Fischer Weltgeschichte, Bd.6, Die Mittelmeerwelt im Altertum: Bd. II [15., Aufl.] 9783596600069, 3596600065 [PDF]


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Fischer Weltgeschichte, Bd.6, Die Mittelmeerwelt im Altertum: Bd. II [15., Aufl.]
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Zitiervorschau

Fischer Weltgeschichte Band 6

Die Mittelmeerwelt im Altertum II Der Hellenismus und der Aufstieg Roms Herausgegeben von Pierre Grimal

Dieser Band ist der zweite von vier Bänden über die Mittelmeerwelt im Altertum im Rahmen der Fischer Weltgeschichte. Er behandelt in chronologischer Folge den Hellenismus und den Aufstieg Roms. Neben den politischen Ereignissen werden die geistigen und religiösen Strömungen sowie die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse dargestellt und als wirksame Kräfte geschichtlichen Lebens beschrieben. Der Herausgeber des Bandes, Prof. Pierre Grimal (Sorbonne, Paris), schildert die Geschichte der hellenistischen Diadochenreiche und ihre Auseinandersetzung mit der römischen Weltmacht in der Epoche zwischen dem Tod Alexanders des Großen und der Niederlage Hannibals in der Schlacht bei Zama. Besondere Kapitel sind den Kulturen des Nahen Ostens, die bei der Auflösung des Alexanderreiches unter die Herrschaft der Seleukiden und Ptolemäer gekommen waren, und Arabien gewidmet. Prof. Hermann Bengtson (Universität München) schrieb den Beitrag über Syrien. Prof. Philippe Derchain (Universität Straßburg) zeichnet für die Geschichte Ägyptens, Prof. Maurice Meuleau (Centre National de la Recherche Scientifique, Paris) ist für den Abschnitt über Mesopotamien verantwortlich. Das Kapitel über Palästina stammt aus der Feder von Prof. Morton Smith (Columbia University, New York). Prof. Werner Caskel † (Universität Köln) verfaßte den Beitrag über die Zivilisation auf der Arabischen Halbinsel. Der Band ist in sich abgeschlossen und mit Abbildungen, Kartenskizzen und einem Literaturverzeichnis ausgestattet. Ein Personen- und Sachregister erleichtert dem Leser die rasche Orientierung. Ő Die Geschichte der Mittelmeerwelt im Altertum findet in Band 7 und 8 der Fischer Weltgeschichte ihre chronologische Fortsetzung. Der Herausgeber dieses Bandes Pierre Grimal, (1912–1996); 1935 Agrégé des Lettres; Docteur ès Lettres; 1935–37 Mitglied der École Française in Rom; 1941–45 Professor an der Universität Caen, von 1945–52

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an der Universität Bordeaux; 1952 Professor für Lateinische Literatur und Römische Kultur an der Sorbonne; 1964 Ritter der Ehrenlegion. Pierre Grimal war Autor zahlreicher Bücher und Zeitschriftenaufsätze über römische und griechische Kultur. Sein Hauptwerk, ›La Civilisation Romaine‹, erschien 1960 in französischer, 1961 in deutscher Sprache. Der Autor war Herausgeber der weithin bekannten Bände über die ›Mythen der Volker‹. Mitarbeiter dieses Bandes

Prof. Dr. Hermann Bengtson (Universität München): Kapitel 4 II Prof. Dr. Philippe Derchain (Universität Straßburg): Kapitel 4 I Prof. Dr. Pierre Grimal (Sorbonne, Paris): Vorwort, Einleitung, Kapitel 1, 2, 3 u. 5 Prof. Dr. Maurice Meuleau (Centre National de la Recherche Scientifique, Paris): Kapitel 4 IV Prof. Dr. Morton Smith (Columbia University, New York): Kapitel 4 III Walther Schwerdtfeger (Kempen) übersetzte Vorwort, Einleitung und die Kapitel 1, 2, 3 und 4 IV aus dem Französischen sowie das Kapitel 4 III aus dem Amerikanischen. Leopold Voelker (Berlin) übersetzte die Kapitel 4 I und 5 aus dem Französischen. Vorwort Der hier vorgelegte Band schildert die Geschichte der Mittelmeerwelt während der letzten Jahre des 4. Jahrhunderts v. Chr. und des ganzen folgenden Jahrhunderts. In diesem Zeitabschnitt vollziehen sich zwei Entwicklungen, die einander ergänzen: einerseits die Auflösung des Alexanderreiches, die Anlaß zu einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Neuordnung im Orient gibt, und andrerseits im Okzident die Festigung einer Großmacht, deren außerordentlich rascher Aufstieg weitreichende Folgen für die gesamte Mittelmeerwelt nach sich zieht. Dieser Auftritt Roms auf der politischen Bühne kam nicht überraschend. Seit der Zeit Alexanders hatten sich weitblickende Griechen mit dieser Stadt befaßt, in der sie nicht einfach ein Gemeinwesen von Barbaren sahen, sondern deren Zivilisation, Zucht und Religion ihnen der eigenen verwandt schienen. Die Strömungen, die die hellenistische Welt nach dem Tode Alexanders tief aufwühlten, überstürzten jedoch die Einmischung Roms in das Weltgeschehen, und zwar in einem anscheinend antihellenischen Sinne.

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Am Ende des 4. Jahrhunderts hatte Rom bereits Zeit gehabt, in Italien ein festgefügtes Reich zu errichten, das sich bis an die Grenzen der hellenischen Städte im Süden erstreckte. Auf Rom stieß auch Pyrrhos, als er, von den Tarentinern gerufen, aber im Grunde um sich ein Königreich zu schaffen, wie sie gerade in Asien, Ägypten und Makedonien gegründet worden waren, den Versuch machte, in Groß-Griechenland Fuß zu fassen. Rom war auf diese Weise das große Hindernis, das der Ausdehnung des Hellenismus nach Westen – zumindest seiner politischen Ausdehnung – Schranken setzte. Einige Jahre später begegnete Karthago ähnlichen Schwierigkeiten. Den Ersten Punischen Krieg, bei dem es um die Freiheit der Meere in den italischen Gewässern ging, gewann Rom nur mit Hilfe ungeheurer Anstrengungen zur See. Aber der 241 geschlossene Friede war nur ein Waffenstillstand. Auch Hannibal, der ähnlich ehrgeizige Bestrebungen wie Pyrrhos verfolgte und wie ein großer ›hellenistischer‹ Heerführer auftrat, versuchte, sich in einem großenteils noch barbarischen Okzident ein Reich zu schaffen. Aber wiederum war Rom auf der Hut, diesmal im Einklang mit dem durch Massalia (Marseille) vertretenen abendländischen Griechentum, und die Punier verloren, trotz Hannibals Genie, das Spiel endgültig. Nach der Schlacht von Zama, die den Zweiten Punischen Krieg beendete, war Rom die größte Macht im mediterranen Abendland, und das Problem, vor dem es stand, war die Frage seiner künftigen Beziehungen zur griechischen Welt. Aber nicht die gesamte Geschichte dieses Jahrhunderts wird durch Machtverhältnisse bestimmt. Denkströmungen, Philosophie, Kunst und Glaubensrichtungen und Bestrebungen aller Art gewinnen in dieser Welt, in der die politischen Schranken fallen und die fernen Kriege die Berührungen vermehren, immer größere Bedeutung. Ein neues Hellenentum entsteht. In Rom entwickeln sich die Ideen, die alten Vorstellungen wandeln sich, eine Literatur, durch das Beispiel der Griechen stark gefördert, beginnt sieh schüchtern abzuzeichnen. Der in seiner politischen Expansion durch die neue Macht begrenzte Hellenismus gewinnt im Bereich des Denkens und der Kunst dafür ein unendlich größeres Gebiet. Die alte geistige Abkapselung der Welt, die vor dem Alexanderfeldzug noch allzu sehr bestand, wird in dem Augenblick, als Scipio über Karthago triumphiert, endgültig ausgelöscht. An diesem Zeitpunkt beginnt ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit. Pierre Grimal Einleitung Der jähe Tod Alexanders des Großen in Babylon am 10. Juni 323 v. Chr. hätte lediglich das Ende eines militärischen Abenteuers bedeuten können. In Wirklichkeit wurde er für die Menschheitsgeschichte zum Beginn einer Ära, die sich keineswegs ihrem Ende zuneigte.

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Der junge König hatte noch keine Zeit gehabt, seine Eroberung zu ordnen und ihre mannigfachen Elemente zu einem einzigen Ganzen zu verschmelzen, geschweige alle Folgerungen aus seinem Siege zu ziehen. Alles schien sehr brüchig. Die Zeit vor der Eroberung lag noch ganz nahe. Es sah so aus, als ob, nachdem der Eroberer verschwunden war, sein Reich zerfallen und man allmählich zu den früheren Verhältnissen zurückkehren würde. Aber aus verschiedenen Gründen, zu denen vor allem der Verschleiß der von Alexander ins Wanken gebrachten politischen Systeme gerechnet werden muß, zeigte sich sehr bald, daß die Tat Alexanders, wenn sie auch nur von kurzer Dauer gewesen war, den östlichen Mittelmeerraum und die asiatischen Länder von Syrien bis zum Ganges und zu den Ufern des Kaspischen Meeres gründlich verwandelt hatte. Man mußte die Bedingungen für ein neues politisches Gleichgewicht finden. Die asiatische Welt konnte sich nicht mehr, wie zur Zeit der Achämeniden, sozusagen gegen die Umwelt verschließen. Griechenland wiederum hatte mit der Unabhängigkeit praktisch auch die Stütze seiner Städte verloren und hatte nur die Wahl zwischen Anarchie und irgendeiner Form fremden ›Protektorates‹. Vor allem aber war, obwohl das erst später offenbar werden sollte, ganz plötzlich eine eigene Zivilisationsform ins Leben gerufen worden. Später, als der Nahe Osten die meisten Impulse, die von dieser schöpferischen Erschütterung ausgegangen waren, für den eigenen Bereich weiterentwickelt hatte, sollte sich eben diese Kultur einem noch riesigeren Ganzen eingliedern, dessen Ausmaße aller Wahrscheinlichkeit nach sogar die Träume Alexanders übertrafen1 und durch Einbeziehung des Abendlandes zur Bildung eines anderen Reiches, des römischen, beitragen, das jahrhundertelang dem politischen Denken einen Rahmen geben und das Werden der Geschichte nachhaltig beeinflussen sollte. Vom Tode Alexanders zum Erbe Caesars führt ein langwieriger Weg zur menschlichen Einheit, ein stetiger Fortschritt, dessen Entwicklungsstufen wir hier in großen Zügen nachzuzeichnen versuchen. Als Alexander sich entschloß, gegen den König von Persien zu Felde zu ziehen, griff er ein unermeßliches und völlig uneinheitliches Reich an2. Von Baktrien bis an die Grenzen der Kyrenaika war – theoretisch – alles dem König unterworfen. Gouverneure, die Satrapen, vertraten die Zentralgewalt in den Provinzen. Die Straßen, welche diese Provinzen mit der Hauptstadt verbanden, erregten die Bewunderung der griechischen Reisenden. Zu den Satrapen entsandte der König Inspektoren, die er als seine ›Augen und Ohren‹ bezeichnete; fast überall unterhielt er daneben ständige Beamte, die den Auftrag hatten, ihn zu unterrichten. Aber diese ganzen Vorsichtsmaßnahmen der Zentralgewalt zur Wahrung ihrer Autorität bewährten sich nicht immer. Wir wissen, daß einige Satrapen sich mehr wie Herrscher gebärdeten und nicht wie folgsame Präfekten und selbst vor offener Rebellion nicht zurückschreckten, wenn sie Rechenschaft ablegen sollten3. Noch bedenklicher aber war: Diese unsichere, unablässig bedrohte politische Einheit war nicht mit einer wirklichen

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nationalen oder kulturellen Einheit verknüpft. Das Reich des Dareios (III.) bestand aus zu vielen Völkerstämmen, verband Gebiete, die einander zu unähnlich waren, von denen jedes seine eigene Wirtschaft besaß, seine eigenen sozialen Fragen, seine nationalen Überlieferungen bewahrte, seine Religion, seine charakteristische Struktur, an denen Alexanders Eroberung nichts änderte. Außerdem erkennt man hinter der künstlichen Einheit schon den Kern einiger ›Zellen‹, um die sich später die aus der Zerstückelung hervorgehenden Königreiche bilden. Das beste Beispiel ist zweifellos Ägypten. Seit der Zeit der persischen Herrschaft ähnelte es keiner anderen Satrapie. Ägypten hatte seine traditionelle Eigentümlichkeit bewahrt und sollte sie auch so lebendig wie jemals unter den Ptolemäern und den römischen Kaisern bewahren4. Aber das gilt nicht minder für die asiatischen Länder, die sich sehr voneinander unterscheiden. Was haben die phönizischen Städte, die praktisch autonom und nach Westen ausgerichtet sind, wo Karthago in Blüte steht5, mit den Nomaden und Halbnomaden Innerasiens gemeinsam, deren Horizont – im geographischen wie im geistigen Sinne – durch ihr Weideland begrenzt war? Das eigentliche Persien in der Mitte des Reiches war noch ein Lehns- und Stammesstaat mit einer Gesellschaft von Bauern, die von Großgrundbesitzern beherrscht wurden, und mit einer Militäraristokratie. In Persien waren die ›Arier‹ Ackerbauern geworden, aber in der Kaspischen Steppe führten ihre Stammesgenossen noch ein Hirtenleben und wurden leicht zu Räubern, die, sobald sie es wollten, die Verbindungen mit den östlichen Satrapien recht unsicher machten und im Grunde bestrebt waren, ihr eigenes Leben zu führen6. Die iranischen Völker der Hochebenen standen in krassem Gegensatz zu den Völkern Babyloniens, die seit langem um ihre Stadt herum ansässig waren und auf eine lange kulturelle Tradition zurückblickten. Babylonien, das vor verhältnismäßig kurzer Zeit von den persischen und medischen Bergvölkern erobert worden war, vereinte semitische Elemente mit einer älteren Bevölkerungsschicht, den Sumerern, denen zweifellos die Erweckung des menschlichen Denkens in jenem Teil des Orients zu verdanken ist. Dort waren noch mehr als nur die Spuren eines zentralisierten, theokratischen Staates vorhanden, dessen Wohlstand auf einem handeltreibenden Bürgertum beruhte, und dessen Kultur Priester-Astronomen hüteten, die im Umkreis der großen Tempel saßen7. Die griechischen Städte Kleinasiens längs der Küsten von Karien, Lydien, dem hellespontischen Phrygien und Bithynien sind für den Perserkönig unsichere Verbündete mit denselben politischen Strömungen und Leidenschaften wie in den Städten des griechischen Festlands und der Inseln. Während ganz allgemein die Aristokratie für die Perser gewonnen ist, wenden die Demokraten lieber den Blick nach Westen, besonders nach Athen, das als Mutterstadt der ganzen Demokratie erscheint. Zu wiederholten Malen hatten diese reichen und

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unruhigen Städte früher dazu beigetragen, die inneren Streitigkeiten des Reiches zu schüren8. Das riesige Königreich, das Kyros und seine Nachfolger errichtet hatten, war also trotz seines Reichtums und der Mannigfaltigkeit seiner Mittel in Wirklichkeit ein künstliches Gebäude, dessen einzige Gemeinsamkeit auf der Autorität des Königs und der Ehrfurcht beruhte, die man seiner Person entgegenbrachte. Es wäre sicherlich unrecht, die politische Bedeutung der durchaus realen Treue, welche die verschiedenen Völker ihrem Monarchen bewiesen, als belanglos abzutun. Der Königsgedanke hatte im Orient großes Gewicht, und dasselbe Gefühl der Treuepflicht, das sich Alexander und später seine Nachfolger zunutze machten, trug wesentlich zur Errichtung und dann zur Erhaltung der verschiedenen hellenistischen Königreiche bei; aber die Mannigfaltigkeit der Formen, die je nach Landschaft und Überlieferungen diese Ehrfurcht vor dem König annahm9, zeigt deutlich, daß das Perserreich selbst in dieser Hinsicht ein Mosaik von Religionen, Kulturen und Rassen war, ein verhältnismäßig unbeständiges Konglomerat, das, nachdem es Dareios entrissen war, trotz aller Versuche, es zu erhalten, am Ende durch die makedonische Invasion zerfallen mußte. Es ist beispielsweise bemerkenswert, daß die einzelnen Satrapien, sobald sie durch das Kriegsgeschehen erst einmal auseinandergerissen waren, niemals einen Versuch unternahmen, sich wieder zusammenzuschließen. Sicherlich weil sie keine innere Kraft besaßen, die sie dazu hätte bewegen können. Die Eroberung Alexanders, der Makedonien, Griechenland, die Inseln und die traditionellen Besitzungen der Achämeniden-Herrscher in einem ganz neuen Reiche zusammenschloß, machte das Problem nur noch komplizierter. Alexander war sich der Schwierigkeit bewußt. Noch ehe seine militärische Eroberung vollendet war, bemühte er sich schon, eine solide Verwaltungsstruktur in den asiatischen Provinzen aufzubauen, aber er starb zu früh, und der Ehrgeiz seiner ›Marschälle‹, die sich die durch eine vorzeitig notwendig gewordene Nachfolge entstandenen Ungewissen Verhältnisse zunutze machten, beschleunigte die Auflösung. Keinem von ihnen gelang es, die Einheit des Reiches wiederherzustellen. Fünfzig Jahre genügten, um die Zersplitterung in Königreiche endgültig zu machen. Als Seleukos, der letzte Überlebende der unmittelbaren ›Diadochen‹, verschwindet, ist sie bereits zur Tatsache geworden. Die Geburt rivalisierender Königreiche, von denen jedes einen der großen ›natürlichen Landesteile‹ des alten Reiches umschloß, war eine unvermeidliche Erscheinung, nachdem die Gestalt Alexanders von der politischen Bühne verschwunden und die letzte Spur der Treue gegenüber seinem Andenken ausgelöscht war. Aber diese Niederlage seines Gedankens sollte nicht verhindern, daß eine neue Welt auftauchte, die weder die streng orientalische Welt des alten Perserreiches war, noch die des einstigen Hellas mit ihrer Größe und ihren Makeln.

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Und diese Welt war zunächst eine griechische Welt. Das ist ihr erstes und vielleicht wichtigstes Wesensmerkmal. Sie wurde griechisch, weil ihr Mittelpunkt die Ägäis war, weil alle Könige, die sich darin teilten, stets den Ehrgeiz hatten, sich die Herrschaft über das Meer zu sichern, und weil keiner dieser Könige zu irgendeinem Zeitpunkt sich über die Meinung der hellenischen Städte hinwegsetzen konnte. Die Griechen waren nicht die Eroberer dieses geteilten Reiches gewesen; anfangs hatte es sogar ausgesehen, als seien sie Besiegte. Dennoch fand diese Welt rings um die Griechen und dank der Griechen ihre Einheit. In Wahrheit hatten bestimmte Gegenden Asiens, als Alexanders Eroberungszug begann, schon lange im Begriff gestanden, sich zu hellenisieren und jene griechisch-barbarische ›Mischkultur‹ zu schaffen, deren Heraufkunft das von dem Makedonen in Gang gesetzte militärische Abenteuer beschleunigen mußte. Alle Länder, die das Mittelmeer und den Pontos Euxeinos säumten, wo sich seit Jahrhunderten griechische Kolonien angesiedelt hatten, erlagen unwiderstehlich der Anziehungskraft des Hellenismus. Dieser, in jenem Randstreifen Asiens überall verbreitete Einfluß hatte sich besonders fruchtbar in Karien erwiesen, wo die örtlichen Dynasten, und vor allem Mausolos, es zustande gebracht hatten, mitten im Herzen des Perserreiches, und zwar seit Mitte des 4. Jahrhunderts, ein regelrechtes hellenistisches Königreich zu errichten – ein lehrreiches Beispiel, weil es eine Entwicklung vorwegnimmt, die den ganzen Orient verwandeln sollte. Mausolos hatte eine Vorliebe für die griechische Kultur, vor allem aber hatte er begriffen, daß keine Macht sich für längere Dauer einrichten konnte, wenn sie sich die Lehren des Griechentums nicht zu eigen machte und für ihre Zwecke nutzte. Er unternahm es auch, Karien nach dem Muster der griechischen Staaten umzuformen. Die alte Hauptstadt Mylasa lag im Innern des Landes, abseits von den Wegen des Handels und der Kultur. Er gab sie auf und baute am Meer eine neue Hauptstadt, Halikarnassos, die Sinnbild und Werkzeug dieser Politik in einem sein sollte. Mit seiner Oberstadt (der Eingeborenenstadt), seinem neuen Viertel nach griechischem Muster, seiner königlichen Residenz, die sich über den größten Teil der Unterstadt erstreckte, und seinen beiden Häfen, dem Kriegsund dem Handelshafen, erinnert Halikarnassos an Syrakus, dessen Gegenstück am asiatischen Ufer des Mittelmeeres es werden wollte, und gibt ein Bild des künftigen Alexandrien. Halikarnassos weist bereits die wesentlichen Merkmale der großen hellenistischen Hauptstädte auf: Hafen- und Handelsstadt, die den griechischen Künstlern beträchtliche materielle Mittel bietet, wie das die Metropolen der Königreiche später tun. Zum ersten Male sieht man einen Staat, dessen Haupt eine griechische Stadt mit ihren Tempeln, ihrem Theater, ihren Gymnasien und ihrer Agora, die ganz und gar mit den poleis Festland- und InselGriechenlands vergleichbar ist, dessen Körper jedoch ein riesiges Gebiet ›barbarischer‹ Tradition und Sprache bildet.

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Das Königreich Karien war ein Versuch ohne Zukunft; es überlebte Mausolos nicht lange und wurde bald dem Alexanderreich einverleibt, wo es das wechselhafte Schicksal der anderen Satrapien teilte. Aber in den wenigen Jahren seines Bestandes hatte es den Anschein gehabt, daß es möglich sei, autochthone Königreiche zu schaffen und ihnen ein hellenistisches Gewand zu geben. Darüber hinaus hatte Mausolos begriffen und begreiflich gemacht, daß die Anpassung an das Griechentum eine Vorbedingung für ›Modernismus‹ und Macht war, und zwar eine entscheidende Vorbedingung in der Mittelmeerwelt jenes Jahrhunderts. Die materielle, praktische Vorherrschaft des Hellenentums war eine Tatsache. Die Schlappe, die der persische Imperialismus der griechischen Welt gegenüber erlitten hatte, war der Beweis, daß die iranische Kultur für den Export wenig geeignet war. Ganz anders dagegen die griechische Kultur, die, um sich durchzusetzen, ihre Zuflucht nicht zur Gewalt zu nehmen brauchte. Der griechische Geist gab dem, der ihn zu nutzen wußte, ein bewundernswürdiges Machtinstrument in die Hand: Aus Griechenland kamen die besten Soldaten, jene Söldner, die Reiche ins Wanken brachten und ohne die kein Barbarenfürst etwas zu unternehmen wagte. Aus Griechenland kamen auch die Architekten, die Bildhauer, die Dichter, die Philosophen, die Gesetzgeber, die Händler, kurzum alle Männer, die das Geschick besaßen, auf allen Gebieten das Beste aus dem Quell des Menschengeistes herauszuholen und gleichzeitig dem Leben und Streben der Völker einen Sinn zu geben. Ohne Zweifel darf man von der Überlegung ausgehen, daß ein großer Teil der hellenistischen Geschichte aus den Versuchen der aufeinander folgenden und miteinander kämpfenden Fürsten besteht, den größten Teil dieser geistigen Energie für sich zu erraffen. Darin liegt wahrscheinlich auch das Geheimnis der Einheit der hellenistischen Welt, einer Einheit, die im Bewußtsein schon lange vorhanden war, bevor sie in der Tat verwirklicht wurde10, und die nach und nach an die Stelle der anarchischen Mannigfaltigkeit dieses geteilten Reiches trat, ehe seine eigene Realität auf feste Grundlagen gestellt war. Alexander war der Kristallisationspunkt des hellenischen Ehrgeizes gewesen. Seine Eroberung verlieh einem Gewaltstaat, der sich deutlich in den Vordergrund zu drängen begann, das Prestige eines Sieges, die Überlegenheit Griechenlands auf allen geistigen Gebieten, und gleichzeitig gab die makedonische Armee Griechenland die Macht, eine Expansion nach Osten wiederaufzunehmen, die seit einem oder zwei Jahrhunderten auf das Hindernis des persischen Reiches gestoßen war. Der Abenteurergeist der alten Siedler gewann wieder Kraft und Leben. Dank Alexander, dank auch (und vielleicht sogar noch mehr) der entschieden hellenisierenden Politik seiner Nachfolger eröffnen sich riesige Gebiete in Asien der Energie einer Rasse, die sich bewußt ist, den Besiegten von gestern unendlich überlegen zu sein, und die sich anschickt, möglichst große Vorteile aus ihrer wirtschaftlichen Machtstellung zu ziehen. Selbst in den entlegensten Provinzen macht sich überall die Anwesenheit der Griechen bemerkbar: Söldner, die zu den Besatzungsarmeen gehören oder

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sich dort niedergelassen haben, große Kaufleute, deren Karawanen über die Landstraßen Asiens ziehen oder deren Läden den unterschiedlichsten Völkern die Erzeugnisse des hellenischen Handwerks anbieten, Künstler, die in den neu gegründeten Städten arbeiten oder die alten verschönern, Philosophen, die über die beste Art nachdenken, die Menschen zu regieren oder sie glücklich und weise zu machen, Dichter, die die jüngsten Ruhmestaten besingen oder die Erinnerung an einstiges Heldentum wachrufen, Redner, die die Masse oder die Richter zu überzeugen verstehen, alle arbeiten, bewußt oder unbewußt, zusammen, um den Hellenismus zu verbreiten und seine Vortrefflichkeit zu beweisen. Nun darf man allerdings nicht meinen, die Eroberung Alexanders habe dem klassischen Griechentum ohne weiteres die Tore des asiatischen Orients geöffnet. Nicht die athenischen Hopliten haben die Welt erobert, sondern die makedonische Phalanx mit der Unterstützung von Kontingenten und Söldnern, die aus allen Städten gekommen waren. Und der Hellenismus, den sie mitbringen, ist weniger rein. Die Kultur, die hier entsteht und sich ausbreitet, ist von ganz Hellas ausgegangen, nicht nur von seiner großen Kulturmetropole. Die klassische Tradition, wie sie sich im 5. Jahrhundert herausgebildet hatte, wird von allen Seiten überholt und überflutet. Aber durch ein glückliches Zusammentreffen führte dieser Kosmopolitismus die griechische Kultur in gewissem Maße auf eben die Verhältnisse zurück, aus denen sie hervorgegangen war. Das ›Zeitalter des Perikles‹ war in Wirklichkeit von einer gewaltigen Bewegung vorbereitet und begleitet worden, deren Ideen aus allen Himmelsrichtungen stammten. Denk- und Kunstrichtungen, deren Ursprung in Kleinasien lag, in Syrien, mitunter sogar in Ägypten ebenso wie in der Ägäis, waren in einem Punkte zusammengekommen, um das Wunder des klassischen Athen möglich zu machen11. In dem großen Verschmelzungsprozeß, der sich mit und nach dem Alexanderzug abspielte, wurde in einem größeren Griechenland jene griechischorientalische Kulturgemeinschaft wiederhergestellt, die schon in der Vergangenheit so fruchtbar gewesen war und es für andere Schöpfungen wieder werden sollte. Die hellenistische Kultur stellt nicht etwa eine Entartung, eine ›Entweihung‹ des klassischen Griechentums dar, sondern setzt eine Linie fort, die durch die Vorherrschaft Athens und einiger großer Städte auf dem Festland seit Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. unterbrochen worden war – allerdings mehr dem Anschein nach als tatsächlich. Und noch auf andere Weise wurde die Eroberung Alexanders zum Anstoß für den Hellenismus, an seine ältesten Bestrebungen wieder anzuknüpfen. Makedonien, dessen Bewohner man als Griechen oder als hellenisierte Barbaren betrachtet12, hatte keinen Anteil an der kulturellen und politischen Entwicklung gehabt, die zwischen dem 7. und dem 4. Jahrhundert der griechischen Gesellschaft der Halbinsel und der Inseln so tief ihren Stempel aufgeprägt hat. Soweit wir das beurteilen können, stand es noch immer jenem griechischen

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›Mittelalter‹, in dem die homerischen Epen entstanden waren, ziemlich nahe. Das wäre vielleicht ohne Folgen geblieben, wenn Alexander dadurch und seinem Charakter nach nicht die Neigung gehabt hätte, sich als homerischer Held zu fühlen. Ruhmgierig wählte er sich instinktiv Achilles zum Vorbild, und zwar um so lieber, als er durch seine Mutter Olympias zum Geschlecht der Äakiden zu gehören glaubte. Diese Familientradition gab seiner Eroberung Asiens den Charakter des Epischen, Übermenschlichen. Die Expedition gegen Persien wird zum zweiten Trojanischen Krieg, jenem Abenteuer, bei dem die Griechen freudig die erste Kundgebung eines den Hellenen gemeinsamen Bewußtseins entdeckten. Alexander wird zum Homer-Epigonen. Er wird in der Politik, was Äschylos, Pindar oder Sophokles in der Poesie waren. Wie viele andere las er, um ein ganz berühmtes Wort zu zitieren, »die Brosamen der homerischen Tafel« auf. Alexander, der neue Achilles, zeigt sich auch gern als Heraklide13, und mit Hilfe dieser Doppelabstammung verschafft er sich einen Platz in der Heroenwelt. Das ist natürlich nicht die Welt, in der sich der klassische Hellenismus bewegt, aber sie ist dessen Ursprung. Von dort wollen sich alle nationalen Überlieferungen herleiten, auf sie nehmen die Tragödien Bezug und die ganze alltägliche Vorstellungswelt der Existenz. Das alles trug sehr dazu bei, den neuen Hellenismus in günstigem Licht erscheinen zu lassen: Viele athenische oder thebanische Vaterlandsfreunde durften mit Recht das Eindringen der Makedonen in das Festlands-Griechenland als regelrechte fremde Invasion ansehen; andere, die vielleicht weniger klar sahen oder empfänglicher für den Zauber der Phantasie und der Propaganda waren, konnten glauben, daß mit der Geschichte Alexanders die heroischen Zeiten wieder begannen, mit ihrer Atmosphäre ritterlicher Gewalttaten, nach denen der griechische Geist sich immer gesehnt hatte. Man war bereit, Alexander anzuerkennen, soweit er als Oberhaupt in der Tradition der Atriden auftrat, und tatsächlich weisen die Makedonenkönige zumindest eine äußerliche Ähnlichkeit mit den Königen des Heldengedichts auf: Sie sind Führer ihrer Waffengefährten, von denen sie rechtmäßig gewählt wurden14 und denen sie durch ihre Geburt oder ihr persönliches Ansehen Ehrfurcht einflößen, sie müssen vor allem Soldaten sein, und die Festigkeit ihrer Macht hängt zum guten Teil von den Heldentaten ab, die sie persönlich auf dem Schlachtfeld zu vollbringen imstande sind. Alexander nutzt geschickt oder vielleicht mehr mit jenem großen Politikern eigenen Instinkt diese Übereinstimmung aus, die bald aus ihm nicht nur einen epischen Helden, sondern einen Gott machen wird. Man fragt oft nach dem Ursprung der ›Vergöttlichung‹ Alexanders, die das Vorbild jener Herrschervergöttlichung wurde, die sich die hellenistischen Souveräne bald zunutze machen sollten. Bei reiflicher Überlegung scheint es, daß diese Ehrungen, die uns überspannt vorkommen, der griechischen Mentalität keineswegs so zuwider gewesen sind, wie man behauptet hat15. Schließlich hatte die Heroisierung in Griechenland eine lange Tradition, die auf das

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Heldenzeitalter zurückging. Homer sprach gern vom ›göttlichen Achilles‹, und die antike Redensart, die in allen Erinnerungen aufklang, gewann, als es um den neuen Achilles ging, wieder Wert. Jeder unbesiegliche oder lange Zeit unbesiegte Held scheint der Sterblichkeit zu entrinnen und vergöttlicht sich ganz allmählich und fast unmerklich. Mit der Fülle der Siege, die er errang, näherte sich Alexander dem Vorbild seiner Ahnen Achilles und Herakles. Die archaischen Begriffe der göttlichen Abstammung und des übermenschlichen Schicksals, die selbst in den ›fortschrittlichsten‹ Städten nur bei einer Minderheit von Freigeistern auf Widerstand stießen16, riefen im Volke, das der epischen Überlieferung treuer geblieben war, als man gedacht hatte, ein unmittelbares, starkes Echo hervor. Das hellenistische Zeitalter gilt als die Periode der abendländischen Geschichte, in der die Könige Gegenstand der niedrigsten Schmeicheleien wurden, und die modernen Historiker empfinden darüber immer ein gewisses Unbehagen, vielleicht weil sie die Floskeln, die den Griechen Rationalismus und die Idee der menschlichen Gleichheit zuschreiben, allzu wörtlich nehmen. Man sollte – als Gegenmittel – an die Gewalttaten denken, die selbst die Athener gegen die Gottlosen verübten. Hinter dem funkelnagelneuen Rationalismus einiger Sophisten waren die alles andere als rationalistischen Traditionen erkennbar, die unmittelbar wieder an die vorklassische Zeit knüpfen. Die Eroberung Alexanders weckte viele der anscheinend schlummernden Tendenzen des Hellenismus. Wir erwähnten bereits, wie sie die Griechen antrieb, sich auf die Quellen ihrer eigenen Kultur zu besinnen, und ihnen erlaubte, sich ihrer Eigenart deutlicher bewußt zu werden. Aber zu gleicher Zeit brachte eben diese Eroberung etwas Neues in die hellenische Welt. Das klassische Griechenrum stützt sich auf die Stadt. Die Stadt war das Vaterland, ein tyrannisches zuweilen, aber meist ein wohltätiges. Der Bürger fühlte sich dort geschützt17 und war sich seiner Pflichten dem Stadtstaat gegenüber bewußt. Der Fall der Städte, oder zumindest die mißlichen Umstände ihres Überlebens, das Gefühl, daß die Stadt nicht mehr ein Absolutum, sondern unvorhersehbaren Wechselfällen ausgesetzt ist, alles das trägt dazu bei, das instinktmäßige Urteil, das jeder über seine Beziehungen zu den andern Menschen hegt, gründlich zu ändern. Der griechische Bürger erinnert damit ein bißchen an einen Jüngling, der zum ersten Male merkt, daß die Welt größer ist, als sein Familienhorizont ihn ahnen Ließ. Er muß in sich einen Halt suchen, den er um sich herum nicht mehr findet und den er schmerzlich vermißt. So nahm eine Bewegung ihren Anfang, die darauf abzielte, die moralischen und ästhetischen Werte aus ihrem nationalen Rahmen zu lösen, sie nicht mehr als Elemente eines Vatererbes zu betrachten, das einigen Privilegierten zufällt, sondern ihnen eine allgemeine Bedeutung zu geben. Theseus zum Beispiel ist von nun an für die Dichter nicht mehr ein ausschließlich athenischer Held, er wird zu einem unendlich allgemeineren Menschentyp, zu einer ›ergreifenden‹ Abart des panhellenischen Herakles. Und so geht es mit allen Mythen, die ihre

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Fruchtbarkeit auch außerhalb der Gesellschaften beweisen, deren Eigentum sie anfänglich gewesen sind18. Für einen Kallimachos wird es nicht nur die Sagen seiner Vaterstadt Kyrene als poetischen Stoff geben; im Gegenteil, je ferner und fremder die Legenden sind, desto lieber verwendet man sie. Auf einem anderen, viel alltäglicheren Gebiet, in der Art aber ganz ähnlich, stützen sich die Griechen, die sich in den fernsten Ländern niedergelassen haben, auf Sitten und Gebräuche, die nicht mehr ›national‹, sondern ebenfalls panhellenisch sind. Sie bauen zuerst eine Agora und ein Gymnasion und fühlen sich überall zu Hause, wo sie dafür genügend Grund und Boden finden. Das Vaterland ist damit nicht mehr der Ort einer nationalen Tradition, sondern wird zu einer Kulturform, zum Ort der ›paideia‹. Am Ende wird der Grieche im ganzen Orient sein Vaterland mit sich tragen. Diese Autonomie der Persönlichkeit – eines der auffallendsten Merkmale des hellenistischen Zeitalters, das die fruchtbarsten Folgen haben sollte – ist zweifellos keine Erfindung aus der Zeit nach der Eroberung Alexanders. Sie liegt bereits in diesem oder jenem Lehrsatz der ersten Sophisten, die ebenfalls Wanderer waren und ohne Unterschied in der Stadt predigten, die sie wohlwollend aufnahm. Noch tiefer steckt sie auch in den Gedanken des Sokrates, und Xenophon, ein Schüler des Sokrates, ist einer der ersten hellenistischen Grandseigneurs. Schon Themistokles, der doch ein so berühmter Patriot war, hatte keine Bedenken gehabt, sich zum Gast des Großkönigs zu machen. Aber von der hellenistischen Ära ab erscheint die Person (und nicht mehr nur der Mensch an sich) wahrhaft als das ›Maß aller Dinge‹. Auf die Person werden die moralischen Werte bezogen, auf ihr Glück, ihre Erhaltung, ihre Freiheit – und nicht mehr auf den Schutz der Stadt. Stilpon aus Megara ist für die Schule das eigentliche Sinnbild dieses neuen Geistes geblieben. Als ein König (vielleicht war es Demetrios Poliorketes) ihn fragte, was er in den Ruinen seiner Stadt verloren hätte, erwiderte ihm Stilpon: »Nichts, denn ich trage alles bei mir.«19 Mochten die Könige auch die Städte erstürmen und zerstören, ein Grieche, der dieses Namens würdig war, befand sich nirgends im Exil. Zenon aus Kition hörte die Lehren Stilpons, bevor er in Athen seine eigene Schule eröffnete, und der Stoizismus ließ es sich angelegen sein, die Folgerungen aus dieser stolzen Haltung zu ziehen. Stilpon stammte aus Megara, aber Zenon kam von Zypern, war also ohne Zweifel nicht griechischer, sondern syrischer Herkunft. Und dennoch gebührt ihm der Ruhm, eine der repräsentativsten Lehren des hellenistischen Denkens begründet zu haben: Um die höchsten philosophischen Theorien zu begreifen, brauche man nur Griechisch zu verstehen. Der Gebrauch des Griechischen verbreitet sich im ganzen Orient. Schon vor dem Alexanderzug war es die Diplomaten- und Handelssprache gewesen, aber seine Verbreitung wird durch den Sieg der makedonischen Heere offensichtlich begünstigt, mehr noch allerdings durch den wachsenden Handelsverkehr und die Verpflanzung griechischer Siedler bis tief nach Asien hinein. Und im Munde der Makedonen

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oder der Griechen jeder Herkunft verliert die griechische Sprache den größten Teil ihrer dialektischen Besonderheiten, durch die sie sich von Stadt zu Stadt unterscheidet. Von nun an braucht man nicht mehr von Kindheit an darauf abgerichtet zu sein, ein reines Attisch zu sprechen, um Anspruch auf die Bezeichnung ›pepaideuménos‹ erheben zu können. Griechisch zu verstehen und es ein bißchen zu sprechen, scheint ein Mittel zu sein, um Zugang zu einer höheren Kultur zu erhalten; auf alle Fälle ist es ein Mittel, um sich überall zu verständigen. Der Reisende, der von den Ufern des Ägäischen Meeres in einen verlorenen Landstrich Asiens kommt, wird begierig angehört. Man schart sich um ihn, denn er hat immer etwas zu sagen. Nach und nach machen alle Völker bei diesem Kontakt erneut die Entdeckung, was das Wort, der logos, vermag. Griechisch ist die Sprache der königlichen Kanzleien, die Sprache der Geschäfte, der Gerichte, des reinen Gedankens. Wer nicht Griechisch spricht, zählt nicht zur Elite, er bleibt isoliert, ohnmächtig in der namenlosen Menge der Barbaren, und das wird jahrhundertelang so bleiben. Selbst die römische Eroberung wird nichts daran ändern. Latein wird im Orient niemals fließend gesprochen werden, aber Griechisch wird man dort immer sprechen. Und was klar beweist, daß die hellenistische Kultur im Wesen niemals an einen militärischen Imperialismus gebunden war, ist die Tatsache, daß in einem Reiche, in dem die Königreiche der Diadochen die Rolle von Besiegten spielen werden, der Hellenismus seine ganze Kraft und Fruchtbarkeit bewahren wird. Ungefähr drei Jahrhunderte liegen zwischen dem Tod Alexanders und dem Caesars. Drei Jahrhunderte, in denen es zu einer unaufhörlichen Gegenüberstellung von Okzident und Orient kam, und ganz sicherlich würden Form und Art dieser Konfrontation nicht das gewesen sein, was sie tatsächlich wurden, wenn es das Reich Alexanders nicht gegeben hätte. Beim Tode Alexanders ist Rom bereits eine wirkliche Stadt mit einer ziemlich langen Geschichte (von vielleicht mehr als vierhundert Jahren) und hat nationale, politische, religiöse und moralische Überlieferungen, die ihm teuer sind. Rom hat seine Maximen, die seine Beziehungen zu den andern Völkern bestimmen. Das Reich, das es sich gerade zu schaffen beginnt, ist im Prinzip dem des Makedonen nicht sehr ähnlich – und doch sollte Rom von der Geschichte dazu berufen werden, dieses Reich fortzusetzen. Die Eroberung Asiens durch Alexander war das Werk einiger Jahre gewesen; es war mit roher Gewalt verwirklicht worden, um den Preis einiger Schlachten zum Vorteil eines Heerführers. Das Imperium Romanum dagegen war die Frucht eines langsamen Entwicklungsprozesses und war weder von einer Kriegerkaste noch von deren König erworben worden. Die Könige von Makedonien sind Kriegsherrn. Die römischen Magistrate sind vom Volke in friedlichen Komitien gewählte Richter. Die römischen Soldaten sind Bürger. Im Herbst arbeiten sie auf den Feldern und werden, wenn die schöne Jahreszeit wiederkehrt, in die Legionen eingezogen. Selbst wenn es, wie mitunter angenommen wird, eine Zeit gegeben hätte, zu der

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die römische Gesellschaft unterschiedliche Klassen zuließ, von denen sich jede einer besonderen Aufgabe widmete20, war diese archaische Organisation zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschichte Roms für uns beginnt, längst verschwunden. Eine Gesellschaft ohne Kriegerkaste läßt sich schwer zu Eroberungszügen hinreißen; sie ist von Natur aus viel eher darauf bedacht, ihr Erbe zu verteidigen – und ebenso fassen die Historiker Roms es auch auf. Die Bürgerarmee, sagen sie, hatte keinen anderen Zweck, als das Vaterland, die Heiligtümer der Götter und den Boden der Stadt vor jedem Angriff zu schützen. Nichtsdestoweniger ist es dieser Stadt gelungen, eines der größten Reiche der Geschichte zu errichten. Die Römer selbst erklärten dieses einzigartige Paradoxon mit der Behauptung, sie seien wider Willen dazu gekommen. Ihre Vorfahren hätten nicht gekämpft, um fremde Länder zu plündern oder zu annektieren, sondern um der Ausführung feindseliger Anschläge vorzubeugen, die gegen Rom zielten, und ein Vertrag oder ein förmliches Bündnis sei ihnen lieber gewesen als der Krieg. Merkwürdige Eroberer, die nichts sehnlicher wünschten als den Frieden, Eroberer wider Willen, die bei jeder Schlacht alles aufs Spiel setzten! Nun, diese Politik (und zumindest während der ersten Jahrhunderte Roms ist an ihrer Tatsache nicht zu zweifeln) hatte eine sehr wichtige Folge: Da sie nicht die (materielle oder rechtliche) Vernichtung des Feindes bezweckte, sondern in erster Linie darauf ausging, Bündnisse zu sichern, stellte sich die römische Eroberung als eine Art Vereinigung oder Liga dar. Die Mitglieder (socii) oder die Untertanen (subiecti) waren durch einen gegenseitigen Beistandspakt an Rom gebunden – und Rom an sie. Wenn Rom angegriffen wurde, mußten sie es verteidigen, aber sie konnten umgekehrt auf den Schutz der ›Reichsstadt‹ rechnen. Im Tausch gegen diese Garantie mußten die in das Reich integrierten Völker in einen Teilverzicht auf ihre Souveränität einwilligen. Die Schwere des Opfers richtete sich danach, ob der Vertrag freiwillig oder unter Zwang zustande gekommen war, aber es geschah doch recht selten, daß die ›verbündete‹ Stadt nicht eine ziemlich weitgehende Autonomie behielt und in jedem Falle ihren eigentlichen Charakter wahrte. Das Reich, das seine Einheit der materiellen Macht Roms und einem ein für allemal gültigen Rechtssystem verdankte, wurde schließlich auf allen anderen Gebieten zu einer vollständigen Symbiose zwischen ›Eroberern‹ und ›Eroberten‹. Das hat vielleicht seinen Grund darin, daß Rom selbst überhaupt keine so kraftvolle und eigenständige Kultur besaß, um sie anderen aufzwingen zu können. Es mag auch sein, daß die ersten ›Verbündeten‹ Roms diesem so nahe standen, daß es gar keinen ernstlichen Unterschied gab, der die Römer und ihre Untertanen zu trennen vermochte. Wie dem auch sei, wir erlebten, daß Rom zu allen Zeiten bereit gewesen ist, Sitten, Glauben und Ideen aufzunehmen, die seine Vertragspartner ihm boten. Alexander hatte mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen gehabt, da er versucht hatte, ein Einheitsreich mit wesensverschiedenen Völkern zu bilden. Die Lösungen, die er im Sinn gehabt hatte, waren Notbehelfe, deren Wirkung

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nur auf lange Sicht spürbar werden konnte, und wenn es schließlich zur Einheit der hellenistischen Welt kam, so nur dank der gewaltigen Überlegenheit des Hellenismus im Vergleich zu den anderen Kulturen des Reiches. Für Rom liegen die Verhältnisse ganz anders, und der Weg verläuft umgekehrt. Gerade die verschiedenen Kulturen, die sich miteinander verschmelzen, haben schließlich die Einheit einer Kultur bewirkt, die sich in der bereits vorhandenen materiellen, politischen und rechtlichen Organisation herausbildet. Im römischen Abendland entwickeln sich Kultur und Reich parallel im gleichen Tempo. Und diese Besonderheit der römischen Eroberung führte dazu, daß die Herrschaft Roms darauf vorbereitet wurde, eines Tages die Grenzen der italischen Halbinsel zu überschreiten. Erst vom 3. Jahrhundert v. Chr. an wurden griechische Städte dem Römischen Reich ›assoziiert‹, als erste Tarent, eine dorische Kolonie, die die Frechheit besessen hatte, den König von Epeiros gegen Rom anzurufen. Aber Rom war längst in den Einflußbereich des Hellenentums gelangt. Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. hatten ihm die Etrusker Kunst- und Denkformen übermittelt, die vom ionischen Griechentum hergeleitet waren. Den Etruskern folgten die hellenisierten Kampaner. Bald unterhielt Rom unmittelbare Beziehungen zu den griechischen Kolonien in Süditalien und auf Sizilien. Zu der Zeit, als die hellenistische Kultur sich herausbildet, kann Rom bei den Historikern, die es (mittelbar, wie es den Anschein hat) kennen, als ›griechische Stadt‹21 gelten. Es wirkt sogar (und zwar schon vor der Einverleibung Tarents) wie eine vorgeschobene Bastion des Hellenismus mitten unter den italischen Barbaren, und diese ihm zugewiesene Stellung führt Rom (durch welche ursächliche Bestimmung werden wir noch sehen) dazu, in die griechische Welt einzugreifen. Der Zweite Punische Krieg, der mehr gegen Hannibal, einen ›Glücksritter‹ hellenistischen Stils, als gegen Karthago selbst geführt wird, beschleunigt den Eintritt Roms in das Konzert der Großmächte am Mittelmeer. Hannibals Diplomatie war es, die die Römer zu einer griechischen Politik zwang und dadurch nötigte, ihr Verhalten und ihre Maximen mit den Erfordernissen des politischen Komplexes in Einklang zu bringen, in den sie zwangsläufig hineingeraten waren. Von nun an ist Rom sich der Tatsache bewußt, das Werk Alexanders fortzusetzen. Dieses Werden des römischen Imperialismus vollzog sich genau zur Zeit von Hannibals glücklichem Gegner Scipio Africanus. Damals war Alexander mehr als hundert Jahre tot. Seine Legende war lebendiger denn je, aber es gab nur wenige Römer, die einem Könige, den sie als einen gefährlichen Abenteurer ansahen, nicht mißtraut hätten. Alles wirkte im Sinne römischer Tradition zusammen, um die Lehren, die sich aus seiner Eroberung zu ergeben schienen, zurückzuweisen. Die oligarchische Republik hatte eine Abneigung gegen starke Persönlichkeiten – nicht nur, weil im Senat kleinliche Eifersucht herrschte, sondern weil das eigentliche Prinzip der Verfassung davon ausging, daß die Magistrate nur zeitweilige Amtswalter waren, die jederzeit durch die

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Kollektivgewalt ersetzt werden konnten. Nicht etwa durch Tüchtigkeit oder Glück dieses oder jenes Kopfes wurden Schlachten gewonnen und Siege errungen, sondern durch die Fortuna Roms, deren Werkzeug der Imperator war. Das Beispiel Alexanders stand in krassem Widerspruch zu diesem Prinzip, und ein bedeutender Teil der öffentlichen Meinung – fast ihre Gesamtheit – vertrat die Auffassung, Rom könne diese Fortuna nicht der eines einzelnen Menschen unterwerfen, ohne sich in Todesgefahr zu begeben. Aber es gab auch eine, anfangs sehr kleine, dann allmählich wachsende Gruppe der öffentlichen Meinung, die der Verführung erlag, die die Gestalt Alexanders auf sie ausübte. Das war die Partei der ›Philhellenen‹, die sich dem griechischen Geist und der griechischen Kultur seelenverwandt fühlten, und die als anscheinend paradoxe, aber streng logische Folge dieser Anziehungskraft bereit waren, das Römische Reich auf die ganze hellenistische Welt auszudehnen. Denn für sie ging es nicht darum, wie die modernen Historiker mitunter behaupten, Griechenland zu unterjochen, sondern darum, eine politische Konzeption fortzusetzen und zu vollenden, die ihren Ursprung im östlichen Teil der Mittelmeerwelt hatte, das heißt letztlich, den zu rasch unterbrochenen Traum des Makedonen mit Hilfe der festgegründeten Macht Roms zu verwirklichen. Diese Ostbegeisterung, die bei einem bedeutenden Teil des römischen Adels sehr lebendig war, sollte nicht nur in der Außenpolitik der Stadt spürbar werden, man erkennt sie auch in der inneren Entwicklung der Republik. Sie wird dazu beitragen, eine Reihe von Krisen auszulösen, von denen jede einzelne Rom der Monarchie immer näher bringt. Der in Rom seit der Zeit des Zweiten Punischen Krieges spürbare Einfluß Alexanders erreicht seinen Höhepunkt zweifellos gegen Ende der Republik mit Caesar. Alexander ist anerkanntermaßen das Vorbild Caesars, und der Vergleich, den die Historiker seit der Antike gern zwischen beiden ziehen, ist nicht nur ein rhetorischer Kunstgriff. Caesar ersehnte sich ein ähnliches Schicksal, wie es dem jungen makedonischen Eroberer zuteil geworden war. Er beneidete ihn darum, daß er sich unvergänglichen Ruhm in einem Alter hatte erringen können, in dem Caesar selbst noch als ein Unbekannter um die Mittel zur Bestätigung seines Genies ringen mußte. Das Schicksal hat Caesar bekanntlich eine großartige Vergeltung geboten, indem es ihm gestattete, als reifer Mann ein Reich unter der römischen Gewalt zusammenzubringen, das fast ebenso riesenhaft war wie das Alexanders. Danach wurde er von den Senatoren, die begriffen hatten, daß er, dem Makedonen nur allzu ähnlich, nicht säumen würde, den gleichen Weg zu gehen wie dieser und ebenfalls König und Gott zu werden, erdolcht. Zum Königtum fand Caesar nicht die Zeit, aber er hatte die Zeit, den Mann zu adoptieren, der der erste Kaiser werden sollte. Gott wurde er durch seinen gewaltsamen Tod früher, als er gedacht hatte, und als Gott lenkte er, selbst nach den Iden des Märzes, weiterhin die Geschicke Roms. Man darf wohl behaupten, daß Caesar auf mehr als eine Art die historische Entwicklung vollendete, die im Jahre 334 auf dem Schlachtfeld am Granikos begonnen hatte. Dazu mußte

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allerdings Rom sich vorher Schritt für Schritt dem Wesen der hellenistischen Kultur und des hellenistischen Denkens anpassen, selbst fast vollkommen ein hellenistisches Land werden, damit Gedanke und Wille Caesars zur vollen Wirkung gelangten. Der Fall von Alesia, das Ende des gallischen Widerstandes bezeichnen weniger den Triumph eines imperialistischen und brutalen Roms als den Beginn einer unmittelbar dem hellenisierten Orient entstammenden Kultur im Abendland. Man kann es sicherlich bedauern, daß der Hellenismus von Rom herangetragen wurde, und der Meinung sein, daß Gallien zur Zeit, als die Legionen Caesars einfielen, bereit war, sich eine Niederlage zu ersparen. Das zum Tal fließende Wasser kann mehreren Wegen folgen, am Ende gelangt es immer in den Fluß. Caesar war, als er starb, vollkommen überzeugt, daß sein Schicksal ihn zwang, den Spuren Alexanders zu folgen; für diese Überzeugung haben wir einen sicheren Beweis. Im Laufe der Jahrhunderte war das alte Alexanderreich zerbröckelt. Die Satrapien am Euphrat und im Iran hatten sich schließlich in einem neuen Reiche, dem der Parther, zusammengefunden, die (nicht ohne Grund) als die Erben der Perser auftraten. Sie blieben außerhalb des Römischen Reiches. Nun hatte Caesar, nachdem er seine Macht gesichert hatte, den Ehrgeiz gehegt, diese Provinzen zurückzuerobern, die er als ›verloren‹ betrachtete, weil sie der griechischen Welt weggenommen worden waren, der Welt also, deren Gesamterbe Rom für sich in Anspruch nahm. Während der ›Tyrann‹ unter den Dolchstößen des Brutus und des Cassius zusammenbrach, sammelten sich die Heere des alten imperator schon an der Ostküste des Adriatischen Meeres, um die Wiedereroberung in Angriff zu nehmen. Die Verschwörung einiger Senatoren machte diesem Traum ein Ende. Es wäre jedoch eine Täuschung, wollte man darin nur den Wahn eines von maßlosem Ehrgeiz Besessenen sehen. In Wirklichkeit träumte ganz Rom diesen Traum. Das zeigte sich deutlich in der Folgezeit: Die römische Volksmeinung hat sich niemals damit abgefunden, die Parther in Babylon regieren und über Armenien herrschen zu sehen. Gewiß, da ist die Niederlage des Crassus bei Karrhae, die Rache fordert, aber über dieses Gebot der nationalen Ehre hinaus bleibt die Sehnsucht nach der Zeit, in welcher der Machtbereich des Hellenismus keine anderen Grenzen hatte als die von Alexander erreichten. Augustus, der die römischen Streitkräfte nicht für eine Eroberungspolitik im Orient aufs Spiel setzen möchte, wird die größte Mühe haben, eine Volksmeinung zu überlisten, die fest entschlossen ist, ihn zu drängen, die Projekte Caesars weiterzuverfolgen22. Zwei Generationen später wird Nero, der weniger vorsichtig ist als sein Ahnherr, der göttliche Augustus, die Feindseligkeiten gegen die Parther wieder eröffnen und auf den Spuren Alexanders eine Expedition in Richtung Kaukasus vorbereiten. Aber genau wie Caesar wird er durch den Tod daran gehindert. Trajan greift dann zu Beginn des 2. Jahrhunderts diese Politik wieder auf und trägt für kurze Zeit die Grenze des Reiches sogar bis an die Mündung des Euphrats vor. Niemals gelingt es den Römern, das Reich Alexanders in seiner Ganzheit wiederherzustellen, das liegt

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aber nicht daran, daß sie es nicht mit einer Hartnäckigkeit gewollt hätten, aus der offenbar wird, wie sehr sie sich bewußt waren, ein Erbe anzutreten. Auf keine Weise hat das Römische Reich das Alexander-Reich ›wiedererlangt‹. Rom war schon hellenisiert, bevor es mit den Großmächten des hellenistischen Ostens zusammenstieß. Die Kultur, die es mitbringt, unterscheidet sich nicht wesentlich von der, die es in diesen Königreichen antrifft. Die Komödien des Plautus zum Beispiel hatten seit dem 3. Jahrhundert das römische Publikum mit dem griechischen Leben und der griechischen Gesellschaft vertraut gemacht, ehe noch ein einziger Legionär den Fuß auf griechischen Boden gesetzt hatte, und ebenso ging es auf manchem anderen Gebiet von Geist und Technik. Die kulturelle Symbiose zwischen Rom und Griechenland ist nicht die Folge einer gewaltsamen Eroberung. Horaz, der einmal geschrieben hat, »das besiegte Griechenland hatte seinen unerschrockenen Sieger besiegt« (Epist. II, 1, 156), irrt sich, oder wir irren uns über den wahren Sinn dieser Redewendung. Der geistige Sieg (wenn es im Bereich des Geistes überhaupt Siege und Niederlagen gibt), der Griechenland über Rom zugeschrieben wird, war längst erfolgt, ehe die Legionen des Aemilius Paullus über die makedonische Phalanx siegten. Die Verfassung des Römischen Reiches ist nicht das Werk einer politischen Gruppe oder eines Volksstammes; sie war das Ergebnis einer Entwicklung, in deren Verlauf die ›Römer von Rom‹ von ihren Eroberungen überflutet wurden. Niemals gelang es selbst den konservativsten Senatoren, Rom gegen die Umwelt abzuschließen, und nach jeder Annexion war es eine andere Stadt. Die Eroberung Alexanders hatte mit einem Schlage alle Völker, auf die sie sich erstreckte, einer einzigen geistigen Gemeinschaft verpflichtet. In Rom war es umgekehrt; die Entstehung des Reiches dauerte sieben Jahrhunderte. Im Verlaufe dieser langen Zeit sammelte Rom ungleichartige Völkerschaften um sich, unterschiedlicher vielleicht noch als die, die einst das Reich des Dareios gebildet hatten. Aber die Stadt, die sie politisch assimiliert, besitzt ihrerseits eine Kohäsionskraft, wie sie Makedonien gänzlich fremd war, und im Schöße der so geschaffenen politischen Gemeinschaft erwuchs eine eigene Kultur, welche die politische Einheit schließlich überlagerte. Das Wunder daran war, daß Rom die hellenistische Kultur nicht zerstörte, sondern integrierte und ihr sogar größere Kraft verlieh. Rom schuf wirtschaftliche und politische Bedingungen, die eine Verjüngung der griechischen Welt gestatteten. Aber es schuf auch die Bedingungen für neue Erkenntnisse im geistigen Bereich: Es gibt eine Kunst, eine Religion, eine Philosophie, eine Poesie, die zu Rom gehören und aus Rom hervorgegangen sind, genau wie aus griechischen Vorbildern. Diese Vorbilder werden nicht geleugnet, aber umgeformt. Dank Rom wird ihre Wirkungskraft über Jahrhunderte hinweg bis auf unsere Zeit verlängert. Vom Tod Alexanders bis zum Tode Caesars läßt sich trotz der Kämpfe und der unzähligen Krisen, die die mediterrane Welt erschütterten, die Kontinuität einer Kultur nicht verkennen, die mit Hilfe ihrer Vergangenheit das Mittel findet, sich jedesmal den

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wechselnden Erfordernissen einer Welt anzupassen, in der die Machtverhältnisse und die Wirtschaft in ständiger Entwicklung begriffen sind. Die Philosophen, die Schriftsteller, die Redner, selbst die Künstler sind es gewesen, die vor allem dieses Wunder vollbrachten, und es gibt vielleicht keine Periode in der Geschichte, die besser begreiflich macht, daß das letzte Wort in der Entwicklung der Weltreiche nicht den blinden Mächten, nicht der Gewalt der Waffen oder der Zahl gehört, sondern dem wohlüberlegten und bewußten Denken. 1. Die Zeit der Diadochen (323–280 v. Chr.) Die vierzig Jahre, die auf den Tod Alexanders folgten, waren durch unzählige Kriege gekennzeichnet, in deren Verlauf das von dem König eroberte Reich mehrmals unterzugehen drohte und die schließlich zu seiner Teilung führten. Die beträchtliche Streitmacht, die aufgeboten worden war, um den Großkönig niederzuwerfen und den Widerstand der asiatischen Völker zu brechen, wird durch Generale, die ganz oder teilweise Alexanders Sachwalter sind, von ihren Zielen abgelenkt. Diese Generale werden von den alten Geschichtsschreibern als ›Diadochen‹ bezeichnet, weil sie die unmittelbaren ›Nachfolger‹ Alexanders sind, diejenigen, die sein Erbe angetreten und geteilt haben. Nach ihnen kamen die Epigonen, deren Name an die zweite Helden-Generation erinnert, der es nach der thebanischen Legende gelang, den Sieg über die verfluchte Stadt zu erringen. Die Diadochen sind die unmittelbaren Gefährten des Eroberers; einige waren vorher sogar die Waffengefährten Philipps gewesen. Alle, mit einer Ausnahme (nämlich Eumenes), sind makedonische Soldaten, die den Sitten ihres Landes gehorchen und sich nach ihnen richten. Selbst die Ehrgeizigsten unter ihnen fühlen sich mit der nationalen Dynastie von Pella verbunden, und ihre Truppen hindern sie daran, diese Bindung zu vergessen und zu zerreißen. Immerhin beginnt man um dieselbe Zeit, die wachsende Bedeutung eines Faktors zu erkennen, den man von der politischen Bühne entfernt zu haben glaubte: die öffentliche Meinung Griechenlands. Die meisten der kriegführenden ›Könige‹ bemühen sich um die Wertschätzung der Griechen. Dabei stellen die meisten Städte nur eine stark beschränkte militärische oder wirtschaftliche Macht dar, und wir werden sehen, daß ihr Besitz für diesen oder jenen König in der Mehrzahl der Fälle eher ein Hemmnis als ein materieller Vorteil ist. Dennoch werden diese Städte, so geschwächt sie auch sein mögen, in den politischen Berechnungen hoch bewertet: Sie sind die Mutterstädte des Hellenismus, und von Jahr zu Jahr wird deutlicher, daß die Ägäis der Mittelpunkt der neuen Welt wird. Dort entstehen und vergehen die Bündnisse, und dort entscheidet sich das Ansehen eines Heerführers. Dort werden auch die Söldner angeworben, und für sie kommt es auf das Ansehen an. Das Ägäische Meer ist der gemeinsame Punkt, das Bindeglied dieser in der Entstehung begriffenen Königreiche. Auf seinen Wogen begegnen sich die Flotten und entstehen die Wirtschaftsmächte: Zypern, Rhodos, der Inselbund spielen in der Geschichte dieser Zeit eine wesentliche

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Rolle, und die asiatischen Gebiete fallen den Männern zu, die in Syrien, in Thessalien oder an den Meerengen gesiegt haben, und die es verstehen, sich im richtigen Augenblick mit Athen auszusöhnen oder Korinth zu besetzen. Diese vierzig und mehr Jahre waren die große Zeit der Menschenführer, der Condottieri, die heute mächtig und morgen flüchtig waren und ihren Soldaten, wenn sie ihnen den Sold nicht bezahlen konnten, Provinzen und Städte verkauften. Unter ihnen hat Plutarch unvergeßliche Helden gefunden: Eumenes von Kardia und Demetrios, den Sohn des Antigonos. Aber die anderen um sie herum sind nicht weniger pittoresk, und ihre Taten, ihr Mißgeschick, ihre Verbrechen und ihre Großmut bilden ein gewaltiges Fresko, dessen Episoden, so sehr sie einander ähneln, sich schwer in einem zusammenhängenden Bericht erfassen lassen, so rasch folgt Schlacht auf Schlacht und verwickeln sich die Intrigen auf unablässig wechselnden Schauplätzen und lassen den Eindruck einer recht nutzlosen Bewegung entstehen, die Jahre und Generationen verschwendet, ohne etwas Festes aufzubauen. Und doch wird aus diesen Wirren die hellenistische Welt hervorgehen, deren Umrisse und Geist sich bereits abzeichnen. Die Protagonisten Um die Ausführung seiner Projekte zu sichern, einen Beistand auf seinen Feldzügen zu haben und das Reich zu verwalten, bediente sich Alexander eines Stabes makedonischer Offiziere, die ihm im großen und ganzen treu geblieben waren. Gegen Ende seiner Regierung waren einige verschwunden. Manche waren das Opfer von Intrigen geworden, wie Philotas, der seinen Vater Parmenion mit in die Katastrophe hineingerissen hatte, andere, wie der schwarze Kleitos, wurden aus undurchsichtigen Gründen von Alexander selbst getötet, wieder andere wurden durch Krankheiten hinweggerafft, wie Hephaistion, der engste Freund des Königs und zweifellos derjenige, der seine Pläne am selbstverständlichsten fortgesetzt haben würde. Diese Lücken waren, so gut es ging, geschlossen worden: Die Tapfersten oder einfach die Rangältesten wurden befördert. Diesem rein zufälligen Umstand verdankt Meleagros, der einzige Überlebende der ersten Phalanx-Führer, seinen Einfluß auf die Infanterie seit der Teilung in Babylon. Alle diese Männer, bewährte oder jüngst beförderte Offiziere, fanden sich nach dem Tode des Königs mit beträchtlicher Verantwortung ausgestattet und Versuchungen ausgesetzt, die mitunter zu stark für sie waren. Als Alexander Pella verließ, hatte er Antipatros von Paliura als Strategen von Europa in Makedonien und an der Spitze des Korinthischen Bundes zurückgelassen. Antipatros, der wahrscheinlich 399 oder 398 geboren ist, gehörte zur Generation Philipps, unter dem er wichtige militärische Kommandos gehabt hatte, besonders in Thrakien gegen Kersobleptes, und den er mitunter auch als Regent des Königreiches vertreten hatte. Wenn Alexander ihm die

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Statthalterschaft übertrug, folgte er also damit nur dem Beispiel seines Vaters. Antipatros eignete sich für diese Aufgabe um so besser, als er nicht nur Soldat war, sondern auch – was beim makedonischen Adel selten vorkam – über eine umfassende Bildung verfügte. Er stand im Briefwechsel mit Aristoteles, und man schreibt ihm sogar die Abfassung historischer Arbeiten zu23, was eine ausgezeichnete Vorbereitung für einen Landesverweser wäre, der im Korinthischen Bund die diplomatischen Verhandlungen des Königreiches zu führen hatte. Antipatros stand gefühlsmäßig Philipp näher als Alexander; er blieb der Tradition der Militärmonarchie in Makedonien treu und mißtraute der orientalischen Fata Morgana. Er machte sich mitunter Sorgen, wenn er merkte, daß Alexander der Versuchung erlag, sich vergotten und anbeten zu lassen, aber er war der Dynastie, der er diente, von ganzem Herzen treu und beobachtete die Wankelmütigkeit der griechischen Städte voller Argwohn. Antipatros’ Aufgabe wurde durch die Anwesenheit der Mutter Alexanders, Olympias, die nach dem Tode Philipps mit ihrem Sohn aus dem Exil zurückgekehrt war, nicht gerade erleichtert24. Die Königin war eine Vierzigerin, als der Asienfeldzug begann, und sie ertrug die Autorität des Antipatros nur mit Unwillen. Sie überhäufte Alexander mit Beschwerden; dieser aber kannte seine Mutter und maß ihrem dauernden Gezänk nicht allzuviel Bedeutung bei. Im Jahre 331 hatte sich Olympias schließlich wieder einmal nach Epeiros zurückgezogen, an den Hof ihres Bruders, Alexanders des Molossers, der gleichzeitig ihr Schwiegersohn war, da er Kleopatra, die Tochter Olympias’ und Philipps und folglich die Schwester Alexanders, geheiratet hatte. Alexander der Molosser starb kurz darauf in Lukanien, worauf Olympias die Staatsgeschäfte des Königreiches in ihre Hände genommen hatte und die eigentliche Herrscherin des Landes geworden war; die von ihrer Mutter verdrängte Kleopatra mußte nach Pella zurückkehren. Olympias setzte ihre von ihrem Haß gegen Antipatros diktierten Intrigen unvermindert fort. Es gelang ihr sogar, sich bei Alexander Gehör zu verschaffen, und es genügte ein Zwischenfall – eine Erhebung in Thrakien, die der Regent nicht zu unterdrücken vermochte –, um den König zu veranlassen, Antipatros zu sich nach Babylon zu berufen, während die Regentschaft über Makedonien Krateros anvertraut wurde; dieser ehemalige Phalanx-Führer war einer der Lieblingsstatthalter Alexanders geworden. Trotz seines Alters erhielt Antipatros den Befehl, Ersatztruppen von Makedonien nach Babylon zu geleiten, während Krateros sich an der Spitze von zehntausend ausgedienten Soldaten, die nach Hause geschickt wurden, auf den Marsch nach Europa machte. Zu diesem Zeitpunkt starb der König. In dieser dramatischen Stunde ist ein anderer Überlebender der vorigen Generation, Antigonos Monophthalmos (der Einäugige), ebenfalls von Babylon abwesend. Seit ungefähr zehn Jahren regiert er die Satrapie Phrygien. Alexander hat seine guten Dienste und seine unzweifelhaften militärischen Fähigkeiten auf diese Weise belohnt. Zu Beginn des Feldzuges hatte er die griechischen Verbündeten kommandiert und in Phrygien selbst sich oft mit persischen

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Partisanen herumschlagen müssen. Im Verlaufe dieser Kämpfe hatte er ein Auge verloren, wodurch sein Gesichtsausdruck etwas Wildes bekommen hatte. Antigonos ist groß, genießt bei seinen Männern beträchtliches Ansehen und versteht es, seinen Willen durchzusetzen, aber er ist, wenn die Umstände es erfordern, auch Diplomat und für die Größe des Hellenismus empfänglich. Dem autoritären Antipatros gegenüber wirft Antigonos sich zum Mitstreiter für die Freiheit der griechischen Städte auf und wird der erste, der ihre Anerkennung verdient. Die anderen Akteure des Dramas sind an ihrem Platze in Babylon, wo jeder von ihnen irgendeinen Dienst bei Hofe oder beim Heer versieht. Einer von denen, die mehr in den Vordergrund treten, ist Perdikkas, dessen außergewöhnlich rascher Aufstieg nach dem Tode des Hephaistion begann. Er ist ein edler Makedone und guter Offizier. Nachdem Hephaistion gestorben war, hatte Perdikkas den Dienstrang eines Chiliarchen (die Wesirswürde) und den Oberbefehl über die erste Hipparchie bekommen. Ihm übergibt Alexander auf dem Sterbebette das königliche Siegel, und er war in die Pläne des Königs eingeweiht. Neben Perdikkas steht sein Freund Eumenes von Kardia. Er war der Kanzler Alexanders, nachdem er Philipps Sekretär gewesen war, und spielte an diesem Hofe die Rolle des Zivilisten, obwohl er seine Laufbahn als Soldat begonnen hatte. Er war zwar Grieche, was seine Stellung inmitten all dieser Makedonen etwas schwächte, doch er war besser als jeder andere über die Reichsangelegenheiten auf dem laufenden, denn jahrelang hatte eine seiner Aufgaben darin bestanden, die Berichte der Statthalter und der Informanten aller Art zusammenzufassen, die Antworten des Königs zu entwerfen oder entwerfen zu lassen und die Archive und die Chronik des Hofes in Ordnung zu halten. Antipatros war ihm, vielleicht Olympias’ wegen, feindlich gesinnt, aber es fehlte Eumenes nicht an Freunden, und er selbst war ein Freund ohne Falsch25. Einige der Adjutanten Alexanders (der ›Somatophylaken‹, der ›Leibwachen‹), im Jahre 323 waren es acht, waren von glühendem Ehrgeiz beseelt, dem irgendeine Satrapie nicht genügt haben würde. Die hervorragendsten waren Lysimachos, Peithon, Peukestas, Leonnatos und Ptolemaios. Alle hatten sie aktiv an der Eroberung teilgenommen. Ptolemaios war einst mit Alexander zusammen im Exil gewesen, hatte sich in den letzten Jahren seiner Regierung ausgezeichnet, und seine Taten hatten ihn bei den Soldaten sehr populär gemacht. Vorsichtig bis zur Doppelzüngigkeit, war er überzeugt, daß das Werk Alexanders seinen Schöpfer nicht überleben könnte. Von Anfang an dachte er übrigens nur daran, sich einen Teil des Reiches zu verschaffen, und während andere Generale bemüht waren – sei es aus echter Treue gegenüber dem Andenken Alexanders, sei es aus Berechnung eines Interesses, das sie für selbstverständlich hielten –, den Zusammenhalt der Staatsgewalt zu wahren, kümmerte sich Ptolemaios nur darum, ein Königreich für sich zu errichten. Lysimachos scheint schon frühzeitig ähnliche Pläne gehegt zu haben, aber er war langsamer in der Durchführung,

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vielleicht weil ihm die Ereignisse weniger zustatten kamen als Ptolemaios, der sich klugerweise nach Ägypten hatte senden lassen, während Lysimachos Thrakien bekam, das durch seine geographische Lage weniger geschützt war und unaufhörlich von ›Spaltern‹ angegriffen wurde. Leonnatos, einer der Helden des Indienfeldzuges, hatte noch nicht seinen großen Plan ersonnen, der auf nichts weniger hinauslief als darauf, sich des Thrones des Makedonen zu bemächtigen, und der schließlich, während des Lamischen Krieges, seinen Untergang herbeiführte. Im Augenblick war er nur ein unerschrockener, aber eitler und händelsüchtiger Söldnerführer. Schließlich war auch der Befehlshaber der Elitetruppen, der ›Hypaspisten‹, in Babylon, Seleukos, ein Riese, von dem man sagte, daß er mit bloßen Händen einen Stier festhalten könne, entschlossen, sich nicht übergehen zu lassen. Das Nachfolgeproblem Nachdem Alexander tot war, mußte er einen Nachfolger bekommen. Nach dem Gesetz oblag die Ernennung des neuen Königs dem makedonischen Heer, und zwar dem Teil, der unter dem Befehl des Antipatros stand, und den in Babylon zusammengezogenen Truppen. Tatsächlich aber zählten im Augenblick nur diese. Der archaische Charakter dieses Wahlverfahrens entsprach kaum den durch die Eroberung geschaffenen völlig neuartigen Umständen. Das Natürlichste wäre gewesen, einen Sohn Alexanders zu ernennen, aber Alexander hatte noch keinen legitimen Sohn. Roxane, die persische Prinzessin, die er 327 in Sogdiana geheiratet hatte, erwartete ein Kind; aber würde es ein Prinz oder eine Prinzessin werden? Perdikkas, der Offizier, der die höchsten Funktionen ausübte, schlug dem Rat der Generale vor, Roxanes Niederkunft abzuwarten, ehe sie eine endgültige Entscheidung träfen. Wenn das Kind, das sie zur Welt bringen würde, ein Knabe sei, werde man ihn zum König ausrufen, wenn nicht, werde man beratschlagen. Die anderen Generale willigten ein, und man befaßte sich sogleich eingehend mit der Regelung der Regentschaft: Perdikkas und Leonnatos sollten beide Vormund des jungen Prinzen sein und die Regentschaft in den asiatischen Gebieten ausüben; Makedonien und Griechenland sollten von Antipatros und Krateros gemeinsam verwaltet werden. Auf diese Weise wurde eine Art Tetrarchie geschaffen, die natürlich nur ein Provisorium sein konnte. Der Hauptvorteil dieses Systems bestand darin, daß die Einheit des Reiches gewahrt blieb – zumindest grundsätzlich. Der künftige König – wenn er zur Welt käme – würde der Sohn des Makedonen Alexander und der Sogdianerin Roxane sein; er würde also gleichermaßen Anspruch auf die Herrschaft über beide Teile der Welt erheben können. Mit diesem Lösungsvorschlag blieb Perdikkas dem Geiste Alexanders treu, und die anwesenden Generale begriffen das sofort. Anders ging es jedoch, als man die Meinung der Truppe einholte. Die Reiterei, bei der der Adel vorherrschend war, pflichtete dem Plan ohne Schwierigkeiten bei, aber das Fußvolk verhielt sich ablehnend. Meleagros, der bei den Fußsoldaten als verdienter Offizier galt,

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sträubte sich gegen die mögliche Thronerhebung eines Sohnes der Roxane, das heißt, in seinen Augen, eines Halbbarbaren. Mit törichtem Starrsinn, der in den Reihen der Phalanx großen Anklang fand, wollte er die ›Reinheit‹ der Dynastie wahren, und mangels jeglichen anderen möglichen Thronprätendenten empfahl er dem Fußvolk einen Sohn, den Philipp mit einer Konkubine, der Thessalierin Philinna, gehabt hatte, zur Wahl. Das war ein gewisser Arrhidaios, ein schwachsinniger Epileptiker. Aber er war der Sohn Philipps, und das Fußvolk unterstützte einstimmig diese sonderbare Designation. Das Heer war also in zwei Teile gespalten. Die berittene Truppe, die fest entschlossen war, ihre Lösung gewaltsam durchzusetzen, verließ mit Perdikkas zusammen Babylon und drohte, die Stadt von ihren Verbindungswegen abzuschneiden. Darüber wäre es zweifellos zu einer regelrechten Schlacht gekommen, wenn es den Bemühungen des Eumenes nicht gelungen wäre, beide Meinungen zu versöhnen. Arrhidaios wurde als Philipp III. zum König ausgerufen, aber man vereinbarte gleichzeitig, daß das Kind Roxanes, wenn es ein Sohn sein sollte, gemeinsam mit Arrhidaios regieren sollte. Auch das Regentschaftssystem wurde erheblich geändert. Perdikkas mußte es dulden, daß sich ihm Meleagros, der zweifellos als Vertreter der Phalanx betrachtet wurde, anstelle von Leonnatos als Mitregent beigesellte. Krateros wiederum wurde der amtliche Vormund Philipps III., der zwar sicherlich volljährig, aber nicht imstande war, selbst die Regierungsgewalt auszuüben. Unter diesen Umständen konnte keine Maßnahme des Perdikkas Gesetzeskraft erlangen, wenn sie nicht von Krateros gegengezeichnet war, der seinerseits in Makedonien bleiben mußte, als ›Teilhaber‹ von Antipatros, der den Strategentitel behielt. Die Krateros zugestandene eigenartige Machtbefugnis läßt sich schlecht definieren. Er hatte übrigens keine Gelegenheit, sie auszuüben, und bald konnte jeder feststellen, daß in Wirklichkeit Perdikkas Herr der asiatischen Hälfte des Reiches war, während Antipatros den europäischen Teil regierte. Die durch das Dazwischentreten des Meleagros erzwungenen Entscheidungen hatten zur Folge, daß die Einheit des Reiches durch den Abbau der Zentralgewalt erheblich gefährdet wurde. Im Grunde zeigte sich, daß diese Einheit nicht von klar umrissenen und beständigen Einrichtungen abhing, sondern von dem Einvernehmen zwischen Perdikkas und Krateros, den beiden wichtigsten Persönlichkeiten des Reiches. Meleagros wurde rasch beseitigt; Perdikkas beschuldigte ihn vor dem Heer des Hochverrats, und die Soldaten verurteilten ihn zum Tode. Antipatros, obwohl theoretisch Krateros unterstellt, gewann gewissen Einfluß auf ihn. Als der Ältere hatte er auch mehr Regierungserfahrung in Makedonien, und das Land hatte sich an ihn gewöhnt. Außerdem gewann er seinen jungen Kollegen, indem er ihn mit seiner Tochter Phila verheiratete. Schließlich ließ der Lamische Krieg, der ausbrach, sobald der Tod Alexanders in Griechenland bekannt wurde, Krateros keine Zeit, sich in die allgemeinen Angelegenheiten einzumischen. Perdikkas und Antipatros standen sich also praktisch allein gegenüber. Die Fortsetzung des Werkes Alexanders

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hing damit von der Zusammenarbeit ab, zu der die beiden sich verstehen würden. Den anderen Offizieren wurden auf Veranlassung von Perdikkas, der ohne Schwierigkeiten die Gegenzeichnung König Philipps III. dafür erhielt, Satrapien zugeteilt, die sie von Babylon entfernten. Ptolemaios bekam Ägypten, Thrakien fiel wieder an Lysimachos, das hellespontische Phrygien an Leonnatos und Kappadokien an Eumenes. Die Satrapie des Antigonos wurde durch den Anschluß neuer Gebiete vergrößert: Lykien, Pamphylien und Pisidien. Peithon erhielt Medien, aber da der Satrap dieser Provinz, Atropates, der Schwiegervater des Perdikkas war (der, wie die meisten Generale, dem Beispiel Alexanders gefolgt war und eine persische Prinzessin geheiratet hatte), wurde Medien geteilt. Den Norden behielt Atropates; das war Kleinmedien, Atropatene, heute Aserbeidschan. Die Satrapen von Lydien und Karien waren Menandros, der schon unter Alexander diese Stellung innegehabt hatte, und Asandros. Satrap von Syrien wurde Laomedon, ein Freund Alexanders, und Satrap von Babylon ein Unbekannter namens Archon. Seleukos erhielt den Oberbefehl über die ›Hetairen‹ (die Gefährten des Königs), einen Posten, den vordem Perdikkas selbst innegehabt hatte. Diese Ernennung von ›Präfekten‹ änderte nichts an dem von Alexander eingerichteten Verwaltungssystem; jede Provinz blieb, von einigen kleinen Verbesserungen abgesehen, das, was sie vorher war. Die Finanzprüfer, deren Aufgabe es war, die Macht der Satrapen in Grenzen zu halten, bestanden auch weiterhin neben ihnen. Doch trotz des äußeren Anscheins merkt man, daß eine Neuorientierung der Politik sich abzuzeichnen beginnt. Die neuen Satrapen sind weniger von der Zentralgewalt abhängig, als es die Satrapen Alexanders gewesen waren. Man erlebte zum Beispiel, daß Ptolemaios in Ägypten sich unverzüglich seines Vorgängers Kleomenes entledigte, obwohl dieser ihm als Mitregent bestimmt worden war, und daß er sich anschickte, ein Heer aufzustellen, das weit über die ihm zugebilligte Stärke hinausging. Schließlich gab es keine oder fast keine Statthalter persischer Herkunft mehr, was im Widerspruch zu den Bestrebungen Alexanders stand. In den Satrapien findet man nur makedonische Offiziere, die ihre militärische Herkunft nicht verleugnen können, und bald werden aus diesen ›Präfekten‹, die eigentlich nur Verwaltungsbeamte sein sollten, ebensoviele stets kampfbereite Condottieri. Alexander hatte gewollt, daß zwischen Eroberern und Eroberten ein Geist aufrichtiger Zusammenarbeit entstehen sollte. Die Teilung des Reiches unter seine ›Marschälle‹, die er nicht gewollt hatte, und eben diese Marschälle verhinderten, daß sich die Erinnerung an die Eroberung verwischte. Der Söldnerstreit Während sich in Babylon das Schicksal des Reiches entschied, wurden die Ostprovinzen und auf der andern Seite Griechenland fast gleichzeitig Schauplatz eines Aufstands. Der erste, der Söldnerstreit, ist der weniger ernste und hat

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kaum mehr als symptomatischen Wert. Der zweite, der ›Lamische Krieg‹, brachte die makedonische Hegemonie in der griechischen Welt ernsthaft in Gefahr. Alexander hatte in Baktrien eine große Anzahl griechischer Söldner angesiedelt, die Kolonisten werden sollten, und durch die der Hellenismus feste Wurzeln auf barbarischem Boden fassen sollte. Aber diese Männer, die ursprünglich vielleicht durch die ihnen gebotenen Vorteile verlockt worden waren, wurden des Lebens, das sie ihrem Vaterland entriß, bald überdrüssig. Sie sehnten sich nach dem ›griechischen Leben‹26, und schon während der Regierung Alexanders war es unter Führung eines gewissen Athenodoros, der sich Baktriens bemächtigt und den Königstitel angenommen hatte, zu einer Erhebung gekommen. Athenodoros war bald ermordet worden, und als dann unvermutet der Tod Alexanders eintrat, stießen weitere Kolonisten zu den Aufständischen. Alles in allem bildeten sie ein Heer, das 20000 Mann Fußvolk und 3000 Reiter zählte. Diese Männer hatten nur einen einzigen Wunsch, heimzukehren und für ihren Teil einen Schlußstrich unter das endlose, von Alexander begonnene Abenteuer zu ziehen. Perdikkas, der nach der unvermuteten Teilung in Babylon für Asien verantwortlich war, konnte nicht zulassen, daß diese Bewegung wuchs und sich ausdehnte. Er beauftragte Peithon, den neuen Satrapen von Medien, die Rebellen niederzuwerfen und makedonische Truppen dafür einzusetzen, die grundsätzlich den verachteten und beneideten griechischen Söldnern feindlich gesinnt waren. Statt rücksichtslos anzugreifen, begann Peithon zu verhandeln, und es fiel ihm nicht schwer, Verräter zu finden. Unter Mißachtung des ihm erteilten Auftrages – Vernichtung der Aufständischen – hoffte Peithon, die Gelegenheit benutzen zu können, sich der Dankbarkeit und des Beistands dieser Söldner zu versichern, die eine gewisse Macht darstellten. Mit ihrer Hilfe würde nichts leichter sein, als sich ein Königreich herauszuholen. Die Aufrührer unterwarfen sich, und Peithon verzieh ihnen. Aber die makedonischen Soldaten, denen Perdikkas vor dem Abmarsch ausdrücklich die Habe der Söldner als Beute versprochen hatte, setzten sich darüber hinweg, umzingelten die Griechen überraschend und metzelten sie bis zum letzten Mann nieder. Dem überrumpelten Peithon blieb keine andere Wahl, als in das Lager des Perdikkas zurückzukehren. Die östlichen Satrapien verloren ein paar tausend griechische Kolonisten, aber es blieben noch viele andere, die es, vielleicht durch das Beispiel belehrt, für klüger hielten, weiterhin in Asien zu leben. Und Perdikkas begriff, wenn er es nicht schon vorher begriffen hatte, daß jeder der von ihm eingesetzten Satrapen ihn jederzeit verraten konnte, um zu versuchen, sich ein Königreich zu schaffen. Der Lamische Krieg Inzwischen wurde in Griechenland ein weit wichtigeres Spiel gespielt. Athen hatte sich niemals in Philipps Sieg geschickt. Sobald der Tod Alexanders bekannt wurde – zuerst durch ziemlich vage Gerüchte, denen die leitenden Männer nur

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zögernd Glauben schenkten –, erachtete die demokratische Partei, die traditionsgemäß makedonienfeindlich war, die Stunde für gekommen, die Stadt und ganz Griechenland zu befreien. An der Spitze der Stadt stand gerade Hypereides, der Führer des fortschrittlichstem Flügels der Demokraten. Demades und Demosthenes waren seit der Harpalos-Affäre von der politischen Bühne abgetreten, und Lykurgos, der lange die Politik Athens gelenkt hatte, war im Jahr zuvor gestorben. Hypereides traf die Nachricht vom Ende Alexanders nicht unvorbereitet. Mit Hilfe eines gewissen Leosthenes, eines Atheners, der einst als Söldner in Asien gedient und großes Ansehen bei den andern Söldnern erlangt hatte, war er in Verhandlungen mit den beschäftigungslosen Soldaten eingetreten, die aus sämtlichen Ländern, in denen gekämpft worden war, zurückfluteten und sich gewöhnlich in der Gegend um Kap Tainaron trafen. Leosthenes, der für das Jahr 324 zum Strategen gewählt worden war, begann, unter den Soldaten vom Tainaron für den Fall eines Schlages gegen Makedonien den Kern einer Armee anzuwerben27. Vielleicht hatte er selbst Hypereides auf die Unzufriedenheit aufmerksam gemacht, die unter den Söldnern herrschte und für die die Ereignisse in Baktrien den Beweis lieferten. Gleichzeitig verhandelte Leosthenes mit den Aitolern, den alten Feinden Makedoniens. Um den September herum wurde es zur Gewißheit, daß Alexander tot war. Von Hypereides mitgerissen, erklärte die Ratsversammlung von Athen Makedonien den Krieg. Alle Bürger unter vierzig Jahren wurden aufgeboten, und man verfügte, daß zweihundert Trieren und vierzig Vierruderer wieder in Dienst gestellt und bewaffnet wurden. Man beschlagnahmte den Rest des Harpalos-Goldes und schickte Gesandte durch ganz Griechenland, um Bundesgenossen zu suchen. Kriegsziel: die Befreiung aller Städte, in die Antipatros eine Besatzung gelegt hatte. Die meisten Städte waren bereit, sich den Athenern anzuschließen, aber Sparta, das zehn Jahre vorher hart geschlagen worden war, wollte sich nicht regen, und den Boiotern lag nichts daran, den Wiederaufstieg Thebens zu erleben, was die unmittelbare Folge einer makedonischen Niederlage gewesen wäre. Eine Anzahl sympathisierender Städte war durch die Anwesenheit einer von Antipatros hineingelegten Besatzung lahmgelegt. Man zählte am Ende auf der Seite Athens Sikyon, Elis, Messenien und Argos. Die Arkader dagegen, die es beunruhigte, daß Sparta sich aus dem Streit heraushielt, blieben praktisch neutral. Im Norden Attikas folgten die thessalischen Völker und einige Boioter Athen, aber auf keiner der Inseln willigte die Bevölkerung in ein Bündnis mit Athen ein. Demosthenes, der nach Aigina verbannt war, stellte seine Beredsamkeit spontan in den Dienst des Vaterlandes und beteiligte sich als Privatmann an der diplomatischen Kampagne, was ihm die Rückberufung und einen triumphalen Empfang durch seine Mitbürger eintrug. Anfangs errangen die Griechen glänzende Erfolge. Die athenischen Truppen besetzten die Thermopylen, nachdem sie sich den Durchzug durch Boiotien

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erzwungen hatten. Antipatros griff mit den Truppen an, die ihm zur Verfügung standen, darunter thessalische Reiter. Doch diese gingen auf dem Schlachtfeld zum Feinde über, und Antipatros mußte sich in der Stadt Lamia verschanzen. Sein Plan war, die Verstärkungen abzuwarten, die er bei den anderen makedonischen Generalen, Krateros und Leonnatos, die sich noch in Asien befanden, angefordert hatte. Von Lysimachos, der in Thrakien in schwere Kämpfe mit König Seuthes verwickelt war, hatte er nichts zu erhoffen. Aber wann würden die Hilfstruppen eintreffen? Vorsichtshalber bot Antipatros dem Befehlshaber der athenischen Streitkräfte, Leosthenes, die Übergabe an. Leosthenes wollte aber nur eine bedingungslose Kapitulation gewähren. Das war zuviel verlangt. Antipatros entschloß sich zur Fortsetzung des Widerstandes. Kurz darauf wurde Leosthenes bei einem Scharmützel getötet. Antiphilos, der an seine Stelle trat, genoß nicht sein Ansehen. Die Aitoler zogen sich als erste zurück, unter dem Vorwand, sie würden in der Heimat gebraucht. Dieser Abfall schwächte die Verbündeten, die die Einschließung von Lamia nicht aufrechterhalten konnten, als das von Leonnatos geführte Entsatzheer heranrückte. Dieser erlitt zwar im Verlaufe eines Kampfes, bei dem er selbst ums Leben kam, eine Niederlage, aber wenn auch seine Reiter geschlagen wurden, blieb doch das Fußvolk intakt, und Antiphilos konnte die Vereinigung der Phalanx mit Antipatros nicht verhindern. Dieser kehrte ruhig nach Makedonien zurück. Krateros war auf dem Marsch. Das Reich bot nach und nach seine Kräfte gegen die Verbündeten auf, deren eigene Reihen allmählich abbröckelten. Aber Krateros mußte die Meerenge überqueren, um sich mit Antipatros zu vereinigen. Alles hing daher von den Ereignissen auf See ab. Bis dahin hatten die athenischen Schiffe die Herrschaft in der Ägäis gehabt; die Flotte des Antipatros war ihnen zahlenmäßig stark unterlegen. Aber nun schickte Anfang 322 Perdikkas seinem Mitregenten eine beachtliche Flotte unter dem Befehl von Kleitos zur Hilfe. Unter ihrem Schutz überschritt Krateros die Meerenge. Die geschlagene athenische Flotte suchte im Piräus Schutz. Das Volk entschied, es sollte ein neuer Schlag geführt werden. Neue Schiffe wurden ausgerüstet, und zu Beginn des Sommers gingen die Geschwader wieder in See, in der Hoffnung, die von Asien nach Makedonien gehenden Geleitzüge abzufangen. Aber Kleitos fügte ihnen bei Amorgos eine zweite Niederlage zu und blockierte den Piräus. Von da an war der Ausgang des Krieges entschieden. Im Laufe des Sommers zogen Antipatros und Krateros quer durch Thessalien wieder nach Griechenland. Sie verfügten über mehr als 43000 Mann Fußvolk und vielleicht 5000 Reiter. Das Treffen fand bei Krannon statt, südlich des Peneios. Die Verbündeten besaßen nur etwa zwei Drittel der Streitkräfte der Makedonen. Das Reitergefecht verlief für die Griechen günstig, aber die makedonischen Phalangen durchbrachen ihre Linien. An sich war die Schlacht vielleicht nicht einmal entscheidend, aber die Verbündeten Athens verloren den Mut und knüpften Sonderverhandlungen mit Antipatros an. Athen blieb nichts übrig, als

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ebenfalls zu verhandeln. Man rief Demades aus dem Exil zurück, damit er mit seinen Freunden, den Makedonen, verhandelte. Er brach mit einer Gesandtschaft auf, zu der Phokion und ein anderer Oligarch, Demetrios von Phaleron, gehörte, der bald eine führende Rolle spielen sollte. Antipatros hielt sich in Boiotien auf; er erklärte sich zu Verhandlungen mit Athen bereit. Seine Bedingungen waren hart: Auslieferung der makedonenfeindlichen Redner (Demosthenes, Hypereides), Zahlung einer drückenden Kriegsentschädigung, Änderung der Stadtverfassung (nur Athener, die ein Vermögen von mindestens 2000 Drachmen besaßen, konnten künftig Bürger sein), schließlich Aufnahme einer makedonischen Besatzung in Munychia. Notgedrungen nahm Athen die Bedingungen an. Ab September 322 besetzten makedonische Soldaten Munychia. Demosthenes und Hypereides, die geflohen waren, wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Antipatros übernahm ihre Verfolgung und Hinrichtung. Demosthenes vergiftete sich im Poseidon-Tempel von Kalauria, als der von Antipatros ausgesandte Archias im Begriffe stand, ihn gewaltsam aus dem Asyl herauszuholen (12. Oktober 322). Von den Verbündeten des Vorjahres führten nur die Aitoler den Krieg weiter. Antipatros und Krateros fielen in Aitolien ein, stießen aber auf einen nicht greifbaren Feind, der ihnen auswich und sich in die Berge zurückzog, wo eine Verfolgung unmöglich war. Vielleicht wäre es den Makedonen gelungen, Aitolien durch Hunger niederzuzwingen, wenn die Ereignisse in Asien sie nicht genötigt hätten, überstürzt Frieden zu schließen, gleich unter welchen Bedingungen, und sich zurückzuziehen, ohne auch nur das Ende des Winters abzuwarten. Perdikkas’ Ende Während Peithon den Aufstand in Baktrien recht und schlecht unterdrückte und Griechenland sich zum Lamischen Krieg anschickte, hatte Perdikkas in Asien die noch nicht unterworfenen Gebiete befrieden und vor allem Eumenes bei der Eroberung seiner Satrapie Kappadokien unterstützen wollen. Deshalb gab er Leonnatos und Antigonos Befehl, Eumenes Truppenteile zur Verfügung zu stellen. Leonnatos, der Antipatros in Makedonien ablösen wollte, beeilte sich, unter dem Vorwand, ihm zu Hilfe zu kommen, nach Europa hinüberzugehen. Um Eumenes für sich zu gewinnen, erklärte er ihm unvorsichtigerweise die Gründe seines Verhaltens und enthüllte ihm, daß man ihm die Hand Kleopatras, der Schwester Alexanders, versprochen habe. Eumenes beeilte sich, diese vertraulichen Mitteilungen Perdikkas zur Kenntnis zu bringen, teils aus Freundschaft zu diesem, teils aber auch, weil er, getreu der Politik Alexanders, gegen jede Intrige war, die zur Zerstückelung des Reiches führen konnte28. Antigonos hatte sich in seiner Satrapie Phrygien nicht gerührt und war für die Befehle des Perdikkas taub gewesen. Dieser entschloß sich, selbst einzugreifen, um Eumenes zu helfen. Zwei Schlachten genügten, um den Satrapen Ariarathes, der sich seit Dareios’ Zeiten im Lande gehalten hatte, niederzuwerfen. Ariarathes

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wurde gefangengenommen und gekreuzigt. Eumenes wurde um die Zeit, als Perdikkas Kleitos und die Flotte Antipatros zu Hilfe schickte, zum Satrapen von Kappadokien ausgerufen. Es hatte den Anschein, als ob das in Babylon ausgehandelte System zufriedenstellend funktioniere und es zumindest erlaube, der größeren Krisen Herr zu werden. Aber eine Intrige der Olympias und ohne Zweifel auch die unausgesprochenen Widerstände des Antigonos gegen die Durchführung des Plans von Babylon sollten alles verderben. Antipatros, der Vater mehrerer Töchter war, wollte diese den Erfordernissen seiner Politik entsprechend verheiraten. Eurydike hatte Ptolemaios geheiratet, Phila war die Gemahlin des Krateros. Eine dritte, Nikaia, bekam Perdikkas; aber mittlerweile bot Olympias, die unbedingt Antipatros stürzen wollte, Perdikkas die Hand ihrer Tochter Kleopatra an, die nach dem Tode Leonnatos’ frei wurde, und ohne lange zu warten, richtete Kleopatra sich in Sardeis ein. Wenn diese Heirat zustande kam, war Perdikkas nicht mehr den anderen ›Marschällen‹ gleichgestellt, sondern würde allen als der Alleinerbe des Alexander-Thrones erscheinen. Perdikkas vermochte dieser Versuchung durch Olympias nicht zu widerstehen. Er zauderte und – ohne auf seine Ehe mit Nikaia zu verzichten – schickte doch Kleopatra nicht fort; sie blieb in Sardeis. Zur gleichen Zeit dachte eine andere Tochter Philipps, Kynane, daran (ob von selber oder insgeheim von Olympias gedrängt, weiß man nicht), ihre eigene Tochter Eurydike (oder Adea) nach Asien zu bringen, um sie König Philipp III., mit dem sie seit langem verlobt war, zu vermählen. Kynane hatte ein bewaffnetes Gefolge bei sich. Perdikkas entsandte seinen Bruder Alketas, um sie festzunehmen, und Alketas ließ, was ziemlich unklug war, Kynane töten. Das empörte die makedonischen Soldaten, die größte Ehrfurcht vor dem königlichen Blut hatten. Sie zwangen Perdikkas, die Heirat Philipps und Eurydikes zu dulden, eine Verbindung, welche die Stellung Philipps III. stärkte und dazu beitrug, alle ›Regenten‹ in untergeordneter Stellung zu halten. Wenn Perdikkas nicht einmal vor einem Verbrechen zurückgeschreckt war, um den Versuch zu machen, ihn daran zu hindern, geschah das, weil er angeblich selbst nach der Königswürde strebte. Perdikkas befand sich also in einer recht mißlichen Lage seinen Gefährten gegenüber, als er daranging, Antigonos zum Gehorsam zu zwingen. Ohne auf ihn zu warten, verließ dieser im Laufe des Winters 322 seinen Posten als Statthalter und suchte bei Antipatros und Krateros Zuflucht, die sich gerade auf dem Feldzug gegen Aitolien befanden, der den lamischen Krieg beenden sollte. Antipatros und Krateros kehrten sofort nach Makedonien zurück, und Antigonos schilderte ihnen die Lage aus seiner Sicht und erklärte, Perdikkas habe den Pakt gebrochen und wolle König werden. Man schenkte ihm Gehör und entwarf gemeinsam die Grundlagen eines Bündnisses gegen Perdikkas und – natürlich – seinen Freund Eumenes. Die meisten anderen Satrapen schlossen sich den Bundesgenossen an, darunter vor allem Ptolemaios, der darin die Möglichkeit sah, aus einer schwierigen Lage herauszukommen, in die er sich selbst gebracht hatte.

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 Abb. 1: Ptolemaios I. Soter

Ptolemaios hatte sich tatsächlich sofort als unabhängiger Herrscher aufgeführt und unverzüglich Kyrene erobert, wo er unter Ausnutzung der heftigen und blutigen inneren Zwiste ein regelrechtes Protektorat errichtet hatte, das in der Form etwa der Schutzherrschaft des Königs von Makedonien über die griechischen Städte entsprach29. Kyrene war bis dahin, eine freie Stadt gewesen, von Alexander als solche anerkannt, und Ptolemaios nahm nun ihr gegenüber königliche Rechte in Anspruch. Vielleicht hätte Perdikkas dennoch beide Augen zugedrückt, wenn Ptolemaios nicht gleichzeitig mit einem an Schurkerei grenzenden Geschick die Entführung des Leichnams Alexanders in die Wege geleitet hätte. Die Überlieferung erforderte, daß jeder neue Herrscher Makedoniens seinem Vorgänger die Totenehren erwies, und diese Zeremonie bildete die Bestätigung für die Rechte des Erwählten. Perdikkas beabsichtigte, selbst die Beisetzung Alexanders in Makedonien vorzunehmen, und hatte einen seiner Offiziere namens Arrhidaios beauftragt, alle für den Transport notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Diese Vorbereitungen nahmen zwei Jahre in Anspruch; erst gegen Ende 322 machte sich Arrhidaios’ mit dem Leichenwagen auf die Reise. Statt aber den Weg über Babylon zu einem syrischen Hafen zu wählen, wandte er sich nach Ägypten. Ptolemaios hatte ihn dafür bezahlt. Der Satrap von Ägypten wollte sich den Ritus der Grablegung zu seinem Vorteil

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erschleichen. Alexander hatte anscheinend gewünscht, im Heiligtum des Ammon zu ruhen. Ptolemaios ließ nun das Gerücht verbreiten, der König habe auf dem Sterbebette verlangt, in Alexandrien begraben zu werden. Er setzte sich an die Spitze des Trauerzuges und geleitete die kostbare sterbliche Hülle selbst bis Memphis, wo er auf die Vollendung des prächtigen Mausoleums wartete, mit dessen Bau sofort in Alexandrien begonnen wurde. Damit hatte sich Ptolemaios den Zorn des Perdikkas zugezogen und gab sich darüber auch keiner Täuschung hin. Die Bündnisbildung gegen den, der sein Feind geworden war, erschien ihm als eine von der Vorsehung bestimmte Lösung. Gegen ihn richtete sich übrigens auch der Angriffsstoß, als Perdikkas im Frühjahr 321 die Feindseligkeiten eröffnete. Eumenes erhielt Befehl, Kleinasien gegen Antipatros und Krateros zu verteidigen, während das Gros der Streitkräfte des Perdikkas gen Süden vorstieß. Perdikkas mußte, um in Ägypten einfallen zu können, den Nil überqueren, stieß aber am östlichen Arm des Flusses auf sehr starken Widerstand, und der Übergang blieb ihm verwehrt. Nun zogen beide Heere nilaufwärts, jedes auf seiner Uferseite. Ein neuer Übergangsversuch bei Memphis endete für die Soldaten Perdikkas’ mit einer Niederlage. Mutlosigkeit ergriff das Heer, und die Offiziere, besonders Peithon und Seleukos, verschworen sich gegen ihren Befehlshaber und ermordeten ihn in seinem Zelt. Zwei Tage darauf kam die Nachricht, daß Eumenes auf dem nördlichen Kriegsschauplatz einen großen Sieg errungen hatte, aber es war zu spät! Antipatros hatte mit Krateros zusammen tatsächlich den Übergang über den Hellespont erzwungen, wobei Kleitos, der Admiral des Perdikkas, ihr Helfershelfer war. Einer nach dem andern gingen die Satrapen zu ihnen über: so Menandros in Lydien, Asandros in Karien und Neoptolemos, ein ehemaliger Schildträger Alexanders, den Perdikkas beauftragt hatte, die ›Spalter‹, die sich noch in Armenien hielten, niederzuwerfen. Neoptolemos hatte allerdings Perdikkas noch nicht offen verraten, als Eumenes ihn angriff, und der treulose General konnte nur mit einer Handvoll Reiter zur Partei der Verbündeten übergehen. Diese meinten, es würde ihnen leichtfallen, das Heer des Eumenes zu vernichten. Sie teilten ihre Streitkräfte. Antipatros stieß nach Süden vor, um Perdikkas im Rücken anzugreifen. Krateros und Neoptolemos blieben Eumenes gegenüber stehen in der Hoffnung, die makedonischen Soldaten im Lager des Eumenes würden überlaufen und sich lieber auf die Seite von Antipatros schlagen, als auf der eines Mannes bleiben, den sie beharrlich als einfachen ›Sekretär‹ betrachteten. Darin hatten sich Krateros und Neoptolemos getäuscht, denn Eumenes, der so klug gewesen war, in seiner Satrapie eine Truppe kappadokischer Soldaten aufzustellen, siegte dank eben jener einheimischen Reiterei in einer entscheidenden Schlacht. Krateros wurde im Kampfgetümmel getötet und Neoptolemos von Eumenes mit eigener Hand niedergemacht. Aber das makedonische Fußvolk des Krateros, das sich auf dem Schlachtfeld Eumenes ergeben hatte, entwich im Schütze der Nacht und stieß zu Antipatros.

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Antipatros als Reichsverweser Perdikkas war beseitigt und mit ihm der größte Teil der Kräfte, die gegen die Verbündeten aufgeboten werden konnten. Eumenes hatte zwar gesiegt, bildete aber allein keine ernstliche Gefahr. Nichts schien die Wiederherstellung der Einheit – diesmal zugunsten der Sieger und vor allem des Antipatros, der durch den Tod des Krateros unstreitig an die erste Stelle gerückt war – zu bedrohen. Die rechtliche Lage war immer noch die, von der man bei den babylonischen Beschlüssen ausgegangen war, mit dem Unterschiede, daß Roxane einen Sohn zur Welt gebracht hatte, der, wie sein Vater, Alexander heiß und dem Namen nach König war, mit dem gleichen Recht wie Philipp III. Dessen Gemahlin, die Königin Eurydike, versuchte die Soldaten mit allen Mitteln zu überzeugen, daß sie eigentlich die Herrschergewalt ausüben und Regentin werden müsse. Nach dem Tode Perdikkas’ sammelte sich das Heer in Triparadeisos in Syrien (321 v. Chr.), wo eine neue Ordnung des Reiches ausgearbeitet wurde. Es gelang Antipatros, Eurydike von ihren ehrgeizigen Plänen abzubringen und sich selbst die Reichsverweserschaft übertragen zu lassen; dann verteilte er die Satrapien. Eumenes war in den Augen der Makedonen nur noch ein Rebell, und die Versammlung der Soldaten verurteilte ihn zum Tode (mit der Vollstreckung des Urteils wurde Antigonos beauftragt). Die anderen Offiziere teilten sich die Habe des Perdikkas und seiner Anhänger. Wie zu erwarten war, bekam Ptolemaios den Löwenanteil; er behielt Ägypten mit der Kyrenaika. Seleukos erhielt die Satrapie Babylon, Arrhidaios Phrygien am Hellespont. Antigonos blieb Satrap von Groß-Phrygien und wurde außerdem Nachfolger von Perdikkas als Oberbefehlshaber des Heeres. Die Satrapie des Eumenes wurde einem gewissen Nikanor verliehen, Lydien bekam Kleitos als Preis für seinen Verrat, Peithon und ein anderer Perdikkas-Mörder, Antigenes, teilten sich die wichtigsten Satrapien im Orient: An Peithon fielen die beiden Medien, an Antigenes Susiana.

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 Abb. 2: Seleukos I. Nikator

Antipatros wurde der erste Mann des Reiches, aber es zeigte sich auch, daß er, nachdem er entschlossen war, in Makedonien zu bleiben (wohin er sich unter Mitführung der beiden Könige, zurückzog), in Asien einen Generalstatthalter zurücklassen mußte, der im Grunde Perdikkas ersetzte. Für diese Aufgabe wählte er Antigonos. Wahrscheinlich ist er durch Intrigen oder durch die Stimme der Soldaten zu dieser Wahl gezwungen worden, denn voller Mißtrauen versuchte er, einige Vorsichtsmaßnahmen gegen den Ehrgeiz eines Mannes zu treffen, von dem jeder wußte, daß er in früheren Zeiten sich Perdikkas offen widersetzt hatte, und der ohne weiteres mit dem neuen Regenten wieder Streit anfangen konnte. Er verheiratete seine Tochter Phila, die Witwe des Krateros, mit dem jungen Demetrios Poliorketes, einem Sohn des Antigonos. Antigonos hatte diese Ehe ausdrücklich gewünscht. Demetrios war erst fünfzehn Jahre alt, aber sein Vater bewunderte ihn sehr und Demetrios erwiderte seine Liebe. Antipatros versuchte auch, seinen eigenen Sohn Kassandros mit dem Titel eines Hipparchen in unmittelbarer Nähe des Antigonos zu lassen, aber die beiden Männer überwarfen sich sehr rasch, und Kassandros kehrte fast sofort nach Makedonien zurück. Nachdem Antipatros erst einmal nach Makedonien gegangen war, blieb Antigonos praktisch Alleinherrscher in Asien. Eumenes und die letzten Anhänger von Perdikkas behaupteten noch immer das Land, darunter Alketas,

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der Bruder des Perdikkas, und sein Schwager Attalos, ferner Dokimos, den Perdikkas zum Satrapen von Babylon bestimmt hatte und der fest entschlossen war, Seleukos keinen Fußbreit Landes zu überlassen. Eumenes versuchte, den Widerstand zu organisieren, indem er alle Gegner des Antigonos um sich scharte, aber es gelang ihm nicht – die andern mißtrauten ihm und verachteten ihn, weil er ein Grieche war. Antigonos griff zuerst Eumenes an. Zu einer ersten Schlacht kam es bei Orkynia in Kappadokien im Frühjahr 320. Eumenes wurde besiegt, und zwar durch den Verrat eines Offiziers, aber er fand nicht nur einen Weg, den Schuldigen auf dem Rückzug zu bestrafen, sondern kehrte sogar nach einer geschickten Umgehung auf das Schlachtfeld zurück und konnte, da Antigonos ihn auf der Flucht glaubte, den Gefallenen die Totenehren erweisen. Solche Taten sowie seine Großzügigkeit und seine Schönheit erwarben Eumenes viele Sympathien. Als er im Winter seine Leute nicht bezahlen konnte, hatte er ihnen einige große Güter verkauft, die von persischen Grundherren besetzt waren, und hatte das Material und die notwendige Bewaffnung verschafft, um sich dieser Besitzungen mit Gewalt zu bemächtigen. Nach seiner Niederlage mußte sich Eumenes, fast völlig ohne Mittel, in Nora einschließen, einer kleinen befestigten Stadt, die durch ihre Lage uneinnehmbar war und große Bestände an Wasser, Getreide und Salz hatte. Er hatte selbst den Abzug des größten Teiles seiner Soldaten und Offiziere befürwortet und sie mit Zuvorkommenheit geradezu überhäuft in der Hoffnung, daß sie wiederkommen würden, wenn sein Glück sich wenden sollte. Antigonos begann Nora zu belagern und schloß den Ort vollkommen ein. Er wartete darauf, daß Eumenes die Friedensbedingungen annahm, die er ihm stellte. Aber Eumenes wollte keinerlei Zugeständnisse machen, und obwohl er besiegt war, verlangte er, daß man ihm seine Satrapie und alles, was er früher einmal bekommen hatte, ungeschmälert zurückerstattete. Antigonos ließ Truppen vor Nora zurück und brach nun zum Kampf gegen Alketas, Dokimos und Attalos auf. Er stieß unweit von Antiocheia auf sie und schlug sie. Attalos und Dokimos wurden gefangengenommen. Alketas, der versucht hatte, die Bevölkerung von Termessos gegen Antigonos aufzuwiegeln, hatte keinen Erfolg damit und mußte Selbstmord begehen, um nicht seinem Überwinder ausgeliefert zu werden. Und während Eumenes weiterhin belagert wurde und sich den Kopf zerbrach, wie er unter allen Umständen die Kampfkraft seiner Soldaten und seiner Pferde erhalten konnte30, wandte sich Antigonos gegen Arrhidaios, der in Phrygien am Hellespont versucht hatte, die griechische Stadt Kyzikos in seine Gewalt zu bekommen; danach griff er Kleitos an und besetzte Ephesos. Es wurde immer deutlicher, daß Antigonos sich nicht an die Abmachungen von Triparadeisos hielt und beabsichtigte, der alleinige Herr in Kleinasien zu bleiben. Indessen war Antipatros zu sehr in Makedonien beschäftigt, um in Asien einzugreifen. Die Aitoler hatten Perdikkas unterstützt. Im Jahre 320 gingen sie zum Angriff über, und zwar so energisch, daß sie den größten Teil Thessaliens besetzten. Aber wiederum vermochten sie ihren Sieg nicht auszunutzen. Durch

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einen Angriff der Akarnanen wurden sie in ihr Heimatland zurückgerufen, so daß die Makedonen Thessalien zurückerobern konnten. Inzwischen starb Antipatros im Sommer 319. Schon seit einiger Zeit hatte das Alter so sehr an seinen Kräften gezehrt, daß er sich von seinem Sohn Kassandros hatte helfen lassen müssen. Aber wenige Tage vor seinem Tod bestimmte er dann nicht Kassandros zu seinem Nachfolger, sondern einen weit älteren Mann, einen ehemaligen Offizier Alexanders, namens Polyperchon, der sich gerade durch die Befriedung Thessaliens ausgezeichnet hatte. Kassandros erhielt lediglich Amt und Rang eines Chiliarchen. Diese für den Sohn des Antipatros demütigende Lage der Dinge sollte im Laufe einer langen Krise die Zerstückelung des Reiches beschleunigen. Kassandros’ Aufstand und das Ende des Eumenes Polyperchon war nur von einem Teil der makedonischen Armee, der sich gerade in Pella versammelt hatte, gewählt worden. Die Wahl konnte also bestritten werden, was Kassandros auch sofort tat, indem er Geheimverhandlungen mit Ptolemaios und den Befehlshabern einiger der Besatzungen anknüpfte, die Antipatros in die griechischen Städte gelegt hatte. Vor allem aber bot er Antigonos, indem er seinen alten Streit mit ihm vergaß, ein Bündnis gegen Polyperchon an. Antigonos willigte ein. Polyperchon schien zu sehr entschlossen, die Politik des Antipatros fortzusetzen und die Fiktion der Regentschaft aufrechtzuerhalten, damit Antigonos sich nicht in seinen eigenen ehrgeizigen Bestrebungen bedroht fühlte. Um die Hände frei zu bekommen, bot er Eumenes einen Waffenstillstand an. Er ließ ihm den Wortlaut eines Eides vorlegen, der den Feindseligkeiten ein Ende setzte, und verpflichtete Eumenes, ihn als Lehnsherrn anzuerkennen. Sehr geschickt brachte Eumenes die makedonischen Soldaten, die Nora belagerten, dazu, an die Stelle des Namens Antigonos den Namen Olympias und die der beiden Könige zu setzen. Dann sprach er die Eidesformel. Die Soldaten hoben die Belagerung auf, und Eumenes zog aus der Stadt ab, ohne Antigonos auch nur das geringste versprochen zu haben. Sofort schickte er sich an, neue Truppen zu sammeln, und nach ein paar Tagen verfügte er über tausend Reiter31. Wiederum war das Reich in zwei Teile gespalten. Nachdem Eumenes frei war, wurde er von Polyperchon und der Königin Olympias gebeten, sich an die Spitze der Unternehmungen gegen Antigonos in Asien zu setzen. Er nahm das Angebot an und wurde somit der offizielle Vertreter der Könige, während Antigonos, der Verbündete von Kassandros und zuerst insgeheim, dann offen von Ptolemaios unterstützt, die Rolle des Rebellen spielte. Das Ringen, das nun anhob, entwickelte sich an zwei Fronten: Einmal gab es diplomatische Schachzüge und zum zweiten eine militärische Aktion, die durch die Diplomatie vorbereitet und in die Länge gezogen wurde. Polyperchon ging zum Angriff über, indem er offiziell die von Antipatros verfolgte Willkürpolitik in bezug auf die griechischen Städte verurteilte. Gegen

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Ende 319 erließ er eine Verordnung, durch die er den Städten ihre alte Verfassung, nach der sie vor dem Lamischen Krieg regiert worden waren, zurückgab, die verbannten Makedonen-Gegner zurückrief und gewissen Städten Rechte wiedergab, die man ihnen genommen hatte – so erhielt beispielsweise Athen die Insel Samos zurück. Dafür verpflichteten sich die Städte, nichts gegen Makedonien zu unternehmen32. Kassandros antwortete auf diese diplomatische Offensive durch vielfältige lokale Intrigen; so versicherte er sich in Athen der Ergebenheit des Befehlshabers der Besatzung von Munychia und verhinderte den Abzug der makedonischen Truppen. Griechenland fand sich in zwei Lager gespalten: In dem einen riefen die Demokraten Polyperchon zur Hilfe, in dem andern taten die Oligarchen, von Kassandros unterstützt, alles, um an der Macht zu bleiben. Kassandros gewann die Oberhand, denn seine Parteigänger brauchten nur ihre Herrschaft zu erhalten, während die Demokraten sich das Recht zur Mitwirkung an der Regierung wiedererobern und zu diesem Zwecke Staatsstreiche und Revolutionen vom Zaune brechen mußten. Am Ende mußte Polyperchon darauf verzichten, seine Herrschaft über den größten Teil des griechischen Festlandes wiederherzustellen, während Kassandros, der sich im Piräus festgesetzt hatte, über einen Seestützpunkt verfügte, der ihm bequeme Verbindungen zu seinem Verbündeten Antigonos sicherte. Die Niederlage, die Kleitos erlitt, war ein neuer Schlag für Polyperchon. Kleitos und die Flotte bewachten die Meerengen, um jede Landung des Antigonos an der europäischen Küste zu verhindern. Aber nach einem ersten Erfolg konnte Kleitos seine Sicherheit nicht gewährleisten. Seine Schiffe wurden vor Anker überrascht und sämtlich in den Grund gebohrt. Er selbst fiel. Von nun an war Eumenes abgeschnitten, und Polyperchon war es unmöglich, eine wirksame Aktion im Ägäischen Meer zu unternehmen.

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 Abb. 3: Die Mittelmeerwelt im 3. Jahrhundert v. Chr.

Die Operationen des Antigonos gegen Eumenes begannen Ende des Sommers 318. Eumenes, der im Namen der Könige handelte, hatte eine beachtliche Organisation auf die Beine gestellt. Die makedonischen Truppen, die man ihm zugeteilt hatte, die Argyraspiden (Silberschilde), Alexanders Leibgarde, gehorchten einem Griechen nur ungern. Er verstand es, ihnen zu schmeicheln, ihre Offiziere zu gewinnen (indem er ihnen eine Summe von 500 Talenten überließ, die Polyperchon ihm zur Verfügung gestellt hatte) und nahm schließlich seine Zuflucht zu einer sonderbaren List. Er gab an, im Traum den ›Gott‹ Alexander gesehen und von ihm unmittelbar Anregungen empfangen zu haben. Wenn er Beratungen mit seinen makedonischen Offizieren abhielt, ließ er einen leeren Sessel aufstellen, der für die unsichtbare Gegenwart des verstorbenen Königs bestimmt war. Eumenes hatte zuerst gehofft, in Syrien zu kämpfen, aber nach der Niederlage des Kleitos begriff er, daß er Oberasien gewinnen mußte. Er begann, im Namen des Königs möglichst viele Satrapen um sich zu scharen. Einige wollten mit ihm nichts zu tun haben – sie betrachteten ihn als einen Geächteten, denn das vom Heer in Triparadeisos verhängte Todesurteil war noch immer in Kraft. Seleukos und Peithon gingen zu Antigonos über. Die andern waren bereit, Eumenes zu dienen, aber mit viel Vorbehalten und Eifersüchteleien. Nach mancherlei Hin und Her, bei dem Eumenes sich im allgemeinen taktische Vorteile zu sichern wußte, kam es in Gabiene zur Entscheidungsschlacht. Die Argyraspiden behielten die Oberhand, und Eumenes würde wahrscheinlich gesiegt haben ohne den Verrat eines der Seinen, des Peukestas, der ihm schon lange nur widerwillig gehorchte. Die Reiterei des Antigonos bemächtigte sich des Lagers der Argyraspiden, die, wie es Brauch war, ihre Frauen, ihre Kinder und ihre ganze Habe bei sich hatten. Um sie wiederzubekommen, lieferten sie Eumenes im Januar 317 dem Antigonos aus. Eumenes wurde hingerichtet und die Satrapen, die ihn unterstützt hatten, unter grauenvollen Umständen getötet. Peithon wurde, obwohl er sich Antigonos angeschlossen hatte, zum Tode verurteilt. Er hatte in der Vergangenheit so oft Beweise seiner Doppelzüngigkeit gegeben, daß der Sieger nicht Gefahr laufen wollte, von ihm verraten zu werden. Inzwischen setzte Kassandros den Kampf gegen Polyperchon fort. Von seinem Stützpunkt Piräus aus unterwarf er Athen, stellte dort die oligarchische Verfassung wieder her und wählte als Statthalter zu seiner Vertretung Demetrios von Phaleron. Dann begab er sich nach Makedonien, wo er ebenfalls eine Revolution zu entfesseln suchte. Es gelang ihm, Eurydike, die ehrgeizige Gemahlin Philipps III., an die Macht zu bringen. Polyperchon floh. Nun hielt Kassandros die Stunde für gekommen, die Eroberung Griechenlands und besonders der Peloponnes weiterzuführen, die ihm großenteils entgangen war. Aber er wurde noch vor Tegea aufgehalten, als es in Makedonien zu einem neuen Staatsstreich kam. Die alte Königin Olympias, die auf Verlangen von

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Polyperchon aus Epeiros zurückkam, bemächtigte sich des Landes ohne einen Schwertstreich. Eurydike und Philipp III. fielen in ihre Hand. Philipp III. wurde ermordet und Eurydike zum Selbstmord gezwungen. Kassandros schlug sofort zurück. Er verließ die Peloponnes und wiegelte Epeiros gegen die Anhänger der Olympias auf, womit der Königin von vornherein jeder Rückzug abgeschnitten war. Seine Rückkehr nach Makedonien wurde ein Triumphzug. Man empfing ihn als Befreier. Olympias mußte sich in Pydna verschanzen. Sie hatte Roxane und den jungen Alexander bei sich, der nach dem Tod Philipps III. der einzige legitime König geworden war. Kassandros belagerte die Stadt. Die Söldner, die sie verteidigten, kapitulierten erst im Frühjahr 316. Der Waffenstillstand sah vor, daß das Leben der Königin geschont wurde. Aber Kassandros klagte sie vor der Armee an, veranlaßte ihre Verurteilung und überließ sie den Angehörigen der Opfer, die sie selbst einst hatte niedermetzeln lassen. Dann konnte Kassandros feierlich das Begräbnis des Königs Philipp III. vollziehen, was praktisch den Nachfolgeanspruch bedeutete. Um dieselbe Zeit heiratete er eine Tochter Philipps II., Thessalonike, und schloß den jungen König Alexander und Roxane in Amphipolis ein. Da Kassandros sich als König von Makedonien betrachtete, gründete er zwei Städte, von denen er die eine zu Ehren seiner Gemahlin Thessalonike nannte, die andere Kassandreia. Sie war zum Sammelpunkt für die Bewohner des alten Poteidaia auf dem Isthmos von Pellene bestimmt. Nachdem Kassandros Herr Makedoniens war, festigte er mehr und mehr seine Macht in Griechenland selbst. Polyperchon hatte, überall verjagt, Zuflucht in Aitolien gefunden. Nur sein Sohn Alexander hielt sich in der Peloponnes. Im Lauf des Jahres 316 beschloß Kassandros einen Feldzug, der die endgültige ›Befriedung‹ Griechenlands sichern sollte. Bei seinem Zug durch das Land stellte er zuerst die einstmals von Alexander zerstörte Stadt Theben wieder her und versuchte dann einen Generalangriff in der Peloponnes. Aber trotz einiger Anfangserfolge konnte er ihn nicht zu einem guten Ende führen und mußte im Spätherbst nach Makedonien zurückkehren, ohne die Streitkräfte seines Gegners vollkommen von der Halbinsel verjagt zu haben. Antigonos gegen Kassandros Das Alexanderreich war nun in drei Bruchstücke geteilt. Kassandros besaß Makedonien und Griechenland, Antigonos die Satrapien in Asien bis an die Grenze Indiens, Ptolemaios Ägypten und Kyrene. Während des Kampfes gegen Eumenes hatte Ptolemaios kaum Gelegenheit gehabt, einzugreifen, und hatte sich darauf beschränkt, von seinem General Nikanor einige Plätze in Syrien, besonders die Häfen, besetzen zu lassen. Ganz offenbar hatte er die Absicht, Syrien eines Tages seinen eigenen Besitzungen anzugliedern, und darin lag der Keim eines fast unvermeidlichen Konflikts zwischen ihm und Antigonos.

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Der Ausbruch dieses Konflikts wurde durch das Seleukos-Abenteuer beschleunigt. Seleukos, der Eumenes einige Schwierigkeiten bereitet und Antigonos geschont hatte, war nicht in den Genuß der Früchte seiner Politik gekommen. Antigonos war nach dem Sieg nach Babylon gekommen und hatte Rechenschaft gefordert. Statt dem nachzukommen, war Seleukos nach Ägypten geflohen und beschäftigte sich seither damit, die andern Satrapen gegen Antigonos aufzuwiegeln. Und die Satrapen schenkten ihm gern Gehör, um so lieber, als die militärische und finanzielle Macht des Antigonos von Tag zu Tag wuchs, was sie – zweifellos mit Recht – als eine gegen sie selbst gerichtete Bedrohung betrachteten. Um keinen Preis durfte einer der Diadochen imstande sein, die Einheit des Reiches zu, seinem Vorteil wiederherzustellen33. Ab 316 wurde Antigonos daher zum gemeinsamen Feind und sah sich einer Koalition gegenüber, die Ptolemaios, Kassandros und Lysimachos, den Satrapen von Thrakien, umfaßte, der seine Bedeutung dem Umstand ververdankte, daß er Herr des Hellesponts war. Der erste Schritt der Verbündeten im Jahre 315 bestand darin, eine anerkannte Teilung zu verlangen. Ihre Gesandten forderten in einem Ultimatum für Ptolemaios den Besitz Syriens, für Seleukos die Herausgabe Babylons, für Lysimachos Phrygien am Hellespont und für Asandros, den Satrapen von Karien (der Kassandros ergeben war), Kappadokien und Lykien. Antigonos weigerte sich, und der Krieg war da. Die Zeit des Perdikkas schien wiedergekehrt zu sein. Antigonos mußte sich an zwei Fronten verteidigen. Er entschied sich für einen Vorstoß nach Süden, um die syrischen Häfen zurückzuerobern. Ptolemaios hütete sich davor, Widerstand zu leisten. Er legte nur eine Besatzung in die Stadt Tyros und kehrte nach Ägypten zurück, nachdem er alle syrischen Schiffe, deren er habhaft werden konnte, beschlagnahmt hatte. Noch während er Tyros belagerte, begann Antigonos seine Offensive gegen Kassandros und griff dafür auf diplomatische Schachzüge zurück, die früher die Hauptwaffe Polyperchons gewesen waren. Er ließ Kassandros vor den makedonischen Soldaten, die sich in seinem Heer befanden, anklagen und erreichte (selbstverständlich) seine Verurteilung. Kassandros, des Verrats an der Politik Philipps II. und Alexanders überführt und als Usurpator betrachtet, wurde zum Rebellen erklärt, und man forderte die griechischen Städte auf, ihn im Stich zu lassen und künftig Antigonos zu gehorchen. Um die Griechen leichter für sich zu gewinnen, proklamierte Antigonos Freiheit für Hellas und untersagte jedermann, eine Besatzung in irgendeine griechische Stadt zu legen. Die Demokraten, die sich durch Polyperchons Schwäche selbst überlassen waren, schöpften wieder Mut, und Kassandros wurde ihr gemeinsamer Feind, was seine Stellung schwierig machte. Antigonos, der mit Holz aus den Wäldern des Libanon eine große Anzahl von Schiffen hatte bauen lassen, konnte im Herbst 314 mit großer Streitmacht in den Kykladen aufkreuzen. Alle Städte dort empfingen ihn begeistert als ihren Befreier.

