ω =: D(t)/Y(t) die folgende Gleichung Ω = {D0 +(ω/a) Y0 (e’at -1)}/[ Y0 e’at] = [D0 /Y0 ] e’-at + (ω/a) (1 - e’-at) (B.269) Sehr langfristig, nämlich mit t→∞ ist also die Steady-state-Schuldenquote Ω = (ω/a)

(B.270)

Anschaulich gesprochen gilt also nach DOMAR: Die Relation von TrendDefizitquote ω und der Trendwachstumsrate a des realen Bruttoinlandsproduktes bestimmt also die langfristige Schuldenquote. Schließen wir noch eine weitere Überlegung an, wobei wir als Ausgangspunkt eine nichtinflationäre Wirtschaft betrachten, in der dem Staat auch Einnahmen aus dem Münzgewinn (seigniorage) zufließen; letzterer entspricht in realer Rechnung (dM/dt)/P bzw. – nach Erweiterung um M/M – μM/P (dabei ist μ die Wachstumsrate der nominalen Geldmenge M, P ist das Preisniveau). Darüber hinausgehen wir von einer Portfoliogleichgewichtsbedingung in der Form M/P = α(i)D

(B.271)

aus, so dass bei vollständiger Verbriefung der Staatsschuld eine Proportionalität von realem Geldvermögen und realem Bondsbestand D gewünscht wird. Dabei ist α eine negative Funktion des Nominalzinssatzes i, der allerdings bei Abwesenheit von Inflation gleich dem Realzins r gesetzt werden kann. Die Budgetrestriktion des Staates lautet (mit γ für Staatsverbrauchsquote und τ für Steuersatz): dD/dt = rD + (γ-τ)Y - μM/P

(B.272)

In einer wachsenden Wirtschaft wird die Wachstumsrate der Geldmenge gleich der Wachstumsrate der realen Produktion (a) sein, so dass wir nach Division durch Y und unter Beachtung der Portfoliogleichgewichtsbedingung schreiben können: [dD/dt]/Y = rΩ + (γ-τ) – aα(r)Ω

(B.273)

Beachtet man, dass unter Verwendung des Symbols a für Wachstumsrate von Y definitionsgemäß gilt dΩ/dt = (dD/dt)/Y – aD/Y, dann können wir formulieren:

401

B.26 Einkommensverteilung

dΩ/dt + {[a-r] + aα(r)}Ω = (γ-τ)

(B.274)

Dies ist bei Konstanz des Realzinssatzes r eine inhomogene Differentialgleichung erster Ordnung, deren Lösung (mit C’ für Integrationskonstante) lautet: Ω(t) = C’e’-{[a(1+α(r)] -r}t + (γ-τ)/{[a(1+α(r)] -r}

(B.275)

Unter der Voraussetzung, dass [a(1+α(r)] >r strebt die Schuldenquote gegen den langfristigen Grenzwert (γτ)/{ [a(1+α(r)] r }. Für den speziellen Fall, dass die reale Wachstumsrate gleich dem Realzins ist, ergibt sich die langfristige Schuldenquote als (γτ)/[aα(a)]. Beträgt α=0,2 und a= 0,03 sowie (γτ)=0,005, dann ist die langfristige Schuldenquote 5/6. Man beachte, dass in der Realität (M/P)/D eher nahe an ½ ist, allerdings fließt in den Staatshaushalt auch nicht μM/P, sondern nur μM’/P, wobei M’ die exogene Geldbasis ist (deutlich kleiner als M).

B.27 Arbeitsmarktinflexibilitäten und Investitionsquote Mittelfristig muss ein Zusammenhang von Investitionen, Produktion und Beschäftigung bestehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kapazitätseffekt von Investitionen betrachtet wird. Wenn man die USA, Großbritannien, die Niederlande und Deutschland untersucht, dann stellt man fest, dass die Wachstumsrate der Beschäftigung deutlich mit der Entwicklung der Investitionsquote I/Y korreliert ist, d.h. Beschäftigungswachstum und Investitionsquotenänderung laufen parallel. Zwar weiß man zunächst nichts über die kausale Wirkungsrichtung, aber aus theoretischer Sicht sprechen verschiedene Argumente dafür, dass bei höherer Investitionsquote mehr Beschäftigung entsteht: • Eine höhere Investitionsquote bedeutet, dass Kapital schneller als bisher akkumuliert wird, wobei für die Bedienung und Wartung des vergrößerten Maschinenparks mehr Beschäftigte notwendig sind. • Bei erhöhter Investitionsquote steigt im Übrigen – ein konstantes Grenzprodukt des Kapitals vorausgesetzt – das Wirtschaftswachstum gY. Denn die reale Wachstumsrate lässt sich schreiben als gY=(I/Y)YK; dabei beachte man, dass das Kapitalgrenzprodukt YK definiert ist als ∂Y/∂K. Bei erhöhtem Wachstum der Produktion ist zumindest ein vorübergehendes erhöhtes Wachstum der Beschäftigung plausibel. Die folgenden Abbildungen zeigen den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Investitionsquoten und dem Beschäftigungswachstum für Deutschland, die Europäische Union und die USA auf. Es ist klar auffällig, dass die USA bei einer Erhöhung der Investitionsquote deutlich mehr zusätzliche Beschäftigung erreichten als Deutschland. Diese Beobachtung könnte durch die relativ große Flexibilität der US-Arbeitsmärkte erklärt werden. Aus analytischer Sicht ergibt sich folgende Erklärung bzw. Modellierung (WELFENS, 2007). Es gilt bei Gewinnmaximierung bzw. YK=r:

402

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

gY = (I/Y)YK = (I/Y)r

(B.276)

Definiert man I/Y=:z und berücksichtigt man Verdoorns Gesetz, wonach aus empirischer Sicht gilt, dass die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität positiv von gY abhängt (mit Parametern Q’>0, Q’’>0), dann gilt: gY/L = Q’+Q’’gY;

(B.277)

gL = -Q’+(1-Q’’)gY;

(B.278)

gL = -Q’+(1-Q’’)[I/Y]r.

(B.279)

Abb. B.66. BRD: Parallelität von Wachstum der Beschäftigung (in %) und Änderung der Investitionsquote (in Prozentpunkten)

Abb. B.67. EU-15: Parallelität von Wachstum der Beschäftigung (in %) und Änderung der Investitionsquote (in Prozentpunkten)

B.27 Arbeitsmarktinflexibilitäten und Investitionsquote

403

Abb. B.68. USA: Parallelität von Wachstum der Beschäftigung (in %) und Änderung der Investitionsquote (in Prozentpunkten)

Als Land mit seit Dekaden hoher Arbeitslosigkeit ist Deutschland daher aufgefordert, ein Mehr an Arbeitsmarktflexibilität bzw. betrieblicher Lohndifferenzierung – im Einklang mit jeweils unterschiedlichen Arbeitsproduktivitäten – als Teilelement einer Strategie auf dem Weg zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung umzusetzen. Aus einer wachstumsorientierten Sicht – hier wird die Bedeutung der Investitionsquote für das Wachstum unterstrichen – sind flexible, wettbewerbsintensive Güter- und Faktormärkte wichtig für Wachstum und Vollbeschäftigung. Es besteht eine primäre Verantwortung der Tarifvertragsparteien, durch hinreichend differenzierte Löhne die Vollbeschäftigung zu sichern. In Deutschland werden die Tarifvertragsparteien seit Jahrzehnten ihrer Verantwortung nicht gerecht. Deutschland lebt seit den 70er Jahren mit Massenarbeitslosigkeit, was die Gesellschaft vergiftet: Arbeitslosigkeit bedeutet – vor allem für Langzeitarbeitslose (Anteil an allen Arbeitslosen mehr als 50% in der BRD) – für die Betroffenen persönliche und einkommensmäßige Probleme sowie Statusverlust. Kinder in von Arbeitslosigkeit betroffenen Familien haben schlechtere Entwicklungschancen als Kinder aus anderen Familien. Arbeitslose sind überdurchschnittlich häufig krank. Man kann nur vor der eingetretenen Gewöhnung an die Massenarbeitslosigkeit bei Staat und Tarifvertragsparteien warnen; man darf nicht vergessen, dass in der Weimarer Republik Brüning im März 1930 an die Macht kam, als die Arbeitslosenzahl bei 2,3 Millionen stand. Als er im Mai 1932 sein Amt verlor, lag die Arbeitslosigkeit schon bei 6 Millionen und wenig später kam Hitler an die Macht (!). Würde das wiedervereinigte Deutschland von einem massiven internationalen Wirtschaftsschock getroffen, könnte die Arbeitslosigkeit binnen weniger Jahre von 4 Millionen auf 7 oder 8 Millionen ansteigen: mit verheerenden Wirkungen für die ökonomische und politische Stabilität in Deutschland und Europa. Wenig bedacht

404

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

wird im Übrigen, dass die internationale Exportfähigkeit des Modells Soziale Marktwirtschaft entscheidend davon abhängt, dass es gelingt, nachhaltig Vollbeschäftigung und Wachstum – bei geringer Inflation – zu realisieren. Im globalen Wettbewerb der Systeme wird das US-Modell einer freien Marktwirtschaft für viele Jahrzehnte einen weltweiten Expansionszug antreten, wenn in den großen EU-Ländern eine Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft nicht gelingt. Aktienmarkt, Risiko und Konjunkturzyklus Gemäß dem Capital Asset Pricing-Modell wird sich bei risikoscheuen Investoren und einer Varianz bzw. Standardabweichung σ der Aktienkurse bei Preisniveaustabilität folgende Gleichgewichtsbedingung ergeben (mit h’’ für Preis des Risikos): YK+σh’’ = (r+δ);

(B.280)

mit ßY/K = YK wegen der Cobb-Douglas-Funktion gilt σ = [(r+δ)-ßY/K]/h’’

(B.281)

Diese Gleichung kann genutzt werden, um σ zu endogenisieren. Geht man davon aus, dass σ positiv mit der Standardabweichung von Y(σY) korreliert ist, so kann damit die Volatilität der Produktion erklärt werden.

B.28 Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Wachstum In armen Ländern ist eine hohe Kinderzahl eine Art Garantie für die Eltern, bei Krankheit und im Alter einen gesicherten Lebensunterhalt zu haben. Denn die Kinder werden ihre Eltern unterstützen. Verheiratete, die kinderlos bleiben – und nicht reich zur Welt kamen oder im Beruf ein Vermögen machten – haben einen ungewissen Lebensabend. Je länger die Lebenserwartung ist, desto größer das Problem. Gegen das „Langlebigkeitsrisiko“ kann man sich mit einer kapitalbildenden Lebensversicherung absichern. Wenn man also ein Einkommen über dem Existenzminimum hat und Versicherungsmärkte existieren, kann man das Rentenproblem durch Ersparnis lösen. Eine andere und bequemere Möglichkeit – vor allem für eine Gesellschaft mit wachsender Bevölkerung –, ist die Einführung eines staatlichen Umlageverfahrens: Eine erste Generation von Rentnern erhält Rentenzahlungen, ohne selbst wesentliche Beiträge geleistet zu haben, finanziert wird dies im Rahmen eines „fiktiven Generationenvertrags“ durch die Beitragszahlungen der jungen Arbeitnehmer; dies ist, wenn man an die historische Einführungsphase in den 1880er Jahren in Deutschland denkt, relativ unproblematisch, da ein hohes Bevölkerungswachstum realisiert wurde. Die jeweiligen Beitragszahler werden ihrerseits eines Tages alt und müssen dann darauf hoffen, dass genügend junge Beitragszahler in die Rentenkasse einzahlen. Das wird allerdings problematisch, wenn es – wie in den EU-Ländern und Japan im 21. Jahrhundert (McMORROW/RÖGER, 2003) – zu einer stark steigenden Relation von Rentnern zu Arbeitnehmern bzw. Beitragszahlern kommt. Im Umlageverfahren müssen dann die

B.28 Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Wachstum

405

Beitragssätze ansteigen oder aber die Renten laufend gekürzt werden. Wenn die Beitragssätze bzw. Lohnnebenkosten ansteigen, dann nimmt jedoch die Arbeitsnachfrage ab, so dass anhaltende Arbeitslosigkeit entstehen kann. In einer solchen Situation wird es auch nicht ohne weiteres möglich sein, das Rentenalter anzuheben, da damit das faktische Arbeitsangebot ansteigt. Das Umlageverfahren schafft eine soziale Illusion insofern, als Kinderlosigkeit – und damit im Zusammenhang stehend auch eine geringe Heiratsneigung – ohne negative ökonomische Folgen bleibt. In den Umlagesystemen der meisten OECD-Länder schlägt für die Eltern die Kinderzahl bzw. die Kindererziehung kaum relevant positiv zu Buche. Würde die Kinderzahl hingegen sehr deutlich einen positiven Einfluss auf die Rente haben, dürfte die Kinderzahl zunehmen. Die Kinderzahl pro Familie hängt dabei sicherlich auch positiv vom Ausmaß an Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Staat und Gesellschaft ab. Grundsätzlich hat der Sozialstaat positive ökonomische und politische Seiten. Politisch sorgen Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung sowie die Sozialhilfe für eine erhöhte Stabilität. Die Arbeitslosen- und Krankenversicherung erlauben Kindern, eine längere und bessere Ausbildung als sonst zu erhalten, was Produktivität und Wachstum steigert. Ohne diese Versicherungen müssten Kinder bei jeder längeren Krankheit oder Arbeitslosigkeit eines Elternteils die jeweilige Ausbildung unterbrechen, um durch sofortige Arbeitsaufnahme den Lebensunterhalt der Eltern zu sichern. Ein gewisses Problem für den Arbeitsmarkt und – wie noch zu zeigen sein wird: auch für die internationale Wettbewerbsfähigkeit – stellt das Sozialhilfeniveau dar. Die Sozialhilfe (Transfers an bedürftige Haushalte) führt, falls relativ großzügig dimensioniert (wie in Deutschland), faktisch zu Mindestrenten auch für diejenigen, die kaum Beiträge eingezahlt haben und ggf. auch keine Kinder groß gezogen haben. Vielleicht möchte man armen Haushalten aus politischer Sicht gern eine relativ hohe Hilfe zum Lebensunterhalt geben, aber Sozialhilfe hat gesellschaftliche Kosten. Denn einerseits ist die Sozialhilfe zu finanzieren, führt also ggf. zu höheren Steuern und den entsprechenden Effizienz- und Wohlfahrtsverlusten. Andererseits beeinflusst die Sozialhilfe den Arbeitsmarkt; dabei hat die Höhe des Sozialhilfeniveaus ggf. einen positiven Einfluss auf die Höhe der Arbeitslosenquote insofern, als das Sozialhilfeniveau den realen Reservationslohnsatz (Anfangslohnsatz w=W/P der individuellen Arbeitsangebotskurve) bestimmt: Auf der Höhe des Sozialhilfeniveaus beginnt die Arbeitsangebotskurve, wobei wir hier gleiche Individuen und einen homogenen Arbeitsmarkt in einem Ein-GüterModell der Volkswirtschaft unterstellt haben. Ein Ansteigen des Sozialhilfeniveaus verschiebt die Arbeitsangebotskurve (Ls1 statt Ls0) nach oben, wodurch bei gegebenem Reallohnsatz ein künstlicher Nachfrageüberschuss auf dem Arbeitsmarkt entsteht, wie die nachfolgende Abbildung zeigt: Die Gewerkschaften haben nun Anreize, eine verstärkt aggressive Lohnpolitik zu verfolgen. Die Arbeitsnachfrage ergibt sich implizit aus der Gewinnmaximierung der Unternehmen, was auf die Bedingung Grenzwertprodukt YLP=W bzw. YL=W/P führt, wobei W der Nominallohnsatz, P das Preisniveau und YL das physische Grenzprodukt bezeichnet – also die erste partielle Ableitung der Produktionsfunktion Y=Y(K,L); Y ist die Produktionsmenge, K und L bezeichnen Kapital- und Arbeitsmenge. Im Fall einer

