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German Pages 446 Year 2007
Jutta Oertel Generationenmanagement in Unternehmen
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Schriften aus dem Centrum für Management Herausgeber: Prof. Dr. Alexander Dilger Prof. Dr. Thomas Ehrmann Prof. Dr. Jens Leker Prof. Dr. Gerhard Schewe Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster
In dieser Schriftenreihe werden wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die am Centrum für Management (CfM) der WestfälischenWilhelms Universität zu Münster entstanden sind. Die Aktivitäten des CfM erstrecken sich auf das Gebiet der strategischen Managementforschung ebenso wie auf die Bereiche Organisationsforschung und Human Ressource Management. Das CFM setzt sich dabei zum Ziel, die theoretisch und empirisch gewonnenen Erkenntnisse in praxistaugliche Konzepte zu überführen. Entsprechend richtet sich die Schriftenreihe nicht nur an Leser aus der Wissenschaft sondern auch an Praktiker, die im Rahmen ihrer Tätigkeit auf der Suche nach neuen anwendungsorientierten Problemlösungen sind.
Jutta Oertel
Generationenmanagement in Unternehmen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Gerhard Schewe
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Westfälische Wilhelms-Universität Münster in Cotutelle de Thèse mit der Université Nancy 2, 2006, u.d.T.: Oertel, Jutta: Über den Umgang mit Generationen – Generationenmanagement in Unternehmen. „La gestion des générations en entreprise“ D 6 (2006) Die Dissertationsschrift entstand im Rahmen einer deutsch-französischen Doppelbetreuung (Cotutelle de Thèse) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster und dem Institut Comercial der Université Nancy 2 und enthält eine französische Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse.
1. Auflage November 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0967-7
Immer dem Opa
GELEITWORT Die Notwendigkeit der Beschäftigung mit dem Thema Generationenmanagement in Deutschland ergibt sich aus demografischen und zeitgeistbedingten Entwicklungen. Der deutschen Bevölkerung droht die Überalterung. Angesichts der seit den 70er Jahren fallenden Geburtenraten und der noch immer bestehenden Praxis der Frühverrentung sinkt die Zahl der potenziell Erwerbstätigen. Nachwuchskräfte werden knapper und betreten zum Teil bereits mit einem Ausbildungsdefizit den Arbeitsmarkt. Die Alterung der geburtenstarken Jahrgänge in den Belegschaften und die Notwendigkeit, länger im Erwerbsleben zu verbleiben, führen zu einer Verschiebung der Altersstrukturen in den Unternehmen und zu einem Übergewicht älterer Arbeitnehmergruppen. Die Bevölkerungsdynamik ist eng mit der Entstehung von Generationen und Generationenbeziehungen verknüpft. In Verbindung mit dem Zeitgeistwandel hat sie erhebliche Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Bei einem Generationenmix im Unternehmen von bis zu sechs Generationszusammenhängen sind Reibungsverluste zu erwarten, da die Mitarbeiter verschiedenen Alters aus ihrer persönlichen Erfahrung und Lebenssituation heraus unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse mit an den Arbeitsplatz bringen. Diese können sich in schlechter Zusammenarbeit, Motivationsproblemen, hoher Fluktuation und Personalmangel insbesondere bei Nachwuchskräften niederschlagen, wenn nicht Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Vorhandene Diversitätspotenziale insbesondere älterer Arbeitnehmer in den Unternehmen werden nicht ausgeschöpft und Zeitgeistentwicklungen wie das steigende Bedürfnis nach Selbstbestimmung oder das zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Arbeitnehmer werden derzeit in ihrer Bedeutung für die Unternehmenskultur unterschätzt. Sowohl in den deutschen Unternehmen als auch in der betriebswirtschaftlichen Forschung fehlen also das Problembewusstsein für und das Wissen über generationsbedingte Besonderheiten und Veränderungen. Angesichts des globalen Wettbewerbs und der hohen Personalkosten können Unternehmen in Deutschland sich dies nicht erlauben. Die Sicherung der Leistungs- und Innovationsfähigkeit hängen vom optimalen Einsatz der veränderten Alterszusammensetzung ab. An dieser Forschungslücke setzt die Arbeit von Jutta Oertel an. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung und der sich deutlich abzeichnenden Generationenproblematik am Arbeitsplatz beschäftigt sie sich mit der Kernfrage, wie Probleme im Zusammenhang mit dem generationsbedingten Wandel für Unternehmen zu minimieren und die damit verbundenen Chancen optimal zu nutzen sind. Hervorzuheben ist, dass die Arbeit branchenübergreifend und anwendungsorientiert einen Katalog von Problemlösungen zur Leistungssteigerung des Generationenmixes in der betrieblichen Praxis liefert. Das vorliegende Werk stellt insofern einen wichtigen Beitrag zur theoretischen wie auch empirischen Analyse des betrieblichen Generationsmanagements dar. Mit seinen Ergebnissen ist es nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für Praktiker eine wertvolle Lektüre.
VIII
Geleitwort
Die gewonnen Erkenntnisse können als ein Wegweiser im Rahmen des hoch komplexen Managements des Umgangs der Generationen im Unternehmen verstanden werden. Es bleibt dieser Studie folglich nur zu wünschen, dass sie eine breite Aufnahme in Wissenschaft und Praxis findet. Gerhard Schewe
VORWORT Die Generationenproblematik ist so alt wie die Menschheit und doch gestaltet sie sich je nach den herrschenden Rahmenbedingungen immer wieder anders. Angesichts der gravierenden demografischen Veränderungen in Deutschland und der wachsenden Dynamik im Zeitgeist zeichnen sich Verschiebungen der Altersstrukturen und ein Übergewicht älterer Arbeitnehmergruppen in der deutschen Erwerbsbevölkerung ab. Bis zu sechs Generationen bringen heute aus ihrer persönlichen Erfahrung und Lebenssituation heraus unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse mit an den Arbeitsplatz. Die Sicherung der Leistungs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen hängt vom optimalen Einsatz dieser veränderten, altersdiversen Belegschaften ab. Mit dem Ziel der Wissenserweiterung für die betriebswirtschaftlich motivierte Forschung und die Unternehmenspraxis habe ich meine Forschungsarbeit auf diesem spannenden Feld begonnen und mich im Rahmen meines Dissertationsprozesses intensiv mit der Frage des Umgangs mit Generationen und speziell mit dem Thema „Generationenmanagement in Unternehmen“ auseinandergesetzt. Darüber hinaus lassen sich die Erkenntnisse aus meiner Arbeit auch in meinem persönlichen Alltags- und Berufsleben nutzbringend einsetzen. Die Dissertationszeit hat mich jedoch nicht nur fachlich und interkulturell weitergebracht, sondern vor allem persönlich geformt. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse ist, dass eine solche Forschungsarbeit nicht als Einzelleistung möglich ist. Es ist mir deshalb ein Bedürfnis, mich hiermit bei all den verschiedenen Menschen herzlich zu bedanken, die dazu beigetragen haben, meinen Traum von der binationalen Promotion zu verwirklichen! Die Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Organisation, Personal und Innovation und im Dekanat der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. Es handelt sich um die erste deutsch-französisch betreute Promotion an der Fakultät als so genannte „Cotutelle de Thèse“ mit dem Institut Comercial der Université Nancy 2. Entsprechend groß waren die damit zusätzlich verbundenen sprachlichen, kulturellen und verwaltungstechnischen Schwierigkeiten. An dieser Stelle möchte ich zumindest einen Ausschnitt der mannigfaltigen Unterstützung, die ich von so vielen Seiten bei meinem Dissertationsprojekt erfahren habe, verdeutlichen. An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Professor Dr. Gerhard Schewe, dem ich die Möglichkeit, zu „meinem Thema“ zu promovieren, verdanke. Er hat mir für meine Arbeit stets die notwendigen Freiräume gelassen und stand mir bei der Beseitigung von Hürden aller Art stets unbürokratisch und zuverlässig zur Seite. Meinem französischen Doktorvater Professor Dr. Thomas Froehlicher und Professor Dr. Björn Walliser vom Institut Comercial der Université Nancy 2 danke ich für die Übernahme der Betreuung und Prüfertätigkeit im Rahmen der Cotutelle de Thèse und für die Einblicke in die französische Generationenkultur in Nancy. Professor Dr. Alexander Dilger sei für das Zweitgutachten und Professor Dr. Jens Le-
X
Vorwort
ker für die kurzfristige Übernahme des Zusatzgutachtens für die Université Nancy 2 gedankt. Der Professorenschaft, der Universitätsverwaltung und vor allem den Dekanatssekretärinnen beider Fakultäten spreche ich für die gute Zusammenarbeit meinen herzlichen Dank aus. Unserem Lehrstuhlteam und meinem Universitätsnetzwerk verdanke ich umfassenden Beistand und vor allem eine großartige, ungebundene und unvergessliche Zeit voller Neuentdeckungen. Vielen, vielen Dank! Namentlich hat hier Frau Dr. Claudia Michalik für mich die Rolle der Vorreiterin und Wegbereiterin in vielfältiger Beziehung übernommen. Frau Dipl.-Kffr. Sandrine Brandin-Kouéna danke herzlich ich für die wiederholte kritische Durchsicht des Manuskripts, ihre sprachliche Korrektur meiner französischen Übersetzungen und vor allem für ihre unermüdliche Diskussionsbereitschaft. Frau Monika Tietze möchte ich meinen Dank für die unverdrossene sprachliche und orthographische Korrektur von ca. 500 Seiten Text und die tatkräftige Unterstützung bei den Grafiken aussprechen. Ganz besonders möchte ich mich bei meiner Studentischen Hilfskraft Frau Dipl.-Kffr. Agnieszka Wierzbicka für ihr engagiertes und sorgfältiges Zuarbeiten zu meiner Dissertation bedanken. Dies betrifft insbesondere die mehr als umfangreiche Literaturbeschaffung und -verwaltung, die Erstellung von Abbildungen, endlose Korrekturarbeiten sowie die Befragung und Dateneingabe für die Generationenmanagementstudie. An dieser Stelle sei all den Ungenannten, die mit Geduld und Sorgfalt den umfangreichen Fragebogen der Studie ausgefüllt haben, nachdrücklich gedankt. Für die Förderung meines wissenschaftlichen Fortschritts, die Sorge um mein körperliches Wohl und die Bewahrung meines seelischen Gleichgewichts möchte ich mich bei meinem Freundeskreis bedanken – insbesondere bei meinen Mitstreitern aus der Rollenspielgruppe und bei Familie Scheiwe. Johannes, vielen Dank für Deine so ruhige und stets selbstverständliche Hilfsbereitschaft, die Unterkunft und die Momente zum Atemschöpfen. Eva, Du bist immer für mich da. Danke! Meinen Eltern Karoline und Manfred Schmidt, meiner Schwester Anke Stoelen und meiner ganzen Familie möchte ich für den Rückhalt und das in mich gesetzte Vertrauen während der Dissertationszeit meinen Dank aussprechen. Lebenslanges Lernen, Durchhaltevermögen, Gelassenheit und Familienzusammenhalt sind Werte, für die in erster Linie mein verstorbener Großvater Helmut Knabe einstand. Deshalb widme ich ihm diese Arbeit über den Umgang mit Generationen. Mein herzlichster Dank gebührt jedoch meinem Mann Dr. Jürgen Oertel für seine Liebe, Geduld und umfassende Unterstützung. Du warst und bist mein Sonnenschein!
Jutta Oertel, geb. Schmidt
INHALTSVERZEICHNIS GELEITWORT.................................................................................................................... VII VORWORT ............................................................................................................................IX INHALTSVERZEICHNIS ....................................................................................................XI ABBILDUNGSVERZEICHNIS.......................................................................................... XV TABELLENVERZEICHNIS ........................................................................................... XVII ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.......................................................................................XIX
A
EINFÜHRUNG ................................................................................................................. 1 I
Generationsproblematik im Arbeitsleben ............................................................... 1 1 Generationen am Arbeitsplatz............................................................................... 1 2 Entwicklung des deutschen Arbeitskräftepotenzials ............................................ 6 3 Forschungsanliegen und Forschungsmethodik ................................................... 11
II Analyse des Generationsbegriffes........................................................................... 14 1 Sprachliche Facetten des Generationsbegriffs .................................................... 14 2 Bedeutungsinhalte des Generationsbegriffs in den Wissenschaften................... 17 3 Kontextunabhängige Generationendefinition ..................................................... 20
B
GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG............ 24 I
Erste Ansätze des Generationenmanagements...................................................... 25 1 Amerikanische Generationsidealtypen und ihre Beziehungen ........................... 25 2 Kritische Würdigung des amerikanischen Forschungsmaterials ........................ 31
II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung ....................................... 36 1 Historie der soziologischen Generationenforschung .......................................... 36 2 Formalsoziologische Analyse des Generationenproblems ................................. 43 3 Sozialisationsforschung und Rollentheorie......................................................... 49 4 Lebenslaufkonzept .............................................................................................. 57 5 Kohortenanalyse ................................................................................................. 62 III Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Generationenforschung.............. 68 1 Generationspersönlichkeit und Generationshandeln .......................................... 68 2 Wertsystem der Generationspersönlichkeit ........................................................ 76 3 Generationentypisierung ..................................................................................... 83 IV Zwischenfazit: Kernelemente des Generationenverhaltens ................................. 87
XII
C
Inhaltsverzeichnis
GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN.. .................................................................................................................................... 92 I
Grundmodell und raumzeitliche Verankerung..................................................... 92 1 Modell zum Generationenverhalten.................................................................... 92 2 Zeitliche Präzisierung der Generationenlagerung............................................... 95 3 Sozial-räumliche Präzisierung der Generationenlagerung ................................. 98
II Konkretisierung der Generationenmerkmale ..................................................... 102 1 Generationszusammenhänge und Generationseinheiten................................... 102 2 Generationenlebensverläufe.............................................................................. 107 3 Generationspersönlichkeit und Generationsverhalten ...................................... 115 III Konkretisierung der Generationenverhältnisse.................................................. 120 1 Generationendynamik ....................................................................................... 120 2 Generationenbeziehungen................................................................................. 123 3 Generationenkonflikte im Unternehmen........................................................... 127 4 Beeinflussung des Generationsverhaltens im Unternehmen............................. 132 IV Zwischenfazit: Modellkonkretisierung ................................................................ 135
D
INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS ..................................... 137 I
Entwicklungen auf staatlicher Ebene................................................................... 137 1 Bevölkerungsentwicklung................................................................................. 137 2 Zeitgeistgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ...................................... 141 3 Wertewandel ..................................................................................................... 147
II Generationenprägung in Familie und Unternehmung ....................................... 152 1 Entwicklungen auf der Familienebene.............................................................. 152 2 Wandel der Geschlechtertypisierung ................................................................ 156 3 Entwicklungen auf Unternehmensebene........................................................... 160 III Zwischenfazit: Generationszusammenhänge und Zeitgeisttrends .................... 166
E
GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE........................................................... 171 I
Methodik und Durchführung der Generationenmanagementstudie ................ 171 1 Methodenwahl und Erhebungsdesign ............................................................... 171 2 Fragebogengestaltung und Pretest .................................................................... 175 3 Durchführung, Auswertung und Stichprobe der Erhebung .............................. 178
II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf ............................... 181 1 Familiäre Situation der Altersgruppen.............................................................. 181 2 Berufliche Situation der Altersgruppen ............................................................ 184 3 Prägende Ereignisse im Lebenslauf .................................................................. 188
Inhaltsverzeichnis
XIII
III Empirische Befunde der Generationenzuordnung ............................................. 190 1 Generationsbewusstsein.................................................................................... 190 2 Bedeutende generationenprägende Ereignisse.................................................. 195 3 Generationenprägung im Privatleben ............................................................... 197 IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten........................................ 202 1 Grundwertsystem .............................................................................................. 202 2 Generationenprioritäten im Arbeitsleben.......................................................... 205 3 Generationenstereotype Eigenschaften............................................................. 207 V
Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen .............. 213 1 Wunscheigenschaften von Arbeitnehmern ....................................................... 213 2 Zeitgeistanforderungen an den Arbeitsplatz ..................................................... 217 3 Generationenbeziehungen im Unternehmen..................................................... 223
VI Zwischenfazit: Diskussion der empirischen Ergebnisse..................................... 227 F
GENERATIONENMANAGEMENT.......................................................................... 233 I
Grundlagen des Generationenmanagements....................................................... 233 1 Sensibilisierung für die Notwendigkeit von Generationenmanagement .......... 233 2 Zentrale Prinzipien des Generationenmanagements......................................... 236 3 Ansatzpunkte des Generationenmanagements.................................................. 240
II Generationenmanagementstrategie...................................................................... 245 1 Unternehmensanalyse mit Schwerpunkt Altersdiversität ................................. 245 2 Altersdiverse Unternehmensstrategie ............................................................... 248 3 Zeitgerechter Unternehmenskulturwandel und seine Träger............................ 251 4 Generationenmanagementcontrolling ............................................................... 260 III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit . 265 1 Steuerung des Personalbestands nach Altersgruppen ....................................... 265 2 Gestaltung altersdiverser Teams ....................................................................... 274 3 Altersdiverse Führung....................................................................................... 282 4 Management von Generationenkonflikten........................................................ 289 5 Generationenmanagement in Außenbeziehungen und Außenwirkung............. 297 IV Instrumente altersdiverser Leistungsförderung ................................................. 301 1 Altersdiverse Förderung von Gesundheit und körperlicher Leistung............... 301 2 Altersdiverse Förderung von Wissensaustausch und geistiger Leistung.......... 313 3 Altersdiverse Förderung der sozialen Kompetenz............................................ 326 V
Flexibilisierung der Rahmenbedingungen........................................................... 334 1 Individualisierung des Anreizsystems .............................................................. 334 2 Flexibilisierung des Arbeitsorts ........................................................................ 344 3 Flexibilisierung der Arbeitszeit ........................................................................ 349 4 Flexibilisierung des Entgeltsystems.................................................................. 357
VI Generationenmanagement im Überblick............................................................. 361
XIV
Inhaltsverzeichnis
G KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK ....................................................... 365 I
Implikationen für die Unternehmenspraxis ........................................................ 365
II Entwicklungslinien und Implikationen für Politik und Gesellschaft................ 370 III Implikationen für die Forschung.......................................................................... 382 H RÉSUMÉ........................................................................................................................ 386 I
Motivation............................................................................................................... 386
II Aperçu de la recherche et choix des méthodes .................................................... 387 III Modèle et facteurs conditionnants........................................................................ 388 IV Recherche empirique ............................................................................................. 392 V
Gestion des générations ......................................................................................... 395
VI Conclusion............................................................................................................... 396
ANHANG .............................................................................................................................. 399 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................ 403
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. A-1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nach Altersgruppen ............................... 6 Abb. A-2: Statistik des Jahrhunderts.......................................................................................... 7 Abb. A-3: Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung im Erwerbsalter .......................... 8 Abb. A-4: Aufbau der Arbeit ................................................................................................... 13 Abb. B-1: Idealtypischer Lebensverlauf .................................................................................. 59 Abb. B-2: Fiktives Beispiel einer Kohortentabelle .................................................................. 64 Abb. B-3: Leitbilder der Persönlichkeitspsychologie .............................................................. 68 Abb. B-4: Mögliche Elemente und prägende Faktoren der Generationspersönlichkeit .......... 70 Abb. C-1: Konfliktlinien in der deutschen Wählerschaft....................................................... 103 Abb. C-2: Beeinflussungsmöglichkeiten des Generationsverhaltens durch Unternehmen ... 133 Abb. C-3: Modell westdeutscher Generationszusammenhänge ab 1940............................... 136 Abb. D-1: Bevölkerungs- und Altersstruktur Gesamtdeutschland ........................................ 137 Abb. D-2: Eheschließungen und Ehescheidungen ................................................................. 139 Abb. D-3: Klassische Organisationsbedingungen.................................................................. 161 Abb. D-4: Neoklassische Organisationsbedingungen............................................................ 162 Abb. D-5: Moderne Organisationsbedingungen .................................................................... 163 Abb. D-6: Allgemeine Zeitgeistentwicklungen ..................................................................... 169 Abb. E-1: Individuelle Generationseinteilung nach Berufserfahrungsklasse ........................ 194 Abb. E-2: Übersicht über die Generationszusammenhänge................................................... 228 Abb. F-1: Ziele und Einflussfaktoren im Veränderungsmanagement.................................... 237 Abb. F-2: Ebenen interkulturellen Lernens............................................................................ 258 Abb. F-3: Modell einer wertbewussten Mitarbeiterführung .................................................. 285 Abb. F-4: Gestaltungsmaßnahmen des Generationenmanagements im Überblick................ 364 Abb. G-1: Lebenssituation älterer Menschen......................................................................... 374 Abb. G-2: Bevölkerungsentwicklung, Arbeitsmarkt und gesetzliche Rentenversicherung... 377 Graphique H-1: Le personnage générationnel ....................................................................... 389 Graphique H-2: Caractéristiques des Générations Effectives Allemandes............................ 394 Anhangabbildung C-1: Rentenregelungen nach Kohorten und Lebensphasen...................... 402
TABELLENVERZEICHNIS Tab. A-1: Mögliche Missverständnisse zwischen Generation Golf und 68ern ......................... 3 Tab. B-1: Amerikanische Generationsidealtypen im Überblick .............................................. 27 Tab. B-2: Arbeitseinstellungen amerikanischer Generationsidealtypen.................................. 30 Tab. B-3: Zentrale Persönlichkeitszüge nach dem „Big five“-Modell .................................... 74 Tab. C-1: Alterszuordnung sozio-demografischer Ereignisse ............................................... 108 Tab. C-2: Lebensphasenbedingte Merkmale von Berufstätigen ............................................ 114 Tab. C-3: Konflikttypen nach Organisations-, Gruppen- und individueller Ebene ............... 128 Tab. D-1: Chronik der BRD................................................................................................... 142 Tab. D-2: Generationszusammenhänge und ihre bestimmenden Sozialisationsphasen ........ 166 Tab. E-1: Verteilung der Stichprobe auf die Altersgruppen .................................................. 180 Tab. E-2: Häufigkeitsverteilung der Kinderzahl auf die Altersgruppen ................................ 182 Tab. E-3: Berufserfahrung nach Altersgruppen ..................................................................... 185 Tab. E-4: Verdienstprofile in Deutschland ............................................................................ 187 Tab. E-5: Bedeutende Ereignisse aus dem Privatleben.......................................................... 188 Tab. E-6: Generationenprägende Ereignisse nach Rangfolge ihrer Bedeutung..................... 196 Tab. E-7: Bekanntheitsgrad von Nostalgieobjekten............................................................... 199 Tab. E-8: Zuordnung der Nostalgieobjekte zu den Altersgruppen ........................................ 200 Tab. E-9: Grundwerte nach Rangfolge ihrer Bedeutung ....................................................... 202 Tab. E-10: Prioritätensetzung im Arbeitsleben nach Häufigkeit der Nennung ..................... 205 Tab. E-11: Fremdeinschätzung von Eigenschaften in Abhängigkeit von der Altersgruppe.. 208 Tab. E-12: Arbeitstugenden und Rangfolge ihrer Bedeutung................................................ 214 Tab. E-13: Flexibilisierung der Arbeitszeit nach Altersgruppen ........................................... 218 Tab. E-14: Bevorzugtes Kommunikationsmedium nach Altersgruppen ............................... 219 Tab. E-15: Komparative Kompetenzen der Altersgruppen.................................................... 231 Tab. F-1: Problembereiche und Chancen nach Generationszusammenhängen ..................... 241 Tab. F-2: Generationenmanagemenmaßnahmen im Kapitelüberblick .................................. 244 Tab. F-3: Auswirkungen von Beanspruchung und Belastungen............................................ 302 Tab. F-4: Bedürfnisstruktur von Mitarbeitern und Führungskräften nach Alter ................... 336 Tab. F-5: Bedeutende Faktoren der Anreizstruktur aus Arbeitnehmersicht .......................... 339
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tableau H-1: Phases de vie des employés et leurs caractéristiques....................................... 391 Tableau H-2: Vue d’ensemble du système de gestion générationelle.................................... 396 Anhangtabelle B-1: Literaturzusammenstellung zum Thema „Managing Generations“ ...... 399 Anhangtabelle C-1: Beispiele für Wertepolaritäten in Unternehmenskulturen ..................... 400 Anhangtabelle C-2: Beispiele für Erscheinungsformen der Unternehmenskultur................. 401 Anhangtabelle C-3: 25 demografische Studien in Organisationen ........................................ 402
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abb.
Abbildung
Aids
Acquired Immune Deficiency Syndrome (erworbenes Immundefektsyndrom)
Amerikaner
Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika
amerikanisch
die Vereinigten Staaten von Amerika betreffend
APO
Außerparlamentarische Opposition
BCG
Boston Consulting Group
BGB
deutsches Bürgerliches Gesetzbuch
BIB
Statistisches Bundesamt
BMSFS(J)
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen (und Jugend)
BRD
Bundesrepublik Deutschland
BSE
Bovine Spongiforme Enzephalopathie (das Rind betreffende, schwammartige Gehirnkrankheit)
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CD
Compact Disc (Kompaktschallplatte, Speichermedium)
CDU
Christlich-Demokratische Union
CSU
Christlich-Soziale Union
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DM/D-Mark
Deutsche Mark
Dr.
Doktor
DVD
Digital Versatile Disc (Datenträger ähnlich einer CD für ein optisches Speichersystem mit wesentlich höherer Kapazität)
EDV
Elektronische Datenverarbeitung
E-Mail
Electronic Mail (elektronische Post)
EMNID
Autonomes, weltweit tätiges Meinungsforschungsinstitut in Deutschland
E. T.
Extra-Terrestrial (Außerirdischer)
et al.
et alii
etc.
et cetera
e. V.
eingetragener Verein
f.
und die folgende Seite
FAKT
Fragebogen zu arbeitsbezogenen Konflikten in Teams
XX
A EINFÜHRUNG
F. A. Z.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FDP
Freie Demokratische Partei
ff.
und folgende Seiten
FuE
Forschung und Entwicklung
GG
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
ggf.
gegebenenfalls
GI issue)
hier: USA Veteran des Zweiten Weltkriegs (wörtlich: government
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Hrsg.
Herausgeber
IAB
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit
ICE
Intercity Express (deutscher Hochgeschwindigkeitszug)
i. e. S.
im engeren Sinne
ISI
Informationsdienst Soziale Indikatoren
ISS
International Space Station (Internationale Raumstation)
IWD
Institut der Deutschen Wirtschaft
i. w. S.
im weiteren Sinne
KSZE
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
KZ
Konzentrationslager
LKW
Lastkraftwagen
LSD
Lysergsäurediethylamid
MTV
Music Television (privater Fernsehsender, zeigt hauptsächlich Musikvideos)
n
Anzahl der Datensätze
NATO
North Atlantic Treaty Organisation (Nordatlantische Allianz)
Nr.
Nummer
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
o. S.
ohne Seitenangabe
o. V.
ohne Verfasser
Pay-TV
Pay-Television (nur gegen Gebühr zu empfangendes Privatfernsehen)
PC
Personal Computer (persönlicher Computer im Gegensatz zum Großrechner)
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
PISA
Programme for International Student Assessment (Programm zur internationalen Schülerevaluation)
QSI
Qualifizierte Special Interest-Zeitschriften
RAF
Rote Armee Fraktion
XXI
RIAS
Rundfunk im Amerikanischen Sektor
S.
Seite(n)
SARS
Severe Acute Respiratory Syndrome (Schweres Akutes Atemwegssyndrom)
S-O-R-Modell Stimulus-Organismus-Reaktions-Modell SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Stasi
(Ministerium für) Staatssicherheit der DDR
Tab.
Tabelle
TGV
Train à Grande Vitesse(französischer Hochgeschwindigkeitszug)
TV
Television (Fernsehen, Fernseher)r
u. a.
unter anderem
UKW
Ultrakurzwelle
UNO
United Nations Organisation (Vereinte Nationen)
USA
United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
VW
Volkswagen
WASP
White Anglo-Saxon Protestant (weißer Protestant angelsächsischer Herkunft)
WM
Weltmeisterschaft
z. B.
zum Beispiel
ZUMA
Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen e. V.
§/§§
Paragraf/Paragrafen
&
und
%
Prozent
A EINFÜHRUNG I
Generationsproblematik im Arbeitsleben
1
Generationen am Arbeitsplatz Beispiel: In einem deutschen Mittelstandsunternehmen kurz nach Ende der Kernzeit. Der 22-jährige Auszubildende Stefan Rossi blickt kurz von seinem Bildschirm auf und dreht seinen Bürostuhl begeistert hin und her. „He, schauen Sie sich das an!“ Die 45jährige Abteilungsleiterin Monika Theis-Neumann, die mit einer wichtigen Kundenanfrage hinter ihm stand, wendet sich jedoch stattdessen dem 34-jährigen Kollegen am Nachbartisch zu: „Herr Graf, können Sie das bitte übernehmen?“ „Es tut mir leid, ich habe meinen Rechner schon heruntergefahren und muss jetzt gehen.“ antwortet Thomas Graf. Peter Werner, der 57-jährige Senior, meldet sich leise freiwillig für den Job. Frau Theis-Neumann lehnt dankend aber bestimmt ab und verschwindet mit schnellen Schritten in ihrem Büro. Drei Augenpaare sehen ihr nach.
Die geschilderte Beispielsituation dürfte an deutschen Arbeitsplätzen nichts Ungewöhnliches sein. Hier treffen verschiedene Altersgruppen mit ihren verschiedenen Bedürfnissen und Sichtweisen aufeinander. Obwohl sich alle Beteiligten im obigen Fall korrekt und engagiert verhalten, ist das aus der Situation heraus zunächst einmal nicht ersichtlich. Die generationsbedingten1 Besonderheiten und Hintergründe der Sachlage könnten sich wie folgt darstellen. Der Auszubildende Stefan Rossi ist durchaus in der Lage, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, zumal das Internet für ihn eine sehr vertraute Welt darstellt. Er hat eine wichtige und interessante Meldung über die Konkurrenz. Selbstverständlich hat er auch die Kundenanfrage registriert. In seiner Begeisterung wertet er diese Routineaufgabe als etwas, was er später noch erledigen kann. Er hat mit seinen Freunden erst für später verabredet, zwecks der weiteren Gestaltung des Abends zu telefonieren. Als Frau Theis-Neumann den Auftrag lieber selbst erledigt, ist er enttäuscht. Erstens scheint sie ihm überhaupt nicht zugehört zu haben und zweitens traut sie ihm die Bearbeitung einer wichtigen Kundenanfrage augenscheinlich nicht zu. Aus Sicht von Thomas Graf ist die Sache sehr ärgerlich. Er möchte karrieremäßig vorankommen. Die Arbeitsorganisation von Herrn Graf ist sehr gut. Er kommt früh und erledigt sein Pensum zügig und gewissenhaft. Heute ist er besonders zeitig gekommen und hat bereits überdurchschnittlich viel geleistet. Er würde gerne länger bleiben, aber er muss sich heute um seinen Sohn kümmern und ihn spätestens in einer Viertelstunde vom Kindergarten abholen. In der Firma gibt er nur ungern zu, dass er sich dreimal die Woche ab dem späten Nachmittag um Kind und Haushalt kümmert. Er hat Bedenken, trotz hoher Leistung einen schlechten Eindruck bei seiner Vorgesetzten und seinen Kollegen hinterlassen zu haben. 1
Der Generationsbegriff wird je nach Kontext sowohl intensional als auch extensional mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt verwendet. Um dieser Vieldeutigkeit methodisch gerecht zu werden, empfiehlt sich die wissenssoziologische Reflexion (vgl. dazu Hauptkapitel B). Fürs Erste genügt das allgemeine (deutsche) Alltagsbegriffsverständnis, das als bekannt vorausgesetzt werden kann.
2
A EINFÜHRUNG
Peter Werner hat wieder einmal das Gefühl, der einzige zu sein, der sich dem Unternehmen verpflichtet fühlt. Dabei ist er der Letzte in seiner Altersklasse der noch im Verkauf arbeitet. Außerdem kommt für seinen Geschmack das Thema Ruhestand in den Gesprächen mit der Abteilungsleiterin zu oft vor. Die Personalabteilung hat ihn auch bereits mehrfach über die Möglichkeiten der Altersteilzeit ausführlich informiert. Dementsprechend hat er auch das Angebot gemacht, die Extraaufgabe zu übernehmen. Dass Frau Theis-Neumann sie trotzdem lieber selbst erledigt, beunruhigt ihn. Monika Theis-Neumann ist eine gewissenhafte und teamorientierte Abteilungsleiterin. Das Arbeitsklima in der Abteilung macht ihr in letzter Zeit Sorgen. Sie wollte die Bearbeitung der wichtigen Kundenanfrage eigentlich dem Auszubildenden übertragen, wurde von seinem unaufmerksamen Verhalten jedoch davon abgehalten. Thomas Graf ist eine zuverlässige Alternative. Frau Theis-Neumann hat ihn sogar zur Beförderung für den Posten des Abteilungsleiters der Verkaufsabteilung Süd vorgeschlagen, aber in letzter Zeit scheint sein Engagement nachgelassen zu haben. Er geht immer betont pünktlich. Manchmal erscheint es ihr, als ob er ein Autoritätsproblem hat, weil sie eine Frau ist. Sie wollte es in der heutigen Situation nicht darauf ankommen lassen. Deshalb erledigt sie die Anfrage lieber selbst und beschließt, am nächsten Tag ein persönliches Gespräch zu suchen. Herr Werner macht ihr ebenfalls Sorgen. Sie weiß sehr wohl, dass er nach seinem Herzinfarkt vor zwei Jahren gesundheitlich gefährdet ist und möchte ihn nicht überbelasten. Er ist eine wichtige Kraft in der Abteilung, zumal er fast alle Kunden persönlich kennt und nie die Ruhe und den Überblick verliert. Eine Altersteilzeitregelung für ihn wäre ideal. Dieses Beispiel macht deutlich, dass im Unternehmen heute zumindest vier Generationen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Vorstellungen, Verhaltensweisen und Fähigkeiten aus verschiedenen Lebenssituationen aufeinander treffen. Sie bringen aus ihrer persönlichen Erfahrung und Generationenprägung heraus unterschiedliche Sichtweisen mit an den Arbeitsplatz. Da sie manchmal nicht einmal „dieselbe Sprache“ sprechen, sind Verständigungsschwierigkeiten, Reibungsverluste und Probleme in der Zusammenarbeit vorprogrammiert, zumal viele sich der generationsbedingten Unterschiede nicht bewusst sind. So etwas kann zu frustrierenden Erlebnissen, Isolierung, schlechterer Arbeitsleistung und/oder Unzufriedenheit führen. Im Extremfall kommt es zu innerer oder tatsächlicher Kündigung. Bestenfalls entstehen in einer solchen Situation nur Opportunitätskosten in Form der Nichtnutzung brachliegender Diversitätspotenziale, die aus einer guten Intergenerationenzusammenarbeit resultieren könnten. All das können sich Unternehmen angesichts der Wettbewerbssituation und der hohen Personalkosten nicht erlauben. Vergegenwärtigt man sich, dass sich die Lebenserwartung im 20. Jahrhundert um 30 Jahre verlängert hat, so wird deutlich, dass die jüngere Generation nicht mehr die ältere ablöst, also nicht mehr in die Fußstapfen der Elterngeneration tritt. Stattdessen leben und arbeiten beide Jahrzehnte lang quasi gleichberechtigt nebeneinander. Dieser so genannte „Prinz-Charles-Effekt“ ist eine natürliche Verschiebung der Lebensphasen, die sich mehr und mehr überlappen. Dementsprechend bringen sie eine größere Rollenvielfalt und ein größeres Konfliktpotenzial mit sich. Die zunehmende wirtschaftliche Unabhängigkeit der jüngeren Generationen führt zu
3
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
mehr Selbstständigkeit und Selbstachtung, jedoch auch zu mehr Individualismus und Egoismus.2 Das macht sich auch am Arbeitsplatz bemerkbar und führt zu Reibungen zwischen den verschiedenen Generationen, die dort miteinander auskommen müssen. Zusätzlich bestehen für jüngere Mitarbeiter3 weniger Aufstiegschancen. Die angesichts der flacher werdenden Hierarchien schrumpfende Zahl der Führungspositionen ist durch die älteren Generationen mittel- bis langfristig besetzt. Da junge Arbeitnehmer heute auch nicht mehr mit einer lebenslangen Arbeitsplatzgarantie bei einem Unternehmen rechnen können, ist ihre Bereitschaft zum Arbeitsplatzwechsel hoch, insbesondere wenn sie keine Weiterentwicklungsperspektiven geboten bekommen. Ältere Mitarbeiter, die noch nach dem Grundsatz „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ ausgebildet wurden, interpretieren dieses Verhalten oft als treulos oder zu anspruchsvoll. Sie beäugen das Potenzial der jüngeren Generation, die sich derzeit durch die Ränge der Unternehmen bewegt, skeptisch. Die unten stehende Tabelle zeigt beispielhaft, welche Missverständnisse durch generationsbedingt unterschiedliche Verhaltensweisen oder Sichtweisen begründet werden können.4 Tab. A-1: Mögliche Missverständnisse zwischen Generation Golf und 68ern Verhalten der Generation Golf Arbeiten, um zu leben Diskontinuierliche Lebensläufe Freude am Ausprobieren, eigene Ideen Schneller Wechsel zwischen Kontexten Multitasking, gleichzeitiger Umgang mit verschiedenen Medien bei qualitativer Konstanz Autonomie, Selbstbewusstsein Wahrnehmungs- & Anerkennungsbedürfnis E-Mail-Stil Ironie
Deutung durch die 68er Generation Hedonismus, Spaßgesellschaft Unzuverlässigkeit, Treulosigkeit Ziellosigkeit Oberflächlichkeit Unkonzentriertheit Arroganz Profilneurose, Exhibitionismus, Narzissmus Unhöflichkeit Zynismus
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Zucker 2002 (Missverständnisse zwischen Generationen): „10 programmierte Missverständnisse zwischen Baby Boomern und GenX“, S. 41
So wird zum Beispiel das selbstbewusste Verhalten der technisch versierten Generation „Golf“ der derzeit Mitte 30-Jährigen von der 68er Generation, die heute bereits auf die 60 zugeht, leicht als Arroganz und Mangel an Loyalität gewertet. Sowohl solchen generationsbe-
2
Vgl. Rendtorff 2000 (Konfliktlinien), S. 182 f.
3
Im Rahmen dieser Arbeit werden wie im allgemeinen Sprachgebrauch üblich vorrangig männliche Formen benutzt, wo beide Geschlechter eingeschlossen werden (zum Beispiel Arbeitnehmer statt Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen oder Bürger statt Bürger und Bürgerinnen). Dies beinhaltet keine sprachliche Diskriminierung, sondern geschieht aus Gründen der Klarheit und besseren Leseführung.
4
Vgl. Zucker 2002 (Missverständnisse zwischen Generationen), S. 38 ff.
4
A EINFÜHRUNG
dingten Unterschieden als auch den daraus resultierenden Missverständnissen, Kommunikationsproblemen und Konflikten am Arbeitsplatz wird in der Praxis kaum Rechnung getragen und auch in der deutschen Forschungslandschaft haben sie bisher kein Echo gefunden. Hinzu kommen die aufgrund der demografischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland immer enger werdenden Verteilungsspielräume, welche die Beziehungen zwischen den Generationen zusätzlich belasten. Die Umweltdynamik bedingt auch, dass die Generationen stärker differierende Kenntnisse und Erfahrungshintergründe haben. Außerdem veralten Wissen und Erfahrung immer schneller und sind mit fortschreitender Informationstechnik auch nicht mehr unbedingt ein Privileg der älteren Generationen. Dabei müssen Reibungen zwischen den Altersgruppen nicht unbedingt eine Belastung für die Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlichen Alters darstellen. Bei guter Zusammenarbeit können unterschiedliche Lebenshintergründe und Erfahrungen sogar eine Quelle für Neuerungen und ein Motor für neuartige Entwicklungen sein.5 Mit steigender Lebenserwartung und beschleunigtem gesellschaftlichen Wandel verstärkt sich also das Problem der Intergenerationenzusammenarbeit. Geht man davon aus, dass Generationen spezifische Bedürfnisse haben, so führt deren Erfüllung in der Regel zu Zufriedenheit oder sogar Begeisterung und sehr guten Arbeitsergebnissen. Bei Nichterfüllung sind Konflikte, Frustration, kognitive Dissonanz, Stress und Unzufriedenheit mit negativen wirtschaftlichen Folgen wie Leistungsabfall, Absentismus und Fluktuation zu erwarten.6 Die seit 2001 jährlich durchgeführte, repräsentative Studie der Gallup GmbH misst den Grad der emotionalen Bindung der Arbeitnehmer an den Arbeitsplatz. Nach dem Engagement Index 2005 sind tatsächlich nur 13 % der Deutschen engagiert und zufrieden bei ihrer Arbeit. Der Großteil von 69 % macht „Dienst nach Vorschrift“, ohne sich seinem Unternehmen wirklich verpflichtet zu fühlen, und 18 % der Arbeitnehmer haben bereits die innere Kündigung vollzogen. Daraus resultiert ein gesamtwirtschaftlicher Schaden aus schwacher Mitarbeiterbindung, hohen Fehlzeiten und niedriger Produktivität in Höhe von jährlich rund 240 Milliarden Euro. Diese Größenordnung entspricht fast dem gesamten Bundeshaushalt, wobei allein ein Schaden von ca. 90 Milliarden Euro auf die Arbeitnehmergruppe ohne emotionale Bindung zurückgeht. Diese fehlt zum Beispiel durchschnittlich vier Tage mehr im Jahr als Beschäftigte, die eine hohe emotionale Bindung zur beruflichen Aufgabe und dem Arbeitsumfeld bzw. dem Arbeitgeber haben.7 Nun wäre es vermessen, einen derart hohen Gesamtschaden allein auf Generationenkonflikte zurückführen zu wollen. Generationendifferenzen sind jedoch eine von verschiedenen möglichen Ursachen. Angesichts dieser Schadenshöhe kann jedoch jede identifizierte Ursache zu einer Gegensteuerung und damit für erhebliche Einsparungen genutzt werden. Dies gilt umso mehr als Unternehmen in Deutschland durch Personalkosten im europäischen und besonders
5
Vgl. GMS 2002 (Generationenstudie 2001), S. 2. und Dubs 1966 (Generationenkonflikt), S. 29.
6
Vgl. Staehle 1999 (Management), S. 244 ff.
7
Vgl. Internetquelle: Gallup 2005 (Engagementindex Deutschland).
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
5
im globalen Vergleich außergewöhnlich stark belastet sind.8 Dieses Problem dürfte sich durch das schrumpfende Arbeitskräfteangebot in Zukunft noch weiter verstärken. Die Notwendigkeit einer effizienten Nutzung der teuer bezahlten Ressource Personal ist damit evident. Somit ist die Generationsproblematik am Arbeitsplatz ein Forschungsgegenstand, der aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive der Untersuchung lohnt. Probleme, die aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Generationen am Arbeitsplatz resultieren, sind in den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt und werden dort als so wichtig erachtet, dass nach einer Umfrage der Society for Human Resource Management unter den „Fortune 1.000“-Unternehmen bereits jedes zweite entsprechende Initiativen und Programme mit dem Ziel, die Mitarbeiter auf solche Situationen vorzubereiten, angestoßen hat. Die Tendenz ist steigend.9 Damit sind die USA den Europäern einen weiten Schritt voraus. Gewöhnt, nicht nur mit den interkulturellen Unterschieden zwischen verschiedenen Rassen, Nationalitäten, Religionen etc. umgehen zu müssen, werden auch die Generationenunterschiede als Teil der kulturellen Vielfalt wahrgenommen und zu nutzen versucht. In Deutschland werden hingegen vorwiegend die familiäre und gesellschaftspolitische Problematik sowie die Ungleichbehandlung der Geschlechter und die Ausgrenzung Älterer am Arbeitsplatz thematisiert. Dabei birgt das Wissen um die Unterschiedlichkeit der Generationen und den optimierten Umgang zwischen den Altersstufen nicht nur Verbesserungspotenziale für die internen Abläufe und die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern auch für den zielgruppengerechten Umgang mit Kunden, Lieferanten und sonstigen Anspruchsgruppen aus der Unternehmensumwelt. Diese Herausforderung wird durch die Dynamik und Instabilität sowohl des gesellschaftlichen als auch des Unternehmensumfeldes noch verstärkt. Politische, wirtschaftliche, technologische, kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen ändern sich, die Märkte sind in ständiger Bewegung. Die Organisationen selbst schrumpfen und wachsen, bilden virtuelle Systeme, verschmelzen miteinander oder trennen sich. Selbst innerhalb der Unternehmen entstehen und vergehen ständig neue Teams und Projektgruppen. Verständigungsprobleme zwischen Angehörigen unterschiedlicher Generationen können hier zwischen Individuen der gleichen Hierarchieebene, zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter, im Team, aber auch je nach Altersstruktur zwischen Gruppen und Organisationseinheiten auftauchen. In diesem instabilen und mit Unsicherheiten verknüpften Umfeld mangelt es an verbindlichen Leitlinien. Gemeinsame altersgruppenübergreifende Vorstellungen über Fragen wie Arbeitsethik, Autorität oder Loyalität und selbst einfache Verhaltensregeln, Umgangsformen, Sprachregelungen und Kleiderordnungen fehlen weitgehend.10 Die Führungskräfte deutscher Unternehmen stehen hier vor einer großen Herausforderung, zumal die Generationsproblematik in der deutschen Betriebswirtschaftslehre bisher kaum Beachtung gefunden hat. 8
In Bezug auf die durchschnittlichen Arbeitskosten/Stunde in Euro lag Westdeutschland 2003 mit 27,09 (Gesamtdeutschland 25,86) hinter Norwegen (28,15) und Dänemark (27,33) vorn und damit mit Abstand vor den USA (19,91) oder Frankreich (20,15). Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2005 (Deutschland in Zahlen), S. 141.
9
Vgl. Schäfer 2002 (Konflikte am Arbeitsplatz), S. 99.
10
Vgl. Internetquelle: Summers 2005 (Generation mix).
6
A EINFÜHRUNG
2
Entwicklung des deutschen Arbeitskräftepotenzials
Verschärft wird die oben geschilderte Generationenproblematik am Arbeitsplatz durch die demografische Entwicklung. Die Bevölkerungsdynamik ist eng mit der Entstehung von Generationen und Generationenbeziehungen verknüpft.11 Beides hat erhebliche Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Als besonders kritischer Faktor ist in diesem Zusammenhang die drohende Überalterung der deutschen Bevölkerung zu sehen. Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Zum einen hat sich mit der erheblichen Verbesserung des Lebensstandards, des allgemeinen Gesundheitszustandes und der medizinischen Versorgung der Bevölkerung im letzten Jahrhundert auch die Lebenserwartung wesentlich erhöht. Das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung liegt bei steigender Tendenz zur Langlebigkeit derzeit bei ca. 40 Jahren. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Absinken der Geburtenrate auf derzeit durchschnittlich ca. 1,4 Kinder pro Frau. Diese beiden Entwicklungen können durch die Zuwanderung junger Menschen kaum abgemildert werden.12 Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nach Altersgruppen wird im Folgenden grafisch und verbal dargestellt. Abb. A-1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nach Altersgruppen Bevölkerungsanteil in Prozent 60 55
57,9
55
55,7
50 ,1
50
4 8 ,5
40 30 20
3 4 ,4 3 0 ,4
4 7,2
20 - 59 Jahre
3 6 ,7
ab 60 Jahre
30 19 ,9
14 ,6
2 1,7 2 0 ,4
2 5,6
2 4 ,1 2 0 ,9
18 ,7
17,1
16 ,1
10
unter 20 Jahre
0 1950
1970
1990
2001
2010
2030
2050
(69,3)
(78,1)
(79,8)
(82,4)
(83,1)
(81,2)
(75,1) Gesamteinwohnerzahl in Millionen
Jahr
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an F. A. Z.-Grafik Walter „Die Bevölkerung in Deutschland“, Weiguny 1999 (Zielgruppe Senioren), S. 35, Daten und Prognose: Statistisches Bundesamt13
Eine Hochrechnung des Bundesamtes für Statistik prognostiziert dementsprechend, dass der Bevölkerungsanteil der unter 20-Jährigen bis 2010 voraussichtlich von derzeit 28,9 auf 27,4 Millionen fallen wird. Bereits heute leben in Deutschland mehr über 60-Jährige als Kinder und Jugendliche. Das wird in der langfristigen Perspektive zu einem Übergewicht älterer Arbeitnehmergruppen führen, da die geburtenstarken Jahrgänge durch die Ränge der Unter-
11
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 65.
12
Es bestehen derzeit keine Anzeichen für den Wiederanstieg der Geburtenrate in naher Zukunft. Vgl. Statistisches Bundesamt 2003 (Bevölkerungsprognose), S. 10 ff. und S. 20 ff.
13
Vgl. zu alternativen Hochrechnungen auch Statistisches Bundesamt 2003 (Bevölkerungsprognose), S. 38 ff.
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
7
nehmen wandern und die Politik die Trendwende zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit bereits eingeleitet hat. Gleichzeitig wird bis zum Jahr 2050 in der Konsequenz der niedrigen Geburtenraten nach Hochrechnung des Statistischen Bundesamtes die Zahl der potenziellen Erwerbspersonen in der Bundesrepublik Deutschland um rund 10 Millionen zurückgehen.14 Trotz der schrumpfenden Anzahl der Bevölkerung im Erwerbstätigenalter wird ihr Arbeitspotenzial jedoch in keinster Weise voll ausgeschöpft. Die Erwerbstätigenquote der deutschen Bevölkerung liegt knapp unter 50 % der Bevölkerung. Mit einer Ausweitung der Regelarbeitszeit, die sich seit 1998 bei knapp 37,8 Wochenstunden stabilisiert hat, ist nur eingeschränkt zu rechnen.15 Dazu kommt, dass die potenziell Erwerbstätigen angesichts der Ausweitung der Ausbildungs- und Ruhestandsphasen auch insgesamt weniger Jahre für die Berufstätigkeitsphase zur Verfügung stehen. Die folgende Übersicht zeigt einen Vergleich der Bevölkerungs- und Erwerbstätigenstruktur Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Prognose des Statistischen Bundesamtes für die nahe Zukunft.16 Abb. A-2: Statistik des Jahrhunderts 1910 1910 65 65 Millionen Millionen
48,3 48,3 Jahre Jahre
2010 2010 Bevölkerung Bevölkerung
Lebenserwartung Lebenserwartung
81 81 Millionen Millionen
79 79 Jahre Jahre
67 67 % %
Anteil Anteil Erwerbsleben Erwerbsleben an an Gesamtlebenszeit Gesamtlebenszeit
38 38 % %
44 44 % %
Bevölkerungsanteil Bevölkerungsanteil unter unter 20-Jähriger 20-Jähriger
19 19 % %
48 48 % %
Bevölkerungsanteil Bevölkerungsanteil 2020- bis bis 59-Jähriger 59-Jähriger
55 55 % %
8%
Bevölkerungsanteil Bevölkerungsanteil 26 % 26 % 60-Jähriger 60-Jähriger & & Älterer Älterer
Quelle: „100 Jahre Deutschland. Fakten und Prognosen“, Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 31
Für die einzelnen Altersgruppen der erwerbstätigen Bevölkerung bedeutet dies bereits in der mittelfristigen Prognose für 2020 einen leichten Rückgang der Nachwuchskräfte zwischen 20 und 30 Jahren auf unter 20 %. Für die 30- bis unter 40-Jährigen, die derzeit die Kernbelegschaften stellen, ist ein deutlicher Rückgang auf ca. ein Drittel der Erwerbspersonen zu er14
Vgl. Internetquelle: Statistisches Bundesamt 2004 (Altersstruktur der Beschäftigten) und Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 96 f.
15
Abgesehen von Urlaub, Feiertagen, bezahlten Krankheitstagen usw. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2005 (Deutschland in Zahlen), S. 11 und S. 16.
16
In den folgenden Ausführungen werden kurz- (2010) bis langfristige Prognosen (2050) dargestellt. In der Langfristprognose werden Entwicklungen wie der Bevölkerungsrückgang wesentlich stärker deutlich. Dafür ist die Voraussage mit mehr Unsicherheiten behaftet. Für die in diesem Zusammenhang relevante Sicht der Unternehmen interessiert in erster Linie die kurz- bis mittelfristige Sichtweise.
8
A EINFÜHRUNG
warten. Entsprechend ist ein starker Anstieg der 45- bis 60-Jährigen auf ca. 38 % und ein kontinuierlicher Anstieg der ab 60-Jährigen auf ca. 12 % prognostiziert.17 Die nachstehende Grafik macht die zu erwartende Entwicklung der Altersstruktur der potenziell Erwerbstätigen noch einmal gesondert deutlich. Abb. A-3: Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung im Erwerbsalter Bevölkerung im Erwerbsalter in Millionen und Altersgruppen in Prozent
50
51,1
51,0
30,4 %
32,3 %
50,0 38,9 %
45,7 35,7 %
42,9 36,5 %
40 38,4 %
40,8 37,0 % 50 - 65 Jahre
37,4 %
30
31,4 %
35,2 %
34,0 %
33,3 %
20
35 - 49 Jahre 31,2 %
30,3 %
29,7 %
10
29,0 %
29,5 %
29,6 % 20 - 34 Jahre
0 2000
2010
2020
2030
2040
2050
Jahr
Quelle: Bevölkerung im Erwerbsalter absolut und Altersgruppen in Prozent, Deutschland 2000 bis 2050, Statistisches Bundesamt 2004 (Altersstruktur der Beschäftigten)
Dieser zu erwartenden Trendwende auf dem Arbeitsmarkt vom Überangebot zur Verknappung des Arbeitskräftepotenzials tragen die Unternehmen derzeit keine Rechnung. Viele sind sich der Problematik nicht bewusst und treffen keine Maßnahmen, um in der mittelfristigen Perspektive, brachliegende Potenziale anzuzapfen. Es werden kaum Maßnahmen ergriffen, um die Potenziale älterer Mitarbeiter oder die Leistungsfähigkeit anderer Altersgruppen, zum Beispiel von Erwerbstätigen in der Elternphase besser auszuschöpfen oder zu fördern. In der Altersgruppe zwischen 55 und 64 Jahren arbeiten aktuell lediglich noch 36,8 % der potenziell Erwerbstätigen. Die bestehenden Möglichkeiten der Frühverrentung werden von den Personalverantwortlichen der Unternehmen unter dem Zwang zur Personalkosteneinsparung weiterhin weidlich genutzt. Dazu kommen bestehende Vorurteile über ältere Arbeitnehmer18, denen mit zunehmendem Alter abnehmende Leistungs- und Lernfähigkeiten und die Verursachung höherer Kosten unterstellt werden. Insbesondere die Großindustrie hat wenig Erfah-
17
Vgl. Internetquelle: Statistisches Bundesamt 2004 (Altersstruktur der Beschäftigten) und Schmitt 2003 (Altersstruktur), S. 52 basierend auf Studien von Proage, der Bertelsmannstiftung und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
18
Der dehnbare Begriff „ältere Arbeitnehmer“ wird im Folgenden in Anlehnung an die OECD-Definition für Arbeitnehmer in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens verwendet, die das Pensionsalter noch nicht erreicht haben. Vgl. ausführlich zu Definitionen und Altersgrenzen Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 23 ff.
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
9
rung in der Nutzung der Potenziale Älterer und im Umgang mit dem Generationenmix. Insofern wird es den Unternehmen schwer fallen, sich in Zukunft mit den Bedürfnissen der geburtenstarken Jahrgänge auseinanderzusetzen.19 Schließlich stehen dem Hochtechnologieland Deutschland nicht nur in Bezug auf die Quantität, sondern auch betreffend der Qualifikation Probleme bevor. In Bezug auf die Basisqualifikation zeigen die PISA-Studien, dass die Bildungsabschlüsse den geforderten Kenntnisstand nicht mehr gewährleisten können und die BRD diesbezüglich im Vergleich zu anderen Industrieländern stark zurückgefallen ist.20 Dies ist besonders kritisch zu sehen, da in Deutschland bereits 26 % der Lebenszeit für Ausbildung aufgewendet werden.21 Die Nachwuchskräfte betreten also zum Teil bereits mit einem Ausbildungsdefizit den Arbeitsmarkt, während die Auswahlmöglichkeiten für die Unternehmen aufgrund der sinkenden Jahrgangsstärken zusätzlich mehr und mehr eingeschränkt werden. Schon heute fehlen trotz der hohen Arbeitslosigkeit an vielen Stellen entsprechend qualifizierte Bewerber. Obwohl Frauen laut Prognose bis 2050 in der Qualifikation mit den Männern in etwa gleichziehen werden, kämen dann auf einen 45-jährigen Akademiker nur noch 80 jüngere Menschen mit Hochschulabschluss oder Meisterbrief im Vergleich zu 125 in 2001. Die Zahl der Hochqualifizierten würde damit um knapp 2 Millionen auf 8,9 Millionen schrumpfen.22 Ein solcher Mangel an Fach- und Führungskräftenachwuchs macht sich insbesondere im Falle einer Verbesserung der Konjunkturlage negativ bemerkbar. Trotzdem wird angesichts des noch bestehenden Angebotsüberhangs im Arbeitskräfteangebot zum jetzigen Zeitpunkt die Mitarbeiterbindung und Personalentwicklung der jüngeren Arbeitnehmergruppen vernachlässigt.
19
Vgl. Schmitt 2003 (Altersstruktur), S. 52, Opaschowski 2002 (Zukunftstrends), S. 147 und Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 126.
20
In Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz lagen die 15-jährigen deutschen Schüler 2000 international leicht unter OECD-Durchschnitt, laut PISA-Studie 2003 leicht verbessert etwa im Durchschnitt. Die Grundbildung ist jedoch weiterhin gefährdet. Dies gilt insbesondere für männliche Haupt- und Sonderschüler und Abkömmlinge aus Migrationsfamilien. Vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001 (PISA 2000), S. 114, S. 169 f., 174 f. und S. 237 und Internetquelle: Deutsches PISA-Konsortium (PISA 2003), S. 6 ff.
21
Den 26 % Ausbildungszeit stehen laut Busek nur 28 % Berufsleben und 39 % Ruhestand entgegen. Vgl. Busek 1997 (Solidarität), S. 24 f. Bei einer Lebenserwartung von 75 Jahren begänne ein Durchschnittskind seine Schul- und Ausbildungszeit mit ca. 6 Jahren, hätte diese mit etwa 25 abgeschlossen, würde dann arbeiten bis es 46 Jahre ist und könnte noch knapp 30 Jahre im Ruhestand verbringen. Als Durchschnittsangaben scheinen diese Zahlen etwas hoch gegriffen. Dennoch zeigen sie in der Verlängerung der Lebensphasen Ausbildung und Ruhestand zuungunsten des Berufslebens einen wichtigen Trend an. Die durchschnittliche Bildungszeit der Deutschen liegt aktuell mit ca. 17 Jahren etwa ein halbes Jahr über dem Durchschnitt der Industrieländer. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2004 (Bildung und Ausbildung).
22
Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2004 (High Potentials), S. 4.
10
A EINFÜHRUNG
Damit bleibt festzuhalten, dass für Unternehmen ein deutlicher Handlungsbedarf hinsichtlich der Änderungen in der Altersstruktur der Kunden23 und Mitarbeiter besteht. Dafür fehlt ihnen angesichts der aktuellen Arbeitsmarktlage häufig das Problembewusstsein. Darüber hinaus mangelt es auch an Erfahrung und geeigneten Managementinstrumenten für den gezielten Umgang mit dem Generationenmix. Dies betrifft die Gestaltung der Altersstruktur bzw. die Zielgruppenwahl genauso wie den Umgang mit der Altersdiversität, insbesondere die Gewährleistung von Leistungsfähigkeit, Motivation und Kooperation der Mitarbeiter. Das Generationenthema wird also in der Praxis als auch in der betriebswirtschaftlichen Forschung vernachlässigt.
23
Gleichzeitig bleiben selbst die Konsequenzen der demografischen Entwicklung in der Kundenstruktur oft unberücksichtigt. Zwar wird der Bevölkerungsrückgang in der Gesamtnachfrage erst ca. 2040 deutlich, die Kundenstruktur wandelt sich jedoch bereits jetzt in Richtung eines Übergewichts älterer und hochaltriger Nachfrager. Der Wettbewerb um die schrumpfenden Kundensegmente jüngerer Nachfrager wird härter. Entsprechend besteht für die Unternehmen die Notwendigkeit zur Ergreifung adäquat differenzierter Marketingmaßnahmen usw. Vgl. dazu allgemein Clurman/Smith 1997 (Generational marketing), Ritchie 1995 (Marketing to Xers) und Marconi 2002 (Future marketing).
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
3
11
Forschungsanliegen und Forschungsmethodik
Vor dem geschilderten Hintergrund der demografischen Entwicklung und der sich deutlich abzeichnenden Generationenproblematik am Arbeitsplatz, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Kernfrage, wie Schäden im Zusammenhang mit dem generationsbedingten Wandel für Unternehmen zu minimieren und die damit verbundenen Chancen optimal zu nutzen sind. Es geht darum, wie mit Generationenunterschieden, Generationenkonflikten und deren Folgeprobleme und -kosten bezüglich Arbeitsklima, Leistung und Motivation vermieden oder vermindert werden und Altersdiversitätspotenziale optimal genutzt und kombiniert werden können. Somit steht das Erkenntnisobjekt „Generationen im Arbeitsleben“ im Zentrum der Untersuchung. Die entscheidende Frage ist, ob sich in der deutschen Arbeitswelt Generationstypen identifizieren lassen, die sich anhand charakteristischer Merkmale deutlich voneinander unterscheiden. Dazu muss untersucht werden, wie eine Generation entsteht, wie Generationsidentitäten geprägt werden und welche speziellen Vorstellungen, Beweggründe, Fähigkeiten und Verhaltensweisen daraus resultieren. Entsprechend kann dann erarbeitet werden, wie die Generationszugehörigkeit zu bestimmen ist. Die Beschreibung deutscher Generationen und ihre Abgrenzung untereinander bilden dementsprechend den ersten Schwerpunkt der Arbeit und die notwendige Grundlage, um die Beziehungen der Generationen untereinander zu erklären. Das Ziel ist hier die Aufdeckung von allgemeinen, im Sinne von intersubjektiv nachprüfbaren Grundsätzen des Generationsverhaltens. Aufbauend auf dieser deskriptiven Grundlage wird versucht, normative Handlungsanweisungen für den Umgang mit Generationen abzuleiten und zu begründen. Am Ende sollen adäquate Managementmaßnahmen aus den Bereichen Unternehmenspolitik, Organisation, Personalmanagement und Führung stehen, mit Hilfe derer die Leistung und Zusammenarbeit der Mitarbeiter generationengerecht optimiert werden kann. Zur Lösung dieser Forschungsprobleme müssen geeignete Forschungsmethoden herangezogen werden. Zum Thema Generationenverhalten am Arbeitsplatz und Generationenmanagement existiert bisher noch kein eigenständiges Modell, obwohl eine Vielzahl von theoretischen und empirischen Untersuchungen zur allgemeinen Generationenforschung vorliegt. Ergebnisse zur betriebswirtschaftlichen Generationenproblematik finden sich vorwiegend in der amerikanischen Literatur. Auf diese Literatur mit weitgehend phänomenologischem24 Hintergrund soll hauptsächlich zurückgegriffen werden, um auf induktivem Wege ein gewisses Vorverständnis und einen Überblick über die Thematik zu schaffen und aus dem vielfältigen Material stark variierender Qualität mögliche Elemente des Generationsverhaltens herauszufiltern.
24
Die phänomenologische Methode versteht die Lebenswelt des Menschen unmittelbar durch ganzheitliche Interpretation alltäglicher Situationen. Ihre Aussagen sind oft räumlich und zeitlich gebunden. Ihre Stärke liegt gerade nicht in der Standardisierbarkeit, sondern in Person und Erfahrungsschatz des Phänomenologen. Vgl. Seiffert 1972 (Wissenschaftstheorie), S. 197 und ausführlich Lamnek 1995 (Methodologie), S. 58 ff.
12
A EINFÜHRUNG
Auf der Grundlage dieses Vorverständnisses wird die allgemeinere Methode der Hermeneutik angewendet.25 Sie dient dazu, strukturiert Lebenssituationen und Alltägliches zu erfassen und zu verstehen. Dabei betont sie den Eigenwert gesellschaftlicher Erscheinungen, kann jedoch auch systematisch deren Nutzwert erfassen.26 Aus diesem Grunde scheint diese Methode für das erste Herangehen an ein so komplexes Phänomen wie die Generationenproblematik besonders geeignet. Dazu muss das vorhandene Wissen zum Thema zunächst einmal zusammengestellt und systematisch aufbereitet werden. Dies soll anhand der Bedeutungsinhalte des Generationsbegriffes in den verschiedenen Wissenschaften geschehen. Eine vertiefte Betrachtung der relevanten und gesicherten Forschungsergebnisse aus Soziologie und Verhaltenswissenschaften liefert den theoretischen Bezugsrahmen, mit dessen Hilfe ein tragfähiges Modell zum Generationenverhalten herausgearbeitet werden kann. Im nächsten Schritt kann das Modell dann anhand der Rahmenbedingungen des deutschen Kulturraumes und deutscher Unternehmen konkretisiert werden. Dies dient der Ausarbeitung der aktuellen deutschen Generationstypen und ihrer für das Arbeitsleben relevanten Merkmalen. Ein Vergleich der Typen untereinander ermöglicht dann Hypothesen über mögliche Konfliktbereiche und Nutzenpotenziale, die durch die vorhandenen empirischen Forschungsergebnisse angrenzender Bereiche punktuell gestützt werden. Der Mangel an derartigen Studien in vielen Bereichen, insbesondere solcher mit betriebswirtschaftlichem Fokus, macht eine eigene empirische Untersuchung zur Überprüfung des Modells notwendig. Auf Basis der empirischen Daten können dann Erfolg versprechende Ansatzpunkte für Generationenmanagement und die Anforderungen abgeleitet werden, denen Generationenmanagementinstrumente entsprechen müssen. Es werden Vorschläge zum altersgerechten Diversitätsmanagement erarbeitet und diskutiert. Zur logischen Überprüfung sowohl der gewonnenen Fragestellung als auch der Ergebnisse und ihrer Interpretation bietet sich die Methode der logischen Diskussion an.27 Aus den vorangegangenen Überlegungen lässt sich folgender Aufbau für die vorliegende Arbeit ableiten: Im Anschluss an die Einführung werden zunächst der Stand der amerikanischen Forschung bezüglich des Generationenmanagements zusammengefasst und die theoretischen Grundlagen für die Modellbildung erarbeitet (Hauptkapitel A und B). Darauf aufbauend wird das allgemeine Modell zum Generationenverhalten entwickelt und auf den deutschen Kulturraum angewendet (Hauptkapitel C und D). Die empirische Überprüfung erfolgt im Wesentlichen anhand einer eigenen Studie zum Generationenmanagement (Hauptkapitel E). Daraus und aus dem gegebenenfalls zu modifizierenden Modell ergeben sich die Hauptansatzpunkte 25
In den Sozialwissenschaften wird im nicht-empirischen Bereich traditionell außer mit analytischen Methoden mit Hermeneutik, phänomenologischer Beschreibung oder dialektischen Verfahren gearbeitet. Vgl. Seiffert 1970 (Geisteswissenschaftliche Methoden), S. 26 ff. und 37 ff. Für psychologische Studien bieten sich weitere qualitative Forschungsmethoden wie Diskursanalyse, narrative Analyse, Videomethoden und Grounded Theory an. Vgl. für einen Überblick Camic/Rhodes/Yardley 2003 (Qualitative Research).
26
Vgl. Seiffert 1970 (Geisteswissenschaftliche Methoden), S. 54 f., S. 109 und S. 177. Zu Vorgehen und Kritik der Hermeneutik vgl. Hitzler/Soeffner 1994 (Methodisch kontrolliertes Verstehen), S. 28 ff., Lamnek 1995 (Methodologie), S. 71 ff. und Reichertz 2002 (Hermeneutik), S. 123 ff.
27
Zur logischen Diskussion anhand von Thesis, Antithesis und Synthesis vgl. Seiffert 1970 (Geisteswissenschaftliche Methoden), S. 199 und S. 201.
13
A.I Generationsproblematik im Arbeitsleben
für das Generationenmanagement. Anschließend werden dann die entsprechenden Maßnahmenvorschläge abgeleitet und diskutiert (Hauptkapitel F). Den Abschluss der Arbeit bilden Implikationen für Wissenschaft und Praxis (Hauptkapitel G). In der nachstehenden Übersicht wird dieser Aufbau noch einmal grafisch veranschaulicht. Abb. A-4: Aufbau der Arbeit Problemstellung & Stand der Forschung Hauptkapitel HauptkapitelAA
Hauptkapitel HauptkapitelBB
GenerationenGenerationenproblematik problematik in inUnternehmen Unternehmen
Theoretische TheoretischeGrundGrundlagen lagender derGeneGenerationenforschung rationenforschung
Modell zum Generationenmanagement Hauptkapitel HauptkapitelCC
Hauptkapitel HauptkapitelDD
Modell Modellzum zum GenerationenGenerationenverhalten verhalten
Konkretisierung Konkretisierung des des Modells Modells
Empirische Überprü berprüfung des Modells Hauptkapitel HauptkapitelEE GenerationenGenerationenmanagementmanagementstudie studie
Handlungsempfehlungen Hauptkapitel HauptkapitelFF
Hauptkapitel HauptkapitelGG
GenerationenGenerationenManagement Management
Implikationen Implikationen für fürWissenschaft Wissenschaft und undGesellschaft Gesellschaft
Quelle: Eigene Erstellung
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A EINFÜHRUNG
II Analyse des Generationsbegriffes Der Generationsbegriff wird je nach Kontext mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt verwendet. Um dieser Vieldeutigkeit methodisch gerecht zu werden, empfiehlt sich die wissenssoziologische Reflexion. Dabei geht es vor allem darum, die sozialen Bedingungen des Entstehens und des Umgangs mit wissenschaftlichem Wissen zu bedenken. Dazu gehört insbesondere die Sprache als soziales Phänomen.28 Entsprechend soll im Folgenden zunächst auf das Alltagsverständnis des Generationsbegriffs sowie seine historischen Wurzeln eingegangen werden. Des Weiteren setzt die Gewinnung von Erkenntnissen in der Generationenforschung eine Betrachtung aus dem Blickwinkel der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen voraus, da dies für ein umfassendes Verständnis des Generationsverhaltens und seiner Entstehung unerlässlich ist. In einem zweiten Schritt werden also die je nach Schwerpunktlegung unterschiedlichen Bedeutungsinhalte des Generationsbegriffes in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen vorgestellt.
1
Sprachliche Facetten des Generationsbegriffs
Der Generationsbegriff ist aus der eigenen inneren Erfahrungswelt leicht intuitiv erfassbar. Jeder Mensch hat ein Gefühl dafür, wer zu „seiner“ Generation oder der Generation seiner Eltern gehört. Dazu gehört auch das Empfinden, dass Generationen untereinander verschieden sind. Spontan geben Deutsche als Abgrenzungskriterium eine ungefähre, individuell verschiedene Spanne um das eigene Alter an. Entsprechend schwer ist es, die eigene Generation zu benennen, geschweige denn ihr bestimmte Merkmale neben dem Alter zuzuordnen, die sie von den anderen Generationen abgrenzen. Zwar gibt es also ein implizites Wissen darüber, was eine Generation ausmacht, jedoch keine klare und umfassende Definition. Gemäß Enzyklopädie bezeichnet eine Generation alternativ ein Menschenalter, ein Glied in der Geschlechterfolge oder die Gesamtheit der Menschen (ungefähr) gleicher Altersstufe. Das Wort Generation wurde im 16. Jahrhundert dem Lateinischen entlehnt und stammt von „generatio“ (Zeugung, Zeugungskraft, Nachkommenschaft), dem Abstraktum von „generare“ (erzeugen, zeugen, erschaffen, hervorbringen), einer Ableitung zu „genus“ (Gattung, Geschlecht, Abstammung, Familie).29 Das lateinische „generatio“ wiederum ist der griechischen Tradition und Sprache entlehnt. Seine Ursprünge liegen in den griechischen Substantiven „genesis“ (Zeugung, Erschaffung), „genos“ (Rasse) und „genea“ (Abstammung) und dem Verb „genesthai“, was „ins Dasein gelangen“ bedeutet. Damit geht es im Lateinischen wie Griechischen bei diesem Wort hauptsächlich um die Schaffung von etwas Neuem durch die Geburt eines Kindes, das verwandt, aber doch ungleich ist.30 Dem vorgelagert sind der indogermanische Verbalstamm *gen (erzeugen, gebären, hervorbringen) mit seiner Betonung des schöpferischen Elements und semitische Ursprünge, die auf 28
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 33.
29
Vgl. Kluge/Seebold 1995 (Etymologie der deutschen Sprache), S. 313, o. V. 2000 (Brockhaus), S. 324, o. V. 2000 (Duden), S. 413 und Pfeifer 2000 (Etymologisches Wörterbuch), S. 423.
30
Vgl. ausführlich Nash 1978 (Greek origins), S. 1 ff. und Bilstein 1996 (Metaphorik), S. 166.
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das Wort „dôr“ (Zeitgenossen) hindeuten. Interessanterweise werden bereits in der Bibel zwei wesentliche Bedeutungsschwerpunkte sichtbar. Im Alten Testament wird die Betonung auf die Zugehörigkeit zum gleichen Geschlecht, also die traditionelle Zeitgenossenschaft mit der Betonung der sozialen Beziehung zur Vorgängergeneration31 verwendet mit der Betonung der Abstammungsfolge und der Einhaltung der überlieferten Gesetze. Im Neuen Testament überwiegen die gegenwärtige Zeitgenossenschaft und der Bruch mit der Vergangenheit. Dies zeigt sich zum Beispiel in dem Gedanken die Nachfolge Christi habe Vorrang vor Familienbeziehungen.32 In der antiken Tradition sowie in der Bibel hat auch die Generationenfolge, das heißt die Herleitung der eigenen Abstammung von einem göttlichen oder zumindest edlen, heldenhaften Ursprung besondere Bedeutung. Dieses Prinzip findet sich beispielsweise auch in den englischen Adelsstammbäumen. Damit beinhalten die Sprachwurzeln des Generationsbegriffes sowohl Schöpfertum als auch Mitgliedschaft sowie Hinweise auf die Wiederholung der Geburtenfolge, auf Tradierung und Erziehung.33 Neben der etymologischen Untersuchung bietet sich die Metaphernanalyse als Instrument zur Sichtbarmachung emotionaler Aspekte von Konzeptsystem und Kontext des Sprachgebrauchs an. Im Gegensatz zu Mythen und Geschichten sind Metaphern stärker in den Sprachgebrauch integriert, kommen häufiger vor und lassen sich weniger bewusst steuern.34 Eine Systematik der Generationsmetaphorik enthüllt folgende Bilder, die neben Schöpfertum und Mitgliedschaft weitere Aspekte des Generationsbegriffes deutlich machen. Im Einzelnen handelt es sich bei diesen teils widersprüchlichen Aspekten und den zugehörigen Bildern, die im Zusammenhang mit dem Generationsbegriff verwendet werden um: Schöpfung (Gärtner, der eine Pflanze zieht; Bildhauer, der eine Statue schafft), Erziehung und Fortschritt (Veredelung der Pflanze, Formung der Statue), Kreislauf (Kreis, Kette, Geschlecht), Vertrag (Ernte, geordnete Verhältnisse, Folgsamkeit) und Bruch (jugendliche Feuerköpfe, Kampf der Generationen).35 Die Vielgestaltigkeit der Generationsverhältnisse ist zwischen Solidarität, Generationenvertrag und Kampf breit gefächert. Die implizite Ambivalenz und Vieldeutigkeit von Generationsmetaphern wird heute nicht nur in der Auseinandersetzung um Generationenfragen wie zum Beispiel Renten- und Pflegeproblematik deutlich. Begriffe der neueren Altersstereotypisierung wie „Grufti“, „Komposti“, „Friedhofsgemüse“ oder „Runzelrabatt“ sprechen für sich.36 Auch die jeweiligen „Unwörter des Jahres“ sind Metaphern und können
31
Ein klassisches Beispiel für diese Beziehung findet sich im Alten Testament, 2. Buch Mose 20, 12: „Du sollst Vater und Mutter ehren!“.
32
Beispielhaft dafür sei Matthäus 10, 37 genannt. Zur Theorie vgl. Bilstein 1996 (Metaphorik), S. 166 und Sackmann 1991 (Deutungsmuster), S. 206 f.
33
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 36 ff.
34
Dies gilt trotz ihrer methodischen Einschränkungen, was Interpretation und Generalisierbarkeit der Ergebnisse angeht. Vgl. Steger 2001 (Metaphern), S. 91 und 100 ff.
35
Vgl. Bilstein 1996 (Metaphorik), S. 184 ff.
36
Besonders negative Altersstereotype aus der Alltagssprache wie beispielsweise „alte Hexe“ werden vorwiegend für Frauen verwendet, die den Hauptteil der ältesten Generationen stellen. Vgl. ausführlicher zu Generationenrhetorik und Altersstereotypisierung Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 47 ff.
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A EINFÜHRUNG
deshalb ein Bild aktueller Generationskontexte vermitteln. In diesem Zusammenhang werden verschiedene noch stärker negative Stereotype genannt, die sich allerdings ausschließlich auf die Generationen der älteren Arbeitnehmer oder Rentner beziehen. Beispielhaft aus der näheren Auswahl für die Unwörter der 90er Jahre seien hier „Altenplage“, „Rentnerschwemme“, „sozialverträgliches Frühableben“ und „biologischer Abbau“ für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben genannt. Solche Begriffe werden durch Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft geprägt und entfalten eine erstaunliche Symbolkraft mit Breiten- und Langzeitwirkung.37 Im Vergleich zu den Unwörtern, wirken die erstgenannten Begriffe wie „Grufti“ relativ harmlos. Hier bleibt die Frage offen, ob diese Bezeichnungen, die meist für Menschen im Rentenalter gebraucht werden, wirklich auf eine stark konfliktäre Beziehung hinweisen oder eher eine Art frotzelnden Kosenamen darstellen. Jungspund, grüner Junge, Göre, Rotzbengel, Lausejunge etc. sind graduell freundlichere Namen für die jüngere Generation, weisen jedenfalls eher in diese Richtung. Das positive Konzept der Altersweisheit scheint aus der Mode zu geraten. Positiv oder negativ, das Erkennen von Altersmerkmalen ruft jedenfalls stereotypbezogene Erwartungen und ein modifiziertes Kommunikationsverhalten hervor.38 Insofern ist eine Sensibilisierung für diese Facetten und die oft damit verbundene Polemisierung sicher sinnvoll. In dieser Beziehung spielen sicherlich auch die viel zitierten pubertären Generationenkonflikte eine Rolle, wenn ihre Bedeutung heute auch nicht mehr so stark ist wie in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die zukünftige Entwicklung der Generationenverhältnisse wird in Deutschland insbesondere von jüngeren pessimistisch eingeschätzt, was möglicherweise in der oben aufgezeigten Polemisierung durch die Medien seine Ursache hat.39 Die Sprache spiegelt kulturelle Differenzen. Dies betrifft in Bezug auf die Generationenproblematik einerseits Sprachunterschiede wie bestimmte Modewörter und -ausdrücke, andererseits aber auch den Sprachgebrauch selbst, zum Beispiel in Form von Intonation, Flexion oder Anzahl der Wörter.40 Zum hermeneutischen Vorverständnis der Generationenproblematik zählt in diesem Zusammenhang insbesondere das so genannte Zeitvokabular, das für eine bestimmte Epoche oder Generation relevant ist und (nur) dort vorkommt oder eine spezifische Bedeutung hat. Dazu zählen einige der oben genannten Unwörter und Altersstereotype, die hauptsächlich die Generationenbeziehungen widerspiegeln. Exemplarisch seien hier weiterhin der Begriff Rasse in seiner spezifischen Bedeutung in Nazideutschland oder der Begriff der
37
Man denke hier beispielsweise an das vom Sprecher der Deutschen Bank Hilmar Kopper geprägte Unwort des Jahres 1994: „Peanuts“. Vgl. zur Erläuterung der genannten Unwörtern o. V. 2004 (Unwort).
38
Vgl. Thimm 1999 (Altersdarstellung), S. 30 f. Ebenda findet sich eine ausführliche Darstellung der negativen Altersbilder und des „Generationenkampfes“ in Sprachgebrauch und Medien sowie der Vorreiterrolle der Werbung bei der Entstehung von negativen wie positiven Altersstereotypen. Zur Altersweisheit vgl. ausführlich Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 264 f.
39
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 129 f.
40
Zum Thema Sprachunterschiede international vgl. ausführlich Hofstede 1984 (Culture’s consequences), S. 27 ff. und zum Sprachgebrauch Ritchie 1995 (Marketing to Xers), S. 163.
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Emanzipation ca. 1970 genannt.41 Des Weiteren zählen dazu bestimmte Ausdrücke, Codes, Sprüche und auch Zeichen, wie „Trau keinem über 30“, „abgespaced“ usw. In diesem Zeitvokabular steckt schon die Erfordernis, diese Differenzen bei aktuellen Untersuchungen und insbesondere bei Zeitzeugnissen zu beachten und die eventuelle Notwendigkeit einer zeitund generationsgerechten Redeweise, um Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen.
Sprachliche Facetten des Generationsbegriffs – Kernelemente Zusammenfassend lässt sich zu den Sprachwurzeln und der Wortbedeutung des Generationsbegriffes Folgendes sagen: Im Wesentlichen sind es drei Arten des Generationsbegriffs, die kontextabhängig verwendet werden: Die Generation in Form eines Menschalters gibt im Prinzip nur den Zeitablauf an und wird meist in Verbindung mit dem Auftreten einer neuen, anderen Generation genannt (Fortschritts- und Ablösungsgedanke). Die Gesellschaftsgeneration in Form der Gesamtheit aller Menschen ungefähr gleicher Altersstufe betont die Zeitgenossenschaft und die Mitgliedschaft. Dies ist mit Abgrenzungsproblemen nach Größe dieser Altersstufe und Striktheit der Trennung behaftet. Die individuelle, intuitive Generationszuordnung ist hier zuzuordnen. Der genealogische Begriff umfasst die Generation als Glied der Geschlechterfolge. Er betont damit den Vergangenheitsbezug, aber auch den Zeugungsgedanken und den Familienverbund. Das beinhaltet ebenfalls den Gegensatz zwischen Schöpfertum und Altersweisheit, verknüpft durch die Elemente Tradierung und Erziehung. Allgemein ist der Generationsbegriff also durch Ambivalenz und Vielfalt gekennzeichnet. Das ist ein Hinweis darauf, dass auch die Generationenbeziehungen vielfältig und teilweise zwiespältig sind. Sie bewegen sich zwischen Konflikt und Solidarität. Dies spiegelt sich in Metaphern, Zeitvokabular und in der Stereotypbildung. Diese können vor allem im Falle der Polemisierung in die eine oder andere Richtung polarisierend wirken. Differenzen im Zeitvokabular können auch zu echten Verständnisschwierigkeiten führen.
2
Bedeutungsinhalte des Generationsbegriffs in den Wissenschaften
Ganz abgesehen von seinen bereits vielfältigen sprachlichen und historischen Wurzeln wird der Terminus „Generation“ auch in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und Sachgebieten mit unterschiedlichen Schwerpunkten und teilweise für verschiedene Phänomene verwendet. Allerdings wird er im wissenschaftlichen Kontext meist präziser gefasst als in alltäglichen Sprachgebrauch. Entsprechend vielgestaltig sind die in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen zu Grunde gelegten Definitionen. Das bedingt einerseits Schwierigkeiten in der Systematisierung, andererseits liegen gerade in dieser Komplexität und Vielseitigkeit die
41
Vgl. Seiffert 1970 (Geisteswissenschaftliche Methoden), S. 193.
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A EINFÜHRUNG
große Aussagekraft des Konzeptes Generation und seine Wandlungsfähigkeit begründet. Es passt sich äußeren Gegebenheiten an, ohne seinen Kern und seine Tragfähigkeit zu verlieren. Die Beschäftigung mit Generationenfragen ist also nicht nur aus historischer Sicht, sondern auch zur Lösung aktueller Probleme sinnvoll. Diese Beschäftigung sollte aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln erfolgen. Die Notwendigkeit einer interdisziplinären Herangehensweise zur Klärung der aktuellen Generationenproblematik begründet ECKART LIEBAU wie folgt, wobei er sich in erster Linie auf die pädagogischen, soziologischen, juristischen und psychologischen Perspektiven bezieht: „Ein solcher interdisziplinärer Zugriff ist nötig, weil das Generationenverhältnis – zweifelsfrei eine anthropologische, wenn auch historisch und sozial äußerst variable Grundtatsache aller Gesellschaft und aller Erziehung in ihr – zu jenen komplexen Phänomenen gehört, von denen die Einzelwissenschaften in schöner Regelmäßigkeit überfordert sind.“42
ARNE STIKSRUD bestätigt ein multidisziplinäres Vorgehen in der Generationenforschung insbesondere aus historischen, soziologischen und pädagogischen Perspektiven heraus, betont jedoch, dass dieses multidisziplinäre Herangehen nicht als interdisziplinäre Forschung zu sehen sei, da der notwendige gemeinsame Begriffsapparat fehle.43 Auch zum „Konflikt der Generationen“ liegen Forschungsarbeiten aus den verschiedensten Sichtweisen vor. Dieses Thema wird zum Beispiel unter religiösen, kriminologischen, psychiatrischen, philosophischen, pädagogischen, biologischen oder sozialen Aspekten beleuchtet, die alle zum Erkenntnisfortschritt beitragen.44 Um den gemeinsamen Kern der Einzelsichtweisen herauszuarbeiten, werden im Folgenden die verschiedenen Bedeutungsinhalte des Generationsbegriffes aus den einzelnen Wissenschaftsbereichen vorgestellt. Allein im Rahmen der soziologischen Forschung unterscheidet FRANÇOIS HÖPFLINGER drei zentrale Generationsbegriffe, die jedoch nicht trennscharf sind, da sich insbesondere in der Familienforschung weite Räume „semantischer Schnittmengen“ finden. Der genealogische Generationsbegriff bezieht sich auf die Abstammungsfolge in der Familie. Der pädagogischanthropologische beschreibt das Verhältnis zwischen vermittelnder und aneignender Generation und bezieht sich damit vorwiegend auf die Erziehung. Der historisch-gesellschaftliche Generationsbegriff schließlich befasst sich mit der gesellschaftlichen Generationenfolge.45 Der historisch-gesellschaftliche Zweig der Soziologie definiert dabei alle Mitglieder einer Gesellschaft, die ungefähr zur selben Zeit geboren wurden, also dasselbe Alter haben und denen ähnliche Verhaltensweisen und Einstellungen oder auch Lebensanschauungen und Lebensformen gemeinsam sind als Generation. Der Begriff „ungefähr“ wird hier nicht näher bestimmt, wohingegen die Bevölkerungswissenschaft konkreter definiert und alle in einem bestimmten Jahr Geborenen zur selben Generation rechnet. In der Anthropologie, Ethnologie, Biologie, Genetik wird der Generationsbegriff wie in der soziologischen Familienforschung
42
Liebau 1997 (Generationenverhältnis), S. 8
43
Vgl. Stiksrud 1994 (Generationenkontext), S. 223.
44
Vgl. dazu exemplarisch Dubs et al. 1966 (Konflikt der Generationen), S. 3.
45
Vgl. Höpflinger 1999 (Generationenfrage), S. 13 f. und Sünkel 1997 (Pädagogischer Begriff), S. 195.
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über die verwandtschaftliche Beziehung, die Abstammungslinie eines bestimmten Vorfahren definiert. Die Kinder sind damit immer jünger als ihre biologischen Eltern. Unabhängig von ihrem Alter bzw. Altersabstand zählen alle Kinder eines Elternpaares zur selben Generation.46 Ähnlich ist es in technischer Hinsicht, zum Beispiel in der Informatik und im Maschinenbau, wo neue Generationen Nachfolgesysteme oder -modelle sind, die auf dem Vorgänger basieren und oft kompatibel sind. Sie weisen jedoch Verbesserungen und meist gravierende Neuerungen auf.47 In Mode und Kunst, seltener im technischen Bereich kann eine neue Generation sogar etwas völlig Andersartiges sein, ohne eine Verwandtschaft zum Vorgänger aufzuweisen. Bei den letzteren Begriffsauffassungen ist eine Versachlichung des Generationsbegriffs weg vom Menschen und der Idee des Blutes und der Geschlechterfolgen hin zum Gegenstand festzustellen.48 Gleichzeitig findet der Fortschrittsgedanke im 20. Jahrhundert in Bezug auf die körperliche Überlegenheit späterer Generationen gegenüber den früheren Anwendung. Seit dem 19. Jahrhundert sind die Nachfolgegenerationen in Deutschland im Durchschnitt tatsächlich körperlich größer und sportlich leistungsfähiger als ihre Eltern. Auch ihre körperliche Reife ist zum Teil vorverlegt.49 Unterstellt werden kann, dass sie mit den verbesserten biologischen Bedingungen in Bezug auf Ernährung, Unterkunft und medizinische Versorgung zusammenhängt. Aber auch gesellschaftliche Prozesse und Umwelteinflüsse spielen hier eine Rolle. So konnte beispielsweise während des Zweiten Weltkrieges ein wiederum um ein Jahr späterer Eintritt in die Geschlechtsreife als in den Jahren zuvor beobachtet werden.50 Ob auch in geistiger oder kultureller Hinsicht hier eine kontinuierliche Fortentwicklung zu verzeichnen ist, bleibt fraglich.51 Die Gesellschaft als Ganzes dürfte allerdings von den verbesserten Sozialisationsbedingungen, was Sicherheit, Wohlstand etc. angeht, profitieren. Zumindest ist die Weitergabe des Wissens durch die Erziehungssysteme und die technologischen Möglichkeiten weitgehend gesichert, was weitere Entdeckungen in der Wissenschaft fördert. Es besteht die Chance, dass von diesen positiven Sozialisationsbedingungen auch die „moralische“ Weiterentwicklung profitiert.
46
Vgl. o. V. 2002 (Encarta) und Dubs 1966 (Generationenkonflikt), S. 26.
47
So spricht man zum Beispiel von „Programmiersprachen der 3. Generation“, vgl. Bolkart 1987 (Programmiersprachen), S. 1 ff.
48
Zur Versachlichung und Technik vgl. exemplarisch Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 42.
49
Vgl. Pöttinger 1969 (Körpermaße), S. 66 ff. und Portmann 1966 (Entwicklungsbeschleunigung), S. 71 f. Das Phänomen der immer früher eintretenden Geschlechtsreife (Entwicklungsbeschleunigung) wurde zwischen 1940 und 1960 stark thematisiert. Inzwischen scheint sich der Eintritt der körperlichen Reife bei 12 bis 13 Jahren wieder stabilisiert zu haben, während sich der Eintritt der geistigen und sozialen Reife auf das 17. bis 18. Lebensjahr nach hinten verschoben hat. Vgl. ausführlich Kracke/Nowak/Silbereisen 1992 (Entwicklungstempo), S. 171 ff. und auch Rendtorff 2003 (Jugend und Geschlecht), S. 193 ff.
50
Vgl. Portmann 1966 (Entwicklungsbeschleunigung), S. 73 ff. Das Phänomen war verstärkt an der Bevölkerung der Großstädte und an höheren Schulen zu beobachten.. Als mögliche Ursachen nennt Portmann die Landflucht eher unruhiger Geister in die Städte und die dort steigende Vermischung des Erbgutes im Gegensatz zum Dorf sowie Umwelteinflüsse: wie mehr Hektik, Licht, Lärm, Unruhe und Sport.
51
Im Hinblick auf einzelne Familien kann zum Beispiel der Sohn eines brillanten Cellisten völlig unmusikalisch sein, die Tochter eines evangelischen Pfarrers sich zur Drogendealerin entwickeln usw.
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A EINFÜHRUNG
Dieses Verhältnis der Generationen und die Weitergabe von Wissen und Werten ist zentrales Thema der Pädagogik. Hier wird davon ausgegangen, dass Normen, Einstellungen, Kenntnisse und Fertigkeiten von einer Generation vermittelt und sich von der anderen Generation angeeignet werden müssen. Dieses erziehende Verhältnis kann harmonisch oder konfliktär sein. Welche Generation hier erziehender und welche aneignender Part ist oder ob man eventuell gegenseitig voneinander lernt, ist nach moderner Auffassung nicht mehr unbedingt eine Altersfrage.52 In jedem Fall legen Pflege und Erziehung den Grundstein für Kulturkapitaltransfer von den Eltern zu den Kindern. Später, wenn die Eltern altern, mag sich das Verhältnis umkehren. Die Generationenstruktur beinhaltet also eine wechselseitige Verflechtung zwischen individueller und gesellschaftlicher Entwicklung resultierend aus anthropologisch vorgegebenen Entwicklungsaufgaben.53 In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Normen, also die juristische Sichtweise interessant. Gesetzliche Normen beziehen sich im Wesentlichen auf das Alter, woran sich Rechte und Pflichten knüpfen. Das gilt zum Beispiel für das aktive und passive Wahlrecht. Hinter dieser Altersnorm steht der politische Wille. Aber auch andere Aspekte finden im deutschen Rechtssystem ihren Niederschlag. Das Familienrecht beinhaltet zum Beispiel genealogische und pädagogische Elemente von Generationsbeziehungen. Dies wird am Beispiel des Grundsatzes der elterlichen Sorge für ihre minderjährigen Kinder deutlich oder der Verpflichtung zu Beistand und Rücksichtnahme zwischen Eltern und Kindern deutlich. Verwandtschaftsverhältnisse spielen auch im Erbrecht eine wichtige Rolle. Zusätzlich gibt es auch nicht kodifizierte staatliche Normen und generationsbezogene Politik. Zur generationenbezogenen Politik zählen beispielsweise die Bildungs-, Renten- und Familienpolitik. Proteste gegen solche Normen oder das Ansteigen der Jugendkriminalität können Hinweise auf Generationenkonflikte sein.54
3
Kontextunabhängige Generationendefinition
Angesichts dieser vielfältigen Vorstellungen von Generationen, die teilweise sogar im Widerspruch zueinander stehen, stellt sich neben dem Problem Mehrdimensionalität auch das der Mehrdeutigkeit des Generationsbegriffs. Die Mehrdeutigkeit liegt vermutlich nicht nur in den verschiedenen Blickwinkeln verschiedener Wissenschaften begründet, sie könnte zusätzlich auch eine Folge der (unbewussten) Kopplung zentraler Dimensionen des Generationsbegriffs mit anderen Konzepten sein. Schließlich knüpft man an Alter eines Menschen auch gewisse Erwartungen an andere Variablen, wie zum Beispiel Status, Lebenserfahrung, Berufserfahrung, Grad der Verantwortung, Fähigkeiten, Gesundheitszustand usw., die auch tatsächlich mehr oder weniger stark damit zusammenhängen.
52
Vgl. Sünkel 1997 (Pädagogischer Begriff), S. 195 ff.
53
Vgl. Lüscher 1993 (Postmoderne Generationenbeziehungen), S. 20 f. und 29.
54
Vgl. dazu BGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.2002 §§ 1589 ff. (Verwandtschaft), 1618 a, 1619, 1626 ff. (Verhältnis zwischen Eltern und Kind) und 1924 ff. (Erbrecht) sowie Dubs 1966 (Generationenkonflikt), S. 25 ff.
A.II Analyse des Generationsbegriffes
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Bevor die für die menschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz relevanten Dimensionen ausgewählt werden können, gilt es erst einmal der Mehrdeutigkeit Rechnung zu tragen, um dann eine themenadäquate Auswahl zu treffen. Dies wird durch die folgende und kontextunabhängige Systematisierung der allgemeinen Elemente des Generationsbegriffes wesentlich erleichtert. Sie ist das Ergebnis der semantischen Analyse der beiden vorangegangenen Unterkapitel.
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A EINFÜHRUNG
Kontextunabhängige Generationendefinition Eine Generation bezeichnet ein Aggregat von Lebewesen oder von Gegenständen55, die sich untereinander in mindestens einer Eigenschaft ähnlich sind. Sie muss in einer zeitlichen- und in einer qualitativen Relation zu mindestens einer weiteren Generation stehen. Die zeitliche Anordnung nach älter - jünger bzw. alt - neu definiert die Generationen als Vorgänger- und Nachfolgegeneration. Die zeitliche Relation hat eine Dynamik nach der die jüngere die ältere Generation ablöst. Die qualitative Relation zweier Generationen ist ambivalent. Die Ähnlichkeit zweier Generationen drückt sich in mindestens einer gemeinsamen Eigenschaft, meist jedoch in einem Bündel von gemeinsamen Eigenschaften aus, die sich nur in geringem Grad unterscheiden dürfen. Gleichzeitig muss es neben der zeitlichen Anordnung mindestens einen weiteren Unterschied zwischen den Generationen in Art oder Grad einer Eigenschaft geben, der deutlich feststellbar ist. Damit muss die Ähnlichkeit der Elemente einer Generation untereinander merkbar größer sein als die Ähnlichkeit der Elemente zweier Generationen. Als Elemente der Ähnlichkeitsrelation kommen im Prinzip alle Eigenschaften des betrachteten Aggregats in Frage. Diese Eigenschaften können beispielsweise geistiger, dinglicher oder körperlicher Natur sein, im Falle der Lebewesen zusätzlich biologischer oder sozialer Art. Damit lassen sich Generationen nach Art ihrer Elemente, Größe des Aggregats, Art und Grad der Generationseigenschaften sowie Art und Grad der Beziehungen zwischen den Generationen (Intergenerationenbeziehungen) und innerhalb der jeweiligen Generation (Intragenerationsbeziehungen) klassifizieren. Die Generationenbeziehungen können mehr oder weniger positiv (friedliche Koexistenz, Kapitaltransfer, Zeitgenossenschaft, Verständnis, Solidarität) oder negativ (Konkurrenz, Konflikt, Kampf) sein. Sie können nach ihrer Art zum Beispiel nach Gegenseitigkeit, Abhängigkeit, Beeinflussbarkeit und Kompatibilität sowie nach ihrer Intensität klassifiziert werden. Es ist anzunehmen, dass sowohl Generationsbeziehungen als auch Generationseigenschaften durch externe Faktoren, wie physische Rahmenbedingungen oder Normen, mitbedingt werden und nicht unveränderlich sein müssen. Beispiele für zentrale Arten von Generationseigenschaften sind Alter, Erscheinungsform, genetischer Code, Charaktereigenschaften usw. Unterschiede zwischen den Generationen können darin begründet sein, dass eine Generation eine Eigenschaft hat, welche die andere Generation nicht besitzt. Meist liegen sie jedoch in der Abstufung der gleichen Eigenschaft. Beispiele dafür sind der Altersabstand, der Verwandtschaftsgrad, der Neuheitsgrad oder die Trennschärfe von Objekten, die Größe sozial-räumlicher Nähe usw.
55
Der Begriff Gegenstand soll hier im weitesten Sinne verwendet werden und auch abstrakte Dinge wie Programmiersprachen oder Musikrichtungen umfassen.
A.II Analyse des Generationsbegriffes
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Da der Generationsbegriff einerseits intuitiv verständlich, andererseits aber schwer zu fassen ist, muss diese Definition etwas vage, dehnbar und ungewiss bleiben. Im Bezug auf das Erkenntnisobjekt Generation erleichtert eine gewisse Offenheit jedoch die Erfassung relevanter Aspekte, die vielleicht im Vorhinein nicht theoretisch abgeleitet werden konnten. Insofern hilft diese weite Definition insbesondere im Rahmen der empirischen Untersuchung andere Sichtweisen und versteckte Elemente zu berücksichtigen bzw. aufzudecken.56 Im Folgenden geht es gemäß der betriebswirtschaftlichen Fragestellung um menschliche Generationen im beruflichen Umfeld. Gegenstände und nicht-menschliche Lebewesen können also vernachlässigt werden. Ziel des nächsten Hauptkapitels ist es, mögliche Arten von Generationseigenschaften und Generationsbeziehungen sowie deren Entstehungsgründe herauszuarbeiten. Damit können sich die folgenden Ausführungen auf die korrespondierenden Wissenschaftsgebiete der Betriebswirtschaftslehre, Psychologie, Pädagogik und Soziologie konzentrieren. Die Biologie wird ergänzend herangezogen, wenn es um Fragen der Genetik, der Gesundheit und Leistungsfähigkeit oder physiologischer Bedürfnisse geht.
56
Zu dieser Definitionsproblematik vgl. auch Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 313.
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG Im Anschluss an die semantische Analyse sollen nun anhand einer dimensionalen Analyse die relevanten Charakteristika von Generationen im Betriebsleben aufgedeckt und der Frage nachgegangen werden, wie diese generationstypischen Charakteristika entstehen und zu beeinflussen sind. Dazu liefern die amerikanischen Forschungsergebnisse im Bereich Generationenmanagement einen ersten heuristischen Modellansatz, der jedoch einige gravierende Schwachpunkte vor allem in der Fundierung der Wirkungsbeziehungen aufweist. Diesen gilt es zu untermauern und auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Die Befunde der Forschung zum Thema Generationen am Arbeitsplatz sind in der deutschsprachigen Literatur dünn gesät und finden sich meist als Randergebnisse anderer Forschungsschwerpunkte. Genetik und Soziologie stellen sich zum Beispiel die Frage, in wie weit Eigenschaften ererbt und/oder erlernt sind. Die Verhaltenswissenschaften beschäftigen sich mit positiven wie negativen Beziehungen und Transfers in der Familie zwischen heute bis zu sechs verschiedenen Generationen. Die psychologische Forschung liefert ebenfalls eine Vielzahl von Beiträgen, die insbesondere das Thema „Generationenkonflikt“ behandeln. Mit diesem Thema setzten sich vorwiegend in der Zeit nach den 68er Unruhen sehr viele Autoren unter den verschiedensten wissenschaftlichen Blickwinkeln auseinander.57 Unter anderem die Beziehungen zwischen den Generationen auf der Makroebene sind Gegenstand der empirischen Forschung. Diese bewegen sich zwischen dem Solidaritätsgedanken und dem negativen Altersstereotyp, das den Kampf der Generationen postuliert. Die gerontologische Generationenforschung betrachtet die verschiedensten Aspekte des Alterns und bezieht unter anderem medizinische und psychologische Befunde ein.58 Sie gewinnt zunehmend an Gewicht. Solche Erkenntnisse finden auch in den Wirtschaftswissenschaften Anwendung, wenn es zum Beispiel um Arbeitsergonomie, Weiterbildung oder Übergangsregelungen in den Ruhestand geht. Dieses facettenreiche Bild wird um weitere Aspekte aus anderen Wissensgebieten, wie zum Beispiel der Anthropologie, Ethnologie etc., noch erweitert. Die internationalen und interdisziplinäre Generationenforschung liefert also ein vielfältiges und theoretisch und empirisch weitgehend wohlfundiertes Bild, das es auf das Generationenverhalten am Arbeitsplatz zu fokussieren gilt, ohne relevante Aspekte aus den Augen zu verlieren. Im folgenden Hauptkapitel geht es also darum, ein allgemeines theoretisches Gerüst mit betriebswirtschaftlichem Bezug zu entwickeln, das den vielfältigen Forschungsergebnissen zur Generationenproblematik einen Rahmen verleiht. Im ersten Schritt werden dazu die amerikanischen Ansätze zum Generationenverhalten und Generationenmanagement vorgestellt und kritisch hinterfragt. Diese Ansätze müssen anhand von Erkenntnissen der sozio-
57
Vgl. exemplarisch Mendel 1972 (Generationskrise).
58
Gegenstand der Gerontologie ist die Beschreibung, Erklärung und Modifikation von körperlichen, psychischen, sozialen, historischen und kulturellen Aspekten des Alterns und des Alters. Dazu gehört auch die Analyse von alternsrelevanten und alternskonstituierenden Umwelten und sozialen Institutionen. Die Geriatrie ist die medizinische Spezialisierung der Gerontologie. Vgl. Baltes/Baltes 1994 (Gerontologie), S. 8.
B.I Erste Ansätze des Generationenmanagements
25
logischen und verhaltenswissenschaftlichen Forschung überprüft und entwickelt werden. Im Einzelnen geschieht das für den soziologischen Bereich zunächst mit Hilfe eines historischen Abrisses. Die für die Generationenforschung im Betriebsleben relevanten Konzepte, wie die formalsoziologische Analyse des Generationenproblems, die Sozialisationstheorie, die Rollentheorie, das Lebenslaufkonzept und der Kohortenansatz als Forschungsmethode, werden anschließend weiter vertieft. Die so gewonnenen Hinweise bezüglich Eigenschaften und Verhalten von Generationen werden im Rahmen der Persönlichkeitsforschung, der Wertetheorie und verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse, vor allem aus der Motivations- und Konflikttheorie, genauer analysiert. Über eine kritische Würdigung der dargestellten Erkenntnisse werden dann die Kernelemente eines Generationenmodells herausgefiltert, systematisiert und gewichtet.
I
Erste Ansätze des Generationenmanagements
1
Amerikanische Generationsidealtypen und ihre Beziehungen
Der so genannte Generationenkonflikt zwischen Eltern und Kindern als pubertäres Phänomen ist nicht neu und wurde insbesondere aus psychologischer und sozialpädagogischer Sicht bereits gründlich analysiert. Des Weiteren sind Studien zum Thema Konflikte zwischen der jungen nachrückenden und erwachsenen etablierten Gesellschaftsgeneration nicht nur auf familiärer, sondern auch auf der Ebene der Gesamtgesellschaft traditionell Gegenstand der empirischen Sozialforschung. Die theoretische Forschung auf diesem Gebiet hat ebenfalls eine lange Tradition.59 Generationen am Arbeitsplatz stehen erst seit kurzer Zeit im Blickfeld der betriebswirtschaftlichen Forschung. Das Phänomen der Generationstypen und der Gegensätze zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern wurde bisher vorwiegend in den USA thematisiert. Dort werden klare Vorstellungen über vier Generationen, ihr typisches Verhalten am Arbeitsplatz und die zugehörigen intergenerationellen Konfliktherde postuliert und entsprechende Maßnahmen vorgeschlagen und umgesetzt. Mit Ausnahme von Untersuchungen zur Integration älterer Arbeitnehmer, die meist politisch motiviert sind, und zur Bindung junger Fachkräfte, liegen in Deutschland zu diesem Thema kaum Forschungsergebnisse vor.60 Deswegen werden die vier Generationstypen nach amerikanischem Muster (Veteranen, Baby Boomer, Generation X und Millennials) im Folgenden kurz vorgestellt und im Anschluss die Hauptkonfliktfelder zwischen den Generationen und die zugehörigen Lösungsansätze aus amerikanischer Sicht aufgezeigt. Die folgende Zusammenstellung basiert auf den Hauptquellen: FILIPCZAK/RAINES/ZEMKE 2000 (Generations at work), HIAM/MEREDITH/SCHEWE 2002 (Defining moments), HOLTZ 1995 (Jungle), HOWE/STRAUSS 2000 (Millennials), HUNT/ RAINES 2000 (Xers and Boomers), LANCASTER/STILLMAN 2002 (Generations collide) und RITCHIE 1995 (Marketing to Xers). Einen Literaturüberblick dazu gibt Anhangtabelle B-1 „Literaturzusammenstellung zum Thema ‚Managing Generations‘“.
59
Allgemein vgl. GMS 2002 (Generationenstudie 2001), S. 2. Auf die entsprechenden Forschungsergebnisse wird im weiteren Verlauf des vorliegenden Hauptkapitels ausführlich eingegangen.
60
Vgl. exemplarisch Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme).
26
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
In den USA zählen die Geburtsjahrgänge bis ca. 1945 zu den Veteranen. Die Veteranen sind die Generation am Arbeitsplatz, die noch den Zweiten Weltkrieg und den darauf folgenden Aufschwung miterlebt hat, sich derzeit kurz vor der Rente befindet und über erhebliches Kapital und große Erfahrung verfügt. Sie entsprechen dem Typ des „white anglo-saxon protestant“. Patriotisch und loyal vertrauen sie in die Überlegenheit größerer Institutionen und die Effektivität von Hierarchie und Befehlskette, wie zum Beispiel beim Militär. Sie sind sparsam, fleißig und diszipliniert und erbringen gemeinschaftlich Hochleistungen. Neben diesen Eigenschaften, die auch an einem modernen Arbeitsplatz durchaus von hohem Wert sein können, sind sie verlässlich und gründlich, belastbar und systemtreu, was andererseits mit einer geringeren Veränderungsbereitschaft und einer gewissen Konfliktscheu einhergeht. Die geburtenstarken Jahrgänge ca. zwischen 1946 und 1962 werden treffend als Baby Boomer bezeichnet. Der optimistische, idealistische Prototyp des Baby Boomers geht Probleme mit Elan an, nachdem er sie vorher mit Mitgliedern seiner Altersklasse durchdiskutiert hat. Er ist familienmäßig und materiell in einer „heilen Welt“ aufgewachsen und hat sich für die Bürgerbewegung engagiert. Nichtsdestotrotz ist er ehrgeizig, konkurrenzbewusst und kann als „Workaholic“ auch schon einmal über das Ziel hinausschießen. Er liebt fundiertes Feedback und partizipativen Führungsstil, ist aber kritikempfindlich. Ansonsten verfügen Boomer über soziale Kompetenz. Dabei legen sie Wert auf Sozialprestige, verdienen gut und geben das Geld gern aus. Zurzeit besetzen sie noch den Großteil der Führungspositionen. Die Generation X umfasst in etwa die Geburtsjahrgänge zwischen 1963 und 1980. Der extrem unabhängige und geschäftstüchtige Generation Xer verfügt über Kreativität, technologisches Know-how, multikulturelle Erfahrung und eine gute Portion Skepsis bis hin zum Zynismus. Da er sich von Autorität(spersonen) nicht beeindrucken lässt, ist bei ihm eine Steuerung durch Zielvorgaben sinnvoll. Ungeduldig sucht er sich abzusichern und lässt dabei häufig soziale Kompetenz vermissen. Er scheut nicht vor einem Wechsel des Arbeitsplatzes zurück. Obwohl wenig systemkonform, hat sich diese Generation aufgrund ihrer Kenntnisse und Leistungen, unterstützt durch die hohe Nachfrage danach inzwischen in der Arbeitswelt und auch in den Führungsriegen etabliert. Karriere wird hier jedoch eher unter dem Gesichtspunkt: eigene Weiterentwicklung, materielle Sicherheit und „Work-Life-Balance“ im Sinne eines ausgewogenen Gleichgewichts zwischen Arbeit und privaten Lebensbereichen gemacht. Die Millennials gehören den starken Geburtsjahrgängen ab 1981 an. Diese Generation ist von ihren Eltern gewollt und wurde von ihnen besonders gefördert und vor einer zunehmend von Gewalt gekennzeichneten Umwelt behütet. Die Millennials haben ein sehr gutes Verhältnis zu den Eltern sowie gute Beziehungen zu den zahlreichen Mitgliedern ihrer multilokalen Familie bzw. Stieffamilie. Die Millennials sind auf die Berufswelt durch eine gute Schulbildung und erste Erfahrungen mit zahlreichen Nebenjobs gut vorbereitet. Von klein auf mit der Medienwelt, dem Internet und der Informationsgesellschaft vertraut, sind sie technisch sehr versiert. Dabei legen sie Wert auf Umgangsformen und traditionelle Werte, denken jedoch gleichzeitig global und multikulturell. Sie sind konsumfreudige, anspruchsvolle Nachfrager. Moral, Gemeinschaftssinn, Pragmatismus, ein gesunder Optimismus aber auch Skeptizismus lassen sie fast als Mischtyp der drei vorgenannten Generationen erscheinen, der bisher zumindest am wenigsten Reibungsfläche bietet. Ihre Arbeitsethik, Tatkraft und Leistungsfähigkeit vor allem im Team zeichnen sie als Arbeitnehmer aus.
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B.I Erste Ansätze des Generationenmanagements
Tab. B-1: Amerikanische Generationsidealtypen im Überblick Generationen in den USA Geburtsjahrgänge: Prägende Jugendereignisse (Umwelt)
Veteran/ GI/Silent „Traditionalist“
Baby Boomer
Generation X
„Hippie“
„Slacker“
Millennial/ Generation Y „Baby-on-Board“
bis ca. 1945
ca. 1946 - 1962
ca. 1963 - 1980
ab ca. 1981
Zweiter Weltkrieg
Vietnamkrieg
Atombombe
Woodstock
Koreakrieg
Tod von John F. Kennedy & von Martin Luther King
Mc Carthyism
Challenger Explosion Oklahoma City Bombing Perestroika/ Berliner Mauerfall Desert Storm Columbine Tod Lady Dianas
Mondlandung
Clinton Skandale
Ölembargo
11. September 2001
Watergate Kalter Krieg
Wichtige Entwicklungen
Wichtige Dinge
Kriegsteilnahme
materielle Sicherheit
nationaler Konsens Bürgerrechtsbewegung/Proteste Aufschwung Frauenbewegung frühe EheschlieBaby Boom (Konßungsraten kurrenzsituation) frühe und hohe geringe EheschlieKinderzeugungsßungsraten/hohe raten Scheidungsraten Goldenes Radiozeitalter (Rock ’n’ Pille, geringe Zeugungsraten Roll)
Wirtschaftskrise (Arbeitsplatzverlust der Eltern) Kinderfeindlichkeit Aids
behütete und verplante Kindheit „personal danger“, Drogen, Bandenwesen
Verbrechenszunahme 75 % der Mütter arbeiten (Drogen, Gewalt) nukleare Familie (Schlüsselkinder) Medienexplosion
Einelternteilfamilie (in 25 % der Fälle) Informationszeitalter: Internet und virtuelles Leben
Fernsehen
Video, Kabel- & Satelliten-TV, PC
Coca Cola
Rolex,
Mikrowelle
Internet
Radio
Fastfood,
MTV
Computerspiele
Schlaghose & Anzug Piercing/Tattoo
„Sex, drugs and Rock ’n’ Roll“ Wichtige Charles Lindbergh, Martin Luther King, Persönlichkei- Elizabeth Taylor, John F. Kennedy, John Wayne, SuCaptain Kirk, James ten
Wichtige Orte
Echoboom
Pager/Handy
Palm Pilot
Logos und Icons
Laptop
Schuluniform
Bill Clinton, Lady Di, Bill Gates, Al Bundy, Tina Turner, Madonna, O. J. Simpson, Ally McBeal
Tinky Winky, Prinz William, Leonardo di Caprio, Spice Girls, Britney Spears, Delia’s catalog
perman
Dean, Elvis Presley, Beatles, Rolling Stones
Vorort
Besprechungszimmer andere Kontinente (Reisen) Gericht
Dawson’s Creek Cyberspace
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Generationen in den USA
Besondere Eigenschaften
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Veteran/ GI/Silent „Traditionalist“
Baby Boomer
Generation X
„Hippie“
„Slacker“
gebildet
geschäftstüchtig
gläubig
optimistisch
multikulturell
hart arbeitend
idealistisch und zupackend
loyal sparsam kooperativ (Vertrauen in Institutionen) akzeptieren Befehlskette als effektiv einflussreich
auffallend (flashy) egoistisch, dominant
Durchhaltevermögen
worried Aids, Abtrei- praktisch veranlagt bung, Umweltvergut ausgebildet schmutzung, Kindesselbstbewusst misshandlung)
„workaholic“
unabhängig
spendierfreudig
kommunikativ und teamorientiert
selbstbestimmt
hoch kommunikativ
hinterfragt Dinge
moralisch
strebt nach Spaß und Balance
markenorientiert/trendig
gewieft (streetwise)
„wohlhabend“
risikophil/Spieler
vermischt loyal, optimistisch, skeptisch
von sich selbst überzeugt, stark
intelligent verbinden Arbeit, Familie und persönliche Beziehungen, statt zu trennen
Verhalten am Arbeitsplatz
„positiv“
sehr multikulturell (66 % kaukasisch, Rest hispanisch, asiatechnologisch versiert tisch, afro-amerikanisch, etc.) skeptisch/zynisch technologisch sehr (Vertrauen nur zu versiert/klever sich & Xern)
WASP
patriotisch
Veteran
Millennial/ Generation Y „Baby-on-Board“
Baby Boomer
Generation Xer
Millennial
verlässlich
serviceorientiert
flexibel
gemeinschaftlich aktiv
gründlich
sehr ehrgeizig und leistungsbereit (driven)
technisch versiert
optimistisch
unabhängig
hartnäckig
unbeeindruckt von Autoritätspersonen
heldenhaft
loyal hart arbeitend Durchhaltevermögen Erfahrung
beziehungsfähig möchten gefallen
kreativ
gute Teamspieler
multitasking-fähig technologisch fit
hierarchietreu
„negativ“
Probleme im Um- nicht kostenorientiert gang mit Mehrkonfliktscheu, kondeutigkeit und form mit Generation Veränderungen Prozess geht z. T. vor konform mit SyErgebnis stem kritikempfindlich bei Meinungsdifferenz verhalten/ vorurteilsbeladen konfliktscheu egozentrisch
Quelle: Eigene Erstellung
ungeduldig wenig soziale Fähigkeiten unerfahren desillusioniert/zynisch ärgerlich nicht loyal
brauchen Überwachung und Strukturen unerfahren, insbesondere in schwierigen Personaldingen
B.I Erste Ansätze des Generationenmanagements
29
Die vorstehende Tabelle dient als Übersicht über die vier amerikanischen Generationsidealtypen. Sie vermittelt einen umfassenden Eindruck der Lebensumstände, unter denen die einzelnen Generationen aufgewachsen sind und zeigt bezeichnende Dinge, Persönlichkeiten, Orte und Entwicklungen auf. Aus ihrem spezifischen Umfeld wird auch deutlich, warum den einzelnen Generationspersönlichkeiten bestimmte Eigenschaften und Werte zugeschrieben werden. Die Kerneigenschaften sind dabei „fett“ hervorgehoben. Zusätzlich wird das zugehörige Arbeitsverhalten in seinen negativen und positiven stereotypen Ausprägungen aufgezeigt. Nach dieser Zusammenstellung unterscheiden sich die amerikanischen Generationstypen in ihren Eigenschaften und ihrem bevorzugten Arbeitsverhalten. Das muss nicht unbedingt negativ sein, wenn sich zum Beispiel der Pragmatismus der Veteranen dämpfend auf allzu idealistische Ideen der Boomer auswirkt. Das Problem liegt eher im Umgang mit den Verschiedenheiten als in den Verschiedenheiten selbst. Dabei macht sich erschwerend bemerkbar, dass die vier Generationen ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu Gleichgestellten und zu Vorgesetzten haben. Die Xer zum Beispiel sind typische Einzelgänger, während die Boomer besonderen Wert auf Teamgeist und Integration legen. Gleichzeitig zeigen sich die Generationen, je jünger sie sind, desto unbeeindruckter von Hierarchie. Auch was die Leistungsanreize angeht bestehen Diskrepanzen. Während den Veteranen noch eine gewisse Opferbereitschaft unterstellt werden kann, streben die Boomer so zum Beispiel nach persönlicher Belohnung, die Xer nach größtmöglicher Unabhängigkeit und die Millennials nach Gemeinschaft. Die Darstellungen des Generationenverhaltens am Arbeitsplatz und der Zusammenarbeit zwischen den Generationen in der Literatur ist oft widersprüchlich. Dennoch werden von den amerikanischen Autoren eine Vielzahl von Instrumenten vorgeschlagen, die einander zum Teil zuwiderlaufen und trotzdem in der Praxis umgesetzt werden. Die Maßnahmenvorschläge decken dabei die Spannbreite von der Offenlegung der Generationenstereotype und der Verbesserung der Kommunikation über Veränderungen in Organisation, Personalmanagement und Führungsstil bis hin zum Wandel der Firmenphilosophie ab. Auch in ihrer Tragweite unterscheiden sich die empfohlenen Managementmaßnahmen stark. Zu nennen sind zum Beispiel die Einführung einer generationsgerechten, flexiblen Anreizstruktur, Arbeitszeitflexibilisierung und die Gestaltung altersgemischter Teams mit „authentischer“ Struktur oder generationstypengerechter Verteilung der innovativen Rollen. Weitere Maßnahmen zielen auf die generationsgerechte Ansprache von Kunden oder potenziellen Mitarbeitern über altersgruppenspezifische Medien oder die Ausübung eines wechselnden Führungsstils je nach Generation des betroffenen Mitarbeiters oder die Vergabe sinnvoller Aufgaben zur selbstverantwortlichen Ausführung an die Generation X. Daneben werden sehr spezifische Einzelmaßnahmen von kleinen persönlichen Gesten der Anerkennung für jüngere Mitarbeiter bis hin zur 70er Jahre Nostalgiepartie für Baby Boomer oder einem Enkelkindertag für Veteranen empfohlen.61 Die folgende Darstellung ist ein erster Ansatz zur strukturierten Aufbereitung der organisatorischen und personalpolitischen Rahmenbedingungen, die für die genannten Generationstypen 61
Zu den einzelnen Maßnahmen vgl. exemplarisch Hiam/Meredith/Schewe 2002 (Defining moments), S. 19 ff. und S. 62 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
geeignet erscheinen. Die Tabelle zeigt einen Übersichtsvergleich der vier Generationstypen bzw. ihrer im Arbeitsleben relevanten Einstellungen, das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen, ihr Arbeitsverhalten und mögliche Leistungsanreize und Demotivatoren auf. In ihr spiegeln sich die von verschiedenen Autoren postulierten Elemente des allgemeinen Wertewandels. Tab. B-2: Arbeitseinstellungen amerikanischer Generationsidealtypen Veteran
Boomer
Generation Xer
Millennial
Grundeinstellung
praktisch
optimistisch
skeptisch
hoffnungsvoll
Einstellung zur Arbeit
Pflicht und Wert
Herausforderung Selbstfindung
Job und Spaß
Sinn und Team
Einstellung zur Freizeit
verdienter Feierabend
Raum für Selbstverwirklichung
Work-Life-Balance
verschwimmende Grenzen
Einstellung zu Geld und Konsum
erarbeiten und sparen
verdient haben und ausgeben
einfordern und investieren
erarbeiten und ausgeben
Technologiesicht
Luxus
nützlich
essentiell
selbstverständlich
Herrschaftsprinzip
Hierarchie
Konsens
Kompetenz
an einem Strang ziehen
Verhältnis zu Autorität
Gehorsam
Hassliebe
Unbeeindrucktheit
Höflichkeit
Bürgersinn und Loyalität
Team-Orientierung
Einzelgängertum
Integration
Arbeitsverhalten
engagiert
ehrgeizig
ausgeglichen
entschlossen
Leistungsmotivation
Opferbereitschaft
individuelle Belohnung
Unabhängigkeit
Gemeinschaft
Vulgarität
politisch unkorrektes Verhalten
Klischees und Medienrummel
Promiskuität
Anreize
großes Ziel, Sicherheit, finanzielle Belohnung, Verantwortung, Anerkennung
Selbstverwirklichung, Wachstum, Diskussion, Status
Spannung, Spaß, Selbstbestimmung, Individualität, Weiterentwicklung
Sinnzusammenhang, Einbindung, Anerkennung, Verantwortung
Führungsstil
strukturiert: Herausforderung, Anweisung, Delegation
individuell: Information, Empathie, Leitung, Delegation
spannend: Erklärung, Anleitung, Bestätigung
teamorientiert: Delegation, Herausforderung, Information
Verhältnis zu anderen
Demotivatoren
Quelle: Eigene Erstellung nach Filipczak/Raines/Zemke 2000 (Generations at work), S. 155, Hiam/Meredith/Schewe 2002 (Defining moments), S. 195 ff., Hunt/Raines 2000 (Xers and Boomers), S. 44 und Kupperschmidt 2000 (Multigeneration employees), S. 66 ff.
B.I Erste Ansätze des Generationenmanagements
2
31
Kritische Würdigung des amerikanischen Forschungsmaterials
Bei der Literatur zum Thema „generations at work“ handelt es sich insbesondere bei den frühen Werken im Wesentlichen um populärwissenschaftliche Arbeiten.62 Sie nähern sich dem Erkenntnisobjekt aus der hermeneutisch, phänomenologischen Perspektive, um zunächst einmal Fakten und Erfahrungswerte, Anekdoten und Geschichten sowie die demografische und allgemeine Entwicklung zusammenzutragen. So gründen die Autoren ihre Aussagen dabei zum großen Teil auf ihre eigene Expertise und auf die Erfahrungen, die sie selbst, ihnen bekannte Unternehmen und Privatpersonen mit dem Phänomen „Generationen am Arbeitsplatz“ gemacht haben oder auf eine größere Anzahl von Interviews. Wo auf Studien zurückgegriffen wird, fehlen weitgehend nähere Angaben zu Herkunft, Methodologie, Stichprobe, theoretischem Konzept und Ergebnissen derselben. Bei den belegbaren Studien handelt es sich meist um kleinere Erhebungen mit wenigen Fragen. Gleichzeitig zeigen die Autoren häufig Situationen auf, die auf allgemeine Mängel im Personalmanagement schließen lassen statt auf ein spezifisches Generationenproblem. So führen LYNNE LANCASTER und DAVID STILLMANN als Beispiel für nicht „Generation X“-gerechte Einführung an, ohne Einführungsprogramm, mit einem nicht funktionierenden Telefon allein am Platz gelassen zu werden. Dieses Vorgehen dürfte unabhängig von ihrer Generationszugehörigkeit bei sehr wenigen Einzuarbeitenden auf positive Resonanz stoßen. Generell werden viele Beispielproblemfälle angeführt, die augenscheinlich in der Missachtung allgemeiner Führungsprinzipien oder anderen generationsunspezifischen Ursachen begründet liegen.63 Als weiterer Problempunkt ist die Generationenabgrenzung zu nennen. Die Generationsdefinition erfolgt in allen Werken über das Alter. Die Einteilung erfolgt in drei bis fünf Generationen, meist als Veteranen, Boomer, Xer und Millennials. Dabei kann es vorkommen, dass unter Veteranen sowohl die GIs als auch die Silents nach der Einteilung von NEIL HOWE und WILLIAM STRAUSS zusammengefasst, die Boomer in zwei Generationen gespalten oder die Millennials vernachlässigt werden. Die generelle Einteilung ist jedoch sehr ähnlich und erfolgt auch mit sehr ähnlichen Jahreszahlen, außer im Falle der Grenzziehung zwischen Boomern und Xern, wo augenscheinlich ein Überlappungsbereich besteht. Die Einteilung der Geburtsjahrgänge nach Generationen verläuft wie folgt: Veteranen bis ca. 1945, Boomer bis ca. 1960, maximal bis 1964, Xer bis 1980 und Millennials ab ca. 1981. Nach dieser Einteilung dürfte ab 2000 bereits die nächste noch unbenannte Generation des neuen Jahrtausends heranwachsen. Unter anderem liegt diese sehr ähnliche Einteilung und die Postulierung ähnlicher Problemstellungen meist darin begründet, dass die wenigen, frühen Werke von den Nachfolgeautoren immer wieder als Hauptquelle für deren eigene Untersuchungen und Überlegungen herangezogen werden.
62
Vgl. dazu im Einzelnen die Literatur in der Zusammenstellung nach Anhangtabelle B-1 „Literaturzusammenstellung zum Thema ‚Managing Generations‘“.
63
Vgl. exemplarisch Lancaster/Stillman 2002 (Generations collide), S. 14 f. und S. 233 f. und Tulgan 2000 (GenX).
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Die Autoren sind sich der Abgrenzungsproblematik und der Tatsache, dass es zwischen den Generationen Überlappungsbereiche gibt, durchaus bewusst und thematisieren dieses Problem.64 Nur wenige Autoren betonen wie LANCASTER und STILLMAN, dass es in diesen Überlappungsbereichen oder auch im Kernbereich einer Generation geborene Menschen gibt, die sich gefühlsmäßig eher einer anderen Generation oder möglicherweise überhaupt keiner Generation zugehörig fühlen. Diese eignen sich ihrer Meinung nach besonders gut als Vermittler zwischen den Generationswelten, eine Überlegung, die im Bereich des Generationenmanagements durchaus aufgegriffen werden kann. An den Stellen, wo die klare Grenzziehung anhand von Jahreszahlen schwierig ist, greifen die Autoren auf weitere Einteilungskriterien wie die demografische Entwicklung (insbesondere den Verlauf der Geburtenzahlen), einschneidende Ereignisse, allgemeine Entwicklungen oder den Zeitgeist zurück. Damit beziehen sich alle implizit auf den historisch-gesellschaftlichen Generationsbegriff nach dem Kohortenansatz65, wie ihn HOWE und STRAUSS als Pioniere dieser Forschungsrichtung gewählt haben. Ein Generationstyp nach amerikanischem Muster grenzt sich damit über seinen Geburtsjahrgang und eine starke Prägung durch Entwicklungen, Ereignisse und Persönlichkeiten seiner Kindheit, Jugend und Berufseintrittsphase ab. Demgemäß entwickelt ein solcher Generationstyp spezifische Werte, Eigenschaften und Verhaltensweisen sowie ein eigenes Generationsbewusstsein. Diese Generationsspezifika sind nach den amerikanischen Autoren relativ dauerhaft und müssen deshalb im Arbeitsleben Berücksichtigung finden. Generationenkonflikte am Arbeitsplatz können laut ihren Ausführungen auf diese Unterschiede zurückgeführt werden, was wiederum die Ableitung gezielter Maßnahmen zur Verbesserung der Generationsbeziehungen ermöglicht. Diese Postulate sind anzuzweifeln. Insbesondere die Annahme generationsspezifischer Werte sollte hinterfragt werden. Zur Problematik des Wertewandels liegen zahlreiche soziologische Untersuchungen vor, deren Ergebnisse jedoch widersprüchlich sind. Diese Forschungsergebnisse lassen auch die These zu, dass Werte über die Generationen relativ konstant bleiben, da sie durch frühe Prägung und Sozialisation von den Eltern und Großeltern, dem sozialen Netzwerk und Institutionen wie der Schule an die Kinder weitergegeben werden.66 Eine dergestalte Kritik findet sich zum Beispiel bei CAROLE JURKIEWICZ.67 Solche späteren Forschungsarbeiten kritisieren ihre Vorgänger, zitieren diese jedoch häufig und übernehmen weitgehend deren Generationenstereotype. Hin und wieder werden auch spätere Entwicklungen oder der Einfluss der Lebensphase auf Generationsbedürfnisse erwähnt. Damit widersprechen sich die frühen Autoren in gewisser Hinsicht selbst, ohne diesen Widerspruch jedoch zu thematisieren oder zu begründen. Statt die von ihnen selbst postulierten Unterschiede aufzuzeigen, zeigen die Autoren, wie die verschiedenen Generationen sich an allgemeine Trends, wie zum Beispiel zur Work-Life-
64
Vgl. ausführlicher zum Beispiel Bennett/Craig 1997 (Generations and change), S. 18.
65
Vgl. zum Kohortenansatz ausführlich Kapitel B.II.5.
66
Vgl. ausführlicher zur Werteforschung und zum Wertewandel Kapitel B.III.2 und D.I.3.
67
Vgl. Jurkiewicz 2000 (Public employee).
B.I Erste Ansätze des Generationenmanagements
33
Balance, anpassen und die Verhaltensunterschiede nach und nach kleiner werden.68 Auch das Lebenslaufkonzept und der Kohortenansatz finden keine systematische Berücksichtigung, obwohl hierzu fundierte Forschungsergebnisse der soziologischen Forschung vorliegen. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass sich die Bedürfnisse des Einzelnen je nach den Anforderungen der Lebensphase, in der er sich befindet, wenn vielleicht nicht grundsätzlich so doch in ihrer Priorisierung ändern dürften.69 Dass zum Beispiel jüngere Boomer und ältere Gen Xer, die zur gleichen Zeit Kinder aufziehen, daraus resultierende ähnliche Bedürfnisse haben können, wird nur implizit erwähnt. Im Zusammenhang mit solchen ähnlichen Bedürfnissen im gleichen Lebensabschnitt bemerkt JOE MARCONI zum Beispiel, dass es die Boomer vielleicht einfach störe, jetzt selbst die ältere Generation geworden zu sein, welche die jüngere wiederum nicht verstehen könne. Der Terminus „generation gap“ stammt schließlich genau aus der Zeit, in der die Boomer sich von den Veteranen unverstanden fühlten.70 Die meisten Autoren postulieren ein Generationszugehörigkeitsbewusstsein. Angesichts der Tatsache, dass die Befragten in empirischen Umfragen kaum Schwierigkeiten haben, sich selbst und andere bestimmten Generationstypen zuzuordnen, scheint dieses Generationsbewusstsein in den USA auch gegeben zu sein. Diese Annahme ist angesichts der starken Thematisierung dieser Problematik in den amerikanischen Medien auch durchaus plausibel. Kritik ist am Postulat einer einheitlichen Identität einer ganzen Generation zu üben. Zum Beispiel gehörten sicherlich nicht alle Boomer der Bürgerbewegung an oder haben Woodstock miterlebt. Ein anderes interessantes Zeitzeugnis zum Thema Generationenidentität 1958 gibt der Zeitgenosse BRUCE COOK: „I soon came to regard the Beats as my generation. I felt the same keen sense of identification with them that thousands of others my age did, and I had the same feeling that I was lucky to be in on the beginning of something big, if only as a spectator. For yes, even in 1958, it was possible to detect the vague shape of change on the horizon. And if the Beats meant anything to complacent, conformist Eisenhower America, it was change. But if the Beats were „my“ generation, it should be emphasized, probably, that this did not make me a member of the Beat Generation. I got to know them just as did the rest of those who were my age – by reading their books, attending their poetry readings, and following the hectic accounts of their misadventures in magazines and newspapers.“71
Dieses Zeitzeugnis weist einerseits auf die Bedeutung hin, die Künstler innerhalb einer Generation als Vorreiter haben können und wie wichtig die Medien in diesem Zusammenhang sind. Es zeigt andererseits, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass eine Generation von einem bestimmten Zeitgeist oder Generationsstil getragen wird, ohne dass alle ihre Mitglieder aktiv werden. Es können innerhalb einer Altersgruppe sogar gegenläufige Strömungen auftreten. Die Boomergeneration selbst zum Beispiel war hinsichtlich der Frage des Vietnamkrieges
68
Vgl. exemplarisch Filipczak/Raines/Zemke 2000 (Generations at work) S. 90 ff.
69
Zum Lebenslaufkonzept, Kohortenansatz und den Forschungsergebnissen der amerikanischen Soziologen in diesem Bereich vgl. ausführlich die Unterkapitel B.II.4 und B.II.5.
70
Damals wollten oder konnten ihre eigenen Altvorderen Ärger, Frustration und Dringlichkeit der Anliegen der Boomer nicht verstehen. Der Spruch: „Trau keinem über dreißig!“ drückt das Lebensgefühl der Baby Boomer Generation zu dieser Zeit besonders treffend aus. Vgl. Marconi 2002 (Future marketing), S. 51 f.
34
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
stark gespalten. Eine differenzierte Betrachtung, die solchen Intragenerationsunterschieden gerecht wird, wird von den amerikanischen Autoren nicht vorgenommen. Trotz der zahlreichen genannten Kritikpunkte kommt den frühen amerikanischen Autoren das Verdienst zu, die Relevanz des Generationenthemas am Arbeitsplatz aufgedeckt und die Problemlage identifiziert zu haben. Sie sichten und systematisieren auch die Begleitumstände und leisten damit einen entscheidenden Schritt zur Beleuchtung des Hintergrundes, vor dem die einzelnen Generationen aufgewachsen sind. Es fehlt allerdings an der Einbettung in ein theoretisches Konzept und an fundierten empirischen Untersuchungen. Im Zeitraffer gesehen läuft der Forschungsprozess von phänomenologischen, hermeneutischen Ansätzen aus der eigenen Erfahrungswelt heraus, über stereotypes „trial and error“ im Marketing, Einstellungsund Wertumfragen hin zur gezielten Befragung von Arbeitnehmern im kleineren Umfang. Seit dem Jahr 2000 etwa werden die Versuche, Instrumente des Generationenmanagements zu finden, methodisch und empirisch immer fundierter. Hier werden auch erste Widersprüche zu den postulierten Generationstypen bezüglich ihrer Werte, Eigenschaften, Verhaltensweisen und Bedürfnisse aufgedeckt.72 Zwar liegt der hier gesichteten amerikanischen Literatur kein explizites und erst recht kein einheitliches Modell zugrunde. Vereinfachend lässt sich die postulierte Modellvorstellung jedoch wie unten stehend zusammenfassen. Sie enthält sehr viele versteckte Annahmen und die oben genannten Unwägbarkeiten und Kritikpunkte, führt im Ergebnis jedoch zu zahlreichen Handlungsanweisungen, die wie beschrieben von der Teambesetzung, über die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und die Entgeltpolitik über den Führungsstil bis hin zum Kleidungsstil reichen. Diese Handlungsanweisungen werden trotz der Ungereimtheiten in den Vorstellungen von Generationseigenschaften und Generationsverhalten zum Teil erstaunlich detailliert gegeben und sind zum Teil widersprüchlich. Dennoch haben Generationenmanagementprogramme in den USA großen Anklang und eine weite Verbreitung gefunden. Die Wirksamkeit der Instrumente bzw. der Ursache-Wirkungszusammenhang bleiben jedoch fraglich. Es bestehen gute Chancen, mit den vorgeschlagenen Maßnahmen Probleme zu lösen, die gar keine Generationenprobleme sind. Der Bezug zu den fundierten Managementansätzen der Diversitätsforschung73, insbesondere zu den empirischen Untersuchungen zum Einfluss der Altersdiversität auf Leistung und Beziehungsqualität in Unternehmen, wird nicht hergestellt.
71
Cook 1971 (Beats), S. 3 f. nach Lektüre der Werke der „Beats“ Jack Kerouac und John Clellon Holmes.
72
Vgl. dazu exemplarisch Corley 1999 (Employer of choice) oder Fuller/Karp/Sirias 2001 (Generational teams). Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Hiam/Meredith/ Schewe, da sie das Lebenslaufkonzept zugrunde legt. Vgl. Hiam/Meredith/Schewe 2002 (Defining moments).
73
Zu Forschungsergebnissen zum „diversity management“ bezüglich der Diversitätsvariable Alter vgl. exemplarisch Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences) und O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations) sowie ausführlich das Unterkapitel F.III.2 zur Gestaltung altersdiverser Teams.
B.I Erste Ansätze des Generationenmanagements
35
Amerikanische Modellvorstellung zum Generationenmanagement Anhand der demografischen Daten und allgemeinen Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft sowie anhand einschneidender Ereignisse lässt sich die Bevölkerung der USA grob in Generationen einteilen. Jede Generation wird durch die erwähnten Entwicklungen und Ereignisse in ihrer Jugendzeit stark geprägt, woraus auch sehr unterschiedliche Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Vorlieben und Kompetenzen resultieren. Jede Generation entwickelt aufgrund dieser bezeichnenden Unterschiede mit Unterstützung der Medien ein Generationszugehörigkeitsbewusstsein. Die genannten Charakteristika könnten für Symbiosen mit den anderen Generationen genutzt werden, führen aber in der Realität aufgrund der auftretenden Differenzen hauptsächlich zu Missverständnissen mit den entsprechenden negativen Konsequenzen. Auf den Arbeitsplatz bezogen sind diese Konsequenzen Stress, Frust, mangelnde Leistung, hohe Fluktuation, Unzufriedenheit usw. Das Konfliktpotenzial erscheint jeweils zur direkten Vorgängergeneration und beim Eintritt in den Arbeitsmarkt am höchsten. Da die Typen in ihren generationsspezifischen Eigenschaften sehr einheitlich sind und diese auch als weitgehend stabil und nur in geringem Maße von Lebensphase und Zeitgeist etc. abhängig sind, können Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Generationen abgeleitet werden. Dies ist zum persönlichen Vorteil der Beteiligten und zum ökonomischen Vorteil der Arbeitgeberunternehmen.
Die Hypothesen dieser „amerikanischen Modellvorstellung zum Generationenmanagement“ wurden induktiv anhand der geschilderten Praxisprobleme und Lösungsvorschläge gewonnenen. Auf dieser Basis und der oben erläuterten Kritik daran soll nun im Folgenden ein Modell entwickelt werden, das auf den genannten Forschungsergebnissen aufbaut und die Kritikpunkte berücksichtigt. Des Weiteren gilt es, die hier vermuteten und eigentlich recht plausiblen Wirkungsbeziehungen in deduktiver Vorgehensweise theoretische zu fundieren, anhand der soziologischen und verhaltenswissenschaftlichen Theorie zu überprüfen und detaillierter auszuarbeiten.
