Gentests im Unternehmen: Einfluss der genetischen Prädispositionen der Mitarbeiter auf die betriebliche Gesundheitspolitik [2006 ed.]
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Zitiervorschau

Ingrid Pohl-Eckerstorfer Gentests im Unternehmen

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT

Ingrid Pohl-Eckerstorfer

Gentests im Unternehmen Einfluss der genetischen Pradispositionen der Mitarbeiter auf die betriebliche Gesundheitspolitik

Miteinem Geleitwortvon Prof. Dr. Bruno Staffelbach

Deutscher Universitats-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iJber abrufbar.

Dissertation Universitat Zurich, 2005 Genehmigt auf Antrag von Prof. Dr. Bruno Staffelbach Prof. Dr. Egon Franck Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultat der Universitat Zurich gestattet hierdurch die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. Zurich, den 8. Februar 2006 Der Dekan: Prof. Dr. H. R Wehrii

I.Auflage Juli2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ute Wrasmann / Viktoria Steiner Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschlleSlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervlelfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung In elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und dahervon jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Reglne Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheSlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-0346-1 ISBN-13 978-3-8350-0346-0

Geleitwort Der betriebliche Einsatz gendiagnostischer Verfahren mag prima vista Skepsis provozieren. Medizinische Abklarungen bei der Auswahl kunftiger und beim Einsatz von beschaftigten Arbeitnehmerinnen und von Arbeitnehmem sind aber nicht neu. Viele mit genetischen Tests ermittelbare Informationen sind auch iiber Familienanamnesen beschaffbar. Mit Gentests konnen genetisch bedingte Veranlagungen fiir bestimmte Erkrankungen rascher, praziser und giinstiger erkannt werden. Gerade mit Gen Chips sinken der technische Aufwand und damit auch die Kosten fiir die Durchfuhrung von Gentests entscheidend. Solchen Vorteilen stehen aber auch viele offene Fragen und erhebHche Nachteile gegeniiber. In der Arbeit von Ingrid Pohl-Eckerstorfer geht es um die Klarung des Stellenwertes der Genanalyse im Untemehmen im Allgemeinen und im Kontext der betrieblichen Gesundheitspolitik im Speziellen. Dabei geht sie von der Pramisse aus, dass die Genanalyse ein Mittel zur Aufrechterhaltung und zur Forderung der Gesundheit von Beschaftigten ist. Rechtzeitige Kenntnis iiber medizinische Veranlagungen ermoglicht preventive Aktivitaten. Drei Bedingungen werden a priori vorausgesetzt: Gentests erfolgen freiwillig, sie sind valide und die Informationen daraus bleiben im Privateigentum des Gentragers bzw. der Gentragerin. Der betriebliche Einsatz von Gentests ist ein praktisches Problem, das sich nicht nach einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin ausrichtet. Folgerichtig zieht Ingrid Pohl-Eckerstorfer okonomische und (gesundheits-) psychologische Ansatze und Konzepte heran, um mogliche relevante Faktoren herauszufiltem. Das entwickelte Modell wird mit einer Befragung von Personalverantwortlichen gepriift. Die Ergebnisse sind Grundlage zur Formulierung von Handlungsempfehlungen. Der Autorin ist es gelungen, die kontroverse Technik „Gentest" fur den betriebswirtschaftlichen Kontext theoretisch zu erfassen und zu erschliessen, auf der Basis einer Analyse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen ein eigenes Modell zu entwickeln und dieses mit empirischen Befunden in Verbindung zu bringen. Die Arbeit stellt damit einen eigenstandigen und neuen Beitrag zum Human Resource Management dar. Sie ist sowohl aus theoretischer wie auch aus praktischer Sicht bemerkenswert. Ich wtinsche der kenntnisreichen Publikation und mit ihr dem Mut, heikle Problemstellungen mit Disziplin zu analysieren und mit Verantwortung zu beurteilen - eine weite Verbreitung. Prof. Dr. Bruno Staffelbach

VII

Vorwort Zum Erfolg dieser Dissertation haben viele Personen auf unterschiedliche Art und Weise beigetragen, denen ich an dieser Stelle herzlich danken mochte: Grosser Dank gebuhrt meinem Vorgesetzten und Doktorvater Prof. Dr. Bruno Staffelbach. Er hat mir die Forschung an diesem interessanten Thema an seinem Lehrstuhl ermoglicht und mir zudem die Freiheit gelassen, meine eigenen Ideen und Konzepte umzusetzen. Seine konstruktiven Anregungen haben wesentUch zum erfolgreichen Abschluss dieser Dissertation beigetragen und dariiber hinaus mein kritisches Denken und wissenschaftliches Arbeiten nachhaltig gepragt. Besonderer Dank gilt weiter Prof. Dr. Egon Franck fur die Erstellung des Zweigutachtens sowie far seine Funktion als Koreferent. Zu Dank verpflichtet bin ich femer alien Befragungsteilnehmem, meinen Interviewpartnem sowie der Kommission des Forschungskredits der Universitat, die mein Dissertationsprojekt fiir forderungswiirdig gehalten und somit die Erstellung mitfmanziert hat. Weiter mochte ich alien gegenwartigen und friiheren Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls HRM fiir ihre Mitwirkung meinen Dank aussprechen. Besonders hervorheben mochte ich dabei die uneingeschrankte Diskussionsbereitschaft und die konstruktive Kritik unseres Oberassistenten Roger Gfrorer sowie die ,sprachliche' und moralische Unterstutzung von Stephanie Witschi. Viel Verstandnis fiir meinen Zeitmangel aufgebracht haben meine Freunde. Sie haben mir zur Seite gestanden und waren auch in meinen angespannten Phasen fur mich da. Mein innigster Dank gilt meinen Eltem. Sie haben mir viel Durchhaltungsvermogen, Neugier und Offenheit mit auf den Lebensweg gegeben. Den notigen seelischen Riickhalt bei der Uberwindung von den mit dieser Dissertation verbundenen Hohen und Tiefen gab mir mein Mann. Ich danke ihm fiir sein Vertrauen in mich, seinen Optimismus, seine Hilfsbereitschaft und seine Liebe. Ihm ist diese Arbeit gewidmet.

Fur Peter Ingrid Pohl-Eckerstorfer

IX

Inhaltsubersicht Inhaltsiibersicht

IX

Inhaltsverzeichnis

XI

Abbildungsverzeichnis

XIX

Tabellenverzeichnis

XXI

Formelverzeichnis

XXII

Verzeichnis Abkiirzungen 1

2

3

4

Einfuhrung

XXIII 1

1.1

Problemstellung

1.2

Forschungskonzept

10

1.3

Forschungsansatz

11

1.4

Begriffliche Grundlagen

16

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

1

23

2.1

Grundlagen der Humangenetik

24

2.2

Genetische Merkmale von Erkrankungen

30

2.3

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

40

2.4

Fazit des naturwissenschaftlichen Hintergrunds

52

2.5

Zukunftsperspektiven

53

Das Human Resource Management

55

3.1

Der Ressourcenbegriff aus der Resource Based View

56

3.2

Kriterien einer Ressource

57

3.3

Humanressourcen

62

3.4

Das Management der Humanressourcen

66

3.5

Aufgaben, Trager und Adressaten des HRM

71

3.6

Fazit des Human Ressource Managements

77

Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

81

4.1

Betriebliche Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

82

4.2

Der HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalyse

83

5

6

7

4.3

Der HRM-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalyse

....93

4.4

Der HRM-Teilbereich Beurteilung und die Genanalyse

100

4.5

Der HRM-Teilbereich Anreizsystem und die Genanalyse

102

4.6

Der HRM-Teilbereich Entwicklung und die Genanalyse

110

4.7

Der HRM-Teilbereich Administration und die Genanalyse

113

4.8

Fazit der betrieblichen Einsatzmoglichkeiten

115

4.9

Zentrale Problembereiche

118

Multidisziplinare Analyse

119

5.1

Die Okonomikdes Gesundheits-Informationsdefizits

120

5.2

Wirtschaftlichkeitsbewertung von Gentests

148

5.3

Die Psychologic der freiwilligen Gentest-Teilnahme

169

5.4

Gentest-Entscheidungsmodell

196

Empirische Evidenz

201

6.1

Schwierigkeiten bei der Datenerhebung

202

6.2

Empirische Forschungsfrage

202

6.3

Empirische Methode

203

6.4

Analyseverfahren

207

6.5

Erfassung der Variablen

209

6.6

Datenstruktur und deskriptive Befunde

212

6.7

Multivariate Regression

222

6.8

Fazit der empirischen Evidenz

231

Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick 7.1

Zusammenfassung

237 238

7.2

Schlussfolgerungen

242

7.3

Forschungsdesiderata

251

Literaturverzeichnis

255

Anhang A: Zum Online-Fragebogen

277

Anhang B: Kodierter Fragebogen

279

XI

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsiibersicht

IX

Inhaltsverzeichnis

XI

Abbildungsverzeichnis

XIX

Tabellenverzeichnis

XXI

Formelverzeichnis

XXII

Verzeichnis Abkiirzungen 1

Einfiihrung 1.1

1

Problemstellung

1.1 J

XXIII

Illustration eines Szenario

1.1.2 Stand der Literatur

1 3 5

1.1.2.1

Gentests inEuropa

5

1.1.2.2

Gentests in den USA

6

1.1.2.3

Diskussion rund um Gentests

7

1.1.3 Empfehlungen fur die Verwendung von betrieblichen Gentests

8

1.1.4 Gentests zur Reduzierung betrieblicher Krankenkosten

8

1.2

Forschungskonzept

10

1.2.1 Zielsetzung

10

1.2.2 Gegenstand und Abgrenzung

10

1.3

Forschungsansatz

1.3.1 Forschungstheoretischer Ansatz

11 11

1.3.2 Vorgehen

13

1.3.3 Aujbau

14

1.4

Begriffliche Grundlagen

16

1.4.1 Genanalyse versus Genomanalyse

16

1.4.2 Aufrechterhaltung und/oder Forderung der Gesundheit

18

1.4.3 Human Resource Management

20

XII

2

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund 2.1

Grundlagen der Humangenetik

24

2.1.1 Chromosomen

24

2.1.2 DNAundGene

25

2.1.3 Messenger-RNA und Proteine

26

2.1.4 Bedeutung von Mutationen

29

2.2

Genetische Merkmale von Erkrankungen

30

2.2.1 Chromosomale Storungen

31

2.2.2 Monogene Storungen

32

2.2.2.1

Autosomal-dominante Vererbung

33

2.2.2.2

Autosomal-rezessive Vererbung

34

2.2.2.3

X-chromosomale Vererbung

35

2.2.3 Polygene Storungen

36

2.2.3.1

Polygene Vererbung

38

2.2.3.2

Gene und Erkrankungen

38

2.2.4 Hdufigkeit von Erkrankungen

39

2.3

3

23

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

40

2.3.1 Molekulargenetische Tests

41

2.3.2 Grenzen der DNA-Analysen

42

2.3.3 Gate von Gentests

44

2.3.4 Einsatzbereiche von Gentests

47

2.3.5 Gentests versus herkommliche Diagnoseverfahren

49

2.3.6 Gentests in der Arbeitswelt

50

2.3.7 Gentests zur betrieblichen Gesundheitsforderung

51

2.4

Fazit des naturwissenschaftlichen Hintergrunds

52

2.5

Zukunftsperspektiven

53

Das Human Resource Management

55

3.1

Der Ressourcenbegriff aus der Resource Based View

56

3.2

Kriterien einer Ressource

57

3.2.1 Generierung von Wert

58

3.2.2 Knappheit.

59

XIII

3.2.3 Nicht-Imitierbarkeit

60

3.2.4 Nicht-Substituierbarkeit

61

3.3

Humanressourcen

3.3.1

62 62

3.3.2 Geringe Imitierbarkeit

63

3.3.3 Geringe Substituierbarkeit

64

3.3.4 Gemeinsames Verstdndnis von Humanressourcen

64

3.4

Das Management der Humanressourcen

66

3.4.1 Beschaffung undEntwicklung der Humanressourcen

66

3.4.2 Isolierung und Schutz der Humanressourcen

67

3.4.3 Erschliessung und Steuerung der Humanressourcen

68

3.4.4 Gemeinsames Verstdndnis vonHRM

69

3.5

Aufgaben, Trager und Adressaten des HRM

71

3.5.1 Aufgaben- bzw. Teilbereiche des HRM

72

3.5.2 TrdgerdesHRM

74

3.5.3 Adressaten des HRM

76

3.6 4

Wert und Einzigartigkeit.

Fazit des Human Ressource Managements

Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

77 81

4.1

Betriebliche Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

82

4.2

Der HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalyse

83

4.2.1 Strategieentwicklung 4.2.1.1

Arbeitnehmergesundheit

84

4.2.1.2

Untemehmenskultur

87

4.2.1.3

Personalcontrolling

88

4.2.1.4

Anstellungsverhaltnisse

90

4.2.1.5

HRM-Aufgabenteilung

91

4.2.1.6

Konsistenz der HRM-Praktiken

92

4.2.1.7

Entscheidungsspielraum einzelner HRM-Trager

92

4.2.2 Strategieimplementierung 4.3

84

Der HRM-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalyse

4.3.1 Gewinnung 4.3.1.1

Personalbedarfsermittlung

93 93 94 94

XIV

4.3.1.2

Personalmarketing/Untemehmensimage/Humanpotenzial

95

4.3.1.3

Selektion

97

4.3.2 Integration 4.3.3 Reduktion 4.4

Der HRM-Teilbereich Beurteilung und die Genanalyse

99 100

4.4.1 Leistungs beurteilung

101

4.4.2 Potenzialbeurteilung

101

4.5

Der HRM-Teilbereich Anreizsystem und die Genanalyse

4.5.1 Materielle Anreize

4.6

103

Betriebliche Sozialleistungen

103

4.5.1.2

Lohn, Erfolgsbeteiligung und Vorschlagswesen

105

Immaterielle Anreize

106

4.5.2.1

Gruppenmitgliedschaft

107

4.5.2.2

Arbeitsplatzgestaltung

108

4.5.2.3

Eigenverantwortung durch Selbstbestimmung

109

4.5.2.4

Berufliche Laufbahn

109

Der HRM-Teilbereich Entwicklung und die Genanalyse

4.6.1 Bildungsbezogene Massnahmen 4.6.2 Stellenbezogene Massnahmen A.l

102

4.5.1.1 4.5.2

5

99

Der HRM-Teilbereich Administration und die Genanalyse

110 Ill 112 113

4.7.1 Administrative Tdtigkeiten

113

4.7.2 Datenverwaltung

114

4.7.3 Rechtsberatung

114

4.8

Fazit der betrieblichen Einsatzmoglichkeiten

115

4.9

Zentrale Problembereiche

118

Multidisziplinare Analyse 5.1

Die Okonomik des Gesundheits-Informationsdefizits

119 120

5.1.1 Die Neue Institutionenokonomie

121

5.1.2 Principal-Agenten-Theorie

122

5.1.2.1

Informationsasymmetrien

124

5.1.2.2

Informationsprobleme

125

5.1.2.3

Agenturkosten

127

XV

5.1.3 Genanalyse aus Sicht der Prinzipal-Agenten-Theorie 5.1.4 Genanalyse und daraus resultierende asymmetrische Informationen

128 129

5.1.4.1

Freiwillige Gentest-Teilnahme als Hidden Characteristics

130

5.1.4.2

Gestaltungsmoglichkeiten bei Adverser Selektion

131

5.1.4.3

Zusammenfassung der Adverser! Selektion

135

5.1.4.4

Gezielte Gesundheitsforderung als Hidden Action

136

5.1.4.5

Gestaltungsmoglichkeiten bei Moral Hazard

137

5.1.4.6

Zusammenfassung des Moral Hazard

140

5.1.4.7

Genanalyse-Teilnahme und Gesundheitsforderung als Hidden Intention .141

5.1.4.8

Gestaltungsmoglichkeiten bei Hold Up

142

5.1.4.9

Zusammenfassung des Hold Up

144

5.7.5 Fazit des Gesundheits-Informationsdeflzits 5.2

Wirtschaftlichkeitsbewertung von Gentests

145 148

5.2.1 Direkte und Indirekte Kosten-Nutzen von Gentests

149

5.2.2 Kosten fur einen Gentest

151

5.2.3 Kosten und Nutzen von genetischen Einstellungsuntersuchungen

153

5.2.3.1

Szenario: Lungenkrebs

154

5.2.3.2

Szenario: Brustkrebs

155

5.2.3.3

Zusammenfassung der Kosten und Nutzen

157

5.2.4

Kosten-Nutzen-Analyse von genetischen Tests

5.2.4.1

Szenario: Benzolinduzierter Krebs

161

5.2.4.2

Szenario: Chronische Berylliumerkrankung

163

5.2.4.3

Zusammenfassung der Kosten und Nutzen

165

5.2.5 Fazit der Wirtschaftlichkeitsbewertung. 5.3

158

Die Psychologic der freiwilligen Gentest-Teilnahme

166 169

5.3.1 Gesundheitspsychologie

170

5.3.2 Das Health Belief Modell

172

5.3.3 Genanalyse- Teilnahmeentscheidung aus Sicht des HBM 5.3.3.1

173

Subj ektiv wahrgenommene Anfalligkeit fur eine genetische Erkrankung 173

5.3.3.2

Wahrgenommene Schwere der genetischen Krankheit

176

5.3.3.3

Wahrgenommener Nutzen aus einer Genanalyse

178

5.3.3.4

Wahrgenommene Kosten einer Genanalyse

180

5.3.3.5

Zusammenfassung zur Entscheidung betreffend Teilnahme am Gentest.. 182

XVI

5.3.4 Erweiterung des Modells 5.3.5 Durchfuhrung der Genanalyse tJbermittlung der Gentestdiagnose

184

5.3.5.2

Moglichkeit zum Abbruch des Gentestes

185

5.3.6.1

Reaktionen und Auswirkungen auf der Individualebene

5.3.6.2

Auswirkungen auf die individuelle Lebensqualitat

186 ..186 189

5.3.6.3

Betriebliche Auswirkungen

191

5.3.6.4

Zusammenfassung der Folgen eines Genanalyseergebnisses

193

5.3.7 Fazit der individuell freiwilligen Gentest-Teilnahme

6

.........184

5.3.5.1

5.3.6 Das Genanalyseergebnis und seine Folgen

5.4

183

Gentest-Entscheidungsmodell...........

EmpirischeEvidenz...

.194 196 ..201

6.1

Schwierigkeiten bei der Datenerhebung

.202

6.2

Empirische Forschungsfrage

202

6.3

Empirische Methode

203

6.3.1 Webbasierte Befragung

203

6.3.2 Methodenwahl

...204

6.3.3 Fragebogendesign.....

205

6.3.4 Stichprobenauswahl und Stichprobenumfang

205

6.3.5 Erhebungsablauf.

206

6.4

Analyseverfahren

207

6.4.1 Statistisches Verfahren zur Analyse entscheidungsbeeinflussenderFaktoren...207 6.4.2 Verfahren zur Analyse der offenen Fragen 6.5

Erfassung der Variablen 6.5.1

Abhangige Variable

6.5.2 Unabhangige Variablen 6.6

Datenstruktur und deskriptive Befunde

6.6.1 Struktur der befragten Personalverantwortlichen in der Datenbasis 6.6.2 Deskriptive Befunde

208 209 209 209 212 212 ....214

6.6.2.1

AbMngige Variable

214

6.6.2.2

Unabhangige Variablen

215

6.6.2.3

Inhaltsanalyse der offenen Fragen,....

221

XVII

6.7

222 225

6.7.2 Interpretation der Ergebnisse

226

6.8 7

Multivariate Regression

6.7.1 Ergebnisse 6.7.2.1

Image

226

6.7.2.2

Finanzielle Anreize

227

6.7.2.3

Schutz am Arbeitsplatz

228

6.7.2.4

Informationen iiber zukiinftige Erkrankungen

229

6.7.3.5

Untemehmensgrosse

229

6.7.2.6

Produktivitat

230

6.7.2.7

KeinGentest-Entscheidungseinfluss

231

Fazit der empirischen Evidenz

Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick

231 237

7.1

Zusammenfassung

238

7.2

Schlussfolgerungen

242

7.2.1 Theorieorientierte Schlussfolgerung

242

7.2.2 Praxisorientierte Schlussfolgerung

245

7.3

7.2.2.1

Minimierung des Risikos

245

7.2.2.2

Stellenwert der Gesundheit

246

1.2.2.3

Finanzielle Investitionen

248

7.2.2.4

Bedeutung der Freiwilligkeit und Daten-Selbstbestimmung

249

7.2.2.5

Fazit der Schlussfolgerungen fiir die betriebliche Praxis

250

Forschungsdesiderata

251

Literaturverzeichnis

255

Anhang A: Zum Online-Fragebogens

277

Anhang B: Kodierter Fragebogen

279

XIX

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Kauf eines Medikaments

4

Abbildung 1-2: Aufbau der Arbeit

14

Abbildung 2-1: Chromosomensatz

24

Abbildung 2-2: Doppelhelix

25

Abbildung 2-3: ReplikeinerDNA

26

Abbildung 2-4: Transkription und Translation

27

Abbildung 2-5: Struktur eines Gens

28

Abbildung 2-6: Grundschema genetischer Entwicklungsprozesse

31

Abbildung 2-7: Monogene Erkrankungen

32

Abbildung 2-8: Autosomal-dominanter Erbgang

34

Abbildung 2-9: Autosomal-rezessive Vererbung

35

Abbildung 2-10: X-chromosomale Vererbung

36

Abbildung 2-11: Vererbung von multifaktoriellen Erkrankungen

37

Abbildung 2-12: Wirkungsgefugedreieck

39

Abbildung 2-13: Abschnitt einer DNA-Sequenz

42

Abbildung 2-14: Einsatzbereiche der medizinischen Gendiagnostik

48

Abbildung 2-15: Zahl der Eintrage im Katalog der Mendelian Inheritance in Man (MIM) ....54 Abbildung 3-1: Ressourcenbedingte Wettbewerbsvorteile

57

Abbildung 3-2: Teilbereiche des HRM

72

Abbildung 3-3: Trager der Personalfunktion

76

Abbildung 3-4: HRM-Teilbereiche, Inhalte und Praktiken

79

Abbildung 4-1: Einsatzmoglichkeit der betrieblichen Genanalyse

82

Abbildung 4-2: HRM-Teilbereich HRM-Strategie

83

Abbildung 4-3: HRM-Teilbereich Beschaftigung

94

Abbildung 4-4: HRM-Teilbereich Beurteilung

101

Abbildung 4-5: HRM-Teilbereich Anreizsystem

103

Abbildung4-6: HRM-TeilbereichEntwicklung

Ill

Abbildung 4-7: HRM-Teilbereich Administration

113

Abbildung 5.1-1: Basistheorien der Neuen Institutionenokonomie

122

Abbildung 5.1-2: Verteilung des menschlichen Verhaltens

123

XX

Abbildung 5.1-3: Genanalyse und resultierende Informationsasymmetrien im Uberblick.... 130 Abbildung 5.1-4: Gestaltungsmoglichkeiten bei Adverser Selektion

131

Abbildung 5.1-5: Gestaltungsmoglichkeiten bei Moral Hazard

137

Abbildung 5.1-6: Gestaltungsmoglichkeiten bei Hold Up

142

Abbildung 5.2-1: Genetische Krankheiten und ihre betriebliche Gewinnschwelle

156

Abbildung 5.3-1: Das HBM zur Vorhersage der Beteiligung an einer Praventivmassnahmel73 Abbildung 5.3-2: Teilnahmeprozess an einem Gentest

182

Abbildung 5.3-3: Modellerweiterung

183

Abbildung 5.3-4: Bewaltigung eines positiven Genbefundes iiber eine emsthafte KH

187

Abbildung 5.3-5: Gewinn und Verlust der Lebensqualitat

190

Abbildung 5.3-7: Die individuell freiwillige Teilnahme an einer Genanalyse als Prozess....l95 Abbildung 5.4-1: Modell des betrieblichen Gentest-Entscheidungsverhaltens

199

Abbildung 6-1: Untemehmensgrosse

214

Abbildung 6-2: Verwendung eines Gentests im Untemehmen

215

Abbildung 6-3: Information tiber zukunftige Gesundheitsrisiken

218

Abbildung 6-4: Produktivitat

218

Abbildung 6-5: Das Wort Gen-Anlage ist fur mich positiv besetzt

220

Abbildung 6-6: In Zukunft ist es wichtig, seine Gene zu kennen

220

Abbildung 7-1: Das abschliessende Gentest Entscheidungs-Modell

243

XXI

Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1: Struktureller Zusammenhang zwischen Chromosom, Gen, DNA,Protein

29

Tabelle 2-2: Haufigkeit hereditarer Erkrankungen

39

Tabelle 2-3: Validitatsparameter eines genetischen Tests

45

Tabelle 2-4: Prognosesicherheit genetischer Tests

46

Tabelle 3-1: Einfluss des HRM auf den betrieblichen Erfolg

70

Tabelle 3-2: Aufgaben- bzw. Teilbereiche des HRM

74

Tabelle 3-3: Aspekte der Bildung von Arbeitnehmergruppen

77

Tabelle 3-4: Differenzierung der Belegschaft

77

Tabelle 4-1: Katalog der Genanalyse-Einsatzmoglichkeiten

117

Tabelle 5.1-1: Typen asymmetrischer Informationsverteilung

125

Tabelle 5.1-2: Informationsprobleme und Gestaltungsmoglichkeiten im Uberblick

126

Tabelle 5.1-3: Die Genanalyse aus Prinzipal-Agenten-Sicht im Uberblick

129

Tabelle 5.1-4: Die asymmetrischen, genetischen Gesundheitsinformationen

146

Tabelle 5.2-1: Beispiele fur direkte und indirekte Genanalysekosten und -nutzen

150

Tabelle 5.2-2: Kosten fur genetischen Test und Beratung bei Brustkrebs

151

Tabelle 5.2-3: Einfache Kosten-Nutzenkalkulation fur Lungen- und Brustkrebs

156

Tabelle 5.2-4: Phanotypen der Subgruppen

161

Tabelle 5.3-1: Klinisch-Psychologischer Nutzen aus einem genetischen Test

178

Tabelle 6-1: Uberblick iiber wichtige statistische Kenngrossen

208

Tabelle 6-2: Verteilung des Geschlechts

213

Tabelle 6-3: Alter der Personalverantwortlichen

213

Tabelle 6-4: Position der Personalverantwortlichen im Untemehmen

213

Tabelle 6-5: Durchfuhren von Gesundheitschecks

215

Tabelle 6-6: Frequenz der Gesundheitschecks

216

Tabelle 6-7: Art der Gesundheitschecks

216

Tabelle 6-8: Schutz am Arbeitsplatz und Finanzielle Motivation

217

Tabelle 6-9: Image

217

Tabelle 6-10: Fluktuationsrate und Wirtschaftliche Lage

219

Tabelle 6-11: Sonstige Anreize

221

Tabelle 6-12: Sonstige Auswirkungen

222

XXII

Tabelle 6-13: Kommentare und Erganzungen

222

Tabelle 6-14 : Regression zur betrieblichen Gentest-Entscheidung

223

Formelverzeichnis Formel 5.2-1: Jahrliche Beschaftigungskosten ohne Gentest

153

Formel 5.2-2: Jahrliche Beschaftigungskosten ohne Gentest

153

Formel 5.3-3: Nutzenauseinem Gentest

154

Formel 5.2-4: Erwartetes Krankheitsrisiko in derPhanotyp Subgruppe

158

Formel 5.2-5: Erwartete Anzahl von Krankheitsfallen

159

Formel 5.2-6: Erwartete Anzahl von Krankheitsfallen innerhalb der Belegschaft

159

Formel 5.2-7: Kostenunterschied zwischen getesteten und nicht getesteten Arbeitnehmer ..159 Formel 5.2-8: Erwarteter Nutzen eines Gentests

161

XXIII

Verzeichnis Abkiirzungen Abb.

Abbildung

Abk.

Abkiirzungen

AG

Arbeitgeber

AN

Arbeitnehmer

Aufl.

Auflage

BAuA

Eundesanstalt fiir Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

bearb.

bearbeitete

BFS

Eundesamt fiir Statistik

BGF

Eetriebliche Gesundheitsforderung

bzw.

beziehungsweise

c.a.

circa

DEW

Die Eetriebswirtschaft

d.h.

das heist

DNA

Desoxyribonukleinsaure

EGE

European Group on Ethics and New Technology

ELSI

Ethical Legal Social Institution

etal.

et alii

erw.

erweitert

etc.

et cetera

ggfHEM

gegebenenfalls Health Belief Modell

i.d.R.

in der Regel

i.e.S.

im engeren Sinne

inkl.

inklusive

Kap.

Kapitel

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

HR

Humanressourcen

HRM

Human Resource Management

Hrsg.

Herausgeber

Jg.

Jahrgang

XXIV

NHI

National Health Institution

Nr.

Nummer

NZZ

Neue Ziircher Zeitung

MBV

Market Based View

mRNA

Messenger-Ribonukleinsaure

PA

Prinzipal-Agenten-Theorie

RBV

Resource Based View

s.

siehe

s.o.

siehe oben

u.

und

u.a.

unter anderem

U.U.

unter Umstanden

UG

Untemehmen

v.a.

vor allem

Verl.

Verlag

vgl.

vergleiche

WHO

World Health Organisation

www

world wide web

Zfb

Zeitschrift fiir Betriebswirtschaft

zit.

zitiert

Problemstellung

1

Einfiihrung

Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert. (Hmley, A.)'

1.1

Problemstellung

Ausfalle des Faktors Arbeit fuhren gemass der BUNDESANSTALT FUR ARBEITSSCHUTZ UND ARBEITSMEDIZIN (BAUA) ZU hohen Kosten in den betroffenen Untemehmen? In einer Studie

aus dem Jahre 2003 weist die BAuA nach, dass die rund 34 Millionen Beschaftigten in Deutschland eine durchschnittliche Arbeitsunfahigkeit von 13.7 Tage pro Arbeitnehmer verursachen. Das entspricht einer Summe von rund 468 Millionen Tagen der Arbeitsunfahigkeit in nur einem Jahr.^ Von diesem Volumen ausgehend, schatzt die BAuA den jahrlichen Produktionsausfall durch Arbeitsunfahigkeit (Absentismus) auf 42.55 Milliarden Euro.'* In diesen Zahlen noch nicht berticksichtigt sind die Kosten, die entstehen, wenn Arbeitnehmer trotz Krankheit zur Arbeit kommen und nicht voU einsatzfahig sind. Huxley, A. L. (1894-1963), Schriftsteller - Grossbritannien vgl. Baua (2003), S.27 vgl. Baua (2003), S.27; 34.145 Mio. Arbeitnehmer x 13.7 Arbeitsunfahigkeitstage = 467.79 Mio. Arbeitsunfahigkeitstage (= 1.28 Mio. ausgefallene Erwerbsjahre). vgl. Baua (2003), S.27; 1.28 Mio. ausgefallene Erwerbsjahre x 33.200 € durchschnittliches Arbeitnehmerentgelt = 42.55 Mrd. € ausgefallene Produktion durch Arbeitsunfahigkeit (= 2.01% Anteil am Bruttonationaleinkommen) ^ 1.28 Mio. ausgefallene Erwerbsjahre x 51.800 € durchschnittlicher Verlust an Arbeitsproduktivitat = 66.39 Mrd. € Verlust an Arbeitsproduktivitat (= 3.14% Anteil am Bruttonationaleinkommen).

Einfuhrung

Diese Arbeitsunfahigkeit im Sinne von Produktionsausfallen durch einen Rtickgang der onthe-job-Produktivitat wird auch Prasentismus genannt. Aktuellen Untersuchungen zu Folge ist der durchschnittliche Produktivitatsverlust durch Prasentismus noch viel kostspieliger als der Verlust durch Absentismus.^ Entsprechend einer amerikanischen Studie, in der die Daten von 375*000 Arbeitnehmem ausgewertet wurden, verursacht der Prasentismus im Vergleich zum Absentismus sogar um zwei Drittel hohere Kosten. In Bezug auf Krankheiten wie bspw. Krebs wird darin die Produktivitatsabnahme aufgrund von Prasentismus noch viel betrachtlicher eingeschatzt, namlich um 5.9% hoher als die Produktivitatseinschrankung bei Absentismus.^ Die erhebUchen Kosten des Prasentismus werden insbesondere durch eine im Jahre 2002 von der Firma Lockheed Martin^ in Auftrag gegebene Pilotstudie bestStigt. Demnach betragt der Verlust infolge von Prasentismus bis zu 7.6% der gesamten betrieblichen Produktivitat.^

Diese ohnehin schon beachtlichen Zahlen gewinnen vor dem Hintergrund einer immer alter werdenden

arbeitenden

Bevolkerung

an

zusatzlicher

Bedeutung.

Betrug

das

Durchschnittsalter der Arbeitnehmer im Jahre 1980 noch ca. 35 Jahre, liegt es derzeit bei rund 41 Jahren.^ Die mit dem ansteigenden Alter assoziierte erhohte Krankheitsanfalligkeit durfte die krankheitsbedingten Absentismus- und PrSsentismuskosten noch weiter ansteigen lassen. Die standige KontroUe bzw. der Wunsch nach Reduktion der angefiihrten krankheitsbedingten Kosten stellt also einen wichtigen Faktor bei der Aufrechterhaltung bzw. Erhohung der betrieblichen Produktivitat dar. Aus diesem Grund ist es leicht verstandlich, wenn die betriebliche Praxis nach wirkungsfahigen Massnahmen zur Begrenzung der betrieblichen Krankenkosten sucht.

COLLINS, ehemaliger Direktor des Nationalen Genomforschungsinstituts der USA (NEGRI), leitet eine M5glichkeit zur Minderung von krankheitsbedingten Kosten aus den Entwicklungen im Bereich der Humangenetik^^ und der Arzneimitteltherapie'^ ab.^^ In den

vgl Hemp (2005), S.48 vgl. Goetzel et al (2004), S.409 Das Untem. zahlt ca. 25'000 Mitarbeiter. Vgl. http://www.lockheedmartin.com (Zugriff: Juni 2005) vgl. Hemp (2005), S.54 O'Leary et al. (2002), S.326; diese Zahlen beziehen sich auf den US-Arbeitsmarkt, es durfte sich jedoch in anderen westlichen L^ndem ahnlich verhalten. vgl. Venter et al. (2001), S.1304-1350 zum Human Genome Projekt.

Problemstellung

verfeinerten genetischen Diagnosemoglichkeiten^^ erkennt er nicht nur die Chance, Volkskrankheiten wie bspw. Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs einfacher festzustellen, sondem er hegt iiberdies die Erwartung, Erkrankungen durch massgeschneiderte Medikamente gezielt und wirkungsvoll vorzubeugen.^'^Ein mSgliches Szenario, in welchem die beschriebenen Moglichkeiten zur Reduzierung krankheitsbedingter Produktivitatseinschrankungen im Untemehmen einsetzbar sind, illustriert er wie folgt:

i. L1

Illustration eines Szenario

Im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitschecks wird bei der 23-jahrigen Ann ein zu hoher Cholesterin-Spiegel festgestellt. Um genauere Informationen iiber ihr Risiko zu erhalten, spater an der Koronaren Herzkrankheit und/oder an anderen Leiden zu erkranken, ist Ann einverstanden, eine Reihe von verfiigbaren genetischen Tests in Erwagung zu ziehen. Nachdem sie sich durch ein interaktives Computerprogramm iiber Risiko und Nutzen solcher Tests ins Bild gesetzt hat, wilHgt sie ein, 15 genetische Tests durchfuhren zu lassen, die Informationen zum Risiko von Krankheiten liefem, fur die es preventive Strategien gibt. Ein Zellabstrich der Wangenschleimhaut wird ans Testlabor geschickt; nach einer Woche liegen die Ergebnisse vor. Danach fmdet ein Beratungsgesprach statt, in dem es um die Krankheiten geht, bei denen sich Anns Risiko erhebhch von dem der allgemeinen Bevolkerung unterscheidet. Ann freut sich dariiber, dass ihr Risiko beztiglich Alzheimer und Brustkrebs verringert ist, weil sie Varianten von Genen tragt die hier schiitzend wirken. Aber sie wird nachdenklich angesichts der Evidenz eines erhohten Risikos fur die Koronare Herzkrankheit, Darmkrebs und Lungenkrebs. Durch die Konfrontation mit der Realitat ihrer eigenen genetischen Daten gelangt sie zum entscheidenden ,kritischen Augenblick' (teachable moment), in dem die Weichen fiir lebenslange gesundheitsbezogene Verhaltensanderungen

Diese wird auch als Pharmakogenetik bezeichnet. An die pharmakogenetische Forschung wird heute die Erwartung gekoppeit, in Zukunft fiir jeden Patienten das richtige Medikament in der richtigen Dosis finden zu konnen. Somit ist die Pharmakogenetik an die Hoffnung gekniipft, durch eine Individualisierung der Arzneimitteltherapie die therapeutische Wirkung zu verbessem und das Auftreten von Nebenwirkungen zu vermindem. Vgl. Rippe et al. (2004), S.17-18 vgl. Collins (1999), S.34-35 zit. nach Lemke (2004), S.20-21 In dieser Arbeit werden die Begriffe genetische Diagnosemoglichkeiten, genanalytische und gentechnische Untersuchungen, Gentests, Genanalyse und genetische Tests synonym verwendet. Vgl. Kap. 1.4.1 Begriffliche Gmndlagen vgl. Meier-Abt und Stieger (2000), S.33

Einfuhrung

gestellt

werden.

Ihr

erhohtes

Darmkrebsrisiko

kann

Ann

mit

regelmassigen

Darmspiegelungen ab dem Alter von 45 Jahren angehen - in ihrer Situation eine sehr kosteneffektive Methode, Darmkrebs zu verhindem. Ihr erhebliches Lungenkrebsrisiko motiviert die Raucherin, sich einer Selbsthilfegruppe ftir Personen anzuschliessen, die ein hohes Risiko ftir emste Komplikationen durch Rauchen aufweisen, und sie schafft es, die Angewohnheit aufzugeben. Das bei ihr diagnostizierte Koronare Herzerkrankungsrisiko versucht sie durch die kontinuierliche Uberwachung und wenn notig durch eine medikamentose Therapie zu reduzieren. Ihr zur Wahl des richtigen Medikamentes herangezogener Genbefund wird vermutlich die Vorhersage erlauben, ob sie auf die Arznei ansprechen wird oder nicht.^^ Ftir Ann begrundet sich aus der Entwicklung der Humangenetik demnach nicht nur die Moglichkeit, fruhzeitig ihrem Erkrankungsrisiko entgegenzuwirken, sondem auch rasch eine fur sie effektive, medikamentose Therapie in Anspruch zu nehmen. Dem Untemehmen - ftir das Ann arbeitet - ist es dank ihrem Verhalten moglich, krankheitsbedingte Fehlzeiten zu reduzieren und die damit verbundenen Produktionsausfalle zu minimieren.

Abbildung 1-1: Kauf eines Medikaments*'*

Inwiefem solche genetische Tests - wie COLLINS sie beschreibt - ftir die betriebliche Praxis tatsachlich von Bedeutung sind, ist weitgehend unklar. Diese Ungewissheit ist nicht weiter verwunderlich, liegen doch bisher keine Untersuchungen vor, die sich mit einem derartigen Szenario auseinandersetzen.

'^ *^

vgl. Collins (1999), S.34-35 zit. nach Lemke (2004), S.20-21 vgl. New Yorker, zit. nach Rippe et al. (2004), S. 17

Problemstellung

7.7.2 Stand der Literatur Eine Sichtung der Literatur zum Forschungsstand iiber betriebliche Gentests bestatigt, dass in der Tat noch keine Studien zum Einsatz solcher Analysen zur Aufrechterhaltung bzw. zur Forderung der Arbeitnehmergesundheit vorliegen. Auffallend ist zudem, dass es nach wie vor kaum Informationen dariiber gibt, ob Untemehmen gegenwartig Gentests in irgendeiner Form uberhaupt nutzen.

1.1.2.1

Gentests in Europa

In Europa ist lediglich festzustellen, dass es bis dato nur den einzelnen bekannten Fall eines betrieblichen Gentests gibt, auf den sich die Berichte des NUFFIELD COUNCIL ON BIOETHICS^^ und des HUMAN GENETICS ADVISORY COMMITEES^^ in England beziehen: Hierbei handelt es

sich um das Screening von Flugzeugbesatzungen durch das britische Verteidigungsministerium auf Sichelzellen'^. Es bestand die Vermutung, dass ein Trager des Sichelzellengens durch den niedrigen Sauerstoffdruck in einem Flugzeug Schaden nehmen konnte. Dieses Vorgehen wurde aber kritisiert, weil sie sich nicht auf solide Tatsachen begninde, sondem diskriminierend sei, da es in der afro-karibischen Bevolkerung viel mehr Sichelzellen-AUeletrager gebe als in anderen Gesellschaftsgruppen. Das britische Verteidigungsministerium wendet dieses Verfahren daher nicht weiter an.^^ Obwohl nur dieser eine Fall einer Anwendung eines betrieblichen Gentests in Europa bekannt ist, zeigt eine vom INSTITUTE OF DIRECTORS in England im August 2000 durchgefiihrte Untersuchung, dass zwei von 353 Direktoren in ihrem Untemehmen routinemassig Gentests anwendeten. Weitere vier Direktoren gaben bei dieser Erhebung an, Gentests wiirden von ihrem Untemehmen dann eingesetzt, wenn sie dem Schutz fur bestimmte Arbeitnehmer dienten. In der Untersuchung ging es auch damm festzustellen, wie die Direktoren genetischen Screenings gegeniiber eingestellt sind. Dabei zeigte sich, dass 34% der 353 Direktoren - solange der Arbeitnehmer einverstanden ist - einen Gentest begnissen, wenn sich dadurch spatere Herzkrankheiten feststellen lassen. Weitere 8% befiirworteten

vgl. Nuffield Council on Bioethics (1993) vgl. HGAC (1999) Blutarmut aufgrund eines fehlerhaft produzierten roten Blutfarbstoffs. Vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. E G E (2003), S.30

Einfuhrung

Pflichtuntersuchungen, wenn dies im Interesse des Arbeitnehmers ist. Liegt die Zustimmung des Arbeitnehmers vor, ist es fur 50% der Direktoren sinnvoU, die Angestellten auf das Risiko einer berufsbezogenen Erkrankung die durch eine Gefahrdung am Arbeitsplatz ausgelost wird, genetisch zu testen. Weitere 16% vertreten die Meinung, dass eine Genuntersuchung Pflicht sein soUte.^^

1.1.2.2

Gentests in den USA

Verglichen mit Europa besteht in den USA aufgrund Krankenversicherung

ein grosseres Interesse

der hohen Beitrage zur

an betrieblichen

Gentests. Dies ist

wahrscheinlich der Grund, warum in den USA mehr Untersuchungen zur betrieblichen Gentests durchgefuhrt wurden. Diese Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu betrachten, da sich herausstellte, dass einige untersuchte Untemehmen nicht einmal wussten, was Gentests sind.^^ Aus diesem Grund wird hier lediglich eine relativ alte, jedoch viel zitierte Erhebung der OFFICE OF TECHNOLOGY ASSESSMENT (OTA) angegeben, die in den Jahren 1982 und

1990 vom U.S. Congress in Auftrag gegeben wurde. Dabei wurden die 500 grossten U.S.Untemehmen befragt, ob sie ihre Arbeitnehmer genetisch testen lassen.^^ Es zeigte sich, dass nur ein Prozent der kontaktierten Untemehmen bei den Arbeitnehmem vor Aufhahme des Beschaftigungsverhaltnisses

routinemassig Gentests durchfuhren.

Die Mehrheit der

Untemehmen hielten jedoch Gentests bei der Bewerberselektion fur akzeptabel, um die Bewerber uber ihre Anfalligkeit fur Arbeitsplatzrisiken informieren zu konnen. Inakzeptabel war fur die befragten Untemehmen hingegen, Gentests zur Emiemng von gesundheitlichen Risiken vorzunehmen - nur ein Prozent der Befragten gab an, Gentests zu verwenden, um Arbeitnehmer mit erhohten Krankheitsrisiken zu identifizieren. In Summe berichteten 12% der Untemehmen, dass sie ihre Arbeitnehmer einem Gentest unterziehen. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um Untemehmen, deren Arbeitnehmer moglicherweise chemischen Oder ionisierenden Strahlungen ausgesetzt sind.^"^

vgl. Chard und Wilkins (2000), S.7-11 vgl. EGE (2003), S.29 vgl. U.S. Congress (1990), S.20; National Opinion Research Center (1982). Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass auch hier die Definition von genetischen Tests sehr weit gefasst wurde. vgl. U.S. Congress (1990), S.20-28

Problemstellung

1.1.2.3

Diskussion rund um Gentests

Obwohl die genannten Untersuchungen zeigen, dass betriebliche Gentests fur bestimmte Bereiche durchaus Akzeptanz finden, gibt es praktisch keine aktuellen Publikationen, die sich mit diesen Akzeptanzbereichen beschaftigen, und kaum Informationen iiber Untemehmen, die Gentests auch tatsachlich anwenden. Stattdessen ist eine klare Ausdehnung der Veroffentlichungen mit dem Fokus auf die zu erwartenden negativen Auswirkungen betrieblicher Gentests zu vermerken.^^ In diesen Untersuchungen ist das Bild vorherrschend, dass Untemehmen aufgrund ihrer okonomischen Orientierung danach streben, Informationen uber die genetische Konstellation ihrer Arbeitnehmer in Erfahrung zu bringen, um sich derjenigen zu entledigen, deren Genbefund nicht einwandfrei ist."^^ Dominiert wird die Diskussion von der Annahme, dass Untemehmen ihre Arbeitnehmer zu einer Genanalyse zwingen oder diese ohne Einwilligung der Arbeitnehmer erheben lassen."^^ Dieser Sichtweise zur Folge, setzen sich vorwiegend Organisationen wie ETHICAL LEGAL SOCIAL INSTITUTIONS (ELSI-Kooperationen) oder NATIONAL HEALTH INSTITUTIONS (NHI) mit den Facetten

betrieblichen Gentests auseinander.^^ Sie diskutieren die Thematik v. a. aus gesellschaftlichen, ethischen, und rechtlichen Gesichtspunkten: Die gesellschaftliche Debatte bspw. dreht sich um die Konsequenzen, die daraus erwachsen, wenn Arbeitnehmer aufgmnd ihrer genetischen Konstellation keinen Zugang zu bestimmten Jobs erhalten oder wenn sie aufgmnd ihres Genstatus am Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sind.^^ Aus ethischer Perspektive bspw. wird das Recht auf Nichtwissen der eigenen, zukiinftigen genetischen Erkrankungsrisiken erortert. Dies vor dem Hintergmnd, dass jedem Menschen die Freiheit zustehe, frei von der Belastung uber zukiinftige

gesundheitliche Beeintrachtigungen

leben zu konnen.^^

Schliesslich werden Diskussionen uber die Notwendigkeit gesetzlicher Reguliemngen gefiihrt, welche die Arbeitnehmer vor den geschilderten und weiteren Auswirkungen schiitzen sollen.^^

Einen sehr guten Uberblick relevante Publikationen im Bereich Gentests (im engl. Genetic Testing) am Arbeitsplatz geben Jansson et al. (2000) und Persson und Hansson (2003) im Anhang. vgl. Murray (2001), S.372 vgl. bspw. Gelinsky (2001), S.44 Die Veroffentlichungen dieser Institutionen konnen eingesehen werden unter: http://www.oecd.org/, http://www.genome.gov/ oder http://www.nih.gov/ (Zugriff: Juni 2005). vgl. bspw.Hennen et al. (2001), S.l 10 und Lennstrom und Rodgers (2000), S.4-10 vgl. bspw. Mieth (2001), S.263-264; Burgess (2001), 147-151 und Wiesenthal (1999), S.383-394 vgl. bspw. Godard et al. (2001), S. 14-30

Einflihrung

LL3

Empfehlungen fiir die Verwendung von betrieblichen Gentests

Der vorherrschenden, kritischen Betrachtung von betrieblichen Gentests entgegen steht eine jungere Empfehlung der EUROPEAN GROUP ON ETHICS IN SCIENCE AND NEW TECHNOLOGIES

(EGE), welche die Verwendung von betrieblichen Gentests rechtfertigt, insbesondere wenn diese im Einzelfall helfen, die Gesundheit von Arbeitnehmem sowie von Personen in deren Arbeitsumfeld zu schiitzen.^^ Entsprechend dem Beratergremium der EGE diirfen bestimmte Genvarianten am Arbeitsplatz erhoben werden, wenn im Wesentlichen folgende Bedingungen erfuUt sind: Es muss wissenschaftlich abgesichert sein, dass die Genanalyse valide ist; aus dem zu diagnostizierenden Gendefekt resultieren Gefahren fur die Gesundheit des Arbeitnehmers selber und fur Dritte; das Ziel ist eine Verbesserung der Bedingungen am Arbeitsplatz und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung wird nicht verletzt. Femer muss die Zustimmung (informed consent) des Arbeitnehmers vorliegen und die Weitergabe der Gentestdaten (bspw. an Versicherungen) ausgeschlossen sein. Der Arbeitgeber soil, wenn iiberhaupt, nur das Genanalysegebnis erfahren ob ein Arbeitnehmer fiir die Tatigkeit ,XY' nicht geeignet ist, aber keine weiteren Details. Diese Empfehlungen lassen eine Trendwende weg von der kategorischen Ablehnung - wie sie bspw. ELSI-Kooperationen oder NHI fordem - und hin zu Gestaltungsmoglichkeiten ftir die Verwendung von Gentests zur Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Arbeitnehmergesundheit erkennen.

7. L 4 Gentests zur Reduzierung betrieblicher Krankenkosten und die damit verbundene Problemstellung COLLINS Szenario^^ verdeutlicht eine Entwicklung im Bereich der betrieblichen Gentests, die auf neue Einsatzmoglichkeiten verweist, namlich Gentests zur Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Arbeitnehmergesundheit einzusetzen. Solche genetische Tests konnten demnach dazu beitragen, das eingangs beschriebene Problem der hohen krankheitsbedingten Produktivitatsverluste zu minimieren und gleichzeitig, das mit Krankheit verbundene Leid der Arbeitnehmer zu begrenzen.^"^ Damit wiirde den Untemehmen ein von ihnen indirekt geforderter Weg eroffnet: Die Reduzierung krankheitsbedingter Produktivitatseinschrank-

'' ^^ ''

vgl. EGE (2003), S.37-40 vgl. Kap. L l . l Illustration eines Szenarios vgl. Ulich und Wiilser (2004), S.7

Problemstellung

ungen.^^ AUerdings zeigt der dargelegte Forschungsstand, dass der Einsatz betrieblicher Gentests keineswegs unproblematisch ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein heikles Thema, das mit vielen gesellschaftlichen, ethischen und rechtlichen Problemen verbunden ist.^^ Angesichts dieser Problembereiche werden Stimmen laut, die verlangen, dass Voraussetzungen zu schaffen

sind, damit die produzierenden Arbeitnehmer ^ im

Zusammenhang mit einer betrieblichen Genanalyse nicht bewusst hinters Licht gefuhrt, sprich vor Diskriminiemng bewahrt werden konnen.^^ Dem Einsatz von betrieblichen Gentests sind also Restriktionen entgegenzuhalten. Diese Restriktionen - oder Gentest-Verwendungsempfehlungen, wie sie die EGE^^ deklariert - betreffen vereinfacht ausgedriickt die Freiwilligkeit, die Privatsphare und die Validitat:"*^ •

Freiwilligkeit: Der Arbeitnehmer muss einem Gentest freiwillig zustimmen.



Privatsphare der Geninformationen: Der Genbefund wird ausschliesslich dem getesteten Arbeitnehmer iibermittelt.



Validitat: Der Genbefund muss wissenschaftlich abgesichert sein.

Angesichts der neuen Perspektive, auf freiwilliger Basis ,private' sowie valide Gentests zur Aufrecherhaltung bzw. Forderung der Gesundheit einzusetzen, um in weiterer Folge damit einhergehenden Produktivitatseinschrankungen zu reduzieren, entstehen neue Probleme stellt sich doch die Frage, inwiefem sich solche Gentests tiberhaupt in die betriebliche Praxis integrieren lassen und welche Bedeutung ihnen im betrieblichen Kontext tatsachlich zuteil wird. Die Untersuchung des Nutzens solcher Gentests kennzeichnet ein weitgehend ungelostes Problem."^^ Die Behandlung dieser Problemsstellung stelh das Kemthema der vorliegenden Dissertation dar, aus dem sich auch das Forschungsziel ableitet.

vgl. Baua (2003), S.27 vgl. bspw. Deering (2002); Wiesenthal (1999) und Kitcher (1998). Vgl. Kap. 1.1.2.3 Arbeitnehmer stellen in dieser Arbeit jene Ressourcen dar, die wesentlich zum Erfolg des Untemehmens beitragen. Vgl. Barney (1991), S.99-120 vgl. empirische Ergebnisse der Studie 'Genanalyse bei der Personalselektion' Eckerstorfer (2003) vgl. Kap. 1.1.2 Stand der Literatur vgl. EGE (2003), S.37-40 Die Untersuchung des Nutzens betrieblicher Genanalysen stellt ein weitgehend ungelostes Problem dar; vgl. Schmidtke (1999), S.l. Jansson et al. (2000), S.19 formulieren es allgemein „There is a need for systematic information on the extent of genetic testing [...]."

10

Einfiihrung

1.2

Forschungskonzept

1.2.1 Zielsetzung Das Ziel dieser Dissertation besteht darin, durch eine fiindierte Analyse den betrieblichen Stellenwert

der

Genanalyse

zur

Aufrechterhaltung

bzw.

Forderung

der

Arbeitnehmergesundheit im Untemehmen zu klaren. Zur Erreichung dieses Ziels werden im Einzelnen folgende Teilziele verfolgt:



Beschreibung sowie Kategorisierung der betrieblichen Einsatzmoglichkeiten von Gentests zur Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Arbeitnehmergesundheit.