406

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

Cobb-Douglas-Produktionsfunktion Y=KßL1-ß, bei der gilt YL=(1-ß)Y/L – mit ß im Intervall 0,1 – lässt sich durch Eliminierung von Y aus der Produktionsfunktion unmittelbar eine konkrete Arbeitsnachfragefunktion Ld ermitteln. Wenn die Lohnsätze zu stark erhöht werden (w2), dann entsteht Arbeitslosigkeit. In einem umfassend ausgebauten Sozialstaat – mit hohem Sozialhilfeniveau und mehreren Produktionssektoren mit jeweils unterschiedlichen Produktivitäten – kommt es also mit Blick auf das Ziel der Vollbeschäftigung verstärkt auf eine hinreichend differenzierte Lohnsetzung der Tarifvertragsparteien an.

w

Ls1

A H w2

E1

w1 w0

F

I Ls0 E0

Ld

0

Ld2 L1 Ls2 L0

Abb. B.69 Anhebung des Sozialhilfeniveaus, Lohnsetzung, Arbeitslosigkeit

L

B.28 Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Wachstum

407

Wirtschaftswachstum Reales Wirtschaftswachstum bedeutet, dass das reale Bruttoinlandsprodukt Y (oder das reale Bruttosozialprodukt) mit positiver Rate längerfristig wächst; bei konstanter Bevölkerung L wächst dann auch das langfristige Pro-Kopf-Einkommen y=Y/L. Ausgangspunkt der meisten Wachstumsmodelle ist eine gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion Y(K,L), wobei hier die Cobb-Douglas-Funktion verwendet werden soll; K für Realkapital bzw. ggf. auch für Humankapital, also qualifizierte Arbeit. Es gelte für die gesamtwirtschaftliche Produktion: Y = KßL1-ß

(B.282)

Je höher der Kapitaleinsatz und der Arbeitseinsatz, desto höher die Produktion Y und damit auch das Realeinkommen. Die Produktionselastizitäten (Exponenten ß bzw. 1-ß) bei Kapital K und Arbeit L addieren sich zu 1, da ß annahmegemäß zwischen 0 und 1 liegt. Die Elastizität ß gibt an, um wieviel Prozent die Produktion ansteigt, wenn der Kapitalbestand um 1% ansteigt. In der Literatur geht man für OECD-Länder in der Regeln von ß≈1/3 aus. Wäre ß=0,5 und A=1, dann ergäbe sich die Produktionsmenge Y einfach, indem man die Wurzel aus dem Produkt der Faktoreinsatzmengen K und L zieht. Man erkennt auch unmittelbar, dass für die Pro-Kopf-Produktion y=Y/L gilt (mit Kapitalintensität k:=K/L): y = kß

(B.283)

Das Pro-Kopf-Einkommen steigt also nur dann, wenn die Kapitalausstattung pro Kopf – eben die Kapitalintensität k – ansteigt. Ein armes Land kann von daher nur dann zu einem Land mit hohem Pro-Kopf-Einkommen werden, wenn die Kapitalintensität durch Kapitalakkumulation, also Nettoinvestitionen ansteigt (oder wenn die Bevölkerung schrumpft). Ist die Bevölkerung L konstant, dann ist nach Erreichen des optimalen – gewinnmaximierenden – Kapitalbestands kein weiterer Anstieg von Y möglich. Ein Wachstum im Sinn eines anhaltenden Anstiegs von Y ergibt sich also nicht. Es gilt bei der obigen Produktionsfunktion im Übrigen, dass das Grenzprodukt des Faktors und das Durchschnittsprodukt zueinander proportional sind, also: Grenzprodukt des Kapitals YK = ßY/K

(B.284)

YL = (1-ß)Y/L

(B.285)

bzw.

Da der Parameter ß zwischen 0 und 1 liegt, ist das Grenzprodukt des jeweiligen Faktors immer kleiner als das Durchschnittsprodukt. Wenn die Produktionsfaktoren (im Zuge eines Gewinnmaximierungsansatzes bei Wettbewerb) nach ihrem jeweiligen Grenzprodukt entlohnt werden – also gilt: Grenzprodukt der Arbeit YL=Reallohnsatz w und Grenzprodukt des Kapitals YK=Realzins r –, dann ist ß (bzw. 1-ß) nicht nur eine produktionstechnische Elastizität, sondern zugleich der Anteil des Faktors Kapital (bzw. Arbeit) am Realeinkommen Y. Denn wenn man entsprechend in den beiden vorangegangenen Gleichungen den Faktorpreis einsetzt, dann ergibt sich gerade ß=rK/Y bzw. 1-ß=wL/Y. Aus ökonomischer Sicht

408

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

ist natürlich gerade sinnvoll, dass sich die Anteile der Produktionsfaktoren am Einkommen zu 1 addieren. Wachstum entsteht insbesondere, wenn fortgesetzt Kapital durch Nettoinvestition akkumuliert wird. Allerdings ist der Anreiz hierzu nicht besonders groß, sofern die obige Produktionsfunktion gilt: Denn mit wachsendem Kapitalbestand K sinkt das Grenzprodukt des Kapitals. Der optimale bzw. gewinnmaximierende Kapitalbestand ist gerade dann erreicht, wenn soviel Kapital eingesetzt ist, dass bei gegebenem Realzins r gilt: r= YK=ßY/K. Grenzprodukt und Durchschnittsprodukt des Kapitals hängen aber gemäß Produktionsfunktion gerade negativ von der Kapitalintensität k=K/L ab. Anhaltendes Wirtschaftswachstum ist somit unmöglich. Ein solches ist nur vorstellbar, wenn es technischen Fortschritt gibt, d.h. wenn das technische Wissen im Zeitablauf steigt. Ein solcher Wissensfortschritt kann sich auf verschiedene Weise ergeben, z.B. durch Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen der Unternehmen. Technischer Fortschritt Geht man von einem arbeitsvermehrenden technischen Fortschritt A aus, also einer Produktionsfunktion Y= Kß(AL)1-ß

(B.286)

dann ergibt Logarithmieren der Gleichung: lnY = ßln K + (1-ß)[lnA+lnL]

(B.287)

Die zusammengesetzte Variable AL heißt Arbeit in Effizienzeinheiten. Da Y(t), K(t). und L(t) Funktionen der Zeit sind, kann diese Gleichung nach t differenziert werden: dlnY/dt = ßdlnK/dt + (1-ß)[dlnA/dt + dlnL/dt]

(B.288)

Da die Ableitung einer logarithmierten Größe nach der Zeit eine Wachstumsrate ist – also dlnX/dt =(dX/dt)/X –, gilt für die reale Wachstumsrate (g als Symbol für Wachstumsrate) von Y: gY = ßgK + (1-ß)[gA+ gL]

(B.289)

Das Wirtschaftswachstum fällt in der neoklassischen Theorie wie Manna vom Himmel, da die Wachstumsrate des technischen Fortschritts a=gA exogen ist. Das reale Wirtschaftswachstum ist also einfach gleich der Summe der mit den Produktionselastizitäten gewichteten Wachstumsraten von K und AL. Entsprechend gilt mit der Symbolik y’=Y/[AL] als Einkommen pro Arbeit in Effizienzeinheiten und. k’=K/[AL], n für gL und a für gA: gy’ = ßgk’

(B.290)

Erklärt wird die Fortschrittsrate a erst in der Neuen Wachstumstheorie, wo „learning by doing“ und an Forschungsaufwendungen geknüpfte technologische Spillover-Effekte eine wichtige Rolle spielen. Learning by doing sind insbesondere Kostensenkungseffekte, die eine Funktion der kumulierten Produktionsmenge

B.28 Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Wachstum

409

sind, da mit dieser z.B. in einigen Sektoren die Ausschussquote fällt – wie etwa in der Chipindustrie). Ein Spillover-Effekt – also „Übertragungseffekt“ – tritt etwa auf, wenn das forschende Unternehmen i vom Technologieniveau von Konkurrenzunternehmen j im Inland bzw. j* (z.B. Handelspartner) im Ausland in Form eines Technologietransfereffekts profitiert (siehe z.B. BRETSCHGER, 2004; SMULDERS, 2004). Learning-by-doing-Effekte und Technologieübertragungseffekte können ein Absinken des Grenzprodukts des Kapitals verhindern und damit letztlich zu dauerhaftem Wachstum trotz Kapitalakkumulation beitragen. Wirtschaftsstruktur: Grundlegende Aspekte Die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung Y lässt sich als Beitrag verschiedener Sektoren Y1, Y2, …Yn darstellen. Beschränkt man sich auf zwei Sektoren, dann gilt: Y= Y1+Y2

(B.291)

dY/dt = dY1/dt + dY2/dt

(B.292)

[dY/dt]/Y =Y1/Y g Y1 + Y2/Y gY2

(B.293)

Es gilt:

Die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate ergibt sich also als Summe der mit den Anteilen der Sektoren am Bruttoinlandsprodukt gewichteten sektoralen Wachstumsraten. Wenn beide Sektoranteile z.B. gerade ½ sind, dann ist bei sektoralen Wachstumsraten von 2% bzw. 6% die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate gerade 4%. Die jeweils wichtigsten Sektoren einer Volkswirtschaft können sich jeweils durch bestimmte Spezifika auszeichnen. Es ist denkbar, dass in beiden Wettbewerb herrscht und auch beide Sektoren durch eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion bestimmt sind. Die Sektoren können aber auch jeweils ganz unterschiedlicher Natur sein. Sektor 1 könnte z.B. in einem ölreichen Land der Ölsektor sein, Sektor 2 der Telekommunikationssektor. Während das Investitionskalkül in letzterem Sektor aus Unternehmersicht recht einfach ist und in der Regel schon kurzfristig Gewinne zu erwarten sind, ist das Ölexplorations- bzw. Ölgeschäft mit besonderen Unsicherheiten behaftet: Hier sind langfristige Investitionen notwendig, wobei die Erschließung einiger Ölfelder sehr profitabel sein kann, während andere (vermutete) Ölfelder kaum ergiebig sind. Sieht man von einem monopolistischen Ölkonzern mit hohen Gewinnen ab, die die Investitionsfinanzierung erleichtern können – allerdings ist ein statisches Monopol immer mit Wohlfahrtsverlusten verbunden –, so ist im Ölsektor eine vernünftige langfristige Investitionsfinanzierung notwendig. Der Zinssatz für Kredite wird dabei normalerweise höher als für Kredite an Telekomfirmen sein, da der Zinssatz für Investitionsfinanzierung im Ölsektor die sektorspezifischen Risiken angemessen widerspiegeln muss. Ressourcenreiche Länder weisen im Übrigen erfahrungsgemäß eine relativ geringe Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes auf, zugleich ist in der Regel Korruption weit verbreitet, was z.T. auf den meist großen Staatseinfluss im Ölsektor zu-

410

Kapitel B. Makroökonomische Analyse

rückzuführen ist: Die Firmen müssen vom Staat Explorationsrechte erhalten, wobei entsprechend den natürlichen unterschiedlichen Ergiebigkeiten von vermuteten Ressourcenlagerstätten hohe ökonomische Renten denkbar sind – hieraus entstehen Anreize zu Bestechungszahlungen (der betreffende Ölkonzern erhält z.B. gegen Bestechungszahlung an Regierungsbeamten zu einem „Sonderpreis“ bzw. bevorzugt den Zuschlag für die Exploration eines besonders ergiebigen Feldes). Möglicherweise sind Korruptionsverbreitung und Wachstumsschwäche miteinander verbunden, da es Untersuchungen gibt, die allgemein für Länder mit starker Korruptionsverbreitung eine – im internationalen Vergleich bemerkenswerte – Wachstumsschwäche feststellen. Es könnte allerdings auch sein, dass die relativ leichten Möglichkeiten, durch Ausbeutung von Ressourcenlagerstätten hohe Einkommen auf dem Weltmarkt zu verdienen, die Anstrengungen der Menschen, technologieintensive bzw. „fortschrittsstarke“ Sektoren expandieren zu lassen, begrenzt wird. Damit wäre letztlich ein relativ geringer technischer Fortschritt für die Wachstumsschwäche verantwortlich. Im Zuge des Wachstumsprozesses ist in der Regel ein permanenter Strukturwandel notwendig, der auch eine gewisse räumliche Mobilität von Produktionsfaktoren im Land voraussetzt. In den betrachteten Sektoren können auch unterschiedliche Grade an Wettbewerbsintensität herrschen. So ist der Ölsektor seit den 70er Jahren durch ein einflussreiches OPEC-Preiskartell gekennzeichnet, in dem eine Reihe wichtiger Förderländer vertreten sind. Diese sprechen miteinander die Fördermengen ab, wobei Saudi-Arabien mit sehr großen Reservenkapazitäten den inneren Kartellzusammenhalt erzwingt. Saudi-Arabien ist das größte Ölförderland und verfügt zugleich mit über die größten Ölreserven; allerdings hat es auch 20 Mio. Einwohner, wobei die Bevölkerung langfristig ansteigt. Der Ölpreis dürfte bei weltweitem Wettbewerb um etwa 15$ liegen, hat aber seit den 70er Jahren – als das OPEC-Kartell international aktiv wurde –, Werte von 20-70 Dollar erreicht. Ein kurzfristiger Ausfall des Lieferlandes Saudi-Arabien könnte den Ölpreis kurzfristig über 100 $ ansteigen lassen, allerdings würde es schon innerhalb einiger Quartale zu massiven Anpassungsreaktionen kommen. Jedes Ölförderland hat einen natürlichen Anreiz, Öl zu fördern und zu verkaufen. Denn im Zuge des technischen Fortschritts droht langfristig, dass Alternativenergien preiswerter werden, also der Ölschatz im Boden dann weniger wert sein wird. Grundsätzlich gilt: Mit steigendem Ölpreis (relativ zu anderen Güterpreisen) verstärkt sich auf der Nachfragerseite der Anreiz zur Einsparung von Öl bzw. zur Substitution hin zu anderen Energieträgern: etwa Erdgas, Kohle, Windenergie, Atomenergie. Zugleich entstehen auf der Angebotsseite verstärkte Anreize, in Exploration und Förderung zu investieren. Im Übrigen sei angemerkt, dass Rohöl eine relativ homogene Ressource ist, für die demnach ein weltweit – abgesehen von Transportkosten – einheitlicher Weltmarktpreis dank Arbitrage gilt. Bei transatlantischen Öltransportkosten von etwa 2 Dollar pro Barrel Öl kann der Ölpreis für Nordseeöl „Brent“ eben nur diese 2 Dollar vom Preis für US-Öl „Texas“ entfernt sein. Diese Preisdifferenz kann im Zeitablauf in Abhängigkeit von der Frachtratenentwicklung leicht schwanken: Bei einem Ansteigen der Frachtraten – etwa im Zuge eines globalen Wirtschaftsaufschwungs – wird der transatlantische Preisunterschied ansteigen. Der Gaspreis hängt naturgemäß weitgehend am Öl, allerdings

B.28 Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Wachstum

411

kann der Gaspreis – bezogen auf eine Energieeinheit – zeitweise vom Ölpreis differieren. Wenn etwa im Zuge langfristiger Investitionen im Gassektor Überkapazitäten entstanden sind, wird der Gaspreis sich zeitweise unter dem Ölpreis einpendeln, bis im Zuge eines allmählichen Substitutionsprozesses auf der Seite der Energienachfrager – von Öl hin zu mehr Gaseinsatz – eine weitgehende Preisangleichung stattgefunden hat. Da der Ölpreis weltweit in Dollar fakturiert ist, bedeutet ein steigender Ölpreis eine global steigende Dollarnachfrage: also eine Abwertung aller anderen Währungen. Vom hohen OPEC-Kartellpreis profitieren also die USA durch eine Dollar-Aufwertung, da sich ausländische Waren – inklusive Öl – günstiger einkaufen lassen als ohne OPEC. Besonders zu leiden haben unter dem hohen OPEC-Ölpreis öl- und gasarme Entwicklungsländer.