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Kassandros war es in der Zwischenzeit nicht gelungen, irgend etwas Ernsthaftes gegen Antigonos zu unternehmen. Dessen Neffe Polemaios hatte den von Asandros provozierten lokalen Erhebungen siegreichen Widerstand entgegengesetzt, und zwar mit solchem Erfolge, daß Antigonos 313 an eine Landung in Makedonien denken konnte. Zur Vorbereitung dieser Landung schickte er in die griechischen Städte Expeditionskorps, die ihr möglichstes taten, um den Makedonen zu beunruhigen, und die von den Besatzungen des Kassandros unterjochten Städte ›befreiten‹. Polemaios verließ Asien, und man sah ihn auf der Peloponnes und später auf dem griechischen Festland. Antigonos glaubte den Augenblick gekommen, die Meerengen zu überschreiten. Er wurde jedoch durch Byzanz, das neutral blieb, daran gehindert. Das Jahr 313 endete mit einer verworrenen Lage: Der größte Teil Griechenlands gehörte der Partei des Antigonos, dieser aber hatte Kassandros keinen entscheidenden Schlag zu versetzen vermocht. Diesen Augenblick wählte Ptolemaios, um einzugreifen. Ein Aufstand in Kyrene hatte ihn bis dahin daran gehindert, aber Kassandros, von seiner Untätigkeit beunruhigt, drängte ihn, eine aktive Rolle im Bündnis zu übernehmen. Im Frühjahr 312 drang die ägyptische Armee von neuem in Syrien ein. Antigonos hatte die Verteidigung des Landes seinem Sohn Demetrios anvertraut. Eine einzige Schlacht, vor Gaza, gab Ptolemaios die Herrschaft über das Land, und Demetrios, dem nur ein paar Reiter geblieben waren, zog sich nach Nordsyrien zurück, wo er durch einen glücklichen Zufall eine Vorhut des Ptolemaios, die sich unvorsichtigerweise zu weit vorgewagt hatte, aufhielt34. Sobald Antigonos seine Truppen wieder gesammelt hatte und sich zu einem allgemeinen Angriff anschickte, zog sich Ptolemaios eilends nach Ägypten zurück. Der einzige Nutznießer dieses Feldzuges war Seleukos, dem der Sieg von Gaza den Weg nach Babylon geöffnet hatte, und dem es mit den sehr bescheidenen Kräften, die ihm Ptolemaios zubilligte, gelang, seine Satrapie zurückzuerobern. Von dieser Rückkehr des Seleukos haben die SeleukidenHerrscher später den Beginn ihrer Ära datiert (1. Dios 312 maked. Kalender = 1. Nisannu 311 der babylonischen Zählung). Antigonos bemühte sich sehr, Babylon zurückzuerobern; er beauftragte Demetrios, einen entsprechenden Handstreich zu unternehmen, aber ohne Erfolg. Schließlich mußte er Frieden schließen. Der 311 unterzeichnete Vertrag kam einer Teilung der Welt gleich: Antigonos behielt Asien, Lysimachos wurde als Satrap von Thrakien bestätigt, Ptolemaios in Ägypten (dazu noch mit einem Protektorat über Zypern) wurde praktisch König, während Kassandros zum Regenten von Makedonien bis zur Volljährigkeit des jungen Alexander, Roxanes Sohn, erklärt wurde. Antigonos erlangte für sich selbst – dem Anschein nach – nicht gerade viel, abgesehen von der Beendigung der Feindseligkeiten, die er nicht ausgelöst hatte. Doch das Endergebnis war auch für ihn nicht negativ. Seleukos wurde sehr wahrscheinlich von dem Frieden ausgeschlossen – wenn die Tatsache auch bestritten worden ist –, wodurch Antigonos’ Rechte auf Babylon gewahrt wurden; vor allem aber

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garantierte eine Klausel allen griechischen Städten ihre Freiheit. Die Besatzungen mußten abgezogen werden; das war ein Schlag gegen Kassandros. Antigonos ging nicht als Sieger in Waffen aus dem Kampf hervor, aber wenigstens wurde sein Ansehen in den Augen der Griechen gestärkt, und deren Meinung konnte auf die Dauer schwerer ins Gewicht fallen als Armeen35. Über den Behelfscharakter dieses Vertrages gab sich im übrigen niemand einer Täuschung hin. Kassandros fand sich mit der Minderung seines Einflusses in Griechenland, wo die Diplomatie des Antigonos den alten Korinthischen Bund, das traditionelle Werkzeug der makedonischen Herrschaft, durch ihm ergebene lokale Bündnisse ersetzt hatte, nicht ohne weiteres ab. Gegen Ende des Jahres 310 ließ Kassandros den jungen Alexander und Roxane ermorden. Andrerseits meuterte Polemaios, der Neffe und Stellvertreter des Antigonos, der mit der Art, wie ihn sein Onkel behandelt hatte, unzufrieden war (wir wissen nicht genau, warum), und ging zu Kassandros über. Inzwischen bemühte sich Antigonos in Babylonien, Seleukos zu vernichten, was ihm aber mißlang. Er mußte im Jahr 309 das Land verlassen und sich mit dem Status quo abfinden. Der Kampf um die Ägäis Ptolemaios hatte die Abwesenheit des Antigonos benutzt, um im Jahr 310 die Feindseligkeiten wieder zu eröffnen. Er hatte eine Flotte entsandt, die eine Landung in Kilikien versuchen sollte36, aber Demetrios hatte den Eindringling zurückgeschlagen. Ptolemaios beschloß nun, sich stärker auf Zypern festzusetzen. Bis dahin war die Insel von Königen regiert worden, die unter ägyptischer Schirmherrschaft standen. Ränke des einheimischen Königs Nikokreon von Salamis boten den Vorwand zum Eingreifen. Die zyprische Dynastie wurde beseitigt, und Menelaos, der eigene Bruder Ptolemaios’, wurde Regent der Insel. Diese Vorgänge bewirkten den Bruch des alten Bündnisses, das Ptolemaios mit den Herrschern Makedoniens verband. Er wurde von einem Ehrgeiz gepackt, den er bis dahin gut zu verbergen gewußt hatte (oder der ihm gerade erst zum Bewußtsein gekommen war), und gab seine Absicht bekannt, Kleopatra, die Schwester Alexanders, zu heiraten, die immer noch in Sardeis lebte, von königlichen Ehren umgeben, aber von der Welt abgeschieden. Kleopatra nahm sein Anerbieten an. Daraufhin ließ Antigonos sie von ihren Kammerfrauen ermorden und veranlaßte sogleich deren Hinrichtung; damit war die Sache abgetan37. Im Jahre 308 landete Ptolemaios im weiteren Verlaufe seines Unternehmens an der Spitze eines Heeres in Korinth und erklärte, daß er als Befreier komme. Das war recht spät, und niemand schloß sich ihm an. Nach einiger Zeit mußte er sich zurückziehen, ohne etwas erreicht zu haben. Aber dieser Einfall, der nur ein Eintagserfolg war, löste in Griechenland das Einschreiten des Demetrios aus, der von Antigonos beauftragt wurde, die Stützpunkte von Kassandros und Polyperchon endgültig zu beseitigen. Polyperchon stand in sehr schlechtem Ruf,

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nachdem er einige Jahre zuvor Antigonos verraten und sich in den Dienst seines alten Rivalen gestellt hatte. Wir erwähnten bereits, daß Kassandros’ Hauptstützpunkt in Griechenland Athen blieb, wo seit zehn Jahren Demetrios von Phaleron, der aus der Schule des Aristoteles hervorgegangene Verweser und Philosoph38, es verstanden hatte, einen gewissen Wohlstand wiederherzustellen unter Beibehaltung eines erweiterten aristokratischen Regimes und unter Verzicht auf gewisse Praktiken, die als demagogisch betrachtet wurden, weil sie die ›Reichen‹ arm machten. So wurde die Trierarchie unterdrückt, die in einer Stadt, welche nicht mehr hoffen konnte, eine bedeutende Rolle in Griechenland zu spielen, ziemlich überflüssig geworden war, und die Choregie. Die Abschaffung der Choregie hatte im übrigen für die Geschichte des Theaters ziemlich wichtige Folgen: Allmählich änderte sich das Wesen der Rolle des Chors, eine Entwicklung, die sich schon durch die zu Beginn des Jahrhunderts aufkommenden dramatischen Formen angekündigt hatte; die lyrischen Gesänge wurden von nun an Virtuosen anvertraut, die stärker als die üblichen Choreuten bemüht waren, ihre tänzerische Gewandtheit und die Schönheit ihrer Stimme zur Geltung zu bringen. Hier haben wir bereits die Anfänge der hellenistischen Tragödie. Antigonos beschloß, Kassandros Athen zu entreißen. Im Juni 307 erschien Demetrios mit einer Flotte vor dem Piräus und forderte die Übergabe der Stadt. Die makedonische Besatzung vermochte keinen Widerstand zu leisten, und Demetrios von Phaleron floh nach Theben, während das athenische Volk seinem Befreier außergewöhnliche Ehrungen zusprach. Antigonos und Demetrios wurden als Götter betrachtet und den Heroen der Legende gleichgestellt. Man errichtete ihnen Altäre und gab zwei Phylen ihre Namen. Demetrios wurde mit Dionysos verglichen39 – das war ein Titel, den die Athener einst wahrscheinlich Alexander selber verliehen hatten. Hier haben wir schon den Anfang des für die hellenistische Zeit charakteristischen ›Gott‹-Königtums, und man stellt mit Interesse fest, daß diese Sitte ihren Ursprung in Athen gehabt hat und nicht in irgendeinem entlegenen Winkel des Orients. Im übrigen hatten Demetrios und Antigonos die Anerkennung Athens durchaus verdient: Ihnen war es zu verdanken, daß der Stadt zumindest ein Teil ihrer alten Größe zurückgegeben wurde. Sie bekam ihre alten Kleruchien Lemnos und Imbros wieder, man baute wieder Schiffe auf ihren Werften, und Antigonos forderte die anderen griechischen Städte auf, Athen zu unterstützen und der Stadt im Falle einer Bedrohung zu Hilfe zu eilen. Nachdem Antigonos auf diese Weise seine Entschlossenheit bekundet hatte, in der Ägäis keinen anderen Einfluß zu dulden als seinen eigenen, machte er sich daran, Ptolemaios zu vertreiben, der sich auf Zypern festgesetzt hatte. Demetrios verließ Athen mit seiner Flotte und begann, Salamis auf Zypern zu belagern, wo der lagidische Regent Menelaos sich eingeschlossen hatte. Eine von Ptolemaios selbst geführte Hilfsflotte wurde vor der Stadt besiegt, und Zypern kapitulierte im Juni 306. Dieser Sieg erregte großes Aufsehen40. Antigonos wurde nun von

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seinem Volk mit dem Königstitel begrüßt. Das bedeutete, daß er, der nach dem Buchstaben des Gesetzes nur ›Regent‹ eines (seit dem Tode des jungen Alexanders IV.) verwaisten Königtums war, der legitime Nachfolger Alexanders wurde. Antigonos nahm den Titel an und machte Demetrios zum Mitkönig. Dann unternahm er, ohne länger zu warten, eine große Offensive, um Ptolemaios zu vernichten (Herbst 306). Unglücklicherweise endete das Unternehmen noch einmal mit einer Niederlage. Ein Sturm zerstreute die Invasionsflotte, und die Landtruppen konnten den Nil nicht überschreiten. Das bedeutete den Rückzug. Der triumphierende Ptolemaios legte sich ebenfalls den Königstitel zu. Doch Antigonos gab sich nicht geschlagen. Konnte er Ptolemaios nicht mit Waffengewalt besiegen, wollte er seinen Handel lahmlegen und seine wirtschaftlichen Hilfsquellen zum Versiegen bringen, während seine eigenen täglich wuchsen41. Dazu mußte er Rhodos angreifen, den bedeutendsten Handelsplatz in der östlichen Ägäis, der ausgezeichnete und einträgliche Beziehungen zu Ägypten unterhielt42. Demetrios wurde also beauftragt, die Insel anzugreifen, und die Belagerung der Hauptstadt von Rhodos begann. Demetrios, der sich schon den Beinamen Poliorketes (der Städtebezwinger) verdient hatte, entfaltete einen unglaublichen Erfindungsreichtum in der Verwendung von Maschinen und bot beträchtliche Kräfte zu Wasser und zu Lande auf. Trotz des erbitterten Widerstandes der Rhodier rückte er Meter um Meter vor, aber die von Sturmböcken und Minen erschütterten Wälle wurden vor seinen Augen wieder ausgebessert. Trotz aller Wachsamkeit wurde die Stadt durch Schiffe des Ptolemaios mit Nahrung versorgt. Schließlich mußte Demetrios im Lauf des Sommers 304 dem Rat seines Vaters folgen und einen Kompromißfrieden schließen. Die Rhodier blieben frei; waren sie auch offiziell mit Antigonos verbündet, so blieb der Bündnisfall für einen Angriff gegen Ptolemaios ausdrücklich ausgeschlossen. Ptolemaios blieb der Freund der Rhodier, die ihm göttliche Ehren zuteil werden ließen. Rhodos blieb der große Handelshafen des Ostens, und erst hundertfünfzig Jahre später, als Rom sich endgültig in der Ägäis festgesetzt hatte, sank diese Handelsrepublik zur Bedeutungslosigkeit herab. Als Sinnbild ihres Sieges errichteten die Rhodier aus dem Erlös des Verkaufes der von Demetrios vor der Stadt zurückgelassenen Kriegsmaschinen ein riesiges Standbild des Sonnengottes, ihrer Schutzgottheit. Antigonos hatte sich von dem Unternehmen gegen Rhodos absetzen wollen, weil Kassandros den Kampf in Griechenland wieder aufgenommen hatte und Athen bedrohte. Ein Jahr lang hatte die Stadt aus eigener Kraft Widerstand leisten können, aber im Jahr 304 hatte ein neuer Angriff den Makedonen mehrere Orte in Attika in die Hand gegeben, vor allem Salamis. Athen selbst wurde belagert, und seine Einnahme war nur eine Frage der Zeit. Einen Sieg von Kassandros konnte Antigonos nicht dulden, weil sein Ansehen darunter gelitten hätte. Demetrios wurde schleunigst nach Griechenland geschickt. Er landete in Aulis, griff Kassandros im Rücken an und zwang ihn, sich nach Norden

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zurückzuziehen, wobei er ihm überdies auf dem Marsch bei den Thermopylen noch eine Niederlage bereitete. Athen war gerettet, aber seine Rettung kam ihn teuer zu stehen. Demetrios setzte sich in der Stadt fest, wählte sich den Parthenon zum Wohnsitz und führte sich wie ein Wüstling, der er war, und wie ein Tyrann auf. Entgegen den bis dahin von Antigonos verkündeten Grundsätzen hatte er keine Bedenken, in die Angelegenheiten der Stadt einzugreifen und die Demokraten mit Härte zu behandeln. Anfang 303 versuchte Demetrios die Peloponnes, wo sich noch immer einige Besatzungen hielten, die teils von Kassandros, teils von Ptolemaios dorthin gelegt worden waren, zurückzuerobern. Ein einziger Feldzug genügte, um die isolierten Truppen zu vertreiben, und im Jahre 302 konnte Demetrios im ›befreiten‹ Korinth die Abgesandten der griechischen Städte einberufen, um einen neuen ›Korinthischen Bund‹ zu gründen, der diesmal von demokratischem, nicht von oligarchischem Geiste beseelt sein sollte. Der wiederhergestellte Bund wählte zuerst Demetrios zum Strategen. Es hatte den Anschein, als sollte die Zeit Philipps und Alexanders wiederkehren. Antigonos, bis auf einige orientalische Satrapien der Herr Asiens und ›Hegemon‹ Griechenlands, hatte das Reich fast wiederhergestellt. Schon hatte sich seine diplomatische Tätigkeit über Griechenland hinaus erstreckt. Demetrios hatte 303 Deidameia, die Schwester des jungen Königs von Epeiros, Pyrrhos geheiratet. Das zeigte die Isolierung des Kassandros noch deutlicher und konnte eines Tages zu einer Gefahr werden. Angesichts dieser Bedrohung erneuerten die anderen Könige ihr Bündnis, und im Frühjahr 302 fingen die Feindseligkeiten wieder an. Demetrios ergriff die Initiative; er fiel in Thessalien ein, während Kassandros einen Teil seines Heeres Lysimachos anvertraute und ihn beauftragte, Antigonos in Asien anzugreifen. Seleukos wiederum wandte sich mit fünfhundert Elefanten nach Westen. Antigonos mußte sich an zwei Fronten verteidigen. Seine Statthalter verließen ihn einer nach dem andern. Der alte König kämpfte nichtsdestoweniger mit größter Energie. Zweimal wäre es ihm beinahe gelungen, Lysimachos einzukesseln, aber im Laufe der Monate wurde die Koalition mächtiger. Im Herbst mußte Antigonos, wohl oder übel, Demetrios zurückrufen, der Thessalien aufgab und nach Asien zurückkehrte. Das entscheidende Treffen fand im Frühjahr bei Ipsos in Phrygien statt. Antigonos und Demetrios waren zuerst im Vorteil, aber Demetrios ließ seine Reiterei, statt sie zurückzuhalten, den Feind zu weit verfolgen. Inzwischen wurde Antigonos, der vom größten Teil der Phalanx verlassen war, tödlich verwundet, hatte aber bis zum Ende die Hoffnung, daß sein Sohn kommen und ihn retten würde43. Das Königreich des Antigonos wurde geteilt. Seleukos erhielt Armenien, Kappadokien und Syrien. Der Bruder des Kassandros, Pleistarchos, bekam Karien und Kilikien und Lysimachos das übrige Kleinasien. Ptolemaios, der während des Krieges wieder einmal in Syrien eingefallen war, sich aber auf die falsche Nachricht hin, daß Lysimachos eine Niederlage erlitten habe, zurückzog,

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wurde von der Teilung ausgeschlossen. Demetrios hatte fast alles verloren, behielt aber noch einige Mittel. Nach der Schlacht hatte er mit einem kleinen Heer in Ephesos Zuflucht gefunden, und es blieben ihm noch die starke Flotte des Antigonos, einige Küstenstädte, darunter Tyros und Sidon, und Zypern. Und schließlich war er nach wie vor Stratege des Korinthischen Bundes. Die Zeit der Condottieri Mit der Niederlage des Antigonos bei Ipsos beginnt ein neuer Zeitabschnitt. Bis dahin wollten die Diadochen entweder das ihnen zugefallene Erbteil behalten oder in einigen Fällen wenigstens versuchen, das Reich wieder zu errichten, um es für sich in Anspruch zu nehmen. Jetzt tauchen in der verworrenen, von unaufhörlichen, durch die Streitigkeiten der Diadochen hervorgerufenen Kriegen zerrissenen Welt Männer auf, die aus dem Krieg ein einträgliches Gewerbe machen, und die, selbst wenn der Sieg ihnen den Aufbau eines eigenen Königreiches aus der Hinterlassenschaft des Besiegten gestattet hat, unfähig sind, einen wahrhaft friedlichen und beständigen Staat aufzubauen. Zwei solche ›Condottieri-Gestalten‹ beherrschen jene Zeit: Demetrios und Pyrrhos44. a) Die Streiche des Demetrios Nach Ipsos befand Demetrios sich in einer ähnlichen Lage wie kurz zuvor Polyperchon: König ohne Königreich, aber nicht völlig ohne Mittel und Soldaten, konnte er versuchen, wenigstens einen Teil des Verlorenen zurückzuerobern. Anfangs war er einige Monate lang so etwas wie ein Geächteter. Athen, das ihn einst mit Ehren überhäuft hatte, wandte sich von ihm ab. Von Lysimachos aufgewiegelt, weigerte sich die Stadt, ihn nach der Niederlage aufzunehmen, und beschränkte sich darauf, ihm die Schiffe zurückzuschicken, die er, bevor er zu dem Treffen mit Antigonos aufbrach, im Hafen zurückgelassen hatte. Blieb noch Korinth. Demetrios ging dorthin, aber alle ließen ihn im Stich. Treue zu entthronten Königen stand nicht im Bundesprogramm. Ein König, der weder Wohltäter noch Herrscher mehr sein konnte, kümmerte keinen Menschen. Um leben und seine Soldaten unterhalten zu können, unternahm Demetrios im Laufe der Jahre 301 und 300 mehrere einträgliche Operationen in Thrakien, die mehr Ähnlichkeit mit Raubzügen als mit regulären militärischen Operationen hatten. Aber gerade, als alles verloren schien und Demetrios im Begriffe war, sich ähnlich wie Polyperchon mit Operationen und Kombinationen von geringer Tragweite zu begnügen, wendete sich plötzlich das Glück. Seleukos schlug Demetrios ein Bündnis vor und gab ihm die Hoffnung, seinen einstigen Platz unter den Herren der hellenischen Welt wieder einzunehmen. Der große Nutznießer von Ipsos fühlte sich in Asien isoliert. In Syrien stieß er auf Ptolemaios, nachdem es ihm nicht gelungen war, den Süden des Landes zu besetzen, wo der König von Ägypten Truppen hingeschickt hatte, und er hatte wohl oder übel eine Teilung dieser Gebiete hinnehmen müssen. Andrerseits

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knüpfte Ptolemaios sein Bündnis mit Lysimachos noch fester und gab diesem die Hand seiner Tochter Arsinoë. Seleukos sah, wie sich die alte Koalition wieder bildete, die unausweichlich den Herrn von Asien zu bedrohen schien. Er wandte sich also an Demetrios, dessen militärische Fähigkeiten und unbezwingliche Energie er kannte, und bat ihn zunächst um die Hand seiner Tochter Stratonike. Die Hochzeit fand mit großem Gepränge in Rhossos (Syrien) statt. Sogleich brach Demetrios auf, um, von Seleukos unterstützt, den Besitz des Pleistarchos anzugreifen. Rasch besetzte er Kilikien, denn Pleistarchos erhielt anscheinend von seinen Verbündeten keine Hilfe. Kassandros kümmerte sich nicht um seinen Bruder; vielleicht war er schon krank, vielleicht befaßte er sich auch mit der Wiederherstellung der makedonischen Herrschaft in Griechenland, was genügte, um ihn vollauf zu beschäftigen45. Er starb im übrigen frühzeitig, im Mai 297. Demetrios beschränkte sich indessen nicht darauf, Pleistarchos einen Teil des ehemaligen Königreiches von Antigonos wegzunehmen. Er hatte die Zeit nicht vergessen, als er der Herr über Griechenland gewesen war, und die Hoffnung nicht aufgegeben, als König in Athen einzuziehen. Die Stadt war damals in zwei Parteilager gespalten. Die eine, die von Olympiodoros geführt wurde, war makedonenfeindlich und für Demetrios. Die andere, deren Leitung in den Händen von Lachares, einem ehemaligen Freund von Kassandros, lag, war an der Macht. Demetrios warf sich zum Befreier aller derer auf, die nur widerwillig die sogenannte ›Tyrannei‹ des Lachares ertrugen. Diese Tyrannei scheint vor allem in Ausnahmegesetzen bestanden zu haben, die die Stadt vor einem Angriff des Demetrios schützen sollten. Ein erster im Jahre 296 unternommener Angriff führte nicht zum Ziel, aber nach mehreren siegreichen Feldzügen in der Peloponnes kam Demetrios im folgenden Jahr zurück, bemächtigte sich des Piräus, wo sich anscheinend Lachares- Gegner zusammengefunden hatten, und Anfang 294 mußte die Stadt kapitulieren, während Lachares nach Boiotien floh. Eine von Ptolemaios gesandte Hilfsflotte hatte den Blockadering nicht sprengen können und sich kampflos zurückgezogen. Demetrios erwies sich großzügig. Er berief die demokratische Partei wieder an die Macht, ohne allerdings darauf zu verzichten, in die Angelegenheiten der Stadt einzugreifen, schaffte Verpflegung für die Athener heran und bestrafte niemand. Dann zog er gegen Sparta, die letzte unabhängige Stadt der Peloponnes, die wahrscheinlich von Agenten des Ptolemaios gegen ihn aufgehetzt wurde. Die Lakedaimonier wurden zweimal in offener Feldschlacht besiegt, und Demetrios hätte sicherlich die Stadt eingenommen, wenn sich ihm nicht plötzlich eine andere Beute dargeboten hätte, eine Beute, deren Besitz ihm nicht nur gestattet haben würde, sich stärker als zuvor noch einmal gegen Sparta zu wenden, sondern auch die Verluste wettzumachen, die ihm die verbündeten Diadochen währenddessen in Asien zufügten: Ptolemaios besetzte Zypern und belagerte Salamis, Lysimachos eroberte Ephesos und brachte Milet in seine Gewalt, Seleukos selbst setzte sich in Kilikien fest. Demetrios war gezwungen,

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sich einen neuen Machtbereich in Europa zu schaffen; den sollte er in Makedonien finden. b) Pyrrhos tritt auf Nach Kassandros’ Tod war ihm der älteste Sohn des Königs gefolgt, aber vier Monate später gestorben. Seine beiden Brüder, Antipatros und Alexandras, waren minderjährig. Die Regentschaft wurde ihrer Mutter Thessalonike übertragen, und diese teilte das Königreich in zwei Teile, den Ostteil für Antipatros, den andern für Alexandras. Im Jahre 295 wurde Antipatros volljährig und forderte von seiner Mutter das gesamte Königreich. Sie weigerte sich. Er ließ sie ermorden und vertrieb Alexandras. Der erhob Protest und rief gleichzeitig die beiden Fürsten zu Hilfe, die ihm seiner Meinung nach am ehesten Gerechtigkeit verschaffen konnten: Pyrrhos von Epeiros und Demetrios. Für Pyrrhos hatte sich die Lage seit der Zeit, als Demetrios ihn unter seinen Schutz genommen hatte, sehr geändert. Bei der Verlobung mit Ptolemaïs, der Tochter des Ptolemaios und der Eurydike, hatte Demetrios ihn dem Lagiden als Geisel überlassen. Dort hatte der junge Prinz sich ihm nach und nach entfremdet; er war der Schützling des Ptolemaios und der Berenike geworden, was ihm um 297 die Wiedereinsetzung in sein Familienkönigreich, Epeiros, einbrachte46. Dort hatte Pyrrhos seine Macht gesichert und seinen Besitz vergrößert, indem er Lanassa, die Tochter des Königs Agathokles von Syrakus, heiratete. Die Mitgift der Prinzessin war die Insel Korkyra gewesen. So war die Lage, in der Pyrrhos sich befand, als Alexandras ihn zu Hilfe rief. Pyrrhos kam sofort, begann aber Forderungen zu stellen, und zwar verlangte er die Abtretung mehrerer makedonischer Provinzen. Danach griff er Antipatros an. Lysimachos, dessen Tochter Antipatros geheiratet hatte, konnte seinem Schwiegersohn nicht zu Hilfe eilen, denn er stand im Kampf gegen die Barbaren jenseits der Donau. Auf seinen Rat hin schloß Antipatros Frieden und willigte in eine Teilung ein. Demetrios war in der Peloponnes aufgehalten worden, aber er löste sich, so schnell es ging, vom Feind, zog quer durch Griechenland und traf in Dion in Pierien mit Alexandras zusammen. Alexandras gab ihm zu verstehen, daß er ihn nicht mehr brauche. Demetrios ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken, ließ aber kurze Zeit danach den jungen König bei einem Bankett ermorden, und schon am andern Tage riefen ihn die in Dion anwesenden makedonischen Soldaten zum König aus. Die gesamte öffentliche Meinung schloß sich ihnen an. Der verabscheute Antipatros mußte an den Hof des Lysimachos flüchten, und Demetrios begann seine Regierung. Nachdem er eine Stadt (Demetrias) am Golf von Pagasai gegründet hatte, brach er zur weiteren Befriedung Griechenlands auf. Pyrrhos fand sich nur schwer damit ab, daß Demetrios sich in Makedonien festgesetzt hatte, und als die Boioter mit Unterstützung der Aitoler, die damals Delphi besetzten, sich zum zweiten Male erhoben47 und Demetrios durch die Belagerung Thebens gebunden war, besetzte Pyrrhos die Thermopylen,

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offensichtlich mit dem Ziel, die Verbindungen zwischen dem Poliorketes und seinem Königreich abzuschneiden. Als dann aber Demetrios erschien, brach Pyrrhos das Abenteuer ab und zog sich nach Epeiros zurück. Der unter der Oberfläche schwelende Streit zwischen Pyrrhos und Demetrios sollte eine überraschende Form annehmen: Lanassa, die Gattin des Pyrrhos, verließ ihren Mann und zog sich nach Korkyra zurück. Sie mochte die Anwesenheit von zwei barbarischen Frauen des Pyrrhos am Hofe nicht mehr ertragen. Von Korkyra aus bot sie Demetrios an, seine Frau zu werden. Demetrios willigte ein und heiratete sie. Er bemächtigte sich dann sogleich der Insel Korkyra, ohne daß Pyrrhos Widerstand zu leisten vermochte. Demetrios war nun der Herr eines wirklichen ›griechischen Königreiches‹ und es hatte den Anschein, als richteten sich seine Absichten auch auf den hellenischen Okzident, auf Sizilien und Groß-Griechenland, die sich bisher fern von den Krisen, die Griechenland und den Orient erschütterten, entwickelt hatten. Aber er hatte nicht nur Pyrrhos gegen sich, dessen Ansehen wuchs, sondern auch die Aitoler, die Delphi besetzten und die antimakedonischen Bestrebungen um sich scharten48. Demetrios versuchte, sie auf die Knie zu zwingen, und fiel in ihr Land ein, aber Pyrrhos verheerte inzwischen, um die Aitoler zu entlasten, Makedonien derart, daß er im Jahre 289 einen ergebnislosen Frieden schließen mußte. Demetrios gab aber seine großzügigen Projekte keineswegs auf. Aus den Vorbereitungen, die er traf, schlossen seine Nachbarn und vor allem Lysimachos, daß er auf den Spuren Alexanders wandeln und die Eroberung Asiens unternehmen wolle. Sie beschlossen, ihm zuvorzukommen. Lysimachos und Pyrrhos fielen gleichzeitig in Makedonien ein. Die von den Gegnern ermatteten Heere des Demetrios schmolzen rasch zusammen. Von seinen Soldaten im Stich gelassen, mußte Demetrios verkleidet aus Makedonien fliehen; das Königreich wurde zwischen Pyrrhos und Lysimachos geteilt (Sommer 287). Einige Monate hatten genügt, um das Glück des Demetrios – diesmal endgültig – dahinschwinden zu lassen. Athen empörte sich, Ptolemaios bemächtigte sich der asiatischen Städte, die dem abgesetzten König geblieben waren. Dieser versuchte, mit einem Söldnerheer in Kleinasien einzufallen, aber Agathokles, der Sohn des Lysimachos, rückte ihm entgegen und zwang ihn, indem er ihn von der Küste abschnitt, sich in die Berg-Satrapien zurückzuziehen. Bei diesem Abenteuer verlor Demetrios mehr als zwei Drittel seiner Leute. Am Ende wurde er von Seleukos eingekreist und mußte sich zu Beginn des Jahres 285 ergeben. Die beiden letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in einer ehrenhaften Gefangenschaft in einer königlichen Residenz an den Ufern des Orontes. Das Ende der Diadochen Demetrios’ Niederlage kam vor allem Lysimachos zugute, der sich unverzüglich ganz Makedoniens bemächtigte und König Pyrrhos seinerseits vertrieb. Seine

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Diplomatie hatte ihm die Gunst eines großen Teils der öffentlichen Meinung in Griechenland eingetragen. Im übrigen hatte er Thessalien besetzt, wo sich eine Zeitlang Antigonos Gonatas behauptet hatte, der Sohn des Demetrios, dem sein Vater beim Aufbruch nach Asien unumschränkte Gewalt über den Rest seiner europäischen Besitzungen gegeben hatte49. Aber auch Lysimachos sollte von dem Gipfel gestürzt werden, auf den er sich hatte schwingen können. Seleukos geriet in Sorge über die Erfolge des Königs von Thrakien. Überdies führten Familienintrigen, die am Hofe von Thrakien gesponnen wurden, zur Bildung regelrechter Komplotte gegen Lysimachos, Komplotte, deren Verästelungen sich bald über den ganzen Orient erstreckten und dazu beitrugen, Seleukos zu überzeugen, daß der Augenblick zum Handeln gekommen sei50. So begann Seleukos im Sommer des Jahres 281 den Feldzug in Kleinasien gegen Lysimachos. Einige Wochen später wurde auf der Ebene von Kuros (Kurupedion), westlich von Sardeis, die Entscheidungsschlacht geschlagen. Lysimachos wurde besiegt und kam auf dem Schlachtfeld ums Leben. Seleukos begnügte sich nicht mit dem Sieg über Lysimachos. Er ließ sich von den Soldaten zum König von Makedonien ausrufen, vertraute sein asiatisches Königreich seinem Sohn Antiochos an und machte sich auf den Weg nach seinem Vaterland, jenem Makedonien, von dem er einst mit Alexander aufgebrochen war und das er seitdem nicht wiedergesehen hatte. Er sollte nicht mehr hingelangen. Er hatte gerade die Meerenge überschritten, als er von einem Sohne des Ptolemaios und der Königin Eurydike, einem gewissen Ptolemaios Keraunos (der Blitz) ermordet wurde, dem er versprochen hatte, ihn wieder auf den Thron von Alexandrien zu setzen, wo seit 285 – zuerst gemeinsam mit seinem Vater, dann allein – Ptolemaios II. Philadelphos, der Sohn des Ptolemaios und seiner zweiten Frau Berenike, regierte. Als Keraunos merkte, daß Seleukos sich mit der Einlösung seiner Versprechen Zeit ließ, tötete er ihn in der Nähe der Stadt Lysimacheia und ließ sich seinerseits zum König von Makedonien ausrufen (Winter 281–280). So endete der letzte der Diadochen, der Gefährten Alexanders, die an der Eroberung teilgenommen und sich die Hinterlassenschaft des toten Königs geteilt hatten. Das Reich Alexanders war von nun an und auf lange Zeit in drei Königreiche geteilt: Ägypten, in den Händen der Ptolemaier, Syrien, wozu Kleinasien und einige der ›oberen Satrapien‹ gehörten, unter Antiochos und seinen Nachkommen, den Seleukiden, schließlich Makedonien, über das zuerst Keraunos herrschte, das dann auf den Sohn des Demetrios, Antigonos Gonatas, und die Dynastie der Antigoniden überging. Die Lagiden in Alexandrien regierten bis zum Tode Kleopatras im Jahre 30 v. Chr., die Seleukiden verschwanden nach einem langen Streit gegen Rom und zahlreichen Rückschlägen endgültig im Jahre 64, als Pompeius Syrien in eine Provinz umwandelte. Die Antigoniden schließlich verloren ihr Königreich auf dem Schlachtfeld von Pydna vor den Legionen des Aemilius Paullus (168 v. Chr.). Die Geschichte dieser Königreiche und der Reiche, die sich auf ihre Kosten bildeten, beherrscht das ganze 3. und 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Sie bildet

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die eigentliche ›hellenistische‹ Periode. Die Ereignisse zwischen dem Tode Alexanders und dem Ende des Seleukos, die wir hier dargestellt haben, sind nur das Vorspiel. Die Bilanz einer Generation Nach dem Peloponnesischen Krieg und den Ereignissen, die den Beginn des 4. Jahrhunderts auf dem griechischen Festland bezeichneten, hatten einige Männer (darunter Isokrates) gehofft, daß die makedonische Herrschaft und ein ›Kreuzzug‹ gegen das Perserreich ein wirksames Heilmittel gegen die Teilungen der griechischen Welt, gegen die Zwiste in den Städten bringen würden, kurzum daß ein Ablenkungsmittel für die kriegerischen Neigungen der Hellenen gefunden werden müsse51. Man dachte auch, die Hinterlassenschaft des Orients würde es erlauben, die durch die unaufhörlichen Kriege und die Revolutionen erschütterte Wirtschaft wiederherzustellen und das durch die Zusammenballung des Eigentums seines Grundbesitzes beraubte gemeine Volk zu befriedigen, indem man ihm Kolonien auf asiatischem Boden verschaffte. Die Erfahrung lehrte, daß nicht alle diese Hoffnungen realisierbar waren. In den wenigen Jahren, in denen Alexander das Reich verwaltete, scheinen die wirtschaftlichen Verhältnisse einigermaßen befriedigend gewesen zu sein52, aber bald endete die Herrschaft des Friedens, und die Städte merkten, daß sie nicht nur die Freiheit verloren hatten, sondern auch die Vorteile, die sie zumindest von ihrer Unterwerfung erwarten konnten. Die Streitigkeiten zwischen den Diadochen ließen, wie wir gesehen haben, unaufhörlich Kriege entstehen und trugen dazu bei, die inneren Streitigkeiten der Städte noch zu verschlimmern. Bei jedem Herrscherwechsel wurde die an der Macht befindliche Partei durch Verbannung und Hinrichtungen vertrieben und dezimiert. Athen war nicht die einzige Stadt, die diese Wirren kennenlernte; vielleicht verspürte sie sie sogar nicht einmal so stark wie andere, weniger bedeutende Städte, wo die Sitten noch rauher waren und wo man es sich weniger angelegen sein ließ, zu besänftigen. Aber die Prüfungen, die Athen bei Beendigung des Peloponnesischen Krieges erduldete, wiederholen sich immer häufiger. Die Demokratie, unlöslich mit dem Widerstand gegen Makedonien verbunden, wird jedesmal, wenn ein neuer Herr in Erscheinung tritt, geächtet. Um zu überleben, bleibt dem Volk von Athen nur ein Mittel: den Königen zu schmeicheln, und die Demokratie liefert sich ihrerseits Schirmherren aus, die nur eine geheuchelte Achtung, vor ihr hegen. Die Übel, die der Krieg und die politische Lage dem griechischen Festland und den Inseln brachten, sind leicht aufzuzählen: sehr harte Kriegssteuern, Unterhaltung der königlichen Armeen, Fernwirkungen wie den Lamischen Krieg, periodische Raubzüge der einen oder andern Partei, die Besetzung von Delphi durch die Aitoler, Einfälle der Bergbewohner vom Epeiros und das Wiederaufleben der Seeräuberei gegen die Handelsschiffahrt. Doch das alles konnte die unglaubliche griechische Lebenskraft nicht brechen. Wenn die eine oder andere antike Stadt verfällt, treten neue an ihre Stelle: Jeder König gründet

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Städte, die Gegenstand seiner liebevollen Fürsorge sind und wo die Bewohner der heruntergekommenen Städte Zuflucht finden. Manchmal werden mehrere Städte zu einer einzigen vereinigt, in besserer Lage angelegt, die den Erfordernissen der neuen Wirtschaft mehr entspricht. Frühere Zerstörungen werden wiedergutgemacht oder ausgebessert; so ersteht Theben erneut aus der Asche und beginnt, sich sofort wieder in die Angelegenheiten von Hellas einzumischen. Wer hätte von dieser, zur Zeit Alexanders vernichteten Stadt gedacht, daß sie sich zweimal an die Spitze einer Erhebung gegen Demetrios setzen würde? Es hat durchaus den Anschein, als ob ganz allgemein die Verarmung vor allem die ländliche Bevölkerung betroffen hat, während das Bürgertum der Städte trotz aller Schwierigkeiten seine Stellung gehalten und sogar verbessert hat. In den Städten strömen die Söldner zusammen und Kaufleute, die Lebensmittel, Sklaven, Luxusgegenstände und Genußmittel mitbringen. In den Städten werden auch die ›Gewerbe‹ ausgeübt, die für Schifffahrt und Krieg notwendig sind. Niemals ist die attische Keramik so fruchtbar und so in fernen Ländern verbreitet gewesen wie zu jener Zeit. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte der Gesellschaften, daß eine tiefreichende Verarmung der Volksmassen von der Entwicklung einer oberflächlichen Aktivität begleitet und verschleiert worden ist, da der Umfang des Handels eine regelrechte ›Inflation‹ hervorruft, die die Mittel der Kaufleute vergrößert und die der kleinen Produzenten verringert. So verschafften sich zum Beispiel die Soldaten und die Kaufleute, die das Heer begleiteten, große Mittel, indem sie versklavte Gefangene verkauften oder Gegenstände, die aus Plünderungen stammten. Die im Laufe der Jahrhunderte vom persischen Reich angesammelten Schätze wurden durch den Bedarf des Krieges oder der Diplomatie in Umlauf gebracht. Die Menge des Geldes wächst; die neuen Hauptstädte schreiten zu massenhafter Geldschöpfung. Das alles schafft keinen echten Reichtum, wohl aber die Illusion des Reichtums und führt vor allem zu einer Neuverteilung des vorhandenen Reichtums. Bankwesen und Geldhandel spielen eine große Rolle, und selbstverständlich sichert sich das Bürgertum der Städte vorweg den besten Teil dieser Zahlungsmittel, die es gegen gewerbliche Erzeugnisse eintauscht, deren Preis rasch steigt. Die hellenistische Periode, die zu Anfang des 3. Jahrhunderts einsetzt, wird zur belle époque des Luxus, der Kunst (einer Kunst, die ein bißchen ins Kunstgewerbliche geht, um einer bürgerlichen und ›kolonialen‹ Kundschaft zu gefallen), des städtischen Lebens, das dem Vergnügen und der Abwicklung aller möglichen Geschäfte geweiht ist, manchmal dem Schacher. Die mediterrane Welt steht im Begriff, jene Gestalt anzunehmen, die sie im Augenblick der römischen Eroberung bietet: anerkannter Vorrang von Handel und Unternehmen kapitalistischer Gesellschaften, niedriger Stand der landwirtschaftlichen Produktion – alles Dinge, die entschieden gegen die römischen Überlieferungen verstießen und deren allmähliche Übernahme den Senatoren als Verrat und moralische Dekadenz erscheinen mußte.

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Immerhin sollte doch dieser Stand der Dinge nicht ohne glückliche Folgen sein. Wenn die traditionelle Stadt auch politisch viel von ihrer Bedeutung verloren hat, so gilt das keineswegs auf wirtschaftlichem Gebiet und ebensowenig auf geistigem. Eben jene Privilegien, die die Stadtbewohner genießen, ihr Reichtum, ihre Muße, ihre Unabhängigkeit von jeder ›knechtischen‹ Arbeit begünstigen die Entwicklung der Künste, aber auch aller Formen der Kultur. Athen, mag man es auch als noch so heruntergekommen betrachten, bleibt die geistige Hauptstadt des Hellenismus. Die Volksversammlungen haben nichts mehr zu bestimmen, aber die jungen Aristokraten studieren beharrlicher denn je an den Schulen der Philosophen, die sich in der Stadt niederlassen, und das ist nicht etwa eine Besonderheit Athens, sondern eine Erscheinung, der man überall begegnet, sobald eine Stadt eine genügend hohe Stufe des Reichtums erlangt. Es entsteht eine rhodische Rhetorenschule – vielleicht weil Rhodos der Handelsplatz des östlichen Mittelmeers ist. Später gibt es berühmte Schulen in Pergamon und vor allem natürlich in Alexandrien. Die traditionelle Struktur der griechischen Welt ist in der Umbildung begriffen. Bis ins 4. Jahrhundert hinein war die Stadt ein politisches Wesen, eine militärische Macht; jetzt wird sie ein wirtschaftliches und geistiges Wesen. Diese Umwandlung wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht jeder dieser Mittelpunkte mit seiner politischen Unabhängigkeit auch seine imperialistischen Bestrebungen verloren hätte, die seine wahre Berufung verbargen: dem Leben freier Menschen einen menschlichen Rahmen zu geben. Seitdem die Stadt keinen Krieg mehr entfesseln kann, kommt der Gedanke zum Durchbruch, daß der Friede die natürliche Sphäre des Menschen ist. Die Voraussetzungen sind gegeben, die der Hellenismus braucht, um seine Sendung in einer Welt, für die er nicht mehr die gesamte Verantwortung trägt, erfüllen zu können, eine Verantwortung, die in der Vergangenheit zu schwer auf den Bürgern von Athen, Sparta oder Theben gelastet hatte. 2. Das mediterrane Abendland zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. Im Verlauf der Kämpfe nach Alexanders Tod hatte die östliche Welt schließlich eine Art Gleichgewicht gefunden, das recht und schlecht bestand, bis die Römer diese verbrüderten und oftmals verfeindeten Königreiche durch ein endgültig befriedetes Imperium ersetzen. Die westliche Mittelmeerwelt war von dem Umsturz, der die hellenische Hälfte der Oikumene so tiefreichend verwandelte, verschont geblieben. Das verdankte sie vielleicht dem vorzeitigen Hinscheiden des Eroberers, aber im Westen waren auch nicht die Probleme aufgetaucht, mit denen der Osten fertig werden mußte. Die antiken Geschichtsschreiber haben lange mit der Frage gespielt, welchen Ausgang ein eventueller Zusammenstoß zwischen Alexander und den Römern wohl genommen haben würde: auf der einen Seite ein unbesiegtes Volk oder doch ein Volk, das zumindest stets die letzte Schlacht gewonnen hatte, auf der andern ein Führer, der niemals eine Niederlage erlebt hatte. Begreiflich, daß diese gedachte Gegenüberstellung die

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Phantasie der Rhetoren verlockt hatte53. Doch die Römer würden gegen Ende des 4. Jahrhunderts Alexander kein geschlossenes Reich dargeboten haben, mit dem er in einigen glücklichen Schlachten hätte fertig werden können. Das vermochte selbst Hannibal hundert Jahre später nicht. Es gab im Abendlande nichts, das dem Perserreich ähnelte, nichts, das auch nur den Anschein einer Einheit besaß, wie sie für die Machtgebiete des Dareios bezeichnend war, und eine so gefestigte Struktur, daß es möglich gewesen wäre, durch einen Sieg eine neue Herrschaft an die Stelle der alten zu setzen. Die Eroberung des Abendlandes würde unendliche Zeit und Mühen gekostet haben, denn man hätte Stadt um Stadt niederwerfen und gegen einen sich immer wieder erhebenden Feind kämpfen müssen. Von dieser Eroberung des Abendlandes hat ein von den Diadochen eingesetzter König geträumt und sie vielleicht auch versucht. Wir haben schon ausgeführt, wie Pyrrhos, als er sich ein Königreich zusammenstückeln wollte, wie sie rings um ihn unter seinen Augen entstanden waren, dazu veranlaßt wurde, seine Blicke auf das Abendland zu richten. Die jenseitige Küste des Ionischen Meeres war das passende Feld für den Ehrgeiz der Könige von Epeiros. Schon einige Jahre zuvor war Alexander der Molosser in Italien, wohin ihn die Tarentiner gerufen hatten, in Kämpfe verwickelt worden54. Aber Alexander hatte zu seinem Leidwesen erfahren, daß es in den Ebenen Apuliens und den Gebirgen Lukaniens gefürchtete Krieger gab, und daß die endlosen Ränke unter den Völkern und Städten dieser Länder nicht minder gefährlich waren als ihre Soldaten. Auch Pyrrhos merkte bald, daß die Angelegenheiten der griechischen Städte Siziliens tausend Gefahren bargen, und er sollte außerdem eine Macht kennenlernen, die Alexander der Molosser sich klugerweise zum Verbündeten gemacht hatte, jenes Rom, das im Kampfe gegen Pyrrhos zürn ersten Male seine Legionen gegen hellenistische Heere vorschickte. Dieser Drang der Fürsten, die unmittelbar oder mittelbar Erben Alexanders des Großen waren, ihre ehrgeizigen Bestrebungen auf das Abendland zu lenken, war ganz natürlich. In dem Maße, in dem das Reich des Makedonen die Gesamtheit des ›hellenischen Namens‹ in sich einbezog, mußten die westlichen Ausläufer der griechischen Welt als dessen legitime Anhängsel erscheinen. Wir wissen, mit welchem Eifer König Ptolemaios daranging, an der Südküste des Mittelmeers Kyrene zu annektieren55. Sollte nicht auch Pyrrhos den Plan gefaßt haben, zumindest die verschiedenen hellenischen Staaten, die sich auf Sizilien und in Groß-Griechenland gebildet hatten, zu vereinigen56? Aber so verführerisch dieses Projekt auch erscheinen mochte, die politische Lage des Abendlandes erlaubte seine Verwirklichung nicht. Um in diesem Teil der Welt seine Bestimmung zu erfüllen, dienten dem Hellenismus andere Kräfte als der Ehrgeiz des Königs, der, von der Erinnerung an Alexander verfolgt, wie dieser ein ›neuer Achilles‹ werden wollte. Die Situation des Griechentums im Westen

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Vor vielen Jahrhunderten waren Bürger der griechischen Städte der Ägäis ausgeschwärmt und hatten im westlichen Mittelmeerbecken Kolonien gegründet57. Einige dieser Kolonien hatten im Laufe des 5. und 4. Jahrhunderts ein bedeutendes Schicksal erfahren. Die ganze italienische Küste des Ionischen Meeres und ein großer Teil Siziliens waren griechische Länder geworden, deren Reichtum und deren künstlerischer und geistiger Glanz dem ihrer Mutterstädte in nichts nachstand. Unglücklicherweise waren die Kolonien von dem Ungemach, unter dem Griechenland gelitten hatte, nicht verschont geblieben. Unaufhörliche Kriege zwischen rivalisierenden Städten hatten am Ende auch die mächtigsten geschwächt, und die Sieger waren durch innere Revolutionen erschöpft worden. Mitunter waren diese ›Substanzverluste‹ durch Nachschub neuer Ansiedler aus den Mutterstädten aufgewogen worden – allerdings immer in recht schwachem Maße58. Auch hatten die Griechen mehr und mehr den Eindruck, sich auf Ungewisse Weise am Rande eines feindlichen Kontinents zu halten, gegen den jeden Augenblick Wellen von Barbaren branden und sie hinwegspülen konnten. Das hatte sich mehrmals bei gewissen ›vorgeschobenen Posten‹ bewahrheitet, wie Poseidonia (Paestum) am Golf von Salerno, das die Lukaner gegen Ende des 5. oder zu Anfang des 4. Jahrhunderts besetzt hatten59. Die Straßen im Innern, die von den Küsten des Ionischen Meeres in das Gebiet Kampaniens führten, wurden immer unsicherer, was den wirtschaftlichen Interessen der Siedler sehr schadete. In Süditalien spielte die dorische Stadt Tarent die Hauptrolle. Sie beherrschte schließlich den Bund der griechischen Städte Italiens, hatte aber, um sich gegen den Druck der Lukaner und der Bruttier behaupten zu können, im Laufe des 4. Jahrhunderts mehrmals ›Condottieri‹ in Anspruch nehmen müssen, Söldnerführer wie Archidamos, den König von Sparta, der 338 ums Leben kam, Alexander den Molosser, der bald mit den Tarentinern in Streit geriet und ein eigenes Königreich zu gründen versuchte, jedoch im Jahre 330 von den Lukanern getötet wurde, Kleonymos, einen spartanischen Fürsten, der sich sehr rasch als unerträglicher Tyrann entpuppte und zwar bemerkenswerte Siege errang und das ›Protektorat‹ Tarents über die ganze Ostküste bis Kroton60 wiederherstellte, aber, nachdem er von den Griechen, die ihn gerufen hatten, im Stich gelassen worden war, von den Barbaren besiegt und gezwungen wurde, Italien (um 301) zu verlassen. Rom, das damals, wie wir noch sehen werden, in einem langwierigen Kampf gegen die Samniten stand, das heißt gegen Elemente, die denselben Barbarenvölkern angehörten, gegen deren Druck die Siedler von Tarent und die griechischen Städte im Süden überhaupt ankämpften, konnte an diesen Ereignissen nicht unbeteiligt bleiben. Es war ganz natürlich, daß die Römer sich zuerst mit den Verteidigern von Tarent verbündet und einen Freundschaftspakt mit Alexander dem Molosser geschlossen hatten61. Aber dieses aus den Umständen geborene Einvernehmen konnte nicht von Dauer sein.

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Recht bald zeigte sich zwischen Tarent und Rom eine zuerst diplomatische, dann immer schärfere Rivalität, die 282 zu einem bewaffneten Konflikt führte. Tarent spielte am Ende des 4. Jahrhunderts die Rolle einer geistigen Hauptstadt Groß-Griechenlands. Von Tarent war einst das Pythagoreertum ausgegangen, das mit einer mystischen Philosophie ein politisches System und eine Pflege der Wissenschaften sowie eine hohe Wertschätzung der Musik verband. Es scheint, daß die barbarische Bevölkerung für gewisse Aspekte zumindest dieser tarentinischen Geistigkeit nicht unempfindlich geblieben ist und sich die religiösen Gebräuche und Anschauungen sehr schnell zu eigen gemacht hat62. Das alles begünstigte den Einfluß der Stadt. Dieser Einfluß wurde in Neapel deutlich, das die Römer 326 belagerten und das samnitische Truppen Seite an Seite mit griechischen Kontingenten, durch tarentinisches Gold unterstützt, verteidigten63. Am Ende siegte Rom, schloß einen Vertrag mit Neapel und legte eine Garnison in die Stadt. Mit dem wachsenden Drucke Roms auf die Samniten und die Bergvölker des Südens richteten die Barbaren ihre Blicke immer stärker auf Tarent. Verschiedene einigermaßen dunkle Episoden lassen auf eine Rivalität zwischen den Römern und den Tarentinern schließen, die beide versuchten, ihre Schutzherrschaft über die Völker im Landesinnern zu erweitern oder zu festigen. Tarent hat anscheinend versucht, als Vermittlerin zwischen den Römern und Samniten aufzutreten – ein Versuch, den die Römer verächtlich zurückwiesen. Ihrer Macht gewiß, wollten die Senatoren nichts von einer Vermittlung wissen, die die Früchte ihres Sieges über die Samniten geschmälert und ihren ›Abstieg‹ in die apulischen Ebenen verlangsamt haben würde. Wenn es das samnitische Land beherrschte, konnte Rom die Lukaner und die anderen italischen Völker um sich scharen, die nun den Kampf gegen Tarent wieder aufnahmen. Ohne Zweifel hatte man Kleonymos berufen, um dieser gefährlichen Situation Herr zu werden, und die Siege des spartanischen Condottiere über die Lukaner waren gewissermaßen Siege über Rom. Man darf auch ohne weiteres annehmen, daß der berühmte Vertrag zwischen den Römern und Tarent, der es römischen Schiffen untersagte, über das Kap Lakinion hinauszusegeln – die Verletzung dieses Vertrages wurde im Jahre 282 Ausgangspunkt des Streites –, aus dieser Zeit stammt64. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß Rom die endgültige Niederlage des Kleonymos bewirkt hat, selbst wenn man nicht der Auffassung ist, daß es zu einer Schlacht zwischen dem Spartiaten und einem römischen Heere gekommen ist65. Wie dem auch sei, zu Anfang des 3. Jahrhunderts schien Tarent, das nach dem Niedergang von Neapel der wahre Brennpunkt des italischen Griechentums geworden war, offensichtlich genötigt, in verhältnismäßig naher Zukunft die Waffen gegen Rom zu ergreifen. Griechische Städte wie Thurioi, das aus uralter Rivalität ein Gegner Tarents war, sind bereit, Rom zu Hilfe zu rufen. Im Jahre 285 wendet sich Thurioi, als es von den Lukanern angegriffen wird, zum erstenmal an Rom, das diesmal noch nicht einschreitet. Aber drei Jahre später, gelegentlich eines neuen Angriffs, befreit der

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Konsul C. Fabricius Luscinus die Stadt, und die anderen griechischen Kolonien, die bestrebt sind, aus der Vormundschaft Tarents loszukommen, erbitten und erhalten römische Besatzungen. Von nun an war der Krieg zwischen Tarent und Rom unvermeidlich. Er sollte im Jahr danach ausbrechen und Pyrrhos auf den Schauplatz bringen66. Man sieht, wie unrichtig – und ungerecht – es wäre, das Eingreifen Roms in die Angelegenheiten Groß-Griechenlands als einen ›Überfall‹ von Barbaren hinzustellen, die es verlockte, Städte zu plündern, deren Reichtum ihre Habgier erregt hatte. Rom wird nicht als ›Feindin der Griechen‹ angesehen, sondern tritt in Thurioi sogar als Verteidigerin des Hellenentums gegen jene ›barbarischen‹ Bergvölker auf, die es so mühsam bezwungen hat. Die griechischen Städte glaubten, das Wesen ihrer Kultur zu retten, indem sie Rom zu Hilfe riefen. In Thurioi wie in Neapel war der Hauptfeind der Lukaner oder der Samnite. Der Römer war ein Beschützer und Bundesgenosse. Ein etwas lästiger vielleicht, aber alles in allem nicht so schwer erträglich wie dieser Kleonymos, der seine Allmacht benutzte, um seine niedrigsten Instinkte zu befriedigen67. Die Lage in Süditalien war an einem Punkte angelangt, an dem die griechischen Städte nicht hoffen konnten, die Sicherheit und Unabhängigkeit zu bewahren, deren sie sich einst erfreut hatten. Der unaufhaltsame ›Abstieg‹ der italischen Völker, der sich wahrscheinlich unter dem Druck der gallischen Invasion vollzieht68, durch den die italischen Völker im Norden der Apenninen zurückgedrängt werden, macht es notwendig, fremden Beistand zu finden. Tarent wird sich, aus Stolz und Tradition, weigern, mit Rom ein Bündnis einzugehen, und wird Pyrrhos herbeirufen. Wie immer der Ausgang des Ringens zwischen dem König und Rom sein mochte, um Tarent und seine Unabhängigkeit war es geschehen. GroßGriechenland hatte nur noch die Wahl zwischen zwei Schicksalen: der ›Schutzbefohlene‹ Roms zu werden oder sich einem ›hellenistischen‹ Königreich einzugliedern, wie sie im Osten entstanden. In Sizilien hatten die Griechen mit ebenso ernsten Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn diese auch andere Ursachen hatten. Syrakus spielte auf der Insel eine ähnliche Rolle wie Tarent auf dem Festland. Der Kampf richtete sich weniger gegen die sikulischen Barbaren als gegen einen Feind, der vom Süden gekommen und noch gefährlicher war als die Römer: die imperialistischen ›Kaufleute‹ von Karthago. Timoleon hatte sich 337 aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, und bei seinem Tode hatten ihm die Syrakusaner eine feierliche Ehrung bereitet. In seiner Leichenrede wurde daran erinnert, »daß er die Tyrannen gestürzt, die Barbaren im Kriege besiegt, die bedeutendsten der zerstörten Städte neu gegründet und den Griechen Siziliens ihre Gesetze wiedergegeben« habe69. Einige Jahre später fiel Syrakus nichtsdestoweniger in die Gewalt eines Despoten zurück, der an die Tradition der Tyrannen anknüpfte, die man beseitigt zu haben glauben mochte. Agathokles war nicht einmal Syrakusaner, sondern der Sohn eines Verbannten aus Rhegion, der sich auf Sizilien

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niedergelassen hatte. Erst 343, als Timoleon Menschen, die von überall her gekommen waren, in der Stadt aufnahm, wurde er Bürger von Syrakus. Anfangs ist er Offizier im Dienste seines neuen Vaterlandes, mischt sich aber bald in die Intrigen, die es erneut zu zerreißen beginnen. Er wird verbannt und muß auf das Festland fliehen. Man begegnet ihm in Kroton, von wo er bald wieder vertrieben wird, dann in Tarent, wo man seine Dienste nicht lange in Anspruch nimmt. Als das Vaterland seiner Familie, Rhegion, 322 von syrakusanischen Streitkräften angeriffen wird, findet er Mittel und Wege, eine Truppe zu sammeln, mit der er der Stadt zu Hilfe kommt, und hat das Glück, die Angreifer zurückzuschlagen. Sein Sieg gibt Rhegion die Freiheit wieder und bringt ihm die Rückberufung durch die Syrakusaner ein. Im Verlaufe des Krieges, der nun zwischen den griechischen Städten Siziliens ausbricht, ist Agathokles Feldherr für Syrakus. Er wird für einige Monate verbannt, kehrt an der Spitze eines Heeres zurück, und um eine Kraftprobe zu vermeiden, läßt man ihn wieder in die Stadt. Mehr noch, man wählt ihn zum Strategen ›mit unumschränkter Gewalt‹ (317 v. Chr.). Agathokles vollzieht also einen Staatsstreich, der ihm die oberste Gewalt in die Hand gibt; alle Opponenten werden niedergemetzelt. Er spielt sich als Verfechter der Demokratie auf, verkündet die Streichung aller Schulden, verspricht eine Neuverteilung der Ländereien und läßt sich zum einzigen Strategen ernennen. Diesen Titel und dieses Amt behält er bis zum Jahre 304, als er sich zum König proklamieren läßt. Seine Herrschaft sollte erst mit seinem Tod im Jahre 289 enden. Während dieser langen Regierungszeit vermochte Agathokles oft mit Hilfe von brutalen und grausamen Methoden die sizilischen Städte, die bis dahin Syrakus feindlich gesinnt gewesen waren, unter seine Gewalt zu bringen. Vor allem aber ging er daran, das sizilische Hellenentum von der Bedrohung frei zu machen, die durch die Anwesenheit der Karthager auf ihm lastete. Seit der Zeit Timoleons war die Insel in zwei Einflußzonen geteilt. Der Westen war von den Ufern des Halykos ab den Puniern überlassen, der Rest gehörte den Griechen. Lange Zeit wurde dieses Abkommen von beiden Teilen ehrlich eingehalten. Hamilkar, der während der ersten Kämpfe des Agathokles im punischen Sizilien regierte, war kein Feind des Agathokles. Das alles änderte sich, als deutlich wurde, daß der neue Herr von Syrakus sich berufen fühlte, alle Kräfte der Griechen um sich zu sammeln. Im Jahre 312 sah sich Agathokles, der soeben Messina besetzt hatte, einem punischen Gouverneur gegenüber, der energischer war als der Vorgänger, Hamilkar, Sohn des Giskon. Die Schlacht entbrannte um den Besitz von Akragas. Agathokles erlitt eine Niederlage (Juni 311), und die Punier begannen Syrakus zu belagern. Die Stadt wurde noch belagert, als Agathokles mit unglaublicher Kühnheit im Sommer 310 einen Zug gegen Karthago selbst unternahm. Am 15. August, am Vorabend einer Sonnenfinsternis, brach er mit einigen Schiffen auf, überrumpelte die Karthager, die den Hafen blockierten, und konnte am Kap Bon landen, bevor

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die Verfolger ihn erreichten. Dieses Unternehmen kam für die Karthager völlig überraschend. Sie konnten den Griechen nur eine Miliz von in aller Eile aufgebotenen Bürgern entgegenwerfen, die keinen ernsthaften Widerstand leistete. Agathokles konnte nicht hoffen, sich lange in Afrika zu halten, aber er erreichte schnell, was er sich gewünscht hatte. Das karthagische Heer hob die Belagerung von Syrakus auf. Doch statt in sein Vaterland zurückzukehren, stieß Agathokles ins Landesinnere vor, wo die Eingeborenen ihn als Befreier empfingen. Ein Gedanke scheint damals aufgetaucht zu sein: Warum betrieben die aus Sizilien gekommenen Griechen nicht ihre Vereinigung mit den Griechen, die in Kyrene saßen? Agathokles schloß ein Bündnis mit Ophelias, dem Herrscher von Kyrene. Einen Augenblick sah es so aus, als stünde der Hellenismus im Begriff, einen neuen gewaltigen Sprung nach vorn zu machen, diesmal nach Westen. Aber ehe Ophelias noch Zeit gehabt hatte, seine Kräfte zu sammeln, wendete sich das Blatt. Die Karthager reorganisierten Anfang 309 ihre Verteidigung; die Eingeborenen begannen überzulaufen. Ophelias erwies sich, als er endlich zu Agathokles stieß, als ein so zweifelhafter Bundesgenosse, daß Agathokles ihn ermordete und mit außergewöhnlicher Kühnheit das kyrenäische Heer für sich gewann, ohne jedoch einen entscheidenden Schlag führen zu können. Noch zwei Jahre sollte sich der Krieg mit wechselndem Erfolg hinziehen, aber 307 mußte Agathokles dann endgültig aus Afrika abziehen, wobei er es den Überresten seines Heeres überließ, sich so gut es ging aus der üblen Lage herauszuziehen, in die er es gebracht hatte. Wenn auch der Afrikazug im Grunde mit einer Schlappe geendet hatte, da die Eindringlinge zurückgeworfen worden waren, brachte er für Agathokles doch große Vorteile. In Sizilien machte er, zumindest vorübergehend, der karthagischen Gefahr ein Ende, und es gelang ihm, die griechischen Städte zu unterjochen. Zu diesem Zeitpunkt nahm er den Königstitel an. Nachdem er König in Sizilien geworden war, wandte Agathokles sein Augenmerk auf zwei neue Dinge: Groß-Griechenland und die Insel Korkyra. Man findet ihn zweimal im Dienste der Tarentiner, nach der Intervention des Kleonymos, in den Jahren 298 und 295. Er kämpft gegen die Bruttier, allerdings ohne positive Ergebnisse. Wie seine Besetzung von Korkyra zu erklären ist (im Jahre 300 gegen Kassandros), darüber weiß man nicht allzu viel. Möglicherweise war sie Teil eines Planes, der vor der Ausführung bereits aufgegeben wurde. In jedem Falle muß ihm die Insel nicht sehr wichtig erschienen sein, denn er überließ sie seiner Tochter Lanassa als Mitgift70. Agathokles starb 289. Er hinterließ ein fast vollkommen geeintes Sizilien und ein triumphierendes Griechentum. Die punische Frage hatte er aber nicht vollständig regeln können. Die Karthager behielten wichtige Stützpunkte auf der Insel, und vor allem hatte seine Herrschaft die Rachsucht und den Haß nicht zu unterdrücken vermocht, die durch seine unbarmherzigen Methoden

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herausgefordert worden waren. Nach seinem Tode begannen die Bürgerkriege zwischen den Griechen erneut, und zwar schonungsloser und verheerender als je zuvor. Außer Groß-Griechenland und Sizilien gab es zu Beginn des 3. Jahrhunderts einen dritten bedeutsamen hellenischen Mittelpunkt im westlichen Mittelmeerraum. Dieser Brennpunkt eines lebendigen Griechentums war Massalia (Marseille). Die ersten phokaiischen Kolonien, die an der Küste gegründet wurden, hatten sich nicht alle halten können, und die Griechen hatten einst zu Wasser und zu Lande schwere Niederlagen einstecken müssen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz war es aber Massalia gelungen, am Leben zu bleiben und die schweren Zeiten zu überstehen71. Seine Händler und seine Seefahrer hatten einige der alten phokischen Märkte, besonders an der Küste Spaniens, wieder an sich gebracht. Sie hatten sich überdies an der Küste in der Nähe ihrer Stadt, zwischen der Rhone und den Alpen, ausgebreitet und auch zwischen dem Strom und den Pyrenäen. Die Geschichte dieser massaliotischen Kolonisation, mit der man sich seit kurzem wieder befaßt, und die archäologischen Funde, die im Laufe der letzten Jahre in Südfrankreich immer zahlreicher und exakter gemacht wurden, zeigen, daß Massalia sich lange mit seinen Handelsniederlassungen begnügte und erst seit dem 4. Jahrhundert begann, ein ›Kolonialgebiet‹ zu entwickeln und sich einigermaßen fest in der unteren Provence anzusiedeln. Sie zeigen ferner, daß Massalia später nur mit der Unterstützung Roms seinen Einfluß auf das Hinterland zu sichern vermochte72. Die mächtigen Wälle von Olbia73 stammen aus dem 4. Jahrhundert, und die Gründung von Glanum, der ›hellenistischsten‹ unter den gallischen Städten74, geht auf den Ausgang der 3. Jahrhunderts zurück. Aber ein Unterschied springt ins Auge. Das Nichtvorhandensein einer politischen Kolonisierung schließt keineswegs den kulturellen Einfluß und die wirtschaftliche Durchdringung aus. Diese, generationenlang von den Kaufleuten Massalias betrieben, hatten das geschaffen, was man mitunter, nicht ohne eine gewisse Übertreibung, das ›griechische Gallien‹ (Gallia Graeca) genannt hat. Während dieser Zeit beobachtet man, wie einheimische oppida (sie waren entstanden, bevor die Gallier in die Ebenen der Languedoc hinunterstiegen, was erst in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunders v. Chr. geschah75), die wie Enseruna am Rande einer bedeutenden Handelsstraße lagen, sich langsam hellenisierten, bestimmte aus Griechenland stammende architektonische Formen annahmen und die Münzen und das Alphabet ihrer Nachbarn übernahmen. In Wahrheit sind die Einflußzonen des Griechentums in den ligurischen und iberischen Ländern weit weniger fest verwurzelt als in Italien oder in Sizilien, aber im gegebenen Augenblick werden sie ihre Rolle in der Entwicklung dieser Länder spielen und politisch und geistig die Ankunft der Römer vorbereiten. Die Massalioten, die einst im Tyrrhenischen Meer gegen Karthago kämpfen mußten76, waren gezwungen, die Partei Roms zu ergreifen, als der unvermeidliche Streit zwischen diesem und Karthago ausbrach.

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Das Reich Karthagos In Sizilien ebenso wie im westlichen Teil des Mittelmeeres stieß der Hellenismus, wie wir sehen, auf die karthagische Macht. Das war zu Beginn des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung keine neue Situation. Aber seitdem werden die Beziehungen zwischen Karthago und der griechischen Welt verwickelter und unterschiedlicher. Während die große Stadt, die Hauptstadt der abendländischen Semiten, die meisten ihrer traditionellen Züge beibehielt, übernahm sie doch mehr und mehr dem Hellenismus entlehnte Elemente und wurde, so merkwürdig das erscheint, im Laufe des Jahrhunderts vor ihrem endgültigen Untergang zur Mittlerin zwischen dem Hellenismus und den eingeborenen Königreichen Afrikas. Im Laufe des 5. und während des größten Teils des 4. Jahrhunderts war Karthago durch die Seemacht Athens von der östlichen Welt abgeschnitten gewesen. Dennoch unterhielt die Republik weiterhin treue Beziehungen zu ihrer ehemaligen Mutterstadt Tyros. Jedes Jahr schickten die Karthager eine heilige Gesandtschaft mit Opfergaben zum Heiligtum des Melkart. Dadurch wurde die punische Abordnung im Jahre 332 Zeuge der Belagerung und der Einnahme der Stadt durch Alexander, und dieser verhehlte nicht seine (wahre oder vorgetäuschte, wir wissen es nicht) Absicht, seinen Eroberungszug bis in das Abendland weiterzuführen, wahrscheinlich um das Hellenentum von dem karthagischen Imperialismus zu ›befreien‹. Es zeigte sich jedoch, daß die Entstehung und später die Teilung des Alexanderreiches keineswegs den Untergang Karthagos herbeiführte, sondern der Stadt so etwas wie neues Leben gab. Wir haben ausgeführt, wie sich im Süden der Ägäis eine Großmacht gebildet hatte, die Ägypten, die Kyrenaika und zeitweilig zumindest einen Teil Syriens, und zwar gerade das Gebiet von Tyros, vereinte. Diesem vielleicht am wenigsten ›griechischen‹ von allen Königreichen, die aus den Kämpfen der Diadochen hervorgegangen waren, schließt Karthago sich ganz natürlich an. Die Gebiete des Ptolemaios grenzen in der Kyrenaika an die der Republik, und der syrische Handel ist ein Teil der Wirtschaft der Lagiden. Ptolemaios Soter, der erste der Lagiden, denkt daran, nachdem er praktisch unabhängig geworden ist, das Geldwesen seines Königreiches dem phönikischen Münzsystem anzupassen und es auf diese Weise von dem des übrigen makedonischen Reiches zu trennen. Alles spielt sich also ab, als ob die Handelsstraßen und die großen bisher von den Syrern unterhaltenen Tauschwege die wirtschaftliche Infrastruktur des neuen Königreiches gebildet hätten77. In diesem Augenblick beginnt nun Karthago, Münzen auszugeben, die dem ptolemaischen System entsprechen. Bis dahin beruhte der karthagische Handel ausschließlich auf Tausch, und die ungemünzten Edelmetalle stapelten sich barrenweise in den Schatzkammern der öffentlichen Hand wie der Privatleute78. Etwa zur selben Zeit schlug auch Agathokles Münzen vom ›ptolemaischen‹ Typ. So fanden sich die Karthager mit ihrer alten Feindin Syrakus als Teile desselben wirtschaftlichen Ganzen. Der

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ptolemäische Einfluß kam somit zu dem hinzu, den das sizilische Griechentum trotz der ständigen Kämpfe (und paradoxerweise zum Teil infolge dieser Kämpfe) seit langem auf Karthago ausübte. Man kann recht gut ahnen, wie die Interessen Karthagos und die der Ptolemäer einander ergänzen konnten. Während bestimmte asiatische Märkte in den Händen der rivalisierenden Königreiche waren, blieben die Reichtümer des Abendlandes den karthagischen Kaufleuten zugänglich und infolgedessen auch den Lagiden, wenn sie die ›Klienten‹ Karthagos wurden. Die Karthager waren auch unschätzbare Zwischenhändler für die Waren, die aus fernen Ländern stammten, die Erze, die im Durchgangshandel aus Spanien kamen, wie das Zinn aus Britannien oder das Gold des Senegal. Im Austausch lieferten die Alexandriner Karthago die Erzeugnisse des griechischen Gewebes, die dieser Stadt fehlten, wo die Handwerker nur minderwertige Gegenstände herstellten. Deshalb hat man auch bei den Ausgrabungen eine große Anzahl Gefäße alexandrinischen Musters in den punischen Nekropolen dieser Epoche zu Tage gefördert79.

 Abb. 4: Griechische Frauenstatue, gefunden in Karthago

Die Handelsbeziehungen zwischen Karthago und dem Orient beschränkten sich nicht auf Länder, die von den Lagiden beherrscht wurden. Seit Ende des 4. Jahrhunderts gab es einen proxenos der Karthager in Theben80. Wahrscheinlich

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importierten die punischen Kaufleute Purpurgewebe nach Boiotien (der Farbstoff wurde in den Stachelschnecken-Fischereien hergestellt, die es fast überall an den Küsten Afrikas gab) und wahrscheinlich auch Getreide, dessen Einfuhr für Griechenland, das sich nicht selbst zu ernähren vermochte, dringend notwendig war. In jener Zeit beginnt Karthago, die Rolle einer Agrargroßmacht zu spielen. Den Adelsfamilien ist es gelungen, große Güter im Landesinnern an sich zu bringen, die sie mit Hilfe der eingeborenen Arbeitskräfte bewirtschaften. Es wäre irrig, sich das Karthago des 3. Jahrhunderts als eine Stadt von Kaufleuten vorzustellen, die von Mauern eingeschlossen war und sich nur zum Meere hin öffnete. In Wirklichkeit war das Hinterland regelrecht ›kolonisiert‹, und es gab dort Wiesen, Weinberge, Getreidefelder und Olivenhaine. Karthago ernährte sich selbst und konnte den Überschuß seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse exportieren. Im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung sollte diese intensive gartenbauähnliche Bewirtschaftung des punischen Bodens großen Eindruck auf die Römer machen, die in der karthagischen Landwirtschaft eine gefährliche Rivalin sahen. Einer der berühmtesten antiken Agronomen, dessen Abhandlung von den lateinischen und griechischen Autoren am häufigsten benutzt worden ist, war der Karthager Magon. Von diesem Magon wissen wir nur, daß er vor der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. geschrieben hat. Sehr wahrscheinlich fällt seine Tätigkeit in das 3. Jahrhundert, und er berichtet über die wirtschaftlichen Gegebenheiten seines Vaterlandes. Vielleicht bezweckte sein Buch sogar den Fortschritt der punischen Landwirtschaft durch die Einführung der auf den großen Gütern des hellenistischen Asiens erprobten Methoden in Afrika81. Magon strebte eine Landwirtschaft im wesentlichen ›kapitalistischer‹ Art an, bei der der Betrieb dem Eigentümer einen möglichst hohen Profit erbringen soll und nicht, wie das bei der italischen und römischen Landwirtschaft der Fall war, dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt einer bäuerlichen Gesellschaft zu sichern, die mit dem Boden unmittelbar verbunden ist. So wirkten die neuen Wesenszüge des Handels und der in voller Blüte stehenden Landwirtschaft Karthagos zusammen, um die Stadt, wirtschaftlich gesehen, zu einer hellenistischen ›Großmacht‹ zu machen. Edelleute, wie Hannibal, besaßen auf dem Lande wahre Schlösser (sie hießen ›Burgen‹ ̟ύργοι), ähnlich denen, auf denen die großen Herren der hellenistischen Königreiche wohnten82, und zu jener Zeit waren sich die reichsten Karthager anscheinend bewußt, eine Aristokratie zu bilden, die ausersehen war, der Stadt ihren Willen aufzuzwingen, und die sich einfach über die Gesetze stellte. Die ›Verfassung‹ Karthagos ist uns nur sehr lückenhaft bekannt; was wir davon wissen, stammt im wesentlichen aus einer Stelle bei Aristoteles83 und aus dem, was wir aus Erwähnungen bei Historikern wie Polybios, Titus Livius oder Iustinus folgern können. Merkwürdigerweise ist diese Verfassung denen der griechischen Städte verwandt. Sie beruhte auf einem recht verwickelten System von Versammlungen, Räten und Behörden. Wie in Sparta waren die höchsten

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Beamten zwei ›Könige‹, die zweifellos vom 5. Jahrhundert an, zumindest im Innern der Stadt, ›Richter‹ wurden (schofetim, eine Bezeichnung, die zu sufetes latinisiert wurde), und die man für ein Jahr ernannte. Aber die Macht dieser Beamten wurde in der Praxis sehr stark durch die Tätigkeit eines Tribunals von 140 Mitgliedern (die ›Hundertvierzig‹) eingeschränkt, die durch eine Kommission von fünf Magistraten (Pentarchen), deren Funktionen wir nicht genau kennen, in den Senat gewählt wurden. Der Senat war, wie in allen antiken Städten, eine im wesentlichen aristokratische Versammlung aus den reichsten und damit bedeutendsten Familien einer Stadt, in der Vermögen und Geld als die wesentlichen Werte betrachtet wurden. Natürlich gab es auch eine Volksversammlung, aber sie spielte nur eine sehr beschränkte Rolle, denn die eigentliche Verwaltung lag bei den aus dem Adel kommenden Instanzen. Immerhin konnte diese Volksversammlung eingreifen, wenn der ›Adel‹ in kritischen Zeiten über eine bestimmte Entscheidung oder die Durchführung einer bestimmten Politik zu keinem Einvernehmen gelangte. Diese karthagische ›Plebs‹ scheint, wenn sie berufen war, sich zur höchsten entscheidenden Gewalt in der Stadt zu machen, sehr aufrührerisch gewesen zu sein und dem Adel gegenüber demagogische Neigungen bekundet zu haben. Bestimmte Amtspersonen konnten lange im Amte bleiben. Das galt in der Zeit, mit der wir uns befassen, besonders für die militärischen Führer. Wir sehen sie im Verlauf der gegen Sizilien und in Spanien geführten Feldzüge jahrelang als Befehlshaber der Heere und Flotten der Republik. Aber sie müssen stets mit einer. Anklage oder einer Abberufung rechnen, wenn ihre persönlichen Gegner im Rat der Hundertvierzig die Oberhand gewinnen. Und eine solche Abberufung bedeutet für sie den Tod, im allgemeinen den Tod am Kreuz. Manchmal war er durch das Ungeschick des Heerführers gerechtfertigt, manchmal durch begründete Vermutungen, daß er die Macht für sich anstrebte. Auf dem ganzen politischen Leben lastet eine Atmosphäre des Argwohns. Sämtliche Senatoren werden von einer Sorge gepeinigt: nicht zu dulden, daß einer von ihnen einen entscheidenden Einfluß ausübt. Eine ähnliche Sorge beherrscht um dieselbe Zeit das öffentliche Leben Roms, aber sie hat dort nicht so tragische Folgen. Vor den Bürgerkriegen gibt es kein Beispiel dafür, daß ein römischer imperator mit dem Tode bestraft wurde. Ein Prozeß, den seine Feinde gegen ihn anzettelten, stieß ihn in die Verbannung oder kostete ihn eine hohe Geldbuße und machte seiner Laufbahn ein Ende. Aber weder war sein Leben noch die Würde seiner Angehörigen in Gefahr. Man könnte sich auch vorstellen, daß in Rom Eifersüchteleien hinter der Sorge um das Gemeinwohl zurücktraten. Vielleicht lassen sich die modernen Historiker, wenn sie diese Auffassung vertreten, durch das Bild täuschen, das ihre Vorgänger in Rom selbst von ihrem Vaterlande im Goldnen Zeitalter der Republik zeichnen wollten. Immerhin steht fest, daß Rom niemals eine so grauenvolle Verschwörung erlebt hat wie die Hannos des Großen, des Dionysios-Besiegers, der den ganzen Senat von Karthago mit einem Schlag ermorden wollte, indem er ihn zur Hochzeit seiner

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Tochter einlud. Ein solcher Plan würde die Römer entsetzt haben, die ihn mit Recht als ›barbarisch‹ betrachtet haben würden, da er den ›Pakt‹ (foedus) verletzte, der die Bürger desselben Vaterlandes verbindet, das ›Vertrauen‹ (fides), das den Mitgliedern derselben politischen Versammlung zugebilligt werden muß, und außerdem das geheiligte Gastrecht. Was uns an dem Verhalten der Römer zur Zeit des Pyrrhos als ›ritterlich‹ erscheint, ist lediglich das Ergebnis dieser pietas, der Anerkennung moralischer Werte, die man als heilig und über allen andern stehend betrachtet, und die die Söhne des Aeneas zu ihrer Nationaltugend machten. Die Anekdote von Hanno, sein grausamer Plan, verdeutlicht vielleicht besser als diese oder jene Episode aus den Punischen Kriegen, die durch unsere lateinischen Quellen parteiisch ausgelegt worden sein mag, dieser Vorwurf der perfidia, den die Römer stets gegen Karthago erhoben haben. Es gab zwischen den beiden Völkern eine echte ›Unvereinbarkeit der Charaktere‹; sie bekannten sich nicht zu denselben moralischen Postulaten. Während in Rom die List an sich schon verdächtig ist und der große Gott Jupiter ist, der Herrscher des leuchtenden Himmels, ist in Karthago alles erlaubt, um die beiden höchsten Güter zu gewinnen: Macht und Geld. Dieser Unterschied des politischen Temperaments zeichnete sich auch in der Organisation der Macht in Karthago und in Rom ab. Für die Punier ist das Geld der eigentliche Ursprung der Macht. Die in ihrer Stadt aufgehäuften Schätze erlauben es, Flotten auszurüsten und Heere zu unterhalten, um neue Märkte zu erobern. Die Stadt lebt von den Tributen in Naturalien, die von den eingeborenen Untertanen im Landesinnern erhoben werden. Diese Tribute nehmen der Bevölkerung, die sie aufbringen muß, die Hälfte der Ernte, oft sogar noch mehr, wie wir von Polybios erfahren. Die phönikischen Kolonien Afrikas zahlten Karthago einen Tribut in Geld. Das alles füllte die Schatzkammern der Republik, die sich für ihre militärischen Unternehmungen lieber auf Söldnerheere stützte und auf Truppen, die man bei den unterworfenen Völkern ausgehoben hatte, als daß sie die eigenen Bürger zu den Waffen rief. In dieser Hinsicht waren die karthagischen Heere die Vorläufer der Heere der hellenistischen Könige, und nach der Entstehung der aus dem Alexanderreich hervorgegangenen Königreiche werden diese durch das Söldnerwesen der punischen Stadt noch ähnlicher. Dagegen besteht ein großer Unterschied zwischen den buntscheckigen Streitkräften Hannibals, die sich aus den Barbaren Spaniens und Afrikas wie aus den aus dem Orient kommenden Berufssoldaten rekrutierten, und denen, die ihm die Römer entgegenstellten, Legionen von Bürgern, die für ihr Vaterland kämpften, für ein religiöses und sittliches Ideal, das diesen Abenteurern und halbwilden Kriegern, die der Barkide in seinem Gefolge hatte, vollkommen fehlte. Unter diesen Umständen mochte sich Hannibal den großen Heerführern der hellenistischen Welt, Pyrrhos oder Demetrios Poliorketes oder König Philipp V. von Makedonien, den er als Bundesgenossen zu gewinnen bemüht sein wird, verwandter fühlen.

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Wenn die karthagischen Generale mehrere Siege auf einem Kriegsschauplatz außerhalb ihres Vaterlandes errungen hatten, wurden sie regelrechte ›Vizekönige‹, deren Verantwortlichkeit gegenüber der Zentralgewalt von Jahr zu Jahr an Bedeutung verlor. Nur im Falle einer Niederlage verfuhr der Senat von Karthago mit Strenge. Wir sehen ferner, wie sich im Laufe des 3. Jahrhunderts unter dem Einfluß einer Familie, der Barkiden, ein karthagisches Reich in Spanien bildet, das den hellenistischen Königreichen, die aus der Zerstückelung des Alexanderreiches hervorgegangen waren, ziemlich ähnlich ist. Das Ansehen eines Hamilkar, eines Hasdrubal, dann der unvergleichliche Aufstieg Hannibals bildeten den wahren Ursprung ihrer Macht. Von ihren Truppen auf den Schild gehoben und in gewisser Weise Gegenstand eines permanenten Plebiszits, unterschieden sie sich kaum von den großen makedonischen Heerführern, die von der Versammlung der Soldaten gewählt oder als Befehlshaber bestätigt wurden. Das Barkidenreich in Spanien war für die Republik zu wichtig; deswegen konnte man offensichtlich auch nichts unternehmen, um die Männer, von denen dieses Reich abhing und die von der einheimischen Bevölkerung sicherlich zu Königen gemacht worden waren, tatsächlich in die Gewalt zu bekommen. Auch auf der politischen Ebene führte also der hellenistische Einfluß zu einer tiefgreifenden Verwandlung der Überlieferungen Karthagos. Die antike Stadt wurde aus ihrem Reich davon überflutet, und dieses ähnelte mehr und mehr einem ›Königreich‹, das nur durch das Belieben der ›Vizekönige‹ provisorisch mit dem Mutterland verbunden war. Die Barkiden scheinen ›Patrioten‹ gewesen zu sein, und Hannibal hat unter anderem zweifellos geplant, Karthago die Herrschaft über die gesamte westliche Mittelmeerwelt zu verschaffen, aber welchen Platz hatte er bei diesen Vorstellungen der traditionellen Oligarchie vorbehalten? Die Barkiden stehen heute in dem Rufe, ›Demokraten‹ gewesen zu sein. Hannibal würde sich als Sieger sicherlich auf das Volk gestützt haben, zum Nachteil des Adels, denn als Besiegter beschränkt er die Macht der Hundertvierzig, indem er sie nur noch jährlich zusammentreten läßt84. Im neuen Karthago zeichnete sich bereits der politische Aufstieg nicht nur der städtischen Plebs ab, sondern auch der einheimischen Völker, jener Libyer, die zur Zeit des Agathokles begeistert die Partei des Eindringlings ergriffen, sich am Ende aber wieder auf die Seite der Republik gestellt hatten und durch ihre Soldaten zur Eroberung des Reiches beitrugen. Selbst in der Zeit, als die Stadt ihre politischen und moralischen Traditionen am strengsten wahrte, verschloß sie sich Fremden keineswegs. Für eine Stadt von Kaufleuten wäre das undenkbar gewesen. Vergebens kämpfte Karthago in Sizilien gegen das Griechentum; auf karthagischem Gebiet selbst gab es eine recht volkreiche Kolonie von Griechen, die dort frei lebten und Handel trieben. Und aus ihren Reihen wählte man die Priester für einen neuen, nach 396 aus Sizilien eingeführten Kult, um die in der Nähe von Syrakus begangenen Tempelschändungen zu ›sühnen‹; die karthagische Armee Himilkons hatte ein

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Heiligtum der Demeter und der Köre, der beiden großen Göttinnen des sizilischen Hellenentums, geplündert. Diese neue Religion hatte in kurzer Zeit sehr weite Verbreitung gefunden und auf afrikanischem Boden Wurzel geschlagen85. Mehr noch als in Karthago selbst verbreitete sich der Kult der ›beiden Göttinnen‹, in deren Obhut die Geburt und das Wachstum des Getreides standen, unter der numidischen Bevölkerung, wo anscheinend unter seinem Deckmantel uralte Bräuche, die mit der Anregung der Fruchtbarkeit zusammenhingen, betrieben wurden. Mit den Göttinnen von Syrakus drang auch ein regelrechter Mystizismus ein; er verband sich mit den Glaubensvorstellungen, die von den berühmten Eleusinischen Mysterien ausgingen. Es ist außerordentlich bezeichnend, daß man in punischen Gräbern des 3. Jahrhunderts Statuetten der Demeter und ihrer Tochter gefunden hat. Das beweist unbestreitbar, daß die Karthager oder wenigstens manche Karthager für eine Jenseits-Hoffnung aufgeschlossen waren, die sich mit ihrer ›Staatsreligion‹ nicht vertrug86. Wir haben hier schon die ›Heilsidee‹, die aus der semitischen Tradition in das düstere System eindringt. Gleichzeitig verlieren die Riten selber ihre Grausamkeit. Die Opferung der erstgeborenen Kinder, das gräßliche Überbleibsel einer uralten Zauberhandlung, die von den Phönikern, die Karthago gründeten, mitgebracht worden war, wird allmählich weniger bereitwillig vollzogen. Die Ausgrabungen beweisen, daß seit dem 4. Jahrhundert die unglücklichen Kinder durch Tieropfer ersetzt wurden. Man schritt zwar, als die Invasion des Agathokles vorübergehend den Bestand des Vaterlandes selbst bedrohte, zu einer ungeheueren Kindermetzelei87. Unter dem Einfluß des Fanatismus scheint damals in der Stadt eine regelrechte religiöse Schreckensherrschaft bestanden zu haben. Man entdeckte (oder tat so, als ob man es gerade entdeckt habe), daß die adligen Kinder, die früher hätten geopfert werden sollen, den Göttern nicht wirklich geopfert worden waren, sondern daß ihre Eltern sie gerettet und gegen Neugeborene ausgetauscht hatten, die sie armen Leuten abkauften. Die Schuldigen machten diese »Schuld« eilends wieder gut; »zweihundert Kinder adliger Familien wurden öffentlich geopfert«, berichtet Diodor, »und viele andere, die verdächtigt wurden, in ihrer Jugend zu Unrecht verschont worden zu sein, warfen sich freiwillig in den Scheiterhaufen des Sühnefeuers. Ihre Zahl war nicht geringer als dreihundert.« Eben der Exzeß dieser Krise eines barbarischen Mystizismus beweist uns, daß diese Riten in der Stadt nicht mehr gebräuchlich waren. So erleben wir auch, daß in Rom nach der Schlacht von Cannae Menschenopfer dargebracht werden, die längst nicht mehr üblich waren88. Und man hat durchaus mit Recht bemerkt, daß die Niederlagen, die für Karthago das Ende des Zweiten Punischen Krieges ankündigten, keinen Anlaß zu Vorgängen gaben, die mit jenen vergleichbar gewesen wären, die hundert Jahre zuvor die Stadt in Blut getaucht hatten89. Die Griechen hatten den großen karthagischen Gott Baal Ammon mit ihrem eigenen Kronos gleichgesetzt, dem Gott, der seine Kinder verschlang. Diese Gleichsetzung stellt die überlieferte punische Religion an ihren wahren Platz,

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den einer archaischen Religion, die Götter anbetet, welche in Griechenland bereits durch eine neue Göttergeneration entthront sind. Die Entwicklung der Beziehungen aller Art zwischen den Puniern und den hellenistischen Ländern übte auch ihren Einfluß auf die Theologie selber aus. Die Gottheiten sind in einer antiken Stadt ja nicht nur Gegenstand eines ›internen‹ Kults, sondern haben auch eine internationale Funktion. An sie wendet man sich, wenn Verträge garantiert werden sollen. Hinter dem Pantheon, das einer Stadt zu eigen ist, bleibt die Existenz eines anderen, allgemeineren Pantheons erkennbar, dessen Ausdeutung die Ortsgötter lediglich sind. Damit sie auf diese Weise ›austauschbar‹ werden, wirken die Götter und Göttinnen aufeinander, von Land zu Land. Die ersten Assimilationen, die man versucht, sind noch ungenau; dann werden sie, je mehr Aufnahme sie finden, immer beständiger, und die Götterpersönlichkeiten werden verändert. So hatten die griechischen Götter zu Beginn der hellenistischen Epoche eine lange Entwicklung hinter sich, durch die sie sich von ihrem Ursprung weit entfernt hatten. Sie waren mit einem ganzen moralischen Symbolismus belastet, der ihrer ältesten Form sicherlich fremd war. Als Verkörperungen des hellenistischen Ideals importierten sie dieses wie aus einem Guß mitten in die punische Stadt. Für diese Erscheinung, die sich zwar abzeichnet, deren Erkenntnis im einzelnen aber schwer greifbar ist, besitzen wir einige Zeugnisse, die manchmal die Historiker aus dem Konzept gebracht haben. So wundert man sich darüber, daß Baal Ammon manchmal mit Kronos und manchmal mit Zeus gleichgesetzt wird. Aber das ist ganz natürlich, wenn man bedenkt, daß der alte blutdürstige Tyrann des karthagischen Pantheons selber im Laufe der Jahre sein Wesen gewandelt und sein ›Kronos-Charakter‹ als Kinderverschlinger einer neuen Persönlichkeit Platz gemacht hat, die der des klassischen Zeus’, des Königs und Beschützers der Städte, bedeutend näher steht. So mußten die Karthager, ebenso wie sie gezwungen gewesen waren, das Geldsystem der Lagiden zu übernehmen, sich auch damit abfinden, daß ihr antikes Pantheon sich dem näherte, das der neuen geistigen Gemeinschaft vorstand, die im östlichen Mittelmeergebiet herrschte. Doch die Götter waren nicht nur Mächte, die über die internationalen Beziehungen und die Riten des Staates wachten, sie waren auch Gegenstand einer privaten Frömmigkeit. Demeter und Köre hatten, wie wir uns erinnern, dazu beigetragen, den Gedanken eines Heils nach dem Tode in Karthago heimisch zu machen. Neben den beiden eleusinischen Göttinnen beansprucht hier Dionysos, der in der Begräbnissymbolik der punischen Gräber ebenfalls auftaucht, einen Platz. Die dionysische Religion erlebte in der hellenistischen Zeit eine plötzliche und beträchtliche Ausdehnung90, besonders in Alexandrien. Wir wissen, daß Italien von dem heiligen Furor der Bacchanten ›angesteckt‹ wurde. Aus einer ganzen Reihe von Monumenten dürfen wir schließen, daß Karthago von dieser Bewegung nicht verschont blieb. Wahrscheinlich ist Dionysos durch eine spielerische Assimilation mit einer Nationalgottheit, dem ›Gottkind‹

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Shadrapa, in die punische Stadt eingedrungen, der wiederum seine Herkunft von Shed, einem kanaanäischen ›Heiler‹ ableitet91, und wahrscheinlich diente Ägypten als Zwischenglied, das diese synkretische Assimilation erleichterte, jenes Ägypten, wo man begann, Dionysos Serapis offiziell zu verehren. Dionysos, der Gott der Wiederauferstehung, der göttlichen Trunkenheit, der Ekstase, der Gott, der die Seelen aus der Fassung bringt und sie in den Überschwang der Thyasis, der Musik, des heiligen Tanzes mitreißt. Wenn wir nicht auf karthagischen Stelen Abbildungen des mystischen Mischkrugs sehen würden, des Symbols dionysischen ›Heiles‹, wenn wir nicht wüßten, daß es in manchen Gräbern Darstellungen und Gegenstände gibt, die unzweifelhaft dionysisch sind92, würden wir nicht glauben wollen, daß die Punier für dieses stürmische Ideal empfänglich gewesen sind. Römische Strenge hat es – wenigstens zeitweilig – abgelehnt, aber im Orient hat es lange eine außergewöhnliche Anziehungskraft ausgeübt. Und das erklärt auch, warum dionysische Themen sich noch lange nach dem Fall Karthagos in Afrika gehalten haben. Indessen war die Gegenwart des Dionysos in Karthago nicht mit der Tätigkeit verbunden, die in Griechenland das eigentliche Reich des Gottes war. Die Punier kannten kein Theater. Das Theater von Karthago wurde nur in der Römerstadt gebaut. Vielleicht würde Karthago, wenn es länger bestanden hätte, am Ende die dramatischen Darbietungen, die um die Mitte des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung nach Rom importiert wurden und die jeder griechische Bürger als festen Bestandteil der paideia, der menschlichen Kultur, betrachtete, ebenfalls aufgenommen haben. Die einzigen Massenkundgebungen, auf denen die Festesfreude und die Gemeinschaft des gesamten Volkes zum Ausdruck kam, waren in Karthago von reichen Privatleuten gestiftete und öffentlich begangene Festmähler. Aber diese Festmähler, die von den Griechen mit den spartanischen Syssitien verglichen wurden, stärkten weder Herz noch Geist. Man begreift, daß diese Kultur, die trotz des hellenistischen Einflusses unmenschlich geblieben war und gegen den Reiz der Schönheit aufbegehrte, soweit diese nicht die Form des prahlerischsten Luxus annahm, Plutarch zu einem ebenso strengen wie berühmten Urteil Anlaß gegeben hat: »Der Charakter (der Karthager) ist schwermütig und düster; sie kriechen vor den Obrigkeiten und sind hart gegen ihre Untergebenen. Unbeständig in Gefahren, lassen sie sich im Zorn maßlos hinreißen, beharren auf einer Sache, die sie einmal entschieden haben, und weisen auf unmenschliche Art alles von sich, was reizvoll und schön ist.«93 Mochten die Punier auch gewisse technische Verfahren oder sogar gewisse Formen des Glaubens übernehmen, die aus der hellenistischen Welt kamen, sie wurden von den Griechen niemals als ›Brudervolk‹ betrachtet – im Gegensatz zu der späteren Entwicklung in Rom.

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Das also war Karthago zu Beginn jenes Jahrhunderts, in dem zwischen ihm und dem furchtbaren Rom der endlose Kampf der Punischen Kriege ausbrechen sollte. Die ersten Schritte der römischen Macht Die Beziehungen zwischen Rom und den griechischen Siedlern in Süditalien und Sizilien haben wenig mit der Geschichte der blutigen Kämpfe gemeinsam, die gegen Karthago und das Griechentum geführt worden waren und, nachdem Rom sich erst einmal in Syrakus festgesetzt hatte, erst im Verlauf des Zweiten Punischen Krieges (218–201) ein Ende fanden. Ohne Zweifel waren diese Beziehungen nicht immer friedlicher Art, und Syrakus ergab sich erst nach einer langen, grausamen Belagerung, aber niemals gab es zwischen beiden Parteien jene vollkommene Unversöhnlichkeit, ja, diesen Haß, wie er zwischen den Griechen Siziliens und ihren punischen Gegnern bestand. Der Karthager erscheint als Fremder. Der Römer, selbst wenn man ihn als Barbaren einstuft, bleibt irgendwie ein ›Verwandter‹. Es läßt sich sehr schwer sagen, welche Vorstellungen im einzelnen die griechischen Historiker sich von Rom machten, nachdem die Stadt in ihrem Blickfeld aufgetaucht war. Die Fragmente, die wir besitzen, geben uns nur unsichere Zeugnisse, bei denen man den Zeitpunkt und mitunter auch die Zuordnung in Zweifel ziehen darf94, aber dennoch ist sicher, daß Rom, mindestens seit der Zeit des Aristoteles, und zweifellos schon viel früher, mit der homerischen Überlieferung verknüpft ist und, genauer gesagt, mit einer Episode aus der ›Heimkehr‹95. Ein Wortspiel erleichtert die Annäherung; man erfindet eine Heldin Rhome (griechisch die ›Siegreiche‹), deren Name der neuen Stadt beigegeben worden sei96. Aber die alten Historiker scheinen sich nicht einmal darüber geeinigt zu haben, ob diese Gründerin Roms – oder vielmehr diese namengebende Heldin – eine Griechin oder eine Trojanerin gewesen ist. War nicht Andromache mit dem hellenistischen Namen eine Asiatin? Zwei verschiedene Überlieferungen scheinen von nun an nebeneinander zu stehen: eine, nach der Rom eine achaiische Kolonie ist, die andere, die eine trojanische daraus macht. Dieser Zwiespalt der Traditionen, den überbrücken zu wollen vergebliche Liebesmüh wäre, findet sich später in der Aeneis wieder, wo der Dichter sorgfältig zwei aufeinander folgende Besetzungen der Stelle des heutigen Roms unterscheidet, eine erste Ansiedlung auf dem Palatin durch die Arkader des Euandros und danach die ›lateinische‹ Gründung, die das Werk des Romulus war, in dem sich das trojanische Blut seines Ahnen Äneas mit dem Blut der eingeborenem Könige vereinte, deren letzter Latinus gewesen war97. Gewiß, Rom steht in dieser Hinsicht nicht allein. Nach sehr hartnäckigen Überlieferungen hat Italien seit der Heldenzeit Einwanderer aus dem Osten aufgenommen, die man mit den Helden des Krieges gegen Troja in Verbindung brachte – sei es, daß man versprengte achaiische Krieger aus ihnen machte, sei es, daß man trojanische Verbannte in ihnen sehen wollte. In Wirklichkeit ist der

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Unterschied zwischen den beiden Auffassungen nicht so groß, wie wir heute gerne glauben. In epischer Hinsicht sind Trojaner und Achaier verwandt. Sie gehören zu derselben Welt, es bestehen zwischen ihnen Bande der Verwandtschaft, der Gastfreundschaft, ja, unklar sogar das Gefühl einer gemeinsamen Abkunft. Möglicherweise muß man diese Legenden über eine ›Heroen-Einwanderung‹ in Italien, sei es eine phrygische oder eine achaiische, mit realen geschichtlichen Tatsachen in Verbindung bringen, deren geduldige Rekonstruktion kürzlich unternommen worden ist98: Unleugbar haben sich gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. Wanderungsströme vom Orient zum Okzident abgezeichnet. Das wird durch zahlreiche übereinstimmende archäologische Funde klar bewiesen99. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, daß die Legende von der trojanischen Gründung Roms eine historische Wahrheit wiedergibt. Sicher ist jedenfalls, daß die Gestalt des Aeneas in der etruskischen Welt des ausgehenden 6. Jahrhunderts v. Chr. populär war und daß er als das Musterbild des ›frommen‹ Helden galt100. Alles das läßt uns glauben, daß die Idee einer trojanischen Herkunft der Stadt weniger dem latinischen als dem etruskischen Rom gilt, das, wie wir sehen werden, im Laufe des 6. Jahrhunderts v. Chr. das erste Rom überlagerte. Als ›griechische‹ Stadt und, genauer gesagt, arkadische, als ›trojanische‹ Stadt und auch als ›latinische‹, das heißt als bodenständige und italische, ist Rom berufen, allen Einflüssen offenzustehen, die sich im Mittelmeerraum begegneten; es ist dazu bestimmt, jene Synthese der Zivilisationen und Kulturen zu verwirklichen, die am Ende Roms Eigentümlichkeit bilden wird. Rom gehört durch seine Sprache, die Sprache Latiums, zu den ›Indoeuropäern‹. Die Latiner erscheinen uns heute als ein Zweig, der zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt von der Sprachgemeinschaft, die wir die ›indoeuropäische‹ nennen, abgetrennt worden ist. Sie bilden im historischen Italien eine kleine, von anderen Völkern umgebene Insel, Völkern, die größtenteils ebenfalls Indoeuropäer sind, aber erst in jüngerer Zeit auf die Apenninen-Halbinsel einwanderten, und die man ›osco-umbrisch‹ nennt. Die Latiner waren nicht die einzigen, die zu der ältesten Welle ›arischer‹ Einwanderer gehörten. Man bringt sie in dieser Hinsicht im allgemeinen mit den Sikulern in Verbindung, die, als sie in unserem Gesichtskreis auftauchen, im Innern Siziliens ansässig sind. Es besteht auch eine Verwandtschaft zu den Venetern, deren Sprache uns sehr wenig bekannt ist, aber dank einer Anzahl kürzlich entdeckter Inschriften uns sichtbar zu werden beginnt101. Den Latinern verwandt, zumindest ihrem Ursprung nach, müssen auch die Leute von Falerii (die Falisker) gewesen sein, die stärker etruskisiert worden sind als die Römer. Aber die Angaben, die wir aus der sprachlichen Analyse gewinnen, decken sich schlecht mit denen, die wir aus den archäologischen Funden ableiten können. Wir wissen nicht genau, an welchen linguistischen Stand wir die ›Villanovakultur‹, die zu Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. fast ganz Nord- und Mittelitalien umfaßte, in ihrer Gesamtheit anknüpfen sollen. Das typische

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Villanova-Beinhaus mit seiner bikonischen Form findet man von der Po-Ebene bis hinunter nach Latium, und es steht fest, daß die ältesten Gräber, die auf römischem Boden gefunden wurden, im sepolcretum des Forums102, zur selben Gruppe gehören. Die Villanova-Menschen waren ›Feuerbestatter‹, aber es gab in Italien seit fernsten Zeiten ›Erdbestatter‹. Dieser Unterschied in den Bestattungsriten entspricht sicherlich zuweilen rassischen Unterschieden, aber wir wissen, daß die Römer in der geschichtlichen Epoche beide Riten anwandten; jede Familie wahrte ihre Tradition, und derselbe archaische Friedhof auf dem Forum enthielt neben Urnen der Feuerbestatter Sarkophage der Erdbestatter. Ganz offensichtlich genügt die Betrachtung der Bestattungsriten allein ebensowenig wie die der Ausstattung der Gräber, um eine ›Kultur‹, geschweige eine ›Rasse‹ zu definieren. Wir müssen uns peinlich vor jeder Extrapolation hüten: Die Übereinstimmung der Bräuche ist kein stärkerer Beweis für eine Übereinstimmung der Sprachen und Institutionen als ihre Verschiedenheit die kulturelle Ungleichartigkeit der sozialen Gruppe beweist, bei der wir ihr begegnen.

 Abb. 5: Etrusker

So lassen die Ausgrabungsfunde eine absolute Kontinuität zwischen der Villanovakultur und dem Beginn der etruskischen Kultur erkennen. Die bikonischen Urnengräber tauchen an allen Stellen auf, wo etruskische Städte

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gestanden haben müssen. Dennoch scheint es ziemlich sicher, daß die Etrusker nicht mit den ›Villanova-Menschen‹ gleichgesetzt werden können. Sie bilden, wenn auch vielleicht kein eigentliches Volk, doch zumindest eine eigene kulturelle Gemeinschaft, die, was auch früher darüber gesagt worden sein mag, nicht schon von Einwanderern, die aus dem Norden über die Alpen kamen, als ausgeprägtes Gebilde nach Italien gebracht worden sein wird. Das ›etruskische Volk‹, das uns die römischen Geschichtsschreiber schildern, ist zweifellos das Ergebnis einer Synthese sehr verschiedener Elemente, bei der italische Völker aus der Zeit vor den Invasionen indoeuropäischer Einwanderer, ›VillanovaMenschen‹, die man mit gutem Grund für ›Arier‹ halten darf, und zweifellos Einwanderer aus dem Orient (vielleicht aus Lydien) bestrebt gewesen waren, eine eigenständige Kulturgemeinschaft zu schaffen. Die Orientalen setzten ihre Sprache durch, das Etruskische, das sie mit Schriftzeichen des archaiischen griechischen Alphabets aufzuzeichnen gelernt hatten, und das die Gelehrten, trotz ihrer Anstrengungen, bis zum heutigen Tag nur sehr unvollkommen entziffern. Sie bahnten auch kulturelle Beziehungen mit Asien an und schufen so im Laufe des 8. Jahrhunderts v. Chr. eine orientalisierende Kultur, die sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte immer stärker hellenisiert. Das etruskische Kernland war die Toskana. Aber nach und nach gründeten die Etrusker auch Städte im Innern der Halbinsel. Sie durchquerten die Apenninen durch die Täler, die ihnen verhältnismäßig bequeme Durchgangsstraßen boten, wie das Renotal, wo sie sich in der Gegend von Bologna niederließen (Bologna, ein alter villanovischer Flecken, wurde zu der etruskischen Stadt Felsina), und streckten ihre Fühler sogar bis an die Alpen aus. Gleichzeitig erfaßte die halb kulturelle, halb politische etruskische Durchdringung die südlich des Tibers gelegenen Gebiete und erstreckte sich bis nach Kampanien, wo sie auf die griechischen Kolonien traf. Vor der großen Periode der etruskischen Expansion und zweifellos um die Zeit, als die Kultur dieses Volkes, das die Griechen ›Tyrhener‹ nannten, in der Bildung begriffen war, entstand Rom. Es ist wenig wahrscheinlich, daß die voretruskischen Völker Italiens den Begriff der Stadt gekannt haben. Die italischen Völker osco-umbrischer Kultur erwarben ihn erst spät und lernten ihn teils durch die Etrusker und die Römer, teils durch die griechischen Siedler im Süden kennen. Man darf annehmen, daß die große ›latinische‹ Nekropole auf dem Hügel von Alba103 nicht die Existenz einer früheren (um das 9. Jahrhundert v. Chr.) albanischen Stadt voraussetzt; die Stadt Alba, von der uns die römischen Historiker erzählen, ist zweifellos nur eine jüngere Erfindung aus einer Zeit, da die Stadt, wenigstens in Latium, überall an die Stelle der Stammesorganisation getreten war. Es ist nicht einmal sicher, daß die erste Besetzung des römischen Bodens durch latinische Siedler, die vermutlich aus der Albaner Gegend gekommen sind, eine wirkliche Gründung darstellte, wie die römische Tradition es will. Die Siedler, die sich auf dem Palatin niederließen, wo moderne Ausgrabungen die Spur ihrer Wohnstätten wiedergefunden haben, waren noch kaum seßhafte Hirten, die dort eine

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bequeme Zuflucht gefunden hatten, oberhalb des durch die häufigen Überschwemmungen des Tibers genährten Sumpflandes und mit der übrigen latinischen Hochebene durch eine schmale, leicht zu sperrende Landzunge verbunden. Das Dorf auf dem Palatin war eine der vielen latinischen Niederlassungen zwischen dem Meer, den Hügeln, die im Osten die letzten Ausläufer der Apenninen sind, und dem Tiberlauf. Diese verstreuten Dörfer blieben miteinander verbunden. Sie verehrten alle den großen Gott Latiums, Jupiter Latinus, der auf dem höchsten Gipfel des Landes, dem heutigen Monte Cavo (Mons Albanus) thronte. Alba war die gemeinsame Hauptstadt und führte den Vorsitz im latinischen Bund104.

 Abb. 6: Apollon von Veji

Die älteste politische Organisation dieses Volkes der ›Proto-Latiner‹ können wir nur sehr hypothetisch rekonstruieren. Von ihnen konnte man sicherlich gewisse sehr archaische Institutionen, die man in der Regel auf die Zeit zurückführt, als die Vorfahren der Latiner in der primitiven indoeuropäischen Gemeinschaft lebten, bewahren und später auf den römischen Staat übertragen. Diese Einrichtungen sind meist religiöser Art, dazu gehört zweifellos das Königtum – nicht das Königtum, dem wir in Rom selbst zur Zeit seines Höhepunktes im 6. Jahrhundert begegnen werden, sondern ein im wesentlichen priesterliches Königtum, vor dem etruskischen Einfluß, das unter der Republik

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fortdauern sollte, nachdem die königliche ›Magistratur‹, die ihrerseits etruskischen Ursprungs war, ihres politischen Charakters entkleidet worden war105. Sehr wahrscheinlich hat also jede dieser kleinen latinischen Gemeinschaften ihren König gehabt, der Priester, Zauberer, Deuter und Manipulator der Vorzeichen war, und natürlich auch Heerführer, wenn man in so begrenzten Gemeinwesen überhaupt von Heeren sprechen kann. Auf der Rangleiter des Bundes gab es vermutlich einen Beamten auf Zeit, den man vielleicht als Diktator bezeichnete und der die Aufgabe hatte, die Einheitlichkeit des Handelns beim ›Volke‹ der Latiner zu wahren und zu sichern. Aber wahrscheinlich griff dieser Diktator nur unter außergewöhnlichen Umständen ein. Der wirkliche Rahmen des politischen Lebens dürfte die ›Sippe‹, die gens, gewesen sein, in der der pater familias allmächtig war. Und so stellten sich die ›altertümelnden‹ Dichter der augusteischen Zeit die älteste Gesellschaft Roms vor: einen König, dem ein Rat der patres zur Seite stand, die in Hammelfelle gekleidet waren und ihre Beratungen auf einer Wiese abhielten106. In der Sippe ist der pater oberster Richter, unumschränkter Herr über Freiheit, Leben und Güter aller, und lange behielt er noch im klassischen Rom diese maßlose Gewalt. Die Stammesorganisation ist ein so wesentlicher Bestandteil des römischen Soziallebens, daß man später, nachdem erst einmal fremde Elemente Teil dessen sind, was zur Stadt geworden ist, eine sehr deutliche Neigung feststellen wird, sie wohl oder übel in diesen Rahmen zu bringen, der nicht für sie geschaffen war. Neben den Häuptern der alten Familien wird es Zusatz-patres, assimilierte patres geben, und jede Familie wird außerdem ihre ›Klienten‹ haben, die in mancherlei Hinsicht als ›Ehrenmitglieder‹ der gens betrachtet werden und den eigentlichen Mitgliedern gleichgestellt sind. Ihr ›Patron‹ wird ihr Rechtsvertreter, ihr Verteidiger. Nach nationaler Überlieferung ist die Stadt Rom auf dem Palatin von Romulus mit Hilfe seines Bruders Remus gegründet worden, die beide dem Geschlecht der Könige von Alba entsprossen. Romulus soll mit einem Pflug die Furche gezogen haben, die das pomerium der künftigen Stadt abgrenzte, und dieses Gebiet soll die Form eines Quadrats oder zumindest eines Vierecks gehabt haben, das man Roma quadrata nannte. Aber über Lage und Ausdehnung dieser Romulus-Stadt gehen die Traditionen weit auseinander: Bald beschränkt man sie ausschließlich auf den Palatin, bald bezieht man Kapitol und Forum ein. Heute gilt es als wenig wahrscheinlich, daß es sich um eine wirkliche Stadt gehandelt habe, die zum Kern der urbs geworden sei. Tatsächlich entdeckte man schon früh, daß an der Stelle des künftigen Roms mehrere Dörfer gleichzeitig vorhanden gewesen sind. Das Dorf auf dem Palatin ist das bekannteste, aber es ist nicht das einzige, und heute kann man nicht einmal, wie das früher der Fall gewesen ist, annehmen, es sei eine Wohnstätte gewesen, von der die Toten ausgeschlossen waren, wodurch es dem klassischen Rom ähnlich geworden wäre, da man annehmen durfte, es sei von einem pomerium umgeben gewesen, in dessen Innerem, wie es in der geschichtlichen Epoche die Regel war, eine

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Bestattung untersagt war. Diese Hypothese, die nach den Ausgrabungen von Boni, der auf dem Forum den Friedhof der ›Palatinischen Stadt‹ gefunden zu haben glaubte107, lange anerkannt worden war, hat keine Gültigkeit mehr, nachdem man auf dem Palatin selbst Gräber neben den Behausungen entdeckt hat108. Die geduldig analysierten Ausgrabungsergebnisse109 zeigen, daß der Boden Roms vielleicht seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. von latinischen ›Feuerbestattern‹ bewohnt gewesen ist und, vielleicht gleichzeitig, von anderen Feuerbestattern, die als ›Sabiner‹ bezeichnet werden, und die nicht mehr aus dem Küstenstrich südlich der Tibermündung gekommen sind, sondern von den entferntesten Abhängen des Apennin und zur Sprachgruppe der Osco-Umbrer gehörten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß einige zahlenmäßig schwächere Kerne von Bevölkerungen, die vor der Ankunft der indoeuropäischen Ansiedler an dieser Stelle seßhaft gewesen sind, sich lange gehalten haben. Die menschlichen Behausungen, die ›Hütten‹, bedeckten nach und nach die verschiedenen Hügel, die Abhänge des Palatins in Richtung auf das Forum, die der Velia, die den Palatin zum Esquilin hin verlängerte, die Höhen des Fagutal, des Querquetual und des Viminal. Allgemein ist man sich einig, daß die Hütten auf dem Quirinal von Sabinern bewohnt waren, während der Süden des Forums vorwiegend der Bereich der Latiner gewesen sei. Natürlich sind solche Rekonstruktionen sehr hypothetisch und stellen nur Schemata dar, um die wenigen bekannten Tatsachen – so gut es geht – einzuordnen. Lange häuften sich die Begräbnisstätten in den tiefer gelegenen Teilen, auf dem Forum und am Fuße der Velia. Dann kam eine Zeit, in der die Behausungen der Lebenden die Gräber wieder bedeckten und man die Bestattungen auf dem Forum einstellte. Das geschah zu Anfang des 7. Jahrhunderts. Hundert Jahre später, gegen 575, erhielt das Forum seine erste Pflasterung, und diese Tatsache hat man als den eigentlichen ›Geburtsakt‹ der Stadt auslegen wollen110. In Wirklichkeit könnte eine Ausgrabungsschicht, ein Faktum rein archäologischer Art, gar kein unbestreitbares Zeugnis für eine so komplexe Erscheinung wie die Entstehung einer Stadt ablegen. Eine Stadt – und besonders die urbs, eine heilige Wesenheit – läßt sich nicht auf die materielle Realität einer Anhäufung der Häuser, aus denen sie besteht, zurückführen. Sie ist eine rechtliche Schöpfung, deren Existenz nur mittelbar erfaßt werden kann, da kein Text, kein eingehendes Zeugnis uns darüber Auskunft geben. Die ›geistige‹ Existenz Roms ist offensichtlich nicht zu trennen von der Besetzung des Forums und seiner Verwendung für die großen sozialen, religiösen und politischen Betätigungen, die zum Leben der Stadt gehören. Erinnerungen an ein palatinisches ›Forum‹ sind uns nicht überliefert. Vor der Stadt hat es vielleicht zwischen den Dörfern eine Art Bund gegeben, ähnlich dem, der alle Latiner um das Heiligtum von Alba scharte. Eine Spur dieser begrenzten, örtlichen Liga hätten wir in dem recht mysteriösen Septimontium-Fest, das noch in der klassischen Zeit am 11. Dezember gefeiert wurde111. Die in diesen Bund

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eingeschlossenen latinischen Dörfer lagen sämtlich im Osten und Süden des Forums. Sie besaßen keine topographische Einheit und hätten zu keiner Zeit ein oppidum bilden können. Das Forum dagegen ist ein geographischer Mittelpunkt, zu dem die Täler und die Hänge der Hügel hinstreben. Es erfüllt alle notwendigen Voraussetzungen, um einen allgemeinen Versammlungsort zu bilden. Man hat seit langem bemerkt, daß sich in der Ausrichtung des Forums und der beiden Straßen, die es überqueren, Merkmale wiederfinden, die von den Römern für jede Stadtgründung als unabdingbar erachtet wurden: Nord-Süd-Richtung der Achsenstraße (cardo), Ost-West-Richtung der Hauptstraße (decumanus), Einfügung von Toren (Durchlaßstellen, die eher religiösen Wert hatten, als daß sie Tore in der Stadtmauer waren) in den vier Himmelsrichtungen, Zusammenballung der bedeutendsten Tempel der Stadtreligion, besonders des gemeinsamen ›Herdfeuers‹ der Vesta und der Wohnung des Königs (der noch als Priester gedacht ist), die noch heute existiert (regia). All das läßt vermuten, daß die ›Stadt‹ Rom erst mit der Besetzung des Forums als Gemeinwesen errichtet worden ist112.

 Abb. 7: Rom

Das kann vor der Herstellung eines Pflasters aus Steinplatten geschehen sein; über die näheren Umstände dessen, was man wohl die ›Gründung‹ Roms

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nennen kann, tappen wir fast völlig im Dunkeln. Gewisse Zeichen lassen vermuten, daß dieses Ereignis durch die Aktion der Etrusker ausgelöst worden ist, besonders die Richtung der städtischen Achsen und zweifellos auch die eigentliche Idee eines städtischen Gemeinwesens, das den Grund und Boden der Stadt unlöslich mit den geheiligten und politischen Einrichtungen verknüpft, die sein Wesen ausmachen. Es ist aber schwer zu entscheiden, ob diese Aktion sich von außen her vollzog, oder ob ihr eine militärische Eroberung vorausgegangen war. Die Tatsache einer politischen Herrschaft der Etrusker in Rom ist nicht zu leugnen; sie wird von den römischen Geschichtsschreibern selbst zugegeben, die die Dynastie der Tarquinier als etruskisch bezeichnen. Rom erlebte im 6. Jahrhundert – wie der größte Teil Mittelitaliens – eine etruskische Phase, und möglicherweise verdankt es diesem historischen ›Zufall‹ sogar seine Existenz als civitas. Die römische Überlieferung schreibt die Gründung der Stadt bekanntlich Romulus zu. Aber bald, nach dem Krieg, in dem die Bewohner der jungen Stadt den Sabinern gegenüberstanden, deren Töchter sie geraubt hatten, mußte Romulus seine Macht mit der des Sabiners Titus Tatius verbinden. Tatius starb ziemlich rasch, und Romulus wurde seinem Volke durch die Götter entrissen, die ihn unter dem Namen Quirinus zu einem der ihren machten. Auf diesen Zeitpunkt verlegt Titus Livius, unsere Hauptquelle, eine regelrechte Rechtskomödie, die sich zwischen dem Volk und den patres abspielt und um die Feststellung geht, wem das Recht zusteht, den neuen König zu benennen. Kraft vorgetäuschter Großmut erreichten es die Väter, daß sie die Wahl des Volkes bestätigten, und am Ende vertraute sich das Volk ihnen wieder an113. Dieser Bericht hat den Wert eines ätiologischen Mythos; er definiert die Beziehungen zwischen Senat und Volksversammlung. Der Senat besitzt die auctoritas, das heißt einen seinem Wesen nach religiösen und gleichsam magischen Rechtstitel, das Privileg der Initiative für eine Handlung, deren ›Autor‹ allein kraft seiner Persönlichkeit ihre Wirkung gewährleistet. Auf Romulus folgte Numa, ein Sabiner, dessen Gestalt vielschichtig ist. Numa ist das Beispiel des religiösen Königs; ihm werden die meisten geheiligten Einrichtungen der Stadt zugeschrieben. Andrerseits wird gesagt, er sei ein ›Schüler des Pythagoras‹ gewesen, eine Behauptung, die aus chronologischen Gründen schon seit dem Altertum in Zweifel gezogen worden ist, die aber dennoch beachtet zu werden verdient. Numa versinnbildlicht zweifellos die religiösen Strömungen auf der Halbinsel zu der Zeit, als die griechischen Siedler ihre Niederlassungen in Süditalien verstärkten und die einheimischen Kulte und Glauben sich durch die Berührung mit der aus dem Orient hereingebrachten Religion unmerklich wandelten. Die Chronologie des Livius setzt die Regierungszeit von Numa in den Anfang des 7. Jahrhunderts. Das ist der Zeitpunkt, an dem die italischen Völker eine regelrechte religiöse Gärung erlebt zu haben scheinen, wo neue Bräuche, wie die Erdbestattung der Toten, in dem etruskischen Lande vorherrschend wurden – es wird ausdrücklich berichtet,

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Numa sei ein ›Erdbestatter‹ gewesen. Die orientalischen Einflüsse gewinnen die Oberhand. Die ›Latiner‹ Roms wurden in diese Bewegung hineingezogen, die ihrer Stadt zu ihrer Bestimmung verhalf. Die Feststellung, daß die darauf folgende Regierungszeit des Tullus Hostilius den Krieg zwischen Rom und Alba brachte und die Zerstörung Albas, dann die Überführung seiner Bevölkerung nach Rom, wo sie ansässig gemacht wurde, was angeblich die Hinzunahme des Caelius zu der bereits vorhandenen Bebauung zur Folge hatte, ist dafür nur um so bezeichnender114. Der alte religiöse Bund stand im Begriffe, durch die Götter des Siegers verdrängt zu werden. Aber schließlich gewann die konservative Gesinnung der Latiner die Oberhand, und Rom übernahm von nun an den Kult des Mons Albanus. Tullus Hostilius’ Nachfolger wurde ein Sabiner, Ancus Martius, durch seine Mutter ein Enkel Numas. Ancus, der die Krieger-Riten ›legalisierte‹, war ein tatkräftiger König. Er setzte die Eroberung Latiums fort, so berichtet Titus Livius, und siedelte die Einwohner mehrerer Dörfer in Rom, in der Gegend des Aventin, an. Ancus ist der letzte König der ›nationalen‹ Reihe. Sein Nachfolger war eine einzigartige Persönlichkeit namens Lucumon (in Wirklichkeit ist das ein etruskischer Amtstitel) aus der etruskischen Stadt Tarquinii (heute Corneto) und Sohn eines korinthischen Etrurien-Einwanderers. Dieser Lucumon regierte unter dem Namen Lucius Tarquinius Priscus (Tarquinius der Ältere); nach der Überlieferung des Livius fällt seine Thronbesteigung in das Jahr 616, das heißt in das Ende des 7. Jahrhunderts auf den Zeitpunkt, da der Einfluß des eigentlichen Griechenlands dominierend wird, die Erzeugnisse der korinthischen Keramik zunehmen und Schätze sich in einem Etrurien anhäufen, das seinen Wohlstand der Ausbeutung der Eisen-, Kupfer-, Zink- und Bleiminen verdankt, die es auf der Insel Elba und um Siena in Hülle und Fülle gab. Tarquinius der Ältere wird der Überlieferung nach als einer jener Tyrannen geschildert, wie sie damals haufenweise in Griechenland zu finden sind und mehr als hundert Jahre lang die Städte unter ihrer Fuchtel halten. Er soll als erster um die Gunst des Volkes gebuhlt haben, weil er die Stimmen auf sich ziehen wollte. Man darf auch vermuten, daß er eine Besatzung als Werkzeug seiner Macht auf den Hügel legte, der nach hartnäckiger Überlieferung weiterhin mons Tarpeius – das heißt zweifellos ›Tarquinius-Berg‹ – genannt wurde, auch als er offiziell Capitolium hieß. Zu der Zeit besteht Rom sicherlich als Stadt, und zwar als Stadt nach Art der etruskischen, asiatischen und griechischen Städte, mit seiner agora, dem Forum, und ganz besonders dem comitium, wo sich das Volk versammelte, seiner Akropolis (der Zwingburg auf dem Kapitol) und seiner boulé, seinem Ratssaal, der curia, nahe dem comitium, wo sich traditionsgemäß die Väter versammelten. Tarquinius soll auch den römischen Senat erweitert haben, indem er den Oberhäuptern der gentes minores hundert Senatoren sog. gentes minores beigab115. Schon erkennt man, daß unter griechischem Einfluß sich die Verfassung eines Staates herausbildet, in dem die ererbten Elemente der

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latinischen Tradition den Erfordernissen einer weniger primitiven und ohne Zweifel weniger ausschließlich sakralen Regierung angepaßt werden. Zu der Zeit scheint eine Wandlung des Kults vor sich zu gehen. Man schreibt Tarquinius dem Älteren die Einrichtung der ersten Spiele zu, der Ludi Romani oder Ludi Magni, die ganz offensichtlich ein etruskischer Brauch sind. Damals kommt es auch, wenn nicht zur Einführung neuer Gottheiten, so doch zumindest zu neuen Deutungen ›göttlicher Personen‹. An die Stelle des antiken indoeuropäischen Dreigestirns aus Jupiter, Mars und Quirinus tritt das klassische kapitolinische Dreigestirn mit Jupiter, Juno und Minerva, in dem vielleicht die völkische Dreiteilung der neuen Stadt zum Ausdruck kommt: Jupiter als der latinische Gott, Juno als die große etruskische ›Königin der Städte‹ und Minerva als sabinische Gottheit116. Fest steht aber auch, daß dieselbe Trias in anderen, rein etruskischen Städten vorhanden war, so daß man sagen könnte, es gab keine Stadt, die dieses Namens würdig war, ohne drei Tempel, die Jupiter, Juno und Minerva geweiht waren117. In den ersten Jahren des 6. Jahrhunderts (579 v. Chr., wie die traditionelle Chronologie versichert) gab es ein für die Geschichte des römischen Staates sehr wichtiges Ereignis. Dem etruskischen Tyrannen- König folgte eine Persönlichkeit, die in der Geschichte unter dem Namen Servius Tullius bekannt ist und die in den etruskischen Annalen mit dem gleichsam zum Eigennamen gewordenen Titel Macstarna bezeichnet worden zu sein scheint, das heißt mit der etruskischen Form des lateinischen Wortes magister118. Ihm werden grundlegende Reformen des Staates zugeschrieben. Die römische Stadt, die bis dahin in drei Tribus eingeteilt war – Ramnes, Tities und Luceres, es bestehen gute Gründe für die Annahme, daß es sich hier um eine ethnische Einteilung handelte119 –, wurde nun nach territorialen Tribus eingeteilt: Der Grundsatz des Wohnortes tritt an die Stelle der Geburt. Es gab vier städtische Tribus und eine bestimmte Anzahl ländlicher Tribus, unter denen das Gebiet der Campagna aufgeteilt war. Die vier städtischen Tribus waren die Succusana (später Suburrana genannt), die Collina (auf dem Quirinal und dem Viminal), die Esquilina (auf der Anhöhe des Esquilin und dessen Ausläufern zum Forum hin) und die Palatina, mit dem Palatin und der Velia. Die beiden Gipfel des Kapitols waren von dieser Einteilung ausgenommen: Als heilige und Königshügel standen sie außerhalb dessen, was Ziel und Zweck dieser Ordnung gewesen zu sein scheint, der Steuerveranlagung (tributum). Auf dem Lande umfaßten die ländlichen Tribus sog. pagi, wo im allgemeinen die großen gentes herrschten, deren Namen sie trugen: Claudia, Cornelia, Aemilia usw. In der klassischen Zeit waren es 31, aber zur Zeit ihrer Entstehung sind es sicherlich weniger gewesen. Im ›latinischen‹ Rom waren die Bürger in Kurien eingeteilt, die in den Anfangsstadien ›Dorfparlamente‹ gewesen zu sein scheinen, die sich in der Hauptsache religiösen Zwecken widmeten. Der Vorsitzende jeder Kurie, der curio, hatte priesterliche Aufgaben. Der Kurie oblag es, die Fragen zu regeln, die mit dem Rechtsstatus der Privatpersonen zusammenhingen; noch in der

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klassischen Zeit entschied eine lex curiata über Adoptionen, und die ältesten Formen der Vermählung erfolgen im Einvernehmen mit den Kurien. Die Gesamtheit der Kurien bildete die sog. comitia curiata, das heißt die Versammlung des ›Volkes‹; aber im Anfang, solange die Kurien vor allem die Häupter der gentes repräsentierten, unterschieden sich diese Komitien kaum von dem ›Senat‹. Der Unterschied bestand zweifellos darin, daß das concilium patrum eine Versammlung der Väter in ihrem eigenen Namen war, während sie in den Kurien die Sprecher und Vertreter, in religiöser wie in ziviler Hinsicht, der Mitglieder ihrer gens und der dieser angeschlossenen familiae waren. Schon vor Servius hatten sich die Kurien weiterentwickelt und waren zu territorialen Einteilungen geworden, die Bewohner eines Bezirks waren einer bestimmten Kurie angeschlossen. Diese Organisation wurde von Servius durch eine andere ersetzt, die an das Vermögen gebunden war. Die Bürger wurden in fünf Vermögensklassen eingeteilt, und innerhalb jeder Klasse in Centurien, im wesentlichen militärische Kader. Die Centurien der reichsten Bürger stellten die Berittenen, die verpflichtet waren, ihr Pferd zu kaufen und zu unterhalten. Dann kamen die Centurien des Fußvolks, die mit immer leichterer Ausrüstung kämpften, je weniger wohlhabend die Klasse war, zu der sie gehörten. Die Bürger, die nichts besaßen, die capite censi, bildeten fünf Centurien von Facharbeitern (Zimmerleute, Grobschmiede, Hornbläser). Und die Gesamtheit der Centurien, sozusagen das Volk in Waffen, bildete eine weitere Versammlung, die comitia centuriata. Durch diese Reform erhielt die römische Stadt eins der Wesensmerkmale, die sie auf lange Zeit von anderen unterschied; sie wurde eine Oligarchie des Besitzes, während sie gleichzeitig durch ihre militarisierte Organisation, wenn nicht Lust auf waghalsige Eroberungen bekam, so doch zumindest bestrebt war, ein bewundernswertes Kriegswerkzeug daraus zu machen. Die Reform des Servius war aber auch gleichzeitig ein erster Schritt zur Einigung der Stadt; sie beseitigte ein weiteres Stück ihrer alten Stammes- und patriarchalischen Organisation. Besitz siegte über Geburt, der Staat über die gentes. Sehr wahrscheinlich hat dieser Servius als echter Demagoge gehandelt, der er gewesen ist, wie sein Beiname Macstarna andeutet, ein gleichsam revolutionärer Diktator, der sich vielleicht von Systemen anregen ließ, die in Etrurien bereits erprobt waren, vielleicht auch von Beispielen aus Griechenland, wo sich eine Generation vorher timokratische Regime durchgesetzt hatten120. Das Gepräge, das Rom durch diese Reform erhielt, sollte von Dauer sein. Rom wurde für alle Zeiten eine timokratische Stadt, in der der Rang, den das Geld verlieh, wohl oder übel mit dem Rang durch Geburt Hand in Hand ging. Servius soll auch als erster der Stadt eine taugliche Befestigung gegeben haben. Seiner Regierungszeit schreibt man den Bau der Servianischen Mauer zu, die der Festungswall Roms bis zu einem Zeitpunkt bleibt, da das Reich so maßlos groß geworden ist, daß man keine Befestigungen um die Hauptstadt mehr vorzusehen braucht. Dieser Wall, dessen Verlauf wir annähernd verfolgen

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können, umschloß bereits das ganze Gebiet des klassischen Roms und erstreckte sich über eine Gesamtlänge von etwa acht Kilometern.

 Abb. 8: Servianische Mauer in Rom

Man hat oft erklärt, Rom sei noch eine zu kleine, zu wenig bevölkerte Stadt gewesen, als daß man sie im 6. Jahrhundert mit einer so langen Mauer hätte ausstatten können, und hat vorgeschlagen, den Zeitpunkt des Mauerbaus um zweihundert Jahre später anzusetzen. Aber zugunsten des traditionellen Datums lassen sich gute Argumente vorbringen121. Es hat den Anschein, daß die Servianische Mauer, die alle Hügel, auch den Aventin, umschloß, sich auf den Fluß (den sie nicht überquerte) stützte und die natürlichen Verteidigungen ausnützte, besonders die Steilhänge des Kapitols und des Esquilins, ausschließlich unter Berücksichtigung militärischer Erfordernisse geplant worden ist und nicht nach der tatsächlichen Agglomeration. Nur bestimmte Teile der Stadt waren damals besiedelt; diese verhältnismäßig isolierten Volksgruppen saßen auf den Hügeln am Rande (Caelius, Aventin) und setzten alles in allem die ›latinische‹ Periode mit ihren unzusammenhängenden Dörfern fort. Unter der Herrschaft von Servius und Tarquinius Superbus hat es, der Überlieferung nach, eine lebhafte kommunale Tätigkeit gegeben. Der Graben, der das Forum überquert und es entwässert, wird kanalisiert, wenn auch nicht vollständig überdeckt, und vor allem beginnt man, Tempel zu bauen. Servius

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weihte auf dem Aventin der Diana, der großen italischen Göttin, einen Tempel, und Tarquinius Superbus, ein Sohn des vorletzten Königs, der gewaltsam die Macht wieder an sich gebracht, indem er Servius ermordet hatte, weihte auf dem Kapitol einen Tempel dem Jupiter Maximus und seinen beiden Mitgöttinnen Minerva und Juno. Darin liegt nichts Überraschendes für eine Zeit, während der in allen etruskischen Städten prächtige Denkmäler entstanden und alle Künste in der Ausschmückung der Heiligtümer wetteiferten. Die Bildhauer, die Ende des 6. Jahrhunderts den Apollon von Veji122 modelliert und damit bewiesen haben, daß sie die schwierige Technik der Herstellung und des Brennens von Terracotta-Statuen großen Formats bewundernswert beherrschten, können durchaus, wie die Überlieferung behauptet, an dem großen Kapitol- Tempel zusammengearbeitet haben. In jener Zeit prunkt Rom, wie ganz Latium, mit einer ›ionisierenden‹ Ausschmückung; die Tempel sind mit Terracotta-Tafeln in lebhaften Farben geschmückt, auf denen man die ›rührendsten‹ Götterbilder sieht, besonders vom Bacchantenzug, und alle Gottheiten der hellenischen und orientalischen Welt, die zur Verkörperung des Geheiligten der antiken lateinischen Tradition werden. Jupiter ist zugleich der Gott des heiteren oder stürmischen Himmels, der er für die ›Arier‹ war, und der Gott der obersten Gewalt, der Herr des ›Rates der Götter‹ (dii consentes), der er – unter dem Namen Tinia – nach etruskischer Tradition gewesen ist123. Der Anfang der Republik. Die Dynastie der Tarquinier sollte im Jahre 509 auf dramatische Weise durch die Vertreibung des Tarquinius Superbus zu Ende gehen. Vorwand für die Revolution war eine Skandalnachricht, die Schändung einer tugendhaften jungen Frau, Lucretia, Gattin des Tarquinius Collatinus, durch Sextus, den leiblichen Sohn des Königs. Lucretia konnte die Schande nicht überleben und gab sich in Gegenwart ihres Gatten und ihres Vaters den Tod. Entrüstet über das Verbrechen des Sextus Tarquinius, erhebt sich das gesamte Volk, vertreibt, da es Sittenstrenge und unumschränkte Gewalt für unvereinbar hält, die Tarquinier und proklamiert die Freiheit. Diese Revolution fällt, wie man seit langem bemerkt hat, mit dem Niedergang des etruskischen Einflusses in Mittelitalien zusammen. Ein Erwachen der italischen Völker und ein Vorstoß der griechischen Siedler trugen vereint dazu bei: Niederlage der Etrusker vor Cumae im Jahre 524, ein wenig später (der Zeitpunkt ist ungewiß) Sieg der Latiner über dieselben Etrusker bei Aricia124, schließlich, im Jahre 474, fegte ein Seesieg der Griechen bei Cumae die etruskische Flotte praktisch vom Tyrrhenischen Meer. Die berittene Expedition des Königs von Chiusi, Lars Porsenna, zur Wiedereinsetzung der Tarquinier scheiterte angeblich an der Entschlossenheit der Römer: In Wirklichkeit waren die Etrusker nicht mehr in der Lage, ihre traditionellen Stellungen zu halten. Was in Rom triumphierte und von nun an die Macht in den Händen hielt, war nicht das Volk, sondern die Aristokratie der patres, die Großgrundbesitzer, die Häupter der primitiven latinischen gentes, die gleichzeitig die ›Reiter‹ der ersten Klassen und ›Landleute‹ waren, die in den ländlichen Tribus geführt wurden.

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Die Revolution war eine – in einem reaktionären Sinne – soziale und eine politische. Sie wollte auch gewisse Ideen durchsetzen, moralische und religiöse, eine Kargheit, eine Zucht, eine Achtung vor den Sitten der Vorfahren (mos maiorum), die in dem prunkliebenden und wahrscheinlich weniger puritanischen Rom der etruskischen Könige weniger gebräuchlich gewesen zu sein schienen. Rom gab sich nach der Vertreibung der Könige Institutionen. Es ging darum, den etruskischen König zu ersetzen, nicht aber zum antiken Königtum latinischen Charakters zurückzukehren. Die servianische Reform hatte die Struktur des Staates zu tiefgehend umgewandelt, indem sie ein militärisches Gemeinwesen daraus gemacht hatte: Die neuen Führer mußten vor allem Heerführer sein, mit einem imperium bekleidet, das im wesentlichen eine Herrschaft religiöser, ja, magischer Art darstellte, die Jupiter selber den Magistraten übertragen hatte, die ihn unter den Menschen vertraten125. Die Gemeinschaft zwischen dem Gott und den Führern des Volkes war nicht ein für allemal gegeben, sobald sie ›geschaffen‹ war; sie wurde regelmäßig durch die Auspizien bestätigt – eines der wesentlichen Vorrechte des imperiums war tatsächlich das ius auspicii. Das Imperium übertrug dem, der es besaß, eine theoretisch unbeschränkte Macht, aber diese Machtvollkommenheit erstreckte sich nur auf das Heer, außerhalb des pomeriums. In der Stadt selbst war sie in Friedenszeiten durch bestimmte Rechte der Bürger begrenzt, besonders durch das ius provocationis, das Recht, gegen jede Entscheidung des Magistrats, die das caput (das Leben oder den Rechtsstand) des Bürgers betraf, das Volk anzurufen. Das imperium lag zuerst in den Händen von zwei höchsten Beamten, die man Prätoren nannte (prae- tores für prae-itores) und die bald die Bezeichnung Konsuln erhielten, während der Titel Prätor Gehilfen vorbehalten blieb, die man ihnen beigab und die in Abwesenheit der Konsuln deren richterliche Obliegenheiten wahrnahmen. Seit König Servius gehörte es zu den obrigkeitlichen Aufgaben, den census aufzustellen, das heißt ein nach der Höhe ihres Einkommens gestaffeltes Verzeichnis der Bürger. Diese Aufgabe wurde zwei besonderen Beamten übertragen, den Zensoren (censores). Während die Konsuln und Prätoren auf ein Jahr gewählt wurden, wechselte man die Zensoren nur alle vier Jahre aus, in Wirklichkeit versahen sie ihr Amt allerdings nur achtzehn Monate hintereinander. Sie nahmen die lustratio, die ›Musterung‹ des Volkes, vor, soweit es in militärischen Stammverbänden zusammengefaßt war, und kümmerten sich auch um die öffentlichen Arbeiten und alle Vergaben im Namen des Staates. Dieses System wurde erst nach der Vertreibung der Tarquinier eingerichtet; so datiert, nach Titus Livius, die Schaffung des Zensorenamtes erst aus dem Jahre 443, die der ersten Prätoren mit richterlicher Gewalt von 366126. Die Quästoren (quaestores), in der klassischen Zeit die Finanzhelfer der Konsuln, können 447 zum ersten Male gewählt worden sein127, aber die Überlieferung ist hinsichtlich der Quästoren recht dunkel. Sind sie zuerst nur vom Konsul ernannt worden oder sind sie an die Stelle von Beamten anderer Art getreten, der quaestores parricidii, denen die Mordbekämpfung oblag? Das wußten selbst die Alten nicht.

