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Markus Rieksmeier Erklärungsnotstand Altersvorsorge
Markus Rieksmeier
Erklärungsnotstand Altersvorsorge Warum selbst Experten versagen – eine Diagnose mit Therapievorschlägen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Guido Notthoff Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-8349-0756-1
Kaspar Hauser: eine wahre Geschichte – und eine unwahre?
„Danksagung Besonderer Dank an geht an Imke und JJ. Beide können nur erahnen, warum!
Ich danke meinem verstorbenen Freund und Kollegen Jürgen Hauser für die Inspiration zu diesem Buch und meinem Lektor aus dem Hause Gabler: Herrn Guido Notthoff.
Und Euch danke ich auch und besonders: Denny, Kiven, und Frank“
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Kaspar Hauser: eine wahre Geschichte – und eine unwahre?
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Vorwort Doof geborn’ is keiner ... Begonnen habe ich im Dezember 2005. Ich hatte den Drang, einen „Experten“ zu vergiften1, der sich der organisierten Verbreitung von Finanziellem Analphabetismus in einem besonders schweren Fall verdächtig gemacht hat: Der mutwilligen Ausschaltung seines Verstandes und der Nicht-Anwendung zumutbarer Analyse-Instrumente: Taschenrechnern! Mehr dazu im Kapitel „Experten“. Mit dem medizinischen Laser „beleuchtet“ zeigt sich: Dementer Finanzieller Analphabetismus2 ist eine infektiöse Krankheit! Mit Ausdehnung meiner Recherchen sezierte ich viele geistige Finanzleichen und kam zu dem Schluss: Finanzieller Analphabetismus ist ein weit verbreiteter Virus – ansteckend. Sind die Leute alle doof? Nein, aber sie können nicht wirklich mit Geld umgehen. Weil der Umgang mit Geld zugleich die verständige Verwendung des Gehirns vermittels einfacher Grundrechenarten oder manchmal die Anwendung eines Taschenrechners voraussetzt. Und: Weil der Umgang mit Geld nach Lehrern und Ratgebern verlangt, die den Umgang mit einem Taschenrechner gewohnt sind. Und nach Menschen, die einer V E R S T Ä N D L I C H E N Sprache mächtig sind und die sich ihrer auch bedienen. Wir alle haben in der Schule das Rechnen gelernt. Wir alle rechnen jeden Tag mehr oder weniger viel: Ganz normale Menschen rechnen Aufmaße von Küchenzeilen, Bestellungen, Budgets. Rechnen? Wir tun es täglich. Wir können es. In fremder Sache. Aber warum können wir ineigenerSache mit Geld und Vorsorge nicht umgehen? Warum tun wir es nicht? Und wenn wir es tun – warum tun wir es schlecht? Wir alle! Über die Gründe und über die Befähigungen, mehr noch über die Motive, der Beteiligten wird zu reden sein. Menschen, die eigentlich rechnen können, es aber in einem der wichtigsten Lebensbereiche, der Eigen- und der Altersvorsorge nicht oder nicht rechtzeitig tun, die haben sich ZURÜCK entwickelt. Der Bildungs- und Informationsstand der Deutschen zum Sparen? Meine Diagnose lautet deshalb: Dementer Finanzieller Analphabetismus. Der Begriff „Finanzieller Analphabetismus“ wurde im Jahre 2004 „populär“, als die Bertelsmann Stiftung die Ergebnisse ihrer Studie zum Thema Geld, Sparen und Altersvorsor-
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Frei nach Umberto Eco in der „Nachschrift“ zu „Der Name der Rose“: „Begonnen habe ich im März 1978, getrieben von einer vagen Idee: Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften. Ich glaube, Romane entstehen aus solchen Ideenkeimen, der Rest ist Fruchtfleisch, das man nach und nach ansetzt." Dementer Finanzieller Analphabetismus: Der Mensch konnte mal rechnen, hat es aber wieder „verlernt“ und die Rechenfähigkeit entwickelt sich gegen Null zurück.
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Vorwort
ge veröffentlichte. Der Titel der Studie beschreibt ihr Ergebnis: „Finanzieller Analphabetismus in Deutschland“. Die Stiftung hat Recht, ihr Befund ist pathologisch, also krankhaft, begründet. Hier wird die Krankengeschichte dazu erzählt und deshalb untersuche ich neben den „Verbrauchern“ und den Akteuren der Finanzindustrie die bedeutsamen gesellschaftlichen Gruppen: Also die, die sich ihrer Verantwortung trotz ihres Einflusses auf die Gesellschaft durch Tun und Unterlassen entziehen. Vor allem durch UNTERLASSEN! Davon wird hier zu reden sein und davon wie die, die wissen wie es nicht geht, dazu angetrieben werden, beim Verstehen und beim Sparen zu helfen. Ich folge dem ärztlichem Grundsatz: Keine Diagnose ohne Anamnese und Untersuchung. Wenn also der Leser von Geld-Artikeln in Zeitungen und Magazinen zum „Laser“ würde, ja wenn, dann wäre es so einfach wie dramatisch: Wer heute 2.000 Euro netto nach Hause bringt, der braucht in 30 Jahren und bei zwei Prozent Inflation 3.600 Euro netto, um seinen Lebensstandard halten zu können. Kein Problem, schließlich steigen die Gehälter pro Jahr um etwa zwei Prozent. Und wenn es in 30 Jahren kein Gehalt mehr gibt, sondern Rente? Dann fließen knapp 1.000 Euro aus der Rentenkasse. Dieser geringe Betrag führt zu einer dramatischen Beeinträchtigung vitaler3 Altersversorgungsfunktionen, weil jeden Monat (lebenslang!) 2.600 Euro fehlen. Damit uns allen das klar wird: Diese Rechnung bezieht sich auf einen ganz normalen Normalverdiener (Steuern sind hier noch unberücksichtigt!). Und da Finanzieller Analphabetismus wegen der Isolationshaft des Themas Geld vom normalen Leben eine ganz besondere psychologische Komponente beinhaltet, habe ich mir überlegt, wie ein Mensch, der ohne Geldverständnis in einer Geldwelt aufgewachsen ist, ein moderner Kaspar Hauser, sich durchs Leben schlägt, bevor oder nachdem er Adam Riese trifft – jener Kaspar Hauser in uns allen? Adam Riese? Ja, eigentlich Adam Ries. Er ist den meisten bekannt als der Begründer des modernen, volksnahen Rechnens. Adam Riese hat das erste deutsche Rechenbuch geschrieben. In diesem Buch ist er Psychiater, der Mut macht, der finanzielle Traumata aufarbeitet, Fratzenmonster herbeiruft und wegschickt. Viel Aufschluss und viel Vergnügen wünscht der Autor mit dieser Gegenwehr gegen den Dementen Finanziellen Analphabetismus. ... doof wird man gemacht.
Markus Rieksmeier Hamburg, im Februar 2010
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Lebenswichtiger.
Kaspar Hauser: eine wahre Geschichte – und eine unwahre?
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Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................................... 7 Kapitel1...........................................................................................................................................11 1.1 1.2 1.3
Kaspar Hauser: eine wahre Geschichte – und eine unwahre? ................................ 11 Erster Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ............................................. 12 Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens ................................................................ 13
Kapitel2...........................................................................................................................................30 2.1 2.2 2.3
Kaspar Hauser – Fortsetzung....................................................................................... 30 Zweiter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese.......................................... 31 Finanzieller Analphabetismus in Deutschland ......................................................... 31
Kapitel3...........................................................................................................................................45 3.1 3.2 3.3
Kaspar Hauser - Fortsetzung ....................................................................................... 45 Dritter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese............................................ 46 Schule und Beruf ............................................................................................................ 46
Kapitel4...........................................................................................................................................55 4.1 4.2 4.3
Kaspar Hauser - Fortsetzung ....................................................................................... 55 Vierter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ........................................... 56 Verbraucherschützer ..................................................................................................... 56
Kapitel5...........................................................................................................................................72 5.1 5.2 5.3
Kaspar Hauser - Fortsetzung ....................................................................................... 72 Fünfter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese .......................................... 73 Halt‘ die Presse!.............................................................................................................. 73
Kapitel6...........................................................................................................................................82 6.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung ....................................................................................... 82
10
6.2 6.3
Inhaltsverzeichnis
Sechster Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ......................................... 83 Experten .......................................................................................................................... 83
Kapitel7.........................................................................................................................................102 7.1 7.2 7.3
Kaspar Hauser - Fortsetzung ..................................................................................... 102 Siebter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ......................................... 103 Altersvorsorge macht Schule ..................................................................................... 103
Kapitel8.........................................................................................................................................118 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Kaspar Hauser - Fortsetzung ..................................................................................... 118 Achter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ......................................... 120 Eigenvorsorge............................................................................................................... 120 Kaspar Hauser - Fortsetzung ..................................................................................... 137 Neunter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ....................................... 140 Lösungen der Finanzindustrie ................................................................................... 140
Kapitel9.........................................................................................................................................157 9.1 9.2 9.3
Kaspar Hauser – Fortsetzung und Schluss .............................................................. 157 Zehnter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese ....................................... 167 Gesellschaftliche Lösungen ........................................................................................ 167
Kapitel10.......................................................................................................................................186 Die letzten Sparschritte: Kaspar Hauser gegen Adam Riese .................................................. 186 Literatur- und Quellenhinweise .................................................................................................. 188 Der Autor ........................................................................................................................................ 189
Kaspar Hauser: eine wahre Geschichte – und eine unwahre?
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Kapitel1 1.1
Kaspar Hauser: eine wahre Geschichte – und eine unwahre?
Gesichert ist: im Jahr 1828 ... ... fand man in Nürnberg einen verwahrlosten Jungen. Sprechen konnte er fast gar nicht. Zwei Briefe fand man bei dem Halbwüchsigen. Auf der Polizeiwache konnte er nur mit Mühe seinen Namen schreiben: „Kaspar Hauser“. Außerdem konnte er zwei Sätze sagen: „Wois net“ und „So ein Reiter möchte’ ich werden wie mein Vater“. In einem der beiden Briefe wurde „Kaspar“ ebenfalls genannt. Der zweite Brief, später „Mägdeleinbrief“ genannt, nannte ein Geburtsdatum 1812. An Kaspar Hauser, der in ein Gefängnis kam, hatten plötzlich Gelehrte großes Interesse. Sie führten viele Untersuchungen mit ihm durch. Hauser bekam auch Sprechunterricht. Später bewies Hauser ausgeprägte musische und schriftstellerische Begabungen. Texte und Zeichnungen sind erhalten. In historischen Dokumenten wird beschrieben, dass Hauser sich zunächst vor Fleisch und Milch ekelte und extrem licht- und geräuschempfindlich war. Hausers Sinnesorgane waren überempfindlich, und seine Muskeln hatten sich nicht vollkommen entwickelt. Man war sich schnell einig, dass das Kind eine lange kerkerartige Gefangenschaft hinter sich hatte – ohne Licht, ohne Außengeräusche... Dieser Kaspar Hauser endete tragisch, er starb an den Folgen eines Mordanschlags.
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Kapitel 1
Eine Fiktion? Im Januar des Jahres 2009... ... wurde vor der Geschäftsstelle der Deutschen Rentenversicherung (früher besser bekannt als BfA) in Mannheim ein offenbar orientierungsloser Mann aufgegriffen, der dort tagelang stumm und völlig verwahrlost umhergeirrt war. Auf Ansprache durch herbeigerufene Polizisten reagierte er nicht. Er konnte nur sagen „Weiß nicht“ und „So ein reicher Mann wie mein Vater möchte ich auch gerne werden“. In seiner Hand hielt der Mann zwei Briefe. Der eine Brief war an den Finanzberater Franz Rater adressiert und enthielt das später behördlicherseits entschlüsselte Wort „Altersvorsorge“. Der andere Brief, auf dem stand „Renteninformation“. Dieser Brief, von der Presse inzwischen auch „Blümleinbrief“ genannt, gab als Geburtsdatum den 01.07.1972 an. Nach kurzer Zeit gelang es einem Innendienstangestellten der Polizei, das Dokument zuzuordnen, da er privat selbst über ähnliche Briefe verfügte. Um jedoch die Bedeutung dieses Dokuments zu klären, zog die Polizei drei Wochen Wartezeit später auch einen sogenannten „Rentenberater“ hinzu. Die „SoKo Altersvorsorge“ war begründet und man machte sich an die Ermittlung der Zusammenhänge zwischen dem jämmerlichen Zustand des aufgegriffenen Mannes und den Wörtern „Rente“ und „Renteninformation“.
1.2
Erster Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
Heute ist der erste Tag des Sparens, der 1. Januar 2009: Adam Riese nimmt einen 100-Euro-Schein aus seinem Geldbeutel und bringt ihn zur Bank. Die Bank bietet ihm an, diesen Betrag mit 5 Prozent zu verzinsen. Nach Abgeltungsteuer, 25 Prozent des jährlichen Zinsertrags, kommt er auf 3,75 Prozent Nettoverzinsung. Damit rechnet er weiter: Wenn Adam Riese das mit den 100 Euro jeden Monat macht, dann hat er nach einem Jahr 1.224 Euro. 100 Euro im Monat zu sparen, tut eigentlich nur im ersten Monat weh. Riese spart: 100 Euro – Monat für Monat. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen, sieht das mit den 100 Euro im Monat zwar ein, macht aber wegen lächerlicher 24 Euro Zins (im Jahr!) keinen Aufstand. Er lädt Adam Riese, und sich auch, zu einem Bier ein und haut den Rest auf den Kopf – Prost! Das Leben ist lang – zum Sparen ist genug Zeit. Bis zur Rente sind es noch 35 Jahre.
Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
1.3
Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
1.3.1
„Kaufverbot oder Nichtkäuferschutz? Die Gefahren des Passivkaufens!“
13
Die Geldgefahr durch Passivkaufen ist in Läden, Diskotheken, Kneipen und Restaurants laut einer neuen Studie weit größer als bislang bekannt. Dort wurde Geldstaub von mehr als 1.000 Mikrogramm je Kubikmeter Luft gemessen - im Freien gilt ein Grenzwert von nur 50 Mikrogramm. Bei der Untersuchung in Diskotheken und Läden fand das bayerische Landesamt für Geldund Kaufsicherheit Geldstaubwerte von mehr als 1.000 Mikrogramm je Kubikmeter Luft. Laut dem Bericht der Bild am Sonntag fanden sich auch in Kneipen (220 Mikrogramm) und Restaurants (200 Mikrogramm) stark erhöhte Werte. GasmaskenimLaden ,,Zum Schutz ihrer Geld-Gesundheit müssten Mitarbeiter eigentlich mit Gasmaske und Schutzanzug arbeiten‘‘, sagte Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Kaufforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Bei den von den bayerischen Experten gemessenen Geldstaubwerten bestünde für die Beschäftigten ein erhöhtes Risiko von Kauf- sowie Geldwegserkrankungen. Bei Menschen mit empfindlichen Geldwegen könne sogar schon ein einmaliger Ladenbesuch eine Verengung der Geldwege auslösen. Der Präsident der Bundeskäuferkammer, Jörg-Dietrich Hoppe, verwies auf geltende Grenzwerte in der Industrie: ,,Kein Industriebetrieb könnte es sich leisten, seine Mitarbeiter ungeschützt solchen Schadstoffkonzentrationen auszusetzen.“ ,,Was die Geldqualität angeht, sind Diskotheken wahre Giftküchen‘‘, sagte auch der bayerische Gesundheitsminister Werner Schnappauf (CSU). Die Zahlen seien ein unübersehbares Signal für die Notwendigkeit eines weit reichenden und konsequenten Nichtkäuferschutzes in Gaststätten und Läden.“ Die Länder beraten auf einem Gipfel am kommenden Freitag in Hannover über geeignete Regelungen. Die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) forderte die Gesundheitsminister der Länder vor ihrem Gipfel am Freitag auf, den Weg für strikte Kaufverbote in der Gastronomie freizumachen: ,,Die Länder sind in der Pflicht. Wir können uns in Deutschland nicht weiter erlauben, die Gefahren des Passivkaufens zu ignorieren.“ Weitgehenden Ausnahmeregeln und freiwilligen Lösungen erteilte Bätzing eine Absage. Nur mit Gesetzen sei etwas zu erreichen. Die Angst der Verkäufer vor Umsatzeinbußen hält Bätzing unter Verweis auf andere Länder für unbegründet. Nach Einschätzung der niedersächsischen Wirtschaftsministerin und Vorsitzenden der Länder-Arbeitsgruppe zum Nichtkäuferschutz, Mechthild Ross-Luttmann, sind die Chancen auf einen wirksamen Nichtkäuferschutz in Gaststätten und Läden stark gestiegen.
14
Kapitel 1
Zwar sei eine Einigung auf ein bundeseinheitliches Kaufverbot nicht zu erwarten. Es sei aber kein Beinbruch, wenn es beim Kaufverbot in den Ländern zu unterschiedlichen Regelungen komme. Heftige Diskussion um Kaufverbot in Autos. Im Vorfeld des Nichtkäufergipfels regte die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing außerdem an, das Kaufverbot auch auf Privatautos auszuweiten. Sie stieß damit jedoch auch in ihrer eigenen Partei auf Widerstand. Es werde gerade geprüft, ob und wie es möglich sei, das Kaufen aus Autos und beim Autofahren selbst zu verbieten, sagte Bätzing dem Kurier am Sonntag. Zwar würde dies einen Eingriff in die Privatsphäre bedeuten, doch müsse man sich fragen, ob Verkehrssicherheit und wirtschaftlicher Schutz nicht höher zu bewerten seien. Die SPD-Politikerin sagte, wer etwa mit Kindern im Auto unterwegs sei und kaufe, handele verantwortungslos: ,,Im Inneren des Fahrzeugs ist die Gesundheitsgefahr durch Kaufqual schließlich um ein Vielfaches höher als in anderen Bereichen.“ Der Sprecher von Verkehrsminister Tiefensee (SPD), Dirk Inger, widersprach Bätzing. „Es muss nicht alles durch Verbote geregelt werden, vor allem, wenn es um den privaten Bereich geht“, erklärte Inger. Es käme schließlich auch niemand auf die Idee, ein Kaufverbot in Privatwohnungen zu erlassen. Ebenso lehnte der bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber den Vorschlag ab. ,,Es darf keine generelle Kampagne gegen Käufer geben‘‘, sagte der CSU-Politiker. ZudemvorstehendenText:DaswareinWortspiel! 4
Sie lasen soeben einem Text zum Passivrauchen, bei dem der Autor im Wesentlichen die Begriffe „Rauchen“ mit „Kaufen“ und „Gesundheit“ mit „Geld“ getauscht hat. Mit „Gesundheit“ könnte dabei auch „Finanzielle Gesundheit“ gemeint sein, der aber verbreiteter finanzieller Analphabetismus entgegen steht – wie wir noch sehen werden. Beim Rauchen sind sich fast alle einig – das Passivrauchen muss unterbunden werden. Und beim Kaufen?
1.3.2
Die Anamnese5 der Gelddummheit
Hier wird nicht über die Überschuldeten und die Hoffnungslosen berichtet, die auf den Intensivstationen der Schuldnerberatungen liegen und die die Bonitätsfriedhöfe der SCHUFA6 vergrößern. Hier wird über die berichtet, die etwas für sich und ihre Zukunft tun können, die ihre Chancen aber nicht sehen wollen oder können. Hier wird über die berichtet, die ihre Eigenverantwortung nicht erkennen und erst recht nicht anerkennen wollen.
4
Den Originalbeitrag zum Thema „Passivrauchen“ finden Sie im Anhang.
5
Krankengeschichte.
6
Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung.
Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
15
Finanzieller Analphabetismus ist eine Volkskrankheit, die lange unentdeckt blieb und die erst mit dem „Aufkommen“ staatlicher Immunschwäche bei den Sozialsystemen zum Ausbruch kam. Das war vor 40 Jahren mit dem Pillenknick und verstärkt vor etwa zehn Jahren seit der Europäisierung und der Globalisierung der Wirtschaft. Jan Schimmer7 verdient und lebt gut; er ist 37 Jahre alt und hat im Leben noch viel vor: Reisen, Familie, Kinder, Haus, Selbstverwirklichung. Wie gesagt, das hat er noch vor, sodass er vorläufig nicht sparen kann. Die 1.000 Euro Altersversorgung, die ihm später fehlen werden, kann er auch „in zehn Jahren“ noch ansparen – also: in zehn Jahren mit dem Sparen anfangen. So „mal eben“, denkt sich der Zeitzeuge. So ungefähr, denkt sich Schimmer, denn heute hat er keine Zeit, das genauer mit seinem (Zutreffendes streichen!) Versicherungsvertreter, Banker, Steuerberater, seiner künftigen Frau, seinen Eltern oder dem besten Freund zu besprechen. Er muss schnell zum T-Shop, um sich das neueste iPhone zu besorgen, bevor es vergriffen ist. Nein, Schimmer ist kein sogenannter Early Adopter8, einer der alles Neue immer sofort kaufen muss. Aber ein iPhone, das ist man sich doch schuldig. „Gönn’ Dir was“, sagt der innere Schweinehund zu Schimmer – und Schimmer gönnt! Das ist er sich schuldig … nach dem Motto „Lieber Handy ohne SCHUFA“ statt SCHUFA ohne Handy! Gefühlte 100 Prozent der Menschen der so genannten werberelevanten Gruppe von 14 bis 49 (nur die?) reagieren unterbewusst oder bewusst auf das, was die Werbung ihnen sagt. Und wenn Werbung doch nicht alle Menschen erreicht, dann erreichen es Marketing und Verkaufspsychologie, das Geld der Kunden termingerecht zum Monatsende hin wegschmelzen lässt. In ganz besonders günstigen Konstellationen geht es sogar noch schneller. Dann werden Produkte durch „Gaben“ wie Tankgutscheine oder Geld-„Zugaben“ wie Kreditfinanzierungen abgesetzt. Wenn Werbung so gut funktioniert, wenn die Unternehmen so gut wissen, wer warum was kauft: Warum funktioniert Werbung für den vernünftigen, sparsamen Umgang mit Geld oder mit Altersvorsorge nicht? Weil das nur Geld in den Renten-Sparstrumpf des Bürgers spült und damit konsumfeindlich ist. Geiz ist aber nur geil, wenn NICHT ausgegebenes Geld arbeitet. Und wer zu spät mit dem Sparen anfängt, dem sei gesagt: „Wir hassen teuer!“
1.3.3
Einstellung der Deutschen zu Gelddingen und finanzieller Prophylaxe9
Deutschland hat etwa 38 Millionen Haushalte, von denen vier Millionen sowohl von der Politik als auch von der Finanzindustrie abgeschrieben sind, weil sie Schulden, nichts oder nichts zum Sparen übrig haben, selbst wenn sie wollten. Die anderen 34 Millionen haben zwar etwas Geld übrig, aber die volkswirtschaftlich betrachtete Sparquote der Deutschen
7
Fiktiv.
8
Menschen, die das Neueste immer zuerst haben müssen, notfalls zu Höchstpreisen.
9
Vorsorge.
16
Kapitel 1
ist zu oft: Konsumsparen. Zudem fehlt es an Ideen und Entschlusskraft. Die Ursache ist „Finanzieller Analphabetismus“, ein Begriff, den die Bertelsmann-Stiftung im Jahre 2004 als Ergebnis ihrer Studie über die Deutschen sogleich als Überschrift verwendete.10 Bildung, auch finanzielle, ist vonnöten, um vom finanziell mündigen Bürger sprechen zu können. Dieser Weg ist noch lang, wie eine Studie11 im Auftrag der Commerzbank, ebenfalls aus dem Jahr 2004, ergab. Der Studienleiter, Professor Stefan Hradil: „Über Geld, zumal über eigenes, wird, wenn überhaupt, nur mit besonders vertrauten Personen gesprochen“. Nachwirkungen des Börsencrashs im Jahr 2000 und grundsätzliche Haltungen der Bürger führen zu Misstrauen gegenüber Menschen, die sich intensiver mit Gelddingen beschäftigen. Nun, knapp zehn Jahre später, in einer Zeit, in der die Leuchttürme des Geldes wanken, geht es genau so weiter wie damals bei der Wende. 1989? Nein: 2000/2001, als die Leute vonNTVGirliesaufgehetzt12 jedes Papier kauften, auf dem „Aktie“ stand. Menschen mit Geldbewusstsein gelten in den Augen der Anderen als oberflächlich und moralisch fragwürdig. Finanzexperten stehen im Generalverdacht, andere übervorteilen zu wollen. „Geld verdirbt den Charakter“, so könnte man diese Erkenntnis der Commerzbankstudie zusammenfassen. Aber das ist nur die Meinung zu „den Anderen“, die sich mit Gelddingen befassen. Die eigene Unmündigkeit wird nicht wahrgenommen, das hat die Studie zutage gefördert, schließlich sind die Banken nach verbreiteter Volksmeinung selbst nicht in der Lage, mit Geld umzugehen. Diese Meinung wird seit Herbst 2008 wiederholt und wiederholt „verbreit“ (kein Druckfehler), von Menschen, die nichts auf der Bank haben, um das sie sich Sorgen machen müssten. Geld- und Bankschelte ist Mode. Außerdem fühlen sich die Menschen vom Staat und vom Ehepartner versorgt, können aber meistens keine Zahlen und Summen nennen und, das ist noch schlimmer: Sie wollen es auch gar nicht wissen oder gar sagen. Am Ende scheitert das sich Befassen mit Geld daran, dass dieses Thema keinerlei soziale Bestätigung bringt: Geld-Undrang. Diese Hemmschwelle zu Geld und zum Geld hin ist groß genug, um die Rentenmisere und notwendige Eigenvorsorge aus den Köpfen der Menschen zu verdrängen. Im Gegensatz zu vielen anderen Problemen der Gegenwart betrifft das Thema Geld aber nicht Randgruppen. Die Commerzbank-Studie belegt, dass viele Millionen von Geldaversion13 betroffen sind und auch unter den „besser gestellten, den gebildeten und den „moderner“ denkenden Menschen viele nicht einmal das Nötigste wissen, um ihre finanziellen Angelegenheiten zu besorgen“.14 Aber wer glaubt einer Commerzbank (und ihrer Studie), die erst die Dresdner Bank kauft und dann mit Staatsknete bezahlt, so der Eindruck, den diese Bank im Volkskopf macht – auch wenn der ursächliche Zusammenhang ein anderer ist.
Bertelsmann-Stiftung 2004: Finanzieller Analphabetismus: Schlechte Voraussetzungen für eigenverantwortliche Vorsorge.
10
Sinus Soziovision, Heidelberg, im Auftrag der Commerzbank in 2004, zitiert aus Handelsblatt 19.03.2004.
11
12
Frei nach Harald Schmidt.
13
Abgewandtheit, Abneigung von einer bestimmten Thematik.
14
Zitat aus Handelsblatt vom 19.03.2004 (Commerzbank-Studie, a.a.O.).
Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
17
Das Geldzentrum deutscher Gehirne ist wie die Beschichtung einer Teflonpfanne: nichts bleibt hängen. Teflon. Teflon ist der Legende nach ein so genanntes Abfallprodukt der Raumfahrtforschung. Hat die Abneigung gegen Geldthemen mit der „Erfindung“ der Mathematik zu tun? Im Jahr 2005 (und das gilt noch 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011…) haben sich Soziologen von TNS Infratest mit dem Kaufverhalten der Deutschen befasst, wenn es um den Kauf eines Autos, einer Küche oder eines Altersvorsorgeproduktes geht. Das Ergebnis: 37 Stunden nimmt sich der Deutsche Zeit, um das Auto auszusuchen, 25 Stunden widmet er der Küche und für die Altersvorsorge werden knapp 20 Stunden aufgewendet.15 Der VDK16 schreibt zu der Studie: „Dabei ist sich jeder Zweite sicher, noch nicht ausreichend für später vorgesorgt zu haben: 15 Prozent der Befragten haben sich noch nie mit der eigenen Vorsorgesituation beschäftigt, 37 Prozent nur zum Teil“. Autos und Küchen werden verkauft, indem der Käufer die Schwelle eines entsprechenden Ladens überschreitet. Wie kommt der Kunde zu Spar- und Vorsorgeprodukten? Durch einen Telefonanruf, den er nicht wollte und durch ein oder mehrere Gespräche, die der angehende Sparer höchst ungern führt, weil er verdrängt und verkennt, weil man Sparverträge nicht vorführen, fahren oder darin kochen kann. Sie haben keinen Prestigewert – im Gegenteil: Wer heutzutage bekennt, dass er ausgesorgt hat oder ausgesorgt haben wird, wenn er seine Verträge fleißig durchhält, der macht sich grundsätzlich der Ausbeutung seiner Mitmenschen verdächtig. Dieser Mensch erzeugt diffuse Zweifel an seiner persönlichen Integrität oder schlicht und einfach: Neid. Wer aber seinen Küchenverkäufer bis zum Letzten auspresst, also auf diese Weise enorme finanzielle Kompetenz zeigt, der ist der Held der Hauseinweihungsparty und macht seinen Freunden und Bekannten klar, wie doof sie waren, die gleiche Küche zum Listenpreis zu kaufen, der wegen Küchen-Erpressern in der Vergangenheit schrittweise überdosiert wurde. Extrem gesagt trennt sich beim Thema Sparen der Hartz IV-Empfänger vom Hartz IVSpender. Hartz IV-Spender, also Steuerzahler, zu sein, scheint ebenso unehrenhaft zu sein wie in manchen Kreisen, die den „gewissen Unterschied“ pflegen, der Hartz IVEmpfänger. Konkret werden heute schon Haben und Nicht-Haben, Sich-Leisten-Können und SichNicht-Leisten–Können an der inzwischen real existierenden Zweiklassengesellschaft17 in der Krankenversicherung. Beispiel Augendruck: Schlaue Ärzte haben zwei Wartebereiche – den einen für Kassenpatienten und den anderen für Privatpatienten. Gibt es einen gemeinsamen Wartebereich, und sei es aus baulichen Gründen, dann kann es passieren, dass der Privatpatient auf der „Überholspur“ zum Behandlungsraum unerträglichen Augendruck im Rücken verspürt. Nämlich den Augendruck der Wartenden, die oftmals auch oder gar nur Notfälle sind. Im Falle der Krankenversorgung ist dieser Affekt verständlich,
15
http://www.vdk.de/cgi-bin/cms.cgi?ID=de9562&SID=eIOfgstA0eKhSpEG8LANl9l9709Hl4
16
www.VDK.de
17
Siehe auch das Buch „Diagnose: unbezahlbar“ von Sibylle Herbert, erschienen bei Kiwi.
18
Kapitel 1
weil viele Menschen von Status oder Einkommen her keine Wahl haben. Bis 4.000 Euro Bruttomonatseinkommen sind Angestellte in der Gesetzlichen Krankenversicherung nämlich pflichtversichert, basta. Im Falle der Eigenvorsorge ist Neid bei der großen Mehrheit der Bevölkerung eines der reichsten Länder der Welt völlig unangebracht. Jeder darf es: Man tut es oder man tut es nicht. Frau auch. Je nach Quelle wird geschätzt: 30 Prozent aller Deutschen droht Altersarmut, wenn man ihr heutiges Einkommen, ihr Sparverhalten oder bei Alleinerziehenden die familiäre, finanzielle Situation betrachtet. Diesem Teil der Gesellschaft, Menschen (!), droht Altersarmut, weil sie kein Geld für die Altersversorgung zurücklegen wollen oder können. Die einen können es nicht, weil am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist, die anderen haben am Ende des Monats rechnerisch zwar noch Geld, wenn man ihre fixen Ausgaben betrachtet. Tatsächlich hat Geld für die meisten Menschen eine scheinbar natürliche, unentrinnbare Eigenschaft, nämlich maximal so lange zu „halten“, bis wieder „frisches Geld“ kommt. Die Differenz versickert in unbewussten Passivkäufen oder sonstigen Abbuchungen. Das mit dem „frischen Geld“ gilt für die Angestellten der Republik, die spätestens am 15. oder am 30. des Monats wieder „flüssig“ werden. Die Selbstständigen rechnen ein wenig anders: Von Auftrag zu Auftrag, von Rechnung zu Rechnung, von Mahnung zu Mahnung und vom Außenstand über eigene Rechnungsschulden zur Einnahme, minus Betriebsausgaben, minus Steuerrücklage ist gleich Nettoeinkommen. Dass Selbstständige neben gering verdienenden Angestellten und Arbeitern die geringsten Rentenanwartschaften haben,18 sagt noch längst nichts über ihre geschäftlichen Erfolge aus. Erstens können sie privat vorsorgen, weil sie meist nicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung zwangsverpflichtet sind. Zweitens tun sie es dennoch zu selten und zu wenig und: zu kurz. Selbstständige fangen mit dem Sparen, wenn überhaupt, erst sehr spät an. Bemerkenswerte Aussagen von Selbstständigen sind: „Ich muss ja Kosten machen, sonst kann ich nichts absetzen“. Einige Denkschemata von Selbstständigen sind entlarvend: „Plötzlich kam die Steuer, da war ich pleite“. Erfolgreichere Mitglieder der selbst und ständig arbeitenden Bevölkerung, die das Steuer im Griff haben, sagen: „Ich arbeite bis zum Umfallen, und danach auch noch“ ... und beziehen das sowohl auf die Wochen- als auch auf die Lebensarbeitszeit. Denken Sie gerade an den Kiosk-Besitzer, der das mit der Selbstständigkeit noch nicht so im Griff hat? Ich denke an Franz Schimmerlos, dessen Name hier frei erfunden ist, dessen soziale Situation in einer süddeutschen, in einer norddeutschen und in einer mitteldeutschen Großstadt real und der damit nicht allein ist. Seine Frau wird mitleiden und seinen Branchenkollegen geht es großenteils ähnlich. Schimmerlos ist 62 Jahre und Inhaber einer kleinen kreativen Unternehmensberatung, kurzum: Porsche, Reihenhaus, 170.000 Euro zu versteuern, 200 Euro Rentenanspruch. Angesprochen auf seine Überlegungen zur Rente verirrt er sich in einem verbalen Gestrüpp aus Firma verkaufen, Haus verkleinern, ab heute sparen (aber nicht so viel) und irgendwie so um die etwa 50.000 Euro, pardon: 25.000 Euro, Aktien verkaufen. „Reicht das?“ Nein.
18
Neue Studie DRV Bund.
Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
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Der andere typische „Besserverdiener“: Michael Früh,19 54, Architekt, 140.000 Euro zu versteuern, zahlt in die Architektenversorgung den Höchstbeitrag ein und hat fast abgezahlte Immobilien, die ihm heute schon 120.000 Euro Kaltmiete pro Jahr einbringen. Der Autor hat zwar keine belastbaren statistischen Zahlen, kann aber aus eigener, noch nicht repräsentativer Erfahrung sagen, dass fleißige „Vorsorger“ unter den Selbstständigen wenn schon, dann richtig vorsorgen. Ein Indiz ist: Mitglieder von Versorgungswerken sparen sehr oft zusätzlich Vermögen an. Wer nicht in ein Versorgungswerk einzahlen muss, der legt freiwillig sehr oft auch woanders nichts zurück. Für die meisten Nicht-Sparer, egal ob angestellt oder selbstständig, gelten folgende NichtSpar-Regeln: „Ich bin noch in der Schule oder gerade erst damit fertig. Ich will erst einmal leben. Ich habe gerade geheiratet und/oder wir müssen zunächst unsere Wohnung einrichten. Wir haben gerade Nachwuchs bekommen, da bleibt nicht mehr viel übrig. Wir haben gerade gebaut. Die finanzielle Belastung ist jetzt zu hoch.“ Wie dem auch sei: „Jetzt geht es nicht“; nie. Mit Entstehen dieses Buches beerdigten die Saturn-Elektromärkte ihre „Geiz ist geil“– Kampagne. Aus Einsicht? Nein, das Unternehmen will eine neue Botschaft überbringen: „Gönn’ Dir was!“ Die Aggression der gewollten Werbewirkung bleibt bestehen, und damit das Problem: Es wird zu viel konsumiert und zu wenig vorgesorgt – und es wird schlicht und einfach nicht gerechnet. Rechnen? Bis vor einigen Jahren hatte der Durchschnittsdeutsche neben einem in der Regel ebensolchem Einkommen in seinem Leben nur eine einzige wichtige finanzielle Entscheidung zu treffen: wann er ein Haus baute, wenn er eines baute! Das hat sich geändert, seit Begriffe wie AltersarmutoderRenteinzwischen gefühlt jeden dritten Polittalk überschatten und entweder als Drohung oder als Aufforderung zum Sparen auf Titelseiten populärer Magazine prangen. Konkreter: Im Jahr 2005 wurde das Alterseinkünftegesetz eingeführt, mit dem die Gesetzliche Rente endgültig schrittweise besteuert wird. Seit neuestem bedeutet die Rente mit 67 effektiv eine Rentenkürzung von weiteren 7,2 Prozent. Wir Deutsche sterben aus; das ist das eine. Das andere sind die Verhältnisse, denen vor allem unsere Kinder auf diesem Wege ins Auge sehen werden. Wenige junge Menschen müssen viele Rentner ernähren, sobald die 1960er-Jahrgänge, die Babyboomer, in Rente gehen. Im Schnitt bringt jede Frau laut Statistischem Bundesamt noch 1,4 Kinder zur Welt – 2,0 wären nötig, um die Demografie der Deutschen im Generationsgleichgewicht zu halten. Weiter: Über 30 Prozent der Akademikerinnen haben für sich beschlossen, gar keine Kinder auf die Welt zu bringen. Inzwischen fehlen uns seit dem „Pillenknick“ Anfang der 1960erJahre nicht nur Kinder; es fehlen vor allem Eltern, die Kinder haben könnten. Die nachgeborenen Jahrgänge ab 1970 werden am Arbeitsmarkt begehrt sein, denn wir erwarten etwa ab dem Jahr 2015 strukturell, Konjunktur hin oder her, einen Arbeitskräftemangel in der deutschen Wirtschaft. Bereits heute fehlen Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen und Ingenieure in fast allen Industriezweigen; auch bei Facharbeitern wird es inzwi-
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Diese Person ist frei erfunden.