36
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung 1
Historie der soziologischen Generationenforschung „Sic rerum summa novatur semper, et inter se mortales mutua vivunt. Augescunt aliae gentes, aliae minuuntur, Inque brevi spatio mutantur saecla animantum et, quasi cursores, vitai lampada tradunt.“ Lucretius74
Die soziologische Forschung beschäftigt sich traditionell mit den Generationen in Familie und Gesellschaft und mit den Beziehungen zwischen diesen Generationen. Die Geschichte dieses Forschungszweiges lässt sich grob in die drei Phasen Altertum und Mittelalter, Neuzeit und Neueste Geschichte einteilen. Altertum und Mittelalter sind gekennzeichnet durch das Bemühen, die Gegenwart aus der Vergangenheit und der Tradition heraus zu begreifen. Es werden Analogien zwischen dem individuellen Lebenslauf und der gesellschaftlichen Entwicklung angenommen. Familie und Verwandtschaft spielen dabei eine wichtige Rolle und auch die Wissensvermittlung zwischen den Generationen wird bereits als wichtiges Element erkannt. Letztere rückt in der zweiten Phase der Neuzeit noch weiter in den Vordergrund. Hier werden Generationen insbesondere in Kunst und Wissenschaft vorwiegend als Pulsgeber des Fortschrittes gesehen, wobei die meisten Darstellungen sich wie auch in der vorhergehenden Phase auf Männer konzentrieren. Das gilt für die frühe Neuzeit wie auch für die neueste Geschichte. Hier stehen die Gesellschaftsgenerationen, ihre Eigenschaften und ihr Verhältnis zur Umwelt und zu anderen Generationen im Vordergrund. Sie bilden den Übergang zur soziologischen Forschung der Gegenwart. Hier finden Umweltbedingungen und ihre Veränderung zunehmend Berücksichtigung. Der Geschlechterdifferenz wird Rechnung getragen. Im Vordergrund stehen Fragen der Sozialpolitik und Verteilungsgerechtigkeit sowie des Verhältnisses zwischen den Generationen und der Generationenfolge in Familie und Gesellschaft. Die Medien spielen hier eine wichtige Rolle. Eine gewisse Orientierung an der Vergangenheit bleibt bestehen, die Zukunft wird als ungewiss angenommen.75 Die modernen Konzepte der soziologischen Generationenforschung basieren auf der neuzeitlichen Theorievorarbeit, stehen aber bereits im Gegenwartsbezug. Die formalsoziologische Analyse des Generationenproblems, die Sozialisationstheorie, die Rollentheorie, das Lebenslaufkonzept und der Kohortenansatz werden deshalb jeweils in einem eigenen Unterkapitel dargestellt. Die antike Sicht der Generation ist unter der Voraussetzung relativ statischer Umweltbedingungen zu sehen. Die Jugend wird mit Manneskraft und Schaffensdrang, das Alter mit Weisheit in Verbindung gebracht. Traditionen werden fortgeführt und die Rückführung des eige74
Lucretius 1. Jahrhundert vor Christus/1959 (De rerum natura), II. 75 ff.: „Also wird die Summe aller Dinge immer erneuert und die Sterblichen leben in Abhängigkeit voneinander. Manche Geschlechter gedeihen, andere schwinden, auch wandelt sich der Zeitgeist in kurzem Zeitraum. Und gleichsam wie Staffelläufer, reichen sie die Lebensfackel weiter.“ [Übersetzung der Verfasserin]
75
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 42 f.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
37
nen Geschlechts (im Sinne von Abstammung) durch den Zyklus von Geburt des Neuen und Absterben des Alten auf den oft „göttlichen“ Ursprung ist von besonderer Wichtigkeit. Das antike Generationsverständnis beinhaltet im Gegensatz zu modernen Ansätzen auch eine gewisse Schicksalhaftigkeit. Dieses Schicksal ist anders als nach moderner Auffassung, wo „jeder seines Glückes Schmied ist“, meist an das Geschlecht gebunden und damit erblich. Die Gliederung nach „Menschenaltern“ macht aus der „Erzeugung“ eine anthropologische und soziale Gegebenheit in der Erhaltung der Gattung und einem Element der menschlichen Ordnung. Die Dauer einer Generation wird mit 33 Jahren beziffert und lehnt sich in ihrer geschichtlichen Bedeutung an die genealogische Familie an.76 Das dynamische Geschehen in der Generationenabfolge ist Bezugspunkt für Regeln, Brauch, Sitte und Recht und den sich daraus ergebenden Institutionen wie Familie, Verwandtschaft und Bildungsreinrichtungen. Die Verbundenheit zwischen den Generationen bedingt eine soziale Ordnung, bei der Autoritätsstrukturen dem Wissen und damit dem Lebensalter zugeordnet sind. Den Lebensphasen des Mannes (Kindheit, Jugend und Alter, für das mittlere Alter gibt es seltsamerweise keine Bezeichnung) werden spezifische Qualitäten zugeschrieben, die zugleich als Maßstäbe für angemessenes Handeln und für die Lebensführung gelten und mit einem Anspruch auf Anerkennung verbunden sind. Damit konstituiert die Generationszugehörigkeit die personale Identität, die allerdings in der Vormoderne nicht so individualistisch zu verstehen ist wie in der Moderne. Schließlich entfernt sich der Mensch nach griechischem Verständnis mit jeder Generation von den Göttern und vom Ursprung in Richtung Entartung und Verderbnis. Die Möglichkeiten des Misslingens und des Zerfalls sind jederzeit gegeben, genauso wie die Chance, die in der Erneuerung liegt. Das Erzeugte ist individuell verschieden vom Zeugenden. Das Spannungsfeld besteht hier zwischen der Ähnlichkeit zwischen Eltern und Kindern (Kontinuität und Zyklizität) und ihrem Anderssein (Schöpfungsprozess). Damit geht es nach heutigen Begriffen um den Umgang mit Unterschieden vor dem Hintergrund der Gleichheit. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich beides wechselseitig bedingt.77 Die Neuzeit ist durch zunehmende Enttraditionalisierung und fortschreitende naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen gekennzeichnet. Diese Veränderung in den Umweltbedingungen ist Impulsgeber für gesellschaftliche Veränderungen. In Sachen Generationsbegriff macht sich hier ein Wandel vom Bezug auf die Geschlechterfolge hin zu größeren Einheiten bemerkbar. Systematische Bedeutung in den Geisteswissenschaften gewinnt der Generationsbegriff in Europa jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts. In den 20er Jahren werden die theoretischen Grundlagen der modernen soziologischen Generationsforschung gelegt. Erste theoretische Ansätze von AUGUSTE COMTE und JOHN STUART MILL werden gefolgt von dem Konzept von WILHELM DILTHEY.78 Zusammen mit den Arbeiten von FRANÇOIS MENTRÉ, JOSÉ
76
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 36 ff. und ausführlich Nash 1978 (Greek origins), S. 4 ff.
77
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 36 ff. und Nash 1978 (Greek origins), S. 4 ff.
78
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 39 und Fogt 1982 (Politische Generationen), S. 6 ff. Die Ansätze von Comte und Dilthey werden im Folgenden genauer vorgestellt. Mill beschäftigt sich nur allgemein mit dem Fortschrittsgedanken, vgl. dazu Mill 1898/1843 (System of logic), S. 596 f.
38
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
ORTEGA Y GASSET und WILHELM PINDER bereiten sie den Weg für die grundlegende Analyse des Generationenproblems von KARL MANNHEIM. COMTE postuliert in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts: „Die Geschichte der Gesellschaft ist bedingt durch die Geschichte des menschlichen Geistes.“79 Für ihn ist der Fortschritt unter der Leitung des Verstandes deterministisch. Deshalb ist die Geschichte der Philosophie für ihn von zentraler Bedeutung. Er geht sogar so weit, 1822 ein Gesetz zur sozialen Dynamik zu formulieren, nach dem der Geist bei jeder Art von Spekulation in steter Zeitfolge, die drei allgemeinen Zustände theologisch, metaphysisch und positiv durchlaufen muss.80 Damit ist COMTES Ansatz nicht auf einzelne Generationen, sondern den großen Generationszyklus in der Entwicklung der Menschheit gerichtet. Trotzdem finden sich Elemente, die für die Betrachtung konkreter Generationen nützlich erscheinen und entsprechend von späteren Autoren aufgegriffen werden. COMTE begründet die Generationsfolge als eine Naturbedingung des Fortschrittes. Er betrachtet zunächst die menschliche Entwicklung in Zeitaltern und Epochen. Als Vertreter der Fortschrittsthese postuliert er nicht nur materiellen Fortschritt, sondern damit einhergehend auch die Verbesserung der geistigen Fähigkeiten und höheren Bedürfnisse. Dies beinhaltet die Beherrschung der physischen Begierden, die Entwicklung der Vernunft und die Anregung der sozialen Instinkte. Mit fortschreitender Entwicklung bildeten sich also auch das Gehirn und die Kunst fort und fingen an, die Natur zu verdrängen. Im Laufe eines individuellen Lebens sei die Veränderung kaum spürbar. Der Tod und damit der Generationswechsel bewirkten erst, dass sich Menschheit und Gesellschaft permanent erneuern müssten und damit Fortschritte, im Sinne von Schritten nach vorne machen könnten. Eine Verlängerung der Lebensdauer würde nach COMTE diesen Prozess verlangsamen. Der natürliche Kampf zwischen dem Erhaltungstrieb des Greisenalters und zur Erneuerung treibendem Instinkt der Jugend, fiele zugunsten des ersteren aus.81 Er begründet dies damit, dass selbst Männer, die im Mannesalter viel zum Fortschritt beigetragen hätten, im Alter ihre Überlegenheit verlören und sich gegen weitere neue Entwicklungen sperrten. Eine Verkürzung der Lebensdauer würde ein Übergewicht des Erneuerungstriebes bewirken. Damit sei eine fruchtbare und dauernde Entwicklung nicht möglich, bei der die Neuerungen zu Ende geführt und ihre Leistungen durch die Gesamtheit der früheren Ergebnisse erst nachhaltig werde, da das Gegengewicht des erhaltenden Triebes fehle. „Die große Schnelligkeit im Ablauf des Lebens, von dem kaum 30 Jahre inmitten zahlreicher physischer und moralischer Hemmnisse zu etwas anderem als zur Vorbereitung für das Leben oder den Tod verwendet werden, stellt ein ungenügendes Gleichgewicht her zwischen dem, was der Mensch zu erdenken und was er auszuführen vermag.“82 Interessanterweise bezeichnet COMTE im Folgenden die Menschen als Mitarbeiter, die keinesfalls in zu schneller Folge ersetzt werden dürfen, da sie sonst ihre Projekte nicht zu Ende
79
Comte 1830 - 1842/1974 (Soziologie), S. 145
80
Vgl. Comte 1830 - 1842/1974 (Soziologie), S. 145 f.
81
Vgl. Comte 1830 - 1842/1974 (Soziologie), S. 138 ff.
82
Comte 1830 - 1842/1974 (Soziologie), S. 142
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
39
führen könnten. Zur Begründung führt er an, dass ansonsten entweder zu viel Zeit für die Einarbeitung des Nachfolgers oder der Zeitgenossen verloren gehe oder dass die Nachfolge des Mitarbeiters außer bei sehr einfachen Tätigkeiten unvollständig bleibe. Schwierige und wichtige Arbeiten seien schwer zu übertragen. Gerade bei Nachfolgern besonderen Wertes könnte die Fortführung einer geistigen und moralischen Arbeit in Frage gestellt werden.83 Damit betont COMTE den demografischen Aspekt und seine Auswirkungen im Arbeitsleben als Sinnbild des allgemeinen Fortschritts. Bemerkenswerterweise ist diese Überlegung auch heute noch im modernen Human Resources Management tragfähig. Auch DILTHEY spricht 1875 von der Einteilung der Geschichte in Generationen à 30 Jahre von der Geburt bis zu der Altersgrenze, wenn ein neuer Jahresring am Baum der Generation ansetze. So seien heute vom Beginn der europäischen intellektuellen Geschichte mit Thales, dem ersten wissenschaftlichen Forscher, dessen Name sich erhalten habe, knapp 90 Generationen verflossen. Trotzdem könne selbst in Bezug auf die Wissenschaft und den Bildungszustand nicht von einem kontinuierlichen Besserwerden gesprochen werden, da viele Erkenntnisse im Lauf der Geschichte insbesondere in Zeiten der Not auch wieder verloren gingen. Damit knüpft er an die Tradition der zyklischen Sicht an, weicht aber vom deterministischen Bild des absoluten Fortschritts ab. Darüber hinaus betrachtet er die Generation als Verhältnis der Gleichzeitigkeit von Individuen, die nebeneinander aufwachsen und aus deren gemeinsamen Erleben von Kindesalter, Jugend und Erwachsenwerden eine besondere Verbundenheit erwachse. Diese resultiere aus der besonderen Empfänglichkeit für Tatsachen und Veränderungen in ihrer Umwelt, die eine homogene Prägung verursache.84 Mit diesem Gedanken einer Prägung durch die gemeinsame Erfahrung zeitgeschichtlicher Ereignisse begründet DILTHEY die Generationenidentität. Er legt damit die Grundlage für eine qualitative Definition der Generation in der Soziologie. MENTRÉ widmet 1920 sein Werk „Les générations sociales“ dem Verständnis der „neuen“ jungen Generation und damit seiner Generation. Dazu zieht er sprachgeschichtliche Wurzeln sowie eine systematische Analyse historischer Werke verschiedener Wissenschaften und der bis dahin erschienenen wenigen Forschungsarbeiten zu diesem Thema von PLATON bis LORENZ heran. Die schmale Wissensbasis ergänzt er bewusst durch eigene Hypothesen. MENTRÉ beschäftigt sich gezielt mit der Generationenfolge. Besonderen Wert legt er auf die Unterscheidung zwischen den Generationen einer Familie und den Gesellschaftsgenerationen, wobei er gleichzeitig die Verbindung zwischen diesen beiden Begriffen aufzeigt.85 JOSÉ ORTEGA Y GASSET hingegen beschäftigt sich vorwiegend mit den Gesellschaftsgenerationen. Er betont ihre angeborene Zeitlichkeit und ihre Erneuerungsfunktion in Form eines historischen Imperativs, unterstreicht jedoch gleichzeitig ihre Individualität. Manche Generationen kämen ihrer Aufgabe als Erneuerungskräfte ihrer Zeit nämlich kaum nach, während in anderen Fällen echte Kampfgenerationen im Gegensatz zwischen Eigenem und Überkomme-
83
Vgl. Comte 1830 - 1842/1974 (Soziologie), S. 142 f.
84
Vgl. Dilthey 1875 (Gesellschaft), S. 37 und S. 41.
85
Vgl. Mentré 1920 (Générations), S. 5 und S. 13 ff. sowie exemplarisch S. 49 ff., S. 117 ff. und S. 139 ff.
40
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
nen entstünden. Dabei betont er die besondere Rolle der Auserlesenen als Vorreiter gegenüber den Gewöhnlichen einer Generation.86 WILHELM PINDER knüpft mit seinem Ansatz 1926 eher an COMTE und DILTHEY an, auch wenn sein Hauptaugenmerk dem Wesen der Kunstgeschichte gilt. Dieses verknüpft er mit der Generationsidee und leistet dabei Innovatives auf dem Gebiet der Analyse des Generationsphänomens. Mit dem „Problem der Generationen in der Kunstgeschichte Europas“ unternimmt er den Versuch, die Kunstgeschichte beginnend mit Botticelli bis in das 19. Jahrhundert in Generationen und Lückenzeiten zu gliedern. Dabei geht er von der Determiniertheit der kunstgeschichtlichen Erscheinungen aus.87 Als relativ stetige Bestimmungsfaktoren der Kunst nennt er Kulturraum (Europa), Nation (Deutschland), Stamm (Region), Familie, Individualität (Charakter) und Typus (überstammliche und übernationale Polarisierung). Als Faktoren der Wandlung bezeichnet er primär die miteinander kontrastierenden Entelechien des kunstgeschichtlichen Lebens und sekundär Erfahrungen.88 Aus diesen beiden Arten von Faktoren ergeben sich für ihn erst die kunstgeschichtlichen Zeiten. Für PINDER ist diese Zeit mehrdimensional. Er spricht hier von Zeitcharakteren, Zeitfarben, die wie Lasuren übereinander liegen und Zeitklängen, die in einer Polyphonie ertönen. Diese fast sprichwörtlich gewordene versteckte „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“89 beruht auf der Unterscheidung in die Dimensionen Gleichzeitigkeit und Gleichaltrigkeit sowohl bei Künstlern als auch bei den Künsten. Bestimmend für die Generationszurechnung ist der Geburtszeitpunkt und damit die Gleichaltrigkeit, auch wenn PINDER nicht völlig auszuschließen vermag, dass es so etwas wie eine übergenerationsmäßige Kraft geben könnte, was man heute als Zeitgeist interpretieren würde. Er verwirft diese jedoch zugunsten der Idee, dass es ein inneres Ziel der Generationen gäbe, das aus Grundstimmungen und Grundgefühlen der Generationsentelechie resultiere. Nähenlage der Geburten bedeute, bewusst oder unbewusst, damit eben Nähenlage der Probleme. Für Künstler postuliert PINDER einen Rhythmus der Generationen, deren Gruppierungen sich aus ihrer zeitlichen Unversetzbarkeit in der Zeit und die daraus entstehende schicksalhafte Prägung der inneren Ziele ableiteten. Dabei bedeutet Gleichheit der Aufgabe nicht Gleichheit der Mittel oder Einheit der Lösungen. Die Generationsentelechie schließt Spannungen und Gegensätze aller Art nicht aus.90 PINDER bezieht seine Überlegungen zunächst einmal nur auf die Kunstgeschichte, auch wenn viele Dinge allgemeiner Art hier hineinspielen. Gleichzeitig bilden die Künstler natürlich im 86
Vgl. Ortega y Gasset 1923/1928 (Aufgabe unserer Zeit), S. 29 ff.
87
Vgl. Pinder 1926 (Kunstgeschichte), S. 95 f. und S. 155 sowie ebenda wörtlich: „Eine Symphonie konnte nicht im dreizehnten Jahrhundert geschrieben werden.“ Pinder betont damit, dass Geschichte nicht umkehrbar sei.
88
Vgl. ausführlich Pinder 1926 (Kunstgeschichte), S. 43 ff. und S. 154 ff. Konkret handelt es sich um die Entelechien – also die im Organismus liegenden Kräfte – zur Entwicklung, der Künste, des Sprachlichen, der Stile, der Generationen selbst, der Einzelnen und der Nationen.
89
Pinder 1926 (Kunstgeschichte), S. 22
90
Vgl. Pinder 1926 (Kunstgeschichte), S. 25 ff., S. 55, S. 97 ff. und S. 158 ff. Weiter schreibt Pinder hier, Gleichheit der Mittel sei wiederum eher ein Phänomen der Gleichzeitigkeit, wenn Jüngere und Ältere sich zu unterschiedlichen Zwecken gleicher Mittel bedienten.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
41
Generationsgefüge vergleichsweise homogene Gruppen, die auch eine Art Vorreiterrolle innehaben und durchaus als solche gesehen werden können. Im westlichen Kulturraum sind es oft die Künstler, die Entwicklung erspüren, aufgreifen, verbreiten und vorantreiben. Als Beispiel seien hier die „Sturm und Drang“-Schriftsteller oder die „lost generation“ der jungen amerikanischen Schriftsteller genannt.91 Die eigentliche Leistung PINDERS besteht jedoch in seiner Sammlung der Fakten und den analytischen Überlegungen bezüglich der zeitlichen Dimensionen (Gleichzeitigkeit und Gleichaltrigkeit) und dem Zustandekommen von Generationen durch die Prägung ihrer ganz besonderen sozial-räumlichen Dimensionen (Entelechien). Auch gesteht er durchaus ein, dass zwischen Künstlergenerationen Lücken sein können und geht von dem festen Maß des 30jährigen Zyklus ab hin zu einer qualitativen, historisch-gesellschaftlichen Abgrenzung. Seine Überlegungen bezüglich der verschiedenen zeitlichen und räumlichen Dimensionen von Kunstgenerationen lassen sich auf einen allgemeinen Generationsansatz ausweiten. Viele seiner Gedanken werden später von MANNHEIM aufgegriffen, weiterentwickelt und in einen theoretischen Bezugsrahmen gefügt. MANNHEIMS Essay, in dem er die Idee der durch ihre Umwelt geprägten Generation um die Stufe der sich ihrer Generationszugehörigkeit und Sendung bewussten Generationseinheiten erweitert, ist aufgrund seiner ungebrochen zentralen Bedeutung für die Generationsforschung Gegenstand einer ausführlichen Betrachtung im folgenden Unterkapitel. Das Problem der Generationen zieht sich auch im Anschluss an MANNHEIM durch die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. LEOPOLD DINGRÄVE verbleibt in der Tradition des Fortschrittsgedankens COMTES und betrachtet das Phänomen des Sturm und Drang der jungen Generation als immer wiederkehrendes Problem. Er bezieht sich zusätzlich konkret auf das Wirtschaftsleben und spricht das Problem der Blockade der jüngeren durch die älteren Generationen an. So schreibt DINGRÄVE 1931 wörtlich: „Die Spannung zwischen der jungen Generation und den anderen Altersstufen des Volkes hat sich inzwischen vergrößert. Die Achtzehn- bis Achtundzwanzigjährigen liegen wie eine ungeheure, gestaute Masse vor der fest geschlossenen und besetzten Berufs- und Wirtschaftswelt.“92 Die Blockade der jüngeren Generation erfolgt nach DINGRÄVE, hier in erster Linie nicht etwa durch andere Ansichtsweisen oder Verhaltensweisen der älteren Generation, sondern durch ihr bloßes Dasein.93 Damit spricht er ein Problem an, das auch heute wieder aktuell ist. Die vertikale Blockierung der mittleren und oberen Hierarchieebenen durch die älteren Generationen schafft, wenn es keinen Ausweg in die horizontale Mobilität gibt, ein erhebliches Konfliktpotenzial im Generationsgeschehen von Unternehmen und Gesellschaft. Anzumerken bleibt, dass das Generationsverständnis selbst dem zeitlichen Wandel unterliegt. Insbesondere spielen im historischen Generationenverständnis die relativ statischen Elemente und das weniger individualistische Selbstverständnis eine Rolle. Die älteren Forschungsansät91
Ein Beispiel aus dem Bereich der Musik ist die Einführung des (Strauß-)Walzers in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Walzer galt damals noch als revolutionär, wenn nicht sogar skandalös.
92
Dingräve 1931 (Junge Generation), S. 3
93
Vgl. Dingräve 1931 (Junge Generation), S. 5.
42
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
ze zu diesem Thema müssen deshalb aus ihrer geschichtlichen Wirklichkeit heraus gesehen werden und sind nicht ohne weiteres übertragbar. Ihre Ergebnisse sollen deshalb hier kurz zusammengefasst werden. Am fruchtbarsten für die aktuelle Generationenproblematik erscheinen die neueren Ansätze, da sie eine gewisse Umweltdynamik einbeziehen.
Historie der soziologischen Generationenforschung – Kernelemente Gegenstand der soziologischen Generationenforschung sind die Generationen in Familie und Gesellschaft, ihre Eigenschaften und Beziehungen. Ihre wichtigsten Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Antike und Mittelalter Diese Phase ist gekennzeichnet durch statische Umweltbedingungen (göttliche und Geschlechterordnung, Institutionen, Regeln, Brauch und Sitte, definierte Lebensphasen). Manneskraft ist die Haupteigenschaft der jungen Generation, die als Pulsgeber des Fortschritts fungiert. die ältere Generation hingegen repräsentiert Weisheit und Autorität. Ihre Hauptaufgabe ist die Wissensvermittlung. Neuzeit Mit Beginn der frühen Neuzeit fangen auch die Umweltbedingungen an, sich stärker zu verändern. Erhebliche Fortschritte in den Geistes- und Naturwissenschaften führen zu einer Abkehr von der Auffassung der Schicksalhaftigkeit hin zur Betonung der Vernunft und Kunst. Die determinierte Generationsfolge wird als Naturbedingung des Fortschritts gesehen, wobei der jungen Generation die Erneuerungsfunktion und der älteren eine Art Gegengewichtsfunktion zukommt. Neueste Geschichte Diese Phase bringt eine Abkehr von dieser quantitativen Auffassung. Die Individualität und Identität von Generationen werden betont. Diese entstehen durch den Zeitgeist und eine homogene Prägung, die aus dem gleichzeitigen Aufwachsen mit den Gleichaltrigen und gemeinsamen Erfahrungen erwächst (Mehrdimensionalität der Zeit). Der Zeitgeist als übergenerationsmäßige Kraft beinhaltet die kontrastierende Entelechien, die aus den Bestimmungsfaktoren: Kulturraum, Nation, Stamm, Familie, Individualität und Typus resultieren. Die junge Generation gewinnt jedoch daraus ein eigenes inneres Ziel, wobei den Künstlern eine Vorreiterrolle zukommt. Blockiert die ältere Generation dies, kann es zu Kämpfen kommen.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
2
43
Formalsoziologische Analyse des Generationenproblems
Der grundlegende Essay zur Generationentheorie stammt von MANNHEIM. Er erschien 1928 in den Kölner Vierteljahresheften für Soziologie und trägt den Titel: „Das Problem der Generationen“.94 Dieser Aufsatz hat bis heute nichts an seiner zentralen Bedeutung und Tragkraft für die Generationenforschung eingebüßt und bildet die Grundlage der nachfolgenden Ansätze der Generationenforschung bis hin zur Gegenwart.95 MANNHEIM nähert sich dem Problem der Generationen von der formalsoziologischen Seite. Dies erfolgt anhand einer fundierten Literaturanalyse und eines Gedankenexperimentes, bei dem er annimmt, eine Generation lebe ewig, um die Funktion des steten Wechsels der Generationen herauszuarbeiten. Die Idee hierzu stammt vermutlich wie oben beschrieben von COMTE. MANNHEIM sichtet die bis 1928 erschienene Literatur europäischer Autoren aus vielfältigen Wissensgebieten und filtert die seiner Ansicht nach zentralen Faktoren der Generationenproblematik heraus. Sein gründlich recherchierter Überblick über die Literatur zeigt bereits zur damaligen Zeit einen sehr uneinheitlichen Gebrauch des Generationsbegriffs in den unterschiedlichen Forschungsrichtungen, die von Politikwissenschaft, über Kunstgeschichte, Statistik und Philosophie bis hin zur Soziologie reichen. Dabei würdigt er zwar die Beiträge anderer Disziplinen, ordnet das Problem der Generationen jedoch in der Hauptsache der Soziologie zu. Die Forschungsergebnisse lassen sich zwei großen Richtungen zuordnen: einesteils der positivistischen (quantitativen) und andernteils der romantisch-historischen (qualitativen) Richtung. Die positivistische Sichtweise betont die strenge Gesetzmäßigkeit des historisch-kulturellen Fortschritts (Zyklizität) und damit das Wechselspiel zwischen Fortschritt und Tradition. Sie versucht, historische Entwicklungen in das Raster der Generationen einzuordnen und anhand der Lebensdauer einer Generation messbar zu machen. Die romantisch-historische Richtung hingegen geht von der Vorstellung aus, die in der Jugend gemachten Erfahrungen prägten die Entwicklung und den Menschen bis ins hohe Alter hinein und darüber hinaus auch die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes. Bei der Darstellung dieser beiden Richtungen greift er unter anderem auf die oben beschriebenen Arbeiten von DILTHEY und PINDER zurück.96 Im Zusammenhang mit Generationen sind nach MANNHEIM – abstrahiert vom spezifischen Phänomen des körperlichen und geistigen Alterns – folgende Kennzeichen der Gesellschaft entscheidend. Es handelt sich zunächst um das stete Einsetzen neuer Kulturträger und den steten Abgang der früheren Kulturträger sowie die Tatsache, dass die Kulturträger nur an einem zeitlich begrenzten Abschnitt des Geschichtsprozesses partizipieren können. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit des steten Übertragens der akkumulierten Kulturgüter. Außerdem betont er die Kontinuierlichkeit des Generationswechsels. Diese Elemente sind nach MANNHEIM naturalistische Grundphänomene, die wie Rasse oder geografische Lage zu den grundlegenden Wirkungsfaktoren der Gesellschaft zählen und latent, aber konstant wirksam sind. Deshalb können sie den Wandel an sich, nicht jedoch seine besondere Ausgestaltung er-
94
Mannheim 1928 (Problem der Generationen)
95
Vgl. Fogt 1982 (Politische Generationen), S. 6 ff. und Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 240 ff.
96
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 157 ff.
44
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
klären. Um sie zu untersuchen, müsse man sich deshalb der historisch-sozialen Dynamik zuwenden, die der so genannten „Milieuwirkung“ und „Zeitsituation“ zuzurechnen sei, ohne den Faktor Zeitgeist überzubetonen.97 Der hier zu beleuchtende sei meist nicht der Geist einer Epoche, sondern Geist einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zu besonderer Bedeutung gelangenden sozialen Schicht, die dann ihre geistige Prägung den anderen Strömungen aufsetze. Dieses Phänomen erläutert MANNHEIM anhand dreier verschiedener Dimensionen: der Generationslagerung, des Generationszusammenhanges und der Generationseinheiten. Die erste Dimension ist die Generationslagerung. Es handelt sich hier um die Möglichkeit, einer spezifischen Generation anzugehören. Das beinhaltet die Gelegenheit, aufgrund der Gleichaltrigkeit ähnliche Erfahrungen in der gleichen Lebensphase vor allem der Jugend zu machen und entspricht dem chronologischen Merkmal des Geburtsjahrgangs bzw. der Geburtsperiode. Die Mitgliedschaft in einer Generationslagerung ist zunächst einmal biologisch begründet durch Geburt, Alterungsprozess und begrenzte Lebensdauer bzw. Tod und unkündbar. Zusätzlich beschränkt sie den Spielraum möglichen Geschehens und die Art und Weise des möglichen Erlebens, Denkens, Fühlens und Handelns. Bewegt sich ein Mensch aufgrund seines Geburtszeitpunktes innerhalb dieser Generationslagerung, dann hat er die Möglichkeit, an ihrer gemeinsamen Generationsentwicklung durch die Lebensphasen Jugend, Erwachsenalter und Alter teilzunehmen. Dafür muss er sich auch räumlich98 und sozial im gleichen Umfeld wie andere Mitglieder seiner Generationslagerung bewegen, das heißt die Teilnahmemöglichkeit an denselben Lebensgehalten haben. Teilt er gemeinsame, prägende Erlebnisse mit ihr, so erfährt er eine ähnliche Erlebnis- und Bewusstseinsschichtung und bewegt sich im Generationszusammenhang.99 Beides bedingt Partizipation an einem zeitlich umgrenzten Abschnitt des Geschichtsprozesses, also parallele Teilnahme am kollektiven Geschehen. Auch die anderen Generationen erleben diese Dinge mit, jedoch aus einer anderen Bewusstseinsschichtung heraus. Diese entsteht aus den formierenden Ereignissen der ersten Eindrücke bzw. ersten Schicht und der Jugenderlebnisse (zweite Schicht), die das natürliche Weltbild festlegen. Spätere Erlebnisse bringen Bestätigung oder Negation, es herrscht aber Prädominanz der ersten Eindrücke. Zwei aufeinander folgende Generationen bekämpfen stets einen anderen Gegner in sich und in der Außenwelt. Deshalb ist die Entwicklung nicht gradlinig. Das „Polarerlebnis“ verschiebt sich.100 Ein Generationszusammenhang ist also soziologisch determiniert. Er entsteht, wenn
97
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 168 ff., S. 175 ff. und S. 320 f.
98
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 179 f. Nach Mannheim muss auch räumlich gesehen ein Zusammenhang bestehen. Der chinesischen und deutschen Jugend um 1800 würde vermutlich kaum jemand eine verwandte Lagerung unterstellen. Zu Beginn des Millenniums bieten moderne Kommunikationsmittel und Cyberspace zumindest die Möglichkeit einer solchen Verwandtschaft.
99
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 170 ff.
100
Nach Mannheim ist man in diesem Modell alt primär dadurch, „dass man in einem spezifischen, präformierenden Erfahrungszusammenhang lebt, wodurch jede neue mögliche Erfahrung ihre Gestalt und ihren Ort bis zu einem gewissen Grade im Vorhinein zugeteilt erhält, wogegen im neuen Leben die formierenden Kräfte sich erst bilden und die Grundintentionen die prägende Gewalt neuer Situationen noch in sich zu verarbeiten vermögen. Ein ewig lebendes Geschlecht müßte selbst vergessen lernen können, um das Fehlen neuer Generationen zu kompensieren.“ Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 179
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
45
reale soziale und geistige Gehalte innerhalb des werdenden Neuen und zwischen den Individuen einer Generationslagerung eine Verbindung stiften. Dieses Neue und Verbindende muss allerdings nicht für alle Mitglieder der Generationslagerung gleich sein. Des Weiteren führt MANNHEIM hier das Beispiel der deutschen Jugend um 1800 an, die sowohl eine romantischkonservative als auch eine liberal-rationalistische Richtung hervorbrachte. Beide gehörten demselben Generationszusammenhang an, nutzten in der geistigen und sozialen Auseinandersetzung mit dem historisch-aktuellen Schicksal jedoch polare Formen.101 Der Generationszusammenhang kann in einer dritten Stufe ebenfalls soziologisch bedingt Generationseinheiten hervorbringen. Eine Generationseinheit postuliert aus dem Generationszusammenhang heraus ein gemeinsames Streben oder eine gemeinsame Idee, an der sich der „Generationsgeist“ entzündet. Sie wird durch die weitgehende Verwandtschaft der Gehalte, die das Bewusstsein der Einzelnen erfüllen, gestiftet. Dies kann eine verbindende Vision, ein verbindendes Kunstwerk oder ein verbindendes Gefühl sein. Wichtig dabei ist nur, dass die Grundintentionen und Gestaltungsprinzipien in anderen Lebenslagen uminterpretiert und fortgesetzt werden können. Sie formen emotional und programmatisch eine Einheit und besitzen über die Gruppe hinaus Ausstrahlungskraft. Sie werben und verbinden, ohne dass hier im Gegensatz zum Generationszusammenhang räumliche oder persönliche Kontakte erforderlich wären. Dabei bewirken sie zunächst ein einheitliches Reagieren, Mitschwingen und Gestalten in der Generationslagerung, da sie dem neuen Zugang, der neuen Erlebnisschichtung Ausdruck verleihen. Darüber hinaus kann die Generationseinheit einzelne Glieder vor- oder nachgelagerter Jahrgänge erfassen und sich so ausbreiten. Es entsteht ein neuer Generationsstil oder eine neue Generationsentelechie. Dies kann intuitiv geschehen oder bewusst erfolgen.102 Ohne Generationswechsel wäre das Entstehen neuer Entelechien und Generationsstile unmöglich. Allerdings wird nicht jeder Generationszusammenhang aktiv. Das Entstehen von Generationseinheiten hängt im Wesentlichen nicht von den biologisch vitalen Regelmäßigkeiten, sondern vom gesellschaftlichen und/oder ökonomischen Umfeld und seiner Dynamik ab. Bei allmählichem, kontinuierlichem Wandel dominiert die vitale Hingezogenheit zu Gleichaltrigen. Bei hoher Dynamik ist ein radikaler geistiger Wandel zu erwarten. Ist das Tempo des Wandels zu hoch, so schließt man sich der nächstliegenden Generationsformung an. Das Potenzielle attrahiert also das Freischwebende und damit insbesondere solche Menschen, die ihrer Zeit voraus sind. Möglicherweise schütten sich die Keime der Jahrgänge trotz unterschiedlicher Reaktionsweisen sogar gegenseitig zu.103 MANNHEIM hebt das Generationsgeschehen als einen der Hauptfaktoren beim Zustandekommen historischer Dynamik hervor. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Erforschung des Zusammenspiels der dabei zusammenwirkenden Kräfte wie folgt. Das Geistige sei in der Kulturakkumulation nur dann vorhanden, wenn es stetig produziert und reproduziert werde. Neue Generationen ermöglichten einen neuen Zugang zur Kultur und damit deren Fortbil-
101
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 181 f. und S. 311.
102
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 309 ff.
103
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 316 ff.
46
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
dung. Würden sich immer dieselben Kulturträger fortentwickeln, so wäre der Wandel orientiert an deren Grundintentionen zumindest weniger radikal, aber dafür einseitiger. Neue Generationen hätten hingegen die Elastizität und den Schwung, um nicht mehr Brauchbares zu vergessen und noch nicht Errungenes zu begehren. Das Milieu sickere von der jungen und ihrer Vorgängergeneration geprägt, unbewusst in die älteste Schicht des Bewusstseins. Gehalte, die in neuen Lebenssituationen unproblematisch weiterfunktionierten, begründeten ein natürliches Weltbild. Mit ca. 17 Jahren fange das Kämpfen an, das Infragestellen von reflexiv an die Oberschicht des Bewusstseins Gedrungenem, während die ältere Generation bei der Antithese verharre und den neuen Zugang zunächst nicht nachvollziehen könne. Dabei stünden Generationen jedoch in ständiger Wechselwirkung und beeinflussten sich gegenseitig.104 Ein Hauptaspekt des Generationswechsels ist nach MANNHEIM vor allem seine Kontinuierlichkeit. Dies führe dazu, dass sich hier in der Regel eben nicht die älteste und die jüngste Generation gegenüber stehen, sondern die sich nahe stehenden Zwischengenerationen. Damit ist der Abstand von ca. 30 Jahren nicht die entscheidende Größe, sondern in erster Linie beeinflussen sich die Zwischenstufen. Je dynamischer das Zeitgeschehen, desto weniger Pietät und desto stärker die Tendenz der Alten, sich den Jungen anzupassen statt umgekehrt. Es kann sogar sein, dass die Älteren aufgrund ihrer größeren Souveränität (Elastizität), die neue Position eher aufnehmen können als die Jungen, wenn die Kette der Neuorientierung sie über die Zwischengenerationen erreicht. In stillen Zeiten ist der Übergang reibungsloser.105 Daneben könne der Zeitgeist gegebenenfalls auch aus mehreren Generationsentelechien als polar gespaltener Geist vorkommen.106 Eine sehr ähnliche Vorstellung findet sich, wie oben erläutert, auch bei PINDER. Nach JULIUS PETERSEN kommen nicht einmal in der Generationseinheit alle Typen zum Zuge, sondern es gibt nach seiner Auffassung führende, umgelenkte und unterdrückte Typen. Vordenker und Anführer könnten nur die stärksten Charaktere ihrer Zeit sein, da sie gegen den herrschenden Zeitgeist ankommen müssten. Sie zögen jedoch auch fest verankerte Menschen mit. Die soziale und geschichtliche Ebene könne dabei hemmend oder fördernd für den Durchbruch der Entelechie sein.107 Zusätzlich zu den auch von MANNHEIM genannten generationsbildenden Faktoren Geburt, Bildungselemente, Generationsentelechien, Gemeinschaft und Generationserlebnisse nennt PETERSEN als weitere mögliche Faktoren Vererbung, Führertum, Generationssprache und Erstarren der älteren Generation. 104
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 177 ff. und S. 329. Vergangene Ereignisse kämen deswegen nur unbewusst komprimiert zum Tragem, zum Beispiel in Gestalt eines Werkzeuges oder als bewusste Vorbilder. Eigene Erfahrung zu erarbeiten sei besser, als Wissen anzulernen, was andererseits dessen bewusste Übertragung erschwere. Dabei erziehe nicht nur der Lehrer den Schüler, sondern auch umgekehrt.
105
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 175 ff. und S. 184 f.
106
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 322 ff. und Ralea 1962 (Jeunesse), S. 60 und S. 70. Nach Ralea ist eine Generation außer in biologischer Hinsicht nie homogen. Im Gegensatz zur berühmten antiken Vorstellung der „courses de flambeau“ [Fackelläufe, Generationen, die das Licht weitertragen] herrsche heute Kampf zwischen Klassen oder konservativen und progressiven Strömungen innerhalb der altersgruppen vor. Statt von einem Generationenproblem sei die Jugend besonders von gesellschaftlichen Strukturproblemen wie Arbeitslosigkeit betroffen.
107
Vgl. Petersen 1930 (Literarische Generationen), S. 28 ff. und S. 53 f. Literaten seien zum Beispiel meist führend. Sie hätten es leichter, da sie als sozial freischwebende weniger Rücksichten zu nehmen hätten. In den exakten Wissenschaften setze sich die Generationsentelechie schlechter durch.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
47
Aus diesen filtert er als Hauptmerkmal das Einssein durch Schicksalhaftigkeit, die eine Gleichheit der Erfahrungen und Ziele in sich schließe, heraus und betont, dass die Reichweite einer Generation sehr unterschiedlich sein kann. Den Generationsrhythmus erläutert er anhand des Beispiels eines Motors, der im Großen und Ganzen taktmäßig arbeitet, aber auch Früh- und Fehlzündungen haben kann.108 Unter Frühzündungen könnte man hier Vorreiter in der vorigen Generation bezeichnen. Auch ist davon auszugehen, dass eine Generation Kernjahrgänge besitzt, die besondere Anziehungs- und Ausstrahlungskraft besitzen und quasi im Brennpunkt der Geschehnisse stehen. Kritik an der formalsoziologischen Analyse üben unter anderem CLAUDINE ATTIAS-DONFUT und NICOLE LAPIERRE in ihrem Essay zur Dynamik der Generationen, indem sie auf fehlende Elemente hinweisen. So sei zum Beispiel Stärke der Prägung nicht nur vom Alter, also der allgemeinen Aufnahmebereitschaft abhängig, sondern auch besonders vom Grad der Betroffenheit der Beteiligten durch ein Ereignis. Ein solches Ereignis kann zwar für die ganze Generation von Bedeutung sein, betrifft eben möglicherweise auch nur bestimmte Mitglieder einer Altersstufe. Des Weiteren schlagen ATTIAS-DONFUT und LAPIERRE vor den prägenden Einfluss weiterer Institutionen, wie Kindergarten, Schule109 oder Militär, zu berücksichtigen und heben in diesem Zusammenhang insbesondere die Bedeutung der Familie und der intrafamilialen Beziehungen hervor.110 Diese Lücken in der MANNHEIM’SCHEN Theorie können weitgehend unter Rückgriff auf die Theorie der Sozialisation geschlossen werden, die im Anschluss zusammen mit anderen soziologischen und verhaltenswissenschaftlichen Konzepten vorgestellt werden soll. In diesen Konzepten gewinnen auch Aspekte der Familiengenerationenforschung an Bedeutung.111 Die Forschungsergebnisse und das umfangreiche empirische Material zu diesem Thema, das vorwiegend ab den 60er Jahren entstanden ist, kann insbesondere zur Erklärung der Art und Entstehung von Generationsbeziehungen herangezogen werden und soll im folgenden Unterkapitel ausführlicher dargestellt werden. BERND BUCHHOFER, JÜRGEN FRIEDRICHS und HARTMUT LÜDTKE differenzieren unter dem Eindruck der Jugend- und Studentenunruhen Ende der 60er Jahre das Konzept von MANNHEIM aus der Sicht der zeitgenössischen Sozialforschung. Sie entwickeln eine Theorie der Generationendynamik, die ein konsistentes Hypothesengefüge über den Zusammenhang von Altersgruppen, Sozialisation, sozialem Wandel und generationsspezifischer Betroffenheit von sozialem Wandel beinhaltet. In diesem Modell verwenden sie den Generationsbegriff in etwa im Sinne eines Generationszusammenhangs. Intervenierende Variable ist die Sozialisation. Die Elemente der Generationenprägung fassen sie unter dem Begriff Information zusammen, der sowohl epochale Ereignisse als auch die materiellen, Wert-, Norm- und Symbolsysteme umfasst. Der Wirkungsgrad neuer Informationen nimmt mit zunehmendem Alter ab. Je dynamischer der soziale Wandel, desto größer die Informationsdynamik und desto mehr und 108
Vgl. Petersen 1930 (Literarische Generationen), S. 28 ff. und S. 53 f.
109
Die Bedeutung der Schule als Sozialisationsinstanz liegt für Eltern, Lehrer und Schüler insbesondere in ihrer inhaltlichen und formalen Qualifikation für das spätere Leben. Der Schulabschluss hat Auslese- und Statuszuweisungsfunktion. Vgl. Hurrelmann/Rosewitz/Wolf 1985 (Lebensphase Jugend), S. 89.
110
Vgl. Attias-Donfut/Lapierre 1994 (Dynamique), S. 7 f.
111
Ausführlich zur Historie der Familiengenerationsforschung vgl. Hareven 1991 (History of the family).
48
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
jüngere Sozialisationsagenten werden auch im Erwachsenenalter erforderlich. Dies verschärft auch die Generationsinformationsdifferenzen zwischen den Generationen und damit mögliche Generationenkonflikte. Neben Informationsdifferenzen sind nach dieser Autorengruppe weitere Bedingungen für Generationenkonflikte das Vorliegen von Konkurrenz um knappe Ressourcen sowie Sanktionsmöglichkeiten, um die daraus resultierenden Ansprüche zu verteidigen. Nach diesen drei Kriterien lassen sich 12 prinzipiell mögliche Konflikttypen systematisieren, die jedoch unterschiedlich wahrscheinlich sind. Die Operationalisierung des Gesamtmodells erfolgt anhand des Kohortenansatzes.112 Dieses analytische Konzept nach BUCHHOFER, FRIEDRICHS und LÜDTKE erscheint um des Preises der empirischen Anwendbarkeit willen nach ERICH WEBER jedoch ahistorisch und inhaltsleer. Er verweist für eine historische auf die konkrete Lebenswelt bezogene Betrachtungsweise auf die Lebenslaufforschung.113 Diese Forschungsrichtung und der Kohortenansatz werden im Folgenden entsprechend ihrer Bedeutung für die Generationenproblematik Berücksichtigung finden. Der formalsoziologischen Analyse bleibt das Verdienst, den Zugang zu vielen Forschungsmöglichkeiten und -ergebnissen der Generationenforschung erst geschaffen zu haben. Fast alle Konzepte greifen auf MANNHEIMS Ideen zurück. Auch wenn dazu „moderneres“ soziologisches Vokabular benutzt wird und insbesondere die empirischen Forschungsmethoden verbessert wurden, ist sein Theoriegerüst für die Gesellschaftsgenerationen doch noch immer tragfähig und tragend.
Formalsoziologische Analyse des Problems der Generationen – Kernelemente MANNHEIM wendet sich weg von der quantitativen Idee des determinierten Generationszyklus’ hin zur qualitativen Auffassung. Er nennt als Hauptfaktoren des Generationsgeschehens: das stete Einsetzen neuer und den Abgang früherer Kulturträger, die Partizipation an einem zeitlich begrenztem Ausschnitt des Geschichtsprozesses, die Kontinuierlichkeit des Generationswechsels, das körperliche und geistige und soziale Altern und den Zeitgeist. Aus der gemeinsamen zeitlichen und sozial-räumlichen Generationslagerung erwächst die Möglichkeit gemeinsamer, prägender Erlebnisse, die Generationszusammenhänge kennzeichnen. Aus einem Generationszusammenhang können dann eine oder verschiedene Generationseinheiten entstehen. Diese sind jeweils durch das Aufgreifen des Zeitgeistes in einer gemeinsamen Idee und durch deren Umsetzung gekennzeichnet. Eine Generationseinheit hat ein Generationsbewusstsein. Die Bildung von Generationszusammenhängen und -einheiten und die Beziehungen unter diesen Gruppen sind mit der Dynamik des sozialen Wandels verknüpft.
112
Vgl. Buchhofer/Friedrichs/Lüdtke 1970 (Generationsdynamik), S. 301 ff.
113
Vgl. Weber 1987 (Generationenkonflikte), S. 9.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
3
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Sozialisationsforschung und Rollentheorie „The child’s toys and the old man’s reasons are the fruits of the two seasons.“ William Blake114
Die interdisziplinäre Sozialisationsforschung zeigt, dass die Weitergabe von Kultur und die Erneuerung von Kultur und Gesellschaft in einem wechselseitigen Zusammenhang mit den lebenslangen Prozessen der Identitätsbildung der Person stehen.115 Die Zugehörigkeit zu einer größeren sozialen, geistigen und moralischen Gemeinschaft bestimmt das Denken und Handeln des Individuums und die Herausbildung seiner Identität. Die Identitäten der Mitglieder bestimmen wiederum Kultur und Gesellschaft. Die gesellschaftliche Sozialisation und die Erziehung des Individuums sowie die damit verknüpften Generationenkonflikte sind traditionell Gegenstand der Sozialisationsforschung. Im Vergleich dazu ist das Generationenlernen, also die Frage, inwiefern Sozialisationsprozesse durch die Teilnahme des Individuums an Generationsbeziehungen angeregt und beeinflusst werden, noch wenig untersucht worden.116 All diese Elemente der Sozialisationsforschung sind bezüglich der Generationenprägung und der Generationenbeziehungen von Bedeutung und sollen aus diesem Grund hier näher betrachtet werden. Menschen werden in allen Lebensabschnitten durch soziale, kulturelle, ökonomische und physikalische Umweltfaktoren geprägt. Gleichzeitig setzen sie sich mit ihrer sozialen und räumlichen Umwelt produktiv auseinander. Wie stark diese aktive Gestaltung der Lebensumstände ist, hängt unter anderem stark von genetischen Faktoren, der körperlichen Konstitution und dem psychischen Temperament ab. Sozialisation bezeichnet den Prozess der Eingliederung des Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft und Kultur. Das beinhaltet das Erlernen von Werte- und Normensystemen, Symbolen, Interpretationsmustern und Erwartungen der Gesellschaft. Wesentliches Medium der Sozialisation ist die Sprache, die in Grammatik und Begriffssystem die Strukturen der Gesellschaft widerspiegelt. Sozialisationsinstanzen sind die Familie, das soziale Milieu, Schule, Universität, berufliche Ausbildungsstätte, Unternehmen, Kirche, Militär, Vereine usw.117
114
„Die Spielsachen des Kindes und des alten Mannes Einsichten sind die Früchte der beiden Jahreszeiten.“ aus dem Gedicht „Auguries of Innocence“ von William Blake, zitiert nach Erikson 1965 (Kindheit), S. 217 [Übersetzung der Verfasserin].
115
Die zugehörigen psychologischen und soziologischen Forschungsrichtungen und ihre Hauptvertreter sind im Wesentlichen die Lerntheorie (Bandura), die psychoanalytische Theorie (Freud und Erikson), die Entwicklungstheorie (Piaget), die ökologische Theorie (Bronfenbrenner), die Systemtheorie (Parsons und Luhmann) und sehr allgemein die Handlungs- und Kommunikationstheorie (Mead) sowie die Gesellschaftstheorie (Habermas). Als zentrale Werke vgl. exemplarisch Bandura 1977 (Social learning theory), Bronfenbrenner 1981 (Ökologie), Inhelder/Piaget 1986 (Psychologie des Kindes), Mead 1991 (Identität), Luhmann 2004 (Systemtheorie). In diesem Bereich fehlt nach Hurrelmann eine Ergänzung durch eine Theorie zur Entwicklung des Körpers in Abhängigkeit und in Auseinandersetzung mit sozialen und ökologischen Umweltbedingungen. Vgl. Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 277.
116
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 174.
117
Vgl. Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 275 ff.
50
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Da der Mensch kaum über Instinkte verfügt, die sein Handeln steuern, muss er in diesem Prozess soziale Regeln, Verhaltensstandards und Rollen erlernen.118 Im Rahmen der Sozialisation lernt er, die unmittelbare Befriedigung von Bedürfnissen aufzuschieben. Außerdem kristallisieren sich hier die sozial und kulturell bedeutsamen Motive heraus. Die Entwicklung einer verhaltenssicheren, sozialen Persönlichkeit erfolgt, indem man in die gesellschaftlichen Struktur- und Interaktionszusammenhänge hineinwächst. Dabei steht die Entwicklung zur gefestigten, autonomen Persönlichkeit im Auseinandersetzungsprozess mit gesellschaftlichen Vorgaben (emanzipatorische Funktion) der Tradierung und Systemstabilisierung gegenüber (affirmative Funktion).119 Sozialisation ist ein lebenslanger Prozess, wobei die Entwicklungsschritte jeder Lebensphase aufeinander aufbauen. Solche Schritte sind beispielsweise Säuglingsalter, Kleinkindalter, Spielalter, Schulalter, Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter, Erwachsenenalter und Alter. Aus psychologischer Sicht unterscheiden diese sich hinsichtlich der psycho-sexuellen Stadien und des Radius wichtiger Beziehungen. Damit verbinden sich in der Adoleszenzphase beispielsweise die Pubertät als körperliches Merkmal und mit einer Identitätskrise zwischen Treue und Zurückweisung durch die Gleichaltrigengruppen, gekoppelt mit einer ideologischen Weltsicht. Im frühen Erwachsenenalter werden Partner in Freundschaft, Sexualität und Zusammenarbeit usw. wichtig. So erweitert sich der Kreis der Bezugspersonen von der Familie über die verschiedenen Sozialisationsinstanzen bis hin zum arbeitsteiligen Gesellschaftssystem.120 Die frühen Phasen der Sozialisation bis ca. zum dritten Lebensjahr sind von großer Ausgangsbedeutung, da hier die Grundstrukturen der Persönlichkeit bezüglich Sprache, Denken und Empfinden herausgebildet und die Grundmuster für soziales Verhalten entwickelt werden.121 Diese primäre Sozialisation und wichtigste Prägung erfolgt in der Regel hauptsächlich durch die Eltern. Sie sorgen für die emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes. Die Eltern bleiben auch im weiteren Verlauf wichtige Sozialisationsinstanzen und Träger der Erziehung. Innerhalb des Sozialisationsgeschehens nimmt die Erziehung als gezielte Verbesse118
Nach Schleiermacher verpflichtet die anthropologische Tatsache, dass der Mensch ein Mängelwesen sei, die Institutionen der Gesellschaft und damit auch die Unternehmen zur intergenerationellen Erziehung. Ein Mensch könne sich in der Gemeinschaft in gleicher Zeit viel weiter fortentwickeln als allein. Die Erziehung diene der Entwicklung der persönlichen Eigentümlichkeit und der Willenskraft genauso wie der Ertüchtigung für Aufgaben der Gemeinschaft. Die jüngere Generation solle befähigt werden, Bewährtes zu erhalten und das Unvollkommene zu verbessern. Im Willen zu erziehen und sich disziplinieren zu lassen, wirkten beide Generationen auf etwas Gemeinsames hin. Vgl. Schleiermacher (1768 - 1843)/1994 (Pädagogische Schriften), S. 39 ff., S. 67, S. 101 und S. 107 sowie Ecarius 1998 (Generationenbeziehungen), S. 42 f.
119
Vgl. Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 278 ff. und Stahlke 2001 (Rollenspiel), S. 16 ff. Nach Stahlke sind für den Aufbau des Selbstbildes und Gewissens andere Personen und ihre Haltungen sehr wichtig. Ein Individuum tendiert dabei zu Personen, die seinem Selbstbild bejahend gegenüberstehen. Kinder bauen hier im Gegensatz zu Erwachsenen vertrauensvoll auch Beziehungen zu Menschen auf, die für das Selbstbild negative Konsequenzen haben können.
120
Vgl. Atchley 1975 (Life course), S. 66, Erikson 1992 (Lebenszyklus), S. 27 ff. und S. 36 f., Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 277 und Piaget 1962 (Développement), S. 54 ff. Die Entwicklung geht vom Mikro- zum Makrosystem vonstatten. Dabei braucht jeder junge Mensch in seiner intellektuellen Entwicklung für jede Phase ein bestimmtes Minimum an Zeit. Laut Piaget ist es nicht Ziel der Erziehung, Kindern möglichst schnell viel Wissen beizubringen, sondern wie man lernt und sich lebenslang weiterentwickelt.
121
Vgl. Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 277 f.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
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rung einzelner Qualitäten des Kindes eine besondere Stellung ein. Die Übermittlung und Weitergabe von Werten, Einstellungen und Verhaltensmustern erfolgt jedoch nicht nur durch bewusste Erziehung, sondern über die Gesamtheit der alltäglichen Interaktionen in der Familie, auch wenn diese nicht kindbezogen sind. Trotz Auslagerung vieler Sozialisationsaufgaben an andere Institutionen bleibt die Familie doch die zentrale Sozialisationsinstanz.122 Die Phase der primären Sozialisation geht in die Phase der sekundären Sozialisation über, welche die Weiterentwicklung und Variation von Verhaltensmustern wie Tabus, tolerierbaren und erwarteten Verhaltensweisen beinhaltet. Die Formen und Regeln des sozialen Umgangs (Sitten, Gebräuche und Normen, Recht, Mode und Konvention) und ihre Verbindlichkeitsgrade werden vermittelt.123 Das Kind wird selbstständiger und erlernt neue Rollen. Weitere Sozialisationsinstanzen, wie Geschwister, die erweiterte Familie, Gleichaltrige Nachbarn, Kindergarten und Schule, Kirche, Medien usw., gewinnen mit zunehmendem Alter an Bedeutung. Die Gleichaltrigen und Freunde spielen als „peer group“ im Ablösungsprozess des Jugendlichen vom Elternhaus und bei seiner Identitätsfindung eine besondere Rolle. Dies zeigt sich insbesondere bei den klassischen, pubertären Generationenkonflikten zwischen Eltern und Kindern, gilt aber auch dann, wenn die Familienbeziehungen nicht besonders konfliktär sind. In der heutigen schnelllebigen Zeit, wo das Wissen der älteren Generation schnell veraltet, können und müssen die Jugendlichen einander wichtige Orientierungshilfen geben.124 Im Berufsleben erleichtert die Gleichaltrigengruppe den Einstieg. Sie hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, der nicht unbedingt in Richtung der Unternehmensinteressen wirkt. Bei den intrafamilialen Generationenkonflikten geht es im Wesentlichen um die Problematik der Reifung und Ablösung. Der Reifeprozess mündet die körperliche, geschlechtliche, geistige, sittliche und rechtliche Reife. Diese sind, so weit es um jüngere Menschen geht, im Wesentlichen an das Alter gekoppelt. Der erwachsene Mensch wird jedoch nicht aufgrund seines fortgeschrittenen Alters als reif bezeichnet, sondern aufgrund seiner Erfahrung und Abgeklärtheit, die aus durchgestandenen Krisen resultieren. Die mit dem Erwachsenwerden verbundene, wachsende Leistungsfähigkeit und Erfahrung führen zur Ablösung aus der Familie in die Eigenständigkeit. Mit der Abhängigkeit von den Eltern schwindet auch ein Teil der Verbundenheit, was die Eltern als schmerzlich empfinden. Gut gemeinter Rat wird von den Jugendlichen oft als Einmischung empfunden. Stattdessen entwickeln sie eigene Lebens- und Wertvorstellungen. Gelingt es Eltern und Kindern im echten Dialog ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, so wirkt sich das sehr positiv auf ihr Verhältnis aus. Unabhängig davon besteht die Gefahr, dass nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Eltern in Konfrontation mit den neuen Wertvorstellungen in eine Krise geraten. Sie müssen sich mit den unerfüllten Wünschen der eigenen Geschichte auseinandersetzen und ihre eigenen Wertsysteme in Frage stellen, beispielsweise das eigene Berufsethos gegen eine Freizeitorientierung 122
Vgl. Ecarius 1998 (Generationenbeziehungen), S. 57.
123
Vgl. Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 277 f.
124
Vgl. Mansel/Rosenthal/Tölke 1997 (Tradierung), S. 10 f. Hurrelmann/Rosewitz/Wolf sehen in der Gleichaltrigengruppe eine Art Subkultur, deren Einfluss dort stark ist, wo der Einfluss der Familie früh zurückgedrängt wird (vor allem Freizeit und Konsum, weniger in Bildung und Beruf) und die Jugendlichen in ihren Selbstbildern bestärkt. Vgl. Hurrelmann/Rosewitz/Wolf 1985 (Lebensphase Jugend), S. 73 ff.
52
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
abwägen.125 Da diese Phase meist mit dem Berufseintritt einhergeht, können Unternehmen hier eine wichtige Funktion als Sozialisationsinstanz wahrnehmen und den Jugendlichen Orientierung bieten. Andererseits können junge Mitarbeiter auch dafür sorgen, dass Unternehmenswerte hinterfragt werden. Die Verbesserung der Qualifikation des Kindes oder Jugendlichen ist ein interaktiver Prozess, bei dem die Jüngeren vom Wissensschatz der Älteren profitieren. Sie lernen, Probleme zu erkennen, sie einer bestimmten Kategorie zuzuordnen und die als bestmöglich bekannte Lösung anzuwenden. Das erspart ihnen, Dinge selbst ausprobieren zu müssen und damit Zeit, Kraft, Nerven usw. In die Erziehung der nächsten Generation fließen die persönlichen Erfahrungen der Vorgängergenerationen ein, die ihr ein besonderes Gepräge geben. Dieses wird vor dem Hintergrund der Sozialgeschichte verarbeitet, fortgebildet, verändert, anders gestaltet oder gar vergessen. Die in den ersten Lebensjahren gesammelten Lebenserfahrungen sind grundlegend für die Denk- und Handlungsformen des Individuums. Hier besteht ein Zusammenhang zu den Erziehungsmustern, die eine erwachsene Person anwendet. Sie formen die sozialgeschichtliche Welt, die den sozialen Rahmen für eine Generationslagerung bildet.126 Trotzdessen haben selbst gemachte Erfahrungen ihren ganz eigenen Wert und sind besonders lehrreich.127 Das Hinterfragen, die Suche nach anderen Lösungen und neuen Wegen, Kreativität und Mut zum Fortschritt, das sind Eigenschaften, die Kinder und die junge Generation an sich auszeichnen. Bei der Übertragung von Wissen kommt in der Folge der Institution des Bildungssystems eine wichtige Rolle zu. Gleichzeitig können im Rahmen der Übertragung kulturellen Kapitals soziale Strukturen wie soziale Ungleichheit ebenfalls übertragen werden.128 Diese Tatsache und der zentrale Einfluss der Eltern als Sozialisationsinstanz widersprechen der Vermutung, jüngere Generationen hätten per se andere Wertvorstellungen als ihre Eltern. Tatsächlich lassen sich bestimmte Werte und Verhaltensweisen und der daran geknüpfte Status innerhalb der Gesellschaft über Generationsgrenzen hinweg erfolgreich weitergeben und viele Jugendliche wachsen ohne größere Generationenkonflikte auf. Diese Erkenntnisse sind auf das Unternehmensgeschehen übertragbar. Mit dem Erwachsenwerden ist die Sozialisation nämlich keineswegs abgeschlossen. Der Eintritt in die Berufswelt ist eine weitere wichtige Prägephase. In dieser Zeit lernt der Berufstätige die beruflichen Struktur- und Interaktionszusammenhänge und ihre Anforderungen kennen und mit ihnen umzugehen. Die Weiterentwicklung der Persönlichkeitsstrukturen beginnt in den schulischen und betrieblichen Einrichtungen des Berufsbildungssystems und dauert während der Er125
Vgl. Bollnow 1987 (Reife), S. 22 ff. und Ellesat 2003 (Adoleszenzkonflikte), S. 40 und S. 45.
126
Vgl. Ecarius 2002 (Familienerziehung), S. 54 f.
127
Ein Kind zum Beispiel, das die heiße Herdplatte trotz Verbot anfasst, macht eine tiefgreifendere Erfahrung als das gehorsame Kind. Die schmerzhafte Erfahrung ist eigentlich verzichtbar. Dennoch kann es nützlich sein, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dazu dienen die Fragen junger Menschen, warum etwas verboten oder erlaubt ist, woher etwas kommt oder warum man etwas gerade so und nicht anders machen soll.
128
Die Selektion nach Qualität der Bildungsinstitutionen sowie die Wahl bestimmter Studienfächer fördern Kinder privilegierter Schichten und formen nach Untersuchungen von Bourdieu in Frankreich einen besonderen Habitus und Corpsgeist, der sie als Träger der Macht in Wirtschafts-, Politik- und Gesellschaftseliten prädestiniert. Vgl. Bourdieu 1989 (Noblesse d’état), S. 32, 108 ff., S. 375 ff., S. 386 ff. und S. 450 f.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
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werbstätigkeit in allen beruflichen Positionen und insbesondere bei einem Wechsel des Unternehmens fort. Sozialisation umfasst in diesem Sinn das Mündigwerden in der arbeitsteiligen Gesellschaft (Personalisation) und die Handlungsfähigkeit zur Erfüllung beruflicher und gesellschaftlicher Anforderungen (Qualifikation). Die Unternehmenskultur wird von neuen Mitarbeitern weitgehend problemlos übernommen. Hinterfragen, Kreativität und Idealismus einer neuen Generation zeichnen sich jedoch auch in ihrem Schwung und Elan im Berufsleben ab. Ihren Mitgliedern sind zum Beispiel die Arbeitsabläufe im Betrieb noch nicht vertraut. Kommen sie ihnen seltsam vor oder weichen sie von den in Berufsschule oder Hochschule vermittelten Optima ab, so fragen sie nach und mögen damit manchen älteren Kollegen dazu bringen, die Sinnhaftigkeit oder Effizienz einer Arbeitsweise zu hinterfragen oder sich selbst eine Verbesserung auszudenken.129 Umweltfaktoren auf der gesellschaftlichen und auf der Familienebene sind wichtig für die „erfolgreiche“ Sozialisation einer Generation. Hohe Scheidungsraten, Kriegsgeschehen, ökonomische Krisen, die technologische Entwicklung etc. sind aus diesem Grunde relevant für das Generationssystem. Das gilt auch für das Wertsystem der Elterngeneration und die Bildungsvoraussetzungen. Was hier für Generationen im Allgemeinen gilt, gilt deshalb auch für die jüngste Generation am Arbeitsplatz. Hier ist es erstens entscheidend, auf welche Arbeitsmarktsituation sie treffen und zweitens welche intellektuelle und soziale Erziehung diese Jugendlichen genossen haben und inwiefern Familie und Ausbildungssystem sie auf ihre Rolle vorbereitet haben. Dabei spielen auch Bildungsstand und berufsgebundene Orientierung der Elterngeneration eine Rolle. Die Berufswahl ist damit persönlichkeits- und sozialisationsbedingt.130 Hinsichtlich der besonderen Bedeutung der beruflichen Erfahrungen für die personale Identität im weiteren Lebensverlauf herrscht bereits seit langem Konsens in der Soziologie. Im betrieblichen Arbeitsprozess verändern sich die Einstellungen, Wertorientierungen, Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensstrategien des Arbeitenden. Die Unternehmen und die Ausbildungsstätten übernehmen hier eine ähnlich zentrale Funktion wie Familie oder Schule in den frühen Phasen der Sozialisation. Die berufliche und betriebliche Sozialisation, die Eingliederung in die Arbeitsorganisation und die Übernahme berufsspezifischer Handlungsstile sind für das weitere Berufsleben als Erwachsener prägend. Hier sollen Fähigkeiten, Kenntnisse, Betriebswissen und Motivation, sowie Normen und Erwartungen an die Berufsrolle ver-
129
Vgl. Heinz 1991 (Berufliche Sozialisation), S. 397 ff.
130
Die Risikofaktoren der Persönlichkeitsentwicklung liegen also weitgehend nicht im Einflussbereich der Unternehmen. Umstrukturierungen in der Familie, insbesondere eine Trennung der Eltern, belasten Kinder psychisch und sozial erheblich. Für Alleinerziehende sind die zeitlichen, organisatorischen, finanziellen und emotionelle Belastungen hoch und führen zu sozialer Ungleichheit und Futterneid bei den Kindern. Daneben können durch einseitig massenmediale Anregungen, Mangel an Gleichaltrigengruppen oder Bewegungsfreiheit motorische, emotionale und soziale Erfahrungsdefizite entstehen. Sehr hohe Leistungserwartungen der Eltern oder des Arbeitsmarktes können zu psychosozialen und psychosomatischen Störungen wegen Überforderung führen. Vgl. Caspi/Elder 1990 (Persönliche Entwicklung), S. 26 ff., Heinz 1991 (Berufliche Sozialisation), S. 397 ff. und Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie), S. 284 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
mittelt werden.131 Von Unternehmensseite ist hier die Auswahl geeigneter Bewerber mit echten Präferenzen für die Stelle und die Weiterentwicklung ihres Potenzial entscheidend. Dabei wird implizit ein Vertrag zum Generationenlernen mit dem Berufsanfänger geschlossen. Die Berufswahl legt den Grundstein für den Berufsverlauf, selbst wenn Karrieren heute immer diskontinuierlicher werden und Normalarbeitsverhältnisse im Berufsleben erodieren. In Deutschland ist die Berufswahl noch immer schicht-, geschlechts- und bildungsspezifisch und versperrt alternative Berufswege. Dazu trägt auch der berufsspezifische Habitus mit seinen gemeinsamen Denk- und Beurteilungsmustern sowie Handlungsschemata bei. Die beruflichen Erfahrungen konkretisieren das Verhältnis des Arbeitenden gegenüber Arbeitsinhalt, Arbeitsbedingungen und Arbeitsresultaten. Erlernt werden sollte neben der berufsfachlichen Qualifikation selbstverantwortliches Handeln und die Mitgestaltung von Arbeitsabläufen. Vermittelt werden gleichfalls normative Orientierungen bezüglich Arbeitsleistung und Arbeitstugenden, vor allem Zuverlässigkeit und innerer Verpflichtung, Aufstieg, gerechter Verteilung von Privilegien, Kollegialität, Konflikt- und Kooperation im Betrieb, Herrschaftsstruktur, Entscheidungsprinzipien, Arbeitsbelastungen und Arbeitstugenden. Dazu kommen die Förderung von Kontrollbewusstsein und ein Anstieg im Niveau des moralischen Urteils. Diese haben für den gesamten biografischen und aktuellen außerbetrieblichen Lebenszusammenhang bewusstseinsbildende und persönlichkeitsformende Auswirkungen.132 Generell finden gesellschaftliche Verhaltenserwartungen ihren Niederschlag in Normen. Viele davon sind an das Alter geknüpft. Die Ergebnisse der Untersuchungen von LOWE, MOORE und NEUGARTEN weisen darauf hin, dass der persönliche Glaube an die Relevanz und Gültigkeit gesellschaftlicher Normen mit wachsendem Alter oder vielmehr mit wachsender Reife zunimmt. Begründet wird dies damit, dass sich Erwachsene mit dem Älterwerden mehr und mehr bewusst würden, dass nicht altersgerechtes Verhalten zu Diskriminierungen und sozialen Sanktionen führt. Im Zuge dessen wachse die Erkenntnis, dass es für manche Dinge eine Zeit im Leben gibt, zu der sie am besten getan würden und dass das Alter damit ein Beurteilungskriterium für angemessenes Verhalten sei.133 Diese (normativen) Erwartungen an ein situationsspezifisch und altergemäß sinnvolles Verhalten lassen sich unter dem sozialpsychologischen Begriff der Rolle bündeln. Die Rollentheorie bietet einen begrifflichen Rahmen für die Formulierung empirisch zu untersuchender Gebiete in der Soziologie und insbesondere für Generationenfragestellungen.134
131
Vgl. Steinkamp 1981 (Sozialisationspotenzial beruflicher Arbeit), S. 70 ff. und S. 81. Heute sind vor allem prozessunabhängige Fähigkeiten wie Flexibilität, technische Intelligenz, Vorausdenken, koordiniertes Funktionswissen, dazu Verantwortung und Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit und Urteilsfähigkeit sowie Kommunikationsfähigkeit gefragt. Vgl. Heinz 1991 (Berufliche Sozialisation), S. 405.
132
Vgl. Heinz 1991 (Berufliche Sozialisation), S. 398 ff.
133
Vgl. Datan/Neugarten 1979 (Lebenslauf soziologisch), S. 370 f. und Lowe/Moore/Neugarten 1978 (Altersnormen), S. 130 f.
134
Ein ausführlicher Überblick über die wichtigsten Ansätze zur Rollentheorie findet sich bei Stahlke. Als Ausgangspunkt der Rollenübernahmetheorie ist das Werk George Herbert Meads hervorzuheben. Vgl. Mead 1934/1973 (Identität), S. 196 f. und S. 243 sowie Stahlke 2001 (Rollenspiel), S. 12 ff. Zur Kritik vgl. ausführlich Joas 1991 (Rollentheorien), S. 137 ff. und zur Definition ebenda S. 146 f.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
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Die Gesellschaft definiert soziale Regeln und Handlungsmuster, die für eine Rolle als typisch gelten. Sie basieren auf gesellschaftlichen Institutionen bzw. den ihnen zugrunde liegenden ideologischen Annahmen. Die Rolle ist zunächst einmal unabhängig von der sie ausfüllenden Person. Sie ist auf eine gewisse Dauer angelegt und an die Position im Bezugssystem (zum Beispiel soziale Gruppe, Institution, Gesellschaft) und deren Status geknüpft.135 Dennoch können die Rollenerwartungen mit Merkmalen des Rolleninhabers, wie Geschlecht, Alter, Arbeitssituation oder Stellung in der Familie, variieren.136 Mit dem Erlernen einer Rolle übernimmt der Einzelne diese Regeln und beeinflusst durch seine subjektive Gestaltung der Rolle das, was als sozial gültige Definition tradiert wird.137 Durch die Übernahme von Rollen und Reaktionen auf gesellschaftliche Haltungen in Kommunikation und Interaktion konstituiert das Individuum seine eigene Identität und seine gesellschaftliche Realität.138 In organisationspsychologischer Hinsicht wird der Begriff Rolle häufig als Schnittstelle zwischen Organisation und Individuum definiert. Im Arbeitsleben wird zunächst einmal abgehoben vom Individuum erwartet, dass eine bestimmte berufliche Rolle, wie Buchhalter, Abteilungsleiterin oder Gabelstaplerfahrer, ausgefüllt wird. Hier steht die Funktion im Mittelpunkt, nichtsdestoweniger sind auch Erwartungen sozialer Art an diese Rolle geknüpft. Das Individuelle kommt bei der Ausgestaltung der Rolle zum Tragen. So kann zum Beispiel die Rolle des Außendienstlers („Verkaufen“) auf seriöse, kreative, dynamische Art ausgefüllt werden. Je starrer die Strukturen und je präziser die Rollenerwartung, desto einfacher ist prinzipiell das Ausfüllen der Rolle und desto geringer ist der Spielraum für die eigenständige Gestaltung. Dabei gibt es Rollen, von denen das Individuum aufrichtig überzeugt ist und andere, zu denen es eine gewisse Distanz aufbaut. Letztere äußert sich meist in Ironie. Diese ist eigentlich ein Normenbruch, kann aber von anderen „übersehen“ werden, um Konflikte zu vermeiden.139 Der Einzelne füllt sowohl im Privat- als auch Berufsleben verschiedene Rollen aus. Dies kann zu Konflikten führen, wenn zum Beispiel die Erwartungen an den „Manager“ sich mit den Erwartungen an den „Familienvater“ nicht vereinbaren lassen (Interrollenkonflikt). Im Unternehmen werden die Rollenerwartungen an den Einzelnen durch inner- und außerorganisationale Richtlinien und Personen bestimmt. Diese können durchaus widersprüchlich sein (Intrarollenkonflikt). Dies wird leicht einsichtig, wenn man sich vor Augen hält, dass zum Beispiel an den Außendienstler sowohl von Kunden als auch von Organisationsteilnehmern Erwartungen herangetragen werden. Auch die Erwartungen innerhalb dieser Gruppen können unterschiedlich sein. Die verschiedenen Sparten konkurrieren um die Zeit des Außendienstlers für den Verkauf ihrer Produkte, das Marketing braucht Informationen zum Marktgeschehen usw. Insbesondere Führungskräfte der mittleren Ebene sehen sich oft vor Dilemmata gestellt. Sie müssen die Rolle des Führenden mit der des Geführten vereinbaren. Allgemein kämpfen Führungskräfte mit dem Widerspruch zwischen der Vertretung allgemeiner Normen, wie zum
135
Vgl. Scholz 1982 (Rollentheorie), S. 14.
136
Vgl. Stahlke 2001 (Rollenspiel), S. 12 f. und S. 45 f.
137
Vgl. Scholz 1982 (Rollentheorie), S. 87.
138
Vgl. Mead 1934/1973 (Identität), S. 243.
139
Vgl. Stahlke 2001 (Rollenspiel), S. 35 ff. und Joas 1991 (Rollentheorien), S. 137 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Beispiel Fairness und Gleichbehandlung, und dem Eingehen auf den Einzelfall. Dabei tragen Unsicherheiten, Konflikte und Gestaltungsspielräume gleichzeitig die Chance auf Verbesserung in sich, die nur vom Einzelnen und seiner Sichtweise der Organisation ausgehen können. Tendenziell spielen in einem Unternehmen neue/junge Mitglieder eher die Rolle des „Erneuerers“ und langjährige/ältere Mitarbeiter die Rolle des „Bewahrers“.140 Die Rollenerwartung hängt also nicht nur von der Unternehmens- oder Gruppenkultur ab, sondern auch von den Erfahrungen und Erwartungen der anderen Mitarbeiter an das Arbeitsverhalten des Rolleninhabers. Generationsbedingte, gelernte und erwartete Verhaltensweisen sind hier wichtig.141 Mit zunehmender Betriebszugehörigkeit durchlaufen Mitarbeiter in der Regel verschiedene Rollen und Statusübergänge. Solche Veränderungen sind meist an Veränderungen im Privatleben und bestimmte Lebensphasen gekoppelt. Die Wechselwirkungen zwischen beruflichen und privaten Entwicklungen werden im folgenden Unterkapitel zur Lebensverlaufsforschung ausführlich thematisiert.
Sozialisationsforschung – Kernelemente Weitergabe und Erneuerung von Kultur und Gesellschaft stehen im wechselseitigen Zusammenhang mit der Identitätsbildung des Individuums. Diese erfolgt in einem lebenslangen Sozialisations- und Lernprozess, in dem Sprache, soziale Regeln, Werte, Wissen, Verhaltensstandards und Rollen vermittelt werden, wobei die frühen Lebensphasen entscheidend für die Denk- und Handlungsformen des Individuums sind. Die Sozialisation erfolgt unbewusst über die alltägliche Interaktion mit den Sozialisationsinstanzen oder als bewusste Erziehung mit dem Ziel der Verbesserung der Qualitäten des Kindes. Die erste und wichtigste Sozialisationsinstanz ist die Familie. Mit fortschreitender Entwicklung gewinnen familiäres Umfeld, Bildungsinstitutionen, Gleichaltrige, Partner, Kirche, Vereine usw. an Wichtigkeit. Im Rahmen der Reifungs- und Ablösungsprozesse in der Adoleszenz können durch das Infragestellen von Werten etc. Generationenkonflikte auftreten. Der Eintritt in das Berufsleben und die berufliche Sozialisation sind zentral für die Qualifikation und die Personalisation des Individuums. Rollentheorie – Kernelemente Rollen sind Verhaltenserwartungen der Gesellschaft, die sich an eine bestimmte soziale Position knüpfen. Diese sind zunächst einmal unabhängig von der ausfüllenden Person und auf eine gewisse Dauer angelegt, können jedoch unter anderem mit dem Alter variieren (Innovatorenrolle junger Mitarbeiter). Auch hat das Individuum nach der Rollenübernahme gewisse subjektive Gestaltungsmöglichkeiten, die unter anderem auch in der Distanzierung von der Rolle liegen. Wenn unterschiedliche Erwartungen an die Person und die Rolle des Rolleninhabers herangetragen werden, können Intra- und Interrollenkonflikte entstehen. Normen sind rollenübergreifende Verhaltenserwartungen der Gesellschaft. Mit zunehmendem Alter wird das Individuum aus Erfahrung zunehmend systemkonformer, was die Erfüllung sozialer Verhaltenserwartungen angeht.
140
Vgl. Stahlke 2001 (Rollenspiel), S. 50 ff. und Neuberger 2002 (Führen), S. 90 ff.
141
Firmenparkplätze zum Beispiel werden oft nach Alter bzw. Betriebszugehörigkeit und nicht unbedingt nach hierarchischem Status verteilt.
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Lebenslaufkonzept
Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts stellt sich die Lebensverlaufsforschung angesichts der sozialen Spannungen und Umbrüche die Frage nach der Entwicklung von Generationen innerhalb ihrer Lebensspanne, nach den Einflüssen der Zeitgeschichte auf das Generationsgeschehen und nach den Beziehungen zwischen den Generationen. Seit Ende der 70er Jahre hat dieses Forschungskonzept insbesondere in Form der „life-span developmental psychology“ zunehmend an Bedeutung gewonnen.142 Das Lebensphasenkonzept bzw. der Lebenslauf ist sowohl ein heuristisches als auch ein konzeptionelles Werkzeug, mit dessen Hilfe die Soziologen versuchen, die soziale Struktur und den sozialen Prozess der Lebensspannen und Lebensphasen mit den einzigartigen Biografien von Individuen in Beziehung zu setzen.143 Die Lebenslaufanalyse bzw. Lebensverlaufs- oder Lebenszyklusforschung beschäftigt sich mit der Altersschichtung von Generationen nach Lebensphasen. Damit ist der Lebenslauf eine kontinuierliche Folge von Phasen, die ein Individuum von der Geburt bis zum Tod durchläuft. Er bezieht sich nicht einfach auf die altersbedingten Rahmenbedingungen in der individuellen Biografie, sondern besteht aus weitgehend vorprogrammierten, alternativen Sequenzen altersbezogener Normen- und Wertvorstellungen zusammen. Insofern kann der Lebenslauf als eine Aufeinanderfolge von wechselnden Rollenkonstellationen betrachtet werden. Im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten gibt es nämlich Vorstellungen davon, wie Menschen sich in jedem Abschnitt ihres Lebenslaufes angemessen verhalten und entwickeln sollten. Als grober Routen- oder Stundenplan bietet der Lebenslauf ein Minimum an Struktur und Vorhersagbarkeit zu der Folge von altersgemäßen Gruppen, Subkulturen, Positionen, sozialen Situationen und Prozessen, durch die das Individuum im Laufe seines Lebens gehen wird. Diese so genannte Normalbiografie umfasst zum Beispiel die Phasen Kindheit, schulische und berufliche Ausbildung, Berufstätigkeit, Karriere und Ruhestand. Heute haben sich die Spielräume für die individuelle Lebenslaufgestaltung in den Industriegesellschaften vergrößert. Für den Einzelnen kann das eine Herausforderung sein, da mit den wachsenden Freiräume soziale Unterstützung und Absicherung in den länger werdenden Abhängigkeitsphasen, wie Kindheit, Jugend und hohes Alter, ihre Selbstverständlichkeit verlieren.144 Das Lebensalter ist jedoch prinzipiell in all seinen Dimensionen ein wichtiges Maß zur Bestimmung des sozialen Handelns. Eine umfassende soziologische Konzeptualisierung des Lebensalters stellt die Theorie der Altersschichtung dar. Jeder Schicht im Sinne von jeder Altersgruppe der Bevölkerung sind danach bestimmte Rollen zugewiesen, an die sich Erwartun-
142
Vgl. Kühnert/Niederfranke 1993 (Gerontologische Theorien), S. 87. Eng verwandt mit dem Lebenslauf, jedoch für den hier verfolgten Zweck zu detailliert, sind Konzepte zu Lebenslage und Lebensstil. Erstere betreffen soziale Ungleichheiten innerhalb von Altersgruppen, letztere individuelle Wertegruppen, Milieus, Freizeitstile etc. in der Lebenslage. Vgl. exemplarisch Naegele/Tews 1993 (Theorieansätze), S. 341 ff. Zu den Anfängen der quantitativen Lebenslaufforschung vgl. Mayer 1987 (Lebenslaufforschung), S. 68.
143
Vgl. auch Atchley 1975 (Life course), S. 261. Aufgrund seiner Vielfalt muss der Lebenslauf ein heuristisches Konzept bleiben. Es gibt nicht den Lebenslauf, sondern mehrere.
144
Vgl. Atchley 1975 (Life course), S. 261, Datan/Neugarten 1979 (Lebenslauf soziologisch), S. 363 ff., Hurrelmann 1998 (Sozialisationstheorie) S. 278 f. und Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 250 f.
58
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
gen, Rechte, Pflichten, Sanktionen und ein gewisser Status knüpfen. Dies wirft die Frage nach den Übergängen zwischen den Altersgruppen bzw. Statusgruppen auf.145 Diese Übergänge zwischen den Lebensphasen werden in der Regel durch bedeutende Ereignisse eingeleitet. Ein solches Ereignis ist dadurch gekennzeichnet, dass es prinzipiell bei allen Mitgliedern der Gesellschaft auftreten kann, bei einem möglichst großen Anteil der Bevölkerung tatsächlich vorkommt (Verbreitung) und dass der Hauptteil der Bevölkerung es zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. in einem gewissen Zeitrahmen erlebt. Dabei sollte der zeitliche Streubereich, im Sinne des Zeitraumes, in dem ein Großteil der Bevölkerung das Ereignis durchlebt, möglichst gering sein. Weiterhin sollte ein bedeutendes Ereignis möglichst einmalig und irreversibel sein und dauerhaft Veränderungen in Verhalten, Einstellungen etc. bewirken. Gute Beispiele für solche Ereignisse sind die Geburt des ersten Kindes oder der Berufseintritt, der in der Regel die Adoleszenz vom jungen Erwachsenendasein scheidet. Die Veränderungen im Lebenszyklus sind außer mit Veränderungen der sozialen Rollen häufig auch mit räumlich-materiellen Änderungen (Wohnzyklus) und zeitlichen Änderungen (Tagesablauf) verbunden.146 Komplexere Merkmale sind die Alterskongruenz mit anderen Statusübergängen als Grad der Überschneidung der Streubereiche und die Integration als Verknüpfung der Statusübergänge unabhängig vom Alter. Eine Statuspassage wird in der Regel durch alterschronologische (beispielsweise Jugend, Erwachsenwerden) oder sozial-strukturelle Ursachen (beispielsweise beruflicher Aufstieg, Arbeitslosigkeit) oder durch eine Kombination von beiden ausgelöst (beispielsweise Heirat, Entschluss zur Elternschaft). In diesem Fall sind Statusübergänge meist mit einem Ritual verbunden, das die Transition vom alten zum neuen Zustand dramatisiert und damit die gesellschaftlichen Strukturen und Normen stärkt. Daneben können im individuellen Lebenslauf können unerwünschte und ungeplante Ereignisse Anlass zu Modifizierung oder Umstrukturierung geben und dabei einen oder mehrere Lebensbereiche tangieren. Die Hauptursachen dafür sind Krankheit, Verurteilung, Unfall oder Tod im Umfeld.147 Damit wird in der Lebensverlaufsforschung nicht primär nach dem biologischen Alter geforscht, sondern nach dem sozialen und psychologischen Alter. Das biologische Alter dient lediglich als Indikator für kovariierende Merkmale, die das Verhalten prägen. Es geht also um die Frage, welches Verhalten die Stellung im Lebenszyklus von einem Individuum erwarten lässt und ob das Lebensverlaufskonzept eine bessere Vorhersage dazu bietet, als sie nur durch die Kenntnis des biologischen Alters möglich wäre.148 145
Vgl. dazu Datan/Neugarten 1979 (Lebenslauf soziologisch), S. 376, Riley 1986 (Life stages), S. 150 und Furstenberg Jr./Hershberg/Modell 1978 (Übergänge ins Erwachsenenleben), S. 232.
146
So sind Berufseintritt und Auszug aus dem Elternhaus oft verbunden, genauso wie Karriereaufstieg und Verbesserung der Einkommens- und Wohnsituation usw. Für das tägliche Leben bedeutet das häufig eine stärkere zeitliche Strukturierung und eine Einengung des Zeitfensters für Freizeitaktivitäten. Das Fortschreiten in der Lebenszeit bedingt so Änderungen im Tagesablauf. Vgl. Kohli 1978 (Lebenslauf), S. 103 und S. 136.
147
Vgl. Furstenberg Jr./Hershberg/Modell 1978 (Übergänge ins Erwachsenenleben), S. 225 ff., Hoerning 1978 (Statuspassage), S. 255 und Kohli 1978 (Lebenslauf), S. 103 und S. 228.
148
Vgl. ausführlich Friedrichs/Kamp 1978 (Lebenszykluskonzept), S. 175 ff. und S. 186.
59
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
Abb. B-1: Idealtypischer Lebensverlauf Chronologisches 0 Alter
10
20
Kindheit
30
40
Junges Erwachsenalter
50
60
Mittleres Erwachsenalter
70
80
Reifes Alter
90
100
Hochbetagtheit
Lebensphasen Kleinkindalter
Adoleszenz Unabhängigwerden des letzten Kindes
Singledasein Leben mit den Eltern Elternschaft
Leeres Nest Zweisamkeit
Familie Eheschließungsphase
Verwitwung wird wahrscheinlich Scheidungen und Wiederverheiratungen werden wahrscheinlich
Berufswahl Vorbereitungsphase
Karriere
Übergangsphase
Rente
Karriere Phase des Rentenbeginns
Experimentierphase abhängig
unabhängig
eher abhängig
Finanzen Hauptanschaffungen
Freizeit/ Interessen
Viel Freizeit Interessensfindung
Unabhängigkeit und Spezialisierung
Erhaltungsanschaffungen
Vorrang von Familie und Beruf
Sinnfindung im Freizeitbereich
Engagement
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Atchley 1975 (Life course), S. 264 f.149
Ein idealtypischer Verlauf der Normalbiografie kann nach dem vorstehenden Schema abgebildet werden. Die Entscheidungen über den individuellen Verlauf des Lebens hängen von den persönlichen Ressourcen, wie Intelligenz, Aussehen, Stärke, Gesundheit, Temperament und Initiative, ab. Aber auch das Umfeld spielt eine wichtige Rolle. Hier geht es einerseits um die Verfügbarkeit der Ressourcen Führung, Unterstützung und Hilfe von außen. Andererseits werden die Alternativen selbst durch Geschlecht, Herkunft, Rasse, soziale Klasse und persönliche Kontakte beeinflusst. Dem Faktor Geschlecht kommt hier neben dem Alter die zweitwichtigste Bedeutung in Bezug auf den Zutritt zu den Lebensstufen zu. Mit zunehmendem Alter wird der Lebenslauf immer komplexer, was die altersbezogenen Alternativen angeht. Kindheit und Jugend sind noch relativ stark determiniert. Die Entwicklung der Gleichaltrigen erfolgt zunächst noch parallel. Mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger die gesellschaftliche Stellung eines Menschen anhand seines Alters vorauszusagen, da jeder Mensch seine individuellen Entscheidungen trifft. Die Alternativen der Zukunft sind jedoch kontingent zu den Entscheidungen der Vergangenheit. Im höheren Alter nehmen die Verlaufsalternativen aufgrund der Alterungssymptome ab. Die Entscheidungen, ob und wann eine 149
Der Musterlebenslauf zeigt die Stationen der „Normalbiografie“ und die Beziehungen zwischen Alter und Lebensphase sowie dem jeweils zugehörigen Status bezüglich Familie, Beruf und Finanzen auf. Er variiert sowohl individuell als auch für verschiedene soziale Kategorien stark. Die Phasen überlappen und können in anderer Reihenfolge auftreten oder ganz wegfallen. Vgl. Atchley 1975 (Life course), S. 264 f.
60
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Lebensphase durchlaufen wird, sind individuell verschieden. Dennoch gibt es eine Art Musterverlauf, der durch einschneidende Erlebnisse in Zeitspannen zerlegt wird. Danach gibt es eine Altersspanne, in der von Individuen erwartet wird, berufstätig zu werden, zu heiraten usw.150 Das Fortschreiten im Lebensverlauf ist geprägt durch einen sozialen Mechanismus, der das Alter der Individuen systematisch an ein großes Gebilde von Normen ihrer Kultur bzw. Subkultur bindet. Altersnormen entstehen aus Traditionen, neuen Verhaltensmustern oder einem Verhandlungsprozess zwischen beiden. Letzteres trifft zum Beispiel für das Rentenalter oder die Grenze zum Erwachsensein bei 18 Jahren zu. Viele Altersnormen resultieren aus Annahmen darüber, was Menschen, insbesondere Kinder oder alte Menschen, leisten können und dementsprechend dürfen, andere entstehen aus der Vorstellung darüber, was sie machen sollten. Dies betrifft sowohl physische als auch psychische Grenzen. Individuen werden diese Normen als umso unfairer empfinden, je größer die Diskrepanz zwischen ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen und dem ihrer Altersklasse zugeschriebenen Leistungsniveau ist. Kinder sind vom Leistungsvermögen her umso stärker eingeschränkt, je jünger sie sind. Junge Erwachsene haben die meiste Freiheit, da sie auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit sind und nur wenige Verpflichtungen haben. Im höheren Alter sinken in der Regel körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und der soziale Druck, sich seinem Alter gemäß zu verhalten, wächst. Standards für Frauen sind hier in der Regel strikter als für Männer.151 Ereignisse des Karriereverlaufs im Berufsleben, wie Berufswahl, Antritt der ersten oder einer neuen Stelle, Verlust der Beschäftigung, Beförderung oder Übergang in den Ruhestand, sind ebenfalls mit Veränderungen des persönlichen sozialen und wirtschaftlichen Wohlergehens verbunden. Damit ist die berufliche Karriere eng an die anderen Bereiche im Lebensverlauf gekoppelt. Schließlich ist die Stellung eines Berufstätigen in westlichen Leistungsgesellschaften innerhalb seines gesellschaftlichen Umfeldes stark durch seinen Beruf und seine Berufsrolle bestimmt. Bei Arbeitslosigkeit sinkt das Ansehen des Betreffenden. Entsprechend stellen auch der Übergang zu Teilzeit, Mutterschaft oder Ruhestand Krisensituationen dar. Zusätzlich beeinflusst der Beruf auch die außerberuflichen Aktivitäten des Einzelnen, seine individuelle Lebensführung und sein Wertsystem. Der Berufsaustritt ist meist mit der Veränderung der wirtschaftlichen, aber auch sozialen und psychischen eventuell auch der gesundheitlichen Situation verbunden. Der Übergang vom Berufseinkommen zur Rente, die neue zeitliche Strukturierung des Arbeitstages, das Absinken der sozialen Kontakte mit den (ehemaligen) Kollegen, der Verlust an arbeitsbezogener Sinnfindung, Selbstbestätigung und -verwirklichung, Erfolg und sozialem Prestige werden von den Betroffenen als Bruch bzw. Krise erlebt. Viele sind dadurch „plötzlich alt geworden“. Es ist auch nicht zutreffend, dass 150
Vgl. Atchley 1975 (Life course), S. 262 f. und S. 267 und Gottschalk 1990 (Life cycle), S. 76 ff. Aus Sicht von Unternehmen sollen soziale Zeitpläne und Altersnormen zum Beispiel das Berwerberfeld für bestimmte Stellen auf eine zu bewältigende Anzahl von gut vorbereiteten Personen beschränken.
151
Vgl. Atchley 1975 (Life course), S. 263 ff. Die typischen Phasen der Ehe sind zum Beispiel: Werbung, erste Ehejahre, Ehe mit Kleinkindern, mit Schulkindern, nach Ablösung der Kinder und „alte“ Ehe. Der Musterlebenslauf knüpft jede Phase an bestimmte Altersklassen und ordnet ihr besondere Aufgaben zu. In der Werbungsphase sin dies Kennenlernen, die Entwicklung von Interaktionsmustern sowie einer emotional und sexuell befriedigenden Bindung, Netzwerkabstimmung usw. Vgl. Schmidt 2004 (Ehezyklus), S. 55 ff.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
61
die Mehrzahl der Menschen in monotonen Tätigkeiten den Ruhestand herbeisehnt, um interessante Freizeitaktivitäten in größerem Maße zu entfalten. Obwohl der Ruhestand ein Übergang ist, der wie wenige einschneidende Erlebnisse im Leben lang voraus planbar ist, beachten viele nur die finanzielle Absicherung und vergessen die Weiterentwicklungschancen, die genutzt werden können, wenn der Ruhestand vorher gemeinsam mit dem Partner geplant wird. Diese Vorbereitung auf den Ruhestand sollte neben der Lebensplanung auch Informationen über die Rentenhöhe, Gesundheitsberatung etc. beinhalten. Sie kann in der Regel nicht im Rahmen der regulären betrieblichen Aus- und Weiterbildung erfolgen, sondern sollte von professionellen Institutionen mit entsprechenden Kenntnissen durchgeführt werden.152 Damit bietet das Lebensverlaufskonzept eine sehr gute theoretische Grundlage zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage altersbestimmten Verhaltens von Mitarbeitern, auch wenn in Zukunft aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse stärker mit diskontinuierlichen und vielfältigeren Lebensbiografien zu rechnen ist. Das Lebenslaufkonzept stellt allerdings im Gegensatz zum MANNHEIM’SCHEN Ansatz die allgemeine Altersstufe mit den daran geknüpften Verhaltensweisen und Erwartungen in den Vordergrund und nicht die spezifisch zeitliche Generationenprägung. Damit ergänzen sich diese beiden Ansätze sehr gut. Ein erster Versuch der Trennung von Generationseinflüssen, Alterseinflüssen und Periodeneinflüssen gelingt jedoch erst mit Hilfe des Kohortenansatzes. Lebenslaufkonzept – Kernelemente Das Lebenslaufkonzept analysiert die Lebensphasen nicht nur nach Alter und Entwicklungsstand, sondern bezüglich vorprogrammierter, alternativer Sequenzen altersbezogener Normen- und Wertvorstellungen. Jeder Altersgruppe der Bevölkerung sind danach bestimmte Rollen zugewiesen, an die sich Erwartungen und Sanktionen und ein gewisser Status (beruflich, familiär, gesellschaftlich, finanziell usw.) knüpfen. Die Phasen sind in beruflicher Hinsicht zum Beispiel Kindheit, schulische und berufliche Ausbildung, Berufstätigkeit, Familiengründung, Karriere und Ruhestand. Damit dient das chronologische/biologische Alter als Indikator für das psychologische und soziale Alter. Die Übergänge zwischen den Phasen werden durch bedeutende Ereignisse gekennzeichnet, die mit gravierenden Änderungen in mindestens einer, meist jedoch mehreren Statusdimensionen verbunden sind. Das betrifft auch räumlich-materielle und zeitliche Änderungen. Allerdings sind die Phasenübergänge bevölkerungsweit nicht ganz trennscharf, da sie nicht nur durch Alter, sondern auch durch persönliche Merkmale wie Geschlecht und Umfeldbedingungen bestimmt sind. Dennoch gibt es eine Art Musterlebensverlauf, auch wenn er individuell durch eine gewisse Streubreite, Überlappungen und Auslassungen gekennzeichnet ist und seine Komplexität mit steigendem Alter in der Berufstätigkeitsphase mehr und mehr zunimmt. Die berufliche Karriere ist eng an die anderen Stationen des Lebenslaufes und den gesellschaftlichen Status gekoppelt.
152
Vgl. Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 230 ff. Auch der Partner muss sich mit der neuen Situation, zum Beispiel dem Konfliktpotenzial durch Verlust von Haushaltsautonomie oder Privatheit auseinandersetzen.
62
5
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Kohortenanalyse
Das soziologische Generationenverständnis beinhaltet nicht nur, dass sich die Jugend- von ihrer Elterngeneration abhebt, sondern auch von den ihr vorangegangenen Jugendgenerationen. Allein diese Unterscheidung weist bereits darauf hin, dass hier mindestens zwei Elemente zusammenkommen. Es handelt sich dabei einerseits um die Lebensphase mit ihren Rechten und Anforderungen und andererseits um den Zeitgeist, der die Jugend prägt. Entsprechend ist bei jedem Wandel zu prüfen, ob dieser nicht bei Vorgängergenerationen im gleichen Alter in ähnlicher Weise und Ausmaß aufgetreten ist.153 Die Kohortenanalyse wird dem Wunsch nach Längsschnittuntersuchungen zur Beobachtung der Generationendynamik gerecht. Seit den 60er Jahren geht der Trend zu solchen Panel- und Längsschnittanalysen zur Erfassung von Alters- und Generationseffekten des allgemeinen Wandels.154 Der soziologische Begriff der Kohorte ist eng verbunden mit dem Begriff der Generation. Die Mitglieder einer Kohorte – beispielsweise ein Abiturjahrgang – sind an einem einmaligen, nie wiederholbaren Zeitpunkt der Geschichte, in einer ganz spezifischen historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Konstellation gemeinsam angetreten. Die Kohorte (englisch „cohort“ oder auch „peer group“) kann damit als strukturelle Kategorie aufgefasst werden. Ähnlich wie die soziale Klasse oder ethnische Gruppe, kann auch sie als Indikator für gemeinsame Erfahrungen dienen.155 Betrachtet man die Geburtskohorte, so lässt sie sich als Generationszusammenhang im Sinne MANNHEIMS interpretieren. Wo immer gesellschaftlicher Wandel unter dem Blickwinkel der Generationenfolge betrachtet wird, ist deshalb die Kohortenanalyse von besonderem Interesse. Das liegt darin begründet, dass sie sich mit der Ablösung der Mitglieder der Gesellschaft durch Nachrücker im Zeitvergleich – und zwar sowohl im Sinne eines Intrakohortenvergleichs als auch im Sinne eines Interkohortenvergleichs und der Periodenanalyse – beschäftigt.156 Im ursprünglichen Sinn bezeichnete die Kohorte eine von zehn Divisionen der römischen Legion, die meist zwischen 300 und 600 Soldaten umfasste. Diese Kohorten gehörten gewöhnlich zur selben Altersgruppe mit einem Altersabstand von ca. fünf bis zehn Jahren, die auch über ähnliche Erfahrungen verfügte.157 Allgemeiner ist eine Kohorte im soziologischen Sinne definiert als ein Aggregat von Individuen, die einen gemeinsamen Standort oder Startplatz im Zeitablauf haben. Sie werden zur gleichen Zeit von dem sie definierenden Ereignis betroffen und durchleben dann gemeinsam eine Zeitspanne. Im Zusammenhang mit Generationen bietet sich der Geburtszeitpunkt als definierendes Ereignis an. Möglich sind jedoch auch weitere bedeutende Ereignisse aus dem Lebenslauf oder allgemein gesellschaftlicher Art wie Abitur, Berufseintritt, Beförderung, Studentenunruhen, Wirtschaftskrisen usw. Die Kohorte erfährt 153
Vgl. Bennett/Craig 1997 (Generations and change), S. 7.
154
Vgl. Baltes 1967 (Alters- und Generationseffekte), S. 2 ff. zu den Anfängen dieser Forschungsrichtung und Lüscher 1993 (Postmoderne Generationenbeziehungen), S. 29 und zu den Möglichkeiten und Grenzen der Kohortenanalyse vgl. Renn 1987 (Kohortenanalyse), S. 261 ff.
155
Vgl. Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 251 und Pfeil 1967 (Kohortenansatz), S. 645.
156
Vgl. Hagenaars 1990 (Longitudinal data), S. 314 f.
157
Ähnlich wie junge Leute heute, die gemeinsam ihren Militärdienst ableisten Vgl. Bengtson/Dunham 1986 (Generational Relations), S. 5 und Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 8.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
63
aufgrund ihrer spezifischen Situierung in der Geschichte eine besondere Prägung. Noch ungeklärt ist, welche Zeitgeistströmungen und Ereignisse, die größte Prägekraft entfalten. Zu vermuten steht, dass Ereignisse der Adoleszenz bis zum frühen Erwachsenenalter, wenn sich das politische Bewusstsein bildet, Kohorten besonders stark und gleichartig prägen.158 Die Kohorte erlebt aufgrund ihres gleichen Ausgangspunktes, die darauf folgenden Ereignisse im Gleichtakt. Bei der Kohortenanalyse wird die Kohorte über ihre Lebensspanne hinweg anhand der zentralen Ereignisse beobachtet. Dabei wird zum Beispiel in Fünfjahresschritten vorgegangen und festgestellt, wie viele Kohortenmitglieder mit 20 bis 25 Jahren bereits verheiratet waren etc. Davon abzugrenzen ist die Periodenanalyse, die sich mit Daten, die in einer speziellen Phase des Lebenslaufes erhoben werden, beschäftigt. Sie betrachtet damit zum Beispiel die Eheschließungsrate der 20- bis 25-Jährigen über mehrere Kohorten hinweg. Die Anzahl der Kohortemitglieder sowie ihre Zusammensetzung nach sonstigen demografischen Kriterien, wie Geschlecht, Rasse, Muttersprache oder Familienstruktur, bestimmt ihre weitere Entwicklung. Kohorten unterscheiden sich nach JOHN RILEY und MATILDA RILEY jedoch nicht nur demografisch, zum Beispiel in ihrem in Deutschland abnehmenden Umfang, sondern auch in ihrem Charakter. Ihre Mitglieder durchlaufen unterschiedliche historische Zeitperioden, in denen sich Sozialstruktur, Alternsprozesse und -normen verändern. So verändern sich auch die Rollenmöglichkeiten und die altersbezogenen Ideen, Wertvorstellungen und Überzeugungen der Menschen. Dieser Gedanke wird umso wichtiger, je mehr das Übergewicht der älteren Kohorten in Deutschland zunimmt. Die komparativen Charakteristika zur Kohorte bestimmen gemeinsamen mit den individuellen Charakteristika einer Person und den äußeren Einflüssen Dinge wie zum Beispiel die Heiratswahrscheinlichkeit oder die Wahrscheinlichkeit eines beruflichen Aufstieges in einer bestimmten Lebensphase.159 Die Variablen Alter, Periode und Kohorte sind hier von zentraler Bedeutung. Das Alter – eigentlich definiert als die Differenz zwischen Beobachtungsdatum und Geburtsdatum – repräsentiert auch hier zusätzlich biologisches, psychologisches und soziologisches Alter. Die Periode umfasst den Beobachtungszeitraum und damit diverse Ereignisse und Entwicklungen, die in diesen Zeitraum fallen. Und unter der Kohorte wird üblicherweise eine Geburtskohorte mit ihrer spezifischen Prägung verstanden.160 158
Vgl. Datan/Neugarten 1979 (Lebenslauf soziologisch), S. 367, Metje 1994 (Wahlverhalten), S. 34 ff., Pfeil 1967 (Kohortenansatz), S. 645 ff, Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 251, Ryder 1965 (The cohort), S. 845 ff. und Schumann/Scott 1989 (Collective memories), S. 361 ff. und S. 380. So ist der Zweite Weltkrieg für ehemalige Kriegsteilnehmer und ihre Zeitgenossen ein persönliches Erlebnis, altersspezifisch und kohortenformend, während jüngere Generationen ihm allgemein kulturelle Bedeutung beimessen. Auch der Mauerfall hat für die gesamte deutsche Bevölkerung große Bedeutung. Fraglich ist jedoch, ob er die Jugendgeneration von 1989 oder eher diejenigen am meisten beeindruckt hat, die die Trennung selbst miterlebt hatten. In jedem Fall prägt ein solches Ereignis die Zukunft der Heranwachsenden nachhaltig.
159
Vgl. Backes/Clemens 2003 (Lebensphase Alter), S. 157, Datan/Neugarten 1978 (Lebensablauf), S. 168, Riley/Riley 1994 (Potential des Alterns), S. 45 f. und Ryder 1965 (The cohort), S. 845 ff. Nach demografischen Schätzungen könnte sich der Altersüberhang mit Absterben der geburtenstarken Jahrgänge relativieren. Zur Veranschaulichung vgl. Abb. D-1: Bevölkerungs- und Altersstruktur Gesamtdeutschland.
160
Es kann sich jedoch auch um eine Berufseinstiegs-, Eheschließungskohorte etc. handeln. Vgl. Hagenaars 1990 (Longitudinal data), S. 314 ff.
64
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Abb. B-2: Fiktives Beispiel einer Kohortentabelle Anteile der Altersgruppen mit Umweltschutzinteresse in einem bestimmten Jahr
Jahr
1970
1980
1990
...
Altersgruppe Kohorten- und 1 Periodeneffekt
21 – 28
31 %
53 %
60 %
2
Kohorten- und Alterseffekt
29 – 36
23 %
45 %
50 %
3
Perioden- und Alterseffekt
37 – 46
20 %
42 %
42 %
...
1
3 2
Quelle: Eigene Erstellung
In der abgebildeten Kohortentabelle werden die Effekte dieser drei Variablen verdeutlicht. Unabhängig davon, wie man eine Kohortentabelle untersucht, sind immer zwei dieser drei Basiseffekte miteinander vermischt. Kohorteneffekt (Generationsprägung) und Periodeneffekt (Zeitgeist) in den Reihen, Kohorteneffekt und Alterseffekt (Lebensphase) in den Säulen und Periodeneffekt und Alterseffekt in den Kohortendiagonalen.161 Aus diesem Grunde können in einer Regressionsanalyse maximal zwei der Variablen als unabhängige genutzt werden. Und trotzdem werden sie noch über die Effekte der dritten „verschmutzt“. Die Kohortenanalyse erfordert deshalb neben der genauen Kenntnis der Auswertetechniken ein sehr breites Wissen über die untersuchten Kohorten und ihr Umfeld, um bei der Interpretation der Daten zu plausiblen Schlussfolgerungen kommen zu können.162 Die Alters- bzw. Lebensphaseneffekte werden nicht allein durch chronologisches Altern hervorgerufen, sondern durch biologisches, soziales und psychologisches Altern. Dies beinhaltet zum Beispiel die Entwicklung der körperlichen Fitness, des gesellschaftlichen Ansehens oder der persönlichen Reife. Die Abfolge der physiologischen Veränderungen, die das körperliche Altern bedingen, ist gegeben, streut jedoch etwas in der Geschwindigkeit pro Individuum. Bei sozialem und psychologischem Altern ist die Streuung noch größer. Intuitiv erwartet man dennoch eine Korrelation zwischen den Faktoren und so erscheinen ein 55-Jähriger, der zum ersten Mal Vater wird, oder eine grauhaarige 20-Jährige als ungewöhnlich.163 Mit seiner
161
Vgl. Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 11 ff.
162
Dies sollte in Abhängigkeit von der konkreten Forschungsfrage die relevanten Theorien, aber auch Nebengebiete wie zum Beispiel Neuere Geschichte, Theorien des sozialen und kulturellen Wandels und Erwachsenensozialisation umfassen. Vgl. dazu ausführlich Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 13 f. und S. 68.
163
Vgl. Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 18 f. Zur Unterscheidung der drei Dimensionen vgl. Datan/Neugarten 1979 (Lebenslauf soziologisch), S. 362.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
65
gleichartigen Lagerung der drei Dimensionen Lebenszeit, soziale Zeit und historische Zeit164 liefert der Kohortenansatz eine Basis für die komplexe Zeitproblematik. ELISABETH PFEIL spricht hier von einer „historisch-kulturell-gesellschaftlichen Konstellation, die nur dieser einen Kohorte eignet und sie von allen zu anderen Zeitpunkten Geborenen trennt“165. PFEIL betont in ihrer Untersuchung also die Besonderheit der an einem bestimmten Zeitpunkt Gleichaltrigen im Gegensatz zur Variation zwischen den Lebensaltersstufen oder den Generationen im Sinne von Altersreihen. Um diesen verschiedenen Altersaspekten gerecht werden zu können, wählt sie den Vergleich eines Geburtsjahrgangs zu zwei Zeitpunkten seiner Entwicklung und nutzt zweitens den Interkohortenvergleich, um jeweils zwei Geburtskohorten im gleichen Alter mit zeitlichem Abstand hintereinander zu befragen. Durch den jeweiligen Zeitreihenvergleich können hier einerseits entwicklungsspezifische und andererseits generationsspezifische Züge der Kohorten sichtbar gemacht und analysiert werden.166 Der Kohortenansatz verbindet das Konstrukt der Generation mit verschiedenen Alterstufen, die durch Kernereignisse eingeleitet werden, den zugehörigen Altersnormen und damit mit den Konzepten des Lebenslaufes und der Rollentheorie. So lassen sich zum Beispiel Karriereprozesse unterschiedlicher Geburtskohorten aus der dynamischen Perspektive des Lebenslaufes heraus vergleichen. HANS-PETER BLOSSFELD kommt zum Beispiel in seiner Längsschnittuntersuchung dreier deutscher Kohorten zu dem Ergebnis, dass langfristig eine Angleichung der Bildungsvoraussetzungen von Männern und Frauen erfolgt. Frauen waren in der Nachkriegszeit in Bezug auf die Berufsausbildung wieder stark benachteiligt. Fast 60 %, im Gegensatz zu nur 23 % der Männer, schafften es nicht, innerhalb von drei Jahren nach Schulabschluss in eine Berufsausbildung aufgenommen zu werden. 10 Jahre später waren es noch 40 % und wiederum 10 Jahre später nur noch 20 % der Frauen (Männer: 15 % bzw. 7 %). Auch die Ausbildungswahl zeigt in ihrer Geschlechtsspezifität die stärkere Betroffenheit von Frauen durch die Nachwirkungen äußerer Ereignisse wie des Zweiten Weltkrieges. Erst die jüngste betrachtete Kohorte profitierte von der Bildungsreform und konnte einen starken Anstieg der Zahl der Universitätsabsolventinnen verzeichnen.167 Gleichzeitig zeigt diese Studie die Wirksamkeit von Altersnormen. So wurde zum Beispiel das Schuleintrittsalter als gesetzliche Altersnorm trotz Krisenzeiten und Umbruch im und nach dem Krieg eingehalten, was den starken Einfluss des Staates auf persönliche Lebens164
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, noch einmal die Dimensionen des Zeitbegriffs zu verdeutlichen. Laut Piaget beruht Zeit auf einer Aneinanderreihung von Ereignissen, welche die zeitliche Reihenfolge begründet, die Zwischenräume einschachtelt und die zeitliche Metrik (Zeiteinheiten) bestimmt. Im Generationenerleben zeigt sich die Verknüpfung der objektiven mit der subjektiven Dimension von Zeit. Luhmann schreibt hier zum Thema „Synchronisationsphänomene“, dass jeder historische Zeitpunkt seine eigene Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft habe, jede historische Phase ihren Zeitgeist. Vom Standpunkt der Gegenwart reiche die Vergangenheit der 89er Generation zum Beispiel bis ca. 1970, die der 68er bis ca. 1950. Teile der vergangenen Gegenwart der 68er seien damit den 89ern nicht mehr zugänglich, die dafür eine um ca. 20 Jahre längere Zukunftsperspektive hätten. Vgl. Inhelder/Piaget 1986 (Psychologie des Kindes), S. 109 f., Luhmann 2004 (Systemtheorie), S. 212 f. und Pinder 1926 (Kunstgeschichte), S. 22.
165
Pfeil 1967 (Kohortenansatz), S. 648
166
Vgl. Pfeil 1967 (Kohortenansatz), S. 646.
167
Vgl. Blossfeld 1989 (Kohortenkarrieren), S. 12. Die Lebenslaufinterviews mit 2.171 Deutschen der Geburtsjahrgänge 1929 bis 1931, 1939 bis 1941 und 1949 bis 1951 wurden 1981 bis 1983 durchgeführt.
66
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
läufe dokumentiert. Die deutsche Gesellschaft schafft durch das Bildungssystem zwangsweise Kohorten, denn sie teilt die Kinder nach ihren Geburtsjahrgängen ein. Ca. ab dem dritten Lebensjahr werden sie aus ihren familiären intergenerationellen Beziehungen weitgehend herausgenommen und in altersgleichen Gruppen den Sozialisationsagenten ausgesetzt. Massenmedien und Industrie erzeugen dementsprechend altersspezifische Sonderwelten.168 Der sozio-historische Einfluss zeigt sich auch in der prägenden Wirkung der beruflichen Erstplatzierung für den weiteren Karriereverlauf. Gelingt zum Beispiel aufgrund von hoher Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel der Ersteinstieg in den Beruf nicht, so ist dies kein kurzfristiger Engpass, sondern eine dauerhafte Benachteiligung, die selbst durch spätere Qualifizierungsmaßnahmen nicht auszugleichen ist. Die wirtschaftliche Situation ist auch in Form eines Konjunkturaufschwungs nicht nur bei Berufseintritt, sondern auch jeweils zu Beginn weiterer Karriere- und Lebensphasen von Bedeutung.169 Intragenerationale Verschiebungen in der Berufsstruktur lassen sich nach Alters-, Periodenund Kohorteneffekt erklären. Karrieremechanismen im Laufe des Berufslebens, wie der Aufstieg durch Bewährung, Erfahrung und Seniorität und der Abstieg aufgrund von nachlassender körperlicher Leistungsfähigkeit, stellen einen Alterseffekt dar. Das Wachstum des Dienstleistungssektors wirkt sich chancengenerierend auf den Arbeitsmarkt aus (Periodeneffekt). Beide Prozesse können die Prägung, welche die Erwerbstätigen durch ihre berufliche Erstplatzierung erfahren, jedoch nicht einfach aufheben (Kohorteneffekt).170 GLENN zeigt auf, dass gesellschaftlicher Wandel nicht durch einen Alterseffekt, sondern nur durch einen Kohorteneffekt bewirkt werden könne. Dabei setze die Kohortenfolge („flow of birth cohorts“) neue Impulse durch ihren sukzessiven Eintritt in jede neue Lebensstufe und schließlich den Austritt durch Tod. Der Wandel manifestiere sich in den Charakteristika und den Beziehungen der Individuen, die zu beiden Zeitpunkten der Population angehörten. Dieser Wandel ist in der Regel graduell, selbst wenn sich die eintretenden und sterbenden Kohorten stark voneinander unterscheiden. Theoretische Überlegungen stützen die These, dass der Einfluss des Zeitgeistes und die Bereitschaft zum Wandel in frühen Lebensphasen am stärksten sind und mit zunehmendem Alter abnehmen. Die Gründe dafür, in Einstellungen und Verhalten mit zunehmendem Alter eine gewisse Rigidität zu vermuten, liegen in neurologischen Veränderungen, sinkender sozialer und räumlicher Mobilität und den entsprechenden Änderungen in den sozialen Kontakten. Anreize zum Wandel müssen beim älteren Menschen gegen eine ganze Reihe mehr akkumulierter früherer Reize ankommen als bei jüngeren Menschen. Dazu kommt die Tendenz zur Identitätswahrung, die sich äußert, wenn der ältere Mensch versucht, die kognitive Dissonanz zu vermeiden, die aus der Differenz zwischen den neuen und seinen bisher öffentlich unterstützten Ansichten entsteht.171
168
Vgl. Hinske 1987 (Generationenkonflikt anthropologisch), S. 13 f. und Ryder 1965 (The cohort), S. 854 f.
169
Vgl. Ryder 1965 (The cohort), S. 845 ff.
170
Vgl. Blossfeld 1989 (Kohortenkarrieren), S. 75 ff., S. 80, S. 86, S. 93 ff., S. 124 und S. 149.
171
Vgl. Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 22 f. und S. 59 und Ryder 1965 (The cohort), S. 845 ff.
B.II Soziologische Grundlagen der Generationenforschung
67
Mit dem Kohortenansatz steht damit das notwendige, tragfähige, wenn auch aufwändige Instrument zur Untersuchung von Generationen in der heutigen langlebigen Gesellschaft zur Verfügung. Viele bisher nur postulierte Zusammenhänge lassen sich damit überprüfen. Das gilt insbesondere für die Zuordnung von Eigenschaften als generationsgeprägt, altersbedingt oder zeitgemäß. Im folgenden Kapitel wird untersucht, welche Merkmale der Persönlichkeit nach Art, Grad und Dauerhaftigkeit als Generationseigenschaften in Frage kommen.
Kohortenanalyse – Kernelemente Eine Kohorte ist ein Aggregat von Individuen, die einen gemeinsamen Standort oder Startplatz im Zeitablauf haben. Sie werden zur gleichen Zeit von dem sie definierenden Ereignis betroffen und durchleben dann eine gemeinsame Zeitspanne. Aufgrund ihrer spezifischen Situierung in der Geschichte erfahren sie eine besondere, gemeinsame Prägung. Die Kohorte hat allerdings nicht nur den gleichen Ausgangspunkt, sondern erlebt die folgenden definierenden Ereignisse mehr oder weniger im Gleichtakt. Sie wird dabei anhand der zentralen Ereignisse in ihrem Leben über ihre Lebensspanne hinweg beobachtet. Dies ermöglicht Quer- und Längsschnittvergleiche und mit Hilfe der Datenauswertung die Untersuchung der drei miteinander verknüpften Basiseffekte: Kohorteneffekt (Generationsprägung), Periodeneffekt (Zeitgeist) und Alterseffekt (Lebensphase). Diese sind Ausfluss der gleichartigen Lagerung der drei Dimensionen Lebenszeit, soziale Zeit und historische Zeit. Die Kohortenanalyse kann damit gezielt Informationen zu Berufs- und Karriereverlauf, aber auch zu dessen Verknüpfung mit den anderen Lebensbereichen sowie zur Stärke der Generationenprägung liefern.
68
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
III Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Generationenforschung 1
Generationspersönlichkeit und Generationshandeln
Die Persönlichkeitspsychologie ist geprägt von sechs jeweils dominanten Leitbildern dieser Erfahrungswissenschaft. In ihrer historischen Abfolge sind dies das psychoanalytische und das behavioristische Paradigma, das Eigenschaftsparadigma, das Informationsverarbeitungsparadigma, das dynamisch-interaktionistische und das evolutionspsychologische Paradigma, wobei insbesondere die letzten vier heute weiterhin bestimmend sind.172 Unter diesen vier interessieren in Bezug auf die Generationenfrage hauptsächlich das Eigenschaftsparadigma, welches Erklärungsansätze zu Generationspersönlichkeitszügen liefert und das dynamischinteraktionistische Paradigma, das die Wechselwirkungen zwischen Person und Umwelt zu einem umfassenden Modell integriert. Beide werden im Folgenden näher erläutert. Abb. B-3: Leitbilder der Persönlichkeitspsychologie
(psychoanalytisches Paradigma)
(behavioristisches Paradigma)
Eigenschaftsparadigma
(Informationsverarbeitungsparadigma)
(Lernverhalten) (individuumszentriert)
dynamisch-interaktionistisches Paradigma
(evolutionspsychologisches Paradigma)
(Person-UmweltBeziehungen) differenziell
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 15 f.
Zur Erklärung der Entstehung von Generationsverhalten aus gegenwärtigen oder vergangenen Stimulusbedingungen und Verhaltenskonsequenzen werden ergänzend psychoanalytische Grundlagen und lerntheoretischen Erkenntnisse des Behaviorismus herangezogen, die auch Ansatzpunkte zur Verhaltensbeeinflussung im Sinne der Organisationsziele aufzeigen. Das Informationsverarbeitungsparadigma betrachtet die Informationsübertragung der Umweltreize über Rezeptoren ins Nervensystem und menschliche Erleben sowie die Informationsübertragung vom Menschen an die Umwelt, die meist über motorische Aktivität erfolgt (Verhalten). Das Informationsverarbeitungsparadigma ist gut mit dem Eigenschaftsparadigma vereinbar, da Eigenschaften in ein Modell der Informationsverarbeitung eingebettet werden können. Es bewegt sich jedoch auf einer Betrachtungsebene, die für die Betrachtung eines Aggregates von Individuen, wie es eine Generation ist, zu detailliert ist, und hier zu weit führen würde. Das evolutionspsychologische Paradigma sucht heutiges Erleben und Verhalten als Resultat eines Langfristprozesses der genetischen Anpassung von Menschen an die jeweiligen Umweltbedingungen zu verstehen und wird deswegen ebenfalls nur ergänzend herangezogen.173
172
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 15 f.
173
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 66, S. 82 und S. 100 ff. Genetische Variation beruht auf Mutation und sexueller Rekombination; natürliche Selektion auf dem Reproduktionserfolg von Genen.
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Das Eigenschaftsparadigma zielt darauf ab, Besonderheiten einzelner Menschen oder bestimmter Gruppen von Menschen durch Eigenschaften zu beschreiben. Die Betrachtung dieser Wesenszüge der Persönlichkeit geht auf JOY GUILFORD zurück. Nach GUILFORD ist die Persönlichkeit eines Individuums seine einzigartige Struktur von Eigenschaften (Traits). Ein Trait ist jeder abstrahierbare und relativ konstante Persönlichkeitszug, hinsichtlich dessen eine Person von anderen unterscheidbar ist. Sie werden graduell angegeben.174 Die Zusammenfassung der Eigenschaften zu Typen zur Vereinfachung des komplexen Persönlichkeitsbildes kann bei der Aufdeckung allgemeiner Zusammenhänge im Kontext der Generationenproblematik nützlich sein. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht interessieren hier natürlich vor allem die Vorhersage und Beeinflussung des Generationenhandelns.175 Im Zusammenhang mit Generationen interessiert in erster Linie natürlich nicht das Individuum, sondern das Aggregat der ungefähr Gleichaltrigen. Aus diesem Grunde wird auf den individuumszentrierten Ansatz hier nicht näher eingegangen, sondern der differentielle Ansatz des Eigenschaftsparadigmas in den Vordergrund gestellt. Der differentielle Ansatz versteht unter dem Persönlichkeitsprofil alle Merkmale (Art und Grad), in denen sich die Mitglieder einer bestimmten Gruppe von der Referenzpopulation unterscheiden. Die Referenzpopulation könnte in diesem Fall die Gesamtbevölkerung, die Bevölkerung einer bestimmten Region oder eine andere Teilmenge sein. Die Klassifizierung von Persönlichkeitstypen erfolgt nach Ähnlichkeit im Persönlichkeitsprofil. Geht man davon aus, dass in einer Altersgruppe bestimmte Eigenschaften generationsbedingt dominieren, so müssten sich die Persönlichkeitsprofile ihrer Mitglieder darin ähneln und sich von denen anderer Altersklassen unterscheiden.176 Persönlichkeitszüge sind grundsätzlich zeitlich stabil und nur langfristig veränderbar. Nach eigenschaftspsychologischer Auffassung erzeugen sie als Verhaltensdispositionen stabile Beziehungen zwischen Situationen und den Reaktionen einer Person. Entsprechend ist zu vermuten, dass auch Generationspersönlichkeitszüge für ein bestimmtes Generationsverhalten prädisponieren. Sie bedingen die Verhaltenskonsistenzen innerhalb einer Altersgruppe, wenn deren Mitglieder mit ähnlichen Reizen bzw. Situationen konfrontiert werden und stabile Verhaltensdifferenzen zu anderen Altersgruppen. Generationshandeln kann jedoch nicht absolut, sondern nur tendenziell angenommen werden, da die Persönlichkeitszüge mit der aktuellen Situation interagieren und die innere Struktur der Persönlichkeit nicht frei von Widersprüchen ist. Persönlichkeitszüge können einander dominieren oder sich gegenseitig verstärken, vollständig voneinander unabhängig sein oder ambivalentes Verhalten bedingen.177 Das dynamisch-interaktionistische Paradigma beruht ebenfalls auf der Grundannahme, dass die Organisation des Verhaltens einer Persönlichkeit mittelfristig konstant ist. Gleiches gilt für die Organisation ihrer Umwelt. Die Persönlichkeit wird durch ihre Gene sowie durch die 174
Vgl. Guilford 1950 (Traits), S. 6 ff.
175
Vgl. Mischel 1976 (Personality), S. 26 ff.
176
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 36.
177
Vgl. Mischel 1976 (Personality), S. 27 f. Persönlichkeitsbeurteilungen durch verschiedene Beobachter sind häufig über die Zeit konsistent, während Verhaltensbeurteilungen situationsübergreifend nicht immer konsistent sind. Das Konsistenzparadoxon lässt sich meist durch eine bessere Beschreibung der psychologisch relevanten Merkmale der Situation auflösen. Vgl. dazu Gerrig/Zimbardo 2004 (Psychologie), S. 609 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
spezifische Umwelt und Sozialisation des Individuums bestimmt.178 Langfristig sind Änderungen möglich, wenn innerhalb der Person, der Umwelt und/oder der Beziehung zwischen beiden Veränderungsprozesse stattfinden. Populationen können sich prinzipiell in ihrem Genpool, in der Ökologie und/oder in der Kultur ihrer Umwelt unterscheiden. Die Erkenntnisse der Persönlichkeitsforschung lassen vermuten, dass es so etwas wie eine Generationspersönlichkeit geben kann, die durch ihre Umwelt geformt wurde, in generationsspezifischer oder lebensphasengerechter Weise handelt und wiederum ihre Umwelt beeinflusst. Schematisch lässt sich das als Spezialfall menschlichen Handelns nach dem Eigenschafts- und Informationsverarbeitungs- und dynamisch-interaktionistischen Paradigma im Stimulus-Organism-Response-Modell darstellen. Es dient der Beschreibung und Erklärung möglicher Elemente und Einflussfaktoren der Generationspersönlichkeit. Abb. B-4: Mögliche Elemente und prägende Faktoren der Generationspersönlichkeit
(S)
Werte/Einstellungen Anspruchsniveau/Erwartungen Fähigkeiten/Eigenschaften
Effektor
Wahrnehmung
Stimuli aus der Umwelt
Rezeptor
Instinkte/Triebe Bedürfnisse/Motive
Verhaltensintention
Generationspersönlichkeit
Reaktion (R)
Physis
Prägende Faktoren • Genpool • ökologische Umwelt • kulturelle
- Sozialisationsinstanzen - Rahmenbedingungen - Zeitgeist
Quelle: Eigene Erstellung basierend auf dem Modell von Staehle „Teilaspekte zur Erklärung menschlichen Verhaltens (S-O-R-Modell)“, Staehle 1999 (Management), S. 163
Umweltreize wirken auf den Organismus und verursachen eine (oder keine) Reaktion. Dabei wirken die Persönlichkeitszüge als intervenierende Variablen dieses Prozesses, der bis heute nicht abschließend erforscht ist. Gleichzeitig sind sie als eigenständige Phänomene interes178
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 84 und S. 96. Bereits Lewin definiert in seiner Feldtheorie das Verhalten (auch Träumen, Wünschen, Denken und Erzählen) als Funktion der Person und ihrer Umwelt, die wiederum in Wechselwirkung miteinander stehen. Vgl. Lewin 1963/1946 (Feldtheorie), S. 271.
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sant.179 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesem Modell, ohne allerdings auf die Prozesse der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -weitergabe im Einzelnen einzugehen. Probleme der Wahrnehmung werden im Rahmen der Stereotypbildung in einem eigenen Unterkapitel behandelt. Vordringlich ist jedoch die Frage, welche Arten von menschlichen Eigenschaften generationstypisch sein können und wie sie entstehen. Die möglichen Eigenschaften einer Person sind mannigfaltig und begründen die Verschiedenartigkeit der Menschen. Es handelt sich um Aspekte wie Instinkte, Triebe, Bedürfnisse, Motive, Interessen, Werte, Einstellungen, Gewohnheiten, Temperamente, Fähigkeiten, Qualifikationen, Morphologie, und Physiologie. Die erstgenannten Persönlichkeitsmerkmale haben direkten Motivcharakter. Dies betrifft vor allem Bedürfnisse, Werte und Einstellungen. Andere Eigenschaften, wie Freundlichkeit, Ehrlichkeit oder Gewissenhaftigkeit, beeinflussen das Verhalten nur indirekt. Dazu kommen physische Aspekte und Fähigkeiten.180 Werte und Einstellungen sind im Wesentlichen kulturell geprägt, während Persönlichkeitsmerkmale, wie Temperament, Veranlagungen, körperliche Attribute, weitgehend genetisch bestimmt sind. Individuelle Eigenschaften sind vermutlich in etwa zu gleichen Teilen durch Erbgut und durch Sozialisation bzw. Lebenserfahrung bedingt. Prinzipiell können Eigenschaften also durch die Umwelt verstärkt oder abgeschwächt werden. Zum Teil werden Eigenschaften durch Sozialisationsinstanzen sogar neu geschaffen oder ganz aberzogen. So können durch die Eltern früh anerzogene Gewohnheiten, wie zum Beispiel regelmäßiges Zähneputzen, Eigenschaften wie Reinlichkeit prägen, die schwer wieder abzugewöhnen sind.181 Für die folgende Betrachtung muss hier vom Einzelfall abstrahiert und das Aggregat der zu einer Generation gehörigen Individuen betrachtet werden. Die Unterschiede im Erbgut der gesamten Weltbevölkerung sind nur gering, obwohl sich Populationen seit Jahrhunderten auseinander entwickelt haben. Da selbst marginale genetische Anpassungen an die Umwelt mehrere biologische Generationen benötigen, haben alle Gesellschaftsgenerationen einer Population in Bezug auf die genetische Programmierung in etwa dieselben Startvoraussetzungen. Die genetische Betrachtung ist also nur für die Betrachtung von Familienverhältnissen, zum Beispiel in Unternehmen mit Gründer- bzw. Inhaberfamilien, relevant. Generationsspezifische Persönlichkeitsmerkmale müssen also im Wesentlichen durch die Umwelt bestimmt sein. Das bedeutet, dass sie prinzipiell beeinflussbar und mit großer Wahrscheinlichkeit sogar gezielt steuerbar sind. Da generationsspezifische Merkmale jedoch auch eine gewisse zeitliche Stabilität aufweisen müssen, um überhaupt als solche wahrgenommen zu werden, steht weiterhin zu vermuten, dass ihre Beeinflussung nicht kurzfristig möglich ist 179
Vgl. Herkner 2001 (Sozialpsychologie), S. 22 f. Intervenierenden Variablen, die sich auf Prozesse der Informationsverarbeitung (Wahrnehmung, Denkprozesse, Meinungsbildung, -änderung etc.) beziehen, sind Gegenstand der kognitiven Theorien im engeren Sinne. Vgl. als umfassenden theoretischen Bezugsrahmen zur Analyse von Fühlen, Denken und Verhalten auch Bandura 1986 (Thought and action), S. XI - XII.
180
Vgl. Allport 1959 (Persönlichkeit), S. 287 ff., Guilford 1950 (Traits), S. 8 ff. und Jost 2000 (Motivation), S. 41.
181
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 166 ff. und Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 154 f. Dies zeigen zum Beispiel Zwillingsstudien und eine Studie zur Vererbung von Intelligenz und Lebensspanne bei europäischen Monarchen.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
und zudem wahrscheinlich auch mit größerem Aufwand verbunden ist. Persönlichkeitsmerkmale, die an die Lebensphase gekoppelt sind, können hingegen sowohl umweltbedingt als auch genetisch bedingt sein. Erfahrung zum Beispiel nimmt umweltbedingt mit dem Alter zu, während das Ausmaß der körperlichen Leistungsfähigkeit im Lebenslauf weitgehend genetisch determiniert ist. Umweltbedingungen, wie Ernährung oder Ausmaß der sportlichen Betätigung, können sie nur in gewissen Grenzen beeinflussen.182 Die einzelnen Arten von Persönlichkeitszügen werden im Folgenden vorgestellt und näher untersucht. Der Mensch verfügt im Bereich der Vitalsphäre im Vergleich zum Tier kaum über Instinkte, wohl aber über angeborene Triebe. Triebe, wie der Selbsterhaltungs- oder Aggressionstrieb, der Sexual- oder Sozialtrieb, sind artspezifisch und treten periodisch auf. Sie sind meist unbewusst und nur begrenzt durch menschlichen Willen und soziale Normen form- und steuerbar. Entsprechend kommen Instinkte nicht und Triebe kaum als spezifische Generationsmerkmale in Frage, da sie allen Menschen angeboren sind. Triebkonflikte und Triebunterdrückung zeitigen auf Dauer negative Folgen wie psychosomatische Beschwerden. Entsprechend werden Instinkte und Triebe hier für Menschen jeden Alters als gegeben und vergleichbar betrachtet. Primäre Bedürfnisse (nach Nahrung, Schlaf, Sex etc.) entsprechen weitgehend den Trieben. Allerdings stehen hier die Gesichtspunkte der Deprivation oder des Lustgewinnes im Vordergrund. Letzteres gilt auch für sekundäre Bedürfnisse, die durch kulturspezifische Sozialisation gelernt werden und auf die primären Bedürfnisse zurückführbar sind. Sie haben den Status des Faktischen, treten jedoch im Unterschied zu Werthaltungen ohne Allgemeinverbindlichkeitsanspruch auf. Sekundäre Bedürfnisse sind das Bindeglied zwischen zielsetzendem Wollen und wertverwirklichender Handlung, können allerdings durchaus im Konflikt mit einem Wert stehen. Ein Generationsmerkmal in diesem Zusammenhang könnte sein, wie gut eine Generation gelernt hat, ihre Bedürfnisse zu beherrschen (besondere Diszipliniertheit). Allerdings erfolgt Bedürfnisbeherrschung wiederum meist aufgrund gesellschaftlicher Normen und Werte, wo also die grundlegenden Unterschiede zu suchen sind.183 Werte spielen bewusst oder unbewusst nicht nur für die Bedürfnisentstehung und -steuerung, sondern generell im Rahmen der Handlungsmotivation eine zentrale Rolle. Ähnlichkeiten in der Kultur, im Gesellschaftssystem, in Klasse, Geschlecht, Beruf, Erziehung und Bildung, Religion und politischer Orientierung als Hauptfaktoren prägen das Wertsystem einer großen Zahl von Menschen. Die Verschiedenheiten resultieren aus den individuellen Unterschieden bezüglich Kultur, Institutioneneinfluss, struktureller Position in der Gesellschaft, Geschlecht, Alter, Gruppenzugehörigkeit, Beruf, Lebensstil und persönlicher Erfahrung. Damit begrenzen soziale, kulturelle und institutionelle Faktoren die Anzahl der durch die individuellen Besonderheiten der Persönlichkeit möglichen Variationen.184 Das Wertsystem ist wie die Bedürfnis-
182
Beispiel ist hier die Entwicklungsbeschleunigung. Kinder gebildeter Eltern, in Ländern, wo letztere höhere Lebensqualität bezüglich Ernährung, Hygiene etc. gewährleisten können, entwickeln sich schneller und werden früher geschlechtsreif. Vgl. Kracke/Nowak/Silbereisen 1992 (Entwicklungstempo), S. 171 ff.
183
Vgl. Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 71 ff. Allerdings kann die Stärke der Triebe altersabhängig sein. So nimmt zum Beispiel der Sexualtrieb im Alter ab. Das ist jedoch keine Frage der Generationenprägung und soll im Folgenden unter der Kategorie lebensphasenbedingter Bedürfnisse subsumiert werden.
184
Vgl. Rokeach 1986 (Beliefs), S. 161 und Ball-Rokeach/Grube/Rokeach 1984 (American values), S. 25 f.
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struktur prinzipiell also sowohl durch generationelle als auch durch lebensphasenbedingte Einflüsse veränderlich. Letzteres gilt auch für Anspruchsniveau und Erwartungen. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Persönlichkeitsstruktur ist dieser Problematik ein eigenes Unterkapitel direkt im Anschluss gewidmet. Eine weitere Kategorie der Persönlichkeitszüge sind die Fähigkeiten, wozu auch Fertigkeiten und Begabungen gerechnet werden können. Fähigkeiten lassen sich nach psychischen (kognitiv, sozial oder psychologisch) und physischen Fähigkeiten (motorisch oder physikalisch) systematisieren. Analytische und verbale Fähigkeiten zählen nach dieser Systematik beispielsweise zu den kognitiven Fähigkeiten, Teamfähigkeit zu den sozialen, Fingerfertigkeit zu den motorischen und Muskelkraft und Konzentrationsfähigkeit zu den physikalischen Fähigkeiten. In ihrer Summe bilden sie das allgemeine und unternehmensspezifische Humankapital eines Mitarbeiters.185 Zur Physis zählen körperliche Merkmale wie Aussehen („Gestalt“) und auch die physischen Fähigkeiten.186 Sie sind weitgehend genetisch, jedoch bis zu einem gewissen Grade auch durch kulturelle und ökologische Rahmenbedingungen bestimmt. Insofern ist eine generationsspezifische Ausprägung denkbar. Faktoren, wie Gesundheitsbewusstsein, Körperkult oder Ernährung, können hier eine Rolle spielen. Jüngere Menschen können zum Beispiel allein aufgrund ihrer durchschnittlich gestiegenen Körpergröße im Vergleich zu Älteren im Berufsleben dominant wirken. Dazu kommt natürlich, dass körperliche Eigenschaften mit dem biologischen Alter korrelieren. Äußerliche Alterungsmerkmale, wie Falten oder graue Haare, sind leicht erkennbar und bewirken zumindest unbewusst eine Kopplung mit abnehmender körperlicher Leistungsfähigkeit. Junges Aussehen hingegen wird mit Attraktivität und Leistungsvermögen in Verbindung gebracht und erleichtert den beruflichen Erfolg.187 Die Gestaltung des Äußeren anhand von Kleidungsstil, Frisur, Schmuck, Tätowierungen usw. kann zeitgeistbedingte, generationsgeprägte oder auch dem Lebensalter gerechte Vorlieben und Vorstellungen darüber, was angemessen ist, widerspiegeln. Damit kann das Äußere sowohl als Ausfluss des Generationshandelns in der Selbstdarstellung als auch in der Repräsentation der Zeichen des biologischen Alters ein relevanter Faktor sein. Zu vermuten ist jedoch, dass die Eigenschaften der Person, also die psychischen Fähigkeiten, eine mindestens ebenso große Rolle spielen. Die Liste der möglichen psychischen Wesenszüge der Persönlichkeit ist lang und vielfältig. Zur Ermittlung der zentralen Wesenszüge wird deshalb traditionell die Faktorenanalyse genutzt.188 Klassifizierungen wie Persönlichkeitstests mit Typenbildung wurden schon 1930 185
Vgl. Jost 2000 (Motivation), S. 61 ff.
186
Vgl. zur Gestalt- und Temperamentforschung Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 166 ff.
187
Dies ist möglicherweise ein Grund, warum Alterungsmerkmale in unserer Gesellschaft häufig so gut wie möglich kaschiert werden.