Analyse der spezifischen Charakteristika betrieblicher Gentests aus der Perspektive der Okonomie und der Psychologic, um daraus Faktoren abzuleiten, welche die Gentest-Entscheidung beeinflussen und Abbildung dieser Faktoren in einem Modell.



Konkretisierung

des

theoretischen

empirische Uberprufung

Gentest-Entscheidungsmodells

der entscheidungsbeeinflussenen

durch

eine

Faktoren und der

Wirkungszusammenhange. •

Formulierung von Implikationen ftir die betriebliche Praxis.

1.2.2 Gegenstand und A bgrenzung Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind betriebliche Gentests. Im Vordergrund steht dabei die Anwendung der noch sehr jungen Technologic fur die Erhaltung bzw. Forderung der Arbeitnehmergesundheit. Mit der Wahl des Instrumentes Genanalyse wird das Augenmerk auf die Feststellung zukiinftiger genetischer Erkrankungsrisiken und auf Massnahmen zu deren Verringerung gerichtet."^^ Hinweise auf Erkrankungen, die nicht in den Genen gespeichert sind - bspw. grippale Infekte oder Arbeitsunfalle - liefert ein Gentest natiirlich nicht. Damit einher geht

vgl. Kap. 2.3.6 und 2.3.7 Gentests in der Arbeitswelt

Forschungsansatz

eine Fokussierung auf jene Erkrankungen, die bereits genetisch erforscht und gut dokumentiert sind. Zudem dient die Analyse der Gene in dieser Arbeit nicht etwa dazu, die betroffenen Arbeitnehmer als Opfer einer betrieblichen Genanalyse darzustellen, sondem als Moglichkeit, dass sie sich aktiv an der Gestaltung der eigenen Gesundheit beteiligen konnen. Wie bereits in Kapitel 1.2.4 erwahnt geht mit der Verwendung eines Gentests das Anliegen einher, die Arbeitnehmer vor Diskriminierung zu bewahren.'^'* Vor diesem Hintergrund werden in dieser Dissertation ausschliesslich nur solche genetische Untersuchungen diskutiert, bei denen der Arbeitnehmer freiwillig zugestimmt hat, der Befund nur ihm iibermittelt wird und der Test valide ist.

Schliesslich wird auf die ethische und juristische Debatte - die in der Literatur meist mit der betrieblichen Genanalyse in Zusammenhang gebracht wird - nur dann eingegangen, wenn sie dem unmittelbaren Verstandnis der vorliegenden Problematik dient. Damit werden ethische und juristische Uberlegungen zwar nicht vollig ausgeklammert, sie werden aber auch nicht differenziert analysiert.

1.3

Forschungsansatz

13,1

Forschungstheoretischer Ansatz

Der dieser Arbeit zugrunde liegende forschungstheoretische Ansatz ist durch folgende Merkmale

charakterisiert:

Zugehorigkeit

zur

Betriebswirtschaftslehre,

Anwendungs-

orientierung und Multidisziplinaritat.

Durch den Einbezug der Genanalyse in das Untemehmen wird eine betriebswirtschaftliche Perspektive eingenommen. Demnach bedarf es eines forschungstheoretischen Ansatzes, der

vgl. OMIM Statistics (2004) sowie Regenauer und Schmidtke (2001), S. 17-19, 36-37 fiir einen Oberblick iiber monogenetische und polygenetische Erkrankungen, fur die im Jahre 2001 genetische Tests vorliegen. in Anlehnung an EGE (2003), S.37-40 und Godard et al. (2001), S.36

12

Einfiihrung

den Anforderungen der Betriebswirtschaftslehre entspricht. Ein zur Erforschung der betrieblichen Genanalyse als relevant erachteter Ansatz sollte dem Anspruch der Betriebswirtschaftslehre als eine zwar theoretisch ftindierte, aber auch praktisch relevante Wissenschaft gerecht werden."^^ Diese Anwendungsnahe impliziert ein Verlassen des Pfades der rein theoriegeleiteten Wissenschaft, wie es bspw. der kritische Rationalismus, die wohl bekannteste

wissenschaftstheoretische

Ausrichtung,

verlangt."^^ Dem Anspruch

der

praktischen Relevanz und theoretischen Fundierung kommt ULRICH nach, indem er die Betriebswirtschaftslehre zu den anwendungsorientierten Wissenschaften zahlt."^^ Fiir ihn ist in der Betriebswirtschaftslehre der Praxisbezug konstitutiv.^^ Darunter versteht er die Konzentration auf das Handeln und das Verhalten des einzelnen Menschen oder von Institutionen, einschliesslich der Wirkungen, die sich aus diesem Verhalten ergeben. Zum anderen stellt ULRICH einen Theoriebezug her, indem er zur Erklarung praktischer Problemstellungen die Auswertung des Wissens zahlreicher Disziplinen als notwendig erachtet. Der betriebswirtschaftlichen Forschung wird seiner Ansicht nach nicht Genuge geleistet, wenn nur eine Grundlagenwissenschaft mit einbezogen wird."^^ Nach diesem Verstandnis erfiillt die Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Wissenschaft den Zweck, den Fiihrungsverantwortlichen von Untemehmen theoretisch ftindiertes Handeln in der Praxis zu ermoglichen.^^ ULRICH bezeichnet die Betriebswirtschaftslehre als „Lehre von der Fuhrung zweckorientierter sozialer Institutionen [...] und Fuhrung als Inbegriff von gestaltenden und lenkenden Tatigkeiten."^'

Damit das Untemehmen den neuen Herausforderungen, die sich durch die gentechnische Entwicklung ergeben, besser bewaltigen kann, benotigen Fuhrungskrafte das erforderliche Wissen ftir ihr Handeln. Um dieses Wissen bereitzustellen, werden Erkenntnisse aus der Okonomie, der Psychologic, der Epidemiologic, der Humangenetik sowie der Molekularbiologie verdichtet, in der Praxis uberpruft und den Fuhrungsverantwortlichen zur Verfugung gestellt.

vgl. Osterloh und Grand (1994), S.289 vgl. Popper (1957), S.276 vgl. Ulrich (1998), S.162 vgl. Ulrich (2001a), S.30 vgl. Ulrich (2001a), S.44 vgl. Ulrich (2001a), S.30 Ub-ich (2001a), S.49

Forschungsansatz

13

13,2 Vorgehen In Ubereinstimmung mit ULRICH werden die Erkenntnisse dieser Arbeit anhand eines theoretischen und empirischen Forschungsdesigns ergrundet.^^ Der Stellenwert der Genanalyse im Untemehmen lasst sich demnach durch die Kombination mehrere Methoden ermitteln.^^ Die wichtigste Grundlage fur die Herleitung der Einsatzmoglichkeiten der betrieblichen Genanalyse bildet die Analyse der relevanten Literatur. Dabei werden die ermittelten Aufgabenbereiche des Human Resource Managements (HRM) dahingehend gepriift, ob bzw. wie die Genanalyse die einzelnen Aufgaben tangiert. Da die Literatur im Hinblick auf die Eruierung der Einsatzmoglichkeiten jedoch grosse Liicken aufweist, wird in diesem Zusammenhang auf die Erfahrung der Autorin aus der Erstellung der Studie ,Genanalyse bei der Personalselektion'^"^ und auf ihr Wissen aufgrund des aktiven Besuches verschiedener Kongresse^^ zuriickgegriffen. Theoretisch-deduktiv ist ebenfalls die Methode zur Abbildung eines Modells, das die Faktoren, welche die betriebliche GenanalyseEntscheidung beeinflussen, zu erklaren vermag. Die Darstellung des Modells basiert auf der Charakterisierung der Genanalyse im Untemehmen, bei der vorwiegend die Wissensbereiche Okonomie und Psychologic eingebunden sind.^^ Damit einher geht die Bestimmung der Faktoren, welche die betriebliche Genanalyse-Entscheidung im wesentlich beeinflussen. Um das theoretisch-deduktiv erfasste Modell im praktischen Umfeld zu tiberpriifen, wird ein induktives Vorgehen mit Hilfe der Methode der Befragung angewendet.^^ Die empirische Untersuchung dient primar dazu, die vorwiegend theoretischen Erkenntnisse auf ihre praktische Relevanz hin zu priifen, um daraus Implikationen fur die betriebliche Praxis zu artikulieren.^^

Die empirisch-induktive Methode hat den Vorteil, dass die Einstellung

gegenuber der Genanalyse zur Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Gesundheit direkt aus dem Untersuchungsfeld erhoben wird, wodurch ein praxisnahes Spektrum ermittelt wird.^^

vgl.Ulrich (2001a), S.44-45 vgl. 1.2.1 Zielsetzung vgl. Eckerstorfer (2003) International Conference on Occupational Health Service (2005) in Helsinki, 18* World Conference on Health Promotion and Health Education (2004) in Melbourne, 10* International Congress of Human Genetics (2001) in Wien. vgl. Ulrich (2001a), S.44 vgl. Atteslander (2000), S. 114-181 vgl. Kap. 6 fiir eine exakte Beschreibung der angewandten Methode und deren Begrtindung. vgl. Knopf (1975), S.151

14

Einfuhrung

1,3,3 Aufbau Entsprechend dem ULRICH'SCHEN Verstandnis von Betriebswirtschaftslehre empfiehlt es sich nach der Formulierung der Problemstellung die im Hinblick auf die Problemlosung relevanten Theorien zu erfassen.^^ Daraufhin gilt es die problembezogenen Verfahren der Formalwissenschaften

mit einzubeziehen

sowie den relevanten Anwendungszusammenhang

zu

untersuchen. Daraus lassen sich die Beurteilungskriterien, Gestaltungsregeln und Modelle ableiten. Bin nachster Schritt umfasst die Priifung der Regeln und Modelle im Anwendungszusammenhang, bevor schliesslich die Beratung in der Praxis erfolgt. Eine betriebswirtschaftliche Arbeit gliedert sich demnach in sieben Teile.^^ Angepasst an dieses Vorgehen weist die vorliegende Dissertation folgende Gliederung auf:

Kap. 1:

Einleitung imd Problemstellimg

i Kap. 2: Grundlagen der Genanalyse 1 Kap. 3: Human Resouce Management

1 Kap. 4: Betriebliche Einsatzmoglichkeiten 1 Kap. 5: Multidisziplmare Analyse Okonomie

Psychologie

T

T

Kap. 6: Empkische t^bezprutog

X Kap. 7: Schlussbetrachtung Abbildung 1-2: Aufbau der Arbeit

vgl.Ulrich (2001a), S. 17-29 vgl. Ulrich (2001a), S.44-45

Forschungsansatz

Der einleitende Teil {Kapitel 1) behandelt Ausgangslage, Zielsetzung, Vorgehen und Abgrenzung der Untersuchung. In Kapitel 2 erfolgt eine Beschreibung der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Genanalyse, wobei auf molekularbiologische und humangenetische Erkenntnisse eingegangen wird. Berucksichtigung finden dabei bestimmte Muster der Vererbung sowie Moglichkeiten und Grenzen genetischer Tests zum Nachweis von Erkrankungen. Werden die Erkrankungen der Arbeitnehmer fokussiert, ist auch jener Unternehmensbereich zu betrachten, in dem solche Arbeitnehmerfragen angesiedelt sind, namlich das Human Resource Management. In Kapitel 3 wird deshalb eine Darstellung des Human Resource Managements vorgenommen, wie es in dieser Arbeit verstanden wird. Dazu wird kurz auf den ressourcenbasierten Ansatz eingegangen und die Inhalte sowie Praktiken der HRM-Aufgabenbereiche dargelegt. Ob bzw. inwieweit die Verwendung der Genanalyse die betreffenden Aufgabengebiete des Human Resource Managements tangiert, wird in Kapitel 4 gepriift. Basierend auf der relevanten Literatur zur Genanalyse im Untemehmen lassen sich daraus betriebliche Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse ableiten, die abschliessend zu einem Katalog zusammengefasst werden. Kapitel 5 ist einer umfassenden theoretischen und multidisziplinaren Analyse der Genanalyse aus der Perspektive von Okonomie und Psychologic gewidmet. Dem Mangel einer sozialwissenschaftlichen Theorie^^ zur Beschreibung der betrieblichen Genanalyse zufolge wird ein Modell^^ entwickelt, das die betriebliche Genanalyse-Entscheidung darzustellen vermag. Die empirische Uberprtifung des theoriegeleiteten Modells ist Gegenstand von Kapitel 6. Unter Einbezug des Modells wird der Einfluss jener Faktoren gepruft, die im Hinblick auf die Genanalyse entscheidend sind. Damit werden jene Faktoren, die iiber die Verwendung der Genanalyse im Untemehmen bestimmen, transparent. Im abschliessenden Kapitel 7 werden die Erkenntnisse aus den theoretischen und

vgl. Fischer (2000), S. 15 Modelle setzen sich aus einer Vielzahl von engen Teilmodellen zusammen und sind fur spezifische Situationen giiltig. Sie haben strenge Annahmen als Basis, versuchen die Komplexitat zu reduzieren, machen eindeutige Aussagen moglich und ex post Rationalisierungen moglich. Modelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie sensibel sind fur zugrunde liegende Annahmen, wodurch allerdings eine Integration der verschiedenen situationsspezifischen Teilmodelle schwierig wird. Dafur konnen auf dem Hintergrund formalisierter Modelle eindeutige Aussagen uber die Beziehungen der Variablen gemacht werden. Ein Framework hingegen ist ein Set von Tools ftir eine breite Fragestellung, es hat relevante Fragen als Basis, weist eine grosse Komplexitat auf, ermoglicht Antworten und ex ante Handlungsanweisungen. Ein Framework zeichnet sich durch eine gewisse Robustheit gegeniiber den Annahmen aus und lasst sich deshalb auf unterschiedlichste Situationen anwenden. Allerdings konnen daraus keine eindeutigen Handlungsanweisungen abgeleitet werden, sondem es wird nur ein Set moglicher Handlungsaltemativen aufgezeigt. Die konkrete Entscheidung muss anhand von Einzelfallen erfolgen. Vgl. Osterloh und Grand (1994), S.288

16

Einfiihrung

empirischen

Untersuchungen

der

betrieblichen

Genanalyse

zusammengefasst,

das

theoretische Modell mit den empirischen Erkenntnissen modelliert und Schlussfolgerungen fiir die Praxis abgeleitet. Ein Ausblick rundet die Arbeit ab.

1.4

Begriffliche Grundlagen

Die wissenschaftliche Betrachtung der betrieblichen Genanalyse wird durch den Mangel einer gemeinsamen Terminologie beeintrachtigt. Bine eindeutige Begriffsklarung im Sinne einer konsensfahigen Begriffsfestsetzung

(Nominaldefinition)^'^ wird in zweierlei Hinsicht

erschwert: Zum einen ist der Begriff Genanalyse sowohl umgangssprachlich vorbelastet, zum anderen liegen in der Literatur voneinander abweichende Nominaldefinitionen vor. Zur Bestimmung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes ist es demnach wichtig, grundlegende Begriffe wie Genanalyse, Aufrechterhaltung der Gesundheit und Human Resource Management vorgangig zu definieren.

1,4,1 Genanalyse versus Genomanalyse Die deutschen Begriffe Genanalyse, Gentest, genanalytische Massnahmen, genetische Tests Oder genetische Analysen und der englische Begriff Genetic Testing, werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Allerdings ist der Begriff Genomanalyse nicht mit dem Begriff Genanalyse gleichzusetzen. Wahrend die Genomanalyse als Grundlagenforschung entindividualisierte naturwissenschaftlich-theoretische Parameter liefert und die Entschliisselung der Gesamtheit aller Erbanlagen betrifft, tangiert die Genanalyse nur bestimmte GenAbschnitte.^^ In dieser Arbeit geht es um humane Genanalysen, die zum Auffmden und zur Analyse genetisch bedingter Merkmale eingesetzt werden.

Hinsichtlich des Forschungsstandes zur betrieblichen Genanalyse ist festzuhalten, dass der Begriff Genanalyse zwar oft, aber uneinheitlich verwendet wird. Zudem wird er meist nicht genau spezifiziert, da bis heute keine einheitliche Definition^^ vorliegt. Einen moglichen

^ ^^

vgl. Von Savingy (1976), S.22 vgl. Lemmens (1997), S.59 vgl. Fox-Keller (2001), S.46 zur Problematik einer einheitlichen Definition

Begriffliche Grundlagen

17

Erklarungsansatz liefem die zwanzig Mitglieder der Task Force on Genetic Testing des NATIONAL INSTITUTES OF HEALTH-DEPARTMENT in den USA, welche ihre Definition im Final

Report 1997 veroffentlichte:

„ Genetic test - The analysis of human DMA, RNA, chromosomes, proteins, and certain metabolities in order to detect heritable disease-related genotypes, mutations, phenotypes, orkaryototypes for clinical purposes. Such purposes include predicting risk of disease, identifying carriers, and establishing prenatal and clinical diagnosis or prognosis. Prenatal, newborn and carrier screening, as well as testing in high risk families, are included. Tests for metabolites are covered only when they are undertaken with high probability that an excess or deficiency of the metabolite indicates the presence of heritable mutations in single genes. " Diese sehr enge Definition der humanen Genanalyse ist insofem umstritten, als sie legislative, regulative und andere Implikationen beinhaltet. Das Problem einer zu allgemeinen Definition hingegen ist, dass sie dazu verleiten nahezu alle medizinischen Untersuchungen, die genetische Informationen beinhalten, als Gentests zu deklarieren, wie dies bspw. der U.S. Congress vorgeschlagen hat:

„ Genetic testing includes a number of technologies to detect genetic traits, changes in chromosomes, or changes in DNA. " Gemass dieser Definition ware es schwierig, eine Abgrenzung zu finden, ab wann es sich bei der betreffenden Untersuchung um eine Genanalyse handelt, da diese Begriffswahl auch ,herkommliche' Untersuchungen beinhaltet. Eine fiir die Anspriiche dieser Dissertation befriedigende Definition lasst sich - in Anlehnung an BARTRAM ET AL. - aus verschiedenen Termini ableiten. Diese Definition bildet die Basis fiir alle weiterfiihrenden Uberlegungen:

„ Unter dem Begriff Genanalyse werden zytogenetische oder molekulargenetische Tests verstanden, die es ermoglichen oder mit der Zielrichtung angeboten werden, genetisch bedingte Krankheiten, Korperschdden oder Leiden vorherzusagen oder bei einer Person entweder das Vorhandensein eines fiir die Krankheit, eines Korperschadens oder ein Leiden verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Prddisposition oder Anfdlligkeit fur eine Krankheit, einen Korperschaden oder ein Leiden zu erkennen (Massnahmen genetischer Diagnostik). ^^ Task Force on Genetic Testing (1997), S.6 U.S. Congress (1990), S.3 Bartrametal. (2000), S.151

18

Einfuhrung

Diese Definition impliziert wichtige Aspekte, und zwar die Moglichkeit Gentests als pradikative Medizin zu betrachten. D.h., bei einigen Mutationen im menschlichen Erbgut kann (mit unterschiedlicher Genauigkeit) vorhergesagt werden, ob eine bestimmte Erkrankung auftreten wird. Dabei handelt es sich oft um langfristige Voraussagen die sich nicht selten erst nach mehreren Jahrzehnten umfassend manifestieren. Ausserdem lasst sich mittels Genanalysen differenzieren, ob eine erbliche Veranlagung ftir eine Erkrankung besteht, die erst - in Zusammenwirken mit einem oder mehreren Umweltfaktoren - nach einem langeren Zeitraum auftreten kann (Diagnose einer genetisch veranlagten Praposition).

1,4,2 Aufrechterhaltung und/oder Forderung der Gesundheit ,Gesundheit gilt als eines der hochsten menschlichen Gtiter'. Ahnlich wie im alltaglichen Sprachgebrauch herrscht auch in der Literatur eine grosse Komplexitat beziiglich der Konzeption von Gesundheit. Es existieren eine Vielzahl von Defmitionsansatzen,^^ die aufzeigen, dass Gesundheit kein eindeutig defmierbares Konstrukt ist. PARSON bspw. deutet Gesundheit als „[...] Zustand optimaler Leistungsfdhigkeit eines Individuums jur die wirksame Erfullung der Rollen und Aufgaben, jur die es sozialisiert warden ist. "^^ Da heute in den Sozialwissenschaften und der Medizin mehrheitlich Einigkeit dariiber besteht, dass Gesundheit nicht auf Leistungsfahigkeit beschrankt werden darf, muss eine mehrdimensionale Betrachtung erfolgen. D.h., es ist wichtig, dabei nebst korperlichem (bspw. Fehlen von Beschwerden und Krankheitsanzeichen) und psychischem Wohlbefinden (bspw. Freude

und

Lebenszufriedenheit)

auch

soziale

Aspekte

(bspw.

Gruppen-

und

Familienzugehorigkeit) zu berucksichtigen.^^ Zur Gewahrleistung dieser Anforderung wird in dieser Arbeit von der Definition gemass WELTGESUNDHEITSORGANISATION (WHO) ausgegangen:

vgl. Antonovsky (1979), S.52 und Parsons (1967), S.71 Parsons (1967), S.71 vgl. bspw. Ulich und Wiilser (2004), S.41-45 und Gutzwiller und Jeanneret (1999), S 23

Begriffliche Grundlagen

19

„ Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity. " Diese Kategorie, namlich, Gesundheit als Wohlbefinden', ist bei der realen Umsetzung gesundheitspolitischer Massnahmen allerdings schwer zu erfassen, weshalb die WHO im Anschluss an dieses Zitat folgende Erlauterungen anfugt: „Um ein umfassendes korperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bediirfnisse befriedigen, ihre Wunsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verdndern konnen. In diesem Sinne ist Gesundheit als wesentlicher Bestandteil des alltdglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel Gesundheit steht fur ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen fur die Gesundheit ebenso betont wie die korperlichen Fdhigkeiten. " Obwohl dieses Verstandnis von Gesundheit soziale Komponenten vemachlassigt wird es herausgegriffen, da es durch die Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Gesundheit einen hohen Integrationswert besitzt - im Wesentlichen durch die Idee der ,naturlichen Gesundheit' im Sinne eines harmonischen Zusammenwirkens von Korper und Geist.

Gesundheit „[...] entsteht als immer neu herzustellende Balance zwischen individuellen Moglichkeiten und situativen Gegebenheiten und Herausforderungen und setzt die Bereitschaft jedes Menschen voraus, eigenverantwortlich und aktivgestaltend aufdiesen Balancezustand hinzuwirken. "^^ Diese Annahme wird durch die Genanalyse als Instrument der Aufrechterhaltung bzw. Erhohung der Gesundheit favorisiert, wie im Folgenden dargelegt wird:

Unter aktiver Erhaltung bzw. Erhohung der Arbeitnehmergesundheit werden schliesslich Prozesse verstanden, welche die Arbeits- und Lebensverhaltnisse verandem und alle Arbeitnehmer dazu befahigen soUen, ihre eigene Gesundheit aktiv zu starken.^^ Darunter

WHO (1948), S.22 vgl. WHO (1986), S.13 vgl. Kottmann und Kupper (1991), S. 143 vgl. Demmer(1995), S.6

20

Einfiihrung

fallen Massnahmen wie bspw. die Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen, die Forderung einer aktiven Mitarbeiterbeurteilung oder die Starkung personlicher Kompetenzen/^ In Zusammenhang mit der Beschreibung der Erhaltung bzw. Erhohung der Arbeitnehmergesundheit werden oft auch die beiden Begriffe betriebliche Gesundheitsforderung und Pravention verwendet. Unter betrieblicher Gesundheitsforderung ist das Erfassen und Umsetzen von Massnahmen zur Verbesserung oder Erhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu verstehen.^^ Gesundheitsfordemde Massnahmen im Untemehmen zielen auf personenbezogene Veranderungen ab (bspw. mehr Sport betreiben), aber auch auf Veranderungen der Bedingungen (bspw. Tages- statt Nachtarbeit) ab.^^ Wahrend es bei der Gesundheitsforderung um die Starkung der Ressourcen des Einzelnen sowie um die Erhaltung bzw. Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualitat geht, besteht das Ziel der Pravention darin, den Ursachen bestimmter Beeintrachtigungen entgegenzuwirken, bspw. durch Reduzierung von chemischen Einflussen.^^ Der betrieblichen Gesundheitsforderung und der Pravention ist somit gemeinsam, dass sie auf die Erhaltung, Verbesserung und dem Schutz der Arbeitnehmergesundheit ins Auge fassen. In der vorliegenden Dissertation wird folgende Definition von Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Gesundheit verwendet:

Unter Aufrechterhaltung der Arbeitnehmergesundheit sind Prozesse zu verstehen, welche die Gesundheit schutzen (durch Verdnderung von Arbeits- und Lebensbedingungen) oder sie fordern (wie die Fdhigkeit die eigene Gesundheit zu stdrken). Die Begriffe Aufrechterhaltung und Forderung der Gesundheit sowie Pravention werden in dieser Arbeit synonym verwendet.

1,4.3 Human Resource Management Das Human Resource Management stellt jenen Bereich des Untemehmens dar, der sich vorwiegend mit Arbeitnehmerfragen beschaftigt. Gemass WRIGHT ET AL. bezieht sich das

'^ ^^ ^^ ^^

vgl. Luxemburger Deklaration, zit. nach SUVA (1997) www.suva.ch (Zugriff: Jiini 2005) vgl.Kruger(1998),S.18 vgl. Viglino (2001), S.6 vgl. Villaret (2001), S.13

Begriffliche Grundlagen

21

HRM stets auf die „Kennzeichnung einer untemehmerischen Funktion, deren Kemaufgabe die Prozesse der Bereitstellung und des zielorientierten Einsatzes von Personen in Untemehmen ist."^^ Das Human Resource Management zielt meist auf eine ganzheitlichstrategische Dimension ab, indem es das Untemehmen mit seinen Arbeitnehmem in eine strategisch erfolgreiche Position zu bringen versucht.^^ Demnach wird das HRM oft auch als Quelle von untemehmensspezifischen Wettbewerbsvorteilen^^ oder als Mittel der Ftihrung von Arbeitnehmem gesehen das zum Zweck hat, einen Beitrag zur betrieblichen Wertschopfung zu leisten.^'^ Im Idealfall setzt das HRM einen Mechanismus in Bewegung, der Arbeitnehmer anzieht, sie motiviert, langfristig an das Untemehmen bindet und somit die effektiven Funktion sowie die Nachhaltigkeit eines Untemehmens sicherstellt. Entsprechend dieser Sichtweise ist das HRM ein konsistentes betriebliches System, das eine strategische Ausrichtung aufweist und in die Untemehmensstrategie integriert ist. In diesem System werden Humanressourcen (HR) nicht primar als Kostenfaktor betrachtet, sondem in erster Linie als Leistungstrager und -potenzial.^^ In Verbindung mit dem Human Resource Management wird oft von Personalmanagement, Personalwesen oder Personalwirtschaft gesprochen. Obwohl sich hinter den genannten Termini oft unterschiedliche konzeptuelle Vorstellungen verbergen, werden sie in der Literatur meist synonym verwendet.^^

In dieser Arbeit wird das Human Resource Management als wesentlicher Bestandteil eines Untemehmens bezeichnet, der sich mit Fragen zu jenen betrieblichen Ressourcen auseinandersetzt, die wesentlich zum Erfolg des Untemehmens beitragen - den Humanressourcen. Ein zielorientiertes Management der Humanressourcen ist demnach zentraler Bestandteil eines erfolgreichen Untemehmens, was zur Folge hat, dass betriebliche Arbeitnehmerentscheidungen - wie bspw. die Genanalyse-Entscheidung - das Untemehmen als Ganzes betreffen.

Wrightetal. (1992), S.l 140 vgl. Scholz(1996),S.117 vgl. Barney (1991), S.l01 vgl. Staffelbach (1999b), S.800-803 vgl. Lattmann (1995), S. 80-82 und Wachter (1992b), S.318 Bartel (2004) bspw. verwendet den Begriff Human Resource Management. Berthel und Becker (2003) sprechen von Personal-Management und Wunderer und von Arx (2002) von Personalmanagement.

Grundlagen der Humangenetik

23

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

"The genes are the immortals, or rather, they are defined as genetic entities that come close to deserving the title. We, the individual survival machines in the world, can expect to live a few more decades. But the genes in the world have an expectation of life that must be measured not in decades but in thousands and millions of years. In sexually producing species, the individual is too large and too temporary a genetic unit to qualify as a significant unit of natural selection." (Dawkins, R.f

Die naturwissenschaftlicher! Grundlagen der Genetik stellen das Fundament dieser Arbeit dar. Die Auseinandersetzung mil dem biologischen Grundlagenwissen ist somit nicht nur unumganglich, sondem auch entscheidend und wichtig, um einzelne Aspekte der multidisziplinaren Problemstellung verstehen zu konnen.^^ Dementsprechend wird in diesem Abschnitt

der

derzeitige

Wissensstand

humangenetischer

Grundlagen

systematisch

vereinfacht erfasst. Dieses Vorgehen entspricht auch dem forschungsmethodischen Ansatz von

ULRICH:

„Fur

die

Grundlagenwissenschaften

ist

die

bestehende

Realitat

Untersuchungsobjekt [...]."^^ Ziel dieses Grundlagenkaptitels ist es, einen Einblick in die Molekularbiologie, insbesondere in die Humangenetik zu vermitteln und das Verstandnis der derzeitigen (technischen) Moglichkeiten im Hinblick auf die Moglichkeiten und Verwendung der Genanalyse zu scharfen.

Dawkins (1976), S.34 vgl. Ulrich (2001b), S.44 Ulrich (2001b), S.29

24

2.1

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Grundlagen der Humangenetik

Auf der Grundlage der im ersten Kapitel festgelegten Definition und Abgrenzung des Gen(om)begriffes wird im Folgenden zunachst der Zusammenhang von Chromosomen, Genen, DNA und Proteinen beschrieben. Femer wird das Augenmerk auf die genetischen Merkmale von Erkrankungen gelegt und dabei auf die unterschiedlichen Moglichkeiten der Vererbung von Erkrankungen eingegangen. Abgerundet wird dieser Abschnitt durch die Beschreibung der Grenzen, Zuverlassigkeit und Einsatzbereiche von Gentests.

2,L1 Chromosomen Die Gesamtheit der genetischen Informationen eines Individuums ist in den Chromosomen enthalten. Im Kern jeder Korperzelle des Menschen befmden sich 46 Chromosomen, die gewissermassen die Bibliothek einer Erbinformation bilden. Diese 46 Chromosomen setzen sich aus 23 Paaren^^ zusammen, wobei jeder Chromosomensatz von einem Eltemteil^^ gestellt wird. Die Chromosomen 1-22 werden als Autosomen bezeichnet, im Gegensatz zum 23. Chromosomenpaar dem Geschlechtschromosom (Genosom). Bei Frauen setzt sich dieses Chromosomenpaar aus zwei X-Chromosomen, bei Mannem hingegen aus einem X- und einem Y-Chromosom zusammen.^^

Abbildung 2-1: Chromosomensatz

je 2 Chromosomsatze Vater oder Mutter vgl. bspw. Livingston (2000), S.77

Grundlagen der Humangenetik

25

2A.2 DNA und Gene Bekanntlich enthalt jede der Zellen eines menschlichen Organismus die gesamte genetische Information, die im Zellkem in Form von Chromosomen gespeichert ist. Insgesamt besteht ein einziges menschliches Chromosom aus ca. 50 bis 250 Millionen Bausteinen der so genannten Desoxyribonukleinsaure (DNA). Die DNA besteht aus zwei langen Strangen, die sich in Form einer Doppelhelix wendeitreppenartig umeinander winden.^^

Abbildung 2-2: Doppelhelix

Das Gelander der Wendeltreppen besteht aus Zucker- und Phosphatmolekulen, wahrend die einzelnen Treppenstufen von einem Basenpaar gebildet werden. Bei der Bildung dieser Treppen (Basenpaare) kommen lediglich vier verschiedene Bausteine (Nukleotide) zur Anwendung: Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C), Thymin (T). Die Komplementaritat dieser Basenpaare (C-G oder G-C; T-A bzw. A-T) ermoglicht es der DNA, sich unter Mitwirkung bestimmter Enzyme selbst zu reproduzieren:^'* Sie wird in zwei Halften gespaltet, wobei jede Halfte als Matrize zur Erganzung der fehlenden Halfte dient (vgl. Abb. 2-3). Die Reihenfolge der Basen innerhalb des DNA-Molekiils (der DNA-Sequenz) enthalt die gesamte genetische Information, die von einer Zelle benutzt wird, damit diese ihre Funktion ausiiben kann. Das

Watson und Crick postulieren 1953 die Straktur der DNA als Doppelhelix, also ein Fadenmolekiil, das - vereinfacht dargestellt - die Gestalt zweier ineinander verschlungenen Strange hat, die ausserlich einer Strickleiter ahneln. Vgl. Watson und Crick (1953), S.737-738 vgl Regenauer und Schmidtke (2001), S.5-7

26

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

bedeutet, dass auf der Basis von nur vier verschiedenen Buchstaben (A, G, C, T) die genetische Information (iber so unterschiedliche Eigenschaften wie bspw. Haarfarbe oder Blutgruppe festgelegt werden.^^

Abbildung 2-3: Replik einer DNA

2, L 3 Messenger-RNA und Proteine Die Basenabfolge, die von einer Zelle verwendet wird, um ein einzelnes Protein herzustellen wird als Gen bezeichnet. Das gesamte menschliche Erbmaterial umfasst ca. 30'000 Gene,^^ die alle Anweisungen fur den Aufbau samtlicher Zellen, Organen und Gewebe eines Individuums enthalten. Damit eine bestimmte Zelle - etwa eine Herzmuskel-, Pankreas- oder Stammzelle im Knochenmark - die ihr zugedachte Funktion (bspw. Pumpfunktion des Herzmuskels, Insulinsekretion des Pankreas, Bildung von Blutzellen) auch erftillen kann, muss sie ihre Funktion nach aussen mitteilen. D.h., die in den Genen gespeicherte und verschliisselte Information muss in eine biologisch aktive Form iibertragen werden.^^ Dieser Vorgang wird als Genexpression bezeichnet und lauft in mehreren Schritten ab: Damit ein

vgl. bspw. Maelicke (2001), S.29-33 und EFB (1997) und EFB (1997) vgl. International Human Genome Sequencing Consortium (2004), S.931 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.8

27

Grundlagen der Humangenetik

Gen seine Informationen vom Zellkem an die Peripherie iibermitteln kann, benotigt es einen Boten; dieser liest die Information, die durch die entsprechende Reihenfolge der Nukleinbasen festgelegt ist (G, A, T, C, ...), vom Gen im Zellkem ab. Dabei wird gewissermassen als Abguss des DNA-Stiickes - eine komplementare Nukleinsaurekette hergestellt. Dieser Abguss wird als so genannte Messenger-Ribonukleinsaure (mRNA), der Vorgang als Transkription bezeichnet. Durch diese Zwischenschaltung der mRNA wird gewahrleistet, dass die DNA als Informationsquelle nicht verbraucht oder zerstort wird.^^

Intron 1

DNA

Intron 2

RNA Synthese (Transkription) RNA Introns werden entfemt (RNA-Spleissen) mRNA

Protein Synthese (Translation) Abbildung 2-4: Transkription und Translation

Die DNA eines Gens und die dazugehorige mRNA konnen unterschiedlich lang ausfallen.^^*^ Bevor die mRNA den Zellkem verlasst, wird sie noch umgearbeitet, wobei alle fiir die Proteinsynthese unwesentlichen DNA-Sequenzen herausgeschnitten werden (vgl. Abb. 2-4). Somit besteht ein Gen nicht nur aus der Information, welche die Zusammensetzung von Proteinen festschreibt,

sondem auch aus steuemden, regulierenden und scheinbar

funktionslosen Abschnitten (Introns). ^^' Die informativen Sequenzen liegen dabei nicht einfach als zusammenhangendes Stuck vor, sondem sie untergliedem sich in Exons, deren

vgl. Neubert (1990), 13-15 in Anlehung an Regenauer und Schmidtke (2001), S.9 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.8 und Brandbury (1994), S.168 vgl. Fesch(2000), S.16-18

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

28_

Sequenzen zu einem Protein umgewandelt werden, und Introns, die nicht verwendet werden/^^

Gen

Protein mRNA Start Start

mRNA Ende

Kontrollelemente Abbildung 2-5: Struktur eines Gens

Die Proteine, auch Eiweisse genannt, gelten als wichtigste organische Verbindungen. Sie haben vielfaltige Funktionen zu erfullen und werden deshalb oft als Bausteine des Lebens bezeichnet, da sie lebensnotwendige Baustoffe, Boten und Werkzeuge im Organismus darstellen: Als Enzyme katalysieren sie Stoffwechselprozesse, als Hormone steuem und regulieren sie diese Prozesse, als Rezeptoren und Botenstoffe ubermitteln sie wichtige Informationen ins Zellinnere und -aussere, als Antikorper sind sie ein wesentlicher Bestandteil im Immunsystem, als Plasmaproteine transportieren sie im Blut wichtige Nahrstoffe und als Gerustproteine bilden sie die Bausteine sowie die mechanische Sttitze fur samtliche Zellen, Organe, Knochen und Bindegewebe.^^"^

Proteine setzen sich aus Aminosauren zusammen. Die Funktion der verschiedenen Proteine hangt davon ab, aus wie vielen und welchen Aminosauren sie bestehen. Insgesamt sind beim Menschen mehrere lO'OOO verschiedene Proteine bekannt, die aus lediglich 20 verschiedenen Aminosauren erzeugt werden und die wiederum nur durch die vier verschiedene Nukleotide (A, C, G, T) kodiert werden. Fur jede dieser 20 Aminosauren reicht grundsatzlich eine Dreier-

vgl.Freeland(1993),S.75 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.9 und Hood (1993), S.173 vgl.Gassen(1997),S.7

Grundlagen der Humangenetik

29

Kombination aus den vier Nukleotiden aus (G, A, T oder T, C, G, ...),^^^ um ihre Identitat eindeutig festzulegen.^^^ Diese genetische Sprache (genetischer Code)^^^ ist fiir (fast) alle Lebewesen gleichermassen giiltig. Eine bestimmte Abfolge der Nukleotide in den Genen wird somit immer in das gleiche Protein iibersetzt. Soweit zum funktionelle Zusammenhang zwischen Chromosomen, DNA, Genen und Proteinen. Der strukturelle Zusammenhang lasst sich wie folgt veranschaulichen:

Bibliothek

Genom

Ganzer Band des Brockhaus (Enzyklopadie)

Chromosomensatz

Ein Buch des Brockhaus

Ein Chromosom

Eine Seite dieses Buches

Ein Gen

Ein Wort dieser Seite

Nukleotidbasenpaar

Worter aus einem Satz

Protein

Tabelle 2-1: Struktureller Zusammenhang zwischen Chromosom, Gen, DNA und Protein im Vergleich zu einer Biicherbibliothek*"*

2,1.4 Bedeutung von Mutationen Die meisten Zellen teilen sich standig. Um ihre Funktion zu erhalten, miissen sie die im Kern gespeicherte Erbinformation an die Tochterzelle weitergeben. Dazu werden die DNA-Strange kopiert, und zwar indem sich die DNA-Doppelstrange in Einzelstrange teilen, wobei an jeden Einzelstrang der fehlende Teil wieder spiegelbildlich angebaut wird (DNA-Replikation, vgl. auch Abb. 2-3), damit sich das Genom verdoppelt. Dann riickt jeweils ein Chromosomensatz an einen entgegengesetzten Zellpol, und anschUessend teilt sich die Zelle/^^ Fiir eine fehlerfreie Funktion des menschUchen Organismus ist eine StabiUtat und Konstanz der

Jeweils drei Basen in der RNA signalisieren die Bildung einer Aminosaure. Die genetische Information ist also in einer Dreierkombination der Basen kodiert, so genannten Tripletts. Entschlusselt wird dieser ,genetische Kode', indem jedes Basen-Triplett die Bildung einer bestimmten Aminosaure in Gang setzt. Wenn von vier verschiedenen Basen jeweils drei kombiniert werden, so ergeben sich 4x4x4=4^ = 64 mogliche Tripletts. In lebenden Organismen fmden sich aber nur insgesamt 20 verschiedene Aminosauren, d.h. einige Tripletts kodieren fiir die gleiche Aminosaure. Vgl. Fesch (2000), S.18-19 vgl. Fesch (2000), 33 und Shapiro (1992), S.104 vgl. Nishimura et al. (1965), S.302-324 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.12 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.13

30

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

genetischen Information unabdingbar. Ein so komplexer Prozess wie die Weitergabe genetischer Informationen ist aber auch sehr storanfallig. Kommt es zu einer Veranderung der Erbinforaiationen wird diese als Mutation bezeichnet. Eine Mutation kann sich beim Kopieren der DNA spontan ereignen (fehlerhafte Replikation) oder aufgrund eines exogenen (die Zelle schadigenden) Einflusses auftreten. Exogene Einfliisse (Mutagene), welche schadigend auf die Erbinformation einwirken konnen, sind bspw. Chemikalien, Strahlen oder Viren. Entstehen Mutationen bei dem Austausch einzelner Nukleotide (in einer DNA-Base) wird von einer Punktmutation gesprochen. Solche fehlerhaften Produktionen haben Auswirkungen auf die Funktion der Zelle bzw. des ganzen Organismus.^^^ Finden Mutationen in Korperzellen (bspw. Muskelzellen, Darmzellen, Knochenzellen) statt, werden diese nicht an Nachkommen weitergegeben (somatische Mutation). Finden Mutationen dagegen in den Zellen der Keimbahn (Keimbahnmutation) statt, so konnen solche Veranderungen der Erbsubstanz an die nachste Generation weitergegeben werden.^^^ Diese Unterscheidung macht deutlich, dass genetische Veranderungen nicht immer angeboren sein miissen. Vielmehr konnen im Verlaufe des Lebens auch (somatische) Mutationen auftreten, die eine Erkrankung auslosen oder mit verursachen konnen, wie dies bspw. bei einer Mehrzahl von Krebserkrankungen der Fall ist.

2.2

Genetische M erkmale von Erkrankungen

Diese Zusammenhange weisen darauf hin, dass nahezu alle Krankheiten zumindest eine genetische Komponente enthalten. Dabei gilt zu unterscheiden, ob die betreffende Stoning im genetischen Programm bereits in der befruchteten Eizelle vorhanden war (Keimbahnmutation) oder ob sie auf bestimmte Korperzellen beschrankt ist (somatische Mutation). Im ersten Fall ist die Veranderung (nach den Mendel'schen Gesetzmassigkeiten) erblich, im zweiten Fall nicht. Die Mehrzahl der bosartigen Tumore bspw. gehort in die Gruppe der somatischen Mutationen. Meistens entwickeln sich Krankheiten infolge der Interaktion zwischen exogenen Einfliissen und individuellen genetischen Gegebenheiten beim betreffenden Menschen.^^^

'^° ^^' ' '2

vgl.Fesch (2000), S.31-35 vgl. Schmidtke (1989), S.36 vgl. Bartram et al. (2000), S.55

Genetische Merkmale von Erkrankungen

Das Grundschema einer genetischen Entwicklung wird als Ubergangsprozess vom Genotyp zum Phanotyp bezeichnet - ausgehend von einem Anfangszustand, dem Genotyp, soil auf einen Endzustand geschlossen werden, den Phanotyp:*'^

Phanotyp

Genotyp Prozesse

Abbildung 2-6: Grundschema genetischer Entwicklungsprozesse

Vom Genotyp wird im Zusammenhang mit der erblichen Konstitution eines Individuums gesprochen, vom Phanotyp, wenn dessen Erscheinungsform gemeint ist. Unter genetischem Determinismus wird die eindeutige Festlegung des Phanotyps (Organismus) durch den Genotyp (Chromosome, DNA) verstanden. Das bedeutet, dass die im Genotyp gespeicherte Information hinreichend ist, um den gesamten Organismus vollstandig festzulegen.^^'* Die Anlage zu erblichen Erkrankungen besteht also in der Veranderung der Erbsubstanz. Bei Erkrankungen auf Genotypebene wird grundsatzlich zwischen chromosomalen, monogenen und polygenen Storungen unterschieden.'^^ Diese Differenzierung wird im Folgenden naher erlautert.

2.2.1 Chromosomale Storungen Von einer Chromosomenstorung wird gesprochen, wenn sich entweder die Chromosomenanzahl

(Verlust

bzw.

Gewinn

eines

kompletten

Chromosoms)

oder

die

Chromosomenstruktur verandert. Letzteres ist auf eine Neuanordnung von Chromosomenmaterial zuriickzufuhren. Beinhalten diese Veranderungen einen Verlust oder einen Zuwachs an genetischem Material, so sind erste klinische Effekte moglich.*^^ Handelt es sich hingegen um einen einfachen Austausch zwischen Chromosomen (Translokation) oder inner-

vgl. vgl. vgl. vgl.

Bartram et al. (2000), S.9 Bartram et al. (2000), S.8-9 und Korff et al. (1998), S.28 Fesch (2000), S.24 fiir einen guten graphischen Uberblick iiber die Mendel'schen Erbgange. Cleve (1991), S.43 zum Normalzustand von Chromosomen.

32

Genanalyse: Natxirwissenschaftlicher Hintergrund

halb eines Chromosoms (Inversion), so tauchen klinische Symptome seltener auf.'^^Chromosomenstorungen kommen beim Menschen recht haufig vor (etwa jede 12. Empfangnis), doch fiihrt der grosste Teil dieser Storungen zu einer fmhzeitigen Fehlgeburt. Unter jenen Chromosomenstorungen, die keine Fehlgeburt auslosen, ist die haufigste und bekannteste die Trisomie21.^^^

2,2,2 Monogene Storungen Von einer monogenen Stoning auf Genebene wird gesprochen, wenn die Basenfolge eines einzelnen Gens (monos: einzig) verandert (mutiert) ist. D.h., die Manifestation (Ausbildung)

Abbildung 2-7: Monogene Erkrankungen

der Erkrankung ist darauf zuruckzufuhren, dass der Bauplan fiir ein ganz bestimmtes Protein gestort ist.^^^ Fast immer handelt es sich hier um seltene und schwere Erkrankungen.

' ^^ ''^ ^'^

vgl. Schoffski (2000), S.42 Mongolismus; vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Fesch (2000), S.25-27

Genetische Merkmale von Erkrankungen

33

Gegenwartig sind uber 6'000 Gene bekannt, bei denen eine Mutation zu einem monogenetischen Erbleiden flihrt. Heutzutage sind an die 1*500 derartige Erkrankungen einer molekulargenetischen Analyse zuganglichJ^^ Grundsatzlich gilt, dass bei monogenetischen Erkrankungen, bei denen die Mutation auf einem einzigen Gen lokalisiert ist, beide Eltemteile die Produktion eines klinischen Phanotyps und somit einer Krankheit vemrsachen konnen:^^^ Die vererbten monogenen Erkrankungen konnen dominant oder rezessiv wirken. Bei einer dominanten Krankheit erkrankt die betroffene Person bereits, wenn eines der beiden Allele^^^ (von Vater oder Mutter) verandert ist. Bei einer rezessiven Krankheit mussen beide Allele mutiert sein. Die Art des Vererbungstyps wird auch anhand der Lage des mutierten Gens klassifiziert:'^^ Ist auf einem Autosom, also auf einem nicht geschlechtsbestimmenden Chromosom, so vererbt es sich unabhangig vom Geschlecht der betroffenen Person (autosomaler Erbgang). Anders, wenn sich das betroffene Gen auf dem X-Chromosom befmdet. Der X-chromosomale Erbgang ist stark davon abhangig, ob der Vater oder die Mutter Krankheitstrager ist und ob ein Junge oder ein Madchen geboren wird.^^"^ Demzufolge lassen sich die folgenden drei Vererbungsmodelle unterscheiden: •

Autosomal-dominant



Autosomal-rezessiv



X-chromosomal.^^^

Diese werden im Folgenden naher betrachtet.

2.2.2.1

Autosomal-dominante Vererbung

Bei diesem Vererbungsmuster ist das mutierte Protein auf einem nichtgeschlechtlichen Chromosom (einem Autosom) verankert (vgl. Abb. 2-8). Die fehlerhafte Funktion ist vgl. Peltonen und McKusick (2001), S.1226. Haufige monogene Anomalien sind bpsw. erbliches Lungenemphysem, Zystische Fibrose, Hamochromatose oder Chorea Huntington. Vgl. Regenauer und Schmidtke(2001), S.17-19 vgl. Peltonen und McKusick (2001), S.1227 Allele: Verschiedene, alternative Formen ein und desselben Gens. Vgl. Lemke (2004), S.l 13 vgl. Nuffield Council on Bioethics (1993), S.8 9 vgl. Fesch (2000), S. 96 97 und U.S. Congress (1990), S.192-196 Die Vererbungsgange, bei denen die Krankheit aufgrund von Defekten in nur einem Gen entsteht, sind bereits 1965 durch Mendl anhand seiner berUhmten Kreuzungsversuche mit Erbsen entdeckt worden, vgl. Mendel (1866), S.3-47. Deshalb werden sie auch als Mendel'sche Gesetze bezeichnet. Vgl. Korff et al. (1998),S.i9-20

34

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

dominant gegeniiber anderen Funktionen, sie entwickelt sich also auch wenn nur ein Chromosom des Chromosomenpaares mutiert ist.^^^ 1st ein Eltemteil Trager dieses Gens, besteht eine 50%ige Wahrscheinlichkeit (1:1),^^^ dass die Stoning auf das Kind iibertragen wird.

O Gesunde Frau I

I GesunderMann

^ H KrankerMann Abbildung 2-8: Autosomal-dominanter Erbgang^^^

Sowohl Manner wie auch Frauen konnen von diesem Vererbungsmuster betroffen sein. Bei monogen bedingten Erkrankungen stellt es mit uber sechzig Prozent bei weitem den haufigsten Erbgang dar.^^^ Als Beispiele sind hier die hypertrophe Kardiomypoathie^^^ oder die Achondroplasie^^^ zu nennen.

2.2.2.2

Autosomal-rezessive Vererbung

Auch in diesem Fall ist das Merkmal auf einem Autosom verankert. Im Gegensatz zu einem dominanten Merkmal bildet sich ein rezessives Merkmal allerdings nur dann aus, wenn die Anlage auf beiden Chromosomen vorhanden ist (vgl. Abb. 2-9). Das Individuum muss also von Seiten beider Eltem eine entsprechende Genmutation in sich tragen.^^^ Individuen, die nur Trager eines mutierten Gens sind, werden als Carrier (Trager) bezeichnet. Bei rezessiven Erkrankungen konnen ebenfalls beide Geschlechter betroffen sein. Wenn bspw. beide Eltem Carrier sind, besteht ein 25%iges Risiko (1:4), dass das Kind beide mutierten Gene ererbt und vgl. Fesch (2000), S.25 vgl.Thumer(2002),S.19 in Anlehnung an Nuffield Council on Bioethics (1993), S.8 vgl. Regenauerund Schmidtke (2001), S.23 Chronische Herzerkrankung; vgl. Pschyrembel online (2002) Angeborene Stoning des Knorpelwachstums; vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Fesch (2000), S.25 26

Genetische Merkmale von Erkrankungen

35

somit erkrankt.^^^ Unter dieses Vererbungsmuster fallen viele Stoffwechselerkrankungen wie bspw. Mukoviszidose^^"^ oderHamochromatose.^^^

Abbildung 2-9: Autosomal-rezessive Vererbung''

2.2.2.3

X-chromosomale Vererbung

Bei X-chromosomaler Vererbung ist die Veranderung auf ein Gen zuriickzufuhren, das auf dem X-Chromosom angesiedelt ist. Frauen besitzen zwei X-Chromosome und konnen daher auch ein oder zwei defekte Kopien eines Gens aufweisen.^^^ Weist eine Frau ein rezessiv wirkendes mutiertes Gen auf einem X-Chromosom auf, ist sie ein Carrier fur die entsprechende Erkrankung. Der Mann hat nur ein X-Chromosom, denn bei ihm ist das andere Geschlechtschromosom ein Y-Chromosom. Befmdet sich das mutierte Gen auf dem XChromosom, erkrankt er in der Regel (vgl. Abb. 2-10). Ist eine Frau ein Carrier fur die Xchromosomal vererbte Erkrankung, so gibt sie mit einer 100%igen Wahrscheinlichkeit diese Anlage an ihren Sohn weiter. Ihre Tochter sind mit 50%iger Wahrscheinlichkeit Carrier fur diese Erkrankung. Einige wenige X-chromosomale Gene wirken dominant. In diesem Fall konnen auch Frauen erkranken. Das bekannteste Beispiel fur eine X-chromosomale Stoning ist sicherlich die Hamophilie^^^

vgl. Thumer(2002), S.19 Stoffwechselerkrankung. vgl. Pschyrembel online (2002) Chronische Eisenspeicherkrankheit vgl. Pschyrembel online (2002) in Anlehnung an Nuffield Council on Bioethics (1993), S.8 vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages (1990), S.14 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), 24. Hamophilie wird auch als Bluterkrankheit bezeichnet. Vgl. Pschyrembel onhne (2002).

