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German Pages 331 [339] Year 2008
Geschäftsprojekte zum Erfolg führen
Markus Körner
Geschäftsprojekte zum Erfolg führen Das neue Projektmanagement für Innovation und Veränderung im Unternehmen
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Markus Körner Agora Associates GmbH Maurstr. 40/B 8117 Fällanden Schweiz [email protected]
ISBN 978-3-540-72050-8
e-ISBN 978-3-540-72051-5
DOI 10.1007/978-3-540-72051-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Zum Geleit
Unternehmen stehen heute mehr denn je vor der Aufgabe, Erneuerung und Veränderung zu meistern. Dieses Buch zeigt, wie entsprechende Projekte wirksam und zügig umgesetzt werden können. Dabei geht der Autor weit über schlichte Rezepte und Checklisten heraus und zeigt, worauf es wirklich ankommt: die gute Idee, die gelungene Kommunikation, die richtige Leitung, die schlanke Planung und die wirksame Zusammenarbeit. Besonders gefällt mir an diesem Buch, dass es Themen, Sichtweisen und damit letztlich Menschen so verbindet, wie sie im Unternehmen auch zusammen gehören:
das Projekt als IT-Vorhaben und ebenso als Mittel zur Veränderung der Organisation die eigenständige Projektorganisation und ihr Umfeld im Unternehmen das Erfahrungswissen aus der Praxis und die wissenschaftlich fundierte, ganzheitliche Konzeption.
Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Fortentwicklung des Projektmanagements. Es eröffnet weit reichende neue Perspektiven, ohne jemals die Bodenhaftung zu verlieren. Klaus C. Ploenzke Unternehmer
April 2008
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Zum Geleit
Ein großer und wachsender Anteil der Managementaufgaben in Organisationen aller Art ist heute dem Projektmanagement zuzuordnen. Mit diesem Buch will Markus Körner einen Beitrag zu einem wirksamen, erfolgreichen Management von Geschäftsprojekten leisten. Er bezeichnet diesen Gegenstand als „neue Disziplin“, was keine Übertreibung ist, wenn man bedenkt, dass es darum geht, Projektmanagement lehr- und lernbar zu machen. Der Autor hat nicht nur große Erfahrung auf dem Gebiet des Managements von Geschäftsprojekten. Er ist auch ausgebildeter Soziologe und hat mit diesem Vorwissen die erlebten Vorgänge offenbar stets luzide reflektiert. In elf Kapiteln werden Methodenbausteine für ein „Handwerk“ des Projektmanagements systematisch und sehr gut verständlich dargelegt. Das Buch ist flüssig und abwechslungsreich geschrieben, – methodisch und didaktisch virtuos. Die Lektüre ist spannend, die Argumentation schlüssig. Durch die anschauliche und teils humorvolle Darstellung wird der anspruchsvolle Stoff in gut verdaulichen Portionen serviert. In den ersten Kapiteln finden sich konzeptionelle Ausführungen betreffend allgemeiner Prinzipien, Regeln, Rollen, usw. Je weiter man dann mit der Lektüre vordringt, umso handfester werden die vermittelten Methoden und Instrumente. Nach der Lektüre hat man – fast ohne es zu merken – eine Methodik erlernt, die nahtlos bei der Alltagserfahrung von Projektleitenden anknüpft, diese wesentlich bereichert und zu konkreten Lösungen führt. Ich wünsche diesem gelungenen Werk die verdiente, große Verbreitung. Prof. Dr. Markus Schwaninger Professor an der Universität St. Gallen
April 2008
Danksagung
Ein solches Buch zu schreiben ist natürlich auch eine Expedition, bei der man auf Unterstützung angewiesen ist. Ich danke Heiner Woller für eine lange zurück liegende, aber grundsolide, dreijährige Management-Ausbildung on the job. Dann danke ich meinen Probelesern, insbesondere Gennaro Quagliarelli und Rüdiger Geist (meinen Partnern bei der AGORA), Reinhard Wagner, meiner Schwester Silke Körner, Barbara Fess (Springer) und Stephen Rietiker; des weiteren den Probelesern früherer Versuche: HansJörg Neun, Elke Kasmann, Sabine Löbbe, Sandra Dierig.
Inhaltsverzeichnis
Einführung ................................................................................................ 1 1 1.1 1.2 1.3
Was sind Geschäftsprojekte? ...................................................... Eine besondere Art Projekt............................................................. Geschäftsprojekte sind Expeditionen.............................................. Zusammenfassung ..........................................................................
11 12 16 21
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs .................................... Die Projektidee klären .................................................................... Eine mitreißende Vision: Auf nach Indien!.................................... Des Einen Eule ist des Anderen Nachtigall.................................... Das Risiko bewerten....................................................................... Zusammenfassung ..........................................................................
23 24 33 38 41 49
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Den Projektleiter bestellen........................................................... Der Projektleiter als Konzeptionist................................................. Der Projektleiter als Beweger......................................................... Der Projektleiter als Entscheider .................................................... Exkurs: Sieben Prinzipien für komplexe Entscheidungen.............. Projektleiterprofile und -auswahl ................................................... Die Rolle des Projektleiters im Unternehmen ................................ Zusammenfassung ..........................................................................
53 55 62 68 71 74 81 82
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko ........................... 85 Verantworten heißt, verhandeln zu können .................................... 87 Projektziel: Das Bestimmte Unbestimmte...................................... 90 Den Auftragsumfang themenbezogen festlegen............................. 99 Im Auftrag ihrer Majestät – das unverzichtbare Mandat.............. 103 Risikomanagement: Den GAU im Blick ...................................... 107 Regeln für den Projektauftrag....................................................... 110 Zusammenfassung ........................................................................ 116
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Inhaltsverzeichnis
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen........................................................................... Organisation: ein stabiles Gerüst schaffen ................................... Das Projektteam – ein Mythos?.................................................... Der Projektleiter als Teamleiter.................................................... Wer hat, der kann: Ressourcen sichern ........................................ Zusammenfassung ........................................................................
119 119 128 133 139 145
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10
Den Zeitverlauf strukturieren ................................................... Kairos und Chronos: Zeit haben wie die alten Griechen.............. Zeitplanung – auch eine Verhandlungssache ............................... Verhandelt werden Etappen und Meilensteine............................. Projektverlaufsmodelle wählen .................................................... Das Wasserfall-Modell................................................................. Das Etappentor-Modell ................................................................ Das Lernzyklen-Modell................................................................ Das schrittweise Vorgehen ........................................................... Verlaufsmodelle und die Projektsteuerung................................... Zusammenfassung ........................................................................
149 151 156 159 161 162 166 168 171 172 178
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Arbeit pfiffig planen ................................................................... Ablaufdiagramm und Aufgabenliste ............................................ Vier Prinzipien für wirksame Arbeitsplanung.............................. Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette ............................... Kritische Kette: was zu ändern wäre ............................................ Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement .......... Zusammenfassung ........................................................................
181 182 188 194 208 215 224
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise .................................... Zusammenarbeit managen: Die Herausforderungen .................... Vier Prinzipien der Zusammenarbeit............................................ Unternehmenskultur erkennen und nutzen ................................... Ein Beteiligungskonzept erstellen ................................................ Zusammenfassung ........................................................................
227 228 233 245 255 267
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Weiche Faktoren im Portrait .................................................... 269
Inhaltsverzeichnis
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit ........................... 291 10.1 Das richtige Maß an Klarheit........................................................ 292 10.2 Verbindliche Zusagen einholen .................................................... 303 11 Weiterlesen.................................................................................. 309 Projektmanagement ................................................................................. 309 Organisation und Management ................................................................ 325 Expeditionen ............................................................................................ 329 Über den Autor ...................................................................................... 331
Chaos is the law of nature; Order is the dream of man. Henry Adams
Santa Maria, Flaggschiff des Christoph Kolumbus
Einführung1
In den Unternehmen von heute steigt die Bedeutung der Projektarbeit. Wir können dies zum Beispiel an der Entwicklung der Mitgliederzahlen des Project Management Institute ablesen, der weltweiten größten Berufsorganisation für das Projektmanagement. Das PMI wurde 1980 gegründet. 1990 hatte es 8500 Mitglieder, im Jahre 2004 hatte es schon 140 000, und kürzlich wurden die 200 000 überschritten! Im Jahre 2001 gab es nur 500 von der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) zertifizierte Projektmanager, und Anfang 2008 sind es weit über 10 000.2 Nach einer Studie der Deutschen Bank könnte der im Rahmen von eigenständigen Kooperationsprojekten erbrachte Anteil der Wertschöpfung in der deutschen Wirtschaft von etwa 2% im Jahre 2007 auf 15% im Jahre 2015 steigen.3 Die Ausweitung der Projektarbeit geht mit ihrer Veränderung einher. Projektmanagement wurde ursprünglich für die Herstellung von Gebäuden, Gütern und Anlagen entwickelt. Aber der Wandel der Wirtschaft schreitet voran: In Deutschland sind nur noch ca. 20% und in den USA gar nur noch 10% aller Arbeitsplätze in der Güterproduktion zu finden. Mehr als 80% aller Arbeitenden beschäftigen sich nur noch mit Dienstleistungen, mit Organisation und mit Wissen!4 Gleichzeit steigen die Dynamik und die Komplexität der Wirtschaft. Immer schneller wechseln die Kundenbedürfnisse, Wissen und Produktion werden rapide globalisiert, Wirtschaftsleistungen werden virtualisiert und damit gleichzeitig sowohl spezifischer als auch austauschbarer5, der Wettbewerb wird immer dynamischer und anspruchsvoller.
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Nutzen Sie die Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels, um sich im Buch zu orientieren und bestimmte Themen zu finden! GPM, Pressemitteilung Hofmann 2007 Economist Year Book 2006 Littmann u. Jansen 2000
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Einführung
In der Informationswirtschaft hat der Wettbewerb zudem andere Grundlagen als in der Industrieproduktion. Nicht mehr vor allem die technische Qualität ihrer Produkte sichert Unternehmen das Überleben. Im Mittelpunkt steht vielmehr ihre Fähigkeit, sich den immer dynamischeren Kunden- und Anbietermärkten anzupassen oder diese gar zu steuern. Im Hinblick auf diese wichtige Fähigkeit stehen sich die Unternehmen mit ihren gewachsenen Linienstrukturen und ihrer enormen Größe allerdings zunehmend selbst im Wege. Einen Ausweg aus dieser Situation sind funktionsübergreifende Projekte, welche eine bedarfsgerechte, markt- und kundenorientierte Zusammenarbeit jenseits bestehender Linienstrukturen und Unternehmensgrenzen ermöglichen.6 Die Entwicklung von Dienstleistungen und Produkten, die Veränderung der Ablauf- und Aufbauorganisation und ihre Unterstützung durch neue Informationstechnologie – all dies findet in zunehmendem Maße in Form von Projekten innerhalb und zwischen Unternehmen statt. Diese Projekte werden heute vielfach als Change- oder Organisationsveränderungsprojekte, als IT-Projekte oder als aber Produktentwicklungsprojekte klassifiziert. Meist aber sind diese drei Dimensionen in der praktischen Umsetzung gar nicht mehr voneinander zu trennen. Produktentwicklung, Organisationswandel – welcher die Bildung von Kooperationen einschließt – und IT greifen mehr und mehr ineinander: Es geht insgesamt um die Erneuerung und den Wandel des Unternehmens. Wie soll man diese Projekte nennen? Am genauesten wäre vielleicht die Bezeichnung Geschäftsentwicklungsprojekte. Ich nenne sie einfach Geschäftsprojekte.
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Vgl. den damals wegweisenden Band von Balck (Hrsg.) 1996, sowie in virtuos vorgetragener Polemik Peters 2003.
Einführung
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Geschäftsprojekte verbinden Veränderung, Erneuerung und ihre Unterstützung durch IT
Geschäftsprojekte sind Expeditionen Ursprünglich ging es beim Projektmanagement als professionellem Handwerkszeug also um die Herstellung technischer Produkte und Bauten.7 Bei solchen Herstellungsprojekten wird das Ziel in der Regel schon zu Beginn weitgehend definiert, die erforderlichen Maßnahmen sind im Wesentlichen bekannt oder können ermittelt werden und das Projektumfeld bietet keine großen Überraschungen.8 Die zentrale Herausforderung für das Projektmanagement besteht darin, viele Einzeltätigkeiten im Hinblick auf ihren Ablauf, ihre Ressourcen und ihre Ergebnisse miteinander zu koordinieren.9
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Vgl. zur Geschichte des Projektmanagements Morris 1998, Cleland u. Ireland 2002 Bei komplexen technischen Produkten sind diese Voraussetzungen natürlich auch nicht mehr ohne weiteres gegeben. Deshalb wurde im Jahre 2000 das Konzept einer schrittweisen Ausarbeitung der Projektdefinition (progressive elaboration) in das PMI BoK aufgenommen. Dies wird allgemein mit dem eisernen Dreieck dargestellt und gilt für die allermeisten Projektmanagement-Handbücher – auch wenn gerade aus der Forschung zu Bauprojekten zunehmend Vorschläge kommen, Projektmanagement zum Beispiel als Abbau von Informationsunsicherheit (Winch 2002) oder gelungenes Beteiligtenmanagement (Smythe u. Pyrke 2007) zu beschreiben.
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Einführung
Die zentrale Herausforderung für das Management von Geschäftsprojekten liegt jedoch woanders: Bei diesen geht es um das Erreichen eines zumindest teilweise im Unbekannten liegenden Zieles, die Überschreitung von Grenzen trotz vieler Hürden und gegen Widerstände, und das Management sehr erheblicher Risiken und gleichfalls bedeutsamer Chancen, und dies alles vor dem Hintergrund einer großen Unsicherheit über die Situation und das richtige Vorgehen. Nicht die Koordination von bekannten Tätigkeiten steht also im Mittelpunkt des Managements von Geschäftsprojekten, sondern der Umgang mit andauernder Ungewissheit in einem auf ein unscharfes Ziel gerichtetem, befristetem und mit beschränkten Ressourcen ausgestattetem Problemlösungsprozess. In dieser Hinsicht sind Geschäftsprojekte mit Expeditionen vergleichbar. Ich werde im Verlauf des Buches immer wieder auf dieses Bild zurückkommen.
Eine neue Disziplin: Das Management von Geschäftsprojekten Das heute in den meisten Unternehmen bekannte Projektmanagement kommt gedanklich noch aus der Welt des Bauens und der Güterproduktion und ist somit für das Management von Geschäftsprojekten mit deren besonderen Anforderungen nicht optimal geeignet. Die Leitung von Geschäftsprojekten ist deshalb in vielen Unternehmen zu einer Aufgabe für Künstler und Helden geworden. Diese können mit herausragender Kompetenz und Charisma oftmals sozusagen den Nagel mit der Zange einschlagen. Eine nachhaltige Kompetenz für das Management von Veränderung und Erneuerung wird so jedoch nicht geschaffen, weder beim einzelnen Projektleiter noch für das Unternehmen als ganzes. Wer systematisch Erfolg haben will, benötigt passende Werkzeuge und wiederholbare Vorgehensweisen. Dieses Buch beschreibt die wesentlichen Prinzipien, Herangehensweisen und Instrumente für ein erfolgreiches Management von Geschäftsprojekten. Es ergänzt das klassische Projektmanagement im Hinblick auf einen speziellen, immer häufiger anzutreffenden Anwendungsfall. Es nimmt da-
Einführung
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bei die Perspektive der Projektleitung ein, berücksichtigt aber im Hintergrund den Gesamtzusammenhang der Projektarbeit im Unternehmen.
Zielgruppen und Nutzen Das Buch wendet sich an alle, die Verantwortung für ein Geschäftsprojekt tragen: als Projektleiter, als Mitglied einer Steuerungsgruppe, oder als deren Berater. Es wird Ihnen helfen, Ihre Projekte erfolgreich umzusetzen. Grundsätzlich gehe ich dabei davon aus, dass Sie schon eine grundlegende Erfahrung im Management gewonnen haben. Insbesondere habe ich das Buch für Leiter von Geschäftsprojekten geschrieben, die aus der Linie kommen. Sie möchten mehr über die Besonderheiten der Projektführung wissen – nicht zuletzt, um mit den eventuell vorhandenen Standards in ihrem Unternehmen besser umgehen zu können. Ihnen kann das Buch als Einführung und Handbuch dienen. Sie werden die meisten methodischen Fragen behandelt sehen, die für die Leitung des Projektes wichtig sind. Das Buch bietet Ihnen sowohl einen konzeptionellen roten Faden als auch Tipps und Instrumente für die praktische Arbeit. Sind Sie demgegenüber aus dem klassischen Projektmanagement kommend mit der Leitung von Geschäftsprojekten betraut worden, so haben Sie diese bislang wahrscheinlich mit einer gehörigen Portion Helden- und Künstlertum gemanagt. Ein wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit ist der virtuose Umgang mit dem Instrumentarium des klassischen Projektmanagements, welches sie mittels mancher handgestrickter Lösung und mancher geschickter Auslegung von Vorschriften nutzen, um Ihre Geschäftsprojekte ins Ziel zu bringen. Für Sie bietet dieses Buch eine Reflektionsfläche, die Ihre oft informellen Lösungswege widerspiegelt, in einen geschlossenen konzeptionellen Rahmen setzt, und wahrscheinlich in mancher Hinsicht auch substantiell ergänzt. Diejenigen, die sich in Unternehmen mit der Kompetenzentwicklung für Projektarbeit allgemein oder speziell für Veränderung und Erneuerung befassen, finden in diesem Buch Anregungen, bestehende Methoden und Standards sowie Personalentwicklungskonzepte zu überprüfen und zu ergänzen.
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Einführung
Reduce to the max In der heutigen Zeit der Informationsüberflutung ist die Beschränkung auf das Wesentliche eine große Herausforderung, und ich habe sie sehr ernst genommen. In diesem Buch stelle ich diejenigen Themen, Tipps und Instrumente vor, die ich für wirklich erfolgskritisch für das Management von Geschäftsprojekten halte. Anregungen zur Vertiefung interessanter Themen finden sich im Kapitel 11, Weiterlesen.
Praxis, common sense und neue Lösungen Über siebzehn Jahre habe ich die unterschiedlichsten Projekte geleitet, geplant, begleitet oder ausgewertet. Die meisten hatten einen Bezug zu organisatorischer Veränderung sowie zur Erneuerung von Produkten und Prozessen. In vielen Fällen war ich erfolgreich, und in diesem Buch stelle ich nun meine wichtigsten persönlichen Einsichten und Vorschläge für ein pragmatisches, erfolgsorientiertes Management von Geschäftsprojekten vor. In diesem Management von Geschäftsprojekten hinkt die Theorie der guten Praxis hinterher, wie in vielen anderen Dingen. Allerdings schärft eine gute Konzeption den Blick und führt zu neuen Antworten auf alte Fragen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der jeweils bedeutsamen, aktuellen Theorie gehört für mich deshalb zur Grundlage meiner praktischen Arbeit. Der hier vorgestellte Ansatz verfügt deshalb über eine solide Verankerung in der modernen Managementlehre, der Organisationswissenschaft und der Komplexitätsforschung. Insofern bietet das Buch weit mehr als nur die Stimme eines weiteren Praktikers. Auch im Hinblick auf unmittelbar anwendbare Methoden habe ich aktuelle Entwicklungen – insbesondere aus den USA – aufgenommen und verwertet, zum Beispiel das agile Projektmanagement und die Kritische Kette. Das Buch enthält somit einige neue Sichtweisen und auch neue Lösungsansätze für alte Probleme, wo bisherige Versuche unbefriedigend waren. Insofern wird es sogar manchem alten Hasen neues Futter geben. Einige Beispiele:
Einführung
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IT-Innovationsvorhaben und Change-Projekte werden als Einheit gesehen
Geschäftsprojekte sind oftmals als Expeditionen zu verstehen
Projektidee und Projektziel sind deutlich zu unterscheiden und ergänzen sich in ihren Funktionen
der Auftragsumfang wird über Themen und Beteiligte definiert, nicht über die Aufgaben
Geschäftsprojekte suchen oftmals das Risiko, statt es zu vermeiden
technische und sozio-psychologische Faktoren werden gleichwertig und miteinander verbunden berücksichtigt
die Zeit des Kalenders wird mit dem Moment des richtigen Augenblicks versöhnt
die Strukturierung des Projektes in verschiedene Etappen ermöglicht es, verschiedene Verlaufsmodelle alternativ einzusetzen
die neuen Konzepte des agilen Zeitmanagements und der kritischen Kette werden mit Umsetzungshinweisen erläutert.
Vorschau auf die Kapitel des Buches Das Buch beginnt mit einer Darstellung der wichtigsten Merkmale von Geschäftsprojekten, auch im Unterschied zu anderen Projekttypen (Kapitel 1). Die Kapitelabfolge entspricht im Weiteren den Schritten, die für die Entstehung und Durchführung eines Geschäftsprojektes typisch sind. Es beginnt damit, eine wie auch immer grobe Projektidee zu formulieren und zu bewerten. Danach wird die Projektleitung eingesetzt, der Auftrag wird verhandelt und die Organisation wird geschaffen. Allerdings geschieht dies für Geschäftsprojekte nicht nacheinander – sozusagen im Übergang von Phase zu Phase. Vielmehr türmen sich diese Aufgaben aufeinander auf, denn jede einmal angefangene Aufgabe wird beibehalten und die gefundenen Lösungen werden im Projektverlauf immer wieder überprüft, neu verhandelt und angepasst.
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Einführung
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
Idealisierte Aufgabensequenz für das Management von Geschäftsprojekten (Nummerierung entspricht Kapiteln: Kapitel 1 = Einleitung)
Eine solche Abfolge kann natürlich auch anders sein: dass etwa Ressourcen schon bereit gestellt werden, wenn das Konzept noch gar nicht klar ist, oder dass die Projektleitung erst ins Spiel gebracht wird, wenn die Projektorganisation verabschiedet ist, oder dass mehrere Aufgaben gleichzeitig beginnen. Kapitel 2 widmet sich der Projektidee als inhaltlichem Kern des Projektes. Worum geht es? Wie sich herausstellt, hängt das davon ab, mit wem man spricht, und in welchem Zeithorizont man denkt. Projektideen sind unausweichlich mit vielen Fragezeichen behaftet, aber sie müssen tragfähig sein. Ich zeige, worin diese Tragfähigkeit besteht, und wie man sie überprüfen kann. Im Kapitel 3 geht es um die Leitung von Projekten. Wie unterscheidet sich die Leitung eines Geschäftsprojektes von anderen Leitungsaufgaben – in der Linie, oder in anderen Projekttypen? Projektleiter brauchen besondere Fähigkeiten, als Konzeptionisten, Beweger und Entscheider. Was verbirgt sich dahinter, und wie kann man entsprechend kompetente Projektleiter identifizieren?
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Kapitel 4 widmet sich dem Projektauftrag. Er muss bei Geschäftsprojekten besonders sorgsam abgestimmt und auch während der Projektlaufzeit ständig weiter entwickelt werden. Recht detailliert werden die einzelnen Bestandteile der Beauftragung dargestellt, vom Projektziel über den Auftragsumfang und das Mandat bis zum Risikomanagement. Das Kapitel enthält auch praktische Hinweise zum Schreiben des Projektauftrags. Kapitel 5 stellt dar, wie eine minimale aber wirksame Projektorganisation entsteht. Es zeigt, wie Teams zusammengesetzt werden können und es beschreibt wichtige Prinzipien für ihre Entwicklung. Auch die Aufwandsschätzung wird hier behandelt, nicht zuletzt mit praktischen Tipps. Im Kapitel 6 legen wir die Grundstruktur für ein erfolgreiches Zeitmanagement. Wir sehen, dass die Kalenderzeit durch die Zeit des richtigen Augenblicks ergänzt werden muss. Geschäftsprojekte haben meist eine an übergeordneten Vorgaben ausgerichtete top-down Zeitstruktur, bei der Etappen und die Übergänge zwischen ihnen eine besonders wichtige Rolle haben. Das Zeit-Management kann dabei nur gelingen, wenn man das richtige Verlaufsmodell auswählt. Das klassische Wasserfall-Modell wird ergänzt durch das Lernzyklen-Verlaufsmodell, das Etappentor-Modell und das Schrittweise Vorgehen. Das Kapitel 7 beschäftigt sich mit der detaillierten Arbeitsplanung. Ich zeige, worauf es bei Geschäftsprojekten ankommt und stelle geeignete Instrumente vor. Dann beschreibe ich zwei Methoden der Arbeitplanung: die Kritische Kette, welche der klassischen Arbeitsplanung quasi einen Turbolader einsetzt, sowie die Arbeitsplanung mit Lernzyklen als meine persönliche Version des agilen Zeitmanagements. In Kapitel 8 wende ich mich dem Thema Zusammenarbeit zu. Zu Beginn steht eine konzeptionelle Klärung: Welche sind die besonderen Herausforderungen für die Zusammenarbeit in Geschäftsprojekten? Zunächst stelle ich vier Prinzipien vor, welche die Zusammenarbeit leiten sollten: Verbindlichkeit jenseits der formalen Planung herstellen, Dazugehörigkeit staffeln, eine fehlertolerante Projektkultur schaffen, Widerstand anerkennen und bearbeiten. Dann zeige ich, wie Kultur erfasst und besprochen werden kann. Für die meisten Projekte ist es sinnvoll, ein Beteiligungskonzept zu erstellen, dessen wesentliche Elemente hier dargestellt werden.
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Einführung
Kapitel 9 vertieft das Thema weiche Faktoren. Es enthält Portraits der für Geschäftsprojekte typischerweise wichtigsten, wie Sinn, Identität, Macht, Einfluss, Motivation und Konflikt. Im Kapitel 10 stelle ich Techniken und Werkzeuge vor, die einen effizienten Umgang mit den weichen Faktoren unterstützen. Es geht um die Klärung der Kommunikation und um das Herstellen von Verbindlichkeit. Zum Abschluss stelle ich in Kapitel 11 die wichtigsten von mir genutzten Quellen für das Management von Geschäftsprojekten vor. Diese liegen sowohl im klassischen Projektmanagement als auch in den innovativen Ansätzen des lean und agile management aus den USA. Das Kapitel enthält zudem detaillierte Hinweise auf Autoren und Quellen, die ich zum Weiterlesen empfehle. Es zeigt auch die wissenschaftliche Fundierung des Managements von Geschäftsprojekten auf. Diese findet sich in der Organisationssoziologie nach Luhmann, der Managementkybernetik, dem systemischen Ansatz der Managementlehre sowie der humanistischen Psychologie und der Sozialpsychologie.
Lesehinweise Dieses Buch sollte leicht zu lesen sein. Deshalb wird die Anwendung der vorgeschlagenen Vorgehensweisen und Werkzeuge, wo sinnvoll, an Beispielen beschrieben. Quellenhinweise und Fußnoten sind sparsam eingesetzt. Die vielen Autoren, auf deren Gedanken ich mich berufe oder bei denen ich gedankliche Anleihen gemacht habe, werden im Kapitel 11 aufgeführt. Kursivsatz nutze ich für Betonungen, fremdsprachliche Begriffe, Zitate, sowie für eigene Fachbegriffe. Jedes der Kapitel kann auch für sich gelesen werden. Wenn zum Beispiel die Zeitplanung für Sie am interessantesten ist: Springen Sie ruhig direkt an den Anfang dieses Kapitels! Jedes Kapitel ist mit einer kurzen Zusammenfassung versehen.
1
Was sind Geschäftsprojekte?
Geschäftsprojekte zielen auf die Entwicklung und Einführung neuer oder verbesserter Produkte, Strukturen, Arbeitsweisen und Tätigkeitsfelder in Unternehmen. Einige Beispiele:
die Entwicklung und Einführung von neuen oder verbesserten Geschäftsprozessen
die Entwicklung und Einführung von Kennzahlensystemen oder Standards
die Stärkung der Kundenorientierung oder der Leistungsfähigkeit gegenüber bestimmten Kundenansprüchen
die Entwicklung und Einführung einer neuen Produktgruppe oder eines grundsätzlich neuen Produktes, einschließlich einer speziellen Vertriebsstrategie.
Es geht um Erneuerung und ihre Verankerung in der Organisation, welche in der Regel durch Informationstechnologie (IT) unterstützt wird. Welche herkömmlichen Begriffe stehen uns zur Verfügung, um diese Projekte zu beschreiben? Wir könnten solche Vorhaben als Organisations-, Entwicklungs- oder IT-Projekte beschreiben, und das ist ja in der Praxis auch vielfach der Fall. Damit zeichnen wir allerdings jeweils nur ein sehr verkürztes Bild des Projektes. Fast immer sind alle drei Perspektiven für Projekte dieser Art wichtig. Wenn ein Projekt als IT-Vorhaben oder als Organisationsprojekt beschrieben wird, bedeutet das oft nicht mehr, als dass die jeweilige Abteilung zuständig ist und das Projekt aus ihrem Budget finanziert – unabhängig von seinen inhaltlichen Herausforderungen. Schlimmer noch ist, dass wir allein durch den Begriff künstliche Barrieren errichten, die wir nachher nur unter großen Kosten wieder durchbrechen können. Eine Studie von 2004 fand heraus, dass cirka drei Viertel der IT-Projektmanager der Meinung sind, dass IT- und Organisationsprojekte eigentlich zusammen geplant und durchgeführt werden müssen, weil sie
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1 Was sind Geschäftsprojekte?
stark voneinander abhängen. Gleichzeitig sagen aber nur 18 Prozent, dass dies in ihren Unternehmen auch der Fall ist.10 Man hat also erkannt, dass IT und Organisation eigentlich zusammen gehören, zieht aber nicht die Konsequenzen. Das gleiche gilt nun auch für die Erneuerung von Produkten und Dienstleistungen: Um ein neues Produkt im Markt zu platzieren, sind oftmals Veränderungen der Organisation erforderlich, also neue Vertriebswege oder eine bessere Kundenbetreuung, und diese Veränderungen werden wiederum durch IT unterstützt. Ein ganzheitliches Vorgehen ist erforderlich, wird aber dadurch behindert, dass man die Projekte als IT-Vorhaben, Organisationsprojekte oder Entwicklungsprojekt etikettiert.
1.1
Eine besondere Art Projekt
Im Folgenden lassen wir die künstliche Trennung in Veränderungs-, Entwicklungs- und IT-Projekte hinter uns. Stattdessen stellen wir uns einmal ganz dumm, und sprechen einfach von Geschäftsprojekten. Diese zielen auf die Erneuerung und Veränderung des Unternehmens. Ihre wichtigsten Merkmale sind:
sie zielen im Kern auf einen Beitrag zur Wertschöpfungskraft des Unternehmens
es geht um das Auffinden, Entwickeln oder Umsetzen einer neuen, zumindest teilweise im Unbekannten liegenden Lösung
die Verantwortung für die Projektdurchführung liegt in der Linie – oder sollte zumindest dort liegen.
10
GPM 2004
1.1 Eine besondere Art Projekt
13
Beitrag zur Verbesserung der Wertschöpfung Geschäftsprojekte stärken die Kraft des Unternehmens, sein Geschäft zu betreiben. Sie zielen auf eine Verbesserung jener Produkte, Prozesse und Strukturen, welche zu seiner Wertschöpfungskraft beitragen. In vielen Fällen berühren diese Projekte den Wertschöpfungsprozess im Unternehmen direkt und tiefgreifend. Dann könnte man sie auch strategische Projekte nennen. Dieser Begriff ist allerdings in vielen Unternehmen schon mit speziellen Vorstellungen und Regeln belegt und zudem meist für größere Vorhaben reserviert, so dass er für unsere Zwecke ausfällt. Geschäftsprojekte sind meist funktionsübergreifend. Darin unterscheiden sie sich von Einzellösungen, wie zum Beispiel der Entwicklung eines einzigen Produktes innerhalb eines bestehenden Portfolios, oder einer Kampagne innerhalb der Vertriebsorganisation zur Umsatzsteigerung in einem bestimmten Kundensegment. Sie unterscheiden sich von Maßnahmen zum Erhalt oder zum Ausbau der Infrastruktur im Rahmen bekannter Leistungsanforderungen und -niveaus, wie zum Beispiel der Erweiterung von IT-Kapazität oder dem Bau einer Fabrik oder eines Bürogebäudes. Schließlich unterscheiden sie sich von Kundenauftragsprojekten, bei denen es darum geht, eine spezifische Leistung für einen Kunden zu erbringen, ohne dass jedoch Veränderungen in der Organisationsstruktur vorgenommen werden. Die hier vorgenommene Unterscheidung von Geschäftsprojekten, Kundenauftragsprojekten und Infrastrukturprojekten ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Projekttypen zu bilden. Sie ist für unsere Zwecke besonders geeignet, weil die besonderen Herausforderungen für das Management von Geschäftsprojekten auf diese Art und Weise klar herausgestellt werden können. Weitere Beispiele für Geschäftsprojekte:
Einführung eines Systems für bessere Kundenbetreuung (customer relationship management)
Zentralisierung von Einkaufsfunktionen
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1 Was sind Geschäftsprojekte?
Einführung einer Projektleiter-Laufbahn
Auf- und Ausbau von Organisationseinheiten
Zusammenlegung zweier Standorte
Firmeninterner Wettbewerb für Energiesparmaßnahmen.
Geschäftsprojekte
Kundenauftragsprojekte
Infrastrukturprojekte Geschäfts-, Infrastruktur-, Kundenauftragsprojekte
Der Weg ins Unbekannte Geschäftsprojekte führen fast immer vom Bekannten ins Unbekannte. Es geht um die Zukunft, genauer gesagt um die Erweiterung eigenen Wissens und Könnens sowie um zukünftiges Verhalten von Projektbeteiligten und Projektbetroffenen. Was man wissen kann, und wer sich wie verhalten wird, lässt sich schon grundsätzlich kaum vorhersagen. Wenn es nun darum geht, in die zentralen Wertschöpfungsprozesse eines Unternehmens einzugreifen, werden die Verhältnisse noch viel komplexer, und die Zukunft unsicherer. Geschäftsprojekte bewegen sich also in einer Art Nebel vorwärts, der aus Unwissen und Unsicherheit über die Zukunft besteht. Ob neue Geschäftsprozesse oder neue Standards tatsächlich die höhere Qualität bewir-
1.1 Eine besondere Art Projekt
15
ken, die man sich von ihnen verspricht; ob sich mit dem Aufbau einer neuen Organisationseinheit Einsparungen durch Größenwachstum realisieren lassen, ob eine neue Produktgruppe im Markt bestehen wird – all dies kann auch der beste Experte nur schätzen, aber niemals mit Sicherheit voraussagen. Je weiter ein Projekt sich in diesem Nebel von Hoffnungen und Befürchtungen nach vorne schiebt, desto mehr Detail wird sichtbar und desto mehr lernen die Beteiligten. Sie arbeiten in einen offenen Horizont von Fragen und Alternativen hinein – und während neu Entdecktes zunehmend klarer und vertrauter wird, rücken alte Wahrheiten wieder in den Hintergrund und verlieren die Kraft, Orientierung zu geben.
Durchführungsverantwortung in der Linie In vielen Unternehmen wird die Umsetzungsverantwortung für Projekte delegiert: für Bauprojekte an Ingenieurbüros, für Software- und Hardwareprojekte an IT-Systemhäuser oder an interne Stabsstellen, für Produktentwicklungsprojekte an spezielle Entwicklungsfirmen, manchmal sogar für Organisations-Projekte an Unternehmensberater. Die Linie als Auftraggeber des Projektes nimmt dann die Gesamtverantwortung wahr, die Verantwortung für die wirksame und professionelle Durchführung liegt jedoch bei den jeweiligen Spezialisten. Auf diese Art wird sichergestellt, dass die Projektdurchführung professionellen Standards entspricht und dass gleichzeitig die knappen Ressourcen der Linie für ihre täglichen Aufgaben verfügbar bleiben. Für die Spezialisten von außen ist es jedoch schwierig, Projekte wirksam umzusetzen, wenn ihre Ergebnisse nachhaltig bei allen Beteiligten verankert werden sollen. Dies gilt insbesondere, wenn nicht punktuelle Lösungsbeiträge gesucht werden, sondern strukturelle und langfristig wirksame Verbesserungen. Dies ist typisch für Geschäftsprojekte. In solchen Fällen sollte die Linie auch die Verantwortung für die operative Umsetzung in der Hand behalten – eine Einsicht, die sich in den letzten Jahren immer mehr durchsetzt.
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1.2
1 Was sind Geschäftsprojekte?
Geschäftsprojekte sind Expeditionen
Die Besonderheiten von Geschäftsprojekte erschließen sich uns, wie schon kurz angesprochen, über das Bild der Expedition. Das Wort Expedition stammt vom lateinischen expeditio und wird in ähnlicher Form in fast allen romanischen und germanischen Sprachen verwendet. Es bedeutet Erledigung, Versand, Feldzug, und beauftragte Reise. Wir denken heute beim Wort Expedition vor allem an Forschungsreisen sowie an risikobehaftete, herausfordernde Unternehmungen wie das Bezwingen von Bergen und Wüsten. Expeditionen sind Projekte: Sie sind zielorientiert, im Prinzip einmalig, befristet, mit speziellen Mitteln versehen und dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt. Sie werden im Auftrag einer größeren Organisation von einem Team oder einer speziellen Einheit durchgeführt und stellen einen Bruch mit der dortigen Routine dar. Die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus war eine solche Expedition. Auf diese werde ich im Verlaufe des Buches immer wieder zur Veranschaulichung zurückgreifen. Im Folgenden betrachten wir einige der wesentlichen Gemeinsamkeiten von Expeditionen und Geschäftsprojekten – und stellen diese zur Verdeutlichung einem ganz einfachen Projekt gegenüber, nämlich dem Bau eines Hauses. Dies geschieht zunächst in groben Strichen, und wird dann insbesondere in den Kapiteln zur Projektidee und zum Auftrag (Kapitel 3 und 4), sowie im Kapitel zum Zeitmanagement (7) ausgeführt.
Unscharfe Ziele Beim Bau eines Hauses wird das Ziel schon zu Beginn des Projektes genau beschrieben; in Form von Bauplänen, deren Gehalt und Detaillierungsgrad von vornherein festgelegt ist. Demgegenüber ist bei Expeditionen das Ziel nur soweit festgelegt, wie es auf Grund der vorliegenden Informationen möglich ist – und die sind meist fragmentarisch. Deshalb rechnet man damit, dass sowohl das Ziel als auch der Weg dahin sich erst im Laufe der Zeit vollständig ergeben.
1.2 Geschäftsprojekte sind Expeditionen
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Kolumbus hatte die Vorgabe, dem spanischen Königshaus das Gold der Inder zu beschaffen. Ob dies durch Besiedlung, durch Unterwerfung oder durch Handel geschehen würde, blieb offen.
Man hat eine Vorstellung davon, was man erreichen will. Was aber tatsächlich möglich und sinnvoll ist, erkennt man erst aufgrund der praktischen Erfahrung. Geschäftsprojekte sind den Expeditionen ähnlich: Man hofft auf mehr Wirtschaftskraft, zufriedenere Kunden, leistungsfähigere Mitarbeiter – aber was das genau heißt, klärt sich erst unterwegs.
Ankunft des Christoph Kolumbus an der Insel Hispaniola (Haiti), Stich aus seinem Reisebericht, 1493
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1 Was sind Geschäftsprojekte?
Planung ist wichtig, aber garantiert für nichts Auf der Grundlage der Baupläne erstellt der Bauleiter eine Umsetzungsplanung. In deren Mittelpunkt steht die Auflistung und Koordinierung zahlreicher Tätigkeiten, die schon zu Beginn des Projektes bekannt sind. Der Bau eines Hauses wird durchgeplant – von Anfang bis Ende, und unter Einschluss aller Bauteile. Planung ist auch für Expeditionen überlebenswichtig. Das betrifft zum einen die Ausrüstungsplanung, vor dem Beginn der Unternehmung. Amundsen schlug Scott auf dem Wege zum Südpol. Einer der Gründe war, das Scott Ponys als Lasttiere dabei hatte – den armen Tieren war es viel zu kalt, und in Kürze wurden sie zu Pemmikan verarbeitet. Wer also eine Expedition ungeplant beginnt, handelt fahrlässig. Andererseits ist weder möglich noch sinnvoll, vorauszusehen, was alles gebraucht werden wird. Scott war nicht fahrlässig, sondern hatte Pech. Erfahrung hilft bei der Planung, aber wer richtig geplant hat, hat Fortune – die Friedrich II. als das Glück der Tüchtigen bezeichnete. Zum anderen ist auch für Expeditionen eine Durchführungsplanung erforderlich. Beim Hausbau ist eine Durchführungsplanung damit zu vergleichen, feste Gleise für die Fahrt in die Zukunft zu legen. Wichtig ist dann, den Zug auf dem Gleis zu halten – Projektmanagement besteht zum nicht geringen Teil darin, Planabweichung zu messen und zu korrigieren. Für Expeditionen gilt jedoch, dass keine noch so gute Planeinhaltung sie je ins Ziel gebracht hätte. Durchführungsplanung ist nicht mehr als ein vorgezeichneter Pfad, der eine mögliche Orientierungshilfe bietet. Sobald die Situation etwas anderes erfordert, wird dieser verlassen. Für militärische Expeditionen – Feldzüge – gilt das geflügelte Wort: In jeder Schlacht ist ihr Plan das erste Opfer.11
Planung von Geschäftsprojekten dient vor allem der Selbstkontrolle, der Orientierung am eigenen Tun – wie ein Kreiselkompass, der nicht von sich aus den richtigen Kurs anzeigt, aber eine dauerhafte Orientierung ermöglicht. Das Motto lautet: Wenn schon irren, dann wenigstens planvoll!
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Diese Weisheit wird mal Moltke, mal Sun-Yat Set zugeschrieben.
1.2 Geschäftsprojekte sind Expeditionen
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Chancen und Risiken Für Expeditionen gilt: Vom vorgezeichneten Pfad muss man auch abweichen, wenn sich entlang der Strecke neue Chancen oder neue Risiken ergeben. Der Blick ist also nicht allein auf den Pfad gerichtet, den man auf Planabweichung kontrolliert. Vielmehr hat der Expeditionsleiter den Blick ständig am Horizont und am Wetter, um mögliche Chancen nutzen zu können und Risiken zu vermeiden. Auch für Geschäftsprojekte ist diese Orientierung an Chancen und Risiken zentral, und zudem mit einer besonderen Herausforderung verbunden: Eine verpasste Gelegenheit ist für eine Linienfunktion oft nur das. Für ein Projekt kann eine verpasste Gelegenheit oder ein übersehenes Risiko jedoch den totalen Misserfolg bedeuten. Als Projektleiter muss man deshalb ständig den Blick über den Tellerrand der Durchführungsplanung heben und nach Gelegenheiten suchen, seinen Auftrag besser, schneller oder sicherer zu erfüllen, als geplant.
Eine Rose ist eine Hose ist eine Dose12 Über Erfolg beim Bau eines Hauses muss man meist nicht viel diskutieren. Der Durchführungserfolg bemisst sich fast immer daran, den Bauplan so kostengünstig und schnell wie möglich umzusetzen. Der Erfolg einer Expedition bemisst sich demgegenüber daran, am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt anzukommen, und dann auch zurückzukehren, ohne dass zu viele Expeditionsmitglieder auf der Strecke bleiben. Dabei kann sich – siehe Kolumbus – das Verständnis des richtigen Ortes im Verlaufe der Expedition durchaus ändern. Oder ist Kolumbus, VizeKönig von Indien, gescheitert? Und, schließlich: War ihre Entdeckung ein Erfolg für die Indianer? Dasselbe gilt für Geschäftsprojekte: Das Projektziel und sein Verständnis ändern sich – Ankommen ist nicht Ankommen ist Ankommen. Jedes
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In Anlehnung an The Beatles: Yellow Submarine, Variation auf ein Gedicht von Gertrude Stein
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1 Was sind Geschäftsprojekte?
Vorhaben hat offensichtliche Kosten, und schließt andere Entwicklungsverläufe aus. Ob ein Firmenzukauf, die Einführung einer betriebswirtschaftlichen Software, die Zentralisierung des Einkaufs als Erfolg oder als Desaster betrachtet werden, hängt immer davon ab, ob ein Verlierer oder ein Gewinner diese Betrachtung anstellen, und welchen Zeithorizont man im Blick hat.
Geschäftsprojekte haben keinen Bauzaun Den Bau eines Hauses kann man als weitgehend geschlossenes System betrachten. Das Baumaterial kann man bestellen und auf der Baustelle lagern, um dann weitgehend ungestört vor sich hin zu arbeiten. Man muss die Baustelle und Abläufe in Ordnung halten, dann klappt das Projekt. Wichtig ist, den Bauzaun früh zu errichten und dicht zu halten. Just-intime Lieferungen haben dieses Prinzip aufgeweicht, aber nicht grundsätzlich geändert. Expeditionen müssen hingegen oftmals lernen, von dem zu leben, was ihre jeweilige Umwelt hergibt. Seefahrer und Arktisexpeditionen hatten lange Zeit einen Bauzaun im Kopf: Man aß, was es zu Hause gab – notfalls drei Jahre altes Pökelfleisch. Der Mangel an Vitamin C raffte allerdings einen großen Teil der Mannschaften dahin. Den Durchbruch in der Erkundung der Arktis schaffte hingegen John Ross im Jahre 1830, der als erster seinen Leuten beibrachte, zu Essen wie die Eskimos. Die Durchquerung des nordamerikanischen Kontinents im Jahre 1805 gelang Meriwether Lewis und William Clark mit ihrer indianischen Führerin Sacajawea, deren Kenntnisse es ihnen erlaubten, ohne Vorräte zu reisen. Auch Geschäftsprojekte haben in der Regel keinen Bauzaun. Sie dürfen sich nicht einfach abschotten, sondern müssen offen sein für neue Themen, neue Probleme, neue Ansprüche und neue Möglichkeiten. Der Vergleich von Geschäftsprojekten mit Expeditionen passt also in vieler Hinsicht. Ich werde immer wieder darauf zurückkommen, insbesondere um Unterschiede zum klassischen, für die Herstellung von Bauten und Gütern entworfenem Projektmanagement deutlich zu machen.
1.3 Zusammenfassung
1.3
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Zusammenfassung
Geschäftsprojekte verbinden Veränderungs- und Entwicklungsmaßnahmen, die durch IT ermöglicht oder gestützt werden. Sie zielen auf eine Verbesserung der Wertschöpfungskraft des Unternehmens. Die Verantwortung für Geschäftsprojekte liegt deshalb meist in der Linie und nicht bei IT- oder Organisationsabteilungen. Insgesamt ähneln sie den strategischen Projekten in vielen Unternehmen. Das Management von Geschäftsprojekten muss mit großer Unsicherheit umgehen: Unsicherheit über die Zukunft, über die jetzige Situation, und über die Absichten anderer. Geschäftsprojekte sind mit Expeditionen zu vergleichen, die ja auch alle Merkmale eines Projektes haben – während klassische Projekte sich eher am Bild des Hausbaus orientieren. Geschäftsprojekte haben Ziele, die anfangs oft noch schemenhaft sind und erst im Verlauf des Projektes zunehmend klarer werden; sie benötigen genaue Planung, ohne dass diese den Erfolg sicherstellen könnte; ständig muss die Situation auf neue Chancen und Risiken geprüft werden; ihr Erfolg oder Misserfolg wird von verschiedenen Beteiligten ganz unterschiedlich bewertet; und sie können sich im Unternehmen nicht abkapseln, sondern müssen immer offen sein für das, was kommt.
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
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Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Eine ursprüngliche Bedeutung des Wortes Projekt ist die gedankliche Vorwegnahme, der Entwurf in die Zukunft hinein: „… der erste Gedanke … endigte sich in ein Projekt, sie balde wieder zu sehen“ schrieb Goethe.13 Projekte stellen dem jetzigen IST ein zukünftiges SOLL gegenüber. Im Kern eines jeden Projektes liegt, so gesehen, nicht mehr als eben ein Gedanke, eine Einsicht, oder eine Vermutung. Und genau dies gilt insbesondere auch für Erneuerungs- und Veränderungsprojekte. 14 Nun eignet sich allerdings nicht jede Idee dazu, aus ihr ein Projekt zu machen. Die erste Frage, die sich für das Management von Geschäftsprojekten stellt, ist deshalb: Was macht die Tragfähigkeit einer Projektidee aus, und wie kann man sie gegebenenfalls verbessern? Dies ist das Thema dieses Kapitels. Es wendet sich an alle, welche am Zustandekommen eines Projekts beteiligt sind. Dies kann auch die zukünftigen Projektleiter einschließen – wie im Falle des Kolumbus, der sich sein eigenes Projekt erschuf. Und auch wenn ein Projekt schon lange besteht, werden immer wieder die Fragen aufkommen: Was war die ursprüngliche Idee? Ist sie heute noch aktuell und tragfähig? Eine Projektidee sollte, erstens, hinlänglich klar sein. Natürlich wissen wir oftmals wenig über das, was uns erwartet; dennoch sollten durchdachte Arbeitshypothesen schon vorliegen, und wir sollten uns ein Bild über die Vorgeschichte des Projektes machen.
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Deutsches Wörterbuch der Gebrüder Grimm, Quelle: http://germazope.unitrier.de, Oktober 2007 Eine wichtige Variante bilden sogenannte compliance-Projekte, bei denen es darum geht, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen; auch bei diesen sind oft Erneuerung und Veränderung gefragt, wobei jedoch der kreative und gestalterische Anteil meist so gering wie möglich gehalten wird.
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Zweitens erfordern Geschäftsprojekte in der Regel ein großes persönliches Engagement der Beteiligten. Die Projektidee sollte deshalb mitreißend sein, sie muss die Beteiligten selbst zum Mitmachen motivieren – ein Dienst nach Vorschrift, ein bloßes Abarbeiten der vorgegebenen Pläne reichen für den Erfolg in der Regel nicht aus. Desweiteren müssen Geschäftsprojekte oftmals die Zustimmung und Unterstützung verschiedener Beteiligter finden, obwohl diese ganz unterschiedliche Sichtweisen haben und Interessen verfolgen. Was bedeutet das für die Projektidee? Schließlich sind Geschäftsprojekte oft mit großen Risiken verknüpft. Wer bringt den Mut auf, sie zu unterstützen – und mit welchen Gründen? Stehen Risiken und Chancen in einem vernünftigen Verhältnis? Die Frage zu Beginn eines Geschäftsprojektes ist also: „Ist die Idee tragfähig?“ Und die Antwort hängt davon ab, ob diese Idee klar und gleichzeitig offen genug ist, ob sie motivierend ist, ob sie durchsetzbar ist, und ob ihre Risiken in Kauf genommen werden können. Dies werden wir nun im Einzelnen beleuchten.
Lesen Sie
wie man den Gehalt einer Projektidee klarstellt
wie Projektideen mitreißen können
warum die Projektidee für verschiedene Beteiligte jeweils etwas anderes darstellt, und wie Sie damit umgehen können
wie man das Durchführungsrisiko einer Projektidee bewertet.
2.1
Die Projektidee klären
Die Einführung einer neuen Software-Lösung, die Ausgründung einer Abteilung, die Restrukturierung eines Berichtswesens – solche und andere Geschäftsprojekte scheitern oftmals, weil unklar bleibt, was eigentlich beabsichtigt war. Diese Erfahrung habe ich aus etlichen Projektevaluierungen
2.1 Die Projektidee klären
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mitgenommen, und sie wird auch durch Studien belegt: Wenn Geschäftsprojekte scheitern, sind dafür in 70% der Fälle „Unklare Anforderungen und Ziele“ verantwortlich.15 Die Projektidee so klar und präzise wie möglich zu formulieren, ist also fast immer den Aufwand wert. Klare Ziele sind einfacher zu vermitteln, leichter an sich verändernde Verhältnisse anzupassen und meist motivierender als vielschichtige und verschwommene. Vor allem aber ist eine klare Vorstellung vom Projektziel für die Projektsteuerung selbst wichtig. „Wenn ein Seemann nicht weiß, welches Ufer er ansteuern muss, dann ist kein Wind der richtige.“ (Seneca)
Dies gilt unabhängig davon, ob es taktisch klug oder diplomatisch geboten erscheint, das Projektziel in allen Facetten in der Öffentlichkeit darzustellen. Dazu werden wir später kommen. Zunächst einmal stellt sich die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass die Projektidee ausreichend durchdacht und zumindest uns selbst hinreichend klar ist?
Entscheidend ist, was hinten rauskommt16 Ein fast triviales, aber wirksames Mittel ist die Darstellung der Projektidee in Form einer Wirkungskette. Wirkungsketten stellen im einfachsten Falle nur Leistungen dar, sowie die damit zu erreichenden direkten Ergebnisse sowie schließlich die weiteren Wirkungen des Projektes:
Leistungen
Ergebnisse
Wirkungen
Jede einigermaßen durchdachte Projektidee sollte sich in dieser Form darstellen lassen. Die Wirkungskette wurde für die Planung von komplexen Entwicklungsprojekten zum Beispiel bei der Weltbank entwickelt und ge-
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GPM 2004 Nicht schön, aber klar gesagt. Helmut Kohl; bei einer Pressekonferenz am 31. August 1984; zitiert in DER SPIEGEL, 3. September 1984
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
hört dort mittlerweile zum Standard.17 Sie wurde dort eingeführt, weil es jahrzehntelang immer wieder vorkam, dass Projekte allein oder vor allem aufgrund ihrer Leistungen beziehungsweise inputs durchgeführt wurden, ohne dass man sich ausreichend mit den eigentlich wichtigen Ergebnissen und Wirkungen auseinander gesetzt hatte. In der Wirtschaft ist das vielfach kaum anders: Man kauft erst einmal eine Software, ohne sich wirklich klar zu sein, welche handfesten Ergebnisse diese für das Unternehmen beitragen soll. Das vorhersehbare Resultat dieses Vorgehens sind Implementierungsprobleme und mangelnde Akzeptanz. Manchmal ist es sinnvoll, weitere Zwischenstufen einzubauen. Hier sind zwei Beispiele für Wirkungsketten mit fünf Stufen: Kolumbus
Firma X
Leistung
Drei Schiffe segeln nach Westen
Einrichtung eines Call-Centers
Direkter Nutzen (Ergebnisse)
Entdeckung des direkten Seewegs nach Indien
Bessere und günstigere Auftragserfassung und After Sales Service
Indirekter Nutzen (weitere Ergebnisse)
Zugang zu Gold, günstiger Handel
Mehr Umsatz, bessere Kundenbindung und Info über Marktperformance
Wirkung auf Auftraggeber
Kasse des Königshauses gefüllt
Besseres wirtschaftliches Ergebnis für Produktgruppe
Wirkung auf die nächst höhere Ebene
Spaniens Wirtschaft gestärkt
Besseres Ergebnis und bessere Marktposition für das Unternehmen
Will man ein Projekt verstehen, so kann man mit diesem Werkzeug klären, ob die Projektidee bis zur Wirkung durchdacht wurde – oder ob nicht zum Beispiel ein Call Center nur eingerichtet werden soll, weil dies jetzt alle so 17
AURA Leitfaden (BMZ 2005)
2.1 Die Projektidee klären
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machen, oder weil damit der Verantwortungsbereich einer bestimmten Person erweitert werden soll.
Spatzen, Tauben und Adler aus St. Gallen Eine zweite weitreichende Klärung betrifft den Horizont der Projektidee, beziehungsweise ihre Flughöhe. Im Hintergrund steht die Frage: „Was ist wertvoller: der Spatz in der Hand, die Taube auf dem Dach oder der Adler in der Luft?“ Dies ist die vogelkundliche Version der Unterscheidung zwischen der operativen, der strategischen und der normativen Ebene des Managements der St. Galler Management-Schule. Operatives Management richtet sich auf unmittelbare Ergebnisse, während strategisches Management auf Wirkungspotentiale gerichtet ist. Auf der normativen Ebene geht es um übergreifende Strukturen und Werte, die langfristig den Erhalt der betreffenden Organisation sichern.
Managementebenen
Bezugsgrößen, Zielkategorien Entwicklung
Komplexität
normativ Lebensfähigkeit
Neue Erfolgspotentiale
strategisch
Bestehende Erfolgspotentiale
Erfolg
operativ
Direkter Nutzen
Zeithorizont Unterscheidung von drei Ebenen des Managements (nach Schwaninger 1994)
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Mit dieser Unterscheidung ist die fundamentale Einsicht verbunden, dass es in der Regel zu Zielkonflikten zwischen diesen verschiedenen Ebenen kommt. Nicht die eine oder die andere Ebene allein ist wichtig und richtig. Alle drei sind es – man kann aber die Ziele der einen Ebene nur auf Kosten der anderen erreichen. Der Gruppenleiter der Produktentwicklung will ein neues Produkt hier und jetzt, der Bereichsleiter F&E will mit dem Entwicklungsprojekt auch einen Durchbruch zu höherer Innovationsgeschwindigkeit der Abteilung erreichen … Der Leiter der Niederlassung X will von der Einführung der neuen Versicherungspolice jetzt bessere Abschluss-Zahlen in seinem Gebiet, Marketing hingegen will eine langfristig orientierte Platzierung der Produktlinie im Markt, die jedoch einen hohen Vorbereitungsaufwand erfordert.
Mit den Ebenen von Spatz, Taube und Adler sind also oft bestimmte Betrachtungswinkel verbunden, unter denen die verschiedenen Beteiligten das Projekt wahrnehmen. Der eine will den Spatz in der Hand, weil er im täglichen Geschäft mit dem Projekt in Berührung kommt und weil in seinem Belohnungssystem die langfristigen Wirkungen des Projektes nicht berücksichtigt werden. Der andere ist mit dem operativen Geschäft weniger befasst, sein Belohnungssystem berücksichtigt langfristige und übergreifende Auswirkungen. Es ist nachvollziehbar, dass sich Beteiligte mit solch unterschiedlichen Perspektiven zunächst kaum über erforderliche Maßnahmen oder gar die Bewertung eines Projektes insgesamt einigen können. So müssen die Beteiligten sich darüber einig werden, welchen Rang sie jeweils den verschiedenen Perspektiven zubilligen – oder es muss für sie entschieden und ihre Akzeptanz der Entscheidung gesichert werden. Das folgende Diagramm verbindet den Gedanken einer Trennung von Ursachen und Wirkungen – beziehungsweise Problem und Lösung – mit diesen drei Ebenen des Managements. Es zeigt, wie ein Projekt Lösungsbeiträge für Probleme auf allen drei Ebenen erbringen kann:
2.1 Die Projektidee klären
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Probleme / Ursachen Normative Ebene:
Strategische Ebene:
Operative Ebene:
Lösungen / Wirkungen
Geringe Marktorientierung im Unternehmen
Höhere Marktorientierung im Unternehmen
Produkteinführung im Markt schwierig; Abkopplung von Käufern
Nähe zu Käufern; Produkteinführung einfacher
Kosten für telefonische Betreuung hoch, Kapazität zu gering
Geringere Kosten und höhere Kapazität für telefonische Betreuung Projekt „Call Center“ heute
Zeit
Unterscheidung von Problemlösungen bzw. Ursache-Wirkungszusammenhängen auf drei Managementebenen
Das Diagramm zeigt, wie Probleme der jeweils höheren Ebene andere Probleme auf den unteren Ebenen nach sich ziehen: Eine geringe Marktorientierung im Unternehmen führt zu einer systematischen Abkopplung von den Käufern, und die zu geringe Kapazität für Telefonbetreuung ist dann eine logische Folge dieser Malaise. Umgekehrt würde eine höhere Kapazität für die telefonische Betreuung dem Unternehmen ermöglichen, langfristig wieder eine größere Marktorientierung zu erwerben. Das Gleiche, verkürzt und in tabellarischer Form, sähe für die Expedition des Christoph Kolumbus so aus:
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs Problem
Lösung
Normativ
Ansehen der Krone schwindet
Spaniens Krone als Weltmacht anerkannt
Strategisch
Spanien gegenüber Portugal im internationalen Handel im Hintertreffen
Spanien sichert sich bevorzugte Handelsbeziehungen mit Indien
Operativ
Hohe Kosten von Indien-Fahrten
Geringere Kosten für Seeweg nach Indien
Den Dingen auf den Grund gehen: Problemanalyse Eine weitere, für die Klärung der Durchführbarkeit eines Projektes meist sehr fruchtbare Fragestellung lautet ganz einfach: „Welches Problem soll dieses Projekt lösen?“ Man könnte meinen, dass diese Frage eigentlich mit der Darstellung der Wirkungskette schon beantwortet sein müsste – gemäß der Regel, dass Probleme und Lösungen jeweils nur zwei Seiten derselben Medaille sein sollten. Die Erfahrung in der Praxis ist aber, dass oftmals trotz einer zunächst überzeugenden Wirkungskette keine ausreichende Klarheit über zu beseitigende Probleme besteht. Insbesondere besteht die Gefahr, dass man ohne eine Problemanalyse oberflächlich bleibt, und dass die Projektidee somit die richtige Lösung eines falsch gestellten Problems darstellt.18 Das im obigen Beispiel erwähnte Projekt ‚Einrichtung eines CallCenters‘ hat tatsächlich die erwünschten Ergebnisse beziehungsweise Lösungsbeiträge zu Stärkung des Kundenservice und letztlich der Kundenorientierung des Unternehmens erbracht. Gleichwohl stellte sich später heraus, dass grundlegendere Probleme im Bereich der Qualifikation, der Leistungsanreize und der Altersstruktur
18
Umfassend dazu die Literatur zu „Lösungen erster und zweiter Ordnung“ im Gefolge von Watzlawick 1969
2.1 Die Projektidee klären
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des Service-Personals bestanden, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Firma nachhaltig beeinträchtigten. Weil sich die Beteiligten vorschnell auf die vermeintliche Lösung ‚Call Center‘ geeinigt hatten, war das Gefühl aufgekommen, dass eine Lösung für eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Service-Bereich schon unterwegs sei. Damit wurde eine rechtzeitige Befassung mit schwerwiegenderen Problemen behindert.
In den letzten Jahren ist viel über ressourcenorientierte Ansätze in der Organisationsentwicklung gesprochen worden. Diese seien dem klassischen problemorientierten Vorgehen überlegen, weil sie positive, dringend benötigte Energie für Veränderungen frei setzen und Ängste mindern könnten. Ich halte dies in vieler Hinsicht für richtig, warne aber trotzdem davor, ganz von einer Problemanalyse abzusehen. Meine Erfahrung ist, dass eine fehlende Klarstellung des zu lösenden Problems ein Signal darstellt: für ein mangelndes Verständnis der Dynamik und Strukturen des Unternehmens, oder für einen faulen Kompromiss zwischen Beteiligten.
Schön, stark und mutig: Die Vorgeschichte aufdecken Projekte in Organisationen haben immer eine Vorgeschichte. Der Begriff verdient besondere Beachtung: Eine Vorgeschichte ist viel mehr als die Folge von sachlichen Ereignissen, die zum Projekt führte. Die Vorgeschichte ist die Geschichte, die über das Projektthema erzählt wurde, bevor das Projekt kam. Ein Projekt ohne seine Vorgeschichte wäre nicht das, was es ist. Erst die Vorgeschichte lässt uns verstehen, was die verschiedenen Beteiligten mit dem Projekt verbinden. Zur Vorgeschichte der Expedition des Christoph Kolumbus gehören: die Entdeckung der Kugelform der Erde in der Antike, und dass dieses Wissen fast 1500 Jahre nicht genutzt wurde; das Aufsehen, welches Marco Polo mit seinen Berichten über Indien und China erregte; die portugiesischen Erfolge bei der wirtschaftlichen Eroberung der Welt; die Marginalisierung des spanischen Königshauses im Wettstreit der europäischen Mächte sowie seine Erfolge in der Reconquista.
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Die Vorgeschichte von Projekten ist selten ganz öffentlich. Für Geschäftsprojekte ist es meist taktisch geboten, sie als neu, frisch und unbelastet darzustellen. Gab es zum Beispiel Vorläuferprojekte, so werden diese oft verschwiegen. Dabei gilt gerade für diese oft, dass sie schön, stark und mutig waren: schön gegen die Wand gelaufen, stark abgeprallt, und mutig wieder angelaufen. Eindrücklich zeigt dies folgende Erfahrung mit einer Großbank: Gefeierte Projektleiter berichteten mir von ihren aktuellen Erfolgsprojekten. Alles sah irgendwie sehr professionell aus, wir sprachen über kleine, mögliche Verbesserungspotentiale hie und da – bis die Vorgeschichten der jeweiligen Projekte angesprochen wurden. Da stellte sich heraus, dass jedes der untersuchten, erfolgreichen Projekte zwei oder drei gescheiterte Vorgänger hatte! In weiteren Gesprächen wurde klar: Projekte hatten in diesem Umfeld ein genau so großes Risiko, zu scheitern, wie anderswo. Erst wenn man sozusagen auf den Ruinen von mindestens zwei vorhergehenden Anläufen aufbauen konnte, war der Boden fest und bereit für ein erfolgreiches Projekt. Erst dann war die Projektidee hinlänglich klar und ‚rund‘ geworden, erst dann waren die verschiedenen Abteilungen bereit, die notwendigen Kompromisse zu schließen. Untersucht man eines dieser ‚Erfolgsprojekte‘, ohne diese Vorgeschichte zu kennen, so käme man zwangsläufig zu ganz falschen Vorstellungen über die Durchführbarkeit von Projekten in der Bank!
Die Vorgeschichte ist allerdings meist nicht auf Erfahrungen des Scheiterns beschränkt. Spricht man mit den Sponsoren eines Geschäftsprojektes über dessen Vorgeschichte, so erfährt man oft von Vorbildern, aber auch von Neid und Konkurrenz sowie vom schlichten Wunsch, etwas zu tun, weil alle es so machen: „So etwas wollte ich auch machen/wollen wir hier auch haben!“ Kolumbus wollte wie Marco Polo als Entdecker in die Geschichte eingehen, Amundsen und Scott lieferten sich ein Wettrennen zum Pol, in der Wirtschaft herrschte bis vor kurzem die Mode der Prozessoptimierung nach Lean Sigma, größere und kleinere Konzerne überbieten sich gegenseitig in Unternehmenszusammenschlüssen. Erfahrungen des Scheiterns, Idole, Angst vor Zwängen, Konkurrenz und Nachahmung sind äußerst mächtige Motive, welche Geschäftsprojekte befördern und beeinflussen. Auch wenn sie in der offiziellen Projektdoku-
2.2 Eine mitreißende Vision: Auf nach Indien!
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mentation nur fragmentarisch dargestellt ist: Um eine Projektidee beurteilen zu können, sollte man ihre Vorgeschichte kennen! Mit den hier vorgestellten Techniken – der Wirkungskette und der Unterscheidung operativ/strategisch/normativ sowie den Fragen nach der Problemanalyse und der Vorgeschichte – sollte es möglich sein, die meisten Projektideen soweit zu klären, dass zumindest eine grundlegende fachliche Plausibilitätsprüfung möglich wird.
Wirkungskette darlegen
Management-Ebene unterscheiden (Spatz, Taube, Adler)
Ist die Projektidee klar?
Problemanalyse (Probleme freilegen)
Vorgeschichte ausgraben
Vier Wege zur Klärung der Projektidee
2.2
Eine mitreißende Vision: Auf nach Indien!
Als nächstes stellt sich die Frage, ob die Projektidee mitreißend ist. Moderne Unternehmen sind nämlich in gewisser Weise sehr viel mehr auf ihre Mitarbeiter angewiesen als die klassischen industriellen Produktionsstätten: weil ihre Aufgabenstellungen so komplex oder so spezialisiert sind, dass sie nur von hoch qualifizierten Fachkräften bewerkstelligt werden können, weil viel des dafür benötigten Wissens implizit ist, also nur schwer niedergeschrieben werden kann, und weil die Beziehungen immer wichtiger werden, die unter Mitarbeitern bestehen sowie zwischen Mitar-
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
beitern, Kunden und Lieferanten. Der große Managementlehrer Peter Drucker sagte es unnachahmlich: „Die Produktivität des Wissens und des Wissensarbeiters wird … wahrscheinlich zum entscheidenden Faktor (im wirtschaftlichen Wettbewerb) werden. … Wissensarbeiter verfügen, im Gegensatz zum klassischen Arbeiter im produzierenden Gewerbe, selbst über die Produktionsmittel: Sie haben ihr Wissen im Kopf und können es deshalb immer mitnehmen.“19
Wer die Leistung und Leistungsfähigkeit seines Unternehmens durch Innovation und Organisationswandel steigern möchte, tut deshalb gut daran, die Mitarbeiter zu begeistern, oder wenigstens einzubinden. Das gleiche gilt für die anderen Beteiligten: Einflussträger, Entscheider, wichtige Kunden, andere Kollegen im Führungskreis. Erneuerung und Wandel erfordern, dass sie alle ihr Wissen und ihre Beziehungen zur Verfügung stellen. Dazu kann man sie kaum zwingen. Je größer ihr freiwilliges Engagement für das Projekt ist, desto größer sind die Chancen, ihr Wissens- und Beziehungskapital nutzen zu können.
Die unschlagbare Idee: „Gold, pures Gold!“ Es gibt eine fundamentale Voraussetzung dafür, dass die Beteiligten mitmachen: Die Idee muss klar sein, und sie muss als wertvoll empfunden werden. Kolumbus hatte eine Idee: das Gold von Indien! Man kannte dies aus den Erzählungen des Marco Polo, der von goldenen Palästen, vergoldeten Brücken und anderem Reichtum geschrieben hatte. Kolumbus versprach, die Beteiligten und Unterstützer seiner Expedition nach Indien zu führen, so dass sie reich werden konnten. Das war als Idee einfach genug. Gold-Räusche gab es dann immer wieder. Die Hoffnung ist eben ein ungemein starker Antrieb des Menschen. Es geht es um tief liegende Gefühlskräfte, die mit Worten kaum angemessen zu beschreiben sind. Für den Goldrausch ist natürlich nicht nur der phänomenale Aufbruch charakteristisch, sondern auch die unvermeidliche Er-
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Drucker 2000
2.2 Eine mitreißende Vision: Auf nach Indien!
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nüchterung. Die erfasste die Goldsucher des Klondike ebenso wie die Börsenanleger nach dem Platzen der Internet-Blase und manche Top-Manager nach den Erfahrungen einer schwierigen Unternehmensfusion.
Marco Polo mit spanischen Goldmünzen; diese beflügelte den Willen von Kolumbus und seinen Sponsoren
Ein Goldrausch ist in der Regel kein Fundament für dauerhafte Werte, und insofern sollte man nicht versuchen, mit einem Geschäftsprojekt einen Goldrausch zu erzeugen oder gar dabei mitzumachen. Das Phänomen des Goldrauschs zeigt jedoch, welch starke Energien gemeinsam erlebte Gefühle und geteilte Werte freisetzen können.
I have a dream … Die wenigsten Projekte können darauf verzichten, diese Gefühle und Werte anzusprechen. Die zivile und nachhaltige Art, dies zu tun, ist die Verkündung einer Vision. Die Vision drückt aus, was für den Menschen erstrebenswert ist. Sie erhebt sich über den Alltag, spricht in starken Bildern, und setzt die Menschen in Bewegung, innerlich und äußerlich. Martin Luther King mobilisierte die amerikanische Öffentlichkeit gegen
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
die Unterdrückung der Afro-Amerikaner mit seiner berühmten Rede aus dem Jahre 1963: “… I say to you today, my friends, so even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. … I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: ‘We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.’ I have a dream that one day on the red hills of Georgia the sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to sit down together at the table of brotherhood. I have a dream that one day even the state of Mississippi, a state sweltering with the heat of injustice, sweltering with the heat of oppression, will be transformed into an oasis of freedom and justice. I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character. I have a dream today.” 20
Je mehr visionäres Potential eine Projektidee hat, desto größer ist die Chance, mit ihr die Beteiligten mobilisieren zu können. Haben wir eine Projektidee für plausibel befunden, so sollte deshalb einer der ersten Schritte sein, ihr visionäres Potential zu erkunden und so weit wie möglich sichtbar zu machen. Es geht dabei einerseits um Formulierungen, andererseits aber auch um die Bereitschaft, sich für ein von der Gemeinschaft als wertvoll empfundenes Ziel sichtbar einzusetzen. Was genau als angemessen mitreißend, jedoch nicht überzogen und künstlich erscheint, ist von Fall zu Fall verschieden. Im Folgenden habe ich beispielhaft einige technische Spezifikation und die entsprechenden, eher visionären Formulierungen von Projektideen gegenüber gestellt:
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Zitiert nach http://www.usconstitution.net/dream.html, Oktober 2007
2.2 Eine mitreißende Vision: Auf nach Indien!
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Projektideen Lastenheft
Visionäre Alternative
(betriebswirtschaftl. Sicht)
(was die Beteiligten mitreißt)
Direkter Seeweg nach Indien
Das Gold Indiens!
Gemeinkostendeckungsbeitrag von x% erreichen
Besten Deckungsbeitrag der Firmengeschichte erreichen
Umsatzplus von 13%
Marktführer in der Produktgruppe
Berichtswesen zur Umweltbelastung ist gesetzeskonform
Unternehmen erhält Auszeichnung für Umweltberichterstattung
Durchlaufzeiten im Produktentwicklungsprozess um 20% gesenkt
Als erster die Durchbruchstechnologie X im Entwicklungsprozess nutzen
In manchen Unternehmen sieht es allerdings so aus, als möchte man von Visionen gar nichts wissen – man hält es mit dem klassischen Ausspruch Helmut Schmidts „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“21 Dies ist auf der Arbeitsebene in stark von technischen Berufen geprägten Unternehmen oft der Fall. Herrscht dort nun der blanke Rationalismus? Nein – nur das Wort Visionen ist eben verpönt. Den gleichen motivierenden Effekt hat in solchen Unternehmen aller Erfahrung nach das Wort Problemlösungen. Viele Ingenieure haben ihr Herz an die funktionierende Lösung gehängt. Für sie ist das Bestehen eines Problems, das Nicht-Funktionieren ein Unheil, und die Problemlösung stellt das Ziel allen Bestrebens dar.
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Lastenheft
Funktionierende Lösung
Bearbeitungszeit für Rechnungsdurchlauf um 10% gesenkt
Vollautomatische Erfassung unter Umgehung der bisher erforderlichen doppelten Eingabe des Lieferscheins
„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Über Willy Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf 1980, zitiert im Spiegel 44/2002, S.26
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Egal, in welcher Größenordnung wir unsere Visionen oder Problemlösungen formulieren: Was die Beteiligten mitnimmt, ist die bildhafte, wertvolle, verständliche Projektidee.
2.3
Des Einen Eule ist des Anderen Nachtigall
Wir haben nun eine für uns selbst plausible und mitreißende Projektidee. Allerdings stellen sich für Geschäftsprojekte mehr noch als für andere Projekte die Fragen: Gibt es die Projektidee überhaupt? Können wir sicher sein, dass alle Beteiligten vom gleichen Projekt sprechen? Die Antwort ist in beiden Fällen ein klares Nein. Vielmehr ist, wie das in der Überschrift zitierte rheinische Sprichwort besagt, Wahrnehmung etwas Individuelles, sie ist an Positionen und Interessengebunden. Kolumbus wollte als der Entdecker des Seeweges nach Indien in die Geschichte eingehen. Königin Isabella gab ihm den Auftrag zu seiner Expedition, um das Gold Indiens ausbeuten zu können. Den Zugang zu Isabella verschaffte ihm ein Klostervorsteher, der mit der Aussicht auf die Errettung weiterer Heidenseelen zu gewinnen war. Der Kaufmann Pinzón, der eines der Schiffe für die Expedition bereitgestellt hatte, wollte als erster am Handel mit Indien teilhaben. Ein Projekt in einem europäischen Konzern wurde mir folgendermaßen präsentiert: „Der Vorstand hat beschlossen, SAP R/3 europaweit einzuführen, um die IT-Lösungen im Unternehmen zu vereinheitlichen.“ (Vorstandsbüro) „In diesem Projekt geht es darum, dass wir endlich einmal unsere Geschäftsprozesse definieren und an den best practices im Unternehmen orientieren; die neue Software ist nur ein Mittel dazu.“ (Stabsstelle Unternehmensorganisation) „In diesem Projekt geht es darum, der Konzernzentrale einen Zugriff auf das operative Geschäft zu schaffen; früher haben sie nur die Finanzen gemanagt.“ (Leiter eines Konzernunternehmens)
2.3 Des Einen Eule ist des Anderen Nachtigall
39
„In diesem Projekt geht es darum, dass wir den Zusammenschluss mit dem französischen Unternehmen, der schon vor Jahren formal vollzogen wurde, endlich auch zum Leben bringen.“ (MarketingAbteilung) Es ging dabei, wohlgemerkt, um ein einziges Projekt!
Dass Projekte eine solche Vielfalt von Perspektiven, Interessen und Zielen in sich vereinigen, ist eine ganz besondere Herausforderung für die Projektleitung. Denn die methodischen Vorgaben des klassischen Projektmanagements beruhen ja meist auf der Annahme, dass sich alle Beteiligten auf ein Ziel einigen. Versucht man nun, die Vereinheitlichung des Ziels zu erzwingen, so erhält man nicht mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen allen Beteiligten. Und das ist für Geschäftsprojekte, die im Dickicht der Organisation auf große Dynamik angewiesen sind, in der Regel kein guter Start!
Geschäftsprojekte haben multiple Identitäten Erfahrene Leiter von Geschäftsprojekten wissen hingegen, dass die Idee ihres Projektes von den jeweiligen Beteiligtengruppen ganz verschieden verstanden wird. Sie versuchen gar nicht erst, den kleinsten gemeinsamen Nenner in allen Details festzuschreiben. Vielmehr akzeptieren sie, dass des einen Eule des anderen Nachtigall ist – und holen das Beste aus der Tatsache, dass beide wohl Vogelliebhaber sind. Der gemeinsame Nenner, auf den sich alle berufen, besteht unter Umständen aus nicht mehr als einer halben Seite Text, in der die Projektidee dargestellt wird. Die weitere, detaillierte Projektdokumentation betrifft dann nicht mehr alle Beteiligten gleichermaßen. Vielmehr gehört sie dem Projektsponsor und wird zwischen ihm und der Projektleitung verhandelt; und ebenso verhandelt jede Beteiligtengruppe für sich ihren Beitrag und ihren Nutzen mit der Projektleitung. Eine Projektidee hat also viele Facetten, je nachdem, was die Beteiligten darunter verstehen. Sie kann nicht von einem Einzelnen in die Welt gesetzt und dann für alle Zeiten kontrolliert werden. Das Projekt ist jeweils das, als was es gesehen und wie es genutzt wird. Um beim obigen Beispiel
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
des SAP-Projektes zu bleiben: Wenn ein Konzernunternehmen dabei die versteckte Absicht vermutet, hier ginge es in Wirklichkeit um Zentralisierung, so hat es wenig Sinn, dies einfach abzustreiten. Im Gegenteil: je stärker die Projektleitung dieses bestreiten würde, desto mehr würden in der Regel die Beteiligten an die versteckte Absicht glauben! Und genauso wenig hat es Sinn, eine Chance zu bestreiten – auf mehr Selbstverantwortung, auf Risikoabwälzung, auf Kostenreduktion – die eine beteiligte Partei sieht, auch wenn davon in der Projektdokumentation nie die Rede war. Insofern gehören Ideen von Anfang an vielen Beteiligten – und das ist im Prinzip auch durchaus im Sinne der Projektleitung, die diese Beteiligten ja zur Mitarbeit im Projekt motivieren will. Um eine Projektidee wirklich zu verstehen gibt es demzufolge nur eine Chance: Jede wichtige Gruppe von Beteiligten muss identifiziert werden, und man muss erfassen, was diese Beteiligten in dem Projekt überhaupt sehen, welche Ziele sie verfolgen, welche Ängste sie hegen und welche Chancen sie eventuell wahrnehmen wollen.