188
Dabei geht es um die Identifikation der grundlegenden Persönlichkeitszüge, ihre Trennung von den eher oberflächlichen Merkmalen und die Messung ihrer Dimensionen mit möglichst objektiven Instrumenten (zum Beispiel psychometrischen Verfahren). Allerdings werden Klassifizierungen je nach Untersuchungszweck und persönlicher Erfahrung mehr oder weniger willkürlich gestaltet und sind dann häufig nicht ganz zutreffend oder nicht vollständig. Vgl. Mischel 1976 (Personality), S. 26 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
entwickelt und seither vielfach verwendet.189 Eine aktuelle Klassifikation, die sich ähnlich auch aus verschiedenen anderen Untersuchungen nach dem Reduktionsverfahren ergibt und sich in der Praxis bewährt hat, teilt die fast unüberschaubare Menge dieser Eigenschaften hierarchisch nach dem so genannten „Big five“-Modell ein. Dieses stützt sich auf fünf grundlegende Persönlichkeitszüge und die ihnen zugeordneten spezifischen Eigenschaften. Die Persönlichkeitsmerkmale sind Extroversion, emotionale Instabilität, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen. All diese Merkmale lassen sich bipolar anhand eines eindimensionalen Spektrums anordnen und anhand von Fragebogenstudien ermitteln. Weitere Eigenschaften werden den Hauptwesenszügen wie folgt untergeordnet.190 Tab. B-3: Zentrale Persönlichkeitszüge nach dem „Big five“-Modell Extrovertiertheit (extroversion):
Geselligkeit, Nicht-Schüchternheit, Aktivität
Emotionale Instabilität (neuroticism):
Ängstlichkeit, Selbstbewusstsein, Verletzlichkeit
Verträglichkeit (agreeableness):
Wärme, Hilfsbereitschaft, Toleranz
Gewissenhaftigkeit (conscientiousness):
Ordentlichkeit, Zuverlässigkeit, Beharrlichkeit
Offenheit (openness to experience):
Gebildetsein, Kreativität, Gefühl für Kunst
Quelle: Eigene Erstellung nach Asendorpf (Persönlichkeitspsychologie), S. 147 ff. und S. 162
Einige dieser Hauptkategorien scheinen auf den ersten Blick bekannten Altersstereotypen zu entsprechen. Danach würde man jungen Menschen mehr Offenheit gegenüber Neuerungen unterstellen, ältere Menschen wären gewissenhafter, dafür aber möglicherweise weniger verträglich („Altersstarrsinn“). Jedoch bereits die Kategorie Extrovertiertheit ist nicht mehr eindeutig zuordenbar und in den Unterkategorien finden sich zahlreiche Widersprüche zu den bekannten Altersstereotypen. Deswegen soll im Folgenden auf eine vorgegebene Klassifizierung verzichtet werden. Stattdessen werden auf die Gefahr der Unvollständigkeit hin gängige Altersstereotype zur Beschreibung der Generationspersönlichkeit herangezogen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass häufig nicht die Art der Eigenschaft, sondern ihr Grad in der stereotypen Vorstellung variiert. Das gilt insbesondere für Eigenschaften, die mit der Lebenserfahrung wachsen, wie persönliche Reife.191 Weiteren Aufschluss über die Prozesse, die zwischen Umweltreizen und Verhalten in der Persönlichkeit ablaufen und vermitteln, versucht die Motivationstheorie zu geben. Psychologische Motivationstheorien decken ein weites Feld von der Psychoanalyse, über die Feldtheorie bis hin zur humanistischen Theorie ab. Sie beschäftigen sich mit so unterschiedlichen Themen
189
Vgl. Allport 1959 (Persönlichkeit), S. 287 ff. und Guilford 1950 (Traits), S. 83 ff. und S. 92 ff. und Roth 1972 (Werteinstellungstest), S. 4 ff. Dazu zählen zum Beispiel Hierarchie nach Guilford mit den Niveaus: Typus, primäre Wesenszüge, Hexis und spezifische Handlungen oder der Werteinstellungstest zur Messung dominanter Interessen nach Typologie von Spranger. Er unterscheidet theoretischen, ökonomischen, ästhetischen, sozialen, politischen und religiösen Persönlichkeitstypus. Vgl. Guilford 1950 (Traits), S. 92 ff.
190
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 147 ff. und S. 162.
191
In der Detailbetrachtung werden in Unternehmen zum Beispiel die Grade der Kontrollüberzeugung, Selbstwertschätzung, Selbstbeobachtung und Selbstwirksamkeit, die von Art und Grad der Sozialisation abhängig sind, zur Erklärung des Mitarbeiterverhaltens herangezogen. Vgl. Jost 2000 (Motivation), S. 41 ff.
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wie Selbst, Bedürfnisbefriedigung, Erwartungswerten und Selbstentfaltung. Je nach Hauptkonzept legen sie empirisch unterschiedliche Schwerpunkte und kommen zu teilweise widersprüchlichen Aussagen und Erklärungsansätzen. Auch lässt sich keine Hierarchie oder Dominanz einzelner Theorien erkennen. Ziel dieser Arbeit kann es nicht sein, diese Ansätze zu integrieren und/oder die spezifischen Motivationsprozesse einzelner Angehöriger bestimmter Generationen zu analysieren. Jedoch ist es wohl möglich und auch sinnvoll, Tendenzaussagen für das allgemeine Generationshandeln, seine Motivation und seine Bestimmungsfaktoren zu machen. Zu diesem Zweck werden die im betriebswirtschaftlichen Umfeld bewährten Theorien zur Erklärung des Arbeitsverhaltens und der Arbeitsmotivation herangezogen. Als Basismodelle dienen die Inhaltstheorien, die Erwartungsvalenz- und Gleichgewichtstheorien, die Zielsetzungstheorie und die Theorien zur Gestaltung von Kontextvariablen der Arbeit.192 Die Inhaltstheorien dienen einerseits zur Klassifizierung der Bedürfnisse nach ihrer Dominanz und andererseits ihrer Einteilung in Motivatoren, die durch Erfüllung von Bedürfnissen die Zufriedenheit fördern, und so genannte Hygienefaktoren, deren Erfüllung Unzufriedenheit beseitigt, aber nicht weiter zu Leistung motiviert (zum Beispiel Arbeitsklima, Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit, Unternehmenspolitik usw.) Die Motivatoren zur Arbeit liegen vor allem in der Arbeit selbst, in der Anerkennung durch andere, in Aufstieg und Verantwortung. Die Zuordnung des Faktors Gehalt bzw. materieller Werte ist nicht eindeutig. Die Tendenz geht heute in Richtung zunehmende Wichtigkeit der sozialen und der Selbstentfaltungsbedürfnisse, auch wenn materielle und Sicherheitsbedürfnisse bedingt durch die aktuell hohe Arbeitslosigkeit nicht vernachlässigt werden dürfen. Die Auswahl der richtigen Motivatoren ist entscheidend. Je weniger Motivatoren die Arbeitssituation bietet, desto wichtiger ist die Gestaltung der „Hygiene“, vor allem des Entlohnungssystems.193 Die Inhaltstheorien der Motivation unterstützen damit die situations- und bedürfnisgerechte Setzung von Anreizen. Diese ist auch nach den Erwartungsvalenztheorien entscheidend, da hier der Arbeitnehmer seine Anstrengungen danach ausrichtet, wie viel und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Aufgabenerfüllung zur Erreichung seiner langfristigen Ziele beiträgt. Leistung führt hier zu intrinsischen und extrinsischen Belohnungen und in der Regel zu Zufriedenheit. Dazu muss nach den Gleichgewichtstheorien allerdings die Belohnung sowohl bedürfnis- als auch leistungsgerecht sein und als fair empfunden werden. Andererseits muss die Aufgabe auch im Einklang mit der eigenen Persönlichkeit lösbar sein. Hier sind die bestimmenden Faktoren also die Persönlichkeitszüge und die Wahrnehmung der Rolle im Unternehmen. Die adäquate Zielsetzung und die Gestaltung der Kontextvariablen der Arbeit geben Unternehmen hier Spielraum für die gezielte Anreizsetzung.194 192
Vgl. Weinert/Scheffer 2004 (Motivationstheorien), S. 326 ff. Zu einem Theorieüberblick und integrativen Modellansatz der Arbeitsmotivation vgl. Latham/Locke 2004 (Motivation theory), S. 389 ff.
193
Vgl. Bloch/Snyderman/Herzberg/Mausner 1959 (Motivation to work), S. 70 ff. und S. 144 ff., Herzberg 1968 (Motivating employees), S. 57 und Weiner 1980 (Motivation), S. 439 ff. Ein Überblick über diese Theorien findet sich bei Jung 1999 (Personalwirtschaft), S. 374. Selbst die Frage, ob Menschen rational oder irrational handeln, lässt sich nicht abschließend klären, denn es gibt plausible Ansätze und empirische Nachweise für beide Verhaltensweisen.
194
Vgl. Lawler/Porter 1968 (Performance), S. 165. Die Wahrnehmung der miteinander rückgekoppelten Faktoren Anstrengungen, Leistungen, Leistungsgerechtigkeit usw. ist wichtiger als tatsächliche Fakten.
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Damit liegen die Einflussmöglichkeiten der Unternehmung hauptsächlich in der Beeinflussung der Arbeitsmotivation und des Arbeitsverhaltens durch generationengerechte Zielsetzung und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Wesenszüge der Generationspersönlichkeit kann ein Unternehmen nicht grundlegend beeinflussen.195 Es kann jedoch die Mitarbeiter im mittel- bis langfristigen Zeitraum in die Unternehmenskultur integrieren. Für die erfolgreiche Sozialisation der verschiedenen Generationspersönlichkeiten steht ihm die adäquate Gestaltung der unternehmensinternen Rahmenbedingungen zur Verfügung. Darunter fällt zum Beispiel auch die organisatorische und personelle Gestaltung von Teams. Über verschiedene Schulungsmaßnahmen können geistige, körperliche und soziale Leistungsfähigkeit ausgebaut werden. Solche Maßnahmen haben wiederum Rückwirkungen auf die Arbeitsmotivation.
Generationspersönlichkeit und Generationshandeln – Kernelemente Anhand der Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie lassen sich als Hauptfaktoren der „Generationspersönlichkeit“ 196 das Wertsystem und physische und psychische Fähigkeiten als stabile Eigenschaften sowie Bedürfnisse, Erwartungen und Einstellungen als leichter veränderliche Elemente identifizieren. Letztere vermitteln zwischen dem Persönlichkeitskern der stabilen Strukturen und dem Generationsverhalten. Bestimmungsfaktoren der Generationspersönlichkeit sind ihr Genpool sowie die ökologische und kulturelle Umwelt. Das Generationsverhalten wird durch Anreize aus der Umwelt stimuliert und durch die Situation und die Generationspersönlichkeit gesteuert. Für Unternehmen sind deshalb die Kenntnis der Generationspersönlichkeit und die Setzung adäquater Anreize zur Verhaltenssteuerung unerlässlich. Als Sozialisationsinstanz und über die Schaffung geeigneter interner Rahmenbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten, können Unternehmen die Generationspersönlichkeit und das Generationshandeln beeinflussen.
2
Wertsystem der Generationspersönlichkeit
Werte sind nach den obigen Ausführungen als zentraler Faktor der Generationspersönlichkeit und des Generationshandelns anzusehen. Im Sprachfeld der Werte gibt es zahlreiche Begriffe, die alle miteinander verwandt sind und doch jeweils ihre ganz eigene Bedeutung haben. Unterschieden werden kann zum Beispiel zwischen Norm, Gesetz, Moral, Wert, Grundwert, Überzeugung, Einstellung, Haltung oder Werthaltung, Glauben und Motiv. Innerhalb der komplexen Persönlichkeitsstruktur eines Menschen sind sie schwer zu identifizieren und kaum zu trennen. Sind sich die Wissenschaftler bereits über die Definitionen nicht einig, so ist es für den Laien noch schwieriger, eigene Werte anzugeben bzw. von anderen Konstrukten 195
Breer und Locke gehen zum Beispiel davon aus, dass auch die Aufgabe selbst das Werthaltungssystem beeinflusst und verändert. Vgl. Breer/Locke 1965 (Task and attitudes), S. 9 und S. 15 ff.
196
Im Sinne des lateinischen Wortes „persona“ („Theatermaske“) wird die Generationspersönlichkeit hier durch ihre Einzigartigkeit und Würde, ihre besonderen Eigenschaften, ihre Erscheinung anderen gegenüber und ihre Rolle im Generationsgefüge gekennzeichet. Vgl. Allport 1959 (Persönlichkeit), S. 28 f.
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zu trennen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass der Mensch sich vieler seiner Persönlichkeitsmechanismen und -konstrukte überhaupt nicht bewusst ist. Letztere lassen sich auch nur schwer bewusst machen und in abstrakte Begriffe fassen. Sie sind nicht direkt beobachtbar. Im Folgenden sollen die Bereiche Normen und Werte sowie Werthaltungen und Einstellungen näher betrachtet werden, da in diesen Feldern Generationsunterschiede zu vermuten sind. Sie sind jedoch weder überschneidungsfrei noch unabhängig voneinander. Der Wertbegriff selbst als zentrales Konstrukt soll im Folgenden in seinen Feinheiten und in der Verflechtung mit verwandten Begriffen genauer betrachtet werden. Eine der ersten soziologischen Operationalisierungen des Wertkonzeptes findet sich bei CLYDE KLUCKHOHN, wo ein Wert als für eine Gruppe oder ein Individuum charakteristische Konzeption des Wünschenswerten definiert wird, welche die Auswahl unter verfügbaren Handlungsarten, -mitteln und -zielen beeinflusst.197 Aus individueller Sicht kann man als Werte diejenigen Überzeugungen bezüglich der Dinge betrachten, die eine Person als wichtig und erstrebenswert erachtet, was Werte in diesem Zusammenhang in die Nähe persönlicher Motive rückt.198 Andere Autoren führen allerdings auch diese persönlichen Überzeugungen wieder auf gesellschaftliche Normen oder Sollzustände zurück und sehen Werte als geistige Grundorientierungen, die das System der sinnkonstituierenden Orientierungsleitlinien und Ordnungsaspekte gesellschaftlichen Zusammenlebens verkörpern.199 Umfassend lassen sich individuelle Werte definieren als „ein kulturell- und sozialdeterminiertes (und geltendes), dynamisches, ich-zentrales, selbstkonstitutives Ordnungskonzept als Orientierungsleitlinie, die den Systeminput einer Person (Wahrnehmung) selektiv organisiert und akzentuiert sowie ihren Output (Verhalten) reguliert, mithin eine ich-dirigierte, aktive Planung und Ausrichtung des Verhaltens über verschiedene Situationen hinweg ermöglicht“.200 Diese Ausführungen zeigen einen gemeinsamen Kern von Werten als Orientierungsleitlinien. Die Unterscheidung liegt hier hauptsächlich zwischen individuellem Wertsystem und kollektiv gültiger Norm. Werte sind jedenfalls zeitlich stabil und neben der Situation für die Verhaltenssteuerung zentral. Damit sind sie, ob bewusst oder unbewusst, für das Generationshandeln mit ausschlaggebend. Sie dienen zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Einstellungen gegenüber relevanten Objekten und Situation, zur Rechtfertigung eigener und fremder 197
In den ersten theoretischen, im Wesentlichen philosophischen Werken der Soziologie von Comte, Spencer und Marx spielt das Wertkonzept keine explizite Rolle. Erste Ansätze finden sich bei Durkheim und ihre Operationalisierung bei Weber, Parsons und Kluckhohn. Vgl. Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 34 ff. und Durkheim 1930/1991 (Division du travail), S. 402 ff. Zur Definition vgl. im Orignial Kluckhohn 1951 (Values), S. 395: „A value is a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable, which influences the selection from available modes, means and ends of action.“
198
Vgl. Jost 2000 (Motivation), S. 47. Der neutrale Begriff Motiv bezeichnet den menschlichen Antrieb, der Aktivierung und Steuerung von Verhaltensweisen bewirkt. Vgl. Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 73.
199
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 7 f. und Klages/Kmieciak 1981 (Wertwandel), S. 14.
200
Kmieciak 1976 (Wertstrukturen), S. 150. Asch beschreibt das Phänomen der Gesellschaft zugrunde liegenden Prinzipien Gerechtigkeitssinn und Pflichtgefühl sehr anschaulich so: Menschen fällen Urteile darüber, was richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht ist. Diese mögen voneinander abweichen, aber allen Menschen ist das Gewissen und das Gefühl, was man tun oder nicht tun sollte, gemein – unabhängig davon, ob andere dabei sind oder ob der Tat Belohnung oder Strafe folgt. Vgl. Asch 1987 (Psychology), S. 354 ff.
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Handlungen und Einstellungen und zur moralischen Beurteilung von sich selbst und anderen. Schließlich dient ein Wert als Standard zur Beeinflussung der Werte, Einstellungen und des Verhaltens anderer, insbesondere von Kindern.201 Einstellungen bzw. Werthaltungen202 leiten sich aus den Werten und der Situation ab und sind dementsprechend zeitlich etwas weniger dauerhaft als Werte. Sie beinhalten das, was Leute denken bzw. fühlen und wie sie sich gegenüber einem Objekt verhalten möchten oder nach ihrer eigenen Wertung sollten. Einstellungen beschreiben und bewerten, prädisponieren damit das Verhalten und vermitteln zwischen Wert und Umweltsituation. Sie können sich auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche, wie zum Beispiel Sexualität, Familie, Arbeit und Beruf, Freizeit- und Erlebnisbereich, Bildung oder Politik, beziehen.203 Wertsysteme sind nach der Bedeutung der Werte und Werthaltungen, die individuell verschieden sind, organisiert. Mehrere Überzeugungen können zusammen eine Einstellung erzeugen, mehrere Einstellungen eine Ideologie und mehrere Werte können zu einem Wertsystem zusammengefasst werden. Anzunehmen ist, dass der sehr großen Zahl von Einstellungen und Werthaltungen nur ca. ein paar Dutzend instrumentelle Werte und ca. eine Hand voll Letztwerte zugrunde liegen. Die Zahl der zentralen Werte ist auf wenige begrenzt. Das gilt sowohl für das Normsystem einer Kultur, wo Werte häufig als Gesetze kodifiziert werden als auch für das Wertsystem eines Individuums. Diese Werte haben Grad (Bedeutung) und Richtung (gut oder schlecht) und lassen sich nach erwünscht (Wollen) und wünschenswert (Sollen) einteilen. Entsprechend stehen sie gleichberechtigt nebeneinander oder bilden Hierarchien. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Werten können mehr oder weniger eng und sie können auch konfliktär sein. Es ist davon auszugehen, dass im inneren Wertsystem eines Individuums eine gewisse Konsistenz erzeugt werden muss, auch wenn die Werte nicht in jeder Situation kompatibel sein können. Das Aufzeigen oder auch „nur“ das Bewusstmachen von Inkonsistenzen im System dürfte danach im Bereich der grundlegenden Letztwerte am unangenehmsten sein, da sie mit dem ganzen Restsystem verwoben sind.204 Kindheitswerte bilden die Standards einer entwickelten Persönlichkeit, quasi den Kern der eigenen Identität. Diese Standards werden durch die Sozialisationsinstanzen als gesellschaftliche Ansprüche an Fähigkeit und Moral vermittelt. Schon in frühester Kindheit werden Vorstellungen darüber, was gutes Benehmen, Achtung vor dem Eigentum und richtiges moralisches Verhalten ausmacht, verwurzelt. Dabei werden hauptsächlich nicht die abstrakten Ideale, sondern Vorstellungen über korrekte oder zumindest wünschenswerte Gewohnheiten anerzogen. Zusätzlich erfolgt eine zum größten Teil unbewusste Identifikation mit Vorbildern
201
Vgl. Rokeach 1986 (Beliefs), S. 159 f. und Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 49 ff.
202
Die weitere Unterscheidung zwischen Werthaltungen und zeitlich etwas instabilere Einstellungen ist im Zusammenhang mit längerfristig stabilen altersspezifischen Eigenschaften von untergeordneter Bedeutung.
203
Vgl. Triandis 1975 (Einstellungen), S. 20 und S. 35, Rokeach 1986 (Beliefs), S. 159 sowie Tarter 1954 (Generationsgestalt), S. 62 und S. 83. Das Objekt kann physisch oder sozial; konkret oder abstrakt sein.
204
Vgl. Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 75 ff. und Rokeach 1986 (Beliefs), S. 167 f. Die durch das Leben geprägten Werte sind nach Hofstede nicht unbedingt rational, auch wenn sie als rational empfunden werden und das eigene Bild von Rationalität prägen. Vgl. auch Hofstede 1984 (Culture’s consequences), S. 18 f.
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und die Übernahme von deren Verhalten, Einstellungen und vielleicht deren äußerer Erscheinung. Anhand dieses Sozialisationsprozesses lernt der Einzelne seine Triebe bzw. seine Emotionen, wie Furcht, Leidenschaft und Freude, im Zaum zu halten. Andererseits repräsentieren die Werte individuelle Bedürfnisse und verwandeln sie quasi in gemeinschaftliche Ziele und Verhaltensweisen. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben.205 Eine weitere Dimension des Sozialisationsprozesses, auf der viele Denk- und Empfindungsgewohnheiten beruhen, sind Statusbeziehungen. Diese betreffen zum Beispiel die Stellung der Frau, die Angesehenheit des Alters, die Zahl der Kinder oder die Familienstruktur. Die so erworbenen Wertmaßstäbe können nach soziologischer und sozio-anthropologischer Forschung von Nation zu Nation, aber auch zwischen verschiedenen sozialen Gruppen innerhalb der gleichen Nation differieren. Obwohl die kulturellen Werte in einer Gesellschaft die dominanten und allgemeinverbindlichen Präferenzmodelle spiegeln, kann es dort auch noch sub- oder gegenkulturelle Werte geben. So hat zum Beispiel fast jeder Beruf seinen ganz eigenen Habitus. Jede Kultur muss Mittel und Wege finden, mit (diesbezüglichen) Konflikten und Interessenskollisionen fertig zu werden. Ein solches Mittel ist zum Beispiel die Institution der Rechtsprechung. Im Unternehmen könnte zum Beispiel ein Generationenkonflikt mit Hilfe der Mediation als Standardverfahren beigelegt werden.206 Aus diesen Ausführungen in Kombination mit den Erkenntnissen der Sozialisationsforschung geht hervor, dass Wertsysteme in den frühen Prägephasen dauerhaft erworben werden. Da die wichtigsten Sozialisationsinstanzen die Eltern sind, steht auch zu vermuten, dass die Wertsysteme der Elterngeneration von der Kindergeneration in der Familie und damit auch in der Gesamtgesellschaft nicht sehr stark voneinander abweichen, dennoch sind generationsspezifische Werte quasi als Subkulturwerte möglich. Trotzdem haben auch die Unternehmen als Sozialisationsinstanzen die Möglichkeit auf das Wertsystem junger Mitarbeiter einzuwirken. Die Beeinflussung der Wertsysteme gefestigter Persönlichkeiten ist wesentlich aufwändiger. Je zentraler die Werthaltung ist, desto schwieriger und langwieriger ist auch ihre Beeinflussung. Änderungen von zentralen Werten sind an sich schon für die Person ein großer Schritt, der ihr Einverständnis voraussetzt. Zusätzlich ziehen sie natürlich auch Veränderungen im übrigen System von Überzeugungen und Werthaltungen nach sich.207 Die Beeinflussung von Einstellungen ist etwas einfacher und gelingt zum Beispiel durch Modelllernen oder Konditionierung. Als komplexes Phänomen sind Einstellungsänderungen dennoch schwierig zu bewirken und auch schwer zu messen, zumal was Menschen tun und was sie sagen oft nicht übereinstimmt. Stattdessen geben sie häufig die Antworten, die sie für
205
Vgl. Mannheim/Stewart 1973 (Soziologie der Erziehung), S. 78 und S. 83 sowie Ball-Rokeach/Grube/ Rokeach 1984 (American values), S. 25.
206
Vgl. Mannheim/Stewart 1973 (Soziologie der Erziehung), S. 77 und S. 131 f. sowie Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 61.
207
In empirischen Studien kommen Ball-Rokeach/Grube/Rockeach zu dem Ergebnis, dass sich Überzeugungen und Verhaltensweisen gezielt durch längerfristige mediale Beeinflussung zumindest für die folgende Zeitspanne signifikant verändern lassen. Die Änderung von Werthaltungen gelingt auch mit Hilfe von Hypnose. Vgl. Ball-Rokeach/Grube/Rokeach 1984 (American values), S. XIV und Rokeach 1986 (Beliefs), S. 40 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
sozial erwünscht halten. Dies dient sowohl der Selbst- als auch der Fremdtäuschung.208 Des Weiteren ist der Zusammenhang zwischen Werthaltungen und Verhalten noch ungeklärt. Werthaltungen werden gelernt oder übernommen und entwickeln sich dann weiter. Dabei haben direkte Erfahrungen den größten Einfluss auf die kognitive und affektive Komponente, während die konative Verhaltenskomponente meist von anderen (Familie und Freunde bzw. Bezugsgruppe) oder über soziale Normen übernommen wird. Die drei Komponenten beeinflussen sich gegenseitig und tendieren zur größtmöglichen Konsistenz.209 Trotzdem kann aus einer Einstellung nicht direkt auf ein daraus resultierendes Verhalten geschlossen werden. Weitere Faktoren der betreffenden Persönlichkeit sowie die Situation und die Repräsentativität der Handlung für die betreffende Einstellung sowie Normen, Gewohnheiten und Verstärkungserwartungen können eine Rolle spielen. Eine Ableitung des Verhaltens nur aus den Einstellungen ist also nicht möglich, sobald nur eine Inkonsistenz zwischen diesen vier Faktoren auftritt.210 Die Prognosequalität ist damit gering. Hinzu kommt, dass Objekt oder Person sich immer in einer spezifischen Situation befinden, zu der gleichfalls eine Einstellung besteht. Deshalb entsteht soziales Handeln regelmäßig aus der Aktivierung mindestens zweier interagierender Einstellungen. Darunter leidet die Vorhersagbarkeit des Verhaltens einer Person zusätzlich, selbst wenn ihre Einstellungen bekannt sind.211 Damit wird das Phänomen so komplex, dass das Verhältnis von Erfassungsaufwand zu Nutzwert der Verhaltensaussage sehr gering wird. Betrachtet man allerdings den Zusammenhang nicht für die individuelle, sondern aggregiert für die Generationspersönlichkeit, so steht zu vermuten, dass die genauen Zusammenhänge zwischen den Faktoren weniger relevant werden. Die Vermutung besteht, dass das allgemeine Verhalten von Generationsmitgliedern in einer bestimmten Klasse von Situationen durch das zentrale Wertsystem und die Generationspersönlichkeitszüge bedingt ähnlich sein wird. Damit kann der Einfluss von intermittierenden Variablen wie Einstellung oder Verhaltenskontrolle hier zunächst vernachlässigt werden. Im Arbeitsleben sind Arbeitswerte relevant, die den Letztwerten im Wertsystem der Generationspersönlichkeit untergeordnet sein dürften. Arbeitswerte sind Werthaltungen, die sich auf die rationalen und gefühlsmäßigen Erwartungen an die Arbeit bzw. die Art, wie man sich im Berufsleben verhalten sollte, beziehen. Damit schließen sie sowohl die Gewichtung der Arbeit
208
Vgl. Ajzen 1988 (Behavior), S. 149, Brunner/Schmidt/Schmidt-Mummendey 1975 (Soziale Einstellungen), S. 125, Triandis 1975 (Einstellungen), S. 215 ff. und Asendorpf 2004 (Persönlickeitspsychologie), S. 132 f. In den USA und Großbritannien gelten zum Beispiel Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Freundlichkeit und Glücklichsein zu den Eigenschaften, die für sozial besonders erwünscht gehalten werden.
209
Vgl. Triandis 1975 (Einstellungen), S. 181 und 204.
210
Vgl. Jost 2000 (Motivation), S. 49 ff. und Triandis 1975 (Einstellungen), S. 225. Zur Verbesserung der Konsistenz können spezifische Verhaltenstendenzen zu einem Aggregat zusammengefasst werden. Dieses spiegelt die allgemeine Werthaltung, ist dabei relativ situationsunabhängig und sagt Verhalten gut voraus. Alternativ können intervenierende Variablen berücksichtigt werden, was die Zusammenhänge allerdings verkompliziert. Nach Ajzens Modell beeinflussen Einstellung und subjektive Norm bezüglich eines Verhaltens sowie wahrgenommene Verhaltenskontrolle sich gegenseitig und führen über Evaluation zu Verhaltensabsicht und Verhalten. Vgl. Ajzen 1988 (Behavior), S. 35, S. 61, S. 89 f. und S. 109 ff.
211
Vgl. Rokeach 1986 (Beliefs), S. 132.
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im Vergleich zu Familie oder Freizeit ein als auch die Wertschätzung der so genannten Arbeitstugenden wie Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit, Arbeitsmoral usw. PETER-JÜRGEN JOST betont hier noch einmal den situationsübergreifenden und motivationalen Charakter sowohl der Lebensprinzipien (Letztwerte) als auch der verfestigten, persönlichen Bedürfnisse und entsprechenden Zielsetzungen. Arbeitswerte lassen sich in intrinsische und extrinsische Werte einteilen. Intrinsische Arbeitswerte begreifen Arbeit als Freude an interessanter oder herausfordernder Arbeit oder als Selbsterfüllung zum Beispiel durch die Ausschöpfung des eigenen Leistungspotenzials, Dazulernen oder Verantwortung und Autonomie. Extrinsische Arbeitswerte beinhalten Arbeit als Instrumentalität mit dem Zweck der Bezahlung, anderer direkt vorteilhafter Ergebnisse oder als soziale Institution. Als soziale Institution entspricht Arbeit der gesellschaftlichen Norm, schafft soziale Kontakte und verschafft sozialen Status. Diese Klassifikation ist jedoch nicht ganz trennscharf. Zusätzlich ist es schwierig, herauszufinden, welche Wertstruktur bei einem einzelnen Mitarbeiter ausschlaggebend ist.212 Damit dürften die Beeinflussungsmöglichkeiten des Generationsverhaltens vor allem im Bereich der persönlichen Zielsetzungen und Verstärkungserwartungen über Anreize oder Belohnungen zu suchen sein. Als Hilfskonstrukt zur Messung der Arbeitseinstellungen dient die Arbeitszufriedenheit. Diese beschreibt die Einstellung eines Mitarbeiters gegenüber seiner derzeitigen Arbeitssituation.213 Einflussgrößen der Arbeitszufriedenheit sind die Arbeitssituation, die Arbeitswerte und die Persönlichkeitszüge. Immerhin lassen sich etwa 30 % der Arbeitszufriedenheitsvariation allein durch Unterschiede in den genetischen Faktoren erklären. Arbeitszufriedenheit äußert sich bezüglich der Arbeit selbst, der Bezahlung, den Beförderungsmöglichkeiten, der Beziehung zum unmittelbaren Vorgesetzten und der Beziehung zu den Kollegen. Zu den Arbeitseinstellungen zählen auch die innere Einstellung oder Verpflichtung gegenüber der Unternehmung. Dieses „Commitment“ zur Organisation als Ganzes hat eine kognitive, eine affektive und eine konative Komponente. Diese drücken sich in der Akzeptanz der Organisationsziele und Unternehmenswerte, der emotionalen Bindung, der Identifikation und Involviertheit bzw. in der Bereitschaft zu Verbleib und Einsatz in der Organisation äußern.214 Die nachstehende Übersicht fasst die wichtigsten Fakten zum Wertsystem zusammen. Dabei muss noch einmal betont werden, dass das Wertsystem im Kontext der weiteren Wesenszüge der Generationspersönlichkeit zu sehen ist und mit ihnen gemeinsam das Generationshandeln beeinflusst. Dennoch kann das Wertsystem auch für sich genommen von Bedeutung für das Generationengeschehen sein. Menschen teilen nämlich andere Menschen danach in Kategorien ein, inwiefern ihre Überzeugungen übereinstimmen oder sich widersprechen. Sie ziehen
212
Stimmungen in der aktuellen Arbeitssituation werden hier nicht weiter betrachtet, da sie zeitlich zu instabil und wechselhaft für ein Generationscharakteristikum sind. Vgl. Jost 2000 (Motivation), S. 47 ff.
213
Die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter ist schwer zu messen, da es sich um progressive oder stabilisierte Arbeitszufriedenheit, um resignative (bei Anspruchsniveausenkung) oder Pseudoarbeitszufriedenheit (bei Verfälschung der Situationswahrnehmung) handeln kann. Daneben existieren noch fixierte und konstruktive Arbeitsunzufriedenheit. Vgl. auch Semmer/Udris 2004 (Bedeutung der Arbeit), S. 169 ff.
214
Vgl. Jost 2000 (Motivation), S. 56 ff.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Menschen mit vermutlich ähnlichen Überzeugungen anderen vor. Diese wichtige Thematik wird im folgenden Unterkapitel zur Generationentypisierung weiter vertieft.215
Wertsystem als komplexer Wesenszug der Generationspersönlichkeit – Kernelemente Gesellschaftliche Werte sind eng mit dem Begriff der Normen verknüpft und können als Gesetze kodifiziert werden. Werte unterscheiden sich in verschiedenen Dimensionen: Grad der Bewusstheit, der Überzeugtheit, der zeitlichen Stabilität, der Wichtigkeit, der Anwendbarkeit auf unterschiedliche Personen oder Gruppen (Generalisierungsgrad) und der Verbreitung in der Gesellschaft (Universalisierungsgrad). Die Werthaltungssysteme des Individuums können unterschiedlich differenziert und in sich mehr oder weniger konsistent sein und über mehr oder weniger viele Letztwerthaltungen verfügen. Die Funktionen eines Werthaltungssystems sind Orientierung, Integration und Adaptation. Werte dienen der Orientierung einer Person an der Außenwelt und vermitteln anhand der Wertung (richtiges Verhalten) sowie der affektiven und kognitiven Auswahl von Handlungsmöglichkeiten den Realitätsbezug. Sie motivieren. Instrumentell gesehen resultieren sie in Handlungen. Die Integrationsfunktion dient dem Aufbau und der Stabilisierung der eigenen Identität und ist damit nach innen auf das Personensystem gerichtet. Adaptation ist das Resultat der Sozialisation, die Sicherstellung der Konformität zwischen Gesellschaftssystem und Personsystem.216 Das Wertsystem eines Individuums ist in etwa hierarchisch aufgebaut. In Bezug auf das Generationenproblem interessieren vor allem die grundlegenden Letztwerte, da sie das weitere Wertsystem und die Werthaltungen bestimmen, die in Zusammenhang mit dem Arbeitsleben stehen und daher für das Generationshandeln dort relevant sind. Die Arbeitswerte und Arbeitseinstellungen äußern sich in Arbeitsmoral und Arbeitstugenden sowie in arbeitsbezogenen Bedürfnissen. Die Voraussage individuellen Verhaltens in individuellen Situationen ist anhand von Einstellungen prinzipiell kompliziert und wenig zuverlässig. Im Aggregat der Generation über eine Vielzahl von Situationen hinweg, also in der Betrachtung des allgemeinen Verhaltens, scheinen sich einige dieser Probleme zu relativieren. Beschränkt man sich auf die dauerhaften Werte und Werthaltungen, die für eine Generation typisch sind, so erscheint die Vorhersage eines allgemeinen Generationsverhaltens für bestimmte Klassen von Situationen möglich. Die Unternehmung hat die Möglichkeit, Werte in eingeschränktem Maße durch Sozialisation und die Zusammenarbeit durch Bildung mehr oder weniger homogener Teams zu beeinflussen sowie das Verhalten durch Regeln und lebensaltersgerechte und generationsspezifische Anreize zu steuern (Verstärkungserwartungen).
215
Vgl. Rokeach 1960 (Closed mind), S. 391 f. und Rokeach 1986 (Beliefs), S. 64 f.
216
Vgl. auch Scholl-Schaaf 1975 (Wertsystem), S. 106 ff. und S. 115 f.
B.III Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Generationenforschung
3
83
Generationentypisierung
In beiden voranstehenden Unterkapiteln wurde erarbeitet, was Haupteigenschaften einer Generationspersönlichkeit sein können. Unabhängig davon, ob es tatsächlich solche spezifischen generations- oder lebenserfahrungsbedingte Eigenschaften von Altersgruppen gibt, existieren jedenfalls positive und negative Stereotype im Sinne von relativ fest gefügten, stabilen Überzeugungen darüber, wie Altersgruppen sind und wodurch sie sich von anderen unterscheiden.217 Auch Mitarbeiter handeln nach dieser Kategorisierung, häufig ohne den Wahrheitsgehalt ihrer Annahmen und die Kategorisierungskriterien zu überprüfen. Sie bevorzugen andere Menschen mit gleichartigen Ansichten, zumeist also ihre eigene Alterskategorie. Äußere Merkmale des Alters liefern ihnen Anhaltspunkte der zu erwartenden Wertsysteme.218 Die Grenze zwischen Einstellung und Vorurteil ist dabei fließend. Aus dem Zusammenfinden Gleichaltriger kann zum Beispiel Gruppenzugehörigkeitsgefühl und eine gute Arbeitsatmosphäre oder eine Generationseinheit entstehen. Die Kehrseite ist die Diskriminierung anderer Altersgruppen. Mit der Beschreibung von Generationsidealtypen am Arbeitsplatz wird eine solche Kategorisierung bewusst angestrebt, um sich den Erklärungswert der strukturellen Kategorie des Generationszusammenhangs zunutze zu machen, der als Index für gemeinsame Erfahrungen jeweils vieler Personen pro Alterskategorie dienen kann.219 Insofern kann diese Kategorisierung nützliche Anhaltspunkte für den Umgang mit den Mitgliedern eines Generationszusammenhangs geben. Andererseits sind selbst mit einer zutreffenden Kategorisierung Risiken wie das einer zu großen Verallgemeinerung verbunden. Selbst die amerikanischen Autoren betonen in Generationen am Arbeitsplatz häufig, dass es in jeder Generation Menschen gibt, die sich anders und individuell verhalten oder die zwar in einer Generation geboren sind, sich jedoch einer anderen, mehr als einer oder gar keiner Generation wirklich zugehörig fühlen.220 Eine Gefahr in der Stereotypbildung besteht also darin, ein Vorurteil zu produzieren, wodurch zwar möglicherweise ein generell besseres Verständnis erzeugt, jedoch gleichzeitig auch der Blick für das Individuum und seine tatsächlichen Bedürfnisse und Talente verstellt wird. Das ist umso bedenklicher, da stereotype Vorstellungen im Wesentlichen durch unbewusste Stimuli automatisch aktiviert werden. Die nach dem Äußeren offensichtlichsten Stereotype Geschlecht, Rasse und Altersgruppe können auch am leichtesten (unbewusst) aktiviert werden.221 Im Gegensatz zu den USA, wo sich feste Vorstellungen der Generationen bereits etabliert haben, besteht in Bezug auf das deutsche Generationsgeschehen am Arbeitsplatz die 217
Vgl. Tews 1995 (Altersbilder), S. 56.
218
Gemäß Rokeachs Forschungsergebnissen werden soziale Beziehungen sogar weit eher aufgrund ähnlicher Überzeugungssysteme als aufgrund vergleichbarer Rasse angeknüpft und aufgebaut. Vgl. Rokeach 1960 (Closed mind), S. 391 f. und Rokeach 1986 (Beliefs), S. 64 f.
219
Vgl. auch Ryder 1965 (The cohort), S. 847.
220
Vgl. exemplarisch Ritchie 1995 (Marketing to Xers), S. 12 ff.
221
Vgl. von Bodenhausen/Macrae/Quinn 2003 (Categorical thinking), S. 89. Zu den „offensichtlichen“ der demografischen Diversität zählen neben Alter, Geschlecht und Rasse, Aussehen, Sprache bzw. Dialekt, Behinderung usw. Eher unauffällig, wenn sie nicht absichtlich betont werden, sind Religion, Beruf, Nationalität, soziale Schicht, Krankheit, sexuelle Orientierung usw. Vgl. Jent 2002 (Learning from diversity), S. 2.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Gefahr ein Stereotyp, was bisher noch nicht existierte, erst zu schaffen oder ein unbewusstes Stereotyp zu aktivieren. Insofern ist es notwendig, die Entstehung, Auswirkungen und die Beeinflussungsmöglichkeiten von Stereotypen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Der Mensch neigt zur Kategorisierung, Klassifizierung oder Stereotypisierung, um mit der Informationsflut aus der Umwelt leichter umgehen zu können. Diese Zuordnung erleichtert den Rückgriff auf vertraute Problemlösungen im Umgang mit der Kategorie und verkürzt damit die Reaktionszeit und den mit der Problemlösung verbundenen Aufwand. Stereotype werden dabei als Erklärungsmuster für die Umwelt genutzt. Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass die Wahrscheinlichkeit von Ungenauigkeit und Fehleinschätzung größer wird, je allgemeiner die Kategorisierung ist. Die Sicht auf das Individuum und sein Verhalten in seiner Einzigartigkeit wird getrübt. Es besteht das Risiko, besondere oder neuartige Aspekte des Verhaltens und die Einzigartigkeit des Moments bzw. der Erfahrung zu übersehen.222 Die meisten Menschen ordnen andere Menschen oder Gruppen als Resultat einer solchen Kategorisierung gemäß ihren Einstellungen gewissen „Typen“ zu. Dabei muss unterschieden werden zwischen so genannten „Soziotypen“ als richtiger Charakterisierung sozialer Gruppen und den „Stereotypen“, bei denen es sich einfach um Überzeugungen von Individuen hinsichtlich bestimmter Gruppen handelt, die nicht unbedingt korrekt sein müssen. Stereotype entstehen umso eher, je größer der tatsächliche Unterschied in einem Merkmal (vermeintlich) ist und je mehr Relevanz das Merkmal für die Beziehung besitzt. Existiert ein Stereotyp bereits, so bedarf es nur geringer tatsächlicher Differenzen, um es aufrechtzuerhalten. Das gilt insbesondere für Projektionen aufgrund ungenauer Kenntnis oder größerem Abstand zu der betrachteten Gruppe. Stereotype Vorstellungen sind damit relativ dauerhaft und verändern sich nur im Zeitablauf oder durch persönliche Erlebnisse eines Individuums.223 Meist beinhalten sie zumindest ein „Körnchen Wahrheit“. Insbesondere sind die Hetero- und Autostereotype von Gruppen, also Fremd- und Selbstbilder, einander häufig außerordentlich ähnlich. Oft sind Stereotype allerdings zu absolut und manchmal auch schlicht falsch. Das liegt häufig darin begründet, dass zwei Gruppen ein Unterscheidungsmerkmal für die Stereotypisierung wählen, das nur mit dem tatsächlichen Unterschied korreliert und auf dieser Basis eine Vielzahl ungültiger Urteile fällen. Häufig beinhalten sie auch eine Konfundierung von Eigenschaften, zum Beispiel hierarchische Position und Alter. Die Konzentration auf die eigene Gruppe führt oft dazu, sich selbst für gut und tugendhaft und die andere Gruppe für schlecht, unmoralisch oder bedrohlich zu halten und ihr bevorzugt Merkmale zuzuschreiben, die in der eigenen Gruppe auf starke Ablehnung stoßen. Aus negativen Stereotypen resultieren deshalb oft Konflikte, während aus positiven Stereotypen eine gute Kooperation entstehen kann. Falsche Fremdbilder wirken über den Teufelskreis von Fehlinterpretationen des Verhaltens, falschen Erwartungen und falschen Reaktionen auf beiden Seiten. Insbesondere bei einem Machtungleichgewicht zwischen Gruppen kommt es zu Sanktionierung oder Diskriminierung und damit wachsender Distanz. Die Reaktionen reichen von Selbstbehauptung über
222
Vgl. Triandis 1975 (Einstellungen), S. 154 f. und Maslow 1954 (Motivation and personality), S. 261 ff.
223
Vgl. Triandis 1975 (Einstellungen), S. 156 ff.
B.III Verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Generationenforschung
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Apathie bis zu Frustration und Selbsthass. Diese negativen Emotionen werden genau wie positive im Fall guter Beziehungen durch entsprechende Gruppennormen noch verstärkt.224 Ein weiteres Problem liegt in der „self-fulfilling prophecy“. Wird jemand häufiger mit einer stereotypen Meinung über sich konfrontiert, so kann das dazu führen, dass er sich tatsächlich nach dem Fremdbild verhält, obwohl dies eigentlich nicht in seinem Naturell liegt. Das kann sich je nach Stereotyp positiv und leistungsfördernd oder negativ auswirken. In Situationen, wo die Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht werden, macht sich der zusätzliche Stress aus Angst, das Vorurteil zu bestätigen und zu versagen, besonders negativ bemerkbar. Da selbst die bewusste Unterdrückung eines Stereotyps sowohl bei den vom Stereotyp Betroffenen als auch bei den Nicht-Betroffenen ebenfalls mit erheblichem Stress gekoppelt ist, bleibt die Kategorisierung trotz gegenteiliger Absichten häufig erst recht im Bewusstsein. Dies ist umso bedenklicher, weil die davon Betroffenen in der Regel hoch motivierte und selbstbewusste Leistungsträger sind, die sich mit dem Leistungsbereich identifizieren.225 In der deutschen Öffentlichkeit kann von einer langsamen Veränderung des Altersbildes ausgegangen werden. Zurzeit überwiegt jedoch noch die Defizitvorstellung, insbesondere, was die Verschlechterung von körperlicher Leistungsfähigkeit, Entwicklungsfähigkeit und Gesundheitszustand angeht. Das negative Stereotyp der Jüngeren knüpft sich oft allein schon an die Kleidung, was es älteren Menschen mit dem entsprechenden Äußeren besonders schwer macht, Kontakte herzustellen und positiv zu gestalten. Eine Disidentifikation mit Feldern, wo das Stereotyp stark ist und die Konzentration auf Bereiche wie die Gleichaltrigengruppe, wo es nicht wirkt, schützen hingegen das Selbstwertgefühl.226 Neben der negativen Assoziation „alt und senil“ steht die Kopplung „alt und hässlich“, welche die Medien und Jüngere oft vermitteln. Die subjektive Wahrnehmung des eigenen Alters wird also durch die biografische Entwicklung, das Umfeld und die Mediendarstellung beeinflusst. Dabei wird die eigene körperliche Leistungsfähigkeit von Älteren selbst wesentlich realistischer eingeschätzt als die geistige. Mit zunehmendem Alter fühlt man sich subjektiv oft jünger (und besser) als es der Altersklasse entspricht. Die Überschätzung der mentalen Leistungsfähigkeit erfolgt vermutlich zum Schutz des Selbstwertgefühles. Ihre Anzweiflung durch Jüngere wird vom älteren Menschen als größte Kränkung empfunden, während ein körperliches Defizit eher akzeptabel ist.227 Speziell im Falle älterer Arbeitnehmer wird das negative Fremdbild jedoch oft über Druck und Konditionierung der Umwelt in das Selbstkonzept integriert und damit bereits im Spiegelbild gesehen. In der Folge geben Ältere oft Rollen auf und verlernen Fähigkeiten, um stattdessen „alterskonforme“ Abhängigkeitsrollen zu übernehmen.228
224
Vgl. Triandis 1975 (Einstellungen), S. 165 ff.
225
Verringerung des Bedrohungspotenzials kann bei Betroffenen zu deutlichen Leistungsverbesserungen führen. Vgl. Quinn/Spencer/Steele 2001 (Stereotype threat), S. 54 ff. und Steele 1997 (Stereotypes), S. 613 ff.
226
Tatsächlich kennzeichnen Kreativität, Aktivität, Unabhängigkeit, soziale Eingebundenheit, Interessenvielfalt, Freizeit- und Konsumorientierung sowie recht gute finanzielle Verhältnisse zumindest das „neue Alter“ der ca. 50- bis 70-Jährigen. Vgl. Dieck/Naegele 1993 (Altersstrukturwandel), S. 42 ff.
227
Vgl. Ferring/Filipp 1989 (Subjektives Alterserleben), S. 290, Heckhausen 1989 (Motivation), S. 1 ff., Möser 2002 (Kontakt der Generationen), S. 127 ff. und Schirrmacher 2004 (Methusalemkomplott), S. 155.
228
Vgl. Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 95.
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
Das ist umso erstaunlicher, als Intergenerationenkontakte im Vergleich zu Kontakten zwischen verschiedenen Geschlechtern oder ethnischen Gruppen einen Aspekt innerer Verbundenheit aufweisen. Der ältere Mitarbeiter war nämlich einmal jung und kann sich daran erinnern. Die Jugend hingegen weiß prinzipiell, dass der Prozess des Altwerdens noch vor ihr liegt. Damit kristallisieren sich bei der Altersstereotypisierung der Transitionsgedanke und eine gewisse Emotionalität in der Wehmut bezüglich der Jugendzeit oder der Angst vor dem Altern als Besonderheit dieser Kategorisierung heraus. Es stellt sich die Frage, ob der Generationenkonflikt tatsächlich ein Intergruppen- oder vielmehr ein Intragruppenkonflikt ist.229 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Generationenkonflikte zu entschärfen und generell Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu finden, die sich aus dem stereotypen Umgang der Generationen miteinander ergeben. Die Generationentypisierung dient dabei gerade nicht dem Aufbau von Stereotypen, sondern der Sensibilisierung für Altersdiversität und der Ermittlung von Soziotypen. Es geht darum, sich mit den Eigenheiten anderer Altersgruppen vertraut zu machen, so Vorurteile bewusst zu machen und zu überprüfen sowie den Umgang miteinander im Unternehmen zu verbessern. Dazu ist Aufklärung erforderlich. Die Kenntnis von Soziotypen kann dazu dienen, allgemeine Regelungen für den Umgang mit Altersdiversität und Konflikten aufzustellen. Führungskräfte sind geeignete Rollenvorbilder und Mediatoren. Neben der Bereitstellung von allgemeinen Informationen zur Problematik, sollten die persönlichen Kontakte zwischen den Altersgruppen verstärkt werden. Dabei steht zu erwarten, dass Stereotype durch ein besseres Kennenlernen einer differenzierteren Wahrnehmung der Individuen weichen. Dies hilft auch gegen die unbewusste Aktivierung von Altersstereotypen.230
Generationentypisierung – Kernelemente In Gesellschaft und Unternehmenspraxis existieren positive wie negative Stereotype, die an bestimmte Altersgruppen gekoppelt sind. Stereotype wirken in positiver wie in negativer Richtung selbstverstärkend, was Leistung und Zusammenarbeit von Gruppen betrifft. Sie können gravierende psychische Folgen haben. Für Unternehmen ist es deshalb wichtig, zu überprüfen, welche Stereotype dort bezüglich Generationen bzw. Altersgruppen bestehen und welche Probleme gegebenenfalls daraus resultieren. Dazu ist die Kenntnis der Soziotype Voraussetzung. Es gilt vor allem falsche negative Stereotype zu entkräften und Regelungen zu finden, die positive Zusammenarbeit und Leistung der Mitarbeiter unterschiedlichen Alters ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist die Generationentypisierung als theoretisches Modell dafür nutzbar, in Bezug auf die Altersdiversität bestimmte Problemfelder und Lösungen zu fokussieren und als Erklärungsmuster zu dienen. Indem sie das Alter betont, schränkt sie jedoch gleichzeitig den Blick für die Besonderheiten des Individuums ein.
229
Vgl. Möser 2002 (Kontakt der Generationen), S. 128 f. und S. 137.
230
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 181 f. Interventionsstudien belegen, dass Kinder, die mit den Erfahrungen, Sichtweisen und Kompetenzen älterer Menschen zum Beispiel in Mehrgenerationenfamilien bekannt gemacht werden, wesentlich weniger Altersstereotype zeigen als üblich.
B.IV Zwischenfazit: Kernelemente des Generationenverhaltens
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IV Zwischenfazit: Kernelemente des Generationenverhaltens Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass viele Wissensgebiete Hinweise zu Besonderheiten der Generationenproblematik beisteuern. Die wichtigsten Erkenntnisse finden sich im Bereich der Soziologie. Die soziologische Generationsforschung beschäftigt sich mit der Entwicklung und Sozialisation ganzer Generationen aus der Makroperspektive. Neben demografischen Aspekten steht dabei die gesellschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung der Generationen und ihrer Beziehungen im Vordergrund. Die soziologische Forschung greift dabei auf Erkenntnisse anderer Disziplinen zurück. Insbesondere stützt sie sich auf Psychologie und Pädagogik. Aus dieser Perspektive interessieren Entwicklung, Lernverhalten, Konflikte und Solidarität des Individuums mit seinen Verwandten, insbesondere den Eltern. Damit gibt die psychologische Forschung vor allem Auskunft über die Generationspersönlichkeit und das Generationshandeln. Wenn auch der bisherige Forschungsschwerpunkt auf Generationenbeziehungen von Menschen in Familie und Gesellschaft lag, so lässt sich das Konzept doch auf Organisationen aller Art und damit auch auf Unternehmen ausweiten. Zentral für die vorliegende Untersuchung sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Gäbe es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Generationen, so wären Generationenkonflikte und besonders gute Zusammenarbeit auch altersunabhängig, da sich die Mitarbeiter aller Altersstufen ähnlich verhalten würden. Damit wäre die Betrachtung von Generationen auch betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Das Alter ist definitionsgemäß zwar das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen den Generationen, im Wesentlichen dient es aber nur als Indikator für die damit korrelierenden Faktoren wie Generationenprägung oder Lebenserfahrung. Die Kernfrage dieser Untersuchung muss also einerseits sein, anhand welcher Merkmale und in welchem Grad sich die Generationen im Betriebsleben wirklich voneinander unterscheiden und welche Konsequenzen diese Unterschiede haben. Zweitens geht es darum, wie die Generationsbeziehungen aussehen, und wie sie zu gestalten sind. Die diesbezüglich relevanten Faktoren lassen sich wie folgt zusammenfassen. Im Zentrum steht die These der stabilen Generationspersönlichkeit als zentraler Verhaltenssteuerung des Organismus. Diese ist bedingt durch ihre Generationszugehörigkeit, die Generationenordnung (evolutionär oder normativ) sowie die Generationenstruktur, die weitgehend durch Bevölkerungsentwicklung und kulturelle Bedingungen entsteht, sowie die Generationenbeziehungen zwischen Konflikten und Solidarität. Relevant sind hier die räumlichen, die zeitlichen, die qualitativen und die quantitativen Dimensionen. Je nach Grad bzw. Bewusstheit ist die Generationendifferenz als manifest oder latent einzustufen. Sie kann in Form von Generationenstereotypen sogar nur in der Wahrnehmung anderer bestehen. Als räumlich-soziale Merkmale sind hier die geografische, nationale und Kulturraumabgrenzung zu nennen, die allerdings mit qualitativen Merkmalen sozialer Art verknüpft sind. Zu unterscheiden sind die Mikroebene (Einzelner/Familie), Mesoebene (Unternehmen/Organisation) und Makroebene (Gesellschaft). Die zeitliche Dimension umfasst das Spektrum der geschichtlichen Betrachtung (Abstammung, Unternehmensgeschichte, Geschichtsgeneration)
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B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
bis hin zur aktuellen Situation von Familie, Unternehmung oder Gesellschaftsgeneration. Sie kann dynamisch oder statisch sein.231 Aus den obigen Ausführungen wird die Bedeutung der zeitlichen Dimensionen für das Generationengeschehen deutlich. Dazu zählen die verschiedenen Dimensionen des Lebensalters, aber auch Altersabstände, zeitliche Abfolge und zeitliche Lagerung im Raum (Geburtsdatum). Biologisch und absolut ist die Nachfolgegeneration immer jünger als die vorangegangene. Das lässt sich objektiv als Differenz zwischen dem Geburtsjahrgang oder exakter dem Geburtsdatum und dem aktuellen Jahr bzw. Datum erfassen. Die seit der Geburt verflossene Zeit ist jedoch nur einer der Aspekte der temporalen Dimension des Generationsbegriffs. Ein weiterer ist das aktuelle Alter. Dabei handelt es sich konkret um die Frage, ob ein heute 20-Jähriger zu Beginn seines Erwachsenenlebens mit einem 20Jährigen der 60er Jahre vergleichbar ist. Hier geht es um den Quervergleich der verschiedenen Generationen im gleichen Alter bzw. in der gleichen Lebenssituation. Jede Generation wird räumlich, zeitlich und sozial in einem bestimmten Umfeld geboren, wächst dort auf, altert und stirbt. Nach den vorliegenden Forschungsergebnissen gibt es drei an das Alter gekoppelte Effekte, die für Generationsunterschiede und Gemeinsamkeiten verantwortlich sind: Positionierung im Lebenslauf, Generationenprägung und Zeitgeisteffekt. Da ist zunächst die Stellung im Lebenslauf bzw. Lebensphase. Dieses Merkmal erfasst zum Beispiel den Familienstand, die berufliche Position und den Status in anderen Lebensbereichen, die nach der Lebensverlaufstheorie mit dem Lebensalter zusammenhängen. Sie wird durch das biologische, psychologische und soziale Alter bestimmt und bedingt grundlegende Bedürfnisse der Generationen. Die Phasen des Lebenslaufes werden im Wesentlichen von allen Generationen durchlaufen. Sie sind im Interkohortenvergleich zwar nicht unveränderlich, aber ähnlich, da sie auf dem menschlichen Entwicklungs- und Reifungsprozess fußen. Der zweite Effekt ist die Generationenprägung, die vor allem in den frühen Lebensphasen stattfindet und durch gemeinsame Erlebnisse und die Sozialisation bedingt wird. Diese müsste im Interkohortenvergleich unterschiedlich ausfallen. Sie kann im Sinne MANNHEIMS über Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheiten unterschiedlich stark und unterschiedlich bewusst ausgeprägt sein. Der dritte Effekt ist die Zeitgeistprägung, die auf alle, auch die älteren in einer bestimmten Periode lebenden Generationen einer Generation wirkt. Vermutlich nimmt die Stärke des prägenden Effektes mit wachsendem Alter ab. Aus der gesellschaftlichen Makroperspektive kommt den jüngeren Generationen die schöpferische, kreative Funktion zu, während die älteren Generationen im Gesellschaftsgefüge eher Funktionen der Bewahrung, Tradierung und Wissensübermittlung vertreten. Im Wesentlichen handelt es sich bei der jüngeren um die gerade erwachsen werdende Generation, während unter der älteren Generation die bereits erwachsenen Mitglieder der Gesellschaft verstanden werden.232 Die jüngere Generation ist offener für das Hinterfragen von Traditionen und die Einführung von Neuem. Der Prozess des Erwachsenwerdens einer Gesellschaftsgeneration ist in psychologischer Hinsicht mit der Phase der Identitätsfindung im Falle der jüngeren und der Identitätswahrung im Falle der älteren Generation eng verwoben. Ein gewisses Konfliktpo231
Vgl. auch Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 52 ff. und auch Lüscher 1993 (Postmoderne Generationenbeziehungen), S. 19 ff.
232
Jüngere und ältere Generation lassen sich gemäß den oben genannten Effekten noch weiter unterteilen.
B.IV Zwischenfazit: Kernelemente des Generationenverhaltens
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tenzial ist hier vorprogrammiert. Die These, dass der Wandel der Lebensanschauungen und Lebensformen einem arithmetisch bestimmbaren Rhythmus unterliege, konnte bisher nicht belegt werden. Das gleiche gilt für Regelmäßigkeit im Auftreten der Umstände verschiedener Art, die diesen Wandel bestimmen wie Kriege, Krisen, Revolutionen und geistige Umwälzungen.233 Interessanter sind Fragen des Fortschrittes bzw. betriebswirtschaftlich gesehen der Innovation und der Wissensvermittlung. Entsprechend soll der Fokus hier auf neuzeitlichen bzw. modernen und postmodernen Fragestellungen liegen. Bedeutende Ereignisse und Zeitgeistströmungen sind unabhängig von der Regelmäßigkeit ihres Auftretens für die Forschungsfrage relevant. Sie bedingen wechselnde Generationsunterschiede in Form der verschiedenen Generationsprägungen. Dieses Konzept wurde allerdings im Vergleich zum Lebenslauf bisher wenig untersucht. Die Nutzbarmachung dieses Wissens für die Betriebswirtschaftslehre erfordert die Einbeziehung beider Phänomene, um zum einen Generationstypen im Betriebsleben und zum anderen Beeinflussungsmöglichkeiten von deren Wesenszügen, Wertsystemen und Verhaltensmustern identifizieren zu können. Dementsprechend wird zur Erklärung und Prognose des Generationsverhaltens hier vorrangig das historisch-gesellschaftliche Generationenverständnis zugrunde gelegt. Diese Sichtweise ist jedoch mit dem pädagogisch-anthropologischen Generationsverständnis und der Familienforschung eng verknüpft, deren Fokus auf der Abstammung und den intergenerationellen Beziehungen liegt und sich mit Dingen wie Normen, Sozialisation und Solidarität beschäftigt.234 Diese Deutungsmuster sollen im Folgenden deshalb ergänzend herangezogen werden. Dies gilt insbesondere für die Entstehung von Generationenprägung und -verhalten. Betrachtet man Generationen am Arbeitsplatz, so bringen diese natürlich ihre familiäre und gesellschaftliche Prägung mit. Diese Vorbedingung muss also in den folgenden Betrachtungen Berücksichtigung finden. Die Abstammungsforschung besitzt in Bezug auf Unternehmen, wenn man von der Nachfolgeproblematik in Familienunternehmen absieht, kaum Relevanz, da hier in der Regel keine Verwandtschaftsverhältnisse zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern unterstellt werden können. Für die Beziehungen der Generationen untereinander und das Generationenmanagement besteht jedoch ein gewisses Analogiepotenzial mit den Ergebnissen der verhaltens- und erziehungswissenschaftlichen Forschung. Das betrifft insbesondere die Bereiche Generationensolidarität und Generationenkonflikte. Interessante Ansatzpunkte für die Verbesserung von Beziehungen bietet die Diskussion zum Verhältnis von Großeltern und Enkeln, die sich vorgeblich ähnlicher sind und auch besser miteinander auskommen als Eltern und Kinder. Auch in der Arbeitswelt scheint es so zu sein, dass nicht direkt benachbarte Altersgruppen besser harmonieren.235 Ein weiterer überprüfungswürdiger Aspekt ist die postulierte höhere Leistungsfähigkeit später geborener Generationen. Körperliche „Verbesserungen“, wie der Zuwachs der Körpergröße 233
Vgl. Dubs 1966 (Generationenkonflikt), S. 26.
234
Vgl. Bengtson/Dunham 1986 (Generational Relations), S. 3.
235
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 180. Zu Konflikten im Zuge der Unternehmensnachfolge vgl. exemplarisch Bloehs/Fandrich/Schließmann 2001 (Unternehmernachfolge), S. 35 ff. und ausführlich Terberger 1998 (Konfliktmanagement in Familienunternehmen).
90
B GRUNDLAGEN UND ANSÄTZE DER GENERATIONENFORSCHUNG
oder Verbesserung sportlicher Höchstleistungen, sind für das 20. Jahrhundert nachzuweisen. In der Langfristperspektive sind jedoch auch negative Entwicklungen, wie zum Beispiel das Nachlassen des menschlichen Gebisses oder der Sehfähigkeit, zu erwarten. Dies dürfte im Arbeitsleben allerdings nur eine geringe Rolle spielen. Auch die moralische Überlegenheit nachfolgender Generationen ist fraglich. Im Rahmen der beschleunigten ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Entwicklung verliert das Wissen der Älteren an Wert, da es zum einen teilweise nicht mehr aktuell und zum anderen angesichts der heutigen, leichten Verfügbarkeit von Informationen kein knappes Gut im Besitz der Älteren mehr ist. Wissen ist extern speicher- und abrufbar. Wie diese Informationsflut am besten gefiltert wird und was aus der sozialen und praktischen Kompetenz der Älteren ableitbar oder lernbar ist, wird noch genauer untersucht werden. Mit dem Wandel klaffen natürlich auch die gelebten Welten der älteren und der jüngeren Mitarbeiter stärker auseinander. In einer positiven Beziehung ergibt sich hier die Chance für ein besonderes Verständnis der Lebenswelt des anderen und damit zur Vermittlung zwischen Vergangenheit und Zukunft und zur Weitergabe von Wissen, Motiven, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die in Form von Solidarleistungen von beiden Teilen erbracht werden können. Damit erhöht sich die Chance für beide Teile, ihre Arbeitssituation besser bewältigen zu können.236 Die Merkmale einer Generation lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. Das Alter umfasst die Komponenten Geburtsjahrgang und – dadurch determiniert – die darauf folgenden stark prägenden Jahre. Die zweite Komponente ist das derzeitige Lebensalter, in welchem man mit früheren Kohorten des damals gleichen Alters vergleichbar ist. Eng damit verbunden ist die Stellung im Lebenslauf, die man erreicht hat. Die Bestimmung der Lebensphase ergibt sich aus einer Altersbandbreite und den Situationsmerkmalen, zum Beispiel beruflicher, emotionaler, sozialer und finanzieller Art. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die berufliche Position und damit verknüpft das Berufseintrittsalter, die Art des Berufs, die Länge der Berufs- bzw. Betriebszugehörigkeit, berufliche oder betriebliche Wechsel, der hierarchische, fachliche und soziale Status, das Einkommen usw. Auch Fragen nach den sich wandelnden Altersnormen und Geschlechterrollen, nach Generationengerechtigkeit und Solidarität werden hier relevant. Weitere Unterschiede sind in den Wertsystemen und Persönlichkeitszügen, den Bedürfnissen und im Verhalten anzunehmen. Die Generationenperspektiven sind Weltanschauungen, welche die eigene Person einschließen und dem Handeln Orientierung bieten. Sie werden vom Einzelnen an den sozialen Raum herangetragen und entstehen als Referenz aus den eigenen Erfahrungen. Hier wird davon ausgegangen, dass Generationsmitglieder eine ähnliche Perspektive, also auch ein ähnliches Wertsystem haben, gegebenenfalls sogar ein Generationsbewusstsein. Die Generationenidentität umfasst auch Dinge wie Kleidung, Haartracht, Musikvorlieben und Sprache, über die mit anderen Generationen Konflikt und Konsens entstehen können.237 Zu den verschiedenen Altersgruppen existieren in Gesellschaft, Unternehmenspraxis und Familien positive wie negative Stereotype. Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt wirken sol236
Zur Beziehung zwischen Enkeln und Großeltern vgl. Wilk 1993 (Großeltern), S. 208.
237
Vgl. Lüscher 1993 (Postmoderne Generationenbeziehungen), S. 19 ff.
B.IV Zwischenfazit: Kernelemente des Generationenverhaltens
91
che Stereotype in positiver wie in negativer Richtung selbstverstärkend, was Leistung und Zusammenarbeit von Gruppen betrifft. Ursache für Konflikte und Diskriminierung sind vor allem falsche negative Vorurteile und die Beurteilung nach dem Äußeren. Als Erklärungsmuster und zur Ermittlung der Generationensoziotype kann die Typisierung der Altersdiversität sinnvoll sein. In ihrer Fokussierung auf zentrale Problemfelder und Lösungsmöglichkeiten liegt allerdings die Gefahr der zu großen Verallgemeinerung. Die Altersgruppenzugehörigkeit konkurriert dabei mit anderen klassifikatorischen Merkmalen, wie zum Beispiel Nation, soziale Klasse, Religion und Geschlecht, bei der Identitätsstiftung und auch bei der Verhaltensmotivation. Deshalb ist sorgfältig zu prüfen, ob Konflikte wirklich auf eine Generationsproblematik zurückzuführen sind oder möglicherweise eine andere Ursache haben. Intergenerationelle Normen der Reziprozität (Solidarität und Hilfeleistung) sind nach den bisherigen empirischen Ergebnissen sehr stark ausgeprägt. Bisher ist auch ungeklärt, welche Komponenten den stärksten Einfluss innerhalb des Generationsverhaltens haben und ob das überhaupt feststellbar ist. Die Frage, ob Altersnormen, die wechselnden Bedürfnisse der Lebensphasen oder die recht stabile Generationenprägung den stärksten Einfluss haben und wie diese Faktoren miteinander zusammenhängen ist noch unbeantwortet. Als zentrale Einflussfaktoren auf die Generationspersönlichkeit konnten Genpool, äußere Rahmenbedingungen, bedeutende Ereignisse und Sozialisationsinstanzen identifiziert werden. Diese lassen sich je nach Ebene und Untersuchungsgegenstand noch weiter differenzieren. Hier spielen zum Beispiel auf der Makroebene demografische Entwicklung, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, Verhaltensnormen und allgemeine Wertentwicklung eine Rolle. Der Einfluss dieser Faktoren wirkt bis auf die Unternehmens- und auch die Familienebene. Auf der Unternehmensebene werden zusätzlich noch Unternehmenskultur, Organisationsstruktur, Altersstruktur der Mitarbeiter, Anreizsystem etc. wichtig. Auf der Familienebene sind die Familienverhältnisse, der Erziehungs- und Beziehungsstil, das Bildungsniveau und ähnliche Faktoren relevant. Bedeutende Ereignisse unterscheiden sich im Grad ihrer Relevanz. Repräsentative Beispiele für die drei Ebenen sind die Wiedervereinigung, die Fusion des Arbeitgebers mit einem anderen Unternehmen und die Wiederverheiratung des geschiedenen Vaters. Einflussträger sind die Sozialisationsinstanzen, wie Familie, Vorgängergenerationen, Gleichaltrigengruppe, Bildungsinstitutionen und Unternehmen, die unterschiedliche Einflusspotenziale haben. Diese Einflüsse können unabhängig voneinander, gleichläufig oder gegenläufig sein und unterscheiden sich auch im Wichtigkeitsgrad. Im Einzelfall muss hier immer die Frage gestellt werden, welcher Einfluss bzw. welche Einflüsse wann die wichtigsten sind. Jede Generation bringt ihre allgemeinen und arbeitsbezogenen Fähigkeiten, Wertsysteme und Bedürfnisse mit an den Arbeitsplatz. Die Unternehmung hat in eingeschränktem Maße die Möglichkeit, die Generationspersönlichkeit durch Sozialisation und das Generationshandeln durch Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, die Setzung von Anreizen und die Zusammensetzung von Teams zu steuern. Dafür ist die Kenntnis der Generationensoziotype und ihres typischen Verhaltens und deren Bestimmungsfaktoren eine unabdingbare Voraussetzung. Diese sollen im Folgenden nun aus den hier zusammengefassten Kernelementen zu einem Generationenmodell verdichtet werden.
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN I
Grundmodell und raumzeitliche Verankerung
1
Modell zum Generationenverhalten
Die Ermittlung tatsächlicher Zusammenhänge, Wirkungsbeziehungen und Gestaltungsmöglichkeiten ist oberstes Ziel der Wirtschaftswissenschaften. Dabei steht die Suche nach schrittweisen Erkenntnisgewinnen und nach generellen, verwertbaren statt absoluten Zusammenhängen im Vordergrund. Gefragt wird nach typischem, mehrheitlichem Verhalten bzw. nach Regelmäßigkeiten, die man sich zunutze machen kann und nach der Vorzugswürdigkeit von Erklärungsmodellen. Das soll auch hier in Bezug auf das Generationenproblem der Fall sein. So kann auch die bewusste Setzung unrealistischer oder falscher Annahmen, wie sie zum Beispiel über die „ceteris paribus“-Bedingung erfolgt, der Gewinnung von Erkenntnissen über bestimmte Parameter dienen. Dabei ist ein Modell umso leichter zu widerlegen oder zu bestätigen, je konkreter seine Prämissen sind, was allerdings meist auf Kosten der allgemeinen Gültigkeit geht. Hier besteht die Gefahr der Verallgemeinerung von Erkenntnissen, die unter speziellen Bedingungen gewonnen wurden. Vor allem müssen jedoch das Nichtwissen über bestimmte Zusammenhänge und die Vorbedingungen der postulierten Wirkungszusammenhänge offen gelegt werden, um in der Modellwelt durch logisches Schließen oder empirische Überprüfung238 zu den richtigen Folgerungen und einer Überprüfung der Prämissen kommen zu können. So gelingt es, sich dem tatsächlichen Sachverhalt immer mehr anzunähern.239 Im Folgenden soll nun der zentralen Bedeutung von Annahmen dadurch Rechnung getragen werden, dass die Modellannahmen bewusst gemacht und nicht nur implizit als gültig vorausgesetzt, sondern so explizit wie möglich offen gelegt werden. Insbesondere handelt es sich um Annahmen über das Weltbild, das Menschenbild oder die Wissenschaftsauffassung sowie um Annahmen, die aus den zugrunde gelegten Theorien resultieren. Die Gültigkeitsbedingungen des Modells selbst werden in zeitlicher, räumlicher, qualitativer und quantitativer Hinsicht in den nachfolgenden Kapiteln präzisiert. Die Möglichkeit des rationalen Verhaltens des Menschen ist durch die Unvollständigkeit des Wissens, die Schwierigkeit bei der Bewertung zukünftiger Ereignisse und seine beschränkte Auswahl an Entscheidungsmöglichkeiten begrenzt.240 Trotzdem wird die Prämisse, der Mensch verhalte sich in diesen Grenzen weitgehend rational und gemäß seinem Vorteil, für die vorliegende Arbeit beibehalten. Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch auf seine 238
Hier ist der Validität und Reliabilität der Messverfahren besondere Rechnung zu tragen, um sicher zu stellen, dass die Widerlegung einer Grundannahme nicht auf einem Messfehler beruht.
239
Zum Münchhausen-Trilemma und Vermutungswissen vgl. exemplarisch Ruß 2004 (Suche nach Wahrheit), S. 73 ff. und zur wirtschaftswissenschaftlichen Sichtweise Pähler (Wissenschaftliche Theorien), S. 94 ff. und S. 139 ff. Allgemeine Ausführungen zur Logik der wissenschaftlichen Methode im Allgemeinen und speziell in der Sozialforschung finden sich bei Dewey 2002 (Logik), S. 431 ff.
240
Vgl. Berger/Bernhard-Mehlich 2001 (Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie), S. 140 f. und Simon 1945/1976 (Behavior), S. 81 f.
C.I Grundmodell und raumzeitliche Verankerung
93
Umwelt und die aktuelle Situation reagiert. Er sucht in diesem Zusammenhang wenn nicht nach optimalen, so doch nach befriedigenden Lösungen. Dabei ist das Individuum beeinflussbar und auch erziehbar. Die Beeinflussung erfolgt hauptsächlich durch die Sozialisationsinstanzen, die umgebende Kultur und ihre allgemein anerkannten Grundwerte, bedeutende Ereignisse und den Zeitgeist, der hier als existent vorausgesetzt wird (Rahmenbedingungen). Hierbei wird unterstellt, dass diese Faktoren tendenziell einen umso größeren prägenden Effekt haben, je jünger der Mensch ist bzw. je bedeutender das Ereignis oder die Zeitgeistentwicklung ist. Darüber hinaus wird ein positives Weltbild zugrunde gelegt, das davon ausgeht, dass der Mensch nicht nur motivierbar ist, sondern auch proaktiv und eigeninitiativ handelt. Er wird als komplexes Wesen mit einer individuellen Bedürfnisstruktur gesehen.241 Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Modellannahmen kann nun das Modell zum Generationenverhalten am Arbeitsplatz selbst vorgestellt werden. Es beruht auf der Annahme, dass zwischen den am Arbeitsplatz beschäftigten Altersgruppen signifikante Unterschiede mit einer gewissen zeitlichen Stabilität bestehen und feststellbar sind. Ob sie von der betreffenden Altersgruppe selbst in Form eines Zugehörigkeits- oder auch Generationsbewusstseins und/ oder von anderen Altersgruppen wahrgenommen werden und inwiefern diese Wahrnehmung korrekt ist, bleibt zu überprüfen. Die im Zwischenfazit kritisch gewürdigten Kernelemente des Generationenverhaltens liefern die relevanten Bausteine für den Aufbau eines geeigneten theoretischen Bezugsrahmens. Dieser umfasst die unterschiedlichen Aspekte von Generationenverhalten. Er erklärt und verbindet wo möglich dessen Entstehungsgründe und Einflussfaktoren. Diese Grundlage wird zu einem umfassenden Modell des Generationenverhaltens in deutschen Unternehmen entwickelt und weiter ausgeführt, das der Vielschichtigkeit der Generationenproblematik unter dem gewünschten betriebswirtschaftlichen Fokus Rechnung trägt. Das Modell bildet auch die Grundlage für die empirische Untersuchung, deren Ergebnisse wiederum zu seiner Überprüfung herangezogen werden, und liefert Ansatzpunkte für die Entwicklung eines Generationenmanagements. Die für den weiteren Verlauf der Arbeit bestimmende Modellvorstellung lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Modell zum Generationenverhalten am Arbeitsplatz Unter einer Generation soll hier im Sinne eines Generationszusammenhangs eine Altersgruppe von Menschen verstanden werden, die sich nur aufgrund ihrer altersspezifischen Prägung in ihren Werten, Fähigkeiten, Bedürfnissen (Generationspersönlichkeit) oder Verhaltensweisen deutlich und mit einer gewissen zeitlichen Stabilität von der nächsthöheren und der nächstunteren Altersgruppe abgrenzen lässt.
241
Einen ausführlichen Überblick zur Theorie der Menschenbilder geben Grundwald/Wunderer 1980 (Führungslehre), S. 75 ff. Zum Menschenbild des „complex man“ vgl. Schein 1980 (Organisationspsychologie), S. 94 ff. und zum positiven Menschenbild Maslow 1954 (Motivation and personality), 134 f. Generell ist zu berücksichtigen, dass der Autorin, trotz größten Bemühens um Objektivität nur die raumzeitlich geprägte Sichtweise des „Jahrgangs 1971“ zur Verfügung steht.
94
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Dabei wird die generationsspezifische Prägung durch Geburtszeitpunkt und Ort sowie die umgebende Kultur und das zugehörige gemeinsame soziale Bezugssystem242 bestimmt. Hierbei spielen insbesondere die Familie, die Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, die Unternehmen sowie die Gleichaltrigengruppe und die Medien eine wichtige Rolle (Sozialisationsinstanzen). Dazu kommen bedeutende Ereignisse und Entwicklungen.243 Der sich wandelnde Zeitgeist wirkt sich auf alle Generationen aus, wenn auch in unterschiedlich starkem Maße. Ausmaß und Tempo des Wandels bestimmen die Generationendynamik. Weitgehend unabhängig von ihrer Generationszugehörigkeit durchlaufen die Altersgruppen außer der intensiven Prägephase in Kindheit und Jugend weitere Lebensphasen, an die in den verschiedenen Lebensbereichen bestimmte Rollenerwartungen und Altersnormen geknüpft sind. Jede Lebensphase und damit jedes Lebensalter geht mit besonderen Bedürfnissen einher, die an die allgemeine biologische (genetisch programmierte), psychologische und soziale Entwicklung des Menschen gebunden sind. In den Beziehungen zwischen den Altersgruppen bzw. Generationen spielen neben der allgemeinen Umweltsituation Generationennormen und Generationenstereotype eine Rolle. Sie bewegen sich zwischen Generationensolidarität, Generationenlernen und Generationenkonflikten. Die Einflussmöglichkeiten der Unternehmung auf das Generationenverhalten und die Generationenbeziehungen bestehen im Wesentlichen in der Gestaltung der aktuellen Situation und in eingeschränktem Maße in der Sozialisation der Generationspersönlichkeiten. Je besser und konkreter diese Elemente und Beziehungen bekannt sind, desto besser können Implikationen für das Generationenmanagement abgeleitet werden.
Die zentrale Frage bleibt, welche Generationsmerkmale im Arbeitsleben tatsächlich relevant sind und inwiefern diese und das Generationsverhalten durch ein Unternehmen beeinflussbar sind. Die folgenden Ausführungen dienen der Auswahl und Präzisierung dieser charakteristischen Unterschiede und der zugehörigen Randbedingungen sowie der Untergliederung des Modells in konkrete und überprüfbare Untersuchungseinheiten. Insbesondere wird dabei die komplexe Persönlichkeit des Menschen auf wenige Merkmale reduziert, um eine systematische und empirische Überprüfung zu ermöglichen.244 Zu jedem Modellelement werden die verfügbaren empirischen Ergebnisse angeführt, die diese stützen oder widerlegen. Die empirischen Ergebnisse zu den einzelnen Punkten stammen aus den verschiedensten Forschungsgebieten und sind nur bedingt in Art und Umfang vergleichbar. Wo empirische Forschungsergebnisse komplett fehlen, zu dünn oder zu uneinheitlich sind, müssen Plausibilitätserwägungen angestellt werden.
242
Mögliche Bezugssysteme sind hier Staat, Familie, Unternehmen usw.
243
Damit gründet diese Definition auf Generationszusammenhängen, Generationseinheiten sind möglich, jedoch als ein seltener Spezialfall zu sehen.
244
Vgl. Brosius/Koschel 2003 (Kommunikationsforschung), S. 31.
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C.I Grundmodell und raumzeitliche Verankerung
2
Zeitliche Präzisierung der Generationenlagerung „10 Jahr ein Kind, Zwanzig Jahr ein Jüngling, Dreißig Jahr ein Mann, Vierzig Jahr wohlgetan, Fünfzig Jahr stillestahn, Sechzig Jahr geht’s Alter an, Siebzig Jahr ein Greis, Achtzig Jahr schneeweiß, Neunzig Jahr der Kinder Spott, Hundert Jahr: Gnad’ dir Gott!“245
Unter Generationenlagerung soll hier die zeitliche und sozial-räumliche Positionierung einer Generation verstanden werden. Die Generationenlagerung wird in der zeitlichen Kategorie durch Geburtszeitpunkt und Lebensalter sowie die Lage der Präge- und Lebensphasen bestimmt. In sozial-räumlicher Hinsicht ist vor allem die Umwelt im Sinne der Rahmenbedingungen, des Zeitgeistes und bedeutender Ereignisse, gegebenenfalls auch der aktuellen Situation sowie der an die Lebensphase gekoppelten Umweltbedingungen interessant. Erst die Möglichkeit gemeinschaftlicher Erlebnisse in der zeitlichen und sozial-räumlichen Dimension erlaubt die Entstehung eines Generationszusammenhangs im Sinne MANNHEIMS und damit generationsspezifisches Handeln. Es geht also um die Frage, wer mit wem wann wo und warum eine Generation bilden kann und wodurch diese geprägt und sozialisiert wird. Die zeitliche Positionierung ist dafür eine notwendige Bedingung. Die Frage, wer zeitlich gesehen potenziell zu einer Generation zu rechnen ist, ist nicht leicht zu beantworten. Das Merkmal der zeitlichen Positionierung hat mehrere Dimensionen. Sie kann durch den Geburtsjahrgang, das Lebensalter, das vermutete Lebensalter und/oder die historische Epoche bedingt sein. Generationszugehörigkeit ist mit einer Zuschreibung persönlicher und kollektiver Identität verbunden, die sich von der anderer Altersgruppen unterscheidet.246 Der augenfälligste Indikator dafür ist in diesem Zusammenhang das Alter. Es ist leicht zu bestimmen anhand des Geburtsdatums und des Bezugsdatums oder der Bezugsperiode. Grundsätzlich kann man Generationen jedoch auch anhand von Altersabständen oder anhand von bestimmten bedeutenden Ereignissen festlegen. Damit stellt sich die Frage, ob dafür der Geburtszeitraum, ein bestimmter Prägungszeitraum, der Zeitraum der größten Generationsaktivität, ihr junges Erwachsenenalter oder ein bestimmter Ereignisraum gewählt werden soll. Alle diese Varianten und auch Kombinationen sind denkbar und so muss im Folgenden herausgearbeitet werden, welche für deutsche Generationen am Arbeitsplatz sinnvoll ist. Die eigenen Eltern und Großeltern gehören mit Sicherheit anderen Generationen an als man selbst. Das gilt nach dem persönlichen Empfinden auch für andere Menschen mit einem Altersabstand von 20 Jahren und mehr. Bei einem Altersunterschied von 10 oder 15 Jahren, wie zum Beispiel bei einem 23-jährigen Studenten und seinem 34-jährigen Professor, wird die Sache bereits schwieriger. Junge Deutsche zwischen 20 und 30 Jahren grenzen ihre Generation 245
Zitiert nach Mittelstraß 1994 (Zeitformen), S. 400.
246
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 59 f.
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C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
spontan namenlos unter Bezugnahme auf ihren Geburtsjahrgang oder ihr Alter relativ zu anderen ab und wählen dabei einen Zugehörigkeitszeitraum von maximal 10 Jahren. Die jungen Leute sehen sich selbst dabei im Mittelfeld dieser Generationslagerung. Diese muss jedoch nicht unbedingt symmetrisch sein, denn die Altersabgrenzung nach unten wird oft strikter und mit geringerem Abstand vollzogen. Damit bietet sich die Generationsabgrenzung über das einzige bewusst abrufbare Kriterium in Form der Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe an. Der oft angeführte regelmäßige Generationsabstand von 25 oder 30 Jahren entspricht dem tatsächlichen Kohortenempfinden jedoch nicht.247 Eine regelhafte, klar definierte Größe wie ein fixer Generationsabstand lässt zudem zentrale Ereignisse der Generationenprägung außer Acht bzw. geht davon aus, dass diese gleichfalls regelhaft auftreten. Aus diesem Grunde soll von der weit gefassten, zyklischen und eher genealogisch bedingten Sichtweise Abstand genommen werden. Zum Beispiel wäre nach den Besonderheiten der Prägungsphase eine gleitende Zeitspanne von ca. 10 bis 15 Jahren bzw. eine Einteilung nach demografischer Entwicklung oder hervorstechenden Ereignissen geeignet. Für die Lebenslaufbetrachtung müsste der Zeitraum nach den unterschiedlichen Phasen gegebenenfalls sogar unterschiedlich lang gewählt werden, für den Zeitgeist eignen sich eventuell die Jahrzehnte, Generationseinheiten könnten eine noch knappere Eingrenzung verlangen. Außerdem bleibt weiterhin die Frage zu beantworten, bei welchem Jahrgang bzw. bei welchen Jahrgängen der Definitionszeitraum beginnen sollte und ob die Einteilung starr oder fließend vorgenommen werden soll. Festzuhalten bleibt damit, dass sich Generationen über das Merkmal des Aufeinanderfolgens und damit über die seit der Geburt verstrichene Zeit voneinander abgrenzen lassen, wobei die Abstände nur bei biologischen oder technischen Abfolgen exakt festgelegt werden können. Gesellschaftsgenerationen verzeichnen per se eine gewisse Trennunschärfe, unabhängig davon, wie die Zeiträume gesetzt werden. Das ist nicht nur durch Überlappungsphasen bedingt, sondern auch dadurch, dass einzelne Individuen sich möglicherweise einer anderen, mehreren oder gar keiner Generation zugehörig fühlen. Bei der Einteilung der Generationen ist zu berücksichtigen, dass Individuen in der erinnernden Rekonstruktion der eigenen Vergangenheit eine Verknüpfung der Chronologie ihres Lebenslaufes mit derjenigen der Gesellschaft vornehmen und ihn an die historische Jahreszählung knüpfen. Im Falle historischer Wendepunkte gewinnt die historische Chronologie sogar eine eigenständige Relevanz.248 Entsprechend teilen Deutsche die Vergangenheit häufig nach Jahrzehnten und bedeutenden Ereignissen ein. So werden die Generationen in Deutschland zwar gelegentlich nach ihren wichtigen Kennzeichen als X, Y, Z, XXL, Cyber-, Internet-, Techno-, XTC, Golf- oder Tamagotchi-Generation benannt, am weitesten verbreitet und vor allem am eingängigsten scheinen jedoch Begriffe wie Nachkriegsgeneration, 68er oder 89er Generation.249 Die Bedeutung der 247
Der Eltern-Kind-Abstand ist augenscheinlich in der gesellschaftlichen Betrachtung nicht isolierbar. Vgl. auch Ryder 1965 (The cohort), S. 853.
248
Vgl. Kohli 1991 (Lebenslauftheoretische Ansätze), S. 314.
249
Vgl. Kohli/Szydlik 2000 (Familie und Gesellschaft), S. 7 und ausführlich zu Generation XTC Böpple/Knüfer 1998 (Techno & Ekstase).
C.I Grundmodell und raumzeitliche Verankerung
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Einteilung in Lebensjahrzehnte zeigt sich jedenfalls im privaten Bereich. Der 30. oder 50. Geburtstag gelten in jedem Fall als Wendepunkte und auch die anderen „runden“ Geburtstage markieren wichtige Daten und gleichzeitig wichtige Phasenübergänge im Lebenslauf. Die traditionelle dekadische Einteilung der Lebensalter mit ihren zugehörigen Altersstereotypen entspricht auch so griffigen Modellen wie den Lebensraddarstellungen, der Lebenstreppe oder der Vier-Lebensalterkonzeption.250 Ob diese Einteilung – insbesondere für das Berufsleben – zutreffend ist und wie Menschen ihre Generationszugehörigkeit tatsächlich empfinden, ist im Folgenden noch zu überprüfen. Im Folgenden wird von der Vermutung ausgegangen, dass Generationszusammenhänge einen Abstand von ca. 10 bis maximal 20 Jahren voneinander haben. Aus Betroffenensicht kann diese Zeitspanne asymmetrisch verteilt sein oder mit zunehmendem Alter auch als zunehmend größer empfunden werden. Generationseinheiten sind wahrscheinlich in einem kleineren Zeitraum, der über die Jahre relativ stabil bleibt, zu lokalisieren. Dafür ist zu vermuten, dass ihr Schwung und Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Zeit nachlassen. Anzunehmen ist weiterhin, dass die Generationsdefinition eigentlich nicht starr nach Jahreszahlen, sondern gleitend mit Bezugnahme auf bedeutende Ereignisse vorgenommen werden sollte. Da die dekadische Einteilung des letzten Jahrhunderts im Sprachgebrauch und im Bewusstsein der Bevölkerung wesentlich stärker verankert ist als die zahlreichen Generationsbezeichnungen, soll diese Einteilung nach Jahrzehnten als Gerüst für die Entwicklung der Rahmenbedingungen gewählt werden. Mit den 50er Jahren oder den 80er Jahren zum Beispiel verbindet ein Großteil der Bevölkerung einen bestimmten Stil, was typische Kleidung, Haartracht, Automodelle, Bauweise, Musik oder Wohnungseinrichtung usw. angeht. Der Rückgriff auf diese Bezeichnung erlaubt es, auch beim Leser ein individuelles und doch typisches Bild des Zeitgeistes eines Jahrzehntes heraufzubeschwören, dessen Vielfalt sich verbal so nicht wiedergeben lässt. Dies wird durch eine chronologische Aufstellung bedeutender Personen, Dinge, Ereignisse und Entwicklungen in Hauptkapitel D gestützt. Die weitere Betrachtung wird in der Gegenwart verankert. Im Zentrum stehen die Generationen, die (2004/2005) im Berufsleben stehen, also mit einigen Ausnahmen im Bereich der Unternehmer und der freien Berufe nicht älter als 65 Jahre sind. Damit ist für das Berufsleben in erster Linie nicht eine einzelne Kohorte, sondern das Zusammenspiel und die Folge mehrerer Kohorten hintereinander relevant. Die Entwicklung der jugendlichen und kindlichen Bevölkerung spielt nur insofern eine Rolle, als es sich hierbei um zukünftige Arbeitnehmer handelt, die gerade ihren Prägeprozess durchlaufen. Diese Entwicklung kann als ein Frühindikator für das zukünftig zu erwartende Arbeitnehmerpotenzial gesehen werden. Die Einteilung der Generationslagerungen wird in etwa nach den Jahrzehnten gewählt, in denen sie ins Erwachsenenleben treten. So erhält man zwischen 1940 und heute sechs mögliche Generationszusammenhänge, wovon die beiden jüngsten Generationszusammenhänge noch weitgehend außerhalb des Arbeitslebens stehen.
250
Vgl. Mittelstraß 1994 (Zeitformen), S. 400.
98
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Damit sind die zeitlichen Abstände festgelegt und verankert. Sie bestimmen wiederum die Rahmenzeiträume für die bedeutenden Kohortenereignisse Eintritt ins Erwachsenen- und Berufsleben und korrespondierend die Geburt. Aus diesen Angaben lassen sich Kindheits-, Jugendphase und der weitere Normallebensverlauf dieser Generationszusammenhänge abstekken. Es bleibt die Frage nach dem Zeitgeist und den historisch wichtigen Ereignissen. Dazu wird erstens angenommen, dass die Wirkung des Zeitgeistes in den ersten Phasen besonders stark ist und dann schwächer fortwirkt und zweitens, dass die Prägung der Elterngeneration und in geringerem Maße auch der Großelterngeneration sich über die Sozialisation auch auf die Kinder auswirkt.251 Der Zeitgeist soll anhand der historischen Entwicklung ab der Endphase des Zweiten Weltkrieges und des nationalsozialistischen Regimes bis heute und der entsprechenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen verdeutlicht werden. Dazu dienen ebenfalls die Jahrzehnte als Raster.252
3
Sozial-räumliche Präzisierung der Generationenlagerung
Erst wenn Mitglieder derselben Altersstufe die Möglichkeit haben, gemeinschaftlich Dinge zu erleben, kann ein Generationszusammenhang entstehen. Also ist zur Generationsbildung neben der „Gleichzeitigkeit“ auch eine gewisse sozial-räumliche Nähe notwendig. Dies betrifft einesteils die rein geografische Lage und andernteils die umgebende Kultur und ihre Rahmenbedingungen. Nicht auszuschließen ist, dass diese heute auch in der virtuellen Umgebung erzeugt werden kann. Zur Eingrenzung bieten sich zum Beispiel die räumliche Einschränkung auf einen bestimmten Kontinent, eine Region, eine Gemeinde, eine Straße usw. an. Je enger die räumliche Nähe, desto wahrscheinlicher ist die Entstehung von Intragenerationsbeziehungen und gemeinschaftlichen Erlebnissen.253 Ein weiterer Aspekt ist die nationale Abgrenzung. Ein Beispiel dafür sind Kanada und die Vereinigten Staaten. Kultur und geografische Lage dieser beiden Staaten zeichnen sich durch ihre Nähe aus. Kanadas Wirtschaft ist sogar abhängig von den USA. Trotzdem zeigen sich auch hier bereits Unterschiede in der nationalen Identität gleichaltriger Generationen. So ist zum Beispiel die kanadische Xer-Generation bezüglich der Wirtschaftslage viel optimistischer eingestellt als die gleichaltrige Generation in den USA. Vielleicht liegt das darin begründet, dass das politische Problem der zu befürchtenden Spaltung Kanadas hier vordringlich ist.254 Bestehen bereits zwischen den USA und Kanada solche Unterschiede, so steht umso eher zu erwarten, dass deutsche und amerikanische oder asiatische Nationalitäten nicht direkt vergleichbar sein werden. Jede Nation und jede Region hat ihre eigenen Probleme und 251
Dieser Einfluss schwer zu erfassen. Frauen gebären in Deutschland in der Regel ca. zwischen dem 16. und 46. Lebensjahr Kinder. Männer können bis ins hohe Alter Vater werden und zudem gehören Ehepaare oft nicht der gleichen Altersstufe an. Man kann also nicht von „der“ Elterngeneration und erst recht nicht von „der“ Großelterngeneration sprechen. Aufgrund dieser Streubreite lassen sich diese biologischen Generationen in der Bevölkerung nicht in eine Altersgruppe fassen und man muss auf die durchschnittliche Betrachtung der jeweiligen Gesamtaltersgruppen ausweichen.
252
Vgl. ausführlich Hauptkapitel D: „Inhaltliche Konkretisierung des Modells“.
253
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 170 ff.
254
Vgl. Martinez 1997 (Canada), S. 163 f.
C.I Grundmodell und raumzeitliche Verankerung
99
Besonderheiten, die sich prägend auf die Jugend auswirken. Ihre Einzigartigkeit liegt vermutlich im Wesentlichen darin begründet, inwiefern das Wissen darüber weitergegeben wird.255 Heutzutage stehen neben der Möglichkeit weltweiter Reisen, weltweiter Kommunikation und Berichterstattung, auch das Internet und der virtuelle Raum dafür zur Verfügung. Insofern ist im Zeitalter der globalen Vernetzung eine Annäherung zu erwarten, weil sich insbesondere die jüngeren Mitglieder zumindest elektronisch kontaktieren und austauschen können. Trotz der Tendenz zur Globalisierung dominieren zurzeit noch die nationalen und regionalen Unterschiede. Diese resultieren natürlich nicht aus der räumlichen Abgrenzung allein, sondern aus den geografischen, wirtschaftlichen, demografischen, politischen, rechtlichen und kulturellen Besonderheiten des betreffenden Raumes. In diesem Zusammenhang sind auch Sprachbarrieren und -grenzen anzuführen. Zur näheren Betrachtung von Generationen muss also in jedem Fall das Untersuchungsfeld sauber sozial-räumlich eingegrenzt werden. Im zweiten Schritt werden diejenigen Faktoren konkretisiert, die den sozial-räumlichen Anteil der Generationsprägung bestimmen. Nationale Unterschiede existieren auch auf der hier interessierenden Ebene der Unternehmen und schlagen sich in der Unternehmenskultur nieder. Hier kann auf verschiedene internationale Studien zurückgegriffen werden, die den Zusammenhang zwischen nationaler Kultur und Unternehmenskultur und die Differenzen zwischen Unternehmenskulturen in unterschiedlichen Ländern aufzeigen. Die nationale Kultur hat demnach sowohl Einfluss auf ihre Unternehmenskulturen als auch auf die einzelnen Arbeitnehmer.256 Zum Beispiel kann sich unter vergleichbaren Strukturbedingungen und gleicher Technologie bei einem multinationalen Unternehmen in unterschiedlichen Niederlassungen eine eigene landeskulturell geprägte Subkultur herausbilden. Zum Beispiel lassen sich in Bezug auf die USA, die Niederlande und Frankreich, die sich in den Grundzügen als westliche Industriestaaten ähneln müssten, trotzdem gravierende Unterschiede in der Streitkultur feststellen. Die USA setzen auf das Prinzip Vertrag und Strafe bei Nichterfüllung, die Niederländer vermeiden formalen und informellen Druck und versuchen die Interessensgegensätze auf dem Verhandlungsweg auszugleichen und die Franzosen verfolgen das Prinzip der Rangordnung und der Standesehre.257 Die Forschungsergebnisse von GEERT HOFSTEDE stützen die These, Organisationen reflektierten die nationale Kultur und seien daran angepasst. Nach HOFSTEDE betrifft dies nicht nur 255
Zur Analyse von Struktur, Funktionen und Bedeutung altershomogener und altersheterogener Gesellschaftsgruppen in unterschiedlichen Kulturen vgl. ausführlich Eisenstadt 1964 (Age groups).
256
Vgl. Dugan/Smith/Trompenaars 1996 (Values of employees), d’Iribarne 1985 (Vie des entreprises), Sagie/ Schwartz 2000 (Value consensus), S. 465 ff. und Sainsaulieu 1987 (Sociologie de l’organisation), S. 144 ff. und S. 181 f.
257
D’Iribarne untersucht zum Beispiel Niederlassungen eines multinationalen Unternehmens der Stahlproduktion mit französischem Stammhaus in den USA, Frankreich, Kamerun und den Niederlanden. Alle waren mit französischer Leitung und Konzept, derselben formalen Organisationsstruktur und der gleichen Technologie ausgestattet. Es bildeten sich jedoch unterschiedliche Konfliktlösungskulturen heraus: in den USA und Frankreich Freude an der Konfrontation unter gleichzeitiger Berufung auf formale Regelungen; in den Niederlanden: Vermeidung direkter Konkurrenz und Kompromissbereitschaft auch gegenüber Minderheiten; in Kamerun stark konfliktträchtige soziale Beziehungen, die von verfügbaren Mitteln für Tauschgeschäfte abhängen. Vgl. Sainsaulieu 1987 (Sociologie de l’organisation), S. 149 ff., d’Iribarne 2001 (Ehre, Vertrag, Konsens) S. 255 f. und ausführlich d’Iribarne 1985 (Vie d’entreprises).
100
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
die Unternehmenskultur, sondern auch die Unternehmensstruktur und sogar die Theorien über Organisationen und Organisationsverhalten. Als auf nationaler Ebene relevante Faktoren des Verhaltens von Organisationsmitgliedern identifiziert er Statusunterschiede, Erfahrungsniveau, Individualisierungsgrad und Geschlechterrollenverständnis. Zusätzlich waren im Zusammenhang mit den nationalen Unterschieden auch die ökonomischen, geografischen und demografischen Faktoren: Wohlstand, Wirtschaftswachstum, geografische Breite, Bevölkerungsgröße, -dichte und -entwicklung sowie die Größe der betroffenen Organisation wichtig.258 Aufgrund des hohen Grades an Übereinstimmung zwischen diesen Faktoren und Einflussfaktoren, die im Zusammenhang mit Generationen von Bedeutung sind, sollte die nationale Kultur zunächst konstant gehalten und auf eine Nation beschränkt werden, da die Einflüsse nicht genau voneinander zu trennen sind. Die folgende Betrachtung wird für Deutschland und deutsche Unternehmen vorgenommen. Aufgrund der räumlichen und politisch-wirtschaftlichen Trennung der beiden deutschen Staaten ist für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hier gerade in den Unternehmen eine sehr unterschiedliche Entwicklung anzunehmen. Die daraus resultierenden Kulturunterschiede spiegeln sich deutlich in der Wiedervereinigungsproblematik. Das bestätigen auch die Forschungsergebnisse von ALBRECHT GÖSCHEL, der mit Hilfe qualitativer Methoden die kulturelle und politische Identitätsbildung ostdeutscher Generationen ausführlich untersucht hat. Die Studie ist als Nachfolge- und Vergleichsstudie für seine westdeutsche Studie von 1991 angelegt. GÖSCHEL wählt hier die Einteilung nach Geburtsjahrzehnten als generationsdefinierendes Element und arbeitet anhand der biografischen Methode trotz vieler Gemeinsamkeiten deutliche Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Generationen bezüglich Selbstwahrnehmung und Selbstinterpretation heraus. Daraus erklärt er die „Fremdheit“, die trotz einer äußeren spiegelbildlichen Entwicklung die innere Vereinigung der Generationen horizontal auf lange Zeit hinaus schwer mache.259 Insofern muss die ehemalige DDR hier als sozialräumlich getrennter Bereich angesehen werden und wird im Folgenden nur in ihrer Funktion als Umweltfaktor betrachtet. 258
Diese Ergebnisse beruhen auf den bekannten empirischen Kulturstudien Hermes und Imede 1968 bis 1973 in insgesamt 66 Ländern. Vgl. Hofstede 1984 (Culture’s consequences), S. 36 ff. Anhand dieser Studien und einer Literaturanalyse ließen sich folgende relevante Faktoren der Unternehmenskultur herausfiltern: „Power distance“ (Statusunterschiede): Gefällestärke von Prestige, Wohlstand, Macht aufgrund (geschlechtsbezogener) Normen und Fähigkeitsunterschiede. Vgl. ausführlich ebenda, S. 65 ff. „Uncertainty avoidance“ (Erfahrungsniveau): Altersabhängiges Bedürfnis nach Vermeidung von Unsicherheiten (mit Hilfe von Ritualen). Vgl. ausführlich ebenda, S. 110 ff. „Individualism“ (Individualisierungsgrad): Bedeutung der Gesellschaft oder Gemeinschaft für den einzelnen. Vgl. ausführlich ebenda, S. 148 ff. und S. 166 ff. „Masculinity“ (Geschlechterrollenverständnis): unterschiedliche maskuline und feminine Rollenprägung bedingt unterschiedliche Bedürfnisse und Funktionen. Vgl. ausführlich ebenda, S. 176 ff.
259
Vgl. Göschel 1999 (Ostdeutsche Generationen), S. 32 f. und 297 ff. und Göschel 1991 (Westdeutsche Generationen), S. 180 ff. In Richtung Gemeinsamkeiten weist auch die Untersuchung von Ecarius anhand von insgesamt 132 Leitfadeninterviews mit 22 ostdeutschen Familiengenerationenlinien der Jahrgänge: 1908 bis 1929 (Großeltern); 1939 bis 1953 (Eltern) und 1967 bis 1975 (Kinder) in Halle. Danach sind Großeltern gut in Beziehungsprozesse eingebunden, Familientraditionen werden fortgesetzt, Frauen sind meist die Hauptbezugspersonen. Trotzdem ist die Entwicklung vom autoritären Befehlshaushalt mit den Prinzipien Unterordnung, Sauberkeit, Ehrlichkeit und Disziplin zu mehr Verhandlungspielräumen und gleichberechtigter Interaktion festzustellen. Vgl. Ecarius 2002 (Familienerziehung), S. 70 und 101 f.
C.I Grundmodell und raumzeitliche Verankerung
101
Relevant für die weitere Untersuchung der Generationskultur sind demnach die Kategorien: nationale bzw. regionale Kultur und Zeitgeist, Unternehmenskultur, Alter der Unternehmung und aktuelle Unternehmenssituation, Unternehmensklima, eventuelle Subkulturen sowie für das Individuum die Familienkultur, Alter, Lebensphase, Betriebszugehörigkeit und Status. Problematisch sind hier die Abgrenzung dieser Kulturen, ihre gegenseitigen Einflussbeziehungen, ihre Schnittstellen und ihre Einbettung. Neben den offiziell vorgegebenen Regelungen des Staates und der Unternehmung müssen auch die inoffiziellen Regeln und Beziehungen Berücksichtigung finden, die oft eine erstaunliche Kraft entfalten. Informelle Strukturen, die sich meist in Untergruppen der Unternehmung finden, können sowohl in Richtung der Unternehmensziele als auch dysfunktional wirken. Dazu zählen Untergruppen, die sich zum Beispiel in den Merkmalen Alter, Expertise, Berufsausbildung oder Unternehmenszugehörigkeit von anderen Mitarbeitern unterscheiden und ihre eigene Subkultur zum Teil sogar mit formellen Regeln entwickeln können.260 Die zeitliche Positionierung und die räumlich-soziale Positionierung im Sinne einer Beschränkung auf Westdeutschland führen dazu, dass bestimmte Umfelddimensionen, die sich ansonsten mehr oder weniger dynamisch entwickeln, im hier gewählten Rückblick eher statischen und erklärenden Charakter erhalten. Das gilt insbesondere für die historischen Tatbestände. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört die historische Entwicklung, was Demografie, Kultur, Rechtssystem, politische und wirtschaftliche Situation sowie den Stand von Technik und Wissenschaft angeht. In Bezug auf die spezielle Situation der zu untersuchenden Generation sind ihre Prägephase, die Sozialisationsinstanzen und die vergangenen Machtverhältnisse in den sozialen Bezugsgruppen und Institutionen relevant. Die gegenwärtigen und zukünftigen Rahmenbedingungen sind hingegen beeinflussbar, wenn auch häufig nur in der mittel- bis langfristigen Perspektive. Die persönliche und familiäre Situation oder die Situation in einer kleinen Organisation sind dabei sicherlich leichter zu beeinflussen als die Kultur einer großen Unternehmung, die Gesellschaftsstruktur oder die Umweltbedingungen. Hier stellt sich die Frage, wo generations- bzw. alters- oder lebenslaufspezifische Normen einzuordnen sind und inwiefern diese beeinflusst werden können. Da das Verhalten eine Funktion von Person und Umwelt ist, dürfen diese Umweltaspekte und Rahmenbedingungen nicht vernachlässigt werden. Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen sind zum Beispiel das Rechtssystem, Wirtschaftssystem, politisches System und die christliche abendländische Kultur. Die Entwicklung des sozio-ökonomischen, des demografischen und familiären Umfelds in Deutschland ist Gegenstand der inhaltlichen Konkretisierung des Modells in Hauptkapitel D. In diesem Zusammenhang wird auch auf die speziellen Rahmenbedingungen in deutschen Unternehmen und ihre Entwicklung seit den 50er Jahren eingegangen. Eine besondere Rolle spielen hier gesellschaftliche, familiäre und unternehmensspezifische Normen und Werte.
260
Vgl. Sainsaulieu 1987 (Sociologie de l’organisation), S. 107 f.
102
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
II Konkretisierung der Generationenmerkmale 1
Generationszusammenhänge und Generationseinheiten
Die zeitliche und die sozial-räumliche Eingrenzung definieren die Generationslagerung und ermöglichen einen Generationszusammenhang, wenn die Mitglieder dieser Generation gemeinschaftliche Erlebnisse durchlaufen, die zwischen ihnen eine Verbindung stiften. Sie legen auch die Rahmenbedingungen und äußeren Einflussfaktoren fest. Ob sich eine Generation allerdings eine eigene Identität schafft, die sie signifikant von anderen unterscheidet, hängt nicht nur von dieser Lagerung und vom allgemeinen Zeitgeist ab, sondern auch von der Generation selbst. Äußere Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Verbreitung der Computertechnik und des Internets, hinterlassen ihre Spuren. Bedeutende Ereignisse, wie zum Beispiel der Zweite Weltkrieg, der Mauerfall, die Terroranschläge vom 11. September oder der Tsunami im Dezember 2004, lassen die Menschen nicht unberührt. Sind oder fühlen sie sich direkt betroffen, so führt das zu einer speziellen Prägung. Diese Prägung könnte zum Beispiel in den letztgenannten Fällen in einem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis bestehen. Wird davon eine bestimmte Altersgruppe besonders betroffen, so besteht die Möglichkeit, dass ein Generationszusammenhang und daraus eine oder mehrere Generationseinheiten entstehen. Um einen Generationszusammenhang zu stiften, genügt es, wenn eine Generation von den äußeren Rahmenbedingungen oder Ereignissen in ihrer Prägephase besonders betroffen wird. Diese Prägung wird als relativ dauerhaft über den Lebensverlauf der Generation angenommen und bezieht sich auf das Wertsystem und die Eigenschaften (Generationspersönlichkeit). Diese wiederum sind neben der Situation die zentralen Einflussfaktoren für das Verhalten und lassen deshalb in der Regel generationsspezifisches Verhalten erwarten. Die Bedeutung der Rahmenbedingungen und ihres Einflusses zeigt zum Beispiel eine britische Untersuchung der Lebensumstände von 9.000 jungen Leuten, die 1970 in derselben Woche geboren wurden und zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 20 waren, auf. Sie belegt, dass selbst eine Gruppe mit fast gleichen Startbedingungen durch ein Lebenslaufereignis wie einen misslungenen Berufseinstieg stark polarisiert werden kann. Die Gruppe mit erfolgreichem Berufseinstieg ist finanziell gut ausgestattet und macht Karriere. Ihre erfolgreiche Integration ins Erwachsenenleben wird auch in fast allen anderen Lebensbereichen reflektiert. Die Gruppe, die Probleme mit dem Berufseinstieg hatte, zeichnet sich dagegen durch eine Entwicklung in die gegenteilige Richtung und damit durch eine gesellschaftliche Randposition aus.261 Auch deutsche Soziologen gehen davon aus, dass historisch einmalige gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Bedingungen zu spezifischen Kindheits- und Jugenderfahrungen führen und somit eine gemeinsame Erfahrungs- und Sozialisationsgeschichte begründen. Diese sei prägend für die Art der Verarbeitung der sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse später im Leben. DIETER GEULEN, ULF PREUSS-LAUSITZ und HELGA ZEIHER präsentieren hier stellvertretend für ihre Arbeitsgruppe die Ergebnisse der Untersuchung „Wandel der Sozialisationsbedingungen seit dem Zweiten Weltkrieg“ bis ca. 1980 und belegen anhand dieser Studie, dass bestimmte Sozialisationsbedingungen in der Generationslagerung tatsächlich zur Entstehung eines Generationszusammenhang und schließlich sogar von Generationseinheiten 261
Vgl. ausführlich Bynner/Ferri/Shepherd 1997 (1990).
103
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
im Sinne MANNHEIMS führen können. Nach den Autoren bedarf es von schicksalhaften Ereignissen besonders betroffener Jahrgänge, damit sich die wandelnden Sozialisationsbedingungen in einer Erlebnisschichtung und ganz eigenen Perspektive auswirken könnten. Diese Besonderheiten werden im Vergleich sichtbar. Jeder der folgenden Generationszusammenhänge hat seine ganz eigene Biografie und Perspektive, auch wenn er zum gleichen Zeitpunkt mit anderen Generationszusammenhängen die gleichen Ereignisse erlebt. GEULEN, PREUSSLAUSITZ und ZEIHER unterscheiden hier die von 1939 bis 1945 geborenen Kriegskinder, die in den frühen 60er Jahren geborenen Konsumkinder und die Krisenkinder, die in den frühen 80er Jahren geboren wurden und sich zum Zeitpunkt der Untersuchung noch im Entwicklungsprozess befanden. Die Kriegs- und Nachkriegszeit hatte für die jungen Erwachsenen durch Dienst an Front und Heimatfront, Angst und den Kampf ums Überleben sicher eine andere Qualität als für die Kinder dieser Periode, die trotz allem noch relativ geschützt aufwuchsen.262 Weitere Untersuchungen wählen andere Kriterien zur Identifizierung von Generationsrealtypen in Deutschland. In der Wahlsoziologie ist zum Beispiel die Differenzierung nach Berufsgruppen und Stärke der Kirchenbindung üblich. MATTHIAS METJE identifiziert für die Nachkriegszeit in politischer Hinsicht zwei Generationszusammenhänge in der deutschen Wählerschaft. Die Wohlstandsgeneration der Geburtsjahrgänge 1942 bis 1958 und die Ökologiegeneration mit den Geburtsjahrgängen ab1959, deren Konfliktthema hauptsächlich Umweltschutzfragen sind.263 Abb. C-1: Konfliktlinien in der deutschen Wählerschaft Arbeiter
Mittelschicht
Selbstständige
Ältere Generation (bis 1925) Nachkriegsschnittlinie
Aufbaugeneration (1926 – 1941) Wohlstands- oder „Postmaterialismus“Konfliktlinie
Wohlstandsgeneration (1942 – 1958) Ökologische Konfliktlinie
Ökologiegeneration (ab 1959)
Kirchlich-konfessionelle Konfliktlinie
Quelle: Metje 1994 (Wahlverhalten), S. 142, Abbildung 7.17 262
Zudem waren die Erwachsenen durch die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg vorgeprägt. Vgl. Geulen/PreussLausitz/Zeiher 1995 (Sozialisationsgeschichte), S. 12 ff. und Kohli 1981 (Arbeit und Persönlichkeit), S. 84.
263
Vgl. Metje 1994 (Wahlverhalten), S. 63 ff., S. 73 ff. und S. 209 ff.
104
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Die vorstehende Abbildung zeigt die genannten und ihre vorhergehenden Generationszusammenhänge und die Konfliktlinien zwischen ihnen auf. Neben den Generationenkonfliktlinien nach politischer Orientierung identifiziert METJE auch quer dazu gelagert Konfliktlinien nach der Sozialstruktur und nach kirchlich-konfessioneller Überzeugung, die für die Gesellschaftsgenerationen von Bedeutung sind.264 HELMUT FOGT hingegen teilt 1982 die politischen Generationszusammenhänge in Deutschland etwas feiner nach der besonderen Betroffenheit der Altersgenossen durch epochale Ereignisse in Einheiten zwischen 5 und 13 Jahren ein, die jeweils um zwei Jahre überlappen. Damit fällt die politisch prägende Jugendzeit (Alter Anfang 20) der 1934 bis 1945 Geborenen in die Kategorie „Etablierte Adenauerzeit und Ablösung“, die 1943 bis 1954 Geborenen wachsen während der „Studenten- und Protestbewegung“ auf und die ab 1953 Geborenen in „Alternativen Szenen“. Das charakteristische Element der Letzteren ist die Zersplitterung. Grunderfahrungen hierbei sind erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg die Jugendarbeitslosigkeit, der „Numerus Clausus“ und der politische Terror der RAF und anderer Gruppen.265 Diese realtypischen Generationszusammenhänge nach der politischen Einteilung lassen sich in etwa mit der gewählten dekadischen Einteilung in Einklang bringen. Hier soll nach MANNHEIM davon ausgegangen werden, dass, um über den Generationszusammenhang hinaus eine Generationseinheit zu schaffen, zusätzlich eine gemeinsame Idee oder eine gemeinsame Aufgabe vonnöten ist. Diese Idee entsteht aus dem Zeitgeist heraus. Sie muss neuartig, zündend und unmittelbar einleuchtend für die Mitglieder einer Generation sein. Nur so kann sie ohne persönlichen Kontakt für die Generationseinheit einen Sinn stiften und eine verbindende und ausstrahlende Kraft entfalten. Dennoch ist es nicht ungewöhnlich, dass einige Generationsmitglieder zum Beispiel „Intellektuelle“ oder „Künstler“ ihrer Zeit voraus sind und quasi die Vorreiterrolle übernehmen. Solche Gruppen sind für die weitere Untersuchung nur insofern relevant, als dass sie eine Vorbildfunktion haben, die möglicherweise im Zuge der Verhaltensbeeinflussung von Generationen wichtig werden kann. In jedem Fall kann aus der sich ausbreitenden Generationsidee dann ein Generationsstil geprägt werden, dessen Träger die Generationseinheiten sind. Solche Generationseinheiten sind sich ihrer Aufgabe und ihrer Besonderheit meist bewusst. Auch Mitglieder anderer Altersgruppen erkennen dies an. Meist kommt es bei der Umsetzung zwischen dem Traditionellen (vertreten durch die ältere Generation) und dem Neuen (repräsentiert durch die jüngere Generationseinheit) zu Konflikten, die sich später wieder relativieren.266 264
Vgl. Metje 1994 (Wahlverhalten), S. 63 ff., S. 73 ff. und S. 209 ff. Für die Kohortenanalyse nutzt Metje Wahlstudien aus dem Zeitraum von 1953 bis 1990. Die 40er Geburtsjahrgänge bilden die erste demokratische Generation, die wirtschaftlich keine Probleme hat (Wohlstandsgeneration). Die Generation der 50er Geburtsjahrgänge bezeichnet er als postmaterialistisch und optimistisch. Sie profitiert stark von der Bildungsexpansion. Die Ausweitung des staatlichen Beschäftigungssektors gleicht erste ökonomische Krisen der 70er Jahre noch aus. Die Ökologiegeneration der geburtenstarken Jahrgänge aus den 60er Jahren hat mit wirtschaftlichen Strukturproblemen zu kämpfen. Sparmaßnahmen staatlicher Art und zum ersten Mal Arbeitslosigkeit auch für die Bildungselite machen diese Generation unsicher und zukunftsskeptisch.
265
Vgl. Fogt 1982 (Politische Generationen), S. 127 und S. 135 und auch Baskir/Strauss 1978 (Vietnam Generation), S. 3 ff.
266
Vgl. Mannheim 1928 (Problem der Generationen), S. 309 ff.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
105
Ein gutes Beispiel für eine echte Generationseinheit ist die Studentengruppe, die für die 68er Unruhen auslösend und tragend war. Bei den 68ern handelt es sich nämlich vorwiegend um einen politischen Generationszusammenhang, dessen Name 68er Generation erst zu Beginn der 80er Jahre geprägt bzw. als Kulturrevolution medienwirksam vermarktet wurde. Zunächst bildete sich ein Kreis von 15 bis 20 voll engagierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen um Rudi Dutschke, dazu kamen dann 150 bis 200 Aktive und insgesamt kann man von einer mobilisierbaren Masse von ca. 10.000 Leuten ausgehen. Die jungen Leute stammten vorwiegend aus dem akademischen Milieu.267 Auch wenn die anderen Gleichaltrigen nicht unbedingt aktiv beteiligt waren, so stimmten die meisten doch mit dem damaligen Lebensgefühl und der politischen Zielsetzung überein. Die 68er sind auch ein gutes Beispiel dafür, dass sich eine solche Generationseinheit mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung sozusagen relativieren kann. Mögliche Ursachen dafür sind einmal die genannte Lebenserfahrung und andererseits der möglicherweise gegenläufige Einfluss der Lebensphase, die beispielsweise an einen Außenminister oder Bundestagsabgeordneten andere Anforderungen stellt als an einen idealistischen Grünen in seinen Zwanzigern. In Deutschland scheint im Falle der 68er Generationseinheit, bei vielen weiteren aus der Altersgruppe erst eine nachträgliche Konstituierung des Wir-Gefühls stattgefunden zu haben. Inzwischen distanzieren sich sogar einige Mitglieder dieser Generation von der heute eher negativ belegten Bezeichnung 68er.268 Ein Beispiel dafür, dass sich innerhalb einer Generation verschiedene Generationseinheiten entwickeln können führt MARINA FISCHER-KOWALSKI aus. In ihrer Analyse der Studentenunruhen von 1968 und der Halbstarkenbewegung von 1958 sieht sie zwei Ausprägungen ein und desselben Generationszusammenhanges. Sie begründet das anhand der unterschiedlichen Milieus. Die Bewegungen werden beide im Wesentlichen von männlichen Jugendlichen getragen. Die Halbstarken stammen hauptsächlich aus der Arbeiterklasse, die Studenten sind Abkömmlinge der Mittelklasse, was auch die Zeitdifferenz von etwa zehn Jahren zwischen den Ereignissen anhand der unterschiedlichen Ausbildungszeiten gut erklärt. Die Medien spielen auch hier eine Rolle: Radio, Film und Schallplatte bei den Halbstarken; Fernsehen, Taschenbücher und Zeitschriften bei den Studenten. Beide Einheiten nutzten die Medien zur Herstellung ihrer Identität. Dadurch entstehen hier sogar international ähnliche Generationseinheiten, die vergleichbare Merkmale haben.269 Ihr Schauplatz sind Versammlungen an Straßenecken („street corner societies“) bzw. Woodstock und Demonstrationen an Universitäten. Die Idole aus der Rockmusikszene sind James Dean, Elvis, Mamas & Papas usw. Beide Generationseinheiten heben sich durch ihr Äußeres krass von der Gesellschaft ab. Bei den Halbstarken ist es der Westside Story Look und bei den 68ern Flower Power bzw. Hippie Look. In Deutsch-
267
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 27 ff.
268
Ein Beispiel für eine Generationseinheit, die erst im Alter entsteht, ist bisher nicht bekannt. Dies wäre angesichts der länger werdenden Lebensspanne, besseren allgemeinen Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie des schnellen Wandels jedoch durchaus denkbar.
269
Das Jugendproblem mit den Studenten brach gleichzeitig in den verschiedensten Ländern aus, wie zum Beispiel die USA, Senegal, Ägypten, Polen, Jugoslawien usw. Es war durch den Kampf gegen verschiedenste Leitideen gekennzeichnet. Vgl. Mendel 1972 (Generationskrise), S. 126.
106
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
land zeichnen sich beide Generationseinheiten durch ihre jeweilige kulturelle Identität sowie den von ihnen außerhalb gesellschaftlicher Institutionen organisierten Widerstand aus. Die Halbstarkenbewegung kennzeichnen allerdings noch mehr Gewalt und Krawalle als die 68er. Hauptthemen sind die Proteste gegen die Unterwerfung des Körpers und des Weiblichen und gegen die Hierarchie. Diese Neigung zur Rebellion begründet FISCHER-KOWALSKI mit der Rückkehr der Eltern zu autoritären Strukturen nach dem Kontrollloch der Nachkriegszeit.270 Dieses Beispiel ist auf unterschiedliche soziale Milieus begründet, aber auch Unterschiede in den Sozialisationsbedingungen zwischen Stadt und Land bzw. Arm und Reich (insbesondere in der Nachkriegszeit) oder eine besonders religiöse Erziehung können zur Entstehung von Untergruppen im Generationszusammenhang führen.271 Was die politischen Rahmenbedingungen angeht betont GÖSCHEL, dass in der DDR zur gleichen Zeit wie im Westen die Ansätze kulturellen Wandels und schrittweiser Individualisierung aufgetreten seien, die sich im Osten jedoch nicht in einer sozialen Bewegung manifestiert hätten. Das hätte zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen des Selbstbildes der Ostdeutschen im Vergleich zu den Westdeutschen geführt.272 Hier stellt sich nun die Frage, ob die Nachkriegsgeneration und die direkt nach den 68ern geborenen Kohorten gleichfalls Generationszusammenhänge oder sogar Generationseinheiten bilden. Nach den oben beschriebenen Kriterien liegen in jedem Fall Generationszusammenhänge vor. Die Nachkriegsgeneration bildet zwar in ihren gemeinsamen Erfahrungen und ihrem Aufbauwillen einen starken Generationszusammenhang, ihr fehlt jedoch die zündende und verbindende gemeinsame Idee für die Bildung einer Generationseinheit. Die Jugend der 80er Jahre (Generation Golf) ist nicht als Generationseinheit zu sehen, da ihr die gemeinschaftliche Idee und das gemeinschaftliche Handeln fehlen. Selbst in Bezug auf die amerikanischen Generationen, die sich ihrer Generationszugehörigkeit durchaus bewusst sind, können eigentlich nur unter den GIs und den Boomern echte Generationseinheiten mit Sendungsbewusstsein identifiziert werden. Die Entwicklung der Millennials bleibt abzuwarten. Das Generationsbewusstsein ist eine zusätzliche Dimension, die prinzipiell auf allen drei Stufen Generationenlagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit auftreten kann. Es ist davon auszugehen, dass in einer Generationenlagerung zunächst, wenn überhaupt, nur ein geringes Generationsbewusstsein vorhanden ist, da die Generationenlagerung nur ihr gemeinsames Alter und ihre gemeinsame sozial-räumliche Einordnung gemein hat. Das gilt insbesondere für die Generationsmitglieder selbst. Die älteren Jahrgänge mögen mit einem bestimmten Geburtszeitraum etwas verbinden, was schon geschehen, der heranwachsende Generation jedoch noch nicht bewusst ist, oder aber etwas, das geschehen wird. Der Name der Millennialgeneration wurde in den USA zum Beispiel bereits in den 80ern daraus abgeleitet, dass diese Generation um die Jahrtausendwende erwachsen werden würde. Damit wurde das zu erwartende prägende Ereignis des Generationszusammenhangs in Form der 270
Vgl. Fischer-Kowalski 1995 (Halbstarke), S. 54 ff.
271
Vgl. ausführlich Seidl 1995 (Sozialisationsbedingungen), S. 128 ff.
272
Vgl. Göschel 1999 (Ostdeutsche Generationen), S. 33 und 297 f. und Göschel 1991 (Westdeutsche Generationen), S. 180 ff.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
107
Jahrtausendwende bereits bei Geburt dieser Altersgruppe antizipiert.273 Die Chancen dafür, dass die Generationszugehörigkeit dem Generationsmitglied selbst bewusst wird, sind bei einer Generationseinheit größer als bei einem Generationszusammenhang. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass das Generationsbewusstsein gar nicht bei den Betroffenen, sondern bei den anderen Generationen in Form einer Generationszuschreibung auftritt. Diese Stereotypisierung kann korrekt sein. Sie kann jedoch auch Mitglieder zu einer Generation rechnen, die ihr gar nicht angehören oder aber einer Generation Eigenschaften zuschreiben, die sie in Wirklichkeit gar nicht besitzt oder die nur einige wenige prominente Mitglieder haben. Im Fremdbild kann ein Generationsbewusstsein also auch als reines Vorurteil entstehen. Allem Anschein nach sind echte Generationseinheiten in Deutschland also ein eher seltenes Phänomen. Sie können deshalb als besondere Ausprägung eines Generationszusammenhanges unter diesen subsumiert und im Folgenden weitgehend vernachlässigt werden.
2
Generationenlebensverläufe „Jedes Alter, jeder Zustand des Leben hat eine Vollkommenheit, die nur ihm entspricht, eine Art Reife, die nur ihm eigen ist.“ Jean Jacques Rousseau
Unabhängig davon, ob ein Generationszusammenhang oder eine Generationseinheit entsteht, durchläuft jede Generationslagerung bestimmte Lebensphasen, deren Sequenz mehr oder weniger vorgegeben ist. Diese Lebensphasen lassen sich jeweils durch das chronologische, biologische, psychologische und soziale Alter bestimmen. Sie werden durch bedeutende Ereignisse, wie Geschlechtsreife, 18. Geburtstag, Heirat, 1. Kind, Beförderung usw., voneinander abgegrenzt. Jede Lebensphase bedingt ihre eigenen Bedürfnisse. Die verschiedenen Arten von Lebensphasen (beruflich, familiär, monetär, freizeitbedingt usw.) sind miteinander verwoben. Zudem gibt es vermutete lebensphasenabhängige Eigenschaften, Altersstereotype und altersbezogene Normen. Die Normen betreffen zum Beispiel, wie „man“ sich in einer bestimmten Lebensphase verhalten oder nicht verhalten sollte. Beispielsweise wird von einem Schulabgänger erwartet, dass er ein Studium oder eine Berufsausbildung antritt. Manche Lebensabschnitte wie Wehr- oder Zivildienst sind sogar rechtlich vorgegeben. In jüngerer Zeit wird der Lebenslauf allerdings zunehmend zwangloser. Das bedeutet, dass Phasen sich verlängern und überlappen, in anderer Reihenfolge auftreten oder ganz wegfallen. Zudem lockern sich die Altersnormen und die Kopplungen zwischen den Lebensbereichen.274
273
Vgl. ausführlich Howe/Strauss 2000 (Millennials).
274
Vgl. exemplarisch Atchley 1975 (Life course), S. 261 ff. und Lehr 1978 (Diskontinuität im Lebenslauf), S. 334. Früher wurden zum Beispiel ein uneheliches Kind und seine Mutter sozial sanktioniert. Heute ist Heirat nicht mehr obligatorisch und findet, wenn überhaupt, in einer späteren Lebensphase statt. Nach Lehr finden sich in den Biografien von Individuen neben einigen kontinuierlich verlaufenden Entwicklungsprozessen auch diskontinuierliche, nicht phasengerechte Verlaufsformen.
108
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Die Mitglieder einer Generation durchlaufen noch immer in etwa gleichzeitig und gemeinsam ihre ersten Lebensphasen Kindheit und Jugend. Diese sind durch die biologische Entwicklung und die sozialen Erwartungen relativ stark von außen determiniert. Dies wird in Deutschland durch die schulische Reglementierung zusätzlich befördert. Zwar hat jedes Individuum eine eigene Biografie, aber die wichtigen Stationen, wie Kindergartenzeit, Einschulung, Übergang in eine höhere Schule oder Beginn einer Berufsausbildung, durchleben die Geburtskohorten mehr oder weniger im Gleichtakt. Mit zunehmendem Alter werden jedoch die Lebensverläufe individueller und wichtige Phasen und Ereignisse finden nicht mehr gleichzeitig statt.275 Dennoch gibt es bestimmte Altersstufen, wo der Großteil einer Generation beispielsweise eine Familie gründet oder in den Ruhestand tritt. Dies wird auch gesellschaftlich erwartet, auch wenn Nonkonformität heute nicht mehr so schwer gewichtet wird. Dinge wie das maximale Rentenalter sind allerdings gesetzlich geregelt.276 Eine Übersicht über die wichtigsten soziodemografischen Ereignisse, ihre Verknüpfungen und die zugehörigen Lebensphasen bietet MARTIN KOHLI in der folgenden Tabelle. Tab. C-1: Alterszuordnung sozio-demografischer Ereignisse Nr. Ereignis
Geburt 1 Aufnahme in Kindergarten 2 Einschulung 3 Schulentlassung 4 Auszug aus dem Elternhaus 5 Beginn einer Berufsausbildung 6 Eheschließung1 7 Zusammenziehen mit Partner 8 Aufnahme eines Studiums 9 Beendigung einer Berufsausbildung 10 Aufnahme einer Erwerbstätigkeit2 11 Scheidung 12 Trennung vom Partner 13 Tod des Ehemannes/der Ehefrau 14 Geburt des 1. Kindes3 15 Geburt des 2. Kindes3 16 Geburt des letzten Kindes3 17 Letztes Kind verlässt Elternhaus 18 Beendigung der Erwerbstätigkeit4 19 Arbeitslosigkeit 20 Tod eines Elternteils 21 Krankheit Tod
verknüpft wird im Alter von .. bis .. differenziert mit erlebt Jahren nach Ereignis von .. % M F der in der min. max. Bevöl- Regel kerung
3 2, 5 5, 6, 7, 8 2, 9 11, 13 12 5, 10 9, 18 6 7 6, 7 16 14 14, 17 16 10 5, 10
3 99 99 90 50 80 . 6 50 90 10 . 50 60 40 60 55 90 . 75 .
3-6 6 15 - 18 18 - 20 16 - 18 25 . 20 19 - 21 18 - 20 30 - 35 . . 23 25 30 45 60 - 65 . . .
3 5 15 16 15 18 . 18 17 15 19 . 20 15 16 15 35 . . . .
6 8 21 . 21 . . . . . . . 90 50 50 50 70 . . . .
– – – . 50 % 25 J.
. 40 % 23 J. – –
. 99 % 33 J.
. 70 % 30 J. –
30 %
60 % – – – –
. .
. . – –
variiert mit Alter
statistische Daten verfügbar
gering gering mittel hoch mittel hoch . mittel mittel hoch hoch . hoch hoch hoch hoch hoch hoch hoch hoch hoch
+ + + – + + – + + + + – + + + + – + + – +
Bemerkungen
1Erst-Ehen
(bisher ledige) 2hohe
Altersvarianz bei Frauen (bimodale Verteil.)
3
keine Daten über Alter der Väter verfügbar
4hohe
Altersvarianz bei Frauen (bimodale Verteil.)
Quelle: Kohli 1978 (Soziologie des Lebenslaufes), S. 178, Übersicht 1277
275
Vgl. Kohli 1991 (Lebenslauftheoretische Ansätze), S. 315.
276
Dieser Fixpunkt für den Übergang in den Ruhestand hat zentrale Bedeutung für die individuelle Lebenskonstruktion und wird von manchen sogar als Maß der Leistung eines vollgültigen „runden“ Erwerbstätigenlebens gewertet. Insofern ist die aktuelle Diskussion um die Anhebung des Rentenalters problematisch.
277
Auffällig erscheint hier die Angabe, dass nur 3 % der Bevölkerung die Aufnahme in den Kindergarten und nur 6 % die Aufnahme eines Studiums erleben. Selbst als IST-Aufnahme 1978 erscheint das nicht plausibel.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
109
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch STEFAN RUPPERT und KLAUS SCHNEEWIND.278 Sie beschreiben kritische Lebensereignisse aus dem Privatbereich treffend als Geschehnisse, die sich vom üblichen Lebensfluss des Alltags abheben und damit zeitlich und inhaltlich außergewöhnlich sind. Solche Ereignisse und ihre positiven wie negativen Folgen erfordern vom Betroffenen psychische Bewältigungsarbeit, die je nach Art des Ereignisses und der Persönlichkeit des Betroffenen mehr oder weniger belastend sein kann. Schicksalhafte oder positive Lebensereignisse sind dabei leichter zu bewältigen als persönliche Probleme. Im gewählten Beobachtungszeitraum von 16 Jahren durchlief die Stichprobe erwachsener Eltern und Kinder aus 200 Familien im Schnitt ca. sieben der folgenden kritischen Lebensereignisse279: Allgemeine kritische Lebensereignisse: x Geburt in der Familie (zum Beispiel Geburt von Geschwistern, Kindern, Enkeln) x Heirat (eigene oder der Kinder) bzw. Eingehen einer festen Partnerschaft x Scheidung (eigene oder der Eltern oder der Kinder) x Weggang eines Kindes oder Auszug des letzten Kindes aus dem Elternhaus x Ernsthafte Erkrankung oder Verletzung (auch chronische Krankheiten) x Todesfall in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis x besondere persönliche Schwierigkeiten (zum Beispiel Suchtprobleme, Depression) x Probleme im und mit dem Freundeskreis x Probleme in der Partnerschaft (zum Beispiel Eifersucht, sexuelle Probleme, Seitensprung) x Wohnungs- oder Wohnortwechsel x besondere Probleme in der eigenen Familie oder der des Partners x besonderer Urlaub, besondere Reise Kritische Lebensereignisse für das Berufsleben: x Eintritt in die Schule/Schulwechsel x Eintritt ins Berufsleben x Beförderung/Karrieresprung x Berufswechsel x Probleme im Berufsleben/Karriereloch x materielle bzw. wirtschaftliche Schwierigkeiten x Ausscheiden aus dem Berufsleben280 Die Normen und Erwartungen, die allgemein mit den Lebensphasen verbunden werden, sind weitgehend bekannt. Zwar unterliegen auch sie einer gewissen Dynamik, aber diese Wand278
Ruppert/Schneewind führten 1976 bis 1992 einen Längsschnittgenerationenvergleich über Persönlichkeitsund Familienentwicklung im Kontext durch. Die Stichprobe umfasste 200 Famillien (mit höherem Bildungsstand und beruflichem Status). Es wurden jeweils Eltern und Kinder befragt. Das Durchschnittsalter der Väter betrug 1992 58 Jahre, das der Mütter 55 und das der Kinder 28 Jahre. Neben den intrafamiliären Beziehungen wurden auch wichtige biografische Ereignisse sowie die veränderten gesellschafltichen Rahmenbedingungen erfasst. Vgl. Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 43.
279
Vgl. Hoerning 1987 (Lebensereignisse), S. 231 ff. sowie Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 94 ff. und S. 132. Männer bewältigen solche Ereignisse generell leichter als Frauen, ziehen dafür aber seltener Gewinn daraus.
280
In Anlehnung an Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 96.
110
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
lung geschieht in der Regel langsam. Sie ergibt sich zum Beispiel aus der verlängerten Lebenszeit, für die sich neue Verhaltensstandards erst herausbilden müssen. Hauptänderungstrends in diesem Bereich sind in der rückläufigen Bedeutung der Ehe und der Familiengründung zu sehen, in der wachsenden Berufstätigkeit der weiblichen Bevölkerung, in den verlängerten Ausbildungs- und Ruhestandsphasen sowie in der Akzeptanz vielfältigerer Verhaltensmuster, die in Hauptkapitel D noch konkreter ausgeführt werden. Für den hiesigen Untersuchungszweck sind natürlich erst einmal Stellung und Status im Berufsleben und der Karriereverlauf entscheidend. Im Folgenden sollen die Phasen der Kindheit und Jugend deshalb nur insofern betrachtet werden, als hier die generationelle Prägung stattfindet und sie den Bildungsstand, bestimmte Eigenschaften des Nachwuchses und sonstiger potenzieller Unternehmensteilnehmer festlegen. Für das Berufsleben relevant sind im Prinzip nur die Phasen beginnend vom Erwachsenwerden bis hin zum Rentenalter. Damit bleiben auch die Phasen des höheren Alters unberücksichtigt. Die beruflich bedingten Ereignisse und Phasen sind den Unternehmen in der Regel bekannt. Für bestimmte Berufslaufbahnen gibt es typische Sequenzen von Positionen und Tätigkeiten, die sich regelhaft über den Lebenslauf erstrecken. Der typische Berufsverlauf umfasst zunächst eine Ausbildungs- und/oder Einstiegsphase und den Erwerb erster Berufserfahrung.281 Der weitere Verlauf war in Deutschland traditionell durch das Sammeln weiterer Erfahrung und damit einem zunächst rascheren und dann langsameren, stufenweisen Aufstieg im Unternehmen, was Bezahlung, Status und auch fachliche und hierarchische Position angeht, verbunden. Betriebs- und Berufswechsel fielen in die berufliche Anfangsphase der Arbeitnehmer. Spätestens mit der Familiengründung erfolgte eine Stabilisierung nach höchstens noch einem Wechsel, um die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder die Position zu verbessern.282 Ansonsten verblieben die Arbeitnehmer langfristig und nicht selten ihr ganzes Berufsleben lang in einem Unternehmen. Für Führungskräfte galt das in etwas geringerem Maße. Zudem ging und geht der Aufstieg höherer Führungskräfte im mittleren Alter weiter und erreicht teilweise erst gegen Ende ihrer Berufstätigkeit seinen Höhepunkt, der oft mit gesellschaftlichen Führungspositionen einhergeht. Die karriere- bzw. berufslebenszyklischen Anforderungen aus Sicht der Organisation gestalten sich entsprechend. In der Einstiegsphase erwarten Unternehmen von Mitarbeitern die Übernahme von Unternehmenswerten und -normen sowie reguläre Leistungsbeiträge. Nach und nach steigen die Erwartungen an die Leistung und die Bereitschaft zur Neuorientierung, insbesondere an Führungskräfte. Von Arbeitnehmern ohne Führungsfunktion werden in der Endphase nur reguläre Leistungsbeiträge eingefordert.283
281
1992 gaben westdeutsche Jugendlichen zum Beispiel an, sich zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr (also zur Zeit des Schulabschlusses) für einen Beruf entschlossen zu haben. Die Berufsausbildung wird meist zwischen dem 20. und 21. Lebensjahr beendet. Vgl. Behnken/Zinnecker 1992 (Statuspassagen), S. 132 ff.
282
Vgl. exemplarisch die Untersuchung von Erwerbsverläufen und Normalbiografien deutscher Arbeitnehmer Ende 70er/Anfang 80er Jahre von Pfau-Effinger 1990 (Erwerbsverlauf), S. 179 ff. Biografien von Frauen waren meist aufgrund der Familienphasen weniger kontinuierlich. In Krisen waren Frauen zwar eher weniger von Entlassungen betroffen, Dauerarbeitslosigkeit gefährdete sie jedoch stärker, genauso wie jüngere Arbeitnehmer und Mitarbeiter von Kleinbetrieben. Arbeiter waren eher gefährdet als Angestellte.