36

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Abbildung 2-10: X-chromosomale Vererbung

2,2,3 Polygene Storungen Bei den polygenen Erkrankungen (polys: viel) fuhrt erst das Zusammenwirken mehrerer Genveranderungen (Mutationen) zur Ausbildung einer Erkrankung (vgl. Abb. 2-11).^^^ Somit hat die Mutation eines einzelnen Gens in diesem Fall nicht so eine schwerwiegende Wirkung wie bei einer monogenen Erkrankung.^'*' Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu den monogenen Erkrankungen besteht darin, dass die polygenen Erkrankungen in der Bevolkerung sehr haufig vorkommen.^'*^ Bei polygenen Krankheiten - die auch multifaktoriell bezeichnet werden - beeinflussen verschiedene Gene, Proteine und exogene Einflusse den klinischen Phanotyp und somit das Entstehen der Krankheit. Epidemiologische Studien zu bestimmten Bevolkerungen bringen jedoch den relativen Einfluss individueller Gene bezuglich eines kranken Phanotyps zu Tage. Trotzdem kann der Einfluss der gleichen Gene in verschiedenen Familien komplett unterschiedlich sein. Hat bspw. in einer Familie das seltene Gen C (Familie 3) einen wesentlichen Einfluss auf die genetische Predisposition (also die ausgepragte Anfalligkeit fur eine bestimmte Krankheit), kann der Eflekt dieses Gens infolge seines seltenen Auftretens in der Gesamtbevolkerung sehr gering bleiben. Zudem haben bestimmte Gene, welche fur eine Predisposition von Individuen verantwortlich sind, einen minuziosen Effekt in bestimmten Familien (Gen D in Familie 2>)}^^

in Anlehnung an Nuffield Council on Bioethics (1993), S.9 vgl. Schmidtke(1998),S.12 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.20 Polygene Erkrankungen sind bspw. Krebs, Koronare Herzerkrankung, Diabetes Typ I und II, Alzheimer Oder Schlaganfall. Vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.21 vgl. Peltonen und McKusick (2001), SI227

Genetische Merkmale von Erkrankungen

37

Abbildung 2-11: Vererbung von multifaktoriellen Erkrankungen

Ausser der Mutation mehrerer Gene sind an der Manifestation solcher Erkrankungen meist auch

noch

ein

oder

mehrere

Umweltfaktoren

beteiligt

(multifaktoriell

bedingte

Erkrankungen). Das bedeutet, dass Umweltfaktoren wie bspw. Emahrung, korperliche Aktivitat oder Rauchen den Ausbruch, Schweregrad und Verlauf dieser Erkrankungen wesentlich beeinflussen.'"*^ Typische Beispiele fur multifaktorielle Krankheiten sind Bluthochdruck oder Schizophrenic. ^"^^ Die komplexe Interaktion zwischen Genen und bestimmten exogenen Einfliissen ist also immens wichtig und lasst erahnen, wie schwierig es ist, den Verlauf einer multifaktoriellen Krankhcit zu diagnostizieren.^'*'^

vgl. Peltonen und McKusick (2001), S.1227 vgl. Geste (2002), S.65 vgl. Peltonen und McKusick (2001), S.1229 vgl. Peltonen und McKusick (2001), S.1227-1229

38

2.2.3.1

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Polygene Vererbung

Bei polygenen Erkrankungen sind stets mehrere Gene am Entstehen der entsprechenden Erkrankung beteiligt, wobei ihre Interaktion unterschiedlich sein kann:^"^^ Je nach der Konstellation muss sich die Wirkung mehrere Gene addieren oder zuerst eine bestimmte Schwelle iiberschritten worden sein, bevor eine Krankheit in Erscheinung tritt.^"^^ Nicht selten stehen einzelne Gene in einem komplizierten Abhangigkeitsverhaltnis zueinander. Zusatzlich konnen auch ein oder mehrere Umweltfaktoren zum Zustandekommen der entsprechenden Erkrankung beitragen.*^^ Die Vielzahl dieser ursachHchen Faktoren und deren Abhangigkeitsverhaltnis untereinander lassen plausibel erscheinen, dass eine multifaktorielle Erkrankung eine entsprechende Vielzahl von Variationen aufweist.^^^ Diese aussem sich durch Unterschiede betreffend Erkrankungsalter, Krankheitsverlauf und Schweregrad. Im AUgemeinen erfolgt der tJbergang vom gesunden zum pathologischen Zustand bei polygenen Erkrankungen fliessend. Diese Variationsbreite einer Mutation, die im Endeffekt zur selben Krankheit ftihrt, macht - nach aktuellem Forschungsstand - eine Voraussage, wenn iiberhaupt nur sehr eingeschrankt, moglich.^^^ Die meisten Volkskrankheiten, wie bspw. Diabetes mellitus^^^ oder Hypertonic, ^^"^ sind multifaktoriell bedingt.^^^

2.2.3.2

Gene und Erkrankungen

Ein vereinheitlichtes Konzept, das dem fliessenden Ubergang zwischen Monogenic, Polygenic und Umweltcinfluss am chesten gerecht wird, lautet: Gene erweisen sich stets als mehr oder weniger stark disponierende Faktoren der Krankheitsentstehung (vgl. Abb. 2-12). Jede Krankheit (X) ist sich innerhalb eines Wirkungsgefugedreiecks zu lokalisieren, keine auf einer Kante oder in einer Ecke. Je nachdem, an welchem Ort innerhalb des Dreiecks die

148 149

Vgl. Cavenee und White (1995), S.37 vgl. Regenauerund Schmidtke (2001), S.24 vgl. Bell (1997), S.1051 vgl. Schoffski (2000), S.40 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.24 25 Zuckerkrankheit; vgl. Pschyrembel online (2002) Dauemde Blutdruckerhohung; vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Primrose und Twyman (2003), S.5, 200; Fesch (2000), S.123 und Holgate (1997), S.227-229

39

Genetische Merkmale von Erkrankungen

Krankheit angesiedelt ist, iiberwiegt der Umwelt-, der polygene oder der monogene Einfluss.'^^

Monogenie

Polygenic

Abbildung 2-12: Wirkungsgefiigedreieck""

2.2.4 Hdufigkeit von Erkrankungen Nur ein niedriger Prozentsatz der Krankheiten sind vorwiegend oder ausschliesslich in angeborenen Storungen im genetischen Programm begriindet:

Genetischer Typ der Krankheit autosomal-dominant autosomal rezessiv X-chromosomal monogene Krankheiten insgesamt Chromosomenstorung multifaktorielle Krankheiten

Haufigkeit pro rOOO Neugeborene in % 7.0 2.5 0.5 10 1.8 46.4

Tabelie 2-2: Haufigkeit hereditarer Erkrankungen

Grundsatzlich

handelt es sich bei den meisten Erbkrankheiten

um schwer zu

diagnostizierende multifaktorielle Krankheiten - wie das folgenden Beispiel verdeutlicht: Der Diabetes mellitus ist eine weit verbreitete Krankheit, von der allein in Deutschland etwa 3.2 Millionen Menschen betroffen sind. Seine Ursachen sind vielschichtig: Nur bei 4% der vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.22 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.22 vgl. Bartram et al. (2000), S.56

40

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Diabetiker lasst sich die Krankheit auf eine Stoning in einem einzigen Gen zuriickfuhren; in diesen Familien wird der Diabetes gemass den Mendel'schen Gesetzen vererbt (autosomaldominant). Bei der iibrigen Zahl der Diabetiker akkumulieren sich Lasionen in mehreren Genen, die schliesslich unter dem Einfluss exogener Noxen (wie etwa Fehlemahrung oder Virusinfektion) zum Ausbruch der Erkrankung fiihren. Es ist jedoch zu erwarten, dass auch bei komplexen Entstehungsprozessen

einer Krankheit kunftig

einzelne genetische

Komponenten ermitteh werden konnen.'^^

2.3

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

Ein genetischer Test erlaubt die Analyse eines oder mehrere Gene und lasst Aussagen uber deren Funktion zu. Eine Schliisselrolle kommt hierbei der DNA-Diagnostik zu, da mit deren Hilfe sich molekulare Ursache von immer mehr Krankheiten aufschlusseln lasst. ^^^ Solche genetischen Tests zeichnen sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus: •

Die festgestellten Merkmale erweisen sich als besonders eng mit der Personlichkeit verbunden.



Die Resultate der Tests verftigen uber pradikative Potenz iiber weite Lebenszeitraume.



Sie geben daruber hinaus Aufschluss iiber genetisch bedingte Eigenschaften von Familienangehorigen der getesteten Person. ^^^

Die zurzeit gangigste Indikation fur Gentests sind die Bestatigung bzw. Widerlegung von Verdachtsdiagnosen, die Prognose von zukunftigen Krankheiten, das Erkennen ob jemand Carrier ist (Risiko der Vererbung) sowie therapeutische Zwecke.^^^ Im Wesentlichen fuhren genetische Tests - im Gegensatz zu herkommlichen, nicht-genetischen Untersuchungen - zu folgenden Resultaten:

vgl. Bartram et al. (2000), S.56 vgl. Fesch (2000), S.51-52. Vgl. Schoffski (2000), S.51-55 fiir einen Uberblick iiber die Anbieterseite von Gentests. vgl. Bayertz (1998), S.247-254 vgl. Collins (2003), S.l

Gentests - Nachweis von Erkrankungen



41

Prdzisere Informationen iiber die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer bestimmten Krankheit bei einem Individuum.



Informationen tiber die Vererbung von bestimmten Krankheiten und somit Hinweise bezuglich zukunftiger Krankheiten eines Individuums.



Aufschluss iiber genetische Informationen eines Individuums in Bezug auf wesentliche gesundheitliche Merkmale.

Durch den Einsatz von Gentests konnen also Hinweise auf Anlagen zu bestimmten Krankheiten gewonnen werden.'^"^ Zu diesem Zweck werden verschiedenste Korperzellen als Untersuchungsprobe herangezogen. Bei Erwachsenen werden bspw. Proben von Blut oder Proben aus Haarwurzeln, Samen und Mundsekreten entnommen, in entsprechenden Labors aufbereitet und anschliessend sequenziert (Ermittlung der Reihenfolge der molekularen Bausteine).^^^ Bei diesem Prozess gelangen verschiedenste Methoden zum Einsatz.'^^ Der gangigste Nachweis zum Erkennen der fur die Krankheitsentstehung verantwortlichen Genmutationen erfolgt durch molekulargenetische Tests.

2.3.1 Molekulargenetische Tests Molekulargenetische Tests (DNA-Analyse; Gentest) erfolgen durch Sichtbarmachung kurzer Abschnitte der DNA-Sequenzinformation, wobei man sich die Strangkomplementaritat der DNA zunutze macht (siehe Abb. 2-13).'^^ Fiir die Sichtbarmachung stehen verschiedene Techniken zur Verfugung. Gemeinsam ist ihnen, dass sie es ermoglichen, die zu testende Reihenfolge eines kurzen Abschnittes aufzulosen und sie danach in Einzelstrange aufzuschmelzen. Mit einer DNA-Sonde werden dann aus dem Einzelstranggemisch Sequenzen mit der Nukleotidenfolge T A G C usw. herausgefischt.^^^

vgl.Alper (1998), S. 143 Dahinden (2000), S.44 vgl. Fesch (2000), S.51 und Long (1999), S.5 vgl. Fesch (2000), S.51, 62 und Domdey (1990), S.37-50 fur einen guten Uberblick uber die verschiedensten Methoden fiir genetische Testverfahren. vgl. Neubert (1990), 13 15 zur Komplementaritat der Basen. vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.29

42

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

190 200 210 220 230 240 250 .TGTCTCAATCAGAGTAATCTGATaAA&GAATAAACAAAGAT&AGCATCTT&AGAGGCAAAAA&AAATl

Abbildung 2-13: Abschnitt einer DNA-Sequenz

Grundsatzlich

werden

entweder

direkte

oder

indirekte

molekulargenetische

Diagnoseverfahren angewandt, um einen Gentest durchzufuhren.^^^ Bei den direkten Testverfahren ist das fur die Mutation verantwortliche Gen bekannt und es wird getestet, ob dieses Gen diese Veranderung aufweist oder nicht. Die vorgefundene Mutation in der Reihenfolge der Nukleotide lasst sich somit als unmittelbare Ursache einer Krankheit identifizieren, was jedoch schwierig und zeitaufwandig sein kann. Bei indirekten Testverfahren wird mit Hilfe so genannter Gen-Marker^^^ und anhand von Stammbaumen'^^ festgestellt, ob und wo eine krankheitsspezifische Mutation vorliegt.^^^

2.3.2 Grenzen der DNA-Analysen Der Vorhersagbarkeit des Phanotyps aus der Kenntnis des Genotyps sind Grenzen gesetzt. Zum einen sorgen endogene und exogene Mutationen fur eine Fluktuation des Genoms, zum anderen unterliegen genetische Prozesse ontologischen Einfltissen (bspw. der Autoregulation mit Selbstverstarkung oder der Selbstorganisation mit Sensitivitat gegeniiber inneren und ausseren Einfltissen). Daher ist die phanotypische Vorhersagbarkeit dynamischer Systeme nur

vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.41 Ein Marker ist eine DNA-Sequenz, die nahe bei einem bestimmten (krankhaften) Gen liegt und mit diesem gemeinsam vererbt wird (Koppelung). Der Marker wird beim indirekten Gentest stellvertretend fur das gesuchte Gen nachgewiesen, bspw. wenn das krankhafte Gen selbst noch nicht bekannt ist. Das Vorhandensein des Markers weist darauf bin, dass auch das krankhafte Gen vorliegt. Vgl. Fesch (2000), S.138 vgl. dazu autosomal-dominant und rezessive sowie x-chromosomale Vererbungsgange im Kap. 2.2 Genetische Merkmale von Erkrankungen. vgl. Schmidtke (1990), 76 79

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

43

beschrankt moglich/^^ Die Aussagekraft genetischer Tests ist also in aller Kegel probabilistisch. Dies gilt insbesondere fiir multifaktorielle, teilweise aber auch fur monogene Krankheiten, und zwar fiir solche, bei denen mit dem Test nur das Vorhandensein der haufigsten Mutation uberpriift werden kann. Folglich ist selbst bei sicheren Testergebnissen oft nicht einfach zu entscheiden, welche Konsequenzen aus dem gewonnenen Wissen nun zu Ziehen sind.^^"^ Dies ist auf mehrere Faktoren zuruckzuftihren. Einige hier angefuhrte Beispiele werden verdeutlichen, dass bei vielen genetischen Krankheiten trotz der nachgewiesenen pathologischen Mutation (positives Testresultat) eine exakte Prognose bezuglich Erkrankung und Lebenserwartung kaum moglich ist: •

Penetranz: Nicht jede pathogene Mutation fuhrt zu Lebzeiten auch zur entsprechenden Auspragung der Erkrankung. Bspw. manifestiert sich bei einer Neurofibromatoses''^ die entsprechende Genmutation bei fast alien Anlagetragem. Beim erblichen Ovarialkarzinom^^^ ist der Anteil jedoch deutlich geringer (reduzierte Penetranz).



Expressivitdt: In der Auspragung der Erkrankung oder des Merkmals zeigen sich qualitative Unterschiede. Ist bspw. eine Erkrankung so schwach ausgepragt, dass sie nicht mehr diagnostiziert wird, lassen sich die beiden Begriffe Erkrankung oder Merkmal kaum trennen. Die Expressivitat kann sehr stark schwanken, besonders bei dominant vererbten monogenen Erkrankungen.



Dynamische Mutation: Hier ergeben sich Unterschiede im Erkrankungsbeginn. Das Erkrankungsalter kann bei vielen Erbleiden stark schwanken. Zum Beispiel kann die krankheitsverursachende Mutation bei der Weitergabe an die nachste Generation durch eine Verlangerung der mutierenden Basensequenz zu einem fruheren Erkrankungsbeginn fuhren (Antizipation).



Genomische Prdgung (Imprinting): In manchen Fallen manifestieren sich von der Mutter vererbte Anlagen in anderer Weise als die vom Vater vererbten. ^^^

vgl. Bartram et al. (2000), S.44-45 vgl. Schoffski (2000), S.47 Erkrankung des Nervensystems, vgl. Pschyrembel online (2002) Eierstockkrebs, vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.30

44

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

2,3,3 Giite von Gentests Bei Gentests muss der Umkehrschluss, dass eine Krankheit sich bei Vorliegen der entsprechenden Genmutation auch tatsachlich manifestiert, nicht gelten, selbst wenn ein Gentest eine Mutation sicher erkennt. In vielen Fallen liegt die Penetranz^^^ einer Erkrankung deutlich unter 100%. Die spezifische Mutation ist damit zwar eine notwendige, aber keinesfalls eine ausreichende Bedingung fur die Manifestation einer Erkrankung. ^^^ Liegt die Penetranz von Brustkrebserkrankung bspw. bei 85%, so heisst dies, dass 85% der Frauen, die das mutierte Gen in sich tragen, an dem bosartigen Brusttumor erkranken.^^^ Bei der Beurteilung eines Gentests sind insbesondere folgende Fragen zu klaren: •

Sensitivitdt: Welchen Anteil an Personen, die erkranken werden, wird der Test entdecken? (Wahrscheinlichkeit, dass der Test positiv ausfallt, und zwar bei einer Person, bei der sich die Krankheit manifestiert).



Spezifitdt: Welcher Anteil an Personen, die niemals erkranken werden, weist normale (negative) Ergebnisse auf? (Wahrscheinlichkeit, dass der Test negativ ausfallt, und zwar bei einer Person, bei der sich die Krankheit nicht manifestiert).



Vorhersagekraft eines positiven Testresultats: Bei welchem Anteil an Personen mit positiven Ergebnissen wird sich die Krankheit manifestieren? (Wahrscheinlichkeit, dass sich bei einer Person mit einem positiven Resultat die Krankheit manifestiert).



Vorhersagekraft eines negativen Testresultats: Bei welchem Anteil an Personen mit negativen

Ergebnissen

wird

sich

die

Krankheit

nicht

manifestieren?

(Wahrscheinlichkeit, dass sich bei einer Person mit einem negativen Resultat die Krankheit nicht manifestiert).^^^

Diese Validitatsparameter lassen sich einfach herleiten: Ein Testergebnis muss immer positiv Oder negativ ausfallen und die Krankheit kann vorhanden oder nicht vorhanden sein. Daraus ergibt sich eine 4-Felder-Matrix, die ein richtig positives, falsch positives, richtig negatives

Die Penetranz gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Genvariante in einer Population zur Auspragung einer Krankheit fiihrt. Vgl. Bartram et al. (2000), S.38 vgl. Andrews et al. (1994), 38 vgl. Faller (1997), S.109 vgl. Voros et al. (2004), S.31-32 und Holtzman (1989), S.93

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

45

Oder falsch negatives Ergebnis reprasentiert. Aus der Matrix lassen sich in einem nachsten Schritt die relevanten Kennzahlen ermitteln. ^^^-^.^^^^

Krankheit

Testergebnis

^~^^^^^,^

vorhanden

nicht vorhanden

positiv

A

B

negativ

C

D

Tabelle 2-3: Validitatsparameter eines genetischen Tests

A:

Richtig-positiv Test ist positiv und die Krankheit wird sich manifestieren.

B:

Falsch-positiv Obwohl der Test positiv ist, wird sich die Krankheit niemals manifestieren.

C:

Falsch-negativ Trotz negativem Resuhat wird sich die Krankheit manifestieren.

D:

Richtig-negativ Test ist negativ und die Krankheit wird sich niemals manifestieren. ^^^

Diese Validitatsparameter geben Auskunft iiber die prognostische Sicherheit eines Tests. Gmndsatzlich wird darunter die Genauigkeit verstanden, mit der ein Test sowohl falschpositive als auch falsch-negative Ergebnisse ausschliesst. Der prognostische Wert des Tests ist also umso hoher, je mehr positiv Getestete auch tatsachlich erkranken bzw. je weniger negativ Getestete nicht krank werden.

Krankheit

Positiv Testergebnis Negativ

Total

vgl.Newilletal. (1986), S.1109

Anwesend

Fehlend

Total

A

B

A+B

(richtig-positiv)

(falsch-positiv)

C

D

(falsch-negativ)

(richtig-negativ)

A+C

B+D

(Sensiti vital)

(Spezifitat)

C+D

46

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

positiver Vorhersagewert

negativer Vorhersagewert

A

richtig-positiv

A+B

richtig-positiv + falsch-positiv

D

richtig-negativ

C+D

falsch-negativ + richtig-negativ

Tabelle 2-4: Prognosesicherheit genetischer Tests**^

Die prognostische Sicherheit der Aussage hangt ursachlich mit der Haufigkeit zusammen, mit der das Merkmal in der untersuchten Population auftritt. D.h., ein Test kann zwar hochst sensibel und spezifisch sein, doch wenn das Merkmal innerhalb der untersuchten Population nur sehr selten vorkommt, ist die Prognose dennoch sehr unsicher.^^"* Prinzipiell lassen sich die zur Beurteilung eines Gentests relevanten Kennzahlen ermitteln, indem die Werte aus der Vier-Felder-Matrix zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Festzuhalten ist hier Folgendes: Als Kennzeichen des Testverfahrens sind die Sensitivitdt und Spezifitdt von der Haufigkeit der Anwendung des Testverfahrens auf die getestete Krankheit unabhangig. Der positive Vorhersagewert nimmt hingegen mit der Haufigkeit der Krankheit zu; der negative Vorhersagewert abnimmt. Das bedeutet, bei einer seltenen Krankheit, wird ein und derselbe Test also mehr falsch-positive Ergebnisse bringen als bei einer haufig auftretenden Erkrankung.^^^ Folglich kann ein Gentest, der gut geeignet ist, Personen mit bestimmten Krankheiten zu identifizieren (positiver Vorhersagewert), in der Funktion als Screeningtest moglicherweise viel schlechter abschneiden (negativer Vorhersagewert). Die Validitdt eines Tests bezeichnet die Fahigkeit zu diskriminieren, d.h. zwischen Personen mit und ohne Anlage fur eine bestimmte Krankheit zu differenzieren.^^^ Demnach muss die Validitat eines Gentests empirisch untermauert werden. Dies ist sehr zeitaufwandig, allein schon deshalb, weil das Lebensintervall, in dem sich die Krankheit manifestieren kann, haufig

vgl. Ashford et al. (1990), S.29 vgl. Schober(1995),S.118 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.44 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.33

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

£7

sehr lange ist.'^^ Bspw. liegen bei einem Test auf Hamochromatose'^^ haufig mehr als dreissig Jahre zwischen Test und Manifestation. Dieser Sachverhalt lasst deutlich werden, wie problematisch es ware, wenn Validitatsstudien bereits vor Markteinfiihrung von genetischen Tests gefordert wiirden. Von der Testvaliditat ist schliesslich noch die Reliabilitdt (Zuverlassigkeit) eines Verfahrens zu unterscheiden, d.h. es ist zu iiberpriifen, ob tatsachlich das Vorgegeben gemessen wird. Dies ist der Fall, wenn bei wiederholten Untersuchungen und bei der gleichen Probe identische Ergebnisse geliefert werden. ^^^

23,4

Einsatzbereiche von Gentests

Obwohl ihre Aussagekraft oft nicht hundertprozentig ist, finden Gentests Anwendung in der medizinischen Diagnostik.^^^ Ihr Einsatz erfolgt in den unterschiedlichsten Bereichen oft sogar routinemassig (vgl. Abb. 2-14): Die Anwendungspalette genetischer Untersuchungen reicht vom Identifizieren von Infektionserregem wie bspw. des HIV-Virus (iber die Identifizierung

von

Straftatem

(durch

genetische

Fingerabdrucke),^^^

bis bin zu

Vaterschaftsabklarungen.'^^ Dariiber hinaus wird die Gendiagnostik bei vorgeburtlichen Untersuchungen zum Nachweis oder Ausschluss genetisch bedingter Krankheiten beim ungeborenen Kind eingesetzt. Abklarungen, ob Eltem, die Trager eines schweren Erbleidens sind, diese Krankheitsveranlagung an ihre Kinder weitergeben, werden unter dem Begriff Pranataldiagnostik zusammengefasst.'^^ Zudem lassen sich heute mit Gentests Krankheiten bereits lange bevor sich entsprechende Anzeichen bemerkbar machen, feststellen. So konnen bspw. gewisse Krebsarten friihzeitig erkannt und operiert bzw. der Ausbruch einer Erbkrankheit kann durch vorbeugende Massnahmen, bspw. Anderung der Lebensweise oder Emahrung, verhindert werden. Die pharmazeutische Forschung sucht nach neuen

vgl. Schmidtke( 1997), 233 Die Eisenspeicherkrankheit beginnt ganz harmlos mit Miidigkeit. Nach und nach sammeln sich grossere Mengen Eisen im Korper an. Ursache hierfiir ist ein Fehlen im verantwortlichen Gen, das normalerweise den Eisengehalt niedrig halt. In einem Friihstadion der Krankheit ist die Behandlung noch einfach: Der Patient muss hin und wieder zur Ader gelassen werden. Wird die Krankheit nicht erkannt und schreitet sie unbehandelt fort, droht am Ende eine Organtransplantation. Vgl. Karberg (2004), S.63 und Pschyrembel online (2002) vgl. Holtzman(1989),S. 98 vgl. EGE (2003), S.29 vgl. bspw. GFS (2005) www.gsf.de (Zugriff: Juni 2005) zur Debatte um Forensik. vgl. Commission (2003) vgl. bspw. Bodenmiiller (2002), S.l

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

48

Medikamenten, welche die individuellen genetischen Eigenschaften

der Patienten

mit

beriicksichtigen. Massgeschneiderte Medikamente und individuelle Dosierungen dienen zur Reduzierung schwerer Nebenwirkungen.^^"*

Familienplaniing AbManmg, ob einer der beiden Partner mit Kinderwunsch TrSger einer Erbkrankheit sind Frilnataldiagnostik Untersuchung genetisch (mit)bedingter Krankbeiten am imgeborenen Kind FrSimplantationsdiagnostik Analyse genetisch (mit)bedingter Krankfaeiten am imgeborenen Kind 0berprfifung oder AnsscUuss klinischer Diagnosen

GeBtests in derMedizin

Oberpriifimg genetisch (mit)bedingter Krankheiten nach Auftreten entsprechcnder Symptome Prisymptomatlsche Diagnostik Voraussagende Diagnose von Eibkrankheiten oder Krebs vor dem Auftreten von Syn^tomen Pharmakogenetik Anwendung massgeschneideter Medikamente oder individueller Dosierungen aufgrund der spezifischen Eibanlagen des Patienten Screening Genetische Analyse ganzer Bevdlkerungsgnippen oder bestimmter Personengnq>pierungen Infektionslo'anklieiten Nachweis von Krankheiten (bspw. von Viren oder Bakterien) aufgrund des Erbmaterials Gericiitsmedizin VaterschaftsabklSiungen, Identifizienmg von Katastrophenopfem, Oberfuhrung von Straftatem

Abbildung 2-14: Einsatzbereiche der medizinischen Gendiagnostik

'^^ '^^

vgl. bspw. Rippe et al. (2004); Peckham et al. (2003) und The Minister of Health Welfare Sport (2000) vgl. Muller (2002), S.2

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

49

2.3,5 Gentests versus herkommliche Diagnoseverfahren Im Wesentlichen unterscheidet sich die Genanalyse von herkommlichen Diagnoseverfahren durch folgende Charakteristika:



Unabhdngigkeit vom Alter. Die Testergebnisse sind identisch, egal in welchem Alter man sich testen lasst. Das gilt daher auch fiir vorgeburtliche und sogar fur Praimplantationsdiagnostik, da die Gene sich im Zeitablauf nicht verandem.^^^



Unabhdngigkeit vom klinischen Status: Die Testergebnisse sind dieselben, ob sich nun die Krankheit bereits manifestiert hat oder ob sie erst in 50 Jahren ausbricht, ob der Krankheitsverlauf mild oder schwer verlauft oder ob sie vielleicht gar nicht ausbricht.'^^



Unabhdngigkeit vom Gewebe: Das entsprechende Gen ist in jeder Korperzelle in gleicher Form vorhanden, egal ob es gerade wirksam ist oder nicht. Ein Gendefekt, der zu einer schweren Gehimerkrankung fuhrt, kann deshalb auch in Blutzellen oder sogar durch einen Mundschleimhautabstrich'^^ entdeckt werden.



Stabilitdt und kleine Proben: Ein einziger Bluttropfen oder ein Mundschleimhautabstrich reichen aus, um viele Tests durchzufuhren. Ausserdem lasst sich die Probe etliche Jahre aufbewahren, was die Moglichkeit offen lasst, dieselbe Probe aus anderen Griinden fiir weitere Tests zu verwenden.^^^



Auswirkungen auf die Familie: Aufgrund der eigenen genetischen Konstitution lassen sich auch Aussagen iiber die Konstitution von Angehorigen machen.^^^



Korrelationen zwischen Mutationen und ethnischer Zugehorigkeit: Bestimmte ethnische Gruppen sind fiir bestimmte Krankheiten anfalliger.^^'

vgl. Harper (1997), S.749 und NIH/DOE (1993), S.802-803 vgl. Harper (1997), S.749 Der Mundschleimhautabstrich erweist sich immer mehr als geeignetes Instrument fur Massenuntersuchungen, da hier bei der Probeentnahme keine arztliche Beaufsichtigung, wie dies bei einer Blutprobe der Fall ist das Verfahren sehr preiswert ist. Spezifizitat und Sensitivitat entsprechender Untersuchungen wurden in Studien mit 100% bezeichnet, bei einer Gesamtfehlerquote von etwa 5%. Vgl. Vriesetal. (1996), S.334 vgl. bspw. Maelicke (2001), S.29, 33 und EFB (1997), S.l vgl. Kap. 2.2 Genetische Merkmale von Erkrankungen vgl. dazu Griffith (2002), S.II

50

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Mangel an Interventionsmoglichkeiten: Die Lucke zwischen Diagnostik und Behandlungsmoglichkeiten kann bei Gentests grosser sein als bei herkommlichen diagnostischen Massnahmen.^^^ Quantitdt der Daten: Durch die Moglichkeit der Genanalyse kann die zur Verfugung stehende und auszuwertende Datenmenge extrem zunehmen.^^^

2.5.6 Gentests in der Arbeitswelt Fur diese Arbeit von Interesse sind Einsatzbereiche von Gentests im Zusammenhang mit dem Untemehmen. Hier kommen genetische Analysen grundsatzlich im Rahmen von Einstellungsund von Vorsorgeuntersuchungen in Betracht. Gegenwartig lassen sich prinzipiell drei unterschiedliche Verwendungsbereiche herausfiltem: •

Untersuchungen auf Anfalligkeiten fur bestimmte Arbeits- bzw. Schadstoffe.



Nachweis fur gen. Mitursachen bei eingetretener Schadigung durch Arbeitsstoffe.



Untersuchungen auf Dispositionen ftir eine sich erst zu einem spateren Zeitpunkt manifestierende Krankheit?^"*

Je nach Anwendungsbereich erfolgt in der Arbeitsmedizin eine Differenzierung von genetischen Tests in Genetic Monitoring und Genetic Screening: „ Genetic monitoring involves periodically examining employees to evaluate modifications of their genetic material [...]. Genetic screening is a process to examine the genetic makeup of employees or job applicants for certain inherited characteristics. " Das genetische Monitoring unterscheidet sich signifikant vom genetischen Screening. Wahrend es sich bei Mo«/Yormgmassnahmen um mehrere Tests iiber einen bestimmten Zeitraum

handelt,

sind

Scree«/«gmassnahmen

in den

meisten

Fallen

einmalige

Untersuchungen. Mit Hilfe von genetischem Monitoring werden bspw. umweltinduzierte Modifikationen im genetischen Material iiber die Zeit eines Anstellungsverhaltnisses erkannt. Mit Screeningmethoden wird das vererbte genetische Material der Arbeitnehmer identifiziert,

^^^ ^°^ ^^^ ^•^^

vgl. dazu Kap. 5-3 Pschologische Analyse vgl. Harper (1997), S.749 und NIH/DOE (1993), S.802 803 vgl. Jansson et al. (2000), S.3 und Schmidtke (1990), S.99 U.S. Congress (1990), S.31

Gentests - Nachweis von Erkrankungen

51

um Pradispositionen oder Funktionsstorungen zu erkennen.^^^ Obwohl die Unterscheidung zwischen Monitoring und Screening Auswirkungen auf die unterschiedliche Verwendung von betrieblichen Gentests hat, werden in dieser Arbeit beide Methoden unter dem Begriff ,Genanalyse bzw. Gentest' subsumiert. Diese Vereinheitlichung wird auch sonst in der Literatur vorgenommen und resultiert aus der Verbesserung der technischen Moglichkeiten zur direkten Genanalyse. Ein sequenzielles Vorgehen erubrigt sich zusehends, da die Diagnose dank der technischen Entwicklung gleich beim ersten Testdurchlauf mit hinreichender Sicherheit die Diagnose gestellt werden kann?^^ Wird jedoch im Folgenden auf eine Methode im Speziellen eingegangen, werden die spezifischen Ausdrucke Monitoring oder Screening verwendet.

2.5.7 Gentests zur betrieblichen Gesundheits/orderung Zur Gesundheitsforderung am Arbeitsplatz bestehen fiinf Einsatzmoglichkeiten: •

Medizinische Beobachtung und Uberwachung wird jenen Arbeitnehmem, welche ein erhohtes Risiko in Bezug auf ihre Arbeitstatigkeit haben, generell auf einer freiwilligen Basis offeriert. Zweck der Beobachtung ist es, exogene Einfliisse, die bei einer bestimmten Population Krankheiten verursachen, zu entfemen. Aktuelle Beobachtungen beriicksichtigen jedoch nicht individuelle genetische Pradispositionen.



Tests, welche die Eignungfiir bestimmte Aufgaben untersuchen, interferieren mit der Moglichkeit einen Job wohlbehalten auszufuhren. Bestimmte Personen (bspw. Piloten oder Busfahrer) sind verantwortlich fiir die Sicherheit anderer und konnen aufgrund bestimmter Konditionen (bspw. Anfalle bestimmter Art oder Substanzenmissbrauch) disqualifiziert werden.



Medizinische Zuerkennung ist indiziert bei kranken Arbeitnehmem.

Diese

diagnostische Moglichkeit wird in Auftrag gegeben, wenn der Arbeitnehmer Anspruche gegeniiber dem Arbeitgeber stellt (bspw. bei Ausgleichszahlungen). •

Eine klinische Prufung wird angeregt, wenn bereits spezifische Symptome oder Verletzungen bestehen. Klinische Priifungen konnen aber auch in Abwesenheit

vgl. Jansson et al. (2000), S.3 und Faden (1988), S.1-37 vgl. Schoffski (2000), S.83

52

Genanalvse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

spezifischer Symptome genetische Tests fiir Anfalligkeiten umfassen, wenn eine entsprechende Anlage vorliegt. •

Gesundheitsuntersuchungen sind Teil freiwilliger Gesundheitsforderprogramme, die entworfen werden, um Gefahrenfaktoren zu ermitteln und Beobachtungen zu ermoglichen. Gesundheitsuntersuchungen beziehen das Screening normalerweise gesunder Arbeitnehmer mit ein, sind aber im AUgemeinen freiwillig. Genetisches Screening zwecks Gesundenuntersuchung kann aber auch neue Informationen uber allgemeine berufsfremde Krankheiten aufdecken.^^^

2.4

Fazit des naturwissenschaftlichen Hintergrunds

Durch das Erkennen genetischer Anlagen, die zum Ausbruch einer Krankheit disponieren, ergibt sich eine vollstandig neue Situation: Pradikative Diagnosemoglichkeiten konnen Auskunft daniber geben, ob in einem spateren Lebensabschnitt mit einer Krankheit zu rechnen ist oder nicht. Was sich hier fiir so manche wie Musik in den Ohren anhort, ist jedoch gegenwartig nur in wenigen Fallen zutreffend, denn dazu muss die Penetranz der genetischen Stoning so gross sein, dass es praktisch immer zur Krankheitsmanifestation kommt. Als Beispiele seien hier monogene Erkrankungen wie Chorea Huntington^^^ (autosomaldominant) oder das erbliche Retinoblastoma ^^ angefiihrt.^*^ In den meisten Fallen (polygene Erkrankungen) lassen sich keine prazisen Angaben dariiber machen, ob die betreffende Krankheit auch tatsachlich eintritt. So konnen die Risikoangaben bspw. bei erblichem Brustkrebs in Abhangigkeit von der spezifischen Mutation zwischen 30% und 85% schwanken. Zudem lasst sich bei kaum einer Krankheit der Zeitpunkt der Krankheitsmanifestation im Verlauf des Lebens genau festlegen, da zusatzlich ein oder mehrere Umweltfaktoren bei der Entwicklung eine RoUe spielen. Dies aussert sich durch Unterschiede im Erkrankungsalter, Krankheitsverlauf und Schweregrad. Im AUgemeinen ist der tJbergang vom gesunden in den pathologischen Zustand bei polygenen Erkrankungen fliessend. Diese Variationsbreite einer Mutation, die zur selben Krankheit fiihrt, macht nach aktuellem Forschungsstand eine Voraussage hinsichtlich Auspragung und Zeitpunkt des Ausbruchs

2'^ ^^^ ^'^ 2''

vgl. Harrison (1998), S.387-395 Degenerative Veranderung des Nervensystems. Vgl. Pschyrembel online (2002) Bosartiger Tumor der Netzhaut des Auges. Vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Bartram et al. (2000), S.66

Zukunftsperspektiven

53

kaum moglich.^^^ Gegenwartig durchgefiihrte genetische Untersuchungen beschranken sich aus diesem Grunde im Wesentlichen auf die Diagnose weniger monogener und polygener Erkrankungen?^^ Nichtsdestotrotz wird aufgrund des rasanten Fortschrittes der Forschung vermutet, dass bereits in naher Zukunft hoher qualifizierte Aussagen moglich sein werden. Folglich ist auch anzunehmen, dass die MGglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsuntersuchung noch nicht ausgeschopft sind und die Aussagen und Ergebnisse noch verbessert werden.

2.5

Zukunftsperspektiven

Obwohl das menschliche Genom also bereits seit einigen Jahren (fast) vollstandig sequenziert ist, steckt die genmedizinische Forschung noch in den Kinderschuhen.^^"^ Allgemein wird jedoch erwartet, dass genetische Diagnoseverfahren und somit genetische Tests in der nachsten Dekade routinemassig im Bereich der Medizin eingesetzt werden, um individuelle Pradispositionen festzustellen und zukiinftige Krankheiten vorherzusagen?^^ Der Einsatz von DNA-Chips und anderen neuen Technologien verspricht, gemeinsam mit der individuellen Familienanamnese und Daten aus Bevolkerungsstudien, die Vorhersagekraft der Entwicklung von individuellen Volkskrankheiten wesentlich zu verbessem?^^ Unterstrichen wird diese Annahme durch das kontinuierlich wachsende Angebot an Tests fur immer mehr Krankheiten und die Zunahme der Zahl der Anbieter von genetischer Diagnostik. Die Zahl der im so genannten MCKUSICK-KATALOG verzeichneten Krankheitsbilder, fiir die genetische Ursachen bekannt sind, liegt inzwischen (2004) bei ca. 15*500^^^ gegeniiber S'OOO im Jahr 1992 (vgl. Abb. 2-15).^'^ Mit der verbesserten genetischen Diagnostik gehen auch neue Therapie- und Praventionsmassnahmen einher. Denn genetische Untersuchungen als reines Diagnoseinstrument waren von geringem Nutzen, falls sich daraus nicht auch zusatzliche Handlungsmoglichkeiten bei der Therapie ergeben wtirden. Ein erstrebenswertes Ziel besteht darin.

vgl Ducros et al. (2001), S.17 24 vgl. Regenauer (2001), S. 18-19 fur einen Uberblick. vgl. StoUorz (2000), S.63 Forschungseinrichtungen in Bonn, Hamburg, Heidelberg, Marburg und Miinchen erforschen im Rahmen eines Nationalen Genomforschungsnetzes Kjankheiten wie bspw. Migrane, Storungen der Sinnesorgane, neurologische Storungen oder Depression. Vgl. Albertini et al. (2003), S.32 vgl. Regenauer (2001), S.18-19 und The Arc Report (1997), S.5 vgl. OMIM Statistics (2004) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/Omim/mimstats.html (Zugriff: Juni 2005). Seit 30 Jahren werden in diesem Katalog Krankheiten erfasst, von deren Erblichkeit ausgegangen wird. vgl. Hennen et al. (2001), S.47

54

Genanalyse: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Medikamente Dank genetischer Tests zukiinftig soweit als moglich angepasst einzusetzen und zu dosieren, um unerwiinschte Nebenwirkungen zu vermeiden - „das richtige Medikament in der richtigen Dosiemng fur den richtigen Patienten."'^^^ Weitere therapeutische Konsequenzen ergeben sich aus der Tatsache, dass genetische Veranderungen, bspw. in Krebszellen fruhzeitig festgestellt werden konnen.^"^^ Zukiinftige Anwendungen durften demnach die gesamte Medizin und folglich auch die Arbeitsmedizin stark tangieren, da fruhzeitig diagnostische, aber auch therapeutische Analysen durchgefuhrt werden konnen, und zwar in einem derzeit noch nicht abzuschatzenden Ausmass. Folglich werden in Zukunft genetische Parameter aufgrund ihrer Objektivierbarkeit zahlreiche konventionelle diagnostische Untersuchungsmethoden als Standard ablosen - nicht zuletzt auch deshalb, weil mit dem technischen Fortschritt eine erhebliche Kostenreduktion bei der Informationsbeschaffung einhergeht. Genetische Tests erlauben es also bestimmte Veranlagung fiir Erkrankungen rascher, praziser und gtinstiger zu erkennen.^^^ Im Hinblick auf eine verbesserte Aussagekraft der genetischen Befunde ist zu antizipieren, dass diese neuen Moglichkeiten auch das HRM verstarkt beeinflussen.

is .S

I960

1%5

1970 1975

1985

1990 1995 2000

2005 2010

Jahr

Abbildung 2-15: Zahl der EintrMge im Katalog der Mendelian Inheritance in Man (MIM)

Meier-Abt und Stieger (2000), S.33 vgl.Muller(2002),S.2 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.48 vgl. OMIM Statistics (2004) und Hennen et al. (2001), S.47

Per Ressourcenbegriff

55

Das Human Resource Management

Nicht die Sache macht ein Untemehmen aus, sondern die Menschen. (Nell-Beuning, von O.f^^

Wird wie in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass Untemehmen ihren Arbeitnehmem eine Genanalyse zur Verfugung stellen, empfiehlt sich auch eine Auseinandersetzung mit jenem betrieblichen Bereich, indem Arbeitnehmerfragen angesiedelt sind - das Human Resource Management. Ein gemeinsames Verstandnis von betrieblichem HRM tragt - nebst des im Kapitel zwei beschriebenen naturwissenschaftlichen

Hintergrunds der Genanalyse

-

massgeblich zum Verstandnis einzelner Aspekte der vorliegenden Untersuchung bei.^^^ Ziel dieses dritten Kapitels ist die Generierung eines gemeinsamen Verstandnisses von HRM. Dazu werden zunachst die konzeptionellen Grundlagen des Human Resoruce Managements vorgestellt,

die - wie die Begriffswahl zum Ausdruck bringt - auf ressourcenorientierten

Ansatzen beruhen. Diese gehen von der Grundannahme aus, dass der Erfolg eines Untemehmens von den verfugbaren spezifischen und einzigartigen Ressourcen abhangt, die ihr zur Verfugung stehen.^^^ Ressourcenorientierte Ansatze basieren auf theoretischen Grundlagen und Anstossen der Resource Based View (RBV). Im Gegensatz zur Market Based View (MBV), aus deren Perspektive der Erfolg eines Untemehmens (Wettbewerbs-

'^^ ^^^ ^^^

Nell-Breuning, von O. (1890-1991), Theologe u. Soziologe - Deutschland in Anlehnung an Ulrich (2001b), S.44 vgl. Siegwart und Probst (2001), S.15-16 vgl. Stock (2004), S.242

56

Human Resource Management

vorteil) im Wesentlichen aus Marktkonstellationen^^^ hervorgeht, wird aus Sicht der RBV der Wettbewerbsvorteil auf spezifische Ressourcen und deren Kombinationen zuriickgefuhrt.^^^ Im Interesse eines gemeinsamen Verstandnisses von HRM, wird im Folgenden zunachst der Ressourcenbegriff im AUgemeinen und der Humanressourcen-Begriff im Speziellen definiert sowie anschliessend auf das Management der Humanressourcen eingegangen. Im Hinblick auf die im nachfolgenden Kapitel systematisch beschriebenen Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse, werden danach die Aufgaben der einzelnen HRM-Teilbereiche vorgestellt und abschliessend die Trager und Adressaten des HRM benannt.

3.1

Der Ressourcenbegriff aus der Resource Based View

In der Resource Based View (RBV) wird der Ressourcenbegriff sehr weit gefasst, wobei hier insbesondere die spezifischen Starken des Untemehmens als Ressource bezeichnet werden. ^ WERNERFELT versteht unter Ressourcen die Starken und/oder die Schwachen eines Untemehmens, bspw. Markennamen, technologisches Wissen oder Produktionsprozesse.^^^ BARNEY klassifiziert den Ressourcenbegriff nach den drei Kategorien: ,Physical Capital Resources', ,Human Capital Resources' und ,Organizational Capital Resources'.^^^ GRANT wiederum schlagt eine Differenzierung zwischen ,Financial Resources, ,Physical Resources', ,Human Resources',,Technological Resources',,Organizational Resources' und ,Reputation' vor.^^^ Obwohl diese Defmitionen sehr heterogen erscheinen, ist ihnen und ahnlichen Begriffserklarungen gemeinsam, dass sie zum einen nach spezifischen Ressourcen suchen, die den Erfolg einer Untemehmung bedingen, und zum anderen nach den Kontingenzen, die ihre Nutzungsmoglichkeiten konstituieren. Zwecks Definition des Ressourcenbegriffs hat sich eine Unterscheidung zwischen beschaffbaren oder entwickelbaren Ressourcen einerseits (bspw. Humanressourcen) und organisationalen Prozessen andererseits (bspw. Produktionsprozesse) als heuristisch fruchtbar erwiesen.^^^ Trotz dieser Definitionsversuche gilt der Ressourcenbegriff nach wie vor als zu heterogen und zu wenig operational, als dass er

231 232

d.h. Wettbewerbskrafte, Attraktivitat von Geschaftsfeldem und ihre strategische Positionierung. vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1705 vgl. Ruhli (1991a), S.99-108 zur Definition von Unteraehmen. vgl. Wernerfelt (1984), S.173-175 und Wernerfelt (1995), S.171-174 vgl. Barney (1991), S.lOl vgl. Grant (1991), S.l 19 vgl. bspw. Amit und Shoemaker (1993), S.33-46 sowie Dierickx und Cool (1989), S.1504-15011

Kriterien einer Ressource

Jl

einheitlich verwendet werden konnte.

In der Resource Based View wird jedoch

grundsatzlich davon ausgegangen, dass eine Resource bestimmte Kriterien zu erfiillen habe, soil sie die spezifischen Starken eines Untemehmens - bspw. die Generierung von Wettbewerbsvorteilen - unterstutzen. Um welche Kriterien es sich dabei handelt, wird im Folgenden beschrieben.

3.2

Kriterien einer Ressource

Obwohl der Schluss nahe liegt, dass allein schon die Attraktivitat einer Ressource die spezifischen Starken eines Untemehmens fordem kann, trifft dies nicht unbedingt zu. Zwar ist die Ressourcenattraktivitat eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung fiir nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Von Bedeutung ist vielmehr auch die Fahigkeit, diese Ressourcen so auszubauen und mit anderen Ressourcen zu kombinieren, dass Wettbewerber aufgrund der fehlenden Transparenz oder des bereits bestehenden Vorsprungs auf Positionsbarrieren stossen.^^^ Insbesondere BARNEY hat Kombinationen herausgearbeitet, die Ressourcen zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen werden lassen:^^^

Vahie

Finn Resource Heterogeneity Finn Resource Immobility

Rareness In3]>erfect Imitability > History Dq>eQdent - Causal Ambiguity - Social Conq)lexity Sustittttability

Sustained Con^etittve Advantage

Abbildung 3-1: Ressourcenbedingte Wettbewerbsvorteile^^^

Seiner Ansicht nach besteht dann Ressourcenheterogenitat, wenn Untemehmen iiber exklusive Ressourcen verfiigen oder wenn sie diese so biindeln, dass daraus Wettbewerbsvorteile resultieren. Die Ressourcenmobilitat ist eingeschrankt, wenn Ressourcen bspw. aufgrund von Standortgebundenheit nicht transferierbar

sind.^^^ In einer imperfekten

vgl. Freiling(2001),S.84-86 vgl. Peteraf(1993), S.185-186 vgl. Barney (1986), S. 656-665; Barney (1991), S.99-120 und Barney (2001), S. 41-56 Barney (1991), S.l 12 vgl. Barney (1991), S.l 12-113

58

Human Resource Management

Marktsituation entstehen Wettbewerbsvorteile aufgrund von Ressourcenunterschieden, indem bspw. wettbewerbsrelevante Asymmetrien zwischen Untemehmen beziiglich ihrer Ausstattung mit Ressourcen aufrechterhalten werden oder indem Informationsasymmetrien im Hinblick auf die Ursachen von Wettbewerbsvorteilen vorhanden sind.^^^

Doch nur diejenigen untemehmensspezifischen Ressourcen verfiigen iiber das Potenzial, Wettbewerbsvorteile zu generieren, welche die folgenden vier Kriterien erfullen: •

Die Ressource ist wertvoll, da sie Opportunitaten ausnutzt.



Die Ressource hat Seltenheitscharakter.



Die Ressource lasst sich nicht voUstandig imitieren.



Es ist kein strategisches Substitut fur diese Ressource vorhanden."^^^

Diese vier Kriterien werden im Folgenden genauer betrachtet.

3,2,1 Generierung von Wert Die Ressourcen mussen fiir das Untemehmen einen tatsachhchen Wert darstellen. Dies ist dann der Fall, wenn die Kunden in der vom Untemehmen angebotenen Leistung einen Zusatznutzen wahmehmen, fur den sie zu zahlen bereit sind. Dies verschafft dem Untemehmen eine einzigartige Position am Markt. Ressourcen sind daher standig auf sich andemde Marktbedingungen zu tiberpnifen, soUen sie als Gmndlage fur nachhaltige Wettbewerbsvorteile dienen. Ist eine Ressource wertvoll und fiir die Kunden von Nutzen, so erhoht sie die Effizienz und die Effektivitat des Untemehmens.^"^^ Dabei richtet sich der Wert der Ressource danach, ob bzw. inwieweit sie die Chancen eines Untemehmens (opportunities) fbrdert und/oder seine Risiken (threats) neutralisiert.^'*^ Die Ressource ist umso heterogener, je knapper bzw. untemehmensspezifischer sie ist und je schwerer sie sich substituieren oder • •

1

243

imitieren lasst.

239 240

vgl. Amit und Shoemaker (1993), S.36 vgl. Barney (1991), S.105-112 vgl. Barney (1991), S.106 vgl. Barney (199 l),S.42-43 Dierickx und Cool (1989) weisen allerdings darauf hin, dass auch der Absatzmarkt fiir die Schafiung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils unabdingbar ist.

Kriterien einer Ressource

3,2,2 Knappheit Steht eine Ressource alien (Markt-)Teilnehmem uneingeschrankt zur Verfiigung, so hat sie danach ihr Potenzial zur Heterogenitat eingebiisst. Ein Untemehmen kann sich durch die Verwendung dieser Ressource nicht mehr von seinen Konkurrenten differenzieren. Mit der zunehmenden Untemehmenspezifitat einer Ressource steigen auch die mit deren potenzieller Transferierung verbundenen Kosten.^^"^ Ursache hierfiir ist der Wert der Ressource, der entscheidend von der optimalen Anpassung an die Bedtirfnisse eines Untemehmens abhangt und der beim Verlassen dieses Untemehmens sinkt. Eine Ressource ist untemehmensspezifisch, wenn sie mit der Tiefenstruktur des Untemehmens verwoben ist und sich nur sehr schwer transferieren lasst, d.h. wenn sie nicht handelbar ist?"^^ Nun liegt die Vermutung, dass der Wert der Ressource steigt, je knapper sie zur Verfiigung steht zwar nahe, doch lasst sich nicht mit Bestimmtheit ermitteln, wie knapp eine Ressource sein muss, damit sie nachhaltige Wettbewerbvorteile zu wecken vermag.^"^^ BARNEY weist auf die Relativitat des Wertebegriffs hin, indem er auf das Modell der voUstandigen Konkurrenz zuruckgreift:^"^^ Solange die Anzahl der Untemehmen, die eine firmenspezifische Ressource besitzen, kleiner ist als die Anzahl der Untemehmen, die notwendig ware, um innerhalb der Branche einen voUstandigen Wettbewerb zu bewirken, hat eine Ressource das Potenzial, einen nachhaltigen Wettbewerbserfolg zu generieren. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Ressourcen mit zunehmender Spezifitat an Flexibilitat verlieren, weil sie die strategische Route des Unternehmens zu stark determinieren - „Specification is a two-edge sword."^"^^ Erweist sich namlich die Abhangigkeit von einer spezifischen Ressource als zu stark, btisst das Unternehmen an Flexibilitat ein.

vgl. Treeceetal. (1992), S.17 vgl. Hamel(1991), S.63-76 Die Knappheit der Ressourcen steilt zwar eine notwenige, jedoch keine hinreichende Bedingung fiir einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn knappe Ressourcen substituiert werden konnen. Vgl. Kap. 3.1.2.3 Nicht-Substituierbarkeit vgl. Barney (1991), S.107 vgl. Peteraf( 1993), S. 184

60

Human Resource Management

3,2,3 Nicht-Imitierbarkeit Nicht-Imitierbarkeit bedeutet, dass die untemehmensspezifischen Ressourcen nicht ohne weiteres von einem anderen Untemehmen kopiert werden konnen."^"^^ Der Grad der Imitierbarkeit hangt von verschiedenen Ursachen ab: •

Unternehmenshistorizitdt: Jedes Untemehmen hat seine eigene, idiosynkratische Geschichte, die mit seiner spezifischen Kultur verbunden ist und die sie von anderen Untemehmen unterscheidet?^^ Wie Individuen werden auch Untemehmen nachhaltig durch Erlebnisse und Erfahmngen aus der Vergangenheit gepragt. Demzufolge sind auch ihre Wahmehmung und Orientiemng, ihre Entscheidungen und verfugbare Ressourcen massgeblich von fruheren Ereignissen beeinflusst,"^^^ Auf diese Weise sammeln Untemehmen allmahlich eine Ressourcenbasis an, die zu spezifischen Fahigkeiten fuhrt, die die Konkurrenten nicht imitieren konnen.



Diffuse Kausalzusammenhdnge: Ein diffuser Kausalzusammenhang liegt vor, wenn es den Konkurrenten nicht moglich ist, festzustellen, wie die Ressourcenausstattung eines

Untemehmens

und

dessen

Wettbewerbsvorteil

zusammenhangt.