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Diese Magistraturen sind unmittelbar aus der aufgeteilten Königsmacht hervorgegangen und sollten jede Gefahr der Tyrannis beseitigen. Aber Rom mußte bald nach der Gründung der Republik eine Reihe weiterer fast autonomer Magistraturen einrichten, die einem besonderen Bedürfnis Rechnung tragen sollten, der Wahrung der Rechte der Plebs. Kaum war nämlich Rom befreit, da entstand ein furchtbares Problem, die Koexistenz von zwei Hälften der Stadt, der Patrizier und der Plebejer. Die Patrizier waren die Vertreter der großen latinischen gentes und der ihnen gleichgestellten kleineren gentes, unter denen sich sabinische Familien befanden. Die Plebejer scheinen vor allem aus städtischen Elementen bestanden zu haben, denen es in der etruskischen Stadt gut gegangen war. Alles in allem dürfte die Revolution von 509 sich ohne sie und in gewissem Sinne gegen sie vollzogen haben. Die Patrizier scheinen die Macht nicht sofort allein besessen zu haben, wenn es stimmt, daß einige der ersten Konsuln Plebejer gewesen sind128. Aber bald weisen die uns erhaltenen Namenslisten nur noch patrizische Konsuln auf. In diesen Zeitraum fällt der Überlieferung nach der Bericht über die Absonderung der Plebs, die sich auf den Aventin (den heiligen Berg außerhalb der Stadt) zurückgezogen hatte und eine selbständige Stadt zu gründen drohte. Angeblich haben damals die Patrizier, um die Einheit des Staates zu wahren, den Plebejern besondere Beamte zugestanden, die Tribunen, deren Person unverletzlich war und die das Recht hatten, gegen jede Entscheidung eines Beamten, die Person oder Eigentum eines Plebejers betraf, Einspruch zu erheben129. Später hatten die (ursprünglich zwei) Tribunen, so wird berichtet, als ›Gehilfen‹ Ädilen (aediles), die uns als Beamte geschildert werden, in deren Obhut der vorwiegend plebejische Ceres-Tempel gestellt war. In Wirklichkeit sind die Ädilen wahrscheinlich älter als die Tribunen und stellten eine Form nicht-römischer Magistratur dar, eine mit politischen Funktionen bekleidete Geistlichkeit, die Bestandteil der Organisation der Plebs wurde130. Von nun an ist das Gerüst der römischen Verfassung fertig. Im Laufe des 5. Jahrhunderts vollzieht sich die Entwicklung nur noch im Sinne eines stärkeren Zusammenhalts des Staates. Die Plebs kämpft darum, die politische Macht zu erringen. Nachdem sie, entweder von Anfang an oder zumindest seit 487, vom Konsulat ausgeschlossen war, will sie das höchste Staatsamt gewinnen, und das führt zu unablässigen Kämpfen, die die Stadt spalten und in Gefahr bringen. Der Streit ist vielleicht weniger politischer als religiöser Natur. Nachdem der Konsulat das Recht der Auspizien einschloß und die Patrizier somit allein befähigte, die Götter gültig zu befragen131, war es schwierig, einen plebejischen Konsul zu wählen. Ein anderer Konfliktstoff zwischen den beiden Ständen war das Verbot der Eheschließung ›Ungleicher‹ (zwischen Gatten von unterschiedlichem Stand). Angeblich sollte dadurch vermieden werden, daß der Sohn eines patrizischen Vaters und einer plebejischen Mutter »Verwirrung bei den Auspizien stifte«132. Aber diese Unterscheidungen schienen schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts weggefallen zu sein. Eine unwiderstehliche Neuerungsbewegung zwang zur Aufgabe der alten Tabus. Ein Kollegium aus

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zehn ›verfassunggebenden‹ Magistraten (decemviri) wurde 451 beauftragt, die Grundrechte zu formulieren. Nach erheblichen Schwierigkeiten gab dieses Kollegium das sogenannte Zwölf-Tafel-Gesetz bekannt, das wir nur aus recht späten Anführungen und Erwähnungen kennen. Die Gesetzessammlung der Zwölf Tafeln stellt zwar einen sonderbaren Codex dar, der einerseits Durchführungsbestimmungen und auf der anderen Seite allgemeine Richtlinien enthält, war aber dennoch wichtig, weil sie das Monopol eines auf die Gewohnheiten der patres abgestellten Rechtes aufhob und diesem Recht eine im Prinzip demokratischere Objektivität gab. Kaum hatten die decemviri unter Wirren und Aufruhr ihre Aufgabe erfüllt, da brachen die wichtigsten Vorrechte der Patrizier zusammen. Man gestattete nicht nur die Ehen zwischen den beiden Ständen, sondern ersetzte den Konsulat durch ein neues Amt, den Militärtribunat mit Konsulargewalt, der den Konsulat ›entsakralisierte‹ und folglich den Plebejern zugänglich machte133. Weniger als ein Jahrhundert später verschwand dieses Bastardamt, das im übrigen niemals mit großer Regelmäßigkeit ausgeübt worden war, und die Plebejer wurden durch die leges Liciniae Sextiae von 367 endgültig zum Konsulat zugelassen. Spuren der Teilung der Stadt zwischen Plebs und Patriziat sollten sich noch lange in Rom erhalten. Die Plebs behält weiterhin (von einigen ziemlich kurzen Unterbrechungen abgesehen) ihre Tribunen und ihre eigene Versammlung, die Tributskomitien, deren Beschlüsse (plebis scita), vom Adel lange als wertlos angesehen, schließlich seit Beginn des 3. Jahrhunderts als Gesetz anerkannt werden. Die Patrizier wiederum behalten gewisse religiöse Vorrechte, bestimmte Priesterschaften und bestimmte Riten, deren Verschwinden als gefährlich betrachtet worden wäre, und die man noch in der Kaiserzeit, oft auf künstliche Weise, beibehielt (durch die Schaffung von Patriziern plebejischer Abkunft, adlecti inter patricios). So entstand im Laufe einer Entwicklung, die sich über etwa vier Jahrhunderte erstreckt, die berühmte, von den Völkern des Altertums manchmal bewunderte und stets bestaunte ›römische Verfassung‹. Diese Verfassung entstammt nicht irgendeinem Vernunftsprinzip und ist ebensowenig das Werk eines mit Namen bekannten Gesetzgebers. Die etwas verschwommene Gestalt eines Servius Tullius ist nicht mit einem Solon oder einem Lykurg vergleichbar. Die römischen Einrichtungen haben sich von Tag zu Tag herausgebildet, je nach den Bedürfnissen, nach den Erfordernissen wirtschaftlicher oder sozialer Umwandlungen, auch nach den verlockenden Vorbildern dieses oder jenen fremden Volkes – aber immer gegen innere Widerstände und in dem Bestreben, nichts aus der Vergangenheit radikal zu zerstören, vielmehr traditionelle Formen und Verfahren, wie jede ethnische Schicht sie hervorbringt, für neue Ziele zu verwenden. Während dieser Jahrhunderte seiner inneren Entwicklung besitzt Rom noch keine einheitliche nationale Tradition, sondern mehrere Erbteile dieser oder jener Gruppe. Erst später, im Laufe der Zeit, verfallen die Römer der Täuschung, schon immer eine Einheit besessen zu haben, eine tief reichende

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concordia, die auch die Rivalität zwischen Patriziern und Plebejern, die – so behaupten sie – von Gewalttaten frei war, nicht antasten konnte. Aber sie ahnten nichtsdestoweniger, daß die wahre Einheit Roms weniger in seinen Einrichtungen zu Tage trat, als in dem unwiderstehlichen Schwung seiner Eroberung: Darin lag die Kraft, durch die Rom seine inneren Krisen zu überwinden vermochte. Die Eroberung Italiens. In Latium gab es zur Zeit der Gründung Roms keinen Frieden. Die über das ganze Land verstreuten und schließlich in den Städten zu Gruppen zusammengeschlossenen verschiedenen Völker lagen recht oft miteinander im Kriege und stießen auch auf die Bergvölker, deren Gebiet die Küstenebene umschließt. Im 6. Jahrhundert hatten bekanntlich die Etrusker, die aus Gebieten unmittelbar nördlich des Tibers gekommen waren, Latium beherrscht, und Rom hatte, dank seiner Etruskisierung, aus ihrer Macht Nutzen gezogen. Tatsächlich ist es, der Überlieferung nach, unter den etruskischen Königen zu den ersten wirklichen Eroberungen Roms gekommen, nämlich zu der systematischen Besetzung launischer Städte: Apiolae, Corniculum, Crustumeria, Nomentum usw.134. Nach Norden hin reicht das eroberte und eingegliederte Gebiet bis Collatia im Sabiner Land, unweit des Zusammenflusses von Tiber und Anio. Diese von Tarquinius Priscus eingeleitete Bewegung wird von Tarquinius Superbus energisch fortgesetzt, der, wie es heißt, den Osten Latiums unterwirft, wodurch Rom in einen Kampf gegen die Volsker verwickelt wurde, aus dem es erst Generationen später herauskommen sollte. Gegen Ende der Königszeit erscheint Rom als die bedeutendste Macht in Latium, und mit ihm unterzeichneten die Karthager einen Vertrag, der einen regelrechten Nichtangriffspakt darstellt135. Aber das Ende der etruskischen Übermacht in Latium löste natürlicherweise eine allgemeine Erhebung gegen Rom aus, das nicht mehr von den Städten des etruskischen Bundes unterstützt wurde. Diese von dem ›Diktator‹ Tusculums, Octavius Mamilius, geführte Erhebung endete mit einer denkwürdigen Schlacht an den Ufern des Regillus-Sees. Die Römer siegten. Es wird erzählt, daß sie von zwei übernatürlichen Reitern unterstützt worden seien, die in ihren Reihen kämpften: den Dioskuren Castor und Pollux. Zum Dank errichteten ihnen die Römer einen Tempel auf dem Forum, zeitlich die dritte der heiligen Stätten nach dem Tempel des kapitolinischen Jupiter und dem des Saturnus am Fuße des Clivus Capitolinus136. Nachdem der Krieg damit beendet war, schlossen Latiner und Römer einen unter dem Namen foedus Cassianum bekannten Vertrag, dessen in Bronze gegrabener Text lange auf dem Forum Romanum zu lesen war137: Zwischen beiden Parteien sollte ewiger Friede herrschen, und sie versprachen sich gegenseitig Hilfe und militärischen Beistand. Das besagt, daß die Latiner zu der Zeit noch keine ›Untertanen‹ Roms waren, sondern daß ihr Bund eine Macht darstellte, die in der Lage war, mit Rom auf gleicher Ebene zu verhandeln. Man darf daraus den Schluß ziehen, daß die Revolution von 509 am Ende dazu geführt hatte, die Macht der Stadt zu schwächen und das Tempo der

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Eroberungen zu verlangsamen – ein Schluß, der durch die Ergebnisse der Archäologie unterstützt wird, die vom 5. Jahrhundert an einen Rückgang der Einfuhr griechischer Keramik und zumindest zeitweilig die Verarmung der Stadt bestätigen. Der aus dem foedus Cassianum hervorgegangene ›latinisch-römische‹ Staat sah sich sehr bald ernsten Gefahren gegenüber: Die Bergvölker verstärkten ihren Druck und begannen, in Richtung auf das Meer hinunterzusteigen, eine Erscheinung, die die gesamte Geschichte der italischen Halbinsel vom Beginn des 5. Jahrhunderts bis zur Vollendung der römischen Eroberung beherrschen wird. Die ersten ›sabellischen‹ Völker, die nach Latium hinunterstiegen, waren die Sabiner; einige gliederten sich friedlich in die Stadt ein, wie der Stamm des Attius Clausus (505), der sich vollkommen assimilierte (aus ihm wurde später die sehr berühmte und hochedle gens Claudia). Aber es gab auch Versuche zu Handstreichen wie den des Appius Herdonius, von dem erzählt wird, daß es ihm gelungen sei, sich in einer Nacht des Kapitols zu bemächtigen. Er wurde übrigens sofort wieder verjagt, doch die Verbündeten, die er in der Stadt selbst hatte finden können, beweisen, daß das römische Volk damals noch weit davon entfernt gewesen ist, in seinem Patriotismus einig zu sein. Gefährlicher war die Lage an der Ost- und Südostgrenze Latiums: Die Äquer drohten in der Gegend von Praeneste in das Tiefland einzufallen, die Volsker durch die Lücke zwischen den Albaner Bergen und dem Meer. Die Einzelheiten der Kämpfe, die von den Römern und ihren latinischen Verbündeten gemeinsam geführt wurden und durch die es gelang, die Flut der Eindringlinge einzudämmen, sind außerordentlich dunkel. Halb legendäre Persönlichkeiten spielen darin eine Rolle, wie Coriolan, ein aristokratischer Vaterlandsverräter aus Parteileidenschaft, der Führer der Volsker wird und schließlich, durch die Beschwörungen seiner Mutter und seiner Gattin dazu bewogen, auf seinen verbrecherischen Kampf verzichtet. Nach 440 scheinen die Volsker ihre Angriffe nicht mehr fortgesetzt zu haben. Um dieselbe Zeit waren auch die Äquer durch einen römischen Sieg, den der Diktator A. Postumius Tubertus im Jahre 431 auf dem Algidus errang, aufgehalten worden138, und die römischen Geschichtsschreiber berichten ausdrücklich, daß die beiden Völker verbündet waren und ihren Invasionsversuch im gegenseitigen Einvernehmen unternommen hatten. Der Kampf dauerte während des ganzen ausgehenden 5. Jahrhunderts an, aber die Städte der Volsker fielen eine nach der andern: Anxur (Terracina), das sie zu einem uns unbekannten Zeitpunkt besetzt hatten, im Jahre 406, Velitrae 404; im Jahre 393 wurde schließlich in Circei, an der Küste, eine römische Kolonie errichtet, woraus hervorgeht, daß Antium zu dieser Zeit erneut zu den Untertanen Roms gehörte. Diese Anstrengungen, die mit Hilfe der Latiner unternommen wurden (eine Hilfe, die unsere Quellen sicherlich als unbedeutend hinzustellen versuchen, die

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aber tatsächlich vorhanden war), hinderten Rom nicht, sich auch nach Westen und Norden zu wenden und sich in einen heftigen Kampf um den Besitz der ›Furt‹ von Fidenae über den Tiber einzulassen. Er wurde zu einem Zweikampf zwischen Rom und der etruskischen Stadt Veji. Zuerst waren die Vejer im Vorteil und zerstörten 477 das Lager, das die Männer der gens Fabia an der Cremera errichtet hatten139, aber kurz darauf baten, wie uns versichert wird, die Vejer um Frieden. Neue militärische Unternehmen werden um die Jahrhundertmitte gemeldet, besonders die Tat des Konsuls Cossus, der mit eigener Hand den König von Fidenae, Tolumnius, tötete und sich damit die Ehre erwarb, dem Jupiter Feretrius die ›Siegesbeute‹ darzubringen. Nach der Einnahme von Fidenae konnten die Römer nicht umhin, Veji zu belagern, um diesen Vorteil auszunutzen und zu sichern. Diese Belagerung dauerte zehn Jahre, ebensolange wie die Trojas, was die Zahl einigermaßen verdächtig macht. Sie begann 406 und soll erst 396 beendet worden sein, als der römische Diktator Camillus die Stadt mit Hilfe von unterirdischen Gängen einnahm, durch die seine Soldaten unmittelbar in die Zitadelle gelangten140. Alles trägt dazu bei, diese Belagerung in die Atmosphäre einer fast noch magischen Religion zu versetzen. Niemals waren die Götter nach Meinung der Römer so gegenwärtig gewesen, und erst recht hatten sie noch niemals so schwer auf dem Gewissen der Stadt gelastet.

 Abb. 9: Mars von Todi

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Es scheint, daß die Römer den Eindruck hatten, durch den Angriff auf eine etruskische Stadt, die zerstört werden sollte, einen Frevel, wenn nicht gar einen Brudermord zu begehen – ein Gefühl, das in den uns überlieferten Berichten von der Zerstörung Albas kaum anklingt. Zwischen beiden Völkern wird ein Kampf der Vorzeichen geführt, ein Duell der Riten, ähnlich dem, das in den kyklischen Heldengedichten die Zerstörung Trojas begleitet141. Die römischen Historiker bringen mit der Belagerung Vejis eine bedeutsame soziale Neuerung in Verbindung: Bis dahin erfüllten die Soldaten durch den Dienst im Heer nur ihre Bürgerpflicht, und zwar ohne Entgelt. Da aber die lange Dauer der kriegerischen Unternehmungen vor Veji und vor allem ihre ununterbrochene Fortdauer (die Belagerung mußte im Sommer wie im Winter durchgehalten werden) verhinderte, daß die Männer jedes Jahr zumindest vorübergehend zu ihren Arbeiten heimkehrten, wurden die armen Familien, die sich keine Tagelöhner für die Bestellung ihrer Felder leisten konnten, ruiniert. Man mußte einen Sold einführen142. Damit war der erste Schritt zu jenen Heeren von ›Berufssoldaten‹ getan, die die Republik in der Zeit ihres Niederganges erlebt und deren Tätigkeit den bürgerlichen Hader verschärfen wird. Camillus hatte gelobt, dem delphischen Apollon den Zehnten der Siegesbeute zu opfern, und er löste nach dem Siege sein Versprechen ein, indem er in Delphi, in dem Schatzhaus der Bürger Massalias, die so die Rolle des ›Proxenos‹ Roms bei dem Gotte spielten, einen großen goldenen Mischkrug verwahren ließ143. Dieses Weihegeschenk an Delphi ist für uns von großer Wichtigkeit; es zeigt uns die Stellung Roms in ›internationaler‹ Sicht zu Beginn des 4. Jahrhunderts. Wir wissen, daß die etruskischen Städte regelmäßige Beziehungen zu dem großen panhellenischen Heiligtum unterhielten. Vor allem Caere hatte dort ein ›Schatzhaus‹144. Schon Tarquinius Superbus soll eine Gesandtschaft nach Delphi geschickt haben, was nicht bezeugt, aber auch keineswegs unwahrscheinlich ist. Über die Opfergabe des Camillus dürfte kein Zweifel bestehen. Caere ist eine mit Rom befreundete Stadt, und wenn sie anstandshalber ihre Schatzkammer nicht dazu hergeben konnte, einen Mischkrug aufzunehmen, der die Zerstörung einer Stadt feierte, die, wie sie selbst, dem etruskischen Bund angehörte, so hatte sie andrerseits auch nichts unternommen, um die Römer während des Krieges zu behindern. Apollon war auch einer der großen Götter Vejis. Wir können mutmaßen, daß Rom vom 5. Jahrhundert ab diesen ›politisch-religiösen‹ Verbindungen oder, wenn man diesen Ausdruck vorzieht, dieser sakralen Diplomatie, die sich zu der Zeit in der hellenischen Welt als sehr rege erweist, nicht fremd gegenübersteht. Wie dem auch sei, Rom hatte in Italien selbst einen diplomatischen Sieg errungen, da die gewohnheitsmäßig am Fanum Voltumnae, ihrem Bundesheiligtum, versammelten etruskischen Städte es abgelehnt hatten, Veji zu Hilfe zu kommen. Nach dem Fall der Stadt nahmen die Römer die Unterwerfung der Falerner und der Capuaner entgegen. Die gallische Katastrophe

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Rom war es gerade gelungen, als eine der ›Großmächte‹ der Halbinsel anerkannt zu werden, da kam es zu einer Katastrophe, die die Stadt beinahe vernichtet hätte. Seit mehreren Jahrhunderten gab es in ganz West- und Mitteleuropa auf einem Gebiet, dessen Ausdehnung in den einzelnen Zeitabschnitten wechselte, aber ganz allgemein im Wachsen begriffen war, eine große ›barbarische‹ Kultur (mitunter spricht man sogar von einem Reich), die die antiken Quellen einem einzigen Volke zuschreiben. Dieses Volk wird von den griechischen Historikern ›Kelten‹ (Κέλτοι) genannt (später ›Galater‹), und nach römischer Überlieferung ›Gallier‹145. Nach dem heutigen Stande der Forschung können wir die Kelten in drei Gebieten nachweisen, und zwar auf drei verschiedene Arten: Historisch kennen wir sie aus den alten Texten, so durch das Zeugnis der Griechen, die mit den ›Galatern‹ im Anfang des 3. Jahrhunderts zu tun hatten146, und durch das der Römer, vor allem durch die Kommentare Caesars zum gallischen Krieg; sprachlich stellen die Kelten die Gesamtheit der Völker dar, die als Sprache einen der zahllosen ›keltischen‹ Dialekte verwendeten, von denen einige sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, wie das Gälische, das Irische, die verschiedenen Abarten des Bretonischen usw. Diese Dialekte gehen auf das ›gemeine Keltische‹ zurück, wie die Sprachforscher es bezeichnen, den westlichen Zweig der großen indoeuropäischen Sprachfamilie, der den italischen und germanischen Sprachen recht nahe verwandt ist. Archäologisch schließlich verbindet sich mit der keltischen Kultur ein sehr komplexes kulturelles Erscheinungsbild, das durch zahllose Funde gut bezeugt und bestimmt ist und das man nach dem Namen von zwei Orten bezeichnet, wo ihre beiden großen Phasen zuerst erkannt worden sind: Hallstatt und La Tène147.

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 Abb. 10: Hallstatt-Schwert aus dem Fürstengrab von Oss

Man kann von ›keltischen Völkern‹ sprechen und von einer ›keltischen Kultur‹, aber nicht von einer ›keltischen Rasse‹. Es hat tatsächlich den Anschein, als sei der keltische Kulturkomplex wie die ›Latiner‹ oder die ›Römer‹ (und vielleicht die Etrusker selbst) aus einer Verschmelzung völkisch sehr unterschiedlicher Elemente hervorgegangen, die sich seit fernsten Zeiten auf riesigen Gebieten zwischen der Mündung von Rhein und Donau überlagert haben. Hier sind zahllose Einflüsse wirksam geworden, die man nicht genau angeben, mitunter nicht einmal erfassen kann, und sie hatten dazu beigetragen, eine verhältnismäßig einheitliche Kultur zu schaffen, die sicherlich niemals ›fix und fertig‹ von Eroberern mitgebracht worden ist. Der genaue Zeitpunkt, zu dem in dieser kulturellen Entwicklung, die wir als stetig vermuten dürfen, die ›keltische‹ Kultur in Erscheinung tritt, läßt sich schwer feststellen. Man nimmt an, daß sich gegen Ende der Bronzezeit Völker keltischer Zunge vom Norden der Alpen her über Südgallien bis nach Katalonien ausgebreitet haben, während andere Gruppen sich auf der iberischen Halbinsel längs der Atlantikküste ansiedelten148. Aber schon zu dieser Zeit war in dem Gebiet, aus dem diese Völker stammten, eine neue ›Kultur‹, die Hallstatt-Kultur, aufgetaucht, die vor allem in der Metallverarbeitung durch den Ersatz der Bronze durch das Eisen gekennzeichnet ist. Diese Neuerung scheint auch von sozialen Umwandlungen begleitet gewesen zu sein. Die Völker hatten damals

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wohl das Bestreben gehabt, sich unter die Gewalt von ›Königen‹ zu scharen, deren besonders reich ausgestattete Grabstätten zur Bestimmung dieser Periode beitragen. Zweifellos begann sich die ›keltische Welt‹ in diesem Augenblick in gewissem Maße ihrer Einheit bewußt zu werden. Nach dieser Hypothese wäre die politische Einigung mit einer Verzögerung von einigen Jahrhunderten der Bildung einer kulturellen Einheit gefolgt. Eine absolute Zeitbestimmung der Hallstatt-Periode ist sehr schwierig. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, daß sie um die Mitte des 8. Jahrhunderts beginnt. Um diese Zeit taucht ein neuer Brauch bei der Totenbestattung auf. Den Urnenfeldern des ausgehenden Bronzezeitalters folgen tumuli, in denen sich eine hölzerne Grabkammer befindet, in welcher der Tote auf seiner Bahre, umgeben von manchmal prachtvollen Opfergaben, beigesetzt wird. Man vermutet die Existenz einer Kriegerkaste; die Grabopfer sind besonders reich an Waffen, vor allem langen, biegsamen Schwertern, manchmal mit den für diese Epoche typischen aufgesetzten Antennen. Diese Hallstatt-Kultur erstreckte sich von Spanien bis an die Ufer der Donau. Sie entwickelte sich stetig weiter, und aus ihr ging zweifellos gegen Ende des 6. Jahrhunderts die sogenannte La Tène-Kultur hervor149, die im wesentlichen eine ›Demokratisierung‹ der vorhergehenden Epoche darzustellen scheint, hervorgerufen vielleicht durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und die lebhaften Handels- und sonstigen Beziehungen mit den Griechen und Etruskern. In keinem Augenblick ihrer Geschichte (nicht einmal ihrer Vorgeschichte) ist die keltische Welt isoliert gewesen: Gewisse Erscheinungen der Hallstatt-Epoche beweisen den Einfluß der orientalischen, ›kimmerischen‹ oder anatolischen Kunst. Das Donautal, die Alpenpässe waren Verbindungsstraßen, die die Kelten mit den großen Mittelpunkten der Kultur verbanden. Im 6. und dann im 5. Jahrhundert sind Handelsbeziehungen und kulturelle Anleihen zwischen Kelten und Griechen wie Etruskern ausdrücklich bezeugt. Gegenstände, vor allem Töpferwaren, die in Keltengräbern in den Nordalpen gefunden wurden, bekunden das in Hülle und Fülle. Heute hat es allerdings den Anschein, als ob sich gegen Ende der Hallstatt-Zeit noch engere Beziehungen, die man zweifellos als ›diplomatische‹ bezeichnen darf, angeknüpft haben150. Zwei große neue Funde berechtigen uns zu dieser Annahme: die Entdeckung einer Festung hellenischer Art, die nach Tonscherben in das Ende des 6. oder den Beginn des 5. Jahrhunderts datiert werden muß, mitten in keltischem Land bei der Heuneburg (Württemberg)151, und andrerseits der berühmte Fund des Grabes und der Schatzkammer von Vix im Hochtal der Seine152, wo in der Grabkammer einer keltischen Fürstin außerordentlich kostbare Gegenstände aus griechischen und etruskischen Werkstätten angehäuft waren. Der Schatz von Vix gibt uns eine Vorstellung von dem Reichtum, zu dem die Höfe der keltischen Könige zu der Zeit gelangt waren, als Rom seine eigenen Könige verjagte und sich aus freien Stücken von den großen Strömen des Tauschhandels abschnitt, die Ursprung des

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beweglichen Vermögens sind. Die gallischen Führer öffneten dagegen ihr Gebiet weit für die griechischen und italischen Kaufleute, von denen sie prachtvolle ›Gastgeschenke‹ erhielten, eine kaum verhüllte Form eines Zolls, den sie (in Vix vielleicht für die Erzdurchfuhr) von den Karawanen erhoben, die die noch wenig bekannten Länder Westeuropas durchquerten. Manche keltische Könige gingen sogar so weit, griechische Ingenieure in ihre Hauptstädte kommen zu lassen, die ihnen ihre Residenz befestigten – in diesem Sinne wenigstens muß man die in der Heuneburg entdeckten Spuren deuten.

 Abb. 11: Mischkrug von Vix

Die Funde der Archäologie vertragen sich schlecht mit dem Eindruck, den uns die Lektüre der alten Historiker vermittelt, wenn sie die Invasionen der Kelten schildern, ihre Kampfesweise, die Gewalttaten, die sie begingen, und den namenlosen Schrecken, den sie auf ihrem Durchzug verbreiteten. Diese furchtbaren Bilder stehen im Gegensatz zu dem, was der Schatz von Vix uns vorzustellen erlaubt, der uns von einem friedlichen Luxusleben in einem durch die Kunst verschönten Rahmen erzählt. Dieser echte Gegensatz erklärt sich auf mehrfache Art. Die Kultur, die uns die Ausgrabungen zeigen, ist die der friedlichen Völker, die am stärksten Wurzel geschlagen haben. Die Krieger, die in Italien und Griechenland einbrachen, waren dagegen Wandervölker, die mitten in einer Krise standen. Sie betrieben weiterhin aus Überlieferung

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barbarische Riten, wie jene gaesati, die nackt kämpften und im Kampfgetümmel wie Dämonen der Schlacht auftauchten – und das staunende Entsetzen, das diese unbekannten Sitten aus Urzeiten hervorriefen, ist großenteils der Anlaß der malerischen und schreckensvollen Bilder gewesen, die die antiken Historiker von ihnen entwerfen. Durch die Texte kennen wir die Kampfmethoden der Kelten recht gut; andrerseits erlauben uns die Grabgegenstände, die Entwicklung ihrer Waffen zu verfolgen. Nach den Bronzeschwertern kamen seit der Hallstatt-Zeit die langen, scharfen Eisenschwerter, von denen wir gesprochen haben, aber vom 5. Jahrhundert an taucht ein kürzeres, breites Schwert auf, bei dem nicht (wie bei dem alten) die Gefahr bestand, daß seine Spitze sich beim Aufprall verbog. Lange hielt sich die militärische Verwendung von Wagen; in Britannien, wo die Kelten vielleicht seit dem 7. Jahrhundert eingedrungen waren, länger noch als auf dem Festland, wo der Kampfwagen seit Caesars Zeit durch die Reiterei verdrängt worden war. Die Kelten räumten der Tapferkeit des einzelnen im Kampf großen Raum ein. Die Schlacht begann mit einer Reihe von Herausforderungen und Einzelkämpfen, eine Praxis, die bei den Griechen seit Homers Zeit in Vergessenheit geraten und bei den Römern als Ursprung der Disziplinlosigkeit ausdrücklich unter Strafe gestellt war. Es wäre jedoch falsch, wollte man meinen, die gallischen Heere seien nur ungeordnete, jeder Strategie unfähige Horden gewesen. Die Art, wie – nach Titus Livius – der Marsch auf Rom nach der Schlacht an der Allia durchgeführt wurde, beweist, daß selbst zahlreiche Truppen genaue Befehle ausführen und ein kompliziertes Unternehmen in Gang setzen konnten. Die archäologischen Zeugnisse erlauben es uns, Mutmaßungen über den allgemeinen Verlauf der keltischen Wanderungen anzustellen. Wir haben ausgeführt, wie im Laufe des 8. Jahrhunderts eine erste keltische oder ›protokeltische‹ Welle auf Südfrankreich und Spanien zulief. Ihr folgten mehrere andere, die zur Entstehung eines riesigen keltischen Herrschaftsbereiches auf der Iberischen Halbinsel führten (die ›Keltiberer‹, von denen die Historiker zur Zeit Hannibals und der Kämpfe gegen Rom sprechen). Andrerseits besetzten Kelten den Süden Britanniens; sie wurden mehrmals durch neue Einwanderer verstärkt, zeitlich die letzten waren die ›Belgae‹, kurz vor der Eroberung Galliens durch Caesar, und schließlich wurden die ganzen britischen Inseln keltisiert. Eine andere Expansionsbewegung führte keltische Stämme nach Norditalien, wo sie sich so festsetzten, daß sie der Poebene den Namen Gallia Cisalpina eintrugen – eines der letzten Länder Italiens, das unter die Herrschaft Roms fiel, und das letzte, das in den römischen Staat einbezogen wurde. Titus Livius (V, 34) legt die Anfänge der keltischen Invasionen in Italien in die Regierungszeit des Tarquinius Priscus (das heißt um 600 v. Chr., mitten in die Hallstatt-Epoche). Im allgemeinen hält man diese Zeitangabe für viel zu früh. Die ersten Infiltrationen (durch das Tessintal und über den Sankt Bernhard) können im Höchstfall bis ins Ende der Hallstatt-Zeit zurückgehen, aber auch das ist recht

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ungewiß153. Erst zum Ende des 5. Jahrhunderts hin nahm die Invasion einen gewissen Umfang an. Die Meinungen über den Weg, den die Kelten damals bei ihrem Abstieg nach Italien einschlugen, gehen auseinander: Die einen neigen zum St. Gotthard, die andern zum Brenner. Der Abstieg nach Italien ist aber nur eine Seite der ungeheueren Expansionsbewegung der keltischen Welt, die sich zu Beginn der La Tène-Zeit vollzog und zweifellos teilweise eine Folge von Veränderungen des europäischen Klimas ist, das am Ende des 6. Jahrhunderts immer feuchter und kälter wurde. Die in Nordeuropa ansässigen Völker begannen damals, nach Süden zu ziehen und einen immer stärkeren Druck auf die Völker in Mitteleuropa auszuüben. Allerdings haben wahrscheinlich auch Gründe, die in der keltischen Welt selbst lagen, noch entscheidender mitgewirkt: das Wachstum der Bevölkerung, die fortschreitende Verbesserung der Lebensbedingungen, die das Kriegspotential steigerte, und schließlich die Verlockung der Länder im Süden, deren Reichtum und Fruchtbarkeit man immer besser kennenlernt. Jedenfalls wandern Stämme, die bis dahin im mittleren Rheintal ansässig gewesen sind, stromaufwärts und sickern auf der Suche nach Land, auf dem sie sich ansiedeln können, durch die Pforten des oberen Rheintals. Gleichzeitig gelangen andere Teile an die Donau und setzen ihren Weg nach Osten fort. Im Laufe des 4. Jahrhunderts hatten einige davon Siebenbürgen erreicht, und es ist bekannt, daß Alexander der Große 335 unter anderen Gesandten aus den Donaugebieten auch Vertreter der Kelten empfangen hat154. Fünfzig Jahre später bedrohten ›keltische‹ Banden Griechenland selbst und drangen dann in Kleinasien ein, wo sie in dem nach ihnen genannten Galatien angesiedelt wurden. In Italien waren die Gallier zuerst auf die in der Poebene sitzenden Etrusker gestoßen, die allerdings der Überzahl wichen. Jeder der folgenden gallischen Stämme besetzte ein eigenes Gebiet, so daß die Etrusker sich schließlich auf die Südseite des Po zurückziehen mußten, um Felsina (Bologna) zu decken, ihren wichtigsten Ort, der mit ihren Handelsniederlassungen an der Adria in der Gegend um Spina in Verbindung stand und durch das Renotal ihre Verbindungswege mit Südetrurien sicherte. Im Hinblick auf diese Sicherheit wurde zweifellos an den Renoufern die ›Militärkolonie‹ Marzabotto (ihren antiken Namen wissen wir nicht) errichtet. Aber die Kelten umgingen diese Stellung und wandten sich durch die Küstenebenen längs der Adria nach Süden. Im Jahre 391 gelangten senonische Gallier bis in die Gegend von Clusium (Chiusi). Es waren etwa 30000 Mann unter einem Anführer, den die Römer ›Brennus‹ nannten. Clusium war mit Rom verbündet, und da die anderen etruskischen Städte tatenlos blieben, wandten sich die Bürger an Rom. Rom schickte Gesandte, um zu vermitteln. Aber die Gesandten ergriffen Partei für die Einwohner von Clusium und nahmen an einer Schlacht teil, so daß die aufgebrachten Gallier (allerdings nicht ohne zuvor die Bestrafung der Schuldigen verlangt zu haben, die ihnen verweigert wurde) auf Rom

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marschierten. In ihrer Angst mobilisierten die Römer sämtliche Kräfte, die ihnen zur Verfügung standen, und stellten sich auf der Allia-Linie, etwas nördlich von Fidenae, dem Feind entgegen. Der Angriff erfolgte am 18. Juni 387 (?), anscheinend früher, als die Römer erwartet hatten. Das römische Heer mit seinen latinischen Verbündeten hielt dem gallischen Ansturm nicht stand, und anstatt sich auf den Ort zurückzuziehen, zerstreute es sich und suchte in den Mauern des verödeten Veji Schutz. In Rom waren nicht genügend kampfkräftige Männer geblieben, um die Verteidigung der endlosen Servianischen Mauer zu gewährleisten. Man öffnete die Tore und drängte sich so gut es ging in der Zitadelle des Kapitols zusammen. Als die Gallier erschienen, zögerten sie zuerst, weil sie eine Falle vermuteten, mußten sich dann aber überzeugen lassen: Rom stand ihnen offen. Sie plünderten es, brannten es nieder und ermordeten sämtliche Bewohner, die sie entdecken konnten. Wenn man den römischen Historikern glauben darf, leistete das Kapitol Widerstand, und trotz heftiger Angriffe wurden die Gallier sieben Monate lang aufgehalten. Aber die Verteidiger litten Hunger, und völlig entkräftet erlagen sie schließlich und erklärten sich bereit, den angebotenen Abzug des Feindes zu erkaufen. Man einigte sich auf eine Summe oder vielmehr auf ein Gewicht in Gold; mit den Votivgaben in den Tempeln des Kapitols ließ es sich ohne weiteres bezahlen. Doch der Führer der Gallier warf, während man das Metall des Lösegeldes auswog, noch sein eigenes Schwert in die Waagschale, um sich gutes Maß zu verschaffen, und rief »Vae victis!« Die Römer mußten sich mit dieser neuen Forderung abfinden, aber als die Gallier mit der Beute abziehen wollten, da taucht die in der ganzen Zeit aufgestellte Entsatzarmee der latinischen Städte auf dem Forum auf, stürzt sich auf die Gallier, entreißt ihnen das römische Gold und richtet eine große Metzelei unter den Feinden an. Heute wird wohl niemand diesen Theatereffekt im letzten Augenblick anders als einen Kniff des römischen Nationalstolzes ansehen und glauben, daß Rom 387 v. Chr. ganz einfach von einer Bande senonischer Gallier erobert, zum großen Teil niedergebrannt und mit vollständiger Zerstörung bedroht worden ist. Die gallische Invasion hinterließ tiefe Narben auf dem Boden der Stadt, die für die Archäologen noch heute erkennbar sind – und auch im Denken der Römer, die den Galliern gegenüber für immer ein Gefühl ängstlicher Hochachtung bekamen. Caesar verstand das auszunutzen, indem er Vercingetorix am Fuße eben jenes Kapitols opfern ließ, das dreieinhalb Jahrhunderte vorher Zeuge der römischen Niederlage gewesen war. Die Einnahme Roms durch die Gallier führte natürlich zu einer fast allgemeinen Erhebung der ›Bundesgenossen‹, die man vor allzu kurzer Zeit gewonnen hatte. Die Nachbarvölker, Volsker, Äquer, etruskische Städte, hielten den Augenblick für gekommen, der römischen Gefahr ein Ende zu machen. Aber selbst die Latiner und die Herniker, die bis dahin dem foedus Cassianum treu geblieben waren, versuchten ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen. Dank der Tat des Camillus konnten die Römer jedoch all diesen Gefahren begegnen.

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Camillus, der nach seinem Triumph über Veji in die Verbannung geschickt worden war, weil sein Ruhm einem Senat mißfiel, bei dem persönliche Tapferkeit Argwohn erregte, hatte es verstanden, durch das Gewicht seiner eigenen Person das Entsatzheer aufzustellen, das die Gallier zum Rückzug gezwungen hatte. Nach der Rückberufung in sein Vaterland wurde er zum Diktator ernannt und stellte in wenigen Monaten die Ordnung wieder her. Rom zog, wie es das in späterer Zeit noch manches Mal tun sollte, Lehren aus seiner Niederlage. Camillus reorganisierte das Heer vollkommen. Wir kennen weder die Einzelheiten noch die Zeitfolge dieser Reform genau, aber im Laufe des 4. Jahrhunderts erhielt jedenfalls das römische Heer seine klassische Organisation und Taktik: Einteilung in drei Klassen von Legionären zu Fuß (hastati, die mit der langen Lanze ausgerüstet waren, principes und triarii), die von nun an in drei, in der Tiefe gestaffelten Gliedern kämpften, eine elastische Formation, deren taktische Einheit der Manipel155 ist, mit modernisierter Ausrüstung, sowohl in den Abwehrwaffen (Schild, Brustharnisch und Helm) als auch in den Angriffswaffen (verstärkte Schwerter, verbessertes pilum)156. Rom hatte die Gallier nicht endgültig niedergeworfen. Ihre Banden irrten während eines Teils des 4. Jahrhunderts weiter durch Mittelitalien, und man begegnet ihnen fast überall als Söldner im Dienste der ›Großmächte‹ der Halbinsel. Aber die Verstärkung der römischen Militärmaschine erlaubte es, Erfolge gegen sie zu erringen, die ausreichten, um die Eindringlinge schließlich im Norden des Apennin, in der künftigen Provinz Gallia Cisalpina, festzuhalten, wo viele sich endgültig niederließen, mit der übrigen Bevölkerung verschmolzen und hervorragende Ackerbauern wurden. Nach 331 (dem Vertrag zwischen Rom und den Senonen) ist das gallische ›Schreckgespenst‹ für Rom gebannt. Noch weniger Zeit war erforderlich, um die römische Macht in Etrurien wiederherzustellen und sogar zu vergrößern. Vor der Mitte des Jahrhunderts war Tarquinii, das sich im Laufe der vorhergehenden Jahre als die Seele des Widerstands gegen Rom erwiesen hatte, gezwungen, einen Friedens- und Bündnisvertrag zu unterzeichnen, was nichts anderes bedeutet, als daß es in die Machtsphäre Roms zurückkehrte. Caere selbst, wohin sich während der gallischen Katastrophe die Vestalinnen mit den Penaten des römischen Volkes und den heiligen Geräten geflüchtet hatten, wurde trotz dieser traditionellen Freundschaft aufgefordert, einen ähnlichen Vertrag zu unterzeichnen, und mußte Folge leisten. Um dieselbe Zeit wurden die Volsker nach langen und schwierigen Feldzügen endgültig unterworfen: Die römischen Heere stießen ans Meer vor und nahmen den Hafen Antium (im Jahre 338); die Schnäbel der Schiffe von Antium wurden nach Rom gebracht, wo sie für alle Zeiten die Rednertribüne schmücken mußten, die aus diesem Grunde ›rostra‹ genannt wurde. Diese glücklich verlaufenen Kriege waren nur durch die ›Wiedereroberung‹ Latiums ermöglicht worden. Im Jahre 358 hatten die Latiner unter Zwang der Erneuerung des foedus Cassianum zugestimmt, das für Rom eine sehr wirksame

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rechtliche Waffe geworden war. Um den Preis einiger Änderungen und Zusätze gliederte dieser Vertrag die latinischen Städte in einen Bund ein, in dem sie nicht mehr als ›gleichberechtigte‹ Mitglieder fungierten, sondern als regelrecht unterworfene Städte, mit der Verpflichtung, militärische Kontingente zu stellen und Tribut zu zahlen. Ein letztes Aufbegehren der Latiner im Jahre 341 führte zu ihrer Vernichtung und 338 zur endgültigen Auflösung des latinischen Bundes. Das hatte jedoch nicht das Ende des foedus zur Folge, der nach abstraktem Rechtsstatut weiterbestand. Es gab künftig Städte ›latinischen‹ Rechts und ein latinisches Recht an sich, das eine übrigens ziemlich weitgehende, aber nicht vollständige Beteiligung am römischen Staatswesen zuließ. Im römischen Machtbereich gibt es von nun an eine ganze Skala sehr elastischer Rechtsordnungen, die von der schlichten Dienstbarkeit bis zur vollkommenen Integration reicht. Das latinische Recht ist eine Stufe, die vorletzte, zu der Zulassung zur Staatsgemeinschaft. Übrigens wurde eine Anzahl latinischer Städte nach 338 als römisch betrachtet, und Mitglieder ihrer Aristokratie wurden bald danach Konsuln. Die Samnitenkriege Die Niederlage der Volsker, die Besetzung Antiums und die Auflösung des latinischen Bundes waren durch das Bündnis Roms mit einer Macht ermöglicht worden, die in der italischen Geschichte eine bedeutende Rolle zu spielen beginnt, das samnitische ›Volk‹. Die Samniten gehören zu den oskischumbrischen Elementen der italischen Bevölkerung und sind mit den Sabinern verwandt, deren Einfall in Latium, wie wir sahen, Rom vorübergehend bedroht hatte. Im Lauf des 5. Jahrhunderts hatte ein samnitischer Stamm die kampanische Ebene besetzt und sich der griechischen Kolonie Cumae bemächtigt. Vorher hatten sie die Etrusker aus der Stadt Capua verjagt, und nach und nach erstreckte sich ihr Machtbereich über sämtliche Städte an der Küste bis Pompeji, ausgenommen Neapel, das seine Unabhängigkeit zu bewahren vermochte157. Andere Stämme waren jedoch in den Bergen Mittelitaliens geblieben und stellten, da sie untereinander, wenn auch recht locker, durch eine Art Bund geeinigt waren, eine dauernde Gefahr für die Völker, selbst für ihre Rassegenossen, dar, die sich in den freundlicheren Küstengebieten niedergelassen hatten. Rom hatte 354 aus recht undurchsichtigen Gründen ein Bündnis mit den Samniten geschlossen158, vielleicht als Vorsichtsmaßnahme gegen einen eventuellen Abfall der Latiner. Etwas mehr als zehn Jahre später sollte dieses Bündnis schwerwiegende Folgen haben, die schließlich, wenn auch unter blutigen Kämpfen, zur Eroberung ganz Süditaliens durch Rom führten. Wir sind über die genauen Umstände, unter denen diese lange Episode der römischen Geschichte begann, ziemlich schlecht unterrichtet. Es heißt159, die Samniten haben Verbündete von Capua angegriffen, dann Capua selbst, und der capuanische Senat habe ein militärisches Eingreifen Roms verlangt. Die Römer

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hätten mit Rücksicht auf ihren Eid und auf Grund ihres Vertrages von 354 einen Krieg gegen die Samniten abgelehnt und lediglich eine friedliche Vermittlung vorgeschlagen. Daraufhin hätten die Gesandten von Capua die feierliche Formel ausgesprochen, die ihr Vaterland Rom »zu eigen gab«, worauf die Römer gezwungen gewesen wären, das, was durch einen juristischen Kniff ihr Eigentum geworden war, zu verteidigen. Das ist nun sicherlich eine glatte Erfindung160. Viel wahrscheinlicher ist, daß Rom den Samniten freie Hand gegen die Sidiciner (Verbündete von Capua) ließ und Capua zu einem Bündnisvertrag zwang, durch den die Stadt in die römische Einflußzone einbezogen wurde, während die Latiner, die anscheinend die Partei der Capuaner ergriffen hatten, aus Furcht vor dem römisch-samnitischen Bündnis, das sie wie ein Schraubstock umklammerte, sich gegen Rom erhoben und damit das Ende ihrer Autonomie beschleunigten. In der Entscheidungsschlacht scheinen die capuanischen Ritter sich gesträubt zu haben, gegen das römische Heer zu kämpfen, und diesem Umstand ist es vielleicht zuzuschreiben, daß sie (so behauptet es die Überlieferung wenigstens teilweise) das römische Bürgerrecht erhielten161, ein Recht, das wahrscheinlich bald auch der ganzen übrigen Bevölkerung zuerkannt wurde. Nach Abschluß des Vertrages mit Capua stand Rom nun an der Spitze eines riesigen Staates, der sich vom Tibertal bis in die Gegend von Neapel erstreckte162. Es war verhängnisvoll, daß ein Konflikt zwischen Rom und den Samniten ausbrach, die auf diese Weise ihren Zugang zu den Küstengebieten versperrt sahen. Die ›Samnitenkriege‹ begannen in Wirklichkeit um 325; mit Sicherheit wissen wir nur, daß die erste Episode mit einer schweren römischen Niederlage endete, der Einkreisung und Kapitulation einer konsularischen Armee an den ›Caudinischen Pässen‹163 im Jahre 321. Rom mußte Frieden schließen, und dieser scheint bis 316 gedauert zu haben, allerdings nicht ohne daß Rom in der Zwischenzeit seine Stellungen in Apulien, einem Gebiet, das außerhalb des samnitischen Bundes lag, verstärkt hätte. Der Anstoß zu den Operationen ging von den Samniten aus, die zuerst im Vorteil waren und sogar in Capua selbst eine starke romfeindliche Bewegung ins Leben rufen konnten. Aber im kritischen Augenblick siegten die römischen Waffen, und Capua, das rücksichtslos »gesäubert« wurde, kehrte in die römische Botmäßigkeit zurück164. Die Römer konnten in dem ganzen Gebiet neue Kolonien gründen oder bereits bestehende verstärken.

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 Abb. 12: Via Appia Antiqua

Diese Erfolge sicherten Rom eine Atempause an der Südgrenze seines ›Reiches‹ und erlaubten es ihm, im Norden die Offensive zu ergreifen. Die Legionen überschritten das Hemmnis, das der gefürchtete ciminische Wald für sie bildete, und konnten im Jahre 309 Cortone, Perusa und Arretium bezwingen. Eine Erhebung der Äquer, zu der es in diesem Augenblicke kam, wurde rasch erstickt, und die Römer gründeten die Kolonie Alba Fucens, die wir aus neuerlichen Ausgrabungen gut kennen165. Im Jahre 298 unterwarf ein von L. Cornelius Scipio Barbatus geführtes römisches Heer zumindest einen Teil von Lukanien, wodurch fast direkte Verbindungswege mit Apulien gesichert waren. Die Samniten, die praktisch eingekreist waren, mußten sich zu einer Entscheidungsschlacht stellen. Sie versuchten ihre Verbindung mit den Galliern zu bewerkstelligen, die im Norden Umbriens saßen und stets bereit waren, Krieg zu führen. Das Treffen fand im Jahre 295 bei Sentinum am Nordosthang der Apenninen statt; die römischen Legionen besiegten die verbündeten Samniten und Gallier, denen sich einige etruskische Aufständische zugesellt hatten. Einige Jahre lang hielten die Samniten den Kampf noch durch, aber im Jahre 290 unterwarf M. Curius Dentatus ihr Land endgültig. Er durchquerte es von einem Ende bis zum andern und erreichte das Adriatische Meer, an dessen Küste die Römer die Kolonien Sena und Hatria gründeten. Von nun an beherrscht Rom die

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Halbinsel von dem gallischen Land (der Gegend von Ariminum, heute Rimini) bis zu den Grenzen von Tarent. Rom zu Beginn des 3. Jahrhunderts Rom, das siegreich aus den Samnitenkriegen hervorgegangen ist und das die Griechen mit einigem Grund als Beschützerin des Griechentums gegen die Barbaren aus den Bergen betrachten, ist nicht mehr die patriarchalische, aristokratische Stadt des 5. und 4. Jahrhunderts. Seit den leges Liciniae Sextiae von 367 mußte einer der Konsuln Patrizier sein, der andere Plebejer, und die beiden Stände teilten sich die Beamten- und Priesterstellen. Daraus ergab sich die Bildung eines neuen Adels, der der ehemaligen Beamten (Nobilität), der an die Stelle des Geburtsadels trat. Ende des 4. Jahrhunderts zog der Censor Appius Claudius Caecus die Folgen aus dieser Sachlage: Er berücksichtigte in der Steuerliste das bewegliche Vermögen, das heißt, daß der politische Einfluß nicht mehr ausschließlich bei den Grundbesitzern lag, sondern beim gesamten Bürgertum, das durch den Handel reich wurde. Ein gewisser Cn. Flavius, der Sohn eines Freigelassenen und ein Geschöpf des Appius Claudius, veröffentlichte zum ersten Male die Regeln des Zivilprozesses; er setzte damit das Werk der decemviri fort und ergänzte das Zwölf-Tafel-Gesetz. Andrerseits erlaubte die Eroberung immer zahlreicherer Gebiete eine Verbesserung der Lebensbedingungen der kleinen Leute, Bedingungen, die in den vorangegangenen Jahrhunderten furchtbar gewesen zu sein scheinen. Von den eroberten Gebieten behielt der Staat nur einen Teil für sich, der ager publicus wurde Gemeineigentum des ›Volkes‹. Im Laufe des 4. Jahrhunderts gelang es den Bemühungen der Tribunen und der Führer der Plebs, diese aus der Landverteilung Nutzen ziehen zu lassen. Es ist für uns schwer, diese Maßnahmen im einzelnen zu erkennen, denn was unsere Quellen uns darüber überliefert haben, ist oft in einen früheren Zeitpunkt zurückverlegt und entstellt, immerhin ist sicher, daß die Ärmsten unter den Römern nun die Möglichkeit hatten, sich woanders niederzulassen als in einem Latium, wo der Grund und Boden in den Händen der großen gentes war. Andrerseits gründete Rom, um die militärische Besetzung der eroberten Gebiete zu sichern, Kolonien, denen ein ager beigegeben wurde, den die in die neue Stadt geschickten Bewohner bestellten. All das trug sehr dazu bei, das wirkliche Elend der Plebs zu mildern. Man bemühte sich auch, so gut es ging, das furchtbare Problem der Schulden zu lösen, die vorher so viele Tragödien verursacht hatten. Immer seltener kam es vor, daß ein Schuldner, wie das in den früheren Jahrhunderten oft der Fall gewesen war, zur Entschädigung seines Gläubigers als Sklave verkauft wurde. Aber die Erleichterung der Schuldenlast ergab sich vor allem aus der Geldvermehrung. Im letzten Teil des 4. Jahrhunderts beginnt (zu einem Ungewissen Zeitpunkt, vielleicht im Jahre 310?) die Prägung römischer Bronzemünzen, als der Staat, dessen Autorität die des etruskischen Bundes ablöst, eine Handelsgroßmacht wird166. Die Vermehrung der Geldzeichen hatte

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offensichtlich die Folge, daß der ›Preis‹ des Geldes sank, und die natürliche wirtschaftliche Entwicklung kam den Gesetzen zu Hilfe. Rom ist zu dem Zeitpunkt, als es den Schauplatz der allgemeinen Geschichte im Mittelmeerraum betritt, ein komplexer Staat geworden, der über beträchtliche Mittel verfügt und nicht mehr auf eine Agrarwirtschaft beschränkt ist und der durch Capua, Neapel und seine etruskischen Verbündeten den großen Strömen des Tauschhandels offensteht, die die Oikumene durchqueren. Mit der Modernisierung seiner Wirtschaft erweitert sich sein Gesichtskreis über die verhältnismäßig eng gezogenen Grenzen Italiens hinaus. Vielleicht aber wurde Rom auch ›gesehen‹, ehe es selber sah. Die Griechen betrachteten es (infolge der Geschehnisse, die wir erwähnten) ganz natürlich als die stärkste Macht der Halbinsel: Die Schwierigkeiten, mit denen Alexander der Molosser zu kämpfen hatte, die Fehlspekulationen Tarents in seinen Beziehungen zu den hellenischen Städten Groß-Griechenlands, die schrittweise Herstellung der römischen Lehnsherrschaft über die ›Barbaren‹ aus den Bergen und ihre Küstensiedlungen, wie Paestum (das alte Poseidonia), all das bewies, daß Rom sich hoch über alle anderen Völker der Halbinsel erhob, und seine Erfolge fanden in der internationalen Welt des Seehandels weithin Widerhall. Man kann die Rolle, die das Meer und die weltweiten Handelsbeziehungen in der Geschichte der hellenistischen Welt spielten, kaum hoch genug veranschlagen. Wir haben gesehen, welche Bedeutung die Flotten und der Seefahrerehrgeiz bei der Bildung der hellenistischen Königreiche nach dem Tode Alexanders des Großen hatten. Man wird sich deshalb nicht wundern, daß Demetrios Poliorketes, als er feststellte, daß Seeräuber von Antium bei ihren Kaperfahrten mit den etruskischen ›Räubern‹ gemeinsame Sache machten, sich an Rom wandte und verlangte, daß Rom dem Treiben von Seeleuten, die von Rechts wegen seine Staatsangehörigen waren167, ein Ende bereite, oder daß Rhodos im Jahre 306 mit Rom offizielle Beziehungen anknüpfte, die Handelscharakter hatten und im Grunde vielleicht – wir wissen es nicht – ein einfacher ›Freundschaftspakt‹ im weitesten Sinne waren, der eine bevorzugte Behandlung der Staatsangehörigen beider Länder vorsah. Dieser Pakt wurde auf die Initiative der Rhodier hin geschlossen, die eine Gesandtschaft nach Rom schickten. Der Senat nahm diesen Schritt wohlwollend auf. Sicherlich darf man darin keinen politischen Hintergedanken der Senatoren sehen: Die Zeit des römischen Imperialismus ist noch nicht gekommen. Aber der Senat nahm die Pflichten, die seine Stellung an der Spitze des Bundes, für den Rom von nun an die Verantwortung trug, nicht auf die leichte Schulter. Es war wichtig, den Kaufleuten Kampaniens die Freiheit der Meere zu gewährleisten, und die Freundschaft der Rhodier konnte wesentlich dazu beitragen. Außerdem mochten andere, weniger bestimmte Gründe, von denen die Römer aber gern den Anschein erweckten, als ob sie sich durch sie beeinflussen ließen, die Väter verlocken: Rhodos war, wie Rom, eine Republik, der es gelungen war, der Unterwerfung unter ein Königreich zu entgehen (es sollte seine Entschlossenheit, frei zu bleiben, bald heldenhaft

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beweisen müssen), und für die Römer war es reizvoll, die einzigen ›freien Menschen‹ des Ostens zu Freunden zu haben. Außerdem war Rom nicht hellenismusfeindlich; es wurde von einem Teil der Weltmeinung als eine ›Griechische Stadt‹ angesehen und sträubte sich damals nicht im mindesten dagegen, als solche zu erscheinen. Wenn Roms Beziehungen zu Tarent gespannt sind, hat es andrerseits Verbündete in Groß-Griechenland, und das Beispiel Neapels beweist, daß es den Griechen größte Autonomie, ja, den Anschein völliger Freiheit zugesteht. Aus all diesen Gründen ist der Abschluß eines ›Freundschaftspaktes‹ zwischen Rom und Rhodos ab 306 außerordentlich wahrscheinlich168. Zwölf Jahre später sucht eine römische Abordnung, auf den Rat der Sibyllinischen Bücher hin, in Epidauros den griechischen Gott Asclepius auf. Ohne Zweifel war er für Rom kein Unbekannter, selbst der Name, den man ihm gab, beweist, daß er von Groß-Griechenland aus in die Stadt eingedrungen war. Dennoch zeigten sich die Römer der wahren Natur dieses Kultes bewußt, indem sie sich nach Epidauros wandten und nicht an irgendeine italische Stadt, da es darum ging, ihn in ihrer Stadt heimisch zu machen. Diese Entwicklung Roms und seiner Stellung in der Welt erfolgte zur rechten Zeit, so daß die Republik sich gegen die anderen Staaten wenden konnte, die sich gerade im Osten gebildet hatten. Rom konnte auf gleichem Fuße mit Pyrrhos verhandeln, einem der Condottieri und unmittelbaren Schüler der Diadochen, die im Begriffe standen, sich den Orient zu teilen. Die allgemeinen Umstände bewirkten, daß diese Kampfstellung keineswegs den Machtverhältnissen widersprach. Doch was im alten Alexanderreich das Werk einiger Generale gewesen war, die sich aus eigener Machtvollkommenheit zu Königen aufgeschwungen hatten, war in Latium, in Kampanien, in Samnium das Werk einer wahrhaften Nation, die politische und moralische Überlieferungen hinter sich hatte, denen sie leidenschaftlich anhing, und als es zu den unvermeidlichen Konflikten kam, siegte die anonyme Kontinuität des Senates über die frischgebackenen Monarchen, deren Königreiche meist unaufhaltsam in die Anarchie zurückfielen, aus der sie geboren waren. 3. Der hellenistische Osten im 3. Jahrhundert v. Chr. Für die gesamte Mittelmeerwelt wurde das Jahr 281 zu einem entscheidenden Datum: Sie erlebte nicht nur im Osten die Niederlage und den Zusammenbruch des Lysimachos bei Kurupedion169, dann den Meuchelmord an Seleukos – Geschehnisse, die die politische Entwicklung der hellenischen und hellenisierten Länder beschleunigen sollten –, sondern im Abendland beschlossen die Tarentiner in jenem Jahr, Pyrrhos gegen die Römer zu Hilfe zu rufen170, was in recht naher Zukunft dazu führen sollte, daß ganz Süditalien den latinischen Eroberern unterworfen und darüber hinaus Rom in einen Krieg gegen Karthago verwickelt wurde, in dem es das Erbe der Politik von Syrakus antreten und am Ende imstande (und verpflichtet) sein sollte, in die Gruppe der Großmächte einzutreten, die sich die Welt teilten. Von diesem Zeitpunkt an sind die beiden

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Hälften der Welt wie in zwei entgegengesetzte und einander ergänzende Bewegungen gerissen: Dem Aufstieg Roms entspricht im Osten ein gegenseitiges Aufreiben, die wechselseitige Zerstörung der Königreiche. Was aber für die politischen Zustände gilt, hat im geistigen Leben und, allgemeiner ausgedrückt, im Bereich der Kultur keine Gültigkeit. Der Hellenismus selbst bleibt von dem Prozeß allmählichen Zerfalls, den die Staaten erfahren, unberührt; im Gegenteil, man erlebt im 3. Jahrhundert die Entstehung einer neuen Kultur, die sich schließlich von einem Ende des Mittelmeerraumes bis zum andern ausbreiten sollte, teils durch ›Ansteckung‹, aber auch weil einige der Faktoren, durch die sie ausgelöst worden war, im Okzident ebenso wirksam wurden wie im Orient. Und man stellt fest – ein Paradoxon, das die modernen Historiker nicht immer zu würdigen gewußt haben –, daß der politische Zerfall des Ostens die Erhaltung einer Idee und gewisser Lebensformen begünstigte, die dem Staatsgefüge wenig oder nichts verdankten. Um diese Darstellung der Erscheinungen zu verstehen, müssen wir uns von bestimmten Vorstellungen und Vorurteilen der abendländischen Historiker des 19. Jahrhunderts frei machen, für die sich die Kultur mit der Existenz einer Nation verband und die der ›Politik‹ unbedingten Vorrang einräumten. Nichts wäre irriger, als diese Kategorien a priori auf die antike Welt und vor allem auf die hellenistische Welt anzuwenden. Die Stadt bleibt für die meisten hellenisierten Städte der geistige Rahmen, denn die Stadt hat kaum noch politische Bedeutung. Wenn umgekehrt die geistigen Realitäten über die Stadt hinausstreben, bedürfen sie dazu nicht der Unterstützung des Königreiches oder des Bundes, sondern gehen ihren Weg, ohne sich um Grenzen und Reiche zu kümmern. In dieser Aussicht genießt Rom im Orient keine Sonderrechte. Religionen und Philosophien können es sich ziemlich oft erlauben, Rom überhaupt nicht zu beachten. In diesem Bereich spielt das Schwert kaum eine Rolle, und die Gerechtigkeit erfordert, anzuerkennen, daß diejenigen, die das Schwert führten, im allgemeinen auch nicht versucht haben, ihm eine solche Rolle zu verschaffen. Genau wie ein Antigonos in die Schule der Stoiker ging, so haben später die römischen Statthalter in ihrer ›Kohorte‹ Dichter und Philosophen, und man wird häufig erleben, daß sie einen Abstecher machen, um einen ›Gelehrten‹ von Ansehen zu besuchen, an dessen Türe sie für eine Weile ihre Rutenbündel zurücklassen. Die politische Geschichte des hellenistischen Ostens im 3. Jahrhundert a) Die Folgen von Kurupedion Die Schlacht bei Kurupedion und wenige Monate später der Mord an Seleukos hatten eine sehr verwickelte Lage geschaffen. Es war Ptolemaios Keraunos, dem Seleukos-Mörder, nicht schwer gewesen, sich vom Heer zum König von Makedonien ausrufen zu lassen, aber seine Thronbesteigung war nicht überall gebilligt worden. Antigonos Gonatas, ein Sohn des Poliorketes, hatte auf sein

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Streben nach einem eigenen Königreich nicht verzichtet und behielt Anhänger. Im selben Jahr 281 gelang es ihm, sich Athens zu bemächtigen; im folgenden Jahr griff er Makedonien an. Er baute vor allem auf seine Flotte, aber Keraunos fügte ihm eine schwere Niederlage zu, die ihn zwang, seinen Plan vorläufig aufzugeben. Sogleich – das war eine unvermeidliche Folge seiner Schlappe – mußte er einen Aufstand in der Peloponnes niederwerfen. Sparta brachte, vielleicht von seinem König Areus dazu angestachelt, einen neuen Peloponnesischen Bund gegen ihn zustande. Antigonos Gonatas befand sich zu dieser Zeit wahrscheinlich in Boiotien. Um ihn zu treffen, landete Areus mit einem Heer in Aitolien, aber er hatte nicht mit der Kampfeslust und dem Argwohn der Aitoler gerechnet, die sich gegen ihn erhoben und ihn zwangen, ihr Land zu räumen. Indessen besserte sich die Lage des Antigonos keineswegs. Seine Partei, die in Athen an der Macht war, wird von der nationalen Opposition verjagt, die sich zur Politik und zum Namen des Demosthenes bekennt. Das ›Königreich‹ des Antigonos ist damit auf ein paar Stützpunkte zusammengeschrumpft: Demetrias, Korinth (seine Hauptfestung), den Piräus und einige verstreute Plätze in Achaia und Argolis. Es sah fast so aus, als ob der Sohn des Demetrios Poliorketes dazu bestimmt gewesen sei, das Schicksal seines Vaters nachzuleben; vielleicht trat für einen Augenblick sogar die Versuchung an ihn heran, die Demetrios zugrunde gerichtet hatte. Im Jahre 279 geht er tatsächlich nach Asien hinüber und greift, indem er versucht, die neue Lage auszunutzen, die nach dem Verschwinden des Lysimachos an den Küsten des Pontos Euxeinos entstanden ist, Antiochos an. Allein hätte Antigonos mit den geschwächten Kräften, über die er verfügte, bestimmt nichts ausrichten können, aber gleich nach der Niederlage des Lysimachos bei Kurupedion schlossen sich mehrere griechische Städte des Pontos (Herakleia, Byzanz, Chalkedon, sowie Kieros, das spätere Prusias, und Tios) zu einem Nordbund zusammen, der seine Unabhängigkeit erklärte. Ihrem Beispiel folgte ein Fürst persischer Herkunft, Mithridates I., der noch vor Seleukos’ Tod das Königreich am Pontos gründete. Die Liga, deren Mitglieder ihre Unabhängigkeit gegen Lysimachos erkämpft hatten, dachte nicht daran, sich dem Nachfolger des Seleukos zu unterwerfen, und hatte nichts Eiligeres zu tun, als Keraunos anzuerkennen und sich mit ihm gegen den Seleukiden zu verbünden. Die mächtige Flotte von Herakleia hatte zu der Niederlage des Antigonos bei seinem Handstreich von 280 gegen Makedonien beigetragen. Fortgesetzt und verstärkt wurde diese Bewegung der Abtrünnigkeit durch Bithynien, dessen alter König Zipoites, obwohl er Seleukos gegen Lysimachos unterstützt hatte, den Kampf mit einem Heer des Antiochos aufnahm, als dieser seine Suzeränität über seine Provinz geltend zu machen versuchte. Sein Nachfolger Nikomedes verfolgte die gleiche separatistische Politik, erklärte seine Unabhängigkeit und schloß ein Bündnis mit den anderen unabhängigen Staaten der Schwarzmeerküste. Andrerseits endlich hatte Philetairos, der Statthalter, den

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Lysimachos zum Kommandanten der Festung Pergamon berufen hatte, wo ein Teil der königlichen Schätze gelagert war, während des Krieges zwischen Lysimachos und Seleukos seinen Herrn an Seleukos verraten. Nach Kriegsende bestätigte Philetairos zwar nicht offiziell seine Unabhängigkeit und verhielt sich nach außen hin als ehrerbietiger Vasall des Seleukidenkönigs, in Wirklichkeit aber war er autonom. Das also war die Situation, die Antigonos ausnutzen wollte. Überdies kämpfte Antiochos in Syrien gegen einen Aufstand, der ihm die Hände band, und Ptolemaios II. eröffnete die Feindseligkeiten gegen die Seleukiden, indem er sich Milets bemächtigte. Der Zeitpunkt schien günstig, um das Reich des Antiochos noch etwas mehr anzunagen, und man würde vielleicht den Wiederbeginn der Bündnisse, die sich in der Vergangenheit stets gegen den Herrn von Babylon gebildet hatten, unterstützt haben, wenn nicht urplötzlich eine neue Gefahr von ungeheuerem Ernst diese schon gleichsam zur Tradition gewordenen ehrgeizigen Intrigen unterbrochen hätte. Gallische Horden, mit denen verwandt, die hundert Jahre zuvor Rom und Italien verwüstet hatten171, standen an den Toren Makedoniens und drangen bereits in hellenisches Gebiet ein. Die Invasion der ›Galater‹, wie die Griechen sie nannten, begann im Frühling des Jahres 279172. Sie erfolgte in drei Wellen aus der Donaugegend. Keraunos versuchte, sich einer in der Nähe der Grenze entgegenzustellen, aber das makedonische Heer war noch in seinen Winterquartieren. Die tatsächlichen Truppenbestände, über die der König verfügte, erwiesen sich als unzureichend, und Keraunos wurde getötet. Die Eindringlinge hatten freie Bahn. Sofort brach Verwirrung in Makedonien aus. Nachdem Keraunos tot war, gab ihm das Heer zunächst kurzlebige Nachfolger: seinen Bruder Meleagros, den man fast auf der Stelle wieder wegschickte, dann Antipatros; er regierte nur einen Sommer. Schließlich wählte die Versammlung den ›Strategen‹ Sosthenes, der bis zur Wahl eines Königs die Macht ausüben sollte. Der Thron Makedoniens war praktisch vakant, und Antigonos durfte sich auf die Thronbesteigung die größten Hoffnungen machen. Vielleicht wurde zu diesem Zeitpunkt zwischen Antigonos und Antiochos ein Vertrag abgeschlossen, der ihre Einflußzonen gegeneinander abgrenzte (es scheint, daß man den Nestos als Grenze festgelegt hatte). Außerdem heiratete Antigonos eine Schwester des Antiochos, Phila173. Mit dieser Unterstützung konnte Antigonos Makedonien angreifen. Aber es gelang Sosthenes, während er seinen energischen Feldzug gegen die Galater fortsetzte, ihm Anfang 277 eine Niederlage beizubringen, die seine Angriffskraft brach. Zu der Zeit hatten die Galater eine blutige Schlappe erlitten, die sie einen großen Teil ihres Ansehens kostete. Bereits im Winter 279/78 hatte sich eine von Brennos geführte Kolonne den Marsch durch die Thermopylen erzwungen und war bis Delphi vorgedrungen, in der Hoffnung, das Heiligtum plündern zu können. Dort stießen sie auf den erbitterten Widerstand der von einem Trupp Aitoler unterstützten Einwohner. Während des Angriffs brach ein Schneesturm los, und

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keiner zweifelte – hinterher – daran, daß man den Gott selbst, Apollon, erblickt habe, wie er gegen die Barbaren kämpfte. Diese Niederlage, die die Moral der Griechen hob, hatte zur unmittelbaren Folge, daß die Galater sich vom eigentlichen Griechenland abwandten; die Invasion selbst war aber keineswegs zum Stillstand gebracht. Sie nahm ihren weiteren Verlauf, diesmal in Richtung auf die Meerenge, wo die Galater in Nikomedes einen Verbündeten fanden, der ihnen die Möglichkeit verschaffte, das Meer zu überqueren, um sie gegen seinen eigenen Bruder, der wie ihr Vater Zipoites hieß und ihm das Königreich streitig machte, einzusetzen. Die Galater im Dienste des Nikomedes machten den Thronansprüchen seines Rivalen ein Ende, aber nachdem ihre entfesselte Flut nun einmal Asien erreicht hatte, ließ sie sich nicht mehr eindämmen, und bald wurden die Provinzen Kleinasiens erbarmungslos verheert.

 Abb. 13: Der sterbende Gallier

Unter diesen Umständen verschwand Sosthenes, ohne daß er die Frage der Nachfolge regeln konnte. Neue Wellen keltischer Invasoren drangen in Makedonien ein. Antigonos, der sein Heer in der Nähe von Lysimacheia gesammelt hatte, nutzte diese Lage aus, griff eine gallische Horde an, und zum ersten Male erlebte man, daß griechische Truppen in offener Feldschlacht Kelten in die Flucht trieben174. Es wird behauptet, daß der Gott Pan dazu beigetragen hätte, ›panischen‹ Schrecken in die Reihen der Barbaren zu tragen, aber natürlich kam Antigonos nun in den Ruf, unbesieglich zu sein. Für die Makedonen wurde er der Befreier. Das Heer dankte ihm, indem es ihn zum König wählte.

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Er mußte noch mit einigen Thronanwärtern abrechnen, von denen Ptolemaios, der Sohn des Lysimachos und der Arsinoë, der bedeutendste war175. Antigonos, der Galater als Söldner anwarb, wurde mit allen fertig. Ptolemaios floh an den ägyptischen Hof, wo er bald von Ptolemaios II. adoptiert wurde, der ihn, wie wir noch sehen werden, als Werkzeug seiner ägäischen Politik benutzte. Binnen einiger Monate hatte Antigonos wieder ein starkes, festgefügtes Königreich Makedonien aufgebaut, das praktisch unumschränkter Herr der Städte des eigentlichen Griechenlands war176. Dennoch sollte Antigonos, trotz seines gegenwärtigen Sieges, eine letzte Probe zu bestehen haben, bevor er Herr Makedoniens bleiben konnte. Im Frühjahr 274, nach der Rückkehr von seinen unglücklichen Abenteuern in Italien und Sizilien, fiel Pyrrhos in Makedonien ein177. Tat er das nur, um sich durch Raubzüge Mittel zu verschaffen, als Ersatz für das, was er bei seinen fernen Unternehmungen verloren hatte? Hatte er von Anfang an die Absicht, ein Königreich wieder in die Gewalt zu bekommen, auf das er Rechte geltend machen zu können glaubte? Es ist heute schwierig, das mit Sicherheit zu entscheiden178. Immerhin fand Antigonos, als er sich seinem siegreichen Vormarsch entgegenstellen wollte, keine andere Unterstützung als die seiner galatischen Söldner. Die makedonischen Soldaten ließen ihn im Stich und gingen zum Feind über. Die Gründe für diesen Abfall kennen wir nicht. Vielleicht sind sie letztlich in der Tatsache zu suchen, daß Pyrrhos blutsmäßig mit dem großen Alexander verbunden war und daß er durch seinen Ehrgeiz, seinen ritterlichen Charakter und sein militärisches Ansehen an seinen ruhmreichen Vetter erinnerte. Auf jeden Fall mußte Antigonos fliehen, und Pyrrhos bestieg 274 an seiner Stelle den Thron in Pella. Im folgenden Jahr verließ der neue König, durch andere Hirngespinste verlockt, Makedonien, übertrug die Regierung seinem Sohn Ptolemaios und begann sein peloponnesisches Abenteuer, das ihm zum Verhängnis werden sollte. Das war die Gelegenheit für Antigonos, wieder zum Angriff überzugehen. Sofort fiel er nach Makedonien ein, und während Pyrrhos mit seinem Feldzug gegen Sparta alle Hände voll zu tun hatte, holte er sich den größten Teil des Landes zurück. Schließlich fielen die Würfel des Kriegsglücks in Lakonien, und das Schicksal des Pyrrhos erfüllte sich. Offiziell erklärte Pyrrhos, er sei in die Peloponnes gekommen, um die Städte, in denen noch Besatzungen des Antigonos lagen, zu befreien. Damit hatte er sich die Unterstützung der Städte gesichert, die im Achaiischen Bund zusammengeschlossen waren179.

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 Abb. 14: Pyrrhos von Epeiros

Antigonos verließ zeitweilig Makedonien und landete in aller Eile ein Expeditionsheer in Korinth, seinem Hauptstützpunkt im Süden des Isthmos. Pyrrhos wollte gerade Sparta angreifen, als ihn eine Botschaft aus Argos erreichte: Antigonos bedrohte die Stadt, in der er Anhänger hatte. Die einzige Hoffnung der Makedonenfeinde sei ein rasches Eingreifen Pyrrhos’. Dieser eilte herbei. Es kam in Argos zu Straßenkämpfen zwischen den beiden Heeren, die von Bürgern der einen und der andern Partei hereingelassen worden waren. Im Verlaufe der Kämpfe wurde Pyrrhos in einem Gäßchen durch einen Ziegelstein, den eine alte Frau geworfen hatte, an der Stirn verwundet. Ein Soldat des Antigonos erkannte ihn, als er ohnmächtig am Boden lag, und schnitt ihm den Kopf ab180. Damit war der Widerstand gegen Antigonos beendet. Pyrrhos starb im Herbst 272. Die Städte der Peloponnes schlossen sich sofort Antigonos an und beriefen seine Parteigänger an die Macht. Der König hatte die Hände frei, um seinen Thron in Makedonien zu festigen, wohin er sich nun ohne weiteren Aufschub begab. Unterwegs legte er Besatzungen nach Eretria und Chalkis. Auf diese Weise war, zusammen mit dem Piräus, den er ununterbrochen gehalten hatte, eine Reihe von Stützpunkten geschaffen, die die Sicherheit der Verbindungswege zwischen Makedonien und der Peleponnes gewährleisten sollten.

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Von nun an liegt der Rahmen der hellenistischen Welt sozusagen endgültig fest, wenn man von zahllosen Schwankungen im einzelnen absieht, durch die eine Stadt oder ein Volk einmal in dieses, einmal in jenes Lager geworfen wird, wodurch sich die Grenzen unablässig ändern: Stabilität wird, bis zur Eroberung durch Rom, im Osten immer ein relativer Begriff sein. Drei große Königreiche sind aus den Trümmern des Alexanderreiches hervorgegangen. Diese drei Königreiche bleiben, und es bildet sich ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen ihnen heraus, das im Gegensatz zu den imperialistischen Zielen der Diadochen steht. Die Teilung wird als Tatsache anerkannt, und es entsteht eine Ordnung im Rahmen von Grenzen, die als endgültig betrachtet werden. Jede der Königsfamilien, die Antigoniden in Makedonien, die Seleukiden in Asien und die Lagiden in Ägypten, besitzt ihr Königreich wie ein Erbgut, und zwar letztlich durch das Recht der Eroberung. Es geht nicht mehr darum, die Einheit des zerstückelten Reiches wiederherzustellen oder, wie zur Zeit der Diadochen, die Macht jedes regierenden Fürsten durch eine – selbst vorgetäuschte – Entscheidung des makedonischen Heeres zu legitimieren. Es sind von nun an unabhängige Staaten, die sich nebeneinander entwickeln, die ihre Bündnisse und ihre Streitigkeiten haben, aber nicht mehr versuchen, einander zu vernichten. Makedonien bleibt unter der Herrschaft des Antigonos und seiner Nachfolger ungefähr das, was es zur Zeit Philipps II. gewesen war. Es beherrscht weiterhin Griechenland bis zu den Grenzen von Epeiros politisch, muß aber mehr und mehr auf die örtlichen Bünde Rücksicht nehmen, den Aitolischen Bund und den Achaiischen Bund, die alle ihre eigene Politik verfolgen, und muß auch den Ehrgeiz der Städte wie Sparta, ja, Athen, in Rechnung stellen, wo die heimliche Diplomatie der Lagiden, die Stütze aller makedonenfeindlichen Parteien, am Werke ist. Das Königreich Ägypten, das solideste von den dreien, ist von den Kriegen, die sich die Diadochen lieferten, niemals heimgesucht worden. Es war am Anfang so, wie später, nach Actium, als es von Augustus annektiert wird. Es vereinte mit dem eigentlichen Ägypten das griechische Gebiet von Kyrene, durch das Ägypten zum Abendland hin bis an die Grenzen des karthagischen Reiches verlängert wird. Die Lagiden bemühen sich, zu diesen Hauptbesitzungen andere hinzuzuschlagen, ohne geographische Einheit: so Milet und andere Städte Kleinasiens, anscheinend einfache Stützpunkte, Basen der lagidischen Hegemonie in der Ägäis. Vor allem aber hören die Ptolemäer niemals auf, um die Einverleibung von Süd-Syrien zu kämpfen, das der Bündnisvertrag vom Jahre 303 Ptolemaios I. zugesprochen hatte, das ihm aber die Sieger nach der Schlacht von Ipsos verweigert hatten, da Ägypten im letzten Augenblick seine Truppen aus dem Kampf zurückgezogen hatte. Die Lagiden meinten dennoch, unabdingbare Rechte auf diese Provinzen zu haben, und der Kampf um Syrien von Damaskus bis zur ägyptischen Grenze hat endlose Kriege zwischen den Lagiden und den Seleukiden im Gefolge, die sog. ›Syrischen

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Kriege‹, in denen sich das Königreich der Seleukiden zerreibt, ohne daß die Lagiden jemals den ersehnten Endsieg erringen. Die Seleukiden hatten, dem Anschein nach, den Löwenanteil bekommen. Ihr Königreich erstreckte sich beinahe bis an die Grenzen des alten Perserreiches mit Ausnahme Ägyptens. In Kleinasien allerdings hatten sich, wie wir sahen, bereits wichtige Gebiete losgetrennt: Bithynien, das Königreich Pontos, die griechischen Küstenstädte und bald auch das Königreich Pergamon sind selbständig geworden. Doch das Reich des Antiochos leidet noch unter einer viel schlimmeren Krankheit: Die Hauptstadt ist Babylon, aber die Interessen seiner Könige sind nicht auf Mesopotamien gerichtet. Ihr Blick ist nach Westen gewandt, nach den hellenisierten Ländern am Rande des Mittelmeeres. Was geographisch der Mittelpunkt ihres Königreiches ist, erscheint ihnen im Grunde als Hinterland, ein wertvolles Hinterland zwar, aber mitunter allein durch seine ungeheuere Ausdehnung lästig. Der Hellenismus ist in den meisten Satrapien dieses Reiches eine fremde Kultur, die mehr oder weniger freiwillig von der Elite übernommen wurde, die aber keinen wirklichen Einfluß auf das Volk hat. Aus diesem Grunde wird die mangelnde Einheit, die schon zur Zeit der Perserkönige spürbar war, jetzt zu einem echten Makel, der ein fortschreitendes Abbröckeln der Seleukiden-Macht zur Folge hat. b) Die Unternehmen des Ptolemaios II. Philadelphos Die Ereignisse nach der Schlacht von Kurupedion, die mittelbar oder unmittelbar Folgen dieser Schlacht waren, führten zur Schaffung dessen, was man mitunter als ›Gleichgewicht der Kräfte‹ bezeichnet181. Jedes Königreich bewahrt, trotz seiner inneren Schwächen und der Kriege, in die es hineingezogen wird, recht und schlecht den Anschein von Macht und Größe. Dieses – in Wirklichkeit sehr empfindliche – Gleichgewicht wird endgültig erst durch das Eingreifen Roms in die östlichen Angelegenheiten gestört, das einen neuen Faktor in die hellenistische Welt bringt. Was Rom dann allerdings zum Einsturz bringt, ist kein harmonisches politisches Gebäude. Roms Militärmacht oder – häufiger noch – seine Diplomatie machen in Wirklichkeit einer unabsehbaren Reihe von Eintagsaktionen, stets enttäuschter ehrgeiziger Bestrebungen ein Ende, deren Scheitern selbst im Laufe der Zeit die Illusion eines Gleichgewichts hervorrufen konnte, das in Wirklichkeit nur ein lange hinausgezögerter Fall ist. In dieser Periode lassen sich die großen Linien einer Geschichte, die uns heute wie eine Folge schlecht zusammenpassender Fakten erscheint, die manchmal fragwürdig und ungewiß datiert sind, nur schwer verfolgen. Die Zersplitterung und der jämmerliche Zustand unserer Quellen182 verstärken diesen Eindruck der Zusammenhanglosigkeit. Dennoch lassen sich, auch in Ermanglung zwingender Gewißheiten, bestimmte Wahrscheinlichkeiten entdecken. Eine erste Periode in der Geschichte des 3. Jahrhunderts wird unbestritten von der Persönlichkeit und den Unternehmungen des zweiten Lagiden, Ptolemaios’ II. Philadelphos, beherrscht, der im Frühjahr 285 von seinem Vater Ptolemaios I.

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Soter zum Mitregenten ernannt worden war und vom Tode Soters (283) bis zu seinem eigenen im Jahre 246 allein regierte183. Diese lange Regierung entspricht ungefähr der des Antigonos Gonatas, der anderen markanten Persönlichkeit dieser Generation (276–239)184, und ihre Dauer im seleukidischen Asien deckt sich mit der Regierungszeit von zwei Königen, der des Antiochos I. Soter (280– 261) und des Antiochos II. Theos (261 bis 246)185. Diese Zufälligkeiten der Chronologie gestatten vollends, einen Zeitraum abzugrenzen, der eine feste Einheit darstellt und sie bestimmt der Kontinuität der lagidischen Politik verdankt. Ptolemaios I. Soter hatte in Ägypten ein griechisches Königreich errichtet, und seine Händel mit Demetrios Poliorketes hatten sein Verlangen, in der ägäischen Welt dabeizusein, bewiesen. Dieses Ziel hatte er mit allen Mitteln zu erreichen versucht und beispielsweise Pyrrhos, als dieser im Anfang seiner Laufbahn stand, dafür eingesetzt186, indem er sich bemühte, durch mehrfache Bündnisse persönliche Bindungen zu den Herrschern der anderen Königreiche herzustellen, zu Lysimachos und zu Agathokles187. Die Städte zog er durch Geschenke und Wohltaten aller Art auf seine Seite, wodurch er eine regelrechte Schirmherrschaft über die Inseln errichten konnte188. Seit langem war Naukratis einer der Häfen, in dem es von den Handelsschiffen der hellenischen Reeder wimmelte. Alexandria sollte nach dem Willen des ersten Ptolemäers seine Nachfolge antreten und einem noch regeren Handel offenstehen. Statt sich darauf zu beschränken, die fremden Schiffe aufzunehmen, sollte Ägypten seine eigenen Schiffe auf alle bekannten Meere senden; das war das Ziel, das mit der Politik des Lagiden erreicht werden sollte. Dennoch wäre es falsch, wollte man meinen, Ptolemaios I. habe vor allem sein Land bereichern oder seine eigene Schatzkammer füllen wollen. Die Wirtschaftstätigkeit ist in seinen Augen sicherlich nur ein Mittel, um ein Ideal verwirklichen zu können, das in echterem Sinne griechisch ist als eine Bereicherung um ihrer selbst willen. Die Lagiden sind den Bürgern Karthagos gänzlich unähnlich. Was sie anstreben, ist vor allem Ruhm. Ihre Sorge unterscheidet sich nicht sehr von der, die ihre ›Klienten‹ quälte, für die Pindar einst seine Siegesgesänge gedichtet hatte. Gold ist nur das Symbol und das Mittel zum Ruhm. Daneben muß auch den Musen ihr Platz eingeräumt werden. Alexandria besaß nicht nur einen sehr betriebsamen und – mit seinem Leuchtturm – ›modernen‹ Handelshafen, es besaß auch ein Museion, ein Heiligtum, das den Göttinnen und den von ihnen beschirmten Tätigkeiten geweiht war. Diesen Ruhm, den die Dichter preisen, preisen auch die von dankbaren Völkern eingemeißelten Inschriften. Er kommt in den periodischen Festen zum Ausdruck, die in den panhellenischen Heiligtümern im Namen eines siegreichen Königs gefeiert werden und sein Andenken verewigen, wie zum Beispiel die Isthmischen Spiele das des Herakles verewigen. Kein Wunder, daß der Hellenismus an diesem Hofe von Alexandrien, wo sich die günstigsten materiellen und geistigen Bedingungen für seine Entfaltung vereinten, besonders herrlich erblühte.

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Diese Prestigepolitik wurde von Ptolemaios II. fortgesetzt, den man seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. wegen seiner Heirat mit seiner Schwester Arsinoë Philadelphos nannte. Der neue König war ein Sohn von Ptolemaios I. Soter und Berenike; man hatte ihm vor den Kindern aus erster Ehe den Vorzug gegeben. Von seinem Vater war er sorgfältig erzogen und dem peripatetischen Philosophen Straton von Lampsakos, später dem gelehrten und verliebten Dichter Philetas von Kos anvertraut worden (einem Landsmann des jungen Königs also, der 308 auf Kos geboren wurde). Dadurch verfugte er über eine Erziehung, die Ptolemaios I. Soter wahrscheinlich fehlte. Seine Lehrer hatten ihm eine ›königliche Seele‹ geben wollen, und sein alt gewordener Vater hatte Gefallen daran gefunden, ihn an die Macht heranzuführen, während er selbst aus dem Schatten seine ersten Schritte als Herrscher lenkte. Philadelphos bewahrte seinem Vater eine Verehrung, die sich in der Einrichtung eines regelrechten Kults äußerte. Zweifellos verlangte die ›Staatsräson‹ eine Vergottung Soters, aber Philadelphos scheint durch die Pracht der Feste, die er bei dieser Gelegenheit gab, das Maß, das ausgereicht hätte, um den Bräuchen Genüge zu tun, überschritten zu haben. Alle vier Jahre mußten Spiele, die Ptolemaiischen Spiele, gefeiert werden, wodurch sie den großen traditionellen Spielen Griechenlands glichen. Der König lud dazu, seit ihrer Stiftung im Jahre 279, offizielle Vertreter des Inselbundes ein189, und dieses Fest mußte zum Fest der ganzen lagidischen Dynastie werden und ihrem göttlichen Charakter die offizielle Weihe geben. Wir besitzen eine, vermutlich unvollständige, aber dennoch wertvolle Beschreibung einer dieser Zeremonien, und es ist leicht daraus ersichtlich, daß sie vor allem religiösen Charakter trug190. Während der großen Prozession, mit der das Fest begann, werden unter anderen Göttern die Standbilder Alexanders und Ptolemaios’ neben den Bildern, die den Triumph des Dionysos über die Inder darstellen, getragen. Möglicherweise hat Philadelphos, von dem uns überliefert ist, daß er nicht über große Körperkräfte verfügte und stets auf der Suche nach ausgefallenen Vergnügungen war191, Gefallen daran gefunden, diesen Zug auf malerische Weise zu ordnen und ihm besonderen Glanz zu geben. Dennoch blieb aber jahrhundertelang die dynastische Religion durch eine Mischung von Prunk und dionysischem Mystizismus bestimmt, voll von einer Sinnenfreude, die geeignet war, die Phantasie der Griechen und die ›naturalistische‹ Erregbarkeit der eingeborenen Massen zugleich unmittelbar anzusprechen, da Dionysos im Begriff stand, offiziell in Osiris aufzugehen192. Ptolemaios II. hatte, wahrscheinlich um die Zeit, als er Mitregent geworden war, eine Tochter des Lysimachos, namens Arsinoë, geheiratet, die durch ihre Mutter von Antipatros abstammte. Bald jedoch wurde diese erste Frau unter dem Vorwand, eine Verschwörung gegen ihren Gatten angezettelt zu haben, verbannt und mußte sich nach Koptos zurückziehen. Der wahre Grund für diese Verbannung lag woanders; er war das Ergebnis von Intrigen, hinter denen des Königs eigene Schwester, Arsinoë II. (eine Tochter Ptolemaios’ I. Soter und Berenikes), steckte193. Arsinoë hatte den Hof von Alexandrien als

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Fünfzehnjährige verlassen, um Lysimachos zu heiraten, der damals auf dem Gipfel seiner Macht stand (um 300 v. Chr.). Wenn man gewissen antiken Historikern Glauben schenken will, hatte sie dazu beigetragen, das Ende ihres Mannes zu beschleunigen, indem sie (aus Liebeskummer) die Ermordung des Agathokles veranlaßte; Agathokles war der Sohn des Lysimachos und die wichtigste Stütze des alten Königs. Nach der Schlacht von Kurupedion war sie heimlich aus Ephesos geflohen, wo sie sich aufhielt, und hatte sich in Kassandreia verschanzt. Ihr Halbbruder Ptolemaios Keraunos bot ihr den Thron von Makedonien an, falls sie einwillige, ihn zu heiraten. Arsinoë öffnete ihm dafür mit einer für diese Frau erstaunlichen Unvorsichtigkeit die Tore von Kassandreia. Die Hochzeit fand statt, aber Keraunos ermordete, nachdem er Herr der Stadt war, zwei der Kinder des Lysimachos und der Arsinoë; diese floh und fand zuerst in Samothrake und dann in ihrem Heimatland Ägypten Zuflucht. Ohne durch ihre Abenteuer klüger geworden zu sein, begann sie aufs neue Ränke zu spinnen, und das gelang ihr so gut, daß sie (anscheinend) wenige Monate nach ihrer Ankunft in Alexandrien die Entfernung der anderen Arsinoë durchgesetzt hatte – dank desselben Verfahrens, das sich einst gegen Agathokles so gut bewährt hatte – und ihren Platz als Gattin Ptolemaios’ II.194 einnahm. Eine solche Heirat, die von den Griechen als blutschänderisch betrachtet wurde, da diese nur die Eheschließung zwischen Bruder und Schwester vom selben Vater oder von derselben Mutter guthießen, war schwerverständlich. Sie kann auf mehrere Arten erklärt werden: durch Berufung auf ägyptische Bräuche oder auf die Freiheit, die die persischen Herrscher auf diesem Gebiete genossen zu haben scheinen, und schließlich, wie die zeitgenössischen Hofdichter es taten, durch einen Vergleich mit der Götterehe von Zeus und Hera. Schon als Ptolemaios II. Philadelphos seinen älteren Brüdern vorgezogen worden war, besonders Keraunos, hatten die Schmeichler daran erinnert, daß Zeus der jüngste unter den Söhnen von Kronos und Rhea gewesen war. Solche Erwägungen können zwar Ptolemaios rechtfertigen, sie genügen aber zweifellos nicht, um zu erklären, warum er seine Schwester wählte. Die Bildnisse der Arsinoë zeigen eine sehr schöne Frau. Sie war älter als ihr Bruder, gebieterisch und hatte für diesen den Reiz, den eine herrische und sinnliche Frau auf eine schwache Natur, die etwas knabenhaft geblieben ist oder zumindest durch eine zügellose Phantasie und Neigungen beherrscht wird, ausüben kann. Ohne Zweifel steckte darin auch die Freude daran, sich über die den Sterblichen auferlegten Gesetze zu erheben, sich den Göttern gleichzustellen: Derselbe Herrscher, der den Pomp der Ptolemaia angeordnet hatte, mußte Gefallen an einem Inzest finden, der zum Vergleich mit Zeus und den Sitten der Pharaonen herausforderte195. Es liegt darin bereits die Ausschweifung jenes »unnachahmlichen Lebens«, das sich Kleopatra, eine würdige Nachkommin des Philadelphos, an der Seite des Antonius vorstellte196. Und es war ebenso gute Politik, die Rolle von Osiris und Isis zu spielen, wie die des Zeus und der Hera. Bereits vor ihrem Tod (im Jahre 270) vergöttlicht, wurde Arsinoë als »Herrin des Glücks« anerkannt, und die

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Seeleute riefen sie als eine Aphrodite der Meere an, was sie in enge Beziehung zu Isis bringt, der Beschützerin der Seefahrer und Königin der Meere197. Mit ihr wurde der religiöse Synkretismus eingeleitet, der für die Frömmigkeit des einfachen alexandrinischen Volkes bezeichnend ist und aus dem später die Theologie der Philosophen erwachsen sollte. Arsinoë hat, das wird von niemand bestritten, in der Regierung des Königreiches eine sehr große Rolle gespielt. Sie hatte ihre Kreaturen bei Hofe untergebracht und durch Meuchelmord oder Verleumdung alle unterdrückt, die ihr lästig werden konnten. Sie scheint jedoch die politische Linie des Philadelphos, die, zumindest auf dem Gebiete der auswärtigen Beziehungen, der Soters ähnlich war, nicht beeinflußt zu haben. Sie war noch nicht Königin, als der Erste Syrische Krieg begann. c) Der Erste Syrische Krieg Die Feindseligkeiten wurden durch einen Vorstoß von Ptolemaios II. ausgelöst, der im Jahre 278 im Besitz der Stadt Milet war (um sie hatten sich in der Vergangenheit Lysimachos, Seleukos und Ptolemaios Soter selbst gestritten) und der Stadt Ländereien zuwies, die Antiochos gehörten. Dieser erwiderte die Herausforderung nicht auf der Stelle, denn er war in mehrere Kämpfe verwickelt, eine Revolte in Syrien selbst und die Rebellion des Nordbundes. Er mußte sich außerdem der Invasion der Galater entgegenstellen. Diese Situation nützte Ptolemaios aus, um im Frühjahr 276 in Syrien einzufallen. Antiochos überschritt in aller Eile wieder den Tauros (er hatte den Winter in Sardeis verbracht) und verjagte den Eindringling. Dann, im Jahr darauf, hatte er endlich die Hände frei und konnte einen allgemeinen Angriff gegen die Galater unternehmen und – in der sog. ›Schlacht der Elefanten‹ – einen Sieg über sie erringen, der wenigstens für den Augenblick den Gallierschrecken beseitigte, der seit vier Jahren auf Kleinasien lastete.

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 Abb. 15: Seleukidischer Kriegselefant

Der erste Feldzug des Krieges schloß also mit einer militärischen Schlappe für Ptolemaios II. Auf dem Felde der Diplomatie war es allerdings anders. Ptolemaios, der Sohn des Lysimachos und der Arsinoë, der dem Gemetzel von Kassandreia entronnen war198, hatte, wie seine Mutter, Zuflucht in Alexandria gefunden, und der König hatte ihm die Regierung der Städte Ioniens anvertraut und ihn in Milet in die Regierung eingesetzt. Das bedeutete, daß die Anhänger des alten Königs, die sich weigerten, die Herrschaft der Seleukiden anzuerkennen, sich um den Sohn des Lysimachos scharten. Ägypten machte also aus Milet nicht nur einen möglichen ›Brückenkopf‹, sondern auch einen Unruheherd, der sich einmal als gefährlich erweisen konnte. Antiochos beschloß, seinerseits zum Angriff überzugehen, und um in dem Ränkespiel nicht zurückzustehen, schürte er einen Aufstand in der Kyrenaika, wo Magas, ein Halbbruder Ptolemaios’ II., als Vizekönig regierte. Magas, der vielleicht über den Einfluß beunruhigt war, den Arsinoë sich verschaffte, oder einfach überzeugt, daß die militärischen Niederlagen, die Ptolemaios in Syrien erlitten hatte, und die Invasionsdrohung des Antiochos gegen Ägypten ihm Straflosigkeit gewähren konnten, erklärte sich unabhängig und nahm den Königstitel an. Daß er dabei die Unterstützung der Seleukiden hatte, kann nicht bezweifelt werden, denn er heiratete 275 die Prinzessin Apame, die Schwester des Antiochos. Ohne die von Antiochos vorbereitete Offensive abzuwarten, griff Magas selbst

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Ägypten an. Durch eine Meuterei der galatischen Söldner des Ptolemaios (seit dieser Zeit pflegten die Galater sich in den Dienst der hellenistischen Könige zu stellen) wäre er fast an sein Ziel gelangt. Aber er wurde wiederum durch den Aufstand eines Eingeborenenstammes in die Kyrenaika zurückgerufen; es wird behauptet, die Agenten Arsinoës hätten den Aufstand angezettelt. Inzwischen warf Ptolemaios die Meuterei nieder und entsandte eine Flotte, um Kilikien zu brandschatzen. Diese Strategie erwies sich für den Lagiden als glücklich, und um 272 erlangte er einen sehr vorteilhaften Frieden. Theokritos, einer der ergebensten Höflinge des Philadelphos, hat in einem Gedicht die durch den Vertrag erlangten Ergebnisse zusammengefaßt: » ... er (Ptolemaios) schneidet sich ein Stück aus Phönikien, Arabien, Syrien, Libyen und von den schwarzen Aithiopern heraus. Er herrscht über alle Pamphylier, über die kilikischen Krieger, über die Lykier, die Karier, die kampfbegeistert sind, und über die kykladischen Inseln, denn er hat ausgezeichnete Schiffe, die die Wogen pflügen; das ganze Meer und die Erde und die brausenden Ströme gehorchen Ptolemaios ...«199 So festigte der Lagide nicht nur in Kleinasien die von seinem Vater ererbten Positionen, sondern besetzte auch neue Länder: den Westteil Kilikiens, die pamphylische Küste, einen guten Teil Kariens und Lykiens. In Syrien besitzt er Koile-Syrien, den Teil des Landes, in dem sich die Häfen und die reichsten Äcker befanden. Das seleukidische Königreich wird nach Osten auf die nichtgriechischen Länder zurückgeworfen. Ptolemaios steht anscheinend im Begriffe, den dynastischen Traum zu verwirklichen: der griechischen Welt seine Herrschaft aufzuerlegen. Zu dieser Zeit schickt er eine Gesandtschaft nach Rom, an dieser Tatsache ist nicht zu zweifeln200. Philadelphos wollte offensichtlich, was die Rhodier im Jahre 306 gemacht hatten, sich der ›Freundschaft‹ der Macht versichern, die Pyrrhos besiegt hatte und Italien beherrschte. So wie Karthago mehr und mehr Verträge mit dem römischen Volke schloß, so konnte das lagidische Ägypten nicht darauf verzichten, offizielle Beziehungen mit dem Staate anzuknüpfen, von dem die Handelsstädte Kampaniens und die freie Seefahrt auf dem Tyrrhenischen Meer abhingen. Es gab aber zweifellos auch einen anderen Grund, der durchaus entscheidend gewesen sein kann: Ptolemaios, der sich als ›Führer‹ der Griechen betrachtete, umspannte natürlich mit seiner Diplomatie das gesamte Gebiet jenes ›griechischen Sees‹, als der ihm das Mittelmeer erscheinen mußte. Rom, das dem westlichen Hellenismus zugehörte, mußte in das dichtmaschige Netz der Beziehungen eingeschlossen werden, die der Lagide mit allem unterhielt, das von nah oder fern die griechische Welt berührte. d) Der Krieg des Chremonides Indessen diese diplomatische, kommerzielle und geistige Suprematie wurde in der Ägäis selbst noch nicht widerspruchslos anerkannt. Das Königreich Makedonien, das die Anarchie und ernstliche Schwierigkeiten, die nach Kurupedion aufgetreten waren, überwunden hatte, stand im Begriff, unter der

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Herrschaft des Antigonos Gonatas seine traditionelle Stellung in der griechischen Welt wiederzufinden. Antigonos, im Norden der Ägäis Nachfolger Philipps, Alexanders und seines Großvaters Antipatros, erschien als der natürliche Schirmherr des griechischen Festlands und der Inseln. Makedonien und Ägypten mußten also in der Ägäis, wo die Bestrebungen Ägyptens und die lebensentscheidenden Interessen Makedoniens sich begegneten, aufeinanderprallen. Antigonos war um zehn Jahre älter als Philadelphos, und man kann sich schwerlich einen krasseren Gegensatz vorstellen als ihrer beider Jugendzeit201. Philadelphos, Sohn aus zweiter Ehe, war nicht zur Herrschaft geboren, sondern verdankte es dem Einfluß und zweifellos den mütterlichen Intrigen, daß er seine Halbbrüder verdrängte. Antigonos dagegen war von Anfang an zum Nachfolger seines Vaters Demetrios bestimmt. Philadelphos hatte sich in Friedenszeiten und in der Stille des Hofes von Alexandrien auf seine künftigen Pflichten vorbereitet. Antigonos hatte sich mit bewaffneter Hand in der Politik geübt; er hatte kurze Zeit für seinen Vater die griechischen Städte regiert, eine mißliche Aufgabe, die das diplomatische Talent und die Geduld eines jeden, der sich daran versuchte, auf eine harte Probe stellte, und schließlich hatte er mit Waffengewalt sein Königreich Makedonien zurückfordern müssen, jenes Reich, wohin ihn das von seiner Mutter Phila ererbte Blut des Antipatros rief; er mußte es nicht nur einmal, sondern zweimal erobern und zu diesem Zwecke gegen die Galater kämpfen, die gefährlichsten Krieger seiner Zeit. Dennoch hatten beide Männer einen Zug gemeinsam: Beide hatten sie als Jünglinge den Umgang mit Philosophen und Dichtern gesucht und sich deren Freundschaft in ihrem reifen Alter erhalten. Antigonos hatte in Chalkis die Lehren des Philosophen Menedemos gehört, der ein Schüler Platons gewesen war, doch er war ihm nicht treu geblieben und empfand, wie uns Diogenes Laertius berichtet, im Alter nur noch Verachtung für ihn. Menedemos, von den Eretriern zu ihrem obersten Beamten gewählt, wurde in die zeitgenössische Politik gezogen und unternahm mehrere Gesandtschaften zu Königen: Ptolemaios I. Soter, Demetrios und auch Lysimachos. Zu den Großen sprach er mit einer Freiheit, die schon eines Kynikers würdig gewesen wäre. Er tat das aber weniger aus echter Verachtung, als um sich Gehör zu verschaffen, indem er in einer für sie ungewohnten Sprache zu ihnen redete, und um sie daran zu erinnern, daß die geistigen Werte höher stünden als alle anderen. Es ist bezeichnend, daß Antigonos sich stets auf Menedemos, den Patrioten, der sich für seine Mitbürger aufopferte, den Kritiker der ›Tyrannen‹ und Verächter des Reichtums, berufen hat. Von Menedemos ging Antigonos zur Schule Zenons über, der im Jahre 301 oder 300 in Athen zu lehren begann. Sehr bald schlossen Fürst und Philosoph eine tiefe Freundschaft. Wie weit die Gedanken des Philosophen die des Königs zu beeinflussen vermochten, ist aber schwer zu sagen. Antigonos, soviel steht fest, war für die Auffassungen des Moralgesetzes empfänglicher als für den Reiz der um ihrer selbst willen gesuchten Erkenntnis, genauso wie Alexander und

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Antipatros in der Schule des Aristoteles. Er wurde nicht nur der Freund des Menedemos und Zenons, sondern auch des Bion von Borysthenes, den er in Pella empfing und offen reden ließ. Diese Freundschaften lassen uns Antigonos besser erkennen, bei dem wir das Verlangen vermuten dürfen, Klarheit über sich selbst zu gewinnen und keine der bei den Großen dieser Welt nur allzu gewöhnlichen Illusionen bestehen zu lassen. Gewiß, die Wechselfälle seines eigenen Schicksals, die ihn zum König ohne Königreich machten, geboten ihm, in sich selbst die Mittel zur Abhilfe zu finden, so wie Stilpon (der der Lehrer von Menedemos gewesen war) es gelehrt hatte und wozu auch Zenons Lehre aufforderte. Aber sein Hang zum Stoizismus ist älter als sein Mißgeschick. Er ist bei ihm nicht durch Resignation gefärbt, und man darf annehmen, daß er in seiner eigenen Philosophie und in seinem Glauben an die Macht des Willens die Kraft zur Fortsetzung des Kampfes fand. Auch der Dichter Aratos von Soloi gehört zu Antigonos’ Vertrauten. Aratos, der ebenfalls Stoiker ist, blieb im ganzen Altertum durch sein astronomisches Gedicht Phänomene berühmt, in dem geschildert wird, was im Himmel vorgeht, und das den Grund dafür lehrt: Zeus, so heißt es darin, beherrscht die Welt, er ist der Ursprung allen Lebens, und sein Geist ist der Urquell dieses gesamten Lebens. Nun war Zeus schon seit langem als Vorbild der Könige berühmt – bereits die Ilias vergleicht alle ›Völkerhirten‹ mit dem Herrn des Olymp –, aber der Zeus der Phänomene ist nicht mehr der Zeus Homers; er ist, dank Zenon (dessen semitische Herkunft die henotheistischen, wenn nicht gar mystischen Tendenzen begünstigt hat) zum ›Gewissen‹ der Welt geworden. Er ist nicht mehr ein Herrscher, dem es freisteht, so zu handeln, wie es ihm beliebt, sondern in seiner Achtung vor den Gesetzen des Schicksals ist dieser neue Zeus der Diener der Vernunft, oder vielmehr, er ist in seinem Werden diese Vernunft selbst. Die Dichtung des Aratos hat durch ihren Ernst und eine mehr verinnerlichte als zur Schau gestellte Großartigkeit zur Zeit des Augustus eine starke Anziehungskraft auf die Geister ausgeübt. Vergil schuldet ihm viel; in seiner bewußten Nachahmung der Phänomene werden die alexandrinische Phantasie und die willkürlichen Spiele des Künstlers mit Weisheit erfüllt. So verkörperten, von einer Küste der Ägäis zur andern, Aratos und Kallimachos oder Theokritos der erste die ernste, strenge Seite des Hellenismus, die anderen seine Sinnenfreude und seine Liebe zur reinen Schönheit. Auf diese Weise läßt sich vielleicht, wenn man die allzu schematischen Parallelen nicht fürchtet, der Gegensatz von Antigonos und Philadelphos darstellen. Wahrscheinlich wäre es gefährlich, bestimmte politische Handlungen des Antigonos aus seinem ›Stoizismus‹ erklären zu wollen, beispielsweise zu vermuten, daß seine Einstellung zu den Städten, die er gewöhnlich von Tyrannen regieren ließ und in die er Besatzungen legte, mit dem stoischen Grundsatz im Einklang stünde, wonach die Freiheit im Innern des Menschen liege und nicht in den Einrichtungen, daß jeder von uns zuerst Mensch sei, und dann erst Bürger eines kleinen Vaterlandes. Es war zwar ganz natürlich, daß der

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Stoizismus eine großzügigere Auffassung vom Staate hatte als die traditionelle Enge der Städte, man darf aber auch nicht vergessen, daß diese autoritäre Politik von Antipatros aus anderen Gründen betrieben worden ist. Das hindert nicht, daß Antigonos von seinen königlichen Pflichten eine sehr hohe Auffassung gehabt hat, und daß er einmal seinen Sohn ermahnte, der einen Untertanen gekränkt hatte, ihr Königtum sei nur »eine mit Glanz umgebene Dienstbarkeit«202 – das heißt, der König war der Diener seines Volkes – eine Maxime, die Philadelphos bestimmt nicht unterschrieben haben würde. Die Lagiden hatten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versucht, die Rückkehr des Antigonos nach Makedonien zu verhindern, dessen Thron sie für Ptolemaios, den Sohn des Lysimachos, vorbehielten203. Seit Pyrrhos’ Zeit waren sie bestrebt gewesen, ihre Partei in den Städten des griechischen Festlands, besonders in Athen, zu stärken. Das ermutigte die Städte, Antigonos, der zeitweilig Makedoniens beraubt war, sich aber in den meisten seiner anderen Besitzungen hielt, im Stiche zu lassen. Der unerwartete Tod des Pyrrhos hatte die Fäden der ägyptischen Diplomatie auf dem griechischen Festland zerrissen. Antigonos hatte durch seinen Sieg beachtliches Ansehen gewonnen; selbst in Sparta, dem traditionellen Verbündeten der Ptolemäer, verfügte Antigonos von nun an über Freunde, was durchaus natürlich war, denn die Stadt verdankte ihm ja ihre Rettung vor den Unternehmungen des Pyrrhos. Überall kommt die makedonenfreundliche Partei wieder an die Macht und verurteilt die ›Nationalisten‹, die im allgemeinen von den Ägyptern gedingt oder zumindest unterstützt waren, zum Schweigen. Es scheint, daß Antigonos in vielen Städten wenn nicht Tyrannen eingesetzt, sie doch zumindest an der Macht gehalten hat, wie Aristodemos in Megalopolis und Aristomachos in Argos. Er selbst konnte dadurch seine Besatzungen auf ein Mindestmaß verringern und durfte hoffen, daß die ›Demokraten‹ ihn in Ruhe wieder Ordnung in Makedonien schaffen lassen würden. Aber obwohl er den Piräus hielt, wo er eine Besatzung hatte und die makedonenfreundliche Partei seit 271 an der Macht war, konnte Antigonos nicht verhindern, daß die ptolemäischen Agenten in Athen, das die geistige Hauptstadt Griechenlands blieb und selbst politisch großes Ansehen bei anderen Städten genoß, eine regelrechte Verschwörung gegen ihn zustande brachten. Der Tod der Arsinoë im Jahre 270 hatte nicht die geringste Änderung der lagidischen Politik gebracht – die modernen Historiker können höchstens bestätigen, daß diese Politik mit noch größerer Energie durchgeführt wurde als zu ihren Lebzeiten. Eine lagidische Gesandtschaft, die vielleicht 267 erfolgte und bis heute in Erinnerung geblieben ist, weil der Philosoph Zenon an dem Essen teilnahm, das den Gesandten zu Ehren gegeben wurde, führte zu einer Versteifung der demokratischen Partei. Im August desselben Jahres sah sich die makedonische Partei gezwungen, die Macht aus den Händen zu geben, und Athen, nun in der Gewalt nationalistischer Extremisten, schloß offen ein Bündnis mit Ptolemaios II., auf das es für die Sicherung seiner Getreideversorgung rechnete. Das war für den Lagiden ein um

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so größerer Erfolg, als schon während der Monate vorher Sparta einen Städtebund, der fast alle Städte der Peloponnes umfaßte, außer natürlich Megalopolis und Argos, die fest in der Hand ihrer Tyrannen blieben, gegen Antigonos zusammengebracht hatte. Die Seele der athenischen Opposition gegen Antigonos war ein junger Mann, der, wie der König, ein Schüler Zenons war: der schöne Chremonides. Auf sein Betreiben wurde Anfang September ein Beschluß gefaßt, durch den dem König von Makedonien der Krieg erklärt wurde204. Chremonides rief mit der Begeisterung der Jugend die Erinnerungen an eine ruhmreiche Vergangenheit wach: die medischen Kriege, den Kampf gegen alle ›Tyrannen‹, und versicherte, der Bund zwischen Sparta und Athen würde sich gegen Antigonos als ebenso unbezwinglich erweisen wie einst gegen Xerxes. In Wirklichkeit hatten sich die Verhältnisse seit dem 5. Jahrhundert wesentlich geändert. Damals standen die Griechen allein dem Barbarentum gegenüber. Jetzt waren sie kaum mehr als der Einsatz in einem Spiel, das sie nicht selbst spielten und dessen wirkliche Partner Makedonien und Ägypten waren. Die Kriegshandlungen begannen im Frühjahr 266. Antigonos fiel in Attika ein, während eine ptolemäische Flotte unter dem Befehl des ›Strategen‹, des Makedonen Patroklos, vor Kap Sunion in Stellung ging, um die Einfahrt in den Saronischen Golf zu beherrschen. Der Plan der Verbündeten sah eine kombinierte Aktion zwischen Patroklos und dem Landheer vor, das der König von Sparta, Areus, von der Peloponnes nach Attika heranführen mußte. Aber das traditionelle strategische System des makedonischen Reiches in Griechenland, das auf dem Besitz Korinths beruhte, erwies sich wieder einmal als wirksam. Krateros, der Halbbruder des Antigonos, hielt Korinth und verweigerte Areus den Marsch durch den Isthmos. Die feindlichen Streitkräfte waren in zwei Teile gespalten und konnten sich nicht vereinigen. Patroklos, obwohl er die See beherrschte, hatte keine Möglichkeit, den Transport des Heeres des Areus zu bewerkstelligen, zweifellos, weil kein Landungsplatz zu finden war205. Antigonos war Herr der Lage. Er konnte allerdings in jenem Jahr seinen Vorteil nicht ausnutzen, denn seine galatischen Söldner meuterten. Nach Eintritt der schlechten Jahreszeit zogen sich die Kriegführenden zurück, aber im Frühjahr 265 zog Antigonos, als der Feldzug wieder begann, Areus entgegen. Vor den Festungswerken von Korinth kam es zur Schlacht, Areus wurde geschlagen und getötet. Patroklos hatte sich mit seinen nutzlosen Schiffen ohne Zweifel wieder auf den Weg nach Alexandrien gemacht. Aber schon versuchte der Lagide ein anderes Manöver. Er warf Antigonos den jungen Alexander entgegen, einen Sohn des Pyrrhos, dem Antigonos nach dessen Tode das väterliche Königreich nicht streitig gemacht hatte. Alexander fiel also in Makedonien ein, was Antigonos zwang, sich gegen ihn zu wenden und die Belagerung Athens zunächst aufzugeben. Er kehrte bald nach Attika zurück. Ein Heer, das er unter dem nominellen Befehl seines zwölfjährigen Sohnes Demetrios in Makedonien zurückgelassen hatte, genügte, um den

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Eindringling zu verjagen. Inzwischen hatte sich der von Sparta, wo Akrotatos, der Sohn des Areus, seinem Vater als König gefolgt war, gebildete Peloponnesische Bund von selbst aufgelöst. Akrotatos versuchte, den Kampf wieder aufzunehmen, aber als er sich nach Norden wandte, wurde er von Aristodemos, dem Tyrannen von Megalopolis, zum Stehen gebracht und fiel in der Schlacht. Athen war nun ganz auf sich angewiesen. Ptolemaios rührte keinen Finger, um die Stadt zu retten, deren er sich bedient hatte. Zu der Zeit waren seine Truppen woanders eingesetzt, im ›Krieg des Eumenes‹, und der Opportunismus seiner Politik schloß alle sentimentalen Erwägungen aus. Athen leistete also allein Widerstand, heldenhaft wie gewöhnlich, aber seine ausgehungerten Bewohner mußten sich im Laufe des Winters 262/61 ergeben. Antigonos bereitete der Autonomie, deren Athen sich bis dahin erfreut hatte, ein für allemal ein Ende. Die Stadt verlor das Recht, Münzen zu prägen, und zweifellos auch das Recht, sich ihre Magistrate frei zu wählen. Ein ›Stratege‹ des Antigonos wurde mit der Verwaltung betraut. Athen tritt jetzt in die letzte Periode seiner Geschichte ein, die einer ›Universitätsstadt‹, die sie noch zur Zeit der römischen Eroberung sein und bis zum Ende der lebendigen antiken Kultur bleiben wird. e) Der Krieg des Eumenes Der Krieg des Chremonides war dem Anschein nach ein rein griechischer Aufstand gegen den König von Makedonien. Antiochos hatte keinen Grund, einzugreifen. Er hätte es, wenn er der lagidischen Diplomatie entgegenarbeiten wollte, auch nur tun können, indem er dem Sieger zu Hilfe eilte, denn wenn er die Verteidigung der Verbündeten übernommen hätte, würde er gegen seine eigenen Interessen gehandelt haben. Man darf daher annehmen, daß er neutral blieb – und zwar um so lieber, als sein eigenes Haus um die Zeit, als die Feindseligkeiten in Griechenland einsetzten, eine recht schwere Krise durchmachte –, damit er der seinem Sohne Seleukos anvertrauten Mitregierung ein Ende mache. Eine weitere Krise trat durch den wahrscheinlich im Jahre 263 eingetretenen Tod des Philetairos von Pergamon offen zu Tage, eine Krise, die latent geblieben war, solange Philhetairos lebte. Eumenes, sein Neffe, begnügte sich nicht mehr mit einer de facto-Unabhängigkeit. Wahrscheinlich durch Versprechungen von Ptolemaios unterstützt, griff er, ohne weiter abzuwarten, Antiochos an und besiegte ihn mit Hilfe der Söldner, die ägyptisches Gold ihm verschafft hatte, bei Sardeis. Inzwischen führte die Flotte des Patroklos mehrere Landungen an der Küste Ioniens und Kariens durch. Der Perser Ariarathes nützte die Schwierigkeiten des Antiochos aus und errichtete um die gleiche Zeit ein unabhängiges Königreich in dem Teil Kappadokiens, der den Seleukiden verblieben war. Als Antiochos starb (wahrscheinlich Anfang 261), blieb seinem Sohn Antiochos II. nichts übrig, als den Frieden zu unterzeichnen. Die Seleukiden waren fast völlig aus Kleinasien vertrieben. Eumenes hatte das Gebiet von Pergamon vergrößert, indem er nicht nur das ganze Kaikos-Tal besetzte,

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sondern auch das Küstengebiet beiderseits der Flußmündung. Ptolemaios besetzte Milet und Ephesos, wo er Ptolemaios, den Sohn des Lysimachos, als Statthalter einsetzte. Antiochos I. und Antigonos waren in der Vergangenheit treue Bundesgenossen gewesen. Antiochos II., eines guten Teils seiner Staaten beraubt, beschloß, sich ebenfalls mit dem Makedonen zu verständigen, um für die Aktionen des Lagiden Rache zu nehmen. Der 261 geschlossene Friede konnte nur ein Waffenstillstand sein, und das war um so verhängnisvoller, als Antigonos sich bereits für den Rachefeldzug rüstete. Er hatte begriffen, daß sein Staat, solange er nicht die Seeherrschaft besaß, auf Gnade und Ungnade Ägypten ausgeliefert blieb. Ferner schickte er sich an, eine Flotte zu bauen. Er benutzte dafür seinen Hauptstützpunkt in Griechenland, die große Hafenstadt Korinth, die ebenfalls eine glorreiche maritime Vergangenheit hatte. Fast um die gleiche Zeit, da Rom sich entschloß, den Krieg zur See zu führen, und zu diesem Zwecke eine Flotte ›improvisierte‹, sah sich Antigonos zu derselben Politik gezwungen. Noch verblüffender ist die gleichlaufende Entwicklung zwischen den beiden Staaten, wenn man bedenkt, daß die römische Heeresmacht, genau wie die Makedoniens, sich auf dem Landheer gründete, dem geballten Einsatz einer soliden Infanterie, die fest entschlossen war, nicht von dem Boden zu weichen, auf den man sie gestellt hatte. Es erstaunt deshalb nicht weiter, daß Rom und Antigonos daran dachten, Schiffe zu bauen, die eine ›Marineinfanterie‹ aufnehmen konnten, deren Überlegenheit sich beim Entern bestätigen sollte. f) Die Rache des Antigonos und des Antiochos Während man darauf wartete, daß diese Flotte bereit sein würde, einen entscheidenden Schlag gegen den Lagiden zu führen, griffen die Bundesgenossen Antiochos und Antigonos Ptolemaios mit den gleichen Waffen an, deren dieser sich so oft bedient hatte. Antiochos begann in Ionien den Aufstand des Ptolemaios zu schüren, der die Regierung von Ephesos als eine Schmach betrachtete und die Hoffnung nicht aufgeben wollte, jemals über Makedonien zu herrschen. Ptolemaios, der von Antiochos gesteuert wurde, fiel bald von Mörderhand, und es gelang Antiochos, einen großen Teil der von Ägypten im Laufe der früheren Kriege besetzten Gebiete zurückzugewinnen. Dann führte er seine Offensive in Syrien weiter und holte sich ganz Phönikien bis Sidon zurück. Inzwischen festigte sich das Bündnis von Antigonos und Antiochos auf gleichsam symbolische Weise, indem es eine neue Abtrennung von Kyrene auslöste. Nach der Niederlage Antiochos’ I. hatte Magas sich damit abgefunden, die Lehnsherrschaft des Ptolemaios von neuem anzuerkennen206. Aber bei seinem Tod im Jahre 259 versuchte seine Witwe, die Königin Apame, eine Schwester Antiochos’ II., die Kyrenaika vom ägyptischen Reich loszureißen. Zu diesem Zweck verständigte sie sich mit der nationalistischen Partei, um dem Halbbruder des Antigonos, Demetrios dem Schönen, einem Sohne des

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Poliorketes und der Ptolemaïs, einer Tochter des Ptolemaios Soter, die Macht anzubieten. Damit stieß sie ihre eigene Tochter Berenike, die von Magas mit dem ältesten Sohne des Philadelphos verlobt worden war, vom Thron. Demetrios wurde von den Bürgern von Kyrene recht gut aufgenommen, erlag aber bald den Palastintrigen Berenikes und vielleicht auch seinem eigenen falschen Verhalten, wenn es wahr ist, daß er Apames Liebhaber wurde. Nach seinem Tode fiel die Kyrenaika nicht sofort an Ägypten zurück. Einige Jahre lang bildete sie einen unabhängigen Bund nach dem Muster des arkadischen Bundes. Kurz vor 246 (den Zeitpunkt kennt man nicht genau) fiel Kyrene wieder unter die Herrschaft des Ptolemaios. Der Angriff in der Kyrenaika hatte also lange angehalten – und außerdem hatten sich die politischen Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt tiefgehend gewandelt. Während das Abenteuer Demetrios’ des Schönen in Kyrene begann, ergriffen die Verbündeten die Initiative und unternahmen einen Angriff zur See, die bis dahin der unumstrittene Machtbereich des Lagiden gewesen war. Mit Rhodos zusammen, das dem ägyptischen Bündnis untreu wurde, sei es, weil der wachsende Einfluß des 2. Ptolemäers auf die Welt der Ägäis ihm für den eigenen Verkehr gefährlich schien, sei es aus anderen Gründen, die wir nicht kennen, hinderten sie nicht nur die ptolemäischen Flotten daran, in Ephesos und Milet einzugreifen, als diese Städte von Antiochos II. zurückerobert wurden, sondern die von Antigonos aufgebaute und unter seinem Befehl stehende Flotte siegte sogar (wahrscheinlich im Jahre 258) vor Kos entscheidend über die Geschwader des Ptolemaios207. Ptolemaios II. gelang es, die gegnerische Koalition auf diplomatischem Weg zu sprengen. Im Jahre 255 fand er sich bereit, einen Vertrag mit Antigonos zu unterzeichnen. Antigonos trat an seine Stelle als Schirmherr der Inseln. Antiochos, mit dem Ptolemaios II. erst 253 Frieden schloß, erlangte die Anerkennung seiner auf Kosten Ägyptens gemachten Eroberungen. So endete der Kampf, der oft als ›Zweiter Syrischer Krieg‹ bezeichnet wird, obwohl der Hauptkriegsschauplatz woanders lag und die Entscheidung selbst woanders fiel und die von dem Seleukiden erlangten territorialen Gewinne nur die Folgen der makedonischen Strategie gewesen waren. g) Die Umkehr der Bündnisse und das Ende des Philadelphos Ptolemaios, zu Lande und zu Wasser besiegt, nahm nun Zuflucht zu seiner Lieblingswaffe, der Intrige. Da Korinth der wichtigste Hafen des Antigonos war und der eigentliche Kern seiner jungen Seemacht, beschloß der Lagide, in Korinth zuzuschlagen. Krateros, der Halbbruder des Antigonos, war tot. Sein Nachfolger in der Regierung Korinths war sein Sohn Alexander. Dieser aber war dem König gegenüber nicht so loyal, wie sein Vater es gewesen war, und um 253 oder 252 gab er Ptolemaios’ Drängen nach und erklärte seine Unabhängigkeit. Das Königreich, das er sich zuteilte, umfaßte Korinth und Euboia. Es war eine sonderbares, in sich zerrissenes Königreich, aber seine Errichtung lähmte Antigonos, da sie ihn der entscheidend wichtigen Stützpunkte für seine Flotte

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beraubte und sogar der Flotte selbst, deren Alexander sich im Hafen bemächtigt hatte. Alexander griff auch Athen an, konnte die Stadt aber nicht besetzen; der Stratege des Antigonos leistete tatkräftigen und erfolgreichen Widerstand. Doch die ganze Episode war nicht von Dauer. Im Jahre 248 (oder 249) starb Alexander, und Ende 247 holte sich Antigonos Korinth zurück208. Zur Zeit ihrer Entente cordiale hatten Antigonos und Antiochos II. daran gedacht, ihr Bündnis durch eine Heirat zu besiegeln. Im Jahre 253 hatte Stratonike, die Schwester des Seleukiden, den jungen Demetrios, den Sohn des Antigonos, geheiratet. Die Könige hegten die Hoffnung, daß eine seleukidische Prinzessin eines Tages Königin von Makedonien sein und daß die beiden Königreiche, wie sie es gerade getan hatten, eine geschlossene Front gegen die ehrgeizigen Bestrebungen der Lagiden bilden würden. Diese Heirat scheint Antigonos sehr befriedigt zu haben, denn im Jahre der Eheschließung stiftete er zu Delos Feste zu Ehren Stratonikes; das war eine Art Fehdehandschuh, den er Ägypten hinschleuderte, das noch vor kurzem auf der heiligen Insel Apollons geherrscht hatte. Als Erwiderung darauf veranlaßte Ptolemaios, wie gesagt, den Abfall Alexanders in Korinth, fand aber auch ein Mittel, das Bündnis zwischen Antigonos und Antiochos zu erschüttern, indem er diesen dazu brachte, seine Gemahlin Laodike zu verstoßen, die gleichzeitig seine Cousine ersten Grades war und von der er zwei Söhne und zwei Töchter hatte. Aus Gründen, die wir nicht kennen, schickte Antiochos Laodike fort, die sich nach Ephesos begab, und erklärte sich bereit, die junge Berenike, eine Tochter Ptolemaios’, zu heiraten, die ihm beträchtliche Summen als Mitgift in die Ehe brachte. Es ist möglich, daß der Seleukidenkönig damals derart von finanziellen Schwierigkeiten bedrängt war, daß er sich bereit fand, in irgendeiner Form seine Erbfolge zu verkaufen. Ptolemaios hatte sich tatsächlich vertraglich ausbedungen, daß die Krone einem aus der Ehe mit Berenike hervorgehenden Sohne zufallen sollte, und dieser Sohn wurde tatsächlich im Jahr darauf geboren. Um dieselbe Zeit oder vielleicht etwas später verließ Stratonike Demetrios und den Hof von Makedonien, um nach Syrien zurückzukehren. Damit war das Bündnis zwischen Antigonos und Antiochos II. beendet. Viele Jahre lang verlief die Entwicklung des seleukidischen Königreiches und Makedoniens noch parallel, wobei das erste mehr und mehr in Asien gebunden, Makedonien andrerseits gezwungen war, sich gegen die Bünde zu verteidigen, die in Griechenland eine entscheidende Rolle zu spielen begannen. Schlag auf Schlag verschwinden Philadelphos und Antiochos II. von der politischen Bühne; Ptolemaios stirbt im Januar 246, Antiochos II. Theos im Juli/August 246. Von ihrer Generation blieb Antigonos allein zurück. Er fand Zeit, einen gleichsam entscheidenden Sieg über Ägypten zu erringen. Während der Empörung und des Abfalls Alexanders in Korinth hatte Ptolemaios II. zur See eine Herrschaft zurückgewonnen, die niemand ihm streitig zu machen wagte. Nachdem aber Antigonos einmal im Besitz seiner Flotte war,

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wendete sich das Blatt. Ptolemaios III. Euergetes I. (der Wohltäter) hatte gerade Zeit, auf Delos neue Feste zu Ehren seiner Dynastie zu stiften. Ende des Jahres oder im Frühjahr 245 stellten die Geschwader des Antigonos zusammen mit denen von Rhodos, die den Kampf gegen ihre ehemaligen Schirmherrn wiederaufgenommen hatten, die Flotte des Lagiden in den Gewässern vor Andros zum Kampf. Diesmal wurden die Ptolemäer endgültig aus den Kykladen vertrieben, und Antigonos feierte seinen Triumph durch delische Stiftungen: Soteria und Paneia, zur Erinnerung an Lysimacheia, wo der Gott selbst eingegriffen hatte, um das feindliche Heer in wilde Flucht zu schlagen. Die makedonischen Gottheiten erheben sich angesichts der neuen ägyptischen Götter – eine religiöse Opposition, die so bald nicht vergessen werden sollte, und die zur Zeit von Actium, beim letzten Kampf, zu dem das lagidische Ägypten die römische Macht herausforderte, den Dichtern einen unerschöpflichen Stoff liefern sollte.

 Abb. 16: Nike von Samothrake

Der Zeitabschnitt, der nach der Schlacht bei Andros und der Erniedrigung der lagidischen Monarchie beginnt, ist weniger einheitlich als der vorhergehende. Die diplomatischen und militärischen Schritte, die die Königreiche in Gegensatz zueinander bringen, sind weniger aufeinander abgestimmt und zusammenhangloser als zu der Zeit, da Ptolemaios Philadelphos von seinem

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Palast in Alexandrien aus selbst die Fäden des Intrigenspiels in der Hand hatte. Ägypten ist nicht gänzlich aus der Ägäis ausgeschaltet; es behält im südlichen Teil eine Einflußzone, aber es sitzt nicht mehr im Herzen der Kykladen, auf Delos, und das ist sehr folgenschwer, denn damit wird jeder Versuch, sich noch als hellenische Führungsmacht zu gebärden, sozusagen zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Materiell gesehen, sind Ägyptens wirtschaftliche Interessen wenig oder gar nicht geschädigt. Seine Heere erringen große Erfolge über das seleukidische Königreich, das ägyptische Land selber erlebt einen nahezu totalen Frieden, der durch einige schnell unterdrückte nationale Bewegungen nicht wirklich gestört wird. Aber das von Ptolemaios II. verfolgte Hauptziel entschwindet: Ägypten, von Antigonos Gonatas mit rauher Hand von seinem Platz an der Spitze des Inselbundes beseitigt, besitzt nicht mehr genügend Ansehen, um im eigentlichen Griechenland eine aktive Partei unterhalten zu können. Die griechischen Städte sind außerdem bestrebt, ihre eigene Politik zu machen, und nehmen zu diesem Zwecke lieber zur Bildung von Bünden ihre Zuflucht; dabei gehen sie von dem Gedanken aus, daß nichts und niemand ihnen helfen könne, ihre Freiheit Makedonien gegenüber zurückzugewinnen, wenn nicht sie selbst. Und Makedonien, von seiner Rivalität mit Ägypten befreit, muß inzwischen alle Kräfte anspannen, um sich in Griechenland zu halten. Das Königreich der Seleukiden verfällt hingegen weiter; seine östlichsten Bestandteile lösen sich von ihm ab. Schon Antiochos II. hatte in den entlegenen Satrapien nicht nachhaltig einschreiten können, so sehr war er gezwungen, seine ganzen Anstrengungen auf den Kampf gegen Ptolemaios zu richten. Baktrien und Sogdiana waren unter Diodotos um 250 abgefallen. Um dieselbe Zeit oder etwas später tritt eine neue Dynastie, die der Arsakiden, in Erscheinung, die nach dem endgültigen Fall des Königtums der Seleukiden zu Großem berufen war. Es begann mit dem Einfall in Parthien, das von einem iranischen Stamm, den Aparnern, unter der Führung eines gewissen Arsakes, dessen Bruder Tiridates später das Königreich Parthien gründen sollte, überschwemmt worden war. Obwohl die Eroberung erst unter Tiridates vollendet wurde, rechneten die Parther die Arsakiden-Zeit ab 247. Das war die politische ›Revanche‹ der Iranier, die zum Nachteil des Hellenismus auf diese Weise wieder auftauchten209. h) Der Dritte Syrische Krieg Mit seiner Bereitschaft, Berenike zu heiraten, hatte Antiochos II. sich vielleicht neue Mittel und zugleich eine jüngere und weniger energische Frau als Laodike verschaffen und – zumindestens darf man auch das annehmen – seinem Königreiche die Freundschaft und das Bündnis mit den Lagiden sichern wollen. Die Seleukiden brauchten Frieden, um das, was ihnen von ihrem Erbteil geblieben war, zu festigen. Es zeigte sich aber, daß diese letzte Hoffnung enttäuscht werden sollte. Die ›diplomatische‹ Heirat des Antiochos hatte fast unmittelbar zur Folge, daß das Land in einen neuen Krieg gestürzt wurde, der noch unheilvoller war als die vorhergehenden.