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schen eng. Neue Jobchancen für die heutigen Arbeitslosen bedeutet diese Entwicklung aber nicht unbedingt. Diejenigen, die in den Jahren 2008 und 2009 immer noch auf der Straße sitzen, werden entweder vom Alter oder von der Bildung her, in volkswirtschaftlich bedeutsamem Ausmaß betrachtet, die Anforderungen der Zukunft der Arbeit nicht erfüllen können. Da hilft für die eigene Rente nur eigene Vorsorge – und die findet nicht statt oder es ist zu spät oder es fehlt Geld. Im Kleinen sah die Welt des „Kleinen Mannes“ früher so aus: Einmal einen Beruf lernen, dann 45 Jahre Geld verdienen, dann die Rente, fertig. Akademiker starteten später, verdienten dafür aber mehr Geld. Den Rest machte „die Rente“.
1.3.4
Wie beeinflussen soziale Milieus die Bildung und das Einkommen?
Ausgeben oder Sparen können hat auch etwas mit dem Einkommen zu tun, das in der Regel aus Erwerbsarbeit kommt. Die Einkommenshöhe korreliert stark mit dem Bildungsund noch mehr mit dem Ausbildungsgrad der Erwerbstätigen. Inzwischen werden ungelernte oder schlecht ausgebildete Menschen und ihre Familien in den neu formulierten sozialen Stand des „Präkariers“ hinein soziologisiert. Menschen, die auch durch Vollzeitarbeit kein ausreichendes Einkommen mehr erreichen können und auf die ganze Branchen (wie die privaten Postdienste) setzen. Pervers: Vielfach sind diese Menschen „froh“ oder „müssen“ froh sein, überhaupt ein Einkommen zu erzielen, das ihnen durch die Einführung von Mindestlöhnen genommen würde. Beispielhaft ist eine Demonstration der Mitarbeiter privater Postdienste im Oktober 2007, als diese gegen den Mindestlohn protestierten – auf Dienstzeit von ihren Arbeitgebern freigestellt. Heute wissen wir: Wir haben diese Menschen an den Mindestlohn verloren. Die PIN-Gruppe20 ist insolvent, obwohl der Verband „Neue Brief- und Zustelldienste“ NBZ und eine Gewerkschaft Neue Brief- und Zustelldienste GNBZ, wie fantasielos, dagegen massiv protestiert hatten. Seit Einführung der Minijobs21 gilt es zudem bei den Arbeitnehmern als „schick“ oder finanziell notwendig, dass dadurch keine Sozialversicherungsbeiträge fällig werden, die den Rentenanspruch erhöhen könnten. Wenn Arbeitgeber, sei es aufgrund des Globalisierungs- oder des Europäisierungsdrucks, bevorzugt Minijobs anbieten, wo es nur geht; wenn Arbeitgeber sozusagen minijobsüchtig sind, dann sind viele dieser Minijobber koabhängig.22 Das heißt, sie beteiligen sich an einem Sozialabbau, den sie selbst verurteilen, wenn sie ihre Renteninformation lesen oder am Stammtisch über die Rente fabulieren. Stammtisch, Bildzeitung, Kantine: In Fragen der Sozialversicherung und warum Renten-
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Private Konkurrenz der Post.
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Bis 400 Euro im Monat für den Abreitnehmer sozialabgabenfrei.
In der Suchttheorie gelten Angehörige eines Abhängigen als koabhängig, als Mitbetroffene einerseits und als Mitsüchtige andererseits, weil sie vor der Therapie die Sucht, wenn auch passiv, zugelassen, unterstützt haben.
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beiträge zahlen doof ist, scheint der Deutsche genauso kompetent zu sein, wie beim Thema Fußball oder Auto. Oder scheitert der Deutsche nur am Machen? „Vorbilder“: Gerhard Schröder sagte auf dem SPD-Parteitag im Oktober/November 2007, bei dem es um die Aufweichung seiner Agenda 2010, hier die Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs für Ältere, ging: „Die Agenda ist kein Ziel, sie ist ein Weg und Wege kann man korrigieren“. So zerstört man mühsam aufgebautes Vertrauen in unpopuläre, doch wirksame Wege, zumal die Sozialreformen der Agenda 2010 insgesamt als funktionierend anerkannt wurden. Wie entstehen Präkariate? Das hat mit der erwähnten Koabhängigkeit der Menschen zum Beispiel an der Minijobmisere zu tun. Menschen machen Minijobs zwar nicht freiwillig, wenn sie richtige sozialversicherungspflichtige Anstellungen bekommen können. Sie bringen sich aber in die Minijob- oder gar die Hartz IV-Falle, wenn sie sich nicht fortbilden oder weiterentwickeln. Vor 40 Jahren schien es zu genügen, Kraftfahrzeugschlosser zu lernen, um diesen Beruf ein Leben lang auszuüben. Viele dieser Menschen und vor allem die, die erst vor 30 Jahren anfingen und heute einmal arbeitslos werden, bleiben es meist auf Dauer. Wenn diese Menschen sich nicht weitergebildet haben, dann haben sie sich nicht einmal am Arbeitsmarkt vorbeientwickelt: Sie haben sich gar nicht entwickelt, da Untätigkeit nicht falsch, sondern schlicht und einfach gefährlich ist. Das einzige, was passiert ist: Die Anforderungen und der Arbeitsmarkt haben diese Menschen überholt. Wer heute Mitte 40 ist und vor 30 Jahren Kfz-Schlosser lernte, der sollte in der Zwischenzeit, und sei es als Spätstarter, eine Meister- oder Technikerfortbildung absolviert haben und spätestens vor fünf Jahren eine Fortbildung zum Mechatroniker23 - nicht nur, um mehr Geld zu verdienen, sondern um sein Einkommen zu sichern. UND war da nicht noch sowas wie Beruf und Berufung? Den Zusammenhang zwischen Weiterbildung und sozialen Milieus hat Professor Rudolf Tippelt, Universität München, im Jahr 2004 genauer untersucht und kommt vereinfacht gesagt zu dem Ergebnis, dass Fortbildungsaktivitäten mit dem Einkommen steigen. Und umgekehrt? Ist es umgekehrt! In höheren Einkommensbereichen wird Bildung als selbstverständlicher Lebens- und Arbeitsbestandteil gesehen. In niedrigen Einkommensgruppen ist Bildung quasi mit Belastung gleichgesetzt. Immerhin ist die berufliche Bildungsbereitschaft in allen gesellschaftlichen Gruppen höher ausgeprägt als die Bereitschaft zur allgemeinen Weiterbildung. Der Zusammenhang, dass Bildung und Fortbildung nicht nur ein höheres Grundeinkommen sichern, sondern auch das Einkommen an sich, ist bei traditionsverwurzelten Facharbeitern, die bald keine mehr sind, noch nicht angekommen. Dieses soziale Milieu schafft sich dadurch perspektivisch selbst ab, indem die Erfolgreichen sich zu wirtschaftlich Etablierten und die Erfolglosen zu Präkariern entwickeln. Der Tod des sozialen Mittelstands, der immerhin bei Gebildeten als allgemeines Wissensgut gilt, ist zu großen Teilen hausgemacht.
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Kombiniertes Berufsfeld aus Automechanik und -elektronik. „Nachfolge“-Beruf des Kfz-Schlossers.
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In diesem Zusammenhang wird von Gewerkschaften und Unternehmen Weiterbildung gefordert und gewährleistet und von den meisten nicht genutzt, weil sie hingeschickt werden – ohne es zu wollen. Tatsächlich ist es so, dass die Bildungsangebote der Unternehmen mangels ungelernter Bildungskultur zu wenig Akzeptanz finden und selbst qualifizierende Weiterbildungsinitiativen der Unternehmen organisiert oder persönlich boykottiert werden: Werden zum Beispiel nur Teile der Belegschaft zur Fortbildung geschickt, verweigern Betriebsräte allzu oft die interne Wissensweitergabe von Kollege zu Kollege mit dem Hinweis: „Schulung steht nicht in der Stellenbeschreibung“. Morgen stehen dieselben Kollegen in Müllsäcke gehüllt und rufen laut: „Unsere Fabrik darf nicht geschlossen werden“ und es ist ihnen egal, wie viel Anteil sie am Scheitern eines Standortes haben. Nicht jeder Standort in Deutschland scheitert an der Globalisierung; er scheitert an sich selbst. Überbetriebliche oder „unbetriebliche“ Bildung scheitert an der Grundbildung, der Grundbereitschaft zum Lernen und zum Weiterlernen. Dem Buch „Die Weiterbildungslüge“24 entnimmt der Autor dieser Zeilen, dass Weiterbildung als Reparaturbetrieb des Wissens nur für seine Anbieter funktioniert, weil die Basis der Bereitschaft fehlt. Finanzielle Not scheint also zu entstehen aus schlechter Ausbildung/Fortbildung, niedrigem Einkommen und schlechter Allgemein- oder finanzieller Bildung, mangelnder Sparaktivität und zu hohem Konsum.
1.3.5
Manisch-depressive25 Gelderfahrungen
„Willste n’Auto, kauf’ ne Wohnung!“ lässt sich der Auftakt zu finanziellen Abenteuern der Menschen umschreiben, mit denen vor etwa 15 Jahren normale Leute zu Immobilienbesitzern gemacht wurden. Was in Hamburg vornehm „Zinshaus“ heißt und begrifflich wie finanziell auf wohlhabende Klientel zielt, schien auch für den „kleinen Mann“ erreichbar. Vermittelt wurden Normalverdienern ab etwa 2.000 Mark netto heute sogenannte Schrottimmobilien, die von den Banken über Wert beliehen und finanziert wurden. Die Steuerrückerstattung floss allzu oft nicht in das Objekt, sondern zu Audi, BMW, Neckermann, Alltours, Mediamarkt und Saturn. Dafür können die genannten Anbieter sicherlich nichts – außer ihrer Werbung. Kurzfristiger Konsum wurde mit langfristigen Darlehen finanziert über den aufgeblähten Umweg einer Immobilie; Werthaltigkeit vorausgesetzt. Selbst wenn die Objekte „gut“ im Sinne eines Investments waren, so krankten die Konstruktionen an zu hohen „weichen“ Kosten. Kosten, die mit der Immobilie nichts zu tun haben: Vermittlungsprovisionen oft über 15 Prozent des vermittelten Volumens, Geldvermittlungsprovisionen, Lebensversicherungsprovisionen, Vermittlungsprovisionen für Mietgarantien, die Kosten der Mietgarantien selbst und so weiter. Bei manchen Objekten liegt der Wertanteil der Immobilie kaum über 60 Prozent der Gesamtkosten, nachdem sich überhöhte Mietprognosen nicht bestätigten, Mietgarantien ausgelaufen oder ausgefallen sind, da die Boni-
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„Die Weiterbildungslüge“ von Richard Gris (Pseudonym), erschienen bei Campus.
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Übersetzbar mit: Krankhafter Zustand von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.
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tät des Mietgaranten seinerseits erschöpft war. Keiner merkte: Ein Bürge ist immer nur so gut wie seine Bonität! Im günstigeren Fall sind solche Anleger inzwischen finanziell hoch belastet, im ungünstigen Fall pleite. Zahlen sind schwer zu erhalten, aber es sind so viele so pleite, dass Marktforscher, also die Leute, die überlegen, warum und wie wir kaufen, die Schrottimmobilienbesitzer einer eigenständigen Konsumentengruppe zuordnen: die der Nicht-Käufer. Nicht weil es ihnen an Geld fehlte, einige haben noch etwas oder berappeln sich finanziell, sondern weil diese Menschen keinem Finanzberater mehr trauen! Übrigens hat diese Kundengruppe eine große Schnittmenge zur Gruppe der „DDR-Nostalgischen“ (Soziologendeutsch), Menschen, die sich vom West-System nach der Wende überfahren, überfordert und ausgebeutet fühlen. „Das System gibt ihnen Recht“, ist der Autor geneigt zu sagen. Kläger: „Herr Richter, ich bin betrogen worden“. Richter: „Warum haben Sie die Schrottimmobiliedenngekauft?“Kläger:„DerVerkäuferwarsonett.“ Inzwischen stehen viele Schrottimmobilienbesitzer mit den Verkäufern, Banken und Initiatoren im gerichtlichen Stand und streiten, ob Vertrieb, Banken oder gar Notare insoweit konzertiert gehandelt haben, als der eine Böse vorgeblich von den Machenschaften des anderen Bösen wusste. Im Falle einiger Banken und Bausparkassen erkennen die Gerichte einen solchen Zusammenhang bereits an, sodass einige Finanzhäuser seit geraumer Zeit Vergleichen und Rückabwicklungen zustimmen, um ihren Ruf zu wahren. Schrottimmobilienverträge erkennt man heute vereinfacht gesagt daran, dass der Kunde zum Abschluss niemals eine Bank, geschweige denn die Immobilie selbst betreten hat. Alles außer dem Notarvertrag fand in seinem Wohnzimmer statt. Der Notar erhielt oftmals eine Art Generalvollmacht zum Abschluss aller weiteren beurkundungspflichtigen und der nicht beurkundungspflichtigen Verträge. Dadurch waren die Anleger auch nicht mit lästigen Details dieser Folgeverträge befasst. Bei heute als Schrottimmobilien erkannten Objekten kam der Notartermin zumeist sofort und ohne Wartezeit zustande. Im modernen Vertriebsdeutsch nennt man solche Verfahren „convenient“ oder auf Deutsch: bequem. Wenn man anstatt Tomaten, Mozzarella und Basilikum einzukaufen, zu waschen, zu schneiden und zu drapieren einfach in die Convenient-Auslage greifen muss, dann macht die gesunde Ernährung wieder Spaß. So kann man auch Immobilien verpacken. Angebot der Woche: Subprimen Wie bei Rosinen hat einem der „Hersteller“ das Pflücken und Trocknen der Trauben und das Warten abgenommen. Zugreifen und genießen. Eine neue Furcht, etwas bitterer als Rosinen, sind die Subprimen (englisch gesprochen „Sapp-preims“): Ferngelegene Schrottimmobilien, die es nur werden konnten, weil sie massenweise überfinanziert wurden. Man erhielt sie seit einigen Jahren hübsch kleingehackt und hochpotenziert verständnisverdünnt. Finanzmedizinisch wurden hier zwei Welten zusammengeführt: Subprimen enthalten schulmedizinisch gesehen die volle Dosis Risiko bei homöopathischer Transparenz. Hier Subprimen wurden mehrfach weiterverkauft und dabei jedesmal umgepackt.
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Kapitel 1
Subprimen im vorteilhaften Nachteils-Pack sind so kompliziert, dass selbst die Banken nicht mehr wissen konnten, was sie da kaufen, im feinen bankdeutsch heißt so etwas „außerbilanziell“. Schick, nicht wahr? Wer Subprimen kaufte, der nennt die Banker jetzt Nachteils-Pack. Wer keine Subprimen kaufte, der auch: Der muss nun die Subprimen der anderen mit bezahlen, weil der Rettungsschirm der Bundesregierung Geld kostet: 400 Milliarden Euro Bürgschaften, 80 Milliarden (notfalls) cash. Subprimen sind das „große Rad“ der Geldvernichtung der „Großen“. Schrottimmobilien, die „ganz normalen“ hatten oft mit der Überforderung, vor allem der Übervorteilung der Anleger zu tun. Im Kleinen wird Geld aber erst gar nicht vernichtet, sondern gleich ausgegeben – sofern es überhaupt verfügbar ist. In vielen Fällen erhielten die Vermittler von Schrottimmobilien Provisionszahlungen, die bzw. deren Höhe dem Käufer gegenüber nicht offen gelegt wurden (oder deren Höhe im Nachhinein von Gerichten als inakzeptabel hoch beurteilt wurden). Wahrscheinlich denken Sie nun, dass das „olle Kamellen“ aus den 1990er Jahren sind, weil die hohe Zeit der bösen Schrottimmobilien vorbei ist. Dem ist nicht so: Im Frühsommer 2009 wurden die ersten Urteile zu Lehman-Zertifikaten gesprochen. Lehman Brothers waren den Subprimen-Tod gestorben. Banken hatten ihren Kunden diese Papiere vermittelt. Nach der Lehman-Pleite 2008 hatten viele Kunden die Banken deswegen der Falschberatung bezichtigt und wollten ihr Geld zurück. Dabei muss man wissen: Lehman Brothers waren bis Mitte 2009 eine ganz normale amerikanische Großbank guter Bonität, bei der auch kein noch so schlechter Bankverkäufer von einer bevorstehenden Pleite ausgehen musste. Abgekürzt gesagt sind die verkaufenden Banken daran gescheitert, dass sie Provisionszahlungen nicht offen gelegt haben.
1.3.6
Ruinöse Materielle Reflexe des Unternehmers
Am Jahresende kommt der „Weiße Ritter“ und rettet Groß- und Gutverdiener vor der Steuer; und das geht so: In unserem Beispiel hat es ein Arzt, Herr Dr. med. Scholz,26 trotz Gesundheitsreform und Folgen geschafft, mehr Geld zu verdienen: Durch ein Sonderprogramm der Kassen, mit dem Akupunktur gesondert erstattet wird. Dadurch hatten viele Ärzte in den vergangenen Jahren unverhofft viel Geld verdient, zum Teil 30 Prozent mehr als geplant. Das heißt, die Einkommensteuervorauszahlungen, am Jahresanfang mit dem Steuerberater und dem Finanzamt kalkuliert und vereinbart, sind zu niedrig. Durch Mehreinnahmen droht „plötzlich“ eine Steuernachzahlung, auf die der Arzt nicht vorbereitet war. Nicht vorbereitet? Ja, nur so lässt sich letztlich die Größe des Marktes für Steuersparmodelle erklären, vor allem die breit gestreute Qualität dieser Modelle. Zurück zu unserem Dr. Scholz: Es ist Anfang Dezember und der Steuerberater hat ihm mitgeteilt, dass er etwa 40.000 Euro Steuern
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Diese Person ist frei erfunden, seine Kolleginnen und Kollegen gibt es wirklich!
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nachzahlen muss, weil der Betriebsgewinn gestiegen ist. Plötzlich finden Anleger, Steuerberater und Vermittler von Steuersparmodellen auf wundersame Weise zusammen und zu sinnvollen und zu sinnlosen, gar gefährlichen Steuersparmodellen. Dies gipfelte in den 1990er Jahren in der Beteiligung an geschlossenen Immobilienfonds im Fördergebiet Ost, die mit wenig Kapitaleinsatz zu traumhaften steuerlichen Verlustzuweisungen führten – und zu Rückerstattungen von Steuern. Spitzenreiter besonderer Art bei diesen Deals waren damals die „reichsten“ Finanzämter Deutschlands, in Kronberg/Taunus oder rund um den Starnberger See, aber auch Bad Oldesloe, im nördlichen Speckgürtel von Hamburg. Diese Landkreise gehören nicht nur zu den reichsten Regionen Deutschlands, sondern haben auch die meisten Spitzenverdiener auf ihrer Payroll. Was geschah? Vormalige Höchststeuerzahler wie unser Arzt brachten sich steuerlich (!) an den Bettelstab und ihre Finanzämter in Liquiditätsprobleme. Aus Steuernachzahlungen wurden Rückerstattungen in Millionenhöhe, sodass einigen Ämtern zeitweise das Geld ausging und die Oberfinanzdirektionen nachschießen mussten. Im Nachhinein hat sich vor allem die Sonderförderung für den Aufbau Ost der Regierung Kohl als fiskalisches Grab erwiesen; statt Infrastruktur wurden Investruinen gebaut, im Osten wenig liebevoll InWest-Ruinen genannt. Wen interessiert das im Jahre 2007? Die Anleger! Unser Dr. Scholz, sicher niemals Anleger aus Leidenschaft: „1996 habe ich 100.000 DM aus einer soliden Kapitalanlage entnommen, um 300.000 DM an einem geschlossenen Immobilienfonds im Osten zu zeichnen. Mit der Verlustzuweisung habe ich erheblich Steuern gespart. Jetzt, nach über zehn Jahren, ist der Fonds so gut wie pleite. Aber nicht nur meine Einlage ist verloren: Ich muss erstens in den Fonds nachschießen, zweitens wird das Finanzamt möglicherweise die steuerliche Förderung ganz oder teilweise aberkennen und drittens stelle ich fest, dass ich als Gesellschafter für andere insolvente Gesellschafter mithafte! Das sind in meinem Fall bis zu 20 Millionen!“ Viele geschlossene Immobilienfonds sind in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet, das heißt: Einer haftet für alle anderen – und umgekehrt. Tatsächlich gibt es Anleger, die mehrere derartige Beteiligungen „gezeichnet“ haben. Dadurch gibt es je Fonds zwei Gruppen von Anlegern. Gruppe 1: Insolvente. Gruppe 2: Solvente, die für die Insolventen mit zahlen. Gruppe 2 hat aber die Möglichkeit, sich Gruppe 1 anzuschließen – insoweit gibt es ein Wahlrecht für einige zehntausend deutsche Hochverdiener, die mit beruflichen und finanziellen Höchstleistungen gegen ihren Ruin ankämpfen. Handelt es sich bei den Anlegern um Mitglieder des Berufsstands der Rechtsanwälte oder der Steuerberater, haben diese keine Wahl, denn mit der Insolvenz verwirken sie ihr Recht auf Berufsausübung und damit auf Einkommenserwerb. Es wäre so einfach gewesen: Unser Arzt nimmt an dem Akupunktur-Sonderprogramm der Krankenkassen teil, hofft auf Umsatz und meldet die tatsächlich gestiegen Umsätze monatlich seinem Steuerberater, der jeweils auf das Jahresende hochrechnet und höhere Rücklagen empfiehlt. Wetten dass…? Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Der Steuerberater hätte spätestens am 1.7. des Jahres wach werden und zum Hörer greifen können. Am 1.7. erhält Dr. Scholz nämlich die Auszahlung für das abgerechnete erste Quartal des Jahres.
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Kapitel 1
Hans Janisch,27 Jahrgang 1946, Grafikdesigner aus Bremen: Schickes Loft-Büro, megatolle Espressomaschine, Jaguar-Fahrer, seit 1971 selbstständig, zu versteuerndes Einkommen stabil bei 170.000 Euro pro Jahr. Rentenansprüche: 200 Euro. Mit 70 will er in Rente gehen und 8.000 Euro im Monat ausgeben können. Das bedeutet, er müsste neun Jahre lang bei sechs Prozent Zins etwa 8.000 Euro monatlich sparen. Das entspricht seinem heutigen Nettoeinkommen nach Steuern. Janisch kann nur bis zum Umfallen arbeiten, gesund und vital bleiben.
1.3.7
DEMENTER Finanzieller Analphabetismus
Egal, wie man es dreht oder wendet: Nach einer repräsentativen Untersuchung28 aus dem Jahr 2007, werden die Deutschen im Alter über durchschnittlich 56 Prozent des letzten Bruttoeinkommens verfügen können – im Durchschnitt, das heißt, einigen wird es besser gehen, vielen wird es schlechter gehen. Übrigens schätzen die Menschen ihre Alterseinnahmen auf 70 Prozent des letzten Bruttoeinkommens vor der Rente. Die Bruttobetrachtung ist hier schon wichtig, weil die Masse der künftigen Rentenempfänger auch auf geringe Renteneinkommen Steuern zahlen wird. Nur die Ärmsten bleiben davon verschont. Ist das ein Trost? Der Anteil der Gesetzlichen Rente wird dramatisch sinken müssen, wenn die Menschen im Alter mit ihrem Geld auskommen wollen. Anders gesagt: Die staatliche Rente reicht nicht mehr zum Leben. Eigenvorsorge tut Not. Alles Weitere entnehmen Sie bitte Ihrer Tageszeitung. Und wenn die Menschen doch nun wissen – und alle wissen es oder haben ein mulmiges Gefühl –, dass die Rente nicht reicht, dann müssten die Menschen doch in Scharen die Banken, Versicherungen und Investmenthäuser stürmen und laut rufen: „Ich will vorsorgen!“ Weit gefehlt. Wenn sie es wissen wollen, dann wissen sie: Es wird nicht reichen. Aber das wird verdrängt. Der Autor hantiert regelmäßig mit einem wissenschaftlichen Taschenrechner vor kleinem und großem Publikum, das er gewöhnlich zum blanken Entsetzen bringt, wenn er den Sparbedarf für das Alter vorrechnet. Dabei bedient er sich einfacher Zinseszinsrechnungen. Solcher Berechnungen, die viele Menschen in der Schule, spätestens im Beruf, gelernt haben und vielfach täglich anwenden, wenn sie Kredite ihrer Kunden oder Budget ihrer Chefs, Abfindungen von Mitarbeitern oder Baukosten kalkulieren. Die Menschen können rechnen, scheinen es in eigener Sache aber verlernt zu haben. Deshalb ist hier vom Dementen Finanziellen Analphabetismus zu sprechen. Dement, weil sich die Menschen hinsichtlich ihrer eigenen Vorsorge zum Nichtrechner, zum Ablehner hin entwickelt haben. Sie wollen nicht. Und weil sie nicht wollen, können sie nicht (Analphabeten) und weil es um Geld geht, kommt der Begriff „finanziell“ ins Spiel.
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Name, Ort und Beruf wurden geändert.
28
Fidelity REAL-Index zur Altersversorgung, Fidelity Investments.
Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
1.3.7.1
Zerrbilder oder Geldaversion
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Guter Rat ist teuer: Wer raucht, wird kränker, verursacht mehr Krankheitskosten, soll mehr Krankenversicherungsbeitrag zahlen, sozusagen aufkommensgerecht. Egal ob er oder sie wirklich krank wird. Wer Gleitschirm fliegt, fällt öfter runter, verursacht mehr Krankheitskosten, soll mehr Beitrag zahlen. Sie ahnen es schon: Das ist risikogerecht, egal ob er abstürzt oder nicht. Wer Porsche fährt und mehr Abgase produziert, sparen wir uns die Zwischenschritte, der soll mehr Kfz-Steuer bezahlen, egal ob er 1.000 oder 100.000 Kilometer im Jahr fährt – das ist einkommens- und aufkommensgerecht. Und (wir sind gleich fertig) wer sich in Sachen Finanzen richtig (!) beraten lässt, der soll dafür ein richtiges Honorar bezahlen – aufkommensgerecht. Nein, das geht nicht. Beratung kostet nichts. Willkommen in Deutschland! Wer mit Peanuts bezahlt, braucht sich nicht wundern, wenn er von Affen umgeben ist. Weisheit für Chefs und geiz-geile Konsumenten Und so bekommen die Leute dann das, was sie verdienen, vulgo: zahlen. Schrott. Oder Zahlenschrott von unmotivierten Beratern, die im günstigsten Fall erst Wochen später wissen, ob ihre Leistung anerkannt wurde, weil sie nur bei Abschluss Geld verdienen. Unter Honorarberatern kursiert folgender Dialog: „Wer ist der beste, stolzeste und ärmste Berater?“ „Der Honorarberater“. Hier wird über die berichtet, die in rund etwa 30 Jahren, also bald, Hartz IV-Empfänger oder wahlweise Hartz IV-Spender werden. Heute leben etwa sieben Prozent der Rentenempfänger in Armut. Nach den Kriterien des Armutsberichts der Bundesregierung haben diese Menschen weniger als 781 Euro im Monat zur Verfügung. Das ist schlimm. Das ist partielle Altersarmut in Deutschland und darauf zurückzuführen, dass „der Deutsche“ sich in den vergangenen 50 Jahren zu sehr auf die Gesetzliche Rente, „die“ Rente, verlassen hat. Stimmt das? Tatsächlich sind die real existierenden sieben Prozent Altersarmut individuell und ausdrücklich nicht System bedingt: Die Gesetzliche Rentenversicherung zahlt jedem Durchschnittsverdiener der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft pro Jahr seines Durchschnittsverdienstes 26,2730 Euro lebenslange Rente. Das sind nach 40 Jahren Durchschnittsverdienst 1.050 Euro Rente; nach 45 Jahren immerhin 1.180 Euro. Jeder, dem das nicht reicht, oder dem sein geringerer Anspruch nicht genügt, hätte das wissen können; auch bevor 2002 die sogenannten „Renteninformationen“ der Deutschen Rentenversicherung eingeführt wurden. Seitdem werden die Bürger regelmäßig schriftlich informiert. Vorher war die Mühe, seinen Rentenanspruch zu ermitteln etwas größer, aber nicht unüberwindlich und nicht unüberwindlicher als der intensive Preisvergleich von Farbfernsehern. Hier ist die Faustformel für jeden Rentenversicherten; mehr wird es nicht:
29
Pathologisch: krankhaft; avers: abgeneigt.
30
Rentenwert, der einem Durchschnittseinkommen von etwa 30.000 Euro brutto jährlich entspricht.
28
Kapitel 1
Rente=Bruttogehaltgeteiltdurch2.600x27xArbeitsjahre31(dieserAnspruchwirdum biszu30Prozentsinken,jenachdem,wielangeesnochbiszurRentedauert). Die Rentner im Jahre 2040 werden zu etwa 30 Prozent unter der Armutsgrenze leben, addiert man die künftigen Rentensprüche der Deutschen mit ihrer durchschnittlichen Sparaktivität. Das ist noch schlimmer als 2007. Zum einen werden etwa um 2025 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und die geburtenschwachen Kohorten32 nach dem Pillenknick die Beitragslast tragen müssen. Zum anderen wird die Gesetzliche Rente, gekoppelt an die Nettolohnentwicklung, nicht mehr mit der Preisentwicklung Schritt halten können. Seit Mitte der 1990er Jahre verharrte die Inflation bei knapp 1,5 Prozent, aber seit etwa 2005 drehte sich die Preisspirale schneller, per Stand 2007 sind etwa zwei Prozent erreicht – statistisch und für den Normalbürger. Für den typischen Verbrauch des überdurchschnittlich verdienenden Bürgers um die 4.000 Euro brutto sind eher 2,5 Prozent anzusetzen. Was heißt das? Was sagen die „Experten“? Wir wollen Professor Martin Weber von der Universität Mannheim zitieren, der sich mit „Behavioural Finance“, also dem psychologischen Verhalten des Kapitalanlegers beschäftigt und der Bücher schreibt wie „Genial investieren ...“.33 Auf die Frage des Handelsblatts34 zum Thema Altersvorsorge und „Warum tun die Leute so wenig für ihre Vorsorge?“ sagte er, wohl etwas unbedacht: „Man verdrängt das wohl einfach. Es ist unangenehm, heute zu sparen und auf Konsum zu verzichten. Ich fange auch jetzt mit 55 erst an, darüber nachzudenken“. „Zehn von hundert Deutschen können kein Prozentrechnen. Das sind über 20 Prozent.“ Deutsche Volksweisheit. Nun müssen „Sparprofessoren“ nicht unbedingt Vorbilder beim Sparen sein, aber besser wäre es schon, selbst wenn Professoren als Beamte zur Kaste der (relativ) Wohlversorgten zählen.
1.3.7.2
Pathologisch homöopathisches Verhältnis zum eigenen Geld (krankhafter Geiz)
Neulich im Autohaus. Ein Mann und seine Frau, 4.000 Euro brutto, Reihenhaus, empor gekommene Konsummaterialisten35, sind 80 Kilometer weit gefahren, um ihren neuen VW
31
Exakt sind es 2.573 Euro x 27,20 Euro (Ost: 24,13 Euro).
Kohorte, lat. „umfriedeter Raum“. Von Rentenprofessor Rürup auf ähnlich betroffene Altersgruppen übertragener Begriff, z. B. die Jahrgänge 1970-1975, sozusagen feiner unterteilte Generationen.
32
33
„Genial investieren – mehr müssen Sie nicht wissen, das aber unbedingt“.
34
Handelsblatt Nr. 82 vom 27.04.2007, „Es gibt keine Rendite ohne Risiko“.
Soziologisches Milieu der „materialistisch geprägten Unterschicht“ (wenig Einkommen, hoher Statusanspruch durch Statussymbole wie teure Uhren oder Mobiltelefone), nach www.sinus-sociovision.de.
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Konsum: Die Gefahren des Passivkaufens
29
Passat in Wunschausstattung (alles drin) dort zu bestellen, wo er 150 Euro billiger angeboten wird als beim Händler vor Ort. Der Mann und seine Frau waren schon zweimal da, um zu feilschen („Hol’ noch die Fußmatten raus, Schwächling“, denkt die Frau – so manche sagt das sogar laut). Der Mann und die Frau waren auch schon bei dem anderen Händler, nur 50 Kilometer von zuhause entfernt – in die andere Himmelsrichtung, aber der war nur 120 Euro billiger als der „Heimhändler“. Morgen geht’s zur Küchenjagd … Wie funktioniert der Deutsche im Einzelnen? Zur Beantwortung dieser Frage hat sich der Autor unter anderem in den Milieustudien von Sinus-Sociovision36 umgesehen, aus denen er hier beispielhaft berichtet: „Sinus-Sociovision hat sich auf das Messen, Verstehen, Interpretieren und Vorhersagen von soziokulturellem Wandel spezialisiert“, so die Eigendefinition des Unternehmens, das unter anderem davon lebt, der Wirtschaft ihren Kunden, den Käufer zu erklären. Sinus-Sociovision gibt jährlich einen Trendreport heraus, erforscht und erklärt den Konsumwandel der Deutschen in den Konsumfeldern: Urlaub/Reisen, Ausgehen/Essengehen, Wohnungseinrichtung/Möbel, Auto und Co, Sport/Fitness und Gesundheit/Gesundheitsprodukte. Ergebnis 2008 (noch ohne Einfluss der Finanzmarktkrise): Die Menschen gönnen sich eher wieder den „kleinen Luxus zwischendurch“ und das weite Feld der Gesundheitsprodukte gewinnt Raum – und Umsatz. Und da Vorsorge kein Konsumprodukt ist, wird sie auch nicht erfragt oder erforscht. Das ist konsequent. Oder? Es wäre für alle Beteiligten ehrlicher, zumindest die Frage der Vorsorge, dem späteren „Konsum“ zu stellen: Bereits die Fragestellung würde Bewusstsein schaffen.
36
www.sinus-sociovision.de
30
Kapitel 2
Kapitel2 2.1
Kaspar Hauser – Fortsetzung
Adam Riese trifft Kaspar Hauser Der Aufgegriffene wurde fortan amtlicherseits als „Kaspar Hauser“ geführt, wobei nicht gesichert ist, ob dieser Kaspar Hauser mit einer historischen Person gleichen Namens verwandt ist – das tut auch nichts zur Sache. Da man ein Verbrechen nicht von vornherein ausschließen konnte, kam „der Hauser“ – so betiteln Strafverfolgungsbehörden normalerweise nur mutmaßliche Täter, um das dort unangemessene „Herr“ zu unterschlagen – zu weiteren Ermittlungen in die geschlossene psychiatrische Klinik Wiesloch bei Heidelberg. Es war nämlich nicht klar, ob „der Hauser“ nicht eine Gefahr für sich oder andere darstellte. „Beschluss: Einschluss!“ urteilte der tags drauf hinzugezogene Amtsrichter, „erst mal sechs Wochen Beobachtung“. In Wiesloch befasste sich der Leiter der Forensischen Psychi37 atrie , Professor Dr. Adam Riese, mit dem Fall und mit der Person Hausers. Riese ist ein seit vielen Jahren europaweit anerkannter Kriminalpsychologe, der sich mit Opferthera38 pien und posttraumatischen Wesenszuständen befasst. Kaspar Hausers Geschichte verbreitete sich, denn die Regionalpresse hatte über den orientierungslosen Mann, dessen Zustand wohl weder dem Alkohol, noch Ehe- oder beruflichen Problemen zuzuschreiben war, recht ausführlich berichtet. Nun begannen Juristen, Pädagogen, Theologen, ja sogar Ökonomen, sich für den Fall zu interessieren. Eines wurde aber sehr schnell klar. Hauser verfügte über eine normale bis überdurchschnittliche Intelligenz. Das ergaben seine Antworten, als man ihn mit Fachfragen konfrontierte, die vielleicht etwas mit seiner Rentenauskunft zu tun haben konnten. Dort waren Begriffe wie „Studienzeiten“ zu lesen. Mit weiteren Begriffen wie „Erwerbsminderung“, „Anwartschaften“ oder „Berücksichtigungszeiten“ konnten weder „der Hauser“ noch die Ermittler etwas anfangen. Bei diesen Begriffen erzitterte er förmlich, was aber eines zeigte: Hauser war in seinem Vorleben bereits mit diesen Begriffen konfrontiert worden – offensichtlich sehr massiv sogar. Dennoch: Kaspar Hauser konnte sich in seinem Leben nicht zurechtfinden. Er verstand die Briefe, die man ihm in die Hand gegeben hatte, nicht im Geringsten und war mit den Angaben und Fremdwörtern seelisch so überfordert, dass er inhaltlich scheiterte. „Noch“, wie Professor Riese nach erster Begutachtung prognostizierte. Professor Riese behielt Kaspar Hauser in seiner Obhut und untersuchte ihn weiter. Riese berichtete seine Erkenntnisse an die SoKo der Kriminalpolizei und versprach, sich persönlich weiter des Falles anzunehmen und das Problem weiter zu analysieren. Die SoKo er-
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Kriminalwissenschaftliches Gebiet der Psychiatrie.
Seelische Verletzung infolge eines Stress-, Konflikt-, Krankheits- oder Unfallereignisses (oft bei Gewaltopfern).
38
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
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mittelte im Auftrag der Staatsanwaltschaft „gegen unbekannt“. Riese nahm die Fährte der 39 kryptischen Worte auf („Erwerbsminderung“, „Anwartschaften“, „Berücksichtigungszeiten“), die offensichtlich aus dem psychosozialen Umfeld Hausers stammen mussten. Zunächst ohne Ergebnisse. Er fühlte sich von dem Ermittlungsbehörden auch allein gelassen. Erst Wochen später fielen die Würfel, die das Rätsel lösen sollten. Professor Riese erinnerte sich während einer der endlosen analytischen Sitzungen mit Kaspar Hauser plötzlich spontan an einen wissenschaftlichen Artikel, den ein Professoren-Kollege aus Berlin vor etwa zwei Jahren verfasst hatte – nur an die Art Publikation konnte Riese sich nicht mehr erinnern.