Die

Schwierigkeit liegt darin, nachzuvoUziehen, worin sich die besonderen Fahigkeiten eines Untemehmens manifestieren und wie diese Fahigkeiten den untemehmerischen Erfolg begriinden.^^^ Dies setzt jedoch voraus, dass sich nicht einmal die Untemehmensmitglieder dariiber im Klaren sind, welche Charakteristika schliesslich fiir den Wettbewerbsvorteil ausschlaggebend sind. Andemfalls bestiinde nach Ansicht von BARNEY die Gefahr, dass kompetente Know-how-Trager ihr Wissen an Konkurrenzuntemehmen veraussem konnten?^^ •

Soziale Komplexitdt: Eine weitere Moglichkeit, die Imitierbarkeit von Ressourcen zu erschweren, besteht in der Verflechtung der betreffenden Ressourcen,^^"^ sodass sich die einzelnen Bestandteile des untemehmensspezifischen Ressourcenbtindels kaum isoliert voneinander analysieren lassen. Anders als im Falle der diffusen Kausalzusammenhange - hier konnen die Untemehmensmitglieder die Quellen des Wett-

250 251

vgl. Reed und DeFillippi (1990), S.94 vgl. Collins (1993), S.50 vgl. Barney (1991), S.99-120 vgl. Grant (1991), S.l 19 vgl. Barney (1991), S.l 12 vgl. Dierickx und Cool (1989), S.1508

Kriterien einer Ressource

61

bewerbsvorteils nicht genau begriinden - ist die geringe Imitierbarkeit in diesem Fall auf die soziale Komplexitat der Ressourcen zuriickzufiihren?^^ Ein Untemehmen hat kaum die Moglichkeit, die Vorteile der Konkurrenz nachzuahmen oder zu reproduzieren, da das dazu erforderliche Wissen auf verschiedene Untemehmensmitglieder verteilt ist. Erst alle Untemehmensmitglieder zusammen begrunden das Potenzial der Nicht-Imitierbarkeit.

i. 2,4 Nicht-Substituierbarkeit Die bisher erlauterten Anforderungen genugen jedoch nicht, die Nachhaltigkeit eines Wettbewerbsvorteils defmitiv zu sichem. Eine Ressource muss dariiber hinaus auch schwer zu substituieren sein. Dieses Kriterium der Nicht-Substituierbarkeit ist dann gegeben, wenn keine ahnlichen Ressourcen vorhanden sind, welche die Untemehmensleistung auf gleichwertige Weise erbringen konnten. BARNEY unterscheidet zwei Formen der RessourcenSubstituierbarkeit:^^^ •

Ein konkurrierendes Untemehmen kann erstens versuchen, eine Ressource moglichst exakt zu kopieren. In diesem Fall verfolgt es dieselbe Strategic wie der Besitzer der ,wertvollen' Originalressource, d.h. er versucht die Leistung auf dem gleichen Weg mit einer zumindest ahnlich gearteten Ressource zu erbringen.



Zweitens konnen auch vollig andere Ressourcen eine Substitutionsgefahr darstellen. In diesem Fall versucht ein konkurrierendes Untemehmen, altemative Ressourcen zu generieren, die zwar vollig anders konfiguriert sind, mit deren Hilfe jedoch dasselbe Ziel verfolgt wird, wie mit der Originalressource. Bspw. bieten technologische Neuemngen und innovative Fahigkeiten die Moglichkeit zur Substitution.

Die vier beschriebenen Kriterien einer Ressource gelten als empirische Indikatoren dafar, wie heterogen und immobil eine untemehemensspezifische Ressource ist und wie ntitzlich sie demzufolge fur die Generiemng nachhaltiger Wettbewerbsvorteile sein diirfte.^^'' Nach dieser allgemeinen Bestimmung von Ressourcenkriterien stellt sich die Frage, ob auch Humanres-

vgl. Barney (1992), S.44 vgl. Barney (1991), S.l 11-112 vgl. Abb. 3-1 Ressourcenbedingte Wettbewerbsvorteile

62

Human Resource Management

sourcen die untemehmensspezifischen Kriterien erfiillen, indem sie Wettbewerbsvorteile generieren. Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen.

3.3

Humanressourcen

Die Frage nach dem Stellenwert der Humanressourcen im Hinblick auf die Generierung von betrieblichen

Wettbewerbsvorteilen

beantwortet

GRANT iiberzeugt: Aufgrund

ihrer

spezifischen Einzigartigkeit gehoren die Humanressourcen zu jenen untemehmensspezifischen Ressourcen, die Wettbewerbsvorteile generieren?^^ Wahrend natiirliche oder technische Ressourcen oft leicht nachzuahmen sind, bestehe der besondere Wert der Humanressourcen darin, dass sie dank ihrer Seltenheit, geringen Imitierbarkeit und schwierigen Substituierbarkeit dem Untemehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen:^^^

3,3,1 Wert und Einzigartigkeit Der Wert der Humanressourcen ist v. a. im relativ hohen zeitlichen und fmanziellen Aufwand begrundet, der mit ihrer fachlichen und personlichen Integration im Untemehmen verbunden ist.^^^ Einzigartigkeit kommt bspw. zustande, wenn bestimmte Kompetenzen auf den Arbeitsmarkten knapp sind oder wenn in speziellen Untemehmensfeldem sehr hohe und schwer beschaffbare Qualifikationen benotigt werden.^^^ Sind die Humanressourcen sowohl wertvoll als auch einzigartig, konnen sie nur mit hohen Kosten auf den extemen Arbeitsmarkten beschafft werden. In diesem Fall wird ein Untemehmen seinen Fokus auf die inteme Entwicklung richten. Damit kann gleichzeitig gewahrleitstet werden, dass diese untemehmensspezifische Entwicklung der HR ihren Beitrag zu den strategischen Zielen leisten wird und dass eine Abwerbung von Seiten der Wettbewerber wenig attraktiv ist.^^^ Entsprechend hoch sind auch die Investitionen in solche Humanressourcen, sie erfolgen durch Wissensvermittlung, Fordemng und Trainings. Diese Investitionen werden abgesichert durch hohes Commitment in Form von Karrieresystemen oder Bonussystemen. Sind Humanres-

vgl. Grant (1991), S.l 19 vgl. Amit und Shoemaker (1993), S.36 vgl. Stock (2004), S.242 vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1710 vgl. Ridder (2002), S.226

Humanressourcen

63

sourcen - im entgegengesetzten Extrem - weder wertvoll noch einzigartig, dominieren oft befristete Vertrage, Outsourcing und eine kostenorientierte Betrachtung von Beschaftigungsgruppen.^^^ Die Bindung an das Untemehmen ist gering und konzentriert sich auf eher kurzfi-istige, meist monetar ausgerichtete Beziehungen.^^"*

3,3.2 Geringe Imitierbarkeit Die Imitierbarkeit von Humanressourcen ist gegeben, wenn Wettbewerber in der Lage sind die

Ressourcen

zu

identifizieren

und

sie

dennoch

auch

zu

kopieren.

Diese

Imitationsmoglichkeit stosst allerdings auf eine Vielzahl von Barrieren.^^^ •

Zunachst erweist sich die historische Entwicklung eines Untemehmens als wesentliche Barriere.^^^ Zwar mogen die humanbasierten Quellen des Untemehmenserfolgs bekannt sein, jedes Untemehmen setzt diese jedoch in Zeit und Raum spezifisch ein. Insbesondere die Debatte rund um die Untemehmenskultur hat gezeigt,^^^ dass sich empirische Erfolgsfaktoren zwar identifizieren lassen; umgesetzt werden Werte und Normen allerdings von anderen Menschen in Untemehmen mit einer anderen Entwicklungsgeschichte und unter anderen Rahmenbedingungen.^^^



Eine zweite Barriere stellt die Ambiguitdt der Humanressourcen dar. WRIGHT ET AL. argumentieren,

dass

insbesondere

Team-Arbeit

haufig

kaum

zurechenbare

synergetische Effekte generiere, so dass nicht davon auszugehen sei, dass es Wettbewerbem gelingen konnte, Gmppen in der gleichen Zusammensetzung unter gleichen Rahmenbedingungen zu etablieren.^^^ •

Die Soziale Komplexitdt schliesslich

beinhaltet

ebenfalls

eine schwer zu

identifizierende Beziehung. Wettbewerbsvorteile konnen darauf bemhen, dass die Qualifikationen auf verschiedene Schliisselpersonen verteilt sind. Diese Beziehungen bilden ggf. informelle Netzwerke, die zwar in Bewegung sind und sich verandem, auf

vgl. Kap. 3.5.3 Adressaten des HRM in Anlehnung an Lepak und Snell (1999), S.31-48 vgl. Wright et al. (1994), S.309-310 vgl. Barney (1991), S.99-120 vgl. bspw. Neubauer (2003); Kohler-Braun (2000), S.28-33; Hatch (1993), 657-693; Hofstede et al. (1990), S.286-316 oder Heinen (1987), S.1-48 zur Untemehmenskultur. vgl. Ridder (2002), S.227 sowie Hunt und Morgan (1995), S.13 vgl. Wright et al. (1994), S.301-326

64

Human Resource Management

diese Art und Weise jedoch bestimmte, fiir das Untemehmen wettbewerbsfahige Elemente reproduzieren?''^ Diese Komplexitat ist fur Wettbewerber haufig kaum nachvollziehbar. Auch die gezielte Abwerbung einzelner Personen in der Absicht, deren Wissen zu nutzen, fiihrt nur zum Erfolg, wenn diese Personen mobil sind, wenn sie sich der Elemente des Wettbewerbsvorteils bewusst und zudem im Stand sind, diese zu reproduzieren.^^^

3,3.3 Geringe Substituierbarkeit Im Hinblick auf die Humanressourcen ist auch die Frage relevant, ob sich diese ersetzen lassen, bspw. durch Maschinen?^^ Trifft dies zu, liefem Humanressourcen keinen oder nur einen geringen Beitrag zum Wettbewerbsvorteil, da alle Wettbewerber auf diese am Markt erhaltlichen Ressourcen zugreifen werden. Auch besteht die Moglichkeit, Humanressourcen durch ahnliche Ressourcen zu substituieren. WRIGHT ET AL. weisen entsprechend darauf hin, dass Humanressourcen das Potenzial beinhalten, nicht abzunutzen und transferfahig zu sein, sodass sie sich fur verschiedene Technologien, MSrkte und Produkte anwenden lassen.^^^ Somit sind sie gering substituierbar. Von einer kurzfristig geringen Substituierbarkeit der Humanressourcen ist zu sprechen, wenn die HR eine gewisse Zeit benotigen, bis sie im Stande sind, Aufgaben eigenstandig zu bearbeiten. Dies fiihrt dazu, dass Humanressourcen eines Untemehmens oft nicht (kurzfristig) ersetzbar sind.^^"*

33,4

Gemeimames Verstandnis von Humanressourcen

Wie noch empirisch zu zeigen sein wird, tragen Humanressourcen wesentlich zum Erfolg bzw. Misserfolg des Untemehmens bei. Damit sind sie ein Instrument zur betrieblichen Aufgabenerfullung, das - in Ubereinstimmung mit der Resource Based View - zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil flihrt.^^^ Diese Beschreibung von Humanressourcen bringt

270 271

vgl. Mueller (1996), S.757-785 vgl.Ridder(2002),S.227 vgl. Peteraf (1993), S.185 vgl. Wright et al. (1994), S.312-313 vgl. Stock (2004), S.243 vgl Barney und Wright (1998), S.32-37

Humanressourcen

,

65

jedoch auch zum Ausdruck, dass aus Sicht des Untemehmens v.a. die von der Gesamtheit der Humanressourcen eingebrachten Fahigkeiten und reprasentierte Intelligenz von Interesse sind. Die Humanressource wird als ,empowered', als selbstandig denkend betrachtet, indem sie dem Untemehmen als Leistungstrager und -potenzial zur Verfiigung steht. Entsprechend dieser Auffassung werden Humanressourcen als „pool of human capital"^^^ definiert, der "such things as the skills, judgment, and intelligence of the firm's employees"^^^ inkludiert. Die von den Humanressourcen eingebrachten Fahigkeiten werden somit in den Vordergrund des Anstellungsverhaltnisses gestellt, wobei das Untemehmen davon ausgeht, dass sich die HR bspw. iiber die Anstellungsverhaltnisse steuem lassen.^''^

Zu bedenken ist femer, dass Humanressourcen die wesentliche Besonderheit aufweisen, dass sie sowohl Objekte als auch Subjekte sind:^^^ •

Als Objekt stellen sie Mittel zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen dar und werden dementsprechend gesteuert.



Diese Steuerungsmoglichkeit ist allerdings insofem begrenzt, als sie als Subjekte selbsttatig sind, da ihr Verhalten aus einer eigenen Bestimmungsweise hervorgeht und sie sich selbst Ziele setzen.^^^

Humanressourcen erweisen sich somit nicht nur als Instrument der betrieblichen Ziel- bzw. AufgabenerfuUung, sondem Untemehmen stellen andershemm ftir Humanressourcen auch Mittel zur Erreichung ihrer personlichen Ziele dar.^^^ Diese dargelegte Auffassung von Humanressourcen wird favorisiert, wenn in der vorliegenden Arbeit synonym von Humanressourcen, Arbeitnehmer oder Mitarbeitem die Rede ist. Eine Gmppe von Humanressourcen wird in der Folge gleichbedeutend auch als Belegschaft, Arbeitnehmerschaft oder Personal bezeichnet. Diese Vereinheitlichung wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur haufig vorgenommen, obwohl den erwahnten Begriffen unterschiedliche Ansatze und Konzepte zugmnde liegen.

Wrightetal. (1994), S.304 Barney und Wright (1998), S. 32 vgl. Wright et al. (1992), S.304. Sie definieren Humanressourcen als Pool von humanem Kapital, das vom Untemehmen in einer direkten Arbeitsbeziehung kontrolliert wird. vgl. Neuberger (1997), S.19-21 vgl. Ridder und Conrad (2004), S. 1711 vgl. Weber (1992), S.1827

66

3.4

Human Resource Management

Das Management der Humanressourcen

Als Quelle von Wettbewerbsvorteilen sind die Humanressourcen untemehmensspezifisch derart zu kombinieren, dass sich deren Nutzenmoglichkeiten fur das Untemehmen als optimal erweist."^^^ Dabei stellt sich nun die Frage, wie das HR-Management dazu beitragen kann, dass die Humanressourcen zu einem dauerhaften, iiberdurchschnittlichen Gewinn fuhren. Zur Beantwortung dieser Frage wird anschliessend auf massgebliche Studien eingegangen, welche die Aktivitaten des HRM in der Beschaffung, Entwicklung, Isolierung sowie Steuerung der Humanressourcen sehen.

3.4,1 Beschaffung und Entwicklung der Humanressourcen Welche Konsequenzen die Wertbestimmung der HR durch das Management fur deren Auswahl und Entwicklung hat und welche begleitenden Instrumente das Management dabei einsetzen kann,^^^ wird insbesondere in der pragmatischen Variante des ressourcenbasierten Human Resource Management untersucht:^^"^ Ausgangspunkt des (Strategie-)Prozesses bildet die Fahigkeit des Untemehmens, knappe und wertvoUe Humanressourcen zu identifizieren, sie zu beschaffen und eine geeignete Formen der Zusammenarbeit mit ihnen zu etablieren. Das HRM hat Voraussetzungen zu schaffen, unter denen sich die Humanressourcen zu Wettbewerbsvorteilen entfalten konnen, indem sie auf dieser Basis vorteilhafte strategische Optionen bestimmen bzw. Strategielticken identifizieren. Dabei ist der Frage nachzugehen, ob der Beitrag von Humanressourcen zur Kemkompetenz des Untemehmens jeweils spezifiziert wird."^^^ Es gilt also abzuwagen, ob die zu beschaffenden oder zu entwickelnden Humanressourcen in dem Sinne wertvoll sind, als sie Wettbewerbsvorteile generieren konnten.^^^ Das Management hat femer danach zu fragen, ob diese Humanressourcen eine hohe Spezifitat aufweisen: Sind sie bpsw. sowohl wertvoll als auch schwer zu beschaffen ware eine interne Entwicklung das zu wahlende Mittel, das durch Bindungsstrategien abgesichert werden miisste. Sind Humanressourcen jedoch leicht zu beschaffen und tragen sie wenig zu den Kemkompetenzen des Untemehmens bei, sollen sich die HRM-Instmmente auf

vgl. Ridder und Conrad (2004), S. 1711 -1712 vgl. Wright et al (1994), S.301-326 vgl. Grant (1991), S.l 14-135 vgl. Prahalad und Hamel (1997), S.968-987 vgl. Lepakund Snell (1999), S.31-48

Das Management der Humanressourcen

67

Routinen wie bspw. die Vertragsgestaltung oder die Entlohnung konzentrieren.^^^ Diese Unterscheidung segmentiert die Humanressourcen und korrespondiert mit Ansatzen der HRM-Bundelforschung.^^^ Damit wird die Frage nach der Balance zwischen kurzfristigen Arbeitsvertragen und langfristigen Beschaftigungsverhaltnissen sowie nach den damit verbundenen Modalitaten des Einsatzes und der Beschaftigung der Humanressourcen aufgeworfen. Dabei stellt sich heraus, dass das Untemehmen zwar darauf angewiesen ist, kurzfristige Massnahmen zu ergreifen, um bestehende Strategien zu realisieren. Will es jedoch dauerhafte Wettbewerbsvorteile erzielen, muss es die kurzfristigen und die langfristig wirkenden Massnahmen in Ubereinstimmung bringen. Als wesentliche Merkmale einer kurzfristigen Orientierung gelten bspw. Leistungsmessungen oder die Entlohnung, wahrend bspw. Aus- und Weiterbildung bei einer langfristigen Orientierung von Bedeutung ist. Ziel des HRM ist es, Beschaftigungsmodalitaten und den Einsatz von HR-Instrumenten im Hinblick auf die Generierung von Wettbewerbsvorteilen auszubalancieren und Gestaltungsoptionen zu entwickeln.^^^

3,4.2 holierung und Schutz der Humanressourcen Sind die Humanressourcen einmal beschafft und entwickelt, stellt sich als Nachstes die Frage, wie sie sich innerhalb des Untemehmens gegeniiber Wettbewerbem schiitzen lassen. Dabei ist der Einsatz und die Kombination der Humanressourcen - ein Managementproblem - von Bedeutung.^^^ Im Kern geht es dabei um die Frage, wie am Markt zu beschaffende Humanressourcen durch geeignete Massnahmen entwickelt werden konnen, bis sie eine gewisse Exklusivitat erreichen. Insbesondere WRIGHT ET AL. haben in ihrem Modell verschiedene Instrumente prasentiert, mit deren Hilfe sich Humanressourcen einerseits entwickeln und andererseits starker an das Untemehmen binden lassen.^^^ Danach besteht die Aufgabe eines ressourcenbasierten HRM in der friihzeitigen Akquisition und Entwicklung von Qualifikationen und kognitiven Fahigkeiten sowie in deren Transformation in konkretes Verhalten. Das Management hat sich zu fragen, welche verhaltensbezogenen und integrativen

vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1710 vgl. Guest (1997), S.263-267 vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1708 vgl. dazu Ridder et al. (2001), S.25-27 vgl. Wright etal.( 1994), S.318

68

Human Resource Management

Instrumente diesen Prozess unterstiitzen und damit eine Barriere gegen Imitation und Substitution darstellen?^^ Selbst wenn andere Wettbewerber Humanressourcen mit gleichen Qualifikationen akquirieren, ist damit nicht gewahrleistet, dass deren Fahigkeiten auch in gleiches Verhalten iiberfuhrt werden, v.a. wenn unterschiedliche Kombinationen von HRMInstrumenten eingesetzt werden. Eine weitere Barriere kann in der kausalen Ambiguitat von Wettbewerbsvorteilen liegen. Das Management hat durch die Bildung untemehmensspezifischer Gruppenarbeiten oder durch die Verteilung von Wissen und Fahigkeiten auf verschiedene Fersonen dafiir zu sorgen, dass das Untemehmen vor Wettbewerbsnachteilen geschiitzt wird. Humanressourcen mit spezifischem Wissen bilden ggf. informelle Netzwerke, die in Bewegung sind, sich verandem und auf diese Weise bestimmte, fiir das Untemehmen wettbewerbsfahige Elemente standig reproduzieren, ohne dass Wettbewerber diese Zusammenhange dechiffrieren konnen.^^^ Demnach basieren Wettbewerbsvorteile auf einer systematischen Entwicklung von Humanressourcen durch das Management. Die Unterscheidbarkeit von anderen Untemehmen entsteht bei gleichem Zugang zu Humanressourcen durch den Arbeitsmarkt v.a. durch eine besondere Prozessentwicklung und Biindelung der vorhandenen Humanressourcen durch das Management.^^"^ Dabei wird die strategische Kapazitat der Humanressourcen zur Kemfrage des Managements erhoben. Im Sinne eines HR-Vorteils ist danach zu fragen, ob die eigenen vorhandenen HR flexibler, besser qualifiziert und kooperationsbereiter sind als die HR der Wettbewerber und daruber hinaus, welche Massnahmen durch Anwendung von HRM-Instmmenten zu den angestrebten Wettbewerbsvorteilen fiihren.^^^ Im Sinne der HR-Prozessentwicklung ist also zu entscheidend, dass es dem Management gelingt, diese Humanressourcen zu erschliessen.

3,4,3 Erschliessung und Steuerung der Humanressourcen Humanressourcen unterscheiden sich von anderen Ressourcen durch ihre Besonderheit und Eigenwilligkeit - Charakteristika, die zu Managementproblemen ftihren.^^^ Der Prozess der

vgl. Becker und Gerhart (1996), S.781 zu Imitation und Stock (2004), S.243 zu Substitution. vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1710 vgl. Guest (1997), S.270 fur einen Uberblick iiber wichtige Forschungen im Bereich HR-Bundelung und Erfolgsfaktoren. vgl. Boxall (1996), S.66 vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1711

Das Management der Humanressourcen

69

Erschliessung der Humanressourcen erweist sich somit nicht nur als Bundelungsproblem von HRM-Instrumenten,^^^ sondem auch als Steuerungsproblem des HRM, da Verhalten nicht nur aus dem Einsatz von HRM-Instmmenten resultiert, sondem daruber hinaus auch aus der unmittelbaren Einflussnahme - bspw. durch die Fiihrungskrafte.^^^ Dem Umstand, dass Humanressourcen einerseits an das Untemehmen gebunden werden soUen, andererseits aber ihren Marktwert wissen, wird durch eine materielle und immaterielle firmenspezifische Anreizgestaltung im HinbUck auf deren Bindungswirkung Rechnung getragen. Beziiglich der materiellen Anreizgestaltung werden insbesondere langfristige Bindungsstrategien diskutiert.^^^ Bei immateriellen Anreizen steht eine individuelle Steuerungswirkung durch partizipations- und kulturbewusste Untemehmensgestaltung im Vordergrund.^^^ Von besonderer Bedeutung fiir das Management ist die Notwendigkeit der Transformation von Arbeitsvermogen in Arbeitsverhalten. Entsprechend hat sich das HRM zu fragen, welche Mittel es einsetzen kann, um den Wettbewerbsvorteil uber direkte wechselseitige Einflussnahme aufrecht zu erhalten.^^^ Es ist erforderlich, die mit der Ressourcenorientierung verbundenen Veranderungen in Untemehmen in eine Veranderangsfahigkeit von Management

und

Humanressourcen

zu

transformieren.

Das

ressourcenbeschaffende

und

-kombinierende Management wird somit selbst zur Ressource.^^^

3.4,4 Gemeinsames Verstandnis von HRM Entsprechend der RBV ist es Aufgabe des Managements, fruhzeitig wertvolle, seltene, nicht imitierbare und substituierbare Humanressourcen zu beschaffen, diese von Wettbewerbem zu schutzen und sie untemehmensintem zu erschliessen.^^^ Erst durch die Kombination von Nutzenmoglichkeiten durch das HRM lassen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile realisieren. Dies lasst sich auch anhand einer Anzahl Untersuchungen empirisch nachweisen,

vgl. Guest (1997), S.270 bspw. durch Fuhrung, vgl. bspw. Bamberger und Wrona (2004) oder Staffelbach (2001a), S.31-44 vgl. Grant (1991), S. 120-125 vgl. Ridder und Conrad (2004), S.1711 vgl. Coff( 1977), S.374-402 vgl. Lado und Wilson (1994), S.699-727 vgl. Holmes und Schmitz (1995); Hunt und Morgan (1995), S.11-13; Briiderl et al. (1992) und Bates (1985). Sie geben Beispiele fiir theoretische und empirische Arbeiten, bei denen der Untemehmenserfolg in Abhangigkeit von den Humanressourcen des Untemehmens modelliert wird.

70

Human Resource Management

welche einen signifikanten Einfluss des HRM auf den Erfolg eines Untemehmens darlegen.^^"^ So zeigt bspw. die Studie von MCDUFIE und KAFCIK, dass Untemehmen mit einem commitmentfordemden HRM - wie bspw. Teamorganisation, Partizipation und Beschaftigungssicherheit - eine hohere Produktivitat und v. a. eine bessere Qualitat erzielen als andere Produktionsstatten.^^^ Andere Untersuchungen - insbesondere die Studie von HUSELID belegen, dass der Return on Investment (ROI) bereits beim Einsatz weniger ausgewahlter

Autoren

Untersuchungsbereich

Fragestellung

Ergebnis

ARTHUR (1994)306

30 Stahlmienen

Zusammenhang von spezifischen HRMKonfigurationen und Produktivitat/Fluktuation

MACDUFFIE

62 Montagewerke der Automobilindustrie

Zusammenhang von ,HRBundles' und Produktivitat sowie Qualitat

986 Untemehmen verschiedener Branchen

Zusammenhang von ,high performance work practices' und Fluktuation, Produktivitat und fmanziellem Unteraehmenserfolg Zusammenhang von innovativem Human Resource ManagementSystemen und Produktivitat Zusammenhang von ,recmitment',,compensation', jtraining', und Absentismus und Fluktuation Wahrnehmung im Hinblick auf den Einsatz von Human Resource ManagementPraktiken

Betriebe mit einer ,commitment' Konfiguration weisen hohere Produktivitat und niedrigere Fluktuation auf als Betriebe mit einer , C ontrol' -Konfiguration ,HR-Bundles' erhohen Produktivitat und verbessem Qualitat, wenn sie in die organisationale Logik der flexiblen Produktion integriert werden Kombination von Personalentwicklung und Motivation senken Fluktuation und verbessem Produktivitat sowie fmanziellen Untemehmenserfolg

(1995)'''

HUSELID

(1995)^'^^

ICHNIOWSKI ETAL. (1997)309

36 Stahlproduzierende Betriebe

LAM/WHITE

235 Untemehmen in 14 Produktionsindustrien

(1998)'^'

GUEST (1999)311

Zufallsauswahl von rOOO Arbeitnehmera; Telefoninterviews

Betriebe mit innovativem Human Resource Management-Praktiken weisen eine hohere Produktivitat auf Untemehmen mit intemem Fokus auf diese Human Resource ManagementPraktiken weisen bessere Erfolgswerte aus als Untemehmen mit schwachem HR-Fokus Je hoher die Anzahl der eingesetzten HR-Praktiken, desto hoher deren positive Bewertung durch die Arbeitnehmer. Hohere Werte, insbesondere im Hinblick auf Vertrauen, Faimess, Arbeitsplatzsicherheit und Motivation

Tabelle 3-1: Einfluss des HRM auf den betrieblichen Erfolg^'

304 305 306 307 308 309 310 311 312

vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl.

Tab. 3-1 Einfluss des HRM auf den Erfolg eines Untemehmens MacDuffie (1995), S. 197-221 Arthur (1994) MacDuffie (1995) Huselid (1995) Ichniowski et al. (1997) Lam und White (1998) Guest (1999) Ridder (2002), S.218-220

Aufgaben. Trager und Adressaten des HRM

HRM-Instrumente - wie bspw. Fort- oder Weiterbildung oder variable Entlohnungssysteme deutlich steigt.^'^ Tabelle 3-1 gibt einen Uberblick iiber wichtige empirische Studien, die den Einfluss des HRM auf den betrieblichen Erfolg untersucht haben. Kritiker wenden jedoch ein, die empirischen Studien seien nur begrenzt aussagefahig, da erstens die begrifflichtheoretischen Grundlagen des HRM nur mangelhaft aufgearbeitet seien und zweitens auch die Frage der Kausalitat nicht restlos geklart sei.^^"* Die empirische Evidenz wie auch die oben dargelegten Plausibilitatstiberlegungen sprechen dennoch dafiir, dass das HRM tatsachlich einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg eines Untemehmens ausiibt, auch wenn sich dieser Erfolg im Einzelnen nicht exakt beziffem lasst.

Zusammenfassung: Das Management der Humanressourcen leistet in der Tat einen wesentlichen Beitrag zur Wertschopfung des Untemehmens, und zwar indem es durch Beschaffung, Entwicklung, Isoliemng, Erschliessung und Steuerung wertvoller, seltener, gering imitierbarer und kaum substituierbarer Humanressourcen gtinstige Leistungsvoraussetzungen schafft. Grundlegende Aufgabe eines betrieblichen HRM ist somit, die Nutzung und Forderung des innovativ-umsetzungsbezogenen Potenzials der Humanressourcen sicherzustellen und zur nachhaltigen Effizienzsteigerung des Gesamtuntemehmens beizutragen.^^^

3.5

Aufgaben, Trager und Adressaten des HRM

Damit das betriebliche HRM die grundlegende Aufgabe der Nutzung und der Forderung von Humanressourcen sicherstellen und dadurch zur nachhaltigen Effizienzsteigerung des Gesamtuntemehmens beitragen kann,^'^ wird diese ubergeordnete Aufgabe oft auf verschiedene untergeordnete Aufgaben- bzw. Teilbereiche aufgegliedert. Um welche Teilbereiche mit welchen Inhalten es sich dabei handelt und welche Instmmente bzw. Praktiken zu deren Umsetzung zur Verfugung stehen wird im Folgenden beschrieben. Anschliessend wird noch der Frage nachgegangen, wer als Trager des HRM in der Praxis in Frage kommt und an welche Adressaten sich das HRM in der Lehre richtet.

vgl. Huselid (1995), S.635-672 vgl. Ridder (2002), S.220 vgl. Wunderer und von Arx (2002), S.32 vgl. Wunderer und von Arx (2002), S.32

72

Human Resource Management

3,5,1 Aufgaben- bzw, Teilbereiche des HRM Angepasst an die RBV werden zur Beleuchtung einzelner Aufgabenbereiche des HRM Ansatze herangezogen, bei denen die Arbeitnehmer als Ressourcen^*^ gesehen werden.^ ^^ Fur die Benennung und Beschreibung der HRM-Teilbereiche findet in der Literatur eine Vielzahl verschiedener Ansatze.^^^ Eine im Rahmen dieser Arbeit sinnvoll erscheinende Differenzierung hat BRENZIKOFER vorgenommen.^^^ In ihrer Gliederung in einzelne Teilbereiche gibt sie nicht nur Aufschluss tiber die funktionalistische Betrachtungsweise des Faches HRM,^^^ sondem erschiesst auch deren Inhalte und Praktiken (Instrumente). Von Bedeutung ist diese Gliederung deshalb, weil sie einerseits die Auffassung spiegelt, dass Humanressourcen zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen verhelfen. Andererseits werden nebst viel zitierten angloamerikanischen Ansatzen - wie das Michigan-Konzept^^^ und das Harvard-Konzept^^^ auch funktionalistische Betrachtungen des HRM im deutschsprachigen Raum mit einbezogen.^^"^ Die HRM-Aufgaben gliedem sich demnach in sechs Teilbereiche: Strategiemq>lemeiitien]iig

Anteize / Beschafiigung-^Beurteihing





Handhwigswciaen der Huniaiuicssouroeii

Entwickluiig

Admimstration Abbildung 3-2: Teilbereiche des HRM^'

Im Gegensatz zum klassischen Personalmanagement, das ein Produkt des Taylorismus ist. Vgl. Taylor (1911) zu Scientific Management vgl. von Marrewijk (2003), S. 173-174. Vgl. zudem Kap. 3,3 Humane Ressourcen Im Wesentlichen lassen sich gestaltungsorientierte-, individualistische- und systemische Erklarungsansatze unterscheiden. Vgl. Klimecki und Gmiir (2001), S.37-68 fur einen guten Uberblick. vgl. Brenzikofer (2002), S.43-44 vgl. dazu Wright et al. (1992), S.l 150-1151 Devannaetal. (1981) Beer etal. (1984) vgl. Gaugler et al. (2004), S.1654-1658 und Wright et al. (1992), S.l 150-1151 fiir einen Uberblick in Anlehnung an Tichy et al. (1982), S.50; deutsch von Steinmann et al. (1989), S.399

Aufgaben, Trager und Adressaten des HRM

73

In der Strategieentwicklung und -implementierung stehen das Setzen und Regeln von HRMAktivitaten im Mittelpunkt. Weiter betrachtet wird die Beschdftigung mit ihren Inhalten: Gewinnung, Gestaltung und Reduktion. Ausser dem Bereich Beurteilung werden auch verschiedene Gestaltungsvariablen untersucht, die sich nach den Untemehmenszielen ausrichten und als Bestandteil eines konsistenten Anreizsystems gelten. Ein weiteres Aufgabenfeld stellt die Personalburteilung dar. Da sie jedoch auch fiir verschiedene andere Teilbereiche gmndlegend ist, bspw. als Ausgangspunkt fur die Entwicklung, wird sie separat behandelt. Den Bereich Entwicklung bzw. Qualifizierung stellt die bewusste Qualifizierung der Humanressourcen durch bildungs- und stellenbezogene Massnahmen sicher. Dariiber hinaus darf nicht vergessen werden, dass auch nach modemerem HRM-Verstandnis die effiziente Abwicklung von Prozessen eine weitere wesentliche Aufgabe des HRM darstellt. Deshalb folgt dann auch als sechste und letzte Komponente die Personaladministration}^^ Die Inhalte und Praktiken dieser Teilbereiche lassen sich wie folgt beschreiben:

HRM-Teilbereiche

Strategieentwicklung und -implementierung

Beschaftigung

Inhalt und Praktiken Strategieentwicklung bezieht sich auf die HRM-Strategie und beinhaltet grundsatzliche Fragen, wie bspw. mogliche Arten von Anstellungsverhaltnissen, HRM-Aufgabenteilung, Setzen von Prioritaten, Konsistenz der HRM-Praktiken in Untemehmen und Entscheidungsspielraum einzelner Untemehmenseinheiten in HRM-Fragen. Es geht also um HRM-bezogene Aktivitaten, welche Regeln fur das Management von Humanressourcen setzen, wovon ganze Gruppen von Arbeitnehmem betroffen sind. Strategieimplementierung bezieht sich hingegen auf die (ubergeordnete) Strategic des Untemehmens und den Beitrag des HRM zur Erfiillung dieser Strategic bzw. auf die Sicherstellung der Verkntipfung von HRM- und Geschaftsstrategie (die Implementierung der HRMStrategie fmdet iiber die Erfiillung der anderen flinf Aufgaben statt). Gewahr lei stung der Personalkapazitat in quantitativer, qualitativer, zeitlicher und ortlicher Hinsicht. Die Gewinnung erfolgt auf der Grundlage der Personalbedarfsplanung: Die Personalplanung ermittelt den Personalbedarf in qualitativer (Qualifikation) und quantitativer Hinsicht (Ermittlung von Personalbestanden). Anschiessend trifft sowohl das Untemehmen (aus dem Bewerberpool) als auch ein potenzieller Arbeitnehmer (aus moglichen AN) eine Auswahl; deshalb sind diesbeziiglich zwei Teilbereiche zu betrachten: 1. Personalmarketing: Einerseits wird mittels Kommunikation von bspw. Anreizen ein attraktives Untemehmensimage auf dem Arbeitsmarkt angestrebt und das akquisitorische Potenzial des Untemehmens dadurch aufgebaut. Andererseits geht es auch um die konkrete Suche und Anwerbung von Humanressourcen. 2. Selektion: Das Untemehmen wahlt aus dem Bewerberpool anhand bestimmter Kriterien mit Hilfe von Testverfahren eine geeignete, qualifizierte Person aus. Im Rahmen der Integration steht die Eingliederung, welche die Einarbeitung in die Aufgabe und die Einflihmng in die soziale Stmktur beinhaltet, im Vordergrund. Wird die Beschaftigung aufgrund personeller Uberkapazitaten verringert, heisst das Reduktion.

vgl. Brenzikofer (2002), S.42

74

Human Resource Management

Beurteilung

Gestaltung Anreizsystem

Entwicklung

Administration

Beurteilung der bisherigen Leistung des Arbeitsergebnisses, des Verhaltens und/oder des Potenzials zur Leistungserbringung in der Zukunft mit unterschiedlichen Zielen: Das Feedbacksystem ist die Grundlage ftir Lem- und Entwicklungsprozesse. Haufig dient die Bewertung auch als Basis zur Bestimmung von Leistungslohnen und zum Einsatz des Personals. Je nach Ziel und Inhalt der Beurteilung kommen andere Verfahren zum Zug. Uber ein Beurteilungsverfahren konnen nicht alle Ziele gleichzeitig erreicht werden. In Abhangigkeit der konkreten Ausgestaltung ist die Beurteilung eng mit dem Anreizsystem und der Entwicklung verbunden, da sowohl eine leistungsabhangige Entlohnung als auch konkrete Massnahmen auf den Resultaten der Beurteilung basieren konnen. Verhaltenssteuerung mittels Setzen von Anreizen, so dass sich die Arbeitnehmer nach der Erreichung der Untemehmensziele ausrichten bzw. dass ihr Beitrag zur Implementierung der Untemehmensstrategie honoriert wird. Gemass der Unterteilung in materielle und immaterielle Anreize sind die Belohnung und die Arbeitsgestaltung einzeln zu betrachten: Die Belohnung (materiell) setzen sich generell aus dem Grundlohn, einem variablen Teil und aus Zusatzleistungen zusammen und kann in seiner Hohe von verschiedenen Faktoren abhangig gemacht werden. Die Arbeitsgestaltung (immateriell) befasst sich mit Arbeitsbedingungen und -inhalt. Dazu zahlen bspw. Arbeitszeiten, Arbeitsvertrag oder Handlungsspiehaum. Im Vordergrund steht eine optimale Nutzung der HR. Auch sonstige Aufgabenfelder wie bspw. die Entwicklung uben eine immaterielle Anreizwirkung aus. Solche Gebiete werden jedoch aufgrund ihrer zusatzlichen anderswertigen Bedeutung separat, also nicht primar unter dem Anreizaspekt betrachtet. Bewusste Qualifizierung von Arbeitnehmem mittels Aus-Weiter- und Fortbildung, Umschulung Training, Job Rotation oder Karrieremanagement, wobei das Lemen die gemeinsame Grundlage darstellt. Es lassen sich bildungsbezogene (bspw. Fortbildung) und stellenbezogene Massnahmen (bspw. Karriereplanung) der Entwicklung von Qualifizierung der HR unterscheiden. Der Zweck ist die Entwicklung von Kompetenzen der HR zur Erreichung aktueller und zukiinftiger Ziele. Die Entwicklung nimmt dort einen besonders hohen Stellenwert ein, wo HR nicht durch Rekrutierung uber den extemen Arbeitsmarkt gewonnen werden konnen. Fiir die HR stellen Entwicklungsmassnahmen eine Moglichkeit zur personlichen Entfaltung und zur Erreichung individueller Ziele (bspw. Status, Beforderung) dar. Entwicklungsmassnahmen werden aus Soll-Ist-Vergleichen abgeleitet, wobei der Beurteilungsprozess die entsprechenden Informationen iiber vorhandene Qualifikationen liefert. Abwicklung bzw. Verarbeitung der anderen Aufgaben. Dazu gehoren bspw. HRDatensammlung, -verarbeitung und -verwaltung, allgemeine Datenbereitstellung und -aufbereitung, Erstellen von Lohnabrechnungen, Ausfiillen von Formularen oder Verfassen von Anstellungsvertragen bzw. -verfugungen.

Tabelle 3-2: Aufgaben- bzw. Teilbereiche des HRM^'

3.5,2

TrdgerdesHRM

Wird das Management der Humanressourcen betrachtet, gilt es femer zu klaren, wer diese HRM-Aufgaben wahmimmt. Die Frage nach der Tragerschaft (Akteure) des HRM lasst sich grundsatzlich in zwei Teilfragen aufspalten: •

Erstens, wer kommt als Trager dieser Aufgaben uberhaupt in Frage?



Zweitens, welche Organisationsformen (der Personalabteilung) in Frage kommen?^^^

vgl. Brenzikofer (2002), S.43-44

Aufgaben, Trager und Adressaten des HRM

Letzteres

wird

hier

Gestaltungsmoglichkeiten

nicht des

75

behandelt, HRM

da

nicht

die

verschiedenen

konstitutiv

fur

den

strukturellen vorliegenden

Untersuchungsgegenstand sind. Bei der Beantwortung der Frage, wer als Trager des HRM zu bezeichnen ist, hat sich herauskristallisiert, dass nicht nur die klassische Personalabteilung als tragende Stelle in Frage kommt, sondem „Managing people is a central concern of every single manager in every single organization."^^^ Inwieweit die Aufgaben des HRM ausdifferenziert und einer spezialisierten Abteilung zugewiesen werden, hangt weitgehend von folgenden Faktoren ab: •

Unternehmensgrosse: Je mehr Arbeitnehmer, desto wahrscheinlicher ist die Spezialisierung und Zuweisung von Personalzielen zu einer Personalabteilung.



Aufgabenstruktur:

Komplexe

Aufgaben

erfordem

spezifische

Berufe

und

Beschaftigungstypen, dies spricht fur eine auf spezielle Probleme ausgerichtete Personalabteilung. •

Managementphilosophie: Je hoher der Stellenwert der Arbeitnehmer ist, desto eher werden Spezialisten fur bestimmte Personalprobleme beschaftigt.^^^



Grad der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung: Fiir eine zentrale Erledigung der HRM-Aufgaben sprechen Spezialisierungsvorteile und die Konsistenz des HRM, fur eine dezentrale Losung der bessere Einbezug der situativen Gegebenheiten und die Nahe zum Arbeitnehmer.^^'

Grundsatzlich kommen zur Ausiibung der Personalfunktion vollig unterschiedliche Trager in Betracht. Dies spiegelt sich auch in der Meinungsvielfalt der unterschiedlichen Autoren, deren Ansichten graphisch in Abb. 3-3 zusammengefasst sind.^^^ STAFFELBACH weist jedoch darauf hin, dass kein Trager alle Funktionen erfuUen wird und dass keine Funktion nur einem Trager alleine vorbehalten ist.^^^ Wird in der hier vorliegenden Arbeit von Human Resource Management gesprochen, interessieren als Trager v.a. die strategische Spitze, die mittlere Linie und die unterstutzenden Einheiten. Entsprechend der im Kap. 3.4 vorgenommenen

vgl. Wunderer und Dick (2000), S.205-206 Milkovich und Boudreau (1997), S.9 vgl. Wachter (1992a), S.2203-2204; vgl. Staffelbach (1999b), S.803 vgl. Staffelbach (1999a), S.21; Wunderer (1995), S.469; Wachter (1992a), S.2204-2205 und Mintzberg (1979), S.20 vgl. Staffelbach (1999a), S.21

76

Human Resource Management

Definition des Begriffs HRM werden in dieser Arbeit der operative Kern und die weiteren Trager mangels zusatzlichen Erklarungsnutzens als Trager vemachlassigt.

Tragerder Personalftmktion

x

Strategische Spitze -Ui - GeschSMettung -Top-Management - Gesamtldtung

Mittlere Linie

-Linie - Teilbeteicbsleitear -jederVixgesetzte

Unterstutzende Einheiten . Personalabteihmg - Petsonaldief - HR-PiofMsiQiuas

WdtereTiager - InstitutionBUe Arbeitnehuieivertretnngm -Betri^Mrtrat - esxteme Beiatei/

A b b i l d u n g 3-3: Trager der Person alfunktion

3,5.3 Adressaten des HRM Die Frage, an wen sich das HRM richtet, wird i.d.R. beantwortet, indem die Arbeitnehmer in Gruppen^^'* segmentiert werden.^^^ Es existiert weder ein fiir alle Arbeitnehmer vereinheitlichtes HRM noch fur jeden Arbeitnehmer eine hochst personliche Regelung, sondem ein Human Resource Management, das sich an den betreffenden gruppenspezifischen Bediirfnissen der betreffenden Arbeitnehmer und den jeweiligen betrieblichen Einsatz- und Leistungsbedingungen mehr oder weniger homogener Arbeitnehmergruppen orientiert.^^^ Ziel ist die Identifikation bzw. Erreichung eines hohen Grades an Ubereinstimmung zwischen den Leistungsvoraussetzungen der HR einerseits und den durch das Untemehmen geschaffenen Situationsbedingungen andererseits.^^^ Daraus soil sowohl fur die Humanressourcen als auch fur das Untemehmen als Ganzes ein ideales Kosten-ZNutzenverhaltnis resultieren. Konkret heisst das, es werden ein grosserer Nutzen als bei der Generalisierung und tiefere Kosten als bei der Individualisierung erwartet.^^^ Bei der Bildung von Arbeitnehmergruppen sind folgende Aspekte zu beriicksichtigen:

vgl. vgl. vgl. vgl. vgl.

Ulich (2004), S.242-250 zu Arbeitsgruppen. Schramm (2004), S.121-122 Fritsch (1994), S.5 Marr und Friedel-Howe (1989), S.326 Fritsch (1994), S.58

Fazit des Human Resource Managements

77

Beschreibung

Aspekte Gesetzliche Kriterien

Spezifische betriebliche Bestimmungen

Individuumsbezogene Merkmale Segmentierung

Eine gewisse Differenzierung ist im Untemehmen rechtlich vorgeschrieben, bspw. bei Jugendlichen und weiblichen Arbeitnehmem beziiglich Arbeitszeiten Diese werden im Wesentlichen durch die Arbeitsteilung im Untemehmen, die Arbeitsstrukturierung, die Arbeitsgestaltung und damit auch durch die Arbeitsanforderungen der Arbeitsaufgabe bestimmt; bspw. werden zum Aufbau von Quahfikationen Arbeitnehmer mit dem benotigten spezifischen Know how besonders behandelt Dazu zahlen soziodemographische Merkmale wie Alter, personengebundene flinktionale Merkmale wie bspw. die Gesundheit oder personliche Lebensverhaltnisse (Familiensituation) Abgrenzbarkeit der Gruppe, Gruppengrosse und Stabilitat der Gruppe sind Merkmale, die zeigen, dass sich der Sonderaufwand fiir eine spezielle Behandlung lohnt

Tabelle 3-3: Aspekte der Bildung von Arbeitnehmergruppen

Beispielhaft

sei hier auf eine vorgeschlagene Gruppierung gemass SATTELBERGER

eingegangen.^'^^ Seiner Ansicht nach lasst sich eine grobe Differenzierung der Belegschaft in drei Gmppen von Arbeitnehmem vomehmen (vgl. Tab. 3-4). Da die Aspekte der Gruppenbildung in Abhangigkeit von der konkreten Strategic eines Untemehmens einen unterschiedlichen situativen Stellenwert einnehmen, wird in der vorliegenden Arbeit darauf verzichtet, eine (generelle) Gruppierung von Arbeitnehmem vorzunehmen.

Belegschaft Kembelegschaft Wettbewerbsfahige Belegschaft Elastische, fluide Belegschaft

Stellenwert Ihr Wissen ist fur die Kernkompetenzen des Untemehmens von entscheidender Bedeutung; das Ziel personalwirtschaftlicher Massnahmen besteht hier in der Sicherung von Know-how, Loyalitat und Lemfahigkeit dieser Arbeitnehmergmppe Hat Supportfunktion fur Kernkompetenzen des Untemehmens, muss aber gleichzeitig arbeitsmarktfahig bleiben - hier ist das Ziel ,binden ohne zu ketten' Ihre Fahigkeiten werden ,just in time' eingekauft - aufgmnd der zeitlichen Befristung besteht hier das Ziel des Personalmanagements in der Niedrighaltung der Arbeitskosten

Tabelle 3-4: Differenzierung der Belegschaft^'**

3.6

Fazit des Human Ressource Managements

Ob ein Untemehmen erfolgreich ist oder nicht, hangt letztUch wesentlich von seinen Humanressourcen ab.^"^^ Aus der eingenommenen Resource Based View kommt dem HRM

in Anlehnung an Fritsch (1994), S.7-37 vgl. Sattelberger (1999), S.21 vgl. Sattelberger (1999), S.21

78

Human Resource Management

deshalb eine zentrale Bedeutung zu, well die iibrigen Ressourcen - wie Finanzmittel, modeme Technologien und Inforaiationen - iiberall zu vergleichbaren Bedingungen verftigbar und somit leicht imitierbar sind.^"^^ Uber einen Wettbewerbsvorteil entscheidet infolgedessen letztendlich die optimale Nutzung und Forderung der Humanressourcen sowie die optimale Verkniipfung humanspezifischer Kompetenzen - wie bspw. FShigkeiten, Know-how oder soziale Beziehungen - mit den untemehmerischen Eigenheiten.^"^ Das Management der Humanressourcen wird demzufolge zu einem zentralen Faktor, der uber den Erfolg eines Untemehmens

(mit-)entscheidet.

Es

darf jedoch

nicht

vergessen

werden,

dass

Humanressourcen nicht nur ein Instrument der betrieblichen Ziel- bzw. Aufgabenerfiillung darstellen, sondem die Untemehmen dienen den Humanressourcen auch als Mittel zur Erreichung ihrer personlichen Ziele.^"*^ Aus diesem Grund kommt dem Management der Humanressourcen eine ganz besondere Stellung im Untemehmen zu: Es hat fiir ein ausgewogenes Verhaltnis zwischen okonomischer Effizienz (Kosten-Leistungs-Relation) und sozialer Effizienz (Erfiillung der Bedurfnisse und Interessen der Arbeitnehmer) zu sorgen.^"*^ Damit das Management der Humanressourcen den vielfaltigen inhaltlichen Anforderungen gerecht werden kann, wird haufig eine funktionale GUederung in HRM-Teilbereiche bzw. -Aufgabenbereiche vorgenommen.^"^^ Zur Erfiillung der Aufgaben einzelner Teilbereiche bedient sich das HRM verschiedener Praktiken. Diese Praktiken oder auch Instrumente und Massnahmen bezeichneten Methoden, unterstiitzen die Trager des HRM bei der Umsetzung ihrer teilbereichsspezifischen Aufgaben.^^^ Abb. 3-5 vermittelt einen zusammenfassenden Uberblick iiber die die Teilbereiche, Inhalte und Praktiken des HRM. Es sei darauf hingewiesen, dass die HRM-Bereiche einen aufgabeniibergreifenden Charakter aufweisen, d.h. die Gliederung erfolgt in erster Linie zielorientiert, namlich im Hinblick auf die im Kap. 4 prasentierte Analyse der betrieblichen Einsatzbereiche der Genanalyse.

346 347

vgi. Ridder (2002), S.218-219 ftir einen Uberblick iiber angestellte empirische Untersuchungen. vgl. Hill (1989), S.272 vgl. bspw. Wright et a l (2001), S.717 sowie Lado und Wilson (1994), S.699 vgl. Weber (1992), S.1827 vgl. Wunderer und von Arx (2002), S.32 vgl. Kap. 3.5 Aufgabenbereiche vgl. bspw. Amstrong (2003); Becker (2002a); Berthel und Becker (2003) sowie Oechsler (2000)

Fazit des Human Resource Managements

HRM-TeOberekbe

Inhalt

79

Praktiken

Strategte-Entwieldiiiig

HRM-Straiegle

Entwickfamg (to HRM-Stiategien (originire Sttategien), Setzoi von Regetn fur das Managoment von HR, f&r die gesamte Ofgaoisatioii oder Tdle davon

Qriginare Strategien AnstellungsverbSltnisse Au^abenteihing Konsistoiz der PiaJkliken Entsdieidung8q)iebaum

l^r8t^e»ImpleiiieBtfeniiig Erfullimg der Strategie der Otipnisation und Sicherstelhmg der Verim^fimg von HRM- und Qeschfiilsstrategie

- Die Iiiq)lementiening findet uber die BrMUung der anderm f&if Au^^iben statt

Geiflimuig Gewahrldstung der PersoiialkiQ)azit8t in quantitativa, qualitativer, zeMicher und 5rtlicher Hinsicht

Bewiiiiti^iBg

Inte^pnitifNi Defbition und Festl^ung der Rollen d ^ Mitaibeitet^

Personal^lanung Personabnaikettng Humai^otential Selection I- S«sale Integraticm

Rednklion Varic^erung der Beschafiigten aufgrund personeller Oberki|»zitit

Freisetaamg

Erbnichte Bemteiliuig Bemteiliiiig

Feedback zur Entlohnung (und Personaleinsatz)

Leistungsbeurteilung

Znkflnft^e Beurtdhuig Feedbadc zum Personaleinsatz (und ^itiobnimg)

Potenzialbemrteihing

Materidle Anrebne Verst&ken 'diidct* ein bestimmtes, zieigerichtetes Vethalten Anrdao^ttem

Sozialldstungm bumateridle Anridze Veratarken 'indirekt' ein bestimmtes, zieigerichtetes Vobaiten

Vorsdilagswesen Job Draign Laufbahq^lanung Sanatimg

Betriebliche Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

8i

Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

It is a twentieth-century truism that science is not done in a vacuum and should not pursued as if it could be. Doing science in the real world means anticipating those interactions and planning accordingly (Watson, J. D.f^"^

Mil der Beschreibung des naturwissenschaftlichen Hintergrunds der Genanalyse ^^ einerseits und des Human Resource Managements^^^ andererseits liegt ein Basiswissen aus jenen beiden Bereichen vor, das zum Verstandnis des vorliegenden Untersuchungsgegenstands, die betriebliche Genanalyse, bedeutend ist.^^^ Damit ist das Fundament fur die Untersuchung gelegt, ob bzw. wie sich die Genanalyse zur Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Arbeitnehmergesundheit^^^ einsetzen lasst. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, die Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse aufzuzeigen und in einem Katalog darzulegen. Dazu wird die Schnittstelle zwischen der Genanalyse und den HRM-Teilbereichen betrachtet. Zunachst werden die Aufgaben der einzelnen Teilbereiche kurz beschrieben und danach wird untersucht, wie die Genanalyse diese teilbereichsspezifischen Aufgaben beeinflusst. Dank diesem strukturierten Vorgehen wird es moglich, nicht nur das Spektrum der betrieblichen vgl. Watson und Juengst (1992), zit. nach Schoffski (2000), S.l vgl. Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergrund vgl. Kap. 3 Human Ressource Management in Anlehnung an Ulrich (2001a), S.29 vgl. Kap. 1.2.2 Gegenstand und Abgrenzung sowie Kap. 1.4.4 Aufrechterhaltung bzw. Forderung der Gesundheit

82

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

Einsatzmoglichkeiten aufzuzeigen, sondem die Genanalyse auch hinsichtlich ihrer betrieblichen Relevanz zu bewerten. Bei der Erarbeitung des Katalogs werden auch spezifische Problembereiche transparent, die sich beim Einsatz der Genanalyse abzeichnen.