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In den letzten Monaten seines Lebens scheint Antiochos II. sich Laodike wieder genähert zu haben, und trotz seiner Ptolemaios II. gegebenen feierlichen Versprechen versucht zu haben, seinem ältesten Sohn Seleukos die Thronfolge zu sichern. Ptolemaios II. war Ende Januar 246 tot; Antiochos II. überlebte ihn um etwa sieben Monate. In dieser Zeit hat er ohne Zweifel versucht, einen Schritt rückgängig zu machen, den er jetzt zu bereuen begann. In Ephesos, wohin Laodike sich zurückgezogen hatte, wurde er im Laufe des August vom Tod überrascht. Es wird, zweifellos zu Unrecht, behauptet, Laodike habe ihn ermorden lassen, um zu verhindern, daß er sich wieder eines anderen besinne. Jedenfalls wurde ihr Sohn als Seleukos II. in Ephesos zum König ausgerufen. Inzwischen ermordeten Leibwachen, die Laodike ergeben waren, in Antiochia den Sohn der Berenike. Sie selbst wurde bei einer Meuterei umgebracht. Berenike hatte aber noch Zeit gehabt, ihren Bruder Ptolemaios III. Euergetes I. zu alarmieren, der schleunigst herbeieilte. Er schickte der Schwester zuerst ihren Bruder zu Hilfe, der Statthalter auf Zypern war. Eine ptolemäische Flotte besetzte Seleukeia, und ein Landungskorps eroberte Antiocheia. Ohne Zeit zu verlieren, um Berenike zu rächen und den neuen König, Seleukos II., daran zu hindern, in Kleinasien Fuß zu fassen, marschierte das lagidische Heer dann weiter auf Kilikien zu, wo es die Stadt Soloi einnahm210. Ptolemaios hielt die Gelegenheit für günstig, sich des ganzen seleukidischen Königreiches zu bemächtigen. Er stellte sich selbst an die Spitze eines Heeres und trat in Syrien im Namen seiner Schwester Berenike auf, deren Tod anscheinend geheimgehalten worden war. Diese Kriegslist erlaubte es ihm, ungehindert ganz Syrien südlich des Tauros zu durchqueren und vielleicht nach Osten bis an die Uferprovinzen des Euphrats vorzustoßen211. Aber aus uns unbekannten Gründen war er Ende 245 wieder in Alexandria zurück. Vielleicht konnte die Täuschung, auf der seine Autorität beruhte, nicht länger aufrechterhalten werden. Berenikes Tod war für niemand mehr ein Geheimnis, und Seleukos II. verstärkte bereits seine Stellung in Kleinasien (obwohl die Stadt Ephesos von einem treulosen Statthalter dem Lagiden ausgeliefert worden war), wo einige griechische Städte, darunter in erster Linie Smyrna, seine Sache zumindest nicht im Stich gelassen hatten. Seleukos sicherte sich zuerst einen Bundesgenossen, Mithridates, den König von Pontos, dem er seine Schwester Laodike zur Ehe gab. Das bedeutete die offizielle Anerkennung einer schon vor langer Zeit stattgefundenen Rebellion, die vollendete Tatsache geworden war212, aber die Unannehmlichkeiten waren geringer als der Vorteil, den Seleukos daraus zog, denn er hatte nun die Gewißheit, nicht im Rücken angegriffen zu werden, während er Syrien zurückeroberte. Gleichzeitig baute der junge König in aller Eile eine Flotte auf, die imstande war, die ptolemäischen Geschwader in Schach zu halten. Im Frühling 244 war er so weit, daß er in Syrien erscheinen konnte, wo allein die Ankunft eines legitimen Seleukiden-Herrschers genügte, um die lagidische Besatzung zu verjagen. Nach einigen Monaten hatte Seleukos das väterliche Königreich wieder, und seine Grenzen umfaßten auch Phoinikien, das

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nicht – wie früher – dem Lagiden überlassen wurde. Jedenfalls behielt Ptolemaios außerdem die Stadt Seleukeia in Pieria. Diese rasche Wiedereroberung Syriens wurde Seleukos wahrscheinlich durch das Unternehmen erleichtert, das Antigonos zur selben Zeit gegen Ptolemaios führte, und durch den Seesieg bei Andros über Ägypten213. Immerhin muß der Feldzug nicht ganz und gar ungünstig für Ptolemaios verlaufen sein, denn wir stellen fest, daß Ägypten zum Zeitpunkt des Friedensschlusses (241) noch eine große Anzahl Stützpunkte rund um die Ägäis besaß. Nicht nur Ephesos und Milet bleiben ptolemäisch, sondern auch Priene, Samos, Lebedos und Südionien, Karien und ein Teil Lykiens sowie Westkilikien sind weiterhin dem Reich des Ptolemaios Untertan. Noch weiter von seiner Hauptstadt entfernt beherrscht er den thrakischen Chersones, Sestos, Samothrake, die Küste Thrakiens und Kypsela auf dem Hebros, sowie Abdera, mitten auf makedonischem Gebiet214. Nachdem der Friede zwischen Seleukos und Ptolemaios unterzeichnet war, brauchte der Seleukide sein Königreich nur noch zu reorganisieren und umzugruppieren. Auf Bitten seiner Mutter Laodike hatte Seleukos seinem Bruder Antiochos Hierax die Verwaltung der nördlich des Tauros gelegenen Provinzen anvertraut, und mit Einwilligung des Königs oder kraft eigener Autorität hatte Hierax sich unverzüglich als unabhängiger Herrscher gebärdet. Als wieder Frieden herrschte, ging Seleukos daran, die von Hierax abgetrennten Gebiete wieder mit der Krone zu vereinen. Das war der sogenannte ›Bruderkrieg‹. i) Der Bruderkrieg Verwickelter wurde die Lage dadurch, daß König Mithridates, trotz seines Bündnisses mit Seleukos, Partei für Hierax ergriffen hatte. Er hatte seinerseits noch weitere Stützpunkte in Kleinasien gesucht, so daß dieser Bruderkrieg sehr rasch zu einem weiterreichenden Konflikt ausartete. Bei der ersten Schlacht, zu der es zwischen Hierax und Seleukos vor Ankyra kam, hatte Hierax nicht nur den König von Pontos, sondern auch die Galater auf seiner Seite, die die Entscheidung herbeiführten. Seleukos konnte mit knapper Not entkommen und kehrte in seine Staaten zurück. Kleinasien gab er für den Augenblick auf (um 235) und schloß in diesem Sinne sogar einen Vertrag mit seinem Bruder. Wie zu erwarten war, nutzten die Herrscher von Pergamon diese Lage aus. Hierax’ Politik, der die Galater zu Hilfe geholt hatte, bedeutete eine ernste Gefahr. Sie weckte nicht nur den gallischen Ehrgeiz, sondern kränkte auch die öffentliche Meinung, besonders in der hellenistischen Welt, bei der die schreckliche Erinnerung an die Galaterinvasion fünfzig Jahre zuvor noch lebendig war. Seit 241 regierte in Pergamon ein junger König, Attalos, der seinem Onkel Eumenes gefolgt war. Attalos beschloß, sei es, um bei den Griechen Eindruck zu machen, sei es notgedrungen, die Erpressung abzuschütteln, die die Galater traditionsgemäß auf die Völker Asiens ausübten, indem sie einen Tribut als Preis für ihren ›Schutz‹ gegen mögliche Plünderungen verlangten. Attalos

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verweigerte also diesen Tribut und geriet dadurch in einen Krieg mit den Galatern. Nacheinander schlug er die Tolistosagen, dann die Tektosagen, die Antiochos unbedenklich unterstützt hatte, und durch diesen Sieg kühn geworden, nahm er den Königstitel an. Von den griechischen Städten begünstigt, setzt Attalos nun den Kampf gegen Antiochos selbst fort, der offenbar sein Schicksal mit dem der Barbaren verkettet hatte, obwohl diese nach ihrer Niederlage gegen Attalos sich gegen den Seleukiden wandten. In drei aufeinanderfolgenden Schlachten, die für Antiochos zu drei Niederlagen wurden, eroberte Attalos zwischen 230 und 228 den Küstenstreifen Phrygiens und Lydiens, die reichsten und auch am stärksten hellenisierten Gebiete Kleinasiens, die folglich gegen die Streifzüge der Galater besonders geschützt werden mußten. Die junge Dynastie von Pergamon hatte in diesen Schlachten die Möglichkeit gefunden, einmal ihr Gebiet zu vergrößern und gleichzeitig, was ihr mindestens ebenso wichtig war, im Sturmschritt einen Ruhm zu erwerben, der dem der unmittelbar aus dem makedonischen Reich hervorgegangenen Königreiche vergleichbar war. Attalos umgibt sich sofort mit allem, was damals in der hellenischen Welt zum Ruhm gehört. Er stiftet sich Spiele, errichtet in seiner Hauptstadt großartige Denkmäler und vor allem in Athen auf der Nordmauer der Akropolis. Vier Gruppen in Athen zeigen, welche Bedeutung der König seinem Sieg beilegte. Er läßt ihn in einer Folge darstellen, die mit der einstigen Schlacht der Athener gegen die Amazonen beginnt; es folgen die Schlacht zwischen Athenern und Persern, die der Giganten mit den Olympiern und schließlich sein eigener Triumph über die Galater. Es ist kein Zufall, daß in Athen wie in Pergamon diese Denkmäler in unmittelbarer Nähe eines Heiligtums der Athene aufgestellt werden, der am reinsten ›hellenischen‹ der olympischen Gottheiten, die geradezu die vorbildliche Feindin barbarischer Maßlosigkeit zu sein scheint, das Sinnbild ›klassischen‹ Geistes. In den Augen der panhellenischen Öffentlichkeit wurde damit der Sondercharakter der Dynastie unterstrichen, ihr Gegensatz zu den Seleukiden, die man beschuldigte, mit den Barbaren zu paktieren und auch mit den anderen schlecht hellenisierten Völkern Syriens und Babyloniens. Wahrscheinlich ist der Aufstieg Pergamons durch das Gold der Ptolemäer begünstigt worden, für die der Ehrgeiz des Attalos ein bequemes Mittel war, ihre eigene Politik fortzusetzen und sich als Vorkämpfer des Hellenismus gegen die Seleukiden und die makedonische ›Tyrannei‹ aufzuspielen. Kleinasien war seit den Niederlagen des Antiochos Hierax und dem Aufstieg Pergamons zu einem Gebiet geworden, wo sich die verschiedenen imperialistischen Richtungen gegenüberstanden. Den Feldzug, den Antigonos Doson, der Nachfolger Demetrios’ II. in Makedonien, unternahm, um sich Kariens zu bemächtigen und auf diese Weise seiner Flotte Stützpunkte an den Seewegen nach dem Orient zu sichern, verlegt man um das Jahr 227. Es war ein Versuch von kurzer Dauer, denn die Ereignisse in Griechenland hinderten ihn,

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die Besetzung des Landes weiterzuführen. Inzwischen eroberte Antiochos Hierax, nachdem er von Attalos aus Kleinasien vertrieben worden war, das Gebiet des oberen Euphrats, wo er zweifellos ein neues Königreich gründen zu können hoffte. Seleukos war anscheinend durch einen Versuch in Anspruch genommen, Parthien wiederzugewinnen, über dessen Abfall unter dem vorhergehenden Regime wir berichteten215. Es gelang Hierax, mit Hilfe seiner Tante Stratonike, die einst von Demetrios, dem Sohn des Gonatas, verstoßen worden war, einen Aufstand in Syrien anzuzetteln, jedoch mit dem einzigen Ergebnis, daß Seleukos gezwungen war, die Rückeroberung Parthiens aufzugeben. Stratonike wurde getötet, Hierax besiegt; er mußte fliehen und fand wenig später, wir wissen nicht genau unter welchen Umständen, den Tod. Als zwischen dem 22. April 226 und dem 10. April 225 Seleukos II. starb216, hatte er die Einheit der Dynastie wiederhergestellt und die Herrschaft der Seleukiden über einen Teil der orientalischen Satrapien wieder gesichert (was ihm in diesen Gebieten den Beinamen Kallinikos eintrug), aber viele Provinzen blieben dem königlichen Erbe entzogen. Vor allem hatte er nicht verhindern können, daß auf seine Kosten das Königreich des Attalos gebildet wurde, das von nun an in Kleinasien einen gefährlichen Stützpunkt bildete, dessen sich die Lagiden bei ihren Kämpfen gegen die Seleukiden bedienen konnten. Aber schon nahte sich der Zeitpunkt, an dem mit der Regierung Antiochos’ III. sich ein bemerkenswerter Wiederaufstieg vollziehen sollte. j) Antiochos III. Immerhin machte das Königreich zwischen dem Tode Seleukos’ II. und der Thronbesteigung seines jüngsten Sohnes Antiochos III. noch eine recht schwere Krise durch. Beim Tode Seleukos’ war die Macht auf seinen ältesten Sohn Alexander übergegangen, der den Namen Seleukos III. angenommen hatte und es sich zur Aufgabe machte, die in Kleinasien verlorenen Provinzen wieder zusammenzubringen. Zu diesem Zwecke hatte er ein Heer unter dem Oberbefehl seines Onkels Andromachos über den Tauros geschickt. Aber Andromachos war von Attalos gefangengenommen und nach Ägypten geschickt worden. Daraufhin war Seleukos III. selbst gekommen, aber ein Offizier seines eigenen Heeres hatte ihn ermordet, und es hatte des ganzen Geschickes des Achaios, eines Sohnes des Andromachos, bedurft, um die Truppen unversehrt nach Syrien zurückzuführen217. Unter diesen Verhältnissen wurde der damals achtzehn Jahre alte Antiochos von Achaios selbst an die Macht berufen. Der junge König, unerfahren und geneigt, auf alle Ratgeber zu hören, begann seine Befugnisse auf andere zu übertragen: Achaios wurde mit den Operationen in Kleinasien beauftragt, zwei Brüder, Molon und Alexander, erhielten die Satrapien Medien und Persien. Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten. Ohne Zweifel errang Achaios, der anfangs treu war, große Erfolge über Attalos und zwang ihn in die alten Grenzen des ›Königreichs‹ Pergamon zurück, aber um 222 erhob sich Molon, verkündete seine Unabhängigkeit und nahm den

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Königstitel an. Eine erste Expedition, die ausgesandt wurde, um ihn gefügig zu machen, ging unglücklich aus. Antiochos mußte selbst eingreifen. Die Anwesenheit des Königs in Babylonien festigte die Anhänglichkeit an die Dynastie. Nach der Entscheidungsschlacht verließ ein großer Teil der Truppen Molon, der mit seinen Brüdern Selbstmord begehen mußte. Die Erhebung Molons hatte keine zwei Jahre gedauert. Aber Achaios, der glaubte, daß der König, der in Babylonien vollauf zu tun hatte, nicht imstande sein würde, unverzüglich zurückzuschlagen, und der zudem von seinen eigenen Erfolgen berauscht war, ging zu den Rebellen über und besetzte Antiocheia. Aber sobald man begriffen hatte, daß er sich gegen den legitimen König empörte, wurde er, obwohl er bis dahin sehr beliebt gewesen war, von dem größten Teil der Öffentlichkeit im Stich gelassen. Sehr geschickt tat er so, als sei er Antiochos stets treu gewesen, und Antiochos III. tat, als habe er nichts gewußt, und Achaios blieb in seiner Provinz. Antiochos hatte also die verlorenen Provinzen zurückgeholt und die Einheit des Königreiches wiederhergestellt. Er brauchte nur noch eine letzte Aufgabe zu vollbringen, um den Seleukiden ihr einstiges Erbe fast vollständig zurückgegeben zu haben: die Befreiung Südsyriens von der ptolemaïschen Herrschaft. Zu Beginn seiner Regierung hatte der König zuerst Ägypten angreifen wollen, durch den Aufstand Molons war er davon abgekommen. Nachdem er nun von seinen anderen Sorgen frei war, bereitete er einen großen Feldzug gegen Ägypten vor. k) Der Vierte Syrische Krieg Zuerst ›liquidierte‹ Antiochos den lagidischen Brückenkopf im pierischen Seleukeia, den Hafen von Antiocheia. Dann, nachdem er teils durch Verrat, teils durch Waffengewalt sich der Hafenstadt bemächtigt hatte, wandte er sich nach Süden. Der lagidische Statthalter, ein Aitoler namens Theodotos, lieferte ihm die Städte Tyros und Ptolemaïs (Ake=Saint-Jain d’Acre) aus, und er konnte so, beinahe ohne einen Schwertstreich, Syrien besetzen. Das Ägypten, gegen das Antiochos III. zu Felde zog, war nicht mehr das des Ptolemaios Soter oder des Philadelphos. Euergetes, der sich nach seinen flüchtigen Siegen im Dritten Syrischen Krieg damit begnügte, Verbündete in Kleinasien und im eigentlichen Griechenland zu besolden, hatte sich um die Unterhaltung des Heeres nicht gekümmert. Als er im Februar 221 starb218, trat an seine Stelle sein etwa 22 Jahre alter Sohn Ptolemaios IV. Philopator. Philopator war ganz in den Händen eines ›Wesirs‹, Sosibios, den die Historiker uns als bösartigen, blutdürstigen Schurken schildern. Es wird erzählt, wie er alle Überlebenden des vorhergehenden Regimes umbringen ließ: die Königin Berenike, die eigene Mutter des Königs, dann Lysimachos, den Bruder des Euergetes, und seinen jüngeren Bruder Magas, schließlich Kleomenes, den abgesetzten König von Sparta, der als Flüchtling am Hof in Alexandrien lebte. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß sich Kleomenes sein Unglück selbst zuzuschreiben hatte, und zwar durch törichtes

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Verhalten, und daß Sosibios für seinen Tod nicht unmittelbar verantwortlich war219. Auf jeden Fall war Sosibios bestrebt, den inneren Frieden zu sichern und Verschwörungen zu vereiteln oder ihnen vielleicht zuvorzukommen. Bald sollte er das Land vor der Invasion retten. Nachdem Antiochos III. Phönikien besetzt hatte, ließ er sich durch eine mäßig bedeutende Festung, Dora, aufhalten, anstatt seinen Marsch fortzusetzen. Das verlotterte ägyptische Heer wäre nicht in der Lage gewesen, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Aber Sosibios spiegelte ihm vor, daß Pelusion, das Tor Ägyptens, von starken Kräften gehalten würde, und Antiochos, der sich täuschen ließ, war zu einem viermonatigen Waffenstillstand bereit, in der Hoffnung, Ptolemaios würde sich dazu verstehen, ihm Koile-Syrien zu überlassen. Nach Ablauf der Frist war noch nichts vertraglich festgelegt, aber es war Sosibios gelungen, Truppen auf die Beine zu bringen. Er hatte zu diesem Zweck die militärischen Siedler einberufen, Söldner angeworben und vor allem, was beispiellos war, seit die Ptolemäer in Ägypten regierten, den Eingeborenen Waffen gegeben. Als Antiochos die Geduld verlor und beschloß, im Frühjahr 218 den Krieg fortzusetzen, beging er einen weiteren Fehler: Statt sich auf das Feindesland zu werfen, verlor er Zeit mit der Befriedung Südsyriens und griff erst im Jahre 217 Ägypten selbst an. Ptolemaios Philopator entschloß sich zu dieser Begegnung in der Wüste Gaza, und die Schlacht fand am 22. Juni bei Raphia statt. Antiochos kam zu spät. Sosibios hatte Zeit gehabt, ein festgefügtes Heer aufzustellen, das zahlenmäßig fast ebenso stark war wie das des Seleukiden (rund 70 000 Mann auf jeder Seite). Beim ersten Angriff brachten die Elefanten des Antiochos den linken Flügel des ptolemäischen Heeres in Verwirrung, und Antiochos, der den Sieg schon in den Händen zu halten glaubte, stürzte sich unbesonnen in die Verfolgung der in wilder Flucht davonstürmenden Ägypter. Doch während er sich vom Schlachtfeld entfernte, gewann der rechte Flügel der Ägypter die Oberhand und begann, die syrische Phalanx, die in der Mitte stand, einzuschließen. Sosibios, der mit seiner eigenen aus ägyptischen Eingeborenen bestehenden Phalanx den Syrern gegenüberstand, konnte in das Fußvolk des Antiochos einbrechen. Anderntags befahl Antiochos den Rückzug und schloß einige Zeit später einen Friedensvertrag, der Ptolemaios im Besitz Koile-Syriens beließ, um das es in diesem Vierten Syrischen Krieg gegangen war. Dieses Jahr 217 ist der Zeitpunkt, an dem Antiochos III. den endgültigen Ruin des seleukidischen Königreiches herbeizuführen schien. In Kleinasien trat Achaios mehr und mehr als unabhängiger König auf. Die fernen Satrapien lösten sich merklich von einer Monarchie, die dem Untergang geweiht schien, die iranischen Elemente erhoben ihr Haupt, und der Hellenismus wurde schwächer. Aber Antiochos sollte im Laufe weniger Jahre die Lage wiederherstellen und sogar an Ägypten entscheidend Vergeltung üben. Gewiß, diese Erfolge der Seleukiden sollten nicht von Dauer sein, und das Aufsehen, das sie machten, zog ihnen die Feindschaft Roms zu, eine diplomatische Feindschaft zuerst, dann eine bewaffnete, die die endgültige Demütigung und den Fall ihrer Monarchie

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herbeiführen sollte220. Aber bevor wir diese Ereignisse schildern, ist es ohne Zweifel angebracht zu zeigen, wie die Geschichte des griechischen Festlandes in seinen Beziehungen zu Makedonien zwischen dem Sieg von Andros und jenem Jahre 217 aussah, in dem die Niederlage Antiochos’ III. bei Raphia stattfand und in Griechenland selbst der Friede von Naupaktos geschlossen wurde. Die Zeit der Bünde Polybios hat seine Geschichte mit dem Jahr 220 beginnen wollen, weil, wie er berichtet, dieses Jahr zwei Ereignisse von großer Bedeutung brachte: im Westen die Vorboten des Zweiten Punischen Krieges (des ›Hannibal-Krieges‹) und im Osten den Kampf zwischen dem Achaiischen Bund und dem König von Makedonien – den sog. ›Krieg der Verbündeten‹221. Aber im Osten bedeutet das Jahr 220 nur das Ergebnis einer politischen Entwicklung, die rund sechzig Jahre zuvor angefangen hatte und die die äußerste Anspannung des Hellenismus, außerhalb des Zwanges der Königreiche fortzubestehen, darstellt. In den zwei oder drei vorhergehenden Generationen, zur Zeit der Diadochen, später ihrer unmittelbaren Nachfolger, war die ›Stadt‹ als politische Macht endgültig beseitigt worden. Der wesentliche Grund dafür war das wachsende Mißverhältnis zwischen den Kräften gewesen, über die die Könige verfügten, und denen, die die Städte ins Feld führen konnten. Die Städte konnten nur bestehen, wenn sie sich an dem umfangreichen Tauschhandel beteiligten, der sich über das Mittelmeer hinweg vollzog und darüber hinaus bis zu den noch barbarischen Völkern. Und dieser Tauschhandel war nur unter dem Schütze von Mächten möglich, die imstande waren, für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Die Städte waren gezwungen, sich unter den Schutz eines Protektors zu stellen, was mitunter nicht ohne erfreuliche Folgen für die Städte selbst war, die wider Willen in verhältnismäßigem Frieden leben mußten. Diese Entwicklung hatte sich in allen Städten Asiens und des griechischen Festlands wie der Inseln abgespielt. Aber mit Ausgang des 4. Jahrhunderts und vor allem im Laufe des 3. Jahrhunderts hatte ein neues politisches Gebilde, das imstande zu sein schien, die Freiheit zu schützen, indem es sich auf eine militärische Macht stützte, die ausreichte, um den Königen Achtung einzuflößen, feste Formen angenommen. Das hatte mit dem Erfolg des Aitolischen Bundes begonnen, der allen Bemühungen zum Trotz unabhängig geblieben war und schließlich mit ihnen eine Art auf gegenseitige Achtung gegründeter Freundschaft geschlossen hatte. Und als die Galater Delphi bedroht hatten, waren es da nicht die Aitoler gewesen, die – mit Hilfe des Gottes – das Heiligtum gerettet hatten? Sie hatten sich überdies in der Stadt Apollons festgesetzt, wo sie die Amphiktyonie fest in der Hand hatten, da sie über die Stimmen verfügten, die traditionsgemäß den Städten zugeteilt waren, die sich ihnen angeschlossen hatten. Der Besitz Delphis gab den Aitolern in den Augen der Griechen und selbst der Fremden, die es

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nicht verschmähten, Abordnungen zum Heiligtum des Apollon zu entsenden, eine neue Würde. Doch der Aitolische Bund konnte kein Vorbild sein, das sich zur Nachahmung für die anderen Griechen eignete. Politisch war er ein äußerst archaisches Gebilde, das die Bürger Athens, Spartas oder Thebens nur mit Geringschätzung betrachten konnten. Der Bund besaß keine Stadt, keine Hauptstadt, wo sich die paideia entwickeln konnte, die Kultur, die man für einen Menschen, der dieses Namens würdig war, als unerläßlich betrachtete. Er hatte nur ein Bundesheiligtum in Thermos und einen Hafen, Naupaktos, der mit Städten wie Korinth nicht zu vergleichen war. Die Aitoler lebten in kleinen Marktflecken oder Gebirgsdörfchen, und dieser gleichsam wilde Charakter ihrer Lebensweise hatte ihnen die Kraft gegeben, gegen die makedonischen Heere zu kämpfen. Nach seinen Erfolgen hatte sich der Bund schließlich Einrichtungen geschaffen, die ein Abklatsch der Institutionen der klassischen Städte waren: Die große Versammlung, die aus allen waffenfähigen Männern gebildet war, trat zweimal im Jahre zusammen und war höchste Instanz, vor allem für Kriegserklärungen und Vertragsabschlüsse. Ein auf ein Jahr bestimmter Beamter, der den Titel Stratege führte, übte alle Gewalt im Namen der Versammlung aus, konnte diese hohe Funktion allerdings nicht zwei Jahre hintereinander bekleiden; erst nach mehreren Jahren durfte er wiedergewählt werden. Ihm zur Seite stand ein ständiger Rat, der eine Vertretung der verschiedenen Gruppen gewährleistete (›Stämme‹, Flecken, Städte), die zum Bund gehörten. Dann, als der Bund größer wurde, erwies sich der ständige Rat als zu umständlich. Man beschränkte ihn auf einen Ausschuß von ›Delegierten‹ (apokletoi), dreißig an der Zahl, der tatsächlich die Geschäfte führte. Diese Entwicklung, die sich während des 3. Jahrhunderts vollzog, hatte aus dem ursprünglich stark demokratischen Bund eine oligarchische Macht in den Händen einiger Politiker gemacht. Der Aitolische Bund war gefürchtet wegen der kriegerischen Tüchtigkeit seiner Mitglieder, die ungestüm waren und dazu neigten, sich die Mittel, die ihnen der allzu karge Boden ihres Landes versagte, durch Raub zu verschaffen. Zur See verließen sie sich auf die Dienste von Piraten und wurden in allen Gewässern gefürchtet. Neben dem Aitolischen Bund gab es noch andere, ältere Bünde, die einst eine große Rolle gespielt hatten und Städte umfaßten. Aber sie überlebten sich. So der Boiotische Bund, der sich schließlich im Jahre 245, nachdem er in Chaironeia besiegt worden war, dem Aitolischen Bunde beugen mußte222. Der ›Inselbund‹ (Nesioten), der von Antigonos gegründet worden und vor allem in der Zeit der ptolemäischen Herrschaft über die Ägäis lebendig war, hatte das Ende dieser Herrschaft nicht überdauert223. Der Arkadische Bund hatte sich zu Beginn des 4. Jahrhunderts (370) gebildet. Dann, nachdem er in der Zwischenzeit ein paarmal aufgelöst worden war, erwachte er nach der Vertreibung der mit Antigonos befreundeten Tyrannen, besonders nach der Ermordung des Aristodemos in Megalopolis durch Ekdemos und Demophanes, wieder einigermaßen zum

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Leben224. Doch gegen 245, als die makedonenfreundliche Partei die Macht ergriffen hatte, hörte er erneut auf zu bestehen. Man sieht, daß das Auf und Ab in der Geschichte der Städte die Geschehnisse in den ›Königreichen‹ spiegelt, sogar in diesen Bünden. Anders ist das beim Aitolischen Bund und dem, den die ›achaiischen‹ Städte der Peloponnes zuerst gegen 281 erneuert hatten, dann im Jahre 243, nachdem er durch den Beitritt Sikyons grundlegend umgewandelt worden war225. Beide erlangten rasch den Status und die Rolle von ›Großmächten‹. Der Aitolische Bund verdankte das, wie wir darzulegen versuchten, seiner geographischen Lage, den Sitten der Menschen, aus denen er gebildet war, aber auch den besonderen Umständen, durch die er nach der Invasion der Galater zum ›Retter‹ Griechenlands wurde. Aber mit der Wiedererhebung Makedoniens, und vor allem durch die Politik der Könige in Pella, die sie veranlaßt, ihren Blick mehr und mehr nach Griechenland zu wenden und immer weniger nach dem Orient, sieht der Aitolische Bund ab 226 seine Bedeutung schwinden226. Genau in diesem Augenblick beginnt der Achaiische Bund seine Vormachtstellung im größten Teil der Peleponnes auszubauen, und seine mit wechselndem Glück gegen Sparta und gegen Makedonien verfolgte Politik trägt erheblich dazu bei, Rom zum Eingreifen in das balkanische ›Wespennest‹ zu veranlassen. Die Kämpfe, die einst die Städte auszufechten hatten, tragen jetzt die Bünde aus. Die Achaier sind die erbitterten Feinde der Aitoler. Der Grund liegt zweifellos in einer Gegensätzlichkeit der Bestrebungen und, tiefer noch, in einer Antipathie, die man nicht gern als ›rassisch‹ bezeichnen möchte, die aber sehr nach einer Unvereinbarkeit von Sitten und nationaler Überlieferung aussieht. Indem sie sich Achaier nannten, bekennen sich die Völker des Bundes zweifellos zu dem geographischen Ursprung der ersten im Bund zusammengeschlossenen Städte um das Heiligtum des Zeus Hamarios. Aber dieser Name weckt tiefere Resonanzen: Der Name Achaier muß an den antiken Ruhm der Achaioi erinnern, die vor Troja gekämpft haben. Allein die Tatsache, daß dieser Bund sich rund um ein Heiligtum mit archaischen Zügen gebildet hatte, bedeutet eine regelrechte historische Stellungnahme – gegen die Dorer von Sparta, gegen die als ›Halbbarbaren‹ betrachteten Aitoler, die jedenfalls so lange außerhalb der geistigen Gemeinschaft von Hellas gestanden hatten, daß man ihre Herrschaft in Delphi nur ungern in Kauf nahm227. Die Heldensage verband mit Aitolien nur einige Randepisoden: die Jagd von Kalydon, die Abenteuer der Meleagriden, ein oder zwei Abenteuer des Herakles. Es war auch natürlich, daß die Achaier die Feinde Makedoniens waren, soweit sie sich als die reinsten Vertreter der echtesten hellenischen nationalen Überlieferung betrachteten. Man mag bedauern, daß die letzte ›Großmacht‹, die sich im eigentlichen Griechenland bildete, in erster Linie in Opposition zu den anderen griechischen Völkern stand und so zum endgültigen Niedergang des hellenischen Namens beigetragen hat, man muß aber anerkennen, daß der Achaiische Bund, indem er in den

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Streitigkeiten so heftig Partei ergriff und mitunter herausforderte, nur die Tradition der Städte fortsetzte. Es wäre wahrscheinlich falsch, die Feindseligkeit, die man zwischen dem Achaiischen Bund und dem Aitolischen feststellt, durch einen Unterschied in ihrer Verfassung erklären zu wollen (der eine sei mehr ›demokratisch‹, der andere mehr ›aristokratisch‹ gewesen). Man geriete tatsächlich in Verlegenheit, sollte man einem der beiden Bünde das eine oder andere Epitheton beilegen. Der Aitolische Bund, im Grundsatz demokratisch, wurde im Laufe seiner Entwicklung zu einer oligarchischen Organisation. Ebenso gibt es im Achaiischen Bund Elemente, die man als ›demokratisch‹ bezeichnen kann, wie die ›Urversammlung‹ in ihrer doppelten Form als synkletos und synodos, die tatsächlich in allen wichtigen Fragen das letzte Wort hatte228. Aber bestimmte Seiten der achaiischen Verfassung machen eine Oligarchie daraus: Die Tatsache, daß die Mitglieder der Versammlung älter als dreißig Jahre sein mußten, die Auswahl aus den ›reichsten‹ Bürgern, die man mitunter für die Magistraturen getroffen zu haben scheint, alles das dämpft die achaiische Demokratie und stellt sie in klaren Gegensatz zu dem, was die Herrschaft des athenischen Demos in den besten Zeiten hätte sein können229. Tatsächlich ist der Bund in den Händen einer Gruppe, man könnte sie Bourgeoisie nennen, der ›besten Bürger‹ der Städte, aus denen er besteht, der Bürger, die Anteil an der paideia haben und in sozialem Gegensatz zu den Leuten vom Lande und aus den Marktflecken stehen. Das wesentliche Ziel des Achaiischen Bundes war, so erklärt Polybios, die Freiheit230; er wollte sich gegen alle wenden, die »aus sich selbst oder mittels der Könige« versuchen würden, sich der Unabhängigkeit der Städte der Peloponnes zu widersetzen. Nun gelang es im Jahre 251 einem jungen Verbannten aus Sikyon, Aratos, dessen Familie zu den Honoratioren der Stadt zählte, den Tyrannen Nikokles zu vertreiben, und er rief sein Vaterland zur Freiheit auf. Antigonos scheint durch diesen Regimewechsel in Sikyon nicht besonders beunruhigt gewesen zu sein und im Gegenteil dem ›Befreier‹ sogar geholfen zu haben. Er rechnete zweifellos damit, daß Aratos ihm helfen würde, den Tyrannen Alexander, der damals Korinth besetzt hielt, aus der Stadt zu verjagen231. Aratos versuchte es und erlangte dafür den Beitritt Sikyons zum Achaiischen Bund. Es gelang Alexander jedoch, sich mit den Achaiern zu verbünden, was diese wieder in Gegensatz zu Antigonos brachte. Da ferner Aratos Geld brauchte, um die nach Sikyon zurückgekehrten Verbannten zu entschädigen, ohne die berechtigten Interessen jener Bürger zu verletzen, die deren Besitz ganz oder teilweise erworben hatten, wandte er sich an den König von Ägypten. Als er Korinth zurückgewonnen hatte, versuchte Antigonos, sich mit Aratos zu versöhnen, vermutlich in der Hoffnung, ihn de facto, wenn nicht de iure zum Tyrannen von Sikyone und zum Verbündeten zu machen. Aber so leicht wollte Aratos sich nicht zufriedengeben. Nachdem er 243 zum zweiten Male zum ›Strategen‹ (das heißt zum einzigen regierenden Beamten) des Achaiischen Bundes gewählt worden war, bemächtigte er sich durch einen

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glücklichen Handstreich Korinths und gab die Schlüssel der Stadt den Bürgern zurück, die er als die einzigen rechtmäßigen Besitzer betrachtete. Der Achaiische Bund sah sich in das Lager der Feinde des Antigonos zurückgeworfen, was zur Folge hatte, daß dieser sich wieder dem Aitolischen Bunde näherte. Mit diesem zusammen bereitete der alte König einen Kriegsplan gegen die Peloponnes vor mit dem ausgesprochenen Ziel, das Gebiet der Städte, die Komplizen dieses Verrates gewesen waren, aufzuteilen. Aratos dagegen schloß ein Bündnis zwischen der Liga und Sparta und bat Ptolemaios, den er zum ›Nauarchen‹ der Achaier ernennen ließ, um Hilfe. Nach einem gescheiterten Versuch der Aitoler, in achaiisches Gebiet einzufallen, wurde im Jahre 241 Friede geschlossen. Makedonien bekam Korinth nicht zurück, ebensowenig wie eine der Städte, die gleich nach der Besetzung der Stadt durch Aratos abgefallen waren. Nur Argos und Megalopolis blieben ihm auf der Halbinsel. a) Sparta und seine Probleme Doch das Bündnis, das zeitweilig Sparta und den Achaiischen Bund einander näher gebracht hatte, konnte nicht von Dauer sein. Sparta blieb ein großer Name, und die Gruppe der Adligen, die Herren der Stadt waren, hegten einen Stolz, der ihrer Vergangenheit würdig war. Aber die Stadt war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Es gab, wie uns berichtet wird, nicht mehr als 700 Spartiaten; die Ländereien waren nicht mehr gleichmäßig unter ihnen verteilt, wie die alte Verfassung des Lykurg es verlangte, sondern in der Hand weniger zusammengefaßt, und sie gehörten, was eine unerwartete Folge dieser Verfassung war, oft Frauen. Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Zustrom von Geld als Folge der Eroberung, hatten fast überall die besitzenden Klassen verarmen lassen, aber nirgend so sehr wie in Sparta. Die Erhöhung sämtlicher Preise hatte viele Grundbesitzer gezwungen, ihr Land zu verkaufen, was bewirkte, daß sie ihres Bürgerrechtes verlustig gingen. Anderen war es zwar gelungen, ihr Land zu behalten, aber sie besaßen nicht die nötigen flüssigen Mittel, um es richtig bewirtschaften zu können. Überall Schulden und eine ›Proletarisierung‹, für die es in einer Stadt, die selbst keinen Handel trieb, keine Abhilfe gab. Als Agis IV. im Jahre 244 König von Sparta wurde, begriff er, daß tiefreichende Reformen unternommen werden mußten, wenn er den Untergang seiner Stadt verhüten wollte. Er schlug die Streichung der Schulden und eine Neuverteilung des Bodens vor. Das entsprach dem, was für echte spartanische Tradition gehalten wurde und was seit der Errichtung militärischer Kolonien durch Alexander den Großen und seine Nachfolger so ziemlich auf der ganzen Welt das üblich gewordene Verfahren war. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, daß diese Vorschläge auf sehr starke Opposition der wenigen Reichen stießen, die es noch gab. Die Opponenten benutzten die Abwesenheit des jungen Königs, der 241 aufgebrochen war, um an der Seite von Aratos die Aitoler zu bekriegen, und bemächtigten sich rechtswidrig der Gewalt. Agis wurde bei

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seiner Rückkehr getötet. Seine Anhänger wurden scharenweise verbannt; einige gingen nach Ägypten, die meisten nach Aitolien, wo ihre Anwesenheit dazu beitrug, die Beziehungen des Bundes zu den Städten der Peloponnes zu vergiften. Agis sollte einen unerwarteten Erben seiner Pläne haben, den eigenen Sohn des Leonidas, des Mannes, den er abgesetzt hatte. Dieser junge Mann aus königlichem Hause wurde unter dem Namen Kleomenes III. im Jahre 237 König. Sein Vater hatte ihn mit der Witwe des Agis verheiratet, die jung und reich war, und diese Heirat hatte zu einem völligen Wandel der Ideen bei Kleomenes geführt, der durch seine Frau, in die er leidenschaftlich verliebt war, ein Anhänger der Lehren von Agis wurde. Möglich ist auch, daß er die Lehren des stoischen Philosophen Sphairos gehört hat232 – man findet oft genug einen Philosophen der Stoa im Hintergrund sozialer Revolutionen233, denn Zenon und Chrysippos betonen die Notwendigkeit der Gerechtigkeit als Grundlage eines sozialen Lebens und vertreten die Meinung, daß alle Menschen im Schöße der Gesellschaft gleiche Rechte besitzen. Die Bemühungen des Kleomenes sollten zu einer allgemeinen Umwälzung in der Peloponnes führen, indem dadurch die Probleme jäh auf eine andere Ebene getragen wurden, als sie seit der Zeit Alexanders des Großen gewesen waren. Ära tos hatte sich, nachdem er Korinth genommen hatte, an der Spitze des Achaiischen Bundes bemüht, seinen Einfluß auszudehnen, und hatte durch pausenlose Handstreiche, Angriffe, die oft nach Verrat aussahen und plötzlich, mitten im tiefsten Frieden, unternommen wurden, trotz zahlreicher Schlappen erhebliche Vorteile erzielt. In Makedonien war Antigonos Gonatas Anfang 239 gestorben. Demetrios II., sein Sohn, war ihm nachgefolgt. Der alte König scheint sich gegen Ende seines Lebens mit den Erfolgen von Aratos abgefunden zu haben. Demetrios schickte sich an, Makedonien den Einfluß, den es im eigentlichen Griechenland eingebüßt hatte, zurückzugewinnen, und eröffnete im Jahre 238 gleichzeitig den Krieg gegen den Aitolischen und den Achaiischen Bund. Der Krieg zog sich in die Länge (Demetrios hatte andere Sorgen an seiner Nordgrenze), und Aratos nutzte das aus, um den Beitritt einer so wichtigen Stadt wie Megalopolis zum Bund (235) herbeizuführen. Aber im Jahre 233 fand Demetrios Zeit, einen Feldzug zu organisieren, in dessen Verlauf Aratos bei Phylakia geschlagen wurde, und diese Niederlage zügelte für einige Zeit die Unternehmungen des Bundes. Demetrios starb jedoch 229 und hinterließ als einzigen Erben seinen neunjährigen Sohn, den künftigen Philipp V. Alle Feinde Makedoniens gingen nun wieder zum Angriff über. Athen gewann seine Freiheit zurück, indem es den Abzug der Söldner, aus denen die Besatzung des Piräus bestand, durch Geld erkaufte. Der Aitolische Bund besetzte Gebiete, auf die er schon seit langem ein Auge geworfen hatte, und sicherte sich ein ›Reich‹, das sich von Theben bis nach Ambrakia erstreckte. In der Peloponnes trat Argos, das bis dahin die wichtigste (fast die einzige) Stütze Makedoniens gewesen war, dem Achaiischen Bund bei. Unter solchen Umständen bestieg Antigonos Doson, ein

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Sohn Demetrios’ des Schönen, also der Vetter Demetrios’ II., den Thron Makedoniens. Dieser hatte Doson zum Vormund des jungen Philipp gewählt, und bis zur Volljährigkeit des Kindes erhielt er die Regierung und adoptierte Philipp. Seine erste Regierungshandlung bestand darin, wohl oder übel Frieden mit Aitolien zu schließen; dann erkannte er die Unabhängigkeit Athens an. Anscheinend vermochte er nichts zu tun, um den makedonischen Einfluß in der Peloponnes wiederherzustellen, solange Aratos und der Achaiische Bund dort herrschten. In diesem Augenblick begann das Drama. Kleomenes benutzte die Schwierigkeiten, die sich durch den Tod des Demetrios in Makedonien ergeben hatten, und griff im Jahre 229 den Achaiischen Bund an. Aber die Operationen zogen sich in die Länge, denn keine der beiden Parteien wollte tatsächlich einen Krieg: Aratos, weil er keinen Grund hatte, den Bund in einen Kampf zu verwickeln, der ihm nichts einbringen konnte, Kleomenes, weil dieser Krieg für ihn nur das Mittel war, ein Söldnerheer aufzustellen, dessen er sich zur Durchführung seiner Reformen im Innern bedienen wollte. Die Gelegenheit wurde ihm im Laufe des Sommers 227 geboten, als er einen Sieg über ein achaiisches Heer errungen hatte, und zwar bei Megalopolis. Diesen Erfolg nutzte er aus, ging nur mit seinen Söldnern nach Sparta zurück, setzte die Ephoren ab, die das wichtigste Hindernis für die Durchführung seiner Pläne waren, und blieb Herr des Staates. Er setzte die ›Lykurgische Verfassung‹ wieder in Kraft, und zwar mit aller Strenge, womit die Streichung der Schulden, die Neuverteilung des Bodens und die Rückkehr zur einstigen Einfachheit und zu Bräuchen, wie das gemeinsame Mahl, verbunden war, die die traditionelle Einmaligkeit Spartas ausmachten. Der Bevölkerungsverminderung half man ab, indem man Periöken und ausgesuchte Fremde unter die Spartiaten aufnahm. Diese Reformen sollten – das war die Absicht des Kleomenes – dazu führen, daß Sparta wieder seine Macht von einst zurückgewann. In Wirklichkeit genügten sie keineswegs, um den Lakedaimoniern einen Platz in der neuen Welt, die seit einem Jahrhundert entstanden war, zu sichern, der ihrer Vergangenheit würdig gewesen wäre. Die alte Stadt, so ruhmvoll sie auch gewesen und so ›spartanisch einfach‹ sie wieder geworden sein mochte, gehörte nicht mehr zur Rangordnung der Mächte, von denen sie umgeben war. Aber man stellte fest, daß eben in dieser Welt der Gewalt und der immer weiter ausgedehnten Interessen die Ideen das Privileg einer noch größeren Wirkungskraft besaßen als Waffen und Korruption. In den Augen der ›Armen‹ aller griechischen Städte erschien die Reform des Kleomenes vor allem als ein Versprechen von Gerechtigkeit: Die Probleme waren nicht mehr in erster Linie politische, sondern wurden zu sozialen. Von nun an gab es in der Peloponnes zwei Parteien, und sie schlugen sich nicht mehr, um lediglich zu wissen, welche von ihnen die herrschende sein sollte, sondern um ein Prinzip, den Grundsatz sozialer Gerechtigkeit, unter dem die einen, im Achaiischen Bund, die Erhaltung der überlieferten Vorrechte der herrschenden Klasse verstanden, und die andern, um

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den spartiatischen Reformator, ihn sich nicht anders vorstellen konnten als eine Neuverteilung des Besitzes. Im Bunde selbst gab es natürlich eine ›Kleomenes- Partei‹ und zeitweilig sah es so aus, als würde der König von Sparta zum Strategen des Bundes gewählt werden, was große Folgen gehabt und das traditionelle Spiel der politischen Kombinationen in Griechenland und vielleicht in der ganzen hellenischen Welt völlig durcheinandergebracht haben würde. Ptolemaios III. Euergetes I. täuschte sich darüber nicht und setzte auf Kleomenes. Aber Kleomenes, der krank war, konnte seine Wahl nicht sichern, und die große Chance ging verloren. Aratos, der begriff, daß er die Kräfte, die das Einschreiten des Kleomenes bald unwiderstehlich zu machen drohten, um jeden Preis in Schach halten mußte, fand keine andere Lösung: Er verleugnete seine ganze Vergangenheit, sein Ideal, dem er bis auf seine Ehre alles geopfert hatte, und knüpfte Verhandlungen mit Antigonos Doson an. Inzwischen brauchte Kleomenes nur vor einer Stadt zu erscheinen, und sie ergab sich ihm. Schließlich, im Winter 225, öffnete ihm sogar Korinth die Tore, obwohl die Zitadelle (Akrokorinth) von einer achaiischen Besatzung noch gehalten wurde. Der Bund (beziehungsweise was von ihm übrig geblieben war) mußte die Bedingungen des Antigonos annehmen, das heißt die Rückgabe Korinths. Aratos wurde zum Strategen gewählt, und Anfang 224 vereinten sich seine Truppen mit denen Dosons. Kleomenes, der den Isthmos befestigt hatte, konnte leicht verhindern, daß sich die makedonischen Truppen den Durchzug erzwangen, aber in seinem Rücken fielen die Städte ebenso schnell wieder von ihm ab, wie sie sich seiner Sache angeschlossen hatten. Der Anmarsch des makedonischen Heeres flößte den Gegnern der sozialen Revolution Mut ein, und die Volksmassen, die Kleomenes unterstützt hatten, waren politisch nicht ›reif‹ genug, um eine einheitliche Politik lange durchzuhalten. Zum entscheidenden Gefecht kam es im Juni oder Juli 222 in der Nähe von Sellasia. Antigonos hatte die besseren Truppen, siegte, und Kleomenes mußte fliehen. Ein Schiff erwartete ihn in Gythium und brachte ihn nach Alexandria, wo Kleomenes, nachdem er auf die Mittel gewartet hatte, um seine Kämpfe in Griechenland erneut zu beginnen, als Opfer seiner eigenen Unvorsichtigkeit sein Ende finden sollte234. In der Peloponnes stellten Antigonos und sein Verbündeter Aratos in den Städten und sogar in Sparta das alte Regime wieder her. Als Antigonos Doson im Herbst 221 starb, hatte Makedonien seine Stellung in Griechenland zurückgewonnen; es befand sich an der Spitze einer neuen Verbindung, des Hellenischen Bundes, der außer dem makedonischen koinon den Thessalischen Bund, den Archaiischen Bund, Boiotien, Epeiros, Akarnanien, Euboia und einen Teil von Phokis (den, der nicht von den Aitolern annektiert worden war) umfaßte. Nur Aitolien blieb außerhalb. b) Der Krieg der Verbündeten Philipp V., der neue König, war erst siebzehn Jahre alt und sah sich bei seiner Thronbesteigung einer sehr verwickelten außenpolitischen Lage gegenüber. Die

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Aitoler setzten ihre Raubzüge, gegen die die betroffenen Städte natürlich von Philipp als Haupt des Hellenischen Bundes Schutz verlangten, da und dort bis nach Messenien fort. Andererseits hatte Rom bereits an der balkanischen Küste des Adriatischen Meeres Fuß gefaßt235, und das war nun ein neues Element, dem der junge Philipp Rechnung tragen mußte. Nicht ohne Zögern erklärte er sich denn auch im Jahre 219 bereit, gegen Aitolien und die Verbündeten, die es bald fand – vor allem Sparta, wo die Überlebenden der Kleomenes-Partei wieder das Haupt erhoben – zu Felde zu ziehen. Und die ganze griechische Welt Europas spaltete sich in zwei Lager: die einen standen auf Seiten Philipps, die andern unterstützten Aitolien. Als 219 das Vorgehen Hannibals in Spanien zeigte, daß der Barkide gegen Rom einen Krieg begann, den er zum Entscheidungskampf machen wollte, zögerte Philipp nicht länger, griff die Aitoler an und zwang sie mit einigen Feldzügen, in denen er sich als hervorragender General in der Tradition des Poliorketes und Alexanders des Großen zeigte, um Frieden zu bitten. Im August 217 hielten die beiden Gegner eine Konferenz in Naupaktos, auf aitolischem Gebiet, wo sie Frieden schlossen. Einige Monate zuvor hatte Hannibal ein römisches Heer am Trasimenischen See vernichtet, und die Griechen, beunruhigt über diesen Zusammenstoß zweier Mächte, von denen die obsiegende zweifellos eines Tages nach der Weltherrschaft streben würde, wandten ihre Blicke instinktiv auf den jungen König wie auf einen Beschützer. Die hellenistische Kultur Das Jahrhundert zwischen dem Tode Alexanders des Großen und jenem Jahre 217, in dessen Sommer die Schlacht von Raphia stattfand, der Krieg der Verbündeten zu Ende ging und in Italien die Römer die Niederlage am Trasimenischen See erlitten, ist auch das Jahrhundert, in dem das, was man ›hellenistische Kultur‹ nennt, das heißt eine Kultur, die ohne Zweifel griechisch ist, aber von Völkern und Königreichen, die bis vor kurzem dem Hellenismus noch fremd waren, ihren Anfang nahm, seinen Höhepunkt erreichte. Es ist bemerkenswert, daß die unaufhörlichen Kriege, die Metzeleien und die Zusammenbrüche nicht verhinderten, daß diese Kultur sich im ersten kraftvollen Ansturm durchsetzte. Wenn man darüber nachdenkt, wird man feststellen, daß dieser scheinbare Widerspruch keine vereinzelte Erscheinung ist, daß die augusteische Literatur zum Beispiel ihre größten Werke in der verworrensten Periode des 1. Jahrhunderts hervorgebracht hat, als das einfache römische Volk kaum das tägliche Brot hatte und der römische Staat durch erbarmungslose Kämpfe zerrissen war, so als ob die geistigen Reifeprozesse durch zeitliches Mißgeschick mitunter beschleunigt, statt gehemmt würden. Die politischen Verhältnisse während des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung forderten die Geister zu einem Erneuerungsversuch heraus: Überlieferungen behielten nicht mehr aus eigener Kraft ihre Gültigkeit. Die Athener hatten nach dem Lamischen und dem Chremonideischen Krieg nicht

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mehr den Mut, die Argumente des Isokrates zu wiederholen, sie gaben ihnen zumindest einen neuen Sinn, indem sie in diesen, jetzt zum Spott herausfordernden Aufrufen zur Hegemonie einen politischen und einen geistigen Aspekt unterschieden. War der erste ganz offensichtlich überholt, so blieb doch der zweite lebendig, und das hellenistische Athen wird zu einer intellektuellen Stadt, wo sich unentwegt die Gegenüberstellung der verschiedenen Schulen des Denkens vollzieht, zwischen Menschen, die von allen Küsten des Mittelmeers gekommen sind, aus Asien, aus Syrien und manchmal aus Karthago. Nach Athen kamen auch die Könige, wenn sie gesiegt hatten, um ihrem Ruhm die Weihe zu geben, indem sie eine Säulenhalle, einen Tempel oder Statuen errichteten, und die Athener lohnten es ihnen, indem sie sie ›Götter‹ oder ›Helden‹ nannten und eine Phyle oder ein Fest nach ihnen nannten. Diese Ehrungen, die manchem als der Gipfel der Liebedienerei erscheinen, waren der Ausdruck eines Ruhmbegriffes, der eine der Haupttriebfedern der Politik der Könige gewesen sein dürfte236. Es erschien ganz natürlich, den zeitgenössischen ›Wohltätern‹ das zu gewähren, was, wie man glaubte, auch denen der Heroenzeit zugebilligt worden war. Merkwürdigerweise wurde die Vergottung der Könige durch eine Denkweise sehr erleichtert, die man Euhemeros von Messene zuschreibt, einem Freund und Agenten des Kassandros, der Ende des 4. Jahrhunderts die ganz vom Rationalismus getränkte Idee verbreitete, daß die Götter des klassischen Pantheons nur Könige oder von den Alten vergottete ›Wohltäter‹ gewesen seien. Es steckt sicherlich einige Lebensweisheit in dem Verhalten der Athener, was keineswegs besagt, daß dieselben Worte, dieselben Dekrete in anderen Städten der hellenischen Welt denselben Sinn erhalten hätten wie in Athen oder daß sie in Athen selbst in den Schulen der ›Weisen‹ und bei den kleinen Leuten dieselbe Bedeutung gehabt hätten. Denn nach Ablauf von zweitausend und mehr Jahren sind wir geneigt, vor allem das zu betrachten, was die gemeinsamen Merkmale der hellenistischen Kultur ausmacht. In Wirklichkeit sollte man die unglaubliche Mannigfaltigkeit der Völker und Traditionen nicht vergessen, die sie umfaßt und aus denen sie letztlich gebildet wird. Der Hellenismus trat an die Stelle der einheimischen Kultur, das heißt, daß diese ihren geschichtlichen Ausdruck – zumindest zeitweilig – in Formen fanden, die dem griechischen Denken und der griechischen Kunst eigen waren, selbst wenn sie nicht in Schweigen untergingen. a) Die Stadt in der hellenistischen Welt. In der Vergangenheit hatte die Stadt den Rahmen des politischen Lebens gebildet, und sie war, wie gesagt, der Rahmen der Kultur geblieben. Selbst die Versuche, größere Einheiten – die Bünde – zu schaffen, waren von der Stadt als Zelle ausgegangen und hatten die städtische Autonomie so wenig wie möglich beschränken wollen. In der Stadt erhält und festigt sich der Begriff der ›Freiheit‹, der für einen Griechen so wesentlich ist, wie vieldeutig der Gehalt dieser Idee im

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übrigen auch sein mag. Es ist darum ganz natürlich, daß Alexander der Große von Anfang an bemüht gewesen ist, Städte zu gründen, um den für die Anpflanzung einer griechischen Bevölkerung unerläßlichen Boden zu schaffen. Alexander hatte zweifellos gehofft, durch die Vielzahl seiner Gründungen ebensoviele Kernpunkte zu bilden, mit denen wenigstens bestimmte Teile der eingeborenen Bevölkerung zusammenwachsen würden, denn er wollte eine möglichst vollkommene Verschmelzung von Siegern und Besiegten erreichen. Man kann daher diese Städte (70, wenn man Plutarch glauben darf) als ebensoviele ›kulturelle Kolonien‹ betrachten, Modelle, die den Untertanen zur Nachahmung empfohlen werden. Aber viele dieser Städte hatten auch den Zweck, durch militärische Absicherung der Besetzung das Land fest in der Hand zu halten. Es sind Soldatenkolonien, man findet sie besonders zahlreich an den äußersten Grenzen, und ihre Bewohner schickten sich nicht immer gutwillig in das neue Leben, das ihnen bereitet worden war237. Die Diadochen setzten diese Politik fort. Sie war für sie um so notwendiger, als in Asien ihre Königreiche von Makedonien abgeschnitten waren und sie ihre makedonischen Soldaten, die die zuverlässigsten des Heeres waren und weitgehend auch die ›Gefährten‹ des Königs blieben, zu akklimatisieren. Im übrigen galt der Gründer einer Stadt als gleichsam göttlicher Heros; indem der König eine Stadt gründete oder einer bereits gegründeten Stadt einen neuen Namen gab, erhob er sich für die Bewohner seiner Gründung über den Stand eines Sterblichen. So mischen sich bei den Beweggründen der Diadochen, in diesem Punkte die Politik Alexanders fortzusetzen, politische, vernunftmäßig zu rechtfertigende Absichten mit anderen, die nur aus der zeitgenössischen religiösen Sicht verständlich sind. In einer Stadt, die seinen Namen trägt, ähneln ein König oder eine Königin sehr der Stadtgottheit – Apollon, Zeus, Athene –, deren Bereich die Stadt ist. So erklären sich wahrscheinlich Handlungen, die uns überraschen, wie die von Seleukos I. nach Ipsos vorgenommene Umsiedlung der Einwohner der Stadt Antigoneia am Orontes, die von Antigonos gegründet war, in seine eigene Stadt Antiocheia, einige Meilen stromabwärts238. Alle hellenistischen Könige gründeten Städte. Eine Ausnahme bilden die Lagiden, die sich mit einigen wenigen Gründungen begnügten, die sie für ihren dynastischen Ruhm als unerläßlich erachteten. In Ägypten selbst ist Ptolemaïs in Oberägypten eine Schöpfung von Ptolemaios I. Soter. Man ist sich im allgemeinen darüber einig, daß diese Gründung die Errichtung eines griechischen Zentrums gegenüber Theben bezweckte, so wie Alexandria die hellenische Rivalin von Memphis, der antiken religiösen Hauptstadt Unterägyptens, war. Aber die Lagiden wollten keine griechischen Städte auf ägyptischen Boden pflanzen, vielleicht weil die Wirtschaft und die Verwaltung ihres Königreiches sich besser einer Agrargesellschaft anpaßten239. Sie hatten aber keine Bedenken, Städte in außerägyptischen Gebieten, die ihnen gehörten, entstehen zu lassen, zum Beispiel in der Kyrenaika und in Koile-Syrien240 und in allen Teilen der griechischen Welt, wo sie zu irgendeinem Zeitpunkt die

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Herrschaft ausübten (in Karien, auf Zypern). In Ägypten blieb also Alexandria, eine Gründung Alexanders selbst, eine Ausnahme: Das ganze städtische und ›internationale‹ Leben des Königreiches konzentriert sich dort, und das erklärt den erstaunlichen Aufschwung dieser Stadt, ihre Bevölkerungsdichte, die Pracht ihrer Baudenkmäler, die Intensität ihres Handels und ihres geistigen Lebens. Alexandria gab dem lagidischen Königreich damals ein einmaliges Gepräge: Dieses ist das einzige, das wahrhaftig eine Hauptstadt in der Art eines modernen Staates besessen hat, einen ›Kopf‹, der riesenhaft auf einen im Verhältnis dazu zurückgebliebenen Körper aufgesetzt ist. In den anderen Königreichen – und natürlich auch in Griechenland selbst – entsprach die Bevölkerungsdichte der Städte, der alten wie der neuen, besser der Bevölkerung und der städtischen Kultur im übrigen Lande und verhinderte dadurch die Entstehung eines so blendenden Mittelpunktes, wie ihn Alexandria darstellte. In Asien, im Königreich der Seleukiden, und im davon abgetrennten Königreich Pergamon sind die Städte besonders zahlreich. Man findet tatsächlich die ältesten hellenischen Städte in Kleinasien und im Norden Syriens und semitische in Phönikien und Babylonien. Jede Stadt bildet eine fest umgrenzte politische Einheit, die mit dem König nur durch ein rechtlich ziemlich ungenau bestimmtes persönliches Verhältnis verbunden ist. Der König ist der ›Schirmherr‹, der den Städten ihre traditionelle Autonomie gewährleistet, oft ihre demokratische Verfassung, das Recht ihre Beamten zu wählen, selbst den größten Teil der Rechtsstreitigkeiten zu regeln und ihre Einkünfte zu haben (obwohl der König in diesem Punkt ein Wort mitzureden hatte). Wünscht der König, daß eine Stadt eine bestimmte Entscheidung trifft, läßt er das die Ortsbehörden durch eine ›Kabinettsorder‹ (prostagma) wissen – selbstverständlich, die Beamten und die Versammlung gehorchen, aber die Form ist gewahrt, das – theoretische – Recht der Zustimmung geachtet worden. Unwillkürlich muß man an die Redewendung denken, die die Stoiker – Zeitgenossen dieses Systems – benutzten, um die Unterwerfung des Weisen unter den göttlichen Willen zu umschreiben: »Den Widerstrebenden reißt das Schicksal mit, dem Willigen folgt es.« So sieht die stoische Definition der Freiheit aus. Man darf allerdings nicht glauben, diese Autonomie der Städte sei nichts als Heuchelei gewesen. In der Praxis und für die kleinen Leute hatte sich mit dem Schwinden der Freiheit nichts geändert. Die gewöhnlichen Lebensformen waren erhalten geblieben. Wenn der Archon Eponymos früher ein Priester gewesen war, dann blieb es so241. Wenn die Städte, wie es in den phoinikischen Städten der Fall war, ›Richter‹ als Beamte hatten, blieb der Titel. Die Städte waren nicht auf ihr bloßes Gebiet beschränkt, sondern besaßen Ländereien, deren Güter im Besitz ihrer ›Bürger‹ waren und die zu den Einkünften der Stadt beitrugen. Aber nicht das ganze Land war den Städten zugeteilt. Es gab ›Königsland‹, und selbst dieses Land bildete die Gesamtheit des den Seleukiden unterworfenen Gebietes, mit Ausnahme des den autonomen Städten zugeteilten Landes. In Asien, wie auch im lagidischen Ägypten, ist der

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König theoretisch unumschränkter Herr des Bodens. Er kann davon nur Teile gegen einen Grundzins verleihen, könnte seinen Besitz aber nicht veräußern. Die Anwendung dieses Grundsatzes erlaubte es, so verschiedenartige und elastische Besitzverhältnisse zu schaffen, wie man wünschte – was in Staaten aus sehr unterschiedlichen Völkern, von denen jedes seine eigenen Überlieferungen hat, unvermeidlich war. Die Königsherrschaft: scheint sich in den meisten Fällen einfach an die Stelle früherer Systeme gesetzt zu haben, ohne zu versuchen, Einrichtungen nach dem Muster derer in hellenischen Ländern in den einheimischen Gemeinden einzusetzen. Das Königsland zahlt Steuern – in Geld (das ist der Tribut) oder Naturalien. Der König beansprucht im voraus einen beträchtlichen Teil der Ernten, ein Drittel, manchmal die Hälfte – wenigstens von den Ländereien, deren unmittelbare Bewirtschaftung er sich vorbehält. Der Grundzins, den er erhebt, ist für die Güter, die er Privatpersonen oder Gemeinschaften überlassen hat, natürlich geringer, da die Nutznießer einen Teil der Einkünfte für sich behalten. Die Lage in Ägypten ähnelte sehr der im Königreich der Seleukiden, aber da es in Ägypten wenig autonome Städte gab, hatte das eine Vergrößerung des Anteils des Königslandes zur Folge. Land wurde im allgemeinen nur Privatpersonen überlassen, selten Gemeinschaften. Die ersten Nutznießer waren zweifellos die griechischen Soldaten, die mit dem Eroberer gekommen waren, und die Konzessionen waren die Gegenleistung – für die dem Siedler auferlegte Verpflichtung, dem König zu dienen. Andrerseits verschafften gewisse empfindliche Kulturen, wie die Pflege von Obstgärten und Weinbergen, die eine sehr sorgfältige Bearbeitung erforderten und beträchtliche Anfangskapitalien voraussetzten, denen, die sie bearbeiteten, ein besser gesichertes Besitzrecht. Diese Güter wurden im allgemeinen hohen Würdenträgern überlassen. Es wird immer wieder gesagt, die Staatsorganisation Ägyptens habe sich aus der monarchischen Tradition dieses Landes entwickelt und erkläre sich im Grunde aus Verfahren, die auf die Pharaonen zurückgingen. Aber die Ähnlichkeiten dieses Systems mit dem des Seleukidenreiches lassen vermuten, daß es hier weniger um die nationale ägyptische Überlieferung geht, als um das eigentliche Prinzip des ›orientalischen‹ Königtums, sei es nun ägyptisch oder asiatisch, babylonisch oder persisch. b) Der hellenistische Staat Als Erbe absoluten Königtums ist der hellenistische König grundsätzlich der alleinige Herr in seinem Königreich. Die Gewalt, die er nicht persönlich ausübt, ist nur delegiert; er kann sie jeden Augenblick zurücknehmen. Gewiß ist er in der Praxis durch die Tradition gebunden und kann nicht gefahrlos eine Willkürherrschaft ausüben, aber alle gesetzgebende Gewalt geht von ihm aus. Er kann das Gesetz ändern. Er ist, wie die Griechen gerne sagten, das ›lebende Gesetz.‹ Wir führten bereits aus, durch welche Fiktion dieses ›gnädigste

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Geruhen‹ des Königs sich in den angeblich autonomen Städten in städtische Verordnungen verwandelte. Die königliche Gewalt wurde im Seleukidenreiche durch ›Strategen‹ oder ›Satrapen‹ ausgeübt, in Ägypten durch ›Nomarchen‹ (Bezirksbefehlshaber; nomos = Bezirk), die von Strategen (Kommandanten von Militärbereichen) und Finanzverwaltern (oikonomoi) unterstützt wurden. Man erkennt sofort, daß die Verwaltung in Ägypten viel komplizierter und bürokratischer ist. Der Grund liegt offensichtlich in dem fast völligen Fehlen autonomer Städte, während im Königreich der Seleukiden die städtischen Einrichtungen es den königlichen Beamten erlaubten, ihre Überwachung auf höherer Ebene auszuüben. Allerdings ist unsere Kenntnis der ptolemäischen Bürokratie dank der Papyri viel eingehender als die der seleukidischen Verwaltung. Vermutlich würde eine genauere Kenntnis dieser Verwaltung doch eine größere Ähnlichkeit der beiden Königreiche erkennen lassen und (vielleicht) Analogien aufzeigen, von denen wir bis heute nichts wissen. Aber das lagidische Königreich besitzt nichtsdestoweniger durch seine Wirtschaftsordnung eine unleugbare Originalität. Ptolemaios II. Philadelphos gebührt das Verdienst, die bewundernswerte Staatsmaschine zur Bereicherung des Königs geschaffen zu haben, die der ägyptische Staat lange gewesen ist. Von dem Grundsatz ausgehend – wie die Seleukiden –, daß der König absoluter Herr über Gut und Blut ist, war Ptolemaios I. Soter bestrebt gewesen, die Wirtschaft des Königreiches mit allen Mitteln zu beleben und zu lenken. Philadelphos hatte diese gelenkte Wirtschaft weiter vervollkommnet, deren Prinzip sich sogar auf die Regierungs- und Verwaltungsmethoden auswirkte. Die lagidische Verwaltung weist zwei anscheinend widersprüchliche Merkmale auf, die sich in Wirklichkeit jedoch ergänzen: Die Vielfältigkeit des Räderwerkes, der Instanzen und der ›Ministerien‹ paßt sehr gut zu einer extremen Zentralisierung. Wenn ein Untertan, um eine Angelegenheit zu regeln, die ganze bürokratische Hierarchie durchlaufen hat, entscheidet am Ende der König, selbst wenn es sich um eine ganz unbedeutende Einzelheit handelt. Liest man die Archive Zenons242, erhält man den Eindruck eines Heeres mit Kleinigkeiten beschäftigter, ohnmächtiger Beamter, von denen jeder Angst hat, Verantwortung zu übernehmen, und sich auf die nächsthöhere Instanz beruft. Die Wirtschaft beruhte auf der landwirtschaftlichen Erzeugung, die bei weitem den Hauptertrag brachte. Diese Produktion war bis in die kleinste Einzelheit reglementiert. Jedes Jahr wurde den Dörfern ein Anbauplan vorgeschrieben, das Saatgut wurde den Landwirten aus den königlichen Kornkammern leihweise gegeben, und die Bedingungen, zu denen die Ernte aufgekauft, gelagert und zum Verkauf gestellt wurde, das alles war Gegenstand genauer Vorschriften. Die wichtigsten Erzeugnisse (mit Ausnahme des Getreides) waren königliches Monopol (z.B. Öl-, Bier- und Textilpflanzen). Diese Monopole wurden von Pächtern wahrgenommen, die im allgemeinen Zwei-Jahres-Verträge abschlossen.

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Dieses Pachtsystem ist eine Eigenart des lagidischen Ägyptens und scheint in den anderen Königreichen unbekannt gewesen zu sein. Es handelt sich dabei nicht um Pachten zur Steuererhebung, wie das später in der römischen Welt der Fall ist, sondern um Bewirtschaftungspachten, deren wesentliche Aufgabe darin bestand, dem königlichen Schatz die theoretisch berechneten Einkünfte zu gewährleisten. Dieses System ist nicht ägyptischen Ursprungs, sondern wahrscheinlich von Athen entlehnt243, vielleicht auf Veranlassung von Demetrios von Phaleron, der in seinen letzten Jahren der politische Berater Soters gewesen ist. Es war, so hat man gesagt, unerläßlich für die Modernisierung einer Wirtschaft, die bis dahin immer noch auf dem Tausch gegründet war. Die plötzliche Einführung des Geldes bei einer Bevölkerung, die daran nicht gewöhnt war, ließ sich mit einem Regime der unmittelbaren Bewirtschaftung nicht vereinbaren. Aber die Staatsmonopole und die Verallgemeinerung des Pachtwesens zogen Folgen nach sich, die für die Entwicklung der ägyptischen Wirtschaft nicht in jedem Falle günstig waren. Der größte Teil der Werte wurde in die königlichen Speicher geleitet, der eventuelle Mehrwert ging natürlich an die Pächter, während die Einkünfte der Produzenten gering blieben. Das System bedingte ferner strenge Überwachungsmaßnahmen mit Durchsuchungen und Verfolgungen gegen alle, die sich der Reglementierung zu entziehen versuchten. Die Geräte zum Beispiel, die zur Ölgewinnung dienten, waren gezählt und außerhalb der Arbeitszeiten versiegelt, sogar in den Tempeln. Die Versuchung, einen ›Schwarzen Markt‹ zu schaffen, war groß. Um diese beinahe verhängnisvolle Konsequenz zu verhüten, vermehrte man die Zahl der Kontrollbeamten und diktierte immer strengere Strafen. Die Masse der Arbeiter, die an dem Reichtum keinen Anteil hatte, lebte elend. Ein Liter Sesamöl, zum Beispiel, kostete ungefähr 1 1/4 Drachme zur Zeit des Philadelphos (das war der von der königlichen Verwaltung vorgeschriebene Preis), und ein Landwirt, der ein ziemlich bedeutendes Gut zu bewirtschaften hatte, forderte nur ein Gehalt von 10 Drachmen im Monat244. Man begreift, daß er bei diesem System ›mogeln‹ mußte, wenn er nicht verhungern wollte. Das erklärt auch, wenigstens teilweise, die Zahl und Häufigkeit der Eingeborenenaufstände, bei denen vielleicht weniger Vaterlandsliebe und ägyptischer Nationalismus eine Rolle spielten, als die Empörung gegen eine erstickende Zwangswirtschaft, eine kleinliche Tyrannei, deren Ziel es ist, einer fremden Dynastie die Mittel zu verschaffen, im Schöße eines Hellenismus, an dem der Fellah keinen Teil haben kann und will, ihr Prestige zu wahren. Gegenüber diesem Ägypten, das geschäftig summt wie ein in strenger Zucht gehaltener Bienenkorb, nimmt sich die Welt der Seleukiden wie ein Land verhältnismäßiger Freiheit aus. Dieses Riesenreich mit seinen unterschiedlichen Gebieten hatte mannigfaltige Quellen des Reichtums. Die Landwirtschaft war hier auch nicht so dominierend wie in Ägypten. Der internationale Handel spielte eine wesentliche Rolle, und man begreift, daß die Seleukiden sich

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bemühten, die aus dem fernsten Asien kommenden Ströme des Handels zu ihrem Vorteil in die Städte und Häfen zu lenken, die in ihrem Besitz waren, so wie die Lagiden Handelswege zwischen Arabien und Ägypten einrichteten, indem sie dem Orient zugewandte Häfen schufen. Sicherlich erklärt sich die Gier der Ptolemaier nach dem Besitz von Koile-Syrien teilweise aus dem Verlangen, ihrem Reiche die großen Handelsstädte Phönikiens einzuverleiben, die traditionsgemäß die Umschlaghäfen zwischen den Ländern des Fernen Ostens und den Straßen des Westens waren. Aber die Seleukiden beherrschten den größten Teil der Karawanenwege, besonders die Euphratübergänge, wo sie Städte anlegten, wie Zeugma und Nikephorion, sowie über den Tigris mit Seleukeia, das an die Stelle von Opis trat. Die Seleukiden beherrschten auch einen Weg, der quer durch die Wüste Arabiens den Persischen Golf mit Syrien verband, eine Straße, die manchmal durch arabische Räuber unterbrochen wurde. Das Königreich der Seleukiden stand so in ständiger Verbindung mit Indien, selbst nach dem Abfall der östlichsten Satrapien. Es waren Handelsbeziehungen, die mitunter – wir können das allerdings nur vermuten, aber die Tatsache steht fest – mit kulturellen, religiösen und philosophischen Beziehungen verbunden waren. Dieser Handel verschaffte der königlichen Kammer große Einkünfte. Die Waren mußten jedesmal, wenn eine Provinzgrenze überschritten wurde, oder bei der Einfuhr in ein Stadtgebiet verzollt werden. Die Sätze dieser nacheinander erhobenen Wertzölle kennen wir nicht, sie scheinen aber verhältnismäßig hoch gewesen zu sein und um so drückender, als dazu noch andere Sondersteuern kamen, mit denen die Transportmittel belastet wurden, und schließlich Umsatzsteuern, die fällig wurden, sobald die Ware den Besitzer wechselte. Die Handelstätigkeit war jedoch durch Privatinitiative gesichert. Die ›Bürger‹ der großen Städte waren oft Kaufleute, oder zumindest war ein Teil der Kapitalien, über die sie verfügten, in fernen Handelsgeschäften angelegt. Der Rest ihres Vermögens wurde in den meisten Fällen zum Ankauf und zur Bewirtschaftung von Landgütern verwendet. Von der gleichsam lehnsherrlichen Vergangenheit Kleinasiens oder Nordsyriens zur Zeit, als die persischen Großgrundbesitzer auf ihren Gütern lebten, blieben manche Spuren zurück. Und der König war der größte Grundbesitzer des Reiches. Diese Güter, ob königliche oder private, wurden von einer bäuerlichen Bevölkerung bewirtschaftet, die in Dörfern lebte und in gewissem Umfange (genau können wir das nicht sagen) an den Boden gebunden war. Diese Bauern waren ganz offensichtlich Eingeborene, die griechischen Siedler traten höchstens als Besitzer von Grundstücken auf, die ihnen verliehen worden waren. Der Stand der Lebenshaltung dieser Bauern ist wahrscheinlich nicht sehr hoch gewesen. Wir besitzen darüber keine so genauen Dokumente wie für Ägypten, man muß aber bedenken, daß das ländliche Leben auf einer sehr einfachen Wirtschaft beruhte und daß dort nur wenig Geld im Umlauf war. Anders war es in den Städten, in denen vermutlich Wohlstand geherrscht hat.

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c) Das Stadtleben Was das Griechentum seit Beginn der griechischen Kolonisation nach Asien gebracht hatte und was es in größerer Fülle denn je im Laufe des 3. Jahrhunderts dorthin gebracht hatte, war eine im wesentlichen städtische Form der Kultur. Mag die ›Stadt‹ auch im eigentlichen Griechenland ihre einstige Machtstellung eingebüßt haben, sie bleibt dennoch der natürliche Rahmen für den gebildeten Menschen. Gewiß, es ist nicht mehr die Zeit, da ein Sokrates sich rühmen konnte, Athen nur bei zwei oder drei denkwürdigen Gelegenheiten verlassen zu haben, und wir werden es sehen, daß ›das Land‹ einen Platz im kulturellen wie im privaten Leben der Griechen einzunehmen beginnt, aber man kann sich nicht vorstellen, daß ein Leben, das dieses Namens würdig ist, sich gänzlich außerhalb der Städte abspielt. Wer das versucht hätte, würde als überspannt betrachtet worden sein, als ein ›Menschenfeind‹, der sich und den andern schadet, wie der ›Griesgram‹ des Menandros245. Außerdem ist auf eine geradezu paradox erscheinende Art die hellenistische Epoche, die den politischen Niedergang der Städte besiegelte, eine der großen Perioden des griechischen Urbanismus. Tatsächlich ist der hellenistische Urbanismus nicht im 3. Jahrhundert erfunden worden. Seine Wurzeln reichen in eine Vergangenheit, die sich mitunter als weit zurückliegend vermuten läßt, und auf jeden Fall führt er die Bestrebungen der Architekten des 5. Jahrhunderts weiter. Damals hatte sich für die Städtegründungen die Verwendung eines einfachen Planes bewährt, der im wesentlichen aus einem rechteckigen Geviert bestand. Die Straßen grenzten genau gleich große Gebiete ab, in denen die einzelnen Behausungen lagen. In diesem Stil war die Stadt Milet nach ihrer Zerstörung durch die Perser im Jahre 494 v. Chr. wiederaufgebaut worden. Andere Stadtgründungen oder wiederaufbauten im Laufe des 5. Jahrhunderts, zum Beispiel im Piräus, in Olynthos, bekunden denselben modernistischen Geist als Reaktion auf die Städte der archaischen Epoche mit ihren engen, gewundenen Straßen, deren Anlage von der zufälligen Entwicklung bestimmt worden war. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts übernahm auch die Stadt Priene den geometrischen Plan, und es ist bemerkenswert, daß der Tempel der Athene, der Schutzgöttin der Stadt, von Alexander dem Großen selbst gestiftet wurde. Als der Eroberer später griechische Städte in seinem neuen Reiche gründet, läßt er sich offensichtlich von dieser Tradition beeinflussen, die den Vorzug der Einfachheit hatte und es gestattete, a piori, in einem Zuge den Plan einer Stadt zu entwerfen, bevor man ihr Bewohner gibt. Der geometrische Plan wurde seit der Antike als ein Plan angesehen, der die Bedingungen der sozialen Gleichheit am besten verwirklicht, indem er den Siedlern ganz ähnliche Voraussetzungen bietet. Er behält etwas von der Einteilung eines Feldlagers und eignet sich dadurch ausgezeichnet für die Militärkolonien. Auf Grund dessen wird er auch in der römischen Welt beibehalten.

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Das berühmte Alexandria, das des Nil-Deltas, ist eine Gründung dieses Typs, und es steht fest, daß der König sich persönlich mit ihrer Planung und Anlage befaßt hat. Alexandria ist die berühmteste der hellenistischen Städte, doch sie ist in vieler Hinsicht eine Ausnahmestadt, die in der ganzen damaligen Welt einzig dasteht. Alexander hatte sie wahrscheinlich als Hauptstadt (oder eine der Hauptstädte) seines Reiches geplant. Sie wurde die Residenz der Könige von Ägypten, aber sie war keine ägyptische Stadt. Sie lag am Rande des Landes. Sie war dazu berufen, Hauptstadt eines Reiches zu sein, das sich zu beiden Seiten des Meeres erstreckte. Sie war vielleicht der erste Hafen im östlichen Mittelmeer, aber vor allem war sie eine internationale Enklave, die unter einem besonderen politischen Regime stand, von einer kosmopolitischen Bevölkerung bewohnt wurde, ohne Beziehungen zu dem Ägypter, der sie ernährte und ihr – unter welchen Bedingungen, haben wir gesehen – die Bodenerzeugnisse lieferte, mit denen sie Handel trieb. Als königliche Residenz besaß Alexandria ein Sonderviertel mit dem Palast und seinen Nebengebäuden, und das genügte, um ihr ein besonderes Gepräge zu geben. Denn sie führt nicht das Leben einer gewöhnlichen griechischen oder hellenisierten Stadt; sie wird durch die Anwesenheit des Herrschers geprägt, die Feste, die er gibt und die ungeheuere Massenbewegungen auslösen, manchmal Meutereien, durch die das Volk von Alexandria einem unbeliebten Monarchen seinen Willen aufzuzwingen versucht. Gegen Ende der Lagidenzeit führen die Aufstände der Alexandriner zu unaufhörlichen Revolutionen, und man meint bereits eine Vorahnung des Bildes zu bekommen, das sehr viel später einmal das kaiserliche Rom in seiner schlimmsten Zeit bieten wird. Man muß im übrigen die gemeinsamen Züge der hellenistischen Stadt suchen: Die Ausgrabungen in Pergamon, in Dura-Europos, in Rhodos und Delos, ja in Athen selbst gestatten es uns, einige der Tendenzen wiederzuerkennen, die dieser neuen Stadtform eigentümlich sind. Das wesentliche Element, der Lebenskern der Stadt, ist immer die Agora, der öffentliche Platz, auf dem einst, in den unabhängigen und starken Städten, die Versammlungen abgehalten wurden, die als oberste Instanz die Angelegenheiten entschieden. Jetzt sind die Angelegenheiten weniger wichtig, mitunter lächerlich, aber das traditionelle Räderwerk des öffentlichen Lebens dreht sich weiter, und damit bleibt auch der äußere Rahmen bestehen, die Agora. Dort treffen sich die freien Männer. Aber die Gestalt dieser öffentlichen Plätze wandelt sich, man versucht ihnen eine Regelmäßigkeit zu geben, die die Agorai der alten Städte nicht besaßen. In den als Ganzes geschaffenen Städten sind die Agorai natürlich nach einem regelrechten Plan entworfen, wonach sie meist von Säulenhallen umschlossen sind. Diese Säulenhallen dienen als Fassade für verschiedene Gebäude, in denen die Verwaltungsdienststellen der Stadt untergebracht sind. Auch Läden befinden sich dort. Immer mehr Säulengänge werden gebaut, nicht nur um die Agorai, sondern auch um die Heiligtümer. Eine lange griechische Tradition lebt hier fort. Die

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Säulenhalle ist der Ort der Muße und des Handels. Die großen gedeckten Galerien am Rande der Agorai dienen den Kaufleuten als Börse, und dort befinden sich auch – wie in den Städten der klassischen Epoche – die Tische der Wechsler. Oft wurden diese Säulengänge von irgendeinem König errichtet, der Grund hatte, der Stadt seine Dankbarkeit zu bezeugen, oder sich bei ihr in ein gutes Licht setzen wollte, oder der vielleicht der Allgemeinheit auch nur den Beweis seiner Großmut und seines Reichtums liefern wollte. Später (anscheinend in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts vor Christus246) erweiterte man die Säulengänge über die Agorai und die Tempelbezirke hinaus und säumte die Straßen damit. Aber eben zu der Zeit verliert das soziale Leben mehr und mehr seinen politischen Aspekt, wenigstens in den syrischen und anatolischen Städten, wo die ältesten Beispiele solcher Säulengänge gefunden wurden. Das Leben wird fast ausschließlich kommerziell, und dem Handel sind denn auch diese gedeckten Straßen bestimmt, Vorstufen der für den Orient charakteristischen künftigen souks. In den Städten des klassischen Griechenlands befand sich das Gymnasion im allgemeinen außerhalb des Stadtbildes. Man legte es an Stellen an, wo das verfügbare Land nicht knapp war. Seit dem 4. Jahrhundert wird das Gymnasion der Ort, wo die Epheben sich nicht nur körperlich ertüchtigen, sondern auch der Ort, wo sie ihre ›allgemeine‹ Unterweisung empfangen und – was noch wichtiger ist – wo die Philosophen und die in gutem Rufe stehenden Disputführer gerne das Wort ergriffen. Das Gymnasion ist von der hellenistischen ›Kultur‹ nicht zu trennen. In den neuen Städten hat das Gymnasion seinen Standort innerhalb des Weichbildes, wie die Agorai und die Tempel. Es ist bezeichnend, daß die hellenistische Stadt dem Mustergebäude, das dem geistigen Leben und der Erziehung der jungen Leute gewidmet ist – alles Begriffe, die in dem einen Wort paideia zusammengefaßt sind – einen so großen Raum gewährt. Schließlich hatte jede griechische Stadt ihr Theater, und das erhielt mehrere Funktionen im Leben der Stadt. Man gab dort nicht nur Vorstellungen, die die Griechen immer besonders schätzten, sondern lud das Volk auch zu Versammlungen dorthin ein. Der terrassenförmige Aufbau, die Sitze, die riesigen Ausmaße des Ganzen eigneten sich zur Aufnahme einer zahlreichen Menschenmenge. In Tarent berät das Volk im Theater zu Anfang des 3. Jahrhunderts über seine Politik gegen Rom. In Megalopolis, der arkadischen Bundeshauptstadt, hatte das Theater die gleichen Aufgaben, und diese Rolle wird es bis in die Römerherrschaft hinein weiter spielen. Dieses Theater weist nicht mehr ganz dieselbe Anordnung auf wie in den Städten der klassischen Epoche. Die Bühne für die Schauspieler ist jetzt gegenüber der Orchestra, dem kreisförmigen Platz um den Dionysos-Altar, auf dem einst die Chöre auftraten, erhöht. Die Mauer im Hintergrund, die den Schauplatz abgrenzt, wird mit architektonischen Motiven geschmückt, die bereits Vorläufer der frons scenae des römischen Theaters sind247.

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Auch die Privathäuser entwickeln sich. Seit dem 4. Jahrhundert ist man bestrebt, sie schöner zu machen und auf die Einfachheit, die bis dahin die Regel gewesen war, zu verzichten, und dieser Hang verstärkt sich noch in den hellenistischen Städten. Das griechische Haus war zu allen Zeiten nach außen hin geschlossen und öffnete sich zu einem Innenhof hin, der ihm Licht gab und den Mittelpunkt des zwanglosen Lebens bildete. Dieser Hof erhält allmählich einen immer reicheren Schmuck und wird, wie die öffentlichen Plätze, von Säulengängen umgeben. Diese Säulengänge sind nicht nur dazu bestimmt, den Hof zu schmücken, sie haben unter dem Himmel Griechenlands auch eine Funktion, und zwar eine sehr wichtige. Ein zu riesiger, ungeschützter Hof würde in den langen Sommermonaten eine glühend heiße, unbewohnbare Wüste sein, eine Quelle des Unbehagens für das ganze Haus. Die Säulengänge sollen den unerläßlichen Schatten liefern und die Sommerhitze mildern. Die uns bekannten Privathäuser der hellenistischen Städte bieten eine recht große Mannigfaltigkeit. Zwei große Tendenzen scheinen vorherrschend gewesen zu sein: die erste, die in den ›Kolonialstädten‹ mit regelmäßigem Grundriß bevorzugt wird, liebt verhältnismäßig einförmige Häuser, die allen Bewohnern ungefähr die gleichen Annehmlichkeiten bieten; das wäre die Verallgemeinerung dessen, was man seit dem 5. Jahrhundert in Olynthos feststellt248. Die zweite Tendenz, der wir vor allem in Delos begegnen, bringt unregelmäßige, sehr ungleichartige Häuser, von denen einige großen Luxus aufweisen. Dort ist der Innenhof oft mit Mosaiken verkleidet und hat eine große Zisterne, die sämtliche Hausbewohner mit Wasser versorgen soll. Während der Hof in Olynthos und in den ›gleichförmigeren‹ Städten von einer einzigen Säulenreihe umgeben ist, bemüht man sich in Delos und zweifellos in Syrien und in den reichen Palästen Alexandrias, die Peristyl-Bauweise durchzusetzen. Die Wohnung isoliert sich von der übrigen Stadt. Der demokratische Geist macht einem Individualismus Platz, den sein Vermögen dem Hausbesitzer erlaubt. Wahrscheinlich hat man im Laufe des 3. Jahrhunderts in Syrien begonnen, Privathäuser zu bauen, deren Peristyl in eine Gartenanlage gesetzt wurde. Die Zeugnisse, aus denen wir sie kennen, stammen zwar aus späterer Zeit, aber die Gärten der großen Adelshäuser in Alexandrien und im übrigen Ägypten und in den Vorstädten von Antiocheia sind keine römischen Schöpfungen, sie sind das Ergebnis einer Synthese der örtlichen Überlieferungen und des griechischen Hauses, einer Synthese, die sich in der Geschichte des römischen Orients und durch Byzanz selbst über Rom hinaus noch fruchtbar erweisen soll. Die hellenistische Literatur Die Gesellschaft, die, in ihrer Struktur tiefgehend verwandelt, aus den politischen Krisen des 4. Jahrhunderts hervorging, mußte auch, soweit die literarischen Werke der Vergangenheit, zumindest teilweise, ein Ergebnis der alten gesellschaftlichen Struktur gewesen waren, eine neue Literatur hervorbringen. Es wäre jedoch irrig, wollte man annehmen, daß diese

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Modernisierung der Literatur einen völligen Bruch mit der Vergangenheit bedeute. In Olynthos taucht mitten im 5. Jahrhundert ein ›hellenistischer‹ Wohnungstyp auf, wie wir gesehen haben; ebenso bildet sich in Syrakus, weit vor der Zeit Alexanders, ein Hof, der Vorläufer der Diadochenhöfe ist, und viele Epinikien Pindars sind schon höfische Poesie. Das am typischsten hellenistische Genre, die ›neue‹ Komödie, entsteht Ende des 4. Jahrhunderts in Attika und wird bereits durch die ›mittlere‹ Komödie angekündigt, die zu Anfang und um die Mitte desselben Jahrhunderts, vor der makedonischen Eroberung, in Blüte gestanden hatte. a) Die Komödie Die antike Komödie (wie sie sich für uns im wesentlichen im Werk des Aristophanes darstellt) war eine politische Komödie, mehr Satire als dramatisches Werk (die Römer, mit Horaz, gaben sich darüber keinen Täuschungen hin), untrennbar mit der geschichtlichen Umwelt verbunden, in der sie entstanden war. Aber gegen Ende seiner Karriere hatte Aristophanes eine Wandlung dieser Gattung herbeigeführt und war zu einer Art Sittenkomödie (im Plutos) übergegangen, die die politische Satire durch Gesellschaftskritik ersetzt. Aristophanes erwähnte die Philosophen nur, um den Bürgern Mißtrauen ihnen gegenüber anzuraten, und er hatte im Namen der überlieferten Sitten heftig die Partei der Sokrates-Ankläger ergriffen. Gegen diese radikale und heftige Stellungnahme wendet sich die ›neue‹ Komödie und zweifellos auch die ›mittlere‹, über die wir weit weniger gut Bescheid wissen, mit Stücken, in denen der durch die Denker herbeigeführten moralischen Revolution Rechnung getragen wird. Euripides hatte den Weg dazu gewiesen, indem er moralische Streitgespräche auf die Bühne brachte, das Problem des Bösen, das der Leidenschaft, die Beziehungen zwischen Göttern und Menschen, alles Meinungen, die Aristophanes für lächerlich und der Stadt schädlich hält. Aber die Tragödien sind ernste Werke – wie sollte man ein durch zahlreiche Libationen bei den Dionysien ›angeheitertes‹ Publikum mit solchen Problemen zum Lachen bringen? Theophrastos, der Lehrer des Menandros und Aristoteles-Schüler, hat ihm die Antwort darauf gegeben. Er untersuchte die menschlichen Typen der zeitgenössischen Gesellschaft, die er als Vertreter der gesamten Menschheit betrachtete, teilte sie in Klassen ein, um so die rechten Mittel zu prüfen, Weisheit zu erlangen oder wenigstens die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Er brachte Charaktere auf die Bühne. Sicherlich tut man ihm zu viel Ehre, wenn man ihm das ganze Verdienst an dieser Neuerung zuschreibt. Sie war bereits von den Meistern der mittleren Komödie vorbereitet worden, die die galante Welt zeigen wollten – besonders der aus Groß-Griechenland kommende Alexis (er stammte aus Thurioi) –, in der zahllose Kurtisanen und ein originelles komisches Genre

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gleichzeitig Erfolg hatten – wenn es richtig ist, daß die sizilische Komödie andere Wurzeln hat als die antike Komödie der Athener. Eine Schwierigkeit blieb jedoch: Die alte Komödie begnügte sich mit einer schematischen Handlung, die mehr Revue-Thema als Handlung im eigentlichen Sinne war. Nun war durch die Tragödien des Euripides das Publikum auf den Geschmack an einem solider zusammengezimmerten Theater gekommen. Die Lösung bot die Neuerung des Alexis. Warum sollte man nicht die Liebe zur Haupttriebfeder der Verwicklung machen? Hatte Euripides nicht gezeigt, was das Theater alles gewinnen konnte, indem es Frauengestalten und die Probleme des Liebeslebens auf die Bühne brachte? Die neue Komödie ist im wahrsten Sinne des Wortes Liebeskomödie, und das hat für die Literaturgeschichte bis auf unsere Tage unabsehbare Folgen gehabt. Die Liebesstücke auf dem Theater (Tragödien und Komödien) wurden der Ursprung mancher Literaturgattungen, wie des Romans, dem ein großes Schicksal beschieden sein sollte, und dessen erste stammelnde Versuche eben aus jenem 3. Jahrhundert v. Chr. stammen249; aber auch die römische Liebeselegie geht unter anderem darauf zurück. Die neue Komödie machte Empfindungen und Situationen, die man bis dahin nicht der Aufmerksamkeit für wert erachtet hatte, literaturfähig. Sie führte außerdem dazu, daß Gefühle, die man gewerbsmäßigen Liebhaberinnen nachsah, die man jedoch mit größter Sorgfalt verbarg (oder die man sich, was noch wahrscheinlicher ist, überhaupt nicht eingestand), wenn es sich um andere ›Objekte‹ handelte, auf die Bühne gebracht wurden. Die Komödie, die eine Liebesintrige zum (recht zarten) Gegenstand hat, brachte die verschiedensten Typen auf die Bühne, wie sie der Dichter in seiner Umgebung fand. Geschildert wird uns so die ›hellenistische‹ Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, denn der Dysoklos (eines der wenigen Stücke von Menandros, das wir, und zwar erst seit kurzer Zeit, vollständig besitzen), ist 316 aufgeführt worden, und die Laufbahn des Dichters, des größten aller Autoren der neuen Komödie, endete 292, elf Jahre vor der Schlacht von Kurupedion! Aber schon findet man in seinen Komödien (was man darin, vor allem durch seine römischen Nachahmer Plautus und Terenz, vermutet) die wesentlichen Typen der damaligen Welt: den großsprecherischen Söldner, reich und fett, Schürzenjäger und Freund von Saufgelagen, der von Schmarotzern zum Narren gehalten wird; man findet die ewig verliebten jungen Leute, die von ihren Vätern fest an der Kandare gehalten werden; die geizigen Väter, reiche Bürger, die ihr Vermögen dem Handel mit fernen Ländern, Bankgeschäften oder der Arbeit der Sklaven verdanken, die ihre Felder bewirtschaften; die Buhlerinnen, mal naiv, solange sie unerfahren und von einer Kupplerin oder einem Sklavenhändler abhängig sind, mal kokett und geldgierig, ›Verderberinnen unserer Jugend‹, kaltherzig und von der Liebe nichts erwartend als den Profit, wenn nicht Menandros sich entschließt, ein menschliches Gefühl in ihnen zu entdecken, den Schatten einer erwachenden Zärtlichkeit für den arglosen Verliebten, dem sie das Geld aus der Tasche ziehen, dessen Glück sie aber dennoch machen, indem sie

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ihn nicht daran hindern, sich bürgerlich zu verheiraten. Es treten auch undeutliche blasse Schattenbilder, die ›ersten Liebhaberinnen‹ auf, deren Schicksal es ist, gesetzmäßige Ehefrauen zu werden und auf ewig in der Geborgenheit und dem Halbdunkel des Gynekaions eingeschlossen zu sein. In den Intrigen, die auf das Schicksal dieser Wesen einwirken, findet man das Abbild des damaligen Lebens wieder: die allgemeine Unsicherheit, den von allen Seiten drohenden Krieg (weniger bei Menandros als vielleicht bei Philemon) und vor allem die romanhaften Episoden der Entführungen zu Wasser und zu Lande, das Auftauchen von Seeräubern, die die Kinder (vor allem die Töchter) von ihrem Vater trennen und ein rührendes Wiederfinden fünfzehn Jahre später gestatten. Alles das geht später durch die lateinische Komödie in das Theater des klassischen Europas über und findet sich fast unberührt bei Moliere wieder. b) Die ›alexandrinische‹ Poesie Der Ruhm des Menandros war schon bei seinen Lebzeiten so groß, daß Ptolemaios I. Soter ihn gebeten haben soll, an seinem Hof in Alexandria zu leben. Der Bühnenruhm war also der einzige, der der Stadt der Lagiden fehlte, jedenfalls im Bereich der Dichtkunst, denn die griechische Lyrik liegt zu jener Zeit in den Händen einer kleinen Schriftstellergruppe, die Ptolemaios II. Philadelphos im Museion von Alexandrien um sich geschart hatte. Die anderen Literaturzweige – Redekunst, Philosophie, Geschichte – gediehen in Alexandria kaum, vielleicht weil sie die Freiheit brauchten und sich in der stickigen Atmosphäre des Königreiches der Lagiden nicht entwickeln konnten. Neben den Dichtern findet man dort höchstens noch Gelehrte, Geographen, Mediziner und Philologen, deren Arbeitsgebiet von der Politik entfernt liegt. Wie die Gelehrten, brauchten auch die Lyriker einen Mäzen, und die Ptolemäer waren aus den erwähnten Gründen250 durchaus bereit, die Schirmherrn aller Schriftsteller zu werden, die an ihren Hof kamen, um dort zu leben. Wahrscheinlich hat Ptolemaios Soter, der Gründer der Dynastie, auf den Rat seines Freundes Demetrios von Phaleron als erster das Museion eingerichtet. Das war ein ungewöhnliches Unternehmen, es mußte aber für einen philosophischen Geist verlockend sein, Gelehrten und Schriftstellern aller Art die Mittel zu bieten, ihrer Arbeit nachgehen zu können, ohne sich Sorgen um die Sicherung ihres Lebensunterhalts machen zu müssen. Für Demetrios, der als Peripatetiker sich des Beispiels erinnerte, das Alexander als Beschützer und ›Mitarbeiter‹ des Aristoteles gegeben hatte, war dieser Vorschlag ganz selbstverständlich. Und es gab noch einen tieferen Grund. Hier wurde ein beispielhafter Versuch gemacht, das von allen Philosophen, besonders aber von den Peripatetikern und den Platonikern aufgeworfene Problem der Beziehungen zwischen der Macht und den ›Intellektuellen‹ zu lösen. Alle spürten die ungeheure Macht, die in der Literatur und dem Wissen ganz allgemein lagen. Manche mißtrauten ihr; die Ptolemaier versuchten lieber, sie sich dienstbar zu

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machen, und wenn die Philosophen ihren Angeboten widerstanden, so gingen doch die Dichter bereitwillig darauf ein. Die Einrichtung des Museions hatte zwei bedeutsame Folgen. Sie erlaubte es jungen, eigenwilligen Talenten, sich zu entfalten. Ihr verdanken wir Theokritos, Kallimachos und Apollonios von Rhodos, von größeren ganz zu schweigen. Aber diese Dichter, vom wirklichen Leben abgeschnitten, begnügten sich mit einer ›Gratis-Ästhetik‹, die auf dem Geschmack des l’art pour l’art beruhte. Sie hatten es schwer, glaubwürdig zu erscheinen, weil man sie mit gutem Grunde höfischer Gesinnung verdächtigen konnte. Ihr eigentliches Ansehen und ihren stärksten Einfluß gewannen sie erst hundert Jahre nach ihrem Tod in der römischen Welt. Überdies war das Museion von Alexandria weitgehend der Vergangenheit zugewandt. Es umfaßte auch die große, ebenfalls von Soter gegründete Bibliothek, deren Ziel nicht nur (und nicht in erster Linie) die Aufbewahrung der Werke war, sondern auch ihre Herausgabe. Nun begann eine ungeheuere Ordnungsarbeit. Man suchte überall in den Städten nach vergessenen Werken und teilte sie in Gattungen ein, wie das in einer Bücherei, deren Katalog überlegt sein will, notwendig ist. Aber, und das war bedenklich, mit dieser Einteilung waren dieselben Köpfe beauftragt, die sich gleichzeitig mit der Produktion eigener Werke befaßten und die nun, was ganz natürlich ist, in ihrem eigenen Schaffen Ergebnisse ihrer Analyse der Vergangenheit berücksichtigten. Damals entstand der Begriff des ›literarischen Genres‹ und verschüttete die eigentlichen Quellen der Inspiration. Die Bibliothekare von Alexandria hatten außerdem den Auftrag, die Prinzen des königlichen Hauses zu unterrichten, und es scheint, daß sie auch, ganz allgemein, öffentliche Vorlesungen gehalten haben. So hat das Museion die Atmosphäre einer am Gängelband geführten Universität, deren Angehörige sich eifriger mit der Analyse und Kritik der Klassiker befassen als mit der Abfassung eigener Gedichte. Der freiheitliche Geist der Dichter von früher macht einem schulmäßigen Denken Platz, das nicht frei von Kleinigkeitskrämerei ist. Das bezeugen die heftigen Polemiken, über die Kallimachos sich beklagt. Man schuldet den ›Alexandrinern‹ Dank, daß sie neue Disziplinen gegründet haben, wie die Textkritik, die Grammatik und die Dialektforschung, die historische und literarische Biographie, die Mythographie, und daß sie bestehende Disziplinen weiterführten, wie die theoretische Rhetorik und die Poetik, Disziplinen, deren sich vor allem die Philosophen bemächtigten, zu deren Vervollkommnung jedoch die Fachleute des Museions durch Sammlung wenig bekannter Fakten beitrugen. Früher war die griechische Poesie für eine sehr breite Öffentlichkeit bestimmt gewesen, jetzt wurde sie zu einer Sache der Eingeweihten, für die Leute vom Fach. Früher wurden die Werke bei den Panegyrien vorgetragen, jetzt las man sie einigen Freunden vor, und sie wurden in Bänden veröffentlicht, was ihre Verbreitung beschränkte. Das wichtigste Anliegen der Dichter ist die Originalität. Sie sind der Homer-Nachahmer satt, die in jedem Sinne die Themen

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ihres Meisters immer wieder aufgreifen und behandeln, ohne seine Begabung – oder seinen Nimbus – zu besitzen. Statt endlose Gedichte zu schreiben, suchen sie nach eleganter Knappheit und folglich nach einer stilistischen Dichte, die mit den öffentlichen Rezitationen vor einer großen Menge, wie das in früherer Zeit geschah, unvereinbar war. Und da diese gelehrten Dichter, diese Kenner der Werke der Vergangenheit, trotz allem unter der Tyrannei des ›Genre‹ standen, holten sie sich ihre Themen dennoch aus dem Bereich der traditionellen Epik. Der Meister der alexandrinischen Epopöe ist Kallimachos. Er war im Reiche der Lagiden geboren, denn er stammte aus Kyrene. Geboren um 310 unter der Regierung von Ptolemaios I. Soter, wanderte er nach Alexandria aus, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er war Schullehrer, als Philadelphos auf ihn aufmerksam wurde und ihn an das Museion berief, wo er den Auftrag erhielt, den Katalog der Bibliothek zu bearbeiten. Sein dichterisches Werk, das nur zu einem geringen Teil auf uns gelangt ist, besteht aus kurzen Stücken, teils in Form von Hymnen, an Gottheiten gerichtet, teils aus Stücken, die, unter dem Titel Ursachen (Aitiai) zusammengefaßt, meist wenig bekannte und merkwürdige mythische Legenden erzählten. Einer der anscheinend neuesten Züge dieser Poesie ist die gewollte Vertraulichkeit, mit der Kallimachos von den Göttern redet und ihre Abenteuer erzählt. Man wirft diese Eigenart des Stils oft auch der ›alexandrinischen‹ Bildhauerei vor, die den Gottheiten kaum noch idealisierte Formen verleiht. Aber man muß sich fragen, warum diese geistige Haltung in der Dichtung wie in der bildenden Kunst Ausdruck findet. Die Berufung auf die allgemein übliche ›offene Sprache‹ des ägyptischen Landes trifft nicht den Kern. Kallimachos hat ebensowenig wie die damalige Bildhauerei etwas Ägyptisches. Die Erscheinung ist zu allgemein und zu griechisch, um ihren Ursprung an den Ufern des Nils zu haben. Sie entspricht mehr als einer bestimmten Ästhetik einer neuen und maßgeblichen Form des religiösen Empfindens, und zwar als Reaktion (die Gründe dafür wollen wir noch zu erkennen versuchen) auf den Idealismus der klassischen Epoche. Theokritos ist Sizilianer. Er hatte zuerst Hieron, den Tyrannen von Syrakus, um seine Protektion gebeten, und als sein Gesuch nicht bewilligt wurde, ging er nach Alexandria, wo er zeitweilig dem Museion angehörte. In Wirklichkeit war Theokritos jedoch weder Syrakusaner noch Alexandriner, sein wahres geistiges Vaterland war die Insel Kos, wo seine Familie herstammte, bevor sie sich in Sizilien niederließ, und wohin er selbst in seiner Jugend und später, wenn er des Lebens am Hofe von Philadelphos müde war, mehrmals zurückkehrte. Wie Kallimachos schrieb Theokritos lieber kurze Gedichte als lange Werke und erfand ein neues Genre, das Idyll (das heißt ›Bildchen‹), das viel einem in Sizilien sehr beliebten Genre verdankt, der Posse, einer volkstümlichen Komödienform. Seine Idyllen enthalten solche Mimen aller Art, das berühmteste ist das Gespräch der beiden in Alexandrien wohnenden Syrakusanerinnen, die zum Adonis-Fest gehen. In seinen Werken kommt die Poesie des Alltagslebens zum Ausdruck. Die großen Kollektivgefühle weichen der aufmerksamen Beobachtung kleiner

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Gesten und der Gefühle, die gewöhnliche Seelen bewegen, wie jener verliebten Frauen, die einen treulosen Geliebten zurückgewinnen wollen. In einigen dieser Mimen aus dem Familienleben sind die handelnden Personen Schäfer – sie könnten von Sizilien oder von einer beliebigen anderen sonnenverbrannten griechischen Insel sein –, und so wird Theokritos zum Schöpfer der ›Pastoralen‹, der Hirtengedichte, denen eine große Zukunft beschieden sein sollte. Doch bei ihm ist das Genre noch nicht zum bloßen Vorwand für süßliche Allegorien geworden. Hier kommt noch ein echtes Naturgefühl zum Ausdruck und – wie in den Thalysien – eine Art Rausch angesichts des Schauspiels eines Sommerendes. Darin liegt auch einer der kostbarsten Gewinne der hellenistischen Poesie. Die Liebesdichtung war in Alexandria gut vertreten. Leider besitzen wir nicht mehr die Werke des Philetas von Kos, der Lehrer des Philadelphos gewesen ist, und dem man vielleicht Vorbilder verdankt, von denen sich die lateinischen Elegiendichter anregen ließen. Ebensowenig besitzen wir das Werk des Hermesianax von Kolophon, der die Allmacht der Liebe besungen hatte. Es war natürlich, daß es innerhalb des Museions zu Rivalitäten und Streitigkeiten kam. Apollonios von Rhodos, zuerst der Schützling des älteren Kallimachos, trennte sich von diesem, bekundete laut sein Gefallen an weitschweifigen Heldengedichten und mußte Alexandria verlassen. Er flüchtete nach Rhodos, wo er die vier Gesänge seiner Argonautika schrieb, die Heldengedicht und Liebesroman zugleich sind, denn die Liebe zwischen Jason und Medea bildet einen wichtigen Teil des Gegenstandes in dem Entwurf von Apollonios. Man spürt, daß es seit dem epischen Zeitalter die attische Tragödie gegeben hat und daß sich vor allem der Einfluß des Euripides, der während des ganzen Alexandrinischen Zeitalters vorherrschend gewesen ist, ausgewirkt hat. Die Argonautika sind, zugegebenermaßen, kein hervorragendes Epos; sie sind schlecht aufgebaut und haben Längen, aber Vergil hielt sie immerhin für gut genug, um sie zu einem der Vorbilder für seine Aeneis zu benutzen. Das Gedicht bezeugt ein ausgeprägtes Naturgefühl und bietet dem Leser ›Genrebilder‹, Sonnenauf- und -Untergänge, für die man in der früheren Dichtung vergeblich nach Gleichwertigem suchen wird. Das Schauspiel der Welt beginnt für diese von der Stadt befreiten Geister ein Gegenstand ehrfürchtiger Bewunderung zu werden. Die hellenistische Philosophie Die griechische Philosophie steht bekanntlich seit Ausgang des 5. Jahrhunderts unter dem Einfluß von Sokrates. Hier hat vielleicht der Mensch an sich weniger Bedeutung als durch die Gabe, die er besitzt, dem griechischen Denken eine seiner wesentlichsten Bestrebungen zu enthüllen, den Erwerb der Weisheit, zu der man durch eine möglichst genaue Analyse des menschlichen Gewissens zu gelangen hofft. Tief im Innern des menschlichen Gedankens bemüht sich Platon, die geheimsten Gesetze des Seins zu entdecken, und Aristoteles, für den die Kategorien der Erkenntnis ihre Voraussetzung im Realen haben, setzt, jedenfalls

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teilweise, diese Bemühung fort. Es ist daher keineswegs erstaunlich, daß die Lehre des Sokrates Anlaß zur Entstehung mehrerer Schulen gegeben hat, deren hauptsächliches Bestreben es war, das menschliche Denken genügend zu meistern, um ihren Schülern das innere Gleichgewicht und den Frieden versprechen zu können. Es wäre jedoch eine Täuschung, wollte man meinen, daß die verschiedenen Schulen, die damals entstanden – die beiden weitaus bedeutendsten waren der Epikureismus und der Stoizismus –, sich nur mit dem Menschen und mit dem Rest des Universums überhaupt nicht befaßten. Im Gegenteil, die Regeln der Weisheit sind von einer allumfassenden Konzeption der Welt abgeleitet und nur aus ihr erklärbar. Für den Stoiker ist die menschliche Seele ein richtiger Mikrokosmos, die Vernunft, die sich darin bekundet, ist dieselbe, die die gesamte Schöpfung beseelt, und die Arbeit des Philosophen besteht darin, diese Vernunft, die darin wohnt, von allem zu befreien, was sie verbergen oder ihre Ausübung behindern kann. Es gibt also im System eine Physik, eine Metaphysik und eine Logik, deren Didaktik der reinen Lehre des Sokrates fremd sind. Ebenso gründet ein Epikureer seine Auffassung von der Weisheit auf einer Physik, die der Gründer der Sekte in Prinzip und Einzelheiten Demokritos entlehnt hat, während die stoische Naturlehre in großen Zügen wieder die Heraklits aufgreift. Epikur gibt, laut Demokritos, zu, daß das Wesen ein aus ganz kleinen Atomen zusammengesetzter materieller Körper ist, und diese Atome gehen miteinander Verbindungen ein, aus denen sich alles Bestehende zusammensetzt. Die ›zweiten‹ Eigenschaften (Farbe, Wärme, Geruch usw.) sind nur das Ergebnis der den Atomen innewohnenden Aktivität, die ewig zu einer unaufhörlichen Bewegung führt. Das sind, so könnte man es ausdrücken, ›Täuschungen‹ des menschlichen Gewissens, denn die echte Wirklichkeit besteht nur aus Ausdehnung und Bewegung. Die Götter selbst sind materiell; sie leben durch die Bewegung der Atome in ewiger Jugend und Schönheit, in den ungeheueren Räumen, die die verschiedenen bestehenden Welten trennen, und in der Unendlichkeit der Zeit. Das ganze Geheimnis der Weisheit und damit des Glücks besteht darin, diese Grundsätze anzuerkennen und alle logischen Folgerungen daraus zu ziehen: den Tod nicht mehr zu fürchten, weil die Seele, die ebenfalls Materie und aus Atomen zusammengesetzt ist, die Auflösung des Leibes nicht überlebt. Wir brauchen keine Angst vor einem Jenseits und seinen Qualen mehr zu haben oder vor der Strafe der Götter, denn nicht nur gibt es keine Seele mehr, die bestraft werden könnte, sondern die Götter kümmern sich auch nur um sich und ihr eigenes Wohlergehen. Man macht sich von den Leidenschaften frei, weil jeder ihrer Gegenstände nur ein eingebildeter Wert ist: das Geld, das geliebte Wesen, die Macht, nichts davon schenkt uns das Glück, das ein klarer Sommermorgen, das Wasser einer Quelle und ein Stückchen Brot uns versprechen und die Wonne des Wissens, kein Narr mehr zu sein. Stoizismus und Epikureismus, zwei gewöhnlich rivalisierende Sekten, wenn nicht gar ewige Feinde, ähneln sich in einem Punkt: beide schlagen als Maxime

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vor, ›naturgemäß zu leben‹, selbst wenn sie dem Begriff Natur nicht denselben Inhalt geben, wenn die Schüler Zenons darin im wesentlichen die Vernunft erblicken, die Natur und Menschen zu eigen ist (im Gegensatz zu den Tieren und analog der göttlichen Natur), während die Schüler Epikurs die Macht daraus machen, der alles Leben entspringt, den fruchtbaren Mechanismus, der jeden Augenblick erzeugt, was ist. Vor der sokratischen Revolution bedeutete die Tugend nicht jene Unterwerfung oder jene Übereinstimmung mit der Natur, die ›Weisheit‹ lag in traditionellen und sozialen Werten. So wie Menon zu Sokrates in dem Dialog, der seinen Namen trägt, sagte: Es gibt unendlich viele Tugenden, die Frauentugend, die Bürgertugend, die des Richters, des Soldaten, des Sklaven. Und das Glücksideal war weniger subtil: Glücklich leben, das bedeutete, einem blühenden Vaterland (oder einer solchen Stadt) anzugehören, und frei, das bedeutete, seine Bürgerpflichten erfüllen, Kinder haben zur Erhaltung seines Geschlechtes und von Seinesgleichen geachtet werden. Und die Stadt hatte Sokrates getötet, weil er anderer Meinung war und Menon zu verstehen gab, es existiere eine ›Idee‹ der Tugend, unabhängig von den sozialen Zufälligkeiten, und daß ein häßlicher, alter, armer, ja verachteter Mensch in sich selbst eine unerschöpfliche Quelle des Glücks finden könnte. Nach Sokrates braucht man keine Stadt mehr als Mittlerin zwischen den Menschen und ihrem Wohlergehen und ihrer Weisheit. Stoiker und Epikureer wetteifern miteinander, den Weisen möglichst bedürfnislos zu machen, um ihm die totalste Eigengesetzlichkeit und damit den totalsten Schutz gegen das Schicksal zu gewährleisten. Wohl niemals hat sich der Einfluß der geschichtlichen Umstände offensichtlicher auf das Denken der Philosophen ausgewirkt. Eine Aufzählung der Kriege, der Aufstände und der politischen Katastrophen, die im Laufe der Jahre nach dem Tode Alexanders des Großen aufeinander folgten und während des ganzen 3. Jahrhunderts weitergingen, erlaubt uns eine Vorstellung von der Unsicherheit, in der jeder Mensch damals zu leben gezwungen war. Die verschiedenen Parteien in den Städten trieben jedesmal, wenn sie sich an der Macht ablösten, ihre einflußreichsten Gegner in die Verbannung. Wenn ein König sich gewaltsam einer rebellischen Stadt bemächtigte oder eine gegnerische Stadt mit Waffengewalt siegte, dann erlaubten die Kriegsgesetze dem Sieger, die Männer abzuschlachten oder als Sklaven zu verkaufen; die Frauen und die jungen Menschen erlebten ein noch schlimmeres Schicksal. Der Tod war von barbarischen Foltern begleitet. Bei einer Seereise geriet man in Gefahr, Seeräubern in die Hände zu fallen und in die Ferne, in irgendeine Barbarenstadt oder ein Barbarendorf verkauft zu werden, von wo es keine Rückkehr gab. Bei diesem Zusammenbruch von allem, was den Menschen bis dahin umgab, ist es unumgänglich, diesem eine Stütze und eine Zuflucht zu bieten. Weder die Vernunft noch die materielle Natur sind vom Schicksal abhängig; sie bieten im Gegenteil jenen festen Punkt, nach dem jeder strebt und ohne den das Leben unerträglich wird.

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Epikur war 322 als Einundzwanzigjähriger von Perdikkas, der die athenischen Bürger von der Insel Samos vertrieben hatte, aus seinem Vaterlande verjagt worden. Fünfzehn Jahre lang war er umhergeirrt, bevor er sich in Mytilene auf der Insel Lesbos, später in Lampsakos und endlich in Athen251, wohin er im Jahre 304 ging und bis zu seinem Tod im Jahre 270 blieb, als Philosoph niederließ. Zenon, der Gründer des Stoizismus, war in Kition auf der Insel Zypern geboren. Der Zufall eines Schiffbruches in der Nähe des Piräus, wohin er eine Schiffsladung Purpur brachte (er war Kaufmann), ließ ihn die Laufbahn eines Philosophen einschlagen. Unter dem qualvollen Eindruck einer Lektüre der Erinnerungen Xenophons schloß er sich dem Kyniker Krates an, weil er glaubte, in diesem den Widerhall der sokratischen Lehre zu finden. Das geschah etwa im Jahre 314; fünfzehn Jahre später eröffnete Zenon eine eigene Schule in Athen in der Stoa Poikile, das heißt die Bunte Halle, weil sie mit Wandgemälden von Polygnotos geschmückt war. Er galt als Phöniker bei den Athenern, die ihn sehr schätzten und ihm zu Ehren ein Dekret erließen, in dem gesagt wird, Zenon habe sein Leben als ein ›Mensch des Guten‹ verbracht und der Jugend nur gute Lehren erteilt. Die Zeiten hatten sich seit Anfang des 4. Jahrhunderts und des Prozesses des Sokrates erheblich gewandelt! Neben den Stoikern und Epikureern existierten noch die traditionellen Schulen. Platons Akademie und das Lykeion des Aristoteles hatten ihre Schüler, und das Lykeion galt zur Zeit von Theophrastos und Demetrios von Phaleron sogar als eine Art ›Staatsschule‹252. Aber als Antigonos Gonatas regierte, genoß der Stoizismus die königliche Gunst. Die Lehre Epikurs (›vom Garten‹ genannt, weil der Meister in einem kleinen Garten gelehrt hatte, den er in der Nähe von Athen besaß und wo er lebte) scheint bei den Königen nicht sehr beliebt gewesen zu sein, wenigstens nicht in Griechenland selbst; anders war es in Syrien, von dem wir wissen, daß mindestens zwei Seleukidenkönige, Antiochos IV. Epiphanes (175–164) und Demetrios I. Soter (161–150), Anhänger der epikureischen Lehre waren. Nach der Überlieferung soll auch Lysimachos Epikur geschätzt haben, und Krateros, der Halbbruder von Antigonos Gonatas, soll häufiger Besucher im ›Garten‹ gewesen sein253. Nun galten zwar die Seleukiden als der Trunksucht ergeben, und die Lehre von der ›Lust‹ (die von den Epikureern als das höchste Gut gemäß der Natur betrachtet wurde) hatte bei denen, die sie nicht gut kannten, ebenfalls einen sehr schlechten Ruf. Wenn die Könige nur wenig Neigung zum Epikureismus bekundeten, dann weil dieser von der Macht nur Sicherheit und Frieden verlangte. Die anderen Lehren dagegen befaßten sich stark mit der Politik und wetteiferten mit den Theoretikern des Königtums. Und die Könige fühlten sich, bewußt oder unbewußt, dem Ideal verpflichtet, das die Philosophen ihnen als Muster hinstellten. Gerade die Philosophie gab dem ganz religiösen und volkstümlichen Begriff des basileus eine ›vernunftmäßige‹ Begründung. Besonders der Stoizismus mit seiner deterministischen Weltauffassung254 erschien geradezu als die Musterphilosophie der Monarchie. Ptolemaios IV. Philopator verlangte eines

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Tages, Chrysippos sollte kommen, um ihn zu unterrichten, doch Chrysippos begnügte sich damit, ihm Sphairos, einen seiner Schüler, zu schicken255. Es bildete sich der Brauch heraus, daß die Großen Philosophen in ihrer Umgebung hatten, die ihre Wegweiser und Beichtväter waren, ein Brauch, den später, vom 2. Jahrhundert v. Chr. ab, die römischen Edlen übernehmen und der erheblich zur Erhaltung und Entwicklung des philosophischen Gedankens beigetragen hat, der aber auch zur Folge hatte, ihn endgültig von den theoretischen Betrachtungen abzuwenden und auf die Moral und die praktischen Nutzanwendungen hinzulenken. Während Alexandria dank dem Museion das wahre Vaterland der Dichtkunst und auch der reinen und der angewandten Wissenschaft war (es gab in Alexandria eine Schule der Medizin und berühmte Astronomen wie Eratosthenes, dem es gelang, mit großer Genauigkeit den Erdumfang zu messen), war das Vaterland der Philosophie Athen. Dafür gab es mehrere Gründe: zuerst die Tradition, durch die die alten Schulen in Athen bestehen blieben. Sokrates hatte in Athen gelebt und gelehrt, und die Nachfolger Platons, Aristoteles’, dann Zenons und Epikurs hielten dort regelmäßige Vorlesungen ab, und zwar im Kreise einer regelrechten Thyasis, einer rechtmäßig gebildeten Vereinigung, an deren Spitze die Scholarchen einander ablösten, nicht immer ohne Streit und Spaltungen, die aber doch die Tradition der Gründer ungeschwächt wahrte. Und schließlich scheinen die größten unter den damaligen Weisen, trotz der Sympathien, die dieser oder jener König für die philosophische Betrachtung bekunden mochte, ihrerseits ein gewisses Mißtrauen gehegt zu haben. Sie leisteten ihren Einladungen nicht gern Folge. Die Erinnerung an die Kränkungen Platons stand ihnen als abschreckende Lektion noch vor Augen. Athen war die Stadt der Philosophen, oder vielmehr sie blieb es, weil sie sehr rasch auf jeden politischen Ehrgeiz verzichtete (gezwungenermaßen, wie wir gesehen haben), so daß sie, von den anderen Völkern Griechenlands geachtet und sogar geliebt, zu einer Freistatt des Friedens und zu einem riesigen Museion geworden war, ohne des bedenklichen Schutzes eines Königs zu bedürfen. Die hellenistische Philosophie erscheint nach dem Sokratismus wie die Versöhnung oder beinahe die Wiederversöhnung der sokratischen Lehre mit dem antiken kosmogonischen Geist eines Heraklit und eines Empedokles, und gleichzeitig zwingt die Rolle, die die Philosophen selber im politischen Leben spielen, sie mitunter, wie die Sophisten des 5. Jahrhunderts, von Stadt zu Stadt zu ziehen, um Weisheit zu verkünden und die Menschen zu unterrichten. Die Philosophie, eines der reinsten Erzeugnisse des griechischen Geistes, beginnt – friedlich – die Welt zu erobern und trägt dazu bei, in der Elite der gesamten Oikumene eine Gemeinschaft des Denkens und Fühlens zu schaffen, die die politischen Grenzen tatsächlich überwindet. Die hellenistische Kunst

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Der zweite große Faktor der Einheit wird der hellenistischen Welt durch die Entwicklung der Kunst gegeben, aller Künste, die, so meinte man, im klassischen Griechenland ihren Höhepunkt erlebt hatten. In Wirklichkeit ist die Herstellung von Kunstwerken ein Gewerbe: Die Bildwerke sind gängige Gebrauchsgegenstände, weil sie entweder kultischen Zwecken dienen oder der Ehrung, die man in den Städten verdienten Bürgern oder Herrschern zuteil werden läßt. Das Kunstwerk ist keineswegs das frei geschaffene Produkt irgendwelcher Künstler, das einer vielleicht launenhaften Inspiration entspringt. Nur selten taucht aus einer Unzahl von Handwerkern, die bestimmte Typen nachschaffen, ein schöpferischer Künstler auf. Die neuen Städte und der wachsende Wohlstand einiger alter lassen einen neuen Markt entstehen, einen größeren, auch weniger anspruchsvollen, so daß die Industrialisierung der hellenistischen Kunst zu einer der Tendenzen dieser Kunst, wenn nicht sogar zu einem ihrer wesentlichen Merkmale wird. Man darf zum Beispiel nicht vergessen, daß die athenischen Werkstätten Kopien von klassischen Kunstwerken herausbringen oder einen altertümelnden Stil lebendig erhalten, dessen Verbreitung nicht tatsächlich einer Ästhetik entspricht, sondern der künstlichen Erhaltung von Gewohnheiten, die sonst verschwinden würden. Die wirklichen Tendenzen der hellenistischen Kunst sind andere: Sie führen zum Realismus, zum Ausdruck von Ähnlichkeiten und von stürmischen oder innigen Gefühlen. Das wird einem offenbar, wenn man die Königsbilder auf den Münzen betrachtet, in denen die Darstellungen Alexanders nachgeahmt werden. Lagiden, seleukidische Könige, Könige von Pergamon, Fürsten vom Pontos oder von Baktrien, alle werden sie mit ihren menschlichen Zügen dargestellt, in denen Charaktere, Leidenschaften, manchmal Schwächen oder Laster zum Ausdruck kommen. Und diese Stecherkunst muß offenbar mit den zahllosen Büsten und offiziellen Bildnissen der Könige verglichen werden, die es überall in den Städten gibt, und die teils als Schmuck öffentlicher Gebäude dienen und teils als ›Kultbilder‹ in den Heiligtümern, die man den Herrschern errichtet. Es ist jedoch ein Realismus ohne Schwerfälligkeit und ganz anders als der, der später in der römischen Kunst der Republik und zu Anfang des Kaiserreiches Triumphe feiert. Alle diese Fürsten werden jung dargestellt, und ihre Gesichtszüge, so genau sie auch wiedergegeben sein mögen, werden von einer Huld verklärt, die vielleicht den göttlichen oder quasi-göttlichen Charakter des Königs zum Ausdruck bringen soll. Die manchmal tatsächlich vorhandene Strenge dieser Gesichter macht sie niemals traurig; alle hinterlassen den Eindruck, von einem einzigen Gedanken beseelt zu sein, dem Gedanken des von der Vorsehung gesandten Königs, seine pronoia, bedächtig, aber niemals betrübt. Ein trübseliger König ist kein guter König mehr. So wie die Komödie und ganz allgemein das hellenistische Theater durch den tiefreichenden Einfluß des Euripides geprägt worden sind, so schuldet diese ›junge‹ und ausdrucksvolle Skulptur viel dem Lysippos, dem Hofbildhauer Alexanders. Die hellenistische Welt, die die Blumen, die Girlanden und die

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Freude liebt, begeistert sich an der Darstellung junger Wesen. Die Götter, deren Bilder sie am liebsten wiederholt, sind Hermes und Apollon, die beiden Epheben ungleichen Alters, der erste an der Schwelle des Jünglingsalters, der zweite im Begriff, zum Manne heranzureifen. Oft gibt sie ihnen Dionysos bei, den jungen Triumphator Indiens, den leidenschaftlichen, ja, anarchischen Gott, dessen Gegenwart genügt, um die Herzen höher schlagen zu lassen. Von den Göttinnen reizen Artemis und Aphrodite die Künstler.

 Abb. 17: Die Bestrafung des Eros

Sie werden als ›richtige‹ Frauen dargestellt und verkörpern zweifellos zwei Formen der Weiblichkeit, die eine das blühende, scheue junge Mädchen, die andere die sinnliche Frau, deren Blick und Geste Liebe verheißen. Spätere Jahrhunderte haben in dieser Kunst den Ausdruck einer immer bewußteren Suche nach der Sinnenfreude sehen wollen. Doch es gibt in diesen Abbildern schöner Körper nichts von jener Unruhe, jener Unbefriedigtheit, von der die damaligen Künstler als gute Platoniker sehr wohl wußten, daß sie von dem Verlangen nicht zu trennen ist. Epikur, mochte er auch noch so sehr Asket sein, liebte die Gesellschaft der Hetäre Leontion, und im Garten gab es Frauen, die ebenfalls gelernt hatten, die Sinnenfreude vom Blendwerk der Phantasie zu trennen. Und wenn die Stoiker (mit Recht) den Leidenschaften der Liebe mißtrauten, erkannten sie darin dennoch die göttliche Funktion der Weiblichkeit

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an. Aber die Bildhauer arbeiteten nicht für die Philosophen, sie mußten ein größeres Publikum zufriedenstellen, das weniger aufgeklärt war und von religiösen Gefühlen beseelt, durch die es gewohnt war, in den alltäglichsten Vorgängen das göttliche Walten zu erkennen und in allen Gefühlsausbrüchen das Wirken eines ›Dämons‹ (daimon) zu vermuten. Und je bewegter die Zeiten waren, durch Kriege und die Ungewißheit des nächsten Tages aufgewühlt, desto stärker empfand man das Bedürfnis, das Glück des Augenblicks zu genießen. Man bezeichnet diese hellenistische Kunst oft mit dem Beiwort alexandrinisch, und eine Zeitlang hat man sie einzig und allein Alexandria zugeschrieben. In Wirklichkeit erlauben es die archäologischen Funde nicht, der Stadt der Lagiden diese Vorrangstellung zuzugestehen. Wir wissen wohl, daß sie reich an Künstlern und an Maler- und Bildhauerwerkstätten gewesen ist und auch (vielleicht sogar vorwiegend) an Stechern, Goldschmieden und Herstellern kleiner Statuetten, malerischer Schattenbilder (ein alter Fischer, eine Frau, die sich durch unvernünftiges Trinken darüber tröstet, im Alter abstoßend geworden zu sein, ein Kind, das mit einer Gans spielt ...), Bilder, die dem Leben auf der Straße oder im Hafen entlehnt sind, deren spöttische Absicht aber nicht gänzlich über das Pathetische hinwegtäuschen kann. Wir erkennen darin noch jenen Geist des mimos, der uns in der Dichtkunst als so charakteristisch erschienen ist. Vielleicht ist auch eine Fülle von Pflanzen- und Blumenornamenten in Alexandria entstanden. Hervorgegangen sind sie anscheinend aus der Ziselierkunst (man versah metallene Trinkgefäße mit Reliefdarstellungen der Blumengirlanden, mit denen sie üblicherweise bei Banketten bekränzt wurden), man findet sie dann aber auf allen möglichen Dingen wieder. Neben den mit Blumen geschmückten Gefäßen gab es Altäre, die ebenfalls mit Girlanden geschmückt waren, jene kleinen Hausaltäre, vor denen sich die Familienfeste abspielten, die Gelage nach dem Opfer mit den Gesprächen und den Zechereien. Es gab auch malerische Reliefs, auf denen man bäuerliche Bilder sah – die gleichen, die die Idyllendichter schilderten –, Landschaften, die aus einem Tempel und einem Baum komponiert waren und durch die Anwesenheit eines Menschen belebt wurden, der im Begriffe stand, der Gottheit oder dem Toten, denen das Monument geweiht ist, ein Opfer darzubringen. Immer ist es eine Geste, die im Stein festgehalten ist, ein ergreifender oder einfach schöner Augenblick, dessen Atmosphäre durch diese Kunst des Augenblicks vermittelt wird. Aber stets sind Götter dabei. Nichts ist weniger ›weltlich‹ als diese Kunst, die anscheinend bestimmt ist, die Sterblichen zu ergötzen. Es ist vielmehr, als ob die vertraute Gebärde in ihrer weihevollen Resonanz überrascht worden wäre, als ob das alltägliche Bild sich jäh als jenseitiges Symbol seiner selbst enthüllte. So muß man natürlich auch eines der in der ›alexandrinischen‹ Kunst beliebten Themen deuten (und wenigstens diesmal könnte in dem Epitheton ›alexandrinisch‹ einige Wahrheit stecken), das der Liebesgötter, die als geflügelte, ausgelassene, mollige Kinder dargestellt werden, die unablässig mit

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tausend verschiedenen Dingen beschäftigt sind. Was sind diese ›Putten‹, woher kommen sie, was versinnbildlichen sie? Viele Fragen, auf die wir nur recht unsichere Antworten wissen und die uns dennoch stark interessieren. Der Eros ist kein Gott des klassischen Hellenismus. Er spielt vielmehr eine große Rolle in den ›Liebesepigrammen‹, leichten Werken, deren Kern ein Gedanke, eine Szene, eine kurze Anekdote bildete, und die von den Inschriften (Widmungen, Grabinschriften usw.) herkommen, die einst in Stein gegraben wurden. Der neckische Eros ist sicherlich das Symbol von allem, was an Unvernünftigem, Phantastischem in der Liebe steckt. Möglicherweise hat man unter dem Einfluß einer religiösen Annäherung zwischen dem griechischen Eros und dem ägyptischen Harpokrates an dieses Symbol gedacht, und die Künstler haben dann das so geschaffene Thema frei verwendet, mit der gleichen Freiheit, mit der die Dichter davon Gebrauch machten. Aber auf diese Weise belastete sich die Kunst mit Symbolismus, und zweifellos wurden diese Bilder nach und nach echte moralische Symbole und schufen Mythen, in denen tiefere Auffassungen zum Ausdruck kamen. Wir zögern stets, ein Bild oder ein Motiv einfach als ›Manierismus‹ abzutun. Ehe wir ein solches Urteil fällen, werden wir uns fragen müssen, ob hinter diesen Formen, die scheinbar nichts weiter als hübsch sein sollen, sich nicht ein religiöser oder moralischer Gedanke oder eine Wahrheit poetischer Ordnung verbirgt.

 Abb. 18: Paris als Hirte

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Die Malerei, die lange nur die Dienerin der Architektur gewesen war, erobert sich einen Platz in der ersten Reihe und tritt sogar mit der Bildhauerei in Wettbewerb. Auf die großen Kompositionen der klassischen Epoche, die unmittelbar durch das Epos oder die Tragödie beeinflußt worden waren, folgen luftigere Szenen, bei denen die Personen nicht die gesamte oder beinahe die gesamte bemalte Fläche beanspruchen, sondern sich in den Maßstab einer Landschaft einfügen, die den Rahmen des Dramas oder der Anekdote bildet. Gebirgs- oder Meeresszenerien, um den Flug des Ikaros, die verlassene Ariadne an der Felsenküste von Naxos oder die Liebschaften des Herakles mit irgendeiner Nymphe ›naturgetreu‹ darzustellen. Der Geist des Apollonios von Rhodos belebt die Maler, denen wir die Originale verdanken, von denen sich die pompejanischen Dekorationsmaler anregen ließen. Auch für sie werden die Dramen der Legende wirkliche Vorgänge, die sich in der Natur abspielen. Eine andere Tendenz der hellenistischen Kunst oder, wenn man den Ausdruck bevorzugt, eine andere Schule offenbart sich in dem, was von der pergamenischen Bildhauerei erhalten ist. Tatsächlich ist diese pergamenische Schule ein ›Sproß‹ der attischen Schule, denn sie wurde von zwei Athenern gegründet, den Bildhauern Nikeratos und Phyromachos, die zur Zeit Eumenes’ I. an den Hof gingen, auf einen Ruf des neuen Herrschers hin, der seinen Ruhm als Sieger über die Galater in Bronze graben lassen wollte256. Aber hier auf asiatischem Boden bildete sich unverzüglich ein eigener Stil, der ganz anders war als der der attischen Schule. Die Dramen, die sich bei der Invasion der Galater abgespielt hatten, die Grausamkeit eines jahrelangen Ringens, die ›Maßlosigkeit‹ der Barbaren, das alles rief nach einem pathetischen, dramatischen Stil. Die hellenistische Vorliebe für den Realismus und das Porträt fand hier die Möglichkeit, sich Genüge zu tun, indem sie die ethnischen Merkmale der Kelten studierte und sie auf eine Art darstellte, die ihre Fremdartigkeit noch hervorhob. Die Monumente, die Attalos auf der Akropolis von Athen errichten ließ, haben sicherlich viel dazu beigetragen, die Ästhetik dieser Bildhauerkunst zu verbreiten. Die Denkmäler von Pergamon, der große Altar und der Athene-Tempel, sahen sicherlich weniger Besucher als die Akropolis von Athen. In der pergamenischen Kunst kehren die dionysischen Motive besonders beharrlich wieder. Man sieht dort, außer dem berühmten gefolterten Marsyas (Marsyas war ein Satyr, der es gewagt hatte, Apollon herauszufordern, und dafür bei lebendigem Leibe geschunden wurde), eine Unmenge von Mänaden und Satyrn, Dämonen der Erde, des Wachstums und der Fruchtbarkeit. Während die von den Bildhauern des klassischen Zeitalters dargestellten Bacchanten in ihren Bewegungen eine gewisse Harmonie behielten, werden sie hier vom zügellosesten dionysischen Rausch fortgerissen. Wir sind im Lande der Kybele, der Korybanten, der orgiastischen Religionen, und ganz ohne Zweifel wird der Einfluß des lokalen Mystizismus in diesen Gegenständen spürbar. Die

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Anwesenheit eines Löwen, der an der Seite der Götter gegen die Giganten kämpft, auf dem Fries des großen Altars und die eines Adlers erinnern daran, daß Löwe und Adler in der klassischen Mythologie die heraldischen Tiere der Kybele und des Zeus sind und zum ältesten Bestand sakraler bildlicher Darstellungen der Sumerer und Hethiter gehören. Und schließlich findet man in Pergamon eines der ersten Beispiele – oder doch wenigstens das bedeutendste – eines laufenden Frieses mit der Darstellung eines zeitlich ablaufenden Vorganges. Es handelt sich um die Geschichte des Telephos, eine der offiziellen Sagen der Attaliden-Dynastie. Die römische Kunst beruft sich später auf dieses Verfahren und wendet es an, um die Großtaten der vaterländischen Geschichte zu feiern. Hier schon sieht man malerische Elemente als Schmuck und Landschaften wie auf den anderen hellenistischen Reliefs. Das pergamenische Relief läßt auch Darstellungen von Pflanzen, Früchten und Girlanden nicht vermissen, doch man erkennt einen Unterschied gegenüber den entsprechenden Motiven, wie sie in der ›alexandrinischen‹ Kunst behandelt werden: hier handelt es sich um eine mehr erblühte Natur, die eher in ihrem Sommer als in ihrem Frühling steht. Die Rosen stehen nicht mehr in der Knospe, sondern haben sich voll entfaltet, Früchte werden lieber dargestellt als Blumen. Es ist eine andere Natur, eine fruchtbarere Erde. Die Reliefs stellten hier Opfer für die Götter dar, und neben Früchten und Blattwerk tauchen die Köpfe von Opfertieren auf, die mit den Binden der Weihe geschmückt sind. Die Religion der hellenistischen Epoche Wenn man so dazu gelangt, unter den verschiedenen ästhetischen Richtungen, von denen die ›Schulen‹ der hellenistischen Kunst Zeugnis geben, Bestrebungen zu unterscheiden, die in verschiedene Richtungen zielen, scheint es, daß sich diese Unterschiede letztlich aus den vielfältigen Feinheiten des religiösen Empfindens erklären. Die griechische Eroberung hatte an Glauben und Kult der eroberten Länder nichts geändert und nichts ändern wollen. Die Religion der Griechen ist frei von jeglicher Proselytenmacherei, sicherlich nicht aus Skeptizismus, sondern weil das Göttliche für sie nicht notwendig an eine bestimmte Form der Riten oder des Glaubens gebunden ist. Der Grieche neigt spontan dazu, angesichts einer fremden Religion das erkennen zu wollen, was ihn darin an seinen eigenen Glauben erinnert. Die klassische griechische Religion ist an sich bereits eine Synthese der verschiedenen örtlichen Kulte, und man weiß zum Beispiel, daß der panhellenische Zeus, der Gott der Olympischen Spiele, ein zusammengesetztem Gott ist, in dem so unterschiedliche göttliche Persönlichkeiten zusammengeflossen sind wie der kretische Zeus, der achaiische Zeus, der arkadische Zeus – von anderen Formen, die weniger klar erkennbar sind und nur durch die Unterschiedlichkeit der Mythen offenbar werden, ganz zu schweigen. Die Teilung Griechenlands in Städte hatte diesen synkretischen Prozeß eine Weile aufgehalten, indem sie die Schutzgottheiten der Stadt in den

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Rahmen der jeweiligen Stadt stellte und für jede ein ganz bestimmtes Bild vorschrieb. Die Vorherrschaft Athens hat zum Beispiel dazu geführt, daß eine ganz bestimmte Athene, die Parthenos ›Promachos‹ der Akropolis, Verbreitung fand. Aber der Staatskult kann das religiöse Gefühl, das in jedem Bürger steckt, nicht erschöpfen. Er ist nur die Gelegenheit zu ›Festen‹, in denen die Zusammengehörigkeit der Stadt zum Ausdruck kommt, und den Schutz, den die Stadtgottheit gewährt, gewährt sie der Stadt. Es ist noch Raum für eine andere, demütigere, weniger feierliche, aber dem einzelnen nähere Religion. Die ›amtliche‹ Religion in Griechenland selbst überdauerte den politischen Verfall der Städte, denn dieser Verfall, so greifbar er auch sein mochte, wird den Menschen nur teilweise bewußt. Der städtische Rahmen bleibt, wie wir ausgeführt haben, und mit ihm bleiben die örtlichen Überlieferungen, zu denen auch die Religion ›von einst‹ gehört. Andrerseits üben die großen panhellenischen Heiligtümer weiterhin eine starke Anziehungskraft auf die Massen aus. Man bemüht sich sogar/in anderen Städten unter diesem oder jenem Vorwand Konkurrenzfeste einzurichten. Die Religion bleibt eine der Formen der Rivalität zwischen den Städten, von denen jede ihrer Schutzgottheit mehr Pracht, mehr Glanz und auch mehr Wirkungskraft im Zeitlichen geben möchte. Inmitten der dauernden Kriege haben nur die großen Heiligtümer gewisse Aussichten, von den Kriegführenden respektiert zu werden. Sie besitzen das sog. ›Asylrecht‹, ihr ganzes Gelände wird als dem Gott gehörend betrachtet und unter seinen Schutz gestellt. So vermehrt sich die Zahl der ›heiligen und unverletzlichen‹ Städte, die diesen Titel unter irgendeinem Vorwand beanspruchen. Manchmal im Namen einer antiken Tradition, manchmal auf Grund einer ›Erscheinung‹ der Stadtgottheit (einer ›Epiphanie‹), die ihren Willen bekundet hat, panhellenische Feste zu bekommen und damit die Unverletzlichkeit ihrer Stadt257. Man kann selbstverständlich von politischer Heuchelei sprechen und meinen, es handele sich dabei um eine Täuschung, auf die niemand hereinfiele. Aber würde man eine Ausflucht gewählt haben, durch die sich niemand täuschen ließ? Wir lesen in – wenn auch bedeutend späteren – Romanen258, daß Dorfbewohner voller Eifer eine ›Epiphanie‹ der Aphrodite anerkennen und verkünden, und wenn heute noch manche an solchen Erscheinungen zweifeln, gibt es doch bedeutend mehr, die ohne weiteres von ihrer Tatsächlichkeit überzeugt sind. Auf einer anderen Ebene als die offizielle Religion der Städte mit ihren ›panhellenischen‹ Erweiterungen Delos, Olympia, Delphi und den anderen Heiligtümern, die eine ähnliche Stellung anstreben (Milet, Ephesos, Magnesia am Maiandros mit seiner Artemis Leukophryene) steht die persönliche Religion, die sich ihre Götter aussucht und sie mitunter auch nach ihren Wünschen formt. Die hellenistische Epoche ist die große Zeit der ›Mysterien-Religionen‹. Eleusis bleibt sehr beliebt. Die Eingeweihten faßten dort Hoffnung, über den Tod zu triumphieren und wie Persephone aus dem Reiche des Hades aufzusteigen in die Gefilde der Seligen. Es hat durchaus den Anschein, als ob die Mysterien der

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Demeter in Eleusis die anderen Mysterienreligionen beeinflußt hätten, zum Beispiel die der Isis, wie das letzte Buch der Metamorphosen des Apuleius erkennen läßt. Im einen oder anderen Falle mußte die Einführung, soweit wir das mutmaßen können, eine Wanderung in die Unterwelt zulassen, eine ›Offenbarung‹ des Hades und danach einen Wiederaufstieg zum Licht. Dieser Einfluß ist ohne Zweifel nicht auf populäre Art oder zufällig wirksam geworden. Sehr wahrscheinlich war die Anordnung selbst einer Einführung der Mysterien um Isis das Ergebnis einer bewußten religiösen Politik, die zweifellos von Ptolemaios I. Soter ausging259. Der geheimnisvolle Kult der aus Samothrake stammenden Kabiren scheint in der hellenistischen Zeit ebenfalls eine starke Anziehungskraft auf die Massen ausgeübt zu haben. Möglicherweise hat die Dankbarkeit der Arsinoë, die nach dem Verrat, dem sie zum Opfer gefallen war, auf der Insel eine Zuflucht gefunden hatte, zur Beliebtheit des Heiligtums beigetragen260 Das wahre Wesen der Kabiren ist ungewiß: Sind es Bergwerksgötter oder Meeresdämonen? Man weiß es nicht. Fest steht nur, daß man ihrer Macht die Gabe des Seelenheils zuschrieb und daß ein in ihrem Namen geschworener Eid als besonders heilig galt. Die gleiche Heilshoffnung bieten die orgiastischen Kulte (wahrscheinlich gehört der Kult der Kabiren dazu), die für die Griechen im Dionysos-Kult zusammengefaßt waren. Die ›Dionysoslehre‹ ist eine der großen Religionen der hellenistischen Welt, vielleicht die größte. Der Gott hat seinen Ursprung nicht nur in den ältesten Schichten der griechischen Religion261, die Wesenszüge seines Kultes gestatten ihm auch, alle möglichen, von anderen Gottheiten – asiatischen, thrakischen und ägyptischen – entlehnte Elemente aufzunehmen. Überdies ist Dionysos der Gott des Theaters, und alle Aufführungen, tragische und komische, sind ihm gewidmet. Die Leute vom Theater, die technitai, bilden dem Dionysos geweihte Gilden. Dieser, seit langem mit dem Gotte Iakchos der eleusinischen Trias identifiziert, ist ebenfalls ein Triumphator über den Tod, weil er in die Schattenwelt hinuntergestiegen ist, um seine eigene Mutter Semele zu suchen. In der orphischen Überlieferung ist dieser Charakter noch mehr erhärtet, weil Dionysos in seiner Kindheit von den Titanen zerrissen und sein Körper auf Zeus’ Geheiß wiederhergestellt worden sein soll. Er konnte also alle um andere Götter entstandenen religiösen Anschauungen auf sich vereinen, Götter, die wie er jung gestorben, wie er wiederauferstanden waren, die zuerst als Sühneopfer für das Heil der Menschen dargeboten worden waren und dann triumphiert und das ewige Leben erlangt hatten. Der Dionysos-Kult ist in der hellenistischen Welt so allgemein verbreitet, daß er mitunter die Staatsgewalt beschäftigt hat. Wir besitzen ein Dekret des Ptolemaios IV. Philopator, der Ende des 3. Jahrhunderts allen Anhängern des Gottes vorschreibt, sich in Alexandria eintragen zu lassen unter genauer Angabe – bis zur dritten Generation – der Namen derer, denen sie ihre Einführung verdankten262. Zweck dieser sonderbaren Verordnung ist wahrscheinlich

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gewesen, die Religion des Dionysos möglichst rein zu halten und Abweichungen und die bei derartigen Kulten immer sehr starke Versuchung zu verhindern, Sekten zu bilden, bei denen die Gefahr bestand, daß der bis an die äußersten Grenzen getriebene Mystizismus die öffentliche Ordnung bedrohte. Aber Philopator selbst war Dionysos-Anhänger und feierte im Palast zu Alexandria die Mysterien263. Wir haben bereits kurz erwähnt264, daß Dionysos von Ptolemaios Soter (oder Philadelphos) bei der Schöpfung des Gottes Sarapis (Serapis) benutzt worden war, der nicht einfach reine Erfindung war, sondern die Verjüngung einer örtlichen Form des Osiris, dank einiger dionysischer Wesenszüge und auch dank den Anleihen bei der von Hades, dem Gott der Unterwelt, verkörperten hellenischen Persönlichkeit. Sarapis, Herr der Fruchtbarkeit wie Dionysos und Osiris (zu deren Kult auch der phallos gehört), ist gleichzeitig, wie Hades, derjenige, der die Seelen nach dem Tode in Empfang nimmt und ihnen das ewige Leben verspricht. Diese synkretische Gottheit, die viel dazu beitrug, Religion und Mysterien der Isis zu verbreiten, hatte eine doppelte Aufgabe: Sie sollte in der griechischen Welt Gläubige für ägyptische Religionsanschauungen gewinnen und andrerseits gewisse ägyptische Religionsanschauungen hellenisieren. War das von den ersten Ptolemäern ein rein politischer Gedanke, oder hatten sie tatsächlich den Eindruck, damit reichere und wirksamere Formen des Heiligen zu offenbaren? Was Tacitus von den Visionen und Wundern erzählt, die die Entstehung des Sarapis-Kults begleitet haben sollen, läßt vermuten, daß Ptolemaios I. Soter zumindest den Eindruck gehabt hat, einer göttlichen Eingebung zu folgen! In jedem Falle wurde, das ist erwiesen, die Verbreitung ägyptischer Kulte in der Ägäis und in Delos selbst nicht durch irgendeine politische Aktion der Lagiden begünstigt265. Im Gegensatz zu den Stadtgottheiten sind die neuen Götter an kein Vaterland gebunden; sie gewannen sofort universelle Geltung, weil sie sich an die Seele des einzelnen wenden und nicht an eine Stadt oder eine soziale Gruppe. Aus einer wertvollen Inschrift, die von einem der Serapeia in Delos stammt, erfahren wir, wie der Kult des Gottes zu Anfang des 3. Jahrhunderts auf der Insel eingeführt wurde. Ein Ägypter namens Apollonios, der aus Memphis gekommen war und zur Priesterklasse gehörte, wanderte nach Delos ein und feierte dort in seiner Privatwohnung den Kult des Gottes. Sein Sohn Demetrios setzte diesen Priesterdienst fort. Aber der Zueigner der Inschrift, ein gleichnamiger Enkel des Apollonios, hatte einen Traum. Der Gott erschien ihm und trug ihm auf, ein Gelände zu erwerben, um ein Heiligtum zu errichten. Es war ein Grundstück von geringem Wert. Apollonios kaufte es und baute den Tempel. Aber ›Neider‹ versuchten, ihm den Besitz des Geländes streitig zu machen, und strengten einen Prozeß gegen ihn an. Sarapis erschien seinem Priester im Traum und gebot ihm, nichts zu fürchten. Apollonios gewann seinen Prozeß, und der Gott hatte seinen Tempel. Die Gründung des Heiligtums scheint demnach eine Privatangelegenheit gewesen zu sein266.