2.2
Zweiter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
Drei Jahre sind vergangen, heute am01.01.2012. Bis zur Rente sind es noch 32 Jahre. Adam Riese spart seit drei Jahren jeden Monat 100 Euro und hat immerhin schon 3812 Euro auf der hohen Kante. 3.600 Euro hat er eingezahlt und lumpige 212 Euro Zins kassiert. Kaspar Hauser, der Kaspar Hauser in uns allen, nimmt sich Zeit mit dem Sparen. Beide gehen ein Bier trinken. Diesmal zahlt Adam Riese (aber nicht aus seinem Sparkonto).
2.3
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
2.3.1
Gelddumm
„Spiegel Online“ 41 ge.
40
zitiert eine Rentenprognose des Deutschen Instituts für Altersvorsor-
Eigentlich müsste man den vorangegangenen Satz oben noch einmal beginnen: „Spiegel Online ZITTERT eine Rentenprognose…“, aber es ist ja nicht Spiegel Onlines Geld, es ist Ihres. „Vor allem den heute 40- bis 49-Jährigen droht ... im Alter Geld zu fehlen. Weil seit 2001 das gesetzliche Rentenniveau um etwa 18 Prozent gesunken ist und die Lebenserwartung
39
Geheimnisvoll/verschlüsselt.
40
www.spiegel.de vom 2.08.2005: „30 Prozent der Deutschen droht die Altersarmut“.
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www.DIA.de
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Kapitel 2
weiter steigt, hat der Untersuchung zufolge jeder Haushalt aus dieser Altersgruppe durchschnittlich 215 Euro im Monat zu wenig zur Verfügung.“ So viel zu den Rentenkürzungen derer, die in rund 15 bis 25 Jahren in Rente gehen: Allein innerhalb der letzten acht Jahre sanken die Rentenanwartschaften (also die zu erwartenden Ansprüche) des Durchschnittsbürgers um über 200 Euro monatlich. Allein um diese 200 Euro Rentenverluste 42 auszugleichen, müsste jeder Bürger 70 bis 180 Euro im Monat anlegen : 70 Euro Sparrate monatlich der 40-Jährige; 180 Euro monatlich der 50-Jährige. Aus dem Zusammenhang des Textes von „SPIEGEL Online“, mag sich dem Spiegel-Leser ja noch erschließen, dass die 215 Euro im Monat sich auf die spätere Rente und nicht auf aktuelle Belastungen beziehen. Aber dass der angesprochenen Alterskohorte nur 215 Euro im Monat fehlen, hielte selbst der Autor der Spiegel-Zeilen für fraglich, wenn man ihn heute fragen würde. Konkret: Die Leistungen der Gesetzlichen Rente sind um 215 Euro gesunken und haben die Rentenlücke nochmals vergrößert. Auf insgesamt etwa 800 Euro beim Durchschnittsmenschen. Das sind in Geld („Barwert“ sagt der Profi) etwa 160.000 Euro, die ein 45-Jähriger in 20 Jahren zusätzlich zusammengekratzt haben muss. Bei fünf Prozent Zins heißt das: 400 Euro monatliche Sparrate. Ab heute! Überhaupt die Zahlen bei Sparberechnungen: Zum Umgang von Journalisten mit Zahlen und Vorsorgethemen lesen Sie in Kapitel 5 Ausführliches.
2.3.2
Krankheitsbild „Finanzieller Analphabetismus“ 43
Im Frühjahr 2004 veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie mit dem Titel „FinanziellerAnalphabetismusinDeutschland:SchlechteVoraussetzungenfüreigenverantwortli cheVorsorge“und gab in der Überschrift bereits die Antwort auf den finanziellen Seelenzustand der Deutschen: Einerseits seien Finanzprodukte viel zu komplex (mehr dazu in den Kapiteln 6 und 9) und es fehle den Deutschen schlicht und einfach an finanzieller Bildung. Die Bertelsmann-Stiftung hat ferner die Auswirkungen dieses Status Quo auf die Vorsorgebereitschaft und die intellektuelle Vorsorgefähigkeit der Deutschen untersucht, wovon hier ergebnisweise und zusammenfassend berichtet wird. Allgemein wird Analphabetismus definiert als die Unfähigkeit, grundsätzlich bekannte, erlernte Buchstaben, Worte und Grammatik beim Lesen und Schreiben praktisch anzuwenden, bis hin zum völligen Unvermögen. „Unvermögen“, das passt, leider. Finanzieller Analphabetismus zeigt sich im fehlenden konkreten und abstrakten Wissen über finanzielle Zusammenhänge und die Unkenntnis einfachster Prinzipien selbst bei gängigen Finanzprodukten. Zum Beispiel hält ein Drittel der „Besserverdiener“, in der Studie sind das die Gruppe mit mehr als 2.500 Euro Bruttoeinkommen im Monat, die Aktie für sicherer als das Sparbuch. Übrigens: Wenn ab 2.500 Euro Bruttoeinkommen der „Besserverdiener“
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Angenommener Zinssatz 5 Prozent, keine Kosten berücksichtigt, Laufzeiten von 15 bzw. 27 Jahren.
43
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland: Schlechte Voraussetzungen für eigenverantwortliche
Vorsorge.
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
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(laut Studie) anfängt, dann hat eine vierköpfige Familie davon etwa 1.850 Euro Nettoeinkommen und ist gemäß Armutsbericht der Bundesregierung nur noch etwa 200 Euro von der Armutsgrenze entfernt. Insofern ist die Bezeichnung „Besserverdiener“ etwas zu relativieren. Wenn Bürger sparen, dann hat das wenig mit dem Bildungsgrad zu tun, sondern ist eher vom Einkommen abhängig. Wer hat und kann, der spart eher. Wer nichts hat oder wer nicht sparen kann, der spart nicht oder weniger. Aber in ihren Annahmen, Einstellungen und der Art ihrer Sparaktivitäten unterscheiden sich die Menschen trotz Bildungsunterschieden nicht. Das heißt: Wenn die Menschen beim Sparen Fehler machen, dann machen alle in etwa die gleichen Fehler. Diese Feststellung der Bertelsmann-Stiftung scheint die Kritik an zu komplexen Finanzprodukten zu bestätigen. Nicht auf das tatsächliche Sparen, sondern auf das zumutbare oder notwendige Mindestfachwissen bezogen, kamen die Bertelsmänner zu Ergebnissen, die durchaus mit dem Bildungsgrad der Befragten variieren. Gefragt nach der Rentenhöhe eines Durchschnittsverdieners nach 30 Jahren Beitragszahlung überschätzten die Deutschen den tatsächlichen Wert umso mehr, je höher eigenes Einkommen und eigener Bildungsgrad sind. Da die Daten in den Jahren 2002 und 2003 erhoben wurden, durften die Bürger noch in D-Mark rechnen. Wenn man die „Maßzahlen für Finanzalphabetismus“ der Studie in Schulnoten übersetzt, dann schneiden die Befragten mit Note 3-minus (Abiturienten und Höherverdiener) bis Note 5 ab (Gruppe der Hauptschüler und Geringverdiener unter 1.500 Euro Bruttoeinkommen). Man könnte methodisch einwenden, dass höher Verdienende grundsätzlich höhere Beträge schätzen, da sie sowieso stets in größeren Dimensionen als Wenigverdiener leben und denken. Ja, aber zum einen sind 2.500 Euro Brutto-Verdiener wie oben erwähnt noch längst nicht als wohlhabend anzusehen, zum anderen hat finanzielle Kompetenz durchaus mit Abstraktionsfähigkeit zu tun, mit dem Vermögen, kleinere und größere Zahlen voneinander abzuleiten. Nur wer sich geistig in ein Umfeld einordnen kann, kann seine (hier: finanzielle) Situation beurteilen. Ein Beispiel: Wer sich über seine geringe Rente beklagt, sollte dies in einem Zusammenhang mit den (Rentendeutsch:) „zurückgelegten Beitragszeiten“ betrachten. Wie viele Jahre waren es denn und wie hoch war das Einkommen? Wer sich über sein zu geringes Vermögen beklagt, sollte sich fragen, ob, wann und mit wie welcher Sparratenhöhe im Monat er angefangen hat. Je eher man sich konkret und am besten mit seiner eigenen Situation befasst, desto seltener sind „die Anderen“ Schuld. Im Anschluss an die grundsätzliche Klärung der Sparaktivitäten und des Geldwissens der Deutschen kommen wir zum, man könnte sagen, emotionalen Teil der BertelsmannStudienergebnisse: Rund 60 Prozent der Gruppe mit dem geringeren Wissen (Note 4 bis 5) empfinden Finanzfragen generell als schwierig, bleiben dabei unsicher, befassen sich nur ungern damit und schieben finanzielle Entscheidungen auf. Die Hälfte dieser Gruppe sagt außerdem, es sei zwar Zeit vorhanden, um finanzielle Fragen zu klären, aber keine Muße. Und die andere Hälfte? Die hat keine Zeit dafür!
34
Kapitel 2
Etwas weniger dramatisch zeigen sich die Einstellungen der Gruppe mit etwas besserem Finanzwissen (Note 3): Hier hat nur (!) etwas mehr als ein Drittel Vorbehalte gegen Finanzthemen und der Beschäftigung damit. 40 Prozent schieben Finanzentscheidungen grundsätzlich auf, 30 Prozent haben – das kennen wir – auch keine Zeit dafür. Die Bertelsmann-Studie schließt ab mit der Abfrage von Forderungen, den Bildungszustand der Deutschen rund um das Thema Finanzen zu verbessern. Und hier steigen die Quoten, offenbar weil Forderungen kein Geld und keine Zeit kosten, oder? Nahezu 90 Prozent der Befragten fordern, dass Finanzthemen auf die Lehrpläne der Schulen kommen, zwei Drittel fordern dies sogar zu Lasten anderer Schulfächer. Es sollen Arbeitgeber zu Informationsveranstaltungen über die Betriebsrente verpflichtet werden und man ist bereit, auch private Fortbildung zu betreiben. Die heile Welt lässt sich leicht fordern. Soweit die Bertelsmann-Studie.
„Betriebliche Heilungschancen“ Was die Schule betrifft, könnten die Leute sehr Recht haben (siehe im anschließenden Kapitel 3.), was methodisch allerdings die Frage aufwirft, ob relative Finanzalphabeten das Recht und vor allem die Kompetenz haben, derartige Forderungen zu stellen in einer Situation, in der sie sich ja durchaus freiwillig befinden. Jeder konnte sich schon immer, wenn auch manchmal mühevoll, dem Thema Geld theoretisch (lesen, fragen, hinterfragen) und praktisch annähern: Das nennt sich – und wir führen hier zu Recht einen völlig neuen Begriff ein: SPAREN. Das Wort „Sparen“, buchstabiert sich: S-P-A-R-E-N. Und in den Unternehmen? Bereits seit 2002 haben Mitarbeiter das Recht auf die sogenann44 te Entgeltumwandlung und bereits seitdem wurden entsprechende Beratungen in den Unternehmen angeboten, oftmals auf Dienstzeit. „Auf Dienstzeit“, das ist wichtig, ist ein magisches Wort: Wenn laut Bertelsmann-Studie 80 Prozent der Menschen bereit wären, privat an entsprechenden Informationsveranstaltungen teilzunehmen, dann zeigen tatsächliche Erfahrungen aus der Betriebsrentenberatung, dass selbst während der bezahlten Arbeitszeit im Schnitt maximal 50 Prozent der Mitarbeiter zur Beratung der Betriebsrente erscheinen. Finden solche Informationsveranstaltungen außerhalb der Dienstzeit statt, ist die Teilnahmequote verschwindend gering. Der Autor weiß, wovon er redet, weil er zu oft vor zu wenigen Mitarbeitern stand, weil diese ihre Privatzeit nicht für die Altersvorsorgeberatung, der scheinbaren unwürdigen Alternative zum Jodeldiplom, im Betrieb opfern wollten. Möchten Sie in Rekordzeit zum Buhmann in einem Unternehmen werden? Gehen Sie in die Betriebe. Bieten Sie Beratung an. Und sagen Sie, wenn Sie Mut haben, dass diese Beratung auf Privatzeit geht. Holen Sie sich eine blutige Nase! Bereits die Ankündigung einer Informationsveranstaltung nach Dienstschluss wird Ihnen als Angriff auf die freizeitmäßi-
Jeder Angestellte darf bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung steuer- und sozialabgabenfrei in betriebliche Altersversorgung umwandeln.
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Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
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ge Unversehrtheit der Mitarbeiter angelastet. Der Autor will ja nicht behaupten, dass die Befragten der Bertelsmann-Studie uns anlügen. Er behauptet aber, dass diese Menschen sich selbst anlügen und er verlangt, dass sie Verantwortung für sich, ihr Leben und für ihre Familie übernehmen und dass sie, immerhin erwachsene Menschen, beim Wort genommen werden.
„Belohnung?“ Inzwischen zeichnen sich neue arbeitsrechtliche Entwicklungen ab, nach denen Finanzieller Analphabetismus sogar noch belohnt wird. Kaum zu glauben, aber selbst ohne besondere Rechtskenntnisse kann man, wenn man sich kümmert, feststellen, dass Mitarbeiter seit 2002 das oben erwähnte Anrecht auf Entgeltumwandlung haben. Wer das nicht wusste, der erfährt es spätestens beim Ausscheiden aus dem Unternehmen, wenn mal ein Rechtsanwalt auf den Arbeitsvertrag und die Verhältnisse beim ehemaligen Arbeitgeber schaut. Was ist geschehen? 45
Fritz Faul , ledig und kinderlos, war seit 2000 als Handelsfachpacker bei der Firma Pack46 ex beschäftigt und erhielt ein Bruttoeinkommen von 1.800 Euro. Pack-ex, immerhin sind dort 50 Mitarbeiter beschäftigt, hat einen aufmerksamen Geschäftsführer, der „das mit der Entgeltumwandlung“ Anfang des Jahres 2002 ernst nahm und seinen Versicherungsmann ins Haus holte, auf dass er die Mitarbeiter berate. Der Pack-ex Chef wollte seiner Fürsorgepflicht um die Mitarbeiter nachkommen. Die Beratungen fanden statt, auf Dienstzeit (dem Lieblingswort des Angestellten). Auch Fritz Faul wurde beraten und es war schnell klar, dass er 50 Euro im Monat nicht aufbringen will; schon die Kosten für Handy, Fitnessstudio und den Premiere-Decoder bringen ihn um. Da nützt es auch nichts, dass ihn die vorgeschlagenen 50 Euro brutto unterm Strich beim Nettogehalt nur rund 25 Euro „kosten“. Um das zu verstehen: Fritz Faul verzichtet bei der Entgeltumwandlung auf 50 Euro Bruttogehalt. Daraus werden nach 30 Jahren etwa 200 Euro Betriebsrente - lebenslang. Auf dem Lohnzettel fehlen ihm netto nur 25 Euro im Monat; das ließe sich finanziell durchaus ertragen. Die Die Jahre vergehen und am 1. Oktober 2008 wechselt Fritz Faul zur Pack47 Age AG, die ihn für 200 Euro mehr Bruttogehalt abgeworben hat. Das ist Faul recht, schließlich ist der Markt für Fachkräfte wie ihn nahezu leergefegt. Ende September, Faul feiert schon seinen Resturlaub ab, trifft Faul im Fitnessstudio einen jungen Rechtsanwalt. Die beiden kommen ins Gespräch und Faul erzählt von seinem Wechsel. Um das hier abzukürzen: Genau einen Tag später verklagt der Rechtsanwalt, die Vollmacht von Faul in der Tasche, den alten Arbeitgeber auf Schadenersatz, weil er den Mitarbeiter nicht über die Entgeltumwandlung aufgeklärt habe. Faul habe somit seit 2002 keine Chance gehabt, pro Jahr rund 2.500 Euro staatlich gefördert anzulegen, und das sechs Jahre lang. Die Firma Pack-ex bleibt gelassen und erinnert vor dem Arbeitsgericht an das 2002 geführte Bera-
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Name frei erfunden; Situation: real.
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Frei erfunden.
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Erfunden.
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Kapitel 2
tungsgespräch zur Betriebsrente. Sie kann es aber nicht beweisen und da Arbeitsverträge seit einigen Jahren bereits dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen, gilt das Prinzip der Schriftlichkeit. Nichts Schriftliches – kein Beweis. Pack-ex muss zahlen und erst jetzt wird auch Fritz Faul klar, wie lohnenswert Entgeltumwandlung ist: Rund 5.000 Euro entgangene Förderung landen auf seinem Konto. Amerikanische Verhältnisse gibt es nicht nur in Amerika.
2.3.3
Noch mehr geistige Dialyse48
Sie müssen nicht unbedingt das Institut für Demoskopie Allensbach fragen, um Finanziellen Analphabetismus zu diagnostizieren, Sie können auch Ihren Nachbarn fragen. Da aber die Postbank keine Nachbarn hat und zum Zwecke der eigenen Kompetenzverstärkung 49 fremde Kompetenz einkauft, hat sie Allensbach konsultiert. Und die haben im Jahr 2006 ermittelt, dass knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland nicht weiß, wie viel Geld man monatlich aus der Hand geben muss, um auf eine bestimmte Rentenhöhe zu sparen. Und je jünger, desto ahnungsloser sind die Menschen. Dabei werden es vor allem die heute (!) jungen Leute unter 30 Jahren sein, die am meisten unter den kommenden Rentenkürzungen leiden werden. Übrigens schätzen die Befragten, die sich zur Antwort nach der nötigen Sparrate befähigt fühlen, ihren monatlichen nötigen Aufwand für die Altersvorsorge auf 226 Euro. Die Befragten unter 30 begnügen sich bei ihrer Schätzung mit 144 Euro. Auf genau diese 144 bzw. 226 Euro werden wir noch zu sprechen kommen, weil ausgerechnet diese Sparbeträge vor allem beim jungen Menschen ins Schwarze treffen und hier ausnahmsweise kein Finanzieller Analphabetismus vorläge, wäre, ja wäre diese Zahl statt durch Schätzung durch Berechnung zustande gekommen! Schätzungen sind nämlich Glückssache und, leider, keine Entlastungsbeweise. SogarschlechteSparverträgesindbesseralsgarkeine!
Man muss wirklich kein Finanzmathematiker sein oder mit Rentenfaktoren um sich werfen können. Es geht einfacher: Man frage einen Finanzberater. Wenn die halbe Erwerbsbevölkerung nicht weiß, wie viel für die Rente zu sparen ist, dann hat sie noch keinen Finanzberater gefragt. Oder sie hat keinem Finanzberater zugehört. Sogar schlechte Finanzberater haben in der Regel richtig rechnende Angebotssoftware für diesen Zweck. Selbst im Falle einer Beratungskatastrophe, wenn alles falsch ist, also die Beratung, das Berechnungsprogramm, selbst wenn die versteckten und damit nicht wahrnehmbaren Abschlusskosten zu hoch sind: Es hätte es sich gelohnt, bereits vor einem oder zwei Jahren mit dem schlechten Sparprodukt anzufangen. Warum? Weil der Kapitalertrag im letzten Jahr am höchsten ist und Kostennachteile schlechterer Produkte oft aufwiegt. Und wir
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Dialyse: medizinische Blutreinigung bei Nierenversagen.
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Postbank/Allensbach: „Altersvorsorge in Deutschland 2006“ .
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
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reden hier von ganz einfachen Standardprodukten Produkten wie Fonds oder der RiesterRente. Kompliziert ist nur die Formulierung der Geschäftsbedingungen, nicht aber das Prinzip: Früh viel und lange Geld sparen. Ohne zu viel vorweg zu nehmen: Sie wollen ganz sicher gehen mit dem Sparen? Fangen Sie drei Jahre früher an zu sparen. Dann „schadet“ auf etwa 30 Jahre selbst eine um ein Prozent geringere jährliche Verzinsung eines schlechten oder kostenträchtigen Sparproduktes Ihrem Vermögen nicht! Dies soll kein Plädoyer für schlechte Produkte oder für schlechte Berater sein! Hier soll nur erklärt werden: Das schlechteste Produkt heißt NichtSparen! Wer drei Jahre Nicht-Sparen aufholen möchte, der muss mit höherem Risiko oder mit mehr Sparbeitrag einsteigen. Hierzu gibt es in Kapitel 8 weitere Beispiele. In der Berichterstattung findet sich selten eine mathematisch komplementäre Aussage zu den Forschungsergebnissen um die deutsche Volksseele. Merke: Das beste Sparprodukt ist das, mit dem ich drei Jahre früher zu sparen beginne! Die allermeisten Leute, die sagen „Geld macht nicht glücklich“, wissen nicht wirklich wovon sie sprechen! Jeder Experte prüfe zunächst seine Kompetenz und schaffe bezüglich Geld und Erfahrung damit die erste Voraussetzung: Erst ein Vermögen aufbauen und dann kompetent über die „gesammelten“ Erfahrungen berichten! Wenn der Deutsche ausnahmsweise doch mal über Geld spricht, dann schlecht und wie schlecht es ihm geht. „Ich krieg’ ja sowieso keine Rente“, hört man die deutsche Volksseele am Stammtisch und am Kaffeetisch sagen. Das ist Blödsinn, über die Höhe kann man ja klagen und streiten, rechnen und sich verrechnen, aber neun von zehn Deutschen bekommen sie, die Rente. Übrigens wünschen sich die Deutschen laut Postbank/AllensbachStudie, wünschen kostet nichts, im Westen durchschnittlich 2.100 Euro Rente – aber inflationsbereinigt bitteschön – und im Osten circa 1.800 Euro, was in beiden Fällen ihre gesetzlichen Rentenanwartschaften um etwa 100 Prozent überschreitet. Um 2.100 Euro Rente zu erhalten, muss ein Beitragszahler 40 Jahre lang über 5.000 Euro verdienen oder 40 Jahre lang immer das Doppelte des Durchschnittsverdieners. Beim Wünschen klappt das mit der Abstraktionsfähigkeit bei Finanzangelegenheiten, also der Zuordnung fremden Geldes zum eigenen, besser. Oder wer soll die Wünsche der Wünscher erfüllen außer sie selbst?! Was tun die Deutschen? Sie „riestern“. Seit zwei, drei Jahren tun sie das sogar sehr fleißig. 25 Prozent (2006 war es nur die Hälfte) halten laut Postbank die Riester-Rente für das ideale Vorsorgeinstrument. Für ihre weitere Zukunftssicherung bevorzugen sie allerdings den Erwerb von Wohneigentum, um Mietkosten sparen, so die Postbank. Also, genau gesagt: Sie wollen. Werden sie auch? Schaut man sich die Stände der Sparkonten und Bausparverträge der Deutschen an, dann ergibt sich volkswirtschaftlich bewertet und auf fiktiv ersparte Mietkosten hochgerechnet nicht genug Spar- oder Ansparvermögen, das anderswo bisher ausgefallenes Sparen rechtfertigt! Mit anderen Worten: Die Deutschen sparen eben nicht ausreichend fürs eigene Häuschen. Sie tun es nicht für die eigenen vier Wände und sie tun es nicht fürs Alter.
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Kapitel 2
Es sind bisher gerade einmal 50 Prozent der Deutschen Eigenheimbesitzer und diese Quote wird sich nicht von selbst verbessern, nachdem die Eigenheimzulage entfallen ist und die Kosten der Lebenshaltung weiter steigen. Seit 2007 stiegen besonders die Benzin-, Gas-, Strom- und Lebensmittelpreise erheblich. Ende 2007 vermeldeten die statistischen Landesämter eine Inflationsrate von drei Prozent, den höchsten Stand seit 1994. Ende 2008, mitten in der Finanzkrise, machte die Inflation Pause. Aber nur Pause: Sinken werden die Preise auf Dauer nicht. Sinken wird der Rentenbedarf auch nicht. Was ist eine Erkenntnis des Verbrauchers aus der Finanzkrise? 1. Wer nicht gerade von Kurzarbeit oder Ähnlichem betroffen ist, der ist nicht betroffen. 2. Wer kein Börsenvermögen hat, dessen nicht vorhandenes Börsenvermögen kann auch nicht um 40 Prozent gesunken sein. 3. Ehrlich: Die Rente steigt durch die Finanzkrise nicht! 4. Bestimmt: Die Finanzierung der Altersversorgung wird durch die Finanzkrise nicht leichter. 5. Es wird aber Zeit, trotz aller Schwierigkeiten durch Kosten, Kinder, Konsumwünsche, Einkommensprobleme und Arbeitsplatzunsicherheit mit dem Sparen zu beginnen, heute. 6. Die Punkte 1. bis 5. galten und gelten auch ohne Finanzkrise Nur eines ist zu beachten: Sichere Anlagen werden schlechter verzinst. Dadurch muss man, Frau auch, mehr sparen. Zurück zur Inflation: Fragen Sie einmal auf der Straße die Leute, was drei Prozent Inflation später bedeuten. Sie werden sagen, sie wissen es nicht. Gut ein Viertel der Menschen weiß 50 noch nicht einmal den Begriff „Inflation“ oder „Rezession“ zu erklären . Macht nichts: Fragen Sie einmal einen normalen Banker oder einen Versicherungsvertreter, was drei Prozent Inflation, bezogen auf das Rentensparen, bedeuten. Wie wird er antworten? Wird er antworten wie die meisten Leute auf der Straße? Wenn man sich die Vorsorgeberechnungen und Sparstände bei ihren Kunden anschaut: ja, meistens. Warum? Das steht in Kapitel 6. Übrigens: Drei Prozent Inflation bedeuten, dass heutige Rentenerwartungen von 1.000 Euro in 30 Jahren auf 400 Euro KAUFKRAFT schrumpfen (WKK = das WenigerKaufen-Können-Syndrom)! Das folgende Thema wird zwar ebenfalls in Kapitel 6 ausführlich behandelt, dort aber nicht unter Wissens- und Wesensaspekten des modernen Bürgers. Der moderne Bürger hat, glaubt man seinen Nachbarn oder der Stammtischbesatzung oder noch einmal der PostbankUmfrage, von der am 1. Januar 2005 eingetretenen WendebeiderBesteuerungvonRenten, geschweige denn den Auswirkungen auf seine eigene Rente nichts mitbekommen.
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Statistisches Jahrbuch 2008 des Statistischen Bundesamtes.
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
39
Die Postbank ließ ermitteln: „Überhaupt nichts“ wissen 50 Prozent der Deutschen darüber, dass die Rente seit 2005 steuerpflichtig ist. Dass es ein Produkt gibt, das wie die gesetzliche Rente funktioniert, welches aber im Gegensatz zur Staatsrente sogar Zinsen erwirtschaftet, weiß auch nur einer von drei Deutschen. Zwar haben sich die Postbank-Befunde im Vergleich zu früheren Befragungen verbessert, doch ist zu befürchten, dass die Lernkurve der Deutschen bis in deren persönliches Rentenalter reichen wird – und dann ist es zu spät. Ohne Blick in den Kalender wissen Sie: Das Jahr 2005 ist schon lange vorbei, ebenso die Jahre 2006, 2007 und 2008. Warum sage ich das? Weil viele Rentner, auch solche mit „höherer“ Rente und privaten Renteneinkünften bisher noch keine Steuererklärung abgegeben haben. Etwa ab dem 1. Oktober 2009, zufällig nach der Bundestagswahl, werden die Finanzämter Kontenabgleiche vornehmen und bei den Rentnern „nachhelfen“, bei denen die geforderte Steuererklärung eine Nachzahlung ergeben hätte … und die ab Herbst des Jahres eingetrieben wird. Bei allem Ärger im Einzelfall. Den Rentnerverbänden, die im Sommer 2009 laut klagten, das Ganze käme plötzlich und die Besteuerung sei unsozial, ist zu sagen: Diese Rentenbesteuerung ist seit 2004 bekannt. Grauen-Versteher: DIA Institut Wenn Sie „DIA“ und „Institut“ googeln, dann finden Sie übrigens zwei DIA Institute: Das erste begrüßt seine Besucher im Internet mit folgenden Worten: „Herzlich Willkommen beim Deutschen Institut für Angstüberwindung. Angstspezialisten haben einneuartiges,hochwirksamesVerfahrenzurÜberwindungvonleichtenbisschwerenAngstund PanikstörungenundhiermitverbundenenDepressionenentwickelt“. Es handelt sich also um ein Deutsches Institut für Angstüberwindung. Der Begrüßungstext allein zeigt wieder einmal, wie nah sich Medizin- und Mammon-Themen51 sind. Man weiß wirklich nicht, wohin man gehen soll. Vor allem, wenn man Opfer eines Taschenrechners geworden ist. 52
Gehen wir zu „unserem“ DIA , dem Deutschen Institut für Altersvorsorge. Unser DIA tat im Sommer 2007 einen mutigen Schritt zur Diagnose der Sparer und Nicht-Sparer, als es die Sparbereitschaft der Menschen zu typisieren versuchte. Es untersuchte das Vorsorgeverhalten von 26 Haushalten nach einem vom DIA entwickelten Simulationsmodell „Lebensökonomie“; eine Art erster Praxistest des Modells. Das sind sicherlich viel zu wenige Probanden und das Institut kündigt einen weiteren Test unter voller Last an. Dennoch: Die Erkenntnisse sind bemerkenswert, weil man den ganzen Menschen untersucht hat, nicht nur Alter, Ausbildung, Einkommen und Familienstand, sondern auch biografische Beson-
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Mammon: Aus der Bibel; abschätziger Ausdruck für Geld (wenn es unredlich erworben wurde).
Deutsches Institut für Altersvorsorge „Altersvorsorge in Deutschland – Verloren im Dschungel der Möglichkeiten“.
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Kapitel 2
derheiten, Fragen nach persönlichen Bedürfnissen und Erwartungen. Wie immer wurden die Schätzungen und Einschätzungen der Leute mit den harten Fakten zu Rente und Sparbedarf verglichen. Fortschrittlich ist, dass die Probanden hinterher die Ergebnisse kommentieren mussten. Wichtig war es dem DIA, die Leute „laut denken“ zu lassen und von ihnen Hinweise zu bekommen, worauf es den Menschen insgesamt ankommt. Letztlich, davon ist auszugehen, wurden ausnahmsweise einmal richtige, reflektierende Finanzgespräche geführt.
Mammongrafie
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Was kam dabei heraus? Zunächst ein kleines Büchlein über das Projekt, höchst lesenswert. Für Fachmann und Laien begreifbar und nachvollziehbar wird ein Stück Deutschland von innen gezeigt. Garniert wird diese Nabelschau durch Synopsen, die neben dem eigentlichen Text die Originaltöne der Probanden enthalten („ich weiß schon, dass etwas passieren muss“ - Akademiker, Familienvater) und die den inhaltlichen Aussagen der Autoren echte Atmosphäre verleihen. Um praktisch zu werden: Stellen wir uns vor, statt der Autoren handelte es sich um einen Finanzberater, der sich endlich einmal wirklich mit seinen Kunden beschäftigt hat! Der weiß dann erstmals, was bei seinen Kunden los ist - und die wissen es auch. Was ist los? Den Menschen fehlt für Finanzentscheidungen zu allererst ein vertrauensvoller Finanzberater – es kann manchmal so einfach sein. Allerdings, und wir sprechen hier weiterhin über Finanziellen Analphabetismus, hat dieser seinen Mitmenschen noch einige Steine aus dem Weg und aus dem Kopf zu räumen. Das DIA typisiert beispielsweise den seltenen „Riester-Idealtyp“, der klassische Angestellte mit guter Aus- und Weiterbildung, ein Mensch, auf den man sich im privaten Umfeld und in der Firma verlassen kann. Der „Riester-Idealtyp“ ist ein Mensch der plant. Egal wie hoch seine Mittel sind, er plant, er liest und er handelt. Kann er nicht handeln, weil Bares fehlt, terminiert er seine Maßnahmen. Eine Riester-Rente hat er schon längst, die Betriebsrente nutzt er auch – und zwar in genau kalkulierter Höhe. Ein Idealtyp mit maximaler Schwiegersohn-Eignung. Diagnose: kerngesund, mittlere Geiztendenz. Therapie: Mach’ mal Urlaub. „Der informiert zufriedene Versorgte“ (das hätte man auch einfacher formulieren können) ist laut DIA dem Riester-Idealtyp ähnlich, er handelt aber nicht pro-aktiv und ist mit Aufschieberitis beim Sparen großzügiger als mit dem Terminieren künftigen Sparens und informiert sich auch nicht selbst. Lieber agiert er in Epochen, kauft hochwertige Konsumgüter, dafür seltener, spart immer wieder mal größere Beträge oder in größeren Monatsraten. Diagnose: gefährdet. Therapie: Impfung.
Wortspiel aus Mammografie (Vorsorgeuntersuchung der weiblichen Brust zur Krebs-Früherkennung) und der Analyse des Themas „Geld“, öfter der „schnöde Mammon“ genannt. Biblisch ist Mammon ein unredlich erworbener Gewinn.
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Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
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Sehr selten: „Der Überversorgte“ ist ein Riester-Idealtyp, der aus Angst vor Armut reich 54 wird. Diagnose: Finanziell voll alphabetisiert, aber manisch-depressive Neigung zum 55 Howard-Huhges-Syndrom. Therapie: unheilbar, könnte aber einer gemischten Selbsthilfegruppe mit „potenziell Unterversorgten“ beitreten, als Fachmann. Das Grauen: „Die potenziell Unterversorgten“ unterteilen sich in „Misstrauische“, die unterversorgt sind und das auch wissen, es aber nicht ändern, weil Kinder, Haus und für notwendig und verdient gehaltene Konsumwünsche vorgehen. Die „Institutionell Überforderten“ scheitern an der Komplexität der vielen Sparformen und der steuerlichen/gesetzlichen Regeln: Sie sind verunsichert. „Der finanziell Überforderte“ hat kein Geld oder glaubt, keines für die Altersvorsorge zu haben. Allen gemeinsam ist: Sie schwingen selten bis gar nicht einen Taschenrechner und sind froh darüber. Diagnose der „Potenziell Unterversorgten“: Real unterversorgt, Sparmuffel, verbreiteter Finanzieller Analphabetismus, zu großen Teilen staatlich verursacht. Therapie: Reden, rechnen, reden, rechnen, handeln, dran bleiben. Insgesamt sieht das DIA wie viele andere Institute ein massives Defizit an Aufklärung, da die Menschen zur Selbstaufklärung, zum Lernen nicht in der Lage zu sein scheinen. Andererseits, meint der Autor dieser Zeilen, kann die Klage über Missstände nicht mit der Bestellung des Glückes verwechselt werden und empfiehlt zusammen mit den Autoren dieser und anderer Studien eine neue „Strategische Finanzberatung“. Ein anspruchsvoller Begriff!
Die Oberen Zehntausend Was unterscheidet strategische Finanzberatung vom Private Banking, also der im Idealfall lebensbegleitenden und an den Lebensepochen orientierten Finanzberatung vermögender Menschen? Nichts, außer: Die Kunden der strategischen Finanzberatung haben erheblich weniger Geld als die Private-Banking-Kunden. Es gibt sie also schon, die Strategische Finanzberatung, nur kann sie sich kaum ein Mensch leisten. Aber keine Sorge, PrivateBanking-Kunden haben „den anderen“ nur ein dickes, schickes Papierwerk voraus, dass doch nicht gelesen wird und nach dem vor allem nicht gehandelt wird. Dafür ist es teurer. Mit 2.000 bis 5.000 Euro Kosten für die Datenaufnahme, die Beratung und das erste Textwerk der Privatbank oder der Individualkundenabteilung der Bank Ihres Vertrauens müssen Sie schon rechnen. Was wollen uns diese Worte sagen? Ausweislich mehrerer dem Autor bekannter „Vermögenskunden“ mit zum Teil mehreren Gutachten im Schrank erzeugen auch Private-Banking-Berater beim Kunden keinen ausreichenden Handlungsdruck. Das ergaben Vergleiche zwischen fünf Jahre alten Finanzplänen mit der Finanzrealität der Kunden. Nichts Wesentliches hatte sich geändert und wenn, dann war nicht das Gutachten der Auslöser, sondern eine akut veränderte Situation des Kunden.
54
Zu Deutsch: psychische Erkrankung, gekennzeichnet durch extreme Stimmungsschwankungen.
55
Der US-Milliardär Howard Hughes litt zudem an Verfolgungswahn (Paranoia).