B.29 Akkumulationsdynamik, Wachstum, Nachhaltigkeit Wenn es um internationale Einkommensunterschiede geht, schwirren in der politischen Diskussion alle möglichen – meist unzutreffenden (bisweilen aber plausibel klingenden) – Theorien durch den Raum. Die Wahrheit ist differenziert und wenig spektakulär. Für ein hohes Pro-Kopf-Einkommen wichtig ist eine hohe Investitions- und Sparquote und eine niedrige Abschreibungsrate auf Realkapital. Zudem spielen die Bevölkerungswachstumsrate (n) und die Rate des technischen Fortschritts eine wichtige Rolle. Kurz, ohne Investitionen bzw. funktionsfähige Banken und Finanzmärkte bzw. ohne harte Arbeit und anhaltende Innovationsprozesse kann das Pro-Kopf-Einkommen nicht langfristig steigen. Alle Entwicklungen bzw. politische Rahmenbedingungen, die dem entgegenstehen, sorgen für dauerhafte Armut, für Elend und Not. Wenn Inland und Ausland ein Pro-Kopf-Einkommensniveau im Zeitpunkt t0 von y bzw y* haben, wie lange wird es dauern, bis das anfänglich ärmere (y*05 Mrd. Euro und gemeinschaftsweiter Umsatz jeweils >250 Mio. Euro). Zusammenschlüsse sind bei Erreichen der genannten Kriterien der EU-Kommission eine Woche nach Vertragsabschluss anzumelden, wobei dann ein dreiwöchiges Vollzugsverbot gilt; unterhalb dieser Schwellen genügt es in Deutschland, die Fusion dem Kartellamt anzuzeigen bzw. vorher anzumelden. Das Kartellamt prüft auf marktbeherrschende Stellung nach Abgrenzung des räumlichen und sachlichen Marktes aufgrund von Vermutungskriterien, z.B. Marktanteilswerte, bei vertikalen Zusammenschlüssen auch Verflechtung mit anderen Firmen und die Finanzkraft. Die EU untersagt Fusionen, wenn dadurch eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, wobei allerdings auch - anders als im GWB - Aspekte des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern sie den Verbrauchern nützen und den Wettbewerb nicht behindern, zu berücksichtigen sind. Letzteres ist ein möglicher Ansatzpunkt für industriepolitische Interventionen. Zu den Beurteilungskriterien für Marktbeherrschung gehören: Marktstellung der Firmen, Finanzkraft und wirtschaftliche Unternehmensmacht, Alternativen auf Lieferanten- und Abnehmerseite, Markteintrittsschranken, Marktentwicklung (Produktlebenszyklus, Marktphase), Interesse der Konsumenten und Entwicklung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts. Bis 1994 waren etwa 190 Fälle bei der Kommission gemeldet worden, wobei die Kommission binnen vier Wochen mehr als 160 Fälle entschieden hat. In rund 20 Fällen wurde ein zusätzliches Prüfungsverfahren eingeleitet, was in konkreten Fällen mit Verbot oder Genehmigung unter Auflagen oder schließlicher Erlaubnis endete. Im Laufe der Zeit dürfte die Genehmigungspraxis der EU-Kommission eine Orientierungswirkung bei der Wirtschaft haben, so dass längerfristig vermutlich Konfliktfälle seltener zur Prüfung anstehen. Die EU-Ebene hat in Westeuropa in den 80er und frühen 90er Jahren erhebliche Impulse für mehr Wettbewerb gegeben. Allerdings bleibt offen, ob langfristig nicht sektorspezifische bzw. Partikularinteressen stärkeren Einfluss auf die Wettbewerbspolitik gewinnen; sektorspezifische Regulierungen könnten gegenüber allgemeinen Wettbewerbsregeln an Gewicht zunehmen. Während sich die Industrie auf EU-Ebene zunehmend lobbymäßig organisiert, sind die Interessen der Konsumenten gerade auf dieser Ebene besonders schwierig zu organisieren. Problematisch ist das einstufige EU-Verfahren der Fusionskontrolle insoweit, als wettbewerbspolitischen Überlegungen keine deutliche Priorität zukommt, sondern wettbewerbs- und industriepolitische Überlegungen von einer politischen Institution geprüft werden. Seit dem Artikel 130 im Maastrichter Vertrag ist die EU verpflichtet, die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft zu stärken. Dies ist in Verbindung mit Art. 163 EG-Vertrag eine Regelung, die ein Einfallstor für eine interventionistische, selektive Industriepolitik werden könnte. Art. 163 lautet: „Die Gemeinschaft hat zum Ziel, die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemeinschaft zu stärken [...] sowie alle Forschungsmaßnahmen zu unterstützen, die aufgrund anderer Kapitel dieses Vertrages für erforderlich gehalten werden.“ Die französische und italienische Wirtschaftspolitik nach 1945 weisen z.T. deutliche Tendenzen einer nationalen

F.10 EU-bezogene Wettbewerbsregeln

739

Industriepolitik auf, wobei nicht nur Unternehmenszusammenschlüsse staatlich gefördert wurden, sondern auch sektorale Entwicklungen gezielt durch selektive Kreditvergabe von staatlichen Banken beeinflusst wurden. Demgegenüber sind in Deutschland nach 1945 auf Bundesebene relativ selten Ansätze einer Industriepolitik festzustellen; allerdings gab es auf Länderebene verschiedentlich derartige Versuche. Vermutlich wäre ein zweistufiges Verfahren wie in Deutschland dem einstufigen Verfahren der EU-Fusionskontrolle überlegen, soweit es um ordnungspolitische Konsistenz im Rahmen einer primär wettbewerbspolitisch ausgerichteten Fusionskontrolle geht. Eine eigenständige EU-Institution könnte die FusionskontrollPrüfung vornehmen, und der EU-Kommission obläge dann das Recht, ggf. eine be-gründete Ausnahmegenehmigung zu erteilen (MONOPOLKOMMISSION, 1992). Denkbar wäre, dass eine marktfördernde EU-Industriepolitik, die bewusst Unternehmensneugründungen fördert und damit die Wettbewerbsintensität stärkt, durchaus wettbewerbsintensivierend wirken kann. Ökonomisch begründbar sind auch staatliche F&E-Programme, soweit es einerseits aufgrund theoretischer Überlegungen Anhaltspunkte für positive externe Effekte (Technologie-Spillover) gibt und andererseits die Unvollkommenheit der Märkte für technische Informationen dadurch tendenziell kompensiert wird (Diffusionsbeschleunigungsprogramme). Marktfördernde und marktschaffende Interventionen sind allerdings in jedem Fall periodisch zu überprüfen und zu rechtfertigen, wenn eine rationale Wirtschaftspolitik angestrebt wird. Besonders fragwürdig sind Versuche, wenn staatliche Bürokratien in führenden Industrieländern sektorale Stützungsprogramme für schrumpfende Industrien entwickeln. Selbst in expandierenden Branchen ist es sehr fraglich, ob die staatliche Bürokratie einen verwertbaren Informationsvorsprung gegenüber privaten Unternehmen hat.

F.11 Internationalisierung der Wirtschaft und Theorie der Wettbewerbspolitik Seit den 70er Jahren ist eine Reihe von theoretischen Neuansätzen entwickelt worden, die für die Wettbewerbspolitik von Bedeutung sind. Hierzu gehören raumwirtschaftliche Marktansätze und insbesondere auch die neue Wachstumstheorie und die moderne Außenhandelstheorie. An dieser Stelle soll auf einige ausgewählte Aspekte eingegangen werden. F.11.1 Internationalisierung als Konkurrenz- und Handelsproblem

Märkte und Unternehmen haben sich zunehmend rasch internationalisiert, womit sich die Frage nach grenzüberschreitenden Rahmenbedingungen für den Leistungswettbewerb bzw. nach dem konsistenten Zusammenwirken von nationalen, multilateralen und supranationalen Wettbewerbsregeln (z.B. GWB, GATT/WTO,

740

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

EU) ergibt: Es stellt sich das Problem einer internationalen Ordnungspolitik gerade mit Blick auf die 90er Jahre. Prozesspolitisch bedingte, in den 80er Jahren entstandene Leistungsbilanzungleichgewichte, die regionalen Freihandels- und Integrationsabkommen (NAFTA, EU-Erweiterung, ASEAN) sowie die Herausbildung von Weltmärkten erzeugen Reformnotwendigkeiten in der nationalen und internationalen Ordnungspolitik.7 Diese Anpassungserfordernisse betreffen nicht nur die Weltmarktwirtschaft (einschließlich der Schwellenländer), sondern auch die osteuropäischen Reformstaaten. Zwar ist mit dem Abschluss der GATT-UruguayRunde im April 1994 eine gewisse globale Liberalisierung unter Einschluss neuer ordnungspolitischer Regelfelder erreicht worden, aber dauerhafter nationaler und internationaler Wettbewerb muss von zwei Seiten her gesichert werden: international durch multilaterale Regeln zur Sicherung eines freien und von externen Effekten weitgehend unverzerrten Wettbewerbs und national durch Sicherung von Wettbewerb im Sektor der handelsfähigen Güter und Dienstleistungen wie im Sektor der nichthandelsfähigen Güter und Dienstleistungen. Zu den in den letzten Jahrzehnten eingetretenen Verschiebungen der Schwerpunktregionen der Weltwirtschaft haben handels- und wettbewerbsrelevante industriepolitische Eingriffe in vielen Staaten beigetragen. Japan bot hier ein vielbeachtetes Beispiel, dem viele asiatische Schwellenländer folgten.8 Die exportstimulierende Seite einer weltmarktorientierten Industriepolitik nach japanischem Vorbild ist in den letzten Jahren unter dem Stichwort strategic trade policy theoretisch erstmals konsistent aufgearbeitet und ansatzweise auf mögliche Schlussfolgerungen für die Handels- und Wettbewerbspolitik hin untersucht worden. Allerdings konnte bislang im Wesentlichen nur gezeigt werden, dass bei economies of scale – die japanische Unternehmen gezielt ausnutzten – und bei technologisch aufholenden großen Ländern möglicherweise eine temporäre Importbeschränkung national wohlfahrtssteigernd wirken kann. Die (führenden) marktwirtschaftlichen Industriestaaten bedürfen der Freihandelspolitik nach außen und der Wettbewerbspolitik nach innen, um eine optimale Allokation sicherzustellen. Freihandel und freier Wettbewerb können allerdings zeitweise durch unkoordiniertes Parallelverhalten von Akteuren zu instabilen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen führen und zu kumulativen Abwärtsprozessen mit Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche beitragen: Damit würden jedoch die internen politischen Voraussetzungen für Freihandel, freien Kapitalverkehr und Wettbewerb geschwächt. Besonders in der Rezession werden seitens der von der Nachfrageschwäche getroffenen Industrien Forderungen nach Protektionismus laut sowie Versuche zur Einschränkung von Wettbewerb unternommen. Rationale Wirtschaftspolitik als konsistenter Versuch der Gestaltung des Wirtschaftslebens sollte die prozesspolitische Problematik nationaler und internationaler Wettbewerbs- und Außenwirtschaftsprozesse bei der Ordnungspolitik berück7

8

Zur Diskussion um nationale und internationale ordnungspolitische Reformaspekte siehe GIERSCH (1987); CASSEL et al. (1988); STREIT (1988). Siehe als Überblick zur Industriepolitik-Debatte: JOHNSON (1984); eine knappe Darstellung der weltmarktorientierten Industriepolitik in Japan geben BALASSA/NOLAND (1988), Kap. 2.

F.11 Internationalisierung der Wirtschaft und Theorie der Wettbewerbspolitik

741

sichtigen. In der Prozesspolitik sind zugleich die positiven ordnungspolitischen Effekte wirtschaftlicher Stabilität in der Marktwirtschaft zu bedenken, denn eine relativ stabile Wirtschaftsentwicklung wird die politische Legitimität einer liberalen und nach außen offenen Wirtschaftsordnung fördern. Da Wettbewerbsprozesse zunehmend eine internationale Dimension aufweisen, kommt den mikroökonomischen Konsequenzen einer makroökonomischen Industriepolitik, die auf die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ausgerichtet ist, erhebliche Bedeutung zu. Komparative Vorteile von Ländern und Regionen – also auch die daran geknüpften Handelsströme – können angesichts des technischen Fortschritts und der wachsenden Bedeutung des Produktionsfaktors Technologie durch die Wirtschaftspolitik beeinflusst werden; neben natürlichen komparativen Vorteilen treten erworbene komparative Vorteile, die ihr Entstehen auch staatlicher Forschungsförderung verdanken. Diese kann bestehende komparative Vorteile verstärken aber auch eine Änderung der Felder mit komparativen Vor- bzw. Nachteilen zur Folge haben – Letzteres verzerrt den internationalen Wettbewerb. Innovationen wiederum, die durch das weltweite System interdependenter Märkte und Unternehmen diffundieren, verändern im Verlauf eines konkurrenzgeprägten Anpassungsprozesses wiederum relative Faktorkosten und Produktivitäten von Industrien und Regionen: daher also auch Richtung und Struktur der internationalen Handelsströme. Die Notwendigkeit einer integrierten Analyse der Handels-, Wettbewerbs- und Industriepolitik für bestimmte Fragestellungen erhält ihren hohen Stellenwert für eine problemadäquate Wirtschaftspolitik insbesondere aus den anhaltenden Tendenzen zur Internationalisierung von Märkten und Unternehmen. Da die Allokation der Ressourcen heute in einem internationalen, stark durch Handel und multinationale Unternehmen geprägten Rahmen erfolgt, kann das Problem der optimalen Ressourcenallokation kaum mehr zweckmäßig allein als nationales (isoliertes) Problem aufgefasst werden. Quantitativ und qualitativ neue Unternehmensstrukturen einerseits und neue innovationsorientierte Wachstumsfelder andererseits, die in der Marktexpansionsphase stark von economies of scale geprägt sind, führen zu einer gewandelten Problemstellung hinsichtlich der statischen und dynamischen Wettbewerbseffizienz. Direktinvestitionen und neue internationale Kooperationsformen Folgt man der modernen Theorie der Unternehmung,9 die Transaktionen über Märkte und in Unternehmen als Alternativen ansieht, die unter dem Gesichtspunkt relativer Ertragschancen und -risiken gewählt werden, so deutet die wachsende Bedeutung der Multinationalisierung der Unternehmen auf relativ hohe Kosten bzw. Risiken der Kapitalwertmaximierung – verstanden als typische Zielvorgabe des Managements – durch internationale Markttransaktionen hin. Die Unternehmen (bei vertikalem „Handel“ via Märkte bzw. im Konzern) ziehen bei relativ zu den Markttransaktionskosten und -risi-ken geringen firmeninternen Wachstumskosten die Multinationalisierung vor. Gerade wissensintensive In-

9

Siehe als Überblick WILLIAMSON (1981).