Abbildung 4-1: Einsatzmfiglichkeit der betrieblichen Genanalyse

4.1

Betriebliche Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

Mit Bezug auf die am Ende des vorangehenden Kapitels dargelegten HRM-Teilbereiche^^"^ wird im Folgenden untersucht, wie die Genanalyse die teilbereichsspezifischen Inhalte und Praktiken beeinflusst. Diese Untersuchung basiert auf einem theoretisch-deduktiven Vorgehen, bei dem auf jene Literatur zuriickgegriffen wird, in der sich Aspekte aus den Begriffsdefinitionen von HRM^^^ einerseits und der Genanalyse^^^ andererseits finden. Zudem wird auf das Wissen der Autorin zuruckgegriffen, das sie sich im Laufe ihrer Forschungstatigkeiten und durch den Besuch von Kongressen angeeignet hat.^^^ Indem diese unterschiedlichen Wissensbereiche als Basis hinzugezogen werden, wird eine einseitige Betrachtung vermieden und stattdessen eine integrative Sichtweise vertreten.^^^

vgl. Abb. 3-5: HRM-Aufgaben, Inhalte und Praktiken vgl. Kap. 1.4 Begriffliche Definitionen. Das HRM als spezielle Betriebswirtschaftslehre zahlt zu den sozialwissenschaftlichen Grundwissenschaften. Gemass Walter-Busch (1977), S.9 beinhalten diese Wissenschaften Fachrichtungen wie Okonomie, Soziologie oder Psychologie. Diese werden auch als Basis fur die Recherche herangezogen. bspw. Humangenetik, Molekularbiologie aber auch medizinische Aspekte; vgl. dazu Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergrund Wie bereits erwahnt fallen darunter bspw. eine empirische Untersuchung zu 'Gentests bei der Personalselektion' (vgl. Eckerstorfer (2003), S.26) sowie der Besuch von Kongressen: 10* International Congress of Human Genetics (ICHG), Vienna (2001); SGMG/SGM Symposium for ELSI, Bern (2002); 18* World Conference on Health Promotion and Health Education, Melbourne (2004) und International Conference on Occupational Health Service, Helsinki (2005). vgl. Dietl (1993), S.34

83

Per HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalyse

Es sei darauf hingewiesen, dass die abgeleiteten Einsatzmoglichkeiten weder unabhangig voneinander noch allumfassend oder uberschneidungsfrei zu interpretieren sind. Der gewahlte Aufbau stellt vielmehr eine hilfreiche Heuristik zur Ausarbeitung der betrieblichen Einsatzmoglichkeiten von Gentests dar.

4.2

Der HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalyse

Damit die gewahlte, eher funktionalistische Gliederang in HRM-Teilbereiche bzw. HRMAufgabenbereiche dem im letzten Kapitel ausgefuhrten HRM-Verstandnis gerecht wird, gilt es zunachst die strategische Komponente zu betrachten.^^^ Die Verwendung der Genanalyse im Teilbereich Strategic wird anhand der im vorangehenden Kapitel vorgestellten Inhalte und Praktiken vorgenommen:

Teilbereich

Inhalte

Praktiken

Strat^eentwicMnng

HRM-Strategle

Entwicklimg der HRM-Strategirai (origijEiare Strategien), Setzea van Regeln iSir das Msnagcmast von HR« fir das gesamte Unt»ndhmen oder Teile davon

Strategieimplementienuig EifilUung der Strategie des Untemehmens und SichersteUung der VerkQiq>fung von HSM- und GeschSltsstiiategie

Oesundheit Unt^nehmenskultur AufgabenteUung Konsistenz der PraktUcoi Entscbeidungsspielraum PersonalcontroUing Die LDDptementierung findet uber die ErfuUung der anderen fimf Aufg^ben statt

A b b i l d u n g 4-2: HRM-TeObereich HRM-Strategie^^"

Im Folgenden werden die Inhalte und Praktiken des Teilbereichs HRM-Strategie auf die Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse hin untersucht. Dazu werden die Inhalte und Praktiken zunachst kurz beschrieben und anschliessend ermittelt, ob bzw. wie die Genanalyse diese beeinflusst.

vgl. insbesondere Ulrich (1997) aber auch Baron und Kreps (1999) sowie Mohrman und Lawler (1997). Ulrich wie auch Mohrman und Lawler gehen dabei von Rollen der HRM-Abteilung bzw. von HRMProfessionals und nicht von Aufgaben des HRM generell aus. vgl. Abb. 3-5 HRM-Aufgaben, Inhalte und Praktiken

84

Einsatzm5glichkeiten der Genanalvse

4,2,1 Strategieentwicklung Ziel

der

HRM-Strategieentwicklung

ist

es,

Optionen

zu

erarbeiten,

um

untemehmensspezifische Kompetenzen aufzubauen, sie zu erhalten und ihre Nutzung moglichst lange Zeit zu monopolisieren.^^^ Die Absicht besteht im Entwickeln von HRMStrategien und im Setzen von Regeln fiir das Management der HR, das gesamte Untemehmen oder auch fur Teile davon. Zur Erfullung dieser Aufgaben bedient sich das HRM verschiedener Praktiken (vgl. Abb. 4-2). Diese werden im Folgenden auf den Einsatz der Genanalyse gepruft.

4.2.1.1

Arbeitnehmergesundheit

,Gesunde Arbeitnehmer sind bessere Arbeitnehmer'. Gemass diesem Motto verfolgen Untemehmen (oft) eine Gesundheitsstrategie, um krankheitsbedingte Ausfalle zu senken bzw. eingeschrankte Leistungsfahigkeit wahrend der Arbeitszeit (Prasentismus) zu reduzieren.^^^ Die Gesundheit der Arbeitnehmer ist fiir Untemehmen somit eine wichtige Ressource, die v.a. dann zum Tragen kommt, wenn dem Untemehmen aus der Reduziemng krankheitsbedingter Kosten (Wettbewerbs-) Vorteile erwachsen.^^^ Ziel einer Gesundheitsstrategie ist es daher die gesundheitlichen Ressourcen der Arbeitnehmer durch ex ante- als auch ex post-Barrieren so zu biindeln, dass sie Wettbewerbsvorteile generieren.^^"^ Dabei kann die Genanalyse Hilfestellung leisten, und zwar indem sie als Instmment der Aufrechterhaltung bzw. der Fordemng der Arbeitnehmergesundheit eingesetzt wird.^^^

Indem durch die Genanalyse genetische Erkrankungsrisiken friihzeitig erkannt werden, eroffnet sich die Moglichkeit, diesen friihzeitig und gezielt vorzubeugen.^^^ Obwohl genetische Erkrankungen oft inft)lge ungunstiger Umweltzustande ausbrechen und sich aufgmnd einer Genanalyse eine Erkrankung nicht mit Sicherheit vorhersagen lasst, ist doch

364 365

Vgl. dazu Ridder et al. (2001), S.90-91 vgl. Hemp (2004), S.49-58, Goetzel (2003), S.53 und Gestmann (2002), S.36 zu Prasentismus. in Anlehnung an Ridder (2002), S.224 vgl. Jansson et al. (2000), S.36 vgl. Kap. 1.4.4 Begriffliche Grundlagen vgl. Eberbach (1991), S.82

Per HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalyse

85

ein bestimmtes erhohtes Risiko feststellbar.^^^ Das Wissen um ein derartiges gesundheitliches Risiko eroffnet die Moglichkeit eine entsprechende Erkrankung durch gezielte Pravention hinauszuzogem bzw. deren Auswirkungen zu reduzieren oder gar zu verhindem.^^^ Der pathologischen Eisenablagerungskrankheit Hamochromatose^^^ bspw. ist bei friihzeitiger Diagnose verhaltnismassig einfach vorzubeugen. Der Patient muss hin und wieder zur Ader gelassen werden. Wird die Erkrankung hingegen nicht erkannt und schreitet sie unbehandelt fort, droht ihm am Ende sogar eine Organtransplantation. Einer Osteoporose,^^^ um ein weiteres Beispiel zu nennen, ist gut durch kalziumreiche Emahrung und regelmassig korperliche Bewegung entgegenzuwirken.^''' Genetischen Erkrankungen kann prinzipiell durch Verhaltnispravention (bspw. Minimierung von chemischen Schadstoffen am Arbeitsplatz), Verhaltenspravention (bspw. Bewegung und Sport Oder Verzicht auf Genussmittel)^^^ oder durch eine individuell abgestimmte Behandlung (bspw. individuelle Medikation) entgegen gewirkt werden.^^^ Eine verhaltnispraventive Massnahme ware bspw., einen Arbeitnehmer mit einer besonderen Anfalligkeit fiir bestimmte Stoffe in eine andere Abteilung zu versetzen. Dazu ist es jedoch erforderlich, dass der Arbeitnehmer

dieses Wissen

aus seinem Genbefund

dem Untemehmen

mitteilt.

Verhaltenspravention hingegen kann der Arbeitnehmer selbstandig, d.h. ohne Einbezug des Untemehmens vomehmen, indem er sich - entsprechend seinem Genbefund - bspw. an bestimmte Emahrungsgewohnheiten halt oder eine entsprechende Therapie in Anspruch nimmt. Die individuell abgestimmte, medikamentose Behandlung wird in der Literatur unter dem Begriff Pharmakogenetik^'''^ abgehandelt.^^^ Pharmakogenetik ist „the study of the effects

vgl. Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergrund vgl. Sch6ffski(2000), S.318 Eisenspeichererkrankung, vgl. Pschyrembel online (2002) Verlust an Knochenfestigkeit, vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Medicine Worldwide; http://www.m-ww.de (2004) (Zugriff: Juni 2005) vgl. Ulich und Wulser (2004), S.28 vgl. dazu Pfluger (2002), S.87 Ein pharmakogenetischer Test dient der Suche nach interindividuellen genetischen Unterschieden in der Stoffwechsel- und Ausscheidungskapazitat von Leber Niere und Darm. Stoffwechsel- und Ausscheidungskapazitat bestimmen die Arzneimittelspiegel im Blut und damit die Wirkung und Nebenwirkung von Arzneimitteln. Im Allgemeinen wird dabei nach Unterschieden auf der Ebene der DNA, d.h. nach unterschiedlichen Genotypen gesucht, die sich in interindividuellen Unterschieden hinsichtlich der Medikamentenwirkung (Phanotypen) niederschlagen. Pharmakogenetische Tests konnen unter anderem eingesetzt werden, um eine Medikamentendosis individuell anzupassen. Vgl. Rippeetal. (2004), S.21 vgl. Rippe et al. (2004); Melzer et al. (2003); Peckham et al. (2003) und The Minister of Health, Welfare and Sport (2000)

86

EinsatzmQglichkeiten der Genanalvse

of genetic differences between individuals who have different responses to a medicine. "^^^ Ziel ist die Optimierung der medikamentosen Therapie durch eine auf die genetische Konstellation des Einzelnen zugeschnittene Auswahl und Dosierung von Medikamenten, wodurch deren Wirksamkeit erhoht und damit verbundenen Nebenwirkungen reduziert werden.^^^ Dazu wird auf der Basis des Genbefundes eine auf das Individuum zugeschnittene Therapie aufgebaut.^^^ Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es durch den Einsatz der Genanalyse moglich ist, ein erhohtes

Krankheitsrisiko

festzustellen

und

dementsprechend

Verhaltens-

oder

Verhaltnispravention zu betreiben, um den Ausbruch der diagnostizierten Erkrankung zu verzogem oder sogar zu verhindem. Zudem erleichtert der Genbefund auch die Suche nach der individuell optimalen Medikation. Dies fahrt dazu, dass die medikamentose Therapie eine raschere Wirkung erzielt bzw. bereits vorliegt, wenn die Erkrankung ausbricht. Der Arbeitnehmer fallt demnach erst gar nicht aus oder steht im Falle einer Erkrankung dem Untemehmen wieder frtther zur Verfugung.^^^ Diese Bandbreite an praventiven (oder gesundheitsfordemden)^^^ Massnahmen ermoglicht es, die mit der Gesundheit assoziierte betriebliche Produktivitat aufrecht zu erhalten bzw. sogar noch zu erhohen.^^^ Die Gesundheit der Arbeitnehmer ist allerdings nicht nur eine betriebliche Ressource, welche die Generierung von Wettbewerbsvorteile unterstutzt,^^^ sondem auch eine private Ressource der Arbeitnehmer selber. Als solche hat die Gesundheit einen spiirbaren Nutzen, der weit uber das Untemehmen hinausgeht, indem er auch der Familie der Arbeitnehmer, ihrer Umgebung und vielleicht sogar zukiinftigen Generationen zugute kommt.^^^ MURRY ET AL. bringen es auf den Punkt, wenn sie grundsatzlich vorschlagen „ [...] to utilize genetic testing technology to minimize associated health costs and the costs of benefits."^^"^

380 381

Peckham et al. (2003), S.4 vgl.Rippeetal.(2004),S.19 Als Beispiel ftir ein Medikament, das vor einer Verschreibung einen biochemischen Test erfordert, ist 'Herceptin' zu nennen (vertrieben von Genentech und ausserhalb der Vereinigten Staaten von Hoffmann LaRoche). Dabei handelt es sich um ein Medikament, das in der Brustkrebstherapie verwendet wird. Es wird bei Patienten verschrieben, die das Protein HER2 uberexprimieren. Dies sind etwa 25-30% der Frauen mit Brustkrebs. vgl. Hemp (2005), S.47-60 zu Kosteneinsparung von Prasentismus durchfruhzeitigeMedikation. vgl. Kap. 1.4.3 zur Definition von Prevention und Gesundheitsforderung. vgl. Jansson et al. (2000), S.20 und Boden (1991), S.404 vgl. Barney (1991), S.l 12 zur ressourcenbasierten Betrachtung von Untemehmen. vgl. Villaret (2001), S.13 Murray (2001), S.372

Per HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalyse

87

Schlussfolgerung: Durch die Verwendung der Genanalyse lassen sich grundsatzlich bestimmte Krankheitsrisiken friihzeitig erkennen. Dies wiederum ermoglicht es der Krankheit praventiv vorzubeugen, sie hinauszogem oder sogar verhindem oder die optimale Medikation dafiir zu finden. Mit dem Einsatz der Genanalyse lasst sich somit die Arbeitnehmergesundheit und folglich auch die betriebliche Produktivitat aufrecht erhalten bzw. erhohen, der krankheitsbedingte Ausfall und die krankheitsbedingten Kosten reduzieren sowie ein Wettbewerbsvorteil generieren.

4.2.1.2

Untemehmenskultur

Die Untemehmenskultur macht Aussagen zu innerbetrieblichen Werten,^^^ Normen^^^ und Wissensbestanden^^^. Obwohl eine einheitliche Definition der Untemehmenskultur noch aussteht,^^^ wird davon ausgegangen, dass sie das angestrebte Verhalten der Arbeitnehmer oft starker beeinflusst als untemehmerische Regeln - ja sie stellt eine Art Verhaltensdeterminante dar.^^^ Die Kultur eines Untemehmens steuert also das Handeln der Arbeitnehmer kostengiinstiger als explizite formale Regelungen und wirkt erst noch motivierender als diese.^^^ Die Untemehmenskultur ist also fur den Bestand und den Erfolg eines Untemehmens von erheblicher Bedeutung.^^' Daher sind Untemehmen bestrebt, eine gute Untemehmenskultur aufrecht zu erhalten bzw. zu fordem. In diesem Interesse empfiehlt es sich ein

Wert ist eine relativ dauerliafte Uberzeugung, dass gewisse Verhaltensweisen oder Ziele entgegengesetzten Verhaltensweisen oder Zielen vorzuziehen ist. Werte sind somit Standards mit Hilfe derer Praferenzsysteme beztiglich altemativer Verhaltensweisen festgelegt werden. Vgl. Rokeach (1973), S.5 Eine Norm ist eine Regel wie wir handeln sollen; vgl. Lautmann (1971), S.108. Normen werden als von aussen kommend erlebt, die einen gewissen Zwangscharakter auf das Verhalten ausiiben. Vgl. Kmieciak(1976), S.156 Wissen und Fahigkeiten bilden die kulturelle Dimension ab, die das im Laufe eines Systementwicklungs-prozesses gewonnene Problemlosungs-know-how erfasst, das nicht nur nach Massgabe der Einschatzung, sondem auch nach objektiven Kriterien, die dem System gestellten Aufgaben besser losen hilft. Vgl. Matenaar (1983), S.30 vgl. Price (2004), S.245-257 fiir einen guten Uberblick uber mogliche Def. von Untemehmenskultur vgl. Sauter-Sachs (1992), S.81; vgl. auch Staehle (1994), S.472. Grundsatzlich gilt jedoch, dass zu Untemehmenskultur unterschiedliche Konzeptionen bestehen, und zwar im Sinne von: Das Untemehmen hat oder ist eine Kultur. Vgl. Ruhli (1991b), S.14 vgl. RuWi (1991), S.13 vgl. Neubauer (2003), S.93

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

ausgeglichenes Verhaltnis herzustellen, das die Ziele des Untemehmens und die Interessen der Arbeitnehmer gleichermassen unterstutzt.^^^

Die Genanalyse begunstigt dieses Ausgleichsverhaltnis zwischen Untemehmen und Arbeitnehmer insofem, als sie durch die Erhaltung bzw. Forderung der Gesundheit (a) das Interesse der Arbeitnehmer, gesund zu bleiben und (b) das Interesse des Untemehmens, die krankheitsbedingten Ausfalle zu reduzieren, fordert. Im Optimalfall verhalt es sich so, dass die Arbeitnehmer in der Bereitstellung der Genanalyse das Engagement des Untemehmens erkennen, ihre Gesundheit zu fordem. Sie fuhlen sich dadurch wertgeschatzt und betreiben auf der Basis ihres Genbefundes aktiv Gesundheitsvorsorge (Verhaltenspravention). Das ftihrt langfristig zu einer besseren Gesundheit und zu einer Reduktion krankheitsbedingter Fehlzeiten. Dies ist fur beide Parteien von Nutzen: •

Das Untemehmen profitiert von den geringeren Krankenkosten.



Die Arbeitnehmer profitieren von einer verbesserten Gesundheit.

Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse vermag das optimale Ausgleichsverhaltnis zwischen Untemehmen und Arbeitnehmer zu untersttitzen. Indem Untemehmen den Arbeitnehmem die Genanalyse zur Fordemng der Gesundheit zuganglich machen und diese das Angebot nutzen, profitieren beide Seiten: Die Arbeitnehmer von einer verbesserten Gesundheit und das Untemehmen durch reduzierte Krankenkosten. Dies wiedemm tragt zur Fordemng der Untemehmenskultur bei.

4.2.1.3 Unter

PersonalcontroUing PersonalcontroUing

Evaluationsdenken

und

wird

„das

-rechnen

zur

planungs-

und

kontrollgestiitzte,

Abschatzung

von

integrative

Entscheidungen

zum

Personalmanagement, insbesondere zu deren okonomischen und sozialen Folgen"^^^ verstanden. PersonalcontroUing wird jedoch meist nur als quantitative Massnahme der Evaluation wahrgenommen und wird somit dem Ziel,^^'* namlich der Planung sowie

^^^ ^'^ '''

vgl. bspw. Price (2004), S.249 sowie Dill und Hiigler (1987), S.197 Wunderer und Jaritz (2002), S. 14 vgl. Becker (2002a), S.413

Per HRM-Teilbereich Strategic und die Genanalvse

Steuerung

und

Kontrolle

samtlicher

89

personalwirtschaftlichen

Prozesse

auf

den

wirtschaftlichen Erfolg des Untemehmens auszurichten, nicht gerecht.^^^ Damit es sich lohnt, die Genanalyse im Untemehmen (strategisch) einzusetzen, muss der Nutzen die Kosten logischerweise tibersteigen.^^^ Zur Messung der Wertschopfung dank der Genanalyse stehen dem Personalcontrolling verschiedene Bewertungsmodelle zur Verfiigung, wie bspw. die Balanced Scorecard, die Kosten-Nutzen-Analyse oder die KostenWirksamkeitsanalyse.^"^^ Egal welche Methode der Bewertung angewendet wird: Durch den Einsatz der Genanalyse fallen zunachst einmal Kosten an, denen keine unmittelbaren Erlose gegeniiberstehen - diese sind meist erst mit zeitlicher Verzogerung zu erkennen.

Wahrend

die Kosten fiir die Genanalyse direkt bei ihrer Anwendung entstehen wird der Nutzen, der durch gestindere Arbeitnehmer zu erwarten ist, oft erst Jahre spater ersichtlich, dann namlich, wenn die Arbeitnehmer tatsachlich weniger krankheitsbedingte Absenzen aufweisen. Diese Feststellung hat allenfalls erhebliche Konsequenzen fiir das Controlling. Nicht zu vergessen ist zudem, dass viele Kosten- und Nutzenkomponenten im Zusammenhang mit einer verbesserten Gesundheit schwer festzumachen sind, bspw. ein verbessertes Wohlbefinden der Arbeitnehmer. Wie bei anderen Gesundheitsfordemngsmassnahmen lassen sich viele Komponenten mangels sinnvoller Erfassbarkeit und/oder Quantifizierbarkeit gar nicht in die Genanalysegesamtbewertung mit einbeziehen.^^^ Bei der Kosten-Nutzen-Kalkulation ist femer zu beriicksichtigen, dass aufgrund der Genanalyse manche Ausgaben oder Einsparungen entstehen, wenn nur ein einziger Arbeitnehmer gesund bzw. erkrankt ist (fixe Kosten), andere steigen bzw. verringem sich mit der Zahl der Erkrankten untemehmensweit (variable Kosten)."^^^ Diese Faktoren machen eine objektive Gesamtbewertung relativ schwierig, tragen jedoch dazu bei, dass die Entscheidung beztiglich der Genanalyse besser abgesttitzt werden kann."*^'

vgl. Buhner (1994), S.372 vgl. Jansson et al. (2000), S.5 vgl. Wunderer und Jaritz (2002), S.333-414 fur einen guten Uberblick. vgl. bspw. Ulich und Wulser (2004), S. 197-226 vgl. Duelli(1996),S.113 vgl. Rosen et al. (2003), S.84 vgl. Ulich und Wulser (2004), S. 197-217 fiir Berechnungsmoglichkeiten von Gesundheitsfordermassnahmen.

90

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

Schlussfolgerung: Mit dem Einsatz der Genanalyse ist eine Erhohung der Wertschopfung des Untemehmens verbunden, vorausgesetzt, dass der Nutzen die Kosten ubersteigt. Obwohl die Evaluierung Kosten- und Nutzenkomponenten der Genanalyse sich nicht als einfach erweist, schafft sie dennoch eine bessere Entscheidungsgrundlage in dieser Frage. Eine detaillierte Kosten- und Nutzenberechnung der Genanalyse im Untemehmen ist Untersuchungsgegenstand im Kap. 5.2 dieser Arbeit. Deshalb wird hier an die entsprechende Stelle verwiesen.

4.2.1.4

Anstellungsverhaltnisse

Unter Anstellungsverhaltnis wird die Rechtsbeziehung zwischen Untemehmen und Arbeitnehmer verstanden."^^^ Die betrieblichen Arten von Anstellungsverhaltnissen zeichnen sich durch eine gesetzliche Regelungsdichte aus, die als Rahmenbedingung der Gestaltung von Arbeitsverhaltnissen Grenzen setzt."^^^ Von den diversen Arten von Anstellungsverhaltnissen ist sicherlich der unbefristete Arbeitsvertrag in Bezug auf die hier vorliegende Thematik der bedeutendste. Da die Diagnose eines genetischen Krankheitsrisikos i.d.R. keine Aussage zum Zeitpunkt des Krankheitsausbruchs machen kann,"*^"^ erscheint die Relevanz der genetischen Konstitution bei kurzzeitigen Anstellungsverhaltnissen eher sekundar. Der Arbeitnehmer konnte das Untemehmen beim Eintreten der Erkrankung bereits wieder verlassen haben.

In der Diskussion um Arbeitsverhaltnisse und Genanalyse gilt es nationale und evtl. auch intemationale Gesetzesregelungen zu beachten. Wie heterogen die betreffenden Bestimmungen sind, zeigt sich darin, dass die Gesetze selbst innerhalb von Europa divergent sind. So ist bspw. in Danemark, Belgien, Frankreich, Norwegen und Osterreich „[...] any use of genetic information for business purposes prohibited.""^^^ In Deutschland ist der Einsatz der

vgl. Oechsler (2000), S.180-182; Scholz (2000), S.172-191 und Jung (2001), S.52-100 fur einen guten Uberblick uber arbeitsrechtliche Normen. vgl. Achleitner et al. (2000) vgl. Kap. 2.3 Gentest - Nachweis von Krankheiten Godardetal.(2001),S.4

Per HRM-Teilbereich Strategie und die Genanalyse

91

Genanalyse am Arbeitsplatz noch nicht geregelt."*^^ In der Schweiz ist ein Gesetzesentwurf uber

genetische

Untersuchungen

am

Menschen

in

der

Vemehmlassung.

Die

Auseinandersetzung mit den entsprechenden Rechtsvorschriften ist fiir die Ausgestaltung der Anstellungsverhaltnisse

insofem

von

Bedeutung,

als

sich

die

Arbeitsbeziehung

moglicherweise in ein so genanntes faktisches Arbeitsverhaltnis umwandelt, das grundsatzlich nicht mehr einseitig (namlich durch das Untemehmen) aufgehoben werden kann."^^^ Somit konnte dem Arbeitnehmer nicht mehr gekiindigt werden.

Schlussfolgerung: Aufgrund der ungenauen Vorhersagemoglichkeit iiber den Zeitpunkt des Krankheitsausbruchs erscheint der Einsatz der Genanalyse vorwiegend bei langfristigen Arbeitsverhaltnissen zweckmassig. Bei der Ausgestaltung der Anstellungsverhaltnisse sind die entsprechenden Genanalyse-Rechtsvorschriften zu beachten.

4.2.1.5

HRM-Aufgabenteilung

Unter Aufgabenteilung wird die Zerlegung eines geschlossenen Arbeitskomplexes in einzelne Arbeitsaufgaben verstanden."*^^ Wie bereits im Kapitel drei geschildert, nimmt bei einem umfassenden Verstandnis von HRM nicht nur die klassische Personalabteilung HRMAufgaben wahr. Vielmehr gehen die Aufgaben weit iiber die Personalabteilung hinaus, da in einem Untemehmen zahlreiche wirtschaftliche Handlungen Personalaspekte aufweisen."^'^ Der Einsatz der Genanalyse bringt unvermeidlich neue Aufgaben mit sich, bspw. die Durchfiihrung von Kosten-Nutzenanalysen oder die Information der Arbeitnehmer. Andere Aufgaben

werden

wiederum

verandert,

bspw.

Gesundheitsforderprogramme

oder

Gesundheitschecks. Welche Aufgaben wie strukturiert bzw. umstrukturiert und welcher Abteilung zugeteilt werden, hangt v.a. von der Untemehmensgrosse, der Aufgabenstruktur, der Managementphilosphie und dem Zentralisiemngsgrad des bestimmten Untemehmens ab."^'' Inwieweit diese Aufgaben rund um die Genanalyse ausdifferenziert und einer

vgl. Godard et al. (2001), S.20 GUMG (2001), Absch.4, Art. 21-25, lit. a-c vgl. Becker (2002a), S.57 vgl. Becker (2002a), S.54 und Thorn (2001), S.127 vgl. Milkovich und Boudreau (1997), S.9 sowie Wachter (1992a), S.2203-2204 in Anlehnung an Staffelbach (1999b), S.803 und Wachter (1992b), S.2205

92

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

spezialisierten Abteilung zugewiesen werden, ist somit fur jedes Untemehmen individuell verschieden. Schlussfolgerung: Durch den Einsatz der Genanalyse entstehen neue Aufgaben, die neu zugeteilt (bspw. Information der Arbeitnehmer) und modifiziert werden mussen (bspw. Erstellen von Gesundheitsforderprogrammen). Welche Aufgaben von wem wahrgenommen werden, ist fur jedes Untemehmen situationsabhangig zu beantworten.

4.2.1.6

Konsistenz der HRM-Praktiken

Dadurch dass einzelne Tatigkeiten unterschiedlichen Aufgabenbereichen zugeteilt werden, lasst sich eine gewisse Konsistenz der Praktiken in Untemehmen sicherstellen."^^^ Die Zuordnung von Tatigkeiten zu unterschiedhchen Aufgabenbereichen ermoglicht eine geordnete Teilung der Aufgaben, die im Optimum zu einem konsistenten Output ftihren. Die Antwort auf die Frage, ob die Genanalyse zur Konsistenz des Outputs beitrage, lasst sich somit nicht fur alle Aufgaben verallgemeinem. Die Antwort auf diese Frage ist vielmehr aus den Ausfuhmngen aller angeftihrten Teilbereiche gesamthaft zu entnehmen."^^^

Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse zur Generiemng eines konsistenten Outputs ist in den einzelnen Teilbereichen unterschiedlich effektiv.

4.2.1.7

Entscheidungsspielraum einzelner HRM-Trager

Wie bei anderen Managementpraktiken auch, zeichnet sich der Entscheidungsspielraum einzelner

HRM-Trager"^ ^"^ durch

situative

Gegebenheiten

aus,

bspw.

Hierarchic,

Untemehmensphilosophie oder Untemehmensgrosse."^^^ Gmndsatzlich ist davon auszugehen, dass die organisatorische Gliedemng'*^^ und die Bedeutung, die den Humanressourcen

in Anlehnung an Devanna et al. (1981) und Beer et al. (1984) vgl. dazu Kap. 4.3,4.4,4.5,4.6 und 4.7. bspw. Gruppe oder Abteilung; vgl. Kap. 3.5.2 Trager des HRM vgl. dazu Staffelbach (1999b), S.803 vgl. bspw. Jung (2001), S.29-51 und Osterloh und Frost (1998), 186-235 zu funktions- oder prozessbezogeneOrganisationsgliederung.

Per HRM-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalvse

93

beigemessen wird, liber den Entscheidungsspielraum einzelner HRM-Trager entscheidet. Der Entscheidungsspielraum der HRM-Trager gibt Aufschluss iiber die Verteilung der Kompetenzen iiber hierarchische Ebenen hinweg. Soil die Genanalyse zur Aufrechterhaltung der Arbeitnehmergesundheit eingesetzt werden, sind neue Entscheidungen zu treffen (bspw. beziiglich der Frage: Wie lasst sich die Genanalyse optimal in das betriebliche Setting einbauen, oder wer soil die Tests durchfiihren?), die von einzelnen HRM-Tragem (bspw. HR-Professionals oder Linie) iibemommen werden miissen. Welche Genanalyse-Entscheidungen welche Trager treffen durfen, ist jeweils durch die Verteilung des entsprechenden Entscheidungsspielraums situativ.

Schlussfolgerung: Mit dem Einsatz der Genanalyse sind neue Entscheidungen zu treffen, die durch die Verteilung des entsprechenden Entscheidungsspielraums zwischen einzelnen HRMTragem jeweils situativ zu regeln sind.

4,2,2 Strategieimplementierung Durch

die

Strategieimplementierung

soil

die Verkniipfung

der HRM- und der

Geschaftsstrategie sichergestellt werden. Konkret geht es um die Umsetzung der aus der Untemehmensstrategie

abgeleiteten

HRM-Strategie.

Als

Beispiel

dafur

ist

die

Implementierung der betrieblichen Genanalyse zu nennen. Dabei ist zu beachten, dass die Umsetzung einer solchen (Genanalyse-) Strategic nicht ausschliesslich iiber den Teilbereich Strategic erfolgt, sondem iiber die ErfuUung der Aufgaben in den anderen Teilbereichen."^^^

Schlussfolgerung:

Die

Implementierung

der betrieblichen

Genanalyse

bspw.

als

Gesundheitsstrategie fmdet iiber alle Teilbereiche des HRM statt.

4.3

Der HRM-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalyse

Der HRM-Teilbereich Beschaftigung zielt vorwiegend auf die Gewinnung, die Integration und die Reduktion von Arbeitnehmem ab.

vgl. dazu andere HRM-Teilbereiche

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

94

Teilbereich

Prakdken

Inhalt Gewiimiiiig Gewifarleistuiig der Persooalkiipazitit in quantitativer, qualitativer, zeitlicher und drtlich^ Hiiisicht

Personalplawing Personalmaiketing/ Wiyrnii n ryytpnfifl 1

BeschSftigimg

Integratioii

Selektion

Definition und Fradegung der RoUen des Mitaibeiteis

Soziale Integration

Reduktioii VeningeFung der BeschSfiigten aufgrund personeller Obokiqpazitit

Fieisetzusg

Abbildung 4-3: HRM-TeUbereich BeschMftigung'*'

4,3,1

Gewinnung

Der Bereich Gewinnung hat die Aufgabe, die Bedarfsdeckung durch die Arbeitnehmer sicherzustellen. Das Ziel besteht in der Gewahrleistung der Personalkapazitat in quantitative!, qualitativer, zeitlicher und ortlicher Hinsicht."^*^ Zur ErfuUung dieses Ziels stehen der Gewinnung

verschiedene

Personalbedarfsermittlung,

Praktiken das

und

Hilfsmittel

Personalmarketing,

das

zur

Verftigung,

Untemehmensimage

bspw.

die

und

die

Selektion. Auf die in der Literatur vielfach zusatzlich getroffene Unterscheidung zwischen intemer und extemer Gewinnung"^^^ wird hier mangels zusatzlichen Erkenntnisgewinns im Hinblick auf diese Thematik nicht eingegangen."^^^

4.3.1.1

Personalbedarfsermittlung

Im Rahmen der Personalbedarfsermittlung wird der aktuelle, v.a. aber auch der zukunftige Personalbedarf erfasst. Dabei geht es darum, die Arbeitnehmermenge je Stellenkategorie oder Arbeitsgebiet zu bestimmten Zeitpunkten moglichst friihzeitig

419 420 421

zu erkennen und zu

vgl. Abb. 3-5, Abb. HRM-Aufgaben, Inhalte und Praktiken vgl. Thorn (2001), S.120 vgl. Frohlich und Hollander (2004), S.1406 vgl. Jung (2001), S.131, Scholz (2000), S.456 und Hentze (1994a), S.241-249 zur intemen und extemen Personalbeschaffung.

Per HRJVL-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalvse

95

bestimmen.'^^^ Dabei leistet die Genanalyse dann einen Beitrag, wenn sich mit ihrer Hilfe krankheitsbedingte Fehlzeiten besser einschatzen lassen. Falls sich das zukiinftige Krankheitsrisiko der Arbeitnehmer prognostizieren liesse, ware es grundsatzlich nicht nur moglich, die Bedarfsermittlung zu optimieren,'^^^ sondem auch die krankheitsbedingten Pensionierungen realistischer einzuschatzen.'*^^ Bei solchen Szenarien mag es sich allenfalls um Wunschvorstellungen handeln, die nicht dem hier vorliegenden Verstandnis der Genanalyse gerecht werden."^^^ In dieser Arbeit wird namlich davon ausgegangen, dass dem Untemehmen der Einblick in den Genbefund der Arbeitnehmer verwehrt bleibt. Eine verbesserte Vorhersage krankheitsbedingter Ausfalle oder Pensionierungen ist fiir das Untemehmen somit nicht moglich. Selbst wenn der Genbefund dem Untemehmen zur Verftigung stiinde, ware eine Bedarfsermittlung auf der Basis eines Genbefundes nur bedingt einsetzbar, denn laut dem Genbefund lassen sich zwar Erkrankungsrisiken vorhersagen, jedoch nicht der exakte Zeitpunkt des Erkrankungsausbmchs bestimmen.^^^ Als Instmment der Personalbedarfsermittlung ist die Genanalyse somit kaum von praktischer Relevanz.

Schlussfolgerung: Obwohl die Genanalyse eine Prognose iiber zukiinftige Krankheitsrisiken zulasst und dadurch die Personalbedarfsermittlung prinzipiell transparenter werden wurde, ist mangels betrieblicher Einsicht in den Genbefund und mangels ihrer Aussagekraft uber den Zeitpunkt des Krankheitsausbmchs zur Bedarfsermittlung von Personal kaum von Bedeutung.

4.3.1.2

Personalmarketing/Untemehmensimage/Humanpotenzial

Personalmarketing umfasst sowohl die Schaffung

und Optimiemng als auch die

Kommunikation von Attraktivitatspotenzialen."^^^ Damnter werden alle Aufgaben verstanden, die mit der Akquisition, der Auswahl und dem Einsatz von (neuen) Arbeitnehmem zu tun haben. Bei Personalmarketing handelt es sich also um einen sehr breiten Gegenstandsbereich.

vgl. bspw.Amstrong (2003), S.357-383; Jung (2001), S. 116-127; Luczak und Volpert (1997), S.958963 und Kossbiel (1992), S. 1596-1608 fiir einen Uberblick uber die Methoden der Personalbedarfsermittlung. vgl. Becker (2002a), S.406-408 in Anlehnung an Schober (1995), S.57 vgl. Kap. 1.2.2 Abgrenzung der Arbeit vgl. ausfuhrlich in Kap. 2.Naturwissenschaftlicher Hintergrund vgl. Brockermann und Pepels (2002), S.4

96

Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

Hier wird der Auffassung gefolgt, dass das Personalmarketing insbesondere der Erschliessung des extemen Arbeitsmarktes durch den Auf- und Ausbau eines positiven Images dient."^^^ Ziel des Personalmarketings ist es letztendlich, dass sich besonders qualifizierte Arbeitnehmer fur die vakante Stellen interessieren.

Der Einsatz der Genanalyse zur Erhohung der Attraktivitat eines Untemehmens, ist keineswegs unumstritten:"*^^ Wie bereits erwahnt, liegt im fruhzeitigen Erkennen von genetischen Krankheitsrisiken nicht nur die Chance, durch entsprechende Pravention den Ausbruch der Krankheit zu verzogem oder sogar zu verhindem, sondem der Genbefund kann auch wertvolle Hinweise bei der Suche nach der individuell optimalen Medikation bei Ausbruch einer Krankheit liefem.'^^^ Zudem lassen sich durch eine Genanalyse genetische Stoffwechselleistungen erheben, die Aufschluss uber individuelle Arbeitplatzrisiken geben."*^^ Diese Beispiele zeigen, dass der Einsatz der Genanalyse eher im Rahmen einer fursorgenden, arbeitnehmerorientierten Gesundheitspolitik zu diskutieren ist, welche die Attraktivitat des Untemehmens verbessem und somit das positive Image starken soil. Der Begriff Genanalyse in jedoch in der Offentlichkeit grundsatzlich negativ belegt."^^^ Dieser Umstand ist nicht zuletzt auf die Tatsache zunickzufiihren, dass betriebliche Gentests in den Medien meist in einem negativen Kontext diskutiert werden."*^^ Folglich stehen zahlreiche Arbeitnehmer einer Genanalyse eher skeptisch gegeniiber. Eine solche negative Beeinflussung lasst das angestrebte

Positivimage

u.U.

rasch

zu

einem

Negativimage

werden.

Da

das

Untemehmensimage auch Einfluss auf die Akquisition von neuen Arbeitnehmem ausubt, sind die Oberlegungen zur Genanalyse in der Absicht zu treffen, dass deren Einsatz den Bewerberpool positiv beeinflusst. Je besser das Untemehmensimage und desto hoher seine Anreizwirkung auf neue Arbeitnehmer, desto einfacher gestaltet sich die Anwerbung von adaquaten Humanressourcen.'^^'*

432 433 434

vgl. Thorn (2001), S.126 und Becker (2002a), S.437-438 vgl. Hennen et al. (2001) und Burgess (2001) zur Diskussion iiber den Einsatz der Genanalyse im Untemehmen. vgl. Rippe et al. (2004), S.28-30 vgl. Hennen et al. (2001), S.106 vgl.Braga(2000),S.41-42 vgl. Siegrist (2000), S. 197 vgl. Cisik (2002), S.245-256

Per HRM-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalvse

Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse beeinflusst das Untemehmensimage: Fassen | die Arbeitnehmer die Genanalyse als attraktives Gesundheitsinstrument auf, wird sich das positiv auf das Image auswirken und fblglich die Anwerbung von (neuen) Arbeitnehmem erleichtem; eine negative Auffassung wirkt sich kontraproduktiv aus.

4.3.1.3

Selektion

„Bei der Personalselektion sind die Bewerber zu ermitteln, deren Eignung und Neigung den zu besetzenden Stellen am besten entspricht."'*^^ Im Auswahlverfahren wird versucht, moglichst umfassende Informationen tiber den Bewerber zu ermitteln. Denn entschliesst sich das Untemehmen fxir eine Einstellung, so bedeutet dies fiir ihn eine Investition von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite."*^^ Dementsprechend versucht es, durch differenzierte Auswahlverfahren die Risiken einer Fehlbesetzung zu minimieren."*^^ Dazu wird, nach der Festlegung der Anforderungen beziiglich der Qualifikationen, eine Vorselektion durchgefiihrt, bspw. anhand der Analyse und Bewertung von Bewerbungsunterlagen. Anschliessend stehen dem Arbeitgeber verschiedene weitere Instrumentarien zur Ermittlung des am besten geeigneten Bewerbers zur Verfugung,"^^^ bspw. eine Genanalyse."^^^ Als Instrumentarium der Personalselektion'^'*^ soil die Genanalyse zeigen, ob der Bewerber in Bezug auf sich selbst oder anderen gegeniiber ein Sicherheitsrisiko darstellt.'*'*^ Von einem Sicherheitsrisiko gegeniiber sich selbst ist zu sprechen, wenn der Bewerber eine besondere Sensibilitat gegeniiber bestimmten berufsspezifischen Stoffen aufweist, wie bspw. allergische Reaktionen auf bestimmte Chemikalien bei Coiffeuren oder eine Mehlunvertraglichkeit bei Lattmann (1995), S. 152 Berechnungen der Arbeitgeberseite zufolge verursacht ein Durchschnittsarbeitnehmer in der Schweiz Personalkosten in der Hohe von ca. 87*000 CHF pro Jahr. Vgl. dazu Taupitz (2000), S.16 vgl. Faulstich (2000), S.5 vgl. Thorn (2001), S. 121 vgl. bspw. Schuler (2004), S. 1368-1373 und Becker (2002a), S.68-70, 578-581 zu den Instrumentarien der Selektion. vgl. HGC (2002), S.28. Der Einsatz der Genanalyse bei der Personalselektion wird in der Literatur fast ausschliesslich im Zusammenhang mit Diskriminierung und Ethik debattiert. Die Bandbreite an Argumenten gegen die Genanalyse als Selektionsinstrument ist enorm; vgl. bspw. EGE (2003); Burgess (2001); Murray (2001) und Kitcher (1998). Was in dieser Arbeit als Schutz der Arbeitnehmer verstanden wird, wird dort als Diskriminierung interpretiert: Die Moglichkeit, den Beruf entsprechend personlicher Praferenzen zu wahlen wird eingeschrankt, Bewerber mit einer Sensibilitat gegeniiber bestimmten Stoffen werden erst gar nicht rekrutiert. Vgl. dazu die Diskussion in Lennstrom und Rodgers (2000) vgl. HGC (2002), S.28

97

98

Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

Backem. Ein Sicherheitsrisiko gegentiber Dritten entsteht, bildlich gesprochen dann, wenn bspw. ein Pilot unter Farbblindheit leidet, dadurch wichtige Lichtsignale nicht richtig interpretiert und somit seiner Verantwortung fur die zu transportierenden Personen nicht mehr nachkommen kann."*"*^

Demnach ist die Genanalyse bei der Personalselektion von Bedeutung, wenn bereits vor der betreffenden beruflichen Entscheidung gesundheitliche Merkmale festzustellen sind, welche die Austibung des gewahlten Berufes gefahrden wurden. Der Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall bereits friihzeitig die Moglichkeit, eine andere berufliche

Laufbahn

einzuschlagen, die es ihm ermoglicht seinen Beruf auch langfristig ohne gesundheitliche Schadigung auszutiben."^^ Da in dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass nur jeweils der betreffende Arbeitnehmer selbst Einsicht in seinen Genbefund erhalt,'^'^'^ obliegt es dem Untemehmen, dem Arbeitnehmer zu vertrauen, dass er sich auch tatsachlich entsprechend seines Genbefundes fur einen Beruf entscheidet.

Schliesslich lasst sich die Genanalyse auch als Instrument zur Selbstselektion des Bewerberpools einsetzen."^"^^ Indem das Untemehmen zur Erhaltung und/oder Forderung der Arbeitnehmergesundheit eine Genanalyse zur Verfiigung stellt, setzt es ein Signal/^^ das vorwiegend von jenen Arbeitnehmem als solches erkannt werden soil, die ihr Krankheitsrisiko wissen mochten und/oder an einer aktiven Forderung ihrer Gesundheit interessiert sind. Die Selbstselektion ist Gegenstand der okonomischen Analyse im Kap. 5.1, weshalb hier auf die entsprechende Stelle verwiesen wird.

Schlussfolgerung: Der Selektionsprozess wird dann durch die Genanalyse unterstutzt, wenn sich ein Arbeitnehmer entsprechend seines Genbefundes fiir einen Beruf entscheidet oder eben nicht. Wird die Genanalyse als Signal fur gesundheitsforderliches Verhalten eingesetzt, unterstutzt sie zudem die Selbstselektion.

vgl. dazu Jansson et al. (2000), S.35-39 in Anlehnung an Degen (2002), S.l, vgl auch Hennen et al. (2001), S.106 vgl. Kap. 1.2.2 Abgrenzung der Arbeit vgl. Haunschild (2000), S.l 1-12 und Milgrom und Roberts (1992), S.603 zur Selbstselektion. vgl. Spence (1973), S.357-359 zum Signaling.

Per HRM-Teilbereich Beschaftigung und die Genanalvse

99

4,3,2 Integration Die soziale Integration (neuer) Arbeitnehmer in das Untemehmen erfolgt entweder direkt uber personliche Beziehungen - etwa durch Vorgesetzte, KoUegen und Personalverantwortliche Oder indirekt

iiber

Strukturen

wie

Betriebsvereinbarungen,

Organigramme

und

Raumlichkeiten.'^'^^ Ziel ist die Definition und Festigung der zukunftigen Rolle des Arbeitnehmers im Betrieb (role-making).'^'*^ Im Vordergrund steht dabei das Gestalten der RoUen durch die Einarbeitung in die Arbeitsaufgabe und die Einfuhrung in die soziale Untemehmensstruktur.'*'^^ Dass dieser Integrationsprozess durch die Genanalyse wesentlich beeinflusst werden diirfte, konnte durch die Literatur nicht belegt werden.

Schlussfolgerung: Der Prozess der Integration wird durch die Genanalyse nicht oder nur wenig beeinflusst.

4,3,3 Reduktion Die Reduktion'*^^ als Verringerung der Beschaftigung aufgrund personeller Uberkapazitaten kann

auf verschiedene

Nichtverlangerung

Arten und Weisen vorgenommen

befristeter

Arbeitsvertrage,

Outplacement,"^^ ^ Aufhebungsvertrage

oder/und

werden,

bspw. durch

Einstellungsstopp,

Kundigung,

friihzeitige

Pensionierung."^^^

Solche

Reduktionsmassnahmen haben fur die betroffenen Untemehmen sowohl positive (v.a. okonomische) als auch negative Auswirkungen (bspw. auf das Betriebsklima oder das Untemehmensimage)."^^^ Da eine Differenzierung der einzelnen Reduktionsmassnahmen beztiglich der hier vorliegenden Problematik keinen zusatzlichen Erklarungsnutzen liefert, wird in der Folge allgemein von Reduktion gesprochen.

vgl. Klimecki und Gmiir (2001), S.250 vgl. Leavitt(1978), S.90 vgl. dazu Becker (2002b), S.489-490 In der Literatur finden sich eine Vielzahl von Begriffen mit gleichen oder ahnlichen Inhalten so bspw. Personalabbau, -anpassung, -freistellung, -reduzierung. Vgl. bspw. Wagner (1992), S. 1546-1556 Outplacement betrifft im Rahmen der betrieblichen Personalfreisetzung die Beratung und Unterstiitzung von Arbeitnehmem, die v.a. mittels Kiindigung seitens des Arbeitgebers aus dem Betrieb ausscheiden. Vgl. Frick (2004); S.1318-1326}; Becker (2002a), S.390 oder Thom (2001), S.124 vgl. Holtbriigge (2004), S.l 14 zu Massnahmen der Personalfreisetzung. vgl. Berthel und Becker (2003), S.241-242

100

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

In Verbindung mit der Reduktion ist die Genanalyse zur Gesunderhaltung der Arbeitnehmer primar dann zu diskutieren, wenn der Genbefund auf ein gesundheitliches Risiko durch arbeitsplatzspezifische Einfliisse hindeutet. Ist es nicht moglich, dieses Risiko auszuschalten, bleibt die Option der Versetzung. Diese Massnahme ist jedoch nicht moglich, wenn intern keine Moglichkeit dazu besteht, bspw. aufgrund der Ausbildung des Arbeitnehmers. In diesem Fall bleibt die Option der Reduktion."*^"^ Damit soil der Arbeitnehmer vor irreparablen Gesundheitsschaden

bewahrt werden. Dies wurde jedoch voraussetzen, dass der

Arbeitnehmer dem Untemehmen Einblick in seinen Genbefund gabe oder dieses zumindest auf ein entsprechendes Gesundheitsrisiko aufmerksam machen wiirde. Damit der Einsatz der Genanalyse Sinn macht, ware es demzufolge erforderlich, dass die Information iiber eine mogliche Gesundheitsgefahr auch dem Untemehmen tibermittelt wird. Da in der vorliegenden Arbeit jedoch davon ausgegangen wird, dass dem Arbeitnehmer die Entscheidung uber eine mogliche Weitergabe obliegt, und da nicht davon auszugehen ist, dass dieser seine gesundheitlichen Beeintrachtigungen an das Untemehmen weiterleitet, eroffnet sich fur die Genanalyse im Rahmen der Personalreduktion kein Einsatz."^^^

Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse bei der Personalreduktion greift nur dann, wenn ein Arbeitnehmer mit einer speziellen Unvertraglichkeit diese Situation dem Untemehmen kommuniziert und wenn keine andere Moglichkeit (bspw. Versetzung) besteht.

4.4

Der HRM-Teilbereich Beurteilung und die Genanalyse

Die Beurteilung bezieht sich auf die bisherigen Leistungen, die Arbeitsergebnisse, das Verhalten und das zukunftige Potenzial zur Leistungserbringung. Dabei wird gmndsatzlich zwischen bereits erbrachter Leistung und zukunftigem Potenzial differenziert."^^^

vgl.Humber(2002),S.13 Ahnlich wie bei der Personalselektion miinden die theoretischen Ausftihnmgen iiber die Funktion der Genanalyse bei der Reduktion in eine ethische Debatte. Die Bandbreite an Argumenten gegen die Genanalyse als Instrument der Reduktion ist enorm; vgl. bspw. Murray (2001); Bartram et al. (2000) oder Henn (1999). Was in dieser Arbeit als Schutz der Arbeitnehmer verstanden wird, wird dort als Diskriminierung interpretiert: Namlich die Tatsache, den Beruf nicht mehr ausuben zu dtirfen, selbst wenn der Arbeitnehmer sich das gesundheitlichen Risikos bewusst ist, ihm das aber geringer erscheint als der Wegfall des Lohns. Vgl. Kap. 1.2.2 Gegenstand der Abgrenzung vgl. Domsch und Gerpott (2004), S.1432-1433 zu Ziele der Personalbeurteilung.

Per HRM-Teilbereich Beurteilung und die Genanalvse

Teilbereich

Mialte

101

Piaktiken

Erbrachte Leistiing BeurteHimg

F^Kfi^;k zur Batidhnimg (und Personaleiiisste)

LeisituD^sbeurteihnig

Zukflnflige Leistmig Feedback zum Personaleiiisatz (und Entlohnimg)

Potenzifdbeurteilung

Abbildung 4-4: HRM-Teilbereich Beurteilung''^^

4,4,1 Leistungsbeurteilung Der leistungsbezogene Beurteilungsansatz ist eine speziflsche Form der Personalbeurteilung. Die Grundidee besteht darin, in einer abgelaufenen Periode das tatsachlich beobachtbare und beschreibbare Ist-Leistungsergebnis mit dem entsprechendem Soll-Leistungsergebnis zu vergleichen."^^^ Der Ubereinstimmungsgrad von Ist- und Soll-Leistung wird dabei als Indikator fiir den Erfolg des betreffenden Arbeitnehmers gewertet. Das Ziel solcher Leistungsbeurteilungen ist die Erstellung so genannter „[...] indicators of output per employee.""^^^ Hinweise darauf, dass die Genanalyse mit verschiedenen Verfahren der Leistungsbeurteilung in Verbindung zu bringen sei (bspw. Rangordnungs-, Einstufungs- oder Zielverfahren), sind in der Literatur keine zu fmden.

Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse hat keinen Einfluss auf die Verfahren zur Beurteilung der vergangenen Leistung.

4,4,2 Potenzialbeurteilung Die Potenzialbeurteilung ist eine andere spezifische Form der Personalbeurteilung. Im Gegensatz zur Leistungsbeurteilung stellt sie den Zukunftsaspekt in den Vordergrund. Dabei werden Merkmale oder Verhaltensweisen von Arbeitnehmem in Untemehmen beobachtet,"^^^

vgl. Abb. 3-5 HRM-Aufgaben, Inhalte und Praktiken vgl. Becker (2002a), S.323-324 Ulrich(1999), S.467 vgl. Moser (2000), S.45

102

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

mit dem Ziel, herauszufinden ob ein Arbeitnehmer geeignet ist, eine hohere Verantwortung als die bisher erfullte zu iibemehmen.'*^^ Das Bestreben liegt meist darin, ,high potenzials' frCihzeitig auszumachen und gezielt Forderungsmassnahmen zu initiieren."^^^ Gemass der Aussage, dass „Health and productivity are interrelated""^^^ diirfte die Auskunft iiber zukiinflige Krankheitsrisiken beim Aufspiiren von Fiihrungspotenzialen eine RoUe spielen. Dies ware bspw. dann der Fall, wenn aufgrund eines bestehenden, zukunftigen Krankheitsrisikos eine Minderung der Leistungsfahigkeit zu erwarten ware.

Da jedoch das Untemehmen aus dem Genbefund keine detaillierte Kenntnis erlangt,"^^"* bleibt es im Unklaren, ob der Arbeitnehmer ein gesundheitliches Risiko aufweist (bspw. Brust- oder Hodenkrebs), das zu einer zukunftigen Leistungseinschrankung jRihren konnte.'*^^ Auch die Moglichkeit, dass Arbeitnehmer, die ihre zukiinftigen Erkrankungsrisiken kennen, gezielt Gesundheitsvorsorge betreiben und die Erkrankung dadurch hinauszogem oder verhindem konnen, vermag die betriebliche Fotenzialbeurteilung nicht zu beeinflussen. Somit liefert die Genanalyse in dieser Hinsicht keine Hilfestellung. Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse hat auf die Verfahren zur Beurteilung der zukiinftigen Leistung keinen Einfluss.

4.5

Der HRM-Teilbereich Anreizsystem und die Genanalyse

Das betriebliche Anreizsystem dient primar dazu, die Arbeitnehmer in ihrer Tatigkeit auf die Erreichung der Untemehmensziele auszurichten."*^^ Monetare und nichtmonetare Anreize sollen sie dazu motivieren, ihren individuellen Beitrag zur Leistungserbringung zu optimieren."^^^

vgl.Hentze (1994a), S.326 vgl. Kap. 3.3 Humane Ressourcen und 3.4 Management der Humanressourcen Goetzel (2003), S.53 vgl. Kap. 1.2.2 Abgrenzung der Arbeit Selbst wenn eine nicht ausgesprochene Beforderung auf der Basis eines ungiinstigen Genbefundes primar dem gesundheitlichen Schutz des Arbeitnehmers dienen mag, ist der Schritt zur Diskriminierung klein. Vgl. bspw. Murray (2001); Bartram et al. (2000) oder Henn (1999) vgl. Berthel und Becker (2003), S.423 vgl. Wolff und Lucas (2004), S.27-29. Obwohl die traditionelle Literatur zur Anreizgestaltung eine klare Abgrenzung zwischen monetar und nicht-monetMr vomimmt, zeigen nachfolgende Ausfuhrungen, dass die Grenzen oft verschwommen sind.

Per HRM-Teilbereich Anreizsvstem und die Genanalvse

Teilbereich

103

Inhalte

Prakdken

MateiieUe Anreize Anreizsystem

Verstiiken 'diiekt' ein bestimmtes, zielgericlitetes Vedialteii

Lohn Erfolgsbeteiligimg SoziaUeistung^ Vorscfalagswesen

Immaterielle Anreize Verstaiken 'indirekt' ein bestimmtes, zielgerichtetes Veiiialten

Job Design Laufbahiq)laniing Soziale Kommunikation Gmppenmi^edschaft Selbstbestimmung

A b b i l d u n g 4-5: H R M - T e i l b e r e i c h Anreizsystem *

4,5.1 Materielle A nreize Wie auch aus der Abb. 4-5 ersichtlich, zahlen die direkte Entlohnung, die Erfolgsbeteiligung und die betrieblichen Sozialleistungen eindeutig zu den materiellen Anreizen. Das Vorschlagswesen hingegen charakterisiert sich durch materielle wie auch durch nichtmaterielle Merkmale."^^^

Betriebliche Sozialleistungen

4.5.1.1

Betriebliche Sozialleistungen sind jene Aufwendungen des Untemehmens, die fiir die Arbeitnehmer zusatzlich zum Lohn gezahlt werden."^^^ BACKES-GELLNER bezeichnet den betrieblichen

Gesundheitsschutz

Sozialleistungskomponenten.'^^'

als

eine

der

wichtigsten

betrieblichen

Eine Verbesserung der individuellen gesundheitlichen

Situation von Arbeitnehmem ist demnach als zusatzlicher fmanzieller Anreiz zu sehen. Finanziell deswegen, da eine Verbesserung der individuellen Gesundheit angestrebt werden kann, die nicht nur fiir das Untemehmen, sondem auch fiir den Arbeitnehmer fmanzielle

vgl. bspw. Hentze (1994a), S.64; Staehle (1994), S.218-244 und Hahn (1988), S.135 fur traditionelle Anreizgestaltung. vgl. Hentze (1994b), S.65 vgl. bspw. Becker (2002a), 513 vgl. Backes-Gellner et al. (2001), S.455

104

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

Einsparungen bedeutet, denn „Sickness is expensive, both in time spent not working and the cost of treatment.""^^^ Als betriebliche Sozialleistung besteht die Anreizwirkung der Genanalyse in der Erhaltung Oder Verbesserung der Gesundheit von Arbeitnehmem. Indem das Untemehmen eine Genanalyse zur freiwilligen Teilnahme zur Verfugung stellt und der davon Gebrauch machende Arbeitnehmer

mit dem prognostischen

Wissen iiber sein

zukunftiges

Krankheitsrisiko durch gezielte Prevention den Ausbruch einer Krankheit zu verzogem oder gar zu verhindem vermag, ist es ihm moglich, zum einen seine Krankenkosten zu verringem, und zum anderen seine individuelle Lebensqualitat zu erhohen."^^^ Eine verbesserte Lebensqualitat"*^"^ wird erwartet, wenn bspw. mit Hilfe des Genbefundes gewisse Krebsarten friihzeitig

diagnostiziert

werden

und

der

Ausbruch

von

Erkrankungen

durch

massgeschneiderte Medikamente"^^^ verhindert wird."^^^ Stellt ein Untemehmen einen Gentest zur Verfugung, kann dies somit als betriebliche Sozialleistung verstanden werden.

Im Zusammenhang mit der Bereitstellung der Genanalyse als betriebliche Sozialleistung bleibt zu bedenken, dass zum jetzigen Zeitpunkt Prognosen iiber den tatsachlichen Ausbruch einer Krankheit kaum moglich sind."^^^ BURGESS geht davon aus, dass „the same genetic information can pose harm or benefit owing to the highly variable nature of familiar and social circumstances.""*^^ Informationen iiber die Gesundheit konnen Arbeitnehmem Gewissheit bringen, Trager einer bestimmten Disposition zu sein, sie konnen aber auch das Risiko einer unerwarteten zukiinftigen Krankheit implizieren. Fiir den betroffenen Arbeitnehmer kann daraus ein psychosoziales Spannungsfeld entstehen: Entweder hat er nun die Ungewissheit oder aber die Sicherheit Trager einer Predisposition zu sein."*^^ Beides kann

473 474

475 476

Godardetal.(2001),S.13 vgl.Eberbach(1991),S.83 Bei der Verbesserung der der Lebensqualitat handelt es sich nicht unmittelbar um einen finanziellen Anreiz. Da jedoch eine thematische Verbundenheit besteht, erfolgt die Bearbeitung an dieser Stelle. vgl. Frei (2004), S.44 vgl.Muller(2002),S.l vgl. Gfrorer (2002), S.65; Bartram et al. (2000), S.19-43; Regenauer und Schmidtke (1998), S.31 und Holtzman et al. (1997), S.604 Burgess (2001) vgl. Wieacker (2001), S.9

Per HRM-Teilbereich Anreizsvstem und die Genanalvse

105

den betroffenen Arbeitnehmer psychisch belasten."^^^ Zur besseren Einschatzung der Komplexitat wird im Zusammenhang mit Genanalyse deshalb immer wieder von professioneller genetischer Beratung gesprochen.'^^' Diese soil dabei helfen, die Bedeutung und Konsequenzen eines Genbefundes - bspw. das eigene spezifische Risiko hinsichtlich einer bestimmten Krankheit -besser einzuschatzen."*^

Schlussfolgerung: Die Bereitstellung der Genanalyse inklusive der genetischen Beratung als betriebliche Sozialleistungen tragt zur Senkung der personlichen Krankheitskosten der Arbeitnehmer wie auch zur Verbesserung ihrer Lebensqualitat bei.

4.5.1.2

Lohn, Erfolgsbeteiligung und Vorschlagswesen

Wahrend unter Lohn das Entgelt fur die geleistete Arbeit des Arbeitnehmers verstanden wird, ist die Erfolgsbeteiligung als fakultatives Entgelt in Form einer materiell variablen Zuwendung (Mitarbeiterbeteiligung) zu interpretieren."^^^ Grundsatzlich soil das Lohnsystem die Erreichung bestimmter, fiir den betrieblichen Erfolg wichtiger Ziele fordem, bspw. die Erhohung der Produktivitat."^^"^ Lohnsysteme haben grundsatzlich eine Informations- bzw. Signalfunktion und dienen der Verhaltenssteuerung, Disziplinierung, Incentivierung sowie Anerkennung.'^ ^ Lohnsysteme sind insofem mit der Genanalyse in Verbindung zu bringen, als es denkbar ist, dass Arbeitnehmer durch fmanzielle Anreize zur ,freiwilligen' Teilnahme an einem Gentest motiviert werden. Damit ist gemeint, dass Lohnbestandteile so gewahlt werden, dass sie ein bestimmtes Verhalten der Arbeitnehmer bewirken, namlich die freiwillige Teilnahme an einer Genanalyse. Da Lohnsysteme ihre Wirkung meist nur in „einem spezifischen Kontext, bestimmt durch die strategische Lage, durch die untemehmenspolitische Absicht, durch die vgl. ausfiihriich in Kap. 5 Multidisziplinare Analyse Genetische Beratung wird als Kommunikationsprozess beschrieben, der zwischen Arzt und Patient oder zwischen Berater und Patient stattfmdet. Es werden Probleme behandelt, die mit dem Auftreten oder der Beflirchtung einer genetisch bedingten Erkrankung zusammenhangen. Vgl. Korff et al. (1998), S.29 vgl. Hartog (1996), S.62-63 und Dorsch et al. (1994), S.668 vgl. Becker (2002a), S.172, 179 vgl. Amstrong (2003), S.613-630, 663-676; Berthel und Becker (2003), S.425-460 und Pfeffer (1998), S.41-50 zu Lohnsysteme allgemein. vgl. Staffelbach (2001b), S.l 113-1115

106

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

anvisierten Fuhmngsziele oder im Licht der jeweiligen Struktur und Kultur vor Ort"'*^^ erlangen, ist es schwierig, allgemeine best-practice-Vorschlage abzugeben. Denkbar ist allerdings, dass die freiwillige Teilnahme an einem Gentest gefordert wird, wenn bspw. ein geringerer Bonus ausbezahlt wird, dafiir aber die Kosten fur die Genanalyse tibemommen werden. Die Gestaltung des Lohns als Verhaltenssteuerung wird ausfuhrlicher in Kap. 5.1 diskutiert.

Schlussfolgerung: Die Wahl eines bestimmten Lohnsystems vermag Anreize ftir die freiwillige Teilnahme an einem Gentest zu schaffen.

Das betriebliche Vorschlagswesen hat seine Anreizfunktion vomehmlich ftir Arbeitnehmer unterhalb des mittleren Managements. Dabei werden Arbeitnehmem fixr die Konzipierung nutzlicher, meist realistischer Innovationen Anreize in Form von materiellen Pramien oder immateriellen Belohnungen angeboten."^^^ Theoretische Hinweise, wonach die Genanalyse mit dem Vorschlagswesen in Verbindung zu bringen ist, lassen sich keine finden.

Schlussfolgerung: Der Einsatz der Genanalyse hat keinen Einfluss auf das Vorschlagswesen.

4,5,2

Immaterielle Anreize

Nicht-materielle Anreize umfassen gmndsatzlich die Gruppenmitgliedschaft, die Fuhrung, das Job-Design, die Karriereentwicklung und die Untemehmenskultur. Immaterielle Anreize, wie soziale Kommunikation"^^^ und Arbeitszeitregelungen, sind in der aktuellen GenanalyseAnreiz-Diskussion nicht von Bedeutung und werden somit hier keiner expliziten Betrachtung unterzogen.

Staffelbach (2001b), S.l 115 vgl. Becker (2002a), S. 110-111 Soziale Kommunikation betrifft den zwischenmenschlichen Austausch von Ansichten und Emotionen verbaler und nonverbaler Art sowie die menschliche Fahigkeit, soziale Beziehungen zu Gruppen zu unterhalten. Vgl. Becker (2002a), S.293, 60, 32

P e r HRM-Teilbereich Anreizsvstem und die Genanalvse

LQ7

4.5.2.1 Gruppenmitgliedschaft Eine Gruppe, bspw. eine ganze Belegschaft oder Telle davon, zeichnet sich durch ein Geflihl der Zusammengehorigkeit aus - einem Wir-Gefuhl.'^^^ Dieses iiberindividuelle Bewusstsein'*^^ formt sich durch gemeinsame Interessen und/oder durch kollektives Verfolgen gemeinsamer Ziele. Personen, die derselben Arbeitnehmer-Gruppe angehoren, werden anhand spezifischer Merkmale als solche identifiziert. Gegensatze, wie gesundheitsfordemde Orientierung versus Raucher bilden die Basis fiir die Selbstwahmehmung und bestimmen das stereotypische Verhalten in der eigenen Gruppe."*^' Nicht auszuschliessen ist, dass der Einsatz der Genanalyse die Bildung von Subgruppen mit gesundheitsbedingten Merkmalen fordem konnte - bspw. Gruppe mit und Gruppe ohne Genanalyse.^^^ Je nachdem, wie einflussreich das stereotype Verhalten einer Gruppe ist (bspw. diejenigen mit Genanalyse), wird entweder durch Kategorisierung oder durch Selbstwertsteigerung der Eigengruppe eine klare Abgrenzung gegeniiber der anderen Gruppierung (bspw. diejenigen ohne Genanalyse) geschaffen."^^^ Diese Abgrenzung kann dazu fuhren, dass Mitglieder der eigenen Gruppe das typische Verhalten der anderen Gruppe anstreben oder zur Polarisiemng in der eigenen Gruppe bzw. zwischen den Gruppen beitragen. Ist also bekannt, wer an einer Genanalyse teilgenommen hat und wer nicht, konnte das dazu fuhren, dass die Gruppe derjenigen, die an einer Genanalyse teilgenommen haben, eine Art Vorbildfunktion ubemehmen, die auch Arbeitnehmer einer anderen Gruppe (die nicht teilgenommen haben), zu diesem Verhalten motivieren. Es kann aber auch bedeuten, dass sich zwischen der Gruppe ohne Genanalyse und der Gruppe mit Genanalyse eine Polemik entwickelt.

Schlussfolgerung:

Die Gruppenmitgliedschaft

wird durch die Genanalyse insofem

beeinflusst, als die Bildung von (polarisierenden) Subgruppen nicht auszuschliessen ist: Die Gruppe, die freiwillig an einer Genanalyse teilnimmt, und die Gruppe, die keine Genanalyse durchfuhren lassen will.

vgl. Gebert und Rosenstiel (1996), S.127 und Forster (1978), S.4 vgl. Lersch (1964), S. 113 vgl. Hogg (1996), S.228-229 vgl. bspw. Baron und Kerr (2003); Brown (2000) und Brown (1996) zu Gruppen. vgl. Hogg (1996), S.229

108

4.5.2.2

Einsatzmoglichkeiten der Genanalyse

Arbeitsplatzgestaltung

Die Arbeitsplatzgestaltung ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Betriebsmittel. Ziel ist es dabei, die Betriebsmittel dem Arbeitnehmer entsprechend zu gestalten bzw. zu nutzen. Gestaltungsbereiche

sind bspw. Ergonomie, Physiologie, Umgebungseinfliisse

oder

Arbeitssicherheit.'^^'^

Die Gestaltung des Arbeitsplatzes wird durch die Genanalyse v.a. dort beeinflusst, wo bestimmte Arbeitseinflusse (bspw. in der chemischen Industrie) abgeklart werden mussen Oder wo besondere Eignungen erkannt werden sollen (bspw. besondere Tauglichkeit fur die Ubemahme von Nachtarbeiten)."^^^ Im Erkennen individueller

Stoffwechsel-Leistungen

besteht die Chance, Arbeitsplatzrisiken aufgrund ungiinstiger Dispositionen fur bestimmte Arbeitsplatzstoffe zu prognostizieren,"^^^ oder besondere Eignungen zu erkennen (bspw. Resistenz gegeniiber bestimmten Stoffen). In diesem Sinne vermag das Wissen um den Genbefund zur Gestaltung des individuell optimalen Arbeitsplatzes beizutragen. Steht eine Veranderung der Arbeitsplatzgestaltung bevor, ist es von Vorteil, wenn das Untemehmen Kenntnis von den gesundheitlichen Dispositionen des Arbeitnehmers erlangt. Damit eine entsprechende Arbeitsplatzgestaltung uberhaupt vorgenommen werden kann, ist also eine (zumindest teilweise) Offenlegung des Genbefundes von Noten. Die Entscheidung, ob er dem Untemehmen seine potenziellen gesundheitlichen Risiken preisgeben will, ist vom Arbeitnehmer zu treffen.

Schlussfolgerung: Dort wo sich individuelle Gefahrenpotenziale oder besondere Eignungen durch den Einsatz der Genanalyse erkennen lassen und der Arbeitnehmer bereit ist dieses Wissen auch an das Untemehmen weiterzugeben, fordert der Genbefund die Gestaltung des individuell optimalen Arbeitsplatzes.

vgl. bspw. Berthel und Becker (2003), S.380-420 vgl. Lennstrom und Rodgers (2000), S.9 Zu den wichtigsten Faktoren zahlen hier interindividuell unterschiedliche Aufhahmeraten von Stoffen, Unterschiede in der Metabolisierung und der DNA-Reparaturfahigkeit. Vgl. Popp (1994), S.98 zit. nach Hennenetal. (2001), S. 106

Per HRM-Teilbereich Anreizsvstem und die Genanalvse

4.5.2.3

109

Eigenverantwortung durch Selbstbestimmung

In der Literatur zu Anreizgestaltung wird die Ausdehnung von Verantwortung meist in Verbindung mit einer Steigerung der Motivation debattiert."^^^ Demzufolge ware zu erwarten, dass durch die Moglichkeit, Einblick in die zukiinftigen Gesundheitsrisiken zu erhalten, eine Motivationssteigerung bewirkt wird, da mit diesem Wissen um die eigene Gesundheit die Verantwortung iiber die aktive Mitgestaltung der Zukunft einhergeht.

Die Ausdehnung der Verantwortung Uber die eigene Gesundheit wird jedoch sehr kontrovers beschrieben: Einerseits eroffnet der Genbefund die Moglichkeit, das Leben besser zu planen, die potenziellen

gesundheitUchen

Grenzen

kennen

zu

lemen

und

die

Zukunft

dementsprechend zu gestalten."^^^ Dass andererseits nicht alle gleich stark motiviert sind, gesundheitUche Eigenverantwortung zu tibemehmen, zeigt die Tatsache, dass viele sich auf das Recht berufen, iiber ihre eigene genetische Veranlagung nichts wissen zu miissen bzw. nichts wissen zu wollen."^^^ Es ist also nicht davon auszugehen, dass die mit einem Genbeftind einhergehende gesundheitUche Verantwortung von alien Arbeitnehmem als eine Erweiterung der Verantwortung interpretiert wird. Manche Arbeitnehmer fuhlen sich durch das Wissen „what might happen to them in the future"^^^ eher bedroht als motiviert.

Schlussfolgerung: Das Wissen aus dem Genbeftind tragt zur Ausdehnung des individuellen Verantwortungsbereichs

bei,

und

zwar

indem

zukiinftigen

Krankheiten

aktiv

entgegengesteuert werden kann. Diese Ausdehnung der Verantwortung motiviert manche Arbeitnehmer, bei anderen hingegen bewirkt dieses Wissen das Gegenteil.

4.5.2.4

Berufliche Lauft)ahn

Entscheidungen

zur beruflichen

Lauft)ahn

sind im Wesentlichen Gegenstand der

Karrieregestaltung. Darunter ist der Aufstieg im Beruf durch Ubemahme hoher bewerteter Funktionen in hierarchisch gegliederten Untemehmen aus individueller Sicht - also aus vgl. bspw. Berthel und Becker (2003), S. 17-58 vgl. Kitcher (1998), S.80. Vgl. Bierhoff et al. (2005), S.4-16 zum Konstrukt Eigenverantwortung. vgl. Mieth (2001), S.263. Vgl. Korff et al. (1998), S.34 fur eine ausfiihrlichere Beschreibung. Humber(2002), S.Gl

no

Einsatzmoglichkeiten der Genanalvse

Arbeitnehmersicht - zu verstehen.^^^ Dabei spielt die Genanalyse insofem eine Rolle, als der Zugang zur Gesundheitsinformation dem Arbeitnehmer hinsichtlich seiner beruflichen Laufbahn eine wertvoUe Entscheidungshilfe liefert.^®^ D.h., der Wissensvorspmng tiber sein mogliches Erkrankungsrisiko kann ihm Hinweise fiir seine ,gesundheitliche' Belastbarkeit und somit fur seine zukunftigen Leistungsgrenzen geben.^^^ Mit dem Wissen tiber zukiinftige Krankheitsrisiken fallt es dem Arbeitnehmer u.U. einfacher, seine Berufswahl zu treffen oder eine Beforderung abzulehnen, weil bspw. die Mehrbelastung seiner Gesundheit besonders schaden wiirde. Die individuelle Planung der beruflichen Laufbahn steht demnach unter dem Motto: „Karriereplanung als personliche Verantwortung."^^"^

Mit welchen Besonderheiten der Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einer Genanalyse konfrontiert ist, wird in Kap. 5.3 diskutiert. Demzufolge wird hier auf die entsprechende Stelle verwiesen. Die institutional Karriereplanung wird in Kap. 4.6.2 aufgegriffen.

Schlussfolgerung: Die durch eine Genanalyse feststellbaren zukunftigen Krankheitsrisiken vermogen den Arbeitnehmem im Hinblick auf die Entscheidungen tiber ihre individuelle Laufbahngestaltung eine gewisse Hilfestellung leisten.

4.6

Der HRM-Teilbereich Entwicklung und die Genanalyse

Der Begriff der Personalentwicklung wird meist nicht einheitlich verwendet. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Begriffsdefinitionen, dass sie Personalentwicklung als Summe von Tatigkeiten verstehen, die fiir einzelne Arbeitnehmer aller Hierarchieebenen eine Veranderung ihrer Qualifikationen und/oder Leistungen durch bspw. Weiterbildung und Arbeitsstrukturierung zum Gegenstand haben.^^^ Personalentwicklung ist demnach das Setzen von betrieblichen Massnahmen, die auf die Erweiterung bzw. Vertiefung bereits bestehender und auf die Vermittlung neuer Qualifikationen zielen. Solche Massnahmen haben zum

in Anlehnung an Oechsler (2000), S.572 Jansson et al. (2000), S42 vgl. Kap. 4.6fiirdie institutionelle Sicht stellenbezogener Massnahmen Staffelbach(2004),S.B17 vgl. Berthel und Becker (2003), S.261 und Drumm (1995), S.309

111

Per HRM-Teilbereich Entwicklung und die Genanalvse

Zweck, die Zielverwirklichung von Arbeitnehmer^^^ und Untemehmen^^^ zu fordem.^^^ Im Wesentlichen werden bildungs- und stellenbezogene Massnahmen unterschieden.

Teilbereich

Inhalt

Praktiken

BUdiingsbezogene Massnahmen Entwicklung

Bewusste Qualifizierung von Mitaxbeitem aller Hierarchiestufen, bspw. Fortbildimg

Foifbildung Umschuhmg Training

Stellenbezogene Massnahmen Bewusste QuaUfbdening von Mitaibeitem aller Hierarchiestufen, bsfjw. Bef&rderung

Job Rotation Karriorqjlanung

Abbildung 4-6: HRM-Teilbereich Entwicklung^^

4,6,1 Bildungsbezogene Massnahmen Unter bildungsbezogenen Entwicklungsmassnahmen sind bspw. Aus-, Weiter- und Fortbildung, Umschulung oder Training zu verstehen. Beziiglich des Bildungsinhaltes lassen sich sehr unterschiedliche Bediirfnisse ableiten, die stark von der hierarchischen Stellung des Arbeitnehmers abhangig und somit situativ sind.^'^ Die Genanalyse als Instrument zur Erhaltung oder Forderung der Gesundheit lasst keine direkte Relevanz fur eine Anwendung im Bereich Bildung erkennen. Wie jedoch Untersuchungen zur Technikfolgenabschatzung zeigen, erhoht sich oft die Akzeptanz gegeniiber neuen Techniken mit der Zunahme des Wissens iiber den Gegenstand.^^' Entsprechend konnte die Vermittlung von Wissen iiber bspw. genetische Grundlagen, Gentests, Einsatzmoglichkeiten, Chancen und Risiken die Bereitschaft fur einen Gentest Ziele aus Sicht des Arbeitnehmers sind bspw. Aktivierung des Qualifikationspotenzials, Verbesserung der Chancen zur Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz oder Schaffling von Karrierevoraussetzungen. Vgl. Becker (2002a), S.417 Ziele aus Sicht des Untemehmens sind bspw. Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfahigkeit, Erhaltung und Erhohung der Flexibilitat oder Loyalitat. Vgl. Kettgen (1989), S.132 vgl. Neuberger (1994), S.4-5 und Conradi (1983), S.3 vgl. Abb. 3-5 HRM-Aufgaben, Inhalte und Praktiken vgl. bspw. Berthel und Becker (2003), S.295-312 und Becker (2002b), S. 125-246 fur eine ausfuhrliche Beschreibung. vgl. TAB (2002), S.23-27 und Fox (1997)

112

Einsatzm5glichkeiten der Genanalvse

erhohen. Dies wiirde dem Anspmch von BECK gerecht, dass die Arbeitnehmer im Alltag modemer Gesellschaften iiber bedeutende Fahigkeiten und Kompetenzen verfiigen mtissten, um abstraktes Wissen (wie bspw. das Wissen iiber Genanalyse) auf konkrete Lebensprobleme (wie bspw. die Aufrechterhaltung der Gesundheit) beziehen zu konnen.^^^ Fur die betriebliche Genanalyse ergibt sich hieraus in besonderem Masse die Forderung nach einer grundlichen Aufklarung der Arbeitnehmer iiber die Genanalyse.

Schlussfolgerung: Im Bereich Bildung lasst sich keine direkte Relevanz der Genanalyse erkennen. Eine Wissensvermittlung uber die Genanalyse an sich, unterstiitzt u.U. das Verstandnis fiir die betriebliche Genanalyse.

4,6,2 Stellenbezogene Massnahmen Bei stellenbezogenen Massnahmen liegt der Blickpunkt bei der Verwendungs- und Steuerungsplanung von Arbeitnehmem. Dabei geht es um Arbeitsfeldstrukturierung, also um die Gestaltung von Inhalt, Umfeld und Bedingungen der Arbeit auf der Ebene eines Arbeitssystems.^^^ Im Hinblick auf die Arbeitsfeldstrukturierung und den beruflichen Werdegang ware die Genanalyse nur dann von Bedeutung/^"* wenn der Arbeitnehmer die Information aus dem Genbefund an das Untemehmen weiterleiten wiirde. Da in dieser Arbeit jedoch nicht davon ausgegangen wird, sind stellenbezogene Massnahmen (vertikale oder horizontale Versetzung) im Hinblick auf den Einsatz der Genanalyse kaum von Bedeutung. Denkbar ist lediglich, dass der Arbeitnehmer das Wissen iiber seine gesundheitlichen Gefahrenpotenziale (bspw. Unvertraglichkeit von chemischen Stoffen) an das Untemehmen weiterleitet, so dass dieses die Gefahrenpotenziale bspw. durch eine horizontale Versetzung ausschalten kann.^^^. Es ist naturlich nicht auszuschliessen, dass Arbeitnehmer mit einem einwandfreien Genbefund diesen an das Untemehmen weiterleiten, in der Hoffnung daraus Vorteile hinsichtlich der

vgl. Beck (1999), S.3 vgl. Staehle (1999), S.894 vgl. dazu Hartmann (2001), S.30-36 vgl. Persson und Hansson (2003), S.60 und Yesley (2002), S.392

113

Per HRM-Teilbereich Administration und die Genanalvse

vertikalen Versetzung zu erzielen.^'^ Weitere Ausfuhrungen zu dieser Problematik finden sich im nachfolgenden Kapitel 5.1.

Schlussfolgerung: Im Rahmen der institutionellen Karriereplanung ist die Genanalyse kaum von Bedeutung, da das Untemehmen annahmegemass nicht befugt ist, Einsicht in die Details des Genbefundes zu nehmen.

4.7

Der HRM-Teilbereich Administration und die Genanalyse

Mit der Entwicklung und Implementierung der Strategic, der Einstellung, der Entwicklung, usw. sind eine Reihe ordnender Aufgaben verbunden, die insgesamt unter dem Begriff Personaladministration zusammengefasst werden.

Teilbereich

Inhalt

Praktiken

Verwaltimg Administratioii

Abwickeln und Ordnen von HRM-bezogenen Administrativau^aben und Administrativt^gkeitea

Personallogistik AiisfQlien voa Formularen Lobnabreduning

Beratung Aushmft und Beratung (= €490 (oder €490'000 fiir I'OOO Arbeitnehmer). Die Wahrscheinlichkeit ftr dieses Ergebnis betragt 23%.''^^

Es lasst sich festhalten, dass in einem Szenario, bei dem eine kleine Differenz zwischen der Anzahl der Krankheitsfalle in der getesteten versus in der nicht getesteten Belegschaft zu erwarten ist und fur die Werte x=€100^'^^ und >^=€250'000^'^^ angenommen wird, ein Gentest im Durchschnitt zu einem giinstigen Kostenergebnis fur das Untemehmen fiihrt. Es besteht aber auch eine betrachtliche Wahrscheinlichkeit, dass ein fiir das Untemehmen ungiinstiges Ergebnis generiert wird.^"^^

5.2.4.2

Szenario: Chronische Berylliumerkrankung

In der Atiologie wird angenommen, dass Beryllium sich wie eine Hapte^"^^ verhalt, die Peptide'''^'^ bindet und sich der Be-Peptid-Komplex zu einem HLA Klasse II-Molekiil verbindet. Das hilft den Hapten, die T-Zellen-Antigen-Rezeptoren aufzuzeigen.^"*^ Es konnte nachgewiesen werden, dass Beryllium ausgesetzte Arbeitnehmer mit einem HLA-DP-P-1-

vgl. Nicas und Lomax (1999), S.538-539 Kosten fiir den Gentest Kosten pro Krankheitsfall vgl. Nicas und Lomax (1999), S.539 Hapten bedeutet, heften, beriihren oder angreifen. Eine Hapte ist ein Halbantigen, also eine organische, eiweissfreie Verbindung, die die Bildung von Antikorpem im Korper verhindert. Vgl. Der GesundheitsBrockhaus online (1999) Peptide sind aus Aminosauren aufgebaute, durch Peptidbindungen verkniipfte lineare Molekiile unterschiedlicher Grosse, die in der Natur weit verbreitet vorkommen. Peptide haben bspw. als Hormone (Peptidhormone), Antibiotika (Peptidantibiotika) und Gifte (Phalloidin) Bedeutung. Vgl. Brockhaus Online (1996-99) vgl. Rossmann (1995), S.304-312 und Saltini (1995), S.293-303

164

Multidisziplinare Analyse

Glu69^'^^ Genotyp, verglichen mit Arbeitnehmem ohne diesem Genotyp, ein 8-fach erhohtes Risiko fur Chronic Beryllium Disease (CBD) haben/"^^ Die Verbreitung von HLA-DP-P-1Glu69 Genotyp liegt innerhalb der arbeitenden Bevolkemng bei ca. 30%/^^ Die Anwendung des oben beschriebenen Kosten-Nutzen-Prinzips auf die Erkrankung CBD gestaltet sich wie folgt: Die Risikofunktion ist R= l-E(-ai*D) mit ai=l.63x10"^ und /i=0.7 fur jene ohne den Glu69Genotyp (normale Anfalligkeit) und a2=l.44x10"^ und f2=0.3 ftir jene mit dem Glu69Genotyp (hohe Anfalligkeit). Die kumulative Dichtefunktion ist, wie beim Szenario des benzolinduzierten Krebs, eine Normalverteilung mit dem geometrischen Durchschnitt (GM) von 7.86, einer Standardabweichung (GSD) von 2 und der Durchschnittsdosis (D) von 10. Dertti-Wertund die foC^-Parameter sind so gepaart, dass die erwartete Anzahl der CBD-Falle 16 pro rOOO Arbeitnehmer mit normaler Anfalligkeit betragt. Die Belegschaft W wird, ebenfalls wie im Szenario oben, mit I'OOO angenommen. Die Kosten pro Gentest werden auch hier der Einfachheit halber mit €100 und die Kosten pro CDB-Krankheitsfall mit €50'000 kalkuliert. Es wird davon ausgegangen, dass der Gentest perfekt ist.^"^^ In der nicht getesteten Belegschaft von I'OOO Mitarbeitem, betragt die erwartete Anzahl von CBD-Krankheitsfallen 50, in dQTgetesteten Belegschaft von I'OOO Arbeitnehmem hingegen 16. Die erwartete Anzahl der Arbeitnehmer, die getestet werden mtissen, um I'OOO normal anfallige Arbeitnehmer zu eruieren, betragt 1'429.^^^

Entsprechend der Formel 5.2-7 ist der erwartete Nutzen aus einem Gentest E[5]= -€1*550, also

-€r550'000

fur

I'OOO Arbeitnehmer.

Dieses Ergebnis zeigt

die

erwartete

Kosteneinsparung, wenn sich in etwa ein CDB-Krankheitsfall verhindem lasst. Die Standardabweichung (SD) weist mit 8=€320 eine geringe Variabilitat des Kostenergebnisses auf (Varianzkoeffizient = 21%).^^^ D.h. das Kostenergebnis unterliegt bei emeuten Berechnungen nur geringen Schwankungen.

750 751

Human Leukozyten Antigen (HLA) CBD ist eine krankhafte Uberblahung der Lunge - ein Lungenemphysem. Die Erkrankung kann durch Staubbelastungen, eine Reihe von chemischen Substanzen und Druckbelastungen ausgelost werden. Vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Richeldi et al. (1997), S.339 Der Phanotyp einer Person ist perfekt, d.h. die Sensitivitat und Spezifizitat ist 100% und alle krankheitsanfilligen Individuen werden die Krankheit entwickeln. vgl. Nicas und Lomax (1999), S.540 Varianzkoeffizient = 21%; vgl. Nicas und Lomax (1999), S.540

Wirtschaftlichkeitsbewertung von Gentests

165

Bei einer 10'000-maligen Monte Carlo-Simulation dieses Ergebnisses liegt 5 sogar nur in einem Intervall von €50. Die Differenz zwischen in der Anzahl der Krankheitsfalle in einer getesteten und einer nicht getesteten Belegschaft lasst sich also mit einer Kostendifferenz von ca. €50 pro Arbeitnehmer beziffem. Kein 8-Wert (ibersteigt 0 und die Wahrscheinlichkeit, dass 6< -€500 ist grosser als 99%. Das entspricht einer Kosteneinsparung von mindestens €500'000 bei I'OOO Arbeitnehmem. Festzuhalten ist, dass in einem Szenario, bei dem eine grosse Differenz zwischen der Anzahl der Krankheitsfalle in der getesteten und der nicht getesteten Belegschaft zu erwarten ist und fur die Werte x=€100''^^ und j=€50'000^^^ angenommen wird, ein Gentest praktisch zu einem garantiert giinstigen Kostenergebnis flir das Untemehmen ftihrt. Zu bedenken ist, dass genetische Testfehler sich eher positiv auf das Kostenergebnis auswirken und grosse Fehler vorkommen mtissten, um ein ungiinstiges Ergebnis zu produzieren.^^^

5.2.4.3

Zusammenfassung der Kosten und Nutzen zur Eruierung berufsbezogener Risiken

Der betriebliche Nutzen von Gentests zur Priifung der Anfalligkeit fiir berufsbezogene Gefahrenstoffe kann stark variieren und wird massgeblich beeinflusst durch Faktoren wie Dosis-Risiko-Funktion, relative Starke des chemisch induzierten Krankheitsrisikos in verschiedenen

Subgruppen,

Verbreitung

der

Krankheit

innerhalb

der

arbeitenden

Bevolkerung, Anteil der chemischen Dosis, der ein Arbeiter ausgesetzt ist, Kosten pro Gentest, Kosten pro Krankheitsfall und Anzahl der Arbeitnehmer in einem Untemehmen.

Die angestellten Berechnungen basieren darauf, dass keine genetischen Testfehler gemacht werden. Zudem wird, wie auch in dieser Arbeit, darauf vertraut, dass der Gentest valide ist.^^^ Ware dies nicht der Fall, wtirde sich einerseits die Anzahl der Arbeitnehmer, die getestet werden mtissten und andererseits die Differenz zwischen der Anzahl der Krankheitsfalle mit und ohne Gentest verringem. Ersteres wtirde vorkommen, wenn 8i Kosten fiir den Gentest Kosten pro Krankheitsfall vgl. Nicas und Lomax. (1999), S.539-540 vgl.Newilletal. (1986), 1109

also die

166

Multidisziplinare Analyse

Wahrscheinlichkeit, einen normal anfalligen Phanotyp als hoch anfallig einzustufen - in etwa gleich wie en eingeordnet wird und der normal anfallige Phanotyp in der Mehrheit ware. In diesem Fall ware die Anzahl der normal anfalligen Arbeitnehmer, die abgelehnt werden, hoher, als die Anzahl der hoch anfalligen, die akzeptiert werden. Dieses Ergebnis wtirde zu einem Nettoanstieg an Arbeitnehmem fuhren, die getestet werden mtissten, um ein richtiges Ergebnis zu erhalten und wtirde somit die Kosten fur den Gentest (N*jc) erhohen.^^^ Zweitens wtirde durch einen Testfehler die Gefahr bestehen, dass irrttimlicherweise Arbeitnehmer mit hoher Anfalligkeit in die getestete Belegschafl mit einbezogen werden. Der Wert fur Sw|screening^^^ wtirde dann grosser werden (bspw. naher bei Sw|no screening), als wenn kein Fehler vorliegt (bspw. 8i=0). Dieses Ergebnis wtirde dazu neigen, die Differenz zwischen Swiscreening und Sw|no screening zu verringem. Beide Resultate wtirden dazu fuhren, dass der erwartete Nutzen E[5] viel positiver erschiene, als der Wert ohne Testfehler.^^^ Demzufolge lassen diese Ergebnisse zwar

erste quantitative Aussagen tiber die

Wirtschaftlichkeit der Genanalyse zu, es bedarf jedoch sicherlich noch einiges an Forschung, um aussagekraftige Kosten-Nutzen-Ergebnisse erzielen zu konnen.

5,2.5 Fazitder Wirtschaftlichkeitsbewertung Im Zentrum der Betrachtung der Vorteilhaftigkeitsbewertung stehen die quantifizierbaren, betrieblichen Kosten und Nutzen, die durch den betrieblichen Einsatz der Genanalyse entstehen. Die Konzentration erfolgt deshalb auf quantitative Aspekte, weil qualitative Kosten- und Nutzenaspekte kaum erfassbar sind. Zudem zeigt die Sichtung der relevanten Literatur, dass zwar allgemein gtiltige Instrumente zur Bestimmung der betrieblichen Kosten und Nutzen von Gesundheitsforderung allgemein vorliegen.^^^ Ftir die Bestimmung des Nutzens und der Kosten von Gentests zur Erhaltung oder Forderung der Gesundheit im Speziellen sind jedoch kaum Instrumente vorhanden. Dies mag darauf zurtickzufuhren sein, dass sich entscheidende Variablen wie die indirekten Kosten von Gentests (bspw. negative

vgl. dazu Lawrence et al. (2001), S.479:T3 Anzahl der Krankheitsfalle in der getesteten Belegschafl W. vgl. Nicas und Lomax. (1999), S.541 vgl. Schulenburg und Greiner (2000), S.237-300 sowie Zangemeister (2000) fiir einen Uberblick iiber gesundheitsokonomischeEvaluierungsmethoden.

Wirtschaftlichkeitsbewertung von Gentests

Motivationseffekte)

oder

der

zu

167

erwartende

Nutzen

(bspw.

Beeinflussung

der

Untemehmenskultur) meist nicht quantifizieren lassen. Unter Zuhilfenahme von zwei unterschiedlichen Modellen und vier unterschiedlichen Erkrankungen wird versucht, die Wirtschaftlichkeit des Investitionsvorhabens Gentest im Untemehmen zu quantifizieren. Eine Kosten-Nutzenbestimmung von Gentests beztiglich Lungenkrebs und Brustkrebs bei Stellenbewerbem zeigt, dass eine solche Nutzenbestimmung der Beeinflussung durch unterschiedliche Faktoren unterliegt, bspw. hangen sie von der Haufigkeit der getesteten Krankheit in der Bevolkerang, der Sensitivitat, der Fluktuationsrate, den Rekrutierungskosten pro angestellten Arbeitnehmer, dem Jahreslohn oder den Kosten pro Krankheitsfall ab. Die Berechnungen anhand eines fiktiven Untemehmens ergeben, dass es sich dann lohnt das Lungenkrebsrisiko eines Arbeitnehmers genetisch abklaren zu lassen, wenn sich dadurch lungenkrebsbedingte Krankheitskosten von mindestens ca. €10300 einsparen lassen. Ein Gentest zur Feststellung des Brustkrebsrisikos lohnt sich hingegen bereits, wenn mehr als ca. €6700 Krankenkosten anfallen.

Die Kosten-Nutzenbestimmung von Gentests zur Eruierung der Anfalligkeit bestimmter Arbeitnehmer auf bemfsbezogene Gefahrenstoffe wird anhand der beiden Szenarien benzolinduzierter Krebs und Chronische Berylliumerkrankung vorgenommen und fuhrt bei der Berylliumerkrankung garantiert zu einem gtinstigen Kostenergebnis ftir das Untemehmen. Schwieriger ist es, im Hinblick auf das Szenario benzolinduzierter Krebs eine pradikative Aussage zu machen. Diesbeziiglich Kostenergebnis

errechnen,

lasst sich zwar grundsatzlich ein giinstiges

gleichzeitig

wird

jedoch

auch

auf

die

erhebliche

Wahrscheinlichkeit eines ungunstigen Ergebnisses hingewiesen. Eine genaue Bezifferung der Ergebnisse ist aufgrund der Variabilitat der Ergebnisse kaum moglich und ware ohnehin nur von geringer Aussagekraft. Dies hangt nicht zuletzt mit der Vielzahl der einfliessenden Faktoren zusammen, bspw. mit der Verbreitung der getesteten Kjrankheit in der arbeitenden Bevolkerung, der Anzahl der Krankheitsfalle in der getesteten versus in der nicht getesteten Belegschaft oder mit dem Anteil der chemischen Dosis, dem ein Arbeitnehmer ausgesetzt ist.

Aus

den

vorliegenden

Wirtschaftlichkeit

Kosten-Nutzenbestimmungs-Modellen

von betrieblichen

Gentest-Investitionen

zur

lassen

Errechnung sich

der

verschiedene

168

Multidisziplinare Analyse

spezifische

Charakteristika

erkennen,

die

bei

der

Erstellung

des

Gentest-

Entscheidungsmodells zu beriicksichtigen sind.



Die Beschaffungskosten ftir einen Gentest variieren je nach getesteter Krankheit (zwischen €220 und €r660) und sind fur jede Krankheit separat zu definieren.



Genetische Einstellungsuntersuchungen lohnen sich ftir ein Untemehmen erst dann, wenn der Arbeitnehmer im Krankheitsfall Kosten von einer bestimmten Hohe verursacht (bspw. ca. €10'284.50 bei Lungenkrebs oder €6710.50 bei Brustkrebs), die je nach Krankheit variiert.



Der Nettonutzen aus einem Gentest ist fur das Untemehmen umso grosser, desto haufiger die getestete Krankheit in der Bevolkerung vorkommt.



Liegt eine geringe Differenz zwischen der Anzahl der Krankheitsfalle bei den getesteten versus bei den nicht getesteten Arbeitnehmem vor, ist das erlangte Kostenergebnis von Gentests nur beschrankt aussagekraflig.



Liegt eine grosse Differenz zwischen der Anzahl der Krankheitsfalle bei den getesteten versus bei den nicht getesteten Arbeitnehmem vor, fuhren Gentests praktisch zu einem garantiert gunstigen Kostenergebnis ftir das Untemehmen.

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

5.3

169

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

A right to know, a right not to know, or a duty to know? (Shaw, M. W.)'^^

Die Psychologie befasst sich generell mit dem Erleben und Verhalten von Menschen. Unter Verhalten versteht sie jede objektivierbare Form psychischer Aktivitaten, unter Erleben alle in der Person verhaftete Aspekte, also gefuhlsbezogene, motivationale und erkenntnisbezogene Phanomene/^^ Das Augenmerk richtet sich dabei auf Prozesse wie Wahmehmung, Emotionen, Erinnerungen, Denken oder Problemlosen. Haufig wird von der Psychologie verkiirzend auch als Verhaltenswissenschaft gesprochen/^^ Im Zentrum steht grundsatzlich die Frage nach der Funktionsweise des Menschen, wobei die vielfaltigen psychologischen Teil- bzw. Spezialgebiete''^^ sehr unterschiedliche Akzente setzen. In dieser Arbeit wird die Gesundheitspsychologie''^'^ konsuhiert, um aus ihrer Sicht die spezifischen Eigenheiten der freiwilligen Gentest-Teilnahme aus Sicht der Arbeitnehmer zu analysieren. Das Teilgebiet der Shaw, zit. nach Schoffski (2000), S.lOl vgl. Schermer(1999), S.17 vgl. Zimbardo und Gerrig (2004), S.2 Die psychologischen Teilgebiete haben sich nicht nach ubergeordneten Planen entwickelt, sondem aus einem ungeregelten Wachstumsprozess herausgebildet. Vgl. Laucken et al. (1996), S.140 Die Gesundheitspsychologie befasst sich mit dem menschlichen Erleben und Verhalten angesichts gesundheitlicher Risiken und Beeintrachtigungen sowie mit der Optimierung der Gesundheit (im Sinne von Fitness oder Wellness). Die Forschung fragt danach, wer krank wird (und warum), wer sich von einer Krankheit wieder gut erholt (und warum) und wie man Erkrankungen verhiitet. Vgl. Schwarzer (2004), S.l

170

Multidisziplinare Analyse

Gesundheitspsychologie ist hier insofem von Interesse, als mit Hilfe der Genanalyse gesundheitsbezogene Daten festgestellt werden/^^ wodurch der Aspekt der Arbeitnehmergesundheit in den Mittelpunkt riickt. Andererseits hangt die freiwillige Teilnahme vom (menschlichen) Verhalten des Arbeitnehmers ab, das wiederum Gegenstand der Psychologie ist. Das Ziel, die spezifischen Eigenheiten der freiwilligen Gentest-Teilnahme zu analysieren, wird verfolgt, indem ein gesundheitspsychologisches Modell ausgewahlt wird, mit dessen Hilfe Faktoren ermittelt werden, welche die freiwillige Teilnahme eines Arbeitnehmers am Gentest wesentlich beeinflussen. Abschliessend werden mogliche Konsequenzen der Teilnahme an der Genanalyse fur den Arbeitnehmer selber sowie fur das Untemehmen betrachtet.

5.3,1 Gesundheitspsychologie Die medizinische Psychologie untersucht mit Hilfe verschiedener Theorien die Phanomene der Gesundheit und Krankheit^^^ Dabei unterscheiden sich ihre Ansatze hinsichtlich Zielsetzung, Komplexitat und Aussagekraft deutlich. Grundsatzlich lassen sich vier grosse Kategorien differenzieren:



Das Modell der Salutogenese begrundet sich auf der Fragestellung, warum sich die meisten Individuen trotz der vielfaltigen, allgegenwartigen, intemalen und extemalen Belastungsfaktoren in der Kegel noch einer zufrieden stellenden Gesundheit erfreuen/^^



Das interaktionistische Anforderungs- und Ressourcen-Modell der Gesundheit ist ein integratives Modell, das korperliche und seelische Gesundheits- bzw. Krankheitszustande

aufgrund

intemer

und

extemer

Anforderungen

und

Ressourcen der Person erklart/^^

vgl. Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergrund. vgl. Siegrist (1995), S.3. Vgl. Schneidermann et al. (2001), S.555-580 zu Krankheiten und psychosoziale Interventionen. vgl. Antonovsky (1979), S.98 vgl. Becker (1992), S.71

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme



Das

171

sozialepidemiologisch-okologische Model! gesundheitsbeeinflussender

Faktoren hat einen okologischen und sozialpolitischen Ursprung und fiihren das gesundheitliche Befinden einer Person vorwiegend auf den Einfluss extemer Faktoren zuriick.^^^ •

Das Health Belief Modell geht von der Hypothese aus, dass gesundheitsorientiertes Verhalten eines Individuums von der Bewertung eines bestimmten Verhaltensziels und von der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit, ob ein gegebenes Verhalten zur Zielereichung fiihrt, abhangig ist7^^

Das Salutogenese-Modell vertritt im Gegensatz zu den vorherrschenden krankheitsbedingten (pathogenetischen)^^' Ansatzen eine gesundheitsorientierte (salutogenetische)^^^ Sichtweise. Obwohl es sich dabei um einen anzustrebenden, ganzheitlichen Ansatz handelt, ist das Salutogenese-Modell in dieser Arbeit von untergeordnetem Stellenwert, mangelt es doch an der Operationalisierbarkeit der verschiedenen salutogenetischen Modellkomponenten.^^^ Das interaktionistische Anforderungs- und Ressourcenmodell ist ebenfalls von geringer Zweckdienlichkeit, da auch dieses Modell der seelischen Gesundheit eine Schliisselfunktion zuschreibt, was sich anhand einer Genanalyse ebenfalls nicht emieren lasst.^^"* Schliesslich wird auch das sozioepidemiologisch-okologische Modell fur weiterfiihrende Uberlegungen im Zusammenhang mit der Genanalyse vemachlassigt, da dort das soziale Umfeld die zentrale RoUe einnimmt.^^^ Daher wird den folgenden Ausfuhmngen das Health Belief-Modell (HBM) zu Grunde gelegt. Der eher krankheitsorientierte Ansatz des HBM erscheint hier insofem zweckdienlich, als anhand der Genanalyse zukunftige Erkrankungen festgestellt werden sollen. Schliesslich ist das Modell auch deswegen von Bedeutung, well angenommen wird, dass jeder Mensch irgendeine genetische Pradisposition zu einer bestimmten Krankheit in sich tragt^^^

vgl. Trojan und Hildebrandt (1989), S.97 vgl. Rosenstock(1974), S.328 Gesamtheit aller Faktoren, die an der Entstehung und Entwicklung einer Erkrankung beteiligt sind. Vgl. Der Gesundheits-Brockhaus online (1999) Gesamtheit gesundheitsfordemder Faktoren. Vgl. Der Gesundheits-Brockhaus online (1999) vgl. Riidiger (2004) zu Salutogenese allgemein. vgl. Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergmnd. vgl. Bauer (1996), S.32-42 fiir eine gute Zusammenfassung. vgl. Lennstrom und Rodgers (2000), S.9

172

Multidisziplinare Analyse

5,3.2 Das Health Belief-Modell Das Health Belief-Modell von ROSENSTOCK und BECKER ist ein entscheidungsorientiertes Konzept, das in seiner urspriinglichen Form das Verhalten von Individuen bei der Nutzung Oder Nichtnutzung von praventiven Massnahmen erklart/^^ In seiner weiterentwickelten Form kann es nun auch zur Erklarung der Inanspruchnahme jeglicher medizinischer Leistung herangezogen werden, also auch der Genanalyse^^^ Im HBM finden subjektive - anstelle von rein objektiven - Kriterien fur die Erklarung des Verhaltens Beriicksichtigung^^^ Zudem eignen sich die Dimensionen dieses Konzeptes als Variablen fiir die Vorhersage von mutmasslichem gesundheitsforderlichem Verhalten^^^ Demzufolge sind aus der Anwendung des HBM Ruckschliisse auf das Teilnahmeverhalten an einer Genanalyse und damit auf die betriebliche Verwendung der Genanalyse zu erwarten/^^ Das HBM formuliert vier Dimensionen, die das gesundheitsbezogene Verhalten beeinflussen:



Subjektiv wahrgenommene Anfdlligkeit (perceived vulnerability/susceptibility): Subjektive Einschatzung beztiglich eines genetischen Krankheitsrisikos - die Wahmehmung des tatsachlichen personlichen Risikos.