42
Kapitel 2
Die unterschiedlichen Konsequenzen aus professionell erstellten Finanzplänen hängen in der Tat seltener mit der Sache als mit der Entlohnungsart des Beraters zusammen: Beim Private Banking zahlt der Kunde ein Beratungshonorar nach Aufwand. Und in der Vermögensverwaltung, dort wo das Geld eigentlich „gedreht“ wird, zahlt er einen prozentualen Anteil von jährlich 0,5 bis 1,5 Prozent des verwalteten Vermögens (plus Börsenspesen und andere Kosten des Geldbewegens). Natürlich ist jede Bank neben der in Geld honorierten Beratung auch an der Vermögensverwaltung interessiert, aber schon das reine Beratungsgeschäft, das Erstellen von Finanzgutachten, kann seinen Herrn nähren. Als Zwischenfazit kann man sagen: Wenn ein „schlechterer“ Finanzplan gut und vor allem konsequent umgesetzt wird, dann ist das besser als ein ausgefeilter Finanzplan, der in der Schublade einen langsamen qualvollen Tod stirbt. Das ist kein Plädoyer für schlechte Finanzpläne! Dies ist das Plädoyer für gute und konsequent – hier passt auch der Begriff „stringent“ – also für stringent umgesetzte Finanzpläne. Beim „normalen“ Finanzberater ist das anders. Der berät lang oder kurz, gut oder schlecht, oberflächlich oder intensiv und bekommt doch nur seinen Anteil aus dem am Ende aller Gespräche abgeschlossenen Geschäft. Also handelt der normale Finanzberater ökonomisch. Er verkürzt die Beratungszeit. Er mindert die Beratungsintensität und standardisiert die Produkte. Das machen der gute und der schlechte Berater. Gute Berater tun all das oben Beschriebene aber stets in Angemessenheit der Sachlage und der vorgetragenen Wünsche und Bedürfnisse des Kunden. Der Finanzberater weiß in der Regel erst viele Wochen nach der Beratungsleistung, ob er Geld verdient hat, ob der Kunde seine Leistungen durch eigene Sparaktivitäten auch für den Berater anerkennt. Honorare werden vom Normalbürger nicht bezahlt, weil Beratung für ihn nichts kosten darf. Es muss wirtschaftlich klar sein: Ein Kunde, an dem vielleicht 200 Euro zu verdienen sind, kann keine sechsstündige Beratung verlangen mit individuellem schriftlichem Finanzgutachten. Wer als Kunde, Gesetzgeber und Verbraucherschützer diesen Zusammenhang übersieht, ist Finanzieller Analphabet. Die Verbraucherschützer beraten auch, in Hamburg für 120 Euro ausführliche anderthalb Stunden lang. Frage: Was bekommt ein Ratsuchender bei einer Beratung für 120 Euro? Antwort: Eine Beratung für 120 Euro. FünfProzentaufalles–außerTiernahrung
Viele Sparverträge, die eigentlich für das Alter vorgesehen waren, werden nicht durchgehalten. Falls Sie sich fragen, wie das kommt: Daran sind die Produktanbieter (Banken, Versicherungen, Investmenthäuser) schuld; das sagen die Verbraucherschützer jedenfalls. Oder stimmt das vielleicht nicht? Stimmt nicht: Für Spar-Abbrüche gibt es immer wieder dieselben wahren oder wahrgenommenen Gründe wie ungeplante Kosten, andere ungeplante Kosten, ungeplante Ausgaben und nicht planbare, plötzlich eintretende Urlaubsereignisse. Vom Sparer genannt
Finanzieller Analphabetismus in Deutschland
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werden natürlich andere Gründe und „andere“ ungeplante Ausgaben, Arbeitslosigkeit, Krankheit, plötzlich geborene Kinder, Not, Tod und Elend. Klar, das Leben birgt mit seinen Wechselfällen auch finanzielle Belastungen. Und ohne Rechnen, Einteilen und Umverteilen kommt man nicht klar. Wenn die Not kommt, weil zugleich Waschmaschine, Spülmaschine und Urlaub erneuert werden müssen? Gibt der Deutsche dann seinen drei Monate alten Neuwagen mit 20 Prozent Wertverlust zurück? Nein, dieser Verlust muss unbedingt vermieden werden: Der Wagen bleibt im Haus. Also wird gesucht: Was kann weg, ohne dass der Nachbar es merkt? Die neue Haustür? Unpraktisch. Der Flachbildschirm? Das wäre im wahrsten Sinne des Wortes „unansehnlich“. Dann wäre da noch diese „neue Versicherung“, die vorletztes Jahr bei diesem netten Versicherungsmann abgeschlossen wurde, ja die! Die sieht keiner, die schadet keinem, wenn sie weg ist und zum Sparen ist später immer noch Zeit. Erstens erleichtern die gesparten „gesparten“ 100 Euro die Haushaltskasse und mit dem Geld vom Versicherungskonto holen wir die Küchengeräte. Sie wissen, was passiert? Die seit zwei Jahren eingezahlten 100 Euro, insgesamt 2.400 Euro, sind weg! Der Fachmann nennt das Abschlusskosten, die er in das Beratungsgespräch damals einbezogen hat. Der Kunde nennt den Versicherungsmann jetzt Betrüger; die „Verbraucherschützer“ nennen es legalen Betrug. Der Autor nennt das Finanziellen Analphabetismus bei Kunden und Verbraucherschützern. Weil klar sein muss, dass Beratung irgendwann doch einmal Geld kosten muss. Bei Sparversicherungen werden die Abschlusskosten mit den ersten Beiträgen verrechnet und beim Fonds als Ausgabeaufschlag vom eingezahlten Betrag einbehalten; immer so um die fünf Prozent bei Versicherung und Fonds. Beratung kostet Geld, sogar gute Beratung. Wir beziehen dieses Thema jetzt einmal auf die Eigenverantwortung des Sparers: Erstens ist nicht jeder finanzielle Engpass ausreichender Anlass für eine Totaloperation beim Sparvertrag. Zweitens gibt es bei Problemen das weite Feld der sogenannten Zahlungserleichterungen. Drittens können weder Autoverkäufer, Waschmaschinenverkäufer und Versicherungsverkäufer etwas dafür, dass der Kunde aus Gründen, die den Verkäufer in moralisch verpflichtender Weise nicht interessieren müssen, seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann oder will. Viertens sind „Kosten“ Kosten. Kosten. Kosten sind als solche vereinbarter und thematisierter Bestandteil der Beratung gewesen, und zu bezahlen. Unabhängig davon, ob der Kunde sich vorher dafür interessiert hat oder nicht. Fünftens muss Schluss sein damit, dass der Kunde seinen Berater für seine beratungs- und produktfremden privaten Probleme verantwortlich machen kann. Sonst wird auch hier Finanzieller Analphabetismus weiter durch Gerichte, Gesetzgeber und Verbraucherschützer belohnt, wenn der „durchschnittlich verständige Kunde“ (regelmäßiges Gerichtsdeutsch in Verbraucherurteilen) grundsätzlich dumm und damit schuldunfähig sein darf. Es geht auch anders. Wer früher im Vollrausch eine Straftat begangen hat, der galt oftmals als schuldunfähig: Freispruch oder Strafmilderung. Später änderte sich die Rechtssprechung: Viele Alkoholtäter wurden trotz Vollrausch als schuldfähig abgeurteilt, weil sie ihre Schuldunfähigkeit durch übermäßige Trinken erst (schuldhaft) herbeigeführt haben.
44
Kapitel 2
Bezogen auf ein Mindestmaß an zumutbarer finanzieller Eigenverantwortung verlangt der Autor, dass auch in Finanzfragen die aktive Herbeiführung von Schuldunfähigkeit durch den abgebrochenen Sparer nicht strafverschärfend für unbescholtene Verkäufer von Autos, Waschmaschinen und Sparverträgen wirkt.
Kaspar Hauser - Fortsetzung
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Kapitel3 3.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Den Name des Professors hatte er sich gemerkt und die Telefonnummer war schnell gegoogelt. Doch Riese wurde enttäuscht. Ein Anruf in Berlin machte schnell klar, dass er selbst nicht länger für Hauser zuständig sein würde, nicht länger zuständig sein konnte. 56 Der Berliner Kollege war gar kein Psychoanalytiker. Professor Ergin Kalkül, türkischer Einwanderer der dritten Generation, ist Volkswirtschaftler und lehrt am Institut für Wirtschaftstheorie der FU Berlin. Dort berechnet er Dinge wie „Renditen“. Renditen? Derartige Ausdrücke konnte Riese eindeutig weder seinen eigenen, noch anderen Wissenschaftsfeldern zuordnen, schließlich ist er Arzt, ein guter, aber eben ein Arzt und Hochschullehrer der Medizin. Da hat man auch wenig Zeit. Riese traf sich kurze Zeit später mit Kalkül und musste feststellen, dass er bei einem Mathematiker gelandet war, der ihm die abenteuerlichsten Dinge vorrechnete. Zum Beispiel war Kalkül in der Lage, die Rentenformel der Gesetzlichen Rentenversicherung aufzuschreiben. Kalkül konnte sogar, als Nichtmedizi57 ner, Tote diskontieren . Der Mann war genial und verstand offensichtlich, wovon er sprach. Leider fehlte es Adam Riese an eigener Genialität, das Gesagte zu verstehen und vor allem: zu übersetzen! Das war eindeutig nicht seine Welt. Adam Riese befasste sich weiter mit Kaspar Hausers Zustand und reihte eine tiefenpsychologische Sitzung an die nächste. Nichts. Bei jedem Versuch, Hauser mit dem einzigen vorhandenen Bezugspunkt zu seiner Person, der „Renteninformation“, zu konfrontieren, kollabierte der Patient fast. Abbruch der Sitzung. Nur allmählich linderten sich die Reaktionen. Auch bemerkte Adam Riese, dass der Patient sehr wohl über diesen Brief, die „Renteninformation“, mit der Welt, mit Riese, in Kontakt treten wollte. Allerdings hatte er den Eindruck, Hauser wolle auf dieselbe Weise „in die Welt zurück“ wie ein Selbstmörder, dessen Tat oftmals weniger Abschied, meistens aber ein Hilferuf ist. Professor Riese musste behutsam vorgehen. Kaspar Hausers körperliche Reaktionen waren an diesem Anfang der Behandlung noch viel zu stark. Erst viele Monate (und zig Sitzungen mit seinem Spezialpatienten) später wurde Adam Riese klar, was er mit dem Abbau von Hausers körperlicher Abneigung gegen die „Renteninformation“ entdeckt hatte. Professor Adam Riese hatte als Mediziner eine Art mathematischer Volkskrankheit identifiziert. Er nannte sie „FinanziellenAnalphabetismus“.
56
Die Person ist frei erfunden.
„Diskontierte Tote“: mathematische Methode, den Aufwand für Todesfallleistungen zu einem Bilanzstichtag hin zu bestimmen.
57
46
Kapitel 3
„Prognose im allgemeinen ungünstig“ nahm er sich als Formulierung für den fälligen Eintrag in das Medizin-Lexikon vor. Die Abkürzung „FA“ für „finanziellen Analphabetismus war auch noch frei. Aber wie behandelt man diese Krankheit, die doch so weit weg von Medizin und Therapie zu sein schien, die er eben erst entdeckt hatte und über deren wahrscheinlich unterschiedliche Ausprägungen so gar keine Studien vorlagen? Wird fortgesetzt…
3.2
Dritter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
Sechs Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2015. Bis zur Rente sind es noch 29 Jahre. AdamRiese nennt 8.070 Euro sein Eigen und spart weiterhin 100 Euro im Monat. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen, sieht das gelassen, er ist jung.
3.3
Schule und Beruf
3.3.1
Juvenile58 Formen von Gelddummheit
„Du, Tante, wie viel Geld hat Euer Haus eigentlich gekostet?“ fragt die 13-Jährige. „Na, was schätzt Du, fragt die Tante eher rhetorisch zurück. Die Kleine denkt nach: Na ja, soo ... 2.000 Mark“. Die Tante: „Ein bisschen teurer war das Haus schon“. Dieses Live-Interview, etwa aus dem Jahre 1976, hat sich der Autor, damals selbst erst 14, bis heute gemerkt. Es ging um den Kaufpreis seines eigenen Elternhaus, in dem über Geld zwar ebenso wenig gesprochen, dafür umso mehr übers Geld „der Anderen“ getuschelt wurde, eben wie in allen modernen (Eltern-)Häusern des 20. und 21. Jahrhunderts. Aber den tatsächlichen Kaufpreis kannte der Autor schon aus aufgeschnappten Gesprächen, zumindest ungefähr. Und selbst wenn er beim konkreten Betrag daneben lag, die Dimension in seinem Kopf und auf dem Hypothekenkonto stimmte: Zumindest war klar, dass ein vernünftiges Auto vor 30 Jahren so um die 10.000 Mark kostete und ein Haus dementsprechend um ein vielfaches teurer sein musste. Übrigens, das Mädchen war nicht meine Cousine: Damals sagten noch viel Kinder zu erwachsenen Frauen „Tante“. Lag die Unkenntnis bei dem Mädchen daran, dass es die Tochter von Mietern war? Leider kam ihre Einschätzung der Miethöhe einer normalen Wohnung nicht zur Sprache, was der Autor aus methodischer Sicht heute bedauert. Was sagte eigentlich Mutti zu den jugendlichen
58
Lat.: jugendlich.
Schule und Beruf
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Irrungen der Kleinen? Nichts, aber Mutti rollte verträumt die Augen, wissend, diese Tochter wird später gut versorgt (versorgt werden müssen, dachte damals der noch junge Autor). Was gibt es über Geld und Schule zu berichten? Nichts. Eigentlich kann man zu Schule und Geld nur soviel sagen wie zu Abstoßungsreaktionen des Körpers gegen fremde Organe: Ihre Verträglichkeit muss dauerhaft durch den Einsatz starker und stärkster Medikamente hergestellt und aufrechterhalten werden, die die Leber auf Dauer belasten. Was ist die „finanzielle Leber“ des Menschen, die leidet, wenn der Mensch an Geld und Gelddimensionen gewöhnt wird? Welchen Medikamenteneinsatz oder Medieneinsatz braucht es, um Menschen an Geld, seine Bedeutung, Funktion und Dimension, zu gewöhnen, wenn der Mensch noch in der sechsten Klasse ist? Beim Geld geht es ja nicht um das Geld an sich, sondern um die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Am besten sollten die in der Schule die Themen Geld und Wirtschaft verantworten und unterrichten, die am meisten davon verstehen: Vertreter der Wirtschaft. „Handelsblatt macht Schule“, eine Initiative der gleichnamigen Zeitung, die sich dem Thema aktiv widmet, spricht auf ihrer Homepage über das Verhältnis von Schule zu Wirtschaft von einer Gefechtslage,59 weil in den Kultusministerien sogleich Unruhe aufkommt, wenn Unternehmen in Schulen gehen. Im Zuge der Bildungsdebatte kam dieser Vorschlag Anfang 2009 nochmals auf: Jedes Unternehmen möge Spitzenkräfte zwei Stunden pro Woche an eine Schule abstellen, auf dass die Schüler Wirtschaft und ähnlich lernen. Die Stiftung der Deutschen Wirtschaft und die Robert-BoschStiftung widmen sich in den nächsten Jahren begabten Lehramtsanwärtern, auf dass diese Wirtschaftsthemen kompetent in die Schule tragen, immerhin – seit 2007, seitdem langsam wahrgenommen wurde, dass einer Eigenvorsorge auch eine insgesamt höhere Eigenverantwortung vorausgeht. Das stellt schon erhöhte Anforderungen zumindest an den wirtschaftlichen Bildungsgrad unserer künftigen Rentenzahler.
Erste Versuche finanzieller Telemedizin Der Autor erinnert sich an seine eigene Schulzeit. Da wurde er in dem einen Schuljahr sehr praktisch, aber nicht praxisnah, mit Mengenlehre konfrontiert. Diese wurde anschließend in einen kultuspolitischen Kraftakt durch Fernsehmathematik ersetzt – kein Scherz! Es war Anfang der 1970er Jahre, als man dachte, man könne den Lehrer durch Lehrvideos aus den dritten Fernsehprogrammen (inklusive „Schnee“ und Rauschen im Fernseher) ersetzen. Der Mathelehrer war seinerzeit zur Aufsichtsperson degradiert, musste zwei Sunden pro Woche mit der Klasse Mathe-Video gucken und in den anderen zwei Stunden versuchen, uns das Gelehrte und das nicht Gelernte mit eigenen Worten nahe zu bringen. Dabei konnte er entweder die methodische Einbahnstraße des Fernsehlehrers ausbessern oder, ausschließlich auf seine Methoden setzend, uns in der halben Zeit das beizubringen versuchen, was andere Schüler in der doppelten Zeit mit ihrem Lehrer gelernt haben.
59
http://www.handelsblattmachtschule.de
48
Kapitel 3
Zu keiner Zeit dieser didaktischen Folklore und auch nicht danach, als Mathe in „normalen“ Bahnen lief, hat der Unterricht lebensnahe Bezüge geliefert. Zinseszinsrechnung, also Rechnen mit der Zinsformel, die ja eine Gleichung ist, war im Gymnasium offenbar fast genau so verpönt wie Dreisatzrechnen. Das musste man nicht nur nicht können. Das kannte man am Gymnasium auch gar nicht, vulgo: Das durfte man gar nicht kennen, geschweige denn können! Wenn Sie also einmal so richtig herzhaft rechnen wollen, sprechen Sie einen der besseren Hauptschüler an; der beherrscht die Technik. Aber auch hier leider nur die Technik. Der Autor selbst hat das Dreisatz-Handwerk später auf einer kaufmännischen Berufsschule gelernt. Sind die geschilderten Erlebnisse denn repräsentativ? Im Jahr 2000 fand die dritte (und bisher letzte) internationale Mathematik- und Wissenschaftsstudie, kurz TIMMS60, statt, die den deutschen Schülern unterdurchschnittliche mathematische Leistungen attestierte – oder besser gesagt den Lehrern und dem Bildungssystem. Das TIMMS-Fazit: „Es besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Kompetenzen, die im Rahmen einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundbildung angezielt und erwartet werden, und den am Ende eines Ausbildungsgangs der Sekundarstufe II erreichten Fähigkeitsniveaus. Defizite liegen insbesondere im Bereich des konzeptuellen Verständnisses und des Verständnisses naturwissenschaftlicher Arbeitsweisen. Die Diskrepanzen sind im Bereich mathematischer Grundbildung besonders groß. Bereits Aufgaben, deren Lösung die Verknüpfung einfacher Operationen in anwendungsbezogenen Kontexten verlangt, bereiten den meisten jungen Erwachsenen am Ende der Sekundarstufe II größte Schwierigkeiten.“ Thomas Kerstan schrieb dazu in „Die Zeit“: „Mathematik pauken sie (die Lehrer) ihren Schülern als ein starres Regelwerk ein, als Gebrauchsanweisung zur mechanischen und verständnislosen Lösung von Klausuraufgaben“. Seit 2000 gibt die PISA-Studie61 der OECD, die den deutschen Schülern nach 2003 auch 2006 mittelmäßige Ergebnisse bescheinigt, mit leicht steigendem Trend – in den Gymnasien! Bei den Nicht-Gymnasiasten stagnierten oder sanken die Leistung bei rund 40 Prozent der Schüler. Das heißt, Bildung und Bildungsfähigkeit der Schüler in Haupt- und Realschulen drohen endgültig entkoppelt zu werden, droht vor allem die Hauptschule zur Restschule ohne Chancen für die Schüler zu werden. Das Bemerkenswerte an der PISA Studie ist, dass dort nicht auf sture Aufgabenlösung Wert gelegt wird, sondern auf die Anwendung von Mathematik in Fragen des Alltags! Die PISA-Ergebnisse haben also sehr, sehr praktische Auswirkung! Die Ergebnisse 2006 fasste die „Tagesschau“ in die Überschrift: „Mathematik ist für viele ein rotes Tuch“.
60
http://www.zeit.de/2000/48/200048_2._leiter.xml, oder http://www.timss.mpg.de/
61
Programme for International Student Assessment (PISA) der OECD.
Schule und Beruf
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Das „Zahlengebäude des Lebens“ scheint sich nur Menschen zu öffnen, die nicht auf den Schlüssel warten, sondern die zum Taschenrechner greifen. Wichtig dabei: Es muss sich um Fälle handeln, in denen der oder die Interessierte in eigener Sache zum Taschenrechner greift. Sicherlich geht es im Bildungswesen Deutschlands darum, schwächere Schüler besser zu fördern, um einer speziellen Erkenntnis von PISA gerecht zu werden. Es geht aber auch sehr grundsätzlich darum, praktische Mathematik als Prinzip von Bedeutung und täglicher Anwendung in die Köpfe der Menschen zu implementieren. Wie geht die heutige Jugend mit Geld um? Das hat das Bundesfamilienministerium 2005 untersuchen lassen. „Analyse D: Jugend und Geld 200562“ heißt die Studie und sie bestätigt bereits bei der Bestrahlung des sozialen Hintergrundes der Jugendlichen den Anfangsverdacht für Finanziellen Analphabetismus. Zitate: „Die Familien weisen insgesamt eine sehr hohe Kommunikationsintensität auf, allerdings werden die Themen Geld, Finanzen und Wirtschaften eher selten mit den Kindern diskutiert. Auf der anderen Seite zeigt sich eine relativ geringe Konfliktintensität“, wenn überhaupt, so die Studie weiter, beschränke sich das auf Ausgaben der Kinder für Handy und Süßigkeiten. Also: Man redet zuhause miteinander, das war fast zu erwarten – aber nicht über Geld: Das war zu befürchten! Natürlich wurden auch die Eltern befragt, ob sie die Finanzkompetenz ihrer Kinder fördern wollen: Ja, das habe einen „sehr hohen Stellenwert“. Jetzt kommt es aber: „Die hierfür erforderlichen pädagogischen Maßnahmen, etwa eine intensive Beteiligung der Kinder an den Haushaltsentscheidungen oder ein eigenes marktkonformes Marktverhalten, erscheinen dagegen weniger deutlich ausgeprägt“. Lassen Sie uns zunächst Soziologen-Deutsch deuten: „marktkonformes Verhalten“. Nun lasset uns deuten: Hä? Heißt das, man soll den Markt abräumen, den Kaufbefehlen der Werbung tunlichst und mit allen vorhandenen und nicht vorhandenen finanziellen Mitteln nachkommen?! Ernsthaft: Die „Beteiligung an Haushaltsentscheidungen“ ist verbal ausreichend deutlich und eher behandlungsfähig: Ja, beteiligt die Kinder an Haushaltsentscheidungen, und zwar auch und besonders an den finanziellen! Tatsächlich findet eine „Beteiligung an Haushaltsentscheidungen“ bereits täglich statt, entscheiden Kinder spätestens mit Eintritt in den Kindergarten „aktiv“ mit, welche Spielzeuge angesagt sind. Kinder entscheiden ab etwa vier Jahren, nicht ob, sondern welche und wie viele Barbies frau oder Hot-WheelAutos man haben muss63 und einige Jahre später, ob zum Beispiel ein Audi noch ausreichend cool ist, um damit zum Freund oder zur Freundin gebracht zu werden. Viele Teenies wollen ab einem bestimmten Alter gar nicht mehr mit dem Auto gebracht werden oder besser gesagt, nicht mehr für ihre Clique sichtbar. Dann heißt es: „Halt’ um die Ecke
62
http://www.schulden-kompass.de/downloads/sk06_analyse-d.pdf
Dazu: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2006/0318/wirtschaft/ 0012/index.html
63
50
Kapitel 3
an, Mutti“ und je nach Pubertätsfortschritt kommt gar keine Begründung, oder die eine Wahrheit: „... gebracht werden ist so uncool“ oder die andere Wahrheit „... also echt, im Ford gebracht werden, das geht gar nicht“. Auf solche Dialoge, genau darauf, zielen Autowerber ab, wenn sie bevorzugt kleine Jungs als Schlauberger mit Autokompetenz in ihren Spots im Fernsehen und im Kino antreten lassen. Haben wir etwas vergessen? Internet! Die Zukunft des Automobilverkaufs findet im Internet statt. Wer ist im Internet? Die Kids, sie entscheiden maßgeblich mit. Also Ford oder Audi, oder BMW? Mal ehrlich, wer hat seine Kinder schon mal zum Autohändler mitgenommen? Sicherlich viele von uns; der Autor bekennt sich. Wer hat mit seinem Nachwuchs, sagen wir ab zwölf aufwärts, schon mal die Leasingraten verglichen und wie sie sich zwischen einem kleinen Ford Fiesta und einem noblen Audi A6 „verändern“? Den meisten Menschen stellt sich diese Frage „so nicht“ – das ist wie bei Politikern: Wer gibt seinen Kindern (und damit unmittelbar den Nachbarn!) gegenüber denn schon gern offen zu, dass der Pracht-Garagenfüller nicht auf Rädern läuft, sondern auf Raten? An dieser Stelle sollten wir uns fragen, ob das Thema Leasing und seine Thematisierung mit den Kindern nun deren Erziehung betrifft, oder ob es sich dabei eher um unsere eigene Erziehung zu Geld, darüber reden und die richtige Mischung dazu, handelt. Sie halten es für eine Einstellungssache, ob man die Autofinanzierung als Schuldenmachen oder als Investitionsfinanzierung64 sieht? Prima, diskutieren sie das mit Ihren Kindern! In der Schule kommen diese Themen zwar zur Sprache, aber konkrete Berechnungen zu einer „Einzelwirtschaft“, zu der kaum einem Schüler erklärt wird, dass das auch der Familienhaushalt sein kann, finden nicht statt. „Finanzen und Konsum“, „Medien und Werbung“ werden laut der Studie „Jugend und Geld“ in der Schule zwar bei 60 Prozent der Klassen „behandelt“, aber von einer Vorbeugung gegen finanzielle Inkompetenz oder einem „Geldtraining“ kann bei weitem nicht die Rede sein. Und wieder eine Risikogruppe, werden Sie denken. Ja, eine finanzielle Risikogruppe, und keine Randgruppe, sondern unsere Jugend. Sie hat ein Recht auch auf finanzielle Bildung und soll sehen, dass der große Audi im Vergleich zum keinen Ford Fiesta Konsequenzen bis hin zur Taschengeldkürzung haben kann, wie uncool! Im Verlauf des technischen Fortschrittes der Telekommunikation und seiner Verbilligung ist ein weiteres Phänomen zu beobachten. Es handelt sich dabei um die Zunahme der Kommunikation, die Ende der 1990er Jahre am Strand von Teneriffa, Mallorca oder Kreta millionenfach in stets gleicher, laut geschriener Feststellung mündete: „Rate mal, von wo aus ich dich gerade anrufe!“, für zwei Mark die angefangene Minute plus RoamingZuschlag im Ausland. 39 Pfennige je SMS und, nun wieder in Euro weiter, einem Jahresumsatz von 200 Millionen Euro für Klingeltöne. Für letztere sowie für den SMS-Umsatz von aktuell rund drei Milliarden Euro sind überwiegend die Kids „zuständig“. Sicherlich ist zwischen Modernität, Medienkompetenz, Statussymbol und Finanziellem Analphabetismus etwas genauer zu differenzieren. Aber wenn die Statussymbole die Mittel auffressen und die „Betroffenen“ mehr oder weniger sehenden Auges ins Unheil stürzen, dann ist
Jeremy Rifkin: Access - Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden, erschienen bei Campus.
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Schule und Beruf
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Finanzieller Analphabetismus weiter verbreitet, als es uns die Studie „Jugend und Geld“ statistisch weismachen will, nach der nur sechs Prozent der Kinder, vor allem der Jugendlichen, als verschuldet gelten. Mit „Verschuldung“ ist laut Studie auch geliehenes Geld von Eltern, Großeltern und Freunden gemeint, das absprachewidrig nicht zurückgezahlt wurde. Die Dunkelziffer derer, die die Verschuldung nicht zugeben oder wo Mutti, Vati und vor allem Omi Liquiditätsspritzen geben, hat die Studie nicht ermittelt. Vor allem wird auf die nur begrenzte therapeutische Wirkung von Geldspritzen als verlorene Zuschüsse, der Staat kennt das als Subventionen, überhaupt nicht hingewiesen. Weitere Erkenntnisse aus der Studie „Jugend und Geld“. Es ist bedenklich: Je höher das Haushaltseinkommen der Eltern ist, desto eher übernehmen sie die Handykosten der Kids. Umgekehrt ist es umgekehrt. Offensichtlich wird hier (Handy-) Erziehung nach Kassenlage gemacht. Offensichtlich verfolgen weder vermögende noch weniger vermögende Eltern Konzepte oder denken bewusst über die Prägung ihrer Kinder nach. Klar ist: Haben die Eltern weniger Geld, dann können sie auch weniger Taschengeld geben. Es ist eben nicht mehr da, basta. Die Kinder müssen sich ihre arg begrenzten Mittel selbst einteilen. Zur Frage, welchen Einfluss die Eltern darauf nehmen, siehe oben: Keinen oder kaum einen. Das mag aber auch mit dem modernen Kommunikationsverhalten in Familien zu tun haben und weniger mit dem Geldthema selbst. Dazu sagte kürzlich ein junges Mädchen zu mir: „Zuhause läuft es gut, ich habe Handy, Internet und Fernseher im Zimmer und Papa und Mama treffen sich manchmal in der Küche.“ Würden Eltern das Thema Geld und Kinder reflektieren, würden sie sich zu oft eingestehen müssen: „Ich habe kein Konzept.“ So werden Effekte durch Affekte erzielt, „es läuft schon alles richtig“ war aber noch nie ein guter Erziehungsratgeber. Vermögende Eltern, also schon die, die „den gewissen Unterschied“ pflegen und ihre Kindern dementsprechend auf der Fahrt zum Golfplatz prägen, hätten die Chance, ihren Kindern ein um die angemessenen Handykosten erhöhtes Taschengeld zu geben und den „gewissen Unterschied“ zu fundieren. Auf neudeutsch: Budgetieren. Das hätte erzieherische Qualität und würde mehr bringen als die eigenen Kids materiell und räumlich, vor allem aber materiell, zu „den anderen“ auf Abstand zu halten. An dieser Stelle sei zur Erinnerung darauf hingewiesen, an anderer Stelle wird es noch ausführlicher behandelt, dass die nachwachsende Generation von heute demnächst ihren Eltern die staatliche Rente bezahlen soll. Das wird schon noch klappen – Gesetz ist Gesetz. Aber dass die heutige Jugend ihrerseits in etwa 50 Jahren auf leere Sozialkassen trifft und deshalb bald nach dem Berufseintritt mit privatem Sparen beginnen sollte, ist mit einem derartigen Vorbild der Erwachsenenwelt und dem heute schon stattfindenden Einüben von Maximalkonsum wirklich nicht vereinbar.
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3.3.2
Kapitel 3
Diagnose: Professionelle Adulte Dyskalkulie65
Finanzieller Analphabetismus ist eine Krankheit und Krankheiten haben unter Profis nun einmal lateinische Namen: Professionelle Adulte Dyskalkulie ist eine Entwicklungsverzögerung des mathematischen Denkens bei Erwachsenen, die durch, oder besser trotz des Bezugs zum Beruf ausgelöst wird oder privaten Finanziellen Analphabetismus nicht verhindern kann, und das geht zum Beispiel so: Harald Böck66 ist 44, es gibt ihn wirklich, aber er heißt tatsächlich anders, musste 1983 zunächst Mathematik studieren, weil es Informatik noch nicht als neumodischen Studiengang gab. Also machte er 1988 ein Doppeldiplom in Mathematik und Informatik, weil letztere inzwischen „erfunden“ war. Böck hat 4.000 Euro netto, ist konsequent und heute leitender Projektcontroller für hyperkomplizierte EDV-Projekte in der Fondsindustrie. Auch privat ist er nüchterner Rechner. Sein Haushalt läuft zum Leidwesen seiner Frau vollständig auf Access, einem Datenbanksystem für Leute, denen die gute alte ExcelTabellenkalkulation nicht mehr reicht. Schulden hat er keine, außer für sein klein’ Häuschen. Böck sorgt vor. Berater braucht er nicht und deshalb hat er sich in einem Akt der Selbstmedikation mit einer Altersversorgung und bereits 1993 mit einer Berufsunfähigkeitsrente eingedeckt. In diesem Vorsorge-Zustand traf er auf Professor Adam Riese, dem Helden aus unserer Kaspar-Hauser-Geschichte. Der analysierte, na ja, er schaute sich Böcks Geld- und Versicherungsordner an. Ergebnis: Böcks gesamte Rechenkompetenz hatte bereits vor 14 Jahren versagt als er seine Berufsunfähigkeitsversicherung damals auf Versicherungsendalter 45 abschloss („ab dann zahlt ja der Staat“) und Böck damit im Falle einer Berufsunfähigkeit abgezinst rund 225.00067 Euro fehlen. Das ist aber ein rein mathematischer Wert und nur aus professioneller Sicht für Böck interessant. Da man Berufsunfähigkeitskapitalien, außer bei Millionären, nicht bar bereitstellen kann (deshalb versichert man sie), fehlen Böck tatsächlich etwa 720.000 Euro. Das war ein repräsentatives Beispiel. Viele „Berufsrechner“ sind so oder auf andere Weise falsch versichert, falsch finanziert oder machen sich selbst als Rechenprofis laienhafte Vorstellungen von Wirkung oder Nicht-Wirkung von Zeit und Zins. Das ist gemeint, wenn von Finanziellem Analphabetismus bei Menschen die Rede ist, die normalerweise die kompliziertesten mathematischen Probleme lösen – im Betrieb. Finanzieller Analphabetismus wird in vielen deutschen Unternehmen beruflich gefördert, wenn auch unfreiwillig. Oft fahrlässig unbemerkt verschanzt sich Finanzieller Analphabetismus in Berufsausbildungen, wächst und gedeiht im diesbezüglich fruchtbaren Schoße der Erwachsenenfortbildung. „Versteckt“ und von unfähigen Lehrern, Lehrbeauftragten und, gerne genommen, bevorzugt von Produktmanagementabteilung und Vertriebsunter-
Entwicklungsverzögerung des mathematischen Denkens des erwachsenen Menschen, hier auf Berufliches bezogen.
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Name bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
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720.000 Euro Gesamtkapitalbedarf mit sechs Prozent und 20 Jahre lang abgezinst.
Schule und Beruf
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stützung. „Unwissentlich“ gehegt und gepflegt, entwickelt sich Finanzieller Analphabetismus „privat und dienstlich“ mit seinem Zwischenwirt, dem Experten, fort. So würde man das vergleichen können, wäre Finanzieller Analphabetismus eine Zecke. Zum willkürlich festgelegten Jahrestag der wiederholt mangels Masse und wegen Nachhaltigkeitsfaktor68 nicht stattfindenden Rentenerhöhung kürte „Bild“ den 17.01.2006 und titelte an diesem Tag mit „Die Schrumpfrente“. In einer Tabelle stellte das Intelligenzblatt der deutschen Volksseele den Kaufkraftverlust bei realen zwei Prozent Inflation in 10, 20 und 30 Jahren und bei verschiedenen Ausgangsrentenhöhen von 500 bis 2.000 Euro Monatsrente dar. Der Autor, immer auf der Suche nach zutreffend plakativen Darstellungen, die Verständnis erzeugen, präsentierte auf einem Vortrag ausnahmsweise einen „BILD“Titel mit der oben genannten „Schrumpfrente“! Das Auditorium war empört: Erstens ausgerechnet „BILD“ und zweitens eine Rechnung, die keiner nachvollziehen kann, und dann noch von „BILD“! Zur empörenden finanziellen Alphabetisierung rechnete der Autor vor Publikum live zwei „BILD“-Zahlen nach und damit vor. Es störte ihn auch nicht, dass die „BILD“-Zahlen von Professor Raffelhüschen, dem Erfinder des Nachhaltigkeitsfaktors69 (s. o.), errechnet waren. Die Zahlen stimmten: Raffelhüschen hatte Recht, „BILD“ hatte recht, der Taschenrechner hatte recht. Das „Rechenproblem“ war eine einfache Inflationsrechnung, die man ohne Raffelhüschen und ohne volkswirtschaftliche Befähigung leicht durchführen kann, jederzeit, mit einem wissenschaftlichen Taschenrechner, dessen Bedienung kein Hexenwerk ist. Übrigens wurde die oben beschriebene mathematisch korrekte Darstellung in Internetforen gar nicht (rechen-)regelgerecht verrissen. Die in BILD zitierten Experten oder das Fach-Institut70 seien nicht neutral und überhaupt böse ... Das mag ja sein, wir wollen hier nicht streiten, aber die Zahlen, die Zahlen stimmten und stimmen. Eine Rente von 1.000 Euro schrumpft in 30 Jahren und bei drei Prozent Inflation nun mal auf 400 Euro Kaufkraft. Das ist so. Zurück zum Dreisatzrechnen und zum Prozentrechnen: Dreisatzrechnen? Prozentrechnen? Ist die Welt der praktischen Zahlen so klein? Das klingt jetzt alles ein bisschen so, wie beim Revolverhelden und (eigentlichen Zahn-)Arzt Doc Holiday71, der Schusswunden, Wundbrand und Amputationen mit heißem Wasser, einem rostigen Messer und einer Flasche Schnaps behandelte. Warum eigentlich nicht? Statt Wasser, Schnaps und Messer nehme man von nun an täglich Taschenrechner, Papier und Bleistift und wer als „Normalo“ nur Normalo-Aufgaben zu lösen hat, dem reicht die mutige, entschlossene Anwendung von Dreisatz und Zinsrechnung, um Zahlenverhältnisse und Zinseffekte für den Hausgebrauch zu ermitteln – und danach zu handeln!
Ausfall der Rentenerhöhungen in den Jahren 200x bis 2006 wegen ... Renten hätten eigentlich sinken müssen, verfassungsmäßig verboten Î Nachholfaktor.
68
Bestandteil der Rentenformel, der das Verhältnis von weniger werdenden Beitragszahlern zu mehr werdenden Rentenempfängern reguliert.
69
70
www.DIA.de
71
Revolverheld im wilden Westen.
54
Kapitel 3
Für Controller, Ecxel- und Access-Anwender: Sie können abrüsten! Ihr eigenes Zahlensystem können Sie mit Bordmitteln berechnen!