Eine erste Beteiligtenanalyse Aus diesem Grunde ist zu einem frühen Zeitpunkt eine erste, vorläufige Beteiligtenanalyse erforderlich.22 Die Beteiligtenanalyse beantwortet in dieser groben Form folgende Fragen:
Welche wichtigen Gruppen von Beteiligten und Betroffenen werden durch die Projektidee angesprochen?
Welche Gruppen werden das Projekt klar befürworten, und wie können diese einbezogen werden?
Welche Gruppen werden das Projekt klar ablehnen, und wie kann ihr Widerstand umgangen oder neutralisiert werden?
Im weiteren Verlauf des Projektes wird die Beteiligtenanalyse ausgebaut. Dies ist im Kapitel 8 beschrieben.
22
Hier geht es, präziser gesprochen, um Beteiligte und Betroffene, auf Englisch stakeholders. Ein deutscher Begriff aus der Kommunikationsarbeit wäre Dialoggruppen.
2.4 Das Risiko bewerten
2.4
41
Das Risiko bewerten
Schließlich stellt sich schon bei der ersten Präsentation einer Projektidee die Frage nach dem Risiko der Durchführung: „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns?“ und „Ist das nicht zuviel versprochen?“ Daran schließen sich die Fragen nach den wichtigsten Strategien und Maßnahmen zur Minderung des Durchführungsrisikos an.
Wer sich in Gefahr begibt … Diese Fragen sind alles andere als trivial, schon allein deshalb, weil Geschäftsprojekte bekannt dafür sind, dass sie oftmals scheitern: Die Literatur verweist auf Misserfolgsraten von 50 bis 80% für Business Process Re-engineering, Unternehmenszusammenschlüsse, und IT-Projekte allgemein.23 Unabhängig davon, für wie zuverlässig man diese Zahlen hält, und wie man sie versteht: Es ist deutlich, dass die Risiken von Geschäftsprojekten erheblich sind, und dass sie noch keineswegs beherrscht werden. Hinzu kommt, dass es bei Geschäftsprojekten sehr oft um Alles oder Nichts geht. Im Jargon des Risikomanagements würde man von maximaler Schadenshöhe sprechen, und dank Atomkraft vom GAU (Größten Anzunehmenden Unfall). Bei Bauprojekten und anderen Projekten, die sich im Wesentlichen auf bekanntem Terrain abspielen, geht es um Terminverzug, Kostenüberschreitung und eingeschränkte Funktionalität, aber selten darum, dass nachher überhaupt kein Bauwerk entsteht oder kein brauchbares Ziel erreicht wird. Bei Geschäftsprojekten steht hingegen oft sehr viel mehr auf dem Spiel: dass das ganze Projekt aufgegeben wird, dass es Ergebnisse erreicht, die kein Mensch mehr sehen will, oder dass es in seiner Gänze im Treibsand organisatorischer und politischer Veränderungen langsam aber sicher versinkt. Insgesamt folgt hieraus, dass das Risiko des Scheiterns jedes einzelnen Geschäftsprojektes vergleichsweise groß sein wird. Wenn ein Unternehmen oder wenigstens ein Projektlenkungsausschuss sich dieser Einsicht 23
Standish Group Report 2004: 15% aller IT-Projekte scheitern völlig; Gassmann u. Kobe (2006): „80% aller Unternehmensallianzen scheitern“
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2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
stellt, wird es möglich, dass ein Projektvorschlag als „risikoreich“ eingestuft wird, ohne dass dies automatisch zu einer Ablehnung führt. Dies ist außerordentlich wichtig, denn sonst müssen Risiken künstlich heruntergespielt werden, und Gegenmaßnahmen werden erschwert!
Risiken sind Chancen Eine weitere wichtige Einsicht ist, dass Geschäftsprojekte oftmals ihrer Natur nach eine risikobehaftete Zielstellung wählen müssen, um wirksam zu sein: Wenn ein Projekt dazu dient, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, muss es schwer kopierbar sein, damit man die Mitbewerber hinter sich lassen kann – zum Beispiel eben risikobehaftet. No risk, no fun sagen die Amerikaner. Das gleiche gilt für die Gestaltung der Projektdurchführung: Viele Projekte sollen ja eine Veränderung im Verhalten bewirken – wenn es um bessere Kundenorientierung, intensivere Zusammenarbeit, oder stärkere Befolgung von Regeln geht. Je mehr sich das Verhalten ändert, desto größer der potentielle Nutzen des Projektes. Und gleichzeitig steigt das Risiko, dass der Widerstand gegen einen als zu radikal empfundenen Wandel zu stark wird und das Projekt scheitert.24 Das gleiche gilt für technologische Innovationen: Je größer der Sprung ist, den man sich vornimmt, desto größer der potentielle Nutzen – und ebenfalls das Risiko des Scheiterns.25 Und umgekehrt gilt: ein Veränderungsprojekt, welches auf Nummer sicher geht und allen Beteiligten nur minimale Veränderungen zumuten will, sowie ein Innovationsprojekt, welches nicht springen, sondern allenfalls trippeln will, sind wahrscheinlich den Aufwand nicht wert, der für sie betrieben wird. Im Gegensatz zum klassischen Projektmanagement gilt für Geschäftsprojekte also, dass Risiko nicht nur eine Belastung, sondern umgekehrt auch eine Chance, also einen Wert für das Projekt darstellt. Der Umgang mit Risiko wird also nicht von dem Gedanken geleitet, dieses zu minimie-
24
25
In anderer Perspektive kein Dilemma, sondern eine Paradoxie: Die Durchsetzung schafft sich ihren Widerstand selbst. Gassmann u. Kobe 2006
2.4 Das Risiko bewerten
43
ren. Vielmehr gilt oftmals eher das Prinzip, so viele Risiken in das Projekt hineinzunehmen, wie es vertragen kann! Was man vermeiden will, sind lediglich die unnötigen Risiken – also jene, die keine Chance auf einen Wettbewerbsvorteil in sich bergen.
Expeditionen bergen unbekannte Gefahren Um das vertretbare Risiko und möglicher Maßnahmen des Risikomanagements weiter zu bestimmen, sollte man klären, wie weit sich ein Projekt aus einer bekannten Welt – im Hinblick auf Technologie, Märkte, und institutionelles Umfeld – in unbekannte Gefilde bewegt. Solange ein Projekt sich in einer weitgehend bekannten Welt bewegt, bezieht sich Risikomanagement im Wesentlichen auf bekannte Gefahren. Der Projektplan regiert, und Maßnahmen werden ausgelöst, wenn Grenzwerte der Planabweichung überschritten werden. Bartholomeus Diaz gelang im Jahre 1688 – vier Jahre vor der Expedition des Kolumbus – die Umrundung der Südspitze Afrikas, eine wichtige Etappe zur Entdeckung des Seewegs nach Indien. Er bewegte sich in einer im Prinzip schon bekannten Welt und folgte bewährten Vorgehensweisen. Diaz segelte die Westküste Afrikas entlang nach Süden, umrundete das Kap der guten Hoffnung und segelte die Ostküste wieder hinauf. Das Kap der guten Hoffnung mit seinen Stürmen, sowie die große Distanz zur Heimat stellen besondere Herausforderungen dar. Allerdings waren die zu erwartenden Gefahren ihrer Art nach bekannt.
Bewegt man sich hingegen in unbekannten Gefilden, so hat man es mit kaum noch einschätzbaren Gefahren zu tun: Kolumbus’ Expedition quer über den Atlantik war demgegenüber mit Risiken einer ganz anderen Qualität behaftet. Die Erkundung der Welt war bislang immer entlang der Küsten erfolgt. Man wusste deshalb schlechterdings nicht, was es hieß, wochenlang quer über einen Ozean zu segeln. Würden die Stürme vielleicht unendlich viel stärker, die Wellen unendlich viel größer sein? Würde es gefährliche Strömungen oder Seeungeheuer jenseits aller bisherigen Erfah-
44
2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs rung geben? Welche bekannten Maßnahmen würden diese Risiken mildern können?
Geschäftsprojekte führen oft in diese unbekannten Gefilde. Neue Märkte werden erschlossen, neue Kooperationen gebildet, neue Technologien werden eingeführt. Oft ist es auch so, dass Geschäftsprojekte so komplex sind, dass das Zusammenwirken im Prinzip bekannter Faktoren zu unvorhersehbaren Situationen und Gefahren führt: Wenn etwa die Entwicklung einer neuen, komplizierten Software in einem sich schnell entwickelnden Markt durch eine komplizierte rechtliche Situation im Hinblick auf Urheberrechte überlagert wird, geht bald jede Planbarkeit verloren. Man befindet sich dann quasi allein auf dem Ozean, wo das Wasser keine Balken mehr hat.26
Die Reisen des Kolumbus über den Atlantik
Für solche Expeditionen in unbekannte Gefilde gibt es keine vergleichbaren Fälle. Es ist dann weder sinnvoll noch überhaupt möglich, eine statistische Wahrscheinlichkeit von Erfolg oder Scheitern zu berechnen. Für die Zwecke einer Projektplanung ist es allenfalls möglich, mit Größenordnungen zu arbeiten, zum Beispiel: überaus großes Risiko, normal großes Risiko, kleineres Risiko.
26
Dies ist auch die typische Situation in Groß-Projekten, vgl. Mega Projects and Risk, Flyvberg et al. 2003.
2.4 Das Risiko bewerten
45
Unbekannte Gefahren kann man kaum managen Bewegt man sich in bekannten Gefilden, so hat man es mit einem im Prinzip planbaren Projekt zu tun. Risikomanagement zielt dann darauf, eine planmäßige Durchführbarkeit sicher zu stellen. Man beschleunigt bestimmte Tätigkeiten, zieht zusätzliche Ressourcen herbei, oder ändert bestimmte technische Parameter und Vorgehensweisen, damit die Voraussetzungen und Annahmen gegeben sind, unter denen der Plan funktionieren sollte. In unbekannten Gefilden kann und sollte man zwar immer noch planen. Der Plan gibt jedoch keine Sicherheit mehr, das Ziel auch zu erreichen, denn dazu fehlt ja das entsprechende Wissen. Planung dient, wie oben dargestellt, hier nur noch der Selbstkontrolle und der Orientierung am eigenen Tun – der Plan ist vergleichbar mit einem Kreiselkompass. Unter diesen Umständen bedeutet Risikomanagement vor allem, eine Anpassung des Plans an die jeweils gegebenen Umstände zu ermöglichen. Bei der Fahrt des Bartholomeus Diaz zielte Risikomanagement darauf, den vorgezeichneten Kurz einzuhalten. Alle paar Tage gingen die Schiffe in Sichtnähe zur Küste, um die Kurseinhaltung zu überprüfen. Kam ein Sturm auf, so wurden die Segel gerefft. Bei der Fahrt des Kolumbus wurde auf bekannte Gefahren wie einen aufziehenden Sturm ähnlich reagiert. Als man aber unbekannte Gewässer erreichte, war die Einhaltung eines vorgegebenen Kurses bedeutungslos geworden. Risikomanagement bedeutete hier, solche Inseln anzusteuern, auf denen man Wasser und freundlich gesinnte Inder vermutete, und Inseln ohne Wasser und voller bewaffneter Gegner zu vermeiden.
Bekannt und unbekannt stellen dabei keine scharf voneinander getrennten Situationen dar. Vielmehr sind sie die Eckpunkte eines Kontinuums; und dementsprechend verändert sich das Risikomanagement graduell von einer Stabilisierung des Plans hin zur Anpassung des Projektplans, und damit von einer statischen und bewahrenden Haltung hin zum Lernen.
46
2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Anpassung des Plans (Lernen)
Rückführung auf den Plan Bekannte Gefilde
Unbekannte Gefilde
Strategie des Risikomanagements in Abhängigkeit vom Bekanntheitsgrad der Umwelt: Je unbekannter die Gefilde, desto größer die Bedeutung des Lernens
Beteiligte zu vergessen ist ein großes Risiko Interessanterweise besteht ein typischer Fehler im Management von Geschäftsprojekten darin, wichtige Beteiligte einfach zu übersehen. Dies mag überraschend sein, ist aber meine vielfach bestätigte Erfahrung. Eine solche Lücke schafft ein enormes Risiko, weil damit wichtige Handelnde aus dem Blickfeld geraten. Sei es eine wichtige Kundengruppe, sei es die Rechtsabteilung im Hause, sei es die kritische Öffentlichkeit: Gruppen, von denen man uneingestanden Widerstand erwartet oder deren Position zumindest nicht einschätzbar ist, sind in großer Gefahr, übersehen zu werden. Dieses Phänomen ist in der Literatur noch nicht untersucht worden. Meine Vermutung dazu ist, dass in diesen Fällen einfach der Wunsch der Vater des Gedankens ist: „Wenn diese Leute dort nur nicht da wären, wie einfach wäre das Projekt!“ Es geht hier nicht um Leichtfertigkeit, sondern die tief im Menschen verwurzelte Fähigkeit der Verdrängung.27 Wichtig an der schon oben, unter 2.3 angesprochenen Beteiligtenanalyse ist deshalb ihre Vollständigkeit. Es gibt jede Menge leistungsfähiger Werkzeuge, um Kräftefelder zwischen den Beteiligten zu analysieren und
27
Fonagy u. Target 2003
2.4 Das Risiko bewerten
47
ihre Interessen und möglichen Verhaltensweisen in verschiedenen Szenarien durchzuspielen. Die Erfahrung aber rät vor allem dazu, die Beteiligtenliste mit jemandem durchzuschauen, der einen anderen Blickwinkel und andere Interessen am Projekt als man selber hat. Hilfsweise kann man sich selber fragen: „Wen möchte ich nun wirklich nicht dabei haben?“ – und sich dann überlegen, ob die genannten Parteien zu den Beteiligten gehören. So kann man das Risiko vermindern, Opfer des eigenen Wunschdenkens zu werden.
Schließlich: Das Risiko zu benennen ist ein Risiko! Das Risikomanagement von Geschäftsprojekten unterliegt zu alledem noch dem Problem der sich selbst erfüllenden Prophezeiung (self-fulfilling prophecy). Wie oben gesagt, sind viele Geschäftsprojekte darauf angewiesen, dass die Beteiligten freiwillig mitmachen. Je mehr Beteiligte nun ein Projekt als chancenlos betrachten und sich deshalb von diesem Vorhaben zu distanzieren suchen, desto weniger Ressourcen und Engagement stehen dem Projekt zur Verfügung. Somit verringern sich auch seine Erfolgschancen, was wiederum dazu führt, dass sich noch mehr Beteiligte distanzieren. Dies bringt die Projektleitung in ein Dilemma: Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit, das Projekt als chancenreich darzustellen und Befürchtungen klein zu reden. Das betrifft erst einmal die Außendarstellung des Projektes. Nicht selten jedoch geht dies sogar soweit, dass selbst die Projektsponsoren ein Interesse daran haben, über Probleme nicht informiert zu werden – jedenfalls nicht offiziell. Wären sie informiert, so müssten sie im Kollegenkreis über diese Probleme sprechen, was wiederum zu einer Distanzierung vom Projekt führen kann – und dies wird die Probleme vergrößern. Das Motto ist oft genug: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“ Hier erkennen wir eine ganz typische, vielfach als frustrierend erlebte Situation: Ein Fachexperte aus dem Projektteam meldet dem Projektleiter ein Risiko. Der scheut sich, dieses überhaupt wahrzunehmen, weil er weiß, dass der Lenkungsausschuss dieses Risiko aus projektpolitischen Gründen nicht akzeptieren wird. Der Fachexperte, der aus seiner Sicht zum Gelin-
48
2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
gen des Projektes beitragen wollte, fühlt sich für seine Wortmeldung abgestraft. So bekommt man graue Haare! Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass eine Projektleitung den Bogen überspannt und ihre Glaubwürdigkeit verliert, wenn sie zum Beispiel gar keine kritischen Punkte in die Diskussion gelangen lässt. Der hier geschilderte Mechanismus der sich selbst erfüllenden Prophezeiung macht es Geschäftsprojekten in der Praxis (!) in der Regel letztlich unmöglich, ihr Risiko objektiv zu bestimmen. Auch eine Risikoeinschätzung wird somit Verhandlungssache, in der jede interessierte Seite ihre Erkenntnisse, Interessen und Verhandlungspositionen einbringt.
Risikomanagement: Was tun? Wie können wir nun die Frage nach dem Risiko beantworten? Wir haben gesehen:
es ist schwer, fassbare Daten über die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Geschäftsprojektes zu bekommen; rein statistisch liegt das Risiko des Scheiterns bei über 50 Prozent
das Risiko des Scheiterns sollte anerkannt und keineswegs klein geredet werden; denn die Verdrängung des Risikos macht es nur schwerer, Maßnahmen des Risikomanagements zu begründen
Risiken sind zudem wertvoll: sie können Wettbewerbsvorteile bergen
selten ist es sinnvoll, mit statistischen Wahrscheinlichkeiten für Risiken zu arbeiten; angemessener sind breite Kategorien wie großes/mittleres/kleines Risiko
je unbekannter die Gefilde sind, in denen sich das Projekt bewegen soll, desto wichtiger ist es, die Projektplanung flexibel zu halten und ihre Anpassung an veränderte Umstände zu ermöglichen
die Kraft der Verdrängung des Risikos ist oft mächtig, aus projektpolitischen wie aus psychologischen Gründen. Wirksames Risikomanagement benötigt deshalb eine Art geschützten Raum, in dem unliebsame Wahrheiten besprochen werden können.
2.5 Zusammenfassung
49
Risikomanagement von Geschäftsprojekten ist somit meist eine schwierige und hochpolitische Angelegenheit. Ehrliche und kundige Antworten auf die Frage nach dem Projektrisiko sind kaum zu bekommen, Informationen und Verfahren für eine zuverlässige Berechnung von Projektrisiken sind nicht verfügbar. Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende praktische Hinweise und Ratschläge: Die Konsultation von Personen, die mit ähnlichen Projekten schon einmal zu tun hatten, aber mit dem zur Diskussion stehenden Vorhaben nicht befasst sind, ist mit Abstand die beste Quelle für eine Risikoeinschätzung, denn diese können mit der Komplexität der Risikobewertung umgehen und sind zudem gedanklich frei. Will man die Einschätzung dieses Personenkreises in die formale Projektplanung einführen, so ist es erforderlich, sie dem direkten Einfluss der Projektleitung und des Lenkungsausschusses zu entziehen. Dies könnte zum Beispiel möglich sein, wenn man sie als vorderhand unabhängigen technischen Beirat institutionalisiert Eine Bewertung von Risiken sollte knapp gehalten werden. Es ist vor allem wichtig, die wichtigsten Risiken ins Gespräch zu bringen und in Größenordnungen zu bewerten.
2.5
Zusammenfassung
Jedem Geschäftsprojekt liegt eine bestimmte Projektidee zugrunde. Vor einem offiziellen Projektbeginn sollte diese auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft werden. Die erste Frage ist, ob die Projektidee hinlänglich klar ist. Dazu ist es sinnvoll, eine Wirkungskette darzustellen, die mindestens den Zusammenhang von geplanten Leistungen, Ergebnissen und Wirkungen aufzeigt. Die zentrale Wirkungshypothese des Projektes sollte dann in ein Raster aufgelöst werden, welches die operative, strategische und normative Managementebene voneinander unterscheidet; damit lassen sich weitere Voraussetzungen sowie mögliche Zielkonflikte herausfinden. Ein zweiter und genauerer Blick auf das Problem in Form einer vertieften Problemanalyse kann dann helfen, sicher zu stellen, dass das Vorhaben nicht die richtige
50
2 Die gute Projektidee – Basis des Erfolgs
Lösung für das falsche Problem darstellt. Schließlich sollte die Vorgeschichte des Projektes aufgedeckt und in die Formulierung und Bewertung der Projektidee einbezogen werden. Zweitens stellt sich die Frage, ob die Projektidee mitreißend genug ist. Der Maßstab dafür lautet: „Gold, pures Gold!“ Wenn eine Idee sich nicht in dieser Art selbst erklärt, kommt es darauf an, ihr visionäres Potential herauszuarbeiten. Visionen erheben sich über den Alltag, sind bildlich, und sprechen jeden Einzelnen an. Wo Visionen verpönt sind, kann die funktionierende Lösung eine vergleichbare Rolle spielen. Drittens muss geklärt werden, wer die wichtigsten Beteiligtengruppen sind, und welche Bedeutung sie jeweils mit der Projektidee verbinden. Geschäftsprojekte sind facettenreich, und es ist aussichtslos, alle Beteiligten auf ein gemeinsames Verständnis festlegen zu wollen. Stattdessen muss man mit jeder Beteiligtengruppe über ihre Sicht des Projektes sprechen und verhandeln. Schließlich ist eine Aussage zum Durchführungsrisiko gefragt. Geschäftsprojekte haben ja schon statistisch eine hohe Wahrscheinlichkeit, zu scheitern. Hinzu kommt, dass viele Projekte ganz absichtlich mit Risiken aufgeladen werden, weil die Bewältigung von Risiken oftmals einen Wettbewerbsvorteil sichert. Zu vermeiden sind daher nur die unnötigen Risiken, die keinen Wettbewerbsvorteil bieten. Geschäftsprojekte bewegen sich oft in unbekannten Gefilden. Dann gilt, dass das Risiko nur noch grob geschätzt werden kann. Vor allem dient Risikomanagement in unbekannten Gefilden nicht dem Schutz der Planung, sondern zielt auf Anpassung der Planung durch Lernen. Ein unterschätztes Risiko besteht darin, wichtige und gleichzeitig unbequeme Beteiligtengruppen einfach zu übersehen. Stellt man nun noch in Rechnung, dass Risikoanalyse dem Gesetz der selbsterfüllenden Prophezeiung unterliegt – dass also die Bewertung eines Projektes als risikoreich sein Risiko weiter erhöht, so wird Risikobewertung endgültig zur Verhandlungssache.
2.5 Zusammenfassung
51
Aufbruch in Palos, 1492
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
3
Den Projektleiter bestellen
„Mit einer Expeditionsreise in antarktische Regionen besuchen Sie eines der außergewöhnlichsten Gebiete unserer Erde, in dem man je nach den örtlichen Verhältnissen stets aufs Neue über das Programm und mögliche Anlandungen entscheiden muss. Dabei wird die Erfahrung der Expeditionsleitung von ausschlaggebender Bedeutung sein.“ (aus dem Katalog eines Reiseveranstalters)
Für Geschäftsprojekte ist die Besetzung der Projektleitungsposition absolut erfolgskritisch – mehr noch als bei den meisten anderen Projekttypen. Das ist zunächst einmal unmittelbar einleuchtend, und es findet sich auch in der Folklore wieder – zu Geschäftsprojekten wie auch in der zu Expeditionen. Chrysler-Manager Lee Iacocca rettete den Konzern in den Achtzigern und Dieter Zetsche hat es zumindest versucht. Auch Geschäftsprojekte wie die Einführung von SAP R/3 oder ähnlicher Systeme, die Entwicklung eines wichtigen Produktes, die Verlagerung eines Standorts oder die Einrichtung einer neuen Abteilung werden mit einzelnen Personen in Verbindung gebracht. Und auch wenn Kolumbus keineswegs allein war, und Hannibal bei seiner Expedition über die Alpen nicht nur einen Koch dabei hatte – in Erinnerung bleiben die Namen der Projektleiter, und nicht die des Teams und der anderen Beteiligten. Bei Projekten, die in einem weitgehend kontrollierten Umfeld und mit bekannter Technologie ablaufen, ist dies anders. Insbesondere bei Bauund Investitionsprojekten erscheinen die Projektleiter viel eher austauschbar zu sein, selbst wenn die Vorhaben umfangreich sind. Was von Großbauten – vom Eiffelturm bis zum World Trade Center – im Gedächtnis bleibt, sind die Namen der Architekten und der Finanziers. Es scheint also, dass die Leitung von Geschäftsprojekten in einer Unternehmenswelt, die von immer stärkerer Bürokratisierung geprägt ist, ein letztes Reservat für persönliche Leistung, für Selbstverwirklichung und
54
3 Den Projektleiter bestellen
sogar für eine Art Heldentum darstellt. In vielen Unternehmen führt ja auch der Weg in die obersten Etagen über die Leitung wichtiger Projekte. Worin besteht nun die besondere Bedeutung des Projektleiters und warum ist es wichtig, diese Leitungsrolle gut zu besetzen? Welche Fähigkeiten sind besonders gefragt, und wie erkennt man sie? Dies sind wichtige Fragen, die ich in diesem Kapitel beantworten will.
Christoph Kolumbus, Gravur, ca. 1850
In diesem Kapitel geht es ständig um DEN Projektleiter – hier stört besonders, dass die deutsche Sprache die männliche Form auch als die allgemeine nutzt. Deshalb noch einmal der Hinweis: Frauen sind natürlich ebenso gemeint; und es ist absehbar, dass sie aufgrund ihrer oftmals größeren Sachorientierung und ihren oft gut ausgebildeten kommunikativen Fähigkeiten immer öfter als Leiterinnen von Geschäftsprojekten eingesetzt werden.
Lesen Sie
wie der Projektleiter den Überblick gewinnt und behält
wie er sich als Beweger positioniert und verhält
wie er die bestmöglichen Entscheidungen trifft
wie man für Geschäftsprojekte geeignete Leiter identifiziert.
3.1 Der Projektleiter als Konzeptionist
3.1
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Der Projektleiter als Konzeptionist
Das Projekt wirklich verstehen Im vorhergehenden Kapitel haben wir gesehen, dass Geschäftsprojekte oft auf einer Projektidee aufbauen, die vielschichtig ist und ungewöhnliche und ungenaue Zukunftsvorstellungen beinhaltet. Sie sind deshalb schon in ihrer Grundgestalt nicht einfach zu verstehen. Wird nun ein Projekt tatsächlich auf den Weg gebracht, so muss die zu Grunde liegende Projektidee immer detaillierter ausgearbeitet werden, bis hinunter zu hunderten von Einzelaktivitäten, die wiederum oftmals in sich recht kompliziert sind. Diese alle gleichzeitig vor Augen zu haben, ist eine wichtige und oft sehr herausfordernde Aufgabe. Es ist wie bei einem Orchester – die Musiker interessieren sich fast nur für ihren Part, während der Dirigent ständig am Zusammenklang arbeitet. Dafür muss er allerdings jedem einzelnen Musiker intensiv zuhören und jede falsche Betonung oder Note registrieren. Gleichzeitig beginnt das Projekt selbst, seine Umwelt zu verändern. Es wird zum politischen Faktor im Unternehmen, und die Projektkonzeption wird in eine logische Schleife geführt: „Wir können unser Ziel gegenüber dieser Gruppe von Betroffenen erst veröffentlichen, wenn sie diese oder jene Erfahrung mit uns gemacht haben – sonst werden sie es niemals akzeptieren. Wie aber können wir sie offiziell beteiligen, wenn wir unser Ziel verschweigen müssen? Welchen Vorwand können wir finden, und wie können wir ihn nachher wieder aus dem Weg räumen? Wenn wir das Ziel zunächst verschweigen, können sie zudem gerade aufgrund der erfolgten Arbeit verlangen, an der Zielformulierung beteiligt zu werden – wofür es aber eigentlich zu spät ist. Vielleicht können wir zunächst ein anderes Ziel vorgeben – aber dafür müssen wir dann bestimmte Tätigkeiten dazu vorsehen, die wir sonst nicht bräuchten. …“
Mit dieser Art von Überlegungen verwandelt sich eine Projektplanung schnell in ein Spiegelkabinett, wo jede eigentlich greifbar und sinnvoll erscheinende Maßnahme in den verschiedensten Perspektiven wieder erscheint – bis hin zum Punkt, dass man sich fragt, was eigentlich noch real ist und was nur eine Reaktion der einen Wahrnehmung auf die andere.
56
3 Den Projektleiter bestellen
Eine ähnliche Problematik besteht bei Projekten, die vielleicht politisch weniger brisant sind, welche aber einem stetigen Wissenszuwachs ausgesetzt sind. Durch diesen wird die Planung unter eine Vielzahl von Vorbehalten gestellt wird, welche je nach gewähltem Vorgehen ständig wechseln. Wer kann da noch verstehen, welche Aktivität in welchem Zusammenhang wirklich noch zielführend und vordringlich ist, und welche eher Missklang und falschen Schein darstellt? Diese Entscheidung liegt bei der Projektleitung: Weder kann man sie nach unten delegieren, noch kann man hoffen, dass überlastete Projekt-Sponsoren die erforderliche Zeit dafür finden. Geschäftsprojekte benötigen ganz einfach einen klugen Kopf, welcher der Herausforderung gewachsen ist, diese Komplexität zu verarbeiten. Auch kluge Köpfe können und sollten sich einiger Hilfsmittel bedienen, um ihr Projekt wirklich optimal zu verstehen. Welcher Art diese Unterstützung sein könnte, ist dabei ganz unterschiedlich, denn die einen arbeiten eher detailorientiert, die anderen eher an den großen Linien; die einen eher bildhaft, die anderen eher sprachlich. Folgende Hilfsmittel haben sich für diese analytische Arbeit bewährt:
Mind-Maps: Wenn immer ich ein kompliziertes Thema gedanklich auseinander nehmen möchte, fertige ich eine Mind-Map an; denn kein anderes Instrument kann so gut das Detail mit dem Ganzen verbinden, und das Instrument erfordert gegenüber dem reinen Nachdenken praktisch keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand
grafische Darstellung der Projektkonzeption: Ich versuche meist, die grundlegenden Elemente der Projektkonzeption und ihre Zusammenhänge in wenige Diagramme umzusetzen; diese hängen dann in der Nähe des Schreibtisches und funktionieren als gedankliche Leitsterne für die Detailarbeit
Themen-Papiere: Für bestimmte, schwierige Themenbereiche schreibe ich kurze, maximal zweiseitige Papiere, die eine Situationsanalyse, eine Problembeschreibung sowie Lösungsprinzipien und -optionen enthalten. Dies fördert die gedankliche Schärfe sowie den Austausch mit anderen Teammitgliedern und Beteiligten.
Ganz wichtig ist zudem die Einsicht, dass Nachdenken Zeit und Konzentration erfordert. Schachspieler wissen davon zu berichten. Wer sich dies nicht gönnt, wird ständig unnötige Überraschungen erleben. Linienfüh-
3.1 Der Projektleiter als Konzeptionist
57
rungskräfte, die eine Projektleitung übernommen haben, werden die nötige Ruhe für ein Durchdenken einer anspruchsvollen Projektkonzeption nur in Ausnahmefällen finden. Für sie empfiehlt es sich, sich eigens für dieses Nachdenken Unterstützung zu holen – in Form eines Assistenten oder eines externen Beraters.
Den Überblick behalten und strategisch handeln Wir erwarten vom Leiter nicht nur, dass er sein Projekt versteht – sondern auch, dass er selbst mitten in einem Konflikt und in Momenten der größten Verzweifelung den Überblick behält und weiß, wie man die Projektstrategie anpassen muss. Dies ist eine Leitungsfunktion, die gerade bei Expeditionen gefragt ist – wenn das Bergsteigerteam in eine Gletscherspalte fällt, wenn das Schiff auf Grund läuft, oder wenn eine Equipe von Entdeckern in die Hände von Räubern gerät. Bei Geschäftsprojekten ist die Not oft weniger dramatisch und bildhaft. Aber die Herausforderung ist nicht weniger groß! Wenn zum Beispiel ein Projekt zur SAP-Einführung plötzlich damit konfrontiert wird, dass der betroffene Teil des Unternehmens gerade an ein weiteres Unternehmen verkauft wurde, welches auf andere Lösungen setzt; oder wenn man mitten in einer Produkteinführung davon erfährt, dass Patentrechtsklagen unterwegs sind, oder dass ein Konkurrent ein ähnliches Produkt in einem anderen wichtigen Markt platziert. In solchen Krisensituationen kommt es darauf an, von den aktuellen Umständen zu abstrahieren und die momentane Situation des Projektes in einem größeren Referenzrahmen – eben mit Überblick – zu beurteilen. Die Bewertungsmaßstäbe verschieben sich, und alle Ziele und Maßnahmen müssen blitzschnell neu beurteilt werden. Wer der Bergflanke, dem auf Grund gelaufenen Schiff, den Möglichkeiten einer Unternehmensführung mit SAP oder den vormals erwarteten Umsatzzahlen für das neue Produkt nachtrauert, versagt als Leiter. Denn es gilt zunächst, diese neue Situation in ihrer Eigentümlichkeit zu akzeptieren und das Projekt daraufhin neu auszurichten.
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3 Den Projektleiter bestellen
Verwirrende Inselwelt bei der Ankunft in Indien (Aus dem Reisebericht des Kolumbus, 1493)
Neben solchen Krisen stellt die schon im Zusammenhang mit der Beteiligtenanalyse (Kapitel 2.3) kurz angesprochene Verdrängung eine weitere typische Herausforderung für das Denkvermögen der Projektleitung dar: Die Fähigkeit des Menschen, tiefgründig unangenehme oder beängstigende Wahrnehmungen oder Fakten einfach aus seinem Bewusstsein auszublenden. Kolumbus starb der eigenen Einschätzung nach als Vize-König von Indien, obwohl außer ihm selbst wohl niemand mehr glaubte, dass er nicht einen neuen Kontinent entdeckt hatte.
3.1 Der Projektleiter als Konzeptionist
59
Hier geht es, und das ist wichtig, nicht um Manipulation oder um böswilliges Verschweigen, sondern um einen unbewussten seelischen Vorgang. Diesen gibt es auf der Ebene des Einzelnen, wie auch auf der Ebene von Gruppen und ganzen Unternehmen. Verdrängung spielt eine große Rolle, wenn die zu erkennende Wahrheit den Existenzgrund eines Projektes selbst betrifft: Wenn zum Beispiel ein neues Produkt einfach von den Kunden nicht angenommen wird, wenn eine Reorganisation das ganze Projekt eigentlich überflüssig macht, oder wenn sich ein kürzlich übernommenes Unternehmen als durch und durch inkompetent zeigt. In der Umgangssprache sprechen wir in diesem Zusammenhang oft von Tabus: Es ist ein Tabu, die Überlegenheit des Konkurrenzproduktes anzusprechen, oder die enormen Folgekosten der neuen Software. Sozusagen der kleine Bruder der Verdrängung ist der blinde Ehrgeiz – größte Gefahr für Bergsteiger, für Teilnehmer militärischer Expeditionen im Rahmen des Global War on Terror und für Mitarbeiter von börsennotierten Unternehmen in Mode-Branchen. Den Überblick zu bewahren, heißt also, Krisensituationen als solche zu erkennen und sich in ihnen strategisch neu auszurichten; sich frei von den seelischen Kräften der Verdrängung zu machen und sich nicht von Ehrgeiz blenden zu lassen.28 Die Fähigkeit, den Überblick zu bewahren, ist in der Persönlichkeit selbst angelegt. Sie kann nicht eben mal gelernt werden. Auch die Beratung mit anderen Projektbeteiligten gibt in der Regel nicht mehr Sicherheit, denn diese haben ihre eigenen Wahrnehmungsfilter – insbesondere in Krisenzeiten. Was man aber tun kann, um den Überblick zu bewahren ist, sich bei Anzeichen einer Krise eine Auszeit zu nehmen, und sich selbst so schonungslos wie möglich zu fragen:
Sind die vorliegenden Unzulänglichkeiten tatsächlich nur das, oder sind wir schon in einer echten Krise? Befinden wir uns eigentlich noch in der Situation, die wir zur Grundlage unserer Pläne genommen haben?
Welche Erkenntnis würde den eigenen Ehrgeiz der Projektleitung und ihr Selbstverständnis, sowie die der anderen Beteiligten am empfind-
28
Vgl. Neubauer 2003
60
3 Den Projektleiter bestellen
lichsten treffen? Haben wir Augen, Ohren und Verstand so weit offen, dass wir genau diese Erkenntnis zulassen würden?
Projektleitung: Die Spinne im Netz der Projektideen Im Kapitel zur Projektidee ist schon angeklungen, dass diese oft von den verschiedenen Beteiligten ganz unterschiedlich verstanden wird. Dies hat Konsequenzen für die Rolle und Aufgaben der Projektleitung. Bei Bauprojekten steht oft ein Modell des zu erstellenden Gebäudes zur Verfügung. Was auch immer die einzelnen Beteiligten sich erhoffen oder befürchten, hier findet die Projektidee sich in Pappe und Gips dargestellt. Die Projektleitung hat die klare Aufgabe, diese Darstellung in Beton, Stahl und Glas zu überführen. Sie hat aber keinen Anteil an der Bedeutung des Projekts. Dies ist bei Expeditionen ebenso wie bei Geschäftsprojekten ganz anders. Denn die Projektleitung steht dort im Schnittpunkt der verschiedenen Perspektiven und Positionen. So ist es fast nur der Projektleitung möglich, die Hoffnungen und Ängste der verschiedenen Beteiligten und die für jede Beteiligtengruppe andere Darstellung der Wirkungsketten des Vorhabens in ihren Details wirklich kennen zu lernen. Damit hat sie – vielleicht als einzige beteiligte Partei überhaupt (!) – einen Gesamtüberblick darüber, was das Projekt wem bedeutet. Schon allein dadurch hat sie einen ganz erheblichen Anteil an der Definition des Projektes, es wird eben ihr Projekt. Und sie muss den verschiedenen Beteiligtengruppe das Projekt so erklären, dass diese ihre Sichtweise darin wiederfinden. Auch dies steigert die Komplexität der Projektkonzeption enorm, und zwar durch die Vervielfältigung der Perspektiven auf das Projekt. Bildlich gesprochen ist die Projektleitung die Spinne im filigranen und durchaus flexiblen Netz der Projektidee. Dieses Netz kann in die verschiedensten Richtungen gezogen werden, und man ist manchmal überrascht, welches Getier sich darin verfängt – wenn zum Beispiel die Idee einer SAP-Implementierung dazu genutzt wird, um Standortverlagerungen zu begründen, oder wenn die Verschlankung von Prozessen dazu führen soll, neue Zuständigkeiten für die eine oder andere Beteiligtengruppe zu begründen.
3.1 Der Projektleiter als Konzeptionist
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Versucht man, all zu viele Perspektiven und Anliegen in dem einen thematischen Netz einzufangen, so besteht die Gefahr, dass aufgrund einer Überlastung der Projektidee ein Loch in das Netz gerissen wird. Es obliegt dann der Projektleitung, dieses zu stopfen und der Projektidee wieder zu inhaltlicher Integrität zu verhelfen. Wie oft muss der Leiter eines Geschäftsprojektes einem Beteiligten erklären, dass sein Anliegen so nicht, oder nur unter der und der Perspektive, in den Aufgabenumfang des Projektes fällt? Meiner Erfahrung nach sehr oft. Die Projektleitung muss also ihr Projekt wirklich gut verstehen – und zwar so, wie es von den verschiedenen Beteiligten aus deren jeweiligem Sichtwinkel heraus gesehen wird.
Den GAU im Blick Die vierte wichtige konzeptionelle Aufgabe für die Projektleitung ist die akkurate, realistische Beschreibung des Projektrisikos. Das hört sich zunächst unspektakulär an. Zu berücksichtigen ist aber, dass für Geschäftsprojekte das Risiko eines totalen Scheiterns – des größten anzunehmenden Unfalls (GAU) – oft besonders hoch ist: Sie streben, wie Expeditionen, nach dem fast Unmöglichen und sind deshalb darauf angewiesen, dass an der entscheidenden Stelle alles gut geht. Jede Expedition erlebt ihren kritischen Engpass, an dem man auf keinen Fall ins Eis einbrechen, in einen Sturm geraten oder zu viel Benzin verbrauchen darf. Auch Geschäftsprojekte haben oft solche kritischen Stellen, an denen ein wichtiges Ergebnis akzeptiert, ein bestimmter Beschluss auf jeden Fall gefällt, und eine bestimmte Funktionalität auf jeden Fall implementiert werden muss. An diesen Engpässen werden auch kleine Fehler der Projektleitung nicht zu einer nur eingeschränkten Zielerreichung führen – zum Beispiel zu einer späten und teureren Fertigstellung, wie bei den meisten Bauprojekten. Vielmehr können sie die vollständige Einstellung des Projektes zur Folge haben. Das neue System zur web-basierten Erfassung der Auftragsdaten war eigentlich auf bestem Wege gewesen. Die Prozesse und die daraus abgeleiteten Systemanforderungen waren im Wesentlichen beschrieben und die entsprechenden Dokumente waren verabschiedet, der Vertrag an die Software-Entwickler war vergeben und die ersten Tranchen waren gezahlt. Als aber die Nachricht von der bevorstehenden Reorganisation kam, konnte dem Vertreter der Kon-
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3 Den Projektleiter bestellen zernzentrale in der Steuerungsgruppe nicht klar gemacht werden, wie weit das Projekt schon gediehen war. Er war der Meinung, man könne es ohne Schaden auf Eis legen, und hat sich damit durchgesetzt. Ganz praktisch gesehen war das Projekt damit gescheitert. Vielleicht hätte ein einziges klärendes Telefonat vor der Sitzung genügt, um dieses Missverständnis auszuschließen?
Das Schwierige daran ist, dass man diese Stellen eines extrem erhöhten Risikos schwer im Voraus bestimmen kann. Im alltäglichen Umgang sagt man dann oft, dass man quasi ein Gespür dafür haben muss – allerdings hilft diese Einsicht nicht viel weiter, denn worin dieses Gespür besteht, und wie man erkennt, ob es vorliegt, bleibt im Dunkeln.29 Was man jedoch einfordern kann, ist eine besondere Achtsamkeit.30 Diese kann von einer Person verlangt werden, nicht jedoch von routinemäßig eingeführten Managementsystemen – auch speziell für das Risikomanagement. Deshalb richtet sich an dieser Stelle das Augenmerk des Unternehmens auf die Projektleitung: Nimmt sie ihre Verantwortung wahr, die für einen möglichen GAU entscheidenden Stellen zu suchen? Hat sie sie erkannt? Berichtet sie geradeheraus darüber? Hat sie kluge Mechanismen eingerichtet, um die Entwicklungen an diesen Stellen ganz genau mitzubekommen?
3.2
Der Projektleiter als Beweger
Eine der grundlegenden Einsichten für das Management von Geschäftsprojekten ist diese: Wenn sie scheitern, liegt dies oftmals nicht daran, dass sie eine falsche Lösung verfolgt hätten. Vielmehr versinken sie schlichtweg im organisatorischen und mikropolitischen Treibsand des Unternehmens. Das Scheitern eines Geschäftsprojektes ist sehr oft ein schleichender Prozess: Es wird zunächst an Schwung verlieren, sich dann festfahren, allmäh-
29
30
Vgl. das Konzept des subjektivistisch-erfahrungsgeleiteten Handelns von Böhle et al. 2004 Hier finden wir eine Parallele zu Weicks viel beachteter Studie über Hochleistungsteams in risikoreichen Arbeitsplätzen: Flugzeugträgern etc., Weick u. Sutcliffe 2001.
3.2 Der Projektleiter als Beweger
63
lich immer einsinken und in Vergessenheit geraten und schließlich zwei Abrechnungsperioden später administrativ abgeschlossen werden. Geschäftsprojekte sind halt nicht an sich für Außenstehende sichtbar. Das ist anders als zum Beispiel bei Bauprojekten, wo ein halbfertig in der Landschaft herumstehendes Gebäude quasi von sich aus nach Fertigstellung ruft. Daraus ergibt sich insgesamt für die Projektleitung die besondere Herausforderung, ihr Geschäftsprojekt überhaupt zu verwirklichen, es also selbst zu bewegen und vor dem Steckenbleiben zu bewahren.31 Gefordert sind, wie wir im Folgenden sehen werden, Intrapreneurship, Motivationskraft und diplomatisches Geschick.
Der Triumph des Kolumbus. Diese Zeichnung wird ihm selbst zugeschrieben. Neben ihm (Mitte) sitzt die Vorsehung; Neid und Dummheit sind besiegt; Beständigkeit, Toleranz, Christentum, Sieg, und Hoffnung sind mit ihm
31
Das Bild funktioniert, auch wenn im Treibsand Bewegung gerade zu einem weiteren Absinken führen kann: Es geht darum, das Projekt so zu beschleunigen, dass es über Stellen mit Treibsand hinweg gleitet, und Helfer an Ort und Stelle zu haben, falls man hinein gerät.
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3 Den Projektleiter bestellen
Intrapreneurship Ausnahmslos alle Projekte, die ein Unternehmen irgendwie verändern wollen – und dies ist bei Geschäftsprojekten ja meist der Fall – reiben sich an der natürlichen Trägheit der Organisation. Hinzu kommt, dass Geschäftsprojekte oftmals auf die Aufgabe bestehender Machtpositionen, bewährter Annahmen, eingeübter Routinen, oder bislang geschützter Interessen und Räume zielen. Sie sind deshalb allgegenwärtig mit Widerständen konfrontiert. Veränderung und Erneuerung müssen nun gegen diese Trägheit und Widerstände behauptet werden. Dies kostet Energie – und zwar die Energie des Projektes, personifiziert in dessen Leitung. Projektleiter können Andere für das Projekt einspannen, sie können bei der Überwindung von Trägheit durch den geschickten Einsatz von Symbolen oder hierarchischen Anweisungen eine Hebelwirkung nutzen, sie können das Feuer großer Gruppen entfachen – aber letztlich bleibt es ihre Aufgabe, diese Veränderungs- und Erneuerungsenergie beizubringen. Dies geht keineswegs mit Dienst nach Vorschrift oder Projektumsetzung nach Plan. Vielmehr sind sie als Intrapreneure gefragt – als Unternehmer in eigener Sache. Diese Wortschöpfung stammt von Charles Handy, dem britischen Managementlehrer. Ein Intrapreneur verbindet sein Schicksal so mit seiner Tätigkeit im Unternehmen – also hier seinem Projekt – wie ein entrepreneur (Unternehmer) seine Existenz mit der seiner Firma verbindet. So wie viele andere Expeditionsleiter zeigte Kolumbus dieses intrapreneurship – er investierte acht Jahre in die Vorbereitung seiner Reise, ohne sicher sein zu können, dass er sie jemals antreten kann.
Beteiligte motivieren mit Charisma und Autorität Die Überwindung von Trägheit und Widerstand führt zu einer Akzeptanz des Projektes. Oft wird dies jedoch noch nicht ausreichen. Vielmehr ergibt sich bei vielen Projekten die weitergehende Herausforderung für ihren Leiter, dass bestimmte Beteiligtengruppen ihr Wissen, ihre Kontakte und ihre Leistungen aus einer eigenen „intrinsischen“ Motivation heraus zur
3.2 Der Projektleiter als Beweger
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Verfügung stellen und somit selbst energisch zum Erreichen der Projektziele beitragen müssen. Die grundsätzliche Aufgabe, eine solche Motivation entweder zu erzeugen oder wenigstens Selbstmotivation zu ermöglichen, bleibt in der Regel bei der Projektleitung hängen. Allenfalls die Abholung einzelner Leistungspakete bei einer Beteiligtengruppe kann dann delegiert werden. Diese Fähigkeit, andere Leute motivieren zu können, ist weder einfach zu beschreiben noch einfach zu erlernen. Persönlichkeit spielt eine große Rolle. Charisma, also eine natürliche und positive Ausstrahlung ist hier kaum zu ersetzen. Autorität ist wichtig, entweder als an die Position gebundene Autorität oder als Autorität, die einem kraft eigener Kompetenz zugeschrieben wird. Hinzu kommt soziale Intelligenz im Sinne der geschickten Nutzung der Beziehungen zu anderen Personen im Projekt und dessen Umfeld.
Das Projekt im Strudel der Ereignisse über Wasser halten Geschäftsprojekte stehen in der Regel quer zur Hierarchie. Ihre Leitung kann aufgrund der begrenzten Projektlaufzeit keine langfristigen Interessenkoalitionen schmieden. Ihr Nutzen ist oft wenig offensichtlich. Im Strom der geschäftspolitischen Entscheidungen der Leitungsebene des Unternehmens besteht deshalb ständig die Gefahr, dass ein solches Projekt quasi in einen Strudel gerät und unter Wasser gezogen wird – mit der Perspektive, ganz unterzugehen oder erst am Ufer, am Rande der Geschehnisse, wieder aufzutauchen.
66
3 Den Projektleiter bestellen
Nach der Rückkehr von seiner ersten Überfahrt unternahm Kolumbus (auf dem Pferd) einen Triumphzug zum Sitz des Königs, bei dem er das ganze Land begeisterte
3.2 Der Projektleiter als Beweger
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In einem Projekt zur Einführung dezentraler Finanzprozesse stellten wir fest, dass es im Verlauf der zweiten Projektphase allmählich immer schwieriger wurde, die Mitglieder der Steuerungsgruppe zu den monatlichen Sitzungen zusammen zu bekommen. Dabei hatten wir alle Termin schon lange im Voraus festgelegt. Wir nahmen dies sehr ernst – als Warnung, dass das Interesse der Leitungsebene erlahmt und neue Aufgaben ihre Aufmerksamkeit binden würden. Die Teilnahme stabilisierte sich, nachdem wir drei Maßnahmen ergriffen hatten:
die Einladung war bis dahin rein formal gehalten, mit dem Hinweise auf die schon vereinbarte Terminserie. Nun wurde ihr jeweils eine kurze Erläuterung des Vorsitzenden der Steuerungsgruppe beigefügt, welche anstehenden Entscheidungen er persönlich gerade für wichtig hält
die Treffen der Steuerungsgruppe wurden von einem vierwöchigen auf einen sechswöchigen Rhythmus umgestellt
zu einem der aktuell die Leitungsebene beschäftigenden Thema, die Frage der Akquisition eines weiteren Unternehmens, wurde innerhalb des Projektes eine Task Force eingerichtet.
Projektleiter müssen sich fast täglich neu orientieren, welche Themen die Diskussion auf der Leitungsebene bestimmen, und sie müssen ihr Projekt im Verhältnis zu diesen Themen fortlaufend neu positionieren. Ein informeller Kontakt zur Leitungsebene, und sei es über zwei Ecken, ist deshalb enorm wichtig, ebenso wie die Fähigkeit, die dort diskutierten Themen zu verstehen und aufzugreifen. Selten noch findet man Projektleiter, die sich genau von diesen politischen Fragen fernhalten – „Ich bin hier der Techniker. Was die da oben entscheiden, ist ihr Problem!“ Dahinter steht ein Bild vom Unternehmen als eine Maschine, welche auf Knopfdruck der Führung nach festgelegten Programmen läuft. In einem solchen Unternehmen würde auf der Arbeitsebene rein fachlich gehandelt. Alle politischen Fragen, die mit der Bündelung von Aufmerksamkeit und Interessen zu tun haben, wären der Leitungsebene vorbehalten. Es gibt jedoch immer weniger Unternehmen, die mit diesem Bild sinnvoll beschrieben werden können. Immer mehr geht es im Management stattdessen um organisationales Lernen, um das Bewegen von Themen wie zum Beispiel Wirtschaftlichkeit, Kundenorientierung, Flexibilität, und Innovationsfreude. Geschäftsprojekte, die in einem sol-
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3 Den Projektleiter bestellen
chen Unternehmen einen Beitrag leisten sollen, müssen sich damit beschäftigen, wie sie die Aufmerksamkeit sowohl der Leitungsebene als auch der Beteiligten insgesamt gewinnen und an sich binden.
3.3
Der Projektleiter als Entscheider
Bei Expeditionen in unbekannte Gefilde ist auf Planung kaum noch Verlass – jedenfalls nicht in dem Sinne, dass man nur den Plan einzuhalten bräuchte, um das Projekt zum Erfolg zu machen. Der hauptsächliche Modus der Projektdurchführung ist vielmehr die laufende Anpassung des Projektverlaufs an vorderhand unbekannte, neue Umstände. Dies macht häufige und für den Projektverlauf einschneidende Entscheidungen erforderlich, wobei keine Zeit für Konsultationen oder gar die Einberufung eines Lenkungsausschusses bleibt. Diese Entscheidungen müssen schon aus rein praktischen Gründen wie ihrer Dringlichkeit meist in großem Umfang von der Projektleitung selbst getroffen werden. Bei Expeditionen stellt sich oft die klassische Frage: „Das Wetter schlägt um, die Vorräte gehen zur Neige, aber am Horizont ist das Ziel kurz aufgeschienen – gehen wir weiter oder zurück?“ Die richtigen Entscheidungen zu treffen scheint die äußerste und wichtigste Leistung eines Expeditionsleiters zu sein – von Kolumbus‘ Entscheidung, trotz der massiven Überschreitung der geplanten Reisezeit weiter nach Westen bis nach Indien zu segeln, über die Entscheidung von Shackleton, seine Mannschaft allein zu lassen und Hilfe zu holen, bis hin zu den vielen Entscheidungssituationen, die bei den immer mal wieder tödlichen Besteigungen des Mount Everest diskutiert wurden. Fast könnte man meinen, die Bergsteiger in der Todeszone haben vor allem das zu tun: sich zu entscheiden.
Wir hatten schon festgestellt, dass sich die Konzeption eines Geschäftsprojektes aufgrund der Vielschichtigkeit der Ausgangslage, der Dynamik des Umfeldes und der Komplexität der miteinander verketteten jeweils alternativ möglichen Projektverläufe fast nur noch dem Projektleiter selbst er-
3.3 Der Projektleiter als Entscheider
69
schließen. Für Situationen, in denen Entscheidungen gefordert sind, heißt dies: auch die möglichen Alternativenstellungen sowie das Für und Wider der einzelnen Optionen sind kaum noch an Außenstehende vermittelbar. Wenn jetzt noch Zeitdruck hinzu tritt, gibt es fast keine Alternative mehr dazu, auf den Projektleiter und seine Entscheidungskompetenz zu vertrauen. Umgekehrt gilt: Weder Expeditionen noch Projekte für Wandel und Erneuerung in Unternehmen kann man allein per regelmäßiger Sitzung eines Lenkungsausschusses wirklich erfolgreich steuern. Nicht, dass es einen solchen Lenkungsausschuss nicht geben sollte – nur kann dieser gegenüber der Projektleitung in der Regeln nur ganz wenige Vorgaben machen, und ansonsten meist nur ergänzend und korrigierend wirken.
Entschlusskraft Der Leiter eines Geschäftsprojektes benötigt deshalb Entschlusskraft. Sie wird benötigt, um sich angesichts einer lähmenden Alternativenstellung zu entscheiden, oder diese aufzubrechen und zu einer grundlegenderen Entscheidung vorzudringen. Wir standen vor der Alternative, den Termin für die Herausgabe des Handbuchs noch einmal zu verschieben – oder aber auf die Einführung durch den Bereichsleiter zu verzichten. Der Projektleiter entschied sich gegen beides – und dafür, den Bereichsleiter über den Assistenten des Vorstands darauf anzusprechen, die Einführung doch noch innerhalb der nächsten zwei Tage abzusegnen.
Entschlusskraft wird auch gebraucht, um sich zu einer unpopulären Entscheidung durchzuringen. Denn gute Lösungen sind oftmals keineswegs populär. Viele notwendige Entscheidungen führen zudem zu einer direkten Konfrontation, weil sie die Interessen einer Beteiligtengruppe durchkreuzen. Entscheidungen sind schließlich auch deshalb schwer zu treffen, weil ihre Konsequenzen wenig absehbar sind, und weil insgesamt nur unscharfe oder fragmentarische Begründungen für die eine oder die andere Seite einer Alternative vorliegen. Geschäftsprojekte führen somit zu ungewöhnlichen Situationen, in denen das Verständnis für die richtige Entscheidung nur schwer vermittelt werden kann, also weder die eingeübten Muster helfen, noch offensichtliche gute
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3 Den Projektleiter bestellen
Gründe vorliegen, um den Entscheider zu entlasten. Leiter von Geschäftsprojekten sollten also mutig32 sein – insbesondere angesichts der oben genannten ständigen Gefahr, im Treibsand der Organisation zu versinken.
Verantwortungsbewusstsein und Werteübereinstimmung Sind die unmittelbaren Auswirkungen einer Entscheidung schon unscharf, so sind Neben- und Fernwirkungen oft überhaupt nicht mehr argumentativ oder technisch nachvollziehbar. Man hat sich halt entschieden und muss nun damit leben – und das heißt mit anderen Worten, die Verantwortung dafür übernehmen. Projektleiter müsse sich also jenseits aller detaillierten fachlichen und technischen Überlegungen der möglichen Auswirkungen des Projektes auf bislang unbeteiligte Personen und Unternehmensebenen bewusst sein. Technokratische Verantwortungslosigkeit ist in der heutigen Zeit, wo immer mehr Unternehmen anfangen, ernsthaft in ihre Reputation zu investieren, nicht mehr gut genug. Man wird Projektleiter deshalb darauf hin prüfen wollen, ob sie über den nötigen Horizont verfügen – ob sie also genug von der Welt um sich herum wahrnehmen, um diese Verantwortung tragen zu können. Des Weiteren wird man sichergehen wollen, dass persönliche Werteorientierungen, die in die Entscheidungen der Projektleitung eingehen, denen des Unternehmens entsprechen.
Komplexe Entscheidungen treffen können Schließlich stellt sich noch die Frage nach der Qualität der Entscheidung selbst, als nach der Entscheidungskompetenz des Projektleiters. Die Bedingungen des Entscheidens in Geschäftsprojekten sind schon angesprochen worden: Informationsdefizite bis hin zur kompletten Ahnungslosigkeit, schwer abschätzbare Entscheidungsfolgen angesichts der Eigendynamik
32
Vgl. den Appell der Vertreter der agilen Softwareentwicklung, courage zu zeigen; und die implizit Kritik an der Mutlosigkeit der Mitarbeiter bei Doppler, 2002
3.4 Exkurs: Sieben Prinzipien für komplexe Entscheidungen
71
und des chaotischen Zusammenwirkens der betroffenen Systeme, Zeitdruck. Sind Projektleiter unterschiedlich befähigt, angesichts komplexer Sachverhalte gute Entscheidungen treffen zu können? Dörner hat in seinem zu Recht viel beachteten Buch „Die Logik des Misslingens“33 typische Probleme und Fehler des Entscheidens in komplexen Situationen aufgezeigt. Eine ganz wichtige Erkenntnis war, dass eine umfassende analytische Vorbereitung und ihre Umsetzung in objektive, rein rational begründete Entscheidungsprogramme die Qualität solcher Entscheidungen nicht durchschlagend verbessert. Dörner stellt der analytischen Intelligenz die operative Intelligenz gegenüber – nur die letztere schließt auch gutes Entscheidungsverhalten ein. Dies bedeutet für unsere Frage nach den Qualitäten eines Projektleiters, dass Verstehen und Entscheiden zwei verschiedene Dinge sind, ein guter Konzeptionist also nicht zwingend ein guter Entscheider ist!
3.4
Exkurs: Sieben Prinzipien für komplexe Entscheidungen
Es gibt nach wie vor nur sehr wenig brauchbare Literatur zur Frage des richtigen Entscheidens. Klar ist immerhin, dass neben themenbezogener fachlicher Kompetenz die Nutzung einer angemessenen Entscheidungsmethodik eine wichtige Rolle spielt. Diese zu kennen und anwenden zu können, ist eine ganz wichtige Qualifikation für Leiter von Geschäftsprojekten. Im Folgenden stelle ich die wichtigsten Elemente einer solchen Entscheidungsmethodik vor: 1. Verfrühte Festlegungen vermeiden und eher so spät wie möglich entscheiden: Dies ermöglicht, erstens, eine intensivere Entscheidungsvorbereitung. Zweitens stehen die Entscheidung und ihre Wirkungen dann noch in ein einem erkennbaren Zusammenhang. Fehler können sich weniger leicht einschleichen und können zeitiger und somit billiger korrigiert werden – eine Lehre aus dem lean management. Gleichzeitig darf man sich
33
Dörner 2003
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3 Den Projektleiter bestellen
natürlich nicht erst zu spät entscheiden – wobei es leider keine Hilfestellung dafür gibt, dieses zu spät im Voraus zu erkennen. „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Erich Honecker, 6. Oktober 1989 „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Michail Gorbatschow, am gleichen Tage
2. Davon ausgehen, dass die getroffene Entscheidung falsch sein kann: Die Chance, sich bei einer Wahl zwischen zwei Alternative richtig zu entscheiden, wird oftmals nur knapp über 50% liegen. Wer sich bei einer Entscheidung keine Hintertüre offen lässt, handelt meist unnötig verwegen. Dörner verweist darauf, dass Selbstüberschätzung sich als eine der größten Fehlerquellen bei seinen Entscheidungsexperimenten herausstellte. 3. Alternativen und Entscheidung voneinander trennen: Dies ist fast schon zu banal, um es hier zu erwähnen. Aber es ist tatsächlich nach wie vor ein großes Problem, dass viele Entscheider – allein oder in der Steuerungsgruppe – eine Lösung wählen, bevor sie überhaupt die Alternativen kennen. Das führt erstens zu einer unreflektierten Wahl und macht, zweitens, die Entscheidung nicht mehr nachvollziehbar – womit jedes Qualitätsmanagement für die Entscheidungsfindung sabotiert wird. Also gilt mindestens: Keine Entscheidung ohne Alternative! Anspruchsvoller und gleichzeitig wirksamer wird der Entscheidungsprozess, wenn man bei der Stellung von Alternativen grundsätzlich in zwei Schritten vorgeht: Der erste ist die Öffnung, die Exploration, bei der es darauf ankommt, viele verschiedene Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Der zweite ist die Verengung, die Synthese, bei der es darauf ankommt, die Anzahl der Möglichkeiten auf eine überschaubare Anzahl von Alternativen zu reduzieren – im Idealfall nur zwei oder drei. 4. Die Alternativenstellung prüfen und vermeiden, sich bei einer aufgedrängten Alternative zu entscheiden: Organisationen tendieren dazu, Lösungen immer in einem Mehr vom Gleichen zu suchen – weil sie diese als bewährt ansehen. Oft ist es jedoch gerade bei komplexen Problemen so, dass etwas Neues erforderlich ist. Hinzu kommt, dass die erste gestellte Alternative oft unzulässige Vereinfachungen enthält – wie Dörner zeigt, nutzen viele Entscheider nicht annährend die Anzahl der erforderlichen und auch möglichen Hebel, um ein komplexes System zu beeinflussen, sondern hoffen statt dessen auf die
3.4 Exkurs: Sieben Prinzipien für komplexe Entscheidungen
73
silver bullet, das Universalheilmittel. Dörner spricht hier von Auslassungen, von Sprunghaftigkeit und von der schon oben beschriebenen Verdrängung – man konzentriert sich auf das, was bekannt ist oder beherrschbar erscheint, und kümmert sich einfach nicht um die komplizierten, unangenehmeren, womöglich riskanteren Aspekte. 5. Intuition mitwirken lassen: Über schwierige Entscheidungen sollte man intensiv nachdenken, man sollte das Problem von verschiedenen Seiten anschauen, Lösungen durchspielen – und dann noch mindestens eine Nacht schlafen. Diese wird durch die moderne Hirnforschung gestützt.34 Der Grund scheint zu sein, dass beim Zustandekommen einer Entscheidung die für die „rationale“ Verarbeitung zuständige Großhirnrinde mit verschiedenen Gehirnarealen zusammenwirkt. Erst im Schlaf oder in anderen Zuständen der Entspannung – beim Angeln, beim Spazierengehen – wird ein besonderer Zustand des Gehirns erreicht, in dem die für eine „intuitive“ Bewertung von Lösungen wichtigen Areale besonders leistungsfähig sind. 6. Konsultation mit Fachleuten: Ein goldene Regel ist nach wie vor, andere Experten zu konsultieren. Wichtig ist, dass diese den Entscheidungsraum nicht einengen – also zum Beispiel als offizieller Fachbeirat auftreten und somit der Projektleitung zusätzliche Begründungslasten auferlegen, wenn sie diesen Rat nicht befolgt. Als Leiter eines schwierigen Geschäftsprojektes sollten Sie immer jemand Unbefangenen in der Hinterhand haben, den sie vor schwierigen Entscheidungen konsultieren können! Expertenbefragung geschieht insofern meist am Telefon, oder beim gemeinsamen Mittagessen. Ein formaler Prozess für die Konsultation von Experten ist seit Jahren unter dem Namen Delphi-Methode bekannt – die Idee dahinter ist, Experten in mehreren Runden zu befragen und so zu einem immer feineren Ergebnis zu kommen.35
34 35
Dijksterhuis 2007 Wikipedia informiert uns dazu wie folgt: „Dazu wird einer Gruppe von Experten ein Fragenkatalog des betreffenden Fachgebiets vorgelegt. Die schriftlich erhaltenen Antworten, Schätzungen, Ergebnisse etc. werden aufgelistet und mit Hilfe einer speziellen Mittelwertbildung zusammengefasst und den Fachleuten anonymisiert erneut für eine weitere Diskussion, Klärung und Verfeinerung der Schätzungen vorgelegt. Dieser kontrollierte Prozess der Meinungsbildung erfolgt gewöhnlich über mehrere Stufen. Das Endergebnis ist eine aufbereitete Gruppenmeinung, die die Aussagen selbst und Angaben über die Bandbreite vorhandener Meinungen enthält.“ http://de.wikipedia.org 16.11.2007
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3 Den Projektleiter bestellen
7. Handlungsspielräume erweitern: Heinz von Förster, Begründer des Konstruktivismus, formulierte den Grundsatz, dass eine Entscheidung in komplexen Verhältnissen immer dazu führen sollte, den Handlungsspielraum des Entscheiders zu erweitern. Weil man ja nicht wissen kann, wie stark man wann von dem mit einer Entscheidung beschrittenen Pfad abweichen muss, ist es sinnvoll, die mit der Entscheidung getroffenen Einschränkung für zukünftiges Handeln möglichst gering zu halten. Im besten Falle führt eine Entscheidung zu einem erweiterten Handlungsspielraum, statt den Entscheider auf einen engen Pfad festzulegen.
3.5
Projektleiterprofile und -auswahl
Wie kann man die hier dargestellte Aufschlüsselung von Herausforderungen, erforderlichen Leistungen und dafür nützlichen Fähigkeiten und Eigenschaften nutzen, um Projektleiter auszuwählen oder ihre Fortbildung zu planen? Der grundlegende Ansatz sollte darin bestehen, das Anforderungsprofil eines gegebenen Projektes – oder eines im Unternehmen gängigen Projekttyps – zu erstellen, und diesem dann die persönlichen Profile von Projektleiter-Kandidaten gegenüber zu stellen.
Rough and Ready: der Projektleiter als Konzeptionist, Beweger und Entscheider Im einfachsten Falle könnte dies so aussehen wie in der folgenden Tabelle, die ich einmal für die Expedition des Kolumbus ausgefüllt habe:
3.5 Projektleiterprofile und -auswahl
75 (–) Ausprägung (+)
Herausforderung als Konzeptionist
}
Stärke des Kandidaten als Konzeptionist Herausforderung als Beweger
}
Stärke des Kandidaten als Beweger Herausforderung als Entscheider
}
Stärke des Kandidaten als Entscheider Bewertungstabelle, beispielhaft ausgefüllt für Christoph Kolumbus als Projektleiter
Die Idee, auf dem direkten Wege nach Indien zu segeln, war zwar neuartig, aber an sich nicht besonders komplex. Eine größere konzeptionelle Herausforderung bestand in der Frage, was man mit den entdeckten und eroberten Gebieten machen sollte. Wie sich herausstellen sollte, war Kolumbus mit dieser Frage vollständig überfordert. Die Expedition war schwierig durch- und umzusetzen – gegen eine enorme Trägheit des königlichen Hofes, und gegen vielfältige Interessen. Hier zeigte sich Kolumbus einer großen Herausforderung als Beweger des Projektes absolut gewachsen. Schließlich wurde Kolumbus als Entscheider in ganz hohem Maße gefordert: So segelte er monatelang allein mit seiner Mannschaft in unbekannten Gewässern. Für die Seefahrten selbst zeigte sich Kolumbus dieser Herausforderung im Großen und Ganzen gewachsen; als es um die Verwaltung der sich bildenden Kolonien ging, traf er jedoch eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen. Auch für Geschäftsprojekte ist diese einfache Aufteilung hilfreich: Ein aktuelles Projekt zur Überarbeitung der Produktentwicklungsmethodik in einem großen Automobilunternehmen stellt große Herausforderungen an den Projektleiter als Konzeptionist und Beweger; da es sich aber letztlich um ein Pilotvorhaben mit einem begrenzten Wirkungsraum handelt, ist er als Entscheider weniger stark gefordert. Projekte, die zu einem Abbau bestehender Arbeitsplätze führen und solche, bei denen in einem von großer Unsicherheit geprägten Umfeld langfristige Investitionen zum Beispiel in
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3 Den Projektleiter bestellen Software-Lösungen erforderlich werden, fordern demgegenüber die Leitung oftmals viel stärker in ihrer Rolle als Entscheider.
Die Auswahl von Leitern für Geschäftsprojekte geschieht in den allermeisten Unternehmen noch recht informell. Hier ist es vorteilhaft, mit dem Dreiklang Projektleiter als Konzeptionist/als Beweger/als Entscheider ein auf das Minimum reduziertes, einfach vermittelbares gedankliches Gerüst zu haben, um besondere Herausforderungen von Projekten beschreiben und diesen dann geeignete Projektleiter zuweisen zu können.
Herausforderungen und Fähigkeiten im Überblick Hat man jedoch eine Vielzahl von Kandidaten sowie die Zeit für eine sorgfältige Entscheidung, so lohnt sich eine differenziertere Betrachtung. Es bleibt bei dem Prinzip, von den Herausforderungen der jeweiligen Projekte auszugehen, und diesen die Kandidaten gegenüber zu stellen. In der folgenden Tabelle sind die bislang dargestellten Herausforderungen, die daraus abgeleiteten Leistungserwartungen an die Projektleitung, sowie die dafür wiederum erforderlich Fähigkeiten und Eigenschaften der Projektleiter beschrieben. Auf ihrer Grundlage können Sie ein eigenes Anforderungsund Fähigkeitsprofil für Ihre Projektleitungen erstellen! Die wichtigsten Kompetenzen und Rollen der Projektleitung sind in folgendem Schaubild zusammengefasst:
3.5 Projektleiterprofile und -auswahl
Projektkonzept verstehen
77
Konzeptionist
Überblick behalten Blickwinkel integrieren GAU-Risiko beurteilen
Als Intrapreneur handeln
Beweger
Charisma/Autorität haben Entscheider beeinflussen
Entschlusskraft haben
Entscheider
Verantwortung übernehmen Kompetent entscheiden
Wichtige Kompetenzen und Rollen der Projektleitung
Diese Tabelle mag vielen Lesern zunächst unvollständig erscheinen. Wo bleiben allgemeine Sozial- und Managementkompetenzen, und wo bleibt die Frage nach der Fachkompetenz? Hier ist zu berücksichtigen, dass es mir an dieser Stelle nur um die ganz speziellen Anforderungen und Fähigkeiten zur Leitung eines Projektes geht. Die Kriterien für die Auswahl von Projektleitern unterscheiden sich nämlich durchaus von denen für die Auswahl von Mitarbeitern. Plastisch gesprochen: auch ein exzellenter Mitarbeiter ist noch lange kein guter Projektleiter, und ein guter Projektleiter kann durchaus einen fast unbrauchbaren Mitarbeiter abgeben! Es geht mir hier ausschließlich um das gewisse Etwas, welches den erfolgreichen
78
3 Den Projektleiter bestellen
Projektleiter auszeichnet – und welches für Aufgaben erforderlich ist, welche in der Regel kaum delegiert werden können.36 In der Regel verfügt natürlich auch ein Projektleiter über MitarbeiterKompetenzen – also fachliche Kompetenzen, welche zur Bewältigung der spezifischen Projektaufgabe erforderlich sind, sowie allgemeine Projektmanagement-Kompetenzen wie Teamfähigkeit, diszipliniertes Arbeiten, Methodenkenntnis und Qualitätsbewusstsein. Aber dies sind eben nicht diejenigen, welche ihn besonders dafür qualifizieren, ein schwieriges Projekt wirklich zu führen. Die folgende Tabelle stellt die oben aufgeführten Leitungskompetenzen in den Zusammenhang mit den besonderen Herausforderungen des Managements von Geschäftsprojekten sowie den Leistungen, die von einem Projektmanager deshalb erwartet werden:
36
In diesem Sinne auch die Anmerkung im Buch ‚Projektmanager‘ der GPM (Schelle et al. 2005): „Erfahrene Fachleute aus dem Personalbereich betonen allerdings, dass solche Wunschkataloge (für Auswahlentscheidungen, M.K.) eher unrealistisch sind und allenfalls als Richtschnur für betriebliche Personalentwicklungsmaßnahmen dienen können“, S. 322
3.5 Projektleiterprofile und -auswahl Mit dem Projekt verbundene Herausforderung
Erwartete Leistung/ Aufgabe des Projektleiters
79 Erforderliche Fähigkeit oder Eigenschaft
Der Projektleiter als Konzeptionist/Planer Vielschichtigkeit, Komplexität des Projektansatzes
Die Projektkonzeption verstehen und erklären
Analytisches Denken, Intelligenz
Krisen, Druck
Den Überblick wahren
Kaltblütigkeit, Unvoreingenommenheit
Jede Beteiligtengruppe versteht das Projekt anders
Perspektiven und Ziele bündeln
zuhören können, Einfühlungsvermögen, geistige Flexibilität
Unwägbares Risiko
Risiken vermeiden oder minimieren
Gespür & Systematik für Risikobeobachtung
Der Projektleiter als Beweger Trägheit, Widerstand
Das Projekt bewegen
Engagement, Intrapreneurship
Abhängigkeit von den Leistungen der Beteiligten
Leistungen mobilisieren und einholen
Motivationskraft
Politische Dynamik im Projektumfeld
Commitment der Leitungsebene sicherstellen
diplomatisches Geschick, wirksame Kommunikation
Der Projektleiter als Entscheider Außergewöhnlichkeit der Umstände
Erforderliche Entscheidungen zeitgerecht treffen
Zeitgespür, Entschlusskraft, Mut,
Hohe Komplexität und Dynamik der Umstände
Fern- und Nebenwirkungen berücksichtigen
Verantwortungsbewusstsein, Werteübereinstimmung
Entscheidungen betreffen hochkomplexe Situationen
Die bestmöglichen Entscheidungen treffen
komplexitätsgerechte Entscheidungsroutinen und -prinzipien
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3 Den Projektleiter bestellen
Echte Führungskompetenzen: Konzeptionist, Beweger, Entscheider Diese Unterscheidung zwischen echten Führungskompetenzen und den allgemeinen Kompetenzen für die Mitarbeit in Projekten wird von den Projektmanagement-Verbänden und in den meisten Unternehmen nicht in dieser Deutlichkeit vorgenommen. Dort wird der Projektleiter eher als ein Super-Mitarbeiter betrachtet, der sich durch umfassende Kompetenzen in den verschiedensten Bereichen auszeichnet. Dies gilt zum Beispiel für die Competence Baseline (ICB) der International Project Management Association (IPMA). In ihrer ab Januar 2008 verbindlichen Version 3.0 wurden ja erstmals auch verhaltensbezogene Fähigkeiten in das Leistungsprofil von Projektleitern aufgenommen. Die 45 von der IPMA geforderten Kompetenzen sind sicherlich der Leistung eines Projektleiters förderlich. Jedoch betreffen keineswegs alle diese Kompetenzen unmittelbar die persönliche Leitungskompetenz, denn viele von ihnen sind durchaus delegierbar. Dies gilt insbesondere für Aufgaben der Planung, der Kommunikation nach außen, des Beziehungsmanagements zu einzelnen Beteiligtengruppen, und des Controllings. Dies wird ja in der Praxis auch vielfach so gehandhabt. Ähnliches gilt für den Project Manager Competency Development Framework37 des Project Management Institute. Dieser benennt etwa 50 Kompetenzen, die als Performance Competencies den fünf Projektphasen und als Personal Competencies sechs Bereichen zugeordnet werden. Auch hier sind die allermeisten der genannten Kompetenzen delegierbar – das Bild des Projektleiters ist ebenfalls dass eines Super-Mitarbeiters. Damit besteht durchaus die Gefahr, dass mit diesen Auswahlkriterien genau diejenigen Personen herausfallen werden, welche besonderen Fähigkeiten als Konzeptionisten, Beweger und Entscheider haben, aber ansonsten eben nicht dem Idealprofil eines Projektmitarbeiters entsprechen!
37
PMI (2007); deutlich darüber hinaus führen Turner und Müller (2006) mit ihrer für das PMI erstellten empirischen Studie zu Führungsstilen und Projekttypen.
3.6 Die Rolle des Projektleiters im Unternehmen
3.6
81
Die Rolle des Projektleiters im Unternehmen
Das Anforderungsprofil für die Position eines Projektleiters hängt nicht allein vom in Frage stehenden Projekt oder Projekttyp ab. Darüber hinaus ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, welche Rolle der Projektleiter im Unternehmen einnehmen soll.
Vom Projektkoordinator zum starken Projektleiter Für unsere Zwecke ist es dafür hilfreich, mit einer einfachen Gegenüberstellung zu arbeiten. Das eine Extrem bildet der Projektleiter als Projektkoordinator, der die Linienfunktionen nur dabei unterstützt, im Rahmen des Projektes zusammen zu arbeiten. Hier ist nicht so sehr der Leiter mit besonderen Führungskompetenzen gefordert, sondern eher der Vermittler, welcher sich vielleicht gerade nicht durch eine starke eigene Vision, Konzeption und Entscheidungskompetenz auszeichnet. Das andere Extrem ist der starke Projektleiter 38, der hierarchisch klar positioniert ist und über Budget- und Personalverantwortung für das Projekt verfügt. Für diesen sind gerade die hier vorgestellten Schlüsselkompetenzen notwendig. Folgende Tabelle hilft bei der Einordnung der Anforderungen Ihrer Projekte:
38
Ich übersetzte dies aus dem Englischen, aus der bedeutsamen Studie der MIT Automotive Group: Cusumano u. Nobeoka 1998
82
3 Den Projektleiter bestellen
Rolle/Funktionen des Projektleiters
(–)
Ausprägung
(+)
Gleichrangig mit wichtigen an der Durchführung Beteiligten Budgetverantwortung für das Projekt Fachliche Führungsverantwortung für Projektteam Disziplinarische Führungsverantwortung für Projektteam Kann Vorschläge zur Weiterentwicklung der Projektidee machen Kann alle Beteiligten auf direktem Wege ansprechen
Je stärker ausgeprägt die Merkmale der Projektleiterrolle in dieser Tabelle sind, desto stärker muss auch seine formale Position im Unternehmen sein.