742

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

dustrien, deren Bedeutung in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat,10 entscheiden sich angesichts des unvollständigen internationalen Verwertungsschutzes für eine Strategie der Multinationalisierung als bevorzugte Alternative gegenüber Lizenzvergabe und Technologiehandel auf Märkten (preisvermittelte Transaktionen außerhalb des Netzes verbundener Unternehmen). Als Folge des Wachstums multinationaler Unternehmensaktivitäten sind die Direktinvestitionen in den 80er Jahren deutlich gestiegen. In den 90er Jahren entstanden in Asien und Osteuropa neue Direktinvestitionsschwerpunkte. Die nominalen Wachstumsraten der Direktinvestitionen waren in den 80er Jahren doppelt so hoch wie beim Welthandel. Unternehmensneugründungen im Ausland spielten gegenüber dem externen Unternehmenswachstum eine vernachlässigbare Rolle. In den 80er Jahren nahmen vor allem in den USA und Großbritannien die Übernahmeaktivitäten zu, wobei Käufe durch Ausländer besonders in den USA von Bedeutung waren. Die in den 80er Jahren erfolgten Privatisierungen von Unternehmen in verschiedenen europäischen Ländern erweiterte gerade in den EU-Ländern das Übernahme-Menü beträchtlich, was sich insbesondere in Großbritannien zeigte, wo geplante US-Übernahmen britischer Hersteller zu politischen Auseinandersetzungen führten. Als Tendenzaussage lässt sich feststellen, dass die grenzüberschreitenden Merger&Acquisition-Aktivitäten in den 80er und 90er Jahren quantitativ und qualitativ an Gewicht gewonnen haben. Darüber hinaus hat sich mit der Systemtransformation der Ex-RGW-Länder die Menü-Karte für internationale Übernahmen erweitert. Zugleich hat die Bedeutung neuer Kooperationsformen im Unternehmensbereich zugenommen. Diese Entwicklung wird seit den späten 70er Jahren auch in der Literatur diskutiert (Überblick: RATH, 1981a). Wichtige Formen sind hier Cross-Licensing, Joint Ventures oder Gegenlieferungsverträge. Die gestiegenen F&E-Aufwendungen stellen in den Hochtechnologie-Industrien einen wichtigen Anreiz für derartige neue Kooperationsformen dar. Das Wachstum der multinationalen Unternehmen schafft Probleme für die nationale Wettbewerbspolitik, doch entstehen u.U. auch neue Wettbewerbsimpulse. Dies gilt nicht nur für das Gastland. Auch Exporte multinationaler Tochterfirmen in Drittländer können zum internationalen Wettbewerb beitragen. Schließlich ist denkbar, dass die internationale Wettbewerbsintensität zwischen den Firmen abnimmt, dass aber durch erhöhtes intrapreneurship (Unternehmertum innerhalb der Firma) die Flexibilität und Innovativität innerhalb der Großunternehmen zunimmt. Ein Steigen des Dezentralisierungsgrades in Großunternehmen könnte unter bestimmten Bedingungen der Wirkung wachsender Unternehmenskonzentration entgegenwirken. Der Dezentralisierungsgrad eines Wirtschaftssystems ist mit abhängig vom Ausmaß an Dezentralisierung in den Unternehmen. Neben Schumpeterschem Entrepreneurship wird man daher zunehmend das Intrapreneurship stellen:11 Die Frage stellt sich, wie kreative, kommerzielle Neue10 11

Vgl. OECD (1987.1). Siehe zu einer an Fallbeispielen orientierten Untersuchung der Bedeutung von intrapreneurship PINCHOT (1985).

F.11 Internationalisierung der Wirtschaft und Theorie der Wettbewerbspolitik

743

rungen in Unternehmen entstehen und in in- und ausländische Tochterunternehmen diffundieren bzw. unter welchen Umständen dies – wie offensichtlich in vielen "Mammutkonzernen" sozialistischer wie kapitalistischer Staaten – eben nicht geschieht. Die Frage nach der innovatorischen Binnendynamik im Konzern ist auch deshalb so wichtig, weil der internationale Technologiehandel weithin als Intra-Firmen-Handel anzusehen ist. In der Bundesrepublik Deutschland entfielen in den 80er Jahren 75 vH der Einnahmen im grenzüberschreitenden Patent- und Lizenzverkehr auf Firmen mit ausländischen Tochtergesellschaften, während es auf der Ausgabenseite rund 80 vH der Ausgaben waren und quasi einen Reflex konzerninternen Technologiehandels darstellte. Mit entscheidend für eine adäquate Beurteilung der Wettbewerbsproblematik von firmeninternen Transaktionen und von internem und externem Unternehmenswachstum dürften von daher die Unternehmensorganisation, die Führungs-, Verhaltens- und Konfliktregelungsgrundsätze sowie die Bedingungen für Firmeneintritt und -austritt und für kreative, hinsichtlich Unternehmensneugründung ambitionierte Mitarbeiter sein. Die Theorie der Unternehmensverfassung bietet sich hier als geeigneter Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen unmittelbar an.12 F.11.2 Wirtschaftspolitische Konsequenzen der Internationalisierung von Märkten und Unternehmen

Wettbewerbspolitisch unbedenklich dürften teilweise die neuen Kooperationsformen sein, soweit diese kleine und mittlere Anbieter auf dem Weltmarkt zusammenführen. Doch muss bei einer Kooperation der großen internationalen Konzerne auf wettbewerbsbeschränkende Praktiken und Effekte geachtet werden. Gerade diese Konzerne aber sind es, auf welche die wirtschaftlich und technologisch bedeutendsten Kooperationsabkommen entfallen. Die erhebliche ordnungspolitische Bedeutung internationaler Großunternehmen ergibt sich durch ihr quantitatives Gewicht und die raumwirtschaftliche Flexibilität, die sie aufgrund ihrer multinationalen Produktionsstruktur haben. Die größten 600 multinationalen flexiblen Produktionsunternehmen vereinigten Mitte der 80er Jahre rund ein Viertel der weltweiten Wertschöpfung in Industrie und Landwirtschaft auf sich, wobei auf die 69 größten Firmen rund 50 vH der Umsätze der 600 Umsatzmilliardäre entfallen.13 Ein zunehmender Anteil des Welthandels (rund 50 vH) wird von multinationalen Firmen abgewickelt, wobei rund 1/3 des Welthandels Intra-Firmen-Transaktionen darstellten. Darüber hinaus spielen die multinati12

Die Theorie der Unternehmensverfassung und – allgemeiner die Property-rights-Theorie – bieten sich als Ausgangspunkt für die Erklärung der unterschiedlichen Innovations- und Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Unternehmenstypen (z.B. sozialistisches Kombinat versus kapitalistischer Konzern) an. Siehe hierzu SCHÜLLER (1988); siehe auch LEIPOLD/SCHÜLLER (1986). Zur Innovationsproblematik siehe auch WELFENS/ BALCEROWICZ (1988). 13 Vgl. UNCTC (1988).

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Kapitel F. Wettbewerbspolitik

onalen Unternehmen eine zunehmend wichtige Rolle als im Grenzfall weltweit präsente Anbieter und Nachfrager von Gütern und Dienstleistungen auf den verschiedenen Verarbeitungsstufen. Multinationale Unternehmen, die in immer größere Dimensionen hineinwachsen und die i.d.R. besonders in der Hochtechnologie-Industrie präsent sind, tragen zur grenzüberschreitenden Organisation und zum internationalen Zusammenwachsen von Märkten entscheidend bei.

F.12 Wettbewerb in Netzindustrien Eine wichtige Problematik der Wettbewerbspolitik betrifft den Wettbewerb im Infrastrukturbereich bzw. bei Netzindustrien: Eisenbahn, Straßenverkehr, Flugverkehr, Telekommunikation, Elektrizitäts- und Gaswirtschaft sowie Wasserwirtschaft sind hier relevante Felder. Der Infrastrukturbereich besteht aus den Bereichen • Infrastrukturerstellung, • Infrastrukturnetzbetrieb, • Infrastrukturdienste. Grundsätzlich ist zu prüfen, ob hier eine Bereitstellung über Märkte bzw. private Anbieter sinnvoll erfolgen kann und in welchen Bereichen wettbewerbspolitische sektorale Sonderregeln – so genannte Regulierungen – gelten sollen. Die Infrastrukturerstellung kann ohne Weiteres privat (und im Wettbewerb) erfolgen. Bei den Bereichen Netzbetrieb und Infrastrukturdienste ist zu prüfen, ob beide Bereiche unmittelbar verknüpft sind bzw. ob aus einer unternehmerischen Verknüpfung bedeutende Kostensenkungseffekte erwachsen. Umstritten ist etwa, ob es Verbundvorteile im Verhältnis von Eisenbahnnetzbetrieb und Zugverkehr gibt. Gibt es keine solchen Verbundvorteile, dann wäre es vernünftig, eine unternehmerisch separierte Netzgesellschaft einerseits und eine oder mehrere Zugverkehrsgesellschaften andererseits zu haben. Ein anderer Problemfall ist das so genannte natürliche Monopol, das sich als Problem im Fall sinkender Grenzkosten k’ (und Durchschnittskosten k) ergibt: Es bestehen Massenproduktionsvorteile. Gibt es in einer Ausgangssituation mehrere Unternehmen, dann wird sich das aggressivste am Markt durchsetzen. Wenn Unternehmen X auf aggressive Weise Unternehmen X1, X2, Xn übernimmt, dann vergrößert sich dessen Markanteil bzw. die Ausbringungsmenge, was zu Kostenvorteilen führt. Dieser Prozess geht solange voran, bis schließlich auch das letzte Unternehmen übernommen worden ist. Dann aber kann das Monopolunternehmen einen im Vergleich zum „Wettbewerbspreis“ deutlich erhöhten Monopolpreis festsetzen. Der Monopolpreis p0 ist – wie nachfolgende Abbildung F.9 zeigt – höher als der Wettbewerbspreis p2 im Punkt D, der einer Deckung der Durchschnittskosten k entspricht. Den Monopolpreis ermittelt man im Fall von Gewinnmaximierung (und gegebener linearer Nachfragekurve DD0 bzw. p=a-bq und entsprechender Grenzerlöskurve R’ – Letztere zeigt die Änderung des Erlöses R bei Änderung der

F.12 Wettbewerb in Netzindustrien

745

Menge q) dadurch, dass man den Schnittpunkt von R’-Kurve und Grenzkostenkurve k’ bildet (Punkt B) und den zugehörigen Preis auf der Nachfragekurve im Punkt C („Cournot-Punkt“) abliest. Die Absatzmenge im Monopol ist q0; der Stückgewinn entspricht der Strecke B’C, und der Gewinn entspricht der Fläche des Rechtecks P0CB’A. Volkswirtschaftlich optimal wäre die Menge q1, bei der der Preis den Grenzkosten entspricht: Diese Menge (q1) ist wesentlich größer als die Monopolmenge. Allerdings entsteht hier dann ein Stückverlust, der der Differenz von Durchschnittskostenkurve (k) und dem Preis p1 entspricht, so dass der Gesamtverlust der Fläche p2FEp1 entspricht. Man beachte: R’=dR/dq, ist also die Ableitung der Erlöskurve R=pq=aq-bq2, was offensichtlich R’= a-2bq impliziert, so dass die R’-Kurve doppelt so steil wie die Nachfragekurve verläuft, also die Abszisse auf der Hälfte der Strecke 0Z im Punkt H schneidet. Es ist klar, dass eine Monopolposition für die Güterversorgung sehr unvorteilhaft ist, denn die realisierte Menge im Monopol ist viel kleiner als bei Wettbewerb und der Preis viel höher (p0 statt p2 bei Wettbewerb in Verbindung mit einer Preissetzung auf Basis der durchschnittlichen Stückkosten). Das heißt auch, dass die Beschäftigungsmenge im Monopol geringer ist als bei Wettbewerb. Die Löhne der Beschäftigten dürften allerdings recht hoch sein, jedenfalls wenn die Gewerkschaften in den Lohnverhandlungen erreichen, dass ein Teil der hohen Unternehmensgewinne als eine Art Bonuszahlung an die Beschäftigten geht. Handelt es sich beim betreffenden Sektor um Infrastrukturdienste (z.B. Bahn, Telekommunikation, Autobahn), die als Vorleistungen in der Produktion anderer Güter erforderlich sind, so würde ein Regimewechsel von einer Monopolpreisbildung auf eine Durchschnittskostenbildung dazu führen, dass die Angebotskurven in allen Sektoren sich nach unten verschieben: Infrastrukturliberalisierung in Verbindung mit adäquater Preisregulierung in Analogie zu Wettbewerb wird daher gesamtwirtschaftlich expansiv wirken. Es sind von daher seitens des Staates sinnvolle Vorgaben zu treffen, dass eben in der Stromwirtschaft, der Telekommunikation, dem Eisenbahn- und Autoverkehr, bei der Wasserwirtschaft und im Gassektor keine Monopolpreisbildung zustande kommt. Allerdings kann selbst ein monopolistischer privater Autobahnbetreiber nicht ohne Weiteres einen „sehr hohen“ Monopolpreis setzen, da einerseits Ausweichmöglichkeiten für Auto- und LKW-Fahrer auf Landstraßen bestehen. Andererseits sind natürlich auch die Bahn und ggf. das Flugzeug oder auch das Fahrrad alternative Transportmöglichkeiten. Je eher aus Nachfragersicht alternative Substitutionsmärkte bestehen, umso flacher wird die Nachfragekurve im Maut-Autobahnmarkt verlaufen. Im Übrigen ist auch denkbar, dass der Staat vom Maut-Autobahnbetreiber – in einem entsprechenden Vertrag – eine Preissetzung auf Basis der Durchschnittskosten (inkl. normaler Kapitalrendite) verlangt: Es besteht dann also eine Preisregulierung. Sofern der Staat nicht in Höhe des im natürlichen Monopol eintretenden Verlustes eine Subvention an die Unternehmen bzw. das einzige Unternehmen zahlt, könnte der Staat ggf. die Unternehmen bzw. Nachfrager ermutigen, eine Art „Clubcard-Lösung“ zu realisieren: Jeder Nachfrager, mit einer Menge größer x erhält einen Preisrabatt (was im Grenzfall auf eine Preissetzung gemäß Grenzkosten hinausläuft), sofern der Nachfrager zu Periodenbeginn eine Art Club-Beitrag an das Unternehmen zahlt. Die Einnahmen aus dem Clubcard-Verkauf müssten im