Kaspar Hauser - Fortsetzung
55
Kapitel4 4.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Es war im Februar. Adam Riese hatte sich auf die Suche nach Lösungen gemacht. Er wusste, er hatte wenig Zeit, denn er spürte selbst erste Symptome: Nervosität, wenn er an Geld dachte. Sorgenvolle Zukunftsgedanken drückten seine Stimmung. Kurz: Er entwickelte erste depressive Zustände: Adam Riese hatte sich infiziert! War Kaspar Hauser die Ursache? Seit dem Auffinden seines Patienten waren kaum vier Wochen vergangen. Riese schätzte die Inkubationszeit, also die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit, vorsichtig auf höchstens 30 Tage. Kaspar Hauser selbst entwickelte sich viel zu langsam auf ein geistiges Niveau zurück, das man als halbwegs normal bezeichnen konnte. Vor allem litt er, sobald die Rede auf Zahlen, Summen und Prozente kam, unter depressiven Schüben und es schien, als würde er in den Ursprungszustand von vor vier Wochen zurückfallen. Riese war klar: Kaspar Hausers Symptome konnten zwar behandelt werden; an den Kern des Leidens war mit herkömmlichen Mitteln der Schulmedizin nicht heranzukommen, auch nicht mit seinem tiefenpsychologischen Ansatz. Hauser schnaubte vor Wut, er protestierte: „Das habe ich schon mal gemacht. Diese Aufstellungen“, platzte es aus Hauser heraus, „diese Aufstellungen ... die kenne ich. Das habe ich einmal durchlitten. Ich war am Ende völlig fertig. Mit ging es schlimmer als vorher“. Hauser redete sich in Rage und er berichtete aufgebracht von seinen Gesprächen mit dem „Bund der Versicherten“, einem Heilbund, der sich in Teilbereichen des Geldes, den Versicherungen, der Selbsthilfe von Kranken widmete. Kranken? Geldkranken? Versicherungskranken? Was war geschehen? Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Professor Adam Riese setzte die Gespräche mit Kaspar Hauser in Form eines tiefenpsychologischen Interviews fort, bei dem Riese neben den krankhaften Finanzsymptomatiken auch auf die allgemeine seelische Konstitution Hausers eingehen wollte. Professor Riese wandte eine „modernere“ Form der 72 Analyse an: die sogenannte Familienaufstellung („nach Hellinger “). Er erläuterte Hauser, dass man sich dabei seine Familie als Einzelpersonen vorstellt und im Raume platziert, entweder vor seinem geistigen Auge oder in Form von realen Personen, die als „Stellvertreter“ fungieren. Diese Personen treten in einen realen Dialog. Bereits an dieser Stele seiner Instruktionen der Übung hatte Riese bei Kaspar Hauser aufkommende Nervosität
Eigentlich aus der Psychologie. Umstrittene Methode in der psychologischen Familientherapie. Gemeint ist bei dem Begriff meistens die sogenannte „Familienaufstellung nach Hellinger“, nach Bert Hellinger.
72
56
Kapitel 4
bemerkt, zittern, Stirnschweiß... Meist werden diese Personen von Mitgliedern einer Therapiegruppe „gespielt“. Auch bereits verstorbene Personen, zum Beispiel die Eltern oder die Großeltern, werden „besetzt“. „Abgekürzt gesagt“, erklärte Professor Riese das Verfahren als „emotionale Reise in die Seelen“ der engsten Verwandtschaft und/oder des persönlichen Umfeldes, sodass auch wichtige „Sandkastenfreunde“ aus frühester Kindheit mit von der Partie sein können oder gute und böse Lehrer und so weiter. Auf diese Wiese, das wusste Adam Riese, sollten durchgemachte, aber nicht bereinigte Konflikte bis in die tiefste Kindheit hinein abgerufen, thematisch verfolgt, emotional ausgelebt und nachträglich gelöst werden können. Der Betroffene kann nachträglich sein Umfeld verstehen und sozusagen rückwirkend sein Verhalten und vorauswirkend seine Seele, nennen wir es, „korrigieren“. Das Verfahren der Familienaufstellung, als System oft auch einfach nur „Aufstellung“ bezeichnet, wird in Fachkreisen sehr, sehr kritisch gesehen: Wohl und Wehe hängen stark vom Therapeuten ab, das wusste auch Adam Riese. Und so kam es ... Wird fortgesetzt…
4.2
Vierter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
Neun Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2018. Bis zur Rente sind es noch 26 Jahre. AdamRiese hat 12.820 Euro auf dem Konto und spart weiter: 100 Euro im Monat. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen, kann das Thema Sparen nicht mehr hören: Er ist verliebt.
4.3
Verbraucherschützer
4.3.1
Verbraucherschutz – alle Kassen
„Wir hoffen, dass nicht nur die allgemeine Reserviertheit gegenüber Altersvorsorge die Bürger vom Abschluss einer Rürup-Rente abhält, sondern dass sie die inhaltlichen Tücken dieses Produkts erkannt haben". 73
Peter Grieble, Versicherungsexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg . Alles klar? Dann ist ja alles klar, oder? Verbraucherschutz ist wichtig!
73
In „Financial Times Deutschland“, 16.12.2005.
Verbraucherschützer
57
Übrigens ist „Verbraucherschutz“ so ein deutsches Unwort. Nein, nein, nicht wegen der noch darzustellenden Qualitäten der Protagonisten. Bei „Verbraucher“ denkt so mancher, ohne Kfz-Schlosser oder Motoreningenieur zu sein, an die Verbraucher des Motors: Seine Nebenaggregate. Jeder Motor hat Verbraucher: Die Wasserpumpe, die Lichtmaschine, den Anlasser. Verstehen Sie, was ich meine? „Mensch“, „Kunde“ oder vielleicht noch „Käufer“; das sind eher humane Bezeichnungen für uns Menschen, die wir mit unserem Geld Dinge kaufen, die wir brauchen. Aber ist „verbrauchen“ eine Tätigkeit, auf die wir uns als Menschen reduzieren lassen müssen? Sagen wir es philosophisch: Möge der Verbraucherschutz der MOTOR der Menschen sein, dann würde es vielleicht passen. Aber es passt nicht. „Wissen, wie es nicht geht“ Medizinisch gesehen: Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt sagt Ihnen, dass Sie in 30 Jahren sehr krank sein werden. Der Arzt empfiehlt Ihnen eine Schutzimpfung oder Sport oder eine andere Ernährungsweise oder eine Operation. 74
Darauf hin wenden Sie sich an die SchutzgemeinschaftkünftigerRentenPatienten und lernen: Impfungen bergen ein gewisses Risiko, erst recht mit der angedrohten Krankheit infiziert zu werden. Sport schädigt die Gelenke, ist bei Dunkelheit im Freien gefährlich und im Studio viel zu teuer. Außerdem verbergen die Verträge mit Fitnessstudios einige Haken und Ösen. Und: Sind nicht schon einige Jogger mit Herzinfarkt zusammengebrochen? Eine geänderte, womöglich einseitige Ernährungsweise mag zwar vor Überfettung schützen, doch kann dies wegen der Einseitigkeit das Risiko von Mangelerscheinungen, ja sogar Herzinfarkt erhöhen. Operationen sind teuer, stets mit einem Narkoserisiko verbunden und garantieren keinen Erfolg. Finanziell gesehen: Sie sprechen mit Ihrem Finanzberater und der sagt Ihnen, dass Sie in 30 Jahren, wenn Sie in Rente gehen, erhebliche finanzielle Probleme bekommen werden. Der Berater empfiehlt Ihnen zum Beispiel einen Investmentfonds oder eine Riester-Rente oder eine Betriebsrente (selbst finanziert) oder einen Bausparvertrag oder eine Immobilie. Sie sprechen mit Verbraucherschützern und lernen: Sparbücher bringen nur Minizinsen (liebe Leser, das ist von mir gelogen: Verbraucherschützer finden Sparbücher wahnsinnig toll und vor allem sicher; grüne Ampel für das Sparbuch). Investmentfonds kosten fünf Prozent Ausgabeaufschlag und Sie haben entweder Verlustrisiken zu tragen oder bekommen nur eine schmale Rendite, weil es der falsche Fonds war. Zeter und Mordio: 2009 kam sie, die Abgeltungsteuer! Der Statt nimmt sich jetzt 25 Prozent auf alles, auf jeden Gewinn und auf jeden Kapitalertrag. Bei Riester-Renten kann man viel falsch machen, außerdem sind sie später voll zu versteuern. Betriebsrenten machen Ärger beim Arbeitgeberwechsel oder der Wechsel kostet Geld und Krankenkasse kostet die Betriebsrente im Alter obendrein. Bausparverträge verzinsen schmal oder bedeuten bei der Darlehensrückzahlung
74
Frei erfunden.
58
Kapitel 4
immense Raten, da der Zins zwar ebenfalls klein, die Tilgungsrate aber sehr hoch ist. Und bei Immobilien können Sie alle Fehler der Welt auf einmal machen. Von den Chancen der jeweiligen Sparformen, von am Bedarf orientierter Risikoabwägung, ist selten die Rede. Warum auch? Nach typischen „Beratungen“ oder „allgemein bildenden“ Aussagen, wie es nicht geht, hat der Ratsuchende längst die Nase voll. „Da mach’ ich lieber gar nix“.
Mangelnde Methodenkompetenz Seit 2005, seit Professor Rürup die im Volksmund „Rürup-Rente“ genannte Basis-Vorsorge geschaffen hat, nölen – man muss es so sagen – nölen die Verbraucherschützer darüber, dass diese Rente bei Tod weg ist und die Erben leer ausgehen. Sie ereifern sich, weil es bei 75 „Rürup“ nur Rentenleistungen gibt und man damit kein Haus bauen kann. Damit zeigen sie doch nur, dass sie weder den Sinn des Alterseinkünftegesetzes noch Rürups Überlegungen zur „Rürup-Rente“ verstanden haben. In der Pädagogik nennt man so etwas mangelnde Methodenkompetenz. Der Sinn des Alterseinkünftegesetzes scheint für die betroffe nen „Experten“ weniger Lernhürde, mehr Lesehürde zu sein. Experten: Nehmt ein Buch in die Hand, lest es, versteht es, fragt nach und erklärt es Euren Mitmenschen: verständlich – Ihr seid doch Experten! Prüft Eure Kompetenz! Neben dem Verständnis der gewiss komplexen Materie fehlt es den finanziellen Patientenschützern ohne Mandat auch an Differenzierungsvermögen, mit dem echte Profis „geeignet“ von „ungeeignet“ unterscheiden. Nebenbei gesagt: Diese finanzmedizinischen Unterscheidungen werden im Allgemeinen mit dem finanzmathematischen Taschenrechner getroffen – dem Röntgengerät der Finanzwissenschaft, der Finanzwirtschaft, aber auch der „Finanzverbraucher“. Unabhängig von der Methode und dem Beschäftigungsgrad mit Geld gelten die Regeln der Mathematik für alle. Dass mit „Beschäftigungsgrad“ in der Betriebswirtschaft normalerweise die Auslastung der Maschinen bezeichnet wird, ist in diesem Zusammenhang mit menschlichen Gehirnen nicht abwegig! Aussagen der Verbraucherschützer, staatlich finanzierter Fremdhilfegruppen vielfacher 76 Couleur, haben oft den Charakter von Kurz-Pontifikaten, Unfehlbarkeit eingeschlossen. Dazu kommt dann noch der Grundsatz aus dem Verbraucherschutz-Katechismus, wonach Sparvorgang und Risikotragung strikt zu trennen seien ... auch da, wo es Sinn macht? Verbraucherschutz-Gott: „Risikoabsicherung und Sparen sind strikt zu trennen“. Verbraucher: „Das mit der Versicherung ist klar, aber wo spart man dann?“ Schutzgott: „Suchen sie sich in einer Fondsboutique was Schönes aus“. Verbraucher: „Aha“. Autor: „Aua“.
75
Abtretungen an die Bank, zum Beispiel für Hypotheken, sind verboten.
76
Pontifikat: Amtszeit eines Papstes.
Verbraucherschützer
59
Ernsthaft: Die Verbraucherschützer haben sich durch Aufklärung auch in Finanzfragen sehr verdient gemacht, indem sie halfen, schlimme Auswüchse der Finanzindustrie der vergangenen Jahrzehnte abzustellen. Allen voran steht Rechtsanwalt Joachim Bluhm aus Hamburg, der bis 2005 für den BundderVersicherten Bahn brechende Urteile erstritten hat. 77 Seit 2006 und den Skandalen beim Bund der Versicherten setzt Bluhm seine Arbeit beim Verbraucherschutz Hamburg fort. Rechtsanwalt Bluhm ist wirklich Experte. Es nützt aber nichts, wenn wir von Verbraucherschützern umfassend erfahren, wie es nicht geht und deshalb „sicherheitshalber“ nichts tun! Verbraucherschützer haben kein Beratungsmonopol und kein Wissensmonopol und, by the way, auch kein Gewissensmonopol! 78
Merke:Wenn ein Finanzberater, der seit dem 22. Mai 2007 einen zulassungspflichtigen Beruf ausübt, einen Kunden falsch berät, verursacht er damit einen erheblichen Beratungs79 schaden, den er zu ersetzen hat. Wenn ein Verbraucherschützer als Halbgott „on duty“ einen Kunden falsch berät, verursacht er ebenfalls einen Schaden, die außerbiblische „elfte 80 Plage“ : Einen Vermögensschaden durch Ausschaltung, durch vorsätzliche Verhinderung des Zinses und des Zinseszinseffekts, den er zu erse ... tja, das ist der Unterschied ... ! Falschberatungen kommen bei Verbraucherschützern nicht vor, oder? Nur Un-Sparen...
4.3.2
Volkswirtschaftliche Schäden aus Spar-Verhinderung – die Anleitung
Die elfte Biblische Plage wird aber nicht nur durch Falschberatung der Verbraucheraufbauscher ohne fachlich kompetente Lauscher verursacht – Falschberatung? Gibt’s nicht! – sondern durch die Anleitung zum arm sein; Doppelpunkt:
Ampel-Männchen Im Sommer 2009 gab der Hamburger Verbraucherschutz eine Broschüre heraus, die verschiedene Anlageformen für die Altersversorgung bewertet – mit Ampelfarben: rot, gelb, grün. Das Ziel: Die Verbraucher sollten sich kurz und bündig informieren können. Das (Zwischen-)Ergebnis war eine Unterlassungsverfügung, die ein Versicherer erwirkt hat. Der Grund dafür steht unter anderem in der Zeitschrift „Versicherungswirtschaft“ vom 1. August 2009: Der Autor, Professor Peter Albrecht, spricht in seinem Fachbeitrag davon, dass die Bewertungen in der Broschüre „durch die wissenschaftliche Realität widerlegt werden“. Auf Deutsch: Die Ampel-Männchen vom Verbraucherschutz haben Äpfel mit Birnen verglichen. Und wenn (wenn!!!) sie eine Methode hatten, dann haben sie diese
77
www.bund-der-verUNsicherten.de
Seit dem 22. Mai 2207 ist Versicherungsvermittlung erlaubnispflichtig, mit strengen Auflagen zur Beratung des Kunden, z.B. die Protokollierung jeder Beratung.
78
79
On duty: diensthabend.
80
In der Bibel nachzulesen. Eigentlich sind es zehn, die elfte wurde soeben erfunden.
60
Kapitel 4
zwischendurch anscheinend beliebig gewechselt. Letztlich wurden so gut wie alle Versicherungsprodukte abgewertet (gelbe und rote Ampeln) und eigentlich nur das Sparbuch mit grün = sicher bewertet. Im Kern haben die Ampel-Männchen die Risiken des Totalverlusts (Pleite des Spar-Instituts) mit dem Risiko des Zinsverlustes oder Börsenrisiken verwechselt. Außerdem gibt es im realen Finanzleben so genannte Anlageklassen (im Wert schwankende Aktien und sichere Staatsanleihen sind eben nicht dasselbe – weder bei Rendite, noch beim Risiko). Und: Ähnliche Anlageklassen finden sich durchaus in unterschiedlichen Spar-Formen wieder. Das hat die Ampel-Männchen aber nicht interessiert. „Bundesschätzchen81“ auf der Bank sind gut. Bundesschätzchen in der RiesterVersicherung sind böse? Ja? Nein! Bundesschätzchen sind Bundesschätzchen. Die verschiedenen Formen der Betriebsrente82 kommen in der Ampel-Broschüre gar nicht vor. Und damit sich die Bürger darüber nicht wundern, haben Auh83-Thoren84 der AmpelBroschüre vorgesorgt. Im Nachwort: Der Bürger, der die Betriebsrente vermisst, möge wissen, diese sei viel zu kompliziert, um sie in diese kurze Broschüre aufzunehmen. Aha! Dazu muss man nur wissen: Betriebsrente (auch „betriebliche Altersversorgung“ genannt) ist technisch nichts anderes als ein völlig normaler Renten-Versicherungsvertrag, um den Vater Staat ein Steuer- und Sozialabgeben schonendes Mäntelchen gelegt hat. INHALTLICH sind Betriebsrenten Rentenversicherungen: Da können Bundesschätzchen drin sein; aber auch „böse“ Aktien. 20 bis 30 Milliarden Euro Vermögensschäden entstehen den Deutschen jedes Jahr durch falsche Finanzberatung. Diesen Betrag schätzt eine Studie85 des Bundesverbraucherministeriums vom Dezember 2008. So weit, so schlecht das Urteil über Finanzberatung. Mehr hierzu im Kapitel 7. Andererseits: Laut der Initiative „Einfach investieren“86 verschenken alle Bürger dieser Republik zusammengenommen pro Sekunde 879 Euro Zinseinnahmen. Das sind im Jahr rund 450 Milliarden. Und woran liegt das? Das liegt auch daran, dass Verbraucherschützer Sparbücher mit grünen Ampeln ausstatten. Wer Sparbücher öffentlich mit Altersversorgung verwechselt, der ist inkompetent. Wer praktisch alle anderen „volkstümlichen“ und volksbekannten Sparformen geißelt, der verursacht einen Vermögensschaden.
Festverzinsliche Wertpapiere, mit denen der Staat bei Ihnen Schulden macht, wenn Sie welche kaufen.
81
Gemeint ist hier die steuerlich geförderte, SELBST finanzierte Zusatzrente über den Arbeitgeber, auch „Entgeltumwandlung“ genannt: der Tausch von Gehalt gegen Rente.
82
83
Von „Autsch!“.
84
Von Goethes Faust: „da steh‘ ich nun, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor …“.
„Anforderungen an Finanzvermittler – mehr Qualität, bessere Entscheidungen. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Mehr dazu in Kapitel 7.
85
86
www.einfach-investieren.de
Verbraucherschützer
61
Sparbücher bringen ein Prozent. Die Inflation frisst zwei Prozent. Das Vermögen sinkt also um ein Prozent, Jahr für Jahr. Wie hoch ist der volkswirtschaftliche Vermögensschaden, wenn die Menschen aus Verunsicherung durch Verbraucherschützer gar nichts für ihre Rente tun? Wie viel NICHT-Sparen haben Verbraucher-Verwirrer zu verantworten? Wie hoch ist der volkswirtschaftliche Vermögensschaden in Form nicht verfügbarer, fehlender Zusatzrenten, wenn die Deutschen, da systematisch finanziell entmündigt und verschüchtert, großteils auf das Sparen verzichten? Sie verzichten, weil Verbraucherschützer und Verbraucherbenützer den Menschen das Sparen vergrätzen, statt sie beim Sparen sinnvoll zu beschützen. „Probleme entstehen grundsätzlich von alleine – Lösungen nicht.“ von meinem ehemaligen Chef, dem von mir hoch verehrten Helmut Schäfer
4.3.3
Rezept einer Polemik: Wie kann man Altersarmut garantieren?
Sparen verhindern! Ein Versuch: Laut Statistischem Bundesamt gibt es rund 30 Millionen rentenversicherte Beitragszahler, Menschen mit Erwerbseinkommen. Diese müssen von den halbstaatlichen wortaggressiven Erregern der Altersarmut mit der Macht der Verbraucherberatung tunlichst auf das Nichtsparen verpflichtet werden. Verbraucherschützer werden vom Staat finanziert und von Ihren Gebühren, wenn Sie hingehen. Und wenn Sie nicht hingehen? Dann auch: Durch Ihre Steuern. Verbraucherschützer fordern übrigens seit Sommer 2009 mehr Geld, weil sie mehr Bürger zu ihren, zu ihren und zu Ihren Finanzen beraten wollen. Das Ergebnis lässt bangen. Rii-Sii-Koo! NICHT-Sparen: Das ist das operative Hauptziel. Eine gewaltige Herausforderung, die die Verbraucherverletzer mit Einzel-„Beratungen“ gar nicht allein leisten können. Selbst „Altersvorsorge macht Schule“ (Kapitel 7) – powered by Verbraucherschutz und Deutsche Rentenversicherung – erreicht die Menschen nicht flächendeckend! Immerhin müssen sich die Verbraucherschützer nicht um die kümmern, die sich um ihr finanzielles Heil sowieso nicht scheren und die von Bank- und Versicherungsverkäufern auch nicht erreicht werden. Das ist schon einmal ein Anfang. Renitentes Sparen gilt es weiter zu verhindern, indem mehr und noch mehr Papier in die Welt gebracht wird. Seit 2008 keimt Hoffnung: Seit dem ersten Januar 2008 müssen Versicherungskunden für eine einfache Private Rentenversicherung (wie für alle Versicherungen) vor Abschluss des Vertrages im Schnitt zwei Zentimeter Papier lesen – ein zwei Zentimeter dickes Papierbündel. Neben dem Lesen müssen sie die zwei Zentimeter Papier verstehen, akzeptieren und das alles in einem schriftlichen Beratungsprotokoll bestätigen. Der Tenor des Ganzen lautet demnach sinngemäß „ich bin immer selbst Schuld, wenn bei dem Vertrag etwas schiefgeht“.
62
Kapitel 4
Bleiben übrig: die Menschen, die aus Verunsicherung Rat suchen, weil sie sich Sorgen um ihre Rente machen. Das ist eine Zahlen-Fehlstellung! Diese Sorgen muss man ihnen nehmen und ihnen die „Renteninformation“ so lange zerreden, bis die Ursprungsfrage vergessen ist – das ist verhinderungsfachlich höchst anspruchsvoll. Ärzte haben es da einfacher, schon rein sprachlich. Aber die Verbraucher-Aktivisten holen langsam auf. Dann sollten die Armutsbeschützer weiter konsequent die Risiken und Nebenwirkungen des Sparens betonen, am besten verstärkt durch die Darstellung echter und unechter Börsencrashs. Insofern ist die Finanzmarktkrise des Jahres 2008/2009 ein Segen. Gut „gehen“ 87 88 auch Gegenanzeigen von Weltuntergangsszenarien wie die pandemische Ausbreitung von Kosten und das korrespondierende Wortfeld: „Provisionen“, „Agio“ und „Disagio“, „Gebühr“ und „Geschwür“, um nur die wichtigsten Begriffe der aggressiven Neiderreger zur nachhaltigen Abschottung von Sparaktivitäten zu bemühen. Irgendwann muss man sagen können: Wir haben es geschafft, das Sparen ist besiegt. Nur in kleinen geheimen Labors wird unter strengster Abschottung noch ein bisschen geforscht, wie man Sparen als Wirtschaftswaffe künftig in Kriegen einsetzen kann. Dazu: In Großbritannien ist im August 2007 die Maul-und-Klauen-Seuche wieder ausgebrochen: aus einem Forschungslabor! So, genau so, muss das Sparen eingedämmt werden, nur die Forschungslabore müssen noch sicherer werden! „Finanztest“ muss seine Preise verzehnfachen. Nicht-Sparen wird zum Akt sozialer Verteidigung ausgerufen, Armut statt Anmut. Experten haben es berechnet. Armut entsteht nicht im Alter. Armut entsteht mit der ersten Sparrate. Altersvorsorge aufzubauen führt zu Konsumverzicht – man kann nicht laut genug warnen – schlimmer: medizinisch gesehen kommt es zu einer Erstverschlechterung infolge 89 der Gabe von Sparraten auf Sparkonten, hat der Verband „Konsum Jetzt! e. V.“ in umfangreichen Untersuchungen an Haushalts- und Kaufhauskassen gemessen. Weiter wurde festgestellt, dass Gewöhnungseffekte im Falle des monatlichen Sparens – eine Horrorvorstellung – nicht ausbleiben und nur durch Konsumsteigerung verhindert werden können, so der Verband. Eigentlich ist Konsumsteigerung eine selbstverständliche Sache und wird von der Geldentwertung unterstützt, die vor vielen Jahren gegen den Willen der Bürgerschützer eingeführt wurde. Die Inflationskrankheit, manche nennen sie auch das „SpäterWeniger-Kaufen-Können-Syndrom“, ist zum Unwort geworden, weil sie doch zum Sparen verführen könnte. Das Schöne an der Inflation ist aber, dass sie bei korrekter Spardosierung immense Monatsraten frisst. Das ist eine Rentenverhinderung, die medizinisch angezeigter Konsumverzicht niemals leisten könnte. Gut so. Inflationsbereinigte Renten und das Kapital dafür sind nämlich unbezwingbare Sparmonster. Die falschen Berechnungen
Aus der Pharmazie: Reaktionen des Körpers nach Medikamentengabe, die auf eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation schließen lassen.
87
88
Pandemie: weltweite Epidemie.
89
Fiktiv.
Verbraucherschützer
63
der Verbraucherbeglücker, finanzieller Analphabetismus muss gepflegt werden, können unverändert beibehalten werden. Verbesserungsbedarf besteht in der Abteilung „Warnung und Sparverhinderung“, die ihr Marketing massiv ausbauen muss. Die Zukunft führt dann in eine inflationsgesteinigte Einheitsrente von 370 Euro für alle. Das ist nicht leistungsfeindlich! Bis zur Rente haben die Groß- und Gutverdiener während ihres Arbeitslebens einem wesentlich höheren Konsum gefrönt als der kleine Mann von der Werkbank. Falls der erhöhte Konsum der Besserverdiener doch zu einem sozialen Ungleichgewicht führt, könnte sich die Partei „Die Linke“ für höhere Steuern einsetzen, um einen sozialen Ausgleich sicherzustellen. Dadurch würde auch die Einheitsrente um 17 Euro auf 387 Euro steigen können – man muss eben nur wollen. Verbraucher-Unnutz kann viel leisten: auf dem Weg in diese Zukunft und um ihn zu sichern, müssen die verbotenen Erreger „Kosten“ um die Feindbilder „Berater“ mit ihren Abarten „Versicherungsvertreter“, „Bankberater“, „Finanzberater“, „Finanzplaner, „Bausparkassenvertreter“ und „Immobilienkaufmann“ ergänzt und durch Fortschreibung gepflegt werden. Da passt es gut, dass sich Pranger seit Erfindung des Internets sehr gut 90 elektronisch steuern lassen: E-Prangering. Übrigens „Steuern“: das Alterseinkünftegesetz kann mit der endgültigen Durchsetzung entfallen, weil es ja nichts mehr zu versteuern gäbe. So nimmt man der Sache mit dem Sparen die Komplexität: Nicht-Sparen ist Steuer91 vereinfachung. Auf dem Bierdeckel kann wieder das Bier stehen. Dennoch: Der Weg für die Verbraucherschützer ist noch lang und bei den gestiegenen Aufgaben muss der Staat die Finanzierung erhöhen – notfalls durch mehr Steuern.
4.3.4
Krankenakten (nur für den Fiesgebrauch)
Was tun die Verbraucherschützer? Siehe oben! Was sollten die Verbraucherschützer tun und unterlassen? Das Gegenteil!
4.3.4.1
Was tun und unterlassen Verbraucherschützer heute? Eine 92 93 Anamnese der Renten-Amnesie
Haushaltsplan Er ist eine Grundlage finanzieller Spät-Alphabetisierung. Er gibt Auskunft über das Einnehmen und Ausgeben von Geld. Diese Haushaltspläne stellen die Verbraucherschützer manchmal auf Kosten ihrer Kunden auf. Wirklich? Ja, buchstäblich. Oder sind das nur die Schuldnerberatungen? Aha.
90
Missstände online anprangern, ist hiermit erfunden worden.
91
Friedrich Merz, CDU, hatte die Steuererklärung auf dem Bierdeckel angeregt.
92
Aufnahme einer Krankengeschichte.
93
Gedächtnisverlust.
64
Kapitel 4
Wenn es also Haushaltspläne für Schuldner gibt, mit denen der drohende finanzielle Exitus abgewendet werden soll, wo es um den Abbau von Schulden geht, wo sind dann die Haushaltspläne für den Aufbau finanzieller Fitness im Alter oder zum Abwenden des finanziellen Exitus mit Beginn des 365-Tage-Dauerurlaubs-Lebensabschnitts? Wenn der Haushaltplan des Schuldners die Anamnese94 der heutigen, akuten, Finanzkrankheit ist, wo ist dann der Therapieplan für eine gesicherte gesunde Rentenzukunft? Um im Alter fit zu bleiben, muss man heute mit Fitness anfangen: regelmäßige Bewegung, schlank sein oder mit Diät schlank werden. Und finanziell: genauso! Einer der Krankheitsherde für finanzielle Demenz95 ist neben dem fehlenden Training die nie eingehaltene Haushaltsdiät. Fette Konsumausgaben sind nichts anderes als Cholesterinbomben. Jetzt kommt die Empfehlung der Verbraucherschützer: „Erst sparen, wenn Geld dafür da ist“. So einfach ist das. Und wenn kein Geld da ist? Nicht sparen! Beratung zu Ende. Verbraucherschutz, das ist zu oft: wissen, wie esnicht geht – aber das wussten Sie schon. Mein Freund und Autorenkollege Jürgen Hauser96 sagt dazu immer Folgendes: „Wenn sie jetzt nicht sparen, haben sie im Alter die zwei schlimmsten Probleme, die ein Mensch haben kann: Hunger und Durst“. Und daher glaubt der Autor dieses Buches: Verbraucherschützer sind schlecht gelaunt, weil die Welt schlecht ist. Keiner hat ihnen etwas getan. Sie haben sich freiwillig entschlossen, Verbraucherschützer zu sein. Keiner hat sie dazu gezwungen. Das schlimmste an dieser schlechten Laune ist die Ausstrahlung von Demotivation, mit der alle Hinderungsgründe dieser Welt herangezogen werden, warum Sparen „bei der Haushaltslage“ nicht geht. Es passiert zu selten, dass sich ein Verbraucherschützer auf eine konstruktive Budgetberatung einlässt, drängend und dringend auf seine Kunden einwirkt und schrittweise Einsparpläne entwickelt, die Geld für die Zusatzrente freischaufeln. Peter Zwegat97 braucht Verstärkung von Adam Riese, der zeigt wie es geht: „Rein ins Sparen!“ Haushaltspläne, die Geld zum Sparen frei machen, verhüten eine Schuldnerberatung in 30 Jahren. Darum sind sie nötig, aber dazu muss man Mut und Entschlossenheit haben. Dieses Bild vermitteln die Verbraucherschützer nicht. Wenn wir heute eine Altersarmut bei sieben Prozent der Rentner haben, dann ist das schlimm genug! 2040 werden etwa 30 Prozent aller Rentner den Armutsbegriff, wie sagt man juristisch so schön distanziert, „erfüllen“.
94
Krankengeschichte.
95
Hier: Schwäche.
96
www.tcc-hauser.de
97
RTL „Raus aus den Schulden“.
Verbraucherschützer
4.3.5
65
Bund der Versicherten
Kürzlich warf der Autor dieser Zeilen einen Blick auf die Homepage des „Bund der Versicherten“98 (BdV – obwohl sich auch der „Bund der Vertriebenen“ so abkürzt), einer Institution, die sich überwiegend konservativen99 Methoden der Finanzheilung widmet und die sicher nicht so böse und obskur wirkt, wie dies der dargestellte Kaspar Hauser in seinen Phantasien erlebt haben will. Sie wirkt einfach nur schlecht und vielen unerfahrenen Anwendern wird schlecht. Auf der Homepage des BdV findet sich folgender Hinweis: „WirübernehmenkeineHaftungfürInformationen“ Toll. Aber: Jeder Finanzberater muss das: Haften. Das ist auch besser so, denn auch der BdV weiß nicht, wie es besser geht. Er weiß nur, warum Versicherung, vor allem die Lebensversicherung und ihre Schwester, die private Rentenversicherung, Lug und Trug ist. Was beim BdV als „Interessenvertreter“ der Versicherten intern vorgeht, dem ist Henning Thielemann100 als kritischer und fleißiger Beobachter des BdV einmal auf den Grund gegangen. Deshalb soll hier nur zur Sache untersucht werden, was (sich) der BdV in seiner als „Beratung“ bezeichneten Verunsicherung leistet: Die „Versicherungsaufstellung“ ist als Begriff in Bezug auf Psychotherapeutische Vergleichsmaßnahmen nur unfreiwillig komisch, denn es geht um viel Geld! Im Internet kann der Finanzdemente beim BdV seine Versicherungen eintragen und bekommt dann im besten Falle Vergleichszahlen genannt, Prämien, der er realisieren kann, wenn er sich über den BdV-Gruppenvertrag versichert. Die Prämien sind ausgesprochen niedrig dosiert. Sozusagen: billig, wenn man berücksichtigt, dass dem Ganzen keinerlei Bedarfsanalyse zugrunde liegt. Solche Service- oder Vergleichsangebote kann man mit Fug und Recht als das bezeichnen, was der BdV den Versicherern durchaus berechtigt vorwirft: Produktverkauf, und dies oft genug ohne Bedarfsanalyse, ohne Anamnese, ohne Befunderhebung – Spritze rein! Willkommen im Club! An anderer Stelle der Internetseite stehen zwar ausgiebige, sich in Beliebigkeit geradezu ergötzende Beiträge zu Bedarf und Bedarfsermittlung. Der größte angefochtene Bereich, die Lebensversicherung, findet aber nur in ihrer Verteufelung statt und wie man sie los wird – koste es was es wolle, denkt da der Betrachter. Übrigens hat der BdV101 laut seiner Homepage in seiner BdV Mitgliederservice GmbH 140.000 „Anmeldungen“ zu seinen Gruppenversicherungen. Man stelle sich vor: Es gäbe eine Hausrat-Versicherungspolice, in der sagen wir 10.000 Haushalte versichert sind (nor-
98
www.bundderversicherten.de
Medizinisch: das Gegenteil von neueren Methoden und oder der feinstofflichen Therapier (Homöopathie).
99
100
http://www.verunsicherte.de/
101
www.bundderversicherten.de
66
Kapitel 4
malerweise ist in einer Police nämlich immer nur ein Hausrat versichert und Sie selbst sind der Versicherungsnehmer). Beim BdV gibt es das, wenn auch die Anzahl der versicherten Haushalte nicht konkret bekannt ist. Versicherungsnehmer ist die BdV Mitgliederservice GmbH. Versicherte Person oder (hier) versicherter Hausrat sind Sie und Ihre Möbel – und 10.000 andere Haushalte! Da Sie selbst nicht Versicherungsnehmer sind, haben Sie auch keine Rechte, zum Beispiel im Schadenfall. Die hat die BdV GmbH. 140.000 Anmeldungen! Das ist wohl „geschäftsmäßige“ Versicherungsvermittlung, oder? Auch wenn sich der BdV auf seiner Internetseite mit „Wir sind Verbraucherschutz“ betitelt: Im August hat die zuständige IHK die BdV GmbH aufgefordert, sich als Versicherungsvermittler registrieren zu lassen. Das meldete „versicherungsjournal.de“ am 14. August 2009. Jeder Versicherungsvermittler muss seit 2007 ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, seine steuerliche Unbedenklichkeit nachweisen und: geordnete Vermögensverhältnisse. Er muss eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung im Falle von Falschberatung vorhalten, seine Sachkunde nachweisen und erhält am Ende eine Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Im Falle, dass der Versicherungsvermittler das Beitragsinkasso macht, wie der BdV es tut, braucht man obendrein eine so genannte Vertrauensschadenversicherung (schützt den Kunden, wenn der kassierende Versicherungsvermittler mit den Beiträgen durchbrennt). Der bisherige Zustand, wie BdV-Mitglieder zu ihrem Versicherungsschutz kamen, lässt sich durchaus als Gesetzes-, nennen wir es –umgehung bezeichnen. Das Ganze lässt sich mit der Rechtsberatung vergleichen. Unerlaubte Versicherungsvermittlung ohne eine IHK-Zulassung ist verboten. Unerlaubte Rechtsberatung ist auch verboten, selbst wenn sie kostenfrei ist. Wer kostenfrei und geschäftsmäßig Rechtsberatung vornimmt, verstößt gegen das Rechtsberatungsgesetz. Selbiges gilt sinngemäß für Versicherungsvermittlung. Nun ist die BdV GmbH demnächst also wohl bald ein „Versicherungsvermittler“ im juristischen Sinne. Logisch betrachtet heißt das: Jeder Versicherungsvermittler darf sich jetzt als „Verbraucherschutz“ titulieren, oder? Zumindest müsste das dann für die Vermittler gelten, die sich als unabhängig bezeichnen: Versicherungsmakler zum Beispiel. Oder etwa nicht? Oder muss der BdV das „Wir sind Verbraucherschutz“ jetzt streichen? Schließlich darf sich die AWD Finanzberatung auch nicht mehr „Ihr unabhängiger Finanzoptimierer“ nennen, seitdem das Unternehmen der Swiss Life Versicherung gehört und seitdem der Begriff „unabhängig“ in Verbindung mit Finanzvermittlung gesetzlich102 geregelt ist.
4.3.6
Beliebigkeit der Meinung, der Aussage und der Wahrheit
Zur Altersvorsorge fällt Verbraucherschützern nur ein, dass es sich dabei um eine Struktur handelt, die auf angeblich vier (!) Säulen ruht. Bisher war fast jedem finanziell Dementen die sogenannte Drei-Säulen-Theorie bekannt, die neben der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Betrieblichen Altersversorgung die Privatvorsorge umfasst. Um sich etwas
102
EU-Vermittlerrichtlinie wurde am 22. Mai 2007 Bundesrecht.