283
Vgl. Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 266 ff.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
111
Auf der Ebene der Persönlichkeitsentwicklung spiegelt sich der Berufsverlauf wie folgt. Die Identitätsfindung ist in der Regel mit ca. 30 Jahren und der Etablierung im gewählten Beruf abgeschlossen. Im fünften Lebensjahrzehnt ist noch einmal mit einer Krise zu rechnen, denn auch ohne größere Karriereeinbrüche ist die Lebensmitte eine Zeit, wo Bilanz gezogen wird. Erfolge, aber auch Enttäuschungen und Fehlentscheidungen werden hier deutlich. Da im Folgenden mit einem Rückgang der Aufwärtsmobilität und Dequalifizierung zu rechnen ist, bleibt wenig Zeit, um berufliche Lebensziele noch zu verwirklichen. Auch die Gewichtung zwischen Privat- und Berufleben wird hinterfragt. Im Falle der Unzufriedenheit sind Neuorientierungen oder Resignation wahrscheinlich. Die letzte berufsverlaufstypische Krise sind das Ausscheiden aus dem Berufsleben und die damit verbundene Umorientierung.284 Heute ist das Berufsleben von geringerer Kontinuität geprägt und die Berufslaufbahnen sind weniger vorhersehbar. Oft werden Karrieren durch äußere Bedingungen, wie schrumpfende Märkte, mangelnde Nachfrage nach dem Beruf an sich, technischen Wandel usw., unterbrochen oder sogar völlig abgebrochen. Die tariflichen und gesetzlichen sozialen Absicherungen erweisen sich gerade für Ältere zunehmend eher als Wiedereintrittsschranke denn als Austrittsbarriere aus dem Berufsleben. Unternehmenswechsel, Berufswechsel oder auch Einbrüche und Neuorientierungen auch aus persönlichen Gründen sind nicht ungewöhnlich. Mögliche Ursachen sind: Karrieresprung oder Vermeidung einer Kündigung, Selbstverwirklichung, Weiterbildung, Karriereveränderungen beim Partner, Familienphase, Arbeitslosigkeit usw. Gegen Ende des Berufslebens findet sich oft eine Plateauphase, die dann allmählich oder abrupt mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben endet. Der Ausstieg aus dem Berufsleben hat sich generell nach vorn verschoben.285 Um angesichts dieser Veränderungen und Diskontinuitäten vor allem im beruflichen Bereich das Verhalten der verschiedenen Altersgruppen im Betrieb in die vom Unternehmen gewünschte Richtung lenken zu können, ist die Kenntnis der Ambitionen und Bedürfnisse der Arbeitnehmer, die sich an das Berufsleben knüpfen, erforderlich. Aber auch die Bedürfnisse der privaten Seite dürfen hier nicht vernachlässigt werden. Die persönlichen Lebensereignisse ihrer Mitarbeiter sind hier für Unternehmen von besonderer Bedeutung, da sie für den Lebensstil, die Bedürfnisse und die Motivation der Beteiligten eine große Rolle spielen. Für die mit dem Lebensalter verknüpften gesellschaftlichen Erwartungen und die Lebensstellung gilt dies nur bedingt. Immerhin lassen sich aus den dem Unternehmen vorliegenden Daten bezüglich des Lebenslaufes, des Familienstandes und des Gesundheitszustandes von Unternehmensseite einige plausible Vermutungen über die daran geknüpften Bedürfnisse des Arbeit-
284
Zeitpunkt und Bedeutung dieser Bilanzierung sind abhängig von Geburtskohorte, Schicht und bisherigem Lebensverlauf. Die Investitionen in Bildung und Beruf bis dato sollten sich nun auszahlen. Bei Kohorten mit Berufsstart in einem Wirtschaftsaufschwung und ökomischer Krise in der Lebensmitte, klaffen Erwartungen bzw. Ansprüche und die Realität besonders stark auseinander. Enttäuschungen und Fehlentscheidungen und auch Lebenslügen werden offensichtlich. Vgl. Kohli 1981 (Arbeit und Persönlichkeit), S. 87 ff. Diese These der je nach Lebensphase quasi gesetzmäßig eintretenden Krisenphasen im mittleren Lebensalter und zwischen dem 5. und 6. Lebensjahrzehnt sowie einer besonderen Kontinuität im 3. und 4. Lebensjahrzehnt kann nach den Ergebnissen von Lehr allerdings nicht bestätigt werden. Sie führt Krisen vor allem auf persönlich wichtige Erlebnisse zurück. Vgl. Lehr 1978 (Diskontinuität im Lebenslauf), S. 334.
285
Vgl. Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 96.
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C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
nehmers ableiten.286 Zum Beispiel hat ein Berufseinsteiger sicher geringere materielle Ansprüche als ein Handwerksmeister, ein frisch gebackener Familienvater wird im Allgemeinen an einem sicheren Job stärker interessiert und weniger wechselfreudig und mobil sein als ein ungebundener Mitarbeiter, auch wenn beide ansonsten eine vergleichbare Karriereorientierung aufweisen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kann man also lebensphasenabhängige Bedürfnisse einer Altersgruppe voraussehen und einen Rahmen für diesbezügliche Anreizstrukturen schaffen. Diese sollten allerdings Raum genug für etwaige Anpassungsmaßnahmen aufgrund individueller Überprüfung bieten. Die Überprüfung individueller Bedürfnisse ist unter anderem deswegen wichtig, da wichtige persönliche Lebensereignisse und Entwicklungen dem Unternehmen nicht zwangsläufig bekannt werden. Das betrifft zum Beispiel zeitliche, finanzielle und emotionale Belastungen durch die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger oder auch einfach bestimmte Freizeitorientierungen. Dies setzt allerdings ein Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmen bzw. Vorgesetztem und Mitarbeiter voraus. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Die körperliche und geistige Entwicklung lässt sich den beruflichen Lebensphasen zuordnen. Was die körperliche Leistungsfähigkeit angeht, so erreicht sie mit Mitte 20 ihren Höhepunkt und beginnt ab Ende 20 langsam abzunehmen. Ausnahme ist die Muskelkraft, die erst ab Mitte 40 betroffen ist. Die körperliche Leistungsfähigkeit beinhaltet zum Beispiel die Nervenleitfähigkeit, den Stoffwechselgrundumsatz, die maximale Herzfrequenz, den maximalen Blutlaktatspiegel, die Vitalkapazität und die maximale Ventilationsrate. Mit 65 Jahren sind mit Ausnahme der letzten drei Werte noch alle Funktionen, selbst die Muskelkraft, bei 80 % der Leistungsfähigkeit oder höher. Auch lässt sich die körperliche Leistungsfähigkeit während des gesamten Berufslebens durch Training (wieder) steigern.287 Das gilt weniger für die nachlassende Leistungsfähigkeit der Organe, die sich jedoch meist durch mechanische Hilfsmittel ausgleichen und durch ergonomische Maßnahmen stärken lässt. Hier sind vor allem das nachlassende Seh- und Hörvermögen und Probleme mit Rücken und Gelenken zu nennen. Daneben macht sich die physiologische Alterung im äußeren Erscheinungsbild, zum Beispiel in Falten oder grauen Haaren, und in der Geschmacksempfindung bemerkbar.288 Die geistige Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers wird durch seine fluide und seine kristalline Intelligenz bestimmt. Die fluide oder mechanische Intelligenz ist die bildungsunabhängige Fähigkeit, figurale Zusammenhänge zu erkennen, abstrakte Schlussfolgerungen zu ziehen und neue kognitive Probleme zu lösen. Sie ist im Wesentlichen biologisch determiniert und beginnt bereits ab Mitte Zwanzig bis ins Alter langsam aber kontinuierlich abzubauen. Etwa bis zum 80. Lebensjahr funktioniert die Mechanik des Denkapparates bei den meisten 286
Das gilt insbesondere für Mitarbeiter, die ihre Ausbildung in dem betreffenden Betrieb absolviert haben. Für Quereinsteiger stehen diese Art Informationen in Form des Bewerbungslebenslaufs zur Verfügung.
287
Vgl. Brandtstädter/Gerok (Optimales Altern), S. 362 und 378 f. Der ältere Berufstätige ist entgegen der Vorurteile meist kompetent und leistungsfähig und selbst das Bild des hinfälligen, pflegebedürftigen Hochaltrigen ist nicht realitätsgerecht. Nur 1,5 % der 60- bis 70-Jährigen leben im Heim oder sind pflegebedürftig; bei 70- bis 80-Jährigen ca. 11 %, bei 80- bis 90-Jährigen ca. 30 % und bei über 90-Jährigen ca. 40 %. Vgl. Lehr 1987 (Pflegebedürftigkeit in der BRD), S. 13 und Lehr 1994 (Kompetenz im Alter), S. 14 ff.
288
Vgl. Germain/Hollander 1992 (Pepsi Generation), S. 101, Maintz 2004 (Leistungsanforderungen), S. 116 ff. und Spevacek/Stöckl/Straka 2001 (Altersgerechte Didaktik), S. 95 ff.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
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älteren Menschen ähnlich. Erst ab dieser biologischen Grenze zeigen sich deutliche Verluste. Da im Berufsleben ohnehin selten die volle Kapazität benötigt wird, führt der in dieser Zeitspanne langsame Abbau der fluiden Intelligenz meist nicht zu Leistungsdefiziten, zumal der Abbau durch spezielles Training bzw. über den Rückgriff auf die kristalline Intelligenz in Form von anwendungsbezogenem Wissen wie Bildung kompensiert werden kann.289 Die kristalline Intelligenz wird auch als pragmatische oder erfahrungsgebundene Intelligenz bezeichnet. Sie hängt davon ab, inwieweit die fluide Intelligenz zum Erwerb von Wissen genutzt wird, und damit vom Umfeld ab. Sie umfasst die kognitiven Fähigkeiten, die für wissensabhängige Aufgaben benötigt werden wie Wortschatz, Verständnis, Einsicht in allgemeine Lebenszusammenhänge, Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung. Die kristalline Intelligenz wird über den ganzen Lebenslauf erworben. Im Alter bleibt sie meist stabil oder nimmt sogar weiter zu. Sie kann mit Hilfe der selektiven Optimierung von Wissen transformiert und/oder neu angeeignet werden. Hier spielt insbesondere das berufliche und alltägliche Expertenwissen in der kompetenten Auseinandersetzung mit praktischen Lebensanforderungen eine Rolle. Die Kompetenzformen im Alter hängen mit den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen zusammen, die in früheren Lebensabschnitten entwickelt wurden (Bildungsgeschichte). Damit sind die Ausprägungen der kristallinen Intelligenz im Gegensatz zur fluiden Intelligenz ein Faktor der Altersdiversität im Berufsleben.290 Die Tendenz zum „Einrosten“ als Verlust kognitiver Fähigkeiten ist damit zwar in späteren Lebensphasen gegeben, tritt jedoch frühestens gegen Ende des Berufslebens ein und wird nur dann akut, wenn die kognitiven Fähigkeiten zum Beispiel in einer Plateauphase Mitte 50 oder im Zuge des Übergangs in den Ruhestand weniger gebraucht werden. Im Berufsleben sind deshalb hauptsächlich vorbeugende Maßnahmen und die aktive Nutzung des bestehenden Leistungspotenzials relevant.291 Die geistige Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich bis zum Ende der Berufstätigkeit gegeben. Für die tatsächliche kognitive Leistung spielen jedoch zusätzlich Persönlichkeitseigenschaften wie Charakterstärke und vor allem die Motivation eine Rolle.292 Entsprechend den beschriebenen biologischen, psychologischen und sozialen Voraussetzungen knüpfen sich an die beruflichen Lebensphasen Eigenschaftsstereotype. Die nachstehende Tabelle zeigt, wie die genannten Merkmale ausgeprägt sein können. 289
Vgl. Kruse 1994 (Alter im Lebenslauf), S. 341 f., Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 54 f. und Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 265 ff. Die Unterscheidung in kristalline (mechanische) und fluide (pragmatische/erfahrungsgebundene) Intelligenz geht zurück auf Cattell 1963 (Fluid and crystallized intelligence), S. 1 ff.
290
Vgl. Kruse 1994 (Alter im Lebenslauf), S. 341 f., Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 54 f., Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 265 ff. und Cattell 1963 (Fluid and crystallized intelligence), S. 1 ff. Schaie nimmt eine Datenanalyse zur Trennung von Generations- und Alterseffekten mit Hilfe der „cross-sequential method“ als Königsweg zwischen Querschnittsmessung der Altersunterschiede, Längsschnittmessung der Altersveränderungen und Zeitdifferenzmessung der Umweltveränderungen vor. Danach sind die Generationenunterschiede in der kristallinen Intelligenz am größten, während die fluide Intelligenz vergleichbar ist. Vgl. Schaie 1970 (Cognitive structures), S. 498 ff. und zur Methode S. 486 ff.
291
Strategien zum erfolgreichen Älterwerden und Altern liegen in der Verstärkung der Kapazitätsreserven (zum Beispiel gesunde Lebensführung), Weiterbildung, sozialer Netzwerke, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit. Vgl. Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 264 ff.
292
Vgl. Cattell 1963 (Fluid and crystallized intelligence), S. 14 ff. und das folgende Unterkapitel.
114
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Tab. C-2: Lebensphasenbedingte Merkmale von Berufstätigen Sozialer Status/ Ereignisse
Biologischer Status
Psychologischer Status/Wissen
Bedürfnisse
Postulierte Eigenschaften
x Materielles: bescheiden x Sicherheit: gering x Soziales & Wertschätzung: hoch (Gleichaltrige, Partnersuche, Mentoren) x Selbstverwirklichung: gering (freizeitorientiert)
x Leistungsfähigkeit x Kreativität/Neugier/Erneuerungswille/ Schwung x Unsicherheit x Lebensgenuss/ Ausgelassenheit x Optimismus/Risikobereitschaft
x Materielles: hoch x Sicherheit: mittel x Soziales: geringer, Wertschätzung: hoch x Selbstverwirklichung: erste Versuche
Lebensfreude Toleranz Materialismus Leistungsbeiträge Karrierestreben/Ehrgeiz x kontrolliertes Risiko/Realismus
Berufsanfänger (bis zu 3 Jahre Berufserfahrung) x Schulabschluss bzw. Hochschulabschluss x Berufswahl und Eintritt ins Berufsleben x berufliche Sozialisation x Auszug aus dem Elternhaus/Partnerschaft
x maximales körperliches Leistungsvermögen x junges/gesundes Aussehen
x Identitätsfindung x Entwicklung des Wertsystems x Unabhängigkeit x Sozialisation im Betrieb x Erwerb von Fachwissen & erster sozialer Kompetenz
Junge Arbeitnehmer (bis zu 10 Jahre Berufserfahrung) x beruflich vollx Körperliche wertige Kraft Leistungsfähig(Akzeptanz und keit hoch Zugehörigkeit), x Unbezwinglichx weitere Orientiekeit rung/Karriere x allererste Zeichen x Zusammenziedes Alterns hen/Heirat/Kinder x Immobilienerwerb
x gefestigte Identität, Zielerreichungswille, Selbstverantwortung x Kompetenz x Leistungswille hoch x pragmatische Intelligenz steigt
x x x x x
Erfahrene Arbeitnehmer (mehr als 10 Jahre Berufserfahrung und Alter bis 50 ) x berufliche Verän- x Anzeichen des x Unabhängigkeit x Materielles: hoch x Toleranz derungen, Alterns: Falten, x Lebensqualität x Sicherheit: mittel x Erfahrung 2. Karriere graues/dünnes bis hoch x Familienorientiex Gelassenheit bis Haar x Weiterbildung rung x Soziales & WertZynismus x Kindererziehung x Gewichtsverände- x hohes Leistungsschätzung: hoch x breites Einsatzrungen (Karriereknick) (Freundschaft/vermögen auch feld x Rücken-, GelenkFamilie) x Wohneigentum unter Belastung, & Sehprobleme doch ggf. andere x Selbstverwirklix erste Scheidungsx Menopause Prioritäten chung: steigend fälle Erfahrene ältere Arbeitnehmer (mehr als 10 Jahre Berufserfahrung und Alter ab 50 Jahre) x berufliche Verantwortung hoch oder Frühpensionierung/Rückzug/Übergang zum Ruhestand x ggf. Scheidung x Auszug Kinder, Großelternschaft x Pflegebedürftigkeit der Eltern x Freizeitaktivitäten/Reisen
x Anwachsen gex Vorbereitung auf sundheitlicher den Ruhestand Probleme x Auseinandersetx Schmerzen zung mit dem Altern und der x Veränderungen eigenen Sterbdes Körpers lichkeit x Seh-/Hör- & Gedächtnisprobleme x ggf. Nachlassen der kristallinen x SterblichkeitserIntelligenz fahrung (Herzinfarkt)
x Gesundheit! x Materielles: weniger wichtig x Sicherheit: hoch (Vorsorge) x Soziales & Wertschätzung: hoch x Selbstverwirklichung: hoch (Freizeit, Erfahrungen, Lebensgenuss)
x Gelassenheit x Traditionsbewusstsein/ Nostalgie x Bewahrertum/Veränderungsunwille x Erfahrung/ Weisheit x Starrsinn x „Dienst nach Vorschrift“
Quelle: Eigene Erstellung unter Rückgriff auf Hiam/Meredith/Schewe 2002 (Defining moments), S. 62 ff
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
115
Die vorstehende Tabelle ist nach der beruflichen Situation in Form der Berufserfahrung bzw. beruflichen Phase gegliedert, an die unter anderem über das Alter die anderen Dimensionen der Lebensphasen gekoppelt sind. Diese Zuordnung ist sehr allgemein und nicht ganz trennscharf, gibt jedoch einen guten Überblick über allgemeine lebensphasenbedingte Bedürfnisse von Arbeitnehmern. Die Zusammenstellung beruht hauptsächlich auf den im Vorfeld vorgestellten Ergebnissen der Lebensverlaufsforschung und Stereotype. Das Bild der bewährten Fachkraft verbindet man zum Beispiel mit Erfahrung, Zuverlässigkeit und Einsatzfähigkeit in schwierigen Situationen. Berufsanfängern wird oft Unsicherheit, aber auch Engagement und Innovationsbereitschaft unterstellt. Allgemein lassen sich den Lebensphasen folgende stereotypen beruflich relevanten Eigenschaften zuordnen: Kreativität und Flexibilität (abnehmend von Jung nach Alt), Erfahrung und Weisheit (zunehmend von Jung nach Alt), Belastbarkeit und soziale Kompetenz (besonders hoch in der Lebensmitte). Die Zuordnung von Wissen ist angesichts der sich schnell verändernden Umweltbedingungen, insbesondere was die Technologie betrifft, allerdings nicht mehr ganz eindeutig. Die Menge an Wissen nimmt sicher mit dem Alter zu, wenn auch nicht unbedingt seine Relevanz.293
3
Generationspersönlichkeit und Generationsverhalten
Bei den Generationswesenszügen und -verhaltensweisen geht es um die Gemeinsamkeiten des Fühlens, Denkens, Wollens, Könnens und Handelns, die Generationszusammenhänge haben oder von anderen zugeschrieben bekommen. Diese Gemeinsamkeiten haben einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem gemeinsamen sozialen System, dem diese Menschen angehören.294 Im Rahmen der verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen der Generationenforschung (Kapitel B.III) und den Ausführungen zum Lebenslauf (Unterkapitel B.II.4) wurde bereits diskutiert, welche Eigenschaften dafür prinzipiell in Frage kommen. Im Wesentlichen handelt es sich um Wertsystem und Bedürfnisse, geistige und körperliche Fähigkeiten und das Verhalten in seinen verschiedenen Facetten. Bestimmte Ausprägungen dieser Eigenschaften werden heute bestimmten Altersgruppen zugeschrieben. Ungeklärt ist hier, inwiefern diese Merkmale generationsbedingt auftreten oder lebensphasenbedingt bei jeder Generation sukzessive auftreten. Gleiches gilt für bestimmte Verhaltensweisen. So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Nachkriegsgeneration höflicher ist als die „Jugend von heute“ oder ob man einfach mit zunehmendem Alter disziplinierter und höflicher wird, wenn man die Nützlichkeit solcher Verhaltensweisen erfahren hat oder ob dieses Klischee überhaupt nicht zutrifft. Unabhängig davon soll im Folgenden nun geklärt werden, welche konkreten Eigenschaften als altersgruppenspezifisch in Frage kommen. 293
Die Zusammenfassung dieser Stereotypen beruht auf den in den vorangehenden Ausführungen aufgezeigten Vorstellungen. Vgl. insbesondere Unterkapitel A.III.1 zu den Stereotpyen im Sprachgebrauch und exemplarisch Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme) zu den Stereotypen im Berufsleben.
294
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 52. Mentale Programme von Individuen werden von den Subkulturen (Geschlecht, Bildungssniveau, Beruf, Beruf etc.) bestimmt, in denen sie sich bewegen. Trotz der dadurch bedingten Heterogenität scheinen die mentalen Programme von Generationsmitgliedern ähnlich wie von Mitgliedern der gleichen Nation tendenziell eine gemeinschaftliche Komponente zu enthalten, die in Form generationsdominanter Charakterzüge mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Vgl. Hofstede 1984 (Culture’s consequences), S. 29.
116
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Generationsspezifische Eigenschaften sind solche, die eine Generation hat, die nachfolgende jedoch nicht oder in anderem Ausmaß. Ein möglicher Eigenschaftsbereich für solche Generationenunterschiede ist die höhere Leistungsfähigkeit jüngerer Menschen. Sie kann nicht grundsätzlich unterstellt werden. Zwar sind jüngere Menschen in der Regel körperlich leistungsfähiger und werden als attraktiver empfunden, das ist jedoch wie oben gezeigt ein biologisches Merkmal des Lebensverlaufes. Dennoch ist auch zu vermuten, dass die jüngeren Generationen aufgrund ihrer besseren ökologischen Ausgangsbedingungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch länger gesund und leistungsfähig bleiben werden.295 Andererseits könnten sie auch stärker durch Umweltbelastungen beeinträchtigt werden, die heute noch nicht feststellbar sind. Auch wenn Generationseffekte nicht auszuschließen sind, dürften die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz damit hauptsächlich auf den Alterseffekt zurückzuführen sein. Weiterhin werden jüngeren Generationen eine größere Vertrautheit mit den Medien und ein gewisses Technologieverständnis unterstellt. Spezielle technische oder technologische Fähigkeiten können aufgrund der spezifischen Generationenlagerung im historischen Fluss technischer Innovationen entstehen. Insofern hat jeder Generationszusammenhang des letzten Jahrhunderts bestimmte Erfahrungen jeweils im Bezug auf eine andere Technik. Allerdings veraltet Technik heute schnell und muss deshalb von Älteren oft zunächst verlernt werden, während jüngere Generationen offener für neue Technologien sind. Den Jüngeren steht heute auch ein anderes berufsrelevantes aktuelles Wissen des Fachgebietes zur Verfügung, als es Ältere in ihrer Jugend erlernen konnten und das sich die Älteren deshalb in einem aufwändigen Weiterbildungsprozess aneignen müssen. Veränderungen im Informations- und Bildungssystem gewähren jüngeren Jahrgängen bereits sehr früh den Zugang zu einer wesentlich breiteren Wissensbasis, als sie den älteren Jahrgängen in ihrer Jugend zur Verfügung stand. Damit kommen Wissen und Methodenkompetenzen grundsätzlich als generationsspezifische Eigenschaften in Frage. Dies gilt wie oben gezeigt jedoch nicht für die geistige Leistungsfähigkeit in Form der fluiden Intelligenz. Die Motivation zur Ausschöpfung des geistigen Leistungspotenzials sowohl im Bereich der fluiden als auch im Bereich der kristallinen Intelligenz kann aber sehr wohl generationsbedingt sein, da sie stark von den äußeren Rahmenbedingungen und Sozialisationsinstanzen beeinflusst wird. Zum Beispiel haben Beruf und Bildungsniveau der Eltern sowie die Bildungsmöglichkeiten hier einen signifikanten Einfluss.296 Bildungsniveau, fachlicher Wissensstand, Vertrautheit mit modernen Medien oder Technologien, Konzentrationsfähigkeit etc. sind weitgehend erlernt oder antrainiert. Lernen ist eine auf Motivation und Intelligenz gestützte Leistung. Es beinhaltet ein Bündel von Leistungsund Dispositionskomponenten, die sich im Zeitablauf in unterschiedlicher Weise verändern.
295
Die Gesundheit wiederum hängt von vielfältigen Faktoren ab, wie zum Beispiel Genausstattung, Ernährung, Schlaf, Schutz, Wärme/Kleidung, Hygiene, medizinische Versorgung, Notwendigkeit/Ausmaß körperlicher Arbeit, soziales Umfeld usw. Vgl. auch Kracke/Nowak/Silbereisen 1992 (Entwicklungstempo), S. 172.
296
Vgl. Kruse 1994 (Alter im Lebenslauf), S. 341 f., Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 263 ff. und Sackmann/Weymann 1994 (Technisierung), S. 183 f.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
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Eng mit diesen Konstrukten verknüpft ist die Kreativität als höhere Stufe innovativen Lernens.297 Kreativität ist deshalb ebenfalls eine vermutete Generationseigenschaft. In der Lebenslaufbetrachtung und der soziologischen Sichtweise wird sie allerdings als typische Eigenschaft der Jugend und nicht einer speziellen Generation gesehen. Danach werden junge Pioniere später zu Verhinderern, weil der Neulernwille verloren geht bzw. die Erfahrung die Sichtweise relativiert. Diese These ist jedoch umstritten. FRANZ WEINERT schreibt zur Kreativitätsforschung zusammenfassend: Kreativität bezeichne sehr unterschiedliche Eigenschaften von Produkten, Prozessen, Personen und Umwelten. Es gebe weder eine einheitliche Klasse kreativer Denkprozesse noch „den“ kreativen Persönlichkeitstypus. Kreative Denkprozesse stünden nicht im Widerspruch zum logisch-deduktiven Denken, sondern seien beide zur Lösung schwieriger Probleme notwendig. Inhaltlich anspruchsvolle Problemlösungen basierten zudem auf einer reichen, variabel organisierten und flexibel nutzbaren Wissensbasis. Sie seien das Ergebnis harter Arbeit und nur selten plötzliche Einfälle aus dem Unterbewusstsein. Insofern seien nicht einzelne Merkmale von Situationen, Personen und Prozessen für kreative Leistungen entscheidend, sondern günstige Konstellationen aus vielen Komponenten.298 So kann es sein, dass Menschen, die kreative Ergebnisse erbringen, besonders häufig in einer Generation vorkommen, wenn diese von der Umwelt gefordert werden. Möglicherweise ist auch die Schaffenskraft in bestimmten Lebensphasen größer als in anderen.299 Zu vermuten ist also, dass die Fähigkeiten einer Generation sich eher graduell als der Art nach durch ihre besondere Lebenssituation entwickeln und dass Situation und Lebenslage bzw. Lebensphase Anforderungen stellen, die erfüllt werden müssen. Individuelle Unterschiede in den Wesenszügen der Erwachsenenpersönlichkeit sind allgemein bemerkenswert stabil. Empirische Untersuchungen weisen jedoch tatsächlich darauf hin, dass bei Gesellschaftsgenerationen graduelle Veränderungen dahingehend stattfinden, dass in der Berufsphase mit zunehmendem Alter, Reifegrad, Selbstsicherheit, Ausgeglichenheit und Gelassenheit, soziale Öffnung und Betonung der Traditionen, Einsatzbereitschaft und Betriebstreue wachsen, Fröhlichkeit bzw. Lebhaftigkeit und Begeisterungsfähigkeit jedoch abnehmen.300 Die Vielzahl möglicher Generationeneigenschaften ist jedoch fast unüberschaubar, da dafür im Prinzip jede Charaktereigenschaft in Frage kommt. Aus diesem Grunde und da noch kein umfassendes empirisches Forschungsmaterial zu diesem Gebiet vorliegt, soll eine Auswahl der gängigsten Stereotype von Generationeneigenschaften Gegenstand der empirischen Überprüfung sein. 297
Vgl. Kogan 1973 (Creativity and cognitive style), S. 145 ff. und Rosenmayr 1988 (Ablösungskämpfe), S. 152.
298
Vgl. dazu auch das Kapitel zu den soziologischen Grundlagen der Generationenforschung und Weinert 1990 (Kreativitätsforschung), S. 36. Laut Cohen lagen bis 1990 keine empirischen Daten zur Beziehung zwischen Alter in seinen verschiedenen Aspekten (chronologisches Alter, Erfahrung, Zugehörigkeit zur Forschergruppe etc.) und wissenschaftlichem Output vor. Vgl. Cohen 1990 (Alter und Produktivität), S. 158 f.
299
Beispiele dafür sind Untersuchungen zu Künstlerpersönlichkeiten oder Phasen besonderer wissenschaftlicher Schaffenskraft wie der „Quantensprung“ in der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder die durch äußeren Druck forcierte Entwicklung der Atombombe im Zweiten Weltkrieg. Vgl. exemplarisch Kogan 1973 (Creativity and cognitive style), S. 145 ff.
300
Vgl. o. V. 2003 (Abwechslung), S. 23. und Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 91 f.
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C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Für den zweiten Bereich des Wertsystems und der Bedürfnisstruktur von Arbeitnehmern liegt eine Vielzahl von Studien vor, die für die Betrachtung der Entwicklung dieser Persönlichkeitszüge in Hauptkapitel D herangezogen werden. Dies erfolgt mit der Schwerpunktlegung auf westdeutsche Unternehmen seit 1940. Das Wertsystem wird hier als teils generations- und teils lebensphasenbedingt angenommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die gesellschaftlichen Werte sich im Zeitablauf langsam verändern. Die zentralen Werte selbst sind in allen Altersklassen ähnlich. Was sich jedoch mit der Lebensphase und der Generationenprägung zu verändern scheint, ist die Gewichtung und Hierarchie der Werte und damit die Bedürfnishierarchie. Zum Beispiel können für junge Leute der Wunsch nach einer adäquaten Arbeitsstelle, für Menschen mittleren Alters ein gesichertes Einkommen und für ältere ihre Gesundheit im Vordergrund stehen. Menschen, die Zeiten knapper Nahrungsmittel im Krieg mitgemacht haben, legen möglicherweise grundsätzlich mehr Wert auf Sicherheit und materielle Dinge. HOFSTEDE identifiziert ebenfalls Reifeprozess, Generationseffekte und Zeitgeist als Ursachen für zu verschiedenen Zeitpunkten von derselben Person oder unterschiedlichen Altersgruppen angegebene Wertedifferenzen. Seine Interpretation ist mit dem oben entwickelten Modell weitgehend stimmig. Generationseffekte treten dann auf, wenn die Lebensbedingungen der Jugend sich drastisch ändern und sie entsprechend andere Werte für ihre gesamte Lebensspanne fixiert als ihre Vorgängerjugend. Unter dem Zeitgeist versteht er jedermanns Werte unabhängig von der Altersklasse, die auf systemweiten Veränderungen der Rahmenbedingungen beruhen. Als weiteres unternehmensspezifisches zeitlich bedingtes Merkmal nennt HOFSTEDE die Seniorität im Sinne eines durch langen Verbleib im Unternehmen erfolgten Prozesses der Anpassung und Akkulturation.301 Also sind auch die Altersstruktur der Unternehmung und die Dauer der Betriebszugehörigkeit ihrer Mitglieder hier zu berücksichtigen. Aus dem Wertsystem leiten sich die Werthaltungen oder Einstellungen ab. Einstellungen sind in unendlich großer Zahl zu den vielfältigsten Objekten denkbar. Selbst wenn man nur die dauerhaften Einstellungen betrachtet, ist das mit einem sehr hohen Erfassungsaufwand verbunden. Zwischen den Variablen Einstellung und Verhalten wie auch immer gerichtete, einigermaßen eindeutige Zusammenhänge zu finden, bleibt unbefriedigend. Dazu kommt, dass sowohl die direkte als auch die indirekte Messung von Einstellungen und ihren Komponenten trotz der großen Vielfalt an Messmethoden mit Schwierigkeiten behaftet ist. Allein zu der Frage, ob und welcher Zusammenhang zwischen der konativen, affektiven und kognitiven Einstellungskomponente besteht, liegen widersprüchliche empirische Ergebnisse vor. Auch werden Fragen nach der Einstellung meist nach sozialer Erwünschtheit beantwortet.302 Hier kann davon ausgegangen werden, dass es vielfältige, generationsspezifische Einstellungen gibt, deren Nutzwert als Einflussgröße und Vorhersagemedium für das Verhalten jedoch gering ist. Auf die Aufnahme der allgemeinen Kategorie Einstellungen wird deshalb verzichtet. Stattdessen können Einstellungen jedoch als Indikatoren für andere Merkmale wie die Arbeitstugenden herangezogen werden. 301
Vgl. Hofstede 1984 (Culture’s consequences), S. 234 ff.
302
Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlickeitspsychologie), S. 132 f., Brunner/Schmidt/Schmidt-Mummendey 1975 (Soziale Einstellungen), S. 68 ff. und S. 80 f. und Triandis 1975 (Einstellungen), S. 91 ff.
C.II Konkretisierung der Generationenmerkmale
119
Neben dem zentralen Wertsystem und den generationsspezifischen oder lebensaltersbedingten Eigenschaften und Bedürfnissen wird das Generationshandeln auch durch Altersnormen und gesellschaftliche Stereotype, die altersgerechte Verhaltensweisen verlangen oder erwarten, beeinflusst. Allerdings sind diese Faktoren in ihrer Wirkungsweise und ihren Auswirkungen kaum voneinander und von anderen Einflüssen zu trennen. Auch wenn der genaue Mechanismus ihrer Wirkungsweise unbekannt ist, bestimmen sie doch als Faktoren des Organismus im Zusammenwirken mit der Situation und den zugehörigen Anreizen das Verhalten.303 Das Generationsverhalten kann vielfältigen Ausdruck finden und ist in dieser Vielfalt kaum zu erfassen. Zunächst kann es sich in einem bestimmten bevorzugten Äußeren zeigen. Dazu können einerseits dauerhafte Elemente beispielsweise in Form von Tätowierungen, Piercings oder Ohrlöchern gehören und andererseits veränderliche Elemente wie Kleidungsstil, Accessoires, Art der Frisur oder des Schmucks, aber auch Automarke oder Einrichtungsstil.304 In der Sprache kann sich Generationsverhalten in Intonation, Zeitvokabular, Sprüchen, Höflichkeitsgrad, Art und Grad der Flüche usw. zeigen. Hier zeigen sich Überschneidungen mit speziellen Umgangsformen, was zum Beispiel Siezen, Begrüßungsformen, Formalität der Kleidung oder des Schriftverkehrs, Pünktlichkeit, Zuvorkommenheit usw. angeht. Damit gehören auch die Ausübung der Arbeitstugenden, besonderes Konfliktverhalten oder die Umsetzung besonderer Fähigkeiten und Fertigkeiten, speziellen Einstellungen, Vorlieben usw. zum potenziellen Generationsverhalten.
303
Vgl. Staehle 1999 (Management), S. 163.
304
Insgesamt dürfte insbesondere die Mode für alle Altersgruppen insgesamt vom Zeitgeist abhängig sein. Tendenziell gehen allerdings jüngere Leute eher mit der Zeit als ältere und Frauen stärker als Männer.
120
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
III Konkretisierung der Generationenverhältnisse 1
Generationendynamik
Der kontinuierliche Generationswechsel, also das ständige Eintreten und Austreten neuer Kulturträger in die Welt bzw. in die einzelnen Lebensphasen, soll hier als Hauptursache der Generationendynamik angesehen werden. Die Generationenfolge bzw. der Generationswechsel selbst ist zunächst einmal durch Geburt, Alterungsprozess und Tod biologisch determiniert.305 Der Grad der Gesundheit zum Beispiel bestimmt die Lebensspanne und damit den Rhythmus des Lebens und Sterbens der Gesamtbevölkerung sowie in Abhängigkeit davon die Länge der einzelnen Lebensphasen. Die Gesundheit wiederum hängt von der Genausstattung und zahlreichen Umweltfaktoren, wie Ernährung und Hygiene, Belastungen, sozialem Umfeld usw., ab.306 Diese Faktoren werden wiederum direkt durch Anzahl und Verteilung der Geburten beeinflusst. In diesen komplexen Wirkungszusammenhängen spielen die kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Gesellschaftlicher Wandel ist meist durch ökologische, technologische, politische und/oder demografische Veränderungen initiiert und folgt diesen mit einer gewissen Zeitverzögerung nach. In diesem Zusammenhang spielen auch die Medien eine wichtige Rolle. Soziale Institutionen, die davon betroffen sind, setzen sich hier gern zur Wehr. Auch das Individuum braucht einige Zeit, um sich in die Richtung des Wandels zu entwickeln. Wandel stellt das Alte in Frage und eröffnet Entwicklungschancen. Dabei ist die Stoßrichtung nicht immer einheitlich, da Individuen mit veränderten Situationen auf unterschiedliche Art und Weise umgehen.307 Veränderungen in Rahmenbedingungen und Normen können Änderungen in den Generationenverhältnissen bedingen und umgekehrt. Je größer der Veränderungsbedarf oder Handlungsbedarf ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten neuer Generationszusammenhänge bzw. Generationseinheiten. Der schneller werdende Wandel der Rahmenbedingungen sowie globale Ereignisse dürften damit auch kürzere Abstände zwischen den Generationszusammenhängen bedingen. Dies könnte weiterhin zu einem geringeren Prägungsgrad und einem Überlappen der Generationszusammenhänge führen. Möglicherweise werden die Abstände sogar zu kurz, als dass sich eine tragende und einzigartige Idee zur Bildung von Generationseinheiten herausbilden kann. Auf der Grundlage ihrer weit reichenden, praktischen Forschungserfahrung mit den verschiedensten Völkern dieser Welt unterscheidet MARGARET MEAD DIE drei Kulturkategorien postfigurativ, kofigurativ und präfigurativ. In der postfigurativen, einer statischen Kultur lernen Kinder primär von ihren Eltern und Großeltern, die ihnen in einer relativ statischen Umwelt das notwendige Wissen allein (und meist mündlich) vermitteln können. Dies sorgt für eine hohe Stabilität und Kontinuität und daher für eine geringe Generationendynamik.308 Die kofigurative Kultur ist meist durch einen Umbruch oder einen freiwilligen Eintritt in ein anderes
305
Vgl. exemplarisch Dubs 1966 (Generationenkonflikt).
306
Vgl. exemplarisch Kracke/Nowak/Silbereisen 1992 (Entwicklungstempo), S. 172.
307
Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 129 und Eisenstadt 1968 (Social change), S. XIX ff.
308
Vgl. Mead 1971 (Präfigurative Kultur), S. 57.
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
121
Kulturfeld gekennzeichnet, zum Beispiel eine Naturkatastrophe, Auswanderung oder den intensivierten Kontakt zu fremden Kulturen. Hier können die Vorgängergenerationen den Kindern nicht mehr alles notwendige Wissen vermitteln. Ihr Wissen ist zum Teil sogar kontraproduktiv. Aus diesem Grunde orientieren sich die Jungen an dem Verhalten der Gleichaltrigen, während die älteren Generationen noch an ihren Gewohnheiten und Traditionen festhalten bzw. gar nicht mehr zur Verfügung stehen.309 Die präfigurative Kultur ist insofern ein geschichtliches Novum, als weder Gleichaltrige noch Vorgängergenerationen das richtige bzw. notwendige Wissen für die sich schnell entwickelnde Technologie und wandelbare Zukunft besitzen. Die junge Generation muss deshalb ganz eigene Wege des Umgangs damit entwickeln, die dann den Älteren als Vorbild dienen können. Erwachsene lernen auch von ihren Kindern. MEAD zeichnet ein Bild des Aufbruchs in eine neue Welt mit globalen Verkehrs- und Kommunikationssystemen, in der die jungen Menschen Pioniere nicht nur eines neuen Raumes oder einer neuen Gesellschaft, sondern einer völlig neuen Zeit sind. Kommunikation insbesondere mit den Gleichaltrigen ist hier sehr wichtig. Gleichzeitig sitzen jedoch die Älteren an den Schalthebeln der Macht und bestimmen Zukunft und Bildung. Ohne die Mitwirkung der Älteren ist eine Machtübertragung an die Jüngeren nicht möglich. Dazu müssen sie sich jedoch erst bewusst werden, dass der Konflikt darin besteht, dass die Jüngeren in einer neuen Zeit zuhause sind, die sie selbst kaum mehr nachvollziehen können.310 Solche Kulturen und damit auch die westdeutsche Gegenwartskultur sind von einer hohen Generationendynamik geprägt. Nach diesen Untersuchungsergebnissen scheint das Hauptgenerationenproblem tatsächlich zunächst einmal an das Erwachsenwerden geknüpft und damit temporär und lebensphasenbedingt zu sein. Die Konflikte können erst entstehen, wenn junge Leute mit fremden Werten, Lebensweisen und Ideologien in Kontakt geraten und diese auf der Suche nach ihrer Identität gegen die Familienwerte etc. ausspielen und ausprobieren. Politische Umwälzungen, ökologische Katastrophen, gesellschaftliche Entwicklungen schlagen sich so in der Generationenidentität in Form von Wert- und Eigenschaftsänderungen nieder. Das gilt in geringerem Maße auch für Erwachsenen, die dann versuchen, diese an den eigenen Nachwuchs weiterzugeben. Allerdings pflanzen sich Erziehungsstil, Wertsystem und Familienklima sowie die Art der Partnerbeziehung innerhalb der Familie fort und verändern sich nur graduell. Im späteren Leben werden die Kinder den Eltern im Allgemeinen erstaunlich ähnlich.311 Ein echter Generationseffekt muss also sehr stark sein, um gegen den Sozialisationseffekt wirksam und vor allem dauerhaft wirksam zu werden. Er kann also eigentlich nur durch außerfamiliäre Ereignisse und Zeitströmungen verursacht werden, die einen nachhaltigen Effekt auf die Altersgruppe haben und später nicht nur zu vagen Vorlieben, Nostalgien und liebge309
Vgl. Mead 1971 (Präfigurative Kultur), S. 74.
310
Vgl. Mead 1971 (Präfigurative Kultur), S. 107 f. Dieses Modell erscheint hier tragfähig, auch wenn es die Differenzierung innerhalb derselben Kultur nach Klassen, Schichten oder weiteren Altersgruppen vernachlässigt. Vgl. ausführlich zur Kritik an Mead Weber 1987 (Generationenkonflikte), S. 122 f.
311
Vgl. dazu exemplarisch die Forschungsergebnisse zu deutschen Familien von Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 43 und S. 91 f.
122
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
wordenen aber kraftlosen Erinnerungen werden. Konflikte, die aus dem biologisch-psychologischen Spannungsverhältnis von Generationen einer Epoche entstehen, sind also zu trennen von deren Verstärkung durch Gegensätze, die auf epochalen Wandlungen geistiger, politischer oder wirtschaftlicher Art beruhen.312 Ausnahme sind Risikofaktoren der Familienebene, die so häufig auftreten, dass sie für die Gesellschaft an Relevanz gewinnen, wie zum Beispiel die Zersplitterung der Familienstrukturen. Das Ausmaß des Stresses zwischen unterschiedlichen Kohorten in einem Gesellschaftsgefüge ist also von der Dynamik der Umweltveränderungen abhängig. Bei stabilen Umweltbedingungen gibt es wenig Anlass für schnelle oder radikale Änderungen, da die älteren Kohorten bessere Anpassungsmodalitäten gegenüber den Umweltbedingungen gefunden haben dürften als die jüngeren. Innovationen entstehen ebenfalls aus der Veränderung der Umweltbedingungen.313 Die Beschleunigung des geschichtlich-gesellschaftlichen Wandels schlägt sich auch in einem immer rascheren Generationswechsel im Deutschland des 20. Jahrhunderts nieder. Individuen wechseln zwischen Kulturen, Subkulturen und Klassen. Die kulturelle Mobilität steigt. Da die Eltern ihre Kinder vor der Umwelt zu schützen versuchen, kann die Kindheitssozialisation in einer solchen, dynamischen Situation nicht mehr auf alle diese Rollen vorbereiten. Der Interpretationsspielraum von Rollen und die Notwendigkeit zur Improvisation steigen. Je schneller sich die Erlebnisstile und Handlungsweisen der jungen Generation wandeln, desto schwieriger wird es, die aktuellen Lebensverhältnisse jeder neuen Jugendgeneration adäquat zu erfassen und die Kluft zwischen diesen und der eigenen Lebensform zu überbrücken. Das gilt insbesondere für die Unternehmen.314 In Bezug auf das Arbeitsleben ist davon auszugehen, dass auch die Aufgabe selbst das Werthaltungssystem beeinflusst und verändert. PAUL BREER und EDWIN LOCKE verstehen dabei unter einer Aufgabe einen Komplex von Anreizen, auf die hin ein Individuum bestimmte Handlungen ausführt, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Sie gehen davon aus, dass in einer Aufgabensituation bestimmte Verhaltensmuster einen größeren Erwartungswert haben als andere und deshalb bevorzugt werden. Die an der Aufgabe arbeitenden Individuen verhalten sich in einer bestimmten Art und Weise, erfassen dabei den instrumentellen Charakter des Verhaltens, entwickeln eine positive Bindung daran und bewerten es als legitim und moralisch wünschenswert. Diese vier Reaktionen sind miteinander verwoben und bilden die Basis für die Generalisierung des Verhaltens, also seine Übertragung auf andere Situationen. Die Generalisierung von Annahmen, Werten und Vorlieben erfolgt umso eher, je ähnlicher die Situationen sind und je vertrauter das Verhalten ist. Sowohl für das einzelne Individuum, das sich einer Arbeitsaufgabe gegenüber sieht als auch mit Bezug auf ein Aggregat von Individuen gegenüber einer Aufgabenverteilung kann davon ausgegangen werden, dass die Asymmetrie zwischen bereits bestehenden Annahmen, Vorlieben und Werten und der Art der Arbeitsanforderungen den Anstoß zum Wandel gibt. Dabei erweisen sich abstrakte Werte als weniger wandlungsanfällig als Orientierungen, die direkt mit der Arbeitsaufgabe in Verbindung ste-
312
Vgl. auch Dubs 1966 (Generationenkonflikt).
313
Vgl. Stiksrud 1994 (Generationenkontext), S. 217 f.
314
Vgl. Ryder 1965 (The cohort), S. 859 ff. und Weber 1987 (Generationenkonflikte), S. 19 f.
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
123
hen. Dieser Wandel zeitigt innerhalb einer Organisation oder der Gesellschaft, aber auch zwischen Kulturen Unterschiede, die sich zu einem Großteil aus der unterschiedlichen Aufgabenverteilung zum Beispiel durch unterschiedliche technologische Innovation erklären lassen.315 Die Generationendynamik schlägt sich also in Art und Grad der Besonderheiten der Generationspersönlichkeiten nieder sowie in den Abständen zwischen den Generationen und in ihrer Bedeutung oder Nachhaltigkeit. Entsprechend kann sie aus Sicht eines Unternehmens zwar beobachtet, aber nur in sehr eingeschränktem Maße beeinflusst werden, da ihre Einflussfaktoren auf der Makroebene liegen. Die Unternehmung hat jedoch die Möglichkeit, durch entsprechende Aufgaben- und Anreizgestaltung das Mitarbeiterverhalten zu beeinflussen. So kann sie durch individuellen Wandel sozialen Wandel bewirken. Des Weiteren hat eine Organisation die Möglichkeit, Mitarbeiter (insbesondere Führungskräfte und spezielle Talente) gezielt auszuwählen und gegebenenfalls zu ersetzen. Sie muss nicht wie die Gesellschaft auf den natürlichen Wandel durch die in ihren Grenzen Geborenen setzen, sondern kann ihre Mitglieder selektieren.316
2
Generationenbeziehungen
Altersgruppen können in ihren Beziehungen gegenseitig voneinander abhängig, einseitig abhängig oder völlig unabhängig sein. Betrachtet man die Generationen in ihrem Verhältnis zueinander, so fällt auf, dass diese in der Regel nicht eindeutig, sondern von Ambivalenzen zwischen Solidarität und Konkurrenz bzw. Unabhängigkeitsstreben geprägt sind. In Deutschland existieren zwischen den Angehörigen verschiedener Generationen Beziehungen verschiedenster Art, meist in Form von Abhängigkeiten. Typische Generationsbeziehungen sind Generationenlernen und Generationenkonflikte. Diese sind auf familiärer, betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene unterschiedlich ausgeprägt. In der Familie sind Generationenbeziehungen offensichtlich, häufig und intensiv. Sie bestehen in rechtlicher, wirtschaftlicher und emotionaler Hinsicht. Gesellschaftliche Generationen sind insofern voneinander abhängig, als die älteren Generationen in der Regel ihr kulturelles Kapital, ihre Fürsorge und ihre finanziellen Ressourcen bereitstellen, um die jüngere großzuziehen. Über Sozialisation und Erziehung üben die erfahrenen Generationen Einfluss auf die jüngeren aus. Später im Leben werden die Jungen unabhängige und gleichberechtigte Partner und geben wichtige neue Impulse. In späteren Lebensphasen kann sich dann das Verhältnis umkehren, so dass die älteren Generationen wiederum auf Fürsorge, soziale und finanzielle Unterstützung der jüngeren angewiesen sind. Dabei verschiebt sich das Gleichgewicht angesichts der länger werdenden Lebensdauer, der geringfügigeren Zahl der Nachwachsenden, des schneller werdenden Wandels und der neuen Wissensspeicher zugunsten der Jüngeren. Andererseits müssen diese um ihre eigene Altersversorgung fürchten, da die älteren Generationen aufgrund der Zahlenverhältnisse wirtschaftlich und politisch das Übergewicht haben. Das führt dazu, dass die Generationenbeziehungen sich auf gesellschaftlicher Ebene verschlech315
Vgl. Breer/Locke 1965 (Task and attitudes), S. 9 und S. 15 ff.
316
Vgl. Ryder 1965 (The cohort), S. 859 ff.
124
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
tern könnten. Derzeit herrschen jedoch Solidarität und Hilfeleistung als intergenerationelle Normen der Reziprozität vor. Sowohl die Fürsorge für Kinder als auch die Pflege Älterer wird im Lebensverlauf als normal angesehen. In der Familie sind intergenerationelle Beziehungen insbesondere in den frühen Lebensphasen sogar prinzipiell unkündbar. Die damit verbundene Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit hebt sie von allen außerfamiliären Beziehungen ab.317 Im Betriebsleben kann in der Regel kein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen den Mitarbeitern unterstellt werden. Der neue Mitarbeiter im Unternehmen wird auch wesentlich schneller zum gleichberechtigten Partner als ein Kind in der Familie und trägt von Anfang an seinen Teil zur Unternehmensleistung bei. Seine Abhängigkeit besteht hauptsächlich in finanzieller und hierarchischer Hinsicht. Es ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer im Großen und Ganzen bis zum Rentenalter in der Lage sein wird, seine Pflichten zu erfüllen. Dennoch findet auch im Betriebsleben eine gewisse Sozialisation und Erziehung in Form der Einarbeitung und Eingliederung in die Unternehmenskultur und das soziale Netzwerk statt. Die betriebserfahreneren Unternehmensmitglieder haben diesbezüglich einen Vorsprung gegenüber neuen Mitarbeitern oder neuen Vorgesetzten. Andererseits bringt ein „Neuer“ eigenes Wissen, seinen Erfahrungsschatz und die Kenntnis anderer Methoden mit, die er in seinem Berufsleben oder der beruflichen Bildung kennen gelernt oder sich selbst angeeignet hat. Insofern kann er einen gewissen Ausgleich schaffen.318 Die Beziehungen zwischen den Generationen im Betrieb werden also durch die fachlichen und hierarchischen Positionen der Generationsmitglieder bedingt. Früher galt im Wesentlichen, dass mit Alter und Erfahrung sowohl Fach- und Prozesswissen als auch soziale Kompetenz, hierarchische Position und Einkommen zunahmen. Das ist heute nicht mehr unbedingt gegeben. Die Unabhängigkeit der Mitarbeiter wächst mit der abnehmenden Vorhersagbarkeit ihres Werdegangs. Weitere Einflussfaktoren sind Organisationsstruktur, Altersstruktur und Kultur der Unternehmung. Das biologische Alter selbst spielt im Unternehmen eine eher untergeordnete Rolle. Man kann jedoch davon ausgehen, dass mit Alter und Betriebszugehörigkeitsdauer das unternehmensspezifische Wissen zunimmt. Trotzdem sind ältere Mitarbeiter in schlechten wirtschaftlichen Zeiten eher verdrängungsgefährdet. Das kann zu Konkurrenzdenken, Verteilungskämpfen, Demotivation und ähnlichen negativen Effekten führen.319 Generationensolidarität äußert sich in Generationenlernen und gegenseitiger Unterstützung auf familiärer, gesellschaftlicher und Unternehmensebene. Die Familie hat ein außergewöhnlich hohes Unterstützungspotenzial, nicht nur was die allgemeine Entwicklung, sondern auch was die Meisterung von Lebenskrisen angeht. Die Jungen erlangen in der Familie zunächst einmal ohne Gegenleistung Schutz und Hilfe, Wissen und Erziehung. Das gilt in gewisser Hinsicht auch für Unternehmen. In Auszubildende zum Beispiel muss zunächst einmal investiert werden. Auch in Krisensituationen verhalten sich Kollegen zunächst einmal hilfsbereit. Allerdings ist die Verpflichtung zur Gegenleistung in der Firma üblich und häufig vertraglich 317
Vgl. Bengtson/Schütze 1994 (Generationenbeziehungen), S. 513 f. und Lüscher 1997 (Herausforderungen), S. 35.
318
Vgl. exemplarisch Attias-Donfut 1988 (Freizeitgenerationen), S. 58.
319
Vgl. Bäcker/Naegele 1993 (Entberuflichung), S. 135 ff.
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
125
verankert, während dies in der Familie hauptsächlich freiwillig bzw. aufgrund einer moralischen oder persönlichen Verpflichtung geschieht. Dieses Verhältnis lässt sich auch auf die Gesellschaft als Ganzes und auf Unternehmen übertragen. Als Beispiele auf staatlicher Ebene sind hier der Generationenvertrag im Rentenbereich, der freie Bildungszugang oder die institutionelle Hilfe bei Großschadensfällen zu nennen.320 Generationenlernen in Familie, Unternehmen und Gesellschaft ist eine wichtige Grundlage für die Bildung und Handlungsbefähigung der nachwachsenden Generation. Die Übertragung des kulturellen Kapitals ist jedoch ein wechselseitiges Phänomen. Der schnelle Wandel der technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse bedingt, dass sich nicht nur die Jugend ändern und einpassen muss, sondern auch die älteren Generationen. Lernen und der Erwerb von neuem Wissen werden zu einer lebenslangen Aufgabe und die Älteren verlieren ihre Prädestination als Lehrer. Kontraproduktiv zu dieser Entwicklung sind die immer länger werdenden Lebensspannen, da es mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird, sich zu ändern, und Menschen ab dem Erwachsenenalter nach Identitätswahrung321 streben. Hier geht es um die Frage, ob und wie Ältere, Jüngere und Gleichaltrige dadurch lernen, dass sie miteinander leben und arbeiten, handeln und sprechen. Das gilt auch im Unternehmen. Neue Mitarbeiter brauchen ältere bzw. erfahrene Firmenangehörige, um sie mit dem Wissen und den Prozessen der Unternehmung vertraut zu machen, die sich in keinem Handbuch finden, um innerhalb und für die Unternehmung handlungsfähig zu werden. Gleichzeitig liefern neue Mitarbeiter der Unternehmung neue Impulse und können sich innerhalb ihrer Unternehmensgeneration gegenseitig unterstützen. Zusammenfassend betrachtet werden die Beziehungen zwischen den Gesellschaftsgenerationen in Deutschland zunehmend in Institutionen wie Schulen, Unternehmen usw. geprägt, ohne dass die Familie ihre grundlegende Bedeutung für die Entwicklung von Person und Kultur verloren hätte. Zwischen den Generationen herrschen auf allen Ebenen grundsätzlich positive Beziehungen vor. Allerdings scheint sich das in den letzten Jahren nach dem subjektiven Empfinden insbesondere der Jüngeren zu verschlechtern und die zukünftige Entwicklung wird eher negativ eingeschätzt. Dies zeigt sich auch in der Polemisierung der Generationenverhältnisse durch die Medien.322 Generationenkonflikte bezeichnen ein spannungsreiches Verhältnis zwischen den verschiedenen Generationen, die in Familie, Institutionen, Unternehmen und Gesellschaft zusammenleben. Zumeist beharrt dabei die ältere Generation auf überkommenen Werten, die von der jungen Generation zum Teil oder sogar generell abgelehnt werden.323 Dabei gründet sich der
320
Vgl. auch Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 149.
321
Vgl. dazu auch Meulemann 2001 (Identitätswahrung), S. 407 ff.
322
Vgl. Hinske 1987 (Generationenkonflikt anthropologisch), S. 13 f. und Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 129 f., S. 172 ff. und S. 217. Auch wenn grundsätzlich positive Beziehungen zwischen den Generationen vorherrschen, waren 1999 40 % der Bevölkerung der Meinung, dass sich das Verhältnis zwischen Jung und Alt in den letzten Jahren verschlechtert habe, nur 15 % meinten, es habe sich verbessert. Diese Urteile sind weitgehend unabhängig von Region, Geschlecht, Einkommens- oder Bildungsschicht.
323
Vgl. o. V. 2002 (Encarta) und ähnlich Dubs 1966 (Generationenkonflikt), S. 28.
126
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Generationenkonflikt nicht per se auf die biologische Differenz zwischen Jung und Alt, sondern beruht auf dem Infragestellen von Autoritätsstrukturen oder von tradierten Instanzen und Institutionen, weshalb er auch nicht unbedingt als normal für die pubertäre Phase anzusehen ist. Der Wunsch, sich von der Vorgängergeneration abzugrenzen, dokumentiert sich häufig in einer spezifischen Jugendkultur oder ihren vielfältigen Erscheinungsformen und in politischem und sozialem Protest.324 Wenn die Jugendkultur eine Form des Gleichseinwollens mit der Kohorte ist, steht häufig nicht der Protestgedanke im Vordergrund. Hier kommt es häufig zu Fehlinterpretation anderer Generationen, die sich das andere Aussehen und Verhalten sowie den abweichenden Musikgeschmack etc. anders nicht erklären können. Generationenkonflikte werden dabei als Ausdruck personaler und institutioneller Differenzen gesehen. Nach psychoanalytischen, systemtheoretischen und lerntheoretischen Ansätzen sind solche Konflikte im Wesentlichen auf Mängel in der Befähigung zur Kommunikation zurückzuführen. Das Konfliktpotenzial resultiert hauptsächlich aus Fehlinterpretationen und falschen Erwartungen auf beiden Seiten sowie inadäquatem Eigenverhalten, das den Erwartungen der Gegenseite nicht gerecht wird. Das kann in Familie, Unternehmen oder Gesellschaft zu einem Teufelskreis mit Verstärkung der beiderseitigen Frustration führen.325 Die klassischen Konflikte in der gesellschaftlichen Spielart „die Jugend von heute“ bzw. zwischen pubertierenden Jugendlichen und ihren Eltern sind jedoch nicht die einzige Form der intergenerationellen Konflikte. Gut 10 % der ab 40-Jährigen vermelden intergenerationelle Konflikte mit Familienangehörigen oder mit ihnen nahe stehenden Personen außerhalb der Familie. Konflikte zwischen Generationen empfanden sie dabei als belastender und schwerer lösbar als Konflikte mit Gleichaltrigen. Sie wurden zumeist auf Unterschiede in den Weltsichten und in den Wertvorstellungen zurückgeführt. Mit dem Alter der Befragten nahm die Häufigkeit von intergenerationellen Konflikten mit Gleichaltrigen ab.326 Nach der sozialpsychologisch begründeten Theorie haben Generationenunterschiede in erster Linie mit der Art und Menge von verfügbaren Informationen zu tun. Diese können zum Anlass von Konflikten werden, wenn daraus Ansprüche abgeleitet werden, die mit Sanktionen verteidigt werden können, und wenn eine Wettbewerbssituation um knappe Ressourcen besteht. Der Informationsvorsprung kann dabei bei den Älteren oder bei den Jüngeren liegen. Klassischerweise liegt die Autorität bei den Älteren. Dies trifft auch auf Unternehmen zu. In einer Zeit immer schnelleren sozialen Wandels könnte aber aufgrund des Informationsvor-
324
Vgl. Dubs 1966 (Generationenkonflikt), S. 27 f. und ausführlich zu Adoleszenzkonflikten Asendorpf 2003 (Persönlichkeitspsychologie), S. 479 ff.
325
Vgl. dazu Hall 1987 (Parent-adolescent conflict), S. 785 und Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 255.
326
1996 erfassten Boll/Filipp Konflikte und Konfliktverhalten zwischen und innerhalb von Generationen im intra- oder extrafamilialen Kontext bei 4.017 deutschen Personen im Alter zwischen 40 und 85 Jahren. Nur 12,1 % der Befragten gaben an, derzeit mit einer Person im Konflikt zu stehen, nur 9,1 % mit mehreren und 75,5 % (!) mit niemandem. Dieses an sich sehr positive Ergebnis könnte mit der Einschränkung auf nahe stehende Personen selbst und der Privatheit oder sozialen Unterwünschtheit von Konflikten mit Nahestehenden begründet werden. Aufgrund der Altersbegrenzung der Stichprobe sind auch Generationenkonflikte mit den pubertierenden Kindern oder der nachrückenden Generation im Betriebsleben eigentlich auszuklammern. Vgl. Boll/Filipp 1998 (Konflikthäufigkeit), Zusammenfassung und S. 7 f.
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
127
sprunges der Jüngeren auch hier eine Verschiebung stattfinden. All das erschwert die Tradierung von Informationen. Gleichzeitig gehen der Wechsel von Denkmustern und die zunehmende Bedeutung der Leistungsfähigkeit mit einer Stigmatisierung der Älteren einher.327 Intergenerationelle Konflikte auf Gesellschafts- und Unternehmensebene können beispielsweise entstehen, falls die jüngere Generation generell höhere Bildungsabschlüssen aufweisen kann und diese im Vergleich zur Berufserfahrung der Älteren höher gewertet werden. Hier besteht die Gefahr des Verteilungskampfes um knappe Arbeitsplätze zwischen den Generationen. Dies kann gerade im Wettbewerb um Lehrstellen und den Berufseinstieg auch ein intragenerationelles Problem sein.328 Unabhängig davon, ob sich die Generationen im Unternehmen positiv, negativ, ambivalent oder gleichgültig gegenüberstehen, sind sie doch in jedem Fall auf Informationsaustausch und Zusammenarbeit angewiesen. Diese Beziehungen sind dynamisch. Sie beinhalten Austausch, Lernen, Orientierung, Beeinflussung, Konflikte usw. und erfordern bzw. bedingen ähnlich wie bei den Gesellschaftsgenerationen Generationenordnungen oder Generationsnormen, die sich in Brauch, Sitte, Recht, Regeln usw. niederschlagen.329 Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass Unternehmen in erster Linie vom Generationenlernen profitieren können. Die Frage, in welchem Ausmaß Generationensolidarität zu fördern sei oder ob Ambivalenzen und Gegensätze konstruktiv für innovative Prozesse genutzt werden können, bleibt noch zu beantworten. In jedem Fall muss das Konfliktgeschehen zwischen den Generationen so gesteuert werden, dass es nicht eskaliert. Entsprechend beschäftigt sich das folgende Unterkapitel noch einmal genauer mit der Problematik der Generationenkonflikte in Unternehmen.
3
Generationenkonflikte im Unternehmen
Dem Management konfliktreicher Generationenbeziehungen kommt in Unternehmen im Gegensatz zu den solidarischen Beziehungen eine besondere Dringlichkeit zu. Die Folgen von Konflikten können eine selektive oder verzerrte Wahrnehmung, besondere Empfindlichkeit, Abnahme des Einfühlungsvermögens gegenüber der Gegenseite, beeinträchtigter Handlungsspielraum und Machtkampf sein. Solche Konflikte beeinträchtigen Kraft, seelische Substanz und Lebensqualität der Beteiligten. Für die Unternehmen sind sie jedenfalls ein erheblicher Kostenfaktor.330
327
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 260 ff.
328
Vgl. Adjerad/Ballet 2003 (Insertion professionelle), S. 793 ff.
329
Generationenbeziehungen und -differenzen kommen als Dimensionen der sozialen Erfahrung bei Verortung einer Person in der Geschichte, ihrer Lebenslaufgestaltung und Identitätsausbildung grundlegende Bedeutung zu. Dabei wirken Selbst- und Fremdzuschreibung zusammen. Ein Beispiel für wechselseitige Beziehungen zwischen Generationsgestalten sind die 68er, die sich in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft entwickeln und dabei ihren eigenen Beitrag zu deren Fortentwicklung, hier speziell zum Abbau von Ungleichheiten, leisten. Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 31 und S. 59 f.
330
Kostenfaktoren eines Konfliktes bzw. einer dadurch bedingten inneren oder tatsächliche Kündigung können zum Beispiel sein: Gehalt in der Konflikt-/Kündigungszeit, Abfindung oder Freistellung, Wissensverlust, Imageverlust, Kundenverlust, Personalsuche, Opportunitätskosten für Zwischenlösungen, Einarbeitung des Nachfolgers, Leistungsabfall und Loyalitätsverlust bei verbleibenden Mitarbeitern, Folgekündigungen usw.
128
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
An dieser Stelle ergibt sich nun die Frage, welcher Art die Konflikte sind, die zwischen den geschilderten Generationstypen bzw. den Altersgruppen im Unternehmen auftreten können. Unter Generationenkonflikt soll hier also die wahrgenommene Interessensdivergenz im Sinne eines Unterschiedes, eines Widerspruches oder einer Unvereinbarkeit im Denken, Vorstellen, Interpretieren, Fühlen und Wollen der Mitglieder verschiedener Altersgruppen eines Unternehmens verstanden werden, die sich in aufeinander bezogenem Handeln und Kommunizieren äußert. Unterscheiden sich nur Denkweise, Vorstellungen oder Wahrnehmung, ohne dass es zu Aktionen kommt, so liegt nur ein potenzieller Generationenkonflikt vor. Ob nur ein Missverständnis vorliegt, eine Partei der anderen bewusst oder unbewusst Unrecht tut, oder nur eine Partei die Situation als Konflikt erlebt, ist dabei unerheblich.331 Auch nach JOST lässt sich der Generationenkonflikt als latenter Konflikt charakterisieren. Die Konfliktsituation besteht im Wesentlichen nicht in einem echten Konflikt, sondern in einer Annahme einer Partei über das Verhalten der anderen. Dabei nimmt zumindest eine Partei an, dass es konkurrierende Interessen zwischen ihr und der anderen Partei gäbe, auch wenn dies möglicherweise gar nicht der Fall ist. Hier liegt ein Kommunikationsproblem vor, da die Signale und das Verhalten der einen Partei bei der anderen einen unerwarteten, oft unerwünschten Effekt auslösen. Solche vermeintlich konkurrierenden Interessen müssen entschärft werden, indem die Wahrnehmung der dahinter stehenden kooperativen oder neutralen Interessen ermöglicht wird.332 LARS ADOLPH, ELMAR KRONZ, ARMIN WINDEL und BERNHARD ZIMOLONG stellen nach der sachlichen Art des Konfliktes und der Ebene seiner Verursachung eine noch detailliertere Systematik vor. Sie identifizieren dabei 18 arbeitsbezogene Konflikttypen, die sich den Bereichen Organisation, Gruppe und Individuum tabellarisch zuordnen lassen:333 Tab. C-3: Konflikttypen nach Organisations-, Gruppen- und individueller Ebene Organisation (externe Koordinationsprobleme): Abhängigkeits- und Ablösungskonflikt, arbeitsorganisatorischer Konflikt, Belastungskonflikt, Führungskonflikt, Intergruppenkonflikt, Ressourcenkonflikt Gruppe (interne Regulationsprobleme): Entwicklungskonflikt, Interessen- und Zielkonflikt, Kommunikationskonflikt, Konkurrenz- und Machtkonflikt, sekundärer Konflikt, sozialer Vergleichskonflikt, Vertrauens- und Unterstützungskonflikt, Wert-, Leistungs- und Normkonflikt Individuum (soziale Unverträglichkeit): Distanz-/Nähekonflikt, Koalitionskonflikt, Wahrnehmungskonflikt, Persönlichkeitskonflikt Quelle: Adolph/Kronz/Windel/Zimolong. 1999 (FAKT), S. 4
331
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 17 f. und Scholl 2004 (Konflikt und Kooperation), S. 547.
332
Vgl. Jost 1999 (Konfliktmanagement), S. 14 ff. Zu den latenten Konflikten gehören zum Beispiel Spannungen und semantische Differenzen nach Grad im Vergleich zu potenziellen Konflikterregern. Vgl. dazu Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 56 f. und S. 64 f.
333
Vgl. Adolph/Kronz/Windel/Zimolong 1999 (FAKT), S. 4.
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
129
Konflikte können nicht nur auf individuelle Unterschiede in Persönlichkeit und Motiven zurückgeführt werden, sondern manchmal auch auf der kollektiven Ebene zu suchen sein. Die kollektive Kultur löst generell Probleme für die Gruppe, kann aber auch aufgrund der Pfadabhängigkeit zu Beharrungsproblemen führen, insbesondere wenn sich die Situation oder die Gruppenmitglieder gravierend ändern.334 Für die Unternehmensleitung bedeutet dies, dass sie die Implikationen der Unternehmenskultur und ihrer Subkultur bewusst im Blick behalten und in der Lage sein müssen, sie zu interpretieren und die relevanten Aspekte herauszufiltern. Konflikte entstehen in den Spannungsfeldern zwischen der Suche nach Neuem und dem Wunsch, an Gewohntem festzuhalten, und zwischen dem Streben nach Harmonie und Gemeinschaft mit anderen und dem Bedürfnis nach Abgrenzung. Dies ist ein für Generationenkonflikte typisches Spannungsfeld, da es Selbstbehauptung und Unabhängigkeitsstreben sowie Innovationsdrang dem Traditionsbewusstsein und Sozialverhalten gegenüberstellt. Die häufigsten Generationenkonflikte sind jedoch nicht auf der Ebene der Organisationseinheiten oder ganzer Gruppen, sondern aufgrund der Altersdiversität zwischen Einzelpersonen oder zwischen einzelnen Teammitgliedern und der Gesamtgruppe zu erwarten. Auf der Ebene der Organisation können Generationenkonflikte vor allem in Form von externen Koordinationsproblemen, zum Beispiel als konkurrierende Interessen um knappe Ressourcen und als Führungsprobleme335 auftauchen. Dies ist zum Beispiel zu erwarten, wenn Entlassungen anstehen und ältere Mitarbeiter dafür bevorzugt ausgewählt werden, aber auch wenn das Weiterbildungsbudget den Jüngeren, die Führungspositionen den Älteren vorbehalten ist usw. Dagegen sind Generationenkonflikte aufgrund sequenzieller Abhängigkeiten, Aufgabenverteilungsproblemen oder hoher Belastung kaum zu erwarten und Konflikte zwischen Arbeitsgruppen nur möglich, wenn ihre Mitglieder jeweils in etwa gleich alt sind, die Gruppen selbst sich aber im Alter unterscheiden.336 In erster Linie sind Generationenkonflikte jedoch als interne Regulationsprobleme von Gruppen zu vermuten. Das gilt für Interessens- und Zielkonflikte genauso wie für Wert-, Leistungs- und Normkonflikte. Diese sind in Verbindung mit den unterschiedlichen Generationspersönlichkeiten sozusagen vorprogrammiert, da sie Differenzen in Interessenslage, Wertsystem, Arbeitsethik usw. bedingen. Diese können auch in Konkurrenz- oder Machtkonflikte münden. Besonderes Konfliktpotenzial besteht, wenn hierarchischer Status und Alter auseinander fallen. Ein typisches Beispiel dafür ist, wenn ein frischgebackener Akademiker als Vorgesetzter einer langjährigen Fachkraft eingestellt wird.337 Auch Entwicklungskonflikte sind wahrscheinlich, da Leistungsvermögen sowie Lern- und Entwicklungsvermögen genau wie die Motivation dazu zwischen den Altersgruppen differieren können. Soziale Vergleichskonflikte im Sinne wahrgenommener Ungerechtigkeit zwischen den Altersgruppen und Ver334
Vgl. Schein 1989 (Organizational culture), S. 311 ff.
335
Damit ist hier ein echtes Verständnis- und/oder Verständigungsproblem zwischen Altersstufen gemeint, nicht allgemeine Führungsschwächen wie unsachliche Kritik oder ungerechte Behandlung der Mitarbeiter.
336
Vgl. ausführlich zu den Konfliktarten Adolph et al. 1999 (FAKT), S. 19 ff.
337
Dieses Problem wird sich in Zukunft verstärken, da flacher werdende Hierarchien für Fachkräfte weniger Aufstiegsmöglichkeiten bieten und sich die Zahl der über 50-Jährigen im Unternehmen stark erhöhen wird, während der Wettbewerb um jüngere Fachkräfte diesen die wenigen Führungspositionen fast garantiert.
130
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
trauens- sowie Unterstützungskonflikte aufgrund von Misstrauen und mangelnder Unterstützung sind denkbar. Vermutlich eher nicht generationsbedingt sind Koalitionskonflikte (im Sinne von „in den Rücken fallen“ oder „Fähnchen nach dem Wind drehen“) und Kommunikationskonflikte (im Sinne von Störung durch Feindseligkeit, mangelnde Kooperation)338 sowie der über Dritte ausgetragene Konflikt. Alle drei Varianten weisen auf ein sehr fortgeschrittenes Konfliktstadium hin und sind eher in abgeschwächteren Formen wahrscheinlich. Unterschiedliche Distanzbedürfnisse sind eine mögliche Kategorie individueller Generationenunterschiede. Sie liegen zum Beispiel in der zu großen oder mangelnden persönlichen Nähe zum Kollegen begründet. Soziale Unverträglichkeit kann sich auch in der Frage nach dem Siezen oder Duzen oder bezüglich der Abgrenzung des persönlichen Bereiches im Büro zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Altersgruppen äußern. Zu erwarten sind Wahrnehmungskonflikte aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungswelten verschiedener Generationen. Ein Konflikt aufgrund der Wahrnehmung einer Persönlichkeit als Unruhestifter durch das Team ist generationsbedingt eher unwahrscheinlich und jedenfalls weit fortgeschritten.339 Diese Konfliktsystematik ist nicht ganz trennscharf. Sie zeigt aber anschaulich, dass generationsbedingte Konflikte auf allen Ebenen der Unternehmung auftreten und zu vielfältigen Problemen führen können. Dabei stellt sie in erster Linie auf Sachprobleme ab. Die eigentlichen Ursachen, die bei Generationenkonflikten vermutlich eher in Missverständnissen und Emotionen zu suchen sind werden in der Unternehmenssphäre mit ihrer Konzentration auf das Sachliche kaum beachtet. So werden anhand von Ressourcenneuverteilung, Struktur- oder Prozessveränderungen Konflikte beigelegt. An den Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen der Parteien ändert sich jedoch nichts. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass Konfliktanlässe zwar rein generationsbedingt sein können, meist jedoch mehrere Ursachen zusammenkommen und die Generationenproblematik diese Konflikte weiter verstärkt.340 Selbst scheinbare Konflikte und Missverständnisse können sehr reale Folgen zeitigen. Probleme sind insbesondere dann zu befürchten, wenn eine Altersgruppe gegenüber einer anderen Vorurteile, falsche oder zu hohe Erwartungen hat. Der innere Gruppenzusammenhalt wächst, während Kontakte zur anderen Generation als negativ empfunden und bewertet sowie entsprechend gemieden werden. Träger solcher Kontakte gelten als „Schleimer“ oder erleiden zumindest einen Statusverlust. In Unternehmen kann dies dadurch sichtbar werden, dass zum Beispiel bestimmte Tische oder Raucherecken für eine bestimmte Gruppe reserviert sind. Diese hält sich bevorzugt dort auf und meidet die Zonen der anderen. Gleichzeitig ist die eigene Zone eine Tabuzone für Mitglieder der fremden Gruppe. Diese Vermeidungsstrategie 338
Der Kommunikationskonflikt aufgrund unterschiedlicher „Sprachen“ wird nicht explizit zugeordnet.
339
Hier könnte die Ursache dieses stark fortgeschrittenen Konflikts generationsinduziert sein.
340
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 54 ff., S. 66 ff. und S. 95. Konflikte können auf vielfältige Weise zum Beispiel nach ihrer Erscheinungsform, nach Streitgegenständen und nach den Eigenschaften bzw. Machtverhältnissen der Konfliktparteien oder nach Handlungsmöglichkeiten systematisiert werden. Letzteres bietet den Betroffenen oder Dritten bereits in frühen Stadien des Konflikts Orientierung bezüglich sinnvoller Interventionen und der Rolle des Schlichters. Dazu müssen Ausdehnung, dominante Äußerungsform des Konflikts sowie Ausmaß und Richtung der Bemühungen der Konfliktparteien festgestellt werden.
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
131
wirkt sich nicht nur negativ auf das allgemeine Betriebsklima aus, sondern behindert auch den Informationsfluss zwischen den Gruppen. Positive Effekte können dagegen eine gute Gruppenkohäsion, ein positives Klima und ein sehr guter Informationsfluss innerhalb einer Gruppe sein. Der Status wird nach Gruppenzugehörigkeit kategorisch zugeordnet. Aus Sicht der mittleren Generation könnte zum Beispiel jung gleich Auszubildender, älter gleich Führungskraft oder graue Eminenz und alt „der sitzt nur seine Zeit bis zur Pensionierung ab“ besagen.341 Echte Generationenkonflikte haben ähnlich negative Auswirkungen auf die Kommunikation. Die Schwere des Konfliktes zeigt sich im Grad der Kommunikationsstörung, im Umfang der Bewusstheit und der emotionalen Beteiligung sowie im Ausmaß der Folgen.342 Die Ausprägungen reichen vom leichten Verlust von Offenheit, Aufrichtigkeit und Zuhören in der Kommunikation über direkte Kritik und Schuldzuweisungen bis hin zu Geheimniskrämerei und Drohungen. Sie umfassen eine deutlichere Wahrnehmung der Unterschiede zu anderen Generation bis hin zur Unterstellung feindseligen Verhaltens und der Interpretation versöhnlicher Gesten als Täuschungsversuch. Vertrauen weicht in der Eskalation dem Misstrauen und später dem Bestreben, den anderen fertig zu machen und die Aufgabe wird nicht mehr als gemeinschaftlich angegangen bis hin zu dem Stadium, wo man sich auf die andere Generation nicht mehr verlassen will und allein arbeitet. Eskalierende Konflikte gehen mit einem Realitätsverlust einher. Das Sachproblem gerät angesichts der Emotionen und „Nebenkriegsschauplätze“ in den Hintergrund und wird nicht gelöst.343 Entsprechend leiden die Leistungen. Machtkämpfe und Intrigen beeinträchtigen Arbeitsklima und Mitarbeitermotivation, woraus für das Unternehmen akuter Handlungsbedarf resultiert. Derart eskalierende Konflikte, die rein auf Generationenprobleme zurückzuführen sind, sind wahrscheinlich eher die Ausnahme. STIKSRUDS empirisch ermittelte Wertranglisten zeigen mit dem Alter eine kontinuierliche Veränderung in den Werträngen, die eher auf ein harmonisches Verhältnis als auf einen Generationendissens hinweisen. Nach diesen Ergebnissen vermutet STIKSRUD vielmehr kleinere Diskrepanzen, die aus dem unterschiedlichen Erleben aus der Verschiedenheit der Lebensphase und der Lebenserfahrung sowie aus der thematischen Entfremdung zwischen Jüngeren und Älteren resultieren.344 Andererseits trägt die Genera341
Vgl. Triandis 1975 (Einstellungen), S. 156 ff. und ausführlich Unterkapitel B.III.3: „Generationentypisierung“.
342
Dabei können echte Generationenkonflikte psychologisch nur nachgewiesen werden, wenn man Meinungsdiskrepanzen sichtbar macht, die zwischen unterschiedlich alten Gruppen bestehen, deren sonstige Personenmerkmale wie Geschlecht, soziale Schicht etc. konstant gehalten werden. Diese müssten dieselben Themen nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich unterschiedlich bewerten, um auf einen Dissens schließen zu können. Vgl. Stiksrud 1994 (Generationenkontext), S. 164 ff.
343
Vgl. Becker/Hugo-Becker 2000 (Psychologisches Konfliktmanagement), S. 100 ff., S. 115 ff. und S. 123 ff. Im Verlauf der Eskalation eines Konfliktes verkehren die Beteiligten einst positiv wahrgenommene Eigenschaften des Gegenübers ins Gegenteil, stellen ihre Meinung als alleinverbindlich dar und verfolgen rücksichtslos die Niederlage des anderen. Es kommen Gefühle wie Ärger, Wut, Hass, Eifersucht, aber auch Angst, Machtlosigkeit, Unterlegenheit und Resignation auf, die ihren Ausdruck in der Konfrontation in Form von Aufbegehren, Aggression, Ironie, Kränkung, Rechthaberei, Gewalt, Unterdrückung oder passiv in Trödeln, Vergessen, Verweigern, Nichtkönnen, Erpressung, Krankheit, Verleumdung usw. finden.
344
Vgl. Stiksrud 1994 (Generationenkontext), S. 164 und S. 171.
132
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
tionenproblematik möglicherweise dazu bei, andere Konflikte zu verschärfen. Die Kenntnis der Generationenproblematik trägt zur Konfliktlösung bei. Noch wirksamer ist diese Kenntnis jedoch zu verwerten, um einer solchen Eskalation vorzubeugen. Dazu müssen die Beteiligten in die Lage versetzt werden, einen Generationenkonflikt und seine Ursachen zu erkennen. Je nach Art des Umgangs mit diesen Divergenzen können bei sachlicher Kommunikation Kompromisse, Meinungsänderung durch Überzeugung oder einfach Respekt für die unterschiedlichen Standpunkte als Bereicherung resultieren.345 In diesem Fall können Generationenkonflikte oder Generationenreibungen fruchtbar sein und zu neuen Ideen führen. Die Unterschiedlichkeit der Altersgruppen kann sich zum Beispiel als entscheidender Vorteil in der Entscheidungsqualität erweisen, wenn die unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungshintergründe zusammengeführt werden. Das betrifft sowohl die fachlichen als auch die sozialen Kompetenzen. Das Wissen über die altersbedingten Unterschiedlichkeiten der Arbeitnehmer kann also in vielen Bereichen nützlich sein und damit nicht nur zur Konfliktvermeidung und -lösung beitragen, sondern auch zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Mitarbeiterzufriedenheit. Damit ist das Management von Generationenkonflikte bzw. allgemeiner das Management von Generationenbeziehungen eine wichtige Aufgaben im Unternehmen.
4
Beeinflussung des Generationsverhaltens im Unternehmen
Generationenkonflikte am Arbeitsplatz sind nichts Ungewöhnliches. Klagen in Bezug auf die Jugend, ihre schlechten Manieren, mangelnde Arbeitsmoral oder fehlenden Respekt vor der Autorität der Älteren sind bereits aus der Antike überliefert und noch heute aktuell. Sie haben auch zugehörige bewährte Lösungen. Diese funktionieren jedoch nicht mehr, wenn in einem dynamischen Umfeld Probleme hinzukommen, die aus der speziellen generationellen Prägung resultieren. Heute bestehen große Wissensdifferenzen bezüglich Fach- und Methodenwissen in den unterschiedlichen Altersgruppen, die Anforderungen der Unternehmen an die Mitarbeiter und die Formen des Umgangs miteinander ändern sich usw. Dennoch werden Missverständnisse, Verständigungsprobleme, Mangel an Teamgeist, fehlende Arbeitsmoral, Motivation oder Innovationsfreudigkeit selten ursächlich mit einem Generationenproblem in Verbindung gebracht. Die Lösungen für derartig problembeladene Beziehungen zwischen den Generationen müssen jeweils neu erarbeitet werden. Es fehlt an Instrumenten des Generationenmanagements.346 Die einzige weit verbreitete Maßnahme ist das Abschieben älterer Mitarbeiter in die Frühverrentung, auf „verlorene“ Posten oder in die Altersteilzeit347, um diese scheinbar unbequemen und teuren Elemente loszuwerden. Das ist umso erstaunlicher, als es bereits seit den 60er Jah-
345
Vgl. Becker/Hugo-Becker 2000 (Psychologisches Konfliktmanagement), S. 115 ff.
346
Vgl. Rendtorff 2000 (Konfliktlinien), S. 181 ff. und Niederfranke 1994 (Potential älterer Arbeitnehmer), S. 149 ff.
347
Zu den Voraussetzungen und Ausgestaltungsmöglichkeiten der Altersteilzeit vgl. ausführlich Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 2004 (Altersteilzeit).
133
C.III Konkretisierung der Generationenverhältnisse
ren Ergebnisse der Alternsforschung gibt, die ältere Erwachsene mit beachtlichen Fähigkeiten ausgestattet sehen und ihnen mit zunehmendem Alter auch zunehmende soziale Fähigkeiten, Selbstständigkeit, Geduld, Besonnenheit, differenziertes Urteilsvermögen, Lernfähigkeit, Allgemeinwissen und logisches Denken bescheinigen. Im Zuge der Frühverrentung wird auf solche Fähigkeiten sowie auf berufsbiografisch gewachsene Kompetenz und Qualifikation verzichtet, die den Generationen erst mühsam beigebracht werden müssen. Gleichzeitig wirkt sich das negativ auf die Selbstwahrnehmung und möglicherweise auf die Leistung verbleibender älterer Arbeitnehmer aus.348 Diese Politik führt auch dazu, dass lebensaltersspezifische Fähigkeiten, sozialisationsbedingte Erfahrungshintergründe und generationsbedingte Konflikte im Betriebsleben oft unbeachtet bleiben. Der Dialog zwischen den Generationen wird nicht gefördert, obwohl die Hauptkonfliktursache ein Kommunikationsproblem zu sein scheint. Allein die gegenseitigen Fremdbilder scheinen bereits eine gewisse Distanz zu schaffen, die durch sprachliche Barrieren noch verstärkt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn keine enge Zusammenarbeit erforderlich ist, keine Begegnungsmöglichkeiten bestehen oder die vorhandenen Möglichkeiten aufgrund von Vorurteilen umgangen werden. Äußere Anzeichen des Konfliktes sind Spott und mangelnde Kooperationsbereitschaft, wenig Teamzusammenhalt, mangelndes Selbstvertrauen oder Angst vor Kollegen, die sich zum Beispiel in Rückzug oder Vermeidungsstrategien zeigt. Angesichts der aktuellen altersstrukturellen Entwicklung ist mit einer Zunahme dieser Probleme zu rechnen. Handlungsbedarf besteht jedoch nicht nur im Gegensatz zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern, sondern auch in der Tatsache, dass die Personalpolitik den Bedürfnissen der einzelnen Generationen nicht gerecht wird. Dies äußert sich oft in der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, Mängeln in Weiterbildung und Karriereplanung etc.349 Die hier zu beantwortende Frage ist, was Unternehmen tun können, um das Generationsgefüge im Sinne der Unternehmenszielsetzung zu steuern. Das nachstehend grafisch abgebildete Modell zum Generationsverhalten gibt Aufschluss über diese Beeinflussungsmöglichkeiten. Abb. C-2: Beeinflussungsmöglichkeiten des Generationsverhaltens durch Unternehmen aktuelle Situation Gestaltung
• ökologische Umwelt • kulturelle Umwelt
• Wertsystem Sozialisation
• Bedürfnisse • Fähigkeiten
k Ve ultu rga rell ng e enh ei ö Ve kolog t rga isc ng he enh eit Ge np oo l
Unternehmen
Generationspersönlichkeit
Quelle: Eigene Erstellung 348
Vgl. Fell 1999 (Generationendialog in lernenden Unternehmen), S. 61 ff.
349
Vgl. Fell 1999 (Generationendialog in lernenden Unternehmen), S. 66 f.
Generationsverhalten • allgemein • im Unternehmen
134
C GRUNDMODELL ZUM GENERATIONENVERHALTEN IM UNTERNEHMEN
Voraussetzung für generationsbezogene Maßnahmen sind Kenntnisse über die Altersstruktur und die Art der Zusammenarbeit der Mitarbeiter verschiedener Altersstufen im Unternehmen, deren Generationspersönlichkeiten sowie die Kenntnis lebensphasenbedingter Erfordernisse. Die Beeinflussungsmöglichkeiten liegen zum einen in der Gestaltung der Altersstruktur und der Rahmenbedingungen des Unternehmens. Dies betrifft die adäquate Gestaltung der Situation auf der Ebene der Gesamtorganisation, der Teams und der Individuen. Die Steuerung von Motivation und Verhalten erfolgt im Wesentlichen durch die Setzung bedürfnisgerechter Anreize (und Sanktionen) sowie durch die Veränderung der betrieblichen Rahmenbedingungen wie Altersstruktur, Unternehmenskultur, Normen, Prozesse usw. Zum anderen kann zumindest mittelfristig über die betriebliche Sozialisation Einfluss auf die Generationspersönlichkeit selbst genommen werden. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen zur Förderung von Qualifikation und Personalisation in Form von sozialer Kompetenz und Konfliktfähigkeit. Dabei ist davon auszugehen, dass die Steuerung über Anreize schneller und gezielter möglich ist als die Beeinflussung der Generationspersönlichkeit. Entsprechend bieten sich zur Beseitigung akuter Generationenprobleme oder -konflikte andere Instrumente an als zur nachhaltigen Veränderung von Strukturen und Kultur. Damit erfordert Generationenmanagement Maßnahmen, die alle Elemente des Managementsystems betreffen können – angefangen von einer adäquaten Unternehmenspolitik und -strategie, über die organisatorischen und Personalmanagementmaßnahmen bis hin zur Führungsgestaltung und zum Controlling. Die Vorteilhaftigkeit einer ganzheitlichen Vorgehensweise ist zu vermuten. Insofern soll der Begriff Generationenmanagement im Folgenden weit gefasst werden und alle Maßnahmen der Unternehmensführung beinhalten, die dazu beitragen, Probleme im Zusammenhang mit dem sich wandelnden Zeitgeist, der unterschiedlichen Generationsprägungen und/oder der unterschiedlichen Stellung der Mitarbeiter im Lebenslauf zu vermindern und diese Altersdiversität besser in den Dienst der Unternehmensinteressen zu stellen. Um konkrete Empfehlungen für das Generationenmanagement geben zu können, müssen die postulierten Zusammenhänge sowie das Vorliegen von altersgruppenbedingten Konflikten zunächst einmal überprüft und die Generationsidealtypen, die am Arbeitsplatz aufeinander treffen, anhand der Rahmenbedingungen in Deutschland und deutschen Unternehmen konkretisiert werden. Instrumente des Generationenmanagements können deshalb erst in Hauptkapitel F im Anschluss an die Ermittlung dieser Idealtypen abgeleitet werden.
C.IV Zwischenfazit: Modellkonkretisierung
135
IV Zwischenfazit: Modellkonkretisierung Die Ausführungen des vorliegenden Hauptkapitels erlauben eine Konkretisierung des in Unterkapitel C.I.1 vorgestellten Grundmodells zum Generationenverhalten. In der arbeitenden Bevölkerung Westdeutschlands kann danach die Existenz von fünf Generationszusammenhängen postuliert werden. Die umseitige Grafik zeigt die relevanten Generationszusammenhänge nach ihren beruflichen Lebensphasen zwischen 1940 und heute in der Übersicht auf. Das soziale Bezugssystem dieser Generationszusammenhänge ist hier die westdeutsche Kultur. Die generationsspezifische Prägung ergibt sich dabei vor allem aus dem Zeitgeist der Jahrzehnte, welche die Kindheits- und Jugendphase prägen, und aus den zugehörigen gesellschaftspolitischen Ereignissen. Die privaten Lebensereignisse führen zu individueller Prägung und können deshalb nur im Rahmen der Normalbiografie der jeweiligen Generationszusammenhänge berücksichtig werden. Danach gliedern sich auch die privaten Lebensphasen, die mit den beruflichen Lebensphasen und entsprechenden Bedürfnissen verknüpft sind. Die Unternehmung kann das Generationenverhalten und die Generationenverhältnisse im Wesentlichen über der Gestaltung der Unternehmenssituation und eingeschränkt über die Sozialisation der Generationspersönlichkeiten beeinflussen. Je besser und konkreter der Zeitgeist, die Generationspersönlichkeiten, die Lebensphasen und die daraus resultierenden Bedürfnisse und Beziehungen bekannt sind, desto besser können Implikationen für das Generationenmanagement und desto leichter erscheint die Steuerung der Generationszusammenhänge. Erste Anhaltspunkte zu den generations- und lebensphasenbedingten Eigenschaften und Bedürfnissen der verschiedenen Altersgruppen konnten anhand der Ausführung zu Generationspersönlichkeiten und Generationenlebensverläufen abgeleitet werden. Einen Überblick dazu bietet die Tabelle C-2: „Lebensphasenbedingte Merkmale von Berufstätigen“. Zur weiteren Analyse und Konkretisierung der Merkmale der Generationenprägung muss der sich wandelnde Zeitgeist der Jahrzehnte seit 1940 genauer betrachtet werden. Die Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist notwendig, da nicht nur die Unternehmen selbst durch ihre gesellschaftliches Umfeld geformt werden, sondern auch das Humankapital, worauf sie zurückgreifen müssen. Entsprechend ist die Entwicklung der Rahmenbedingungen und der Kultur in Gesellschaft, Familien und Unternehmen während dieser Zeitspanne bis heute in Westdeutschland Gegenstand des anschließenden Hauptkapitels D. Hier werden mit Hilfe der inhaltlichen Konkretisierung des vorgestellten Modells Zeitgeistentwicklungen und die zugehörigen idealtypischen Generationszusammenhänge ausgearbeitet. Gleichzeitig gibt die Beschreibung der Entwicklung Aufschluss über die Generationenverhältnisse, die Generationendynamik und die Konfliktpotenziale zwischen westdeutschen Generationszusammenhängen.
1945
Kriegsende
Quelle: Eigene Erstellung
1950
1960
1970
1990
2000
2010
2020
2030
Ruhestandsphase
Ruhestandsphase
2040
Zeitablauf
Ruhestandsphase
Ruhestandsphase
Erwerbsphase
Zeitgeist/prägende Ereignisse
Generationspersönlichkeiten
Erwerbsphase
Erwerbsphase
Erwerbsphase
Erwerbsphase
1980
2000
Sozialisationsphase
1989
Sozialisationsphase
Sozialisationsphase
1969
Mondlandung
Sozialisationsphase
Sozialisationsphase
1940
Nachkriegsgeneration
68er Generation
„Unauffällige“
Generation Golf/ 89er Generation
Millennials/ Cybergeneration
Generationszusammenhänge
Wiedervereinigung
Abb. C-3: Modell westdeutscher Generationszusammenhänge ab 1940
heute
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS I
Entwicklungen auf staatlicher Ebene
1
Bevölkerungsentwicklung
Die Bevölkerungsentwicklung ist ein wichtiges Element der Generationendynamik. Dies umfasst insbesondere deren Bedeutung für den Arbeitsmarkt, die Generationenprägung und die Normalbiografie des Standardlebenslaufs. Im Verlauf dieses Unterkapitels soll die demografische Entwicklung nach Umfang, Struktur, Geburtenrate, Migration, Lebenserwartung und Qualifikation analysiert werden. Im Rahmen dieser Betrachtung werden mögliche Gründe für den Verlauf dieser Entwicklung aufgezeigt und eine vorsichtige Zukunftsprognose vorgestellt. Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung der Bevölkerungs- und Altersstruktur in Gesamtdeutschland detailliert auf. Abb. D-1: Bevölkerungs- und Altersstruktur Gesamtdeutschland Männer
Alter in Jahren
Frauen
95
Gefallene des 2. Weltkriegs
90
Geburtentief im 1. Weltkrieg
Geburtentief im 1. Weltkrieg
85
Frauenüberschuss
80
Geburtentief während der Weltwirtschaftskrise um 1932
75
Geburtentief während der Weltwirtschaftskrise um 1932
70 65 60
Geburtentief Ende des 2. Weltkrieges
Geburtentief Ende des 2. Weltkrieges
55 50
Männerüberschuss
45 40
Baby-Boom Generation
35 30 Zweiter Geburtenrückgang 1965 bis 1975
25 20 15 10
Geburtentief Neue Länder
Geburtentief Neue Länder
5 0
-800 700.000 -700 600.000 -600 500.000 -500 400.000 -400 300.000 -300 200.000 -200 100.000 -100 800.000
00
00
100 200.000 200 300.000 300 400.000 400 500.000 500 600 700 800 100.000 600.000 700.000 800.000
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Daten: Statistisches Bundesamt: Deutsche Bevölkerung nach Geburtsjahren, Stand: 31.12.2003
Betrachtet man die Entwicklung der deutschen Bevölkerung im letzten Jahrhundert, so fällt auf, dass Einbrüche in der Geburtenzahl350 nicht ungewöhnlich sind. Deutlich wird dies zu 350
Hier gemessen als durchschnittliche Kinderzahl pro Frau.
138
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Beginn des 20. Jahrhunderts. Der erste Einbruch der Geburtenzahl ist vermutlich auf die Verbesserung von Lebensstandard, Überlebensrate und Altersversorgung zurückzuführen.351 Deutliche Einbrüche zeigen sich auch während der beiden Weltkriege, der Wirtschaftskrise der 20er Jahre und in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Die Entwicklung ist schwankend. Einerseits werden auch in Krisenzeiten Kinder geboren, andererseits wurde augenscheinlich bereits vor Erfindung oraler Kontrazeptiva erfolgreiche Geburtenkontrolle betrieben. Der kurze Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg findet sein Pendant in der bis in die 60er anhaltenden Tendenz steigender Geburtenraten ab Ende des Zweiten Weltkrieges. Zudem wurden die Bevölkerungszahlen in den 50er und 60er Jahren durch die Migration der Gastarbeiter und ihrer Familien verstärkt. Der Einwanderungsstopp 1973 fällt in etwa mit dem „Pillenknick“ zusammen. Seither ist die Geburtenzahl deutlich fallend und lag 2004 bei durchschnittlich 1,38 Kindern pro Frau.352 Die Zuwanderung junger, seit den 80ern meist politisch motivierter, Menschen konnte diese Entwicklungen kaum abmildern. Die Lebenserwartung hat sich im letzten Jahrhundert drastisch auf ca. 80 Jahre verlängert. Als Folge wird der Anteil der unter 20-Jährigen von derzeit ca. einem Fünftel bis 2050 auf rund ein Sechstel fallen. Das Durchschnittsalter liegt bereits bei ca. 37,5 Jahren.353 Diese Betrachtung lässt vermuten, dass das öffentliche Klima sowie die kulturelle und politische Entwicklung die Geburtenrate beeinflussen. Sie schaffen die Voraussetzungen für zeitgemäße Innovationen wie „die Pille“. Die Gründe für ihren Rückgang sind vielfältig und reichen von alternativen Lebensentwürfen und sinkender Zeugungsfähigkeit über Berufstätigkeit beider Partner bei mangelnden Betreuungsmöglichkeiten bis hin zu Zukunftsängsten und finanzieller Bedenken.354 Die finanzielle Belastung durch zwei Kinder bis zur Erreichung der Volljährigkeit betrug im Jahr 2000 300.000 DM für Nahrung, Kleidung, Unterbringung, Kultur und Freizeit. Dies berücksichtigt weder den Zeitaufwand noch den Verdienstausfall bzw. Karriereknick und Rentenausfall des Elternteiles, der die Familie betreut, und auch keine kalkulatorischen Zinsen.355 Gleichzeitig weicht der soziale Pflichtgedanke der Individualisie-
351
Die Entwicklung bedingte einen Wandel in der Rolle der Kinder vom mitarbeitenden Familienmitglied zum Kind als Person, in dessen Zukunft und Bildung finanziell und emotional investiert wurde.
352
Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2003 (Geburtenzahlen), S. 1 und 2005 (Deutschland in Zahlen), S. 129. Die Industrienationen haben derzeit insgesamt Geburtenrückgänge zu verzeichnen. Mit Ausnahme Irlands trifft dies auch traditionell kinderreiche Nationen. Italien liegt hinter der BRD und Japan an letzter Stelle. Der leichte Vorsprung der ehemaligen DDR wird meist mit besserer Familienpolitik begründet.
353
Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2005 (Deutschland in Zahlen), S. 7 f. und S. 10 und Statistisches Bundesamt 2003 (Bevölkerungsprognose), S. 6 f.
354
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 76 ff. Die steigende Kinderlosigkeit kann Ausdruck intensiv wahrgenommener Elternverantwortung, alternativer Lebensentwürfe oder (ungewollte) Folge des Rückgangs der Eheschließungen oder des Hinausschiebens des Kinderwunsches sein, da die Zeugungsund Empfängnisfähigkeit altersabhängig sind. Die Zeugungsfähigkeit der deutschen Bevölkerung geht generell zurück, was in den veränderten ökologischen Lebensbedingungen begründet sein könnte. Auch Arbeitslosigkeit, Bedenken bezüglich Finanzierung von Kindern und Rente, beschränkte Wohnverhältnisse, Berufstätigkeit beider Partner und mangelnde Betreuungsmöglichkeiten können Gründe sein.
355
Vgl. Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 73. Im Fünften Familienbericht der Bundesregierung 1995 berechnete die Sachverständigenkommission Kosten von durchschnittlich 800 DM (Existenzminimum 600 DM) im Monat für ein 1982 geborenes Kind bis 2000. 80 % der Kinder sind bis zum 17. Lebensjahr vollständig vom Einkommen ihrer Eltern abhängig.
139
D.I Entwicklungen auf staatlicher Ebene
rung mit der Gefahr von Hedonismus und Egoismus. Das zeigt sich außer in der Zurückstellung des Kinderwunsches zugunsten von Karriere, Konsum und sozialer Absicherung in der sinkenden Zahl der Eheschließungen, der wachsenden Zahl der Scheidungen und Partnertrennungen. Wer sich in Deutschland trotzdem für die Investition in Nachwuchs entscheidet, hat dafür in der Regel zumindest zwei Kinder.356 Abb. D-2: Eheschließungen und Ehescheidungen Ehescheidungen
Eheschließungen 136
1992
453 168
1994
440
176
1996
192
1998
200
2000*
427 417 407
Zahlen in 1.000; * Schätzungen
Quelle: Ausschnitt aus: „Bindung für’s Leben? Eheschließungen, Ehescheidungen und nicht eheliche Lebensgemeinschaften im Zeitvergleich“, Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 240
Die Entwicklung der Eheschließungen und -scheidungen in jüngster Zeit wird in der oben stehenden Grafik deutlich. Die Scheidungsrate hat sich in Westdeutschland von 1970 bis 2000 mehr als verdoppelt. Sie stieg von ca. 51 Scheidungen auf 104 pro 10.000 bestehende Ehen. Die durchschnittliche Ehedauer bei Scheidung lag für Gesamtdeutschland 1970 bei ca. 9 und 2000 bei 12,6 Jahren. Interessanterweise sind die Anteile geschiedener Ehen mit minderjährigen Kindern seit Mitte der 90er Jahre stark gefallen.357 Eine Erklärung dafür könnte der generelle Rückgang der Eheschließungs- und Geburtenraten sein. Konkret bedeutet das für Westdeutschland, dass immerhin 16 % bis 18 % der Kinder von Ehepaaren vor Vollendung des 18. Lebensjahres die Scheidung ihrer Eltern miterleben.358 Die Berufstätigkeit der Mütter minderjähriger Kinder beträgt 64 %. Je weniger Kinder und je älter die Kinder, desto häufiger und desto mehr Stunden pro Woche arbeiten die Mütter. Die Erwerbsquote bei den Männern beträgt 91 %.359 In Westdeutschland ist in absehbarer Zukunft bei sinkenden Jahrgangsstärken kein Anstieg der Geburtenzahl zu erwarten. Entsprechend gehen auch die Schulabgängerzahlen seit den 80er Jahren zurück. Der in der Folge zu erwartende Mangel an Arbeitskräften jüngeren Alters kann durch die wachsende Berufstätigkeit der Frauen nicht ausgeglichen wer356
Vgl. Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 73. Dieser Trend zeigt sich auch im ehrenamtlichen Engagement. Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 107 ff. und S. 230 ff.
357
Von 70,7 % 1995 auf 48,8 % 2000. Vgl. Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 81.
358
Die Scheidungszahl (häufig nach 6 bis 8 Jahren) steigt, wobei Scheidungskinder ein höheres Scheidungsrisiko haben. Nach Ruppert/Schneewind sind die Ehebeziehungen grundsätzlich stabil. Die Ehen der älteren Generation (1992 Ende 50 Jahre alt) weisen viel Zärtlichkeit und wenig Konflikte und resignative Unzufriedenheit auf. Ehequalität und Erziehungsstil (insbesondere die negativen Aspekte) pflanzen sich in der Partnerbeziehung der Kinder fort. Die Beziehung der Kinder (1992 Ende 20) ist durch Funktionalität, wenig Kontrolle und Konflikte, viel Nähe und Kommunikation gekennzeichnet. Vgl. Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 192 f. und S. 230 f. und Nave-Herz 2000 (Intergenerational relations), S. 216 ff.
359
Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 84 f.
140
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
den, zumal sich diese weitgehend auf Teilzeitstellen beschränkt. Das Größenverhältnis der Generationen wandelt sich gravierend. Kamen 1939 auf einen über 75-Jährigen noch 45 jüngere Personen, so waren es 1994 nur noch knapp 15 und nach Schätzungen werden es 2040 nur noch sechs Personen sein. Damit werden ältere Altersschichten im Vergleich zu jüngeren relativ größer.360 Mit der Bevölkerungsentwicklung und den Veränderungen der äußeren Bedingungen verschieben sich auch die Lebensphasen. Nach einer Zeit der Verzeitlichung und Chronologisierung kommt es ab Ende der 70er Jahre zu einer Entstrukturalisierung und Individualisierung des Lebenslaufes.361 Die wachsende Tendenz zur Höherqualifizierung verlängert die Phase der Jugend bis zu einem Alter von ca. 30 Jahren. Damit verschieben sich Familiengründung und Geburt des ersten Kindes ebenfalls nach hinten.362 Die Langlebigkeit bedingt eine Verlängerung der Ruhestandsphase, die heute überwiegend schon mit Anfang 50 beginnt und bei wachsender Anzahl der Hochbetagten bis ins hohe Alter hinein reicht. Damit können Eltern und Kinder gleichzeitig Rentner sein. Das mittlere Lebensalter trägt die Belastung von Berufstätigkeit und Kinderbetreuung, zumal wenn beide Partner berufstätig sind. Dazu kommt im Bedarfsfall die Pflege der eigenen Eltern.363 Die Überlappung der Lebensphasen wächst, so dass die Generationen über zunehmend mehr gemeinsame Lebenszeit verfügen. Mit der steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Bedeutung der Nacherwerbsphase für Gesellschaft und Individuum zu. Empirische Studien belegen, dass die Lebenszufriedenheit im Alter umso höher ausfällt, je eher Wunsch- und tatsächliches Rentenalter zusammenfallen. Ein Großteil der noch berufstätigen Arbeitnehmer wünscht sich zwar ein Verrentungsalter unter 60 Jahren, dies sollte jedoch nicht unfreiwillig aufgrund von Kündigung oder zwangsweiser Frühverrentung erfolgen. Die aus niedrigem Renteneintrittsalter und den zunehmenden Diskontinuitäten im Erwerbsverlauf aufgrund von Perioden der Arbeitslosigkeit, Familienzeit oder Bildungsmaßnahmen entstehenden Erwerbslücken führen zu Renteneinbußen, so dass die Frühverrentung finanziell wenig attraktiv erscheint. Dennoch dürfte die Tendenz zum vorzeitigen (unfreiwilligen), wenn auch „sozialverträglichen“ Abbau schwer umzukehren sein.364 Weniger als die Hälfte derjenigen, die früher als gewünscht aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, sind im Ruhestand zufrieden. Insbesondere der Übergang ist eine Neuorientierung und bereitet vielfältige Probleme, da er in der Regel mit dem Verlust von Status, Anerkennung, Sinn, sozialen Kontakten und mit finanziellen Einschränkungen verbunden ist. Möglichkeiten zum Umgang mit diesen Problemen liegen im schrittweisen Übergang in den Ruhe360
Vgl. Lehr 2000 (Psychologie des Alterns), S. 41.
361
Vgl. Ecarius 2002 (Familienerziehung), S. 46 ff.
362
2000 bekamen verheiratete Mütter im bundesweiten Schnitt ihr erstes Kind mit ca. 30 Jahren, unverheiratete mit 27, Akademikerinnen häufig erst mit Ende 30. Vgl. Statistisches Bundesamt 2004 (Alter der Mütter) und Dümmler/Wirth 2004 (Geburten), S. 2 ff.
363
Vgl. Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 105 ff. und S. 137 ff.
364
Vgl. Sing 2003 (Übergang in den Ruhestand), S. 1 f., S. 29, S. 36, S. 74 f. und S. 242 ff. Manche Geburtskohorten (zum Beispiel 1959) sind von solchen nicht anrechenbaren Erwerbsunterbrechungen stärker betroffen (Periodeneffekt).
D.I Entwicklungen auf staatlicher Ebene
141
stand und in ehrenamtlicher Tätigkeit, wo Ältere ihre Leistungsfähigkeit und ihre Motivation zur beruflichen Tätigkeit zum Nutzen anderer unter Beweis stellen können.365 Die Entwicklung zur immer früheren Verrentung wird mit der Leistungskraft der sozialen Sicherungssysteme in Zukunft nicht mehr vereinbar sein. Insbesondere die Rentenversicherung, aber auch Arbeitslosen- und Krankenversicherung, sind darauf angewiesen, so dass Menschen erst in einem höheren Alter aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Dies betrifft in der betrieblichen Praxis vor allem die heute 35- bis 45-Jährigen, die bei weitem die personenstärkste Alterskohorte in der Erwerbsbevölkerung stellen. Das ältere und jüngere Segment ist jeweils wesentlich schwächer besetzt.366 Die zu erwartende Abnahme der Erwerbsbevölkerung führt trotzdem auf dem Arbeitsmarkt nicht zu generellem Arbeitskräftemangel, sondern aufgrund regionaler, berufsbezogener und qualifikatorischer Unterschiede zu Arbeitskräftemangel in Teilarbeitsmärkten und Überhängen in anderen. Die Prognosen gehen von Arbeitslosenquoten zwischen 4 % und 13 % in 2040 aus, wovon die Älteren weiterhin besonders betroffen sein dürften.367
2
Zeitgeistgeschichte der Bundesrepublik Deutschland
Um das oben entwickelte Modell zum Generationenverhalten zu konkretisieren, müssen nun die Rahmenbedingungen und der Zeitgeist aufgezeigt werden, unter denen sich die derzeit in Deutschland lebenden Generationen entwickelt haben. Dazu werden die prägenden Ereignisse, Personen und Entwicklungen der letzten 65 Jahre kurz vorgestellt. Dies beinhaltet die allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Sozialisationsbedingungen. Die Entwicklung des familiären und betrieblichen Umfeldes und der allgemeine Wertewandel werden im Anschluss aufgezeigt. Beides gemeinsam lässt sich dann zu einem klaren Bild der Lebensumstände deutscher Generationszusammenhänge und Generationsbeziehungen in Westdeutschland verdichten. Die folgende Übersicht soll zunächst einmal einen Überblick über die prägenden Jahrzehnte der heutigen Generationen des Arbeitslebens bieten. Die Auswahl beschränkt sich auf Ereignisse mit einem hohen Bekanntheitsgrad und wurde weitgehend aus der Chronik des 20. Jahrhunderts zusammengestellt.368 Sie vermittelt ein „Fahrgefühl“ für die Entwicklung des westdeutschen Zeitgeistes seit den letzten Kriegsjahren.
365
Die Gründe für die Ausübung eines Ehrenamts reichen von Bewältigung von Lebenskrisen über Umorientierung bis zu christlichen Motiven. Spaß an der Arbeit geht vor beruflichen Nutzen oder soziale Anerkennung. Dennoch wächst mit zunehmendem Alter der Anteil derjenigen, deren Ehrenamt mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängt. In der Gruppe der 40- bis 59-Jährigen bzw. ab 60 sind dies ca. 28 %, zwischen 25 und 39 Jahren 20 % und zwischen 14 und 24 11 % und Vgl. Sing 2003 (Übergang in den Ruhestand), S. 2, S. 262 ff. und S. 296.
366
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 9.
367
Vgl. Deutscher Bundestag 1998 zitiert nach Sing 2003 (Übergang in den Ruhestand), S. 94.
368
Zu den Inhalten der Übersicht vgl. ausführlich Busche 2003 (68er), Fischer/Zinnecker (Jugend’92), S. 214 f. und o. V. 2003 (Chronik). Die Auswahl erfolgte zwangsweise subjektiv aus dem generationsspezifischen Blickwinkel der Autorin, wurde jedoch durch Gegenlesen objektiviert.
Friedenssehnsucht Demontage UNO Eiserner Vorhang Marshallplan DDR und BRD NATO Kalter Krieg Schwimm- und Leichtathletikrekorde
Montanunion Wirtschaftswunder Warschauer Pakt Weltraumfahrt Rennsport Apartheid in Südafrika
Anmerkung: Tabelle wird fortgesetzt.
Bedeutende Entwicklungen
Prägende Ereignisse
50er Jahre
Wunder von Bern 1954 Mount Everest Besteigung 17. Juni 1953 Arbeiteraufstand Tod Stalins Krönung Elisabeth II. Hochzeit Fürst Rainier von Monaco und Grace Kelly Olympische Spiele in Melbourne Laika im All letzte Kriegsheimkehrer Vietnamkrieg Koreakrieg Sueskrise
40er Jahre
Nationalsozialismus 2. Weltkrieg Englandoffensive Kinderlandverschickung Stalingrad Pearl Habour KZ Auschwitz Kloster Montecassino Zweifrontenkrieg Attentat auf Hitler Landung in der Normandie Bombenteppiche Kriegsende Besatzungszonen Westverschiebung Polens Flüchtlingsströme Rationierungen Hiroshima und Nagasaki Erfindung Computer Zwangsarbeiter Volkssturm Gründung Israels Nürnberger Prozesse Kinsey Report Berlinblockade
Tab. D-1: Chronik der BRD 60er Jahre
Hausbesetzungen
APO gegen Altnazis und Unimuff Gleichberechtigungs- und Demokratiebewegung Sexualerziehung Europäische Gemeinschaft Gastarbeiter
1961 Mauerbau Todesschüsse an der Mauer Flut in Hamburg Kubakrise Mord an Kennedy Postraub Woodstock 1969 Tod von Benno Ohnesorg Vietnamkonflikt Kulturrevolution in China Weltallspaziergang Embryophoto Versetzung Abu Simbel Große Koalition Weltumseglung Herztransplantation Tod M. L. Kings 1. Mann auf dem Mond Contergankinder Sechstagekrieg Prager Frühling
70er Jahre
Studentenunruhen Terrorismus (RAF) Amnesty International Ölkrise Emanzipation/Abtreibungs problematik/Frauenhäuser Umweltbewegung Greenpeace Asylanträge Arbeitslosigkeit
Tod von Nasser 1971 Bestechungsskandal im Fußball Hunger in der Sahelzone Nordirlandkonflikt Watergate Terroranschlag auf das olympische Dorf Grundlagenvertrag Skylab KSZE Konferenz in Helsinki Jom Kippur Krieg Wounded Knee Autofreier Sonntag 1974 Fußball-WM Tod Elvis Presleys 1977 Deutscher Herbst NATO Doppelbeschluss Chemie-Unfälle Retortenbaby 1. Smogalarm Kniefall in Warschau
80er Jahre
Die Grünen Friedensbewegung Waldsterben, Ozonloch Aids Glasnost/Perestroika Arbeitslosigkeit Weltbevölkerungsanstieg Börsenfieber Abrüstung Gentechnologie Medien Globalisierung Rekordstudentenzahlen Okkultismus, Sekten Schulstress
Moskau Boykott Olympische Spiele Afghanistan-Krieg Irak-Iran-Konflikt Massenflucht aus Kuba Hochzeit Prince Charles und Lady Di Giftgaskatastrophe in Indien Tschernobyl Challenger-Unglück Landung auf dem Roten Platz Glykolskandal Geiseldrama von Gladbeck Botschaftsflüchtlinge Montagsdemonstrationen Mauerfall/Grenzöffnung Ölpest Friedensdemos Anti-Atomkraft Demos
90er Jahre
Internet Europäische Integration Umweltschutzdeklaration von Rio Asylantendebatte „Blühende Landschaften im Osten“ Ossis/Wessis Rechtsradikalismus Skinheads PDS Kinderpornographie Rechtschreibreform
Wiedervereinigung Zwei-plus-Vier-Gespräche Treuhand Ende der Apartheid Angriffskrieg Kuwait Fußball-WM 1990 Tod Freddie Mercury Hungersnot Ruanda Bürgerkrieg Jugoslawien Somalia-Krise Brandanschlag in Solingen Hoyerswerda Selbstverwaltung Gazastreifen Hutu gegen Tutsi Aids Blutkonserven Schiffsunglück Estonia Europawahl Giftgasanschlag Japan Oklahoma City Bombing Oderflut Lewinsky-Affäre ICE-Unglück Kosovokrieg Erdbeben in der Türkei CDU-Schwarzgeldaffäre
2000er
Atomkraftausstieg BSE Benzinpreisanstieg Vogelgrippe
Millenniumsfeiern Wahlproblematik George W. Bush Atom-U-Boot Kursk gesunken Concorde-Absturz Expo 2000 Feuerinferno in Enschede 11. September 2001 Börsencrash Milzbrandattacken Afghanistankrieg Brand im Gotthardtunnel Jahrhundertflut an der Elbe Sprengstoffanschläge auf Bali Israelkonflikt Geiselnahmen in Rußland Tschetschenienkonflikt Irakkrieg Amoklauf Erfurt Naturkatastrophen
Swing Jazz Tango Polka
Anmerkung: Tabelle wird fortgesetzt.
Jazz Oklahoma Volksmusik Schlager Oper Operette Rock ‚n‘ Roll Chanson Jailhouse Rock Beat
Pop-Art
Schlager
Rock Neue Deutsche Welle Breakdance Musicalfieber New Age
Der Herr der Ringe Big Brother Deutschland sucht den Superstar
Techno Hip Hop
Pretty Woman Der mit dem Wolf tanzt Das Piano Schindlers Liste Philadelphia Interview mit einem Vampir Jurassic Parc Pulp Fiction Der bewegte Mann Forrest Gump Toy Story Titanic Harry Potter Verbotene Liebe Teletubbies
Verhüllter Reichstag
Das Boot Dallas und Denver E. T. Footloose Die unendliche Geschichte Schwarzwaldklinik Lindenstraße Das Parfüm Jenseits von Afrika Der Name der Rose Cats Liebling Kreuzberg Gandhi Batman Alf Diese Drombuschs Das Traumschiff Fantasy Der Pate Sendung mit der Maus Raumschiff Enterprise Sesamstraße Der weiße Hai Einer flog über das Kuckucksnest Saturday Night Fever Die Blechtrommel Krieg der Sterne Derrick/Tatort Asterix Hanni und Nanni Yps Mädchen Bonanza Augsburger Puppenkiste Familie Feuerstein Schulmädchen-Report Ekel Alfred
Ansichten eines Clowns Psycho Die Vögel Cleopatra Dr. Schiwago Mit Schirm, Charme und Melone Easy Rider Daktari Winnetou-Filme Peanuts
Schwarzwaldmädel Schloß Gripsholm Singing in the Rain Warten auf Godot James Bond Die Brücke am Kwai West Side Story Sissi-Trilogie Don Camillo und Peppone Ben Hur Kalle Blomquist Bravo Playboy Lassie Sandmännchen
Mutter Courage Citizen Kane Casablanca Der kleine Prinz Feuerzangenbowle Arsen und Spitzenhäubchen Iwan der Schreckliche Der dritte Mann 1984
Kultur
2000er Internationale Raumstation ISS Maulkorb Moorhuhn Maul- und Klauenseuche Euro Frauen in Uniform Reformstau Homosexuelle Ehe Letzter Käfer Gesundheitsreform Kopftuch Dosenpfand SARS Stammzellendiskussion Insolvenzen Arbeitslosigkeit Hartz IV LKW-Maut Alkopops
90er Jahre Laptop/Palm Pilot Handy/SMS Telekonferenz/Webcam Tunnel unter dem Ärmelkanal Messeturm Frankfurt „Peanuts“ Neue Postleitzahlen Formel 1 Klonschaf Dolly Tamagotchi Elchtest Viagra Smart/Beetle Airbag Holocaust-Denkmal Piercing Alkoholfreies Bier Döner Rollerblades Ebay DVD Siedler/Doom
80er Jahre PC Zauberwürfel Punker TGV Raumfähre Startbahn West Videorekorder Coole Cocktails Aerobic Swatch Risiko/Trivial Pursuit/Uno Rollenspiel Kabel-/Privatfernsehen Hooligans Smog Mikrowelle Shows und Serien Turnschuhe Walkman/CD´s Golf Rollerskates Joggen Hüfthose
70er Jahre Trimm-Dich-Pfad Intercity Abtreibung Napalm Airbus Pendolino Palast der Republik Mc Donalds Playmobil Schlaghose Hamburger Nutella Clementine
60er Jahre Fernsehen Pille Elektrogitarre Minirock Langhaarstudent Concorde Wohngemeinschaften Nichteheliche Lebensgemeinschaften
50er Jahre
UKW-Radiogerät, Leukoplastbomber, Farbfernsehen Playboy Messerschmidt Kabinenroller Boeing 707 VW-Käfer Hula Hoop Reifen Sputnik Barbie Stereo Opel Kapitän Petticoat Harley Davidson Monopoly Coca Cola Stasi
40er Jahre
Judenstern LSD Penicillin Atombombe CARE-Pakete Vespa RIAS D-Mark Bikini Transistorradio Currywurst Schellackplatte Rosinenbomber
Bezeichnendes
Benito Mussolini, Lale Andersen, Humphrey Bogart, Charles de Gaulle, Dimitri Schostakowitsch, Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Frank Sinatra, Roberto Rosselini, Duke Ellington, George Orwell, John Wayne, Mahatma Gandhi, Pablo Picasso, Robert Oppenheimer, Leonard Bernstein, Jean Anouilh, Antoine de St. Exupéry, Cary Grant, Glenn Miller, Sergej Eisenstein, Harry S. Truman, Jean-Paul Sartre, Albert Camus
Internationale Persönlichkeiten
Quelle: Eigene Erstellung
Pius XII. Marc Chagall Gene Kelly Marilyn Monroe Edmund Hillary Mao Tsetung Roger Moore Bill Haley Elvis Presley Brigitte Bardot Gregory Peck Chrustschow Alec Guinness Harry Belafonte Papst Johannes XXII. Maria Callas Farah Diba Elizabeth Taylor Graham Greene
Sophie und Hans Scholl, Carl Orff, Heinz Dietrich Bonhoeffer, Adolf Hitler, Erwin Rommel, Joseph Goebbels, Gisela Graß, Claus Graf Schenk von Stauffenberg, Ilse Werner, Anne Frank, Josef Stalin, Bertolt Brecht, Kurt Weill, Trümmerfrauen, Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Wilhelm Pieck, Johannes Heesters, Otto Grotewohl, Thomas Mann, Catarina Valente, Hermann Hesse, Marika Rökk, Richard Strauss, Walter Ulbricht, Carl Zuckmayer, John Steinbeck, Kurt Schumacher, Werner Bergengruen, Heinz Rühmann, Hans Carossa, Grete Weiser, Peter Kraus, Theo Lingen, Hans Albers
Nationale Persönlichkeiten
50er Jahre
Rudolf Prack Evita Péron Fritz Walter Sepp Herberger Heidi Brühl Albert Einstein Kessler Zwillinge Toni Sailer Halla Hans Günter Winkler Romy Schneider Anita Ekberg Lilo Pulver
40er Jahre
60er Jahre
Jimi Hendrix, Indira Gandhi, Christian N. Barnard, Francis Chichester, Janis Joplin, Cassius Clay, Pink Floyd, Frank Zappa, Andy Warhol, Rolling Stones, Beatles, Marlon Brando, John F. Kennedy, Jean Paul Belmondo, Federico Fellini, Alfred Hitchcock, Juri Gagarin, Sean Connery, James Dean, Edith Piaf, Gilbert Bécaud, Clint Eastwood, Bob Dylan, Joan Baez, The Who
Marika Kilius und Hans Jürgen Bäumler Ludwig Erhard Rudi Dutschke Daniel Cohn-Bendit Jürgen Habermas Ralf Dahrendorf Marianne Koch Kurt Georg Kiesinger Willy Brandt Heinz Erhardt Hildegard Knef Heino
70er Jahre
Elvis Presley, Silvia von Schweden, Margaret Thatcher, Martina Navratilova Mutter Teresa Johannes Paul II. Björn Borg Jimmy Carter Salvador Allende Muhammad Anwar es Sadat Bruce Lee ABBA Joseph Beuys Jimmy Connors Uri Geller Anatoli Karpow Queen John Travolta
Eddy Merckx, Jochen Rindt, Erich Honecker, Mark Spitz, Franz Beckenbauer, Kraftwerk Udo Lindenberg, Scorpions Rosi Mittermaier, Wolf Biermann, Reinhold Messner, Helmut Schmidt Nina Hagen Alice Schwarzer Udo Jürgens Peter Alexander Reinhard Mey Otto Waalkes Rote Armee Fraktion Andreas Baader, Ulrike Meinhoff Roy Black Dieter Thomas Heck Ulrike Meyfarth Hans Rosenthal
80er Jahre
Lech Walesa Ronald Reagan Jane Fonda Carl Lewis Michael Jackson Madonna Michail Gorbatschow Garri Kasparow Prince Tina Turner Placido Domingo Mike Tyson Richard Gere Michelle Pfeiffer Tom Cruise
Franz Josef Strauß Friedensreich Hundertwasser Götz George Helmut Kohl Nena Falco Trio Bernhard Langer Boris Becker Joschka Fischer Patrick Süskind Richard von Weizsäcker Michael Groß Katarina Witt Herbert Grönemeyer Die Ärzte Steffi Graf Thomas Gottschalk
90er Jahre
Magic Johnson Joanne K. Rowling Jacques Villeneuve Mika Häkkinen François Mitterand Tom Hanks Spice Girls Nelson Mandela, Frederik de Klerk, Boris Jelzin Saddam Hussein, Taliban Julia Roberts Naomi Campbell Cindy Crawford Monica Seles Mike Powell Stefan Edberg, Ivan Lendl Michael Jordan Bill Clinton Silvio Berlusconi
Claudia Schiffer, Ötzi der Gletschermann, Dieter Baumann, Franziska van Almsick, Henry Maske Michael Schumacher Joachim Król Til Schweiger Jan Ullrich Tony Blair Guildo Horn Günter Grass Gerhard Schröder Tote Hosen Marius Müller Westernhagen Günther Jauch Sabine Christiansen Harald Schmidt Katja Riemann Sven Hannawald Margarete Schreinemakers Verona Feldbusch
2000er
George W. Bush Wladimir Putin Osama bin Laden Kofi Annan Britney Spears
Angela Merkel Karl Lehmann Jürgen Möllemann Papa Ratzi
D.I Entwicklungen auf staatlicher Ebene
145
Im Folgenden werden die zentralen Elemente der Entwicklung der Bundesrepublik im Überblick dargestellt.369 Auf staatlicher Ebene liegt der Schwerpunkt hier vor allem auf den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten. Auf die juristische, wissenschaftliche bzw. technologische und mediale Entwicklung sowie auf die Bedeutung von Kirche, Religion und der staatlichen Institutionen wird im weiteren Verlauf an den Stellen kurz eingegangen, wo sie relevant werden.370 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Davor liegen die Wirren der letzten Kriegsjahre sowie der Zusammenbruch des Deutschen Reiches und des nationalsozialistischen Systems in politischer, rechtlicher und ökonomischer Hinsicht. Die Besatzung durch die vier Siegermächte dauerte an, gekennzeichnet durch Demilitarisierung, Denazifizierung, Dekartellisierung bzw. Demontage und Demokratisierung. Die Versorgung mit dem Notwendigsten lag nach dem Krieg danieder. Es fehlten Wohnraum, Nahrung, Kleidung, Heizung, medizinische Versorgung, Infrastruktur, Verwaltung usw. Viele Menschen waren vermisst, verletzt oder getötet worden. Aus dem Osten strömten Flüchtlinge und Vertriebene. Deutschland wurde in die vier Besatzungszonen geteilt. Aus den Differenzen zwischen den Alliierten, die nicht zuletzt in der Berlinblockade und der Luftbrücke kulminierten, resultierten zwei getrennte deutsche Staaten. Im Osten entstand aus der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik als sozialistischer Staat. In den amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen im Westen schloss man sich nach und nach zusammen. Unter den Leitprinzipien Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft entwickelte sich die Bundesrepublik Deutschland zunächst als bipolares Parteiensystem. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik richteten sich dort zunächst auf den Wiederaufbau, Existenzhilfen und die Wiederherstellung von Arbeitnehmer- und Unternehmerrechten. Auf dieser Grundlage begann auf dem Trümmerfeld Deutschland mit viel Einsatz der Wiederaufbau. Amerikanische Wirtschaftshilfe, Wirtschaftsliberalismus und Sozialgesetzgebung schafften Vertrauen und ermöglichten das Wirtschaftswunder der 50er Jahre. Unter der CDU/CSU-Regierung der Adenauerzeit wurde der Kampf ums Überleben abgelöst durch einen bescheidenen, wachsenden Wohlstand aller. Vollbeschäftigung, Lohnsteigerungen, Konsum und erste Auslandsreisen kennzeichnen diese Zeit. Entsprechend wurde der Ausbau des 369
Eine detaillierte Beschreibung der Geschichte und Entwicklung in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Die Ausführungen basieren im Wesentlichen auf Werken von Görtemaker und Recker jeweils zur Geschichte bzw. politischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Görtemaker 2002 (Geschichtsüberblick) und Recker 2002 (Politische Geschichte der BRD). Eine übersichtliche Zusammenfassung der politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen liefert Hillmert 2001 (Arbeitsmarkt), S. 81 ff. Für eine ausführliche Darstellung sei verwiesen auf Görtemaker 1999 (Geschichte der BRD), Köhler 2002 (Jahrhundertgeschichte) und Ritter 1998 (Über Deutschland) sowie zur Kulturgeschichte auf Glaser 1997 (Deutsche Kultur).
370
Ruppert/Schneewind identifizieren empirisch als bedeutende gesellschaftliche Einflussdomänen Wirtschaft, Politik, Medien/Werbung, Kirche/Religion und Verwaltung/Bürokratie. Als Bedrohung empfundene Faktoren sind Lärm, Umweltverschmutzung, Verkehrsverhältnisse, Klimakatastrophen, Kernkraftwerke, militärische Auseinandersetzungen, unheilbare Krankheiten, unfähige Politiker, Gentechnologie, Gewalt/ Aggression/ Kriminalität, Armut, Asylbewerber, Wirtschaftsflüchtlinge und Arbeitslosikeit. Vgl. Ruppert/ Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 283 und auch Liebau 1997 (Generationenverhältnis), S. 7.
146
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Sozialstaats in Angriff genommen.371 Die Bundesrepublik Deutschland warb Gastarbeiter und versuchte, sich in das westliche Bündnis zu integrieren. Bereits in den 50er Jahren legte der Vertrag über die Bildung einer europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) den Grundstein für die Europäische Union. Die Mitgliedschaft in der NATO begründete die Einbindung in das westliche Verteidigungsbündnis. In Bezug auf die Ostpolitik besiegelte der Mauerbau 1961 auch physisch die Trennung von Ost- und Westdeutschland. Die 60er Jahre brachten neben steigendem Konsum und wachsender Freizeit, das Fernsehen und eine erfolgreiche Bildungsexpansion. Die 68er Studentenunruhen in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Autoritätsstrukturen brachten auch die Gleichberechtigungsbewegung in Gang. In ihrer Folge agierte die Terroristengruppe RAF bis zum deutschen Herbst 1977. Diese Entwicklungen mündeten in einer Ablösung von den überkommenen Rollen- und Autoritätsvorstellungen, einer Lockerung der Kirchenbindung und in der Pluralisierung der Lebensformen. Die zweite Hälfte der 60er Jahre brachte auch ein Abflachen des Wirtschaftswachstums und die ersten Haushaltsprobleme mit sich. Die politische Folge war die Entstehung der großen Koalition, welche die wirtschaftlichen Probleme zunächst auch erfolgreich in den Griff bekam und auf eine Liberalisierung des Rechtssystems sowie den Ausbau der beruflichen Bildung setzte. Sie wurde 1969 von der Koalition aus Sozial- und Freien Demokraten abgelöst. Unter Willy Brandt wurden die Grenzen in Europa, insbesondere die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze anerkannt. Der Grundlagenvertrag und die Ostverträge schufen den Weg zu verbesserten Beziehungen zu den östlichen Nachbarn. In Bezug auf das westliche Bündnis zeichneten sich die 70er Jahre jedoch durch Spannungen innerhalb der Atlantischen Allianz und Stagnation der Europapolitik aus. Innenpolitisch brachten sie neben den durch den Terrorismus bedingten Problemen auch die ersten starken Einbrüche in Konjunktur und Arbeitsmarkt. Die dadurch gestiegenen Sozialausgaben führten zu einer Reihe von Kürzungen im Sozialbereich. In diese Zeit fallen auch die Ölkrise, der erste Smogalarm und weltwirtschaftliche Turbulenzen. Der NATO-Doppelbeschluss 1979 spiegelte die Hoffnung, mit Hilfe der Stationierung von Raketen und Marschflugkörpern mittlerer Reichweite in Westeuropa die Sowjetunion zur Abrüstung zu bewegen. Das nächste Jahrzehnt war ebenfalls gekennzeichnet von politischen Unruhen und Kriegsgeschehen weltweit, jedoch auch von Abrüstungs- und Friedensgesprächen. Dazu kamen Umweltprobleme wie Ozonloch, Waldsterben, Artensterben und Atomkraftproblematik (Tschernobyl) sowie Aids. Politische Verkörperung fanden solche Themen in der Partei der Grünen. Anfang der 80er kam die CDU wieder an die Macht und koalierte mit den Freien Demokraten. Die Regierung unter Helmut Kohl bemühte sich unter anderem mit Hilfe von Kürzungen in den Bereichen Ausbildungsförderung, Rentensteigerung und Leistungen für Arbeitslose um die Reduzierung der öffentlichen Verschuldung und leitete eine gewisse Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ein. Die Verbesserung der außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen brachte in Verbindung damit die gewünschte Konjunkturbelebung. Außenpolitisch waren Sicherheit und Entspannung die Leitlinien und die Bildung der Europäischen Union. Für Deutschland fand das Jahrzehnt seinen Höhepunkt in der Wiedervereinigung. 371
Dazu zählen Familienleistungen, dynamisiertes Rentensystem, allgemeine, existenzsichernde Sozialhilfe, staatliche Preisgarantien und Subventionen der 50er/60er Jahre. Vgl. Hillmert 2001 (Arbeitsmarkt), S. 83.
D.I Entwicklungen auf staatlicher Ebene
147
Global gesehen beginnt mit dem Verlust der Alternative des realen Sozialismus in den 90er Jahren ein postideologisches Zeitalter. Die 90er waren durch den Integrationsprozess der Europäischen Union und die Nachwirkungen der Wiedervereinigung geprägt. Diese mündete in eine Konjunkturkrise, die entsprechende soziale Probleme generierte.372 Die Folgezeit war von aufkeimendem Rechtsradikalismus, wachsender Arbeitslosigkeit und Asylantendebatte, aber auch von technischem Fortschritt und fortschreitendem Umweltschutz. Auf dem internationalen Parkett waren insbesondere bei der europäischen Integration Erfolge zu verzeichnen. 1998 erfolgte der Regierungswechsel zur SPD und zum ersten Mal Den Grünen. Auch die neue Regierung unter Schröder hatte mit den innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Sie konnte die Arbeitslosigkeit nicht eindämmen und notwendige Reformen nicht nachhaltig umsetzen. Dafür stiegen ihr außenpolitisches Ansehen und der Export weiter. Insgesamt ist das wiedervereinigte Deutschland bisher wirtschaftlich, sozial und politisch relativ stabil, zumal das Weltgeschehen seit dem Millennium von Naturkatastrophen, Terrorismus und Krieg geprägt ist.373 Von der neuen großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD unter Angela Merkel wird ein Kurs grundlegender Reformen angesteuert. Im Folgenden stellt sich die Frage, wie sich die beschriebenen demografischen und gesellschaftspolitischen Veränderungen und die aktuellen Zeitströmungen auf die Bevölkerung und die einzelnen westdeutschen Generationszusammenhänge ausgewirkt haben bzw. auswirken.
3
Wertewandel
Zum Thema, ob und in welchem Ausmaß ein Wertewandel in der westlichen Welt zu verzeichnen ist, gibt es eine kontroverse Diskussion in der Wissenschaft. Die teils widersprüchlichen Thesen reichen vom Werteverlust (ELISABETH NOELLE-NEUMANN), über die Stabilität der Werte bis zum kollektiven Wertewandel (RONALD INGLEHART). Des Weiteren wird postuliert, die Bedingungen der industriellen Erwerbsarbeit hätten sich so verändert, dass die aus überkommenen Werten entspringenden Bedürfnisse nicht mehr gedeckt werden könnten. Andere Autoren (HELMUT KLAGES/JOACHIM WOLF) gehen von einer Differenzierung und Individualisierung von Werten aus.374 Entsprechend liegen zum Thema Werte und Wertewandel zahlreiche Studien vor, die sich in Zielrichtung, Methodik, Fundiertheit und Ergebnissen stark unterscheiden. Allein aufgrund der unterschiedlichen Definitionen von Werten ist ein Vergleich hier mehr als schwierig. Da das eigene Wertsystem selbst einem einzelnen Individuum kaum bewusst ist, ist auch die Erfassung mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Außerdem ist das Wertsystem zwar kulturbedingt, aber für die Individuen einer Kultur durchaus unterschiedlich. Personenspezifische Lebensumstände, wie Geschlecht, Alter, Bildungsniveau etc., bilden plurale Wertmuster heraus, die sich umso mehr verästeln je niedriger der Wert in der Wertehierarchie angesiedelt ist. Insofern lassen sich Argumente bzw. je nach Gestaltung der
372
Überhaupt ist in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg eine enge Kopplung der Beschäftigungsentwicklung an die Wirtschaftsentwicklung zu beobachten. Vgl. Hillmert 2001 (Arbeitsmarkt), S. 90.
373
Vgl. dazu Görtemaker 2002 (Geschichtsüberblick) und Recker 2002 (Politische Geschichte der BRD).
374
Vgl. Wolf (Organisation), S. 199 f. und ausführlich Klages 1981 (Wertwandel), Inglehart 1977 (Silent revolution), S. 3. und Inglehart 1998 (Postmodernisierung), S. 192 ff. sowie Noelle-Neumann 1979 (Werte).
148
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Untersuchung auch Belege für jede der oben genannten Thesen finden.375 Es bleibt die Frage, von welcher Auffassung im Folgenden ausgegangen werden soll. Fazit der in Unterkapitel B.III.2 beschriebenen Wertetheorie ist, dass Wertsysteme in etwa hierarchisch aufgebaut sind und dass es nur wenige Grundwerte gibt, welche zentrale Relevanz haben. In Bezug auf das Generationenproblem interessieren vor allem diese Letztwerte, da sie das weitere Wertsystem und auch die arbeitsbezogenen Werthaltungen bestimmen und daher für das Generationshandeln dort relevant sind. Zu Letzt- und Arbeitswerten lassen sich folgende Aussagen treffen. Trotz aller methodologischen Kritik vor allem an den Querschnittsanalysen kommt WEBER zu dem Schluss, dass das Phänomen des epochalen, generationentypischen Wandels als zureichend belegt gelten kann.376 Die These des Wertewandels bietet sich zumindest in Teilen der Gesellschaft als zentrales Deutungsschema an. Im Rahmen der Werteforschung wurden auch die Wechselwirkungen und die Konsequenzen des Wertewandels für das Wirtschaften von Unternehmen, deren Formen der Leistungserstellung und die dort vollzogenen menschlichen Arbeitsprozesse empirisch erforscht. Die Ergebnisse sind vielfältig. Einigkeit besteht weitgehend darin, dass die arbeitsbezogenen Werte in Teilen der Gesellschaft dem Wandel unterworfen sind und das arbeitsidealisierende Wertsystem seine dominante handlungsleitende Wirkung langsam verliert.377 Das Wertsystem der Gesellschaft ist wesentlicher Teil der Unternehmensumwelt und deshalb bei nach außen gerichteten Entscheidungen zu berücksichtigen. Im Innenverhältnis ist es für das Humankapital der Unternehmung entscheidend. Dies betrifft das Wissen um veränderte Ansprüche der Arbeitnehmer. Die organisatorische Gestaltung und Einbindung dieser Bedürfnisse in die Unternehmensstrukturen sind unabdingbar für erfolgreiche Unternehmensführung. Problematisch ist hier die Überlagerung von alten und neuen Werten beim einzelnen Arbeitnehmer und zwischen den Arbeitnehmern. Für das Führungsverhalten ist zusätzlich die Diskrepanz in den Wertestrukturen zwischen Führenden und Geführten zu berücksichtigen. Gefragt ist also das Wissen um Ausgangspunkt, Stärke und Richtung von Werteverschiebungen, um das betriebliche Anreizsystem entsprechend gestalten zu können. Gesucht sind Wertetypen, die sich bestimmten Arbeitnehmergruppen zuordnen lassen. Dafür bietet sich die Einteilung in Altersgruppen oder Generationen an. Auf dieser Basis ist ein gezielteres, differenzierteres und beschleunigtes Personalmanagement möglich.378 Zunächst stellt sich also die Frage nach den in Deutschland gültigen Grund- und Arbeitswerten. Die von der Gesellschaft geprägten Letztwerte finden ihren Niederschlag weltweit in Menschenrechtserklärungen und kodifiziertem Recht. Die wichtigsten international anerkannten Menschenrechte sind in der UNO-Resolution 217 A (III) vom 10. Dezember 1948 niedergelegt. Sie lauten: Freiheit, Gleichheit, Würde, Sicherheit, Mitbestimmung, Privatheit, Freizü375
Zu den teilweise widersprüchlichen Ergebnissen der internationalen Werteforschung vgl. zum Beispiel Dugan/Smith/Trompenaars 1996 (Values of employees), Hofstede 1984 (Culture’s consequences), Inglehart 1977 (Silent revolution) und 1998 (Postmodernisierung), Sagie/Schwartz 2000 (Value consensus).
376
Vgl. Weber 1987 (Generationenkonflikte), S. 104 ff.
377
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 1.
378
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 1 ff.