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Diese Einweihungsreligionen hatten einen besonderen Charakter. Zum Unterschied von den offiziellen Kulten faßten sie ihre Anhänger in Bruderschaften zusammen und feierten, oft in einem an das Heiligtum anstoßenden Saal, ihre Liebesmahle (agapes). Die Gläubigen waren auf diese Weise unter den Schutz des Gottes geschart und bildeten regelrechte ›Kirchen‹, die von Stadt zu Stadt miteinander in Verbindung standen. So wurde im ganzen Mittelmeerraum der Samen einer Brüderlichkeit gesät, die keine Grenzen, keine Rassen und keine Rangstufen kannte. Syrien und die den Seleukiden unterworfene Welt haben nicht weniger dazu beigetragen, der menschlichen Frömmigkeit Gegenstände der Anbetung und Motive der Hoffnung zu geben. Hadad und Atargatis, die Gottheiten von Hierapolis (Bambyke) tauchen auch in Delos auf; recht spät zwar, wenn man sich an die noch vorhandenen Inschriften hält, aber es ist unwahrscheinlich, daß die syrischen Kaufleute nicht schon sehr zeitig ihre große Göttin mitgebracht haben sollten. Hadad, der Gott des Gewitterhimmels, konnte in den Betrachtungen der Theologen Zeus gleichgestellt werden. Er blieb dennoch einer der echtesten Vertreter des alten aramäischen Pantheons. Aus einer ziemlich häufig vorkommenden Wendung auf syrischen Grabinschriften wissen wir, daß Hadad die Entschlafenen nach ihrem Tode bei einem Festmahl der Unsterblichkeit bewirtete267. Die syrische Göttin kann ebenfalls Unsterblichkeit gewähren. Sie ist jedenfalls Herrin der Zeugung und der Sinnenlust, und einer Tradition zufolge wird sie in der Gestalt eines heiligen Fisches dargestellt, während eine andere sie mit Astarte, der ›Dame der Tauben‹, in Verbindung bringt. Zum syrischen Einfluß muß auch die Verbreitung des Adonis-Kults gerechnet werden, dessen Mythos in den Aphrodite-Kreis eingefügt wird. Adonis, der Liebhaber der Göttin, wird von einem Eber getötet, den Ares auf ihn hetzt. Der junge Gott steigt nun in den Hades hinab, wo Persephone sich in ihn verliebt, und als Aphrodite durchsetzt, daß ihr Geliebter ihr zurückgegeben wird, macht Persephone geltend, daß sie ebenfalls ein Anrecht auf seine Gegenwart hat, so daß Adonis jedes Jahr aufersteht und stirbt, um erneut geboren zu werden. Diese romanzenhafte Hellenisierung umfaßt eine oder mehrere rein syrische Mythen. Das ist die Geschichte, die die Griechen erzählten, um den merkwürdigen Brauch zu erklären, den die Frauen im Frühling übten: In einen Topf mit Erde pflanzten sie Samenkörner und begossen sie mit warmem Wasser. Die Körner keimten und trieben rasch grüne Stengel und Blüten, die bald verwelkten. Und die Frauen beklagten dann vor ihrem welken ›Garten‹ den Tod des schönen Adonis. Dieser Kult wurde in Alexandria ebenso wie in den asiatischen Städten betrieben und war sogar noch im Römischen Reich sehr lebendig. Jede Stadt Asiens trägt ihren Teil zu dieser ungeheueren Religionsgemeinschaft bei, die sich bildet. Phrygien bringt Kybele, die Große Mutter der Götter, und ihren Gefährten Attis, Lampsakos seinen Gott Priapos, der bald im Gefolge von Bakchos auftaucht, selbst der jüdische Jahwe spielt hinein, der mitunter als ›Sabazios‹ auftritt, eine Gestalt des Dionysos.

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Der Hellenismus läßt zweifellos die traditionellen Religionen ungestört, aber er stellt sie, für seinen eigenen Gebrauch, in einer interpretatio graeca dar und macht daraus schließlich, am Rande der offiziellen Religion, eine andere, intensivere Religion, die die Frömmigkeit manchmal bis zum Mystizismus treibt und der Begeisterung des Herzens ebenso genügen soll wie den Begierden des Fleisches. Die Philosophen – von den Epikureern abgesehen, die die Götter in weite Ferne von den Angelegenheiten der Menschen rücken – lassen sich von dieser Vielheit der Götter nicht täuschen. Sie wissen darin die Züge eines einzigen Gottes zu unterscheiden, einer allgemeinen Vorsehung, eines obersten Herrn, der in jedem Augenblick des Lebens gegenwärtig ist, bei allen Handlungen, bei allen Geschehnissen des Seins. Und diese heftige religiöse Aufwallung, die durch die den orientalischen Gottheiten gewidmeten Kulte genährt wird, ist vielleicht die tiefste Ursache für jene Erneuerung der bildenden Künste, der Literatur und aller Formen menschlicher Existenz, die für die hellenistische Epoche bezeichnend ist. 4. Die Länder des Ostens am Rande des Hellenismus Die Entstehung der aus den Eroberungen Alexanders hervorgegangenen Königreiche und ihre politische Entwicklung innerhalb der Welt des Mittelmeeres dürfen uns nicht übersehen lassen, daß die Länder des Ostens unter dem hellenischen Firnis weiterhin eine nationale Geschichte haben und das Wesentliche ihrer traditionellen Zivilisation bewahren. Es ist auch notwendig, am Rande der Entwicklung, die die gesamte Welt der Verwirklichung einer immer engeren politischen Einheit zuführt, den entgegengesetzten Tendenzen, den verschiedenen, unbewußten oder gewollten Widerständen einen Platz einzuräumen, also allen Kräften, die sich im gegebenen Augenblick als so mächtig erweisen, daß sie die Auflösung des römischen Imperiums beschleunigen. Unter diesen Inseln des nationalen Partikularismus verdienen fünf Länder besondere Aufmerksamkeit: Ägypten, Syrien, das Land Israel, Mesopotamien und die von den arabischen Stämmen bewohnten Gebiete. Dies sind fünf Komplexe alter Kultur, die neben dem Hellenismus weiterexistieren und die wir, fast unverändert, wieder vorfinden, wenn die politische Macht von den Nachfolgern Alexanders an die römischen Eroberer übergegangen ist. I. Die ägyptische Welt nach Alexander dem Grossen Nach einem alten Biographen, der trotz der Kritik des 19. Jahrhunderts Kallisthenes sein könnte, soll Alexander der Große nicht der Sohn Philipps von Makedonien gewesen sein, sondern der des Nektanebos, des letzten Pharaos ägyptischer Abstammung. Letzterer, der nach der Eroberung Ägyptens durch die Perser an den Hof zu Pella geflohen war, übte dort magische Künste aus, in denen er sehr erfahren war, und schickte eines schönen Tages der Königin Olympias einen prophetischen Traum, der ihr ankündigte, daß sie von dem Gott

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Ammon der Oase Siwa, dem bei den Griechen bekanntesten der ägyptischen Götter, einen Sohn empfange. Am nächsten Tag soll Nektanebos mit einem Szepter und bekleidet mit dem Fell eines Widders, um sich das Aussehen des Gottes zu geben, sich der Königin genähert haben, und aus ihrer Vereinigung soll Alexander gezeugt worden sein, der nach dem von Nektanebos ausgelegten göttlichen Orakel zu einem außergewöhnlich ruhmreichen Schicksal bestimmt war268/269. Es handelt sich natürlich um eine Sage, die sich kaum um die Chronologie gekümmert hat. Doch man kann sich fragen, warum sie erfunden wurde. Da sie zahlreiche Details enthält, die sehr genau an die ägyptische Tradition erinnern, kann man annehmen, daß sie auf einer Geschichte beruht, die wohl die ersten griechischen Herrscher Alexandrias in Ägypten in Umlauf zu setzen versucht haben, in der Absicht, eine dynastische Legitimität zu schaffen, die Alexander, dessen Legende sie zu ihrem Nutzen übernahmen, endgültig an Ägypten bände, und wohl auch, um ihren Willen, sich in die ägyptische Ordnung einzugliedern, zu bekunden. Sie können diese Geschichte nur bei einem Manne bestellt haben, der die pharaonische Theorie des Königtums und die Geheimnisse der ägyptischen Magie vortrefflich kannte. Er hat sich in der Tat von den seit dem Neuen Reich bekannten Theogamien inspirieren lassen, durch die manche Pharaonen bewiesen hatten, daß sie unmittelbare Söhne eines Gottes waren, sowie magische Künste beschrieben, durch die der Königin ein Traum geschickt wurde, wie man sie ebenfalls in ägyptischen Manuskripten findet. Andererseits wissen wir, daß Alexander selbst sich durch den gleichen Ammon von Siwa als Sohn des Gottes anerkennen ließ270, d.h. er suchte unter den Angehörigen einer Priesterschaft, die großes Ansehen sowohl bei den Griechen als auch bei Ägyptern genoß, eine Art Legitimation für die Eroberung Ägyptens. Zweifellos zeugen solche Erzählungen von propagandistischer Absicht, und gerade die gebildete Klasse, die der Priester und der Beamten, war für sie empfänglich, denn wir finden bei ihr schon vor der makedonischen Eroberung bestimmte Beweise des Philhellenismus. Wir wissen zum Beispiel, daß der Hof der Saitenkönige im allgemeinen philhellenisch war. Psammetich I. ließ Ägypter im Griechischen unterrichten, weil er die Notwendigkeit, Dolmetscher auszubilden, die die Beziehungen zwischen den beiden Völkern erleichtern sollten, erkannt hatte. Die Griechen wurden ermächtigt, Handelskontore am unteren Nil einzurichten, zunächst in sehr großzügiger Weise; dann aber wurden Maßnahmen getroffen, die vor allem das Zoll- und Steuerwesen betrafen, und die schließlich nur noch einen griechischen Hafen, Naukratis, zuließen. Das ägyptische Heer hatte in seinen Reihen viele griechische Söldner, und es war vor allem eine solche Gruppe, die unter Psammetich II. den weitesten uns bekannten Erkundungsvorstoß in den Sudan wagte und die Erinnerung daran in einer Inschrift auf einer der Kolossalstatuen von Abu Simbel hinterließ271.

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Ein weiteres Beispiel des ägyptischen Philhellenismus vor der makedonischen Eroberung bietet uns am Ende der Perserzeit Petosiris, der Hohepriester des Thot von Hermopolis in Mittelägypten. Er ist eine der anziehendsten Gestalten des späten Ägypten, da er trotz aller Abhängigkeit seiner Lebensweise von nationaler Tradition und des absoluten Vertrauens in seinen Glauben sich doch für die griechischen Einflüsse so empfänglich zeigte, daß er unter den Künstlern, die sein Grab auszuschmücken hatten – auf einem Gebiet also, auf dem die Tradition noch stärker war als sonst –, solche zuließ, die im hellenistischen Geschmack ausgebildet waren272. Ein wenig später herrschte unter Ptolemaios Soter im gleichen Hermopolis eine ziemlich rege Bautätigkeit. In der Nekropole der heiligen Ibisse werden Kapellen errichtet, die von guten Beziehungen der lokalen Priesterschaft zu den neuen Herren des Landes zeugen273. Im übrigen läßt sich diese philhellenische Haltung leicht als anti-persische Reaktion verstehen, denn die Griechen erschienen als Verbündete und als Befreier. Auch legten die Makedonen den ägyptischen Göttern gegenüber niemals das gleiche gehässige Verhalten an den Tag wie die Perser, die die heiligen Tiere töteten und die Götterstatuen deportierten; im Gegenteil274. Auf das Konto der griechisch-ägyptischen Freundschaft könnte man auch folgende Tatsachen setzen. Wir wissen, daß in der ptolemäischen Epoche auf dem Lande Kolonien der Bauernsoldaten gegründet wurden, die natürlich die besten Äcker erhielten, sowie griechische Städte, deren Statuten von denen der einheimischen Siedlungen verschieden waren. Dennoch entstanden zwischen Griechen und Ägyptern Kontakte, und es bildeten sich gemischte Familien, in denen das einheimische Element schnell die Oberhand gewann275. Wie die Ägypter sich manchmal aufgeschlossen zeigten, so machten auch die Griechen Anstrengungen, ihnen entgegenzukommen. In den griechischen Städten Oberägyptens wurden die traditionellen ägyptischen Kulte ausgeübt, und Griechen bemühten sich, die ägyptische Sprache zu erlernen, manchmal in der Hoffnung, Lehrer für Griechisch in den eingeborenen Familien zu werden276. Im übrigen ist die Zahl der zweisprachigen Texte (offizielle Dekrete religiösen Charakters oder Privatverträge) groß genug, um zu zeigen, daß es nicht an Beziehungen zwischen beiden Gemeinschaften fehlte, und außerdem gab es nicht wenige ägyptische Schriftsteller, die sich des Griechischen bedienten, um ihre neuen Mitbürger mit ihrer alten Tradition vertraut zu machen. Damit kamen sie im übrigen einem Interesse entgegen, das bereits auf die Zeit vor der makedonischen Eroberung zurückgeht.

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 Abb. 19: Ägypten

Hingegen stammen aus der Saitenzeit auch die ersten Reibungen zwischen Griechen und Ägyptern, und noch so philhellenische Pharaonen waren manchmal gezwungen, bestimmte Maßnahmen gegen die Griechen zu ergreifen, um deren Kontakte mit ihren eigenen Untertanen einzuschränken. So mußte Amasis seine griechischen Garnisonen ausschließlich in Memphis konzentrieren, um seine ägyptischen Truppen zufriedenzustellen277. Es wird nicht die geringste der Schwierigkeiten unserer Arbeit sein, diesen ständigen Kontrast der beiden widerstrebenden Tendenzen – Annäherung der Völker und gegenseitige Feindschaft – spürbar zu machen, die das ganze Leben im Niltal während der Jahrhunderte, die uns hier beschäftigen, beherrschten. In Wirklichkeit hat Ägypten trotz der unterschiedlichen Bevölkerungen, die sich auf seinem Territorium niederließen, niemals auf seine traditionelle Kultur verzichtet. Sie entwickelte sich im Gegenteil auch weiterhin in der ihr von ihrer Vergangenheit vorgezeigten Richtung, und, obwohl sie dem Archaischen zuneigte und sich scheinbar dem Neuen verschloß, verstand sie es, Synthesen zu schaffen, die ihre Lebensfähigkeit bis weit in die römische Epoche erweisen. Dies ist zu erkennen, wenn man die Inschriften des Tempels von Esne, des letzten der in Ägypten gebauten großen heidnischen Tempel, studiert278. Doch man täuschte sich hierin nicht. Wenn auch dieses priesterliche Denken im allgemeinen nichts dem Ausland verdankt, so unterlagen auch betont

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nationalistische Kreise des ptolemäischen Ägypten dennoch Einflüssen von außen. Um ihren Haß gegen das Griechische auszudrücken, benutzten sie dessen Sprache und eigneten sich mehr oder weniger dessen Denkweise an. Diese scheinbar paradoxe Situation macht das Studium des späten Ägypten besonders nützlich, denn dies ist einer der Punkte, an dem die Probleme der Begegnung zweier Kulturen am leichtesten erfaßt werden können. Auf den folgenden Seiten werden wir also zu zeigen versuchen, wie diese widersprüchlichen Tendenzen sich ausdrückten, wie sich die Feindseligkeit der Eingeborenen gegenüber den griechischen und jüdischen Fremden manifestierte, und wie es dennoch zu einigen Anleihen bei diesen ethnischen Gruppen kam. Ferner werden wir versuchen, das intellektuelle Milieu Ägyptens in den Tempelinschriften, der Literatur und der Philosophie aufzuzeigen sowie den Zwiespalt zwischen den traditionellen Vorstellungen und jenen, die, vielleicht entstanden unter dem Druck des Auslandes, den besten Köpfen der Ägypter halfen, sich der Originalität ihrer Kultur bewußt zu werden. Die Weitblickenden unter ihnen wagten es, Synthesen der verschiedenen, sich berührenden Gedankengebäude zu erarbeiten, die grandios hätten sein können, wären sie nicht unmöglich gewesen. Bei unserem Versuch können wir unser Material nicht streng auf die Ptolemäerzeit und auf den Beginn des römischen Imperiums beschränken. Die meisten Züge dieses Zeitalters zeichnen sich bereits seit dem zweiten Viertel des 1. Jahrtausends ab, als sich die Auseinandersetzung der Völker, wie Maspero sagte, die zehn Jahrhunderte vorher begonnen hatte, vollendete, während andere Züge, die im Verlauf der hier in der Hauptsache betrachteten Epoche einsetzten, sich erst in den folgenden Jahrhunderten entfalten. Zudem sind die von uns benutzten literarischen Dokumente nur durch sehr späte Manuskripte bekannt, durch Kopien mehrere Jahrhunderte früher verfaßter Texte, von denen man angesichts der Vergänglichkeit des Papyrus annehmen muß, daß sie während der ganzen hellenistischen Periode des öfteren neu kopiert – und also auch gelesen – wurden, und infolgedessen die Mentalität dieser Epoche verraten. Unter dem Einfluß oft brutaler fremder Besatzungen, die seit der assyrischen Invasion 663 einander abgelöst hatten, hat Ägypten allmählich einen Nationalismus entwickelt, der sich manchmal in Meutereien oder Rebellionen ausdrückte279, der aber auch die Literatur und die Religion tief durchdrang. Wenn die Saitenzeit, in deren Verlauf das Land noch eine internationale Rolle ersten Ranges im Nahen Osten spielte, vor allem archaisierend war, indem sie ihre Modelle in den noch zugänglichen Denkmälern des Alten Reiches suchte, die die Gelehrten der Zeit in den alten Nekropolen erforschten, so sehen wir kurz darauf originale Formen sich entwickeln, besonders in den bildenden Künsten. Sie beweisen, daß die ägyptische Zivilisation in ihrem Willen, sich dem ausländischen Einfluß zu widersetzen und sich von ihm zu unterscheiden, noch fähig war, Eigenes zu schaffen – zuweilen, indem sie sich von ihm inspirieren ließ.

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Die Struktur der ägyptischen Religion stellte ein zusammenhängendes und typisches Ganzes dar. Wahrscheinlich wird gerade in dieser Epoche, die uns hier interessiert, ihre Originalität bewußt. Eine ganze Reihe von Tabus zum Beispiel, die schon vorher existiert haben müssen, ohne jedoch Anlaß eines besonderen Fanatismus zu sein, scheinen plötzlich große Bedeutung erlangt zu haben. So berichtet uns Herodot (11,41), daß ein Ägypter »einen Griechen nicht auf den Mund küßt, noch sich des Messers oder seiner Bratspieße und seines Kochkessels bedient, noch das mit dem Messer eines Griechen abgeschnittene Fleisch eines Ochsen ißt«. Diese Vorschriften, sowie viele andere bezüglich der Ernährungsund Bekleidungsbräuche, waren gewiß nicht Sache aller Ägypter, sondern nur der strenggläubigsten unter ihnen, also der Priesterklasse. Auch ist es keineswegs sicher, daß alle Priester so gewissenhaft waren. Die Existenz gemischter Familien während der ganzen ptolemäischen Epoche beweist, daß solche Hindernisse nicht in jedem Fall und für alle unübersteigbar waren. Die Tempel waren manchmal Zentren des Widerstands gegen die Herren des Landes und dienten den Rebellen als Festungen. Doch sie waren noch unumstößlicher die allen Fremden systematisch verschlossenen Hochburgen der einheimischen Kultur. In Denderah findet man in einem zu Beginn der Römerzeit erbauten Tempel die in dieser Hinsicht aufschlußreichsten Inschriften. Am Eingang bestimmter Räume kann man zum Beispiel lesen: »Dies ist ein geheimnisvoller und geheimer Ort. Verbiete seinen Zugang den Asiaten. Der Phöniker nähere sich ihm nicht, es betrete ihn weder der Grieche noch der Beduine ...« In Esne findet man noch in der Mitte der Römerzeit den Ausschluß der Beduinen, während in Philae der Asiate in einer ganzen Reihe von Personen genannt wird, denen der Zutritt aus Gründen der rituellen Unreinheit verboten ist280. Der Begriff der Unreinheit spielt im übrigen eine wichtige Rolle im Fremdenhaß der Ägypter, von dem zu sprechen wir noch Gelegenheit haben werden. Doch dieser Ausschluß vom Tempelbesuch muß auch durch andere Mittel als geschriebene Verbote gesichert worden sein. Im Falle eines bewaffneten Konfliktes war es natürlich unmöglich, den Siegern den Zutritt zu den Tempeln zu verbieten. Um der Gefahr zu entgehen, daß die Götterstatuen entführt würden (wie man es bei den Persern erlebt hatte), baute man deshalb besondere Verstecke. Wir kennen solche in Dendara, die dort zur Cäsarenzeit gravierten Inschriften sprechen noch von den Medern, ohne die Griechen und die Römer zu erwähnen, die das Land nach ihnen überfallen hatten. Es wäre interessant zu wissen, ob es sich um die mechanische Kopie einer alten Inschrift handelt, oder ob die Erinnerung an die persische Eroberung mit ihren Schandtaten in einem Heiligtum Oberägyptens nach fünf Jahrhunderten noch lebendig war281. Außer dieser konkreten Schutzmaßnahme entwickelten die ägyptischen Priester, im Vertrauen auf ein System, in dem sie seit Jahrhunderten gelebt hatten, rund um die Tempel wahre magische Schutzwehren, um alle eventuellen ›Feinde‹ fernzuhalten. Unter diesen gab es zwar viele kosmische Kräfte, wie den

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Drachen, der den Weg der aufgehenden Sonne zu versperren droht, oder die Schildkröte, die beim Auftauchen aus dem himmlischen Fluß das Sonnenschiff auf ihrem Rücken zum Kentern bringen kann, doch es gab auch eine große Anzahl von Zeremonien, deren Ziel es war, den ›Asiaten‹ ohnmächtig zumachen, den man mit dem Gott Seth gleichsetzte, und der am Ende der ägyptischen Geschichte das Symbol des Bösen schlechthin geworden war. Das Problem ist jedoch damit noch nicht gelöst. Denn die Ägypter wußten, daß man jedem Zauber einen Gegenzauber entgegenstellen kann, wie wir es bereits in den volkstümlichen Erzählungen des Neuen Reiches sehen und es eine berühmte Szene des Exodus (VII, 10–12) zeigt, die am Hof eines Pharao spielt. Es war also unerläßlich, die Lehrsätze vor den Taten übelwollender Fremder, die sich ihrer eigenen Zauberformeln hätten bedienen können, zu schützen, obwohl man gezwungen war, sie auf den Mauern der Tempel einzugravieren. Gezwungen insofern, als der ägyptische Tempel ein Abbild des Universums ist, dessen verschiedene Funktionen durch die Riten dargestellt werden, die in ihm vollzogen werden. Nun nimmt die ägyptische Lehre an, daß die Sache dem Namen gleichwertig ist, und die Schrift dem Namen. In der Wiedergabe ist es also die beste Garantie für die Beständigkeit der Riten, wenn man sie auf einem möglichst soliden Material niederschreibt. Um die liturgischen Inschriften gegen die Fremden zu schützen, die eventuell trotz der Verbote in den Tempel eindrangen, wurde die ptolemäische Schrift immer komplizierter. Insbesondere die Schlüsseltexte – die Bandgesimse, die die wesentlichen Vorschriften enthalten und die Funktionen des in dem Saal, in dem sie eingraviert sind, vollzogenen Ritus rechtfertigen – sind am schwersten zu entziffern. Ohne ganz zur Geheimschrift zu werden, kompliziert sich das Hieroglyphensystem, es vervielfacht die Zeichen und die Werte, die jedes von ihnen annehmen kann, erhöht ständig die Feinheiten, die einen nicht erfahrenen Leser in die Irre leiten können, so daß bis auf wenige Eingeweihte niemand die unleserlich gewordenen Inschriften verstehen konnte. Auch die Fremden konnten so in keinem Fall Nutzen aus ihnen ziehen, selbst wenn sie über mehrere Abhandlungen über das Hieroglyphensystem, wie die des Chaeremon und des Horapollon, verfügten, in denen sie aber nur Interpretationen einzelner Zeichen finden konnten. Der Versuch der Lektüre einer heiligen Inschrift wäre auch mit ihrer Hilfe illusorisch gewesen, trotz der Genauigkeit der Mehrzahl solcher Abhandlungen. Neueste Untersuchungen haben diese Genauigkeit erwiesen und stehen damit im Gegensatz zu der Meinung, die unter den Gelehrten des vergangenen Jahrhunderts Geltung hatte. Der Tempel war – wir haben das bereits gesagt und damit eine der Grundvorstellungen der ägyptischen Religion hervorgehoben – der Ort, an dem durch Vollzug der Riten der richtige Lauf des Universums gesichert wurde. Der einzig Verantwortliche für die Riten war im Prinzip der König, der- seine Macht ausübte durch die Vermittlung einer Priesterschaft, die unter bestimmten Bedingungen rekrutiert wurde282 und Reinheitskriterien entsprechen mußte.

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Obwohl die Erfordernisse des Systems die fremden Herren – Perser, Makedonen oder Römer – zu unentbehrlichen, da die Riten vollziehenden Pharaonen machten, die sich der Rolle, die sie spielten, gar nicht bewußt waren, wurde diese Auffassung vom Tempelwesen später auf bewunderungswürdige Weise ausgenutzt, um dem Fremdenhaß der Ägypter eine metaphysische Grundlage zu geben. In der unter dem Namen des Asclepius bekannten Geheimlehre, in einer lateinischen Übersetzung des griechischen Originals, lesen wir, daß Ägypten »die Kopie des Himmels ist oder richtiger gesagt, der Ort, auf den sich hier auf Erden alle Operationen übertragen und projizieren, die die himmlischen Kräfte beherrschen und ins Werk setzen«. Mehr noch, der Autor fügt hinzu: »Ägypten ist der Tempel der ganzen Welt.« Diese letzte Behauptung ist eine geschickte Pirouette, die die formale und die mathematische Logik durcheinanderbringt, denn sie ist abgeleitet von der üblichen ägyptischen Vorstellung, daß der Tempel das Bild Ägyptens ist, daß er somit Ägypten als Vorstellung ist. Doch wenn diese Behauptung einmal anerkannt ist, was für die Logik des Ägypters keine Schwierigkeit darstellt, kann der Autor die unheilvolle Situation, die er im römischen Ägypten vor Augen hat, als die Folge einer Schändung durch die Fremden, die seine Erde besetzt halten, erklären; er trägt seine Enthüllungen wie eine Prophetie vor, um ihnen mehr Überzeugungskraft zu geben: »Fremde werden das Land füllen, und man wird sich nicht nur um die Glaubensvorschriften nicht mehr kümmern, sondern es wird, viel schlimmer noch, durch sogenannte Gesetze unter festgesetzten Strafen geboten werden, sich jeder religiösen Betätigung und aller Akte der Frömmigkeit gegenüber den Göttern zu enthalten. Dann wird die heiligste Erde, das Vaterland der Heiligtümer und der Tempel, bedeckt sein mit Gräbern und Toten ... Denn siehe, das Göttliche kehrt zurück in den Himmel. Die verlassenen Menschen werden alle sterben, und dann wird Ägypten, ohne Götter und Menschen, nur noch eine Wüste sein..,«283 Die ganze Welt, verkündet der Prophet, wird vernichtet werden durch die Anwesenheit der Fremden in Ägypten, denn diese bringen dem Land Unreinheit von der gleichen Verderblichkeit wie die, die den Tempeln droht. Die Unreinheit der Fremden ist überdies ein häufiges Thema in den griechischen Texten ägyptischen Ursprungs und besonders in den antijüdischen Schriften; In der Tat existierten in Ägypten, wie Yoyotte gezeigt hat284, zahlreiche Erzählungen über die Unreinen – das heißt, über die Eindringlinge aller Epochen, die mit den jüdischen Soldaten der Heere des Großkönigs zur Zeit der persischen Eroberung gleichgesetzt wurden. So brauchte der alexandrinische Antijudaismus nur auf diese Literatur zurückzugreifen, die ihren Fremdenhaß bereits an den gleichen Feinden ausgerichtet hatte. Die Texte, auf die wir oben hingewiesen hatten, verteilen sich über fast tausend Jahre, vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. Sie bezeugen so die Beständigkeit einer Geisteshaltung in Ägypten, die im übrigen der Beständigkeit der politischen Bedingungen entspricht. Wir haben uns

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bemüht, die Existenz zweier entgegengesetzter Bewegungen, die Annäherung von Personen, die verschiedenen Gruppen angehören, aufzuzeigen sowie nachzuweisen, daß die politische Opposition der Ägypter gegenüber den Eindringlingen begleitet war von der Bewußtwerdung ihrer eigenen Kultur. Mehr noch, bestimmte hermetische Stellen lassen glauben, daß es gerade die Verteidigung dieser kulturellen Einmaligkeit war, die den Fremdenhaß rechtfertigte, denn wir sehen nach und nach Ägypten zum Mythos werden. Man kann hier in der Tat von einem Mythos sprechen, denn dieses Ägypten der Hermetisten hat nichts Wirkliches mehr. Als Tempel der ganzen Welt, wie der von uns zitierte Text sagt, ist Ägypten also heiliger und deshalb absoluter Raum. Es wird gleichzeitig Vorbild, denn die Frömmigkeit seiner Bewohner – eine ideelle Frömmigkeit natürlich – wird den Menschen der ganzen Welt, ob Ägypter oder nicht, vorgestellt als Garantie für die Erhaltung einer universalen Ordnung, deren alle bedürfen und die nicht als die beste, sondern als die einzig mögliche gilt. Wir sehen hier die klare Manifestation einer universalistischen Strömung im Hermetismus – der im übrigen so die strengste ägyptische Tradition fortsetzt, nach der die ägyptische Ordnung auf alle dem Pharao und den Göttern Ägyptens unterworfenen Völker ausgedehnt werden soll – einem Hermetismus, der jedoch die Notwendigkeit empfand, die griechische Sprache zu benutzen, um sich an seine neuen Adepten zu wenden, trotz der Verachtung der Autoren für die Griechen und ihre Sprache: »Diejenigen, die meine Bücher lesen werden«, sagt einer von ihnen, »werden ihre Komposition einfach und klar finden, während sie jedoch dunkel ist und die Bedeutung der Worte verborgen hält, ja sogar vollkommen dunkel wird, wenn die Griechen sich später in den Kopf setzen werden, sie von unserer Sprache in die ihre zu übersetzen, was in vollkommener Verzerrung und völliger Dunkelheit enden wird. Hingegen in der ägyptischen Sprache bewahrt diese Rede den Sinn der Worte in aller Klarheit. Ja, die Eigenart des Klanges und die richtige Betonung der ägyptischen Worte enthalten in sich selbst die Kraft der Dinge, die man nennt« (XVI, 1). Es handelt sich zweifellos um einen aristokratischen Mythos, denn der Hermetist rühmt sich, seine Schriften nicht nach den Ideen der Menge, die er oft ablehnt, verfaßt zu haben. Doch es handelt sich ebenso sicher um eine Tendenz, nicht-ägyptische Kreise (in denen es zu der Zeit, da das Corpus Hermeticum verfaßt wurde, nicht schwierig war zu sehen, daß das Ansehen Ägyptens nicht nachgelassen hatte) für die traditionelle ägyptische, neuen Bestrebungen angepaßte Lehre zu interessieren. In der Tat haben Griechenland und alle, die geistig von ihm abhingen, während der klassischen Epoche den Vorrang Ägyptens, der Mutter aller Weisheit, bei der die berühmtesten Philosophen in die Lehre gingen, anerkannt. War es also damals nicht eine Versuchung für die nationalgesinnten Ägypter, die sich Sympathien im Ausland verschaffen wollten, an diesen Vorgang zu erinnern und so zu tun, als ließen sie sich herab, Kreisen, von denen sie wußten, daß sie ihnen wohlgesonnen waren, eine tiefe Weisheit zu enthüllen? Immer auf der Suche nach Gegensätzen in der ägyptischen Welt,

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werden wir jetzt zeigen, daß dieser starke Ehrgeiz der gebildeten Geister Ägyptens die fremden Einflüsse nicht daran gehindert hat, sich gerade in den kultivierten Klassen durchzusetzen und sogar bei der Priesterschaft, die sich so zugleich am feindlichsten und am empfänglichsten gegenüber den Neuerungen erweist. Besonders gegenüber den neuen, in der hellenistischen Epoche aufkommenden Künsten zeigten sich die Ägypter nicht ablehnend. Sie übernahmen von den Griechen deren Sprache und Stil, wenn es nötig war, von den Chaldäern die modernsten Methoden der astronomischen Rechnung und eigneten sich deren Verfahren zur Erforschung der Zukunft an, wie wir später darlegen werden. Die griechische Sprache muß in der Tat manchem Ägypter als ein unendlich vollkommeneres Instrument erschienen sein denn seine eigene. Im Verlauf von dreitausend Jahren der Geschichte kann man feststellen, daß die Priester vergeblich eine abstrakte Sprache gesucht hatten. Sie vermochten nur wenige Worte mit abstrakter Bedeutung zu schaffen, deren genaue Definition wir noch nicht erfaßt haben, und die wir mühsam durch Form, Erscheinung, Macht usw. übersetzen. Die Schwierigkeit, sie zu präzisieren, stammt daher, daß sie immer in mythologisch gebliebene Zusammenhänge verflochten sind. Auch sind zum Beispiel die durch die Worte ›Gott‹, ›Verklärung‹ und ›Werden‹ ausgedrückten Ideen abstrakt gemeint, während die Worte selbst oft einen sehr konkreten Inhalt beibehalten. Niemals hat das Ägyptische die Ausdrucksmöglichkeiten erreicht, die das Griechische entwickelt hat, obwohl es gewiß das Bedürfnis danach empfand. Wenn es in griechischen Buchstaben – zu denen einige neue hinzugefügt worden sind – als koptisch erscheint, begnügt es sich, anstatt durch eigene Mittel Ausdrücke zu schaffen, die griechischen Worte selbst zu verwenden, von denen man um so mehr in einem Text findet, je philosophischer er ist. Trotzdem liefert uns das Spätägyptische einige Beispiele unbeholfener Versuche abstrakten Ausdrucks. Es ist lohnenswert, hier die seltsame Stelle eines aus dem Jahre 312 v. Chr. – also vom Beginn der makedonischen Eroberung – stammenden Papyrus zu zitieren, dessen Modell nicht mehr alt gewesen sein kann. Durch eine Reihe von Wortspielen mit der Wurzel des Verbums ḫpr (= werden) hat der Autor versucht, die Entstehung des Universums zu berichten: »Der Herr des Universums sagt: ›Als ich zur Existenz kam, kamen die Formen zur Existenz. Ich bin zur Existenz gekommen in meiner Form des Chepri (= desjenigen, der wird), der zum erstenmal existierte. Ich bin zur Existenz gekommen in der Form des existierenden Chepri, usw ...‹« Man versteht angesichts der Hilflosigkeit dieser sehr gesuchten Ausdrucksweise, die gemäß der noch von den hermetischen Traktaten bekannten ägyptischen Tradition mehr noch um die Klangverhältnisse als um etwas anderes besorgt war, daß das Fehlen eines adäquaten Instruments den Ägyptern nicht erlaubt hatte, sich wirklich dessen bewußt zu werden, was eine Abstraktion ist, obwohl sie deren Notwendigkeit empfanden. Doch wenn auch die späte ägyptische Theologie bis in die Römerzeit hinein285 neue, manchmal kühne Synthesen innerhalb ihrer

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theologischen Systeme schuf, auf die wir später zurückkommen werden, so finden wir dennoch erst in griechischen Abhandlungen – oder in der lateinischen Übersetzung, die manchmal nur noch existiert (Asclepius) – annähernd theoretische Darstellungen der Prinzipien und des Wesens der ägyptischen Religion. Das heißt, die Begründer des Hermetismus, die zweifellos dem konservativen Teil der Priesterklasse angehörten, haben dennoch nicht gezögert, ihre Zuflucht nicht nur zu einer fremden Sprache, sondern auch zu einer ganz neuen Denkweise zu nehmen, in die sie die ihre zu integrieren suchten, um sich auszudrücken. So fixiert Chaeremon unter anderem die Lebensregeln einer von Mystik gefärbten Askese, denen die Priester sich unterwerfen müssen, auf griechisch, zweifellos in der Hoffnung, so den Respekt vor der ägyptischen Priesterschaft unter den Fremden zu fördern. Doch wenn eine Übernahme der Sprache des Siegers stattfand und man, wie wir bald sehen werden, manchmal seinen Stil und seine Techniken benutzte, so hat man sich, scheint es, niemals seine Ideen angeeignet. Wir werden am Ende unserer Untersuchungen das verhängnisvolle Resultat dieses Kontakts für den wissenschaftlichen Rationalismus der Griechen sehen, der dabei absorbiert wurde. Um die zweite Art von Anleihe, über die wir nun sprechen wollen, nämlich die literarische (stilistisch oder thematisch), zu definieren, werden wir kurz die verschiedenen, in Ägypten gepflegten Literaturgattungen betrachten, deren Sprache das Demotische war – die letzte Form des Altägyptischen, das vom ersten Jahrtausend an als Verwaltungssprache und erst in dessen zweiter Hälfte als literarische Sprache in Gebrauch war. Erwähnen wir noch, daß bestimmte Werke uns nur durch griechische Übersetzungen bekannt sind, was die Existenz gemeinsamer Interessen an den beiden nach der makedonischen Eroberung in Ägypten lebenden Sprachgruppen beweist. Diese Literatur ist vertreten durch einige Erzählungen historischen und epischen Charakters, durch Weisheitssprüche und Prophezeiungen, zu denen man auch eine Sammlung von ziemlich kindischen Tierfabeln und einen Mythos zählen muß286. In dem von Fremden beherrschten Land haben die wenigen Moralisten, die sich äußerten, eine pessimistische Auffassung vom Leben und bezeugen im übrigen keine sehr große Höhe des Denkens. Einer von ihnen, Anch- Scheschonk, der vermutlich im 5. oder 4. Jahrhundert lebte, dessen Werk jedoch mehrere Jahrhunderte später noch abgeschrieben wurde, ist ein Bauer, der den Seinen Ratschläge gibt, während er aus einem uns unbekannten Grunde im Gefängnis sitzt. Sicher ist jedoch, daß er keine sehr hohe Meinung von der Gesellschaft hat, nicht sehr konformistisch ist und kaum an die überlieferten ›Werte‹ glaubt. Sein Buch ist voll von zynischen Ratschlägen wie: »Leihe dir Geld und feiere deinen Geburtstag« und enttäuschten Bemerkungen wie »Es gibt tausend Sklaven im Haus des Händlers. Er ist einer von ihnen!«287 Der andere Moralist, dessen Werk wir aus mehreren Manuskripten kennen, vor allem aus dem Papyrus Insinger288, ist ein ebenso gründlicher Skeptiker. Doch er ist intelligenter. Er stellt Fragen, er prüft kühl die traditionellen

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Grundlagen der Moral und deren Prinzipien und schließt mit der Erkenntnis, daß deren Beachtung niemals viel bedeutet hat. Im Gegenteil: »Es gibt Menschen, die ihr Leben damit verbringen, ihren Vater zu ehren, und die dennoch keine wahre Mildtätigkeit im Herzen haben. Es gibt Menschen, die sich Schande zuziehen durch die Verwünschung ihrer Mutter und dennoch einen guten Charakter haben. Derjenige, der gut ist zu seinem Kind, ist deshalb noch nicht ein barmherziger Mensch. Wer seinen Vater hungern läßt, der ihn ernährt hat, ist deshalb kein Bösewicht. Lohn und Strafe für den Toten entstammen seinen eigenen Überlegungen, und das glückliche Geschick des Gerechten verschafft diesem sein eigenes Herz. Das Glück und das Schicksal, das uns zuteil wird, ist von Gott bestimmt.«289 Die häufige Anrufung Gottes – des unteilbaren Wesens in seinen vielfältigen Formen – könnte an einen priesterlichen Ursprung dieser Weisheit glauben lassen; doch ihr Ton unterscheidet sich von dem eines anderen moralisierenden Priesters, des Petosiris, von dem schon die Rede war und der gegenüber der Gottheit friedliches Vertrauen und vollkommene Resignation ausdrückt. Der letzte Moralist ist ein anonymer Verwaltungsbeamter290, der sich kaum um Ethik oder Metaphysik kümmert. Die Ratschläge, die er erteilt, sind solche, die man befolgen muß, wenn man sich eine Existenz ohne Aufregung in einer ständigen Mittelmäßigkeit sichern will. Wir zitieren: »Mache nicht bekannt, daß deine Frau dich geärgert hat. Prügele sie und lasse sie ihr Eigentum wegführen ... Baue dein Haus nicht so, daß es einem Tempel zu nahe ist ...« Anch-Scheschonk und dieser letzte Autor gehören wesentlich dem gleichen Milieu des ländlichen Kleinbürgertums an, für das die großen Konflikte, in die Ägypten verwickelt war, nichts anderes bedeuten als zahllose Schwierigkeiten, verbunden mit großer Entmutigung. Ihr Produkt ist diese Reihe von aller Welt nützlichen Regeln, die nichts anderes anzeigen als ein persönliches Streben nach rein materieller Besserung und Vermeidung des Schlimmsten. Doch in dieser kleinen demotischen Schrift, die zur Verbreitung der Weisheitssprüche diente, und in dem gleichen Milieu sind andere Werke von anderer Art verfaßt worden, die, wie gesagt, die fremden Einflüsse enthüllten und sie so den Lesern nahebrachten – auch jenem soeben erwähnten Bürgertum, das sich, wie wir erwähnt haben, darüber erboste, daß die Kleruchen die besten Äcker besaßen, die ihre Töchter aber dennoch den Söhnen dieser lästigen Griechen zur Frau gaben. Ebenso wie die Griechen Ägyptens, die gern Homer lasen, scheinen auch die Ägypter Liebhaber epischer Erzählungen gewesen zu sein. Wir besitzen einen ganzen Zyklus, von dem mehrere Teile noch nicht veröffentlicht wurden, und dessen Helden, der Pharao Petubastis sowie Inaros und Petuchons, gegen die Assyrer und die Perser kämpften und auch untereinander Händel hatten, wie in den von uns behandelten Erzählungen berichtet wird291. Es liegt jedoch nur sehr wenig historische Wirklichkeit in dieser Literatur, und die Konflikte zwischen den einzelnen Personen erscheinen manchmal recht kleinlich. Doch es taucht hier

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ein im traditionellen Ägypten unbekannter und notwendigerweise von Homer inspirierter epischer Stil auf, der eine weitere Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Einflüssen in einem scheinbar stark abgeschlossenem Milieu verrät. Es ist das Verdienst von Stricker und Volten292, die Aufmerksamkeit auf die Analogien zwischen der Komposition der Werke des Petubastis-Zyklus und des griechischen Epos gelenkt zu haben. Aus kürzlich entdeckten Blättern vom Anfang eines dieser Werke ersehen wir, daß der Konflikt, der die Menschen entzweien wird, von den Göttern in Ausdrücken beschlossen wurde, die an die göttliche Vorbestimmung der von Homer berichteten Streitfälle erinnern. Danach spielen sich (wie in der Ilias und nach einem vorher in Ägypten unbekannten Schema) die Einzelkämpfe, bei denen sich die Vorkämpfer der beiden Heere in den Schranken gegenübertreten, nach dem klassischen Plan ab: Auseinandersetzung der Führer, Beschimpfungen: » ... Neger, Äthioper, Gummifresser«, ruft ein Held, »ist es deine Absicht, dich im Vertrauen auf deine Kraft mit mir vor Pharao zu schlagen? ... Von Atum, dem Herrn von Heliopolis, dem großen Gott, meinem Gott, war nicht der Befehl gegeben und der Respekt geboten dem König, der dich beschützt; ich werde dir zur Stunde beibringen die Farbe des Todes« (nach der Übersetzung von Maspero). Genauestens werden auch die Waffen der Kämpfer beschrieben. In dem Bericht, der »Der Kampf um den Panzer des Königs Inaros« benannt ist, nimmt die Beschreibung des sich zum Zweikampf vorbereitenden Helden eine lange, unglücklicherweise sehr verstümmelte Seite ein, aus der jedoch hervorgeht, daß Waffen, Kleidung und Schild besonders wertvolle und der Aufmerksamkeit würdige Gegenstände waren. Doch der merkwürdigste Bericht in dem ganzen Zyklus ist zweifellos der, den Volten kürzlich in der Wiener Papyrus-Sammlung293, leider ebenfalls sehr verstümmelt, entdeckt hat und in dem verschiedene Episoden einer Expedition berichtet werden, die von einem gewissen Petuchons, dem Sohne eines Gefährten des Inaros, in das Land der Amazonen unternommen wurde. Nach dem, was der Herausgeber aus den Fragmenten der Erzählung hat rekonstruieren können, scheint sie eine deutliche Ähnlichkeit mit der homerischen Episode des Kampfes zwischen Achilleus und Penthesilea zu besitzen. Doch der ägyptische Geschmack verträgt sich nur schlecht mit dem Tragischen, und so wird der Zweikampf im gegebenen Augenblick auf einen Vorschlag der Königin Serpot hin, dem Petuchons mit Freuden zustimmt, abgebrochen. Nachdem die beiden Streiter Waffenstillstand geschlossen haben, befreunden sie sich und verlieben sich sogar ineinander, während die beiden Heere sich verbünden. Man erfährt, daß Petuchons zu den Amazonen gekommen war, um ihnen den Leichnam des im Kampf gegen sie gefallenen Inaros zu entreißen. Im Verlauf der Episoden, die wir kurz zusammenfassen, gibt Serpot den Leichnam des Inaros heraus und äußert sogar den Wunsch, zu den Bestattungsfeierlichkeiten beizutragen, die nach ägyptischer Art abgehalten werden. Die Königin preist dabei die ägyptischen Riten, und dieser Beifall einer

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Fremden muß den Nationalisten, die die Geschichte lasen oder hörten, zweifellos gefallen haben. Welches auch das Entstehungsdatum dieser Erzählungen sein mag, die bis zur Römerzeit Erfolg hatten, obwohl sie, wie es scheint, auf jahrhundertealten Ereignissen beruhten, so muß man ihre Popularität als Folge der Tatsache betrachten, daß sie die letzten glorreichen, wahren oder verschönten Erinnerungen eines Volkes darstellten, das sich so darüber hinwegtröstete, besiegt worden zu sein. Neben diesen Erinnerungen hat die Spätzeit sich auch darin gefallen, die Zeiten zu beschwören, in denen die Magier die Mächtigsten der Welt waren. In den Papyri der Römerzeit sind uns zwei Erzählungen erhalten, die noch von den Heldentaten eines gewissen Seton Chaemwese294 berichten, der unter Ramses II. gelebt hatte. Als großer Bücherliebhaber war er immer auf der Suche nach unbekannten Zauberbüchern. Ihm gelang es, sich in den Besitz einer alten Papyrusrolle zu bringen, die einer Mumie gehörte und deren Kenntnis es ihm ermöglichte, das ganze Universum zu verstehen. »Er sprach eine Zauberformel«, lesen wir, »und beschwor den Himmel, die Erde, die Welt der Nacht, die Berge, die Gewässer, er begriff alles, was die Vögel des Himmels, die Fische des Wassers, die Vierfüßler der Wüste sagten. Er sprach eine andere Formel und sah die Sonne mit ihrem Götterkreis, den aufgehenden Mond und die Sterne in ihrer Gestalt; er sah die Fische des Abgrunds, denn eine göttliche Kraft ruhte auf dem Wasser über ihnen ...« Leider bringt der Besitz dieses Buches für ihn entsetzliche Katastrophen mit sich, und er ist schließlich gezwungen, es in das Grab, aus dem er es genommen hatte, zurückzulegen. Die zweite erhaltene Erzählung berichtet von den Taten des Si-Osire, des Sohnes des Seton, der als kleines Kind seinen Vater durch außergewöhnliches Wissen überrascht. Dieser junge Mann ist es, dem es bemerkenswerterweise als dem einzigen von allen Zauberern Ägyptens gelingt, einen Bann zu lösen, unter dem der Pharao litt. Dann steigt er mit seinem Vater zur Hölle hinab, um ihm die wahre Lehre von der Vergeltung der menschlichen Taten nach dem Urteil des Gerichts von Osiris zu enthüllen, wobei er ihm im Verlauf der Reise eine Folge von Szenen zeigt, die die ägyptische Version des Gleichnisses von Lazarus und vom schlechten Reichen darstellen. Der arme, gerechte Mann erhält danach im Jenseits den prächtigen Schatz des schlechten Reichen, der zur Bestrafung seiner Sünden fürchterlichen Foltern ausgeliefert wird. Die Kritiker sind sich darüber einig, daß das Thema nicht ägyptisch ist und vom Ausland, wahrscheinlich von den Juden, übernommen worden sein muß, von wo es auch in das Evangelium Einlaß fand. Auch kann man nicht umhin, eine Verwandtschaft zwischen dem jungen, von Weisheit erfüllten Si-Osire und dem mit den Rabbinern diskutierenden Jesus zu erkennen295. Während also die Erzählungen von Kriegstaten uns die Kenntnis der Autoren von der griechischen epischen Literatur bezeugen, scheinen die letzteren, die

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einer memphitischen Tradition angehören, eher jüdischen Einfluß erfahren zu haben, trotz der ständig gegen die Juden gezeigten Feindschaft296. Die letzte literarische Strömung besteht aus Prophezeiungen. Wir kennen solche auf demotisch und auf griechisch, die letzteren sicherlich übersetzt aus dem Ägyptischen. Sie sollen offensichtlich die nationalen Gefühle nähren wie auch bestimmte Hoffnungen auf die Rückkehr zur Unabhängigkeit auf dem Lande. Es ist interessant, festzustellen, daß sich diese Literatur der Hoffnung an zwei Sprachgemeinschaften wendet, von denen die eine doch scheinbar keinen Grund hatte, eine Rückkehr der ägyptischen Unabhängigkeit zu wünschen, es sei denn, alle Bewohner des Niltals fühlten sich trotz der Verschiedenheit der Sprache vor allem als Bauern und als Opfer der gleichen Widerwärtigkeiten. Man hat viel darüber gestritten, ob diese prophetische Strömung durch den jüdischen Prophetismus beeinflußt worden war. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein, denn die Gattung existierte in Ägypten bereits lange, bevor Israel durch die Wüste nach Palästina zog. Das älteste Beispiel ägyptischer Prophetie ist die unter dem Namen »Prophezeiung des Neferty« bekannte Erzählung297, die aus den ersten Jahren der XII. Dynastie stammt und in Wirklichkeit eine Pseudo-Prophezeiung ist, denn sie ist offensichtlich nach den Ereignissen geschrieben worden. Es handelt sich um eine politische Propagandaschrift, in der die Regierung eines Pharao angekündigt wird, der kein anderer ist als Amenemhet I. (2000–1970), sowie die Rückkehr zum Wohlstand nach einer Periode langer Anarchie und entsprechender Schwäche der königlichen Regierung. Denn Amenemhet ist gewissermaßen ein Usurpator, der die vorangegangene Dynastie liquidierte, um in Ägypten die Macht zu ergreifen. Wenn hingegen in der unter dem Namen ›Demotische Chronik‹ bekannten Orakelsammlung bestimmte propagandistische Absichten zugunsten eines bestimmten Herakleopoliten erscheinen, so müssen wir der Tatsache Rechnung tragen, daß dieser Herakleopolite nicht in dem eigentlichen Text der – höchst dunklen – Orakel erscheint, sondern in den Kommentaren, die sie in dem in unserem Besitz befindlichen Manuskript begleiten. Wir können also annehmen, daß in Ägypten, sicherlich seit der Perserzeit, Orakelsammlungen dieser Art zirkulierten, wie ja auch in Europa während schlimmer Zeiten und bis in die letzten Jahre hinein Prophezeiungen im Umlauf waren wie die Centurien des Nostradamus oder die Papstliste des hl. Malachias. Ein kurzes Beispiel aus dieser Literatur wird genügen, ihren Charakter erkennen zu lassen: »Die erste Priesterphyle schließt den Riegel. Das heißt: der Herrscher, der in Ägypten sein wird, er schließt den Riegel. Pharao wird ihn wieder öffnen. Die zweite Priesterphyle hat geöffnet. Die dritte Priesterphyle hat vor der Uräusschlange geöffnet. Das heißt: der dritte Herrscher, der sein wird, über dessen Herrschaft wird man sich freuen.

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Der dritte Rest, der unter den Fremdvölkern sein wird, es freuen sich die Götter über seine Herrschaft. Die Göttin, die kommt, sie bringt den von Herakleopolis zu ihrem Schutz. Das heißt: diese Göttin, welche die Uräusschlange ist, sie bringt den von Herakleopolis, indem sie zufrieden ist, zu ihrem Schutz in den Königspalast. Arsaphes ist es, der dem Herrscher befiehlt, der sein wird. Man pflegt zu sagen: Ein Mann aus Herakleopolis ist es, der nach den Fremdländern und den Joniern herrschen wird.«298 Dies bedeutet wahrscheinlich, daß man unter einem nun endlich einheimischen Herrscher die Verstecke der Tempel, von denen wir gesprochen haben, wieder wird öffnen können. Zweifellos wurden diese Schriften in den kleinen Städten in den Abendstunden gelesen. Man konnte daraus wieder Mut schöpfen, wenn man die Schwierigkeiten des Augenblicks hinter sich gebracht hatte. Diese Schwierigkeiten wurden sehr bald übrigens gleich für die ägyptischen wie für die griechischen Bauern. Daraus erklärt sich, warum diese Prophezeiung in den beiden Sprachen in Umlauf war299, die im späten Ägypten gewöhnlich gesprochen wurden. Gleichgültig, ob der Hellenismus der Bevölkerung des Landes sich seitdem noch an den klassischen Quellen nährte, ob Homer und die Tragiker in den Schulen gelesen und abgeschrieben wurden: die beiden Gemeinschaften müssen sich einander auf bestimmten Ebenen genähert und ihre Solidarität gegenüber dem gleichen Gegner, dem Stadtbürger Alexandrias oder Roms, empfunden haben. Diese Einheit der Bevölkerungsgruppen Ägyptens, die sich in der Zeit anbahnt, in der man die nationalistischen Prophezeiungen ins Griechische übersetzte, wird schließlich verwirklicht werden in den kurzen Jahrzehnten der rein koptischen Epoche, in der es keine Heiden mehr und noch keine Muselmanen geben wird. Die beiden Gemeinschaften stimmen auch in ihrer Haltung zur Astrologie überein. Tatsächlich haben sich die astronomischen und astrologischen Verfahren, die die Babylonier entweder nach der persischen Eroberung oder im 2. Jahrhundert v. Chr. zur Zeit der engsten Kontakte zwischen den Chaldäern und den Griechen erlernt hatten, sowohl im hellenisierten als auch im traditionellen Ägypten verbreitet. Neue Methoden zur Berechnung der Sterntafeln wurden zu Beginn der Ptolemäerzeit eingeführt. Diese Tafeln, auf griechisch oder demotisch, verraten für Ägypten ganz neue Interessen300. So werden die Positionen der Sterne angegeben in Beziehung auf die Zeichen des Tierkreises, der im vorhellenistischen Ägypten unbekannt war. Die Einteilung des Himmels in zwölf ›Häuser‹ war dort nicht geläufig. Es hatte nur die 36 später in die Tierkreisastronomie einbezogenen Dekane gegeben301, deren Aufgänge oder Kulminationen je nach den Epochen302 dazu dienten, die Nachtstunden durch senkrecht und waagerecht zu lesende Gittertabellen anzuzeigen. Die ältesten Exemplare gehen bis auf die erste Zwischenzeit, d.h. bis vor 2000 v. Chr., zurück. Wir verdanken O. Neugebauer vortreffliche Studien303 über diese

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Sterntabellen. Sie bestehen aus Zahlenreihen, deren Sinn man herausschälen und aus denen man die altägyptischen Theorien sowie die Methoden zur Errechnung dieser Tafeln rekonstruieren muß. Offensichtlich konnten diese Tafeln nur dazu dienen, Horoskope aufzustellen. Es handelt sich also wiederum um Vorstellungen, die dem prähellenistischen Ägypten, das den Sternbildern keinen Einfluß auf die irdischen Schicksale zuschrieb, fremd waren. Früher konnte höchstens eine Mondfinsternis als Vorzeichen gelten, und ein Schreiber wundert sich darüber, daß eine Flut über das Land gekommen sei, »ohne daß der Himmel den Mond gegessen hatte ...«304. Doch erst in einem demotischen Papyrus, der aus der Römerzeit stammt und wiederum Erbe einer babylonischen Tradition ist, finden wir die ersten in Ägypten bekannten echten Mondomina; Farbe und Aspekt der Gestirne haben hier ihre Bedeutung, und man analysiert sie genauestens, um die für das ganze Land und seine Nachbarn gültigen Vorzeichen zu ermitteln. Es ist interessant festzustellen, daß andere demotische astrologische Dokumente Voraussagen zum Gebrauch für den Staat, oder richtiger für diejenigen enthielten, die dessen vermutliche Situation im voraus kennen wollten; diese Dokumente waren wohl auch in jenen ländlichen Kreisen verbreitet, die auf die oben erwähnten Prophezeiungen erpicht waren. Dagegen ist ein einziges Dokument auf uns gelangt, das uns mit einer echten Astrologie zum Gebrauch von Einzelpersonen bekannt macht. Diese Astrologie entsprach individualistischen, einer später noch zu besprechenden Tendenz entsprungenen Bedürfnissen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Astrologie von Alexandria aus auf das Land vorgedrungen, was vermuten läßt, daß trotz des oben erwähnten Gegensatzes bestimmte Vorstellungen allen gemein waren. Wir wissen, daß dies für die ganze Antike zutrifft. Es soll hier jedoch nur auf ihr Vorhandensein in Ägypten hingewiesen werden. Das Ansehen Alexandrias auf dem Gebiet der Astrologie war groß genug, um auf ganz Ägypten auszustrahlen, und zwar so stark, daß die Tradition den Ägyptern eine wichtige Rolle zuwies und so die späteren Traktate voll sind von den Namen des Nechepso und des Petosiris, nachweislich Ägyptern, denen man die bedeutendsten Lehrsätze zuschrieb. In Rom selbst genossen die ägyptischen Astrologen das gleiche Ansehen, und es war z.B. ein Ägypter namens Horus, der Properz sein Schicksal enthüllte (IV, IV, 87). Wir haben bereits gesagt, daß der Tierkreis nicht der ägyptischen Tradition angehörte. Doch während die auf demotisch und auf griechisch aufgestellten Sterntafeln offenbar nur profanen Zwecken dienten, wurde der Tierkreis in den Tempeln verwendet. So finden sich auf der berühmten astronomischen Tafel an der Decke im Tempel von Dendara aus dem Anfang der Römerzeit, die übrigens fälschlicherweise »Tierkreis« genannt wird, inmitten der gewöhnlichen ägyptischen Sternbilder die drei Zeichen des Schützen, der Waage und des Steinbocks, die alle drei mesopotamischen Ursprungs sind. Es gab sogar ägyptische Versuche, einen eigenen ägyptischen Tierkreis zu schaffen, dessen

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Zeichen andere Vorbilder hatten als die uns bekannten, und der sich vereinzelt bis ins 18. Jahrhundert erhalten hat305. Trotz mancherlei Aufgeschlossenheit dieser Art bleibt der charakteristischste Zug der Tempel jedoch ihre Strenge gegenüber der Tradition. Eine Treue ohne Servilität übrigens, denn auf allen Gebieten, in der Architektur, der darstellenden Kunst, der Schrift und der Theologie, hat sich die Ptolemäerzeit als erstaunlich schöpferisch erwiesen. Sie hat ihren eigenen Stil, der ihre Monumente auf den ersten Blick erkennen läßt. Dieser Stil ist das Resultat einer selbständigen Entwicklung, die z.B. die Kunst des Reliefs, ohne zu archaisieren (im Gegensatz zu der unmittelbar vorangegangenen Epoche) und ohne Anleihen im Ausland zu machen, verwandelte. Auch die Architektur erneuerte sich. Den ptolemäischen Architekten verdanken wir großartige Entwürfe, genaue Pläne, sowie eine Reihe von Details, die eine reiche Phantasie bezeugen; so z.B. die Kapitelle der Säulen, von denen heute noch unzählige Varianten existieren. Diese künstlerische Schöpferkraft fällt zusammen mit der Kraft des religiösen Denkens dieser Zeit. Wir haben bereits auf die Bemühungen um die Entdeckung einer abstrakten Sprache hingewiesen wie auch auf die Versuche zur Formulierung von Grundprinzipien der Lehre, wie wir ihnen im Corpus Hermeticum begegnet sind. Außerdem haben die ptolemäischen Priester mit den Hilfsmitteln der aus fernster Vergangenheit ererbten Mythologie und Theologie prachtvolle ›Theologische Summen‹ geschaffen, deren Ausdruck die Tempel selbst sind. In ihnen ist alles streng kodifiziert. Das wird klar, wenn man die größten dieser Denkmäler, deren Errichtung manchmal Jahrhunderte gedauert hatte, untersucht und dabei feststellt, daß schon vor der Grundsteinlegung in den Plänen der Architekten und der Dekorateure detaillierte Zeichnungen existierten, in denen auch die kleinsten Inschriften vorgesehen waren. Es gab übrigens in den Bibliotheken der den großen Heiligtümern angeschlossenen ›Lebenshäuser‹ Spezialhandbücher für religiöse Darstellungen. Diese Handbücher enthielten wohl eine Aufzählung der Regeln, nach denen man bei der Aufteilung der Szenen auf die Wände zu verfahren hatte, und ihr Verlust ist um so bedauerlicher, als von der Kenntnis dieser Regeln zu einem großen Teil das Verständnis des ganzen Tempelhauses abhängt306. Subtile Anspielungen und Entsprechungen verbinden die Bilder miteinander, die einander auf gegenüberliegenden Wänden zugekehrt sind, sei es in einem engen Gang, sei es in einem großen Hof, und man entdeckt oft, daß symmetrisch angeordnete Bilder sich ergänzen, so daß nur eins durch das andere verständlich ist und sie manchmal nur die Verdoppelung einer Szene darstellen, die im Ritual nur einmal vorkommt und deren Elemente so aus Gründen eines nicht ausschließlich ästhetischen, sondern vor allem theologischen Parallelismus um eine zentrale Achse verteilt wurden. Man gefiel sich manchmal darin, Bilder von Riten, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, jedoch letzten Endes in ihren Absichten übereinstimmten, einander gegenüberzustellen. So sieht man einerseits das Symbol der Ewigkeit dem Re und dem Osiris in seiner Eigenschaft

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als Mondgott zugeteilt, während auf der gegenüberliegenden Wand eine andere Form des Osiris, dieses Mal die Sonne auf ihrer nächtlichen Reise zum neuen Aufgang, die Symbole der Stärke, der Ausdauer und des Lebens erhält. Die Absichten der Riten sind ein und dieselben: Sicherung einer ununterbrochenen Erneuerung der Zyklen der Himmelskörper. Allein die Summe beider Abbildungen macht die vollständige Darstellung aus. Man muß die beiden Bilder zusammen lesen, um zu erkennen, wie die Erhellung der Erde durch die Sonne und den Mond vor sich geht, ein Ablauf, der nicht verständlich wäre ohne die angenommene Phase einer unterirdischen Reise. Es kommt auch vor, daß lange und komplizierte Rituale durch Dutzende von Bildern dargestellt werden, zwischen denen keine klare Verbindung zu erkennen ist. Doch dem aufmerksamen Betrachter werden gewisse Anzeichen nicht entgehen: so etwa die Verlegung eines Bildes in die Nachbarschaft eines göttlichen Epithets oder Attributs. Dieser ungewöhnliche Platz allein wird dem Kenner die Anordnung der Lektüre anzeigen. In Wirklichkeit haben diese Bilder, von denen ein großer Teil viel zu hoch oder an zu dunklen Stellen angebracht ist, als das man sie wirklich lesen könnte, niemals die Rolle einer Gedächtnisstütze gespielt, sondern sie sind da, um die Fortdauer des Rituals im Tempel zu sichern, selbst wenn kein Priester anwesend war, der es vollzog. Man könnte sagen, daß die Priester von Edfu, Philae und Esne nach dem alten Prinzip der Magie – der Name ist gleichwertig mit dem Ding und das geschriebene Wort gleichwertig mit dem ausgesprochenen Namen – die Ewigkeit der von ihnen für notwendig erachteten Riten sichern wollten, indem sie sie in Stein fixierten, so daß selbst nach ihrem Hingang, wenn niemand sie mehr vollzöge, die Welt weiterhin nach der ägyptischen Ordnung in Gang bleiben könne. Um ihre Sorge zu illustrieren, sei eine Stelle des PseudoIamblichos307 zitiert, der behauptet, daß »alles stabil und ewig bleibt, weil der Lauf der Sonne niemals aufgehalten wird, daß alles intakt und vollkommen bleibt, weil die unaussprechlichen Dinge in Abydos niemals enthüllt werden ...«. Doch wir wissen, was diese unaussprechlichen Dinge in Abydos waren. Es handelte sich um ein Ritual, das im ›Lebenshaus‹ in aller Stille zelebriert wurde, und zwar an einer Statuette des Osiris, dessen Wiedergeburt man feierte, »damit der Himmel nicht zusammenfalle, damit die Erde nicht umstürze und Ra die Götter und die Göttinnen nicht in Asche verwandele«308. Die Priester waren gewiß zutiefst von dem überzeugt, was Pseudo-Iamblichos ausdrückt, und so bauten sie diese soliden und grandiosen Tempel im Gedanken an die Zukunft der Welt. Sie bauten sie, wie sie sagten, für die Ewigkeit. Mehr noch, es gelang ihnen, diese Überzeugung sogar den makedonischen Herrschern beizubringen, die es niemals für unter ihrer Würde hielten, sie finanziell zu unterstützen, sich durch üppige Spenden an bestimmten Zeremonien zu beteiligen und Abgabefreiheiten zu gewähren, die zur Ansammlung der für den Bau und den Unterhalt dieser Tempel erforderlichen Einkünfte notwendig waren. Gewiß, man wird einwenden, daß die Ptolemäer für ihre Großzügigkeit

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gegenüber den Tempeln politische Motive hatten und Macht zu gewinnen suchten. Aber sie mußten sie gleichzeitig anerkennen, und es berichten uns genügend andere griechische Autoren von ihrer Bewunderung für die ägyptische Religion, daß wir annehmen können, die Taktik der alexandrinischen »Pharaonen« habe weit über das von ihren Urhebern gesteckte Ziel hinaus ihre Wirkung gehabt. Es handelte sich also um weitaus mehr als um eine formelle Anerkennung, und offenbar gab es in Alexandria und selbst in der Umgebung der Könige Menschen, die sich für die ägyptische Religion begeisterten. So begann allmählich das mythische Denken das rationalistische wieder zu überwuchern, wie wir bei späterer Gelegenheit noch zeigen werden. Diese aristokratische, nur einer kleinen Zahl gebildeter Priester zugängliche und vollkommen der Erhaltung einer vergangenen Ordnung geweihte Religion verliert sich immer mehr in intellektuellen Feinheiten, deren Erfindungsgabe Bewunderung erregt und den Eindruck zu erwecken mag, die Lehre sei noch voller Lebenskraft. Doch es scheint auch, daß rein formale Sorgen und die ausschließliche Suche nach dem richtigen Ausdruck fast die ganze Kraft der Theologen erschöpften – zum Schaden eines wahrhaft schöpferischen Denkens; und daß die Vollkommenheit des Tempelwesens zugleich auch das Kennzeichen der endgültigen Unfähigkeit zur Weiterentwicklung und Anpassung war. Doch das Tempelsystem besteht in diesem Zustand noch fast sechs Jahrhunderte, geachtet und bewundert, gewissermaßen seine Barockzeit erlebend, und ganz Ägypten wird seine Götter anbeten und noch glauben, daß es notwendig sei, die Riten in der Stille der Heiligtümer zu vollziehen. Doch das Volk findet darin nicht die Befriedigung aller seiner religiösen Bedürfnisse. Neben den Tempeln gab es in Ägypten immer das, was man die Volksreligion nennt, die wir in der Spätzeit näher kennenlernen. Es gibt in diesem Glauben der Massen nichts Gebildetes, nichts Kompliziertes, hingegen einige elementare Vorstellungen, deren Analyse uns helfen wird, die Alltagsprobleme der Epoche besser zu verstehen. Es ist ein Zeichen für die Verzweiflung im Volke, daß man von den Göttern vor allem Heil und Schutz erwartet, daß man ihren Willen im voraus durch die Orakel oder aus Träumen zu erfahren wünscht. Es ist auch ein Zeichen für die Einfügung der Fremden in das ägyptische Leben, daß Griechen und Juden es nicht verschmähen, sich in ihrer Not an die ägyptischen Götter und Orakel zu wenden, und man sie dort nicht zurückweist – trotz des in den Tempeln und in der Literatur gepredigten Fremdenhasses, der manchmal sogar heftige Bewegungen verursacht, wie wir bereits erwähnt haben. So besitzt z.B. Chnum die Gunst der jüdischen Kolonie von Elephantine, trotz des Antisemitismus der Priester, und Osiris-Apis die der Griechen von Memphis. Das Orakel des Zeus-Ammon in der Oase Siwa, etwa fünfhundert Kilometer westlich des Niltals, hat ebensoviele Besucher aus Kyrene wie aus Ägypten. Dies hat übrigens seinen Grund darin, daß das Orakel sowohl von den Griechen wie von den Ägyptern anerkannt wurde und Alexander es für unerläßlich hielt, eine Wallfahrt dorthin zu machen. Von dem Priester, der ihn empfing, wurde er mit

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dem Titel »Sohn des Zeus« begrüßt. Schließlich sind die Sgraffiti an der Orakelstätte des Bes, im Tempel Sethos’ I. in Abydos, in allen Sprachen des östlichen Mittelmeers gehalten. Soldaten und kleine Leute aller Art kümmerten sich eben nicht um nationalistische oder rassische Vorurteile, wenn sie die Hilfe der Götter suchten, denn ihre Sorgen und ihr Elend nahmen keine Rücksicht auf Unterschiede der Rasse oder Herkunft. Manchmal zwar kommt es vor, daß ein Orakel eine rein nationalistische Position vertritt. Doch im allgemeinen entspringt der Erfolg solcher Orakel vor allem einem universal-menschlichen Verständnis.

 Abb. 20: Im Vordergrund: Ruinen des Sanatoriums von Denderah

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 Abb. 21: Der Stier von Medamud

Der Brauch der Götter-Befragung ist gewiß nicht neu in Ägypten. Man kennt dafür Beispiele seit den ältesten Epochen309. Doch seine Verbreitung und vor allem seine Demokratisierung sind ein Zeichen der Zeit. Im übrigen ist dieser Brauch fremden Einflüssen nicht verschlossen geblieben. Man ist sogar versucht zu glauben, daß nach griechischem Vorbild in manchen Tempeln die Praxis der Inkubation eingeführt wurde und in Deir el-Bahari, gegenüber von Luksor, Pilger in den Totentempel der Königin Hatschepsut kamen, um auf prophetische Träume zu warten, die ihnen die beiden Heilung bringenden vergöttlichten Weisen Ägyptens, Imhotep und Amenhotep, Sohn des Hapu – Imuthes und Amenothes des Griechischen – schicken sollten. Für sie hatte man in der Ptolemäerzeit unter dem Felsheiligtum eine tiefer gelegene Kapelle gegraben. In Denderah gab es zu Beginn der uns beschäftigenden Epoche ein besonderes Gebäude mit einem seltsamen Grundriß310, das man als Sanatorium identifizieren konnte. Es bestand in der Hauptsache aus einem Mittelraum, in dem sich auf einem erhöhten, mit religiösen und magischen Inschriften bedeckten Sockel eine Götterstatue und mehrere Badewannen befanden. Durch Kanäle konnte man das zuerst über die Statue und die Inschriften ausgegossene Wasser in den Badewannen auffangen. Die Berührung erfüllte das Wasser mit göttlicher Kraft und der apotropäischen Fähigkeit der Inschriften, über die es geflossen war, und so war es vorzüglich geeignet, deren Wirkung auf die Badenden zu übertragen. Das aus den Wannen überlaufende Wasser verschwand in einem Loch, das in unmittelbarer mythischer Verbindung mit dem »Urwasser« stand, in das das geweihte Wasser so ohne Gefahr der Profanierung zurückkehren konnte. Dies alles war nichts anderes als die erweiterte Anwendung von Praktiken, die seit einiger Zeit in Ägypten bekannt waren, nach denen man Wasser trank, das

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über magische Inschriften gerieselt war oder in dem man die Tinte eines Textes von heilender Wirkung aufgelöst hatte311. Das Sanatorium von Denderah enthielt, um diesen Mittelraum gruppiert, elf Zellen, die nur zur Inkubation gedient haben können. So scheinen verschiedene Heilmethoden gleichzeitig angewandt worden zu sein, abgesehen von der Möglichkeit, daß in einem Tempel wie dem von Denderah richtige Ärzte tätig gewesen sein können, denn die Heilkunde war eine der Aufgaben des ›Lebenshauses‹, das zu jedem Tempel gehörte312. Die Ärzte müssen, nach dem, was wir über die ägyptische Medizin313 wissen, sowohl richtige Arzneien verschrieben und chirurgische Operationen durchgeführt wie auch zu Wundertaten der Magie Zuflucht genommen haben; dies zeigen die zahlreichen auf uns gelangten medizinischen Papyri. Außer den ›medizinischen‹ Heiligtümern, von denen wir gesprochen haben, gab es in Ägypten richtige Orakel, die man über alles befragen konnte, unter anderen das des Stieres Buchis von Medamud bei Luksor. Wir wissen nicht, wie das heilige Tier auf die Fragen antwortete. Zweifellos deuteten spezialisierte Priester die Bewegungen des Tieres für den Auskunft Suchenden. Sogar ein römischer Kaiser, dessen Name leider verlorengegangen ist, hat es nicht verschmäht, den Stier zu befragen, und die Inschrift auf dem Erinnerungsrelief, das er in dem Tempel anbringen ließ, unterrichtet uns, daß »der große Stier seine Stellung nach der Stimme des Kaisers richtet, daß er sich nach seinen Worten bewegt, und daß er sich freut, wenn er auf ihn zugeht«314. Die Würde des Fragestellers rechtfertigt solche Macht über das heilige Tier, denn der Pharaokaiser ist selbst ein Gott. Wie seinesgleichen antwortet ihm der Stier: »Mein Orakel für dich lautet, daß ich sagen werde, was du willst, daß mein Herz zu deinen Diensten sein wird von der Höhe des leuchtenden Bereichs herab.« Man kann daraus schließen, daß gewöhnliche »Klienten« sich damit begnügen mußten, auf die Bewegungen des Tieres zu warten, wenn sie ihr Schicksal ermitteln wollten. Auch in Memphis gab es rings um das Serapeum eine ganze Industrie der Zukunftsenthüllung. Der Gott gab Orakel, und ihre Deutung oblag verschiedenen Personen, unter ihnen jene berühmten, nur durch griechische Dokumente bekannten Einsiedler (katochoi), die manchmal dem Gott als Vermittler dienten, indem sie seinen Willen kundtaten, den er ihnen im Traum mitgeteilt hatte. Dies alles setzt eine Art von Schicksalsgläubigkeit voraus, die in Ägypten immer existiert hatte, ohne jedoch die Bedeutung anzunehmen, die sie in Griechenland besaß315. Ägypten kannte nicht die Tragik einer Moira, gegen die selbst die Götter nichts vermögen. Vielmehr halten die Götter das Schicksal in ihren Händen, sie sind seine Meister. Und über sie hinwiederum übt der Mensch durch seine Riten eine gewisse Macht aus. Gegen Ende der ägyptischen Geschichte jedoch führten die Schwierigkeiten, mit denen jeder zu kämpfen hatte, schließlich dazu, daß man an der Unfehlbarkeit des Systems und an der realen Macht des Menschen über die Götter zweifelte; und ein Skeptizismus, der sich bereits in früheren schlechten

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Zeiten geäußert hatte, trat wieder auf und verbreitete sich. Doch dieser Skeptizismus impliziert den Verzicht des Menschen auf eigene Verantwortlichkeit, also eine Stärkung des Glaubens an ein allmächtiges Schicksal. Wir müssen annehmen, daß dieser Verzicht weiter ging als jemals während der vergangenen Jahrhunderte, denn der Glaube an das Schicksal gewann entscheidend an Bedeutung. Man muß deshalb den besonderen Heroismus hervorheben, der die Verfechter der traditionellen Religion und ihres Epilogs, des Hermetismus, beseelt haben muß und der sie trotz allem dieses Gefühl für die intellektuelle Verantwortlichkeit des Menschen vor der Welt bewahren ließ. Das Volk war enttäuscht, es sah die Unordnung, die die andern zu leugnen sich bemühten, indem sie weiter den Göttern in ihren Tempeln der Maat opferten; es erlebte die fremden Besatzungen, die wachsende Steuerlast, die vielfältigen Streitigkeiten. Und obwohl es immer noch an die Nützlichkeit der Tempel und der Riten, die in ihnen vollzogen wurden, glaubte, wünschte es nun, sich unmittelbar an die Götter zu wenden. Das Volk hatte aus der Vergangenheit die Vorstellung bewahrt, daß die Götter über das Schicksal herrschten, aber es stellte sie sich menschlicher vor und somit zugänglicher für Gebete316. Die Götter in Ägypten wurden die Herren des individuellen Schicksals – der Mensch ist nur Lehm und Stroh, und Gott formt ihn täglich nach seinem Belieben, sagt ein Moralist –, so daß diejenigen rasch die beliebtesten wurden, die das Schicksal umformen konnten, wie Serapis und Isis, »die die Heimarmene besiegte, der die Heimarmene gehorcht«317. Dieser Fähigkeit zweifellos verdankte die Göttin ihren ungeheuren Erfolg im Ausland318. Und dieser Erfolg wog den des Christentums gerade in den Jahrhunderten auf, in denen die ausgehende Antike auf der Suche nach einem Weg war, um der unausweichlichen Fügung zu entkommen, die auf ihr lastete wie nie auf einer anderen Epoche. Ägypten hat auf seine Weise reagiert. Es hat die Unterstützung der Götter gesucht, die den Menschen am nächsten waren, die Unterstützung der heiligen Tiere und der übernatürlichen Wesen, die sich nicht tief in den Heiligtümern verbargen, sondern denen man jeden Tag begegnen konnte. So konnte ein Gott Erfolg haben, der keinen andern Namen besaß als »der Retter«, was wegen eines Gleichklangs auch »der Beschwörer« heißen kann. Durch die Magie seiner Formeln hielt er von seinen Anhängern die bösen Wesen ab, Skorpione und Schlangen, von denen es in Ägypten wimmelte, aber auch die unsichtbaren, durch die Tiere symbolisierten Übel319. Die ägyptischen Götter der Spätzeit sind »allwissend und vorwissend« geworden320, sie erhören die Gebete und helfen ihren Verehrern mit Wohlwollen. Obwohl der Gott, der Gebete erhört, seit dem Neuen Reich durch Dokumente bekannt ist, die im allgemeinen aus niederen Kreisen stammen, darf man nicht übersehen, daß diese Vorstellung sich in der Spätzeit verbreitete: sie ist ein Zeichen dafür, daß die Bedürfnisse der unteren Volksklassen der klassischen Zeit diejenigen aller Menschen geworden sind. Diese Entwicklung

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geht so weit, daß selbst in der Tempelreligion Spuren dieser neuen Auffassung der Gottheit zu finden sind, wo man sie früher nie gesucht hätte321. Wenn auch die verschiedenen Völker Ägyptens sich um bestimmte Heiligtümer sammelten und auch wohl eine gewisse religiöse Gemeinschaft existierte, wenn auch alle in ihrer gemeinsamen Not die Hilfe der ägyptischen Götter erflehten, so kann man doch nicht sagen, daß eine echte religiöse Einheit zwischen ihnen bestand. In Wirklichkeit waren in den hellenistischen Städten die griechischen Tempel für die griechischen Götter da, in den jüdischen Gemeinden praktizierte man den jüdischen Kult, während die Ägypter niemals diesen fremden Kulten huldigten, obwohl sie sich während des Mittleren Reiches für die palästinensischen und die phönikischen Götter wie Reschef, Hurun, Anat usw. sehr empfänglich gezeigt hatten. Man kann nur mit Mühe einige Beispiele des Kultes der Dioskuren – der Rettergötter! – auf dem Lande, außerhalb der griechischen Städte, belegen322. Zuweilen läßt sich auf Streitigkeiten und Diskussionen schließen, die die Zweckmäßigkeit der praktizierten Kulte betreffen. So macht uns ein Grab in Tuna el Gebel, der Nekropole von Hermopolis, mit dem Epigramm auf einen Mann bekannt, der behauptet, ein wohlriechender Leichnam zu sein323, d.h. der nach hellenischem Brauch verbrannt wurde, um sich so von seiner ägyptischen Umgebung zu unterscheiden, die sich mumifizieren ließ. Hermopolis, gleichzeitig ein altes Zentrum ägyptischer Religion und eine hellenisierte Stadt, muß ein besonders günstiger Ort für Auseinandersetzungen über solche Themen gewesen sein, um so mehr, als die verschiedenen Gemeinden trotz unterschiedlicher Anschauungen in freundschaftlichem Kontakt miteinander lebten. Auf einer anderen Ebene mochten gewisse große Geister den Wunsch gehabt haben, die verschiedenen ethnischen Gemeinschaften, die in Ägypten lebten, in eine einzige zu verschmelzen. Die Herrscher haben dies auf politischer Ebene angestrebt, doch weiß man, daß sie gescheitert sind. Bei der weiteren Beschreibung des geistigen Lebens im ptolemäischen Ägypten wollen wir uns erinnern, welche Versuche einer Synthese der entgegengesetzten Glaubensrichtungen unternommen wurden. Ptolemaios Soter, der Begründer der Dynastie, hatte einen grandiosen Plan entworfen: nämlich die Vereinigung seiner Untertanen in dem Kult eines einzigen Gottes. Diesen zu schaffen, vertraute er zwei hervorragenden Persönlichkeiten an, Timotheos, dem Eumolpiden, aus der berühmten Priesterfamilie von Eleusis, und Manetho aus Sebennytos, einem hellenisierten Priester des Klerus von Heliopolis. So entstand aus einem Kult, der sowohl bei den Griechen als auch bei den Ägyptern in Memphis beliebt war, der des Osiris-Apis, der stark hellenisierten Gestalt des Sarapis. Vielleicht war er zu sehr hellenisiert, denn er verbreitete sich niemals wirklich in Ägypten, eroberte hingegen die ganze übrige Welt. Sarapis wurde sehr rasch der mächtigste Gott, der über alle Welt herrschte, während er gleichzeitig der barmherzige Beschützer der Armen war324.

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Der genannte Manetho verfaßte mehrere griechische Werke, die dazu bestimmt waren, sein Land besser bekannt zu machen. Außer einer Geschichte Ägyptens verdanken wir ihm noch eine Abhandlung über die Naturlehren (physica), in der er – soweit die wenigen auf uns gelangten Fragmente erkennen lassen – versuchte, die kosmischen Funktionen der ägyptischen Götter verständlich zu machen und ihre verschiedenen Auswirkungen als ein System von Symbolen zu interpretieren. In seinem Buch ›Über das alte Ritual und die Frömmigkeit‹ scheint er eine Beschreibung der Riten und Mythen unternommen zu haben, die er mit jenen gleichzusetzen suchte, die die Griechen in ihrem eigenen Lande kannten. Man kann in diesem Falle kaum noch von einem Versuch zur Synthese sprechen. Bei Manetho liegt höchstens der Wunsch vor, das Interesse für solche Dinge zu wecken, die seinen griechischen Lesern nicht mehr fremd erschienen, sobald er behauptete, daß seine Götter die ihren seien; so waren übrigens schon die Griechen, z.B. Herodot, verfahren. Doch es gab ernstere und wirklich vereinigende Tendenzen, deren schwaches Echo bis zu uns gelangt ist. Plutarchs berühmte Abhandlung über Isis und Osiris z.B. bietet uns eine Interpretation des Osirismythos nach den verschiedenen griechischen philosophischen Schulen325. Wir wissen, daß Plutarch zahlreiche Werke benutzt, um das seine zu schreiben, und er sich oft damit begnügt hatte, zu wiederholen, was seine Vorgänger – darunter Ägypter – gesagt hatten. Wie schwierig es auch sein mag, festzustellen, ob diese Anstrengungen zur Versöhnung zweier unversöhnlicher Denkweisen ein größeres Publikum interessierten, so sind wir jedenfalls sicher, daß es in Alexandria einen Kreis gab, der leidenschaftlich wünschte, eine Synthese zwischen den beiden entgegengesetzten Traditionen der Mythologie und der Philosophie zu vollziehen. Das unmögliche Unternehmen hatte kaum Erfolg. Doch kennt man etwas das Werk des Bolos von Mendes326, der den tollkühnen Versuch unternommen hatte, das Denken der ›Weisen‹ und die Physik des Demokritos zu der ersehnten Einheit zusammenzuschmelzen. Ein weiterer Versuch zur Synthese wird im späten Hermetismus unternommen, von dem wir bereits gesprochen haben. Ägyptischen Ursprungs und echt ägyptisch in seinen Grundsätzen327, hat er hier und da religiöse Ideen entliehen und drückt sich in einem ganz der philosophischen Sprache entnommenen Griechisch aus328. Doch zeigt er Verachtung für die Griechen, von denen er, wie erwähnt, behauptet, sie seien unfähig, jemals die Tiefe der ägyptischen Lehre zu begreifen. Wenn bei den ausgleichenden Bemühungen von Manetho und seinesgleichen nichts weiter herausgekommen ist als einige Bücher über Geschichte und Archäologie Ägyptens und der Hermetismus nichts anderes erzeugt hat als einen stolzen Verzicht, so ist dagegen aus dieser Tendenz zur Synthese eine esoterische und bizarre Literatur hervorgegangen, in der schließlich das irrationale Element die Oberhand gewann und deren letzte Ausläufer Alchimie

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und Magie waren ... bis in unserer Zeit die wunderlichen Lehren der Anthroposophie und der anderen Mystifikationen entstanden, die in der ägyptischen Mythologie den Ausdruck moderner Erkenntnisse zu sehen glauben. Als der – übrigens wohl unfreiwillige – Begründer der Alchimie kann vielleicht Bolos betrachtet werden, wie Festugière meint, da er eine Abhandlung über das Färben verfaßt hat. Noch ausschließlich mit der Technik beschäftigt, lehrte er die ägyptischen Methoden, nach denen man die Farbe der Dinge ändert, so wie man irgendeinen Stein in Gold verwandelt ... indem man ihn bemalt. Das waren die alten, seit Jahrtausenden bei der Ausschmückung der Tempel angewandten ägyptischen Verfahren der Plattierung. Leider wurde dieser Kunstgriff von sensationshungrigen Lesern sehr schnell ernst genommen, und der Weg zur vergeblichen Suche nach dem Stein der Philosophen war frei ... Einen letzten Versuch zum Ausgleich unternahmen schließlich in Ägypten die Magier, die – übrigens aus rein materialistischen Gründen – mit Eifer an einer Synthese der verschiedenen ihnen bekannten Glaubensrichtungen arbeiteten. Gewiß, die Magie ist in Ägypten ein uralter Brauch, und soweit die Religion auf dem Glauben beruht, daß man durch Riten auf die Götter einwirken kann, um sie zu zwingen, die Naturkräfte in dem vom Menschen gewollten Sinne zu handhaben, kann man sagen, daß sie magisch ist. Doch was man in der griechisch-römischen Zeit Magie nennt, ist ein pragmatisches System, das zwar auf den gleichen Prinzipien beruht, jedoch anders angewendet wird: diese Magie nützt dem Individuum und wird um begrenzter Vorteile willen angewendet und nicht mehr, um eine Vorstellung aufrechtzuerhalten, von der die Integrität der wirklichen Welt abhängt. Diese Magie begnügt sich damit, eine solche Vorstellung zu benutzen, wie sie sich einer andern bedienen würde, ohne sich ihrer je bewußt zu werden. Unser Wissen stammt hier aus einigen in Demotisch, Griechisch oder Koptisch und manchmal in zwei Sprachen gleichzeitig verfaßten Papyri329. Die Vielzahl der Sprachen ist ein Zeichen für die Einheitlichkeit des Glaubens über alle Unterschiede der Völker hinweg, und sie ist der Beweis für eine Gemeinsamkeit der Vorstellungen auf einer bestimmten Ebene, wie wir sie bereits bei der Volksreligion festgestellt haben. Es scheint wohl, daß Alexandria das Zentrum war, in dem dieses System der Magie entstand, denn hier war offensichtlich der einzige Treffpunkt der ägyptischen, griechischen und jüdischen Gelehrten, die alle ihren Beitrag zum Ganzen leisteten. Kosmopolitismus ist einer der charakteristischsten Züge dieser Magie. Die Magier wissen genau, was sie jeweils Ägypten, den Griechen und den Juden verdanken, doch trotz all der Unverträglichkeiten, die wir zwischen den einzelnen Rassen festgestellt haben, scheinen sie stillschweigend eine tiefere menschliche Gemeinsamkeit angenommen zu haben, weil das, was dem einen nützt, auch den andern nützen wird. Wichtig ist nur, dem Individuum in dieser Welt zu helfen, und zwar durch eine Kunst, die niemand, hochmütigerweise, aus eigener Kraft zu beherrschen

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meinen wird. Die hellenistische Magie läßt also angesichts der Verwirrung der Völker, die den Glauben an die traditionellen »Werte« ihrer verschiedenen Kulturen verloren haben, ein Gefühl der Gemeinsamkeit vermuten, von dem wir bereits bei der Behandlung der Volksreligion gesprochen haben. Es ist also nicht so überraschend, sie parallel zum Christentum, dessen letzte Bestrebungen jedoch nichts mit den ihren gemein haben, entstehen und sich entfalten zu sehen330. Für den hellenistischen Magier verdient jede von den Menschen anerkannte und ihm selbst bekannte Macht angerufen zu werden. Er wendet sich daher ebenso gern an die alten ägyptischen Götter wie an die griechischen Heilsgottheiten; Jahwe herrscht neben Seth oder Hermes-Thot, umgeben von den Erzengeln und den aus der Gnosis stammenden Äonen. Man begegnet selbst Christus, der in sich die Macht eines Gottes und eines bösen Toten vereinigt, ist er doch eines gewaltsamen Todes gestorben331. Ohne jeden Fanatismus haben die hellenistischen Magier alle Auffassungen des Göttlichen akzeptiert, die sie kennenlernten, überzeugt, daß sie der fundamentalen Einheit Gottes entstammten332. Henotheistische Erklärungen von der Art wie »Einer ist Gott Soundso« sind häufig. Das Wichtigste für den Magier ist von nun an, eine Vorstellung von Gott zu finden, in der die Macht, derer er sich bedienen will, sich erkennen und mit der diese sich handhaben läßt. So erklären sich die endlosen Reihen komplexer, barbarisch klingender Namen, aus Furcht etwas zu vergessen, oder die zusammengesetzt sind nach einer abstrusen Mystik der Zahlen und des Alphabets; daher auch die aus Teilen traditioneller Götterbilder zusammengesetzten Darstellungen und schließlich, um welchen Preis geistiger Anstrengung, synthetische Götter, in denen man Gegensätzliches zu vereinigen versucht hatte, wie jene, deren Existenz Stricker nachgewiesen hat333. Es ist unmöglich, ihnen Gestalt zu geben oder sie zu nennen, man kann sie jedoch durch unaussprechliche Symbole darstellen, in denen sich Himmel und Erde in der Gestalt eines Geiers oder eines Krokodils vereinen, während die Extreme manchmal verbunden sind durch einen Löwen, das Bild der irdischen Kräfte. Noch vollkommener jedoch war die im ›kopflosen Gott‹ verwirklichte Synthese334. Diese gräßliche Gestalt eines Enthaupteten, der mit der ganzen Macht des gewaltsam Gestorbenen ausgestattet ist, vereint in sich Seth und Osiris unter dem Namen Jao, der wiederum kein anderer ist als der »von den Propheten Israels Verkündete, Jahwe«. Nach einem magischen Papyrus wird dieser Gott mit gegensätzlichem Charakter dargestellt. Sein Schweiß ist der fruchtbare Regen – wie der Schweiß des Osiris –, aber er ist auch das ewige Feuer, der Blitz und der Donner, wie Seth. Diese Bemühungen, die Einheit der Macht auszudrücken, die die Welt beherrscht – wir kennen eine erstaunliche Darstellung des kopflosen Gottes, auf der Erde stehend, die ihrerseits auf der Hölle ruht335 –, mögen befremdlich erscheinen. Sie sind deswegen nicht weniger bewegend und enthüllen eine Geisteshaltung der hellenistischen und römischen Jahrhunderte, die unsere Epoche zweifellos mit Sympathie betrachten wird, da

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sie selbst von der Notwendigkeit neuer Synthesen durchdrungen ist. Unter den damaligen Verhältnissen einer demoralisierten Welt, wie sie uns eine entsprechende Stelle des Asclepius zeigt336, stellt die Magie, so seltsam dies auch unserem modernen Denken erscheinen mag, eine optimistische Strömung dar. Während die Anhänger des traditionellen Glaubens den Zusammenbruch der Welt, in der sie leben, und mit ihm den des ganzen Universums voraussehen, glauben die Magier an die Macht des Wortes und des Ritus, auf die die alte Welt gegründet war, und wissen neue, den neuen Bedürfnissen angepaßte und auf einer neuen Auffassung vom Menschen gründende Riten zu schaffen. Während der alte Ägypter sich als Glied Ägyptens fühlte, der Jude Teil des Lebens seines Stammes war und der Grieche Bürger einer Stadt, sterben in der hellenistischen Welt Ägyptens Stamm und Stadt, während der Begriff des Staates zunächst nur einer intellektuellen Minderheit vertraut ist und weder der Fellache noch der griechische Landbewohner in ihn einbezogen sind. Alles, was blieb, ist ein von den ägyptischen Vorfahren ererbter Glaube an die umfassende Macht des Geistes, der fähig ist, die Natur dem Willen des Menschen zu beugen. Jetzt denkt man nur noch daran, sie nach dem Willen des einzelnen zu beugen, denn es geht jedem darum, sich selbst zu retten. Alles, was wir beim Studium der Zeugnisse später Magie entdecken konnten, läßt vermuten, daß die Ägypter, die diese Lehre aufstellen halfen, Priester gewesen sein müssen, denn sie allein konnten das Wissen von den Riten und den Mythen, das wir in den Verordnungen finden, besitzen, und sie dürften vor allem fähig gewesen sein, die Mechanismen zu verstehen, nach denen das magische Denken abläuft. Sie waren zweifellos jene der Bibel unter dem Namen Chartummim bekannten ›Oberritualisten‹, die sowohl in den Riten der Religion bewandert als auch zu regelrechten Gaukeleien fähig waren, die zumindest die Illusion der Macht erweckten. Es ist verlockend, ihnen die Anfänge der griechisch-ägyptischen Magie zuzuschreiben und anzunehmen, der moralisch höherstehende, doch dem Alltagsleben fremde Hermetismus sei das Werk einer stark hellenisierten Priesterschaft hohen Ranges, die zwar von den praktischen Problemen isoliert, jedoch fähig war, das Ganze der Lehre zu erfassen und es dank der neuen Mittel, die das Ausland ihr zur Verfügung gestellt hatte, nachzuvollziehen. Dies war, in seiner Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit, das geistige und intellektuelle Leben des späten Ägypten; eine Welt des Steins noch und der Bronze, während die übrige Welt bereits das Eisen verwendete, eine Welt, deren Denken ebenfalls noch das alte geblieben war. Getreu seinen Prinzipien von einstmals und seinen erprobten Methoden benutzte dieses Ägypten seine letzten Kräfte, um dieses Denken noch bis zu seinen äußersten Möglichkeiten vorzutreiben. Und dies eben war die Quelle seines ungeheuren Ansehens bei den jungen Völkern, die mit ihm in Berührung kamen.

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Ägyptens »Theologie der Wortspiele« brachte damals in den Tempeln von Edfu, Philae und Esne ihre vollkommensten Meisterwerke hervor, und seine Mythokosmologie ging dort noch auf die kleinsten Details der Welt ein. Doch es scheint sich nicht bewußt gewesen zu sein, daß es alle seine Kräfte der Vervollkommnung einer Vorstellung weihte, die sich nach und nach von der Wirklichkeit gelöst hatte und mit deren Hilfe man eben diese Wirklichkeit nicht länger beherrschen konnte, wie in der Vergangenheit. Während die letzten Hierogrammaten den Tempel von Edfu bauten und die Ordnung des Universums, die er so glänzend verkörperte, weiter zu erhalten suchten, indem sie alle Spitzfindigkeiten ihres Wissens dort eingravierten, bauten die Griechen auf ägyptischem Boden, in Alexandria, das Museum, in dem Eratosthenes, Euklid und so viele andere die ersten Pläne einer ganz neuen Welt entwarfen. Durch sie sollte das Wort der Zahl weichen. II. Syrien in der hellenistischen Zeit Syrien ist unter der Herrschaft der Perser von 534 bis 332 v. Chr. eine einheitliche Provinz unter einem persischen Satrapen gewesen, ein Zustand, der auch unter Alexander beibehalten worden ist. Erst seit dem Jahre 301 hat sich dies grundlegend geändert. Seitdem Ptolemaios L, der König von Ägypten, in dem Kriege der Diadochen gegen Antigonos Monophthalmos das südliche Syrien okkupiert hatte, ist dieses auch unter der Ptolemäerherrschaft verblieben, und zwar fast genau ein Jahrhundert lang, bis zur Schlacht bei Panion an den Jordanquellen (200 v. Chr.). In diesem Jahr ist auch das südliche Syrien in die Hände der Seleukiden, und zwar des Königs Antiochos III. (223 bis 187), übergegangen. Das nördliche Syrien dagegen, offiziell ›Seleukis‹ genannt, hat sich seit der Reichsteilung von Triparadeisos (321) im Besitz des Antigonos I., seit seinem Tode auf dem Schlachtfelde bei Ipsos (301) unter der Herrschaft des Seleukos I. befunden. Die Grenze zwischen dem ptolemäischen und dem seleukidischen Teil Syriens ist seit 301 allem Anschein nach der Fluß Eleutheros (Litani) gewesen. Der Eleutheros mündet zwischen Simyra und Orthosia ins Mittelmeer, d.h. die Grenze liegt an der Küste südlich der Stadt Marathos. Der Grenzverlauf im Binnenlande ist dagegen nicht mit Sicherheit festzustellen, es mag hier nur soviel gesagt sein, daß Damaskus und seine Umgebung zum Ptolemäerreich gehört haben. Allerdings ist Damaskus im Ersten Syrischen Krieg (wahrscheinlich im Jahre 274) an die Seleukiden gefallen, das seleukidische Gebiet reichte seitdem im Binnenland sehr viel weiter nach Süden als an der Küste: Wahrscheinlich ist der Antilibanon bis hin zu den Jordanquellen in ungefähr nord-südlicher Richtung die Grenze zwischen den beiden hellenistischen Reichen gewesen337. Für das ptolemäische Ägypten aber stellte das südliche Syrien mit den phönikischen Metropolen ein ungemein wertvolles Besitztum dar: Ägypten war ein Land ohne Wälder, man brauchte die Zedern des Libanon, und es ist nicht verwunderlich, wenn schon die Pharaonen immer wieder Kriegszüge nach

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Syrien unternommen haben wie der große König Thutmosis III., der im 15. Jahrhundert v. Chr. sogar den Euphratstrom (»das Wasser, das in der verkehrten Richtung fließt«) erreicht und sogar überschritten hat. Die Flotte der Ptolemäer wurde im wesentlichen durch die Schiffe der großen phönikischen Seestädte gestellt, unter den Admiralen des ersten und des zweiten Ptolemäers erscheint nicht durch Zufall der König von Sidon, Philokles. Die Ptolemäer haben das südliche Syrien als ein einziges großes Generalgouvernement verwalten lassen, es trug offiziell den Namen ›Syrien und Phönikien‹, während die Geschichtsschreiber, unter ihnen auch Polybios, es in der Regel als Koile-Syrien bezeichnen. Das Land war einem Gouverneur (Strategen) unterstellt, an seiner Seite wirkte ein ›Beauftragter für die Einkünfte von Syrien und Phönikien‹. Im übrigen aber war das Land in eine Anzahl von Hyparchien eingeteilt, dies wahrscheinlich ein Erbteil der Alexanderzeit. Außerdem gab es eine Reihe von Gebieten, die von der unmittelbaren Verwaltung ausgenommen waren; dies gilt insbesondere für die phönikischen Seestädte, aber auch für die Gebiete einheimischer Potentaten wie für das Land des Scheichs Tubias in der Ammonitis, der die Ptolemäer durch die Übersendung seltener Tiere für den zoologischen Garten in Alexandrien bei guter Laune zu halten wußte. Die Seleukiden haben nach der endgültigen Eroberung des Landes im Jahre 200 die ptolemäische Verwaltung in Südsyrien im wesentlichen unverändert übernommen. Insbesondere mit den Juden wußte sich Antiochos III. gut zu stellen; wenn wir Josephus (Ant. Jud. XII 138–144) Glauben schenken dürfen, so hätte dieser König nach dem Übergang Jerusalems in seine Herrschaft den Juden die Privilegien in feierlicher Form bestätigt. In Nordsyrien dagegen lagen die Dinge insofern etwas anders, als der Gründer der Dynastie, Seleukos I. (gest. 281), hier eine besonders große Zahl von makedonischen Städten angelegt hatte. Seleukos I. hatte den Versuch unternommen, aus Nordsyrien (und aus den angrenzenden nordmesopotamischen Gebieten) ein neues Makedonien zu schaffen. Dem Historiker Appian (2. Jahrhundert n. Chr.) entnehmen wir eine höchst aufschlußreiche Liste makedonischer und griechischer Gründungen in dem nordsyrischen Raum (Appian, Syriaké 57): Von 16 Städtenamen sind 10 makedonisch, nur 6 dagegen griechisch. Die Städte mit makedonischen Namen sind die folgenden: Beroia, Edessa, Perinthos, Maroneia, Kallipolis, Pella, Amphipolis, Arethusa, Astakos und Apollonia. Außerdem gibt es in Nordsyrien noch makedonische Landschaftsnamen wie die Kyrrhestiké (der Name kommt von der makedonischen Stadt Kyrrhos) und Pierien. Vor vielen Jahren hat Ernst Kornemann diesen Befund in dem Sinne gedeutet, daß er die These aufstellte: »Seleukos I. hat weder hellenisiert in landläufigem Sinne noch hat er Völker verschmelzen wollen, er hat vielmehr in schärfster Reaktion gegen Alexanders Politik von vornherein, sagen wir kurz, makedonisiert.«338 Es besteht kein Zweifel, daß Kornemann hier etwas Richtiges gesehen hat, wenn seine These wohl auch über das Ziel hinausschoß. Nordsyrien – daran darf festgehalten

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werden – war der Kern des Seleukidenreiches, hier lag auch die Hauptmacht des seleukidischen Heeres, z.T. in Garnisonen wie in dem reichen Antiocheia am Orontes, der ›Reichshauptstadt‹, die Seleukos I. an der Stelle des von Antigonos Monophthalmos stammenden Antigoneia begründet hatte, dazu aber auch in zahlreichen Katökien (›Niederlassungen‹), in Militärkolonien: Hier lebten die ›Soldaten des Beurlaubtenstandes‹, nach militärischen Formationen angesiedelt. Sie gingen ihrer friedlichen Arbeit nach, bis sie im Kriegsfall der Mobilmachungsbefehl (das parángelma) des Königs zu den Waffen rief. Die bedeutendsten Städte in Nordsyrien waren neben Antiocheia vor allem Apameia, Laodikeia und Seleukeia, die beiden letzten am Meere gelegen; Seleukeia hat übrigens längere Zeit (von 246 bis 219 v. Chr.) zum Ptolemäerreich gehört, das sich damit einen wichtigen Flottenstützpunkt in Nordsyrien erworben hatte. Über die seleukidische Verwaltung Nordsyriens (der Seleukis) ist wenig bekannt, wir wissen nur, daß in Seleukeia in Pieria, wie die Stadt offiziell hieß, ein königlicher Gouverneur (Epistates) regierte, der über die städtischen Angelegenheiten die Aufsicht führte, wie dies aus einem inschriftlich erhaltenen Brief des Seleukos IV. vom Jahre 186 v. Chr. hervorgeht339. Die Seleukis als ganzes dürfte einem Strategen unterstellt gewesen sein, möglicherweise ist Bakchides, der im Jahre 161/60 v. Chr. mit Teilen des Reichsheeres gegen die Makkabäer eingesetzt worden ist, ein solcher StatthalterStratege gewesen. Wie dem nun auch sein mag, es ist sicher, daß die Seleukis gegen Ende des 2. Jahrhunderts in vier selbständige Satrapien, entsprechend den vier großen Metropolen des Landes, eingeteilt erscheint. Schon vorher ist von ihr die Landschaft Kommagene als eigene Satrapie abgetrennt worden, deren Herrscher sich vor der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. vom Seleukidenreich emanzipiert hatte. In dem seleukidischen Südsyrien wurden die Verhältnisse für die Regierung durch den Aufstand der Makkabäer außerordentlich schwierig, was auch in der Verwaltung seinen Niederschlag gefunden hat: So ist das große Generalgouvernement ›Syrien und Phönikien‹ im Jahre 162 durch ein anderes ersetzt worden; dieses erstreckt sich nun von Ptolemaïs bis zur ägyptischen Grenze und hat in dieser Ausdehnung bis zum Jahre 137/36 v. Chr. bestanden. In der Veränderung spiegelt sich die Wirkung des Makkabäeraufstandes, der in Palästina auf vielen Gebieten revolutionär gewirkt hat. Im 2. Jahrhundert v. Chr. setzen die Emanzipationsbestrebungen der großen phönikischen Städte ein, gegen Ende des Jahrhunderts gibt es kaum noch irgendeine größere Stadt, die nicht in den Besitz der Autonomie und der Asylie, zumeist auf Grund einer Verleihung durch die Seleukidenherrscher, gelangt wäre. Der Aufstieg der phönikischen Metropolen läuft zu dem Niedergang der seleukischen Reichsgewalt mehr oder weniger parallel. Die Kräfte der Seleukiden waren durch die Auseinandersetzung mit Rom, später mit den Parthern, überfordert, dazu entstanden durch das Emporkommen lokaler Dynastien dem Reich immer neue Gegner, die nicht mehr im Zaume gehalten werden konnten. Als im Jahre

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83 v. Chr. Tigranes von Armenien den Rest des einst so stolzen Seleukidenreiches mit seiner eigenen Herrschaft vereinigte, da waren von ihm nur noch Teile Kilikiens und Syriens übriggeblieben. Den Schlußstrich hat Pompeius gezogen. Nach einer kurzen Zwischenregierung des letzten Seleukiden Philippos (69–64) verwandelte Pompeius die nordsyrischen Gebiete und die Territorien der phönikischen Städte bis Ptolemaïs in die römische Provinz Syrien (64/63 v. Chr.). Das ist das Ende eines ruhmvollen Reiches und einer bedeutenden Dynastie, die in der Geschichte Vorderasiens zwei Jahrhunderte eine führende Rolle gespielt hat. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß die Bevölkerung Syriens die fast genau 100 Jahre währende Teilung des Landes zwischen den Ptolemäern und Seleukiden (301–200 v. Chr.) als ein besonderes Unglück betrachtet hätte. Wenn die Menschen in Syrien durch etwas bedrückt wurden, so waren dies die unaufhörlichen Kriege, die zwischen den beiden Dynastien um den Besitz des südlichen Teils des Landes geführt worden sind. Nicht weniger als sechsmal haben die Ptolemäer und Seleukiden in der Zeit zwischen 274 und 145 v. Chr. wegen Südsyrien die Klingen gekreuzt, ohne daß die Friedensschlüsse irgendwelche größeren Veränderungen zugunsten des einen oder des anderen Kontrahenten gebracht hätten. Immer wieder ist die syrische Frage der Zündstoff gewesen, der die hellenistische Staatenwelt in Brand gesetzt hat. Trotz der intensiven Hellenisierung und Makedonisierung Syriens hat sich überall, vor allem aber auf dem flachen Lande, das einheimische Bevölkerungselement mit besonderer Zähigkeit gehalten. In den Städten der Phöniker, aber auch bei den Juden in Jerusalem, hat der Hellenismus manche Eroberung gemacht, Griechisch war hier die Sprache der Gebildeten, und die meisten Städte besaßen ein Gymnasion, das hier den Mittelpunkt der hellenischen Bildung und des griechischen gesellschaftlichen Lebens darstellte; viele hatten auch ein griechisches Theater. Die bodenständige Bevölkerung hielt jedoch überall an ihren angestammten Überlieferungen, vor allem aber an ihren Göttern, fest, und über die einheimischen Frauen haben die orientalischen Göttergestalten vielfach Eingang in das Pantheon der Griechen und Makedonen gefunden, nur mit dem Unterschied, daß bei diesen an die Stelle des orientalischen Namens ein griechischer getreten ist. So mögen unter so manchen griechischen Götternamen, welche die Inschriften verzeichnen, syrische und phönikische Göttergestalten verborgen sein. Wenn sich zum Beispiel in Gerasa im Ostjordanlande (in hellenistischer Zeit hieß die Stadt ›Antiocheia am Chrysorrhoas‹) ein großer Tempel des Zeus Olympios und ein solcher der Artemis finden, so stammen diese zwar erst aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., sie sind aber an der Stelle älterer Heiligtümer errichtet worden. So wäre es gut möglich, daß hinter den echt griechischen Namen die Gestalten ursprünglich einheimischer Gottheiten zu suchen sind, wie dies auch in so manchen anderen Orten Syriens zu beobachten ist: bei Zeus Olympios hätte man etwa an Baal schämen, an Baal, den Herrn des Himmels, bei der Artemis vielleicht an Astarte

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oder an Atargatis zu denken. Diese beiden Göttergestalten finden sich übrigens in vielen lokalen Varianten landauf landab in Syrien, der eine ein Gott, der über Sonne und Mond, dazu über die Vegetation, gebietet, die andere eine Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit. Die Namen sind vielfach Schall und Rauch, und selbst bei einem späten kaiserzeitlichen Tempel der Nemesis in Gerasa ist es keineswegs sicher, ob sich nicht hinter dem griechischen Götternamen eine einheimische Gottheit versteckt. Wendet man sich nach Nordsyrien, so fesseln den heutigen Besucher vor allem die imposanten Ruinen von Baalbek (der Name ist wohl von ba’ al biq’ ah, ›Herr der Ebene‹, abzuleiten). Wann Baalbek gegründet wurde, ist unbekannt, man wird aber wohl an die hellenistische Zeit denken müssen, entweder an einen Ptolemäer (?) oder an irgendeinen ituräischen Dynasten (O. Eißfeldt). Die Stadt Baalbek beherrscht die weite fruchtbare Ebene zwischen dem Libanon und dem Antilibanon, sie hat eine wichtige strategische Position inne, und es erscheint kaum glaublich, daß dies den hellenistischen Herrschern verborgen geblieben wäre. Der Hauptgott der Stadt, von den Griechen ›Zeus von Heliopolis‹ genannt, führt in seinem Namen die griechische Bezeichnung von Baalbek: Es ist Heliopolis, die ›Stadt des Sonnengottes‹. Sonnengötter sind in Syrien übrigens an vielen Stellen und unter verschiedensten Namen verehrt worden, die Griechen und Makedonen pflegten sie mit Zeus, dem Gott des Himmels, gleichzusetzen. In der römischen Kaiserzeit hat Heliopolis-Baalbek einen steilen Aufstieg erlebt, bis die Kriegsnöte in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. dieser Entwicklung ein jähes Ende setzten. Von Hause aus ist der Zeus von Heliopolis jedoch kein Sonnengott, sondern vielmehr ein Wettergott und Vegetationsgott, es ist eine einheimische Göttergestalt. Der Gott hat sich durch viele Jahrhunderte hindurch, wenn auch unter lateinischem Namen (Jupiter Heliopolitanus), ein hohes Ansehen im In- und Auslande erworben, vor allem auch als Orakelgottheit. Dem Jupiter Heliopolitanus gehört der große Akropolis-Tempel in Baalbek, der auf der arabischen Burg zu finden ist, die Zuweisung des kleinen Akropolis-Tempels an Bacchus, Venus oder an eine andere Gottheit ist noch umstritten. Auch die reiche Karawanenstadt Palmyra hat sicherlich schon in der hellenistischen Zeit eine Rolle gespielt; beginnt doch ihre Ära mit dem Jahre 312 v. Chr., d.h. sie datiert in den Urkunden nach der Seleukidenära. Doch gibt es in Palmyra bisher keine Inschriften und keine Bauten aus der Seleukidenzeit. Nicht viel anders steht es mit Dura am mittleren Euphrat (Salihijeh), das in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts durch die Ausgrabungen der Academie des Inscriptions et Belles Lettres zu Paris (unter der Leitung von Franz Cumont) und der Yale University zu New Haven (unter Michael Rostovtzeff) in weiten Kreisen bekannt geworden ist. Wenn auch der Name Dura darauf hindeutet, daß die Siedlung schon in babylonischer Zeit existiert hat (duru wird als ›Ortschaft‹, ›Mauer‹ gedeutet), so beginnt doch ihre eigentliche Bedeutung erst mit der hellenistischen Zeit. Und zwar wurde Dura durch

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Nikanor, den Generalgouverneur der oberen Satrapien unter Seleukos I., neu gegründet340. Der Ort hieß von nun an Europos. Der neue Name erinnert an den Geburtsort Seleukos’ I. in Makedonien, er war eine Huldigung für den Machthaber. Dura-Europos erhielt eine makedonische Besatzung, sie hatte vor allem die Aufgabe, die wichtigen Karawanenwege nach Beroia (Aleppo), nach Palmyra-Emesa und stromabwärts nach Babylonien zu überwachen. Wie das Andenken an den ersten Seleukiden hier lebendig geblieben ist, zeigt ein spätes Relief. Auf ihm ist dargestellt, wie Seleukos I. dem Stadtgott von Dura, Gad, einen Kranz aufs Haupt drückt. Ob sich alle Hoffnungen, die Seleukos I. an Dura-Europos geknüpft hatte, erfüllt haben, ist eine andere Frage. Auf jeden Fall haben sich gegen 140 v. Chr. die Parther bei der Inbesitznahme Mesopotamiens auch dieses Stützpunktes am mittleren Euphrat bemächtigt, sehr wahrscheinlich ohne stärkeren Widerstand zu finden. Das Seleukidenreich war in jener Zeit geschwächt, die Einwohner Syriens waren froh, wenn die Parther am Euphrat haltmachten, anstatt das immer noch sehr reiche Land zwischen dem Strom und dem Mittelmeer mit ihren Reiterheeren zu überschwemmen. In Dura-Europos finden sich zahlreiche Götter und Kulte, von denen wenigstens ein paar mit voller Sicherheit auf die Seleukidenzeit zurückzuführen sind. Dies gilt z.B. für den Tempel des Zeus Megistos, der bereits unter Antiochos III. (oder unter Antiochos IV.) gegründet worden ist. Wie zu erwarten, fehlt es nicht an orientalischen Götternamen, neben dem Stadtgott Gad wären etwa noch Atargatis, Bêl, Aphlad (wohl = ›Sohn des Hadad‹) zu nennen. Die Ausgrabungen in Dura-Europos haben übrigens erwiesen, daß die Stadt ursprünglich als eine wirkliche Festung geplant gewesen ist, daß sie diesen Rang aber niemals erreicht hat. Manches, was ihr Gründer geplant hatte, ist nicht ausgeführt worden. Das mag mit der politischen Entwicklung zusammenhängen, insbesondere mit dem Ausbruch der syrischen Kriege. Durch diese wurden die Seleukiden gezwungen, ihre Kräfte an anderer Stelle, gegen die Ptolemäer, einzusetzen. Dura-Europos ist übrigens nach dem Schema des Hippodamos angelegt, also schachbrettartig wie etwa Rhodos und in Syrien die hellenistischen Städte Beroia (Aleppo) und Laodikeia. In späteren Urkunden aus der Partherzeit sind Kleroi (Landlose) bezeugt, ihre Besitzer waren wohl Kleruchen, angesiedelte Soldaten, denen man je ein Landlos übergeben hatte. Über ihren Besitz durften sie anscheinend frei verfügen, erst wenn kein Erbe vorhanden war, fiel das Landlos an den König zurück. Bei der Gründung hatte man der Stadt ein bestimmtes Territorium am Euphrat zugewiesen; dieses wurde in sog. Hekaden (›Hundertstücke‹) vermessen, man benannte diese nach Personennamen, wahrscheinlich nach den Namen militärischer Truppenführer der Garnison Duras. Die Hekaden enthielten zahlreiche Einzelkleroi. In späterer Zeit, unter den Parthern und Römern, ist in Dura-Europos ein Stadtgouverneur bezeugt, er war zugleich der Befehlshaber der Besatzung. Auch königliche Richter hat es in parthischer Zeit hier gegeben; wir haben keinen Grund, anzunehmen, daß dies unter den Seleukiden anders gewesen ist. Für die

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Verwaltung existierten ein Archiv und eine Registratur. Die Makedonen hatten in Dura-Europos eine bevorzugte Stellung inne, sie bildeten die privilegierte Oberschicht, und noch in der Partherzeit gibt es einzelne makedonische Familien; in einer von ihnen, in der des Seleukos, des Sohnes des Lysias, erbt sich das Amt des Stadtgouverneurs, des Strategen und Epistaten, fort bis zur endgültigen Eroberung Duras durch die Römer unter dem Kaiser L. Verus im Jahre 164/165 n. Chr.341. Die Umwelt hat sich inzwischen jedoch stark verändert, in Dura findet sich in dieser Zeit kein einziger Tempel mehr, der einer rein griechischen Gottheit geweiht gewesen wäre. Dennoch wäre es nicht richtig, die Wirkung des griechischen Geistes in Syrien zu unterschätzen. Höchst segensreich hat das Gymnasion in diesem alten Kulturlande gewirkt. Tausende und Abertausende sind durch seine Erziehung hindurchgegangen, und zwar nicht nur Griechen und Makedonen, für die der Besuch des Gymnasions eine Selbstverständlichkeit gewesen ist, sondern auch unendlich viele Orientalen, denen sich dadurch der Zugang zu den Quellen der hellenischen Bildung erschlossen hat. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß auch so manche Männer orientalischer Abstammung sich auf dem Gebiet der griechischen Literatur und der griechischen Wissenschaft mit beachtlichem Erfolg betätigt haben. Hier seien nur zwei Namen angeführt: der große Universalgelehrte Poseidonios (135–51 v. Chr.) und der Dichter Meleagros von Gadara, ein ungefährer Zeitgenosse des Poseidonios. Von der Jugend des Poseidonios, der in dem nordsyrischen Apameia geboren wurde, ist so gut wie nichts bekannt, doch ist es nicht anders möglich, als daß er die Grundlagen seiner umfassenden Bildung zu Hause, in Syrien, empfangen hat. Er entstammte einer wohlhabenden Familie, und diese hat sich die Erziehung ihres Sohnes etwas kosten lassen. Er entnahm es wohl den Erinnerungen seiner Jugendzeit, wenn er einmal schreibt, daß die Syrer die Gymnasien zur Faulenzerei verwenden, so wie die Römer die öffentlichen Bäder, und daß sie sich dort mit wohlriechenden Salben und ölen einreiben – dies ein Seitenhieb auf die griechische Agonistik, die den Orientalen zeitlebens fremd geblieben ist342. Über das Werk des Poseidonios ist hier nicht zu handeln, nur soviel sei gesagt, daß er Historiker und Geograph, Philosoph und Theologe in einer Person gewesen ist, sein Lebenswerk hat die Geistesgeschichte des Abendlandes durch die verschiedensten Kanäle beeinflußt, wenn uns auch so manches an ihm noch rätselhaft bleibt. Der andere Syrer, Meleagros, ist als Dichter von Epigrammen und Satiren berühmt geworden. Seine Bildung empfing er auf dem Gymnasion zu Tyros, der alten Phönikerstadt. In seiner Grabschrift spricht Meleagros, wie es sich gebührt, von seiner Herkunft: Attisches Heimatland im assyrischen Gadara zeugt’ mich, Aufgezogen doch hat Tyros, die Inselstadt mich, Eukrates aber entsproßt’ ich, der Musenfreund Meleagros,

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Der mit Menipp ich zuerst rang um der Anmut Kranz. Bin ich ein Syrer, was Wunder? O Freund: Ein Chaos doch hat uns Sterbliche alle gezeugt, Vaterland ist uns die Welt. Es ist immerhin bemerkenswert, daß Meleagros das syrische343 Gadara als sein attisches Heimatland bezeichnet! Gadara aber, südöstlich des Sees Genezareth gelegen, gehört ebenso wie Ge-rasa, Philadelphia (Rabbath-Ammon) und Skythopolis (Beth-Sean) zu den Städten der Dekapolis im Ostjordanland. In ihnen lebte eine kulturbewußte hellenische Oberschicht, sie hielt, auch noch in der Zeit Jesu Christi, an den Idealen des Griechentums mit besonderer Zähigkeit fest. Es ist darum kein Wunder, wenn in späterer Zeit das Wort ›Hellene‹ in Palästina und anderwärts geradezu den Sinn von ›Heide‹ angenommen hat. Aber ›Hellene‹ hat nicht nur diesen Sinn, es bezeichnet außerdem auch alle Männer und Frauen, die in den syrisch-phönikischen Städten zu der staatsrechtlich privilegierten Oberschicht, den ›Hellenen‹, gehörten, ohne Rücksicht auf ihre völkische Herkunft und Abstammung. Wenn im Evangelium des Markus VII 26 von einer »Griechin, der Abstammung nach Syrophönikerin« die Rede ist, so kann dieser Gegensatz nur so erklärt werden, daß die Frau der privilegierten Gruppe der ›Hellenen‹ angehörte, obwohl sie eine gebürtige Syrophönikerin war. Rechtliche Stellung und Volkstum sind hier, wie so oft, zwei verschiedene Dinge. Das völkische Durcheinander kann man sich bei den Einwohnern Syriens in hellenistischer Zeit im übrigen kaum groß genug vorstellen. Doch immer ist die hellenische Bildung der Sauerteig, der die Kultur des Landes und seiner Bewohner durchsäuert. Poseidonios, der auch sonst auf seine Landsleute nicht gut zu sprechen ist, hat ein interessantes Bild aus dem Leben der syrischen Städte kurz vor seiner eigenen Zeit entworfen, eine Episode, die ihm sicherlich durch mündliche Erzählung übermittelt worden ist. Es handelt sich um einen lokalen Krieg zwischen den beiden Städten Apameia, der Heimat des Poseidonios, und Larissa in Nordsyrien. Was Poseidonios über die Ausrüstung der in den Krieg ziehenden Bürger berichtet, ist allerdings geradezu grotesk: Die Bürger, schreibt Poseidonios, trugen Schwerter und Lanzen, die von Schmutz und Rost geradezu starrten, dazu hatten sie sich Hüte von riesigen Dimensionen aufgesetzt, um sich vor den Strahlen der Sonne zu schützen, ohne freilich anderseits verhindern zu können, daß der Hals vom Luftzug getroffen wurde. Dazu führten sie Esel als Lasttiere mit sich, schwer beladen mit Wein und Lebensmitteln, aber auch mit den verschiedensten Arten von Flöten, so als ob man zu einem Gelage und nicht zu einem Kriege ausrückte. – Wir kennen die Lokalgeschichte Syriens zu wenig, um sagen zu können, wie dieser merkwürdige Krieg ausgegangen ist. Man wird ihn wohl in die Zeit bald nach 145 v. Chr. setzen müssen, als die Macht der Seleukiden tief gesunken war. Die Bürger hatten es offenbar längst verlernt, selbst Kriege zu führen, die Auseinandersetzungen der hellenistischen Herrscher aber wurden mit Berufssoldaten und mit Söldnern geführt.

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Trotz allem aber war Syrien ein reiches Land. In den Tälern des Orontes, in den Ebenen Phönikiens und an den sonnigen Abhängen des Libanon und des Antilibanon wurden Kulturpflanzen aller Art angebaut. Poseidonios spricht von dem großen Reichtum Syriens, er sagt, daß seine Bewohner wie auf einem ewigen Fest lebten. In Syrien und Phönikien endeten die großen Karawanenstraßen, auf denen von weither die Güter herbeigeschafft wurden. So waren die Seestädte Phönikiens die Ausfuhrhäfen für die Seidenstoffe, die aus China ausgeführt wurden. An Manufakturen war in Syrien kein Mangel, im ganzen ergänzte sich das Land durch seine agrarischen und industriellen Produkte auf das Glücklichste, man hatte an allem Überfluß, so daß in normalen Zeiten viel exportiert werden konnte. Strabon (er lebte zur Zeit des Augustus und des Tiberius) schildert das Land Syrien in den rosigsten Farben; damals war es freilich längst römische Provinz, aber das Gesamtbild kann unter der Herrschaft der Seleukiden und der Ptolemäer kaum viel anders gewesen sein. In hellenistischer Zeit ist Syrien im ganzen ein glückliches Land gewesen, trotz der vielen Kriege, die hier geführt worden sind: eine blühende Wirtschaft, ein reicher Handel, eine große Zahl von berühmten Bildungsstätten, dazu ein reges religiöses Leben – das sind die Kennzeichen einer Epoche, die zu den glänzendsten gehört, die dieses Land in seiner Geschichte jemals durchlebt hat. III. Das Judentum in Palästina in der hellenistischen Zeit Von 332 bis 177 ergaben sich die Juden in das Schicksal, jeweils der griechischen Macht Untertan zu sein, die gerade die Küste Palästinas in ihrer Gewalt hatte. Die Geschichte bei Josephus, daß Alexander nach Jerusalem gekommen sei, hat keinerlei Bedeutung344. Brauchbarer ist sein Bericht, daß es Ptolemaios I. einmal gelungen sei, Jerusalem zu nehmen, weil das Volk an einem Sabbat nicht kämpfen wollte (Apion I, 209, Antiquitates XII, 4). Ptolemaios hat auch viele Judäer nach Ägypten verschleppt (Aristeas 12 f.; Ant. XII, 7 ff.; Apion 1,186); Sklaverei und Emigration verstärkten die Verbindung des Landes mit der Umwelt. Alexander oder Perdikkas hat Samaria wieder mit Makedonen besiedelt345. Seitdem war der nördliche Sammelpunkt des Jahwe-Opferkults der GerizimBerg bei Schechem (Sichem), wo bald ein Tempel gebaut wurde oder bereits gebaut worden war. Die Anhänger dieses Kults (›Schechemiten‹) müssen von den neuen makedonischen ›Samaritanern‹ unterschieden werden. Diese Trennung, die Josephus allerdings unbekannt ist, dauerte bis mindestens 180 (Sirach 50,25 f.). Aber diese Geschehnisse führten nicht zum Abbruch der religiösen Bindung zwischen Nordisrael und Judäa. In Ägypten bildeten Schechemiten und Judäer eine einzige Religionsgemeinschaft. Ihre Mitglieder stritten sich über die Verteilung ihrer gemeinsamen Gelder: wieviel nach Jerusalem gehen sollte und wieviel zum Gerizim (Ant. XII, 10). In Palästina blieben sie offiziell ein Volk, sogar noch im 2. Jahrhundert. Jason von Kyrene schrieb, Antiochos IV. habe »Statthalter zurückgelassen, um das (eine) Volk zu

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bedrücken, in Jerusalem Philipp ... und in Gerizim Andronikos ... und wenig später schickte er Geron, einen Athener, um die Ioudaioi zu zwingen, den Gesetzen ihrer Väter zu entsagen ... und den Tempel in Jerusalem dem Zeus Olympios und den auf dem Gerizim ... dem Zeus Xenios zu weihen«346. Die Verwendung des Wortes Ioudaioi (Judäer) für die Schechemiten ist kein Einzelfall; das Gedicht eines gewissen Theodotos (200–175?), in dem »die heilige Stadt« Schechem gepriesen wird, trug den Titel: »Die Ioudaioi betreffend.«347 Vermutlich lag es an der Bedeutung des judäischen Jahwe-Kults, daß auch andere Verehrer dieser Gottheit ›Judäer‹ genannt wurden. Hundert Jahre später, nachdem die Idumäer dem Jerusalemer Kultverband angeschlossen worden waren, nannte man sie ebenfalls Ioudaioi (Reinach, Textes ..., S. 88 und S. 182). Jerusalem, in kälterer Lage als Samaria, entging einer griechischen Neubesiedlung, wurde aber zwischen 332 und 177 ein dutzendmal von griechischen Heeren genommen und hatte vermutlich während der ganzen Zeit eine griechische Besatzung. Griechische Beamte und griechische Kaufleute drangen bis ins letzte Dorf des Landes vor348. Mit ihnen verbreitete sich die Kenntnis des Griechischen, das bereits die Sprache der Verwaltung und der Wirtschaft war und nun auch die Sprache des gesellschaftlichen Umgangs und der Literatur wurde. Das führte zu einem Verfall im Gebrauch des Hebräischen, das nun hauptsächlich eine literarische, juristische und liturgische Sprache wurde. Die unteren Klassen sprachen meist Aramäisch. Damit hängt die Textverderbnis vieler Stellen des Alten Testaments zusammen, in denen sich ein Zeitalter ungebildeter Abschreiber spiegelt. Aber man hörte doch nicht gänzlich auf, Hebräisch zu schreiben349. Die griechische Herrschaft begann mit zwei Jahrzehnten, in denen Judäa mal den Ptolemäern, mal deren Gegnern gehörte (321 – etwa 295). Danach behielten es die Ptolemäer bis zum Jahre 218 fest in ihrer Hand. Diese Periode der Beständigkeit begründete das Ansehen des Pentateuch, des geschriebenen kultischen Gesetzes von Jerusalem und Gerizim. Da die Geschichte seiner Entstehung inzwischen vergessen war, konnte sich die Legende von seiner ewigen Gültigkeit entwickeln. So wurde denn in der Folgezeit jeder Versuch, »das Gesetz« zu ändern, zum Gipfel der Verruchtheit (I Makk. 1,49), die Verteidigung des Gesetzes das Schlagwort des Widerstandes (I Makk. 2,27; vgl. 6,59) und die Zerstörung geschriebener Texte des Gesetzes ein Ziel der Reformer (I Makk. 1,56). Die Beständigkeit der Ptolemäer-Herrschaft begründete zugleich das Ansehen der erblichen Würde eines Hohenpriesters350. Deshalb nahmen später verschiedene Gruppen die Patenschaft dafür in Anspruch. Die Makkabäer, die das Priesteramt an sich rissen und die legitimen Erben in die Verbannung zwangen, wurden von ihren Anhängern als Schützlinge der legitimen Linie hingestellt (II Makk. 15,12 ff.). Die Pharisäer, die oft mit den Makkabäern im Streit lagen, beriefen sich auf eine Liste von Persönlichkeiten, die bis auf den Hohenpriester Simon den Gerechten zurückging (Mischnah Abot I, 1f.). Sirach

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(der nicht im Kanon der Pharisäer steht) endete seine Lobpreisung »unserer Väter« mit Simon, der den Tempel instand setzte, die Stadt befestigte und ruhmreich im Heiligtum war (50,1 ff.). Wahrscheinlich ist es dieser Simon351 gewesen, der mit Antiochos III. verhandelte, als er im Jahre 201 und dann erneut im Jahre 198 die Stadt eroberte und dem Jahrhundert der Ptolemäer-Herrschaft ein Ende bereitete. Antiochos gab nicht nur Gelder zur Unterstützung des Tempels und der Bevölkerung, er versicherte auch, daß das Volk nach seinem eigenen Gesetz leben dürfe, und bestätigte das durch eine Verordnung, die die Verletzung der Reinheits-Tabus und der Opferbestimmungen des Tempels verbot. Doch Simons Vetter Joseph, aus der Tobias- Familie von Ammon, war ein Günstling des Ptolemäer-Hofes gewesen und hatte täglich an des Königs Tafel gespeist, die nicht koscher war (Ant. XII, 173). Einer von Josephs Söhnen wiederum, Hyrkanos, baute einen Tempel in Transjordanien352. Ein Sohn Simons, Onias, der Nachfolger im Amt des Hohenpriesters wurde, wird im zweiten Makkabäer-Buche als gesetzestreu gepriesen (3,1), aber ein zweiter, Joschua-Jason, überredete Antiochos IV., ihn an Stelle von Onias zum Hohenpriester zu machen, und erhielt die Erlaubnis des Königs, griechische Sitten einzuführen353. Aber nicht Jason, sondern Onias schlug sich auf die Seite von Hyrkanos, seines Vaters Feind, während die Brüder von Hyrkanos, früher Simons Verbündete, sich nun mit einem Nicht-Priester, Menelaos, gegen die gesamte Familie Simons zusammentaten354. So viele unterschiedliche Auffassungen gab es auch im Volke. Manche erkannten das Gesetz gar nicht an, andere legten seine Forderungen so streng aus, daß sie den Dienst im Tempel für unrein erklärten und eigene Sekten bildeten. In Henoch 89,73 und vielleicht in der Himmelfahrt Mosis 5,4 f. spiegelt sich dieses vor- makkabäische Sektierertum. Eine Glosse im Vorwort zu dem Zadokiten-Dokument setzt die Anfänge der Zadokiten-(d.h. Essener–?) Bewegung für das Jahr 197 v. Chr. an, das Jahr 390 der Ära des Zornes, die mit Nebukadnezars Eroberung beginnt. Der Ursprung dieser Bewegung mag mit der Seleukiden-Eroberung von 198 und der Abmachung zwischen Simon und Antiochos III. im Zusammenhang gestanden haben. Eine zweite Glosse gibt eine Dauer von zwanzig Jahren (197–177) für die Anfangsperiode dieser Sekte an; nach dieser Zeit empörte sich Israel, und ein Spötter stand auf, um es in die Irre zu führen (vgl. I Makk. I, 11). Um 177 floh der Hohepriester Onias aus der Stadt (II Makk. 4,5) und wurde etwa 175, nachdem Antiochos IV. die Nachfolge angetreten hatte, durch seinen Bruder Jason ersetzt, der zum offenen Angriff auf das Gesetz angestiftet hatte. Leider sind diese Parallelen nicht schlüssig, der Ursprung der Sekte bleibt ungewiß. Jason hatte das Volk von Jerusalem hinter sich. Drei Jahre später besuchte Antiochos IV. die Stadt und wurde mit Hochrufen empfangen (II Makk. 4,22). Aber Antiochos ersetzte Jason durch Menelaos, der nicht einer Priesterfamilie entstammte355. Menelaos bewerkstelligte die Ermordung des Onias, der im Apollon-Tempel (!) zu Daphne Zuflucht gesucht hatte (II Makk. 4,33), und

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beteiligte sich an der Plünderung der Tempelschätze durch den Befehlshaber der Jerusalemer Besatzung. Das führte zum Aufruhr, der Befehlshaber wurde getötet. Antiochos ließ die Verteidiger der Aufständischen hinrichten (4,39–50). Ein Gerücht, daß Antiochos tot sei, veranlaßte Jason im Jahre 169, die Stadt anzugreifen und seine Gegner zu ermorden. Menelaos hielt sich in der Zitadelle. Antiochos, der sich zu der Zeit in Ägypten aufhielt, kehrte auf die Nachricht von dem Aufstand in Jerusalem zurück, metzelte die Einwohner nieder, plünderte den Tempel und ging dann nach Antiocheia. In Jerusalem und Gerizim ließ er Statthalter zurück. Im Jahre 168 schickte er einen Befehlshaber hin, der wiederum ein Blutbad in der Stadt anrichtete, die Mauern niederlegte und ein bestimmtes Viertel, ›die Zitadelle‹, als Bollwerk der Menelaos-Anhänger befestigte (II Makk. 5,21–26; I Makk. 1,29–35). Im Jahre 167 schließlich befahl er, die Tempel von Jerusalem und Gerizim dem Zeus Olympios und dem Zeus Xenios zu weihen, die Zeremonien in diesen Tempeln auf griechische Weise zu verrichten, und verbot die eigentümlichen Zeremonien des jüdischen Gesetzes, einschließlich der Beschneidung und Sabbatheiligung. Dieses Jahrzehnt (177–167) zerstörte die militärische Macht der herrschenden Klasse von Jerusalem. Sie besaß nicht mehr genügend Männer, um Judäa im Zaum zu halten. Als sie versuchte, mit Hilfe von Truppen der Jerusalemer Garnison die Einführung griechischer Riten auf dem Lande zu erzwingen und, was noch schlimmer war, das Verbot alter Bräuche durchzusetzen, da brachen, wie zu erwarten war, Aufstände aus, und es bildeten sich verschiedene Parteien.