746

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

Idealfall den Unterschied zwischen Stückkosten und Preis decken. Nachfrager mit geringer Menge müssten jeweils zumindest den Durchschnittspreis p bezahlen. Gibt es mehrere Unternehmen bzw. Wettbewerb, so fördert dies i. d. R. die dynamische Effizienz, also die Realisierung von technischem Fortschritt, die u.a. in Prozessinnovationen zum Ausdruck kommt: Dann verschiebt sich die Grenzkostenkurve k’ nach unten. Gibt es mehrere Anbieter in einem Sektor mit sinkenden Grenz- und Durchschnittskosten, dann kann der Punkt D oder gar E nicht realisiert werden, vielmehr wird das größte Unternehmen etwa im Punkt B oder B’ produzieren (sei hier angenommen: also Produktionsmenge q0). Aber für den Fall, dass Wettbewerb die Kostenkurven entsprechend nach unten verschiebt, kann für die Nachfrager ggf. ein Preis unterhalb von p2 zustande kommen – nämlich dann, wenn der durch Wettbewerb stimulierte technische Fortschritt entsprechend stark ist – jedenfalls auch stärker als im Monopol.

p,k,k’ DD0 C

p0

B’ A

p1

D

B

p2 G

F E

H 0

q0

R’0

k k’

Z q2

q1

q

Abb. F.9. Natürliches Monopol als Problem der Politik

Wird eine Regulierungsbehörde beauftragt, den Preis auf Basis der langfristigen Durchschnittskosten festzulegen, dann ergibt sich zunächst das Problem, dass nur der Monopolist selbst die wahre Kostensituation kennt. Als Regulierungsformel bietet sich z.B. alternativ an, auf Basis eines Vergleichsmarktkonzepts vorzugehen (Yardstick-Competition), was die Existenz vergleichbarer Märkte mit Preisbildung auf Kostenbasis voraussetzt. Oder es wird eine Rate-of-returnRegulierung vorgenommen, die eine Obergrenze bei der Rendite festlegt, was aber negative Anreize im Sinn einer Kapitalfehlleitung hat, denn ein Unterneh-

F.12 Wettbewerb in Netzindustrien

747

men, dass etwa eine Kapitalrendite von 10% erzielen könnte, dem aber der Regulierer 5% als Obergrenze vorgibt, hat einen Anreiz, die Kapitalintensität bzw. den Kapitaleinsatz weiter zu erhöhen – bei steigendem Kapitaleinsatz fällt dann die Rendite in der Regel. Insgesamt wird also zu kapitalintensiv produziert. Schließlich kann eine Preiskappungsregel eingeführt werden, die vernünftige Effizienzanreize gibt. Eine „Price cap regulation“ erfolgt nach dem Prinzip „Inflationsrate minus x“, wobei x die geschätzte Produktivitätszuwachsrate ist. Vermag ein Unternehmen eine überdurchschnittlich hohe Produktivitätszuwachsrate – oberhalb von x – zu erzielen, kann die Firma den Zusatzgewinn behalten. Daher gehen von einer solchen Regulierung effizienzförderliche Verhaltensanreize für die Unternehmen aus. Eine Preiskappungsregel der geschilderten Art wird in vielen EULändern im Bereich der Festnetz-Telekommunikation seit dem von der EU vorgegebenen Liberalisierungsjahr 1998 angewendet. Der Price cap bezieht sich dabei häufig auf einen Korb von Leistungen. Es gibt aber auch einzelne Preisvorgaben der Regulierungsbehörde, etwa wenn es darum geht, zu welchem Preis Dritte den Teilnehmernetzzugang vom Ex-Monopolisten – mit dominanter Marktstellung – mieten können. Eine wichtige Frage für das Einschreiten des Regulierers ist, ob ein bestimmtes Unternehmen auf dem relevanten Markt Marktmacht hat: Es kommt daher in der Praxis unmittelbar auf eine sinnvolle Marktabgrenzung an. Die Marktmacht eines Anbieters ist vergleichsweise gering, wenn es viele Substitutions-produkte gibt. Die entsprechende Verbindung zweier Märkte i und j kann über die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage gemessen werden: Sie gibt an, um wie viel Prozent die mengenmäßige j-Nachfrage sich verändert, wenn der i-Preis um 1% steigt. Bei hoher Substitutionalität wird die bei 1%-Preiserhöhung erfolgende zusätzliche j-Nachfrage prozentual stark zunehmen. Ein besonderes Problem sind schließlich Bündelprodukte, die ein in Markt i dominanter Anbieter – eine Firma mit Marktbeherrschung – verkauft. Während im Wettbewerbsprozess sich ergebende marktübliche Produktbündelungen als unproblematisch aus wettbewerbspolitischer Sicht gelten, ist eine Produktbündelung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen zunächst als problematisch anzusehen: Es besteht die Gefahr, dass die Marktbeherrschung aus dem i-Markt in den j-Markt übertragen wird. Durch die Produktbündelung versucht der im i-Markt marktbeherrschende Anbieter, die Nachfragekurve auch im j-Markt weniger elastisch zu machen. Mehr noch, es werden Firmen, die bisher nur im j-Markt anbieten, faktisch gezwungen, auch im i-Markt anzubieten, wo der Marktbeherrscher z.B. durch Dumping-Preise (Verkauf unter Kosten) bzw. wettbewerbswidrige Kampfpreise die Konkurrenten aus dem Markt verdrängen kann bzw. zu verdrängen drohen kann. Ein besonderes wettbewerbspolitisches Problem entsteht, wenn vertikal integrierte Unternehmen vorliegen, etwa ein Elektrizitätsunternehmen, das Strom erzeugt und zugleich im Besitz eines Überland- und regionalen Verteilernetzes ist. Aus ökonomischer Sicht ist es keineswegs sinnvoll, dass jeder Stromproduzent sein eigenes Stromnetz aufbaut – hier droht eine Verschwendung von Ressourcen. Daher sollten, wenn dies von staatlicher Seite verlangt wird, externe Anbieter Zugang zum Netz (gilt für Eisenbahnverkehr, Stromnetz, Telekommunikationsnetz von dominanten Unternehmen bzw. Firmen mit Marktmacht – z.B. definiert durch einen Marktanteil größer X), zu einem Preis, der den langfristigen Grenzkosten

748

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

entspricht, erhalten. Dies durchzusetzen kann Aufgabe einer sektorspezifische Regeln durchsetzenden Regulierungsbehörde sein. Eine vielfach angewendete Preissetzungsregel – für einen Güterkorb des Leistungsanbieters – schreibt eine Preissetzungsformel auf Basis von Großhandelspreisindexänderungsrate minus erwarteter Produktivitätswachstumsrate vor. Dadurch soll ein Anreiz für Unternehmen stehen, mögliche Kostensenkungsfortschritte auch zu realisieren.

Anhang F.1 Konkurrenz in Raumwirtschaftsmodellen

749

Anhang F.1 Konkurrenz in Raumwirtschaftsmodellen International wie regional von besonderem Interesse sind Raumwirtschaftsmodelle des Marktprozesses. Eine Annahme des Standardmodells, nämlich punktförmiger Markt, wird aufgegeben. Damit lässt sich die Rolle der Transportkosten, der Bevölkerungsverteilung im Raum (Bevölkerungsdichte) und der räumlichen Unternehmensverteilung (Standortverteilung) analysieren. Die sich im Raumwirtschaftsmodell ergebenden preistheoretischen Überlegungen führen teilweise zu anderen Überlegungen als das Standardmodell: • Einige Formen raumwirtschaftlicher Konkurrenz führen zum Ergebnis, dass der Monopolpreis (bei einem regionalen Monopol) niedriger liegt als bei vollständigem Wettbewerb. • Die Gleichgewichtspreise hängen wesentlich davon ab, wie das Unternehmen i die Preisreaktion vom rivalisierenden Unternehmen j einschätzt. Die so genannte konjekturale Variation, nämlich die Mengenreaktion von i auf Produktionsmengenänderungen von j ist von großer Bedeutung für die Preisbildung. Als drei wichtige Fallunterscheidungen der Anbieter-Interdependenz können dabei gelten: a) LÖSCH-Wettbewerb, bei dem Anbieter i annimmt, dass andere Unternehmen j ein Parallelverhalten zeigen werden; b) HOTELLING-SMITHIESWettbewerb – was BERTRAND-NASH-Verhalten im punktförmigen Markt entspricht –, wonach Unternehmen i annimmt, dass andere nicht reagieren werden; c) GREENHUT-OHTA-Wettbewerb, wobei Unternehmen i annimmt, dass es an der Marktgrenze seines Absatzraumes einen festen, bekannten Schwellenwert gibt. LÖSCH-Wettbewerb wird zu einem Preisniveau bei Wettbewerb führen, dass über dem Monopol-Fall liegt. HOTELLING-SMITHIES-Wettbewerb führt zu einem Preisniveau, das bei Wettbewerb oberhalb oder unterhalb des Preises eines räumlichen bzw. lokalen Monopolisten liegen wird. GREENHUT-OHTAWettbewerb führt stets zum niedrigsten Wettbewerbspreis. Unter geeigneten Bedingungen führen HOTELLING-SMITHIES-Wettbewerb und GREENHUTOHTA-Wettbewerb stets zu den folgenden Ergebnissen: 1. Wenn Transportkosten oder Fixkosten sich dem Wert Null annähern, so geht der Wettbewerb in das Standardmodell des punktförmigen Marktes über: Der Marktpreis stimmt mit den Grenzkosten überein. 2. Erhöhungen der Grenzkosten, der Fixkosten und der Transportkosten führen zu einem Preisanstieg (Übereinstimmung mit Standardanalyse). 3. Wenn Newcomer in den Markt eindringen, so werden die Preise bei intensivierter Konkurrenz sinken. 4. Die Preise werden bei erhöhter Bevölkerungsdichte längerfristig sinken. Bei LÖSCH-Wettbewerb gibt es anormale Ergebnisse, denn dann gelten (3.) und (4.) gerade nicht, und ein Anstieg der Transportkosten wie der Fixkosten führt zu einem Preisverfall, während erhöhte Grenzkosten keine eindeutigen Preisreaktionen auslösen. Bei einer Vielzahl von Anbietern im Raum kann man annehmen,

750

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

dass Firma i nicht auf j reagiert, denn jedes Unternehmen repräsentiert nur einen kleinen Marktanteil bzw. einen Tropfen in den Wogen des Wettbewerbs. Wenn allerdings nur wenige Firmen im Raum agieren, so ist eine bewusste Reaktionsinterdependenz der Anbieter recht wahrscheinlich. LÖSCH-Wettbewerb könnte relevant sein. Im Übrigen wurde in der Literatur gezeigt (BENSON, 1980; OHTA, 1980), dass bei bestimmten Formen der Nachfragekurve keine anormalen Ergebnisse für den Fall von LÖSCH-Wettbewerb auftreten. Raumwirtschaftliches Grundmodell Das einfache raumwirtschaftliche Grundmodell geht davon aus, dass die Anbieter entlang einer Linie lokalisiert sind und ein homogenes Produkt angeboten wird. Jeder Anbieter ist ein lokaler Monopolist. Es herrscht eine einheitliche Verteilung der Nachfrager im Raum, wobei jeder Nachfrager – bei normaler individueller Nachfragekurve – beim preiswertesten Anbieter kauft. Die Frachtkosten sind linear abhängig von Transportmenge und Entfernung. Der Angebotspreis hängt von der Entfernung r zum Kunden ab und ergibt sich als Ab-Werk-Preis h plus Transportkostensatz tr: p(r ) = h + tr

(F.1)

Für die individuelle Nachfrage gilt die implizite Funktion: q(r ) = f ( p(r ))

(F.2)

die partielle Ableitung fP hHS > hGO

(F.12)

Wer sich wie bei LÖSCH-Wettbewerb verhält, der wird den höchsten AbWerk-Preis verlangen, der HOTELLING-SMITHIES-Wettbewerber einen niedrigeren und der GREENHUT-OHTA-Wettbewerber den niedrigsten. In der obigen Abbildung bezeichnet p0 den angenommenen Schwellenwert-Preis aus Sicht des GO-Anbieters. Es lässt sich weiter zeigen, dass für die GesamtNachfrageelastizität bei bekanntem Nachfrageradius R gilt: Ei(R,h) = e1(R,h) + vimg(R)

(F.13)

Es gilt daher das folgende Theorem, das auf die Abhängigkeit der Nachfrageelastizität vom Anbieterverhalten hinweist: In einem Markt mit bekanntem Radius ist die Nachfrageelastizität eine zunehmende Funktion und der Ab-Werk-Preis eine abnehmende Funktion der konjekturalen Variation, die Anbieter hinsichtlich der erwarteten Marktradius-Ausdehnung bei vermindertem Ab-Werk-Preis anwenden.

Anhang F.1 Konkurrenz in Raumwirtschaftsmodellen

753

Die Elastizität der Nachfrage erhält im raumwirtschaftlichen Modell eine besondere Dimension. Im Raumwirtschaftsmodell gibt es zwei Einflussfaktoren auf die Preisbildung: die Nachfragekurve einerseits und andererseits den Wettbewerbseffekt; Letzterer wird nur bei LÖSCH-Wettbewerb ignoriert, denn dort wird ein lokaler Monopolist nur auf die Nachfragesituation sehen. Andere Wettbewerbsformen werden den Sachverhalt berücksichtigen, dass jede Preispolitik sowohl die Nachfrage innerhalb des bestehenden Marktes (mit Radius R) aber auch den Marktradius selbst berührt. Das LÖSCH-Unternehmen glaubt, dass Preisänderungen von Konkurrenten genau nachvollzogen werden, so dass es seinen Absatzradius für fixiert hält und sich daher als räumlicher Monopolist verhält. Ein HS-Unternehmen wird hingegen annehmen, dass das andere Unternehmen seinen Preis konstant hält, so dass das HSUnternehmen von einer relativ elastischen Nachfragekurve d'd' ausgehen wird (vgl. Abb. F.10.): Eine Preissenkung wird nämlich einen Nachfragezuwachs und zugleich eine Ausdehnung des Marktradius ergeben. Das GO-Unternehmen erwarte einen noch größeren Zuwachs an Markt-Radius als Reaktion auf eine Senkung des Ab-Werk-Preises bzw. einen noch größeren Wettbewerbseffekt bei Preissenkungen: Das GO-Unternehmen verhält sich so, als sei die Nachfragekurve d"d" maßgeblich. Ab-Werk-Preissetzung unterscheidet sich von einheitlicher Preissetzung, bei der alle Nachfrager zum selben Preis beliefert werden. Von der Bruttonachfragekurve bzw. der Bruttozahlungsbereitschaft sind die Transportkosten abzuziehen, um die Nettonachfragekurve zu erhalten. Die Brutto-Nachfrageelastizität – bei einem gegebenen Marktpreis bzw. Ab-Werk-Preis – ist größer (kleiner) als die Netto-Nachfrageelastizität für den Fall, dass der Nachfrageparameter x0) ist. Im Fall einer diskriminierenden Preissetzung wird der Ab-Werk-Preis von der Entfernung zum Nachfrager abhängen. Insgesamt kann man drei Preisstrategien unterscheiden: a) Ab-Werk-Preissetzung: pf= hf + tr; b) Einheitspreissetzung: pu (r) = hu = unverändert; c) Optimale Preisdiskriminierung und zwar bei linearer Nachfragekurve: pd(r)=h(r)+tr.