D.I Entwicklungen auf staatlicher Ebene
149
gigkeit, Meinungsfreiheit, Erholung, Freizeit und Bildung.379 Dabei unterscheiden sich die kodifizierten Grundwerte der westlichen Industrienationen nicht wesentlich voneinander.380 Dies spiegelt sich auch in den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Grundrechten. Es handelt sich um Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubensfreiheit, Recht der freien Meinungsäußerung, Familie, Ausbildung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Postgeheimnis, Freizügigkeit, Berufsfreiheit, Wehr- bzw. Dienstverpflichtung, Unverletzlichkeit der Wohnung, Eigentum und Erbrecht, Asylrecht und Petitionsrecht.381 Hier werden Werte als Normen von nationaler Gültigkeit festgeschrieben. Es handelt sich um den Minimalkonsens der deutschen Demokratie, der einen gewissen Interpretationsspielraum beinhalten muss. In den 50er Jahren wurde zum Beispiel Freiheit als Abwesenheit von Zwang gesehen, während sie in den 80er Jahren auch als individuelle Unabhängigkeit interpretiert wurde. In der Präambel wird Frieden deutlich herausgehoben. Dies zeigt die besondere zeitgeschichtliche Bedeutung dieses Wertes in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Weitere Wertvorstellungen der Gesellschaft sind im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Dazu kommen die auf Organisationenebene niedergelegte Grundsätze und eine Vielzahl von ungeschriebenen Gesetzen und Normen geringerer Wichtigkeit und größerer Wandlungsfähigkeit. Als weiteres zeitgeschichtliches Beispiel zur Verschiebung der Werteprioritäten ist die Umweltschutzgesetzgebung zu nennen.382 Für einen Wertewandel und eine Verschiebung in den Prioritäten sprechen die Ergebnisse der internationalen Studie von INGLEHART. In „The silent revolution“ postuliert er den generellen Wertewandel in den westlichen Staaten von materiellem Wohlstand und physischer Sicherheit hin zur Lebensqualität. Als Ursachen der Verschiebung von materialistischen zu postmaterialistischen Werten im politischen Bereich nennt er eine positive stabile ökonomische und technologische Entwicklung, die Verschiedenheit der Kohortenerlebnisse, steigendes Bildungsniveau und die Ausdehnung der Massenkommunikation in Verbindung mit dem Ansteigen der geografischen Mobilität. Die ersten drei Ursachen bedingen den Wertewandel auf der individuellen Ebene. Hier verschiebt sich der Schwerpunkt von materiellen Bedürfnissen zu Bedürfnissen nach Zugehörigkeit, Wertschätzung und Selbstverwirklichung. Die beiden letzteren Punkte führen zu einer Änderung der individuellen Fähigkeiten, wie zum Beispiel der Kenntnisse über Politik und dem Umgang damit. Die Konsequenzen auf der Makroebene liegen vor allem in Veränderungen der politischen Schwerpunktsetzung und Beteiligung.383 379
Vorläufer dieser Deklaration sind zum Beispiel die britische „Magna Charta Libertatum“ von 1215, die „Bill of Rights“ der USA von 1779 und die französische „Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen“ von 1789. Hier werden grundlegende Werte als Grundrechte, zum Beispiel als Abwehrrechte gegen die Obrigkeit festgeschrieben. Vgl. Waxenberger 2001 (Integritätsmanagement), S. 243.
380
Für die USA ergaben sich in einer Studie zum Beispiel die individuellen Letztwerte: komfortables und sinnvolles Leben, Erlösung, nationale Sicherheit, weltweiter Frieden, Gleichheit, Freiheit, Reife, Respekt von anderen, Respekt für andere, echte Freundschaft und Weisheit. Vgl. Rokeach 1986 (Beliefs), S. 169 ff.
381
Vgl. GG Artikel 1 - 17 in der Fassung vom 23.05.1949, bestätigt durch die Präambel vom 31.08.1990.
382
Knappheitserfahrungen spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Vgl. Hinske 1987 (Generationenkonflikt anthropologisch), S. 15 f.
383
Vgl. Inglehart 1977 (Silent revolution), S. 3 ff.
150
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
INGLEHART verfestigt in einer weiteren Studie seine Thesen und kommt mit Hilfe der internationalen World-Values-Surveys 1990 zu dem Ergebnis, dass sich der Wandel zu postmaterialistischen Werten in allen Gesellschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten eine wesentliche Verbesserung des Niveaus der ökonomischen Sicherheit erreicht haben, vorwiegend bei den jüngeren Generationen niederschlägt. Existenzsicherheit führe also zum Aufkommen postmoderner Werte. Damit lasse sich unter anderem aus der ökonomischen Situation und der Werteverteilung einer bestimmten nationalen Geburtskohorte das Ausmaß des durch den Generationswechsel bedingten Wertewandels in einem bestimmten Zeitraum schätzen.384 LUTZ VON ROSENSTIEL fasst die Entwicklung der wichtigsten allgemeinen Rahmenbedingungen der Wertveränderung in der deutschen Arbeitswelt wie folgt zusammen: steigender Wohlstand, steigendes Bildungsniveau, sinkende Kontrollierbarkeit und Überschaubarkeit der hoch bürokratischen und technisierten Welt sowie sichtbare Belastung der natürlichen Umwelt. Damit dürften junge Arbeitnehmer heute qualifizierter sein als ältere Arbeitnehmer es mit Betreten des Arbeitsmarktes waren. Die sinkende Kontrollierbarkeit und Überschaubarkeit erfordert zusätzlich mehr soziale Kompetenz und technisches Wissen. Entsprechend wird der Arbeitnehmer an die Anreizgestaltung im Unternehmen höhere bzw. andere Ansprüche stellen können, zumal er materiell besser abgesichert sein dürfte als seine Vorgängergenerationen. Daraus könnten eine gewisse Unabhängigkeit und auch ein gewisses Anspruchsdenken resultieren, die sich zum Beispiel bei Nichterfüllung der Forderungen des Arbeitnehmers leicht in einem Wechsel der Arbeitsstelle äußern dürften. Die wesentlichen konkreten Trends des Wertewandels im Unternehmensbereich seien: Säkularisierung aller Lebensbereiche, Betonung eigener Selbstentfaltung und des eigenen Lebensgenusses, Gleichstellung und Emanzipation der Frauen, abnehmende Bereitschaft zur Unterordnung, sinkende Bedeutung der Arbeit als einer Pflicht, Höherbewertung von Freizeit, Wertschätzung unzerstörter Natur, Bewahrung der eigenen körperlichen Gesundheit und Skepsis gegenüber den Leitwerten der Industrialisierung (wie Wachstum, Gewinn oder technischer Fortschritt).385 Die klassische Arbeitsmoral der Deutschen hat einem Paradigmenwechsel von „leben, um zu arbeiten“ zu „arbeiten, um zu leben“ Platz gemacht. Erst die seit den 90er Jahren anhaltende Welle der Arbeitslosigkeit hat den Wert der Arbeit wieder steigen lassen. Trotz zunehmender Freizeitorientierung und Verwischung der Grenzen zwischen Privat- und Freizeitbereich, findet die vielfach befürchtete Leistungsverweigerung im Berufsleben nicht statt. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung können sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. Die Arbeitsproduktivität der Deutschen ist steigend. Das Bedürfnis, in der Arbeit etwas zu leisten, ist größer denn je und Lebensfreude umfasst Freude an der Arbeit.386 Auch Jugendliche messen der Er384
Die World-Value-Surveys beinhalten umfangreiche Zeitreihendaten zur ökonomischen und politischen Entwicklung in 43 Ländern (auch Ost- und Westdeutschland) vom frühen 19. Jahrhundert bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Vgl. dazu Inglehart 1998 (Postmodernisierung), S. 11 ff., S. 102 f. und S. 192 ff.
385
Vgl. Rosenstiel (Organisationspsychologie), S. 56.
386
Die Langzeitstudie zur Leistung von Meulemann bescheinigt der Arbeit in Deutschland einen hohen Stellenwert. In den 50er Jahren sahen ca. 60 % Arbeit als Berufung, 1990 noch knapp 50 %. Der Hauptrückgang der intrinsichen Arbeitswerte lässt sich zwischen 1965 und 1970 lokalisieren. Vgl. Meulemann 1992 (Value change), S. 205 ff. Zentrale Werte bleiben Selbstvertrauen, Fleiß und Leistungsstreben, jetzt vor Gehorsam. Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 293 ff. und Jung 1999 (Personalwirtschaft), S. 830.
D.I Entwicklungen auf staatlicher Ebene
151
werbsarbeit einen zentralen Stellenwert in ihrer Biografie zu und fürchten Arbeitslosigkeit. Sie streben ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Leistungs-, Genuss- und Sozialorientierung im Sinne einer Balance zwischen Wohlstand, Wohlbefinden und Wohltaten an.387 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Stellenwert der Familie, insbesondere im Vergleich zum Berufsleben. Dieser ist für alle Altersgruppen ab einem Alter von ca. 25 Jahren sehr hoch. Nach einer Untersuchung von ANNA BRAKE messen Jugendliche 2003 der Familie einen sehr hohen Stellenwert zu. 70 % der jungen Männer und Frauen zwischen 18 und 21 Jahren bejahten, dass sie in der Zukunft stabile Partnerschaft mit idealerweise 2 bis drei Kindern haben wollen. Da jedoch auch die Erwerbstätigkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt, wird es zunehmend schwieriger, dieser doppelten Zielsetzung und den Freizeitoptionen gerecht zu werden. Nach der demografischen Entwicklung steht zu erwarten, dass trotz der kinderfreundlichen Einstellung mehr als ein Drittel der befragten Frauen kinderlos bleiben werden.388 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für Westdeutschland die im Rechtssystem, vor allem im Grundgesetz verankerte Werte maßgebend sind. Es kann von der Annahme eines langsamen Wertewandels ausgegangen werden. Die Werte scheinen sich dabei nicht grundlegend, sondern in ihrer Priorisierung zu ändern. Sie werden innerhalb der Familien augenscheinlich weitergegeben. Die Bedeutung der Familie zum Beispiel in Kombination mit der Tatsache, dass sich die Frauen in der Arbeitswelt mehr und mehr emanzipieren, lässt erkennen, dass selbst dieser langsame Wandel zumindest mittelfristig erhebliche Auswirkungen auf das Unternehmensgeschehen haben kann. Die Frage, ob dieser Wandel alters-, generations-, periodenbedingt oder eine Kombination dieser Faktoren ist, bleibt allerdings noch zu beantworten. Die gesellschaftliche Lebenszufriedenheit ist trotz des zunehmenden Wohlstands als sinkend einzuschätzen. Der Trend geht hier zur Zunahme negativer Bereiche und der Bedrohungen durch Technologie und soziale bzw. schicksalhafte kollektive Einflüsse. Egoismus und Orientierungslosigkeit nehmen zu. Die persönliche Lebenszufriedenheit hingegen hat deutlich zugenommen. Die hedonistische Einstellung zeigt sich hier in einer Zunahme der Bedeutung der Karriere. Diese Trends gelten für beide Geschlechter und nicht nur für Jüngere.389
387
Dies zeigt den normativen Stellenwert der Arbeit für ein glückliches Leben und ihre Funktionen der materiellen Absicherung und Sinnstiftung. Allerdings gehen nur 60 % der Jugendlichen davon aus, ihren Lebensunterhalt später durch Erwerbsarbeit absichern zu können. Freizeit hingegen ist nur ein Lebensbereich neben anderen. Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 378.
388
Die Befragung umfasste 1.108 deutsche junge Erwachsene, zwischen 18 und 21 Jahren (Studierende/Gymnasiasten/Auszubildende/Wehrdienstleistende/Zivildienstleistende). Nur 3 % stimmen gegen eine eigene Familie. Erwerbstätigkeit wird generell höher geachtet als die häuslichen und pflegenden (unbezahlte) Tätigkeiten. Die Jugendlichen geben als weitere Gründe für den Geburtenrückgang familienpolitische Handlungsdefizite, gesellschaftliche Risikolagen und ein kinderfeindliches Klima an. Die mit der Gründung der Familie einhergehenden Einschränkungen der Unabhängigkeit und der finanziellen Ressourcen werden tendenziell für weniger bedeutend gehalten. Vgl. Brake 2003 (Lebensqualität), S. 142 ff., S. 226 f., S. 244 f., und S. 283 ff. und Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 261 ff.
389
Vgl. Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 282 und S. 316 f.
152
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
II Generationenprägung in Familie und Unternehmung 1
Entwicklungen auf der Familienebene
Im Rahmen der demografischen und allgemeinen Entwicklung wurde bereits deutlich, dass die Generationenverhältnisse auf der Ebene der primären Sozialisationsinstanzen sich mehr und mehr verschieben. Diese Verschiebungen betreffen sowohl die Schule und andere Institutionen als auch in besonderem Maße die Familie. Zentrale Aspekte des familiären Umfelds sind das Familienleben und die Partnerschaft, Geselligkeit und Freundschaftsbeziehungen, der eigene Körper, Arbeit und Beruf, Bildung, Freizeit, Urlaub und Reisen, Erotik und Sex.390 In der Familie leben immer mehr Generationen gleichzeitig. Die Eltern- und teilweise Großelterngenerationen übernehmen die Pflege der Urgroßelterngeneration. Die potenzielle Ehedauer steigt mit zunehmender Lebensdauer, auch wenn die Ehen später geschlossen und häufiger geschieden werden. Die Zahl der Geburten schrumpft und verlagert sich altersmäßig nach hinten und die Familienformen werden pluraler. Häufig sind beide Eltern berufstätig und arbeiten an verschiedenen Orten oder sie leben getrennt. Bei Wiederverheiratung vergrößert sich die Familie. Auf die Veränderungen der letzten Jahrzehnte in den Sozialisationsbedingungen bezüglich Familienstruktur, räumlicher Umwelt, gegenständischer Ausstattung (insbesondere Technisierungsgrad), Moralvorstellungen, Erziehungsstil und Alltagsorganisation des Familienlebens soll hier detaillierter eingegangen werden.391 In den 50er Jahren war die räumliche Umwelt durch einen ständigen Wandel geprägt. Wiederaufbau, Verkehrsentwicklung und Verstädterung ließen die Trümmergrundstücke schwinden und schränkten zumindest die Räume der Kinder in den Städten ein. Dafür normalisierten sich die Versorgungslage, die Wohnbedingungen und die gegenständische Ausstattung der Familien, zum Beispiel mit Haushaltsgeräten, Spielzeug, Konsum- und Medienangeboten, verbesserten sich. Die Technokratisierung weitete sich auf alle Lebensbereiche sowohl auf den Arbeitsplatz als auch auf Wohn- und Nachbarschaftsverhältnisse aus. Entsprechend wurde die Alltagsorganisation notwendig, sie mündete in längeren Schul- und Ausbildungszeiten, organisierter Freizeit und gestrafften Tagesverläufen. Die Väter waren zurückgekehrt, die Mütter nahmen Anfang der 50er Jahre wieder eher häusliche Rollen ein und begannen, sich mehr um die Kinder zu kümmern und sie zu kontrollieren. Die Kinder verloren die Selbstständigkeit, die sie bei der Nahrungsbeschaffung und in der Aufbaumitarbeit gewonnen hatten, wieder an das autoritäre Familienbild und den traditionellen Sonntagsspaziergang. Körperliche Züchtigungen waren in den 40er und 50er Jahren kein unübliches Erziehungsmittel.392 390
Vgl. Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 283.
391
Vgl. zur Gesamtenwicklung Büchner 1995 (Verhaltensstandards), S. 196 ff., Geulen/Preuss-Lausitz/Zeiher 1995 (Sozialisationsgeschichte), S. 15 ff. und Geulen/Schütze 1995 (Kriegskinder und Konsumkinder), S. 34, S. 44 ff. und S. 52.
392
Zur Entwicklung dieser Generation haben Birkelbach/Hellwig/Meulemann Nordrhein-westfälische Gymnasiasten im Alter von ca. 16, 30 und 43 Jahren befragt. Diese bildungsprivilegierte Gruppe weigerte sich mit 30 noch weitgehend als erwachsen zu gelten, hat aber inzwischen den Übergang ins Erwachsenenleben vollzogen. Aktuell sind 96 % der Männer und 76 % der Frauen erwerbstätig und weitgehend zufrieden. Beruf, Partnerschaft, Freizeit, Freunde verlieren zugunsten von Familie (1 bis 2 Kinder) und Religion an Zentralität. Vgl. Meulemann 2001 (Identitätswahrung), S. 407 ff. und die Einzelbeiträge dieses Bandes.
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
153
Die Eltern versuchten wieder Normalität zu schaffen und die vorpolitischen, familiären Werte zu verwirklichen, die als einzige noch tragfähig erschienen. Der Fall des Faschismus und die noch nicht erfolgte Gewöhnung an die Demokratie ließen ihnen zunächst nur diese Alternative. In der Bundesrepublik wurden die westlichen Werte vor allem der USA und natürlich auch deren Wirtschaftshilfe begrüßt. Das positive Bild der Amerikaner führte bald auch zum Import von Konsumgütern wie Kaugummi, Jeans, Coca-Cola etc., insbesondere jedoch von Musik. Nach dem Jazz kam der Rock ’n’ Roll. Ende der 50er Jahre gingen die Frauen wieder zunehmend arbeiten. Steigende Löhne schafften ein konsumfreudiges Klima und ermöglichten Investitionen in die Kinder. Damit einher ging ein Wandel der Moralvorstellungen, der sich in der Säkularisierung der Psyche und dem Einflussverlust der Kirche spiegelte.393 HELGA ZEIHER beschreibt anschaulich, wie das Aufwachsen der Kinder, das früher durch eine langsame Eroberung der Wohnung, des Hauses, der Straße und schließlich des Ortes, Viertels und der Stadt gekennzeichnet war, immer mehr auf kindgerechte Orte beschränkt wurde. Damit schrumpften auch ihre Freiräume von Beaufsichtigung. Unbebaute Grundstücke wurden bebaut oder zumindest „flurbereinigt“, ordentliche Grünanlagen entstanden. Das Spielen mit Kindern unterschiedlichen Alters auf der Straße wurde durch Verbote vor allem in den Wohnblocksiedlungen und durch den Verkehr stark begrenzt. Die Kinder wurden immer mehr auf spezielle Einrichtungen, wie die in den 60er Jahren entstehenden Kindergärten, Horte, Kinderspiel- und Sportplätze, eingeschränkt.394 Die um 1960 geborenen Kinder wuchsen trotz der Wirtschaftskrise Mitte der 60er Jahre in einem stabilen Familienkontext auf, der bürgerlich und im Gegensatz zu der Generation der Nachkriegsjugend nicht autoritär war. Geringe Frei- und Spielräume wurden kompensiert durch neuartige mediale Anregungen wie Comic, Mädchenbücher und Fernsehen. Die sexuelle Aufklärung erfolgte in der Schule und erste Freundschaften mit dem anderen Geschlecht wurden ab 14 Jahren toleriert.395 1975 schildern EDITH FRINGS-KAMMERICHS und HELLMUT SCHÜLLER die Jugendkrise der „schwierigen“ Generation. Die Instabilität und Zerrissenheit in den Beziehungen, das Fehlen von verlässlichen Leitbildern und Erziehungsmodellen nach der „anti-autoritären“ Ära führe zur Verunsicherung von Eltern- und junger Generation. Hohe Freiheitsgrade, Wertunsicherheiten, das Infragestellen von Religion, Rationalität und Technisierung kennzeichneten die Leistungs- und Konsumgesellschaft. Die daraus resultierenden Sinnverluste und Identitätskrisen führten zu einer Suche nach Stabilität, echter Kommunikation und Gemeinschaft über äußerliche Merkmale wie Rasse etc. hinweg und einer Sensibilisierung für das Menschliche. Ein Hang zum Künstlerisch-Expressiven beispielsweise in Kleidung, Musik und Tanz, das politische Streben nach Sinn beispielsweise mit Karl Marx, Mao Tse-tung, Che Guevara und die religiöse Sinnsuche nach Sinn in Rausch, Okkultismus, Parapsychologie etc. in der Folge mündeten häufig in Verhaltensstörungen, Drogensucht und Kriminalität.396
393
Vgl.Büchner 1995 (Verhaltensstandards), S. 196 ff., Geulen/Preuss-Lausitz/Zeiher 1995 (Sozialisationsgeschichte), S. 15 ff. sowie Geulen/Schütze 1995 (Kriegskinder und Konsumkinder), S. 34 und S. 44 ff.
394
Vgl. Zeiher 1995 (Räume), S. 176 ff.
395
Vgl. Geulen/Schütze 1995 (Kriegskinder und Konsumkinder), 52 ff.
396
Vgl. Frings-Kammerichs/Schüller 1975 (Jugendkrise), S. 27 ff.
154
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
In den 80er Jahren machte sich der Pillenknick als Zeichen noch bewussterer Steuerung der ohnehin nicht hohen Kinderzahl bemerkbar. Spielen auf der Straße wurde durch Spielen im Haus in den entstehenden Kinderzimmern ersetzt. Fernsehen, Computer und verkonsumisiertes Spielzeug gewannen zu Lasten des unbeaufsichtigten Spielens mit anderen Kindern an Bedeutung. Das Leben der Kinder wurde durch die verschiedenen Termine zu Schule, Sportstunden, Treffen mit Freunden, Musikunterricht usw. bestimmt. Dabei waren sie im Wesentlichen auf die Erwachsenen und deren Zeitplanung angewiesen, um von einem kindgerechten Ort zum anderen und zu anderen Kindern zu gelangen. Von Eltern und Großeltern wurden diese Wunschkinder emotional, finanziell und zeitlich massiv unterstützt und gut ausgebildet. Die Mädchen dieser Zeit gehören der ersten Generation an, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern als selbstverständlich annimmt. Für einen Teil der Kinder war das Leben durch Trennungen geprägt, verursacht durch die Berufstätigkeit der Mütter, die berufliche Mobilität der Eltern und Scheidungen der Eltern oder im näheren Umfeld.397 Medien und Technik wie Video und Mikrowelle wurden selbstverständlicher Teil des Alltags.398 Mit Waldsterben, Tschernobyl, Aids etc. wurden die Bedrohung von Umwelt und Gesundheit für alle spürbar.399 Laut JUTTA ECARIUS wandelte sich die Jugend von einer kritischen Jugend der 70er Jahre zu einer verwöhnten und etwas apathischen „Null-Bock-Generation“ der 80er Jahre. Mitte der 80er Jahre wurde dann auch nicht mehr vom Generationenkonflikt, sondern von der Destandardisierung der Jugendphase gesprochen.400 Generationsübergreifend war zu diesem Zeitpunkt im Vergleich zu den zu den 50er Jahren die abnehmende Bedeutung kirchlicher und konfessioneller Bindungen für Biografie und Alltag deutlich feststellbar.401 Zur Zeit der Wende waren ca. 12 % der Schülerinnen und Schüler in Westdeutschland nichtdeutscher Herkunft.402 Die Vielfalt der Lebenswelten, denen sich Kinder zu Beginn der 90er Jahre bereits täglich gegenüber sahen, lässt sich unter ethnischen, sozialen, geschlechtsspezifischen, kulturellen und ökonomischen, gesundheitsbedingten oder religiösen Aspekten bündeln. In dieser Vielfalt liegt die Gefahr der Irritation über die Richtigkeit der eigenen Lebensform der Kinder, gepaart mit der Chance, in der Konfrontation Selbsterkenntnis, Kritikfähigkeit, Selbstständigkeit und Weltoffenheit früh zu lernen. Den Kindertagesstätten, -gärten und Schulen kam in der Sozialisation und auch in der Integration dieser pluralistischen Welt eine zentrale Rolle zu, insbesondere wenn die Eltern aufgrund der doppelten Erwerbstätigkeit weniger Zeit für die Kinder hatten. Tugenden, wie Ordnung, Disziplin, Gehorsam oder for397
Vgl. Zeiher 1995 (Räume), S. 176 ff.
398
Nicht nur in ihrer Kindheit und Jugend, sondern auch als junge Erwachsene hat dieser Generationszusammenhang ständige technische Neuerungen wie Kassettenrekorder, Walkman, CD-Spieler, Kabel- und Satellitenfernsehen, Handy, PC, Laptop, Palm Pilot, DVD, Digitalkamera usw. als Selbstverständlichkeit erlebt.
399
Vgl. Preuss-Lausitz 1993 (Kinder des Jahrhunderts), S. 40 ff. und 50 ff. Die kulturellen Folgen der Umweltproblematik waren und sind für die Medienkinder im Alltagsleben greifbar, in Form von Katalysatorauto, Wasserspartaste, gelbem Sack und Containern, Jute-statt-Plastiktasche, Umweltpapier, Pfandflasche usw. Ihre Lösung für das Aidsproblem besteht in Kondomen und Treue.
400
Vgl. Ecarius 2002 (Familienerziehung), S. 46 ff.
401
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung 2003 (Generationenstudie 2002), S. 28 f., Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 261 ff. und Zinnecker 1987 (Jugendkultur), S. 319 f.
402
In Ostdeutschland war dies nur ein verschwindend geringer Teil (1989: 0,4 %). Dafür gab es 50 % Einzelkinder, im Westen nur ca. ein Drittel. Vgl. Preuss-Lausitz 1993 (Kinder des Jahrhunderts), S. 40 ff.
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
155
melle Höflichkeitsregeln verloren dafür in den 90er Jahren an Bedeutung. Das Erziehungsklima hatte sich bei stark abgeschwächter Autorität und Vorbildfunktion der pädagogischen Bezugspersonen liberalisiert. Erziehungsziele wie Selbstbewusstsein und die Erziehungstechnik „Verhandeln“ sowie eine triebfreundlichere Körperkultur herrschten vor.403 Kinder wurden als finanzielle und emotionale Investition, quasi als Humanvermögen der Gesellschaft verstanden. Vor allem die Investitionen der Eltern in die immer längere und bessere Ausbildung der Kinder stiegen.404 Anfang der 90er Jahre mussten die Kinder in Deutschland meist nicht im Haushalt mitarbeiten und konnten einiges Geld für Konsum, insbesondere moderne Technik und Kleidung sowie Erlebniskonsum, ausgeben.405 Der Umgang mit Medien und technischen Geräten und damit mit einer Flut von Informationen meist aus zweiter Hand ist den Jugendlichen vertraut. Die „Jugend von heute“ bevorzugt wie auch die Gesamtbevölkerung Fernsehen, gefolgt von Radio und Büchern. Videofilme und -spiele, CDs, Zappen und Pay-TV ermöglichen gezielten Konsum. Die Kommunikation über Telefon, Handy und Internet nimmt immer mehr zu und ist wichtig für Status und Beziehungen. Die Medien schaffen neue Freiräume. Gleichzeitig nimmt ihr Einfluss auf die Kindesentwicklung zu Lasten des Einflusses von Schule und Elternhaus augenscheinlich zu. Damit wird die Erziehung zur Medienkompetenz eine wichtige Aufgabe.406 Ende der 90er Jahre interessieren sich die Kinder sehr für Umweltprobleme, was von den Eltern positiv gewertet wird. Hier tritt oftmals ein von den Kindern ausgehender erzieherischer Effekt bezüglich umweltbewussten Handelns auf. Angesichts der starken Thematisierung in den Medien über Katastrophen Naturzerstörung und -gefährdung sind Kinder jedoch trotzdem verunsichert.407 Trotz der negativen Konjunkturentwicklung sind den Jugendlichen ethische Ziele, wie die Lösung von Umweltproblemen und die Friedenssicherung, wichtiger als materielle Dinge, wie die Bekämpfung des Preisanstieges oder die Erhaltung des Lebensstandards. Sie sind dabei durchaus bereit, sich zu engagieren.408 Die meisten genannten Tendenzen haben sich in jüngster Zeit weiter verstärkt. Gemäß ihren empirischen Forschungsergebnissen beschreibt zum Beispiel ROSEMARIE NAVE-HERZ das fa-
403
Vgl. Behnken/Maschke/Stecher/Zinnecker 2002 (Jugendgeneration), S. 13.
404
Mädchen nutzten die stark verbesserten Bildungschancen (insbesondere Schulabschlüsse), während Jungen verunsichert waren, weil das Männerbild in der Krise steckt. Vgl. Bertram 1997 (Familien leben), S. 124 ff.
405
Viele Jugendliche haben Schwierigkeiten, sich zeitliche, psychosoziale oder finanzielle Grenzen zu setzen. Sehnsucht nach Grenzerlebnissen in einer reizüberfluteten Wohlstandsgesellschaft und Aggressivität steigen über die natürliche Hemmschwelle. Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 107 ff. und S. 230 ff.
406
86 % der Befragten zwischen 14 und 29 Jahren nennen Fernsehen als regelmäßige Aktivität im Vergleich zu 91 % über alle Altersstufen. Radio wird von 66 % bzw. 69 % genannt, Bücher von 38 % bzw. 37 %. Bei Jugendlichen weniger beliebt ist die Zeitung, dafür nutzen sie PC, Internet, E-Mail und Mobiltelefon etwa doppelt so häufig wie die Gesamtbevölkerung. Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 125 ff. 2000 besaß ca. jeder Dritte in Deutschland einen PC. Vgl. Feibel 2001 (Internetgeneration), S. 18.
407
Vgl. Wehrspaun 1997 (Umweltbewusstein), S. 194 und S. 199.
408
Die Jugendlichen engagieren sich für Feuerwehr, Rettungs-, Sozial- und Betreuungsdienste. Dennoch verliert unbezahlte Tätigkeit zugunsten von Individualinteressen und Unverbindlichkeit an Status. Vereine verzeichnen Passivität und Mitgliederverlust. Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 226 ff.
156
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
miliäre Umfeld um die Jahrtausendwende wie folgt. Die multilokale Mehrgenerationenfamilie lebt in der Regel in verschiedenen Haushalten, jedoch in räumlicher Nähe mit häufigen Kontakten und gegenseitiger Unterstützung. Die Jugendlichen wohnen bis zu einem Alter von ca. 20 Jahren hauptsächlich bei den Eltern.409 Die Wertschätzung von Ehe und Familie ist bereits bei 80 % der Jugendlichen hoch und verstärkt sich mit zunehmendem Alter, insbesondere in der Lebensphase zwischen 20 und 30 Jahren.410 In diese Phase fällt auch das zunehmend häufigere Zusammenleben unverheirateter Paare. Sobald der Wunsch nach Kindern konkret wird, münden die Beziehungen meist in eine Ehe.411 Im Gegensatz zur Familie verlieren Tradition und Religion an Bedeutung.412 Dieser Trend geht mit einer Abwanderung der metaphysischen Handlungsinteressen zu Sekten und „Privatreligionen“ einher. Gleichzeitig ist eine globale Verschiebung von religiösen und altruistischen Werten wie Nächstenhilfe oder Umweltschutz hin zu Sport, Wissenschaft und Kommerz zu beobachten.413
2
Wandel der Geschlechtertypisierung
Generationenthemen sind häufig auch Geschlechterthemen. Das Geschlecht ist neben dem Alter ein wichtiger Faktor für den Erwerb von sozialem Status.414 Die Veränderungen der in der Familie erlernten Geschlechterrollen und der daran geknüpften Bedürfnisse der Arbeitnehmer spielen im Berufsleben eine große Rolle. Aus diesem Grunde soll dieses Merkmal der generationsbedingten Geschlechtertypisierung im Arbeitsleben hier noch einmal genauer betrachtet werden. Die Ergebnisse der Geschlechterforschung lassen sich wie folgt zusammenfassen. Das Geschlecht ist biologisch bestimmt und im Geschlechtsstereotyp der Kultur bzw. des Individuums verankert. Psychologische Merkmale sind oft geschlechtstypisch verteilt, aber die Verteilungen der beiden Geschlechter überlappen sich stark und die Unterschiede
409
Auch später bleiben insbesondere Söhne wohlhabender Eltern noch bis zu einem Alter von ca. 30 Jahren im elterlichen Haushalt, kehren in Notlagen zurück und nehmen finanzielle und hauswirtschaftliche Leistungen, Beratung und emotionaler Unterstützung in Anspruch. Vgl. Nave-Herz 2000 (Intergenerational relations), S. 230 ff. Räumliche Nähe bedeutet hier weniger als eine Autostunde, was den Großeltern zum Beispiel auch die Mitwirkung an der Enkelbetreuung ermöglicht.
410
Familie steht zur Jahrtausendwende im Stellenwert ganz oben. Dies gilt bereits für 60 von 100 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren, für 78 Befragte der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre und für jeweils 90 %, 93 % und 95 % der folgenden Altersgruppen. Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 261 ff. und auch die Forschungsergebnisse von Brake 2003 (Lebensqualität), S. 142 ff.
411
Nach Behnken zogen Mädchen Anfang der 90er mit 21/22 Jahren von zu Hause aus und mit einem Partner zusammen. Sie heirateten mit 27 Jahren. Die Jungen zogen mit 23 aus, mit 27 mit der Partnerin zusammen und heirateten ab 29 Jahren (Medianangaben). Vgl. Behnken/Zinnecker 1992 (Statuspassagen), S. 139 ff.
412
Vgl. Nave-Herz 2000 (Intergenerational relations), S. 216 und S. 221 ff. Unter den Jugendlichen messen nur 25 % der Befragten der Religion große Bedeutung bei, in der Ruhestandsphase sind etwa zwei Drittel. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 261 ff.
413
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung 2003 (Generationenstudie 2002), S. 28 f., Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 257 und Zinnecker 1987 (Jugendkultur), S. 319 f.
414
Vgl. Lüscher 1997 (Herausforderungen), S. 35 f. und Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 149. Trotz gesellschaftstheoretischer Neubestimmung von Generation und Geschlecht bleiben empirisch wahrnehmbare Unterschiede zwischen den Lebensaltern und zwischen Männern und Frauen bestehen. Da nur das Geschlecht zeitlebens fixiert ist, sind die Konsequenzen dieser Unterschiede für Lebensführung und Persönlichkeitsentwicklung grundlegend verschieden. Vgl. Hartung 2001 (Kindertheater), S. 33 f.
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
157
werden in Stereotypen oft stark übertrieben. Allerdings zeigen sich bereits vor der Geburt Verhaltensunterschiede und Männer haben im Schnitt etwas bessere räumliche Fähigkeiten.415 Interessanterweise sind die existierenden Eigenschaftsstereotype nach DEBORAH BEST und JOHN WILLIAMS in über 90 % der 28 untersuchten Kulturen bzw. Nationen ähnlich, wobei das männliche Stereotyp generell als aktiver und stärker als das weibliche Stereotyp gewertet wird. Typische Beschreibungen des männlichen Stereotyps beinhalten Eigenschaften wie abenteuerlich, aggressiv, aktiv, dominant, hart, kraftvoll, mutig, progressiv, robust, selbstherrlich, stark, streng, unternehmenslustig, unemotional, unabhängig, wagemutig, weise. Typisch weiblich sind hingegen: abergläubisch, abhängig, attraktiv, emotional, furchtsam, gefühlsbetont, herzlich, schwach, sensibel, träumerisch, unterwürfig, weichherzig. Die soziale Erwünschtheit variiert von Kultur zu Kultur. Im Mittel über alle Kulturen lässt sich jedoch keine Bevorzugung des männlichen Stereotyps nachweisen.416 In Bezug auf die Generationenforschung fällt auf, dass nur für die Beschreibung des Mannes Vokabeln herangezogen werden, die auch für die Generationenbeschreibung verwendet werden. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein konzentriert sich die Generationenforschung tatsächlich fast allein auf Männer. Fraglich ist, ob es sich hierbei einfach um eine Frage des Weltbildes und in dessen Gefolge der Vernachlässigung handelt oder ob Frauen einfach seltener im Fokus von Generationenkonflikten bzw. der Öffentlichkeit generell stehen. Schließlich spielt die Mutter auch bei Familienstreitigkeiten häufig die Rolle der Vermittlerin zwischen den Generationen. Eine solche Moderatorenfunktion ist in Arbeitsgruppen ebenfalls gefragt. Bezüglich der Rolle der Frau im Beruf in den letzten Jahrzehnten haben sich gravierende Änderungen ergeben. In Bezug auf die Geschlechtertypisierung lässt sich für Westdeutschland folgende Entwicklung aufzeigen. Während der Kriegsjahre und in der ersten Nachkriegszeit musste die vom Nationalsozialismus propagierte deutsche Hausfrau und Mutter „stark mit anpacken“. Der Krieg reduzierte die an der Heimatfront verfügbaren Arbeitskräfte bei gleichzeitiger hoher Nachfrage nach kriegswichtigen und zivilen Gütern. Hier übernahmen die Frauen die Produktion. Nach dem Krieg waren viele Männer gefallen oder versehrt, vermisst oder in Kriegsgefangenschaft geraten. Die ökonomische Notwendigkeit machte Frauen zu Trümmerfrauen und übertrug ihnen die Verantwortung für die Versorgung und den Zusammenhalt der Familien. Mit der wirtschaftlichen Stabilisierung und der Heimkehr der Männer verloren sie diese Selbstständigkeit an die Autorität der Männer, selbst wenn sie weiterhin die Familie ernährten. Den jungen Frauen waren der Zugang zu Lehrstellen und höherer Bildung im Vergleich zu den jungen Männern stark erschwert. Im Zuge des Wirtschaftswunders kehrten die Frauen weitgehend an den Herd zurück. Erst die Bildungsexpansion der 60er Jahre brachte hier eine Trendwende. Die Frauenbewegung gab den Anstoß zu einer Reihe von emanzipatorischen Maßnahmen, die vom Frauenhaus bis zur Frauenuniversität, von der Frauenquote bis zum Kinderladen reichten. Seither ist eine Entwicklung zur Gleichberechtigung der Frauen nicht nur im Arbeitsleben, sondern in allen Lebensbereichen zu verzeichnen.417 415
Vor allem mentale Rotation. Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 376 und S. 386 ff.
416
Vgl. Best/Williams 1982 (Sex stereotypes), S. 22 und 311 ff. sowie Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 84.
417
Vgl. Bilden 1991 (Geschlechtsspezifische Sozialisation), S. 297 ff.
158
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Bezüglich der Gleichberechtigung können in der westdeutschen Frauenforschung drei „Generationen“ identifiziert werden. Die Feminismusbewegung wurde von den 68ern initiiert. Diese zeichnen sich durch ihre Politisierung zwischen Marx und Psychoanalyse aus und rebellierten gegen die Unterdrückung der Frau, insbesondere in sexueller Hinsicht. Die Umsetzung der Feminismusbewegung lag bei den zwischen 1949 und 1959 Geborenen, die bereits in den Schülergruppen mit deren Ideen vertraut gemacht wurden und dann ein linke Politisierung an der Universität erfuhren. Sie waren die erste Gruppe, die Kinder und Karriere zu vereinbaren suchte. Die nach 1959 geborenen Frauen kennzeichnet eine gewisse Normalisierung, da sie schon in ihrer Jugend mit den Gleichberechtigungsprinzipien vertraut gemacht wurden.418 Die Männergeneration im Alter von jetzt 60 bis 65 vertrat noch die Alleinerwerbstätigkeit des Mannes in Kombination mit der Hausfrauentätigkeit der Frau, während die Frauen sich „faktisch“ bereits emanzipierten. Die heute 30- bis 40-Jährigen hingegen halten komplementäre, geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen nicht mehr für tragfähig und sind für externe, institutionelle Strukturierungszwänge sensibilisiert. Dabei zeigt sich, dass die geschlechtsspezifische Rollenzuweisung umso eher abgelehnt wird, je jünger die befragten Jahrgänge sind. Außer diesem starken Generationseffekt, lässt sich auch der Periodeneffekt innerhalb der Kohorten nachweisen. Je später der Befragungszeitpunkt, desto geringer die Zustimmung. Trotzdem sind Frauen insbesondere im Berufsleben noch immer stark benachteiligt.419 Neben der Prägung der geschlechtertypischen Rollen zu Hause in der Familie420 hat auch die Schule erheblichen Einfluss. Typisch weibliches und typisch männliches Verhalten spiegeln sich in den Lehrbüchern, im Sozialverhalten der Schüler und Lehrer und in den hierarchischen Strukturen der Schule, wo zum Beispiel der Rektor meist männlich ist. So verfestigen sich Geschlechterstereotype, die sich auch heute noch vor allem im stärkeren Selbstbewusstsein der Jungen und einer geschlechtertypischen Fächerbelegung und Berufswahl auswirken. Was Bildungsbeteiligungsgrad und Schulleistungen angeht, haben die Mädchen inzwischen mit den Jungen gleichgezogen bzw. sie bezüglich der Leistungen sogar im Schnitt überholt.421 In ihrer Langzeitdatenanalyse identifiziert SONJA DROBNIý das Bildungsniveau als einen der Einflussfaktoren auf den Karriereverlauf verheirateter westdeutscher Ehefrauen, die sich ur langsam mit der Generationenfolge wandeln. Die Karriereressourcen, insbesondere das Ausbildungsniveau, von Ehemännern und Ehefrauen sind zum Zeitpunkt des Arbeitmarkteintritts etwa gleich verteilt, wenn auch nicht unbedingt gleich groß. Im Berufsleben werden Frauen jedoch bei Einstellung, Bezahlung und Karriereverlauf benachteiligt. Die Fremd- und Selbstselektion der „materialistischeren“ Männer bewirkt eine Abdrängung der Frauen in die niedrigeren Positionen, in Teilzeit und sogar Arbeitslosigkeit. Auch aufgrund der Familienpha418
Vgl. Landweer 1996 (Frauenbewegung), S. 92 ff.
419
Vgl. die Kohortenanalyse von Hofäcker/Lück 2004 (Alleinverdienermodell), S. 13 und Mansel/Rosenthal/ Tölke 1997 (Tradierung), S. 14.
420
Nach der Shellstudie Jugend ’92 übernehmen die westdeutschen Mädchen Haushaltspflichten und Kochen gut ein Jahr früher als Jungen. Sie dürfen jedoch erst nach der Volljährigkeit selbst bestimmen, wann sie nach Hause kommen, Jungen bereits mit 17,3. Erste Partnerschaft und Sex erleben beide Geschlechter mit ca. 17 Jahren etwa zum gleichen Zeitpunkt. Vgl. Behnken/Zinnecker 1992 (Statuspassagen), S. 137 ff.
421
Vgl. Bilden 1991 (Geschlechtsspezifische Sozialisation), S. 297 ff. und auch Rendtorff 2003 (Jugend und Geschlecht), S. 123 ff.
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
159
sen ist das Arbeitsleben der Frauen von Unterbrechungen und Teilzeitarbeit geprägt und mündet selbst bei Angestellten selten in höhere Führungspositionen. Je höher der Bildungsgrad, desto seltener bzw. kürzer bleiben die Frauen zu Hause. Der Trend zur Teilzeitarbeit in Deutschland wird durch die Frauen getragen. Nur 3 % der Teilzeitarbeitenden sind Männer. Die Verdienstsituation der Geschlechter stellt sich so dar, dass Frauen in Führungspositionen mit hohem Einkommen sehr viel seltener sind als Männer. Über alle Arbeitnehmergruppen verdienen sie weniger, auch wenn ihre Erwerbszuwachsraten in den letzten Jahren ca. 5 % über denen der Männer lagen. Generell steigt der Verdienst beider Geschlechter mit der Betriebszugehörigkeit, jedoch bei Frauen nur bis zur Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren.422 PFAU-EFFINGER führt die Benachteiligung der Frauen im Berufsleben zurück auf deren geschlechtsspezifische Berufswahl, die frauenspezifischen Eigenschaftsstereotype, das Fehlen des Kontaktnetzwerkes und vor allem auf die Ausrichtung der Führungspositionen auf die Arbeitskraft von 1,5 Personen. Unternehmen erwarten von ihren Führungskräften heute, dass sie für die Firma Vollzeit und mehr zur Verfügung stehen. Das ist nur möglich, wenn der Partner bzw. die Partnerin sie von der Familienarbeit entlastet. Die Familienpflichten bezüglich Haushalt, Kindern, Familienbeziehungen zu Verwandten oder pflegebedürftigen Angehörigen obliegen noch immer selbstverständlich den Frauen. Die männliche Mithilfe im Haushalt ist kaum angestiegen.423 In diesem Zusammenhang wird das Geschlechterverhältnis nicht nur in Bezug auf die Aufgabenverteilung besonders deutlich. Die Frauen bilden das Rückgrat der Familie, indem sie die Verlässlichkeit der generationenübergreifenden Beziehungen gewährleisten, während die Männer die Autorität für sich beanspruchen. Ihre zunehmende Unabhängigkeit erkauft die Frau mit größeren Belastungen in Beruf und Familie.424 Die Deutschen sind im internationalen Vergleich weiterhin am ehesten der Überzeugung, dass Mütter, insbesondere Mütter kleiner Kinder, nicht arbeiten sollten. In diesem Zusammenhang kann man durchaus von einer sozialen Norm sprechen. Vorschulkinder in der Familie sind fast gleichbedeutend mit einer Unterbrechung der Vollzeitbeschäftigung der Frau, die auch so lange anhält, wie das jüngste Kind sich im Vorschulalter befindet. Wenn die Kinder zur Schule gehen, kehren viele Frauen in einen Teilzeitjob zurück. Während das Teilzeitsegment sehr stark wächst, besteht erst seit Ende der 80er Jahre auch ein langsam wachsender Trend zum Wiedereintritt der Frauen in den Beruf in Vollzeit, der unabhängig vom Bildungsabschluss ist. Wirtschaftliche Notwendigkeit treibt Frauen mit vielen Kindern überdurchschnittlich oft zurück in den Beruf. Je besser der Ehemann verdient, desto eher bleib die Frau zu Hause.425
422
Vgl. Drobniþ 1997 (Generational differences), S. 71 ff. und S. 85 f., Rendtorff 2003 (Jugend und Geschlecht), S. 123 ff. und Statistisches Bundesamt 2003 (Löhne und Gehälter), S. 9 ff. und S. 39 f.
423
Vgl. Bock-Rosenthal 1990 (Strukturelle Diskriminierung), S. 25, Pfau-Effinger 1990 (Erwerbsverlauf), S. 179 ff. und Rendtorff 2003 (Jugend und Geschlecht), S. 123 ff. und S. 251. Die komplexe Alltagsorganisation beruht nicht nur in Notfällen auf Hilfe von Großmüttern, Freundinnen und Betreuerinnen.
424
Prinzipiell ist die Unabhängigkeit aufgrund besserer Berufschancen von Frauen und des sozialen Sicherungssystems der BRD gestiegen. Vgl. Nave-Herz 2000 (Intergenerational relations), S. 216 ff.
425
Vgl. Drobniþ 1997 (Generational differences), S. 85 f.
160
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Inzwischen geraten jedoch auch zunehmend Männer in das Dilemma, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen. Gemäß einer aktuellen Umfrage entscheiden sich ca. 2 % der Väter für die Übernahme der vollen Elternzeit und 10 % teilen sich mit ihrer Partnerin diese Aufgabe. Weitere 10 % der Väter entscheiden sich zwar dagegen, erwarten die Übernahme der Elternzeit jedoch auch nicht von ihrer Partnerin. Der Rest von 78 % überlässt die Elternzeit voll der Frau. Die Übernahme von Elternzeit von Männern wird beruflich als nicht karrierefördernd eingeschätzt.426 Festzuhalten bleibt, dass die traditionelle Rollenverteilung noch immer zur beruflichen Benachteiligung der Frauen führt. Sie arbeiten häufiger als früher, während ihnen weiterhin der Großteil der Verantwortung für Haushalt und Familie und damit eine Mehrfachbelastung obliegt. Die Berufstätigkeit in Teilzeit mit geringerer Bezahlung, geringerem Status und geringeren Karrierechancen verfestigt in gewisser Hinsicht die Ungleichheit in der Verteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern und hemmt den Wandel oft unbewusst. Die Rollenvielfalt des Lebenslaufs und das Selbstkonzept sind nur zu einem kleinen Teil durch Elternschaft geprägt und sie hat dennoch eine sehr große Bedeutung für die Karriere.427
3
Entwicklungen auf Unternehmensebene
Unternehmen sind auf das Arbeitskräftepotenzial angewiesen, das ihr gesellschaftliches Umfeld hervorbringt und werden generell durch ihre rechtliche und politische Umgebung geformt. Insofern spielen die bisher geschilderten Entwicklungen auf Gesellschafts- und Familienebene eine wichtige Rolle. Daneben sind natürlich die Faktoren wichtig, welche die Unternehmensstrukturen und das Arbeitsgeschehen direkt beeinflussen. Deshalb wird im Folgenden die Entwicklung der Arbeitswelt seit dem Zweiten Weltkrieg überblicksweise dargestellt. Hier zeigt sich deutlich, wie die Organisationsstrukturen sich in Abhängigkeit von der wachsenden Umweltdynamik von der klassischen Bürokratie über neoklassische Modelle bis hin zu modernen und sogar virtuellen Organisationsformen gewandelt haben. Firmenpolitik, Organisationsstruktur und Personal spiegeln dabei jeweils die äußeren Rahmenbedingungen, unter denen das Unternehmen agieren muss. Der Wandel geht mit einer zunehmenden Dysfunktionalität der Hierarchie und zunehmender Partizipation einher. Aus Mitarbeitersicht wandelt sich gleichzeitig die Rolle, die der Erwerbsarbeit im persönlichen Wertsystem im Lebensverlauf zukommt. Dabei haben die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Erwartungen einer Generation zu Beginn ihres Arbeitslebens großen Ein426
Dabei denken mehr als 30 % der Väter nicht einmal darüber nach, ihre Jobsituation aufgrund der hohen Anforderungen von Beruf und Familie zu verändern, obwohl sehr viele zu wenig Zeit für die Familie haben oder sich überfordert fühlen. Andererseits meinen 77 % der Väter, das Familienleben habe einen positiven oder sogar sehr positiven Effekt auf ihre Leistung im Berufsleben. Das gilt aber nur, wenn die Frau die Verantwortung dafür übernimmt, denn 64 % der Väter befürchten bei Übernahme der Elternzeit negative Auswirkungen auf ihre Karriere, nur 2 % erwarten positive Effekte, 34 % überhaupt keine Auswirkungen. Schließlich entspricht das Bild des Kinderbetreuers oder Teilzeitarbeiters in keiner Weise dem Stereotyp des allseits bereiten, fitten und motivierten, „ganzen“ Mannes. Vgl. Sprothen 2005 (Privatleben), S. 103 und IGS 2005 (Karriere und Familie), S. 3 ff.
427
Vgl. Drobniþ 1997 (Generational differences), S. 85 f. und Bilden 1991 (Geschlechtsspezifische Sozialisation), S. 209
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
161
fluss auf den weiteren Berufsverlauf und die stabilen Generationendifferenzen. Anzunehmen ist, dass sich informelle Kontakte innerhalb einer Altersgruppe häufen und sich so ein Kohortennetzwerk herausbildet, das lebenslang erhalten bleibt und auch als Vergleichsbasis für den eigenen Karrierestatus herangezogen wird.428 Abb. D-3: Klassische Organisationsbedingungen Systemprogramm Stark nach (Gewinn-)Zwecken und Mitteln durchstrukturiertes einfaches und verlässliches Massenprogramm mit Neigung zu operativen Bestlösungen; Einheit von Herrschafts- und Arbeitsprozess
Systempotenzial Organisationsstruktur
Große Mengen einfacher, anspruchsloser, leicht ersetzbarer aber nur begrenzt einsetzbarer Arbeitnehmer; mechanische, unflexible Massenproduktionsmittel; Einheit von Herrschafts- und Arbeitslegitimation
Klassische Organisationsbedingungen Materielles Denken, Wachstumsstreben, Naturbeherrschungsziele, Rationalitätsglaube Macht- vor Fachpolitik, Expansionsdenken, Nationalismus, Kampfbereitschaft i. w. S. Unternehmensschutz, wirtschaftsfördernde Gesetze, Abgrenzung der Wirtschaft als eigene Rechtssphäre Einfache Produkte, mechanische Abläufe, erkennbare Bestlösungen, Know-how für Massenproduktion Produktionsorientierung, einfache Verkäufermärkte, Massenabsatz, prinzipiell berechenbarer Erfolg
sozial
Intensive Schichtung hinsichtlich Bildung und Ansprüchen, materielles Leistungsbewusstsein, Konkurrenzdenken
politisch
Physische Ressourcensicherung, politische Bevormundung, Klassendenken
juristisch
Eigentumsschutz, individuelles Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag kaufvertragsähnlich, wenig außerökonomisches Arbeitsrecht
technisch
Maschinentechnik statt Handwerk, Trennung Konstrukteur/Arbeiter, Mengentechnik, beginnende Transporttechnik
ökonomisch
Lohnabhängigkeit der Arbeiter, Kosten- statt Erlösdenken, Unternehmer als wichtigster Produktionsfaktor
Quelle: Remer 1994 (Organisation), S. 128
Unter klassischen Organisationsbedingungen ist die Welt einfach und mechanistisch, wie in der vorstehenden Übersicht dargestellt. Das Denken ist von Rationalität und Fortschrittsglauben gekennzeichnet. Der Arbeitnehmer ist ein Produktionsfaktor (Systempotenzial), dessen Arbeitseinsatz optimiert werden muss und der einfach ersetzbar ist. Entsprechend ist die Unternehmenspolitik (Systemprogramm) auf die (Unternehmer-)Ziele fokussiert und klar durchstrukturiert.429 Hierarchie, Massenproduktion, Massenabsatz und die Suche nach Bestlösungen bestimmen die Organisationsstrukturen. In der Nachkriegszeit finden sich noch viele Spuren solcher autoritären Systeme. Nachfrageprobleme sind fast unbekannt.430 428
Vgl. Lindenberg 1991 (Social production functions), S. 292 ff.
429
Beispielhaft für nützlicheVerwaltungsprinzipien der 20er Jahre nennt Fayol: Arbeitsteilung, Autorität, Disziplin, Einheit der Auftragserteilung, Einheit der Leitung, Unterordnung des Sonderinteresses unter das Interesse der Gesamtheit, Entlohnung, Zentralisation, Rangordnung, Ordnung, Billigkeit, Stabilität des Personals, Initiative und Gemeinschaftsgeist. Vgl. Fayol 1929 (Verwaltung), S. 8 ff.
430
Vgl. zu klassischen Organisationsbedingungen und Konzepten der Organisationsstruktur Remer 1994 (Organisation), S. 126 ff.
162
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Mit den Umwälzungen politischer, rechtlicher, ökonomischer, technischer und sozialer Art wird die Umwelt dynamischer und die Anforderungen an die Unternehmen wandeln sich. Die Mitarbeiter profitieren von wachsenden Bildungschancen und werden anspruchsvoller. Dennoch dominiert noch bis ca. 1970 die klassische Personalverwaltung unter dem Primat von Effizienz, Administration und Bürokratie.431 Die nachstehende Abbildung stellt die neoklassische Situation im Überblick dar. Abb. D-4: Neoklassische Organisationsbedingungen Systemprogramm An Zielen und zahlreichen Nebenbedingungen orientiertes Programm, das aufgrund seiner Komplexität und Dynamik nur tendenziell strategische Zweckmäßigkeit zulässt; Herrschafts- und Arbeitsprozess teilweise widersprüchlich
Systempotenzial Organisationsstruktur
Mit vielen Restriktionen versehenes Angebot an beruflich voll ausgebildeten und anspruchsvollen Fachkräften, die vielseitig einsetzbar sind; Hochleistungsmaschinen, die entsprechende Verwendung und Bedienung verlangen; Herrschaftsund Arbeitslegitimation teilweise voneinander abweichend
Neoklassische Organisationsbedingungen Absicherungs- und Konsolidierungsdenken; Vielfalt an Strömungen; mehr Kommunikation; zunehmende gesellschaftliche Eigendynamik
Wirtschaft und Gesellschaft als Themenschwerpunkte; Multinationalität; Pluralismus; Liberalismus
Starke Verrechtlichung aller Vorgänge, Stützung der Marktmechanismen; Komplizierung des Rechts; Ergänzung und Anpassung an veränderte Bedingungen
Anspruchsvolle Produkte und komplizierte Fertigungstechnik; zunehmende Elektronik, Kommunikationstechnik und Transporttechnik; zunehmende Eigendynamik Komplexe Käufermärkte und Absatzorientierung; Diversifizierung und Marktanteilsdenken; schwer planbarer Erfolg
sozial
Zunehmende Organisation der Arbeitnehmer in Gewerkschaften; generelle Zunahme sowie Auffächerung von Bildung und Ansprüchen; anwachsen sozialer Bedürfnisse; komplexes Leistungsbewusstsein; nachlassende alters- und geschlechtsspezifische Differenzierung
politisch
Umfassende Ressourcensicherung; überregionales Denken; Ökonomisierung; Kultivierung der ökonomischen Vernunft; Stützung der wirtschaftlich Schwachen
juristisch
Verpflichtung des Eigentums; Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsgesetze; ausgebautes kollektives Arbeitsrecht und Sozialrecht; Arbeitsverträge enthalten zunehmend außerökonomische Bestandteile
technisch
Komplexe und teure Maschinentechnik; ausgebaute Transporttechnik; unelastische Automatisierung; viele technische Spezialzweige; Psychotechnik
ökonomisch
Beginnende Einkommensstabilisierung; Erlös- statt Kostendenken; Mitarbeiter als Erfolgsfaktor; differenzierter und anspruchsvoller Arbeitsmarkt
Quelle: Remer 1994 (Organisation), S. 164
In der Zeit nach dem Wirtschaftswunder beginnt der Absatzmarkt sich langsam vom Verkäufer- zum Käufermarkt zu wandeln, das Produktionsprogramm wird entsprechend differenzierter. Technischer Fortschritt erfordert qualifiziertes und vielseitiges Personal. Das unternehmerische Gewinnziel muss um verschiedene Nebenbedingungen ergänzt werden. In den Unternehmen schlägt sich dies unter dem Motto „Leistung und Zufriedenheit“ in der Organisations- und Personalentwicklung, kooperativem Führungsstil und zunehmender Partizipation und Humanisierung nieder. Geforscht wird auf den Gebieten Team, Motivation, Führungsstil
431
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 45.
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
163
und Entscheidungstheorie. Die zugehörigen organisatorischen Strukturen sind zum Beispiel Management by Objectives, Kollegien und (teilautonome) Arbeitsgruppen, Projektgruppen, Qualitätszirkel, Matrixorganisation, Mitbestimmungsverfassung, Mitunternehmerschaft usw.432 In der Folge der Konjunkturprobleme und Krisen der 70er Jahre sind die 80er Jahre gekennzeichnet von Ökonomisierung und Dezentralisierung bzw. Enthierarchisierung. Die Organisationsstrukturen sollen schlanker und flexibler werden, um der Marktdynamik gerecht werden zu können. Umweltschutz und Globalisierung finden Eingang in die Unternehmenspolitik.433 Seit den 90er Jahren dominiert Human Resource Management, das den Mitarbeiter als wertvollste Ressource sieht, zumindest offiziell den Personalbereich.434 Abb. D-5: Moderne Organisationsbedingungen Systemprogramm Lösung komplexer Probleme statt bloßer Zweckerreichung; geringe Möglichkeiten, zwischen Systemund Umweltprogrammen zu trennen; situative statt optimale Prozesse; Herrschafts- und Arbeitsprozess nicht mehr trennbar
Systempotenzial Organisationsstruktur
Subjekt- statt Objektstellung des Personals; geringe Bereitschaft, zwischen „Beruf“ und „Leben“ zu trennen; hochwertige und teure Potenziale; Ressourcenstatt Faktorcharakter des Potenzials; mehr input- als outputbetonte Verhaltensweisen; Herrschafts- und Arbeitslegitimation nicht mehr trennbar
Moderne Organisationsbedingungen Zunehmende Pluralisierung und Demokratisierung; weitere gesellschaftliche Integration und Vergesellschaftung des Berufslebens; allgemeine Anhebung der Problemlösungsfähigkeiten, der Soziabilität und der Ansprüche; äußerste Komplizierung der wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Zusammenhänge; starkes Anwachsen der Widersprüche in der Umwelt, zwischen System und Umwelt sowie innerhalb der Systeme; immer größere Abhängigkeit des Systembestandes von zahlreichen Umweltdimensionen.
Quelle: Remer 1994 (Organisation), S. 238
Die vorstehende Grafik gibt einen Überblick über die modernen Organisationsbedingungen. Danach ist die heutige Unternehmenssituation von Komplexität und Dynamik in allen Bereichen, Pluralisierung und Demokratisierung gekennzeichnet. Die Unternehmen setzen auf Wertschöpfung, Mitunternehmertum, organisationales Lernen und Globalisierung. Die Systemgrenzen werden fließender. Es stellt sich die Frage nach Identität und Sinnstiftung. Trotz dieser in der nachfolgenden Übersicht zusammengefassten, modernen Organisationsbedingungen sind entsprechend moderne Organisationsformen wie die assoziative oder virtuelle Organisation heute noch nicht der Regelfall, sondern eher eine Utopie. Die meisten Unternehmen weisen neoklassische, einige sogar noch autokratische Strukturen auf.435
432
Vgl. zu neoklassischen Organisationsbedingungen und Konzepten der Organisationsstruktur Luthans 1973 (Organizational behavior), S. 135 ff. und Remer 1994 (Organisation), S. 161 ff.
433
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 45 und Remer 1994 (Organisation), S. 169 ff.
434
Vgl. zu modernen Organisationsbedingungen und Konzepten der Organisationsstruktur Remer 1994 (Organisation), S. 235 ff.
435
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 144 f. und Schewe 1997 (Virtuelle Organisation), S. 22. Zur Dynamik der internen und externen Organisationsbeziehungen und ihren Koordinationsmechanismen vgl. Froehlicher 2000 (Dynamique de l’organisation relationnelle), S. 113 ff.
164
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
Diese historischen Entwicklungen von klassisch zu neoklassisch und modern sind insbesondere für das Verständnis älterer Arbeitnehmergruppen und ihrer beruflichen Prägung von Bedeutung. Des Weiteren ist hier die aktuelle und mittelfristig zu erwartende Unternehmenssituation von Interesse, an deren Analyse zukunftsweisende Verbesserungsmaßnahmen ansetzen müssen. Vorrangig dient Erwerbsarbeit heute und in absehbarer Zukunft noch immer der Sicherung des Einkommens. Dazu kommen eine Reihe psychosozialer Funktionen. Erwerbsarbeit bietet Zeitstrukturierung, vermittelt Handlungskompetenz und soziale Kontakte. Die Leistung selbst und die Kooperation mit anderen führen dazu, sich nützlich für die Gesellschaft zu fühlen und zu sozialer Anerkennung. Außerdem tragen Berufsrolle, Arbeitsaufgabe und Erfahrung zur Entwicklung der persönlichen Identität und des Selbstwertgefühls bei. Am Beispiel Erwerbsloser zeigt sich deutlich, wie schwer diese Funktionen der Arbeit anderweitig zu kompensieren sind, selbst wenn keine akute Notlage besteht. Insofern hat sich an der allgemeinen Wertschätzung der Arbeit in den letzten 20 Jahren wenig geändert. Was sich verschiebt, ist ihre vormals zentrale Stellung zugunsten pluralistischer Werte und flexibler Lebenskonzepte.436 Im letzten Jahrhundert veränderte sich die Arbeitswelt dahin gehend, dass die durchschnittlichen Ausbildungszeiten langsam, aber stetig wuchsen. Die Erwerbsdauer schrumpfte bei den Männern um ein Drittel.437 In einer Zukunft, wo die Bevölkerung altert und der Anteil an Ruheständlern ständig zunimmt, sind folgende alternative Entwicklungen in Bezug auf Bildung und Arbeit denkbar: die Verlängerung des Arbeitslebens, ein Auffüllen mit Bildungszeiten oder eine Auflösung des starren Lebenszeitregimes. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Übergängen zwischen Bildungs-, Arbeits- und Ruhephasen, dem Stellenwert der Arbeit selbst und der Bildung sowie nicht zuletzt nach der Bildungsqualität.438 Je rascher berufliches Wissen veraltet, desto mehr müssen die Unternehmen daran interessiert sein, dass Bildung nicht nur, wie zurzeit üblich, schwerpunktmäßig in der Qualifikationsphase und den ersten Berufsjahren stattfindet. Auch heute gibt es bereits viele Menschen, deren Beruf einfach nicht mehr gefragt ist, deren Arbeitsplatz im Unternehmen obsolet wird, oder die sich ständig weiterbilden müssen, um ihre Aufgabe adäquat erfüllen zu können. Trotzdem ist der Widerstand der Arbeitgeber gegen Bildungsurlaub und Sabbatjahr noch groß. Aber auch die Arbeitnehmer älterer Jahrgänge nehmen Weiterbildungs-, Fortbildungs- oder Berufsumschulungsmaßnahmen kaum in Anspruch. Dazu kommt, dass Umschulungsmaßnahmen des Arbeitsamtes oft nur als Zwischenstufe auf dem Weg in die Arbeitslosigkeit oder Verrentung angesehen werden. Volkswirtschaftlich ist das leicht erklärlich, je mehr Einkommen und Arbeitsplatzsicherheit kollektiv abgesichert sind, desto geringer ist der Anreiz durch individuelle Weiterbildungsanstrengungen weiter in das eigene Humankapital zu investieren.439 436
Vgl. ausführlich Semmer/Udris 2004 (Bedeutung der Arbeit), S. 159 ff.
437
Um 1920 geborene Frauen verbrachten im Mittel 8,3 Jahre in der Schule, 2,6 Jahre in einer beruflichen Ausbildung und 22,2 Jahre im Erwerbsleben. Zu Rentenbeginn mit 60 Jahren konnten sie auf 21 Jahre Ruhestand hoffen, über 40 % arbeiteten noch bis 65. Vgl. Mayer 1994 (Bildung und Arbeit), S. 520.
438
Vgl. Mayer 1994 (Bildung und Arbeit), S. 520.
439
Vgl. Mayer 1994 (Bildung und Arbeit), S. 520 ff.
D.II Generationenprägung in Familie und Unternehmung
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Der technologische Wandel hat zu einer Erhöhung der kognitiven und weitgehend zu einer Verminderung der körperlichen Belastungen außer Stress geführt. In körperlicher Hinsicht sind eine Reduzierung der Kraftanforderungen und eine Steigerung der feinmotorigen Anforderungen zu verzeichnen. Die Beanspruchungsschwerpunkte im Arbeitsablauf verschieben sich in Richtung Kontrolltätigkeiten. Die sich wandelnden Arbeitsanforderungen machen lebenslanges Lernen erforderlich, da erworbenes Wissen beständig erneuerungsbedürftig ist.440 Sich verändernde Arbeitsstrukturen wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten haben auch auf die Alltagsorganisation Auswirkungen, was wiederum auf die Betriebe zurückwirkt. Anhand von Tiefeninterviews mit Beschäftigten aus einem breiten Feld mit unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen ermittelt GÜNTER VOß Folgendes: Wachsende qualitative und quantitative Leistungsanforderungen und neue Anforderungen vor allem im kommunikativen und sozialen Bereich führen teilweise zu Überforderung. Darüber hinaus verringert sich die direkte Kontrolle zugunsten von eigener Steuerung und wachsenden Ansprüchen an Flexibilität, Innovativität, Produktivität und Mobilität. Die aus der Wandlungsdynamik der Arbeitsverhältnisse erwachsende Forderung nach Mobilität der Beschäftigten betrifft nicht nur räumliche, sondern auch qualifikatorische und funktionale Aspekte, so dass in Beruf und Privatleben aufwändige Anpassungsleistungen notwendig werden. Die Arbeitsstrukturen werden zeitlich, räumlich, sachlich und sozial immer differenzierter. Dadurch werden einheitliche Arbeitsbedingungen für größere Gruppen seltener, so dass sich Beschäftigte bei jedem Tätigkeitswechsel auf weitgehend neue Bedingungen einstellen müssen. Steigende Dynamik und Differenzierung der Arbeitsverhältnisse sowie rechtliche und zeitliche Deregulierung führen zu Instabilität und Unkalkulierbarkeit insbesondere für Höherqualifizierte.441 Das steigende Bildungsniveau entspricht einem wachsenden Bildungsbedürfnis. Gleichzeitig besteht auch eine erhöhte Bildungsnotwendigkeit. Arbeitsinhalte werden im Vergleich zur Einkommensorientierung wichtiger. Die Einkommen zweier Partner schaffen die ökonomischen Voraussetzungen für diese Entwicklung und erlauben den Partnern generell eine größere Flexibilität, auch zur beruflichen Umorientierung. Andererseits fördern die verringerten Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeiten die Ausprägung einer bestimmten Freizeit- und Familiensphäre und insbesondere bei Jüngeren eine gewisse „Gleichgewichtsethik“. Die Arbeitsgesellschaft ist zwar nicht „passé“, dennoch wird die Loyalität gegenüber der Arbeitsrolle durch andere Ansprüche, Vorbehalte und Bedingungen eingeschränkt. Bei Älteren äußert sich das zum Beispiel, wenn Ehepartner möglichst gleichzeitig in den Ruhestand treten. Freizeitorientierte erkaufen eine frühe Verrentung mit Abzügen in der Rentenhöhe. Menschen, die sich mit ihrer Tätigkeit identifizieren und sie als befriedigend empfinden, möchten hingegen desto länger arbeiten.442 Für die Zukunft ist das wachsende Bedürfnis nach sinnvollen Tätigkeiten in Arbeit und Freizeit und eine Verwischung der Grenzen zwischen diesen Bereichen zu erwarten. Über allem steht derzeit das Primat der Arbeitsplatzsicherheit.443 440
Vgl. Niederfranke 1994 (Potential älterer Arbeitnehmer), S. 156.
441
Vgl. Voß 2001 (Lebensführung), S. 31 ff.
442
Vgl. Mayer 1994 (Bildung und Arbeit), S. 523 und S. 583 f. Dies zeigt sich vor allem in Berufen, wo dies besonders wahrscheinlich ist, zum Beispiel bei Pfarrern, Ärzten, Künstlern und Wissenschaftlern.
443
Vgl. Opaschowski 2001 (Deutschland 2010), S. 277.
166
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
III Zwischenfazit: Generationszusammenhänge und Zeitgeisttrends Die vorgestellten empirischen Studien sind sehr uneinheitlich, nicht nur was Untersuchungszweck und -methoden angeht, sondern vor allem in der Alterseinteilung der postulierten Generationen. Deswegen war in den vorangegangenen Unterkapiteln nur eine grobe zeitliche Strukturierung möglich. Im Folgenden werden die Erkenntnisse nun noch einmal in Kurzform den einzelnen Generationszusammenhängen zugeordnet, was dem vielfältigen Material eine einheitliche Struktur verleiht. Fasst man die oben ausgeführten Erkenntnisse zusammen, so lassen sich die Arbeitnehmer, die derzeit in Westdeutschland im Berufsleben stehen, nach den für sie prägenden Jahrzehnten in fünf Generationszusammenhänge gliedern. Zur Gliederung werden entscheidende Ereignisse und Entwicklungen aus den wichtigsten Prägephasen (Kindheit und Jugend) dieser Generationszusammenhänge herangezogen.444 Es handelt sich dabei um die Kriegs- und Nachkriegszeit der 40er und Anfang der 50er Jahre, die darauf folgende Phase von Wirtschaftswunder und Konsum, die politischen und wirtschaftlichen Krisen der 70er, die Medienrevolution ab den 80er Jahren und die weltweite Technologisierung, Vernetzung und Globalisierung seit Beginn der 90er Jahre. Legt man diese zugrunde, so erhält man fünf Altersgruppen, an die sich bestimmte idealtypische Vorstellungen knüpfen. Die Mitglieder dieser Generationszusammenhänge sollen im Folgenden kurz und griffig als Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder445, Medienkinder und Netzkinder betitelt werden. Tab. D-2: Generationszusammenhänge und ihre bestimmenden Sozialisationsphasen Geburtsjahrgänge
Prägephasen der Kindheit & Jugend
Bezeichnung
Berufseintrittsjahre
Prägephase beruflicher Sozialisation
ca. 1935 1945
Kriegs- & Nachkriegszeit
Kriegskinder
ca. 1950 1975
Aufschwung
ca. 1945 1955
Wirtschaftswunder
Konsumkinder
ca. 1960 1985
Konjunkturhoch/ erste Krisen
ca. 1955 1965
Wirtschafts- & politische Krisen
Krisenkinder
ca. 1970 1995
ca. 1965 1975
Medienrevolution
Medienkinder
seit 1980
ca. 1975 1985
Weltweite Vernetzung
Netzkinder
seit 1990
Organisationsprinzip bei Berufseintritt Hierarchie
Human Relations
Jugendarbeitslosigkeit schwache Konjunktur/Arbeitslosigkeit
Systemdenken/ Dezentralisierung Globalisierung
Quelle: Eigene Erstellung 444
Die Phase der beruflichen Sozialisation wurde bewusst nicht als Gliederungskriterium gewählt, da ihre prägenden Jahre aufgrund der verschiedenen Ausbildungswege in Deutschland sehr breit streuen.
445
Diese Benennung erfolgt in Anlehnung an Geulen/Preuss-Lausitz/Zeiher 1995 (Sozialisationsgeschichte), S. 12 ff. Die Generationszusammenhänge werden jedoch abweichend zugeordnet.
D.III Zwischenfazit: Generationszusammenhänge und Zeitgeisttrends
167
Diese Idealtypen werden im Folgenden noch einmal kurz beschrieben und ihrer aktuellen Phase im Lebenszyklus zugeordnet. Da sich nach den bisherigen Ergebnissen die Wertsysteme von Typ zu Typ nur graduell unterscheiden dürften, sei zu diesem Thema noch einmal auf das Unterkapitel zum allgemeinen Wertewandel (D.I.3) verwiesen. Die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend für die Kriegskinder reichen von den Kriegsjahren über die Nachkriegszeit bis in die 50er Jahre. Die für sie besonders prägenden Lebensjahre sind bezüglich des ersten politischen und sozialen Bewusstseins die 50er und bezüglich des Berufslebens die 60er Jahre. Derzeit stehen sie kurz vor dem Ruhestand oder sind bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Im Bereich der Familie dürften ihre Kinder inzwischen aus dem Haus und erste Enkelkinder angekommen oder zu erwarten sein. Ihnen werden die für diese Lebensphase typischen Bedürfnisse zugerechnet, insbesondere das Streben nach beruflicher Entlastung und mehr Freizeit. Im Berufsleben werden den Kriegskindern Erfahrung, aber auch Innovationsmüdigkeit nachgesagt. Aus den Knappheitserfahrungen ihrer Kindheit heraus werden dieser Nachkriegsgeneration bestimmte Eigenschaften, wie Wirklichkeitssinn, Skepsis, Leistungsstreben und Pragmatismus, Sparsamkeit sowie ein hohes Sicherheitsbedürfnis, unterstellt. Dazu kommen Moral, Loyalität, Gewissenhaftigkeit und Höflichkeit. Als Konsumkinder können die Geburtsjahrgänge ab Ende des Zweiten Weltkrieges bis Mitte der 50er Jahre bezeichnet werden. Sie sind die Kinder des Wirtschaftswunders. Damit fällt ihr Einstieg ins Erwachsenenleben verbunden mit einigen Generationenkonflikten in die 60er und 70er Jahre. Sie stehen im Berufsleben derzeit auf dem Höhepunkt, sofern sie ihren Arbeitsplatz nicht verloren haben. Als Erwerbstätige im mittleren Alter sind sie hohen Belastungen ausgesetzt und müssen sich gleichzeitig um die eigene Altersversorgung kümmern, die mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gleichzeitig noch für ihren Nachwuchs und schon für ihre pflegebedürftigen Eltern sorgen, ist hoch. Hier besteht ein hohes Konfliktpotenzial zu jüngeren Altersgruppen,446 zumal die Konsumkinder sich im Berufsleben voll auf den Wandel und die jüngeren Generationszusammenhänge einlassen müssen, wenn sie nicht zum alten Eisen gerechnet werden wollen. Sie sind selbst in einer Wohlstandsphase aufgewachsen, weswegen sie als besonders konsumfreudig und auch anspruchsvoll eingeschätzt werden. Die Konsumkinder gelten als kritisch und politisch engagiert. Sinnfindung, Selbstbestimmung und Emanzipation sind in der Altersgruppe verwurzelt. Auch im Beruf sind sie selbstbewusst und legen Wert auf Mitspracherechte, aber auch auf Respekt vor ihrer Erfahrung und ihrer beruflichen Stellung. Die Krisenkinder sind die Geburtskohorten, die Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre geboren wurden. Ihre Anfangsphase im Berufsleben fällt mit den ersten größeren ökonomischen und ökologischen Krisen, wie zum Beispiel beginnender Arbeitslosigkeit, politischem Wettrüsten und Ölkrise, zusammen. Insofern hatten sie es im Berufsleben schwerer als ihr Vorgängergenerationszusammenhang. Sie mussten sich durchkämpfen und setzten zum Beispiel viele Forderungen der Gleichberechtigung in die Tat um. Insofern wird ihnen Durchsetzungsvermögen unterstellt. Daneben wird ihnen auch Sozialkompetenz zugesprochen. Sie gelten als 446
Vgl. Mansel/Rosenthal/Tölke 1997 (Tradierung), S. 8.
168
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
zuverlässige Partner, mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Die Krisenkinder sind weitgehend verheiratet. Aus ihrer Mitte rekrutiert sich der Großteil der Eltern der jetzigen Jugendlichen. Als Medienkinder werden diejenigen Kohorten bezeichnet, deren Geburtsjahrgänge zwischen der Mitte der 60er und der 70er Jahre liegen. Landläufig bezeichnet, ist das in etwa die Generation Golf. Auch ihre Kindheit ist von Krisen nicht verschont geblieben. Darunter stechen vor allem die Umweltprobleme wie Tschernobyl, Waldsterben, Artensterben und Ozonloch heraus. Dazu kommen Kriegsgeschehen, Aids und die Drogenproblematik. Im Großen und Ganzen ist dieser Generationszusammenhang trotz zunehmender Berufstätigkeit und steigenden Scheidungsraten bei den Eltern in einem geschützten Umfeld aufgewachsen und in das Berufsleben eingetreten. Für sie fällt die Wiedervereinigung in die Zeit ihres Erwachsenwerdens. Medienkinder gelten als selbstständig, gleichberechtigt, gut informiert, ehrgeizig, zuverlässig, rational und umweltbewusst. Von der Medienrevolution waren sie in ihrer Kindheit, vor allem aber mit Beginn ihres Berufslebens direkt und beständig betroffen. Entsprechend aufgeschlossen ist ihr Umgang mit neuen Medien. Sie wuchsen in dem Bewusstsein auf, dass es für alles eine Lösung gibt. Heute stehen die in den 80er und 90er Jahren so erfolgreich in den Beruf Ein- und Aufgestiegenen Medienkinder zum Teil vor der drohenden Arbeitslosigkeit. Dies ist oft gekoppelt mit einem privaten Nachholbedarf, was Kinder und Familie angeht, die immer wieder hinausgeschoben wurden. Bei den Netzkindern handelt es sich um die Geburtsjahrgänge von ca. Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre. Die meisten von ihnen haben ihre Ausbildung und ein Großteil auch das Studium inzwischen beendet. Die Arbeitsmarktsituation ist schlecht. Viele Jugendliche hatten Probleme eine Lehrstelle zu finden und auch die Übernahme in die Festanstellung ist ein Problem. Das positive Ereignis der Wiedervereinigung mit all seinen Folgen fällt in ihre Jugend bzw. Kindheit. Dazu gehören auch soziale Probleme, Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Weitere politische Themen waren das Bemühen um den Weltfrieden sowie die Gefährdung von Weltklima, Tierbestand, Regenwald und eigener Zukunft.447 Immerhin sind die meisten in einem familiär stabilen Umfeld aufgewachsen. Trotz dieser eher negativen Schilderung der Gesamtsituation wird dieser Generationszusammenhang als optimistisch und lernfreudig geschildert. Sie ist mit Vernetzung und Globalisierung aufgewachsen und gilt entsprechend als kommunikativ, tolerant und multikulturell. Die jüngste Altersgruppe, die ab Beginn der 90er Jahre geboren wurde, geht noch zur Schule. Nur ihre ältesten Mitglieder sind im Begriff, den Arbeitsmarkt zu betreten. Sie sind die Generation in der Prägephase Jugend, wo Unternehmen mit entsprechenden Maßnahmen, was Familien- und Ausbildungsförderung angeht, noch selbst Potenziale schaffen können. Diese Jugendlichen sind versiert im Umgang mit Technologie und Medien, vor allem was Internet und Telekommunikation angeht, auch wenn ihr Bildungsstand möglicherweise zu wünschen übrig lässt. Sie verhandeln gern mit den Eltern und im Geschäftsleben und schätzen individuelle Zuschnitte. Die Jugendlichen werden als idealistisch, „multitasking-fähig“ und höflich beschrieben. 447
Vgl. Behnken/Maschke/Stecher/Zinnecker 2002 (Jugendgeneration), S. 14.
169
D.III Zwischenfazit: Generationszusammenhänge und Zeitgeisttrends
Insgesamt wird das Umfeld dieser Generationszusammenhänge durch folgende Veränderungen gekennzeichnet: Entwicklungstrends sind die Zunahme des Anteils älterer Menschen, kleiner werdende Familien, zunehmende geografische Streuung der Verwandtschaftsgruppen und mehr Kontaktmöglichkeiten dank besserer Kommunikations- und Transporttechnologie. In diesen Mehrgenerationenfamilien erfolgt hinsichtlich der Erziehung ein Wandel vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt und eine Emanzipation der Frauen. Verbesserte materielle Unabhängigkeit und längere Lebensdauer schaffen einen größeren Spielraum im Lebensverlauf. Dies führt zu mehr Entscheidungsfreiheit, aber auch zu komplexeren Beziehungen. Eine ähnliche Entwicklung ist auf Gesellschafts- und Unternehmensebene zu verzeichnen. Dazu kommt, dass aus dem Zusammenleben und Zusammenarbeiten in Funktionsräumen nach und nach eine Aufteilung auf spezialisierte Räume und ein virtueller Raumzusammenhang mit nur noch punktuellen sozialen Beziehungen entstehen. Auf dem Arbeitsmarkt ist eine wachsende Beteiligung von Frauen, das Ansteigen der geografischen Mobilität und die Steigerung von Lebenserwartung und Bildungsgrad zu verzeichnen. Lebenslanges Lernen wird notwendig. Die zentralen Entwicklungen kristallisieren sich auf allen drei Ebenen – Gesellschaft, Unternehmen und Familie – heraus. Grob lassen sich diese wie in der nachstehenden Grafik in Demokratisierung, Globalisierung, Pluralisierung Technologisierung sowie wachsendes Körperund Umweltbewusstsein zusammenfassen. Die Technologisierung betrifft zum Beispiel sowohl die Infrastruktur als auch die Betriebe und die privaten Haushalte. Die Demokratie ist inzwischen nicht nur auf der politischen Ebene verwirklicht, sondern findet ihren Ausdruck auch in der betrieblichen Partizipation und dem „Mitredendürfen“ der Kinder in der Familie. Abb. D-6: Allgemeine Zeitgeistentwicklungen heute
Allgemeine Entwicklungen Demokratisierung Globalisierung Pluralisierung Technologisierung Wachsendes Körperund Umweltbewusstsein 1940
1945
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Zeitgeist
Quelle: Eigene Erstellung
Diese Trends sind jedoch in Abhängigkeit vom Generationszusammenhang von unterschiedlicher Bedeutung. Die beiden jüngeren Generationszusammenhänge Medienkinder und Netzkinder sind mit einer ständigen wachsenden Dynamik der Umwelt aufgewachsen. In ihrem Umfeld fanden sich auch von Anfang an Bedrohungen, sei es als Bevölkerungsexplosion, Umweltkatastrophen, Kriege, Terror oder Krankheiten wie Aids, Ebola, Vogelgrippe usw. Dazu kommen die wirtschaftliche Unsicherheit und die aktuelle Krise der sozialen Sicherungssysteme. Aus dieser Entwicklung resultiert ein Vertrauensverlust in die Zukunft und die
170
D INHALTLICHE KONKRETISIERUNG DES MODELLS
bestehenden Institutionen. Es ergibt sich für die Jüngeren die Frage, ob die traditionellen Werte und Verhaltensweisen im Umgang mit dieser Umwelt noch tragfähig sind. Diese Frage stellen sich auch die älteren Generationszusammenhänge. Dennoch sind sie für sie nicht so stark relevant, da sie sich in einer späteren Lebensphase befinden. Zumindest haben sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges bis dato gut gelebt, da sie mit zunehmend weniger Anstrengung aufgrund von Arbeitszeitverkürzung und anderen sozialen Errungenschaften am wirtschaftlichen Wohlstand partizipieren konnten.448 Viele Entwicklungen, wie zum Beispiel die globale Erwärmung, werden mit großer Wahrscheinlichkeit während ihrer Lebensspanne nicht mehr relevant werden. Es ist davon auszugehen, dass die Altersgruppen der Kriegs-, Konsum- und Krisenkinder im Alter noch von dem bestehenden Rentensystem und dem aktuell akkumulierten Wohlstand profitieren werden, auch wenn mit Abstrichen zu rechnen ist. Problematisch ist für die älteren Generationszusammenhänge, dass Kriegskinder, Konsumkinder und auch Krisenkinder in den Unternehmen stärker durch Arbeitslosigkeit, Zwangsverrentung oder das Abschieben aufs Abstellgleis gefährdet sind als jüngere Arbeitnehmer. Anhand der Beschreibung der Generationszusammenhänge steht zu vermuten, dass eine Polarisierung zwischen den Medien- und Netzkindern einerseits und andererseits den drei älteren Generationszusammenhängen besteht. Auf die konkreten Problemfelder und Konfliktpotenziale zwischen den Gruppen wird im Anschluss an die empirische Untersuchung und die Überprüfung der Typen näher eingegangen.
448
Das gilt im Großen und Ganzen auch für die Frührentner, jedoch natürlich kaum für die Arbeitslosen, die am Generationsgeschehen des Unternehmens allerdings auch nur indirekt partizipieren.
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE I
Methodik und Durchführung der Generationenmanagementstudie
1
Methodenwahl und Erhebungsdesign
Im vorangegangen Hauptkapitel D konnten die Sozialisations- und Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Generationen herausgearbeitet und empirisch belegt werden. Im Bereich der spezifischen Eigenschaften, Werte und Bedürfnisse der Altersgruppen bestehen jedoch noch erhebliche Wissensdefizite, und es liegen zum Teil Widersprüchlichkeiten vor. Um die Charakteristika und das tatsächliche Verhalten von deutschen Generationen im Arbeitsleben festzustellen, ist deshalb eine eigene empirische Untersuchung unerlässlich. Die Studie hat grundsätzlich explorativen Charakter. Zusätzlich dient sie der Überprüfung der Erkenntnisse in den Feldern, in denen Widersprüche vorliegen oder Ergebnisse nur theoretisch abgeleitet werden konnten, wie zum Beispiel im Bereich der Werte. Konkret werden die Generationsspanne und ihre Lage lokalisiert sowie der Frage nachgegangen, inwieweit in Deutschland ein Generationsbewusstsein besteht. Des Weiteren soll erforscht werden, welche Vorgeschichten die einzelnen Generationen mit an den Arbeitsplatz bringen, deren Kenntnis dazu beitragen kann, die Arbeitsbeziehungen positiv zu gestalten. Das betrifft insbesondere die für Generationsmitglieder allgemein bedeutenden Ereignisse und Schlüsselerlebnisse persönlicher Art. Entsprechend müssen die generationstypischen Eigenschaften und Bedürfnisse überprüft werden. Diese Überprüfung ist insbesondere für den Bereich der altersgruppenspezifischen Eigenschaften erforderlich, zu denen bisher sehr wenig Forschungsmaterial vorliegt. Die wichtigsten Fragen sind einerseits, ob, wo und in welchem Maße zwischen den Generationen Probleme auftreten und andererseits, welche positiven Aspekte die einzelnen Generationen mit an den Arbeitsplatz bringen. Das Problem, woher diese resultieren und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um sie positiv zu nutzen, wird im Folgehauptkapitel F zum Generationenmanagement theoretisch gelöst. Hierbei handelt es sich um Fragen der Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung, der Teamzusammensetzung, der Kommunikationstechniken usw. Zum Teil werden solche Fragen im Rahmen der Studie zur empirischen Untersuchung vorweggenommen. Diese Pilotuntersuchung erfolgt anhand des oben entwickelten Modells zum Generationenverhalten. Die Auswahl einer geeigneten Methode zur Datenerhebung ist primär von den genannten Forschungsfragen abhängig. Zur Erhebung empirischer Daten bieten sich als Instrumente die Inhalts- und Dokumentenanalyse, die Beobachtung, die physiologische Messung und die Befragung an. Diese können je nach Art der Messung und Auswertung qualitativ oder quantitativ sowie experimentell oder nicht experimentell angelegt werden.449 Im vorliegenden Fall wurde bereits auf die Analyse des verfügbaren empirischen und theoretischen Forschungsmaterials zurückgegriffen, um das Generationenmodell zu erarbeiten und einzelne Aspekte zu stützen. Dies umfasst hier vorrangig demografische Daten des Statistischen Bun449
Vgl. Brosius/Koschel 2003 (Kommunikationsforschung), S. 21 f. Ausführlich zu Darstellung und Diskussion der Erhebungsverfahren der empirischen Sozialforschung vgl. Esser/Hill/Schnell 1999 (Empirische Sozialforschung), S. 297 ff. oder Atteslander 2003 (Sozialforschung), S. 79 ff.
172
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
desamtes, die Auswertung von Chroniken und der soziologischen und psychologischen Literatur sowie Untersuchungen zu einzelnen Generationen oder einzelnen Aspekten des Generationsverhaltens bis hin zu persönlichen Erfahrungsberichten mit der eigenen oder fremden Geburtskohorten.450 Hier finden sich wichtige Hinweise und zahlreiche Facetten von Generationenhandeln und Generationenunterschieden. Dennoch kann die theoretische Analyse keinen Anspruch darauf erheben, ein vollständiges oder auch nur völlig einheitliches Bild zu bieten und muss deshalb anhand weiterer Untersuchungen verifiziert und ergänzt werden. Dies gilt insbesondere an den Stellen, wo noch kein empirisches Forschungsmaterial vorliegt. Für die Erfassung tatsächlichen Generationenhandelns würde sich die Beobachtung451 anbieten, um möglichst authentische Ergebnisse zu erzielen. Diese Methode ist jedoch sehr aufwändig, was den Zeitbedarf und die Schulung des benötigten Beobachtungspersonals angeht. Da Arbeitnehmer Außenstehenden bezüglich ihres Arbeitsverhaltens und besonders im Konfliktfall jedoch nur ungern Einblick gewähren, besteht die Gefahr, dass Konflikte mehr als sonst gemieden, modifiziert oder zu einem anderen Zeitpunkt ausgetragen werden und Probleme damit verborgen werden. Dazu kommt, dass ein Großteil generationsbedingter Unterschiede und Probleme den Befragten nicht bewusst sind. Im Prinzip ist eigentlich nur das Generationsverhalten direkt beobachtbar. Normen, Werte, Einstellungen, Gefühle und Vorurteile gegenüber anderen Generationen haben alle einen, jedoch nicht näher zu quantifizierenden Einfluss auf das Generationsverhalten und sind dazu vermutlich auch noch interdependent. Sie liegen unter der Oberfläche des Arbeitslebens verborgen und lassen sich daher nur indirekt erfassen. Eine physiologische Messung kann auch unbewusste Emotionen und Hirnstromaktivität aufzeigen. Solche Methoden werden derzeit bereits in der Marktforschung eingesetzt452, sind aber für die Generationenforschung insofern ungeeignet, als Unternehmen wohl kaum einen so direkten Zugriff auf das Konfliktgeschehen und die persönliche Innenwelt der Mitarbeiter gestatten würden. Zudem ist ein solches Messinstrument zu ungenau für eine Messung von Generationenkonflikten und kann andere Elemente, wie beispielsweise das Wertsystem einer Generation, überhaupt nicht erfassen. Insofern muss sich diese Erhebung darauf beschränken, bewusste und unbewusste Unterschiede in Selbst- und Fremdbild der Generationen sichtbar zu machen und die Konflikt- und Potenzialfelder abzuleiten. Hierzu bietet sich die Methode der Befragung453 an. Die Befragung ist eines der am häufigsten eingesetzten und bewährtesten Datenerhebungsinstrumente. Sie kann persönlich oder anonym, mündlich oder schriftlich erfolgen. Die schriftliche Befragung erleichtert die standardisierte Erfassung von Daten, birgt allerdings auch die Gefahr von Missverständnissen, Falschantworten oder Antworten nach sozialer Erwünschtheit. Dafür hat sie in diesem Fall den Vorteil, dass sie anonym erfolgen kann. Dies erleichtert die Erfassung von Konfliktberei450
Zur ausführlichen Darstellung der Inhalts- bzw. Dokumentenanalyse vgl. exemplarisch Laatz 1993 (Empirische Methoden), S. 207 ff.
451
Zur klassifikatorischen Beschreibung unterschiedlicher Beobachtungstypen vgl. Esser/Hill/Schnell (1993), S. 395, Laatz 1993 (Empirische Methoden), S. 169 ff. und Atteslander 2003 (Sozialforschung), S. 79 ff.
452
Vgl. exemplarisch Gröppel-Klein 2004 (Aktivierungsforschung), S. 42 ff.
453
Eine ausführliche Darstellung der Methode der Befragung findet sich zum Beispiel bei Atteslander 2003 (Sozialforschung), vgl. S. 120 ff.
E.I Methodik und Durchführung der Generationenmanagementstudie
173
chen. Diese sind möglicherweise nicht einmal dem Vorgesetzten oder den Kollegen bekannt und können auf diese Art leichter offen gelegt werden. Unbewusstes kann durch geschickte Fragestellung über Messindikatoren bewusst gemacht bzw. erfasst werden. Entscheidend für die ehrliche Beantwortung der Fragen ist die Integrität des Befragenden. Hier soll also die Befragungsmethode des auf Wunsch anonymen Fragebogens gewählt werden, die nach den genannten Kriterien am besten geeignet erscheint. Weitere wichtige Argumente für diese Methode sind, dass damit eine ausreichend große Stichprobe in verhältnismäßig kurzer Zeit bei geringen Kosten erreicht werden kann. So wird eine quantitative Untersuchung ermöglicht. Diese soll als Pilotstudie zunächst einmal in einem natürlichen (nicht-experimentellen) Umfeld erfolgen. Sollte diese Studie die These signifikanter generationsbedingter und/oder altersbedingter Unterschiede stützen, so wäre im Anschluss auch eine Längsschnittstudie bzw. Langzeitstudie454sinnvoll, da so Alters-, Kohorten- und Periodeneffekte wesentlich besser herausgearbeitet werden können. Zur Untersuchung der Differenzen in den Wertsystemen, Bedürfnisstrukturen und Eigenschaftsprofilen wäre dann ergänzend auch ein aufwändigeres experimentelles Forschungsdesign angebracht. Für die anonyme Erhebung per Fragebogen bietet sich das Internet als Instrument an, womit beispielsweise über eine Maillawine und/oder einen Fragebogen im Netz auf der eigenen Website in kurzer Zeit eine sehr große Zahl an zu Befragenden zu erreichen ist. Die elektronisch erfassten Daten können dann ohne große Gefahr von Übertragungsfehlern und ohne zusätzlichen Erfassungsaufwand direkt übernommen werden. Vorteile der Web-Befragung sind allgemein ihre Schnelligkeit und Wirtschaftlichkeit, die Datensoforteingabe, die Multimediafähigkeit, die Möglichkeit komplexer Fragebögen, die direkte Kontrolle von Fehleingaben und die Reduktion des Interviewereinflusses. Von Nachteil ist, dass aus dem Pool der Gesamtbevölkerung nur diejenigen zur Verfügung stehen, die Zugang zu einem Internetanschluss haben, diesen auch nutzen und beherrschen. Zudem müssen sie angesprochen werden und sich für das Thema und/oder die Befragung selbst genügend interessieren oder motivieren lassen, um seriös teilzunehmen. Damit erfordert eine solche Befragung Technologiefähigkeiten und eine starke Eigenmotivation beim Beantworter. Leider besteht hier die Befürchtung, dass die für die Generationenbefragung benötigten älteren Generationen auf dieses Instrument in wesentlich geringerem Maße ansprechen als die jüngeren, zumal sie weniger in E-MailNetze eingebunden sind bzw. keinen eigenen Internetzugang haben. Bei einem längeren Fragebogen sind auch die Kosten des Internetsurfens für den Befragten in Betracht zu ziehen. Zudem bestehen bei einem solchen Verfahren Kontrollprobleme in Sachen Datenschutz und Übertragungsmöglichkeit, aber auch in Bezug auf die Stichprobe. Da eine echte Zufallsauswahl und Ansprache beispielsweise mittels digitaler Signatur (noch) nicht möglich ist, besteht die Gefahr, dass zum Beispiel Fragebögen mehrfach von der gleichen Person ausgefüllt zu454
Diese Art Studie hat ihre eigene zusätzliche Problematik in der Gewährleistung der Vergleichbarkeit. Diese besteht nicht nur in der natürlicherweise abnehmenden Stichprobe, sondern auch darin, dass sich das Antwortverhalten selbst zum Beispiel durch Emanzipation oder Änderungen der sozialen Erwünschtheit wandelt. Auch besteht die Gefahr, dass sich Wortbedeutungen ändern (wenn Schumacher zum Beispiel nicht mehr mit Fußball, sondern mit der Formel 1 verbunden wird) oder neue Dinge, die zu Beginn der Studie noch nicht absehbar waren, wie Umweltbewusstsein oder die Angst vor Terrorismus plötzlich relevant werden. Bei Langzeitstudien ist auch die Aussagekraft der Änderungen in der Nähe der Randbereiche kritisch zu betrachten (ceiling and floor effects). Vgl. dazu Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 27 ff. und S. 65.
174
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
rückkommen oder die Stichprobe nicht den gewünschten Kriterien entspricht, ohne dass dies feststellbar wäre.455 Diese Gefahren bestehen bei der schriftlichen Befragung mit persönlicher Ansprache in wesentlich geringerem Maße. Der Befragende hat bei dieser Variante handschriftlich ausgefüllter Bögen eine recht gute Kontrolle über die Verschiedenheit der Bögen, selbst wenn einige zugemailt, anonym zurückgesendet oder gefaxt werden. Für die Untersuchung sind offene Fragen, Anmerkungen und Kritik besonders erwünscht, da sie Aufschluss über das Fragenverständnis etc. geben und die Kommunikation mit den Probanden zusätzliche Erkenntnisse zu Tage fördern kann. Auch diese Aspekte sind bei einer Befragung in Papierform mit persönlicher Ansprache ungleich leichter zu realisieren als im Netz. Da eine Erhebung über die Grundgesamtheit – in diesem Falle die Gesamtbevölkerung Deutschlands im arbeitsfähigen Alter – aufgrund der dazu in hohem Grad benötigten finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen sowie des erforderlichen Beteiligungswillens der Gesamtbevölkerung nicht durchführbar ist, kann hier nur ein Teil der Gesamtheit erhoben werden. Diese Stichprobe sollte möglichst repräsentativ sein. Beteiligung, Größe und Repräsentativität der Stichprobe sind allgemein entscheidende Faktoren für eine empirische Untersuchung, vor allem aber bestimmen sie die Möglichkeiten der Auswertung. Das ist insbesondere in Hinblick auf die Anwendbarkeit statistischer Methoden von Bedeutung. In Bezug auf die Repräsentativität stellt sich hauptsächlich die Frage, inwieweit bestimmte Merkmale in der Stichprobe in derselben Häufigkeit vorkommen wie in der Grundgesamtheit.456 Da direkt zum hier betrachten Forschungsgegenstand noch keine großzahligen Untersuchungen vorliegen, die verlässliche Auskunft darüber geben würden, welche Merkmale dies genau sind und wie sie ausgeprägt sein müssen, geschweige denn die passenden Ergebnisse liefern, muss eine Abschätzung vorgenommen werden. Dazu dienen folgende Überlegungen. Generationsunterschiede am Arbeitsplatz sind ein bisher in der deutschen Betriebswirtschaftslehre vernachlässigtes Gebiet. Insofern geht es zunächst einmal um den ersten Erkenntnisgewinn, womit die Repräsentativität der Stichprobe an Bedeutung verliert. Zu erwarten sind probabilistische Aussagen, die trotz ihres eingeschränkten Gültigkeitsbereichs in der Studie ein Phänomen widerspiegeln sollten, dass auf „die“ Gesellschaft übertragbar ist. Die Merkmale der Generationenprägung sowie die tatsächliche Altersspannbreite einer Generation soll durch die Erhebung überprüft werden. Beschränkt man die Untersuchung auf einen Betrieb, so besteht die Gefahr, dass die Effekte der dortigen Organisationsstruktur und Unternehmenskultur die Generationseffekte überlagern. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll eine möglichst heterogene Gruppe von Berufstätigen zu befragen, was die Firmenzugehörigkeit betrifft. Wichtig ist auch, dass beide Geschlechter in ausreichendem Maße vertreten sind, da Unterschiede in Eigenschaften und Einstellungen oft mit dem Geschlecht variieren und nicht nur mit dem Alter. Sonstige kulturelle Faktoren, insbesondere die nationale, regionale Kultur und die Religion sollten dagegen relativ homogen sein. Aus diesen Gründen wurde hier eine geschichtete Zufallsstichprobe in Bezug auf die verschiedenen Altersstufen mit einer Zu455
Vgl. Theobald 2000 (Web-Befragungen), S. 22 und 26 f.
456
Zum Thema Stichproben vgl. ausführlich Atteslander 2003 (Sozialforschung), S. 304 ff.
E.I Methodik und Durchführung der Generationenmanagementstudie
175
fallsauswahl pro Altersschicht gewählt. Das Untersuchungsfeld sollte sich auf eine Stadt bzw. Region in Westdeutschland beschränken und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus verschiedenen Branchen und Unternehmensarten und -größen umfassen. Der Untersuchungsgegenstand sind hier Generationenunterschiede und Generationenverhalten im Arbeitsleben. Aus diesem Grunde wurde für die Studie zum Generationenmanagement ein natürliches, nur durch die Auswahl der Stichprobe kontrolliertes Umfeld gewählt. Die Untersuchung wurde für die Befragung in Münsteraner Betrieben, im Einzelhandel und allgemein unter der berufstätigen Bevölkerung konzipiert. Damit könnte sie prinzipiell zur Kontrolle und zum Vergleich zu einem späteren Zeitpunkt oder an einem anderen Ort mit einer vergleichbaren Stichprobe wiederholt werden. Die Bevölkerungsentwicklung in Münster457 ist mit der Gesamtbevölkerungsentwicklung in Deutschland vergleichbar. Dazu wurde die Form der schriftlichen Befragung mit persönlicher Ansprache als Straßenbefragung in Münster gewählt. Eine Straßenumfrage muss insofern den willkürlichen Auswahlverfahren zugerechnet werden, als dass die Merkmalsträger nach ihrer Verfügbarkeit ohne besondere Systematik ausgewählt werden. Sie ist nicht ganz zufällig, da nicht alle Bürger dieselbe Möglichkeit hatten, teilzunehmen. Dies kann nur gerechtfertigt werden, wenn man wie hier davon ausgehen kann, dass alle Mitglieder der Grundgesamtheit sich in Abhängigkeit ihrer Altersklasse gleichartig verhalten.458 Damit repräsentiert jedes Generationsmitglied die Grundgesamtheit seiner Generation bzw. seiner Altersklasse. Insgesamt musste also nur darauf geachtet werden, dass Mitglieder aller Altersklassen befragt werden.459
2
Fragebogengestaltung und Pretest
Diese empirische Untersuchung zum Generationenmanagement zielt darauf ab, herauszufinden, ob und in welchem Ausmaß bestimmte Generationsphänomene in der Realität vorliegen. Konkret handelt es sich hierbei um die Überprüfung von Generationsabstand, Generationsbewusstsein und einzelner Aspekte der Generationspersönlichkeiten sowie des Generationenverhaltens. Dies betrifft hauptsächlich die zentralen Werte und Arbeitswerte, die Generationseigenschaften und mögliche generationsbedingte Probleme und Bedürfnisse am Arbeitsplatz. Dafür müssen Vorgehensweisen angegeben werden, wie die mit diesen Begriffen bezeichneten Sachverhalte in der Realität beobachtet werden können. Operationalisierung bezeichnet alle Maßnahmen und Forschungsoperationen, die dazu notwendig sind. Generationsphänomene sind in der Regel nicht direkt beobachtbar, wohl aber indirekt. Sie drücken sich in der
457
Vgl. Internetquelle o. V. 2005 (Bevölkerungsstruktur Münster).
458
Vgl. Brosius/Koschel 2003 (Kommunikationsforschung), S. 91 f.
459
Die Befragten sollten sich in den oben genannten zentralen Eigenschaften weder untereinander noch von anderen Westdeutschen signifikant unterscheiden. Unterschiede betreffen für die Münsteraner Bevölkerung generell eine gewisse Wohlhabenheit, einen höheren Anteil an Verwaltungs- und Dienstleistungsberufen und eine geringe Durchmischung mit Ausländern, die für die Umfrage erwünscht war, jedoch nicht die Altersverteilung. Damit handelt es sich im Wesentlichen um eine Klumpenstichprobe, die über eine raumzeitlich eng umgrenzte Ansammlung von Elementen der Grundgesamtheit ein strukturell verkleinertes Abbild der Grundgesamtheit zeigt. Vgl. Brosius/Koschel 2003 (Kommunikationsforschung), S. 98 f.
176
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Gestaltung des Äußeren, in Sprache, Werthaltungen, Eigenschaften und Verhaltensweisen aus. Hier werden insbesondere die Fremd- und Selbsteinschätzung dieser Variablen als Indikatoren gewählt. Sie werden anhand von offenen Fragen, Rangfolgefragen und Kategorisierungen (Likertskalen) abgefragt. Dies ist von der Fragemethode her ein bewährtes Instrument für den Bereich der Werthaltungen und Einstellungen.460 Die Schwierigkeit bei der Messung dieser Merkmale liegt in erster Linie in der Identifizierung der rein generationsbedingten Merkmale der Zielgruppe insbesondere im Gegensatz zu allgemeinen oder firmenspezifischen kulturellen Merkmalen, die weitgehend nicht direkt beobachtbar sind. Da zusätzlich die Existenz latenter Variablen zu vermuten ist, wurde über die Auswahl einer kulturell homogenen Zielgruppe versucht, deren eventuellen Störeinfluss möglichst niedrig bzw. zumindest konstant zu halten, um den Generationseinfluss sauber herausarbeiten zu können. Mögliche Störeinflüsse wie Geschlecht, Herkunft, Nationalität, Religion, Branche usw. wurden über biografische Kontrollvariablen erfasst, die gleichzeitig herangezogen werden konnten, um die Zulässigkeit der Stichprobe und die verlangte Alters- und Geschlechterschichtung sowie die Stellung der Befragten im Lebenslauf zu überprüfen. Die erste Frage, die sich im Rahmen der Befragung stellt, ist die Frage nach der Operationalisierung der Variable Alter. Das Alter wurde über das Geburtsdatum direkt erfasst. Das Geburtsdatum lässt eine präzise Zuordnung im Zeitraster zu und ermöglicht Rechenoperationen mit anderen Daten, beispielsweise mit besonderen Ereignissen. Durch Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnort konnten die Befragten sozial-räumlich und zeitlich positioniert werden. Da Generationeneigenschaften und -verhalten am Arbeitsplatz altersgruppenspezifisch in einer Untersuchung erfasst werden, musste die Generationeneinteilung aus methodischen Gründen vorab erfolgen. Die Einteilung erfolgt, wie in der Modellpräzisierung begründet, in Zehnjahresschritten. Diese Annahme ist plausibel. Trotzdem wurde zu ihrer Überprüfung die Einschätzung der Befragten zum persönlich gefühlten Generationsabstand erfasst. Ein modularer Aufbau nach Altersgruppen hätte sich empfohlen, nicht nur um die Fragen generationsgerecht zu stellen, sondern auch um jeweils die richtige Perspektive einzunehmen und dem Antwortenden überflüssige Fragen zu ersparen. Die Gefahr bei einer solchen Vorgehensweise liegt allerdings zum einen in der Voreingenommenheit durch die eigene Generationszugehörigkeit des Fragestellers und zum anderen in der Präjudizierung von Generationsklassen. Da die gewählten Generationsklassen keinesfalls als gesichert gelten konnten, wurde auf den modularen Aufbau verzichtet. Zur Positionierung im Lebenslauf wurden folgende Indikatoren herangezogen: Die eigene Lebenssituation wurde anhand biografischer Daten erfasst. In persönlicher Hinsicht sind dies neben Geburtsdatum, -ort, Geschlecht, Wohnort, Nationalität und Religionszugehörigkeit Variablen wie Familienstand, Kinderzahl, Geburtsjahr des ersten Kindes, Pflegebedürftigkeit und Familienstand der Eltern. Berufsbezogen wurden Bildungsabschluss, Beruf und Branche sowie die hierarchische und fachliche Position erfragt. Die Dauer der Berufstätigkeit und der Betriebszugehörigkeit dienen vor allem im Hinblick auf den Erfahrungsschatz des Befragten 460
Vgl. Brosius/Koschel 2003 (Kommunikationsforschung), S. 44.
E.I Methodik und Durchführung der Generationenmanagementstudie
177
als Indikatoren. Für den Freizeitbereich wurden die hier bevorzugten Beschäftigungen erfasst. Dieses Merkmal ist in Bezug auf die Indikatoren unterrepräsentiert, da es in der Gesamtbetrachtung aus Unternehmensperspektive weniger relevant ist. Zum Freizeitverhalten liegen zahlreiche andere Untersuchungen vor, auf die stattdessen zurückgegriffen werden kann. Anhand dieser Daten ist eine Einordnung der Befragten im Lebensphasenkonzept möglich. Der Katalog der möglichen Eigenschaften entstammt den Ausführungen zum Modell bezüglich der Generationenmerkmale in Kapitel C.II. Auswahlkriterium ist die mögliche Relevanz für die Forschungsfragestellung des Generationsverhaltens am Arbeitsplatz und das dahinter liegende Wertemuster. Die Werte sind als abstrakte Konstrukte zunächst einmal nicht direkt beobachtbar. Sowohl Grund- als auch Arbeitswerte und persönliche Zielsetzung werden erfasst. Das geschieht mit Hilfe offener Fragen, Rangfolgefragen zur eigenen Einschätzung und indirekt über die Fremdeinschätzung der Altersgruppen. Die Ergebnisse müssen allerdings mit Vorsicht ausgewertet werden, da das eigene Wertsystem nicht einmal dem einzelnen Individuum selbst voll bewusst ist und oft Inkonsistenzen aufweist. Zudem besteht die Gefahr der Bewertung nach sozialer Erwünschtheit. Letzteres wird bei den Fähigkeiten durch Bevorzugung von Fremdeinschätzung vor Selbsteinschätzung zu vermeiden gesucht. Hier bestehen höchstens Bedenken der Befragten, selbst als diskriminierend eingeschätzt zu werden. Neben den Hauptfaktoren der Persönlichkeit werden mögliche Generationenprobleme und die Bedürfnisstruktur bezüglich der Arbeitssituation erfasst (Selbsteinschätzung über Likertskalen). Dem Einfluss des Zeitgeistes wird über Fragen nach vertrauten Dingen und Personen Rechnung getragen. Darüber hinaus wurden Ereignisse von nationaler Bedeutung und wichtige Ereignisse aus dem Privatleben abgefragt. Die Fragestellungen zum Thema Arbeitszufriedenheit fallen bereits in den Bereich Generationenmanagement. Hier wird in gewisser Weise den Ergebnissen des ersten Fragebogenteils vorgegriffen, aus denen sich Generationstypen, Konflikt- und Konsensfelder und mögliche Maßnahmen erst ableiten müssten. Dieses Vorgreifen wurde auf Basis der amerikanischen Forschungsergebnisse und der erarbeiteten Modellvorstellung ermöglicht. Hier besteht die Gefahr, dass eventuell wichtige Fragestellungen nicht in ausreichender Weise berücksichtigt wurden. Angesichts des Gesamterfassungsaufwandes kann dieses Vorgehen jedoch gerechtfertigt werden. In der kritischen Betrachtung der Ergebnisse wird sich zeigen, an welchen Stellen weiterer Handlungsbedarf besteht. Für die Generierung des Fragebogens461 und im Rahmen des Pretest im Anschluss an die Fragebogenkonstruktion wurde zusätzlich auf die mündliche Befragung im Sinne von Experteninterviews zurückgegriffen. Ziel des Pretests war es vor allem, die Verständlichkeit des Fragebogens, seine Vollständigkeit und Repräsentativität zu überprüfen. Basierend auf kritischen und konstruktiven Anmerkungen dieser „Testpersonen“ wurden Kürzungen und Zusammenfassungen sowie Umstellungen und kleinere Veränderungen, die sich vor allem auf die Präzisierung der Fragestellungen bezogen, vorgenommen. Im Rahmen des Pretests wurde das Bedürfnis der Befragten nach Anonymität der Daten besonders deutlich, dem durch Entfernung der Kontaktdaten und den Hinweis auf die Freiwilligkeit der Angaben mit Ausnahme des Ge461
Zur Fragebogenkonstruktion vgl. exemplarisch Bortz/Döring 2002 (Forschungsmethoden), S. 253 ff. sowie Esser/Hill/Schnell 1999 (Empirische Sozialforschung), S. 303 ff.
178
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
burtsdatums Rechnung getragen wurde.462 Die im Pretest befragten Personen wurden nicht in die Ergebnisstichprobe aufgenommen. Der Fragebogen erfasst zunächst biografische Daten (Geburtstag, Geschlecht, Bildungsstand, Berufserfahrung und hierarchische Stellung). Er umfasst im Sinne der Ergänzungsfunktion offene Fragen, die immer zu Beginn und in jedem Fall vor den geschlossenen Fragen zum gleichen Thema stehen. Sie sollen spontane Einfälle fördern und den Befragten nicht durch die nachfolgend angegebenen Variablen in eine bestimmte Richtung beeinflussen. Die geschlossenen Fragen wurden großteils mit Hilfe der in der Forschungspraxis bewährten fünfstufigen Skalen erhoben.463 Die optische Darstellung und auch die Verbalisierung dieser Likertskalen spiegelt die gewünschte Äquidistanz zwischen den einzelnen Skalenwerten. Diese Verhältnisskalen haben die Ausprägungen: stimme voll zu – stimme eher zu – schwer zu sagen – stimme eher nicht zu – stimme gar nicht zu. Die Abstände zwischen den Ausprägungen werden so als etwa gleich groß wahrgenommen. Die Skala hat ihren Mittelpunkt in der Kategorie schwer zu sagen.464
3
Durchführung, Auswertung und Stichprobe der Erhebung
Im Herbst 2004 wurde der Fragebogen direkt über den Arbeitsplatz bzw. in öffentlichen Gebäuden in Münster von drei Befragerinnen an Zufallspassanten verteilt, konnte jedoch an einem beliebigen Ort ausgefüllt und auch weitergereicht werden. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass es sich um westdeutsche Berufstätige im Alter von 15 bis 70 Jahren handelte. Die meisten Befragten bearbeiteten den Fragebogen sofort und meldeten keine Schwierigkeiten, was Beantwortungsart und Inhalt der Fragen betraf. Auch die anonym und/oder an einem anderen Ort ausgefüllten Fragebögen weisen nicht auf Zufallsantworten oder Muster 462
In der Ursprungsfassung des Fragebogens mit allen wichtigen Komponenten, Einzelerfassung von Selbstund Fremdbild und Kontrollfragen betrug die Bearbeitungszeit über eine Stunde, so dass aufgrund der Praktikabilität deutliche Kürzungen zu Lasten der Genauigkeit und einiger Sachfragen notwendig wurden. Die Kürzungen betrafen familiäre Generationenverhältnisse (Eltern, Großeltern, Nachkommen), vor allem Fragen demografischer Art. Hier wird auf Durchschnittsdaten des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen. Fragen zu Sprache, Äußerem, Vorlieben, Freizeitverhalten und Umgangsformen wurden auf ein Minimum reduziert. Der Bereich Einstellungen wurde auf wenige Fragen zu Arbeitseinstellungen, Unternehmenskultur und Generationsnormen reduziert. Hier existiert vielfältiges, wenn auch uneinheitliches Fremdmaterial, genauso wie im Bereich der Eigenschaften. Hier wurde das Selbstbild völlig herausgenommen, da mit einer Verfälschung der Antworten durch positive Selbstdarstellung zu rechnen war. Die Alterskategorien mussten vorgegeben werden und wurden konkret statt mit den interpretationsbedürftigen Begriffen „älter“, „jünger“ etc. definiert. Durch die Aufnahme der Eigenschaft „erfahren“ in die Eigenschaftsliste konnte der Fragenblock, der sich an Betriebszugehörigkeit/Berufserfahrung orientierte, eliminiert werden. Die Rangfolge der Werteliste wurde auf die Maximalausprägungen beschränkt. Hauptnachteil der Kürzungen war die Zusammenfassung der Einzelwerte zu Kategorien mit etwas geringerem Erklärungswert bereits vor der Messung.
463
Vgl. Rohrmann (1978), S. 225 f.
464
Dies lässt nach herrschender Meinung eine Betrachtung der ordinalskalierten Werte als intervallskaliert und einen Rückgriff auf ein größeres Instrumentarium der Statistik zu, falls sich dies zur Erklärung von Wirkungszusammenhängen als empfehlenswert oder notwendig erweisen sollte. Vgl. Backhaus/Erichson/ Plinke/Weiber 2003 (Analysemethoden), S. 5. Zur Problematik der Angemessenheit eines statistischen Verfahrens in Zusammenhang mit verschiedenen Skalentypen vgl. ausführlich Gaito 1980 (Scales), S. 564 ff., Gaito 1986 (Measurement-statistics), S. 63 ff. und Michell 1986 (Scales and statistics), S. 398 ff.
E.I Methodik und Durchführung der Generationenmanagementstudie
179
hin. Der Rücklauf erfolgte innerhalb weniger Tage. Die drei Interviewerinnen hatten in etwa gleich hohe Rücklaufquoten von in etwa jedem vierten Angesprochenen, so dass hier keine Verzerrung aufgrund von Sympathiewerten oder Ähnlichem zu befürchten ist. Trotz einer Ausfüllzeit von 20 bis 40 Minuten wurde der Fragebogen sorgfältig und mit Ausnahme der biografischen Daten meist vollständig ausgefüllt. Die schriftlichen Kommentare in den Fragebögen und an die Beantwortung anschließende Gespräche mit den Probanden zeigten deren Interesse am Forschungsgegenstand, genauso wie diverse Bitten um Zusendung der Forschungsergebnisse. Vor allem den jüngeren Altersgruppen erscheint eine Auseinandersetzung mit dem Generationenthema und den eigenen Prioritäten wichtig. Für Ältere spielen Probleme am Arbeitsplatz dagegen nur noch für eine begrenzte Zeitspanne eine Rolle. Hier spielt auch die Belastungssituation eine Rolle. Insbesondere die Führungskräfte des Einzelhandels tendierten auch dazu, das Ausfüllen des Fragebogens an ihre jüngeren Angestellten zu delegieren. Da alle Generationen in der Stichprobe vertreten sind, ist jedoch eher mit einer zufälligen als mit einer systematischen Verweigerung zu rechnen. Auf diese Weise kamen innerhalb von kurzer Zeit 172 Fragebögen zusammen. Doppeltausfüllungen sind in der Stichprobe augenscheinlich nicht enthalten. Die Fragebögen wurden durch Eingabe in das Statistikprogramm SPSS 12 komplett erfasst. Antworten zu offenen Fragen wurden dabei zum Teil kategorisiert.465 Im Wesentlichen konnten fundierte Aussagen bereits auf der Basis der einfachen und zuverlässigen Häufigkeitsauswertungen getroffen werden.466 Die Anzahl der gültigen Fragebögen beträgt 143. Kein Geburtsdatum kam mehr als einmal vor. Aussortiert werden mussten nach Vorgabe die wenigen Nicht-Berufstätigen, Ausländer und über 70-Jährigen. Damit umfasst die Stichprobe nur Berufstätige deutscher Nationalität im Alter zwischen 18 und 66 Jahren. Die Geschlechter sind beide gut repräsentiert. 64 der Befragten sind männlich und 75 weiblichen Geschlechts467. Die Verteilung auf die verschiedenen Branchen und Berufe ist wie gewünscht heterogen und umfasst auch die verschiedenen Ausbildungsstufen. Allerdings besteht eine gewisse Polarisierung in Richtung der Dienstleistungsberufe. Auf die Verteilung der Merkmale, welche die familiäre und berufliche Situation der Befragten beschreiben, wird im Rahmen der Darstellung der empirischen Ergebnisse ausführlich eingegangen. 60 % der Befragten wohnen in Münster und Umgebung, 35 % stammen sogar gebürtig von dort. Auch in Bezug auf die Religion ergibt sich ein homogenes Bild, so dass insgesamt keine kulturell bedingten Störeinflüsse zu befürchten sind. Über 112 der Befragten, also knapp 80 % geben an, der christlichen Religion anzugehören. Die restlichen 31 gehören nach eigener Auskunft keiner Religion an oder machen dazu keine Aussage. Die nachstehende Tabelle zeigt die Verteilung der Stichprobe auf die einzelnen Altersgruppen. 465
Dass SPSS-Programm bietet alle benötigten Funktionen der statistischen Datenverarbeitung mit einem sehr breiten Instrumentarium. Zur Datenerhebung und Grenzen der Differenziertheit von Messungen vgl. ausführlich Brosius/Koschel 2003 (Kommunikationsforschung), S. 65 und S. 103 f.
466
Vgl. auch das Plädoyer für die Verwendung einfacher statistische Methoden in der Kohortenanalyse bei Glenn 1977 (Cohort analysis), S. 57 ff.
467
Vier Fragebögen enthielten zum Geschlecht keine Angabe.
180
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Tab. E-1: Verteilung der Stichprobe auf die Altersgruppen Altersgruppen nach Geburtsjahrgängen
Kindheit/ Jugend
Bezeichnung
Zeitraum des 18. Geburtstags
Alter zum Erhebungszeitpunkt
Anzahl
1937 - 1946
40er - 50er Jahre
Kriegskinder
1955 - 1964
58 bis 67
14
1947 - 1956
50er - 60er Jahre
Konsumkinder
1965 - 1974
48 bis 57
18
1957 - 1966
60er - 70er Jahre
Krisenkinder
1975 - 1984
38 bis 47
30
1967 - 1976
70er - 80er Jahre
Medienkinder
1985 - 1994
28 bis 37
42
1977 - 1986
80er - 90er Jahre
Netzkinder
1995 - 2004
18 bis 27
39
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Da man davon ausgehen kann, dass ein Großteil der potenziell Erwerbstätigen in den höheren Altersgruppen nicht mehr im Arbeitsmarkt aktiv ist468, spiegelt diese etwas schiefe Verteilung in etwa ein realistisches Bild. Dennoch sind die Aussagen zu den beiden älteren Gruppen aufgrund der geringen Fallzahlen nur unter Vorbehalt möglich. Von einer Gewichtung oder Zusammenfassung von Altersgruppen wurde abgesehen, um die Authentizität der Aussagen nicht zu verfälschen.
468
Vgl. Schmitt 2003 (Altersstruktur), S. 52 basierend auf Studien von Proage, der Bertelsmannstiftung und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
E.II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf
181
II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf 1
Familiäre Situation der Altersgruppen
Was die familiäre Situation angeht, dominieren unter den Befragten die deutsche „Normalfamilie“ mit verheirateten Eltern und zwei Kindern und der idealtypische, wenn auch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt etwas phasenverschobene Lebenslauf. In der Stichprobe befinden sich 74 Ledige und 56 Verheiratete. Nur vier der Befragten geben unter Familienstand geschieden oder sonstige an. Bei den beiden Altersgruppen der über 46-Jährigen sind die Teilnehmer der Befragung fast ausnahmslos verheiratet. In der Gruppe der Krisenkinder sind es gut die Hälfte. In der Gruppe der 27- bis 36-Jährigen sind es knapp 40 %, was auf eine Verschiebung des Heiratsalters nach hinten bzw. eine verstärkte Tendenz zum Ledigbleiben schließen lässt. In der jüngsten Altersgruppe sind nur zwei verheiratet, was der Lebensphase dieser Gruppe voll entspricht. Zu ihrem späteren Heiratsverhalten ist noch keine Aussage möglich. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den in Hauptkapitel D aufgezeigten demografischen Entwicklungen auf der Familienebene, wonach ca. 80 % der Kinder bei ihren verheirateten Eltern und 66 % der westdeutschen Kinder bei verheirateten Eltern mit mindestens einem Bruder oder einer Schwester aufwachsen.469 Nach Daten des Statistischen Bundesamtes sind seit Mitte der 70er Jahre ein starker Anstieg des Heiratsalters und gleichzeitig die Zunahme von Ledigbleibenden vor allem unter den westdeutschen Männern zu verzeichnen. „Jung“ verheiratete Ehemänner waren 2003 mit 35,9 Jahren durchschnittlich um 4,4 Jahre, Frauen bei Eheschließung mit 32,3 Jahren durchschnittlich 3,5 Jahre älter als 1991. Es steht zu vermuten, dass ca. 20 % der 1960 Geborenen (Krisenkinder) auch nicht heiraten werden. Diese Entwicklung geht mit einer verlängerten Phase der Ausbildung und des unverheirateten Zusammenlebens sowie einem späteren Beginn der Ehe und Elternschaft, die in Deutschland noch immer gekoppelt sind, einher. Die Ehedauer ist generell leicht gesunken, außer in der Gruppe der über 65-Jährigen. Ab diesem Alter sind Scheidungen selten und die längere Lebenserwartung sorgt für einen deutlichen Anstieg der durchschnittlichen Ehedauer. Tatsächlich gibt es in Westdeutschland in etwa gleich viele Paare mit wie ohne Kinder. Gut 20 % der Bevölkerung leben allein.470 Nur vier der ledigen Befragten haben Kinder. Die Ergebnisse der Generationenmanagementstudie zeigen deutlich, dass die Zweikinder-Familie unter den Befragten dominiert, von denen auch nur einer mehr als drei Kinder hat. Der Trend zur Kinderlosigkeit bzw. zur späteren Familiengründung ist deutlich in der nachstehenden Tabelle abzulesen. Die unter 26-Jährigen sind noch ausnahmslos kinderlos. Unter den Medienkindern haben 13 von 28 bisher ein bis zwei Kinder. Selbst unter den Krisenkindern, deren jüngste 37 Jahre alt sind, ist immer noch fast die Hälfte kinderlos. Hier sind die Chancen weiterer Erstgeburten in der Zukunft auch als stark abnehmend einzuschätzen. Das Alter bei Geburt des ersten Kindes liegt unter den Eltern in der Stichprobe zwischen 20 und 41 Jahren. Dabei haben ca. 28 % ihr erstes Kind im Alter von bis zu 25 Jahren bekommen. Ca. ein Drittel wurde von 26 bis zum Alter von 30 Jahren 469
Vgl. Statistisches Bundesamt 2005 (Mikrozensus 2004), S. 9 und S. 27.
470
Vgl. Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 63 ff. und Statistisches Bundesamt 2004 (Mikrozensus), S. 16 ff.
182
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
zum ersten Mal Eltern und mit 35 haben über 90 % unter allen befragten Eltern ihr erstes Kind bereits bekommen. Diejenigen, die mit 25 Jahren oder jünger bereits eine Familie gegründet haben, stammen durchweg aus den älteren Altersgruppen. In der Kriegskindergruppe bekam niemand über 32 Jahren sein erstes Kind, in den Jahrgängen der bis 37-Jährigen hingegen kam nur ein erstes Kind zur Welt, dessen Elternteil noch unter 26 Jahre alt war. Tab. E-2: Häufigkeitsverteilung der Kinderzahl auf die Altersgruppen Anzahl der Kinder Altersgruppen nach Geburtsjahrgängen
keine Kinder
1 Kind
Gesamt 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder
Kriegskinder
1937 - 1946
1
2
5
3
1
12
Konsumkinder
1947 - 1956
2
3
10
2
0
17
Krisenkinder
1957 - 1966
13
2
11
2
0
28
Medienkinder
1967 - 1976
27
5
7
0
0
39
Netzkinder
1977 - 1986
36
0
0
0
0
36
79
12
33
7
1
132471
Gesamt
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Die biologischen Elterngenerationen der Befragten zeigen in ihrer Familiensituation ein noch einheitlicheres Bild. Die breite Masse von 79 Elternpaaren ist derzeit verheiratet, 24 Elternteile sind verwitwet. Nur zwei sind und waren immer ledig und nur sieben Elternpaare sind geschieden. Von diesen Geschiedenen sind allerdings fünf ehemalige Paare Eltern von Netzkindern.472 Dies ist der einzige Hinweis auf eine Entwicklung zu einer Abweichung vom traditionellen Familienmodell und auf die statistische Entwicklung, dass Jüngere ein größeres Risiko haben, in einer zersplitterten Familie oder mit nur einem Elternteil aufzuwachsen.473 Verwitwete Elternteile gehören in der Regel zu den drei ältesten Gruppen (Konsumkinder 44 % und Kriegskinder aber auch Krisenkinder je 36 %). Aber auch in der Gruppe der Medienkinder sind bereits 10 % der Eltern verwitwet und ca. 11 % pflegebedürftig. Im Gegensatz dazu ist in der Gruppe der Netzkinder kein Elternteil verwitwet oder pflegebedürftig. Die beiden ältesten Gruppen tragen das größte Risiko, dass ihre Eltern pflegebedürftig werden. Je 36 % der Kriegskinder und der Konsumkinder haben zumindest einen pflegebedürftigen Elternteil, aber auch in der Gruppe der Krisenkinder, also der 37- bis 46-Jährigen, ist jeder Fünfte mit der Pflege seiner Eltern belastet. Die Pflegebedürftigkeit der Eltern oder deren Verwitwung bedingt nicht unbedingt, dass sich die Kinder um die Eltern kümmern müssen 471
12 der Befragten machten zu ihrer Kinderzahl keine Angaben.
472
11 Nennungen fallen unter „sonstige“. Der Inhalt dieser Kategorie könnte gleichgeschlechtliche oder außereheliche Lebensgemeinschaften, Wiederverheiratete usw. umfassen. Zu vermuten ist jedoch, dass es Fälle sind, wo beide Elternteile verstorben sind, weil es sich durchweg um Eltern der ältesten Gruppe handelt.
473
Vgl. Engstler/Menning 2003 (Familienstatistik), S. 73 ff.
E.II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf
183
oder sie sogar selbst pflegen. Dennoch ist davon auszugehen, dass sie sich, wenn vielleicht nicht um die Pflege selbst, so doch um kleinere Dienste und organisatorische Fragen kümmern, ganz abgesehen von der emotionalen und sozialen Beziehungsgestaltung.474 Nach den obigen Ausführungen stellt sich die Lebensphase der Netzkinder bezüglich der Familie so dar, dass sie weder eine legale Bindung zum Partner, noch die Verantwortung für Kinder oder ihre Eltern haben. Aus diesem Grund dürften sie relativ unabhängig, mobil und belastbar sein. Sie können dem Berufsleben Priorität geben, wenn sie es wollen und dies ist sogar recht wahrscheinlich. Insofern besteht hier ein großes Potenzial für die Unternehmen. Für Medienkinder stellt sich die Situation bereits etwas anders dar. Sie befinden sich in der Phase von Heirat und Familiengründung und müssen ihre berufliche Planung an Ehepartner und Familienversorgung ausrichten. Gegebenenfalls kümmern sie sich um verwitwete oder pflegebedürftige Eltern. Diese Mehrfachbelastung führt dazu, dass die berufliche Kapazität in gewisser Hinsicht eingeschränkt ist. In dieser Altersgruppe stellen die Kinderlosen für die Unternehmen ein Potenzial dar, das sicherlich im Bedarfsfall eher zur Verfügung steht, bei dem die Wahrscheinlichkeit eines Unternehmenswechsels aus Karrieregründen jedoch auch höher ist. Andererseits fördern sowohl eine stabile Beziehung als auch Familie nach Ansicht der Betroffenen nicht nur die Lebenszufriedenheit, sondern auch die berufliche Leistungsfähigkeit und das Verbleiben im Unternehmen.475 Die Krisenkinder befinden sich, falls sie sich für Kinder entschieden haben, derzeit in der Phase, in der die Kinder aufwachsen. Gleichzeitig müssen sie mehr und mehr Verantwortung für die eigene Elterngeneration übernehmen. Das bedeutet, dass sie auf ein gutes, sicheres Einkommen zumindest eines Ehepartners angewiesen sind oder zwei Karrieren und die Betreuung der Kinder und Eltern unter einen Hut bringen müssen. Das geht mit einer starken Einschränkung der Mobilität einher. Ledige bzw. Kinderlose haben es hier einfacher. Sie können sich voll auf die Karriere konzentrieren und sind insgesamt mobiler. Ähnlich ist die Situation bei den Konsumkindern. Auch sie könnte man in der Doppelbelastung durch eigene Kinder und pflegebedürftige Eltern als Teil der „Sandwichgeneration“476 bezeichnen. Laut Statistik sind mehr als 50 % der Pflegenden von Familienangehörigen 40 bis 64 Jahre alt.477 Die Sandwichgeneration empfindet ein starkes Ungleichgewicht zwischen den für andere erbrachten und den selbst erhaltenen Leistungen in dieser Lebensphase. Immerhin werden Pfle474
Statistisch gesehen betreut jeder Zehnte ehrenamtlich eine hilfs- oder pflegebedürftige Person vorwiegend aus der Familie. Geleistet werden 80 % der privaten Pflege von Frauen (Töchter, Partnerinnen und Schwiegertöchter). Vgl. Hess/Scholz/Smid 1997 (Bild der Generationen), S. 1 ff. und BMSFS 2003, zitiert nach Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 232.
475
Vgl. Sprothen 2005 (Privatleben), S. 103 und IGS 2005 (Karriere und Familie), S. 3 ff.
476
Borchers definiert die Sandwich- oder Scharniergeneration (ca. 45 - 60 Jährige) dadurch, dass mindestens ein volljähriges Kind den Haushalt bereits verlassen hat und gleichzeitig mindestens ein lebender Elternoder Schwiegerelternteil existiert. Die Sandwichgeneration hat dadurch ein großes familiäres und außerfamiliäres Netzwerk, wohin sie Unterstützungs- und Vermittlungsleistungen liefert, die sie belasten. Vgl. Borchers 1997 (Sanwichgeneration), S. 20 ff. und Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 181.
477
BMFSF 2003, zitiert nach Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 232.
184
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
gefälle in der Familie in Deutschland zu 73 % im gleichen Haushalt betreut. Insbesondere wenn selbst gepflegt wird, ist die emotionale Belastung bei der Betreuung der Elterngeneration hoch, sonst die finanzielle. In jedem Fall schränkt die Betreuung eines Elternteils die Beteiligten zeitlich und in ihrer Mobilität ein, zumal wenn sie bereits selbst physisch oder psychisch beeinträchtigt sind. Allerdings lässt die Belastung durch das Erwachsenwerden der Kinder nach oder kehrt sich ins Gegenteil, weshalb die tatsächliche Doppelbelastung aufgrund von unterschiedlichen Definitionen und ungenügender Analyse demografischer und familiärer Prozesse meist überschätzt wird.478 Nach den hier vorliegenden Daten scheint es tatsächlich so zu sein, dass entweder Kinder oder Eltern betreut werden. Die Gruppe der Kriegskinder zum Beispiel ist mit der Pflege der Elterngeneration, jedoch nicht mehr durch Kinder belastet. Viele sind trotzdem bereit, besonders viel und motiviert zu arbeiten, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. Die in diesem Alter arbeitenden Frauen sind zu einem großen Teil nach der Familienphase in den Beruf zurückgekehrt und mit dieser Entscheidung auch sehr zufrieden. Diese Altersgruppe birgt also ein erhebliches Potenzial leistungsfähiger und motivierter Arbeitnehmer.
2
Berufliche Situation der Altersgruppen
Was die Bildungsabschlüsse angeht, so haben acht der Befragten einen Hauptschulabschluss und 12 einen Realschulabschluss, 87 geben als höchsten Abschluss das Abitur, 12 einen Hochschulabschluss, zwei die Habilitation und neun sonstige an. Nach den vorliegenden Zahlen geht der Trend eindeutig zum Abitur, die Zahl der Hochschulabschlüsse hingegen ist in den jüngeren Altersgruppen nicht signifikant gestiegen. In der Generation der Netzkinder könnte die Zahl der höheren Abschlüsse noch weiter steigen, da diese aufgrund ihres Alters ein etwaiges Hochschulstudium möglicherweise noch nicht abgeschlossen haben. Nach den vorliegenden Ergebnissen kann davon ausgegangen werden, dass die Arbeitgeber in Zukunft auf ein größeres Reservoir von Arbeitskräften mit der fundierten Allgemeinbildung des Abiturs zurückgreifen können.479 Andererseits ist zu befürchten, dass die Kluft im Bildungsniveau zwischen Hauptschulabgängern, Realschülern und Abiturienten größer wird, da das Abitur sich inzwischen fast zu einer Zugangsvoraussetzung auch für Ausbildungsberufe entwickelt hat. Inwieweit die durch die PISA-Studie initiierten Maßnahmen hier wieder zu einer Verbesserung des allgemeinen Niveaus führen, bleibt abzuwarten. Gegebenenfalls können Unternehmen hier mit „Nachhilfeprogrammen“ einen Wettbewerbsvorteil in den Bemühungen um Nachwuchskräfte realisieren und gleichzeitig die Lücken in den Basiskenntnissen der Bewerber füllen, wie das schon jetzt einige Unternehmen erfolgreich anbieten.480 478
Vgl. BMFSF 2003, zitiert nach Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 232, Perrig-Chiello/Höpflinger 2001 (Zwischen Generationen), S. 12 f. und Höpflinger 1999 (Generationenfrage), S. 53.
479
In der Stichprobe könnten allerdings aufgrund des Übergewichts der Dienstleistungsberufe relativ mehr Abiturienten vertreten sein als in der Gesamtbevölkerung.
480
Vgl. exemplarisch Deutsche Bahn AG 2004 (Einstiegsqualifizierungen), S. 1. Zur Problematik der mangelnden Basiskenntnisse in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz bei deutschen Schüler vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001 (PISA 2000), S. 114, S. 169 ff. und S. 237.