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 Abb. 22: Ptolemaios VI. Philometor

Die Schechemiten trennten sich jetzt von den Judäern und baten darum, daß ihr Tempel dem Zeus Xenios geweiht würde (Ant. XII, 258 ff., II Makk. 5,22 ff.). Ein ähnliches – vorher verabredetes? – Gesuch ging zweifellos von Jerusalem ein, worin die loyalen Hellenisierer der Zitadelle von ihren abergläubischen und unzuverlässigen Gegnern abrücken und darum bitten, daß der Jerusalemer Tempel dem Zeus Olympios geweiht werde356. In diesen Widmungen kommt vermutlich die Identifizierung von Jahwe mit Zeus zum Ausdruck, nicht die Einführung einer neuen Gottheit357, obwohl auch Kulte anderer Gottheiten eingeführt wurden (II Makk. 6,7 usw.). Die Schechemiten scheinen sich an dem judäischen Aufstand nicht beteiligt zu haben, wenn auch einige vielleicht bei den Aufgeboten in Samaria dienten. Der Kult auf dem Gerizim erlosch zeitweilig um das Jahr 120, als der Tempel von Johannes Hyrkanos zerstört wurde (Ant. XIII, 256). Der legitime priesterliche Stamm von Jerusalem lebte in Onias IV. weiter, dem Sohne des Onias, der 177 aus der Stadt geflohen war. Er erhielt von Ptolemaios VI. Philometor die Erlaubnis, einen Tempel in Leontopolis, im Nildelta, zu bauen. Der ihm von Ant. XIII, 65 ff. zugeschriebene Brief an den König macht geltend, daß dieser Tempel die Jahwe-Anhänger (›Judäer‹) in Ägypten, die bis dahin wegen ihrer unterschiedlichen Opferbräuche uneins gewesen seien, vereinigen werde. Ob das nun der Fall gewesen ist oder nicht, der Dienst dort wurde Priestern und Leviten der legitimistischen Partei übertragen, und der Tempel blieb in Dienst, bis er im Jahre 73/74 n. Chr. von den Römern geschlossen wurde (Ant. XIII, 72 ff.; Bellum Judaicum VII, 421 ff.). In Judäa waren zuerst die Hellenisierer mit Menelaos an der Spitze die herrschende Partei. Im Bereich der Religion bedeutete das den Versuch, sich mit den Tatsachen des hellenistischen Lebens abzufinden, besonders damit, daß man die griechische Religion nicht einfach als ›Götzendienst‹ abtun konnte. Die Meinung, daß ›Zeus‹ und ›Jahwe‹ verschiedene Namen für ein und denselben Gott seien, würde heute mehr Verfechter finden als der Ausschließlichkeitsanspruch der Makkabäer. Sie fand auch im alten Judäa ihre Verfechter. Jerusalem stand auf der Seite der Hellenisierer, und erst als seine Macht durch wiederholte Mißgeschicke gebrochen war, begann auf dem Lande der Aufstand. Der Erlaß des Königs, der einen Wechsel der Religionsausübung gestattete, wurde von vielen Juden freudig begrüßt, die von nun an Götzenbildern opferten und den Sabbat entheiligten. Im Laufe der Zeit gewannen sie viele neue Anhänger, und in den meisten Landstädten wurden Altäre errichtet (I Makk. 1,43–58). Auf solche Unterstützung deutet die Terrorkampagne hin, die die Makkabäer in den folgenden zehn Jahren auf dem Lande durchführten358. Als Judas starb, erhoben die Hellenisierer »im ganzen Lande« ihr Haupt (I Makk. 9,23). Die ›Zitadelle‹, die Jerusalem ersetzte, war nicht

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nur eine Festung, sondern eine Stadt mit jüdischer Bevölkerung (1,34; 6,21–25); ihr Gebiet umfaßte mehrere Dörfer359; sie überstand Belagerungen durch Judas (6,18 ff.), Jonathan (12,36) und Simon (13,490.); die letzten seleukidischen Streitkräfte, die in ihre Nähe gelangten, zogen um 157 ab (9,72). Hinterher hielt sie sich sechzehn Jahre lang ohne Unterstützung durch die Seleukidenkönige und vielleicht sogar entgegen deren Befehlen (I Makk. 11,42), aber offensichtlich mit Unterstützung vom Lande her. Diese Unterstützung konnte Jonathan nur dadurch unterbinden, daß er eine Mauer um die Zitadelle zog. Als die Mauer fertig war, hielt sich die Zitadelle immer noch zwei oder drei Jahre lang und ergab sich erst, als viele der Einwohner den Hungertod erlitten hatten. Ihr Name wird nie genannt. Vermutlich nannten sie die Einwohner, die sie so verzweifelt hielten, ›Jerusalem‹ und sich selbst ›Israel‹360. Im krassen Gegensatz zu den Hellenisierern standen die Essener, die vielleicht um 177 in das Gebiet von Damaskus flohen361. Sie bildeten geschlossene Gemeinschaften, einige davon im Zölibat; die Mitglieder wurden erst nach einer Probezeit aufgenommen. Das Eigentum gehörte größtenteils der Gemeinschaft. Die Mitglieder waren ›Priester‹, ›Leviten‹ oder ›Israeliten‹, vielleicht mehr durch ihre soziale Stellung als durch ihre Abkunft362. Die Dokumente, die von der Gruppe erhalten sind, und die Schilderungen der Sekte bei klassischen Autoren363 weichen so stark voneinander ab, daß wir annehmen müssen, die Sekte habe sich in den zwei Jahrhunderten vor Christus beträchtlich gewandelt; möglicherweise sind verschiedene Gruppen aus ihr hervor- oder in ihr aufgegangen. Doch die allgemeinen Wesenszüge sind klar. Das Hauptmerkmal ist eine rigoristische Exegese des Pentateuch, besonders der Gesetze über Reinheit, den Sabbat, den Kalender, über Besitz und persönliche Beziehungen. Diese Exegese erscheint besonders in den Gesetzbüchern der Sekte und in Werken, in denen Geschichten aus dem Pentateuch ausführlich behandelt werden (Enoch, Jubelfeste, Genesis Apokryphon, die Testamente der zwölf Patriarchen). Nach dem Pentateuch kamen die Propheten, von deren Werken die Essener mehr zu verstehen behaupteten als die Propheten selbst (Kommentar zu Habakuk 2,1 f.). Sie ›verstanden‹ sie nämlich so, daß die Prophezeiungen sich auf ihre eigene Zeit bezogen, und sie bezeichneten in zahlreichen Kommentaren die dort vorgesehenen Völker, Personen und Ereignisse im einzelnen. Wie die Propheten des Alten Testamentes erwarteten sie, daß Gott in die Geschichte eingriff, um die Guten (sie selber) zu belohnen und die Bösen (vor allem die Jerusalemer Priester, die Pharisäer, die Griechen und die Römer) zu bestrafen. Aber sie gingen noch über die Propheten hinaus, indem sie ausführliche (›apokalyptische‹) Vorschriften festlegten, die beim kommenden Weltende befolgt werden sollten (die Kriegs- Schriftrolle). Solche Werke entsprangen einer übernatürlichen Erleuchtung, die ihren Verfassern die Geheimnisse des Gesetzes offenbarte und ihnen die Gesellschaft der Engel eröffnete. Ihre daraus entwickelte Auffassung von menschlicher Sünde und Erlösung kam in vielen Hymnen zum Ausdruck. Das ist das Bild der Sekte, das wir aus einer

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Niederlassung, die sie in Qumran am Toten Meer am Ende des 2. Jahrhunderts errichtete364, und aus Manuskripten gewinnen, die in der Nähe von Qumran gefunden wurden. Aber es gab noch andere Essener-Niederlassungen in Palästina (Bellum Judaicum 11,124), und Josephus gab ihre Bevölkerung mit mehr als 4000 an (Ant. XVIII, 20), so daß die Sekte möglicherweise noch nicht ausstarb, als die Römer im Jahre 68 Qumran eroberten. Neben den Essenern hören wir von anderen strenggläubigen Gruppen. Viele Menschen wählten lieber den Tod, als daß sie das Gesetz verletzten (I Makk. 1,62 f.). Tausende flohen in die Berge und ließen sich lieber niedermetzeln, als an einem Sabbat zu kämpfen (2,29 ff.). Andere, die ›Chassidim‹ (d.i. die Frommen), schlossen sich zu Beginn des Aufstandes den Makkabäern an (I Makk. 2,42). Gerade sie waren wichtig. II Makk. 14,6 gibt einen Bericht wieder, nach dem »die Chassidim, deren Führer Judas Makkabäus ist, die Seele des Krieges sind«. Als jedoch die seleukidische Regierung Menelaos durch Alkimos ersetzte, einen Hohenpriester vom Stamme Aarons, und die Ausübung des Gesetzes erlaubte, verließen die Chassidim die Makkabäer und schlossen Frieden mit Alkimos (I Makk. 7,13 ff.). Er ließ später sechzig von ihnen hinrichten (7,16). Weiter hören wir nichts von ihnen365. Von Alkimos und seiner Partei kennen wir nur die gehässigen Bemerkungen über sie in den Büchern der Makkabäer. Er scheint der Vertreter der gemäßigten Hellenisierer gewesen zu sein. II Makk. sagt, er habe sich selbst entehrt, d.h. an hellenisierten Riten teilgenommen, während die traditionellen Riten für ungesetzlich erklärt wurden (14,3). Nach I und II Makk. schlossen sich alle Hellenisierer ihm an, aber auch die Chassidim taten das, und er berief eine Versammlung von Schriftgelehrten ein, die Auslegungen des Gesetzes studieren sollten (I Makk. 7,12). Seine Anhänger unterstützten den Seleukiden-General Nikanor gegen Judas, weigerten sich aber, am Sabbat anzugreifen (II Makk. 15,2). Nach Judas’ Tod beherrschte Alkimos das Land. Die meisten Judäer schlossen Frieden mit ihm. Er starb im Jahre 159, aber seine Partei blieb während der folgenden sieben Jahre im Lande an der Macht (I Makk. 9,54–10,14). Als die Makkabäer nach 152 wieder Gewalt über den Tempel erlangten, säuberten sie ihn nicht und nahmen auch keine neue Weihe vor. Die Makkabäer bezeichneten als Gründer ihrer Partei Mattathias, einen in Jerusalem ansässigen Priester aus der Familie Joarib, der im Jahre 167 nach Modin im nordwestlichen Vorgebirge gezogen war (I Makk. 2,1). Aber die Familie Joarib erscheint nur in makkabäischen Zusätzen zu den Büchern der Chronik, Ezra und Nehemia366, und der Wohnsitz in Jerusalem mag erfunden worden sein, um den Anspruch auf priesterliche Vorfahren zu bekräftigen. Die fünf Söhne des Mattathias zogen, geführt von Judas mit dem Beinamen Makkabi (›der Hammer‹?), 167/66 in die Berge und stellten eine Streitmacht zur Verteidigung des Gesetzes auf (I Makk. 2,28,44; II Makk. 5,27; 8,1 ff.). Binnen zwei Jahren schlugen sie nacheinander den Befehlshaber der Besatzung von Jerusalem, den Befehlshaber der syrischen Armee, eine Streitmacht, die der

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Regent Lysias (Antiochos IV. kämpfte gerade – 165 – im Osten) entstandt hatte, und schließlich sogar (so wird uns berichtet) Lysias selber367. Nachdem sie das flache Land in ihrer Gewalt hatten, schlossen sie die Hellenisierer in der Zitadelle ein, reinigten den Tempel, stellten die jüdischen Riten wieder her (25. Chislew – Dezember – 164) und befestigten die Tempelanhöhe (›Berg Zion‹). Sie befestigten auch Beth Zur, eine Stadt, die den bequemsten Weg von der Küstenebene nach Jerusalem sperrte (I Makk. 4,36–60). Darauf wurden die Ioudaioi in benachbarten Gebieten von ihren Nachbarn angegriffen: I Makk. 5; II Makk. 10,15 ff.; 12,1 ff. Ioudaioi bedeutet an diesen Stellen wahrscheinlich nicht ›Judäer‹, sondern ›Juden‹ (Anhänger des monolatrischen Jahwe-Kults, die durch ihre Weigerung, andere Gottheiten zu verehren, isoliert und vereint zugleich waren). Es ist bezeichnend, daß aus dem Gebiet der Schechemiten, wo der monolatrische Kult sehr verbreitet war, keine Angriffe gemeldet werden. An anderen Stellen wurden Hellenisierer aus Judäa (geographisch Ioudaioi, d.h. Judäer), die durch die makkabäische Verfolgung vertrieben waren, gut aufgenommen und sie organisierten Gegenverfolgungen gegen Ioudaioi im religiösen Sinn (II Makk. 10,15 ff.). Daß I und II Makkabäer von den Opfern dieser letzteren Verfolgungen als »Abkömmlingen Jakobs«, als »Israeliten« und Mitgliedern des »Stammes« sprechen368, deutet wahrscheinlich nicht auf biologische oder territoriale Beziehungen hin, sondern auf die makkabäische Theologie: Der Proselyt wurde »Israelit«. Daher waren die Angriffe in erster Linie religiöse Verfolgungen, Reaktionen auf die Unduldsamkeit in Judäa. Die Makkabäer antworteten mit Gegenangriffen auf die Edomiter im Süden, die Ammoniter in Transjordanien, das Volk von Jamnia und Jaffa im Westen und mit Feldzügen ins nördlich Transjordanien (›Gilead‹) und nach Galiläa, von wo sie »alle« Juden nach Judäa brachten369. Das ist ein Zeichen für den begrenzten Erfolg, den der monolatrische Jahwe-Kult bis dahin in diesen Gebieten gehabt hatte. Im folgenden Jahre, 163, nach dem Tod Antiochos’ IV., kam Lysias, der nun Regent für Antiochos V. war, mit Kriegsmacht zurück, besiegte Judas, nahm Beth Zur ein und traf dann ein Abkommen mit den Makkabäern, in dem er ihnen gegen Übergabe des Tempelberges und das Versprechen, Frieden zu halten, die Freiheit garantierte, das Gesetz zu beachten. Als er den Berg bekommen hatte, ließ er die Befestigungen schleifen und zog ab (I Makk. 6; II Makk. 11 und 13). Der Hohepriester Menelaos wurde als Anstifter der Unruhen hingerichtet (II Makk. 13,3 ff.). Bald darauf wurden Lysias und Antiochos V. von Demetrios I. gestürzt, der den aaronitischen Hohenpriester Alkimos einsetzte oder wiedereinsetzte370. So verlor der Anspruch der Makkabäer, für das Gesetz zu kämpfen, seine Gültigkeit. Sie beharrten darauf, daß Alkimos entehrt und für das Amt des Hohenpriesters untauglich sei (II Makk. 14,3 ff.), aber dieser rigoristische Einwand erregte wenig Interesse. Selbst I Makk. erwähnt ihn nicht, sondern sagt, Judas habe keinen Frieden geschlossen, weil Alkimos

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unzuverlässig war. Vielleicht hatten die Makkabäer von einer Herrschaft über Judäa zu träumen begonnen. Jedenfalls gingen sogar die Chassidim zu Alkimos über (I Makk. 7,13). Judas schürte noch Unruhen auf dem flachen Lande und tötete sogar einen General, Nikanor, der versucht hatte, seine Partisanen mit örtlich ausgehobenen Streitkräften zu überwältigen (März 161), wurde aber selbst im Jahre 160 getötet. Seine Brüder, die nun von Jonathan geführt wurden, mußten sich nach Transjordanien zurückziehen, faßten später wieder in Judäa Fuß, schlossen am Ende mit den Seleukiden Frieden und wurden seßhaft (I Makk. 7–9). Doch als 153/52 ein Streit zwischen Demetrios und Alexander Balas um den Seleukiden-Thron ausbrach, bemühten sich beide Bewerber um die Unterstützung der Makkabäer. Alexander ernannte Jonathan zum Hohenpriester (I Makk. 10,20), einen »Freund des Königs«, General und Statthalter der Provinz (I Makk. 59–66). Jonathan, auf diese Weise bevollmächtigt, befestigte den Tempelberg erneut und begann die Eroberung der palästinischen Küstenebene, wobei sein Ziel der Hafen Jaffa war. Besaß er Jaffa, brauchten Pilger aus Mittelmeerländern nicht durch die feindlichen Nachbargebiete zu ziehen, Judäa konnte zum Korridor zwischen dem Mittelmeerhandel und dem Handel der Nabatäer werden, und es würde sich Gelegenheit zur Seeräuberei bieten – eine Gelegenheit, die die Makkabäer später nutzten (Ant. XIV, 43 f.; Reinach, Textes ..., S. 97). Das Glück war ihm zunächst hold: Erst im Jahre 143, kurz nachdem eine makkabäische Besatzung nach Jaffa gelegt worden war, wurde er durch Verrat gefangengenommen und hingerichtet. Daß er sich das Amt des Hohenpriester angemaßt und Bündnisse mit Nichtjuden eingegangen war, hatte Kritik in Judäa hervorgerufen (Ant. XIII, 171). Dennoch setzte sein Bruder Simon seine Politik fort, befreite Judäa aus der Tributpflicht (142), gründete eine jüdische Kolonie in Gazara in der Ebene (142), hungerte die Zitadelle aus (141), baute selbst einen Palast und eine Festung in Jerusalem, ließ sich sein Amt als Hoherpriester von einer Nationalversammlung im Jahre 140 bestätigen, nahm den Titel ›Ethnarch‹ an (140) und begann 139 seine eigenen Kupfermünzen zu prägen, die in hebräischer Sprache die Legenden trugen: »Im vierten Jahr der Befreiung Zions«. Schließlich wurde er 134 ermordet (I Makk. 13–16). Simons Sohn, Johannes Hyrkanos, wurde bald darauf von Antiochos VII. besiegt, der ihn dann mit auf einen Feldzug gegen die Parther nahm, bei dem er selbst sein Leben verlor; Hyrkanos jedoch entkam (129 v. Chr.). Als er wieder in Judäa war, stellte Hyrkanos eine Söldnertruppe auf, eroberte Gazara und Jaffa zurück und gewann Teile von Idumäa im Süden und von Samaria im Norden (Bellum Judaicum I, 62 ff.; Ant. XIII, 236 ff.). Er zerstörte den Tempel auf dem Gerizim und würde dessen Anhängerschaft an Jerusalem angeschlossen haben, aber die Schechemiten ließen sich nicht anschließen und begnügten sich mit synagogalem Gottesdienst, da sie keinen Tempel mehr hatten. Das ›Samaritische Schisma‹ war nun komplett. Die Idumäer dagegen wurden einverleibt und gezwungen, die Beschneidung und die übrigen Vorschriften des Gesetzes zu

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übernehmen und so dem Gesetz nach ›Juden‹ zu werden. Die militärischen Abenteuer des Hyrkanos bedeuteten eine beträchtliche Bürde für Judäa, wo er einen von den Pharisäern geführten Aufstand niederschlagen mußte. Er siegte, zweifellos dank seinen Söldnern (Bellum Judaicum 1,67; cf. Ant. XIII, 288). Der Sohn des Hyrkanos, Juda-Aristobulos (104/03 v. Chr.), eroberte einen Teil von Ituräa und zwang die Einwohner, Juden zu werden (Ant. XIII, 318 ff.). Er war auch der erste Makkabäer, der das Diadem nahm (Bellum Judaicum 1,70). Bei seinem Tode inthronisierte seine Witwe, die 37 Jahre alte Salome Alexandra, seinen 24jährigen Bruder Alexander-Jonathan (der griechische Name kommt jetzt zuerst; Jonathan wird zu dem Kosenamen Jannae) und heiratete ihn. Alexander führte unaufhörlich Krieg und beherrschte schließlich einen großen Teil Transjordaniens und der Küstenebene. Er unterhielt mindestens 6000 Söldner, Pisider und Kilikier, vielleicht wegen ihrer Erfahrung als Seeräuber. Seines Vaters Münzen mit der hebräischen Aufschrift, derzufolge sie von »Johannes, dem Hohenpriester und der jüdischen Gemeinde« ausgegeben worden waren, wurden durch neue Münzen ersetzt, die sich selbst in griechischer und hebräischer Sprache als »von König Alexander« ausweisen. Seine Söldner retteten ihn vor einem Aufstand, und er ließ die griechischen Münzen mit einer hebräischen Legende, wie sie die Münzen seines Vaters getragen hatten, neu schlagen. Doch ein neuer Aufstand führte zu einem sechsjährigen Krieg, in dessen Verlauf er 50000 Juden getötet haben soll. Gegen Ende hatte er immer noch 10 000 jüdische Anhänger, aber seine Gegner riefen Demetrios III. zu Hilfe und besiegten ihn. Doch nach der Niederlage gingen rund 6000 zu ihm über, und Demetrios zog sich zurück. So wurde Alexander schließlich Herr des Aufstandes. Er feierte seinen Sieg, indem er 800 Gegner zur Dekoration für ein Festessen kreuzigen ließ (»So etwas war in Israel noch nie geschehen«, sagte der essenische Kommentator bei Nahum 2,12). Achttausend wurden landflüchtig; es gab keinen offenen Widerstand mehr (Bellum Judaicum 1,88 ff., Ant. XIII, 372 ff.). Nach Alexanders Tod im Jahre 76 machte Salome Alexandra, die nun 64 Jahre alt war, ihren ältesten Sohn, Hyrkanos II., zum Hohenpriester, während sie selbst die Zügel der Regierung in der Hand behielt. Unter ihrer Herrschaft gab es nur wenige militärische Auslandsunternehmungen; im Innern wahrte sie den Frieden, indem sie den Pharisäern freie Hand ließ, das Heer verdoppelte und es einsatzbereit hielt. So konnte sie den Pharisäern erlauben, viele Ratgeber ihres früheren Gatten (meist Sadduzäer) hinzurichten. Andere fanden einen Beschützer in ihrem jüngeren Sohn Aristobulos II. Bei ihrem Tod im Jahre 67 zwang er Hyrkanos zur Abdankung. Hyrkanos floh zu den Nabatäern, kehrte mit einem 50 000 Mann starken nabatäischen Heere zurück und schloß Aristobulos in Jerusalem ein. Nun legte sich der Legat des Pompeius ins Mittel. Beide Brüder hatten sich an Pompeius gewandt; er entschied zugunsten des Hyrkanos und setzte ihn wieder in Jerusalem ein (Bellum Judaicum I, 107 ff.; Ant. XIII 405 ff.).

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Bei der Beurteilung der religiösen Bedeutung der makkabäischen Geschichte muß man zwei Perioden unterscheiden: den Aufstand unter Judas und den Aufbau des makkabäischen Staates unter Jonathan und seinen Nachfolgern. Judas’ Erfolg rettete den monolatrischen Jahwe- Kult und bewahrte damit für die westliche Welt die Tradition religiöser Unduldsamkeit – entweder Jahwe oder die anderen Götter, entweder die ›wahre‹ Religion oder die ›falsche‹ –, eine Tradition, die durch das Christentum, das rabbinische Judentum und den Islam einer der Hauptfaktoren in der geistigen und politischen Geschichte geblieben ist. Das steht unstreitig fest, aber in zwei weniger wichtigen Punkten ist der Aufstand des Judas oft mißverstanden worden. Erstens hinsichtlich der Hellenisierung: Der Aufstand sollte die Beachtung des mosaischen Gesetzes sichern, besonders in den von den Hellenisierern angegriffenen Punkten, nämlich im öffentlichen Ritual (Verbot der Verehrung anderer Götter) und bei der Beachtung persönlicher Vorschriften, vor allem der Beschneidung, des Sabbats und der Speiseverbote. Er war aber kein Aufstand gegen den gesamten Hellenismus als solchen. Die Makkabäer schrieben an die hellenisierten Juden Ägyptens um Hilfe (II Makk. 1,7 f.), und Judas hatte Fühlung mit einer römischen Gesandtschaft (II Makk. 11,34ff.). Er hatte Männer in seiner Partei, die er als Gesandte nach Rom schicken konnte371. Er verwendete hellenistische Kriegsmaschinen (I Makk. 6,20,52) und hellenistische Formen der Weissagung (I Makk. 3,48), schmückte den Tempel in hellenistischem Stil (I Makk. 4,57), feierte seine Reinigung mit einer Prozession, bei der Thyrosstäbe und Palmen getragen wurden (II Makk. 10,7)372, und hat nach griechischer Art die Reinigungstage zu einem alljährlich wiederkehrenden Fest gemacht373. Gewiß waren die Makkabäer Anhänger der biblischen Überlieferung, und Judas veranstaltete eine Sammlung von Büchern, die zweifellos eine Vorläuferin des heutigen hebräischen Kanons war (II Makk. 2,14). Aber Erneuerung des Hebräischen bedeutet nicht Ablehnung des Griechischen. Die Hellenisierung der späteren Makkabäer steht fest, und selbst die strengstgläubigen Sekten waren nicht gegen den Hellenismus als solchen. Das Buch der Jubiläen schlug, obwohl gesetzestreu, die Einführung eines Sonnenkalenders vor; Bibeltext und -exegese der Pharisäer waren durch hellenistisches Gel ehrten turn geprägt374; in Qumran hat man griechische Manuskripte gefunden. Zweitens wurde der Aufstand oft mißverstanden in seiner Bedeutung für das Gesetz: Die Makkabäer setzten sich entschieden für seine Erhaltung ein, waren aber in seiner Auslegung liberal. Sie legten das Sabbatgesetz so aus, daß es die Notwehr gestattete (I Makk. 2,39 ff.). Sie nahmen ihre Siege in den Ritualkalender auf375 und führten wahrscheinlich das Purimfest ein376. Sie waren Rigoristen, indem sie Alkimos ablehnten, aber sie setzten nicht das legitime Geschlecht der Hohenpriester wieder ein. Die Chassidim, Eiferer des Gesetzes, zogen Alkimos den Makkabäern vor. Jonathans Hohepriesterschaft, die von Alexander Balas anerkannt wurde, hatte keine bessere Rechtsgrundlage als

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die Jasons oder Menelaos’, daher auch Simons Bemühen, sich durch eine Volksabstimmung ernennen zu lassen. Aber auch das war illegal. Nach dem Gesetz wurden die Hohenpriester von Gott ernannt. Die Opposition der Pharisäer gegen Hyrkanos und Alexander ist schon dargestellt worden. Begreiflicherweise wurden die Bücher der Makkabäer von den Pharisäern nicht in ihren Kanon aufgenommen. Der Erfolg der späteren Makkabäer hatte große religiöse Bedeutung, er erhöhte das Ansehen des monolatrischen judäischen Kults ungeheuer. Jerusalem wurde ein berühmter Wallfahrtsort, andere Stätten des Jahwe-Kults glichen sich dem judäischen Muster an. Diese Entwicklung wurde durch die makkabäische Diplomatie gefördert, die sich aus Rom ein Rundschreiben an die meisten Staaten am östlichen Mittelmeer verschaffte, das die Weisung enthielt, Hellenisierer, die in diese Länder geflohen waren, an Simon auszuliefern (I Makk. 15,15 ff.). Die Makkabäer verbreiteten außerdem den Judaismus in Palästina durch Beispiel, Einfluß und Zwang, man denke vor allem an die Zwangsbekehrungen der Idumäer und Ituräer. Durch die Gewinnung solcher Anhänger hofften die Makkabäer sowohl ihr militärisches Potential zu verstärken, als auch die Zahl der Juden zu vergrößern, denen Spitzfindigkeiten der Gesetzesauslegung gleichgültig waren – und so ein Gegengewicht gegen das Anwachsen der strenggläubigen Sekten zu schaffen. Auch die Versklavung ganzer Völkerschaften diente diesem Zweck (Bellum Judaicum 1,65,88). Durch sie wuchs die Zahl gewöhnlicher Juden, die keiner besonderen Sekte angehörten, und die die Pharisäer verächtlich »das Landvolk« nannten. Im Küstengebiet, in Idumäa, West-Transjordanien und Galiläa war diese nicht sektengebundene jüdische Bevölkerung fast gänzlich das Werk der späteren Makkabäer. Sie lieferte militärische Kräfte für die Aufstände gegen Rom und ein Reservoir volkstümlicher Frömmigkeit zur Unterstützung von Propheten und Wundertätern wie Johannes den Täufer und Jesus. Parallel zu dieser Entwicklung vollzog sich dagegen die Entstehung von Sekten, die sich durch besondere Auslegung des Gesetzes auszeichneten. Drei dieser Sekten, die Essener, die Pharisäer und die Sadduzäer, werden in der zweiten Hälfte der Amtszeit Jonathans als Hoherpriester zum erstenmal erwähnt (Ant. XIII, 171 ff.). In seiner Darstellung der Pharisäer und Sadduzäer der Makkabäerzeit schilderte Josephus sie irrtümlich als Philosophie-, statt als Gesetzesschulen. Auch in den ›Altertümern‹ (Antiquitates) bemühte er sich, die Pharisäer den Römern als diejenige Sekte zu empfehlen, die unterstützt werden sollte, wenn die Römer eine friedliche Regelung in Palästina wünschten. Deshalb ließ er Stellen aus, die für die Pharisäer ungünstig waren, und wiederholte ständig seine Behauptung, daß sie den größten Einfluß auf die Bevölkerung hätten und daß keine Regierung sich ohne ihre Unterstützung sicher fühlen könne377, ›Tatsachen‹ von denen er im ›Jüdischen Krieg‹378 wenig oder nichts sagte und die sich auch mit dem Ablauf der Ereignisse schwerlich vereinbaren lassen. Hyrkanos und Alexander blieben trotz des Widerstands der Pharisäer an

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der Macht; Aristobulos II., ein Feind der Pharisäer, genoß offensichtlich die Unterstützung der Mehrheit (Ant. XIII 427; XIV, 4). Die Mitglieder der Sadduzäer kamen hauptsächlich aus der Oberschicht der Priester (Acta 5,17) und der Reichen (Ant. XIII, 298). Entscheidend in ihrer Einstellung zum mosaischen Gesetz war die Leugnung der bindenden Kraft von Überlieferungen außerhalb der geschriebenen Gesetze (Ant. XIII, 297). Deuteronomium 17,18 f. legt die Beurteilung strittiger Fälle in die Hände der levitischen Priester und des »Richters« (wahrscheinlich interpretiert, »Hoherpriester«) an der Bundeslade; für ein oberstes Gericht liegt der Vorteil, nicht an Überlieferungen gebunden zu sein, auf der Hand. Die Leugnung der bindenden Kraft von Überlieferungen schließt ihre Berücksichtigung nicht aus, und die Sadduzäer hatten ihre eigenen Überlieferungen und folgten ihnen gewöhnlich379. Über Hyrkanos versuchten sie sogar, das Volk zu zwingen, das gleiche zu tun (Ant. XIII, 296). Da die Partei der Sadduzäer sich hauptsächlich aus alten Priesterfamilien zusammensetzte, gehörten die Makkabäer nicht zu ihren Mitgliedern. Hyrkanos soll seine Gunst von den Pharisäern auf die Sadduzäer übertragen haben; daß er einer der beiden Parteien angehörte, ist unwahrscheinlich. Als reiche Aristokraten waren die Sadduzäer vermutlich hellenisiert, doch folgt daraus nicht, daß sie dem Gesetz gleichgültig gegenüberstanden. Ihre Höfe standen im Rufe der Strenge, und Josephus schildert sie als peinlich genau in rituellen Dingen. Als Pompeius im Jahre 63 den Tempel einnahm, fuhren die sadduzäischen Priester mit den vorgeschriebenen Opfern fort, bis sie am Altar niedergemacht wurden (Bellum Judaicum I,150 – das ist nicht wörtlich zu nehmen, aber doch bezeichnend für den Ruf, in dem sie standen). Die Pharisäer (›die Abgesonderten‹ d.h. von Unreinheit) hatten eine besondere Überlieferung der Gesetzesauslegung und führten viele Vorschriften ein, die nicht im geschriebenen Gesetz standen, und die sie dem Volke durch Verwaltungsverordnungen aufzuzwingen versuchten (Ant. XIII, 296 f., 408). Sie bevorzugten milde Strafen (a.a.O. 294), und die Essener nannten sie »diejenigen, die glatte Dinge suchen« oder »geschmeidige Auslegungen geben«380. Das deutet auf eine Mittlerstellung. Die Quelle ihrer Überlieferung ist unbekannt; für ihre Behauptung, sie sei über Simon den Gerechten auf sie gekommen, gibt es keinen Beweis. Wie diese Überlieferung in der Makkabäer-Zeit aussah, ist ebenfalls größtenteils unbekannt. Einige Mitglieder der Partei wandten sich gegen das Hohepriesteramt der Makkabäer und scheinen die Aufstände unter Hyrkanos und Alexander geführt zu haben. Daher sind es wahrscheinlich die Pharisäer gewesen, die Demetrios III. ins Land riefen und die meisten der 800 Gekreuzigten und der 8000 Landflüchtigen stellten. Um das Jahr 10 v. Chr. zählten sie mehr als 6000 (Ant. XVII, 42). Ihre Verbannungen, ihre Hinrichtungen und die Wiedereinführung ihrer Sektenvorschriften durch Rechtsbestimmungen unter Salome und Hyrkanos II. trugen wahrscheinlich viel dazu bei, Aristobulos II. die Unterstützung des Volkes zu gewinnen. Als Pompeius nach Damaskus

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kam, wandten sich etwa zweihundert judäische Standespersonen an ihn und erklärten, die Vorfahren der Makkabäer hätten rechtswidrig die Vorrangstellung gegenüber den Juden erlangt, die Gesetze der Ahnen abgeschafft und die Bürger versklavt. Von Rechts wegen sollten die Juden keinen König, sondern nur einen Hohenpriester haben (Reinach, Textes ..., S. 76, vgl. Ant. XIV, 41). Daß dies die Pharisäer waren (die durch Hyrkanos zu regieren hofften, Ant. XIII, 423) oder die Sadduzäer (deren Führer von Aristobulos gerettet worden waren, Bellum Judaicum 1,114; Ant. XIII, 411) ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, daß es die judäischen besitzenden Schichten waren, die keiner der Sondersekten angehörten. Mag sein, daß wir in den Büchern Judith und Tobias ihr Werk vor uns haben (vgl. Fischer Weltgeschichte Bd. 5, Kap. 18). Sektiererische wie nationale Entwicklungen trugen zu einer neuen Blüte der hebräischen Literatur im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. bei, die mit den Sprüchen von Jesus Sirach (um 180) beginnt. Essenisches und verwandtes Material wurde schon erwähnt. Die Essener-Hymnen gehören zu den Meisterwerken der Zeit. Ihr schizophrener Wechsel zwischen dem Leib der Verderbnis und dem Geist der Gnade tauchte bei Paulus mit einem unermeßlichen Einfluß wieder auf. Einige der kanonischen Psalmen (z.B. 79 und 149) mögen aus der MakkabäerZeit stammen, ebenso wie gelegentliche Glossen in den prophetischen und historischen Büchern, besonders in den Büchern der Chronik. Die ›Apokalypse‹ (der Bericht über eine Vision, deren Einzelheiten sich auf die Geschehnisse einer vorgeblich künftigen Geschichte beziehen, mit einer darauf folgenden Erläuterung dieser Bezüge und der Vorwegnahme eines von Gott bestimmten Weltendes) erscheint bei Henoch und Daniel (164/63) und bildet seitdem ein allgemeines Ausdrucksmittel der Theodizee und frommer, blutrünstiger Erwartung. Im Zusammenhang mit apokalyptischen Berichten tauchen solche von Himmelfahrten auf, vom Thron Gottes und der Liturgie der Engel. Diese sind später in der Magie und der Mystik von Wichtigkeit. Auch die typologische Exegese, die die Texte behandelt, als wären sie apokalyptische Visionen, und die jede Einzelheit als Bezugnahme auf irgendein künftiges Ereignis erklärt, hängt mit der apokalyptischen Exegese zusammen. Im ersten Makkabäer-Buch bringt die alte hebräische Geschichtsschreibung ihr letztes Meisterwerk hervor. Kennzeichnend für diese ganze Literatur ist der ›Klassizismus‹, der Werken der hellenistischen Periode in hebräischer wie in griechischer Sprache sein Gepräge gab. I Makk. ahmt die klassischen hebräischen Geschichten nach, Daniel und Henoch, die Propheten, das Buch der Jubiläen und der Testamente, die Genesis. Jesus Sirach individualisiert die Sprüche Salomons, die Hymnen leiten sich von den Psalmen ab, Glossierung und Exegese sind typisch für das hellenistische klassische Gelehrtentum. Das gilt auch für die Aufstellung eines Kanons anerkannter Werke. Die Tatsache, daß der Kanon der klassischen Propheten schon in der Ptolemäer-Zeit abgeschlossen worden war, hatte die praktische Folge, daß die Propheten der Makkabäer-Zeit (Bellum Judaicum 1,68 f.) niemals den Propheten der alten Zeit gleichgeachtet wurden. Als daher Simon

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sich das Amt des Hohenpriesters auf Lebenszeit sichern wollte, konnte er legalistische Einwände mit der Forderung besänftigen, das solle nur gelten, »bis ein wahrer Prophet aufsteht« (I Makk. 14,41). In der Literatur bedeutet das, daß die von der makkabäischen Geschichte verkündeten Prophezeiungen nicht unmittelbar ausgesprochen werden konnten, sondern im Gewande alter Prophezeiungen von Daniel, Henoch und so weiter erscheinen mußten. Aber trotz dieses Bemühens um klassische Vorbilder ist die Literatur der Makkabäer-Zeit reich an neuen Entwicklungen. Neben den schon genannten Werken brachten sie die Legende des Märtyrers hervor (II Makk. 6,18 ff., 7 usw.). Der Vorläufer des Märtyrers war der Bekenner, dessen Treue zu seinem Glauben ihn an den Rand des Todes brachte, von dem er gewöhnlich durch ein Wunder gerettet wurde (z.B. Daniel und die »drei heiligen Kinder«). Der Märtyrer stirbt. Das setzt ein Leben nach dem Tode voraus, und II Makk., wo die Märtyrerlegenden erscheinen, setzt sich auch für die Auferstehung der Toten ein (12,43 f., vgl. Daniel 12,2 f.). Der Streit darum zeigt jedoch, daß dieser Glaube noch nicht allgemein anerkannt war, selbst nicht bei den mutmaßlichen Lesern – die Sadduzäer bekannten sich niemals dazu (Acta 23,8). Als literarisches Werk ist die Märtyrerlegende eine Sonderform der frommen Kurzgeschichte. In der Makkabäer-Zeit müssen viele Kurzgeschichten auf hebräisch entstanden sein. Griechische Übersetzungen des Buches Judith, Tobias und der Anhänge zu Daniel sowie der Originaltext des Buches Esther haben sich erhalten. Als schmückendes Beiwerk dieser Geschichten waren Gebete, Sündenbekenntnisse und Dankeshymnen beliebt und zirkulierten auch für sich (das Gebet des Manasse, Baruch, die Oden). Ein Beweis für den Erfolg des Buches Esther ist das Purimfest, das die Erhaltung des monolatrischen Jahwe-Kults in der Diaspora feiert. Die Übernahme des Festes und die Bewahrung dieser Geschichte durch die Makkabäer ist eines der Zeichen für ihr Bemühen um die Diaspora und für deren Einfluß und mutmaßliche Unterstützung in Palästina, Faktoren im Hintergrund der vorangegangenen Geschichte, die nicht übersehen werden sollten. IV. Mesopotamien unter der Herrschaft der Seleukiden Die Geschichte der hellenistischen Monarchien und besonders die der Beziehungen zwischen den griechischen Gemeinden und der einheimischen Umwelt ist eine der schwierigsten und am unzulänglichsten dokumentierten in der Geschichte des Altertums. Das Unterfangen, das hellenistische Mesopotamien zu studieren, könnte als eine hoffnungslose Aufgabe von mäßigem Interesse erscheinen, so lückenhaft ist die Dokumentation, so glanzlos ist diese Periode im Gegensatz zu den vorhergehenden fünfundzwanzig großen Jahrhunderten der Kultur. Und doch wissen wir, daß Mesopotamien – und ganz besonders Babylonien – in der politischen Gedankenwelt der Seleukiden dazu bestimmt war, einen der Pfeiler ihres Reiches zu bilden. Wir besitzen Keilschrifttäfelchen, die uns über die eingeborene Bevölkerung Aufschlüsse

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geben, wie sie nur Ägypten in noch beträchtlicherem Umfang bietet. Und endlich ist es immerhin möglich, daß die Gedanken und die Arbeiten der babylonischen Gelehrten das Werk ihrer griechischen Kollegen in der hellenistischen Zeit angeregt und gefördert haben und so zur Entstehung eines wissenschaftlichen Denkens beitrugen, dessen Kern in Europa bis in die heutige Zeit lebendig bleiben sollte. Das würde genügen, um den Historiker, der die Geschichte dieser Epoche erforscht, zu veranlassen, die vorhandene Dokumentation nach besten Kräften auszunutzen. Er muß sie zunächst kritisch sichten, werten und alles, was er daraus entnehmen kann, beurteilen. Bezüglich der Informationen der griechischen und lateinischen Historiker und ihrer Unzulänglichkeit verweisen wir auf die Kapitel über die Geschichte der hellenistischen griechischen Welt. Wir befassen uns hier mit der im Orient selbst, an Ort und Stelle zusammengetragenen Dokumentation. Verglichen mit der Masse der demotischen und griechischen Papyrustexte Ägyptens erscheint die Anzahl der Keilschrifttexte geradezu lächerlich gering, und man hat etwas voreilig behauptet, in den letzten Jahrhunderten vor der christlichen Ära sei das Akkadische zur toten Sprache geworden. Tatsächlich lassen verschiedene Anzeichen die Feststellung zu, daß damals das Aramäische überall im täglichen Leben verwendet wurde, ebenso wie das Griechische, die Sprache der Verwaltungsbeamten, der Kaufleute und Soldaten. Nur ausnahmsweise wurden die Buchstaben der einen oder anderen dieser beiden Sprachen in Ton gegraben, sicherlich aber schrieb man sie auf Papyrus oder auf Leder, Material, das sich im mesopotamischen Klima nicht erhalten hat. Nur ein einziges vollständiges Pergament, es stammt aus Dura-Europos, ist aufgefunden worden, aber Seleukeia am Tigris, die riesige Hauptstadt, die vielleicht 600 000 Einwohner hatte, hinterließ uns nur unbedeutende Bruchstücke. Von den verschwundenen Texten wissen wir zumindest, daß sie existiert haben: An mehreren Fundstätten hat man die flachen Siegel und die bullae (Rollsiegel, eine Art Hüllen, aus Ton wie die Siegel, mit verschiedenen Hinweisen versehen) entdeckt, die dazu dienten, die Dokumente, denen sie angefügt wurden, für gültig zu erklären. Überraschender ist, daß man so wenige griechische Inschriften gefunden hat, selbst wenn man die mitzählt, die zur parthischen Epoche gehören und uns die Beständigkeit der hellenischen Kultur bezeugen. Wir müssen jedoch die Umstände berücksichtigen, unter denen die archäologische Forschung erfolgte. Zunächst gab es ungeheuerliche Zerstörungen. Wir brauchen, um nur von der Antike zu sprechen, nur an die Kriege der Seleukiden gegen die Parther und die der Parther und später der Sassaniden gegen die Römer zu erinnern. Oft sind die Zeugen der hellenistischen Epoche seit dem Altertum verschwunden, und zwar auf Grund der römischen Stadtanlagen, die das beste Beispiel für die Pax Romana waren, oder auf Grund der von den Arsakiden-Königen befohlenen Umgestaltungen: So kann man Dura-Europos, wie es von den Archäologen aufgefunden wurde, kaum eine hellenistische Stadt nennen, obwohl sie von Seleukos I. gegründet worden war. Und schließlich sind die an Dokumenten der

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hellenistischen Epoche reichen archäologischen Fundstätten oft vergessen oder vernachlässigt worden. Die Ausgrabungen von UrukWarka sind ein Ausnahmefall; die Ergebnisse umfassen drei Jahrtausende Ortsgeschichte. Wir wissen aber, daß die Ausgrabungen in Babylon zur besseren Erkenntnis der letzten Jahrhunderte seiner Geschichte wieder aufgenommen und weiterverfolgt werden sollten. Aber ist es verwunderlich, daß die Archäologen zuerst daran dachten, nach den Zeugnissen der Geschichte früherer Jahrhunderte zu suchen, als Babylon die größte Stadt des alten Orients war? Mitunter besteht die Gefahr, daß wir die relative Bedeutung der Entdeckungen falsch einschätzen. Die Funde von Susa sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß Seleukeia am Eulaios (so lautete der neue Name der Stadt, nachdem sie zum Rang einer polis erhoben worden war), nur ein Marktflecken war. Und man hat die Auffassung vertreten können, daß Dura-Europos fast zu gut ausgegraben, zu sehr erforscht worden sei, weil diese Stadt von durchschnittlicher Bedeutung in der Geschichte der Beziehungen zwischen Griechen und Eingeborenen vielleicht einen extremen und einzigartigen Fall darstellte: Aus der Bedeutung des einheimischen Elements seit dem 2. Jahrhundert v. Chr., dem Gebrauch des Aramäischen und der Verehrung semitischer Gottheiten hat man schlußfolgern können, daß DuraEuropos ein vollendetes Beispiel für das Versagen der Hellenisierungspolitik sei. Umgekehrt hat man mit der Feststellung, daß die makedonische Bevölkerung bestrebt gewesen sei, die Reinheit ihres Blutes zu erhalten, und daß die neue Bestimmung der Stadt dem Bedürfnis der Parther entsprang, sich eine Grenzfeste zu sichern, indem sie die Stadt nun mit Orientalen bevölkerten, die Behauptung belegen können, die Geschichte von Dura-Europos stelle nur eine Episode in den wechselvollen Kämpfen der Reiche dar, nicht aber die endgültige Auslöschung eines seit langem todgeweihten Hellenismus. Unsere Dokumentation muß also feiner gesiebt werden. Zunächst besteht immer die Möglichkeit neuer Entdeckungen in den Magazinen der Museen und an den Ausgrabungsstätten. Bis in die jüngste Zeit glaubte man, daß ein aus dem Jahre 7 v. Chr. datiertes Tontäfelchen etwa das Ende der Keilschriftliteratur darstelle; heute wissen wir, daß noch im Jahre 75 n. Chr. ein ungedrucktes astronomisches Täfelchen geschrieben wurde (vgl. O. Neugebauer, Astronomical cuneiform texts. Princeton 1955, Bd. I, S. 10). Es gibt Feststellungen, die nicht entkräftet werden können: Lange hat man die rund 150 Keilschriftverträge der Seleukidenzeit den 7000 neubabylonischen und persischen Verträgen entgegengehalten. Eine aufmerksame Durchforschung der Museumsreserven wird zweifellos ergeben, daß die Zahl der Verträge aus der seleukidischen Zeit mindestens verdoppelt werden kann; aber dasselbe gilt wahrscheinlich für die Texte der beiden vorangehenden Jahrhunderte, die nach Tausenden zählen, während es von den ersten nicht mehr als ein paar hundert gibt. Die Keilschrift hat, zumindest im Alltagsgebrauch, der aramäischen Sprache und Schrift einfach weichen müssen. Aber die neueste Ausgabe der astronomischen, nichtmathematischen Texte der seleukidischen Epoche weist nicht weniger als

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1648 Tafeln auf, und die religiösen und literarischen Texte zählen nach Hunderten. Es gibt also eine Anzahl vergessener oder nicht beachteter Texte, deren Veröffentlichung manche Urteile im Kern oder in Nuancen ändern kann. Seit siebzig Jahren ist der Mythos von der esoterischen Lehre der chaldäischen Weisen, die sich auf eine überwuchernde Astrologie gründete und von einer Zahlenmystik durchdrungen war, durch die Arbeit der Fachgelehrten zerschlagen worden. Die chaldäische Wissenschaft sah ganz anders aus; ihr Wesen wird man erst auf Grund einer langen und strengen Publikationsarbeit wissenschaftlicher Texte wirklich erkennen, unter denen die mathematischen Texte als letzte in Angriff genommen worden sind. Das Akkadische war noch nicht im Aussterben begriffen. Es war zumindest die Sprache der Gebildeten, Gelehrten und Juristen und wurde oft gesprochen, wie die Fehler bezeugen, mit denen es durchsetzt war und die seine morphologische und syntaktische Vereinfachung bekunden. Niemand weiß, was man genau von den späteren Arbeiten der Archäologen zu erwarten hat. Die späte Erforschung der Keilschriftquellen der hellenistischen Epoche hat bereits zu bedeutsamen Ergebnissen geführt. Die Veröffentlichung der Babylonischen Chronik, die sich auf die Diadochen bezieht, im Jahre 1924 hat unsere Kenntnis auf unverhoffte Art und Weise vervollständigt: Die klassischen Autoren sagten nichts über die Händel zwischen Antigonos dem Einäugigen und Seleukos I. nach 312. Das Keilschriftdokument hat offenbart, daß der Krieg zwischen den Jahren 310 und 307 den Orient verheerte, zu einer Zeit, als Antigonos, der durch seinen Rivalen von der Stoßrichtung zum Ägäischen Meer ferngehalten wurde, sich bemühte, den Orient mit seinen gewaltigen Hilfsmitteln in seine Gewalt zu bringen. Zu den so heiklen Problemen der hellenistischen Chronologie haben die Keilschrifttexte, wenn vielleicht auch keine unmittelbaren Lösungen, so doch wenigstens derart zahlreiche Elemente beigetragen, daß ihre systematische Erforschung eines Tages eine große Zahl von Lösungen bieten wird. Schon heute hat ein Verzeichnis der Könige der hellenistischen Epoche die feststehende Chronologie der Jahre 281–279 in Frage gestellt, indem sie den Todestag von Seleukos I. um einige Monate veränderte; er wäre danach zwischen dem 25. August und dem 24. September 281 anzusetzen und nicht mehr im Dezember, wie das bisher geschah. Die hellenistische Epoche in Mesopotamien bildet sicherlich einen lebhaften Gegensatz zu den vorangegangenen Jahrhunderten, als die mesopotamischen Reiche durch ihre Macht und ihre glänzende Zivilisation in hohem Ansehen standen. Aber die Untersuchung und Auswertung der Dokumente dieser Epoche sind noch zu unzulänglich, um endgültige Urteile zu gestatten. Ebenso wie die Gelehrten das Bild eines Babyloniens mit einer Geheimwissenschaft zerstört haben, sollte man sich heute davor hüten, auf den raschen Tod der überlieferten Kultur zu schließen oder die Anwesenheit der Griechen in Mesopotamien für unerheblich zu halten, weil wir nur eine kleine Anzahl Inschriftentexte besitzen.

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Eine umfassendere Dokumentation würde in erster Linie eine bessere Beurteilung der Stellung Mesopotamiens und besonders Babyloniens im Gesamtbild des Reiches und der Politik der Seleukiden ermöglichen. Im allgemeinen stellt man die Haltung der griechischen Herrscher der der Achämeniden gegenüber, Xerxes, der das aufständische Babylon zwischen 484 und 482 zerstören ließ, gegenüber Alexander, der es zu seiner Hauptstadt machte und 331 den Wiederaufbau des Marduk-Tempels befahl. Die Diadochenkämpfe waren eine Zeit des Mißgeschicks. In den blutigen Konkurrenzkämpfen war Mesopotamien ein nur allzu begehrter Einsatz und wurde von den Heeren der Diadochen verwüstet. Seit 321, nach dem Teilungsvertrag von Triparadeisos, war Seleukos Satrap von Babylonien, aber dem Strategen der Asienheere, Antigonos dem Einäugigen, untergeordnet. Er diente Antigonos gegen Eumenes von Kardia, der Babylon im Jahre 318 eroberte, aber 316 nach seiner Niederlage bei Gadamarga umkam. Als Antigonos siegreich von diesem Feldzug heimkehrte, wurde er von Seleukos empfangen, der Babylon bereits zurückerobert hatte. Die Gründe und die Umstände des Zerwürfnisses zwischen den beiden Männern kennen wir nicht. Seleukos floh nach Ägypten, vielleicht, weil er Antigonos durch seine Gewalt über die Satrapie Babylonien in Unruhe versetzt hatte. Die Stadt wurde geplündert und mitsamt ihrer Provinz einem Sohn Agenors, Peithon, übertragen. Seleukos nahm Rache, als das Heer des Antigonos bei Gaza von Ptolemaios (312) geschlagen worden war. Mit tausend Mann bemächtigte er sich Babylons, versicherte sich erneut seiner alten Satrapie und zog gegen Osten, um das Reich Alexanders für sich wiederaufzurichten. Von dem allgemeinen Frieden im Jahre 311 wurde er ausgeschlossen, weil Antigonos die ungeheuren Hilfsquellen der orientalischen Satrapien nicht einem Rivalen überlassen konnte. Demetrios Poliorketes war 311 im Zuge eines kurzen Stoßtruppunternehmens in Babylon eingedrungen, und die Stadt hatte wiederum eine Plünderung erlebt. Von 310 bis 307 wurde Mesopotamien zu einem der Schlachtfelder, auf dem sich die Heere der beiden Rivalen gegenüberstanden, ohne daß Antigonos vermocht hätte, es Seleukos zu entreißen, der es bis zum Frieden von 307 behielt. Das Gleichgewicht der Kräfte entwickelte sich zu Ungunsten von Antigonos. Als der Krieg im Jahre 303 wieder aufflammte, siegten die Verbündeten durch die Heeresmacht des Seleukos und besonders seiner Kriegselefanten. Antigonos wurde 301 bei Ipsos geschlagen und getötet; seine Mesopotamienoffensive hatte nur zur Eroberung und Plünderung Babylons im Sommer 302 geführt. Nach Ipsos war für Seleukos der Besitz eines riesigen Reiches, das sich von Syrien bis zum Indus erstreckte, gesichert. Babylonien war das erste Element dieses Ganzen gewesen; die Erinnerung daran sollte für immer lebendig bleiben. Seleukos hatte, wie die anderen Diadochen, im Jahre 305/04 den Königstitel angenommen. Er betrachtete jedoch den Tag seines Einzugs in Babylon im Jahre 312, nach der Schlacht von Gaza, als den Beginn einer neuen Ära, die zur seleukidischen Ära werden sollte. Je nachdem, ob man den ersten Monat des

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makedonischen Kalenders, Dios (Oktober), oder den des mesopotamischen Kalenders, Nisannu (März/April), als Jahresbeginn nimt, fing die seleukidische Ära entweder im Oktober 312 an – so rechnete man in den westlichen Provinzen des Reiches – oder im März/April 311 – so in Babylonien und den orientalischen Satrapien. Geschlossenheit und Bequemlichkeit dieser Datierungsart waren der Grund, warum man sie im Orient noch weit über die Seleukiden-Herrschaft hinaus beibehielt. Babylonien blieb das Herz des neuen Reiches, aber Seleukos wollte Babylon nicht zu seiner Hauptstadt machen, vielleicht, weil es verwüstet war, vielleicht auch, weil er seinen Namen einer von ihm zu schaffenden Hauptstadt geben wollte. Am wahrscheinlichsten ist, daß er Seleukeia am Tigris gründete, um als griechischer König Herr über eine griechische Stadt zu sein und nicht über eine Stadt, die der vollendete Ausdruck der Kultur der Barbaren war. Als Stadt, die Babylon ergänzte und gleichzeitig Rivalin Babylons war, wurde ihr während der Regierungszeit Seleukos’ I. und Antiochos’ I. ein Teil der Bevölkerung Babylons zugewiesen. Die alte chaldäische Stadt verlor entsprechend an Bedeutung. Die beiden Könige ließen nur eine begrenzte Zahl von Einwohnern der Tempelbezirke dort. Die in Babylonien durch die Existenz von zwei Hauptstädten geschaffene Situation, eine die Erbin einer großartigen Vergangenheit, die andere neu, aber stark durch ihre politische und wirtschaftliche Lage, durch die sie eine Bevölkerungszahl von vielleicht 600000 Menschen erreichte, war die Folge des politischen Planes der Seleukiden: im Herzen ihrer Staaten ein zusammenhängendes hellenisiertes Gebiet zu schaffen, das fest in ihrer Hand war und dessen orientalische Satrapien nur ein Anhängsel darstellen sollten. Zu diesem Zwecke wollten sie anfangs eine Art neues Makedonien in Syrien und Nord-Mesopotamien gründen, wie das aus den zahlreichen Städtegründungen und den makedonischen oder dynastischen Namen deutlich wird, die sie diesen Städten gaben. Im Osten des aus Antiocheia, Laodikeia, Apameia und Seleukeia in Pieria gebildeten Kerns setzte sich in zahlreichen Städten jenseits des Euphrats die Anwesenheit einer verhältnismäßig zahlreichen griechisch-makedonischen Bevölkerung fort, so in Zeugma, Amphipolis, Makedonopolis, Karrhai, Edessa, Nikephorion usw. Aber in Assyrien wissen wir nur von der Existenz eines Alexandreia, Demetrios und Apollonia; das Streben der Seleukiden-Könige hatte seine Grenzen. Im Gegensatz zu Syrien und West-Mesopotamien, wo die Zahl der Städte und die Zahl der Griechen und Makedonen verhältnismäßig hoch war, handelte es sich hier nur um weit auseinander liegende Gründungen. Zwischen Edessa und Assyrien gab es kaum mehr als die Städte Antiocheia in Mygdonia (Nisibis) und Epiphaneia. Die griechisch-makedonische Bevölkerung der Städte oder der Landstädtchen blieb dort zu dünn gesät, als daß die Seleukiden bereit gewesen wären, neue Städte (mit allen einer polis gewährten Privilegien) vor Antiochos IV. Epiphanes (175–169) zu gründen. Dagegen war Babylonien mit seiner Fortsetzung Susa ein bevorzugtes Gebiet.

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Zum Osten hin bildeten die Festungen und die verstreuten Städte im Hochland von Iran ihre Vorposten; nach Norden und Nordwesten sicherten die Festungen längs der Täler von Tigris und Euphrat die Verbindungen mit Syrien und dem Norden Mesopotamiens. Dura-Europos war die berühmteste dieser Gründungen, die sowohl militärische als auch kommerzielle Aufgaben hatten. Im Herzen Babyloniens lag Seleukeia am Tigris, ein großes Handels- und Bankenzentrum, der Sammelplatz der Griechen, die sich bis an die Einfallstore Asiens vorgewagt hatten; Seleukeia war die politische Hauptstadt des seleukidischen Orients, die Residenz Antiochos’ I., der als Vizekönig über die orientalischen Satrapien gebot (286). Rund um diese riesige Schwerpunktstadt bezeugten Seleukeia am Eulaios (das alte Susa), Seleukeia von Erythrea am Persischen Golf, mehrere Apameiai und Antiocheiai die Anwesenheit der Griechen, an der Küste Arabiens die Marktflecken in Larissa, Chalkis und Arethusa. Aber Babylonien hatte eine sehr starke eingeborene Bevölkerung, und die Städte Babylon und Uruk waren noch zu bedeutend, selbst nachdem man Babylonier nach Seleukeia am Tigris deportiert hatte, als daß die Seleukiden es wagen konnten, griechische Städte daraus zu machen. Ihre Anstrengungen, sie wenigstens teilweise zu hellenisieren, gehen aus dem Studium der Beziehungen zwischen der griechischen Kultur und den noch lebenden Traditionen der babylonischen Kultur hervor. Sicher ist, daß Babylonien für die Seleukiden ein besonders wichtiges Gebiet darstellte. Nord-Mesopotamien, seit dem Fall der assyrischen Macht verwüstet, war nichts weiter als eine Fortsetzung des seleukidischen Syriens, und das Leben im Zwischenstromland, sofern es jemals eins gegeben hat, mußte sich von nun an im Schöße immer enger begrenzter Gebietseinheiten abspielen. Verwaltungsmäßig unterschieden die Seleukiden die Satrapien von Mesopotamien (Oberlauf von Euphrat und Tigris) und Babylonien sowie die Strategie Parapotamien (Mitteleuphrat). Die Satrapien waren wieder in Eparchien unterteilt, die an ihrem Namen erkenntlich waren, der häufig mit -ene endete, und die sich oft nach zwei- oder dreihundert Jahren in kleinen regionalen Einheiten organisierten, in denen der alte Partikularismus wiederauflebte. Charakene entsprach dem alten Land am Meer, Adiabene Assyrien, Osroene Bît Adini usw. Was wir vom Wirtschaftsleben wissen, bestätigt die Teilung des Zwischenstromlandes in große, voneinander unabhängige Regionen. Münzen und Töpferwaren, die man in Nord-Mesopotamien, vor allem in Ninive und Nimrud gefunden hat, bezeugen, daß das ganze Gebiet ständige Beziehungen zum Westen unterhielt, während Babylonien und Susiana, ohne sich jedoch abzusondern, ein Verbreitungsgebiet für Erzeugnisse und den Tauschverkehr mit den Ländern des Ostens darstellten. Nun wurde Mesopotamien wiederum zum Kriegsschauplatz, als Ptolemaios III. im Verlaufe des Dritten Syrischen Krieges (246 bis 241) in das Land einfiel oder als Antiochos III. den Usurpator Molon bekämpfen mußte, der sich ein Reich von Babylonien bis zur Baktriana zusammengerafft hatte (222–220). Aber

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erst im 2. Jahrhundert wurde es dann durch ständige Kriege erneut in Blut getaucht. Die dynastischen Kämpfe und die widerrechtlichen Besitzergreifungen und die Ränke Roms, das diese Kämpfe begünstigte, schwächten die Seleukiden derart, daß sie nicht verhindern konnten, daß Armenien und Palästina ihrer Gewalt entglitten, und daß sie vor allem keine wirksame Abwehr gegen die Angriffe der Parther zustande brachten. Seit dem 3. Jahrhundert verheerten diese die orientalischen Satrapien durch ihre Reiterüberfälle. Vom 2. Jahrhundert an wurde Mesopotamien, zuerst zeitweilig, zum Grenzgebiet. Nach der Regierung von Antiochos IV. war die oftmals dunkle Geschichte Mesopotamiens nur noch ein Wirbel von Feldzügen und Rückeroberungen, bei denen Könige und Abenteurer zusammenwirkten, um das Land zu verwüsten. Während Antiochos V., Alexander Balas und Demetrios I. sich um den Thron stritten, erklärte sich Timarchos, der Satrap von Medien, zum König von Babylon; nach einjähriger Regierung wurde er von Demetrios I. getötet (161–160). Dann kamen die Parther. Mithridates, der im Jahre 153 in Mesopotamien einfiel, bemächtigte sich Babylons im Juli 141. Demetrios II. nahm es ihm wieder ab. Er eroberte es im Jahre 140 zurück und sicherte die Anwesenheit der Parther, indem er das Militärlager Ktesiphon gründete. Die Grenze des Seleukiden-Reiches lag jetzt am Euphrat. Antiochos VII. Sidetes unternahm den letzten großen Feldzug der Dynastie. Im Jahre 130 wurde Babylonien wiedererobert, aber die seleukidische Armee wurde im Frühjahr 129 in Medien endgültig vernichtet. Diese Niederlage, »die Katastrophe des Hellenismus in Kontinentalasien und gleichzeitig die des seleukidischen Reiches« (E. Meyer) warf die Seleukiden endgültig über den Euphrat zurück. Das Unheil Babyloniens war keineswegs zu Ende; soweit wir vor allem durch Münzen wissen, erklärte ein ehemaliger Satrap Antiochos’ VII., Hyspaosines, sich für unabhängig und herrschte mit dem Titel ›König von Babylon‹ über Charakene. Er gründete erneut ein Antiocheia, das am Persischen Golf lag, unter dem Namen Spasinou Charax (das ›Bollwerk des Hyspaosines‹). Längs des Euphrat entstand eine Reihe kleiner Königreiche, die von arabischen Zaunkönigen regiert wurden, die dem Namen nach Vasallen der Seleukiden oder der Parther waren. Der größte unter ihnen war der von Osroene (dem alten Bit Adini in der Schleife des Euphrat), wo im Jahre 130 König Abgar regierte. Es war die Rückkehr zu einer politischen Zerbröckelung, die nur die großen Reiche verhindert hatten. Ferner hatte das assyrische Reich der Sargoniden im Augenblick die Quasi-Unabhängigkeit des Landes am Meer zugestehen müssen. Ein gewisser Himeros eroberte Charakene zurück, besetzte und plünderte Seleukeia am Tigris und Babylon und drangsalierte die Einwohner. Aber er verriet den Arsakiden-Herrscher, zu dessen Generalen er gehörte, machte sich zum König von Babylon und ließ als erster die Schriftstücke gleichzeitig nach der Seleukiden- und der Arsakiden-Ära datieren (126–122). Mithridates II. machte dem kleinen Königreich durch einen letzten Feldzug, bei dem Babylon zum neunten Male in weniger als vierzig Jahren ein Heer in seine Mauern einziehen sah, ein Ende.

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Seit der Regierung Seleukos’ II. (246–226) führten die Seleukiden in Babylonien keinen weiteren Titel als den des ›Königs‹ und unterwarfen sich keinen Krönungszeremonien, die bedeutet haben würden, daß die Satrapie einen politischen Sonderstatus genoß. Man schrieb ihnen jedoch das Verdienst zu, eine politische Tradition wiederaufzunehmen, die Autorität und Wohlwollen vereinte, dabei setzten sie nur für Babylonien Regierungsgrundsätze in Kraft, die für ihr ganzes Reich Gültigkeit hatten. Das genügte, um ihnen das Lob zu spenden, sie achteten die Traditionen, die von den letzten Achämeniden mit Füßen getreten worden waren. Sie führten für ihr ganzes Reich ein System neuer Steuern und Abgaben ein, dem auch Babylonien unterworfen wurde, obwohl sie den Tempeln einige der Sonderrechte gewährten, die sie vielen Heiligtümern zubilligten, wie die Befreiung von den Gebühren für die Eintragung bestimmter Rechtsurkunden. Sie plünderten die Schätze der Götter nicht, obwohl sie weder in Jerusalem noch in Elam darauf verzichtet hatten und die Tempel Babyloniens sehr reich waren, soweit sich das aus den Geschäften schließen läßt, deren Gegenstand die geistlichen Pfründen waren. Sie halfen beim Wiederaufbau und der Verschönerung der Tempel der alten Städte, dort wie anderswo, und besonders wie Laodike das für den Tempel von Bambyke tat. Verantwortlich für die Bauten in Uruk waren zwei hellenisierte Landeskinder, die stolz auf ihre Namen Nikarchos und Kephalon waren. In Babylon ließ Antiochos I. die Abtragung des Marduk-Tempels Esagila vollenden; was er hinterher dort errichten ließ, wissen wir nicht. Derselbe Herrscher restaurierte den Ezida, den Nabu-Tempel in Borsippa (269/268). Das ganze 3. Jahrhundert hindurch ist von Landschenkungen die Rede, die den »Babyloniern, Borsippern und Kutheenern« gewährt, abgenommen und zurückgegeben werden. Wir wissen nicht, um welche Güter es sich handelt und für wen sie bestimmt waren, zumindest bekundet diese dunkle Episode ein gewisses Wohlwollen der Herrscher sowie ihre Verfügungsgewalt über verschiedene Kategorien von Liegenschaften, über die sie nach Gutdünken verfügt zu haben scheinen. Mesopotamien zog Nutzen aus seinem Eintritt in das riesige Wirtschaftsgebiet der hellenistischen Welt. Der Handel über weite Entfernungen wird hier wie anderswo durch die Bedeutung rhodischer Vasen bekundet, deren Henkel wir in Dura, Seleukeia, Nimrud und Uruk gefunden haben. Die Ausmünzung war dort reichlicher, und die ausgezeichneten Silbermünzen, die von den Herrschern geprägt wurden, dienten zur Regelung der Geschäfte, deren Rechnungsbetrag in Rechnungsmünzen ausgedrückt wurde. Soundsoviel Silberminen und -schekel, zahlbar in Stater »von gutem Gewicht« dieses oder jenes Herrschers nach einem amtlichen Wechselkurs. In dieser Formel verbanden sich uralte Gepflogenheiten mit der Zugehörigkeit zu einem riesigen Tauschgebiet, denn alle Münzen von attischem Gewicht, ob sie nun von den Seleukiden geprägt waren oder nicht, waren von Griechenland bis zum Iran frei in Umlauf. Dasselbe galt für Maße und Gewichte: Babylonien benutzte nebeneinander sein eigenes System und das im Reiche übliche attische. Überdies wurde durch die Ausgabe von

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Kupferstücken, die in den örtlichen Werkstätten geschlagen wurden, zum ersten Mal ein überall verbreitetes Geld geschaffen, das dem Handel über kurze Strecken diente. Uns fehlen die Möglichkeiten, das Wirtschaftsleben des hellenistischen Mesopotamiens eingehender beurteilen zu können. Alle Umstände erwecken den Eindruck eines Wohlstandes, der auf einer reichen landwirtschaftlichen Produktion beruht, die traditionell geblieben war, auf der berühmten Herstellung von Teppichen, Geweben und Parfüms, aber wir können aus den Keramikfunden nur vorläufige Schlüsse ziehen. Anfangs war Mesopotamien wie der gesamte Orient Einfuhrgebiet für athenische Erzeugnisse (schwarze glasierte Tonwaren) und athenische Erzeugnisse (Tongefäße mit Reliefdarstellungen), bevor es im 3. Jahrhundert seinerseits Tonwaren herstellte und verkaufte. Ihre Verteilung scheint das, was die Münzenfunde vermuten ließen, zu bestätigen: die Teilung Mesopotamiens in zwei Gebiete mit unterschiedlichem Wirtschaftsleben, den Nordteil, dessen keramische Erzeugnisse von Assyrien nach Anatolien gingen, und Babylonien, dessen blaugrün glasierte Töpferwaren sich seit dem 2. Jahrhundert viele Absatzmärkte gewannen. Die starke Nachfrage der hellenistischen Höfe und Städte verlieh den Handelsbeziehungen, die durch Karawanen zwischen dem Mittelmeergebiet und dem Fernen Osten geknüpft wurden, erhebliche Bedeutung; Mesopotamien zog, welchen Weg diese Karawanen auch nehmen mochten, beträchtlichen Nutzen daraus. Im 3. Jahrhundert vollzog sich der Tauschhandel über die Straßen des Hochlands von Iran und über den Seeweg längs der Küste Arabiens bis zu den Ländern der Gerrhäer. Die archäologische Forschung hat ergeben, daß die Griechen sich auf den kleinen Inseln im Persischen Golf niedergelassen hatten, die ihrer Schiffahrt als Zwischenlandungshäfen dienten. Im 2. Jahrhundert dagegen wurde der Weg an der iranischen Küste entlang bevorzugt. Doch in allen Fällen blieb Seleukeia am Tigris der unumgängliche Knotenpunkt für den gesamten Verkehr, bevor man die Waren auf dem Euphrat nach dem Nordwesten beförderte und später, gegen Ende des 2. Jahrhunderts, über die unmittelbaren Straßen durch die Steppe von Edessa zum Tigris, von Palmyra zum Euphrat oder von den Ländern der Gerrhäer nach dem Reich der Nabatäer. Nur so konnte man damals den Durchzug durch die kleinen arabischen Stammesstaaten vermeiden, die am Lauf des Euphrats verstreut lagen, und wo die Beraubung von Karawanen allgemein üblich war. Unsere Kenntnis der eingeborenen Bevölkerung Mesopotamiens leidet mehr als jede andere unter den Mängeln unserer Dokumentation. Sie stammt fast ausschließlich aus Babylonien, wo die Tempel in Babylon und Uruk eine bedeutende Rolle behielten oder zurückgewannen. Sie waren reich und gut versorgt, wahrten durch ihr Wirken das Wesen der babylonischen Kultur auf dem Gebiete des Rechtes, der Literatur und der Wissenschaft und gewannen, wie der Nanaia-Tempel in Susa, einen Teil der Funktionen wieder, die die Tempel seit dem 4. Jahrtausend stets besessen hatten. Leider sind uns von ihnen keine Texte überkommen, die es uns gestatten, alle Aspekte des sozialen Lebens

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kennenzulernen. Ob es sich um Verträge oder Anmerkungen zu den literarischen und wissenschaftlichen Texten handelt, wir erreichen nur den Priesteradel, der insgesamt, z.B. in Uruk, nicht mehr als einige hundert Menschen in jeder Generation umfaßt. Das Studium der Namen, der Ämter und der verwandtschaftlichen Bindungen läßt Schlüsse auf einige Züge des Lebens und der Organisation einer derart beschränkten Gruppe zu. Wahrscheinlich müssen wir diejenigen ihrer Mitglieder, die ein weltliches Leben führten, von der kleinen Zahl der Priester mit höheren Funktionen unterscheiden. Unter den ersten waren viele Standespersonen, die eine normale wirtschaftliche Tätigkeit ausübten und am politischen Leben Anteil hatten. Aus ihren Reihen kamen zum Beispiel die leitenden Männer der Stadt; die Namen, die sie voll Stolz trugen, scheinen zu bekunden, daß sie hellenisiert waren. Zu dieser Gruppe gehörten auch die wenigen Schreiber-Familien, welche die Verträge, in denen die Geschäfte dieser Standespersonen geregelt wurden, abfaßten und eine kleine Kaste von Notaren bildeten. Im Höchstfalle mochte es in jeder Generation etwa zehn Schreiber geben; Privilegien und Kenntnis des Gewerbes wurden vererbt. Alle übten sie zu gleicher Zeit priesterliche Funktionen aus, aber sie waren in den Tempeln nur Priester niederen Grades. Im Gegensatz dazu bestand die Elite dieser Standespersonen aus Priestern, denen die wichtigsten Aufgaben oblagen, z.B. die der Austreiber und Geisterbeschwörer. Ihr ganzes Wirken spielte sich im Tempel ab. Sie hüteten und vermehrten den Schatz der überlieferten Kultur durch literarische und wissenschaftliche Arbeiten. Das Studium der von den Notaren abgefaßten juristischen Texte zeigt uns genügend, wie die Überlieferungen des alten babylonischen Rechts in der Zeit des Niederganges lebendig blieben. Nach einigen durch die persische Zeit bewirkten Änderungen hatten sich Formeln und Grundsätze in den Vertragstexten, die den Verkauf von Sklaven, Grundbesitz und geistlichen Pfründen behandeln, erhalten. Ebenso wahrte die Priesterschaft die geistigen Traditionen, in erster Linie durch die Gründung oder Neugründung von Bibliotheken. In langer, durch die Namen der Abschreiber und der Besitzer von Tontafeln bezeugter Arbeit wurden große Sammlungen wieder zusammengetragen, in denen sich neben alten, abgeschriebenen Texten neue Texte befinden. Abgesehen von den Verträgen, besitzen wir Tausende von wissenschaftlichen, mathematischen und astronomischen Texten, Wahrsagetexte, lexikographische und zweisprachige, sumerisch-akkadische Texte, Antiphonare, in denen die Sammlung von Gebeten und Hymnen überliefert wird; Ritualtexte usw. In vieler Hinsicht stellte das unternommene Werk eine Restauration dar, und es hat den Anschein, als ob die seleukidische Epoche den Tempeln und denen, die am Tempeldienst beteiligt waren, Gelegenheit geboten hätte, ein letztes Mal den Glanz einer tausendjährigen Kultur erstrahlen zu lassen. Von dieser Bemühung um die Wiederherstellung und die Sammlung eines Ahnenerbes haben wir zum Beispiel einen Hinweis in der Notiz zum Text des Rituals des Anu-Tempels in Uruk: »(abschriftlicher Text) nach den Tafeln, die

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Nabupolassar, der König des Meerlandes, in Uruk geraubt hatte, bis dann KidinAnu von Uruk, der Beschwörer von Anu und Antu, nachdem er diese Tafeln im Lande Elam während der Regierungszeit der Könige Seleukos und Antiochos gesehen hatte, sie abschrieb und (die Kopien) nach Uruk zurückbrachte.« Die für diese geistige Arbeit maßgebenden Grundsätze entsprachen denen, die in der Vergangenheit verbindlich gewesen waren. Die Familien der Notare legten sich alle einige Ahnen bei, höchstens zehn. Die Verfasser der großen literarischen und wissenschaftlichen Texte taten das gleiche und führten ihre Abstammung alle auf einen der vier berühmten Namen zurück: Ekurzakir, Sinleqi-unnini, Ahutu und Hunzu. Wahrscheinlich diente jeder dieser Namen, die einst von berühmten Geistesarbeitern getragen worden waren, jetzt zur Bezeichnung fiktiver Familien oder sogar Schreiberschulen. Die Rechtskenntnis der Notare wurde innerhalb von Berufsgruppen übermittelt, einer Art von Juristen-Zünften, deren Mitglieder stolz den Namen eines vorgeblichen Ahnen trugen, der eine Empfehlung ihres Wissens bedeutete. Desgleichen bezeichnete bei den Schreibern literarischer und wissenschaftlicher Texte ein solches Verfahren das Bemühen, den Texten, die man zusammenstellte oder kopierte, jenen Wert zu verleihen, den ihnen nur die Achtung vor der Überlieferung gab. Wer sich als echter oder vorgeblicher Nachkomme eines durch wertvolle geistige Arbeiten bekannten Vorfahren ausgab, bedeutete dadurch, daß die Texte, die er selber abhandelte, kanonisch waren, daß er für sie die Autorität einer langen Tradition in Anspruch nahm. In der Seleukiden-Zeit schrieb der berühmte Berosos, als er den Griechen zu erklären versuchte, was babylonische Kultur sei, daß seit den Weisen vor der Sintflut »nichts mehr entdeckt worden« sei. Es überrascht nicht, daß unter den kürzlich in Uruk gefundenen Texten der Seleukiden-Zeit eine Liste der Weisen ist, von denen alles Wissen seinen Anfang nahm. An erster Stelle der Name dessen, der den Menschen den Urgrund der Dinge enthüllte, der Fisch-Mensch Oannes, dessen Namen wir lange nur aus den griechischen Fragmenten des Berosos kannten. Was wir vom religiösen Leben wissen, entstammt derselben Quelle, das heißt der Priester schaff, deren Denken beträchtlich vom Volksglauben abweichen konnte. Die Personennamen, die aus Zusammensetzungen gebildet wurden, in denen der Name des Gottes erscheint, an den man glaubt, bestätigen den Vorrang des Himmelsgottes Anu, des Gottes der Theologen und der Intellektuellen. Wir wissen aber, daß Uruk jahrhundertelang die Göttin der Mütterlichkeit und der Liebe in ihren beiden einander ergänzenden Gestalten Ischtar und Inanna verehrte. Wahrscheinlich hat sich das Volk, zum Verdruß der Theologen, immer an diese Göttin gewandt, was ein Teil des Onomastikons bestätigt und vor allem die hohe Zahl von Göttinnen, die die Einwohner von Uruk weiterhin verehrten: Ischtar und Inanna, Belit-scha-Resch, Belit-seri, Scharahitu usw. Und welche Anstrengungen auch gemacht wurden, um die überreiche Götterwelt des alten Babyloniens wenn nicht zum Monotheismus, so doch wenigstens auf ein vereinfachtes und aufeinander abgestimmtes Pantheon

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zu bringen, Tatsache ist, daß Anu nur der erste einer Kette männlicher Gottheiten war: Enlil, Ea, Papsukal, Schamash, Sin usw. Eine noch zahlreichere Götterfamilie können wir nur erraten, weil die Texte hinsichtlich der großen Götter von »allen (anderen) Göttern (in den Kapellen) ihrer Tempel« sprechen. Die Vorstellungen der Theologen sind uns durch keinen babylonischen Text überliefert; wir besitzen nur Hinweise allzu später klassischer Autoren und einige Indizien wie die hervorragende Stellung des Himmelsgottes Anu, die steigende Bedeutung der Astrologie und die Themen der Glyptik. Sie hatte nach und nach eine Astralreligion herausgebildet, in der die Gestirne gleichzeitig göttlicher Natur und Abbilder der Gottheiten waren und in der sich ohne Zweifel eine pantheistische Darstellung eines von der Macht des Schicksals bestimmten Universums anbot. Wir vermögen nicht zu sagen, was solche Spekulationen für die Masse der kleinen Leute bedeuteten, ebensowenig wie wir beurteilen können, ob der tägliche Gebrauch des Akkadischen durch die Angehörigen des Priesteradels ein Fortleben war, das sich auf eine bestimmte soziale Gruppe beschränkte. Ein paar auf Ziegel gemalte aramäische Inschriften sind alles, was uns von der Sprache verblieben ist, die sicherlich gebräuchlicher war. Außerdem tragen ab und zu die in akkadischer Sprache abgefaßten Verträge einige aramäische Beschriftungen. Was für Schlußfolgerungen soll man aus so wenigem Material ziehen? Die archäologischen Funde geben uns Gewißheit über den glanzvollen Kult, der den Göttern im seleukidischen Uruk dargebracht wurde. Der berühmte Eanna-Tempel scheint nicht mehr benutzt worden zu sein, obwohl bei den vorgenommenen Arbeiten sein Turm restauriert worden ist, der damals die klassische Form der Stufenpyramide erhielt. Im Norden des Stadtkerns wurde der Bit Akitu (der Tempel zur Feier des neuen Jahres) ein riesiges Bauwerk mit massiver Struktur. Aber der Haupttempel wurde in der Nähe der Eanna geschaffen zur Errichtung des Resch und das Esch-Gal. (Zu der Lesart Esch-Gal, statt des traditionellen Iri-Gal vgl. Landsberger, Materialien zum sumerischen Lexicon. Bd. IV, S. 13.) Die beiden Standespersonen, die griechische Namen trugen, Anu- uballit-Nikarchos, der »Zweite« von Uruk im Jahre 243/242, und Anu-uballit-Kephalon, der »Erste, Herr der Stadt« im Jahre 202/201, arbeiteten am Resch, dem neuen Heiligtum Anus und seines Paredros Antu; man wandte dort die überlieferten babylonischen Verfahren an, vor allem die Verkleidung mit emaillierten Ziegeln. Dort war das Herz der Stadt, der Mittelpunkt des Wirkens der Priesterschaft, wie wir durch die kürzlich gemachte Entdeckung der Bibliothek aus der Seleukiden-Zeit mit Sicherheit wissen. (Vgl. den Bericht über die 18. Ausgrabung: UVB XVIII von Heinrich J. Lenzen. Berlin 1962.) Deren Existenz vermuteten wir auf Grund zahlreicher Täfelchen, die aus unerlaubten Ausgrabungen im Uruk-Gelände stammten. Was davon übrigblieb, hat man auf einem Stück Land wiedergefunden, das sich an die äußere Umwallung des Resch anlehnt. Der Esch-Gal, durch seine Architektur bedeutsamer, wurde auf Veranlassung von Kephalon allein errichtet. Er war das Heiligtum der Ischtar-

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Nanaia, die weniger von den Gelehrten und Theologen verehrt wurde, deren tausendjährige Herrschaft über Uruk jedoch in einem der großen Heiligtümer der Stadt eine würdige Vollendung fand. Welche Beziehungen entwickelten sich zwischen den Griechen Mesopotamiens und den Einheimischen? Diese Frage läßt sich um so schlechter beantworten, als die Texte sich wiederum auf einen Priesteradel beziehen, der sich weniger als jede andere Schicht dem Eindringen fremder Elemente öffnete. Sehr wenige theophore Namen, die in Uruk festgestellt worden sind, enthalten fremde Götter. Es ist möglich, daß Adeschu den griechischen Hades darstellt, daß Esi für Isis verwendet wurde, aber die Seltenheit solcher Hinweise besagt wahrscheinlich, daß die Personen von Rang kaum bereit waren, fremde Gottheiten zu akzeptieren. Wir können daraus aber nicht mutmaßen, was bei den kleinen Leuten vor sich gehen mochte. Man hat die Beziehungen zwischen Griechen und Einheimischen an dem Verhältnis der griechischen Namen in den akkadischen Texten und der einheimischen Namen in den griechischen Inschriften zu erkennen versucht. Die Ergebnisse sind trügerisch und vor allem umstritten gewesen. Man muß wohl die Schwierigkeit berücksichtigen, die der babylonische Schreiber hatte, einen fremden Namen zu verstehen, den er oft entstellen und sicherlich einem einheimischen Namen angleichen mußte, wenn es ein ähnliches Wort dafür gab. Auch die kleine Anzahl griechischer Namen, die wir den Texten entnehmen, darf als geringer angesehen werden, als sie in Wirklichkeit war. Wir können daraus keine Schlüsse auf die Zahl der Griechen ziehen, denn wir wissen, daß viele hellenisierte Einheimische griechische Namen trugen, wie die Praxis der Doppelnamen lehrt. Offiziell nannte sich zum Beispiel Nikarchos, der 243/42 den Resch restaurierte, »Anu-uballit, Sohn des Anu-iqsur, Nachkomme des Ahutu ... dem Antiochos (II.), König der Länder, als anderen Namen Nikiqarqusu (Nikarchos) gegeben hat«. Man könnte daraus auf die Hellenisierung der Einheimischen schließen, aber da, wo wir die Möglichkeit haben, die Geschichte einiger Familien, die nicht griechisch, aber griechenfreundlich sind, zu verfolgen, sehen wir, daß der griechische Name gegen Ende des 2. Jahrhunderts oft aufgegeben wurde. Die Nachkommen des Anu-uballit-Nikarchos haben keine griechischen Namen geführt. Im Gegensatz dazu bekundete die ganze Familie des Anu-uballit-Kephalon, eines Vetters des Erstgenannten, lange eine Griechenfreundlichkeit, die den amtlichen Obliegenheiten entsprach, die sie in einem griechischen Königreich ausübte. Bruder und Neffe von Kephalon, seine Frau, sein Sohn und sein Enkel führten während des 2. Jahrhunderts v. Chr. griechische Namen. Wo Griechen und Einheimische sich vermischen konnten, wie in Uruk, wo es niemals eine griechische polis gegeben hatte, sondern einfach eine Gemeinde, ein politeuma vielleicht, waren die Kontakte schließlich sehr begrenzt. Wo sie auftauchen, achten die Griechen die örtlichen Gesetze und Bräuche; wenn sie

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Vertragspartner sind, verpflichten sie sich nach den Regeln des babylonischen Rechts. Einer von ihnen gelobt dem Heiligtum des Anu-Antu einen Sklaven. Aber das alles besagt wenig. Seleukeia am Tigris hätte zum Schmelztiegel der Bevölkerung werden können, und der Hellenismus würde dort die einheimische Gesellschaft großenteils gewonnen haben. In dieser Stadt mit einer buntscheckigeren Bevölkerung als Antiocheia, wo Griechen und Makedonen, Juden, Syrer und Babylonier zusammentrafen, und wo selbst der Ausdruck ›Babylonier‹ nur eine unbestimmte Bezeichnung für jeden Einwohner der Stadt war, lebten die Griechen abseits. Sie waren in einer polis organisiert, mit Versammlung, Rat und zweifellos auch Verwaltungsbeamten und bildeten so eine politische Gemeinde, die sich von den übrigen Einwohnern der Stadt unterschied. Babylon konnte der Ort einer Begegnung sein. Alexander und später die ersten Seleukiden dachten an ein neues Babylon, das sie zwischen der inneren östlichen Mauer und dem Euphrat errichten wollten, der damals östlich des Palastes der neubabylonischen Könige floß. Wir verdanken ihnen die Freilegung der Ruinen des Marduk-Tempels, dessen Trümmer in vier Schuttbergen zusammengetragen wurden, aus denen man sich das Baumaterial für die Terrassen und die Bauten holte, die sie tragen sollten. Diese Vorarbeiten belasteten die Finanzen Alexanders mit den Löhnen von mehr als 600000 Tagewerken. Aber Seleukos I. und sein Nachfolger setzten die Arbeiten nicht fort; was man von nun an in der Stadt unternahm, bot keinen Ausgleich für die Gründung von Seleukeia, der Rivalin Babylons. Die alte Stadt gehörte zu den Nutznießerinnen der Politik Antiochos’ IV., der die Eroberungen des Hellenismus sichern wollte, indem er die griechischen Städte stärkte oder die einheimischen Städte durch griechische Kontingente hellenisierte. Eine Inschrift Babylons feierte ihn als »Gründer der Stadt und Retter Asiens«. Tatsächlich erhielt die Stadt eine starke griechische Gemeinde, die mit den Einrichtungen der polis ausgestattet war. Das kleine aus dem 3. Jahrhundert stammende Theater wurde erweitert, und gleichzeitig errichtete man ein Gymnasion. Das alles mußte in den Katastrophen zu Ende des 2. Jahrhunderts übel ausgehen. Man darf den Umfang der Ergebnisse in Zweifel ziehen; wie in Seleukeia mußte die Koexistenz von Griechen und Einheimischen auch in Uruk verschiedene Kontakte herbeiführen. Hier wie anderswo genossen die Griechen und gewisse Standesfamilien die Bildung im Gymnasion, aber nirgends erlebt man eine Bevölkerungsverschmelzung, eine gegenseitige Durchdringung der Lebensformen, in Uruk und Babylon vielleicht sogar noch weniger als anderswo. Beide Städte waren glanzvolle Mittelpunkte und Sachwalter einer alten Kultur. Seit langem haben die Historiker die Frage nach der Bilanz des Hellenismus in den hellenistischen Monarchien im Zeitpunkt des Zusammenbruches ihrer politischen Macht aufgeworfen. Wir können an dieser Stelle nur auf ihre Schlußfolgerungen und ihre Erörterungen bezüglich der sozialen Entwicklung und des Schicksals des einzelnen verweisen. Sie erfahren durch die für das hellenistische Babylon spezifische Dokumentation keine wesentlichen

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Änderungen. Die meisten der kleinen Fürstentümer, die aus dem Zerfall des seleukidischen Reiches hervorgingen, behielten nur wenig von der griechischen Kultur zurück. Der Fall Dura-Europos hat nicht aufgehört, der Kontroverse Nahrung zu geben, denn das offensichtliche Zurückweichen des Hellenismus ist ebensosehr auf die parthische Politik wie auf die allgemeine Entwicklung einer Gesellschaft zurückzuführen, in der die Griechen stets in der Minderheit gewesen waren und die Ehen mit Einheimischen, so wenig zahlreich sie sein mochten, die Zerrüttung des Hellenismus nur beschleunigen konnten. In Babylonien überlebte der Hellenismus in gewissen kleinen Enklaven, nicht indem er große Bevölkerungsschichten für sich gewann, sondern im Gegenteil, weil er sich isoliert hatte. In Seleukeia gab es genügend Griechen, die fest in ihrer polis organisiert waren, so daß das Unheil, das der Stadt im Laufe des 2. Jahrhunderts widerfuhr, diese Zitadelle des Hellenismus nicht zu zerstören vermochte. Viele Griechen gelangten dann nach Babylon, wo sie das seit dreihundert Jahren zerstörte Theater wiederaufbauten. In Babylon selber bezeugt uns eine Inschrift von 109/08, daß der Betrieb des Gymnasions regelrecht verlief und daß junge Leute mit griechischen Namen dort griechische Prüfungen ablegten. In Uruk. erfahren wir noch später durch eine griechische Widmung aus dem Jahre 111 n. Chr., daß ein gewisser Artemidoros, »auch Minnanaios genannt«, dem Gotte Gareus ein Stück Land geschenkt hatte. Eine wahrscheinlich aus Kaufleuten bestehende Gilde dankte ihm durch verschiedene Ehrungen, in denen griechische Überlieferungen mit Neuerungen vereint waren; sind das Griechen gewesen? Man denkt eher an hellenisierte Einheimische, die den Gebrauch der griechischen Sprache als für den Handel unerläßlich beibehalten hatten, so wie verschiedene Züge griechischer Sitte und Kultur, die durch die strengen Einrichtungen der kleinen griechischen Gemeinde bewahrt werden konnten, besonders das Gymnasion, zu dem die Einheimischen von Stand stets zugelassen wurden. Unter den Griechen und den Einheimischen, die die gleiche Erziehung genossen hatten, wählten die parthischen Herren mit Vorliebe die Verwaltungsbeamten für die örtlichen Gemeinden aus. Die gegenseitige Durchdringung der beiden Gemeinschaften war stets zu eng begrenzt, als daß es zu einer Verschmelzung der Rechtssysteme gekommen wäre. Anscheinend richtete man sich nach dem Recht der Gemeinschaft, deren Sprache für die Abfassung des Vertrages maßgebend gewesen war. Trotz der Pergamente von Dura-Europos und Avroman (in Persien) zur Partherzeit, wo man das Gepräge des griechischen Rechts entdeckt, fehlt uns die Masse juristischer Dokumente, Verträge, notarielle Akten etc., die auf Pergament oder häufig auf Papyrus niedergeschrieben waren. Von diesen Dokumenten wäre überhaupt nichts übriggeblieben, wenn nicht manche auf den aus Ton hergestellten bullae enthalten wären. In den auf Tontafeln in Keilschrift niedergeschriebenen Verträgen, die – wie es scheint – fast ausschließlich von der einheimischen Priesteraristokratie benutzt wurden, spricht nichts für die

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Annahme einer Vermischung der Rechtsvorschriften oder einer allgemeineren Verbreitung griechischer Rechtsverfahren, wie wir sie durch die Papyri aus Ägypten kennen. Es gab jedoch intellektuelle Kontakte, die für die weitere Geschichte der Zivilisationen außerordentliche Bedeutung hatten. Sie waren Sache einiger weniger Menschen in jeder der beiden Gemeinden, aber niemals das Ergebnis einer umfassenden Konfrontation der beiden Kulturen. Den Fremden bot Babylon die ungeheuere Fülle seiner lyrischen, epischen und religiösen Literatur, die die Zeitgenossen der Seleukiden durch keine Schöpfungen bereicherten, aber deren Schatz sie bewahrten. Im Gegensatz dazu war die hellenistische Epoche besonders reich an wissenschaftlichen Arbeiten, deren Ergebnisse von der griechischen Wissenschaft benutzt wurden. Die mathematischen Texte sind uns in zwei Gruppen überliefert, eine aus dem Beginn des 2. Jahrtausends, die andere aus den drei letzten Jahrhunderten der vorchristlichen Ära. Aus ihnen geht hervor, daß die Babylonier den Kern ihres Wissens lebendig erhielten und ein Sexagesimalsystem der Zahlenschrift beibehielten, bei dem der Wert der Zahlenzeichen durch ihre Stellung bestimmt wurde. Zum ersten Male tauchte die Bezeichnung Null auf. Ein solches System förderte den Aufschwung der Astronomie, die durch die seit Ende des 6. Jahrhunderts gemachten Entdeckungen begünstigt wurde. Um 300 stand den Gelehrten ein Lunisolarkalender zur Verfügung, in dem die Übereinstimmung von Mond- und Sonnenmonaten in einem Zyklus von 19 Jahren erkannt war. Sie hatten die periodischen Beziehungen zwischen den Bewegungen des Mondes und der Planeten bestimmt, kannten die wechselnde Geschwindigkeit der Sonnenbewegung, hatten schließlich den Plan der Ekliptik bestimmt und benutzten den Tierkreis zur Aufzeichnung der Stellung der Planeten, die sie in Graden ausdrückten. Das verhältnismäßig neuere Studium der astronomischen Texte hat die traditionelle Auffassung über den Haufen geworfen, der Wert der astronomischen Beobachtungen sei durch einen Himmel von außergewöhnlicher Klarheit ermöglicht worden. Die Genauigkeit der in den Ephemeriden verzeichneten Angaben liegt nicht an den atmosphärischen Verhältnissen der Beobachtungen und an der Sehschärfe der Beobachter, sondern an der mathematischen Methode der babylonischen Astronomen. Wenn sie die charakteristischen Momente der Stellungen des Mondes und der Planeten bestimmen wollten, wie die Erscheinung des zunehmenden Mondes, Auf- und Untergang der Planeten am Horizont usw., begnügten sie sich mit bestimmten Beobachtungen, deren Genauigkeit feststand. Dann bestimmten sie rechnerisch, durch Interpolation, alle möglichen Positionen. Ihre Ephemeriden erlaubten die von Monat zu Monat berechneten Vorhersagen von Eklipsen, obwohl eine Zeitspanne von fünf Monaten erforderlich war, bis sie für die irdischen Beobachter wieder sichtbar wurden. Mit den Fortschritten der mathematischen Astronomie hing die Erscheinung der horoskopischen Astrologie zusammen. Seit langem kannte Mesopotamien

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die auf himmlischen Vorzeichen gegründete Wahrsagerei, die sich eines Mischmaschs von Himmels- und atmosphärischen Erscheinungen bediente, um das Schicksal des Königs und des Landes vorauszusagen. Als die Gelehrten ihre neuen Beobachtungsverfahren entwickelt hatten, vor allem als man den Tierkreis bestimmt hatte, ging man zu einer bedeutend kunstvolleren Form der Wahrsagerei über: Aus dem Sonnenstande, der Stellung des Mondes und der Planeten (im Verhältnis zum Tierkreis) im Augenblick der Geburt oder der Empfängnis zog man Schlüsse auf das Schicksal eines Menschen. Das war die Geburtsstunde der horoskopischen Astrologie, deren erstes Zeugnis aus dem Jahre 410 stammt. Später, wenn auch sehr langsam, sollte sich eine Fülle von Texten daraus entwickeln. Von den Verfassern dieser Entdeckungen wissen wir wenig. Aus den Kolophonen der Tontafeln erfahren wir, daß sie sämtlich aus dem Kreis der Priester, Schreiber und Berufsgelehrten kamen, die mit den angesehensten der großen Schreiberfamilien in Verbindung standen. Uruk und Babylon, zu dem noch Borsippa gezählt wird, waren die beiden Studienzentren. Jedes hatte seine besonderen Verfahren. In Uruk lehrten die »Ekur-zakir, Beschwörer des AnuAntu vom Resch-Heiligtum, Schreiber des Enuma-Anu-Enlil (atmosphärische Vorhersagetafeln)« und die »Sin- leqi-unninni, Schreiber des Enuma-Anu-Enlil, Zauberer des Anu-Antu«. Ihre Arbeiten reichen von 231 bis 151 v. Chr. Das entspricht der Epoche der Aktivität des Resch-Tempels, von dem wir wissen, daß er 243 und 201 wiederaufgebaut und 140 v. Chr. von den Parthern zerstört wurde. Die Tätigkeit Babylons lag erheblich später. Die meisten unserer Tafeln stammen aus der Zeit nach 181 v. Chr., der letzte Text, den wir besaßen, wurde im Jahre 49 n. Chr. abgefaßt. Die Tafeln tragen die Namen mehrerer Schreiber, in denen man die Namen von Astronomen wiederzufinden glaubte, die von den klassischen Autoren erwähnt werden. Fest steht, daß Kidinnu der Kidenas der Griechen, so wie Naburimannu (?) vielleicht Naburianos ist; aber wir wissen nichts von ihren Arbeiten, und die Keilschrifttexte schweigen über die Entdeckungen, die Griechen und Römer ihnen in großzügiger Weise zugeschrieben haben. Aus solchen Erwähnungen wissen wir, daß die Griechen, bestimmte wenigstens, die babylonische Kultur gekannt haben. Aus den griechischen Schulen Mesopotamiens sind Männer der Wissenschaft hervorgegangen, von deren Werk wir nur mittelbar Kenntnis haben, so die Geographen Dionysios und Isidoros von Charax, die Historiker Agathokles von Babylon und Apollodoros von Artemita. Das waren Griechen oder hellenisierte Einheimische, die mit der als klassisch zu bezeichnenden hellenistischen Kultur genährt worden waren. Aber es gab Griechen, die sich auf chaldäische Schulen beriefen, und wir betreten das Gebiet der Hypothesen, wenn wir sagen wollten, auf welchem Wege die Gelehrten der hellenistischen Zeit ihr Wissen erwarben. Wir besitzen Bruchstücke von Tafeln, auf denen lexikographische und literarische babylonische Texte in griechischen Lettern geschrieben sind. Wahrscheinlich ist

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das ein Hinweis darauf, daß es Griechen unter den chaldäischen Schreibern gegeben hat. Aber diese Texte sind spärlich und spät. Es gab Berosos, dessen Babyloniaca, die Antiochos I. gewidmet sind, der griechischen Öffentlichkeit einen Abriß der babylonischen Kultur vermittelten, aber wir besitzen nur Bruchstücke von dem Werk dieses Chaldäers, und von seinem Leben kennen wir nur einige Einzelheiten, die sich mitunter an der Grenze der Legende befinden. Fest steht, daß er um 270 in Kos lehrte, aber man weiß nicht, was von der überlieferten Begeisterung der Athener glaubwürdig ist, die ihm in einem Gymnasion ein Standbild mit goldener Zunge errichtet haben sollen. Die Übereinstimmungen, die man zwischen den Elementen seiner Kosmologie und der verschiedener griechischer Autoren entdecken kann, sind recht schwache Hinweise auf die Assimilierung seines Werkes durch die Griechen, und es wird nicht erkennbar, daß er etwas über die Methoden der mathematischen Astronomie gelehrt habe. Und doch haben die Griechen durch Männer wie ihn, deren Namen uns jedoch unbekannt sind und bleiben, viele Elemente teils unmittelbar, teils durch Übersetzungen empfangen und sie ihrer eigenen Kultur eingefügt. Wie die späteren Arbeiten des Ptolemaios bezeugen, entlehnten sie bald den Babyloniern deren gesamte astronomische Beobachtungen, Material, das sie dann in ihren Arbeiten wieder verwendeten. Wo die Babylonier nur Zeitpunkt und Position der astronomischen Erscheinungen bestimmen wollten, gaben sie eine physikalische und mechanische Erklärung des Universums. Sie behielten die Sexagesimalrechnung bei, schufen aber die trigonometrischen Rechenmethoden. Aus Babylonien stammten die Grundlagen ihrer Abhandlungen über die Vorhersage von himmlischen und atmosphärischen Erscheinungen, die Brontologia und die Selenodromia (Vorhersagen aus dem Donner und den Mondphasen); sie entnahmen ihnen die horoskopische Astrologie, mit der die Babylonier nur einen Anfang gemacht hatten, und bereicherten sie durch einen immer strengeren wissenschaftlichen Apparat, der aus der Astrologie am Ende die Wissenschaft par excellence in der griechischrömischen Welt machen sollte. Diese Disziplin liefert uns übrigens eines der seltenen Beispiele für die Beziehungen, die in den Städten des Orients entstehen konnten: Ein Horoskoptext aus dem Jahre 235 wurde für einen Griechen redigiert, der einen Priester eines babylonischen Tempels um Rat fragte. Vielleicht würde die Geschichte dieser geistigen Beziehungen zwischen der griechischen und der babylonischen Welt in der hellenistischen Epoche beträchtlich bereichert werden, wenn wir über die Herkunft der Gründer des Stoizismus besser Bescheid wüßten. Seit langem hat man Zusammenhänge zwischen der Rolle des Schicksals und der Beteuerung vom Einfluß der Himmelskörper in der Lehre der Stoa mit der Sternreligion der Chaldäer und der Entwicklung der astrologischen Verfahren hergestellt. In Athen wurde Diogenes von Babylon der Nachfolger Zenons von Kition. In Babylon gründete ein gewisser Archidemos im 2. Jahrhundert eine stoische Schule, die rasch aufblühte.

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Gewisse Beziehungen und Gemeinsamkeiten lassen sich nicht leugnen. Aber unsere Kenntnisse der kosmologischen und religiösen Konzeption der Babylonier in der hellenistischen Epoche sind noch zu ungewiß. Da sie sich auf die Deutung eines archäologischen Materials und auf die fragmentarischen Angaben sehr später griechisch-lateinischer Autoren gründet, kann man es sich nicht gestatten, sämtliche Anleihen und die wechselseitigen Befruchtungen der beiden Kulturen im Bereich des philosophischen Denkens zu bestimmen. Es genügt uns heute die Gewißheit, daß Babylonien zu dem Zeitpunkt, als es in der allgemeinen Geschichte nur noch eine untergeordnete Rolle spielte, durch das Werk seiner Gelehrten zur Erarbeitung des ersten wissenschaftlichen Gedankens beigetragen hat. V. Arabien Nabatäer. Die älteste Nachricht über die Nabatäer steht bei Diodorus Siculus381, der zur Zeit des Kaisers Augustus schrieb, und lautet: »Bald nach 312 sandte der Diadoche Antigonos, der damals Syrien gegen Ptolemaios und Seleukos hielt, einen Freund mit einer beträchtlichen Anzahl leichter Truppen gegen die Nabatäer, weil diese gegen sein Interesse handelten (also im Einverständnis mit seinen Feinden waren), mit dem Auftrag, ihnen die Herden abzunehmen. Der Freund wartete, bis die waffenfähige Mannschaft der Nabatäer ihren Schlupfwinkel Petra verlassen hatte, um an einem Markte auf der östlichen Hochebene teilzunehmen, drang durch die enge Schlucht in den Krater vor, der später die Stadt Petra aufnahm, und erstieg dann auf einem schmalen, von Menschenhand angelegten Pfade den Felsklotz, auf dem die Nabatäer Weib und Kind, die Alten und ihre Schätze zu bergen pflegten.

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 Abb. 23: Arabien

Er erbeutete Weihrauch, Gewürze und Silber, aber kein Vieh (weil dies in den nach Nordost und Südwest führenden Hochtälern weidete). Eilends zurückgehend, schlugen die zu Tode erschöpften Soldaten ein Lager auf, ohne Posten aufzustellen, wurden von den aufgeschreckten Marktbesuchern überfallen und größtenteils niedergemacht. Die nabatäischen Häupter schickten ihnen sofort ein Schreiben in aramäischer (Sprache und) Schrift nach, und der Diadoche ließ sich auf einen Briefwechsel ein, um die Araber einzulullen. Diese waren auf der Hut, wurden aber trotzdem von dem Sohne des Antigonos eingeschlossen, bis er ihnen gegen kostbare Gaben und Gestellung von Geiseln einen Waffenstillstand bewilligte, der später in einen Frieden umgewandelt wurde.« – Manche Eigentümlichkeiten, die sich hier zeigen, bildeten sich allmählich weiter aus: die aramäische Schriftsprache, die Handelsbeziehungen zu Südarabien, Mut und Gerissenheit. – An Zahl waren sie damals nicht stark, obwohl sie früh durch die aus der Gegend von Taima’ stammenden Salamäer vermehrt worden waren, mit denen sie Recht und Religion teilten. Ihr Gebiet war zunächst auf das Gebirge Shara südlich Petra beschränkt. Dort war Dushara/Dusares (Der im Shara) zu Hause, welcher ihr Hauptgott wurde. – Die Nabatäer dehnten sich zuerst am Ostufer des Golfes von Aqaba-Aila aus. Hier zeigte sich ihre Fähigkeit, Fremde zu assimilieren (und ihnen ihre Künste – die gewaltsame Erbeutung von Strandgut – abzusehen und zu vervollkommnen). Sie

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legten sich nämlich auf die Seeräuberei, bis ihnen unter Ptolemaios II. (283–247) durch eine Flottenexpedition vorläufig das Handwerk gelegt wurde382. Auch die Araber von Ma’an bis Mo’ab wurden zu Nabatäern. Mit diesen Kräften gelang es ihren Königen im 2. Jahrhundert, die Aufstände der Makkabäer und die Zwistigkeiten unter den Nachkommen des Seleukos auszunutzen, bis Aretas III. 85 oder 84 v. Chr. Damaskus einnahm und Münzen zu schlagen begann. Die Stadt mußte wieder aufgegeben werden, aber der Ḥauran samt den sich südwärts erstreckenden Ländern blieb den Nabatäern. Doch wurde auch dies Gebiet durch eine Reihe politischer und militärischer Rückschläge verkleinert. Noch ehe diese im Jahre 31 ihr Ende fanden, begann eine Ausdehnung nach Süden, um den gesamten arabischen Handelsverkehr unter Kontrolle zu bringen und die Durchgangszölle zu vermindern. Zuerst wurde Higra/Egra (al-Higr) an der Weihrauchstraße eingenommen, von dort aus Taima’, außerdem Duma, der Zugang ins Innere. Die Häfen wurden bis Leuke Korne besetzt, die auf der gleichen Höhe liegende Station an der Weihrauchstraße einem Verwandten des Königs übergeben. Zuletzt fiel Dedan, der Sitz der Liḥyan, von allen Seiten abgeschnürt, den Nabatäern zu, vor oder nach dem Feldzug des Aelius Gallus (25–24). Inzwischen hatten die nabatäischen Kaufleute im Norden den Weg ans Ägäische Meer gefunden, später ließen sich viele von ihnen in Puteoli bei Neapel nieder. Da wurde plötzlich im Jahre 105 der in Syrien liegende Teil des Reiches von Kaiser Trajan eingezogen383, während der in Arabien gelegene zunächst sich selbst überlassen und später römische Interessensphäre wurde. Liḥyan. Sprache, Schrift, Religion und auch das Königtum der Liḥyan reichen weit über die Zeit hinauf, in der sie direkt bezeugt werden. Sie wohnten einst am Roten Meer384. Ihr Hauptort hieß Liḥyan385 wie sie selbst und lag wohl nahe Hygras/Egra (el-Wejh). Die Liḥyan waren Satelliten der minäischen Kolonisten in Dedan, für die sie Waren über die See nach Ägypten transportierten, wenn die Landreise nicht ratsam schien. Sie wurden daher Gegner der Nabatäer, die es mit den Seleukiden hielten. Aus diesen Beziehungen erklärt es sich, daß der Name Tulmai386 = Ptolemaios vier- oder fünfmal bei ihren Königen vorkommt. Vor 150, beim Erschlaffen des minäischen Reiches, drehte sich das Verhältnis um. Die minäischen Kolonisten und Händler wurden Satelliten der Liḥyan, die sie gegen die bisher geduckten Dedaniter zu Hilfe gerufen hatten. Zunächst regierte ein Statthalter des Königs mit dem Peha von Dedan (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien)387, nach einiger Zeit entledigte man sich jedoch des Mitregenten. Die Herrschaft der Liḥyan reichte weit über Dedan hinaus, bis sich gegen 60 der Einfluß der Nabatäer geltend zu machen begann. Das weitere ist bekannt. Nach 105 gründeten Nachkommen der früheren Dynastie ein zweites Reich. Aber sie wurden der neuen Verhältnisse nicht Herr. Die letzten Inschriften aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts zeigen den Beginn der Beduinisierung Arabiens und die Anfänge der arabischen Sprache. Gerrha lag in Ostarabien, in dem größten Oasengebiet der Halbinsel nahe dem heutigen al-Hufhuf. Für den dazu gehörigen Hafen wurde den Fremden oder

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von den Fremden derselbe Name angegeben, obwohl er selbstverständlich anders hieß, genau wie bei Egra (vgl. Anm. 398). Die Landschaft stand schon lange der Einwanderung offen. Doch ist der Name Gerrha arabisch. Eratosthenes berichtet von einem Seefahrer, der unter Alexander dem Großen die Fahrt von Indien nach Babylonien gemacht hatte und später mit einer Flotte von dort am arabischen Ufer des Golfes entlangsegelte: »... Die Gerrhäer handeln über Land mit arabischen Waren und Gewürzen.« Und der achtzigjährige Aristobul, der ebenfalls am Alexander- Zug teilgenommen hat, berichtet: »Sie bringen Waren auf Flößen bis Babylonien und dann auf dem Euphrat bis Thapsakos.«388 – Später heißt es von den Sabäern und Gerrhäern: »Sie haben Syrien unter Ptolemaios (II.) reich an Gold gemacht und so den Phönikern zu gewinnbringenden Geschäften verholfen«, von den Gerrhäern und Minäern, sie brächten Weihrauch und wohlriechende Kräuter nach Petra und Palästina389. Den Weihrauch bezogen die Gerrhäer aus Dhofar (Zafar), das zu Hadramot gehörte. Der Weg führte von dort diesseits der Berge von ’Uman und durch den Sand nach Gerrha. Ma’in. Die Epoche von 320 bis 120 ist sehr gut bekannt. In den Inschriften kommen 15 Könige vor; oft regierten zwei zusammen. Unter ihnen befand sich ein Mann von ungewöhnlicher Bedeutung, Abiyada’ Yathi’. Er gehörte nicht der Dynastie an, es sei denn durch weibliche Verwandtschaft, war also entweder mangels eines Kronprinzen oder durch einen Gewaltstreich Herrscher geworden. Um sich zu legitimieren, nahm er die nicht benannten Nachkommen eines viele Generationen älteren Prinzen zu Mitregenten an – ein unerhörter Fall. Sobald der König seines Ansehens sicher war, gab er dem schwachen Lande einen politischen Rückhalt, indem er ein Bündnis mit dem König von Hadramot schloß. Es wurde durch einen Bau des verbündeten Königs in Ma’in und vermutlich desgleichen seitens Abiyada’ in Shabwat besiegelt. Abiyada’ war großzügig. In einer Inschrift (R 2774; T 1) wird dem Urheber vom Könige und dem Rat von Ma’in bescheinigt, daß »er sich um seinen Gott und seinen Schutzpatron, seinen König und sein Volk« verdient gemacht habe390, und es werden ihm die üblichen Privilegien (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien) zuerkannt. Auch verlieh ihm der König Land, dessen Grenzen genau festgelegt und durch Zeugen bestätigt wurden. Da er seine Mittel durch jene Leistungen erschöpft hatte, gab ihm Abiyada’ eine Anweisung auf Stoffe, 47 Ellen lang und 17 Ellen breit – das sind natürlich mehrere Bahnen – aus der königlichen Spinnerei und Weberei, sowie auf 47 – es folgt ein unbekanntes Maß – Weizen, in Shabwat, Bezirk Ma’in, beim Neumond fällig. – Der Handel war schon vor König Abiyada’ in eine neue Phase getreten. Die Kaufleute, die einen Teil ihrer Reise zur See machten – auf Delos sind Inschriften von zwei Minäern gefunden worden – fügten der Schlußformel (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien) hinzu: und aller Götter des Meeres und des Landes, des Ostens und des Westens. Es gab aber eine Reaktion gegen diese Anrufung fremder Götter; auch in der Fremde seien die einheimischen mächtig. So in einer Urkunde, die übrigens eine sichere Datierung zuläßt – der einzige Fall

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in der südarabischen Geschichte (R 3022; N 46): Zwei Vorsteher der Kolonie in Dedan berichten von ihrer Rettung durch die Götter von Ma’in und Yathil aus zwei Gefahren. Sie hielten sich in Ägypten auf, wo Ägypter, Syrer und Babylonier391 mit ihnen Handel trieben, also in Alexandria, als plötzlich ihr Leben und Eigentum durch einen Kampf der Meder mit den Ägyptern aufs höchste gefährdet wurden392. Als sie mit einer Karawane zurückkehrten, um den Göttern durch Ausbau der Befestigung ihrer Heimat Yathil zu danken, wurden sie nicht weit von Ma’in »in diesem Kriege« zwischen Norden und Süden von den Sabäern ... überfallen. – Mit dem Kampf kann angesichts aller übrigen Umstände nur die Schlacht bei Raphia, 217, gemeint sein, in der Antiochos der Grosse von Ptolemaios IV. geschlagen wurde393. Daß das medopersische Reich von den Arabern medisch genannt wurde, ist seit langem bekannt. König von (Syrien und) Medien heißt Antiochos auch sonst394. Wie die Formulierung »in diesem Krieg« zeigt, standen die Sabäer damals auf seiten der Seleukiden. – Nach der Anzahl der Inschriften zu schließen, hat König Abiyada’ Yathi’ an die 30 Jahre (225–195?) regiert, zuerst mit den Mitregenten, dann allein und schließlich mit einem Sohn. Der Umfang der minäischen Handelsbeziehungen geht aus den vielbeschrieenen Hierodulenlisten von Ma’in hervor395: Auf einer Anzahl von Stelen vor einem Tempel wiederholt sich 76mal fast die gleiche Formel: Der und der ..., ..., hat dargebracht ... die und die aus dem und dem Orte. Da die Herkunft bei freien Weibern in den Inschriften niemals erwähnt wird, sind Sklavinnen gemeint. Zu welchem Zweck sie dargebracht wurden, ist diskret verschwiegen, und eben deshalb deutlich: Der Gewinn ihres außerhalb des Tempels betriebenen Gewerbes sollte zugunsten des Tempels verwendet werden. Die Inschriften liegen zwischen 290 und 150, zwei etwas früher. Von den Sklavinnen kamen 27 aus Ghazza, 9 aus Dedan, 8 aus Ägypten, 3 aus Qedar/ Petra (s. Bd. 5, Kap. Arabien), je eine oder zwei aus Ṣaidan/ Sidon, Mo’ab, ’Amman, Liḥyan und aus Yathrib/Medina, etliche aus Qataban und Hadramot, die natürlich von Mitgliedern der Fremdenkolonien in Timna’ und Shabwat (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien) dargebracht wurden, wie die aus Dedan von Bewohnern der Kolonie. Um falschen Schlüssen vorzubeugen, wiederholen wir, daß die minäischen Kaufleute laut der Reiseberichte stets zunächst nach Ägypten und von dort nach Ghazza gingen. Daß die Zahl für Ghazza besonders hoch ist, zeigt nur, daß der Markt dort besser beschickt war (wenigstens mit solchen Mädchen, die den Besuchern der Feste in Ma’in – denn für diese war die Einrichtung in erster Linie bestimmt – gefielen) oder wohlfeiler. Saba’. Die Könige von Saba’ regierten in Sirwah wie ihr Vorgänger Karib’il Watar. Sie aber geboten auch in Marib (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien). Wir müssen nun zurückgehen, um eine Erscheinung zu erklären, die seit dem 1. Jahrhundert zunehmend die Geschicke Südarabiens bestimmt hat: den Aufstieg der Stämme in Stadt und Land. Während der Herrschaft der Makrab, etwa 510–320, wird der sabäische Staat (z.B. Ja 550) ›Saba’ und die Stämme‹ genannt. Zu diesen Stämmen

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gehörte Faishan, eine privilegierte Gemeinschaft, die in enger Beziehung zu Makrab und Königen stand und noch lange nach der Zeitenwende genannt wird396. Mit dem angedeuteten Vorgang aber hat sie nichts zu tun. Anders steht es mit den Sum’ay (C 37, R 4624). Sie kommen zuerst im Anfang der Königszeit vor und wohnten im Westen auf der Hochebene nördlich von Ṣan’a. Andere sind unter den von Plinius (h.n. VI 153–55, 157–59, XII 52) gesammelten Namen aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. trotz aller Wiederholungen und Entstellungen deutlich zu erkennen. Wir wenden uns nunmehr dem Zuge des Aelius Gallus, Präfekten von Ägypten, nach Südarabien zu, der im Jahre 25 auf Befehl des Kaisers Augustus begann und nach etwa 8 Monaten Anfang Februar endete. Bei der Expedition befand sich auch der Minister des nabatäischen Königs, Syllaios/Shullay, mit 1000 Mann (auch andere Verbündete, z.B. Herodes, hatten Hilfstruppen entsandt). Er hatte das Transportwesen unter sich, das ausgezeichnet funktionierte, und vielleicht nicht amtlich, aber tatsächlich die Festlegung der Route; hier aber stimmte etwas nicht, wie in Anm. 402 gezeigt wird. Der Kommandeur war impulsiv, wie selbst sein Freund Strabon zugab, aus dessen Bericht (XVI 4, 22–24/c. 780–82) wir schöpfen: Bau ungeeigneter Schiffe, Neubau geeigneter, Schiffbruch (an den Korallenbänken), langer Aufenthalt in dem nabatäischen Hafen Leuke Korne, kleine Strapazen auf dem Wege nach der Station im Inneren, große auf der Route bis Nagran, in einer friedlichen und fruchtbaren Landschaft. Der Ort wurde im Sturm genommen, der König floh. Sechs Tage später kam man an ein Wadi, das noch Wasser führte397. Hier fielen 10 000 Eingeborene und zwei Römer. Die beiden nächsten Städte Nashq (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien) und Yathil398 ergaben sich. Nach Yathil wurde (wegen seiner festen Mauern) eine Garnison gelegt. Endlich stand man vor Marib. Die Stadt wurde eingeschlossen, die Belagerung aber nach sechs Tagen aus Wassermangel aufgegeben (weil das Wasser für eine längere Belagerung nicht gereicht hätte?). Man war einer Illusion gefolgt; denn das Eldorado, dessen man sich im Guten oder Bösen bemächtigen wollte, existierte nicht. Der Rückzug der durch Seuchen arg zusammengeschmolzenen Truppe bot in dieser Jahreszeit keine Schwierigkeiten. Am Ende gelangte man auf einem Vorgänger der ägyptischen Pilgerstraße399, Leuke Korne links, Dedan rechts lassend, nach dem Hafen Hygras/Egra400 (el-Wejh). – Die Berichte401 über den Feldzug enthalten manches Neue über Südarabien. Ma’in war in den Zustand nebeneinander regierender Stadtkönige zurückgefallen, der Staat Saba’ altersschwach geworden. Im Süden hatte sich eine neue Völkerschaft gebildet, zahlreicher als alle anderen, Ḥimyar. – Etwa 50 Jahre später wurde die sabäische Dynastie gestürzt und das Reich ›der Sabäer und Homeriten‹ / ›der Könige von Saba’ und Dhu Raidan‹ gegründet, dessen Herrscher diplomatischen Verkehr mit den römischen Kaisern unterhielten402. Raidan hieß die Zitadelle der neuen Hauptstadt Zafar/Dhofar, Dhu Raidan das führende Geschlecht der Ḥimyar.