Wahrgenommene Schwere der relevanten Krankheit (perceived severity): Subjektive Bewertung der medizinischen und sozialen Folgen der zu

erwartenden

gesundheitlichenBeeintrachtigung. •

Wahrgenommener Nutzen (perceived benefits): Abschatzung der Zweckdienlichkeit eines bestimmten, gesundheitlich relevanten Verhaltens - eine Verhaltensanderung wird nur vorgenommen, wenn es effektiv erscheint.



Wahrgenommene Kosten bestimmten,

(perceived costs): Abschatzung des Aufwands einer

gesundheitsorientierten

Verhaltensweise

-

es

wird

keine

Verhaltensanderung vorgenommen, wenn die Veranderung zu gross erscheint/^^

vgl. Becker (1974), S.325-326; Rosenstock (1974), S.328-335 vgl.Kirscht (1974), S. 467 vgl. Rosenstock (1974), S.330 vgl. bspw. AHO (1979), S.201-208 vgl. Wyatt (1999), S.86 vgl. Schwarzer (2004), S.40-43; Schoffski (2000), S.278-279; Janz und Becker (1984), S.2; Rosenstock (1974),S.330-331

173

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

Graphisch lasst sich die Vorhersage der individuellen Beteiligung an einer praventiven Massnahme anhand des HBM wie folgt darstellen: Individuelle Wahmehmimg

Watocheinlichkeit des Handebijs

Modifizierende Faktoren

Demographische Variablen

Wahrgenommener Nutzen minus Wahrgenommener Barrieren

Soziopsychoiogische Variablen Wahrgenommene Anfalligkeit fur die Krankheit 'X' Wahrgenominene Schwere der Erkrankung 'X'

Strukturelle Variablen

Wahrgenommene Schwere und Bedrohlichkeit der Krankheit 'X'

Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an der praventiven Massnahme

Hinweise iiber die Massnahme

Abbildung 5.3-1: Das HBM zur Vorhersage der Beteiligung an einer Praventivmassnahme

5.3,3 Genanalyse- Teilnahmeentscheidung aus Sicht des HBM Im Folgenden werden die vier verhaltensbezogenen Dimensionen des HBM auf die Genanalyse-Teilnahmesituation eines Arbeitnehmers angewandt.

5.3.3.1

Subjektiv wahrgenommene Anfalligkeit fur eine genetische Erkrankung

Wie bereits erwahnt, wird die subjektive Gesamteinschatzung des personlichen genetischen Krankheitsrisikos durch die Wahmehmung des eigenen Krankheitsrisikos beeinflusst. Je unbekannter, unnatiirlicher, furchtbarer und unkontrollierbarer die Merkmale der Erkrankung einem Arbeitnehmer erscheinen, desto hoher ist das von ihm wahrgenommene personliche Krankheitsrisiko.^^"* Dieses subjektiv wahrgenommene Krankheitsrisiko beeinflusst seine

vgl. Rosenstock(1974), S.334 vgl. Renn(1990),S.2

174

Multidisziplinare Analyse

Teilnahmeentscheidung an einer Genanalyse starker, als sein objektiv bestehendes Krankheitsrisiko/^^ Die Teilnahme-Entscheidung des Arbeitnehmers wird beeinflusst durch die Unsicherheit, die gegenuber einer bestimmten Krankheit gefiihlt wird, dem Bediirfnis nach Sicherheit und durch das Ausmass, in welchem ein Gentest dieses Sicherheitsbedurfnis zu befriedigen vermag. Dabei wird der Arbeitnehmer dem Bedurfnis, gesundheitliche Unsicherheit zu reduzieren besonderes Gewicht beimessen/^^ Das Teilnahmeverhalten eines Arbeitnehmers wird femer durch soziodemographische Faktoren wie bspw. sein Alter, sein Geschlecht oder seine Kultur modifiziert^^^ So werden Praventivprogramme tendenziell eher von Arbeitnehmem bis zum mittleren Alter genutzt und die Nutzer haben tendenziell eine bessere Ausbildung sowie ein hoheres Einkommen, wenn auch nicht die beste Ausbildung und das hochste Einkommen/^^ Studien, die den Einfluss geschlechtsspezifischer Faktoren auf die Teilnahmeentscheidung an Gentests untersuchen zeigen zudem, dass sich Frauen eher einem Gentest unterziehen als Manner/^^ Der Grund daftir wird im erhohten Verstandnis der Frauen ftir gesundheitsgefahrdende Einfliisse gesehen. Ein weiterer Erklarungsansatz liegt im unterschiedlichen Umgang von Mannem und Frauen mit ungunstigen Gesundheitsinformationen. Es wird angenommen, dass Frauen eher versuchen, gesundheitliche Gefahren zu umgehen und deshalb auch eher die Abklarung ihrer genetischen Konstitution herbeifuhren/^^ Dieses Resultat kann aber auch darin begnindet sein, dass Untersuchungen tiber das Teilnahmeverhalten an einer Genanalyse vorwiegend im Hinblick auf Krankheiten gemacht wurden, die bereits sehr gut erforscht sind. Da hierzu sicherlich BRCAl und 2 (Brustkrebs) zahlen - also eine genetische Erkrankung, an der ausschliesslich Frauen leiden^^^ - konnte das erhohte Teilnahmeverhalten der Frauen auch darauf zunickzufuhren sein7^^ Die Entscheidung des Arbeitnehmers zur Teilnahme an der

vgl. Struewing et al. (1995) zit. nach Marteau und Croyle (1998), S.2 vgl. bspw. Lemke (2004), S.40-48 ftir das Teilnahmeverhalten von Chorea Huntington. Vgl. auch Almqvist et al. (2003), S.300-309 oder Marteau und Croyle (1998), S.694 vgl. Boles et al. (2004), S.741 und Decruyenare et al. (1998), S.355 vgl. Rosenstock (1974), S.355 vgl. Evans et al. (1997), S.746 zu Carrier-Abklarung. vgl. Lemke (2004), S.75-76 zum Verantwortung der Frauen gegenuber ihren Familienmitglieder. Vgl. auch Condori et al. (1999), S.348 und Marteau et al. (1997), S.55 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.38 Studien iiber genetische Erkrankungen werden vorwiegend uber monogenetische Krankheiten durchgefuhrt. Da die Zahl dieser genetischen Erkrankungen und deren Verbreitung in der Bevolkerung zum Teil sehr gering ist, beschranken sich die Untersuchungen meist auf bereits seit langem bekannte und gut erforschte Krankheiten wie Brustkrebs, Zystische Fibrose oder Chorea Huntington. Vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S.38-40

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

175

Genanalyse wird zusatzlich durch kulturelle Faktoren beeinflusst.^^^ Diese Erkenntnis geht aus einem Landervergleich uber das Teilnahmeverhalten an einer genetischen Untersuchung hervor. So nahmen bspw. in den USA und in Grossbritannien ahnlich viele Menschen an einer Huntington-^^"^ und Brustkebs-Abklarung teil. Der Anteil der Personen, die sich zu einer Abklarung beziiglich der Zystischen Fibrose^^^ meldeten, war in den USA hingegen erkennbar geringer^^^ Selbst Meinungsumfragen zu genetischen Untersuchungen innerhalb Europas liegen grosse kulturelle Unterschiede an den Tag. Wahrend bspw. die polnische Fokusgruppe gewisse genetische Tests aus religiosen Griinden ablehnte, wurde in Schweden eine erhohte Nachfrage fur genetische Informationen festgestellt.''^^

Weiter beeinflussen Stimuli - wie bspw. Krankheit eines Familienmitgliedes oder einer Person aus dem eigenen sozialen Umfeld -

die Wahmehmung des personlichen

Krankheitsrisikos des Arbeitnehmers.^^^ Negative Erfahrungen mit Krankheit im engen sozialen Umfeld fuhren zu einer hoheren Sensibilisierung des Arbeitnehmers fur die Wahmehmung seines personlichen Krankheitsrisikos. Diese Sensibilisierung tragt zu einer krankheitsorientierten

Wahmehmung

iiber

sein eigenes Krankheitsrisiko

Bewaltigung von gesundheitlichen Unsicherheiten

bei. Die

ist zudem von der personlichen

Belastbarkeit des Arbeitnehmers abhangig. D.h., je geringer die individuelle Belastbarkeit ist, desto weniger ist der Arbeitnehmer in der Lage, gesundheitliche Belastungen als Herausfordemng zu erleben und verfiigbare Ressourcen, wie bspw. gezielte Prevention oder

vgl. Lemke (2004), S.37 Chorea Huntington ist eine degenerative Nervenkrankheit, die zumeist um das 45. Lebensjahr herum beginnt. Die Patienten leiden unter schnellen, unwillkurlichen, ofl bizarren, unkontroUierbaren Muskelzuckungen und Sprachstorungen, was zu einer aligemeinen psychischen Veranderung und einem zunehmenden geistigen Verfall fuhren. Vgl. Pschyrembel online (2002) Zystische Fibrose (Mucoviscidose) ist eine autosomal-rezessiv erbliche Stoffwechselkrankheit. Der Gendefekt fiihrt zum Fehlen oder zur Funktionseinschrankung eines fur die normale Schleimproduktion exokriner Driisen erforderlichen Membranproteins und bewirkt Zahfliissigkeit und Uberproduktion der Sekrete aller schleimbildenden Drusen und hat Stauungserscheinungen sowie eine fortschreitende zystisch-fibrotische Umbildung des umgebenden Gewebes zur Folge. Durch Befall der Bauchspeicheldriise kommt es zur chronischen Entzundung (zystische Pankreasfibrose) mit Verdauungsstorungen (Fettstuhl); schwerwiegend ist auch die Schadigung des Bronchialsystems (chronischer Bronchitis, wiederkehrende Lungenentztindungen). Eine Verdickung des Gallensekrets fiihrt zu Gallestauung und somit zu einer Leberschadigung. Eine leichte Form der Mukoviszidose aussert sich jedoch nur in einer Infertilitat beim Mann. Vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. dazu. Marteau und Croyle (1998), S.93 vgl. Coulter und Magee (2003), S.244-245 vgl. Maiman und Becker (1974), S.349. Vgl. zudem Lemke (2004), S.37-38 und Schneidermann et al. (2001), S.563-566 zu den beeinflussenden psychosozialen Faktoren.

176

Multidisziplinare Analyse

Therapie zu seinem Gunsten zu nutzenJ^^ Im Wesentlichen lassen sich beztiglich der Verarbeitung gesundheitlicher Belastung drei Typen unterscheiden: Der Arbeitnehmer als Verfugbarkeitsheuristiker, als Anker-Effekt-Typ und als voreingenommener Optimist.^*^



Der Verfugbarkeitsheuristiker wird aufgrund seiner personliche Erfahrangen im Umgang mit einer Krankheit und der seit dieser Erfahmng verstrichenen Zeit iiber die Teilnahme an einer Genanalyse entscheiden.^®*



Der Anker-Effekt'Typ wird, nachdem ihm das allgemeine Risiko hinsichtlich einer bestimmten Krankheit bekannt ist, eine Teilnahme-Entscheidung treffen.^^^



Der voreingenommene Optimist hingegen entscheidet sich rascher fiir einen Gentest, da er der Meinung ist, selbst keinen Gendefekt in sich zu tragen.^^^

In der Literatur fmden sich auch Hinweise dariiber, dass die Art und Weise wie ein Gentest offeriert wird, Einfluss auf die Teilnahmenetscheidung hat. Deutlich wurde dies bei einer genetischen Untersuchung auf Zystische Fibrose. Dabei zeigte sich, dass 25% der Personen, die persSnlich zur Abklarung geladen wurden, der Einladungen auch tatsachlich folgten und 70% davon die Abklarung gleich durchfuhren liessen. Von den schriftlich Eingeladenen nahmen hingegen nur 10% den Test-Termin wahr.^^"*

5.3.3.2

Wahrgenommene Schwere der genetischen Krankheit

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Arbeitnehmer eher an einem Gentest teilnehmen, wenn effektive Wege der Therapie oder Pravention zur Verfugung stehen. Ist diese Moglichkeit hingegen nicht gegeben, mochten viele Arbeitnehmer ihren genetischen Status eher nicht

vgl.Kemen(1999),S.198 Uber die individuelle Verarbeitung so genannter Risikoinformationen liegen aus Sicht der Genetik noch kaum Aufzeichnungen vor. Deswegen wird auf Erkenntnisse aus der AIDS-Forschung zurUckgegriffen, denn auch hier bedeutet ein positives Testergebnis nicht unmittelbar, dass die Krankheit uberhaupt ausbricht. Ihnen gemeinsam ist die Unkontrollierbarkeit der Krankheit, die geringe Vorhersagbarkeit sowie die Erfordemis eines Spektrums an VerarbeitungsmodalitSten. Vgl Rosen et al. (2003), S.78-88; Schneidermann et al. (2001), S.567 und Beerlage et al. (1994), S.155 vgl. Versteegen (1992), S.32 vgl. Hussy (1993), S.132 vgl. Schwarzer (2004), S.31 und Weinstein (1982), S.443 vgl. Bekker et al. (1993), S.1584. Vgl. Stuhrmann et al. (2005), S.69 zum Teilnahmeverhalten bei Hamochromatose.

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

177

wissen. Diese Einsicht lasst sich aus dem geringen Interesse von etwa 10% an einer Teilnahme am Gentest betreffend die nicht therapierbare Huntington-Krankheit ableiten.^^^ Bei Krankheiten, bei denen Wege der Therapie und Pravention vorliegen, wie bspw. bei Brustkrebs, liegt die Beteiligung bei rund 50%.^^^ Noch hoher ist die Teilnahmebereitschaft, wenn es um die familiare adenomatose Polyposis^^^ (86%)^^^ oder Hamochromatose^^^ (76%) geht.^'« Die wahrgenommene Schwere der relevanten Krankheit wird, abgesehen von den moglichen klinischen Konsequenzen, auch anhand der Auswirkungen auf das personliche Umfeld des Arbeitnehmers, v.a. also auf Familie, ArbeitskoUegen oder soziale Beziehungen, beurteilt. Ein Arbeitnehmer kann demnach durchaus der Auffassung sein, dass eine bestimmte genetische Krankheit an sich nicht besonders schwerwiegend sei, dass diese jedoch negative Auswirkungen auf sein soziales Umfeld habe.^^' Dies trifft v.a. auf Erkrankungen zu, die auf Nachkommen iibertragen werden konnen.^^^ Die Vererbbarkeit von Erkrankungen belastet Arbeitnehmer besonders, da sie nicht in der Lage sind, dieses Problem durch ihr eigenes Zutun zu verandem. Genetische Informationen sind permanent im Erbgut verankert, d.h. sie gelten ein ganzes Leben lang und betreffen eben Nachkommen wie auch Blutsverwandte.^'^ Dies diirfte mit ein Grund sein, warum genetische Erkrankungen oft als besonders schwerwiegend empfunden werden.

Damit die wahrgenommene Schwere einer bestimmten Erkrankung nicht nur von subjektiven Krankheitseinschatzungen gelenkt wird, empfehlen Experten, dass „[...] the decision to test and the evaluation of its results should always occur in the context of a genetic counselling

vgl. Craufurd et al. (1989), S.603. Vgl. Lemke (2004), S.36-38 zu Teilnahmeverhaiten an einem Gentest bei Chorea Huntington. vgl. Lerman et al. (1996), 1885 Die Familiar Adenomatose Polyposis (FAP) ist eine Krankheit des Dickdarms, wo sich die vielen vorhandenen Polypen bosartig entarten. FAP ist autosomal-dominant vererbt. Vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Evans etal.( 1997), S.746 Eisenspeichererkrankung, vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Stuhrmann et al. (2005), S.69 vgl. Schoffski (2000), S.278 vgl. Kap. 2.2 Vererbungsvorgange vgl. Anwander und Rippe (2001), S.27

178

Multidisziplinare Analyse

session."^^"^ In einer solchen genetischen Beratung^^^ werden dem Arbeitnehmer die Natur, die Niitzlichkeit sowie die mit genetischen Tests assoziierten Risiken erklart,^^^ mit dem Ziel, die objektive Erwagung und Einschatzung des spezifischen Risikos, an einer bestimmten Krankheit zu erkranken, zu unterstutzen.^^^

5.3.3.3

Wahrgenommener Nutzen aus einer Genanaly se

Ein zusatzliches Kriterium fiir die freiwillige Teilnahme an einem Gentest ist der wahrgenommene gesundheitliche Nutzen, den sich der Arbeitnehmer aus einem Gentest verspricht.

BURGESS untersucht

die Zweckdienlichkeit

genetischer

Untersuchungen

hinsichtlich ihres individuell wahrgenommenen Nutzens und unterscheidet dabei zwischen khnischen und psychologisch-sozialen Nutzenaspekten:^^^

Klinisch

Psychologisch oder sozial

Vermeidung einer Krankheit

Befreiung von Unsicherheit

Heilende Behandlung dank einer fristgerechten und genauen Diagnose

Personliche Planung

Vermeidung von Schaden aus nicht angebrachter Behandlung oder Uberwachung

Verbessertes Wohlbefinden

Symptomatische Behandlung

Erfiillung des Patientenwunsches, getestet worden zu sein

Tabelle 5.3-1: Klinisch-Psychologischer Nutzen aus einem genetischen Test

Ein vorher schon ofters erwahntes Beispiel fur klinischen Nutzen ist die Vorbeugung einer Erkrankung an Hamochromatose. Diese Eisenspeichererkrankung lasst sich bei friihzeitiger Diagnose relativ einfach behandeln: Der Betroffene muss hin und wieder zum Aderlass. Schreitet die Krankheit jedoch unbehandelt fort, droht am Ende eine Organtransplantation von Leber oder Niere.^^^ Durch einen frixhzeitigen Gentest und eine symptomatische Behandlung

Cassiman et al. (2001), S.l 14 vgl. bspw. Kroiss et al. (2002), S. 19-23; Cassiman et al. (2001), S.l 14; Charisius (2000), S.42 und Korff et al. (1998), S.29 zur genetischen Beratung. vgl. Burgess (2001), S.147 vgl. bspw. Kroiss et al. (2002), S.19-23 und Hartog (1996), S.62-63 vgl. Burgess (2001), S.147 vgl. Stuhrmann et al. (2005), S.69-78 und Karberg (2004), S.63

Die Psvchologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

179

kann also der Ausbruch dieser Krankheit relativ einfach verzogert, ja sogar verhindert werden. Ein weiteres - wenngleich nicht unumstrittenes - Beispiel fiir einen klinischen Nutzen ist der Brustkrebs. Untersuchungen belegen, dass bspw. eine prophylaktische Mastektomie^^^ das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, drastisch senkt: Eine Studie von MEUERS-HEUBOER ET AL. zeigt, dass durch eine prophylaktische Mastektomie durch eine mittlere Beobachtungszeit von drei Jahren eine deutliche Reduktion des Brustkrebsrisikos bereits zu verzeichnen ist.^^^ HARTMANN ET AL. wiesen in einer retrospektiven Studie nach, dass sich bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 13.4 Jahren bei 26 Brustkrebs-Mutationstragerinnen das Brustkrebsrisiko durch eine prophylaktische Mastektomie sogar um 90-100% reduzieren liesse.^^^ Obwohl die prophylaktische Mastektomie viele Skeptiker hat, zeigt eine Untersuchung iiber die Einstellung der Frauen aus Brustkrebs-Mutationsfamilien, dass zwischen 18%-35% der Betroffenen einer vorbeugenden Brustdrusenentfemung positiv gegeniiberstehen.^^^

In einem

hoUandischen

Kollektiv

wurde

die

prophylaktische

Mastektomie sogar von 57% der Patientinnen in Anspruch genommen.^^"^ Diesen klinischen Studien gemeinsam ist der Nachweis des Nutzens aus einem genetischen Test. Dieser spiegelt sich darin, dass der Ausbruch einer Erkrankung durch fristengerechte Diagnose und symptomatische Therapie sogar zu vermeiden ist.

Mit dem klinischen Nutzen aus einem fruhzeitigen Gentest gehen auch psychologisch-soziale Nutzenaspekte einher. Dass therapierbare genetische Krankheitsrisiken fruhzeitig erkannt und diagnostische Verfahren fruhzeitig eingeleitet werden konnen, tragt zu einer Befreiung von Unsicherheit, zu einer verbesserten personlichen Planung und zu verbessertem Wohlbefmden bei. Von Befreiung von Unsicherheit ist zu sprechen, wenn Arbeitnehmer, die aus krankheitsspezifischen Hochrisikogruppen stammen, selbst noch keine Klarheit iiber ihr

Mastektomie ist die operative Entfemung des Driisengewebes der weiblichen Brust. Im Unterschied zur radikalen Brustamputation jedoch ohne die Brustmuskeln und die regionalen Lymphknoten. Vgl. Pschyrembel online (2002) vgl. Meijers-Heijboer et al. (2001), S. 159-164 vgl. Hartmann et al. (1999), S.77-84 vgl. Lynch et al. (2001), S.1586-1587; Lerman et al. (2000), S.75-80 und Wagner et al. (2000), S.12491253 vgl. Kroiss et al. (2002), S.22

180

Multidisziplinare Analyse

personliches Risiko haben.^^^ Die Gewissheit Trager einer Brustkrebsmutation zu sein, ist fiir sie u.U. eine Befreiung von Ungewissheit.^^^ Durch einen Gentest lasst sich auch die personliche Planung u.a. beziiglich des beruflichen Werdegangs verbessem. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn genetische Gesundheitsrisiken bei der Berufswahl eine Rolle spielen.^^^

5.3.3.4 '

Wahrgenommene Kosten einer Genanalyse

Fiir viele Arbeitnehmer weckt alleine der Terminus Gen in Verbindung mit Krankheit negative Assoziationen.^^^ Sie sind der Ansicht, dass sich Krankheiten mit einer genetischen Ursache nicht behandeln oder therapieren lassen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, in der Personen gebeten wurden, sich vorzustellen, ihr Hausarzt habe bei ihnen ein erhohtes Risiko auf eine Herzerkrankung festgestellt. Der ersten Halfte der Teilnehmer wurde erklart, diese erhohte Anfalligkeit sei aufgrund eines genetischen Tests erkannt worden. Der anderen Halfte gegenuber wurde die Art der Erhebung nicht erwahnt. Die erste Gruppe stufte die Moglichkeit einer erfolgreichen Therapierung dieser Herzerkrankung als gering ein.^^^

Dieses

Untersuchungsergebnis

zeigt,

dass

individuell

wahrgenommene

negative

Assoziationen eine Barriere darstellen, die eine freiwillige Teilnahme am Gentest beeintrachtigen oder sogar verhindem.^^^ Das Ausmass, in welchem ein Arbeitnehmer seinen Zustand als kontrollierbar (therapierbar) erachtet, beeinflusst die Bereitschaft, einem bestehenden Krankheitsrisiko vorzubeugen, entscheidend.^^^ Sieht also ein Arbeitnehmer das diagnostizierte Krankheitsrisiko aus einem Gentest im Vergleich zu herkommlichen Tests als geringer therapierbar an, so wird er auch weniger motiviert sein, sein Verhalten zu andem. Diese Sichtweise wird durch eine Untersuchung gestutzt, in der mittels einer Zufallsvgl. dazu das weiter oben beschriebene Beispiel der prophylaktischen Mastektomie. Die psychische Belastung kann sich durch die Sicherheit Trager einer Disposition zu sein, vermindem, da die Unsicherheit tiber den genetischen Status vermindert wird. Besonders deutlich wird dieses Phanomen bei Chorea Hunington. Vgl. dazu Almqvist et al. (2003), S.300 sowie Marteau und Croyle (1998), S. 1401 bspw. Unvertraglichkeit von bestimmten Stoffen (bspw. Backer-Asthma oder Coiffeur) oder Erkennung einer Gefahrdung fur Dritte (bspw. Farbenblindheit bei Chauffeur oder Pilot). Vgl. dazu Hennen et al. (2001), S.106 und Lennstrom und Rodgers (2000), S.7 vgl. Lemke (2004), S.81. Auch gegenuber neuen Technologien wie bspw. der Gentechnologie besteht grosse Skepsis. Vgl. SGGP (2003), S.61 vgl. Marteau und Senior (1997), S.241-266 vgl. Schoffski (2000), S.279 vgl. Skinner (1996) zu Kontrolle und ihre Wahmehmung.

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

IM

stichprobe Raucher ausgewahlt wurden, die anhand eines Gentests auf ihre Anfalligkeit fur Lungenkrebs untersucht wurden. Unter den positiv Getesteten^^^ war die Wahrscheinlichkeit, das Rauchen aufzugeben nicht grosser als unter jenen, die nicht getestet wurden. Diejenigen, die getestet wurden, nahmen aber das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, viel intensiver wahr und waren angstlicher als jene, die diese Information nicht erhielten.^^^ Dieses Resultat steht im Gegensatz zu der Annahme Arbeitnehmer mit einer genetisch diagnostizierten Krankheitsanfalligkeit wurden sich auch erhoht praventiv verhalten. Vielmehr erscheint oft der individuell erlebte Aufwand, bspw. das Rauchen aufzugeben, so gross, dass eine Vorbeugung abgelehnt wird.^^"* Praventives Verhalten wird demnach von vielen Arbeitnehmem auch als eine Beschrankung ihrer Lebensgewohnheiten interpretiert. Es erscheint ihnen zumindest kurzfristig einfacher, schon im Vorfeld von einem Gentest Abstand zu nehmen.

Eine Barriere fur die individuell freiwillige Teilnahme an einem Gentest stellen negativ wahrgenommene, psychosoziale Faktoren dar. Die Gewissheit iiber eine mogliche schwerwiegende Krankheit oder die Kenntnis eine nicht heilbare Krankheitsdisposition^^^ hat u.U. eine Beeintrachtigung der seelischen Integritat zur Folge.^^^ Nicht zu vemachlassigen ist femer, dass die Diagnose einer zukiinftigen Krankheit zu einem Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer noch gesund ist, sehr belastend erlebt wird.^^^ Zu bedenken bleibt zudem, dass der Zeitpunkt des Ausbruchs der Krankheit kaum bestimmbar ist wenngleich die wissenschaftliche Validitat des Gentests a priori gegeben ist.^^^ Wird also eine genetische Predisposition festgestellt, sind Angaben iiber den moglichen Ausbruch der entsprechenden Krankheit trotzdem nur sehr eingeschrankt moglich.^^^ Noch immer besteht Ungewissheit dariiber, mit wie viel Wissen iiber die eigene gesundheitliche Zukunft ein Arbeitnehmer umgehen kann, ohne darunter zu leiden.^"^^ Beginnt

Positiv getestet beschreibt den Umstand, dass bei einer Person Hinweise auf eine Predisposition fur die bestimmte Krankheit gefunden wurden; negativ getestet bedeutet, dass der Gentest ein negatives Ergebnis erbrachte und demnach kein Risikofaktor fiir die entsprechende Krankheit besteht. vgl. Lerman et al. (1997), S.95-97. Vgl. Lemke (2004), S.39 zum Verhalten von negativ Getesteten. vgl. Schwarzer (2004), S.62-66 fiir einen guten Uberbiick iiber Studien in Verbindung mit Rauchen. bspw. Chorea Huntington vgl. dazu EGE (2003), S.36; Weichert (2002), S.9 und Korff et al. (1998), S.34 vgl. dazu Lennstrom und Rodgers (2000), S.6 sowie Grisham (1999), S.91 vgl. dazu Hennen et al. (2001), S.39 sowie Regenauer und Schmidtke (2001), S.38-44 vgl. Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergrund vgl. Lennstrom und Rodgers (2000), S.5

182

Multidisziplinare Analyse

er zu leiden, wenn die Pradisposition diagnostiziert wird, oder erst, wenn die Krankheit ausbricht? Jedenfalls ist es denkbar, dass die mit einer Krankheit assoziierten negativen psychologischen Konsequenzen im Falle eines positiven Genbefundes schon fruher auftreten, namlich zu einem Zeitpunkt, an dem die Krankheit noch gar keine Symptome zeigt.

5.3.3.5

Zusammenfassung zur Entscheidung betreffend Teilnahme am Gentest

Zusammenfassend lasst sich die freiwillige Teilnahme an einem Gentest als individueller Kosten-Nutzen Entscheidungsprozess wie folgt darstellen: Wahrgenommene Schwere/ Bedrohlichkeit der Krankheit X (perceived severty)

Wahrgenommene AnfSlligkeit fur die Krankheit X (perceived vulnerability) Demographische Variablen (Alter, Geschlecht, Ausbildung,...)

Sozialpsychologische Variablen (Personlichkeit, Umfeld, Familie, Arbeitskollegen,...)

Empfundene Bedrohung durch die Krankheit X

Aktivierende Momente(Verarbeitungstyp, genetische Beratung, Wissen/Nichtwissen woUen der Befiinde,...) Erlebter Nutzen der freiwilligen Gentes-Teilnahme (perceived benefits)

Nutzenaspekte (Gesundheitsforderun g, Lebens- und Berufsplanung,...)

Erlebter Aufwand der freiwilligen Gentes-Teilnahme (perceived costs)

Kostenaspekte (Aufwand fur praventives Verhalten, Arbeitsverbot,...)

Wahrgenommene Vorteile des Gentests abzughch der wahrgenonraienen Banieren

Wahrscheiniichkeit der Teilnahme an einem Gentest

Abbildung 5.3-2: Teilnahmeprozess an einem Gentest^^^

in Anlehnung an das HBM von Rosenstock (1974), S.328-335

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

131

Wie bereits der Ausdruck freiwilliger betrieblicher Gentests schon besagt, konnen sich Arbeitnehmer entscheiden an einem Gentest teilzunehmen oder nicht. Wahrend der genetische Befund fiir manche eher eine Risikoinformation^'^^ bedeutet, sehen andere darin eine Chance ihr Leben bzw. ihre Karriere besser zu planen. Arbeitnehmer haben beziiglich ihrer Gene einen unterschiedlichen Informationsbedarf.^'^^

In Anlehnung an das HBM wird die

individuelle Entscheidung an einem Gentest teilzunehmen von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, deren Zusammenwirken in der Grafik 5.3-2 dargestellt ist.

5.3,4 Erweiterung des Modells Wie im letzten Kapitel zusammengefasst, wurde bis jetzt ein UberbHck dariiber vermittelt, welche Faktoren den Entscheidungsprozess der freiwilligen Teilnahme beeinflussen. Unklar hingegen ist nach wie vor, ob mit der freiwilligen Entscheidung zur Teilnahme auch tatsachlich die Durchfuhrung des Gentests und die Ubermittlung des Genbefundes einhergehen. Ungeklart ist zudem, welche Reaktionen aus einem positiven Testergebnis zu erwarten sind und welche Bedeutung die individuellen (Arbeitnehmer-) Reaktionen haben. Entsprechend diesen Unklarheiten wird das Modell der freiwilligen Entscheidung an der Teilnahme um die Komponenten Durchfuhrung des Gentests und Reaktion auf eine positive Diagnose erganzt.

Freiwillige TeilnahmeEntscheidung

Durchfuhrung des Gentests

Reaktion auf eine positive Diagnose

Abbildung 5.3-3: Modellerweiterung

Damit soil gezeigt werden, dass die Teilnahmeentscheidung zwar ein wichtiger und zentraler Faktor zur Erklarung der psychologischen Perspektive der betrieblichen Genanalyse ist, dass jedoch die Genanalysesituation als Ganzes zu betrachten ist, wenn Riickschliisse auf das

Das subjektiv wahrgenommene Risiko bezuglich der eigenen Gesundheit ist definiert als das Ergebnis eines mentalen Prozesses, in dem Information, Unsicherheit, tatsachliche oder vorgestellte Gefahrenmerkmale sowie friihere Erfahrungen mit der Gefahrenquelle psychisch verarbeitet und beurteilt werden. Vgl. Versteegen (1992), S.29 vgl. Fumham(1999), S.56

184

Multidisziplinare Analyse

Untemehmen gemacht werden sollen. Unter Einbezug der Literatur wird im Folgenden die Situation bei Inanspruchnahme eines Gentests beschrieben. Mit dieser Erweiterung des Modells wird auch dem Anspruch der Gesundheitspsychologie, die Phanomene der Gesundheit und Krankheit seien als Ganzes zu betrachten, Folge geleistet.^"^"^

5.3,5 Durchfiihrung der Genanalyse 1st die Entscheidung zur Gentestteilnahme getroffen, wird der eigentliche Test durchgefuhrt. Zur Erstellung eines genetischen Befundes werden bloss einige korperliche Zellen benotigt. Diese werden meist dem Blut entnommen. Oft geniigt aber schon eine Haarwurzel, um einen genetischen Befiind zu erstellen.^"^^ Diese Zellen, auch Samples genannt, werden entweder in unabhangigen Labors oder medizinischen Einrichtungen analysiert.^"*^ Zur detaillierten Beschreibung der Durchfiihrung einer Genanalyse siehe Kapitel zwei.

5.3.5.1

Ubermittlung der Gentestdiagnose

1st das Ergebnis der Auswertung der genetischen Rohdaten ein valider Genbefiind,^"^^ wird dieser dem entsprechenden Arbeitnehmer iibermittelt. Bei der Ubermittlung eines genetischen Testergebnisses, insbesondere wenn es fiir den Arbeitnehmer ungtinstig ausfallt, ist zu klaren in welcher Art und Weise das Ergebnis dem betroffenen Arbeitnehmer mitgeteilt werden soil: Wer soil die Nachricht uberbringen, der Hausarzt oder Angestellte des Labors, das den Befiind erstellte?^"^^ Wer ist anwesend - der Arbeitnehmer alleine oder auch sein Partner oder seine Eltem?^"^^ Diese Fragen des Settings sind insofem von Bedeutung, als die Diagnose eines

genetischen

Befiindes

oft

mit

einer

potenziellen

Bedrohung

oder

einer

vgl. Schermer(1999),S.17 vgl. Fesch (2000), S.51 und Roos (1999), S.33 Kleinere Firmen werden in Zukunft versuchen, spezifische Testangebote zu entwickeln und die Tests und deren Auswertung direkt an Nutzerinnen und Nutzer bzw. an Arzte oder Krankenhauser zu verkaufen; vgl. Hennen et al. (2001), S.61. Die Firma Medigenomix GmbH (Munchen) bspw. bietet auf seiner Homepage Gentests ftir Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Thrombose, Osteoporose oder Hamochromatose fur Privatpersonen an. Vgl. www.medigenomix.de (Zugriff: Juni 2005) vgl. Kap. 2 Naturwissenschaftlicher Hintergrund. vgl. Siegrist und Cvetkovich (2001), S.205 zum Verhaltnis von Vertrauen bei der Ubermittlung von Gesundheitsinformationen. vgl. Lemke (2004), S.38

Die Psvchologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

185

Risikoinformation gleichgesetzt wird und „the way risk information is presented affects how it is perceived and respondend to."^^^ Wie soil der Genbefund ubermittelt werden? Genetische Risikoinformationen lassen sich als relatives oder absolutes Risiko, als Wahrscheinlichkeit in Form von Prozentsatzen und Zahlenangaben verbal ubermitteln.^^^ Studien, die sich mit der Weitergabe von Informationen tiber Gesundheitsrisiken beschaftigen, stellen die qualitative Weitergabe des Befundes in den Mittelpunkt (das Risiko ist hoch/niedrig, wahrscheinlich/unwahrscheinlich).^^^ Dennoch wird bei der Ubermittlung genetischer Befunde von den Arbeitnehmem eher der explizite Vergleich mit der allgemeinen Bevolkerung vorgezogen, bspw. das Risiko ist 7 in 10.^^^ Wer soil die Nachricht uberbringen? Bei der Klarung des Settings spielt im Falle eines negativen Testergebnisses die Beziehung des getesteten Arbeitnehmers zur tibermittelnden Person im Hinblick auf die Verarbeitung dieses Befundes eine wesentliche

Rolle.^^'*

Der

spatere

Umgang

mit

der

Entdeckung

einer

gesundheitsschadlichen Genmutation ist grossteils davon abhangig, wer dem Arbeitnehmer die Nachricht ubermittelt.^^^ Aus der Wissenschaft ist bis heute noch sehr wenig iiber jene reaktions-beeinflussende Faktoren bekannt, die in Beziehung stehen zur Person, welche den Genbefund ubermittelt. Vermutet wird jedoch, dass die Abwesenheit von vertrauten Personen, die Verarbeitung des Ergebnisses erschwert.

5.3.5.2

Moglichkeit zum Abbruch des Gentestes

Die Einleitung eines Gentests hat nicht unmittelbar die Diagnoseiibermittlung zur Folge. Vielmehr ist von der Moglichkeit auszugehen, dass der Verlauf des Gentests zu verschiedenen Zeitpunkten unterbrochen bzw. abgebrochen werden kann. Hinter dieser individuellen Entscheidung des Arbeitnehmers stehen unterschiedliche Motive und

Marteau und Croyle (1998), S.694 vgl. bspw. Regenauer und Schmidtke (2001), S. 17-19, 38 sowie Hallowell et al. (1997), S.270 vgl. Shaw und Dear (1990), S.520-523 sowie Kong et al. (1986), S.740-744 vgl. Regenauer und Schmidtke (2001), S. 17-19 sowie Hallowell et al. (1997), S.284 vgl. Lemke (2004), S.38 vgl. Siegrist und Cvetkovich (2001), S.205. Er geht davon aus, dass „People have more confidence in information presented by a medical doctor [...]."

186

Multidisziplinare Analyse

Zusammenhange - wie eine Studie zu BRCAl-Risikopersonen^^^ zeigt.^^^ Demnach wollten nicht alle getesteten Personen den Genbefund zur Kenntnis nehmen, selbst wenn das Testergebnis bereits vorlag. Von 279 Frauen und Manner, die 13 erweiterten Hoch-RisikoFamilien angehoren, nahmen 192 (69%) an einem Telefoninterview teil. Von diesen 192 Personen wollten jedoch nur 60% ihr definitives Testergebnis erfahren. Es wurde festgestellt, dass die Entscheidung fur die Mitteilung des Testergebnisses durch zusatzliche Merkmale beeinflusst, wurde darunter das Vorhandensein einer Krankenversicherung, die Anzahl Angehoriger ersten Grades, die von Brustkrebs betroffen waren, die Schulbildung und das bestehende Wissen tiber die BRCAl-Testung.^^^

5,3,6 Das Genanalyseergebnis und seine Folgen 5.3.6.1

Reaktionen und Auswirkungen auf der Individualebene

Grundsatzlich werden die meisten Arbeitnehmer, die an einem Gentest teilnehmen, ein negatives^^^ Testresultat erwarten. Halten sich Arbeitnehmer hingegen als krankheitsanfallig, erwarten sie eher ein positives^^^ Testresultat.^^^ Diese Tatsache erklart, warum Letztere weniger unter einem positiven Testresultat leiden als jene, die sich vorher keines Risikos bewusst sind.^^^ Die Mitteilung iiber eine mogliche zukiinftige genetische Erkrankung ruft bei manchen Arbeitnehmem zunachst eine Schockreaktion hervor, die bspw. zur Abnahme des Selbstwertgeftihls oder zur sozialen Isolation fuhrt. Voraussetzungen fiir eine signifikante Verhaltensanderung sind erst mit der Uberwindung der Schockreaktion zu erwarten. ^^^ Die Ubermittlung eines positiven Genbefundes wird also fur manche Arbeitnehmer bereits wie ein Krankheitsausbruch erlebt und mit einer Krisen- oder Kummersituation gleichgesetzt. Die Reaktion auf einen positiven Genbefund ist demzufolge dem Bewaltigungsverlauf von

Brustkrebs vgLFaller(1997),S.lll vgl. dazu auch die Ausftihrungen iiber die subjektiv wahrgenommenen Krankheitsanfalligkeiten und die Schwere in Kap. 5.3.31 Der Gentest hat ein negatives Ergebnis erbrachte, so dass kein Risikofaktor fur die getestete Krankheit besteht. Hat der Gentest ein positives Ergebnis erbracht, besteht ein Risiko, dass die getestete Erkrankung ausbricht. vgl. Lynch et al. (1993), S.1979. vgl. Marteau und Croyle (1998), S.694 vgl. Wolff (1991), S.45

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

187

Kummer ahnlich. Bekanntlich ist das Bewaltigungsgeschehen sehr komplex, weshalb es sehr schwierig ist einen allgemeinen Bewaltigungsverlauf flir unterschiedliche Erkrankungen aufzustellen.^^"^ Dennoch wird auf Anraten von BRAGA^^^ ein Modell von KUBLER-ROSS herangezogen, mit dessen Hilfe der Bewaltigungsverlauf illustriert wird.^^^ Es stellt den Ablauf der Bewaltigung von Kummer als Prozess dar. Dem Modell zu Folge ist zu erwarten, dass die Bekanntgabe der Diagnose einer schwerwiegenden Erkrankung beim betroffenen Arbeitnehmer einem Schockerlebnis ahnlich ist und dass er mit Verleugnung auf den Befund reagiert - er will nicht wahr haben, dass er ein Betroffener ist. Es kommt zu Wut und Arger, wobei es nicht uniiblich ist, dass der betroffene Arbeitnehmer andere (bspw. Eltem oder Umwelt) fiir sein Schicksal verantwortlich macht. Gleichzeitig ist er aber innerlich niedergeschlagen und motivationslos oder aber er nimmt ,Verhandlungen' mit sich und der Umwelt auf, indem er bspw. alle moglichen Praventionen oder Therapien versucht werden oder sich selbst verspricht, sich ab jetzt seine Wunschtraume zu erfiillen. In der Depressionsphase setzt sich der betroffene Arbeitnehmer intensiv mit seiner Vergangenheit und Zukunft auseinander. Er blickt auf sein Leben zuriick und macht sich Sorgen tiber die Zukunft, wobei oft Angstzustande auftreten. Erst in der Akzeptanzphase nimmt der betroffene Arbeitnehmer seine Krankheit an und ist offen fur signifikante Veranderungen.^^^ Der beschriebene phasenartige Verlauf wird jedoch nicht immer in der vorgegebenen Reihenfolge zum Ausdruck kommen. Vielmehr greifen die Prozesse oft ineinander, werden iibersprungen oder vorweggenommen.

Grdssere \ Stabilitat \ Verindenmg \ Verleugnung, \ (Gesundheit) / PMagnose einer/ Schock / Kiankheit) /

Alger

Veiliandlung, / Hsdem

Abbildung 5.3-4: Bewaltigung eines positiven Genbefundes fiber eine ernsthafte Krankheit*'

vgl.Zaumseis(2000), S.ll Facharztin fur medizinische Genetik in Bern. Ihr Wissen ist fiir diese Arbeit hier bereichemd, da sie in ihrer langjahrigen Tatigkeit mit positiv Getesteten Erfahrungen im individuellen Umgang mit einer positiven Diagnose gesammelt hat. vgl. Kubler-Ross (1976) vgl.dazu Coyne (1998), S.5 in Anlehnung an Coyne (1998), S.5 und Kiibler-Ross (1976)

188

Multidisziplinare Analyse

Im Wesentlichen wird dieses Bewaltigungsverhalten von ALMQVIST ET AL. gegenuber einer Krankheitsdiagnose unterstrichen.^^^ Sie untersuchten mit Hilfe eines Fragebogens das psychische Leid und das generelle Wohlbefinden von Chorea Huntington-Betroffenen. In ihrer Studie wiesen sie nach, dass Personen mit einem reduzierten Chorea Huntington-Risiko eine signifikante Verbesserung der Lebensqualitat iiber mindestens funf Jahre erzielen. Dies, obwohl diese Gruppe Schwierigkeiten bekundet, die Informationen aus den Gentests in ihr Leben zu integrieren. Bei Personen mit einem erhohten Huntington-Risiko stellten sie eine anfanghche Reduzierung der Angst sowie eine Verbesserung des generellen Wohlbefindens fiir mindestens zwei Jahre fest. Vom zweiten bis zum funften Jahr jedoch kam es wieder zu einem Abstieg des Wohlbefindens. Im Allgemeinen belegten sie eine signifikante Reduktion des psychologischen Leids ftir beide Gruppen uber zwei bis fiinf Jahre. Die Frequenz nachteiliger Ereignisse wie erhohter Alkoholkonsum oder klinische Depression beobachteten sie verstarkt in der Gruppe mit erhohtem Risiko wahrend der ersten zwolf Monate nach Erhalt des Resultats.^^^ Vergleichbare Ergebnisse stammen aus einer Untersuchung iiber Brustkrebs: Frauen, die an einem Gentest zur Abklarung ihres Brustkrebsrisikos teilgenommen hatten, zeigten im Zeitverlauf tendenziell eher eine Abnahme von Angstzustanden oder Depressionen.^^^

Kritisch anzumerken ist, dass mit dem Wissen um eine zukunftig emsthafte Erkrankung zwar langfiistig (iiber ftinf Jahre) eine Verbesserung des psychologischen Wohlbefindens eingetreten ist, aber nichts dariiber bekannt ist, wie sich die Qualitat ihres Lebens verandert, wenn die positiv Getesteten dem Ausbruch der Krankheit naher kommen. Die hier zitierten Untersuchungen behandeln genetische Erkrankungen, die oft schon durch die Familiengeschichte bekannt sind. D.h., die Betroffenen erhalten nur Auskunft dariiber, ob sie tatsachlich Trager dieser Krankheit sind oder nicht. Dies mag auch die auf den ersten

vgl. Almqvist et al. (2003), S.300-309. Obwohl Chorea Huntington hier kein resprasentatives Beispiel ist, da es sich um eine genetische Erkrankung handelt, die nicht therapierbar ist, wurden das Beispiel trotzdem gewShlt, denn: „predictive genetic testing for Huntington's disease has been offered for the longest time for any disease." Almqvist et al. (2003), S.300 vgl. Almqvist et al. (2003), S.300-309 vgl. Croyle et al. (1997), S.70. Zudem bestatigt eine Untersuchung, dass unter den HIV-infizierten die Angst und Depression nach der Diagnoseubermittlung signifikant anstieg. Vgl. Schneidermann et al. (2001), S.570, 573

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

Blick erstaunlichen Resultate erklaren. Da fiir andere genetische Erkrankungen praktisch keine empirischen Ergebnisse vorliegen, wird hier davon ausgegangen, dass dieser Bewaltigungsverlauf auch fur weitere positive Gentestresultate bezeichnend ist. Variationen treten sicherlich in der Intensitat und der Zeitdauer der einzelnen Stadien entsprechend der wahrgenommenen Schwere der diagnostizierten Erkrankung auf. Im Wesentlichen ist zu erwarten, dass auch soziodemographische Variablen wie Alter oder Geschlecht die individuelle Reaktion auf den Genbefund beeinflussen.^^^

5.3.6.2

Auswirkungen auf die individuelle Lebensqualitat

Eine allgemein gultige Analyse zu generieren, die sich auf die Lebensqualitat der genetisch getesteten Arbeitnehmer niederschlagt, erweist sich als relativ schwierig, da Lebensqualitat das Resultat des Zusammenwirkens von unterschiedlichsten Konstrukten aus Medizin, Okonomie, Statistik, Psychologie, Epidemiologic, u.a. ist.^^^ Das fuhrt dazu, dass der Begriff Lebensqualitat nicht exakt defmiert ist und eine Messung der Lebensqualitat relativ schwierig ist.^^"* Zur Erklamng des Einflusses des Gesundheitszustandes auf das Leben wird jedoch vielfach auf eine gesundheitsokonomische Analysemethode zuriickgegriffen. Darin werden Komponenten der Gesundheit beriicksichtigt, welche den betroffenen

Arbeitnehmer

unmittelbar in seinem Leben beeinflussen.^ ^ Mit diesem Vorgehen wird von der zu Beginn dieses Kapitels eingenommenen, reinen gesundheitspsychologischen Perspektive Abstand genommen. Nach der Sichtung der Literatur erscheint jedoch der Einbezug einer gesundheitsokonomischen Analysemethode fur die Beschreibung der Auswirkung auf die Lebensqualitat des Arbeitnehmers und der Auswirkungen auf das Untemehmen von grosserer Bedeutung.

vgl. Boles et al. (2004), S.741 zum Einfluss der soziodemographischen Faktoren auf die Produktivitat Vgl auch Murken und Cleve (1996), S.157 und Kap.5.3 Genanalyse-Teilnahmeentscheidung vgl. Schoffski (2000), S.229 Eine endgiiltige Definition von Lebensqualitat aus medizinischer Sicht gibt es nicht. Vielfach wird die WHO-Defmition fiir Gesundheit (vgl. Kap. 1.4.3) als mehr oder weniger treffende Umschreibung fiir die Inhalte der Lebensqualitat genannt. „Gesundheit ist ein Zustand des umfassenden korperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefmdens und nicht lediglich die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechlichkeit." WHO (1986), S.13 vgl. Burchert (2002b), S.34 sowie Patrick und Erickson (1993), S.20

190

Multidisziplinare Analyse

Eine gesundheitsokonomische Evaluation wird haufig mit Hilfe des Konzepts der qualitatskorrigierten Lebensjahre oder quality-adjusted life-years (QALY) dargestellt.^^^ Dabei wird davon ausgegangen, dass sich das Leben anhand der beiden Komponenten Restlebenserwartung (quantitativ)^^^ und Qualitat der Gesundheit (qualitativ) darstellen lasst.^^^ Die Restlebenserwartung reicht dabei vom Beobachtungszeitpunkt bis zum Tod des Arbeitnehmers. Die Qualitat der Gesundheit wird durch 1 (vollstandige Gesundheit, keinerlei Einschrankung) und 0 (Tod) normiert. Beim QALY-Konzept werden die beiden Dimensionen zu einem Aggregat zusammengefasst. Dabei wird angenommen, dass sich einerseits die Qualitat der Gesundheit des Arbeitnehmers zu jedem Zeitpunkt ermitteln und andererseits auf Werte zwischen 0 und 1 nominieren lasst. Auf einer Ordinate werden diese Werte abgetragen. Die Zeitachse entspricht der Abszisse. Wird nun die Gesundheit mit der gesundheitlichen Lebensqualitat gleichgesetzt, kommt die Lebensqualitat durch die Flache unterhalb der so entstandenen Kurve zum Ausdruck. Stehen nun zwei alternative medizinische Leistungen zur Auswahl, ergibt sich die Vorteilhaftigkeit bzgl. des Behandlungsergebnisses aus der Grosse der Differenz der gesundheitlichen Lebensqualitat beider Massnahmen. Die Masseinheit, in der diese Messung vorgenommen wird, ist das QALY. Ein QALY entspricht dabei einem Jahr mit einer uneingeschrankten gesundheitlichen Qualitat (Lebensqualitat).^'^^ LQ

optimaie LdieiisquaHtSt

1 vmhsmm QALYs

gewoDDfine . ~ . - C _ _ ^ QALYs \ mit ^ BdhaiuDis^ Behandtung

heute

Tod

Zdt

Abbildung 5.3-5: Gewinn und Verlust der Lebensqualitat^^'

vgl. Burchert (2002b), S.38 Die haufigste Krebsmortalitat im Jahre 2000 war unter Mannem Lungenkrebs (41.8%) und unter Frauen Brustkrebs (20.4%). Vgl. Deutsches Krebsforschungszentram, zit. nach Schwarzer (2004), S.103. Die Losung ,ad years to life and life to years' beschreibt sehr gut die Verbindung zwischen beiden Komponenten. Vgl. Burchert (2002b), S.34 und McGuire et al. (1988), S.21 vgl. Kaplan (2003), S.285-287. Vgl. Schofifski (2000), S.232 fur eine detaillierte Herleitung und weitere Bsp.. vgl. Schoffski (2000), S.232

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

191

Zur besseren Veranschaulichung sei hier ein Beispiel gewahlt, in welchem ein Arbeitnehmer mit einer eingeschrankten Gesundheit im festgelegten Zeitablauf beim Arzt erscheint bzw. erscheinen muss. Dabei konnte es sich bspw. um einen niereninsuffizienten und somit dialysepflichtigen Arbeitnehmer handeln. Aus Erfahrungswerten ist bekannt, wie sich die Qualitat der Gesundheit und die Lebenserwartung dieses Arbeitnehmers in den kommenden Jahren darstellen.^^* Der Arbeitnehmer hat anstelle der Dialyse aber auch die Alternative einer Nierentransplantation. Direkt nach der Transplantation ist seine Lebensqualitat erst einmal geringer als bei fortgesetzter Dialyse, bspw. wegen der Notwendigkeit von intensivmedizinischen Massnahmen. Diesen ,Ruckschritt' er deshalb nur in der Hoffnung auf eine spatere wesentlich verbesserte Qualitat seiner Gesundheit und/oder langere Lebenserwartung auf sich nehmen.^^^ An dieser Stelle ermittelt jeder betroffene Arbeitnehmer ob das Feld mit den gewonnenen QALYs grosser ist, als dasjenige mit den verlorenen QALYs. ^ Solch ein Fall, bei dem das Nettoergebnis positiv ist, ist in der Abbildung oben wiedergegeben.

5.3.6.3

Betriebliche Auswirkungen

Wie weiter oben gezeigt, wird mit der Ubermittlung eines positiven Genbefundes das psychische Wohlbefinden des Arbeitnehmers u.U. reduziert, wenngleich die diagnostizierte genetische Erkrankung noch gar nicht ausgebrochen ist.^^'* Nicht nur der Ausbruch einer Erkrankung, sondem auch die damit einhergehenden psychischen oder mentalen Probleme haben also einen Einfluss auf die betriebliche Produktivitat.^^^ Eine Reduktion der betrieblichen Produktivitat ist auf unterschiedliche Ursachen zuriickzufiihren. Es gilt bspw. zu unterscheiden, ob a) der Arbeitnehmer krankheitsbedingt vgl. Abb 5.3-5 Gewinn und Verlust der Lebensqualitat vgl. Schoffski (2000), S.230-238 Obwohl in diesem Beispiel (zur besseren Anschauung) angenommen wurde, dass es sich um einen Patienten handelt, muss an dieser Stelle betont werden, dass das QALY-Konzept grundsatzlich nicht dazu geeignet ist, iiber die Behandlung einzelner Personen zu entscheiden. Vielmehr geht es ,nur' um Allokationsentscheidungen. Die abgebildeten Werte konnen Durchschnittswerte einer Vielzahl von Patienten mit gleichen Krankheiten darstellen. Gerade aber, well Durchschnittswerte prasentiert werden, ist es gesundheitsokonomisch vorstellbar, dass sich der Lebensqualitatsverlauf der Einzelnen durchaus davon ableiten lasst. Vgl. Schoffski (2000), S.232 vgl. Abb. 5.3-4 Bewaltigung eines positiven Genbefundes vgl. Berger et al. (2001), S.242. Beides, Krankheit und well-being, driickt sich im Gesundheitsstatus aus: „health status is an important factor in enhancing or maintaining productivity in the labor force" Bergeretal. (2001), S.242

192

Multidisziplinare Analyse

vom Arbeitsplatz fembleibt (Absentismus) oder ob ihn b) der positive Genbefund zwar psychisch belastet, er aber dennoch zur Arbeit erscheint (Prasentismus).^^^ Psychische Gesundheitsprobleme

von

Arbeitnehmem

fiihren

also

nicht

nur

veraiehrt

zu

krankheitsbedingten Fehltagen, sondem konnen dann auch die Produktivitat reduzieren, wenn der Arbeitnehmer (trotz Krankheit) am Arbeitsplatz erscheint. ^^^ Ersteres konnten BURTON ET AL. in ihrer Studie iiber die kurzzeitige Arbeitsunfahigkeit (STD = short term disability) in Bezug auf verschiedene Diagnosegruppen

nachweisen.