185
E.II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf
Die Bandbreite der Verteilung auf die Branchen und verschiedene Berufe ist sehr groß und umfasst auch die verschiedenen Ausbildungsstufen. Industrieunternehmen und vor allem Arbeiter sind unterrepräsentiert, dafür ist die Vielfalt der Berufe jedoch sehr groß. Um diese deutlich zu machen, seien hier einige exemplarisch aufgelistet: der kaufmännische Auszubildende, die Biologin, der Friseurmeister, die Steuerberaterin, der Elektromeister, die Bilanzbuchhalterin, der Professor, die Ärztin, der Rechtsanwalt, die Bauzeichnerin, Krankenschwester, der Augenoptiker, die Gärtnerin, der Beamte, die Buchhändlerin, der Informatiker, die Krankenschwester, der Lehrer und die Aushilfsverkäuferin. Handwerkliche Berufe sind also genauso vertreten wie Freiberufler, Handel, Industrie und Wissenschaft. Die Spannweite der Berufserfahrung reicht vom absoluten Berufsanfänger ohne Erfahrung (einem frisch gebackenen Diplom-Ingenieur) bis hin zum versierten Altprofi mit über 50 Jahren Berufstätigkeit als Verkäuferin. Die nachstehende Tabelle zeigt eine Aufstellung der Berufserfahrung, die der Übersichtlichkeit halber ebenfalls in Kategorien eingeteilt wurde. Diese Kategorien entsprechen in etwa dem idealtypischen Berufsverlauf. Tab. E-3: Berufserfahrung nach Altersgruppen Berufserfahrungsklasse
Altersgruppen nach Geburtsjahrgängen
Berufsanfänger (1 bis 3 Jahre)
Aufsteiger (4 bis 9 Jahre)
Erfahrene (10 bis 19 Jahre)
Sehr Erfahrene (mehr als 20 Jahre & jünger als 58)
Sehr Erfahrene (mehr als 20 Jahre & älter als 57)
Gesamt
Kriegskinder
1937 - 1946
0
0
0
0
13
13
Konsumkinder
1947 - 1956
0
0
1
14
0
15
Krisenkinder
1957 - 1966
1
4
7
16
0
28
Medienkinder
1967 - 1976
3
25
10
0
0
38
Netzkinder
1977 - 1986
16
7
1
0
0
24
20
36
19
30
13
118
Gesamt
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
In den ersten drei Jahren des Berufsleben erfolgt die berufliche Sozialisierung. Der Berufseinsteiger wird angelernt, macht eine Ausbildung, ein Traineeprogramm oder ein Training „on the job“. Spätestens gegen Ende dieser Zeitspanne, meist jedoch schon vorher, ist davon auszugehen, dass der Berufsanfänger vollgültig mitarbeiten kann. Sieht man von der Probezeit ab, ist vor Ablauf dieser ca. zwei- bis dreijährigen Phase nur mit einem Arbeitsplatzwechsel zu rechnen, wenn es zu außergewöhnlichen Schwierigkeiten kommt. Danach ist eine Neuorientierung möglich und nach der Ausbildung oft auch notwendig, wenn der ausbildende Betrieb zum Beispiel nicht alle Auszubildenden übernehmen kann. Nach Abschluss der Ausbildung und einem möglichen Wechsel folgt in der Regel eine Phase, in welcher der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit demonstriert und vorankommen möchte. Zahlt sich diese
186
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Anstrengung nicht aus, wird das Leistungsniveau heruntergefahren oder ein interner oder externer Wechsel angestrebt. In dieser Phase besteht ein hohes Interesse an Weiterbildung.481 Die Berufserfahrung korreliert in der Generationenmanagementstudie erwartungsgemäß mit dem Alter. Die Kriegskinder haben ausnahmslos (weit) mehr als 20 Jahre Berufserfahrung und stehen kurz vor der Verrentung. Auch die Gruppe der Konsumkinder hat mit einer Ausnahme mehr als 20 Jahre Berufserfahrung. Dies gilt auch für den Großteil der Krisenkinder, wobei deren Betriebszugehörigkeiten etwas kürzer sind. Das Gros der Medienkinder hat die berufliche Sozialisationsphase bereits abgeschlossen und schon bis zu 18 Jahre Erfahrung im Berufsleben. Unter den Netzkindern hat nur eine selbstständige Realschulabsolventin bereits 10 Jahre Berufserfahrung. Der Großteil befindet sich noch in der Berufsanfängerphase, meist als Auszubildende. Die Betriebszugehörigkeit liegt zwischen 0 und 41 Jahren. Nur 15 % der Befragten können auf eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren zurückblicken. Dies ist jedoch naturgemäß erst in den älteren Befragtengruppen möglich. Dementsprechend liegt der Median aktuell in der Querschnittsbetrachtung zwischen fünf und sechs Jahren, dürfte aber rückblickend im Längsschnitt des gesamten Arbeitslebens betrachtet höher liegen. Je älter die Beschäftigten, desto höher die Verweildauer und desto geringer die Wechselbereitschaft. Dies zeigen zum Beispiel EMNID-Umfrageergebnisse, nach denen die 18- bis 29-Jährigen durchschnittlich drei Jahre am selben Arbeitsplatz beschäftigt sind, 30- bis 39-Jährige knapp sieben Jahre und 40- bis 50-Jährige durchschnittlich 11,5 Jahre.482 Da bei den meisten Arbeitnehmern, zumindest bei den älteren Gruppen, angesichts der hohen Arbeitszufriedenheit und der unsicheren Arbeitsmarktlage nicht mit zahlreichen baldigen Wechseln der Arbeitsstelle zu rechnen ist, wird die zu erwartende Verweildauer wohl höher anzusetzen sein. Anhand der vorliegenden Daten kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die durchschnittliche Verweilzeit im Unternehmen bei den jüngeren Altersgruppen abnimmt.483 Erwartungsgemäß korreliert die Länge der Betriebszugehörigkeit mit dem Alter und der Berufserfahrung und ist im Schnitt niedriger als die Berufserfahrung. Sie weist einen besseren Zusammenhang mit dem Erreichen einer Führungsposition auf als die Berufserfahrung. Für die jüngeren Altersgruppen stellt sich das so dar: Schon nach vier Jahren Betriebszugehörigkeit, aber mit einer Ausnahme erst nach acht Jahren Berufserfahrung wird eine leitende Funktion eingenommen. Eine lange Betriebszugehörigkeit zahlt sich für die älteren Arbeitnehmer ebenfalls vergleichsweise früh aus. Unter den Befragten mit über 20 Jahren Betriebszugehörigkeit gibt es nur einen, der explizit angibt, keine leitende Funktion zu haben. Auch bei der Berufserfahrung gibt es eine Grenze, ab der alle Befragten eine leitende Funktion haben, aber diese liegt erst bei 34 Jahren. Entsprechende Angaben über ihre hierarchische Stellung machen allerdings nur 56 (60 %) der Befragten, wovon 22 eine leitende Position bekleiden. 481
Vgl. Behnken/Zinnecker 1992 (Statuspassagen), S. 132 ff. und Pfau-Effinger 1990 (Erwerbsverlauf), S. 179 ff.
482
Vgl. Internetquelle: o. V. 2001 (Wechselbereitschaft).
483
Dynamik und Differenzierung der Arbeitsverhältnisse sowie rechtliche und zeitliche Deregulierung führen zu Instabilität und Unkalkulierbarkeit im Berufsverlauf. Vgl. Voß 2001 (Lebensführung), S. 31 ff.
E.II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf
187
Diese Führungsfunktionen sind mit unterschiedlichem hierarchischen Potenzial ausgestattet. Insofern und aufgrund der geringen Fallzahl sind hier nur Tendenzaussagen möglich. Erwartungsgemäß ist die Chance höher eine leitende Funktion zu bekleiden, je mehr Berufserfahrung man hat. Sie steigt mit zunehmendem Alter. Etwa zwei Drittel der ältesten Gruppe bekleiden also eine Führungsposition, während der Anteil bei den nächstjüngeren Gruppen der Konsum- und der Krisenkinder jeweils bei gut der Hälfte liegt. Unter den Medienkindern haben immerhin ca. 30 % bereits eine leitende Funktion inne, während sich unter den Netzkindern nur eine Führungskraft, ein Offizier, befindet. Tab. E-4: Verdienstprofile in Deutschland Nach Betriebszugehörigkeit
Nach Lebensalter
unter 1 Jahr
3.369
unter 25 Jahre
2.002
1 bis 2 Jahre
3.556
25 bis 30 Jahre
2.774
3 bis 5 Jahre
3.604
30 bis 40 Jahre
3.677
6 bis 10 Jahre
3.710
40 bis 50 Jahre
4.110
11 bis 20 Jahre
4.098
50 und mehr Jahre
4.283
Durchschnitt
3.830
21 und mehr Jahre
4.201
Durchschnitt
3.830
Quelle: Durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst eines männlichen vollzeitbeschäftigten Angestellten im Oktober 2001 in Euro, Statistisches Bundesamt 2003 (Löhne und Gehälter), S. 10
Die Verdienstchancen wurden in der vorliegenden Studie nicht abgefragt, da es sich um besonders vertrauliche Daten handelt. Laut Statistischem Bundesamt steigt der Verdienst im Durchschnitt sowohl mit dem Lebensalter als auch mit der Betriebszugehörigkeit an. Die oben stehende Tabelle verdeutlicht diesen Zusammenhang. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten in der Gruppe der über 50-Jährigen unterdurchschnittlich wenige Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts. Zusätzlich machten 7,4 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Altersteilzeitbeschäftigung Gebrauch. Dazu sind Arbeitnehmer ab Vollendung des 55. Lebensjahres berechtigt, die gemäß dem Altersteilzeitgesetz freiwillig ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit reduzieren und hierfür ein Arbeitsentgelt erhalten, das mindestens 70 % des bisherigen Nettoarbeitsentgelts erreicht. Die Vereinbarung höherer Aufstockungsleistungen ist möglich.484 In Bezug auf die leitenden Positionen zeigt sich eine geschlechtertypische Verteilung. Unter den Männern besteht ein Verhältnis von Führungskraft zu keine Führungskraft von 16 zu 11. Unter den Frauen sind nur sechs in einer Führungsposition und 23 haben keine leitende Funktion. Da die Führungsaufgaben in der Regel auch mit besseren Verdiensten verbunden sind, sind die Frauen hier deutlich im Nachteil. Nach der Gehalts- und Lohnstrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes steigt der Verdienst mit der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der Studie, nach der auch die Chancen auf eine Führungsposition hier größer sind. Auch steigt der Verdienst im Falle der Männer mit dem
188
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Alter. Für Frauen gilt dies jedoch nur für die Altersgruppen bis zu 40 Jahren, ab da stagnieren ihre Einkommen im Schnitt.485 Dies hängt vermutlich mit der Familienphase zusammen, die in der Regel mit einer Karriereunterbrechung verbunden ist. Da auch im späteren Verlauf eher die Chance auf eine Teilzeitbeschäftigung als auf eine Ganztagsstelle bestehen, ist der weitere Aufstieg in Führungspositionen oder in besser dotierte Stellen stark behindert.486
3
Prägende Ereignisse im Lebenslauf
Befragt nach den Wendepunkten des persönlichen Lebens werden nur im Ausnahmefall politische Ereignisse wie Mauerfall oder Golfkrieg genannt. Im Vordergrund stehen positive und negative Ereignisse des eigenen Lebenslaufes, welche die folgende Tabelle zusammenfasst. Tab. E-5: Bedeutende Ereignisse aus dem Privatleben Beziehungen:
Ort:
die erste Liebe, Liebeskummer, Partnerschaft/ Heirat, Kinder, eigene Trennung/Scheidung, Trennung/Scheidung der Eltern
Auszug aus dem Elternhaus, erste eigene Wohnung, Umzug, Reisen/Auslandsaufenthalte
Arbeit:
Krankheit und Tod:
Praktika und Ähnliches, Zivildienst, Berufswahl/-eintritt, Ausbildung, (Nicht-)Bestehen einer Prüfung, Karriereaufstieg, Arbeitslosigkeit, Berufswechsel, Selbstständigkeit
Ereignisse, welche die eigene Krankheiten bzw. Unfälle oder die von Verwandten betreffen sowie der Tod von Verwandten
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Diese sind vielfältiger und individueller als die Bewertung der politischen Ereignisse. Allerdings handelte es sich bei dieser Frage auch um eine offene Frage. Ereignisse aus den Kategorien Beziehungen, Arbeit, Ort sowie Krankheit und Tod wurden in diesem Zusammenhang besonders häufig genannt. Sie scheinen wichtige Wendepunkte im Lebenslauf darzustellen. Dabei zeigt allein die Vielfältigkeit der Nennungen aus dem Bereich Arbeit, welch hohe Bedeutung dem Berufsleben für die persönliche Lebensgestaltung zukommt. Zudem ist davon auszugehen, dass die Ortswechsel häufig mit einer beruflichen Änderung verknüpft sind. Auslandsaufenthalte sind zum Beispiel häufig beruflich motiviert. So bedingt der Wechsel der Arbeitsstelle oft einen Umzug und umgekehrt. Dazu kommen sehr persönliche Erlebnisse verschiedenster Art. Sie reichen vom Outing bis zur Mitgliedschaft in der Feuerwehr, von Konflikten mit der katholischen Kirche über den Abbruch des Studiums bis zum Forschungsaufenthalt in Tansania und von der Gewichtszu484
Vgl. Statistisches Bundesamt 2003 (Löhne und Gehälter), S. 10. und S. 57 zur Definition Altersteilzeit.
485
Vgl. Statistisches Bundesamt 2003 (Löhne und Gehälter), S. 9 ff. und S. 39 f. Die Ergebnisse der Gehaltsund Lohnstrukturerhebung können nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mit den Veränderungsraten der Bruttojahresverdiensterhebung fortgeschätzt werden. Danach haben sich die Verdienste der männlichen Angestellten von 2001 auf 2003 um durchschnittlich 5 % erhöht.
486
Vgl. auch Unterkapitel D.II.2: „Wandel der Geschlechtertypisierung“.
E.II Empirische Befunde zur Positionierung im Lebensverlauf
189
nahme über persönliche Niederlagen bis zur Teilnahme an Demonstrationen. Sie machen deutlich, dass die Lebensläufe verschiedener Altersgruppen zwar viel gemeinsam haben, jeder Einzelne jedoch auch sehr persönliche Komponenten hat. Diese Individualität der persönlichen Biografie darf in ihrer Bedeutung auch für das Berufsleben nicht unterschätzt werden. Dies zeigen auch die Kindheits- und Jugenderinnerungen. Bei den Erlebnissen im Alter von fünf Jahren, an die sich die Befragten erinnern können, handelt es sich meist um Spiel und Spaß, Naturerlebnisse und Kindergarten. Hier wird die Geborgenheit der Kindheit bei und mit geliebten Bezugspersonen vor allem aus Kernfamilie und Großelterngeneration deutlich. Negative Erlebnisse, wie Beulen oder der Brand des Kindergartens, werden sehr selten erwähnt. Die Pubertätszeit mit 15 hingegen wird sehr ambivalent beschrieben. Während viele positiv von guten Freunden, Partys und der ersten Beziehung berichten, muss es für andere eine sehr unangenehme Zeit gewesen sein. Sie berichten von Akne, Problemen mit dem Äußeren, schlechten Noten, Ungerechtigkeit, schweren Zeiten in der Lehre, Zwang, Stress, Frust und dementsprechend einer „alles egal“-Haltung. Die Phase der Identitätsfindung kann also, muss aber nicht mit erheblichen Problemen mit Gleichaltrigen und älteren Bezugspersonen behaftet sein. Positive wie negative Erfahrungen sind jedoch in allen Generationszusammenhängen zu finden, so dass dies kein spezifisches Problem einer bestimmten Generation zu sein scheint. In einer Studie mit 1311 Personen kommt URSULA LEHR zu ähnlichen Ergebnissen. Danach berichten die Befragten in ihren Biografien von durchschnittlich 17,5 markanten Einschnitten. Nur 17,8 % davon fallen primär in den Zusammenhang der zeitgeschichtlichen Ereignisse, 7,5 % sind biologisch oder körperlich bedingt, 36,4 % entfallen auf die Ereignisse des beruflichen oder privaten Lebenszyklus und 38,5 % auf ganz persönliche Erlebnisse und Erfahrungen. Die ganz persönlichen Ereignisse werden oft als die wichtigsten eingeschätzt und stammen oft nicht aus dem Raster des Lebenslaufes oder der Zeitgeschichte.487
487
Vgl. Lehr 1978 (Diskontinuität im Lebenslauf), S. 323 ff. Dazu zählen besonders glückliche Erfahrungen, Krisen und Problemsituationen. Einschneidende Ereignisse und Erfahrungen, die die bisherige Lebensführung in Frage stellen, sind bei Frauen meist auf den zwischenmenschlichen Bereich bezogen, bei Männern eher sachbezogen oder leistungsorientiert. Je nach Persönlichkeit, biografischer Situation und Rahmenbedingungen kann dieselbe Grundsituation von manchen Individuen positiv, von anderen negativ bewältigt werden und die weitere Entwicklung günstig oder ungünstig beeinflussen.
190
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
III Empirische Befunde der Generationenzuordnung 1
Generationsbewusstsein
Leider lässt sich anhand der freien Beschreibung des eigenen Äußeren der Befragten kein konkretes Generationsaussehen ermitteln. Die Frisurbeschreibungen sind wie auch die Beschreibung des Äußeren wenig konkret. Für die Frisur werden Begriffe wie „vorteilhaft“, „kurz“, „lang“, „unauffälliger Schnitt“ oder „unterschiedlich“ verwendet, die zur Feststellung von Generationsbesonderheiten zu allgemein gehalten sind. Frisurhinweise wie „fast nicht mehr vorhanden“ sind breit gestreut. Sie erlauben offensichtlich keine Generationenzuordnung, sondern weisen auf das biologische Alter hin. Die Beschreibung der Kleidung lässt sich in die Kategorien: sportlich, klassisch, elegant, modisch, einfach und sonstige einteilen. Diese Kategorien entsprechen eher einer berufsmäßigen als einer altersgerechten Einteilung. Dabei fällt auf, dass modische Kleidung nur von vier jüngeren Befragten am Arbeitsplatz bevorzugt wird. Davon sind zwei männlich und zwei weiblich. Ansonsten wird am Arbeitsplatz heute hauptsächlich sportliche Kleidung getragen. Bei den jüngeren Altersgruppen zeigt sich eine Tendenz zu sportlicherer und einfacherer Kleidung. Dies könnte unter anderem durch die hierarchische Stellung der jungen Leute begründet seit. Eine niedrigere Position in der Hierarchie geht meist mit einer größeren Freiheit und geringeren Ansprüchen bezüglich der Kleidung einher. Uniformen sind in Deutschland augenscheinlich seltener. Niemand erwähnt, dass sein Beruf eine solche oder eine bestimmte einheitliche Berufskleidung verlangt. Der sportliche Kleidungsstil ist über alle Altersklassen gleichermaßen beliebt, gefolgt von klassischer Kleidung, die insbesondere in den mittleren Altersklassen bevorzugt wird. Danach stehen in etwa gleichberechtigt elegante und einfache Kleidung. Auffällig ist dabei, dass bei den Männern klassische und sportliche Kleidung vorne liegen, während bei den Frauen mit Abstand die sportliche Kleidung dominiert, gefolgt von eleganter und klassischer Kleidung. Nur drei der Befragten geben an, eine Tätowierung oder Piercings zu tragen. Damit ergibt sich hier weder ein sehr klares altersspezifisches noch ein eindeutiges geschlechtsspezifisches Bild. Auch der Zusammenhang mit der Berufserfahrung ist nicht wesentlich eindeutiger. Hierzu findet sich auch kaum empirisches Material. Laut einer Internetumfrage favorisieren nur 15 % der Befragten sportliche und modische Kleidung, 5 % klassische und elegante Kleidung. Dabei besteht eine deutliche Bevorzugung der sportlichen und modischen Kleidung je jünger die Befragten und eleganter, klassischer Kleidung je älter.488 Nach OPASCHOWSKI müsste auch ein größerer Anteil der 16- bis 29-Jährigen eine Tätowierung oder Piercings tragen. Nach seiner Untersuchung haben 23 % der jungen Frauen und Männer dieser Altersgruppe eine Tätowierung, 35 % der Frauen und 17 % der Männer ein Piercing.489 Obwohl sich Generationenunterschiede also augenscheinlich nicht in so leicht erfassbaren Kategorien spiegeln, trauen sich trotzdem immerhin 67 % der Befragten eher oder voll zu,
488
Vgl. Internetquelle: QSI 2003 (Kleidungsstil).
489
Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 220.
E.III Empirische Befunde der Generationenzuordnung
191
jemanden anhand seines Äußeren einer bestimmten Generation zuzuordnen. Nur knapp 3 % sind der Meinung, das sei gar nicht möglich. Dieses Meinungsbild impliziert auch, dass ein Großteil der Befragten eine recht feste Vorstellung davon hat, wer zu einer Generation gehört und wie Generationsangehörige generell aussehen. Die äußerlichen Kennzeichen umfassen dementsprechend wohl altersbedingte Unterschiede in Aussehen der Haut und der Haare (glatte Haut, Falten, graue Haare, schütteres Haar etc.) und subtilere Unterschiede in Kleidung, Frisur etc., die durch das grobe Raster des Fragebogens nicht erfasst werden konnten. Das Äußere kann prinzipiell als Indiz für die Altersklasse und für „typisches“ Generationsverhalten dienen. Es besteht jedoch hierbei die Gefahr, nur stereotyp über das Äußere Rückschlüsse auf Verhaltensweisen und Motive der Betroffenen zu ziehen.490 Das gilt nicht nur für Kollegen und für Mitglieder anderer Abteilungen, sondern auch für Führungskräfte. Da einem Großteil der Befragten eine Zuordnung anderer zu bestimmten Altersgruppen nicht schwer fällt, ist anzunehmen, dass auch den Vorgesetzten eine solche Einteilung möglich ist. Die Vorgesetzten sollten jedoch nicht auf diese Art der Einteilung nach äußeren Kennzeichen angewiesen sein. Sie kennen das Alter der Betroffenen und verfügen über weitergehende Informationen, die eine zuverlässigere Einordnung in eine Generation und eine bessere Positionierung im Lebenslauf ermöglichen als die Kleidung. In etwas eingeschränkterem Maße gilt das auch für die Mitarbeiter, welche die Generationszugehörigkeit „ihres Chefs“ und die Lebensphase, in der er sich befindet sicherlich einschätzen können. Was die Selbsteinschätzung anbetrifft, inwiefern man sich für typisch für die eigene Generation hält, fällt es knapp 29 % der Befragten schwer, das zu beurteilen. In etwa genauso viele halten sich nicht für typisch und 43 % der Befragten sind nach eigener Einschätzung zumindest eher typische Vertreter ihrer Generation. Die Verteilung über die Altersgruppen zeigt ein noch eindeutigeres Bild. Je jünger desto größer ist das Zugehörigkeitsgefühl der Befragten zu ihrer Generation. Die Netzkinder und die Medienkinder halten sich selbst zu einem sehr großen Teil für typische Vertreter ihrer Generation, mit nur sehr wenig Gegenstimmen, wenn auch einigen Enthaltungen. Die Krisenkinder sind zu ca. je einem Drittel typische und untypische Generationsvertreter bzw. unentschieden. Auch bei den Konsumkindern ist ein Großteil unentschieden, fast ebenso viele halten sich für untypisch und nur wenige für typisch. Die Kriegskinder hingegen sind entschieden generationstypisch oder untypisch. Niemand hat hier die Kategorie „schwer zu sagen“ angekreuzt. Der Großteil hält sich für eher untypisch, aber immerhin vier von 14 meinen, sie seien echte Vertreter der Nachkriegsgeneration. 142 von 143 Personen haben diese Frage beantwortet, darunter 101 die in der Lage sind, zu beurteilen, ob sie selbst typische oder nicht typische Vertreter ihrer Generation sind. Das spricht dafür, dass insbesondere die beiden jüngeren und die älteste Gruppe ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu einer Generation haben, auch wenn sie diese ablehnen oder nicht dazu gehören wollen. In den beiden jüngeren Generationen könnte das auch damit zusammenhängen, dass hier die Meinung der Gleichaltrigen und das „Dazugehören“ besonders stark zählen. Cool und/oder in zu sein und sich mit der Gruppe identifizieren zu können, sind in dieser Phase der Identitätsfindung noch von besonderer Wichtigkeit, auch wenn es für diese Generationen keinen allgemein anerkannten Namen gibt. Frauen schätzen sich insgesamt 490
Vgl. von Bodenhausen/Macrae/Quinn 2003 (Categorical thinking), S. 89.
192
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
noch eher generationstypisch ein als Männer. Das könnte mit ihrem stärkeren Bedürfnis nach Zugehörigkeit zusammenhängen.491 Es ist davon auszugehen, dass die Kriegskinder sich als Nachkriegsgeneration sehen, die spät Geborenen der Kohorte möglicherweise bereits als 68er. Das würde auch das stark polare Antwortverhalten in dieser Altersgruppe erklären. Dass die Generationszuordnung nicht immer eindeutig ist, zeigt auch das Antwortverhalten zu der offenen Frage nach der eigenen Generationszugehörigkeit. Die 16 Personen, die sich selbst zur Nachkriegsgeneration rechnen, verteilen sich tatsächlich auf die beiden ältesten Gruppen der Kriegskinder und Konsumkinder. Auch der Geburtszeitraum der 10 Personen, die sich als 68er sehen, variiert über die zwei Dekaden mit Geburtsjahrgängen von 1941 bis 1960. Die deutlich meisten „Mitglieder“ hat mit 31 Nennungen die Generation Golf. Davon sind 21 Medienkinder, aber Einzelne stammen auch aus den benachbarten Altersgruppen und sogar ein Konsumkind ist dabei. Die drei genannten Generationenbezeichnungen sind auch über alle Altersgruppen die mit Abstand bekanntesten (Nachkriegsgeneration: 133, Achtundsechziger: 121 und Generation Golf: 89 Nennungen). Interessant ist hier auch der Bekanntheitsgrad der Cybergeneration (57 Nennungen), der mit zunehmendem Alter der Antwortenden allerdings etwas nachlässt. 492 All diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Generationszuordnung augenscheinlich mit der Tragfähigkeit des Generationszusammenhangs zu tun hat. Hier lassen sich erstens die Nachkriegsgeneration, zweitens die 68er, drittens die 89er bzw. die Generation Golf bzw. Ally sowie viertens die Millennials bzw. die Cybergeneration in vier große Generationszusammenhänge einteilen, wobei die Krisenkinder zwischen der Generation Golf und den 68ern stehen und sich selbst schwer zuordnen können oder wollen. Zu den genannten Generationszusammenhängen existieren relativ klar umrissene Fremdbilder. Die Kopplung dieser Generationszusammenhänge an Ereignisse und Jahrzehnte wird bereits in den Namen deutlich. Sie stehen für die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, die Studentenrevolte Ende der 60er Jahre, die Wiedervereinigung und die Jahrtausendwende als prägende Ereignisse. Insofern macht die oben gewählte Einteilung in die Jahrzehnte unter Berücksichtigung der Überlappungen tatsächlich Sinn. Diese bezeichnen mit Ausnahme der Kriegskinder jedoch hauptsächlich die politischen, prägenden Ereignisse, die im Zeitraum des Erwachsenwerdens stattfanden. Die Namen Generation Golf und Generation Ally leiten sich jeweils aus einem Roman ab.493 Beide Bezeichnungen spiegeln ein gewisses Lebensgefühl in einer bestimmten Lebensphase. Der Begriff Cybergeneration hingegen beinhaltet die Ent491
Vgl. Hurrelmann/Rosewitz/Wolf 1985 (Lebensphase Jugend), S. 73 ff.
492
Generation Ally, die Neunundachtziger und die Millennials wurden von 26, 22 bzw. 18 Personen genannt, weitere Generationsnennungen erfolgen nur im Umfang unter vier. Immerhin 12 Personen, hauptsächlich Krisenkinder, ordnen sich bewusst gar keiner Generation zu.
493
Generation Golf beschreibt die erste deutsche Generation, die zu ihrem 18. Geburtstag ein eigenes Auto oder zumindest den Zweitwagen der Mutter fahren durfte. Die amerikanische Serienfigur Ally McBeal stand mit ihrem Namen erst Pate für die gleiche Generation Pate, als diese der 30 näherte. Ally steht für eine emanzipierte, junge Frau, die mit 30 bemerkt, dass sie über ihrer Karriere den Aufbau einer ernsthaften Beziehung und ihren latenten Kinderwunsch vernachlässigt hat, was trotz gewohnter Zielstrebigkeit nicht auszugleichen ist. Vgl. ausführlich Illies 2000 (Golf), Kullmann 2002 (Ally) und Illies 2003 (Golf 2).
E.III Empirische Befunde der Generationenzuordnung
193
wicklung zur globalen Vernetzung, die einer Generation von Kindheit an, einen neuen Raum erschlossen hat. Die Generationsfremdbilder passen also grob zur oben gewählten Einteilung und lassen sich wie folgt zuordnen: die Kriegskinder der Nachkriegsgeneration, die Konsumkinder den 68ern, die Krisenkinder einer Zwischenphase, die Medienkinder den Neunundachtzigern und die Netzkinder der Cybergeneration. Hier ist zu hinterfragen, ob eine Einordnung nicht nach Geburtsjahrgängen, sondern prioritätsmäßig nach Lebensphase oder speziell nach Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeit im Hinblick auf die betriebswirtschaftliche Fragestellung nicht sinnvoller wäre. Im Falle der Berufszugehörigkeit führt dies allerdings zu großen Spannen mit starken Überlappungen. Allein der Berufseintritt einer Generation erfolgt zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr. Im Extremfall könnte also jemand, der nach seinem Hauptschulabschluss direkt eine Lehre begonnen hat, bereits auf 20 Jahre Berufserfahrung zurückblicken, wenn ein promovierter Akademiker der gleichen Geburtskohorte seine erste Stelle antritt. Auch die Einteilung nach Betriebszugehörigkeit ist mit Problemen behaftet. Neue Mitarbeiter zum Beispiel rekrutieren sich nämlich aus sehr unterschiedlichen Altersgruppen und bringen auch ein sehr unterschiedliches Niveau an Vorkenntnissen und Berufserfahrung mit. Es könnte sich beispielsweise um Schulabgänger, die direkt eine Lehre beginnen, Berufsumsteiger, Trainees von der Universität, Quereinsteiger aus anderen Branchen, erfahrene Kräfte aus Konkurrenzunternehmen usw. handeln. Bei einer Betrachtung aus diesen Blickwinkeln verwischt nicht nur die Generationenprägung, sondern auch die Zuordnung zu den Lebensphasen. Dies spricht für die Beibehaltung der Jahrzehnteinteilung nach Geburtsjahrgängen. Trotzdem wird in der folgenden Datenanalyse zur Generationenmanagementstudie an Stellen, wo dies sinnvoll erscheint, ergänzend eine Auswertung nach Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeit vorgenommen. Das Selbstbild Einzelner ist noch schwerer zu kategorisieren. Das persönliche Empfinden für den eigenen Generationszusammenhang und die Zugehörigkeit dazu sind individuell verschieden und weichen zum Teil recht stark von den Fremdbildern der Befragten ab. Die Frage, wie viele Jahre älter oder jünger Leute sein dürfen, um zur eigenen Generation zu rechnen, ergab ein weites Antwortspektrum. Ein Großteil der Befragten sieht sich in dieser ersten, von vorgegebenen Generationsklassifikationen noch unbelasteten Frage als Mittelpunkt der eigenen Generation. Dies erschließt sich aus den gleich großen Generationsabständen nach oben und unten, die von zwei Dritteln der Befragten angegeben wurden. Der Rest siedelt sich individueller, weiter im unteren oder oberen Teil des Spektrums an und gibt unterschiedlich große Abstände zur Vorgänger- bzw. Nachfolgegeneration an. Insbesondere die jüngste Altersgruppe ordnet sich asymmetrisch ein und gibt auch die niedrigsten Abstände an. Auch LUISE WINTERHAGER-SCHMID weist in diesem Zusammenhang auf die Tendenz hin, sich, wenn man sehr jung ist, reifer und wenn man älter ist, jünger darzustellen, um zum Beispiel in sozialpädagogischen Situationen Gleichheit zu simulieren. Das führt quasi zu einer Maskierung der Generationendifferenz und zu einem Verschwimmen der Trennlinien.494 Hier zeigt sich ein gleitendes Generationsverständnis, das mit steigendem Alter eine durchschnittlich zunehmende Anzahl generationszugehöriger Jahrgänge einschließt. Ältere Men494
Vgl. Winterhager-Schmid 2000 (Generationendifferenz), S. 19.
194
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
schen beziehen in ihre persönliche Generationsbildung dabei relativ mehr jüngere Geburtsjahrgänge und weniger ältere ein. In der mittleren Altersgruppe ist das Verhältnis recht ausgeglichen und die jüngeren sehen sich eher mit älteren Jahrgängen in einer Generation. Noch deutlicher wird dieser Effekt im Berufsleben. Um dies zu verdeutlichen, ist in der nachstehenden Abbildung die persönliche Generationseinteilung pro Berufserfahrungsklasse abgetragen. Die Mittelwertbildung verschleiert hier allerdings das Ausmaß der Varianz pro Gruppe. Abb. E-1: Individuelle Generationseinteilung nach Berufserfahrungsklasse persönliche Zurechnung jüngerer Jahrgänge zur eigenen Generation
Mittelwert Altersabstand in Jahren
12
10
persönliche Zurechnung älterer Jahrgänge zur eigenen Generation
8
6
4
2
0 Berufsanfänger (1 bis 3 Jahre)
Aufsteiger (4 bis 9 Jahre)
Sehr Sehr Erfahrene (10 bis 19 Erfahrene Erfahrene im (mehr als 20 Alter über Jahre) Jahre) 58 Jahre
Arbeitnehmer nach Berufserfahrungsklassen Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Diese individuelle Generationeneinteilung kann auf verschiedene Arten begründet werden. Das Gefühl ist intuitiv nachvollziehbar. In der Schule interessiert man sich zumindest in gleichgeschlechtlichen Beziehungen und als Mädchen schließlich auch meist für die älteren (maßgebenden) Schüler und nicht für die jüngeren Jahrgänge. Die älteren Jahrgänge im Berufsleben identifizieren sich wahrscheinlich ungern mit denjenigen, die bereits in den Ruhestand getreten sind, sondern eher mit den jungen, die als dynamisch und leistungsfähig gelten. Außerdem tendiert man mit zunehmendem Alter dazu, sich selbst als „jünger“ einzuschätzen, als es der eigenen Altersgruppe entspricht.495 Zudem haben die älteren Jahrgänge im Laufe ihres Berufslebens gelernt, mit den verschiedenen Altersstufen zusammenzuarbeiten. Altersunterschiede sind in der mittleren Lebensphase vermutlich weniger wichtig als andere Unterschiede, zum Beispiel in der Arbeitsweise oder im Umgang mit Kollegen. Die individuell angegebenen Spannen für eine Generation reichen damit im Einzelfall von 5 bis zu 50 Jahren. Die untere Grenze liegt maximal bei 25 Jahren jünger und die obere Grenze 495
Zur Selbsteinschätzung Älterer vgl. Tews 1995 (Altersbilder), S. 53 ff.
E.III Empirische Befunde der Generationenzuordnung
195
bei 30 Jahren älter als der Einschätzende selbst. Der Wert 30 scheint jedoch ein Ausreißer zu sein, da bei der oberen Grenze ansonsten eine Häufung bei vier bis inklusive acht Jahren Altersabstand zu verzeichnen ist. Die Werte für die untere Grenze häufen sich im Bereich von 5 bis 10 Jahren Abstand. Für obere und untere Grenze gibt es jeweils bei 15 Jahren eine kleinere Häufung. Entsprechend sind die mit Abstand häufigsten Werte für den Gesamtgenerationsabstand 10 und 20 Jahre, gefolgt von 15, 14 und 12 Jahren. Weit über ein Drittel der Befragten gibt 10 Jahre als Spanne an. Der mittlere Generationsabstand beträgt knapp 15 Jahre. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Deutschland zwar ein recht klares Fremdbild größerer Generationszusammenhänge besteht, die individuelle Generationszuordnung und Generationszurechnung jedoch stark von diesem Bild abweichen können. Auch ist das Generationsbewusstsein in Deutschland und der Bekanntheitsgrad der Generationsbezeichnungen lange nicht so groß wie in den USA, wo sie eine starke Propagierung erfahren haben.496
2
Bedeutende generationenprägende Ereignisse
Die nachstehende Tabelle zeigt bedeutende gesellschaftliche und politische Entwicklungen und Ereignisse. Sie umfasst solche Ereignisse, die insgesamt mehr als 50 Nennungen verzeichnen konnten und deswegen als wahrscheinliche Schlüsselereignisse für die Generationenprägung in Deutschland gelten können, in der Rangordnung ihrer Wichtigkeit. Alle Altersgruppen werten den Mauerfall als wichtigstes oder zweitwichtigstes der genannten Ereignisse. Es folgen Aids, Tschernobyl, der 11. September und der Zweite Weltkrieg, die einander in der Anzahl der Nennungen dichtauf folgen. In diesem Bereich der wichtigen historischen Ereignisse herrscht eine erstaunliche Einigkeit unter den Altersgruppen. Nur der Israelkonflikt findet sich bei beiden älteren Altersgruppen auf den vorderen Plätzen, während die Kinder der 70er Jahre ihn auf den 16. Rang verweisen. Allerdings muss man dabei bedenken, dass es sich hierbei um Platz 16 von 42 Alternativen handelt. Die 68er Studentenunruhen werden hingegen nur von 30 Personen genannt, das Millennium sogar nur von 15 Personen. Im Falle der Jahrtausendwende zeigt sich hier vermutlich, dass es sich wohl eher um ein besonderes und einmaliges Datum handelt als um ein Ereignis mit Prägekraft. Andere politische und soziale Ereignisse scheinen eine erstaunliche Prägekraft über alle Generationen zu entwickeln und im Endeffekt den Zeitgeist zu bestimmen. So stellen der Mauerfall und die Wiedervereinigung für deutsche Arbeitnehmer offenbar eine echte Wende dar. Ob die Bedeutung des Mauerfalles allerdings für die Befragten positiv, negativ oder ambivalent ist, kann anhand der vorliegenden Daten nicht ermittelt werden. Ansonsten werden auf den ersten Rängen vorwiegend Bedrohungen genannt.497 Diese betreffen Krieg, Umweltprobleme, Krankheiten und Terrorismus und müssten ihren Niederschlag eigentlich in den Wertvorstellungen und den Bedürfnissen der Beteiligten, zumindest nach Sicherheit, finden. 496
Vgl. exemplarisch Ritchie 1995 (Marketing to Xers).
497
Vgl. zu den Bedrohungen auch Ruppert/Schneewind 1995 (Generationenvergleich), S. 283 und auch Liebau 1997 (Generationenverhältnis), S. 7.
196
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Tab. E-6: Generationenprägende Ereignisse nach Rangfolge ihrer Bedeutung Rangordnung Ereignis
n Ge(>50) samt
¾
Mauerfall
100
1
¾
Aids
86
2
¾
Tschernobyl
84
3
¾
11. September
83
4
¾
Zweiter Weltkrieg
80
5
¾
Holocaust
67
6
¾
Treibhauseffekt
66
7
¾
PC
66
7
¾
Golfkrieg
60
9
¾
Kriegsende
59
10
¾
Internet
58
11
¾
EU
56
12
¾
Israelkonflikt
56
12
¾
Waldsterben
55
14
¾
Pille
55
14
¾
Mauerbau
54
16
Kriegskinder
Konsumkinder
Krisenkinder
Medienkinder
Netzkinder
1
2
1
1
2
2
1
3
2
2
1
1
3
2
16
16 16 3
16
2
16
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Nach den vorliegenden Daten gibt es also drei Ebenen von prägenden Ereignissen, die auch im Berufsleben eine Rolle spielen: allgemeine, gesellschaftlich bedeutende Ereignisse, Ereignisse des Normallebenslaufes und Ereignisse von persönlicher Relevanz. Allgemeine soziale oder politische Ereignisse aus dem Weltgeschehen sind für alle Mitarbeiter erfahrbar, auch wenn sie für den Einzelnen unterschiedliche Bedeutung entfalten. Sie sind für ein Unternehmen auch problemlos zum Beispiel anhand der Tagespresse nachvollziehbar. Die zweite Ebene betrifft die lebenslaufbedingten Ereignisse, die für die verschiedenen Mitglieder einer Gesellschaft mit ähnlichen Auswirkungen bedingt sind. Berufliche Veränderungen sind in der Regel vom Unternehmen verursacht oder werden ihm, wie zum Beispiel im Falle einer Kündigung, zur Kenntnis gebracht. Änderungen des Familienstandes oder des Wohnortes werden dem Unternehmen in der Regel ebenfalls bekannt gemacht, ebenso wie gesundheitliche Beeinträchtigungen. Schwierig wird die Erfassung der Ereignisse der dritten Ebene, den ganz persönlichen Erfahrungen und ihrer Auswirkungen. Sie werden in der Regel nur durch ein persönliches Vertrauensverhältnis zur Führungskraft bekannt und müssen deswegen auch als vertraulich gelten. Dazu sind sie individuell verschieden. Das erschwert ihre Erfassbarkeit und die Ableitung geeigneter Maßnahmen daraus. In diesem Zusammenhang ist die Führungsstärke des Vorgesetzten gefragt. Das Unternehmen hingegen muss einen ausreichend großen Gestaltungsspielraum bieten, um auf solche Besonderheiten einzugehen. Das gilt in weniger starkem Maße auch für die Ereignisse der anderen beiden Ebenen, deren prägender Kraft Rechnung getragen werden muss.
E.III Empirische Befunde der Generationenzuordnung
3
197
Generationenprägung im Privatleben
Nach den vorliegenden Daten liegt Sport unter den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen über alle Alterklassen betrachtet an erster Stelle, wobei hier häufig nicht nur eine, sondern mehrere Sportarten angeführt werden. Den zweiten Schwerpunkt für die beiden ältesten Gruppen bilden Erholung, Kultur und Reisen, wobei hier kreative Tätigkeiten, wie das Spielen eines Instruments oder Kochen, besonders gern ausgeübt werden. Solche Tätigkeiten verlieren mit abnehmendem Alter zugunsten der sozialen Kontakte an Bedeutung, die der jüngsten Altersgruppe sogar genauso wichtig sind wie Sport. Die bevorzugten Freizeitbeschäftigungen der Medienkinder sind noch vor sportlichen Betätigungen Bildung und Reisen, wobei unter Bildung auch Tätigkeiten wie Fernsehen, Musikhören und die Beschäftigung mit dem Computer gerechnet werden. Erwartungsgemäß wird der Computer nur von Jüngeren genannt, besitzt aber im Vergleich zu Sport und sozialen Kontakten nur geringe Bedeutung. Selbst Fernsehen wird spontan kaum als beliebteste Freizeitbeschäftigungen erwähnt.498 Die Vorliebe für Sport stimmt mit der oben ermittelten Stellung der Gesundheit als dem zentralen Wert überein. Sport kann zur Gesundheitsvorsorge, zum Stressabbau, zur Steigerung der Fitness und zur Rehabilitation eingesetzt werden. Er trägt also außer bei Überbelastung in jedem Fall zur Verbesserung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit oder sogar zur Vermeidung von Krankheiten bei. Damit ist die Sportbegeisterung der Mitarbeiter durchaus ein förderungswürdiges Freizeitvergnügen für Unternehmen. In welchem Maße dies geschieht, ob nur als Incentive, als Betriebssport, als Rückenschule oder durch Zurverfügungstellung von Sportstätten usw. innerhalb oder außerhalb der Arbeitszeit bleibt der Unternehmung in Abhängigkeit von der Situation überlassen. Die Kenntnis der spezifischen Freizeitvorlieben der einzelnen Altersgruppen lässt sich beispielsweise auch besonders gut im Marketingbereich und bei der Incentivegestaltung verwerten. Was den Musikstil angeht, so werden meist mehrere Stilrichtungen gehört. Hier kann man allerdings deutlich beobachten, dass die Klassikfans älter sind (der jüngste unter ihnen wurde 1971 geboren) und auch Jazz, Blues, Swing und Rock ’n’ Roll ihre Anhänger bevorzugt unter den Älteren finden. Marschmusik, deutsche Schlager, Folk und Oldies werden nur vereinzelt genannt. Pop und Rock sind bei den mittleren Altersklassen die Favoriten, wenn hier auch eine breite Streuung zu verzeichnen ist. Techno, House und Hip Hop lassen sich eindeutig den jüngsten Altersklassen zuordnen. Diese Ergebnisse entsprechen in etwa den Erwartungen. Für Unternehmen sind diese Überlegungen in Bezug auf ihre Mitarbeiter und externe Unternehmensteilnehmer immer dort relevant, wo Musik als Medium eingesetzt wird. Die Palette der Einsatzzwecke reicht zum Beispiel von der Kundenberieselung bis zu Motivations- oder Entspannungsmusik und von der Firmenhymne bis zur Melodie in der Telefonwarteschleife. Dabei ist zu beachten, dass der Musik für Jugendliche eine besonders wichtige Funktion als soziokulturelles Orientierungsmuster zukommt, das ihnen hilft, sich einerseits abzugrenzen 498
Unter den Medien hingegen, die in der Freizeit genutzt werden, steht Fernsehen laut einer Untersuchung von Opaschowski an erster Stelle. 90 % der Befragten nutzen es mindestens einmal pro Woche. Dann folgen Zeitungen und Zeitschriften, Radio, Telefon, Buch, Video/DVD/CD, Mobiltelefon dann erst Computer und Internet (28 % und weniger). Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 164.
198
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
und andererseits zu den Gleichaltrigen zugehörig zu fühlen.499 Die Entwicklung der Musikstile erfolgte vom Jazz über den Rock ’n’ Roll, Rock und Punk zu Techno500, wobei es heute wohl keine einheitliche Jugendmusikkultur gibt, wie sie für die 68er Generation als wichtiges Abgrenzungsmedium zumindest postuliert wurde.501 Auch die folgenden Nostalgieobjekte können nach der Generationenmanagementstudie nur bedingt einer bestimmten Altersgruppe zugeordnet werden. Dennoch kann man davon ausgehen, dass sie zum großen Teil positive Jugenderinnerungen der verschiedenen Altersgruppen verkörpern und deshalb mit angenehmen Gefühlen verknüpft sind. Insofern kann ihre Kenntnis einer Unternehmung, ähnlich wie die Musik, zum Beispiel im Marketingbereich oder bei der Kundenansprache von Nutzen sein. Auch verkörpern Stars und Filmhelden oft bestimmte ideale Eigenschaften, die sich in Kindheit und Jugend beim Publikum verankern können. Um solche Nostalgieobjekte zu ermitteln wurde den Befragten eine Liste von Objekten und Personen aus den verschiedensten Jahrzehnten vorgelegt, deren Bekanntheitsgrad durch die Chroniken belegt ist.502 Diese waren grob nach Objekt- bzw. Personengruppen sortiert, die wiederum in etwa in der zeitlichen Reihenfolge ihres Bekanntwerdens bzw. höchsten Bekanntheitsgrades geordnet waren. Diese Liste kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Trennschärfe und Repräsentativität erheben. Die entsprechende Auswertung ist ein Versuch, sich dem Phänomen der Nostalgieobjekte und Jugendschwärme anzunähern und ihre Bedeutung im Rahmen der Generationenprägung zu erfassen. Die nachstehende Auswertungstabelle ist nach der Trennschärfe der Zuordenbarkeit dieser Objekte und Personen in drei Spalten gegliedert.503 Die erste Spalte enthält Elemente, die von über 60 der Befragten und damit über 40 % als vertraut angegeben wurden. Diese Dinge, Personen, Filme usw. können ob ihres sehr hohen Bekanntheitsgrades als allgemeines Kulturgut angesehen werden, das sich nicht (mehr) einer bestimmten Altersgruppe zuordnen lässt.504 Die zweite Spalte beinhaltet Objekte und Personen, die weniger als 60 Nennungen auf sich vereinigen konnten und sich zudem nicht direkt bestimmten Altersgruppen zuordnen lassen. Interessant in Bezug auf eine mögliche Generationenprägung ist vor allem die dritte Spalte, die nach Jahrzehnten getrennt die Objekte und Personen aufzeigt, die für die ein bis zwei in der Regel benachbarten Altersgruppen hohe Werte und erkennbar niedrigere Werte in den anderen Gruppen aufweisen. 499
Vgl. ausführlich Glogner/Heim/Müller/Rhein 2002 (Musik), S. 9 ff.
500
Zur Entwicklung des Techno und seinen Wirkungen vgl. ausführlich Böpple/Knüfer 1998 (Techno & Ekstase), insbesondere S. 155 ff.
501
In der sechsjährigen Längsschnittstudie „Mediennutzung und Musikgeschmack“ gehen verschiedene Arten der Mediennutzung derselben Altersgruppe mit verschiedenen Musikpräferenzmustern einher, wobei Sehund Hördauer sich wenig verändert haben. Vgl. ausführlich Behne 2002 (Musikgeschmack), S. 41 ff.
502
Vgl. auch Tabelle D-1: Chronik der BRD.
503
D & D und Gisela Graß wurden wegen mangelnden Bekanntheitsgrades (je nur 7 Nennungen) ausgesondert. Das gilt auch für Veronika Feldbusch, die trotz fehlerhafter Schreibweise vermutlich den Bonus für Verona Feldbusch mit 51 Nennungen erhielt. Da unter der Rubrik Sonstige nur einmalige Vorschläge wie Willy Brandt, Pink Floyd oder Atari vorkamen, wurden keine weiteren Objekte bzw. Personen aufgenommen.
504
Das erschließt sich auch aus einigen Fragebögen, wo nicht nur die besonders vertrauten Kategorien, sondern augenscheinlich alle bekannten angekreuzt wurden.
199
E.III Empirische Befunde der Generationenzuordnung
Tab. E-7: Bekanntheitsgrad von Nostalgieobjekten allgemein bekannt (n > 60)
eingeschränkt zuordenbar
deutliche Altersgruppenbevorzugungen
Mensch, ärgere Dich nicht!, Monopoly, Playmobil, Fußball, Videorekorder, Walkman, CD, SMS, DVD, Joggen, Internetsurfen, Nutella, Magnum, Spaghetti, Currywurst, Pommes, Hamburger, Coca-Cola, Apfelschorle, Latte Macchiato, Käfer, Golf, Fahrrad, Rucksack, Winnetou, Asterix, Bravo, Sesamstrasse, Sendung mit der Maus, Augsburger Puppenkiste, James Bond, Derrick/Tatort, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Heinz Erhard, Elvis, Beatles, Rolling Stones, Frank Zappa, Queen, ABBA, Nena, Herbert Grönemeyer, Madonna, Götz George, Richard Gere, Sean Connery, Julia Roberts, Till Schweiger, Tom Hanks, Lady Di, Helmut Kohl, Otto, Franz Beckenbauer, Boris Becker, Steffi Graf, Jan Ullrich, Michael Schumacher, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Günther Jauch
Barbie, Hula Hoop-Reifen, Uno, Doom, Moorhuhn, Tamagotchi, Siedler, Trimm Dich! Aerobic, Marathon, Schlittschuhe, Rollerskates, Schwarzwälder Kirsch, Eszettschnitten, Nogger, Malzkaffee, Ovomaltine, Bowle, Bluna, Quench, alkoholfreies Bier, Batida Kirsch, Opel Kapitän, Vespa, Harley Davidson, Marlboro, Viagra, Geländewagen, Lederhose, Schlips und Kragen, Ballerinas, Cloques, Karottenhose, Knöchelturnschuhe, Bauchnabelpiercing, Outdoorhose, Charlie Brown, Familie Feuerstein, Harry Potter, Yps, Playboy, Mädchen, Sandmännchen, Raumschiff Enterprise, Dallas/Denver, Diese Drombuschs, Schwarzwaldklinik, Lindenstrasse, Verbotene Liebe, Teletubbies, Big Brother, Deutschland sucht den Superstar, Marika Rökk, Peter Kraus, Lilo Pulver, Heino, Roy Black, Nina Hagen, Trio, Michael Jackson, Guildo Horn, Britney Spears, John Travolta, Michelle Pfeiffer, Tom Cruise, Fritz Walter, Hans Günter Winkler, Marika Kilius/Hans Jürgen Bäumler, Mark Spitz, Ulrike Meyfarth, Reinhold Messner, Michael Groß, Hans Rosenthal, Margarete Schreinemakers, Sabine Christiansen
40er Jahre: Schellackplatte, Rollschuhe, Carepaket, Taschentuch, John Wayne 50er Jahre: Petticoat, Lassie, Kalle Blomquist, Liz Taylor, Rudolf Prack 60er Jahre: Minirock, Daktari, Edith Piaf, Marilyn Monroe, Hildegard Knef, Udo Jürgens, Tina Turner 70er Jahre: Smarties, Raider, Schlaghose, Hüfthose, Hanni und Nanni, Bonanza, Reinhard Mey, Dieter Thomas Heck 80er Jahre: Zauberwürfel, Mohrenkopfbrötchen, Spezi, Piña Colada, Baileys, ALF, Die Ärzte 90er Jahre/Millennium: Rollerblades, Smart, Döner, Prosecco, Spice Girls, Claudia Schiffer, Katja Riemann, Sven Hannawald, Barcardi Breezer
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Die Objekte und Personen der dritten Spalte der vorstehenden Tabelle, die eine deutliche Bevorzugung durch bestimmte Altersgruppen aufweisen, werden in der nachstehenden Übersicht den verschiedenen Gruppen der Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder, Medienkinder und Netzkinder zugeordnet. Mit Ausnahme vereinzelter Ausreißer dominieren hier die Objekte aus Kindheit und Jugend der jeweiligen Generation. Zeitlich wesentlich davor oder danach einzuordnende Objekte kommen als Nostalgieobjekte offensichtlich nicht in Frage.
200
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Tab. E-8: Zuordnung der Nostalgieobjekte zu den Altersgruppen 40er Jahre 50er Jahre Kriegskinder
Schellackplatte (Taschentuch)
Konsumkinder
Rollschuhe* (Petticoat) Carepaket Lassie John Wayne Kalle Blomquist
Krisenkinder Medienkinder Netzkinder
Taschentuch
Petticoat Liz Taylor Rudolf Prack
60er Jahre
70er Jahre
80er Jahre
90er Jahre/Millennium
Minirock Reinhard Edith Piaf Mey* Marilyn Monroe Hildegard Knef (Minirock) (Hildegard Knef) Udo Jürgens Tina Turner*
Schlaghose Bonanza (Reinhard Mey*) Dieter Thomas Heck*
Katja Riemann
Daktari
Bonanza
Mohrenkopfbrötchen
Raider Hanni & Nanni
Zauberwürfel
Prosecco (Katja Riemann)
Smarties (Schlaghose) Hüfthose (Hanni & Nanni)
Spezi Piña Colada Baileys ALF Die Ärzte
Rollerblades Smart Döner Barcardi Breezer Spice Girls Claudia Schiffer Sven Hannawald
* Bekanntheitsgrad ist generell hoch; () Nennung an zweiter Stelle sehr dichtauf Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Damit ist allerdings das Problem noch nicht gelöst, was ein Objekt zum Nostalgieobjekt macht, warum zum Beispiel Madonna über alle Altersgruppen einen hohen Bekanntheitsgrad hat und Tina Turner ein Nostalgieobjekt ist, Michael Jackson jedoch nicht. Die drei genannten Interpreten sind sicher alle mehreren Generationen bekannt und dort auch beliebt sowie über Jahrzehnte in den Hitlisten gewesen. Aus diesem Grunde kann der Bekanntheitsgrad allein nicht die entscheidende Größe sein. Wahrscheinlich geht es darum, wie wandelbar ein Objekt oder eine Person ist, inwiefern sie das Lebensgefühl ihrer Zeit repräsentiert und inwiefern sie sich tatsächlich verändert oder wieder aufgegriffen wird. Beispiel für jemanden, der immer wieder eine neue Zeit repräsentiert und gerade deshalb zugleich generationstypisch und untypisch ist, wäre Madonna. Beispiel für eine wiederkehrende Idee sind zum Beispiel die Schlaghosen, Beispiel für unveränderte Wiederholungen Bonanza. Leider kann die Frage nach den Eigenschaften eines trennscharfen Nostalgieobjektes an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Vermutlich betreffen die Phänomene der Nostalgie tatsächlich das „Kind im Mann“, also die besondere Vorliebe für Gegenstände und Orte, die in einer früheren Lebensphase wichtig waren und mit positiven Gefühlen verknüpft sind, ohne aktuell wirkliche Relevanz zu besitzen.505 505
Vgl. Germain/Hollander 1992 (Pepsi Generation), S. 101.
E.III Empirische Befunde der Generationenzuordnung
201
FLORIAN ILLIES nennt als typische Objekte für die Jugend der 80er Jahre zum Beispiel: „Nutellabrot“, „Wetten dass...?“, „Playmobil“ und „gelben Sack“. Diese sind nach der vorliegenden Untersuchung allerdings augenscheinlich ins allgemeine Kulturgut übergegangen. Ausnahmefall ist Dieter Thomas Heck, der jedoch nicht für die 80er, sondern für die 70er Jahre als typisch empfunden wird. Bei vielen Marken wie Coca Cola, McDonalds oder dem Marlboromann kann man wahrscheinlich sogar von internationalem Kulturgut sprechen. Bei vielen bekannten Persönlichkeiten und Objekten, selbst trennscharfen Nostalgieobjekten, wie John Wayne, Lassie oder Bonanza, kann man den inneren, wenn auch zeitverzögerten Kulturzusammenhang mit den USA nicht verleugnen.506 Anzumerken bleibt, dass die besondere Vertrautheit bzw. gute Kenntnis verschiedener Nostalgieobjekte sich relativ gleichmäßig über die beiden Geschlechter verteilt. Dies war nicht unbedingt zu erwarten. In der Gruppe der altersspezifisch (bedingt) zuordenbaren Objekte sind Barbie, Hula Hoop-Reifen, Rollschuhe, Prosecco und diverse Kleidungsstücke typisch weiblich. Dazu kommen „Hanni und Nanni“, „Diese Drombuschs“, Katja Riemann und Sabine Christiansen. Guildo Horn ist für die Weiblichkeit ein „absolutes Unding“ mit null Nennungen. Nur für die männliche Bevölkerung sind hingegen außer Guildo Horn, John Wayne, „Die Ärzte“, Nina Hagen, Ulrike Meyfarth, Michael Groß und „Raumschiff Enterprise“ relevant. Ähnlich wie bestimmte altersgruppenspezifische Musikvorlieben lassen sich die Nostalgieobjekte von Unternehmensseite vermutlich dort am besten einsetzen, wo bestimmte Altersgruppen von Kunden oder Mitarbeitern gezielt über die emotionale Schiene angesprochen werden sollen, zum Beispiel in Werbespots. Umgekehrt lassen sich die Objekte aus dem allgemeinen Kulturgut in ihrer Symbolkraft besonders gut einsetzen, wenn alle Altersgruppen angesprochen werden sollen.
506
Vgl. Illies 2000 (Golf), insbesondere S. 9 und Kullmann 2002 (Ally), insbesondere S. 56 ff.
202
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten 1
Grundwertsystem
In Bezug auf ihre Werte wurden die Befragten aufgefordert, aus einer Reihe von Wertkategorien ihren wichtigsten und zweitwichtigsten Wert anzugeben. Im Einzelnen handelte es sich dabei um: Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Menschenwürde, Entfaltung der Persönlichkeit, Sinnfindung, Gesundheit, Bewahrung unzerstörter Natur, Liebe, Familie/Kinder, Vaterland, Bildung, Eigentum, Sicherheit, Frieden, soziale Verantwortung, Freundschaft, Treue, Lebensgenuss/Spaß, Ruhe/Harmonie, Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt und Arbeit. Eine weitere Rangfolge wurde nicht verlangt, da diese Aufgabe vergleichsweise schwierig und aufwändig ist. Als Gegenprobe wurde zusätzlich der unwichtigste Wert erfasst. Insgesamt betrachtet streut die Verteilung sehr stark über die Bandbreit der Werte. Das zeigt sich darin, dass Gesundheit trotz ihres Spitzenplatzes in der Rangliste „nur“ von 60 unter 143 Personen unter die beiden ersten Werte gerechnet wird. Rang zwei wird bereits mit insgesamt 31 Nennungen erreicht. Die Verteilung ist sehr individuell und nicht altersgruppenspezifisch.507 Die Vermutung liegt nahe, dass es eine Art Grundkonsens über die wichtigsten Werte gibt, jeder Mensch jedoch seine eigenen Prioritäten setzt. Tab. E-9: Grundwerte nach Rangfolge ihrer Bedeutung Wertkategorien nach Häufigkeiten ¾
Gesundheit
¾
Menschenwürde
¾
Freiheit
¾
Liebe
¾
Familie/Kinder
¾
Gerechtigkeit
¾
Frieden
¾
...
¾
Wirtschaftswachstum
¾
Sinnfindung
¾
Vaterland
Rang folge 1 2 3
Wichtigster Wert 34 20 15 15 14 14 11
21 22 23
Zweitwichtigster Wert
Unwichtigster Wert
26 11 15 10 20 6 13
15 22 32
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Trotzdem verdienen die am häufigsten genannten Werte eine nähere Betrachtung. Unter den Grundwerten sind nach den vorliegenden Daten Gesundheit508, Menschenwürde und Freiheit die wichtigsten, dichtauf gefolgt von Liebe und Familie. Der Gleichheits- bzw. Gleichberech507
In den Niederlanden gelang es hingegen per Langzeitanalyse von 10-Jahres-Kohorten Generationenprägung in der Wertorientierung zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg zu identifizieren, die sich allerdings nicht mit dem Alter stabilisieren. Vgl. Rijsselt 1991 (Aging stability and generations), S. 587 f.
508
Auch Riley/Riley betonen den Stellenwert der Gesundheit in der Wertestruktur moderner Gesellschaften, messen aber der Arbeit noch größere Bedeutung bei. Vgl. Riley/Riley 1994 (Potential des Alterns), S. 457.
E.IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten
203
tigungsgrundsatz wird von den Befragten kaum je erwähnt. Immerhin steht Gerechtigkeit unter den ersten sieben Werten. Sehr beachtenswert ist, dass Gesundheit mit Abstand den ersten Platz einnimmt. Das ist nicht nur bei den älteren so, die vielleicht aufgrund so mancher Beschwerden die Gesundheit mehr zu schätzen wissen. Jüngere achten ebenfalls sehr stark darauf. Das mag vielleicht im gesteigerten Körper- und Gesundheitsbewusstsein und der Umweltproblematik unserer Zeit begründet sein. Für Unternehmen ist dies jedenfalls eine sehr wichtige Information, da sie der Gesundheit jüngerer Mitarbeiter kaum Aufmerksamkeit schenken und diese dementsprechend auch bei der Anreizgestaltung vernachlässigen. An zweiter und dritter Stelle stehen Menschenwürde und Freiheit. Angesichts der vielen Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit, die immer wieder durch die Medien gehen, ist die Betonung dieser Grundwerte nicht erstaunlich. Sie können selbst in Deutschland nicht mehr als selbstverständlich angenommen werden. Diese beiden Werte dürften sich im Arbeitsleben in der Forderung nach mehr Respekt und Toleranz und weniger Diskriminierung auswirken, gegebenenfalls auch in einem Streben nach mehr Unabhängigkeit und Partizipation. Gerechtigkeitsbewusstsein zielt in die gleiche Richtung. Die Tatsache, dass Liebe, Familie und Kinder in der Rangfolge ganz vorn stehen, zeigt die zentrale Rolle, welche die Familie und insbesondere der Partner im Leben der Arbeitnehmer spielen. Entsprechend wissen Arbeitnehmer Maßnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance zu schätzen. Unternehmen sollten sich dieser Tatsache bewusst sein und ihr Rechnung tragen, insbesondere wenn beide Partner berufstätig sind oder außergewöhnliche familiäre Belastungen zu tragen haben. Zu vermuten steht, dass nicht alle Werte der Liste, die aus dem Grundgesetz zusammengestellt wurde, auch in der persönlichen Wertung echte Grundwerte im Sinne von Letztwerten sind. Dagegen spricht, dass fast alle Wertkategorien mindestens einmal unter den ersten beiden Werten genannt wurden. Ausnahme ist Eigentum, das aber in der Gesamtwertung nicht zu den unwichtigsten zählt. Insofern ist zu vermuten, dass weniger wichtige Werte in Abhängigkeit von der Lebenssituation in der Priorisierung nach vorn rücken. Werte wie Arbeit und Entfaltung der Persönlichkeit scheinen nicht zu den Letztwerten zu gehören, zählen jedoch zu den für das Berufsleben wichtigen Wertkategorien und deshalb vermutlich etwas niedriger in der Hierarchie anzusiedeln. Zu diesen bildet die gestiegene Bedeutung der Freizeit möglicherweise eine Gegengewichtskategorie. In der gleichen Ebene lassen sich wohl die von den Befragten häufig als unwichtig eingestuften Werte Sinnfindung und Wirtschaftswachstum einordnen. Der Begriff deutsches Vaterland scheint seine positive und verbindende Kraft seit dem Missbrauch im Nationalsozialismus eingebüßt zu haben und steht mit Abstand an letzter Stelle. In den empirisch ermittelten Wertranglisten von STIKSRUD steigen Gesundheit, Familienleben, Beruf, Sicherheit, Kinder und Wohlstand in den Vergleichsgruppen mit dem Alter im durchschnittlichen Rang linear an, während Liebe, Freundschaft, Freizeit und Abwechslung abnehmen.509 Ein solch klarer Trend ist aus den vorliegenden Daten nicht abzulesen, auch 509
Für die Werte Natur, Frieden, Unabhängigkeit, Persönlichkeitsentfaltung, Ausbildung, Ausgeglichenheit und Menschlichkeit ließen sich keine statistisch signifikanten Trends ausmachen. Vgl. Stiksrud 1994 (Generationenkontext), S. 164 sowie ausführlicher zum Thema Zeitgeist und Wertewandel Kapitel D.I.
204
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
wenn diese Ergebnisse mit der Schwerpunktverschiebung nach der Lebenslauftheorie gut in Einklang zu bringen sind. Die Betonung von Gesundheit, Menschenwürde und Freiheit entspricht dem Zeitgeist. Weitere Studien kommen in Bezug auf die generationstypischen Werteprioritäten zu den folgenden Ergebnissen. Jugendliche und junge Erwachsene heute halten die Erwerbsarbeit nach wie vor für ein zentrales Element ihres Lebenslaufes, möchten aber ein Gleichgewicht zwischen Leistung, Genuss und Sozialorientierung herstellen. Freundschaft, Liebe/Zärtlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, soziale Gerechtigkeit, Verantwortung und Freiheit sind ihre Prioritäten.510 Spätgeborene Krisenkinder und Medienkinder in den alten Bundesländern schätzten 1992 als Jugendliche eine Welt in Frieden vor wahrer Freundschaft, Freiheit des Denkens und Handelns, familiärer Sicherheit und innerer Harmonie als äußerst wichtig ein.511 Spätgeborene Konsumkinder und Krisenkinder sahen hingegen in ihrer Jugendzeit 1982 Arbeit als zentralen Lebensinhalt und Freizeitselbstverwirklichung als weniger wichtig an. Diese Studie ermittelt faktorenanalytisch innerhalb der Stichprobe drei grundlegend verschiedene Arbeitsorientierungen, was die Komplexität und Vielfalt von Wertstrukturen noch einmal verdeutlich.512 Dagegen erscheint die Altersgruppe der heute 60- bis 69-Jährigen (in etwa Kriegskinder) 1991 eher homogen und wird ihrem allgemeinen Stereotyp weitgehend gerecht. 82 % werten Recht und Ordnung als wichtig, gefolgt von Sicherheit und Geborgenheit, Reinlichkeit, Familiensinn und Sparsamkeit, Freiheit und Unabhängigkeit, Freizeitorientierung, gepflegtes Aussehen und Leistungsbereitschaft, die jeweils von 50 % als wichtig befunden wurden.513 Aus der Lebenslaufperspektive gesehen zeigt sich anhand quersequentieller Analysen, dass sich das Grundwertsystem mit zunehmendem Alter selbst in der Priorisierung kaum verändert. Die subjektive Bedeutung von Werten und die Orientierung des täglichen Denkens und Handelns daran nehmen jedoch zu.514
510
Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 378 f.
511
Als wichtig galten ein abwechslungsreiches und anregendes Leben, Einheit mit der Natur, eine Welt der Schönheit, Kreativität, aber auch soziale Ordnung und Höflichkeit. Mit einigem Abstand folgten nationale Sicherheit und Reichtum. Als weniger wichtig wurden Achtung vor der Tradition, Autorität und soziale Macht sowie die Loslösung von weltlichen Dingen eingestuft. Vgl. Krebs 1992 (Werte), S. 36.
512
Das ergab eine in der BRD 1982 durchgeführte repräsentative Befragung von über 2000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 30 Jahren. Die interessensgeleitet-engagierte Orientierung umfasst intrinsisch motivierte Selbstverwirklicher, deren Arbeit einen gesellschaftlichen Bezug hat (vergleichsweise älter und besser ausgebildet). Für konventionell-materiell Orientierte zählen Arbeit, Einkommen und Karriere. Die kleinste Gruppe der freizeitbezogen-hedonistisch Orientierten interessiert sich nicht für Arbeit selbst und arbeitet (bevorzugt Teilzeit) nur um ihre Freizeit- und Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Vgl. o. V. 1983 (Jugend und Wertewandel), S. 20 ff. Auch nach der Studie zur Jugendkultur 1940 bis 1985 unter den Jugendlichen der 80er Jahre sind die Einstellungen zur Berufsarbeit trotz des strukturellen Wandels in Ausmaß und Qualität jugendlicher Arbeit fast gleich geblieben. Vgl. Zinnecker 1987 (Jugendkultur), S. 317.
513
Zitiert nach Kölzer 1995 (Senioren als Zielgruppe), S. 174.
514
Vgl. Baltes-Götz/Brandtstädter/Renner 1989 (Wertorientierungen im Erwachsenenalter), S. 3 ff. Auch nach den Generationenstudien der Hans-Seidel-Stiftung hat sich die Spitzengruppe bezüglich der enthaltenen fünf wichtigsten Wertorientierungen (Kontakt/Vertrauen, Sicherheit, Harmonie/Ästhetik, Verantwortung und Pflichterfüllung seit Beginn der 90er Jahre nicht verändert. Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung 2003 (Generationenstudie 2002), S. 21.
205
E.IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten
2
Generationenprioritäten im Arbeitsleben
Eine weitere Frage beschäftigte sich mit den Prioritäten, die für die Befragten im Arbeitsleben bestehen. Über alle Altersgruppen gesehen ergibt sich das Bild in der nachstehenden Tabelle. Dieses Gesamtbild zeigt, wie stark derzeit das Sicherheitsstreben und das Bedürfnis danach, den Status quo zu bewahren, sind. Unternehmerische Tugenden, wie die Bereitschaft, etwas auszuprobieren, Verantwortung zu übernehmen, sich stark zu engagieren oder Risiken einzugehen, sind augenscheinlich nicht gefragt. Die herausragende Stellung der Arbeitsplatzsicherheit vor Lebensqualität und Einkommen erklärt sich offensichtlich aus der derzeit angespannten Arbeitsmarktlage. Solange der Arbeitsplatz gesichert ist, wird die Lebensqualität noch vor dem Einkommen gewertet. Vermutlich spiegelt sich hier das vergleichsweise hohe Einkommensniveau in Deutschland, das die Erfüllung der Grundbedürfnisse gewährleistet. Selbst zukünftige Führungskräfte ziehen nach einer BCG-Studie Sicherheit der Freiheit vor.515 Tab. E-10: Prioritätensetzung im Arbeitsleben nach Häufigkeit der Nennung Ziele
Wich- Zweitwich- Drittwichtigstes Ziel tigstes Ziel tigstes Ziel
Rang
Unwichtigstes Ziel
Rang
Arbeitsplatzsicherheit
45
28
7
1
0
12
Lebensqualität
35
23
20
2
1
11
Einkommen
11
22
18
3
9
5
Soziale Kontakte
6
10
33
4
3
9
soziale Gerechtigkeit
7
14
11
5
7
6
Persönlichkeitsentwicklung
4
11
12
6
7
6
Work-Life-Balance
11
5
7
7
10
4
Aus- und Weiterbildung
4
9
7
8
2
10
Arbeitssicherheit
4
4
5
9
4
8
Führungsverantwortung/Status
5
2
6
9
20
2
Karriere
5
2
3
11
36
1
Innovation
0
6
4
11
13
3
Gesamt
137
136
133
112
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
515
Selbst unter den studentischen High Potentials identifiziert eine Studie der BCG nur 24 % Sensationssucher und 38 % Erfolgssucher. Vgl. Eicker 2002 (BCG-Studie), S. 30.
206
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Damit ist der allgemeine Trend der Generationenmanagementstudie recht eindeutig, auch wenn die Höchstwertung unter den drei wichtigsten Zielen nur 20 % beträgt. Betrachtet man jedoch die Altersgruppen im Einzelnen ergeben sich hier interessante Prioritätensetzungen innerhalb dieser allgemeinen Strömung. So ist die Arbeitsplatzsicherheit für alle Altersgruppen außer den Netzkindern extrem wichtig. Dies gilt insbesondere für Konsum- und Medienkinder. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist, dass die Netzkinder häufig noch im Elternhaus wohnen und/oder von den Eltern unterstützt werden. Medien- und Konsumkinder hingegen sind lebenslaufbedingt gegebenenfalls selbst schon für eine Familie verantwortlich und können sich den Verlust des Arbeitsplatzes nicht leisten. Für Konsumkinder und Krisenkinder ist die Lebensqualität noch wichtiger als für die anderen Altersgruppen, dafür legen sie jedoch keinen Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben. Das Interesse daran ist ohnehin nur bei den Medienkindern ausgeprägt, die dafür am wenigsten am Einkommen interessiert sind. Die Kategorie Einkommen erachten die Krisenkinder am höchsten. Zusammen mit den beiden älteren Altersgruppen erachten sie auch soziale Gerechtigkeit als bedeutsam. Den Netzkindern ist diese nicht so wichtig und noch weniger den Medienkindern. Soziale Kontakte werden nur von den Netzkindern in die oberste Kategorie gewertet. Was die weniger wichtigen bzw. explizit unwichtigen Werte betrifft, so sticht Karriere hervor. Sie wird von allen Altersgruppen als das unwichtigste Ziel gewertet. Am ehesten Interesse an der Karriere zeigen die Jüngsten, am wenigsten die Krisen- und die Konsumkinder. Auch wenn die Frage nach dem unwichtigsten Ziel insgesamt weniger Teilnehmer der Studie beantwortet haben, ist dies ein eindeutiges Ergebnis. Auch die zugehörige Führungsverantwortung bzw. der zugehörige Status werden niedrig gewertet. Dies stimmt mit Ergebnissen von OPASCHOWSKI überein, wonach Aufstiegschancen und viel Geld (19 %), hoher Status und Führungsposition (16 %) jeweils nur einer kleinen Gruppe der Gesamtbevölkerung wichtig sind. Spaß an der Arbeit steht denn auch noch vor Erfolg und Selbstverwirklichung ganz oben unter den Motiven. Dabei ist Spaß an der Arbeit besonders wichtig für Mitarbeiter, während Führungskräfte andere Prioritäten setzen.516 Ein Ergebnis, dass den bestehenden Stereotypen zuwiderläuft, ist, dass die innovationsfeindlichsten Altersgruppen Krisen- und Medienkinder sind. Relativ gesehen messen die ältesten Arbeitnehmer der Innovation tatsächlich am meisten Bedeutung zu. Dafür haben sie kein Interesse an der Persönlichkeitsentwicklung, die insgesamt nur schwaches Interesse bei Konsum- und Medienkindern hervorruft. Auch Aus- und Weiterbildung können nur als unbedeutende Nebenziele mit 5 % bis 6 % Nennungen, bei den Krisenkindern sogar nur 2 %, eingestuft werden. Das eher geringe Interesse an der Arbeitssicherheit kann zum Teil sicher darauf zurückgeführt werden, dass in der Stichprobe Arbeiter und im Arbeitsleben gesundheitlich besonders gefährdete Personen unterrepräsentiert sind. 516
Vgl. Jung 1999 (Personalwirtschaft), S. 831 f. und Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 51. Spaß und Erfolg suchen in der Arbeit 67 % bzw. 50 % der Befragten, Selbstverwirklichung 39 %. und Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 106. Selbstverwirklichung und Lebensgenuss wird in der gesamten Bevölkerung als wünschenswert angesehen. Dieser Trend nimmt mit abnehmendem Alter an Stärke zu. Jüngere streben daneben nach Wissenserweiterung, Erfolg, Anerkennung und Unabhängigkeit. Vgl. Bundesministerium für Familie 1997 (Bild der Generationen), S. 1 ff. und Hanns-Seidel-Stiftung 2003 (Generationenstudie 2002), S. 22.
E.IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten
207
Auch die Generationenstudie der Hanns-Seidel-Stiftung belegt im Gegensatz zu den Grundwerten bezüglich der Grundhaltungen gegenüber Arbeit und Beruf einen Wertewandel. Über alle Altersgruppen stellt die klassische Grundhaltung mit dem Wunsch nach einer verantwortungsvollen Position, Einfluss, Ansehen, guter Bezahlung sowie der Bereitschaft zu unbezahlten Überstunden stellt inzwischen eine Minoritätenposition dar (25 % der Befragten). 34 % zeigen die Bereitschaft, viel Arbeitskraft zu investieren, wenn sie dies unter menschenwürdigen Bedingungen in einem überschaubaren Betrieb tun können. Bezahlung und Ansehen sind hier weniger wichtig. Die meisten (ca. 40 %) bevorzugen eine sichere Position mit geregelter Arbeitszeit, guter Zusammenarbeit und Bevorzugung der Freizeit. Dieses Ergebnis steht vermutlich mit der schlechten Arbeitsmarktlage in Zusammenhang. Angesichts der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes, sind Wechselchancen und Wechselbereitschaft geringer. Daraus würde sich auch das allgemeine Phänomen der seit den 80er Jahren sinkenden Arbeitszufriedenheit erklären. Personen, die an ihrem Arbeitsplatz verharren sind mittelfristig unzufriedener als Arbeitnehmer die ihren Arbeitsplatz oder Arbeitgeber wechseln. Das stimmt auch mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Zukunftspessimismus überein, der inzwischen bereits auf die jungen Generationszusammenhänge überzugreifen beginnt.517
3
Generationenstereotype Eigenschaften
Die Zuordnung der Generationeneigenschaften zu den Generationszusammenhängen kann aufgrund der Fragestellung nicht ganz trennscharf sein, was die Jahrzehnte betrifft. Es handelt sich um mehr oder weniger ausgeprägte „je eher in den mittleren Altersgruppen desto“, „je älter desto“- bzw. „je jünger desto“-Beziehungen. Aus diesem Grunde wurden die Eigenschaften in eine Rangfolge gebracht, welche die Stärke dieses Zusammenhanges spiegelt. Da bei Eigenschaften eine reine Selbsteinschätzung mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer zu positiven Wertung bzw. einer Eingruppierung nach sozialer Erwünschtheit geführt hätte, wurde die Fremdeinschätzung abgefragt, welche die eigene Altersgruppe jedoch einschließt. Die Reihenfolge der Eigenschaften nach Alter ist in der nachstehenden Tabelle aufgelistet. Nur drei Eigenschaften lassen sich hier nicht einordnen. „Anspruchsvoll“ und „unabhängig“ sind augenscheinlich echte Zeitgeisteigenschaften oder sogar „deutsche“ Eigenschaften, da sie dem ganzen Spektrum der Jahrgänge gleichmäßig zugeordnet wurden. Konfliktscheu wird augenscheinlich nur der jüngsten und der ältesten Gruppe unterstellt. Dies ist ein möglicher Hinweis darauf, dass gerade Eintritt und Austritt aus dem Berufsleben mit Unsicherheiten und Problemen verknüpft sind. Die empirischen Ergebnisse dieser Auswertung bestätigen die Modellannahmen sowohl bezüglich der mit der Lebensphase als auch bezüglich der mit der Generationenprägung verbundenen Stereotype eindeutig. Die gelisteten Eigenschaften scheinen insbesondere bei erfahrenen Arbeitnehmern eher durch die Generationenprägung, im Fall der jüngsten eher durch die Lebensphase bedingt zu sein. Die aufgezeigte Rangfolge entspricht in etwa den vorher erar-
517
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung 2003 (Generationenstudie 2002), S. 53 f. und S. 69 sowie Matiaske/Mellewigt 2001 (Arbeitszufriedenheit), S. 21.
208
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
beiteten Erwartungen. Allerdings sind die Ergebnisse unter Vorbehalt zu betrachten, da gerade in diesem Bereich viele der Befragten (bis zu 44 % zum Beispiel bei „freundlich“ oder 43 % bei „ordentlich“) die Kategorie „schwer zu sagen“ wählten, mehr als eine Altersgruppe ankreuzten oder die Frage ausließen. Der letzte Fall war meist mit einem Kommentar der Art, diese Eigenschaften seien nicht nach Alter zuzuordnen, verbunden. Diejenigen, welche die Fragen beantworteten, waren sich altersunabhängig in ihren Einschätzungen sehr ähnlich. Tab. E-11: Fremdeinschätzung von Eigenschaften in Abhängigkeit von der Altersgruppe Eigenschaften ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
technisch versiert kontaktfreudig idealistisch multikulturell flexibel optimistisch multitasking kreativ tolerant leistungsorientiert belastbar selbstsicher freundlich rational hilfsbereit Teamplayer gute Selbsteinschätzung sozialkompetent loyal zuverlässig höflich diszipliniert respektvoll gewissenhaft korrekt ordentlich geduldig moralisch sparsam erfahren
Altersgruppe Junge/ wenig Erfahrene
Mittlere/ Erfahrene
Ältere/ sehr Erfahrene
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Folgende Überlegungen sind in diesem Zusammenhang relevant: Zum einen ist eine, wie auch immer geartete, Altersdiskriminierung in Deutschland sicher nicht sozial erwünscht. Zum anderen fehlt die Selbsteinschätzung der Betroffenen zum Abgleich. Die durchgeführte Bewertung ergibt jedoch eindeutige Altersstereotype, die sich den drei Klassen der jungen Arbeitnehmer, der erfahrenen Arbeitnehmer und der reifen Arbeitnehmer recht gut zuordnen lassen. Unabhängig davon, ob die Stereotype generations-, zeitgeist- oder lebensphasenbe-
E.IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten
209
dingt sind, können die Befragten jedenfalls bei Bedarf darauf zurückgreifen. Das belegt die Vermutung, dass die verschiedensten Altersstereotype in der Gesellschaft weit verbreitet sind.518 Die zugeschriebenen Eigenschaften entsprechen jedoch nicht unbedingt einer negativen Stereotypisierung.519 Nach GABRIELE MAIER haben zum Beispiel 5 % der älteren Mitarbeiter ein negatives Selbstbild und 10 % fühlen sich negativ fremdattribuiert. Positive Selbstbewertungen sind danach deutlich häufiger als negative, aber der Großteil der Befragten gibt neutrale Wertungen an.520 Dazu kommt, dass allen Altersgruppen Eigenschaften zugeordnet werden, die sowohl positiv wie negativ sein können.521 Damit decken die Ergebnisse der Generationenmanagementstudie für jede Altersgruppe Eigenschaften auf, die für Unternehmen wertvoll sein können und die auch von den Kollegen geschätzt werden. Nach Einschätzung der Arbeitnehmer in der vorliegenden Befragung sind die komparativen Vorteile der jüngeren Arbeitnehmer vor allem ihr Idealismus, ihre Kontaktfreudigkeit und der sichere Umgang mit der modernen Technik. Für die mittlere Gruppe verschiebt sich die Eigenschaftszuschreibung auf Selbstsicherheit und eine gute Selbsteinschätzung, Rationalität, Freundlichkeit und Teamgeist. Die fett gedruckten Werte der oben stehenden Tabelle zeigen dabei die eindeutigsten bzw. stärksten Zusammenhänge. Die dazwischen liegenden haben oft bei mehreren nebeneinander liegenden Altersgruppen Häufungen. Insofern ist die Einteilung zwar in ihrer Reihenfolge eindeutig, jedoch nicht trennscharf und nur tendenziell den Generationszusammenhängen Netzkindern, Medienkindern, Krisenkindern, Konsumkindern und Kriegskindern zuordenbar. Vergleicht man diese Auswertung mit anderen Untersuchungen zum Selbstbild der Betroffenen, so zeigen sich folgende Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Ältere selbst halten Recht und Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit, Familiensinn und Sparsamkeit für besonders wichtig.522 Hier stimmen also Heterostereotyp und Autostereotyp recht gut überein. Für die jüngeren Arbeitnehmer ist das nur bedingt der Fall. Die Kontaktfähigkeit, die nach der Generationenmanagementstudie eher den mittleren Jahrgängen zugeschrieben wird, ist in ihrem Stellenwert für sie gestiegen. Gleichzeitig geht der Trend zur Jahrtausendwende jedoch weg von den Selbstentfaltungswerten wieder hin zu Pflicht- und Akzeptanzwerten wie Gehorsam und 518
Vgl. auch Möser 2002 (Kontakt der Generationen), S. 127.
519
Allerdings implizieren diese Stereotype vor allem für die älteren Mitarbeitergruppen Eigenschaften wie „nicht kreativ“ oder „nicht flexibel“, für jüngere „unordentlich“, „unzuverlässig“ usw., die nicht unbedingt zutreffend sind.
520
Vgl. Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 81 ff. und S. 189 ff.
521
Zum Beispiel kann zu viel Kundenfreundlichkeit in Form hoher Rabatte die Marge schmälern, zu viel Gewissenhaftigkeit zur Verzögerung von Innovationen führen oder das Engagement eines jungen Mitarbeiters in die falsche Richtung laufen.
522
Allerdings kamen dazu auch Freiheit bzw. Unabhängigkeit, Freizeitorientierung, gepflegtes Aussehen und Leistungsbereitschaft. Eher unwichtig waren sozialer Aufstieg und Genuss, materieller Wohlstand, Jugendlichkeit sowie an letzter Stelle Fitness und Sport (Daten 1991). Zitiert nach Kölzer 1995 (Senioren als Zielgruppe), S. 174. Auf die Generationsbedingtheit von Eigenschaften wie Sparsamkeit, Fleiß und Zuverlässigkeit weisen bereits die Ergebnisse einer EMNID-Untersuchung von 1948 hin. Damals erträumten sich die jugendlichen Kriegskinder den Ehepartner als fleißig, treu, gut bzw. lieb, einen guten Kameraden mit gutem Charakter, solide und sparsam. Die Traumfrau war zusätzlich eine gute Hausfrau. Liebe spielte eine untergeordnete Rolle. Zitiert nach Tarter 1954 (Generationsgestalt), S. 89 und S. 135.
210
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Pflichterfüllung sowie zu einer Gleichgewichtsethik. Auch in moralischer Hinsicht werden Beständigkeit und Verlässlichkeit in Ehe und Familie wieder wichtiger, gepaart mit Zukunftsverantwortung.523 Damit weicht das Autostereotyp der Jüngeren stärker von ihrem Heterostereotyp ab. Aus der Sichtweise von Unternehmen liegen die Stärken älterer Arbeitnehmer gerade in diesen Arbeitstugenden und in ihrem Wissen, während bei den jüngeren neues Wissen und die körperliche bzw. allgemeine Leistungsfähigkeit, Technikaffinität und Veränderungskompetenz als Vorteile gelten. Geistige Leistungsfähigkeit sowie organisatorische und soziale Kompetenzen werden teils teils zugeordnet.524 Die zentralen Kompetenzen der jüngeren Mitarbeiter prädestinieren sie als Initiatoren für Wandel. Ihre eher konservativen Wertvorstellungen und Arbeitstugenden zeigen sich augenscheinlich weniger in ihrem Verhalten oder werden von den Kollegen nicht als solche wahrgenommen. Die Technikaffinität als Stereotyp der Netzkinder zeigt sich zum Beispiel in der Übernahme der Vorreiterrolle bei der Einführung technischer Innovationen, die sie nach einer Untersuchung von MAIER schnell und umkompliziert adaptieren. Danach sind Generationen jedoch bezüglich ihrer Technikaffinität nicht wirklich homogen. Innerhalb der Generationszusammenhänge gibt es wiederum Differenzierungen hinsichtlich des Technikerlebens und des Umgangs mit Innovationen.525 Wichtiger als das Alter für die tatsächliche technische Kompetenz ist die positive Selbstwahrnehmung als technisch kompetent.526 Junge Manager zeichnen sich eher durch Entscheidungsfreude, Eigeninitiative und Problemlösungsfähigkeit aus, während ältere Manager Vorteile in den Bereichen Selbstvertrauen, Delegation, Zielorientierung und auch die entsprechende Führungserfahrung auszeichnet.527 In der vorliegenden Studie wird nicht nach der hierarchischen Position unterschieden. Managereigenschaften werden jedoch vorwiegend der mittleren Altersgruppe zugeschrieben, an die sich die meisten der Befragten auch in Problemfällen wenden. Die Führungseigenschaften, Problemlösungsfähigkeiten und die Sozialkompetenz der Älteren werden jedoch augenscheinlich nicht wahrgenommen. Letzteres wird eher den mittleren Altersgruppen zugeschrieben und steht auch im Einklang mit deren Werten. Insofern sind diese Altersgruppen für Vermittlerrollen und Kundenkontakt besonders gut geeignet. Ihre Kundenorientierung, die vor allem auf Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Höflichkeit basiert, ist damit eine echte Kernkompetenz der mittleren Generationszusammenhänge.528
523
Vgl. Opaschowski 2004 (Generationenpakt), S. 182 ff. und Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 379.
524
Vgl. Köchling 2000 (Altersstrukturen als Gestaltungsfeld), S. 35 und Sackmann/Weymann 1994 (Technisierung), S. 183 f.
525
Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, deren technikbezogene Selbstbilder sich ebenfalls stark unterscheiden, sind möglicherweise sogar größer als die diesbezüglichen Generationenunterschiede. Vgl. Sackmann/Weymann 1994 (Technisierung), S. 183 f.
526
Vgl. Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 94 f.
527
Vgl. Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 125.
528
Zur Kundenorientierung der Mitarbeiter als zentraler Voraussetzung für Kundenzufriedenheit und -loyalität und damit für den Erfolg von Unternehmen vgl. ausführlich Stock 2002 (Kundenorientierung), S. 60 ff.
E.IV Empirische Befunde zu Generationspersönlichkeiten
211
Empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Eigenschaften, insbesondere zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer, zeigen deren komparative Kompetenzen im Vergleich zu Jüngeren auf. Die meisten Untersuchungen unterscheiden nicht nach Generationszusammenhängen oder Altersklassen, sondern nur grob nach älteren und jüngeren Arbeitnehmern. Diese Untersuchungen sind häufig politisch motiviert. Die zahlreichen Untersuchungsergebnisse für ältere und langjährige Arbeitnehmer im Vergleich zu jüngeren werden nachfolgend zusammengefasst. Danach trifft das Defizitmodell529 insofern nicht zu, als dass ältere Arbeitnehmer bezüglich der Leistungsfähigkeit meist geistig und körperlich aktive Personen mit einem hohen Bildungs- und Qualifizierungsniveau und gegebenenfalls zunehmender Führungserfahrung sind. Ältere bzw. langjährige Mitarbeiter zeichnen sich in erster Linie durch Lebens-, Berufs- und Betriebserfahrung aus. Mit der jahrelangen Geschäftstätigkeit gehen fundamentale und differenzierte Erfahrungen einher. Daraus resultieren ihre akkumulierten Kenntnisse, ihr Expertenwissen und ihr handwerkliches Können. Dazu kommt bereichs- und unternehmensspezifisches Wissen bezüglich Fakten, Verfahren, Abläufen, Ansprechpartner, Informationsquellen usw. Diese Mitarbeiter sind vielseitig einsetzbar und zuverlässig. Sie verfügen über Sozialkompetenz und über ein persönliches Netzwerk, über das relevante Informationen auch unternehmensextern abgerufen werden, aber auch aktiv und schnell in die involvierten Geschäftsbereiche fließen können. Es ist davon auszugehen, dass langjährige Mitarbeiter im Sinne der Unternehmensziele sozialisiert sind, sich mit dem Unternehmen identifizieren und meist eine stabile Position in der Kernbelegschaft innehaben. Ihre komparativen Vorteile sind weiterhin Ausgeglichenheit, Geduld, Sorgfalt, Beständigkeit, Arbeitseinsatz, Betriebstreue und Loyalität gegenüber dem Unternehmen sowie Verantwortungsgefühl und ethisch-moralisches Bewusstsein.530 Die Arbeitszufriedenheit Älterer ist deutlich höher als die der jüngeren Mitarbeiter.531 Ihr Beziehungsnetz, Erfahrungs- und Fachwissen befähigt erfahrene ältere Arbeitnehmer zu Leistungen, die jüngere Arbeitnehmer in diesem Ausmaß und dieser Qualität nicht zeigen. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit komplexen Sachverhalten, größeren Gesamtkon-
529
Nach dem Defizitmodell werden mit älteren Arbeitnehmern folgende negative Attribuierungen verbunden: sinkende Arbeitsproduktivität, höhere Unfall-, Krankheitsanfälligkeit und infolgedessen vermehrte Fehlzeiten, Nachlassen geistiger und körperlicher Kräfte, geringe Mobilität, Anpassungs- und Aufgeschlossenheitsprobleme, geringe Bereitschaft zu Weiterbildung und Umschulung, Mangel an Initiative, Neigung zur Bequemlichkeit, erhöhte Reizbarkeit und Eigensinn. Dem stehen folgende positive Attribuierungen gegenüber: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, größere Ausgeglichenheit, größere Erfahrung, Sorge für den Betriebsfrieden, Verantwortungsbewusstsein, Betriebstreue und Beständigkeit, größeres Arbeitsinteresse und Arbeitsmoral und höhere Einsatzbereitschaft. Vgl. Hess-Gräfenberg 2004 (Alt, erfahren und gesund), S. 157 f. Handlungsbedarf besteht daraus, dass weder das Defizitmodell noch das Gleichheitsmodell der Generationen realistisch sind. Vgl. Jasper 2004 (Unterschiedliche Potenziale), S. 228.
530
Vgl. Axhausen/Christ/Röhrig/Zemlin 2002 (Ältere Arbeitnehmer), S. 76 ff., Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 124 ff., Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 10, Jent 2002 (Learning from diversity), S. 15 und S. 93 sowie Niederfranke 1994 (Potential älterer Arbeitnehmer), S. 158 f.
531
Vgl. Jent 2002 (Learning from diversity), S. 15 und Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 81 ff. und S. 189 ff.
212
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
zepten und weiter reichenden Zeitplanungen. Ältere Arbeitnehmer zeichnen sich hier durch ein herabgesetztes Erleben der Eigenbetroffenheit in potenziell belastenden Situationen, eine erhöhte Toleranz, Verständnis in Bezug auf alternative Handlungsstile und Konsensfähigkeit aus, da sie zwischen persönlichen und aufgabenbezogenen Belangen trennen können. Ihre bessere Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Grenzen und ihr Urteilsvermögen führen zu Entscheidungen, die mit mehr Bedacht, Gelassenheit sowie nüchternem Realismus getroffen werden. Sie zeichnen sich durch Überblick, Entscheidungs- und Handlungsökonomie bzw. Aufgabenbewältigungseffektivität aus. Ihr Umgang mit Unternehmensressourcen ist ebenfalls sparsam. Komplikationen und Konfrontationen werden besser durch vorausschauendes Arrangieren berücksichtigt (Helikopterperspektive). Älteren Mitarbeitern fällt es leichter, mit Situationen, die durch ein hohes Maß an Schwierigkeit und Unsicherheit gekennzeichnet sind, erfolgreich umzugehen. Die Fähigkeit Älterer zu logischem Denken, Beweisführung und Argumentation und ihre Sprachbeherrschung sind gleichfalls größer als bei Jüngeren. Ihnen wird Führungs- und Teamkompetenz bescheinigt.532 Nach dieser Darstellung scheinen sich Mitarbeiter mit zunehmender Erfahrung in Richtung des Fremdbilds weiser Persönlichkeiten zu entwickeln. Es zeigt vortreffliche Charaktere, die kenntnisreich und erfahren, intellektuell leistungsstark, besonders urteilsfähig und feinfühlend sind und über eine starke Selbstkontrolle verfügen.533 Dieses Idealbild wird in der Realität jedoch selten erreicht und ist zudem weitgehend unabhängig vom Alter. Weisheit ist in allen Altersgruppen gleichmäßig rar und wird vor allen Dingen bei Männern im beruflichen Umfeld identifiziert.534 Die sehr positive Darstellung erfahrener Arbeitnehmer ist also nicht absolut zu sehen, sondern nur im Durchschnitt im Vergleich zu jüngeren. Viele der genannten Eigenschaften werden nach der Generationenmanagementstudie als Stereotyp eher den mittleren Altersgruppen zugeschrieben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich sowohl nach der Generationenmanagementstudie als auch nach den hier betrachteten Studien für jede Altersgruppe im Unternehmen komparative Kompetenzen finden lassen. Diese gilt es zu stärken und miteinander zu kombinieren, damit Schwächen weniger zum Tragen kommen.535
532
Vgl. Axhausen/Christ/Röhrig/Zemlin 2002 (Ältere Arbeitnehmer), S. 76 ff., Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 124 ff., Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 10, Jent 2002 (Learning from diversity), S. 15 und S. 93 sowie Niederfranke 1994 (Potential älterer Arbeitnehmer), S. 158 f.
533
Weisheit ist ein kulturell erworbenes Denk- und Wissenssystem, das Einsicht und Urteilsvermögen in schwierigen und unsicheren Fragen des alltäglichen Lebens ermöglicht, indem sie Expertenwissen und Strategien als Entscheidungshilfen für Lebensdeutung und Lebensführung bietet (gute Ratschläge und Urteile). Dieses Wissen betrifft die Grundbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten im Lebensverlauf, Konflikte und Komplikationen, Lebensziele und ihre Gewichtung sowie Sinngebung und Lebensdeutung. Vgl. Prahl/ Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 264 f.
534
Vgl. Baltes/Smith 1990 (Wisdom related knowledge), S. 494 ff. und Prahl/Schroeter 1996 (Soziologie des Alterns), S. 264 f.
535
Vgl. Jent 2002 (Learning from diversity), S. 15.
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
213
V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen 1
Wunscheigenschaften von Arbeitnehmern
In Bezug auf die Arbeitstugenden oder das Verhalten, was bei Kolleginnen und Kollegen wünschenswert erscheint, wurde eine offene Frage gestellt.536 Die nachstehende Tabelle liefert eine Übersicht über die vielfältigen Antworten, die diese Frage erbrachte. Diese sind schwer in Kategorien zu fassen und nicht trennscharf. Viele Begriffe weisen in die gleiche Richtung, betonen jedoch andere Nuancen wie zum Beispiel Einsatzfreude und Einsatzwillen. Aus diesem Grunde werden die von den Befragten genannten Begriffe in der Tabelle alle erwähnt, jedoch der besseren Übersichtlichkeit halber zu Kategorien zusammengefasst. Besonders interessant sind Begriffe wie Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Fleiß, die ohne die Berücksichtigung von Synonymen oder verwandten Begriffen eine hohe Nennungsquote aufwiesen. Eine besonders große Vielfalt an für sie wünschenswerten Eigenschaften wurde von den Medienkindern genannt. Unter den Wunscheigenschaften sticht besonders eine heraus, die von Arbeitnehmern aller Altersklassen genannt wird. Es handelt sich um Verlässlichkeit bzw. Zuverlässigkeit. Im Arbeitsleben scheint dies die wichtigste Tugend zu sein. Diese Eigenschaft spiegelt sich in der Befragung auch in weiteren Formulierungen und verwandten Eigenschaften, die von den Teilnehmern angeführt werden. Dazu zählen Vertrauenswürdigkeit, Verantwortungsgefühl oder Integrität. Daneben ist Zuverlässigkeit auch verwandt mit Eigenschaften wie Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein. Die Befragten schätzen an ihren Kollegen, Vorgesetzten und Geschäftspartnern also in erster Linie, wenn man sich auf sie verlassen kann. Die Förderung dieser Eigenschaft in einem dynamischen Umfeld ist demnach für Unternehmen von hoher Priorität. Nicht umsonst ist vor allem die Förderung von Zuverlässigkeit und innerer Verpflichtung, von Kontrollbewusstsein und Niveau des moralischen Urteils Gegenstand der beruflichen Sozialisation.537 Das Pflichtbewusstsein deutscher Arbeitnehmer ist vorbildlich. Mit 63 % produktiver Nutzung der Arbeitszeit liegen sie im internationalen Vergleich vorn.538 An zweiter Stelle stehen Eigenschaften wie Fleiß bzw. Engagement und Einsatzwillen sowie Teamgeist bzw. gute Zusammenarbeit. Auch Freundlichkeit und ein gutes Betriebsklima werden insbesondere von den jüngeren Altersgruppen hoch geschätzt. Daneben stehen die Sekundärtugenden Pünktlichkeit und Ehrlichkeit. Dieses Profil spiegelt deutlich den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, wo diese Eigenschaften besonders wichtig sind. Entsprechend werden auch Kommunikationsfähigkeit und emotionale Intelligenz genannt.539 536
Diese Frage stand weit vorn im Fragebogen und konnte dementsprechend unverfälscht, ohne Kenntnis vorgegebener Kategorien, beantwortet werden.
537
Vgl. Heinz 1991 (Berufliche Sozialisation), S. 398 ff. Verlässlichkeit in Form von Qualität und Lieferzuverlässigkeit und gleich bleibendem Service ist auch für die Kunden von großer Bedeutung.
538
Vgl. o. V. 2003 (Arbeitszeit), S. 40.
539
Die Befragten stammen zu einem Großteil aus der Dienstleistungsbranche, was die Ergebnisse ebenfalls zum Teil erklären könnte. Die Ergebnisse der Studie von Opaschowski weisen allerdings gleichfalls auf einen Trend zu mehr Kontaktfähigkeit und Höflichkeit Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 379.
214
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Konsumkinder
Krisenkinder
Netzkinder
Summe
Ehrlichkeit
2
6
4
5
5
22
Pünktlichkeit
2
1
4
9
6
22
Ordnung/Ordentlichkeit/Ordnungsliebe
2
0
1
1
1
5
Pflichterfüllung/Pflichtbewusstsein/Gewissenhaftigkeit/ Sorgfalt/Genauigkeit/Geduld
0
0
4
5
1
10
Ausdauer/Belastbarkeit/Beharrlichkeit/Kontinuität/Disziplin
1
1
3
5
4
14
Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit
3
10
13
21
3
50
Vertrauen/Vertrauenswürdigkeit/Integrität
0
2
1
2
1
6
Verantwortung/Verantwortungsbewusstsein/-gefühl
0
2
1
1
0
4
Einsatz/Einsatzbereitschaft/Einsatzwillen/Einsatzfreude/Motivation
0
0
1
2
5
8
Fleiß/Engagement/Eifer/viel, schnell, erfolgreich arbeiten/Arbeit sehen/Ehrgeiz
4
2
5
8
10
29
Selbstständiges Arbeiten/Selbstständigkeit/Entscheidungsfreude
3
0
0
2
1
6
Sachverstand/Fachwissen/Kompetenz/Wissen/gute Arbeit
0
1
2
2
0
5
Schnelle Auffassung/Auffassungsgabe/Lernfähigkeit/Neugier auf Wissen
1
0
0
1
2
4
Ideenreichtum/Kreativität/Vorstellungsvermögen/Offenheit (für Neues)/Interesse/Flexibilität/Toleranz
3
2
1
7
7
20
Höflichkeit/höfliche Umgangsformen/Manieren/Zurückhaltung
3
0
1
2
4
10
Achtung/gegenseitiger Respekt
2
0
1
3
2
8
Korrektes Verhalten/Korrektheit/Moral
0
0
2
2
0
4
Fairness/Gerechtigkeit/Gleichberechtigung
0
2
1
4
0
7
Hilfsbereitschaft/Solidarität/Zusammenhalt/Loyalität/Identifikation
1
1
6
3
3
14
Teamfähigkeit/Teamgeist/(Sinn für) Teamwork/Teamarbeit/gutes Team/Kooperation/(konstruktive) Zusammenarbeit/Kollegialität
1
3
6
8
11
29
Freundlichkeit/freundliches Auftreten/Nettsein/Verbindlichkeit
1
1
4
6
8
20
(freundlicher)Umgang mit Menschen/guter Umgang bzw. Verstehen mit Arbeitskollegen/Kontaktfreude/emotionale Intelligenz/soziale Kompetenz/Kommunikation/Kommunikationsfähigkeit/Kommunikationsbereitschaft
0
0
4
2
4
5
Gutes/positives Betriebsklima/gutes, lockeres Arbeitsklima/gute Stimmung/freundliche Atmosphäre/Harmonie
1
0
0
1
4
6
Humor/Lebensfreude/Optimismus/positive Einstellung/Spaß am Job
0
1
0
3
1
5
Generationszusammenhänge Wunscheigenschaften
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Medienkinder
Kriegskinder
Tab. E-12: Arbeitstugenden und Rangfolge ihrer Bedeutung
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
215
Während Ordnung als typisch deutsche Arbeitstugend an Bedeutung verloren zu haben scheint, werden Gewissenhaftigkeit und Höflichkeit noch immer geschätzt. Korrektheit, Fairness und Respekt, Verantwortung, Kompetenz und Lernbereitschaft liegen eher auf den hinteren Rängen. Die Bedeutung von Sachverstand, Weiterbildung und korrektem Verhalten tritt also im Vergleich zur sozialen Kompetenz deutlich in den Hintergrund.540 Insgesamt gesehen ist die hier vertretene Idealvorstellung der deutschen Arbeitswelt also hauptsächlich durch Verlässlichkeit, Engagement und gute Zusammenarbeit gekennzeichnet. Die Förderungswürdigkeit dieser Eigenschaften unter den Arbeitnehmern steht durchaus im Einklang mit Unternehmensinteressen. Schwieriger scheint es jedoch zu sein, die Befragten für Wissenserweiterung, Innovativität und Entscheidungsfreude zu begeistern. Eigenschaften wie die Fähigkeit, mehrere Dinge auf einmal zu tun, die in der heutigen dynamischen Umwelt gefragt sein dürften, werden überhaupt nicht genannt. Den Westdeutschen scheint die sorgfältige und gewissenhafte Erledigung einer Aufgabe wichtiger zu sein. In der Einzelgruppenbetrachtung der Altersstufen sieht das Bild etwas anders aus. Es fällt auf, dass die Berufsanfänger, die einzige Gruppe sind, die der Zuverlässigkeit keine große Bedeutung beimessen, dafür aber Einsatz und Motivation überdurchschnittlich hoch bewerten. Dazu kommen Kreativität, Teamfähigkeit, Freundlichkeit und ein positives Betriebsklima. Hier werden die Netzkinder ihrem Klischee als dynamische, kreative und veränderungsbereite Idealisten gerecht, denen soziale Kontakte wichtig sind. Dies ist durchaus mit der Eigenschaftszuschreibung im Fremdbild stimmig und auch damit, dass mit der jüngsten Gruppe die meisten Konflikte bestehen. Der Mangel an Wertschätzung für zuverlässiges Arbeiten und die Tendenz zu Veränderungen schafft mit großer Wahrscheinlichkeit Konfliktpotenziale. Dafür kann man aber davon ausgehen, dass die jungen Arbeitnehmer mit sehr viel Einsatz an die Arbeit gehen werden, denn Engagement ist für sie von größter Bedeutung. Daneben ist für die Netzkinder Pünktlichkeit durchaus eine wichtige Eigenschaft. In etwas geringerem Maße schätzen sie Ehrlichkeit, Höflichkeit und Disziplin. Sieht man von der relativen Vernachlässigung der Zuverlässigkeit ab, sind die Netzkinder den Kriegskindern in ihren Prioritäten nicht unähnlich. Beide Gruppen schätzen Fleiß und Einsatz sowie – etwas unerwartet – Kreativität als besonders wichtig ein. Allerdings betonen die Kriegskinder eher die Eigenständigkeit und selbstständige Arbeitsweise vor dem Team und schätzen vermutlich auch deshalb Höflichkeit vor der Freundlichkeit ein. Die Ergebnisse von OPASCHOWSKI zeigen ein noch ähnlicheres Bild der Jugendlichen mit den Kriegskindern. Pflichtbewusstsein, Respekt und Höflichkeit und damit allgemein die Sekundärtugenden sind danach bei den jungen Leuten im Trend. Genauso werden aber auch Selbstständigkeit in Ausbildung und Berufsleben sowie Eigeninitiative von einer großen Mehrheit für sehr wichtig gehalten.541
540
Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass alle genannten Eigenschaften zumindest von einzelnen Befragten als besonders wünschenswert angesehen werden.
541
Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 304 f., S. 377 und S. 395. Zwischen 52 % und 93 % der Jugendlichen haben sogar einen eigenen Kodex an Grundsätzen, Konventionen und Höflichkeiten (bedanken, hinten anstellen, Respekt gegenüber Autoritäten, Platz anbieten, Hand geben, Telefonat für Besuch beenden, Frauen Vortritt lassen, Fernsehen für Besuch beenden, störende Handytelefonate unterlassen usw.).
216
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Die Konsumkinder hingegen legen mit Abstand den größten Wert auf Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit und decken ansonsten ein weites Spektrum mit sehr wenigen Nennungen ab. Ordnung, Pflichterfüllung, Pünktlichkeit, Höflichkeit, Respekt, Korrektheit, aber auch Freundlichkeit und Lernbereitschaft schätzen sie kaum. Damit sind sie eine Gruppe für sich. Im Gegensatz zu allen anderen schätzen sie sogar Einsatz, Ausdauer und Engagement als gering ein. Dafür verlassen sie sich eher auf das Team. Die Tendenz zu Teamgeist, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ist bei den Krisenkindern besonders ausgeprägt. Dazu schätzen sie nicht nur Verlässlichkeit, sondern auch Pflichtbewusstsein. Der Trend zur Wertschätzung von Zusammenarbeit im Team und Freundlichkeit verstärkt sich bei den jüngeren Altersgruppen weiter. Dazu kommen nur bei den jüngeren die positive Bewertung eines guten Arbeitsklimas und der Pünktlichkeit insbesondere bei den Medienkindern. Unter der Voraussetzung, dass die Medienkinder die zahlreichen von ihnen geschätzten Eigenschaften auch wirklich in die Tat umsetzen, wären sie ideale Partner im Arbeitsleben. Als kreative, fleißige, freundliche und zuverlässige Teamspieler, brächten sie zusätzlich noch Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit, ergänzt durch Ehrlichkeit, Fairness, Belastbarkeit und Humor mit. Vergleicht man diese Erkenntnisse mit der Auswertung der Eigenschaften, die den verschiedenen Altersgruppen von den Befragten tatsächlich zugeschrieben werden, so zeigt sich, dass die wichtigste Eigenschaft „Zuverlässigkeit“ am ehesten bei den Älteren vertreten ist, die Kollegen der mittleren Altersgruppen die besten Teamplayer zu sein scheinen und die Jüngeren den gefragten Leistungswillen und das Engagement beisteuern können. Das spricht deutlich für altersgemischte Teams, wo jeder eine Kernkompetenz mitbringen und gegebenenfalls die anderen Teammitglieder mitziehen oder positiv beeinflussen kann. Betrachtet man die 10 wichtigsten Anforderungen des Arbeitslebens im Vergleich zwischen 1981 und 2003 nach OPASCHOWSKI, so stehen Fleiß und Pflichterfüllung, Selbstvertrauen und Selbstständigkeit nach wie vor weit oben. Kontaktfähigkeit und Höflichkeit als Anforderungen der modernen Dienstleistungsgesellschaft sind nach vorn gerückt, während Selbstbeherrschung augenscheinlich nicht mehr gefragt ist. Auch das Leistungsstreben hat etwas an Bedeutung verloren. Ehrlichkeit bzw. Offenheit sind neu hinzugekommen und haben augenscheinlich zur Jahrtausendwende erhebliche Bedeutung gewonnen. Dies deckt sich recht gut mit dem, was Arbeitnehmer als Erziehungsziele des 21. Jahrhunderts für die eigenen Kinder und Enkelkinder angeben. Das sind vor allem Ehrlichkeit bzw. Offenheit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Selbstvertrauen und Fleiß, Gerechtigkeit und Kontaktfähigkeit.542 Insgesamt gesehen zeigt sich also eine Wertevielfalt im Arbeitsleben mit einem Konsens bezüglich der für die Gemeinschaft zentralen Tugenden. Diese gilt es in allen Altersgruppen zu fördern, ohne die altersdiverse Pluralität in den anderen Arbeitstugenden zu unterdrücken. 542
Dabei wurden Ehrlichkeit/Offenheit von 85 %, Selbstständigkeit von 81 %, Verantwortungsbereitschaft von 78 %, Selbstvertrauen und Fleiß von je 77 %, Gerechtigkeit von 75 % und Kontaktfähigkeit von 71 % der Befragten genannt.Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 379 und S. 429.
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
2
217
Zeitgeistanforderungen an den Arbeitsplatz
Die Fragen zu den Anforderungen an den eigenen Arbeitsplatz wurden von allen Altersgruppen in erstaunlich homogener Weise beantwortet. Das spricht dafür, dass diese Anforderungen dem aktuellen Zeitgeist entsprechen. Dies macht es Unternehmen natürlich leichter entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, da sie altersgruppenübergreifend sein können. 136 von 141 gültigen Antworten besagen, dass die Befragten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Arbeit voll einsetzen wollen. Für Unternehmen ist dies ein Zeichen dafür, dass trotz der oben angegebenen Einkommens- und Lebensqualitätprioritäten die Arbeit selbst und die darin liegenden Herausforderungen weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Diese Antwort weist auf eine sehr gute Möglichkeit hin, die Arbeitnehmer intrinsisch zu motivieren. Immerhin 70 % arbeiten sich auch gern in ein neues Aufgabengebiet ein. Das gilt auch für die Älteren. Nur die Netzkinder sind sich dessen nicht so sicher. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sie sich im Zuge ihrer beruflichen Sozialisation und fachlichen Einarbeitung ohnehin mit sehr vielen neuen Dingen beschäftigen und sich ihrer selbst und ihrer Fähigkeiten noch nicht sicher sind. Trotz der Bereitschaft, Neues anzunehmen, müssen neue Aufgabengebiete jedoch wohl genauso wie neues Wissen von der Unternehmung aktiv an die Mitarbeiter herangetragen werden, da die oben dargestellten Zielsetzungen weder Innovation noch Weiterbildung noch Karriere als besonders wichtig für die Arbeitnehmer ausweisen.543 Die Aussage „Mich interessieren auch Informationen im Unternehmen und Umfeld, die nicht direkt meine Aufgaben betreffen.“ bejahen jedoch 76 % der Befragten. Nur wenige Einsteiger sind sich hier unsicher oder dagegen. Das mag vielleicht darin begründet sein, dass Jüngere nicht um ihren Status fürchten müssen und es eher zugeben oder einfach ehrlicher sind, wenn sie sich nicht für Informationen wie die Unternehmensstrategie oder Ähnliches interessieren. Auch, was das selbstständige Arbeiten auf ein Ziel hin angeht, ist eine große Mehrheit sich einig, dass sie dies gern täte. Bei den beiden ältesten Gruppen gibt es keine Gegenstimmen. Unsicherheit und wenige Gegenstimmen finden sich vor allem bei den jüngeren. Berufsanfänger und Arbeitnehmer mit wenig Berufserfahrung fühlen sich augenscheinlich ohne Anleitung nicht so wohl. Der Wunsch nach mehr Anleitung ist auch ein oft genannter Punkt der freien Kritik unter den jüngeren Mitarbeitern. Dazu gehört allerdings zeitnahes, informelles Feedback, das alle Altersgruppen schätzen. Immerhin 93 % der Befragten wünschen sich direkte Anerkennung und Kritik. Nur unter den beiden jüngeren Gruppen finden sich einzelne Skeptiker und Unentschlossene. Damit gehören eine gewisse Autonomie und zeitnahes Feedback zu deutlich zu den Anforderungen, die der Zeitgeist zu stellen scheint. Lange Wartezeiten können sich Unternehmen schließlich in ihrer dynamischen Umwelt nicht leisten.544 Der Wunsch nach mehr Flexibilität bezüglich Strukturierung und Umfang der Arbeitszeit ist ebenfalls mit 88 % sehr deutlich ausgeprägt, genau wie der Wunsch, die Aufgaben selbst un-
543
Die besten Weiterbildungschancen haben derzeit die mittleren und jüngeren Altersgruppen, die schlechtesten hat die Gruppe der ab 50-Jährigen. Selbst unter den Jüngeren nimmt jedoch maximal ein Drittel diese Chance wahr. Zitiert nach Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 101 ff.
544
Vgl. auch Hellriegel/Slocum 1976 (Organizational behavior), S. 274 ff.
218
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
abhängig strukturieren zu können (86 %). Es finden sich jeweils nur vereinzelt Gegenstimmen, hauptsächlich bei den Jüngeren. Dies passt zur gewünschten selbstständigen Arbeitsweise. Damit sind Gestaltungsmöglichkeiten wie freie Aufgaben- und Zeiteinteilung, Gleitzeit, Teilzeit oder Strukturierung der Mehrarbeit Themen, mit denen sich Unternehmen beschäftigen müssen, wenn sie dem Zeitgeist und ihren Mitarbeitern gerecht werden wollen.545 Tab. E-13: Flexibilisierung der Arbeitszeit nach Altersgruppen Flexible Arbeitszeit nach Strukturierung und Umfang Altersgruppen nach Geburtsjahrgängen
stimme voll zu
stimme eher zu
schwer zu sagen
stimme eher nicht zu
stimme gar nicht zu
Gesamt
Kriegskinder
1937 - 1946
10
2
1
1
0
14
Konsumkinder
1947 - 1956
11
6
0
1
0
18
Krisenkinder
1957 - 1966
18
11
0
1
0
30
Medienkinder
1967 - 1976
23
13
2
4
0
42
Netzkinder
1977 - 1986
14
15
5
4
0
38
76
47
8
11
0
142
Gesamt
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Was die eigene Flexibilität bezüglich des Arbeitsortes angeht, sind die Befragten sich nicht einig. 36 % der Befragten sind eher gegen eine Flexibilisierung, 53 % sind dafür und der Rest ist unentschlossen. Für die Konsumkinder ist die Option, zum Beispiel von zu Hause aus zu arbeiten, am wenigsten attraktiv. 65 % der Befragten lehnen dies ab. Für die Kriegs- und Krisenkinder ist sie besonders attraktiv. Sie stimmen mit ca. zwei Dritteln dafür. Medien- und Netzkinder sind jeweils tendenziell eher dafür, jedoch gibt es einen Großteil Unentschlossene.546 Nicht abgefragt wurde die Bereitschaft, aufgrund der Arbeit den Wohnort zu wechseln oder zu reisen. Diese ist bei jüngeren Menschen vermutlich höher. Die vergleichsweise geringere
545
Dies bestätigt zum Beispiel auch eine Umfrage des Instituts für Allensbach in der Metall- und Elektroindustrie 2002, wonach sich 71 % der befragten Mitarbeiter flexible Arbeitszeiten wünschen. Zitiert nach Flüter-Hoffmann 2003 (Flexible Arbeitszeiten), S. 2. Entsprechend sind zum Beispiel viele Beschäftigte an mindestens einem Tag Telearbeit pro Woche interessiert, auch wenn sie ihren Arbeitgeber nicht dafür aufgeschlossen halten. Vgl. Glaser/Glaser 2000 (Telearbeit), S. 135.
546
Über alle Altersgruppen gesehen gibt es auch bei erfolgreichen Flexibilisierungsprojekten des Arbeitsortes meist eine Teilgruppe, die das herkömmliche Einzelbüro und den festen eigenen Schreibtisch vorzieht und deswegen das Projekt komplett negativ sieht. Vgl. Glaser/Glaser 2000 (Telearbeit), S. 141 f.
219
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
Verortung und Bindung der Jungen an den Heimatort lässt sich wahrscheinlich mit ihrem höheren Tatendrang und der stärkeren Außenorientierung, die Welt zu erleben, erklären.547 Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, wird das persönliche oder telefonische Gespräch der EMail als Kommunikationsmedium von allen Altersgruppen mit großer Mehrheit vorgezogen. Natürlich ist diese Frage nicht ganz eindeutig, da die Wahl des Kommunikationsmediums natürlich in erster Linie von der Situation und den Beteiligten abhängt. Dennoch kann man hier einen deutlichen Generationentrend im Sinne einer Präferenzänderung erkennen. Sind von den Kriegskindern noch 100 % überzeugt, das Gespräch sei der Mail vorzuziehen, so finden sich unter Konsum- und Krisenkindern bereits erste Zweifler und Gegenstimmen. Dieser Trend verstärkt sich bei den Medienkindern, obwohl in allen drei mittleren Altersgruppen noch über 70 % das persönliche Gespräch bevorzugen. Ein gutes Viertel der Netzkinder spricht sich demgegenüber bereits explizit dagegen und für die elektronische Post aus. Tab. E-14: Bevorzugtes Kommunikationsmedium nach Altersgruppen Altersgruppen nach Geburtsjahrgängen
Kriegskinder
1937 - 1946
Konsumkinder
Bevorzugung persönliches Gespräch/ Telefonat vor E-Mail stimme voll zu
stimme eher zu
schwer zu sagen
stimme eher nicht zu
stimme gar nicht zu
Gesamt
12
2
0
0
0
14
1947 - 1956
7
7
3
1
0
18
Krisenkinder
1957 - 1966
16
8
3
3
0
30
Medienkinder
1967 - 1976
10
20
7
4
1
42
Netzkinder
1977 - 1986
9
14
5
6
4
38
54
51
18
14
5
142
Gesamt
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement
Unternehmen können hier die Möglichkeit schaffen, die Mail als gleichwertiges Kommunikationsmedium zum Telefonat zu nutzen. Dies kann jedoch nicht ohne entsprechende „Netiquette“ geschehen, da sonst die große Mehrheit, die das Gespräch vorzieht, negativ reagieren könnte. Das gilt insbesondere für vertrauliche Informationen oder Sachverhalte wie Kritikgespräche, die Fingerspitzengefühl erfordern. Grundregeln dafür, welche Art der Kommunikation per Mail erfolgen darf oder sollte und in welcher Form und mit welchem Adressatenkreis dies erfolgen soll, würden dieses Problem abfedern. Generell ist es wichtig, dass alle rele547
Die Generationenstudie der Hanns-Seidel-Stiftung zum Beispiel bescheinigt Bayern aller Altersstufen ausgeprägtes Heimatgefühl, das mit dem Alter noch zunimmt. Dabei ist die Definition von Heimat bei älteren Menschen stark an Nation und Region (Geburtsort) gekoppelt, während junge Menschen sie dort sehen, wo man sich wohl fühlt. Die Untersuchungsergebnisse zum Thema Heimatgefühl und emotionale Verbundenheit mit Wohnort, Region, Bayern, Deutschland und Europa lassen eine weitgehend friedliche Koexistenz der Identitäten verbunden mit der genannten klaren Rangfolge erkennen, wobei die deutlich schwächsten Bindungen zu Europa bestehen. Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung 2003 (Generationenstudie 2003), S. 44 f.
220
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
vanten Informationen die richtigen Zielgruppen erreichen. Dafür kann die Wahl des adäquaten Mediums entscheidend sein.548 Solche Regelungen sind auch in Bezug auf das Gesieztwerden sinnvoll. Die Kriegskinder stimmen in der Mehrzahl der Aussage voll zu, dass das Gesieztwerden ihnen wichtig ist. Niemand in dieser Altersgruppe ist vollkommen dagegen. Auch die Konsumkinder stimmen der Aussage: „Ich lege Wert darauf, von Unbekannten gesiezt zu werden.“ im Großen und Ganzen zu, aber hier ist das Bild nicht mehr ganz so klar. Die Krisenkinder sind noch etwas unentschlossener. Zwar legt die Hälfte Wert darauf, jeweils ein Viertel ist hier jedoch unentschlossen bzw. legt keinen größeren Wert auf das Siezen. Auch mehr als die Hälfte der Medienkinder erachtet das Siezen für wichtig, dem stehen jedoch einige Unentschlossene und 15 % Gegenstimmen gegenüber. Selbst bei den Netzkindern möchten immerhin ca. 29 % von Fremden gesiezt werden, während doppelt so viele (58 %) darauf keinen Wert legen. Die Wichtigkeit des Gesieztwerdens von Unbekannten nimmt also tendenziell bei jüngeren Jahrgängen ab.549 Das mag einerseits im Zeitgeist und der amerikanischen Welle des Duzens begründet sein. In vielen auf jüngeres Publikum ausgerichteten Geschäften (zum Beispiel Jeansshops oder Fast Food-Ketten) werden die jüngeren Kunden sofort geduzt. Der Umbruch vom studentischen Sie zum Du Anfang der 70er Jahre, kann als direkte Folge der 68er Studentenbewegung und damit als Generationseffekt einklassifiziert werden. Andererseits ist es wahrscheinlich lebensphasenbedingt. Schule, Berufsschule und Universität sind Bereiche, wo man sich heute auch mit unbekannten Gleichaltrigen eher duzt. Der Eintritt ins Berufsleben bringt jedoch in der Regel auch heute noch das Gesieztwerden mit sich.550 In der jetzigen Situation erscheint die Frage des Gesieztwerdens nach den vorliegenden Daten für einen Großteil der Arbeitnehmer von großer Bedeutung. Da das Siezen ein Zeichen von Respekt ist und die Entscheidung darüber, ob gesiezt oder geduzt werden soll in Deutschland traditionell beim Einzelnen liegt, sollte das auch zumindest in Bezug auf Unbekannte so bleiben.551 Wenn die Corporate Identity das Duzen fordert, ist das zwar rechtlich zulässig, die Arbeitnehmer fühlen sich jedoch möglicherweise in einem Persönlichkeitsrecht beschnitten. Duzen ohne Zustimmung kann zu Stress, Unzufriedenheit, Konflikten und sogar körperlich negativen Folgen führen. Es ist deshalb sinnvoll, neue Arbeitnehmer vor der Einstellung auf solche Besonderheiten gezielt hinzuweisen bzw. allgemeines Duzen nicht ohne Zustimmung 548
Vgl. Brose/Corsten/Wohlrab-Sahr (Zeitarbeit), S. 318 ff.
549
Das bestätigt auch eine Befragung des Instituts für Allensbach 1993, zitiert nach Besch 1998 (Duzen), S. 11.
550
Vgl. Besch 1998 (Duzen), S. 14 ff, S. 20 und S. 64 ff. und Erndl 1998 (Höflichkeit), S. 70 ff.
551
Die Generationenmanagementstudie enthält aus Kapazitätsgründen keine Fragen zur Anrede von Bekannten oder Kollegen. Grundsätzlich wird vermutlich zunächst einmal gesiezt. Das „Du“ bleibt der Entscheidung des Einzelnen überlassen, nachdem die Alteingesessenen es angeboten haben. So kann jeder für sich selbst bestimmen und Kollegen müssen nicht mit Freunden gleichgesetzt werden. Das Deutsche bietet eine schöne Möglichkeit durch Ausweichen auf das „Sie“ in Verbindung mit dem Vornamen, auch wenn sie heute seltener genutzt wird. Im Prinzip entspricht diese Variante dem englischen „you“ und dem Gebrauch des Vornamens im Geschäftsverkehr und steht einem herzlichen Verhältnis genauso wenig im Wege wie das Siezen in Verbindung mit dem Nachnamen. Vgl. Spillner 2001 (Perfekte Anrede), S. 31 ff. und Wrede-Grischkat 2001 (Manieren und Karriere), S. 82 f.
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
221
der betroffenen Arbeitnehmer einzuführen. Noch wichtiger ist das Siezen im Umgang mit Kunden. Manche Menschen sehen es als Beleidigung an, von Unbekannten geduzt zu werden, während sich nur wenige unangenehm berührt fühlen, wenn sie gesiezt werden.552 Im Gegensatz zur Anrede scheint die Kleidung am Arbeitsplatz kaum Anlass zu Klagen zu geben. Die Bandbreite der oben genannten Arten von Kleidung weist darauf hin, dass in Westdeutschland diesbezüglich ein großer persönlicher Freiraum besteht. Im Wesentlichen scheint die Kleidung am Arbeitsplatz authentisch und zweckmäßig zu sein, denn alle Altersgruppen sind mit großer Mehrheit der Meinung, dass sie ihr Äußeres eher nicht anders gestalten möchten. Die Frage danach, ob das Rentenalter nach hinten verschoben werden sollte, fand ein bunteres Meinungsbild. Circa. 26 % stimmten zu oder eher zu, immerhin 19 % über alle Altersgruppen waren unentschlossen und ca. 55 % der Befragten lehnten das (eher) ab. Nach Altersgruppen verteilt besteht bei Kriegskindern und Krisenkinder ein leichtes Übergewicht bei den Ablehnenden, bei Konsumkindern und Netzkindern sind sogar 67 % bzw. 70 % dagegen. Bei den Medienkindern sind zwar nur 45 % dagegen, jedoch auch nur gut ein Viertel dafür und der Rest unentschlossen. Insgesamt stößt diese Frage also bei Jung wie alt auf Ablehnung. Dies entspricht dem oben dargestellten Streben nach Arbeitsplatzsicherheit, Lebensqualität, Einkommen. Ein früherer Renteneintritt sichert den Status quo, das Einkommen und damit auch die Lebensqualität bei größerem zeitlichen Freiraum. Interessant ist hier, dass die Ältesten, die kurz vor der Rente stehen noch am ehesten einer Verschiebung der Rentenaltersgrenze nach hinten zustimmen würden. Die aktuelle politische Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre trifft auch nur auf gemäßigten Widerstand.553 Als Fazit lässt sich feststellen, dass die große Mehrheit der Kriegs- und Konsumkinder mit ihrem Arbeitsumfeld bzw. ihrem Arbeitsplatz zufrieden ist und daran auch nichts ändern möchte. Die Krisenkinder sind hier wieder einmal unentschlossen bzw. gleichmäßig geteilter Meinung. Ca. 47 % sind (eher) zufrieden und ca. 43 % (eher) unzufrieden. Bei den Medienund Netzkinder hingegen spricht sich je ein Großteil für zufrieden aus.554 Hier gibt es jedoch auch jeweils ca. 24 %, die durchaus Änderungswünsche haben. Dies spricht für die These der Innovativität der Jüngeren. Bei jedem Statusübergang einer Kohorte, ergibt sich dadurch die Chance auf Wandel in der Integration der „Unverdorbenen“.555
552
Vgl. Erndl 1998 (Höflichkeit), S. 70 ff. und Spillner 2001 (Perfekte Anrede), S. 9 ff. und S. 21 ff.
553
Vgl. auch Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 82.
554
Auch nach Opaschowski geben sogar fast zwei Drittel der Beschäftigten an, ihre Arbeit mache Spaß. Knapp die Hälfte hat Erfolgserlebnisse, die auch anerkannt werden, 43 % können berufliche Vorstellungen und Ziele verwirklichen. Für Frauen sind die Aufstiegs- und Selbstverwirklichungschancen geringer, dafür sind sie subjektiv zufriedener. Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 105.
555
Die Effizienz eines Erwachsenen wird nach Ryder auf Kosten seiner Vielseitigkeit gewonnen. Jüngere sind dynamischer, flexibler und weniger vorbelastet, was gesellschaftliche und technische Innovationen angeht. Deswegen werden Revolutionen meist von Jüngeren getragen, während die Stabilisierung dann über Gemäßigte (Ältere) erfolgt. Vgl. Ryder 1965 (The cohort), S. 849 ff.
222
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Was die Kritik an den Arbeitsbedingungen angeht, so bleiben offensichtlich wenige Wünsche offen. Viele Befragte ließen diese Frage offen oder antworteten mit „gar nichts“, „keine“ „schwer zu sagen“ oder explizit mit „zufrieden“. Die geäußerten Kritikpunkte lassen sich zu Problemkreisen zusammenfassen. Insbesondere die Kriegskinder, jedoch auch jüngere Arbeitnehmer klagen über Termindruck, Hektik, Stress, Frust und wünschen sich eine Entschleunigung oder insgesamt mehr Zeit für ihre jeweiligen Kunden. In dieselbe Richtung geht der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten („weniger als 40 Stunden die Woche“, „weniger als 10 Stunden am Tag“, „mehr Urlaub“, „Zeit für Auslandsaufenthalte“). Die Arbeitszeit scheint überhaupt ein Thema zu sein, dass Arbeitnehmern aller Altersgruppen wichtig ist. Viele wünschen sich explizit flexiblere Arbeitszeiten und eine bessere Zeiteinteilung und auch insgesamt mehr Flexibilität und Effektivität in den Organisationsstrukturen und -abläufen und dafür weniger Bürokratie. In räumlicher Hinsicht kommt vor allem bei den mittleren Altersgruppen der Wunsch nach kleineren Büroräumen und mehr Privatsphäre zum Ausdruck. Herbe Kritik ziehen die Führungskräfte auf sich. Insbesondere die erfahrenen Arbeitnehmer bemängeln schlicht und einfach die Führungskompetenz ihrer Vorgesetzten. Augenscheinlich haben diese je nach Einzelfall wenig Zeit, hören nicht zu, geben Informationen nicht weiter, haben fachliche Mängel und spenden keine Anerkennung. Vor allem der Informationsfluss scheint in diesem Zusammenhang ein Problem zu sein. Dies gilt nicht nur in vertikaler, sondern auch in horizontaler Hinsicht. Viele Mitarbeiter aller Altersstufen wünschen sich zum Beispiel mehr Austausch, Einbindung, Netzwerke und vor allem eine bessere Zusammenarbeit und ein besseres Arbeitsklima. In diesen Problemkreis zielt auch der Wunsch danach, mehr Kenntnisse vermittelt zu bekommen, nach Weiterbildung, Kontrollmöglichkeiten für Lernfortschritte und vor allem nach Betreuung. Vor allem bei den Arbeitnehmern mit unter 10 Jahren Berufserfahrung ist das Bedürfnis nach einem echten Ausbilder oder Coach stark vertreten. Dies stimmt mit dem Wunsch nach mehr Austausch mit erfahrenen Kollegen überein, der explizit erfragt wurde. Die Älteren sind an der Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit sowie sozialer Kompetenzen in der Abteilung (Teamfähigkeit) interessiert. Vereinzelt wird insbesondere bei den Jüngeren der Wunsch nach mehr Einkommen, einmal sogar nach einer verbesserten Altersabsicherung laut. Das mit Abstand wichtigste und am häufigsten genannte Thema ist hier jedoch der Wunsch nach einer Übernahme oder Festanstellung bzw. nach einem sicheren Arbeitsplatz. Im Zusammenhang mit dem Status als Berufsanfänger ist sicher auch das mehrfach genannte Anliegen zu sehen, mehr Verantwortung übertragen zu bekommen. In die gleiche Richtung zielen einzelne Wünsche nach den eigenen Fähigkeiten eingesetzt zu werden, nach Gleichberechtigung und Unabhängigkeit. Insgesamt liefern die Ergebnisse dieser offenen Frage ein wesentlich aufschlussreicheres, wenn auch statistisch weniger fundiertes Bild als die geschlossenen Fragen nach den Arbeitsbedingungen.556 Letztere sind zwar insofern fundierter als eine große Fallzahl dahinter liegt, 556
Auch nach Große-Halbuer/Sprotten liegen die Gründe für mangelnde Motivation außer in den Kündigungswellen und verbauten Karrierewegen vor allem in fehlendem Lob, schlechtem Betriebsklima und starren Strukturen. Das trifft besonders junge Ein- und Aufsteiger.Vgl. Internetquelle: Gallup 2005 (Engagementindex Deutschland) und Grosse-Halbuer/Sprotten 2005 (Frustration am Arbeitsplatz), S. 84.
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
223
hier besteht aber die Gefahr, dass die Beantwortung der sozialen Erwünschtheit durch das Unternehmen, insbesondere die Dienstleistungsunternehmen entspricht. Andererseits zeigen Fragen nach dem Arbeitsort und nach dem Gesieztwerden deutliche Unterschiede in den Präferenzen der Altersgruppen. Ein Abgleich mit den Arbeitszielen und eine Gewichtung und Einordnung der Kritikpunkte erfolgt im Zuge des Generationenvergleichs im Zwischenfazit.
3
Generationenbeziehungen im Unternehmen
Die folgenden Erkenntnisse betreffen die Art und Güte der Zusammenarbeit zwischen den Altersgruppen. Alle Generationszusammenhänge stimmen darin überein, dass ein altersgemischtes Team die besten Ergebnisse liefert (ca. 78 %).557 Bei einem so eindeutigen Ergebnis spielt sicher die soziale Erwünschtheit der Antwort eine Rolle. Trotzdem lässt es vermuten, dass an dieser Aussage etwas Wahres ist, zumal viele der Befragten Präferenzen für die Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen anderer Altersgruppen angeben. Auch nach den Ergebnissen der Teamforschung sind heterogene Teams vor allem in der Lösung komplexer Probleme leistungsfähiger und innovativer als homogene, falls das Team gut zusammenarbeitet.558 Auffällig am Verhalten der Befragten der Studie ist allerdings, dass die beiden Randgruppen, also die jüngste Gruppe der Netzkinder und die älteste Gruppe der Krisenkinder kaum je diejenigen sind, die um Rat gefragt werden, Rückhalt bieten etc. Die folgenden Ergebnisse dokumentieren die Generationenbeziehungen im Einzelnen. Was die Ähnlichkeit der Interessen angeht, so stimmen die Netzkinder am besten mit den eigenen Peers, also ihrer eigenen Altersgruppe und der nächstälteren Gruppe überein. Auch die Medienkinder gehen davon aus, dass die etwa Gleichaltrigen zwischen 25 und 35 Jahren ihre Interessen am ehesten teilen. Dennoch geben immerhin einige an, am ehesten mit der nächstjüngeren oder nächstälteren Altersgruppe in den Interessen übereinzustimmen. Die Krisenkinder sind in etwa zu gleichen Teilen der Meinung, Gleichaltrige (zwischen 35 und 45 Jahren) bzw. die 25- bis 30-jährigen Kollegen teilten am ehesten ihre Interessen. Dieses Schema kippt bei den Konsumkindern. Sie sind interessanterweise der Auffassung, nicht die 45- bis 55-Jährigen, sondern die viel jüngeren 25- bis 35 Jährigen interessierten sich am ehesten für die gleichen Dinge. Diese letztere Gruppe, die in etwa den Medienkindern entspricht, ist tatsächlich mit den meisten Altersgruppen kompatibel, was deren Interessen angeht (57 Nennungen über alle Altersgruppen). Nur die Kriegskinder gehen eher davon aus, dass die Konsumkinder ihre Interessen am ehesten teilen. Dies scheint den Trend aufzuzeigen, sich in jungen Jahren eher mit den etwas Älteren und mit zunehmendem Alter mehr und mehr mit Jüngeren zu identifizieren oder identifizieren zu wollen.559 Die Identifizierung mit den Medienkindern resultiert möglicherweise daraus, dass sie derzeit dem gesellschaftlichen „Jugendideal“ (jung, dynamisch, erfolgreich) entsprechen und in gewisser Hinsicht als Trendsetter gesehen werden. Eine andere Erklärung wäre, dass die als multikulturell und tolerant angesehenen Medienkinder möglicherweise besonders vielseitig interessiert und offen sind. 557
Weitere 14 % sind unentschlossen und nur 8 % der Befragten sprachen sich dagegen aus.
558
Vgl. exemplarisch Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 77 ff.
559
Vgl. auch Winterhager-Schmid 2000 (Generationendifferenz), S. 19.
224
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
In eine dieselbe Richtung gehen die Ergebnisse der Frage nach einer vergleichbaren Problemsicht. Eine ähnliche Sicht auf Probleme haben im Falle der Netz-, Medien- und Krisenkinder am ehesten wiederum die Gleichaltrigen. Die beiden jüngeren Gruppen sehen auch bei der jeweils nächstälteren Gruppe noch eine Verwandtschaft der Problemsichten. Krisenkinder empfinden sich als den Medienkindern ähnlich. Die beiden ältesten Gruppen wiederum stimmen am besten mit der jeweils nächstjüngeren Gruppe überein. Den besten Rückhalt geben generell Gleichaltrige oder direkt benachbarte Altersgruppen. Zusätzlich scheinen hier die 35- bis 45-jährigen Krisenkinder Ansprechpartner für die beiden älteren Kollegengruppen zu sein, genauso wie für die Medienkinder. Dies beruht im Fall der Medienkinder auf Gegenseitigkeit. Außerdem bieten die Medienkinder den Netzkindern neben deren eigenen Peers am ehesten Rückhalt. Für guten Rat sind eindeutig die Krisenkinder mit etwas Unterstützung durch die Medien- und Konsumkinder zuständig. Nur die Netzkinder wenden sich diesbezüglich bevorzugt nicht an die Krisen-, sondern an die Medienkinder und direkt an die beiden ältesten Gruppen. Die drei mittleren Altersgruppen, insbesondere die Konsumkinder kennen nach Einschätzung der Befragten auch am ehesten die richtigen Leute. Über alle Altersgruppen sind die Medienkinder, gefolgt von den Krisenkindern diejenigen, mit denen die beste Zusammenarbeit möglich ist. Damit fällt diesen Altersgruppen in altersgemischten Teams quasi natürlich die Vermittlerrolle zu.560 Im Einzelnen sieht die Einschätzung der Qualität der Kooperation wie folgt aus. Die Netzkinder arbeiten am besten zusammen mit den eigenen Peers. Nach ihrer Auffassung ist die Zusammenarbeit umso besser, je jünger der Kollege. Genauso ist es umgekehrt. Je jünger die Kollegen, desto eher meinen sie, dass sogar mit den Netzkindern eine sehr gute Zusammenarbeit erfolgt. Grundsätzlich bevorzugen jedoch auch Medienkinder und Krisenkinder die Zusammenarbeit mit der eigenen Altersgruppe als die beste. Alle älteren bevorzugen die Zusammenarbeit mit den Krisenkindern. Das zeigt deutlich, dass die Konsum- und Kriegskinder wenig integriert sind, da nicht einmal sie selbst untereinander ihre Zusammenarbeit für besonders gut halten. Das passt auch damit zusammen, dass keine Altersgruppe Teamfähigkeit für eine hervorstechende Eigenschaft älterer Mitarbeiter hält, sondern diese Eigenschaft hauptsächlich den mittleren Altersgruppen zugeschrieben wird. Insofern sind die Ergebnisse dieser Frage mit den altersgruppenspezifischen Eigenschaftsstereotypen konsistent.561 Die meisten offenen Probleme bestehen allerdings nicht mit den erfahrenen Älteren, sondern mit den Netzkindern. Alle Altersgruppen haben mit Abstand die meisten Probleme bzw. Missverständnisse mit dieser jüngsten Altersgruppe. Bei den positiven Attributen ist die jüngste Gruppe kaum irgendwo Spitzenreiter. Das lässt sich damit erklären, dass hier einfach noch Erfahrung, Fachwissen und soziale Kompetenz fehlen, die im Laufe der beruflichen Soziali560
In der mittleren Lebensphase besteht auch nach anderen Untersuchungen das größte Potenzial für außerfamiliäre Generationenbeziehungen am Arbeitsplatz. Vgl. Liegle/Lüscher 2003 (Generationenbeziehungen), S. 80 und ausführlich Perrig-Chiello/Höpflinger 2001 (Zwischen Generationen).
561
Dies stimmt mit den Forschungsergebnissen von Pfeil und Ryder überein, wonach die Grenzen der Gleichaltrigkeit sich mit dem Älterwerden erweitern. Das könnte bedeuten, dass sich Kohorten in jüngeren Jahren deutlicher unterscheiden und es dementsprechend ein Lebensalter gibt, wo Kohortenunterschiede besonders profiliert zu Tage treten. Vgl. Pfeil 1967 (Kohortenansatz), S. 655 und Ryder 1965 (The cohort), S. 858.