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Qataban. In Bd. 5, Kap. Arabien, wurde gezeigt, wie um 350 ein Makrab neben einen König trat. Im 2. Jahrhundert legte sich Yada’ ’ab Dhibyān I., der Sohn des Šahr, den Königstitel bei, nachdem er sich vorher Makrab genannt hatte. Auch in Qataban nahmen die Könige öfter ihre Söhne zu Mitregenten an, und einmal werden zwei Paare von Vater und Sohn bezeugt, die nebeneinander regierten403. Nach 100 können wir einen Shahr Yagul Yuhargib I. feststellen404 und um 50 regiert Yada’ ’ab Dhibyān II. mit seinem Sohn Shahr405. Wieder folgt eine Lücke. Erst seit der Mitte des 1. Jahrhunderts sind die Könige bekannt. Makrab und Könige hatten einen Rat neben sich. Dieser bestand aber nicht nur wie in Ma’in aus den Notabein der Hauptstadt, sondern auch aus den Vertretern der vereinigten Dorfgemeinden (Stämmen). Die Landwirtschaft, auch der Anbau von Spezereien, war hier eben besonders entwickelt. Das gleiche gilt für das Bodenrecht, das neu untersucht werden müßte. Wichtige Urkunden unterschrieb der König persönlich. Das Handelsgesetz ist wenigstens zum Teil bekannt406. Es seien hier einige Bestimmungen angegeben: Der Handel ist auf den Marktplatz von Timna’ beschränkt. Für die Beteiligung wird eine feste Marktsteuer erhoben, für die Ausländer ist sie höher. Der Handel mit den Dörfern in der Provinz ist auf einen festen Personenkreis beschränkt, aus Besorgnis, die Händler könnten dort wegen mangelnder Kontrolle die Steuer schuldig bleiben. Zuständig dafür ist der Marktvorsteher, der das Privileg für diese Geschäfte hat. Zuwiderhandlungen und Betrug werden durch Geldstrafen (50 Goldstücke) geahndet. – Eine andere Quelle des Reichtums waren die Durchgangszölle für Karawanen, die, von Hadramot und Dhofar kommend, Weihrauch nach den Mittelmeerhäfen brachten. »Man kann ihn nur durch das Land der Gebbaniten (steht dialektisch für Qatabaniten) exportieren; daher zahlt man auch (wie in Shabwat an einen Gott) ihrem König Abgaben. Ihre Hauptstadt, Thumna (= Timna’), ist 2 Millionen 437 500 Schritte von GazaGhazza, einem Hafen von Judäa, an unserer Küste gelegen, entfernt, eine Strecke, die in 65 Stationen für die Kamele geteilt ist. Die Priester und die Schreiber der Könige erhalten ebenfalls feste Anteile. Auch nehmen Wachen, Trabanten, Träger, Diener an dem Raub teil. Längs der ganzen Route heißt es zahlen, hier für Wasser, dort für Futter, für (den Aufenthalt in den) Stationen, für Weide, soviel, daß die Kosten bis zu unserer Küste sich auf 688 Denar pro Kamel belaufen. Dann muß man noch den Generalpächtern unseres Reiches zahlen. Daher ist das Pfund des besten Weihrauchs 6 Denare wert; die zweite Qualität 5, die dritte 3.« (Uranios in Plinius, h.n. XII 63–64). – Der Umfang des Reiches hat sich bis etwa 50 v. Chr. nicht geändert. Zwar läßt Eratosthenes oder vielmehr sein Gewährsmann Qataban bis an das Rote Meer reichen. Aber das wird durch nichts bestätigt, und da er auch die Minäer längs der Küste des Roten Meeres wohnen läßt407, ist auch auf jene Nachricht nichts zu geben. Ein Zeichen militärischer und politischer Schwäche Qataban’s war der dritte und letzte Aufstieg Ausan’s (vgl. Bd. 5, Kap. Arabien). Es wurde wieder selbständig. Drei Könige sind bekannt und je eine Statue von ihnen – häßliche Nachahmungen späthellenistischer

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Kunst östlicher Prägung408. Im 1. Jahrhundert n. Chr. erlebte Qataban eine Nachblüte. Damals entstand das Haus Yafash in Timna’, wie alle Bauten in Südarabien mit einem Eigennamen versehen. Davor standen zwei Löwen aus Bronze mit Putten als Reitern, einheimische Nachahmungen alexandrinischer Kunst. Manch andere wohlgelungene Kopien wurden gefunden, z.B. eine Bronze-Statuette des alexandrischen Gottes Sabazios. Die 50 cm hohe Figur einer Frau auf einem Throne weist trotz barbarischer Züge auf späthellenistische Vorbilder hin. Die Inschrift auf dem Sockel ist nicht ganz eindeutig. Doch stellt die Figur eher die Sonnengöttin Dhat Ḥimyam als deren Priesterin dar. Auch Originale kamen zum Vorschein und dazu eine Menge Scherben römischer Keramik409. All das setzt eine erhebliche Einfuhr voraus. Womit wurde diese bezahlt? Kam auf dem Landwege soviel heraus oder auf dem Seewege über (Aden)? Ḥaḍramot und seine Könige sind uns hier wie in Bd. 5, Kap. Arabien, öfter begegnet. Trotzdem läßt sich weder aus den ständig wiederkehrenden Namen eine Königsliste herstellen, noch lassen sich die Ereignisse, die man zufällig erfährt, miteinander verbinden. Im 1. Jahrhundert n. Chr. wird auch Ḥaḍramot reich. Es hat durch seine beiden Häfen Anschluß an den Seeverkehr nach und von Ägypten, nach und von Indien und nach Afrika. Die Insel Sokotra gehört Ḥaḍramot (ein Stück afrikanischer Küste dem König von Saba’ und Dhu Raidan). Eine neue Stadt, Maifa’at, wird südlich von Shabwat nahe dem Meere erbaut. Dhofar. Im Weihrauchlande haben die Amerikaner 1952 in den Trümmern einer einstigen Hafenstadt gegraben. Ein großer Tempel kam zum Vorschein. Aus den Inschriften geht hervor, daß der Ort S.m.r.m hieß und daß er im Lande (der) Sa’kal, der Sachaliten, lag und vor und nach Christi Geburt zu Ḥaḍramot gehörte. Die Gründung der Stadt fällt wohl mit dem Beginn der indischen Schiffahrt über das offene Meer zusammen. Gewürze kamen nun direkt nach Arabien. Spät fand die Bronzefigur einer indischen Tänzerin ihren Weg dorthin410. 5. Der römische Westen vom Krieg gegen Pyrrhos bis zum Sieg über Hannibal An einer berühmten Stelle gibt Titus Livius zu bedenken, daß der Beginn der römischen Intervention in Kampanien den Beginn einer Entwicklung markierte, die in zunehmendem Maße die Römer zwang, immer mächtigere und gefährlichere Feinde zu bekämpfen411. Doch in Wirklichkeit waren die Römer schon lange vorher in ein Räderwerk geraten, aus dem sie sich nicht mehr befreien konnten. Titus Livius dachte nur an die militärischen Aktionen der Legionen zu Lande. Von dem Augenblick an jedoch, da die Macht Roms sich auf die Küstenstädte Latiums ausgedehnt hatte, mußte der Senat eine ›maritime‹ Politik betreiben. So, wie die Republik das Erbe der etruskischen Könige nicht zurückweisen konnte, hatte sie die Beziehungen mit Karthago fortsetzen412 und Vorkehrungen für die unzähligen, durch Piratenüberfälle erzwungenen Aktionen treffen müssen. Als Schutzherrin der Mehrzahl der latinischen Städte war Rom, ob es wollte oder nicht, eine Mittelmeer-›Großmacht‹ geworden,

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obwohl es keine eigene Flotte besaß. Wir haben im Falle von Rhodos gesehen, welche Konsequenzen dieser Sachverhalt für das Verhältnis Roms zum Osten hatte413. Im Westen hatte er zur Folge, daß Rom von Karthago nicht länger ignoriert werden konnte, und Karthago verstand es geschickt, sich Rom für lange Zeit zum ›Freunde‹ zu machen. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Karthago und Rom scheinen relativ lebhaft und von Seiten Karthagos zumindest aufmerksam, ja freundlich, gewesen zu sein414. Karthago allerdings war, wie man angesichts der Ungleichheit der Kräfte erwarten konnte, der Hauptnutznießer. Die Römer, d.h. alle Schiffe der mit Rom verbündeten ›Italiker‹, hatten nicht das Recht, in die afrikanischen Gewässer westlich des Kap Apollon einzudringen. Doch die ›römischen‹ Händler durften ihre Waren im afrikanischen Karthago und auf Sardinien verkaufen, mit der Einschränkung, daß die Geschäfte unter der Kontrolle eines ›staatlichen Schreibers‹ abgeschlossen und die finanziellen Transaktionen durch die Geldinstitute des Staates durchgeführt wurden415. In dem von den Karthagern beherrschten Teil Siziliens war der Handel für die Römer frei416. Im übrigen ließen sich die Karthager das Recht der Verfolgung eventueller Piraten einräumen und beschränkten sich auf das Versprechen, in Italien oder zumindest in Latium keine Stützpunkte zu errichten oder zu besetzen. Die Bedingungen des zweiten Vertrages waren noch härter: es war den italischen Kaufleuten nicht mehr erlaubt, auf Sardinien oder in Afrika Handel zu treiben. Nur Sizilien blieb für ihre Betätigung offen, ebenso die Hauptstadt Karthago selbst417. An den Klauseln dieses Vertrages und mehr noch an den Einschränkungen, die er gegenüber den früheren Abmachungen enthält, erkennt man, daß Karthago seine Haltung in dem Maße versteifte, in dem Rom seine Macht in Italien festigte. Leider kennen wir nicht das Datum des zweiten Vertrages, über den Polybios berichtet. Wenn man ihn in das Jahr 306418 datiert, kann man sich vorstellen, daß Karthago damals auf die Annäherungsversuche der Rhodier an Rom empfindlich reagierte und jeden römischen Versuch, eine expansive Handelspolitik zu beginnen, verhindern wollte. Die Folgerung, daß Rom seit dieser Zeit von Karthago überwacht wurde, scheint nicht zu kühn zu sein. In dieser Situation bahnte sich der Konflikt zwischen Rom und Pyrrhos an. Tarent verfolgte seit langem mit Besorgnis das Vordringen Roms. Die von den Römern an der Küste des Adriatischen Meeres gegründeten Kolonien, die Intervention der Legionen in Groß-Griechenland, all das beunruhigte die Tarentiner. Sie benutzten einen geringfügigen Vorwand – die Anwesenheit römischer Schiffe nördlich des Lacinischen Vorgebirges, über das sie auf Grund eines Vertrages nicht hinausfahren durften419 – und richteten einen Hilferuf an Pyrrhos, der diesem sofort Folge leistete. Wenn die Intervention des Pyrrhos in Italien auch scheinbar nur die Tradition Alexanders des Molossers und des Spartaners Kleonymos420 fortsetzte, so stellte sie in Wirklichkeit doch ein weitaus gewichtigeres Ereignis dar. Die Persönlichkeit des Königs von Epiros und auch die durch die Diadochenkämpfe geschaffene unsichere Lage im Osten, wo man

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im Verlauf eines Feldzuges und auf Grund des Ausgangs einer einzigen Schlacht Reiche entstehen und zerfallen sah, lassen vermuten, daß Pyrrhos nicht als einfacher Truppenanführer nach Süditalien kam, um einer griechischen Stadt gegen Sold zu helfen, sich gegen Barbaren zu verteidigen. Alles berechtigte zu der Annahme, daß er als Eroberer einen neuen Kontinent betrat. Es war der Geist Alexanders des Großen, der von Osten nach Westen ›hinübergriff‹. Es gab in Tarent selbst viele kluge Köpfe, die dies erkannten, und es bildete sich von da an eine pro-römische Partei unter den Aristokraten, die das richtig einschätzten und die nach der Tradition aller Aristokraten, mit denen Rom zu tun hatte, sich lieber mit dem Senat verständigten, als Gefahr zu laufen, sich einen Tyrannen in ihre Stadt zu holen. Die Absichten des Pyrrhos waren eindeutig; er wollte versuchen, sich auf Kosten der italischen Völker, der sizilischen Griechen und selbst Karthagos ein Reich zu schaffen421. Solche Ambitionen waren keine Hirngespinste. Sizilien war seit dem Tode des Agathokles zutiefst in Unruhe, und dessen Beispiel hatte bewiesen, daß die Eroberung des punischen Afrika durchaus möglich war422. Pyrrhos landete in Italien im Frühling des Jahres 280 mit einem starken Heer: mit einer Phalanx von 20000 Mann, mit 2000 Bogenschützen, 500 Schleuderern sowie 3000 Reitern und 20 Elefanten422. Es war das erste Mal, daß die Römer einer operativen Streitmacht vom hellenistischen Typ entgegentreten und gegen Elefanten kämpfen sollten. Sobald Pyrrhos an Ort und Stelle war, begann er die Jugend von Tarent zu bewaffnen. Er traf zu diesem Zweck rigorose Maßnahmen. So schloß er die Gymnasien und ließ auf die Müßiggänger jeglicher Art Jagd machen. Außerdem verbündeten sich mehrere italische Völker mit ihm gegen Rom: Samniter, Bruttier, Bergvölker, die die Samnitenkriege noch in schmerzlicher Erinnerung hatten. Wahrscheinlich um zu verhüten, daß diese anti-römische Bewegung sich weiter ausbreitet, entsandte der Senat, sobald er konnte, ein konsularisches Heer unter dem Oberbefehl des Laevinus, das die Operationen gegen Pyrrhos einzuleiten hatte. Dieser marschierte ihm entgegen. Der Zusammenstoß fand vor Herakleia am Siris statt. Trotz seiner Tapferkeit im Kampf mit der Phalanx konnte das römische Heer dem Ansturm der Elefanten, der die Entscheidung herbeiführte, nicht standhalten. Die Verluste des Königs waren schwer, die der Römer aber noch schwerer, und der Konsul hatte sein Lager nicht retten können. Nun gingen alle Völker Süditaliens zu Pyrrhos über. Die Reaktion Roms war, wie man es erwarten konnte, rasch und wirksam. Man schloß in Eile Frieden mit den etruskischen Städten, mit denen man im Krieg lag, man bewaffnete die ärmsten Bürger (die Proletarier, die nach der Tradition vom Militärdienst ausgenommen waren), und Laevinus erhielt den Auftrag, Kampanien zu besetzen, um jeden Abfallversuch zu verhindern. Die Truppen waren bereits in Stellung gegangen, als Pyrrhos erschien. Seine Angriffe blieben ohne Resultat. Pyrrhos beachtete den Feind nicht weiter, ließ ihn in seinem Rücken zurück und marschierte auf Rom. Er kam vielleicht bis Praeneste. Doch er mußte sich zurückziehen, weil er fürchtete, von Tarent und damit von

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Epeiros abgeschnitten zu werden. So leitete er in diesem Augenblick, oder ein wenig später, Verhandlungen mit Rom ein, um den Frieden wiederherzustellen. Nachdem er bei seinem Vorstoß festgestellt hatte, welche Schwierigkeiten er haben würde, Rom zu bezwingen und Mittelitalien zu besetzen, scheint Pyrrhos die Absicht gehabt zu haben, seinen Sieg sofort ›auszumünzen‹ und in Mittelitalien ein richtiges Königreich zu errichten, und zwar durch den Zusammenschluß der Völker, die sich mit ihm verbündet und ihm im Krieg geholfen hatten. Der König forderte die Römer zu einer Teilung der Halbinsel auf423. Pyrrhos dachte da als hellenistischer Eroberer; er vergaß, daß seine Feinde nicht ein Königreich, sondern eine Republik bildeten, daß sie nicht den Ehrgeiz eines Mannes, sondern die Tradition eines Vaterlandes verteidigten. Obwohl der Senat einen Augenblick lang versucht war, das Angebot des Pyrrhos anzunehmen, hörte er schließlich auf die Stimme des alten Appius Claudius, der vielleicht im Namen einer in der Aristokratie noch lebendigen Tradition sprach, die er selbst verkörperte, und die später im ›Philhellenismus‹ der Scipionen und ihrer Freunde erlosch. Für ihn und für diejenigen, deren Gedanken er in dieser Debatte aussprach, lag die Zukunft Roms im Süden; von dort erwartete man Klugheit, politisches Gleichgewicht, Ruhm und zweifellos auch die wirtschaftlichen Vorteile, die der freie Handel mit dem hellenisierten Italien bot. Es war gewiß kein Zufall, daß der Erbauer der Via Appia und des ersten Aquädukts von Rom der Wortführer derjenigen war, die sich weigerten, die Expansion nach den griechischen Ländern aufzugeben. Wegen der schlechten Jahreszeit zog sich Pyrrhos nach Tarent zurück, fest entschlossen, die Eroberung seines italienischen ›Königreichs‹ im Frühjahr 279 wiederaufzunehmen. Im Verlauf des Sommers kam es vor der Stadt Ausculum zu einer neuen Schlacht. Auch sie wurde zu einer römischen Niederlage. Doch es war kein endgültiger Zusammenbruch, und Pyrrhos zog sich aus schwer erfindlichen Gründen nach Tarent zurück. Vielleicht lag der tiefere Grund seiner Untätigkeit in den beiden Angeboten, die ihm kurz nach Ausculum gemacht worden waren: er erhielt einerseits die Nachricht, daß Ptolemaios Keraunos gestorben war und die Makedonen ihm die Königskrone anboten, und andererseits beriefen ihn die Griechen Siziliens an ihre Spitze, um gegen Karthago zu kämpfen424. Der König entschied sich, das zweite Angebot anzunehmen. Ihm erschien die Einigung Siziliens innerhalb des Hellenismus als die ruhmreichere Aufgabe, und die Nähe Afrikas war ihm wie eine Einladung – wenn er erst einmal Sizilien fest in seinen Händen haben würde –, den früher dem Kineas dargelegten Plan weiterzuverfolgen. Die Bedeutung dieser Wahl entging den Karthagern nicht. Sie beunruhigten sich so sehr, daß sie mit Rom ein neues Bündnis abschlossen. Und zum erstenmal handelte es sich nicht mehr um ein Handelsabkommen, sondern um eine regelrechte Allianz, die ausdrücklich gegen Pyrrhos gerichtet war. Die Kontrahenten untersagten sich gegenseitig, mit ihm einen Separatfrieden zu schließen; darüber hinaus erklärten sich die Punier bereit, die nötigen Transportmittel für ein eventuell in den Kampf gegen den König eingreifendes

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Expeditionskorps zu liefern425. Dieses Zugeständnis der Karthager zeigt deutlich, daß die punische Republik sich bewußt war, an der Seite Roms ihre vitalen Interessen zu verteidigen. War es diese Koalition zwischen Rom und Karthago, die Pyrrhos daran hinderte, in Sizilien entscheidende Erfolge zu erringen? Das scheint nicht der Fall zu sein. Es waren allein die karthagischen Streitkräfte, die Lilybaeum, den letzten der den Puniern auf der Insel verbliebenen Stützpunkte, gegen eine mehrmonatige Belagerung verteidigten. Und es waren die Griechen selbst, die vor den Kriegsanstrengungen zurückschreckten, die der König von ihnen forderte, um, wie er vorhatte, nach Afrika gehen und Karthago bezwingen zu können, anstatt seine Kräfte auf zweitrangigen Kriegsschauplätzen zu verbrauchen. Sie lösten sich deshalb von ihm und verrieten ihn. Inzwischen hatte Karthago, indem es Pyrrhos einen Separatfrieden anbot, den dieser aber nicht annahm, ein Mittel gefunden, das Bündnis mit Rom zu brechen. Als Sizilien wegen des Abfalls der griechischen Städte für Pyrrhos nicht mehr zu halten war, zog er sich nach Italien zurück, um seinen ersten Plan, den der Gründung eines Königreichs in Mittelitalien, wiederaufzunehmen. Ende 276 erreichte er von neuem Italien, nicht ohne während der Überfahrt schwere Verluste durch die Punier erlitten zu haben. Bei der Landung plünderte er den Tempel von Lokroi, ein Sakrileg, das zumindest bei den Philosophen in Athen leidenschaftliche Kommentare ausgelöst zu haben scheint: die einen behaupteten, die Götter kümmerten sich wenig um die Sterblichen, die andern versicherten, der vier Jahre später in Argos erfolgte Tod des gottlosen Königs sei eine Folge seines Verbrechens gewesen426. Während seiner dreijährigen Abwesenheit hatte sich die Situation in Italien verschlechtert, die Römer hatten nacheinander die Völker angegriffen, die sich mit Pyrrhos verbündet gehabt hatten. Um seines Prestiges willen mußte er einen glänzenden Sieg erringen. Er suchte das Gefecht mit den Truppen des Konsuls. Im Sommer 275 kam es zur Schlacht von Maleventum (später Beneventum): Pyrrhos erlitt eine klare Niederlage. Die Römer hatten gelernt, sich gegen die Elefanten zu verteidigen427. Der Konsul Manius Curius Dentatus errang einen Triumph. Dies war für Pyrrhos das Ende seines italischen Abenteuers428. Es blieb ihm praktisch auf der Halbinsel nur die Zitadelle von Tarent, die er seinem Sohn Helenos und seinem Truppenführer Milon anvertraute. Im folgenden Jahr berief Pyrrhos Helenos und einen Teil der verfügbaren Truppen zurück. Milon blieb noch zwei Jahre, bis 272, in der Zitadelle eingeschlossen; dann übergab er sie den Römern, die ihn belagerten, nachdem sie ihm freien Abzug mit kriegerischen Ehren zugesichert hatten429. Der wachsame Ptolemaios II. hatte nicht erst die Einnahme von Tarent abgewartet, um eine Gesandtschaft nach Rom zu schicken. Es genügte ihm, zu wissen, daß Pyrrhos besiegt war, und er entschloß sich, mit den Siegern freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen. Nicht, daß er Feindschaft gegen Pyrrhos hegte – im Gegenteil, der König von Epeiros war, wie gesagt, vielleicht

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sogar ohne sein Wissen für die Winkelzüge der Diplomatie des Lagiden benutzt worden430; doch seine realistische Politik wie auch vielleicht seine Neugierde veranlaßten ihn, die Absichten einer Macht zu sondieren, die fähig schien, im westlichen Mittelmeer eine erstrangige Rolle zu spielen431. Diese Öffnung Roms nach Ägypten war eine der Konsequenzen, und nicht die geringste, des Krieges gegen Pyrrhos. Die Lagiden waren die ersten Könige, die Rom ihre Aufmerksamkeit widmeten und es umwarben. Ist es reiner Zufall, daß sie die letzten waren, die ihm unterlagen, und daß Ägypten das letzte Land war, das sich im Imperium auflöste? Die andern Folgen des Krieges sind oft erörtert worden; es waren Folgen militärischer Natur, denn die Legionen lernten den hellenistischen Heeren Trotz zu bieten, übernahmen von ihren Gegnern taktische Manöver, so vielleicht die Gewohnheit, jeden Abend ein befestigtes Lager zu errichten; ferner waren es Folgen wirtschaftlicher Art, da Rom sein Geldsystem den Notwendigkeiten des hellenischen Handels, mit dem es sich nun eng verbunden sah, anpassen mußte. Man kann auch von moralischen Konsequenzen sprechen; Pyrrhos hatte zumindest einem Teil der Senatoren bewußt gemacht, daß Rom, ob es wollte oder nicht, dem Hellenismus und dem ›Süden‹ gegenüber praktisch eine in sich zusammenhängende Politik betrieb, eine zugleich einsichtige und souveräne Politik, die es sich instinktiv zum Ziel gesetzt hatte, die in Groß-Griechenland angetroffenen höheren Lebensformen Rom näherzubringen, die sich weigerte, Rom systematisch von der Mittelmeerwelt fernzuhalten, und die uns in der komplexen Gestalt des Appius Claudius verkörpert erscheint. Es gab noch eine andere, zunächst weniger spürbare, doch unleugbare Konsequenz: Pyrrhos hatte den Römern einen bestimmten Typus von König demonstriert, der auf die fanatischen Gegner der Monarchie, die zu sein die Römer sich rühmten, nicht ohne Eindruck geblieben war. Er hatte in ihnen den Gedanken aufdämmern lassen, daß gewisse Menschen eine Fortuna besaßen, die nur ihnen eigen war und sie gewissermaßen über die andern erhob. Der alte egalitäre Geist war noch nicht angegriffen, doch Phyrrhos war es gelungen, in der Republik einen Traum zu wecken. Der Erste Punische Krieg Als Pyrrhos in Italien und Sizilien von der Szene verdrängt war, standen sich dort Rom und Karthago allein gegenüber. Die griechischen Städte GroßGriechenlands waren praktisch Rom Untertan, und Karthago behauptete auf Sizilien seine Vormachtstellung. Die Erfolge, die Pyrrhos dem Hellenismus errungen hatte, waren nicht von Dauer. In den Jahren, die dem Abzug des Königs folgten, tat Karthago mehr, als nur das zurückzuerobern, was es verloren hatte. Es besaß den Westen der Insel. Syrakus blieb Herrin des östlichen Teils, und im Norden war das blühende Messana (Messina) in den Händen von früheren Soldaten des Agathokles, Italikern, die gemeutert, die griechischen

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Kolonisten aus der Stadt vertrieben und sich hier an ihrer Stelle niedergelassen hatten432. Während des Krieges gegen Pyrrhos hatten für Rom angeworbene kampanische Soldaten das Beispiel der früheren Söldner des Agathokles, ihrer Stammesbrüder, nachgeahmt und Rhegion besetzt – vielleicht mit Beihilfe des Senats, der es für opportun gehalten hatte, so die Stadt gegen einen Handstreich des Königs zu schützen, ohne sich selbst bemühen zu müssen. Doch als der Krieg beendet war, glaubten die Römer es ihrer Ehre schuldig zu sein, die Rebellen von Rhegion zu bestrafen. Die Stadt wurde belagert und eingenommen, die Schuldigen wurden bestraft433. Die ›Mamertiner‹ (so nannte man die Meuterer von Messana) hatten jedoch eine Zeitlang die besten Beziehungen zu ihren Kameraden in Rhegion unterhalten. Von 270 an, dem Jahre, in dem Rhegion den Griechen, den legitimen Besitzern, zurückgegeben wurde, waren die Mamertiner vollkommen isoliert und den Angriffen von Syrakus mehr denn je ausgesetzt. Ihre Lage wurde noch kritischer, als Syrakus in die Hände eines jungen Feldherrn namens Hieron fiel, der durch einen kühnen Handstreich, doch, wie es scheint, mit Zustimmung der öffentlichen Meinung, die Macht an sich riß434. Hieron errang 268 einen entscheidenden Sieg über die Mamertiner, für den er von seinen Mitbürgern zum König ausgerufen wurde, und versetzte die Mamertiner in Angst. Sie beschlossen, einen ihrer mächtigen Nachbarn um Hilfe anzugehen; die einen waren für Karthago, die andern für die Römer. Die Parteigänger Karthagos überantworteten die Zitadelle einem punischen Offizier, während die pro-römische Partei eine Gesandtschaft an den Tiber schickte. So stellte sich durch die Initiative einer Handvoll aufständischer Söldlinge, die wegen des energischen Vorgehens des Hieron ihre üblichen Raubzüge gegen die griechischen Städte Siziliens nicht mehr fortsetzen konnten, plötzlich ein akutes Problem, von dem man heute zweifellos sagen kann, daß es unvermeidlich war, von dem man damals jedoch nicht annehmen konnte, daß es so schnell zu dramatischen Konsequenzen führen würde. Die Abgesandten der Mamertiner begegneten in Rom zunächst nur geringer Begeisterung. Der Senat war nicht geneigt, die Sache von Leuten zu unterstützen, deren Fall starke Ähnlichkeit mit dem der Meuterer von Rhegion hatte, die einige Jahre zuvor mit dem Beil hingerichtet worden waren. Die Angelegenheit wurde vor das Volk gebracht, und das römische Volk, von den ›Strategen‹, wie Polybios uns berichtet, geziemend bearbeitet, beschloß, sich über die Einwände der Senatoren hinwegzusetzen und die Mamertiner zu unterstützen. Zum Führer der Expedition wurde einer der Konsuln, Appius Claudius, gewählt435. Der Name des ernannten Anführers ist höchst bedeutungsvoll; er setzte offensichtlich die Politik seines berühmten Vorfahren fort, der der Idee, daß die wahren Interessen Roms im Süden lägen, zum Durchbruch verholfen hatte. Die von den Karthagern soeben in Messina stationierte Garnison zu dulden, hätte geheißen, die Insel dazu zu verurteilen, daß sie über kurz oder lang ganz unter die punische Herrschaft fiele. Und dies hätte für Rom eine große Gefahr bedeutet. Sizilien und Groß-Griechenland waren enge Verbündete; ihre wirtschaftlichen

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Interessen waren die gleichen. Der Herr Siziliens würde wahrscheinlich versuchen, nach Italien ›überzusetzen‹, und Rom, umgeben von Meeren, die von der punischen Flotte beherrscht wurden, hatte allen Grund, eine Lahmlegung seines Handels zu befürchten, zumindest mit den seit kurzem verbündeten Städte, von der Landspitze Kalabriens bis zu dem seit dem Fall und der Zerstörung des Bundesheiligtums von Volsinii in seiner Hand befindlichen Etrurien436. Der Augenblick war gekommen, das ›Protektorat‹ über das westliche Hellenentum zu bejahen, das uns eine der beherrschenden Ideen des römischen Denkens gewesen zu sein scheint, zumindest bei einem Teil der Elite. Die scharfsichtigsten Römer hatten dies begriffen – und zwar gegen die Auffassung der Traditionalisten unter den Senatoren, die zu jener Zeit die Majorität gehabt zu haben scheinen437. Es ist schwer zu glauben, daß Rom damals eine konsequente ›imperialistische‹ Politik betrieb. Hätte es sonst nicht versucht, sobald wie möglich die reichen Gebiete nördlich von Rimini (gegründet 268)438 zu annektieren? Doch der Norden und der Süden der Halbinsel waren in den Augen der Befürworter einer Intervention in Messana nicht gleichwertig: im Norden lagen von Barbaren besetzte Ländereien, im Süden griechische Städte und hinter ihnen die Meerstraßen. Die Klügsten unter den Römern spürten (vielleicht dunkel, doch intensiv genug, um sich durch ihr Gefühl zu einer entsprechenden Politik inspirieren zu lassen und diese der ganzen Stadt aufzuzwingen), daß Roms wahres Schicksal sie an die hellenistische Welt band und sie von Karthago trennte. Das Gefühl dieser Berufung war nicht verwunderlich; Rom war durch seine italische Vergangenheit seit langem vom Griechentum durchtränkt und befand sich bereits auf dem Weg, den ihm die ›imperialistische‹ Partei wies. Appius Claudius und seine Freunde waren sich der Notwendigkeit einer Wahl bewußt, ohne die Rom sich selbst untreu geworden wäre. Daß sie, wie Polybios behauptet, dem Volk, um seine Entscheidung zu beeinflussen, die Aussicht auf eine reiche Beute in Sizilien vorgaukelten, das ist möglich, sogar wahrscheinlich. Doch dies war nur ein Argument für die Masse. Die wahren Gründe waren anderer Art, subtiler, teils solche der Vorsicht, teils solche des Instinkts. Es ist im übrigen wahrscheinlich, daß der Senat, nachdem er seine Ansicht kundgetan hatte, sich der öffentlichen Entscheidung nicht mehr widersetzte, vielleicht befriedigt darüber, daß er seine Ehre gerettet hatte und gleichzeitig von den Comitien überstimmt worden war. Wie dem auch sei, Appius Claudius erhielt den Befehl, mit einem Heer die Meerenge zu überschreiten und sich nach Messana zu begeben. Die Karthager waren bereits in der Zitadelle. Den Mamertinern gelang es, sie zum Abzug zu nötigen, und die Römer übernahmen den Schutz der Stadt. Hierauf hielt Hieron den Augenblick für gekommen, Messana endgültig zu bezwingen und sein Territorium dem syrakusanischen Reich einzuverleiben, und schloß ein Bündnis mit den Karthagern, die sich rings um die Stadt neu formiert hatten. In wenigen Tagen sprengte Appius Claudius die Belagerung. Zu Lande verjagte er die

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Syrakusaner des Hieron. Dann griff er die Karthager in ihrem Stützpunkt auf dem Vorgebirge Pelorus an, hielt sie in Schach und flößte ihnen einen solchen Schrecken ein, daß sie keinen Versuch machten, sich Messana von neuem zu nähern439. Appius Claudius nutzte diesen doppelten Vorteil und marschierte direkt auf Syrakus zu. Doch er ging dabei so waghalsig vor, daß er nur knapp einem Desaster entging und sich zurückziehen mußte. Der Krieg war nicht in einem einzigen Feldzug zu beenden, wie es der Konsul gehofft hatte. Er sollte vierundzwanzig Jahre dauern und nach vielen Wechselfällen erst im Jahre 241 zu Ende gehen. 263 leiteten die neuen Konsuln die systematische Eroberung Siziliens ein; dabei griffen sie auf die herkömmliche Taktik Roms zurück, die auf dem Prinzip kontinuierlicher kleiner Aktionen beruhte, und das Claudius, vielleicht nach dem Beispiel des Pyrrhos, zu seinem Unglück aufgegeben hatte. Als eine bestimmte Anzahl sizilischer Städte an der Nordküste in die Hände der Legionen gefallen war, änderte Hieron seine Politik, bat um Frieden und erhielt ihn. Sein Königreich wurde auf die Südostecke der Insel, von Kamarina bis Leontinoi, begrenzt. Man überließ ihm auch den nach der Tradition syrakusanischen Vorposten Tauromenium (Taormina). Der Krieg war nunmehr ein Zweikampf zwischen Karthago und Rom geworden, und die Operationen entwickelten sich auf mehreren Schauplätzen, zunächst nacheinander, dann gleichzeitig. Eine alte Überlieferung, die aus Segesta eine trojanische Gründung machte, verband die Stadt mit den Römern. Seine Bewohner verließen, die römischen Erfolge nutzend, das Lager Karthagos und gingen zu Rom über. Als Antwort schickten die Karthager ein Heer, das versuchen sollte, ihre Herrschaft im Westen der Insel aufrechtzuerhalten. Dieses Heer machte Akragas (Agrigent) zu seinem Hauptstützpunkt. Nach einer langen Belagerung nahmen die Römer die Stadt (262) und plünderten sie. Karthago suchte seine Revanche auf dem Meer. Während sich die Städte des Innern, wie Polybios uns berichtet, nach der Einnahme von Agrigent den Römern ergaben, fielen die Küstenstädte aus Furcht vor den Überfällen der Punier von Rom ab440. Außerdem verwüsteten die Kriegsschiffe der Karthager nach Belieben die italischen Küstenorte. Da begannen auch die Römer, eine Flotte aufzustellen. Sie stellten es zunächst ungeschickt an, und ihre ersten Geschwader erlitten schwere Rückschläge. Doch auch hier gelang es römischer Geduld, allerdings unterstützt durch die Technik der südlichen ›Alliierten‹ und der Seefahrer Latiums, diesen Rückstand aufzuholen. Die Römer erfanden eine neue Taktik, ausgehend von derjenigen, die sie zu Land anwandten. Mit Hilfe von ›Enterbrücken‹, einer Art von Laufstegen, die man zum feindlichen Schiff hinüberlegte, verwandelten sie die Seeschlacht zum Nahkampf, in dem ihre Infanterie im Vorteil war441. So gelang es dem Konsul C. Duillius im Jahre 260, vor Mylae (an der Westküste der Nordspitze Siziliens) einen großen Seesieg zu erringen, den ersten in den römischen Annalen442.

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Die Karthager organisierten den Widerstand auf Sizilien und befestigten zu diesem Zweck die Landspitze Drepanum im äußersten Westen Siziliens. Von diesem Augenblick an verlief der Kampf auf der Insel mit wechselndem Glück für beide Parteien. Der Senat, der erkannt hatte, daß er einen entscheidenden Vorteil nur außerhalb Siziliens erringen konnte, und der sich durch den Erfolg seiner Flotten ermutigt fühlte, beschloß, den Versuch, der einst von Agathokles gemacht und fast gelungen war, selbst zu wiederholen443. Das Unternehmen wurde den Konsuln L. Manlius und Attilius Regulus übertragen. Die Überfahrt gelang mit starken Kräften trotz heftigen punischen Widerstands. Man landete in der Gegend von Clupea, und die römischen Truppen begannen, das Land zu verwüsten, ohne auf ernstlichen Widerstand zu stoßen. Angesichts des nahen Erfolges wurde einer der Konsuln, L. Manlius, nach Italien zurückberufen, Regulus setzte den Feldzug allein fort. Er nahm Tunes (Tunis) und setzte die Karthager so in Schrecken, daß sie um Frieden baten. Doch die Bedingungen des Regulus waren unannehmbar. Sie hätten zur Folge gehabt, daß die karthagische Republik nur noch ein Vasall Roms gewesen wäre. So ging denn der Krieg weiter. Doch er wurde nun von karthagischer Seite mit größter Energie geführt, dank des Eingreifens eines lakedämonischen Söldners namens Xanthippos, der kurz vorher mit einem Kontingent aus Griechenland stammender Söldner angekommen war444. Dieser Xanthippos brachte Erfahrungen von östlichen Schlachtfeldern mit, und er erkannte, mit welchen Mitteln die römische Infanterie zu besiegen war. Durch eine starke Reiterei und eine Elefantentruppe, aber auch durch seinen persönlichen Einfluß auf die Truppen, die ihn sofort zu ihrem Führer gemacht hatten, vernichtete Xanthippos das römische Heer445. Regulus wurde gefangengenommen. Danach verließ Xanthippos, der die Karthager nur allzu gut kannte, das Land unter Umständen, die wir nur ahnen. Vielleicht versuchten die Karthager, ihn zu töten, indem sie ihn ein entsprechend präpariertes Schiff besteigen ließen. Doch man versichert, der Lakedämoner sei schlau genug gewesen, die Falle zu durchschauen und heil davonzukommen. Dem Mißgeschick des Regulus folgt bald ein weiteres. Die Flotte, die Rom entsandt hatte, die Überlebenden zu evakuieren, wurde auf ihrer Rückfahrt von einem Sturm überrascht; von 464 Schiffen gingen nur 80 nicht unter446. So erwies sich nicht nur das Unternehmen des Regulus als ein Mißerfolg, sondern Karthago erlangte, ohne einen Streich zu tun, die Seeherrschaft zurück. Dieses Ereignis ließ den Krieg Wiederaufflammen. 254, im Jahr nach dem Mißgeschick des Regulus, plünderten die Karthager Akragas, doch ihre Gegner besetzten Palermo, eine karthagische Zitadelle und ein bedeutender Seestützpunkt. Doch statt diesen Erfolg zu nutzen, um die Operationen auf Sizilien energischer zu betreiben, hielten die Römer es jetzt für möglich, einen neuen Angriff gegen Afrika zuführen. Es gelang ihrer Flotte, zu landen und mehrere Überfälle auf Küstenorte durchzuführen, doch auf der Heimfahrt wurde sie von neuem dezimiert, dieses Mal auf der Höhe des Vorgebirges Palinurum447. Diese wiederholten Mißerfolge der römischen Geschwader werden in ihrer ganzen

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Bedeutung durch eine Bemerkung des Polybios gekennzeichnet, die er zu dem Unheil des Jahres 255 gemacht hat; nach seiner Ansicht verließen sich die Römer auf ihre Stärke und ihre Zähigkeit, was ihnen, fügte Polybios hinzu, oft zum Erfolg verhalf, wenn sie es mit Menschen zu tun hatten, was sie jedoch fürchterlichen Gefahren aussetzte, wenn die Hindernisse, denen sie begegneten, das menschliche Maß überstiegen. Gewiß erscheint uns das römische Volk in diesem Augenblick mehr starrsinnig als wirklich eigenwillig, befangen in begrenzter Erfahrung, nicht bereit, eine Taktik zu verfeinern, die einfach darin bestand, von neuem zu beginnen, wenn etwas beim ersten Versuch nicht gelungen war. Es liegt eine fast symbolische Bedeutung in diesem Konflikt zwischen den Römern und dem Meer, in dem diese Menschen, die nichts mehr verwirren und erbittern konnte als der Wortbruch, gegen das flüssige und unbeständige Element par excellence, gegen bewegte, schmeichelnde und heimtückische Wellen kämpfen mußten. Doch zuweilen verstanden es die Römer auch, aus einem Mißerfolg Lehren zu ziehen. Nach dem zweiten Versuch verzichteten sie endgültig darauf, die Küsten Afrikas anzugreifen, um nun ihre ganzen Anstrengungen auf Sizilien zu konzentrieren. Die Karthager versuchten, Palermo wiederzuerobern, wurden jedoch durch die römische Verteidigung daran gehindert, und das von ihnen eingesetzte Heer erlitt vor der Stadt schwere Verluste. In diesem Jahr (250) beschlossen die Karthager, da sie fanden, daß sich der Krieg über alles Erwarten in die Länge zog, daß er ihren Handel ruinierte und sie teuer zu stehen kam, Regulus, der seit fünf Jahren ihr Gefangener war, zu benutzen; sie schickten ihn mit Friedensvorschlägen nach Rom, nachdem sie ihn hatten schwören lassen, daß er, wenn er keinen Waffenstillstand erreichte, nach Karthago zurückkehren würde, um hier hingerichtet zu werden. Regulus ging nach Rom, ergriff im Senat das Wort gegen die Vorschläge des Feindes und kehrte nach Karthago zurück, wo er auf scheußliche Weise zu Tode gemartert wurde. Die Römer ihrerseits eröffneten die Belagerung des karthagischen Stützpunktes Lilybaeum (Marsala). Doch ihre Operationen verliefen nicht günstiger als die der Karthager vor Palermo. Eine römische Flotte unter dem Oberbefehl eines Claudius (Appius Claudius Pulcher) wurde von den Karthagern bei Drepanum besiegt und vernichtet. Die traditionalistischen Senatoren waren froh, Claudius anklagen zu können, daß er sich geweigert hatte, vor der Schlacht die von den heiligen Hühnchen gegebenen Vorzeichen zu beachten. Zur gleichen Zeit wurde auch der zweite Konsul, M. Iunius, geschlagen, als er durch vereinte Land- und Seeoperationen versuchte, Lilybaeum mit einem Verstärkungsheer, mit Belagerungsmaschinen und Proviant zu erreichen448. Die Operationen endeten also scheinbar auf beiden Seiten mit einer negativen Bilanz. Doch wenn man es näher betrachtet, blieb Karthago im Vorteil. Rom hatte die einige Jahre vorher errungene Seeherrschaft verloren, und die punischen Schiffe fuhren fort, die italischen Küsten heimzusuchen. Die Verbindungen zwischen

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Rom und Sizilien waren unsicher geworden. Nur das Bündnis mit Hieron erleichterte weiterhin und mit bemerkenswerter Beständigkeit die Schwierigkeiten Roms auf der Insel. Es war der Patriotismus der Römer, der nun die Situation rettete. Die Privatleute steuerten großzügig zur Ausrüstung einer neuen Flotte bei, die man als letzte Hoffnung dem Konsul C. Lutatius Catulus anvertraute. Im Frühjahr 241 besiegte der Konsul bei den Ägatischen Inseln eine mit Proviant für das Expeditionskorps beladene karthagische Flotte. Der karthagische Befehlshaber auf der Insel war Hamilkar. Er hatte viel dazu beigetragen, die Römer in den letzten Feldzügen in Schach zu halten. Er befand sich im Augenblick der Niederlage auf dem Berg Eryx, einem Heiligtum der Venus, der großen sizilischen, aber auch römischen und punischen Gottheit. Und die Römer erinnerten sich, daß Venus die Mutter des Aeneas war. Karthago mußte nach den Bestimmungen des nunmehr abgeschlossenen Friedensvertrages Sizilien den Römern überlassen, es mußte sich zur Zahlung einer hohen Kriegsentschädigung verpflichten und natürlich Hieron in seinem Königreich Syrakus bestätigen. Karthago und Rom hatten sich im Verlauf dieses langen Krieges kennengelernt und eine starke Feindseligkeit gegeneinander entwickelt. Als Regulus im Vorteil war, hatte er unbewußt verraten, welches die von Rom verfolgten Kriegsziele waren, und daß sie auf nichts Geringeres abzielten als auf das Verschwinden Karthagos als Großmacht. Regulus und seine Freunde im Senat wollten gewiß nicht Karthago in seiner Rolle als handeltreibende Republik durch Rom ersetzen und noch weniger sein Territorium annektieren, so daß man in diesem Sinne nicht von Imperialismus sprechen kann, doch sie waren entschlossen, den Feind, der ihnen soviel Ungemach bereitet hatte, endgültig zu schlagen und um jeden Preis den Wiederbeginn eines so langen Krieges zu verhindern. Nachdem die Römer die Punier besiegt hatten, benahmen sie sich wie unersättliche Gläubiger, als ob die Klauseln des Vertrages nicht genügt hätten, die Schuld der Besiegten abzudecken. Sie forderten immer mehr Sicherheiten, und diese Haltung trug dazu bei, das Verhältnis zwischen den beiden Republiken noch zu verschlechtern. Karthago mußte zunächst eine schwere Krise durchmachen, die durch den Übergang vom Kriegszustand zum Friedenszustand ausgelöst wurde. Um den Kampf in Sizilien führen zu können, hatte man eine große Zahl von Söldnern aus den hellenisierten Ländern, unter ihnen viele Gallier, angeworben; es gab unter ihnen auch Numider, und, ganz allgemein, ›Libyer‹ (Afrikaner), sowie aus Spanien gekommene Iberer und selbst Kampaner. Diese Menschenmassen waren nach dem Waffenstillstand nach Afrika zurückgebracht worden, wo sie auf ihren rückständigen Sold warten sollten, dessen pünktliche Zahlung durch die finanziellen Schwierigkeiten der Republik verhindert worden war. Die Söldner wurden zunächst in der Stadt, dann verstreut im Hinterland, in der Umgebung von Kef (Sicca Veneria) untergebracht. Dies war ein Fehler; die Unzufriedenen fanden Unterstützung bei den Eingeborenen, die ebenfalls nur ungeduldig die

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Tyrannei der Karthager ertrugen. Bald bildete sich ein Heer, geführt von drei erfahrenen Feldherrn, dem Afrikaner Mathos, dem Kampaner Spendios und dem Gallier Autharites. Das Heer der Republik, befehligt von Hanno, wurde besiegt. Dann berief man Hamilkar Barkas, den Helden des Krieges auf Sizilien, den die. Niederlage in den Schatten gestellt hatte. Hamilkar hatte zunächst einige Erfolge und faßte Hoffnung, seine alten Waffenkameraden zur Pflicht zurückführen zu können, wenn er denjenigen, die sich unterwarfen, Pardon versprach. Doch der Haß gegen Karthago war zu groß. Die Anführer der Rebellen behielten ihre Truppen in der Hand und nahmen die Offensive wieder auf. Die Stadt Karthago selbst, die schon einmal bedroht und dann von Hamilkar befreit worden war, wurde von neuem belagert. Es schien, als ob die Republik unter den Angriffen ihrer früheren Soldaten zusammenbrechen und die Ereignisse, die sich einst in Messana und in Rhegion abgespielt hatten, sich in größeren Ausmaßen wiederholen sollten. Die Bedrohung erschien den Römern selbst so ernst, daß sie Karthago unterstützten und ihren Verbündeten Hieron, der immer über große Mengen Getreide verfügte, ermächtigten, die Stadt zu versorgen. Schließlich blockierte Hamilkar die Söldner durch ein geschicktes Manöver in einem Engpaß (Engpaß der Axt), in dem sie keine Möglichkeit hatten, sich mit Nahrung zu versorgen. Ein Ausbruchsversuch scheiterte, und alle, die nicht an Hunger gestorben waren, wurden niedergemetzelt. Spendios und Autharites waren kurz zuvor durch Verrat gefangengenommen worden. Hamilkar ließ sie vor Tunes, wo Mathos sich noch hielt, kreuzigen. Dieser machte einen Ausfall und rächte seine Kameraden, indem er einen karthagischen General namens Hannibal kreuzigen ließ. Doch das ständig bedrohte Heer des Mathos nahm in der Verzweiflung eine geordnete Feldschlacht an, die ihm zum Verhängnis wurde. Der Krieg hatte drei Jahre und vier Monate gedauert449. Er endete erst im Jahre 238. Im gleichen Jahr wurde dem, was von der karthagischen Macht übriggeblieben war, ein neuer Schlag versetzt. Der Senat war beunruhigt über die Tatsache, daß die punischen Flotten während des Krieges gegen die Söldner die Verbindung zwischen Italien und Afrika weiterhin kontrollierten, um die Italiker daran zu hindern, die Rebellen zu verproviantieren, und er war von dem Wunsch getrieben, nach seinem Willen über das Tyrrhenische Meer zu verfügen. So verlangte er die Abtretung Sardiniens und gleichzeitig die Zahlung einer zusätzlichen Kriegsentschädigung. Das erschöpfte Karthago gab der Drohung nach, und die Römer besetzten Sardinien, wo die karthagischen Söldner dem Beispiel ihrer nach Afrika zurückgerufenen Kameraden gefolgt waren. Die Eingeborenen auf Sardinien und auch auf Korsika, wo die Römer zur gleichen Zeit begonnen hatten, sich festzusetzen, leisteten den neuen Eindringlingen lange Widerstand. Rom beschloß die Eroberung des Landes, und dies war der Beginn eines langen Kampfes, der erst im 1. Jahrhundert v. Chr. endete. Indem Rom Sardinien und Korsika besetzte, hatte es nicht nur ein sehr langwieriges Unternehmen angefangen, sondern den in Karthago gegen Rom

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angesammelten Haß noch vermehrt. Die Parteigänger des Friedens wurden immer weniger. Hamilkar und die Barkiden gewannen die Oberhand, und im Jahre 233 ließen die Punier den römischen Abgesandten antworten, daß man, wenn es sein müsse, nicht vor dem Krieg zurückschrecken würde450. Hamilkar hatte sich in Wirklichkeit niemals für geschlagen gehalten und bereitete die Vergeltung vor. Rom vor dem Zweiten Punischen Krieg Während Karthago nach dem Krieg mit einer schlimmen, durch die Revolte der Söldner ausgelösten Krise konfrontiert wurde, hatte Rom nur eine kleinere Erhebung zu unterdrücken, die der Falisker, die im Jahr des Sieges (241) erfolgte. Ihre Stadt Falerii wurde erobert, zerstört, die Bewohner siedelte man in der Ebene in einer neuen Stadt an. Wir kennen die Gründe dieser Erhebung, die offensichtlich ohne ernste Folgen war, nicht. Größere Sorgen bereiteten die im Norden der Halbinsel, in der Gallia Cisalpina, ansässigen Gallier. Rimini (Ariminum), eine im Jahre 268 gegründete latinische Kolonie, bildete die nördliche Grenze der römischen Besitzungen an der Adria. Nach dem Sieg über Karthago wurde an der Via Flaminia, der Straße, die durch Umbrien nach Rimini führte, die Kolonie Spoletium (Spoleto) gegründet. Die Römer trafen offenbar ihre Vorsichtsmaßnahmen. Im Jahre 232 beschließt die Plebs auf Betreiben des Volkstribuns C. Flaminius, die reichen Gebiete des ager picenus und des ager gallicus an der Küste der Adria unter das Volk zu verteilen451. Flaminius wollte der Plebs zweifellos einen Landbesitz verschaffen, der ihr den gleichen Nutzen bringen konnte, der den Aristokraten seit einem Jahrhundert im Süden zugute gekommen war. Diese Maßnahme, die auf innenpolitischen Überlegungen beruhte, hatte zur Folge, daß die Feindseligkeit der Gallier gegen Rom von neuem aufflammte. Die Republik wurde gezwungen, furchtbare Kämpfe zu bestehen, die ihre Kräfte in dem Augenblick aufs höchste beanspruchten, da Hannibal sich vorbereitete, den gefährlichsten Angriff, den sie je erlebt hatte, gegen sie einzuleiten. Und gleichzeitig sollte Hannibal in der Gallia Cisalpina Verbündete gegen Rom finden. Doch er fand – was der Erste Punische Krieg gezeigt hatte – keine Bundesgenossen innerhalb des römischen Staatenbundes. Die einzigen Bevölkerungsgruppen, die sich früher mit Pyrrhos verbündet hatten, waren Bergbewohner des äußersten Südens gewesen, die noch keinen Anschluß an den Staatenbund gefunden hatten. Karthago war es lediglich gelungen, in Italien einige kampanische Söldner anzuwerben, Abenteurer, deren Handlungsweise ihr Vaterland nicht berührte. Die alten Verbündeten Roms, die Sabiner, die Picener und sogar die Samniter, die doch nach schweren Kriegen unterworfen worden waren, blieben treu und schickten ihre Kontingente an Soldaten und Ruderern, ohne je zu revoltieren. Der Bund verdankte seine Festigkeit zweifellos einem echten Gefühl der Solidarität zwischen den Städten, aus denen er bestand.

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An Rom gebunden durch ein foedus, das den Besieger dieser Städte ebenso verpflichtete wie sie selbst, hatten sie die gleichen Feinde wie Rom und fuhren fort, sich mit der größten Freiheit selbst zu verwalten. Die Eroberung hatte im allgemeinen bei den Besiegten keine bleibende Unzufriedenheit verursacht. Die Ländereien, die der Eroberer neu angesiedelten Kolonisten zugewiesen hatte, stellten nur einen geringen Teil des gesamten Bodens dar, und im allgemeinen blieben die alten Herren am Platze. In den Kolonien gab es eine große Anzahl von Verbündeten, von nicht-römischen Einwohnern, die ihrerseits aus der Eroberung mit dem gleichen Recht Nutzen zogen wie die Bürger. Das Hauptziel der Kolonien war nicht die wirtschaftliche Ausbeutung, sondern die Verteidigung des Territoriums und der Verbindungswege; so folgte auf den früheren, oft unruhevollen Zustand ein ›römischer Frieden‹, und aus der Niederlage konnte Wohlstand erblühen. Und Rom forderte, was in der antiken Welt vielleicht einmalig ist, keinen Tribut von seinen ›Verbündeten‹, die damit also keine Untertanen, sondern Gleichberechtigte waren. Tribute wurden in der Tat von allen Rechtsgelehrten und auch in der öffentlichen Meinung als Zeichen der Knechtschaft betrachtet. Die Befreiung vom Tribut war demnach das Kennzeichen der Freiheit. Zudem wurde der Status einer verbündeten Stadt nicht als endgültig betrachtet. Er konnte sich ändern – d.h. sich durch zweiseitige Abmachungen verbessern. So hatten die Sabiner 290 insgesamt die ›civitas sine suffragio‹ erhalten, d.h. ihre Rechte waren praktisch die gleichen wie die eines römischen Bürgers. Beispielsweise wurde ihr Eigentum durch das gleiche Recht garantiert wie das Eigentum der Quiriten. Die einzige Beschränkung war der Ausschluß dieser Bürger von den Versammlungen, die mit der Abstimmung über die Gesetze und mit der Wahl der Magistrate betraut waren. Doch im Jahre 268, kaum eine Generation später, erhielten die Sabiner das volle Bürgerrecht. In den Kolonien latinischen Rechts (d.h. in denjenigen, die ein beschränktes Bürgerrecht besaßen), erhielten die örtlichen Magistrate nach ihrer Amtszeit automatisch das volle römische Bürgerrecht. Diese ziemlich liberale Politik scheint mehr die Folge der Umstände zu sein, unter denen die Verbündeten sich angeschlossen hatten, als die Wirkung einer Konzeption a priori. Es erschien normal, daß die ›befreundeten‹ Völker nach einer mehr oder weniger langen Periode, in deren Verlauf sie sich daran gewöhnten, das gleiche Leben zu leben wie die Römer, sich schließlich vollkommen assimilierten. Rom hat niemals rassische Vorurteile gekannt, noch (abgesehen von einigen sehr begrenzten Krisenzeiten) irgendeine Art von Fremdenhaß. Das Bürgerrecht bedeutete einfach die vollkommene Assimilation dessen, der es erhielt. Diese Assimilation war dann eine Tatsache; sie bestand oder sie bestand nicht. Eine Gemeinschaft, die die gleiche Sprache sprach wie Rom, die die gleichen Götter anbetete, sich nach den gleichen Prinzipien regierte, wurde als römisch betrachtet, und diese Tatsache wurde ganz natürlich durch die

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Verleihung des Bürgerrechts sanktioniert. Der gleiche Automatismus erklärt auch, warum ein Sklave nach seiner Freilassung vollberechtigter Bürger wurde. Dies war zumindest das Prinzip bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. In diesem Augenblick traten andere Umstände ein, die den Prozeß der Assimilierung verlangsamten, und es bedurfte eines wilden Krieges, damit alle Italiker praktisch das volle Bürgerrecht erhielten. Doch während des 3. Jahrhunderts blieb der Liberalismus Roms intakt, und dies war zweifellos einer der gewichtigsten Gründe für die Stabilität des Systems. Mit der Annexion Siziliens kam ein neues Element in den Bund. Es handelte sich nicht mehr um Städte, die sich Rom anschlossen, sondern um ein richtiges ›Reich‹, in dem sich die Römer an die Stelle der früheren Herren, der Karthager, setzten. Man hat die Neuheit der so geschaffenen juristischen Situation freilich etwas zu stark betont. Schon in den ›unterworfenen‹ Städten, die sich auf Gnade und Ungnade ergeben hatten, wurden dem römischen Volk durch die Übergabe die gesamten Rechte über Menschen, Güter und den Boden übertragen. Rom hatte jeweils die Nutznießung dieses Eigentums wieder an die Unterworfenen abgetreten, doch es behielt das Recht der Lehnsherrschaft, das sich in der Praxis allein auf den ager publicus auswirkte, auf den Teil des Territoriums, der unmittelbar vom römischen Volk zu seinem Nutzen weiterverpachtet wurde und auf dem die Kolonien gegründet wurden. Doch dieser ager publicus blieb meistens in seinem Umfang sehr begrenzt. In Sizilien dagegen war es ein riesiges Territorium, das Rom tributpflichtig wurde. Wir stellen fest, daß das Eigentumsrecht, das die Römer an den Ländereien der ›Unterworfenen‹ und nun an dem früheren punischen Sizilien erwarben, stark jenem gleicht, das in den Reichen der Seleukiden und der Lagiden Grundlage der königlichen Souveränität war452. Dies erklärt nun auch einen Ausdruck, den man manchmal in den antiken Texten und noch häufiger bei den modernen Geschichtsschreibern findet: das römische Volk ist in Wahrheit ›König Volk‹, denn es besitzt das königliche Recht par excellence, das Eigentum am Boden. Der Unterschied zu den hellenistischen Königen verschärft sich noch, wenn man sich daran erinnert, daß diese die Hoheit mancher Städte (im allgemeinen früherer hellenischer Stadtstaaten) über ein bestimmtes Territorium anerkannten. Das gleiche traf für Sizilien zu, wo die Städte im Prinzip autonom und tributfrei bleiben. Nur der Boden ist den Zehnten auf die Ernte schuldig. Daß dies gerade das Prinzip des Systems war, zeigt folgende Tatsache: wenn ein Römer ein tributpflichtiges Feld mietete, um es zu bebauen, schuldete er den Zehnten nach dem gleichen Recht wie ein sizilischer Grieche. Dagegen waren die Einwohner einer Stadt, die sich um Rom ›verdient gemacht‹ (z.B. Segesta) hatte, von der Steuer befreit, was für ein Feld sie auch bebauten. Die Befreiung war persönlich; die Abgabe war an den Boden gebunden. In der Verwaltung desjenigen Teils von Sizilien, der römisches Eigentum geworden war, ahmten die Römer das von Hieron in seinem Königreich Syrakus eingeführte System nach. Dieses System, bekannt unter dem Namen Lex

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Hieronica453, war vielleicht nach dem Modell der von den Lagiden errichteten fiskalischen Institutionen geschaffen worden454. Es sah die Ablieferung des Zehnten in Naturalien vor, wie in Ägypten, und kontrollierte strengstens den Anteil der mit der Einziehung beauftragten Pächter. Der Erfolg stellte sich sofort ein: große Mengen Getreide, zu niedrigen Preisen gekauft, begannen nach Latium zu fließen. Wenn Rom und Italien während des Krieges oft vor der Hungersnot standen, weil die Äcker wegen Mangel an Menschen brachlagen, so sollten nun die Ernten Siziliens die Römer fast zwei Jahrhunderte lang ernähren. Dies wirft jedoch einige Probleme auf. Warum haben zum Beispiel die Senatoren, denen in der Hauptsache das Land in Latium gehörte, diesen Zustrom von Getreide geduldet, der sicher die Preise zum Sinken brachte455? Müssen wir mit T. Frank annehmen, daß die Landwirtschaft in dieser Epoche das Aussehen annahm, das wir später an ihr beobachten, daß auf den bisherigen Getreidefeldern Wein und Oliven angepflanzt und Weiden angelegt wurden? Man kann auch annehmen, daß die Landwirtschaft noch keinen rein kapitalistischem Charakter hatte; sie wurde noch nicht ausschließlich, wie es zur Zeit Catos der Fall sein wird, auf den Profit, den höchsten Gewinn, ausgerichtet. Man verkaufte damals nur den Überschuß, doch der größere Teil der Erzeugnisse wurde von der familia verzehrt456. Während des Krieges gegen Pyrrhos war die Wirtschaft noch wesentlich bäuerlich; bewegliche Werte waren selten, und man mißtraute ihnen, die Mitgift der Töchter war mager (und blieb es noch lange), es gab in Rom wenig Geld. So war es auch noch keine Katastrophe für die Besitzer, wenn das Getreide sich schlecht verkaufte. Die durch den Überfluß des sizilischen Getreides verursachten unheilvollen Folgen begannen sich erst bemerkbar zu machen, als sich die Tendenz zum latifundium verstärkte, also nach dem Zweiten Punischen Krieg. Daß die Senatoren in der Mitte des 3. Jahrhunderts den Handel nicht systematisch vernachlässigten, um sich ganz dem Ackerbau zu widmen, beweist klar das ›claudische‹ Plebiszit, dessen Annahme Titus Livius in das Jahr 218 datiert457: den Senatoren wurde nach den Bestimmungen dieses Textes verboten, ein Schiff zu besitzen, dessen Ladefähigkeit 300 Amphoren überstieg – was das Minimum zum Transport der Ernte eines Landgutes ist, aber nicht genug für Handelsunternehmungen. Die Senatoren bezeugten heftige Ablehnung gegenüber dieser Maßnahme, während Flaminius, der Konsul und Demagoge, ihr Anwalt war. a) Die Organisation des Staates Die antike Verfassung unterschied drei Hauptorgane im Staat: die alljährlich neugewählten Magistrate, die Volksversammlung (comitia centuriata) und den Senat (oder ›Rat der Väter‹). Sie hatte seit der Revolution von 509, auf die sie zurückging, bedeutende Veränderungen erfahren. Besonders im Verlauf des 5. Jahrhunderts hatte sich, wie bereits erwähnt458, das Concilium Plebis gebildet,

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aus dem 471 die comitia tributa wurden. Die Entscheidungen dieses Rates der Plebs hatten schließlich Gesetzeskraft erlangt; zu welcher Zeit und unter welchen Umständen, wissen wir nicht. Nach der Überlieferung ist dieses Resultat erst nach einer letzten Sezession der Plebs im Jahre 287 auf dem Janiculus erreicht worden, doch es gibt Beispiele von plebiscita, die für alle Bürger gültig sind, aus einer früheren Epoche. Es ist möglich, daß das Jahr 287 nur das Ende einer seit langem begonnenen Entwicklung bezeichnet, und daß die Plebiszite bis zu diesem Zeitpunkt Beschränkungen unterworfen waren, die unseren Augen jedenfalls ungenügend begründet scheinen und die nun verschwinden. Eine Generation später (gegen 241) wurden die comitia centuriata reformiert, um den Wert der Stimmen zwischen den Klassen etwas besser auszugleichen. Auch hier ist unsere Information lückenhaft, doch es scheint, daß die Einteilung in Tribus damals eine Rolle in der Organisation der Comitien zu spielen begonnen hatte und die Centurien in den Hintergrund drängte. Die alte Ständeverfassung entwickelte sich weiter und trug jetzt nicht nur dem Vermögen, sondern auch der territorialen Herkunft und dem Wohnsitz Rechnung. Zweifellos gehörte die Macht immer noch den Reichsten, aber die anderen waren nicht länger systematisch benachteiligt und nicht, wie in der Vergangenheit, praktisch ihres Wahlrechts beraubt. Es schien, als ob Rom in eine Entwicklung hineingeriet, die auf die Demokratisierung seiner Regierung hinauslief. Man hat festgestellt, daß während des 3. Jahrhunderts die Zahl der adligen, zum Konsulat berufenen Familien sich ständig zugunsten von Personen verringerte, die weniger vornehmen Familien angehörten. So zählt man zwischen 284 und 274 neun Adelsfamilien, die Konsuln stellten, gegenüber nur sechs zwischen 254 und 234 und fünf zwischen 223 und 195459. Andererseits fällt zwischen 312 und 216 die Zahl der patrizischen gentes, die einen kurulischen Magistrat stellten, von 29 auf 14 bei einer Gesamtzahl von 148 bekannten Senatoren; von diesen waren 75 Plebejer, die aus 36 gentes hervorgegangen waren460. Man darf jedoch aus diesen Zahlen, die nicht vollständig sind und nur die zu unserer Kenntnis gelangten Tatsachen widergeben, nicht schließen, daß sie einen Niedergang der Aristokratie an sich beweisen. Vielmehr vollzog sich hier eine Beschränkung auf eine kleine Zahl großer Familien, die an Bedeutung die anderen patrizischen gentes übertrafen. So beobachten wir den Aufstieg der Cornelii, in ziemlichem Abstand gefolgt von den Fabii, den Valerii und den Emilii. Diese Familien stützen sich auf plebejische gentes, deren Förderung sie begünstigten, so daß der Senat, und überhaupt die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten, in den Händen »von etwa 20 oder weniger Familien war, die die Heere befehligten, die Provinzen verwalteten und, indem sie die Senatspolitik leiteten, das Schicksal Roms und das der Welt gestalteten«461. Mehr noch als die politische Organisation waren die Sitten und Gebräuche Roms die einer Aristokratie. Das juristische System beruhte zum großen Teil auf der Institution des Patronats. Der Patron (patronus) schuldete seinen Klienten Hilfe und Schutz; er vertrat sie vor Gericht. Das sehr alte, aus der Herrschaft der

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gentes in der frühen Stadt462 hervorgegangene System erhielt sich, beeinflußte die Gebräuche und hinderte so Rom daran, eine wirkliche Demokratie zu werden. Neben der eigentlichen politischen Macht gab es eine Reihe von ›offiziösen‹ Kräften, eine teilweise moralische Hierarchie, in der man nicht immer durch Wahlerfolge aufstieg. Begriffe wie dignitas oder auctoritas lassen sich nur schlecht definieren, denn sie entsprechen einer Gesellschaftsordnung, die von derjenigen, die die großen modernen Staaten kennen, sehr verschieden ist. Sie implizieren stets in gewissem Grade persönliche Beziehungen, einen Respekt, ein Prestige, das einem Menschen oder einer Familie auf Grund einer Art moralischen Erbes zuerkannt wird. Der ›Klient‹ oder derjenige, der sich in dieser subalternen Position gegenüber einem Menschen zu befinden glaubt, den er bewundert und dessen ›suffragator‹ er ist, zollt seine Bewunderung und seine Achtung nicht umsonst. Er will sich durch diese Bewunderung und Achtung Rechte auf den verschaffen, dem er sie entgegenbringt. Wenn er einen Prozeß zu führen hat, wendet er sich ganz natürlich an seinen ›Helden‹, und dieser hat die moralische Pflicht, ihm seine ganze Autorität und alle seine Mittel (opes) zur Verfügung zu stellen. Wenn der Patron versucht, sich dieser Pflicht zu entziehen, sündigt er gegen die fides, den stillschweigenden Kontrakt, der ihn an seinen Klienten bindet. Titus Livius bemerkt in seinem Bericht über die Kämpfe zwischen Patriziern und Plebejern in den ersten Jahrhunderten der Republik oft, daß die Plebejer, wenn sie einen Vorteil gegenüber den Patriziern errungen haben, sich zufriedengeben und nicht einmal versuchen, die so gewonnene Vergünstigung zu nutzen. Und die modernen Historiker wundern sich darüber, beschuldigen Titus Livius, eine idyllische Geschichtsschreibung betrieben zu haben, und behaupten im Namen der Wahrscheinlichkeit, daß die Wirklichkeit viel rauher gewesen sein muß. Doch was in einer modernen Gesellschaft wahrscheinlich ist, muß es nicht für die römische Gesellschaft sein, in der die Traditionen des Respekts und die Erhaltung der persönlichen Beziehungen der Entwicklung der politischen Sitten durchaus entgegenwirken konnten. Wenn die Plebs in ihrer Gesamtheit danach strebte, zumindest einen Teil der Macht zu erobern, so bedeutet dies nicht, daß die moralischen Formen und die Gefühlselemente des politischen Lebens sich im gleichen Rhythmus entwickelten. Die Zusammensetzung der Aristokratie, ihre Rechtfertigung im Kopf jedes einzelnen konnten sich ändern – das Prinzip selbst, nach dem die soziale Stellung auf einer wesentlichen und unüberwindbaren Ungleichheit beruht und zu unterschiedlichen Rollen im Staat vorbestimmt, bleibt unverändert. Man darf auch annehmen, daß die Kämpfe weniger geführt wurden, um die soziale Hierarchie zu stürzen, als um diejenigen, die die moralische Pflicht hatten, über den größeren Teil des Volkes zu wachen, nun zu zwingen, diese Vormundschaft wirksam auszuüben. Dieses Prinzip kann dazu beitragen, mehrere Paradoxa der römischen ›Verfassung‹ zu erklären, und so z.B. auf die jeweilige Rolle von Senat und

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Volksversammlungen ein Licht zu werfen. Meistens steht es dem ersteren zu, über die Außenpolitik zu entscheiden und sogar den Krieg zu beschließen. Doch es kommt vor, daß das Volk sich diese Befugnisse anmaßt – zum Beispiel im Jahre 264, als es sich darum handelte, den Mamertinern in Messana Hilfe zu leisten. Der Senat zögerte, es war die Volksversammlung, die die Entscheidung fällte. Niemand dachte daran, daß dies eine revolutionäre Haltung sei. Das Recht der Entscheidung stand, so scheint es, dem Senat zu, doch das Volk hatte die Berechtigung, eine Art höheren Rechts – seine eigene maiestas – geltend zu machen, wenn es glaubte, daß es seinen Interessen mehr entsprach. Volk und Senat stellten zwei verschiedene Instanzen dar. In normalen Zeiten führte letzterer die Regierungsgeschäfte in voller Unabhängigkeit und war im Prinzip nicht auf die Sanktionen von Seiten des ersteren angewiesen. Doch wenn das Volk, aufgerufen durch seine Führer – die selbst Senatoren waren –, sich einer Entscheidung der Väter widersetzte, blieb diesen nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Diese maiestas des Volkes ist von Polybios treffend beschrieben worden, der in einer berühmten Darstellung der römischen Verfassung behauptet, alle Rechte gehörten der großen Zahl463. Wenn man diesen Satz wörtlich nähme, ginge daraus hervor, daß Rom eine Demokratie war, doch wir wissen, daß es sich nicht so verhielt: die maiestas des Volkes war nur eine theoretische Macht, eine Kontrolle, die nur ausnahmsweise ausgeübt wurde, und deren Handhabung den ›Aristokraten‹ zustand, die zu dem betreffenden Zeitpunkt die Lieblinge des Volkes waren. Niemals haben die Volksmassen versucht, die Macht zu ihrem Vorteil an sich zu reißen; sie wollten nur zuweilen diejenigen, die die Macht ausübten, zwingen, sie in ihren Berechnungen nicht zu vergessen. So wurde das Volk zu einer Macht, die die verschiedenen Parteien des Senats benutzten, um ihre Ziele zu erreichen. Zum Volk nahmen die Senatoren Zuflucht, die sich vorübergehend in der Minorität befanden; dann wurde seine Intervention entscheidend. Doch bei einem geeinten Senat spielte das Volk im allgemeinen keine Rolle. Es beugte sich dann einer durch die Einigkeit der Senatoren unwiderstehlich gewordenen auctoritas. Diese Bemerkungen zeigen, warum es schwierig ist, ein zugleich getreues und verständliches Bild von der römischen ›Verfassung‹ zu geben – vor allem weil es eine solche Verfassung im eigentlichen Sinne gar nicht gab, sondern nur einen Komplex von Traditionen, juristischen Regeln und Präzedenzfällen, ein System, das individuellen Neuerungen einen ziemlich weiten Raum ließ. Dem praktischen Geist der Römer widerstrebten die Konstruktionen a priori, er maß der Erfahrung einen hervorragenden Wert bei. Die Regeln waren nur selten zwingend; sie ließen mehrere Lösungen zu, die gleicherweise ›legal‹ waren; die Macht der Entscheidung hatte meistens der verantwortliche Magistrat. Formalismus und Empirismus waren also in einer seltsamen, nur schwer in Formeln zu fassenden Synthese verbunden. Der römische Magistrat, obwohl er gehalten war, gewisse Prinzipien zu respektieren, mußte im einzelnen Falle

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immer freie Verfügungsgewalt haben, da seine Macht nur in bestimmten extremen Fällen beschränkt werden konnte – zum Beispiel dann, wenn er eins der für heilig gehaltenen Prinzipien verletzte, wie die Freiheit oder das Leben eines Bürgers in Friedenszeiten. In einem solchen Falle konnte ein Tribun sein Veto einlegen, oder man hatte das Recht, an die maiestas des Volkes zu appellieren. Oft formulierte der Magistrat auch im voraus die Regeln, die er während der Ausübung seines Amtes befolgen würde; zu diesem Zweck veröffentlichte er in den ersten Tagen seines Mandats ein Edikt (edictum), das seine Charta darstellte. Dieses Edikt sollte in gewissem Sinne den zwischen dem Magistrat und den Bürgern geschlossenen Vertrag bekanntmachen, und es ist bezeichnend, daß in der Geschichte des römischen Rechts das Edikt schließlich den Vorrang vor den eigentlichen Gesetzen hatte. b) Der römische Staat und die Religion Im Verlauf des 4. Jahrhunderts hat Rom endgültig seine offizielle Religion organisiert; ihre Wächter sind die Pontifices, die ein vom Volk gewähltes und aus allgemein geachteten Persönlichkeiten bestehendes Kollegium bilden. Diese Pontifices gehen nach der Überlieferung auf Numa zurück. Wir sind über ihre Rolle in der archaischen Epoche und selbst über den Sinn des Namens, den sie trugen, ziemlich schlecht unterrichtet464. Man kann schließen, daß sie zu allen Zeiten damit beauftragt waren, die ›Gesetze‹ im weitesten Sinne des Wortes im Staat zu bewahren und zu interpretieren. Sie waren die Wächter der Ordnung, der göttlichen wie der menschlichen. Sie kannten das Geheimnis der Riten und formulierten die komplexen Regeln, die die Menschen befolgen mußten, um das Wohlwollen der Götter zu gewinnen und sich nicht ihren Groll zuzuziehen. Somit hatten sie auch die Aufgabe, den Kalender zu regeln, denn sie waren die einzigen, die wußten, welches der religiöse ›Wert‹ der einzelnen Tage und der Tageszeiten war, und die die Daten kannten, an denen man die Volksversammlung einberufen und den Richtern das Wort geben durfte, sowie jene, an denen das nicht ratsam war. Sie waren es auch, die die notwendigen Formeln kannten, um die Handlungen des römischen Volkes, Kriegserklärungen, Vertragsabschlüsse usw. ›zu legalisieren‹ sie mit der Ordnung der Welt in Übereinstimmung zu bringen. Es war der Pontifex Maximus, der in der Schlacht am Vesuv dem Decius Mus die Worte diktierte, mit denen der Konsul sich »opferte«, um den Sieg des Heeres zu sichern465. Es ist natürlich, daß die Pontifices eine wichtige Rolle im politischen Leben spielten, und daß die Senatoren es für nützlich erachteten, sich wenn möglich zu diesem Amt wählen zu lassen. Doch das Kollegium, das ursprünglich aus fünf Mitgliedern bestand und im Jahre 300 durch die Lex Ogulnia auf neun erweitert wurde, war für homines novi (solche, die in der gesellschaftlichen Ordnung emporgestiegen waren) nicht leicht zugänglich. Es nahm zwar im 3. Jahrhundert Patrizier und Plebejer auf, doch bestimmte bedeutende gentes waren in ihm fast ständig vertreten, während andere nur gelegentlich berufen wurden.

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Das gleiche galt für das Kollegium der Auguren, dessen Ursprung Romulus zugeschrieben wurde, wahrscheinlich weil das Amt der Auguren von dem Begriff imperium nicht zu trennen ist, während der Pontifikat an die Begriffe Gesetz und Kodex, die nur bei Numa erscheinen, gebunden ist. Doch auch das Kollegium der Auguren wurde von Numa reorganisiert; er erhöhte die Zahl seiner Mitglieder von drei auf fünf. Die Lex Ogulnia erhöhte im Jahre 300 gleichzeitig mit der Zahl der Pontifices die der Auguren ebenfalls auf neun. Vier, wird uns berichtet, waren Patrizier, und fünf gehörten plebejischen Familien an. Die Auguren waren keine Zelebranten des Rituals, sondern Interpreten der von den Göttern gesandten Zeichen. Es ist möglich, daß sie in einer sehr frühen Zeit eine aktivere Rolle gespielt haben466, in der Zeit, mit der wir uns beschäftigen, waren sie in der Hauptsache Zeugen. Eine Formulierung Ciceros definiert treffend ihre Funktion im Verhältnis zu der der Pontifices: »Die Pontifices leiten die heiligen Handlungen, die Auguren die Auspizien.«467 Auch die Auguren besaßen die Macht, das Funktionieren der politischen Institutionen zu behindern, ja, zu blockieren. Es genügte, daß sie vor einer Wahl zum Beispiel erklärten, die Götter seien böse, um damit zu erreichen, daß die Abstimmung nicht stattfinden konnte. Mehr noch, eine bereits gewonnene Wahl konnte in Frage gestellt werden, wenn die Auguren erklärten, sie sei aus diesem oder jenem Grunde ungültig. Man versteht, wie der Augurat in den Händen einer Clique von Senatoren, die entschlossen war, ihr Ziel zu erreichen, eine mächtige Waffe werden konnte. Doch erst während der letzten Jahre der Republik werden die Mißbräuche skandalös. Lange Zeit scheint eine gewisse Redlichkeit in der Verwaltung dieses seltsamen und gefährlichen Amtes geherrscht zu haben, vielleicht, weil in dieser Epoche der Glaube an die göttliche Macht sich noch nicht gewandelt hatte und die offizielle Religion noch ein Echo im Gewissen fand. Es ist wichtig, eine strenge Unterscheidung zu treffen zwischen dieser offiziellen Religion, oder vielmehr zwischen den heiligen Gebräuchen, die an das politische Leben gebunden waren, und dem Gefühl des Göttlichen (oder des Heiligen), das jeder Römer empfinden konnte. Die Römer rühmten sich gern, das »frömmste aller Völker zu sein«, was bedeutete, daß sie an das Eingreifen des Göttlichen in das öffentliche Leben und in das Privatleben glaubten und sich mit allen Mitteln bemühten, sich in ihren Handlungen nach dem Gesetz oder dem Willen der Götter zu richten. Doch gerade wegen dieser ständig dem Übernatürlichen zugewandten Aufmerksamkeit konnten die Römer sich nicht mit einer ein für allemal endgültig organisierten Religion zufriedengeben. Ihre Besorgnis um das Heilige hinderte sie daran, sich jemals mit den bestehenden Institutionen zu begnügen, und veranlaßte sie, sie als annähernde Lösungen zu betrachten, die weit davon entfernt waren, die Überfülle des Göttlichen zu erschöpfen. Und aus diesem Grunde waren die Römer immer bereit, neue Riten und fremde Gottheiten zu übernehmen. Diese ›Toleranz‹ hatte sehr früh

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begonnen. Vor langer Zeit schon, im 3. Jahrhundert v. Chr., hatten die griechischen Götter das Bürgerrecht in Rom erhalten468. Doch die Romanisierung der importierten Kulte erfolgte nicht aufs Geratewohl. Vielleicht seit der Königszeit, auf alle Fälle seit der Endphase der Republik, bestand ein Kollegium von Priestern, die damit beauftragt waren, religiöse Neuerungen zu überprüfen. Diese Priester, zunächst zwei an der Zahl, sollen von Tarquinius Superbus ausgewählt worden sein, um die Bücher zu verwahren, die ihm eine alte Frau (vielleicht die Sibylle von Cumae) verkauft hatte, und die allerlei Geheimnisse und vor allem unfehlbare Ratschläge für Zeiten öffentlicher Not enthielten469. Dann wurde die Anzahl der Mitglieder des Kollegiums im Jahre 369 v. Chr. auf zehn erhöht, von denen fünf Patrizier und fünf Plebejer waren470. Welches die wirkliche Rolle des Kollegiums vor diesem Datum auch gewesen sein mag, von diesem Zeitpunkt an hatten die »mit den heiligen Zeremonien beauftragten Decemvirn«, wie man sie nannte (Decemviri sacris faciundis), den Auftrag, die fremden Kulte zu naturalisieren, vor allem jene, die nun aus allen Bezirken Italiens einströmten. Dieser Auftrag bezog sich auf zweierlei: auf die Einführung der neuen Riten, die sich als notwendig erwiesen, und gleichzeitig auf die Kontrolle und Regelung der Gebräuche, die ohne die Erlaubnis der Magistrate in Rom eingeführt worden waren. Von diesen beiden komplementären Aspekten war einer so wichtig wie der andere, und man täte unrecht, zu glauben, der zweite hätte den Vorrang vor dem ersten gehabt. Der Senat war nicht weniger als das übrige Volk darauf bedacht, den Göttern die Ehren zu erweisen, die sie erheischten, und zu diesem Zweck im notwendigen Umfang Neuerungen einzuführen. Doch er wußte auch, daß wahllose Neuerungen gottlos sein konnten und eine Gefahr darstellten. Die Geschichte der römischen Religion im 3. Jahrhundert ist uns nur sehr unvollkommen bekannt, und was wir über sie sagen können, beruht mehr auf Hypothesen als auf Fakten. Es scheint, daß Rom im 4. Jahrhundert für die Versuchungen des tarentinischen Mystizismus anfällig gewesen war: eine Statue des Pythagoras war während der Samnitenkriege auf dem Comitium errichtet worden471. Es ist auch wahrscheinlich, daß der gleiche Mystizismus einen Einfluß auf den alten Kult des Herkules auf dem Forum Boarium im Heiligtum der Ära Maxima ausübte472. Im Anfang nur von Privatleuten geübt, war er im Jahre 312 Staatskult geworden, und zwar nach dem Willen des Censors dieses Jahres, Appius Claudius, der, stark beeindruckt von dem tarentinischen und pythagoreischen Denken, dessen Kräfte für den Dienst der Stadt hatte nutzbar machen wollen473. In diesem Zusammenhang kann man vielleicht auch die Neugestaltung des Kultes der Bona Dea erwähnen, den die Matronen in Abwesenheit von Personen männlichen Geschlechts feierten. Es ist möglich, daß die ›Mysterien‹ der Göttin damals unter dem Einfluß Groß-Griechenlands entstanden und einen orgiastischen Charakter annahmen.

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Diese Kulte, z.B. der des Asclepius, der, wie bereits erwähnt, zu Beginn des Jahrhunderts eingeführt wurde474, hatten alle den gleichen Zweck, nämlich den Gläubigen seinem Gott näherzubringen, ihm ein Mittel an die Hand zu geben, mit dem er dessen Gnade erlangen konnte, und zwar zum Wohle einer bestimmten Person und nicht der gesamten Gemeinschaft. Es ist zu verstehen, daß der römische Geist offiziell solchen Gebräuchen mißtraute, die im Gegensatz zur Hauptforderung der Stadt, das Schicksal des einzelnen dem des römischen Volkes unterzuordnen, standen. Neben diesen in hohem Maße persönlichen Kulten tauchten, vielleicht als Gegenreaktion, Gottheiten auf, deren Namen zeigen, daß sie nur Abstraktionen ohne Persönlichkeit waren. In dieser Hinsicht zeigt sich im Rom des 3. Jahrhunderts eine im hellenischen religiösen Denken oft bestätigte Tendenz, doch Rom übernimmt die Abstraktionen, die es vergöttlicht, nicht von Griechenland. Es trifft zu, daß solche Abstraktionen sowohl in der Theogonie des Hesiod wie bei Pindar oder in den Chören der Tragödien zahlreich sind, doch in den offiziellen Kulten der Städte, mit Ausnahme einiger Fälle wie dem des Eros von Thespiai oder der Nemesis von Rhamnus, spielten sie so gut wie keine Rolle. Wenn ein Kult einem abstrakten Prinzip gilt, so wird dieses gern mit einer großen Gottheit assoziiert, die dann einen besonderen Aspekt verkörpern soll. So erscheint die athenische Nike als eine Hypostase der Athena: bei einer solchen Konfrontation des ›abstrakten‹ (d.h. nur durch seinen Anwendungsbereich begrenzten) Göttlichen mit dem personalisierten Göttlichen gewinnt in Griechenland meistens das letztere die Oberhand. In Rom verhält es sich vollkommen anders. Victoria, Honos, Fides usw. sind nicht ausdrücklich an einen persönlichen Träger gebunden, sie sind Kräfte, offensichtlich bar jeder theologischen Beziehung. Zweifellos kann man annehmen, daß L. Postumius, als er im Jahre 294 auf dem Palatin einen Tempel der Victoria errichtete475, sich von griechischen Vorbildern inspirieren ließ, aber man kann nur schwer sagen, welches das hellenische Modell der Bellona war, deren Heiligtum im Jahre 296 von Appius Claudius Caecus geweiht wurde, oder dasjenige des Honos, den Q. Fabius Maximus im Jahre 233 durch einen Tempel ehrte. Der Fall der Fides, der man im Jahre 250 auf dem Kapitol selbst eine Kapelle errichtete, ist vielleicht ein wenig klarer. Diese Gottheit war bereits von Numa offiziell anerkannt worden, und man glaubt zu wissen, daß sie auf die früheste Phase der römischen Religion zurückgeht. Sie war vielleicht nicht einmal ausschließlich römisch, sondern mehreren italischen Völkern gemeinsam. Fides ist jedenfalls die Macht des Eides476. Verbunden zwar mit Jupiter (unter dem Namen Dius Fidius), ist sie von dem Gott unabhängig. Dieser greift auf einer gewissen Ebene der römischen Religion ein, um den Eid zu garantieren, doch mehr als ein Ausführungsorgan der Fides als zu deren Unterstützung. Dies berechtigt zu der Annahme, daß für die Römer ein Universum von Kräften existierte, die wir abstrakt nennen, und die für sie höchst konkret, wenn auch unpersönlich waren. Diese Kräfte äußern sich in der politischen Wirklichkeit durch feststellbare Handlungen: Concordia

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zum Beispiel, der Camillus im Jahre 367 einen Tempel geweiht hatte, stellte das Einvernehmen unter den verschiedenen Gesellschaftsordnungen her. Fides bewirkte, daß in öffentlichen und privaten Beziehungen die Vertragspartner das gegebene Wort respektierten. Sie war selbst die Achtung dieses Wortes. An die römische Fides wandten sich die Städte, als Rom in Groß-Griechenland intervenierte. Nach und nach wurde eine große Anzahl solcher Mächte, die für die Stadt vitale Bedeutung besaßen, vergöttlicht: Spes, Pudicitia, Virtus sowie auch Salus. Man ist versucht, zu dieser Reihe auch Fortuna zu zählen, die Schutzgottheit des Servius Tullius, deren Kult während des Ersten Punischen Krieges eine bedeutsame Erneuerung erfuhr. Das römische religiöse Denken kam in gewissem Sinne der hellenistischen Religion entgegen, in der Tyche (Fortuna) eine große Bedeutung hatte. Es ergibt sich aber auch eine seltsame Übereinstimmung im Bereich der politischen Religion: wie der hellenistische Staat durch die Qualitäten des Königs, seine Tugend, sein Glück, seine Voraussicht und seine Frömmigkeit beherrscht und beschützt wird (er, der König, ist Philopator, Philometor, Euergetes, Soter usw.), so sind es die moralischen Werte, die die göttliche Struktur des römischen Staates garantieren. Es sollte der Tag kommen, an dem es die Magistrate, und dann die römischen Kaiser, verstanden, in ihrer Person die Elemente dieser Theologie der Macht zu vereinigen. Rom näherte sich der hellenistischen Religion weiterhin durch die Entwicklung der mystischen oder zumindest ›persönlichen‹ Kulte. Wir haben gezeigt, welche verhältnismäßig neuen Aspekte sie in dem Augenblick annahmen, da die Eroberung Italiens die Römer in direkten Kontakt mit dem Hellenismus brachte. c) Die Anfänge der lateinischen Literatur Man hat lange behauptet, die Römer seien bis zu dem Augenblick Barbaren geblieben, da sich ihnen die griechische Kultur, zunächst vertreten durch die Städte Großgriechenlands und Siziliens, öffnete. Dieses summarische Urteil kann heute nicht mehr hingenommen werden. Wir haben gesehen, daß das Rom des 6. Jahrhunderts bereits die griechische Kultur kannte, zumindest durch die Etrusker. Im Verlauf des 4. Jahrhunderts hatten die Kontakte mit den hellenisierten Italikern, vor allem mit den Kampanern, diese Tendenz so verstärkt, daß das kulturelle Erbe der Griechen den Römern als ihr eigenes erscheinen konnte: die römischen Götter sind bereits hellenisiert, die Heldenlegenden sind den italischen Künstlern und zweifellos auch den etruskischen Erzählern bekannt477. Doch in der Mitte des 3. Jahrhunderts besaß Rom noch keine Literatur. Man kann jedenfalls mit diesem Namen die Formeln des Zwölf-Tafel-Gesetzes oder die heterogenen Texte, die, nebeneinandergestellt, die Annalen der Pontifices bildeten, nicht bezeichnen. Vielleicht entstand die Literatur in der Umgebung des Appius Claudius Caecus, als der alte Staatsmann es in den letzten Jahren des 4. Jahrhunderts unternahm, durch seinen Sekretär Cn. Flavius das erste Gesetzeswerk redigieren zu lassen478. Appius Claudius

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selbst war zweifellos der erste, der die Bedeutung des geschriebenen Wortes vorausahnte: er verfaßte eine Sammlung von Sententiae, moralischen Maximen, in denen vielleicht der Einfluß der in Mittelitalien weitverbreiteten pythagoreischen Philosophie wirksam war. Appius Claudius nahm so die Tradition der griechischen gnomischen Dichter wieder auf, und zweifellos tat er es bewußt. Gleichzeitig gab er das erste geschriebene Beispiel ›saturnischer‹ Verse – so sollte man später den von den ältesten römischen Dichtern benutzten Rhythmus nennen, dessen Geheimnis noch nicht ganz erforscht ist, und der u.a. auf der systematischen Verwendung der Alliteration beruht. Vor dem Beginn der römischen Literatur hatten wahrscheinlich andere italische Völker, vor allem die Etrusker und vielleicht die Kampaner, literarische Werke verfaßt; sie sind heute verloren. Die Kampaner vor allem gefielen sich darin, die Komödien, deren Vorführungen sie in griechischen Städten gesehen hatten, nachzuahmen. Mit dem Theater begann auch die römische Literatur. Im Jahre 364, während einer Pestepidemie, beschloß man, den Göttern Spiele eines neuen Typs darzubringen. Zu diesem Zweck ließ man aus Etrurien Tänzer kommen, die nach dem Klang der Flöte anmutige Bewegungen ausführten, und nach Titus Livius hätten diese Vorführungen den jungen Römern die Idee eingegeben, sie nachzuahmen, doch in der Weise, daß sie das Schauspiel mit Worten begleiteten und ihre Mimik dem Sinn anpaßten, den sie ausdrücken wollten. So sei das entstanden, was man die dramatische ›satura‹ nannte479. Doch die Vorstellungen blieben verhältnismäßig improvisiert. Damit aus ihnen ein Theater wurde, das dieses Namens würdig war, bedurfte es einer weiteren Neuerung, die diesmal von einem Griechen aus Tarent, dem Livius Andronicus, stammte. Die Persönlichkeit des ersten Dichters lateinischer Sprache ist biographisch für uns nur schwer erfaßbar. Zweifellos war er ein während der Belagerung und Einnahme Tarents im Jahre 272 gefangengenommener Sklave. In Rom erzogen, wurde er von seinem Herrn, einem gewissen Livius Salinator, freigelassen und eröffnete in Rom eine Schule. Hier lehrte er die beiden Sprachen, die ihm vertraut waren, das Griechische und das Lateinische, und er kam auf den Gedanken, ein Theater lateinischer Sprache zu schaffen, indem er auf die nationale satura Szenen aus der griechischen Tragödie und Komödie ›aufpfropfte‹. Vielleicht hatte Livius Andronicus nicht das alleinige Verdienst an dieser Schöpfung. Um den Sieg über Karthago in den Augen der Götter würdig zu feiern, wünschte im Jahre 240 der Konsul, ein Sohn des Appius Claudius Caecus, daß die römischen Spiele dieses Jahres einen besonderen Glanz erhielten. Er bestimmte, daß man die Bühnenstücke nachahme, die fast überall im Süden und ganz besonders in Syrakus gespielt wurden. Livius Andronicus wurde beauftragt, dieses Programm durchzuführen, und so wurden die ersten Komödien und Tragödien in lateinischer Sprache aufgeführt. Livius wollte sich nicht darauf beschränken, griechische Stücke einfach zu übersetzen. Er paßte sie den Bedingungen der satura an, und so erklären sich bestimmte Eigenarten, die

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lange Zeit für das römische Theater charakteristisch blieben – z.B. der seltsame Brauch, der verlangte, daß auf der Bühne der Text von einem Sänger deklamiert wurde, während ein Schauspieler sich darauf beschränkte, hinter ihm die Handlung zu mimen. Das Werk des Livius beschränkte sich nicht auf das Theater. Er verfaßte eine lateinische Übersetzung der Odyssee in saturnischen Versen. Man behauptet immer wieder, es handele sich um eine Schulübung, die dazu bestimmt war, den Schülern, denen noch keine lateinisch geschriebenen Gedichte zur Verfügung standen, einen Erläuterungstext zu liefern – eine ziemlich schwache Hypothese! Livius war zweifellos von größerem Ehrgeiz beseelt, als er sich zu dieser großen Arbeit entschloß. Odysseus wurde seit langem als ein italischer Held betrachtet480. Es ist auch ziemlich wahrscheinlich, daß Livius Rom in dem Augenblick ein echtes Heldengedicht schenken wollte, da die Republik in die Angelegenheiten Illyriens einzugreifen und eine bedeutende Rolle an beiden Küsten der Adria zu spielen begann. Rom war in dieser zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts die Herrin gerade jener Meere geworden, in die die Überlieferung die Abenteuer des Odysseus verlegt. Die lateinische Odyssee stellt gewissermaßen die Weihe dieses neuen Imperiums dar. Die Entstehung einer nationalen Literatur war in Rom nicht das Resultat individueller Phantasie, sondern die logische Konsequenz eines politischen und sozialen Zustandes. Es ist wahrscheinlich, daß der Besuch des Königs von Syrakus, Hierons II., in Rom die Entstehung eines römischen Theaters anregte oder zumindest beschleunigte. Als Schutzherrin der Stadt Syrakus schämte sich Rom seines Barbarentums. Die von Livius verfaßten Stücke knüpften fast alle an den trojanischen Zyklus an, in dem Rom seit langem seine Adelstitel fand. Es ist ein Rom ›auf dem Marsch‹ zum Hellenismus, das uns die römische Kultur in dem Augenblick offenbart, da der Krieg gegen Hannibal vor der Türe steht. Der zweite punische Krieg a) Die Vorbereitungen der Barkiden Karthago hatte während der vorangegangenen Jahrhunderte in Südspanien ein großes Reich besessen und, um sich dort zu behaupten, kostspielige Kämpfe sowohl gegen die eingeborenen Bevölkerungsgruppen als auch gegen die von Massalia (Marseille) ausgehenden Unternehmungen der griechischen Seefahrer geführt. Dann hatte es, wahrscheinlich im Verlauf des Ersten Punischen Krieges, dieses Reich praktisch verloren. Wir wissen nicht, unter welchen Umständen sich dieser Rückgang der karthagischen Macht vollzog. Es ist möglich, daß der Krieg gegen Rom, der alle Kräfte Karthagos mobilisierte, es daran hinderte, den lokalen Erhebungen entgegenzutreten, die sein Herrschaftsgebiet schließlich auf einige Küstenstädte, auf Gades im Westen der Meerenge von Gibraltar, Malaca, Sexi und Abdera im Osten an der Afrika zugewandten Küste, reduziert hatten. Nachdem Karthago Sardinien verloren hatte, und nachdem sich die Römer auf

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Korsika festgesetzt hatten, war Südspanien das einzige Territorium, das der karthagischen Wirtschaft noch offenstand. Doch dieses Territorium mußte erst zurückerobert werden. Die Wiedereroberung war das Werk Hamilkars, des Helden des punischen Widerstandes auf Sizilien und Siegers über die Söldner. Hamilkar war der angesehenste Vertreter der Barkiden, der imperialistischem Faktion, die eine Politik kolonialistischer Annexionen vertrat, und zwar in Opposition zu der der traditionalistischen Senatoren, die vor allem den Handel der Republik erweitern wollten, ohne ihre Zuflucht zum Krieg zu nehmen. Die antiken Geschichtsschreiber sind über die Bedingungen, unter denen Hamilkar die Rückeroberung der iberischen Länder unternahm, geteilter Meinung. Die einen versichern, er habe es auf eigene Faust getan, die andern, unter ihnen Polybios, er sei von seinen Landsleuten mit dieser Aufgabe betraut worden und habe hierfür offizielle Streitkräfte erhalten481. Es ist wahrscheinlich, daß Hamilkar, wie es damals in der punischen Welt Brauch war, diese Kräfte durch Söldner und eine ganze Klientele, die seinem Ansehen erlag und ihm persönlich verbunden war, ergänzte. Doch alle Historiker stimmen darin überein, daß er sich an Rom rächen wollte und daß er gegen dieses einen unauslöschlichen Haß hegte. Als er aufbrach, nahm er seinen Sohn Hannibal mit, der erst neun Jahre alt war, und ließ ihn auf die Altäre schwören, daß er seine Rache fortsetzen werde482. Sein Schwiegersohn Hasdrubal befehligte die Flotte. Hamilkar war eher ein wahrhafter König, der ein dynastisches Unternehmen einleitete, als ein Magistrat, der von seiner Regierung mit vorübergehender Macht und einer begrenzten Aufgabe betraut war. Hamilkar begann mit der Eroberung des Landesinnern, er führte zumindest Streifzüge in das Hinterland der punisch gebliebenen Städte durch. Diese Operationen ermöglichten es ihm, so scheint es, das Territorium der Bastuli und der Mastieni, etwa den Streifen an der Küste Andalusiens zwischen dem Baetis (Guadalquivir) und dem Mittelmeer, zu besetzen.

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 Abb. 24: Hannibal

An der Nordostspitze dieses Territoriums gründete er die Stadt ›Weiße Spitze‹ (Akra Leuke), wahrscheinlich Alicante483. Diese Unternehmungen dauerten acht Jahre, von 238 (oder 237) bis 229. Bei einer Revolte der Orissen (am Oberlauf des Baetis?) mußte Hamilkar sich in aller Eile zurückziehen und ertrank beim Überqueren eines angeschwollenen Flusses. Nachfolger Hamilkars war sein Schwiegersohn Hasdrubal, der sich bemühte, die errungenen Vorteile vornehmlich durch Diplomatie zu sichern484. Er gründete die Stadt Carthago Nova (Cartagena) und organisierte die Ausbeutung der sehr ergiebigen Silberminen im Innern, wo es auch Goldlager gab. So verschaffte sich Karthago allmählich wieder Hilfsquellen, die seine Verluste aus dem Ersten Punischen Kriege mehr als kompensierten. Als Rom Hamilkar Vorhaltungen gemacht und ihm vorgeworfen hatte, er treibe eine Eroberungspolitik, die dem Geist des Vertrags widerspreche, hatte er antworten können, daß er lediglich sich das Geld zu verschaffen suche, daß er brauche, um die schweren Kriegsentschädigungen zu zahlen, die die Römer selbst seinem Vaterland auferlegt hätten. Eine heuchlerische Antwort, mit der der Senat sich für den Augenblick zufriedengeben mußte. Doch man weiß, daß Karthago kaum fünf Jahre nach dem Übergang Hamilkars nach Spanien, ermutigt durch seine Erfolge, Rom gegenüber wieder energisch auftreten und drohen konnte, es werde die Feindseligkeiten wiederaufnehmen, wenn man es dazu zwänge485.

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Rom mußte sich in Spanien um so konzilianter zeigen, als es, wie wir sehen werden, an zwei andern Fronten beschäftigt war und sich auf einen Krieg gegen die Gallier vorbereiten mußte. Doch der Senat, zweifellos gedrängt von Massalia, das ihn über die diplomatische Situation in Gallien und auch in Spanien, wo die Bürger dieser Stadt Niederlassungen hatten, unterrichtete, beschloß im Jahre 226, das Problem, das das neue punische Reich stellte, zu lösen; und da die allgemeine Situation ihm Drohungen nicht erlaubte, nahm er eine versöhnliche Haltung ein. Es kam zu dem, was man den ›Ebro-Vertrag‹ zwischen Rom und Hasdrubal nennt486. Dieser Vertrag engagierte, so scheint es, Karthago selbst nicht, sondern stellte ein Übereinkommen zwischen Hasdrubal und den Römern dar. Ersterer verpflichtete sich, den Ebro nicht zu überschreiten, und letztere erkannten ihm das Recht zu, südlich des Flusses nach Belieben zu handeln. Die späteren Ereignisse, der Überfall Hannibals auf Sagunt und die römische Reaktion hierauf, machen es schwierig zu glauben, daß der in diesem Übereinkommen erwähnte Fluß identisch ist mit dem, den die Römer später mit dem Namen Ebro bezeichneten, und der dafür zu weit nördlich liegt. Auch muß man die kürzlich von M.J. Carcopino formulierte Hypothese gelten lassen, die den Ebro des Vertrages von 226 mit dem Jucar identifiziert, dessen unterer Lauf das Territorium von Sagunt von der Region des Kaps de la Nao trennt487. Ein Blick auf die Karte genügt, um zu verstehen, warum diese Grenze festgelegt wurde: die Reihe der Balearen schließt das ab, was die Alten das »Meer der Balearen« (Mare Balearicum) nannten, und dessen südlichste Spitze an der spanischen Küste das Kap de la Nao ist. Im Süden erstreckt sich das Iberische Meer, die immer enger werdende Straße zwischen Spanien (damals das Land Iberien) und Afrika. Hier ist für rivalisierende Seefahrer eine natürliche Grenze. Im Süden ist das Land Afrika zugewandt, im Norden blickt es nach der Zone, in der Massalia seine Niederlassungen hatte und wo alle seine Interessen konzentriert waren. b) Schwierigkeiten Roms An der Ostküste der Adria beschränkten sich die hellenischen Gründungen auf einige dünngesäte Städte, zumindest im Norden von Dyrrhachium (Durazzo). Hier gab es im Hinterland einige Reiche, deren Bewohner sich mit ihren schnellen lemboi der Seeräuberei widmeten. Jedesmal wenn in Griechenland eine starke Macht erschien, übernahm sie die Überwachung der Meere, und die Unternehmungen der Illyrer wurden für eine Zeitlang verlangsamt, wenn nicht ganz unterbunden. Doch als im Verlauf des 3. Jahrhunderts v. Chr. die Seeherrschaft des Antigonos Gonatas durch den Verlust von Korinth ernsthaft gefährdet wurde488, nutzten die Illyrer dies aus, um ihre Unternehmungen weiter auszudehnen; gleichzeitig kam es zur Gründung eines verhältnismäßig geeinten illyrischen Königreichs, dessen Zentrum die Region von Skutari war und das sich von den Dalmatinischen Inseln bis zu dem Gebiet von Dyrrhachium erstreckte. Die Schwäche der griechischen Staaten, verursacht

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durch endlose Kämpfe, und die Schwäche Makedoniens unter der Regierung Demetrios’ II. hatten zweifellos die Bildung des Königreichs Illyrien ermöglicht, dessen König ein gewisser Agron war; 231 konnte dieser dem König von Makedonien wirksam militärische Hilfe gewähren, als er unfähig war, seine von den Aitolern angegriffenen Verbündeten, die Akarnanen, zu unterstützen. Agron starb bald nach seinem Sieg. Auf dem Thron folgte ihm seine Gattin, die Königin Teuta, als Regentin ihres Sohnes, eines minderjährigen Knaben. Die Seeräuberrei grassierte mehr denn je in der Adria. In dieser Situation erschienen die Römer, die soeben ihre Herrschaft über die an Italien grenzenden Meere errichtet hatten, als die würdigen Beschützer der Kaufleute, die Opfer der illyrischen Räubereien waren. Es scheint, daß der Senat, zumindest für einige Zeit, den Klagen keine Beachtung schenkte, doch 230 trat ein Ereignis ein, das ihn zum Handeln zwang. Teuta hatte einen illyrischen Feldherrn namens Skerdilaidas (vielleicht der Bruder des Agron) beauftragt, einen regelrechten Feldzug gegen die griechischen Länder zu unternehmen; dieser hatte beim Durchmarsch die epeirotische Stadt Phoinike besetzt. Die Illyrer haben hier italische Händler, die zu Geschäften in der Stadt weilten, ermordet489. Diese Kaufleute waren ›Verbündete‹ Roms. Sie hatten also Anspruch auf den Schutz seiner Waffen. Außerdem hatte die Königin nach der Rückkehr ihrer siegreichen Truppen die Belagerung der griechischen Stadt Issa, eines der griechischen Handelsplätze in der nördlichen Adria, begonnen, und nun wandten sich die Bewohner von Issa in ihrer Not an Rom als die philhellenische Macht, die in der Lage war, die von den Illyrern gestörte Ordnung wiederherzustellen. Der Senat schickte angesichts dieser zahlreichen Hilferufe eine Gesandtschaft zur Königin. Diese empfing die römischen Botschafter sehr ungnädig, antwortete, daß es ihren Untertanen freistünde, die Seeräuberei zu betreiben, wie es ihnen beliebe, und daß sie selbst sich wenig um die Römer kümmere. Als der jüngere der beiden Abgesandten ihr heftig antwortete, ließ sie ihn auf dem Rückweg ermorden und mit ihm Kleemporos aus Issa.

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 Abb. 25: Italien und Griechenland im 3. Jahrhundert v. Chr.

Der Senat erklärte den Illyrern den Krieg und beauftragte die beiden Konsuln des Jahres (229), ihn energisch zu führen. Teuta, ohne die Drohung zu beachten, setzte die Ausführung ihrer Pläne fort. Sie griff Korkyra und Dyrrhachium an. Nachdem sie von den Bewohnern Dyrrhachiums zurückgeschlagen worden war, gelang es ihr, sich Korkyras zu bemächtigen, wo sie eine Garnison unter dem Befehl eines griechischen Abenteurers, des Demetrios von Pharos, stationierte. In diesem Augenblick erschienen die römischen Truppen. Einem der Konsuln, dem Cn. Fulvius, gelang es leicht, von Demetrios, der seine Stellung bei der Königin erschüttert sah, die Übergabe zu erreichen. Die ganze Insel ging ein Bündnis mit Rom ein. Demetrios führte dann die römische Flotte nach Apollonia, wo sich ihr das Heer des zweiten Konsuls, des L. Postumius Albinus, anschloß. Hierauf nahmen die Bewohner der Stadt die Römer mit offenen Armen auf. Unter der Bedrohung durch das römische Heer mußten die Illyrer die Belagerung von Dyrrhachium aufheben, und die Stämme des Inneren ergaben sich den Römern bedingungslos. Teuta brach ihre Angriffe gegen Issa ab. Schließlich, im Frühjahr 228, unterwarf sich die Königin. Sie verpflichtete sich, nicht mehr als zwei bewaffnete Schiffe auf einmal in das Gebiet südlich von Lissos (Alessio an der Drin-Mündung) zu schicken. Die Freiheit der Verbindungswege zwischen Italien und Griechenland war gesichert. Noch wichtiger war – obwohl das gewiß nicht zu den Kriegszielen

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der Römer zählte –, daß das römische Volk an der Westküste der Balkanhalbinsel die sinkende Macht der Könige von Makedonien ersetzte, denen die Teilung der Welt unter den Nachfolgern Alexanders diese Mission doch vorbehalten hatte. Schließlich besaß Rom jetzt zum erstenmal Territorien außerhalb Italiens und Siziliens: einen Küstenstreifen, bis zu dreißig Kilometer tief, von den Dalmatinischen Inseln bis zur Grenze von Epeiros. Rom drang in den Balkan als Feind Makedoniens ein, denn es hatte dieselben Illyrer unterworfen, die wenige Jahre zuvor als Verbündete Demetrios’ II. aufgetreten waren. Es war auch natürlich, daß von den Botschaften, die die Römer an ihre neuen Nachbarn schickten, keine nach Pella ging, wo Antigonos Doson herrschte. Hingegen schickte Postumius zum Abschluß des Vertrages im Jahre 228 eine Delegation zum Achaiischen Bund und eine andere zu den Aitolern – da beide Feinde der Teuta gewesen waren490. Und die Griechen, fügt Polybios hinzu, empfanden ein Gefühl der Erleichterung bei dem Gedanken, daß der illyrische Alptraum zu Ende war. Kein griechischer Staat fühlte sich offenbar darüber beunruhigt, daß römische Stützpunkte an der Ostküste der Adria errichtet wurden. Die Römer setzten ihre Politik der Höflichkeit gegenüber den griechischen Städten fort und schickten eine Gesandtschaft nach Athen und eine andere nach Korinth; um diese Geste zu erwidern, erlaubten die Korinther den Römern, an den Isthmischen Spielen teilzunehmen, was einer Aufnahme in die hellenische ›Gemeinschaft‹ gleichkam491. So nahm Rom sofort eine entschiedene diplomatische Stellung in der griechischen Welt ein: auf der Seite der ›freien‹ Städte, und als Gegner des Königs von Makedonien. Es ist möglich (doch dies ist natürlich nur eine Hypothese), daß die Römer durch die Freundschaft, die sie seit der Gesandtschaft des Jahres 273 mit den Lagiden verband, für diese Haltung prädisponiert waren. Man kann auch annehmen, daß Rom sich aus Instinkt den Bünden und den Städten verwandt, den Königen gegenüber jedoch als Gegner empfand. Doch dies alles veranlaßte die Römer noch nicht, sich in die komplizierten Angelegenheiten der östlichen Welt einzumischen: die nationale Tradition hinderte die Senatoren daran, die Streitkräfte oder das Prestige der Republik einzusetzen, wenn deren Interessen nicht unmittelbar auf dem Spiel standen. Der Fall Illyrien war jedoch noch nicht endgültig bereinigt. Demetrios von Pharos, den Rom auf seiner Heimatinsel eingesetzt hatte, um das Königreich der Teuta zu überwachen, übernahm nach deren Tod die Regentschaft des Reiches, und seine Macht wuchs beträchtlich. Antigonos Doson war sich der Feindseligkeit der Römer bewußt, intrigierte bei ihm und erreichte, daß er ihn in seinem Kampf zur Zerschlagung der Streitkräfte der alliierten griechischen Städte unterstützte. Als Antigonos gestorben und Philipp V. König geworden war, wagte es Demetrios, die Verbündeten Roms direkt anzugreifen, und nahm, indem er sich über den Vertrag von 228 hinwegsetzte, die seeräuberischen Operationen in der Adria wieder auf. Die Römer griffen in der Furcht, die Herrschaft über das Meer an ihrer Ostküste zu verlieren, brutal ein, und um so

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brutaler, als die Lage in Spanien ernster geworden war und der Krieg gegen Hannibal unvermeidlich schien. Zwei konsularische Heere griffen Demetrios an. Wenige Tage genügten, um Demetrios zu schlagen. Er floh an den Hof von Pella, wo er ein viel gehörter Ratgeber des jungen Königs wurde. Rom konnte trotz seines Sieges nicht übersehen, daß es sich die Feindschaft Makedoniens zugezogen hatte, und daß von dieser Seite eine ernste Gefahr drohte, die gegebenenfalls Wirklichkeit werden konnte. Das gallische Unbehagen war bereits in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges stark spürbar. Eine Koalition zwischen Bojern und Ligurern hatte zu Feindseligkeiten gegen Rom geführt, und nur Reibereien zwischen den cisalpinen Galliern und aus der Gallia Cisalpina gekommenen Verbündeten hatten einen größeren Krieg verhütet. Dies und das im Jahre 232 beschlossene Gesetz des Flaminius492 hatte die Dinge nur verschlimmert. 231 schlossen Bojer und Insubrer (ansässig im Gebiet von Mailand) ein Offensivbündnis gegen Rom und holten aus dem Rhônetal einen kriegerischen Stamm herbei, den Polybios mit dem Namen gaesati bezeichnet, ein Ausdruck, der keinen ethnischen Inhalt hat493. Doch die Operationen begannen erst im Jahre 226. Rom erwartete in Angst den Ausbruch dieses Krieges. Als gemeldet wurde, daß die gallischen gaesati die Alpen überschritten, befragte man die Sibyllinischen Bücher, die befahlen, ein scheußliches Opfer zu vollziehen: zwei Paare, ein Gallier und eine Gallierin sowie ein Grieche und eine Griechin wurden auf dem Forum Olitorum lebendig begraben494 – ein Ritus, dessen Sinn uns nicht klar ist495. Doch der Senat hatte sich nicht mit diesen magischen Vorbereitungen begnügt. Er hatte alle verfügbaren Kräfte im gesamten Bund mobilisiert. Polybios hat eine sehr eindrucksvolle Aufstellung, die 800 000 Mann zählt, übermittelt. Ganz Italien war in Waffen. Die ersten Gefechte waren für die Gallier, die ein römisches Heer vor Chiusi in die Flucht schlugen, erfolgreich. Doch während sie nach Norden marschierten, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen, wurden sie von den beiden Konsuln L. Aemilius und C. Attilius Regulus angegriffen und nach einer erbitterten Schlacht am Kap Telamon an der tyrrhenischen Küste, auf halbem Wege zwischen Rom und Pisa, vollkommen geschlagen. Dies war das Ende der gallischen Offensive. Die Römer nutzten ihre ungeheuren Vorbereitungen, um die in Oberitalien angesiedelten Gallier zu unterwerfen. Dieser Feldzug oder vielmehr die Reihe der für dieses Unternehmen notwendigen Feldzüge, erwies sich als schwierig. Rom verzeichnete dabei nicht nur Erfolge. Im Jahre 223 griff C. Flaminius die Insubrer an und errang bei Bergamo trotz ungünstiger Voraussagen einen entscheidenden Sieg. Der Krieg wurde erst durch M. Claudius Marcellus beendet, der die letzte Schlacht, die bei Clastidium, schlug, wo er die Herausforderung des Insubrerkönigs Virdomar annahm und ihn im Zweikampf besiegte. Die Beutestücke des Barbarenkönigs wurden auf dem Kapitol dem Jupiter Feretrius geweiht, neben denjenigen, die

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Romulus viele Jahrhunderte zuvor dort aufgehängt hatte. Einige Zeit darauf wurde Mediolanum (Mailand), die Hauptstadt der Insubrer, besetzt. c) Der Verlauf des Zweiten Punischen Krieges Dies war die Lage Roms in dem Augenblick, da der Zweite Punische Krieg ausbrach. Als Herrin Italiens, wo die römischen Siege über die Gallier, die von allen gefürchteten Feinde, sein Prestige noch gestärkt hatten, im Besitz der landwirtschaftlichen Hilfsquellen Siziliens und einer ansehnlichen Flotte, fähig, vom Tyrrhenischen Meer bis zur Adria die Ordnung zu sichern, in der hellenischen Welt, von Massalia bis Rhodos, in Griechenland selbst und im lagidischen Ägypten mit Wohlwollen betrachtet, war Rom so stark wie noch nie. Es war die größte Macht des Ostens, an Einigkeit und Reichtum die karthagische Republik weit übertreffend. Doch ihm stand ein Mann gegenüber, der geschworen hatte, Rom zu vernichten. Hannibal, Nachfolger seines im Jahre 221 ermordeten Schwagers Hasdrubal, war entschlossen, seinem Eid treu zu bleiben und, wie die antiken Geschichtsschreiber zu wiederholen liebten, Rom den Manen seines Vaters zu opfern. Die Eroberung der Barkiden in Spanien hatten mehr getan, als die punischen Finanzen durch die Erträge der Minen und die Gewinne aus dem Handel mit der eingeborenen Bevölkerung zu sanieren. Sie hatten Karthago gleichzeitig Kolonialgebiete erschlossen, in denen es möglich war, ausgezeichnete Soldaten zu rekrutieren. In Afrika selbst hatte sich die Macht der Karthager verstärkt, eine indirekte Wirkung ihres Reiches, das sich im Norden der Meerenge erstreckte und aus dem Mittelmeer einen punischen See machte. Auch hatte Karthago sich dem Sohn desjenigen gegenüber dankbar gezeigt, der ihm den Reichtum wiedergegeben hatten. Man ratifizierte die Entscheidung der Soldaten, die Hannibal spontan zu ihrem Führer gemacht hatten. Der junge Mann (er war damals 25 Jahre alt) wußte, daß er in seinem Vaterland auf eine starke Partei zählen konnte. Auch hatte er bald eine Möglichkeit gefunden, Rom zu provozieren und zu zwingen, diesen Krieg, den er wünschte, zu beginnen, wenn es sich nicht entehren wollte. Er griff die Stadt Sagunt an. Sagunt war eine iberische Stadt, doch es gab dort auch Immigranten von überall her: Griechen und wahrscheinlich auch Italiker. Die Einwohner wußten seit dem ›Ebro-Vertrag‹, daß sie eine Grenzstadt waren, und ihre Gefühle waren geteilt zwischen zwei Parteien, derjenigen der Punier und derjenigen des andern Lagers, in dem Massalia und Rom Seite an Seite standen. Die Gegner Karthagos hatten die Römer zu Hilfe gerufen und mit deren Unterstützung die Freunde der Punier verjagt496. Die Römer waren also moralisch verpflichtet, Sagunt zu helfen. Im Senat war eine Partei für den sofortigen Krieg. Doch der Geist der Vorsicht setzte sich durch, und während Hannibal die Belagerung von Sagunt fortsetzte, verließ eine Gesandtschaft Rom, betrat Spanien, wo der Karthager sich weigerte, sie zu empfangen, und begab sich von hier aus nach Karthago. Doch vor dem Senat dieser Stadt fanden die römischen Abgesandten nur wenig

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Anklang. Die Mehrheit gehörte der Partei der Barkiden an. Nur Hanno, der Führer der Gegenpartei, schlug vor, die Forderungen Roms anzuerkennen: die Abmachungen des ›Ebro-Vertrags‹ zu achten und Hannibal den Römern auszuliefern. Natürlich entfesselte er allgemeine Empörung, und die Karthager antworteten mit einer Ablehnung. Der Krieg war faktisch erklärt. Als die Abgesandten nach Rom zurückkamen, etwa im gleichen Augenblick, da man hier die Nachricht von der Einnahme und der vollständigen Zerstörung von Sagunt erhielt, wurden den beiden Konsuln zwei Provinzen zugeteilt, deren Wahl zugleich den Auftrag bedeutete, die Feindseligkeiten gegen Karthago zu eröffnen: Cornelius Scipio erhielt Spanien und Sempronius Longus Sizilien und Afrika497. Natürlich haben sich seit der Antike die Historiker gefragt, wer die Verantwortung für die Entfesselung dieses Krieges trug, Rom, Karthago oder Hannibal, und sie haben sie, jeder nach Meinung und Neigung, dem einen oder dem andern zugeschrieben. Sicher ist, daß Karthago, oder zumindest ein großer Teil seiner Bürger, Rom feindlich gesinnt war und der Seeherrschaft: nachtrauerte, die Rom ihm geraubt hatte. Die gleichen Geister waren stolz auf Hannibal und wollten das spanische Reich nicht verlieren. Rom war so ungeschickt, die Auslieferung eines Nationalhelden zu fordern, dessen Jugend allein ihn schon beliebt machte. Hätte es den Krieg gewollt, hätte es nicht anders gehandelt. Andererseits konnte Rom, da es durch seine Verpflichtungen gegenüber Sagunt gebunden war, nicht zurückweichen: die Achtung vor der Fides war das beherrschende Element seiner Diplomatie. Man ist wohl gezwungen zu schließen, daß Karthago wie Rom gezwungen waren, den Frieden zu brechen, und dies durch die Schuld Hannibals. Die unmittelbare Verantwortung für den Krieg fällt unbestritten auf diesen zurück – ob man nun Sagunt als ›diesseits‹ oder ›jenseits‹ des Ebro gelegen betrachtet498. Auf jeden Fall, wenn Sagunt als ›befreundete‹ Stadt der Römer von den Puniern angegriffen wurde, so mußte das eine Provokation der Schutzmacht sein. Und wir wissen, daß Hannibal den Krieg wollte. Alles, was man vielleicht sagen kann, ist, daß dieser ›unvermeidbar‹ war, und daß Rom und die mit ihm verbündeten Bewohner von Massalia die feste Absicht hatten, nicht ewig mit Hannibal die Gewinne zu teilen, die man aus den spanischen Märkten ziehen konnte. Man hat darauf hingewiesen, daß die Entwicklung des internationalen Handels immer größere Barmittel erforderte, daß Rom nur über wenig Edelmetalle verfügte, und daß die Minen Spaniens für seine wirtschaftliche Expansion unentbehrlich waren. Dies trifft gewiß zu. Doch es fragt sich, ob diese Umstände von den Senatoren klar erkannt wurden. Zweifellos dachten einige von ihnen daran, sich dem Handel mit fernen Ländern zu widmen499, doch andere empfanden gegenüber den beweglichen Gütern und besonders gegenüber dem Gold ein tiefes und hartnäckiges Mißtrauen. Und so wie es in Karthago um Hanno eine Friedenspartei gab, so sahen manche Römer ohne Jubel

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der Wiederkehr von Angst, Gefahren und Leid entgegen, die die endlosen Jahre des Ersten Punischen Krieges verdüstert hatten500. Hannibal hatte in den zwei Jahren, seit er in Spanien das Kommando führte, seinen Feldzugsplan sorgfältig vorbereitet. Seine zahlreichen Angriffe gegen die spanischen Völker des Landes-innern hatten ihm die Möglichkeit gesichert, Truppenaushebungen vorzunehmen. Er selbst hatte sich durch eine Heirat mit einem lokalen König verbündet und erschien seinen spanischen Untertanen allmählich nicht mehr als Fremder. Andererseits hatte er die zwischen seinem spanischen Herrschaftsbereich und dem römischen Italien ansässigen Kelten ›bearbeitet‹. Nachdem er seinen Weg so abgesteckt hatte, setzte er sich im Frühjahr 218 in Marsch. In Spanien ließ er seinen Bruder Hasdrubal zurück. Von Anfang an rechneten die beiden Gegner mit einem ›totalen Krieg‹, der eine erweiterte Fortsetzung des Ersten Punischen Krieges sein würde. Man sah auf beiden Seiten kombinierte Land- und Seeoperationen vor. Zur See war Rom stärker als Karthago, und dieses mußte nicht nur die Küsten Spaniens, sondern auch die Afrikas verteidigen. Hannibal war entschlossen, seine Hauptanstrengungen auf die Landinvasion in Italien zu verlegen, und brach zu diesem Zweck zu dem kühnsten bisher geplanten Unternehmen auf. An der Spitze eines gemischten Heeres, das aus Afrikanern, Iberern und Männern anderer spanischer Stämme usw., im ganzen aus 90000 Fußsoldaten und 9000 Reitern sowie 38 Elefanten bestand, rückte er an der Küste entlang nach Norden vor. Sein Ziel war Italien. Er hatte noch nicht die Pyrenäen erreicht, als die ersten Schwierigkeiten auftraten. Ein großer Teil der spanischen Truppen bekundete den Wunsch, umzukehren. Hannibal war klug genug, diejenigen, die es wünschten, gehen zu lassen, und mit verhältnismäßig geschwächten Kräften (50 000 Fußsoldaten und 9 000 Reitern) überschritt er die Pyrenäen. Die eingeborene Bevölkerung, durch Geschenke für seine Sache gewonnen und wenig interessiert, sich ihm zu widersetzen, erleichterte ihm den Übergang. Hannibal konnte so die Römer an Schnelligkeit übertreffen, und er hatte die Rhone bereits überschritten, als der Konsul P. Cornelius Scipio im Gebiet des Deltas landete und auf dem linken Ufer nach Norden zu marschieren begann. Als Scipio erfuhr, daß Hannibal den Fluß überschritten hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als über das Meer nach Italien zurückzukehren. Nachdem er in Pisa gelandet war, begab er sich über den Apennin nach der Gallia Cisalpina, wo es für Rom nicht zum besten stand. Insubrer und Bojer hatten sich erhoben und hielten die in Modena eingeschlossenen Römer in Schach. P. Scipio rettete durch sein Erscheinen die Situation, doch es war klar, daß die cisalpinen Gallier nur auf die Ankunft der Punier warteten, um die Römer zu verjagen. Inzwischen erreichte Hannibal den Zusammenfluß von Rhone und Isère. Dann wandte er sich nach Osten und schlug, um die Berechnungen des Gegners zuschanden zu machen, einen unwahrscheinlichem Weg ein. Es war Herbst, und es hatte begonnen zu schneien. Die Bevölkerung lauerte auf die geringste

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Schwäche dieses Heeres, das unerschöpfliche Reichtümer mit sich zu führen schien. Die antiken Historiker haben sich über die genaue Marschroute Hannibals nicht geeinigt; wir wissen nur, daß er beträchtlichen Schwierigkeiten begegnete, doch nach neun Tagen voller Anstrengung die Höhe erreichte. Von hier aus öffnete sich ihm der Weg nach Italien, und seine Männer faßten wieder Mut. Ihre Zahl war stark verringert; es waren nicht mehr als etwa 20000 Fußsoldaten und nur noch 6000 Reiter. Und der eigentliche Feldzug begann erst. P. Scipio rückte dem Eindringling entgegen. Er überschritt den Ticinus, und es entspann sich eine Schlacht. Sie verlief für die Römer, die von der numidischen Reiterei überrumpelt wurden, ungünstig. Scipio wurde verwundet. Er verzichtete auf eine Infanterieschlacht und zog sich bis Placentia zurück. Hannibal folgte ihm, und bei seinem Durchzug verbündeten sich Gallier mit ihm. Scipio zog sich ein zweites Mal zurück und brachte zwischen sich und Hannibal die Trebia. Er hatte die Absicht, die Ankunft seines Kollegen Sempronius Longus abzuwarten, der in aller Eile von Sizilien heraneilte. Dies war nicht mehr der Augenblick, einen Feldzug gegen Afrika zu unternehmen, sondern es galt jetzt, den italischen Boden zu verteidigen. Die Vereinigung der beiden konsularischen Heere fand statt, wie Scipio es gewünscht hatte. Doch während er der Meinung war, man müsse Zeit gewinnen, entschloß sich sein Kollege, Hannibal allein eine entscheidende Schlacht zu liefern. Durch ein geschicktes Manöver schlug Hannibal die Römer vernichtend. Nur zehntausend Legionäre entkamen und zogen unter Scipios Führung auf Placentia und von hier aus auf Cremona zurück. Sempronius gelang es wie durch ein Wunder, Rom zu erreichen, gerade zur rechten Zeit, um die Komitien für die Wahl der Konsuln abzuhalten. Es war Ende Dezember, und die Römer hatten Angst. Hannibal verbrachte die Wintermonate in der Gallia Cisalpina und zerbrach einzelne Widerstände, nicht ohne seinerseits die Unbeständigkeit der gallischen Bevölkerungsgruppen zu erleben. Als der Frühling gekommen war, beschloß er, die Pässe des Apennin zu bezwingen. Dies war der bequemste Weg nach Rom. Die Schluchten des Gebirges befanden sich auf dem Gebiet der gallischen oder der ligurischen Bevölkerung, deren Treue gegenüber Rom mehr als zweifelhaft war. Wir kennen die genaue Marschroute nicht, die ihn in das Arnotal führte. Wir wissen nur, daß er sich nacheinander in Fiesole und in Arretium (Arezzo) zeigte. Er mußte sich einen Weg durch die Sümpfe bahnen, die seinen Männern und den Zugtieren wie auch den Elefanten übel zusetzten. Er selbst verlor ein Auge. Die Römer hatten zwei neue Heere aufgestellt. Der eine Konsul, Cn. Servilius, hielt das Gebiet von Ariminum besetzt, um die Via Flaminia, die beste Straße nach Rom, zu sperren. Sempronius Longus dagegen, der Konsul des vorangegangenen Jahres, dessen Konsulat verlängert worden war, hatte hinter ihm mit den Truppen von Placentia und Cremona den Apennin überschritten. C. Flaminius schien vor Arretium nur die Ankunft der beiden anderen Heere, die bereits unterwegs waren, abwarten zu brauchen, da Servilius sich nach Westen

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gewandt hatte, sobald ihm das Eindringen Hannibals in die Toskana bekannt geworden war. Doch Flaminius fehlte es an Geduld. Er begann in überstürzter Eile die Verfolgung des Puniers, ging jedoch unterwegs am Ufer des Trasimenischen Sees in eine Falle; sein Heer wurde vernichtet. Er selbst wurde von einem Reiter der Insubrer getötet (21. Juni 217). Hannibal behielt von den Gefangenen nur die römischen Bürger. Den ›socii‹ gab er die Freiheit ohne Lösegeld – eine politische Geste, die ihm keine großen Vorteile einbringen sollte. In Etrurien wurde Hannibal sich sehr bald klar, daß die Bevölkerung nicht von den gleichen Gefühlen beseelt war wie die in der Gallia Cisalpina. Er versuchte Spoleto zu nehmen, wurde jedoch, wie Titus Livius berichtet, zurückgeschlagen »mit großen Verlusten, schloß aus der Energie, die ihm eine einzige Kolonie siegreich entgegengesetzt hatte, auf den gewaltigen Umfang der Schwierigkeiten, denen er in Rom begegnen würde«501; er ging hierauf nach Picenum. Für den Augenblick zumindest war sein Kriegsziel nicht die Einnahme Roms. In Wirklichkeit waren dazu seine Kräfte viel zu gering. Männer und Pferde waren krank, und er verdankte seine Siege zunächst seinem militärischen Genie, dann den unglaublichen Ungeschicklichkeiten der römischen Heerführer – im Grunde aber vielleicht mehr dem politischen System Roms, das soviele Fehlschläge schon im Verlauf des Ersten Punischen Krieges verschuldet hatte, weil es die Heere immer wieder neuen Männern anvertraute, die ihre Erfahrungen um den Preis kostspieliger Niederlagen sammelten. Doch Rom faßte sich wieder, und man beschloß, die beiden Konsuln durch einen einzigen Führer, einen Diktator, zu ersetzen. Da der Besiegte vom Trasimenischen See, C. Flaminius, von der Plebs gewählt worden war, gab sein Mißerfolg der Partei der Aristokraten das Übergewicht, und der Diktator, den man wählte, war der adlige Q. Fabius Maximus, ein erfahrener Feldherr, dessen Klugheit bekannt war. Im Angesicht der Niederlage kehrte Rom aus Instinkt zu seinen ältesten Traditionen zurück und zu den Männern, die sie repräsentierten. Hannibal, der zu seinen Stützpunkten so lange nur unsichere Verbindung gehabt hatte, marschierte zur Adriaküste, schickte eine Siegesbotschaft nach Karthago, und seine Mitbürger bereiteten sich darauf vor, ihm alle nur erdenkliche Hilfe zu gewähren502. Dann durchzog er die Grenzländer der Adria, versuchte die Einwohner auf seine Seite zu ziehen und behandelte diejenigen mit größter Grausamkeit, die Widerstand leisteten. Schließlich errichtete er sein Hauptquartier bei den Pelignern in der Nähe von Sulmona, an einem Punkt, von dem aus er sowohl nach Osten als auch nach Westen eingreifen und verhältnismäßig bequeme Verbindungen mit dem Meer aufrechterhalten konnte503. In Rom gingen die religiösen Vorkehrungen Hand in Hand mit der Ernennung des Diktators. Man befragte die Sibyllinischen Bücher und man las in ihnen, daß man dem Jupiter große Spiele, der Venus Erycina und Mens einen Tempel weihen, Bittgottesdienste und ein Göttermahl veranstalten und gleichzeitig den Göttern einen ›heiligen Frühling‹ (ver sacrum) für den Fall des Sieges versprechen

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mußte504. Kurz, man nahm seine Zuflucht zu allen Riten gleichzeitig: zu etruskischen mit den Spielen, zu ›sabinischen‹ mit dem ›heiligen Frühling‹ (Weihe aller in diesem Frühling Neugeborenen), zu griechischen mit dem Göttermahl (eine den auf Paradebetten ruhenden Statuen der höheren Götter dargebotenen Mahlzeit), zu sizilischen mit der Einführung der Venus des Berges Eryx in Rom, die zweifellos als die Mutter des Aeneas angesehen, doch wegen des ausschweifenden Charakters ihres Kultes mit einigem Argwohn betrachtet wurde. Fabius eröffnete seinen Feldzug. Sein Plan bestand darin, Hannibal zu isolieren, ihn, wenn möglich, auszuhungern und daran zu hindern, sich auf die italische Bevölkerung zu stützen. Er selbst besetzte mit dem Heer die Gebirgskämme, folgte Hannibal auf möglichst naher Distanz, doch ohne sich in eine Schlacht einzulassen. Hannibal wurde dadurch unruhig. Er spürte, daß die verfließende Zeit ihn immer weiter von einer Entscheidung entfernte, und um wenigstens ein Pfand von Bedeutung in die Hand zu bekommen, entschloß er sich, Kampanien anzugreifen. Hier würde er vielleicht den Geist der Revolte gegen Rom finden, den er, bis jetzt ohne großen Erfolg, überall anzufachen versucht hatte. Zu Beginn des Jahres 216 unternahm er auch einen Vorstoß nach Capua. Doch Fabius gelang es, ihn in der Schlucht bei Cales einzuschließen; Hannibal konnte nur dank einer List entkommen. Die Diktatur des Fabius ging nun zu Ende. Die beiden Konsuln des Jahres 216, L. Aemilius Paulus und C. Terentius Varro, erhielten den Oberbefehl. Während der erste die vorsichtige Taktik des Fabius vorzog, war der zweite ebenso unbesonnen, wie Flaminius es gewesen war. Er ließ sich von Hannibal in die Ebene von Apulien locken, und dort kam es am 2. August 216 bei Cannae am Ufer des Aufidus zu einer Schlacht auf flachem Felde. Wieder einmal wurden die Römer geschlagen. Aemilius Paulus fiel. Varro floh und fand in Venusia Asyl. Die besten Legionen Roms waren vernichtet, und – unvermeidliche Folge der Niederlage – Capua erklärte sich für Hannibal. Die antiken Redner liebten es, ihren Schülern die Abfassung einer Rede aufzugeben, in der Hannibal nach Cannae aufgefordert würde, ohne Verzug auf Rom zu marschieren. Sein eigener Reiterführer Maharbal riet ihm dazu. Hannibal jedoch befolgte diesen Rat nicht, und man versichert, es habe ihm später leid getan. Doch vielleicht war Rom nicht die leichte Beute, für die man es hielt. Im Schutz seiner Mauern liegend, die sich über eine Länge von etwa sieben Kilometer erstreckten, konnte es nur mit Schwierigkeiten wirksam eingeschlossen werden. Es hatte Truppen genug, und Hannibal wußte aus Erfahrung, daß die Kolonien in der Lage waren, Legionen zu seiner Unterstützung auszuheben. Hannibal konnte sofort die Früchte von Cannae ernten. Nicht nur Capua erklärte sich für ihn, sondern der ganze Teil Italiens, der von den Römern seit mehr als einem Jahrhundert erobert worden war, fiel von ihnen ab: Samniter, Bruttier, Lukaner505. Rom reagierte auf dieses Unglück und ein anderes, das sich

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kurz darauf in der Gallia Cisalpina ereignete, wo die Kelten das Heer des Konsuls L. Postumius Albinus vernichteten506, mit gewohnter Energie. Man traf religiöse Maßnahmen ähnlich jenen von 226: Opferung eines Griechen und einer Griechin sowie eines Galliers und einer Gallierin auf dem Forum Boarium, man beschloß, eine Gesandtschaft (unter der Führung des Fabius Pictor) nach Delphi zu schicken, die Apollon fragen sollte, was man tun müsse, um die Götter zu besänftigen. Die Entsendung des Fabius Pictor war vielleicht nicht nur ein Akt der Frömmigkeit. Die Wahl dieses Geschichtsschreibers, der das Griechische genügend beherrschte, um in dieser Sprache zu schreiben, war bestimmt kein Zufall. Rom, in Sorge um die griechischen Städte des tarentinischen Südens, wollte wahrscheinlich seine diplomatische Stellung in der hellenischen Welt verteidigen und sich vielleicht auch über die Absichten Makedoniens informieren – möglicherweise bereitete man jetzt schon das Bündnis mit den Aitolern vor, das kaum fünf Jahre später geschlossen wurde. Um der militärischen Situation, die sehr ernst war, Herr zu werden, ernannte man einen Diktator, M. Junius Pera, man kaufte Sklaven frei, die man bewaffnete, man hob die jungen Männer bis zum Alter von 17 Jahren aus, man sammelte die in den Tempeln als Weihgaben geopferten Waffen. Dann griff man auf die Strategie zurück, mit der Q. Fabius im vorangegangenen Jahr Erfolg gehabt hatte. Die Heere bewachten den Zugang nach Latium; Kampanien, nun punisch, wurde eingekreist. Neapel und mehrere Griechenstädte an der Küste blieben Rom treu. Nola bildete unter dem Oberbefehl von Claudius Marcellus ein Widerstandszentrum gegen Hannibal. Die karthagischen Truppen überwinterten in Capua, und man weiß, wie sehr dieser Winter in Luxus und Vergnügen ihren Kampfesmut schwächte. Das nächste Jahr verging mit verschiedenen Versuchen Hannibals, die kampanischen Städte, die Rom treu geblieben waren, einzunehmen. Doch im Winter 215 begann Q. Fabius Maximus, der zum Konsul gewählt worden war, auf Capua vorzurücken. Von nun war Capua das Hauptziel der römischen Operationen auf dem italischen Schauplatz. Zwei Jahre lang bemühte sich Hannibal, Kampanien zu erobern. Doch angesichts der Verbissenheit der Römer gab er auf und änderte seine Strategie. Er entwarf einen grandiosen Plan, der ihm vielleicht durch die Erinnerung an Pyrrhos eingegeben war. Sein Hauptziel war es, in Süditalien einen geeinten großen Staat zu errichten, ein alter Traum der von Tarent nach GroßGriechenland gerufenen Feldherrn. Dieses Mal waren die Umstände viel günstiger als zur Zeit des Pyrrhos: Rom war – zumindest konnte man das annehmen – nachhaltig geschwächt, unfähig, vor Ablauf mehrerer Jahre im Süden anzugreifen. Vor allem hatte sich Syrakus nach dem Tode Hierons II. mit den Karthagern verbündet, und Karthago schickte, während Marcellus die Stadt belagerte, auf Anraten Hannibals ein Heer auf die Insel mit der offensichtlichen Absicht, seine alte Überlegenheit wiederzugewinnen. Man konnte hoffen, ein neues karthagisches Reich zu schaffen, das dieses Mal ganz Sizilien umfassen und darüber hinaus Groß-Griechenland einschließen würde. Schließlich suchte

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Hannibal, der erkannt hatte, daß er sich als Beherrscher der griechischen Länder in Italien in direktem Kontakt mit der hellenischen Welt befinden würde, das Bündnis mit dem König von Makedonien, Philipp V., von dessen prinzipieller Feindschaft gegen Rom wir bereits gesprochen haben. Der König schickte im Jahre 215 eine Gesandtschaft zu Hannibal, der sich damals in Capua aufhielt; doch seine Botschafter wurden auf dem Rückweg von den Römern gefangengenommen. Trotzdem wurde im gleichen Jahr zwischen dem Punier und Philipp V. ein Vertrag geschlossen: der König verpflichtete sich, Italien mit einer starken Flotte (200 Schiffe) anzugreifen. Nach Beendigung des Krieges sollten das eroberte Land und die Beute Hannibal gehören, doch dieser versprach, mit seinen gesamten Streitkräften nach Griechenland zu gehen und dort für den Makedonen zu kämpfen507. Hannibal ließ sich auf diese Weise also zu einer regelrechten ›Mittelmeer‹-Strategie verleiten, und diese seine Absicht war es letzten Endes, die Rom zwang, fern von Italien zu kämpfen. Wie es sich auch mit dem von Hannibal im Jahre 214 gefaßten Plan verhalten mag, er begann ihn durchzuführen, indem er die griechischen Städte des Südens besetzte, wo nur die Aristokratie den Römern günstig gesonnen war, während das Volk dazu neigte, sich auf die Seite des Puniers zu schlagen508. Lokroi und dann Kroton wurden so von Hannibal besetzt. Eine diplomatische Ungeschicklichkeit der Römer – die Geiseln aus Tarent und Thurioi, die sich in Rom befanden, wurden hingerichtet, weil sie zu fliehen versucht hatten – führte zum Abfall ganz Groß-Griechenlands. Tarent öffnete Hannibal seine Tore, doch dem römischen Kommandanten M. Livius gelang es, sich in der Zitadelle einzuschließen. Metapont und Thurioi folgten dem Beispiel Tarents. Inzwischen schloß sich der römische Ring um Capua trotz mehrerer Versuche Hannibals, die römischen Heere zu verwirren, die, von nah oder von fern, an der Operation teilnahmen, immer enger. 211 versuchte er sogar einen Entlastungsvorstoß großen Ausmaßes, indem er auf Rom marschierte und in Sichtweite der Stadt sein Lager aufschlug. Die verschiedenen Berichte über dieses Manöver sind nicht ohne Widersprüche; die Legende hat sich eingemischt, und man behauptet sogar, die Götter hätten ein so heftiges Gewitter geschickt, daß es Hannibal unmöglich gewesen sei, anzugreifen. In Wirklichkeit scheint Hannibal bei dieser Gelegenheit ebensowenig wie nach Cannae die Absicht gehabt zu haben, eine Entscheidung gegen Rom selbst zu erlangen. Wenn er – wie es wahrscheinlich ist – die Römer zwingen wollte, die Belagerung von Capua aufzuheben, wurde er gründlich enttäuscht. Capua wurde ebenso hart belagert509 wie zuvor. Einige Zeit später wurde Capua genommen, die Mehrzahl der Bürger wurde niedergemetzelt oder deportiert, die Stadt aufgegeben, die Ländereien wurden konfisziert, und kurz darauf erlitten die andern Städte Kampaniens, die mit dem Feind paktiert hatten, ein ähnliches Schicksal. Im gleichen Jahr eroberte Marcellus schließlich Syrakus nach einer Belagerung von drei Jahren, in deren Verlauf Archimedes eine große Anzahl von Maschinen und Kriegslisten erfunden hatte, um den Feind aufzuhalten.

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 Abb. 26: Marcus Claudius Marcellus

In einer seltsamen Umkehrung ereignete sich in dem Augenblick, da den Römern in Italien und auf Sizilien das Glück lächelte, in Spanien eine große militärische Katastrophe, die zur Folge hatte, daß ein Krieg, der schon sieben Jahre dauerte, noch weiter verlängert wurde. Seit dem Beginn der Feindseligkeiten operierten in Spanien zwei Heere unter dem Oberbefehl des P. Cornelius Scipio, der seinen Bruder Gnaeus zu seinem legatus gemacht hatte. Im ganzen hatten die Römer Erfolg gehabt, besonders zur See, wo sie ihre Überlegenheit aufrechterhalten konnten. Kurz nach Cannae gelang es den beiden Scipionen sogar, einen großen Landsieg über Hasdrubal, den Bruder Hannibals, zu erringen, und im nächsten Jahr nahmen sie Sagunt und rächten so die Rom im Jahre 219 zugefügte Beleidigung. Während Hasdrubal in Afrika damit beschäftigt war, einen Aufstand des Numiderkönigs Syphax, der zu den Römern gehalten hatte, niederzuschlagen, konnten die beiden römischen Feldherrn eine Zeitlang glauben, Karthago habe ihnen Spanien überlassen. Doch im darauffolgenden Jahr kamen die Punier zurück. Entschlossen, mit den Römern auf diesem Kriegsschauplatz reinen Tisch zu machen, griffen sie die beiden Scipionen getrennt an, die in einem Abstand von einem Monat umkamen. Die Römer wurden mit einem Schlag über den Ebro zurückgeworfen; ohne den Mut eines jungen Reiters, des L. Marcius, wären alle Truppen der Provinz vernichtet

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worden. Wenn das Unglück dank seiner auch nicht vollkommen war, so war die Lage doch zumindest stark gefährdet. Auch eine von Claudius Nero geführte Expedition konnte sie nicht bereinigen. Nero wurde zurückberufen. Man wußte nun nicht, wen man nach Spanien schicken sollte, so schwierig erschien die Aufgabe. Bei den Wahlen für einen Nachfolger des P. Scipio meldete sich kein Kandidat. Doch in dem allgemeinen Schweigen erhob sich ein junger Mann von 24 Jahren, P. Scipio, der Sohn des Prokonsuls, den man ablösen wollte, und stellte sich zur Wahl. Er wurde einstimmig und in einem Sturm der Begeisterung und des Vertrauens gewählt510. Später wollte man in dieser Szene das Vorzeichen für die Siege sehen, die Scipio dann für sein Vaterland errang. Und in der Tat, Spanien wurde für Rom das Mittel, die Entscheidung zu erzwingen. Für den Augenblick waren die Römer, im Vertrauen auf ihre Erfolge in Spanien, bereit, den Krieg in das Gebiet zu tragen, in dem Hannibal sich festgesetzt hatte. Im Verlauf der seit dem Abschluß des Vertrages zwischen dem Punier und Philipp V. verflossenen Jahre hatten die Römer kaum mehr tun können, als letzteren in Schach zu halten. Philipp war zu Beginn der Operationen im Jahre 214 in Illyrien besiegt worden. Dann hatte er, so scheint es, einige Erfolge errungen und Lissos und Atintanien besetzt, den Syrakusanern jedoch keine Flotte zu Hilfe geschickt, weil er das entweder nicht konnte oder nicht wollte, und sich offenbar mehr darum gesorgt, nach der traditionellen Politik der makedonischen Könige den Weg zur Adria offenzuhalten. 212 versetzten ihm die Römer einen harten Schlag, indem sie ein Bündnis mit dem Aitolischen Bund schlossen511. Dies entfachte von neuem den Haß gegen Makedonien von Seiten derjenigen, die seit Generationen gegen seine Herrschaft auf der Peloponnes und in ganz Griechenland kämpften. Bald wurde die Lage Philipps ernst. Die Aitoler hatten als Heerführer den König von Pergamon, Attalos I., gewählt, eine Koalition also, die Makedonien von allen Seiten umschloß. Einen Augenblick lang schien der ganze Osten ein einziger Kriegsschauplatz zu werden. Doch Philipp verstand es, im übrigen unterstützt durch die Diplomatie Ägyptens und von Rhodos, dem zu begegnen. Er zwang die Aitoler 206, einen Separatfrieden zu schließen. Im darauffolgenden Jahr unterzeichneten die Römer und ihre Verbündeten, unter ihnen Attalos, mit Philipp den Frieden von Phoinike, der Philipp Atintanien zusprach, jedoch zumindest für den Augenblick den diplomatischen Spekulationen Hannibals ein Ende machte. Inzwischen hatte der junge Scipio seine Lehrzeit als Feldherr in Spanien glänzend beendet. In der Erkenntnis, daß es seine Hauptsorge sein müßte, keine Verstärkung für Hannibal aus Spanien herauszulassen, begann er damit, den Stützpunkt des Feindes, Cartagena, anzugreifen, und nahm ihn mit solcher Kühnheit und Schnelligkeit, daß er fiel, bevor noch die karthagischen Heere ihm zu Hilfe kommen konnten. Dann begann er eine Propagandakampagne bei den eingeborenen Stämmen, unter denen sein Name geachtet war, seit sein Vater durch seine Mäßigung Rom viele Verbündete gewonnen hatte. Im Frühjahr 209

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erkühnte er sich, einen Frontalangriff gegen das Heer Hasdrubals, dem er bei Baecula (Bauen) begegnete, vorzutragen. Scipio blieb Sieger, doch Hasdrubal konnte mit all seinen Streitkräften nach Norden entkommen und machte sich auf den Weg, seinem Bruder zu helfen, der sich in diesem Augenblick nach dem Verlust von Tarent in Bruttium und in Südapulien verschanzt hatte und auf Hilfsmittel wartete, um die Offensive wieder aufnehmen zu können. Hasdrubal war gezwungen gewesen, auf dem Marsch nach Italien einen langen Umweg zu machen. Er hatte sich nach Westen wenden müssen, um einer möglichen Verfolgung durch Scipio zu entgehen. Doch im Frühjahr 207 erreichte er die Gallia Cisalpina. Ein konsularisches Heer unter dem Oberbefehl von M. Livius Salinator stand vor Ariminum. Das andere unter C. Claudius Nero überwachte Hannibal in Apulien. Botschafter, die Hasdrubal an seinen Bruder geschickt hatte, um ihn zu bitten, er solle in Umbrien zu ihm stoßen, fielen in die Hände des C. Claudius Nero. Dieser ließ vor dem Feind nur einen Schleier von Truppen zurück und wandte sich heimlich nach Norden, um sich mit seinem Kollegen zu vereinen. Der Zusammenstoß mit den Truppen des Hasdrubal fand am Metaurus statt. Hasdrubal wurde besiegt und im Kampf getötet; sein Kopf rollte in das Lager Hannibals und machte diesem klar, daß er von Spanien nichts mehr zu erwarten hatte. In Rom feierte man den Sieg, und der alte Livius Andronicus verfaßte bei dieser Gelegenheit eine Hymne zu Ehren der Juno. Scipio hatte einen strategischen Fehler gemacht, als er Hasdrubal entkommen ließ. Doch die Folgen wurden durch die Schlacht am Metaurus wieder wettgemacht. Was übrig blieb, war die Erinnerung an seinen Sieg bei Baecula, und die Spanier begannen, sich mit ihm zu verbünden. Er hatte es verstanden, sie durch seinen Mut, seine Menschlichkeit und auch durch die Aureole von Legenden, die ihn umgab, für sich zu gewinnen. Man erzählte sich seltsame Dinge über ihn – er verbringe lange Stunden auf dem Kapitol im Gespräch mit Jupiter, Neptun habe ihm beim Angriff auf Cartagena geholfen. Allmählich gewann dieser junge Mann, der nicht einer der ›regulären‹ Magistrate Roms, sondern der in einem Alter, in dem ein Römer noch nicht das Recht hatte, Konsul zu werden, mit einem außerordentlichen Kommando betraut worden war, die Statur eines Demetrios Poliorketes, ja eines Alexander – als ob Hannibal, der selbst von dem Andenken des makedonischen Helden besessen war, nur von einem Gegner herausgefordert werden konnte, der ihres gemeinsamen Vorbildes würdig war. Mit Scipio fand eine Königsidee Eingang in das Denken Roms, und Rom zögerte lange, sie sich zu eigen zu machen. Zu Beginn des Jahres 206 gewann Scipio bei Ilipa eine geordnete Feldschlacht gegen die Karthager, was zur Folge hatte, daß eine größere Anzahl eingeborener Könige ihr Bündnis mit Karthago löste. Während der Punier Hasdrubal, ein Sohn Giscos, sich in Gades einschloß, überquerte Scipio das Mittelmeer und begab sich zu Syphax, wo er, sagt man, den gleichen Hasdrubal traf, ihn jedoch in der Gunst des Numiderkönigs ausstach. Nach Spanien zurückgekehrt, setzte er die Unterwerfung des Landes fort. Er erkrankte und mußte eine Zeitlang seine

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Wirksamkeit unterbrechen. Doch kaum genesen, konnte er eine Meuterei der römischen Truppen ersticken und schließlich eine im Norden Spaniens ausgebrochene Rebellion niederschlagen. Im Jahre 205 erhielt Mago von Karthago den Befehl, mit möglichst vielen Truppen Spanien zu verlassen und sich mit Hannibal zu vereinigen. Sobald er in Richtung der Balearen aufgebrochen war, öffnete Gades den Römern seine Tore. Für Scipio war der Augenblick gekommen, seinen großen Plan zu verwirklichen, nämlich den Krieg nach Afrika zu tragen und Karthago selbst anzugreifen. Trotz der Eifersucht, die seine Erfolge unter den Senatoren hervorgerufen hatten, wurde Scipio vom enthusiastischen Volk in den Komitien zum Konsul des Jahres 205 gewählt. Im Senat versuchte die Partei des Q. Fabius, der die Politik des Zauderns vertrat, sich den Plänen des Konsuls zu widersetzen. Die Unterstützung des Volkes, das dem Scipio als Kollegen den Pontifex Maximus P. Licinius Crassus zuteilte – weil es dem höchsten Priester untersagt war, den Boden Italiens zu verlassen –, half ihm, die Opposition zu überwinden. Doch wenn er auch das Recht hatte, eine Landung in Afrika vorzubereiten, so durfte er hierfür dennoch keine offizielle Unterstützung in Anspruch nehmen. Alles mußte mit Hilfe von Privatpersonen geschehen. Die Senatoren hofften, dies würde ein unüberwindliches Hindernis sein. Doch dem war nicht so. Ganz Mittelitalien bot seine Mitwirkung an. Scipio erhielt Eisen aus Populonia, Segeltuch aus Tarquinii, Taue aus Volterra, Waffen aus Arezzo, Weizen aus Chiusi512, und Freiwillige schlossen sich ihm in großer Zahl an. Man kann diese Begeisterung durch das Ansehen Scipios erklären, aber auch durch den Wunsch, mit dem endlosen Krieg gegen Hannibal Schluß zu machen, der den Handel der etruskischen Städte ruinierte und eine ständige Bedrohung für die Städte und das Land darstellte – befand Mago sich nicht noch in Ligurien und bedrohte Italien mit einer neuen Invasion? Wenn man dank eines jungen, bisher immer glücklichen Heerführers das Ende dieses Alptraums sah, warum sollte man ihn nicht mit allen Kräften unterstützen? In Sizilien, wo der Krieg und die Wiedereroberung durch die Römer fürchterliches Elend hinterlassen hatte, gewann er die Herzen der Bevölkerung, indem er Hilfsmaßnahmen traf, die Ordnung wiederherstellte, den Menschen auf dem Land wieder die Möglichkeit gab, ihre Felder zu bebauen. Der Senat hatte Scipio aller Hilfsquellen berauben wollen, es war ihm aber nur gelungen, ihn zum Helden eines ganzen Volkes zu machen, zu einem echten Condottiere, der wohl in Versuchung geraten könnte, die Tradition des Pyrrhos und der andern Führer der vorangegangenen Generationen wieder aufzunehmen513. Schon trug sein Freund Laelius Vorgefechte in Afrika aus und besprach sich mit dem Numiderkönig Massinissa, der mit Syphax in Streit geraten war, als dieser sich schließlich für Karthago entschieden hatte. Dann kam der Augenblick, auf das feindliche Territorium überzusetzen. Alle sizilischen Städte schickten ihre Vertreter, der Abfahrt der Flotte, die die Hoffnungen aller mit sich trug, beizuwohnen.