754

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

Ab-Werk-Preis (h)

DD0

h0 d‘‘d‘‘

d‘d‘

q0

q

Abb. F.11. Tatsächliche und antizipierte Nachfrage

Es lässt sich zeigen, dass bei diskriminierender Preissetzung das Unternehmen den halben Transportkostensatz absorbiert (-t/2). Die Produktionsmenge bei allen drei Preisstrategien ist gleich hoch, aber die Gewinne bei Preisdiskriminierung sind höher als bei Ab-Werk-Preissetzung und diese wiederum höher als bei Einheitspreissetzung. Die Konsumentenrente ist am höchsten bei Ab-WerkPreissetzung, niedriger bei diskriminierender Preissetzung und am geringsten bei Einheitspreissetzung; für den sozialen Zusatznutzen als Summe aus Produzentenrente und Konsumentenrente gilt dieselbe Reihenfolge. Überlappende Marktgebiete Geht man davon aus, dass jeder Anbieter im Markt des anderen zumindest eine Teilmenge absetzt, so erhält man überlappende Marktgebiete. Im Fall eines Linienmarktes mit dem Anfangspunkt O und dem Endpunkt R kann man sich n1 Anbieter in O und n2 Anbieter in R vorstellen. Die Distanz OO' sei mit T bezeichnet und r sei der Abstand von O. Der gewinnmaximierende Preis in der Konstellation von GG-Wettbewerb (GREENHUT/GREENHUT, 1975) lautet: 1 (F.14) p(r )[1 − ] = c + T (r ) E (r )n wobei E(r) die Nachfrageelastizität im Punkt r in Bezug auf den Angebotspreis p(r) ist und T(r) den durchschnittlichen (!) Transportkostensatz aller Firmen, die im Punkt r absetzen, darstellt. Jedes Unternehmen realisiert im Gleichgewicht die Übereinstimmung von Grenzerlös und Summe aus Grenzkosten und durchschnittlichen Transportkosten. Wenn der Nachfrageparameter x>0 beträgt, so wäre die

Anhang F.1 Konkurrenz in Raumwirtschaftsmodellen

755

optimale Preisdiskriminierungspolitik so, dass die weiter entfernten Nachfrager einen geringeren Ab-Werk-Preis zahlen als nahe am Werk wohnende. Statt Transportkosten könnte man auch Lagerkosten oder Informationskosten setzen, die von der zeitlichen Entfernung zum Lieferdatum (statt Lieferpunkt im Raum) oder vom Bildungsniveau des Adressaten positiv abhängen. Schließlich könnte man unter Distanz auch die subjektive Entfernung des Nachfragers von seiner ersten Wahl beim Einkaufen eines Produktes verstehen. Bei einer linearen Nachfragekurve würde der Anbieter die Hälfte der Distanzkosten tragen, die entstehen, wenn Nachfrager statt der bevorzugtesten Produktart eine zweite Wahl akzeptieren, nämlich nur ein Produkt mit ähnlichen Eigenschaften erwerben.

Anhang F.2 Industriepolitik als internationale Umlenkung von Monopolrenten In offenen Volkswirtschaften spielt der internationale Wettbewerb eine zunehmend wichtige Rolle. Freier Wettbewerb bzw. Freihandel kann aus Sicht eines Importlandes ein Problem werden, wenn auf wichtigen Importmärkten ein ausländischer Monopolist agiert. Ein Importzoll vermag dann Monopolgewinne (Monopolrenten) auf die inländischen Nachfrager z.T. umzulenken. Die Problematik kann anhand der nachfolgenden Abbildung F.12 verdeutlicht werden: Die inländische Nachfragekurve bzw. die Nachfrage auf dem Importmarkt ist DD0, während die Grenzkosten im Ausland k*0 betragen. Die Monopolsituation führt zu einer Importmenge q*0, die zum Preis p0 abgesetzt wird. Der Monopolgewinn ist gleich der Fläche EFCB; die Konsumentenrente entspricht dem Dreieck ZBC. Durch einen Importzollsatz z wird die relevante Grenzkostenkurve parallel nach oben verschoben. Gewinnmaximierend ist wieder der Schnittpunkt von (korrigierter) Grenzkostenkurve und Grenzerlöskurve R' (Punkt F'). Es wird nun die geringere Menge q*1 zum Importpreis p1 eingeführt. Der Monopolgewinn entspricht der Fläche E'F'C'A. Es kommt durch den Preisanstieg zu einem Wohlfahrtsverlust an Konsumentenrente in Höhe von AC'CB, wobei das Dreieck C'HC als deadweight loss zu bezeichnen ist (fällt niemandem zu und ist dauerhaft verloren). Die Konsumentenrente ist zwar gesunken, aber den Bürgern fließt indirekt – über Zolleinnahmen – ein Teil der ursprünglichen Monopolrente, nämlich das Rechteck EE'F'G zu. Sofern die Zolleinnahmen größer als der Verlust an Konsumentenrente sind, ergibt sich aus nationaler Perspektive ein Wohlfahrtsgewinn (SIEBERT, 1988). Anzumerken ist hier, dass der Wohlfahrtsgewinn vermutlich gering ausfällt, wenn die staatliche Bürokratie die Einnahmen unproduktiv verausgabt bzw. Steuersenkungen unterlässt. Denkbar wäre, dass eine schlanke Staatsbürokratie die Zolleinnahmen zugunsten einer weltmarktorientierten Industriepolitik verwendet, welche letztlich die Förderung neuer Anbieter im Importsektor anstrebt – ja letztlich international wettbewerbsfähige inländische Exporteure hervorbringen hilft, die ihrerseits auf ausländischen Märkten monopolistische Innovationsrenten realisieren. Dieses Argument für einen exportfördernden, letztlich den Weltmarktwett-

756

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

bewerb intensivierenden temporären Importschutz gilt allerdings allenfalls in technologisch rückständigen Ländern. Importschutz alleine wäre dem Wettbewerb national und international abträglich. p Z

A

p1 p0

C‘

B

E‘

H

C

F‘

k*0 (1+z) F

E

G

D

k*0

DD0 0

q*1 q*0

R‘

Abb. F.12. Importzoll bei Monopol im Ausland

q*

Anhang F.3 Nationale und internationale Wettbewerbsbehörden

757

Anhang F.3 Nationale und internationale Wettbewerbsbehörden Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Monopolkommission Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Adressen der Landeskartellbehörden

http://www.bmwi.de/ http://www.monopolkommission.de/ http://www.regtp.de/ http://www.bundeskartellamt.de/lkb_adressen.html

Dienstleistungsportal des Bundes

http://www.bund.de/

Europ. Kommission, GD Wettbewerb European Competition Authorities ECA OECD - Competition/Antitrust Policy Division World Trade Organisation International Competition Network (ICN)

http://europa.eu.int/comm/competition/ http://www.bundeskartellamt.de/eca.html http://www.oecd.org http://www.wto.org/ http://www.internationalcompetitionnetwork.org/

Belgien

http://mineco.fgov.be/

Bulgarien

http://www.cpc.bg/

Dänemark

http://www.ks.dk/

Estland

http://www.konkurentsiamet.ee/

Finnland

http://www.kilpailuvirasto.fi

Frankreich

http://www.conseil-concurrence.fr/ http://www.minefi.gouv.fr/

Großbritannien

http://www.oft.gov.uk/default.htm

Irland

http://www.tca.ie/

Italien

http://www.agcm.it/

Kanada

http://cb-bc.gc.ca

http://www.competition-commission.org.uk/

Lettland

http://www.competition.lv/

Litauen

http://www.konkuren.lt/

Niederlande

http://www.nmanet.nl/nl/; http://www.ez.nl/

Norwegen

http://www.konkurransetilsynet.no/

Österreich

http://www.bwb.gv.at

Portugal

http://www.dgcc.pt/

Rumänien

http://www.oficiulconcurentei.ro/

Schweden

http://www.kkv.se/

758

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

Schweiz

http://www.wettbewerbskommission.ch/

Slowakei

http://www.antimon.gov.sk/

Slowenien

http://www.sigov.si/uvk/

Spanien

http://www.mineco.es/dgdc/sdc/

Tschechien

http://www.compet.cz/

Ungarn

http://www.gvh.hu/

USA

http://www.usdoj.gov/atr/index.html http://www.ftc.gov/

Quelle: Bundeskartellamt

Anhang F.4 Marginalkalkül, Monopolpreissetzung, Regulierung Zu den bemerkenswerten Annahmen der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse gehört, dass Menschen Ziele bzw. Interessen verfolgen: Eine typische Annahme ist, dass die jeweils betrachteten Unternehmer, Individuen (Haushalte) oder Politiker eine Zielfunktion unter Nebenbedingungen – etwa Budgetbeschränkung oder technische Bedingungen – maximieren. Aus mathematischer Sicht geht es also im einfachsten Fall darum, die Nebenbedingung in die Zielfunktion einzusetzen und die erste Ableitung der Funktion zu bilden und Null zu setzen; dies ist die notwendige Bedingung für ein Maximum (die hinreichende Bedingung verlangt, dass die zweite Ableitung negativ ist). Von daher ist volkswirtschaftliche Analyse sehr oft eine Marginalanalyse; es kommt in der Regel nicht auf Durchschnittsgrößen – etwa durchschnittliche Steuersätze oder durchschnittliche Kosten – an. Es kommt bei Optimierungsentscheidungen auf Grenzsteuersätze (Steuerzahlung auf die letzte gerade verdiente Währungseinheit) bzw. Grenzkosten (Zusatzkosten bei einer Erhöhung der Produktionsmenge um 1) an! Eine Senkung des Durchschnittssteuersatzes wird von daher keine Investitionsimpulse bringen, solange dies nicht mit einer Senkung des Grenzsteuersatzes verbunden ist. Denn aus Investorsicht kommt es bei der Investitionsentscheidung darauf an, eine hohe marginale Nettorendite im Unternehmen zu erzielen: Ein mittelständisches Unternehmen mit zwei Produktionsstandorten, das als mögliche Alternative für eine Investition im Inland eine steuerfreie Investition im Ausland betrachtet - wo man annahmegemäß eine marginale Rendite (Rendite einer Nettoinvestition von 1) von r* erzielen kann -, wird einen Ausgleich der marginalen Renditen im In- und Ausland anstreben. Bezeichnet man die Mehrproduktion einer Nettoinvestition von 1 bzw. einer infinitesimalen Erhöhung von K im Inland als YK („Grenzprodukt des Kapitals“: dies sei eine negative Funktion des Kapitalbestandes K) und beträgt der einkommensabhängige Steuersatz τ, dann wird ein Investitionsgleichgewicht in der Firma gerade dann erreicht, wenn r* = YK[1τ(Yi)]: Es kommt hier also zum Ausgleich der Renditen im Aus- und Inland. Die Alternativrendite im Ausland ist r*, die inländische Rendite einer Nettoinvestition

Anhang F.4 Marginalkalkül, Monopolpreissetzung, Regulierung

759

von 1 steht rechts vom Gleichheitszeichen. Da YK(K) gilt – mit ∂YK/∂K0 gelte) –, sinkt mit erhöhter Nettoinvestition die inländische Nettorendite aus zwei Gründen: Je höher die Nettoinvestition, um so stärker der Anstieg beim Kapitalbestand und um so stärker fällt das Grenzprodukt des Kapitals; je höher K ist, um so höher auch der Gewinn bzw. der entsprechende im Personenunternehmen relevante Grenzsteuersatz. Es gilt im Fall eines Unternehmens, das bislang – ohne Nettoinvestition – 10.000 Euro Gewinn pro Periode erwartet: Eine Senkung des Grenzsteuersatzes ∂τ/∂Yi wird den optimalen Kapitalbestand erhöhen, was letztlich mehr rentable Nettoinvestitionen bedeutet und den Gewinn über 10.000 Euro treibt. Wenn zugleich der Steuersatz auf die ersten 1.000 Euro Gewinn bzw. Einkommen erhöht worden wären, hätte dies keinen Effekt auf die Höhe der Investitionen. Das in der Ökonomik wichtige Marginalkalkül kommt z.B. in der bekannten Maximierungsbedingung für gewinnmaximierende Unternehmen zum Ausdruck, wonach der Grenzerlös (die erste Ableitung der Erlösfunktion R=pq) gleich den Grenzkosten k’ (erste Ableitung der Kostenfunktion k(q) nach der Produktionsmenge q) sein muss. Ist in der hier betrachteten Volkswirtschaft das Unternehmen ein Preisnehmer, dann ist der Marktpreis gegeben und entsprechend ist der Grenzerlös R’ gleich dem Marktpreis p. Wenn eine normale Kostenfunktion – mit steigenden Grenzkosten und negativer Ableitung dk’/dq – vorliegt, dann gilt: k’(q) = p. Es wird vom Unternehmen die Produktionsmenge bereitgestellt, bei dem die Grenzkosten gerade dem gegebenen Marktpreis entsprechen. Lautet (mit Parametern b, b’>0; Fixkosten K) die Kostenfunktion einer Firma k= K+ bq2- b’q, dann sind die Durchschnittskosten kD= [K/q] + bq – b’; die variablen Kosten (Kosten ohne Fixkosten) betragen kV= bq2- b’q. Die Grenzkosten k’ betragen dk/dq= 2bq – b’. Die Bedingung k’=p wird erfüllt durch qopt=[p+b’]/2b, wobei wir von einer negativen zweiten Ableitung der Grenzkostenkurve an dieser Stelle ausgehen. Je höher der Marktpreis, desto höher die Angebotsmenge qopt für die Firma. Wenn es N gleiche Firmen gibt, dann beträgt das Marktangebot offenbar qs= N[p+b’]/2b. Nehmen wir an, dass die Marktnachfrage qd=a-a’p lautet, dann ergibt sich das Marktgleichgewicht durch Gleichsetzen von N[p+b’]/2b=a-a’p, woraus sich der Gleichgewichtspreis ergibt als p={a-[NB’/2b]}/{[N/2b]+a’}

(F.15)

Einsetzen des Gleichgewichtspreises in die Marktnachfragekurve ergibt die Gleichgewichtsmenge. Wichtig zu beachten ist, dass der Markt mittelfristig zusammenbrechen würde, wenn der Preis unter die variablen Kosten fällt. Denn die Unternehmen könnten die Fixkosten der Produktion nicht mehr am Markt verdienen, so dass in Abhängigkeit von der physischen Lebensdauer der Produktionsanlagen im Zeitablauf Anbieter nach und nach vom Markt verschwinden würden. Man beachte, dass bei ertragsgesetzlichem Verlauf der Kostenkurve das Minimum der Durchschnittskosten auf der Grenzkostenkurve liegt – dieser besondere Minimumpunkt bezeichnet das langfristige Betriebsoptimum. Eine Produktion gemäß Preis gleich Grenzkosten würde in diesem Fall nicht zu einem Verlust, aber auch nicht zu einem Gewinn – im Sinn eines Residualeinkommens – führen.