E.V Empirische Befunde zu Generationenverhältnissen in Unternehmen
225
sation erst gewonnen werden müssen. Umgekehrt macht die Gruppe der 45- bis 55-Jährigen den jüngsten Kollegen und Kolleginnen am meisten zu schaffen. Mit abnehmendem Alter der Befragten rückt sie nämlich in den Fokus der Missverständnisse. Dies mag auch in der hierarchischen Struktur begründet sein. In dieser Gruppe finden sich einige Führungskräfte, die vermutlich mit der beruflichen Sozialisation der Jüngeren betraut sind, die mit Generationenkonflikten behaftet zu sein scheint. Es spricht jedoch für die Funktionsfähigkeit des Mechanismus der beruflichen Sozialisation, dass es mit der zweitältesten Gruppe (Medienkinder) nur noch geringfügig mehr Probleme als mit den 35- bis 45-Jährigen oder aber auch den ältesten Kollegen gibt, die mit Krisenkindern gleichauf sind. Die älteste Gruppe scheint sich weder positiv noch negativ besonders hervorzutun. Das mag daran liegen, dass in dieser Altersgruppe zurzeit aufgrund der Frühverrentung vergleichsweise wenige Kollegen arbeiten, so dass einfach weniger Erfahrungen im Umgang mit dieser vorliegen. Möglicherweise fallen sie als disziplinierte, höfliche, gewissenhafte Mitarbeiter im Vergleich zu den anderen Gruppen einfach weniger auf. Aus Sicht der Kriegskinder sind die Konsumkinder die ersten Ansprechpartner, wenn es um guten Rat oder Rückhalt geht. Mit den Krisenkindern können sie am besten zusammenarbeiten, haben aber auch die meisten Missverständnisse mit ihnen und nicht mit den Netzkindern wie die anderen Altersgruppen. Im Großen und Ganzen scheint die Zusammenarbeit zwischen und unter den Altersklassen zufrieden stellend geregelt zu sein. Der Wunsch nach mehr Austausch ist allgemein schwach. Aus den Antworten ist allerdings nicht ablesbar, ob dies bedeutet, dass eine ausreichende und gute Kooperation zwischen allen erfolgt oder dass nur die erwünschten Kontakte zu bestimmten Gruppen bestehen. Möglicherweise sind auch die bestehenden Beziehungen einfach intakt oder das Alter wird in Bezug auf das Beziehungsnetzwerk nicht als entscheidende Größe gewertet. Jedenfalls wünschen sich nur um die 20 % der Befragten über alle Altersklassen mehr Austausch mit Jüngeren (darunter auch Netzkinder) oder Gleichaltrigen. In Bezug auf mehr Kontakte zu Älteren sind erwartungsgemäß so gut wie keine Nennungen bei den Kriegskindern und Konsumkindern zu verzeichnen. Bei Krisenkindern und Medienkindern ist der Wunsch etwas stärker und bei einigen Mitgliedern der beiden jüngeren Gruppen wird auch das Bedürfnis nach mehr Austausch mit einem Mentor562 genannt.563 Dafür, dass das Alter nicht die entscheidende Größe für die Beziehungen ist, spricht der Wunsch der Beteiligten nach mehr Austausch mit Erfahreneren. Dieser ist bei der ältesten Gruppe der Kriegskinder mit 50 % besonders hoch. Diese selbst sehr erfahrene Gruppe der Arbeitnehmer ist also immer noch der Meinung etwas von anderen lernen zu können, vielleicht auch zu müssen. Schließlich schätzen sie auch die Bedeutung von Innovativität höher ein als die weniger erfahrenen Gruppen. Hier zeigt sich die Bedeutung von Kompetenz und 562
Der Begriff Mentor bezeichnet ursprünglich einen väterlichen Freund, der zugleich Lehrer, Berater und Vertrauter sein soll. Ursprünglich war Mentor ein Freund von Odysseus, dem dieser seinen Sohn Telemach während des Trojanischen Krieges in erzieherische Obhut gegeben hatte. Im Sinne der Personalentwicklung obliegt dem Mentor die Förderung junger Mitarbeiter in berufs- und karrierebezogenen, aber auch emotionalen Fragen. Vgl. Herner 2003 (Mentoren), S. 302 und Stegmüller 1995 (Mentoring), S. 1511.
563
In einer EMNID-Untersuchung von 1948 betonten mehr als die Hälfte der Befragten mit älteren Kollegen besser zusammenarbeiten zu können und dass diese in der großen Mehrzahl der Fälle förderlich und nur selten hinderlich seien. Zitiert nach Tarter 1954 (Generationsgestalt), S. 73 f.
226
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
Wissen, die mit der Berufserfahrung verbunden sind. Auch vielen Befragten der anderen Altersgruppen scheint bewusst zu sein, dass der Austausch mit erfahreneren Leuten fruchtbar sein kann und entsprechend wünschen sich je 33 % der Konsum- und Krisenkinder und je 43 % der Medienkinder und Netzkinder mehr Kontakte zu Kollegen mit größerer Erfahrung. Unter den letzten beiden Gruppen sind es besonders diejenigen, die nach Beendigung ihrer Einarbeitungsphase selbst Berufserfahrung sammeln, die sich mehr Kontakte wünschen und gegebenenfalls gern einen Mentor hätten. Bei der Auswertung der Fragen zu den Generationenbeziehungen ist besonders zu beachten, dass die Gruppen mit zunehmendem Alter schwächer besetzt sind. Das ergibt zwangsläufig eine Schwerpunktverschiebung auf die Ansichten der jüngeren Altersgruppen bei Gesamtwertungen. Dieser Tatsache wurde in der Darstellung der Ergebnisse so weit wie möglich Rechnung getragen. Der Großteil der Auswertungen erfolgte altersklassenweise und bei den Gesamtauswertungen wurde überprüft, wie der relative Anteil insbesondere der beiden ältesten Gruppen sich verteilt. Die Betonung der positiven Eigenschaften der mittleren Altersgruppen wird relativ gerade von den Älteren besonders stark vorgenommen und ist somit keine Frage der ungleichgewichtigen Stichprobenverteilung über die Altersgruppen. Des Weiteren ist anzumerken, dass außer der Zuordnung zu den Altersgruppen auch die Kategorie „schwer zu sagen“ zur Verfügung stand. Bis auf drei Fragen wurde diese Kategorie nur in maximal 17 % der Fälle gewählt. Die beiden Fragen nach den meisten Missverständnissen und der besten Zusammenarbeit konnten von 35 % bzw. 22 % der Befragten nicht nach Altersgruppen eingeteilt werden. Diese Fragen sind wohl insgesamt etwas zu allgemein. Schließlich hängt die gute Zusammenarbeit von vielen Faktoren ab. Ungewöhnlich waren die Probleme bei der Frage, wer „die richtigen Leute“ kenne. Auch hier waren sich 29 % in der Alterszuordnung unsicher. Erklären lässt sich das möglicherweise damit, dass es in jeder Altersgruppe Menschen gibt, die sich besonders gut darauf verstehen, ein Netzwerk aufzubauen und zu pflegen. Möglicherweise ist es auch eine Frage der altersunabhängigen Statuselemente, wie zum Beispiel Herkunft, Elternhaus, Bildungsniveau oder soziale Einbindung und keine Frage der hierarchischen Position oder der Berufserfahrung.564 Alles in allem ergibt sich für die Zusammenarbeit zwischen den Altersgruppen ein sehr differenziertes Bild. Die größte soziale Kompetenz wird dabei den mittleren Altersgruppen, vor allem den Medien- und Krisenkindern, zugeschrieben, die auch die ersten Ansprechpartner in Problemfällen sind. Die ältesten und die jüngsten Generationszusammenhänge werden in solchen Situationen nicht herangezogen, weil ihnen die gewünschten Problemlösefähigkeiten augenscheinlich nicht in ausreichendem Maß zugetraut werden. Im Einklang steht ihr Wunsch nach mehr Austausch mit erfahrenen Kollegen. Dies ist nur einer der Ansatzpunkte, den die vorliegenden Ergebnisse liefern, um Kontakte und Kooperation zwischen den Generationszusammenhängen zu verbessern.
564
Die Auswertung über die Berufserfahrung erbringt keinen besonderen Mehrwert, weshalb an dieser Stelle auf die Darstellung dieser Ergebnisse verzichtet wird.
E.VI Zwischenfazit: Diskussion der empirischen Ergebnisse
227
VI Zwischenfazit: Diskussion der empirischen Ergebnisse Die Generationenmanagementstudie stellt eine Ist-Aufnahme der Präferenzen, Eigenschaften und Wertprioritäten heute beschäftigter Mitarbeiter verschiedener Altersstufen dar.565 Die Studie hat als zentralen Befund ergeben, dass unter den Teilnehmern der Untersuchung tatsächlich in Abhängigkeit von der Altersgruppe deutliche Unterschiede in Verhalten und Wertvorstellungen feststellbar sind. Des Weiteren wurde jedoch auch eine Reihe von generationsübergreifenden Gemeinsamkeiten festgestellt, die altersunabhängig sind und deshalb für Unternehmen möglicherweise eine ebenso hohe Bedeutung haben. Die Generationenmanagementstudie bietet einen guten Querschnitt der aktuellen Situation. Sie identifiziert unter den Befragten nach den Fremdbildern fünf Generationszusammenhänge, die nach Jahrzehnten eingeteilt werden können. Kriegskinder (Kindheit in den 40er und 50er Jahren), Konsumkinder (Kindheit in den 50er und 60er Jahren), Krisenkinder (Kindheit in den 60er und 70er Jahren), Medienkinder (Kindheit in den 70er und 80er Jahren) und Netzkinder (Kindheit in den 80er und 90er Jahren). Diesen lassen sich die Nachkriegsgeneration, die Achtundsechziger, die Generation Golf und die Millennials in etwa zuordnen. Dabei stehen die Krisenkinder zwischen der Generation Golf und den Achtundsechzigern. Die für die Befragten wichtigsten prägenden Ereignisse des Weltgeschehens markieren zentrale Punkte oder Entwicklungen für die fünf Generationszusammenhänge. Die bedeutendsten darunter sind der Zweite Weltkrieg, Tschernobyl 1986 und Aids (ab den 80er Jahren), der Mauerfall 1989 und die Terroranschläge vom 11. September 2001. Nur bei den beiden jüngsten Generationszusammenhängen ist ein Generationsbewusstsein bzw. ein Generationszugehörigkeitsgefühl festzustellen. Eine gewisse Überlappung der Generationszusammenhänge ist anzunehmen. Insbesondere die individuelle Generationszurechnung weicht von der allgemeinen Einteilung nach den genannten Generationszusammenhängen zum Teil ab und umfasst meist eine etwas größere Spanne als den Zehnjahresabstand. Sie wird unter anderem vermutlich von persönlichen Erlebnissen und Stationen des Lebensverlaufs beruflicher und familiärer Art bestimmt. Wählt man allerdings einen allgemeinen Generationsabstand von 15 Jahren, so werden die Generationsbeschreibungen unscharf, ohne dass ein Mehrwert entsteht. Auch die Differenzierung nach Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeit erbringt nur an einzelnen Stellen zusätzliche Einsichten. Die nachstehende Grafik gibt einen Überblick über die Generationszusammenhänge, wie sie sich nach der vorliegenden empirischen Untersuchung darstellen.
565
Die Generationenmanagementstudie wurde im Herbst 2004 durchgeführt.
2. Weltkrieg
1940
Quelle: Eigene Erstellung
1935
Kriegskinder
Konsumkinder
Krisenkinder
Medienkinder
Netzkinder
Generationszusammenhänge
1950
1945
1950
Sozialisationsphase
Schellackplatte
1945
1955
1960
1955
1960
Sozialisationsphase
Petticoat
1940
1970
1985
Tschernobyl
1980
AIDS
1975 Schlaghose
Zauberwürfel
1990
1995 2000
2005
Generationseigenschaften und -stereotype
Gesundheit Freiheit Menschenwürde Liebe Familie Gerechtigkeit
Allgemeines Wertsystem
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Zeitablauf
technisch versiert kontaktfreudig idealistisch multikulturell flexibel Sozialisationsphase optimistisch multitasking kreativ tolerant leistungsorientiert Sozialisationsphase Erwerbsphase belastbar selbstsicher freundlich rational hilfsbereit Erwerbsphase Sozialisationsphase Teamplayer gute Selbsteinschätzung sozialkompetent loyal zuverlässig höflich Erwerbsphase diszipliniert respektvoll gewissenhaft korrekt ordentlich Erwerbsphase Ruhestandsphase geduldig moralisch sparsam erfahren
1965 Minirock
Zeitgeist/ prägende Ereignisse Mauerfall
Demokratisierung Globalisierung Pluralisierung Technologisierung Wachsendes Körperund Umweltbewusstsein
Rollerblades
Allgemeine Entwicklungen
11. September 2001
Abb. E-2: Übersicht über die Generationszusammenhänge
heute
E.VI Zwischenfazit: Diskussion der empirischen Ergebnisse
229
Die Analyse der Ursachen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den Generationszusammenhängen wird dadurch erschwert, dass die Generationenmanagementstudie eine Zeitpunktbetrachtung ist und keinen Zeitvergleich beinhaltet. Im Rahmen der Ergebnisdarstellung wurde versucht, diesen Mangel durch Rückgriff auf die in den vorhergehenden Hauptkapiteln aufgezeigten theoretischen und empirischen Erkenntnisse auszugleichen. So konnten Entwicklungen aufgezeigt und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Idealtypen ihren vermuteten Hauptursachen (Zeitgeistentwicklung, Generationenprägung und Position im Lebensverlauf) zugeordnet werden. In Bezug auf die lebenslaufbedingten Merkmale der Generationszusammenhänge lässt sich Folgendes festhalten. Beruflich ist mit steigendem Lebensjahr auch ein tendenziell höherer Bildungsgrad verbunden. Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit korrelieren erwartungsgemäß ebenfalls mit zunehmendem Alter. Insbesondere für Männer ist eine langjährige Betriebszugehörigkeit meist mit einer Führungsposition verbunden. Bezüglich der familiären Lebensphasen lassen sich mit steigendem Geburtsjahr eine Verschiebung des Heiratsalters und der Kinderphase nach hinten bzw. sogar Tendenzen zum Ledigbleiben und zur Kinderlosigkeit beobachten. Grundsätzlich dominieren stabile Familienverhältnisse und die Zweikinderfamilie. Insbesondere die beiden ältesten Generationszusammenhänge haben verwitwete und/oder pflegebedürftige Eltern. Damit zeigt sich eine Überlappung der Lebensphasen der Elternschaft und der Betreuung der eigenen Eltern.566 Unter den Grundwerten sind nach den vorliegenden Daten Gesundheit, Menschenwürde und Freiheit die wichtigsten, dichtauf gefolgt von Liebe und Familie sowie Gerechtigkeit. Was die Prioritäten im Arbeitsleben betrifft, so ist die Arbeitsplatzsicherheit allen Befragten außer den Netzkindern in der Rangwertung sehr wichtig, ebenso wie Lebensqualität, Einkommen, soziale Kontakte und soziale Gerechtigkeit.567 An letzter Stelle liegen mit Abstand Karriere und Führungsverantwortung bzw. Status sowie Innovation. Für Konsumkinder und Krisenkinder ist die Lebensqualität noch wichtiger als für die anderen Altersgruppen. Das Interesse für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben ist nur bei den Medienkindern ausgeprägt, die dafür im Gegensatz zu den Kriegskindern am wenigsten am Einkommen interessiert sind. Die drei ältesten Gruppen schätzen auch soziale Gerechtigkeit besonders. Bei den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen liegt Sport in der Gesamtwertung über alle Alterklassen hinweg an erster Stelle. Den zweiten Schwerpunkt der beiden ältesten Altersgruppen bilden Erholung, Kultur und Reisen, darunter viele kreative Tätigkeiten. Solche Tätigkeiten verlieren mit abnehmendem Alter zugunsten der sozialen Kontakte an Bedeutung. Diese sind den Netzkindern sogar genauso wichtig sind wie der Sport. Was den Musikstil angeht, so werden meist mehrere Stilrichtungen gehört. Hier kann man allerdings mit abnehmendem Alter einen Trend von Klassik und Jazz, Blues, Swing und Rock ’n’ Roll über Pop und Rock zu Techno, House und Hip Hop erkennen. Es gibt nur wenige Nostalgieobjekte, die eine echte Generationenprägung symbolisieren.
566
Bisher sind nur die Netzkinder in dieser Hinsicht noch unbelastet.
567
Bei Berufsanfängern dominiert der Wunsch nach einer Festanstellung das Streben nach mehr Einkommen.
230
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
In Bezug auf die Arbeitstugenden ist die Idealvorstellung der deutschen Arbeitswelt durch Verlässlichkeit, Engagement und gute Zusammenarbeit gekennzeichnet. Schwieriger scheint es jedoch zu sein, die Befragten für Wissenserweiterung, Innovativität und Entscheidungsfreude zu begeistern. In der Einzelgruppenbetrachtung fällt auf, dass die Berufsanfänger die einzige Altersgruppe sind, die der Zuverlässigkeit keine große Bedeutung beimessen, dafür aber Einsatz und Motivation überdurchschnittlich hoch bewerten. Dazu kommen Kreativität, Teamfähigkeit, Freundlichkeit und ein positives Betriebsklima. Daneben ist für die Netzkinder Pünktlichkeit durchaus eine wichtige Eigenschaft. In etwas geringerem Maße schätzen sie Ehrlichkeit, Höflichkeit und Disziplin. Die Kriegskinder beurteilen Fleiß und Einsatz sowie Kreativität, Selbstständigkeit und Höflichkeit als besonders wichtig. Die Konsumkinder hingegen legen mit Abstand den größten Wert auf Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit. Im Gegensatz zu allen anderen Altersgruppen schätzen sie sogar Einsatz, Ausdauer und Engagement gering. Dafür verlassen sie sich eher auf das Team. Die Tendenz zu Teamgeist, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ist bei den Krisenkindern besonders ausgeprägt. Der Trend zur Wertschätzung von Zusammenarbeit im Team und Freundlichkeit verstärkt sich bei den jüngeren Altersgruppen weiter. Dazu kommt nur bei den jüngeren Mitarbeitern die positive Bewertung eines guten Arbeitsklimas und der Pünktlichkeit. Die Ergebnisse zu den Altersstereotypen junger, erfahrener und reifer Arbeitnehmergruppen lassen sich danach so zusammenfassen: Berufsanfänger sind technisch versiert, kontaktfreudig und idealistisch. Den mittleren Altersgruppen werden Selbstsicherheit, gute Selbsteinschätzung, Rationalität, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Teamgeist unterstellt. Ältere Arbeitnehmer kennzeichnen Erfahrung, Sparsamkeit, Geduld, Ordnung, Korrektheit, Moral und Gewissenhaftigkeit. Insofern finden sich in jeder Altersklasse Eigenschaften, die von Unternehmens- und Kollegenseite geschätzt werden. Diese können sich gegenseitig ergänzen.568 Die nachstehende Tabelle zeigt noch einmal den Überblick über die anhand der Generationenmanagementstudie ermittelten heterostereotypen Kompetenzen aus Sicht der Kollegen. Unter den Heterostereotypen sind diejenigen kursiv hervorgehoben, die Mitarbeiter an ihren Kollegen am meisten wertschätzen. Diese stimmen im Großen und Ganzen auch mit Autowerthaltungen der jeweiligen Altersgruppen überein, wie sie die obige Aufstellung dokumentiert.569 Allerdings werden zum Teil Eigenschaften nur einer Altersgruppe zugeschrieben, die sich auch in anderen finden. So sind Ältere nach der Generationenmanagementstudie kreativer als das Stereotyp vermuten lässt und der jüngste Generationszusammenhang ist höflicher als sein Ruf. Entsprechend wichtig ist die Aufdeckung falscher Stereotype, damit Unternehmen dann aus der Zuordnung echter komparativer Kompetenzen generelle Hinweise für die Altersstrukturgestaltung und die besten Einsatzmöglichkeiten ihrer Mitarbeiter verschiedenen Alters gewinnen können. Daneben muss die Unternehmensleitung daran interessiert sein, die komparativen Vorteile zu stärken, ihren Einsatz im Sinne der Unternehmensziele zu steuern und komparative Schwächen auszugleichen.
568
Je nach Situation kann sich dabei eine Eigenschaft allerdings als Stärke oder Schwäche erweisen.
569
Zu den Autowerthaltungen vgl. Attias-Donfut 1988 (Freizeitgenerationen), S. 58 und Hess-Gräfenberg 2004 (Alt, erfahren und gesund), S. 160.
231
E.VI Zwischenfazit: Diskussion der empirischen Ergebnisse
Tab. E-15: Komparative Kompetenzen der Altersgruppen Altersgruppe
Heterostereotype/ Wunscheigenschaften ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Junge/ wenig Erfahrene
¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Mittlere/ Erfahrene
¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Ältere/ sehr Erfahrene
¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
technisch versiert kontaktfreudig idealistisch multikulturell flexibel optimistisch multitasking kreativ tolerant leistungsorientiert (engagiert) belastbar (fleißig) selbstsicher freundlich rational hilfsbereit Teamplayer gute Selbsteinschätzung sozialkompetent loyal zuverlässig höflich diszipliniert (pünktlich) respektvoll gewissenhaft korrekt ordentlich geduldig moralisch (ehrlich) sparsam erfahren
Autowerthaltung
¾
¾
¾
Kontaktfähigkeit, Wandel von den Selbstentfaltungswerten zu Gehorsam und Pflichterfüllung und einer Gleichgewichtsethik, Moral, Beständigkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Ehe und Familie, Zukunftsverantwortung
Ehrlichkeit bzw. Offenheit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Selbstvertrauen und Fleiß, Gerechtigkeit und Kontaktfähigkeit
Recht und Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit, Familiensinn und Sparsamkeit
Quelle: Eigene Erstellung zur Studie Generationenmanagement570
Über die arbeitsplatzbezogenen Zeitgeisttrends sind sich die Befragten aller Altersstufen im Wesentlichen einig. Nur unter den beiden jüngeren Gruppen finden sich einige wenige Skeptiker und Unentschlossene. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die deutliche Mehrheit über alle Altersgruppen mit ihrem Arbeitsumfeld bzw. ihrem Arbeitsplatz zufrieden ist. Die Arbeitnehmer möchten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten voll einsetzen. Sie arbeiten sich gern in neue Aufgabengebiete ein und sind an Informationen über ihren Arbeitsbereich hinaus interessiert, jedoch weniger an traditioneller Weiterbildung. Selbstständiges Arbeiten auf ein Ziel hin sowie mehr Flexibilität bezüglich Strukturierung und Umfang der Arbeitszeit werden sehr deutlich gewünscht. Seltener wird das Anliegen der Entlastung von Stress und Termindruck sowie effektiverer Organisationsstrukturen laut. Was die Flexibilisierung des Arbeitsortes angeht, sind die Befragten jeden Alters geteilter Meinung. Bei den Vorgesetzten wird 570
Nach den Ergebnissen der Generationenmanagementstudie besonders eindeutig zuordenbare Stereotype sind fett hervorgehoben.
232
E GENERATIONENMANAGEMENTSTUDIE
hauptsächlich der gehemmte Informationsfluss und zum Teil fehlende Sach- und Führungskompetenz bemängelt. Die Arbeitnehmer schätzen zeitnahes, informelles Feedback, wobei das persönliche oder telefonische Gespräch von allen Altersgruppen noch immer mit großer Mehrheit der E-Mail als Kommunikationsmedium vorgezogen wird. Die Wichtigkeit des Gesieztwerdens von Unbekannten nimmt tendenziell bei jüngeren Jahrgängen ab. Im Gegensatz zur Anrede scheint die Kleidung am Arbeitsplatz kaum Anlass zu Klagen zu geben. In Bezug auf Art und Güte der Zusammenarbeit stimmen alle Altersgruppen überein, dass ein altersgemischtes Team die besten Ergebnisse liefere. In der Tat geben viele der Befragten in unterschiedlichen Bereichen Präferenzen für die Zusammenarbeit mit Kollegen anderer, insbesondere benachbarter, Altersgruppen an. Auffällig dabei ist, dass die beiden Randgruppen, also die jüngste Gruppe der Netzkinder und die älteste Gruppe der Krisenkinder, kaum je diejenigen sind, die um Rat gefragt werden, Rückhalt bieten etc. Die erfahrenen Mitarbeiter haben mit Abstand am meisten Probleme bzw. Missverständnisse mit den Berufsanfängern der jüngsten Altersgruppe. Umgekehrt macht die Gruppe der 45- bis 55-Jährigen den jüngeren Kollegen und Kolleginnen am meisten zu schaffen. Entsprechend zeichnen sich Wünsche nach mehr Zusammenarbeit und einem besseren Arbeitsklima ab. Insbesondere bei den Arbeitnehmern mit wenig Berufserfahrung und bei den Kriegskindern ist das Interesse für Weiterentwicklung, mehr Betreuung und mehr Austausch mit erfahrenen Kollegen vorhanden. Die dem ersten Anschein nach allgemein gute Zusammenarbeit bietet demnach erhebliches Verbesserungspotenzial in Bezug auf die Einzelbeziehungen der Altersgruppen. Nach den vorliegenden Ergebnissen lassen sich also folgende Haupterkenntnisse festhalten. Unter den Befragten existiert eine klare Vorstellung deutscher Generationszusammenhänge, die sich in ihren Kompetenzen deutlich unterscheiden. Dazu lassen sich eindeutige Altersstereotype von Eigenschaften identifizieren. Die meisten Probleme in der Zusammenarbeit bestehen mit den Randgruppen. Die Wertvorstellungen der Altersgruppen hingegen differieren mit wenigen Ausnahmen nicht grundsätzlich voneinander, sondern spiegeln vermutlich lebensphasenbedingt einfach unterschiedliche Prioritätensetzungen wider. In Bezug auf die Anforderungen an das Arbeitsleben ergibt sich über alle Generationszusammenhänge ein sehr ähnliches Profil. Hier scheint der allgemeine Zeitgeist im Vergleich zu Generationenprägung und Einfluss der Lebensphase vorherrschend zu sein. Allgemein wird die Forderung nach mehr Flexibilisierung und Selbstbestimmung bejaht. Insgesamt gesehen zeigen die Ergebnisse der Generationenmanagementstudie keinen Widerspruch zu den grundlegenden Modellannahmen. Des Weiteren liefert die Studie neue Erkenntnisse über die konkrete Ausgestaltung von Generationszusammenhängen und ihren Lebensverläufen sowie über den aktuellen Zeitgeist. Dazu eröffnet sie Einblicke in die Generationenbeziehungen, -wertvorstellungen und -stereotype. Damit hat das so konkretisierte Modell ein hohes Potenzial für die Lösung von Altersdiversitätsproblemen im deutschen Unternehmensgeschehen. Die Frage, welche der genannten Kernpunkte in der Altersdiversität durch die historisch-soziale Einordnung einer Altersgruppe bedingt und damit generationsspezifisch, welche zeitgeistgerecht und welche lebensphasenbedingt sind, konnte allerdings nur in Ansätzen beantwortet werden. Die bisher erarbeiteten Erkenntnisse reichen jedoch aus, um erste Empfehlungen für den Umgang mit Generationszusammenhängen ableiten zu können. Diesem Thema widmet sich das folgende Hauptkapitel F: „Generationenmanagement“.
F GENERATIONENMANAGEMENT I
Grundlagen des Generationenmanagements
1
Sensibilisierung für die Notwendigkeit von Generationenmanagement
Im Einführungskapitel A.I wurde die allgemeine Notwendigkeit für Unternehmen, sich mit Generationenthemen auseinanderzusetzen, bereits ausführlich belegt. Die bisher erarbeiteten Erkenntnisse, insbesondere die Ergebnisse der Generationenmanagementstudie, bestätigen diese Notwendigkeit, die zusammengefasst aus folgenden Entwicklungen resultiert: Die Belegschaften altern und die Zahl der potenziell Erwerbstätigen sinkt aufgrund der fallenden Geburtenrate und der noch immer bestehenden Praxis der Frühverrentung. Gleichzeitig bestehen Probleme bei der Basisqualifikation der jungen, knapper werdenden Nachwuchskräfte und eine Lücke im Fachkräftenachwuchs. Die Sicherung der Innovationsfähigkeit hängt vom optimalen Einsatz dieser veränderten Alterszusammensetzung ab.571 Trotzdem werden vorhandene Potenziale insbesondere älterer Arbeitnehmern nicht ausgeschöpft. Die Bedeutung der Zeitgeistentwicklungen wird unterschätzt. Die Zusammenarbeit ist problembehaftet und die Integration der zumindest fünf Generationszusammenhänge mit ihrer unterschiedlichen Positionierung im Lebenslauf wird in den Unternehmen vernachlässigt. Zudem erfordern die Märkte eine Spiegelung ihrer vielfältigen Altersstruktur in der Unternehmenswelt, um Marktpotenziale rechtzeitig erkennen und wettbewerbswirksam angehen zu können. Komplexität und Dynamik des Unternehmensumfeldes können nur durch eine entsprechend komplexe Mitarbeiterstruktur aufgefangen werden. Unternehmen können sich hier durch zügige Einführung des Generationenmanagements vor allem in den Bereichen Personalmanagement und Marketing einen Vorteil gegenüber Mitbewerbern verschaffen. Des Weiteren stehen rechtliche Anforderungen zu erwarten, denen Unternehmen gerecht werden müssen. Dies betrifft hauptsächlich Gleichstellungsrichtlinien der Europäischen Union, für die auch ältere Mitarbeiter als schutzwürdige Gruppe gelten.572 Die Hauptursache für die Vernachlässigung der Generationenproblematik und das fehlende Problembewusstsein dürfte in der aktuell schlechten Wirtschaftslage in Deutschland liegen. Der mit der hohen Arbeitslosigkeit verbundene Angebotsüberhang führt dazu, dass Frühverrentung gefördert, die Löhne und Gehälter gedrückt und sonstige Personalmaßnahmen, insbesondere die Aus- und Weiterbildung, vernachlässigt werden.573 Die Ergebnisse verschiedener 571
Vgl. Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 238 ff.
572
Vgl. O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 86 ff. und Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 239. Generationenmanagement erscheint unnötig und teuer, wenn stattdessen die Frühverrentung zu einer Homogenisierung der Arbeitnehmerschaft und zur Personalkostenreduktion genutzt werden kann. Wird das Nachwuchsproblem jedoch über andere Zielgruppen wie junge Zuwanderer oder Frauen gedeckt, treten noch gravierendere Diversitätsprobleme auf. Insbesondere die Anwerbung von Ausländern ist meist mit Problemen der Qualifikation, Verständigung und Integration verbunden und damit aufwändig. Diese Problematik wird sich im Zuge der Gleichberechtigung und Globalisierung verstärken.
573
Vgl. auch Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 73 f. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die wegen konjunktureller Probleme Kosten senken müssen. Gleichzeitig wird aufgrund der hohen Arbeitskosten versucht, Stellen ins Ausland zu verlagern, um die Personal- und Betriebskosten zu senken. Dies bedeutet jedoch steigende Kosten für Steuerung und Logistik und eventuelle Mängel an Personal mit ausreichender Qualifikation oder Zuverlässigkeit.
234
F GENERATIONENMANAGEMENT
Studien belegen die geringe Aufmerksamkeit, welche der Generationenproblematik in Unternehmen generell zuteil wird. In der Unternehmenspolitik sind Generationenbelange bis dato höchstens implizit verankert. Die Führungspraxis trägt ihnen kaum Rechnung. Ungeeignete Anreizsetzung, starre Organisationsstrukturen, offene Konflikte und schlechte Zusammenarbeit werden nicht als mögliche Generationenprobleme erkannt. Die Altersstruktur- und Qualifizierungsproblematik bleiben im Personalmanagement oft unberücksichtigt.574 Nur 4 % der deutschen Arbeitgeber sehen die Altersentwicklung als zukünftiges Personalproblem. Die Altersstruktur wird als nicht beeinflussbare Rahmenbedingung hingenommen. Das bedeutet auch, dass kaum vorausschauende Generationenmanagementmaßnahmen, wie beispielsweise zur Anwerbung von Fachkräften, zur Mitarbeiterbindung, Qualifizierung und Gesundheitsvorsorge, eingeleitet werden. Die Erhöhung des Rentenalters und die Integration älterer Arbeitnehmer spiegeln sich bisher eher in der politischen Diskussion als in der Unternehmensrealität.575 In Westdeutschland nutzen zum Beispiel nur 12 % der Unternehmen die Altersteilzeitmöglichkeiten, nur je 6 % setzen altersgemischte Arbeitsgruppen ein bzw. beziehen ältere Arbeitnehmer in die Weiterbildungsprogramme ein, gerade 3 % senken Leistungsanforderungen an Ältere und nur je 2 % statten die Arbeitsplätze besonders aus bzw. bieten altersgerechte Weiterbildung etc. an.576 Dies wird durch die geringe Präsenz älterer Arbeitnehmer in den Unternehmen noch verstärkt. Laut dem Institut für Arbeitsmarktforschung in Nürnberg haben nur rund 40 % aller Unternehmen in Deutschland über 50-Jährige in der Belegschaft und damit Erfahrung mit der Integration Älterer. Mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer, die in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens stehen, sind in Klein- und Mittelbetrieben beschäftigt, wo die Leistung der betriebseigenen Älteren auch geschätzt wird. Damit sind kleinere Unternehmen möglicherweise auf die Alterung der erwerbstätigen Bevölkerung besser vorbereitet als Großunternehmen. Von der Alterungsproblematik sind vor allem die geburtenstarken Jahrgänge der jetzt 30- bis 40-Jährigen betroffen. Diese qualifizierten Kräfte werden es sich nicht mehr leisten können, früher in Rente zu gehen. Sie blockieren bzw. verzögern den beruflichen Aufstieg der jüngeren Arbeitnehmergruppen.577 Ergebnisse weiterer Studien bestätigen die Dringlichkeit der Thematik. Die in Deutschland verbleibenden Arbeitsplätze werden mit im Durchschnitt immer älteren Belegschaften gefüllt werden müssen. Bereits ab 2008 ist mit einem überproportionalen Anteil an älteren Arbeitnehmern zu rechnen.578 Auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden ab 2015 ca. sieben Millionen Erwerbstätige fehlen, spätestens ab 2010 macht sich der 574
Vgl. auch Köchling 2000 (Altersstrukturen als Gestaltungsfeld), S. 25.
575
Vgl. Brussig 2005 (Beschäftigung Älterer), S. 1 ff., Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 130, Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 26 ff., Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 67 und Volkholz 2000 (Demografische Falle), S. 20.
576
Vgl. Betriebspanel Brandenburg 2003 zitiert nach Jasper 2004 (Unterschiedliche Potenziale), S. 222 f.
577
Vgl. Brussig 2005 (Beschäftigung Älterer), S. 1 ff., Mayer 1994 (Bildung und Arbeit), S. 533 und Prognosen des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit und des Instituts der Deutschen Wirtschaft zitiert nach o. V. 2003 (Abwechslung), S. 21 f. Die Altersstrukturverteilung ist nicht nur betriebsgrößenspezifisch, sondern auch branchenspezifisch.
578
Bis 2020 wird der Anteil der über 50-jährigen Arbeitnehmer von derzeit 23 % auf 34 % ansteigen. Vgl. Prognosen des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit und des Instituts der Deutschen Wirtschaft zitiert nach o. V. 2003 (Abwechslung), S. 21 f. und Mayer 1994 (Bildung und Arbeit), S. 533.
F.I Grundlagen des Generationenmanagements
235
Mangel an Fachkräften bemerkbar. Der Wettbewerb um junge qualifizierte (und wechselbereite) Fachkräfte hat bereits eingesetzt. Viele teuer ausgebildete Trainees verlassen heute zum Beispiel nach zwei bis vier Jahren ihr erstes Unternehmen.579 Neben der demografischen Entwicklung bewirkt der Wandel des Zeitgeistes Veränderungen, die für die Unternehmen bedeutsam sind. Die Anpassung der Unternehmenskultur an den Zeitgeist ist per se ein Erfolgsfaktor für Unternehmen.580 Dies betrifft nach der Generationenmanagementstudie insbesondere die Bereiche Gesundheit, Menschenwürde und Freiheit. Gesundheit, Körper- und Umweltbewusstsein sind danach zentrale Werte für alle Generationen, und aufgrund ihrer speziellen Prägung besonders für die Jüngeren. Gesundheit rangiert über alle Altersgruppen in den Wertranglisten ganz oben und Sport zählt für alle Altersstufen zu den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen. Trotzdem wird die Gesundheitsvorsorge und -erhaltung in den Unternehmen vernachlässigt. Das ist nicht nur in Bezug auf die nachlassende körperliche Leistung älterer Jahrgänge in der Belegschaft problematisch. Des Weiteren liegen die Grundwerte Menschenwürde und Freiheit über alle Altersgruppen in der Rangfolge ganz oben. Im Unternehmensbereich spiegelt sich das in dem Bedürfnis der Mitarbeiter, respektiert zu werden und das Arbeitsleben möglichst autonom gestalten zu können. Dieser Trend zur Selbstbestimmung wird nicht nur in Belangen der betrieblichen Mitbestimmung oder Beteiligung an unternehmensrelevanten Entscheidungen deutlich. Die Mitarbeiter sind mehr und mehr an Handlungsfreiraum in der Erfüllung ihrer Aufgaben sowie Wahlmöglichkeiten bezüglich ihrer Entlohnung, ihrer Arbeitszeit, ihrer Aufgabenstrukturierung und zum Teil auch des Arbeitsorts interessiert. Diese Autonomie würde eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gemäß der Lebensphase ermöglichen und trüge auch dem hohen Stellenwert Rechnung, den stabile Familienverhältnisse und die Familie selbst im Leben der Arbeitnehmer besitzen. Dies gilt insbesondere für Medienkinder. Die Generationenmanagementstudie legt noch weitere Problembereiche in den Unternehmen offen. Medien- und Krisenkinder befinden sich in einer Lebensphase, wo die familiären Anforderungen an diese Gruppen besonders hoch sind. Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, dass sie beruflich stark belastet sind. Sie gelten als leistungsfähig, kompetent und belastbar und sind fachlich und sozial die Ansprechpartner für die anderen Gruppen in Problemfällen. Der Belastungssituation und den lebensphasenbedingten Bedürfnissen wird jedoch wenig Beachtung zuteil. Die mittleren Altersgruppen legen vor allem Wert auf sinnvolle Aufgaben und selbständiges Arbeiten, während Einkommen eher ein Hygienefaktor für sie ist. Hingegen haben das Arbeitseinkommen bzw. Einkommenssteigerungen neben der Festanstellung für die jüngsten Mitarbeiter Priorität. Als nicht lebensphasen-, sondern zeitgeistbedingt sind die folgenden Trends zu bewerten: Arbeitnehmer möchten ihre Potenziale bei der Arbeit voll einsetzen und sind offen für neue Ar579
Vgl. Jasper 2004 (Unterschiedliche Potenziale), S. 222 f., Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 28, Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 67, Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 3 ff., S. 18, S. 51 ff. und S. 75 ff., o. V. 2003 (Abwechslung), S. 21 sowie Spevacek/Stöckl/Straka 2001 (Altersgerechte Didaktik), S. 90 ff.
580
Vgl. Dietrich 2001 (Autopoiese), S. 181.
236
F GENERATIONENMANAGEMENT
beitsaufgaben und Unternehmensinformationen. Als positive Faktoren der intrinsischen Motivation sind dies gute Voraussetzungen für Leistung und Innovation. An ihren Vorgesetzten kritisieren die Mitarbeiter aller Generationszusammenhänge Mängel in Bezug auf die persönliche Kommunikation und Information und insbesondere das Fehlen zeitnahen Feedbacks. Als weitere Problembereiche werden Stress, Termindruck, starre Arbeitszeiten, ineffektive Organisationsstrukturen und Störungen in der Zusammenarbeit genannt. Arbeitnehmer aller Altersgruppen erwarten als wichtigste Eigenschaft Zuverlässigkeit von ihren Kollegen, den Vorgesetzten und dem Unternehmen. Dazu zählen Eigenengagement der Kollegen, verlässliche Einhaltung von Absprachen, faire Behandlung und soziale Gerechtigkeit im Umfeld, vor allem aber die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Ein akutes Problemfeld in diesem Zusammenhang ist die Eingliederung des jüngsten Generationszusammenhangs, dem eben jene Zuverlässigkeit im Arbeitsleben abzugehen scheint. Es ist davon auszugehen, dass es sich um ein Problem der beruflichen Sozialisation und damit um den typischen Konflikt zwischen Anfängerund etablierten Generationen handelt. Zusammengenommen zeigt sich damit der Handlungsbedarf bezüglich der Generationenproblematik in vielfältigen Erscheinungsformen. Selbst wo diese Problematik einem zukunftsorientierten Personalmanagement bereits bewusst ist, fehlen jedoch häufig Informationen zu Generationsunterschieden und dem Umgang damit. Altersstrukturelle Probleme, Generationenkonflikte und -stereotypisierung werden nicht als solche erkannt oder berücksichtigt. Die Gestaltung eines effektiven Miteinanders der Generationen vor dem Hintergrund von Altersstereotypen und Generationendifferenzen kann nicht in Angriff genommen werden. Damit fehlt es nicht nur an Informationen und Instrumenten zum Generationenmanagement, sondern sogar bereits an der Voraussetzung dafür, nämlich dem Problembewusstsein in Unternehmen. Nach den bisherigen Ausführungen ist also die zügige Schaffung eines Problembewusstseins in den Unternehmen notwendig und vordringlich.
2 Zentrale Prinzipien des Generationenmanagements Es stellt sich nun die Frage, welchen Anforderungen ein Generationenmanagement genügen muss, um die genannten Probleme zu lösen. Die erste Forderung besteht natürlich in Effektivität und Effizienz. Aus Unternehmenssicht steht die Optimierung der Arbeitsleistung in Relation zu den Kosten, die durch die Leistungserstellung verursacht werden, im Vordergrund. Besonders wichtig ist die Anpassung von Arbeitsergebnis und Leistungsverhalten an die umweltbedingt veränderten Zielsetzungen und funktionalen Erfordernisse der Organisation. Konkret beinhaltet das die Verbesserung von Leistungsfähigkeit, Motivation und Zusammenarbeit der verschiedenen Altersgruppen. Die dynamische Entwicklung der Umwelt und der Zeitgeist erfordern hier insbesondere Wissen, Innovationskraft, Gesundheit, soziale Kompetenz und Eigenverantwortung. Die soziale Effizienz betrifft die Mitarbeitermotivation, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Mitarbeiterbindung und damit die Zielsetzungen der Arbeitnehmer. Sie äußert sich in der Erfüllung der Erwartungen und Bedürfnisse der Mitarbeiter und in der Vermeidung von Nachteilen. Zu den zu vermeidenden Nachteilen zählen die Beeinträchtigungen durch die Tätigkeit oder durch gesundheitliche Schädigungen der Persönlichkeit. Zu den zu realisierenden Vor-
237
F.I Grundlagen des Generationenmanagements
teilen gehören die Sicherung der Existenzgrundlage bzw. eines bestimmten Lebensstandards, die Entwicklung individueller Fähigkeiten, Selbstbestimmung, Anerkennung, Erfolg, Einfluss und soziale Kontakte. Die soziale Effizienz ist als Bestimmungsfaktor der Mitarbeiterleistung ein mittelbares Unternehmensziel.581 Unternehmensziele und Mitarbeiterziele im Unternehmen können also divergieren. Politisch gewollt sind in erster Linie Gleichberechtigung, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Familienfreundlichkeit. Diese gesellschaftspolitische Perspektive deckt sich prinzipiell eher mit den Mitarbeiterinteressen, kann jedoch auch mit den Unternehmenszielen im Einklang stehen. Die nachstehende Grafik zeigt beispielhaft die Vielfalt und Komplexität der Beziehungen zwischen altersbedingten Faktoren der Persönlichkeit und der ökonomischen bzw. sozialen Effizienz des Unternehmens auf. Allein der hier dargestellte Ausschnitt möglicher Einflussfaktoren lässt erahnen, wie schwierig die Steuerung des Systems ist. Dabei sind Rückkoppelungen und weitere Zielsetzungen, wie zum Beispiel der Leistung auf die Arbeitszufriedenheit etc., in der Darstellung gar nicht berücksichtigt. Abb. F-1: Ziele und Einflussfaktoren im Veränderungsmanagement Individuelle Biografie
Alter
Kognitive Leistungsfähigkeit
Lebens- & Berufserfahrung
Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen
Fähigkeiten und Fertigkeiten
Bedürfnisse, Werte und Einstellungen
Motivstrukturen Erfolg Misserfolg
Soziales Milieu
Arbeitszufriedenheit
Motivation
Handhabung von Stresssituationen
Stress
Rollenerwartungen Leistungsverhalten allgemein
Organisationsstrukturen/ Anforderungen
Situation
rollenspezifisch
Ökonomische Effizienz
Ziele des Veränderungsmanagements
Soziale Effizienz
Quelle: In enger Anlehnung an Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 72, Abbildung 13582
581
Vgl. Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 18 f.
582
Wie gut Stresssituationen gehandhabt werden, hängt von ihrer Bedrohlichkeit und der Bewertung der eigenen Handhabungsmöglichkeiten im Vergleich zu den eigenen Kräften ab. Vgl. Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 72.
238
F GENERATIONENMANAGEMENT
Aus den obigen Ausführungen kristallisieren sich neben den Effizienzzielen der Unternehmung folgende Prinzipien des Generationenmanagements heraus: Der zentrale Grundsatz ist die Wertschätzung aller Mitarbeiter, ihrer Unterschiedlichkeiten und individuellen Hintergründe. Diese gegenseitige Wertschätzung dürfte sich vor allem positiv auf die Zusammenarbeit und die Mitarbeitermotivation auswirken. Dazu kommen die Zeitgeistprinzipien Vertrauen und Handlungsautonomie, Wissen und Gesundheit. Diese dienen vor allem der Verbesserung der körperlichen, geistigen, sozialen Leistungsfähigkeit und können sich ebenfalls positiv auf die Motivation der verschiedenen Altersgruppen auswirken. Leistung und Zusammenarbeit können, zum Beispiel in akuten Problemfällen, über Einzelmaßnahmen gefördert werden. Um im gesamten Unternehmenskontext nachhaltig wirksam zu werden, sind allerdings eine ganzheitliche Vorgehensweise und die Integration der Generationenmanagementmaßnahmen in das Gesamtmanagementsystem unerlässlich. Generationenmanagement ist jedoch nicht als Umwälzung oder komplette Neuausrichtung zu sehen, sondern als Ergänzung der bereits bestehenden Zielsetzungen und Systeme eines Unternehmens um Aspekte der Altersdiversität. So bestehen zahlreiche Überschneidungen und Synergien mit Managementinstrumenten, die bereits im Unternehmen genutzt werden oder genutzt werden sollten. Das betrifft zum Beispiel Wissensmanagement, Gesundheitsmanagement, Arbeitszeitflexibilisierungskonzepte und Diversitätsmanagement. Generationenmanagement liefert hier zusätzliche Einsichten und Erklärungsansätze. Die entsprechenden Maßnahmen können häufig sogar ohne große Kosten an die unternehmensspezifische Situation angepasst und in das Managementsystem eingefügt werden. Die Berücksichtigung von Generationsunterschieden kann sowohl in Einzelproblemfällen als auch in Bezug auf Unternehmensteile bis hin zur gesamten Organisation von Vorteil sein. Sie betreffen die Altersdiversität in Zeitgeist, Generationenprägung und Lebensphasen. Diesbezüglich muss in Faktoren unterschieden werden, die sich im Zeitablauf ändern und solche, die sich prinzipiell nicht ändern bzw. nicht ändern lassen. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Beeinflussbarkeit des Verhaltens. Generationspersönlichkeitszüge sind nur graduell durch Sozialisation und Personalentwicklung zu beeinflussen. Dabei sind die Charakteristika aus der Prägephase einer Generation über ihren Lebenslauf hinweg relativ stabil und die Bedürfnisse einer Lebensphase für alle Generationen, wenn sie sich in dieser Altersgruppe befinden, vergleichbar. Das Generationenverhalten kann durch entsprechende Anreize in allen Altersgruppen gesteuert werden. Gezielte Generationenmanagementmaßnahmen sind vor allem dort sinnvoll, wo eine große Zielgruppe erfasst werden kann, deren Besonderheiten als gesichert gelten können.583 Der sich wandelnde Zeitgeist ist die Ursache für die Generationendifferenzen und gleichzeitig ein guter Indikator dafür. Da die kindliche bzw. jugendliche Prägephase zeitlich deutlich vor dem Berufseintritt liegt, lassen sich bestimmte Trends, wie zum Beispiel der Wissensstand oder typische Eigenschaften der neuen Generationen, relativ gut vorhersagen, so dass sich das Unternehmen darauf einstellen kann. Der Zeitgeist hat Einfluss auf die Bedürfnisse von Ar583
Wie oben gezeigt, kann das Alter dabei als Indikator für unterschiedliche Lebenserfahrung, Lebenssituationen und Generationspersönlichkeiten der internen und externen Zielgruppen dienen.
F.I Grundlagen des Generationenmanagements
239
beitnehmern aller Altersstufen. Dem stehen Widerstände in Form von vorher gelernten Wertsystemen oder Verhaltensweisen entgegen. Als Beispiel sei hier der Trend zur Gleichberechtigung genannt. Des Weiteren kann der Zeitgeist sich über die Generationenprägung auch langfristig auf die Lebensphase auswirken. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich immer mehr Frauen für die berufliche Karriere entscheiden und daraus neue Bedürfnisse beider Geschlechter resultieren. Bedürfnisse, die mit der Vereinbarkeit von Familie mit zwei beruflichen Karrieren zusammenhängen, werden zum Beispiel als Wunsch nach Vaterschaftsurlaub, nach Teilzeitlösungen, Betriebskindergärten oder Ähnlichem an Unternehmen herangetragen. Schließlich signalisiert der Zeitgeist nicht nur Veränderungen bei den (potenziellen) Mitarbeitern, sondern auch bei weiteren Unternehmensteilnehmern wie zum Beispiel Kunden oder Lieferanten. Aus diesen Ausführungen wird deutlich, warum die Erfassung des Zeitgeistes in das Frühwarnsystem aufgenommen werden sollte. Das Eingehen auf Zeitgeisttrends gehört im engeren und weiteren Sinne zum Generationenmanagement. Maßnahmen wie die Berücksichtigung der Altersdiversität oder Qualifizierungsmaßnahmen tragen zur Leistungsverbesserung und zur Steigerung der Attraktivität des Unternehmens auf dem Arbeitsmarkt bei. Die Kenntnis des Zeitgeistes und seiner Auswirkungen ist der erste Schritt, um sich Besonderheiten zunutze zu machen und Probleme zu vermeiden. Das Wissen über Generationenprägung und Zeitgeisteffekte kann für die Feinsteuerung aller Generationen verwendet werden. Der Eintritt ins Arbeitsleben ist für die spätere Arbeitseinstellung und das Arbeitsverhalten prägend. Neue Mitarbeiter werden gemäß der Unternehmenskultur von der bestehenden Belegschaft sozialisiert. Zweckmäßig ist die Gestaltung von konsensfähigen zentralen Unternehmenswerten und Kulturelementen, um auf eine einheitlichere Ausrichtung der Gesamtbelegschaft in allen Altersstufen hinzuwirken. Dies ist umso wichtiger, da sich mit fortschreitendem Lebenslauf die Bedürfnisse und Zielsetzungen der Arbeitnehmer ändern, wenn andere Belange, wie Familie, sozialer Status, Besitzstand oder Führungserfahrung, in den Vordergrund treten und entsprechend priorisiert werden. Die Kenntnis der aktuellen und zu erwartenden Ziel- und Bedürfnisstruktur eines Arbeitnehmers ist für das Unternehmen vorteilhaft, da die Befriedigung dieser Bedürfnisse zu Arbeitszufriedenheit und zu besseren Leistungen führt. Maßnahmen auf Basis des Lebenslaufkonzeptes sind für die längerfristige Planung sinnvoll, wenn zu erwarten ist, dass ein größerer Belegschaftsteil eine bestimmte Phase durchläuft. Für die jungen Leute, die als Auszubildende oder Trainees in die Unternehmen kommen, bestehen dazu bereits spezielle Anwerbungs- und Einarbeitungsprogramme. Solche Programme können durch flexible Entlohnungssysteme und weitere Generationenmanagementmaßnahmen unterstützt werden. Nach dem Eintritt ins Berufsleben wird die Bildung der Zielgruppen schwieriger, da die Geburtskohorten sich ab dann nicht mehr im Gleichtakt bewegen. Dennoch kann zum Beispiel Gleitzeit für die Alterskategorien unter den Arbeitnehmern, die sich in der Lebensphase „Elternschaft“ befinden, eingeführt werden oder ein gleitender Übergang in den Ruhestand für alternde Belegschaften.
240
F GENERATIONENMANAGEMENT
Die Zusammenfassung von Mitarbeitern zu größeren Altersklassen mit ähnlicher Interessenslage ist insbesondere für kleinere Unternehmen erschwert. Generell empfiehlt sich deshalb, die Schaffung von Rahmenbedingungen, die ein individuelles Vorgehen erlauben. Das schließt Instrumente, welche individuelle Zielvorstellungen erfassen, und ein flexibles System zur Entwicklung und Umsetzung entsprechender Anreize ein. Da die individuellen Karriereziele, die persönliche Lebenslage und die aktuellen Prioritäten nicht kategorisch zu ermitteln sind, sind die Vorgesetzten diesbezüglich in der Verantwortung für den einzelnen Arbeitnehmer gefordert. Insgesamt gesehen muss gerade in Anbetracht der Flexibilität dieser Maßnahmen die Zielgerechtigkeit im Sinne der Unternehmenspolitik sichergestellt werden. Diese Ausführungen zeigen, dass Unternehmen vielfältige Möglichkeiten haben, Generationsbedürfnisse und -besonderheiten vorauszusehen und zu ihrem Vorteil zu nutzen. Es geht darum, die Stärken und Schwächen der verschiedenen Altersgruppen bewusst zu machen, sie zu verstehen und zu akzeptieren. Die Unternehmensteilnehmer sollten für die Probleme der Altersdiversität sensibilisiert und in die Lage zu versetzt werden, eventuellen Generationenproblemen vorzubeugen bzw. sozial kompetent damit umzugehen. So können die Chancen der Altersdiversität genutzt und ein besseres Verhältnis zwischen den Generationen hergestellt werden. Die folgenden Ausführungen widmen sich der Frage, welche konkreten Maßnahmen zur Erreichung dieser Zielsetzung sinnvoll sind.
3
Ansatzpunkte des Generationenmanagements
Die in Hauptkapitel D zusammengestellten Fakten in Verbindung mit der Generationenmanagementstudie machen deutlich, welche Problemfelder bestehen und wo Unternehmen Generationenthemen am dringlichsten aufgreifen müssen, um die genannten Effizienz- und Generationenmanagementziele umzusetzen. Nach den bisherigen Ausführungen und den Ergebnissen der Generationenmanagementstudie lassen sich als Hauptquellen für Handlungsbedarf im Generationenmanagement der demografische Wandel, der Wandel des Zeitgeistes und die wechselnden Anforderungen des Lebensverlaufs in der Unternehmensumwelt identifizieren. Diese führen zu Veränderungen bei der Struktur und den Lebensphasen der Belegschaft, ihren Werten und Bedürfnissen sowie ihrer Leistungsfähigkeit und Motivation. Dies beeinflusst die Arbeits- und Umgangsformen der Generationen untereinander.584 Die Hauptproblembereiche lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Mangelndes Problembewusstsein und mangelndes Wissen über das Generationenthema und mögliche Instrumente führen zur Vernachlässigung vorausschauender Maßnahmen. Insbesondere Kenntnisse zu Altersdiversität, komparativen Kompetenzen und Schwächen und dem Umgang damit fehlen. Aufgrund der bestehenden Frühverrentungspolitik und einer gewissen Diskriminierung Älterer in Einstellungs-, Personaleinsatz- und Weiterbildungspolitik fehlen den Unternehmen motivierte und kompetente Mitarbeiter in den älteren Segmenten. Frühverrentung ist meist mit einem Know-how-Abfluss verbunden, der über die jüngeren Segmente nicht ausgeglichen werden kann und selten durch Wissensmanagement abgefedert wird. Zu 584
Auch die Geschlechterverhältnisse bleiben davon nicht unberührt.
241
F.I Grundlagen des Generationenmanagements
dem haben die Mitarbeiter zunehmend weniger Vertrauen in die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Gerade unter den jüngeren Fachkräften besteht eine geringe Bindung an das Unternehmen. Die jüngsten und ältesten Mitarbeiter sind schlecht integriert. Die Bedürfnisgerechtigkeit der Anreize für die verschiedenen Altersgruppen ist nicht gegeben. Das betrifft insbesondere die Felder Gesundheit und Handlungsautonomie. Entsprechend hoch sind Motivationsprobleme, Fehlzeiten, Wechselbereitschaft und Fluktuation. Darunter leidet die Leistung. Dazu kommen starre Strukturen bezüglich Arbeitsort, Arbeitszeiten und Unternehmensorganisation, gepaart mit schlechtem Informationsfluss und autoritärem Führungsstil. Auf Mitarbeiterseite mangelt es an sozialer Kompetenz, Veränderungswillen und Verantwortungsbewusstsein. Die nachfolgende Tabelle listet die Problembereiche und Chancen im Generationenmanagement noch einmal nach den Besonderheiten der einzelnen Generationszusammenhänge detailliert auf.
Lebensphasenproblematik
Kriegskinder
Konsumkinder
Krisenkinder
Medienkinder
Generationszusammenhänge
Netzkinder
Tab. F-1: Problembereiche und Chancen nach Generationszusammenhängen
Pflegepflicht Elternschaft Sozialisation Karriere/Erfahrung Übergang Sport Freunde Bildung/Reisen Kreatives
Problembereiche & Chancen im Generationenmanagement
Problembereiche: Mehrfachbelastung und Benachteiligung von Arbeitnehmern, starre Strukturen Chancen: lebensphasengerechte Leistungssteigerung und Potenzialausnutzung, Steigerung von Unternehmensflexibilität und -attraktivität
Generationenwerte und -bedürfnisse Wertsystem Gesundheit Freiheit/Handlungsautonomie Menschenwürde/Wertschätzung
x x x
x x x
x x x
x x x
x x x
Generationenprioritäten Arbeitsplatzsicherheit Einkommen Lebensqualität soziale Gerechtigkeit soziale Kontakte
xx xx x x xx
x x x x x
x x x x x
x x x xx x
x x x xx x
x x x x x
x x x x x
x x x x x
x x x x x
x x x x x
xx
xx xx
x x xx
xx xx
xx
xx xx
xx
Problembereiche: Diskriminierung, Autokratie, gesundheitliche Belastung
Wunscheigenschaften bei Kollegen Verlässlichkeit Fleiß/Engagement gute Zusammenarbeit Kreativität Freundlichkeit Höflichkeit
Quelle: Eigene Erstellung
Problembereiche: geringe Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit, fehlende intrinsische Motivation und Risikofreude, Ungerechtigkeitsempfinden Chancen: Steigerung der Unternehmensattraktivität durch Zuverlässigkeit und Gerechtigkeit im System und „Abarbeitung der Hygienefaktoren“ Problembereiche: Führungsfehler, starre Strukturen, Blockierungen
Anforderungen an die Organisation Einsatz von Kenntnissen/Fähigkeiten Information/Neues lernen Feedback/persönliche Kommunikation Selbstständigkeit Flexibilität Arbeitszeit (Arbeitsort)
Chancen: Bewältigung von Komplexität, Vielfalt und Dynamik
xx x
x
Chancen: Verbesserung von Wissen, Kommunikationswegen und Innovation, bessere Kapazitätsauslastung und höhere Flexibilität, Leistungssteigerung
Problembereiche: Innovativität und Kompetenzen Älterer und gute Umgangsformen Jüngerer etc. werden nicht geschätzt, falsche Stereotype, Ausgrenzung und schlechte Zusammenarbeit, mangelnde Zuverlässigkeit bei Netzkindern und mangelndes Engagement bei Konsumkindern, Überlastung mittlerer Altersgruppen Chancen: Ausnutzung der komparativen Kompetenzen und des Fähigkeitenmixes für Leistungs- und Qualitätsverbesserungen, insbesondere im Dienstleistungsbereich
242
F GENERATIONENMANAGEMENT
Anhand dieser Problemfelder und der bereits erläuterten Prinzipien lassen sich die Hauptansatzpunkte des Generationenmanagements ableiten. Sie liegen zum einen in der Altersstrukturgestaltung der Belegschaft und zum anderen in der Optimierung ihrer altersspezifischen Leistungsfähigkeit, insbesondere was Qualifikation und Gesundheit angeht. Dies setzt die kontinuierliche und zeitnahe Erneuerung und das Management sowohl des betrieblichen Wissens als auch des Wissens über die Humanressourcen voraus. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gewährleistung von Motivation und guter Zusammenarbeit der Generationszusammenhänge. Dies erfordert Veränderungsbereitschaft, die Wertschätzung von Diversität in der Unternehmenskultur sowie flexible Strukturen und Abläufe, die Wahlmöglichkeiten, Selbstbestimmung und Veränderungsmöglichkeiten bieten. Zur Wertschätzung zählen insbesondere die Vermittlung positiver Selbst- und Fremdbilder der Altersdiversität sowie die soziale Integration der verschiedenen Generationszusammenhänge.585 Damit erfordert Generationenmanagement Maßnahmen, die alle Elemente des Managementprozesses betreffen – angefangen von einer adäquaten Unternehmenspolitik und -strategie, über organisatorische und Personalmanagementmaßnahmen bis hin zum Controlling. Da Generationenprobleme im Wesentlichen auf Veränderungen des Humankapitals zurückzuführen sind, muss in diesem Bereich der Schwerpunkt des Generationenmanagements liegen. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Humankapitals in einer Dienstleistungsgesellschaft und der hohen Personalkosten in Deutschland bestehen hier auch die größten Potenziale zur Effizienzverbesserung. Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb hauptsächlich auf die Schaffung und optimale Nutzung der Mitarbeiterpotenziale, die im Zusammenhang mit der Altersdiversität stehen. Die Integration des Generationenmanagements in das Managementsystem der Unternehmen gestaltet sich demnach idealtypisch folgendermaßen. Bevor ein Unternehmen Generationenmanagement einführen kann, ist zunächst einmal die Beschaffung von Informationen zur Zeitgeistentwicklung, zur Generationenprägung und zum Lebenslaufkonzept sowie den daran geknüpften Verhaltensweisen und Steuerungsmöglichkeiten der Altersgruppen vonnöten. Die für die Schaffung eines Problembewusstseins für das Generationenthema notwendigen Informationen können aus den unterschiedlichsten unternehmensinternen und -externen Quellen gewonnen werden. Dazu zählen Forschungsergebnisse und Statistiken. Die hier präsentierten theoretischen und empirischen Erkenntnisse, darunter nicht zuletzt die Resultate der Generationenmanagementstudie, zeigen den Handlungsbedarf deutlich auf und geben Hinweise auf Lösungsmöglichkeiten. Diese Informationen und unternehmensinterne Analysen kann das Personalmanagement nutzen, um altersstrukturelle Probleme zu identifizieren, entsprechende Maßnahmen vorzuschlagen etc. Der Anstoß für Generationenmanagement kann auch von den Führungskräften des Unternehmens ausgehen, die in ihren Abteilungen mit Fachkräftemangel oder Generationenkonflikten zu kämpfen haben. Allerdings verfügen die Führungskräfte niedriger Hierarchieebenen und das Personalmanagement oft nicht über genügend Einfluss, um nachhaltige Maßnahmen mit weitem Planungshorizont im Gesamtunternehmen zu initiieren. Die Beur585
Vgl. dazu die Ergebnisse der Generationenmanagementstudie und auch Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 126 ff. sowie Volkholz 2000 (Demografische Falle), S. 23.
F.I Grundlagen des Generationenmanagements
243
teilung der Notwendigkeit von Generationenmanagement und die Initiative zu seiner Einführung liegen somit bei der Unternehmensleitung.586 Sie muss für die Konsequenzen der demografischen Entwicklung sowie des Zeitgeistwandels und für die Kooperationsprobleme zwischen den Altersgruppen sensibilisiert und vom diesbezüglichen Handlungsbedarf überzeugt werden. Ein guter Aufhänger dafür sind zum Beispiel die nachweislichen Konsequenzen des demografischen Wandels. Auf der Ebene der Gesamtorganisation empfiehlt sich zunächst eine Analyse der Unternehmenssituation unter dem Blickwinkel der Altersdiversität. Sie sollte vor allem die Altersstruktur und die interne Unternehmenssituation berücksichtigen und ermöglicht dann eine unternehmensindividuelle strategische Ziel- und Maßnahmenplanung. Die Ziele und Prinzipien des Generationenmanagements sollten konsistent sein und fest in der Unternehmenspolitik verankert und kommuniziert werden. Das betrifft insbesondere die Wertschätzung und Gleichbehandlung der Mitarbeiter. Eine öffentliche Selbstbindung verstärkt die Glaubhaftigkeit der Veränderungen. Die Maßnahmen können sowohl interne als auch externe Zielgruppen betreffen. Sowohl für die Analyse- und Planungsphase als auch für die Umsetzung müssen die verantwortlichen Träger benannt und geschult werden. Laufende Berichterstattung und Rückmeldungen über die Auswirkungen und Kosten der Maßnahmen ermöglichen eine Überprüfung und falls notwendig rechtzeitige Plananpassungen. Intergenerationelles Personalmanagement muss sich auf alle Altersgruppen und die Gestaltung ihrer Beziehungen untereinander beziehen. Dabei geht es darum, die Potenziale der einzelnen Altersgruppen differenziert wahrzunehmen und zu nutzen sowie die Leistungsträger vorurteilsfrei zu fördern. Zweitens sollten der Teamgeist und die formellen und informellen Kontakte zwischen den Altersgruppen verbessert werden.587 Intergenerationelles Personalmanagement zielt also auf die Gestaltung der Altersstruktur und die Verbesserung der Zusammenarbeit sowohl auf der Unternehmens- als auch auf der Teamebene. In Bezug auf die individuelle Förderung der Mitarbeiter geht es um die altersgerechte Förderung der körperlichen, geistigen und sozialen Leistungsfähigkeit sowie der Motivation. Damit umfasst Generationenmanagement innovative Maßnahmen in Form von Personalbestandsmanagement nach Altersgruppen, zeitgerechter Unternehmenskultur und altersdiversem Führungsstil, individualisierten Anreizsystemen, flexiblen Arbeitsstrukturen, Arbeitsabläufen und Arbeitszeitregelungen sowie von lebensphasengerechten Gesundheitsvorsorge-, Personalisations- und Qualifizierungsprozessen. Die nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die Elemente des Generationenmanagements gegliedert nach ihren Wirkungsebenen: Unternehmen, Team und Individuum. Sie zeigt auch den Verlauf auf, in dem diese Gestaltungselemente in den folgenden Kapiteln diskutiert werden.
586
Vgl. exemplarisch Schewe 2005 (Unternehmensverfassung), S. 122 ff.
587
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 10.
244
F GENERATIONENMANAGEMENT
Tab. F-2: Generationenmanagemenmaßnahmen im Kapitelüberblick
x F.II
Gesamtorganisation
Kapitel
x Unternehmensanalyse und -controlling unter Altersdiversitätsaspekten x Integration von Gesundheit, Wertschätzung der Altersdiversität, von Gerechtigkeit, Handlungsautonomie und Risikobereitschaft in Leitbild, Personalpolitik, Führungsgrundsätze und Verhaltensregeln x Realisierung einer diversen Altersstruktur mit fließenden Übergängen x Netzwerkbildung x Wissens- und Gesundheitsmanagement x Flexibilisierung und Dezentralisierung der Unternehmensorganisation x x x x x x
Situationsgerechte Gestaltung von Art und Grad der Teamdiversität Förderung von gemeinsamen Ethos Teamentwicklung zur Wertschätzung von Andersartigkeit Förderung der Kommunikation, Kooperation und Kohäsion Setzung von teamerfolgsbezogenen Anreizen Integration und Fairness in der Führung, kooperativer Führungsstil
x F.III
Gruppe
Generationenmanagementmaßnahmen
x Berücksichtigung der Altersdiversität und der individuellen Bedürfnisse in der Führung x Förderung des Wissens über andere Generationen und Altersstereotype und Stärkung der Schlüsselkompetenzen im Umgang mit Diversität x Alters- und generationengerechte Förderung der sozialen Kompetenz, geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit x Verbesserung von Motivation, Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung durch individuelle Anreizgestaltung und Erhöhung der Handlungsautonomie
x F.III
Individuum
Unternehmensebene
x F.III x F.IV x F.V
x F.IV
x F.V
Quelle: Eigene Erstellung
Das Generationenmanagement kann damit auf ein großes Portfolio von bewährten Instrumenten zurückgreifen, die für den Umgang mit Altersdiversität entsprechend angepasst und im Folgenden systematisch vorgestellt werden.588 Dazu werden Prinzip und Einsatzbereich der Generationenmanagementmaßnahmen und ihre Eignung zum Umgang mit Generationenprägungs-, Lebensphasen- und Zeitgeisteffekten erläutert. Die Gestaltungsvorschläge werden aus Unternehmenssicht, Arbeitnehmerperspektive und gesellschaftlicher Perspektive diskutiert und in den Gesamtzusammenhang des Managementsystems eingeordnet.
588
Dabei handelt es sich um Konzepte wie Lernende Organisation, Selbstorganisation, Gesundheitsmanagement, Wissensmanagement usw. Vgl. exemplarisch Probst 1993 (Organisation), S. 481 ff., Probst/Raub/ Romhardt 2003 (Wissensmanagement), S. 22 ff., Senge 2001 (Lernende Organisation), S. 171 ff. und Wustrow 2005 (Gesundheitsmanagement), S. 350 ff.
F.II Generationenmanagementstrategie
245
II Generationenmanagementstrategie 1
Unternehmensanalyse mit Schwerpunkt Altersdiversität
Zentral für eine erfolgreiche Gestaltung des Generationenmanagements sind die Informationsgewinnung und die Situationsanalyse des Unternehmens in Bezug auf Altersdiversität. Die Unternehmensanalyse unter dem Fokus der Altersdiversität beinhaltet die Altersstrukturanalyse im Sinn einer quantitativen Analyse und die Qualifikationsanalyse des Personalbestands und der Personalbestandsentwicklung. Unternehmenskulturelle Probleme der Altersdiversität in Bezug auf Motivation und Zusammenarbeit können im Rahmen der Unternehmensanalyse anhand der Motivationsanalyse ermittelt werden. Das Vorgehen bei der Altersstrukturanalyse der Belegschaft gestaltet sich wie folgt: Die wichtigen Informationen zur Analyse des Personalbestands sollten im Personalinformationssystem vorhanden sein. Die Altersstruktur kann unterschiedliche Formen besitzen. Im Rahmen der Altersstrukturanalyse kann sich herausstellen, dass sie jugendzentriert, auf das mittlere Alter zentriert oder alterszentriert ist. Sie kann auch ungleichmäßig verteilt sein, einzelne Überhänge oder eine Scherenverteilung zwischen Jung und Alt aufweisen, geschichtet oder ausgewogen sein. Die Altersstruktur kann unter Berücksichtigung der Fluktuation, der Verrentung und der Gegebenheiten des Arbeitsmarktes fortgeschrieben werden. Daten aus der Analyse der Unternehmensumwelt, wie die Entwicklung der allgemeinen und regionalen Bevölkerungsstruktur und entsprechende Prognosen, lassen sich über amtliche Statistiken und Fachzeitschriften abgreifen. Dazu zählen zum Beispiel Ausbildungsdaten, Studienabgängerzahlen und -prognosen. Diese können dann mit Daten zu Branchen- und Regionalreport, Marktentwicklung und Bedarfsentwicklung in den einzelnen Unternehmensbereichen zu Zukunftsszenarios verdichtet und mit der Bestandsentwicklung abgeglichen werden. Auch der Vergleich mit Branchendaten oder Konkurrenten im Sinne von Benchmarking ist hier aufschlussreich. Die Analyse der betrieblichen Kerngruppen unter Zugrundelegung alternativer Entwicklungen bzw. von Entwicklungsbandbreiten zeigt dann den zukünftigen Personalbestand und besonders gefährdete Beschäftigungsgruppen und damit Ansatzpunkte für Handlungsbedarf auf. Dominanzen bestimmter Altersgruppen in bestimmten Funktionen sollten in jedem Fall zur Hinterfragung der Gründe für diese Praxis führen.589 Die Qualifikationsanalyse ist aufwändiger. Auch hierzu stellt das Personalinformationssystem Daten bereit. Prinzipiell geht es darum, ein Arbeitsfähigkeits- bzw. Leistungsprofil zu erstellen. Dazu können zum Beispiel Fähigkeitsdatenbanken und die Potenzialanalyse genutzt werden. Die verschiedenen Fähigkeiten können zum Beispiel in Kompetenzportfolios nach ihrer Bedeutung systematisiert werden. Hier kristallisieren sich die komparativen Kompetenzen der verschiedenen Altersgruppen heraus. Die Leistungsprofile sind jedoch selbst unter Berücksichtigung von Arbeitsmarktprognosen und Personalentwicklungsplanung schwierig fortzuschreiben, da die Fortentwicklung der Qualifizierung des Mitarbeiterbestands schwer zu schätzen ist. Dafür sind sowohl die Interessen und Steuerungsmöglichkeiten des Unternehmens als auch die Motivation bzw. die Motivationsbarrieren der Mitarbeiter relevant. Im Rahmen der Qualifikationsanalyse sollten auch die betrieblichen Maßnahmen bezüglich Lei589
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 24 ff.
246
F GENERATIONENMANAGEMENT
stungsfähigkeit und Motivation innerhalb von Personalwesen und Gesundheitsschutz überprüft werden. Dabei ist unter anderem festzustellen, ob sie für alle in gleichem Maße gelten, ob Stärken und Schwächen der Altersgruppen berücksichtigt werden und wo altersspezifischer oder altersneutraler Schutz notwendig sind. Die Organisationsdemografie legt auch offen, welche Mitarbeitergruppen Familienpflichten haben.590 Nachdem die potenziellen Probleme in den Bereichen Altersstruktur und Qualifikation identifiziert sind, müssen nun Motivation und Zusammenarbeit und auch das Unternehmenswertsystem591 überprüft werden. Die Diversität in der Unternehmenskultur zeigt sich in der Art der Beziehungen im direkten Arbeitsumfeld, darunter auch im Konflikt- und Konfliktlösungsverhalten, in dem Grad, in dem sich die Mitarbeiter von den Kollegen und Vorgesetzten geschätzt und respektiert fühlen, in der Wichtigkeit, die Mitarbeiter ihrem Alter und Status als Mitglied einer bestimmten Altersgruppe beimessen und darin, wie sie und andere deren Leistungen einschätzen.592 Im Rahmen der Motivationsanalyse geht es darum, solche Faktoren, die mit der Generationenproblematik in Zusammenhang stehen könnten, aufzudecken. Dies können Krisenherde, Konflikte, mentale Modelle, Diskriminierung, Unzufriedenheit und Diskrepanzen zwischen Wertsystem und Unternehmenspraxis sein. Dazu müssen alle Bereiche des Unternehmens abgeklopft werden.593 Da Demotivation, Unzufriedenheit, Diskriminierung und ähnliche Phänomene nicht unbedingt offensichtlich sind oder einfach ungern zugegeben werden, empfiehlt sich ein Vorgehen auf verschiedenen Schienen. Ein Weg ist die Einrichtung eines intergenerationellen Projektteams mit Macht-, Fach- und Prozesspromotoren. Weitere Anhaltspunkte können Arbeitsanalysen und Arbeitssituationsanalysen insbesondere bezüglich psychischer Belastungen am Arbeitsplatz und ihrer Folgen bieten.594 In diesem Zusammenhang sind auch Daten und Kennzahlen des Controllings, wie Weiterbildungs- oder Fluktuationsraten oder die Visualisierung von Karrierepfaden nach Alter, auf590
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 24 ff., Probst/Raub/Romhardt 2003 (Wissensmanagement), S. 59 und Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 242.
591
Vgl. Peemöller 2005 (Controlling), S. 135 ff.
592
Vgl. Ely/Thomas 2001 (Cultural diversity), S. 229 ff.
593
Die latententen, mentalen und sozialen Faktoren der Unternehmenskultur lassen sich zum Beispiel über Fragebögen zu Normen, Werten, Denkschemata, Führungsverhalten und Organisationsklima erfassen. Interviews mit Schlüsselpersonen und strukturierte Interaktionsanalysen bei Konferenzen fördern Umgangsformen, Statussysteme, Sprachregelungen usw. zu Tage. Über spontane Selbstdeutungen und „verstehende“ Fremdinterpretation werden Sinn und Funktion bestehender Praktiken und Artefakte aufgedeckt. Vgl. Kompa/Neuberger 1993 (Unternehmenskultur), S. 40.
594
Vgl. Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 136 ff. Psychische Belastungen können durch aufgabenzentrierte Verfahren wie das Tätigkeitsanalyseinventar, das Tätigkeitsbewertungssystem sowie die Ermittlung der Regulationserfordernisse in der Arbeitstätigkeit aufgedeckt werden. Weitere Verfahren sind an der Schnittstelle zwischen Bedingungen und Beanspruchungen bei der Person angesiedelt (wie Instrument zur stressbezogenen Arbeitsanalyse, Fragebogen zur Erfassung mentaler Arbeitsbelastungen, Job Diagnostic Survey und subjektive Arbeitsanalyse). Die Beanspruchungsfolgen können über kurzfristige Reaktionen wie Herzschlagfrequenz, Blutdruck oder Hautleitfähigkeit direkt gemessen oder langfristig über Leistungsparameter wie Fehlerhäufigkeit oder klinische Daten erfasst werden. Die salutogenetische, subjektive Arbeitsanalyse, das Screening Instrument zur Bewertung und Gestaltung menschengerechter Arbeitstätigkeiten, das Screening pathogener Arbeitsbelastungen oder das rechnergestützte Dialogverfahren zur psychologischen Bewertung von Arbeitsinhalten sind weitere Verfahren.
F.II Generationenmanagementstrategie
247
schlussreich. Führungskräfte- und Mitarbeiterbefragungen, spezielle Arbeitskreise oder ein Kummerbriefkasten sind ebenfalls gute Informationsquellen. Informationen über demografische Entwicklung, Sozialisationsinstanzen und Zeitgeist sind leicht zugänglich. Da die entscheidende Prägung der zukünftigen Arbeitnehmer in der Kindheits- und Jugendphase erfolgt, gibt das den Unternehmen ein Frühwarnsystem bezüglich der Entwicklung seines Arbeitnehmer- und Kundenpotenzials von ungewöhnlicher Tragfähigkeit an die Hand.595 Durch die PISA-Studien596 sind zum Beispiel der Bildungsstand und Bildungsmängel vorab bekannt, so dass sich Unternehmen darauf einstellen können. Unter dieser Vielzahl möglicher Informationsquellen sollen hier Mitarbeiterbefragungen und -gespräche noch einmal gesondert hervorgehoben werden. Sie bieten das fruchtbarste Feld für die Gewinnung von Informationen zu Generationenprägung, individueller Lebenslage, Vorlieben und Bedürfnissen. Die Kenntnis dieser individuellen Situation ist für die adäquate Anreizsetzung und damit für die Motivation entscheidend. Zur Erfassung aktueller Querschnitte bietet sich die unternehmensweite Mitarbeiterbefragung an. Diese sollte regelmäßig durchgeführt werden, um eine Vergleichsbasis im Zeitablauf zu schaffen. Nachteil an der Berücksichtigung von Fragen der Altersdiversität ist, dass die Anonymität aufgrund der Angabe des Geburtsjahres von den Arbeitnehmern als nicht mehr gesichert angesehen werden könnte und die Beantwortung der Fragen deshalb mehr der vermuteten sozialen Erwünschtheit folgt. Dieser Gefahr ist bei einer vorherrschenden Unternehmenskultur des Vertrauens und/oder bei Legung der Befragung in neutrale bzw. integre Hände geringer. Die Befragung kann beispielsweise durch den Betriebsrat durchgeführt werden. Für Längsschnittvergleiche und die individuelle Anreizgestaltung und Karriereplanung des Mitarbeiters eignen sich hingegen die gezielte, nicht-anonyme Mitarbeiterbefragung oder das persönliche Gespräch besser. Soll Letzteres von Nutzen für eine größere Auswertung sein, so muss es allerdings zumindest kurz protokolliert und ausgewertet werden. Mit Hilfe der aus diesen Auswertungen gewonnenen Erkenntnisse bezüglich des Zeitgeistes und der Mitarbeiterbedürfnisse kann dann wiederum das Personalmanagementsystem entsprechend adaptiert werden. Eine Mitarbeiterbefragung sollte stets auch offene Fragen enthalten, wo Mitarbeiter individuelle Probleme nennen können. Auf diese Weise kann dann der Zeitgeist wiederum in Form von neuen Fragen Eingang in die Befragung und in die Gestaltung der Maßnahmen finden.597 Altersstruktur-, Qualifikations- und Motivationsanalyse zeigen mögliche Problemfelder der Altersdiversität im Unternehmen auf. Ihre Zweckdienlichkeit steht außer Zweifel, da der potenzielle Nutzen hoch, die Kosten jedoch gering sind. Damit hat eine Unternehmensanalyse Priorität im Generationenmanagement. Sie identifiziert Struktur- und Qualifikationsmängel, Motivationsprobleme und Konfliktherde und bildet so das Fundament für weitere diesbezügliche Maßnahmen. Selbst im besten Fall, wenn die Unternehmensanalyse keine größeren Altersdiversitätsprobleme aufdeckt, können doch für die allgemeine Unternehmensstrategie nützliche Informationen aufgedeckt und so Synergieeffekte erzielt werden. 595
Die leichte Beeinflussbarkeit von Kindern und Jugendlichen zum Beispiel wird für die Vermarktung von Spielzeug, Kleidung usw. seit langem genutzt.
596
Vgl. exemplarisch Internetquelle: Deutsches PISA-Konsortium (PISA 2003).
597
Vgl. exemplarisch Karabulut 2004 (Personalcontrolling) und Hubbard 2003 (Impact of diversity), S. 271 ff.
248
2
F GENERATIONENMANAGEMENT
Altersdiverse Unternehmensstrategie
Die strategisch zentralen Aufgaben der Organisation sind nach außen hin Zweckerreichung und Anpassung an die Umwelt, intern sind es Integration und Strukturerhaltung.598 In Bezug auf die Generationenproblematik stehen hier die Integration der Mitgliederinteressen der verschiedenen Altersgruppen und die Anpassung an die Umweltveränderungen bezüglich Zeitgeist, Altersstruktur, Generationenverhältnissen im Vordergrund. Diese Veränderungen müssen genauso wie die unterschiedlichen Kompetenzen, Wertsysteme, Motiv- und Bedürfnisstrukturen sowie Verhaltensweisen der Altersgruppen Berücksichtigung im Unternehmensgeschehen finden. Unter Einbeziehung der externen Rahmenbedingungen zeigt die Unternehmensanalyse die unterschiedlichen Stärken und Schwächen sowie die Chancen und Risiken auf, die für das Unternehmen damit verbunden sind. Danach muss entschieden werden, welche Politik das Unternehmen verfolgen möchte. Die Unternehmenspolitik muss der Altersdiversität auf der Progammebene unter Berücksichtung der bestehenden Unternehmenskultur ein Gerüst verleihen. Mögliche Strategien zum Umgang mit der Diversität sind: Ignorieren, Unterdrücken, Akzeptieren und aktiv Fördern. Je nach Unternehmenszweck und -lage kann das Unternehmen sich auf bestimmte Altersgruppen spezialisieren oder eine diverse – segregierte oder aggregierte – Altersstruktur anstreben.599 Insofern stellt sich die Frage, welche Strategie hier vorziehenswürdig ist. Aus der sozialen, ethischen und gesellschaftlich-volkswirtschaftlichen Perspektive spricht viel dafür, Altersdiversität im Unternehmen zu erhalten und zu entwickeln. Die Dominanz privilegierter Altersgruppen entspricht im Gegensatz zu einer ausgewogenen Altersstruktur nicht dem Zeitgeist in Form von Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Menschenwürde und damit auch nicht den gesellschaftlichen Zielsetzungen und Mitarbeiterinteressen. Auch aus Unternehmenssicht weisen die empirischen Befunde darauf hin, dass altersstrukturelle Problemfelder in Bezug auf den demografischen Wandel und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit in Unternehmen hauptsächlich dann bestehen, wenn die Altersstruktur nicht ausgewogen ist und deutlich ausgeprägte Grenzen zwischen den Altersgruppen bestehen.600 Das lässt sich folgendermaßen begründen. Eine unausgewogene Altersstruktur in Form großer Altersdifferenzen in der Belegschaft vermindert zum Beispiel die Kommunikation und den Informationsfluss über die Altersgrenzen hinweg. Zu geringe Differenzen in Alter bzw. Betriebszugehörigkeit, wie sie zum Beispiel aus langjährigem Verzicht auf die Ausbildung oder eine extensive Frühverrentung entstehen, begünstigen die Ausbildung einer starken Kohortenkultur, was sich negativ auf die Anpassungsfähigkeit der Organisation auswirken
598
Die zu den Aufgaben gehörigen vier Systeme Adaption an die Umwelt, Zweckerfüllung, Strukturerhaltung und Integration der Mitgliederinteressen können in ihren Beziehungen durch Isolierung, Dominanz oder Interpenetration gekennzeichnet sein. Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 39 ff. und allgemein Parsons/ Shils 1951 (Theory of action).
599
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 50.
600
Vgl. exemplarisch Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 33.
F.II Generationenmanagementstrategie
249
kann.601 Eine Kohortenkultur kann sich auch herausbilden, wenn zum Beispiel bei einem Wachstumsschub des Unternehmens oder angesichts einer altershomogenen Kundenstruktur eine größere Gruppe von Arbeitnehmern gleichzeitig eingestellt und sozialisiert wird und, wie in Deutschland weiterhin üblich, langfristig im Unternehmen verbleibt.602 In der Regel ist eine solche Strategie nur vorübergehend sinnvoll. Das Unternehmen verzichtet auf die Chancen, die in der Kombination der komparativen Kompetenzen der Altersgruppen liegen.603 Das Personal altert gleichzeitig, sein Qualifikationsstand bedarf zur gleichen Zeit der Verbesserung und zum Renteneintritt muss es komplett und nahtlos ersetzt werden. Es fehlen neue Impulse durch andere Altersgruppen. Die Dominanz von einzelnen Alters- bzw. Dienstalterskohorten kann durch Beförderungsstaus die personelle Erneuerung erschweren oder sogar verhindern, was bei karriereorientierten Mitgliedern jüngerer Kohorten häufig zu Demotivation und Unzufriedenheit führt. Zudem sind die Lohn- und Lohnnebenkosten älterer Arbeitnehmer meist höher als die der jüngeren Arbeitnehmergruppen. Der Verlust älterer Arbeitnehmer ist wiederum problematisch, wenn das Erfahrungswissen nicht in Strukturen, Arbeitsabläufe und Sozialsysteme des Unternehmens integriert wird. Allgemein sind starke Überhänge bestimmter Altersgruppen also immer kritisch zu sehen, wenn die Betriebs-, Innovations- und Personalpolitik ohne Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung nur auf diese Alterskultur ausgerichtet ist.604 Gegen die Altersdiversität spricht vor allem, dass sie die Zusammenarbeit erschwert sowie das Fluktuations- und Absentismusrisiko erhöht.605 In der Regel ist also davon auszugehen, dass eine heterogene Altersstruktur für Unternehmen nicht nur der häufigste Fall ist,606 sondern auch die Chance auf Innovativität, Leistungsfähigkeit, Wissenstransfer und den kontinuierlichen Personalübergang verbessert. Im Folgenden wird deshalb vorausgesetzt, dass das Unternehmen eine durchmischte Gesamtaltersstruktur anstrebt und die Vorteile der Altersdiversität durch aktive Förderung und integrative 601
Vgl. Höpflinger 2002 (Generationenmix), S. 224. Homogene Altersstrukturen können zum Beispiel auch zu Verzerrungen der Geschlechterverteilung führen. So lässt sich bei traditionell männlich geführten und besetzten Unternehmen der Frauenanteil oft nur durch Verjüngung des Personals und gezielte Einstellung von weiblichen Fach- und Führungskräften erhöhen. Höhere Hierarchieebenen sind tendenziell homogener, wobei die Verteilung der Funktionsbereiche oft geschlechtstypisch ist.
602
Die Altersstruktur und -kultur eines Unternehmens wird generell durch seine Wachstumsgeschichte und besondere kritische Vorkommnisse geprägt. Entsprechend kann die Unternehmenshistorie dazu beitragen, solche Problembereiche aufzudecken und zu erklären. Vgl. Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 242.
603
Unterschiedliche Perspektiven in der Entscheidungsfindung führen zu kritischerer Analyse und besseren Problemlösungen größerer kognitiver Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 76 und die Ausführungen in Kapitel F.III zu Gestaltung und Führung altersdiverser Teams.
604
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 33, Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 242 und Volkholz 2000 (Demografische Falle), S. 23. Ungelöste Rekrutierungsprobleme, hohe Fluktuation oder auch völlige Immobilität der Belegschaft sind Warnzeichen.
605
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 101 ff., Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 33, Vgl. Höpflinger 2002 (Generationenmix), S. 224 und Volkholz 2000 (Demografische Falle), S. 23.
606
In mittelständischen Industriebetrieben haben Jung und Alt meist ohne größere Konkurrenzkämpfe ihren Platz, da Innovationen am besten gelingen, wenn alle Beteiligten der technischen Intelligenz möglichst friktionsarm zusammenarbeiten und sich in ihren Funktionen und Tätigkeiten durchdringen. Dies trifft jedoch nicht auf Großbetriebe oder Softwareunternehmen zu. In Softwareunternehmen fehlen ältere Entwickler vollständig, in Großkonzernen zeitigt die Verjüngungspolitik Folgen und die Trennung der Abteilungen ist traditionell viel strikter. Vgl. Reindl (Innovationsmilieus), S. 73 f.
250
F GENERATIONENMANAGEMENT
Maßnahmen ausnutzen möchte. Das bedeutet, dass es nur in Einzelfällen aus sachlichen Gründen auf Altershomogenität setzt. Unternehmensleitbild für eine gesunde Altersstruktur ist die Herstellung und Erhaltung einer gleichmäßigen Mischung aller Altersgruppen mit fließenden Übergängen, bei der Altersausgrenzungen aufgehoben und Generationsunterschiede akzeptiert und beachtet werden. Die gute Zusammenarbeit der diversen Elemente ist dabei eine unabdingbare Nebenbedingung, so dass an Kontakten und Kommunikation gearbeitet werden muss. Dies alles kann je nach Unternehmenssituation radikalen Wandel oder nur marginale Anpassungen erfordern, die das ganze Unternehmen oder nur Teilbereiche betreffen. Die angemessenen Verfahren sind entsprechend der Situation zu wählen.607 Anhand der vorgestellten Analysen können die Handlungsfelder, wo Generationenfragen eine Rolle spielen, identifiziert und je nach Sollvorgabe der Unternehmenspolitik Strategien zum Umgang damit entwickelt werden. Dabei empfiehlt es sich für die erste Analysephase ein unauffälliges Vorgehen, damit keine Generationenprobleme künstlich aufgebauscht oder geschaffen werden, wo vorher ein gesunder Altersmix reibungslos zusammenarbeitete, und damit keine Ressourcen unnötig verschwendet werden. Wenn die Altersdiversität keine offensichtlich gravierenden Probleme verursacht, kann die Analyse diskret durchgeführt werden. Eventuelle Probleme können im Rahmen anderer Maßnahmen wie des Gesundheitsmanagements, der allgemeinen Personalentwicklung oder des Diversitätsmanagements unauffällig angegangen und die Entwicklung kann weiter im Auge behalten werden. Im Rahmen der Analyse wird auch deutlich, welche Maßnahmen zu priorisieren sind und in welchem Zeitrahmen Maßnahmen notwendig werden und zweckmäßig sind. Sinnvoll ist es, sich in erster Linie auf zukunftsträchtige Kernprojekte und die Investition in das hierzu benötigte Personal zu konzentrieren.608 Dabei ist zu trennen zwischen Einzelmaßnahmen für akute Handlungsfelder und ganzheitlichen Maßnahmen des Wandels mit mittel- bis langfristigem Zeithorizont. Akute Maßnahmen betreffen zum Beispiel Konfliktlösung durch Mediation, Rückkehrgesprächen mit Fachkräften, die das Unternehmen verlassen haben oder auch Sanktionen gegen Diskriminierung. Grundlegende Maßnahmen des Generationenmanagements sind umso viel versprechender, je mehr Arbeitnehmer potenziell davon profitieren können und wenn sie ganzheitlich umgesetzt werden. Das Unternehmen hat grundsätzlich folgende Handlungsmöglichkeiten. Zum einen können über Personalmanagementinstrumente geeignete Mitarbeiter ausgewählt und je nach Anforderung eingesetzt und zu passenden Teams zusammengestellt oder aber auch freigesetzt werden, um Stärken zu fördern und Schwächen auszugleichen. Zum anderen können Regeln geschaffen werden, mit deren Hilfe eine reibungslose Zusammenarbeit möglich wird. Dazu ist die Berücksichtigung der Altersdiversität in der Unternehmenspolitik in Form von Gerechtigkeit und Wertschätzung aller Altersgruppen und ihrer unterschiedlichen Beitragsmöglich607
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 33 und Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 101 ff. Mehr Diversität ist zunächst mit weniger Kommunikation und schlechteren sozialen Kontakten verbunden. Verbesserte Kommunikation deckt Gemeinsamkeiten auf und fördert Verständnis und Respekt. Zu weiteren Erfolgsfaktoren im Diversitätsmanagement vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 51.
608
Zu den dazu notwendigen Maßnahmen vgl. auch Sainsaulieu 1987 (Sociologie de l’organisation), S. 336 ff.
F.II Generationenmanagementstrategie
251
keiten zum Unternehmensnutzen als gemeinsames Grundethos erforderlich. Aus den veränderten Unternehmensgrundsätzen ergeben sich Konsequenzen für die Führungsleitlinien und den Verhaltenskodex des Unternehmens und entsprechend auch für Dialog-, Streit- und Konfliktverhalten. Gegebenenfalls macht es Sinn, an dieser Stelle die Mitarbeiter zu integrieren und ihr Wissen zu nutzen, indem die Leitlinien nicht nur von oben vorgegeben, sondern auch von der Basis miterarbeitet und mitgetragen werden. Das betrifft sowohl die Entwicklung eines entsprechenden Verhaltenskodex als auch seine Umsetzung bzw. Überprüfung.609 Aus der Unternehmenspolitik resultieren im Bereich des intergenerationellen Personalmanagements Rekrutierungs-, Einsatz- und Freisetzungsstrategien sowie Leistungsfähigkeits-, Motivations- und Bindungsstrategien. Letztere betreffen zum Beispiel berufsbegleitendes Lernen, berufliche Entwicklung, Wissenstransfer, Gesundheitsvorsorge, Entgeltflexibilisierung und Führungsstil. Die Planung sollte ein zielgerechtes Maßnahmenportfolio mit Prioritäten, Verantwortlichen, Fristen und Budgets umfassen. Dabei besteht die Möglichkeit zentral festgelegter Budgets oder der Integration der Ausgaben in die lokalen Haushalte, damit Altersdiversitätsmaßnahmen nicht den Charakter eines Sonderprogramms, sondern von Alltagshandeln erhalten.610 Die zum Maßnahmenportfolio gehörigen Einzelinstrumente des Generationenmanagements werden im folgenden Verlauf dieses Hauptkapitels einzeln vorgestellt und ausführlich diskutiert. Im Anschluss an die Planung kann die innerbetriebliche Kommunikation der angestrebten Veränderungen erfolgen. Dies beinhaltet die damit verbundenen erwünschten und nicht erwünschten Verhaltensweisen sowie der entsprechenden Belohnungen und Sanktionen. Die veränderten Leitlinien und Verhaltensregeln sollten klar, explizit und verbindlich dargestellt und kommuniziert werden. Dies sollte mit Schulungen zum Abbau von Vorurteilen sowie zur Wissensvermittlung über die Generationenproblematik und zur Verbesserung der sozialen Kompetenz verbunden sein, was auch in regulären Einarbeitungs-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen unterstützt werden kann. Damit ist der erste Schritt für die Übernahme des Generationenmanagements in die Unternehmens- und Führungskultur, die Organisation und das operative Geschäft getan.
3
Zeitgerechter Unternehmenskulturwandel und seine Träger
Unternehmenskulturen erfüllen wichtige Funktionen. Sie beseitigen Unsicherheit, schaffen eine soziale Ordnung, eine kollektive Identität und damit eine gewisse Kontinuität. Die Unternehmenskultur hat einen Kulturkern, wo Wert- und Glaubensvorstellungen sowie die Grundsätze der Organisationsphilosophie ankern. Die unbewussten, unsichtbaren und für selbstverständlich genommenen Muster des Kulturkerns betreffen die grundlegenden Annahmen der Weltsicht.611 Sie motivieren und rechtfertigen Handlungen. Mit der Unternehmensge609
Vgl. Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 136 ff. Eine solche Überprüfung kann Grauzonen, Widersprüche und Mängel in den neuen Regeln aufdecken.
610
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 24 ff.
611
Dies betrifft das Verhältnis zu Umwelt, Zeit, Raum, menschlicher Natur, Aktivitäten und Beziehungen.
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F GENERATIONENMANAGEMENT
schichte wächst die Kultur und wird immer spezifischer. Die grundlegenden Muster werden im Umgang mit Problemen entdeckt und entwickelt. Diejenigen, die gut funktionieren und sich bewährt haben, werden deshalb als wertvoll erachtet und als korrekte Art der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Verhaltens an neue Mitglieder weitergegeben. Diese Muster entstehen zu einem großen Teil informell und ungeplant und können deshalb sowohl komplementär als auch widersprüchlich sein.612 Auf die Dauer gerät häufig in Vergessenheit, wie bzw. warum sie entstanden sind. Die Unternehmenskultur wird hauptsächlich über Symbole und Unternehmenspraxis erworben bzw. vermittelt. Sie findet ihre Verkörperung in Artefakten und Verhaltensweisen. Diese sind meist sicht-, hör- oder greifbar, wenn auch nicht immer einfach zu entziffern.613 Dieser Code spiegelt sich nach abnehmender Komplexität in Erscheinungsformen wie Riten, Unternehmenspraktiken, Erzählungen, Sprachregelungen, Erscheinungsbild, Statussystemen usw. Diese Erscheinungsformen werden durch Normen, Werte und Regeln gestützt.614 Riten schaffen soziale Ordnung, indem sie jedem seinen Platz und seine Rolle im Unternehmen zuweisen und damit Unsicherheit in schwierigen Situationen reduzieren. Riten des Übergangs, wie Degradierung, Verstärkung, Erneuerung, Konfliktreduzierung oder Integration, bilden deshalb auch für moderne Organisationen eine gemeinsame Basis. Sie festigen den Zusammenhalt und ermöglichen den kollektiven Ausdruck von Gefühlen im Zeremoniell. In Riten werden die existenziellen Fragen einer Gemeinschaft nach Solidarität, Sicherheit, Ordnung, Wertschätzung, Motivation und Sinn kollektiv bewältigt, darunter auch die für das Generationengeschehen so wichtigen Fragen nach Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit.615 Aufgrund ihrer tiefen Verwurzelung im Unternehmensgeschehen und ihrer Verinnerlichung durch die Mitarbeiter sind Unternehmenskulturen per se schwer steuerbar und müssen sogar träge sein, um ihrer Integrationsfunktion gerecht werden zu können. Daher können Unternehmenskulturen nicht einfach von oben geändert werden, sondern brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Radikale Kulturinnovationen bedeuten gleichzeitig Schöpfung und Zerstörung. Sie stoßen auf Widerstand, da die damit verbundenen Unsicherheiten die Stabilitätsfunktion
612
Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 129 ff., S. 226 ff., S. 243 ff., S. 355 ff. und S. 392 f. Trotz gemeinschaftlicher Kernsubstanz beinhaltet das Unternehmenswertsystem meist Widersprüchlichkeiten und Polaritäten, wie sie die Anhangtabelle C-1: „Beispiele für Wertepolaritäten in Unternehmenskulturen“ zeigt. Auch steht der einzelne Mitarbeiter nur zu einem gewissen Grad hinter der Kultur. Ganz abgesehen davon können in Unternehmensteilen Sub- und Gegenkulturen zum Beispiel aus Abteilungen, Kohorten, persönlichen Freundschaftsstrukturen, Cliquen oder Machtkoalitionen formell, informell und sogar unternehmensübergreifend entstehen. Subkulturen sind oft eine Quelle für Konflikte, insbesondere wenn sie ein anderes Verhalten als die Hauptkultur verlangen. Dies kann positive wie negative Konsequenzen haben. Echte Gegenkulturen entstehen zum Beispiel bei feindlichen Übernahmen oder aus dauernder Unzufriedenheit heraus.
613
Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 75 f., Hofstede 1984 (Culture’s consequences), S. 21, Kompa/Neuberger 1993 (Unternehmenskultur), S. 19 und Schein 1989 (Organizational culture), S. 9 und S. 13 ff.
614
Die Anhangtabelle C-2: „Beispiele für Erscheinungsformen der Unternehmenskultur“ vermittelt einen Aus schnitt aus der Vielfalt der möglichen Kulturformen im Unternehmen.
615
Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 128 und Kompa/Neuberger 1993 (Unternehmenskultur), S. 118 ff., S. 160 ff. und S. 231 ff.
F.II Generationenmanagementstrategie
253
der Unternehmenskultur konterkarieren.616 Darüber hinaus gibt es keine Idealkultur im Sinne einer richtigen oder starken Unternehmenskultur. Je moderater die gewünschte Anpassung und je schwächer die Unternehmenskultur, desto einfacher ist eine solche Änderung umzusetzen. Unternehmenskultur ist also an sich kein Managementinstrument im engeren Sinne, sie kann jedoch in Grenzen über effektive, angemessene Überzeugungsarbeit, interkulturelle Kommunikation sowie intergenerationelles Lernen im Sinne des Generationenmanagements beeinflusst werden.617 Weitere Ansatzpunkte sind eine geeignete Personalauswahl und Sozialisation, die in den Unterkapiteln zum Personalbestandsmanagement (F.III.1) und zur Förderung der sozialen Kompetenz (F.IV.3) weiter ausgeführt werden.618 Die Unternehmenskultur sollte nach den Grundsätzen des Generationenmanagements ein Klima schaffen, das Individualität, Diversität und Innovationen wertschätzt und damit dem Wandel des Zeitgeistes Rechnung trägt. Dazu bedarf es Gerechtigkeit, einer guten Streit- und Innovationskultur genauso wie vertrauensvoller Zusammenarbeit. Diese Prinzipien sind einfach, jedoch schwer in die Tat umzusetzen. Sicherlich gibt es Kulturkonzepte, wie zum Beispiel Vertrauens-, Lern- oder Fehlerkultur, welche Erfordernisse des Generationenmanagements berücksichtigen. Diese Konzepte sind sogar häufig in der Unternehmenspolitik dokumentiert, wo gleichfalls oft postuliert wird, die Mitarbeiter seien die zentrale Ressource der Unternehmung und entsprechend zu fördern. Im alltäglichen Unternehmensgeschehen werden diese Postulate jedoch selten konsequent umgesetzt. Eine gewachsene Unternehmenskultur, die diesen Prinzipien gerecht wird, ohne dass sie offiziell verkündet werden, dürfte der Ausnahmefall sein und vernachlässigt wahrscheinlich ihre Außendarstellung und deren positive Auswirkungen. Ein Zeichen für eine solche funktionierende, altersdiverse Kultur ist zum Beispiel die Existenz altersgemischter Hochleistungsteams bei besonders gutem Betriebsklima.619 Im Regelfall ist jedoch davon auszugehen, dass die Generationenmanagementprinzipien höchstens zum Teil in der Unternehmenskultur verankert sind und damit Anpassungen notwendig werden. Die bestehende Kultur ist meist hauptsächlich an den primären Gewinn- und Sachzielen orientiert. Sie kreiert einen gewissen Ethnozentrismus, der sich auch dysfunktional in Vorurteilen, Ausgrenzung und Mangel an Flexibilität äußern kann.620 Besonderer Hand616
So kann zum Beispiel Diversitätsmanagement verkrustete Strukturen und Routinen durchbrechen, jedoch auch soziale Desintegrationsprozesse forcieren. Letzteres ist insbesondere bei Kommunikationsproblemen und fragmentierter Unternehmenskultur der Fall. Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 62 und S. 88 f.
617
Vgl. allgemein Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 356 f., S. 393 ff. und S. 427, Schein 1989 (Organizational culture), S. 314 ff. und S. 326 sowie Zülch 2004 (Interkulturelle Kompetenz), S. 44 ff. Die Theorie der allgemeinen Handlungssysteme versucht im Zwiespalt zwischen der rationalen Sicht der Unternehmenskultur (Steuerbarkeit) und der systemischen Sicht (Nicht-Steuerbarkeit) eine Brücke zu schlagen. Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 39 ff. und allgemein Parsons/Shils 1951 (Theory of action).
618
Die meisten Unternehmen überleben ihre Gründungsmitglieder und sind gezwungen, im Lauf der Zeit neue, meist jüngere Mitglieder einzugliedern. Diese steigen in der Hierarchie auf oder übernehmen neue Rollen. Art und Umfang der Unternehmensaktivitäten verändern sich. Dadurch wird eine graduelle Anpassung des Unternehmensgeschehen an den Zeitgeist initiiert. Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 129.
619
Bei Unternehmen mit einer funktionierenden Generationenkultur kann alternativ der Verzicht auf öffentliche Ankündigung und stattdessen eine Politik der kleinen Schritte mit Verstärkungswirkungen nach dem Schneeballsystem sinnvoll sein. Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 62 und S. 88 f.
620
Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 5 ff., Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 136 und Zülch 2004 (Interkulturelle Kompetenz), S. 46.
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F GENERATIONENMANAGEMENT
lungsbedarf besteht zum Beispiel, wenn das Unternehmensgeschehen von Generationenkonflikten geprägt ist, wenn starke Generationssubkulturen bestehen, wenn die komplette Führungsriege vor der Pensionierung steht oder wenn ein junges Unternehmen die nächste Generation oder Erfahrungswissen älterer Generationen integrieren muss. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Generationenkultur sich in die bestehende Unternehmenskultur integrieren lässt. Die Vergangenheit sollte respektiert werden, auch wenn bestehende Ideologien an die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft durch Lokalisierung und Verminderung kultureller Disparitäten angepasst werden müssen. Phasen mit vielen bzw. gravierenden Änderungen sollten mit längeren Phasen relativer Stabilität alternieren. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf einen allmählichen Wandel und müssten für einen schnellen, gravierenden Wandel massiv verstärkt werden.621 Um die Unternehmenskultur in die gewünschte Richtung lenken zu können, müssen die Führungskräfte die kulturellen und subkulturellen Elemente des Unternehmens kennen und verstehen. Das erfordert ein gewisses Gespür und eine gute Beobachtungsgabe. In der Regel reicht dies jedoch nicht aus, um ein so komplexes und zum großen Teil unbewusstes Phänomen wie die Unternehmenskultur zu erfassen. Dennoch kennen Interne die Unternehmenskultur besser als Außenstehende. Aus diesem Grunde ist eine bewährte Methode zur Erfassung der Unternehmenskultur ein umfassendes Audit. Unterstützt werden kann dies beispielsweise durch Berater, die ihr Methodenwissen für die Erfassung, ihre Objektivität und Interpretationshilfen zu diesem Prozess beisteuern. Die bestehende Unternehmenskultur kann dann mit der Sollvorstellung verglichen werden. Wo Abweichungen bestehen, können Veränderungen eingeleitet, positive Elemente können verstärkt werden. Dabei sind die möglichen Ansatzpunkte, die sich dort für das Generationenmanagement bieten, genauso vielfältig wie die Elemente und Erscheinungsformen der Unternehmenskultur.622 In jedem Fall muss ein Kulturwandel legitimiert werden und möglichst in sich konsistent sein, auch wenn in verschiedenen Abteilungen verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden. Die Unternehmensverfassung stellt ein Instrument zur Regulierung möglicher Interessenskonflikte im Unternehmensgeschehen dar, kann selbst jedoch auch als Ergebnis des Konfliktaustragungsprozesses zwischen relevanten Interaktionsgruppen verstanden werden. Da Generationszusammenhänge auf dieser Ebene in der Regel keine Vertretungsmacht oder Lobby haben, ist die Einführung von Generationenmanagement nur wahrscheinlich, wenn sie ökonomisch sinnvoll bzw. notwendig ist.623 Eine zeitgerechte und generationengerechte Unternehmenskultur erfordert eine Einigung der Unternehmensführung auf die Aufnahme der bereits verdeutlichten Prinzipien der Wertschätzung, Gleichberechtigung, Menschenwürde usw. in die Unternehmensphilosophie.624 Nur die Unternehmensleitung verfügt über das hierarchische Potenzial, diese Prinzipien explizit in den Unternehmensgrundsätzen zu verankern und die
621
Vgl. Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 355 ff. und S. 391 f. sowie Dietrich 2001 (Autopoiese), S. 186.
622
Vgl. auch Tabelle F-2: „Beispiele für Erscheinungsformen der Unternehmenskultur“.
623
Vgl. Dietrich 2001 (Autopoiese), S. 186 und Schewe 2005 (Unternehmensverfassung), S. 28.
624
Vgl. Kompa/Neuberger 1993 (Unternehmenskultur), S. 93.
F.II Generationenmanagementstrategie
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Mitarbeiter darauf zu verpflichten. Ihr obliegt auch die Entscheidung über Änderungen in der Unternehmensorganisation und vor allem die entsprechende Freigabe von Ressourcen. Damit ist die Unternehmensleitung der wichtigste Träger des Generationenmanagements.625 Sie muss die neuen Werte artikulieren, vorleben und durchsetzen. Die Reaktion auf die sich verschärfende Generationenproblemen mit der Umsetzung einer adäquaten Generationenmanagementstrategie beinhaltet Änderungen der zentralen Zielsetzungen und Verhaltensgrundsätze und zieht damit unweigerlich einen Unternehmenskulturwandel nach sich. Richtung und Stärke des Unternehmenskulturwandels sind jedoch ungewiss. Einerseits kann der angestoßene Wandel im Sinne einer Mission die Unternehmensziele voranbringen, andererseits kann er sich eigendynamisch in unerwartete Richtungen entwikkeln und nicht intendierte Ausmaße annehmen, da die Organisationsmitglieder ihn in ihrer Interaktion spontan aufgreifen und auf ihre Weise implementieren. Dazu kommt, dass die Mitarbeiter gern an Bewährtem festhalten, insbesondere dann, wenn die Umwelt lange Zeit stabil war oder das Bewährte ihnen einen besonderen Status gewährt. Häufig werden Alternativen gar nicht mehr wahrgenommen. Darüber hinaus können speziell Führungs- und Schlüsselpersonen, wie zum Beispiel ältere Autoritäten, dem Wandel erheblichen Widerstand entgegensetzen. Ihre Möglichkeiten reichen von passiver und schweigender Gegnerschaft über aktiven Widerstand bis hin zum Konterkarieren der Promotorenrolle und Sabotage.626 Die Änderung der grundlegenden Werte und Zielvorgaben bedingen also nicht zwangsläufig eine Verhaltensänderung in die gewünschte Richtung. Dazu braucht es weitere Träger des Wandels. In der Umsetzung ist die Unternehmensleitung dabei vor allem auf die Unterstützung durch das Personalmanagement und die Führungsriege angewiesen und muss gegebenenfalls weitere interne und externe Personen beauftragen und im Endeffekt die Mitarbeiter mitziehen. Die einzelnen Akteure müssen motiviert werden, im Sinne der (neuen) Unternehmensziele tätig zu werden. Dazu ist es wichtig, sie von deren Legitimität und Sinnhaftigkeit zu überzeugen.627 Das Unternehmen muss die passenden Strukturen und Anreize schaffen sowie das geeignete Potenzial auswählen und auf die unternehmenskulturelle Prägung der Mitarbeiter hinarbeiten.628 Dazu gehören auch entsprechende Schulungen, die neben dem Wissen über die verschiedenen Generationen, den Zeitgeist und die Lebensphasenproblematik auch Methodenwissen über den Umgang mit Generationsproblemen und -potenzialen zum Gegenstand haben sollten. Dies lässt sich leicht mit Schulungen allgemeiner Managementkompetenzen verbinden. Die Einführung eines Generationenmanagements im großen oder kleinen Maßstab kann als Veränderungsmanagementprojekt aufgefasst werden. Deswegen benötigt Generationenmanagement Promotoren in Form zumindest einer Schlüsselperson bzw. eines Teams, das genü625
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 23 und Schewe 2005 (Unternehmensverfassung), S. 122 ff.
626
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 67 ff. und S. 91, Kompa/Neuberger 1993 (Unternehmenskultur), S. 118 ff. und Patterson/Wilkinson 1985 (Culture-change), S. 268 ff.
627
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 56 ff.
628
Vgl. Sainsaulieu 1987 (Sociologie de l’organisation), S. 347 ff.
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F GENERATIONENMANAGEMENT
gend Einfluss, Fachwissen und Betriebskenntnis besitzt, um für eine erfolgreiche Umsetzung zu sorgen. Diese Person bzw. die Mitglieder des Teams sollten von der Unternehmensleitung sorgfältig ausgewählt werden.629 Konkret kann es sich hier zum Beispiel um die Schaffung einer Projektmanagementgruppe für Generationenmanagement, das Amt eines Diversitätsbeauftragten oder beispielsweise die Betrauung einer zentralen Führungskraft oder einer Vertrauensperson mit der Aufgabe als Ansprechpartner für Altersdiversitätsfragen handeln. Auch die Fachabteilungen, insbesondere aber Personalabteilung, Marketing, Controlling usw. brauchen einen Auftrag, um im Sinne des Generationenmanagements tätig zu werden. Führungskräfte aller Ebenen haben Vorbildfunktion bezüglich der veränderten Unternehmensphilosophie, die sie verinnerlichen müssen. Ihnen obliegt auch die Information, Überzeugung und wo nötig Sanktionierung der Mitarbeiter. Die Abweichung von den neuen Regeln sollte negative, ihre Einhaltung positive Konsequenzen haben.630 Die Führungskräfte müssen Generationenprobleme oder -konflikte identifizieren und ihnen gegensteuern. Dazu brauchen sie Durchblick, Objektivität, Durchhaltevermögen, Geduld und Selbstsicherheit.631 Und selbst dann ist die Umsetzung bei den Mitarbeitern noch nicht gesichert.632 Da die meisten Maßnahmen des Generationenmanagements das Personalmanagement betreffen, ist dessen Funktion in der Umsetzung entscheidend. Das Personalmanagement kann als Initiator auftreten. Im weiteren Verlauf obliegen ihm die Informations-, Impulsgeber- und Unterstützerrollen für andere Bereiche. Insofern muss das Personalmanagement zunächst seine eigenen Stereotype überprüfen und hinterfragen, ob die üblichen Maßnahmen nicht auf ein idealtypisches Mitarbeiterbild abzielen und dabei Mitarbeiterpotenziale und komparative Kompetenzen bestimmter Altersgruppen vernachlässigen oder sogar bewusst oder unbewusst unterdrücken. Des Weiteren können neue Mitarbeiter so ausgewählt werden, dass quasi auf natürliche Weise die gewünschten neuen Werte in das Unternehmen eingebracht werden.633 Betreuer des Einarbeitungsprozesses neuer Kollegen müssen ebenfalls so früh wie möglich von dem neuen Leitbild überzeugt werden. Gegen Diskriminierung muss konsequent vorgegangen werden. Das gilt umso mehr, wenn die Belegschaft anhand von Generationenprägung und Lebensphase in merkmalsbestimmte Mitarbeiterkategorien eingeteilt wird. Eine solche sozio-demografische Zielgruppenorientierung erschließt nur dann einen zusätzlichen Nutzen, wenn sie konsequent dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung folgt. Die Alterskategorien müssen in der Wertschätzung des Unternehmens im gesamten Personalmanagementprozess gleichwertig sein. Sie sollen gleichgestellt, wenn auch nicht gleichgesetzt werden. Dies beinhaltet zum Beispiel, dass die Heterogenität der Entscheidungsgremien und der Zugang von 629
Vgl. Hauschildt/Schewe 2000 (Gate keeper and process promotors), S. 97 ff.
630
Vgl. Jäger 2001 (Führungsethik), S. 87 ff. und Beyer/Trice 1993 (Cultures), S. 393 ff. und S. 427.
631
Vgl. Schein 1989 (Organizational culture), S. 314 ff. sowie Zülch 2004 (Interkulturelle Kompetenz), S. 46.
632
Vgl. Argyris/Harrison 1962 (Interpersonal competence), S. 254 ff. und S. 270 f. Zur Initiierung des Wandels einer hierarchischen Unternehmensstruktur in eine selbstbestimmtere Kommunikationskultur, wurde zum Beispiel die Hälfte der hohen Führungskräfte in einem Laborexperiment geschult. Diese verinnerlichten den Wandel vom Rational- zum Emotionalprinzip und veränderten ihr Verhalten. Der Transfer auf die anderen Führungskräfte und die Mitarbeiter bereitete jedoch erhebliche Probleme und blieb zum Teil aus.
633
Dies ist möglicherweise effektiver als der Versuch der Wertbeeinflussung bei bestehendem Personal, dessen Wertsystem zum Beispiel auch durch Nationalität, Alter und Bildungshintergrund beeinflusst wird. Vgl. Hofstede/Neuijen/Ohayv/Sanders 1990 (Organizational culture), S. 311 f.
F.II Generationenmanagementstrategie
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Mitgliedern nicht-dominanter Gruppen zu jedweder Position zu den Informationsnetzwerken sichergestellt werden sollten.634 Prinzipiell sollten zur Umsetzung des Generationenmanagements alle Personen herangezogen werden, die dazu notwendig sind. Je nach Unternehmensgröße, Grad der Generationenprobleme usw. kann das in größerem oder kleinerem Umfang geschehen. Dazu gehört die Einbeziehung des Betriebsrates bzw. der Mitarbeitervertretung, Jugend- oder Auszubildendenvertretung. Des Weiteren können bei Bedarf auch Betriebsarzt, Betriebspsychologe oder Sonderbeauftragte für Qualitätsmanagement, Wissensmanagement, Arbeitsicherheit, Umweltschutz, Suchtfragen, Gleichstellung usw. involviert werden. Externe Experten aus Praxis und Wissenschaft können ihre Kompetenzen beisteuern. Das betrifft zum Beispiel Trainer, Sozialpädagogen, Soziologen, Gerontologen, Ärzte, Krankenkassen, Gewerkschaften, Berufsgenossenschaften oder Wirtschaftsverbände. Partnerunternehmen oder Kunden können Vorbilder sein. Der interessierten Öffentlichkeit sollte die Veränderung in Richtung Generationenmanagement aus Imagegründen und um ihre Unterstützung einzuwerben, in jedem Fall bekannt gemacht werden.635 Veränderungen, welche die Kernsubstanz der Unternehmung betreffen, dürfen nicht nur auf dem Papier stattfinden, sondern müssen gelebt werden. Führungskräfte überschätzen hier häufig die Bedeutung der Normen im Vergleich zur Macht des Faktischen. Unternehmenskulturwandel muss deshalb auch in Sprache, Handeln und Artefakten initiiert werden.636 Widerstände können durch Überzeugungsarbeit nicht nur abgebaut, sondern wo möglich in Unterstützung verwandelt werden.637 Im Wandlungsprozess können sprachliche Mittel unterstützend zur Veränderung des Symbolsystems eingesetzt werden. Das betrifft einerseits den Einsatz der Sprache selbst mit Metapher oder Paradoxon, Humor, Sarkasmus und Ironie über Geschichten bis hin zu dramatischen Mitteln. Das Unternehmenstheater zum Beispiel kann den Organisationsteilnehmern einen Spiegel vorhalten und eine Sollvorstellung des erwünschten Verhaltens vermitteln.638 Zwar sind Normen, wie Grundsätze zur partizipativen Füh634
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 51, Jent 2002 (Learning from diversity), S. 66 ff. und S. 87 sowie Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 167 f.
635
Vgl. exemplarisch Badura/Hehlmann 2003 (Betriebliche Gesundheitspolitik), S. 11.
636
Der Kulturkern der Konventionen, die nicht gerechtfertigt werden müssen, wird von interdependenten Symbolsystemen geschützt. Veränderungsmöglichkeiten liegen außer im Widerspruch der Konventionen zueinander hauptsächlich in den Symbolsystemen oder selbstverstärkender Routine, die zum Beispiel durch Musterverhalten der Führungskräfte bewirkt werden kann. Deroutinisierung führt zu Unsicherheit. Vgl. Gomez/Jones 2000 (Conventions), S. 696 ff. Auch Hofstedes Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Kernsubstanz der Unternehmenskultur eher in den Ritualen, Traditionen und Praktiken (Handeln) besteht, welche die Gründerwerte noch spiegeln, als in gemeinsamen Werten der Unternehmensmitglieder. Vgl. Hofstede/Neuijen/Ohayv/Sanders 1990 (Organizational culture), S. 311 f.
637
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 67 ff. und S. 91, Kompa/Neuberger 1993 (Unternehmenskultur), S. 118 ff. und Patterson/Wilkinson 1985 (Culture-change), S. 268 ff.
638
Dazu zählen auch Informationen im Intra- und Internet, Berichte, Reportagen und Best Practice-Beispiele in der Mitarbeiterzeitung, das Aufspüren, Erfinden und Verbreiten von Geschichten und Anekdoten, die Formulierung von Visionen usw. Vgl. dazu Fiol 2002 (Language), S. 653 ff., Grant/ Keenoy/Oswick 2002 (Metaphor), S. 294 ff., Krause/Piske 2001 (Theater im Unternehmen), S. 276 ff., ReinmannRothmeier/Vohle 2001 (Geschichten), S. 293 ff. und Schreyögg 2001 (Unternehmenstheater), S. 268 ff.
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F GENERATIONENMANAGEMENT
rung etc., ein erster Schritt, sie müssen jedoch über faktische Maßnahmen unterstützt werden. Dazu zählen zum Beispiel die Abflachung der Hierarchie und die Verpflichtung auf Nichtdiskriminierung, die Abschaffung von Zeiterfassungssystemen oder die Einführung von Diversitätscontrolling. Kleinere Maßnahmen sind zum Beispiel die Abschaffung der Senioritätsregel bei der Verteilung der Parkplätze, Regeln zum Siezen oder die Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten auf das Informationssystem. Eine zeitgerechte Unternehmenskultur kann sich auch in der Abbildung von Mitarbeitern aller Altersklassen in der Firmenbroschüre, ergonomischen Schreibtischstühlen, gut lesbaren Schriftgrößen, einem Kindertag im Betrieb oder der Einrichtung eines Kummerkastens manifestieren. Die Vielfalt der möglichen Maßnahmen ist nicht abschließend aufzulisten. Zentral sind die Überzeugungsarbeit und die Verbesserung der intergenerationellen Kommunikation und Zusammenarbeit. Im Falle von Prinzipien wie Gerechtigkeit und Wertschätzung dürfte das im Sinne der Mitarbeiter sein. Trotzdem ist gerade im Bereich des intergenerationellen Lernens mit Widerständen zu rechnen. Der Prozess des interkulturellen Lernens wird in der nachstehenden Grafik veranschaulicht. Abb. F-2: Ebenen interkulturellen Lernens Ebene 1: Ethnozentrismus erste
Hürde Ebene 2: Bewusstsein
Verstehen eigener und fremder Kulturspezifika
zweite
Beurteilungen/Benchmarketing der eigenen ethnischen Identität
Hürde
Ebene 4: Respekt/Akzeptanz affektive Dimension Ebene 5: Bewertung/Wertschätzung dritte
Einbindung/Bereicherung der eigenen Kultur und des Selbstverständnisses
kognitive Dimension
Ebene 3: Verstehen
Hürde
Ebene 6: Selektive Übernahme Ebene 7: Multikultur
Quelle: Zülch 2004 (Interkulturelle Kompetenz), S. 46
konative Dimension
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Die Ausgangssituation interkulturellen Lernens ist der Ethnozentrismus, wo in diesem Fall die eigene Generationskultur als besser bewertet wird als alles Fremde. Der erste Schritt zur gegenseitigen Wertschätzung ist es, den Generationsmitgliedern zunächst einmal die eigenen und dann die Kulturspezifika der anderen Generationen bewusst und verständlich zu machen. Ist diese kognitive Hürde bewältigt, eröffnet das zumindest den Weg zu Toleranz und Akzeptanz anderer Generationskulturen. Bei positiver Bewertung sind sogar Respekt und Wertschätzung zu erwarten (affektive Dimension). Auf dieser Basis können dann Elemente anderer Generationskulturen übernommen werden, so dass im Endeffekt über die Bereicherung und Horizonterweiterung der eigenen Kultur und des Selbstverständnisses gegebenenfalls eine Multigenerationenkultur erreicht werden kann (konative Dimension).639 Nur wenn über unterschiedliche Handlungsorientierungen und -perspektiven ein praktischer Dialog zwischen den Altersgruppen entsteht, wird also eine konstruktive Zusammenarbeit möglich. Damit werden die Menschen sich nicht ähnlicher, können aber ihre Unterschiede in einer ähnlichen, allgemein verständlichen Art kommunizieren. Diese Art des interkulturellen Lernens bezieht sich in einem Unternehmensumfeld, in dem Individualität und Diversität geschätzt werden, nicht nur auf Altersdifferenzen, sondern auch auf Unterschiede in Geschlecht, Nationalität, Beruf, Herkunft usw.640 Die hier angestrebte Multikulturalität der Generationen entspricht der unternehmenspolitischen Zielsetzung von Integration und gegenseitigem Lernen und geht damit über die Gleichberechtigungsperspektive als moralischem Imperativ sowie die Perspektive der Zugangslegitimation zu diversen Kundensegmenten als Mittel zum Zweck hinaus. Stattdessen wird die Altersdiversität als Quelle für Einsichten, Erfahrungen und Fähigkeiten betrachtet. Gegenseitiges Lernen, Sensibilität, Offenheit, auch bezüglich Vorurteilen und Konflikten, das Risiko, sich aufeinander einzulassen, und das Eingestehen von Fehlern gehören dazu und bewirken grundlegende Veränderungen auch im Machtgefüge der Unternehmung.641 Es müssen Lernprozesse durch Training, Dialog, Kritik und Reflexion im Rahmen der täglichen Arbeit initiiert werden, um das gegenseitige Verständnis zu fördern, ohne das Alter überzubetonen.642 Emotionen spielen in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Der Veränderungsbereitschaft steht das Gefühl von Vertrautheit, Identifikation mit dem Bestehenden und Vergangenen entgegen, 639
Vgl. Zülch 2004 (Interkulturelle Kompetenz), S. 44 ff.
640
Vgl. Fell 1999 (Generationendialog in lernenden Unternehmen), S. 68 und Zülch 2004 (Interkulturelle Kompetenz), S. 43 ff. Diversität kann so auch das Privatleben bereichern und von den Arbeitnehmern in die Gesellschaft weitergetragen werden. Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 179 ff.
641
Zu dieser Unterscheidung vgl. Ely/Thomas 2001 (Cultural diversity), S. 229 ff. und S. 260 ff. In Bezug auf die Rassenintegration erweist sich nach deren Fallstudien nur der erste Ansatz als fruchtbar, da zwar bei allen Herangehensweisen eine Diversifizierung des Personals zu verzeichnen ist, die asymmetrische Machtverteilung und die Unternehmenskultur jedoch im Wesentlichen unangetastet bleiben. Die Fokussierung auf die Anti-Diskriminierung im ersten Fall ist dabei meist mit einer Tabuisierung und ungewollten und negativen Dominanz der Rassismusfragen vor Sachfragen verbunden. Beim Legitimationsansatz wird der eigene Wert von der Minorität weiterhin in Frage gestellt. In Bezug auf diese Untersuchungsergebnisse darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die Differenzen, Animositäten und Diskriminierung von Rassen in den USA viel stärker ist als diejenige in Bezug auf Alter in Deutschland.
642
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 56 ff.
260
F GENERATIONENMANAGEMENT
das sich auf alle Elemente der Unternehmenskultur beziehen kann. Dies ist meist nur mit Wehmut verknüpft (Nostalgie), kann sich aber auch negativ im Festklammern und der Trägheit der Organisation äußern. Betroffen von solchen Gefühlen sind vor allem ältere Mitarbeiter in traditionsreichen Unternehmen, da sie die Unternehmensgeschichte zum Teil selbst miterlebt und -gestaltet haben und andere mit ihrem „früher war alles besser“ anstecken können. Die Betonung des bleibenden Kerns und die frühzeitige Einbindung der so Betroffenen ist Aufgabe der Führungskräfte.643 In dieser Hinsicht steht zu erwarten, dass die Lenkung der Mitarbeiter in Richtung Fehlerkultur, mehr Risikofreude und Eigenverantwortung besondere Probleme bereiten wird. Ein echtes Generationenproblem besteht darin, dass das Sicherheitsdenken in fast allen Altersgruppen vorherrscht und nur wenige bereit sind, Risiken einzugehen oder die Verantwortung einer Führungsposition zu übernehmen. In diesem Zusammenhang spielt die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes eine große Rolle.644 Hier ist eine Änderung entgegen dem Zeitgeistempfinden der Mitarbeiter erforderlich. Diese benötigt entsprechend noch konsistentere Maßnahmen und besonderes Engagement, beispielsweise durch Promotorenpersönlichkeiten, die das Prinzip vorleben und vorantreiben. Neben dem Trägheitsproblem der Unternehmenskultur ist dabei die Gefahr der eigendynamischen Entwicklung in eine ungeplante Richtung besonders bedenklich. Das muss nicht negativ sein. Gerade mit Selbstverantwortung und dem Mitunternehmertum gibt das Unternehmen ohnehin einen Teil seiner Steuermacht an die Mitarbeiter ab, um der Umweltkomplexität gerecht zu werden. Damit bewegt es sich in Richtung Auflösung der Systemgrenzen. Hier ist kultursensible Entwicklung statt reines Machbarkeitsdenken gefragt, um eine kulturelle Basis für Selbstorganisation zu schaffen.645 Insgesamt gesehen sind Unternehmenskultur und Generationenmanagement eng miteinander verwoben. Wandel in Zeitgeist und Unternehmenskultur erfordern Generationenmanagementmaßnahmen. Diese wiederum tragen zum Wandel im Unternehmensgeschehen bei. In den folgenden Kapiteln werden nun die Maßnahmen und Auswirkungen der Generationenmanagementmaßnahmen im Kontext der Unternehmenskultur einzeln vorgestellt.
4
Generationenmanagementcontrolling
Um den Generationenmanagementzielen und den Hauptunternehmenszielen Effektivität und Effizienz gerecht werden zu können, bedarf es der Kontrolle des Generationenmanagementprozesses, seiner Maßnahmen und ihrer Auswirkungen. Klarheit und Messbarkeit der formulierten Ziele sowie die Einhaltung der Planvorgaben sind zu überprüfen. Dazu gehört die Risiko- und Kostenanalyse genauso wie die laufende Überwachung und Nachsteuerung der Struktur-, Termin- und Kostenentwicklung anhand von Kontrolldaten, Kennzahlen, Feedback,
643
Vgl. Bouncken 2002 (Nostalgie als organisatorisches Phänomen), S. 359 ff.
644
Laut R+V Versicherung sorgten sich 2.400 befragte Deutsche 2003 vor allem um schlechte Wirtschaftslage, Teuerung und Arbeitsplatz. Zitiert nach Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 99 ff.
645
Vgl. Dietrich 2001 (Autopoiese), S. 191.
F.II Generationenmanagementstrategie
261
Statusberichten etc.646 Wichtig ist vor allem die Versorgung mit Informationen zur Altersdiversität und die Aufdeckung von Störungen im Generationenmanagementprozess. Gemäß diesen Aufgaben stellt Generationenmanagementcontrolling nichts anderes dar als eine Erweiterung des Unternehmens-, insbesondere des Personalcontrollings, und kann leicht dort eingebunden werden. Die bestehenden Planungs-, Überwachungs-, Informations- und Steuerungssysteme können für die Perspektive der Altersdiversität geschärft und gegebenenfalls ergänzt werden. Generell kann das Controlling auch Handlungsalternativen entwickeln, die dem Unternehmen die zielorientierte Anpassungen an Umweltveränderungen ermöglichen.647 Daneben ist die Signalwirkung des Controllings für den Stellenwert von Generationenmanagement im Unternehmen nicht zu vernachlässigen. Für die Mitarbeiter wird in der Messung von Ergebnissen des Generationenmanagements und der Etablierung von Generationenmanagementcontrolling manifest, dass die Bedeutung dieses Themas für die Unternehmensleitung aktuell und zukünftig hoch ist. Die Verpflichtung auf Ziele und Berichterstattung erlegt den Führungskräften neben der moralischen eine konkrete Verantwortlichkeit für Maßnahmen und die Prioritätensetzung im eigenen Bereich auf. Gleichberechtigung und gleichmäßige Wertschätzung der Mitarbeiter werden auch im gleichberechtigten Controlling aller Generationszusammenhänge und in der Prozessüberprüfung auf Diskriminierung sichtbar.648 Die möglichen Erfolgsmaße des Generationenmanagements sind vielfältig. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Auswertung der Personalstatistiken. Hier sind zum Beispiel die Mitarbeiterzufriedenheit, die Fluktuationsrate pro Altersgruppe, die Zahl und Dauer von Vakanzen, die Attraktivität des Unternehmens für neue Mitarbeiter, die Entwicklung der Diversität in der Altersstruktur sowie die Zahl der Bewerbungen und Einstellungen pro Altersgruppe zu nennen. Zu überprüfen sind die Qualität des Betriebsklimas, die Häufigkeit von Konflikten oder Mobbingfällen, die Entwicklung des Krankenstands sowie die Schädigungs- und Beeinträchtigungsfreiheit der Arbeitsplätze. Dazu kommen Prozess- und Flächeneffizienz und die Zielgerechtigkeit des Weiterbildungsportfolios. Weitere Instrumente des Generationenmanagementcontrollings sind zum Beispiel die Humanvermögensrechnung, die Balanced Scorecard für Diversity, der Diversity Return on Investment oder Personalportfolios. Des Weiteren sind die Zahl der Teilnehmer an Generationenmanagementveranstaltungen, die Anzahl positiver Bewertungen in Presseberichten sowie die Diversität in Denk- und Verhaltensweisen und im Markt aufschlussreich usw.649 In der Regel werden viele Basisdaten ohnehin erfasst, die sich unter dem Fokus der Altersdiversität zu einem aufschlussreichen Bild verdichten lassen. Neben solchen Daten und Kenn-
646
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 24 ff.
647
Zur Anpassung von Controlling an veränderte Zielsetzungen vgl. Reichmann 2001 (Kennzahlen), S. 39 ff.
648
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 70 f.
649
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 167 f. und Zinser 2004 (Flexible Arbeitswelten), S. 33 ff. Zu Kennzahlensystemen und Instrumenten des Personalcontrolling allgemein vgl. Karabulut 2004 (Personalcontrolling), zur Balanced Scorecard für Diversitätsmanagement vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 62 ff. und zum Controlling der Diversität in ihren verschiedenen Dimensionen Hubbard 2003 (Impact of diversity), S. 271 ff.
262
F GENERATIONENMANAGEMENT
zahlen liefern Mitarbeitergespräche, -befragungen und -beurteilungen weitere wichtige Informationen und bieten zudem eine gute Grundlage zur Beobachtung des Zeitgeistes und der individuellen Situation der Mitarbeiter. Fixpunkte für die individuelle, persönliche Bewertung durch den Vorgesetzten sollten in jedem Fall das Ende der Probezeit bzw. von Einarbeitungsabschnitten oder Ausbildungsteilen sein. Im Anschluss empfiehlt sich eine Überprüfung im Abstand von ca. ein bis zwei Jahren und bei individuellem Bedarf aufgrund von besonderen Entwicklungen. Bei Ausscheiden aus dem Unternehmen sind eine Befragung und gegebenenfalls eine Nacherhebung besonders sinnvoll, um die Gründe des Ausscheidens offen zu legen, sich mit anderen Unternehmen zu vergleichen, den Kontakt aufrechtzuerhalten usw. Solche Befragungen und Mitarbeitergespräche sind mit einigem Erhebungsaufwand verbunden. Da diese Instrumente im Personalmanagement jedoch ohnehin wichtige Funktionen erfüllen, dürfte sich der Zusatzaufwand für die Einbeziehung der Generationenmanagementthemen in Grenzen halten.650 Vergleiche mit der Branche oder Unternehmen ähnlicher Größenordnung und/oder Altersstruktur können aufschlussreich sein und in den verschiedensten Bereichen als Benchmark dienen. Die Daten des Global Human Capital Survey 03 dokumentieren zum Beispiel das Phänomen, dass Unternehmen mit einer jüngeren Belegschaft höhere Gewinnspannen aufweisen, die jedoch ab einem Durchschnittsalter der Mitarbeiter von Anfang 40 abfallen und erst bei einem Durchschnittsalter von Ende 40 wieder ansteigen. Abgesehen von der Tatsache, dass dies zunächst nur ein statistischer Zusammenhang ist und die Gewinnentwicklung natürlich von vielfältigen Faktoren abhängt, bietet sich vor dem Hintergrund der bisher erarbeiteten Erkenntnisse die Erklärung an, dass Altersdiversität ohne flankierende Maßnahmen ein Störfaktor in der Zusammenarbeit der altersgemischten Unternehmen sein kann.651 Solche Vergleiche mit anderen Unternehmen können also Handlungsbedarf aufdecken, insbesondere wenn das eigene Unternehmen eine unterdurchschnittliche Leistung erbringt. Spezialthemen im Rahmen des Generationenmanagementcontrollings sind das Wissens- und das Innovationscontrolling. Wissen und Innovativität sind schwer zu erfassen, zumal wenn die Erfassung pro Altersgruppe erfolgen soll. Dies betrifft nicht nur den Wissensoutput und dessen Bewertung, sondern auch die Inputseite. Bei der Expertenevaluierung und Wissensex650
Vgl. Avery/Jablin 1988 (Retirement preparation), S. 68 ff., Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 160 ff. und Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 230 ff. und 244 ff.
651
Die Befragung von PricewaterhouseCoopers zum Wertschöpfungsbeitrag der Personalarbeit 2002 erfolgte bei 1.056 Unternehmen verschiedener Größe aus 47 Ländern mit insgesamt über 6 Millionen Arbeitnehmern. Vgl. Wilbs 2003 (Personalarbeit und Wertsteigerung), S. 118 ff. Um einen Durchschnitt von über 50 Jahren zu erreichen können im Unternehmen im Wesentlichen nur die beiden ältesten Generationszusammenhänge arbeiten, so dass kaum intergenerationelle Konflikte oder Altersdiskriminierung zu erwarten sind. Eine Belegschaft, die in dieser Altersklasse noch arbeitet, dürfte leistungsfähig, motiviert und sehr erfahren sein, was sich sehr wohl in höherer Produktivität niederschlagen kann. Bei Unternehmen, wo fast nur jüngere Altersgruppen vertreten sind, kann deren Leistungsstreben und Idealismus, gepaart mit aktuellem Fachwissen und sozialer Kompetenz ohne Störung durch Ältere voll zur Geltung kommen und den Erfahrungsmangel ausgleichen. Eine Ursache für die mangelnde Produktivität der durchschnittlich 40- bis 50-Jährigen könnte sein, dass es sich um die beruflich und privat stark belastete Sandwichgeneration handelt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich um eine altersgemischte Belegschaft handelt, deren schlechte Zusammenarbeit ursächlich für geringere Gewinnspannen sein kann. Vgl. exemplarisch Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 101 ff.
F.II Generationenmanagementstrategie
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plizierung ist mit Widerständen der Beteiligten zu rechnen. Dabei dient die Wissensbewertung der Identifizierung von zentralem (wettbewerbskritischem), peripheren und unnötigen Wissen. Sie ist eine essentielle Voraussetzung zur Einschätzung der Effizienz von Wissensmanagement. Eine rein quantitative Bewertung würde die Relevanz des Wissens genauso wie die Ursache-Wirkungszusammenhänge und das kollektive Beziehungswissen nicht abbilden. Zu den speziellen Controllinginstrumenten und Indikatoren des Wissensmanagements gehören zum Beispiel: Wissensbilanzen, Portfolios zum Stand der Schlüsselkompetenzen und ihrer Entwicklung im Vergleich zum Sollkompetenzportfolio, Ausbildungscontrolling anhand der Lernziele, laufendes Monitoring der Wissensbasis, Wissensprojektcontrolling, Zahl und Güte der Verbesserungsschläge bzw. Patente, Anzahl der „Lessons Learned“-Workshops und Fortbildungsseminare, Nutzungsindices und Antwortzeiten im Wissensintranet.652 Bei der Wirkungskontrolle ist zu berücksichtigen, dass viele Maßnahmen des Generationenmanagements eine gewisse Zeit brauchen, ehe sie greifen. Das gilt insbesondere für die Veränderung von gewohnten Denk- und Verhaltensweisen. Außerdem dienen die meisten Generationenmanagementmaßnahmen neben dem Management der Altersdiversität auch direkt weiteren Zielen der Unternehmung. So können Maßnahmen zur Förderung der Wertschätzung zum Beispiel gleichzeitig die Integration von Randgruppen wie Ausländern unterstützen. Problematisch ist aus diesem Grund sicherlich die Zurechnung der Kosten, zumal es sich weitgehend um „weiche“ und damit schwer erfassbare Faktoren handelt. Dazu kommt, dass auch Erfolge, wie die Senkung der Fluktuationsrate oder die Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit, sich selten allein auf Altersdiversitätsmaßnahmen zurückführen lassen. Zum Beispiel resultieren die Kosten für den Aufbau und die Pflege eines Ehemaligennetzwerks im Wesentlichen aus Adressverwaltung, Kommunikation und Veranstaltungen. Die positiven Effekte des Systems, die sich aus der Imageverbesserung oder einer schnelleren Verfügbarkeit und kürzeren Einarbeitung von Ehemaligen ergeben, sind schwieriger zu erfassen und zuzuordnen. Generell erscheint für das Controlling von Generationenmanagement deshalb vor allem die Überprüfung einzelner Maßnahmen bzw. Projekte sowie des effizienten Einsatzes der Mittel sinnvoll. Der Controllingaufwand muss der Bedeutung des Generationenmanagements und dem Nutzenpotenzial der Maßnahmen angemessen sein.653 Anzumerken bleibt, dass Kontrolle und Überwachung den Zeitgeistprinzipien Vertrauen in die Mitarbeiter und Selbstverantwortung eigentlich zuwiderlaufen, zumal wenn die Controllingmaßnahmen vor allem der individuellen Kontrolle der Arbeitnehmer und der Einengung ihres Handlungsspielraums dienen. Für die Unternehmensleitung bietet Generationenmanagementcontrolling jedoch hauptsächlich wichtige Informationsquellen zum aktuellen Stand der Projekte, dem Kostenverlauf, der Planerfüllung, der Wirksamkeit der Maßnahmen usw. Besonders wichtig ist dies in der Anfangsphase des Generationenmanagements, um den Prozess in Gang zu bringen. An dieser Stelle ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass die neue Politik noch nicht umgesetzt wird. Hier ist Überwachung sinnvoll, um gegebenenfalls 652
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 160 ff. und ausführlich Probst/Raub/Romhardt 2003 (Wissensmanagement), S. 213 ff.