3.7
Zusammenfassung
Für Geschäftsprojekte ist die Besetzung der Projektleiterposition erfolgskritisch – und zwar in der Regel weit mehr als bei anderen Projekten. Für Geschäftsprojekte sind dabei insbesondere folgende drei LeitungsFunktionen wichtig:
Konzeptionist: um die Projektidee in ihrer Vielschichtigkeit und in ihrem Facettenreichtum wirklich zu verstehen, darzustellen und weiter zu entwickeln, um im Falle einer Krise den Überblick zu behalten und um das insgesamt nur schwer wägbare Risiko eines totalen Scheiterns zu beurteilen
Beweger: um das Projekt gegen Widerstand und Trägheit durchzusetzen, um Beteiligte zu Beiträgen zu motivieren, die sie nur aus eige-
3.7 Zusammenfassung
83
nem Antrieb erbringen können, und um das Projekt im Strudel der Ereignisse politisch über Wasser zu halten
Entscheider: um sicher zu stellen, dass wichtige Entscheidungen überhaupt rechtzeitig fallen, dass Neben- und Fernwirkungen ausreichend berücksichtigt werden, und dass Entscheidungen nach einer komplexitätsgerechten Methodik erarbeitet werden.
Die Auswahl von Projektleitern sollte grundsätzlich vom Anforderungsprofil des Projektes her gedacht werden; also inwieweit ein bestimmtes Vorhaben den Projektleiter jeweils als Konzeptionist, Beweger und Entscheider herausfordert. Ein Auswahlraster für Projektleiter, welches auf diesen drei Kategorien aufbaut, umfasst insgesamt zehn wichtige Fähigkeiten oder Eigenschaften. Eine wichtige Dimension des Anforderungsprofils ist die Gegenüberstellung von Projektkoordinator und starkem Projektleiter: Die hier dargestellten Schlüsselkompetenzen sind in dem Maße notwendig, in dem im Unternehmen die Rolle eines starken Projektleiters etabliert ist.
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
4
Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Eine Idee – so großartig sie ist – wird erst durch einen Auftrag zu einem Projekt. Kolumbus hatte das klar vor Augen: Auf eigene Faust loszusegeln hätte nichts gebracht. Er wäre wahrscheinlich schon an den portugiesisch besetzten Inseln im Atlantik mangels Durchfahrtsrechten aufgehalten worden; und selbst wenn ihm allein die Entdeckung des Seewegs gelungen wäre, hätte er damit wenig anfangen können: Man hätte seine Rechte bestritten, oder seine Glaubwürdigkeit – wie die des selbsternannten Entdeckers Marco Polo. Für Geschäftsprojekte gilt dies gleichermaßen. Wenn diese trotz einer an sich vernünftigen Projektidee schief laufen, findet man oft genug große Probleme im Bereich des Auftrags: eine allzu unklare Zielformulierung, welche zu erwartbaren Missverständnissen geradezu eingeladen hat; Unklarheit darüber, ob eine wichtige Abteilung im Unternehmen nun am Projekt beteiligt ist oder nicht; die Unterstützung des Managements versiegt, weil ihm der Nutzen des Projektes allmählich unklar wird; Mitarbeit kann nicht eingefordert werden, weil das dafür erforderliche Mandat nicht übertragen wurde. Wie in den Kapiteln 1 und 2 dargestellt, sind Veränderungs- und Innovationsprojekte für die allermeisten Unternehmen eine Zumutung. Sie stören die bewährte Routine und die etablierten Kräfteverhältnisse. Sie bringen neue und unkalkulierbare Herausforderungen mit sich. Sie drohen, bestehenden Fertigkeiten, Netzwerke und Verhaltensweisen zu entwerten. Deshalb arbeitet das Immunsystem des Unternehmens im Hintergrund ständig daran, Projekte wieder auszuscheiden, oder wenigstens unschädlich für die bestehenden Strukturen zu machen. Seine Wirkstoffe sind Vergessen, Desinformation und Überlagerung. Vor diesem Hintergrund sind die meisten Projektideen zunächst einmal nicht mehr als Versuchsballons. Ihren Platz im Unternehmen, ihr Recht auf
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Selbstbehauptung und auf Wirkung innerhalb der genehmigten Frist bekommen sie nur durch den Auftrag.
Lesen Sie
wie der Projektleiter sich für die Auftragsverhandlung positioniert
wie ein Projektziel definiert werden sollte, und warum es falsch ist, es auf Dauer festzulegen
wie der Auftragsumfang über Themen und Beteiligte festgelegt wird, und nicht über Tätigkeiten
warum es wichtig ist, immer auch das Mandat zu klären
welche Regeln beim Schreiben eines Projektauftrags zu beachten sind.
wie das Risikomanagement im Projektauftrag verankert wird
Der Schlüssel: Dynamische Beauftragung Im klassischen Projektmanagement hatte sich schon vor etwa zwanzig Jahren die Erkenntnis verbreitet39, dass zwei Faktoren für den Erfolg von Projekten in Organisationen besonders wichtig sind: klare Ziele, sowie die Unterstützung des Managements – executive sponsorship. Diese werden heute auch vielfach zumindest formal eingefordert, insbesondere in Unternehmen, die Projektmanagement-Verfahren eingeführt haben. Aber immer noch sind Ziele von Geschäftsprojekten sehr oft unklar und vor allem unvollständig – insbesondere werden zum Beispiel bei „IT-Projekten“ Ziele im Bereich der organisatorischen Veränderung nicht in den formalen Projektauftrag hinein genommen. Viele Projekte leiden zudem darunter, dass das Top-Management zu Beginn weitgehende Ziele beschließt und seine Unterstützung zusagt, in der Umsetzung dann jedoch zögerlich und mit vorsichtiger Zurückhaltung handelt. 39
Vgl. Standish Group 2004, Cleland u. Ireland 2002
4.1 Verantworten heißt, verhandeln zu können
87
Das führt in vielen Unternehmen zu einer großen Frustration sowie zu gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Führungskräften einerseits und der Projektmanagement-Gemeinde andererseits. Mitglieder der letzteren sehen die Bringschuld beim Management: Die Herren dort oben mögen sich bitte doch einmal klar entscheiden, und dann auch bei ihren Entscheidungen bleiben! Die Führungskräfte ihrerseits blicken verständnislos auf Projektleiter und Experten, die von den Widersprüchlichkeiten und der manchmal enormen Dynamik der Führung von Abteilungen und Unternehmen offensichtlich wenig wissen – und dann noch Ansprüche stellen, statt die gegebenen Ziele fraglos umzusetzen! Die Schuld liegt aber tatsächlich sehr oft in der Anwendung veralteter Konzepte auf beiden Seiten. Man denkt über ein Geschäftsprojekt wie über den Bau eines Hauses. Bei diesem wird der Auftrag am Anfang festgelegt und bleibt dann gleich: Der Bauherr legt seine Interessen, seine Möglichkeiten und das Ausmaß seiner Unterstützung zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe fest. Der Auftragnehmer – die Projektleitung – hält sich in Bauprojekten aus der Diskussion des einmal geschlossenen Auftrags besser heraus hält. Man plant, trifft eine Verabredung, und das sollte es gewesen sein. Wie wir im Folgenden sehen werden, ist die Beauftragung von Geschäftsprojekten hingegen notwendigerweise dynamisch: Sowohl der Inhalt des Projektes, als auch sein vom Auftraggeber bestimmten Wirkungskreis und seine Wirkungsmöglichkeiten werden ständig fortentwickelt. Es ist wie bei einer Expedition im Handy-Zeitalter: Aufgrund neuester Lageberichte wird die Beauftragung ständig überprüft und fortgeschrieben. Dies wird im Folgenden erklärt, und ich zeige, wie Leiter von Geschäftsprojekten mit diesen aus Sicht des klassischen Projektmanagements vielleicht ungewöhnlichen Anforderungen professionell umgehen können.
4.1
Verantworten heißt, verhandeln zu können
Im vorhergehenden Kapitel zur Führungsrolle in Geschäftsprojekten habe ich herausgestellt, wie wichtig die Rolle der Projektleitung für Geschäfts-
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
projekte ist. Sie steht im Mittelpunkt des Projektes, weil sie die Projektidee in vielen Fällen am besten kennt, weil sie oft die intensivsten Beziehungen zu allen Projektbeteiligten hat, und weil sie insbesondere in Krisen weitreichende Entscheidungen treffen muss. Für die Beauftragung des Projektes bedeutet dies nichts anderes, als dass die Projektleitung einen Großteil der Verantwortung für die erfolgreiche Durchführung des Projektes trägt.
Unterschrift des Christoph Kolumbus
Wer Verantwortung trägt, kann nein sagen Wir finden diese besondere Verantwortung der Projektleitung darin bestätigt, dass sie in der Regel um ihre ausdrückliche Zustimmung zur Übernahme einer Projektleitung gefragt wird. Zur Verdeutlichung sei gesagt: Dies ist nicht üblich bei Baufirmen, wenn sie die Leitung von Bauprojekten besetzen. Wer etwas wirklich verantworten soll, muss diese Verantwortung auch ablehnen können. Hilfsweise sollte er wenigstens über den Auftrag verhandeln können. Den kompletten Anfänger erkennt man daran, dass er einen Projektauftrag ungefragt übernimmt.40 Aber dann wird man ihm, wenn es fair zugeht, im Falle eines Scheiterns nicht wirklich in die Verantwortung nehmen.
40
Dies ist übrigens die Regel Nr. 1 von Tom Peters in seinen The Project 50: „Reframe! Never ever accept a project assignment as given!“; www.tompeters.com
4.1 Verantworten heißt, verhandeln zu können
89
Wie eine solche Verhandlung über die Übernahme der Projektverantwortung läuft, hängt von der jeweiligen Verhandlungsposition der beiden Parteien ab. Die des Projektleiters hängt in den meisten Fällen davon ab, wie seriös, beliebt und gut vernetzt er ist, und welche konkreten Alternativen er zum angebotenen Auftrag hat. Für den Auftraggeber kommt es hingegen darauf an, wie groß sein Zeitdruck ist, welche Verpflichtungen er schon eingegangenen ist, und wie groß seine eigenen Einflussmöglichkeiten und seine Flexibilität sind. Auch von Bedeutung ist, wie viel man überhaupt über das Vorhaben weiß: Wenn vieles noch sehr unsicher ist, hat man als Projektleiter oft schlechte Karten bei Verhandlungen über den Projektauftrag, denn die formalen Argumente sind ja meist im Sinne des Auftraggebers. Man könnte diesen nur inhaltlich begegnen, hat dazu aber zu wenige verlässliche Informationen. So kann es in einzelnen Fällen besser sein, sich in der allerersten Phase eines riskanten Projektes als Projektleiter aus der Gestaltung des Auftrags eher heraus zu halten. Mitgestalten heißt ja immer auch mitverantworten. Man sollte dann als Projektleiter sein Pulver noch nicht verschießen, sondern nach Möglichkeit
sicher stellen, dass der Auftraggeber seine Entscheidungen auch als solche erkennt und bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen
einen Termin festlegen, zu dem man mit dem Sponsor die Entwicklung des Projektes überprüft und dann gegebenenfalls den Projektauftrag neu fasst.
Dazu sollte der Projektleiter in der einen oder anderen Form – und sei es als e-mail – all die Dinge festhalten, die zum Zeitpunkt seiner Beauftragung schon vorentschieden waren. Das kann die Formulierung des Projektziels betreffen, die Besetzung der Teampositionen, die zeitliche Struktur des Projektes oder bestimmte Vorgehensweisen. Aller Erfahrung nach kommt der Moment, wo es sich als nützlich heraus stellt, den Auftraggeber an die Entscheidungen erinnern zu können, die man als Projektleiter nicht selber zu verantworten hat.
90
4.2
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Projektziel: Das Bestimmte Unbestimmte
In Kapitel 2 habe ich die Projektidee als konzeptionellen Kern eines Geschäftsprojektes vorgestellt. Sie beschreibt, warum der Auftraggeber und die weiteren Beteiligten sich für das Projekt engagieren, und sie legt die wesentliche Zielrichtung des Projektes fest.
Das Projektziel ist die Projektidee im Kleinformat Die Projektidee ist jedoch nicht mit dem Projektziel gleichzusetzen. Im Gegenteil – das Projektziel hat gegenüber der Projektidee eine zunächst vergleichsweise banal erscheinende Funktion: Es beschreibt den Zustand, der erreicht sein sollte, um das Projekt erfolgreich beenden zu können. Es ist somit in der Projektidee enthalten und konkretisiert diese im Hinblick auf das praktisch Machbare. Die Projektidee, das Gold Indiens zu gewinnen, wurde in dem Ziel konkretisiert, eine erste Schiffsreise auf dem direkten Seeweg durchzuführen. Das Ziel wurde später um weitere Fahrten erweitert. Die Projektidee, die IT-Infrastruktur der Abteilung X auf eine leistungsfähigere und zukunftssichere Basis zu stellen, wurde in dem Ziel konkretisiert, ein neues Betriebssystem Y einzuführen.
Nehmen wir noch ein ausführlicheres Beispiel: Es wird ein Projekt zu der Idee vorgeschlagen, die Kundenzufriedenheit zu verbessern, in dem der after sales service für die Kunden optimiert und besser mit den vorgelagerten Prozessen verzahnt wird. Die verschiedenen Beteiligten in einem Unternehmen finden sich hier in unterschiedlicher Weise wieder: Marketing und Vertrieb wünschen sich vor allem einen besseren Auftritt gegenüber dem Kunden, die Produktentwicklung eine bessere Einbindung von Kundenwünschen in den Entwicklungsprozess und die Fertigung die bessere Nutzung von Kennziffern zur Fertigungsqualität.
4.2 Projektziel: Das Bestimmte Unbestimmte
91
Alle diese verschiedenen Sichtweisen und Wünsche müssen aufgegriffen werden – denn sonst bekommt man die jeweiligen Bereich nicht ins Boot. Dies leistet die hier vorgestellte Projektidee. Allerdings kann man auf dieser allgemeinen Ebene die Umsetzung kaum managen. Dazu muss ein Projekt sehr viel konkreter gefasst werden. Ein entsprechendes Projektziel könnte lauten: Zum Ende des Geschäftsjahres erreicht unser after sales service eine bedeutende Verbesserung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit, entsprechende Kennzahlen haben sich um 20% verbessert und ihre Kontrolle ist in Produktentwicklung und Fertigungsplanung eingebunden.
Dies ist vielleicht nicht gerade mitreißend – aber sehr viel genauer, so dass auf dieser Grundlage eine Planung erfolgen kann.
Projektidee und Projektziel im Zusammenspiel Die Projektidee und das Projektziel greifen also ineinander, aber sie haben unterschiedliche Funktionen. Die Projektidee motiviert die Beteiligten, sie setzt Energien frei. Eine gewisse Unschärfe tut ihr eher gut: Gerade weil man nicht genau weiß, was gemeint ist, können verschiedene Leute mit den unterschiedlichsten Motiven mitmachen! Zudem ist eine allgemein gehaltene Erwartung ist auch nicht so einfach zu enttäuschen wie eine sehr spezifische – ein Grundprinzip, welches wir aus den politischen Wahlkämpfen kennen. Allerdings gibt die Projektidee die allgemeine Richtung vor: Nach Indien! Branchenerster mit dieser Technologie sein! Das Projektziel verankert das Projekt demgegenüber im Unternehmen. Es ist der Bezugspunkt, um zu entscheiden, was zum Projekt dazu gehört und was nicht, und wie viel Zeit man ihm gibt, also wann Schluss ist. Aus der Perspektive der Projektleitung definiert das Projektziel darüber hinaus,
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
welche Verantwortung sie durch die Annahme des Projektauftrags übernommen hat.41
SMARTE Projektziele Bei der Formulierung des Projektziels sollte man sich viel Mühe geben. Deshalb hier noch einmal die bewährte Empfehlung, dass eine Projektziel SMART 42 sein sollte, also Specific/spezifisch – der Bezug zur täglichen Arbeit bzw. zum Geschäft der beteiligten Abteilungen sollte umstandslos erkennbar sein Measurable/messbar – es muss klar erkennbar sein, ob es erreicht wird oder nicht Attainable/erreichbar – und zwar sollte es nicht nur dem Projektteam erreichbar erscheinen, sondern den meisten Beteiligten; ein illusorisches Ziel wird meist nur Widerstand wecken Relevant/bedeutsam – denn Zusatzarbeit und besonderer Einsatz sind allemal gefordert, auch für die einzelnen Tätigkeiten in der Projektdurchführung Time-bound/befristet – denn sonst hätte das Projekt im alltäglichen Wettbewerb um Dringlichkeiten keine Chance; und es wäre im Übrigen von der auf Dauer angelegten Organisation nicht mehr zu unterschieden.
Den Formulierungsvorschlag für das Projektziel sollte man früh genug von verschiedenen Beteiligten anschauen lassen, um eventuell gefährliche Missverständnisse zu vermeiden. Und Missverständnisse gibt es aller Erfahrung nach zuhauf. Wird zum Beispiel in einem Unternehmen das Wort Wirtschaftlichkeit mit Stellenabbau gleichgesetzt, sollte man es allenfalls verwenden, wenn ein Stellenabbau wirklich in Aussicht genommen ist. 41
42
Die hier vorgeschlagene Aufspaltung ist für Projekte im politischen Umfeld seit langem bewährt: bei der Weltbank und den Vereinten Nationen unterschiedet man zum Beispiel goal und objective; in der deutschen Entwicklungshilfe Oberziel (beziehungsweise Entwicklungsziel) und Projektziel. Zahllose Varianten kursieren in der Literatur und im Web; diese ist von www.dummies.com
4.2 Projektziel: Das Bestimmte Unbestimmte
93
Projektziele konkretisieren sich schrittweise Typisch für Geschäftsprojekte ist nun, dass die Informationen, die für die Bestimmung eines SMARTEN Zieles erforderlich sind, zum Zeitpunkt der Beauftragung noch gar nicht vorliegen. Vielmehr konkretisieren sich ihre Ziele in dem Maße, in dem man ihnen näher kommt. Kolumbus wollte den Seeweg nach Indien entdecken. Bei seiner Landung auf den Bahamas musste er erst eine geeignete Landestelle suchen. Dann stellte sich heraus, dass er gar nicht in Indien angekommen war, sondern auf irgendwelchen vorgelagerten Inseln. Das Festland zu erreichen war gar nicht so einfach, und es gelang ihm überhaupt erst bei seiner vierten Reise. Schließlich am Festland angekommen, fing er dann an, nach Flussläufen zu suchen, die ihn zu den von ihm im Hinterland vermuteten Königsstädten führen sollten – sozusagen ein erweitertes Verständnis von ‚Seeweg‘.
Auch Organisations- und Entwicklungsprojekte haben anfänglich meist unscharfe Ziele, die im Verlaufe des Projektes zunehmend präziser gefasst werden. Was zum Beispiel genau unter Einführung einer leistungsbezogenen Entlohnung in einer Verwaltungseinheit zu verstehen ist, klärt sich erst im Verlaufe des Projektes, wenn die verschiedenen rechtlichen, operativen und kulturellen Aspekte durch die konkrete Beschäftigung mit ihnen besser verstanden werden. Der Projektauftrag sollte deshalb vorsehen, dass anfänglich noch mit unscharfen Zielen gearbeitet werden kann, und diese erst im Verlaufe des Projektes präzisiert werden. Man kann zum Beispiel auf jeden Fall schon einmal vorsehen, dass das Projektziel nach Erreichen des ersten oder zweiten Meilensteins überprüft und gegebenenfalls weiter präzisiert wird.
Move your targets! Doch damit nicht genug: Ziele von Geschäftsprojekten sollten nicht nur im Projektverlauf präzisiert, sondern auch flexibel gehandhabt werden. Das klassische Projektmanagement ist zunächst einmal statisch – was ja zum Beispiel beim Hausbau auch absolut angemessen ist. Im Prinzip gilt: Jede Änderung der ursprünglichen Baupläne bringt die sorgsam erstellte Durch-
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
führungsplanung durcheinander, verursacht vergleichsweise hohe Kosten und erhöht die Risiken. Deshalb gilt es, Ziele und Aufgabenumfang des Projektes im Auftrag möglichst detailliert festzuschreiben.43 Für die Projektleitung besteht eine Herausforderung darin, eine schleichende Veränderung der Ziele zu vermeiden – zum Beispiel die Aussage: „Nein, es soll nun doch beides in dem Haus möglich sein, Wohnen und Arbeiten“. Und auch wenn die Ziele konstant bleiben, soll eine schleichende Veränderung des Aufgabenumfangs vermieden werden – wie zum Beispiel „wir haben uns das beim Nachbarn angesehen und uns überlegt, dass wir auch eine Pellet-Heizung im Keller möchten“. Die englischen Fachbegriffe dafür sind moving targets und scope creep, die es also absolut zu vermeiden gilt. Sie haben es schon erraten – für Geschäftsprojekte wird das kaum funktionieren. Denn meist ändern sich die Verhältnisse so stark, dass Projekte dies nicht ignorieren können und durchaus tiefgreifende Änderungen des Projektziels notwendig werden. Man geht bei der Projektplanung von bestimmten wichtigen Annahmen aus, zum Beispiel über die Nachfrage nach bestimmten Produkten, über die Geschäftsstrategie, über die Konkurrenzsituation, oder über die Anwendbarkeit rechtlicher Normen. Dann aber stellt sich heraus, dass diese Annahmen nicht zutreffen. Also muss man umplanen. Auch lernt man erst im Verlaufe des Projektes etwas über seinen Gegenstand. Zum Beispiel werden IT-Projekte oft zunächst als rein technische Vorhaben angesehen. Erst nach und nach wird den Beteiligten klar, dass eine neue Anwendung nur funktionieren kann, wenn auch Geschäftsprozesse angepasst und die Mitarbeiter geschult werden.
43
Vgl. das Konzept der progressive elaboration im PMBoK, PMI 2004 sowie FN 7
4.2 Projektziel: Das Bestimmte Unbestimmte
95
Landung des Kolumbus auf einer Insel; es ist unklar, ob man nun das Ziel erreicht hat, was zu Verwirrung führt
Die Projektleitung hat nun ein dringendes Interesse daran, sicherzustellen, dass Projektidee und Projektziel mit der Zeit gehen, also auch unter veränderten Verhältnissen funktionieren. Die Projektidee muss weiterhin attraktiv sein, und das Projektziel muss diese Idee weiterhin so konkretisieren,
96
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
dass es als Grundlage einer spezifischen Projektplanung dienen kann. Gerade für Geschäftsprojekte, bei denen es um Erneuerung und Veränderung geht, kann die Devise angesichts ständiger Veränderungen im Projektumfeld also eigentlich nur heißen: move your targets!
Zielszenarien vereinbaren Die Einsicht in die Notwendigkeit von Flexibilität im Hinblick auf Projektidee und Projektziel erscheint trivial. Und dennoch: wie viel unnütze Arbeit wird in Projekten geleistet, und wie viel Unfug wird getrieben, weil dies so geplant war und die Einhaltung des Plans erwartet wird? Vor dem Hintergrund des oben Gesagten wissen wir: Im Projektauftrag sollte festgehalten werden, dass das Projektziel überprüft und gegebenenfalls angepasst wird, wenn im Projektverlauf
neu anfallende Informationen es erlauben, das Projektziel weiter zu konkretisieren
sich der Planung zugrunde liegende Annahmen über das Projektumfeld als unzutreffend herausstellen
wichtige, neue Erkenntnisse über den Projektgegenstand, über wichtige Prozesse und Wirkungszusammenhänge gewonnen werden
sich die dem Projekt zugrunde liegenden Hypothesen über Machbarkeit (Fristen, Kosten, Ressourcen) als nicht realistisch herausstellen.
Eine solche Flexibilität zu fordern, mag vielen Lesern zunächst als wenig praktikabel erscheinen. In vielen Unternehmen bedeutet die Einrichtung eines Projektes ja vor allem, eine Maßnahme mit einer festen Frist und festen Kosten zu versehen. Dies möchte man dann nicht schon im Vorhinein schon wieder in Frage gestellt haben. Aber gleichzeitig ist meiner Erfahrung nach in genau diesen Unternehmen eine Verschiebung von Endterminen – und die daraus resultierende Kostenüberschreitung – sehr oft die Regel, insbesondere bei IT-Projekten. Das schlichte Setzen eines Termins und eines Kostenrahmens ist also auch keine Lösung. Es besteht ein Widerspruch zwischen dem Bedürfnis, feste Zielgrößen – inhaltlich und zeitlich – zu haben, und der Erfahrung, dass es diese nicht gibt.
4.2 Projektziel: Das Bestimmte Unbestimmte
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Dieser Widerspruch entstammt sowohl der Führungskultur der jeweiligen Unternehmen als auch der Notwendigkeit eindeutiger Zahlen für die Budgetplanung. Er kann auf der Ebene der Projektplanung nicht gänzlich aufgelöst werden. Insofern wird in vielen Unternehmen eine Anpassung der Projektziele nur unter Druck möglich sein, wenn Abweichungen zwischen Plan und Wirklichkeit allzu offenkundig werden. Es ist mir in der Rolle als Projektleiter gelegentlich gelungen, eine ordnungsgemäße Anpassung von Projektzielen einzurichten, indem ich mit einzelnen Sponsoren, die über flexible Budgets verfügten, Szenarien vereinbart habe: Das Projekt beginnt mit drei Zielszenarien, die jeweils ‚feste‘ Daten für Frist und Kosten enthalten. Welches des Szenarien letztlich zugrunde gelegt wird, wird aufgrund der oben genanten Prüffragen gemeinsam entschieden.
Projektziel und Kernproblem Auch wenn man das Ziel eines Geschäftsprojektes recht genau bestimmt hat, besteht oft noch erhebliche Unsicherheit darüber, was getan werden soll und wie insgesamt die Herangehensweise zu beschreiben ist. Denn gerade für Geschäftsprojekte gilt, dass viele Wege nach Rom führen. In solchen Fällen mag es sinnvoll sein, im Auftrag neben der Ausgangslage noch einmal ganz genau zu bestimmen, welches Problem gelöst oder welche unbefriedigende Situation geändert werden soll. Man kann dabei auf die vertiefte Problemanalyse aus der Untersuchung der Projektidee (vgl. Kapitel 2) zurückgreifen. Die Beschreibung des Kernproblems gibt dem Projektziel meist eine sehr viel klarere Richtung, und schränkt damit den Spielraum für mögliche Fehlinterpretation ein. Projektziel: … besserer after sales service (vgl. Beispiel S. 92) Das zu lösende Kernproblem ist die mangelnde Professionalität und Systematik der Prozesse im after sales service. Daraus ergibt sich, dass wir nicht an den Ausbau des Personals oder die Einführung neuer Software in bestehende Strukturen denken.
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Im Sturm den eigenen Kurs finden Manche Geschäftsprojekte finden in einem äußerst turbulenten, um nicht zu sagen stürmischen, Umfeld statt. Der Erkenntnishorizont und die Interessen der wichtigsten Beteiligten verändern sich in diesen Fällen so dramatisch, dass man mit der oben beschriebenen bloßen Fortschreibung von Vereinbarungen wenig ausrichten kann. Um im Sturm zu bestehen, hilft einem der vorgegebene Kurs nicht mehr weiter. Man arbeitet sozusagen noch an Kurskorrekturen, aber die nächste Böe kommt schon heftig und unerwartet, und bringt das ganze Boot durcheinander. Dann heißt es nur noch: Notsegel setzen und nach eigener Nase fahren!44
In einem solchen Fall muss man die Verfolgung des konkreten, vorgegebenen Projektzieles aussetzen; und es ist hilfreich, wenn man ein solches Verständnis zumindest zwischen der Projektleitung und dem unmittelbaren Projektsponsor erreichen kann. Zu den gleichen Empfehlungen führt eine weitere Fallgestaltung: wenn man nicht in unruhiger See, sondern in unbekannten und trügerischen Gewässern voller Riffe und Sandbänke unterwegs ist. Dies ist oft bei sehr politischen Vorhaben der Fall, bei denen viel von dem, worum es geht, unterhalb des Wasserspiegels verborgen bleibt. Auch hier kann man sich auf den Auftrag nicht verlassen. Was nützt es, das Schiff auftragsgemäß auf eine Sandbank gesetzt zu haben? Übertragen auf unsere formale Beauftragungssituation heißt dies, dass die Projektleitung manchmal das Geschick des Projektes sehr aktiv selbst in die Hand nehmen muss. Dann gilt es, konkrete Zielvorgaben entweder ständig selbst anzupassen oder sie auch einmal aufzugeben. Die Fragestellung nach dem Kurs des Projektes verschiebt sich dann von der Ebene des Projektzieles wieder hoch auf die Ebene der Projektidee: Wo steht diese nun, und sollte sie grundsätzlich weiter verfolgt werden? Sollen wir noch versuchen, Indien zu erreichen, oder sollten wir umkehren?
44
Dieses Segler-Bild ist Hans-Jörg Neun gewidmet.
4.3 Den Auftragsumfang themenbezogen festlegen
4.3
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Den Auftragsumfang themenbezogen festlegen
Neben die Bestimmung des Projektziels tritt als zweites Hauptelement des Auftrags die Bestimmung des Auftragsumfangs. Während nun die Formulierung eines Projektziels eher in den Bereich soliden Handwerks gehört, kommt bei der Bestimmung des Auftragsumfangs die hohe Schule der Projektgestaltung ins Spiel. Ich hatte oben ein Beispielprojekt mit dem Ziel vorgestellt, eine bedeutende Verbesserung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit des after sales service zu erreichen. Hier stellen sich nun Fragen wie:
Werden Kunden oder Mitarbeiter bei der Datenerhebung für die Problemanalyse direkt einbezogen? … und damit davon in Kenntnis gesetzt, dass die Geschäftsleitung den after sales service als problematisch betrachtet und somit sozusagen mit der Nase auf das Problem gestoßen?
Lässt man eine kritische Produktgruppe, die eine besondere Bedeutung für das laufende Geschäft hat, außen vor? … und schützt damit diese Produktgruppe davor, ins Gerede zu kommen – oder aber setzt sie damit genau dem Verdacht aus, besonders schwach und schutzbedürftig zu sein?
Gehört die Ableitung konkreter Maßnahmen in der Fertigungsorganisation sowie deren Umsetzung in das Projekt? … und demonstriert man damit, dass das Projekt auf konkrete Ergebnisse und nicht auf Planungsspiele zielt – auf die Gefahr hin, dass die Fertigungsleitung sich bevormundet fühlt?
Mit der Bestimmung des Auftragsumfangs spricht man also ganz unvermeidlich heikle Fragen des Geschäfts an. Man muss sich fallweise entscheiden, wie viel Offenheit ein Unternehmen in einer solchen Situation verkraften kann. In einem bedeutenden Anlagenbau-Unternehmen wurde mir einmal eine ganze Reihe von Projekten aufgezählt, die nach Meinung meines Gesprächspartners nur erfolgreich werden konnten, weil sie lange Zeit in ihren wesentlichen Teilen als U-Boote gefahren wurden – also indem der offizielle Auftragsumfang künstlich klein gehalten wurde.
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Mit der Bestimmung des Auftragsumfangs eines Geschäftsprojektes legt man fest, was zum Projekt dazugehört und was nicht. Er wird inhaltlich durch Themen und Beteiligte definiert. Die Bestimmung des Auftragsumfangs erlaubt es dem Projektleiter, sich sicher zu positionieren, wenn mögliche Beteiligte und Anspruchsgruppen mit Anliegen auf ihn zukommen. Im Falle unseres Verbesserungsvorhabens des after sales service könnte der Auftragsumfang folgendermaßen dargestellt werden:
Auftragsumfang: In diesem Projekt werden in der beauftragen Phase Kunden der Gruppen A und B (Beteiligte) umfassend einbezogen, also zum Beispiel unter Einschluss von ‚Produkt- und Herstellungsqualität‘. Kunden der Gruppen C und D (Beteiligte) werden hingegen nur zur Frage der Dienstleistungsqualität des after sales service selbst einbezogen. Es werden alle Produkte gemäß ihrer Bedeutung für das Unternehmen betrachtet. Fragen der Fertigungsorganisation werden in diesem Projekt nicht bearbeitet.
Themen sagen, was dazu gehört und was nicht Im obigen Beispiel geht es um Beteiligte und um Themen. Der unscheinbare Begriff Thema hat es dabei in sich. Er umschließt all das, was wir im Alltag als Inhalte, Fragen, Problemstellungen, Gesichtspunkte oder ähnliches bezeichnen. Für uns ist der Begriff wichtig, weil in ihm die Unterscheidung zwischen Dazugehörigem und allem Anderen innewohnt. Man kann nämlich ganz praktisch fragen: „Gehört die Frage nach Wirtschaftlichkeitsüberlegungen zum Thema Prozessoptimierung?“, „Gehört die Frage nach dem Auftritt des Vorstands in der Jahreshauptversammlung der AG zum Thema Führungskultur?“, „Gehören Mitarbeiterbeschwerden zum Thema Innovationsfreude?“ Natürlich werden verschiedene Personen zu diesen Fragen unterschiedliche Antworten haben. Aber sie können sich eben darüber verständigen, ob eine bestimmte Idee oder ein bestimmter
4.3 Den Auftragsumfang themenbezogen festlegen
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Inhalt zu einem Thema dazu gehören, oder nicht. Man kann zum Beispiel besprechen, ob ein Projekt zum Thema Innovationsfreude das Problem steigender Mitarbeiterbeschwerden aufgreifen wird, und ob das Thema Prozessoptimierung nicht nur technische Aspekte berücksichtigen wird, sondern auch betriebswirtschaftliche. Die Unterscheidung zwischen dem, was zu einem Projekt gehört, und allen anderen Dingen in einem Unternehmen wird also anhand der Frage dargestellt, welche Themen in ein Projekt gehören, und welche außen vor bleiben. In unserem Beispiel hieß es, dass Fragen der Fertigungsorganisation in dem Projekt after sales service nicht betrachtet werden sollen.
Zuständigkeit und Betroffenheit bestimmen Beteiligung Ein Zauberwort in der öffentlichen Verwaltung, aber ebenso im Management von Großunternehmen ist die Zuständigkeit. Wie viel Zeit verbringt man dort bei Geschäftsprojekten allein mit der Frage wie eventuell zuständige Personen und Abteilungen zumindest vorübergehend aus dem Projektverlauf ausgeschlossen werden können? Wenn jemand für die Themen oder betroffenen Organisationseinheiten eines Geschäftsprojektes zuständig ist, kann er nämlich Einfluss auf das Projekt geltend machen. Das aber ist oft nicht im Interesse der Projektsponsoren, weil sie andere Interessen verfolgen, oder weil sie einfach das Projekt schlank halten wollen. Umgekehrt stellen wir uns natürlich oft die Frage, wie eigentlich nicht zuständige Personen und Abteilungen dafür interessiert werden können, sich mit dem Projekt zu befassen. Im Beispiel unseres after sales service Projektes stellte sich die Frage, ob der Leiter der Fertigung am Projekt beteiligt wird. Die Antwort darauf war, Fragen der Fertigungsorganisation aus dem Projekt auszuklammern – und damit eine Zuständigkeit der Abteilungsleitung für das Projekt zu verneinen. Vielleicht war dies eine notwendige Maßnahme, um das Projekt vor destruktiven Einflüssen aus dieser Seite zu schützen – oder aber es mag sich heraus stellen, dass man sich damit erst einen Gegner geschaffen hat. Wer weiß?
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4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Eine andere Beziehung zum Projekt besteht für diejenigen, die von seinen Auswirkungen betroffen sind. In vielen Fällen ist es geboten, diese an der Gestaltung des Projektes zu beteiligen. Dies kann formale Gründe haben – zum Beispiel im Hinblick auf den Betriebsrat oder auf die Leitung betroffener Abteilungen, in unserem Beispiel die Fertigung. Oder man folgt dem Aufruf „aus Betroffenen Beteiligte machen“, weil dies im Sinne der Unternehmenskultur ist, die die Mitarbeiter beteiligt und in jedem Falle respektiert sehen will. Schließlich ist es oft für die Projektleitung selbst sinnvoll, Betroffene zu beteiligten – zum Beispiel weil die Projektergebnisse nur langfristig gesichert werden können, wenn die Betroffenen dies unterstützten. Bei größeren Projekten weiß man zudem oft gar nicht, ob eine Personengruppe, die zu Beginn des Projektes nur betroffen ist, nicht auch irgendwann zuständig für bestimmte Teile der Projektdurchführung sein wird. Die Begriffe Zuständigkeit und Betroffenheit erlauben es, die an einem Projekt Beteiligten zu identifizieren und zu gruppieren. Zuständigkeit und Betroffenheit orientierten sich oftmals an Themen – für Thema X ist die Abteilung A zuständig, zum Thema Y muss der Betriebsrat involviert werden, zum Thema Z das parallel verlaufende Projekt der Stabsstelle B. Zuständigkeit und Betroffenheit können sich auch direkt an der Organisation orientieren – wie zum Beispiel im Falle von Vertriebsgebieten.
Thema des Projektes betroffen zuständig
beteiligt
Auftragsumfang
benötigt
Kriterien zur Bestimmung des Auftragsumfangs
4.4 Im Auftrag ihrer Majestät – das unverzichtbare Mandat
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Auftragsumfang statt Aufgabenumfang Im Projektmanagement wird der soeben angesprochene project scope in der Regel anhand von Zielen und Aufgaben definiert. Im Deutschen sprechen wir dabei vom Aufgabenumfang eines Projektes – das Projekt ist, was es arbeitet. Bei Geschäftsprojekten ist diese klassische Vorgehensweise jedoch nicht hilfreich: Die einzelnen Aufgaben lassen sich ja zu Beginn des Projektes in der Regel nicht klar genug benennen, der project scope ist bei Verwendung dieses klassischen Ansatzes über weite Strecken formal nicht definierbar. Das hier gezeigte Vorgehen löst das Problem. Die Abgrenzung des Projektes erfolgt auf der Ebene des Auftrags, und zwar durch die Klärung von Themen und Beteiligten. Erfolgreichen Projektleitern wird dies aus ihrer Praxis durchaus bekannt vorkommen. Um ihr Projekt überhaupt in den Griff zu bekommen, müssen sie schließlich klären, welche Themen und Beteiligte zum Projekt dazu gehören, und welche nicht. Aber meist sind dies dort zähe und informelle Verhandlungen, weil der an Tätigkeiten orientierte offizielle Aufgabenumfang zu diesem Thema wenig hergibt.
4.4
Im Auftrag ihrer Majestät – das unverzichtbare Mandat
Unternehmen werden nicht allein durch Genie und Kompetenz gesteuert, sondern ebenso oder gar mehr noch durch Macht und Einfluss. Wer Veränderung und Erneuerung im Unternehmen eine Chance geben will, muss sich damit auseinandersetzen, dass die herrschenden Verhältnisse dies oftmals nicht unterstützen. Um allfällige Konflikte und Rangeleien durchstehen zu können, braucht er selber Macht und Einfluss. Die Position Leitung von Geschäftsprojekten hat in den allermeisten Unternehmen jedoch keine eigenen Macht-Quellen. Vielmehr bekommen die Leiter dieser Projekte Macht und Einfluss nur geliehen.
104
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Unterschrift unter dem Projektauftrag für Christoph Kolumbus von Königin Isabella von Spanien („Ich, die Königin“)
Das Mandat verleiht der Projektleitung das Recht, die Machtbefugnisse und den Einfluss des Auftraggebers für die Zwecke des Projektes zu nutzen. Man könnte meinen, dass dies trivial ist. In der Praxis zeigt sich jedoch immer wieder, dass Projekte beauftragt werden, ohne dass klar ist, auf welcher Grundlage die Projektleitung selber entscheiden darf, mit wem sie in welcher Form zusammen arbeiten kann und in welchem Maße sie sich selber für die Veränderung von behindernden Rahmenbedingungen im Projektumfeld stark machen soll. In diesen Fällen ist das Mandat der Projektleitung also nicht geklärt, und diese muss sich jeden Schritt außerhalb ausgetretener Pfade genehmigen lassen. Einzelne Auftraggeber mögen dies für verzichtbar halten, weil sie damit das Gefühl haben dürfen, selber am Steuer des Projektes zu sitzen. Eine effiziente Projektorganisation im Unternehmen erfordert jedoch, dass die Projektleitung im Prinzip alleine handeln kann, ohne ständig Rücksprache mit dem Auftraggeber nehmen zu müssen. Kolumbus hatte auch das im Blick: Das Mandat Vizekönig von Indien hat er sich schon im Auftrag garantieren lassen. Das Mandat der Projektleitung sollte also im Hinblick auf die wichtigsten Entscheidungsthemen geklärt sein. In welchem Maße soll und darf die Projektleitung …
… über direkt zugewiesene Ressourcen verfügen?
… jenseits üblicher Kommunikationswege und Verfahren arbeiten?
… die inhaltliche Ausgestaltung des Projektes selber in die Hand nehmen?
In unserem Fallbeispiel after sales service könnte ein Mandat folgendermaßen formuliert werden:
4.4 Im Auftrag ihrer Majestät – das unverzichtbare Mandat
105
Mandat der Projektleitung: Die Projektleitung bewirtschaftet das Projektbudget selbständig. Beschaffungen, deren Wert 100 000 € übersteigt, werden vom Lenkungsausschuss genehmigt. Die Projektleitung übernimmt die fachliche Führung der zugewiesenen Projektmitarbeiter für deren Arbeit im Projekt. Die Projektleitung kommuniziert selbständig mit allen beteiligten Abteilungen im Stammwerk. Beteiligte in der Niederlassung X werden über den Leiter des Steuerungsausschusses angesprochen. Kontakte zu Kunden werden über den Leiter Vertrieb hergestellt. Die Projektleitung schuldet dem Steuerungsausschuss die vereinbarten Projektergebnisse und -meilensteine. Sie plant die dafür im Rahmen des Projektes erforderlichen Tätigkeiten und setzt diese um oder beauftragt bzw. vereinbart deren Durchführung.
Bei klassischen Hausbauprojekten spielen diese Mandatsfragen eigentlich keine große Rolle. Der Ressourcenbedarf ist bekannt und die Ressourcen sind zugewiesen, Gewerke und fachliche Rollen sind gut voneinander abgrenzbar. Die üblichen Kommunikationswege und Abstimmungsverfahren nach innen und außen sind in der Regel ausreichend, das Projekt steht ja niemandem im Wege.45 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das klassische Projektmanagement das Thema Mandat kaum erwähnt.46
Das Mandat erweitern – The license to thrill Der Auftrag muss aber nicht nur im Hinblick auf den Projektinhalt, sondern auch im Hinblick auf das Auftragsverhältnis selbst fortgeschrieben werden. Schließlich gelingt es einer Projektleitung aller Erfahrung nach nur selten, schon zu Anfang des Projektes ein für das gewünschte Ziel und den gewünschten Auftragsumfang tatsächlich ausreichendes Mandat zu bekommen. Dies liegt einfach in der politischen Natur von Veränderungsund Erneuerungsprozessen, und ist nicht unbedingt ein Fehler der Beauf-
45 46
Außer natürlich, wenn Anwohner dagegen sind Cleland u. Ireland 2002 finden immerhin den Begriff „strategic delegation“
106
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
tragung. Die Projektleitung wird mit einem großartigen Ziel losgeschickt, aber das notwendige Mandat bekommt sie nur portionsweise. Ein Grund dafür ist, dass selbst fast allmächtige Projektsponsoren vorsichtig handeln müssen und ihre Organisation nicht mit einer brutalstmöglichen Aufklärung47 über ihre langfristigen Ziele verstören dürfen. Ein weiterer ist, dass Projektauftraggeber um das Risiko ihrer Projekte wissen, und, bei Licht betrachtet, eigentlich schlecht beraten wären, sich auf Gedeih und Verderb an diese zu binden. Das gilt umso mehr, je höher der Auftraggeber in der Hierarchie des Unternehmens steht. Für einen wirklich mächtigen Entscheider ist es äußerst wichtig, sich im Zweifelsfall ohne viel Aufhebens von einem Projekt distanzieren zu können. Aus diesem Dilemma kann man die Projektauftraggeber und die Leitungen von Geschäftsprojekten nicht befreien – einen Blanko-Scheck für Projektleiter gibt es nur im Film. Damit muss man situationsbezogen umgehen. Viele Projektleiter nutzen eine Art Salami-Taktik: scheibchenweise ringen Sie dem Auftraggeber ihr Mandat ab. Ein vernünftiger Kompromiss besteht oftmals darin, die Mandatierung anlässlich jeder neuen Projektetappe weiter zu klären. Das Ziel ist dann, das Mandat jeweils so zu bestimmen, dass die Projektleitung die für die nächste Projektetappe erforderlichen Schritte selbständig gehen kann. Vielfach spricht man in diesem Zusammenhang auch von der Festlegung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung (AKV bzw. Kongruenzprinzip).48 Man könnte hoffen, dass man mithilfe dieses Schemas die Handlungsspielräume des Projektleiters noch präziser bestimmen kann als mit der hier vorgestellten Beschreibung seines Mandats. Dies wird jedoch bei Geschäftsprojekten in der Regel dadurch erschwert, dass die Projektleitung nicht ausschließlich innerhalb der formalen Organisation und der schon bekannten und benennbaren Wege und Entscheidungskompetenzen bleiben kann. Vielmehr steht ein erfolgreicher Projektleiter aus Sicht der formalen Organisation immer mit einem Bein im Risiko, wegen formaler Verfahrensfehler abgemahnt zu werden. Dies gilt schon für Projekte allgemein – Schelle et al. sprechen im ‚Projektmanager‘ der deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) von „notwendigen informellen Befugnissen“, die sich der Projektleiter „selbst an47 48
Danke, Roland Koch! Vgl. www.olev.de, „Kongruenzprinzip“
4.5 Risikomanagement: Den GAU im Blick
107
eignet“.49 Hier ist insbesondere an kreative Problemlösungen zu denken, die zum Beispiel im Baugeschäft eine tägliche Aufgabe der Projektleiter darstellen – aber immer noch als ‚Ausnahme von der Regel‘ betrachtet werden können. Es gilt aber noch viel ausgeprägter und regelmäßig für neue, innovative und die Organisation verändernden Projekte. Bei diesen muss dem Projektmanager quasi ein Definitionsrecht für neue Prozesse eingeräumt werden, welche sich nicht in etablierten Regelungen für Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung abbilden lassen. Dies abzusichern erfordert eben ein ‚Mandat‘, welches oberhalb der Ebene spezifischer AKVs liegt.
4.5
Risikomanagement: Den GAU im Blick
Im Projektauftrag sollten die Risiken erwähnt werden, denn sie gehören zum Projekt – no risk, no fun. Es lohnt sich, hier noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass die statistische Erfolgsrate von Veränderungs- und Innovationsprojekten bei höchsten fünfzig Prozent liegt.50 Geschäftsprojekte – genau wie Expeditionen – haben ein spezielles Risikoprofil. Sie unterliegen vergleichsweise vielen Risiken, die das Scheitern des gesamten Vorhabens herbeiführen können; kleine und selbst mittlere Beeinträchtigungen der Ergebniserreichung beeinträchtigen den Gesamterfolg hingegen kaum: Auch, wenn Finger und Zehen erfroren sind – Hauptsache, man hat den Gipfel des Berges erreicht! Das ist ganz anders als zum Beispiel bei Bauprojekten, wo die Wahrscheinlichkeit des vollständigen Scheiterns extrem gering ist, wo jedoch meist schon kleine Kosten- und Terminüberschreitungen die Rentabilität des Projektes gefährden, so dass es zwar als Bauvorhaben nicht scheitert, aber betriebwirtschaftlich sinnlos wird.
49 50
GPM Projektmanager (Schelle et al. 2005), S. 327 Was auch immer man als Grundlage nimmt; vgl. FN 23
108
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Seeungeheuer, Darstellung ca. 1500
Vor diesem Hintergrund geht es beim Risikomanagement von Geschäftsprojekten nicht darum, die Erfolgschancen ein bisschen zu erhöhen oder das Ausmaß des Projekterfolges zu erweitern. Vielmehr geht es vor allem darum, den Projekt-GAU – das komplette Scheitern des Projektes – zu verhindern (vgl. Kapitel 2.4). Die wichtigsten Risiken sollten benannt und mit einer konkreten Risikomanagementstrategie versehen werden. Dies kann ein einziger Satz sein. Risikomanagement: Risiko 1: Der Großkunde X beendet die Zusammenarbeit mit der Folge, dass umgehend durchgreifende Maßnahmen der Kostenreduktion erforderlich sind und somit das Projektbudget gekürzt wird Vorgehen: Enger Kontakt mit key accounter; ggfs. geordneter Rückzug bzw. Einfrieren des Projektes Risiko 2: Nachfrage für Produktgruppe Y zieht so stark an, dass Beiträge von Vertrieb und Fertigung für das Projekt nicht erbracht werden können Vorgehen: Vereinbarung mit Vertrieb und Fertigung, frühzeitig ihre Kapazität auszuweiten (Leihkräfte)
4.5 Risikomanagement: Den GAU im Blick
109
Risiko 3: Einführung der neuen Software-Plattform für die Produktentwicklung verzögert sich um mehr als vier Monate Vorgehen: Wenn die dafür verantwortliche Projektleitung dies für wahrscheinlich (75%) hält, alle Maßnahmen mit Bezug auf Produktentwicklung aussetzen; neue Meilensteinplanung für Gesamtvorhaben.
Es ist wichtig, sich beim Risikomanagement nicht von einer Philosophie der quantitativen und vollständigen Erfassung leiten zu lassen. Dies würde nämlich den Lenkungsausschuss durch die Bereitstellung von Daten überfordern, die jedoch keine substantiellen Informationen enthalten. Im schlimmsten Falle entstünde ein Nebel endlos langer Risikoanalysen und -listen, der es geradezu unterstützt, Risiken zu verdrängen. In den Projektauftrag gehört deshalb keine allgemeine Aufzählung von Projektrisiken, und schon gar keine mit dem Anspruch auf Vollständigkeit. Stattdessen gilt es, ein handhabbares und anpassungsfähiges Risikomanagement im Projektauftrag zu verankern. Oft wird es ausreichen, die drei bis maximal sieben wichtigsten Risiken zu benennen. Dies ist eine noch überschaubare Anzahl, so dass Diskussionen über diese Risiken und konkrete Abwehrmaßnahmen jederzeit und wenig aufwändig möglich sind. Mehr noch: sich die Frage zu stellen, welche Risiken so wichtig sind, dass sie es im Risikomanagement auf’s Treppchen schaffen, führt insgesamt zu einem besseren Verständnis der Risikosituation des Projektes. Neben der Überfrachtung mit Daten steht einem wirksamen Risikomanagement sehr oft die Verdrängung, das Nicht-wahrhaben-wollen, entgegen (vgl. Kapitel 2.7, 3.1). Um zu einem prägnanten Risikomanagement zu kommen, ist es also wichtig, mit dem Balken im eigenen Auge51 umzugehen. Sinnvoll ist deshalb auch hier: jemanden darauf schauen lassen, der unbeteiligt ist. Desweiteren muss man sich der Situation stellen, dass die prägnante und wirksame Risikoanalyse immer auch eine projektpolitische Aussage enthält. Sie ist deshalb keine solitäre Expertenarbeit, die vom Schreibtisch aus erledigt werden kann. Vielmehr muss sie auch dort verhandelt werden, wo
51
Matthäus 7,4-5
110
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
das Schicksal des Projektes insgesamt beschlossen wird – sei es eine Abteilungsleiter-Runde, ein Vorzimmer oder ein Restaurant. Insgesamt gilt: Thematischer und organisatorischer Fokus sind das beste Mittel gegen Informationsüberflutung, Starre und Verdrängung bei der Risikoanalyse. Nur die wichtigsten Risiken sollten prägnant erfasst und mit Gegenmaßnahmen versehen werden. Dies ist ein Qualitätsmerkmal für die Beauftragung des Projektes.
4.6
Regeln für den Projektauftrag
Der Projektauftrag beschreibt also das Projektziel, den Auftragsumfang (scope), das erteilte Mandat und die Grundlagen des Risikomanagements. Er beschreibt ferner die direkt zugewiesenen Mitarbeiter und anderen Ressourcen und die Grundlagen der Projektorganisation; auf diese gehe ich im nächsten Kapitel ein. Vorher stelle ich noch die erfahrungsgemäß wichtigsten Regeln für die Darstellung dieses Auftrags dar:
Die Aufzugsgeschichte klären Viele Handbücher stellen eine saubere technische Durchplanung von Projekten ins Zentrum des Projektmanagements. Es geht es um die vollständige und richtige Erfassung der Sachverhalte und der Probleme, und um die möglichst zwingende Ableitung von Handlungsalternativen, bei korrekter Bewertung von Randbedingungen und Risiken. Linien-Manager denken jedoch meist anders. Vor allem reden sie ganz anders miteinander, insbesondere über Geschäftsprojekte. Wenn sie sich untereinander austauschen, sprechen sie über die überzeugende, starke story line, um das Treffen der richtigen Ebene für ein Thema, und um die Aufmerksamkeit gegenüber speziellen Risiken, mit denen sie unmittelbare Erfahrungen gemacht haben. Die meisten Manager können mit der Projektdokumentation nicht sehr viel anfangen, weil ihre Fragen und Sichtweisen in der Logik der Projekt-
4.6 Regeln für den Projektauftrag
111
planer nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sie informieren sich anhand der Dokumentation über das Projekt – aber das Vertrauen, sich hinter das Projekt zu stellen, bekommen sie auf anderen Wegen. Und sie haben zudem keine Zeit, sich mit ihren Kollegen über detaillierte Dokumente zu beugen, um Empfehlungen und Entscheidungen zu rechtfertigen. Die Aufzugsgeschichte (elevator story) hilft, die Brücke zwischen Planungslogik und den Bedürfnissen der Manager zu schlagen. Sie beschreibt das Projekt so, wie man es gerne präsentieren würde, wenn man mit dem Geschäftsführer zufällig im Aufzug führe und er sich erkundigen würde, was es mit dem Projekt eigentlich auf sich habe. Sie ist deshalb vor allem kurz, ordnet den Beitrag des Projektes für das Unternehmen ein, und stellt seine besondere Vorgehensweise heraus. Eine Aufzugsgeschichte im Zuge der Auftragsklärung zu entwerfen ist praktisch, denn man benötigt sie tatsächlich des öfteren – und nicht nur, wenn man am Aufzug der Tiefgarage auf den Geschäftsführer wartet. Mehr noch: Wenn man sie nicht selbst entwirft, wird sie durch andere geprägt, denn über ein erfolgreiches Projekt wird geredet – so oder so. Die folgende Tabelle gibt Anleitung, eine Aufzugsgeschichte zu schreiben. Sie ist speziell auf Geschäftsprojekte zugeschnitten. Die meisten Elemente habe ich schon beschrieben, neu ist jedoch die Darstellung einer Alternative beziehungsweise einer Risikovermeidungsstrategie. Diese stellt dar, inwieweit sich der jeweilige Sponsor des Projektes mit alternativen Handlungsentwürfen beschäftigt hat:
Element
Beispiel
Projektname/-ziel
Wir wollen Kennzahlen für Qualität und Wirtschaftlichkeit im after sales service einführen und um 20% verbessern …
Projektidee, Vision, Problem
… um durch ein neues Niveau im after sales service unsere Kundenbasis im reifen Inlandsmarkt zu sichern.
Wichtigste Kunden/Betroffene und deren Nutzen
A-Kunden werden zufriedener sein, die Fertigung erhält erstmals Rückmeldungen von after sales, und das Controlling erhält
112
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko die Service-Kosten nach Leistungstiefe transparent aufgeschlüsselt.
Alternative/Risikovermeidungsstrategie
Wir haben uns nicht auf die Einführung einer neuen Software beschränkt …
Alleinstellungsmerkmal/besondere Qualität
… sondern binden A-Kunden, Fertigung, Vertrieb und Marketing für ein integriertes Vorgehen ein.
Hier noch ein allgemeines Beispiel für Ihre Reise im Kopf:
Element
Beispiel
Projektname/-ziel
Wir wollen den direkten Seeweg nach Indien finden …
Vision, Problem
… um das Gold Indiens für die spanische Krone zu sichern und der Inder Heidenseelen für die Kirche.
Wichtigste Kunden/Betroffene und deren Nutzen
Die Übersee-Händler werden Portugals Dominanz brechen, der königliche Schatzmeister kann seine Schulden bezahlen, und Spanien wird seine Macht ausbauen, zu Lande und zur See.
Alternative/Risikovermeidungsstrategie
An den Küsten Afrikas und Arabiens entlang zu segeln ist langwierig und gefährlich; …
Alleinstellungsmerkmal/besondere Qualität
… wir vertrauen stattdessen auf unser umfassendes Studium der Geographie und die neuen Chronographen, die uns sicher den Weg über den Ozean weisen.
4.6 Regeln für den Projektauftrag
113
Es gilt nur das geschriebene Wort Oft genug ändern sich die Verhältnisse und die Dringlichkeiten im Verlaufe eines Projektes, oder der Projektsauftraggeber wird versetzt, gestürzt oder befördert. Der Projektleiter wird dann gefragt, was er eigentlich in seinem Projekt gemacht hat. Für das Projekt besteht die Gefahr, zum Teil einer als falsch gebrandmarkten Vergangenheit gemacht zu werden, und seine Leitung steht im Verdacht, als willfähriger Diener vergangener Mächte zu gelten. Diesem Risiko kann das Projekt meist nur entgehen, wenn der Auftrag schriftlich fixiert und in dieser Form bestätigt worden ist. Außerdem sollte er so klar formuliert sein, dass er auch unbeteiligten Dritten verständlich ist. Dies kann und sollte man ausprobieren!
Managementbrief Die wesentlichen Elemente des Projektauftrags – und insbesondere das Mandat des Projektleiters – sollten in der Regel veröffentlicht werden. Ein geeignetes Format dazu ist ein Rundbrief des Managements an die potentiellen Projektbeteiligten. Mandat von Christopher Kolumbus, gegeben von Königin Isabella und verlesen von Juan de Coloma, Sekretär der Krone: „Cristóbal Colón, geboren zu Genua, erhält für sich auf Lebenszeit und für seine Nachfolger … den Rang eines Admirals in jenen Ländern, die er entdecken und erobern wird. … Cristóbal Colón wird Vizekönig der von ihm entdeckten Länder werden, mit dem Recht, zum Gouverneur jeder Insel oder Provinz drei Bewerber vorzuschlagen, unter welchen die Krone einen auswählen wird. … Cristóbal Colón … wird der einzige Richter in allen Prozessen sein, die aus dem Verkehr zwischen jenen Gegenden und Spanien erwachsen.“ (nach Grün 2006)
114
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
Der Brief wird der Projektleitung vom Auftraggeber quasi mitgegeben. Einen solchen Brief formlos zu halten ist deshalb vorteilhaft, weil es von Projekt zu Projekt verschieden sein wird, welche Inhalte auf diese Art veröffentlicht werden sollten. Die wichtigsten Absätze dürften in der Regel sein:
Projektidee und Projektziel
Auftragsumfang
Besetzung der Projektleitung
Mandat der Projektleitung
Mitglieder des Kernteams.
Betonung auf Grenzen Anders als beim Hausbau sind die Ergebnisse von Geschäftsprojekten oft nicht materiell greifbar. Vielmehr werden sie sichtbar durch ihre Verschiedenheit vom Rest der Organisation. Dies hatten wir als ihre Abgrenzung von der Organisation kurz angesprochen. Der Auftrag macht ein Projekt plastisch und wahrnehmbar, wenn er seine Grenzen nachzeichnet: ein klares Zieldatum, welches das Projekt von der dauerhaften Organisation abhebt, und klare Aussagen über Themen und Beteiligte. Im Hinblick auf die beiden letzteren hilft es oft, sowohl zu beschreiben, was dazu gehört (in scope) als auch das, was nicht dazu gehört (out of scope). Dies hatten wir in unserem Beispiel zum Auftragsumfang schon so gemacht: Kunden der Gruppen C und D werden hingegen nur zur Frage der Dienstleistungsqualität des after sales service selbst einbezogen. Fragen der Fertigungsorganisation werden in diesem Projekt nicht bearbeitet.
Es lohnt sich also, beim Verfassen des Projektauftrags immer wieder die Frage zu stellen: Wird es klarer, wenn ich die Grenzen beziehungsweise das Gegenteil darstelle?
4.6 Regeln für den Projektauftrag
115
Die Anpassung des Projektauftrags vereinbaren Die Projektleitung erkennt oft als erste, wann eine Fortschreibung des Projektauftrags erforderlich ist. Allerdings kämpft sie hier gegen die Trägheit des Systems: Die Forderung einer regelmäßigen Überprüfung und Fortschreibung des Projektauftrags stößt in vielen Unternehmen nicht nur auf Verständnisprobleme. Vielfach ist ein formaler Prozess für eine Anpassung des Projektauftrages gar nicht vorgesehen. Zudem besteht oftmals die Angst, eine Anpassung des Projektauftrags könnte als Fehlerkorrektur für einen ursprünglich schwachen Auftrag ausgelegt werden. Desweiteren versuchen Steuerungskomitees und Projektsponsoren, die zeitliche und mikropolitische Belastung durch wiederholtes Befassen mit dem Projektauftrag zu vermeiden. Trotzdem ist es in der Regel unklug, die Frage einer Überprüfung des Projektauftrags erst dann zu stellen, wenn es wirklich erforderlich und dringend ist – denn dann steht man unter Zeitdruck, und dieser liefert weitere Argumente, einen schlechten Projektauftrag beizubehalten. Besser ist es, wenn Projektauftraggeber und Projektleitung zu Beginn des Projektes in dieser Frage ausführlich miteinander sprechen und dann zumindest einen ersten Anlass für eine Revision in Form eines Meilensteins vereinbaren. Der Zeitpunkt sollte nicht später als nach 20 Prozent der Projektlaufzeit liegen, also bei einem Projekt mit 12 Monaten Dauer nach cirka 10 Wochen.
Checkliste: Projektauftrag
Name des Projektes
Projektidee
aktuell zu lösendes Problem/Kernproblem
Projektziel mit Endtermin
Auftraggeber (Steuerungsgruppe, Sponsor)
Projektleitung
Projektteam, Projektbudget
Mandat
116
4 Der Projektauftrag: Ziel, Mandat und Risiko
wichtige Beteiligte
Organisation und Ressourcen (siehe Kapitel 5)
Wichtige Meilensteine (siehe Kapitel 6)
Meilenstein zur Überprüfung/Anpassung des Auftrags
ggf.: Einzelergebnisse
ggf.: wichtige Annahmen
ggf.: weitere wichtige Randbedingungen.
4.7
Zusammenfassung
Aus einer Projektidee wird erst durch einen Auftrag ein Projekt. Im Unterschied zum klassischen Projektmanagement muss dabei vorgesehen werden, diesen Projektauftrag im Verlaufe des Projektes immer wieder anzupassen: an geänderte Umstände und gemäß der erst durch die Projektarbeit gewonnenen Einsichten über den Projektgegenstand. Der Projektleiter trägt einen großen Teil der Durchführungsverantwortung für das Projekt. Er sollte deshalb den Auftrag mit dem Auftraggeber verhandeln können. Die Projektidee und das Projektziel sollten voneinander unterschieden werden. Die Projektidee motiviert die Beteiligten für das Projekt, sie steht quasi im Hintergrund des Projektauftrags. Der Auftrag selbst gilt nur für das Projektziel. Dieses konkretisiert die Projektidee gemäß der Frage: Was muss vorliegen, damit wir das Projekt als Erfolg beenden können? Der Auftragsumfang wird durch die Bestimmung von Themen und Beteiligten festgelegt – im Gegensatz zum klassischen Projektmanagement, wo er sich als Aufgabenumfang aus den Tätigkeiten des Projektes ableitet. Das Mandat ist ein wesentliches Element der Beauftragung. Es gibt der Projektleitung die Rolle und das Recht, über Ressourcen zu verfügen, jenseits üblicher Kommunikationswege zu arbeiten und die inhaltliche Ausgestaltung des Projektes im Sinne der Projektidee voran zu treiben.
4.7 Zusammenfassung
117
Geschäftsprojekte haben, wie Expeditionen, ein von anderen Projekttypen abweichendes Risikoprofil: Ihr Risiko des Scheiterns ist hoch, und dies ist teilweise gewollt. Ebenfalls im Auftrag sollten (nur) die wesentlichen Risiken genannt werden, die zu einem totalen Scheitern des Vorhabens führen könnten – sowie entsprechende Gegenmaßnahmen. Der Projektauftrag sollte in einer Aufzugsgeschichte darstellbar sein. Er sollte schriftlich ausgearbeitet und in seinen wesentlichen Teilen in einem Managementbrief verkündet werden.
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
5
Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Nach der Beauftragung erfolgt die Einrichtung des Projekts. Erst durch diese wird es im Unternehmen sichtbar: durch eine Projektorganisation, durch die Bildung des Projektteams und durch seine Ausstattung mit Geld. Gibt es Widerstand gegen das Vorhaben, so finden spätestens jetzt die ersten harten Auseinandersetzungen statt: Die Organisation beansprucht einen Raum – sowohl physisch wie auch im Organigramm; und dieser muss oftmals von anderen, die ihn schon besetzt hatten, aufgegeben werden. Nicht anders steht es um das Personal und um Geld: Der Verteilungskampf entbrennt, und die gewonnene Position kann das Schicksal des Vorhabens schon zu einem frühen Zeitpunkt massiv beeinflussen.
Lesen Sie
welches die wichtigsten Elemente der Projektorganisation sind
worauf es bei der Gestaltung der Projektorganisation ankommt
was Projektteams speziell für Geschäftsprojekte leisten sollten
welches die fünf wichtigsten Prinzipien sind, um ein Team zu entwickeln
wie Sie die Klippen der Aufwandsschätzung umschiffen können.
5.1
Organisation: ein stabiles Gerüst schaffen
Im klassischen Projektmanagement, aber vielfach auch in Grundlagenwerken zur Organisationsentwicklung und zum Change Management, werden Vorschläge gemacht, wie eine richtige Projektorganisation aussehen sollte.
120
5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Das ist auf den ersten Blick auch durchaus einleuchtend: Ein Projekt muss sich ja in der Organisation des Unternehmens etablieren, es muss kenntlich werden und eine innere Struktur gewinnen. In der Tat: An einer formalen Organisation für das Projekt führt auf lange Sicht kein Weg vorbei. Allerdings ist Vorsicht geboten, denn ausgetretene Pfade führen uns in dieser Angelegenheit vielfach im Kreise.
Projektpate statt Lenkungsausschuss In den meisten Unternehmen gibt es ein reflexartiges Vorgehen, Projekte in die Obhut einer Steuerungsgruppe, auch Lenkungsausschuss genannt, zu geben – wenn dies nicht sogar durch formale Regeln vorgegeben ist. Entsprechendes wird ja auch vom klassischen Projektmanagement empfohlen. Ob aber ein Projekt davon wirklich profitiert, oder ob eine Steuerungsgruppe nur das Prinzip „Wir wollen das eigentlich nicht, also bilden wir einen Ausschuss“ verkörpert, ist von Unternehmen zu Unternehmen und von Fall zu Fall verschieden. Eines gilt jedoch eigentlich immer: jedes Geschäftsprojekt benötigt seinen Paten, einen einzelnen Entscheidungsträger, der das Projekt formell oder informell verantwortet. Wer dies ist, macht oft einen erheblichen Teil der Identität eines Geschäftsprojektes aus. Ob Herr X, unglücklich im Beruf und bekannt dafür, das Unternehmen verlassen zu wollen, oder Herr Y, der neue Star im Marketing, ein Innovationsprojekt zur Marktsegmentierung aus der Taufe heben, führt zu zwei verschiedenen Projekten, mit unterschiedlichen Absichten, Wirkungen und Erfolgsaussichten. Dies gilt sogar, wenn sie offiziell die gleichen Ziele haben, die gleichen Berater hereinholen, und ähnlich vorgehen wollen. Die Bedeutung des Projektpaten wird auch daran erkenntlich, dass sein Fortgang Geschäftsprojekte in der Regel enorm viel Kraft kostet – wenn sie ihn überhaupt überleben. Warum ist der Pate so wichtig? Wir haben ja schon gesehen, dass Geschäftsprojekte, die ja Expeditionen in eine unbekannte Welt darstellen, einer starken Führung bedürfen. Zudem laufen bei der Projektleitung viele Fäden zusammen – die vielgestaltigen Aspekte der Projektidee, und die Kontakte zu den verschiedenen Beteiligtengruppen. Auf der Ebene der Umsetzung steht also die Projektleitung wirklich im Mittelpunkt des Pro-
5.1 Organisation: ein stabiles Gerüst schaffen
121
jektes. Ähnliches gilt für die Ebene der Projektsteuerung: Eine Gruppe ist in der Regel viel zu schwerfällig in ihrem Verständnis und in ihren Entscheidungen, um ein Geschäftsprojekt wirklich zu unterstützen. Auch auf dieser Ebene sind individuelle Führung und Verantwortungsübernahme gefragt, denn die enorm schwierigen strategischen Fragen der Gestaltung und Steuerung eines Veränderungs- und Erneuerungsprojektes können in einer Gruppe gar nicht hinreichend verstanden, geschweige denn erarbeitet werden. Man denke an die Abwägungen zwischen kurzfristigem und langfristigem Nutzen, zwischen Beteiligung und Ausschluss von Bremsern, zwischen den durchaus verschiedenen Wegen, die zu Beginn eines Projektes alle aussehen, als ob sie nach Rom führten. Der Begriff des Paten scheint mir für diese Fälle treffender als der schon eingeführte Begriff des Sponsors. Der letztere hat vor allem die Funktion, das Projekt mit Ressourcen und anderen Mitteln zu unterstützen. Es geht aber um weit mehr: Wenn Veränderungs- und Erneuerungsprojekte weit reichende Ziele haben, stoßen sie automatisch auf ganz schwierige Dilemmata, welche die Grundfunktionen des Unternehmens beeinflussen: Zentralisierung versus Dezentralisierung, Kunden- versus Ressourcenorientierung, Kostenbewusstsein versus Experimentierfreude, Orientierung an der Hierarchie versus Orientierung an Kompetenzen. Hier sind schwerwiegende Entscheidungen erforderlich, die eben am effizientesten von einem Paten vorgedacht und verantwortet werden können. Man denke an die gleichnamige Film-Serie. Der Pate stellt sich den fundamentalen, tragischen Fragen, die in der Organisation nicht öffentlich besprochen werden können: Familienbande versus Gehorsamspflicht, Wahrung der Machtstruktur versus Sicherung zukünftiger Chancen in bislang fremden Geschäftsbereichen. Er hört seinen operativen Helden an, recherchiert und überlegt, und fällt die nach rationalem Kalkül unentscheidbare Entscheidungen, aber verantwortet sie durchaus auch im Kreise seiner Mit-Paten aus anderen Clans beziehungsweise Geschäftsbereichen – und bezahlt dafür, mit Freudlosigkeit oder gar mit seinem Leben. Die Unterstützung des Paten ist auch notwendig, um dem Projekt in der Umsetzung genügend Handlungsspielraum zu verschaffen, und in dieser Hinsicht ähnelt er wieder dem Sponsor. Steuerungsgruppen sind oftmals politisch ausgewogen besetzt und haben selber weder Verantwortung noch
122
5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Kolumbus mit dem Königspaar Ferdinand V. und Isabella II.; er erhielt den Auftrag von ihnen persönlich, nachdem er jahrelang mit Ausschüssen streiten musste
5.1 Organisation: ein stabiles Gerüst schaffen
123
Hausmacht, so dass sie die Umsetzung eines Vorhaben kaum wirklich befördern können. Der Pate hingegen setzt seine Beziehungen und seinen Einfluss ein, um das Projekt umzusetzen. Er verhilft dem Projekt auch zu einer akzeptablen Risikobewertung, solange er deutlich macht, dass er das Projektrisiko auch persönlich verantwortet. In der Praxis bildet die Dyade Projektpate – Projektleitung das Kraftzentrum des Projektes. Die Steuerungsgruppe überprüft und genehmigt die Entscheidungen des Paten, aber sie ist notgedrungen eher reaktiv. Es ist eher die Ausnahme als die Regel, dass eine Steuerungsgruppe die Kraft hatte, ein Geschäftsprojekt selbständig und wirksam über Zielvorgaben und die Kontrolle ihrer Umsetzung zu steuern.
Organisation: Kästen oder Kräfte? In den meisten Unternehmen wird die Projektorganisation im Wesentlichen durch ein Organigramm festgelegt. Damit kann man den Eindruck erwecken, man hätte das Projekt organisiert. Die Kästen geben aber in den wenigsten Fällen ausreichend klare und somit praktisch verwertbare Auskunft darüber, wie entschieden und kommuniziert wird. Sie sind eine Scheinlösung. Eine wirksame Projektorganisation beantwortet in ihrer Substanz genau zwei Fragen:
Wie wird entschieden? (Wer ist über welche Themen mit welchen Rechten in Entscheidungen einbezogen?)
Wie wird kommuniziert? (Wer kommuniziert mit wem, worüber und unter welchen Bedingungen?)
Zu diesen Fragen gilt es, direkt Regeln aufzustellen oder zumindest Prozesse zu ihrer Beantwortung einzurichten. Solche Regeln können zum Beispiel in folgender Tabelle festgehalten werden:
124
5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Entscheidungskompetenzen Thema
Abt/OE/Mitarbeiter (im Projektteam oder am Projekt beteiligt)
Recht/Rolle (V=Vorschlagsrecht, A=Anhörungsrecht, M=Mitentscheidung, V=Veto, E= Alleinentscheid)
Fahrtroute
Kapitän Kolumbus
E
Krankschreibungen
Bordarzt
V
Kapitän Kolumbus
E
…
…
…
Die obige Tabelle stellt nur einen Ausschnitt aus einem Funktionendiagramm beziehungsweise einer AKV-Matrix (Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung) dar. Sie ist auf die meist wesentliche Frage der Entscheidungskompetenz beschränkt und damit vergleichsweise schlanker, also leichter zu vermitteln und anzupassen. Eine ähnlich robuste und schlanke Lösung erhält man, wenn man nur Einschränkungen und Vorbehalte formuliert. Dahinter steht zum Einen die Einsicht, dass Verbote schwieriger zu unterlaufen sind als Gebote, Regelverstoß einfacher zu kontrollieren ist als Regeleinhaltung. Zum anderen sind die Soll-Prozesse ganz einfach und glasklar definiert. Man formuliert dann: Dies und das darf nicht so und so entschieden werden! Mit dem Herrn X wird nur Frau Y reden! Ein Beispiel für eine solche Minimal-Regelung zu Kommunikationswegen:
5.1 Organisation: ein stabiles Gerüst schaffen
125
Kommunikationswege (Einschränkungen, Vorbehalte) Ansprechpartner außerhalb des Projektteams und/oder Thema
Abt/OE/Mitarbeiter (im Projektteam oder am Projekt beteiligt)
Einschränkung oder Vorbehalt
Alle Gesprächspartner im Oberen Führungskreis
Gilt für alle ausser: Projektleitung, stellv. Projektleiter, Projektingenieur
Alleinige Sprecher für das Projekt
Projektterminplan
Projektleitung
Alleiniger Sprecher für das Projekt
Technische Lösungen bzgl. IT-Schnittstellen
Techn. Projektleiter
Ist immer zu involvieren
Marketing
…
…
…
…
…
Eine anpassungsfähige Projektorganisation Für die allerwenigsten Veränderungs- und Erneuerungsprojekte ist es sinnvoll, ihre Organisation zu Anfang in vielen Einzelheiten festzuschreiben. Im Gegenteil – oftmals wird die formale Organisation eines Projektes im späteren Verlauf eher zu einer Belastung, die man in weiten Teilen lieber unter den Tisch fallen lassen möchte. Denn in Geschäftsprojekten und ihrem Umfeld ändert sich im Projektverlauf oft so viel, dass man zu Beginn gar nicht sicher sein kann, wer zum Beispiel als Entscheidungsträger in den Steuerungsausschuss kommen sollte, wer im Projekt wie viel Verantwortung und für was tragen sollte, und wie Dritte beteiligt werden können und sollten. Hat man aber einmal etwas festgeschrieben, ist es in den allermeisten Unternehmen äußerst schwer, dies wieder umzustellen. Man läuft Gefahr, sich seine eigene Verkrustung zu schaffen. In unserem Beispielsprojekt zum after sales service könnte es sich als äußerst wichtig herausstellen, den Finanzbereich in die Steuerungsgruppe des Projektes aufzunehmen – weil sich zum Beispiel
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen große Einsparpotentiale finden, und die Unterstützung des Finanzbereichs von großer Bedeutung wäre, um das Projekt voran zu bringen. Oder es könnte sich – umgekehrt – heraus stellen, dass Finanzfragen im engeren Sinne keine Rolle im Projekt spielen. Die Beteiligung des Finanzbereiches in der Projektsteuerung würde dann nur dazu führen, dort jemanden zu haben, der dem Projekt das Leben schwer machen kann, ohne selbst in der operativen Verantwortung für den Projekterfolg zu stehen.