Ihr Ergebnis zeigt, dass die

grossten Produktionseinschrankungen innerhalb der betrachteten Diagnosegruppen durch psychische Gesundheitsbeeintrachtigung verursacht werden. Daher bringen die beiden Autoren jene Arbeitnehmer, die eine kurzzeitige psychische Gesundheitseinschrankung aufweisen, mit einer vorubergehend erhohten Arbeitsunfahigkeit in Verbindung. Infolgedessen ist anzunehmen, dass Arbeitnehmer, die aufgrund eines positiven Genbefundes eine psychische Beeintrachtigung erleiden vermehrt zu kurzzeitigen Arbeitsausfallen neigen. Die Studie von BURTON ET AL. gibt zwar Auskunft iiber die krankheitsbedingte Abwesenheit von Arbeitnehmem aufgrund psychischer Probleme, Aussagen iiber eine eingeschrankte Produktivitat wahrend der Arbeitszeit sind darin allerdings nicht zu fmden. Die Messung der gesundheitlich eingeschrankten Produktivitat wahrend der Arbeitszeit ist ein noch relativ neues Thema.^^^ In der Literatur sind zwar bereits verschiedene Messinstrumente^^^ zu finden, eine einheitliche Anleitung oder Wegleitung einer best-practice-Vorgehensweise zur Messung von Prasentismus existiert jedoch nicht. Trotzdem ist eine bereits zu Beginn dieser Arbeit (Kap.

1.1) geschilderte Untersuchung hervorzuheben, bei der die Daten von 375*000

Arbeitnehmer ausgewertet wurden. Darin bestatigt sich der Verdacht, dass der Verlust durch

vgl. Boles et al. (2004), S.737-744 fiir gesundheitsbezogenen Absentismus und Aldana et al. (2004), S.131-136 fur die finanzielle Wirkung und Hemp (2005), S.47-60 zu Prasentismus. vgl. Hemp (2005), S.48 und Lemmens (1997), S.62 bspw. Psychische Gesundheit, Atemerkrankungen, Verletzungen, Magen-Darmprobleme, Bewegungsapparat oder Krebs vgl. Burton et al. (1999), S.371 vgl. Hemp (2005), S.47-60 und Prasad et al. (2004), S.242 Fragebogen zu Gesundheit und Arbeitsleistung; HPQ = Fragebogen zu Gesundheit und Produktivitat; HWQ = Fragebogen zu Gesundheit und Arbeit; WLQ = Fragebogen zu Arbeitseinschrankung; WPAI = Arbeitsproduktivitat und Aktivitatseinschrankung / Fragebogen zur generellen Gesundheit. Spezifische Krankheiten messende Instrumentarien: AS = Allergische Rhinitis; ChHD = Chronische Hand Dermatitis; GERD = Gastro-Osophagealer Reflux; SHP = Spezielle Gesundheitsprobleme; MWPLQ = Migrane Arbeit und Produktivitatsverlust-Fragebogen; MIDAS = Beurteilung der Arbeitseinschrankung aufgrund von Migrane. Ein guter Uberblick ist zu finden in Prasad et al. (2004), S.230-235.

Die Psvchologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

193

Prasentismus infolge psychischer Erkrankungen betrachtlich ist. Gemessen an den Absentismuskosten wird in dieser Studie die eingeschrankte Leistungsfahigkeit wahrend der Arbeitszeit aufgrund psychischer Beeintrachtigung sogar um ein Drittel hoher beziffert.^^^ Diese Erkenntnisse weisen darauf hin, dass sich zwar zur Messung der gesundheitsbezogenen (psychometrischen) Produktivitat der Arbeitnehmer bereits erste konkrete Hinweise fmden lassen. DetailHerte Aussagen iiber die psychischen Auswirkungen eines individuell positiven Genbefundes (vor Krankheitsausbmch) auf die Produktivitat sind daraus jedoch nur beschrankt abzuleiten.

5.3.6,4

Zusammenfassung der Folgen eines Genanalyseergebnisses

Die individuelle Reaktion eines Arbeitnehmers auf einen positiven Genbefund wird als Verlauf beschrieben, der von der Verleumdung der Krankheit bis hin zur Akzeptanz reicht. Die Inanspruchnahme eines genetischen Tests und das Resultat uber eine genetische Predisposition losen zwar allenfalls kurzfristig

individuell negative psychologische

Reaktionen aus. Ist jedoch eine Behandlungsmoglichkeit gegeben, wird langfristig eine positive Beeinflussung der Lebensqualitat des Arbeitnehmers erwartet. Grundsatzlich erscheint es jedoch nicht ganz einfach, einer verminderten Lebensqualitat, bspw. durch krankheitsbezogene Stigmatisierung, einen moglichen Gewinn an Lebensjahren gegeniiberzustellen, bspw. durch friihzeitige Mastektomie.^^^ Die (psychische) Auswirkung eines positiven individuellen Genbefundes auf das Untemehmen lasst sich am besten durch die Messung einer moglichen Produktivitatseinschrankung erfassen. Dass die praktisehe Umsetzung dieser theoretischen Messmodelle jedoch nur zu begrenzten Aussagen ftihrt, ist darauf zuruckzufiihren, dass selbst die Messung bereits bestehender gesundheitsbedingter Produktivitatseinschrankungen sehr schwierig ist. Wenn bei einem Arbeitnehmer ein positiver Genbefund diagnostiziert wird, scheinen Vorhersagen uber mogliche Auswirkungen auf dessen Produktivitat sehr abstrakt und wenig fundiert, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Aufgrund der vorliegenden Literatur lasst sich prinzipiell nur erahnen, dass die psychische Belastung eines Arbeitnehmers aufgrund eines positiven Genbefundes die betriebliche vgl. Goetzel et al. (2004), S.409 vgl. Burchert (2002a), S.23 und Voelker (1993), S.2277

194

Multidisziplinare Analyse

Produktivitat zumindest kurzzeitig (negativ) beeinflusst. Betrachtet man die Untersuchungen zu Chorea Huntington (siehe weiter oben), wonach der positive Genbefund zu einer Reduzierung der psychischen Belastung ftihrt, so ist es durchaus denkbar, dass die genetische Gewissheit auch zu einer Leistungssteigerung fuhrt.

5. J. 7 Fazit der individuellfreiwilligen Gentest-Teilnahme Wie dies auch in den okonomischen Theorien der Fall ist, geht das psychologische Menschenbild davon aus, dass die Handlungseinheit grundsatzlich das Individuum ist. Im Unterschied zum okonomischen Menschenbild wird das Verhalten jedoch starker tiber Einstellungen als uber Restriktionen erklart.^^"^ In der Gesundheitspsychologie im Speziellen geht es darum, das menschliche Verhalten mit Hilfe verschiedener Theorien und Modellen unter der Perspektive der Gesundheitsforderung zu betrachten.^^^ Als Wissenschaftsfeld dient die Gesundheitspsychologie der Untersttitzung von Menschen, damit diese gesund leben und sich wohl fiihlen konnen. Das menschliche Verhalten wird dabei als individueller Prozess beschrieben, der vermehrt die Schwachen (Krankheit) und weniger die Starken (Gesundheit) fokussiert.^^^ Im Hinblick auf die gesundheitspsychologische Analyse der freiwilligen Teilnahme an einem betrieblichen Gentest ergibt sich daraus ein Prozess: Der Entscheidungsprozess, an einem Gentest im Untemehmen teilzunehmen oder nicht. Hinter diesem Entscheidungsprozess versteckt sich eine grosse Ambivalenz: Einerseits stellt die Genanalyse ein leistungsfahiges Instrument zur fruhzeitigen individuellen Diagnose und damit fiir die gezielte Gesundheitsvorsorge der Arbeitnehmer dar.^^^ Andererseits kann das Wissen tiber eine zukunftige - vielleicht sogar schwerwiegende Krankheit - zu einer psychischen Belastung des betroffenen Arbeitnehmers ftihren.^^^ GemSss dem Anspruch der Gesundheitspsychologie, das menschliche Verhalten im Rahmen der Gesundheitsforderung als Ganzes zu erklaren, scheint somit die alleinige Betrachtung der Gentest-

896 897

vgl.Frey(1990),S.24 vgl. bspw. Becker (1992) fiir das interaktionistische Anfordenmgs-Ressourcen-Modell der Gesundheit; Trojan und Hildebrandt (1989) fiir das sozialepidemiologisch-okologische Modell gesundheitsbeeinflussender Faktoren und Antonovsky (1979)fiirdas Modell der Salutogenese. vgl. dazu Snyder et al. (2000), S.16 bspw. Hamochromatose; vgl. dazu Karberg (2004), S.63 vgl. dazu Almqvist et al. (2003), S.300-309 und Horowitz et al. (2001), S.47-58. Im Kontext des Wissens tiber eine zukunftige genetische Erkrankung wird in der Literatur immer wieder das Recht auf Nichtwissen diskutiert. Vgl. EGE (2003), S.36; Schiirer (2003), S.27 und Burgess (2001), S.150

195

Die Psychologie der freiwilligen Gentest-Teilnahme

Teilnahmeentscheidung des Arbeitnehmers unzureichend. Vielmehr empfiehlt es sich, den Teilnahmeprozess mit der Durchfiihmng des Gentests und seiner Reaktion und Auswirkung auf den Genbefund zu erganzen. Damit soil dem gegenwartig noch ungewissen Stellenwert von betrieblichen Gentests zur Gesundheitsfordemng aus einer ganzheitlichen Sichtweise begegnet werden. Demzufolge lasst sich die freiwillige Teilnahme an einem Gentest aus psychologischer Sicht als Prozess darstellen:

TbilnaliiBe-Rirtiicfiektafig

lOutviuOSSDI

OcntMt JaoderNom?

Beeinflussende Faktoren (HBM): wahrgenommene Vorteile abziiglich Bameren, soziodemographische Faktoren

Qed>efi]iid-Fdgeii

Gentest

DIagiiose

Entnahme von Proben; Seqiienzierung

Genbefundubermittlung: Klarung des Settings

Transparenz moglicher Konsequenzen

RnklKniiDd Auswifkoog

Reaktion auf Genbefund: psychische Konsequenzen; Auswirkung auf "iLebensqualitat

Abbildung 5.3-7: Die individuell freiwillige Teilnahme an einer Genanalyse als Prozess

Die individuelle Reaktion auf einen Genbefund ist relativ schwierig abzuschatzen. In dieser Situation hat das Untemehmen keine klaren Angaben dariiber, ob die Arbeitnehmer iiberhaupt an einem Gentest teilnehmen und welche Konsequenzen der individuell positive Genbefund fur das Untemehmen hat. Trotz dieser eingeschrankten Aussagekraft lassen sich aus psychologischer Sicht einige fur die Erstellung des Genanalyse-Entscheidungsmodells spezifische Charakteristika ableiten:

Die freiwillige Teilnahmeentscheidung flir einen Gentest wird beeinflusst durch die a) subjektiv empfundene Anfalligkeit und Bedrohung durch die Krankheit, b) demographischen Merkmale (bspw. Alter und Geschlecht), c) sozialpsychologische Faktoren (bspw. Personlichkeit und Umfeld) und d) durch die subjektiv wahrgenommenen Kosten und Nutzen aus einem Gentest.

196

Multidisziplinare Analyse



Die Einwilligung zum Gentest durch den Arbeitnehmer bedeutet nicht automatisch die tatsachliche Testfertigstellung. Moglichkeit zum Ab- bzw. Unterbruch besteht selbst dann noch, wenn der Befund bereits vorliegt, also so lange wie das Ergebnis noch nicht mitgeteilt ist.



Fiir die Verarbeitung eines positiven Genbefundes spielt eine wichtige RoUe, WIE das Risiko iibermittelt wird (bspw. Krankheitsrisiko ist 1 in 100) und WER den Befund iibermittelt (bspw. ein vertrauter Arzt).



Fiir den getesteten Arbeitnehmer fuhrt ein positiver Genbefund (zumindest kurzzeitig) u.U. zu einer psychischen Belastung. Dies schon bevor eine diagnostizierte genetische Erkrankung uberhaupt ausgebrochen ist. Langfristig ist mit der StabiHsierung und Verbesserung des psychischen Zustandes zu rechnen.



Angaben dazu, ob durch den Einsatz der Genanalyse dem Ziel der betrieblichen Gesundheitsfbrderung naher gekommen wird oder ob stattdessen das psychologische Wohlbefinden des Arbeitnehmers starker negativ beeintrachtigt wird, sind bislang kaum moglich.

5.4

Gentest-Entscheidungsmodell

Das folgende Modell integriert die wesentlichen Erkenntnisse zur betrieblichen Genanalyse aus den analysierten okonomischen und psychologischen Perspektiven. Bei dem Modell handelt es sich nicht um eine statische, sondem um eine dynamische Betrachtung, bei der die beschriebenen Faktoren zu unterschiedlichen Zeitpunkten relevant sind (vgl. Abb. 5.4-1). Dem Modell liegen die Annahmen zugrunde, dass •

die Teilnahme an einem Gentest durch den Arbeitnehmer/re/wZ/Z/g erfolgt,



nur der Arbeitnehmer die Testergebnisse erhalt und



der Gentest valide ist.^^^

vgl. Kap. 1.2.2 Abgrenzung

Das Gentest-Entscheidungsmodell

„^____

„_______

197

Auf der Basis dieser Annahmen ist es Ziel des Modells, die Faktoren und die Prozesse zu charakterisieren, welche die betriebliche Entscheidung fiir oder gegen die Verwendung von Gentests beeinflussen. Das Modell beschreibt die betriebliche Gentest-Entscheidung als holistischer Prozess mit phasenhaftem Ablauf. Ausgangspunkt ist das Untemehmen, dass ex ante und ex post mit der Ungewissheit tiber den Gesundheitszustand seiner Arbeitnehmer konfrontiert ist. Da krankheitsbedingte Ausfalle der Humanressourcen zu immensen Kosten fiihren, ist die Gesundheit der Arbeitnehmer ein wichtiger Wettbewerbs- und Produktionsfaktor.

Abkldrungsphase: Eine quantitative

Kosten-Betrachtung

soil Aufschluss

iiber die

okonomische Vorteilhaftigkeit von betrieblichen Gentests geben. Darin sind abgesehen von den Beschaffungskosten fur den Gentest an sich bspw. auch die Krankheitskosten fur eine bestimmte Krankheit oder die Krankheitsfalle in der getesteten versus in der nicht getesteten Arbeitnehmerschafl zu beriicksichtigen. Im Interesse einer Reduzierung von asymmetrischen Informationen iiber das Teilnahme- und Gesundheitsverhalten der Arbeitnehmer gilt es diese zu motivieren, sich gesundheitsfordemd zu verhalten. Dabei fmden Anreize von immaterieller Natur (bspw. durch mehr Mitsprache bei Gesundheitsforderprogrammen), von materieller Natur (bspw. durch Zahlung von Versicherungspramien) oder in Form von speziell gestalteten Arbeitsvertragen Berucksichtigung. Entscheidungsphase: In der Entscheidungsphase wird tiber die Umsetzung von genetischen Tests entschieden. Dabei werden die in der Abklarungsphase gesammelten Vor- und Nachteile eines freiwilligen Gentests gegeneinander abgewogen. Im Entscheidungsprozess fmden auch die erwarteten Reaktion und Auswirkung des Genbefundes auf den Arbeitnehmer Berucksichtigung. So wirkt sich bspw. die Verarbeitung eines Genbefundes iiber eine mogliche zukiinftige Erkrankung u.U. nachteilig auf die psychische Verfassung des betroffenen Arbeitnehmers aus. Das wiedemm hat Einfluss auf die betriebliche Produktivitat. In der Entscheidungsphase sind zudem auch die Kosten zu berucksichtigen, die anteilsmassig entstehen, wenn ein Arbeitnehmer den Test wahrend der Testphase ab- oder unterbricht. Entscheidet sich das Untemehmen gegen die Durchfiihrung von genetischen Tests zur Gesundheitsforderung wird das Thema vom Untemehmen weg verlagert. Lautet die

198

Multidisziplinare Analyse

Entscheidung jedoch Ja, ist zusatzlich die Teilnahme-, Durchfuhrungs- und Reaktionsphase zu betrachten: Gentest-Teilnahmephase: Der Arbeitnehmer trifft hier die individuelle Entscheidung an einem Gentest teilzunehmen oder nicht. Diese Teilnahmeentscheidung wird im Wesentlichen von seiner subjektiv wahrgenommenen Krankheitsanfalligkeit und der Schwere der Krankheit beeinflusst. Zusatzlich erfolgt eine Abwagung der individuell wahrgenommen Kosten mit dem individuell wahrgenommen Nutzen. Die Teilnahme-Entscheidung wird zudem durch die erwarteten Konsequenzen aus dem Gentestbefund beeinflusst. Das Ergebnis dieses individuellen Entscheidungsprozesses

ist die Verweigerung oder Zustimmung des

Arbeitnehmers zum Gentest.

Gentest-Durchfuhrungsphase: Mit der affirmativen Entscheidung zu einem Gentest setzt der eigentliche Test ein. Dazu werden Proben (so genannte Samples, bspw. Blutprobe) benotigt, die zur Analyse und Interpretation an Fachpersonen weitergegeben werden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Refund definitiv an dem getestetem Arbeitnehmer ubermittelt wurde, lasst sich der Gentest noch unter- oder abbrechen. Holt der getestete Arbeitnehmer die Testergebnisse nicht ab, d.h. verzichtet er auf die Ubermittlung der Befundergebnisse, ist die Teilnahmeentscheidung revidiert. Die Kosten fur den Gentest bleiben trotzt des Ab- oder Unterbruchs allerdings bestehen. Bei der Ubermittlung des Genbefundes an den Arbeitnehmer ist das Setting (bspw.: Wer tibermittelt den Befund?) fur den Getesteten zu klaren.

Gentest-Reaktionsphase: Zu der individuellen

Reaktion und Auswirkung

in der

Nachtestphase zahlen die Konsequenzen der Bewaltigung eines Genbefundes. Die Bewaltigung eines Befundes iiber eine emsthafte Krankheit geht i.d.R. anhand verschiedener Stadien, wie Verleugnung, Wut und Depression, vor sich. Die Intensitat der Auspragung ist vom Schweregrad der Krankheit abhangig und wird nicht zusatzlich durch individuelle Personlichkeitsmerkmale beeinflusst. Belastet das Ergebnis eines Genbefundes den Arbeitnehmer psychisch, ist er u.U. krankheitsbedingt abwesend oder am Arbeitsplatz nicht voll einsatzfahig. Beides schrankt seine Produktivitat ein.

199

Das Gentest-Entscheidungsmodell

S i-S § S 3 (2 6 & J 2 ^ 3

^§1

\i. ^;

/:§ g

03 tS 3:

^ 16

ol

^i>-:

i

;^^
.50 ausreichende Reliabilitat > .70 zufrieden stellende Reliabilitat > .90 hohe Reliabilitat

Tabelle 6-1: tJberblick iiber wichtige statistische Kenngrossen

6,4,2 Verfahren zur Analyse der offenen Fragen Wie erwahnt enthalt der Fragebogen auch offene Fragen.^^'* Die betreffenden schriftlich vorliegenden Antworten werden nach Fragen sortiert und ihre Auswertung erfolgt mittels einer systematischen Inhaltsanalyse.^^^ In den vorliegenden Antworten bilden einzelne Worter und

Wortkombinationen

Analyseeinheiten.

Anhand

des

Auftretens

bestimmter,

charakteristischer Ausdrucke wird mittels Kodierung ein Kategoriensystem gebildet, das die Inhalte entsprechend ihrer Bedeutung und Frequenz in Kategorien zusammenfasst.^^^

935 936

vgl. Diekmann (2004), S.581 vgl. Diekmann (2004), S.585-602 zum Signifikanztest. vgl. Nunally (1978), S.245 Welche Gesundheitschecks werden im Unteraehmen zum Zeitpunkt der Befragung bereits durchgefthrt? Mit welchen sonstigen Anreizen wtirden die Personalverantwortlichen die Arbeitnehmer zur freiwilligen Teilnahme an einem Gentest motivieren? Am Ende der Befragung hatten die Probanden noch die Moglichkeit, Kommentare oder ErgSnzungen anzubringen. vgl. Atteslander (2000), S.201-233 zur Inhaltsanalyse. vgl. Diekmann (2004), S.488-497

Erfassung der Variablen

209

Das Ergebnis ist ein Ranking an Antworten, das Auskunft iiber die Haufigkeit der Nennungen zu der entsprechenden Fragestellung gibt.^^^

6.5

Erfassung der Variablen

Die zur Beantwortung der empirischen Forschungsfrage benotigten Variablen werden in Anlehnung an das im Kapitel funf abgeleitete Gentest-Entscheidungsmodell operationalisiert:

6.5.1 Abhangige Variable Die zentral abhangige Variable mit der Bezeichnung GTirnUG^^^ modelliert sich aus der Entscheidung, einen Gentest zur Gesundheitsforderung zu verwenden oder nicht. Hier wird den Probanden die Frage gestellt, ob sie eine Gen-Abklamng in ihrem Untemehmen verwenden wiirden, wenn sie der Gesundheitsforderung ihrer Arbeitnehmer dient. Urn herauszufinden, welche Faktoren diese Entscheidung signifikant beeinflussen, werden entsprechend dem Modell verschiedene unabhangige Variablen operationalisiert und hinsichtlich ihres Einflusses auf die Gentest-Entscheidung uberpruft.

6.5.2 Unabhangige Variablen Gemass dem abgeleiteten Modelf ^^ werden drei Hauptgruppen von erklarenden Variablen benotigt:

a) Ausgangslage: Gesundheitsforderung im Untemehmen Ftir die Messung des Stellenwerts der betrieblichen Gesundheitsforderung von Arbeitnehmem wird eine Skala^'*^ mit der Bezeichnung StellenwertGF entwickelt. Berucksichtigung fmdet darin die Rolle der Gesundheit fur die Produktivitat, der okonomische Wert der Gesundheit, das langfristige Interesse an gesunden Arbeitnehmem sowie die strategische Bedeutung von Qualitative Verfahren der Inhaltsanalyse sind schwierig zu definieren; sie haben keine Theorie und keine Paradigma. Vgl. Atteslander (2000), S.221 Im Fragebogen hat diese Variable die Nummer fl4_3. Im Anhang B fmden sich die codierten Fragen. vgl. Abb.5.4-1 Gentest-Entscheidungsmodell vgl. Schnell et al. (2004), S. 134-136. Skalen bestehen aus zwei oder mehreren Items und sollen eine bestimmte Dimension abbilden.

210

Empirische Evidenz

Mitarbeiterentscheidungen.^'^^ Die Reliabilitat dieser vier Items umfassenden Skala^"^^ betragt a = .61. Durch die Verwendung einer Skala mit mehreren Items, die das Konstrukt Gesundheitsfbrderung reprasentieren, wird versucht, das Problem des oft subjektiv unterschiedlichen Verstandnisses von Gesundheit zu losen. Zudem werden zwei weitere Variablen erhoben, die eine Brucke zum letztlich interessierenden Untersuchungsgegenstand herstellen soUen.^'*^ Dabei handelt es sich einerseits um den Nutzen iiber zukunftige Gesundheitsrisiken informiert zu sein (Geslnformiert), sowie andererseits um die erwartete Produktivitat bei Krankheit (Produktivitaet).

b) Abkldrung der entscheidungsbeeinflussenden Gross en Zur Eruierung der Bedeutung von Gentests zum gesundheitlichen Schutz am Arbeitsplatz wird eine Skala mit dem Namen SchutzArbeitsplatz aufgestellt, in der drei Items zusammengefasst sind: Stellenwert von Gentests zum Schutz vor arbeitsplatzbedingten Erkrankungen, Stellenwert von Gentests zum Schutz fiir Dritte und Stellenwert von Gentests zur Forderung der Gesundheit (Cronbach a =.^1)?^^ Durch die Bildung einer Skala wird versucht, das Problem der unterschiedlichen Auffassung von Gentests zum Schutz am Arbeitsplatz zu losen. Ausserdem wird die Zweckdienlichkeit von Gentests durch die Variable GFwennKHRisikoBek erhoben. Da entsprechend den theoretischen Uberlegungen nicht zwingend davon auszugehen ist, dass Arbeitnehmer ohne weiteres an einem Gentest teilnehmen, wird zudem nach Anreizen gefragt, die sie zur Teilnahme motivieren konnten. Dabei werden fmanzielle und immaterielle Anreize unterschieden. Die FinanzAnreize werden ermittelt, indem einerseits eine Kostenbeteiligung an einer privaten Krankenversicherung und andererseits eine Umverteilung des Bonus in Form von Optionen vorgeschlagen werden. Diese beiden zu einer Skala zusammengefassten Items haben ein Cronbach a von .82.^"*^ Zur

Die Bezeichnung der Items sind: GesOkonWicht f7_l; GesHohesOutput f7_2; GesLangfristig f7_3; UgEntscheidBerukMA f8_3. Vgl. Anhang B Die Skalen aus den einzelnen Items werden additiv zusammengefasst (hier: f7_l + f7_2 + f7_3t + f8_3/4); vgl. Anhang B. Vgl. zudem Schnell et al. (2004), S. 134-136 und Diekmann (2004), S.211 zu Skalenbildung. Ware das Ziel gewesen, alle Dimension des zugrunde liegenden Modells durch eine Anzahl von Skalen zu erheben, welche zwei oder mehrere Items zusammenfassen, hatte der Fragebogen weitaus ausfiihrlicher gestaltet werden mussen. Die Bezeichnungen der Items sind: SchutzArbKH fll_2; SchutzDritte fl0_2; GTGFja flO_l. Vgl. Anhang B Die Bezeichnungen der beiden Items sind: AnreizKostenbeteil fl2_3 und AnreizBonus fl2_4. Vgl. Anhang B

Erfassung der Variablen

211

Messung der ImmatAnreize wird nebst der Teilnahmemotivation durch die offen bekundete Untersttitzung der Arbeitnehmer bei der Gesundheitsforderung auch die Teilnahmemotivation durch die Mitsprache bei Gesundheitsforderprogrammen erfragt. Die Reliabilitat dieser zwei Items umfassenden Skala betragt a = .52.^'*^ Ermittelt werden femer die Zahlungsbereitschaft fiir einen Gentest sowie die Bedeutung von Gentests ftir Erkrankungen, die in der Bevolkemng haufig vorkommen (GTbeiHaufigenKH). Die Moglichkeit, den Gentest wahrend der Durchfuhrung abzubrechen oder zu unterbrechen, und die Auswirkung dieser Moglichkeit auf die Gentest-Entscheidung wird schliesslich durch die Variable UnterAbbruch eingeholt.

c) Erwartete Auswirkungen Die Verwendung eines Gentests zeitigt verschiedene Auswirkungen auf das Untemehmen. Zum einen sind dies Auswirkungen, die einem Untemehmen aus dem positiven Genbefund eines Arbeitnehmers erwachsen. Zum anderen um die Folgen der Durchfuhrung eines Gentests auf das Untemehmensimage. Da entsprechend dem theoretischen Refund davon auszugehen ist, dass infolge der Reaktion der Arbeitnehmer auf einen positiven Befund kurzfristig vermehrt krankheitsbedingte Absenzen eintreten, jedoch langfristig durch weniger krankheitsbedingte Fehltage wieder wettgemacht werden, wird von kurzfristigen eher ungiinstigen Folgen {AuswKurzUngunst) und langfristig eher giinstigen Auswirkungen ausgegangen {AuswLangGunstig) ausgegangen.^"^^ Die erwarteten Auswirkungen auf das Image werden durch die beiden Items Imageverbesserung und -verschlechterung in einer Skala zusammengefasst,^"^^ deren Reliabilitat Cronbach a = .62 betragt.

d) Unternehmens- undpersonenspeziflsche Angaben als Kontrollvariablen Erfasst werden die folgenden untemehmensspezifischen Kontrollvariablen: Unternehmensgroesse, Branche, WirtschaftLage, Fluktuation und die Variable, ob bereits Gesundheitschecks (GesChecks) durchgefiihrt werden. Die personenspezifischen Kontrollvariablen ermitteln das Geschlecht (Sex) des Personalverantwortlichen sowie seine Ansicht iiber den Stellenwert der zuktinftigen Kenntnis seiner eigenen Gene (GeneKennenWichtig). Die Die Bezeichnungen der beiden Items sind: AnreizBekUnterstuetzung fl2_l und AnreizMitsprache fl2_2). Vgl. Anhang B Im Fragebogen haben die beiden Variablen die Nummera fl8_l und fl8_2. Der Versuch aus diesen beiden Variablen eine Skala (ErwReaktion) zu bilden, scheitert daran, dass der Cronbach a lediglich bei .0121iegt. Die Bezeichnungen der beiden Items sind: Image Verb fl5_l und Image Verschl fl5_2. Vgl. Anhang B

212

Empirische Evidenz

Variable AssoziationGen schliesslich erfasst, ob die Befragten mit dem Wort Gen-Anlage eine negative Assoziation verbinden.

6.6

Datenstruktur und deskriptive Befunde

Die Befragung liefert eine Vielzahl an Informationen u.a. zum gegenwartigen Stand des Gesundheitsmanagements, dem Verstandnis von Gesundheit im Untemehmen, dem Stellenwert

von

Gentests

zur

Gesundheitsforderung

und

dem

Wissen

der

Personalverantwortlichen iiber Gentests. Auch personliche Standardinformationen, bspw. iiber Alter oder Geschlecht, werden eingeholt. Somit steht ein umfangreicher Datensatz zur Verfugung, um das theoretische Modell zu tiberprufen.

6,6,1 Struktur der befragten Personalverantwortlichen in der Datenbasis Die

188 Falle

der

Datenbasis

spiegeln

die

Meinungen

zu

Gentests

zwecks

Gesundheitsforderung im deutschschweizerischen Wirtschaftsraum Zurich im Jahr 2005 wider. Die tJbersicht und Einordnung der Datenstruktur bestatigt dies: Die Personalverantwortlichen reprasentierten den Sektor Handwerk&Industrie mit 24.5%, den Sektor Handel und Einkauf mit 8.5%, den Sektor Verkehr&Nachrichtenubermittlung&IT mit 6.4%, das Finanz-&Versicherungsgewerbe mit 11.7%, die tibrigen Dienstleistungen^'*^ mit 63% und sonstige Sektoren, wie bspw. Consulting oder Maschinenbau, mit 14.9%. Dies entspricht in groben Ziigen der Statistik fur Arbeitsstatten und Beschaftigte im deutschschweizerischen

Sprachgebiet.^^^

Auch

das

Uberwiegen

der

mannlichen

Personalverantwortlichen (64.4%) ist kennzeichnend filr die Struktur des schweizerischen Arbeitsmarktes.^^^ Etwa ein Drittel der Personalverantwortlichen ist weiblich (35.6%).

vgl. BFS (2005) Wirtschaftszweige und Sektoren. In der zusammenfassenden figurieren Unterhaltung, persSnliche Dienstleistungen, Abfallbeseitigung oder Interessensvertretungen. vgl. BFS (2001) Arbeitsstatten und Beschaftigte im deutschen Sprachgebiet. Zu berucksichtigen ist, dass der Handel&Einkauf ca. 23% umfasst, das Finanz-&Versicherungsgewerbe hingegen etwa nur 2.47%. Damit weichen diese Bereiche zwar leicht von den beantworteten Fragebdgen ab, dies diirfte der Reprasentativitat der vorliegenden Ergebnisse jedoch keinen Abbruch tun. vgl. BFS (2005), S.l

213

Datenstruktur und deskriptive BefUnde

Geschlecht mannlich weiblich

64.4% 35.6%

Tabelle 6-2: Verteilung des Geschlechts

Femer zeigt die Datenstruktur, dass die Mehrheit der Befragten (81.9%) in Untemehmen arbeiten, in denen die Arbeitnehmer durchschnittlich zwischen 30 und 50 Jahre alt sind. Damit wird ein typisches Bild der Erwerbstatigenstatistik in der Schweiz wiedergegeben.^^^ Das Durchschnittsalter der befragten Personalverantwortlichen liegt etwas dariiber, namlich vorwiegend zwischen 41 und 60 Jahre (61.2%); davon sind 33% jiinger als 40 und 5.9% alter als61.

Alter des Personalverantwortlichen 61 5.9% Tabelle 6-3: Alter der Personalverantwortlichen

Die Abweichung des durchschnittlichen Alters der Personalverantwortlichen von der allgemeinen schweizerischen Erwerbsstatistik steht sicherlich im Zusammenhang mit ihrer Position im Untemehmen: Beinahe drei Viertel der Befragten iiben im Untemehmen die Position

eines HR-Professional

(70.2%)

aus. Die anderen

sind

Mitglieder

der

Geschaftsleitung (22.3%) und nur 7.4% sind Linienangestellte. Position im Untemehmen Linie HR-Professional Geschaftsleitung

7.4% 70.2% 22.3%

Tabelle 6-4: Position der Personalverantwortlichen im Untemehmen

Schliesslich ergeben die Daten, dass nur 25.5%o der Befragten in ihrem Untemehmen weniger als 100 Arbeitnehmer beschaftigen, wahrend 33.5% Firmen 100 bis 499 Arbeitnehmer vertreten und 40.9% der Probanden in Untemehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmem

vgl. BFS (2005) Erwerbstatige nach Wirtschaftssektoren, Alter, Beschaftigungsgrad, Erwerbsstatus, Geschlecht und Heimat vom 30. Juni 2004.

214

Empirische Evidenz

engagiert sind. Auch dies wiederum bestatigt, dass die Befragten vorwiegend grossen Untemehmen angehoren, die uber eine entsprechende Personalfunktion verfugen.

Abbildung 6-1: Unternehmensgrosse

6.6,2 Deskriptive Befunde 6.6.2.1

Abhangige Variable

Die Bereitschaft, einen Gentest im Untemehmen zu verwenden (abhangige Variable), ist immerhin bei 22.3% der Befragten mittel bis hoch. Gentests gegeniiber ablehnend eingestellt sind 28.8%, strikt dagegen 30.9%). Letztere wiirden auf keinen Fall einen Gentest verwenden, selbst wenn dieser der Gesundheitsforderung dient. 18.1%) sind in diesen Fragen eher unschliissig.

In Abb. 6-2 kommt die ablehnende Haltung der Befragten hinsichtlich eines Gentests ziemlich deutlich zum Ausdruck. Dennoch soil hier noch eine Berechnung des Mittelwertes angestellt werden, um Auskunft dariiber zu bekommen, wo auf der Antwortskala die durchschnittliche Meinung anzusiedeln ist. Wie schon der Name besagt, wird dabei der mittlere Wert der Nennungen aus den funf Antwortkategorien (,trifft vollig zu' ... ,trifft gar nicht zu') berechnet. Dieser betragt bei der abhangigen Variable 3.6. Damit ist die durchschnittliche Meinung der Personalverantwortlichen zwischen den Kategorien ,weder noch' und ,trifft eher nicht zu' zu lokalisieren.

Datenstruktur und deskriptive Beflinde

215

Abbildung 6-2: Verwendung eines Gentests im Unternehmen

6.6.2.2

Unabhangige Variablen

Die Antworten auf die Frage nach dem Stellenwert der Gesundheit der Arbeitnehmer im Unternehmen ergeben ein unerwartetes Bild: Beinahe alle Befragten, namlich vier Fiinftel, erheben die krankheitsbedingten Fehltage ihrer Arbeitnehmer; nur etwa ein Viertel hingegen unterzieht seine Arbeitnehmer Gesundheitschecks. Unternehmen sind also relativ gut iiber Absentismus dokumentiert, stellen jedoch ihren Arbeitnehmem - aus welchen Griinden auch immer - kaum Gesundheitschecks zur Verfiigung. Die geringe Akzeptanz gegeniiber gesundheitUchen Checks im Allgemeinen konnte durchaus einen ersten Hinweis auf die Grunde fiir die ablehnende Haltung gegeniiber Gentests geben.

Werden Gesundheitschecks durchgefuhrt? ja 25.5%

nein 74.5%

Tabelle 6-5: Durchfiihren von Gesundheitschecks

Eine weitere Spezifizierung derjenigen 25.5%, die Gesundheitschecks durchfuhren, macht deutlich, dass immerhin ein Drittel davon die Checks jahrlich anbietet und etwa ein Viertel der Unternehmen diese den individuellen Anspruchen des Arbeitnehmers anpasst. Erstaunlich

216

Empirische Evidenz

ist femer, dass 6% der Befragten ihren Arbeitnehmem sogar ofters als einmal pro Jahr gesundheitliche Checks offerieren.

Wenn Gesundheitschecks durchgefiihrt werden, wie oft geschieht das? (N = 49) bei Einstellung 12.2% wochentlich 4.1% monatlich 2.0% jahrlich 32.7% alle 2 Jahre 18.4% unregelmassig 6.1% 24.5% ist individuell

TabeUe 6-6: Frequenz der Gesundheitschecks Welche Gesundheitschecks diese Untemehmen ihren Arbeitnehmem zur Verfiigung stellen bzw. welchen Checks sich die Arbeitnehmer unterziehen, zeigt folgende Tabelle:

Welche Gesundheitschecks werden durchgefiihrt (N = Arztbesuch, genereller Check-up Blutprobe, Herzkreislauf, Urinprobe, Strahlenschutz Grippenimpfung, Fitnessabo Eintrittsuntersuchung Geh6r-/Augentest Schichttauglichkeit Ergonomie Fragebogen Andere

44) 11 7 4 4 4 3 2 2 7

TabeUe 6-7: Art der Gesundheitschecks Die Frage, ob ein Gentest befurwortet wird, wenn er dem gesundheitHchen Schutz des Arbeitnehmers dient, wird durch die Variable SchutzArbeitsplatz erhoben. Die Berechnungen des Mittelwerts und des Medians dieser Skala ergeben, dass beide Werte kleiner sind als die Antwortkategorie ,weder noch'. Demnach stehen die Befragten einem Gentest zum Schutz des Arbeitnehmers vorwiegend positiv gegeniiber (vgl. Tab. 6-8). Hingegen wird Skepsis unter den Befragten deutlich, wenn sie durch fmanzielle Mittel die Arbeitnehmer zur Teilnahme an einem Gentest motivieren soUen. Hier liegt der Mittelwert im ablehnenden Bereich. Ein grosser Teil der Probanden (22.3%) ist bezuglich dieser Frage noch unentschlossen. Sie sind sich nicht sicher, ob sie ihre Arbeitnehmer finanziell zur Teilnahme an einem Gentest motivieren sollen.

Datenstruktur und deskriptive Befunde

217

SchutzArbeitsplatz'^^ trifft vollig zu

1

FinanzAnreize'^'* trifft vollig zu

1

trifft gar nicht zu

5

trifft gar nicht zu

5

Mittelwert Median Standardabweichung

2.60 2.33 1.18

Mittelwert Median Standardabweichung

3.61 3.50 0.819

Tabelle 6-8: Schutz am Arbeitsplatz und Finanzielle Motivation

Negativ werden auch die womoglich durch einen Gentest erwarten Auswirkungen auf das Untemehmensimage beurteilt. Auch hier zeigt die Berechnung des Mittelwerts und des Medians dieser Skala, dass beide Werte grosser sind als die Antwortkategorie ,weder noch' und somit im negativen Bereich liegen. Die Befragten erwarten durch einen Gentest Imagenachteile.

Image'^^ trifft vollig zu

1

trifft gar nicht zu

5

Mittelwert Median Standardabweichung

3.53 3.5 0.93

Tabelle 6-9: Image

Die Verteilung der Variable Gesundheitlnformiert ist linkssteil. Die Mehrheit der Personalverantwortlichen (78.2%) findet es demnach wunschenswert, dass ihre Arbeitnehmer (iber zukunftige Gesundheitsrisiken informiert sind.^^^ Diese Erkenntnis ist insofem verwunderlich, spricht sich der Grossteil der Personalverantwortlichen doch gegen die Verwendung eines Gentests zur Erkennung von zukiinftigen genetischen Erkrankungsrisiken „ „ „ 957

Diese Variable wird aus folgender Skala gebildet: (fl0_l+fl0_2+fl L2)/3. Vgl. Anhang B Diese Variable wird aus folgender Skala gebildet: (fl2_3+fl2_4)/2. Vgl. Anhang B Diese Variable wird aus folgender Skala gebildet: (fl5_l+fl5_2)/2. Vgl. Anhang B Der Mittelwert ist 2.01, der Median ist 2.0 und die Standardabweichung liegt bei 1.01. vgl. Kap. 6.6.2.1 Deskriptive Beftinde: Abhangige Variable

218

Empirische Evidenz

Abbildung 6-3: Information uber zukiinftige Gesundheitsrisiken

Die Mehrheit der Probanden ist zudem der Auffassung, dass gesundheitlich beeintrachtigte Arbeitnehmer nicht im selben Masse produktiv sind wie ihre gesunden Kollegen (61.7%). Der berechnete Mittelwert von 3.46 liegt rechts von der Kategorie ,weder noch'. Damit bestatigt sich der theoretische Refund, wonach eher negative Auswirkungen auf die Produktivitat zu erwarten seien, wenn sich Arbeitnehmer um seine Gesundheit Sorgen machen muss.

Abbildung 6-4: Produktivitat

Datenstruktur und deskriptive Beftinde

219

Angaben iiber die jahrliche Fluktuationsrate ergeben ein positives Bild: In 41.5% der Falle verlassen jahrlich weniger als 4% der Arbeitnehmer ihr Untemehmen und in weiteren 34.6% der Falle verzeichnen die Untemehmen eine Fluktuationsrate von unter \0%. Offensichtlich schaffen es viele der befragten Firmen ihre Arbeitnehmer erfolgreich an sich zu binden. Nur gut ein Viertel der Untemehmen weist eine Fluktuationsrate von iiber \0% auf.

Wirtschaftliche Lage des Unternehmens sehr gut 18.6% gut 47.9% 21.3% befriedigend geniigend 6.9% ungeniigend 5.3% Tabelle 6-10: Wirtschaftliche Lage

Erfreulich ist, dass knapp 20%) die wirtschaftliche Lage ihres Untemehmens als sehr gut einschatzen und fast die Halfte ihre wirtschaftlichen Aussichten als gut einstuft. Nur etwa 12%o der Untemehmen rechnen mit einer schlechten Wirtschaftslage (vgl. Tab. 6-10). Zudem ist die Ausbildung der Arbeitnehmer in den befragten Untemehmen auffallend hoch: Knapp 40%) haben einen Universitats- oder Fachhochschulabschluss, zirka 47%) sind Facharbeiter und nur etwa 13%) sind angelemt oder ungelemt. Allerdings kann in weiterer Folge nicht bestatigt werden, dass diese beiden Aspekte - die gute Wirtschaftslage und die hohe Ausbildung der Arbeitnehmer - die Gentest-Entscheidung wesentlich beeinflussen.

Um feststellen, ob die Ergebnisse eventuell aufgmnd eines negativ behafteten Gen-Begriffs verzerrt sind, werden die Probanden iiber ihr Empfmden gegeniiber dem verwendeten Ausdmck Gen-Anlage befragt. Hier geben 39.36%) an, keine negativen Assoziationen mit dem Ausdmck zu verbinden. Da nur 24.47%) negative Empfmdungen gegeniiber dem Begriff hegen, diirften deswegen eigentlich kaum erhebliche Verfalschungen der Ergebnisse zustande kommen. Dass diese Interpretation jedoch mit Vorsicht zu geniessen ist, zeigt die Berechnung des Mittelwerts (3.22). Dieser verdeutlicht, dass trotz der eher neutralen Begriffswahl GenAnlage eine negative Beeinflussung im Hinblick auf die Beantwortung des Fragebogens nicht von vomherein auszuschliessen ist. Wie die statistischen Berechnungen in weiterer Folge jedoch zeigen werden, wird die Gentest-Entscheidung nicht von negativen Assoziationen gegeniiber dem gewahlten Begriff tangiert.

220

_

^

Empirische Evidenz

Abbildung 6-5: Das Wort Gen-Anlage ist fiir mich positiv besetzt

Schliesslich wird noch das Ergebnis der Frage erlautert, ob die Personalverantwortlichen der Meinung seien, dass es in Zukunfl wichtig sein werde, seine Gene zu kennen. Das Resultat zeigt, dass die Mehrheit der Probanden - namlich 43.62% - diese Frage bejaht, wahrend nur 38.29% diese Ansicht nicht teilen (vgl. Abb. 6-6). Diese Einstellung ist insofem verwunderlich, als die Befragten das Instrument, mit dem diese dazu benotigten Informationen generiert werden konnten - namlich die Genanalyse - mehrheitlich ablehnen.

Abbildung 6-6: In Zukunft ist es wichtig, seine Gene zu Icennen

Datenstruktur und deskriptive Befunde

6.6.2.3

221

Inhaltsanalyse der offenen Fragen

Auf eine der drei offenen Fragen hin nennen die befragten Personalverantwortlichen Anreize, mit denen sie ihre Arbeitnehmer motivieren wollen, ihren zukiinftigen Gesundheitsstatus kennen zu lemen. Dabei erachten sie die Aus- und Weiterbildung sowie die Aufklarung zum Thema Gesundheit und Gesundheitsforderung als die wichtigsten Massnahmen. Viele der Probanden sind aber auch der Ansicht, dass sich jeder Arbeitnehmer gmndsatzlich eigenverantwortlich urn seine Gesundheit kummem miisse. Einige wollen die Arbeitnehmer durch einen Beitrag zum Fitnessabo, das Anbieten von gesunder Emahrung, zusatzliche Ferientage oder durch eine optimale Arbeitsplatzgestaltung zur Teilnahme am Gentest motivieren.

Sonstige Anreize (N = 78) Aus- bzw. Weiterbildung sowie Aufklarung zum Thema Gesundheit (bspw. Vortrage von Arzten oder Schulungen, Gruppendiskussionen, Health Happening oder Intranet) Keine Anreize, jeder Arbeitnehmer ist selbst fiir seine Gesundheit zustandig Gesundheitschecks bzw. Vorsorgeuntersuchungen (bspw. Blutkontrolle oder Fitnesscheck) Beitrag zum Fitnessabo Wellnessprogramm und Gesunde Emahrung Keine konkreten Vorschlage Sonstiges: Aktives Prasenzmanagement, Arbeitsvertragsgestaltung, Motivation durch Aufzeigen positiver Resultate, mehr Ferientage und Arbeitsplatzgestaltung

21 11

Tabelle 6-11: Sonstige Anreize

Die offene Frage, welche betriebliche Auswirkungen zu erwarten seien, wenn bei einem Arbeitnehmer ein Krankheitsrisiko diagnostiziert wird, bringt zu Tage, dass die Probanden vorwiegend negative Folgen erwarten. Im Vordergrund steht dabei die mit einem positiven Genbefund assoziierte psychische Belastung. Infolge dieser Beeintrachtigung befurchten die Befragten nicht nur einen Produktivitatsverlust und zusatzliche Ausfallkosten, sondem generell eine hohe individuelle Belastung. Auch die Angst und die Verunsicherung, welche der Einsatz eines betrieblichen Gentests bei den Arbeitnehmem hervorrufen diirfte, werden als negative Auswirkungen genannt. Einige Befragte riicken ethische Probleme in den Vordergrund, benennen sie allerdings nicht. Andere wiederum gehen davon aus, dass sich Gentests positiv auf die Arbeitsplatzgestaltung, das Untemehmensimage und Loyalitat auswirken werden. Sie stellen jedoch eher eine Minderheit dar.

^^^ Mehrfachnennungen werden beriicksichtigt.

222

Empirische Evidenz

Sonstige Auswirkungen (N = 70) Psychische Storungen (bspw. Produktivitatsverlust, zusatzliche Ausfallkosten, hohe individuelle Belastung bei schwer wiegendem Krankheitsrisiko oder Stress) Angst und Unsicherheit der Arbeitnehmer (wirkt sich negativ auf Produktivitat aus, Unsicherheit im Bezug auf den Arbeitsplatz entsteht) Daten- und Personlichkeitsschutz Verschlechterung des Untemehmensimage und der Unternehmenskultur (bspw. big-brother-Image, interne Unruhe) Erkennen von Verbesserungspotenzial (bspw. chemische Einfliisse, Sicherheit, individueller Arbeitsplatz) Positive Auswirkungen (bspw. Verbesserung des Untemehmensimage durch gezielte Gesundheitsvorsorge und langerfristig hohere Loyalitat) Keine allgemein Aussagen moglich (jeder Mensch ist verschieden, Gentests sind nur beschrankt einsetzbar, Gentests betreffen Personalverantwortliche nicht) Ethisches Problem Weitere Auswirkungen (bspw. Leistungseinbruch, Pensionskasse, Key-Mitarbeiter, Teamprozessveranderung, Motivationsverringerung)

16 14 9

14

Tabelle 6-12: Sonstige Auswirkungen

Die Moglichkeit, Kommentare zur Umfrage anzufiigen, haben nur 32 Personalverantwortliche genutzt. Diese sehen im vorliegenden Untersuchungsgegenstand vorwiegend ein ethisches Problem und aussem gmndsatzlich Vorbehalte gegeniiber der Fragestellung an. Zudem vertreten sie die Auffassung, es handle sich bei den genetischen Daten um sehr personliche Informationen, die im Untemehmen nicht thematisiert werden diirften. Die Kommentare spiegeln im Wesentlichen den Zweifel gegeniiber Gentests und bringen zum Ausdruck, dass eine betriebliche Genanalyse nicht erwiinscht ist.

Kommentare und ErgSnzungen (N = 32) Ethisches Problem (Vorbehalte gegeniiber der Fragestellung) Genetische Daten sind sehr personlich, deshalb nicht im Untemehmen thematisieren Datenschutzbestimmungen Gentests zur Prophylaxe Gentests im Untemehmen nur wenn ausdrucklich vom Mitarbeiter gewiinscht Sonstige (Angaben zum Fragebogen, wissenschaftliche Gmndlage fehlt, Krankheitsrisiko heisst nicht gleich Krankheitsausbmch)

12 6 4 4 1

Tabelle 6-13: Kommentare und ErgMnzungen

6.7

Multivariate Regression

Nach der Abbildung des vorliegenden Datensatzes durch einige deskriptive Befunde in den vorangegangenen Kapiteln werden in diesem Kapitel die empirischen Daten mittels multivariater Regression auf Zusammenhange untersucht. Zur tJberpriifung der Starke und

223

Multivariate Regression

des Zusammenhangs zwischen der abhangigen Variable und den unabhangigen Variablen wird unter Verwendung des Statistikprogramms SPSS 13.0 eine multiple Regression berechnet. Die Regression wird ermittelt, indem sowohl die unabhangigen Variablen^^^ als auch die Kontrollvariablen^^^ in einem Schritt in die Berechnungen mit einbezogen werden. Es entsteht eine stabile Regression, in welcher die Variablen Image, FinanzAnreiz, SchutzArbeitsplatz, Gesundheitlnformiert, Unternehmensgroesse und Produktivitaet einen signifikanten Zusammenhang mit der Gentest-Entscheidung aufweisen.^^^ Nicht signifikant wirken

dagegen

die Variablen ImmatAnreize, GTheiHaeuflgenKH, UnterAbbruch,

AuswKurzUnguenst, AuswLangGuenstig, GesChecks, Sex, Branche, WirtschaftLage, Fluktuation, GeneKennenWichtig iind AssoziationGen auf die Gentest-Entscheidung ein. Abhangige Variable: GTimUG Unabhangige Variablen (Konstante) SchutzArbeitsplatz StellenwertGF Gesundheitlnformiert Produktivitaet ImmatAnreize FinanzAnreize GTbeiHaeufigenKH UnterAbbruch AuswKurzUnguenst AuswLangGuenstig Image Kontrollvariablen GesChecks Sex Branche WirtschaftLage Fluktuation Unternehmensgroesse GeneKennenWichtig AssoziationGen

Standardisierte Koeffizienten Beta

Unstandardisierte Koeffizienten S.A. Beta (p) 1 -1.440 0.556 0.064 0.311 0.096 0.112 0.148 0.060 0.112 0.047 -0.034 0.069 0.391 0.062 0.061 0.051 -0.075 0.054 -0.017 0.055 -0.043 0.057 0.468 0.074

0.308 0.042 0.126 0.108 -0.025 0.319 0.058 -0.066 -0.014 -0.038 0.364

t -2.589 4.840 0.858 2.461 2.372 -0.489 6.345 1.215 -1.392 -0.299 -0.763 6.310

0.008 0.035 0.033 0.063 -0.068 0.139 -0.005 -0.037

0.003 0.014 0.064 0.054 -0.065 0.210 -0.006 -0.035

0.057 0.303 1.363 1.212 -1.326 4.074 -0.091 -0.618

0.132 0.115 0.024 0.052 0.051 0.034 0.057 0.060

__ R^ 0.682 Korrigiertes R" 0.646 F-Wert 18.998** " signifikant auf dam Niveau p