Verbraucherschützer
67
„Eigenes“ zu schaffen, stellt man in Verbraucherschutzkreisen munter die „vierte“ Säule „Riester-Rente“ daneben, ohne jeden logisch, systematischen Grund. Und ohne von dem bekannten Prinzip der Drei-Säulen-Theorie aus das Neue, zum Beispiel die Riester-Rente, zu erklären oder gar herzuleiten – Jodeldiplom statt finanzieller Heilkunst. Und, wenn Sie liebe Leserinnen und Leser es erlauben: Auch der Öffentliche Dienst und seine Unterstützungskasse103 schafft sich unnötige „eigene“ Begriffe, um Verbraucherverwirrung komplett zu machen: Die „u.di“ Unterstützungskasse nennt die „betriebliche Altersversorgung“ (kurz bAV) seit 2003 BOA: „Betrieblich Organisierte Altersvorsorge“. Das geschieht ohne jede Not. Man hat sich diese Schöpfung sogar markenrechtlich schützen lassen. Falls Sie gern ins Kino gehen: Schon im „Leben des Brian“104 kämpfte die „Volksfront Judäa“ gegen die „Judäische Volksfront“. Spalter! Zurück zu Herrn Riester und seiner Rente: Dabei wäre es so einfach: Minister Riester hat 2001 einfach unterstellt, jeder Sparer legt vier Prozent seines Bruttogehalts zusätzlich in die Altersvorsorge. Und dies wird jetzt als Tatsache angenommen. Deshalb kürzt ihm die Gesetzliche seine Grundversorgung entsprechend. Da fällt mehr weg als die Medikamentenzuzahlung, die der Rentner im Alter aufbringen muss. Die genannten vier Prozent „lindern“ also die Rente. Das Gegenmittel, mit dem man sich Riesters Rentenkürzung zurückholt, entspricht selbstverständlich der Annahme der Rentenformel: Man leistet einen Zusatzbeitrag von vier Prozent vom Bruttoeinkommen. Der Staat sponsert Zulagen je Erwachsenen und je Kind und einen Steuervorteil. Fertig ist die Riester-Rente. Eine staatlich verordnete Kompensationstherapie, gegen die die Praxisgebühr ein Klacks ist, mit der aus der Gesetzlichen Rente doch noch eine „belastbare Extremität“ geformt werden soll, wie Knochenärzte das bei hoffnungslosen Fällen formulieren. Die Riester-Rente ist Zusatzbestandteil der ersten Säule der Drei-Säulen–Theorie (Gesetzliche Rentenversicherung). Dass Herr Professor Rürup105 die Riester-Rente zwischenzeitlich in einem neuen Erklärungsmodell, dem Schichtenmodell, und hinsichtlich der Fördersystematik anders erklärt, geht dem Verbraucherschutz völlig abhanden, weil keine steuerliche Diagnose vorgenommen wird. Aber der Verbraucherschutz ist schließlich kein Steuerberater und Steuerberatung ist verboten, wenn man kein Steuerberater ist und: Professor Rürup ist jetzt beim AWD, „Ihrem persönlichen Finanzoptimierer“ (früher hieß das dort „Ihr unabhängiger Finanzoptimierer“, aber das hat ein Gericht im Sommer 2009 den Tatsachen gerecht gekippt).
103
http://www.u-di.de/index.php/dassystem.html
104
Film der britischen Komikergruppe „Monty Python“
Rürup: Ehemaliger Wirtschaftweiser, „Erfinder“ des Alterseinkünftegesetzes und der „Schichtenmodell“-Systematik der steuerlichen Behandlung von Altersvorsorgeverträgen. 105
68
Kapitel 4
Statusfragen: wenn der Verbraucherschutz keine Steuern beraten darf und keine Renten (darf nur der Rentenberater), darf er dann Versicherungen, hier Altersvorsorge, beraten? Es gibt keinen Grund, Verbraucherschützer statusfrei auf die Menschen loszulassen. Patienten-Selbsthilfegruppen sind auch nur Zusammenschlüsse von Betroffenen. Behandelt da der Vereinsvorsitzende die Mitglieder? Nein, nur wenn er Arzt ist! Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch der Verbraucherschutz sich weder einer vertretbaren Unterstützung bei der Bedarfsermittlung, noch dem Thema der steuerlichen Einordnung verschiedener Altersvorsorgeprodukte, noch brauchbar der Erklärung der neuen steuerlichen Welt ab 2005106 widmet. Die Rürup-Rente107 erhält einen versorgungsmedizinischen Allgemeinplatz. Zur Inflation, der Atrophie108 des Geldes, fallen den Verbraucherschützern auch nur „Sachwerte“ ein. Dabei denkt der Autor an ein altes Lied: „Wir versaufen unser Ommaihrklein’Häuschen“ und „Inkompetenz“, das fällt dem Autor auch noch ein. Das eigene Häuschen ist noch immer die beste Altersversorgung – die Rente aus Stein! Da können wir im Notfall in die Garage ziehen und das Haus vermieten. Wie das mit dem eigenen Häuschen vernünftig funktioniert, lesen Sie in Kapitel 8, mit Beispielrechnungen. Die modernen Verkäufer von Versicherungen, auch die von Banken, müssen alles systematisch richtig und nachvollziehbar und haftbar korrekt erklären können, Konzeptberatung leisten und, und, und. Schließlich arbeiten die seit 22. Mai 2007109 in einem erlaubnispflichtigen Gewerbe – „Verbraucherschützer“ nicht. Jede geistige Inkontinenz110 des Beraters wird bestraft, aber nur, wenn er kein Gewissensmonopol à la Verbraucherschutz hat. Und wer zieht sich die weißen Kittel zum Zwecke der Halbgottwerdung täglich an? Eindeutig die Falschen!
4.3.7
Herr vergib’ ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!
Wer wie der BdV und andere nicht mandatierte Verbraucherbeschützer wie zum Beispiel Verbraucherschützer jahrzehntelang die Kapital bildende Lebensversicherung verurteilt (die Kosten, die Kosten Î „legaler Betrug“), der dürfte konsequenterweise auch die neu-
106
Siehe auch Rieksmeier in Hauser, „Alter, ist das herrlich“, Wiesbaden 2007, S. 170ff.
Funktioniert in Beitrag und Steuern wie die Gesetzliche Rente (auch: Versorgungswerke für Ärzte, Anwälte etc.). Die Rürup-Rente wird aber beim privaten Versicherer abgeschlossen: es findet also im Gegensatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung eine Kapitaldeckung statt. 107
108
Muskelschwäche.
109
Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie in deutsches Recht.
110
Blasenschwäche.
Verbraucherschützer
69
en, geförderten Versicherungsprodukte wie Riester- und Rürup-Rente nicht billigen, da sie versicherungstechnisch und hinsichtlich der Kosten grundsätzlich genauso aufgebaut sind wie die böse Lebensversicherung. Für mich selbst war das eben selbst zu schnell. Also, damit ich mich richtig verstehe: Damit Sie das recht verstehen, liebe Leserinnen und Leser: in Riester- und Rürup-Rente sind genauso viele böse Kosten drin wie in der Lebensversicherung (und wie in allen anderen Standard-Sparprodukten!), aber die Verbraucherschützer haben es noch nicht gemerkt oder wollen es nicht merken, weil sie sich sonst gegen die neuen, staatlich gewollten Förderungen einer Zusatzversorgung im Alter wenden würden (Riester-Renten). All das kann man erst kritisieren, wenn man sich mit der Materie auskennt. Erinnern Sie sich noch an die Ampel-Männchen und ihre Ampel-Broschüre? Da waren die Produkte der betrieblichen Altersversorgung „viel zu kompliziert“. Zur Erinnerung: Auch die funktionieren technisch wie Riester- und Rürup-Versicherungen und wie jede normale Lebens- oder private Rentenversicherung. Es bestehen angesichts der Verlautbarungen der finanziellen Menschenretter erhebliche Zweifel an der Kompetenz der Verbraucher-Beschicker. Und noch etwas, mal grundsätzlich gefragt: Rät die DLRG111 vom Schwimmen ab? Nein, sie bildet Schwimmer und Retter aus.
4.3.8
Mandat verspielt! Was bleibt?
Der Bund der Versicherten und die Verbraucherschützer befinden sich in prominenter Gesellschaft der Gesamtgruppe der pathologischen Vorsorgeverweigerer und der Vorsorgeverhinderer. Sie verdienen, wenn sie sich nicht bessern, wenn sie nicht konstruktiv werden, keine öffentliche oder gar politische Würdigung mehr. Ohne den wirklichen Nachweis einer Sachkunde, echter Sachkunde, die über die Sachkunde des Versicherungsvermittlers weit hinausgeht, verdienen diese Organisationen keine Beteiligungen an Anhörungen des Deutschen Bundestages zu Versicherungsgesetzen. Dazu muss man wissen, dass Verbraucherschützer und der Bund der Versicherten vom Gesetzgeber tatsächlich um ihren „fachkundigen“ Rat, zuletzt zum runderneuerten Versicherungsvertragsgesetz 2008 oder zur Zukunft der Finanzberatung gebeten werden. Bitte? Ja! Solange Verbraucherschützer nicht willens und nicht in der Lage sind, Finanzprodukte zu verstehen ( V E R S T E H E N ) und verständlich zu erklären, solange müssen es andere tun, gut oder schlecht, solange kostet Beratung, da vonnöten, ... GELD. Man mag es beklagen und beschreien. Solange Verbraucherschutz Transparenz in der Form einklagt, dass noch mehr Papier produziert und dabei von der Politik unterstützt wird, solange verstärkt Verbraucherschutz einen Demenz-Effekt, den die Amerikaner „overnewsed but under-
111
www.DLRG.de
70
Kapitel 4
informed“112 nennen. Medizinrechtler, auf Deutsch: Leistungssachbearbeiter in Krankenkassen, nennen so etwas „Behandlung im Übermaß“ – nicht erstattungsfähig! Geschossen wird auf gute und schlechte Finanzberater, gute und schlechte Produktanbieter; getroffen werden aber immer Verbraucher. Papier und Reglement steigern, entgegen aller guten Heilungsabsicht, den Erklärungsaufwand und dehnen die Behandlungsdauer aus. Das kostet Geld, das wird noch mehr Geld kosten müssen, da durch immer höhere fachliche und regulatorische Auflagen immer weniger wirkliche Fachleute verfügbar werden, die korrekt beraten und behandeln können. Wie leicht gelangte man in der Vergangenheit an einen Versicherungsverkäufer? Durch einen Anruf, den man gar nicht selbst tätigen musste, man wurde gefunden! Heute ist das aus guten Gründen längst verboten, obwohl es immer noch gemacht wird. Wie schwer fand man schon in der Vergangenheit einen wirklich guten Berater? Wie schwer fand man in der Vergangenheit einen wirklich guten Arzt? Wie schwer wird es werden, einen guten Berater zu finden, der ab sofort neben einer Tätigkeitserlaubnis und einer Haftpflichtversicherung (Gott sei Dank!),
႑der Kenntnis des Alterseinkünftegesetzes, ႑der Riestergesetze, ႑der Rürup-Spielregeln, ႑der Betriebsrente, ႑der Mathematik (um alle Varianten zu vergleichen), ႑der Verbraucherschutzvorschriften und ႑der neuen Versicherungsgesetze, ႑der Abgeltungssteuer und ႑der wichtigsten Regeln des Sozialgesetzbuches auch noch soziale Kompetenz mitbringt und Zusammenhangwissen besitzt, mit dem er das Ganze auch noch entzerrt und verständlich erklären kann? Und der die Beratung auch noch schön dokumentiert? By the way: daran sollte sich jeder „Experte“ messen lassen, sogar der Unentgeltliche. Soll dieser gute Geld-Therapeut (und auch nur im Erfolgsfall!) mit nur 50 Euro nach Hause gehen, wenn er mit seinem schwer finanzdemenzkranken Kunden, dem er für den Termin auch noch dankbar zu sein hat, fertig ist?
112
Sinngemäß: zu viele Fakten verdecken den Kern der Information.
Verbraucherschützer
4.3.9
71
Lösung: Verbraucherschutz braucht Verbraucherschutz! Dringend!
Steuerliche und rechtliche Beratung ist in Deutschland nur den dafür zugelassenen Ständen erlaubt, begründet. Bei ärztlicher Kunst ist das sowieso klar. Wenn Altersvorsorgeberatung seit 2007 ein erlaubnispflichtiges Gewerbe geworden ist, dann ist das auch nur rechtens – immerhin war dies eine jahrzehntelange Forderung der in diesem Kapitel behandelten Gruppe. Dann soll sich die in diesem Kapitel behandelte Gruppe der Fernheiler auch daran halten und eine Mindestqualifikation erwerben, nach dem gleichen Regeln wie das für Versicherungs- und Anlagevermittler seit diesem Jahr auch gilt! Und zwar nach den exakt genau gleichen Regeln. Wer Geldpatienten untersucht und behandelt, braucht nachweisbare Kenntnisse. Sonst gibt es keine Approbation,113 sonst bleibt das Verhältnis Verbraucherschützer zur Schutzperson ein Spiel „Not gegen Elend“. Der „Weser-Kurier“ vom 25. August 2005 berichtet von einem Fall wirklich bösartiger Verbraucher-Benachteiligung im Zusammenhang mit unwirksamen Klauseln in Bauverträgen, in dem die Bremischen (das sagt man so in Bremen) Verbraucherschützer von einem Bauunternehmen verklagt wurden, wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz. Das war natürlich etwas forsch von dem „betroffenen“ Bauunternehmen, weil die Verbraucherzentralen Rechtsberatung, dergleichen sogar schlechte, leisten dürfen (was die Frage aufwirft, warum rechtsberatende Personen beim Verbraucherschutz nicht auch eine juristische Ausbildung nachweisen sollten). Aber das ist doch mal ein Ansatz und bringt den Autor auf die Idee, die „Verbraucherschützer“, vor allem den Bund der Versicherten, der völlig unkontrolliert und unreguliert Versicherungen vermittelt und mit Millionen an Versicherungsbeiträgen hantiert, wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung114 anzuzeigen. Er lässt es sein, da nun alle Geläuterten dieses Buch lesen. Frau Bundesjustizministerin Zypries: Handeln Sie! Bald. Im Ernst und grundsätzlich: Verbraucherschutz ist sehr, sehr wichtig. Nur sollten die Beteiligten Kompetenz erwerben, beweisen und üben. Verbraucherschutz sollte die fachlichen und moralischen Standards erfüllen, die er fordert. Verbraucherschutz ist KEIN Heimatschutzministerium.
113
Ärztliche Zulassung.
114
§ 34 d Gewerbeordnung: Erlaubnis für Versicherungsvermittler.
72
Kapitel 5
Kapitel5 5.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Hausers Stressreaktion lag darin begründet, dass er Opfer einer sogenannten „Versicherungsaufstellung“ war, die der BdV bei ihm vorgenommen hatte. In Gesprächen mit MitBetroffenen, die ebenfalls Mitglied es Bundes waren oder gewesen waren, hatte Hauser später erfahren, dass man ihn um sein Geld betrogen habe. Zu dieser Zeit fühlte sich seelisch und finanziell noch halbwegs gesund. Der Bund der Versicherten (BdV genannt) redete seinen Mitgliedern nämlich ein, dass Lebensversicherungen „legaler Betrug“ seien, er verbot scheinbar jeden Kontakt mit Vertretern von Versicherungen. Schlimmer: Für Hauser schien es ein unabdingbares Gut-Böse-Prinzip zu geben, das entschied, ob man als Mitglied anerkannt wurde oder nicht. Aussteiger aus der Szene sagten, der Gang mit den Füßen aus dem Bund heraus sei schwieriger, als den Kopf klar zu kriegen; schwieriger als sich klarzumachen: „Ich kann selbst denken und rechnen“. Aber konnte er, Hauser, das noch? Konnte er wirklich noch selbst bestimmt den aufgezwungenen „Wirklichkeiten“ um „legalen Betrug“ mit Lebensversicherungen, schließlich hatte er selbst zwei Lebensversicherungen gehabt, widerstehen? Hauser war in seiner Erzählung kaum zu bremsen; überfallartig schossen die Worte in den Raum und nahmen den Psychologie-Professor ein. Hauser redete und redete; er schien völlig verwirrt, fast schon manisch, aber er redete – endlich: „Stellen Sie sich das einmal vor Professor! Ich ermittelte: 1982 wurde der „Bund der Versicherten“ von Gleichgesinnten unter Führerschaft eines ehemaligen Versicherungsvertreters, H. Dieter Meyer, gegründet. Mir kam das insgesamt immer mehr so vor, als formierte H. Dieter Meyer eine Abart des Verbraucherschutzes, eine Art Verbraucherschutz-ScienceFiction für die Verfolgten des Versicherungsregimes. Ich hielt H. Dieter Meyer lange Jahre für einen Propheten der Gerechtigkeit, insbesondere als er spektakulär erwirkte, Lebensversicherung „legalen Betrug“ nennen zu dürfen. Das Mitgliedsorgan der niemals verbotenen Organisation (das „BdV-Info“) entwickelte sich im Lauf der Zeit zu einer Art Hofberichterstattung um H. Dieter Meyer.“ In Sachen seiner Versicherungen passierte daraufhin Folgendes: „Ich war völlig perplex. Nach der Dot.com-Krise und dem geplatzten Traum, mit Internetseiten Geld drucken zu können, stand im Jahr 2002 in allen Zeitungen, die Lebensversicherer würden „pleite“ gehen. Versicherer hätten sich an der Börse verspekuliert und die 115 ersten Unternehmen seien am Ende. Weiter stand da zu lesen, mit den Lebensversicherern gehe die Welt unter, wenn man sich nicht errette.“ Und Hauser handelte tatsächlich: „Auf Weisung des BdV spaltete ich meine Gedanken und meine Geldanlagen konsequent in gut und böse, beendete sofort den Kontakt zu meinem Versicherungsvertreter und stell-
115
www.protektor-ag.de
Halt‘ die Presse!
73
116
te meine Lebensversicherungen „beitragsfrei“, um schlechtem Geld nicht weiter „gutes“ Geld nachzuwerfen.“ Aufgebracht berichtete Kaspar Hauser weiter. „Ausgangspunkt war meine Versicherungsaufstellung und ich strich Versicherungen aus meiner Versicherungs/Familienaufstellung. Dabei fühlte ich mich, als habe ich rückwirkend meine eigenen Schwestern oder meine Schwestern der Geldanlage verstoßen und dafür einen hohen Preis bezahlt, einen hohen emotionalen Preis? Emotional?“ Wird fortgesetzt…
5.2
Fünfter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
12 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2021. Bis zur Rente sind es noch 23 Jahre. AdamRieses Vermögen zählt jetzt 18.133 Euro: 14.400 eingezahlt, 3.733 Euro Zinsen kassiert. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen, hat eine Gehaltserhöhung bekommen. Er trifft Adam Riese mal wieder zu Sylvester und schwört: „Wenn die nächste Gehaltserhöhung kommt, fange ich an, Prost!“
5.3
Halt‘ die Presse!
Es scheint in Deutschland einen Zusammenhang zwischen vorhandener und nicht vorhandener Boulevardpresse und der Nutzung von spezialisierter Fachpresse zu geben und der lautet: Wird über das Fachthema in der Boulevardpresse berichtet, dann lesen auch die Fachleute nur die Boulevardpresse. Wird in der Boulevardpresse nichts über das Fachthema geschrieben, dann, und offenbar nur dann lesen die Fachleute und Branchenangehörigen die Fachpresse: Wann haben Sie in „Stern“, „Spiegel“, „Die Zeit“, aber auch in „Capital“; „Finanzen“ und „Wirtschaftswoche“ zuletzt etwas über Metallzerspanung, Schweißtechnik, Materialwirtschaft oder Qualitätssicherung gelesen? Eben, wenn Sie darüber etwas erfahren wollen, müssen Sie sich die Fachmagazine besorgen. Und zu Finanzfragen?
116 Beitragsfreistellung einer Lebens- oder Rentenversicherung heißt: Zunächst wird der Vertrag wie bei einer Kündigung behandelt: Vertragsguthaben minus Stornoabzug = Rückvergütung. Dieser Betrag wird rechnerisch auf die ursprüngliche Vertragslaufzeit verteilt. Entsprechend sinken die (dann beitragsfreien) Versicherungssummen oder Renten. Zugleich sind die negativen Wirkungen einer Kündigung (verlorene Beiträge) immer bereits eingetreten. Nur dass das Guthaben nicht ausgezahlt, sondern weiter angelegt wird: Also eine Kündigung OHNE Auszahlung.
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Kapitel 5
Es gibt neben mäßig recherchierten Sonderseiten zum Thema Geld in „Stern“ und Co. in der Finanzbranche eine ganze Reihe kostenloser „Fachmagazine“, in denen sich Produktanbieter mit Verkaufsabsicht ohne jede redaktionelle Schranke über ihre Produkte und ihre Dienstleistungen äußern können, weil diese Magazine keine Redaktion haben. Bevorzugt dürfen sich im „redaktionellen“ Teil dieser Magazine diejenigen äußern, die die meisten Anzeigen schalten. Die so genannten „freien Vertriebe“, wegen hoher Vertriebseffizienz von den Finanz-Produktanbietern heiß umworben, aber auch solche, die an ein Unternehmen gebunden sind, bilden sich offensichtlich schwerpunktmäßig über diese Branchenorgane fort, wenn man die Auflagen kostenfreier mit denen kostenpflichtiger Fach-Magazine vergleicht. Aber auch bei den „echten“ Fachmagazinen kann es auch schon mal vorkommen, dass es ein Bankmagazin von Oktober 2008 bis Frühjahr 2009 vergisst, darüber nachzudenken, WIE Banken Vertrauen zurückgewinnen können.
Presse: Operationen mit rosaroter Brille statt Bildwandler
117
Die Presse bekämpft Dementen Finanziellen Analphabetismus (DFA) vornehmlich durch Aufklärung und Vorbeugung, kurz: Prophylaxe. Prophylaxe? Das kennen wir vor allem von der Zahn-Prophylaxe. Die ist wichtig, „damit Sie morgen noch kraftvoll zubeißen können“, so eine alte Zahnpastareklame. Was trägt die schreibende Zunft also zur finanziellen Volksgesundheit bei? 118
In der jüngeren Geld-Literatur ist folgende DFA-Ausprägung beschrieben und als „Profi-Lax-Fall“ bekannt geworden. Seitdem ist das Profi-Lax-Syndrom in der DFA-Forschung wissenschaftlich kategorisiert, da viele Journalisten ähnliche Symptome aufweisen. DerProfiLax119Fall Vorab: Der Autor möchte im Folgenden die oder den betreffenden Journalisten nicht persönlich oder gar charakterlich verurteilen, denn nicht er, sondern die vielen betroffenen Schlechtleister der schreibenden Zunft sind gemeint. Auch sind die nachfolgende Handlung und die dargestellten Krankenakten rein fiktiv und niemals auf den Urheber des zitierten Artikels bezogen. Nachfolgende Darstellung nutzt den Artikel nur als besonders schlechtes Beispiel, also als dankbares Studienobjekt. Rein aus Gründen der Klarheit und der Wahrheit ist es geboten, den kritisierten Beitrag korrekt zu zitieren. Dies als Klarstellung, Vielen Dank! Nun also der Profi-Lax-Fall: Die Beschwerden der Betroffenen, vom kleinen Schreiberling bis zur sogenannten Edelfeder, beginnen schleichend, aber regelmäßig durch den Einsatz
117 Der Bildwandler ist im Grunde ein Röntgengerät, mit dem ein Chirurg den Patienten während einer Operation in Echtzeit kontrollieren kann (und den Röntgenstrahlen ausgesetzt ist; deswegen tagen alle Personen im OP schwere Blei-Schutzwesten). 118
Welt am Sonntag, 11.12.2005, Arne Gottschalck „Wie Anleger gezielter sparen“.
Erstmals beschrieben in einem Leserbrief an die WamS am 12.12.2005; von Prophylaxe = Med.: Vorsorge. 119
Halt‘ die Presse!
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von Kompetenzverstärkern, den sogenannten „Experten“, die aber nicht die Hauptinfektionsherde sind (siehe Kapitel 1 bis 4 und die folgenden 6 bis 10). „Experten“ machen Journalisten unabhängig von eigener Kompetenz: Man kann ja nicht alles wissen. Das befreit Autoren aber nicht davon, das, was „Experten“ liefern, kritisch zu hinterfragen – und da 120 fängt das Grauen an: die Ko-Abhängigkeit von Fachautor zu „Experte“ (letzterer bekommt sein eigenes Kapitel, es ist das Kapitel 6). Der Fall: Ein Journalist startet einen Therapieversuch gegen allgemeinen Finanziellen Analphabetismus und verordnet seinen Lesern einen heilenden Beitrag über die Altersvorsorge-Aktivitäten seiner deutschen Landsleute. Als Einstiegsdroge der Sparaktivitäten der Deutschen identifiziert er Anlagen im „geringverzinslichen Geldmarkt“ (seinerzeit rund drei Prozent Zins), sodass er sich im Folgenden über die Risikoscheu der Deutschen bei der Kapitalanlage mokieren wird. „Sparbuchsparer sind eben blöd“, wird man denken. Die Fernheilung beginnt, er ist ja wissender Profi, mit seinem Hinweis auf die langjährige 121 Performance von Aktien; immerhin runde zehn Prozent pro Jahr. „Zeit zum Umdenken“, hört der Leser sich sagen und fragt sich sogleich: „Ist das nun Impfung oder Infektion, das mit den Aktien?“ Hilfe naht in Form eines Anlagebeispiels (Zahlen erhöhen die Vorstellungskraft!), das wehtut. Eine Krankengeschichte: DerfreieFall:Zunächst wird dem 35-jährigen Sparer, auf dass er künftig nicht zum HartzIV-Empfänger werde, eine Sparquote von 15 Prozent vom Nettoeinkommen empfohlen. Das ist gelinde gesagt sportlich. Warum? Dieser, der nun folgende „Herr“ Sparer ist Alleinverdiener mit Frau und Kind, hat 2.000 Euro monatliches Nettoeinkommen und soll nun 30 Jahre lang jeden Monat „400 Euro“ zur Seite legen (ja: 400 von 2.000 sind 20 Prozent, nicht 15! Ich komme gleich darauf zurück!). Der zugrunde liegende Sparplan wird mit fünf Prozent verzinst und am Ende werden in dem Beispiel 246.000 Euro ausgezahlt, sodass der Sparer auch nach Rentenbeginn Hartz-IV-Spender bleiben kann. Der Sparplan ist sozusagen zugleich sein Spender-Pass. Wie sagt der Autor noch dazu: „vor Inflation“. Im Anschluss an die betreffende Veröffentlichung und infolge Leserbeschwerden wandte sich der Journalist an einen Fachmediziner, der eine Krankenakte anlegte: 122
123
Anamnese :Patient ist Fachautor, geboren am _______ , Erstvorstellung am 11.12.2005, 124 Ausbildungsstand des Autors unbekannt, Zustand nach Beschwerde, keine Berichte über schulische Probleme in Mathematik, guter Allgemeinzustand, im ersten Augenschein keine 125 geistige Adipositas bemerkbar, im sozialen Umfeld furchtbare fruchtbare Kontakte zu
120
Mit-Abhängigkeit/Mitbetroffenheit des sozialen Umfeldes eine Süchtigen.
121
MSCI-Index über 30 Jahre: 10,8 Prozent ; http://www.mscibarra.com/
122
Krankengeschichte.
123
Auf Deutsch: Arzt sieht Patienten zum ersten Mal.
Arztdeutsch, bedeutet so viel wie „Ich sehe, beurteile aber nicht, also beschreibe ich. Dazu ein Beispiel: Kaiserschnittnarbe heißt auf Medizindeutsch „Zustand nach Sectio“ (Sectio: Kaiserschnitt). 124
125
Übergewicht.
76
Kapitel 5
Experten der Fondsindustrie; gibt an, aus rein beruflichen Gründen ein rosarote Brille tragen zu müssen. Normale Kurzsichtigkeit; keine Augenkrankheiten feststellbar. 126
Symptome: Langjährig unauffälliger Berufsverlauf, was auf eine lange Inkubationszeit 127 von DFA schließen lässt. In der Vergangenheit verheilte Kritik stets folgenlos durch Aussitzen, Abwarten und Weitermachen. Im Allgemeinen zwar zufriedene Leser, jedoch 128 129 rezidivierende, akute Beschwerden einiger weniger Leser über angeblich mangelnde Rechenfähigkeiten (Zinsrechnung, aber auch: Prozentrechnen), allerdings keine Kritik aus dem redaktionellen Umfeld des Patienten. Befunde: Nach mathematischer Untersuchung des Artikels konnten folgende Befunde erhoben werden: Unter Berücksichtigung des erwartungsgemäßen Sozialverhaltens des Sparers überfordern 400 Euro Sparrate die Leistungskraft eines Familienvaters mit 2.000 Euro Nettoeinkommen und sind aus der Haushaltskasse nicht erstattungsfähig (auch wenn die Literatur von Fällen aus Schwaben berichtet, wo weit höhere Haushaltsmittel, allerdings in Bauspar130 verträge, investiert werden). Außerdem entsprechen 400 Euro Spar-Medikation nicht der geforderten Dosis von 15 Prozent vom Nettoeinkommen. 400 Euro sind sogar 20 Prozent vom Nettoeinkommen und damit doppelt überdosiert. Mit Irritationen der Leser war schul131 mäßig zu rechnen, was auch durch journalistische Fachliteratur bestätigt wird. Weitere mathematische Diagnostik ergab bei schulmäßiger Zinsrechnung mit fünf Prozent Zins, 30 Jahren und 400 Euro monatlicher Sparrate einen Sollwert von 332.000 Euro anstatt 246.000 Euro – eine erhebliche Standardabweichung, die mit Mess-Ungenauigkeiten des Autors nicht zu erklären war. Tatsächlich indiziert der Ist-Wert von 246.000 Euro mathematisch korrekt eine Rendite von 3,36 Prozent und ist bei erheblich höherem Aktienrisiko im Vergleich zu recht sicheren, „geringverzinslichen Geldmarktanlagen“ (circa drei Prozent) nicht zu rechtfertigen. Es ist davon auszugehen, dass der Patient sein SparplanBeispiel von dritter Seite erhalten und ungeprüft veröffentlicht hat. Das Gesamtbild der Beschwerden über die Leistungen des Autors deutet auf grundsätzlich mangelnde Distanz zur Fondsindustrie hin, mindestens auf eine unkritische, in jedem Falle unwissenschaftliche Haltung. Im anderen Falle muss hier von Dementem Finanziellen Analphabetismus mittlerer Ausprägung ausgegangen werden. Mittlere Ausprägung deshalb, weil es noch zu keinen Körperreaktionen gekommen ist.
126
Dauer von der Infektion bis zum Ausbruch einer Krankheit.
127
DFA: Dementer Finanzieller Analphabetismus.
128
Wiederkehrende.
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Kennzeichnet schnell zum Ausbruch kommende Erkrankungen vergleichsweise kurzer Dauer.
130
Verordnung und Einnahme von Arzneimitteln.
Associated Press-Handbuch. Journalistisches Schreiben von Rene J. Cappon (Autor), Käthe H. Fleckenstein (Übersetzer). 131
Halt‘ die Presse!
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Therapie: Grundkurs Rechnen. Bei günstigem Verlauf könnte auf Prozentrechnen übergeleitet werden und bei guten Erfolgen der ersten Rechenschritte sogar auf Zinsrechnung (zuvor Wiedervorstellung in sechs Monaten, gesondertes Attest). Durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse sollte das Erfordernis einer Rechenhilfe geprüft werden 132 (einfaches Kassenmodell Abakus ). Da seitens der Kasse nur einfache Modelle (pauschal) bezuschusst werden, fallen Taschenrechner und wissenschaftliche Taschenrechner unter Eigenleistung des Patienten. Die rosarote Sehhilfe, die sicherlich in keiner Weise als Kassengestell bezeichnet werden kann, vermag das Sichtfeld einzuschränken, so dass die Sehhilfe durch ein neutraleresModell ersetzt werden sollte. Hinsichtlich der weiteren Kursteilnahmen ist die Kostenübernahme durch den Kostenträger (Deutsche Rentenversicherung) zu prüfen, da diese Rehabilitationscharakter haben und zur Wiederherstellung der vollen beruflichen Leistungsfähigkeit beitragen können. Prognose: Fachprognose im Allgemeinen ungünstig. Allenfalls wenn der Chefredakteur Leserbriefe als Abmahnung zu den Personalakten nimmt und sich konsequent nicht zum 133 Ko-Abhängigen , zum Mit-Abhängigen, macht, könnte eine Konfrontationstherapie in Quarantäne fruchten. Dabei sollte man neuere Theorien zur DFA würdigen, wonach diese süchtig macht und ansteckend sei. Künftig sollte der Autor nur noch unter Dauer-Röntgen (sogenannten „Bild gebenden“; nicht: „BILD“ gebenden Verfahren) wie Bildwandler oder mit geeignetem Taschenrechner operieren; bis zum Ende seiner Rehabilitation allerdings 134 unter Supervision. Erweitertes Finanzgutachten des vereidigten Fachgutachters Professor Kalkühl135 (med. Finanzfakultät, FU Berlin) vom 02.02.2006: „Vielen Dank für die Überweisung des Patienten, dessen Finanzrat ich gutachterlich wie folgt beurteile: Unabhängig von der finanziellen Überforderung des Sparers hat dieser (alleinverdienender Familienvater mit 2.000 Euro netto, 400 Euro Sparleistung) unter Inflationsbedingungen von zwei Prozent pro Jahr bei 2.000 Euro Nettogehalt in 30 Jahren als Rentner einen Einkommensbedarf von 3.620 Euro. 246.000 Euro Rentenkapital entsprechen etwa 1.230 Euro lebenslange Rente. Mit weiteren zu erwartenden 1.000 Euro aus Gesetzlicher Rente ergibt das eine Gesamteinnahme von 2.230 Euro oder eine Versorgungsquote von 62 Prozent - vor Steuern! Durch gebündelte Therapiefehler wie die Unterlassung der Berücksichtigung der Inflation, die unangemessen hohe Sparrate, viel zu hohe Kosten, dadurch niedriges Sparergebnis – trotz angemessener Zinsannahmen von fünf Prozent vor Kosten – und damit ein zu niedriges Rentenergebnis führt der Therapievorschlag des Patienten für den Sparer zu keinem brauchbaren Ergebnis. Alterna-
132
Historische Rechenmaschine.
Suchttheorie, wonach das soziale (nicht abhängige) Umfeld eines Süchtigen ebenfalls von der Sucht des Kranken betroffen ist, zum Beispiel, indem es die Sucht zulässt. 133
134
Fördernde, aufsichtliche Begleitung.
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Frei erfunden.
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Kapitel 5
tivberechnungen waren allerdings nicht Gegenstand des gutachterlichen Auftrags, sodass ich wegen geförderter Sparformen (Riester-Rente oder Betriebsrente) um gesonderten Auftrag bitte. Honorarvereinbarung zur gefälligen Bedienung und Ihrer unterschriftlichen Rückgabe anbei. Mit freundlichen, kollegialen Grüßen. Berlin, den 02.02.2006, gez. Professor E. Kalkül War’s das? Oh nein: Den Begriff „Unklare Lebenserwartung“ hat der Journalist genauso in den Artikel eingeflochten, wie ein Stammtischbruder das Wort „Porsche Carrera“, mit dem er alles „erklärt“. Im Ernst: Professor Bert Rürup sagte einmal sinngemäß, „Rentenversicherung ist eine Wette gegen den eigenen Tod.“ Das stimmt unter Renditeaspekten. Unter Versorgungsaspekten „weiß“ jeder Rentenversicherer, wie lange seine Rentner leben und zahlt in jedem Einzelfall lebenslang. Wer also die Unklarheit seiner Lebenserwartung beseitigen will, holt sich diesbezüglich Sicherheit mit einer sogenannten versicherungsförmigen Rente, die lebenslang läuft und steuerlich mannigfaltig gefördert wird. Warum sage ich das hier? Weil es sonst in keiner finanzmedizinischen Presse-Literatur zu finden ist! Deutlichstes Symptom für Finanziellen Analphabetismus’ bei Journalisten ist die Verwendung von Fachbegriffen, die sie selbst nicht verstanden haben. Ferner werden von Journalisten Beschwerden textlich aufgebaut und aufgebauscht, ohne dass brauchbarer (!) Rat die Beschwerden des Lesers lindert. Kein noch so starkes Helfersyndrom kann so viel Unwissenheit kompensieren. Aber das ist eine andere Geschichte, die (frei nach Michael Ende136) an einer anderen Stelle dieses Buches erzählt werden soll. Therapiefreiheit hin, Therapiefreiheit her: Dem vom Dementen Finanziellen Analphabetismus befallenen Journalisten fehlt es nicht nur beim Fachbegriff „ Lebenserwartung“ an fachärztlichem Vermögen. Er vermerkt in seinem Beitrag „unklare steuerliche Regelungen“ (zur Rente). Unklar? Das Thema Renten und Steuern ist bis zum Jahre 2040 gesetzlich festgeschrieben worden: ---------------------------------------------- hier ausschneiden ----------------------------------------Das Alterseinkünftegesetz 2005. Das Bundesverfassungsgericht137 hat’s „erfunden“, Rürup hat’s „geschrieben“. Kurz gesagt: Mit dem Gesetz sind alle steuerlichen Regelungen (und Beschwerden) zu allen Arten von Alterseinkünften (also auch Beamte, Minister, Richter, Soldaten, Arbeiter ... alle eben) steuerlich nachhaltig ERLEDIGT – wissenschaftlich und steuersystematisch austherapiert138; bis über das Jahr 2040 hinaus! ---------------------------------------------- hier ausschneiden ----------------------------------------(bitte kopieren Sie obigen Absatz und senden Sie ihn an Ihre Tageszeitung, Vielen Dank–IhrMarkusRieksmeier)
136
M. Ende, „Die unendliche Geschichte“.
137
BVG-Urteil 06.03.2002.
138
Eu Ende behandelt, aber auch: dem Arzt fällt nichts mehr ein.
Halt‘ die Presse!