Der Auf- und Ausbau der formalen Projektorganisation sollte deshalb als eine Art Dauer-Baustelle betrachtet werden. An dieser Stelle ist ausnahmsweise sogar einmal eine gewisse Trägheit nicht schlecht, weil spontane Veränderungen der formalen Projektorganisation in der Regel nicht funktionieren und in den wenigsten Unternehmen Vorkehrungen getroffen sind, die Organisation von Phase zu Phase systematisch zu überprüfen und anzupassen. Das Unternehmen, die bestehenden Hierarchien und die sorgsam ausgearbeitete Einflussbalance sind ja schon genug strapaziert durch die Einrichtung einer Projektorganisation, welche die gewachsenen Verhältnisse überschreitet und damit in Frage stellt. Dann noch eine ständige Bereitschaft zur Reorganisation der Projektorganisation zu verlangen, würde die meisten Unternehmen überfordern! Um der Projektorganisation unter diesen Umständen die erforderliche Anpassungsfähigkeit zu sichern, ist es meist am praktischsten, sie nur langsam wachsen zu lassen. Zu Beginn, im Rahmen der Beauftragung, sollte nur der Grundriss festgelegt und es sollten die Fundamente gesetzt werden. Das ist nicht selbstverständlich, denn oft besteht ein Druck, schon am Anfang des Projektes schnell etwas herzuzeigen. Projektauftraggeber und Projektleiter sehen sich dann der Versuchung ausgesetzt, angesichts mangelnder Ergebnisse wenigstens schon einmal die Projektorganisation festzuschreiben: Schaut her, wir stehen schon alle aufgereiht! Das ist allerdings in den meisten Fällen fatal, da gar keine vernünftige Entscheidung über eine sinnvolle Aufreihung getroffen werden konnte, man aber an den Konsequenzen das ganze Projekt über zu leiden hat. Die bessere Lösung ist in den meisten Fällen, den Druck auszuhalten. Nur wenige Dinge müssen wirklich am Anfang festgelegt werden: Die wichtigste Frage ist, wer die Rolle des Projektpaten übernimmt, also in der Praxis die Letztinstanz für Entscheidungen und Kommunikation darstellt. Desweiteren sollte geklärt werden, wer im Steuerungsausschuss teilnimmt,
5.1 Organisation: ein stabiles Gerüst schaffen
127
damit dieser entscheidungsfähig ist; und der Projektleiter sollte wissen, wem gegenüber er fachliche Weisungen aussprechen und wie er auf das Projektbudget zugreifen kann. Damit ist das Projekt erst einmal handlungsfähig und steuerbar. Nach und nach, mit zunehmender Reife des Projektes, werden weitere Elemente hinzugefügt. Nicht alle Festlegungen müssen dabei den gleichen Status haben, also mit großem Aufwand in der Steuerungsgruppe beschlossen werden. Im Gegenteil: organisatorische Festlungen sollten grundsätzlich auf dem niedrigsten möglichen Niveau getroffen werden, um maximale Flexibilität zu erhalten. Viele Entscheidungen kann die Projektleitung auch selbst treffen und dann der Steuerungsgruppe zur Kenntnis geben. Man sollte wirklich nur soviel formale Projektorganisation aufbauen, wie man für die Besorgung der Projektaufgaben wirklich benötigt, und wie man ohne die Gefahr falscher Festlegungen beschließen kann. Die formale Organisation ist ja kein Ergebnis des Projektes. Selbst wenn sie zum Ende des Projektes nicht ausdefiniert ist, tut das dem Projekterfolg keinen Abbruch.
Optionen für die Projektorganisation Beim Ausbau der Projektorganisation sollte man folgende Optionen im Kopf haben:
eine operative Steuerungsgruppe innerhalb des Lenkungsausschusses bilden – so dass das Projekt von zwei oder drei Mitgliedern des Lenkungsauschusses direkter gesteuert werden kann
einen Beirat bilden; dieser berät die Projektleitung, und ist dann hierarchisch unterhalb der Steuerungsgruppe angesiedelt – oder aber er berät die Steuerungsgruppe, und ist ihr hierarchisch gleich gestellt
einen Beteiligtenausschuss (sounding board ), in dem eine größere Anzahl Vertreter verschiedener Beteiligtengruppen Stellung zu strategischen Fragen nehmen; hier bewährt sich das Prinzip, unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen zu lassen (maximaler Mix)
Arbeitsgruppen (task forces), die für bestimmte Aufgabenpakete gebildet werden.
128
5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Schon im Projektauftrag kann man unter Umständen diese Optionen für die Konkretisierung der Projektorganisation benennen.
5.2
Das Projektteam – ein Mythos?
Das Projektteam – eine verschworene Gemeinschaft, Einer für Alle und Alle für Einen? So wird es oft propagiert, und das Ideal einer echten Teamarbeit schwebt über uns. Die Wirklichkeit sieht allerdings oft ganz anders aus: In einem von mir betreuten Projekt bestand das Team aus 14 Mitgliedern:
Fünf waren mit Haut und Haaren dabei, überwiegend vollzeitig
Vier waren dabei, aber ohne sich durch die Projektarbeit in irgendeiner Form aus der Ruhe bringen zu lassen; zwei davon nur mit ca. 30 Prozent ihrer Arbeitszeit
Zwei waren zwar formal dabei und auch persönlich interessiert, hatten aber keine prozentuale Abordnung und wurden ständig für dringendere Aufgaben außerhalb des Projektes herangezogen
Drei waren mal dabei, mal nicht dabei, ohne dass ihr Status wirklich geklärt werden konnte.
Kommt Ihnen dies bekannt vor? Stabile Projektteams gibt es regelmäßig nur noch in IT-Entwicklungsorganisationen, und in eingeschränktem Maße in der Produktentwicklung. Sonst gleicht das Projekthaus oft eher einem Taubenschlag. Das ist bedauerlich, denn die Arbeit in Teams wird produktiver, je besser das Team sich kennt und einschwingt, und je weniger Parallelarbeit (multi-tasking) das einzelne Teammitglied zu leisten hat. Hier stoßen wir auf verschiedenen Bedeutungen des Begriffs Team. In formaler Hinsicht bedeutet die Zugehörigkeit zu einem Projektteam, dass man nicht allein seinem Linienvorgesetzten verantwortlich ist. Vielmehr soll man Pflichten
5.2 Das Projektteam – ein Mythos?
129
auch quer zur Linie, also im Projekt, wahrnehmen. Ein solches, rein formal gebildetes Team ist jedoch in der praktischen Arbeit zunächst nicht mehr als eine Arbeitsgruppe. Die Zusammenarbeit mit Fremden fällt nämlich im Zweifelsfall erst einmal schwerer als mit den Kollegen am heimatlichen Arbeitsplatz in der Linie. Zu einem echten Team – so wie es die Human Relations Bewegung der sechziger Jahre entdeckt hat – wird eine Arbeitsgruppe in dem Maße, in dem über die rein formale Zuordnung hinaus eine persönliche Bindung zwischen den Teammitgliedern und letztlich auch Teamgeist entstehen. Dies ist erfahrungsgemäß eher eine graduelle Entwicklung. Ein echtes Team besteht also, insoweit
man der Wahrnehmung und dem Urteil der anderen Mitglieder vertraut und sich mit ihnen abstimmt, so dass eine einheitliche Wahrnehmung und ein einheitliches Urteil entstehen
sich die einzelnen Mitglieder füreinander verantwortlich fühlen, so dass sie sich in ihrer Arbeit gegenseitig unterstützen und aushelfen.
Die Projektleitung sollte selbst Teil des Teams sein. In ihrer Führungsrolle unterstützt sie andere Teammitglieder in ihrer jeweiligen Arbeit, und profitiert im Gegenzug von der Unterstützung des Teams.
Viele Augen sehen mehr als zwei Geschäftsprojekte sind, wie in Kapitel 1 dargestellt, von hoher Informationsunsicherheit geprägt. Die Projektleitung muss außerordentlich viel Energie investieren, um sich immer wieder darüber klar zu werden: Was machen wir? Wo stehen wir? Wo wird dies hin führen? Und auch die zu treffenden Entscheidungen sind oftmals sehr vielschichtig und unüberschaubar. Wie in Kapitel 3 dargestellt, ist in Situationen hoher Komplexität die Gefahr verzerrter Wahrnehmung und folglich falscher Entscheidungen sehr groß. Auch fachlich hochgradig qualifizierte Projektleiter sind davor nicht gefeit. Vor diesem Hintergrund besteht die für Geschäftsprojekte wichtigste Stärke von Teams in der gemeinsamen Wahrnehmung und Einschätzung von Sachverhalten und Situationen. Zum einen haben die in einem Team
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
versammelten Spezialisten aufgrund ihrer jeweiligen Blickwinkel zusammen eine breitere und detailreichere Wahrnehmung als ein Einzelner. Zum anderen verfügen echte Teams über eine gefühlsmäßige und intuitive Wahrnehmung wichtiger psychologischer und sozialer Faktoren. Diese tritt zutage, wenn man die Gruppe ganz konkret fragt, „wie wir als Team uns dabei fühlen“ oder „wie wir als Team diesen Sachverhalt oder dieses Verhalten bewerten“. Handelt es sich beim Projektteam um ein echtes Team, so sollte die Projektleitung es sich deshalb zur Regel machen, unübersichtliche Sachverhalte vom Team beschreiben und bewerten zu lassen, und anstehende Entscheidungen zur Diskussion zu stellen. Auch das Letztere geht sehr gut, wenn die Aufgabe des Teams klar ist: Beobachtung und Bewertung, aber nicht Empfehlung oder gar Entscheid. Schließlich kann die Projektleitung ein echtes Team auch als think tank nutzen und das Projekt insgesamt beleuchten lassen:
Projektbewertungs-Runde mit dem Projektteam Wir beginnen mit einem brainstorming oder Blitzlicht zu folgenden Fagen: Wo stehen wir im Verhältnis zum Projektziel und zum Ausgangspunkt? Kommen wir schnell genug voran? Wenn wir dies noch einmal machen müssten – was würden wir vielleicht anders machen? Was sagen andere über uns? Gibt es Kritik? Die Fragen sind bewusst allgemein gestellt – es geht darum, das Projektteam zu nutzen um sich des Gesamtbildes zu vergewissern.
Die breitere und somit gesteigerte Wahrnehmung eines Teams kommt besser zum Tragen, wenn es aus möglichst verschiedenen Personen besteht. Je unterschiedlicher die Gruppe zusammengesetzt ist, desto geringer ist vorderhand auch die Gefahr eines Gruppen-Konformismus (group think), in dem selbst dramatische Fehleinschätzungen nicht auffallen. Allerdings hilft gegen diese Gefahr letztlich nur der Blick von Außen.
5.2 Das Projektteam – ein Mythos?
131
Das echte Team – ein Sack voller Experten Für Geschäftsprojekte besteht eine zweite wichtige Stärke von Teams in der effizienten, weil informell arrangierten Bündelung von Expertise. Man weiß ja kaum, welche Aufgaben und Fragen im Projektverlauf alle auf das Projektteam zukommen werden. Da wird es zu einem echten Vorteil, wenn der Aufwand, einen Spezialisten heranzuholen, so weit wie möglich reduziert wird. In einem echten Team wird umstandslos miteinander kommuniziert, so dass Verständnisfragen, kritische Punkte und auch scheinbar abwegige Lösungen schnell in die Diskussion eingebracht und behandelt werden können. Die einschlägige Forschung zu Teams in Entwicklungs- und Veränderungsprozessen bestätigt denn auch, dass alles, was Kommunikation vereinfacht und die Teammitglieder einander näher bringt, einen wesentlichen, stärkenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Teams hat: häufige Besprechungen; gemeinsame oder benachbarte Räumlichkeiten; persönliche Treffen; die Verfügung über verschiedene Kommunikationsmittel, je nach individueller Vorliebe (e-mail, Telefon, Videotelefon, Flurfunk, …).52 Eine ganz wichtige Voraussetzung, um dieses Potential echter Teams zu nutzen, ist Transparenz: Fast immer lohnt sich eine gemeinsame, allen Mitgliedern des Teams umstandslos zugängliche Datenbank sowie eine Regel, dass ausgewählte, wichtige Dokumente immer an alle Teammitglieder zur Kenntnis geschickt werden. Ein solches Vorgehen stößt sich oft an einer Unternehmenskultur, die davon geprägt ist, Mitarbeiter vor Informationsüberflutung zu schützen oder eben Herrschaftswissen zu horten – je nach Betrachtungswinkel. Im Hinblick auf die Stärkung des Teams lohnt sich jedoch ein Verstoß gegenüber solchen hergebrachten Sitten und Gebräuchen in den meisten Fällen.
Boxenstopp-Teams Obwohl es nun wirklich meterweise Bücher und Fachartikel zur Teamarbeit gibt, wird erstaunlicherweise selten unterschieden, für welche Auf52
Vgl. Doppler et al. 2002
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
gabe man welche Art der Teamarbeit benötigt. Dies kann zu gravierenden Missverständnissen führen. So erinnere ich mich an folgende Zeitungsanzeige für ein Seminar zur Teamarbeit: Im Zentrum stand ein Foto aus der Formel 1, auf dem die Teamarbeit beim Reifenwechsel für einen Rennwagen anlässlich eines Boxenstopps zu sehen war. Unbestreitbar sind die Arbeitsabläufe aller Mitarbeiter aufs Engste miteinander abgestimmt. Und jeder Einzelne achtet nicht nur auf seinen eigenen Arbeitsbereich, sondern fühlt sich im Hinblick auf die Überwachung der Sicherheit für die ganze Situation mit verantwortlich – so wie Weick es in seiner vielzitierten Studie über Arbeit in Hochrisikoumgebungen beschrieben hat.53 Aber gleichzeitig handelt es sich keineswegs um echte Teamarbeit im oben beschriebenen Sinne, denn es entsteht weder eine gemeinsame Wahrnehmung, noch unterstützen sich die Einzelnen gegenseitig bei ihrer jeweiligen Arbeit. Eigentlich geht es bei einer solchen Gesamtaufgabe Reifenwechsel nur darum, dass jedes Teammitglied seine spezielle Aufgabe präzise erfüllt. Der Mehrwert des Teams besteht dann im effizienten Ineinandergreifen der Arbeit der Einzelnen, und im größeren Leistungsdruck, der von der Gruppe auf das einzelne Teammitglied ausgeübt wird. Andere Bilder von Teams aus dem Sport passen demgegenüber besonders gut auf Geschäftsprojekte: Fußballteams entwickeln eine gemeinsame Wahrnehmung („die können wir schlagen“) und funktionieren durch das flexible Zusammenspiel von Spezialisten und ihre gegenseitige Unterstützung, zum Beispiel wenn ein Verteidiger auch mal vorne aushilft.
Projektteams aufstellen: Kernteam und erweitertes Team Zu Beginn des Kapitels habe ich darauf hingewiesen, wie zerrissen Projektteams heute oftmals sind. Wie kann man nun wenigstens ein Mindestmaß an Stabilität in die Teamarbeit bringen und somit der Entstehung eines echten Teams eine Chance geben? Eine einfache und wirksame Maßnahme ist die Aufteilung des zunächst formal bezeichneten Projektteams in ein Kernteam und ein erweitertes Team. Das Kernteam ist oft überraschend klein – manchmal nur zwei oder drei Personen, die beständig
53
Vgl. Weick 2001
5.3 Der Projektleiter als Teamleiter
133
und den größten Teil ihrer Arbeitszeit mit dem Projekt befasst sind. Dieser Kern kann dann zu einem echten Team entwickelt werden. Mitglieder des erweiterten Projektteams, die nur mit begrenzter Zeit und Energie am Projekt beteiligt sind, werden eventuell nur anlass- oder themenbezogen angesprochen und sind deshalb auch nur mit Einschränkungen am Management des ganzen Projektes beteiligt. Dies gilt es mit ihnen zu klären. „Das engere Projektteam besteht aus Christoph, Bartholomeus, Santiago und Nino. Wir werden die Vorgehensweise im Projekt laufend miteinander beraten, wobei ich mir als Projektleiter die Entscheidung vorbehalte. Rodolfo, Pinzon und Mattheus werden immer dann hinzugezogen, wenn das Thema sie betrifft.“
So kann man Missverständnisse und Schwierigkeiten rund um das Thema Einbezug in das Projektteam sehr oft vermeiden.
5.3
Der Projektleiter als Teamleiter
Die Zusammensetzung bestimmen Der Projektleiter sollte die Möglichkeit haben, das Kernteam selber zusammenzustellen. Dies gilt aus guten Gründen für die meisten Expeditionen und macht auch für Geschäftsprojekte Sinn: Wenn Entscheidungen, die unter hoher Unsicherheit gefällt wurden, mitgetragen und schwierige Sachverhalte offen erörtert werden sollen, ist wechselseitiges Vertrauen zwischen Teammitgliedern und Projektleitung im Hinblick auf Leistungsbereitschaft und Loyalität unverzichtbar. Wer als Projektleiter nicht die Möglichkeit hat, sich das Kernteam auszusuchen, sollte darüber nachdenken, den Projektauftrag abzulehnen.
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Fünf Prinzipien der Teamentwicklung Untersucht man die Führungsstile der größten Entdecker und Expeditionsleiter, so kommt man schnell zu dem Schluss, dass es kein einheitlich erfolgversprechendes Führungsverhalten im Team gibt.54 Ähnliches dürfte auch für erfolgreiche Leiter von Geschäftsprojekten gelten. Was jeweils wirksam und gut ist, hängt also unter anderem von der jeweiligen Aufgabe, der Persönlichkeit des Projektleiters und der der Teammitglieder, sowie der Führungskultur und den weiteren Umständen im Projektumfeld ab. Insofern macht es wenig Sinn, hier ein Erfolgsrezept für Teamleitung anzubieten. Allerdings ist es für Geschäftsprojekte oftmals wichtig, dass aus einem zusammengewürfelten Haufen oder einem Boxenstopp-Team ein echtes Team wird. Teamentwicklung wird somit zu einer wichtigen Herausforderung für den Projektleiter. Zwar gibt es auch hierfür keine universalen Erfolgsrezepte. Allerdings lohnt es sich in diesen Fragen für jeden Projektleiter, so planvoll zu handeln, wie die Situation es eben zulässt. Handelt die Führung nämlich unberechenbar, weil prinzipienlos und rein situationsbezogen, so kann einfach kein Teamgeist entstehen. Es verbreitet sich unnötige Unsicherheit im Team, und das Gemeinsame wird auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergekocht. Vor diesem Hintergrund stelle ich im Folgenden jene fünf Prinzipien vor, welche meiner Erfahrung nach eine Teamentwicklung am besten unterstützen: 1. Walk your talk: Geschäftsprojekt-Teams bewegen sich ständig in unbekannten Gefilden, mit einem hohen Risiko des Scheiterns des Projektes und persönlicher Beschädigung der Karriere der einzelnen Teammitglieder. Oft bekommt allein der Projektleiter entscheidende Informationen aus der Steuerungsgruppe oder aus Gesprächen mit wichtigen Personen, oder muss allein weitreichende Entscheidungen treffen. Das Team kann den Wahrheitsgehalt dieser Informationen und die Begründung dieser Entscheidungen kaum überprüfen, muss sie aber für die weitere Arbeit zugrunde legen.
54
Explizit: Conefrey 2005
5.3 Der Projektleiter als Teamleiter
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Aus diesem Grunde ist es ganz besonders wichtig, dass die Projektleitung glaubwürdig kommuniziert: Alles, was sie sagt, muss sie auch für ihre eigene Arbeit praktisch gelten lassen. 2. Man hüte sich vor Formalia: Oft werden zu einem frühen Zeitpunkt Rollen und Aufgaben im Team festgeschrieben, um einem Orientierungsbedürfnis der Teammitglieder zu entsprechen und nach außen hin gut organisiert auszusehen. Es gilt aber das schon über die Projektorganisation Gesagte: Meist liegen zuverlässige Informationen über die zu bewältigenden Aufgaben und die jeweilige Eignung der Teammitglieder noch gar nicht vor. Man schafft sich dann eine interne Verkrustung, die im weiteren Projektverlauf eher eine Belastung darstellt. Desweiteren ist zu beachten, dass ein echtes Team aus Menschen aus Fleisch und Blut besteht, und nicht aus Mitarbeitern. Will man Teamgeist wachsen lassen, so müssen die Menschen angesprochen werden; ein formales Vorgehen bei der Steuerung der Teamarbeit schafft manchmal eine unnötige Distanz. 3. Große, aber selektive Fehlertoleranz: In vielen Unternehmen herrscht eine Kultur bewusster Fehlervermeidung. Das hat mit Angst und Kontrollbedürfnis zu tun, aber auch mit dem japanisch inspirierten Qualitätsdenken, welches sich in den letzten fünfzehn Jahren weltweit verbreitet hat. Six Sigma ist ja schließlich das Symbol für fast fehlerfreie Abläufe in der Serienproduktion und hat sich zu einer Art Leitgedanke für Arbeitsqualität etabliert. Das Risikoprofil von Geschäftsprojekten ist jedoch von dem einer Serienproduktion weit entfernt, wie ich in Kapitel 2.4 darstellt habe. Wie bei einer Expedition gilt: Kleinere Fehler werden in der Regel gar nicht bemerkt, und selbst verunglückte Aktionen mittleren Ausmaßes haben oft gar keine oder nur geringe Auswirkungen auf den Gesamterfolg eines Vorhabens. Allerdings gibt es kritische Fehler, die zu einem Totalschaden der Expedition oder des Projektes führen können, obwohl sie vom Ausmaß der fehlerhaften Aktivität her eher klein sind: ein falsch gebohrter Haken, ein falsches Wort zum Abteilungsleiter X, und die Expedition oder das Projekt sind gescheitert. Geschäftsprojekte brauchen deshalb ihre eigene Fehlerkultur. Fehler kommen zwangläufig vor, denn man befindet sich in unbekannten Gefil-
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
den. Viele davon sind absolut unkritisch. Gleichzeitig muss die Achtsamkeit der Teammitglieder geschärft werden, möglicherweise kritische Fehler, welche den GAU zur Folgen haben könnten, absolut zu vermeiden. Grundlage für beides ist eine Umgangsweise, in der Fehler gemacht werden können, ohne dass dies als Makel betrachtet wird. Nur wenn über Fehler absolut offen gesprochen werden kann, kann man aus kleinen und mittleren Fehlern lernen und gegenüber kritischen Fehlern mit GAUPotential nach und nach die notwendige Achtsamkeit erwerben. 4. Team-Integration über gemeinsame Aufgaben: Um die Menschen zu einem echten Team zusammenwachsen zu lassen, ist es oft förderlich, dem Team die Ausbildung einer eigenen Identität zu ermöglichen. Dies kann durch gemeinsam genutzte Räumlichkeiten und gemeinsam verbrachte Freizeit gefördert werden, bis hin zu Team-Trainings und Hemden mit dem Projekt-Logo. Eine solche Identitätsbildung setzt jedoch mehr Stabilität voraus, als die meisten Projektteams heutzutage erleben – in Bezug auf die Teammitglieder, das Projektziel, und das Projektumfeld, von dem sich das Team mit der eigenen Identität abgrenzt. Eine schnell von oben aufgesetzte Identität ist auch keine Lösung – sie ist und bleibt künstlich und wird bei der ersten Krise am Zynismus der Teammitglieder zerschellen. Es bleibt jedoch die Möglichkeit, das Zusammenwachsen des Teams durch die Bewältigung von Herausforderungen zu fördern. Man stellt das Team vor die Aufgabe, eine größere Aktivität zu bewältigen; unterstützt die Arbeit des Teams als Team; und sorgt dafür, dass es Rückmeldungen und Anerkennung für diese Leistung erhält und sich darin als Team wahrgenommen und bestätigt fühlt. 5. Verständnis und Raum für Verschiedenheit: Teams von Geschäftsprojekten sind – wie Expeditionen – auf die Kombination ungewöhnlicher Fähigkeiten angewiesen. Auf Kolumbus’ Schiff fuhren ein Priester und ein Pflanzenkundler mit, und für Geschäftsprojekte benötigt man oftmals Experten aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen, vom Ingenieur über den Web-Designer bis hin zum Personalentwickler. Den Umgang mit dieser Verschiedenheit gilt es zu fördern. Dazu sollte man die Verschiedenheit kenntlich machen und es jedem ermöglichen, zu begreifen, welchen Mehrwert sie für das Team und seine Leistungsfähigkeit bringt. Dies gilt
5.3 Der Projektleiter als Teamleiter
137
letztlich auch für die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und Kommunikationskanäle. Fritz Riemann (1961) beschreibt vier grundlegende Persönlichkeitstypen, deren Streben und Grundängste in jedem einzelnen Menschen angelegt, aber unterschiedlich ausgeprägt sind. Der Ich- und Autonomie-betonten Persönlichkeit entspricht die Angst vor der Hingabe. Sie ist vom Drang zur Selbstbewahrung und IchAbgrenzung getrieben. Ihre Stärken sind Selbständigkeit, scharfe Beobachtungsgabe und Sachlichkeit. In ihren Schwächen ist sie leicht kontaktgehemmt und dann, mit ansteigender Ausprägung, übersensibel, ein Einzelgänger, Original, Eigenbrötler, oder Kauz. Ihr Motto ist: „Auf, lass uns anders werden als die Vielen, die da wimmeln in dem allgemeinen Haufen!“ (Spitteler) Der Du- und Resonanz-betonten Persönlichkeit entspricht die Angst, aus der Geborgenheit herauszufallen. Sie treibt vor allem der Drang nach Hingabe im weitesten Sinne und der Nähe zu einem Partner. Ihre Stärken sind Hilfsbereitschaft, Einfühlungsvermögen und die Akzeptanz des Bestehenden und Notwendigen. Ihre Schwächen sind in der leichtesten Ausprägung Kontemplation und Beschaulichkeit, und dann zunehmend stille Introversion, Bescheidenheit und Schüchternheit, Gehemmtheit, Bequemlichkeit, und passive Heilserwartungen. Ihr Motto ist: „Vergiss Dein ich, Dein selbst verliere nie!“ (Herder) Der Ordnungs- und Bewahrungs-betonten Persönlichkeit entspricht die Angst vor der Vergänglichkeit. Sie lebt mit und von der Routine und ist von einem großen Sicherheitsbedürfnis und dem Bedürfnis nach Verlässlichkeit getrieben. Ihr Motto ist: „Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern!“ (Hesse). Ihre Stärken sind Stabilität, Tragfähigkeit und Pflichtgefühl. Lebensstarke Ordnungsgeister sind, mit steigender Ausprägung, ausgesprochen nüchtern und pflichtgetrieben, ehrgeizige Streber, und unbelehrbare Eigensinnige. Oder sie sind lebensschwächer und erscheinen dann als unauffällige Angepasste, sich sichernde Lebensängstliche, Zweifler und Zauderer oder Pedanten und Nörgler. Die Freiheits- und Bewegungs-betonte Persönlichkeit schließlich entspricht die Angst vor dem Endgültigen, vor dem Unausweichlichen, sowie der Drang nach Veränderung und Freiheit. Ihr Motto ist: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ (Hesse). Ihre
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen Stärken sind Lebendigkeit, mitreißende Energie und Improvisationskunst. In ihren Schwächen erscheint sie uns, mit steigender Ausprägung, als impulsiver Mensch mit Geltungsdrang und Eigenliebe, immer nach Bestätigung suchend, als Mensch mit einem zu großen Geltungsdrang und Kontaktsucht, und schließlich als unechte oder von Realitätsflucht geprägte Persönlichkeit. Es ist unschwer zu erkennen, dass jedes Geschäftsprojekt von einer Mischung dieser Persönlichkeiten im Projektteam profitiert. Es geht dabei nicht um ‚Schubladen‘, sondern um das Erkennen, Anerkennen und Nutzen von Verschiedenheit. Die Typologie von Riemann ist nicht wissenschaftlich im engeren Sinne. Aber sie hat einen großen Wert in der praktischen Beschreibung von Typen und Verhaltensweisen.
Prinzipien der Teamentwicklung Walk your talk Vorsicht mit Formalia Große Toleranz für kleine Fehler Integration über Aufgaben Verschiedenheit anerkennen
Prinzipien der Teamentwicklung
Ein anderer Klassiker ist die Unterscheidung, dass manche Menschen vor allem lesen und schreiben, während andere vor allem zuhören und sprechen. Der Autor dieser Zielen gehört, wen wundert’s, zum erstgenannten Typ. Als Projektleiter und als Teammitglied bitte ich deshalb um schriftliche Kommunikation, sowie darum, dass meine e-mails und anderen Stellungnahmen gelesen werden. Um aber im Team wirksam zu kommunizie-
5.4 Wer hat, der kann: Ressourcen sichern
139
ren, ist es ebenso erforderlich, den Raum für mündliche Kommunikation zu schaffen und mit anders gepolten Teammitglieder zu telefonieren oder persönliche Treffen anzuberaumen. Diese Doppelung der Kommunikation in den zwei Kanälen Schrift und Sprache ist übrigens auch ganz besonders sinnvoll im Hinblick auf Lenkungsausschüsse; und wer als Projektleiter wirksam mit seinem Paten kommunizieren will, sollte sich dessen bevorzugten Kommunikationskanal bewusst machen.
5.4
Wer hat, der kann: Ressourcen sichern
Wie viel Geld, wie viele Mitarbeiterstunden werden benötigt, um eine bedeutende Verbesserung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit des after sales service zu erreichen? Woher wusste Kolumbus, dass er bei seiner Reise mindestens drei Schiffe benötigen würde? Vor die Bewilligung von Ressourcen55 tritt für Expeditionen wie für Geschäftsprojekte in der Regel eine Aufwandsschätzung. Die Feststellung des Ressourcenbedarfs sollte grundsätzlich unabhängig von der Schätzung der benötigen Zeit erfolgen. Zeitverbrauch und Zeitverlauf – Thema des nächsten Kapitels – unterliegen letztlich eigenen Gesetzen, auch wenn sie im Projektverlauf mit dem Ressourcenverbrauch zusammenwirken und so den möglichen Endtermin bestimmen.
Aufwandsschätzung Für Hausbau-Projekte gibt es im Hinblick auf die Ressourcenausstattung eigentlich wenig zu diskutieren: Aus dem Projektziel werden Ergebnisse und Tätigkeiten abgeleitet, im besten Falle in Form eines Projektstrukturplans. Diese Tätigkeiten diktieren den erforderlichen Aufwand, der mittels
55
Ressourcen umfasst hier sowohl Einsatzmittel (Personal und Sachmittel) als auch Geld
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
der Projektressourcen geleistet werden muss. Dazu bekennt sich der Projektauftraggeber im Projektauftrag. Auch für die Aufwandsschätzung von reinen IT-Projekten gibt es etliche Verfahren, deren Ergebnisse meist in einem vorhersehbaren Zuverlässigkeitsbereich liegen. Bei Geschäftsprojekten fällt jedoch, über die Erarbeitung einer IT-Lösung hinaus, oftmals Veränderungs- und Innovationsarbeit in erheblichem Umfang an. Damit ergeben sich für die Aufwandsschätzung bei Geschäftsprojekten zwei große Herausforderungen: Die erforderlichen Aufgaben, und damit auch der jeweils zu leistende Aufwand, sind anfangs meist ziemlich unklar und auch im Verlaufe des Projektes nur teilweise mittelfristig planbar. Ein fast noch tiefgreifenderes Problem ergibt sich daraus, dass man es vielfach mit weichen Faktoren zu tun hat. Für diese gilt: Der Aufwand für einzelne Aufgaben ist sehr variabel, und die entsprechenden Varianzen sind wiederum nicht im Voraus bekannt. So kann die Einholung einer Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung zwischen einer Stunde und mehreren Wochen Aufwand bedeuten, je nachdem in welcher Streitlaune die Parteien sind, als wie schwierig die Materie erachtet wird, und wie gut die Rechtsberatung beider Seiten ist. Man weiß zudem nicht, wie viel einer Tätigkeit erforderlich ist, um die erwünschte Wirkung zu erreichen – also etwa, wie aufwändig eine Kommunikationskampagne oder ein Training sein müssen, um erfolgreich zu sein. Auch weiß man nicht, in welchem Maße man aufwändige Tätigkeiten, etwa Datenerfassung mittels Telefonanrufen, durch weniger aufwändige sinnvoll ersetzen kann – zum Beispiel eine Umfrage mit Web-Formularen. Dann weiß man nicht, wie viele Fehler man machen wird, und wie viel Reparatur- und Wiederholungsaufwand auf einen zukommen. Und schließlich man weiß nicht, ob man nicht an einen Punkt gerät, wo wenige zusätzliche Aktionen einen überproportionalen Nutzen stiften könnten, also auch trotz schon verbrauchter Budgets sinnvoll wären. Für die Aufwandsschätzung unter diesen Bedingungen gibt es fast keine dokumentierten Erfahrungen oder ernsthafte Vorschläge für Methoden. Sie ist deshalb ein ganz heikles Thema, bei dem man fast nichts richtig machen kann. Dabei wollen wir uns zunächst mit folgender Feststellung aus einer Langzeit-Erhebung zur Schätzgenauigkeit der Planung von Infrastrukturprojekten trösten:
5.4 Wer hat, der kann: Ressourcen sichern
141
Die Schätzung der Kosten … geplanter Projekte ist über Dekaden konstant und bemerkenswert inakkurat geblieben. Eine Verbesserung … scheint ausgeblieben zu sein, trotz aller Behauptungen, über bessere Schätzmodelle, bessere Daten etc. zu verfügen. … liegt die Kosten-Schätzungenauigkeit … bei durchschnittlich 44,7% für Bahnprojekte, 33,8% für Brücken und Tunnel, und 20,4% für Straßen. … Über die 70 Jahre, für die Daten zu Projektkosten vorliegen, hat sich die Schätzgenauigkeit nicht verbessert. (!! MK) … Vergleichsstudien zeigen, dass Transportinfrastrukturprojekte in dieser Hinsicht nicht schlechter abschneiden als andere Projekttypen.56
Dies sollte uns in einer realistischen und bescheidenen Haltung im Hinblick auf Aufwandsschätzungen bestärken. Die Literatur vermutet zwei Gründe für dieses entmutigende Bild: Erstens sind alle, die am Projekt in irgendeiner Weise beteiligt sind, zweckoptimistisch. Zweitens gibt es so etwas wie einen vorauseilenden Gehorsam, bei dem der Wunsch des Managements zum inneren Befehl der Planer wird. Bei Geschäftsprojekten sind diese Kräfte natürlich auch am Werke! Sehr oft ist es so, dass schon die Diskussion der Aufwandsschätzung mitten in die Projektpolitik hinein führt, und Zahlenwerte je nach ihrem argumentativen Wert für oder gegen das Projekt vorgetragen werden.
Aufwandschätzung als Verhandlung Die Aufwandsschätzung ist also in vielen Fällen schon als Verhandlungsergebnis zu bewerten. Und das Schätzverfahren selbst zielt gar nicht in erster Linie auf eine sowieso unerreichbare mathematische Präzision. Vielmehr sollte es eine sachliche Verhandlung so weit wie möglich unterstützen. Dafür haben sich folgende Faustregeln bewährt: Regel 1: ‚Größenordnung‘, ‚Schätzwerte‘ und ‚berechnete Werte‘ klar als solche bezeichnen. Viele Missverständnisse um die Ressourcenplanung entstehen, weil eine einmal genannte Zahl von dem Einen als exakter Wert betrachtet wird und vom Anderen vielleicht nur als Anhaltspunkt. Hier
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Flyvbjerg 2007
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
sollte man Klarheit schaffen, in dem man deutlich sagt, was man sagen will, oder was man gehört hat:
Betrifft diese Zahl eine Größenordnung? Wir verwenden diesen Begriff auch im alltäglichen Sprachgebrauch. Wo sich eine Zahl um eine Größenordnung verändert oder unterscheidet, kann man unter den angenommenen Rahmenbedingungen das ursprünglich erwartete Ergebnis nicht erreichen. Das funktioniert auch für den Projektaufwand: 1–3 Fachkräfte können von der IT für zwei Monate freigestellt werden, aber keine 12, das wäre eine andere Größenordnung.
Ein Schätzwert ist demgegenüber schon viel genauer; man sollte angeben können, in welchem Vertrauensbereich man ihn sieht, zum Beispiel +/– 30 Prozent.
Ein berechneter Wert sollte exakt sein; allerdings kann die Berechnung durch Fehler verfälscht sein.
Probieren Sie diese Begriffe einfach aus! In vielen Fällen werden sie bei Diskussionen um Aufwandsschätzung damit Zeit und Nerven sparen. Regel 2: Kalkulierbare von unkalkulierbaren Elementen trennen. Es gibt bei fast allen Veränderungs- und Erneuerungsprojekten neben den weitgehend unkalkulierbaren oder nur in Größenordnungen schätzbaren Elementen auch solche, deren erforderlicher Aufwand durch einen Schätzwert ausgedrückt oder sogar berechnet werden kann. Dies ist immer der Fall, wenn ein im Prinzip schon bekanntes Produkt hergestellt wird, oder eine überschaubare Dienstleistung erbracht wird – zum Beispiel die Herstellung eines Handbuchs oder die Organisation einer Konferenz. Diese sollte man bei der Kalkulation des Projektes gesondert erfassen. Damit wird der Block der im Prinzip unkalkulierbaren Elemente kleiner, was Druck von der entsprechenden Diskussion und von der Entscheidung nimmt. Regel 3: Wenn man nichts Besseres hat (und nur dann!), auf jedes schätzbare oder berechenbare Element 30% bis 50% Aufwand für Kommunikation, Planung, Nachbereitung etc. aufschlagen. Dabei sollte man deutlich sagen, dass dies nicht mehr als eine allererste Schätzung ist, die im weiteren Verlauf konkretisiert werden muss. Es geht hier vor allem darum, eine Diskussionsgrundlage zu schaffen und den verschiedenen Verhandlungspartnern zu zeigen, dass man um eine sachliche Diskussion
5.4 Wer hat, der kann: Ressourcen sichern
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bemüht ist. Damit schafft man sich oft eine etwas bessere Position für mögliche Nachverhandlungen. Regel 4: Erfahrene, möglichst unbeteiligte Fachleute zur Beurteilung heranziehen. Die beste Einschätzung, wie viel Geld für ein bestimmtes Projekt benötigt wird, kann man oft von erfahrenen Fachleuten bekommen, die in dem betreffenden Unternehmen oder in einem ähnlichen Umfeld schon einmal einschlägige Projekterfahrungen gesammelt haben. Dies ist im übrigens auch das Ergebnis der oben zitierten Studie zur Aufwandsschätzung in Bauprojekten. Im besten Falle kann man dann noch jemanden zu Rate ziehen, der unbeteiligt ist, also weder vom vorauseilenden Gehorsam noch vom Zweckoptimismus angesteckt sein kann. Regel 5: Den Auftraggeber nicht aus der Verantwortung für die Ressourcenausstattung entlassen. Trotz aller Expertenrunden bleibt die Aufwandsschätzung in vielen Fällen ein Ratespiel. Die Projektleitung sollte die Position einnehmen, dass sie ohne eine Mindestausstattung gar nicht gewillt ist, anzutreten. Darüber hinaus wird sie gefragt werden, ob das Projektziel mit den bereit gestellten Ressourcen erreichbar ist – gemäß des in Kapitel 3 genannten Prinzips, dass die Projektleitungs-Verantwortung immer auch mit einer Verhandlungsposition einhergeht. Einer Antwort sollte der Projektleiter sich nicht entziehen – allerdings unter dem Vorbehalt, dass Ressourcen oder Auftragsumfang nachverhandelt werden, sobald eine bessere Datengrundlage dafür vorliegt.
Planning Poker Im Idealfall würde man natürlich versuchen, einen weitgehend objektiven Prozess zu definieren, von dem man ein weitgehend sachliches Ergebnis erwarten kann. Ein solcher Prozess könnte in Anlehnung an das Planning Poker entwickelt werden, welches aus der agilen Software-Entwicklung kommt (nach Mike Cohn, Agile Estimating and Planning, 2006): Die zu bewertenden Aufgaben sind in einer Liste zusammengestellt. Alle Experten für das Projektthema sitzen um einen Tisch. Jeder erhält einen Satz Karten mit der Beschriftung 1,2,3,5,8,13,20,40,100. Es wird erläutert, dass diese Zahlen ungefähr Arbeitsstunden entsprechen; also eine mit 5 bewertete Aufgabe wahrscheinlich etwa
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen einen Arbeitstag mit fünf produktiven Stunden in Anspruch nehmen wird. Nur liest der Moderator die erste der Aufgaben vor, und es wird sichergestellt, dass alle Experten ein ungefähr gleiches Verständnis von ihrem Inhalt haben – was natürlich nur sehr grob sein kann. Dann wählen alle Experten ihre Bewertungskarte für die Aufgabe aus und drehen sie auf ein Zeichen des Moderators für alle sichtbar um. Die Experten, welche die längste und die kürzeste Bearbeitungszeit angegeben haben, erläutern kurz ihre Gründe. Dann wird eine zweite Abfragerunde gestartet, wiederum mit einer Erläuterung für die längste und kürzeste Bearbeitungszeit. Wenn die Bewertungen weitgehend konvergieren, wird das Mehrheitsergebnis notiert. Anmerkungen: Oft wird es nicht möglich sein, unter den anwesenden Experten ein gleichartiges Verständnis der Aufgabe herzustellen. Dann wird der Moderator einen Experten als Federführer benennen, welcher das Verständnis der Aufgabe definiert, welches der Bewertung zugrunde liegen soll. Die Zahlen können auch halbe Arbeitstage oder ganze Arbeitstage ausdrücken. Es kann sinnvoll sein, alle Aufgaben, die als ‚nächste Schritte‘ beschrieben werden könnten, von der Bewertung auszunehmen. Sonst bewertet man ein Telefonat am nächsten Tage zusammen mit einer dreimonatigen Kommunikationskampagne gegen Ende des Projektes. Man kann auch auf die Karten verzichten und stattdessen die Skala für alle sichtbar aufschreiben. Jeder Experte gibt dann seine Schätzung mündlich ab. Man kann Zeitaufwand bewerten, oder zu erwartende Kosten für Fremdleistungen, und letztlich auch Schwierigkeitsgrade oder Risiken. Die Zahlenreihe ist eine vereinfachte Version der Fibonacci-Skala – 1,2,3,5,8,13,21,34,55,89 – bei der jede Zahl sich aus der Summe der beiden vorhergehenden ergibt.
5.5 Zusammenfassung
145
Der kritische Engpass: Die richtigen Leute Im Vergleich zu einer aus einer Aufwandsschätzung abgeleiteten Budgetausstattung ist es für das Schicksal eines Geschäftsprojektes sowieso meist wichtiger, die richtigen Leute im Team und die richtigen Beteiligten am Tisch zu haben. Geschäftsprojekte sind ja keine routinemäßigen Investivmaßnahmen, die streng nach wirtschaftlichen Kennzahlen betrachtet werden können. Dieses Verständnis herrscht in den meisten Unternehmen auch vor. Insofern macht es wenig Sinn, allzu viel Aufwand in die detaillierte Ressourcenplanung zu stecken. Wichtiger ist es, zu Projektbeginn ein im Prinzip machbares Ziel, ein klares Mandat, und die richtigen Teammitglieder und Beteiligtenzu haben.
Wer hat, der kann – wer nicht, nicht Eine Faustregel aus dem allgemeinen Management gilt auch für Projektmanagement, und insbesondere für das Management von Geschäftsprojekten: Der laufende, immer auch irgendwie chaotische Betrieb der Organisation sowie das Erfordernis, ständig mit allen Beteiligten Klärungen herbeizuführen, zu verhandeln und ein komplexes Vorhaben gedanklich weiter zu entwickeln, verschlingen oder blockieren jede Menge Ressourcen – und zwar meistens mehr als man denkt und hofft. Wer sich nicht beizeiten umfassende eigenen Ressourcen sichert, steht im Zweifelsfall mit einer hervorragenden Idee, aber ohne die erforderlichen Mittel dar.
5.5
Zusammenfassung
So wie der Projektleiter im Mittelpunkt der Umsetzung eines Geschäftsprojektes steht, steht der individuelle Projektsponsor – hier Pate genannt – im Zentrum der Projektsteuerung. Die Dyade Projektleiter – Projektpate bildet in der Praxis das Kraftzentrum des Projektes.
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5 Das Projekt aufbauen: Organisation, Team und Ressourcen
Die Organisation eines Geschäftsprojektes beantwortet die Frage: Von wem wird zu welchem Inhalt und wie entschieden und kommuniziert? Organigramme beantworten diese Frage in der Regel nicht und sind deshalb meist eine Scheinlösung für das Organisationsproblem. Aussagekräftiger sind Tabellen zu Entscheidungskompetenzen und Kommunikationswegen. Im besten Falle regelt man nur Einschränkungen und Vorbehalte, gemäß des Prinzips des geringsten Eingriffs. Insgesamt sollte die Projektorganisation in den meisten Fällen als eine Dauer-Baustelle begriffen werden – das Grundprinzip ist, Festlegungen auf ein Mindestmaß zu beschränken und darüber hinaus gehende Regelungen so lange wie möglich hinauszuschieben. Projektteams tragen zum Erfolg von Geschäftsprojekten bei, indem sie eine breitere Wahrnehmung der Situation ermöglichen und Expertise effizient bündeln. Sie sollten deshalb als echte Teams, mit Teamgeist, arbeiten und sind insofern von Boxenstopp-Teams zu unterscheiden. Meist ist die Zusammensetzung des Gesamt-Projektteams jedoch zu instabil, um die Herausbildung von Teamgeist zu ermöglichen. Dann ist es sinnvoll, ein stabiles Kernteam zu bilden. Fünf Prinzipien, die die Bildung von Teamgeist unterstützen, sind: walk your talk; Man hüte sich vor Formalia; Große aber selektive Fehlertoleranz; Team-Integration über Aufgaben statt über Identität; Verständnis und Raum für Verschiedenheit. Die Herausforderungen bei der Aufwandsschätzung von Geschäftsprojekten bestehen darin, dass die erforderlichen Aufgaben meist nur teilweise und umrissartig bekannt sind, dass der für jede Aufgabe erforderlich Aufwand außerordentlich variabel ist, dass Zweckoptimismus herrscht und vorauseilender Gehorsam erbracht wird, und dass eine einmal genannte Zahl oft mehr als politische Bewertung des Projektes denn als Sachaussage über benötige Ressourcen verstanden und verwendet wird. Das erste Ziel für ein Verfahren der Aufwandsschätzung ist deshalb, überhaupt eine sachliche Auseinandersetzung zu unterstützen. Dafür empfiehlt es sich, Größenordnungen, Schätzwerte und berechnete Werte zu unterscheiden; kalkulierbare von unkalkulierbaren Elementen zu trennen; mit Aufschlägen zu arbeiten; und erfahrene und vorderhand unbeteiligte Fachleite heranzuziehen.
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
6
Den Zeitverlauf strukturieren
Projekte müssen ein Ende finden, während die Routine weiterläuft. Manche Projekte haben dabei einen zunächst unbestimmten Zeithorizont: Ob in einem oder in zehn Jahren – es kommt bei ihnen nur darauf an, ihr Ziel zu erreichen. Beispiele sind die Expedition des Kolumbus, oder das Projekt vieler rastloser Männer, sich zur Ruhe zu setzen, wenn die erste Million auf dem Bankkonto liegt. Den allermeisten Projekten allerdings sind feste Fristen für ihre Beendigung auferlegt. Zeitmanagement ist nicht umsonst eine Kerndisziplin der Projektführung. Die wissenschaftliche Disziplin des Operations Research hat denn auch meterweise Literatur zur Zeitplanung hervorgebracht. Methoden des Zeitmanagements gehören zu den am meisten angewendeten Projektmanagement-Techniken57. Dennoch klafft gerade im Hinblick auf das Zeitmanagement von Geschäftsprojekten oft eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Ablaufpläne sind oftmals durch zu viel Detail belastet und viel zu komplex in ihrem Aufbau. Sie werden nur noch von wenigen Eingeweihten verstanden. Vielfach stimmen sie auch einfach nicht. Viele Einzeltätigkeiten laufen nicht so schnell wie geplant, und Änderungen an der Zielstellung oder den erwarteten Ergebnissen des Projektes machen immer wieder neue Tätigkeiten erforderlich und andere überflüssig. Die Anpassung des Plans erfordert jedoch einen großen Aufwand und deshalb treten Wirklichkeit und Plan allmählich auseinander. Gleichzeitig sind viele Tätigkeiten eng miteinander verzahnt und so gerät die gesamte Zeitplanung nach und nach ins Rutschen, ohne dass ersichtlich wird, an welchen Stellen Plan und Wirklichkeit wieder in Übereinklang gebracht werden könnten. Ein wichtiger Grund für diese Malaise ist, dass die meisten Vorgehensweisen und Instrumente des Zeitmanagements für rein technische Abläufe entworfen wurden. Sie orientieren sich am Modell des Hausbaus: Die Be-
57
White 2002, Bell 2005
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6 Den Zeitverlauf strukturieren
tondecke zu gießen dauert drei Tage, diese trocknet in 23 Tagen, der Einbau der Fenster dauert 11 Tage. Abweichungen können genau erfasst werden. Geschäftsprojekte haben es jedoch gleichermaßen mit harten wie mit weichen Faktoren zu tun. Wie lange dauert es, bis die MarketingAbteilung sich zu einer Gruppierung der Kunden durchgerungen hat? Wie lange dauert es, bis beim Controlling genügend Informationen über ein Anliegen des Projektes vorliegen? Eine Antwort ist kaum vorhersehbar. Das Zeitmanagement von Geschäftsprojekten muss also grundsätzlich berücksichtigen, dass der erforderliche zeitliche Aufwand in vieler Hinsicht nur sehr ungenau geschätzt werden kann, selbst wenn die notwendigen Tätigkeiten im Prinzip alle bekannt sind. Hinzu kommt jedoch, dass man oft nur sehr unklare Vorstellungen darüber hat, welche Tätigkeiten überhaupt erforderlich sind. Diese Situation habe ich im vorausgegangenen Kapitel zur Aufwandsschätzung dargestellt. Schließlich besteht eine dritte Quelle von Unsicherheit für das Zeitmanagement darin, dass die wichtigen Termine für ein Geschäftsprojekt sich oft nur zum kleineren Teil aus der Abfolge der Projekttätigkeiten selbst ergeben, also intern bedingt sind. Im Gegenteil: Viele Fristen sind überwiegend extern bedingt, sie sind Vorgaben aus dem Projektumfeld. Diese Vorgaben sind ihrerseits wieder dynamisch und ändern sich oftmals, ohne dass auf die Ziele und Möglichkeiten des Projektmanagements überhaupt eingegangen wird. Oft genug sind dies Anforderungen aus der obersten Leitungsebene eines Unternehmens, die dazu führen, dass Meilensteine nach vorne oder hinten versetzt werden, ohne dass irgendeine operative Machbarkeitsbetrachtung angestellt worden wäre. Auch im Baugeschäft kennt man externe Fristen – wenn zum Beispiel der Wintereinbruch droht und man zum Betongießen auf frostfreie Tage angewiesen ist. Bei Geschäftsprojekten sind diese Vorgaben jedoch viel weniger absehbar und kommen oft aus heiterem Himmel. Zeitliche Projektplanung wird aufgrund dieser Erfahrungen von vielen Mitgliedern von Steuerungsgruppen zum Teil als eine Art schwarze Magie betrachtet und zum Teil als Beschwörungsritual, als Regentanz. Sie trauen sich nicht wirklich zu, den Zeitverlauf von Projekten zu steuern und flüchten sich in die halbherzige Unterstützung einer von vorneherein zum Scheitern verurteilten Planung, die mit der farbenreichen Darstellung prä-
6.1 Kairos und Chronos: Zeit haben wie die alten Griechen
151
ziser Details zu überzeugen sucht, während das Gesamtbild verschwommen ist. Oder aber sie nehmen sich die Freiheit, ihre Unsicherheit durch ungesteuerte Entschlusskraft zu überspielen. Projektleitungen werden so im Hinblick auf die Fristsetzung ihres Projektes immer wieder vom Zufall überrascht, oder zum Spielball persönlicher und politischer Interessen. Das muss jedoch nicht so sein. Im Folgenden stelle ich Vorgehensweisen und Werkzeuge vor, mit denen Projektleiter und Projektplaner eine flexible und belastungsfähige Zeitplanung auch für komplexe Geschäftsprojekte in einem dynamischen Umfeld hinbekommen.
Lesen Sie
wie man den gesunden Menschenverstand und unser natürliches Zeitempfinden wieder in die Projektplanung hinein bringt
wie man die Zeitplanung eines Projektes vor sich ändernden, potentiell Chaos stiftenden Vorgaben von außen besser schützt
welche Verlaufsmodelle zur Verfügung stehen, um je nach Grad und Art der Unsicherheit eine optimale Steuerung des Projektes zu ermöglich
welche Aufgaben eine Steuerungsgruppe hinsichtlich der Zeitplanung hat, und wie sie sie erfüllen kann.
6.1
Kairos und Chronos: Zeit haben wie die alten Griechen
Als ersten Schritt hin zu einem praxisgerechten Zeitmanagement sollten wir unseren Begriff von Zeit zu erweitern. Dazu greifen wir auf eine Vorstellung der alten Griechen zurück. Diese kannten zum einen den Chronos, die regelmäßig verlaufende Zeit. Diese Kalender- und Uhrenzeit hat sich zu einer Grundlage unserer industriellen Zivilisation entwickelt und spielt natürlich auch für Projekte eine entscheidende Rolle. Woche um Woche vergeht, mit jeweils sieben Tagen, und wenn ein Projekt nach einer be-
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6 Den Zeitverlauf strukturieren
stimmten Anzahl von Wochen und Tagen fertig sein soll, dann gilt dies – versprochen ist versprochen. Chronos-Zeit ist Zeit in Scheiben.58 Der andere Begriff der alten Griechen von der Zeit war der Kairos, der richtige Augenblick in der gefühlten Zeit. „Kairos hat im Griechischen eine umfassende Bedeutung, das Wort meint zunächst den entscheidenden Punkt, sachlich und zeitlich. … Kairos ist ein entscheidender Augenblick; wenn er gelingt, würde man vielleicht von wahrer Zeit sprechen. … In der hellenistischen Welt wird der Kairos zum Gott. … Das Glücken eines Tages liegt nicht in der Verfügungsmacht des Menschen. (Es) … ist ein Geschenk des Himmels. Unverfügbar ist der Kairos, weil er von sich aus kommt. (Somit wird) … unter Zeit nicht ein qualitätsloser, leerer Raum verstanden, sondern ein Zeitraum, der seine eigene Qualität hat.“ (Prof. Dr. Hans Weder, Universität Zürich)
In allen nicht-technischen Prozessen ist dies vielleicht die entscheidende Dimension der Zeit, und sie ist neben dem Chronos tief in unserer Kultur verwurzelt. Zu früheren Zeiten gab es im bürgerlichen Europa zum Beispiel die Vorstellung, dass der Erfolg eines Heiratsantrags wesentlich davon abhängt, ob er im richtigen Moment erfolgt. Einen im falschen Moment vorgetragenen Heiratsantrag kann eine wirkliche Dame gar nicht annehmen, egal was ihr Herz dazu sagt! Auch unser Expeditionsleiter Kolumbus war geschickt darin, den richtigen Moment zu treffen: Als er nach langen Jahren des unberechenbaren Wartens wieder einmal in die Nähe des spanischen Hofes gelangte, erfuhr er von der Niederschlagung der Mauren bei Granada. Nun endlich war der Moment gekommen, wo sich das Augenmerk der aufstrebenden Großmacht Spanien den Weltmeeren zuwendete, und wo gleichzeitig die Kasse des Hofes so leer war, dass man verzweifelt nach jeder Möglichkeit suchte, wieder zu Gold und Geld zu kommen!
58
Sehr schön erklärt bei Rämö 2002
6.1 Kairos und Chronos: Zeit haben wie die alten Griechen
153
Kolumbus (mit Maulesel) erreicht Granada und erfährt, dass die Mauren besiegt sind – sein Weg ist frei!
In der Politik sowie in der strategischen Unternehmensführung ist die wichtige Rolle des Kairos anerkannt – sei es als die Fähigkeit, den richtigen Moment in der unübersichtlichen Marktdynamik zu erkennen, sei es als Politik des Aussitzens oder der ruhigen Hand, sei es als Überraschungsmoment oder als window of opportunity. Auch für Geschäftsprojekte hat das Zeitmanagement beide Dimensionen, Chronos und Kairos. Chronos, die Zeit des Kalenders, treibt das Geschehen mächtig an. Tätigkeiten59 verbrauchen Zeit, und in ihrem Vergehen treibt das Projekt unerbittlich den gesetzten Fristen entgegen.
59
Die aus Sicht des Planers kleinste planerische Arbeitseinheit bezeichne ich als Tätigkeit. Ein anderer möglicher Begriff wäre Aktivität. Ähnliche Begriffe sind Vorgang und Arbeitspaket; diese haben jedoch in der Netzplantechnik beziehungsweise für Projektstrukturpläne eine feste Bedeutung, auf welche ich mich hier nicht notwendigerweise beziehe.
154
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Gleichzeitig jedoch gilt mit Kairos, dass sein Schicksal immer wieder auch durch Augenblicke bestimmt wird! Und ob dabei ein Moment richtig oder falsch ist, hängt meist von Faktoren im Umfeld eines Projektes ab. Eine Restrukturierung, die im zeitlichen Schatten vorheriger Veränderungen der Organisation läuft, hängt von deren Ruf ab – und wenn dieser schlecht ist, ist die neue Restrukturierung psychologisch schon in den Miesen, bevor sie überhaupt angefangen hat. Mehr zeitlicher Abstand würde in diesem Falle helfen. Ein Projekt zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit durch straffere Prozesse mag mit noch so guten Ergebnissen abschließen – wenn diese kommen, nachdem der Vorstand gerade eine neue Offensive zur Kundenorientierung durch mehr Freiraum und Flexibilität verkündet hat, kommen sie zur Unzeit, business case hin oder her.
Ebenso gibt es für die tagtägliche Projektarbeit zahllose richtige und falsche Augenblicke. Oft muss man warten, bis bestimmte Beteiligte zur Einsicht kommen, auch wenn der betreffende Sachverhalt eigentlich jedem klar sein sollte und im Nachhinein außer Frage steht. Jeder erfahrene Projektleiter weiß auch, dass die Erfolgschance eines Antrags auf ein Zusatzbudget sehr oft ganz entscheidend davon abhängt, ob er im richtigen Moment eingebracht wurde. Ein lieber Kollege sagte mir einmal den schönen Satz: „Sieh nur, manchmal ist langsamer schneller!“. Umgekehrt gilt aber auch oft, dass man Fakten schaffen muss, bevor eine Chance zerredet wird. Kurz und gut, die Vermittlung zwischen Kairos und Chronos, die Synchronisierung der Arbeits- und Kalenderzeit mit der erlebten Zeit und den richtigen Augenblicken ist eine der wichtigsten Aufgaben der Projektleitung! In der Sitzung des Steuerungsgruppe hat der Projektleiter Müller eine detaillierte Zeitplanung vorgelegt. Nach der Sitzung spricht er kurz mit seinem Chef Riedel, der in der Steuerungsgruppe auch den Vorsitz hat: Müller: „Ich hoffe, Sie waren mit den vorgelegten Planungsdokumenten zufrieden?“ Riedel: „Ja, sehr. Und, wie ich es Ihnen schon gesagt hatte: Es war sehr hilfreich, dass wir den November als Termin für die Inbetriebnahme genannt haben. Wahrscheinlich hätten wir sonst keinen Cent
6.1 Kairos und Chronos: Zeit haben wie die alten Griechen
155
gesehen. Aber mal unter uns: Was sehen Sie als einen realistischen Termin? Können wir mit dem neuen Jahr live gehen?“ Müller: „Ehrlich gesagt, im Moment habe ich keine Ahnung. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, die Norweger einzubinden – und ob das letztlich überhaupt nötig ist. Wenn wir davon einmal absehen, und wir keinen weiteren Konflikt mit IK13 bekommen, möchte ich es fast versprechen.“
Dass Verbindlichkeit in der Zeitplanung wie in diesem Beispiel im Wege informeller Absprachen geschaffen wird, ist natürlich gar nichts Neues – nur geschieht es eben bislang fast immer informell, sozusagen im Schatten der formalen Projektplanung. Für diese wird allerdings die Aussperrung des Kairos zum Problem. Die Folge dieser übertriebenen Rationalisierung, des Festhaltens an einem rein technischen, chronologischen Zeitbegriff ist die anfangs beschriebene, zunächst einfach zu sperrige und dann im Projektverlauf immer chaotischere formale Zeitplanung. Um dem Kairos wieder einen Platz in der formalen Projektplanung zu geben, muss neben der rein technischen Dauer von Verrichtungen auch die psychologische Wahrnehmung der Zeit, das Zeitgefühl in die Projektplanung einfließen. Dazu sprechen wir von
der Reife oder Unreife einer Situation oder einer Wahrnehmung
der Plötzlichkeit oder der Trägheit einer Entwicklung
dem richtigen oder dem falschen Moment. Projektleiter Müller bereitet Herrn Riedel auf eine spätere Steuerungsgruppensitzung vor: „Herr Riedel, ich habe die Lage überprüft und bin zum Schluss gekommen, dass wir mit dem neuen System im November zum falschen Moment auf den Markt kämen. Unsere wichtigsten Kunden sind dann in Jahresgesprächen und für ein neues Angebot überhaupt nicht zu haben. Außerdem wissen wir immer noch nicht, ob und wie wir Norwegen nun einbinden. Im Moment jedenfalls ist die Situation dafür noch nicht reif. Unsere Bereichsleiter wird Ende nächster Woche dort sein und uns seine Einschätzung mitteilen.“
156
6.2
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Zeitplanung – auch eine Verhandlungssache
Die Fristsetzung für Geschäftsprojekte folgt also einer anderen Logik als der für Infrastrukturprojekte.
Top down … Für Geschäftsprojekte ist es typisch, dass viele Meilensteine und andere Fristen einfach von außen gesetzt werden. Als der CEO eines großen deutschen Energieversorgers ausgewechselt wurde, nahm sich sein Nachfolger genau 100 Tage Zeit, um ein radikales Kostensenkungsprogramm durchzuführen. „Die Festlegung der IT-Architektur muss nun doch bis Juni abgeschlossen sein – denn man hört, dass der IT-Leiter im Herbst befördert wird und vielleicht schon eine ganze Zeit vorher keine Entscheidungen mehr treffen will.“ „Der Marktauftritt mit diesem Produkt muss spätestens bei der Herbstmesse erfolgen.“
Diese Terminvorgaben von außen variieren zudem oft selber im Projektverlauf, sie sind flexibel und unberechenbar. Oft lernen ja die Termingeber erst aus dem Projektverlauf, was sie eigentlich wann wollen. Ob solche Vorgaben im Hinblick auf die anstehenden Tätigkeiten machbar sind, spielt bei ihrer Bestimmung meist nicht die erste Rolle. Vielmehr drücken Sie einen Wunsch aus, hinter dem natürlich für den jeweiligen Termingeber wichtige und richtige Argumente stehen – und seine hierarchische Positionsmacht.
… meets bottom-up Im klassischen Projektmanagement wird Zeitplanung demgegenüber grundsätzlich nach einer bottom-up-Logik aufgebaut: Einzelne Tätigkeiten sind mit Zeitverbrauch verbunden, der über Tätigkeitenbündel und Unter-
6.2 Zeitplanung – auch eine Verhandlungssache
157
Phasen zu Phasen heraufgerechnet wird. Meilensteine markieren das Ende von Projektphasen oder Unterphasen und ergeben sich somit letztlich ebenfalls aus dem Zeitverbrauch unterliegender Tätigkeiten. Dies gilt, auch wenn für den Zeitverbrauch im Moment der Planung nur grobe Schätzungen vorliegen, die dann als Platzhalter für genauere Schätzungen oder Berechnungen dienen.
Zeitbedarf für das Projekt
Zeitbedarf für einzelne Tätigkeit
Welches ErgebnisNiveau soll erreicht werden? Welcher Aufwand ist erforderlich?
Erforderliche Tätigkeiten (ggfs. aggregiert)
Gibt es bessere Alternativen zum geplanten Vorgehen? Gibt es neue Vorgaben und Ziele für das Projekt?
Berechnung des Zeitbedarfs für Projekte im klassischen Projektmanagement (basierend auf Projektstrukturplan) und Gründe für Varianzen
Wie schon erwähnt, sind auch Bauprojekte nicht frei von äußerem Termindruck in der Form von Vorgaben von oben. Aber im Zieldreieck von Qualität, Kosten und Zeit ist die Zeit letztlich nur sehr begrenzt fungibel, denn die harte Wirklichkeit von Beton und Stahl liefert unbestreitbare Argumente. Zeitvorgaben von oben können bei diesen Projekten aus fach-
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6 Den Zeitverlauf strukturieren
licher Sicht im Hinblick auf ihre Machbarkeit überprüft und bestritten werden.
Fristen: Wir können immer darüber reden! Bei Geschäftsprojekten verfügen jedoch prinzipiell weder der Termingeber noch die Arbeitsebene – der Projektleiter – über die erforderlichen Informationen, um machbare Termine zu setzen, welche aus dem unterliegenden Aufgabenumfang abgeleitet werden. Wie schon beschrieben, können der für einzelne Tätigkeiten erforderliche Aufwand, der Umfang erforderlicher Tätigkeiten und letztlich ihr Kairos gar nicht definitiv im voraus bestimmt werden. Mehr noch: insoweit die von außen gesetzten Termine durch weiche Faktoren bestimmt werden, kann das Projekt diese Randbedingungen oftmals ganz entscheidend selbst beeinflussen. Es kann zum Beispiel eine Kampagne durchführen, um die Inbetriebnahme eines neuen Systems um Größenordnungen vorzuverlegen. Oder es kann, im Gegenteil, eine Benchmarking-Studie durchführen, um die Steuerungsgruppen von der Notwendigkeit einer Verschiebung eines Produktlaunch zu überzeugen. Eine nur bottom-up abgeleitete Terminplanung kommt hier in eine logische Schleife: Tätigkeiten mit einem bestimmten Zeitverbrauch definieren, wie viel Zeit ihnen zum Verbrauchen zur Verfügung steht. Somit bleibt uns für die allermeisten Geschäftsprojekte gar nichts anderes übrig, als ihre Zeitplanung als Verhandlungssache zu betrachten, bei der komplexe und in letzter Konsequenz unergründliche Argumente gegeneinander abgewogen werden – ähnlich wie für die Aufwandsschätzung und die Risikobewertung. Jede Position wird natürlich mit Sachargumenten zu überzeugen versuchen, aber eine Festlegung wird immer durch Vereinbarung erfolgen, und nicht durch den Klick auf den Knopf ‚Neu berechnen‘.
6.3 Verhandelt werden Etappen und Meilensteine
6.3
159
Verhandelt werden Etappen und Meilensteine
Vor diesem Hintergrund sollte ein Vorgehen für die Zeitplanung von Geschäftsprojekten es vor allem ermöglichen, dass die an der Zeitplanung Beteiligten wirksam und effizient miteinander verhandeln können! Es geht, plastisch gesprochen, nicht darum Recht zu haben, sondern darum, Recht zu bekommen. Eine weitere Anforderung ist, dass jeweils nur so viel festgelegt wird, wie für das weitere Vorgehen tatsächlich erforderlich ist. Denn ansonsten steigt der Änderungsaufwand unnötig an: Eine auf der Ebene von Tätigkeiten ansetzende Terminplanung ist meist zu schwerfällig, um Szenarien durchzuspielen und die sich ergebenden Änderungen nachzuhalten. Beide Anforderungen werden am besten erfüllt, wenn man eine grobe zeitliche Struktur des Projektes entwickelt und diese in den Mittelpunkt der Projektplanung stellt. Für die Zeitplanung eines Geschäftsprojektes eignet sich dafür seine Unterteilung in Etappen. Christoph Kolumbus wusste: Die erste Etappe seines Projektes würde darin bestehen, die Zustimmung eines Sponsors für die Projektidee zu bekommen und es damit offiziell zu beginnen. Die nächste Etappe würde darin bestehen, seine Schiffe auszurüsten, und die darauf folgende erste Reise zu bestehen. Er rechnete damit, dass weitere Fahrten notwendig sein würden, um sein Ziel schließlich zu erreichen.
Der Begriff der Etappe steht ganz nahe bei dem der Projektphase. In vielen Situationen wird es sinnvoll sein, Projektbeteiligte nicht mit einem neuartigen Sprachgebrauch zu überfordern, und man wird deshalb bei Phase bleiben wollen. Dennoch erscheint mir für Geschäftsprojekte der Begriff Etappe treffender. Der Begriff Phase kommt aus dem technischen Denken, man assoziiert damit eher gleichförmige Schwingungen und ein eher geregeltes Fortschreiten des Projektes. Der Begriff der Etappe hingegen, welcher uns von Expeditionen vertraut ist, lässt assoziativ noch sehr viel weiter offen, was kommt, also wie die nächste Etappe aussehen wird. Er entspricht damit – für mein Sprachempfinden – sehr viel mehr der Wirklichkeit von Geschäftsprojekten.
160
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Etappen und Meilensteine Die Zeitplanung eines Geschäftsprojektes sollte also mit einem ersten Entwurf für eine Etappenplanung beginnen. Jede Etappe wird mit einem Meilenstein abgeschlossen. Typische Abfolgen von Etappen sind:
M1
Anbahnung
M2
Vorbereitung
M3
Umsetzung
Typische Folgen von Etappen und Meilensteinen
Die Unterteilung in Etappen kann dann als Grundlage für weitere Vereinbarungen und insbesondere die weitere Beauftragungen des Vorhabens dienen. Sie ermöglicht es auch, Risiken besser zu erkennen und die Aufwandsschätzung zu präzisieren. Termin
Etappe
Meilenstein
28. Feb. 08
1. Anbahnung
Projektkonzept von Abteilungsleitungbefürwortet
30. April 08
2. Vorbereitung Entscheidungsträger
Konzept in Geschäftsführungs-Runde befürwortet
30. Juni 08
3. Vorbereitung
Erste Sitzung der Steuerungsgruppe
30. Sept. 08
4. Realisierung Europa
Abnahme Realisierung für Europa durch St.gruppe
21. Dez. 08
5. Realisierung USA und Abschluss
Abnahme Abschlussbericht durch St.gruppe
6.4 Projektverlaufsmodelle wählen
161
Lenkungsausschüsse sehen Etappen und Meilensteine In vielen Fällen widmen sich Lenkungsausschüsse von Geschäftsprojekten in zu großem Maße dem Detail: Sie diskutieren über Arbeitspakete und Tätigkeiten, während die wirklich wichtigen, projektstrategischen Fragestellungen an der Steuerungsgruppe vorbei zwischen Projektleitung und Projektpate ausgehandelt werden. Das mag im Einzelfall dem Projekterfolg zuträglich sein. Aber es stellt in vielen Fällen auch ein Risiko dar, wenn es nämlich unnötigerweise die politische Verankerung des Vorhabens durch den Lenkungssauschuss schwächt und ihn zudem davon abhält, sich mit wichtigeren Fragen zu befassen. Will man diesen Zustand ändern, so empfiehlt es sich, dem Lenkungsausschuss eine Planung von Etappen und Meilensteinen vorzulegen, und die Details in der Hinterhand zu behalten.
6.4
Projektverlaufsmodelle wählen
Projektverlaufsmodelle geben der Etappenplanung über die gesamte vorgesehene Projektlaufzeit hinweg eine gewisse Gestalt. Mit der Wahl eines Verlaufsmodells werden die Prinzipien die Arbeitsplanung für die jeweilige Etappe festgelegt. Zunächst stelle ich das am weitesten verbreitete Modell vor, den Wasserfall. Dieses Modell ist im mainstream des Projektmanagements fest verankert. Leider funktioniert es für Geschäftsprojekte oftmals nicht besonders gut. Seine schulbuchmäßige Anwendung führt zudem sehr oft zu einer Bürokratisierung der Projektdurchführung und, schlimmer noch, zu uninformierten und nicht selten sogar absurden Entscheidungen bei der Steuerung des Projektes. Dann stelle ich drei alternative Modelle vor, die für Geschäftsprojekte in vielen Fällen besser geeignet sind. Für diese Modelle gibt es keine einzelnen Quellen. Vielmehr habe ich sie unter Rückgriff auf entsprechende Diskussionen in der Produkt- und insbesondere der Software-Entwicklung selber in die hier vorliegende Form gebracht.
162
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Wasserfall
Lernzyklen
Etappen-Tore
Schrittweiser Aufbau
Vier Projekt-Verlaufsmodelle
6.5
Das Wasserfall-Modell
Das Wasserfall-Modell des Projektverlaufs ist so weit verbreitet, dass seine Darstellung im Balkendiagramm in den meisten Unternehmen überhaupt das sicherste Anzeichen ist, dass jemand an einem Projekt arbeitet. Es ist für nicht allzu komplexe Infrastruktur-Projekte auch vielfach bewährt. Das Wasserfall-Modell beruht allein auf der oben beschriebenen bottom-up Logik: Es werden alle erforderlichen Tätigkeiten beziehungsweise Arbeitspakete aufgelistet, und sie werden geordnet und zu Phasen zusammengefasst. Phasen ergeben sich in dieser Logik allein aus internen Bedingungen: Genau dann, wenn eine Phase ordnungsgemäß beendet ist, kann die nächste begonnen werden. Am Ende einer Phase steht ein Mei-
6.5 Das Wasserfall-Modell
163
lenstein, anlässlich dessen Erreichung der Projektfortschritt von der Steuerungsgruppe auf Planabweichung überprüft werden sollte. Planung und Ausführung werden getrennt. Dies hat zum Beispiel für Bauprojekte eine große Bedeutung: Man kann Fehler schon auf den Plänen entdecken und sie korrigieren – und das ist in der Regel viel billiger, als schon Gebautes wieder abzureißen! Das Projekt ist schon zu Beginn im Detail durchgeplant; die Arbeitsplanung kann von langer Hand vorbereitet, Material und Betriebsmittel können frühzeitig beschafft werden.
Wasserfall-Modell (Phasen & Meilensteine)
Voraussetzungen: Die Planung nach dem Wasserfall-Modell unterliegt einer Reihe von Voraussetzungen, die vor allem bei nicht allzu großen Infrastruktur-Projekten in der Regel auch gegeben sind:
die Projektidee und das Projektumfeld bleiben während des Projektablaufs stabil
das Projektziel kann zu Projektbeginn ziemlich genau spezifiziert werden und ändert sich im Prinzip nicht
die Steuerung des Projektablaufs kann sich allein nach der inneren Logik des Projektes richten; äußere Umstände spielen kaum eine Rolle
der erforderliche Arbeitsumfang sowie der Weg zum Erreichen der Projektergebnisse sind im Prinzip von Anfang an bekannt.
164
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Die wichtigsten Schritte, um die Projektsteuerung nach dem WasserfallModell vorzubereiten, sind:
Projektziel definieren
Projektphasen definieren (zum Beispiel: Anlaufphase, Vorentwurf, Detailplanung, Umsetzung1, Umsetzung2, Übergabe)
Ergebnisse für jede Phase sowie die dafür erforderlichen Arbeitspakete festlegen
wichtige Annahmen über das Projektumfeld festhalten.
Exkurs: Drei Krisen des Wasserfalls Das Wasserfall-Modell hat eine enorm große Akzeptanz bei Steuerungsgruppen, deren Mitglieder dieses Modell noch aus eigenen Schulungen zum Projektmanagement kennen. Zudem ist es leicht verständlich und hat sich bei vielen technischen Projekten bewährt. Was aber passiert, wenn Projekte nach dem Wasserfall-Modell gesteuert werden, ohne dass die dafür erforderlichen Bedingungen gegeben sind? Sie geraten zwangsläufig in die Krise. Dem einen oder anderen Leser mag folgendes Bild bekannt erscheinen: Planungskrise: Zu Beginn des Projektes können die Pläne vielleicht noch als halbwegs passables Modell der Wirklichkeit durchgehen. Im Projektverlauf stellen sich jedoch immer mehr der darin angenommenen Ursache-Wirkungsbeziehungen als bloß theoretisch oder als Wunschdenken heraus. Man will die Projekttätigkeiten einplanen, aber dies gleicht dem Versuch, den sprichwörtlichen Pudding an die Wand zu nageln. Dem Plan gelingt es weder, die Realität einzufangen, noch die meist unscharfen, aber sich rasch und tiefgreifend ändernden Erwartungen der Projektverantwortlichen. Ein typisches Symptom für diese Entwicklung sind umfangreiche Balkenpläne, die anfangs mit viel Ehrgeiz erstellt werden, aber dann zunehmen in den Hintergrund treten. Ab irgendeinem Punkt kalter Verzweiflung werden sie dann überhaupt nicht mehr gepflegt. Man gibt es auf und behilft sich mit Tabellen und Ablaufskizzen, welche aktuelle Querschnitte der Planung darstellen.
6.5 Das Wasserfall-Modell
165
Steuerungskrise: Der Lenkungsausschuss ist im Wesentlichen darauf eingestellt, den Projektverlauf entsprechend der vorliegenden Planung auf Abweichungen zu kontrollieren. Angesichts massiver Veränderungen im Projekt und in seinem Umfeld werden nun, zum einen, die Planabweichungen nach und nach immer größer. Man lernt dazu und will die Augen vor der Realität nicht verschließen. Wenn es nicht so geht wie geplant, dann eben anders. So werden neue Zwischen-, Neben-, oder Überziele erzeugt und man versucht, die Vorgehensweise entsprechend anzupassen. Der Plan ist jedoch zu unflexibel, der Änderungsaufwand zu hoch. Plan und Wirklichkeit laufen schließlich so stark auseinander, dass dem mit einzelnen Maßnahmen gar nicht mehr beizukommen ist. Gleichzeitig stellt die Mitglieder des Lenkungsausschusses fest, dass sie eigentlich viel tiefer einsteigen müssten, um der Planung wieder an die Wirklichkeit heranzuführen – ohne jedoch entsprechende Verfahren und Entscheidungsgründe an der Hand zu haben. Das Ergebnis ist tiefe Verunsicherung. In dieser Situation schwankt der Lenkungssausschuss zwischen einer rein bürokratischen Kontrolle durch Erbsenzählerei einerseits und einer abgehobenen und uferlosen Debatte über Strategie und Sinn des ganzen Vorhabens andererseits. Weiterführende und verlässliche Entscheidungen sind dabei eher die Ausnahme als die Regel! Falle der Binnenorientierung: Schließlich treibt die ausschließliche Verwendung der Planung nach dem Wasserfall-Modell die Projekte in eine selbst gestellte Falle. Die Planung beruht ja auf der Annahme, dass Meilensteine und Projektphasen sich jeweils aus der Planung der darunter liegenden Arbeitspakete ergeben (bottom up): Eine Projektphase ist abgeschlossen, und ein Meilenstein erreicht, wenn die dazu gehörigen Arbeitspakete erledigt wurden. Damit bleibt allerdings die Orientierung an den äußeren Umständen der Projektdurchführung auf der Strecke! Und so sind es dann natürlich die widrigen äußeren Umstände, die die schöne Projektplanung zunichte machen! „Was für ein Super-Projekt wir hätten, wenn es nur das Unternehmen nicht gäbe! (… wenn sich nicht die Strategie dauernd ändern würde; … wenn sich die Herren und Damen da oben einmal entscheiden würden; … usw. usf.).“ Solche Krisen lassen sich vermeiden, in dem man ein Verlaufsmodell zu Grunde legt, welches besser an die Bedingungen von Geschäfts-Projekten angepasst ist.