653
Zu den Instrumenten des Controlling vgl. allgemein Peemöller 2005 (Controlling) und Reichmann 2001 (Kennzahlen).
264
F GENERATIONENMANAGEMENT
diskriminierendes Verhalten sanktionieren zu können. Mit fortschreitendem Prozess wird das Projekt mehr und mehr zum Selbstläufer. Hier dient das Generationenmanagementcontrolling hauptsächlich der Kosten- und Erfolgskontrolle sowie der Reflexion und kann deswegen zum Teil stichprobenartig erfolgen. Dem Zeitgeist gemäß sollten Detail- und Vielfachkontrolle im Rahmen des Generationenmanagements generell verringert und insgesamt mehr auf Selbstund Zielerreichungskontrolle gesetzt werden.654
654
Vgl. Ahlers/Gradtke/Steinle 2000 (Vertrauensorientiertes Management), S. 208 ff.
F.III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit
265
III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit 1
Steuerung des Personalbestands nach Altersgruppen
Die vorausschauende Deckung des Bedarfs an kompetenten Mitarbeitern ist angesichts der demografischen Entwicklung eine zentrale Aufgabe des Personalmanagements. Die Hauptprobleme für die Personalbestandssteuerung dürften die Alterung großer Teile der Belegschaft, der Nachwuchskräftemangel in den jüngeren Alterssegmenten, die hohe Fluktuation und ein Fachkräftemangel in spezifischen Teilarbeitsmärkten sein.655 Unter Abgleich der Ergebnisse der Altersstruktur- und der Qualifikationsanalyse mit der Personalbedarfsplanung656 können die Strategien zur Steuerung des Personalbestands unter Berücksichtigung des bisher nicht ausgeschöpften internen Potenzials und der externen Arbeitsmarktpotenziale angepasst werden.657 Dieses sollte in enger Abstimmung und Ergänzung mit der Personalentwicklung geschehen. Die Nutzung der nicht ausgeschöpften Potenziale steigert in Verbindung mit den Auswirkungen der Globalisierung die Diversität im Unternehmen. Die Fokussierung liegt hier auf der Generationensicht und damit der Altersdiversität. Die Hauptmöglichkeiten zur Steuerung des Personalbestands unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Altersgruppen bestehen in spezifischem Personalmarketing für jede Altersgruppe, in der gezielten Rekrutierung vor allem älterer Mitarbeiter und von Berufseinsteigern658, in der Nutzung der diesbezüglichen Förderinstrumente, in der altersgerechten Anreizgestaltung, jedoch auch in gezielten Freisetzungsmaßnahmen. Die existierenden Altersgrenzen im Unternehmen müssen überprüft und gegebenenfalls eliminiert werden, um so die Diskriminierung in Personalauswahl, Sozialisation und Training abzubauen.659 655
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 28 und auch Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 51 ff. Bereits heute fehlen Ingenieure (Maschinenbau und Elektrotechnik), Informatiker, Facharbeiter mit Kenntnissen in der Metall- und Elektrotechnik sowie Kaufleute. Die Zahlen der Studienanfänger vor allem in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern gehen zurück und die Zahl der Absolventen ist bei hohen Studienabbrecherzahlen zu niedrig. Ca. zwei Drittel der befragten Betriebe gaben 2001 an, eine über drei Monate dauernde Vakanz von Arbeitsplätzen zu haben. Dies ist eine Gefährdung von Wachstum und Konkurrenzfähigkeit, da daraus zum Beispiel die Ablehnung von Aufträgen, Lieferengpässe, Überlastung der Mitarbeiter, Kostennachteile durch Zukauf usw. entstehen können.
656
Vgl. ausführlich zur Personalbedarfsplanung Drumm 2005 (Personalwirtschaft), S. 239 ff. und Jung 1999 (Personalwirtschaft), S. 107 ff.
657
Nach einer Studie der Gesellschaft für Arbeitsschutz und Humanisierungsforschung GmbH schätzen Unternehmen zur Potenzialausweitung als alterskritische Maßnahmen erstens Arbeitszeitflexibilisierung und dann die Rekrutierung von Frauen, benachteiligten Jugendlichen, Arbeitslosen, Älteren, Ausländern, Behinderten und Beschäftigten in Familienpausen ein. Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 73 f.
658
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 160. Die Auswahl und spezifische Förderung von generationstypischen Persönlichkeiten wäre prinzipiell mit Hilfe eignungsdiagnostischer Verfahren möglich. Die Messung und Vorhersage solcher Eigenschaften sind allerdings mit Schwierigkeiten behaftet. Deshalb sollte eine solche Messung anhand verschiedener Methoden, zumindest jedoch mehrfach erfolgen. Vgl. Asendorpf 2004 (Persönlichkeitspsychologie), S. 36 ff., S. 63 und S. 88.
659
Nur wenige Unternehmen setzen aus wirtschaftlichen Gründen auf die gezielte Rekrutierung zuverlässiger und kompetenter (älterer) Mitarbeiter. Dies suchen sie durch Arbeitszeitflexibilisierung, Qualifizierungsmaßnahmen, Abbau von Überlast und Förderung der Zusammenarbeit zu erreichen. Fallbeispiele für erfolgreiche und gewinnbringende Programme dieser Art sind: Brose Fahrzeugteile GmbH, Netto Supermarkt GmbH & Co. KG, Fahrion Engineering GmbH & Co. KG, Vetter Fördertechnik GmbH usw. Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 42 ff.
266
F GENERATIONENMANAGEMENT
Im Bereich der Personalauswahl besteht insbesondere, was ältere Mitarbeiter betrifft, Diskriminierungsgefahr, die den Beteiligten oft nicht einmal bewusst ist.660 Sie resultiert aus in der Unternehmenskultur verwurzelten Idealvorstellungen, allgemeinen Vorurteilen und Stereotypen. Dies kann zu Mängeln in der Potenzialerkennung und Personalbeurteilung, die sich am vorherrschenden Idealtypus orientieren, führen und gegebenenfalls zu suboptimaler Besetzung. Eine weitere Gefahr besteht in der fehlerhaften Anreizsetzung, wenn die Motivationsstrukturen im Unternehmen normgruppenspezifisch ausgerichtet sind. Selbst wenn das nicht zutrifft, kann es sinnvoll sein, die Idealtypen zu hinterfragen sowie die Einstellungspraxis und das Anreizsystem zu überprüfen. Oft genügen bereits marginale Korrekturen. Eine grundlegendere Veränderung der Idealtypen zu erreichen, ist schwieriger. Selbst wo diese zu Bewusstsein gebracht werden, können daraus immer noch psychologische Barrieren oder technische Probleme resultieren. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn das Kleingedruckte im Vertrag für einen älteren Mitarbeiter kaum mehr lesbar ist oder die Aufmerksamkeit des Interviewers statt auf das Gespräch selbst eher auf die Vermeidung von Diskriminierung gerichtet ist.661 Erstes Ziel ist also die Bewusstmachung und Erschließung des Potenzials, das die Altersdiversität im Mitarbeiterpool birgt. Das betrifft insbesondere ältere Arbeitnehmer, die oft als unproduktiv, langsam, unflexibel oder inkompetent, teilweise sogar als senil und gebrechlich angesehen werden. Das Defizitmodell hat sich in den Köpfen festgesetzt. Tatsächlich angestiegene Belastungen, wie wachsender Stress und Termindruck, steigende Verantwortung und sich wandelnde Umweltbedingungen, verstärken das Risiko gesundheitlicher Probleme und vor allem chronischer Krankheiten, die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten. Unter anderem deshalb sehen Unternehmen in älteren Arbeitnehmern einen besonders hohen Kostenfaktor.662 Qualifizierungsmaßnahmen werden vernachlässigt und Vorruhestandsregelungen sind ein beliebtes Mittel, um in konjunkturell schlechten Zeiten Überkapazitäten abzubauen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussagen mindern dieses negative Fremdbild, die Qualifizierungsdefizite sowie die zwangsweise Freisetzung das Selbstwertgefühl vieler älterer Mitarbeiter und damit ihre Leistungsbereitschaft. Dazu leidet die Leistung auch unter den tatsächlichen Belastungen und der Tatsache, dass die Arbeitsplatzgestaltung auf jüngere Arbeitnehmer zugeschnitten ist, denen Dynamik, Kreativität und Leistungsfähigkeit unterstellt werden.663 Angesichts der Tatsache, dass sich Unternehmen in absehbarer Zeit tatsächlich mit der Notwendigkeit der Beschäftigung älterer Mitarbeiter in qualifizierten Positionen konfrontiert sehen werden, müssen jetzt dringend Maßnahmen ergriffen werden. Für das Personalmanagement ist es schwer, diese meist unbewussten Stereotype abzustellen und gegenüber allen Altersgruppen eine neutrale oder sogar wertschätzende Haltung zu be660
Zur Verankerung des Gleichheits- und Gerechtigkeitsgrundsatzes zur Vermeidung von Diskriminierung Vgl. Bock-Rosenthal 1990 (Strukturelle Diskriminierung), S. 25.
661
Vgl. Jent 2002 (Learning from diversity), S. 72 ff.
662
Vgl. Bäcker/Naegele 1993 (Entberuflichung), S. 135 ff. und S. 143 ff. sowie Eder/Wieser 1988 (Verschleiß), S. 96 f. Tatsächlich sind Ältere seltener, dafür meist jedoch länger krank.
663
Vgl. Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 118 ff. Niedrige Motivation äußert sich so zum Beispiel als „Dienst nach Vorschrift“ oder in dem Gefühl, „seinen Teil geleistet zu haben“.
F.III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit
267
wahren. Die Berücksichtigung von Generationsaspekten im Bereich der Personalbeschaffung verlangt zunächst einmal die Bewusstmachung von Tabus und bis dato ungenutzten Möglichkeiten. Auszubildende werden zum Beispiel fast ausschließlich unter den Schulabgängern gesucht, obwohl auch in anderen Altersgruppen Potenziale bestehen. Zuwanderer oder Studienabbrecher sind meist älter, aber qualifiziert und möglicherweise auch reifer und hoch motiviert. Dieses Beispiel zeigt, dass auch in höheren Altersgruppen Rekrutierungspotenzial besteht. Insgesamt unterliegt ca. die Hälfte aller Stellenausschreibungen einer Altersbeschränkung. Dabei wird oft unabhängig von Lebensweg, Karriere und Berufserfahrung eine chronologische Altersgrenze gesetzt. Eine solche Praxis der Stellenausschreibung ist nicht sinnvoll und dazu diskriminierend, wenn sie nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann. Demgegenüber steht ein Potenzial von Arbeitnehmern, das bereits heute mehr ältere Arbeitnehmer ab 50 Jahre umfasst als jüngere bis zu einem Alter von 30 Jahren. Von Unternehmensseite werden jedoch schon die älteren Jahrgänge der mittleren Altersgruppe vernachlässigt. Sie werden als zu jung für die Frühverrentung und zu alt für Qualifizierungsmaßnahmen angesehen und bei Neueinstellungen wenig berücksichtigt. Da ein Wechsel für Arbeitnehmer augenscheinlich ab 35 bereits schwierig wird, erfolgen 80 % der beruflichen Mobilität bis zu dieser Altersgrenze.664 Selbst Führungskräfte sind ab einem Alter von 50 Jahren kaum mehr vermittelbar. Dies ist verschenktes Potenzial, wenn man bedenkt, dass die Leistungsfähigkeit gerade bei Führungskräften im höheren Alter besonders hoch ist und dass Akademiker angesichts der langen Ausbildungszeiten dem Unternehmen nur einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen können. Es gilt also zunächst, die jugendzentrierte Einstellungspolitik aufzulockern und auf eine altersmäßig ausgewogene Personalstruktur hinzuarbeiten. Dabei muss zwischen Maßnahmen für Mitarbeiter und für Führungskräfte differenziert werden. Vorbedingung einer gezielten Einstellung bestimmter Altersgruppen ist, dass ihr Potenzialgewinn die Kosten und den Qualifizierungsbedarf im Verhältnis zur Laufzeit rechtfertigt.665 Betrachtet man die einzelnen Altersgruppen, so fällt auf, dass die Wechselbereitschaft altersabhängig ist. Die Kurve ist laut empirischen Befunden monoton fallend. Die jüngsten Mitarbeiter wechseln am häufigsten, die ältesten am seltensten. Von den 60- bis 65-Jährigen wechseln nur 3 % das Unternehmen, unter den 35- bis 45-Jährigen sind es gut 10 %. Mit einem Alter von ca. 25 Jahren verlassen über 20 % ihr Unternehmen. Von den sehr jungen Mitarbeitern zwischen 15 und 20 Jahren haben fast 30 % sogar den Beruf gewechselt. Die latente Wechselbereitschaft ist noch höher. 40 % der 18- bis 29-Jährigen bezeichnen ihre Aufgeschlossenheit gegenüber einem Arbeitsplatzwechsel als eher hoch bis sehr hoch. Unter den 30- bis 39-Jährigen sind es immerhin noch 33 % und im Alter von 40 bis 50 Jahren nur noch 19 %. Über alle Altersgruppen der in dieser Studie Befragten bis zum Höchstalter von 50 steht also ein Drittel der Beschäftigten einem Arbeitsplatzwechsel aufgeschlossen gegenüber. Relativ gesehen ist die Wechselbereitschaft bei jungen qualifizierten Fachkräften, wie Tech-
664
Vgl. Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 118 ff.
665
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 24 und S. 65 ff. sowie Kirchmann 1998 (Veränderungsmanagement), S. 67.
268
F GENERATIONENMANAGEMENT
nikern, Ingenieuren, Kaufleuten und Computerfachleuten, am stärksten ausgeprägt.666 Die Wechselbereitschaft über alle Arbeitsgruppen dürfte weiter ansteigen, wenn die Zahl der wahrgenommenen Beschäftigungsalternativen wie prognostiziert wächst. Damit sind die Chancen für die Anwerbung neuer Mitarbeiter prinzipiell gut. Problematisch sind die Gestaltung attraktiver Angebote und die Bindung der bestehenden Belegschaft an das Unternehmen. Für die Neuwahl eines Unternehmens spielen Unternehmensgröße und Marken bzw. Image eine wichtige Rolle. „Young Professionals“ wünschen sich von Unternehmen in der Reihenfolge der Wichtigkeit: interessante Aufgaben, ein kollegiales Betriebsklima und ein angemessenes Einkommen. Es folgen gute Weiterbildung, kooperativer Führungsstil, flexible Arbeitszeit und hohes fachliches Niveau. Dazu kommt der Wunsch nach Freiraum für eigene Ideen, guten Aufstiegschancen und Zeit für Privatinteressen. 667 Diese Liste ist sicher nicht nur altersbedingt, sondern auch berufsbedingt. Sie spiegelt die in der Generationenmanagementstudie ermittelten Zeitgeisttrends. Dabei zeigt sie vielfältige Ansprüche an verschiedene Lebensbereiche und die zugehörige Gleichgewichtsethik. Dazu kommen Anforderungen an Gesundheit und persönliche Fitness. Dies unterstreicht auch noch einmal die Notwendigkeit zu Anpassungen der Unternehmenskultur, da Stellenbewerber und Unternehmenskultur zusammenpassen und Unternehmen nicht mit einer Kultur werben sollten, die sie nicht besitzen.668 Das Personalmarketing profitiert von Generationenmanagement, da Vielfalt im Personalbestand, Familienfreundlichkeit usw. die Attraktivität des Unternehmens erhöhen. Gleichzeitig kann es sich so regionale Programme zur Beschäftigtenförderung zunutze machen.669 Diese Attraktivität sollte durch eine entsprechende Pressearbeit, Internet- und Außenauftritte unterstützt werden.670 Bewerber benötigen ausführliche und korrekte Informationen. Bei der gezielten Rekrutierung von bestimmten Altersgruppen sind deren Besonderheiten zu beachten. Das betrifft zum Beispiel ein geeignetes Layout und die richtige Sprache der Stellenausschreibung, einen Rekrutierungsweg, der das Informationsverhalten der Alterszielgruppe berücksichtigt bzw. das passende Medium. Die Website des Unternehmens sollte zum Beispiel jeder Altersgruppe leichten Zugang zu den für sie wichtigen Informationen bieten.671 Besonders zu berücksichtigen sind die Interessen der Zielgruppen in der Stellen- und Anreizgestaltung sowie ihre Hervorhebung in den Stellenausschreibungen. Das betrifft insbesondere die Übereinstimmung der Anforderungen einer Arbeitsstelle mit dem Selbstbild und die Kompatibilität ihrer Rollenerfordernisse mit privaten Rollen des Individuums. Dennoch sollten Anzeigen
666
Vgl. Internetquelle: o. V. 2001 (Wechselbereitschaft).
667
Dazu kommen sorgfältige Einarbeitung, schnelle Verantwortungszunahme, identifikationsstarke und ethisch unbedenkliche Produkte, Sozialleistungen, Arbeitsplatzsicherheit, Standort, Innovationskraft und Knowhow des Unternehmens, Internationalität usw. Die Werte liegen dicht beieinander. Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 75 ff.
668
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 79.
669
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 60 ff.
670
Vgl. dazu auch ausführlich Unterkapitel F.III.5 zum Generationenmanagement in Außenbeziehungen und Außenwirkung.
671
Vgl. zu den Möglichkeiten des elektronischen Human Resource Management ausführlich Eppler/Ingenhoff 2001 (e-Human Resource Management), S. 159 ff.
F.III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit
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nicht ausschließlich auf eine Alterszielgruppe fokussiert und Altersdiskriminierung vermieden werden, da Mitglieder eines anderen Generationszusammenhangs durchaus trotzdem die gewünschten Eigenschaften besitzen können. Um ein möglichst großes Reservoir geeigneter Bewerber anzusprechen, empfiehlt sich die Streuung über vielfältige Rekrutierungswege.672 Was die Einsatzmöglichkeiten und die Mobilität nach Lebensphase angeht, zeichnet sich folgendes Bild ab. Netzkinder haben weder eine legale Bindung zum Partner, noch die Verantwortung für Kinder oder Eltern. Aus diesem Grund dürften sie relativ unabhängig, mobil und belastbar sein. Sie können dem Berufsleben Priorität geben, wenn sie es wollen und dies ist sogar recht wahrscheinlich. Insofern besteht hier ein großes Potenzial für die Unternehmen, aber auch die Gefahr der Abwanderung. Medienkinder befinden sich in der Phase von Heirat und Familiengründung und müssen ihre berufliche Planung an Ehepartner und Familienversorgung ausrichten. Dies schränkt ihre berufliche Kapazität und Mobilität sowie ihre zeitliche Flexibilität ein. In dieser Altersgruppe stellen die Kinderlosen für die Unternehmen ein Potenzial dar, auf das voll zurückgegriffen werden kann. Gleichzeitig ist bei Kinderlosen die Gefahr eines Unternehmenswechsels aus Karrieregründen aufgrund der hohen Kompetenz, Unabhängigkeit und Mobilität der Medienkinder besonders hoch. Elternschaft in dieser Altersgruppe steht für ein nicht kündigungsgefährdetes Verhältnis zum Arbeitnehmer. Außerdem fördern eine stabile Partnerbeziehung und Familie nach Ansicht der Betroffenen nicht nur ihre Lebens-, sondern auch ihre berufliche Leistungsfähigkeit.673 Die Krisenkinder befinden sich derzeit, falls sie sich für Familiengründung entschieden haben, in der Phase, in der die Kinder aufwachsen. Gleichzeitig müssen sie mehr und mehr Verantwortung für die eigenen Eltern übernehmen. Das bedeutet, dass sie auf ein gutes, sicheres Einkommen zumindest eines Ehepartners angewiesen sind oder gegebenenfalls zwei Karrieren und die Betreuung der Kinder und Eltern vereinbaren müssen. Das schränkt die Mobilität ein. Ledige bzw. kinderlose Krisenkinder haben es hier einfacher. Sie können sich voll auf die Karriere konzentrieren. Ähnlich ist die Situation bei den Konsumkindern, wobei deren Kinder bereits selbstständiger sein dürften. Pflegebedürftige Eltern bedeuten für sie emotionale und/ oder finanzielle Belastung sowie zeitliche und räumliche Beschränkung, die jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach mit Betriebstreue einhergeht. Im Vergleich unter den Altersgruppen im Unternehmen dürften die Betriebstreue und Kapazität der Kriegskinder zu den höchsten zählen. Sie sind vergleichsweise unabhängig und sehr erfahren. Deswegen darf ihre Motivation und Weiterbildung nicht vernachlässigt werden.674 Die Mobilität Jüngerer ist grundsätzlich höher, allerdings ist hier auch die Wahrscheinlichkeit, dass beide Partner berufstätig sind wesentlich höher. Dies stellt in den jüngeren und mittleren Altersgruppen mit das größte Mobilitätshindernis dar. Prinzipiell ist das Problem 672
Beispiele für Rekrutierungswege sind Ausbildung, Praktika, Hochschulmarketing, Zeitungen, Internet, Radio, Messen, Arbeitsamt, Zeitarbeitsfirmen, private Arbeitsvermittler usw.
673
Vgl. Sprothen 2005 (Privatleben), S. 103 und IGS 2005 (Karriere und Familie), S. 3 ff.
674
Vgl. Perrig-Chiello/Höpflinger 2001 (Zwischen Generationen), S. 12 f. und Höpflinger 1999 (Generationenfrage), S. 53.
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der Koordination zweier beruflicher Karrieren in Deutschland heute noch Privatsache.675 Angesichts der zunehmenden Zahl von Paaren, wo beide Partner berufstätig sind, besteht für Unternehmen Anlass, über den Umgang mit der Problematik nachzudenken, obwohl sie der aktuellen deutschen Lokalkultur entgegensteht. Insgesamt gesehen hat je nach Art der Aufgabe und Lebenssituation jede Altersgruppe ihre besonderen Vor- und Nachteile. Die Segmentierung deckt die komparativen Vorteile und Schwächen der verschiedenen Altersgruppen auf, nach denen die einzelnen Personalinstrumente für jede einzelne Kategorie ausgestaltet und dann integriert werden können. Für die strategische Durchmischung der Belegschaft kann das Alter als sozio-demografischer Indikator für die komparativen Kompetenzen der Altersdiversität genutzt werden.676 Hier bietet sich sogar die weitere Unterteilung oder Zusammenfassung von Mitarbeitergruppen über den Generationszusammenhang hinaus nach Lebensphase an, da zum Beispiel aus der Elternschaft bei Kleinkindern ähnliche Problem- und Bedürfnislagen resultieren. Was Verfügbarkeit und Einsatz im Unternehmen betrifft, so besitzen die Kriegs- und die Netzkinder augenscheinlich die größten bisher ungenutzten Potenziale. Zusätzlich sind Netzkinder aufgrund ihres Mangels an Erfahrung noch preiswerte Arbeitskräfte, Kriegskinder auf dem Arbeitsmarkt sofort verfügbare Leistungsträger. Tandem-, Altersteilzeit-, Weiterbildungsprogramme usw. machen ein Unternehmen besonders für die Zielgruppe Kriegskinder attraktiver. Austrittsbarrieren schützen davor, dass Schlüsselmitarbeiter ungewollt das Unternehmen verlassen. Bindungsstrategien halten die wechselbereiteren unter den Arbeitnehmern im Unternehmen. Flexibilisierung und familienfreundliche Maßnahmen vergrößern die verfügbaren Potenziale privat belasteter Arbeitnehmer. Die Erkenntnisse über die latente Wechselbereitschaft unter Arbeitnehmern können auch für die Weiterbildungsplanung und auch zur gezielten Freisetzung bestimmter Arbeitnehmergruppen genutzt werden, beispielsweise um auf „natürliche“ Art einen ausgewogenen Altersmix herzustellen. Geplante Nachfolge bzw. Vertretung und gute Kontakte zu den Alumni sorgen dafür, dass unvermeidbare Übergänge und Abwesenheiten reibungslos verlaufen. Die Mitarbeiterqualifikation und -bindung dient der Verminderung der Fluktuation, insbesondere bei Schlüsselmitarbeitern und damit dem Aufbau von altersdiversen Stammbelegschaften. Dies ist aus Unternehmenssicht wünschenswert, um sich angesichts der zunehmenden Beschaffungsproblematik einer ausreichenden Zahl qualifizierter Mitarbeiter eine relative Unabhängigkeit von externen Faktormärkten zu sichern. Das betrifft die Nachwuchsförderung genauso wie die Bindung mittlerer und älterer Belegschaftsgruppen. Die stabile Positionierung von „eigenen“ älteren Mitarbeitern in der Kernbelegschaft bringt hier ein betriebsspezifisches und extrafunktionales Know-how ein, über das weder jüngere noch neue Mitarbeiter
675
Selbst Großunternehmen mit internem Arbeitsmarkt bemühen sich nur im Einzelfall besonders wertvoller Mitarbeiter um „dual career couples“ und suchen selbst dann aufgrund informeller Nepotismusregeln Lösungen außerhalb des eigenen Unternehmens für den Partner. Vgl. Hansen/Müller 2003 (Diversity in Arbeitsorganisationen), S. 40 f.
676
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 51, Jent 2002 (Learning from diversity), S. 66 ff. und S. 87 sowie Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 167 f.
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verfügen können.677 Danach eignen sich erfahrene Arbeitnehmer aufgrund ihres Überblicks, ihrer Diplomatie und ihrer Problemlösungsfähigkeiten, ihrer Zuverlässigkeit und Sorgfalt zum Beispiel eher als jüngere für Führungsaufgaben.678 Auch sind ältere Mitarbeiter aufgrund ihrer komparativen Kompetenzen zum Beispiel als Ausbilder und Verhandlungspartner, für Sekretariats- sowie Dokumentations-, Kontroll- und Kassiertätigkeiten grundsätzlich prädestiniert.679 In Bezug auf das Generationengeschehen können sie aufgrund ihrer größeren sozialen Kompetenz eine wichtige Integrationsfunktion übernehmen und für die Sozialisation neuer Mitarbeiter und den Wissenstransfer sorgen. Außerdem werden langfristig gesicherte Arbeitsplätze und Senioritätsprivilegien an ihrem Beispiel erfahrbar, so dass neue Mitarbeiter lernen, dass Treue und Engagement sich im Unternehmen auszahlen.680 Personalfreisetzungen können prinzipiell alle Altersgruppen im Unternehmen betreffen. Die Gründe für das Ausscheiden von Mitarbeitern sind vielfältig. Gezielte Personalfreisetzungen richten sich zum Beispiel auf die Vermittlung von Ausgebildeten, die nicht übernommen werden können, oder auf die Vermittlung von Übergangskräften wie Urlaubs- oder Elternzeitvertretungen. Sie beziehen sich auf den Übergang in den (Früh-)Ruhestand, die Kündigung von einzelnen Mitarbeitern oder allgemeinen Personalabbau mit den verschiedensten Ursachen. Daneben verlassen Mitarbeiter von sich aus unterschiedlichen Gründen das Unternehmen. Im Rahmen des Generationenmanagements sind der Personalabbau und der Umgang mit der vernachlässigten Zielgruppe der älteren Arbeitnehmer die Hauptansatzpunkte.681 Problematisch im Zusammenhang mit dem Personalabbau sind Frühverrentungs- oder Kündigungswellen. Mit ihnen ist ein ernsthafter Bruch des psychologischen Vertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbunden, der, gerade wenn langjährige Mitarbeiter betroffen sind, kaum heilbar ist. Dieser Vertrauensbruch konterkariert einen Großteil der Personalmanagementmaßnahmen, denn Freisetzungen in größerem Rahmen bewirken in jedem Fall Unruhe unter den verbleibenden Mitarbeitern aller Altersgruppen und belasten sie psychisch. Die Arbeitsplatzunsicherheit führt zu einer Konkurrenzsituation und zu Unfrieden. Das beeinträchtigt das Betriebsklima und die Motivation erheblich und dauerhaft. Meist kümmern sich diejenigen Mitarbeiter schnell und effektiv um eine neue Arbeitsstelle, die das Unternehmen eigentlich halten möchte. Mittel- und langfristig sind unter der Prämisse der künftigen Arbeitskräfteknappheit verstärkt Kündigungen von Arbeitnehmerseite zu erwarten, zumal wenn das Vertrauen in das Unternehmen fehlt. Hinzu kommen nicht abschätzbare negative Image-
677
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 12 und S. 26 und Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 58. Spitzenbedarfe, besonderes Know-how oder Routineaufgaben können auch durch Hinzuziehung externer Kräfte abgedeckt werden.
678
Junge Manager zeichnen sich eher durch Entscheidungsfreude, Initiative und Problemlösungsfähigkeit aus, während ältere Manager Vorteile in den Bereichen Selbstvertrauen und Führungserfahrung, Delegation und Zielorientierung haben. Vgl. Frings/Meyer-Hentschel 1994 (Chancen durch ältere Mitarbeiter), S. 125 ff.
679
Vgl. Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 88 f.
680
Vgl. Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 58.
681
Vgl. Bäcker/Naegele 1993 (Entberuflichung), S. 135 ff. sowie Eder/Wieser 1988 (Verschleiß), S. 96 f.
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F GENERATIONENMANAGEMENT
auswirkungen.682 Insofern muss gut abgewogen werden, ob der Personalabbau wirklich notwendig ist, ob Alternativen bestehen und inwiefern der Personalabbau gegebenenfalls abgefedert werden kann. Hier bieten sich Maßnahmen der Umstrukturierung im Zuge der natürlichen Fluktuation, Verzicht auf Neueinstellungen, Teilzeitregelungen und Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen, Nicht-Verlängerung von Zeitarbeitsverträgen, Outplacementberatung usw. an. Ist der Abbau unumgänglich, sollte möglichst frühzeitig kommuniziert werden, wer betroffen ist und wie das weitere Vorgehen sein wird. Wichtig ist die Verlässlichkeit der Aussagen. Dem Abfluss von Schlüsselmitarbeitern kann durch Maßnahmen der Mitarbeitermotivation und -bindung bereits im Vorfeld gegengesteuert werden.683 Im Zusammenhang mit der Personalfreisetzung ist die Gestaltung der Trennung und der weiteren Beziehungen zu ehemaligen Mitarbeitern für das Personalbestandsmanagement von Interesse. Ex-Mitarbeiter können begehrenswerte Wiedereinsteiger, Aushilfs- oder Vertretungskräfte, Berater, Trainer, Multiplikatoren im Geschäftsleben und Botschafter des früheren Arbeitgebers sein. Sie beeinflussen durch ihre eigene Einstellung das Image des Unternehmens. Im negativen Fall ist diese Verstärkerwirkung sogar weit größer als bei einem guten Verhältnis zum Unternehmen. Der Übergang von der Beschäftigung zum Alumni sollte entsprechend so wertschätzend wie möglich durchgeführt werden. Dies erfordert eine Sensibilisierung der Beteiligten, in erster Linie der Personalverantwortlichen und der Führungskräfte. Eine wertschätzende Behandlung mag negative Imageeffekte und gegebenenfalls sogar arbeitsrechtliche Prozesse verhindern. In jedem Fall sollten bei einer Kündigung seitens des Arbeitnehmers Gespräche mit ihm geführt werden, um die Kündigungsgründe zu eruieren. Eine wertschätzende Durchführung der Freisetzungsprozesse kann auch für die Suche nach Verbesserungsmaßnahmen für das Personalmanagement und die Personalführung von Vorteil sein. Außerdem ebnet ein gutes Verhältnis zum Scheidenden den Weg für weitere Kontakte. Gegebenenfalls ermöglicht es dem Unternehmen bei Bedarf sogar die flexible Abdeckung von Belastungsspitzen oder den Rückgriff auf spezielles Wissen und persönliche Beziehungen. Unter den Ehemaligen sind insbesondere Pensionäre und freiwillig Ausgeschiedene an einem Austausch untereinander und mit den ehemaligen Kollegen interessiert.684 Hier bietet sich die Schaffung eines Ehemaligennetzwerks an, wie es sich in vielen Unternehmen ca. einmal im Jahr zum Gedankenaustausch trifft. Ein solches Alumninetzwerk sollte im Sinne der Gleichbehandlung und Wertschätzung jedem Ehemaligen offen stehen, sofern nicht sachliche Gründe dagegensprechen. Ein Ehemaligenmanagement erfordert insbesondere die Information der Ausgeschiedenen über das Unternehmensgeschehen, die in Art, Umfang und Häufigkeit deren Bedürfnissen angepasst werden sollten. Es empfiehlt sich, einen festen Ansprechpartner mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ein sinnvoller Zeitraum des Kontaktes, sorgfältige Adresspflege und regelmäßiger geselliger und fachlicher Austausch bei Veranstaltun682
Vgl. Kadel 2004 (Personalabbau), S. 1363 und zum Bruch des psychologischen Vertrags und den damit verbundenen Folgen Bergmann/De Meuse/Lester 2001 (Psychological contract), S. 102 ff.
683
Vgl. Kadel 2004 (Personalabbau), S. 1363.
684
Vgl. Avery/Jablin 1988 (Retirement preparation), S. 68 ff. und Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 230 ff. und 244 ff. Solange die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen noch aussteht, wäre eine Beschäftigung „im Ruhestand“ beispielsweise auf freiberuflicher Basis möglich, um dessen Flexibilität zu verbessern.
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gen sind Schlüsselfaktoren für ein gelungenes Alumnimanagement. Eine betriebliche Altersversorgung, die weitere Nutzung betrieblicher Einrichtungen wie der Kantine oder eigener Seniorenheime, die Teilnahme an Betriebsveranstaltungen usw. nach dem Ausscheiden sind weitere mögliche Maßnahmen, deren Kosten-Nutzen-Verhältnis auszuloten ist.685 In solchen Maßnahmen zeigt sich die Wertschätzung langjähriger Mitarbeiter. Der Bereich ältere Arbeitnehmer bedarf wie oben gezeigt bei der altersdiversen Gestaltung von Personalmanagement spezieller Aufmerksamkeit. Entsprechend bleibt festzustellen, wie hoch die Quote der vorzeitigen Verrentung ist, ob dies aktuell erforderlich bzw. prinzipiell vorteilhaft ist und wenn nicht, welche Gründe dafür vorliegen. Je nach Zielsetzung der Unternehmung können dann Maßnahmen getroffen werden, welche die Verrentung fördern oder bremsen. In der Regel ist davon auszugehen, dass eine Frühverrentung nur bei Überhängen und auch dann nicht für alle älteren Mitarbeiter wünschenswert ist. Im Zuge des Frühruhestands können erfahrene, leistungsfähige, mit dem Betrieb sehr vertraute Arbeitnehmer dem Unternehmen verloren gehen, was zu einer Verteuerung der Arbeitskosten führen kann. Hier müssen unternehmenspolitische Maßnahmen ansetzen.686 Der Frühruhestand darf außer in Krisensituationen nicht erzwungen werden, sondern es sollte den älteren Mitarbeitern sogar deutlich vermittelt werden, dass sie in der Firma auch bis zu ihrem endgültigen Ausscheiden erwünscht sind. Des Weiteren muss ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, örtlich und zeitlich flexibler zu arbeiten, um einem möglichen Bedürfnis nach mehr Freizeit und Ausgleich gerecht zu werden und die Umstellung auf die Ruhestandszeit bei weiterhin hoher Leistungsfähigkeit zu ermöglichen.687 Immerhin bejahen über 90 % der älteren Mitarbeiter einen früheren Berufsaustritt als im Alter von 60 Jahren, allerdings nur, wenn er selbstbestimmt ist.688 Aus Mitarbeitersicht ist es hilfreich, wenn Arbeitsaufgaben abgeschlossen oder ordnungsgemäß übergeben werden können. Auch aus Unternehmenssicht ist der Wissenstransfer an die Nachfolger in jedem Fall zu gewährleisten. Hier sind eine Flexibilisierung des Ruhestandszeitpunkts und gegebenenfalls ein schrittweiser und vor allem selbst kontrollierter Übergang optimal. Die möglicherweise unbewussten Ängste scheinen kurz vor dem Übergang besonders stark zu werden, während mit 50 bis 55 Jahren eine positivere Einstellung vorherrscht. Vermutlich ist eine graduelle oder stückweise Entlastung vernünftig, die eine der gesundheitlichen Verfassung angepasste Mischung aus Ruhe bzw. Entlastung und Anregung gewährleistet und Raum für die Anknüpfung neuer Aktivitäten lässt.
685
Vgl. Avery/Jablin 1988 (Retirement preparation), S. 68 ff., Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 166 und Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 230 ff. und 244 ff.
686
Vgl. Avery/Jablin 1988 (Retirement preparation), S. 68 ff. und Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 230 ff. und 244 ff.
687
Vgl. Avery/Jablin 1988 (Retirement preparation), S. 68 ff. und Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 230 ff. und 244 ff.
688
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 89 ff. und Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 265 ff.
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F GENERATIONENMANAGEMENT
Weiterhin ist die Rentenberatung und Begleitung der älteren Arbeitnehmer von der Vollzeitarbeit hin zum Ruhestand durch die Unternehmung wünschenswert.689 Zu vermeiden sind Zwangsverrentung und entsprechende Erwartungshaltungen der Jüngeren genauso wie Willkür in der Auswahl von Altersteilzeit- oder Frühverrentungskandidaten. Der Zeitpunkt der Verrentung muss je nach individueller Lebenssituation und Leistungsfähigkeit gewählt werden. Durch Frühverrentung bedingte Abschläge benachteiligen zum Beispiel körperlich verausgabte Arbeiter zusätzlich, die ohnehin durchschnittlich über ein geringeres Renteneinkommen und eine geringere Lebenserwartung verfügen. Arbeitszeitflexibilisierung und Wahlfreiheiten für den Arbeitnehmer führen zur Entdichtung des Arbeitszeitvolumens und können sich in einem bedarfs- und familienorientierten Organisationskonzept der Lebensarbeitszeitstrukturen äußern. Teilrenten, Altersteilzeit und Abfindungen können den Übergang erleichtern. Die Einstellung zur Altersteilzeit ist allerdings ambivalent. Die Teilzeitarbeit allgemein ist im Vergleich zum Ruhestand bezüglich Status, Bezahlung usw. schlecht angesehen und mindert zudem die Rentenansprüche. Gleitende Ruhestandsregelungen oder das Zurverfügungstellen der Expertise bzw. Saisonaushilfe nach der Verrentung werden unwahrscheinlich, wenn Teilzeit- der Vollzeitarbeit nicht gleichberechtigt sind.690 Zusammenfassend verfügt das Personalmanagement also über eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, um für das Unternehmen den gewünschten ausgewogenen Altersmix herzustellen. Um die Vorteile einer diversen Altersstruktur im alltäglichen Unternehmensgeschehen nutzen zu können, müssen diese Altersdiversität und die damit verbundenen komparativen Schwächen und Stärken jedoch auch auf der Gruppenebene berücksichtigt werden.
2
Gestaltung altersdiverser Teams
Nach den Generationenmanagementprinzipien der Gleichberechtigung und der Wertschätzung von Diversität sind altersgemischte Teams wünschenswert. Aus Unternehmenssicht ist die altersdiverse Zusammensetzung eines Teams dann sinnvoll, wenn sie den Teamerfolg, definiert als die Leistung, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und/oder die Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter, verbessert.691 Die Gruppeneffektivität wird außer von der Gruppenzusammensetzung und den Gruppenbeziehungen von so vielfältigen Faktoren wie organisatorischem Kontext, Anreizsystem, Informationssystem, Arbeitstechnologie und Ressourcenausstattung, Art und Klarheit der Aufgabe, Leistungsnormen, Anstrengungsniveau, Ausnutzungsgrad von Wissen und Fähigkeiten sowie der Angemessenheit der Strategien zur Lösung der
689
Vgl. Rosenstiel 1994 (Berufsaustritt), S. 244 ff. Die Vorbereitung auf eine erfolgreiche Anpassung an den Ruhestand und eine für die Unternehmen effiziente Nutzung des Potenzials älterer Arbeitnehmer umfasst neben den psychologischen und soziologischen vor allem ökonomische und medizinische Aspekte. Dazu dienen die auch von den Mitarbeitern gewünschte Erhaltung und Steigerung der körperlichen, geistigen und sozialen Leistungsfähigkeit sowie ein kontinuierlicher Übergang. Diesbezügliche Maßnahmen und Instrumente zur Förderung der Leistung älterer Mitarbeiter werden in Kapitel F.IV genauer betrachtet.
690
Vgl. Bäcker/Naegele 1993 (Entberuflichung), S. 144 und S. 152 ff., Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 89 ff. und Maier 1997 (Berufssituation Älterer), S. 265 ff.
691
Vgl. Hackman 1987 (Work teams), S. 331 f.
F.III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit
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Gruppenaufgabe beeinflusst. Gruppenprozesse sind sehr komplex. Aus diesem Grunde ist es besonders schwierig, die Zusammensetzung einer Gruppe so zu beeinflussen, dass ein gewünschtes Ergebnis erzielt wird.692 Unter den vielfältigen Einflussfaktoren der Gruppeneffektivität identifiziert RUTH STOCK anhand einer umfassenden Analyse als Erfolgsfaktoren der Teamgestaltung zum einen die personenbezogenen Merkmale Fachkompetenz, Sozialkompetenz und Teamorientierung und zum anderen als teambezogene Merkmale persönliche und fachliche Homogenität, Kohäsion, Intensität der Teamführung und Entscheidungsautonomie. Diese Erfolgsfaktoren haben sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen auf die Teameffektivität, wobei personenbezogene Merkmale eher direkte, teambezogene Merkmale eher indirekte Effekte zeitigen. Die indirekte Wirkung erfolgt über die Merkmale des Teamprozesses in Form des Ausmaßes der Kooperation und Kommunikation sowie des Ausmaßes der aufgabenbezogenen- und personenbezogenen Konflikte. Damit sind hohe Fachkompetenz, Sozialkompetenz und Teamorientierung die wichtigsten Eigenschaften, die ein Teammitglied haben sollte. Je komplexer die Aufgabe, desto wichtiger ist die Zusammenstellung des Teams aus Mitgliedern, die ein breites und tiefes Spektrum an Erfahrung und Fachwissen mitbringen.693 Die altersdiverse Förderung von Fachkompetenz, Sozialkompetenz und Wissen ist Gegenstand des Kapitels F.IV. Die Bereiche altersdiverser Führungsstil, Entscheidungsautonomie, Konflikt- und Kommunikationsmanagement werden in den folgenden Unterkapiteln ausgeführt. An dieser Stelle soll zunächst geklärt werden, wie sich die fachliche und persönliche Heterogenität auf den Teamerfolg auswirken. Untersuchungen über den Einfluss des Alters und anderer Diversitätsvariablen auf die Beziehungen im Unternehmen und zu den entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten („diversity management“) stammen vorwiegend aus dem amerikanischen Raum und bilden dort einen Bestandteil der Diversitätsforschung. Die personelle Zusammensetzung der Gruppe und insbesondere deren Heterogenitätsgrad finden dort besondere Beachtung.694 Relevante Einflussfaktoren demografischer Diversität sind danach erstens das Geschlecht, zweitens die Rasse und bereits an dritter Stelle das Alter. Alter gehört damit zu den sichtbaren Variablen der Diversität, deren Stereotype deswegen leicht aktiviert und im Unternehmensgeschehen wirksam werden können. Für Arbeitsleistung und Zusammenarbeit sind weiterhin Ausbildungsgrad, Berufserfahrung, Teamzugehörigkeit, Betriebszugehörigkeit, Spezialisierung und Bildungshintergrund sowie Branchenerfahrung relevant, die ebenfalls mit dem Alter zusammenhängen. Die diesbezügliche Altersdiversität spielt sowohl in Zweierbeziehungen als auch im Team und auf der Ebene der Organisationsbeziehungen eine wichtige Rolle. Eine ausführliche Zusammenstellung und Diskussion der Forschungsergebnisse zum Diversitätsmanagement ab 1960 geben CHARLES O’REILLY und KATHERINE WILLIAMS.695 692
Vgl. Hackman 1987 (Work teams), S. 322 ff., Hackman/Oldman 1980 (Work redesign), S. 185 ff. und O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 82.
693
Vgl. Stock 2005 (Erfolgsfaktoren von Teams), S. 976 ff.
694
Gruppendiversität kann zum Beispiel nach Alter, fachlicher Qualifikation, Meinungsvielfalt, Persönlichkeit, Geschlecht, Rasse, Funktion oder Nationalität bestehen. Vgl. De Dreu 2002 (Team innovation), S. 294.
695
Vgl. O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 78 ff. und S. 118 ff.
276
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Eine systematische Zusammenstellung und Analyse verschiedenster empirischer Untersuchungen zum Einfluss von Diversitätsvariablen wie Alter, Geschlecht, Rasse, Berufserfahrung und Bildungsniveau im Unternehmen bieten ANNE GUTEK und BARBARA TSUI.696 Die Verschiedenartigkeit der Studien in Ausrichtung, Umfang und Detaillierungsgrad erklärt, warum sich die Zusammenhänge zwischen Teamheterogenität und Innovativität bzw. Erfolg nicht einfach linear darstellen lassen und die Untersuchungsergebnisse dazu teilweise sogar widersprüchlich sind. Generell zeigen sie, dass Altersdiversität in ihren unterschiedlichen Spielarten Einfluss auf das Funktionieren der Gruppe hat. Sie kann positive Voraussetzungen für Innovation und Leistung schaffen, ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, da sie ungesteuert die Gefahr von Kommunikationsstörungen, mangelnder Integration, Konflikten und Unzufriedenheit birgt. In diesem Zusammenhang scheint der Teamzusammenhalt eine wichtige Rolle zu spielen.697 Es stellt sich also die Frage, wie erfolgreiche, vermixte Gruppen, diese Problematik überwinden. Sicherlich sind die Forschungsergebnisse aus dem amerikanischen Raum unter anderem wegen der interkulturellen Unterschiede nicht problemlos übertragbar, sie geben jedoch wichtige Hinweise auf die Bedeutung der Altersdiversität in den verschiedenen Unternehmensbeziehungen. Die Forschungsergebnisse zur Altersdiversität und ihres Einflusses auf die Beziehungsqualitäten im Unternehmen und die Teamleistung sollen deshalb hier zusammenfassend vorgestellt und unter Heranziehung weiterer Forschungserkenntnisse diskutiert werden. Sowohl Ähnlichkeit als auch die Diversität des Alters haben Einfluss auf die Zweierbeziehung. Je gleichartiger ein Mitarbeiter einem anderen im Alter und anderen Faktoren ist, desto eher möchte er Kontakt haben. Die Qualität der Einzelbeziehungen wird von der Gesamtstruktur der Organisation mitbeeinflusst. Insbesondere die Qualität der Beziehung Mitarbeiter zu Vorgesetztem wird sehr früh im Verlauf dieser Beziehung bestimmt und bleibt danach relativ stabil. Solche Beziehungen sind besser, wenn der Vorgesetzte älter ist als der Mitarbeiter. So beurteilen junge Vorgesetzte die Leistung ihrer älteren Mitarbeiter meist schlechter als die der jüngeren. In Bezug auf hierarchisch Gleichgestellten gilt jedoch, je ähnlicher desto besser, da sich dann positive Beziehungen und Freundschaften leichter entwickeln können.698 Die genannten Zusammenhänge entsprechen dem Bild der klassischen Arbeitswelt, wo Vorgesetzte älter, erfahrener, besser ausgebildet und meist männlich sind, während sich Kollegen in etwa auf dem gleichen Niveau bewegen. Augenscheinlich funktionieren Beziehungen, die diesem „normalen“ Bild entsprechen, am besten. Das weist auf starke, möglicherweise unbewusste Stereotype und Altersnormen hin, die von einem Großteil der Arbeitnehmer als natürlich empfunden werden. Da der relative Anteil dieser „Normalbeziehungen“ sinkt, besteht hier Konfliktpotenzial. Die Relation „je höher die hierarchische Position desto älter“ wird beispielsweise zunehmend aufgebrochen. Das mag einerseits darin begründet liegen, dass jün696
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 25 ff. und S. 114 f. Der zugehörige Überblick über die Studien ist in Anhangtabelle C-3: „25 demografische Studien in Organisationen“ hinterlegt.
697
Vgl. O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 78 ff. und S. 118 ff. und auch Pitcher/Smith 2001 (Team heterogeneity), S. 1 ff.
698
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 61 ff. Mentoren gleichen Geschlechts sind zum Beispiel bessere Rollenvorbilder.
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gere Menschen mit adäquatem Wissen heute leichter in Führungspositionen befördert werden. Andererseits gibt es angesichts flacher werdender Hierarchien in den Unternehmen insgesamt weniger Aufstiegsmöglichkeiten, so dass sich Alt und Jung in dieselbe Hierarchiestufe teilen müssen. Dazu kommt, dass Projektteams immer öfter nach fachlichen Kriterien eingerichtet werden, ohne auf Alters-, Hierarchie-, Geschlechtsunterschiede usw. Rücksicht zu nehmen.699 Zu Kundenbeziehungen liegen nur wenige Studien vor, die darauf hinweisen, dass die mit den sozialen Kategorien verknüpften Stereotype sehr wohl relevant sind. Wenn die Leistung stimmt, wird bei Vertrauenskontakten Gleichartigkeit vorgezogen, nicht jedoch bei Einmalkontakten. Unternehmen könnten damit über eine Spiegelung der Kundenstruktur in ihrer eigenen Verkäuferstruktur einen Kontaktbonus etablieren. Allerdings sind hier Rasse, Geschlecht und sozialer Hintergrund oft wichtiger als das Alter.700 Teams werden hier als Gruppen mit mindestens drei Mitgliedern, die in regelmäßigen Arbeitsbeziehungen miteinander stehen, definiert. Für Teams der Unternehmensspitze gilt, je größer die Unterschiede in der Berufserfahrung, desto höher die Fluktuation, insbesondere bei Managern mit großem Altersunterschied zum Rest der Gruppe. In Bezug auf die Innovativität hat die Unterschiedlichkeit in der Beschäftigungsdauer einen positiven Einfluss. Vorrangig führen hier jedoch fachliche und funktionale Diversität zu strategisch besseren Entscheidungen und mehr Innovativität. Altersdiversität kann einen geringeren Gruppenzusammenhalt bedingen, so dass die potenzielle strategische Überlegenheit aufgrund fachlicher und funktionaler Diversität nicht zum Tragen kommt.701 In Arbeitsgruppen zeigt sich, dass die Fluktuation umso höher ist, je größer die Altersunterschiede in solchen Gruppen sind, unabhängig vom Integrationsgrad der Gruppenmitglieder. Ähnliche Einstiegsdaten führen zu besserem Zusammenhalt, auch wenn emotionale Konflikte meist unter Gleichaltrigen entstehen. Auf Dauer erbringen jedoch persönlich und fachlich heterogene Teams durchschnittlich bessere Leistungen als homogene Gruppen. Das ist vermutlich auf den wachsenden Zusammenhalt zurückzuführen. Lange Zusammenarbeit und Vertrautheit in der Gruppe führen zu weniger Konflikten, weniger Arbeitsunfällen und besserer Produktivität.702 In Projektteams und Produktentwicklungsteams führt jegliche, also auch die Altersdiversität zu mehr Kommunikation außerhalb der Gruppe, was sich informationstechnisch als positiv, bei der zu erwartenden schlechten Kommunikation innerhalb der Gruppe jedoch auch negativ auswirken kann. Dabei kann ein Diversitätskriterium durch das andere kompensiert oder sogar verbessert werden. Wenn zum Beispiel eine Gruppe aus Mitgliedern mit unterschiedlichem funktionalen Hintergrund zusammengestellt wird und deren Mitglieder zwecks besserer
699
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 61 ff.
700
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 73 ff.
701
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 80 ff.
702
Vgl. O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 96.
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Zusammenarbeit aus etwa der gleichen Altersstufe ausgewählt werden, ist die Gruppe mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Anhieb leistungsfähiger als bei heterogener Altersstruktur.703 Auch wenn die Befragten der Generationenmanagementstudie weitgehend darin übereinstimmen, dass ein altersgemischtes Team die besten Ergebnisse liefert, muss dies also nicht der Fall sein. Als Fazit der vorgestellten Forschungsergebnisse zur Teamheterogenität lässt sich Folgendes festhalten: Homogene Gruppen kommen mit einfachen Aufgaben und mit Implementierungsaufgaben in der Regel besser zurecht als heterogene, dafür jedoch regelmäßig schlechter mit kreativen, intellektuellen oder strategischen Aufgaben. Für Aufgaben, wo Problemlösungsfähigkeiten und Entscheidungsqualität Bedeutung haben, sind heterogene Gruppen generell besser geeignet, haben aber im Allgemeinen einen schlechteren Gruppenzusammenhalt. Damit sind sie nur dann leistungsfähiger und innovativer als homogene Gruppen, wenn das Team gut zusammenarbeitet. Das setzt nicht unbedingt ein freundschaftliches Verhältnis voraus, jedoch gegenseitigen Respekt und Wertschätzung der anderen Teammitglieder und ihrer individuellen Leistungsbeiträge. Anzumerken bleibt, dass in diesem Zusammenhang die Diversität in Alter, Team- bzw. Betriebszugehörigkeit nicht vollständig korreliert ist, sondern unterschiedliche Auswirkungen hat. Altersdiversität wirkt sich in erster Linie störend auf Integration und Zusammenarbeit in der Gruppe aus. Sie ist mit hohen Fehlzeiten und mit hoher Fluktuation korreliert. Dahingegen gehen diverse Funktions- und Bildungshintergründe mit verstärkter Kommunikation einher. Insofern kann fachliche Heterogenität durch Altershomogenität abgestützt werden. Die Einführung einzelner altersdiverser Mitglieder in homogene Gruppen, um weiteren Altersgruppen einen Zugang zu dieser Gruppe zu schaffen, ist gleichfalls einfacher als eine vollständige Diversifizierung.704 Diese Erkenntnisse lassen sich für die Teamgestaltung folgendermaßen nutzen. Bei Neugründung einer Projektgruppe, die nicht langfristig zusammenarbeiten soll, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es einem altershomogenen, aber fachlich diversen Team auf Anhieb leichter fällt zusammenzuarbeiten und die gewünschte Leistung zu erbringen, größer. Auch neue Auszubildende finden sich, wenn sie Unterstützung von Gleichaltrigen erhalten, meist leichter ins Unternehmen. Ältere, neu eingestellte Mitarbeiter bevorzugen sicherlich einen hierarchisch gleichrangigen Ansprechpartner, der aus der gleichen oder einer „kompatiblen“ Altersklasse stammt. Es empfiehlt sich, in jedem Fall zur Einarbeitung, aber auch zur Erleichterung der Gruppenbildung und zur Schlichtung von Konflikten diejenigen Mitarbeiter zu identifizieren, die leicht zwischen den Welten der verschiedenen Altersgruppen vermitteln können und denen es problemlos gelingt, die verschiedene Altersstufen oder sonstige Merkmale zu integrieren. Ist die Altersdiversität erwünscht oder in einer Gruppe unvermeidlich,
703
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 91 ff.
704
Vgl. Ely/Thomas 2001 (Cultural diversity), S. 260 ff., Fuller/Karp/Sirias (Generational teams), S. 71 ff., Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 77 ff. und O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 102 f. und S. 118 ff.
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muss die Zusammenarbeit gestärkt werden. Homogenität in der Funktion, im Beruf oder anderen Faktoren kann dazu dienen die Generationszusammenhänge besser zu integrieren.705 Die erhöhte Fluktuation bei hoher Altersdifferenz, lässt sich anhand der folgenden Prozesse innerhalb der Gruppe erklären. Natürliche Gruppen tendieren dazu, neue Mitglieder mit Hilfe ihres sozialen Netzwerkes zu rekrutieren und damit die Homogenität der Gruppe zu erhöhen. Sobald eine Altersgruppe in einem Team stark überwiegt, entwickelt sie Abschottungsmechanismen gegenüber Mitgliedern anderer Altersgruppen. Es kommt zu Cliquenbildung und Ethnozentrismus, woraufhin sich Motivation und Kreativität der „anderen“ tendenziell verringern.706 Minderheiten fordern mit neuen Perspektiven also oft die Mehrheitsmeinung heraus. Da die meisten Menschen Konflikte gern vermeiden, tendieren sie zur Mehrheitsmeinung und zur Konformität. Um eine Änderung herbeizuführen, muss die Minderheit deshalb fundiertere Argumente liefern als die Mehrheit, die den Gruppenvorteil der Änderung klar belegen, da ihre Argumente genau überprüft werden.707 Diese Schwierigkeiten führen häufig dazu, dass Minderheitsmitgliedern das Verlassen des Teams als attraktive Alternative erscheint. Die Bindung an das Unternehmen bzw. an eine Gruppe ist unter anderem von den Variablen Geschlecht, Rasse, Alter, Ausbildungsniveau und Berufserfahrung abhängig. Welches Merkmal am integrativsten ist, hängt von der Attraktivität der eigenen und der jeweiligen Gruppen ab. Beispielsweise identifizieren sich Frauen in Führungspositionen eher mit dem Managementteam als mit dem gleichen Geschlecht auf geringerem Hierarchieniveau.708 Die Begründung der höheren Leistungsfähigkeit bei altersdiversen Teams liegt darin, dass bei guten zwischenmenschlichen Beziehungen, das ganze altersdiverse Ausmaß von Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen zum Tragen kommen kann. Altersdiversität zeigt sich auch in unterschiedlichen kulturellen Standards und dadurch bedingt in unterschiedlichen Wahrnehmungs-, Denk- und Bewertungsmustern. Diese verschiedenen Arten, ein Problem zu sehen, zu analysieren, zu verstehen und zu lösen sind besonders wichtig für Probleme, die keine vorgegebene bzw. Ideallösung haben oder die viele verschiedene Menschen betreffen. Informationsvielfalt und unterschiedliche Meinungen bedeuten mehr Optionen, höhere Kreativität und bessere Analysen im Entscheidungsprozess, wenn auch vielleicht längere Diskussionen. Es gilt die Chance der Altersdiversität zu nutzen, um Gruppenblindheit abzubauen und das Engagement des Einzelnen zu fördern. Gruppenkohäsion erleichtert auch die Implementierung von Lösungen.709
705
So fühlen sich ein Techniker anderen Technikern verschiedenen Alters im Unternehmen wahrscheinlich mehr verbunden als einem gleichaltrigen Buchhalter. Solche Gruppen heben sich häufig auch äußerlich durch in ihrer Kleidung ab, seien es weißer Kittel, Blaumann, Schlips oder Cordhose.
706
Vgl. Jasper 2004 (Unterschiedliche Potenziale), S. 228 und Levine/Moreland 2003 (Group composition), S. 369 ff. Insofern kann die Schaffung einer neuen Gruppe im Vergleich zur Veränderung einer bestehenden Gruppe die einfachere Alternative sein.
707
Vgl. Hewstone/Martin 2003 (Conformity and innovation), S. 348 ff.
708
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 104 ff. und S. 112 ff.
709
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 13, Hackman/Oldman 1980 (Work redesign), S. 199 ff. und O’Reilly/Williams 1998 (Diversity in organizations), S. 89 ff.
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Altersmäßige Heterogenität ist demnach insofern ein Erfolgsfaktor für Unternehmen, als sie die Ressourcen und Leistungspotenziale vergrößert. Voraussetzungen dafür ist die Vermeidung von Cliquenbildung, die Verbesserung des geringen Zusammenhalts und der Bindung an das Unternehmen. Damit die zunehmende Altersdiversität in den Unternehmen nicht zum Störfaktor, sondern zum Wettbewerbsvorteil wird, muss sie vorausschauend berücksichtigt werden. Um altersdiverse Teams zum Laufen zu bringen, empfiehlt sich ein Diversitätstraining, das gleichzeitig die allgemeine soziale und interkulturelle Kompetenz stärkt. Ein solches Training vermittelt Wissen über die „anderen“ und Konfliktlösungsfähigkeiten. Je besser ein Teammitglied seine eigenen Stärken und Schwächen kennt, desto eher wird es einen Partner zu schätzen wissen, der durch seine Stärken die eigenen Schwächen kompensieren kann. In die gleiche Richtung weisen auch die Forschungsergebnisse zum Abbau von Stereotypen. Unternehmenssituation und Aufgaben von Teams sowie die potenziellen Mitglieder sind so unterschiedlich, dass es unmöglich ist, konkrete Empfehlungen zu geben, wie Führungskräfte sich verhalten sollten, um ihrer Gruppe zu besseren Leistungen zu verhelfen. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten der Gruppengestaltung und des Gruppenverhaltens, die zu gleich guten Ergebnissen führen können. Dennoch sind einige prinzipielle Empfehlungen möglich.710 Wo Mitarbeiter, verschiedenen Alters miteinander Umgang haben, gehen sie aufgrund ihres unterschiedlichen Erfahrungshintergrundes meist von unterschiedlichen Prämissen aus. Sie reden und leben deshalb oft aneinander vorbei. Dies kann durch ein gemeinsames Grundethos teilweise überbrückt werden.711 Die Verbesserung der Gruppenkohäsion und der Zusammenarbeit kann durch die Betonung gemeinsamer Ziele, Aufgaben und gegenseitiger Abhängigkeiten erreicht werden. Diversität darf dabei weder ein Tabuthema sein noch überbetont werden. Eine mittlere Präsenz von Normen unterstützt die Teamprozesse am besten, da sie Verhaltenssicherheit gibt und Opportunismus verhindert, ohne den Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu stark einzuschränken.712 Eine gemeinschaftliche Teamkultur erlaubt die Nutzung der Informationsnetzwerke und der Erfahrungen aus verschiedenen Jahrzehnten. Diese erzeugen verschiedene Perspektiven, die zu mehr Kreativität und Innovativität beitragen.713 Soziale und fachliche Kompetenz sowie 710
Vgl. Hackman 1987 (Work teams), S. 338. Allgemeine Empfehlungen zur Gestaltung einer effektiven Gruppe betreffen die Kosten-Nutzen-Abwägung, die Analyse und Zuweisung der Arbeitsaufgabe und des Autoritätsniveaus, die Gestaltung der Gruppenaufgabe, die Auswahl der Gruppenmitglieder sowie die Beschaffung der benötigten Ressourcen und Unterstützung. Die Führungskraft sollte der Gruppe helfen, Grenzen, Aufgabe, Mitgliederrollen und Gruppennormen zu entwickeln. Laufend sollten die Gruppenrozesse unterstützt, Leistungserwartungen angepasst sowie Gruppensynergie und Erfahrungslernen gefördert werden.
711
Vgl. Hinske 1987 (Generationenkonflikt anthropologisch), S. 2.
712
Vgl. Ergebnisse einer Befragung von 245 Teams verschiedener Branchen von Stock 2004 (Wirkungsweise von Normen), S. 785 und S. 801 ff. Die Ergebnisse zum Verhältnis zwischen Normen und Teamerfolg sind widersprüchlich.
713
Vgl. Beatty/Clair/Maclean (Social identities in the workplace), S. 90. Auch de Dreus Teamstudien bestätigen, dass „Minoritätendissenz“ zwischen Gruppenmitgliedern in Verbindung mit einer gewissen Bewusstheit die Teaminnovation und in geringerem Maß die Teamleistung verbessert. Er führt dies auf divergentes Denken und Kreativität gepaart mit einer bewussten Reflexion von Strategien und Zielen, bewusster Wertung und Auswahl der Ideen und bewussterer Implementierung von Ideen, Produkten und Prozessen zurück. Vgl. De Dreu 2002 (Team innovation), S. 294.
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eine gewisse Handlungsautonomie verstärken Austausch, Kooperation und Kohäsion und verringern das Ausmaß der aufgaben- und personenbezogenen Konflikte. Dazu sollten Anreize gegeben werden, welche die Zusammenarbeit fördern, zum Beispiel in Form der Belohnung der Teamleistung.714 Soziale Dilemmata in Teams sind durch rein extrinsische Anreize allerdings nicht lösbar, wenn die Verifizierbarkeit und/oder Beurteilbarkeit des Teamoutputs nicht gegeben ist. Hier spielen dann Fairnessnormen und vor allem die prozessbezogene Fairness eine zentrale Rolle bei der Ausgestaltung der richtigen Mischung zwischen intrinsischen und extrinsischen Anreizen.715 Für Teams mit innovativen Aufgaben empfiehlt sich die Integration von Schlüsselpersonen, die über genügend Einfluss, Fachwissen bzw. Betriebskenntnis verfügen, um die Rollen als Fach-, Prozess- und Machtpromotoren zu übernehmen und so Innovation und Zusammenarbeit voranzutreiben.716 Dies kann anhand eines intergenerationellen Fähigkeitenmixes erreicht werden. Kürzer werdende Innovationszyklen erfordern zum Beispiel die Kombination von neuesten Fachkenntnissen mit Betriebserfahrung und guten Kenntnissen des bisher entwickelten Produktspektrums, was eine stabile Zusammenarbeit zwischen jüngeren und älteren Innovierern notwendig macht. Die älteren unter ihnen werden dabei zum Beispiel in der Unternehmenspraxis hauptsächlich im Bereich der Anwendungstechnologie eingesetzt, jüngere Mitarbeiter im Bereich neuer Schlüsseltechnologien, was ihnen einen hohen Stellenwert im Unternehmen verleiht. Als Quellen für Anregungen nutzen jüngere Mitarbeiter hauptsächlich ihr Ausbildungswissen und ihre bisherigen Erfahrungen sowie ihre Vorgesetzten. Ältere Innovierer setzen dazu stärker auf Literatur, Wettbewerbsinformationen und vor allem die Rückmeldung aus der eigenen Fertigung.717 Sowohl die Kombination der Vielfalt und Tiefe der Kenntnisse als auch die Nutzung verschiedenster Anregungen kann für Innovationen fruchtbringend sein. Macht- und Prozesspromotoren finden sich vermutlich eher unter den älteren, erfahreneren Mitarbeitern, die über das Standing verfügen, um den Prozess voranzutreiben und Unterstützung von außen zu requirieren. Generell sollten die Teamgestaltung und die Teamveränderung durch die Einbeziehung neuer Mitglieder oder das Ausscheiden anderer in erster Linie nach der Qualifikation im weiteren Sinne erfolgen und erst in zweiter Linie nach weiteren Diversitätskriterien. Der Personaleinsatz sollte nach den gewünschten Kompetenzen fachlicher, sozialer und psychologischer Art und den Erfahrungshintergründen gesteuert werden. Das Alter kann dabei als Indikator für die gewünschten Eigenschaften dienen, wenn zum Beispiel die Mitarbeiter aus dem Generationszusammenhang der Konsumkinder prinzipiell als zuverlässige Ansprechpartner für das gleichaltrige Kundensegment geeignet erscheinen. Für die Auslotung dieser Eigenschaften bei 714
Dadurch geraten oberflächliche Unterschiede in den Hintergrund. Tiefergehende Gemeinsamkeiten werden zu Tage gefördert genauso wie tiefergehende Unterschiede, die bei Altersdiversität jedoch nicht zu vermuten sind. Vgl. Florey/Gavin/Harrison/Price 2002 (Deep-level diversity), S. 1040 ff.
715
In der Fairnessforschung wird aber bisher kaum zwischen individueller und Teamarbeit unterschieden. Vgl. Osterloh/Rota 2001 (Fairnessnormen), S. 13.
716
Vgl. Hauschildt/Schewe 2000 (Gate keeper and process promotors), S. 97 ff. Für das Unternehmen besonders wertvoll sind so genannte Gatekeeper, die sich durch Erfahrung mit einer oder verschiedener dieser Rollen in mehreren Innovationsprozessen und ein entsprechendes Netzwerk auszeichnen.
717
Vgl. Fröhner/Nawroth 2000 (Jüngere und ältere Innovierer), S. 66 ff.
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den in Frage kommenden Mitarbeitern gibt es jedoch zuverlässigere Methoden. Hier kann zum Beispiel auf Mitarbeiterbeurteilungen und das Urteil der Vorgesetzten zurückgegriffen werden. Wichtig ist, dass niemand nur aufgrund seines Alters ein- oder ausgeschlossen wird. Das Alter allein darf höchstens dann im Sinne einer Quotenregelung Auswahlkriterium sein, wenn verfestigte Strukturen aufgebrochen werden müssen. Dies ist nur notwendig, wenn bestimmte Funktionen bisher nur bestimmten Altersgruppen zugänglich waren und dies nicht aus sachlichen Gründen der Fall ist. Schließlich möchten Mitarbeiter aufgrund ihrer Einzigartigkeit geschätzt und nicht als „Quotenalte“ eingesetzt werden. Zu beachten ist weiterhin, dass die Teambildung in Unternehmen nicht auf die täglichen Aufgaben oder Projekte beschränkt ist. Hier bietet sich die Gruppenbildung in der Belegschaft außerhalb der Organisationsstruktur und übergreifend über Generationszusammenhänge an. In der Zweierbeziehung kann so etwas die Institutionalisierung von Mentorenprogrammen betreffen, in der Gruppe ist die Förderung von Think Tanks als freiwilligen Expertengruppen oder die Bildung von Netzwerken denkbar. Netzwerke aller Art verbessern den Unternehmenszusammenhalt über die Abteilungsgrenzen hinweg und können sogar wichtige Anknüpfungspunkte an den Unternehmensgrenzen sein. Das Unternehmen kann hier zum Beispiel Beziehungen von Mitarbeitern in der gleichen Lebensphase in Form von Traineegruppen, Netzwerken von Eltern mit Kleinkindern oder Mitarbeitern mit pflegebedürftigen Angehörigen oder Alumniverbindungen fördern. Auch verbessern altersübergreifende Gruppen oder Netzwerke für Mitarbeiter mit speziellen Problemen, wie zum Beispiel Übergewicht oder Rückenproblemen, durch Erfahrungsaustausch und soziale Unterstützung den Umgang mit diesen Problemen und fördern die Zusammenarbeit über Generationsgrenzen hinweg. Dies wirkt sich wiederum positiv auf Unternehmensklima und Arbeitsleistung aus, ohne für das Unternehmen größere Kosten zu verursachen. Zusätzlich spiegelt es die soziale Verantwortlichkeit im Unternehmen.718
3
Altersdiverse Führung
Im Rahmen des Generationenmanagements spielen die Führungskräfte nicht nur in Bezug auf den Kulturwandel und ihre diesbezügliche Träger- und Vorbildfunktion eine wichtige Rolle. Sie wirken tagtäglich an der Gestaltung der Generationenbeziehungen im Unternehmen mit. Es wird von ihnen erwartet, Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter gemäß der Altersdiversität zu fördern und die Anforderungen der Mitarbeiter mit den Organisationszielen zu vereinbaren. Dabei geht es um eine ständige und ganzheitliche Entwicklung der physischen, psychischen und sozialen Kompetenzen der Mitarbeiter und um ihre bedürfnisgerechte Motivation. Führungskräfte müssen durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen und der Belastungssituation sowie durch ihr Führungsverhalten dazu beitragen, Mitarbeitermotivation aufzubauen, Demotivation zu vermeiden und die Zusammenarbeit zu fördern.719 Die Beziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter und die Steuerung der Generationenbezie718
Vgl. Köchling 2004 (Altersstrukturelle Probleme), S. 194 und Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 242.
719
Eigenmotivation, Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft des Vorgesetzten sind zentral für die Mitarbeitermotivation. Vgl. Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 183 ff.
F.III Management von Altersstruktur und intergenerationeller Zusammenarbeit
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hungen der Mitarbeiter untereinander sind damit Schwerpunkt dieses Unterkapitels. Die Maßnahmen zur leistungsförderlichen Gestaltung der Rahmenbedingungen und Anreize werden ausführlich in den Kapiteln F.IV und F.V behandelt. Die von Mitarbeitern aller Altersgruppen angestrebten Werte in der Beziehung zu Kollegen und Vorgesetzten sind heute Wertschätzung, Handlungsautonomie und Zuverlässigkeit. Sie stehen im Zusammenhang mit den Grundwerten Freiheit und Menschenwürde.720 Damit befinden sie sich im Einklang mit den Interessen von Gesellschaft und Unternehmen. Allerdings bestehen von Unternehmensseite Restriktionen bezüglich der ökonomischen Zielsetzungen. Der Wunsch nach mehr Innovativität der Unternehmen ist zum Beispiel auf Mitarbeiterseite nur bei den Kriegskindern vertreten. Um diesen Zielsetzungen in einer individualisierten und dynamischen Umwelt gerecht zu werden, benötigen die Führungskräfte zunehmend soziale Kompetenz und die Fähigkeit, Flexibilität und Integrität zu vereinen. Im Wesentlichen geht es bei generationengerechter Führung darum, keinen Mitarbeiter ohne sachlichen Grund zu diskriminieren und trotzdem die individuellen Unterschiedlichkeiten wertzuschätzen und zu entwickeln. Die lebensphasen- und generationenbedingten Bedürfnisse der einzelnen Altersgruppen stellen in diesem Zusammenhang für Führungskräfte eine weitere Herausforderung dar. Nach den Prinzipien des Generationenmanagements muss das Führungsverhalten durch Offenheit, Fairness, Verlässlichkeit, Verantwortung, Vertrauen Wertschätzung und Individualität gekennzeichnet sein. Die Unternehmensphilosophie bildet dafür die Grundlage, jedoch sind die offizielle Legitimation und persönliche Glaubwürdigkeit der Führungskräfte selbst ausschlaggebend. Integrität ist jedoch schwer zu leben, wenn einerseits Vorruhestand propagiert und andererseits die Wertschätzung der verbleibenden älteren Mitarbeiter vermittelt werden soll. Dabei geht es bezüglich der Integrität nicht in erster Linie um moralisches, sondern hauptsächlich um verlässliches und konsistentes Verhalten der Führungskräfte, was die Übereinstimmung von Worten, Taten und propagierten Werten angeht. Selbst wenn es daran nur im Auge des Betrachters mangelt, wird der psychologische Vertrag gebrochen, Vertrauen und Glaubwürdigkeit leiden. Das ist insbesondere im Wandlungsprozess kritisch zu sehen.721 Generationenmanagement verlangt von den Führungskräften also einen hohen Grad an Sozialund Methodenkompetenz sowie Veränderungsbereitschaft und Eigenmotivation. Generationenbeziehungen in einem Unternehmen können Aufschluss über die Art und Weise geben, wie generell miteinander umgegangen wird. Generationenkonflikte weisen darauf hin, dass es an Vertrauen in der Zusammenarbeit mangelt und Mitarbeiter diskriminiert werden. Entsprechend besteht dann eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Minderheiten Konformitätsfassaden aufrecht erhalten, um zumindest nach außen im Einklang mit den Standards der Organisation zu erscheinen. Dies führt meist zu psychischem und emotionalem Stress bei den 720
Nach Badura sind diese Prinzipien auch Grundlage gesundheitsförderlichen Managements. Damit dienen sie auch dem Grundwert Gesundheit. Vgl. Badura/Hehlmann (Betriebliche Gesundheitspolitik), S. 37 ff.
721
Vgl. Simons 2002 (Behavioral integrity), S. 18 ff. Nach Waxenberger beinhaltet Integrität Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl, Prinzipientreue, Zieltreue und Moral. Vgl. Waxenberger 2001 (Integritätsmanagement), S. 17. Zum benötigten positiven Menschenbild und den negativen Folgen von Doppelmoral, Zynismus und anderen Verletzungen der Menschenwürde von Misstrauen bis zur Sabotage vgl. Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 136 f.
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Betroffenen, da die persönliche Identität in der Regel schwer von der beruflichen Identität zu trennen ist.722 Die Führungskräfte sehen in bestehenden Standards die gewünschten Verhaltensweisen und damit keine Notwendigkeit zu Veränderung, Eingreifen oder Förderung der Andersheit. Zum Teil fehlt ihnen auch die Handlungskompetenz, um Missstände abzustellen.723 Als erstes müssen die Führungskräfte dementsprechend lernen, welche Stereotype bewusst und unbewusst ihr Führungsverhalten und das Verhalten ihrer Mitarbeiter beeinflussen und wie diese zu steuern sind. Dazu gehört auch die Unterscheidung zwischen Soziotypen und falschen Stereotypen. Nach der Generationenmanagementstudie bestehen starke Abweichungen zwischen Soziotyp und Stereotyp zum Beispiel darin, dass Ältere hier entgegen der allgemeinen Einschätzung am meisten Wert auf Kreativität legen und die jüngsten Generationszusammenhänge Höflichkeit und Pünktlichkeit wertschätzen. Das Wissen über Stereotype und Soziotype der Generationszusammenhänge, ihre Auswirkungen und Beeinflussungsmöglichkeiten ist besonders wichtig in Personalauswahl, Teamgestaltung und -zusammenarbeit sowie Anreizgestaltung. Dieses Wissen muss auch an die Mitarbeiter weitervermittelt werden. In Deutschland ist davon auszugehen, dass in vielen Unternehmen noch der autokratische Führungsstil vorherrscht, obwohl ein kooperativer Führungsstil zeitgerecht wäre. Dies ist mit Leistungsdruck, zum Teil Überforderung verbunden und die Mitarbeiter fühlen sich meist schlecht behandelt. Hier besteht ein Konflikt zwischen Führungstheorie und Führungspraxis zumal einfache statische Modelle ohne Situationsberücksichtigung noch immer gelehrt und bevorzugt werden.724 Dazu kommen Führungsfehler und nicht zeitgerechtes Führungsverhalten, die häufig nicht nur eine Vernachlässigung der Motivationsförderung, sondern aktive Demotivation und damit Leistungsminderung nach sich ziehen. Dies betrifft vor allem zu starke Kontrolle und Einengung der Mitarbeiter, bewusste Blockierung, Ungerechtigkeit, Bestrafung, Unterforderung, Mangel an Feedback und Informationen, gezielte Desinformation, fehlende Partizipation und die Erzeugung falscher Erwartungen.725 Solche Führungsfehler müssen vermieden werden. Situative Ansätze lehren, dass es nicht den einen richtigen Führungsstil gibt, sondern dass der Führungsstil in Abhängigkeit von der Situation und den zu Führenden zu wählen sei. Einen Führungsstil zu finden, der in einer dynamischen Umwelt allen Mitarbeitern in allen Situationen gerecht wird, ist danach nicht möglich. Demgegenüber kann ein Vorgesetzter in seiner Vorbildfunktion seinen Führungsstil auch nicht von Fall zu Fall oder von Mitarbeiter zu Mitarbeiter ändern, ohne unglaubwürdig zu werden. Insofern müssen an dieser Stelle generelle Empfehlungen für das Führungsverhalten mit spezifischen Empfehlungen für den Umgang 722
Vgl. Fell 1999 (Generationendialog in lernenden Unternehmen), S. 66 f. und ausführlicher dazu Hewlin 2003 (Facades of conformity), S. 633 ff.
723
Vgl. Ely/Thomas 2001 (Cultural diversity), S. 260 ff.
724
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 144 f. Ein Grund könnte in einer systematischen Selbst- und Fremdselektion von Materialisten unter den Führungskräften liegen, denen Karriereorientierung, Leistungsstreben und Durchsetzungsvermögen eigen sind und die den kooperativen Führungsstil ablehnen.
725
Vgl. Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 185 ff.
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mit den verschiedenen Altersgruppen kombiniert werden, ohne die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter zu ignorieren. Integres Verhalten der Führungskräfte gemäß dem zentralen Leitbild der Unternehmung muss mit genügend Handlungsspielraum und Wahlfreiheiten der Arbeitnehmer einhergehen, damit sie selbstständig darauf hinarbeiten können. Gleichzeitig ist die entsprechende individuelle Befähigung und Entwicklung der Mitarbeiter zentrale Aufgabe der Führungskräfte.726 Dies ist keine leichte Aufgabe. THOMAS DÖBLER, KLAUS MACHARZINA und JOACHIM WOLF schlagen dazu ein wertorientiertes Personalführungsmodell vor, das nachstehend grafisch veranschaulicht wird.727 Das Modell wird dem von den Autoren postulierten Wandel der Werthaltungen vom Materialismus in den älteren zum Postmaterialismus in den jüngeren Jahrgängen und gleichzeitig dem Grad der Fachkompetenz des Mitarbeiters gerecht. Zwischen dem Idealtyp der Postmaterialisten und der Materialisten in der Definition nach INGLEHART liegt dabei eine Gruppe nicht zuordenbarer Realtypen, die unter dem Begriff Wertsynthetiker zusammenfasst werden. Der autokratische Führungsstil wird nur für (ältere) materialistische Mitarbeiter mit geringer Fachkompetenz empfohlen. Je postmaterialistischer die Werthaltungen bei geringer Fachkompetenz (zum Beispiel bei Auszubildenden), desto eher ist die Förderung des Mitarbeiters durch die Führungskraft angebracht. Fachkompetente Mitarbeiter brauchen die Vermittlung von Sinn bei der Arbeit und mehr Freiraum, wenn sie Postmaterialisten sind.728 Abb. F-3: Modell einer wertbewussten Mitarbeiterführung Fachkompetenz des(r) Mitarbeiters(in)
Materialist Wertsynthetiker Postmaterialist
Werthaltung des(r) Mitarbeiters(in)
gering rte tie ien or sstil s ng ng isu ru we Füh an
hoch r
er lnd tte il mi gsst r e n nv ru sin Füh
r de l rn sti de gs för run h Fü r de en il ier gsst g n le de ühru F
Quelle: Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 149 726
Vgl. Wunderer 2001 (Führung und Zusammenarbeit) S. 538 f.
727
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 147 ff.
728
Vgl. Döbler/Macharzina/Wolf 1993 (Werthaltung), S. 147 ff.
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Das Modell einer wertbewussten Mitarbeiterführung berücksichtigt damit generationelle Aspekte in Form der Werthaltung und zudem Fachkompetenz und Erfahrung. Fraglich ist allerdings, ob dieses statische Modell mit nur zwei Dimensionen, wirklich situationsgerecht ist. Dazu kommt, dass die Wertetypen der Mitarbeiter nicht einfach zu ermitteln und vor allem in den Übergangszonen schwer zuordenbar sind. Verschiedene Typen in der Abteilung erfordern danach unterschiedliches Führungsverhalten. Das ist für den Führenden schwer und würde möglicherweise zu Neid und Ungerechtigkeitsempfinden führen. Sinnvoll ist im Rahmen des Generationenmanagements eher ein Führungsstil, der den Anforderungen des Zeitgeistes gerecht wird, da sich dieser mehr oder weniger stark auf alle Mitarbeiter auswirkt. Dies wäre im Sinne der Handlungsautonomie ein kooperativer Führungsstil. Die Schwierigkeit liegt hier darin, ein konsistentes forderndes und förderndes Führungsverhalten zu zeigen, ohne die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihre Besonderheiten, wie zum Beispiel die Altersdiversität, zu vernachlässigen. Gefördert werden sollte die Einheit in der Vielheit, das heißt einerseits die Fachkompetenz, das Prozesswissen und die Sozialkompetenz in Abhängigkeit des Entwicklungsstandes des Mitarbeiters und andererseits die Zusammenarbeit. Sinnvermittlung und Freiräume sind in Abhängigkeit von Können und Aufgabe graduell zu variieren. Dies stimmt auch mit den Anforderungen der Mitarbeiter nach den Ergebnissen der Generationenmanagementstudie überein. Sie wünschen sich eine Führung über Zielvereinbarung mit großen Freiheitsgraden, verbessertem Informationsfluss, regelmäßigem Feedback und gezielter Mitarbeiterentwicklung. Dazu gehören das regelmäßige, persönliche Gespräch und die Kenntnis der individuellen Besonderheiten der Mitarbeiter. Die Diversitätsziele sollten in Zielvereinbarungen und Beurteilungskriterien von Mitarbeitern und Führungskräften ihren Niederschlag finden.729 Führungskräfte sollen gerade in der heutigen Zeit der Dynamik und der Ungewissheit und gerade gegenüber Nachwuchskräften und Auszubildenden Orientierung geben und für Wertmaßstäbe eintreten.730 Nach der Generationenmanagementstudie ist vor allem unter den Mitarbeitern mit unter 10 Jahren Berufserfahrung das Bedürfnis nach einem echten Ausbilder oder Coach und nach mehr Austausch mit erfahrenen Kollegen stark vertreten. Als zweite Gruppe sind die Kriegskinder, als älteste Arbeitnehmergruppe, an der Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialer Kompetenzen besonders interessiert. Mitarbeiter aller Altersstufen wünschen sich mehr Austausch und einen verbesserten Informationsfluss, eine verstärkte Einbindung in Netzwerke und vor allem eine bessere Zusammenarbeit und ein besseres Arbeitsklima. Damit ist Coaching eine Führungsaufgabe. Unter Coaching werden heute so unterschiedliche Funktionen wie Berater, Therapeut, Trainer, Dozent usw. zusammengefasst. Sieht man von Extremfällen ab, handelt es sich um ein Instrument der Personalentwicklung zur Förderung der fachlichen und sozialen Kompetenzen der Mitarbeiter und um die 729
Vgl. exemplarisch Huber/Morschhäuser/Ochs 2003 (Strategien für die betriebliche Praxis), S. 23. Solche Gespräche geben dem Mitarbeiter Orientierung und liefern dem Vorgesetzten die Informationen, die er braucht, um auf die individuellen Bedürfnisse des Mitarbeiters einzugehen. Moralische und informative Rückkehrgespräche nach Fehlzeiten können zum Beispiel zu deren Verringerung führen.
730
Das Vorleben der Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz, Achtung des Individuums und ein entwicklungsbestimmtes Maß an Selbstbestimmung werden hier von Kopp als pädagogisches Ethos postuliert. Vgl. Kopp 2002 (Ethos im Wandel), S. 253.
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Funktion eines Ansprechpartners bei Problemen.731 Coachingtechniken können neben anderen Maßnahmen auch angewendet werden, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Als Multiplikatoren, Schlichter, Ansprechpartner bei Problemfällen oder Promotoren der guten Zusammenarbeit eignen sich nach der Generationenmanagementstudie aus Arbeitnehmersicht am besten Führungskräfte und Mitarbeiter der mittleren Altersgruppen, da ihnen die größte soziale Kompetenz zugesprochen wird. Die jüngsten und älteren Arbeitnehmer sind schwerer in die Teams zu integrieren. Verhaltensregeln und gute Umgangsformen bieten einen Ansatz zu besseren Integration der Altersgruppen. Gute Umgangsformen werden von allen Altersgruppen, laut Stereotypen jedoch vor allem von den ältesten und den jüngsten Arbeitnehmern, geschätzt. Führungskräfte sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen gutem Benehmen und persönlichem Erfolg. Es wirkt sich nach ihrer Einschätzung auf das Betriebsklima und die Motivation aus.732 Auch die Generationenmanagementstudie zeigt, dass gerade die am schwersten zu integrierenden Altersgruppen Wert auf gute Umgangsformen legen. Deshalb sollte die Befolgung guter Umgangsformen in der Unternehmenskultur verankert und von den Führungskräften gefördert und vorgelebt werden. Eine gute Zusammenarbeit geht fast automatisch mit dem Abbau von falschen und negativen Vorurteilen einher. Um dies bei Mitarbeitern zu erreichen, die nicht an der Zusammenarbeit interessiert sind, empfiehlt sich für Führungskräfte zunächst eine sokratische Haltung, die unterschiedliche Sichtweisen wertschätzt, sowie die Förderung von Leistungsvermögen und Selbstwirksamkeit des Mitarbeiters, um dessen Vertrauen zu gewinnen. Rollenvorbilder können hier hilfreich sein.733 In Anbetracht der Tatsache, dass für junge Mitarbeiter Spaß an der Arbeit ein wichtiger Faktor ist, kann der Führungsstil durch ungewöhnliche Maßnahmen wie die kreative Gestaltung der physischen und virtuellen Arbeitsumgebung, Denken mit den Händen, Lachen und humorvolles Verhalten angepasst werden. Das fördert die Arbeitsmoral, den Gruppenzusammenhalt, das Betriebsklima und die Kreativität, Motivation und Produktivität.734 Führungskräfte sind formell und vor allem informell Verbindungsoffiziere zu anderen Organisationseinheiten und ihren Bedürfnissen. Ihre Aufgabe der Überspannung von Grenzen entspricht dem Zeitgeist der Moderne. Sie steuern die interne und externe Informationsbeschaffung und den Informationsfluss, insbesondere von der Gesamtorganisation zum Team und 731
Coaching-Techniken werden zur Förderung der Führungskompetenz und auch häufig zur Problembehandlung bei Führungskräften selbst angewendet. Sie fallen dann eher in den Bereich der psychologischen Betreuung wie die häufig angewendete systemische Therapie, Kommunikationstherapie und Neurolinguistische Programmierung, in ernsten Fällen auch Psychoanalyse und Verhaltenstherapie. Vgl. Marlinghaus/ Stahl 2000 (Coaching), S. 199 ff.
732
Nach Ergebnissen einer Umfrage der Claus Goworr Consulting München unter 600 Führungskräften sehen 87 % unter ihnen einen Zusammenhang zwischen gutem Benehmen und Erfolg, die restlichen 13 % sehen dies zumindest zum Teil so. Nach dieser Umfrage wirkt es im Rahmen der Einstellung als Hygienefaktor. In der Außenwirkung werden Geschäftsverhandlungen und -ergebnisse, der Kundenservice und das Firmenimage verbessert. Zitiert nach Grosse-Halbuer/Mai/Sprothen 2005 (Manieren), S. 86.
733
Vgl. Steele 1997 (Stereotypes), S. 624 f.
734
Nach empirischen Untersuchungen hat allerdings Humor als Moderatorvariable nur bei einem aktiven Führungsstil einen positiven Effekt, mit Laissez-faire zusammen wirkt er sich eher negativ aus. Vgl. Avolio/ Howell/Sosik 1999 (Humor), S. 219 ff.
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eröffnen Zugang zu Netzwerken. Auf Informiertheit legen die Befragten der Generationenmanagementstudie besonderen Wert. Die Führungskräfte müssen deshalb Sorge tragen, ihrer Informationspflicht nachzukommen und dürfen Informationen nicht aus Machtstreben für sich behalten. Dies erweitert auch den Handlungsspielraum der Mitarbeiter. Die für die Kommunikation genutzten Medien sollten der Komplexität der Aufgabe angemessen sein. Manager, die Medien adäquat und auf persönliche Art einsetzen, erzielen bessere Ergebnisse. Dazu zählt auch der Einsatz der von den verschiedenen Altersgruppen bevorzugten Medien, mit denen ihnen der Umgang vertraut ist oder gegebenenfalls vertraut gemacht wurde.735 Den Führungskräften obliegt es auch, Vertrauen in Innen- und Außenverhältnissen aufzubauen. Dazu gehören Interesse, Zeit und Zuhörenkönnen auch bei persönlichen Problemen sowie Offenheit und Fairness im Innenverhältnis. Die genaue Beobachtung, Datensammlung und systematische Problemaufspürung ist nicht nur in Bezug auf die Generationenproblematik wichtig. Des Weiteren geht es darum, die Teammitglieder in die Lage zu versetzen, weitestmöglich selbstständig und trotzdem im Sinne der Organisation zu handeln (Selbstmanagement). Vertrauen und Handlungsspielraum erlauben den Mitarbeitern Komplexität und Umweltturbulenzen besser zu bewältigen. Diese Autonomie kann über den Generationenmix manchmal zu ungewöhnlichen Problemlösungen führen. Aufgabe der Führungskraft ist es, andere Organisationsmitglieder von diesen Lösungen zu überzeugen und sie zu bewegen, im Sinne des Teams tätig zu werden. Dazu gehören Diplomatie, aber auch Rückgrat und die Nutzung der eigenen Informationsmacht zugunsten der eigenen Mitarbeiter.736 Die Zuweisung von mehr Verantwortlichkeit an die Mitarbeiter bedeutet auch, dass sie in einen fairen und transparenten Planungsprozess einbezogen werden, die Ergebnisse der Planung kennen und für eine positive Gestaltung der (intergenerationellen) Zusammenarbeit verantwortlich gemacht werden. Entsprechend muss auch Vertrauensmissbrauch, (alters-)diskriminierendes Verhalten und das Nichterreichen von Zielen sanktioniert werden.737 Die Forderung nach zeitnahem Feedback wird von einem Großteil der Befragten der Generationenmanagementstudie unabhängig von ihrem Alter herangetragen. Hier scheint ein allgemeines Führungsdefizit zu bestehen. Regelmäßige Beurteilungen der Leistung sind für die Weiterentwicklung der Mitarbeiter unerlässlich. Dabei sind die Regeln für positive wie negative Kritik, dass sie höflich an der Sache geübt und so zeitnah und spezifisch wie möglich sein sollte. Feedback muss in beide Richtungen möglich sein. Der kritische Dialog sollte sowohl horizontal als auch vertikal gefördert werden und für Notfälle ein Beschwerdemanagement eingerichtet werden. Grundregeln der Kommunikation sind dabei gegenseitiger Respekt, Zuhören, Sachlichkeit, Ehrlichkeit, Verantwortlichkeit für die Qualität der Kommunikation und die Einhaltung der Regeln, eine gewisse Großzügigkeit usw. Gerade im Konfliktfall ist dafür
735
Vgl. Englberger/Möslein/Oldenburg/Reichwald/Sachenbacher 1998 (Telekooperation), S. 56 ff. und Glaser/ Glaser 2000 (Telearbeit), S. 106. In der Reihenfolge abnehmender Komplexität bzw. sogenannter „high richness“ sind dies zum Beispiel Dialog, Meeting, Videokommunikation, Telefongespräch und Telefonkonferenz, Voice Mail, Computerkonferenz, Telefax, Mail, Briefpost und Dokumentation.
736
Vgl. Ahlers/Gradtke/Steinle 2000 (Vertrauensorientiertes Management), S. 208 ff., Druskat/Wheeler 2003 (Boundary), S. 435 ff. und S. 449 sowie Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 138 f.
737
Vgl. Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 146.
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allerdings die Einhaltung der Regeln besonders wichtig, um Eskalation und/oder Diskriminierung zu vermeiden.738 Zusammenfassend sind Sinnvermittlung, Transparenz in Information und Kommunikation, Autonomie und Partizipation, klare Zielvereinbarungen und Prioritätensetzung, soziale und emotionale Integration sowie Fairness die Leitlinien einer generationengerechten und altersdiversen Führung. Diese sind nicht nur in Bezug auf die Altersdiversität wirksame Prinzipien, um Motivation und Leistung der Mitarbeiter zu steigern.739 Sie lassen sich jedoch nicht von heute auf morgen einführen. Eine vordringliche Aufgabe des Generationenmanagements ist die Entschärfung aktuell bestehender Konflikte und Missverständnisse zwischen den Altersgruppen. Die Bewusstmachung von Generationenstereotypen und von Generationenkonflikten ist der erste große Schritt zur Vermeidung von Stress, Frustration und schlechter Zusammenarbeit. Dabei sollten nicht nur die negativen Stereotype im Vordergrund stehen. Es ist wichtig kontextsensibel die Dimensionen der Altersdiversität und ihre positiven Beitragspotenziale zu verdeutlichen. Generelle Verhaltensregeln bezüglich des Umgangs miteinander und mit Unterschiedlichkeiten, wie sie oben beschrieben wurden, helfen im Sinne einer Kommunikations- und Streitkultur, Generationenkonflikte zu vermeiden bzw. zu vermindern oder notwendige Spannungen auszuhalten. Dem Umgang mit bestehenden Konflikten widmet sich das folgende Unterkapitel.
4
Management von Generationenkonflikten „Let people realize clearly that everytime they threaten someone or humiliate or hurt unnecessarily or dominate or reject another human being, they become forces for the creation of psychopathology, even if these be small forces. Let them recognize also that every man who is kind, hepful, decent, psychologically democratic, affectionate, and warm, is a psychotherapeutic force even though a small one.“ Abraham H. Maslow740
Im Unternehmensgeschehen sind Konflikte unvermeidbar, da Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Erwartungen und Werten aufeinander treffen, miteinander arbeiten und gemeinsame Entscheidungen fällen müssen. Ein Teil dieser Konflikte kann durch die Altersdiversität erklärt werden. Diversität bezüglich der Betriebszugehörigkeitsdauer und des Alters stellt einen Risikofaktor für Kooperation- und Kommunikation und damit auch Koordination im Unternehmen dar. Altersdiversität muss jedoch nicht unbedingt sozial relevant und nicht 738
Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 53 ff., Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 138 f. und S. 146 sowie Internetquelle: Summers 2005 (Generation mix).
739
Vgl. Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 150 ff.
740
„Lass die Menschen klar erkennen, dass sie jedes Mal, wenn sie ein anderes menschliches Wesen bedrohen, demütigen, unnötig verletzen, dominieren oder abweisen, zu Kräften bei der Schaffung von Psychopathologie werden, selbst wenn es kleine Kräfte sind. Lass sie wieder erkennen, dass jeder Mensch, der freundlich, hilfsbereit und anständig, diplomatisch, liebevoll und warm ist, eine wenn auch kleine psychotherapeutische Kraft ist.“, Maslow 1954 (Motivation and personality), S. 321 [Übersetzung der Verfasserin].
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einmal wahrgenommen werden.741 Dazu kommt, dass Konflikte entgegen der landläufigen Meinung nicht immer schädlich sein müssen, sondern vielfältige Lernchancen und großes Innovationspotenzial in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denkweisen bergen. Entscheidend ist, wie mit ihnen umgegangen wird. Eine konstruktive Nutzung von Konflikten im Unternehmen erfordert eine Kontext- und Ursachenanalyse sowie die rationale Steuerung und Konflikthandhabung. Bei negativem Verlauf können Konflikte zu psychischen Belastungen durch Misstrauen, Ängste und Depressionen führen und sich destruktiv auf das Kommunikationsverhalten und die Arbeitsmotivation auswirken. Das reicht bis hin zum Verlust des Aufgabenbezugs beim Individuum, dem Team oder der Abteilung. Gerade bei Dienstleistungsunternehmen strahlen solche Konflikte negativ auf die Leistung und die Außenbeziehungen aus. Aus diesen Gründen sind Konfliktmanagement und -prävention zentrale Führungsaufgaben.742 In Bezug auf Generationenmanagement besteht die erste Pflicht der Führungskräfte in der Entlarvung falscher, negativer Stereotype, in der Bekämpfung ihrer Folgen in Form von Diskriminierung und in der Steuerung von Generationenkonflikten. Ziel ist nur im Bereich der Werte eine Konsenskultur, in der Sache beinhaltet Generationenmanagement die Einführung einer guten Streitkultur. Die Bandbreite der Spielarten von Generationenkonflikten soll anhand der folgenden Beispiele aufgezeigt werden.743 So ist zum Beispiel ein Verteilungskonflikt zu erwarten, wenn jüngere Mitarbeiter aufgrund ihrer besseren Qualifikation bereits beim Einstieg mehr verdienen als langjährige, altgediente Mitarbeiter in vergleichbarer Position oder wenn den jüngeren keine Aufstiegsmöglichkeiten in der Hierarchie bleiben, da die älteren Mitarbeiter die wenigen Führungspositionen einer flachen Hierarchie dauerhaft besetzt halten. Konflikte können auch entstehen, wenn mit einer Sache widersprüchliche Ziele erreicht werden sollen. Ein Netzkind mag sich zum Beispiel aufgrund der Möglichkeit zur Knüpfung sozialer Kontakte freiwillig in eine Projektgruppe melden. Für ein Medienkind steht bei der Projektarbeit stattdessen effektives Arbeiten und die Aussicht auf einen Karriereaufstieg im Vordergrund. Wenn ein altersmäßiger Außenseiter beispielsweise zum Gruppenführer befördert wird, besteht die Gefahr, dass er vom sonst homogenen Team nicht anerkannt wird, dessen Mitglieder sich mit den ihnen zugewiesenen minderen Rollen nicht abfinden wollen. In diese Kategorie fallen auch Stereotypisierungen. Junge Mitarbeiter werden zum Beispiel für nicht kompetent, erfahren oder „alt“ genug gehalten, um eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Ältere werden in die Rolle des Rentenanwärters geschoben, obwohl sie sich selbst als leistungsfähig empfinden usw. Diese Stereotype hängen stark mit einer falschen Wahrnehmung oder Interpretation von Situationen zusammen und führen wiederum zu Beziehungskonflikten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Führungskraft gewohnheitsmäßig nur im Rahmen des halbjährigen Mitarbeitergesprächs Feedback gibt und der Mitarbeiter die zeitnah erwartete, positive Rückmeldung nicht bekommt und deswegen in seinen Anstrengungen 741
Solche Unterschiede können auch wegdefiniert oder aber nicht-existente Unterschiede postuliert werden. Vgl. Aretz/Hansen 2002 (Diversity), S. 13 und Gebert 2004 (Teaminnovativität), S. 414 ff.
742
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 146 ff. und Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 67.
743
Es kann sich zum Beispiel um Verteilungskonflikte, Zielkonflikte, Rollenkonflikte, Wahrnehmungs- und Beziehungskonflikte handeln. Vgl. Kellner 2000 (Konfliktmanagement für Führungskräfte), S. 8 ff.
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erlahmt. Konfliktstoff bildet auch Neid, der hervorgerufen werden kann, wenn Unternehmen Mitarbeitern mit Familienpflichten mehr Freiräume und weniger Arbeitspensum gewähren als den Kollegen. Sehr häufig bestehen keine echten Konfliktursachen, sondern nur Missverständnisse, Wahrnehmungsprobleme oder Falschinterpretationen, was aber genauso gravierende Folgen zeitigen kann. Damit können Generationenkonflikte rationale, emotionale und soziale Ursachen haben. Mobbing kann eine weitere Spielart des Generationenkonflikts mit großer Tragweite für Unternehmen sein.744 Es gehört zu den schnell eskalierenden Konflikten. Die Kosten für einen Mobbingfall liegen in der Größenordnung 25.000 bis 30.000 Euro. Das sind 15 Milliarden jährlich in Deutschland, nicht eingerechnet die volkswirtschaftlichen Kosten durch die Belastung der Sozialsysteme aufgrund der resultierenden körperlichen und psychischen Probleme. Die Ursachen für Mobbing sind komplex und nicht eindeutig zuordenbar. Jedoch werden als Auslöser oft besondere Verhaltensweisen zum Beispiel in Sprache, Gestik oder Kleidung sowie abweichendes Leistungsverhalten genannt. Druck aus der Arbeitsumgebung, vor allem permanente Überforderung begünstigt Mobbing genauso wie Defizite bei Arbeitsinhalten, bei Arbeitsorganisation und -prozessen sowie beim Führungsverhalten.745 Von Mobbing sind alle Altersstufen betroffen. Ältere Betroffene werden eher von ihren Vorgesetzten gemobbt, während jüngere Betroffene (Altersgruppe 25 bis 34) eher von Kollegen attackiert werden. Bei einer Mobbingquote von durchschnittlich 2,7 % sind die unter 25 Jährigen mit 3,7 % am stärksten betroffen, gefolgt von den über 54 Jährigen mit 2,9 %. Die mittleren Altersgruppen der 25- bis 44-Jährigen und der 44- bis 54-Jährigen sind weniger 2,6 % bzw. mit 2,2 % sogar unterdurchschnittlich betroffen. Diese Ergebnisse stimmen mit der Generationenmanagementstudie insofern überein, als auch dort die jüngste Altersgruppe am meisten Probleme bereitet und selbst mit den Mitte 40- bis Mitte 50-Jährigen die meisten Probleme hat (eventuelle Mobber und Vorgesetzte).746 Damit sind Generationendifferenzen oder -stereotype ein wahrscheinlicher Auslöser für Mobbingverhalten. Die beschriebenen Konfliktsituationen im Unternehmen zeigen die Bandbreite von Generationenkonflikten auf. Sie reichen vom Missverständnis über den latent schwelenden Konflikt bis zu offenem Kampf und Mobbing. Demnach variiert neben der Art der Generationenkonflikte auch ihr Grad. Entsprechend erfordern sie auch unterschiedliche Maßnahmen. Diese liegen in der Prävention, in der Gestaltung der Rahmenbedingungen von Konflikten und in den verschiedenen Eingriffsmöglichkeiten im Akutfall. Dazu kommen kurative Maßnahmen, um die negativen Folgen von Konflikten möglichst einzudämmen. In diesem Bereich gibt es eine Vielzahl erprobter Instrumente. Präventiv wirken zum Beispiel Tandemarbeit oder die Einführung von „Spielregeln“. Im akuten Konfliktfall sind je nach Schwere beispielsweise Ver-
744
Mobbing (von Englisch „to mob“: herfallen über, attackieren) bezeichnet böswillige psychische oder physische Schikanen, die einzelne oder mehrere Personen am Arbeitsplatz über einen längeren Zeitraum gegen bestimmte Kollegen richten und systematisch als Druckmittel einsetzen. Vgl. o. V. 2002 (Encarta).
745
Vgl. Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 56 ff. und 99 f.
746
Dabei haben Frauen ein deutlich höheres Mobbingrisiko als Männer. Vgl. Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 56 ff. und 99 f.
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handeln, Mediation oder das Machtwort des Vorgesetzten adäquat. Kurative Maßnahmen betreffen zum Beispiel Personalveränderungen oder eine psychologische Nachbetreuung. Der erste Schritt im Konfliktmanagement ist die Situationsanalyse der Führungskraft für ihr Team.747 Es gilt, das Abteilungsklima, das Konflikt- und Kommunikationsverhalten, eventuelle Diskriminierungen und Konfliktherde usw. in der Abteilung zu eruieren. Offene Konflikte, Mobbing und Diskriminierung dürfen auf keinen Fall ignoriert werden. Die Ursachenanalyse ist in diesem Fall zwar möglicherweise hilfreich, hinter der Beilegung aber zweitrangig.748 Im Endeffekt geht es nicht darum, wer was falsch gemacht hat, sondern um die Kenntnis der Ziele und Interessen der Beteiligten im Konflikt. Im Laufe dieses Prozesses wird dann über Mediation oder ähnliche Instrumente klar, ob die Konfliktursachen oder die Verhaltensweisen bzw. Missverständnisse generationsbedingt sind. Die Kenntnis der Ursachen kann zur endgültigen Ausräumung der Schwierigkeiten und vor allem zur Prävention weiterer genutzt werden. Die Situationsanalyse umfasst die Analyse von Konflikthintergrund, Konfliktverlauf und Konfliktgeschichte und den Stand der Dinge (zum Beispiel den Eskalationsgrad, Beeinträchtigungen der Wahrnehmung und die Beziehungsqualität). Dabei gilt es, die Konfliktparteien und ihre Hintermänner, die Streitfragen und die Ziele der Konfliktparteien sowie ihre Opferbereitschaft bzw. die Akzeptanzbereitschaft von Interventionen zu identifizieren. Im Verhältnis der Parteien zueinander sind ihr Abstand zueinander, hierarchische Beziehungen, Durchsetzungsmacht und sonstige organisatorische Zwänge sowie ihre grundsätzliche Einstellung zu Konflikten und das Ausmaß ihrer Selbsttätigkeit in Richtung einer Lösung aufzudecken. In diesem Zusammenhang ist das Beeinflussungspotenzial des Intervenierenden in Bezug auf die Beteiligten ein entscheidender Faktor. Interventionen können eher sachbezogen oder eher verhaltens- bzw. einstellungsbezogen erfolgen. Die Interventionen zur Lösung von Generationenkonflikten dürfen sich allerdings nicht, wie in Unternehmen üblich, allein auf die Objektsphäre konzentrieren, da sich dann nichts in den Denk- und Verhaltensweisen der Konfliktparteien ändert.749 Unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um ein Generationenproblem handelt oder sonstiger Handlungsbedarf besteht, kann der Vorgesetzte in der Regel am besten entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind und von wem sie durchgeführt werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass im Fall von Generationenkonflikten eher Störungen in der Kommunikation, latente Konflikte, Verspottung und Missverständnisse vorliegen als eskalierende Konflikte oder Mobbing. In letzteren Fällen empfiehlt sich Hilfe von dritter Seite, falls Schlichtungsversuche oder ein Machtwort der Führungskraft nicht ausreichen. Wo es in der Gruppe aufgrund von Altersdifferenzen kleinere Probleme gibt, kann meist vorbeugend Abhilfe geschaffen werden. Die Lösung von Generationenkonflikten erfordert ein gewisses Vorwissen bei der betroffenen Führungskraft bzw. dem neutralen Mediator oder derjenigen Vertrauensperson, die mit der Lösung des Konfliktes betraut wird. Sie sollte sich der generationsspezi747
Dies kann gegebenenfalls von der Personalabteilung durch die Analysen der Beschwerden aus dem Kummerkasten oder der Mitarbeiterbefragungen unterstützt werden.
748
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 101 f.
749
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 41, S. 314 f. und S. 400 ff. In Pattsituationen weit fortgeschrittener Konflikte können sogar eskalierende Maßnahmen sinnvoll sein.
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fischen Hintergründe und der Position im Lebenslauf der Betroffenen bewusst sein und auch der Bedürfnisse, Wertvorstellungen und Eigenschaften, die sich daran knüpfen. Gleichzeitig dürfen die Konfliktparteien jedoch nicht einfach als stereotype Vertreter ihrer Generation kategorisiert werden. Es ist wichtig, die individuelle Situation im Auge zu behalten. Eine wichtige präventive Maßnahme ist die Metakommunikation über die Generationsprobleme und die Information der Beteiligten über das Phänomen der Generationenprägung. Sie können dann in der Gruppe über Stereotype und problematisches Verhalten diskutieren und ein besseres Verständnis voneinander erwerben, eventuell sogar gemeinsam über die Problematik lachen. Das ist sicherlich leichter, wenn ein oder mehrere Mitglieder der Gruppe, den mittleren Altersgruppen (Medienkinder oder Krisenkinder) angehören, die laut Generationenmanagementstudie als sozial kompetenter und vertrauenswürdiger angesehen werden. Mitarbeiter, die sich selbst keiner Generation zugehörig fühlen, eignen sich manchmal besonders gut als Vermittler. Auf diese Weise ist es vielleicht sogar möglich, den Teambildungsprozess in einer Gruppe mit diverser Altersstruktur zu fördern, ohne explizit auf die Altersproblematik einzugehen und Altersgruppen zu stigmatisieren. Dies gelingt leichter in einer vertrauensorientierten Unternehmenskultur, die auf Gleichberechtigung und Meinungsvielfalt setzt, insbesondere dann, wenn über die zentralen Werte Konsens herrscht. Um erste Kontakte und Kommunikation anzuknüpfen, genügt es jedoch oft schon, eine gemeinsame Aufgabe bzw. ein gemeinsames Zielverständnis zu haben oder sich auf den Weg dorthin einigen zu müssen. Die Erfahrungen, die mit einem Einzelmitglied der stereotypisierten Gruppe gemacht werden, sind oft bereits entscheidend für die Annäherung an den Soziotyp. Dabei ist die Annäherung an Einzelne einfacher als an eine Gruppe, insbesondere wenn kein Gesichtsverlust zu befürchten steht. Auch fällt sie leichter, wenn in anderer Hinsicht, zum Beispiel im fachlichen Hintergrund, bezüglich der Hierarchieebene etc. Gemeinsamkeiten bestehen.750 Die Abpufferung von Diversität und latenten Konflikte kann durch als sozial kompetent angesehene Mitglieder bestimmter Generationszusammenhänge oder durch Personen, die in Alter und Ansichten zwischen den Welten stehen oder ansonsten verbindende Merkmale mit allen Gruppenmitgliedern besitzen, erfolgen – und sei es nur durch Milderung der Anfangsprobleme in der Zusammenarbeit. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Abpufferung und partielle Homogenisierung zum Teamerfolg diverser Teams beitragen. Die Teambildung kann durch Artefakte und gegebenenfalls Rituale unterstützt werden, welche die Emotionen der Beteiligten ansprechen (zum Beispiel Teamkultur, Gestaltung des eigenen Raums etc.).751 Emotionen sind nur durch Erfahrung langsam veränderbar, während das kognitive System sich schnell anpasst. Wenn die Unternehmensumgebung die Veränderung nicht unterstützt, hält auch die individuelle Veränderung nicht an. Eine Politik der kleinen Schritte und ein
750
Menschen bilden sich aus verschiedenen Informationen Durchschnittsmeinungen. Dabei fallen neuere Informationen in der Regel im Vergleich zu älteren bzw. ersten Eindrücken weniger ins Gewicht. Jede Aktivierung eines Stereotyps festigt es unwillkürlich. Deshalb kann es sinnvoller sein, negative Stereotype nicht zu erwähnen, sondern sie durch Handlungsweisen zu konterkarieren oder durch neue Informationen zu verändern. Vgl. Seyler/Slane 2003 (Sochial psychological processes), S. 139 ff., S. 153 ff. und S. 168 ff.
751
Vgl. Gebert 2004 (Teaminnovativität), S. 420 ff.
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ganzheitliches Vorgehen sind also nicht nur bei Arbeitnehmern mit stark ausgeprägten Einstellungen und engen Toleranzgrenzen sinnvoll.752 Verhaltensregeln erleichtern nicht nur den Umgang miteinander, sondern auch die Regelung von Konflikten. Solche Regeln für allgemeines Verhalten, Beschwerden, Klage und Berufung geben Sicherheit und fördern Akzeptanz. Allerdings müssen dazu spezielle Konfliktregelungsmechanismen im Sinne von Normen und Prozeduren im Umgang mit Problemen implementiert werden.753 Sie betreffen unter anderem Verfahren, die auch oder gerade bei Eskalation gültig und möglich sind. Die Festlegung von Ansprechpartnern ist bei Problemen, die nicht selbstständig geklärt werden können, besonders wichtig. Solche integrativen Rollen und Funktionen müssen mit Integrität und Durchsetzungsvermögen ausgestattet sein. Schlichter können ein bestimmter Kollege oder Vorgesetzter, ein Ombudsmann, der Betriebsrat, der Personalchef usw. sein. Bei latenten Konflikten finden Spannungen scheinbar auf der Sachebene ihren Niederschlag, sind aber emotional begründet und bedürfen entsprechend einer Aussprache zwischen den Parteien. Dem Ausbruch eines echten Konfliktes kann durch Änderung der Spielregeln, Verlangsamung oder Unterbrechung von Seiten der Führungskraft, der Teamkollegen oder der Parteien selbst entgegengewirkt werden. Methoden dazu sind die räumliche Distanzierung, Nachfragen, Wiederholen, Rückversichern, Vertagen usw.754 Speziell im Fall von Mobbing gibt es keine wirklich typischen Opfer oder typische Täter. Deswegen ist die Vorbeugung oder das Ersticken im Keim von Mobbingattacken dringend erforderlich, wenn auch nicht einfach. Eingreifen ist Sache des Vorgesetzten. Vorbeugend wirken organisationale Maßnahmen und Gegenwehr des Opfers. Dies kann durch die Setzung klarer Grenzen und durch Öffentlichmachen der Mobbingattacken erfolgen. Die möglichen Maßnahmen von Unternehmensseite reichen von der Vermittlung von Sicherheit und Transparenz, über offene Kommunikation und die Bereitstellung von Vertrauensansprechpartnern, über Coaching bis zur Hinzuziehung therapeutischer Hilfe.755 Regeln zum Umgang mit Konflikten oder gegen Diskriminierung sind meist bekannt, werden jedoch nicht immer eingehalten. Auf diesbezügliches negatives Feedback reagiert der Regelbrecher meist empfindlich und uneinsichtig. Das Unrechtsbewusstsein fehlt und die Regelverletzung wird als Sondersituation interpretiert; es besteht die Gefahr von Retourkutschen. Aus Ängstlichkeit und Höflichkeit werden die eigenen Kollegen deshalb selten und die Führungskräfte noch seltener kritisiert. Hier kann durch hierarchiefreie Kommunikation und eine konstruktive Streit- und Konfliktkultur gegengesteuert werden. Deswegen sind positives wie negatives Feedback, systematische Analyse von kritischen Regelverstößen und je nach Situation Ermunterung oder Sanktionen durch die Führungskräfte besonders wichtig. Die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen können auch in Seminaren oder Vorträgen oder durch 752
Vgl. Seyler/Slane 2003 (Sochial psychological processes), S. 156 ff.
753
Beschwerde-, Berufungs- und Klagerecht werden festgelegt, genauso wie die zugehörigen Wege (Beobachten, Beschreiben, Melden, Beurteilen, Entscheiden, Legitimieren, Sanktionieren, für beendet Erklären). Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 160 ff.
754
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 160 ff.
755
Vgl. Mierke/Poppelreuter 2005 (Psychische Belastungen), S. 62 f. und 99 f.
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Rotation der Schiedsrichterrolle realitätsnah vermittelt werden. Zur Anregung der kritischen Diskussion und Reflexion im Team können regelmäßig verwandte Themen, gröbere Regelverstöße etc. aufgegriffen oder die Sinnhaftigkeit von Verhaltensregeln hinterfragt werden.756 Prinzipiell können bestehende Konflikte anhand von Macht, Gesetz oder Konsens bewältigt werden. Macht ist dabei der Lösungsweg, der bei eskalierenden Konflikten von den Parteien angestrebt wird. Hier sind starke Emotionen im Spiel, welche die Wahrnehmung und die eigene Zielsetzung verschleiern. Dieser eher archaische Weg des Durchsetzens endet mit dem Sieg der einen und der Niederlage der anderen Partei. Möglich ist auch ein Eingreifen eines Dritten. Der Konflikt könnte mit einem Machtwort des Vorgesetzten beendet werden, wird dann jedoch oft von beiden Parteien als Niederlage empfunden. Hält sich der Vorgesetzte dabei an die bestehenden Regeln der Unternehmung (Gesetz) und wird das Entscheidungsverfahren als fair empfunden, besteht eine größere Chance, dass die Lösung von den Beteiligten als gerecht empfunden wird. Das Konsensverfahren hingegen – zum Beispiel in Form der Mediation757 – sucht nicht nach dem Recht, sondern nach einer Lösung, die für alle Beteiligten von Vorteil ist. Dafür werden von einem neutralen Dritten (ohne eigene Entscheidungskompetenz, dafür aber mit Prozesskompetenz) die Interessen der Beteiligten ausgelotet und der Verteilungsspielraum erweitert, in dem weitere Ziele der Beteiligten einbezogen werden. Dadurch wird der zu verteilende „Kuchen“ größer. Wird seine Verteilung von den Beteiligten im Konsensverfahren ausgehandelt, ohne dass eine Partei dabei unterdrückt wird oder nur formal beistimmt, ergibt sich eine Gewinnsituation für alle. Hierbei handelt es sich weder um die Konfliktunterdrückung mit der Gefahr der revolutionären Entladung noch um Konfliktlösung im Sinne der Diktatur des Guten, sondern um eine pluralistische Konfliktregelung. Dies entspricht dem Prinzip der Partizipation. Der Konflikt wird anerkannt, Spielregeln für den Umgang aufgestellt und akzeptiert, die Parteien sind gleichberechtigt und müssen ihre Meinungsdifferenzen über ein System von Verhandlung und kleinen Fortschritten lösen. Die Konfliktlösung wird damit nicht nur als akzeptabel, sondern auch als gerechter Ausgleich empfunden. Die Chance auf weiteres friedliches und konstruktives Miteinander und eine echte Beilegung des Konfliktes ist somit am größten. Damit ist die Konsensfindung als Verfahren vorzuziehen und erscheint auch für Generationenkonflikte am vorteilhaftesten. Leider ist dieses Vorgehen nicht immer durchführbar bzw. es kann kein Konsens herbeigeführt werden. In einem solchen Fall ist ein Schiedsgericht mit neutralem Dritten oder eine Entschei-
756
Vgl. Faulmüller/Frey/Wendt/Winkler 2002 (Verhaltensregeln), S. 146 ff.
757
Mediation beinhaltet alle Verfahren der Konfliktlösung, bei denen ein neutraler Dritter ohne eigentliche Entscheidungsgewalt versucht, den Konfliktparteien bei der Einigung zu helfen. Dazu bedarf es eines Experten in Sachen Übersetzung, Verhandlung und Vermittlung mit dem notwendigen Fachwissen (hier über Altersdiversität). Er leistet Hilfe zur Selbsthilfe für grundsätzlich autonome Parteien und verlässt seine neutrale Position nur, um etwaige Macht- und Verhandlungsungleichgewichte auszugleichen. Der Mediator stellt sich und seine Rolle vor und arbeitet sich in die Konfliktproblematik mithilfe von Einzelgesprächen ein. Dabei sammelt er Information über den Konflikt, seine äußeren Bedingungen, die Interessen der Beteiligten und wunde Punkte, aber auch über bevorzugte und mögliche Lösungen. In gemeinsamen Sitzungen und über Wechseldiplomatie werden dann für alle Parteien akzeptable und möglichst positive, nicht nur scheinbar annehmbare Lösungen erarbeitet. Das ermöglicht eine zukünftige Zusammenarbeit. Vgl. Altmann/Fiebiger/Müller 1999 (Mediation), S. 18 ff.
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dung durch den Vorgesetzten unumgänglich.758 Je nach Konfliktsituation und Eskalationsgrad wird also ein Moderator als Prozessbegleiter oder Verhandlungsleiter, ein Mediator für ein Vermittlungsverfahren, ein Schiedsrichter oder eine Machtinstanz benötigt, welche die entsprechenden Interventionsmaßnahmen einleiten. Im Prinzip kann der Vorgesetzte jede dieser Rollen übernehmen. Gegebenenfalls empfiehlt sich jedoch die Hinzuziehung eines neutralen und fähigen Dritten oder im Eskalationsfall einer Machtinstanz der höheren Hierarchieebenen.759 Für das künftige Verhältnis ist es besser, einen gerechten Ausgleich verantwortungsvoll anzustreben und sich zu einigen. Dies kann über die Förderung der allgemeinen Konfliktfähigkeit und die Aufdeckung von falschen negativen Stereotypen unterstützt werden. Konfliktfähigkeit besteht darin, auch unter schwierigen Bedingungen eine realistische Wahrnehmung der Konfliktsituation und sowohl des eigenen als auch des Verhaltens des Gegenübers beizubehalten. Das Sachproblem bzw. das Wesentliche darf nicht aus den Augen verloren werden. Dazu gehört auch, die Folgen des eigenen Handelns richtig einzuschätzen, auch in scheinbar ausweglosen Situationen Handlungsfähigkeit zu generieren und die eigene Haltung ändern zu können. Des Weiteren sollten Techniken zur Artikulation eigener Bedürfnisse und gegensätzlicher Standpunkte, ohne den anderen anzugreifen, erlernt werden.760 Schließlich haben Konflikte nicht nur für die Parteien subjektiv negative Folgen, sondern können auch gravierende Sachfolgen nach sich ziehen. Dies muss den Parteien deutlich vor Augen geführt werden. Dann können Unterschiede zwischen Wollen und Wirkungen geklärt und erklärt werden und schließlich Emotionen angesprochen werden.761 Dabei muss den Parteien vermittelt werden, dass sie gemeinsam die Verantwortung für den Konflikt und für seine Bewältigung tragen. Die Beziehung soll durch die Konfliktbearbeitung nicht verschlechtert, sondern möglichst verbessert werden. Dazu ist die Wahrung der Umgangsformen und „des Gesichts“ des anderen unumgänglich. Die Kontrahenten müssen sich in die Vorstellungswelt des anderen so weit einfühlen können, dass sie seinen Standpunkt verstehen. Die Konfliktparteien beginnen darüber nachzudenken, was sie selbst zur Lösung des Konfliktes beitragen können, anstatt alles vom Gegenüber zu verlangen. Eigene Wünsche und Bedürfnisse sollten neutral und verständlich formuliert werden. Trotzdem darf und soll in der Sache hart verhandelt werden, wo es notwendig ist. Handlungsspielräume werden gesucht, gefunden und ausgeschöpft. Manchmal ist es sinnvoller einen Konflikt nicht auszutragen, sondern ihn zugunsten eines größeren Zieles zurückzustellen. Die veränderte Sicht im Umgang mit Konflikten bewirkt einen Wandel im Wertsystem der Beteiligten.762 758
Vgl. Becker/Hugo-Becker 2000 (Psychologisches Konfliktmanagement), S. 127 und Mähler/Mähler 2000 (Gerechtigkeit in der Mediation), S. 10 ff. Zu Strategien im Umgang mit Diversitätskonflikten vgl. ausführlich Brazzel 2003 (Diversity conflict), S. 363 ff.
759
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 314 f. und S. 400 ff.
760
Vgl. Becker/Hugo-Becker 2000 (Psychologisches Konfliktmanagement), S. 316 f. und Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 24 und S. 94 f. Zu Lösungsmöglichkeiten von Diversitätskonflikten vgl. ausführlicher Bidol-Padva 2003 (Conflict resolution systems), S. 407 ff.
761
Vgl. Glasl 2004 (Konfliktmanagement), S. 50 ff.
762
Vgl. Becker/Hugo-Becker 2000 (Psychologisches Konfliktmanagement), S. 127 f.
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In der intergenerationellen Zusammenarbeit geht es im Endeffekt darum, unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen zu komplexen und kritischen Fragestellungen in einem gleichberechtigten Dialog zusammenzutragen und zu einer von „kollektiver“ Intelligenz getragenen Entscheidung zu kommen.763 Die Verbesserung der intergenerationellen Zusammenarbeit und die Lösung von Generationenkonflikten muss in das Generationenmanagementsystem eingebettet werden. Neben Wertekonsens, Wertschätzungskultur und adäquatem Führungsstil zählen dazu strukturelle Maßnahmen bezüglich der personellen Zusammensetzung und der Organisation genauso wie Maßnahmen zur Steigerung der persönlichen Kompetenzen und zur Motivation der Teammitglieder, wie sie in den folgenden Kapiteln dargestellt werden.
5
Generationenmanagement in Außenbeziehungen und Außenwirkung
Wird Generationenmanagement in einem Unternehmen ganzheitlich umgesetzt, so ist eine positive Außenwirkung nicht nur auf potenzielle Mitarbeiter, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit zu erwarten. Elemente des Generationenmanagements, wie Gleichberechtigung, familienfreundliche Organisationsgestaltung, Gesundheitsmanagement oder die Integration älterer Mitarbeiter, sind in diesem Fall nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch politisch gewollt und in ethischer Hinsicht wünschenswert. Das Unternehmen kann mit solchen Maßnahmen, die in der Bevölkerung positiv besetzt sind, seine soziale Verantwortlichkeit zeigen und sein Image steigern. Diese vorteilhafte Außenwirkung ist ein positiver Nebeneffekt des Generationenmanagements, sollte jedoch bestmöglich genutzt werden. Sie kann durch Marketingmaßnahmen unterstützt werden. Dazu gehören die Pressearbeit und der Internetauftritt genauso wie zum Beispiel eine Produktwerbung mit einer positiven Darstellung des Altersbildes und geeigneten Werbeträgern. Auch die Produkte und sogar die Mitarbeiter selbst sind sowohl positiv als auch negativ nicht zu unterschätzende Multiplikatoren.764 Das Ansehen eines Unternehmens und das Vertrauen, das damit einhergeht, erleichtert die Gewinnung von Kunden, Investoren, Mitarbeitern, Lieferanten und öffentlicher Unterstützung. Der letzte Punkt sollte schon deshalb nicht vernachlässigt werden, da gerade zur Förderung älterer Mitarbeiter oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie im Bereich Gesundheitsmanagement usw. eine Vielzahl Fördermöglichkeiten von staatlicher oder dritter Seite bestehen, deren Gelder oder Unterstützung eingeworben werden können. Die Nutzung dieser staatlichen Förderung empfiehlt sich meist nicht nur aus finanziellen Gründen. Sie kann auch mit dem Zufluss von Know-how, Forschungsmöglichkeiten, Imageverbesserungen und Vertrauensgewinnen bei den Mitarbeitern verbunden sein. In jedem Fall lohnt sich die Information über die Förderungsmöglichkeiten.765 763
Vgl. Senge 2001 (Lernende Organisation), S. 171 ff.
764
Vgl. allgemein Meffert 2000 (Marketing), S. 11 ff. Von den 87 % deutschen Arbeitnehmern ohne emotionale Bindung an das Unternehmen waren 2004 nur 20 % bereit, die eigenen Produkte und Dienstleistungen oder den Arbeitsplatz uneingeschränkt weiterzuempfehlen. Unter den emotional gebundenen Arbeitnehmern sind es 71 %. Vgl. Internetquelle: Gallup 2005 (Engagementindex Deutschland).
765
Vgl. exemplarisch Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 242 ff. Imagewirksam ist auch die Unterstützung von entsprechenden Gemeinwohlaktionen oder Freiwilligenprogrammen, zum Beispiel kommunale Familienservices, Verbesserung der Serviceinfrastruktur oder kostenlose Schulungen der Krankenkassen sein.
298
F GENERATIONENMANAGEMENT
Darüber hinaus kann Generationenmanagement sogar zum Markenzeichen werden. Von politischer Seite wird im angelsächsischen Ausland zum Beispiel der „National Work & Family Award“ vergeben. Diese nationale Auszeichnung für die familienfreundlichsten Unternehmen ist in Großbritannien, Australien und Singapore sehr beliebt. Ihre Erlangung wirkt sich positiv auf Image und Bekanntheitsgrad aus. Überdies sinkt im Zuge familienfreundlicher Maßnahmen die Krankenrate und die Mitarbeitermotivation steigt.766 In die gleiche Richtung weisen auch die Gleichbehandlungsrichtlinie der Europäischen Union, das „Audit Familie und Beruf“ sowie in Deutschland der Bundeswettbewerb „Familienfreundlicher Betrieb“ oder das „TotalE-Quality-Zertifikat“.767 Generationenmanagement beinhaltet Maßnahmen, deren Umsetzung die besten Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme an solchen Programmen schafft. Im Zuge der generationsgerechten Gestaltung der Unternehmen spielt die Gestaltung der Beziehungen zur Umwelt eine wichtige Rolle. Auch hier sind Zeitgeist, Generationenprägung und Lebensphasenbedürfnisse wieder die entscheidenden Faktoren. Dabei gilt es, allen Mitarbeitern, und besonders denjenigen, die im Kontakt mit Kunden und Unternehmensexternen stehen, diese altersspezifischen Bedürfnisse bewusst zu machen. Insbesondere im Dienstleistungsbereich sind für die Mitarbeiter die Kenntnis der Relevanz des Generationenthemas in der eigenen Biografie sowie das Wissen um ein mögliches Übertragungsgeschehen zwischen Älteren und Jüngeren wichtig. Dazu müssen den Mitarbeitern Strategien zum Umgang mit dieser Diversität vermittelt werden. Hierzu gehört insbesondere die Fähigkeit, mit den wirkenden Altersstereotypen in der Kommunikation umzugehen und zu arbeiten.768 Abgesehen davon steigern Generationenmanagementmaßnahmen allgemein die Mitarbeiterzufriedenheit, die wiederum einen positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit hat.769 Eine zentrale Erkenntnis der Generationenmanagementstudie, die in diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden sollte, ist die Bedeutung der Zuverlässigkeit. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Qualität von Lieferungen und Leistungen sind den Kunden häufig sogar noch wichtiger als ihr Preis. Diese Zuverlässigkeit sollte sich in Verhandlungen mit Kunden, Lieferanten und allgemein in der Außenwirkung spiegeln. In Vertrauenskontakten ist es umsatzförderlich, wenn Kunden auf altersmäßig ähnliche Ansprechpartner, Verkäufer usw. treffen und sich ihre Ansprechpartner selbst aussuchen können.770 Das entspricht auch dem zeitgeistbedingten Autonomiestreben der Kunden. Den Zeitgeist zu erforschen und ihm in Produkt- und Markenpolitik, Preis-, Kommunikationsund Distributionspolitik gerecht zu werden, ist eine zentrale Aufgabe des Marketings. Dazu steht eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, die unzählige Möglichkeiten zur Berücksichtigung und Ausnutzung der Altersdiversität bieten. Im Folgenden können deswegen nur ausgewählte Probleme angerissen und Ansatzpunkte aufgezeigt werden, die sich aus den
766
Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2004 (Erfolgsfaktor Familie), S. 6.
767
Vgl. Vedder 2005 (Familienpflichten), S. 238 ff.
768
Vgl. exemplarisch die empirische Studie von Möser 2002 (Kontakt der Generationen), S. 161.
769
Vgl. Homburg/Stock 2001 (Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit), S. 800.
770
Vgl. Gutek/Tsui 1999 (Demographic differences), S. 73 ff.
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vorliegenden Erkenntnissen ergeben. Die zeitgeistgerechte Gestaltung der Produktpalette771 kann zum Beispiel die Aufnahme von ethischen Produkten bzw. die Produktdifferenzierung nach Altersgruppen beinhalten. Die Wertschätzung von Gesundheit und Sport in allen Altersklassen kann zum Beispiel über den Verkauf von entsprechenden Produkten und Dienstleistungen hinaus genutzt werden. Sportevents bieten in Abhängigkeit von der Sportart eine ideale Plattform für zielgruppengerechtes Marketing772 und liefern sympathische und glaubwürdige Werbeträger. Das Alter ist dabei unter anderem ein wichtiger Faktor dafür, welche und wie viele Sponsoren bei einer Sportveranstaltung im Gedächtnis bleiben.773 Zur Entwicklung von zeit- und bedürfnisgerechten Produkt- und Dienstleistungsprogrammen und der entsprechenden Preisgestaltung ist natürlich in erster Linie die Aufdeckung der Bedarfe und der Kaufmotivation der altersdiversen Zielgruppen notwendig. Die Einteilung der Kundenzielgruppen nach Lebensphasen ist im Marketing nicht unüblich.774 Neben den Informationen über lebenslaufbedingte Bedürfnisse und Verhaltensweisen sollten hier auch generationsbedingte Präferenzen und Verhaltensweisen Berücksichtigung finden und anhand der Beobachtung von Trends und prägenden Ereignissen sogar in gewisser Weise vorausgesagt werden können.775 Dabei muss das Marketing sich an den tatsächlichen Bedürfnissen und Kaufgewohnheiten der Zielgruppe, in der Darstellung jedoch auch an den als wünschenswert und positiv erachteten Eigenschaftsstereotypen orientieren.776 Über die beschriebenen Generationszusammenhänge hinaus sind für das Marketing natürlich auch Kinder und Jugendliche einerseits und andererseits die Vielzahl der Senioren jenseits des Rentenalters von besonderer Bedeutung. Kinder und Jugendlichen nehmen inzwischen einen erheblichen Einfluss auf die Konsumentscheidungen in der Familie und sind auch selbst als Käufer interessant. 777 Des Weiteren ist die hohe Kaufkraft und Entscheidungsmacht der Senioren interessant. Diese Konsumenten sind mobiler und kritischer denn je. Die aktuellen Marketingkonzepte sprechen die Alterszielgruppen ab 55 Jahren allerdings nur unzureichend
771
Die Zeitgeschichte des Konsums erstreckt sich von der Dominanz von Nahrung und Kleidung nach Kriegsende und der „Fressgier“ der 50er Jahre, über die Markenprodukte der 60er, die Freizeitindustrie der 70er und die „no name“-Produkte der 80er bis hin zum Lifestyle der 90er Jahre und einer Polarisierung zwischen Notwendigem und Luxus seit 2000. Vgl. Opaschowski 2004 (Deutschland 2020), S. 139 ff.
772
Zum Sport als Marketing-Plattform vgl. Rohlmann/Schewe 2005 (Sportmarketing), S. 3 ff.
773
Je älter der Zuschauer, an desto weniger Sponsoren kann er sich generell erinnern. Vgl. Walliser 1995 (Sponsoring), S. 181 ff.
774
Vgl. allgemein Meffert 2000 (Marketing), S. 11 ff. und zur sozio-demografischen Marktsegmentierung ebenda S. 192 ff. sowie Bliemel/Kotler 2001 (Marketingmanagement), S. 416 ff. Schließlich ist die Zielgruppensegmentierung nach Alter in den USA in Ansätzen bereits seit dem 19. Jahrhundert und verstärkt seit den 20er Jahren gängige Praxis bei Unternehmen, Kirchen, Universitäten, Militär etc. Dabei wurde früh deutlich, dass Altersgruppen sich nicht klar voneinander abgrenzen lassen und nicht unbedingt homogenes Verhalten zeigen. Vgl. Germain/Hollander 1992 (Pepsi Generation), S. 95 f.
775
Zur Kohortenanalyse in der Konsumentenforschung vgl. ausführlich Peiser 1991 (Kohortenanalyse).
776
Zum Beispiel sehen sich viele der Senioren selbst nicht als „Alte“ an. Zur Selbsteinschätzung Älterer vgl. Tews 1995 (Altersbilder), S. 53 ff.
777
Vgl. exemplarisch Büchner 1995 (Verhaltensstandards), S. 201 ff. Mit drei Jahren können sie bereits Marken erkennen und unterscheiden.
300
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an.778 Geeignete Maßnahmen für Senioren werden nicht genutzt. Das ist umso kritischer zu sehen, da Seniorenzielgruppen ein stabiles Konsumverhalten zeigen und entsprechend bereits im mittleren Lebensalter zwischen 40 und 60 aktiviert werden müssen.779 Wettbewerbschancen liegen vor allem im Integrationsmarketing, das junge und ältere Generationen übergreifend anspricht und im altersspezifischen Marketing, insbesondere im zielgruppenspezifischen Seniorenmarketing. Diesbezügliche Erfolgskriterien sind neben einer intensiven Marktforschung unter Einbeziehung der Zielgruppe, ehrliche und klare Produktinformationen und Produktvorteile, die aus exakten Kenntnissen der allgemeinen zeitgeistbedingten bzw. altersgruppenspezifischen Bedürfnisse resultieren. Weiterhin ist die Kommunikation mit Hilfe des Appells an den Zeitgeist und das jeweilige Lebensgefühl der Zielgruppen, unterstützt durch authentische Modelle sowie die Wahl adäquater Kommunikationswege entscheidend. In diesem Zusammenhang können zum Beispiel Musikauswahl (die den Geschmack möglichst vieler oder eines bestimmten Generationszusammenhangs trifft) oder die Zugänglichkeit und Ergonomie der Produktpräsentation (zum Beispiel für ältere Gehbehinderte oder in Reichweite für Kinder) wichtig sein.780 Zielgruppengerechtes Marketing sollte dabei altersspezifisch sein, ohne jedoch mögliche weiter Alterszielgruppen auszuschließen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass manche Menschen aufgrund von Altersstereotypen zwar einem bestimmten Generationszusammenhang angehören, jedoch einem anderen zugehörig erscheinen, „jünger“ oder „reifer“ wirken möchten. Insbesondere Seniorenmarketing darf nicht negativ sein auf Altersprobleme etc. hinweisen.781 Im Marketingkontext führt das zu einer weiteren Segmentierung der Zielgruppen nach anderen Kriterien. Unter den allgemeinen Zeitgeistprinzipien trägt die Marktforschung also vor allem der Individualisierung Rechnung. Sie erhellt relevante Aspekte der Altersdiversität, die auch für die personalpolitischen Bereiche des Generationenmanagements genutzt werden können, geht jedoch weit darüber hinaus. Demgegenüber kann das Marketing jedoch vor allem bezüglich des Unternehmensimages und im Personalbereich von den Erfolgen des Generationenmanagements profitieren. Diese Wechselwirkungen unterstreichen die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Vorgehensweise und der Integration der Generationenmanagementmaßnahmen in das bestehende Managementsystem des Unternehmens, wie sie auch im Rahmen der folgenden Ausführungen in Bezug auf Gesundheitsmanagement, Selbstorganisation und Ähnliches deutlich wird. 778
Diese bilden keine homogene Zielgruppe, sondern lassen sich in zumindest vier Untergruppen unterschiedlicher Marktchancen teilen. Vgl. die Schweizer Studie von Bader/Hock 2001 (Konsumverhalten), S. 63.
779
Vgl. Kölzer 1995 (Senioren als Zielgruppe), S. 285. Vgl. dazu und zu den Konsumgewohnheiten der Zielgruppe Senioren auch Brünner 1997 (Zielgruppe Senioren), S. 223 ff.
780
Eine ausführliche Darstellung möglicher Marketingmaßnahmen für Senioren im Handel bietet zum Beispiel Kölzer 1995 (Senioren als Zielgruppe), S. 330. Empfehlungen lauten hier beispielsweise auf: Schaffung kurzer Wege im Geschäft (Betriebsformenpolitik), Erreichbarkeit per öffentlichem Verkehrsmittel (Standortpolitik), kleinere Packungseinheiten und leichte Handhabbarkeit der Produkte (Produkt- und Sortimentspolitik), spezielle Beratung (Servicepolitik), mittlere Preislage (Preispolitik), älteres, serviceorientiertes Personal (Bedienungspersonalpolitik), Identifikationsfiguren in der Werbung (Werbepolitik), Produktproben (Verkaufsförderungspolitik), Sitzgelegenheiten und leichte Erreichbarkeit (Ladengestaltungspolitik) usw.
781
Vgl. Bader/Hock 2001 (Konsumverhalten), S. 63.
F.IV Instrumente altersdiverser Leistungsförderung
301
IV Instrumente altersdiverser Leistungsförderung 1
Altersdiverse Förderung von Gesundheit und körperli