79
Lesen Sie Ihre Facharztatteste und Arztbriefe auch manchmal gern unter sprachlichen Gesichtspunkten? Was wir hier noch gar nicht behandelt haben, sind die Stilblüten der journalistischen Sparerzieher, wahrlich kein Leuchtturm der Kompetenz! Hier noch einmal ein Beispiel aus obigem Werk: „Eine fünf Jahre kürzere Ansparphase führte zu 70 000 Euro weniger auf dem Konto. Der Zinseszinseffekt macht das möglich.“139 Da die Hauptrechnung bereits falsch war, haben weder der Autor dieses Buches noch sein alter Ego, Professor Karl Kühl, sich um die 70.000 Euro geschert; dafür um so mehr um den Text (genießen Sie’s!): Der Zinseszins macht also bei einem nicht vorhandenen Vorgang (fünf Jahre nicht Sparen) einNicht-Vermögen von 70.000 Euro weniger möglich! Das heißt also für den Medizin-Studenten: ein Nicht–Lernen macht das Durchfallen durch das Phy140 sikum erst möglich!Aha! „Herr Wirt! Kiste Bier, Flasche Schnaps, Krankenwagen!“ „Aber nicht nur als Ergänzung zur staatlichen Rente, auch zur Erfüllung kostspieliger Wünsche müssen sich die Deutschen mit dem Kapitalmarkt verbinden. Am besten auf dem Wege des Zielsparens.“ 141 Diagnose? Wie betrachten einmal die sprachlichen Wendungen, der laxe Umgang mit Sprache, der das Profi-Lax-Syndrom charakterisiert: „Kostspielige Wünsche“: Deutsche Rentner der Zukunft scheinen demnach Luxusprobleme zu haben (Yacht, Privatjet oder Weltreise?). Wer es als Journalist und selbsternannter Geldarzt zulässt, dass sein Beispiel-Sparer, heute 2.000 Euro netto, in 30 Jahren mit 1.200 Euro KAUFKRAFT in Rente geht, sollte auf „kostspielige Wünsche“ wegen Unerreichbarkeit des Therapieziels verzichten. Und wenn er ihn schon textlich einleitet, dann muss er ihn auch ausleiten (Entgiftung). „Mit dem Kapitalmarkt verbinden“: nach den mathematischen Befunden geurteilt sollte auch prüfen, wer sich ewig bindet ... und sich einen wirklichen Fachmann suchen, der seine finanziellen Wunden verbindet. „Zielsparen“: ein unnützes Wort, da nicht definiert, nicht kategorisiert und finanzmedizi142 nisch nicht indiziert . Der brauchbare Begriff lautet „Altersvorsorge“. Bei unklarer Faktenlage sind zumindest korrekte Fachbegriffe geschuldet, nicht nur bei Ärzten!
139
Gottschalck, a.a.O.
140
Physikum: eine Art Vordiplom des Medizinstudiums.
141
Gottschalck, a.a.O.
142
„Angezeigt“ im Sinne von angeraten.
80
Kapitel 5
Conclusio: Außerdem bin ich dafür, dass jeder geschriebene und gesprochene Text zum Geld für den Leser persönlich und praktisch einzuordnen ist – einfach einzuordnen ist! Einfach gesagt: Außerdem bin ich dafür, dass Geldthemen endlich einfach dargestellt werden; auf ei nemBierdeckel! Damit ist nicht gemeint (Achtung: NICHT gemeint), in Geldbeschreibungen die Gesamtsumme des Bundeshaushalts mit dem Gesamtwert von wie vielen VW Golf zu übersetzen, oder dass das Bruttoinlandsprodukt von Papua-Neuguinea die Bilanzsumme von Siemens abzüglich des Betriebsergebnisses der verkauften Telekommunikations-Sparte vor Zinsen und Steuern unterschreitet. Damit ist gemein und gemeint (Achtung: gemeint!): die Zuordnung eines Themas zur typischen Situation des Adressaten. Das heißt: Beschreibe ich öffentlich Wohl und Wehe von zum Beispiel Riester-Renten, erkläre ich deren Wirkung und Wechselwirkung zur Gesetzlichen Rente und dass sie nur ein Baustein und nicht die Vollendung oder gar die Rettung der Rente ist – und: ich erkläre gefälligst, wie viel Geld zur Gesamtrente noch fehlt! Für die Geldpresse: Ins Gebet der Redaktion: Schreibe ich einen Beitrag übers Riestern oder das Rürupen143, wie es geht, wer es darf und was alles schief gehen kann – von mir aus seitenlang – kommt am Ende immer, immer die Fallstudie, die den Zusammenhang herstellt. Ich schreibe: „Der Durchschnittsverdiener hat heute als 37-jähriger 1.800 Euro netto, schafft in 40 Arbeitsjahren 1.000 Euro Rentenanspruch, die in 30 Jahren auf knapp 1.200 Euro anwachsen. Mit 150 Euro Riester-Beitrag kann er bei 5 Prozent Verzinsung rund 600 Euro Zusatzrente aus Riester ansparen. Macht insgesamt 1.800 Euro Rentenerwartung. Wegen Inflation braucht er aber weiteres Geld, so dass am Ende 3.600 Euro gebraucht werden und der Sparer muss diese Lücke mit weiteren Mitteln schließen. Riestern ist nicht das Ende des Sparens, sondern der Anfang. Fortsetzung folgt. Lesen Sie, wie wir in der nächsten Woche das Beispiel weiterentwickeln, wie man den Rest anspart und wie das mit Steuern und der steuerlichen Förderung von Containerschiffen und Investmentfonds… funktioniert…“. So werde ich schreiben, ich schwöre es. Unterschrift Redakteur. Mit-Unterschrift Chefredakteur.
143
Wie das Riestern, nur mit der Rürup-Rente.
Halt‘ die Presse!
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„DieVermögensfrage“ Einen vorbildlichen Weg beschreitet inzwischen seit 1998 die F.A.Z. Sie engagierte mit dem Reutlinger Finanzanalytiker Volker Looman dauerhaft einen echten Experten, der jede Woche fast dieselbe Geschichte erzählt: Die des Zinseszins und die des Sparens. Looman macht den Lesern jeden Samstag im „Finanzmarkt“-Teil der F.A.Z. zum Beispiel klar, dass Kredite „umgekehrte Sparverträge“ sind. Stets rechnet er ausführlich und anschaulich ein reales Beispiel der privaten Finanzplanung durch. Mit Beispielen zur Altersversorgung, der Immobilienfinanzierung und Rentabilitätsvergleichsrechnungen variiert Looman doch immer wieder nur Geschichten um die Zinsformel. Das ist richtig, Genau darauf kommt es an. „Die Vermögensfrage“, so heißt seine Kolumne und sie ist jeden einzelnen Buchstaben wert – geldwert! Gratulation.
82
Kapitel 6
Kapitel6 6.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Hauser lachte hysterisch! Weiter: „In der Versicherungsaufstellung beim BdV haben wir Lebensversicherungen nicht nur als Schädlinge identifiziert, sondern Wege gesucht (und gefunden), dieser Infektion beizukommen: durch besagte Beitragsfreistellung. Damit bricht man den Kontakt zum Versicherer zwar nicht direkt ab, aber wenigstens fließt kein Geld mehr und das sei besser als eine Kündigung, bei der in frühen Vertragsjahren viel, viel Geld über die Wupper geht. Erst Jahre später erfuhr ich, dass durch „Beitragsfreistellungen“ von Lebensversicherungen die Wirkungen einer Kündigung (Verluste) in genau gleicher Höhe bewirkt werden. Stellen Sie sich das vor! Der mühsame Ausstieg aus diesen Wund der Versicherungen, ja: „Wund“, hat mich fertig gemacht. Von da an habe ich keinem mehr getraut und nur noch manisch Zeitung gelesen und gehofft und gehofft und gehofft.“ Hauser war fertig, ruhig und entspannt, weil er sich offensichtlich die Seele „frei geschimpft“ hatte. Professor Riese ergänzte neben der Krankenakte seine wissenschaftlichen Befunde zum Dementen Finanziellen Analphabetismus um die Unterausprägung „Wund der Versicherungen“. Professor Adam Riese war nun schon seit einigen Tagen mit Kaspar Hauser zusammen. Er hatte einige tiefenpsychologische Interviews geführt, die zwar Hausers Wesenszustand beschrieben, jedoch kaum Rückschlüsse auf die Ursachen erlaubten. Er beschloss, sich einmal zu einem kleinen Ausflug mit Hauser zu verabreden. Er wollte zu ihm in dessen Wohnung fahren: Hauser war zwar weiterhin – auf eigenen Wunsch – stationär aufgenommen, das erleichterte Professor Riese den Kontakt und die Diagnosesitzungen, doch ging er gern einmal nach Hause, um das eine oder andere persönliche Hab und Gut in die Klinik holen. Sie fuhren zu Hausers Wohnung, die sich als völlig normale bürgerliche Existenz mit drei Zimmern, Küche, Bad darstellte, sauber und geordnet. Hauser schien, diesen Eindruck hatte Riese bereits aus den Gesprächen gewonnen, gebildet und belesen zu sein. Was war sein Problem? Eher nebenbei fiel Professor Riese der Altpapierstapel auf, der offensichtlich seit Monaten auf Abfuhr wartete. Er blätterte ihn oberflächlich durch, während Hauser sich im Schlafzimmer zu schaffen machte. Hauser brauchte noch Wäsche. Riese fand alte Magazine und Zeitungen von Ende 2006 bis zurück in das Jahr 2002. Das war ein enormer Informationsfundus aus „Spiegel“, „Stern“, „Capital“, „Finanzen“, „Wirtschaftswoche“, „Handelsblatt“, aber auch „BILD“, „Finanztest“ und „Welt am Sonntag“. Riese schaute genauer: Das waren keine vollständigen Druckwerke mehr! Das waren Ausschnitte aus Geldartikeln, Artikeln über das Sparen, über Lebensversicherer in der „Pleite“ und „wie Sie Ihr Geld retten“ (vor der Steuer, vor den Banken, vor den Versicherern). Das veränderte die
Experten
83
Situation schlagartig! Hauser kam gerade den Flur entlang, sah Riese entsetzt an, stockte. Er schien sich nicht weiter zu trauen. Er schien die Schwelle zum Wohnzimmer nicht übertreten zu wollen! Riese legte die Zeitschriften beiseite und ging mit beruhigend geöffneten Armen auf Hauser zu. Riese spürte: „Gleich musst du hier deeskalieren; du weißt nicht was, du weißt nicht warum. Aber du musst handeln, Riese!“ Wird fortgesetzt…
6.2
Sechster Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
15 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2024. Bis zur Rente sind es noch 20 Jahre. AdamRiese: Vermögen 24.063 Euro. Sparrate weiter 100 Euro im Monat. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen: Null.
6.3
Experten
6.3.1
Dümmer besiedelte Gebiete
Es scheint in Deutschland einen Zusammenhang zu geben zwischen dem Vorhandensein von Fachpresse und der „alternativen“ Nutzung von Boulevardpresse. Wird über das eigene Branchenthema, hier also das Thema Geld und Sparen, „auch“ in der Boulevardpresse berichtet, dann lesen auch die Fachleute vielfach nur die Boulevardpresse. Nur wenn das Fachthema im Boulevard nicht vorkommt, beachten Fachleute und Branchenangehörige die Fachpresse. Wann haben Sie in „Stern“, „Spiegel“ oder „Die Zeit“, zuletzt etwas über die enzymgesteuerte Zellentwicklung gelesen, mit der Stoffwechselreaktionen derart stimuliert werden, dass eine Unterversorgung der Zellen mit bestimmten Wirkstoffen zu langfristig messbaren Mangelerscheinungen der Knochenbildung führt? Zugegeben: Das war medizinchinesisch, gibt aber bei konkreten medizinischen Sachverhalten in etwa die geistige Beanspruchung wieder, die mit fachlichen Texten einhergeht. Wenn wir wirklich etwas Fachliches lernen wollen, müssen wir uns die Fachmagazine, manchmal sogar die Bücher (!), besorgen und eine gewisse Bereitschaft zur Textvertiefung aufbringen. Wir sind also mit „starkem Tobak“ konfrontiert, aber wenn wir den bewältigt haben, dann haben wir uns ein Stück weit in Richtung Experte, echter Experte, entwickelt. Experte werden bedeutet stets: Konzentration, Vertiefung, Wiederholung und: Durchhalten! Und wie ist das bei Geld-„Experten“?
84
Kapitel 6
„Experten“ lassen sich in verschiedene Kasten einteilen: Der eine lebt vom Verkauf. Der nächste lebt auch vom Verkauf, sagt das aber nicht. Ein weiterer lebt vom Verkauf und von der Beratung und sagt was er will. Wieder ein anderer vertritt einen interessengeneigten Verband oder gleich einen Anbieter und betet unter allen Umständen ein Produkt gesund. Oder er ist von der Konkurrenz und muss dagegen sein. Berater, die ihre Standesanforderungen erfüllen, die auf hohem Niveau arbeiten, arbeiten in der Regel mit Wissen, das nicht älter als ein bis zwei Jahre alt ist. Sie sind echte Wissensarbeiter, die mit dem schnellen Umschlag von Wissen umzugehen verstehen: Sie müssen es ihrem Kunden oder Mandanten nahe bringen und für ihn umsetzen - manchmal auch ultraschnell. Hier einige Kostproben: Im November 2006 verbesserte die Bundesregierung rückwirkend 144 zum ersten Januar desselben Jahres die steuerliche Förderung der Rürup-Rente. Das für viele Selbstständige falsche Sparprodukt war plötzlich das richtige! Steuerberater, die zuvor korrekt abgeraten hatten, standen plötzlich in der Beratungspflicht zu sagen: „Lieber Mandant, Neuigkeiten, Kommando zurück, Rürup doch machen!“ Hier arbeitete der Steuerberater mit Wissen, das bei seinem Erwerb fünf Wochen Haltbarkeit hatte und das er innerhalb von fünf Wochen bei seinen Mandanten anbringen musste. Ebenfalls im November, diesmal 2007, fiel eine neue Verjährungsfrist für Selbstständige vom Himmel, die sich aus der Sozialversicherungspflicht befreien lassen wollten. Kurz gesagt ging es um den Verlust hoher Erstattungsbeträge und die Steuerberater oder Anwälte mussten handeln. Beide Themen be(s)trafen auch die Verkäufer von Altersvorsorge. Aber nur die wenigsten von ihnen haben einen heißen Draht. Nur die wenigsten verfolgen rechtliche und damit kundenwirksame Entwicklungen aktiv. Der Autor hat Ende 2006 auf einem großen Treffen der Altersvorsorge-Verkäufer viele der Teilnehmer gefragt, wie sie die damals topaktuellen Nachbesserungen bei der Rürup-Rente beurteilen. Acht von zehn fragten zurück: „Ach, gab’s da Probleme?“ Ja, Haftungsprobleme wegen Falschberatung zumindest noch für das Jahr 2005. Vielfach haben Versicherungsverkäufer ab 2005 die damals neue Rürup-Rente nicht verstanden und dennoch zu oft falsch verkauft. Sehr oft geschah dies auf Betreiben der Produktanbieter als Bildungsinstanz und Informationsquelle der Verkäufer. So sah manche Information aus: „Jetzt Rürup-Rente verkaufen und Steuervorteile kassieren (...)“. Mangels eigener Kompetenz folgten die Verkäufer dem falschen „Rat“ ihrer Produktgelehrten und verkauften, vereinfacht gesagt, Rurüp-Renten an einen Kunden, der Riester brauchte (vgl. Kapitel 8).
144 Indem einige steuerliche Förderungen der Rürup-Rente nicht mehr „verpufften“, weil alte und neue Steuerwelt zuvor kollidierten.
Experten
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Dass Experten für Finanzen sich nicht zwangsläufig auch noch in physikalischen Feldern bewegen müssen, zeigt folgendes Zitat; es ist eines meiner Lieblingszitate: 145
„Ein typischer Impuls ist es daher, Geld festzuhalten und nicht zu investieren.“ ein „Experte“.
Das sagt
6.3.2
Berater und Verkäufer – Das organisierte Versprechen
6.3.2.1
Versicherungsvertreter
Im Jahre 2006, am „Vorabend“ der strengen EU-Vermittlerrichtlinie, hat eine große deutsche Versicherungsgesellschaft in weiser Voraussicht versucht, ihre Agenten zu befragen. Man wollte herausfinden, wie sie sich erfolgreiche Vermittler organisieren und wie sie die gesetzlichen Änderungen mit ihren Kunden wirksam umsetzen. Ziel dieser Untersuchung sollte es sein, gemeinsam mit den Versicherungsagenten und Wissenschaftlern Erfolgskriterien für Versicherungsagenturen zu erarbeiten. Im Grunde betrachtet sollte der wirtschaftliche Erfolg der Vermittler mit dem des Versicherer und dem wirtschaftlichen Erfolg des Kunden verbunden werden. Ein hehres Ziel, zu erreichen mit dem Analyse-Instrument der so genannten Marktforschung: Was bei Autohäusern und Supermärkten bereits seit Jahrzehnten erforscht und umgesetzt ist, funktionierte bei den Versicherungsvertretern allerdings nicht (und das war nicht der erste gescheiterte Versuch der Branche). Kaum eine Versicherungsagentur schickte einen ausgefüllten Fragebogen zurück. Die Anzahl der erhaltenen Bögen war zu klein, um statistisch belastbar zu sein. Schlimmer noch: Selbst aus den wenigen Antwortbögen ergab sich keinerlei Erkenntnis, wer warum wie erfolgreich ist – oder nicht. Also schrieben die begleitenden Wissenschaftler und der befragende Versicherer sich die „Erfolgskriterien“ selbst zusammen, was erklärt, warum hier keine Namen genannt werden! Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Keine Kundengruppe ist von der Meinungsforschung so intensiv ausgekundschaftet worden wie Versicherungskunden. Kein Kundenbestand ist so mikro-segmentiert worden wie der von Versicherern (Versiche146 rer sind Meister der Mikro-Segmentierung ). Nur: der Versicherungsverkäufer bleibt auch für die Versicherer ein methodisch unbekanntes Wesen, solange jeder Einzelkämpfer seine Qualitäts- und Erfolgskriterien selbst bestimmt oder sich weiter durchwurschtelt.
6.3.2.2
Aus dem Arbeitsalltagtag eines Versicherungsvertreters
Hurra, der Verbraucherschutz ist da!
145 Markus Zschaber vom VMZ Vermögenszentrum München; zitiert in Welt am Sonntag, 11.12.2005, Beitrag von Arne Gottschalk „Wie Anleger gezielter sparen“. 146
Marketing, das kleinste Gruppen betrachtet, zum Beispiel die Bewohner einzelner Straßenzüge.
86
Kapitel 6
147
Jan Springer hatte die Schnauze voll. Nach 20 Jahren als Angestellter war er zuletzt 148 Bezirksdirektor bei der Capitol Versicherung. Zusammen mit seinem Orgaleiter betreute er 30 Mitarbeiter im Außendienst. Dann kam die Fusion mit der Kongress Versicherung. Es ist egal, ob man ihn noch wollte oder nicht mehr. Springer hatte einfach keine Lust mehr auf die Tretmühle des organisierten Versprechens. Springer ging mit einer Abfindung. Aber er ging nicht ohne die Versicherung seines Ober-Chefs, man habe gerade ihn halten wollen, ihn als alten Fahrensmann der Versicherungsgesellschaft, ihn als Profi. Springer war erst 45. Geschenkt. Als er ging, dachte er noch: die Branche spuckt ihre besten Leute aus! Vier Monate später saß er im Büro des Filialdirektors Meyer-Dings bei der Senat Versicherung, seinem neuen Arbeitgeber. Es ging um die Übernahme einer mittelprächtigen Versicherungsagentur. Der Inhaber wolle aus Altersgründen aufhören und aus den eigenen Reihen fände sich kein geeigneter Nachfolger – die Gelegenheit für Springer! Bald saß Jan Springer in seiner neuen Agentur; sein Senior „begleitete“ ihn noch in den ersten drei Monaten, damit er Abläufe und Kunden kennen lerne. Springer legte los. Entschlossen, aber ohne Illusionen machte er sich ein Konzept zur Agenturentwicklung und stellte seinem Senior Fragen: Wie arbeiten Sie? Wie strukturieren Sie Ihren Arbeitstag? Wie strukturieren Sie Ihre Kunden? Alles Fragen, die er selbst als ehemalige Führungskraft mit seinen Agenten stets geklärt und daran „entlang“ geplant und agiert hatte – genau gesagt: agieren lassen. Nun war er selbst gefordert. Er fragte weiter: Wie setzen Sie für sich die Vermittler149 richtlinie und den gestärkten Verbraucherschutz um? Wie agieren sie „unter“ dem neuen Alterseinkünftegesetz? Dann kamen auch die Antworten: Achselzucken, „tjaa“, „Hmm“, „Ähm“. Damit war alles klar. Diese Agentur war vorbereitet! Mehr noch, diese Agentur hatte ungeahnte Potenziale – „ungeahnt“ in jedem Sinne! Jan Springer war echt enttäuscht. Konnte sein Senior-Partner, ein altgedienter Versicherungsagent, so wenig Ahnung von seinem Geschäft haben, dessen Umfeld sich immer schneller wandelt? Springer startete: Alles, was telefonisch oder per Post reinkam (Schäden, Anfragen, aller Art, säumige Kunden), arbeitete er ab und nutzte diese Kontakte, um die ersten Kunden kennen zu lernen. Im Schnitt kostete ihn dieses „Inbound“-Geschäft drei Stunden Arbeitszeit. Den Rest hatte er frei. Frei, um selbst zu agieren. Er rief nun alle Kunden mit veralteten Versicherungsbedingungen an und fand Menschen, die seit 1962, mindestens aber seit 1984, keinen Versicherungsvertreter mehr gesehen hatten oder die keiner auf die alten Bedingungen angesprochen hatte. Wirklich? Nein, keinen Versicherungsvertreter seiner Gesellschaft, der Senat Versicherung. Andere Vertreter waren durchaus da. Wie er feststellte, waren die meisten seiner Kunden gar nicht mehr „seine“ Kunden.
147
Fiktiv.
148
Die gibt es fiktiv nur bei der Fernsehserie „Stromberg“.
Seit 22. Mai 2007 gelten für Versicherungsverkäufer wesentlich strengere Regeln der Berufsausübung. 149
Experten
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Es kam irgendwann der 22. Mai 2007. Das ist wichtig, weil an diesem Tage die so genannte Vermittlerrichtlinie der EU wirksam in deutsches Recht umgesetzt wurde. Aber Springer war vorbereitet. Er hatte sich pflichtgemäß eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung besorgt. Er hatte sich eine Tätigkeitserlaubnis von den örtlichen Industrie- und Handelskammer beschafft und all den Papierkram für seine fortgesetzte Vermittlungstätigkeit erledigt. Praktisch jeder darf in Deutschland weiterhin gewerbsmäßig mit Immobilien handeln und mit Baufinanzierungen hantieren. Jeder kann mit millionenteuren Häusern handeln, kaufen und verkaufen. Er braucht aber für die Vermittlung der dazugehörigen Hausratversicherung eine Zulassung, eine Erlaubnis der örtlichen Industrie- und Handelskammer. Diese ist an die Prüfung seiner fachlichen Eignung zur Vermittlung von Versicherungsverträgen gekoppelt ist. Aber Springer hatte diese Erlaubnis ja. Neu im Tagesgeschäft war: Von nun an musste er jedes (!) Kundengespräch schriftlich dokumentieren. Springer musste auf diesem Dokument seine Bedarfsermittlung (was braucht der Kunde?), seine Versicherungsempfehlung nennen und begründen (Was soll der Kunde kaufen?) und die Entscheidung des Kunden darauf dokumentieren (Was kauft der Kunde?). Der Kunde muss das Ganze lesen, verstehen, prüfen und unterschreiben. Die Vermittlerrichtlinie ist unter anderem ein Akt zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes und die Beratungsdokumentation soll die Beratung transparent machen. Seit dem ersten Januar 2008 wurde zudem das Versicherungsvertragsgesetz komplett geändert: Seitdem erhält der Kunde vor dem Abschluss, also mit der Beratungsdokumentation, ein etwa zwei Zentimeter dickes Papierbündel. Dabei handelt es sich um das Kleingedruckte, das früher mit der Police zugeschickt wurde. Künftig soll der Kunde das Kleingedruckte vorab prüfen können. Das kann er nun. Kann er das wirklich und – tut er das? Nein und Nein. Was steht in der Beratungsdokumentation und im Kleingedruckten? Der Autor möchte die Antwort abkürzen und formuliert den Effekt sinngemäß: „Mit meiner Unterschrift bestätige ich als Kunde feierlich, selbst Schuld zu sein, wenn irgendetwas schiefgeht. Dieses Dokument ist Beweismittel vor Gericht. Gezeichnet Kun de“. Das war’s. Versicherungsvertreter Springer hatte jetzt zwar mehr Papierkram, aber einen echten Persilschein bei Streitfragen. In der alten Zeit vor 2007 war die Sachlage bei Konfliktfällen vor Gericht immerhin unklar und der Richter konnte oder musste sich, wenn auch mühevoll, ein Bild der Lage machen und Recht sprechen. Heute weist der Versicherungsvertreter vor Gericht seinen Persilschein vor und der Richter sagt: „Sie haben hier unterschrieben, dass Sie an allem … selbst Schuld sind. Klage abgewiesen.“ Der Verbraucherschutz hat erreicht, was Skatspieler schon immer wussten: Wer schreibt, der bleibt.
6.3.2.3
Bänker
Erinnern Sie sich noch an den Anfang dieses Buches, als es um den „Nichtkäufer-Schutz“ ging. Wir machen noch so ein Wortspiel in Form der Suchen/Ersetzen-Übung, die mit modernen Textprogrammen so viel Spaß macht:
88
Kapitel 6
Ich habe dazu in einem einfachen Sachtext150 zur Bankenkrise im Wort „Bank“ den Buchstaben „k“ durch „d“ ersetzt - jedesmal. Der Text liest sich dann bei gleicher Aussage wie folgt: „BandenkrisenwerdenvorallemdurchdiedrastischeAbnahmederQualitätderVermögenspositi onen(Aktiva)einerBandeoderdesgesamtenBandensystemsverursacht. BandenvergebenKredite.DiesesindimmermiteinemgewissenKreditrisikoverbunden,welches dieKreditinstituteversuchendurchSicherheitenabzusichern.BeimAusfalldesKreditnehmerswird versuchtdiesebesicherndenObjektezuliquidieren.WennBandenzuhoheKrediteaneinzelne Kreditnehmerausgeben(Klumpenrisiken)oderunerwartetvieleSchuldnerzahlungsunfähigwer den,könnenBandenunterdemForderungsausfallzusammenbrechen. BandentragenumfangreicheMarktrisiken,vorallemKursrisiken,Zinsänderungsrisikenund Währungsrisiken.EntwickelnsichdieMärkteineinefürdieBandeungünstigeRichtung,sokann diesdenBestandderBandegefährden. ZuletztbestehteineExistenzgefahrfürBandenausunzureichenderLiquidität.Ziehennundie AnlegerdiekurzfristigenGelderab,sokanndieBandeihrenVerpflichtungennichtmehrnach kommen.ImExtremfallkommteszumBandenRun,demStürmenderBandenschalterdurchviele Kleinsparer. Banden,UnternehmenundAnlegersindengmiteinanderverflochten.AusdiesemGrundistder ZusammenbrucheinerBandeodereineschwereKriseeinerBandeoftmalsAuslösereinerKetten reaktion.“ Vielleicht kann man so seiner Finanzkrisenlaune ein bisschen Luft machen. Also, der moderne Bänker: Im Februar 2008 haben Bankberater „ausgepackt“, ebenso öffentlich wie anonym, in der „Wirtschaftswoche“. Das Blatt sprach in seiner Titelgeschichte vom 4.2.2008 von Zuständen in den Banken „wie in einer Drückerkolonne“. Der Hintergrund ist: Seit einigen Jahren haben auch festangestellte Banker erfolgsabhängige Vertragsbestandteile. Sie haben jetzt Vertriebsziele! Und das geht so: Wer früher, sagen wir als „Vermögensberater“ oder „Privatkundenberater“ 4.000 Euro brutto verdiente, der hat heute ein garantiertes Fixum (je nach Karrierestufe und Institut) von circa 3.600 Euro. Zusätzlich bekommt er eine erfolgsabhängige Vergütung aus der Vermittlung von Finanzprodukten aller Art und kann dann durchaus 4.200 Euro verdienen. Allerdings relativiert sich das Wort „Garantie“ und „Fixum“, sobald Verkaufserfolge zu lange unterhalb der Verkaufsziele bleiben. Dann werden
http://de.wikipedia.org/wiki/Bankenkrise
(stark gekürzt)
Experten
89
Garantie und Fixum durchaus auf „Null“ gesenkt: Die „personalpolitischen“ Maßnahmen, mit denen der Absatz von Produkten hochgetrieben wird, heißen Abmahnung und Mobbing, gepaart mit Arbeitsgericht und Abfindung und Zeugnis. Damit das nicht passiert, wird verkauft. Und es funktioniert bis heute: Banken haben jahrzehntelang von einer perfekten Reputation gezehrt. Und das nutzen sie seit einigen Jahren aus. Seit das normale Bankgeschäft nicht mehr genug Gewinn abwirft, haben Banken sich dem Vertrieb verschrieben … und Versicherungen geschrieben. Manche Lebensversicherer, auch solche ohne traditionelle „Bankverbindungen“ erhalten inzwischen gut 20 Prozent des Neugeschäftes von Banken. Wer hätte das bisher gedacht? Banken kennen die Konten ihrer Kunden und wissen, wer Geld hat und wofür wohin überweist: auf „fremde“ Versicherungen, „fremde“ Banken und andere Fressfeinde. Je nach Vertriebspolitik oder Chef-Order werden Immobilienfonds, Zertifikate oder Lebensversicherungen vertrieben. Das kann wöchentlich wechseln. Der Unterschied zwischen dem Jahr 2009 und dem Jahr 2008 ist nur, dass viele Kunden inzwischen bemerkt haben, dass Zertifikate hoch spekulativ sein können. Einerseits sind die „Bänker“ Opfer ihrer Chefs, die durch Produktverkauf ihren Arbeitsplatz sichern; andererseits sind sie Täter, weil sie ihren Kunden schaden. Moderne Banker leben mit Zuckerbrot und Peitsche. Privatkundenberater zu sein, ist inzwischen eine Bedrohung für Bankkunden. Ein Mitarbeiter ein großen deutschen Bank erzählte dem Autor einmal, er habe wöchentlich bis zu zehn verschiedene Vertriebsziele zu erreichen: Neben dem banktypischen Geschäft mit Konten, Sparkonten, Krediten und Baufinanzierungen kämen seit Mitte der 1990er Jahre Versicherungsprodukte dazu, die Woche für Woche in großer Zahl abgesetzt werden müssen: Rentenversicherungen, Lebensversicherungen, seit einigen Jahren Riester, Immobilienfonds, Bausparverträge und, und, und … Karrieren in Banken sind reine Vertriebskarrieren geworden. Wer nicht genug verkauft, ist bald draußen. Der eigentliche Bedarf des Kunden ist dabei nur ein störender Faktor. Tatsächlich drohen Falschberatungen aufzufliegen. Und zwar nicht nur in den Fällen, in denen Lehman-Zertifikate geplatzt sind, sondern in ganz normalen Finanzgeschäften. Es droht den Banken und den Bankern der ganz normale Wahnsinn wie bei den Versicherungsvertretern. Natürlich haben viele Kunden gewisse gesunde Zweifel. Sie bemerken zumindest unterbewusst den massiv gestiegenen Verkaufsdruck, wenn sie, was selten genug geworden ist, leibhaftig in die Bankfiliale gehen. Ein Kenner der Szene sagte einmal, woran er Kunden der XXX-Bank erkennt: „Daran, dass sie einen Riester-Vertrag haben“. Nichts gegen die Riester-Rente, im Gegenteil, aber im Falle der XXX-Bank wurde exemplarisch klar, wie massive Verkaufssteigerung bewirkt wird: Mit Hochdruck! Banker und Bänker beraten nicht mehr. Sie verkaufen. Nicht das, was der Kunde braucht, sondern was, was weg muss. Wie in einer schlechten Metzgerei. Aus Banking/Bänking wurde Selling. Cross-Selling. Cross-Selling war Mitte der 1990er Jahre einmal ein völlig unschuldiger Begriff, der ebenso unverschuldet (beileibe nicht nur von Banken) zur Sturmgeschütz der so genannten Allfinanz wurde. Allfinanz entstand ursprünglich aus
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Kapitel 6
der Idee, alle Finanzprodukte zum Einen erstmals aus einer Hand heraus zu verkaufen. Und zweitens: Beim Kunden, vor Ort, im Wohnzimmer. Eine Revolution! Die Älteren unter uns erinnern sich mit gemischten Gefühlen an „IOS“ Investors Overseas Services, dem ersten Strukturvertrieb, der in den 1960er Jahren Fonds an den Mann brachte, später auch Versicherungen. Bernie Cornfield hieß der inzwischen verstorbene Macher, Gründer und Treiber des Geschäfts. IOS wird auch als die erste Generation des Finanzvertriebs bezeichnet. Das Unternehmen endete schmachvoll mit einer Pleite. Aus Mitarbeitern der IOS und ähnlich gesinnten Unternehmern entstanden ab etwa 1970 die Unternehmen OVB und Bonnfinanz und die Deutsche Vermögensberatung. Das ist die zweite Generation einer Vertriebsform, die sich nicht auf das Betreiben eines Produktes konzentrierte, sondern auf das Verteilen – den Vertrieb. Durch Abspaltung entstand 1988 AWD. Finanzvertriebe galten viele Jahre lang, auch wegen teilweise exzessiver Fehlentwicklungen, als die Schmuddelkinder der Finanzdienstleistung. Dennoch holten sie sich Marktanteil um Marktanteil. Die Menschen wollten einen einzigen Ansprechpartner haben, den sie zuhause sprechen konnten: Keinen immer noch als Bankbeamten erlebten Bänker, der um 16 Uhr den Hammer in die Luft hängt: Feierabend. Damit wären wir wieder bei den Banken. Deren völlig neue Erfindung: Mobiler Vertrieb! Übrigens: der NICHT mobile Vertrieb brauchte dadurch einen eigenen Namen: Er heißt jetzt „Stationärer Vertrieb“. Seit einigen Jahren gleicht Bankvertrieb einer Zangenbewegung. Mobiler und stationärer Vertrieb schlagen sich um die Kunden. Was die Banken aber nicht verstanden haben ist, wie Vertrieb funktioniert; wie Menschen auf Käufer- und auf Verkäuferseite funktionieren: Als Menschen! Stattdessen bekommen „schlechte“ Verkäufer im mobilen Vertrieb kein Geld und die im stationären Vertrieb, also die in der Bankfiliale, unschöne Emails der Klassifikation „Vorstufe zur Abmahnung“. Nicht zum Jahresende: Wöchentlich malträtieren malträtierte Filialleiter ihre Mitarbeiter, die sich als Kundenberater inzwischen als Bedrohung für den Kunden fühlen dürfen. Der Vertriebsdruck der Banken steigt mit fallenden, einbrechenden Gewinnen aus dem Investment-Banking. Dazu kommt: Der Kampf um Kunden wurde in den letzten Jahren sehr, sehr teuer geführt. Kurzum: die Gewinnmarge zwischen ausgezahlten Zinsen und vereinnahmten Zins schmolz dahin. Als Ausweg bleibt den Filialen nur noch der Produktverkauf, das Leben von Provisionen. Die Täter sind Opfer, die Kunden opfern müssen, um ihren Job zu retten. Und das geht so: DerNormalfall–oder:WiemanHypothekenzinsenvon4,8auf6,2Prozenthochtreibt Ein unbescholtener Kunde hat 30.000 Euro und möchte für 150.000 Euro eine Eigentumswohnung kaufen. Jetzt könnte er 30.000 Euro anzahlen und 120.000 Euro Kredit zu 4,8 Prozent Zins aufnehmen. Dann wäre er nach 14 Jahren schuldenfrei, wenn er monatlich knapp 1.000 Euro zurückzahlt. Wie gesagt: Zinssatz: 4,8 Prozent. Wenn da die Bank nicht wäre: Der Bänker verkauft seinem Kunden neben dem Kredit (4,8 Prozent Schuldzins) einen Bausparvertrag (Guthabenzins 1 Prozent). Den spart der Mann 10 Jahre an (monatlich 600
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Euro) und bezahlt gleichbleibende Zinsraten an die Bank (ebenfalls 600 Euro). Im 11. Jahr tilgt der Bausparvertrag den Bankkredit auf einen Schlag. Der Kunde entschuldet nur noch sein Bauspardarlehen mit 900 Euro im Monat. Ohne weitere Details: Das Ergebnis sind 6,2 Prozent Zins für dasselbe Geschäft, für die selbe Eigentumswohnung des Kunden. Die mathematische Ursache liegt im relativ hohen Schuldzins bei der Bank und im geringen Sparzins bei der Bausparkasse. 1,4 Prozent höhere Zinsen summieren sich auf rund 11.000 Euro Schaden. Natürlich gibt es in Deutschland eine Preisangabenverordnung. Genauer müsste man sie korrekt „Effektiv-Zinsangaben-Verordnung“ nennen. Jeder Kreditvertrag enthält die entsprechenden Pflichtangaben zu dem Darlehen. Und: Jeder Bausparvertrag hat ein standardisiertes Produktblatt. Auch dieses gibt die genauen Kosten des kombinierten Bau-Spar/Kreditproduktes wieder. Nur: Für die Kombination zweier Verträge gab es bisher keine Preisangabenverordnung. Und das machen Banken sich zunutze. Der einzige Trost, der dem Kunden bleibt: Er weiß ja nichts von seinen hohen Kosten, weil er die Kombination nicht ausrechnen kann. Und ist es ein Trost, dass der gemeine Bänker das auch nicht kann? Nein. Der Autor hat das oben beschriebene „Modell“, wie man aus 4,8 Prozent Effektivzins 6,2 Prozent macht, kürzlich selbst anhand eines konkreten Falles nachgerechnet. Es handelt sich um ein Darlehen an einen Unternehmer, der einen Betrieb gekauft hat. Das Darlehen wurde endfällig abgeschlossen, das heißt, der Kunde zahlt nur Zinsen und tilgt das Darlehen in etwa 19 Jahren. Dafür spart der Kunde mit Lebensversicherungen und einem Bausparvertrag Kapital an. Die Lebensversicherungen und der Bausparvertrag und eine Todesfallversicherung und die Betriebseinnahmen wurden als Sicherheit der Bank abgetreten. Die Bank wurde persönlich unter Vorlage einer Vollmacht des Kunden angesprochen: Autor: Herr Bänker, bei einem Tilgungsdarlehen hätte der Kunde effektiv 4,8 Prozent Effektivzins151 bezahlt. Welchen Sinn hat der Bausparvertrag in dieser Konstruktion? Bänker: Mein Kollege ist in Urlaub, ich weiß nicht, was der Kollege mit dem Kunden besprochen hat. Autor: Bitte sehen sie einmal in Ihre Kreditunterlagen, was zu der Beratung des Kredits niedergelegt ist. [Der Bänker zögert und verkennt offenbar, dass der Autor als kundenbevollmächtigter Gesprächspartner für ihn jetzt „der Kunde“ ist!] Bänker:Das kann ich mal machen. Autor: Bitte
151
Immer bezogen auf die PAngV (Preisangabenverordnung).