166
6.6
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Das Etappentor-Modell
Das Etappentor-Modell lehnt sich an den vielfach in der Produktentwicklung – zum Beispiel in der Pharmaindustrie oder in verschiedenen Varianten auch in der Automobilentwicklung – verwendeten stage gate life cycle an. Bei diesem Vorgehensmodell wird das Projekt durch eine vorab festgelegte Sequenz von Abnahme-Prüfungen geschickt (go/no-go decisions). Diese Prüfungen sind Meilensteine, welche den Übergang von einer Etappe in die nächste markieren.
Etappentor-Modell
In der Pharmaindustrie sind wichtige Etappen: Discovery, Development I, Development II, … In der Automobilindustrie sind die Meilensteine als ‚Monate vor Serienproduktion‘ definiert, z.B. 54, 48, 32 Monate vor Start of Production (SoP).
Im Unterscheid zum Wasserfall wird im Prinzip top-down geplant: Die Projektleitung bekommt enge Vorgaben vom Lenkungssauschuss, die von den spezifischen Projektinhalten weitgehend unabhängig sind. Prüfungsinhalte und Entscheidungskriterien sind bereichsweit festgelegt, sie kommen von außerhalb des Projektes. Dies bedingt, dass umgekehrt die Arbeitsplanung im engeren Sinne der Projektleitung überlassen bleibt. Somit sind auch die Planung und Durchführung von Tätigkeiten nicht notwendigerweise voneinander getrennt. Man kann die Projekttätigkeiten in jeder Etappe neu planen, oder sich gar von Abnahmeentscheid zu Abnahmeentscheid einfach durchwursteln – alles ist denkbar, solange das Projekt diese Etappen-Tore schafft.
6.6 Das Etappentor-Modell
167
Im Übergang von Etappe zu Etappe prüft man beim Wasserfall-Modell vor allem die Vollständigkeit und Normentsprechung der Leistungserbringung der jeweiligen Phase – was natürlich Sinn macht, wenn man wie beim Bau Stein auf Stein schichtet. Im Etappentor-Modell geht es hingegen um bestimmte Leistungen und die Qualität bestimmter Ergebnisse. Nehmen wir als Beispiel einen inhaltlich offenen Innovationsprozess, wie er in den frühen Etappen einer Produktentwicklung vorkommt. Dieser kann weitergeführt werden, auch wenn er neun von zehn Ergebnissen verfehlt hat – aber sich vielleicht beim letzten Ergebnis besonders große Chancen auftun.
Damit ist das Etappentor-Modell näher an der Wirklichkeit von Geschäftsprojekten, wenn für diese politische oder geschäftsstrategische und damit vorderhand projektexterne Überlegungen entscheidend sind. Auch ist die größere Freiheit, die die Projektleitung bei Planung und Umsetzung der einzelnen Arbeitsschritte hat, für die meisten Geschäftsprojekte sinnvoll. Voraussetzungen: Lenkungssauschüsse wollen anlässlich einer go/no-go Entscheidung nicht in eine Diskussion verwickelt werden, ob denn ihre Entscheidungsgrundlagen und -kriterien überhaupt die richtigen sind! Einsichten, die erst im Projektverlauf gewonnen werden, können deshalb nur in geringem Maße berücksichtigt werden. Insofern können die Steuerungsebene beziehungsweise das Unternehmen aus einem Projekt in seinem Verlauf a priori nichts für sich lernen. Wenn Lernen aus Projekten gewünscht ist, muss dies über andere Kanäle organisiert werden. Dass Etappentor-Modell setzt desweiteren voraus, dass die Etappentore beziehungsweise Meilensteine gut begründet und einigermaßen beständig sind, und dass sie von den Beteiligten in hohem Maße akzeptiert werden. Dies wiederum erfordert eine klare und glaubwürdige übergreifende Geschäfts-Strategie für den Themenbereich des Projektes. Schließlich hat der Lenkungsausschuss vorderhand keine Möglichkeit, auf einzelne Projekttätigkeiten durchzugreifen. Er muss also darauf vertrauen, dass die Projektleitung und das Projektteam von sich aus recht stark motiviert und fachlich kompetent sind, und dass sie sich dem Projekt im erforderlichen Umfang widmen können.
168
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Die wichtigsten Schritte, um die Projektsteuerung nach dem EtappentorModell vorzubereiten, sind:
Projektziel definieren
Etappen definieren, und für jeden Etappenübergang die Entscheidungskriterien für „go/no-go“ festlegen
Sitzungen und Aufgaben der Steuerungsgruppe frühzeitig festlegen.
6.7
Das Lernzyklen-Modell
Das folgende Modell habe ich aus Vorgehensweisen der agilen SoftwareEntwicklung abgeleitet. Agile Methoden wurden für Projekte entwickelt, bei denen die Anforderungen an ihr Ergebnis sich überhaupt erst im Verlauf der Arbeit klären. Einen großen Aufschwung erlebten sie Ende der neunziger Jahre bei der Entwicklung von Internet-Portalen für neue Geschäftsanwendungen. Hier gab es lange Zeit fast keine Vorbilder für die erhofften Produkte, jedes Projekt fing inhaltlich praktisch bei Null an. Mittlerweile ist die agile Softwareentwicklung so weit etabliert, dass zum Beispiel auch Microsoft darauf zurückgreift. Grundlegende Merkmale des Lernzyklen-Modells sind ein zunächst offener Aufgabenumfang und der Einbau von Lernschleifen in den Projektablauf.60 Im Mittelpunkt steht also ein gemeinsamer Lernprozess von Auftraggeber und Projektteam, der sich in einer ständigen Fortschreibung des Projektzieles und der erwarteten Ergebnisse niederschlägt. Dieser Lernprozess betrifft zum einen die Ebene der Meilensteine. Diese strukturieren das Projekt in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht. Sie zielen also zum Beispiel auch darauf ab, die richtigen Momente für das Hervorbringen von Ergebnissen zu finden. Von Meilenstein zu Meilenstein findet im Zusammenspiel zwischen Steuerungsgruppe und Projektleitung eine
60
Der entscheidende Unterschied zum echten ‚agilen‘ Vorgehen besteht darin, dass hier keine Zwischenergebnisse vorgelegt werden; dies ist aber beim agilen Vorgehen der Fall („working code at every iteration“)
6.7 Das Lernzyklen-Modell
169
grundsätzliche Überprüfung und gegebenenfalls Neuvereinbarung der Projektplanung statt. Unterhalb der Ebene der Meilensteine liegen die Zeitfenster (time boxes), die zwei bis maximal sechs Wochen lang sind. Auch hier wird gelernt, und zwar ebenfalls im Übergang von Zeitfenster zu Zeitfenster: Die Arbeitsplanung jedes einzelnen Zeitfensters wird erst zu dessen Beginn erstellt. Dafür werden neue Zielvorgaben aufgegriffen und es werden die zurückliegende Arbeit und ihre Planung analysiert und bewertet. Um nun die Arbeit des Projektteams vor Chaos durch ständig wechselnde Vorgaben zu schützen, bleibt es jedoch allein die Angelegenheit der Projektleitung und des Projektteams, wie die für ein Zeitfenster gesetzten Ergebnisse erreicht werden. Auch werden diese innerhalb des Zeitfensters nicht mehr geändert. Zeitfenster sind Zeiten der Ruhe, der Abgeschlossenheit von Steuerungseingriffen. Zudem versehen sie die Arbeit im Projekt mit einem gleichmäßigen Rhythmus.
Lernzyklen mit Meilensteinen, Lernschleifen, Zeitfenstern
Die beiden Arbeitsebenen unterliegen unterschiedlichen Logiken: Die Meilensteine zielen vor allem auf die Anpassung des Projektes an die äußeren Umstände, die Zeitfenster eher auf die Abschließung des Projektes von der Umwelt. Der strukturell angelegte Widerspruch zwischen Innenund Außenorientierung wird nicht aufgelöst. Vielmehr erarbeitet die Projektleitung in ihrer Vermittlungsrolle zwischen Team und Steuerungsgruppe für jeden einzelnen Meilenstein eine Vermittlungslösung, welche die Weiterarbeit ermöglicht. Dazu greift sie auf eine übergreifende Vision zurück, welche die Projektidee und seinen Begründungszusammenhang ver-
170
6 Den Zeitverlauf strukturieren
körpert. Aus dieser umfassenden Perspektive werden Lösungen für die jeweils auftretenden Widersprüche abgeleitet. Sprecher der Steuerungsgruppe zum Projektleiter: „Ich sehe einen Meilenstein im nächsten März. Dann steht die Auswertung der Vorjahresergebnisse an, und die Daten aus unserer Arbeit sollten in irgendeiner Form aufbereitet zur Verfügung stehen.“ (Anpassung des Projektes an äußere Anforderungen) Projektleiter: „So, wie es jetzt läuft, wird die Applikation, aus der diese Daten kommen, erst im Februar fertig werden. Wenn wir damit nur eine kleine Verzögerung erleben, kommt das Team wieder total unter Druck (Schutz des Teams vor der Umwelt). Außerdem könnten wir wahrscheinlich keine Qualitätskontrolle der Daten durchführen. Eine bessere Datenqualität ist aber eines der Ziele, warum der Vorstand das Projekt bewilligt hat – schließlich wollen wir uns genau dort vom Wettbewerb abheben (gemeinsame, übergreifende Vision). Ich schlage deshalb vor, dass wir im März nur zu den drei wichtigsten, ausgewählten Kennziffern Stellung nehmen.“
Voraussetzungen: Wie beim Etappentor-Modell ist der Lenkungsauschsuss darauf angewiesen, dass Projektleitung und Projektteam kompetent sind und tatsächlich im vereinbarten Maße zur Verfügung stehen. Die Einrichtung von Zeitfenstern ist sinnlos, wenn die Teammitglieder ständig aus der Projektarbeit herausgerissen werden. Schließlich ist das Projekt auf die laufende Fortentwicklung von Ziel und Meilensteinen angewiesen. Insofern sollten die Mitglieder des Lenkungsausschusses ein beständiges Interesse sowie die Entscheidungsbefugnis haben, im Rahmen der Diskussion von Meilensteinen das Projektziel zu konkretisieren. Eine detaillierte Darstellung der Arbeitsplanung im Rahmen eines Lernzyklen-Modells findet sich im nächsten Kapitel, im Abschnitt 7.5. Die wichtigsten Schritte, um die Projektsteuerung nach dem Lernzyklen-Modell vorzubereiten, sind:
Projektvision definieren
Meilensteine/Sitzungstermine der Steuerungsgruppe zeitlich festlegen
Sicherstellen, dass der Kunde oder der Projektsponsor an diesen Sitzungen teilnimmt
6.8 Das schrittweise Vorgehen
6.8
171
Projektteam aufstellen und regelmäßige und ungestörte Verfügbarkeit sicherstellen
Das schrittweise Vorgehen
Man kann darüber streiten, ob das letzte hier vorgestellte Modell den Namen Verlaufsmodell verdient, da es viel schlichter als die vorhergehenden ist: Man sieht eine unüberschaubare Aufgabe vor sich, setzt sich ein erstes Etappen-Ziel, das man glaubt schaffen zu können, und überlegt sich nach Erreichen dieses ersten Zieles, ob und wie man gegebenenfalls weitermachen will. Die Planung ist von Etappe zu Etappe in jeder Hinsicht weit offen. Zu Projektbeginn ist einzig klar, dass man mit einer Etappe die Gesamtherausforderung nicht abschließend bewältigen wird.
Das schrittweise Vorgehen
Der Sinn dieses Verlaufsmodells besteht im Wesentlichen darin, sich vor der Festlegung auf ein anderes zu schützen. Bei manchen Projekten können vorab weder detaillierte Ergebnisse noch die Vorgehensweise entschieden werden. Dies gilt zum Beispiel meist bei der Pilotierung eines neuen Geschäftsfeldes, oder bei der Befassung mit politisch sensiblen Themen. Für solche Projekte ist es das Beste, die Unsicherheit der Projekt-
172
6 Den Zeitverlauf strukturieren
durchführung anzuerkennen und das Projekt nicht in ein Verlaufsmodell pressen zu wollen, dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind!
6.9
Verlaufsmodelle und die Projektsteuerung
Die Steuerung des Projektverlaufs erfolgt bei allen Modellen zunächst einmal durch Entscheidungen über den Fortgang des Projektes von Etappe zu Etappe, also anhand der Meilensteine der höchsten Ebene. Das folgende Diagramm zeigt, wie Meilensteine durch die verschiedenen Verlaufsmodelle quasi hindurchgezogen werden können. Die Steuerungsgruppe beschäftigt sich mit den Meilensteinen, während die Auswahl und Umsetzung des entsprechenden Verlaufsmodells sowie die Arbeitsplanung von Etappe zu Etappe auf der Arbeitsebene geschehen. Dies bedeutet, dass sich ein Unternehmen keineswegs auf ein bestimmtes Vorgehensmodell festlegen muss, um eine einheitliche Projektsteuerung zu ermöglichen – solange sich die Steuerung im Wesentlichen auf diese Meilensteine bezieht. Das gleiche gilt auf der Ebene des einzelnen Projektes: Ist eine durch Meilensteine markierte Etappenstruktur vorgegeben, so kann für jede Etappe ein unterschiedliches Verlaufsmodell gewählt werden, ohne dass die Projektsteuerung umgestellt werden müsste.
6.9 Verlaufsmodelle und die Projektsteuerung
173
Steuerungsgruppe
Wasserfall
Lernzyklen
EtappenTore
Schrittweiser Aufbau
Meilensteine als gemeinsames Element der Verlaufsmodelle
Allerdings ändert sich der Gehalt der Entscheidungen, welche anlässlich des Übergangs von Etappe zu Etappe getroffen werden müssen.
Wasserfall: Kontrolle der Vollständigkeit der geplanten Leistungserbringung und Korrektur von Planabweichung
Etappentor-Modell: Kontrolle, ob qualitative Abnahmebedingungen, die sich aus übergeordneten Überlegungen ergeben, für die jeweilige Etappe erfüllt sind, Entscheidung über Zulassung zur nächsten Etapppe
Lernzyklen-Modell: Überprüfung und schrittweise Anpassung von Zielen und Zwischenergebnissen
174
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Schrittweises Vorgehen: Grundsätzliche Bewertung vorliegender Ergebnisse, Festlegung des weiteren Vorgehens.
Diese Auflistung hilft zu verstehen, warum Steuerungsgruppen so gerne das Wasserfall-Modell verwenden: Es erscheint zunächst einfacher, sich nur mit die Kontrolle der Vollständigkeit und der Korrektur von Planabweichungen zu befassen, ohne in inhaltliche Fragen einzusteigen. Bei den anderen Verlaufsmodellen ist es demgegenüber erforderlich, immer auch eine inhaltliche Position zu beziehen. Allerdings ist dies nur eine vordergründige Wahrnehmung: wie schon vorne dargestellt, gilt nämlich für die Praxis eher das Gegenteil. Die Arbeit mit dem Wasserfall-Modell wird zur Strapaze, weil Projektsteuerung und -planung sich in einer permanenten Krise befinden. Viel effizienter wird es, wenn man die Arbeit der Steuerungsgruppe von vorneherein auf sinnvolle und notwendige Entscheidungen richtet und die unvermeidlichen inhaltlichen Fragen geradeheraus angeht. Dies wird durch die Verwendung eines anderen Verlaufsmodells ermöglicht. Die folgende Tabelle fasst zusammen, unter welchen Voraussetzungen welches der Modelle am besten geeignet ist:
6.9 Verlaufsmodelle und die Projektsteuerung
175
Modell
Was ist festgelegt?
Was ist offen?
Wasserfall
das Ziel: Projektergebnis
(im Prinzip nichts)
der Weg: wie man das Projektergebnis erzielt EtappenTore
das übergreifende Ziel: Strategie/Programm welche EntscheidungsHürden das Projekt nehmen muss
wie die Phasenergebnisse im Detail jenseits der festgelegten ‚Hürden‘ aussehen der Weg: wie Ergebnisse erzielt werden
Lernzyklen
die Richtung, eine Produktvision die Organisation der Arbeit
anfänglich, wie das Projektergebnis im Detail aussieht die Arbeitsinhalte
Schrittweises Vorgehen
nur, dass man die nächste Etappe schaffen will
wie es weitergeht
Um das Zusammenspiel dieser verschiedenen Verlaufsmodelle darzustellen, wende ich es in einem Gedankenexperiment auf die Expedition des Kolumbus an: Die erste Etappe, die Anbahnung, dauerte von der Formulierung der Projektidee im Jahr 1484 bis zur Beauftragung durch Königin Isabella im Frühjahr 1492. Kolumbus verbrachte diese Zeit damit, bei den verschiedenen Königshöfen Europas vorzusprechen, auf Antwort zu warten und – ohne Zeitdruck oder Vorgaben – seine Kenntnisse der Geographie, der Navigation und der Seefahrt zu vervollkommnen. Tätigkeiten waren immer nur für kurze Zeiträume planbar – denn er musste jederzeit bereit sein, sich eventuell ergebende Gesprächsmöglichkeiten zu nutzen. Er konnte auch nicht für längere Zeit pausieren, denn es gab ja nie eine definite Absage oder Aussagen darüber, wann genau er mit seinem Projektvorschlag erneut vorstellig werden sollte. Die zweite Etappe umfasste nur wenige Monate: von Mai bis September 1492. In dieser Zeit plante Kolumbus die Durchführung so-
176
6 Den Zeitverlauf strukturieren weit als möglich im Detail und bereitete sie vor. Es ging darum, die Schiffe seetüchtig zu machen, also neu zu betakeln, eine Mannschaft zusammenzustellen und mit Proviant auszustatten. Die dritte Etappe, die Umsetzung, begann mit der ersten seiner vier Reisen nach Indien beziehungsweise Amerika. Die weiteren drei Reisen, die ja auch der Entdeckung ‚Indiens‘ dienten, könnte man ebenfalls zu dieser Etappe hinzurechnen oder aber als jeweils eigene Etappe werten. Hätte Kolumbus einen im Sinne dieses Kapitels geschulten Projektmanager dabei gehabt, hätte er wohl für die Planung und Steuerung seines Expeditionsprojekts auf verschiedene Verlaufsmodelle zurückgegriffen: Für die Anbahnung hätte er das Modell des ‚schrittweisen Vorgehens‘ verwendet. So verliefen die acht Jahre Vorbereitung, und kein ‚planvolleres‘ Vorgehen hätte die Dinge beschleunigen können. Als Königin Isabella grünes Licht für die Expedition gab, wurden die Schiffe in einem durchgeplanten und kontrollierten Prozess renoviert – für diese Etappe wäre Projektplanung mit dem WasserfallModell hilfreich gewesen. Für die ‚Seetüchtigkeit‘ eines Schiffes und die Versorgungsbedarfe der Mannschaft gab es nämlich Stan-
Reparatur eines Schiffes, um 1500
6.9 Verlaufsmodelle und die Projektsteuerung
177
dards der königlichen Marine. Auch die Verfahren zur Generalüberholung eines Schiffes waren fachlich normiert. Somit musste also nur eine Vielzahl bekannter Tätigkeiten in einer vorgegebenen Reihenfolge abgearbeitet werden. Als seine Schiffe die Hafenausfahrt von Palos passierten, hätte Kolumbus seine Balkendiagramme jedoch getrost über Bord werfen können. Für diese Etappe war wiederum ein anderes Vorgehensmodell gefordert. Kolumbus war jetzt auf hoher See, mit begrenzten Ressourcen und einem begrenzten Zeithorizont – denn er konnte genau so weit segeln, wie seine Wasservorräte es ihm erlauben würden. Wie schnell er vorankommen würde, konnte er in engen Grenzen beeinflussen: durch die Wahl des richtigen Kurses und der richtigen Besegelung. Er wusste aber nicht, wie viel Strecke er täglich im Verhältnis zur Gesamtstrecke zurücklegen würde. Es ging in dieser Phase vor allem darum, in einem durch vorgegebene Ressourcen begrenzten Aktionsraum hinzuzulernen und auf diese Weise die Fortsetzung der Expedition zu ermöglichen. Hier wäre eine Planung in Lernzyklen sinnvoll gewesen.
Anbahnung
Vorbereitung
1. Reise
2. Reise
Schrittweiser Wasserfall Aufbau Anwendung verschiedener Verlaufsmodelle auf die Expedition des Kolumbus
…
178
6.10
6 Den Zeitverlauf strukturieren
Zusammenfassung
Das Zeitmanagement und die Zeitplanung von Geschäftsprojekten sind anspruchsvoll und riskant. Dies äußert sich nicht allein in häufigen Fristüberschreitungen. Vielmehr finden wir viele Projekte, bei denen die Zeitplanung eher einen Regentanz, eine Beschwörung, darstellt, als dass sie den tatsächlichen Ablauf der Projekttätigkeiten ordnet. Das liegt schon allein daran, dass die formale Zeitplanung sich meist allein auf den Chronos, die in Scheiben verfügbare Kalenderzeit, stützt. Für die praktische Arbeit ist aber der Kairos, der richtige Moment, mindestens genau so wichtig. Die Zeitplanung des klassischen Projektmanagements gibt zudem der bottom-up Logik ein sehr großes Gewicht: Der Projektfahrplan wird aus der Dauer der unterliegenden Tätigkeiten hochgerechnet. Für Geschäftsprojekte sind jedoch top-down Vorgaben ebenso wichtig; ihre Zeitplanung muss so ausgerichtet sein, dass sie beide Perspektiven miteinander verknüpfen kann – meist sogar mit einer Betonung der top-down Perspektive. Die Zeitplanung für Geschäftsprojekte unterliegt einer enormen Unsicherheit über die Dauer von Tätigkeiten und darüber, welche überhaupt benötigt werden. Hinzu kommt, dass Geschäftsprojekte diejenigen Faktoren, aus denen zeitliche Vorgaben abgeleitet werden, meist auch selbst beeinflussen können. Im Ergebnis stellt sich Zeitplanung für Geschäftsprojekte – wie schon die Risikobewertung und die Aufwandsschätzung – als Verhandlungssache dar. Werkzeuge und Vorgehensweisen für die Zeitplanung sollten also vor allem anderen darauf ausgerichtet sein, eine sachgerechte Verhandlung von Zeitbudgets zu unterstützen! Dazu ist es sinnvoll, das Projekt zunächst in Etappen zu unterteilen, deren Übergänge durch Meilensteine markiert sind. Desweiteren ist es notwendig, neben das verbreitete Verlaufsmodell des Wasserfalls noch weitere Modelle zu setzen, welche in vielen Fällen der Charakteristik von Geschäftsprojekten besser entsprechen. Die wichtigsten alternativen Verlaufsmodelle sind das Etappentor-Modell (abgeleitet aus dem stage gate cycle), das Lernzyklen-Modell (abgeleitet aus der agilen SoftwareEntwicklung) und das Schrittweise Vorgehen (chunking). Diese Verlaufsmodelle folgen unterschiedlichen Logiken:
6.10 Zusammenfassung
Wasserfall: bottom-up, binnenorientiert und statisch
Etappen-Tore: top-down, außenorientiert und statisch
Lernzyklen: außenorientiert und dynamisch
Schrittweises Vorgehen: weitgehend offen
179
Lenkungsausschüsse sollten sich im besten Falle auf die Meilensteine konzentrieren, welche den Übergang von Etappe zu Etappe markieren. Dies gibt der Arbeitsebene die Möglichkeit, von Etappe zu Etappe dasjenige Verlaufsmodell zu wählen, welches der Unsicherheits- und Planungscharakteristik des Projektes am besten entspricht.
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
7
Arbeit pfiffig planen
Auf der Grundlage einer soliden Etappenstruktur kann nun für jede Etappe eine Ausplanung der Tätigkeiten erfolgen. Für Geschäftsprojekte bestehen dabei besondere Herausforderungen: Verständlichkeit: Die operative Umsetzung von Geschäftsprojekten ist ganz besonders auf Teamarbeit und die Abstimmung unter den Projektbeteiligten angewiesen. Diese können nur gelingen, wenn die Arbeitsplanung von allen verstanden wird. Auch muss zumindest gelegentlich der Steuerungsgruppe gegenüber verdeutlicht werden, was noch möglich ist und was nicht. Weil viele Inhalte und Begriffe neu sind und gleichzeitig meist ein großer Zeitdruck besteht, sind damit dem Umfang und Detaillierungsgrad der jeweils aktuellen Planungsdokumente enge Grenzen gesetzt. Flexibilität: Geschäftsprojekte sind durch einen häufigen Wechsel von Szenarien der Arbeitsplanung gekennzeichnet. Die Kosten einer Planänderung müssen so gering wie irgend möglich gehalten werden. Dies betrifft nicht nur die Dokumentation der Planung, sondern auch die operative Steuerung der Projektumsetzung und das Projektcontrolling. Robustheit gegenüber Unschärfe: Weiche Faktoren spielen eine große Rolle für den Projektfortschritt; sie lassen sich jedoch nicht eindeutig und trennscharf bestimmen. Insgesamt wird vielfach mit Begriffen gearbeitet, die für jeden Beteiligten etwas anderes bedeuten mögen. Die Arbeitsplanung muss hinlänglich robust sein, um durch diese Unschärfe nicht in Frage gestellt zu werden. Diese Anforderungen – große Verständlichkeit, hohe Flexibilität und Robustheit gegenüber Unschärfe – sind für andere Projektarten nicht gleichermaßen vordringlich. Arbeitsplanung mit klassischen Methoden ist für die Bewältigung anderer Herausforderungen entworfen worden: Im Mittelpunkt stehen dort technische Koordination (Die Fenster können erst eingebaut werden, wenn die Mauer steht!), Effizienz und die Absicherung standardisierter Qualitätsansprüche. Klassische Werkzeuge greifen deshalb
182
7 Arbeit pfiffig planen
bei der Planung von Geschäftsprojekten oft zu kurz oder führen in die falsche Richtung. Die Alternative sollte nun aber nicht lauten, die Werkzeuge hinzuschmeißen! Vielmehr kommt es darauf an, den Werkzeugkoffer zu vergrößern und Verfahren und Werkzeuge projektspezifisch anzupassen.
Lesen Sie
wie die Arbeitsplanung mit Ablaufdiagramm und Tätigkeitsliste erfolgt
welche vier Prinzipien die Arbeitsplanung leiten sollten
wie man die Projektlaufzeit mit der neuen Planungsmethode Kritische Kette bedeutend verringern kann
wie man ein Projekt nach dem Modell der Lernzyklen durchplant und eine wirksame Fortschrittskontrolle ermöglicht.
7.1
Ablaufdiagramm und Aufgabenliste
Das zentrale Dokument für das Zeitmanagement ist ein Ablaufdiagramm, welches auf einer Seite einen Gesamtüberblick über die wichtigsten Etappen, Meilensteine und Tätigkeiten liefert. Falls eine Seite im A4 Format nicht ausreicht, sollte eher auf A3 ausgewichen werden, als das Diagramm über mehrere Seiten zu verteilen. Es geht immer wieder darum, angesichts der hohen Komplexität und der manchmal überbordenden Dynamik vieler Geschäftsprojekte den Überblick zu behalten und diese Sicht auch jederzeit mitteilen zu können!61 In diesem Ablaufdiagramm sind die Etappen unterschiedlich detailliert ausgeplant, je nach Bedarf und zur Verfügung stehender Information. Abgebildet werden Meilensteine und Tätigkeiten(bündel), wobei die Darstellung sowohl auf einem Zeitstrahl erfolgt als auch thematisch gruppiert ist. 61
Vieles von dem, was in diesem Abschnitt folgt, ist nicht mehr als schon eingeführte gute Praxis – es findet sich aber trotzdem selten beschrieben.
7.1 Ablaufdiagramm und Aufgabenliste
183
Die Regel einer top-down Planung stellt sicher, dass der Überblick nicht verloren geht, und dass nur so viele Detailinformationen produziert werden, wie die Projektleitung auch tatsächlich verarbeiten kann. Zur Überprüfung der vorgeschlagenen Struktur wird es allerdings immer wieder sinnvoll sein, auch bottom-up gegenzurechnen: Wenn zum Beispiel für das Arbeitspaket Handbuch erstellen eine Laufzeit von vierundzwanzig Arbeitstagen angesetzt ist, wird man dies gelegentlich überprüfen wollen. Wie viele Seiten müsste das Team am Tag erstellen? Stehen die benötigten Mitarbeiter überhaupt zur Verfügung? Wie lange dauert es, die erforderlichen Informationen zu beschaffen? Zweifellos gilt für die Validierung der top-down Planung durch bottom-up Berechnungen und Vergleiche: je mehr, desto besser. Gleichzeitig sollte man daran festhalten, dass top-down das letzte Wort hat: Die Verantwortung für die Dauer von Maßnahmen trägt in diesem Zusammenhang nämlich die Projektleitung, und nicht das Team.
Ablaufdiagramm und Ressourcenbedarf Ressourcenbedarf und -verfügung sind im Ablaufdiagramm als Schätzwerte berücksichtigt. Wie im Kapitel 5.4 zur Aufwandsschätzung dargestellt, wird eine zentrale und detaillierte Ressourcenplanung schon dadurch behindert, dass man den pro Arbeitspaket oder Aufgabe erforderlichen Aufwand nur teilweise kennt, und dass Projektbudgets immer auch sehr stark von politischen Erwägungen gekennzeichnet sind. Statt also die Dauer von Arbeitspaketen aus der zentralen Ressourcenplanung heraus zu bestimmen, wird diese für jedes Arbeitspaket vorläufig durch die Projektleitung geschätzt, wobei natürlich wieder auch die Prüfung des richtigen Moments eine Rolle spielt. Bei Bedarf wird dann mit den Beteiligten eine gemeinsam als realistisch erachtete Dauer festgelegt.
Training & Vermittlung
IT-Lösung
Prozessdefinitionen
ThemenBereiche:
Etappen
3/08
IT-Grundlagen
11/08
Übergabe
10/08
Enw. 2
Roll-Out Training
Test
Test abgenommen
Leitfaden erstellen
Trainingsplan
Review LH
Entw. 1 Test-Spezif. Trainingskonzept
9/08
Umsetzung
8/08
Prozesse anpassen
7/08
Vergabe
Soll definiert
Ausschreibung Ausschreibung
Lastenheft
6/08
1. SG-Sitzung
5/08
Gap-Analyse
Soll
4/08
Ablaufdiagramm
Vorbereitung
Ok von ALs
Vorerfahrungen aufnehmen
PE einbeziehen
Business Case
2/08
Auftrag Vorbereitung von GL erteilt
1/08
Benchmark def.
12/07
Anbahnung
11/07
184 7 Arbeit pfiffig planen
7.1 Ablaufdiagramm und Aufgabenliste
185
Arbeitsplanung mit Aufgabenlisten Das grundlegende Werkzeug jeder Arbeitsplanung ist zunächst die Aufgabenliste (to-do list). Sie ist, unabhängig von der Größe des Vorhabens, das geeignete Mittel, um Aufgaben im Bereich der weichen Faktoren zu managen. Diese unterliegen nämlich dem Kairos (siehe 6.1) und können durch die allein chronologische Planung kaum sinnvoll erfasst werden. Beispielsweise heißt eine Aufgabe Zustimmung der Personalabteilung zur Durchführung des Strategiesymposiums einholen. Wie lange dauert so etwas? Es ist ganz offensichtlich, dass die Dauer dieses Arbeitspaketes von etlichen Faktoren beeinflusst wird, die nur teilweise vom Projekt gesteuert werden können. Wahrscheinlich dauert die Zustimmung genau drei Minuten, wenn der Vorgesetzte des Abteilungsleiters bei ihm anruft. Unter anderen Umständen – und sei es familiärer Ärger der betreffenden Person – kann es drei Monate dauern. Frau Rechts kann das volle Qualitätscheck-Programm mit der Abteilung IT-Methoden innerhalb von zwei Tagen abwickeln. Sie hat das schon oft gemacht und ihr traut man das zu. Herr Links müsste wahrscheinlich zwei Wochen dafür einsetzen.
Welche Umstände wichtig sind und vorliegen, merkt man erst, wenn man an der Aufgabe arbeitet. Es ist ja nicht immer sinnvoll, jemanden um Auskunft zu bitten, ob er nächste Woche schlechte Laune haben oder ob er sich auf ein pragmatisches Vorgehen einlassen wird! Ein anderes Beispiel: Die Aufgabe heißt Umsetzungs-Konzept im Licht der Erfahrungen mit dem Vorgängerprojekt überarbeiten. Hier ist Kreativität gefragt, und womöglich noch eine Abstimmung der eigenen Ideen im Kreise des Projektteams oder mit dem Projektsponsor. Auch ist nicht klar, was denn überhaupt die Kriterien für eine befriedigende Lösung sind. Tut mir leid, ich weiß nicht, wann wir einen präsentablen Vorschlag haben werden. Wir brüten hier schon seit Tagen über einer Lösung, wie wir das Trainingsprogramm so gestalten, dass auch die Abteilung XY ihre Thema Z berücksichtigt sieht. Bis jetzt haben wir noch keine zündende Idee gehabt, das passt irgendwie nicht zueinander. Vielleicht morgen?
186
7 Arbeit pfiffig planen
In beiden Fällen ist anfänglich allenfalls eine grobe Aufwandsschätzung möglich. Wenn die Verhältnisse sich klären und die Arbeit voranschreitet, kann oftmals die Planung präzisiert werden – manchmal aber auch nicht! Das beste Mittel, um diese Arten von Tätigkeiten zu planen und zu kontrollieren, ist also eine einfache Aufgabenliste. Führt man diese in einem Tabellenkalkulationsprogramm, so kann man von dessen umfangreichen Sortier- und Formatierungsfunktionen Gebrauch zu machen. Aufgabenliste und Ressourcenplanung: Trotz der genannten Unwägbarkeiten ist es in vielen Fällen sinnvoll, eine Spalte geschätzter Aufwand einzufügen. Hier wird es in den allermeisten Fällen um Größenordnungen gehen, und nicht um eine präzise Detailplanung. So kann die Projektleitung zumindest einen ungefähren Überblick bekommen, wie viel Projektarbeitszeit für diese in der Aufgabenliste erfassten Tätigkeiten einzuplanen ist und verbraucht wird. Sind Aufgaben individuell zugewiesen, so kann man mithilfe dieser Spalte für jeden Projektmitarbeiter zumindest einen Eindruck gewinnen, inwieweit er ausgelastet ist. Wo die Unternehmenskultur es erlaubt oder sogar vorschreibt, dass Mitarbeiter ihre für das Projekt eingesetzten Arbeitsstunden detailliert abrechnen, kann natürlich auch die Planung dieses Arbeitsaufwandes noch präziser werden. Aufgabenliste als Ideenspeicher und für die Ordnung nach Dringlichkeit: Aufgabenlisten können auch die Funktion haben, Anregungen, was man noch alles tun könnte, zu speichern. Gerade Geschäfts-Projekte sind ja oft dadurch gekennzeichnet, dass viele Wege nach Rom führen, und vorderhand alle gleich lang erscheinen. Eine Hauptaufgabe der Projektleitung besteht dann darin, mögliche Aufgaben aufzuspüren, zu bewerten und nach Prioritäten und Durchführbarkeit zu ordnen. Im einfachsten Falle geschieht dies, in dem man eine Spalte Priorität hinzufügt.
7.1 Ablaufdiagramm und Aufgabenliste
187
Aufgabenliste
20.11.07
Themenbereiche: Prozessdefinition, IT-Lösung, Training & Vermittlung, Allgemein Themenbereich
Aufgabenbeschreibung
Verantw.
Zuarbeit
Fälligkeit
Erledigt (Datum)
Allgemein Budget: Verfügbarkeit Sondermittel klären
B
01-Nov-07
Allgemein Team: Vorschlagsliste erstellen
A
C
06-Nov-07 09-Nov-07
Allgemein Budget: Entwurf Budgetschätzung
B
C
03-Dec-07
IT
Vorerfahrungen: Nutzer für Umfrage festlegen
D
A
01-Nov-07
IT
Vorerfahrungen: ALs wegen Umfrage kontaktieren
A
06-Nov-07 09-Nov-07
IT
Vorerfahrungen: Fragen festlegen und Umfrage-Tool einrichten
D
B,C,A 07-Nov-07 10-Nov-07
Prozess
Business Case: Muster vorhanden?
A
B
05-Nov-07 08-Nov-07
Prozess
Business Case: Mit Finanzbereich Vorgaben klären
C
A
15-Nov-07
Prozess
Benchmark: Interne Benchmark vorschlagen
C
B
15-Nov-07 13-Nov-07
Prozess
Business Case: Datenerhebung der Prozesskosten durchführen
C
18-Nov-07
Prozess
Benchmark: Workshop mit Controlling
C
20-Nov-07 20-Nov-07
Prozess
Benchmark: DatenbankRecherche
C
21-Nov-07
Prozess
Benchmark: Beraterfirma konsultieren
C
03-Dec-07
Training
PE einbeziehen: Kontaktpersonen pro Bereich identifizieren
A
B,C
08-Nov-07 19-Nov-07
Training
PE einbeziehen: Anknüpfung an Jahresprogramm klären
A
C
10-Nov-07 13-Nov-07
Training
PE einbeziehen: AL-Vorlage erstellen
A
C
12-Nov-07 12-Nov-07
Eine Aufgabenliste, die nach Themenbereich, Verantwortlichkeit und Datum sortiert werden kann
188
7.2
7 Arbeit pfiffig planen
Vier Prinzipien für wirksame Arbeitsplanung
In vielen Unternehmen geistert noch die Vorstellung herum, dass eine gute Arbeitsplanung sich durch eine umfassende und detaillierte Beschreibung aller Aufgaben und ihres Zeitbedarfs auszeichnet. Nach dem vorher Gesagten dürfte es klar sein, dass dies keineswegs so ist. Vielmehr ist das vordringliche Ziel der Arbeitsplanung, die Komplexität der Umsetzung beherrschbar zu machen – was in den meisten Fällen mit immer ausführlicheren Listen nicht zu machen ist. Eine komplexitätsgerechte Arbeitsplanung von Geschäftsprojekten sollte den folgenden vier Prinzipien folgen:
Optimale Einfachheit Zunehmende Komplexität ist eine grundlegende Erfahrung für die meisten von uns, gerade auch in der Arbeit mit Geschäftsprojekten. Dahinter stehen die Zunahme der Bedeutung der weichen Faktoren; der internen und externen Vernetzung der Unternehmen; ihrer Größe und der Reichweite ihrer Tätigkeit, und ein zunehmender Zeitdruck, der Abklärung immer weniger ermöglicht und zu immer risikoreicherem Handeln zwingt. Heutzutage gilt für immer mehr dieser Projekte, dass sie mit einem mechanistischen Verständnis, welches auf die Beherrschbarkeit der Vorgänge abzielt, nur noch in Ausnahmefällen zu managen sind. Erfolgreiche Leiter von Geschäftsprojekten leben in der Grundannahme, dass die Welt, das Unternehmen und die vor ihnen liegende Aufgabe im Prinzip unendlich komplex sind. Optimale Einfachheit besagt, dass man diese Komplexität anerkennt, aber gleichzeitig gar nicht versuchen sollte, die ganze Welt, das ganze Unternehmen oder das ganze Projekt in allen seinen Dimensionen zu steuern. Vielmehr muss das Projektmanagement sich auf wenige, Erfolg versprechende Faktoren und Ansatzpunkte konzentrieren. Die Kunst der Planung besteht somit zu einem großen Teil darin, Dinge weg- und auszulassen. Insofern gilt zum Beispiel: Je weniger Tätigkeiten definiert werden, umso besser!
7.2 Vier Prinzipien für wirksame Arbeitsplanung
189
Worauf es wirklich ankommt, kann anhand von zwei Prüffragen erkannt werden:
Sind die Projektleitung beziehungsweise das Projekt einflussreich genug, diesen Sachverhalt zu gestalten?
Ist eine Steuerung tatsächlich erforderlich, weil das Projekt ohne den Steuerungseingriff in die falsche Richtung laufen würde?
Nur wenn diese beiden Fragen bejaht werden, ist es sinnvoll, die entsprechenden Tätigkeiten detailliert einzuplanen. Soll in der Projektplanung die Aufgabe Abteilungsleitung XY einbeziehen auftauchen oder nicht? Wenn die Abteilungsleitung XY sowieso nicht auf das Projektmanagement hören würde (Frage 1), gehört die entsprechende Notiz gegebenenfalls in die Risikoliste – in der Arbeitsplanung hat sie jedenfalls nichts zu suchen. Wenn sie hingegen sowieso mitziehen würde (Frage 2), kann ihr Einbezug mit anderen Tätigkeiten zusammengefasst werden. Um das Notwendige zu tun ist so viel Detailwissen gar nicht erforderlich. Wie weit soll vorausgeplant werden? Auch hier gilt: Nur soweit, wie das Projektmanagement damit wirklich einen Unterschied für andere Beteiligte macht, und soweit eine echte Gefahr besteht, dass die Dinge anders laufen könnten. Dies alles mag an dieser Stelle, als Handbuchwissen, trivial klingen. In der Praxis ist es das aber keineswegs: Ein wirklich ganz typischer Fehler der Projektplanung besteht darin, die Projekttätigkeiten am Anfang viel zu detailliert, zu langfristig und zu breit zu planen, nur um dann zu einem späteren Zeitpunkt das Planungskinde mit dem Bade auszuschütten und sich einem eher planlosen Durchwursteln (muddling through) zuzuwenden! Diesem Fehler liegt, wie beschrieben, der Versuch zugrunde, steigende Komplexität allein durch steigende Detaillierung in den Griff zu bekommen.62 Ein weiterer Grund, warum Projektpläne in der Praxis oft viel zu detailliert sind, rührt gar nicht aus der Arbeitsplanung im engeren Sinne. Vielmehr geht es dabei um das Risikomanagement. Mit einer sehr detaillierten 62
Dies ist die kardinale Schwäche des klassischen Projektmanagements im Umgang mit Komplexität; vgl. die Texte von Schwaninger et al. zu einem systemtheoretisch orientierten Management (Managementkybernetik).
190
7 Arbeit pfiffig planen
Planung will der Projektmanager sich und anderen beweisen, dass er an alles gedacht hat, dass also keine unvorhergesehenen Probleme auftauchen sollten. Das dahinter liegende Prinzip ist richtig: Man sollte alles einmal genau durchdacht haben, um mögliche Risiken abschätzen zu können. Der Fehler ist dann aber, diese eigentlich zur Risikoeingrenzung gedachte geistige Übung als Arbeitsplan zu verwenden! Richtig ist es, beides voneinander zu trennen: für die Arbeitsplanung nur einen schlanken Plan nach dem Prinzip der Optimalen Einfachheit zu nehmen, und das detaillierte Durchdenken von risikobehafteten Arbeitspaketen in die Risikoanalyse einfließen zu lassen.
Technische und psychologische Aufgaben berücksichtigen In vielen Geschäfts-Projekten gibt es beides: technische und psychologisch ausgerichtet Aufgaben. Technische Aufgaben sind zum Beispiel, eine neue Applikation sowie die nötige Hardware zu entwickeln, zu beschaffen und zum Laufen zu bringen. Psychologische Aufgaben bestehen dann darin, die Anwender auch dazu zu bringen, die Applikation sinnvoll zu nutzen, und hergebrachte Prozesse zu verändern. Wie können diese technischen und psychologischen Aufgaben aus einer Hand geplant werden? Meist werden die psychologischen Aufgaben einfach ignoriert. Das ist erkennbar falsch und in vielen Fällen nur aus der Not geboren. Liegt der technischen Arbeitsplanung ein Wasserfall-Modell zugrunde, so ist es auch keine gute Idee, die psychologischen Arbeitspakete einfach in die technische Arbeitsplanung mit dem Balkenplan zu integrieren. Dies würde in die technische Planung zu viel Unruhe und Unzuverlässigkeit hinein bringen. Besser ist es in diesen Fällen, den technischen Arbeitsablauf mit dem Balkenplan zu managen, die psychologische Seite jedoch mit Aufgabenlisten, und beides auf der übergeordneten Ebene, bei der Planung der Meilensteine, aufeinander abzustimmen! Falls Situation und Aufgaben dies erlauben, kann man natürlich auch insgesamt auf die Arbeitsplanung nach dem Lernzyklen-Modell zurückgreifen, welche psychologische und andere weichen Faktoren problemlos mit berücksichtigt.
7.2 Vier Prinzipien für wirksame Arbeitsplanung
191
Vom Ergebnis zum Plan, und von außen nach innen denken Oft folgt unser Denken über Projekte der Logik der stofflichen Produktion: Erst wird umfassend geplant, dann werden Materialien beschafft und nach Plan zu Vor-Produkten verarbeitet, diese werden wiederum entsprechend der Vorausplanung endgefertigt und schließlich in die Welt gesetzt. Die Logik ist: vom Plan zum Ergebnis und von innen nach außen. Wie sollte es in der stofflichen Produktion auch anders sein? Auf die meisten Geschäfts-Projekte passt diese Logik jedoch nur mit Einschränkungen, und in einigen Fällen überhaupt nicht. So kann der anfängliche Plan ja in der Regel nicht eingefroren worden. Vielmehr wird er parallel zur Durchführung ständig weiterentwickelt. Die Vorteile einer Vorausplanung können dann kaum oder gar nicht realisiert werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Zwischenprodukte angefertigt werden, bei denen sich erst zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass sie vom gedachten Nutzer nicht gewollt waren: So entstehen Planungsruinen. Wirksamer und effizienter ist es in vielen Fällen, für die detaillierte Planung einzelner Tätigkeiten die vorliegende Grobplanung erst einmal hintan zu stellen. Als gedanklichen Ausgangspunkt wählen wir stattdessen Ergebnisse, welche für bestimmte Beteiligte einen konkreten Nutzen haben. Die Ausplanung besteht dann in der Suche nach einem Kompromiss zwischen der Bedienung dieser immer nur aktuell erfragbaren Anforderungen und Bedürfnisse der Projektbeteiligten (außen – innen) und einer Detaillierung des Gesamtplans (innen – außen). In einem Unternehmen soll eine neue Software eingeführt werden. Die ersten Planungen sehen dabei immer nur ein umfassendes Tätigkeitsbündel ‚Hilfe-System‘ (user support) vor, ohne dass näher bestimmt wurde, wie diese Hilfe angeboten wird: ob im Programm, über Telefon, oder über das Intranet. Statt nun das Projektteam im Rahmen der Feinplanung eine für dieses ‚unterspezifizierte‘ Tätigkeitsbündel eine technische Lösung entwickeln oder gar festschreiben zu lassen (innen – aussen), wurde dessen weitere Auflösung mithilfe einer Umfrage unter Nutzern vorangetrieben (aussen – innen). Diese wurden zu ihren Erfahrungen mit der alten Software und ihren Wünschen und Vorschlägen hinsichtlich eines Hilfe-Systems für die neue Software befragt. Daraus resultierte ein Kompromiss, in dem einige bislang nicht erkannte Be-
192
7 Arbeit pfiffig planen dürfnisse der Nutzer umgesetzt wurden, ohne die Architektur der Software zu gefährden.
Desweiteren ist überhaupt die Vorstellung, dass alle Tätigkeiten im Projekt aus einem zentralen Tätigkeits-Plan heraus angestoßen und kontrolliert werden, für viele Geschäftsprojekte nur bedingt tauglich. So liegen viele der für eine detaillierte Arbeitsplanung erforderlichen Informationen gar nicht an zentraler Stelle vor, und sie dort hinzubringen wäre extrem aufwändig. Der Projektmanager kann zudem oft mit dem Spezialwissen seiner Fach- und Verbindungsleute im Projektteam gar nicht mehr mithalten – ob es um die Konfiguration von Datenbanken, die Urheberrechte für Software, oder um die Befindlichkeiten einer wichtigen Abteilung in Kanada geht. Schließlich wären die Projektleiter in vielen Projekten schlichtweg überlastet, wenn sie versuchen würden, die vielen, oft hochgradig komplexen und dabei sich gleichzeitig ständig ändernden diversen Tätigkeiten der Teammitglieder detailliert in einen zentralen Projektplan einzubauen. Eine detaillierte Gesamtplanung der Tätigkeiten zu entwickeln erscheint somit vielfach gar nicht erforderlich. Geeigneter ist meist eine dezentral angesetzte Arbeitsplanung. Dabei plant einerseits jeder Tätigkeitsverantwortliche für sich selbst. Andererseits ist es die Aufgabe der Projektleitung, den Tätigkeitsverantwortlichen klare Zielvorgaben und einen gemeinsamen konzeptionellen Rahmen zu geben sowie Schnittstellen zu identifizieren und dort auftauchende Probleme zu lösen. Im Hinblick auf einzelne Tätigkeiten richtet sich das Interesse der Projektleitung also vor allem auf die Fragen, welche Risiken und Chancen für das Vorhaben sich mit einzelnen Tätigkeiten verbinden, wie mögliche Schnittstellen gehandhabt werden, und welche Rückwirkungen diese Tätigkeiten auf das Gesamtprojekt haben.
Fehler-Frühwarnsystem und Verbesserungsreserve Ausgangspunkt für ein weiteres wichtiges Prinzip ist die schon erwähnte und bekannte Tatsache, dass die Kosten der Fehlerbeseitigung im Projektverlauf meist überproportional steigen: Ein Fehler, den man im Planungsstadium für 200 Euro berichtigen kann, kostet in der Umsetzungsphase
7.2 Vier Prinzipien für wirksame Arbeitsplanung
193
leicht 2 000 oder sogar 20 000. Hinzu kommen zwei sehr interessante Beobachtungen:
Wenn Projekte Neuerungen zum Gegenstand haben, sind Fehler und Planänderungen wirklich sehr häufig; Nachbesserungen und Änderungen (rework) können leicht 40–60% der tatsächlich aufgewendeten Arbeitszeit in solchen Projekten ausmachen!63
Ein großer Teil des Nachbesserungs- und Änderungsaufwands entsteht dadurch, dass der Bedarf dafür erst zu einem späten Zeitpunkt erkannt wird. Zum einen sind, bildlich gesprochen, die Steine schon verbaut. Zum anderen sind diese mit so vielen anderen Bauteilen verbunden, dass ein kleiner Fehler hier zu einem großen Änderungsaufwand dort führen kann. Es sind die zu spät bemerkten Fehler und die falsch gestellten Aufgaben, die den Nachbesserungs- und Änderungsaufwand so in die Höhe treiben!
In der Praxis bedeutet dies, dass Projektplanung sich darauf einstellen muss, dass ein bedeutender Anteil der Aufgaben erst im Projektverlauf definiert werden kann – nämlich als Fehlerbeseitigungs- und Änderungsaufwand. In einem Routineprojekt sind dies vielleicht 10%, in einem Innovationsprojekt eher 30 bis 50%. Ebenso bedeutend ist die Schlussfolgerung, dass die Projektleitung angehalten ist, Fehler und Änderungsbedarf so früh wie irgend möglich zu erkennen. Je nach gewähltem Verlaufsmodell heißt dies:
Zwischenergebnisse so früh wie möglich herausbringen und von vielen Beteiligten prüfen lassen
Tests und gesonderte Qualitätsprüfungen sollte man vergleichsweise aufwändig betreiben – insbesondere in den frühen (!) Phasen des Projektes
Die Schlussphase eines Projektes sollte im Hinblick auf die reine Arbeitszeit sehr luftig geplant sein – es sollte dort noch viele Reserven für Nachbesserungen und Änderungen geben. Wer sich hier zu viel vornimmt, dessen Zeitplanung wird in einem sich selbst verstärkenden Strudel von eiligen und schlecht gemachten Nachbesserungen und Änderungen untergehen!
63
Vgl. Cooper 1998 zum „Rework Cycle“
194
7.3
7 Arbeit pfiffig planen
Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
Beruht das Zeitmanagement für ein Projekt oder eine Projektetappe auf dem Verlaufsmodell Wasserfall, so lohnt es sich unbedingt, dafür die Methode der Kritischen Kette (Critical Chain) zu nutzen. Mit dieser können Projektlaufzeiten gegenüber einem traditionellen Vorgehen regelmäßig um 20 bis 30% verkürzt werden. Gleichzeitig sinkt der Aufwand für das Projektmanagement, und es sind keine weiteren Investitionen erforderlich. Die Kritische Kette ist vergleichsweise neu, und noch liegen keine statistisch verwertbaren Erfahrungen mit ihrer Einführung vor.64 Aber selbst in einer kanonischen Schrift des klassischen Projektmanagements wie dem Buch Projektmanagement von Harold Kerzner wird in der neuesten Auflage von 2003 festgestellt, dass „… bei Unternehmen, die die Critical-Chain Methode anwenden, … in der Regel mehr als 95 Prozent der Projekte zum geplanten Endtermin abgeschlossen werden.“65
In diesem Abschnitt zeige ich, dass bei diesem erstaunlichen Ergebnis weder Magie noch psychologische Tricks im Spiel sind, sondern vor allem gesunder Menschenverstand. Nicht zuletzt deshalb verträgt sich die Projektsteuerung mit der Kritischen Kette auch sehr gut mit den im vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Prinzipien der Arbeitsplanung. An einem Beispiel stelle ich zunächst die Anwendung der Kritischen Kette vor und ordne sie dann in das übergreifende Zeitmanagement ein, welches ja Gegenstand des vorhergehenden Kapitels 6 Den Zeitverlauf strukturieren ist. Dies sollte genügen, um Ihnen in einem nicht allzu großen Vorhaben die Anwendung der Kritischen Kette zu ermöglichen. Im nächsten Unterkapitel 7.4 vergleiche ich diese dann mit dem traditionellen Zeitmanagement.
64 65
Goldratt 1997; siehe auch Kapitel 11 mit weiteren Lesetipps Kerzner 2003, S. 749; man möchte hinzufügen: dieses Ergebnis ist wahrscheinlich nicht allein der neuen Projektmethode, sondern auch einer verbesserten Projektkultur in diesen Unternehmen geschuldet.
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
195
Ein Projekt mit der Kritischen Kette planen und steuern In diesem Abschnitt erläutere ich, wie ein Projekt mit der Kritischen Kette geplant und gesteuert wird.
Die Kritische Kette: Sieben Schritte 1. Netzplan erstellen 2. Kritische Kette herausstellen 3. Zuliefer-Puffer und Bereitschaften planen 4. Balkendiagramm erstellen 5. Mitarbeiter für Kritische Kette freistellen 6. Tätigkeiten nach Staffellaufprinzip managen 7. Gesamtprojekt mit Puffer steuern
1. Netzplan erstellen: Die anstehenden Aufgaben werden in einzelne Tätigkeiten zerlegt, und diese werden in einer Liste aufgeführt. Nehmen wir als Beispiel die Ausrüstung der Schiffe des Kolumbus: Nachdem er im April 1492 schließlich den Auftrag des spanischen Königshauses erhalten hatte, seine Expedition durchzuführen, wollte er so schnell wie möglich in See stechen – auf jeden Fall vor dem Herbst, welcher Stürme mit sich bringen würde. In recht grober Auflösung waren dazu folgende Tätigkeiten erforderlich:
196
7 Arbeit pfiffig planen Schiffe besorgen
Schif
Reparaturbedarf feststellen
RepBd
Ersatzteilbedarf feststellen
ErTBd
Ersatzteile einbauen
ErTEb
Schiffe kalfatern (abdichten)
Kalf
Proviantliste erstellen
ProvL
Proviant beschaffen
ProvB
Mannschaftsliste erstellen
MannL
Kapitäne suchen
Kapit MannT
Mannschaft trainieren
TestF
Testfahrt
Dann wird die Abfolge der Tätigkeiten geplant, indem die unter ihnen bestehenden Abhängigkeiten bestimmt werden.66 Zum einen wird für jede Tätigkeit mindestens eine Folgetätigkeit bestimmt; zum anderen werden jeweils die wichtigsten Voraussetzungen beziehungsweise VorgängerTätigkeiten definiert. Der Zweck dieser Vorschriften wird weiter unten deutlich. Für unser Beispiel ergibt sich somit der folgende Netzplan:
RepBd
ErTBd
ErTEb
Kalf Schif
ProvL MannL
ProvB
TestF
MannT
Kapit
Netzplan für die Bereitstellung der Schiffe des Kolumbus
66
Im Fachjargon spricht man von ‚Anordnungsbeziehungen‘ zwischen ‚Vorgängern‘ und ‚Nachfolgern‘.
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
197
In der Praxis verzichten viele Projektplaner darauf, sich überhaupt mit dem Netzplan zu beschäftigen, und planen direkt in einem Balkendiagramm. Dies wird durch die einschlägige Software unterstützt. Man verliert jedoch höchstwahrscheinlich gedankliche Klarheit und bemerkt Fehler nicht so schnell wie bei der Überprüfung eines Netzplans. Ein Netzplan wie dieser kann auch ganz einfach mit MS Powerpoint oder ähnlicher Software erstellt werden, welche dynamische Verbindungen zwischen Elementen ermöglicht. 2. Kritische Kette herausstellen: Dann wird der Zeitbedarf für jede Tätigkeit geschätzt. Dies erfolgt am besten als Angabe der Anzahl wahrscheinlich benötigter Arbeitstage, auf der Grundlage der im Prinzip zur Verfügung stehenden Ressourcen. Von ganz entscheidender Bedeutung ist dabei, dass sich diese Schätzung auf einem Sicherheitsniveau von nur 50% bewegt – dass also mit 50% Wahrscheinlichkeit mehr Zeit benötigt wird, mit gleicher Wahrscheinlichkeit aber auch weniger. In den meisten Unternehmen wird man dies als eine aggressive Zeitvorgabe bezeichnen – und genau dies ist beabsichtigt. Ich komme unten darauf zurück. Nachdem wir also den Zeitbedarf aller einzelnen Tätigkeiten haben, stellen wir uns die Frage, welche Projektdauer sich daraus ergibt. Welche Abfolge von Tätigkeiten bestimmt durch ihre jeweilige Dauer – hier jeweils auf dem Pfeil vermerkt – sowie ihre logische und zeitliche Verknüpfung die Mindestdauer des Projektes? Im ersten Schritt zur Beantwortung dieser Frage schauen wir zunächst nur auf die Tätigkeiten und identifizieren so den kritischen Pfad, der auch in der klassischen Netzplantechnik verwendet wird. Dieser sieht für unser Beispielprojekt so aus:
RepBd 8
ErTBd 6
ErTEb 9
Kalf 6 Schif 6
ProvL 3 MannL 2
ProvB 8
TestF 1
MannT 5
Kapit 6
Netzplan mit kritischem Pfad (schwarze Pfeile; 30 Tage)
198
7 Arbeit pfiffig planen
Allerdings können wir nicht davon ausgehen, dass alle Ressourcen immer genau so zur Verfügung stehen, wie wir sie benötigen. Deshalb berücksichtigen wir im zweiten Schritt auch mögliche Engpässe bei den benötigten Ressourcen und erhalten somit die Kritische Kette des Projektes. In unserem Beispiel führt dies zu einer Verlängerung seiner Mindestdauer von 30 auf 33 Tage: Für Kolumbus’ Reise mussten drei Schiffe kalfatert (abgedichtet) werden. Das mag pro Schiff nur 6 Tage dauern. Steht aber nur eine Arbeitsbrigade mit den nötigen Fähigkeiten zur Verfügung, so müssen die drei Schiffe nacheinander bearbeitet werden, die Mindestdauer dieser Tätigkeiten beträgt also 6 + 6 + 6 = 18 Tage. In unserem Fall ist die Arbeitsbrigade für die Kalfaterung die Engpassressource. In Geschäftsprojekten sind es oft IT-Ingenieure, welche spezielles Wissen über IT-Schnittstellen haben.
RepBd 8
ErTBd 6 KalfA 6
Schif 6
ErTEb 9
KalfB 6
ProvL 3 MannL 2
KalfC 6
ProvB 8
TestF 1
MannT 5
Kapit 6
Netzplan mit Kritischer Kette (schwarze Pfeile; 33 Tage)
Die Kritische Kette ist also nichts anderes als der Kritische Pfad der klassischen Netzplantechnik unter Berücksichtung der Verfügbarkeit von Ressourcen. Sie bestimmt den kürzestmöglichen Verlauf des Projektes – eine schnellere Durchführung ist aus Sicht des Planers nicht möglich, es sei denn, man ändert die Tätigkeiten. Umgekehrt gilt: Jeder Zeitverlust auf der Kritischen Kette führt automatisch zu einer Verlängerung der gesamten Projektlaufzeit. Für andere Tätigkeiten jenseits der Kritischen Kette gilt dies nicht, jedenfalls nicht automatisch: Werden diese beschleunigt abgewickelt, so wird das Projekt davon nicht schneller – und eine Verzögerung dieser Tätigkeiten führt auch nicht unmittelbar zu einer Verzögerung des gesamten Projektes.
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
199
Wie schnell Kolumbus in See stechen kann, hängt genau davon ab, wie schnell nach der Beschaffung der Schiffe der Reparaturbedarf festgestellt wird, wie schnell die Kalfaterung geschieht und wie viel Zeit der Testlauf benötigt. Der Zeitbedarf zum Beispiel für die Proviantbeschaffung hat demgegenüber keine direkten Auswirkungen auf die Projektlaufzeit.
3. Zuliefer-Puffer und Bereitschaften planen: Auf der übergeordneten Ebene des Gesamtprojektes geht es nun darum, die Kritische Kette zu schützen. Dazu plant man Zulieferungspuffer ein. Immer dort, wo eine nicht-kritische Tätigkeitsabfolge auf die Kritische Kette trifft, wird ein Zulieferungs-Puffer vorgesehen. Dadurch wird die planmäßige Fertigstellung dieser nicht-kritischen Tätigkeit einige Zeit vorverlegt. so dass eine vielleicht auftretende Verzögerung der Tätigkeit nicht auf die Kritische Kette durchschlagen kann.
RepBd 8
ErTBd 6 KalfA 6
Schif 12
ProvL 3 MannL 2
ErTEb 9 KalfB 6
ZP 3 KalfC 6
ProvB 8
ZP 5
MannT 5
ZP 5
TestF 1
Kapit 6
Kritische Kette mit drei Zuliefer-Puffern (ZP) Wir haben für die drei nicht-kritischen Tätigkeitsstränge ‚Ersatzteile‘, ‚Proviant‘ und ‚Mannschaft‘ Zuliefer-Puffer eingebaut. Deren Länge beträgt im Idealfall etwa 50% der Gesamtlänge der Tätigkeiten des jeweiligen Stranges. Zu beachten ist, dass der Zulieferpuffer ZP im obersten Strang nur 3 Tage beträgt, obwohl man ihm nach der 50%-Faustregel 7 Tage gegeben hätte, womit dieser Tätigkeitsstrang dann 6 + 9 + 7 = 22 Tage dauern würde. Für diese 7 Tage sind jedoch im vorliegenden Netzplan gar kein Platz – die parallel laufenden Tätigkeiten der Kritischen Kette umfassen ja nur 18 Tage. Die Konsequenz ist: dieser Strang ist als ‚halbkritisch‘ einzustufen –
200
7 Arbeit pfiffig planen sobald eine Verzögerung von mehr als drei Tagen eintritt, wird er selbst zur Kritischen Kette. Zulieferpuffer schützen die kritische Kette übrigens nicht nur vor Verspätung der Vorgänger, sondern ermöglichen auch einen früher als geplanten Start von Tätigkeiten der Kritischen Kette selbst; in unserem Beispiel ermöglichen sie den sofortigen Beginn der Testfahrt wenn das Kalfatern nur 15 statt 18 Tage gedauert hat (in 50% der Fälle sind ja kürzere Laufzeiten als geplant zu erwarten).
Zum anderen werden zum Schutz der Kritischen Kette Bereitschaften eingeplant. Wenn eine Ressource, also zum Beispiel ein Spezialist für bestimmte technische Fragen, eine Tätigkeit auf der Kritischen Kette neu beginnt, wird diese Ressource vorher in Bereitschaft gesetzt.67 Das ist vergleichbar mit einem Staffellauf, wo man kurz vor der Übernahme der Staffel alle anderen Gespräche und Tätigkeiten einstellt oder zumindest soweit zurücknimmt, dass man die Staffel ohne irgendeine Verzögerung annehmen kann. In unserem Fall werden zwei Bereitschaften eingebaut: die Kalfaterungs-Brigade 3 Tage vor dem voraussichtlichen Abschluss der Feststellung des Reparaturbedarfs alle für die Testfahrt benötigten Ressourcen 3 Tage vor dem voraussichtlichen Abschluss der Kalfaterung des Schiffes C. RepBd 8 B3 Schif 12
ErTBd 6 KalfA 6 ProvL 3
ErTEb 9 KalfB 6 ProvB 8
ZP 3 KalfC 6 ZP 5
TestF 1
B3 MannL 2
MannT 5
ZP 5
Kapit 6
Vollständiger Netzplan; mit Bereitschaften ‚B‘ 67
Man spricht auch von Ressourcenpuffern. Analog zur Länge der Zulieferungspuffer wird man Bereitschaften im Idealfall mit einem Viertel der Länge der vorhergehenden Tätigkeitskette ansetzen.
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
201
Zu unserem kleinen Netzplan mit ursprünglich 11 Tätigkeiten sind jetzt 3 Puffer und 2 Bereitschaften68 hinzu gekommen; er ist dadurch komplizierter geworden. Man könnte nun vermuten, dass ein größerer Plan durch Puffer und Bereitschaften unübersichtlich wird. Diese Gefahr besteht aber kaum, denn Puffer und Bereitschaften werden ja immer nur entlang der Kritischen Kette gesetzt.
4. Balkendiagramm erstellen: Der Netzplan mit der Kritischen Kette wird nun in ein Balkendiagramm umgewandelt und somit auf einen Kalender projiziert, ohne dass allerdings für einzelne Tätigkeiten Fristen gesetzt werden. Der Balkenplan hilft, die Tätigkeiten untereinander und mit anderen Arbeiten zu koordinieren; er soll jedoch nicht so verstanden werden, dass damit für einzelne Tätigkeiten bestimmte Fristen gesetzt werden (ein großer Unterschied zu klassischer Arbeitsplanung!). Tätigkeiten, die nicht auf der Kritischen Kette liegen, werden im Prinzip so spät wie möglich begonnen. Der Grund dafür ist, dass man mit Überraschungen und der Notwendigkeit von Planänderungen rechnet. Was zu früh erstellt wurde, ist unter Umständen wertlos oder steht sogar einer Anpassung an neue Anforderungen im Wege.
68
Bei einem ganz systematischen Vorgehen hätte es einer weiteren Bereitschaft vor der Feststellung des Reparaturbedarfs bedurft.
202
7 Arbeit pfiffig planen
Balkendiagramm mit Kritischer Kette (schwarz), Bereitschaften (Meilenstein-Karos) und Zuliefer-Puffern (weiss)
5. Mitarbeiter für Tätigkeiten der Kritischen Kette freistellen: Auf der Grundlage dieser kalendrierten Planung stellt nun die Projektleitung sicher, dass die mit der Abwicklung von kritischen Tätigkeiten betrauten Mitarbeiter von anderen Verpflichtungen entbunden werden. Sie sollen sich voll auf ihre kritischen Aufgaben konzentrieren – notfalls um den Preis, dass sie aufgrund der Natur dieser Tätigkeit gar nicht ganz ausgelastet sind.69 Dies kann zum Beispiel vorkommen, wenn man einen Testlauf einrichten und dann auf sein Ergebnis warten muss. 6. Die zeitliche Abfolge von Tätigkeiten nach dem Staffelläuferprinzip managen: Bei der Umsetzung einzelner Tätigkeiten schaut man nun für alle Tätigkeiten darauf, diese zu beginnen, sobald der Vorgänger abgeschlossen ist, sie schnellstmöglich durchzuführen, und sobald wie möglich 69
Dieser Gedanke findet sich in ähnlicher Form im Lean Management: Tätigkeiten, die ausgeübt werden, nur um sich beschäftigt zu halten, sind Verschwendung (muda); auch der Gedanke eines späten Beginns kommt aus dem Lean Management.
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
203
die Umsetzung des Nachfolgers anzustoßen. Dazu orientiert man sich am konkreten Fortgang der Tätigkeiten, und nicht am Kalender! Das Bild des Staffellaufes, bei dem man die Staffel möglichst reibungslos zu übernehmen und so bald wie möglich in die nächsten Hände zu legen trachtet, passt hier genau. Die Staffelübernahme ist alles andere als ein rein mechanischer Vorgang. Vielmehr kommt es darauf an, dass jeder, der für eine Tätigkeit verantwortlich ist, frühzeitig Kontakt zum für die VorgängerTätigkeit verantwortlichen Kollegen herstellt: „Wann kann ich übernehmen?“ Und er sollte selbstständig auch seinen für den Nachfolger verantwortliche Kollegen vorwarnen: „Pass auf, gleich bist Du dran!“ Das Gelingen der schnellen Übergabe ist Teamarbeit.
Vorgänger
Eigene Tätigkeit
Nachfolger
Staffellauf-Prinzip
Dieses Vorgehen passt übrigens gut zu dem unter 7.2 dargestellten Prinzip einer dezentralen Arbeitsplanung: Basis der Steuerung von Tätigkeiten ist nicht mehr deren Freigabe und Kontrolle durch die Projektleitung als Zentrale, sondern die Koordination derjenigen untereinander, welche mit diesen Tätigkeiten tatsächlich befasst sind und deshalb auch am besten über die Einzelheiten ihrer Durchführung entscheiden können. Die Projektleitung ist insofern von der täglichen und umfassenden Nachverfolgung der Arbeitsplanung teilweise entlastet. Sie kann sich stattdessen um Problemlösungen sowie um das große Ganze des Projektes kümmern. 7. Projektpuffer einplanen und Gesamtprojekt mit Blick auf dessen Verbrauch steuern: Die bisher erstellte Projektplanung hat keine Sicherheitsreserve. Einzelne Tätigkeiten dauern aber – bei 50% Zuverlässigkeit der Schätzung – in jedem zweiten Falle länger als geplant. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Gesamtdauer des Projektes: Wir können bislang noch gar keinen zuverlässigen Endtermin benennen!
204
7 Arbeit pfiffig planen
Um dies zu ermöglichen, wird nun auf der Ebene des Gesamtprojektes ein Zeitpuffer eingerichtet. Zuverlässigkeit ist auch hier eine statistische Größe: 100% Sicherheit für den Termin kann es nicht geben. In der Praxis dürften für die allermeisten Projekte eine 90% Sicherheit ausreichen.70 Eine Faustregel dafür lautet, dass 90% Sicherheit für den Endtermin erreicht wird, wenn der Projektpuffer etwa die Hälfte der Dauer der Kritischen Kette hat. Zwar gibt es für die Berechnung des Projektpuffers auch statistisch begründete Formeln, doch sind die dafür benötigten Daten in der Regel gar nicht mit ausreichender Präzision vorhanden. In unserem Beispiel beträgt die Dauer der kritischen Kette 33 Tage, also beträgt nach der Faustregel der Projektpuffer noch einmal 17 Tage. Die Gesamtdauer des Projektes beträgt also 50 Tage.
Balkendiagramm mit Projekt-Puffer (Wochen 11–13)
Das Zeitmanagement des Projektes orientiert sich nun vor allem an einer einzigen Kennzahl: der Größe des Projektpuffers im Verhältnis zum
70
Dies ist eine pragmatisch verkürzte Betrachtung. Präziser geht es um die Kombination aus einem Sicherheitsniveau und einer Größe der Abweichung: Also 90%, dass man den gesetzten Termin um nicht mehr als X Prozent der Laufzeit überschreitet usw.
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
205
verbleibenden Teil der Kritischen Kette.71 Diese gibt ziemlich zuverlässige Auskunft darüber, ob das Projekt seine Frist schafft. Der Sollwert beträgt 50 Prozent. Bei 30 Prozent beginnt der gelbe (hier: graue) Bereich; Maßnahmen zur Sicherung der Fristeinhaltung sind erforderlich, zum Beispiel mehr Ressourcen bereitzustellen, oder den Projektumfang zu verringern, oder den Endtermin hinauszuschieben. Bei 15 Prozent fängt der rote (hier: schwarze) Bereich an, das Projekt ist notleidend, weil der Endtermin nur noch mit ein bisschen über 50% Wahrscheinlichkeit eingehalten wird. Man kann den Projektpuffer auch einfach dritteln, was 33 und 17 Prozent entspräche.
Verzögerung
Verschoben
PufferVerbrauch: 6 von 17 Tagen
Balkendiagramm mit Verzögerung der Kritischen Kette
Hier sind zwei Verzögerungen aufgetreten, beide auf der kritischen Kette: jeweils drei Tage bei der Ermittlung des Reparaturbedarfs, und beim Kalfatern von Schiff B. Das hat dazu geführt, dass 6 Tage des Projektpuffers verbraucht wurden, was aber noch unkritisch ist. Andere Tätigkeiten wurden nach hinten verschoben, gemäß des
71
Meine persönliche Ausgestaltung: andere Autoren empfehlen andere Darstellungsformen des Pufferverbrauchs, siehe zum Beispiel Newbold 1998, Lörz und Techt 2007.
206
7 Arbeit pfiffig planen Prinzips, möglichst spät anzufangen. Dies ist aber nicht entscheidend für die Einhaltung des Projekttermins.
Die Möglichkeit, die zeitliche Gesundheit eines Projektes in einer einzigen Zahl (beziehungsweise einem Zahlenverhältnis) auszudrücken, ist in der Praxis enorm wertvoll. „Wie steht es mit der Vorbereitung der Schiffe? Wie sehen sie die Chance, das wir noch vor den Augustregen lossegeln können?“ „Ganz gut: Unser Projektpuffer beträgt immer noch 11 Tage gegenüber 30 verbleibenden Tagen für Tätigkeiten auf der kritischen Kette.“
Diese Kennzahl ergibt sich ohne große Umwege aus der Aufwandsschätzung für einzelne Tätigkeiten. Sie ist kaum manipulierbar und hat deshalb große Überzeugungskraft. Die Aufwandsschätzungen für einzelne Tätigkeiten werden ja meist von den entsprechenden Fachleuten auf der Arbeitsebene vorgenommen, die zum einen über die nötige Sachkenntnis verfügen und zum anderen meist nur geringe politische Interessen an der Gestaltung des Projektes haben. Die Projektleitung macht nichts anderes, als deren Schätzungen zu addieren und ins Verhältnis mit dem Projektpuffer setzen. Nach meiner persönlichen Erfahrung liegt in der Aussagekraft dieser Zahl Pufferverbrauch ein ganz wesentlicher Vorteil der Kritischen Kette: Wenn ein Projekt mit dieser Zahl in den gelben Bereich gerät, ist es vergleichsweise einfach, notwendige Management-Entscheidungen herbeizuführen. Ein anderer, äußerst wertvoller Aspekt der Kritischen Kette ist, dass bei einzelnen kritischen Tätigkeiten eingesparte Zeit unmittelbar dem Projekt als ganzem zugute kommt. Gelingt es zum Beispiel, ein Schiff nicht in sechs, sondern in drei Tagen abzudichten, so sind die ersparten drei Tage für den Puffer gewonnen. Stand dieser vor Beginn des Abdichtens bei 12 Tagen, so hätte er nach dieser Tätigkeit wieder 15 Tage – wertvolle Zeit, die an anderer Stelle verbraucht werden kann. Vorausgesetzt wird dabei, dass der Puffer dem Projekt gehört. Er muss zumindest bis in den gelben Bereich hinein verbraucht werden können, ohne dass dies Anlass zur Kritik oder zum Eingriff von außen ist. Projektleitung und Projekt(kern)team müssen zudem davon ausgehen können,
7.3 Turbo-Zeitmanagement: Die Kritische Kette
207
dass der Puffer nicht von außen verkürzt wird. Der einzige Erfolg eines solchen Eingriffs wäre, die Wahrscheinlichkeit drastisch zu reduzieren, mit der der Endtermin eingehalten wird. Eine echte Verkürzung der Projektdauer lässt sich dadurch nicht erreichen.
Den richtigen Detaillierungsgrad treffen Das hier verwendete Beispiel hat nur 11 Tätigkeiten. In Wirklichkeit wird man es meist mit 50 bis 150 Tätigkeiten zu tun haben – als Grundlage für einen hinreichend komplexen, aber noch überschaubaren Netzplan. Unter Verweis auf das unter 7.2 genannte Prinzip der optimalen Einfachheit noch einmal der grundsätzliche Hinweis: Es kommt hier wie bei allen folgenden Schritten darauf an, das richtige Niveau der Detaildarstellung zu treffen. Eine zu grobe Planung verbirgt womöglich wichtige Abhängigkeiten, eine zu detaillierte Planung ist unübersichtlich. Meine Erfahrung ist, dass Pläne nicht mehr wirklich handhabbar sind, wenn sie sich über mehrere Seiten erstrecken. Insofern empfehle ich, den Umfang von Netzplänen und Balkendiagrammen wenn irgend möglich auf eine oder zwei Seiten zu begrenzen – gegebenenfalls in einem größeren Format.72 Meist ist es dabei nicht sinnvoll, alle möglichen Abhängigkeiten detailliert darzustellen, denn dies führt zu einem erheblichen Verlust an Übersichtlichkeit. Gerade wenn man in diese Planung auch nicht-technische Abläufe hinein nimmt, ist die Darstellung aller Abhängigkeiten sowieso kaum möglich, denn bei diesen weichen Faktoren hängt vieles mit vielem zusammen: Eine Tätigkeit kann viele Folgetätigkeiten, aber auch viele Voraussetzungen haben.
Kritische Kette und Meilenstein-Planung Die Kritische Kette benötigt keine Meilensteine. Im Grund genommen steht sie sogar in gewisser Weise im Widerspruch zu einem Denken in Projektmeilensteinen. Meilensteine sind an feste Kalenderdaten gebunden, und werden von oben nach unten, und vielfach nach projektexternen Fak72
Falls das Vorhaben wirklich umfangreich ist, empfiehlt es sich wahrscheinlich nicht nur aus Platzgründen, es in Module/Unterprojekte aufzuteilen.
208
7 Arbeit pfiffig planen
toren ausgerichtet. Die Kritische Kette hat demgegenüber außer Projektbeginn und Projektendtermin kein Kalenderdatum, und sie ergibt sich daraus, den Zeitbedarf für das Projekt bottom-up aus dem der einzelnen Tätigkeiten herauf zu rechnen. Dieser Widerspruch bleibt bestehen – und das ist auch gut so, weil er meist der Wirklichkeit der Projekte entspricht: Auf der einen Seite stehen Anforderungen von oben und außen, die sich nicht um projektinterne Fragen scheren, und auf der anderen die Eigensinnigkeit der Arbeit im Projekt, nach der bestimmte Dinge nun einmal genau so lange dauern, wie sie dauern. Diesen Widerspruch zu managen, ist eine Kernaufgabe der Projektleitung. Eine Möglichkeit dazu ist, nach oben und außen nur das im vorigen Kapitel vorgestellte Ablaufdiagramm zu kommunizieren, und die detaillierte Arbeitsplanung strikt als projektinterne Angelegenheit zu behandeln. Ist dies nicht möglich, so können die Meilensteine des Ablaufdiagramms – und insbesondere jene, welche ein Etappenende markieren – jeweils als Teilprojekte behandelt werden, die ihren eigenen Teilprojektpuffer erhalten. Allerdings vermindert jede Segmentierung der kritischen Kette ihre Wirksamkeit, weil Zeitverluste und -gewinnen nicht über Meilensteine hinaus gegeneinander aufgerechnet werden können. Die von mir bevorzugte Lösung ist deshalb, Projektmeilensteine im Ablaufdiagramm so spät zu setzen, dass sie überhaupt nur erreicht werden, wenn ein Projekt sich im gelb-roten Bereich befindet. Meilensteine dienen dann ausschließlich zur Steuerung des Vorhabens durch die Steuerungsgruppe und sie zu verpassen bedeutet tatsächlich, dass ein Eingreifen erforderlich ist. Die Projektleitung selbst orientiert sich in der täglichen Arbeit am Pufferverbrauch.