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Nachdem Scipio bei Utica gelandet war, begann er das Tal des Bagradas hinaufzusteigen und vereinte sich hier mit Massinissa, der so getan hatte, als wolle er sich mit den Puniern verbünden, sie dann aber an die Römer verriet. Syphax dagegen erbot sich aus Rache, den Karthagern Verstärkungen zuzuführen, versuchte aber dabei, den Vermittler zwischen den beiden Parteien zu spielen. Scipio gab vor, darauf einzugehen, griff dann aber, als alles sorgfältig vorbereitet war, plötzlich das Lager des Numiders und das der Karthager an und setzte gleich zu Beginn beide in Brand. So gelang ihm die Vernichtung der beiden Heere. Ein Gegenangriff des Syphax und der Karthager endete im Frühjahr 203 für diese mit einer weiteren Katastrophe. Der Senat beschloß hierauf, Hannibal zurückzurufen, ebenfalls Mago, der in Ligurien keine Erfolge erzielt hatte, sondern in einer Schlacht, zu der der Prokonsul M. Cornelius Cethegus ihn gezwungen hatte, besiegt und verwundet worden war514. Es war für Karthago um so notwendiger, alle seine noch verfügbaren Kräfte zurückzuholen, als Massinissa den von ihm tödlich gehaßten Syphax besiegte und gefangennahm (23. Juni 203)515. Bevor die Karthager ihre letzten Anstrengungen unternahmen, baten sie Scipio um Frieden. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, und schließlich brachen die Karthager, als sie erfuhren, daß Hannibal sich näherte, den Waffenstillstand. Hannibal landete Ende des Sommers 203 in Leptis Minor. Er brauchte fast ein Jahr, um Streitkräfte zu sammeln, sich die Bundesgenossenschaft der Eingeborenen zu sichern und kampfbereit zu werden. Im Oktober 202 fand bei Zama die entscheidende Schlacht statt516. Die Truppen Hannibals wurden vernichtet, vor allem, weil die Reiter des Massinissa eingriffen. Hannibal selbst floh bis nach Hadrumet (Sus). Obwohl er noch über einige Truppen verfügte, konnte er Scipio nicht daran hindern, zu tun, was er wollte. Der Römer begann mit der Einkreisung Karthagos. Doch die punische Regierung wartete nicht einmal den Beginn der Belagerung ab, um Frieden zu erbitten. Die Verhandlungen fanden in Tunis statt. Über die gewöhnlichen Klauseln hinaus (Beute, Gefangene, Übergabe der Deserteure, eine Kriegsentschädigung von 10000 Talenten in Silber, zahlbar in fünfzig Jahren, Geiseln aus den vornehmen Familien) mußte Karthago darauf verzichten, mehr als zehn Kriegsschiffe zu besitzen; es durfte keine Elefanten mehr zähmen, mußte Massinissa die Gebiete zurückgeben, die er vorher besessen hatte, sowie diejenigen, die Syphax gehört hatten, und mußte sich verpflichten, nie wieder in Afrika und außerhalb Afrikas Krieg zu führen, ohne Rom vorher um Erlaubnis zu fragen. Die Stadt behielt ihre Autonomie und das Territorium, das sie in Afrika selbst vor dem Ersten Punischen Krieg besessen hatte. Natürlich wurden ihr alle Besitzungen im Ausland weggenommen. Botschafter begaben sich nach Rom, um den Frieden zu den von Scipio festgesetzten Bedingungen zu erlangen. Trotz einigen Widerstandes erhielten sie ihn. Scipio wurde beauftragt, den Vertrag zu unterzeichnen und das Heer nach Rom zurückzuführen, eine Ehre, die die Konsuln des Jahres selbst begehrten. Als

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er durch die italischen Städte marschierte, bereiteten ihm die Bewohner und an den Landstraßen auch die Bauern einen triumphalen Empfang. Ohne daß man wußte, wer die Initiative dazu ergriffen hatte, begann jedermann, seinem Namen den Beinamen Africanus hinzuzufügen. Scipio war, so sagt Titus Livius, der erste Feldherr, der nach dem Namen des von ihm besiegten Landes benannt wurde517. Anmerkungen 1 Hat Alexander daran gedacht, ein Universalreich zu errichten? Seit der Antike haben gewisse Autoren nicht daran gezweifelt, sicher ist es aber keineswegs. Vgl. zu diesem Streit vor allem U. Wilcken, Über Werden und Vergehen der Universalreiche. Bonn 1915; E. Kornemann, Die letzten Ziele der Politik Alexanders des Großen, in: Klio VI (1920), S. 209–233; W.W. Tarn, Alexander’s ὑ̟οµνήµατα and the Worldkingdom, in: Journ. of Hell. Stud. XLI (1921), S. 1–17; W. Kolbe, Die Weltreichsidee Alexanders des Großen. Freiburg 1936. Vgl. schließlich C.A. Robinson, The extraordinary ideas of Alexander the Great, in: Amer. Histor. Rev. LXII (1956/57), S. 326–344. 2 Das 4. Jahrhundert ist der Zeitpunkt, an dem das Perserreich seine größte Ausdehnung erreicht (griechische Städte Kleinasiens und die Inseln, von Klazomenai bis Zypern, die seit dem Königsfrieden von 386 einverleibt worden waren; Ägypten, das seit 343 nach 60jährigem Aufstand Satrapie war). 3 Das hatte der Aufstand der Satrapen im Laufe des 4. Jahrhunderts bewiesen. Er hatte 372 mit der Empörung des Satrapen von Kappadokien, Datames, angefangen und erlosch erst Ende 361 durch den Sieg des Artaxerxes. In diesem Zeitabschnitt entsteht auch das praktisch unabhängige Königreich Karien. Mausolos, dem Namen nach Satrap von Karien, übt in Wirklichkeit die Königsgewalt über dieses Gebiet aus, das er von seinem Vater Hekatomnos übernommen hat und während seiner eigenen Regierungszeit vergrößert. Nach dem Tod von Mausolos intrigierte Pixodaros, der letzte Satrap der Dynastie, kurz vor der Eroberung mit den Makedonen gegen Dareios. 4 Zur persischen Herrschaft in Ägypten vgl. G. Posener, La première domination perse en Egypte, in: Bibl. de l’Inst. Français d’Archéol. orient. XI (1936); W. Schur, Zur Vorgeschichte des Ptolemäerreiches, in: Klio XX (1926), S. 270 ff. Die Erinnerung an diese verhaßte Herrschaft klingt noch in einem zeitlich so entfernten Werke wie Heliodors Aethiopica nach. 5 Über Palästina im persischen Reiche vgl. S.A. Cook in Cambridge Ancient History. Bd. VI. 1927, S. 167 ff. Über die Beziehungen der syrischen Häfen zu Karthago vgl. E. Meyer, Geschichte des Altertums. Bd. II. 2. Auflage. 1931, S. 77 ff.

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6 Über die Lebensverhältnisse in Baktrien vor der Eroberung Alexanders vgl. W.W. Tarn, The Greeks in Bactria and India. Cambridge 1938; A. Foucher, Notes sur l’itinéraire de Hiuan Tsiang en Afghanistan, in: Etudes Asiatiques. Bd. I. 1925, S. 266 ff. 7 Vgl. A. Aymard, Une ville de la Babylonie séleucide d’après les contrats cunéiformes, in: Revue des Et. Anc. 1938, S. 5–42. 8 Im Laufe des 5. und 4. Jahrhunderts hatten die griechischen Städte Ioniens zu wiederholten Malen ihre Sympathien für Athen bewiesen, das sie nur unter Zwang bei der Unterzeichnung des Königsfriedens im Jahre 386 aufgegeben hatten. Mehr zur Zeit Alexanders hin hatten sich in einigen griechischen Städten an den Ufern des Hellespont unabhängige Staaten gebildet, an deren Spitze Tyrannen standen, z.B. im pontischen Herakleia mit Klearchos und in Atarneus mit Hermias, der diplomatische Beziehungen zu Philipp II. unterhielt und ihn zum Krieg gegen den Großkönig ermuntert zu haben scheint. 9 Die verschiedenen Formen der Königsgewalt im Innern des persischen Reiches untersuchte C.W. Mac Evan, The oriental origin of Hellenistic Kingship, in: The Oriental Institute of the University of Chicago Studies in Ancient Oriental Civilization, Nr. 13, Chicago o.J. (1934). 10 Über die geistige und wirtschaftliche Einheit der hellenistischen Welt vgl. M. Rostovtzeff, Social and Economic History of the Hellenistic World. Bd. II. Oxford 1941, S. 1032–1053. 11 Zu dem mit den Anfängen des Griechentums verbundenen Kosmopolitismus vgl. T.J. Dunbabin, The Greeks and their Eastern neighbours. Studies in the relations between Greece and the countries of the Near East in the VIIIth and the VIIth centuries ..., in: Journ. of Hell. Stud., suppl. VIII, London 1957. 12 Die Frage der ›Rasse‹ der Makedonen ist oft erörtert worden. Eine Zusammenfassung der Kontroverse findet man bei R. Jouguet, L’impérialisme ..., S. 79 ff; vgl. auch den Artikel ›Makedonien‹ von F. Geyer in der Real-Encycl. (RE) und vom selben Verfasser Makedonien bis zur Thronbesteigung Philipps II., in: Historische Zeitschrift, Beiheft XIX. Zugunsten des griechischen Ursprungs spricht sich J.N. Kalleris in Les anciens Macédoniens aus, I. Introduction, la langue. Athen 1954; ders., La question de l’origine des Macédoniens, Cahiers d’Hist. mondiale, IV (1957/1958), S. 903–917. 13 Das ist ein Anspruch, der wiederholt von den Königen Makedoniens vor Alexander erhoben worden ist. Vgl. Herodot, VIII, 138; Plutarch, Das Leben

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Alexanders, 2; Isokrates, Reden an Philipp, 32, 76, 106, 111–115 usw. Vgl. Demosthenes, I. Phil, 8. 14 Über die Art des makedonischen Königtums vgl. außer den unter Anm. 12 angeführten Werken A. Schaefer, Das macedonische Königthum, in: Historisches Taschenbuch III (1884), S. 1 ff.; R. Granier Die makedonische Heeresversammlung, in: Münchener Beiträge zur Papyrusforsch. und antiken Rechtsgesch. XIII (1931). Über das homerische Königtum vgl. M.P. Nilsson, Das homerische Königtum, Sitzungsber. Der Preuss. Akad. d. Wissenschaften, 1927, S. 23 ff. 15 Das Problem der Vergöttlichung Sterblicher durch die Griechen ist sehr kompliziert; es ist in einer großen Anzahl von Arbeiten untersucht worden, von denen hier genannt seien: G. Foucart, Le culte des héros chez les Grecs. Paris 1918; L.R. Farnell, Greek Hero Cults and Ideas of Immortality. Oxford 1921. Die Haupttexte und die Beispiele werden analysiert von L. Cerfaux und J. Tondriau in Le culte des souverains dans la civilisation gréco-romaine. Paris o.J. (1957), S. 102 ff. mit Verzeichnis des Schrifttums. 16 Besonders, wie zu erwarten war, in Athen. Vgl. L. Cerfaux und J. Tondriau, a.a.O., S. 142, aber schließlich ereiferte sich niemand heftig gegen die Ansprüche Alexanders auf Göttlichkeit. 17 Das ist ganz im Sinne der platonischen Idee, wie Sokrates sie im Kriton beispielsweise im Zuge der berühmten Rede über die Gesetze zum Ausdruck bringt: Die Gesetze sind die Beschützer des Bürgers, der ihnen alles, sogar das Leben schuldet. Er schuldet ihnen Gehorsam und muß sie seinerseits schützen, selbst um den Preis seines Lebens. 18 In der alexandrinischen Poesie verlieren die Mythen ihren Nationalcharakter und werden poetisches Gemeingut. Die besten Beispiele dafür liefert das Werk des Kallimachos (Hekale vor allem); aber auch die philosophische Spekulation besinnt sich auf die Mythen, die zu Elementen einer metaphysischen Spekulation werden. 19 Das Wort wird von Diogenes Laertius berichtet, II, 115; vgl. Seneca, De Constantia Sapientis, V, 6. Zeno, Schüler von Stilpon, vgl. Diogenes Laertius, VII, 24. 20 Diese These vertritt G. Dumezil, Jupiter, Mars, Quirinus. Paris 1941; ders., Naissance de Rome. Paris o.J. (1944) usw.

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21 Vgl. P. Grimal, Le siècle des Scipions. Paris 1953, S. 18 ff. Aristoteles, zitiert bei Dionysios von Halikarnass, I, 72, 3–4, schreibt die Gründung Roms einigen »von Troja zurückkehrenden Achäern« zu. 22 Vgl. zu diesem Thema die Ausführungen bei H.D. Meyer, Die Außenpolitik des Augustus und die augusteische Dichtung. Köln 1961. 23 Vgl. D. Kanatsulis, Antipatros als Feldherr und Staatsmann in der Zeit Philipps und Alexanders des Großen, in: Hellenika XVI (1958–1959), S. 14–64. S. auch P. Pedech in RE. LXII (1960), S. 514/15, der Vorbehalte hinsichtlich der militärischen Fähigkeiten des Antipatros zum Ausdruck bringt. 24 Über Olympias vgl. H. Strasburger, Olympias, in: RE. XVIII, 1 (1939); Spalte 177–182; G.M. Macurdy, Hellenstic Queens, Baltimore 1932, 2. 22–46; R. Schneider, Olympias, die Mutter Alexanders des Großen. Progr. Zwickau 1885; W. Tritsch, Olympias. Frankfurt 1936. 25 Über dieses Gefühl für Freundschaft und Ehre, das Eumenes besessen zu haben scheint, vgl. Plutarch, Eumenes, 5. Eumenes, dessen Beistand gegen Perdikkas Krateros und Antipatros gefordert hatten, verweigert diesen ausdrücklich unter Berufung auf seine Treuepflicht. 26 Wir kennen dieses Gefühl der Söldner durch Diodor, XVII, 99, 5; XVIII, 7, 1. Die durch den Alexanderzug mitten unter die Barbaren verschleppten Griechen müssen es oft empfunden haben. Vgl. auch Curtius Rufus, IX, 7, 1–11. 27 Dazu vgl. E. Lepore, Leostene e le origine della guerra lamiaca, in: La Parola de Passato, 1955, S. 161–185. 28 Möglicherweise ist das Verhalten des Eumenes auch durch seine Feindschaft gegen Antipatros und seine Geringschätzung des Leonnatos mitbestimmt worden. Vgl. Plutarch, Eumenes, 3, 4 und ff. 29 Wir besitzen durch eine Inschrift den Text dieser Verfassung von Kyrene (SEG IX 1; XVIII 726); untersucht worden ist sie von Th. Reinach, La charte ptolémaïque de Cyrène, in: R.A. XXVI (1927), S. 1–25. Man ersieht daraus zum Beispiel, daß die Bürgerrechte solchen Bürgern vorbehalten sind, die ein Vermögen von mindestens 20 Minen besitzen; diese Bürger bilden die sog. Zehntausend. Es gab eine Bule von 500 Männern, die mindestens 50 Jahre alt waren, von denen die Hälfte alle zwei Jahre durch Losentscheid neu gewählt wurde. Über der Bule steht eine Körperschaft von 101 Geronten, und die ›vollziehende‹ Gewalt ist fünf Strategen anvertraut. Ptolemaios ist Stratege auf Lebenszeit. Der Schutz der staatlichen Einrichtungen obliegt neun ›Nomophylaken‹. Die Datierung dieser

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Verfassung ist nicht sicher: 322/21 oder 312 oder 308 v. Chr. sind als Jahre der Neuordnung der politischen Verhältnisse in Kyrene möglich. 30 Plutarch, Eumenes, 11, 3 ff. erzählt, daß die Pferde mit einem Strick, der ihnen nur gestattete, den Boden an ihren Hinterhufen abzugrasen, an einer Winde angebunden wurden. In dieser Stellung wurden sie gepeitscht, wodurch sie sich so heftig bewegten, daß ihnen diese Bewegung ebenso gut tat wie ein gestreckter Galopp. 31 Plutarch, Eumenes, 12, berichtet, daß er den Kappadokiern die Geiseln zurückgab, die er in Nora festgehalten hatte, im Austausch dafür aber Pferde, Lasttiere und Zelte forderte. Überdies sammelte er alle im Lande umherirrenden Soldaten, die froh waren, unter einem solchen Heerführer zu dienen. 32 Den Text dieser Verfügung hat Diodor, XVIII, 55–56, überliefert. Einen großen Teil ihres Interesses verdankt sie dem Umstand, daß sie einen Musterfall darstellt, von dem viele Herrscher, von Antigonos bis zu den Römern, sich später haben anregen lassen. Eine Analyse dieses Dekrets findet man bei P. Cloché, Remarques sur la politique d’Antigone le Borgne à l’égard des cités grecques, in: L’Antiquité classique, 1948, S. 101–118. 33 Über die Ursachen des Bündnisses vgl. P. Cloché, La coalition de 315–311 contre Antigone le Borgne, in: C.R.A.I. 1957, S. 130–139. 34 Als Demetrios von der Niederlage unterrichtet wurde, wollte er es niemand überlassen, die ägyptische Armee des Killas zu vernichten. In seiner Freude erwies er sich dem besiegten General und Ptolemaios gegenüber sehr großzügig und eröffnete damit eine Reihe ›ritterlicher‹ Akte, die für eine Seite des hellenistischen Krieges charakteristisch sind und für die man im Kampf zwischen Pyrrhos und Rom ein Gegenstück finden wird. Vgl. Plutarch, Demetrios, 6, 1, ff. 35 Durch eine Inschrift (W. Dittenberger, Inscr. Or. Gr., 5) kennen wir einen ›programmatischen‹ Brief des Antigonos an die Einwohner von Skepsis in der Troas. Antigonos teilt ihnen darin die Bedingungen des Vertrages mit, den er gerade mit den anderen Diadochen abgeschlossen hat, und bekennt sich zu der philhellenischen Politik des Polyperchon. Er fordert die Griechen auf, sich durch einen Eid zu gegenseitiger Hilfe zu verpflichten, um ihre Freiheit zu schützen und sich die Vorteile zu sichern, die ihnen von den Vertragschließenden zuerkannt worden sind, nämlich das Ende ihrer militärischen und finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Königen. – Über die Lage des Seleukos schweigen die Quellen; manche moderne Autoren vermuten, daß er in den Vertrag einbezogen gewesen ist (vgl. A. Momigliano, La pace del 311, in: Stud.

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ital. di filol. class. VIII (1930), S. 83–86; ders., in: Riv. di filol. 1932, S. 479; gegen diese Hypothese vgl. R.H. Simpson, The historical circumstances of the peace of 311, in: J.H.S. 1954, S. 25–31.) 36 Der Vorwand war, daß griechische Städte in Kilikien noch eine ihnen von Antigonos aufgezwungene Besatzung hatten, entgegen den Bestimmungen des Vertrages. Die wahren Gründe werden nicht deutlich oder scheinen eher vielfältiger Art gewesen zu sein: Ptolemaios hoffte zweifellos, Antigonos von Babylon ablenken und Seleukos entlasten zu können. Vielleicht hoffte er auch, sich in Kilikien Stützpunkte zu sichern, von denen aus er unter Umständen den Versuch einer Eroberung Syriens machen könnte. Vgl. Diodor, XX, 19. 37 Diodor, XX, 37, 3. Kleopatra versuchte Sardeis zu verlassen, um wieder mit Ptolemaios zusammenzukommen, wurde aber vom Gouverneur der Stadt auf Befehl des Antigonos daran gehindert. Dieser sandte dann Weisungen, die Fürstin töten zu lassen, die eine ständige Gefahr darstellte, weil alle Anwärter auf den Thron Makedoniens bestrebt waren, ihre Hand zu erhalten. 38 Zur Persönlichkeit des Demetrios von Phaleron, vgl. E. Bayer, Demetrios Phalereus der Athener, in: Tübinger Beitr. zur Altertumswissenschaft. Bd. XXXI. Stuttgart 1942. 39 Diogenes Laertius, VI, 63; vgl. K. Scott, in: American Journal of Philology, 1928, S. 137–168 und 217–239. 40 Lange hat man die Nike von Samothrake nach diesem Siege datiert. Wahrscheinlich stammt sie aus späterer Zeit. Vgl. H. Thiersch, Die Nike von Samothrake. Göttingen 1931. 41 Über den wirtschaftlichen Wohlstand des Antigonos vgl. P. Cloché, La dislocation d’un empire. Paris 1959, S. 142 ff. 42 Die Rolle von Rhodos in der Wirtschaft des Ostens erhellt M. Rostovtzeff, The social and economic History of the Hellenistic World, Bd. I, S. 171 ff. Die Rhodier beherrschten die Märkte vor allem als Transithändler und Verteiler des ägyptischen Getreides. 43 Plutarch hat uns eine Biographie von jedem der beiden hinterlassen. Er ist eine unserer Hauptquellen für die Kenntnis ihres Lebens. Plutarch hat eine große Dokumentationsarbeit vollbracht (vgl. H.C. Girard, Essai sur la composition des Vies de Plutarque. Paris 1945). Von modernen Autoren, die sich mit Demetrios und Pyrrhos befaßt haben, sind von bleibendem Wert die Arbeiten von E. Manni, Demetrio Poliorcete, Rom 1951/52 und P. Lévêque, Pyrrhos. Paris 1957.

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44 S. oben Anm. 43. 45 Möglicherweise hat sich Phila, die Gemahlin des Demetrios, die eine Tochter des Antipatros und damit die Schwester des Kassandros war, bei diesem für die Sache ihres Gatten eingesetzt; vgl. Plutarch, Demetrios, 32. Kassandros beschäftigte sich gleichzeitig mit dem Schicksal des Epeiros, den er einem König nach seinem Geschmack übertragen konnte, Neoptolemos II., um die Dynastie des Aiakides zu beseitigen, zu dessen Söhnen Pyrrhos gehörte. Er versuchte auch, sich Korkyras zu bemächtigen, das von dem König von Syrakus, Agathokles, besetzt wurde. 46 Pyrrhos, ein Sohn des Aiakides, selbst ein leiblicher Vetter der Olympias (der Gemahlin Philipps II. von Makedonien), hatte 317, im Alter von zwei Jahren, aus dem Königreich Epeiros fliehen müssen, als man seinen Vater des Landes verwies, und hatte Zuflucht in Aitolien gefunden. Er war von Glaukias, einem illyrischen König, aufgenommen worden, bei dem er zehn Jahre blieb. Für kurze Zeit wurde er (wahrscheinlich im Jahre 307) von Glaukias als König in Epeiros eingesetzt, ein Werkzeug in den Händen der Makedonenfeinde und vor allem des Demetrios. Im Jahre 302, zur Zeit des Bündnisses gegen Antigonos, wird Pyrrhos durch eine neue Revolution in Epeiros verjagt. Er geht zu Demetrios und kämpft auf seiner Seite bei Ipsos. Während der Feldzüge des Demetrios in Thrakien wurde Pyrrhos sein Stellvertreter in Griechenland. Als Demetrios sich im Jahre 299/298 Ptolemaios näherte, verlangte der Lagide Geiseln, und Pyrrhos ging nach Alexandrien, um dort am Hofe zu leben. So kam es zu der Heirat zwischen Pyrrhos und Antigone (s.u. Anm. 50). Ptolemaios gab ihm die Mittel, sein Königreich zurückzuerobern. Er konnte hoffen, sich auf diese Weise einen zuverlässigen Bundesgenossen auf dem griechischen Festland zu erwerben. Pyrrhos ist bei seiner zweiten Restauration erst 22 Jahre alt. Zu allen diesen Vorgängen vgl. die Untersuchung von P. Lévêque, Pyrrhos. Paris 1957, S. 83 ff. 47 Die beiden aufeinander folgenden Erhebungen Boiotiens scheinen 292 und 291 stattgefunden zu haben. Der Einfall des Pyrrhos in die Thermopylen erfolgt im Frühjahr 291. P. Lévêque, Pyrrhos. Paris 1957, S. 137 ff. Zur Eroberung von Delphi durch den Aitolischen Bund (zwischen 301 und 297) vgl. R. Flacelière, Les Aitoliens à Delphes. Paris 1937. 48 Demetrios ließ in Athen die Pythischen Spiele feiern, die in der Regel in Delphi stattfanden. Die makedonische Partei in Griechenland überschlug sich in Lobhudeleien des Demetrios. Infolgedessen wurden die Aitoler wie zur Zeit des Lamischen Krieges als die Vorkämpfer der hellenischen Freiheit angesehen.

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49 Lysimachos und Pyrrhos hatten zusammengearbeitet, um gegen Demetrios und Antigonos Gonatas vorzugehen. Dieser war 287 von Pyrrhos fast gänzlich aus Thessalien vertrieben worden. Aber zwei Jahre später hatte dann Lysimachos seinerseits Pyrrhos verjagt, während dieser eine Annäherung an Gonatas plante. 50 Das Schema auf Seite 362 zeigt (etwas vereinfacht) die Verwandtschaftsverhältnisse, die das ›Komplott‹ gegen Lysimachos und seine ›internationalen‹ politischen Verästelungen deutlich machen. 51 Vgl. Cl. Mossé, La fin de la démocratie athénienne. Paris 1962, S. 435 ff., wo der Panhellenismus des Isokrates in seinen Folgeformen untersucht wird. 52 Vgl. M. Rostovtzeff, Social and Economic History of the Hellenistic World. Bd. I. Oxford 1941, S. 129 ff., wo ein recht optimistisches Bild der Wirtschaftslage in der griechischen Welt zur Regierungszeit Alexanders entworfen wird. Man darf allerdings nicht vergessen, daß die wirtschaftlichen Erscheinungen und ihre Folgen sich nur langsam entwickeln und sichtbar werden.

53 Dieses Thema wird ausführlich bei Titus Livius, IX, 16, 19 u. ff. behandelt. 54 Über die Rolle Alexanders des Molossers, des Onkels Alexanders des Großen, vgl. P. Wuilleumier, Tarente. Paris 1939, S. 81 ff. 55 S. oben S. 43 56 S. unten S. 301 ff.; vgl. P. Lévêque, Pyrrhos, 262 f. 57 Vgl. Fischer Weltgeschichte, Bd. 4. 58 Der berühmteste und gleichzeitig klarste Fall ist der von Syrakus, das nach dem Sieg von Timoleon im Jahre 343 neue Einwanderer zu verzeichnen hatte (Diodor, XVI, 69). 59 Vgl. Diodor, XVI, 15. In Wirklichkeit ist die Zeitbestimmung hier ziemlich dunkel. Paestum und die griechischen Städte Lukaniens verloren ihre Unabhängigkeit im Laufe des 4. Jahrhunderts, bis heute ist uns aber eine genauere Zeitangabe nicht möglich. 60 P. Wuilleumier, a.a.O., S. 95.

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61 Titus Livius, VIII, 17, 2; Iustin, XII, 2. 62 Vgl. Giannelli, Culti e miti della Magna Grecia. Florenz 1924. 63 Titus Livius, VIII, 25; 27, 2; Dionysios von Halikarnass, XV, 5, 10. 64 Diese These vertritt P. Wuilleumier, Tarente, S. 95. Eine andere Theorie verlegt diesen Vertrag in die Zeit Alexanders des Molossers; vgl. T. Frank, in C.A.H. VII, S. 640. 65 Titus Livius, X, 2, 2. 66 S. unten S. 300 ff. 67 Bekannt ist folgende Episode: Als er von Metapont zu Hilfe gerufen wurde, das er selber von den Lukanern hatte angreifen lassen, verlangte Kleonymos zweihundert junge Mädchen, »von Adel und schön«, aus denen er sich einen Harem machte. Vgl. Duris bei Athenaios, XIII, S. 605 d; Diodor, XX, 104. 68 Über die Folgen der gallischen Invasion Italiens und ihre Erscheinungen während des ganzen 4. Jahrhunderts s. unten S. 113 ff. 69 Über Persönlichkeit und Werk Timoleons vgl. Fischer Weltgeschichte, Bd. 5. 70 Lanassa übergab die Insel schließlich Pyrrhos; s. oben S. 63. 71 Vgl. Fischer Weltgeschichte, Bd. 4 u. 5. 72 J. Jeannoray, Ensérune. Paris 1955, S. 279 ff. und die Bibliographie ebd. S. 27. 73 J. Coupry, La place-forte d’Olbia sur la côte provençale. Revue Arch., 60, Reihe XXXIV (1949), S. 42–52. 74 H. Rolland, Les Fouilles de Glanum (Saint-Rémy de Provence), Paris 1946. 75 J. Jeannoray, a.a.O., S. 465 ff. 76 Bekanntlich endete die Schlacht zwischen den Phokaiern und den mit den Etruskern verbündeten Karthagern bei Alalia an der Westküste Korsikas im Jahre 540 mit dem Siege der Griechen, bedeutete aber in Wirklichkeit das Ende des großen Phokaierreiches. Korsika war unter die Herrschaft der Etrusker geraten und Sardinien unter die Karthagos. Karthago hatte die phokischen

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Kaufleute aus Spanien vertrieben und die Handelsstraßen des Westens geschlossen. Rom bedeutete für die Bürger Massalias eine Hoffnung auf Vergeltung. Über die Beziehungen zwichen Massalia und Rom bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts vgl. G. Nenci, Le relazioni con Massiglia nella politica estera romana, dalle origini alla prima guerra punica, in: Rivista di Studi Liguri XXIV (1958), S. 27–97. 77 Dazu vgl. M. Rostovtzeff, Social and Economic History of the Hellenistic World, Bd. I, S. 399 ff. 78 Vgl. G. Picard, La vie quotidienne à Carthage. S. 182 ff. 79 G. Picard, Le monde de Carthage, Paris o.J. (1956), S. 52 ff. und S. 192/193 (Bibliographie). Die Grabmäler sind veröffentlicht in P. Gauckler, Nécropoles puniques de Carthage. 2 Bde. Paris 1915. 80 G. Picard, Monde de C., S. 52; Vie quot., S. 181 ff. 81 Über die hellenistische Landwirtschaft s. unten S. 179 ff. 82 Vgl. P. Grimal, Les Maisons à Tours hellénistiques et romaines, in: Mél. Ec. fr. LVI (1939). 83 Aristoteles, Polit., 2, 1 S. 1275 b; 7, S. 1293 b; 5, 6 S. 1307. Vgl. E. Cavaignac, in: Revue des Cours et Conf. XXXVI, 1 (1935), S. 229–242. 84 Titus Livius, XXXIII, 46. 85 Vgl. J. Carcopino, Aspects mystiques de la Rome païenne. Paris 1942, S. 13–37 (Les Cereres et les Numides); Diodor, XIV, 70 ff.; 77. 86 G. Picard, Les Religions de l’Afrique antique, Paris o.J. (1954), S. 89 ff. unter Bezugnahme auf die Schlüsse von P. Gauckler, Nécropoles puniques, S. 521. 87 Diodor, XX, 14. 88 S. unten S. 345 89 G. Picard, Religions ..., S. 82 ff. 90 S. unten S. 208. 91 Vgl. A. Caquot, in: Syria XXIX (1952), S. 74–88; G. Picard, Religions, S. 94 ff.

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92 G. Picard, a.a.O., S. 96 ff. 93 Praec. rei publ. ger., 3, S. 709 D. 94 Das ›corpus‹ dieser Zeugnisse und die notwendigen Diskussionen findet man bei J. Perret, Les Origines de la légende troyenne de Rome. Paris 1942. 95 Texte bei Dion. Hal., I, 72, 3, 4: Gefangene Troerinnen, die von den Achaiern auf dem Weg in ihr Vaterland mitgenommen wurden, landen in Latium. Dort zieht man die Schiffe an Land und wartet den Beginn der schönen Jahreszeit ab. Eines Nachts stecken die gefangenen Frauen die Schiffe in Brand. Da die Achaier kein Material besitzen, um neue zu bauen, lassen sie sich mit diesen Frauen dort nieder. 96 Der Name Rhome erscheint nicht bei Aristoteles, aber bei Kallias, zitiert bei Dion. Hal. I, 72, 5 (vgl. J. Perret, a.a.O., S. 402 ff.). Dieser Kallias schrieb in Syrakus zur Zeit des Agathokles, das heißt zu einer Zeit, als Rom bei den Griechen von Groß-Griechenland und Sizilien bereits gut bekannt war. 97 So lautet die Vergilsche Überlieferung, die ohne Zweifel auf die Origines des Cato zurückgeht und zwei Zeitbestimmungen, die sonst nicht miteinander vereinbar wären, in Einklang bringen will, nämlich eine, die die Gründung Roms in die Mitte des 8. Jahrhunderts verlegt, und die andere, die sie in die Zeit der ›Heimkehr‹ und der Einnahme Trojas zurückweist. 98 J. Bérard, La colonisation greque de l’Italie méridionale et de la Sicile dans l’Antiquité. 2. Aufl. Paris 1957. 99 Vgl. die von G. Capovilla in seiner Introduzione micenoitalica zusammengestellten Bibliographie. Veröffentlicht in den Rendiconti Ist. Lombardo (Lettere) XCIV (1960), S. 379, Nr. 50 und 380, Nr. 51. 100 Vgl. Q. Giglioli, Osservazioni e monumenti relativi alla leggenda delle Origini di Roma, in: Bullet. del Museo del Impero Romano XII (1941), S. 3–16; Fr. Bömer, Rom und Troja. Baden-Baden 1951. 101 Über die venetischen Inschriften und ihre Deutung vgl. M. Lejeune in: Revue des Etudes Anciennes 1952 ff. 102 Das gesamte Material ist zusammengestellt und untersucht bei E. Gjerstad, Early Rome. Bd. II. Lund 1956.

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103 Über diese berühmte Nekropole berichtet an letzter Stelle Q. Giglioli in: Bullet. di Palet. Ital. N.S. IV (1940), S. 177 f. 104 Die Liste der populi Albenses findet man bei Plinius, N.H., III, 69. Er schließt mit den Worten: »ita ex antiquo Latio LIII populi interiere sine vestigiis«. Über den Wert dieses Verzeichnisses und seine Bedeutung für die Erklärung der archäologischen Funde vgl. M. Pallottino, Le Origini di Roma, in: Archaeol. Class. XII (1960), S. 27 ff. mit der dort unter Anm. 2 aufgeführten Bibliographie und P. de Francisci, Primordia Civitatis. Rom 1959, S. 131 ff. 105 Einen interessanten Versuch, das latinische Königtum vor dem etruskischen Einfluß darzustellen, hat S. Mazzarino in Dalla monarchia allo stato republicano. Catania o.J. (1945) gemacht; vgl. auch J.G. Préaux, La sacralité du pouvoir royal à Rome (Auszüge aus Le Pouvoir et le Sacré). Brüssel 1962. 106 Properz, Elegien, IV, 1, 11: »Curia ... pellitos habuit, rustica corda, patres ...; centum illi in prato saepe senatus erat.« 107 Vgl. E. Gjerstad, a.a.O. (Anm. 102). 108 G. Carettoni, Tomba arcaica e cremazione scoperta sul Palatino, in: Bull. di Palet. Ital. LXIV (1954), S. 261 f.; ders. in: Not. Scav., Reihe VIII, XI (1957), S. 87 ff.; M. Marella in: Antichità II, 2 (1950), S. 1 ff.; E. Gjerstad, a.a.O., S. 282 ff. 109 E. Gjerstad, Early Rome, Bd. I.u.f.; ders., Discussions concerning early Rome, in: Opuscula Romana ... Regni Sueciae V, 1 (Lund 1962). 110 E. Gjerstad, a.a.O., passim. 111 Varro, De Lingua Latina, V, 41: Cermalus, Palatium, Velia, Oppius, Cispius, Fagutal und Caelius, zu denen auf geheimnisvolle Weise das ›Suburra-Tal‹ kommt. 112 Diese, früher von A. Piganiol aufgestellte Hypothese hat Anlaß zu verschiedenen Arbeiten gegeben, darunter die von E. Gjerstad, die hier angeführt wurden. Wir haben selber diese Hypothese übernommen (Lettres d’Humanité IV). 113 Titus Livius, I, 17/18. 114 ders., I, 30. 115 ders., I, 35.

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116 Vgl. De Francisci, Primordia Civitatis, S. 660 ff. Der sabinische Ursprung der Minerva ist, obwohl weniger gut bezeugt, ziemlich wahrscheinlich. Man darf allerdings nicht vergessen, daß alle diese Rekonstruktionen sehr auf Mutmaßungen aufgebaut sind. 117 Servius, ad Aen., I, 422. 118 S. Mazzarino, a.a.O., S. 184 f.; J. Heurgon, L’Etat étrusque, in: Historia IV (1957), S. 75 ff. 119 Im Gegensatz zu der von G. Dumezil vertretenen Auffassung, die ihnen einen funktionellen Wert beimißt. 120 Es gab eine Timokratie in Korinth um 581 nach Beendigung der Tyrannis (vgl. R. Burn, The lyric age of Greece. London o.J. [1960], S. 194). Man denkt auch an die Verfassung Solons, vergesse aber nicht die korinthische Herkunft der Tarquinier. 121 Vgl. P. Grimal, L’enceinte servienne dans l’histoire de Rome, in: Mélange d’Arch. et d’Hist. LXXI (1959), S. 43–64 mit der dort angeführten Bibliographie. 122 Vgl. P. Grimal, A la recherche de l’Italie antique, Paris o.J. (1961), S. 270 ff. und die Bibliographie. 123 Jupiter weist in seinen Beziehungen zur Haruspex-Theorie unleugbare etruskische Züge auf (vgl. K. Latte, Römische Religionsgeschichte. München 1960, S. 159 ff.). 124 Titus Livius, II, 14, 5, wo der Angriff der Etrusker auf Aricia Arruns, dem Sohne des Porsenna, zugeschrieben und in das Jahr 508 verlegt wird. Vgl. aber Dion. Hal., V, 36, 1 ff.; 7, 3–11. 125 Die Frage nach dem Wesen des imperiums ist bei weitem noch nicht völlig geklärt; vgl. De Francisci, a.a.O., Kap. III, S. 199 ff. Wir weisen besonders auf die Triumphzeremonie hin, bei der der römische General mit Jupiter verglichen wird. Vgl. H. Wagenvoort, Roman Dynamism. Oxford 1947. 126 Titus Livius, IV, 8; VII, 1. 127 Tacitus, Annales, XI, 22.

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128 Das Problem der von den Fasti für die Jahre von 508 bis 487 unter den Konsuln genannten Plebejer ist eins der dunkelsten, vor denen wir stehen. Lange hat man es lösen wollen, indem man den apokryphen Charakter des Verzeichnisses der Konsuln beteuerte, aber heute sind sich die Historiker seiner Ungenauigkeit weniger sicher. Die Fälschung, wie sie die traditionelle Hypothese behauptete, wäre beinah unbegreiflich gewesen. Vgl. de Francisci, a.a.O., S. 479 ff. und E.S. Staveley, a.a.O., s. unten Anm. 133. Möglicherweise haben die römischen Historiker für das Jahr 509 zwei verschiedene Fakten vermengt: die Vertreibung der Könige und die Entfernung der etruskischen Elemente aus ihren Machtstellungen. Der etruskische Einfluß war keineswegs vom Königtum untrennbar, und die etruskischen Städte im Süden waren entschieden republikanisch (vgl. R. Lambrechts, Essai sur les Magistratures des Républiques étrusques. Brüssel- Rom 1959, S. 21 ff.; Titus Livius, V, 1, 3). Mitunter wird zugegeben, daß der etruskische Einfluß die Vertreibung der Tarquinier mindestens um eine Generation überdauert hat (vgl. R. Bloch, Origines de Rome, S. 100, der die Fortdauer dieses Einflusses bis etwa zum Jahre 475 entdeckt, das sind nur rund zehn Jahre nach dem letzten plebejischen Konsul). 129 Titus Livius, II, 33 (493 v. Chr.). 130 Vgl. die Übersicht über dieses sehr verwickelte Problem bei H. le Bonniec, Cérès. Paris 1958, S. 155 ff. 131 Das macht es schwierig, die Existenz plebejischer Konsuln am Anfang der Republik anzunehmen (vgl. dazu Anm. 128), aber die Schwierigkeit ist nicht unüberwindlich, wenn man die Hypothese anerkennt, daß der Charakter der Auspizien sich gewandelt haben kann. An die Stelle der im wesentlichen etruskischen Riten des Königtums der Tarquinier (von dem die republikanische Herrschaft ausgegangen ist) haben die Häupter der patrizischen gentes nach und nach ihre eigenen religiösen Traditionen setzen und sich auf diese Weise das Ämtermonopol aneignen können. Man hätte also Grund, zwei Momente in der ›Revolution von 509‹ zu unterscheiden, die Vertreibung der Könige und, später, die totale Machtergreifung der Patrizier. 132 Titus Livius, IV, 6. 133 Die Frage der Militärtribunen mit konsularischer Gewalt (tribuni militum consulari potestate) ist alles andere als geklärt. Sie wurde kürzlich in zwei Quellenuntersuchungen wieder aufgenommen, die beide zu entgegengesetzten Schlußfolgerungen kommen (E.S. Staveley, The Significance of the Consular Tribune, in: J.R.S. XLIII (1953), S. 30–36 und Ann Boddington, The Original Nature of the Consular Tribunate, in: Historia VIII (1959), S. 356–364), und scheint für eine endgültige Lösung noch nicht reif zu sein. Bei sorgfältigem Abwägen scheint die

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Deutung, die Titus Livius dieser Einrichtung gibt (eine ›Entsakralisierung‹ des Konsulats, um den Plebejern das höchste Staatsamt zugänglich zu machen), zumindest teilweise Gültigkeit zu haben. E.S. Staveley, a.a.O. weist mit Recht darauf hin, daß zwei Jahre nach der Schaffung dieses Amtes die Zensur eingerichtet wurde. Das geht so vor sich, als hätte man erwogen, daß die Tribunen mit konsularischer Gewalt nicht geeignet gewesen seien, den census auszuüben, religiöse Funktionen, die Weihecharakter hatten. Titus Livius würde damit im ersten Punkte Recht haben. Weigert man sich andrerseits, diese Neuerungen mit dem Kampf zwischen Patriziern und Plebejern in Verbindung zu bringen, bleibt diese Teilung des Konsulats einigermaßen dunkel. Sie bleibt allerdings nicht weniger dunkel dadurch, daß das Tribunat mit konsularischer Gewalt zuerst nicht von Plebejern ausgeübt wurde, wie man hätte erwarten sollen, wenn seine Einrichtung im wesentlichen ein Sieg der Plebs gewesen wäre, sondern von Patriziern. Hatten diese sich durch ihren Einfluß auf die Wählermassen einen Vorteil zurückgeholt, den sie rechtlich verloren hatten (vgl. Staveley, a.a.O.)? In Wahrheit bleiben eine Menge Episoden des politischen Lebens im 5. und 4. Jahrhundert geheimnisvoll für uns. Man kann eine sehr allgemeine Erklärung versuchen, wenn man überlegt, daß, wenn die Patrizier eine ›Klasse‹ bildeten, die Plebs eine Mischung darstellte. Sie bestand einmal aus der Masse der ›Klienten‹, die durch religiöse und wirtschaftliche Bindungen, die zu zerreißen der sehr lebendige Sinn für Tradition erschwerte, mit ihr verbunden waren, zum andern aus einer plebejischen ›Aristokratie‹ aus Kaufleuten, reichen oder wohlhabenden Handwerkern und vermehrt durch die ganze Masse der ›Leute vom Forum und vom Marsfeld‹, die sich von den traditionellen Bindungen an die Patrizier freigemacht oder sie nicht geduldet hatte. Dieser andere Teil der Plebs, der rührigere, in den Tribunatsversammlungen aktive, wurde bei den Wahlen für die Zenturiatskomitien von der Masse der ›guten Plebejer‹ weggeschwemmt, die sich dagegen sträubte, ›neue‹ Männer an die Macht zu berufen. 134 Titus Livius, I, 35; 38. 135 Zu diesem Vertrag vgl. M.L. Scevola, Civiltà marittima di Anzio pre-Volsca, in: Rendiconti Ist. Lomb, ... Lettere XCIV (1960), S. 250 ff. 136 Titus Livius, II, 20. 137 Dieser Vertrag wird bei Titus Livius, II, 33, 9 und Cicero, Pro Balbo 23, 53 erwähnt. Eine Zusammenfassung des Textes gibt Dion. Hal., VI, 95, 2 (vgl. H. Bengtson, Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 700–338 v. Chr. MünchenBerlin 1962, Nr. 162, in: Die Staatsverträge des Altertums, Bd. II, hg. v. H. Bengtson). Das foedus Cassianum wird von modernen Historikern oft als zurückdatiert betrachtet, es ist jedoch wahrscheinlich, daß ein Vertrag dieser Art

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zu dem ihm zugeschriebenen Zeitpunkt bestanden haben muß. Der latinische Bund konnte nach dem Sturz der Könige ohne die Grundlage eines juristischen Vertragstextes kaum bestehen. 138 Titus Livius, IV, 26 ff. Von Ovid (Fasti, IV, 721) wird der 17. Juni als Jahrestag der Schlacht angegeben. 139 Die berühmte Episode der Fabier, die allein die Last des Krieges auf sich nahmen, wird von Titus Livius, II, 48, 8 ff. erzählt. Die Darstellung ist offensichtlich mit folkloristischen Zügen ausgeschmückt, entspricht aber sicherlich auch einer gewissen geschichtlichen Wirklichkeit. 140 Titus Livius, V, 1 bis 22. 141 Zu der religiösen Atmosphäre dieses Krieges und den Gründen, die sich dafür anführen lassen, vgl. J. und J. Hubaux, Rome et Véies. Lüttich-Paris 1958. 142 Titus Livius, IV, 59, 11 verlegt die Einführung des Soldes in die Zeit unmittelbar vor der Belagerung von Veji. 143 Die Schale dieses Mischkruges blieb lange dort; vgl. Appian, Ital, 8. 144 Vgl. J. Gagé, Apollon romain. Paris 1955, S. 59. 145 Antike Bezugnahmen Herodots, II, 33; IV, 49. Zu Hekataios vgl. Die Fragmente der griechischen Historiker, hg. v. F. Jacoby. 146 S. unten S. 132 ff. 147 Hallstatt ist der Name einer kleinen Stadt in Oberösterreich, unweit von Salzburg. La Tène ist ein Dorf auf der Landzunge, die den Neuenburger See und den Bieler See in der Schweiz trennt. Über den alten Stand dieser Fragen unterrichtet man sich stets bei J. Déchelette, Manuel d’archéologie préhistorique. 2. Aufl. Paris 1927, Bd. III und IV. Vgl. ferner M. Hoernes, Das Gräberfeld von Hallstatt. Wien 1921; P. Vouga, La Tène. Leipzig 1923. Zwei übersichtliche Gesamtdarstellungen sind erschienen: T.G.E. Powell, The Celts. London o.J. (1958) und vor allem von Jacques Moreau, Die Welt der Kelten. Stuttgart o.J. [1958]. 148 Zu diesen rein iberischen Fragen vgl. P. Bosch- Gimpera, La formacion de los pueblos de Espana. Mexiko 1945. 149 Die Hallstattzeit würde damit ziemlich genau der ›Königszeit‹ Roms entsprechen.

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150 J.J. Hatt, Histoire de la Gaule romaine, S. 21. 151 K. Bittel und A. Rieth, Die Heuneburg an der oberen Donau. Stuttgart 1951; W. Dehn, Die Befestigung der Heuneburg ..., Actes du Colloque sur les influences helléniques en Gaule. Dijon 1958, S. 55–62. 152 Veröffentlichung des Schatzes bei R. Joffroy, La tombe de Vix (Côte d’Or), Monuments Piot. XLVIII, 1 (1954). 153 Vgl. die Diskussionen von J.M. de Navarro in: Cambridge Ancient History, Bd. VII, S. 61 ff. 154 Arrian, Anabasis, I, 4, 6; Strabon, VII, S. 301. 155 Titus Livius, 8, 3 ff. widmet der Entwicklung der Taktik eine lange Abschweifung; vgl. Ed. Meyer, Das römische Manipularheer ..., in: Kleine Schriften, Bd. II, Halle 1924, S. 193 ff.; K. Kromayer-Veith, Heerwesen und Kriegsführung. München 1928. 156 Zur Geschichte der Bewaffnung und den bestehenden Ungewißheiten vgl. Couissin, Les armes romaines. Paris 1926. 157 Zu diesen Ereignissen vergleiche man das von J. Heurgon, Capoue préromaine. Paris 1942, S. 85–96 entworfene Bild. 158 Titus Livius, VII, 19, 4. 159 ders., VII, 29 ff. 160 J. Heurgon, a.a.O., S. 171 ff. 161 J. Heurgon, a.a.O., S. 179 bestreitet die Gültigkeit dieser Überlieferung und glaubt nicht an eine Vorzugsbehandlung der Ritter von Capua. Der Gedanke, daß der Bund der beiden Aristokratien, des Adels von Rom und des von Capua, durch eine klare juristische Bindung seine Weihe erhielt – eine Bindung ähnlich der, die Rom und die alten latinischen Städte vereinte, wo die örtliche Aristokratie den römischen Bürgern gleichgestellt war (eine Politik, die übrigens viele Jahrhunderte lang betrieben werden sollte) –, dieser Gedanke ist doch recht verlockend. 162 Neapel war 326 verbündete Stadt geworden, s. oben S. 72.

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163 Titus Livius, IX, 1 ff.: ein wahrscheinlich mit apokryphen Elementen belasteter dramatischer Bericht, der zu einem Gegenstand juristischer Streitgespräche über die Gesetzmäßigkeit eines erzwungenen Eides geworden ist. 164 Titus Livius, IX, 26, 5 f. (Jahr 314). 165 F. de Visscher, F. de Ruyt, J. de Laet und J. Mertens, Les fouilles d’Alba Fucens ..., Brüssel 1955. 166 Möglicherweise sind diese Ergebnisse der hochgepriesenen Politik des Appius Claudius zu verdanken (vgl. E.S. Staveley, The political aims of Appius Claudius Caecus, in: Historia VIII (1959), S. 410–433,) aber sicher ist auch, daß diese Entwicklung unvermeidlich geworden war durch den Eintritt von Gesellschaften, wo der Reichtum im wesentlichen in beweglicher Habe bestand und die sich erheblich von der patrizischen und ländlichen Stadt unterschieden, die Rom hatte sein wollen, in die römische Wirtschaftsgemeinschaft. 167 Zeuge dafür ist Strabon, V, 3, 5 S. 232. Vgl. H.H. Schmitt, Rom und Rhodos. München 1957, S. 39 und S. 45, Anm. 3, wo man die Teststellen findet, aus denen die Tatsache dieses etruskischen Piratenwesens zu Ende des 4. Jahrhunderts hervorgeht. 168 Vgl. die Diskussion bei H.H. Schmitt, a.a.O., S. 31 ff. Die Anstrengungen, die man in der Vergangenheit gemacht hat, die antiken Zeugnisse über dieses ›Bündnis‹ vom Jahre 306 zu entwerten (Polybios, XXX, 5, 6–8; Titus Livius, XLV, 25, 9; Dio, fr. 68, 3), verkennen die allgemeinen Verhältnisse der Mittelmeerwelt zu jener Zeit und den offenkundigen Ehrgeiz der rhodischen Seefahrer und Kaufleute (vielleicht auf Betreiben des Herrschers von Ägypten), die westlichen Märkte zu erobern (s. oben S. 78). Die Kritik an diesen Texten, die seit M. Holleaux, Rome, la Grèce et les monarchies hellénistiques, Paris 1921, laut wurde, und die J. Carcopino wieder aufgriff (noch in den Etapes de l’Impérialisme romain. Paris o.J. [1961], S. 70 f.), richtete sich im Grunde weniger gegen diese Zeugnisse selbst als gegen die übliche Auslegung, die man ihnen gab, indem man darin den Beweis für eine bewußte imperialistische Politik Roms zu einem so frühen Zeitpunkt erblicken wollte. Es ist auch ratsam, J.G. Droysen, Geschichte des Hellenismus. Bd. II, 2, S. 154, nicht zu folgen, der behauptet, daß 306 ein regelrechter Handelsvertrag zwischen Rhodos und den Römern abgeschlossen worden sei. Die Abordnung einer Gesandtschaft schließt nicht ohne weiteres so schwerwiegende rechtliche Folgen ein. Überdies ging die Initiative nicht von den Römern, sondern von den Rhodiern aus, die begierig waren, Rom »kennenzulernen«, und das genügt, um jede politische Absicht, und erst recht eine imperialistische bei den Römern auszuschließen. Es bedarf also gar nicht

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eines Griffs in die Schatzkammer der Phantasie, die M. Holleaux plündert, um (auf recht fragwürdige Weise) präzise Aussagen, die sich den Einwänden entziehen, die man gegen sie in dem Augenblick erhebt, da man sie nichts weiter sagen lassen will, als das, was sie sagen, unglaubwürdig zu machen. 169 S. oben S. 65. 170 Über die Umstände, unter denen es zu diesem Hilferuf kam, und über die Ursachen des Konflikts zwischen Tarent und Rom, vgl. unten Kap. 5, S. 301 ff. 171 S. oben S. 113 ff. 172 Zu der Zeitbestimmung vgl. W.W. Tarn, Teloklès and the Athenian Archons, in: J.H.S. XL (1920), S. 159. 173 Das Problem, das dieser Vertrag aufwirft, ist überaus dunkel; vgl. W.W. Tarn, a.a.O., S. 149 ff.; H. Bengtson, Die Strategie ..., Bd. II, S. 336 ff.; P. Lévêque, Pyrrhos, S. 555. 174 Nach der Überlieferung wird als Zeitpunkt für die Schlacht bei Lysimacheia das Jahr 277 angegeben. E. Manni in: Athenaeum, 1956, S. 251, glaubt beweisen zu können, daß sie im Jahre 278 stattfand. 175 Vgl. die genealogische Tafel auf S. 361 und S. 143. 176 Vgl. M. Chambers, The first regnal year of Antigonos Gonatas, in: A.J.P., 1954, S. 385 ff. 177 S. unten Kap. 5, S. 304. 178 Vgl. P. Lévêque, a.a.O., S. 558 ff., der dem Bericht Plutarchs vielleicht zuviel Glauben schenkt, obwohl dessen Darstellung der Beweggründe der Helden oft eher den Charakter einer psychologischen Rekonstruktionen hat, als daß sie wirklich dokumentarischen Wert besäße. 179 Der Achaiische Bund (oder die Achaiische Eidgenossenschaft), der seit der Zeit des Aratos eine so bedeutsame Rolle in den Angelegenheiten Griechenlands spielen wird (s. unten S. 166 ff.), und dessen Geschichte dank Polybios recht bekannt ist, stellt eine Wiedergründung (um 280) des älteren Bundes dar. Zuerst umfaßte er Patrai, Dyme, Tritaia und Pharai, wuchs aber ziemlich rasch und wurde zu einer politischen Macht, während der ursprüngliche Bund kaum mehr als eine Vereinigung religiösen Charakters gewesen war (vgl. A. Aymard, Le

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Zeus fédéral achaien Hamarios-Homarios. Mélanges Navarre, Toulouse 1935, S. 453– 470), die von Alexander aufgelöst wurde. 180 Den dramatischen Bericht über Pyrrhos’ Tod findet man bei Plutarch, Pyrrhos, 34, 1 ff. 181 Zum Beispiel M. Rostovtzeff, Social and Economic History ..., Kap. IV ›The Balance of Power‹. 182 S. unten Literaturverzeichnis, S. 393. 183 Zur Chronologie der Regierungszeiten in der ptolemaiischen Dynastie vgl. Th. C. Skeat, The Reigns of the Ptolemies, in: Münchener Beiträge ..., 39. Heft. München 1954. 184 Die Chronologie der Regierung des Antigonos Gonatas hat E. Manni kürzlich wieder aufgegriffen; vgl. z.B. Antigono Gonata e Demetrio II. Punti fermi e problemi aperti, in: Athenaeum XXXIV (1956), S. 249–272. Viele chronologische Probleme bleiben für diesen Zeitraum in der Schwebe, und die hier gemachten Angaben spiegeln oft eher ›allgemein anerkannte‹ Hypothesen als Gewißheiten. Allerdings haben die seit Beginn dieses Jahrhunderts erfolgten epigraphischen Entdeckungen viel Aufschlüsse und Präzision gebracht. Man vergleiche beispielsweise die von W.W. Tarn in seinem Hauptwerk über Antigonos Gonatas (erschienen 1913) für richtig befundene Chronologie mit der, die derselbe Verfasser in den C.A.H., VII, Kap. 6 (1. Ausgabe, 1928) aufgestellt hat. S. Anm. 185. 185 Die Chronologie der Seleukiden ist durch ein im Jahre 1954 veröffentlichtes Keilschriftdokument erneuert worden (A.J. Sachs und D.J. Wiseman, A Babylonian king list of the Hellenistic period, in: Iraq XVI (1954), S. 202–212. A. Aymard in: R.E.A. LVII (1955), S. 102–112; E. Manni in: Riv. Filol. Istr. Class. XXXIV (1956), S. 273–278.) 186 Vgl. oben Kap. 1, S. 62 ff. 187 Ptolemaios gab seine Tochter Theoxene (aus seiner ersten Ehe mit Eurydike) dem Agathokles, dessen afrikanische Ambitionen ihm zweifellos nicht unbekannt waren, zur Frau. Vgl. Iustinus, XXIII, 26. 188 Vgl. I.G. XII, 7, 506 = Syll. 3390. Die Inschriftendokumente hat H. Volkmann gesammelt, s. Ptolemaios, R.E. XXIII, 2, Sp. 1628 ff.

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189 Vgl. Theokrit, XVII (Preislied auf Ptolemaios): »Was kann es Schöneres für einen Mann geben, der Reichtümer besitzt, als sich einen ruhmreichen Namen in der Welt zu machen?« (Nach der französischen Übersetzung von E. Legrand.) 190 Zu dem recht komplexen Stand der Frage vgl. den angeführten Artikel von H. Volkmann, S. 1578 ff. 191 Beschreibung von Kallixeinos von Rhodos in Athen, V, 196 a bis 203 b. Der religiöse Charakter dieser Prozession wird von Bouche-Leclerq, Histoire des Lagides. Bd. I, S. 155 ff., der darin nur eine »Maskerade« sehen will, bagatellisiert. 192 Strabon, XVII, 789: »φιλιστορῶν και διὰ τὴν ἀσϑένειαν τοῦ σώµατος διαγωγὰς ἀει τινας και τέρϕεις ζητῶν καινοτέ̟ας«. Dieses oft zitierte Wort Strabons berechtigt nicht dazu, aus Ptolemaios II. einen ›Wüstling‹ zu machen; es scheint eher einen ›Intellektuellen‹ zu beschreiben, im Gegensatz zu den anderen von den Diadochen abstammenden Königen und auch zu seinem eigenen Vater, die vor allem Soldaten geblieben waren. Was übrigens diese Soldatenkönige keineswegs hinderte, mindestens ebenso viele Konkubinen zu haben wie Ptolemaios Philadelphos. 193 Die Verschmelzung von Osiris und Dionysos vollzog sich in dem Gotte Sarapis (oder Serapis), dessen Kult von den ersten Ptolemaiern verbreitet wurde. Vgl. P. Jouguet, Les Premiers Ptolémées, in: Hommages à J. Bidez et à Fr. Cumont. Brüssel o.J., S. 169 ff., der auf das frühere Schrifttum hinweist. 194 Vgl. den Stammbaum auf S. 362. 195 Schol. zu Theokritos, XVII, 128. 196 Vgl. A. Hombert und Cl. Preaux, Mariages consanguins dans l’Egypte romaine, in: Hommages à J. Bidez ... a.a.O., S. 135 bis 142. 197 Über Arsinoë als ›Isis‹ vgl. die bei G.H. Macurdy in Hellenistic Queens ... Baltimore, 1932, S. 125 ff., zusammengetragenen Zeugnisse. Für Isis als Göttin der Seefahrt und ihre entsprechende Ehrung auf Delos vgl. Ph. Bruneau in: Bull. Corr. Hell. LXXXV (1961), Bd. II., S. 435–446; D. Müller in: Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig LIII, 1 (1961) und V.J. Leclant, Fouilles et Travaux en Egypte et au Soudan, in: Orientalia N.S. XXXII, 2 (1963), S. 212. 198 S. oben S. 134. Zur Identifizierung dieser Persönlichkeit vgl. M. Holleaux in: Bull. Corr. Hell. XXVIII (1904), S. 408; ders. in: J.H.S. XLI (1921), S. 183; A. Pridik

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in: Acta et Commentationes Univ. Dorpatensis V (1924); Macurdy, a.a.O., S. 121 ff. 199 Theokritos, XVII, V. 86–92 (nach der Übersetzung von E. Legrand). 200 Die Tatsache dieser Gesandtschaft wird selbst von M. Holleaux in C.A.H. VII, S. 823, zugegeben. Bezeugt wird sie von Titus Livius, Per. XIV, Eutropius, II, 15; Dionysios von Halikarnassos, XX, 14; Dio Cassius, Fr. 41; Justin XVIII, 2, 9; Zonar., VIII, 611 und Valerius Maximus, IV, 3, 9. 201 Er ist wahrscheinlich Ende 320 oder Anfang 319 geboren. Vgl. W.W. Tarn, Antigonos Gonatas, S. 15 f. 202 AELIANUS, V.H. II, 20. 203 Muß man annehmen, daß Ptolemaios Pyrrhos bei seinem Versuch, Makedonien wiederzugewinnen, unterstützt hat? Diese Hypothese vertritt W.W. Tarn, gegen den sich zuletzt P. Lévêque in Pyrrhos, S. 560 f. gewandt hat. Zweifellos war es, wie P. Lévêque bemerkt, für die Lagiden nicht vorteilhaft, daß Makedonien Pyrrhos in die Hände fiel, aber man kann dagegen einwenden, daß wir nicht wissen, welche geheimen Abmachungen zwischen Pyrrhos und Ptolemaios getroffen worden sein mögen. Überdies konnte Arsinoë Pyrrhos als ein Werkzeug betrachten, das sich leicht beseitigen ließ, indem man ihn in irgendein Abenteuer lockte, was auch tatsächlich geschah, vielleicht früher als die Königin gehofft haben mochte. Anti gonos erwies sich auf andere Weise gefährlich, und Arsinoë verfolgte ihn mit ihrem Haß. 204 Der Wortlaut ist erhalten; Syll3, 214. 205 Vgl. dazu die klugen Bemerkungen von W.W. Tarn, Antigonos Gonatas, S. 299 f.: Boiotien und Aitolien beobachteten eine makedonienfreundliche Neutralität, die Garnison des Piräus verbot eine Landung in Attika usw. Über Patroklos vgl. M. Launey, Etudes d’Histoire hellénistique, II, in R.E.A., 1945, S. 32–45. 206 Über den gescheiterten Aufstand des Magas s. oben S. 143 f. 207 Der Zeitpunkt des Sieges vor Kos ist sehr umstritten. Einige verlegen ihn in das Jahr 262/261. Wir wissen, daß die Schlacht mit der Feier der Isthmischen Spiele zusammenfiel. Vgl. H. Bengtson, Griechische Geschichte ... 3. Aufl. München 1965, S. 397 A. 1. 208 Über die romanhaften Umstände, unter denen der alte König (er war etwa 72) Akrokorinth wieder in die Gewalt bekam, indem er auf schamlose Weise die

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Witwe Alexanders ausspielte und sich durch Überrumpelung die Tore der Zitadelle öffnen ließ, vgl. Plutarch, Aratos 17; Polyainos, IV, 6, 1. 209 Vgl. J. Wolski, The decay of the Iranian Empire of the Seleucides and the chronology of the Parthian beginnings, in: Berytus XII (1956/1957), S. 35–52. 210 Der Bericht über diesen Teil des Feldzuges ist in einem Dokument, dem sog. Papyrus von Gurob (Petr. Pap. II, Nr. 45 und III, S. 335–338), enthalten, das zahlreiche Kommentare ausgelöst hat und noch viele Unklarheiten aufweist. Wir folgen der (kühnen) Hypothese von W. Tarn. Es wird auch zugegeben, daß der stark verstümmelte Text von dem König selbst und nicht von seinem Bruder redigiert worden ist. Vgl. Tarn, C.A.H. VII, 1928, S. 716; W. Otto, Beiträge zur Seleukidengeschichte. 1928, S. 49, Anm. 4; H. Bengtson, Griechische Geschichte ... 3. Aufl. München 1965, S. 398 (der zugibt, daß es sich um den König handelt). 211 Eine Inschrift in Adulis, an der afrikanischen Küste des Roten Meeres (O.G.I.S., I, 54), die (wahrscheinlich mit Übertreibungen, denn man weiß nicht einmal, ob es sich um einen amtlichen Text handelt) die flüchtigen Eroberungen Ptolemaios’ III. im seleukidischen Orient erwähnt. 212 Vgl. oben S. 131. 213 S. oben S. 154. 214 Vgl. Polybios, V, 34, 6–9, dessen Hinweise für Thrakien durch das Dekret von Samothrake bestätigt werden (veröffentlicht in: Ath. Mitt. XVIII (1893), S. 346 f. = Michel, 351) 215 S. oben S. 156. 216 Vgl. A. Aymard in R.E.A., 1955, a.a.O. 217 Polybios, IV, 48. 218 Vgl. Skeat, a.a.O., S. 12 und 31. 219 Plutarch, Kleomenes, 33 ff.; Polybios, V, 36–39. 220 Über diese Ereignisse s. Bd. 7. 221 Polybios, II, 37, 1 ff.

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222 Polybios, XX, 4; Plutarch, Aratos, 16. Vgl. R. Flacelière, Les Aitoliens à Delphes, S. 207 f. 223 Zur Geschichte des Inselbundes vgl. A. Guggenmos, Die Geschichte des Nesiotenbundes bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts. Diss. Würzburg 1929. 224 Polybios, X, 22, 2; Plutarch, Philopoimen, 1. 225 Polybios, II, 43, 3. 226 R. Flacelière, Aitoliens ..., S. 227 f., 369 f. 227 Ders. a.a.O., S. 40 ff. (zitiert Euripides, Phoinikerinnen, 138). 228 Vgl. A. Aymard, Les Assemblées de la Confédération Archaienne, S. 133–135 und S. 165 ff. 229 Ders. a.a.O., S. 335 ff. 230 Polybios II, 42, 2 ff. 231 S. oben S. 153. 232 Vgl. F. Ollier, Le philosophe stoïcien Sphaïros, in: R.E.G. XLIX (1936), S. 537. 233 S. Bd. 7 wegen der Rolle, die Blossius von Cumae bei den Gracchen spielte. 234 S. oben S. 162 und Anm. 219. 235 S. unten S. 332 ff. 236 S. oben S. 57 f.; 139 ff. 237 Vgl. zum Beispiel die Revolte der Kolonisten in Baktrien S. 37. 238 Diodorus Siculus, XX, 48; Pausanias (in F.H.G., IV, 469). Antiochia war eine der Hauptstädte der Seleukiden, und zwar die, die sie bevorzugten und auf die sie am Ende beschränkt wurden. Man darf aber nicht vergessen, daß ihre andere Hauptstadt, in die sie sich mehrmals begaben, Babylon gewesen ist. 239 Die anderen Städtegründungen im Lagidenreich, z.B. die Gründung von Berenike Troglodytika (Strabon II, 133; XVI, 770 usw.) am Roten Meer, entspringen dem Wunsche, regelmäßige Verbindungen für den Osthandel zu

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schaffen, indem man ihn von den Abgaben für die Durchreise durch die von arabischen Stämmen besetzten Länder befreite. Auffällig ist, daß die ›Nomen‹ (d.h. die Verwaltungsbezirke) Ägyptens oft dynastische Namen tragen. 240 Berenike (Benghasi) in der Kyrenaika verdankt seinen Namen Ptolemaios III. Euergetes. Ferner in der Kyrenaika Ptolemais (Tolmita) und Arsinoë (das alte Taucheira), in Syrien Ptolemais Ake (St. Jean d’Acre), auf Zypern Arsinoë (Marium). 241 Vgl. L. Robert in: Revue de Philol., 1936, S. 125 (in Laodike am Lykos, einer Stadt, die von Antiochos Theos neu gegründet wurde). Natürlich gilt das gleiche für Milet und die alten Städte. 242 Es handelt sich um eine Papyrussammlung aus Rubbayat-el-Faijum, wo in der Antike Philadelphia gestanden hat. Sie stellte das Archiv eines Karers namens Zenon dar, der Intendant des königlichen Verwalters (Rendant, Dioiketes) Ptolemaios’ II., Apollonios, gewesen war. Die Domäne des Apollonios war eine königliche ›Konzession‹ auf einen Boden, der erst wertvoll gemacht und modernisiert werden sollte. Vgl. M. Rostovtzeff, A large Estate in Egypt in the Third Century B.C. Madison 1922, und Cl. Préaux, Les Grecs en Egypte d’après les archives de Zénon. Brüssel 1947 und unten Anm. 348. 243 Cl. Préaux, L’Economie royale des Lagides. Brüssel 1939, S. 450 ff. 244 Vgl. die bei Cl. Préaux, Economie royale ..., S. 77 und 135 zitierten Texte. 245 Den Text dieser Komödie von Menandros kennen wir erst seit 1957, dank einem Papyrus aus der Sammlung Bodmer; Erstveröffentlichung von V. Martin. Genf 1959. Vgl. die Ausgabe von Jean Martin. Paris 1961. 246 Vgl. R. Martin, L’Urbanisme dans la Grèce antique. Paris 1956, S. 218. 247 Über die Entwicklung des Theaters als Stätte der Repräsentation, der Ausstattung, der Architektur usw. vgl. M. Bieber, The History of the Greek and Roman Theater. Princeton 1939. 248 Vgl. D.M. Robinson, Excavations at Olynthus. Bd. VIII: The Hellenic House (1938); Bd. XII: Domestic and Public Architecture. Eine Zusammenfassung findet man in dem vom Verfasser selbst veröffentlichten Artikel über Olynthus in R.E. Suppl. VII (1940), S. 223–278. 249 Zumindest scheinen um diese Zeit bestimmte Anzeichen darauf hinzuweisen, wie das Interesse, das in den Romanen, die wir besitzen, und die

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zweifellos Überarbeitungen älterer Vorbilder sind, der orientalischen Welt (Babylon, Ägypten und Syrien) entgegengebracht wird. Die uns bekannten griechischen Romane stammen frühestens aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. 250 Wenn es zutrifft, daß einer der wesentlichen Grundsätze ihrer Politik die Sucht nach Ruhm ist; s. oben S. 139 f. 251 Diogenes Laertius, X, gibt nachstehende Zeitfolge an: Geburt 341, Gründung der Schule in Mytilene im Alter von 32 Jahren (also 309) und fünf Jahre später (also 304) Niederlassung in Athen. 252 S. oben S. 56. 253 Vgl. W. Crönert, Die Epikureer in Syrien, in: Jahrbuch des Archäologischen Instituts in Wien X (1907), S. 146. 254 Vgl. oben S. 146 ff. im Zusammenhang mit Aratos von Soloi. 255 Diogenes Laertius, VII, Chrysippos. 256 S. oben S. 159 f. 257 Vgl. die von M.P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion. Bd. II, S. 83–85, zusammengetragenen Fakten. Ferner E. Bickermann, Institutions des Séleucides, S. 151 ff. 258 Der von Chariton von Aphrodisia, Chéréas et Callirhoé, II, 1, ›Epiphanie‹ der Kallirhoë vor Dionysios. Vgl. unten die ›Epiphanien‹ (im Traum) des Sarapis vor dem Priester Apollonios auf einer Inschrift in Delos. 259 Vgl. den berühmten Bericht des Tacitus, Hist. IV, 83, über den Ursprung des Sarapis und die Rolle, die der Eumolpide Timotheos, ein Demeter-Priester in Eleusis, gespielt hat. 260 S. oben S. 141. 261 Bekanntlich zwang in diesem Punkte die Entzifferung des Linears B zu einer Revision der früheren Auffassungen, die aus Dionysos einen Gott machten, der erst zu einem neueren Zeitpunkt in das griechische Pantheon eingeführt worden sei.

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262 Schubart in Amtliche Berichte der Kgl. Kunstsammlungen XXXVIII (1916– 1917), S. 189 f.; P. Roussel, Un édit de Ptolémée Philopator relatif au culte de Dionysos, in: C.R.A.I., 1919, S. 237 ff. 263 Vgl. Plutarch, Kleomenes, 33. 264 S. oben S. 140. 265 P. Roussel, Les cultes égyptiens à Délos, du IIIe au Ie siècle av. J.C., Paris 1916, S. 240 ff. 266 P. Roussel, a.a.O., S. 71 f. Später, in der ›athenischen‹ Epoche (als Delos von den Römern im Jahre 166 in einen Freihafen umgewandelt und den Athenern ›zurückgegeben‹ worden war) wurden die ägyptischen Kulte offiziell und fanden Eingang in die allgemeine Verwaltung der Insel. Roussel, a.a.O., S. 261 f. 267 Vgl. G. Contenau, Manuel d’Archéologie orientale. Bd. IV, S. 2045. 268 E. Otto, Ägypten, der Weg des Pharaonenreiches. Stuttgart 1958, S. 257. PsKallisthenes, I, 1–4. 269 Jetzt sind die verschiedenen Theogamiedarstellungen von H. Brunner bearbeitet worden, der einen Mythos daraus rekonstruieren konnte. S.H. Brunner, Die Geburt des Gottkönigs. Aegyptol. Abhandl. 10. Wiesbaden 1964. 270 Die Reise Alexanders wird von vielen alten Autoren erwähnt: U. Wilcken, Alexanders Zug in die Oase Siwa. Sitzungsberichte der Preuß. Akad. Phil. Hist. Kl., 1928, S. 576 und 1930, S. 159. 271 A. Rowe, New lights on objects belonging to the generals Potasimto and Amasis, in: Annales du Service des Antiquités de l’Egypte 38 (1938), S. 171–173. 272 G. Lefèbvre, Le tombeau de Pétosiris. 3 Bde. Kairo. 1923–1924. 273 Ph. Derchain, Zwei Kapellen des Ptolemäus Soter in Hildesheim. Hildesheim 1961, S. 3–4. 274 E. Drioton und J. Vandier, L’Egypte. 1952, S. 600 f. 275 P. Jouguet, L’impérialisme macédonien et l’hellénisation de l’orient. Paris 1937, S. 391.

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276 S. Morenz, Die ägyptische Literatur und die Umwelt, in: B. Spuler, Handbuch der Orientalistik, I. 2, Ägyptologie, Literatur, 1952, S. 196. 277 Drioton und Vandier, a.a.O., S. 583. 278 S. Sauneron, Le temple d’Esna, perspectives nouvelles sur la religion égyptienne aux second siècle de notre ère, in: Compte-rendus de l’Académie des Inscriptions. Paris 1957, S. 12–14. 279 P. Jouguet, a.a.O., S. 386 f. 280 Ph. Derchain, Le papyrus Salt 825, rituel pour la conservation de la vie en Egypte, (erscheint demnächst), Anm. 83. 281 Siehe Van de Walle, Vergote, Janssen, Traduction des Hieroglyphica d’Horapollon, in: Chronique d’Egypte 18 (1943). 282 S. Sauneron, Les prêtres de l’Egypte ancienne. Paris 1957, S. 41 f. ders., Les conditions d’accès à la fonction sacerdotale à l’époque gréco-romaine, in: Bull. Inst. Fr. Archéol. Or. 61 (1962), S. 55 bis 58. 283 Asclepius, 24. Festugière-Nock, Hermès Trismégiste. Bd. II. Paris 1960, S. 326 f. 284 J. Yoyotte, L’Egypte ancienne et les origines de l’antijudaïsme, in: Bulletin de la société Ernest Renan. N.S. 11. Paris 1962, S. 133 bis 144. 285 S. Sauneron, a.a.O., Anm. 278. 286 W. Spiegelberg, Die demotische Literatur, in: Zeitschrift der deutschen Morgenländischen Gesellschaft 85 (1931), S. 147 f. 287 S. Glanville, The Instructions of Anchsheshonqy. London 1955. 288 A. Volten, Das demotische Weisheitsbuch. Kopenhagen 1941. 289 Übersetzung nach J. Capart, Une sagesse égyptienne d’après le livre récent d’Aksel Volten, in: Bulletin de l’Académie royale de Belgique, 1942, S. 50–82. Zitierter Text: Papyrus Insinger II, 14–20. 290 A. Volten, Die moralische Lehre des demotischen Papyrus Louvre 2414, in: Studi in onore di I. Rosellini Bd. II. Pisa 1955, S. 269 bis 280. 291 W. Spiegelberg, Der Sagenkreis des Königs Petubastis. Leipzig 1910.

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292 B. Stricker, De strijd om de praebende van Amon, in: Oudheidkundige (Medelingen) van het Rijksmuseum von Oudheden. Leiden, 29 (1948), S. 71–83 und 35 (1954), S. 47–64. A. Volten, Der demotische Petubastis-Roman und seine Beziehungen zur griechischen Literatur, in: Akten d. 8. Kongresses f. Papyrologie. Wien 1955, S. 147–152. 293 A. Volten, Ägypter und Amazonen. Wien 1962. 294 F. Griffith, Stories of the High Priests of Memphis, Oxford 1900. 295 S. Morenz, a.a.O., S. 203. 296 R. Remondon, Les antisémites de Memphis, in: Chronique d’Egypte 35 (1960), S. 244–261. 297 Über die Prophezeiung des Neferty s. bei G. Roeder, Altägyptische Märchen. Jena 1926, S. 113 f. 298 W. Spiegelberg, Die sogenannte demotische Chronik. Leipzig 1914, Zitierter Text: II, 18 f. 299 Über das Töpferorakel, Lobel – Roberts, The Oxyrhynchus papyri, XXII, London 1954, S. 89–99. L. Koenen (Köln) kündigt eine neue Analyse dieses Dokumentes an. 300 Dokumente veröffentlicht durch O. Neugebauer, Egyptian planetary texts, in: Transactions of the Amer. Philos. Society N.S. 32/2 (1942) 209–250, S. 11, und Hughes, A Demotic astrological Text, in: Journal of Near Eastern Studies 10 (1951), S. 256 f. 301 Gundel, Dekane und Dekansternbilder. Glückstadt 1936. 302 O. Neugebauer – R. Parker, Egyptian astronomical Texts. Bd. I: The early Decans. Providence 1960. 303 Ph. Derchain, Mythes et dieux lunaires en Egypte, in: La Lune, Mythes et rites, Sources Orientales 5, Paris 1962, S. 31. f. 304 R. Parker, A Vienna Demotic Papyrus on Eclipse and Lunar Omina. 305 G. Daressy hat ein Denkmal dieser Art beschrieben in Recueil de Travaux relatifs à la Philologie et à l’archéologie égyptiennes et assyriennes 23 (1901), S. 126–127.

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Die ägyptische Herkunft dieses Kreises, der mit dem von Martianus Capella beschriebenen Dodekeoros identisch ist, ist von Boll bewiesen worden (Der ostasiatische Tierzyklus im Hellenismus. 1912 = Kleine Schriften zur Sternkunde des Altertums. Leipzig 1950, S. 99 f.). 306 Ph. Derchain, Un manuel de géographie liturgique à Edfou, in: Chronique d’Egypte 37 (1962), S. 31–65. 307 De Mysteriis, VI. 7. 308 P. Salt 825, XVII, 8 f. 309 Über die Träume: S. Sauneron, Les songes et leur interprétation dans l’Egypte ancienne, in: Les songes et leur interprétation, Sources orientales 2. Paris 1959, S. 16–61. – Über die Orakel: J. Cerny, Egyptian Oracles, in: R. Parker, A Saïte Oracle Papyrus from Thebes. Providence 1962, S. 35 f. 310 F. Daumas, Le Sanatorium de Dendara, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 56 (1957), S. 35 f. 311 P. Lacau, Les statues guérisseuses, in: Mémoires Acad. Inscriptions 25, Paris 1922, S. 189–209. 312 A. Gardiner, The House of Life, in: Journal of Egyptian Archeology, 1938, S. 157 f. – A. Volten, Demotische Traumdeutung. Kopenhagen 1942. 313 Über die ägyptische Medizin: H. Grapow, H. von Deines, W. Westendorff, Grundriß der ägyptischen Medizin. 7. Bde. Berlin. 314 E. Drioton, Rapport sur les Fouilles de Médamoud, in: Les Inscriptions, Fouilles de l’Institut Français d’Archéologie Orientale, 1925, (1926), S. 42–44. 315 S. Morenz – D. Müller, Untersuchungen zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Religion, Abhandl. Sächs. Akad. 52, 1 (1960). 316 E. Otto, Zum Gottesbegriff der äg. Spätzeit, in: Forschungen und Fortschritte 39/9 (1961), S. 277–280. 317 S. Morenz – D. Müller, a.a.O., S. 30–31. 318 D. Müller, Ägypten und die griechische Isisaretalogien, in: Abhandl. Sächs. Akad. 53, 1 (1961), S. 74 f.

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319 Über den Gott Sched, H. Bonnet, Reallexikon d. äg. Religionsgeschichte. Berlin 1952, S. 676 f. 320 E. Otto, a.a.O., Anm. 316. 321 Ibid. 322 F. von Bissing, Il culto dei Dioscuri in Egitto, in: Aegyptus 33 Mailand 1953, S. 347 f. und Ph. Derchain, Présence romaine dans l’oasis de Thèbes, in: Bulletin de l’association des classiques de l’Université de Liège, 1955, S. 5. 323 P. Perdrizet, Le mort qui sentait bon, in: Mélanges Bidez, II, Brüssel 1934, S. 719–727. 324 U. Wilcken, Urkunden der Ptolemäerzeit. Bd. I. 1927, S. 25 f. 325 Th. Hopfner, Plutarch über Isis und Osiris, 2 Bde. Prag 1940 bis 1941. 326 Über Bolos findet man die Bibliographie in C. Préaux, Pourquoi n’y eut-il pas de grandes codifications hellénistiques, in: Revue internationale des Droits de l’Antiquité, 3. Reihe, 5 (1958), S. 379, Anm. 47. Hauptsächlich J. Bidez und F. Cumont, Les Mages Hellénisés. Bd. I. Paris 1938, S. 198 f. und Index s.v. Bolos, die stärkeren Nachdruck legten auf die eventuellen iranischen Quellen als auf die ägyptischen Einflüsse, die er erfahren haben kann. 327 Ph. Derchain, L’authenticité de l’inspiration égyptienne du Corpus Hermeticum, in: Revue d’Histoire des Religions. Paris 1962, S. 175–198. 328 Festugiere, La révélation d’Hermès Trismégiste. Bd. I. 1950, S. 224–238. 329 K. Preisendanz, Papyri Graecae Magicae. Leipzig 1928–1939. F. Griffith – H. Thompson, The demotic magical papyrus of London and Leiden. London. 1904–1909. 3 Bde. usw. 330 A.A. Barb, The survival of Magic Arts, in: Momigliano, Paganism and Christianity in the fourth century. 1962, S. 100–125. 331 Ph. Derchain, Die älteste Darstellung des Gekreuzigten auf einer magischen Gemme des 3. Jahrhunderts, Christentum am Nil, Akten der Arbeitstagung zur Ausstellung »Koptische Kunst, Essen, 1962«, S. 108–111. 332 S. Eitrem, Orakel und Mysterien am Ausgang der Antike. Zürich 1947, S. 31– 47.

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333 Stricker, αὐγοεῖες Σῶµα Oudheidekundige Mededeelingen ... 43, Leiden, 1962, S. 13–14. 334 A. Delatte, Ἁκεφαλὸς Θεός in: Bulletin de Correspondance Hellenique, 38 (1914) 189 f. und K. Preisendanz, Akephalos, der kopflose Gott. Beihefte zum »Alten Orient« 8 (1926). S. auch Delatte-Derchain, Les cents intailles magiques. Paris 1964, Kapitel I, Abs. 2. 335 Delatte-Derchain, o.c. Nr. 47. 336 Asclepius, 23–24. Vgl. Anm. 283. 337 Großer Historischer Weltatlas, hg. v. Bayerischen Schulbuchverlag. Bd. I. 3. Aufl. München 1958, Karte 21 a. 338 E. Kornemann in: Vergangenheit und Gegenwart 16 (1926), S. 334. 339 M. Holleaux in: Études d’épigraphie et d’historie greques III (1942), S. 216 ff. 340 Siehe u.a.H. Bengtson, Die Strategie in der hellenistischen Zeit. Bd. I. 1937, S. 184. 341 H. Bengtson, a.a.O., Bd. II. 1944, S. 298 f. 342 Vgl. etwa I Makk. 11 ff. 343 ›Assyrisch‹ ist hier gleichbedeutend mit ›Syrisch‹. 344 Josephus, Antiquitates XI, 325 ff. Vielleicht bezieht sich das auf eine Begegnung zwischen Antiochos III. mit Simon dem Gerechten, vgl. Ant. XII, 138 und G. Moore, Simeon the Righteous, in: Jewish Studies in Memory of I. Abrahams. New York 1927, S. 348 ff. 345 F. Cross, The Discovery of the Samaria Papyri, in: Biblical Archaeologist 26 (1963), S. 118 f. 346 II Makk. 5, 22–6, 2. Die Glosse in 6, 2 »auf Bitten der Ortsbewohner« stammt vom Herausgeber, der die Bittschrift kannte, die in etwas unterschiedlicher Form (mit Zeus Hellenios) auch Josephus, Ant. XII, 258 ff., bekannt war, von der aber Jason anscheinend nichts wußte. 347 J. Freudenthal, Hellenistische Studien. 2 Bde. Breslau 1874/75, Bd. I, S. 99.

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348 Das ergibt sich besonders aus dem Briefwechsel Zenons, eines Agenten des Finanzministers Ptolemaios’ II.; vgl. M. Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Hellenistic World, 3 Bde. Oxford 1941, Bd. III, S. 1376, Anm. 77 und Index unter ›Zenon‹, S. 62. 349 Vgl. O. Eissfeldt, Einleitung in das Alte Testament. 2. Aufl. Tübingen 1956, S. 467, 553, 604, 651 und 668. (Interpolationen in die Propheten, einige Psalmen, das Hohe Lied, Wundergeschichten bei Daniel, spätere Elemente in den Büchern der Chronika.) 350 Pseudo-Hekataios von Milet in T. Reinach, Textes d’auteurs grecs et romains relatifs au Judaïsme. Paris 1895, S. 17 f. kann hier nicht als Beweis verwendet werden. Die Wahl zum Amt des Hohenpriesters, die militärische Tradition der Juden und ihre große Zahl datieren sie in die Makkabäer-Zeit. 351 S.o. Anm. 344. 352 Josephus, Ant. XII, 229 ff.; vgl. P. Lapp, The Second and Third Campaigns at ’Araq el-Emir, in Bulletin of the American Schools of Oriental Research 171 (1963), S. 8 ff., bes. 29 ff. 353 II Makk. 4, 7 ff. gegenüber Josephus, Ant. XII, 237 ff. 354 II Makk. 3, 11; Ant. XII, 240, wo Josephus, Bellum Judaicum I, 32 f. verbessert. Es kann jedoch sein, daß die Söhne Simons für die Ptolemäer waren, und Menelaos und die Tobiaden (außer Hyrkanos) mögen, nach der Überlieferung, auf der Bellum Judaicum I, 32 beruht, für die Seleukiden gewesen sein. Hyrkanos beging beim Anmarsch Antiochos’ IV. Selbstmord (Ant. XII, 236). 355 II Makk. 3, 4 und 4, 23, gegen Ant. XII, 238 f.S.F. Abel, Les Livres des Maccabées. Paris 1949 zu 4, 23. Zum folgenden Bericht vgl. besonders E. Bickerman, Der Gott der Makkabäer. Berlin 1937, S. 69 ff. 356 Menelaos wurde infolgedessen später als Urheber der Unruhen hingerichtet (II Makk. 13, 4; Ant. XII, 384). 357 So E. Bickerman, From Ezra to the Last of the Maccabees. New York 1962, S. 108. 358 I Makk. 2, 45; 7, 24; 9, 73. II Makk. 8, 6. 359 F. Abel, a.a.O., S. 123.

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360 Jerusalem war nicht der einzige Stützpunkt der Hellenisierer. Sie hatten noch nach dem Jahre 150 Festungen im Lande: I Makk. 10, 14; 11, 41 (Eingeborenentruppen s. 10, 12). 361 Zadokiten-Dokument VI-VIII und XX; vgl. Kriegsrolle I. 362 Zadokiten-Dokument III-IV. 363 Hauptsächlich Philo, Apologia, 11, 1 ff. und Quod omnis 75 ff., Josephus, Bellum Judaicum II, 119 ff. und Ant. XVIII, 18 ff. Plinius, Historia naturalis V, XVII, 4 und Hippolytos, Refutatio, IX, 18, 3 ff. 364 Zur Archäologie der Qumran-Gemeinde und Literatur vgl. J. Milik Dix ans de découvertes dans le désert de Juda. Paris 1957, S. 103 ff. 365 Daß sie die ›Frommen‹ (Chassidim ha reschonim) der rabbinischen Literatur waren, ist unwahrscheinlich, denn die beiden Gruppen haben außer der Frömmigkeit nichts gemeinsam. Daher findet sich keine Spur der Chassidim in der rabbinischen Literatur, und daher ist es unwahrscheinlich, daß sie Vorfahren der Pharisäer gewesen sind. 366 I Chr. 9, 10; 24, 7; Neh. 11, 10; 12, 6, 19; G. Hölscher, Levi, in: Paulys RealEncyclopädie 12 (1925), Spalte 2191. Vgl. R. de Vaux, Les Institutions de l’Ancien Testament. 2. Aufl. 2 Bde. Paris 1960/1961, Bd. II, S. 266. 367 I Makk. 3, 10–4, 35; vgl. II Makk. 11, 1–14 und E. Bickerman, From Ezra to the Last of the Maccabees, S. 116 ff. 368 I Makk. 5, 2, 9, 13 usw.; II Makk. 12, 31 369 I Makk. 5; II Makk. 10, 15 ff.; 12, 1 ff. sind offensichtlich übertrieben und verworren, im Grunde aber glaubwürdig. 370 Alkimos ist vielleicht schon von Lysias ernannt worden, so II Makk. 14, 3, 7; Ant. XII, 387, vgl. I Makk. 7, 5, 9 (5 ist mehrdeutig, und 9 kann sich auf eine Erneuerung der Ernennung beziehen). Die frühe Geschichte seiner Amtszeit als Hoherpriester ist dunkel. Mit I Makk. 7 und II Makk. 14 vgl. E. Bickerman, From Ezra ..., S. 127 ff., und M. Noth, Geschichte Israels, 4. Aufl. Göttingen 1959, S. 334. 371 Man beachte ihre Namen, Jason und Eupolemos. Den letzten hat J. Freudenthal, Hellenistische Studien. Bd. II, S. 165, überzeugend als den Geschichtsschreiber identifiziert, von dessen griechischen Werken mehrere Fragmente erhalten sind.

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372 Der lulab (thyrsos) war Nehemia unbekannt (8, 15 nur Zweige für Hütten) und erscheint in einem Anhang zu dem Priestermaterial, Lev. 23, 40. Er ist wahrscheinlich ein Zeichen hellenistischen Einflusses. 373 Über die Bedeutung dieses griechischen Brauches s.E. Bickerman, From Ezra ..., S. 120 ff. 374 S. Lieberman, Hellenism in Jewish Palestine. 2. Aufl. New York 1962, S. 20 ff. 375 Nicht nur Chanukka (25 Kislev, die Säuberung des Tempels), aber auch der Rückzug Antiochos’ V. (28. Schevat), die Niederlage Nikanors (13. Adar) und die Einnahme der Zitadelle (23. Iyyar). S. ferner Megillat Ta’anit, hg. v. S. Zeitlin in The Jewish Quarterly Review 1919–1920, S. 49 ff. 376 Esther und Mordechai waren Sirach unbekannt, der Mordechai-Tag wird aber in II Makk. 15, 36 erwähnt. 377 Vgl. z.B. Bellum Judaicum I, 110 f. mit Ant. XIII, 405 ff. Zusätze findet man in Ant. XIII, 288 f., 400 ff. usw. Die ›Bestätigungen‹ dieser Behauptungen in der rabbinischen Literatur stellen ein Wunschdenken dar, keine historische Überlieferung. 378 Daß Salome ursprünglich beliebt war, weil sie fromm war, sich an die alten jüdischen Sitten hielt und die Regierung von ausschweifenden Menschen säuberte (Bellum Judaicum I, 107), besagt nicht, daß die pharisäische Säuberung und das gesetzgeberische Programm ihrer späteren Jahre ebenfalls beliebt gewesen wären. Alexanders Ratgeber hatten sich wahrscheinlich bei vielen Gruppen außer den Pharisäern verhaßt gemacht, und Frömmigkeit darf nicht mit Pharisäertum gleichgesetzt werden. 379 Megillat Ta’anit 1 und 4 f.; Mischnah Makkot 1, 6; Mischnah Yadayim 4, 6 f. usw. 380 Kommentar zu Nahum 2, 12 a. Daß dies die Pharisäer sind, geht aus Ant. XIII, 403 ff. hervor. Vgl. auch XIII, 292 und 372. 381 XIX 94–100. Autor? Siehe E. Schwartz, RE, s.v. Diodoros 38. 382 Agatharchides § 88. 383 A. Kammerer, Pétra et la Nabatène. Texte, Paris 1929, Atlas, Paris 1930. Zur Geschichte, Texte, S. 116–258.

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384 Vgl. Werner Caskel, Lihyan und Lihyanisch (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss., Heft 4, Abh.), Köln u. Opladen 1954, S. 33. Auch das Folgende beruht auf dieser Schrift, soweit sie nicht durch eine bessere Einsicht in die Geschichte Nordarabiens und daher eine neue Chronologie überholt ist. 385 In der Hierodulenliste von Ma’in, s. unten und Anm. 395. 386 Lies mit W.F. Albright, Dedan, Sonderdruck aus Geschichte und Altes Testament (Beiträge zur historischen Theologie 16), 65 Tlmy statt Thmy. 387 Werner Caskel, Lihyan und Lihyanisch (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein- Westfalen, Geisteswiss., Heft 4, Abh.) Köln u. Opladen 1954, Nr. 55. Boneschi, RSO, XXVI, 151 liest statt Gusham: Mushimm. Von dem dritten König (soweit sie bekannt sind) an verwenden die Lihyan eine Ära mit Zahlen von 1–35. Das ergibt sich aus den Inschriften 30 und 32, die beide von demselben Schreiber und den gleichen Auftraggebern herrühren, die ein Gelübde ihres Vaters erfüllen. Versuchte man sie nämlich gegen den klaren Wortlaut des Textes als nach Regierungsjahren (29 und 35) datiert aufzufassen, so lägen die beiden mindestens 36 Jahre auseinander (!). Die Ära ist wohl ihre eigene, im Zeitalter der syrischen Städte-Ären nichts Besonderes. 388 Androsthenes bei E. in Strabon XVI, III, 2–3 (c. 766), ebenda Aristobul. Die Fahrt euphrataufwärts bis Thapsakos (unterhalb von ar-Raqqa) erscheint etwas zweifelhaft. Denn selbst stromabwärts ist die Schiffsreise außerordentlich schwierig. S. Viaggi di C. Federici e G. Balbi alle Indie Orientali a cura de Olga Pinto, (Il nuovo Ramusio IV), Roma 1962, S. 3 f., 74–84, Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und die Knittelverse des Ausgräbers von Babylon, Robert Koldewey: Hin nach Ane, hin nach Ane Will ich mit dem Euphratkahne Wo die Palmeninsel fließt Wo die Schiffahrt meistens alle Bei dem scharfen Wasserfalle ... Gab es etwa Schlitten, auf denen die Fahrzeuge um die schwierigen Stellen gebracht wurden? 389 Agatharchides § 102, 87; der erste ein Einschub (nicht weil er bei Diodor fehlt), der zweite ein ›on dit‹. 390 Inzwischen hat sich der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft vollzogen. Zu den in Bd. 5, S. 381 und Anm. 146 gegebenen Formeln kommt nun:

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nebst dem, was er aus seinen Händen dazufügte, nämlich Geld. Bei Répertoire d’épigraphie sémitique publié par la Commission du CIS, t. V-VII, rédigés par G. Ryckmans (in den folgenden Anmerkungen als R zitiert), 3022, s. gleich unten, hat man den Eindruck, daß nur die alte Form beibehalten sei. 391 ’Abr Nahran. Philologus 86 (1931), 336. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß in allen Reisenotizen die Reihenfolge Ägypten, Ghazza und gegebenenfalls Syrien ist. 392 Die Polemik steckt in den Worten: als (die Götter) ’Attar ..., Wadd und Nukrāḥ sie samt ihrem Hab und Gut mitten aus Ägypten bin wasat Miṣr retteten, die keine örtliche, sondern religiöse Bedeutung haben. 393 So zuerst J. Pirenne, Paléographie des inscriptions sud-Arabes ..., t.I ... (Verh. knkl. vlaamse Ac .... van Belgie, Kl. d. Letteren, nr. 26). Bruxelles 1956, S. 212 ff. 394 Strabon XI, IX, 2; XI, XIV, 15 (c. 515; 531); Altheim-Stiehl, Die Araber in der alten Welt, Bd. I. Berlin 1963, S. 75 f. 395 S. zuletzt J. Pirenne, Paléographie des inscriptions sud-Arabes ..., t.I ... (Verh. knkl. vlaamse Ac .... van Belgie, Kl. d. Letteren, nr. 26), Bruxelles, 1956, S. 212 und Anm. 4, 5, und J. Ryckmans, Les ›Hierodulenlisten‹ de Ma’īn et la colonisation Minéenne. Scrinium Lovaniense. Louvain 1961. 396 Pirenne, a.a.O., S. 194; A. Jamme, Sabaean Inscriptions from Maḥram Bilqîs (Mârib). Publications of the American Foundation for the Study of Man, ed. by. W.F. Albright ( ... III). Baltimore 1962, S. 558 u. 629. 397 Ein Ansatz für die Datierung; denn im September endet die relativ große Regenzeit, s.A.F.L. Beeston, Epigraphic South Arabian Calendars and Dating, London 1956, S. 19. 398 Athlula, Athlula (Dion) zu einer Nebenform Athlul = Yathlul? 399 S. die Karte in B. Moritz, Arabien. 1923. 400 Der Hafen trägt nur scheinbar denselben Namen wie die Station im Binnenland. 401 Der Minister wurde später ein Opfer seiner Intrigen in Rom. Strabons Versuche, ihn des Verrats zu beschuldigen, um Aelius Gallus zu decken, sind unglaubwürdig. Trotzdem ist ihm vorzuwerfen, daß er die Dauer und die Strapazen des Marsches gehörig vermehrt hat, weil er Yathrib/Medina, neben

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Dedan die größte Oase Westarabiens, auf dem Hinweg umging (natürlich auch auf dem Rückweg, aber das war belanglos). Er wollte offenbar den Römern den Einblick in die wirtschaftlichen und militärischen Möglichkeiten der Weihrauchstraße verwehren. 402 Periplus ed. Frisk, § 23. Dazu J.H. Mordtmann und E. Mittwoch, Sabäische Inschriften (Rathjens – v. Wissmansche Südarabien-Reise, Bd. 1), Hamburg 1931, 4. 403 Mahmud ’Ali Ghul, New Qatabani inscriptions, BSOAS XXII (1959), S. 8–9. Van Lessen 1, 1 gehört nicht zu 1 (Pirenne). 404 Mahmud ’Ali Ghul, New Qatabani incriptions – II, BSOAS XXII (1959), S. 430 zu R 2999. 405 R 311; J. Pirenne, Le royaume sud-Arabe de Qatabān et sa Datation ... avec contribution de † André Maricq (Bibliothèque du Muséon, vol. 48), Louvain 1961, Pl. IX b. 406 A.F.L. Beeston, Qahtan ... I: The Mercantile Code of Qatabān. Leiden 1959. 407 Strabon XVI, IV, 2. 3. (c. 768). 408 H. Schlobies, Hellenistisch-römische Denkmäler in Südarabien, in: Forsch, u. Fortschr. 10 (1934), S. 242 f. Vgl. J. Pirenne, Le royaume sud-Arabe de Qatabān et sa Datation ... avec contribution de † André Maricq (Bibliothèque du Muséon, vol. 48). Louvain 1961, S. 138 ff. 409 B. Segall, J. Ternbach, Howard Comfort in R. LeBaron Bowen und Frank P. Albright, Archaeological Discoveries in South Arabia, Baltimore 1958, S. 155–181, 199–209. Pirenne, Syria XXXVIII (1961), S. 284–310. 410 Wendell Phillips, Kataba und Saba. FrankfurtMain 1955, S. 281 bis 283. R. LeBaron Bowen und Frank P. Albright, Archaeological Discoveries in South Arabia, Baltimore 1958, S. 141. 411 T. Livius, VII, 29, 1 (Jahr 343 v. Chr.): Samnitium bellum ancipiti Marte gestum Pyrrhus hostis, Pyrrhum Poeni secuti. 412 Man weiß, daß nach Polybios, III, 22, 4–13, der erste Vertrag zwischen Rom und Karthago genau vom Jahre 509 datiert. Dieses Datum ist von den modernen Autoren oft in Frage gestellt worden, und zwar um so bereitwilliger, als die konsularischen Angaben des Polybios (das Konsulat des Brutus und des

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Horatius) berechtigtes Mißtrauen einflößen. Doch man muß darauf verzichten, diesen ersten Vertrag, die Grundlage aller späteren diplomatischen Beziehungen zwischen Rom und Karthago, in die Zeit nach 348 zu verlegen. Dies ist das Datum des ›zweiten Vertrags‹, der nichts anderes zu sein scheint als eine Revision des ersten. Vgl. A. Aymard, Les deux premiers traités entre Rome et Carthage, in: R.E.A. LIX (1957), S. 277–293. 413 S. oben S. 127. 414 T. Livius, VI, 38, 2. Karthago schickt im Jahre 343 offizielle Glückwünsche und weiht eine Goldkrone in der cella des Jupiter Optimus Maximus. Ins Jahr 306 fällt die dritte ›Erneuerung‹ des Vertrages. Abgesandte Karthagos kommen eigens zu diesem Zweck nach Rom (T. Livius, IX, 43, 26). Vielleicht ist es der Vertrag von 306, dessen Text von Polybios, III, 24, 1, wiedergegeben wird. 415 Diese Klausel erklärt sich zweifellos durch den Mangel an Münzgeld und die Notwendigkeit, eine Kontrolle über die Tauschgeschäfte auszuüben, wie auch durch den Wunsch, Zölle oder eine Umsatzsteuer zu erheben. 416 Im punischen Sizilien machte der Gebrauch des von den Griechen seit langem eingeführten Geldes die Einschaltung eines Schatzbeamten überflüssig. 417 Polybios, III, 24, 11 ff. 418 Durch Vergleich mit T. Livius, IX, 43, 26, der in dieses Jahr die dritte Erneuerung des Vertrages datiert. 419 S oben S. 72. 420 S. oben S. 71. 421 Dies ist das in der berühmten Unterredung zwischen Pyrrhos und Kineas dargelegte Programm (Plutarch, Pyrrhos 14, 4 ff.). Pyrrhos selbst spielt hier auf Agathokles an (der sein Schwiegervater war, oder vielmehr gewesen war; s. oben S. 62). Vgl. P. Lévêque, Pyrrhos, S. 262 ff. 422 422 Plutarch, a.a.O. 15, 2. P. Lévêque, a.a.O., S. 296. 423 P. Lévêque, a.a.O., S. 345 ff. 424 Plutarch, Pyrrhos 22, 1–3.

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425 Polybios, III, 25, 1–5. Wir folgen hier der von P. Lévêque, a.a.O.S. 416 ff. gegebenen Interpretation. 426 Dies schließen wir zumindest aus Lucretius, V, 1226 f. 427 Plutarch, Pyrrhos 25 f. 428 Über seine spätere Laufbahn, über die Wiedergewinnung Makedoniens sowie Antigonos Gonatas und die Expedition Spartas vgl. oben S. 134 f. 429 Zonar. VIII, 6, 13. 430 S. oben S. 146 und Anm. 203. 431 S. oben S. 77. 432 Polybios, I, 7, 1 f. 433 Polybios, ebend. 9 f.; T. Livius, Per., XV. Valerius Maximus II, 7, 15. 434 Geboren gegen 307/306. H. Berve, Hieron, in: Abhd. Bayr. Akad. Wiss., Phil. Hist. Klasse, N.F. 47 (1959), S. 7 ff. Er übernahm die Macht gegen 275. 435 Polybios, I, 10 und 11. 436 Im Jahre 265. T. Livius, Per. XVI. 437 Vgl. F. Münzer, Römische Adelsparteien und Adelsfamilien, Stuttgart 1920, S. 57 ff. 438 T. Livius, Per., XI; Velleius Paterculus I, 14, 7. 439 Cassius Dio, XI, 11; Zonar. 8, 9. 440 Polybios I, 20, 1–7. 441 Polybios I, 22. V. Tarn nimmt an, daß diese Taktik von Gonatas nachgeahmt wurde, als er zwei Jahre später die Flotte der Lagiden besiegte (Schlacht bei Kos; vgl. oben S. 152). 442 Sie wurde durch Aufstellung einer Rostrumsäule auf dem Forum gefeiert. Diese trug eine Inschrift, deren Text (vielleicht) auf uns gelangt ist, vgl. C.I.L. VI, 31591; I2, 193, XI.

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443 S. oben S. 75 f. 444 Polybios, I, 32, 1 ff. 445 Beschreibung der Schlacht in Polybios, I, 34. 446 Polybios, I, 37. 447 Polybios, I, 39. 448 Polybios, I, 52 ff. 449 Polybios, I, 65 ff. 450 Zonar. VIII, 18. 451 Polybios, II, 21. 452 S. oben S. 177. 453 Die grundlegende Studie bleibt die von J. Carcopino, La loi d’Hiéron et les Romains. Paris 1919. 454 S. oben S. 177. 455 Die Frage wird gestellt vor allem von T. Frank, An economic Hostory of Rome. 2. revidierte Ausgabe. New York 1962, S. 91 ff. 456 Traditionsgemäß werden die ›großen Männer‹ des 3. Jahrhunderts als kleine Landgutbesitzer, die ihren Boden selbst bewirtschaften, dargestellt. So M. Curius Dentatus, der Held des Krieges gegen Pyrrhos; degleichen M. Attilius Regulus. Doch man kennt bereits große Landgüter wie das des L. Postumius Megillus zu Beginn des 3. Jahrhunderts (Den. Hal. XVII, 4, 3). 457 T. Livius, XXI, 63, 2. Vgl. Polybios, III, 217. 458 S. oben S. 106. 459 Scullard, Roman Politics. Oxford 1951, S. 11. 460 Scullard, a.a.O., S. 9, Anm. 5.

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461 Scullard, a.a.O., S. 12. 462 Vgl. oben S. 94, 463 Polybios, VI, 14, 16: »das Volk ist der Ursprung aller Ehre und jedes Amtes; es kann allein die Gesetze annehmen oder verwerfen; es berät über Frieden und Krieg ... Die Tribunen haben das Recht, sich jeder Entscheidung der Senatoren zu widersetzen ...« 464 Vgl. schließlich H. Fugier, Recherches sur l’expression du sacré dans la langue latine. Paris 1963, S. 168 ff. 465 T. Livius, VII, 10. 466 G. Dumézil, Remarque sur ›augur, augustus‹, in: R.E.L. XXXV (1957), S. 143 ff. 467 Cicero, De Natura Deorum, I, 44, 122: sacris pontifices, auspiciis augures praesunt. 468 S. oben S. 103. 469 Dion. Hal. IV, 62. 470 T. Livius, VI, 37, 12. 471 Plinius, Naturalis Historia, XXXIV, 26; Cicero, De Amicitia, 42 Plutarch, Numa, 8. Es ist wahr, daß Pythagoras diese Ehre aus ziemlich dunklen Gründen mit Alkibiades teilt. Vgl. J. Carcopino, Basil Pyth., S. 279 u. Anm. 7; J. Gagé, Apollon romain, S. 225 u. Anm. 1. 472 Die wesentlichste Studie über diesen Kult ist die von J. Bayet, Les origines de l’Hercule romain. Paris 1926. Man kann hinzunehmen die Beobachtungen von J. Carcopino, Les origines pythagoriciennes de l’Hercule romain, in: Aspects mystiques de la Rome païenne. Paris 1942, S. 173–206. 473 J. Carcopino, a.a.O., S. 205–206. 474 Im Jahre 293, s. oben S. 127. 475 T. Livius, X, 33, 9. 476 Siehe die Darstellung von P. Boyancé, Fides et le serment, in: Hommages à Albert Grenier. Brüssel 1962, S. 329–341. Ders., Les Romains, peuple de la fides, in: Lettres d’Humanité XXIII (1964), s. 419–435.

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477 Der Herausgeber dieses Bandes erlaubt sich, wegen dieser verschiedenen Punkte auf seine Arbeit Le Siècle des Scipions, Paris 1953, S. 21 ff., hinzuweisen. 478 Vgl. oben S. 125. 479 T. Livius, VII, 2, 1. Über den Gegenstand dieser satura vgl. P. Boyancé, Apropos de la Satura dramatique, in: R.E.A., 1932, S. 11 bis 25. 480 Vgl. Dion. Hal. I, 72, 2 (Zitat Hellanicos), und P. Grimal, Le Siècle des Scipions, S. 17, Anm. 11 u. 12; S. 28 ff. 481 Polybios, II, 1, 5. Doch vgl. Appian., Hannibal 2 u. 3; Iber. 4 u. 5; Zonar. VIII, 17. Der Punkt ist nicht ohne Bedeutung für die Bedingungen, unter denen der Zweite Punische Krieg begann. Die juristische Situation war offenbar verschieden, je nachdem, ob es sich um ein mehr privates Abkommen handelte, oder um einen Vertrag, der beide Völker verpflichtete. Die Divergenz zwischen den Quellen rührt wahrscheinlich aus Zeugnissen her, die gegen Karthago gerichtet waren. Doch dies alles bleibt weitgehend Vermutung. 482 Vgl. Polybios, III, 11. 483 Strabon, III, 2, 14; Diodorus Siculus, XXV, 9–10. Vgl. St. Gsell, Histoire ancienne de l’Afrique du Nord. Bd. III, S. 134. 484 Polybios, II, 36, 2. 485 S. oben S. 314. 486 Polybios, II, 13; T. Livius, XXI, 2, 7 usw. 487 J. Carcopino, Les Etapes de l’Imperialisme romain, Paris o.J. (1961), S. 19–67 (vgl. R.E.A. LV [1953], S. 258–293). 488 S. oben S. 153. 489 Polybios, II, 8, 1 ff. Der gleiche Polybios erzählt, wie die Illyrer Phoinike durch Verrat und dank der Beihilfe keltischer Söldner besetzt hatten. Kürzlich ist diese Darstellung, die auf der Schilderung des Polybios beruht, in Frage gestellt worden nach Appian., Illyr., 6. Der wahre Grund für die Intervention in Illyrien war die Belagerung von Issa, einer mit Rom verbündeten Stadt. Vgl. G. Walser, in: Historia II (1953), S. 308–318.

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490 Polybios, II, 12, 4. 491 Polybios, II, 12, 8. 492 S. oben S. 314. 493 S. oben S. 117. Polybios selbst, II, 22, 1, sagt, daß der Ausdruck »der für Sold kämpft« bedeutet. 494 Plutarch, Marcellus 3–4. 495 Das Opfer wurde, wie wir wissen, nach Cannae erneuert (s. unten S. 345); im Jahre 216 wäre die Opferung eines Griechen und einer Griechin angesichts der sich bereits abzeichnenden makedonischen Bedrohung verständlicher als im Jahre 226 (vgl. P. Grimal, Le Siècle des Scipions, S. 71). Doch man darf aus der Nationalität der Opfer keine allzu weitgehenden politischen Schlußfolgerungen ziehen. Wenn dieser Ritus, wie man annehmen kann, etruskischen Ursprungs ist, dann stand er dort in Relation zu einem wesentlich anderen und viel archaischeren Stand der internationalen Beziehungen, den man näher erklären müßte. Vgl. J. Gagé, Apollon romain, S. 246 ff. 496 Polybios, III, 15, 7; 30, 1. 497 T. Livius, XXI, 4–17. 498 Zu diesem Problem vgl. oben S. 332. 499 Das beweist ihre Opposition gegen das claudische Plebiszit. S. oben S. 318. 500 T. Livius, XXI, 16. 501 T. Livius, XXII, 9, 2. 502 Polybios, III, 87, 4–5. 503 Vgl. A. Piganiol, Hannibal chez les Péligniens, R.E.A., 1920, S. 22 ff. 504 T. Livius, XXII, 10, 7–11. 505 T. Livius, XII, 61, 11–12. Tarent und Metapont, die Titus Livius als in diesem Augenblick für Rom verloren bezeichnet, gingen erst viel später zu Hannibal über. Vgl. unten S. 347.

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506 T. Livius, XXIII, 24, 6. 507 T. Livius, XXIII, 33, 10. 508 T. Livius, XXIV, 2, 7 ff. 509 Vgl. E.W. Davis, Hannibal’s Roman Campaign of 211 B. C, in: The Phoenix XIII (1959), S. 113–120. 510 T. Livius, XXVI, 18, 1 ff. 511 Zu dem Vertrag von 212 vgl. G. Klaffenbach, Der römisch-ätolische Bündnisvertrag vom Jahre 211 v. Chr., S.D.A.W., Klasse für Sprache ..., Berlin 1954. Vgl. J.P.V.D. Balsdon, Rome and Macedon, in: J.R.S. XLIV (1954), S. 30 ff.; Walbank, Philip V; E. Badian, Aetolica, in: Latomus XVII (1958), S. 197–211 (der den Vertrag in das Jahr 211 datiert). 512 T. Livius, XXVIII, 45, 13 ff. 513 Der Senat beunruhigte sich übrigens darüber. Er schickte nach der Besetzung von Lokroi durch einen Legaten des Scipio namens Pleminius, der sich dort sehr schlecht aufführte, eine Untersuchungskommission nach Sizilien. 514 T. Livius, XXX, 18, 1 ff. 515 Hierher gehört die romantische Episode der Sophonisbe. Sie war eine Tochter des Hasdrubal und wurde mit Syphax verheiratet, nachdem sie, wie man uns berichtet, mit Massinissa verlobt gewesen war. Als dieser sie nach der Gefangennahme von Syphax wiederfand, konnte er seiner Liebe nicht widerstehen und heiratete sie. Scipio gebot ihm, diese Ehe, deren politische Konsequenzen er fürchtete, rückgängig zu machen. Massinissa schickte der schönen Sophonisbe einen Giftbecher, um ihr die Demütigung, Sklavin der Römer zu werden, zu ersparen. 516 Es gibt zwei Städte mit dem Namen Zama in Tunesien. Man schwankt noch zwischen beiden bei der Lokalisierung der Schlacht, die dem Zweiten Punischen Krieg ein Ende machte. Vgl. L. Déroche. Les fouilles de Ksar Zammel et la question de Zama, in: Mél. Ec. Fr. (1948), S. 55–104. 517 T. Livius, XXX, 45, 1–7. Literaturverzeichnis

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I. Die Quellen A. Hellenistische Geschichte Für den Zeitabschnitt unmittelbar nach dem Tode Alexanders und die Zeit der Diadochen ganz allgemein sind die Arbeiten der zeitgenössischen Historiker verlorengegangen, vor allem die des Hieronymos von Kardia, der mit Eumenes befreundet war und dessen Geschichte vom Beginn der Alexandereroberung bis zu Pyrrhos’ Tod gereicht zu haben scheint, und die des Phylarchos. Sie sind jedoch von späteren Historikern benutzt worden, besonders von Polybios, dem sie als Quelle für die Ereignisse dienen, die nicht in seine eigene Zeit fielen (s.u.), und von Plutarch, dessen Lebensbeschreibungen (von Eumenes, Phokion, Demetrios, Pyrrhos, Aratos, Agis, Kleomenes) uns eine Fülle wertvoller Einzelheiten überliefert haben. Die Fragmente der verlorengegangenen Historiker hat F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker. Berlin-Leyden 1923 ff. gesammelt und kommentiert. Für die Geschichte des abendländischen Hellenismus war das Werk des Timaios von Tauromenion eine häufig verwendete Quelle neben dem des Duris von Samos, eines Freundes von Theophrastos und Geschichtsschreibers von Agathokles. Vgl. die bei F. Jacoby, a.a.O. gesammelten Fragmente. Sehr viel später, aber auf den Primärquellen fußend, sind die ›Geschichten‹ Diodors von Sizilien, des Arrian, der von Iustin zusammengestellten Epitome aus dem verlorengegangenen Werk des Pompeius Trogus (Historiae Philippicae), Hinweise bei Cornelius Nepos, Pausanias, Quintus Curtius Rufus, Appian in den verschiedenen (mehr oder weniger vollständig übersetzten) Büchern seiner Römischen Geschichte (Syrica, Illyrica usw.), bei Josephus in den Jüdischen Altertümern (Antiquitates) usw. B. Geschichte Roms Hier sind die Primärquellen in noch größerem Umfange verschollen als für die hellenistische Geschichte. Die Annalen der Pontifices waren bei der Einnahme Roms durch die Gallier 387 verbrannt worden. Man hat daraus – ein wenig voreilig – geschlossen, daß die gesamte Überlieferung, die sich auf die vorangegangenen Jahrhunderte bezieht, nur eine wertlose Rekonstruktion sei. Die römischen Geschichtsschreiber, die gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. zu schreiben begannen, haben ihre Arbeit auf Überlieferungen innerhalb der römischen Geschlechter (gentes) und vielleicht auch auf eine mündlich überlieferte Literatur gestützt. Doch das ganze Problem bleibt recht dunkel. Praktisch ist die ergiebigste Quelle das Werk des Titus Livius, das zur Zeit des Augustus entstanden ist und teilweise (zwischen 293 v. Chr. und dem Beginn des Hannibal-Krieges und für die Zeit nach 167) verlorengegangen ist. Titus Livius stützt sich für die Frühgeschichte auf die Annalisten und für die Zeit der

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Punischen Kriege und die Ereignisse im Orient auf Polybios, einen Griechen aus Megalopolis, der nach der Schlacht bei Pydna als Geisel nach Rom kam und dort enge Beziehungen zu den Scipionen unterhielt. Sein teilweise erhaltenes Geschichtswerk stellt ein unmittelbares Zeugnis des römischen politischen Lebens in der Mitte des 2. Jahrhunderts dar. Die sekundären antiken Quellen bleiben hier noch Diodor von Sizilien, Appian und Plutarch, zu denen noch die Geschichte des römischen Altertums (Antiquitates Romanae) des Dionysios von Halikarnaß kommt. C. Hilfsquellen Die Inschriften, Papyri und Münzen helfen uns, die großen Lücken der literarischen Geschichtsquellen zu schließen. Wir erwähnen hier als Arbeiten, die den Zugang dazu verschaffen, nur folgende Werke: Dittenberger, W. Sylloge Inscriptionum Graecarum. 3. Aufl. 4 Bde. Leipzig 1915– 1921 Dittenberger, W. Orientis Graeci Inscriptiones selectae. 2 Bde. Leipzig 1903–1905 Michel, Ch. Recueil d’inscriptions grecques. Paris 1900, Suppl. Paris (1912–1927) Für Rom gibt die Inschriftenkunde im Hinblick auf den Zeitabschnitt, der uns beschäftigt, nur unbedeutende Auskünfte. Die Papyri sind vor allem wertvoll für unsere Kenntnis der Einzelheiten des Alltagslebens, der Verwaltung und der Wirtschaft im lagidischen Ägypten. Man lese zunächst: Mitteis, H. und Wilcken, U. Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde. 4 Bde. Leipzig-Berlin 1912 Préaux, Cl. Les Grecs en Egypte d’après des archives de Zénon. Brüssel 1947 Rostovtzeff, M. A large estate in Egypt in the Third Century B.C. Madison 1922 Schnebel, M. Die Landwirtschaft im hellenistischen Ägypten, in: Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 7. München 1925 Der Beitrag der Numismatik ist viel schwerer zu definieren. Sie bringt vor allem Hinweise auf die Chronologie und daneben auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Man unterrichtet sich zweckmäßigerweise bei: Head, V.B. Historia Nummorum. A Manual to Greek Numismatic. 2. Aufl. Oxford 1911 Seltmann, Ch. Th. Greek Coins. A History of Metallic Currency and Coinage down to the Fall of the Hellenistic Kingdom. 2. Aufl. London 1955 Mattingly, H. Roman Coins from the Earliest Times to the Fall of the Western Empire. London 1928

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Sydenham, E.A. The Coinage of the Roman Republic. London 1952

II. Allgemeine Arbeiten Wir können hier unter den zahllosen Arbeiten über die politische Geschichte des behandelten Zeitabschnittes nur eine sehr beschränkte Auswahl treffen. Jedes der angeführten Werke enthält eine umfangreiche Bibliographie, deren Abdruck zweifellos überflüssig ist. Cassola, F. I gruppi politici romani nel III secolo A.C. Neapel 1962 Bengtson, H. Einführung in die alte Geschichte. 4. Aufl. München 1962 ders., Griechische Geschichte. 3. Aufl. München 1965 Bury, J.B., Cook, S.A., Adcock, F.E. und Charlesworth, M.P. The Cambridge Ancient History. 12 Bde. Cambridge 1924 ff. Für die Zeit, die uns hier interessiert, vergleiche man Bd. VI, VII und VIII Glotz, G. Histoire Générale, von der uns die Bände Glotz, G., Cohen, R. und Roussel, P. Histoire greque. IV, 1, Paris 1945 Pais, E. und Bayet, J. Histoire romaine. Bd. I. Paris 1940 unmittelbar interessieren. Roussel, P. und Cloche, P. La Grèce et l’Orient, des guerres médiques à la conquête romaine. Paris 1938 Jouguet, P. L’impérialisme macédonien et l’hellénisation de l’Orient. Paris 1961 Cohen, R. La Grèce et l’hellénisation du monde antique. 3. Aufl. Paris 1948 Ferguson, W.S. Hellenistic Athens. London 1911 Effenterre, H. Van. La Crète de Platon à Polybe. Paris 1948 Paribeni, R. Storia di Roma. Bd. I: Le origini e il periodo regio. La Reppublica fino alla conquista del primato in Italia. Rom 1954 Giannelli, G. Storia di Roma. Bd. II: Roma nell’età delle guerre puniche. Rom 1938 Vogt, J. und Kornemann, E. Römische Geschichte. 3. Aufl. Leipzig-Berlin 1933 Vogt, J. Die Römische Republik. 4. Aufl. Freiburg im Breisgau 1959 Kornemann, E. Römische Geschichte. Bd. I: Die Zeit der Republik. 5. Aufl. Stuttgart 1964 ders., Weltgeschichte des Mittelmeerraumes von Philipp II. von Makedonien bis Muhammed. 2 Bde. München 1948/49 Piganiol, A. Histoire de Rome. 5. Aufl. Paris 1962 ders., La conquête romaine. Paris 1949 Altheim, F. Römische Geschichte. Bd. I: Bis zur Schlacht bei Pydna. 2. Aufl. Berlin 1956 de Sanctis, G. Storia dei Romani. Bd. I. La conquista del primato in Italia. 2. Aufl. Florenz 1956; Bd. IV, 2. Vita e pensiero nell’età delle grande conquiste; dal diritto quiritario al diritto pretorio. Florenz 1959

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Neben der politischen Geschichte erwähnen wir Werke, die allgemeine oder spezielle Fragen der Kulturgeschichte (Verwaltung, Institutionen, Geistesgeschichte, Religion usw.) behandeln: Ehrenberg, V. Der Staat der Griechen. Bd. II: Der hellenistische Staat. Leipzig 1958 Bengtson, H. Die Strategie in der hellenistischen Zeit I-III, in: Münchener Beitr. zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 26, 32, 36. München 1937, 1944 u. 1952 (Neudruck von Bd. I und II, 1964) Bickerman, E. Les Institutions des Séleucides. Paris 1938 Bouche-Leclercq, A. Histoire des Lagides. 4 Bde. Paris 1903 ff. ders., Histoire des Séleucides. Paris 1913 Préaux, Cl. Les villes hellénistiques. Leurs institutions administratives et judiciaires. La Ville. Recueils Jean Bodin VI. Brüssel 1954, S. 69–134 Pohlenz, M. Griechische Freiheit. Wesen und Werden eines Lebensideals. Heidelberg 1955 Zancan, P. Il monarcato ellenistico nei suoi elementi federativi. Padua 1934 Aymard, A. L’Orient et la Grèce (Histoire des Civilisations). Paris 1953 ders., Rome et son Empire (Histoire des Civilisations). Paris 1955 Hammond, H. City-State and World-State in Greek and Roman political theory until Augustus. München 1955 Mahaffy, J.P. Greek Life and Thought from the death of Alexander to the Roman Conquest. 2. Aufl. London 1896 Tarn, W.W. Hellenistic Civilisation. 3. Aufl. London 1952 Hadas, M. Hellenistic Culture. Fusion and Diffusion. New York 1959 (Deutsche Ausgabe: Hellenistische Kultur. Werden und Wirkung. Stuttgart 1963) Jaeger, W. Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, 3. Aufl. Berlin 1954 Marrou, H.I. Histoire de l’Education dans l’Antiquité. 2. Aufl. Paris 1950 (Deutsche Ausgabe: Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum. Freiburg i. Br. 1956) Nilsson, M.P. Die hellenistische Schule. München 1955 ders., Geschichte der griechischen Religion. Bd. II: Die hellenistische und römische Zeit. 2. Aufl. München 1961 Altheim, F. Alexander und Asien. Tübingen 1953 Gatti, C. Gli dei fra i mortali. Mailand 1956 Reitzenstein, R. und H. Schaeder. Studien zum antiken Synkretismus aus Iran und Griechenland. Berlin-Leipzig 1928 Roussel, P. Les cultes égyptiens à Délos, du IIIe au Ie siècle av. J.C. Paris 1916 Lavedan, P. Histoire de l’urbanisme. Bd. I: Antiquité. Moyen Age. Paris 1926 Lehmann-Hartleben, R. Städtebau, in: Pauly-Wissowa, Real-Enclycl. der class. Altertumswissenschaft. Gerkan, A.v. Griechische Städteanlagen. Berlin-Leipzig 1924 Martin, R. Recherches sur l’Agora grecque. Paris 1951

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ders., L’urbanisme dans la Grèce antique. Paris 1956 Rostovtzeff, M.I. Die hellenistische Welt. Gesellschaft und Wirtschaft. 3 Bde. Stuttgart 1955/56 Launey, M. Recherches sur les armées hellénistiques. 2 Bde. Paris 1949/50 Schmid, W. und O. Stählin. Geschichte der griechischen Literatur. 4 Bde. München 1920–1933 Legrand, P.E. La poésie alexandrine. Paris 1924 Wilamowitz-Moellendorff, U.v. Hellenistische Dichtung in der Zeit von Kallimachos. 2 Bde. Leipzig 1924 Schanz, M. und C. Hosius, Geschichte der römischen Literatur. 5 Bde. München 1914–1935 Grenier, A. Les religions étrusque et romaine. Paris 1948 Wissowa, G. Religion und Kultus der Römer. 2. Aufl. München 1912 Pallottino, M. Die Etrusker. Frankfurt 1965 Latte, K. Römische Religionsgeschichte. München 1960 Bayet, J. Histoire politique et psychologique de la religion romaine. Paris 1957

III. Einzelne Länder

A. Ägypten Bell, H.J. Egypt from Alexander the Great to the Arab Conquest. Oxford 1948 Bevan, E.R. A History of Egypt under the Ptolemaic Dynasty. London 1927 Milne, J.G. A History of Egypt under Roman Rule. 3. Aufl. London 1924 Otto, E. Ägypten. Der Weg des Pharaonenreiches. Stuttgart 1958 Otto, W. und H. Bengtson. Zur Geschichte des Niederganges des Ptolemäerreiches. Ein Beitrag zur Regierungszeit des 8. und 9. Ptolemäers. München 1938 Vandier, J. und E. Drioton. L’Egypte. 3. Aufl. Paris 1952 (= Les Peuples de l’Orient méditerranéen. Bd. 2) B. Syrien Ausgrabungen von Dura-Europos: F. Cumont, Fouilles de Doura-Europos (1922–23), Paris 1926; The excavations at Dura-Europos, Preliminary reports, ed. by M.I. Rostovtzeff, A.R. Bel linger, C.B. Welles u.a., bisher 9 Bde. New Haven 1929–46, dazu die Final reports, bisher 8 Teile; besonders wichtig davon Band V, 1, die Pergamenturkunden und die Papyri aus Dura enthaltend (New Haven 1959)

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Bengtson, H. Die Strategie in der hellenistischen Zeit. Ein Beitrag zum antiken Staatsrecht. Bd. II. 1944. Neudruck 1964 Eissfeldt, O. Tempel und Kulte syrischer Städte in hellenistisch-römischer Zeit. Leipzig 1941 (= Der Alte Orient, Bd. 40) Rostovtzeff, M. The social and economic History of the Hellenistic world. 3 Bde. Oxford 1941 (2. Aufl. 1959), jetzt in deutscher Übersetzung: Die hellenistische Welt. Gesellschaft und Wirtschaft. 3 Bde. Stuttgart 1955/56 (übersetzt von G. und E. Bayer), dazu H. Bengtson, Histor. Zeitschrift 185 (1958), S. 88 ff. C. Palästina Bickerman, E. Der Gott der Makkabäer. Berlin 1937 Eissfeldt, O. Einleitung in das Alte Testament. 2. Aufl. Tübingen 1956 Noth, M. Geschichte Israels. 4. Aufl. Göttingen 1959 Schürer, E. Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. 3–4. Aufl. 3 Bde. Leipzig 1901–09 de Vaux, R. Les Institutions de l’Ancien Testament. 2. Aufl. 2 Bde. Paris 1960/61 D. Mesopotamien Für eine allgemeine Übersicht über die Geschichte Mesopotamiens sei auf die klassischen Werke, vor allem: Bouché-Leclercq, A. Histoire des Séleucides. 2 Bde. Paris 1913 Bickerman, E. Les Institutions des Séleucides. Paris 1938 und auf die einschlägigen Kapitel der Bände VII, VIII und IX der Cambridge Ancient History hingewiesen. Die gesamten Dokumente sind bei Rostovtzeff, M. The social and economic History of the Hellenistic World. 3 Bde. 2. Aufl. Oxford 1959 analysiert. Die wichtigste Bibliographie der Keilschrifttexte befindet sich bei: Rutten, M. Contrats de l’époque séleucide conservés au Musée du Louvre, in: Babyloniaca XV. Paris 1938.

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Zur Geschichte Uruks unter den Seleukiden vgl. die Serie: Vorläufige Berichte über die von dem Deutschen Archäologischen Institut ... unternommenen Ausgrabungen in Uruk-Warka, vor allem den Bericht über die 18. Ausgrabungskampagne: UVB von Heinrich J. Lenzen. Berlin 1962, ferner: Aymard, A. Une ville de la Babylonie séleucide d’après les contracts cunéiformes, in: Revue des Études anciennes (RÉA) XL (1938), S. 5–42 Goossens, G. Au déclin de la civilisation babylonienne, Ourouk sous les Séleucides, in: Bulletin de la classe des lettres, Académie royale de Belgique V, 27 (1941), S. 222–244 North, R. Status of the Warka excavations, in: Orientalia XXVI (1957), S. 185–256 Svend A. Pallis, A history of Babylon from 538 to 93 B.C., in: Mélanges Pedersen, S. 275–294 Wetzel, F., Schmidt, E. und Mallwitz, A. Das Babylon der Spätzeit. 62. Wissenschaftl. Veröff. d. Deutschen Orient. Gesellsch. (WVDOG). Berlin 1957 Zur Kulturgeschichte (insbesondere zur Wissenschaftsgeschichte) und zur Geschichte der Zivilisation: Schmidt, E. Die Griechen in Babylon und das Weiterleben ihrer Kultur, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts LVI (1941), S. 786–844 Neugebauer, O. The exact sciences in antiquity. Brown University 1957 ders., Astronomical cuneiform texts. Princeton 1955 Sachs, A.J. Babylonian horoscopes, in: Journal of cuneiform studies VI (1952), S. 49–75 ders., Late Babylonian astronomical and related texts. Brown University 1955 Lambert, W.G. Ancestors, authors, and canonicity, in: Journal of cuneiform studies XI (1957), S. 1–14 und 111 ders., A catalogue of texts and authors, in: Journal of cuneiform studies XVI (1962), S. 59–77 Zur Chronologie: Sachs, A.J. und Wiseman, D.J. A Babylonian King list of the Hellenistic period, in: Iraq XVI (1954), S. 202–211 Aymard, A. Du nouveau sur la chronologie des Séleucides, in: Revue des Études anciennes LVII (1955), S. 102–112 Zur Geographie: Dilleman, L. Haute Mésopotamie orientale et pays adjacents. Contribution à la géographie historique de la région du 5è siècle avant l’ère chrétienne au 6è siècle de cette ère. Paris 1962

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Neuere Artikel: Oates, D. und J. Nimrud 1957: the Hellenistic settlement, in: Iraq XX (1958), S. 114–157 Jenkins, G.K. Hellenistic coins of Nimrud, in: Iraq XX (1958), S. 158–168 Sollberger, E. Graeco-Babyloniaca (textes babyloniens en caractères grecs), in: Iraq XXIV (1962), S. 63–72 Meier, Chr. Ein griechischer Ehrendekret vom Gareus Tempel in Uruk, in: Baghdader Mitteilungen I (1960), S. 104–114 Vgl. auch den archäologischen Bericht im Archiv für Orientforschung XIX (1962), S. 200/201 und XX (1963), S. 219/220 anläßlich der Ausgrabungen auf der Insel Failaka im Persischen Golf. E. Arabien Ghul, Mahmud ’Ali. New Qatabani inscriptions, BSOAS, XXII (1959), 1–22, II. 319–38 Philips, W. Kataba und Saba. Frankfurt/Main 1955 Caskel, W. Lihyan und Lihyanisch (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss., Heft 4, Abh.). Köln u. Opladen 1954 Mordtmann, J.H. und E. Mittwoch. Sabäische Inschriften (Rathjens – v. Wissmannsche Südarabien-Reise, Bd. 1). Hamburg 1931 Nami, Kh. Y. Les monuments de Ma’in ..., Etude ... des 19 inscriptions ... publiées par ... M. Tawfik (arabisch; Publ. de l’Inst. Franç. d’Arch. orientale du Caire, Etudes sud-arabiques, t. II). Le Caire 1952 Pirenne, J. Le royaume sud-Arabe de Qataban et sa Datation ... avec contribution de André Maricq (Bibliothèque du Muséon, vol. 48). Louvain 1961 Kammerer, A. Pétra et la Nabatène. Texte, Paris 1929; Atlas, Paris 1930 Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen

 1 Ptolemaios I. Soter: Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen  2 Seleukos I. Nikator: Museo Nazionale, Neapel; Foto Anderson, Rom  3 Die Mittelmeerwelt im 3. Jahrhundert v. Chr.: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Grimal  4 Griechische Frauenstatue, gefunden in Karthago: Musée du Bardo, Tunis

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 5 Etrusker: Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen  6 Apollon von Veji: Museo di Villa Giulia, Rom; Foto Deutsches Archäologisches Institut, Rom  7 Rom: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Grimal  8 Servianische Mauer in Rom: Fototeca Unione, Rom  9 Mars von Todi: Museo Vaticano, Rom; Foto Alinari, Rom  10 Hallstatt-Schwert aus dem Fürstengrab von Oss: Rijksmuseum van Oudheden te Leiden  11 Mischkrug von Vix: Foto Presses Universitaires de France, Paris  12 Via Appia Antiqua: Fototeca Unione, Rom  13 Der sterbende Gallier: Museo Capitolino, Rom; Foto Alinari, Rom  14 Pyrrhos von Epeiros: Museo Nazionale, Neapel  15 Seleukidischer Kriegselefant: Louvre, Paris; Foto Giraudon, Paris  16 Nike von Samothrake: Louvre, Paris; Foto Marburg  17 Die Bestrafung des Eros: Museo Nazionale, Neapel  18 Paris als Hirte: Museo Nazionale, Neapel  19 Ägypten: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Grimal  20 Ruinen des Sanatoriums von Denderah: Foto Prof. Ph. Derchain, Straßburg  21 Der Stier von Medamud: nach E. Drioton, Medamoud, les inscriptions. Kairo 1926, S. 43 (Institut Français d’Archéologie Orientale, Kairo)  22 Ptolemaios VI. Philometor: Bibliothèque Nationale, Paris (Cabinet des Médailles)  23 Arabien: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Caskel

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 24 Hannibal: Museo Nazionale, Neapel; Foto Alinari, Rom  25 Italien und Griechenland im 3. Jahrhundert v. Chr.: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Grimal  26 Marcus Claudius Marcellus: Museo Capitolino, Rom; Foto Alinari, Rom

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