760

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

Gäbe es nur einen Anbieter, also einen Monopolisten, bzw. ein Kollektivmonopol (Kartell), dann würde man bei der Gewinnmaximierungsbedingung nicht davon ausgehen, dass der Marktpreis eine aus Sicht des einzelnen Anbieters gegebene Größe ist, sondern der Monopolist würde beachten, dass p=p(q). Die Gewinnmaximierungsbedingung führt nun auf k’=R’, wobei der Erlös nunmehr durch R=pq=[(a-q)/a’]q= (a/a’)q – (1/a’)q2 gegeben ist. Der eckige Klammerausdruck ist die nach p aufgelöste Nachfragefunktion, die dann bei R=pq für p eingesetzt wird. Der Grenzerlös dR/dq beträgt demnach R’=(a/a’) - (2/a’)q, was im R’q-Diagramm eine in q fallende Gerade darstellt. Die Steigung ist gerade doppelt so groß wie die Steigung der Nachfragekurve, weshalb der Schnittpunkt der R’Kurve mit der Mengenachse bei linearer Nachfragekurve immer auf der halben Höhe der Sättigungsmenge zu finden ist (der Anfangspunkt der R’-Kurve ist derselbe wie bei der Nachfragekurve). Nimmt man zur Vereinfachung konstante Grenzkosten k’ an, dann lässt sich grafisch das Marktgleichgewicht bei Wettbewerb ebenso einfach ermitteln wie im Fall des Monopols: Bei Wettbewerb gilt Preis=Grenzkosten, so dass das Marktgleichgewicht sich aus dem Schnittpunkt von Grenzkostenkurve k’o und Nachfragekurve ergibt. Im einfachen Monopolfall bestimmt der Schnittpunkt von k’0 und Grenzerlöskurve R’ die gewinnmaximale Produktionsmenge, wobei auf der Nachfragekurve der entsprechende Monopol-Marktpreis abzulesen ist (CournotMonopollösung). Entsprechend der gewinnmaximalen Produktionsmenge würde der Monopolist die Produktionskapazität planen. In der Realität ist es aber selbst für einen Monopolisten nicht immer einfach, die optimale Produktionsmenge zu bestimmen, da die Nachfrage ja im Zeitablauf schwankt. Entsprechend schwierig ist die Planung der Produktionskapazität. Was geschieht, wenn die Nachfragekurve sich im Monopol wiederholt ändert? Wir betrachten nachfolgend einfach Drehungen der Nachfragekurve im Punkt der Sättigungsmenge: Es steigt die Nachfragekurve einmal an (DD3), einmal sinkt (DD2) sie gegenüber einer Normalsituation DD1. Diese Konstellation mit Nachfrageverschiebungen im Zeitablauf könnte konjunkturelle Phänomene wie Boom, Normalauslastung bzw. Rezession widerspiegeln oder auch eine nachfrageseitige Saisonentwicklung wie Sommer, Frühjahr bzw. Herbst (Normalnachfrage etwa bei Eis) und Winter. Natürlich würden bei vollkommener Voraussicht des Anbieters im Fall der Nachfrageexpansion sowohl der Preis als auch die Menge steigen; im Fall der Nachfragesenkung werden Preis und Menge sinken. Nehmen wir nun an, dass der Anbieter in der Gegenwartsperiode nicht weiß, ob in der Folgeperiode eine höhere oder eine geringere Nachfrage besteht. Wenn der Monopolist beide Fälle mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit erwartet, dann wird er in allen drei Perioden den Preis unverändert beim Ausgangsniveau p1 halten. Für die Normalsituation mit DD1 ist p1 gerade der gewinnmaximierende Preis (bzw. Reflex der entsprechenden gewinnmaximierenden Menge). Aber in der Periode mit reduzierter Nachfrage entsteht ein Angebotsüberschuss entsprechend der Strecke F’G, während in der Periode mit erhöhter Nachfrage ein Nachfrageüberschuss in Höhe der Strecke GH existiert. Falls zuerst die Periode mit dem Angebotsüberschuss im Gefolge der Normalsituation auftritt, dann könnte der Monopolist immerhin – im Fall lagerfähiger Güter – die Überschussproduktion auf Lager

Anhang F.4 Marginalkalkül, Monopolpreissetzung, Regulierung

761

nehmen und dann in einer folgenden Periode mit Nachfrageüberschuss die Lagerbestände auflösen. Es könnte aber auch auf die Normalsituation zuerst die Nachfrageerhöhung und erst später die Nachfragesenkung folgen. Der Monopolist könnte sich allerdings auch für eine „gemischte Preisstrategie“ insofern entscheiden, als er bei Normalnachfrage gerade die Cournot-Monopolpreissetzung realisiert, aber in der Periode mit verminderter Nachfrage den Preis auf p4 festsetzt, zu dem die konstante Produktionsmenge q1 verkauft wird, und in der Periode mit erhöhter Nachfrage den Preis auf p5 heraufsetzt, zu dem gerade q1 gewünscht wird. Die Situation mit einer gemischten Strategie ist deutlich anders eine reine Cournot-Strategie. Zudem ist die vorgestellte (neuartige) gemischte Strategie anders als die Preissetzung im Wettbewerb, denn hier würde stets der Preis p0 gelten. Entscheidet sich der Monopolist, für die drei betrachteten Perioden die Produktionskapazität auf q3 festzulegen, dann kann er in der Periode mit der höchsten Nachfrage tatsächlich den Cournot-Preis p3 setzen („Maximale gemischte Strategie“). Aber in den beiden anderen Perioden entstehen Angebotsüberschüsse bzw. im Fall einer Produktion von q1 bzw. q2 entstehen besondere Kapitalkosten: Die Produktionskapazität q3 ist ja höher als q1 bzw. q2: Es ist zweifelhaft, dass die Wahl von q3 dem Kriterium einer effizienten Bereitstellung des Gutes entspricht, denn es sind ja beträchtliche Überkapazitäten im Gesamtzeitraum zu verzeichnen. Der Fall, der hier als maximale gemischte Strategie bezeichnet wird, könnte sich etwa in der Elektrizitätswirtschaft ergeben, die einige Besonderheiten aufweist: Sie ist leitungsgebunden – wie die Gaswirtschaft oder die Telekommunikation; und die Produktionsmenge ist nicht lagerbar bzw. die Produktion muss gerade immer der Nachfrage entsprechen.

762

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

p,R’ A3

R’3

A1

D

p5

J

p3 A2

R’1

p1 +

F

p1 p2 p4

p1

H

G

F’

I R’2

DD1

DD3

k’0(=p0)

DD2

K 0

q01

q1

Z q03

q0

q

Abb. F.13. Monopolpreisbildung im Mehr-Perioden-Fall und „Gemischte Preisstrategie“

Verlangt eine staatliche Regulierungsbehörde im Rahmen von Universaldienstvorgaben – d.h. Regulierungen zur öffentlichen Versorgung mit Infrastrukturdiensten – eine einheitliche Preissetzung (im 24 h-Zyklus oder im Jahr bzw. der betrachteten Periode insgesamt), dann wird der Monopolist wohl in etwa die maximale gemischte Preisstrategie realisieren. Die überhöhten Kapitalkosten wird er allerdings als Zuschlag (1+Z) auf p1 draufsetzen, so dass ein etwas höherer Preis p’1 = p1(1+Z) entstehen kann. Der Zuschlag ist am Markt ohne Weiteres durchsetzbar, sofern der Anbieter ein regionaler Monopolist ist (denkbar ist allerdings auch, dass q1 produziert wird und bei Überschussnachfrage von anderen Stromkonzernen importiert wird, sofern Stromhandel zugelassen ist). Diese Situation bestand in Deutschland bis zur Liberalisierung Anfang 2000, wobei die Stromunternehmen vertikal weitgehend integriert und als regionale Monopole organisiert waren; vertikale Integration heißt, dass Stromerzeugung, Stromtransport über Hochspannungsnetze und Stromverteilung bzw. -verkauf weitgehend in einer Hand waren (in Deutschland spielten allerdings auch kommunale Stromversorgungsunternehmen eine große Rolle, die die Verteilungsebene und einen Teil der

Anhang F.4 Marginalkalkül, Monopolpreissetzung, Regulierung

763

Stromerzeugung in der Hand hatten). Fragwürdig ist u.a. jede staatliche Vorgabe, die unnötige Preisrigiditäten mit sich bringt, also ohne nähere Begründung etwa eine einheitliche Preissetzung im Raum bzw. über die Zeit hinweg verlangt. Statt fast ausschließlich bei Nachfrageschwankungen im Strombereich auf eine Anpassung auf der Angebotsseite zu setzen – die Unternehmen müssen also die Produktionskapazitäten bzw. den Einsatz von Kraftwerken großzügig planen –, könnte man auch ergänzend eine Verstetigung der Nachfrage versuchen (denkbar sind z.B. von den Stromversorgern über einen Internetbefehl ferngesteuerte – gefüllte – Waschmaschinen im privaten Haushaltsbereich, die immer gerade dann angeschaltet werden, wenn die Nachfrage nach Strom ansonsten niedrig ist. Haushalte, die sich hierzu einverstanden erklären, könnten mit einem günstigeren Strompreis belohnt werden, da die Stromerzeuger ja letztlich mit geringeren Kapazitäten auskommen bzw. Kapitalkosten einsparen können; in warmen Ländern sind auch von den Stromerzeugern ferngesteuerte Klimaanlagen denkbar, womit auch das Risiko eines Netzzusammenbruchs im Sommer vermindert werden könnte). Eine von Seiten der Politik fehlerhafte Stromliberalisierung fand in Kalifornien in den späten 90er Jahren statt, als man die Preise z.T. liberalisierte, aber den Kraftwerksausbau behinderte, was eine Anpassung auf der Angebotsseite an steigende Nachfragemengen verhinderte: Ergebnis war ein Netzzusammenbruch in 2001. Ohne hinreichende Kenntnis der technischen und ökonomischen Gegebenheiten eines Sektors (bei Strom: Leitungsgebundenheit; Nachfrage darf das Angebot bzw. die Stromproduktion nicht übersteigen, da sonst das Netz zusammenbricht/blackout; Strom ist nicht lagerfähig, so dass stets Reservekapazitäten der Stromproduktion verfügbar sein müssen) kann offenbar durch die Politik keine vernünftige wohlfahrtsverbessernde Liberalisierung bzw. Regulierung erfolgen. Notwendig ist eine hinreichend differenzierte Liberalisierung bzw. Regulierung für einzelne Infrastruktursektoren wie Telekommunikation, Elektrizitätswirtschaft, Gaswirtschaft, Wasserwirtschaft. Eine Einheitsregulierung bzw. eine gleichartige Liberalisierung scheint nicht vernünftig zu sein. Gleiche Grundprinzipien der Regulierung – etwa kostenorientierte Preisbildung und nach Hauptaktivitäten des Unternehmens getrennte Rechnungslegung – sind allerdings nützlich. Die EU-Stromliberalisierung verlangt eine Entbündelung von Stromerzeugung und -verkauf, so dass für Dritte ein Zugang zum Netz möglich sein muss. Eine effizienzorientierte Regulierung würde auf Preise der Netznutzung hinzielen, die die langfristigen Grenzkosten widerspiegeln. Stromkonzerne mussten laut EUVorgaben der ersten Liberalisierungsphase zunächst eigenständige Kostenrechnungsmodelle für Produktion bzw. Transport und Verteilung aufstellen. Letzteres kann allerdings kaum verhindern, dass vertikal integrierte Stromkonzerne überhöhte Leitungsnutzungsentgelte von Dritten verlangen, womit der Wettbewerb in der Stromwirtschaft – und erhoffte Effizienzgewinne – weitgehend ins Leere läuft. Immerhin gibt es seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch Strombörsen mit Terminmärkten – in Deutschland: EUREX (Leipzig) –, so dass die Preisunsicherheit für Anbieter und Nachfrager durch Terminkontrakte vermindert werden kann. Ab 2004 wird auch eine unternehmerische Separierung der Transportstufe von der Produktionsstufe verlangt, wobei jedoch der Stromhandel in der EU in den ersten Liberalisierungsjahren nur schwach in Gang gekommen ist. Ziel der unternehme-

764

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

rischen Separierung ist, die Unternehmen dazu zu veranlassen, dass Netzkapazitäten der eigenen Stromerzeugungstochter nicht zu günstigeren Konditionen angeboten werden als Dritten, d.h. dass eine Diskriminierung verhindert werden soll. Diskriminierungsfreier Netzzugang soll letztlich den effizientesten Stromproduzenten – inklusive unabhängiger Stromproduzenten – Expansionsmöglichkeiten bieten; ohne vertikale Integration besteht allerdings ein gewisses Risiko von Unterinvestition im Netz. Nicht ohne Weiteres ist klar, ob die Regulierung die Netznutzungspreise wirklich auf die Kosten effizienter Leistungserstellung herabdrücken kann (maßgeblich bei diesem etwa bei der Telekomregulierung in Deutschland relevanten Konzept sind dann nicht die tatsächlichen Kosten, sondern jene, die ein effizient geführtes Unternehmen hätte).

k’,p A C1

p1 p0

C0

k’0

R’1

R’0 (DD1) F

0

q1

DD0 Z

q0

q

Abb. F.14. Nachfragereduzierung und Preiserhöhung als Sonderfall im Monopol

Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass eine paradoxe Marktentwicklung, die bei sinkender Nachfrage steigende Preise mit sich bringt, möglicherweise durch Monopolpreisbildung zu erklären ist. Dreht sich die Nachfragekurve im Punkt bzw. auf Höhe des (fixen) Prohibitivpreises, dann führt eine Nachfragere-

Anhang F.4 Marginalkalkül, Monopolpreissetzung, Regulierung

765

duzierung – Drehung der Kurve nach innen – zu einem erhöhten gewinnmaximalen Preis. Im neuen Gleichgewicht ist die Menge gesunken, der Preis gestiegen.