7.4
Kritische Kette: was zu ändern wäre
Wie im vorhergehenden Unterkapitel 7.3 erwähnt, wird die kompetente Verwendung der Kritischen Kette die Projektdauer gegenüber einem in vielen Unternehmen üblichen Vorgehen in der Regel um zwanzig bis drei-
7.4 Kritische Kette: was zu ändern wäre
209
ßig Prozent verkürzen. Außerdem erhöht sich die Zuverlässigkeit, mit der vorgegebene Fristen auch eingehalten werden. Wie ist dies möglich? Das Geheimnis ist, dass die Kritische Kette einige häufig auftretende Probleme des heute in den meisten Unternehmen üblichen Zeitmanagements abstellt. Dies ist aber nur möglich, wenn einige neue Regeln befolgt werden. Sie betreffen die Projektmitarbeiter selbst, insbesondere aber auch die für die Projektsteuerung zuständigen Manager und Gremien.
Regel 1: Schätzung der Dauer ohne Reserve Die Kritische Kette verlangt, dass die Schätzungen für die Dauer einzelner Tätigkeiten nur auf einem Sicherheitsniveau von 50% liegen.73 In den meisten Unternehmen hat sich jedoch die Praxis eingeschliffen, dass bei dieser Schätzung eine Sicherheitsreserve eingebaut wird, so dass man etwa in 90% der Fälle den geschätzten Termin einhalten kann. Das ist zunächst einleuchtend: Wer eine Schätzung für eine Tätigkeit abgibt oder aber diese ausführen soll, will sicher gehen, dass die Tätigkeit in der geschätzten Zeit auch abgeschlossen werden kann. Führungskräfte und Projektleiter bauen darauf, dass ein einmal gesetzter Termin auch wirklich eingehalten wird: „Wann sind Sie mit Feststellung des Reparaturbedarfs fertig? Wir hatten den Freitag nächster Woche vereinbart!“ „Oh ja, versprochen ist versprochen: Freitag haben Sie die Liste!“
Nun ist es so, dass sich die Dauer einer Tätigkeit in den allerwenigsten Fällen rein mechanisch ergibt und wirklich exakt berechnen lässt. Gerade bei Geschäftsprojekten sind ja viele Tätigkeiten nicht standardisiert. Deshalb folgt ihre tatsächliche Dauer einer statistischen Normalverteilung. Dies bedeutet unter anderem, dass eine über 50% hinaus gehende Zuverlässigkeit der Schätzung nur möglich ist, wenn man einen überproportional großen Zeitpuffer hineinrechnet.
73
Das ist bei klassischen Methoden der Netzplantechnik eigentlich auch so; bei der Critical Path Method (CPM) wird die durchschnittliche Dauer angesetzt, bei PERT (Planning Evaluation and Review Technique) der aus einer optimistischen, einer pessimistischen und einer mittleren Schätzung errechnete Erwartungswert.
210
7 Arbeit pfiffig planen
Wahrscheinlichkeit
Nehmen wir zum Beispiel folgenden Verlauf einer Normalverteilung: Für eine Tätigkeit, die durchschnittlich (50% Sicherheit) nur vier Tage benötigt, kommt eine Zeitbedarfsschätzung auf einem Sicherheitsniveau von 90% auf etwa elf Tage. Man erkauft sich quasi die zusätzliche Sicherheit mit einer überaus großen Zeitreserve.
50% der Fälle
90% der Fälle
z.B. 4 Tage
z.B. 11 Tage
Zeitbedarf
Logarithmische Normalverteilung des Zeitbedarfs für eine Aufgabe X
Je weniger standardisiert die in Frage stehenden Tätigkeiten sind, desto flacher verläuft die Kurve, und desto größer ist das erforderliche Sicherheitspolster.74 Darüber hinaus gilt vor allem dass, egal, wie groß diese Reserve ist, sie in 40% der Fälle gar nicht benötigt wird – ein Leerlauf ist vorprogrammiert! Dieser addiert sich im Verlaufe eines Projektes auf:
Ø Dauer
Res.
Ø Dauer
Res.
Ø Dauer
Res.
Ø Dauer
Res.
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass hier schon in der Planung eine unnötige Zeitverschwendung angelegt wird. Das Problem liegt im Verhalten der 74
Die Differenz zwischen einer 50% Schätzung und einer 90% Schätzung beträgt etwa 2 Standardabweichungen; deren Wert hängt von ihrer Varianz ab, also wie flach oder steil die Kurve verläuft
7.4 Kritische Kette: was zu ändern wäre
211
mit der Schätzung betrauten Mitarbeiter. Seine Ursache liegt jedoch darin, dass eine Terminüberschreitung bei einzelnen Tätigkeiten als Fehler angesehen wird und dass deshalb dass von den Mitarbeitern erwartet wird, dass ihre Schätzung des Endtermins sich regelmäßig bewahrheitet. Das Zeitmanagement mit der Kritischen Kette fordert deshalb: Führungskräfte und Projektleiter dürfen von Mitarbeitern nicht erwarten, dass ihre Schätzungen zuverlässig sind (~90% Sicherheit), beziehungsweise dass Tätigkeiten tatsächlich innerhalb der geschätzten Zeit abgeschlossen werden. Eine angemessene Erwartung wäre stattdessen, dass Schätzungen in der Hälfte der Fälle zutreffen, und dass Tätigkeiten in der Hälfte der Fälle innerhalb der geschätzten Zeit abgeschlossen werden. Dies erfordert größere zeitliche Flexibilität auf der Ebene der Einzeltätigkeiten. Diese erhält man dadurch, dass die einzelne Tätigkeit gar nicht per Kalender gesteuert wird, sondern sich gemäß des Staffellaufprinzips an der Fertigstellung ihres Vorgängers orientiert und die Übergabe an den Nachfolger vorderhand zeitlich flexibel ist. Desweiteren wird ja die Reserve nicht einfach abgeschnitten, sondern dem Projekt als ganzem wieder gut geschrieben.
Regel 2: Kein Bummeln, aber auch keine Mehrfach-Aufgaben auf der Kritischen Kette Die übliche Schätzung mit 90% Sicherheit gibt den Mitarbeitern eigentlich die Möglichkeit, die jeweilige Tätigkeit fristgerecht abzuschließen. Es ist ja auch eine komfortable Situation: Man hat zwar eine Schätzung von 11 Tagen abgegeben, aber insgeheim denkt man, dass man unter normalen Umständen mit 4 bis 5 Tagen hinkommt. Was passiert nun tatsächlich? Viele Mitarbeiter sind vom Studentensyndrom befallen: Sie lassen zunächst einmal die Reserve wieder verstreichen, um sich schließlich unter Hochdruck doch noch der Aufgabe zu widmen. Oder sie bummeln keineswegs, aber haben sowieso mehrere Tätigkeiten mit höchster Priorität auf dem Schreibtisch, so dass sie in der Reservezeit zunächst noch an anderen Aufgaben arbeiten.
212
7 Arbeit pfiffig planen
Das Ergebnis von Bummeln und Mehrfach-Aufgaben ist dann, dass die anstehende Tätigkeit erst dann begonnen wird, wenn man nur noch eine 50%-Chance hat, sie fristgerecht abzuschließen – und also tatsächlich bei jeder zweiten Tätigkeit in Verzug gerät! Das Zeitmanagement mit der Kritischen Kette fordert deshalb, kein Bummeln zuzulassen und stattdessen das Staffellauf-Prinzip konsequent zu verfolgen! Insbesondere die kritischen Tätigkeiten müssen umgehend begonnen werden, sobald die Vorgänger abgeschlossen sind. Dies kann man aber von den Mitarbeitern nur erwarten, wenn sie keine weiteren Aufgaben zu bewältigten haben, die ähnlich wichtig sind.
Regel 3: Der Projektpuffer ist unantastbar Dass Mitarbeiter sich zu schützen versuchen, indem sie Sicherheitsreserven in die Dauer einzelner Tätigkeiten einbauen, ist den wenigsten Führungskräften neu. Die Führungsebene fühlt sich deshalb oft genug im Recht, wenn sie eine Verkürzung von Projektlaufzeiten fordert oder anordnet, ohne dass deren Machbarkeit tatsächlich ernsthaft geprüft wird. Dies wird allerdings das Bemühen der Mitarbeiter, Sicherheitsreserven anzulegen, in der Regel noch verstärken! Die Anwendung der Kritischen Kette wird dieses Katz-und-Maus-Spiel nicht beenden können, insbesondere wenn die oberste Führungsebene mit dabei ist. Eines muss jedoch klar sein: Der Projektpuffer gehört zum Projekt, und darf ohne die Einwilligung der Projektleitung nicht verkürzt werden.
Regel 4: Engpass-Ressourcen transparent managen In vielen Unternehmen gibt es ganz bestimmte Engpass-Ressourcen, zum Beispiel Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten oder bestimmten Kontakten, oder technische Testanlagen. Diese gehören oftmals einer Abteilung und werden Projekten nur nach Maßgabe der Interessen dieser Abteilung zur Verfügung gestellt. In der Praxis bedeutet dies, dass der Zugang zu diesen Ressourcen oftmals unzuverlässig ist und von der tagespolitischen Lage rund um das Projekt abhängt. Projektführende Abteilungen und Pro-
7.4 Kritische Kette: was zu ändern wäre
213
jektleiter müssen dann Lobbying bei dem jeweiligen Ressourcen-Besitzer betreiben und ansonsten die Projektarbeit spontan nach der Verfügbarkeit dieser Ressource ausrichten. Der Ansatz der Kritischen Kette beruht demgegenüber darauf, das Projekt schon im Hinblick auf die Verfügbarkeit der kritischen Ressourcen zu planen. Die entsprechende Forderung lautet demzufolge, dass im Rahmen der Planung als Engpass identifizierte Ressourcen transparent und im Sinne des Projektes zu managen sind.
Die Vorteile der Kritischen Kette für das Unternehmen Die Kritische Kette einzuführen verlangt, wie wir jetzt gesehen haben, dass bestimmte Regeln vom Management eingehalten werden. Um dieses von diesen Regeln zu überzeugen, führe ich kurz noch einmal die wichtigsten Vorteile der Kritischen Kette aus der Sicht des Unternehmens an: 1. Höhere Sicherheit, dass Projektfristen eingehalten werden: dies ergibt sich daraus, dass
die terminkritischen Tätigkeiten im Projekt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Projektmanagements stehen
mit dem Pufferverbrauch ein zuverlässige Auskunft über die erwartbare Termintreue eines Projektes gegeben werden kann
unnötige Verzögerungen einzelner Tätigkeiten (Warten auf Vorgänger, Rüstzeiten, Bummeln und unklare Prioritätensetzung) deutlich vermindert werden.
2. Insgesamt verkürzte Projektlaufzeiten: Diese bergen ein bedeutendes Potential zur Kostensenkung. Sie ergeben sich schon allein aus der besseren Termintreue. Hinzu kommt, dass ein Gesamtpuffer am Ende eines Projektes bei gleicher Zuverlässigkeit kürzer ausfallen kann als die Gesamtlänge der Einzelpuffer aus den Aktivitäten. Der Grund dafür ist, dass Zeitersparnisse, die sich bei einzelnen Tätigkeiten ergeben, dem Puffer mühelos wieder zugeschrieben werden können. Denn die Nachfolgetätigkeit wartet ja mit ihrem Beginn nicht auf ein bestimmtes Datum, sondern setzt gemäß des Staffellauf-Prinzips ein, wenn
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7 Arbeit pfiffig planen
ihr Vorgänger abschließt. Bei einer klassischen kalendrierten Zeitplanung ist es hingegen sehr aufwändig, Zeitersparnisse von einer Tätigkeit auf das Projekt zu übertragen und unterbleibt deshalb meist. Dieses wiederum wird dann von den Mitarbeitern vorausgesetzt: „Wenn meine Nachfolge sowieso erst zum Datum X beginnt, auch wenn ich einige Tage früher fertig sein könnte, hat niemand etwas davon – wieso also sollte ich mich beeilen?“ Eine statistisch begründete Faustregel lautet, dass der Projektpuffer um die Hälfte kürzer sein kann als die Summe der Einzelpuffer; und da wir davon ausgehen können, dass die Summe der Einzelpuffer etwa der durchschnittlichen Dauer aller Einzeltätigkeiten entspricht, so kommt man zu einer Einsparung von einem Viertel der Projektlaufzeit.75 Ø Dauer
Res.
Ø Dauer
Ø Dauer
Res.
Ø Dauer
Res.
Ø Dauer
Puffer
Res.
- 25%
Kürzere Projektlaufzeit durch Verwendung der Kritischen Kette
Kritische Kette als Projektmethodik im Unternehmen Verschiedene Fachleute meinen, dass die Kritische Kette in einem Unternehmen nicht in kleinen Stücken eingeführt werden kann.76 Das mag stimmen für Unternehmen oder Abteilungen, die vor allem Projektgeschäft haben und selbst schon starke Regeln und eine starke Projektkultur aufge-
75
76
Und aus diesem Grunde ist es möglich, die Meilensteine recht weit nach hinten zu schieben (vgl. S. 210). Lörz u. Techt (2007), allerdings vor allem mit Blick auf das Multiprojektmanagement mit der Kritischen Kette; sowie ähnlich Newbold (1998) und Goldratt (1997).
7.5 Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement
215
baut haben. Dort wird sich die Kritische Kette an allen Ecken und Kanten stoßen. Wo jedoch im Hinblick auf Projektprozesse und Projektkultur noch vieles in Bewegung ist, sowie insbesondere bei Projekten, welche aufgrund ihrer strategischen Bedeutung herausgehoben sind, sehe ich durchaus Chancen, die Methode schrittweise einzuführen.
7.5
Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement
Im Folgenden stelle ich Vorgehensweisen und Werkzeuge vor, welche besonders geeignet sind, um das im Unterkapitel 6.7 vorgestellte Modell der Lernzyklen auch auf der Ebene der Arbeitsplanung umzusetzen. Ich bediene mach dabei aus dem umfangreichen Werkzeugkasten der agilen Softwareentwicklung. Iteratives Vorgehen versus Lernzyklen: Bei agilen und anderen iterativen Prozessen der Softwareentwicklung (zum Beispiel auch Rational Unified Processl) wird gefordert, zu Ende jeder Lernschleife beziehungsweise Iteration einen Prototypen oder sogar eine funktionsfähige Software zu liefern. Das Lernen geschieht also anhand von nutzbaren oder wenigstens fassbaren Zwischenergebnissen. Die bei Geschäftsprojekten erzielbaren Zwischenergebnisse sind jedoch oft kaum fassbar. Damit dieser wichtige Unterschied nicht verwischt wird, spreche ich von der Lernzyklen-Planung.
Vier Ebenen der Projektplanung Die Planung des Projektes erfolgt parallel auf den folgenden vier Ebenen:
Projektleitbild: „Zu welchem Zustand wollen wir mit diesem Projekt beitragen?“; das Projektleitbild greift über das Projektende hinaus
Projektziel: „Wann, bei Eintritt welchen Gesamtergebnisses, können wir aufhören?“; es beschreibt die Endresultate des Projektes
216
7 Arbeit pfiffig planen
Meilensteine: „Welche wichtigen Entscheidungen müssen getroffen werden?“, „Welche Etappen müssen oder sollen die Beteiligten erleben und durchleben?“
Zeitfenster: „Was machen wir in den nächsten vier (oder zwei, oder sechs, …) Wochen?“
Projektleitbild
Etappen
Projektziel (Kairos)
Lernschleifen
Zeitverlauf (Chronos)
Zeitfenster
Struktur der Lernzyklen-Planung
Im Projektmanagement – insbesondere unter Verwendung des WasserfallModells – wird die Zeitplanung oftmals von unten nach oben aufgebaut: Aus Tätigkeiten ergeben sich die Meilensteine, und aus diesen wiederum der Termin für das Ende des Projektes. Bei der Lernzyklen-Planung hingegen steht jede Ebene zunächst einmal für sich. Die Zeitfenster der Arbeitsplanung stehen für den Chronos, sie geben dem Projektablauf einen unerschütterlichen Takt vor. Dieser wird eingehalten, egal was sonst noch mit dem Projekt geschieht. Die Meilensteine hingegen sind vor allem am Kairos ausgerichtet: Sie markieren die Zeitpunkte, an denen die wichtigen Entscheidungen zur Festlegung des Projektziels fallen – wenn zum Beispiel ein Prototyp einem breiten Kreis von Kunden vorgestellt wird, oder wenn die Zeit reif ist, das Budget für die breite Anwendung der Projektergebnisse festzulegen. Meilensteine berücksichtigen eben auch die äußeren Umstände.
7.5 Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement
217
Projektleitbild Das Projektziel ist zu Projektbeginn noch nicht genau bestimmt. Das bringt natürlich eine gewisse Unsicherheit mit sich. Orientierung bietet stattdessen ein Leitbild, welches sehr anschaulich formuliert ist und in dem sich alle Beteiligten wieder finden. Ein solches Leitbild wäre zum Beispiel: Ab Mitte nächsten Jahres führen wir nur noch die Projekte durch, die wir wirklich brauchen – dies für ein Projekt, dessen Ziel im Bereich der Verbesserung des Projektportfoliomanagements eines Unternehmens liegt. Ein anderes Leitbild wäre: Allen Geschäftseinheiten und Abteilungen nutzen eine gemeinsame Einkaufsplattform. Ein Projektleitbild ist für jede Art von Projektverlaufsmodell sinnvoll, aber bei der Lernzyklen-Planung muss es besonders plastisch formuliert werden. Und es muss selbst immer wieder an neue Einsichten und Bedürfnisse angepasst werden, um wirklich in den Köpfen und Herzen der Beteiligten zu leben. Im Rahmen der regelmäßigen Lernschleifen, die sich ja nicht an eine detaillierte Vorausplanung halten können, findet immer wieder eine sehr offene Diskussion statt. Dabei dient das Leitbild allen Beteiligten zur Orientierung: Wir können jetzt dies oder das machen – was davon bringt uns am nächsten an unser Leitbild? Das Projektleitbild ist im Diagramm als Sonne dargestellt. Genau, wie Pflanzen sich bei ihrem Wachstum immer nach der Sonne richten und dabei lokale Hindernisse umranken und sich im Fall einer Umtopfung neu ausrichten, orientiert sich die Projektplanung an diesem Leitbild.
Das Projektleitbild muss mit dem Projektpaten gut abgestimmt sein. Es verkörpert die Projektidee und ist insofern besonders wichtig für die Motivation des Projektteams und anderer Beteiligter. Es stellt dar, woran der Auftraggeber und die Mitglieder des Projektteams wirklich glauben und wofür sie bereit sind, die Risiken und Belastungen der Projektarbeit auf sich zu nehmen. Das Leitbild der Expedition des Kolumbus war, an den Reichtümern und Reizen der Paläste des sagenhaften Indiens teilzuhaben.
218
7 Arbeit pfiffig planen
Leitbild des Kolumbus: Die Reize des Mandelpalastes aus den Erzählungen Marco Polos
Solch ein Bild hilft den Beteiligten, sich eine Vorstellung über das Projektergebnis zu machen und sich gefühlsmäßig darauf einzulassen, ohne dass man alle Details in der Spezifikation festgelegt hat.
Zeitfensterplanung Die Grundidee der Zeitfensterplanung ist, dem Projektteam wenigstens zeitweilig die Ruhe zu geben, die es für eine gute Arbeit benötigt, und gleichzeitig das Projekt recht flexibel zu halten. Das Projekt arbeitet in einem Rhythmus von Stabilität und Veränderung. Im Verlauf eines Zeitfensters sind Arbeitsziele und -bedingungen stabil. Die Zeitfenster sollten jeweils gleich lang sein. Sie dauern nur so lange, wie man angesichts einer möglicherweise turbulenten Umwelt und rapider eigener Lernfortschritte stabile Bedingungen und Arbeitsziele vorfindet. Zu Beginn des jeweils
7.5 Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement
219
nächsten Zeitfensters wird dann der Arbeitsfortschritt ausgewertet, und es werden neue Ergebnisse für dieses Zeitfenster vereinbart. Dabei werden neue Erfahrungen und vielleicht neue Aspekte des Projektziels sowie veränderte Rahmenbedingungen berücksichtigt. Zu Beginn eines jeden Zeitfensters wird die dafür gültige Arbeitsplanung mit dem Projektteam vereinbart. Dazu macht die Projektleitung einen Vorschlag, welche Ergebnisse sich das Projektteam für das jeweilige Zeitfenster vornehmen sollte, und welche Arbeitspakete oder Aufgaben aus einer zentralen Liste von Aufgaben oder Gebrauchsfällen (dem backlog) dafür wiederum bearbeitet werden müssen. Jeder Experte im Team hat die Aufgabe, die Arbeitsplanung aus seiner Sicht zu prüfen. Als notwendig und machbar vereinbarte Ergebnisse und insbesondere die einzelnen Arbeitspakete und Aufgaben werden dann von den Teammitgliedern unter sich aufgeteilt. Diese verpflichten sich, fristgerecht zu liefern, haben also mindestens ein Vetorecht bei der Festlegung der Arbeitsplanung. Zeitfensterplanung macht es möglich, die Arbeitszeit von Mitarbeitern recht präzise zu managen. Für jedes Arbeitspaket oder für jede einzelne Aufgabe, welches von einem Mitarbeiter übernommen wird, gibt dieser an, wie viele Stunden oder Tage er schätzungsweise dafür benötigen wird. Diese Information wird auf einer Tabelle zusammengefasst, die dem Projektteam insgesamt bekannt ist. So kann die Arbeit im Team einigermaßen gerecht auf alle Schultern verteilt werden. Insbesondere ergibt sich die Möglichkeit, Zeitressourcen recht genau zu steuern: Für jedes Arbeitspaket ist genau bekannt, wer wie viel dazu beiträgt. Schätzungen können überprüft werden, und es kann nachvollzogen werden, ob Mitarbeiter die von ihnen zugesagten Stunden tatsächlich auch haben einbringen können. Die Zeitplanung ist übersichtlich und glaubhaft, da sie nicht am grünen Tisch beziehungsweise im PC der Projektleitung erstellt wird, sondern von den Mitarbeitern, welche die jeweilige Aufgabe wahrnehmen. Im Laufe des Projektes entstehen dann Erfahrungswerte, wie lange bestimmte, auch psychologische Vorgänge dauern und welcher Aufwand dafür zu treiben ist. Für die Zeitfensterplanung muss allerdings sicher gestellt sein, dass die Mitarbeiter und benötigten Budgets auch wirklich verfügbar sind. Insofern ist eine konsequente Zeitfensterplanung meist auf ein engeres Projektteam beschränkt. Oft sind nun auch andere Personen beteiligt, deren Verfügbarkeit nicht ganz sicher ist. Diese sollten dann als eigene Gruppe von Res-
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7 Arbeit pfiffig planen
sourcen in der Zeitfensterplanung mitgeführt werden, oder sie können sogar mit einem anderen Instrument, wie zum Beispiel einem Balkenplan gesteuert werden.
Gebrauchsfälle für die optimal einfache Arbeitsplanung Planungsinstrumente sollten optimal einfach sein, damit Planänderungen schnell und ohne große Kosten durchgeführt werden können, und damit die Projektplanung von vielen Beteiligten verstanden wird. Aus dem agilen Softwaremanagement kommen dazu folgende geeignete Instrumente: Gebrauchsfälle (user stories): Im klassischen Projektmanagement werden Anforderungen immer so schnell wie möglich in eine technische Sprache übersetzt, in ein Konzeptdokument eingegossen und in Aufgaben herunter gebrochen (use cases). Erst dann gelten sie als verstanden und überhaupt akzeptabel, gemäß der Methode des Systems Engineering. Es hat sich jedoch bewährt, die Anforderungen konsequent aus der Perspektive von Prozessen der Nutzer zu formulieren und sie bis zu einem recht späten Zeitpunkt in dieser Formulierung zu belassen: „Der Werksleiter möchte schon im Oktober erfahren, wie sein voraussichtliches Jahresergebnis im Hinblick auf CO2-Effizienz aussehen wird“ (Gebrauchsfall), statt „Das System kalkuliert Voraussagewerte über konfigurierbare Indikatoren zum vierten Quartal des Berichtsjahres auf Basis eines überjährigen Vergleichs“ (Use case).
Diese Gebrauchsfälle werden dann auf Karten notiert und auf einer Pinnwand geordnet und weiter verarbeitet. Der Vorteil von Gebrauchsfällen ist zum einen, dass die Arbeit der Übersetzung in technisch saubere Konzepte erst dann anfällt, wenn man weiß, dass die entsprechende Anforderung tatsächlich umgesetzt werden soll. Zweitens ist es eben viel einfacher, Anforderungen mit den Beteiligten auf der Grundlage von Gebrauchsfällen zu diskutieren, und nicht auf der Grundlage fachlicher Konzepte. Gebrauchsfälle-Verwaltung: Gebrauchsfälle werden vom Projektleiter, unterstützt durch kompetente Teammitglieder, in drei Kategorien von Dringlichkeit aufgeteilt. Die erste Kategorie Jetzt umfasst diejenigen, die im aktuellen oder nächsten Zeitfenster zu Bearbeitung anstehen. Diese
7.5 Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement
221
werden in die zentrale Aufgabenliste übertragen ( front burner). In die Kategorie Später kommen diejenigen, die im weiteren Verlauf des Vorhabens mit großer Wahrscheinlichkeit bearbeitet werden (back burner). In der letzten Kategorie Auf Eis finden sich alle anderen ( fridge). Diese Kategorisierung ermöglicht es, Anforderungen nicht sofort darauf hin beurteilen zu müssen, ob sie in das im Voraus erdachte Konzept passen oder nicht. Stattdessen geht man sehr flexibel mit ihnen um und legt offensichtlich unpassende zunächst zurück, ohne sie damit jedoch abzulehnen. Auch können Gebrauchsfälle flexibel zwischen den Kategorien Jetzt oder Später verschoben werden, ohne dass damit ein großer Planungsaufwand einherginge.
Nutzung
ProjektAufgabentafel
Gebrauchsfall
Jetzt
Später
Prozesse
IT
Prozesse
IT
Kevin
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Lara
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Chantal
Gebrauchsfall
Auf Eis:
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Gebrauchsfall
Eine Projekt-Aufgabentafel
Gebrauchsfall
222
7 Arbeit pfiffig planen
Optimal einfache Fortschrittskontrolle Der Werkzeugkasten der agilen Softwareentwicklung enthält auch einige überraschend einfache und gleichzeitig sehr brauchbare Werkzeuge für die Überwachung des Projektfortschritts. Am weitesten verbreitet ist die Trendlinie des Restaufwands (burn down chart). Trendlinie des Restaufwands: Jeder Mitarbeiter schätzt täglich oder wöchentlich für jede der Tätigkeiten auf seiner Aufgabenliste den verbleibenden Arbeitsaufwand. Dies geschieht in Stunden oder in Personentagen. Die ermittelten Werte werden zusammen geführt. Der geschätzte Restaufwand wird dann auf einer Zeitskala abgetragen. Dabei ist zu erwarten, dass er im Verlauf des Zeitfensters sinkt und zum Endtermin gegen Null konvergiert. Während also zum Beispiel der gesamte Restaufwand eines Teams von vier Mitarbeitern für ein vierwöchiges Zeitfenster bei ca. 160 Stunden liegen dürfe, solle er gegen Ende der dritten Woche nur noch 40 Stunden betragen und am Ende der vierten Woche dahin geschmolzen sein. Wenn absehbar ist, dass dies nicht der Fall ist, hat man klare Argumente an der Hand, entweder die Kapazität anzupassen oder aber die vereinbarten Ergebnisse zu beschneiden. Diese Trendlinie kann auch oberhalb der Ebene der Zeitfenster sinnvoll sein. In diesem Falle müssten die Aufgaben aus der zentralen Aufgabenliste vollständig bewertet sein. Ein Beispiel für eine solche zeitfensterübergreifende Trendlinie: 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Woche Woche Woche Woche Woche Woche Woche Woche 2 4 6 8 10 12 14 16 aktuell
Trendlinie des Restaufwands
geschätzt
7.5 Lernzyklen: Ein Modell für das agile Projektmanagement
223
Plan-Zuverlässigkeit: In ähnlicher Form wird gemessen, wie zuverlässig die Arbeitsplanung von Fenster zu Fenster ist. Dies geschieht einfach, in dem der Anteil der erreichten Ergebnisse für jedes Fenster ermittelt wird, und dies im zeitlichen Verlauf in eine Kurve abgetragen wird. So hat man zum Beispiel in einem Fenster 15 von 20 geplanten Ergebnissen erreicht (80%), und im nächsten Fenster 12 von 14 geplanten Ergebnissen (86%). Bewegt sich diese Kurve über mehrere Zeitfenster nicht in der gewünschten Höhe, so wird Abhilfe gesucht – durch eine veränderte Arbeitsweise des Projektteams oder durch die Anpassung der Zielplanung. Umgekehrt gilt: Wenn ein Projektteam von Zeitfenster zu Zeitfenster regelmäßig 90% oder mehr seiner geplanten Ergebnisse erreicht, weiß man, dass das Projekt auf der Arbeitsebene gesund ist. 100 90 80 70 60
16 oc he
W
oc he
14
12 W
oc he W
W
oc he
10
8
6
oc he W
oc he W
oc he W
W
oc he
2
4
50 40 30 20 10 0
% Zuverlässigkeit
Trendlinie der Zuverlässigkeit der Arbeitsplanung
Bei diesen Werkzeugen geht nicht um absolute Präzision, sondern um eine annähernd richtige Darstellung von Trends. Die unterliegenden Zahlen sind äußerst einfach zu erheben und die Kurven beruhen nicht auf irgendwie undurchsichtigen Berechnungsformeln. Deshalb sind diese Darstellungen von entwaffnender Einfachheit und großer Glaubwürdigkeit.
224
7 Arbeit pfiffig planen
Transparenz Geradewegs aus dem lean management entlehnt ist das Prinzip, alle wichtigen Informationen zur Arbeitsplanung mit eher einfachen Mitteln transparent zu machen, und zwar für alle Teammitglieder. Was insgesamt getan werden muss, ist in Gebrauchsfällen und der zentralen Aufgabenliste festgehalten. Die aktuellen Vorgaben sind als geplante Ergebnisse für das jeweilige Arbeitsfenster allen bekannt. Was jeder Einzelne macht, ergibt sich aus den ihm zugeordneten Aufgaben, und seine Auslastung ergibt sich aus dem individuellen Restaufwand. Der Stand des Arbeitsfortschrittes ergibt sich aus der Trendlinie des Restaufwands, und die Messung der PlanZuverlässigkeit fühlt dem Projekt quasi den Puls. Dieses Bild eines Projektes ergibt sich aus wenigen Tabellen und Grafiken, die zunächst jeweils ohne zusätzliche Erläuterungen verständlich sind:
Gebrauchsfälle – Verwaltung: Pinnwand/Kasten
Zentrale Liste von Aufgaben/Gebrauchsfällen
Geplante Ergebnisse für das aktuelle Zeitfenster
Aufgabenliste für das aktuelle Zeitfenster
Trendlinie des Restaufwands, zeitfensterübergreifend
Trendlinie der Plan-Zuverlässigkeit.
7.6
Zusammenfassung
Die Zeitplanung auf der Arbeitsebene von Geschäftsprojekten steht vor drei besonderen Herausforderungen: Sie muss verständlich sein, ohne sich auf etablierte Codes und Standards stützen zu können; sie muss in besonderem Maße flexibel sein, um mit häufig wechselnden Vorgaben, Umständen und der Notwendigkeit verschiedener Szenarien umgehen zu können; und sie muss der Unschärfe der weichen Faktoren gegenüber robust sein. Das Mittel der Wahl für die Arbeitsplanung ist in den meisten Fällen ein einfaches, auf einer Seite darstellbares Ablaufdiagramm, welches durch Aufgabenlisten ergänzt wird.
7.6 Zusammenfassung
225
Die Arbeitsplanung folgt dabei vier Prinzipien:
Optimale Einfachheit: Konzentration auf Schlüsselvariablen
Vereinigung technischer und psychologischer Faktoren
Denken vom Ergebnis zum Plan, und von außen nach innen
Einrichten eines Fehler-Frühwarnsystems und Einplanung einer Verbesserungsreserve.
Für Projekte oder Etappen, die mittels des Wasserfall-Modells geplant werden, wird das neue Verfahren der Kritischen Kette vorgestellt. Mit diesem lassen sich sowohl das Risiko einer Fristüberschreitung als auch insgesamt die Projektlaufzeit substantiell verringern. In seinem Kern steht:
Pufferzeiten werden auf der Ebene des Gesamtprojektes zusammengefasst und gemanagt
Projektmanagement und -steuerung fokussieren auf die Kritische Kette, welche dem kritischen Pfad unter Einbezug von Beschränkungen der Ressourcenverfügbarkeit entspricht
Einzelne Tätigkeiten auf der Kritischen Kette werden zeitlich durch das Staffellauf-Prinzip gesteuert.
Das im Kapitel 6 umrissartig dargestellte Modell der Lernzyklen wird für die Arbeitsebene detailliert ausgearbeitet. Es folgt in vieler Hinsicht der agilen Software-Entwicklung, verzichtet jedoch auf die Bereitstellung von Zwischenprodukten. Arbeitsplanung erfolgt auf der Ebene der Zeitfenster, über der die Planungsebenen Etappe, Projektziel und Projektvision stehen. Aus der agilen Software-Entwicklung können zudem Instrumente für die Aufgabenbeschreibung (Gebrauchsfälle) und das Controlling (Schätzung des Restaufwandes, Plan-Zuverlässigkeit) entlehnt werden.
Aufgaben im Management von Geschäftsprojekten Zeit 8. Zusammenarbeit managen 7. Arbeit planen und steuern 6. Zeitverlauf strukturieren 5. Organisation, Team und Ressourcen festlegen 4. Auftrag verhandeln 3. Projektleitung bestellen 2. Projektidee formulieren und bewerten
8
Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Management is getting things done through other people – ein schlichter Spruch, aber zweifelsohne wahr. Wo Geschäftsprojekte in Schwierigkeiten geraten, spielen Probleme der Zusammenarbeit fast immer eine große Rolle. Wenn Leistungen von Zulieferern und andere Beiträge von Beteiligten ausbleiben, mühsam erarbeitete neue Prozesse einfach ignoriert werden, Sitzungen des Lenkungsausschusses immer wieder vertagt werden, die Mitgliedschaft im Projektteam zur Strafe wird, oder wenn Maßnahmenvorschläge blockiert werden – wichtige Ursachen sowie die entsprechenden Rettungsmaßnahmen sind fast immer im Bereich der Zusammenarbeit zu finden. Und auch, wenn alles ruhig läuft, erscheint der Projektleitung das Management der Zusammenarbeit oft wie ein Fass ohne Boden. Etliche Stunden gehen allein in die gedankliche Vorarbeit: Wie bringe ich Herrn X dies bei? Soll ich Frau Y jetzt schon einbeziehen? Wenn ja, in welcher Rolle? Die Umsetzung ist dann ebenso zeitraubend: Andere zu informieren, sie einzubeziehen, ihre Meinung zu hören, ihnen das Projekt zu erklären, und ihren Diskussionsprozess zu begleiten. Für viele Projektleiter tun sich hier unvorhergesehene Abgründe auf. Immer wieder finden wir den Fall des Abteilungsleiters, dem zusätzlich zu seinen Aufgaben in der Linie die Leitung eines Geschäftsprojektes übertragen wird. Er budgetiert 15 bis 25 Prozent seiner Zeit für diese Aufgabe, aber nach kurzer Zeit stellt er erzürnt oder frustriert fest, dass er 75 Prozent und mehr seiner Zeit nur noch in das Projekt steckt. Seine Aufgaben in der Linie muss er vernachlässigen, wichtige Arbeiten werden verschoben und Erwartungen werden enttäuscht. Der ungeplante Mehraufwand rührt dabei fast immer von den weichen, schwer berechenbaren Faktoren.77 77
Ein typischer Fall für die von uns untersuchten Großunternehmen im Rahmen des Forschungsprojektes Organisationsprojekte managen am Institut für Betriebswirtschaft der Universtität St. Gallen, Schwaninger u. Körner 2005
228
8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
In diesem Kapitel stelle ich die wichtigsten Konzepte und Vorgehensweisen für das Management der Zusammenarbeit in Geschäftsprojekten vor. Dabei gehe ich von einem Blick auf das Ganze der Zusammenarbeit aus. Dies erscheint mir wichtig. Andere Handbücher befassen sich meist nur mit Einzelthemen wie Kommunikation, Konflikt oder Gruppendynamik. Desweiteren geht es ganz genau um Zusammenarbeit unter den Rahmenbedingungen der Arbeit in Geschäftsprojekten. So schreibe ich über das Management von Zugehörigkeitsgefühlen, weil die Aufbauorganisation gerade in Geschäftsprojekten regelmäßig in Frage gestellt wird, Zugehörigkeit also zum besonderen Problem wird. Ich schreibe jedoch nichts über Verhandlungsführung – diese wird zwar für das Management von Geschäftsprojekten oft verlangt, stellt jedoch für diese keine besondere Herausforderung im Vergleich zum Management anderer Projekte oder auch zum General Management dar.
8.1
Zusammenarbeit managen: Die Herausforderungen
Was sind die Besonderheiten der Zusammenarbeit in Projekten – noch genauer gesagt: in Geschäftsprojekten? Welches sind in diesem Kontext die besonderen Herausforderungen? Gerade Manager aus der Linie, die zu Leitern von Geschäftsprojekten berufen werden, haben ja schon viel Erfahrung in der Zusammenarbeit. Was gibt es für sie noch zu lernen? Wir gehen zur Beantwortung dieser Fragen auf den oben genannten Leitsatz zurück. Er könnte auf Deutsch folgendermaßen lauten: Management bedeutet, Ergebnisse mit Hilfe anderer Leute zu erreichen. Wenn wir nun genauer hinschauen, müssten wir sagen: Projektmanagement bedeutet, einzigartige Ergebnisse innerhalb einer Frist mit Hilfe von Leuten aus anderen Abteilungen oder Unternehmen zu erreichen – und im Falle von Geschäftsprojekten fügen wir hinzu, dass dies vor dem Horizont hoher Unsicherheit geschieht, Innovationsgeist erfordert und meist mit dem Ziel einhergeht, dass diese Leute ihr Verhalten nachhaltig ändern. Aus diesen Merkmalen ergeben sich die besonderen Herausforderungen an das Management der Zusammenarbeit, die wir uns nun etwas näher anschauen:
8.1 Zusammenarbeit managen: Die Herausforderungen
229
Ungewöhnliche, innovative Ergebnisse Bei den meisten Geschäftsprojekten geht es, um ungewöhnliche Ergebnisse. Es sind Ergebnisse, die neu sind, und vielfach schon allein deshalb auf eine gewisse Ablehnung stoßen. Vielfach zielen diese Projekte zudem ganz bewusst auf Erneuerung und die Überwindung von hergebrachten Verhaltensweisen. Dies vergrößert das Potential für Ablehnung und Widerstand. Desweiteren sind die angestrebten Ergebnisse meist wirklich neuartig, sie müssen also erst einmal entwickelt und erklärt werden. Hinzu kommt, dass in den seltensten Fällen etablierte Begriffe vorhanden sind, um erwartete Ergebnisse und die Problemstellungen auf dem Wege dorthin zu beschreiben. Man kann sich unter diesen wenig vorstellen, oder aber: jeder hat seine eigene Vorstellung. Was ist unter höherem Vertrauen zwischen einem Unternehmen und seinen Zulieferern zu verstehen? Was sind Synergien? Was bedeutet nachhaltig größere Wirtschaftlichkeit? Besondere Herausforderungen für die Zusammenarbeit in Geschäftsprojekten bestehen also darin, dass
der Gegenstand der Zusammenarbeit erst noch entwickelt werden muss, in besonderem Maße erklärungsbedürftig ist und oftmals abgelehnt wird, und dass
keine gemeinsame Sprache oder Begriffe zur Verfügung stehen, um über den Gegenstand der Zusammenarbeit zu sprechen.
Befristung und unendlicher Zeitbedarf Die Befristung der Projekte macht Verständigung und Zusammenarbeit erwartungsgemäß noch schwieriger: Auf der einen Seite steht der feste Termin, und ihm Gegenüber steht ein prinzipiell unendlicher Zeitbedarf, um Dinge ausführlich zu erklären, sich auf Befindlichkeiten einzulassen, Begriffe von verschiedenen Seiten zu beleuchten, und Lernerfolge abzuwarten. So kommt es, dass die Projektleitung ständig auf einer langen Liste eigentlich nötiger Tätigkeiten im Bereich der Zusammenarbeit sitzt, die jedoch nur zu einem geringen Teil überhaupt abgearbeitet werden können. Ein ganz großer Zeitfresser und deshalb möglichst zu vermeiden sind Feh-
230
8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
lerkorrektur und Schadensbeseitigung (rework) in der Zusammenarbeit – wenn man Missverständnisse korrigieren und Sachverhalte richtig stellen, Vereinbarungen nachverhandeln und zu Selbstläufern gewordene Konflikte schlichten muss. Weitere Herausforderungen für das Management der Zusammenarbeit in Geschäftsprojekten bestehen demnach darin,
nur die wichtigsten aus einer langen Liste eigentlich nötiger Tätigkeiten umsetzen zu können und
die Dinge schon beim ersten Mal richtig hinbekommen zu sollen, um aufwändige Nacharbeit zu vermeiden (Prinzip: first time right).
Arbeit quer zur Linie und quer zur Macht Schließlich geht es darum, abteilungs- und funktionsübergreifend zusammenzuarbeiten. Für diese Art der Zusammenarbeit stehen meist keine bewährten Verfahren zur Verfügung. Innerhalb einer Abteilung wird die Zusammenarbeit durch die Vorgesetzten organisiert. Die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen oder Business Units kann vertraglich oder quasi-vertraglich geregelt werden. Dafür, wie Abteilungen im Projektkontext zusammenarbeiten sollen, bestehen jedoch in vielen Unternehmen schlichtweg keine brauchbaren Vorgaben. Es mag zwar unternehmensweite Standards für Projekte geben, aber diese sind in den seltensten Fällen hinreichend eingeschliffen und sparen zudem das Thema Zusammenarbeit meist aus.78 Und selbst, wo solche Standards bestehen und tatsächlich gelebt werden, sind sie selten für die Zwecke von Veränderungs- und Erneuerungsprojekten geeignet. Hinzu kommt, dass die Interessen der Führungskräfte in Linienfunktionen einer funktionsübergreifenden Zusammenarbeit überwiegend entgegen stehen. Trotz nunmehr zweier Dekaden Arbeit an der Projektorientierung von Unternehmen stehen Geschäftsprojekte fast immer vor einer enormen Herausforderung, wenn sie abteilungsund funktionsübergreifende Zusammenarbeit organisieren sollen. Projektmanager müssen deshalb
78
Eine Sonderstellung haben in dieser Hinsicht Unternehmen, die insgesamt mit Kundenprojekten ihr Geld verdienen: Anlagenbau, Entwicklungsbüros, Beratung, etc.; aber auch für diese gilt, dass ihr Projektmanagement für Geschäftsprojekte meist kaum geeignet ist.
8.1 Zusammenarbeit managen: Die Herausforderungen
231
kreativ neue Lösungen für die Organisation der Zusammenarbeit jenseits bestehender Wege und Prozesse finden, und
diese Lösungen gegen hierarchische Interessen absichern, ohne selber über ausreichend formale Einflussmöglichkeiten oder eine informelle Hausmacht zu verfügen.
Zusammenfassung: Drei Herausforderungen Das Management der Zusammenarbeit im Kontext von Geschäftsprojekten unterliegt also ganz besonderen Herausforderungen, die zusammengefasst lauten:
Ungewöhnlichkeit: Gegenstand und Ziel der Zusammenarbeit sind erst noch zu entwickeln, sind erklärungsbedürftig, stoßen oft auf Ablehnung und sind zudem schwer präzise zu beschreiben
Extreme Zeitknappheit: Der gesetzten Frist gegenüber steht ein fast unendlicher Zeitbedarf für notwendige Lern- und Erklärungsprozesse; man muss sich auf wenige Tätigkeiten beschränken, die beim ersten Mal klappen sollten und vor allem nicht zusätzliche Arbeit der Klärung und Schlichtung nach sich ziehen
Arbeit quer zur Linie: Schließlich müssen ständig neue Lösungen für die Organisation der Zusammenarbeit gefunden werden, die potentiell im Konflikt mit bestehenden Interessen und Einflussbereichen stehen.
Fürwahr, das ist nicht einfach! Die Leiter von Geschäftsprojekten müssen also nicht nur die Zusammenarbeit allgemein beherrschen, sondern auch diesen besonderen Herausforderungen gegenüber treten können. Hätte Kolumbus für Königin Isabella einen Palast bauen sollen, so wäre seine Zusammenarbeit mit den Projektbeteiligten wohl einfacher gewesen. Er hätte einen Plan vorgelegt bekommen oder ihn notfalls gezeichnet, und alle weiteren Beteiligten hätten vergleichsweise umstandslos verstanden, was er möchte. Wozu ein Palast gut ist, weiß man schließlich. Besondere Gestaltungswünsche hätte er im Detail erklären können. Die Zeit, bis alles Material beschafft ist und die Grundmauern errichtet sind, hätte er nutzen können, um sich mit den Inneneinrichtern ausführlich über die besonderen Anforderungen eines königlichen Puderzimmers zu unterhalten, und
232
8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise mit dem Putzer über Vor- und Nachteile verschiedener Oberflächen. Wie die Gewerke ineinander greifen, wäre auch geregelt gewesen – keine Frage, dass die Fensterbauer erst kommen, wenn der Rohbau steht. Stattdessen: eine Reise ins Ungewisse, und mehr Anlass für Missverständnisse, als man sich vorstellen kann. Über Indien gab es nur Vermutungen, sowie Reiseberichte seines schlecht beleumundeten Landsmannes Marco Polo. Ganz zu schweigen von den Vorstellungen, die man über den Weg dorthin hatte. Bislang hatte die Seefahrt sich immer entlang der Küsten bewegt. Für viele war klar, dass man weit draußen im Meer mit allerlei Ungetümen würde rechnen müssen. Dem allgemeinen Eindruck nach war dies ein Projekt für Irrsinnige. Die Fahrt, einmal begonnen, stand unter enormem Zeitund Ergebnisdruck. Mit seiner Mannschaft in Diskussionen über ihre Ängste und Hoffnungen einzusteigen, kam für Kolumbus nicht in Frage. Wo hätte das hingeführt? Das gleiche galt für die ‚Inder‘. Angesichts schwindender Lebensmittel und einer zusehends gesundheitlich verfallenden Mannschaft musste Kolumbus hurtig von Insel zu Insel, immer auf der Suche nach Gold und dem Festland. Da blieb wenig Zeit für den Austausch von Ideen und das Verhandeln gemeinsamer Interessen. Ganz arg wurde es, als sein mitfahrender Kapitän Pinzòn anfing, sich auf eigene Faust mit den ‚Indern‘ auseinanderzusetzen – das Blut floss ab nun in Strömen. Kolumbus fand das gar nicht gut, aber Pinzòn zur Rechenschaft ziehen konnte er nicht, denn sie hatten den Einflussbereich der Königin Isabella schon lange verlassen.
Nach dem vorher Gesagten wird es uns nicht mehr überraschen: Erfahrene Leiter von Geschäftsprojekten gehen an die Zusammenarbeit überaus planvoll heran. Sie überlassen gerade in diesem Bereich nur so wenig wie möglich dem Zufall. Ihre Planung ist vielschichtig und baut auf einem Schatz von Erfahrungswissen und jahrelang gereifter Überlegung auf. Sie sind vorsichtig, meist sogar sehr vorsichtig! Und sie sind konsistent, ihr Handeln erscheint aus einem Guss. Gleichzeitig können viele erfahrene Projektleiter – die Projekthelden ihrer Unternehmen – ihren Managementansatz für die Zusammenarbeit meist nur schwer darstellen. In diesem Kapitel beabsichtige ich nun, diese
8.2 Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
233
Begegnung des Kolumbus mit den Indern (Holzstich, 1493)
Esoterik des Erfahrungswissens der Helden so weit als möglich durch ein methodisch ausgewiesenes Vorgehen zu ersetzen.
8.2
Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
Gerade im Bereich der Zusammenarbeit weiß man selten, was kommt. Deshalb ist es sinnvoll, sein Vorgehen zunächst einmal durch Prinzipien leiten zu lassen, welche auf verschiedene Situationen angewendet werden können, und dem eigenen Verhalten dann innere Logik und äußere Gestalt verleihen. Im Folgenden stelle ich die meiner Erfahrung nach wichtigsten Prinzipien für das Management der Zusammenarbeit vor.
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Prinzipien der Zusammenarbeit 1. Verbindliche Zusagen unter Beteiligten 2. Dazugehörigkeit staffeln 3. Offene, fehlertolerante Projektkultur 4. Widerstand anerkennen Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
1. Verbindliche Zusagen unter Beteiligten statt Kontrolle von oben In Geschäftsprojekten kann ein großer Teil der erforderlichen Leistungen nicht vom Projektteam selber erbracht, sondern muss von einem Beteiligten bzw. einer beteiligten Gruppe beigetragen werden. In jedem dieser Fälle sollte die Projektleitung nicht versäumen, sich die einfache Frage zu stellen: Warum sollten er oder sie das tun? Ich bin immer wieder verblüfft, wie viele Projektleiter hier mit unzulänglichen Antworten arbeiten. Oft heißen diese nämlich: Weil das so geplant ist, oder Weil dies ihre Aufgabe ist. Das ist aber zu wenig, wie die frustrierende Praxis zeigt. Enttäuschung ist gewissermaßen vorprogrammiert. Es lohnt sich, dies näher anschauen: wie kommt es, dass geplante Leistungen so oft nicht erbracht werden? Die Antworten vieler Manager dazu heißen: fehlerhafte Planung oder mangelnde Disziplin. Und im Umkehrschluss: was sauber geplant ist, wird erwartet. Dahinter steht der Glaubenssatz, dass Leistung durch Ordnung und Vollzug erreicht wird. Nichts gegen diese beiden Tugenden – aber wir wissen mittlerweile, dass sie unzureichend sind, um in wissensbasierten Unternehmen erfolgreich zu sein. Dieser Glaubenssatz übersieht nämlich, dass wissensbasierte Arbeit in vielen Fällen gegen einen unendlichen Aufgabenhorizont anarbeitet. Für Stabsstellen, Forschung, Marketing und andere vor allem mit Wissen, Informationsverarbeitung und Kommunikation befassten Arbeitseinheiten
8.2 Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
235
gilt: Hinter jeder Anfrage kommen drei neue, jedes Rechercheergebnis wirft drei neue Fragen auf, hinter jedem interessanten Kontakt stehen drei weitere, jede Verbesserung weist den Weg zu drei weiteren. Die Anzahl möglicher, wichtiger, und legitimer Aufgabenstellungen ist unendlich und der virtuelle Eingangskorb dieser Arbeitsstellen ist immer bis zum Rande voll. Hinzu kommt: In diesen wissensbasierten Unternehmen führen immer mehr Arbeitsvorgänge nicht mehr zu eigenständigen und fassbaren Produkten, die spezifiziert werden können. Wann genügend Wissen erarbeitet, Information vorhanden oder Bewusstsein erzeugt ist, lässt sich schlecht vorab festlegen und auch kaum messen. Angesichts nur grober Aufgabenspezifikationen und einem gleichzeitig überquellenden Korb von Aufgaben besteht erfolgreiche Leistungserbringung dann nicht mehr darin, ein Produkt komplett herzustellen oder einen Prozess komplett abzuarbeiten. Vielmehr geht es nur noch darum, das Notwendigste zu tun, damit man weiterarbeiten kann. Etwas pointiert formuliert kann man sagen: Das Ziel einer Stelle kann nicht sein, ihre Aufgaben zu bewältigen – das wäre schlicht aussichtslos – sondern vielmehr, wichtige Aufgaben nicht unerledigt zu lassen.
Weiterhin kann der Arbeitsanfall für das Einholen von Informationen, die Recherche, das Schreiben von Stellungnahmen, oder das Ausloten von Beziehungen kaum kalkuliert werden. Die Schulbuchregel, sich 20 oder 30 Prozent seiner Zeit für Unvorgesehenes zu reservieren, versagt, weil der größte Teil der Aufgaben sowieso ein unvorhersehbares Ausmaß hat. Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass gerade Stabsstellen oft von Tag zu Tag neue Arbeitsaufträge bekommen, eine Vorausplanung also außerordentlich flexibel sein muss! Es liegt also in der Natur wissensbasierter Arbeit, dass zentrale Vorausplanung und Vollzugskontrolle weitgehend versagen. Leistungen können kaum noch angeordnet werden, denn ihre Einordnung in den Strom täglicher Aufgaben ebenso wie ihre Gestaltung und Begrenzung erfordern Wissen und Entscheidungsspielräume, die nur noch der Leistungserbringer selbst hat. Der Projektleiter, der nichterbrachte Leistungen einklagen will, hat somit meist nicht das Problem, dass sein Gegenüber disziplinlos wäre
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
oder nicht fein genug geplant hätte. Vielmehr bekommt er zu hören, wie es ist: Sorry, ich hatte Wichtigeres oder Dringenderes zu tun! Welche Alternativen bestehen, um trotzdem Planbarkeit und Sicherheit in die Leistungserbringung bekommen? Die Antwort liegt in hohem Maße in der dezentralen Koordinierung der Zusammenarbeit durch die Beteiligten selbst, die miteinander auf Augenhöhe arbeiten. Die zentrale Aufgabenplanung im Projekt hat dann nicht mehr die Rolle, einzelne Aufgaben zu definieren und zuzuweisen. Vielmehr dient sie als die Vorlage für ein Netz jeweils noch zu vereinbarender persönlicher Versprechen von Leistungserbringern gegenüber den entsprechenden Leistungsempfängern. Neben der Gestaltung dieser Vorlagen hat die Projektleitung die Aufgabe, die entsprechenden Prozesse in die Projektarbeit einzuführen und zu managen. Der amerikanische Projektmanagement-Vordenker Hal Macomber hat dieses Thema in den letzten Jahren unter dem Stichwort securing reliable promises bearbeitet – was ich mit verbindliche Zusagen einholen übersetze. In Kapitel 10.2 stelle ich ein Vorgehensmodell vor, welches auf dieser Grundlage aufbaut.
2. Dazugehörigkeit staffeln und Erwartungen managen Dazugehörigkeit zum Projektteam, oder zum Kreis der Projektbeteiligten spielt oft eine wichtige Rolle. Viele Institutionen arbeiten mit einer Logik der Dazugehörigkeit – wenn zum Beispiel eine Business Unit sich einem Konzern dazugehörig fühlt, eine Filiale dem Unternehmen oder eine Lokalverwaltung der Landesregierung. Genauso fühlen und handeln einzelne Führungskräfte oder Mitarbeiter im Unternehmen unterschiedlich, je nachdem, ob und in welchem Maße sie einer Abteilung, einem Projektteam, einem eingeweihten Kreise oder anderen Institutionen und Gruppen angehören, oder nicht. Wer sich dazugehörig fühlt, teilt Informationen und Risiken und kann formlos angesprochen werden; wer nicht dazu gehört, nimmt weniger Rücksicht und ist im Zweifelsfall nicht verfügbar. In Routineoperationen wird die zentrale Bedeutung dieser Kategorie meist nicht wahrgenommen, weil sie ja sowieso fraglos gegeben ist – Anstellungsvertrag und Stellenbeschreibung regeln diese Fragen. Bei Geschäftsprojekten hingegen wird diese Kategorie plötzlich dynamisch – wer in welchem
8.2 Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
237
Maße zum Projekt gehört oder eben nicht, ist meist gar nicht so klar. Das schafft eine gehörige Portion Verunsicherung. Diese Verunsicherung wird ganz unnötig zu einem echten Problem, wenn die Projektleitung dann ein zu einfaches Modell von Zugehörigkeit präsentiert: zum Beispiel, wenn sie ein Organigramm des Projektes verteilt und der Eindruck vermittelt, dass die und die Personen und Abteilungen zum Projekt dazu gehören, und andere nicht. Oder wenn Veranstaltungen organisiert, werden, bei denen sich das Projektteam oder die Projektbeteiligten treffen. Die gelebte Projektpraxis kennt an dieser Stelle jedoch keine statische Aufteilung in Schwarz und Weiß, sondern Graustufen und Muster. Anstelle der Gegenüberstellung von Projektteam/Projektbeteiligten und allen Anderen gibt es in Wirklichkeit einen Projektkern, der meist aus der Leitung und einen oder zwei Vertrauten besteht, ein Projektkernteam, ein erweitertes Projektteam, einen Kreis von Beteiligten ersten Grades, einen Kreis von Beteiligten zweiten Grades, und so weiter. Und je nach aktueller Aufgabestellung wird keine dieser Graustufen als Team oder Gruppe – also insgesamt als Dazugehörige – beteiligt. Vielmehr wird es meist sinnvoll sein, für ein anstehende Diskussion Diejenigen aus dem jeweiligen Kreis zu beteiligten, deren Anwesenheit aus sachlichen Gründen speziell erforderlich ist. Angesichts der Vielzahl von Beteiligten ist für die allermeisten Geschäftsprojekte eine solche selektive Beteiligung schon allein deshalb nötig, damit das Projekt nicht in Besprechungen erstickt oder sich in endlosen Entscheidungsprozessen festfährt.
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Gehört ... Gehört zum Projektteam
…
…
Gehört nicht zum Projektteam
… ... nicht zum Projektteam
Dazugehörigkeit – besser in Graustufen als in Schwarz/Weiss
Das Problem hier besteht vor allem im Erwartungsmanagement: Wer sich als im obigen Sinne dazugehörig sieht, erwartet, in entsprechendem Maße informiert und in Entscheidungen einbezogen zu werden. Geschieht das nicht, wird es als Abwertung empfunden. Das letztere ist allen Beteiligten klar, und so sind viele Projektbesprechungen mit Teilnehmern überladen, die inhaltlich kaum etwas beitragen können, aber eben eingeladen wurden, weil man sie schlecht außen vor lassen kann. Aufgrund des allgegenwärtigen Leistungsdrucks lässt sich jedoch eine solchermaßen rein formal begründete Beteiligung kaum lange durchhalten. So sehen sich dann immer mehr Beteiligten schleichend formellen wie informellen Besprechungen ausgeschlossen, fühlen sich verunsichert und im schlimmeren Falle verraten. Der Ausweg ist hier vergleichsweise einfach: Die Frage der Dazugehörigkeit wird nicht anhand des Organigramms geklärt, weil es die genannten Graustufen eben nicht wiedergeben kann, und es werden keine falschen Erwartungen durch übertriebene Gruppenbildungsrituale geschaffen. Vielmehr wird die Frage der Dazugehörigkeit flexibel gehandhabt, mit dem Ziel Erwartungen und Möglichkeiten in Einklang zu bringen.
8.2 Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
239
Dazu stellt die Projektleitung in einem Gespräch mit den Beteiligten klar, dass es in dem betreffenden dynamischen und umfassenden Projekt unterschiedliche Grade der Beteiligung geben wird. Wer in welchem Maße dazugehört, also zum Beispiel in Absprachen einbezogen wird, werde je nach Projektphase und inhaltlichen Schwerpunkten, also themen- und fallbezogen vereinbart. Die Projektleitung werde versuchen, mit jeder Beteiligtengruppe beziehungsweise jedem Beteiligten eine Vereinbarung darüber zu treffen, an welchen Themen sie oder er beteiligt sein möchte. Das schafft zunächst zusätzliche Komplexität auf der formalen Ebene; gewonnen werden jedoch ein sehr viel einfacheres Erwartungsmanagement im Hinblick auf die Beteiligung, sowie die Sicherheit, dass keine Ursachen für unnötige, untergründige Konflikte geschaffen wurden. Ein solches Vorgehen löst nicht das Problem, dass die Dazugehörigkeit oft ungeklärt ist. Aber das ist oft auch kaum möglich, besteht ein wesentlicher Aspekt von Projektarbeit doch genau darin, dass man über bisherige Schranken hinweg zusammenarbeitet. Es liegt gewissermaßen in der Natur der Sache, dass die Frage nach der Zugehörigkeit oftmals offen bleiben muss. Und selbst wenn es im Einzelfall möglich wäre, in einem abteilungsübergreifenden Projekt alle Fragen der Zugehörigkeit zu klären, würde man damit wahrscheinlich den Ansatz für neue Verkrustungen schaffen – und das sollte man sich genau überlegen. Die unvermeidbare Verunsicherung können Unternehmen und Mitarbeiter unterschiedlich gut ertragen, je nach Arbeits- und Kommunikationskultur beziehungsweise Persönlichkeitsstruktur. In öffentlichen Institutionen begeben sich Führungskräfte und Mitarbeiter nicht selten in eine schutzsuchende Haltung. In diesen Fällen ist mit Widerstand zu rechnen, wenn man ihnen ihre klare Orientierung im Hinblick auf Dazugehörigkeit wegnimmt. Abhilfe schafft hier der Verweis auf die schon genannte Tatsache, dass Unklarheit über Zugehörigkeiten bei abteilungsübergreifenden Projekten normal ist. Desweiteren ist es hilfreich, Sicherheit für die Projektbeteiligten dadurch zu schaffen, dass sie ein klar vereinbartes, Mindestmaß an gemeinsamer Information erhalten. Dies wird im nächsten Abschnitt besprochen.
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
3. Eine offene, fehlertolerante Projektkultur schaffen Die Führungsweise in vielen Unternehmen ist immer noch am mechanistischen Weltbild der industriellen Massenproduktion orientiert. Dies führt zu einer ausgeprägten Orientierung ihrer Arbeits- und Kommunikationskultur auf Kontrolle und Fehlervermeidung. Das Idealbild für die Erledigung von Aufgaben ist die reibungslose und plangerechte Exekution. Der industriell arbeitende Mensch wird als Maschine gesehen. Seine anderen Seiten – zum Beispiel Kreativität, Engagement und Innovationsgeist – werden nicht als Ressourcen begriffen, sondern als potentielle Störfaktoren (… und Toyota wird als Ausnahme von der Regel gefeiert). Kontrolle und Fehlervermeidung sind natürlich wichtig. Sich aber überwiegend auf Kontrolle und Fehlervermeidung zu verlassen, ist allenfalls für diejenigen Aufgaben sinnvoll, die überhaupt verlässlich geplant werden können. Und dies ist, wie wir im Kapitel zur Arbeitsplanung gesehen haben, oft nur ein kleiner Teil. Zudem hat eine zu große Betonung der Fehlervermeidung in unserer unvollkommenen Welt einen Preis, nämlich dass die handelnden Personen Entscheidungen vermeiden, verzögern oder sich von ihnen distanzieren, um sie nicht verantworten zu müssen. Aus der Gegenrichtung gesehen stehen Geschäftsprojekte wie auch Expeditionen immer wieder vor bislang unbekannten Problemen. Auch leben sie in hohem Maße davon, sich in ihrem Verlauf ergebende Chancen zu erkennen und wahrzunehmen. Unbekannte Probleme zu lösen und Chancen zu ergreifen erfordert Innovationsgeist, Kreativität und Engagement. Man akzeptiert Ungewissheit und damit auch das Risiko, Fehler zu machen. Und grundsätzlich gilt ja auch: Wer keine Fehler machen darf, kann auch nicht lernen und somit keine Neuerungen hervorbringen. Dass Fehler zum Lernen gehören, bestätigt die Lernforschung. Und niemand sagte es so schön wie Tom Peters: „Macht Fehler, und macht sie schnell – denn woraus wollt Ihr sonst lernen?“
Wie immer man das Verhältnis von Kontrolle und Fehlervermeidung einerseits und Kreativität, Engagement und Innovationsgeist andererseits für die Routineaufgaben im Unternehmen bewerten mag – für die Umsetzung von Geschäftsprojekten sind die drei letztgenannten Verhaltensmuster in der Regel die wichtigeren. Eine offene und fehlertolerante Projekt-
8.2 Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
241
kultur zu schaffen ist deshalb eine der besten Investitionen, die eine Projektleitung auf dem Gebiet der Zusammenarbeit tätigen kann. Offenheit bedeutet, dass Informationen frei fließen, die Projektarbeit also allen Beteiligten transparent ist. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass kritische Chancen oder Risiken erkannt werden – denn vier, sechs oder acht Augen sehen natürlich mehr als zwei. Offenheit bedeutet auch, dass Projektbeteiligte sich eingeladen fühlen, sich mit ihrem Wissen, ihren Ideen und ihren Kontakten zu engagieren, und Ressourcen einzubringen, zu denen sie individuell einen besonderen Zugang haben. Das Prinzip Offenheit kann zum Beispiel in folgenden Grundsätzen zum Ausdruck kommen, die von der Projektleitung erklärt und gelebt werden:
neue Ideen werden grundsätzlich gehört und niemals direkt verworfen; eine momentan unpassende Idee wird in den Ideenspeicher gelegt
bei der Suche nach Problemlösungen werden Lösungen, die von Anderen beziehungsweise von außen kommen, gleichwertig mit einbezogen
niemand, von dem Beiträge zu komplexen Problemlösungen erwartet werden, wird auf seine Rolle oder seine bisherigen Beiträge festgelegt.
Des Weiteren sollte die Projektleitung Fehlertoleranz als Prinzip für die Zusammenarbeit ganz ausdrücklich verkünden. Fehlertoleranz bedeutet nicht, dass jeder alles machen darf, was ihm einfällt. So gibt es bestimmte Bereiche, in denen die Projektleitung sich vorbehalten wird, immer beteiligt zu sein – zum Beispiel im Umgang mit dem Auftraggeber oder mit wichtigen Kunden. Und es gibt meistens Qualitätsstandards, die für alle Projektmaßnahmen gelten – zum Beispiel die Pflicht zur Dokumentation, das Vier-Augen-Prinzip oder die Einhaltung im Unternehmen vorgegebener Standards und Prozesse. Fehlertoleranz bedeutet deshalb, innerhalb des so von der Projektleitung definierten Rahmens einen Fehler mindestens einmal machen zu dürfen, ohne dass dies negativ bewertet wird. Die Beteiligten werden der Projektleitung dieses Bekenntnis erst abnehmen, wenn sie Fehlertoleranz auch praktiziert sehen. Ein schlichtes Mittel, um das Prinzip immer wieder zu demonstrieren – ohne, beziehungsweise bevor Fehler gemacht wurden – ist die häufige Verwendung von brainstormings. Diese vermitteln auf lebendige Weise das Prinzip,
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
dass im Nachhinein als Fehler zu klassifizierende Versuche durchaus ihren Wert haben und dass gute Lösungen auch aus teilweise mangelhaften Ansätzen entstehen können. So weit, so gut und so einfach. Das bisher Gesagte wird vielen Lesern nicht wirklich neu sein. Warum aber ist es immer noch so häufig, dass auch Geschäftsprojekte unter übermäßiger Kontrollorientierung und Fehlervermeidungshaltung leiden? Und was kann man tun, um diese Hindernisse zu überwinden? Meiner Beobachtung nach sind in der Regel die Bereitschaft der Projektleitung, Verantwortung zu übernehmen, sowie ihre Entschlusskraft ausschlaggebend: Wo ein Verantwortungsvakuum entsteht – und das ist bei Geschäftsprojekten regelmäßig und strukturell bedingt der Fall – schalten die meisten Unternehmen und ihre Mitarbeiter auf Kontrolle und Fehlervermeidung. Werden im Projekt Kreativität, Engagement und Innovationsgeist erwartet, so sind diese aber nur genau in dem Maße möglich, in dem jemand die das Verantwortungsvakuum beseitigt und somit die Verantwortung für mögliche Fehler übernimmt. Sehr oft ist es eine wichtige Funktion der Projektleitung, genau diese Verantwortung zu übernehmen. Hier gilt übrigens, wie so oft: Diese Verantwortung kann man nicht übertragen bekommen, man kann sie sich nur nehmen. Schlussendlich ist es deshalb auch die Entschlusskraft, die in dieser Hinsicht bei den Projektleitungen die Spreu vom Weizen trennt.
4. Widerstand anerkennen und bearbeiten Nicht alle Geschäftsprojekte müssen auf Widerstand treffen. Innovation – also die Entwicklung von Neuerungen – und auch die Bereitstellung besserer IT-gestützter Prozesse können durchaus von allen Beteiligten als Gewinn erlebt werden. Widerstand entsteht vor allem in Bezug auf die Veränderungsdimension von Geschäftsprojekten. Eine alte Faustregel aus der Organisationsentwicklung besagt, dass bei anstehenden Veränderungen etwa ein Drittel der Betroffenen mitzieht oder sich sogar engagiert, ein weiteres Drittel sich neutral verhält und das letzte Drittel offenen oder verdeckten Widerstand ausüben wird – unabhängig
8.2 Vier Prinzipien der Zusammenarbeit
243
vom Ziel der Veränderung. Vielleicht ist das sogar noch untertrieben. Die Harvard-Professoren Beer und Nohria, die sich sehr fundamental mit der Praxis und Theorie des Unternehmenswandels auseinandergesetzt haben, gehen davon aus, dass nur etwa ein Drittel aller Veränderungsprojekte in Unternehmen erfolgreich sind – also zwei Drittel mehr oder weniger scheitern.79 Und sie geben offen zu, dass es bislang keine befriedigende konzeptionelle Grundlage für den geplanten Wandel in Unternehmen gibt. Andere Faktoren werden für das schlechte Abschneiden von Veränderungsinitiativen auch eine Rolle spielen: schlechte Planung, undisziplinierte Durchführung, Umwelteinflüsse, und so weiter. Aber es ist zu vermuten, dass Widerstand der Betroffenen in vielen Projekten eine große Rolle spielt. Das Gesagte mag vielen Leser banal vorkommen. Für sie ist es vollkommen klar, dass Unternehmen letztlich durch die Verhaltensroutinen ihrer Mitarbeiter geprägt werden; dass eine Veränderung des Unternehmens also bei den Mitarbeitern ansetzen muss; dass diese wiederum sich nicht zufällig so verhalten, wie sie es gerade tun, und dass somit der Versuch, ihr Verhalten zu ändern, immer auch auf Widerstand stoßen wird. Beer und Nohria haben dies die Theory O (wie organization) der Veränderung genannt. Hier steht, verkürzt gesagt, der Mensch im Mittelpunkt. Es gibt jedoch auch eine ganz andere Sichtweise auf Unternehmen und ihre Veränderung, die in Unternehmen – und gerade auf den Chefetagen – ebenso zu finden ist. Das Unternehmen wird hier eher als wertschöpfende Maschine betrachtet. Veränderung erfolgt, in dem man die Steuerungsparameter verändert oder Teile umfunktioniert beziehungsweise austauscht. Beer und Nohria nennen diesen Ansatz Theory E (economic value). In der deutschsprachigen Diskussion klingt eine ähnliche Unterscheidung an: zwischen einer mitarbeiterzentrierten Organisationsentwicklung und einer auf Kennzahlen ausgerichteten Vorgehensweise, die oft als change management bezeichnet wird.80 Es ist nun keineswegs banal, sich als Leiter eines Geschäftsprojektes Gedanken zu machen, wie ein möglicherweise erfahrener Widerstand eingeordnet wird: Ist Widerstand etwas, was dem reibungslosen Funktionie-
79 80
Beer u. Nohria 2000 Vgl. Jansen et al. 2001, Heitger u. Doujak 2002; dies hat nichts gemein mit dem Change Control im Sinne des Konfigurationsmanagements.
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
ren des Unternehmens einfach nur entgegensteht, was falsch ist, und was deshalb ignoriert, umgangen oder auch gebrochen werden sollte? Man mache sich hier nichts vor: Genau so wird Widerstand von vielen Entscheidern und auch Mitarbeitern empfunden. Und wenn der Auftraggeber des Vorhabens selbst nicht diesem kennzahlenorientierten Change Management anhängt, besteht durchaus die Möglichkeit, dass seine Vorgesetzten oder Kollegen es tun. Oder ist Widerstand normal, und sollte bearbeitet werden? So gibt es für die praktische Umsetzung von Geschäftsprojekten vielfach Vorgaben, die eher in Richtung von Organisationsentwicklung zeigen: Wenn zum Beispiel Akzeptanz der Veränderung bei den Mitarbeitern als Erfolgskriterium gesehen wird, oder wenn ganz allgemein eine beteiligungsorientierte Durchführung gewünscht wird. Im Bezugsrahmen der Theory O ist Widerstand dann keine unschöne Randgröße mehr, sondern tritt in das Zentrum der Veränderungsarbeit. In diesem Bezugsrahmen ist Widerstand gut, denn das, was die Mitarbeiter verteidigen, zeigt erst, wie eine Organisation auf der Ebene ihrer untergründigen Verhaltensstrukturen wirklich funktioniert. Nur am beziehungsweise gegen den Widerstand lassen sich echte, nachhaltige Veränderungen entwickeln. Hier gilt die alte Seefahrer-Regel: hart am Wind geht es am zügigsten voran. Aus dieser Perspektive wird man ein Problem eher darin sehen, wenn es keinen Widerstand gibt, oder wenn kalter Widerstand nicht als solcher erkannt wird. Die genannten Harvard-Professoren sagen nun mit guten Gründen, dass die Wissenschaft nicht genug weiß, um sich für die eine oder die andere Theorie der Veränderung zu entscheiden. Sie sehen hier vor allem einen Glaubenskampf, mit dem man umzugehen lernen muss. Diesen gibt es wahrscheinlich in den meisten Unternehmen. Eine wichtige Aufgabe für die Leitung von Geschäftsprojekten besteht deshalb darin, sich mit ihrem Paten beziehungsweise dem weiteren Auftraggeberkreis abzustimmen, welche Glaubensrichtung vorherrscht. Ich habe es immer wieder gesehen, dass Projektleitungen in ihrer Arbeit auf den Faktor Mensch und Beteiligungsorientierung setzen, während die Auftraggeber eigentlich nur eine geradlinige Umsetzung der neuen Vorgaben sehen wollen, egal wie es den Mitarbeitern damit geht. Der beteiligungsorientierte Ansatz der Projektleitung ist in solchen Fällen wenig wirksam,
8.3 Unternehmenskultur erkennen und nutzen
245
weil entsprechende Maßnahmen regelmäßig zu spät und zu beschränkt sind. Er führt zu einem schleichenden Reputationsverlust der Projektleitung bei den Beteiligten, weil ihre partizipative Vorgehensweise von den Entscheidungen der Ebene darüber zu schönen Sprüchen degradiert wird. Mitarbeiter und andere Beteiligte werden auf diese Weise enttäuscht, sie werden zynisch und beteiligungsresistent. Das Engagement für das Projekt, welches am Anfang vielleicht hochgeschaukelt wurde, bröckelt ab, die Projektergebnisse können nicht erreicht werden. Hier gilt es, die Situation nicht schönzureden, Glaubwürdigkeit zu bewahren, und den Mitarbeitern sowohl die Anforderungen als auch die möglichen Gegenleistungen deutlich zu machen. Wo sich allerdings Auftraggeber zu einem beteiligungsorientierten, mitarbeiterzentrierten Vorgehen bekennen, sollte der Raum für diese Art des Vorgehens kontinuierlich erweitert und vollständig ausgenutzt werden. Widerstand ist einerseits eine Hilfe, um zu erkennen, was für die Beteiligten wirklich anliegt – also auf der tieferen Ebene von Verhaltensmustern, Wertebindungen und Interessen. Desweiteren kann man vielfach am Widerstand selbst arbeiten – und damit ist fast immer sichergestellt, dass man seine Zeit nicht vergeudet.
8.3
Unternehmenskultur erkennen und nutzen
Der Ton macht die Musik Wie ganz allgemein im zwischenmenschlichen Umgang gilt auch für die Zusammenarbeit in Geschäftsprojekten: Der Ton macht die Musik. Ein bedeutendes Pharma-Unternehmen verlagert einen Teil seiner Forschungsabteilung aus der Schweiz in die USA. Angesichts einer dünner werdenden Pipeline von Wirkstoffen soll die Produktivität gesteigert werden, und zwar massiv. Der neue Forschungsleiter verkündet auf seiner firmeninternen Homepage seinen ungefähr 3000 Herren und Frauen Doktoren, die mit sich und der Welt in ihrem herausgehobenen Umfeld bislang sehr zufrieden waren: „Die tradi-
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise tionelle Art der Pharmaforschung ist obsolet!“ Eine radikale Aussage, ohne jede Würdigung des Bestehenden – zutiefst unschweizerisch, aber vielleicht wirksam?
Vor allem, wenn man ein neues, erklärungsbedürftiges Anliegen vertritt, keine Zeit für Erklärungen hat und jederzeit mit Widerstand rechnen muss, hat man allen Grund, von Anfang an die Art und Weise seines Auftretens auf die jeweilige Umgebung präzise abzustimmen. Man kann versuchen, seine Anliegen möglichst im Einklang mit der bestehenden Arbeits- und Kommunikationskultur zu präsentieren, um vielleicht eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Oder man setzt sich stellenweise von dieser ganz bewusst ab, um die Botschaft zu verstärken, dass jetzt neue Saiten aufgezogen werden. Unter allen weichen Themen ist die Arbeits- und Kommunikationskultur das weichste. Was dem einen Ermutigung ist, erscheint dem anderen als Beleidigung. Was der eine schnell findet, findet der andere langsam. Was für den einen Tabu ist, regt den anderen zu freier Diskussion an. Worte, die Herrn A übel genommen werden, sind aus dem Munde von Herrn B Anlass für Applaus. Diese Unterschiede bestehen nicht nur zwischen Individuen, sondern auch zwischen Gruppen. Insofern ist auch das Verständnis des im Beispiel genannten Satzes kulturgebunden – junge Chinesen, die an amerikanischen Universitäten zu Spitzenwissenschaftlern geworden sind und deshalb schon manches Alte hinter sich gelassen haben, werden den im obigen Beispiel wiedergegebenen Satz des Forschungsleiters vielleicht tatsächlich als Ermutigung empfinden.
8.3 Unternehmenskultur erkennen und nutzen
247
Erste europäische Darstellung der Bewohner der westindischen Inseln (ca. 1500) – freundlich, aber doch irgendwie anders
Kultur erheben, erleben und verstehen Die Wirksamkeit der Zusammenarbeit und damit der Erfolg von Geschäftsprojekten kann also in ganz großem Maße davon abhängig sein, dass die Projektleitung kompetent mit der Arbeits- und Kommunikationskultur der jeweiligen Beteiligtengruppen umgeht. Welche Möglichkeiten bestehen, diese zu erheben? Kultur selbst lässt sich ja kaum beobachten, sondern liegt – um das bekannte Bild des Eisbergs heranzuziehen – weit unter der Wasseroberfläche. Die Spitze des Eisbergs wird durch beobachtbares Verhalten gebildet (zum Beispiel: Kundenanfragen zu beantworten dauert länger als nötig). Darunter liegen Verhaltensmuster (Befördert wird, wer dem Chef zuhört, nicht den Kunden) und schließlich Werte (Gut ist, was wir selber machen – von draußen kommt nur Schlechtes).
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Verhalten
Verhaltensmuster
sichtbar
unsichtbar
Werte
Kultur als Eisberg: der größte Teil ist verborgen
Studien können in diesem Zusammenhang recht aussagekräftig sein, denn Unternehmenskultur ist recht stabil und zudem in weiten Teilen kein Geheimnis, welches besonders gehütet wird. Solche Studien werden von Unternehmensanthropologen oder Organisationsentwicklern erstellt. Allerdings wird man nur in Ausnahmefällen den Aufwand einer solchen Studie wirklich treiben wollen, zum Beispiel als Cultural Due Diligence im Rahmen einer Unternehmensübernahme. Auf Hörensagen kann man allenfalls etwas geben, wenn man die entsprechenden Informanten wirklich gut kennt. Vielfach wird es deshalb letztlich die Projektleitung selber sein, die sich ein entsprechendes Bild machen muss. Es sind persönliche sprachliche und bildliche Eindrücke, die man als Projektleiter aufnimmt und quasi als Puzzleteile zu einem Bild zusammensetzt. Genau diese Bindung an die persönliche Kommunikation und das individuelle Erleben macht den Unterschied zwischen einer e-mail, einem Telefonat, einer Video-Konferenz und einem direkten Gespräch aus. Auch neueste Untersuchungen zu virtuellen Teams in globalen Unternehmen bestätigen die Einschätzung, dass ein gekonnter Umgang mit
8.3 Unternehmenskultur erkennen und nutzen
249
der Arbeits- und Kommunikationskultur des Gegenübers wichtig ist, und dass es dafür des persönlichen Kontaktes bedarf.81
Fünf Herzen fühlen mehr als eines Neben der persönlichen Beobachtung und Studien gibt es noch ein weiteres, probates Mittel zur Erhebung von Unternehmenskultur: die Wahrnehmungsfähigkeit von Gruppen zu nutzen. Ich hatte diese unter dem Aspekt der Entscheidungsabsicherung schon im Kapitel zum Projektteam (5.2) angesprochen. Fachleute in Gruppendynamik betonen – und meine Erfahrung bestätigt dies – dass Gruppen gerade für ganz weiche Themen oft eine bessere Einschätzung haben als Einzelne.82 Jeder einzelne Mensch hat gewisse Wahrnehmungsfilter, die von seiner Persönlichkeit und aktuellen Verfassung geprägt sind. Wahrscheinlich ist es bei Gruppen so, dass bei einer freien Diskussion die unterschiedlichen Wahrnehmungsfilter der einzelnen Gruppenmitglieder sich gegenseitig aufheben und eine Art verlässlicher Mittelwert produziert wird. Der Mehrwert der Gruppe kommt also in dem Maße zum Tragen, in dem die Gruppenmitglieder sich in einem offenen Diskussionsprozess untereinander einigen, die Meinung der Gruppe von allen Mitgliedern getragen wird und kein Erwartungsdruck auf dem Ergebnis lastet. Angenommen, die Projektarbeit führt uns in ein Unternehmen im Ausland. Die Projektleitung könnte eine Besprechung mit den Team-Mitgliedern aus diesem Unternehmen nutzen, die Frage zu stellen: „Wenn Sie Ihr Unternehmen mit anderen Unternehmen aus Ihrem Land und Ihrer Branche vergleichen – wodurch hebt sich die Art, wie sie in Ihrem Unternehmen arbeiten und miteinander umgehen von der in anderen Unternehmen ab? Bitte einigen Sie sich auf drei bis fünf Merkmale – positive oder auch negative, und benennen für jedes dieser Merkmale auch konkrete Verhaltensweisen.“ Eine Gruppe könnte zum Beispiel zu dem Ergebnis kommen, dass
81 82
Kliem 2004 Doppler et al. 2002
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
die Belegschaft verunsichert ist, was sich darin ausdrückt, dass Anweisungen oft erst nach einer Rückversicherung ausgeführt werden
die Leistungsbereitschaft hoch ist, was man zum Beispiel daran sieht, dass Verspätungen bei Sitzungen von den Kollegen kaum toleriert werden, und
es starke Konkurrenzgefühle gegenüber einem Schwesterunternehmen im Konzern gibt; was man zum Beispiel daran erkennt, dass kaum jemand sich dorthin versetzen lässt, oder von dort in das eigene Unternehmen aufgenommen wird.
Diese Wahrnehmungsfähigkeit von Gruppen kann man also im Rahmen von Team-Sitzungen nutzen. Will man genauere oder zuverlässigere Einschätzungen bekommen, so bietet sich an, Gruppen speziell für solche Einschätzungsaufgaben zusammenzustellen, oder diese am Rande von größeren Workshops bearbeiten zu lassen. Allerdings gilt die Einschränkung: Die Einschätzung von Gruppen ist zuverlässig für die Ebene des konkreten Verhaltens und meist auch für die der unmittelbar darunter liegenden Verhaltensmuster. Wo es jedoch um die noch tiefer liegenden Wertbindungen geht, liegen Gruppen jedoch oft falsch. Sie geben die kollektive Moral als Sollzustand wieder – also ein idealisiertes Bild – und nicht die tatsächlich gelebten Werte. Zum Beispiel kann man mit einer Aussage wie Wir sind weltoffen und solidarisch miteinander nur wenig anfangen; es ist klar, dass hier eine Ideologie widergespiegelt wird.
Kulturgerecht kommunizieren: Themen und Werte Projektleitungen stehen oft vor der Aufgabe, Leistungen, Zusagen oder Information von Beteiligten einfordern zu müssen. Zum Beispiel: Wie vermittele ich einer Abteilung, dass es wirklich wichtig ist, ein vom Projekt vorgeschlagenes neues Berichtswesen schon für die nächste Berichtsperiode anzuwenden?
8.3 Unternehmenskultur erkennen und nutzen
251
Wie man in dies kulturgerecht und damit wirksam mitteilt, kann man anhand folgender Fragen klären: a) Was sind hier die ‚richtigen Worte‘? Welche inhaltliche Färbung meiner Themen verspricht in der gegebenen Arbeits- und Kommunikationskultur eine hohe Wirksamkeit? Kultur findet sich, erstens, in der inhaltlichen Färbung von Beiträgen wieder. Nicht immer, aber sehr oft ist es sinnvoll, diejenigen Worte und Begriffe anklingen lassen, die von den Angesprochenen geschätzt werden. Die Botschaft, dass die traditionelle Pharmaforschung obsolet ist, hätte auch anders formuliert werden können, zum Beispiel: Die Pharmaforschung muss sich wieder einmal die neuesten Technologien nutzbar machen. Je nach Arbeits- und Kommunikationskultur werden folgende Begründungen – die im konkreten Fall alle zutreffend sein mögen – ganz unterschiedlich wirksam sein:
Der Bereichsvorstand erwartet dies von uns allen (Appell an Gehorsam und Gemeinschaftsgefühl)
Das Konkurrenzunternehmen hat das gleiche vor, wir müssen mindestens mitziehen (Appell an Kampfgeist und Selbstwertgefühl)
Eure Abteilung wird dann bei der Ausgestaltung der weiteren Umsetzung mitreden können (Appell an Unabhängigkeitsstreben)
Eure Abteilung würde anderenfalls auffallen, weil alle anderen schon zugestimmt haben (Appell an die Angst, aufzufallen)
Dies entspricht unserem verabschiedeten Plan und garantiert die Budgeteinhaltung (Appell an Ordnungsstreben und Rationalität).
b) Was sind hier die richtigen Kanäle und Formen? Mitteilungen werden bestärkt oder geschwächt, je nach Art und Weise, in der sie vermittelt werden. Hier geht es um Inszenierungen und die Wahl von Kommunikationswegen. Ein Brief des Projektmanagers an alle Projektbeteiligten nach dem Vorbild des für die USA typischen Letters of the CEO würde in Mitteleuropa in vielen Unternehmen als affig empfunden. Wirklich wichtige Mitteilungen sollte man zum Beispiel im bodenständigen Dortmund auf diese Weise eher nicht verschicken. Dort mag ein fünzehnminütiges stand-up meeting mit den wichtigsten Beteiligtenvertretern am Montag-
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
morgen die bessere Inszenierung sein – sie ist außergewöhnlich, aber man bleibt durchaus noch auf dem Teppich. c) Welche kulturellen Missverständnisse sind wahrscheinlich? ist die dritte Frage. Im Umgang zwischen Kulturen können sich vorhersehbare Missverständnisse schnell zu Konflikten auswachsen. Im Folgenden eine kleine Anekdote. Sie gehört zwar in einen anderen Zusammenhang, eignet sich aber gut, einem aufgeklärten Publikum die Vorteilhaftigkeit kultureller Sensibilität darzulegen: Eine Studie aus den fünfziger Jahren ergab, dass amerikanischen Besatzungssoldaten und ihre deutschen ‚Frauleins‘ sich gegenseitig für unmoralisch hielten. Beide Seiten nahmen für sich in Anspruch, von der Direktheit, mit der die andere Sex wollte, überrascht zu sein. Wie kann das sein? Nähere Untersuchungen fanden heraus, dass es am Küssen lag. Auf der Skala sexueller Intimitäten lag Küssen in Deutschland weit oben, also schon kurz vor dem sexuellen Akt. In den USA lag es vergleichsweise weiter unten, kurz nach dem Kennenlernen. Die ‚Frauleins‘ waren überrascht, wie schnell sie geküsst wurden, und die Soldaten dann, wie schnell die Hüllen fielen.
Projektleitungen haben natürlich andere Sorgen. Zum Beispiel ist die Arbeits- und Kommunikationskultur von IT-Abteilungen meist introvertiert, nach innen gerichtet. Eine Aufgabe zu bearbeiten heißt für sie, den Sachverhalt zu analysieren, Optionen sorgsam zu prüfen, und sich das Wissen selbst anzueignen, bevor man damit nach außen tritt. Vorschläge von außen werden mit Misstrauen betrachtet. Die Arbeitskultur einer Vertriebsabteilung wird demgegenüber im Regelfall extrovertiert sein, also nach außen gerichtet. Eine gute Lösung entsteht für diese Abteilungen im Austausch oder im Vergleich mit anderen. Lässt man diese Abteilungen ohne Moderation miteinander arbeiten, ist Ärger vorprogrammiert: IT wird Marketing für geschwätzig halten, und umgekehrt wird Marketing der IT Abteilung Langsamkeit vorwerfen.
8.3 Unternehmenskultur erkennen und nutzen
253
Über Kultur sprechen Nun ist es nicht damit getan, dass die Projektleitung sich eine Meinung über die gegebene Arbeits- und Kommunikationskultur macht, sowie über das richtige Auftreten und die richtigen Herangehensweisen an die Zusammenarbeit. Ihre Einschätzungen muss sie auch weitergeben – im Projektteam, gegenüber dem Auftraggeber, und im Gespräch mit Beteiligten. Kultur ist in dieser Hinsicht wie Wein: Schmecken lernen ist das eine – das andere ist, diese Eindrücke zuverlässig in verständliche Worte fassen zu können. Die goldene Regeln für das Sprechen über Kultur lauten: den Eisberg der Unternehmenskultur von oben her angehen. Am besten zu besprechen sind beobachtbare Verhaltensweisen. Gut vermittelbar sind die meisten Verhaltensmuster. Wertbindungen sind zwar sehr aussagekräftig, wenn sie treffsicher formuliert sind. Aber gleichzeitig sind sie schwer zu vermitteln, weil sich die verschiedenen Beteiligten unter den entsprechenden Begriffen ganz verschiedene Dinge vorstellen können – insbesondere, wenn sie aus unterschiedlichen Arbeits- und Kommunikationskulturen stammen, was ja bei Geschäftsprojekten häufig der Fall ist. Gründlichkeit, Teamgeist, Erfolgsorientierung sind solche Wertbindungen, die ganz unterschiedlich verstanden werden können. In jedem Fall sollte man immer ein Beispiel auf der Ebene beobachtbaren Verhaltens bereit haben oder fordern.83 Eine weitere Regel lautet, dass unser Umgang mit Kultur in erster Linie aufgabenbezogen sein sollte. Zwar hindert uns nichts, uns quasi als Hobbyvölkerkundler eine Theorie über den Chinesen oder die Norweger an sich zurecht zu legen. In der Praxis führt dies jedoch oftmals nicht dazu, dass man im konkreten Verhandeln von Projektleistungen klarer sieht. Deshalb helfen uns auch die verschiedenen, allgemeinen Begriffsapparate zur Klassifizierung von Unternehmenskulturen kaum weiter, die von der Forschung bereit gestellt werden, solange wir sie nicht auf konkretes Verhalten und konkrete Leistungsprozesse anwenden. Im Folgenden habe ich eine rein erfahrungsmäßig begründete Liste von Begriffen zu Verhaltensmustern und Wertbindungen zusammengestellt, 83
Vgl. die Formulierungen im Beispiel auf S. 252
254
8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
die sich in solchen problembezogenen Beschreibungen von Arbeits- und Kommunikationskultur schon bewährt haben.
Baustein 3: Beschreibung der Arbeits- und Kommunikationskultur Verhaltensmuster: binnenorientiert – außenorientiert ängstlich – risikofreudig wettbewerbsorientiert – selbstgenügsam gehorsam – konfliktsuchend zukunftsorientiert – vergangenheitsorientiert personenzentriert – gruppenorientiert zusammen halten – auseinander treiben regressiv (Schutz suchend) – selbstverantwortlich Werte: Autoritätsbezogenheit Gemeinschaft Selbstwert Innovationswille Konkurrenzbereitschaft Perfektion Unabhängigkeit Ordnung/Kontrolle Sachlichkeit Rationalität Tradition
Paul dixit: Man kann nicht nicht kommunizieren Kultur wird gelebt. Auch wenn eine Projektleitung nicht einen einzigen Gedanken auf dieses Thema verwendet haben mag: sie wird als Vertreter einer bestimmten Arbeits- und Kommunikationsweise wahrgenommen, diese wird mit der bestehenden verglichen, und aus dem Vergleich werden Schlüsse über die Absichten, Glaubhaftigkeit, und Billigkeit ihres Anlie-
8.4 Ein Beteiligungskonzept erstellen
255
gens gezogen. Hier gilt das Wort von Paul Watzlawick ganz unausweichlich: man kann nicht nicht kommunizieren.
8.4
Ein Beteiligungskonzept erstellen
Für die Arbeit in einem konkreten Projekt lohnt es sich oftmals, die Zusammenarbeit ganz bewusst zu planen. Das Grundprinzip ist auch hier: besser planvoll irren als sich planlos durchwursteln! Insofern sollte man ein Zusammenarbeitskonzept erstellen. Dieses hat drei Bausteine, welche jeweils durch Schlüsselfragen bestimmt werden:
Beiträge: Welche Leistungen, Zusagen, und Informationen sollen im Rahmen der Zusammenarbeit für das Projekt erlangt werden, und in welchem Umfang?
Interessen und Motive: Worum geht es dabei für die jeweiligen Beteiligten(gruppen), und warum sollten diese sich auf das Projekt einlassen? Mit welchen Themen kann das Projektmanagement sie erreichen? Mit welchem Widerstand ist zu rechnen, und wie könnte er gemildert werden?
Andere Wege: Welche neue Organisation der projektbezogenen Zusammenarbeit im Unternehmen ist sinnvoll, und wie kann diese gegen den Einfluss der alten Mächte durchgesetzt werden?
Wer diese Fragen für sein Geschäftsprojekt nicht beantworten kann, stochert herum. Wer aber Antworten parat hat, ist wahrscheinlich auf gutem Wege – auch, wenn viele Informationen zu einem frühen Zeitpunkt noch gar nicht ausreichen vorliegen und somit das Konzept nur vorläufig sein kann.
256
8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Beteiligungskonzept Erforderliche Beiträge auflisten Interessen und Motive klären Andere Wege suchen Drei Bausteine des Beteiligungskonzepts
Baustein 1: Erforderliche Beiträge auflisten Zusammenarbeit ist, wie oben beschrieben, aufwändig und fehleranfällig. Man sollte deshalb wirklich genau hinschauen, wen man zu welchem Zweck in ein Projekt hineinzieht. Vielfach wird die Zusammenarbeit einfach auf Tradition, auf gewachsene Beziehungen oder auf unklare Hoffnungen auf gemeinschaftliche Erfolge gegründet. In der Regel ist dies jedoch keine solide Basis für ein Veränderungs- und Innovationsvorhaben. Stattdessen sollte Zusammenarbeit zunächst einmal ganz klar auf den konkreten Nutzen bezogen werden, den sie für die Ergebniserreichung des jeweiligen Geschäftsprojektes stiften kann. Der Nutzen der Zusammenarbeit kann anhand folgender Fragen identifiziert werden: a) Auf welche Leistungen ist das Projekt zur Erarbeitung seiner Ergebnisse angewiesen? Beispiele sind die Inbetriebnahme eines IT-Systems, die Erarbeitung eines Fachkonzeptes, die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen. Auch eine Entscheidung kann in diesem Sinne eine Leistung sein – zum Beispiel wenn sich eine beteiligte Marketingabteilung auf eines von mehreren möglichen Modellen der Marktsegmentierung festlegen muss, bevor im Rahmen des Projektes detaillierte Vorschläge für Produktkampagnen erarbeitet werden. b) Welche Zusagen zur Verwendung seiner Ergebnisse benötigt das Projekt? Ein Beispiel wäre die Zusage, ein übergebenes IT-System tatsächlich zu verwenden und damit bislang verwendete handgestrickte Excel-Tabellen zu ersetzen.
8.4 Ein Beteiligungskonzept erstellen
257
c) Welche Informationen wären dem Projekt dienlich, um sich besser zu orientieren? Beispiele dafür sind Informationen von Regionaldirektoren über die Entwicklung in ihren jeweiligen Märkten oder Informationen zur Frage, welche Themen einer bestimmten Beteiligtengruppe gerade auf dem Herzen liegen. Die Fragen nach benötigten Leistungen, Verwendungszusagen und Information führen schon zu einer ersten Liste von Beteiligten, sie sind der erste Schritt der Beteiligtenanalyse. Weil Königin Isabella Kolumbus nur ein einziges Schiff bezahlen wollte, benötigte er einen Co-Sponsor. Kolumbus fand ihn ihm Kaufmann Pinzòn, der zwei der drei Schiffe seiner Expedition finanzierte. Die Expedition war darüber hinaus nur auf wenige weitere Leistungen angewiesen – eine davon war, dass die Bewohner der von ihnen aufgesuchten Inseln die Seemänner mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgten. Dies stellte sich als kritischer Engpass heraus, nachdem die ersten Versklavungen und Plünderungen die Reputation der weißen Männer bei den ‚Indern‘ stark beschädigt hatten. Der Erfolg der ‚Indien‘-Expedition war zudem von der Zusage der Portugiesen abhängig, die Hoheitsrechte Spaniens über die neu gewonnenen Kolonien und das Monopol ihres Seehandels über die neue Routen nach Indien anzuerkennen. Diese Zusage wurde zunächst durch einen Schiedsspruch des Papstes abgesichert und später rechtlich im Vertrag von Tordesilla untermauert.84 Es gelang Kolumbus nicht, von den Bewohnern der zuerst angelaufenen westindischen Inseln wichtige Informationen über die Existenz des amerikanischen Festlands zu erlangen. Dafür hätte er ihr Vertrauen gewinnen müssen, was ihm aber schon allein wegen seiner ausbeuterischen Absichten verwehrt blieb.
84
Bulle inter caetera des Papstes Alexander VI.
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Beteiligtengruppe
Benötigte Leistung/Zusage/Information
Reiche Kaufleute
Weitere Schiffe
König von Portugal
Anerkennung unserer Hoheitsrechte
‚Inder‘
Wasser, Nahrungsmittel
???
Informationen über das Festland
Der eine oder andere Leser wird sich vielleicht fragen, warum ich nicht den aus der Organisationsentwicklung gängigen Vorschlag übernehme, zunächst einmal eine Landkarte oder eine andere Übersichtsliste der Beteiligten zu erstellen, und sich dann im zweiten Schritt zu überlegen, was man von oder mit ihnen will?85 Meine Erfahrung mit Beteiligtenanalysen ist, dass sie oft ausufern und man in kurzer Zeit mit zu umfangreichen und detaillierten Daten umgehen muss. Diese auf dem Laufenden zu halten ist sehr aufwändig. Es wird deshalb nicht gemacht, die Informationen veralten und verblassen schnell, und letztlich gerät die ganze Arbeit in Vergessenheit. Das Grundproblem ist dabei oft, dass man versucht, Beteiligte umfassend zu erfassen, ohne das man sich ausreichend klar gemacht hat, was man eigentlich genau von ihnen will, und weshalb die Zusammenarbeit mit ihnen bedeutsam für das Projekt ist. Dann hat man sozusagen von Anfang an einen breiteren Blickwinkel, als man im Projektverlauf benötigt und auch durchhalten kann. Dieses Problem taucht in dem hier vorgeschlagenen Verfahren gar nicht auf, weil wir nicht von den Beteiligten an sich ausgehen, sondern zunächst einmal von den Beiträgen, die diese für das Projekt leisten sollen. Die Leistungsbeziehung steht also von Anfang an im Mittelpunkt des Interesses; die Begründung für den Aufwand, sich mit einer Beteiligtengruppe zu befassen, wird jeweils immer mitgedacht.
85
Königswieser 1998, Beratergruppe Neuwaldegg 2005
8.4 Ein Beteiligungskonzept erstellen
259
Baustein 2: Interessen und Motive klären Im zweiten Schritt richtet sich unser Interesse auf die Haltung, welche die verschiedenen Beteiligtengruppen gegenüber dem Projekt einnehmen. Wir schauen sowohl auf die Gruppen, von denen wir Beiträge benötigen, als auch auf jene Beteiligten, welche eventuell zu Gegnern des Projektes werden und seinen Erfolg praktisch behindern könnten. Wir klären die folgenden Fragen: a) Worum geht es in diesem Projekt für die jeweiligen Beteiligten (gruppen) b) Warum sollten diese sich auf das Projekt einlassen? Mit welchen Themen kann das Projektmanagement sie erreichen? c) Mit welchem Widerstand ist zu rechnen, und wie könnte er durch eine geschickte Art und Weise der Zusammenarbeit gemildert werden? Eine rudimentäre Beteiligtenanalyse ist schon Teil des Projektkonzeptes, welches ich im Kapitel 2 zur Projektidee vorgestellt hatte. Diese Analyse unterteilt die verschiedenen Gruppen von Beteiligten und Betroffenen in potentielle Befürworter und potentielle Gegner des Projektes, und hilft so, die Durchführbarkeit des Projektes zu beurteilen. Im Rahmen des Beteiligungskonzeptes muss man nun genauer werden. Dabei berücksichtigen wir ausschließlich solche Beteiligtengruppen, die vom Projektmanagement auch erreicht werden können. Es mag Projektbetroffene geben, die gegen das Projekt sind und es zu Fall bringen können, aber außerhalb des Einflussbereiches der Projektleitung stehen. Ein Beispiel dafür wäre der Vorstand einer Konzerngesellschaft, der allein über politische Einflussnahme oberhalb des Lenkungsausschusses ein Geschäftsprojekt sabotieren will, oder rivalisierende Unternehmen. Die Existenz dieser Gruppen sehen wir als projektextern an und betrachten sie schlicht als Risiko, also als Fall für die Risikobewertung und das Risikomanagement des Projektes. Die Untersuchung von Interessen und Motiven der Beteiligten nutzen wir, um strategische Leitlinien beziehungsweise Prinzipien für den Umgang mit den einzelnen Gruppen zu bilden. Die Geschehnisse in Geschäftsprojekten sind meist viel zu dynamisch, um im Umgang mit Beteiligten auf detaillierte Arbeitsanweisungen zurückzugreifen. Die Leitlinien
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
oder Prinzipien helfen uns, den jeweiligen Gruppen gegenüber in verschiedenen Situationen ein zielgerichtetes und konsistentes Verhalten an den Tag zu legen. Mit der Analyse von Motiven und Interessen der verschiedenen Beteiligten bricht allerdings zunächst sehr viel Komplexität über das Projektmanagement herein. Schnell verwickeln Diskussionen zu diesen Themen sich in sehr kleinteilige Argumente und womöglich Jahrzehnte alte Fehden zwischen Abteilungen oder einzelnen Personen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass einmal definierte Beteiligtengruppen bei näherem Hinsehen wieder unterteilt werden müssen – so gibt es vielleicht in der Abteilung X, die dem Projekt insgesamt eher kritisch gegenüber steht, noch eine Untergruppe Y, die als Partner und Brückenkopf durchaus für eine Allianz in Frage kommt, beziehungsweise gerade angesichts ihrer Minderheitenposition zu einem strategischen Partner wird. Zudem stoßen wir hier auf ein echtes Kommunikationsproblem: Weder Interessen noch Motive sind offensichtlich, sie können sogar verdeckt und verschleiert werden. In keinem Falle werden wir genug Zeit finden, alle Erkenntnisse zu verifizieren und Vorgehensvorschläge zu dokumentieren. Außerdem müssen wir in Rechnung stellen, dass Interessen und Motive von Beteiligten sich ändern – das sollen sie ja oft auch. Unsere Analyse und deren Dokumentation müssen also leichtfüßig genug sein, um bei Veränderungen der Situation ohne großen Aufwand nachgeführt zu werden. Und schließlich sollte die Dokumentation nicht selbst noch Gegenstand von Auseinandersetzungen werden, bei denen sich Projektbeteiligte die dem Anderen jeweils unterstellten Interessen und Motive gegenseitig um die Ohren schlagen. Vor diesem Hintergrund sind aufwändige Voruntersuchungen oder lange Beteiligtenworkshops nur in Ausnahmefällen geeignet. Im besten Falle können sie eine gute Momentaufnahme ergeben, welche jedoch schnell veraltet und wegen möglicher diplomatischer Verwicklungen auch sonst kaum mehr verwendbar ist. Was tun? Die schon im Kapitel Arbeitsplanung vorgestellte optimale Einfachheit ist Trumpf. Die Analyse von Interessen und Motiven wird so angelegt, dass sie nur die absoluten Mindestvoraussetzungen erfüllt. Diese sind:
8.4 Ein Beteiligungskonzept erstellen
261
die wichtigsten Beteiligtengruppen müssen erfasst sein
die positive oder negative Einstellung jeder dieser Beteiligtengruppen muss grundsätzlich verstanden und nachvollziehbar sein
ein plausibler thematischer Zugang zu jeder Beteiligtengruppe sollte klar sein; dieser beschreibt zum Beispiel Punkte größter inhaltlicher Übereinstimmung oder Punkte größter inhaltlicher Differenzen.
Das Ergebnis der Analyse von Interessen und Motiven wird mittels nachstehend dargestellter Vier-Felder-Tabelle festgehalten. Wichtig ist, wie immer, die Ergebnisse auf einem Blatt zusammenzuführen – dies ist fast immer eine Voraussetzung dafür, dass ein Gesamtbild entsteht. Hier sind Stichworte gefragt, und keine längeren Ausführungen und Überlegungen. Eine solche, einfache Tabelle kann ohne großen Aufwand immer wieder ergänzt und angepasst werden. Für die Expedition von Kolumbus hätte sie vielleicht folgendermaßen ausgesehen: potentiell ablehnend
großer Einfluss auf das Projekt
Portugal / Handelsprivilegien
Schatzmeister / Gold
König v. Indien / Autonomie
Admiralität / Prestige, Konkurrenz zu Portugal
Gruppe x / Thema
Inder / Handelsgüter aus Spanien Gruppe y / Thema
Papst / Bedeutungsverlust geringer Einfluss auf das Projekt
potentiell befürwortend
Inder / Heidentum
Bischof / Mission, Gold Gruppe z / Thema; Thema
Analyse von Interessen und Motiven, am Beispiel der Expedition des Kolumbus
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Die Gruppe der Inder ist, wie man hier sehen kann, aufgeteilt worden. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Analyse war einfach noch nicht absehbar, ob sie eher befürwortend oder eher ablehnend auf den Kontakt mit Spanien reagieren würden. Die Aufteilung ist in diesen Fällen ein probates Mittel, um für beide Szenarien gewappnet zu sein. Wie kommt man zu diesen Daten? Für die Qualität der Erkenntnisse ist es zum einen wichtig, eine breite Sichtweise auf das Projekt zu bekommen – und zum anderen, eine möglichst offene Diskussion unterschiedlicher Einschätzungen. In den meisten Fällen empfiehlt sich eine Serie von brainstorming sessions, bei denen verschiedene Personen mit unterschiedlichen Sichtwinkeln ihre Einschätzung zu den Interessen und Motiven der jeweiligen Beteiligtengruppen abgeben (triangulation). Verborgenes wird dann schnell nach vorne gebracht, aber weil man verschiedene Beteiligte zum gleichen Thema befragt, werden extreme Wahrnehmungen und Meinungen als Ausreißer auffallen und können in einer anschließenden Diskussion zurechtgerückt werden. Vermutet man, dass verborgene Motive und Interessen eine ganz wichtige Rolle spielen, so kann man im Extremfall die Vier-Felder-Tabelle auch ausdrucken und von einzelnen Personen ausfüllen lassen, um sich dann ganz auf die Analyse ihrer unterschiedlicher Bewertungen zu konzentrieren. Umgekehrt kann man eine divers zusammengesetzte Gruppe ein solches Blatt gemeinsam erarbeiten lassen. Dann wird man eine recht zuverlässige, jedoch eher glatte Einschätzung bekommen, die weniger Ansatzpunkte für Nachforschungen bietet. Mit Hilfe dieser Analyse lassen sich dann die erforderlichen strategischen Leitlinien erarbeiten, die unseren Umgang mit den jeweiligen Beteiligtengruppen orientieren. In Falle unserer Expedition wären diese in etwa:
Portugal: rechtliche Einigung suchen
König von Indien: herantasten, vorerst keine Zugeständnisse, möglicherweise win–win Situation suchen
Inder: win–win herstellen, wahrscheinlich über Handel
Schatzmeister: schnell Gold liefern; Unterstützung festnageln, ohne feste Zusagen zu machen
Admiralität: Projekterfolg öffentlich der Admiralität zuschreiben, Ausbau der Flotte unterstützen
8.4 Ein Beteiligungskonzept erstellen
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Bischof: so geringe Zugeständnisse wie möglich – ein paar Missionare mitfahren lassen.
Getreu unseres Prinzips, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sollte man sich mit den Gruppen in den beiden oberen Kästen befassen, für die ja ein hoher Einfluss auf das Projekt vermutet wird. Für Gruppen in den beiden unteren Kästen sind strategische Leitlinien nur in besonderen Fällen erforderlich. Mit dieser Vier-Felder-Tabelle sowie den daraus abgeleiteten strategischen Leitlinien für den Umgang mit den einzelnen Beteiligtengruppen ist der zweite Baustein erarbeitet. Damit sind die Grundlagen gelegt, Interessen und Motive der Projektbeteiligten im weiteren Verlauf angemessen zu berücksichtigen. Je politischer ein Projekt ist, desto mehr Energie wird die Projektleitung diesem Themenbereich widmen müssen, und zu aufwändigeren Erhebungsmethoden und kleinteiligeren Vorgehensweisen für Datenauswertung und die Erarbeitung von Strategien greifen. Allerdings wird sie dies dann auch nicht mehr selbst umsetzen können, sondern sich speziell ausgebildeter Veränderungs- und Kommunikationsexperten bedienen. Um diese Experten zu steuern, werden wiederum einfache Mittel wie die Vier-Felder Tabelle und die jeweiligen Leitlinien zum Umgang mit den Gruppen von dauerhaftem Wert sein.
Baustein 3: Strategie für andere Wege Geschäftsprojekte müssen Ressourcen und Kompetenzen aus verschiedenen Abteilungen zusammen führen. Vorderhand könnte ein Unternehmen natürlich auf die Projektorganisation verzichten und die in Projekte verpackten Initiativen auch einfach in der Koordination zwischen Abteilungen laufen lassen. Dabei stößt man jedoch oft auf das Problem, dass die eingefahrenen und an die Hierarchie gebundenen Kommunikationswege zu ineffizient sind. Außerdem ermöglicht dies den Abteilungsleitern in ungebührlichem Maße, sich gegen beabsichtigte Neuerungen zur Wehr zu setzen. Also setzt man eben doch ein Projekt ein und erlaubt der Projektleitung, quer zur Linie zu handeln. Aber dann entsprechend dieser Erlaubnis zu handeln ist gar nicht so einfach!
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
Neue Wege finden: Die Regelung von Kommunikationswegen in Unternehmen geschieht in ganz großem Ausmaß informell. Man denkt oft, diese seien in Organigrammen festgelegt, aber meist stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, dass das Organigramm in Wirklichkeit nur eine gewachsenes, unausgesprochenes Verständnis stützt und für sich selbst eigentlich ziemlich bedeutungslos ist. Selten steht es ausdrücklich geschrieben, dass man als Vertreter seines Unternehmens dort nicht hingeht, oder dass die Gruppe X und die Gruppe Y nur unter Aufsicht ihrer Leitungen miteinander sprechen dürfen. Vielfach sind diese Ge- und Verbote den meisten Beteiligten schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sich ihrer gar nicht bewusst sind. Insofern besteht die Aufgabe der Projektleitung bei der Planung ihrer Kommunikationswege zunächst einmal darin, anscheinend Selbstverständliches in Frage zu stellen, also die unausgesprochenen Regeln und unbeschilderten Pfade der Kommunikation aufzuzeigen und ihre Grenzen herauszuarbeiten. Erst wenn das Ist offengelegt ist, kann man systematisch am Soll arbeiten. Dabei sollte man in einem Unternehmen eigentlich nach rein sachlichen Kriterien entscheiden können, wer wen wie oft trifft oder mit wem telefonieren darf. Aber gerade bezüglich dieser Fragen, die inhaltlich eher banal sind, finden oft die härtesten projektpolitischen Auseinandersetzungen statt! In der Regel schmeckt nämlich die Kommunikation quer zur Linie den Abteilungsleitungen gar nicht, und viele tragen im Umgang mit dem Projekt ein Messer im Ärmel. Für die Projektleitung gilt es deshalb, die mit dem Projekt institutionalisierten Querverbindungen zu pflegen und auszubauen, um sich aus der Gefährdung durch die beteiligten Abteilungsleitungen herauszuarbeiten. Es müssen also Verbündete gesucht werden und Themen und Verfahrensweisen entwickelt, mit denen man diese horizontalen Kanäle offen hält. Oft ist es hilfreich, allein zu diesem Zweck einen Einflussträger aus dem Unternehmen zu gewinnen, der allein durch seine Anwesenheit die neuen Wege bestätigt. Modellhaft organisieren: Die Organisation der Zusammenarbeit im Projekt ist aber nicht nur als Abkehr und Überwindung von eingefahrenen Kommunikationswegen zu verstehen. Vielmehr wird Veränderungsprojekten in der Regel auch das Ziel aufgegeben, neue Wege der Zusammenarbeit einzurichten. Damm hat es die Chance – und oftmals die Aufgabe –
8.4 Ein Beteiligungskonzept erstellen
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die neue Organisation der Kommunikation schon im Laufe des Projektes einzuführen, oder wenigstens in ihrer Erscheinung und Wirkungsweise erfahrbar zu machen und somit ein Beispiel zu geben, wie es werden soll. Die Projektorganisation soll also modellhaft für das Unternehmen sein. Die Leitung eines Geschäftsprojektes tut deshalb gut daran, sich die Fragen zu stellen: Welche neue Organisation der Zusammenarbeit im Unternehmen ist sinnvoll, und wie kann diese gegen den Einfluss der alten Mächte durchgesetzt werden? Dazu ein Beispiel: In einem großen Pharma-Unternehmen wurde ein Projekt zur Verbesserung des weltweiten Berichtswesens im Bereich GesundheitSicherheit-Umwelt (GSU) aufgelegt. Ein Problem war, dass die berichtspflichtigen Standorte bislang zu wenig Eigenverantwortung für ihre Daten entwickelt hatten – das Berichtswesen wurde als Aufgabe der Zentrale wahrgenommen, die mit der Arbeit vor Ort wenig zu tun hatte. Dem entsprach, dass bislang alles Wissen und alle Verantwortlichkeit in der Konzernzentrale gelegen hatten. Kommunikation zum Berichtswesen fand zwischen der Zentrale und einzelnen Standorten statt, per e-mail und Telefon. Die Leiterin des Projekts entschloss sich jedoch, mit der bisherigen Tradition zu brechen: Sie begann, sich aus der Zentrale heraus zu begeben und die GSU-Verantwortlichen bei Regionaltreffen auf allen Kontinenten so oft wie möglich persönlich zu besuchen, und mit ihnen vor Ort das Projekt zu besprechen. Die projektbezogene Zusammenarbeit wurde als Netzwerk organisiert, welches regionale Schwerpunkte hat und bei dem viele verschiedene Beteiligte etwas zu sagen haben. Diese neue Herangehensweise wurde auch durch einen Personalwechsel ermöglicht, bei dem die bislang zentralistisch eingestellten Ressortverantwortlichen in der Zentrale durch neue, ebenfalls netzwerkorientierte Mitarbeiter ersetzt wurden. Das alte Argument „diese Reisekosten können wir uns nicht leisten“ verlor von einem auf den anderen Tag viel von seiner Gültigkeit. Die neue Organisation der Zusammenarbeit legte den Grundstein für eine größere Eigenverantwortlichkeit der Regionen und Standorte im Berichtswesen.
Kreativ sein: Für das Finden neuer Wege der Zusammenarbeit sind in erster Linie Kreativität und Innovationsgeist gefragt. Die alten Wege und Verfahren sind ja oft durchaus auch tauglich; eine unmittelbare Notwendigkeit, auf anderen Wegen miteinander zu kommunizieren, lässt sich oft
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8 Zusammenarbeit: Die Vorgehensweise
nicht begründen. Es ist vielfach vor allem die Chance, durch das Begehen der neuen Wege ein Signal zu setzen, die hier gesucht und genutzt werden sollte. Ein anderes Beispiel: Die Abteilungen IT und Produktentwicklung finden sich einmal jährlich anlässlich der Budgetrunden zur Abstimmung ihrer Arbeitspläne zusammen. Jede Abteilung bringt dort ihren ausgearbeiteten Vorschlag ein. Im Rahmen des Projektes wird vorgeschlagen, dass für die nächste Budgetrunde erstmals ein gemeinsamer Vorschlag vorbereitet wird, um den gestiegenen Abstimmungsbedarf angemessen detailliert zu bearbeiten. Das gefällt den Abteilungsleitern nicht, die ungern die Abstimmung auf der Arbeitsebene geschehen lassen, weil sie damit Kontrolle aus der Hand geben. Nur unter Einsatz aller Einflussmittel erhält die Leitung des Geschäftsprojektes ihr Einverständnis. In der nächsten Budgetrunde wird der gemeinsame Vorschlag vorgelegt und umstandslos genehmigt. Zum ersten Mal findet man dabei auch Zeit und Gelegenheit, wichtige strategische Fragen offen miteinander zu besprechen.
Um sich neue und andere Wege der Zusammenarbeit zu erarbeiten, benötigt das Projekt eine Strategie. Diese beantwortet die folgenden Fragen:
Welches sind die wesentlichen Merkmale von Ist und Soll der Kommunikationswege, gerade auch im Hinblick auf ungeschriebene Regeln?
Welche Einflussnahme und welche Machtmittel sind erforderlich, um das Soll zu erreichen?
Inwiefern sollen und können neue Kommunikationswege auch modellhaft für das Unternehmen sein? Was heißt das für die politische Einbettung und die Vermarktung des Projektes?
Gibt es neue und ungewöhnliche Lösungen, welche einfach umzusetzen sind und sichtbare Wirkungen haben (quick wins)?
8.5 Zusammenfassung
8.5
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Zusammenfassung
Die Zusammenarbeit über das Projektteam hinaus zu managen ist eine der wichtigsten Aufgaben für Leiter von Geschäftsprojekten. Dabei stehen sie insbesondere vor drei Herausforderungen: es geht um ungewöhnliche Themen und Dinge, die oft mühsam erklärt werden müssen und auf Ablehnung stoßen; der Zeitbedarf für die Zusammenarbeit ist im Prinzip grenzenlos; ihre Arbeit erfolgt quer zur Linie und kann sich vorderhand nicht auf eine Machtposition stützen. Vier übergreifende Prinzipien haben sich bewährt, um Zusammenarbeit zu managen:
Verbindliche Zusagen unter Beteiligten statt Kontrolle von oben
Dazugehörigkeit staffeln und Erwartungen managen
Eine offene, fehlertolerante Projektkultur schaffen
Widerstand anerkennen und bearbeiten.
Die Durchführung eines Geschäftsprojektes hängt zudem in besonderem Maße von der gegebenen Unternehmenskultur ab. Die Projektleitung muss sich davon selber ein Bild machen, sollte aber gleichzeitig auf die Wahrnehmung des Projektteams zählen. Um dann die Projektarbeit gemäß der vorgefundenen Unternehmenskultur zu gestalten, geht es darum, die richtigen Worte und die richtigen Kanäle und Formen für Kommunikation zu finden. Des Weiteren sollten mögliche kulturelle Missverständnisse frühzeitig erkannt werden. Insgesamt ist es hilfreich, sich Schlüsselbegriffe für die Beschreibung der jeweiligen Unternehmens Kultur zurecht zu legen und diese in die Projektarbeit einzuführen. Ein wirksames und effizientes Management der Zusammenarbeit wird durch ein Beteiligungskonzept unterstützt. Dieses hat die Bausteine Beteiligtenanalyse, Klärung von Interessen und Motiven, und Strategie für andere Wege.
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Weiche Faktoren im Portrait
Im Mittelpunkt des Managements der Zusammenarbeit steht meist der Umgang mit den weichen Faktoren. Diese zu managen wird oftmals eher als Kunst denn als Handwerk betrachtet wird, und eher als angeborene denn als erlernbare Fähigkeit. Das ist sicher nicht ganz falsch: Intuition, Gefühl und Charisma spielen natürlich im Kontakt mit anderen Menschen eine ganz herausgehobene Rolle. Allerdings wird dieses Mysterium mittlerweile immer mehr entkleidet. Organisationsentwicklung und Kommunikationspsychologie stellen heute eine ganze Menge in der Praxis bewährter und wissenschaftlich fundierter Vorgehensweisen und Instrumente bereit, um im zwischenmenschlichen Umgang wirksamer zu werden. Ihre Anwendung allein wird nicht ausreichen, um Spitzenergebnisse zu erzielen – aber sie hilft zumindest, typische Fehler zu vermeiden und vielleicht den Projekten eine ingesamt bessere Erfolgschance zu geben. Die beiden vorhergehenden Abschnitte haben dazu einige Vorgehensweisen vorgeschlagen, und das Kapitel 10 enthält weitere Techniken für Hochleistungskommunikation. In diesem Kapitel geht es erst noch darum, die Grundlagen für die Anwendung dieser Vorgehensweisen und Techniken weiter zu stärken. Dazu portraitiere ich eine Reihe von Schlüsselfaktoren, welche im Management von Geschäftsprojekten erfahrungsgemäß eine große Rolle spielen: Sinn und Identität, Angst, Macht und Einfluss, Motivation und Energie, übertriebenes Selbstgefühl (Narzissmus) und Konflikt. Über diese unterhalten wir uns ständig, allerdings oft mit einem Alltagsverständnis, welches nicht sehr plastisch ist und an der Oberfläche bleibt. Mit den Portraits versuche ich, ein schärferes Bild dieser Faktoren zu zeichnen, so dass Ansatzpunkte für ihre Beeinflussung deutlicher werden. Gleichzeitig versuche ich, in aller Kürze ihre tiefere Struktur zu verdeutlichen, so dass ihre Dynamik besser verstanden wird, und ihre Beeinflussung nachhaltiger und substantieller ausgerichtet werden kann.
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9 Weiche Faktoren im Portrait
Die Santa Maria sticht in See – Aufbruch ins Ungewisse (Holzschnitt aus dem Reisebericht des Kolumbus, 1493)
Darüber hinaus beschreibt dieser Abschnitt viele der aus dem Zusammenwirken der Schlüsselfaktoren Faktoren resultierenden typischen personengebundenen, zwischenmenschlichen und institutionellen Problemstellun-
9 Weiche Faktoren im Portrait
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gen für Geschäftsprojekte. Er liefert damit eine Art Landkarte, mit deren Hilfe eine Orientierung im Dickicht der zwischenmenschlichen Beziehungen besser gelingt und über gemeinsames Vorgehen besser gesprochen werden kann. Der Abschnitt enthält viel Text – und dazu noch über vergleichsweise abstrakte Dinge. Geht es nicht einfacher? Ich glaube kaum, denn es liegt in der Natur der Sache, dass man weiche Faktoren nicht zufriedenstellend in einem Satz definieren kann. Wir müssen uns ihnen beschreibend nähern – deshalb Portraits. Ich beginne mit zwei der schwierigsten und gleichzeitig wichtigsten Begriffe:
Sinn und Identität Projekte aller Art sind irgendwie einmalig, also ein Gegenüber zum Routinebetrieb. Bei Infrastruktur- und Kundenauftragsprojekten kann man nach Abschluss des Projektes allerdings meist wieder in eine vertraute Routine eintauchen, weil sich in der Organisation nicht viel geändert hat. In gewisser Weise soll ja sogar die Projektarbeit selbst zur Routine werden – aus der Sicht der durchführenden Organisation sollte im Idealfall ein Projekt wie das andere sein: ein Hausbau wie der nächste, ein Kundenauftrag wie der nächste. Der Mensch als arbeitendes und fragendes Wesen kann davon profitieren. Er findet sich im Gehalt seiner Arbeit wieder, er sieht seinen Lebenssinn darin. Die Sinnfrage lautet: „Warum tun wir das?“ und die beruhigende Antwort der Routine ist: „Weil wir es immer so machen!“ Geschäftsprojekte hingegen führen uns ihrer Natur nach über unsere Grenzen hinweg – wieder hilft das Bild der Expedition. Eine Expedition oder ein Geschäftsprojekt durchzuführen, heißt meist, einen Rubikon zu überschreiten.86 Vielen Beteiligten wird klar, dass es im Erfolgsfalle in vieler Hinsicht nie mehr so sein wird wie früher. Das wird unterschiedlich erlebt. Für die Einen tut sich eine neue Welt auf, der Horizont rückt in die 86
Caesar überschritt im Jahr 49 v. Chr. den kleinen Fluss Rubikon in Norditalien. Damit begann ein Krieg, mit dessen Ende das Römischen Reich – die Welt – sich fundamental verändert hatte.
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9 Weiche Faktoren im Portrait
Ferne, die Gewichte verschieben sich, der alte Glaube wird in Frage gestellt. Andere stellen schlicht fest, dass ihnen das, was bislang immer Halt gegeben hat genommen wurde – die Sicherheit der Wiederholung, des Wiederfindens des Bekannten. Expeditionen werden zudem nie selbst zur Routine – und das sollten sie eigentlich auch nicht, denn dann gingen die Orientierung auf neue Chancen jenseits eingefahrener Wege und die kreative Spannung, die man für ungewöhnliche Problemlösungen benötigt, verloren. In jedem Falle nimmt uns die Grenzüberschreitung also die Sicherheit der Routine, in der sich unsere Identität sonst immer wieder bestätigt.87 Zudem führt sie uns auch in die Fremde, und diese ist eine weitere Zumutung, denn sie stellt die eigenen Sinngebäude in Frage: Diese Fremden glauben nicht an Gott (den man dann ‚unseren‘ Gott zu nennen lernt), sie essen ihre Feinde, haben mehrere Frauen und trotzdem sind sie nicht weniger lebendig und glücklich als wir. Etwas weniger expressiv, aber deutlich mit den gleichen Untertönen reagieren wir heute, wenn wir hören, dass die Amerikaner oder die Chinesen eine unserer Firmen übernehmen. Hier geht es um die Weltanschauung, die wir als Fundament der Kultur betrachten können und die gleichzeitig den Rahmen setzt, in dem wir die Frage nach dem Warum, die Sinnfrage, beantworten. Die Folgen sind Verunsicherung im Großen wie im Kleinen sowie der stille Ruf nach mehr Orientierung, zum Beispiel durch eine demonstrative Bestätigung der eigenen Weltanschauung und Sinngebung. Kolumbus leistete dies für sich und für seine Mannschaft: Kaum gelandet, mit der Flagge in der Hand, entrollte er ein Pergament und las den staunenden Indern vor, dass er im Auftrag Gottes und Spaniens gekommen sei. Wie viel davon seine Zuhörer interessieren würde und wie viel sie verstehen konnten, war ihm wohl egal – es ging ihm mehr um die Versicherung seiner selbst, um die Stabilisierung seiner Identität und der seiner Gruppe. Nun, so geht das heute nicht mehr, man begegnet sich auf Augenhöhe und mit wenigstens vorgetäuschtem Respekt, und wenn doch einmal die eigene Weltanschauung durchbricht, ist dies eher ein Fehler. Herr Ackermann und Herr Hilmar „Peanuts“ Kopper88 wissen Entsprechendes zu berichten.
87 88
Hier einmal eine fast Luhmannsche Formulierung; Luhmann 2000, 1987 Für die Vorstände von Großunternehmen sind Jahreshauptversammlungen definitiv als Expeditionen, als gefährliche Reise in die Fremde, zu betrachten. Siehe auch: „ ‚Peanuts‘ und das ganze große Geld: Hilmar Kopper im Porträt.
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Kurz gesagt: die Grenzüberschreitung und die Begegnung mit der Fremde bereiten den meisten Beteiligten Identitäts-Stress und führen zu weltanschaulicher Verunsicherung, zur Unsicherheit in Sinnfragen. Um diesem entgegenzuwirken kann man zum Beispiel auf Rituale oder andere symbolische Handlungen zurück greifen, vom veralteten Flaggenwedeln bis hin zu eher zeitgemäßen Großgruppenveranstaltungen. Allerdings müssen Geschäftsprojekte heute darauf Rücksicht nehmen, dass die politische Etikette und die wirksame Prozessgestaltung der beabsichtigten Veränderung ein solches Auftreten oftmals gar nicht erlauben. Und selbst Projektteams können heute kaum noch Sicherheit und Glaubensgewissheit bieten, da sie meist auch nur zusammengewürfelte Haufen sind. Insofern läuft bei Geschäftsprojekten die Notwendigkeit der weltanschaulichen Stabilisierung und Sinnstiftung vielfach auf eine Führungsaufgabe für den Projektleiter hinaus. Das wird jetzt für viele Projektleiter ein bisschen nach Überforderung klingen. Ich höre förmlich die Stimmen derer, die sagen: das kann nicht unsere Aufgabe sein! Jedoch, sie ist es. Ein Trost besteht darin, dass man – wie Kolumbus und wahrscheinlich fast ausnahmslos alle Leiter großer Expeditionen – sich als Führer Entlastung verschaffen kann, in dem man einen Priester an Bord nimmt. Dieser ist dann für Sinngebung und die Stabilisierung der Identität vielfältig einsetzbar. Er verkündet das Wort, und er beantwortet die drängenden Fragen der geistigen Orientierung, ohne dass er die Projektleitung zu stark an bestimmte Ziele oder Verhaltensweisen bindet (!). Wir sprechen in unseren Geschäftsprojekten oft nicht vom Priester, sondern vom Guru. Dieser kann ein technischer Genius sein, der Normalsterblichen die Einsicht in die tieferen Zusammenhänge der IT voraus hat, oder auch ein Berater mit entsprechendem Status. Ein solcher Priester-Guru darf im Expeditionsprojekt sozusagen mitsegeln, und er darf alles sagen, aber eines darf er nicht: den Erfolg des Unternehmens oder das Vorgehen des Leiters in Frage stellen.
Als einer der wichtigsten Banker Deutschlands hat er das ganz große Geld bewegt. Und dennoch ist Hilmar Kopper vor allem wegen ‚Peanuts‘ bekannt. Jene inzwischen legendäre Äußerung, bei einem 50-Millionen-Mark-Verlust … handele es sich um ‚Peanuts‘, um Kleinkram eben, wurde sogar zum Unwort des Jahres 1994.“ Quelle und mehr: http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/29/0,1367,WIRT-4596-184317,00.html
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Angst Angst spielt eine große Rolle im Gefühlsleben fast jedes Menschen. In Kapitel 5.3 habe ich eine Persönlichkeitslehre vorgestellt, welche so weit geht, Personentypen nach ihrer jeweiligen Urangst zu unterscheiden. Im folgenden geht es allerdings nicht um solche tiefenpsychologischen Aspekte der Angst, sondern um Angst als Alltagserfahrung. Ungefähr die Hälfte der Deutschen sagen, sie hätten Angst.89 Manchen sind ihre Ängste sehr bewusst, Andere halten sie eher unter dem Deckel. Ängste sind eine Steigerung der im vorhergehenden Abschnitt zu Sinn und Identität genannten Unsicherheit, und meist sowohl konkreter als auch dramatischer als diese. Ängste werden nicht nur durch Grenzüberschreitungen und die Begegnung mit der Fremde hervorgerufen, sondern einfach auch durch neue Aufgaben und Herausforderungen. Dabei kommt es nicht darauf an, was das erklärte Ziel dieser Veränderung ist – selbst der Gefangene erlebt seinen ersten Schritt in die Freiheit oft noch mit Angst. Wenn eine neue Situation mit neuen Herausforderungen ansteht, wird die Auseinandersetzung damit auch oder sogar vor allem durch Angst geleitet. 90 So stellen sich die Menschen die Fragen:
Kann ich auch in der neuen Situation und mit den neuen Aufgaben mein Selbstbild wahren? Kann ich noch so angesehen werden wie bisher?
Was muss ich von mir hergeben, und kann ich das leisten?
Wie schlecht mag es mir dabei ergehen?
Gibt es einen konkreten Anlass, so stellen sich Ängste unter Umständen noch mehr in den Vordergrund des Erlebens – zum Beispiel wenn die Expedition oder das Geschäftsprojekt tatsächlich einmal in einer Krise stecken und man tatsächlich befürchten muss, zu scheitern. Darüber hinaus haben Geschäftsprojekte oft klare Gewinner und Verlierer, und bei den Letzteren sind Ängste unmittelbar begründet.
89
90
Zum Beispiel Befragung das R+V-Infocenters von rund 2400 Deutschen im Jahre 2005. 52 Prozent sprachen von großer oder sehr großer Angst. Quelle: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4725392,00.html In diesem Abschnitt stütze ich mich stark auf Doppler 2002.
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Ängste werden ganz unterschiedlich erlebt und ausgelebt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie kaum direkt beruhigt werden können – denn derjenige, der sich dem Ängstlichen zuwendet, bestätigt unter Umständen in dessen Augen nur, dass seine Ängste begründet sind. Ängste können deshalb am besten durch Ausprobieren besänftigt werden – siehste, geht doch! Aber oft gibt es dazu im Strom der Ereignisse keine Gelegenheit. Sachliche Argumente sind dann eigentlich das einzige verbleibende Mittel gegen Angst, aber oft ist die Angst schon zu groß und hat die Vernunft blockiert. Insofern heißt es dann für die Projektleitung oftmals: Augen zu und durch! Sich nichts anmerken lassen! Wenn das nicht verfängt, ist oft nur noch das Gegenteil möglich: auf die Ängste der Beteiligten einzugehen, mitzufühlen, und die Angst zu teilen. Geteilte Angst ist halbe Angst. In beiden Fällen kommt es für die Projektleitung entscheidend darauf an, die Ansteckung der Gruppe an der Angst des Einzelnen zu verhindern. Hat die Angst einmal eine kritische Masse von Gruppenmitgliedern erfasst, läuft sie selbstverstärkend weiter und kann zur allgemeinen Panik werden. Kolumbus hatte auf der ersten Reise nach Indien mit der Angst der Mannschaft zu kämpfen, dass das Meer einfach zu groß sein würde, so dass die Vorräte ausgehen würden, bevor sie Land erreichten. Hinzu kam die Angst vor den Ungeheuern, die dort draußen im Meer sicher leben würden. Kolumbus, voller Selbstvertrauen, hielt der Mannschaft die Augen zu. Er verfälschte das Logbuch, in dem er Tag für Tag systematisch eine geringere Distanz eintrug, als das Schiff tatsächlich gefahren war. So wähnte sich die Mannschaft noch viel näher am Heimathafen, als sie wirklich war. Kolumbus konnte somit vermeiden, dass angesichts der Erkenntnis ‚3000 Meilen, und noch kein Land in Sicht‘ Panik ausbrechen würde. Auf der ersten Rückfahrt geriet sein Schiff in einen Wirbelsturm. Kolumbus war machtlos, und im Moment größter Verzweiflung begann er, öffentlich zu beten und zeigte der Mannschaft so, dass er ihre Angst teilte. So konnte er die schon einsetzende Panik wieder beruhigen, die seine Männer unfähig gemacht hätte, die notwendigen Sicherungsmaßnahmen zu treffen.
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Angstmanagement kann zum Beispiel auch bedeuten, dass man von zwei Ängstlichen den weniger befallenen herausnimmt und sich in der knappen Zeit vor allem ihm widmet, um ihn zur Vernunft zu bringen. Die äußeren Umstände in Geschäftsprojekten sind meist weniger dramatisch. Aber die erlebten Ängste sind auch oftmals existentiell und können entsprechend intensiv erlebt werden – wenn es zum Beispiel um den Verlust von materieller Sicherheit, von Status oder von anderen Stützen des Selbstwertgefühls geht. Angst und Ängstlichkeit stellen für Geschäftsprojekte eine Belastung dar. Werden sie von einer Mehrzahl von Personen oder Beteiligtengruppen ausgelebt, so kann dies für das Projekt zur ernsten Bedrohung werden, weil sich alle nach innen kehren oder gar eine Panik ausbrechen könnte. Die Projektleitung hat nur sehr begrenzte Möglichkeiten, das Erleben und Ausleben von Angst im Projektzusammenhang zu beeinflussen. Ein wichtiges Mittel ist, unter den Teammitglieder und Beteiligten genügend Personen zu haben, die mit ihrem eher angstfreien oder zumindest beherrschten Verhalten ein Vorbild sind und Mut geben.
Die Machtfrage Nach offizieller Lesart werden moderne Unternehmen rational gemanagt, also aufgrund von Sachargumenten und vielleicht auch noch durch Genialität und Charisma ihrer Führer. In Wirklichkeit aber werden Unternehmen – wie alle sozialen Systeme, bei denen es etwas zu verteilen gibt – durch Macht und Einfluss gesteuert.91 Diese Machtverhältnisse kommen zum einen in der hierarchischen Struktur zum Ausdruck, also darin, wer wem etwas zu sagen hat. In fast keinem Unternehmen entspricht seine hierarchische Struktur dem besten Interesse des Unternehmens als ganzem. Vielmehr ist sie immer durch persönliche und Gruppeninteressen geprägt. Diese Einsicht steht im Mittelpunkt der Diskussion um corporate governance, bei der es ja in großem Ausmaß um die Entflechtung von persönlichen Interessen und Unterneh91
Der Vollständigkeit halber hier der Hinweis, dass ich mich damit vordergründig von der Analyse Niklas Luhmanns absetze – aber nur vordergründig (!).
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mensinteressen geht. Zum anderen sind auch die materiellen Strukturen eines Unternehmens wie zum Beispiel seine IT-Systeme oft Ausdruck von Machtverhältnissen. Das erklärt zum Beispiel, wie überraschend schwierig es sein kann, IT-Architekturen zu modernisieren. Diese werden nämlich von den jeweils Mächtigen als Insignien und oft auch als Quellen ihrer Macht geschützt. Aus vielen IT-Abteilungen werden Glaubenskämpfe berichtet – zum Beispiel zwischen UNIX und Windows-Vertretern. Bei näherem Hinsehen stellt sich aber meist heraus, dass nicht Glaube, sondern die Machtfrage solche Konflikte bestimmen, weil es im Hintergrund um Kompetenz und Einflussmöglichkeiten geht. Jede gegenwärtige Form eines Unternehmens ist also immer Ausdruck von Machtverhältnissen. Für Geschäftsprojekte heißt es, dass diese sich mit der Machtfrage auseinander setzen müssen, auch wenn es eigentlich nur um neue Produkte, Prozesse oder Ideen geht. Dabei werden die neuen Produkte, Prozesse, Ideen oder Strukturen in bestehenden Unternehmen nie auf eine grüne Wiese gesetzt. Vielmehr geht es darum, im Spiel der Kräfte eine neue Machtbalance zu finden. Diese schließt an mühsam erarbeitete Kompromisse zwischen verschiedenen Interessengruppen an, die das jeweilige Verhältnis von Macht und Einfluss der verschiedenen Beteiligten widerspiegeln.92 Für das Projektmanagement ist es deshalb unbedingt erforderlich, sich ein Bild der aktuellen Machtverhältnisse zu machen, bevor man an die Erneuerungs- und Veränderungsarbeit geht. Die Verankerung eines Geschäftsprojektes in den formalen und informellen Machtstrukturen erfolgt einerseits im Rahmen des Auftragsmanagements, wie ich im Kapitel 4 dargelegt habe. Sie findet andererseits aber auch in der Zusammenarbeit selbst statt, durch Einflussnahme und Gestaltung von Beziehungen. Wir denken oft über Geschäftsprojekte in der Art, dass sie die Macht für sich haben sollten. Aber das ist eben zu einfach gedacht – denn außer in totalitären Institutionen ist die Macht immer verteilt, wenn auch ungleich. Zu jeder Macht gibt es eine Gegenmacht, jede Gruppe von Mächtigen teilt sich in Fraktionen, es gibt die verschiedensten Quellen von Macht, und die 92
Unter anderem dies besagt der schöne, paradoxe Sinnspruch der Organisationsentwicklung „Every organisation is perfectly designed to get the result it gets“.
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verschiedensten Möglichkeiten, wie sich Macht und Gegenmacht balancieren. Die Fragen sind also: Wo steht das Projekt in der Machtbalance? Wie beeinflusst es die Machtquellen der verschiedenen Beteiligten? Welche internen Differenzen haben die Mächtigen im Hinblick auf die Themen des Projektes? Wie können Sponsor, Projektleitung und interessierte Beteiligte sicherstellen, dass das Projekt im Machtkampf nicht untergeht? Es ist unausweichlich, dass Projektleitungen intensiv in diese Thematik einsteigen. Meist ist bei ihrem ersten Auftreten der erste Machtkampf ja schon gelaufen – nämlich um die Fragen, welcher Abteilung ein Projektbudget zugeschlagen wird, und wer die Projektleitung aussuchen darf. Die ersten Positionen sind erobert, die ersten Wunden wurden geschlagen, und die ersten Fehden entstehen. Oftmals gibt es vom ersten Tag an keinen Moment des Ausruhens mehr, wenn man das Projekt gegen seine Widersacher am Leben halten will.
Zeitweise drohte Kolumbus im Machtkampf mit Pinzon unterzugehen; er wurde jedenfalls in Ketten gelegt
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Macht und Einfluss – keine Tabus mehr Das oben Gesagte enthält im Grunde genommen keine revolutionären Einsichten. Aber in den meisten Unternehmen wäre es durchaus revolutionär, diese auszusprechen. Macht ist vielfach noch ein Tabu-Thema, und so fehlen vielfach auch die richtigen Worte, um sie besprechen und systematisch berücksichtigen zu können. Die obigen Abschnitte sollen diese Lücke füllen. Im Folgenden gehe ich noch ein wenig weiter, und löse den oben verwendeten Machtbegriff etwas weiter auf. Anstatt immer nur von Macht zu sprechen, ist es manchmal hilfreich, Macht und Einfluss auseinander zu halten. Macht ist in dieser Perspektive die Möglichkeit, jemandem mit einem Schaden zu drohen, ohne selbst zu sehr Schaden zu nehmen. Sie ist Drohmacht.93 Mit dieser Macht allein kann man nicht viel anfangen, außer Angst zu gebieten. Zwar kann man aus der Macht sehr direkt Befehlsgewalt ableiten. Führe meinen Befehl aus, oder ich setzte meine Macht ein, um dir zu schaden! Und man kann Informationen und Wissen für sich behalten – wenn Du versuchst, herauszufinden, was ich schon weiß, begehst Du einen Regelvorstoß und wirst womöglich bestraft. Allerdings kommt man damit in modernen Unternehmen schon allein deshalb nicht mehr weit, weil die meisten Befehle sich in vielfältiger Weise unterlaufen lassen und Informationen und Wissen sich in vielfältiger Weise beschaffen lassen – man denke an den braven Soldaten Schweijk, der die Komplexität der k.u.k. Verwaltung dafür weidlich ausnutzte. Hinzu kommen andere, vielfach belegte Probleme der Macht, wie beispielsweise der hohe Aufwand für ihres Erhaltung, die vergleichsweise großen Abnutzungserscheinungen und die unausweichliche Provokation von Widerstand. Wir denken heutzutage dabei sofort an die Erfahrungen der USA mit dem Irak-Krieg, aber diese Phänomene sind auch für Organisationen hinreichend belegt. Um Macht in modernen Unternehmen wirksam nutzen zu können, muss man sie in Einfluss ummünzen. Mit Einflussnahme bewegt man andere Menschen, das zu tun, was man selbst will. Machtausübung ist gekennzeichnet vom Gegenüber des Machthabers und des Machtunterworfenen. 93
Luhmann 2000b
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Einflussnahme ist demgegenüber eine Form des Miteinanders – der Einflussnehmer führt die Hand oder die Gedanken des Beeinflussten. Der Einflussnehmer kann oft mehr erreichen als der Mächtige, denn Einflussnahme ist zielgerichteter und hat insgesamt geringere Kosten als der Gebrauch von Macht. Einfluss ist die Chance und die Versuchung des Projektleiters. Einfluss hat ganz verschiedene Quellen:
die schon besprochene Drohmacht – in dem der Machtunterworfene sich quasi beugt und dem Machthaber Raum gibt, ihm die Hand und die Gedanken zu führen
Charisma und Autorität, in dem der Beeinflusste von sich aus die Gedanken des Einflussnehmers als gut und wahr übernimmt und ihn eventuell in seinem Handeln kopiert94
aber auch
Manipulation, in dem der Einflussnehmer den Beeinflussten täuscht
Patronage und Korruption, in dem der Einflussnehmer den Beeinflussten in ein Netzwerk illegitimer gewährter gegenseitiger Vorteile einbindet.
Motivation und Energie Die Frage nach der Motivation begleitet Projektleiter jeden Tag – denn gute Zusammenarbeit im Team und unter den Projektbeteiligten erfordert Freiwilligkeit und freiwilligen Einsatz. Dies betrifft insbesondere die Notwendigkeit, eine mitreißende Projektvision zu entwickeln (Kapitel 2.2), die Zusammenstellung und Leitung des Projektteams (Kapitel 5.3 und 5.4) sowie die dezentrale Arbeitsplanung, bei der sich die Teammitglieder selbst für bestimmte Aufgaben melden (Kapitel 7.2). Die Frage: „Wie motiviere ich Menschen?“ wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Dennoch gibt es das eine oder andere Fragment, welches sich meines Erachtens als hilfreich erwiesen hat: Zunächst sollten wir von Energie anstelle von Motiviertheit zu sprechen: „Woher nimmt sie die Energie dafür?“ anstelle von „Was motiviert 94
Vgl. Luhmann 2000, S. 204
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sie dazu?“. Energie ist das, was das konkrete Handeln treibt, und dieses steht ja schließlich im Mittelpunkt unserer Arbeit und unseres Interesses. Im Wort Motivation hingegen schwingen viele übergeordnete Bedeutungen mit – von weltanschaulicher Position bis zu unehrenhaften Interessen. In der täglichen Arbeit eines Projektes bleibt wenig Zeit für solche Themen. Deshalb kann man dort mit der Diskussion von Motivation und Motiven meist wenig anfangen. Diese Diskussion ist nur dazu nützlich, um grundsätzlich zu klären, bei welchen Beteiligtengruppen das Projekt Unterstützung finden und bei welchen das Projekt auf Widerstand stoßen wird (siehe Beteiligtenanalyse, Kapitel 8.4). Das Bild der Energie, welche Handeln antreibt, ist hingegen in vieler Hinsicht brauchbar. Wer nicht nachtankt, verbraucht seine Reserven. Wer mit zuviel Energie in eine Sache hinein geht, hat zuviel Wucht und muss aufgefangen werden, oder es geht etwas kaputt. Manche Mitarbeiter können nur kurzfristig Energie für eine Tätigkeit aufbringen, aber vielleicht viel, während andere eher langsam aber beständig Energie abgeben können. Kurz und gut: Fast alle Fragen, die unter dem Stichwort Motivation auf uns zukommen, können sinnvoll beantwortet werden, wenn man sie als Frage nach der Energie neu stellt: „Glauben Sie, dass die Abteilungsleitung die Energie aufbringen wird, sich hinter diese Projektidee zu stellen?“; „Wir wissen, dass Herr Marx schnell Nägel mit Köpfen machen kann. Aber wird er auch in einem Jahr noch die nötige Energie für die Projektleitung aufbringen?“; „Ich spüre hier im Raum überhaupt keine Energie, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen!“ Nahe am Bild der Energie ist das Konzept des Flow des amerikanischungarischen Glücksforschers Csikszentmihalyi. Flow erleben – im günstigen Fall – Skifahrer bei der Abfahrt, Schachspieler im intensiven Spiel, Verkäufer im intensiven Verkaufsgespräch, Politiker in Verhandlungen, Forscher beim Nachdenken, Ingenieure beim Konstruieren. Dazu zunächst die Wikipedia: Mit Flow (engl. fließen, rinnen, strömen) wird das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit bezeichnet, auf Deutsch in etwa Schaffensrausch oder Tätigkeitsrausch, Funktionslust. …
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9 Weiche Faktoren im Portrait Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi definiert den Flow wie folgt:
Wir sind der Aktivität gewachsen.
Wir sind fähig, uns auf unser Tun zu konzentrieren.
Die Aktivität hat deutliche Ziele.
Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung.
Wir haben das Gefühl von Kontrolle über unsere Aktivität.
Unsere Sorgen um uns selbst verschwinden.
Unser Gefühl für Zeitabläufe ist verändert.
Die Tätigkeit hat ihre Zielsetzung bei sich selbst.
Nicht alle Bestandteile müssen gemeinsam vorhanden sein.
Anforderungen
Flow kann als Zustand beschrieben werden, in dem Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung in einer Art produktiven Harmonie zusammentreffen. Und grundsätzlich wird verstanden: Flow ist anders als ‚fun‘ und ‚kick‘, es scheint mehr zu sein, vielleicht in diesem Sinne auch ‚wertvoller‘.95
Flow Überforderung
Unterforderung
Fähigkeiten
Flow: Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten
Flow ist ein Glücksgefühl, welches aus Tätigkeit entspringt, wenn die Tätigkeit volle Aufmerksamkeit erfordert und Anforderungen und Fähigkei95
Artikel Flow (Psychologie). In: Wikipedia, http://de.wikipedia.org, 17. Dezember 2007
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ten sich die Waage halten. Wer Flow erleben will, muss Energie aufbringen, gewinnt diese jedoch aus dem Glücksgefühl des Flow mehr als zurück. Wichtige Leistungsträger in Projekten streben oftmals nach Flow. Deshalb tendieren sie manchmal dazu, die Aufgabe ihrer Leistungsfähigkeit anzupassen – also oftmals schwerer als unbedingt nötig zu machen (!). Um Flow zu erleben, benötigen sie vor allem die Möglichkeit, sich der Aufgabe ganz zu widmen. Flow kann süchtig machen, wie uns die workaholics immer wieder zeigen. Von Flow zu unterscheiden ist der Adrenalinrausch, wie er bei gefahrvoller oder extrem anstrengender Aktivität erlebt wird. Eine weitere enorme Quelle von Energie ist in der Selbstbestätigung zu finden. Fast in jedem Menschen lebt noch ein Kind-Ich fort, welches die Fragen stellt: „Bin ich es wirklich?“; „Darf ich hier sein, der ich bin?“ Oft genug bekommt man jedoch im Unternehmen zu hören: „Nein, ihr seid nicht die, für die Ihr Euch haltet!“; „Nein, ihr sollt anders sein!“ Nicht nur die Sinnfrage rüttelt an unserer Identität, an unserem Selbstgefühl, sondern auch Frustration und Entwertung aus der Arbeit. Für ein Ja auf diese Fragen – also für Selbstbestätigung – setzen die meisten Menschen sehr viel Energie ein. Außerhalb der Arbeit zum Beispiel beim Sport, als aktiver oder passiver Fußballer: „We are the champions!“ Bei der Routinearbeit können Führungskräfte diese Selbstbestätigung vermitteln. Aber auch die Mitarbeit in einem Projekt kann eine Quelle für ein solches positives Erleben und eine Selbstbestätigung sein – wenn es zum Beispiel darum geht, in einer Konstruktionsabteilung den technischen Professionalismus zu fördern, oder in einer Finanzabteilung die Genauigkeit der Datenerhebung. Ein wichtige Einsicht ist: Mehr wird oft kaum erwartet! Wird ein Projekt jedoch – durchaus auch unbewusst – als eine Gefahr für die Selbstbestätigung wahrgenommen, so fehlt die Energie für die Mitarbeit zunächst einmal. Vielleicht lässt sich jedoch auch in einem zunächst ungeliebten Projekt oder bei einer ungeliebten Aufgabe ein Weg finden, wie die Beteiligten daraus Selbstbestätigung gewinnen können. Eine gerade für Männer besonders wichtige Energiequelle ist das Streben nach sozialem Status. Das kann man in großer Schlichtheit betrachten – es geht darum, oben zu sein. Anschauliche Beispiele liefert ein Besuch
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im Zoo, präziser: bei den Gorillas. Ganz oben ruht der Weißrücken, der sich durch kaum wahrnehmbare Aktivität – was macht eigentlich ein Vorstandsvorsitzender? – und ungehemmten Zugriff auf alle Ressourcen auszeichnet. Darunter die Ebene der Graurücken, die sich mit dem Boss arrangiert haben und sein Regiment stärken. Schließlich die mittlere Führungsebene, die viel Energie darin investiert, sich Bereiche eigener Verfügungsgewalt zu schaffen, aber in großer Furcht vor dem Durchgreifen des Bosses lebt. Dieses etwas drastische Bild soll jetzt nicht so verstanden werden, als würden alle Männer sich wie Affen verhalten und nichts anderes im Kopf haben, als unbedingt nach oben zu wollen. Fast immer stimmt jedoch, dass Männer – und insbesondere Führungskräfte – ein sehr klares Bild über die Rangfolge untereinander haben. Vor allem können sie meist kaum Energie für etwas anderes aufbringen, solange diese nicht geklärt ist. In Japan ist es in dieser Hinsicht einfach, weil man erst Visitenkarten austauscht und sich dann der Rangfolge entsprechend begrüßt. Im europäischen Raum haben viele Projekte damit zu kämpfen, dass Rangfolgen in aufgabenbezogen zusammengestellten Teams zunächst nicht geklärt sind. Diese zu klären benötigt Zeit, die für die Aufgabenbewältigung nicht zur Verfügung steht.
Übertriebenes Selbstgefühl (Narzissmus) Ein stark ausgeprägtes bis übertriebenes Selbstgefühl wird oft als Narzissmus bezeichnet. Das ist von Interesse, weil in Geschäftsprojekten in der Regel Rollen aufeinander treffen, die oft mit narzisstischen Persönlichkeiten besetzt sind: Projektleiter, Linienmanager und Berater. Die Bezeichnung Narzissmus geht auf den griechischen Mythos vom Knaben Narziss zurück, der sich in sein eigenes Spiegelbild in einer Quelle verliebte und verzweifelt erkennen musste, dass dieses nicht zum Umarmen war, so dass er ‚Stunde um Stunde verzückt auf das Wasser schaute‘. Narzissmus bedeutet jedoch wesentlich mehr als eine schlichte Selbstliebe. Narzissmus ist eine Bezogenheit auf das Selbst, um ein inneres Gleichgewicht, Wohlbehagen und Selbstsicherheit aufrechtzuerhalten.