766

Kapitel F. Wettbewerbspolitik

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Kapitel F. Wettbewerbspolitik

Als Einführung in die Wettbewerbstheorie und- politik siehe: ABERLE, G. (1992), Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, 2. A., Stuttgart: Kohlhammer. BARTLING, H. (1980), Leitbilder der Wettbewerbspolitik, München: Vahlen. BAUM, H. (1980), Staatlich administrierte Preise als Mittel der Wirtschaftspolitik - Eine empirische Erfolgskontrolle für die Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden: Nomos. BERG, H. (1990), Wettbewerbspolitik, in: BENDER, D. et al., Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 4. A., München: Vahlen, 233-298. BORCHERT, M. und GROSSEKETTLER, H. (1985), Preis- und Wettbewerbstheorie, Stuttgart: Kohlhammer. COX, H. et al. (1981), Handbuch des Wettbewerbs, München: Vahlen. EHLERMANN, C.D. (1992), Der Beitrag der Wettbewerbspolitik zum Europäischen Binnenmarkt, Wirtschaft und Wettbewerb, Vol. 42, 5-20. EICKHOF, N. (1993), Zur Legitimation ordnungspolitischer Ausnahmeregelungen, Ordo, Vol. 44, 203-222. EUCKEN, W. (1952), Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen: Mohr. FEHL, U. (1985), Das Konzept der Contestable Markets und der Marktprozess, in: BOMBACH, G. et al., Hg., Industrieökonomik, 29-49. FINSINGER, J. (1984), Zur Stabilität von Submissionskartellen, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Vol. 199, 575-585. GÖRGENS, E. (196), Wettbewerb und Wirtschaftswachstum, Freiburg. GREENHUT, M.L., NORMAN, G. und HUNG, C.-S. (1987), The Economics of Imperfect Competition, New York: Cambridge University Press. GRÖNER, H. (1990), Wettbewerbsfragen der Europäischen Gemeinschaft, Berlin: Duncker. GROSSER, D. (1992), Ordnungspolitische Orientierungen und wirtschaftliche Entwicklung, in: GABRIEL, O.W., Hg., die EG-Staaten im Vergleich, Opladen, 382-413. HAYEK, F. von (1968), Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Kieler Vorträge, Bd. 56 N.F., Kiel. HENTSCHEL, V. (1978), Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Wilhelminischen Deutschland, Stuttgart: Klett. HERDZINA, K. (1994), Wettbewerbspolitik, 3. A., Stuttgart: Fischer. HEUSS, E. (1965), Allgemeine Markttheorie, Tübingen: Mohr. HORN, M., KNIEPS, G. und MÜLLER, J. (1988), Deregulierungsmaßnahmen in den USA: Schlussfolgerungen für die Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden: Nomos. KANTZENBACH, E. (1967), Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. A., Göttingern: Vandenhoeck. KAUFER, E. (1981), Theorie der öffentliche Regulierung, München: Vahlen. KLEPS, K.H. (1984), Staatliche Preispolitik, München: Vahlen. KRAKOWSKI, M., Hg. (1988), Regulierung in der Bundesrepublik Deutschland - Die Ausnahmebereiche des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Hamburg. KRUSE, J. (1985), Ökonomie der Monopolregulierung, Göttingen: Vandenhoeck. MONOPOLKOMMISSION (1992), Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik, Hauptgutachten 1990/91, Baden-Baden: Nomos. OBERENDER, P. und VÄTH, A. (1986), Markttransparenz und Verhaltensweise, Wirtschaftswissenschafliches Studium, Vol. 15, 125-140. PHILLIPS, A. (1962), Market Structure, Organization and Performance, Cambridge, Mass.

Literatur

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Zu neueren Entwicklungen der Industrieökonomik und zur Industriepolitik siehe insbesondere BLETSCHACHER, G. und KLODT, H. (1992), Strategische Handels- und Industriepolitik: Theoretische Grundlagen, Branchenanalysen und wettbewerbspolitische Implikationen, Tübingen: Mohr. BÖBEL, I. (1984), Wettbewerb und Industriestruktur, Berlin: Springer. BOMBACH, G., GAHLEN, B. und OTT, A.E., Hg. (1985), Industrieökonomik, Tübingen: Mohr. FELS, G. (1990), Europa 1992 - weltoffen oder autark?, List Forum, Vol. 16, H.2, 128-135. SIEBERT, H. (1988), Strategische Handelspolitik: Theoretische Ansätze und wirtschaftspolitische Empfehlungen, Aussenwirtschaft, Vol. 43, 547-584. STARBATTY, J. (1987), Die ordnungspolitische Dimension der EG-Technologiepolitik, Ordo, Vol. 38, 155-181.

G. Wirtschaftliche Integration und Globalisierung

G.1 Internationale Wettbewerbsfähigkeit Grundlegende Aspekte der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Unter internationaler Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens versteht man die Fähigkeit, produzierte Güter profitabel auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht kommt es daher darauf an: • mehr Güter profitabel zu verkaufen, wozu etwa Prozessinnovationen beitragen können; • mehr Produktinnovationen zu lancieren, so dass man ggf. ein größeres Absatzvolumen zu einem höheren Durchschnittspreis realisieren kann • die Profitabilität durch einen Ausbau der Marktposition bzw. der Preissetzungsmacht zu steigern.

Übertragen auf die gesamte Volkswirtschaft verbessert sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit dann, • wenn die Exportquote eines Landes, also die Exporte von Waren und Dienstleistungen relativ zum Bruttoinlandsprodukt ansteigen • wenn die Außenbeitragsquote (Nettogüterexporte relativ zum Bruttoinlandsprodukt) steigt; • wenn der offenbarte Wettbewerbsvorteil, gemessen am RCA-Index (revealed comparative advantage = offenbarter Wettbewerbsvorteil), in technologieund wissensintensiven Branchen steigt, in denen die Unternehmen typischerweise eine relativ hohe Rendite realisieren können • wenn der relative gewichtete Exportdurchschnittserlös ansteigt, was als eine Verbesserung der terms of trade interpretiert werden kann (die im Exportgeschäft erzielten Preise sind dann gegenüber einem Vergleichsland, etwa den USA, angestiegen). Zunächst kommt als Maßnahme zur Erhöhung des Außenbeitrags eine reale Abwertung der Währung in Frage, wobei eP*/P steigen muss; da bei einer nominalen Abwertung das Preisniveau steigt, muss die nominale Abwertung jedenfalls stärker als der induzierte Anstieg des Preisniveaus sein (auch könnte die inländische Geldpolitik eine Inflationsrate unterhalb der im Ausland zu realisieren versuchen). Der Staat kann die Wettbewerbsfähigkeit technologie- und wissensintensiver Sektoren durch Innovationsförderung verbessern, aber auch durch ein gezieltes Werben um ausländische Investoren, vor allem mit Blick auf technologie- und wissensintensive Branchen. Auch nachhaltig verbesserte Gründungs- bzw. Finanzierungsbedingungen für technologie- und wissensorientierte Branchen sind ein strategischer Ansatzpunkt; hier ist u.a. an die Förderung von Risikokapitalmärkten zu denken (so kann der Staat z.B. auch außerhalb des Bankenbereichs Genuss-Scheine standardisieren, damit diese Eigenkapitalsurrogate liquider und damit attraktiver für Anleger werden). Schließlich kann im Rahmen einer strategischen Handelspolitik auch durch gezielte öffentliche Aufträge für innovationsstarke Unternehmen in mancher skalenintensiven Branche deren Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden – die bevorzugten Inlandsunternehmen können dann statische Skaleneffekte (Grenzkos-

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G. Wirtschaftliche Integration und Globalisierung

ten sind eine negative Funktion der in der jeweiligen Periode produzierten Menge) bzw. dynamische Skaleneffekte (Grenzkosten sind eine negative Funktion der kumulierten Produktionsmenge) leichter nutzen und daher im internationalen Preiswettbewerb ihre Position verbessern. Schließlich kann der Staat durch Bildungspolitik die Expansion bzw. Position wissens- und technologieintensiver Branchen stärken sowie durch die Modernisierung der Infrastruktur – insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologie – die Vernetzungsmöglichkeiten der Produzenten bzw. die Dynamik der regionalen Arbeits- und Wissensteilung stärken. Hier ist aus der Sicht eines Integrationsraumes (wie z.B. der EU) im Einzelfall über eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen regionaler, nationaler und supranationaler Politikebene nachzudenken. Kann ein Land seine internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht nachhaltig verbessern, dann wird die nominale Auslandsverschuldung F’* laufend ansteigen: nämlich in Höhe der Nettogüterimporte –X’. Man kann die Auslandsschuldenquote als eF’*/[YP] definieren bzw. als eP*F“*/[YP]= q*F“*/Y schreiben, wobei F“* die reale Auslandsschuld ist. Es droht eine Insolvenz des Landes, wenn nicht durch eine reale Abwertung der Außenbeitrag X’(Y,Y*,q*) in der aktuellen bzw. in künftigen Perioden hinreichend stark steigt. Eine reale Abwertung, also ein Anstieg von q*, wird bei Geltung der Marshall-Lerner-Bedingung den Außenbeitrag erhöhen. Allerdings steigt bei einem Anstieg von q* auch die Auslandsschuldenquote (in inländischen Gütereinheiten gerechnet). Wenn man Solvenz eines Landes in vereinfachter Betrachtung als Summe der Auslandsschuldenquote und der Außenbeitragsquote bzw. als Indikator z’ – mit z’=: [q*F“*/Y - X’(q*,Y,Y*)/Y] definiert und annimmt X’= x’(q*,Y*)Y, dann gibt es eine kritische Relation, bei der eine Abwertung gerade noch den Solvenzindikator z’ verbessert: Denn es gilt dz’/dq* = F“*/Y - ∂x’/∂q*>0, wenn F“*/Y>∂x’/∂q*. Die Nettoexportquote x’ muss also hinreichend stark auf eine Abwertung reagieren, damit der Solvenzindikator verbessert werden kann. Solange diese Bedingung erfüllt ist, dürfte das Land keine Probleme mit einer weiter steigenden Auslandsverschuldung haben. Ist die kritische Bedingung nicht erfüllt, dann heißt das: Ohne internationales Umschuldungsabkommen ginge der betreffende Staat in die Insolvenz (es sei darauf hingewiesen, dass Großbritannien zu Ende des 18. Jahrhunderts das unter übergroßer Auslandsverschuldung leidende Ägypten faktisch besetzte und dessen Staatsfinanzen direkt in die Hand nahm, um über entsprechende Steuereinnahmen eine Bedienung der Auslandsschuld – vor allem in der Hand britischer Anleger – zu sichern; die DDR als Land mit großer Auslandsverschuldung und kriselnder interner politischer Legitimation ging 1990 faktisch pleite und wurde anschließend von der Bundesrepublik politisch und ökonomisch geschluckt; hingegen konnte etwa Polen mit seiner hohen Auslandsverschuldung in den 90er Jahren eine internationale Umschuldung zu günstigen Konditionen erreichen).

G.1 Internationale Wettbewerbsfähigkeit

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Reallohnsatz und Beschäftigung Der gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarkt ist durch das vom Reallohnsatz W/P (W Nominallohnsatz, P Preisniveau) abhängige Arbeitsangebot und die Arbeitsnachfrage geprägt, die vom Reallohnsatz und dem Kapitalbestand K bzw. der Produktion Y abhängt. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit bzw. ein Angebotsüberschuss auf dem Arbeitsmarkt reflektiert daher für gegebenes K das Problem eines zu hohen Reallohnsatzes. Eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung ist nur möglich, wenn das Preisniveau ansteigt oder der Nominallohnsatz sinkt. Dabei ist in einer offenen Volkswirtschaft zu bedenken, dass das Preisniveau P=(PT)α (PN) 1- α, wobei PN das Preisniveau der nichthandelsfähigen Güter und PT das der handelsfähigen Güter bezeichnet; α im Intervall (0,1) ist der Anteil der nichthandelsfähigen Güter am Konsum. Bei internationaler Preisarbitrage für handelsfähige Güter gilt PT=ePT* (* für Auslandsvariable), was bei gegebenem Auslandspreisniveau für TGüter eine Parallelität von Wechselkurs-Entwicklung und Entwicklung von PT bedeutet. Ist α Null bzw. sind alle ausländischen Güter handelbar, dann gilt P=eP*. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bzw. in der Zwischenkriegszeit sank das Preisniveau in der Rezession, und mit einer gewissen Zeitverzögerung sank auch der Nominallohnsatz. Um eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung zu erzielen, musste der Nominallohnsatz zeitweise stärker als das Preisniveau absinken, da sonst keine Reallohnsatzsenkung erfolgt wäre (seit der Abkehr vom Goldstandard bzw. seit den 1950er Jahren steigt das Preisniveau auch in der Rezession, so dass für eine Reallohnsatzsenkung eine Nominallohnsteigerungsrate unterhalb der Inflationsrate erforderlich ist; berücksichtigt man noch den Produktivitätsfortschritt und stellt auf die Lohnstückkosten ab, dann sinken diese dann, wenn die Wachstumsrate des Nominallohnsatzes geringer als die Summe von Fortschrittsrate und Inflationsrate ist). Die Sozialhilfe bzw. das staatliche Arbeitslosengeld ist im Übrigen eine Untergrenze für das Absinken des Nominallohnsatzes; denn warum sollte jemand für weniger Lohn arbeiten wollen, als man ohne Anstrengung vom Staat erhält: Die Arbeitsangebotskurve fängt erst ab dem Sozialhilfesatz an. Erstmals trat in Westeuropa das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit über längere Zeit in Großbritannien in den 20er Jahren bzw. der Dekaden nach 1923 auf. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass 1911 in Großbritannien erstmals eine Arbeitslosenversicherung eingeführt worden war und vermutlich diese Maßnahme in den 20er Jahren ein weiteres Absinken der Löhne verhinderte. Fatal wirkte sich allerdings auch die 1925 erfolgte Rückkehr Großbritanniens zur Vorkriegsparität des Pfundes gegenüber dem Gold bzw. dem US-Dollar aus, die die Regierung aus Prestigegründen wünschte. Da während des Ersten Weltkriegs wegen der monetären Kriegsfinanzierung bzw. der starken Ausweitung der Geldmenge in Großbritannien das Preisniveau relativ stark (gegenüber dem USPreisniveau) gestiegen war, ergab sich angesichts der gewünschten Rückkehr zur Vorkriegsparität ein starker Deflationsdruck (gemäß der Kaufkraftparitätentheorie – in der Variante ohne nichthandelsfähige Güter – muss gelten P=eP*, so dass bei konstantem P*, aber zwischenzeitlicher Verdopplung von P der alte nominale Wechselkurs e nur realisierbar ist, wenn P wieder auf das Ausgangsniveau zurückgeführt wird). Die Nominallöhne waren offenbar nicht hinreichend flexibel nach unten, was man aber den Gewerkschaften kaum zu Vorwurf machen kann.

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G. Wirtschaftliche Integration und Globalisierung

Das britische Pfund hätte abwerten müssen und die Massenarbeitslosigkeit wäre mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden worden. Diese Erfahrungen aus Großbritannien zeigen, wie fragwürdig eine Überbewertung der Währung bzw. ein künstliches Vermeiden einer Abwertung ist. Die nominale Aufwertung der Währung hat zu einer Preisniveauminderung geführt bzw. den Reallohnsatz in beschäftigungsschädlicher Weise erhöht. Zugleich ist insgesamt auch zu beachten, dass in der Tat der Reallohnsatz eine für das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt sehr wichtige Variable ist. In diesem Zusammenhang wiederum sind die Regelungen zur Sozialhilfe bzw. zum Arbeitslosengeld in vielen EU-Ländern kritisch zu sehen. In den USA sorgen geringen Sozialhilfesätze und eine kurze Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld (meist sechs Monate) dafür, dass die Reallohnsätze hinreichend flexibel bleiben, um Vollbeschäftigung zu erhalten. Betrachten wir eine Volkswirtschaft mit einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion Y =KßL1-ß (0