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Ein ‚positiver‘ Narzissmus äußert sich in einer positiven Einstellung zu sich selbst, d.h. dass diese Menschen ein stabiles Selbstwertgefühl haben, das auch erhalten bleibt, wenn es Rückschläge gibt. Positiv narzisstische Menschen ruhen in sich selbst, strahlen Wärme aus und sind anderen zugewandt. Positiver Narzissmus ist gesunder Bestandteil einer harmonischen Persönlichkeit. Ein … ‚negativer‘ Narzissmus bedeutet, dass diese Menschen vorwiegend sich selbst zugewandt sind, ein eher passives Liebesbedürfnis haben und ‚lieben, nur um geliebt zu werden‘ … Narzissten sind kaum oder gar nicht zu Empathie fähig (Mitgefühl mit anderen). Sie haben (fast) kein Selbstwertgefühl und sind auf ständige Bestätigung von außen angewiesen. … Oft neigen negativ narzisstische Menschen auch dazu, andere abzuwerten, um das eigene Ego aufzuwerten. (Quelle: www.narzissmus.net)
Narzissten haben also die Energie, sich aus der Gruppe heraus zu begeben und Führung und Verantwortung zu übernehmen. Sie trauen sich auch ungewöhnliche und riskante Vorhaben zu, und sie können oftmals viel, weil sie viel in ihre eigene Entwicklung investiert haben. Sie haben besondere Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, weil sie so sehr auf diese angewiesen sind. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sie mit ihrer Selbstbezogenheit sich selbst und ihrer Aufgabe im Weg sind. Narzissten sehen sich selbst ständig im Mittelpunkt. Sie fühlen sich unabkömmlich, und denken, dass auch andere Menschen sich ständig mit ihnen befassen oder wenigstens an ihnen orientieren sollten. Springt ein Mann in’s Taxi: „Fahren Sie schnell los, egal wohin – ich werde überall gebraucht!“
Im Kapitel 3 habe ich über die besondere Rolle der Projektleitung gesprochen, die so weit geht, dass Projektleiter ganz richtig von ihrem Projekt sprechen können – so wie Abteilungsleiter von ihrer Abteilung sprechen. Dahinter steckt einerseits ein Quäntchen Übertreibung, denn natürlich gehören sowohl Projekt als auch Abteilung letztlich immer dem Unternehmen. Andererseits entspricht dies der Erkenntnis, dass sowohl Linienführung als auch Projektleitung die genannte narzisstische Energie benötigen – wozu sonst die langen Tage und der viele Stress? Das gleiche gilt natürlich für Berater, die – um es pointiert zu sagen – sich gegen die beengende
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Rolle in einem Unternehmen entschieden haben, um ungestraft um sich selbst kreisen zu können. Das Miteinander dieser drei gleichen Persönlichkeitstypen ist oftmals entscheidend für das Gelingen eines Projektes. Hier geht es nicht in erster Linie um eine Rangfolge, sondern um den Raum, der der Selbstbezogenheit eingeräumt wird. Führungskräfte sollten ihre Projektleiter ihr eigenes Projekt machen lassen, denn sonst werden sie für riskante Projekte kaum welche finden – ebenso wie Projektleiter, die Berater nicht in ihrer stilisierten Eigentümlichkeit akzeptieren. Umgekehrt gilt es für Berater, das positive Selbstgefühl ihrer Kunden unter keinen Umständen einzuschränken, sondern es zu stärken – und dito für Projektleiter im Verhältnis zu Linienführungskräften. Gegenüber solchen Erkenntnissen sollte man sich nicht hinter Rationalität verschanzen – so, als ob nur sachlich geführt und gehandelt würde. Narzisstische Persönlichkeiten finden unendlich viel Energie dafür, ihren Narzissmus auszuleben. Gelingt es, diesen so zu kanalisieren, dass das Projekt davon profitiert, ist viel gewonnen. Ihn zurück zu drängen, wird in der Regel auf Dauer nicht gelingen, sondern wird zu überraschenden Überreaktionen und unnötigen Konflikten führen.
Konflikt: Sachfrage oder Parasit? Schließlich ist der Konflikt ein für die Leitung und Steuerung von Geschäftsprojekten zentraler weicher Faktor. Veränderung provoziert Widerstand, Erfolg schafft Neid, unterschiedliche Kulturen und Werte schaffen weiteres Konfliktpotential. No pain, no gain – Konfliktmanagement ist das tägliche Brot vieler Projektleiter. Patentrezepte für die Bewältigung von Konflikten gibt es nicht. Allerdings wäre oft schon viel für ein produktives Umgehen mit den mehr oder weniger schmerzhaften Konflikten der Projektarbeit gewonnen, wenn man konsequent die Unterscheidung zwischen der Sach- und der Beziehungsebene in Konflikten machen würde. Diese müssen nämlich sehr verschieden behandelt werden!
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Vielen Konflikten liegt ein Sachproblem oder ein unbestrittener Interessenkonflikt zugrunde. Dies ist im Wirtschafsleben immer der Fall, wenn es sich um ein Nullsummenspiel handelt, bei dem des einen Freud automatisch des anderen Leid ist: Das Software-Haus hat zum Festpreis angeboten, und nun streitet man sich, ob zusätzliche Funktionen schon im Auftrag inbegriffen sind oder nicht. Die Budgetsteuerung in einem Unternehmen soll zentralisiert werden, und Abteilung X, die bislang aufgrund der persönlichen Beziehungen des Abteilungsleiters immer Vorgriff auf das Budget hatte, ist dagegen. Die neue amerikanische Konzern-Mutter verfügt den Einsatz einer Software, die in der deutschen Tochter bislang nicht bekannt ist, was hohe Lernkosten verursacht und sie gegenüber den amerikanischen Mit-Töchtern benachteiligt.
Diese Art von Sach-Konflikten sollte verhandelt werden. Im Alltag suchen wir dann nach einem Kompromiss, der von beiden Seiten soweit akzeptiert wird, dass er dauerhaft sein kann. Eine Partei mag einen Kompromiss deswegen akzeptieren, weil sie kalkuliert hat, dass dieser unter den gegebenen Umständen das beste für sie erreichbare Ergebnis ist. Oder sie akzeptiert ihn aus übergeordneten Gründen, ohne den Sachverhalt selbst genau zu verstehen, zum Beispiel weil ein anerkannter Schlichter seine Autorität hinter den Kompromiss stellt. Das unter dem Stichwort Win–Win populär gewordene Harvard-Konzept der Verhandlung versucht, einen Weg über den Kompromiss hinaus zu finden. Bei Kompromissen machen nämlich beide Parteien offensichtlich Abstriche, so dass der Konflikt bei nächster Gelegenheit wieder aufbrechen kann. Win–Win ist eine ausgearbeitete Vorgehensweise für die Suche nach hinter dem Konfliktgegenstand liegenden Positionen, die in beiderseitigem Interesse liegen.96 Neuerdings betonen die Autoren der Harvard University unter dem Stichwort Investigatives Verhandeln, wie wichtig es ist, für eine erfolgreiche Verhandlung die Interessen und Beweggründe der
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Ganz ähnlich bei Goldratt 1997 als Dissolving Cloud
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anderen Seite umfassend kennenzulernen und in die eigene Verhandlungsstrategie einzubauen.97 Die Verhandlung von Sach-Konflikten führt uns also immer weiter in die Sachprobleme hinein. Für Veränderungsprojekte gilt zudem, dass Konflikte ‚gut‘ für das Projekt sind – in dem Sinne, dass Konflikt-Themen oftmals ganz besonders fruchtbar für die Veränderungsarbeit sind. In vielen dieser Projekte kann die Projektleitung die Themen mitbestimmen, an denen gearbeitet wird. Manchmal ist es dann sogar durchaus sinnvoll, sich den Konflikt in’s Haus zu holen, also Themen zu wählen, die potentiell konfliktträchtig sind. Der Grund dafür ist, dass sich komplexe Organisationssysteme häufig entlang von Konfliktlinien definieren – sei es die Konkurrenz des ewig zweitbesten Unternehmens gegen den ewigen Ersten, sei es der vermeintliche Abwehrkampf gegen eine äußere Bedrohung, wie die Chinesen oder die Bürgerinitiativen gegen Atomkraft. Die Konfliktthemen sind dann Teil der Struktur. Wenn man sie anrührt, kann man erstaunlich viel Energie freisetzen, und man kann recht tiefgreifende Veränderungen anstoßen. Dabei gerät man allerdings schnell auf die Beziehungsebene von Konflikten. Auf dieser entfaltet sich oft eine Eigendynamik, die zunehmend unabhängig von der ursprünglichen Sachfrage ist. Konflikte können auch aus im Rückblick nichtigem Anlass auf die Beziehungsebene geraten, und dort eine beträchtliche bis mörderische Eigendynamik entfalten. Der Konflikt schaukelt sich hoch, in dem schon fragwürdige Unterstellungen und Befürchtungen der einen Seite noch wildere Unterstellungen und Befürchtungen der anderen Seite folgen. Nach kurzer Zeit hat man sich zum Thema des Konflikts schon so sehr aus dem Fenster gelehnt, dass man gar nicht mehr überprüfen will, ob die Unterstellungen und Befürchtungen, die man seinen drastischen Maßnahmen zugrunde gelegt hat, überhaupt zutreffen. In der nächsten Steuerungsgruppensitzung werde ich eine Präsentation vorlegen, dass denen Hören und Sehen vergeht! Die waren schon immer borniert, und seit einem Jahr tun sie nichts anderes, als unser Projekt zu sabotieren!
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Malhotra u. Bazermann 2007
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Wenn sich in einem Konflikt einmal eine solche Tonlage oder ein solches Denken etabliert, so lebt er aus sich selbst heraus, in seiner Eigendynamik. Man könnte auch sagen, dass er zu einem Parasit geworden ist, der sich an die ursprüngliche Sachfrage anlagert und Energie aus dem System saugt. Ein solcher Konflikt ist alles andere als förderlich; so weit es irgend geht, sollte er bereinigt werden. Der Weg dazu ist nicht die Verhandlung – es hilft überhaupt nichts mehr, die vielleicht anfangs unterliegenden Sachprobleme aufzugreifen. Jede Stellungnahme der einen oder anderen Seite – und auch desjenigen, der sich als Dritte Partei einbringt! – wird als vorgeschobenes Argument, als Verschleierung oder als Drohung wahrgenommen. Der Weg zur dauerhaften Verhandlungslösung ist versperrt. Konfliktbearbeitung heißt in diesem Fall, die Sachfrage bis auf Weiteres ruhen zu lassen und alle Sachargumente tatsächlich erst einmal beiseite zu stellen. Alle Energie muss nun auf eine Lösung des Konflikts auf der Beziehungsebene gelenkt werden. Die Bearbeitung von Beziehungskonflikten führt also aus zunächst aus der Sachproblematik heraus! Die Kraft eines Beziehungskonfliktes rührt aus tiefer liegenden, seelischen Wunden, die sich die Konfliktparteien gegenseitig beibringen, absichtlich oder unabsichtlich. Solche Wunden entstehen, wenn das Selbstbild ernsthaft verletzt wird – zum Beispiel, in dem Ingenieuren Unprofessionalität vorgeworfen wird, Führungskräften Fahrigkeit, Beratern konventionelles Denken, und Projektleitern Handlungsschwäche. Seelische Wunden entstehen auch, wenn wichtige, tiefer liegende Bedürfnisse verletzt werden, zum Beispiel nach Orientierung (Ich weiss gar nicht, wo das alles hin führen soll!), nach Gesundheit (Mit einem solchen Termin wird der Druck uns hier alle krank machen!) oder nach Zuwendung (Wir sind hier wohl die Trottel!). Die Bearbeitung von Beziehungskonflikten ist delikat – vor allem, weil derjenige, der zunächst Energie dafür aufbringt, oft selber in den Konflikt eingebunden ist. Eine Bearbeitung könnte sich an folgenden fünf Schritten orientierten: 1. Konfliktdynamik unterbrechen – Sachargumente aussetzen 2. Eine neutrale, allparteiliche Ausgangsposition formulieren, aus deren Sichtweise heraus kein Interesse am Konflikt besteht
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9 Weiche Faktoren im Portrait 3. De-eskalieren – Ruhe in die Auseinandersetzung bringen; den Konfliktparteien signalisieren, dass sie verstanden werden 4. Heraushören, welche Wunden geschlagen oder welche seelischen Bedürfnisse verletzt wurden 5. Mit den Konfliktparteien klären, wie diese Wunden heilen können und wie Bedürfnissen besser entsprochen werden könnte.98
Entscheidend ist, auf das Doppelgesicht von Konflikten zu achten, und ihre Sach- und Beziehungsebene so weit wie irgend möglich auseinander zu halten.
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Sachebene
Beziehungsebene
Naheliegende Lösung
Kompromiss
Dynamik unterbrechen – Streitende trennen
Dahinter liegende Lösung
Win–Win Verhandeln
Beziehungsebene auf den Tisch bringen
Nachhaltige Lösung
Investigatives Verhandeln
Wunden heilen, seelische Bedürfnisse befriedigen
Nach Straube 2007
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Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
Communication is the mother of all issues. Tom Peters Wir hatten im vorigen Kapitel festgestellt, dass Geschäftsprojekte ganz besondere Herausforderungen für die Zusammenarbeit mit sich bringen: die Neuartigkeit der Aufgaben, einen oft extremen Zeitdruck, und die Notwendigkeit, neue Wege des Miteinanders zu beschreiten. Unter diesen Umständen wird wirksame Kommunikation enorm wichtig, sie wird zu einem kritischen Erfolgsfaktor für die Projektarbeit. Wer hier zuviel Zeit verliert, Ergebnisse nicht präzise erreicht und sichert, oder gar Fehler macht, riskiert den Projekterfolg. Dies fordert uns in ungewohnter Weise und kann irritierend wirken. Kommunikation hat ja zunächst einmal nichts mit unserer Professionalität, mit Spezialisierung und Expertentum zu tun, sondern ist eine menschliche Grundtechnik: Wir alle kommunizieren tagaus und tagein, und jeder hat dafür seine eigenen Mittel und Wege gefunden. Sich im Bereich der Kommunikation zu verbessern heißt, Gewohnheiten in Frage zu stellen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die man eigentlich weitgehend zu beherrschen glaubt. Wir können uns dies mit dem Bild einer Expedition ins Hochgebirge veranschaulichen: Jeder Mensch verfügt über die Techniken der Fortbewegung zu Fuß, und verschwendet unter normalen Umständen keinen Gedanken darauf, wie er solchermaßen vorankommt. Wer jedoch ins Hochgebirge will, muss so gehen können, dass er nicht ein einziges Mal stolpert oder daneben tritt; er muss sich so orientieren können, dass er nicht ein einziges Mal einer Verwechselung unterliegt; und er muss seine Kräfte so einteilen können, dass er sich nicht ein einziges Mal über Gebühr strapa-
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
ziert. Bergsteiger, die höchste Leistung erbringen wollen, beschäftigen sich deshalb auch mit den elementarsten Fragen der Fortbewegung: Wie groß mache ich meine Schritte? Wie oft prüfe ich meinen Standort? Bei welcher Herzfrequenz gehe ich? In diesem Kapitel stelle ich Vorgehensweisen und Werkzeuge vor, um Klarheit und Verbindlichkeit in der Kommunikation herzustellen. Genau so wie es keine für alle Bergsteiger gleichermaßen beste Art des Gehens gibt, gibt es keine allgemein beste Art der Kommunikation für Projektmanager. Aber Sie können anhand der hier vorgestellten Techniken Ihre eigene überprüfen und sich Anregungen mitnehmen.
10.1
Das richtige Maß an Klarheit
Kommunikation ist so aufwändig, weil sie voll von Missverständnissen ist. Das gilt insbesondere für die Arbeit in Geschäftsprojekten, denn hier treffen verschiedenste Beteiligte aufeinander und sollen sich zu vorderhand unbekannten, neuen und konfliktträchtigen Inhalten miteinander verständigen. Kommunikation auf mögliche Missverständnisse zu prüfen, und aufgetretene Missverständnisse zu klären, kostet Zeit. Die ist kostbar, und schon allein deshalb wird es vollständige Klarheit niemals geben. In der Praxis sollte man deshalb davon ausgehen, dass alles immer irgendwie missverstanden wird. Mehr noch: In gewisser Hinsicht sind ja Ungenauigkeit und Unklarheit überhaupt eine Voraussetzung für erfolgreiches Miteinander – wir kennen dies als Notwendigkeit der Diplomatie. Insgesamt hat also jedes Geschäftsprojekt seine inhaltlichen Grauzonen und Unschärfen, die nicht vermeidbar sind und auch gar nicht vollständig ausgeräumt werden sollten. Für Projektmanager geht es dann darum, das Verhältnis von Klarheit und Unklarheit zu optimieren. Zu berücksichtigen sind dabei auf der einen Seite der Aufwand für die Klärung sowie die Problematik undiplomatischen Verhaltens, und auf der anderen Seite die Risiken und Kosten von Unklarheit und möglichen Missverständnissen. Allgemeine Regeln für die Auflösung dieses Dilemmas kann es nicht geben. Ich selbst gehe immer
10.1 Das richtige Maß an Klarheit
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davon aus, dass die Dinge überwiegend unklar und missverstanden sind. Ob und inwieweit eine Klärung wirklich notwendig ist, erfährt man durch folgende Prüffragen:
Sind Beteiligte orientierungslos und wissen nicht, wohin sie ihre Energie richten sollen oder was ihre nächsten Schritte wären?
Würden Beteiligte sich notwendigen Festlegungen entziehen?
Besteht ein spezifisches Risiko, dass Fehler gemacht werden, die nur aufwändig oder gar nicht zu korrigieren sind?
Besteht ein spezifisches Risiko, dass unnötige Konflikte entstehen, die Energie auf sich ziehen und die Beteiligten vom Sachthema ablenken?
Im Folgenden stelle ich drei Techniken vor, die diese manchmal notwendige Klärungsarbeit unterstützen.
1. Botschaften besser verstehen Vielen Leserinnen und Lesern wird das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun99 schon aus Ausbildungen zur Führungskräfte- und Persönlichkeitsentwicklung bekannt sein. Aber es gibt immer noch viele Projektmanager und -mitarbeiter, denen es neu ist. Dabei ist es meines Erachtens wirklich unerhört wertvoll, und ich habe es schon etliche Male auf eine Serviette oder ein anderes zur Verfügung stehendes Stück Papier gezeichnet, um Kommunikation zu klären. Ich stelle es in einer absoluten Kurzform dar und empfehle darüber hinaus, das Buch „Miteinander reden“ von Schulz von Thun zu lesen. Wir alle wissen, dass Botschaften sowohl explizite als auch implizite Anteile haben. Der explizite Teil wird ausgesprochen, geschrieben oder als Geste ausgedrückt. Die impliziten Anteile sind gemeint, aber nicht ausdrücklich gesagt – wir müssen sie uns erschließen. Dabei helfen uns sprachliche Mitbedeutungen und Assoziationen sowie nicht-sprachliche
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Schulz von Thun et al. 2000
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
Zeichen, wie der Klang der Stimme, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und so weiter. An einer Botschaft sind immer Sender und Empfänger gleichermaßen beteiligt. Eine Botschaft entsteht durch das Sprechen des Senders ebenso wie durch das Hinhören des Empfängers. Jede explizite Äußerung enthält nun unausgesprochene Botschaften in den folgenden vier Dimensionen, die um die explizite Aussage herum gruppiert sind: Sachaussage
Selbstoffenbarung
explizite Äußerung
Appell
Beziehungsbotschaft Das Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun
Problematisch an unausgesprochen Botschaften ist, dass sie in der Regel einen großen Spielraum für Interpretation haben. Der ist gering, wenn einem die Kinder sagen: Papa, es ist gleich Sieben! Dann gibt es kein Vertun: Darin steckt der offenbarte Wunsch, das Sandmännchen nicht zu verpassen und der Appell, den Fernseher einzuschalten. In vielen Fällen – und gerade unter Projektbeteiligten, die sich eben nicht so gut kennen und keine gemeinsamen Routinen entwickelt haben – kann jedoch ein Äußerung ganz anders verstanden werden, als sie von ihrem Sprecher eigentlich gemeint war; und sie kann auch, je nach Art des Hinhörens des Empfängers, ganz unterschiedlich verstanden werden. Im Folgenden ein Beispiel für eine explizite Äußerung und die verschiedenen, möglicherweise daran geknüpften impliziten Botschaften:
10.1 Das richtige Maß an Klarheit
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Sachaussage 'Wir können die geplante Bestellung nicht ausführen' oder: 'Wir können bald keine Bestellung mehr ausführen' oder: ....
Appell
Selbstoffenbarung 'Wir sind ratlos, wie wir unsere Aufgaben bewältigen sollen'
Äußerung "Unser IT-Budget muss dringend erhöht werden"
oder: 'Wir wollen mehr Beachtung'
'Tu was, besorge das Geld' oder: 'Kümmere dich auch einmal um die IT' oder:
oder:
...
...
Beziehungsbotschaft 'Du nimmst auf unsere Interessen keine Rücksicht, wir sind Dir egal' oder: 'Wir wissen auch dies besser als Du' oder: ...
Das Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun: Unterschiedliche Interpretationen der impliziten Botschaften (Sender: IT-Vertreter im Projekt, Empfänger: Projektleiter)
Die explizite Botschaft ist, dass das IT-Budget erhöht werden muss. Schon die möglicherweise mitgemeinte unausgesprochene Sachaussage ist jedoch nicht klar. Bedeutet dies, dass jetzt faktisch keine Bestellungen mehr möglich sind – oder dass dies erst demnächst gilt, wenn der jetzige Trend fortgeschrieben wird? Beides sind möglicherweise richtige Verständnisse – ohne Rückfrage lässt sich dieses wohl kaum klären. Auch das Verstehen der unausgesprochenen Botschaften in den anderen Dimensionen ist nicht leicht: Was ist die implizite Selbstoffenbarung –
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
dass der Sender ratlos ist, oder dass er mehr Beachtung will? Was ist die Beziehungsbotschaft – dass der Sender es besser zu wissen meint als der Empfänger, oder dass er sich übergangen fühlt? Schulz von Thun weist darüber hinaus darauf hin, dass wir Menschen als Empfänger von Botschaften unterschiedlich empfindlich für die vier verschiedenen Seiten des Kommunikationsquadrats sind. Er spricht diesbezüglich von den vier Ohren, mit denen man die unausgesprochene Botschaften heraushört.
Sachaussage
Selbstoffenbarung
Appell
Beziehungsbotschaft
Das Vier-Ohren-Modell nach Schulz von Thun
Diese Ohren – die Empfänglichkeit für implizite Botschaften in bestimmten Dimensionen – sind von Person zu Person unterschiedlich ausgebildet. Wer ein großes Appell-Ohr hat, hört bei der expliziten Äußerung vor allem den unausgesprochenen Appell mit. Er fühlt sich aufgefordert, etwas zu tun, auch wenn die explizite Aussage aus Sicht des Sprechers einfach nur eine Sachaussage war. Wer ein großes Sachaussagen-Ohr hat, hört diese und wird sachlich reagieren, aber er überhört vielleicht eine unausgesprochene Beziehungsbotschaft. Wer leicht zu kränken ist, hat unter Umständen ein etwas groß geratenes Beziehungsbotschafts-Ohr. Wer ständig als Hobby-Psychologe und Menschenergründer unterwegs ist, hat ein großes Ohr für die Selbstoffenbarung von anderen – und läuft Gefahr, mehr von der Person als von der Sache mitzubekommen. Kommunikationsquadrat und Vier-Ohren-Modell sind wirklich absolut wetterfest und überall einsetzbar. Wenn immer eine Botschaft das Projektteam ratlos macht und man sich fragt, was eigentlich gemeint war, oder
10.1 Das richtige Maß an Klarheit
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wenn sich zwischen Beteiligten Empfindlichkeiten festzusetzen drohen, hilft das Kommunikationsquadrat, sich die möglichen impliziten Botschaften zu vergegenwärtigen. Wichtig dabei ist, dass es nicht darum geht, Preise und Strafen für richtiges beziehungsweise falsches Verstehen zu verteilen. Letztlich ist nämlich die Frage, was eine Botschaft wirklich bedeutet hat, gar nicht zu beantworten. Zum einen ist ja das Verstehen von der Art des Hinhörens abhängig. Zum anderen ist dem Sender meist selbst nicht wirklich klar, welchen Appell, welche Selbstoffenbarung, welche Beziehungsbotschaft und welche implizite Sachaussage er mit gemeint hatte – und jedes spätere Reden darüber ist natürlich wieder auch eine Kommunikation, die wiederum interpretationsbedürftig ist. Das Ziel der Klärung ist also nicht mehr als eine momentane Übereinstimmung zwischen Beteiligten, dieses oder ähnliches gesagt, und dieses oder ähnliches verstanden zu haben.
2. Weiche Faktoren auf den Tisch bringen Die grundlegende Unterscheidung zwischen sagen und meinen wird auch in folgendem Bild aufgegriffen: Einige Themen und Dinge werden explizit gesagt beziehungsweise mitgeteilt, sie liegen auf dem Tisch. Greifen wir das obige Beispiel wieder auf: Auf dem Tisch liegt die Aussage, dass das IT-Budget erhöht werden soll. Andere Themen hingegen werden nur implizit angesprochen, und gleichzeitig ist ihr Bezug zum Gesagten relativ klar – diese liegen unter dem Tisch. In unserem Beispiel würde dies vielleicht für das Verhältnis zwischen der IT-Abteilung und der projektführenden Abteilung gelten, also um gegenseitige Beachtung und Vermutung von Kompetenz. Solche Themen sind durch Rückfragen noch zu klären: „Wie habt Ihr das gemeint? Glaubt Ihr, dass wir das Budget noch einmal gemeinsam anschauen sollten, oder fragt Ihr Euch, wie Ihr mit dem Geld hinkommen sollt?“ Dann gibt es Themen, die zwar eine Rolle spielen, aber nur noch schwer angesprochen werden können – in unserem Beispiel vielleicht eine persönliche Fehde zwischen den zwei betroffenen Abteilungsleitern, welche das Klima auch auf der Arbeitsebene beeinträchtigt. Solche Themen liegen unter dem Teppich. Man weiß, dass es sie gibt, man könnte mit einem gewis-
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
sen Aufwand oder in den richtigen Momenten darüber sprechen, aber diese Gelegenheit besteht nur sehr eingeschränkt. Schließlich gibt es noch die Themen, die im Keller liegen, also die Verhandlungen der Sache auf dem Tisch schon noch beeinflussen, aber gleichzeitig so unklar und so drohend sind, dass sie gar nicht besprochen werden können – zum Beispiel ein eventuell drohendes Outsourcing der IT-Abteilung, oder eine bevorstehende Kündigung des Projektleiters. Mit diesem Modell verbindet sich die schlichte Einsicht, dass nur das, was auf dem Tisch liegt, auch besprochen und zum Gegenstand von Vereinbarungen werden kann. Über Themen, die unter dem Tisch bleiben – von der Orientierungslosigkeit in Budgetfragen bis hin zur möglichen Existenzkrise einzelner Beteiligter – kann man nicht wirklich sprechen, man kann keine Klarheit herstellen, und vor allem keine Verbindlichkeit. Anliegen ?
Anliegen ? Anliegen ?
Anliegen ?
Bild: Themen auf und unter dem Tisch
Auch dieses kleine Denkinstrument kann zwanglos aufgezeichnet werden, zur Unterscheidung und Erläuterung dessen, was gesagt und was nur gemeint ist.
10.1 Das richtige Maß an Klarheit
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3. Die Anliegen klären Geschäftsprojekte sind meist von Konflikten gekennzeichnet. Das ist einerseits fast unvermeidbar, denn es geht um Interessen, Nutzen und Weltanschauungen. Andererseits sind viele Konflikte ganz unnötig – wenn sie sich nämlich Parasiten sind (siehe Kapitel 9), und nicht aus substantiellen Gründen herrühren. Konflikte belasten das Arbeitsklima, und können zudem eine große Eigendynamik entfalten. Deshalb gilt hier: Wehret den Anfängen! Ich stelle nun eine Technik vor, die hilft, sachliche Missverständnisse zu klären und somit unnötige Konflikte im besseren Falle von vorneherein zu verhindern. Diese Technik steht im Einklang mit den im Kapitel 9 vorgestellten Lösungsansätzen für Konflikte, und nimmt die dahinter liegenden Prinzipien auf einer viel einfacheren, alltagstauglichen Ebene auf. Sie besteht im Wesentlichen darin, die Beteiligten zu bitten, einen möglichen Konfliktgegenstand zunächst einmal loszulassen und sich stattdessen gegenseitig ihre dahinter liegenden Anliegen darzustellen. Der Begriff Anliegen ist nützlich, weil er ziemlich neutral ist. Im Gegensatz zu den Begriffen Interesse, Bedürfnis gibt es hier keine verborgene Ebene, und die Bitte, ein Anliegen darzustellen, wird in den seltensten Fällen als Versuch wahrgenommen, jemanden zu demaskieren, ein Thema zu psychologisieren oder in anderer Weise ungebührlich zu handeln. Nach meiner Erfahrung lassen sich durch diese einfache Maßnahme deutlich mehr als die Hälfte aller sich anbahnenden Auseinandersetzungen unter Projektbeteiligten wieder entschärfen, insofern sie vor allem sachlich begründet sind. Die folgenden Diagramme veranschaulichen den Wirkungsmechanismus:
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
Anliegen Anliegen
Anliegen Wirkungshypothesen
Konfliktpunkt
Wirkungshypothesen
Anliegen
Anliegen Anliegen
Ausgangssituation: Geteilt ist der Konflikt, auf den Anliegen sitzt jeder allein für sich
Hier stehen sich zwei Parteien gegenüber und geraten über eine bestimmte Fragestellung in Konflikt. Jede Seite sitzt quasi auf ihren Anliegen, und hat vor allem die eigenem Interessen im Blick. Jede Seite glaubt, dass der Konfliktgegenstand ihre jeweiligen Anliegen negativ berührt. Projektmanager und Vertreter der IT-Abteilung im Projektteam sitzen sich gegenüber. Das IT-Budget im Projekt ist vorzeitig ausgeschöpft. Der IT-Mitarbeiter macht den Vorschlag, im nächsten Lenkungsausschuss eine Erhöhung vorzuschlagen. Der Projektmanager lehnt dies rundheraus ab und plädiert für Vertagung. Jetzt sei die Zeit noch nicht reif dafür. Der IT-Vertreter sieht nicht, wann die Zeit jemals ‚reif‘ für so etwas sein solle. Es gibt Worte und Widerworte, der offene Konflikt steht kurz bevor. Kurz bevor es zum Knall kommt, besinnt sich der Projektleiter. Er macht den Vorschlag, dass er und sein Kollege sich zunächst einmal ihre jeweiligen, dahinter liegenden Anliegen schildern. Die Frage, was auf dem nächsten Lenkungssauschuss gesagt wird, wird zurückgestellt. Das macht den Blick frei auf die Anliegen der jeweils anderen Seite:
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Anliegen
Anliegen
Anliegen
Anliegen
Anliegen
Anliegen Das Entfernen des Konfliktpunkts macht es möglich, dass die beiden Seiten die Anliegen der jeweils anderen sehen
Anliegen des Projektleiters
Anliegen des IT-Vertreters
er möchte einen Personalvorschlag genehmigt bekommen und befürchtet, dass er nur einen einzigen Vorschlag ‚durchbekommt‘
er muss zügig den Beschaffungsantrag stellen, sonst sind die Mittel weg; dafür muss das Budget zumindest annonciert sein
in der nächsten Ausgabe der Hauszeitung ist ein Bericht über das Projekt geplant; er möchte, dass dort berichtet wird, dass das Projekt sein Budget einhält
er möchte gegenüber seinem Chef berichten können, dass er im Projekt einiges für IT erreicht hat
Die beiden stellen fest, dass ihre Anliegen sich nur zum Teil widersprechen. Sie suchen und finden eine Lösung: Der Projektleiter findet die Budgetüberschreitung unschön, aber ist bereit, sie zu vertreten – später. Die Frage der Erhöhung wird in eine weitere Prüfrunde geschickt, um ‚wirklich präzise‘ Zahlen vorlegen zu können. Die Ergebnisse werden dem Vorsitzenden des Lenkungsausschusses vor dem übernächsten Besprechungstermin schriftlich
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit übermittelt. Der Projektleiter spricht den Leiter der IT-Abteilung mündlich auf dieses Vorgehen an. Diese Lösung ist elegant, weil sie die substantiellen Anliegen beider Seiten befriedigt – die Wahrung der Reputation auf der einen Seite, und die Budgeterhöhung für IT auf der anderen.
Anliegen
Anliegen
Aktion 1 Anliegen Anliegen
Wirkungshypothesen
Wirkungshypothesen
Anliegen
Aktion 2 Anliegen
Wenn es sie gibt, kann eine Lösung kann gefunden werden
Der Blick weg vom konkreten Konfliktgegenstand und auf die dahinter liegenden Anliegen erweitert den Spielraum, eine elegante Lösung zu finden. Die Moral von der Geschichte: für einen Kuhhandel braucht es manchmal einen kühlen Kopf – und natürlich auch für andere Lösungen, die man immer wieder finden muss. Ist dies trivial? Meiner Erfahrung nach keineswegs, den gerade in der Arbeit mit anspruchsvollen Geschäftsprojekten treffen engagierte Mitarbeiter und andere Beteiligte aus ganz unterschiedlichen Welten aufeinander. Keiner der Beteiligten will einen Kompromiss eingehen, der die eigenen Interessen und Anliegen substantiell gefährdet. Man kämpft hart, schürt gerade damit die Flamme des Konfliktes, und verliert andere Lösungsmöglichkeiten aus dem Auge. Wie viel Ärger könnte man sich sparen, wenn die Beteiligten dieses Vorgehen routinemäßig anwenden würden:
In jeder möglicherweise durch Sachkonflikte belasteten Diskussion sollte ihr Leiter die Unterscheidung von konkretem Konfliktgegenstand, hintergründigen Anliegen und den vermuteten Wirkungen des
10.2 Verbindliche Zusagen einholen
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Konfliktgegenstandes auf diese hintergründigen Anliegen präsent haben.
Wenn es bei der Verhandlung konkreter Punkte anfängt, nach Konflikt zu riechen, sollte der Leiter die Diskussion des konkreten Konfliktpunktes sofort aussetzen und allen Beteiligten die Chance geben, die wichtigsten Anliegen der anderen Seite zu hören. „Entschuldigung; ich bekomme das Gefühl, dass wir hier aneinander vorbei reden oder uns unnötige Sorgen machen. Sind wir sicher, dass jede Seite die Anliegen der anderen kennt? Ich zum Beispiel bin mir nicht mehr sicher, ob ich Frau Müller richtig verstanden habe. Frau Müller: Wenn wir auf die konkrete Frage des Termins erst später noch einmal eingehen wollen, bitte schenken Sie uns diese zwei Minuten – könnten Sie uns noch einmal die vielleicht zwei wichtigsten Anliegen sagen, die wir hier in dieser Sache berücksichtigen sollten? …“
Damit die Darstellung der Anliegen nicht ausufert, kann man zum Beispiel erst die zwei wichtigsten Anliegen der einen Seite, dann die zwei wichtigsten Anliegen der anderen Seite, dann wieder zwei der ersten Seite hören, bis beide Seiten das Gefühl haben, dass alle ihre wichtigen Anliegen benannt wurden. Es ist auch keineswegs so, dass dann die Anliegen selbst diskutiert werden müssen oder sollten. Vielmehr reicht es in den allermeisten Fällen aus, sie eben auf den Tisch zu legen. Die Gruppe, die in vielen Fällen ja eigentlich eine Lösung will, sieht dann von selber, wo Möglichkeiten für Kompromisse oder gar win–win bestehen.
10.2
Verbindliche Zusagen einholen
Damit ein Projekt erfolgreich sein kann, ist es in den allermeisten Fällen notwendig, dass Beitragsversprechen verbindlich sind – je höher die Verbindlichkeit, desto besser. Der Begriff Beitrag umfasst hier, wie im Abschnitt zur Beteiligungsanalyse (8.4) schon ausgeführt, sowohl Leistungen, als auch Verwendungszusagen und Informationen.
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
Verbindlichkeit ist überhaupt eines der Grundprobleme des Managements von Geschäftsprojekten. Zum einen wird gerade bei neuartigen Aufgaben die Verbindlichkeit zum Problem: Wenn jemand eine Tätigkeit schon einhundertmal erledigt hat und dann auf eine Anfrage hin nur nickend zu verstehen gibt, dass er den einhunderteinsten Durchgang anstoßen wird, ist in diesem Nicken wahrscheinlich alle Verbindlichkeit enthalten, die der Anfragende braucht. Wenn es sich allerdings um eine Aufgabe handelt, die keiner der beiden je erledigt hat, könnte das Nicken genau so gut bedeuten, dass er sich auch in dieser Hinsicht in die Tatsache fügt, dass es keine Chance geben wird, den Kunden zufrieden zu stellen! Zum anderen wird vielfach über Grenzen hinweg gearbeitet – zwischen Abteilungen, Fachrichtungen und Unternehmen. Auch hier stellt sich die Frage, wie man jenseits rechtlicher und bürokratischer Verfahren gemeinsam produktiv wird, also verbindlich zusammenarbeitet. Verbindlichkeit ist zunächst einmal eine Dimension der Arbeits- und Kommunikationskultur von Unternehmen, und des persönlichen Stiles von Einzelnen. Die allgemeine Lebenserfahrung ist: Je akademischer die Unternehmenskultur ist, desto geringer ist die Chance, dass Zusagen eingehalten werden. Je stärker demgegenüber ein Unternehmen am Modell einer technischen Manufaktur oder des Militärs orientiert ist, desto verbindlicher sind Zusagen. Auch gibt es Unterschiede zwischen Abteilungen, sowie individuelle Unterschiede – man denke an Finanzen versus interne Kommunikation, oder den typischen Controller im Vergleich zum Redakteur der Hauszeitung. Vor diesem Hintergrund gilt für die im folgenden vorgestellten Vorgehensweise: sie kann immer nur helfen, die Verbindlichkeit innerhalb des Projektes auf eine höhere Stufe zu bringen – von dem jeweiligen Ausgangsniveau, welches durch Arbeits- und Kommunikationskultur und die persönlichen Stile der Beteiligten vorgegeben ist.
Verbindliche Zusagen einholen – das Prozessmodell Das folgende Vorgehensmodell ist neu. Es basiert auf den Vorarbeiten von Hal Macomber (siehe Literatur, Kapitel 11). Ich hatte noch keine Gelegen-
10.2 Verbindliche Zusagen einholen
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heit, diese Vorgehensweise gänzlich in die Arbeit in einem Projekt aufzunehmen, bin aber davon überzeugt, dass sie wertvoll ist. Das Ziel der Vorgehensweise ist, das im vorherigen Kapitel genannte Prinzip zu unterstützen, Verbindlichkeit unter den Projektbeteiligten im Hinblick auf ihre gegenseitigen Beitragsversprechen herzustellen. Ihre Grundlage ist, die Gespräche zwischen den Beteiligten über benötige Beiträge aufzuschlüsseln, und ihre einzelnen Bestandteile in eine bestimmten Form und Abfolge zu bringen. Dies ist im Folgenden schematisch dargestellt:
1. Kunde: • wählt Leistungserbringer • formuliert Bedarf • erklärt Kontext • kann 'Nein' akzeptieren
Leistungserbringer: • ist aufrichtig • hat Ressourcen
2. Zusage verhandeln • Machbarkeit feststellen • Gegenvorschläge verhandeln • Erfüllungsbedingungen vereinbaren • Befristung setzen
4. Im Gespräch bleiben • Sich austauschen • Änderungsbedarf umsetzen
3. Leistungserbringer: • gibt Zusage
7. Team: • hört Zusage 5. Leistungserbringer: • erklärt Leistung als erbracht
6. Kunde: • prüft Erfüllungsbedingungen • nimmt Leistung an
8. Team: • hört Übernahme
Ablaufdiagramm für verbindliche Zusagen
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
Grundsätzlich unterscheiden wir dabei Kunden und Beitragserbringer. Diese Rollen sind auf jeweils einzelne Themen oder gar nur Aussagen beschränkt. Jemand kann in einem Gespräch Kunde sein, wenn er zum Beispiel eine Auskunft zu einem bestimmten Thema haben will. Und er kann gleichzeitig wiederum Beitragserbringer sein, sogar im Hinblick auf dieselbe Person, wenn er zum Beispiel eine Software-Installation für diese ausführt. Das Modell kann durchaus auch stufenweise oder in einzelnen Teilen wirksam werden. Die einzelnen Schritte sind: 1. Bedarfsklärung: Der Kunde klärt seinen Bedarf. Was will ich? Er soll dabei nicht die technische Lösung spezifizieren, sondern sich klar machen, welchen Nutzen er von dem jeweiligen Beitrag erwartet. Er wählt sich, soweit möglich, den Beitragserbringer selbst aus – denn es geht auch um eine Vertrauensbeziehung. Er erklärt dem Beitragserbringer den Kontext seines Bedarfs, macht seine Nachfrage verständlich und erfüllt sie mit Leben. Schließlich ist er darauf eingestellt, dass es auch ein Nein geben könnte, dass es also etwas zu verhandeln gibt. (Wenn es allerdings nichts zu verhandeln gibt, sollte er zu anderen Mitteln greifen als dazu, sich eine verbindliche Zusage einholen zu wollen. Zum Beispiel könnte er einfach eine Anweisung erteilen und mit Sanktionen drohen – allerdings um den Preis, dass er der Ausführung seiner Anweisung doch wieder hinterherlaufen wird.) 2. Zusage verhandeln: Hier wird miteinander gesprochen, im Regelfall von Auge zu Auge. Gemeinsam stellen Kunde und Bedarfserbringer fest, dass die erforderlichen Voraussetzungen für den erwünschten Beitrag gegeben sind. Dies betrifft die fachlichen Fähigkeiten, Ressourcen und Erlaubnisse des Bedarfserbringers ebenso wie mögliche Vorarbeiten, die abgeschlossen sein müssen. Der Bedarfserbringer kann Gegenvorschläge einbringen. Der Kunde spezifiziert im Gespräch die Erfüllungsbedingung, die präzise darüber Auskunft geben werden, ob der Beitrag erbracht ist oder nicht. Schließlich wird eine machbare Frist gesetzt. 3. Verbindliche Zusage geben: Der Beitragserbringer gibt seine verbindliche Zusage, den Beitrag gemäß Erfüllungsbedingungen und in der vorgesehenen Frist zu erfüllen. Er ist aufrichtig.
10.2 Verbindliche Zusagen einholen
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4. Im Gespräch bleiben: Verbindlichkeit entsteht zwischen Personen. Sowohl Kunde als auch Beitragserbringer tun gut daran, sich weiterhin gegenseitig auszutauschen und ein Abtauchen zu vermeiden. Beide bestätigen die Beziehung, in der sie durch die persönliche Anfrage und die gegebene Zusage miteinander stehen. Dies motiviert auf der Gefühlsebene, und gleichzeitig hält es die Tür für allfällige Veränderungen an Anfrage oder Beitragszusage offen. 5. Leistung als erbracht erklären: Der Leistungserbringer lässt den Kunden wissen, dass die Leistung erbracht ist. Er überlässt es ihm nicht etwa, anhand des Studiums der Projektunterlagen oder durch Rückfragen beim Projektleiter den Bearbeitungsstand herauszufinden – was in vielen von mir betreuten Projekten anfangs als ein durchaus übliches Verhalten betrachtet worden wäre. 6. Beitragsannahme: Nach einer Überprüfung des Beitrags gemäß der vereinbarten Erfüllungsbedingungen erklärt der Kunde den Beitrag für angenommen. Auch hier gilt, dass er dies ausdrücklich auch dem Beitragserbringer gegenüber tut, und es diesem nicht etwa überlässt, selber herauszufinden, ob sein Beitrag akzeptiert wurde. Im Falle, dass die vereinbarten Erfüllungsbedingungen verfehlt wurden, gibt er die Anfrage als unerfüllt zurück. Im Falle, dass die Erfüllungsbedingungen alle getroffen wurden, aber sein Problem nicht gelöst ist, stellt er eine neue Anfrage. 7. und 8. Öffentlichkeit: Das Team und, wo möglich, alle Projektbeteiligten sind einbezogen. Zum Beispiel in dem verbindliche Zusagen auf den Teambesprechungen gegeben oder zumindest bestätigt werden und das Protokoll dieser Besprechungen den Projektbeteiligten zugestellt wird ist.
Wirkungsweise Gespräche über Zusagen gemäß dieses Modells zu führen, verbessert ihre Verbindlichkeit über drei Wirkungsketten: Erstens steigen die Qualität und insbesondere die Präzision der einzelnen Mitteilungen. Anstelle Und ich hätte dann noch gern die Informationen über den amerikanischen Markt! würde eine Anfrage stehen wie etwa Kannst Du mir bis Freitag Mittag mitteilen, ob unsere Annahmen
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10 Techniken für Klarheit und Verbindlichkeit
zum Thema X auch auf den amerikanischen Markt zutreffen? Und statt der Aussage: Ich arbeite daran! die Zusage: Das werde ich so machen! Zweitens wird es möglich, über vier grundlegende Aussagen auch komplexe Beitragserbringungsprozesse mit einfachen Mitteln zu verfolgen und zu steuern:
Anfrage
Zusage
Fertigstellung erklären
Annahme
Der Stand des Prozesses kann anhand dieser vier Stadien genau verfolgt werden. Man kann diese vier Stadien im Monitoring-System ganz einfach verfolgen, zum Beispiel durch Farbkodierungen oder durch die Platzierung von Platzhalter-Kärtchen auf vier verschiedenen Bereichen eines schwarzen Brettes. Zudem ist immer klar, wer gerade dran ist. Stellt die Projektleitung zum Beispiel die Frage: Wie weit sind wir mit der Marktanalyse USA?, so zieht sie wahrscheinlich eine langwierige Darstellung von Tätigkeiten mit verschiedenen Beteiligten auf sich, die vorderhand keinerlei entscheidungsrelevante Information enthalten muss. Stellt sie jedoch fest, dass für dieses Thema eine verbindliche Zusage gegeben wurde, so kann sie den Beitragserbringer präzise fragen, ob er weiterhin zu seiner Zusage steht, den Kunden termingerecht zufrieden zu stellen. Drittens wird es aufgrund der Öffentlichkeit von Beitragszusage und Beitragsannahme sowohl für den Kunden wie für den Beitragserbringer eine Frage des Rufes wird, ihre Zusammenarbeit zum Erfolg zu bringen. Die Öffentlichkeit lässt aber auch die Arbeitsbelastung des Beitragserbringers deutlich werden, der Status der aktuellen Aufgabe wird den an Nachfolgeaufgaben Arbeitenden klar, und inhaltliche Schlüsselfragen und Probleme werden nachvollziehbar.
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Dem Buch liegt eine umfassende Auseinandersetzung mit der Literatur zum Projektmanagement zugrunde. Um die Literaturliste einigermaßen handhabbar zu machen, ist sie thematisch untergliedert. Gerne beantworte ich Ihre Fragen und gebe weitere Lesetipps (siehe Kontaktadresse am Ende des Buches).
Projektmanagement Klassisches Projektmanagement: Referenzwerke und Einführungen Die Referenzwerke sind Cleland u. Ireland (2002) sowie Kerzner (2003), für den deutschsprachigen Raum sicherlich der ‚Projektmanager‘ der GPM von Schelle et al. sowie das Buch von Gareis (2004), welcher Projekte konsequent in ihr organisatorisches Umfeld einordnet. Diese Bücher sind wegen ihres großen Umfangs kaum zum Durchlesen geeignet. Handhabbare Einführungen sind Kuster et al. (2006) mit guter Darstellung auch der weichen Themen, sowie mit guter Logik Scheuring (2002). Eine leserfreundlichste Einführung in das klassische Denken bietet das Buch von Jenny (2003). Der Kanon des klassischen Projektmanagements in den USA und zunehmend weltweit wird durch den Field Guide zum PMBoK abgebildet; die International Project Management Association hält mit ihrer Competence Base Line dagegen. Dies sind jedoch technische Dokumente mit geringem Wert für Anwender. Für alle Leser mit vertieften konzeptionellen Interessen ist der Wiley Guide von Morris u. Pinto ein Muss.
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Insgesamt gefällt mir als Einführung in englischer Sprache am besten Wysocki (2003), der über das traditionelle Projektmanagement hinausgreift. Cleland, D.I., Ireland, L.R., Project Management – Strategic Design and Implementation, 4th edition, 2002 Gareis, R., Happy Projects, Wien 2004 International Project Management Association (IPMA) IPMA Competence Baseline (ICB) 3.0, 2006 Project Management Institute (PMI), A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBoK), 3rd edition, 2004 Jenny, B., Projektmanagement, 2003 Kerzner, H., Projektmanagement: Ein systemorientierter Ansatz zur Planung und Steuerung, 2003 Kuster, J. et al., Handbuch Projektmanagement, Springer, 2006 Morris, G.W., Pinto, J.K. (eds.), The Wiley Guide to Managing Projects, 2004 Nokes, S. et al., The Definitive Guide to Project Management, 2003 (mit einem Kapitel zur kritischen Kette) Pinto, J.K. (ed.), Project Management Handbook. Project Management Institute 1998 Schelle, H., Ottmann, R., Pfeiffer, A., Der Projektmanager, GPM, 2006 Scheuring, H., Der www-Schlüssel zum Projektmanagement, Orell Füssli, 2002 Wysocki, R.K., Mc Gary, R., Effective Project Management – Traditional, Adaptive, Extreme, 3rd edition, 2003
Anwendungsforschung zum Projektmanagement Bell, H. (VW-Coaching GmbH) (Hrsg.), Stand und Trend des Projektmanagements im globalen Zusammenhang, Wolfsburg, 2005 Hofmann, J. et al., Deutschland im Jahr 2020/Fokus Deutschland, db research, April 2007 Wahl, R., Die Implementierung von Projektmanagementkonzepten in der Praxis, Projektmanagement 3/2001, 2001, 9–18
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White, D., Fortune, J., Current practices in project management – an empirical study, International Journal of Project Management 20 (1) (2002) pp. 1–11
Projekttypen und -typologien Glaubt man den Verbänden, so kann man den Eindruck bekommen, es gäbe nur ein einziges Projektmanagement. Die Wirklichkeit ist natürlich anders. Den besten Zugang und eine Übersicht bieten Shenhar u. Dvir (2004). Im gleichen Band befinden sich weitere Beiträge zu verschiedenen Projekttypen. Dvir, D., Lipovetsky, S., Shenhar, A., Tishler, A., In search of project classification: a non-universal approach to project success factors, Research Policy, Vol. 27, 1998, 915–935 De Fillippi, R., Arthur, M., Paradox in Project-based Enterprise: The Case of Film Making, California Management Review, Vol. 40, No. 2, 1998, 186–191 Evaristo, R., van Fenema, P.C., A typology of project management: emergence and evolution of new forms, International Journal of Project Management 17 (5), 1999, 275–281 Gokhale, H., Bhatia, M.L., A project planning and monitoring system for research projects, International Journal of Project Management 15 (3) (1997) pp. 159–163 Graham, R., Managing the project management process in Aerospace and Construction: a comparative approach, International Journal of Project Management 17 (1) (1998) pp. 39–45 Hartman, F., Ashrafi, R., Jergeas, G., Project Management in the Live Entertainment Industry: What is different?, International Journal of Project Management 16 (5), 1998, 269–281 Lindkvist L., Söderlund, J., Tell, F., Managing Product Development Projects: On the Significance of Fountains and Deadlines, Organization Studies, Vol. 19, No. 6., 1998, 931–951 Lowendahl, B.R., Organizing the Lillehammer Olympic Winter Games, Scandinavian Journal of Management, Vol. 11, No. 4, 1995, 347–362
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Payne, J.H., Turner, J.R., Company-wide project management: the planning and control of programmes of projects of different types, International Journal of Project Management 17 (1), 1999, 55–59 Pinto J., Covin, J., 1989. Critical factors in project implementation: a comparison of construction and R&D projects, Technovation, Vol. 9. pp. 49–62 Shenhar A., Dvir, D., 1996. Toward a typological theory of project management, Research Policy, Vol. 25. pp. 607–632 Shenhar, A., Dvir, D., How projects differ, and what to do about it, in: Morris, G.W., Pinto, J.K. (eds.), The Wiley Guide to Managing Projects, 2004 Witschi U., Dierig S., Wagner R., Dimensionen von Komplexität in Projekten – ein Ansatz zur Projekttypisierung, in: Lange, D. (Hrsg.) Projektmanagement ohne Grenzen – 24. Internationales Deutsches Projektmanagement-Forum, 2007
Projektführung und Soft Skills Die meisten hier genannten Beiträge verarbeiten Erkenntnisse aus Organisationsberatung und Sozialpsychologie für die Projektsituation. Diese Erkenntnisse sind meist noch neu für das Projektmanagement, aber sicher nicht für die Herkunftsdisziplinen. Unverwüstlich ist der von mir ausgiebig zitierte Schulz von Thun (2000), und von sehr hohem praktischen Wert sind sowohl Mayershofer u. Kröger (1998) als auch Reddy (1997). Einen guten Überblick gibt Kliem (2004) Bohinc, T., Projektmanagement – Soft Skills für Projektleiter, Gabal, 2006 Cutter IT Journal, The Elusive Quest for Collaboration and Teamwork, February 2005, 18 (2) Dvir, D. et al., Projects and project managers: the relationship between project manager’s personality, project types and project success, Project Management Journal, Vol. 37 (5), 2006 Howell, G.A., Macomber, H., Koskela, L., Draper, J., Leadership and Project Management: Time for a Shift from Fayol to Flores, Manuskript, 2005 Kliem, R.L., Leading High-Performance Projects, Ross Publishing, 2004
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Magenau, J.M., Pinto, J.K., Power, Influence and Negotiation in Project Management, in: Morris, P.W.G., Pinto, J.K. (eds.), The Wiley Guide to Managing Projects, 2004 Mayrshofer, D., Kröger, H.A., Prozesskompetenz in der Projektarbeit, Windmühle GmbH, Hamburg, 1998 Neubauer, M., Krisenmanagement in Projekten, Springer, 2003 Pinto, J.K., Power and Politics in Project Management, PMI, 1996 Pinto, J.K., Trailer, J.W. (Hrsg.), Leadership Skills for Project Managers, PMI, 1998 Project Management Institute, Project Management Competency Framework, 2007 Reddy, W.B., Prozessberatung von Kleingruppen, Rosenberger, 1997 Schulz von Thun, F., Ruppel, J., Stratmann, R., Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte, 2000 Straube, R. et al., Konfliktmanagement für Projektleiter – Strategien zur Lösung und Vermeidung von Konflikten, Haufe, 2007 Thoms, F, Pinto, J.K., Project leadership: a question of timing, Project Management Journal, 1999, 30(1), 19–26 Toney, F., The Superior Project Manager – Global Competency Standards and Best Practices, 2002 Tullett, A.D., The thinking style of the managers of multiple projects: implications for problem solving when managing change, International Journal of Project Management 14 (5), 1996, 281–287 Turner, R.J., Müller, R., Choosing Appropriate Project Managers – Matching their leadership style to the type of project, PMI 2006
Projektmanagement für Organisationsprojekte Dieses ist ein Spezialthema, welches die Brücke zwischen Change Management und Projektmanagement schlägt. Es gibt wenig Literatur. Schwaninger u. Körner (2005) dokumentiert die Ergebnisse eines gemeinsamen Forschungsprojektes am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen mit acht Großunternehmen.
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Axelrod, R.H., Verändern wir die Veränderungsprozesse, Lernende Organisation, Januar 2002 Doppler, K., Projekt Management als Change Management: ein neues mentales Modell, Zeitschrift für Organisationsentwicklung, 3/2003, 95–97 Holland, W.E., Change Is the Rule: Practical Actions for Change: On Target, on Time, on Budget, Dearborn Trade, 2000 Körner, M., Systemisches Vorgehen zur Steuerung von Organisationsprojekten, in: Frick, A. et al., InterPM 2004 – Konferenz zur Zukunft im Projektmanagement, Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, S. 143–172 Partington, D., The project management of organizational change, International Journal of Project Management 14 (1), 1996, 13–21 Pellegrinelli, A., Programme management: organising project-based change, International Journal of Project Management 15 (3) (1997) pp. 141–149 Schwaninger, M., Körner, M., Projekthelden, Projektmanagement und Prozessbegleitung – für ein integratives Management von Organisationsprojekten, in: Frick, A. et al. (eds.) Entrepreneurship im Projektmanagement – Beiträge zur Konferenz „interPM“ 2005, Heidelberg, 2005 Wegmann, C., Winklbaur, H., Projektmanagement für Unternehmensberatungen – mit Beispielen aus dem Inhouse Consulting von Deutsche Post World Net, Gabler, 2006
Agiles und Lean Project Management Diese Themen lassen sich hervorragend über das Internet erschließen www.agilealliance.org www.controlchaos.com (für SCRUM) www.halmacomber.com http://alistair.cockburn.us Unter den folgenden Beiträgen ist sicherlich Highsmith (2004) die Referenz für agiles Vorgehen, welches er aus dem Bereich der Software-
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Entwicklung in die allgemeine Produktentwicklung überträgt. Großen praktischen Wert hat auch Poppendiek u. Poppendiek (2003). Augustine, S., Woodcock, S. et al., Agile Project Management – Steering from the Edges, 2003 www.ccpace.com Ballard, G., Howell, G.A., Lean Project Management, Building Research & Information 31(2), 2003, 119–131 Boehm, B., Turner, R., Balancing Agility and Discipline, Boston 2004 Cohn, M., Agile Estimating and Planning, Prentice Hall, 2006 Coplien, J.O., Harrison, N.B., Organisational Patterns for Agile Software Development, Upper Saddle River, 2005 Cusumano A., Nobeoka K. (1998), Thinking Beyond Lean – How MultiProject Management is Transforming Product Development at Toyota and other Companies, New York Highsmith, J., Agile Project Management – Creating Innovative Products, 2004 Macomber, H., Critical Path Method: Fool me Once, Fool me Twice, 2002, www.halmacomber.com Poppendiek, M., Poppendiek, T., Lean Software Development, Boston, 2003 Probasco, L., The Ten Essentials of RUP, The Essence of an Effective Development Process, Rational Software Rawsthorne, D., Managing the Work in an Agile Project, 2004 www.netobjectives.com Schwaber, K., Agile Project Management with SCRUM, Microsoft/ Redmond 2004 Tapping, D., Shuker, T., Value Stream Management for the Lean Office, Productivity Press, 2003 Womack, J.P., Jones, D.T., Lean Thinking: Banish Waste and Create Wealth in Your Corporation, 1996
Projektmanagement mit der Kritischen Kette Die definitive Einführung ist vom Erfinder selbst, Goldratt (1997). Newbold (1998) hat alles genau erklärt, aber das tun mit einem Fokus auf das
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Multiprojektmanagement auch Techt und Lörz (2007); dies ist zudem die bislang einzige deutschsprachige Publikation. Goldratt, E., Critical Chain, Barrington, 1997 Gutierrez, G.J., Kouvelis, P., Parkinson’s law and its implications for project management, Management Science, Vol. 37, No. 8, 1991, 990–1001 Leach, L.P., Critical Chain Project Management, in: Morris, P.W.G., Pinto, J.K. (eds.), The Wiley Guide to Managing Projects, 2004 Newbold, R.C. Project Management in the Fast Lane – Applying the Theory of Constraints, Boca Raton 1998 Rand, G.K., Critical Chain: The Theory of Constraints Applied to Project Management, International Journal of Project Management 18 (3), 2000, 173–177 Steyn, H., Project management applications of the theory of constraints beyond critical chain scheduling, International Journal of Project Management 20 (1) (2002) pp. 75–80 Techt, U., Lörz, H., Critical Chain – Beschleunigen Sie Ihr Projektmanagement, 2007 Eine besonders nützliche Web-Seite ist www.focusedperformance.com
Andere alternative Methoden und Reformansätze In diesem Bereich ist die von Mark Winter et al. dokumentierte Diskussion in Großbritannien zu einer Reform des Projektmanagements hervorzuheben, sowie das Buch von Rietiker (2006), welches im deutschsprachigen Raum erstmals eine solide Brücke zwischen Projektmanagement und Unternehmensentwicklung schlägt. Frame (2002) ist sicherlich wegweisend für Produktentwicklung. J. Mack hat einen interessanten Vergleich mit Expeditionen schon 2001 gezogen, wovon ich allerdings erst nach meinen Vorträgen zu Kolumbus gehört habe. Bentley, C., Das Wesentliche der strukturierten ProjektmanagementMethode Prince 2, 2000
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Boos, F., Heitger, B., Kunst oder Technik? Der Projektmanager als sozialer Architekt, in: Balck, H. (Hrsg.), Networking und Projektorientierung, Berlin, Springer, 1996 Christenson, D., Walker, D.H.T., Understanding the role of „vision“ in project success, Project Management Journal, 35 (3), 2006 Chapman, C., Ward, S., Project Risk Management – The Required Transformation to Uncertainty Management, in: Slevin, D.P., Cleland, D.I., Pinto, J.K., The Frontiers of Project Management Research, 2002 Davidson, F.J., The New Project Management: Tools for an Age of Rapid Change, Wiley, 2002 De Carlo, D., eXtreme Project Management: Using Leadership, Principles, and Tools to Deliver Value in the Face of Volatility, Jossey-Bass, 2004 Frick, A., Evolutionäres Projektmanagement: Mit neuem Denken zum Projekterfolg, ExperPraxis 2003/04 Körner M., Projekte als Expeditionen – was wir von Christopher Kolumbus lernen können, in: Lange D. (Hrsg.) Projektmanagement ohne Grenzen – 24. Internationales Deutsches Projektmanagement-Forum 2007. 2007 Kühl, S., Matthiesen, K., Schnelle, T., Raus aus der Routine, Harward Business Manager, Mai 2005 Mack, J., Was Projektmanager von Expeditionen lernen können, in: Bosch, J. et al. (Hrsg.) Net.Objectdays 2001, Tagungsband, www.netobjectdays.org Macomber, H., Securing Reliable Promises on Projects: A Guide to Developing a New Practice, http://weblog.halmacomber.com Probasco, L., The Ten Essentials of RUP, The Essence of an Effective Development Process, Rational Software Rietiker, S., Der neunte Schlüssel – vom Projektmanagement zum projektbewussten Management, Haupt, 2006 Schaffer, R.H., Ashkenas, R., Rapid Results: How 100-Day Projects Build the Capacity for Large-Scale Change, Jossey-Bass, 2005 Sull, D.N., Spinosa, C., Using Commitments to Manage Across Units, MitSloan Management Review, Vol. 47, No. 1, 2005 Winch, G.M., Rethinking Project Management – Project Organizations as Information Processing Systems, in: Slevin, D.P., Cleland, D.I., Pinto, J.K., The Frontiers of Project Management Research, 2002
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Winter, M., Thomas, J., Understanding the Lived Experience of Managing Projects – The Need for More Emphasis on the Practice of Managing, in: Slevin, D.P., Cleland, D.I., Pinto, J.K., The Frontiers of Project Management Research, 2002 Winter, M. et al., Directions for future research in project management: The main findings of a UK government-funded research network, IJPM, 24 (2006)
Andere praxisorientierte Handbücher and Ansätze Das Papier von Graham ist umsonst zu haben und sehr lehrreich. BMZ (Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit) (2005), Leitfaden für AURA-Angebote College of Complex Project Managers, And Defence Materiel Organisation (2006), Competency Standard for Complex Project Managers, Public Release, Version 2.0 September 2006 Graham, A.K., 20 Lessons for Managing Large Development Programs, unpublished manuscript, 1999, available from www.pa-consulting.com GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit mbH), GTZPolicy für das Auftragsmanagement, 2003 Neubauer, M., Krisenmanagement in Projekten – Handeln, wenn Probleme eskalieren, 2. Aufl., Springer, 2003 Kerzner, H., In Search of Excellence in Project management, Successful Practices in High Performance Organizations, 1998 Laufer, A., Hoffmann, Dr. E.J., Project Management Success Stories – Lessons of Project Leaders, Wiley, 2000
Systemtheorie, Systemdenken und Projektmanagement In diesem Abschnitt sind Texte versammelt, welche system-orientertes Management als Antwort auf das Problem steigender Komplexität der Projektarbeit beziehungsweise der Arbeit in Unternehmen verstehen. Einen ganz praktischen Augenöffner bietet Cooper (1998) zum Thema Rework
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Cycle. Eine radikale Neukonzeption des Projektmanagements für IT-Projekte unternimmt Strohmeier (2003). Frieß, P.M., Systemische Konzepte für das Management von Organisationsprojekten. Systematische Anwendung steigert den Projekterfolg, Projektmanagement, 11(2000)3, 4–14 Frieß, P.M., Schmidt, A., Fortschrittliches Organisations-Projektmanagement: Projekterfolg steigern mit systemischen Konzepten, Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Industrial Engineering FB/IE 48, 1999 Gelbard, R., Pliskin, N., Spiegler, I., Integrating system analysis and project management tools, International Journal of Project Management 20 (6), 2002, 461–468 Körner, M., Systemisches Vorgehen zur Steuerung von Organisationsprojekten, in: Frick, A. et al., InterPM 2004 – Konferenz zur Zukunft im Projektmanagement, Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, S. 143–172 Levy, D. (1994), Chaos Theory and Strategy: Theory, Application and Managerial Implications, Strategic Management Journal, Vol. 15, 167–187 Love, P.E.D., Holt, G.D., Shen, L.Y., Li, H., Irani, Z., Using systems dynamics to better understand change and rework in construction project management systems, International Journal of Project Management 20 (6), 2002, 425–436 Malik, F., Systemisches Management und Systemisches Projektmanagement, in: Balck, H., Networking und Projektorientierung, Berlin, Springer, 1996 Repenning, N.P., Understanding fire fighting in new product development, The Journal of Product Innovation Management 18, 2001, 285–300 Rodrigues, A., Bowers, J., The role of system dynamics in project management, International Journal of Project Management 14 (4), 1996, 213–220 Saynisch, M., Auf dem Weg zu einem systemisch-evolutionären Projektmanagement, Balck, H. (eds.), Neuorientierung im Projektmanagement, Köln: Verlag TÜV-Rheinland, 1990, 213–232 Saynisch, M., Ein neues Verständnis von Projektmanagement. Das Projektmanagement 2. Ordnung in: Lange, D. (Hrsg.), Aufbruch zu neuen
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Ufern, innovative Konzepte erfolgreicher Projektteams, GPM, München, 1997, 3/6/4/2/1–3/6/4/2/12. Schwaninger, M., Körner, M., Systemisches Projektmanagement. Ein Instrumentarium für komplexe Veränderungs- und Entwicklungsprojekte, Zeitschrift für Führung und Organisation, Nr 2, 2003, 75–85 Strohmeier, H., Die Architektur erfolgreicher Projekte – Objekte und agile Strukturen statt Aktivitäten und Phasen, Hanser, 2003 Witschi, U., Schlager, G., Scheutz, U., Projektmanagement in komplexer werdenden Situationen. Vom Nutzen des systematischen Ansatzes beim Projektmanagement, Organisationsentwicklung, 1/98
Projektmanagement-Theorie Die meisten hier vorgestellten Beiträge beschäftigen sich in der einen oder anderen Form mit der steigenden Komplexität der Projektarbeit, ohne jedoch auf systemtheoretisch orientierte Lösungen zurückzugreifen. Hervorzuheben sind der seiner Zeit vorausgreifende Herausgeberband von Balck (1996), die Beiträge von Koskela und Howell, das Buch von Loch et al. als Referenzwerk zum Thema Unsicherheit bei Projekten, sowie die skandinavische Schule um Lundin, Sahlin-Andersson und Söderholm, welche Projekte als ‚temporary organizations‘ betrachtet. Andersen, E.S., Warning: activity planning is hazardous to your project’s health!, International Journal of Project Management 14 (2), 1996, 89–94 Archibald, R.A., State of the art of project management 2003, www.pmforum.org, 03.03.2005 Atkinson, R., Project management: cost, time and quality, two best guesses and a phenomenon, its time to accept other success criteria, International Journal of Project Management 17 (6) (1999) pp. 337–342 Balck, H., Projektorientierung und Routinewelt im neuen Wirtschaftsleitbild, in: Balck, H., Networking und Projektorientierung, Berlin, Springer, 1996 Balck, H., Synergetik und Networking in Leistungsprojekten, in: Balck, H., Networking und Projektorientierung, Berlin, Springer, 1996
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Balck, H. (ed.), Networking und Projektorientierung, Springer 1996 Clark, K.B., Wheelwright, S.C., Organizing and Leading „Heavyweight“ Development Teams, adapted from Wheelwrigth, S. and K. Clark, Revolutionizing Product Development: Quantum Leaps in Speed Efficiency and Quality, 1992 Cooke-Davies, T., The „Real“ Success Factors on Projects, International Journal of Project Management 20 (3), 2002, 185–190 Cooper, K.G., Four Failures in Project Management, in: Pinto, J.K. (ed.) The Project Management Institute Project Management Handbook, 1998 DeMeyer, A., Loch, Ch., Pich, M., Managing Project Uncertainty – From Variation to Chaos, MIT Sloan Management Review, Winter 2002, S. 60–67 Engwall, M., The futile dream of the perfect goal, in: Sahlin-Adnersson and Söderholm (Hrsg.), Beyond project management, Daleke Grafiska, Malmö, 2002, 261–277 Flyvbjerg, B. et al. (2003), Megaprojects and Risk: An anatomy of Ambition, Cambridge University Press, Cambridge Flyvbjerg, B. 2007, From Nobel Prize to Project Management: Getting Risks Right, Project Management Journal, Vol. 37, 3, S. 5–15 Ford R., Randolph A., 1992. Cross-functional structures: a review and integration of matrix organization and project management, Journal of Management, Vol. 18, No. 2. pp. 267–294 Forsberg, K. et al., Visualizing Project Management, Wiley, 2000 Hillson, D., Extending the risk process to manage opportunities, IJPM, 20 (2002) 235–240 Hodgson, D., Disciplining the Professional: the Case of Project Management, Journal of Management Studies 39, 6, 2002 Howell, G.A., Laufer, A., Ballard, G. 1993, Uncertainty and Project Objectives, Project Appraisal, 8(1), 1993, 37–43 Jaafari, A., Management of risks, uncertainties and opportunities on projects: time for a fundamental shift, International Journal of Project Management 19 (2), 2001, 89–101 Jaafari, A., Project Management in the age of complexity and change, Project Management Journal, Vol. 34 (4), 47–57, 2003
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Jolivet, F., Navarre, C., Large-scale projects, self-organizing and metarules: towards new forms of management, International Journal of Project Management 14 (5), 1996, 265–271 Kloppenborg, T.J., Opfer, W.A. 2002, The Current State of Project Management Research: Trends, Interpretations, and Predictions, in: Project Management Journal, Vol. 33, No. 2, pp. 5–18 Kolltveit, B.J., Grönhaug, K. (2002): What is an effective project organisation?, in: Project Management, Vol. 8, No. 1, 41–47 ambguitiy in construction Koskela, L., Howell, G., The underlying theory of project management is obsolete, Proceedings of the PMI research conference, 2002, 293–302 Koskela, L., Howell, G., The Theory of Project Management: Explanation to Novel Methods, Proceedings IGLC-10, Gramado, Brazil Kreiner, K., The postmodern epoch of organization theory, International Studies of Management and Organization, Vol. 22, No. 2., 1992, 37–52 Kreiner, K., In search of relevance: project management in drifting environments, Scandinavian Journal of Management, Vol. 11, No. 4., 1995, 335–346 Laufer, A., Hoffmann, Dr. E.J., Ninety-Nine Rules for Managing „Faster, Better, Cheaper“, Projects, 1998, www.nasa.gov/pdf/59132main_Laufer_99_rules.pdf Lindkvist, L., Söderlund, J., Tell, F., Managing Product Development Projects: On the Significance of Fountains and Deadlines, Organization Studies, Vol. 19, No. 6, 1998, 931–951 Lindkvist, L., Söderlund, J., What goes on in projects, in: SahlinAdnersson and Söderholm (Hrsg.), Beyond project management, Daleke Grafiska, Malmö, 2002, 278–291 Loch, C.H., DeMayer, A., Pich, M.T., Managing the Unknown: A New Approach to Managing High Uncertainty and Risk in Projects, 2006 Lundin, R.A., Söderholm A., A theory of the temporary organization. Scandinavian Journal of Management 1995;11(4):437–55 Lundin, R.A., Söderholm, A., Managing the Black Boxes of the Project Environment, in: Pinto, J.K., Project Management Handbook, JosseyBass, 1998 Matta, N.F., Ashkenas, R.N., Why Good Projects Fail Anyway, Harvard Business Review, September 2003
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Shenhar, A., From low to high-tech project management, R&D Management, Vol. 23, No. 3, 1993, 199–214 Shenhar, A., Dvir, D., Toward a typological theory of project management, Research Policy, Vol. 25, 1996, 607–632 Slevin, D. et al., The Frontiers of Project Management Research, 2001 Slevin, D. et al., Innovations: Project Management Research 2004 Smith, C., Making Sense of Project Realities – Theory, Practice and the Pursuit of Performance, Gower, 2007 Söderlund, J. (2002), Managing complex development projects: arenas, knowledge processes and time, R&D Management, Vol. 32, No. 5: 419–430 Söderlund, J., On the Development of Project Management Research: Schools of Thought and Critique, Project Management, Vol. 8, No. 1, 2002, 20–31 Söderlund, J., Building theories of project management: past research, questions for the future, forthcoming in: International Journal of Project Management, 2003 Söderlund, J., On the broadening scope of the research on projects: A review and a model for analysis, unpublished manuscript, 2003 Thiry, M., Sensemaking in value management practice, International Journal of Project Management 19(2), 2001, 71–77 Trebesch, K., Projektmanagement auf dem Prüfstand, Zeitschrift für Organisationsentwicklung 3/2003, 2003, 80–85 Turner, J.R., Cochrane, R.A., Goals and methods Matrix: coping with projects with ill defined goals and/or methods of achieving them, International Journal of PM 11, 1993, 93 102 Wideman, M., Modeling Project Management, 2003, http://www.maxwideman. com/papers/pm-models/intro.htm Williams, T.M., The need for new paradigms for complex projects, International Journal of Project Management 17(5), 1999, 269–273 Williams, T., Modelling Complex Projects, Wiley, 2002 Winch, G.M., Managing Construction Projects, Blackwell, 2002
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Organisation und Management Zwei wirklich herausragende Bücher für Praktiker sind Gomez (1995) und – zum gedanklichen Kehraus – Tom Peters (2003). Zu Recht Klassiker der Organisationsberatung sind die Bücher von Doppler.
Organisations- und Managementberatung Beratergruppe Neuwaldegg, Best of Neuwaldegg, 2005 Doppler, K., Fuhrmann, H., Lebbe-Waschke B., Voigt, B., Unternehmenswandel gegen Widerstände – Change Management mit den Menschen, Campus Verlag, 2002 Doppler, K., Lauterbach, C., Change Management – den Unternehmenswandel gestalten, Campus, 1997 Drucker, P.F., Die Kunst des Managements, 2. Aufl., Econ, 2000 Gomez, P., Probst, G., Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens, 3. Auflage, Haupt, Bern, 1999 Heitger, B., Doujak, A. (2002), Harte Schnitte, Neues Wachstum – Die Logik der Gefühle und die Macht der Zahlen im Change Management, Frankfurt Janes, A. et al. (2001), Transformations-Management – Organisationen von innen verändern, Wien Königswieser, R., Exner, A., (Beratergruppe Neuwaldegg), Systemische Intervention – Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager, Klett-Cotta, 1998 Peters, T., Re-Imagine – Business Excellence in a Disruptive Age, London 2003 Senge, P.M., Kleiner, A., Roberts, C., Ross, R., Roth, G., Smith, B., The Dance of Change, Doubleday, 1999 Wagner, R.H., Praxis der Veränderung in Organisationen, Verlag für Angewandte Psychologie, 1995 Wimmer, R., Organisation und Beratung, Carl-Auer, 2004
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Organisations- und Managementlehre sowie Komplexitätstheorie Wie in der Einleitung angesprochen, beruht mein Verständnis von Organisation weitgehend auf der Organisationslehre von Niklas Luhmann. Einen ersten Eindruck von Luhmann verschafft seine kernige Auseinandersetzung mit dem Mythos der rationalen Entscheidung, in Luhmann 1993. Das Buch der Bücher für Zwecke der Managementtheorie ist Luhmanns Organisation und Entscheidung. Eine kompetente Weiterführung findet er vor allem bei Dirk Baecker, dort auch zum Beispiel mit exzellenten Analysen zum Wissensmanagement in Organisationen. Von besonderer Bedeutung ist daneben die Managementkybernetik als leistungsfähiger konzeptioneller und vergleichsweise praxisnaher Ansatz zur Bewältigung von Komplexität im Management. Diese wird in Kontinentaleuropa vor allem von M. Schwaninger vertreten. Beer und Nohria (2000) liefern solide konzeptionelle Orientierung zum Problem des Wandels. Ahlemeyer, H.W., Königswieser, R. (Hrsg.), Komplexität managen – Strategien, Konzepte und Fallbeispiele, Gabler, Wiesbaden, 1997 Allen, P.M., Strathern, M., Evolution, Emergence, and Learning in Complex Systems, Emergence, 5(4), 2003, 8–33 Baecker, D., Organisation als System, Frankfurt, 1999 Baecker, D., Einfache Komplexität, Ahlemeyer, H.W., Königswieser, R. (Hrsg.), Komplexität managen – Strategien, Konzepte und Fallbeispiele, Gabler, Wiesbaden, 1997, 21–50 Beer, M., Nohria, N., Breaking the Code of Change, Harvard Business School Press, 2000 Böhle, F. et al. (Hrsg.; 2004), Die Bewältigung des Unplanbaren. Wiesbaden Cusumano, M.A., Nobeoka, K., Thinking Beyond Lean, The Free Press, 1998 Espejo, R., Schuhmann, W., Schwaninger, M., Bilello, U., Organizational Transformation and Learning. A Cybernetic Approach to Management, Chichester, 1996
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Psychologie Sehr gut lesbar, tiefenpsychologisch orientiert und viele Einsichten vermittelnd ist Schmidbauer (2007). Einen großen Teil der theoretischen Basis für moderne Beratung liefert Watzlawick. Zum Thema Motivation kommt ein originärer Zugang von Csikszentmihalyi. Eine äußerst kritische Darstellung und Bestandsaufnahme der Psychoanalyse von zwei Insidern aus der britischen Psychoanalytischen Gesellschaft bieten Fonagy u. Target (2003). Csikszentmihalyi, M., Kreativität, Stuttgart, Klett-Kotta, 1997 Dijksterhuis, A., Intuition will gut überlegt sein, Harvard Business Manager, Februar 2007, S. 22–23 Dörner, D. (2003), Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen, Reinbek Fonagy, P., Target, M., Psychoanalyse und die Psychopathologie der Entwicklung, 2003
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Expeditionen Conefrey, M., Wie man bei Windstärke 10 stilvoll eine Tasse Tee trinkt – Das geheime Wissen der Abenteurer und Entdecker, München 2007 Grün, R. (Hrsg.), Christoph Kolumbus – Leben und Fahren des Entdeckers der Neuen Welt, München 2006 Kolumbus, C., Bordbuch – Aufzeichnungen der ersten Entdeckungsfahrt nach Amerika 1492–1493, München 2006
Über den Autor
Markus Körner 17 Jahre Berufspraxis als Berater, Leiter, Coach, Begutachter von Innovations- und Veränderungsprojekten Umfassende Fortbildung in Gruppendynamik, Großgruppenarbeit, Beratung und Coaching, Konfliktmanagement Regelmäßige Konferenzbeiträge zu Innovationen in der Projektarbeit; 2007 IPMA World Congress (2008 angefragt), PM-FORUM 2005 u. 2007, SPM/PMI 2007, College of Complex Project Managers, usw. Publikationen u.a. in Zeitschrift für Organisation (ZfO), Kybernetes, OrganisationsEntwicklung (ständiger Rezensent zum Thema Projektmanagement) Entwicklung einer Projektmanagement-Methodik für Organisationsprojekte mit Prof. Markus Schwaninger, Institut für Betriebswirtschaft, Universität St. Gallen Gründungsgesellschafter der AGORA Associates GmbH, Fällanden www.agora-associates.com Tel: +49 171 14 28 295 [email protected]