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Bänker: Nicht jetzt, ich werde mal sehen und den Kollegen nach seinem Urlaub ansprechen. [er kann es nämlich nicht] Autor: Nun gut. Es geht ja zunächst nur um die rein finanzmathematische Betrachtung: Welchen Sinn macht ein Bausparvertrag in dieser Konstruktion, wenn er den Effektivzins von 4,8 auf 6,2 Prozent treibt. Bänker: Da kann ich nur auf den Kollegen verweisen. Autor: Aber mathematisch … Bänker: …Aber nur der Kollege kann. In 10 Tagen ist er wieder da… Abgekürzt: Der Autor rechnet dem Bänker den Effektivzins mit und ohne Bausparvertrag vor (Hilfsmittel ist ein wissenschaftlicher Taschenrechner). Der Bänker dementiert, ist aber nicht bereit, selbst zu rechnen – will dies im Anschluss tun. Abschied. An einem Montag und zehn Tage später ein Anruf bei dem zuständigen Kollegen: Wir nennen ihn Bänker 2. Bänker 2, er ist ein „Senior Berater“, hat sich jetzt eine Woche lang vom Urlaub erholt. Autor(inKundenvertretungaktiv): Ich möchte mit Ihnen über den Bausparvertrag Ihres Kunden xyz reden … Bänker:Ich komme grad‘ aus dem Urlaub und habe diese Woche keine Zeit. Autor: Das ist nicht Ihr Ernst?! Es ist wichtig. Bänker2:leider leider leider . . . keine Zeit. Sieben Tage später kommt es zum persönlichen Gespräch mit Bänker 2. Autor: Welchen Sinn hat der Bausparvertrag, der zusammen mit dem Kredit und den anderen Versicherungen abgeschlossen wurde? Bänker2: Der Bausparvertrag dient der Tilgung privater Verbindlichkeiten [der Kunde hat auf ein Hypothekendarlehen bei der Bank]. Autor: Dann hat der Kunde also entscheiden, ober er privat oder betrieblich zu viel bezahlt? Bänker:Das müssen Sie verstehen. In zwei Jahren wird der Onkel des Kunden einen Teil der Schuld übernehmen und der Bausparvertrag soll den Kredit des Onkels in zwei Jahren absichern. Autor: Also besteht heute noch kein Grund für den Bausparvertrag? Bänker2: Doch, es soll schon jetzt angespart werden.
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Autor: Wenn der Bausparvertrag privat ist, warum ist er dann heute schon an die Bank abgetreten? Bänker2: Das hat steuerliche Gründe. Sie verstehen [zwinkert], höhere Betriebsausgaben, Steuerersparnis, dann kann der Kunde seine private Hypothek schneller abtragen, aber das kann man ja schriftlich nicht fixieren. Autor: Doch, das ist allemal erlaubte steuerliche Gestaltung. Wie hoch ist denn nach ihren Berechnungen der Effektivzins des Betriebskredits mit diesem Bausparvertrag? Ich habe 6,2 Prozent errechnet [Vorführung er Berechnung am wissenschaftlichen Taschenrechner]. Bänker: Das sehe ich anders. Autor: Konkret bitte; welchen Effektivzins zahlt ihr Kunde für das gesamte Darlehen? Bänker2: Das kann man so nicht sehen. Man muss den Gesamtzusammenhang sehen. Autor:Ja, und die Gesamtkosten des Gesamtzusammenhangs der geschlossenen Verträge. Die Antwort dieser Finanzfrage ist der Effektivzins. Immerhin ist der Effektivzins, den der Kunde zahlt, für die Bank zugleich die effektive Rendite Ihrer Kapitalanlage beim Kunden: genannt „Darlehen“. Bänker2: Das sehe ich anders. [er „sieht“ es anders, rechnen tut er‘s nicht] Autor: Im Tilgungsplan für den Kunden taucht der Bausparvertrag als Tilgungsinstrument auf. Dort steht, dass das Bauspardarlehen nach 10 Jahren einen Teil des Darlehens ablösen soll. Der Bausparvertrag ist mit dem Schuldgrund (Darlehensbeginn) abgeschlossen und zugleich an die Bank abgetreten worden. Bänker2: Wir reden hier aneinander vorbei. ………………………………………………….ENDE………………………………………………
Die Bank war in zwei Gesprächen nicht willens oder nicht in der Lage, die Gesamtkosten des Darlehens zu berechnen oder auch nur zu benennen. Dieses Gespräch endet vor Gericht, wenn die Vorstandsbeschwerde des Kunden und die Beschwerde bei der Bankaufsicht fruchtlos sind. Es ist noch hinzuzufügen, dass Bänker 1 am selben Tage des ersten Gesprächs eine Schmäh-E-Mail an seinen Kollegen (Bänker 2) und an den Filialleiter verfasst hat. Echt blöd, dass Bänker 2 den Ausdruck der Schmäh-E-Mail im Gespräch mit dem Autor auf dem Tisch liegen hatte und der Autor während der unbrauchbaren Ausführungen (Gesundbeterei?) des Bänkers diese E-Mail lesen konnte, einschließlich Datum und Uhrzeit. Gerichtsverwertbar. Inhaltlich und vom Verhalten her haben beide Bänker nicht erkannt, dass sie rechtlich und tatsächlich ihrem Kunden gegenüber sitzen. Zum Beispiel haben beide trotz Aufforderung keine erhellenden Kundenakten hinzugezogen.
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An zwei Stellen im Gespräch äußerte sich der Bänker sogar abfällig über seinen nicht anwesenden Kunden. Der könne ja (wohl mangels Geld?) noch nicht mal eine Rürup-Rente abschließen. Tatsächlich konnte der Kunde und hätte es auch ohnezusätzlicheGeldmittel gekonnt, wenn … Ja, wenn der Bänker von vornherein statt (wie geschehen) Private Rentenversicherungen in diesem Fall korrekt eine steuerlich begünstigte Rürup-Rente angeboten hätte. Bei gleichem Aufwand wäre dann jedes Jahr der eineinhalbfache Betrag in die Altersversorgung des Kunden geflossen. Klagen Sie diesen Beratungsschaden in 20 Jahren mal ein! No Chance! Immerhin hat der „mobile“ Kollege, der die Privaten Rentenversicherungen vermittelt hatte, diese Abschlüsse völlig falsch – unzumutbar falsch dokumentiert. Hier eine Kostprobe, wie ernst die Dokumentation von Versicherungsabschlüssen bei dieser deutschen Bank genommen wurde: Gesprächsanlass: ____________________ (keine Angabe, obwohl zwingend!) „Bei dem Vertragsabschluss war anwesend: ____________“ (keine Angabe). Tatsächlich war der Kunde mit seiner Ehefrau anwesend, die ihrerseits ihren Versicherungsantrag unterschrieben hat. In ihrer Gesprächsdokumentation steht: „Bei dem Vertragsabschluss war anwesend: ____________“ (keine Angabe). Tatsächlich war bekanntlich der Ehemann anwesend, der seinerseits seinen Versicherungsantrag unterschrieben hat. Zweck des Vertrages „private Altersvorsorge“. Dazu ist zu erwähnen, dass die Versicherungsabschlüsse beider Eheleute zeitlich zusammenfallen mit dem Entstehen des Schuldgrunds (dem Geschäftsdarlehen zum Erwerb des Betriebes). Ferner steht in beiden Versicherungsanträgen eingedruckt, dass die Versicherungen an die Bank abgetreten werden. Deutlicher kann man den Kunden nicht für dumm verkaufen wollen. „Beraten“ wurde übrigens anhand einer Produktbroschüre, zumindest in einer der Gesprächsdokumentationen war ein „magisches“ Kreuzchen dazu eingetragen. In der anderen Gesprächsdokumentation des Ehepartners gibt es dazu kein Kreuz. Es wurde also nicht beraten!!! Wundert es noch, dass der Vermittler der Verträge (mit entsprechenden Kreuzchen) einmal als „Berater der x-Bank“ angegeben wird. In der Dokumentation des Ehepartners sei er „Selbstständiger Finanzberater der x-Bank AG“. Abschließend zu dieser „Gesprächsdokumentation“: Versicherungsantrag plus Beratungsdokumentation sollen eigentlich eine Einheit aus Produkt plus Produktberatung bilden. Hier nicht! Zugleich wurde dem Kunden eine (sinnvolle) Risikoversicherung so falsch verkauft, dass die Ehefrau für die Todesfallleistung (geht an die Bank) obendrein rund 80.000 Euro Erbschaftsteuer bezahlen müsste – aus Eigenmitteln! Zur Risikoversicherung gibt es gar keine Dokumentation und keine Kopie des Versicherungsantrags in den Akten des Kunden. Zusammengefasst hat der Kunde ein zu teures Darlehen, kaum noch finanziellen Bewegungsspielraum für seine Altersversorgung (falsche Vorsorgeform), die Bank reichlich mit
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Sicherheiten eingedeckt (Bausparvertrag, 2 x Rentenversicherung, Risikoversicherung und Abtretung seiner Forderungen gegen Honorar zahlende Stellen), … obwohl es mit einem einfachen Tilgungsdarlehen und einer Rürup-Rente für ihn erheblich einfacher, besser verständlich und vor allem rentabler gewesen wäre. Dieser Fall ist deutlich und bezieht sich auf aktuelle Vertragsabschlüsse, die man heilen konnte. Es gibt aber weniger deutliche Fälle, in denen die Kunden geradedurchdieBera tungsdokumentation (!!!) jeder gerichtsverwertbaren Chance beraubt sind. Ich betone: Beratungsdokumentationen haben den Charakter, dass der Kunde feierlich erklärt, an allem selbst Schuld zu sein, was schief geht. Geschickt (formularmäßig!!!) formuliert, enthaftet sich der Berater ein für alle Mal. Dabei benutzt er folgende magische Worte: „Jetzt brauch‘ich noch eben schnell eine Unterschrift wegen der Beratungsdokumentation, Sie wissen ja, reine Formsache, aber drücken Sie fest durch, die Kopie ist für Sie.“ Andere Verkäufer scherzen mit dem Kunden: „Und wennse jetzt noch mal Ihr Todesurteil hier unterschreiben würden, reine Formsache … , aber drückense fest durch …“. Merke: Falsche Abschlüsse müssen nur „richtig“ dokumentiert werden, damit Ihr gesetzlicher Richter Ihre Klage wegen Falschberatung abweist; abweisen muss – reine Formsache, verstehnse … Unser freier Fall war natürlich ein böses Extrembeispiel. Keine andere deutsche Bank würde so handeln wie hier geschildert. Die Schuld tragen hier am Ende allein der Berater und der Versicherungsverkäufer, da ist sich der Vorstand sicher sicher, weil keine deutsche Bank mit Urkunden (und die Beratungsdokumentation ist eine Urkunde!) so umgehen würde, wie hier geschehen. Auch niemals in Hamburg, wo dieser Fall ja auch nicht passiert ist. Auch die Bankenaufsicht wird nichts zu beanstanden haben, denn … … wovon auf keinen Fall auszugehen ist, ist, dass die Bank und ihre Berater und die „Produktpartner“ Bausparkasse und Versicherung hier „konzertiert“ handeln. Niemals. Der Einzelfall lässt in keiner Weise darauf schließen, dass hinter diesem Einzelfall Methode steckt. Wenn das nämlich wirklich der Fall wäre, dann wäre schließlich das gesamte Geschäftsmodell der Bank und ihrer Partner gefährdet. Sonst müssten ja zehntausende Falschberatungen und für den Kunden unzumutbar falsche GesprächsdokumentationsUrkunden von Lebensversicherungsabschlüssen und die Lebensversicherungsverträge selbst komplett rückabgewickelt werden. Undenkbar: Es sei denn, Gesprächsdokumentationen werden auch bei größeren Finanzierungsgeschäften rein formularmäßig abgewickelt. Aber der Autor ist sich völlig sicher, dass derartige Geschäfte wie oben beschrieben jederzeit einer Überprüfung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin152) standhalten würden.
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www.bafin.de
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Die BaFin kann also beruhigt sein. Zehntausende Kunden können auch beruhigt sein. Selbst wenn sich die BaFin (per EDV locker machbar) von der Bank alle Verträge liefern lassen würde, bei denen als Sicherheiten Lebens-/Rentenversicherungen oder Bausparverträge hinterlegt sind. Es gäbe bestimmt keinerlei Beanstandungen. Auch wenn nur 50 zufällige Stichproben gemacht würden. Es gäbe bestimmt keine Beanstandungen. Es würde auch eine Liste aller so genannten „endfälligen“ Kreditverträge der letzten zwei bis drei Jahre genügen (per EDV locker machbar), bei denen die Tilgung ausgesetzt ist und somit automatisch Tilgungsprodukte erforderlich sind: Sicher gäbe es keine Beanstandungen, obwohl man auf dieses Weise sehr, sehr einfach alle potenziellen Verdachtsfälle prüfen könnte. Selbst 50 Stichproben würden keinen Anfangsverdacht auslösen. Auch wenn die BaFin parallel die Produktpartner der Bank, also die Bausparkasse und den Versicherer, um eine Liste aller an die Bank abgetretenen Verträge der letzten, sagen wir zwei bis drei Jahre bitten würde (per EDV locker machbar). Es gäbe sicher keinerlei Beanstandungen. Falls doch, und das ist beruhigend, dann würden beide Listen, a. die der Bank und b. die der Produktpartner (Versicherer und/oder Bausparkasse) für die Kunden eine Schatzkarte darstellen, mit der sie ihr Geld wiederfinden. Das Ergebnis einer Amtsprüfung wäre sicherlich: Alle Kunden haben den denkbar besten Zins. Der eingewobene Bausparvertrag würde das Sofortdarlehen schließlich nach acht bis zehn Jahren tilgen und die Gesamtkonstruktion wäre trotz erhöhter Zinsaufwendungen (durch die Tilgungsaussetzung) besser als bei einem ganz normalen Kredit. Oder? Oder nicht? Der Autor ist sich außerdem sicher, dass die Tilgungs-Lebensversicherungen immer ausnahmslos alle korrekt zustande gekommen sind und die Dokumentation der Beratung durchgängig top ist. Dies ließe sich beim Blick in die Beratungsdokumentationen aller Geschäfte seit 01.01.2008 zuverlässig prüfen, falls die BaFin irgendwelche Zweifel am Geschäftsmodell der Bank und ihrer Partner zerstreuen wollte. Top dokumentiert heißt natürlich: Alle Kreuzchen sind an der richtigen Stelle. Auch abgetretene Lebens- und Rentenversicherungen dienen ausweislich der Beratungsdokumentations-Urkunde immer dem Finanzierungszweck und sind nicht für den „Privatbedarf“ oder den alleinigen direkten Zweck der Altersvorsorge. Solche Verträge dürften ja auch kaum abgetreten sein und wären niemals im zeitlichen Zusammenhang oder gar gleichzeitig mit einem Finanzierungsgeschäft entstanden. „Gesprächsanlass“ war bei Finanzierungen auch immer die „Tilgung der Finanzierung“ oder die „Finanzierung“. So steht es immer in den Dokumentationen. Dass Kombinationen aus endfälligen Krediten mit Lebensversicherungen oder Bausparverträgen von der Bank nicht mit einem Gesamt-Effektivzins ausgewiesen sind, ist nicht schlimm. Dazu bestand bisher keine Verpflichtung seitens der Bank. Und wer könnte ahnen, dass sich ein an sich einfacher und einfach zu verstehender Kredit mit 4,8 Prozent Zins plus Bausparvertrag mit 1 Prozent Habenzins und 3,5 Prozent Kreditzins am Ende auf 6 Prozent oder 6,2 Prozent Effektivzins aufschaukelt? Niemand. Außerdem ist das dann Pech für den Kunden. Aber keiner hat’s gewusst, keiner hat’s gewollt. Und wenn etwas passiert ist, dann waren es immer unselige Einzelfälle. Immer. Jedenfalls, sozusagen.
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Sicherlich trifft hier auch nicht das so genannte Badenia-Urteil153 zu, wo es um ein unseliges „institutionalisiertes Zusammenwirken“154, wie der BGH es 2006 nannte, von mehreren Unternehmen bei Verkauf und Finanzierung von Schrott-Immobilien ging. Das würde zu weit gehen. Schließlich geht es bei unserer Betrachtung hier rein thematisch nur um zu teure Finanzierungen, die es tatsächlich gar nicht gibt. Auch dann nicht, wenn der Effektivzins des Darlehens von eigentlich 4,8 Prozent durch die Gabe eines Bausparvertrags am Ende mit 6 Prozent um 25 Prozent über dem möglichen Zins liegt. Schließlich prüft das keiner nach. Bedenklich wäre es natürlich, wenn die Beteiligten wüssten, dass aus relativ billigen 4,8 Prozent Kreditzins plus „billig“ 1 Prozent Haben- und 3,5 Prozent billig BausparKreditzins = teuer wird, wenn man das Gesamte betrachtet. Wenn also irgendjemand in der Bank oder bei der Bausparkasse mal nachgerechnet hätte und das dem Kunden verschweigen würde. Sicherlich wäre ein durchgängiges Verschweigen des höhen Gesamt-Effektivzinses durch die Bank oder durch den selbstständigen Finanzberater der Bank oder durch die Bausparkasse keine arglistige Täuschung, solange die handelnden Personen den überhöhten Gesamt-Effektivzins von 6 Prozent nicht kennen. Auch wäre auch es noch kein institutionalisiertes Zusammenwirken von Bank, selbstständigem Bankberater und Bausparkasse, wenn die Beteiligten sich regelmäßig die Geschäfte zuführen würden und Finanzierungen sozusagen standardmäßig mit Bausparverträgen ausgestattet und die Tilgungen ausgesetzt werden. Sicherlich wäre das große Ganze immer mit einem eventuellen Konzernzusammenhang und immer zum Wohle des Kunden erklärbar. Was aber wäre, rein theoretisch, wenn man von Finanzinstituten die Kenntnis der Gesamtkosten oder des Gesamt-Effektivzinses einer durch Bausparvertrag aufgebohrten Finanzierung verlangen könnte? Was wäre, wenn man von der Bank und ihren institutionalisierten Partnern erwarten dürfte, den höheren Preis, den sie für ihre Pakete regelmäßig erzielen, zu kennen, zu erkennen und zu nennen? Müsste man sich dann sorgen, dass Falschberatungen der Regelfall sein könnten? Der Autor ist sich sicher, dass die BaFin alle Bedenken für den Kunden überprüfen und ausräumen könnte. Was wäre eigentlich, wenn die kostenschädliche Kombination aus endfälligem Darlehen und Bausparvertrag kein unglücklicher Einzelfall ist, sondern Methode, Geschäftsmodell?! Der Autor meint, dass das nicht zu befürchten ist. Keiner Bank und keiner Bausparkasse würde es einfallen, über Jahrzehnte schlechte Finanzierungsmodelle zu verkaufen. Auch nicht in Verbindung mit Lebens- oder Rentenversicherungen. Das würde ja bei einer Überprüfung allein schon der Beratungsdokumentation aller abgetretenen neuen Versicherungen seit Beginn der Dokumentationspflicht im Jahre 2008 sofort auffallen.
153
Interessant: www.immoschaden.de
154
BGH,16.05.2006XIZR6/04.
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Kurzum: Bausparverträge plus endfällige Darlehen prüft man mit einem finanzmathematischen Taschenrechner. Abgetretene Versicherungen prüft man anhand der Beratungsdokumentation auf ordnungsgemäßes Zustandekommen. Falls die BaFin feststellte, dass der Zins künstlich und verdeckt überhöht ist, klärt man die ersten 100 Einzelfälle. Erst ab einem 101. Einzelfall wäre institutionalisiertes Zusammenwirken der Beteiligten zu befürchten und zu prüfen, ob Banken und Partner den höheren Zins kennen und nennen müssen und warum immer dieselben Partner dieselben Geschäfte reibungslos abwickeln.
Moral? Es ist Zeit für eine neue Moral: Die neue Moral darf gerne die alte sein. Nur sollte sie belebt werden. (Auch) Banken haben erkannt, dass Finanzprodukte verkauft werden müssen, dass Riester-Renten und Sparpläne nicht GE-kauft werden. Die Menschheit ist dazu zu träge. Aber: Die Menschen haben ein Recht auf das richtige Produkt und eine echte, wahre, korrekte Bedarfsanalyse (die man übrigens erst einmal beherrschen muss).
6.3.3
Gefährliche Selbstmedikation oder „Die Sendung mit der Maus“
Am Sonntag, dem 13. April 2008, ist etwas Geschichtsträchtiges passiert: Die Bundeskanzlerin verlangte eine Art „Sendung mit der Maus“ für Finanzprodukte: FrauMerkelsagte,für alleBürgerseieswichtig,einbesseresVerständnisfürdieKapitalmärktezuentwickeln.Seitlan gemerkläredie„SendungmitderMaus“sehrgut,wieeineKaffeemaschineodereinFahrradfunk tioniere:„HeutemüsstenwiraberaucheineSendungfürFinanzproduktehaben,alsoeinbesseres VerständnisderheutigenKapitalmärkte.“155 Endlich! Zu dieser Anregung kann man der Bundeskanzlerin nur gratulieren, wie der folgende Selbstversuch des Autors zeigt. Modellaufbau: ein PC, eine Internetverbindung, ein Internetexplorer und Google. Suchwort: „Riester-Rente“.
155 http://www.welt.de/finanzen/article1897383/Merkel_will_Sendung_mit_der_Maus_fuer_Finanzen.html
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Der Autor ignorierte die gesponserten Links auf der Google-Ergebnisseite und klickte sich durch die ersten zehn Suchergebnisse. Meistens war mit nur einem weiteren Klick eine Art „Riester-Erklärung“ oder eine Einleitung des Themas zu finden.
100
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Sodann wurde für die gefundenen Texte der so genannte Flesch-Index ermittelt. Diese Text-Untersuchungsmethode geht auf Rudolf Flesch zurück, einem Wiener Sprachforscher, der 1938 in die USA auswanderte und dort Methoden entwickelte, mit denen der Lesbarkeitsgrad von Texten, unabhängig von deren Inhalt, ermittelt werden kann. Die Methode ist anerkannt und basiert vor allem auf der Tatsache, dass kurze Wörter und kurze Sätze in der Regel leichter verständlich sind als lange. Vor allem: Nach Flesch als leichter „lesbar“ beurteilte Texte halten dem Praxistest stand (übrigens: dieses Kapitel, dass Sie gerade lesen, hat Realschulniveau; nach Rudolf Fleschs Methode gemessen). Die Lesbarkeit der Riester-Erklärungen: Alle Fundstellen sind textlich auf Hochschulniveau! Sie „entsprechen“ (haha!) damit Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Amtsdeutsch. Solche Texte richten sich im Allgemeinen an Akademiker. Wer einen Hochschulabschluss hat, ist von seiner Ausbildung, seinem Beruf und der täglichen Lesepraxis her eine hohe so genannte Textvertiefung gewohnt. Wohlgemerkt: Diese Art geistiger Inanspruchnahme findet sich bei Informationsportalen, die mehr oder weniger für das Riester-Sparen oder konkrete Produktvergleiche werben. Solche Portale richten sich namentlich an Verbraucher. Aber wenn selbst Verbraucherseiten kaum verständlich sind, dann steht es schlecht um die finanzielle Alphabetisierung der Deutschen, auch der Akademiker. Warum ist das so? Weil die Lesbarkeit eines Textes noch nichts über die Bereitschaft der Zielgruppe aussagt, den Text überhaupt anzufassen. Lesen Akademiker Texte nur, weil sie sie verstehen oder weil sie es wollen? Finanzieller Analphabetismus tritt schleichend ein. Finanzieller Analphabetismus entsteht nicht durch Tun, sondern durch Unterlassen. Sprachliche Abwehr in „bürgernahen“ Publikationen ist eine Unterlassungssünde! Abschließendes zum Ergebnis des Suchmaschinentests: Den sprachlichen Vogel schoss das Portal von „Versicherungen klipp und klar“ ab: So formuliert man Geschäftsbedingungen, wenn einem Behördensprache viel zu locker ist. Das Problem ist: So erreicht Ihr Eure Adressaten nicht, Leute, auch keine Kunden! Kunde? Ist das nicht dieses ständig störende, ständig fragende Subjekt mit Lastschriftermächtigung? Nein: Es ist ein Mensch! Wundert es in diesem Zusammenhang noch, dass „Versicherungen klipp und klar“ vom Informationszentrum der Deutschen Versicherer betrieben wird?
6.3.3.1
Verbraucherschützer
(wurden bereits in Kapitel 4 untersucht und wegen Behandlungsresistenz156 als unheilbar entlassen).
156
Resistenz: abweisender Widerstand.
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101
Eine Wiedervorstellung, wie Ärzte einen Folgetermin nennen, ist demnach hier nicht erforderlich. Jede weitere Therapie wäre Behandlung im finanziell nicht vertretbaren Übermaß und ist damit abzulehnen.
6.3.3.2
Ersatzbildung: Talkshow
Da das Thema Geld, Rente und Finanzen ja so kompliziert ist, muss man es den Menschen erklären. Dazu nehme man einen „zuständigen“ Politiker der Regierungspartei(en), einen aus der Opposition, einen abgehalfterten ehemals zuständigen Sozialminister (Blüm), einen Schauspieler (wofür?), einen Verbraucherschützer (wofür?), einen Professor-wofür, einen Psychologen und einen Betroffenen (der aber nur auf das Betroffenen-Sofa darf), einen Verbandsvertreter der Geldbranche und einen nicht-professoralen Fachmann, der aber ein Buch geschrieben hat und damit als kompetent gilt. In der Medienwelt weiß man ja: „Autorität kommt von Autor“. In Talkshows passiert Folgendes:
႑Der Regierungspolitiker redet über seine staatstragende Aktion. ႑Der Oppositionspolitiker fordert Freibier für alle (Steuern runter, Rente hoch, Freibier, Enteignung der Reichen).
႑Blüm sagt seinen Hauptsatz und warum Riester und Riesters Rente die Rente ausraubt (alles klar?).
႑Der Schauspieler bezeichnet sich als inkompetenter, wenn auch prominenter Bürger und betrachtet das Thema an diesem Abend gar nicht „nüchtern“.
႑Der Verbraucherschützer prügelt auf die Regierung und die Finanzdienstleister ein
und kuschelt mit der Linken oder dem Gewerkschaftsvertreter, der seinerseits alternativ als „Verbraucherschützer“ besetzt wird.
႑Der Professor steuert eine volkswirtschaftliche Begründung bei, warum der Regierungspolitiker recht hat oder nicht.
႑Der Psychologe erklärt, wer warum wen nicht versteht – liefert aber keine Hilfe. ႑Der Verbandsvertreter der Geldbranche ist über jeden Vorwurf erhaben und darüber zugleich empört. Er entwickelt in seinen seltenen Wortmeldungen den Charme einer abgestimmten Presseerklärung.
႑Der Fachautor steht über den Dingen und verbindet die Wortbeiträge der Gäste mit einem souveränen Scherz.
Sie merken schon: All this is for show!
102
Kapitel 7
Kapitel7 7.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Kaspar Hauser stürmte wie eine Furie auf den Professor los und begann zu schreien und zu stammeln, Schaum vorm Mund: „Lassen Sie das, lassen sie das sofort, nein ... !“ schrie er mit aller Kraft, fegte dem verdutzten Professor die Zeitungen aus den Händen und schob ihn gewaltsam über den Flur in Richtung Haustür. „Das dürfen sie nicht!“ „Ruuuhig“, beschwichtigte ihn der Professor, „Was darf ich nicht?“ „Die Zeitungen, Herr Professor, die Zeitungen...“. „Was ist mit den Zeitungen?“, Herr Hauser. Und in dem Moment hatte der Professor begriffen! Er hatte offensichtlich das Heiligtum eines Geldmanischen berührt, sakrale Gegenstände, von denen sich Gläubige Heilung versprechen, selbst dann, wenn sie ihnen schaden! „Die Zeitungen, die Zeitungen...“, stammelte Hauser, „die haben alles noch schlimmer gemacht“. Der Knoten war geplatzt; Riese, der Profi, befand sich unvermittelt und ungewollt in einer Konfrontationstherapie. Unter Weinkrämpfen schilderte Hauser, in einer Ecke des Flurs hockend und verkrümmt, die Hände vor das 157 Gesicht gepresst sein Martyrium . „Ständig kamen diese Berichte in der Zeitung und im Fernsehen, dass der Staat pleite ist, dass wir zu wenig Kinder haben und dass die Rente später nicht mehr reichen wird“, hob er an. „Also ging ich der Sache nach, wollte wissen, verstehen, wollte es begreifen und ich wollte handeln, das Richtige richtig tun.“ Hausers Schilderung beschreibt, wie er sich in den Zeitungen verfing, wie jeder Schreiber etwas anderes sagte, wie die Rentenversicherung beschwichtigte, warum Lebensversicherer pleite gehen würden, aber man bei ihnen doch vorsorgen sollte und und und ... Die Banken schrieben über Sparpläne, die Kapitalanlagegesellschaften über Fonds, die Versicherer über Versicherungen, aber die Steuer schrieb nicht über die Steuer, die Inflation nicht über die Inflation und die Lebenserwartung nicht über die Lebenserwartung. Die Journalisten schrieben über alles und doch über nichts. Hauser begann, Leserbriefe zu schreiben, die nicht beantwortet wurden. Hauser steigerte sich zu Pressebeschimpfungen. Und so redete sich Kaspar Hauser seine Qualen vom Leibe. Über zwei Stunden saßen sie da. Hauser redete und redete. Professor Riese verstand: Hauser hatte die Presse beim Wort genommen. Hauser war wahnsinnig geworden! Wird fortgesetzt…
157
Leidensweg zur Erreichung eines höheren Sinns.
Altersvorsorge macht Schule
7.2
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Siebter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
18 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2027. Bis zur Rente sind es noch 17 Jahre. AdamRiesekann ablesen: Kontostand 30. 685 Euro. Er stellt fest: „Ich habe im vergangenen Jahr 1.200 Euro eingezahlt; der Kontostand ist aber um über 6.000 Euro gestiegen“. Langsam fängt die Sache an, ihm Spaß zu machen. „100 Euro, die sich lohnen“, denkt er. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen, ringt sich durch. Er will jetzt Gas geben mit dem Sparen und fragt Adam Riese, wie viel er monatlich sparen muss, um Adam Reise noch einzuholen. Riese rechnet: „Wenn ich mit meinen 100 Euro und 3,75 Prozent Nettoverzinsung weitermache, habe ich am Ende nach 35 Jahren 85.771 Euro auf dem Konto. Und genau den Betrag musst Du jetzt in 17 Jahren ansparen. Bei gleichem, sicherem Zinssatz von 3,75 Prozent sind das … monatlich zu sparen, Momeeeent: Jaaah, genauuu … 302 Euro und 5 Cent im Monat. Das ist deine NACHHOLRATE, Kaspar“. Und das gibt Kaspar Hauser zu denken: 300 statt 100 Euro. Aber er ist inzwischen, ebenso wie Adam Riese, ein so genannter „Besserverdiener“ wie er nicht ohne Stolz denkt. „Nächstes Jahr ist auch noch Zeit“.
7.3
Altersvorsorge macht Schule
7.3.1
Verbraucherschutzstudie zur Finanzvermittlung
Kurz vor Weihnachten 2008 veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Ergebnisse einer von der Bundesministerin Ilse Aigner in Auftrag gegebenen Studie. Der Titel lautet „AnforderungenanFinanzvermitt ler–mehrQualität,bessereEntscheidungen“ (im weiteren zur Vereinfachung „die Studie“ genannt). Eine der wesentlichen Aussagen der Studie ist, dass den Bundesbürgern jedes Jahr 20 bis 30 Milliarden Euro Vermögensschäden durch Falschberatung entstünden. Hervorzuheben ist: Für die Autoren sind falsche Finanzentscheidungen der Bürger nicht der Ausnahme-, sondern der Regelfall! Dementsprechend fordert die Studie wesentlich strengere Regeln für Finanzberatung. Und zwar für alle Arten von Finanzprodukten und alle Arten von Beratern – die Verbraucherschützer eingeschlossen. Zur Klarstellung: Nicht die Verbraucherschützer fordern das oben Genannte auch, sondern: Die Autoren der Studie fordern, dass auch Verbraucherschützer für ihre Beratungstätigkeit eine Mindestqualifikation erwerben! Das heißt: Werden die Forderungen der Studie umgesetzt, dann müssen auch Verbraucherschützer künftig (wie Versicherungsvermittler) eine entsprechende Sachkunde nachweisen, um von den zuständigen Industrie- und Handelskammern eine Tätigkeitserlaubnis zu bekommen. Das wäre ein Fortschritt! Ferner fordert die Studie in ihren „Visionen“,
104
Kapitel 7
künftig eine umfassende Finanzberatung, die alle Bedarfsfelder der Menschen berücksichtigt. Auch sei die finanzielle Bildung in Schule und Gesellschaft zu stärken mit Verweis auf „Altersvorsorge macht Schule“ (siehe unten). RiesterAbwrackprämiefürVerbraucherschutzberatungen Am liebsten sähen es die „echten“ Honorarberater, aber auch die Verbraucherschützer, wenn die Deutschen künftig ein Honorar für ihre Finanzberatung bezahlten. Am besten mit staatlich subventionierten Beratungsscheinen, zumindest für Geringverdiener: 150 Euro Abwrackprämie. Die zweistündige Riester-Beratung könnte dann etwa 300 Euro kosten und wäre kaum teurer als die 90 bis 150 Euro, die eine solche „Beratung“ zurzeit beim Verbraucherschutz kostet. Damit würde sich für die Verbraucherschützer, die obendrein mit Staatsgeldern finanziert werden, ein Kreis schließen, der zum neuen Geschäftsmodell werden soll: Statt Finanzvertrieben sollen nun die Verbraucherschützer reich werden! Da ist es nur würdig und recht, wenn der Staat unter allen Finanzberatern passive Waffengleichheit herstellt und auch die Verbraucherschützer sich um Sachkunde und Tätigkeitserlaubnis bemühen müssen. Statt 90 Euro je „Beratung“ beim Verbraucherschutz gibt es künftig 300 Euro (oder mehr), die viele Kunden gar nicht oder nicht ganz bezahlen können und müssen. Macht nix! Die geforderte Riester-Abwrackprämie macht‘s zumindest leichter. Ab sofort werden RiesterRenten von Leuten verklappt, die von der Materie so wenig Ahnung haben, dass sie ZWEI (!) Stunden brauchen, um das Riestern zu erklären. Der Autor garantiert: Das geht in fünf Minuten inklusive Rentenbetrachtung und Inflation. Die Beratung anderer Bedarfsfelder wie die Bereiche Gesundheit, Vermögenssicherung, Einkommenssicherung, Eigenheim werden dann separat durchgeführt, kosten ebenfalls „pro Stück“ 300 Euro, für die es aber keine Abwrackprämie gibt, die keiner bezahlen will und die deshalb auch nicht stattfinden. Alles schön nebeneinander. Das Gemurkse geht weiter. Willkommen im finanziellen Mittelalter. Leider deckt sich das Ganze nicht mit der sehr, sehr vernünftigen Forderung der Verbraucherschutzstudie nach gesamtheitlicher Finanzberatung. Außerdem repräsentiert das isolierte Beratungsthema „Riester“ wieder einmal die von Verbraucherschutzseite ach so kritisierte Produktberatung: Diese ist das genaue Gegenteil von Rundum-Beratung. Und: Das Ganze unterstellt namentlich bei den Verbraucherschützern eine nachgewiesene Sachkunde mit der entsprechenden IHK-Tätigkeitserlaubnis. Liebe Frau Bundesministerin Zypries, liebe Frau Bundesministerin Aigner: Hierfür hat der Autor fürsorglich einen § 34 f der Gewerbeordnung vorbereitet. Er lautet wie § 34 d, dessen Begriffe „Versicherungsvermittler“ und „vermitteln“ ersetzt wurden durch die Worte „Verbraucherschützer“ und „beraten“. Dies erspart Ihnen auch die Mühe, das Regelwerk teuer in einer Rechtsanwaltsfabrik produzieren zu lassen:
Altersvorsorge macht Schule
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Änderung der Gewerbeordnung: §34fVerbraucherschützer (Variante zum real existierenden § 34d Versicherungsvermittler) (1) Wer gewerbsmäßig oder gemeinnützig als Verbraucherschützer den Abschluss von Versicherungsverträgen beraten will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Die Erlaubnis kann inhaltlich beschränkt und mit Auflagen verbunden werden, soweit dies zum Schutze der Allgemeinheit oder der Versicherungsnehmer erforderlich ist; unter denselben Voraussetzungen sind auch die nachträgliche Aufnahme, Änderung und Ergänzung von Auflagen zulässig. In der Erlaubnis ist anzugeben, dass sie einem Verbraucherschützer persönlich und nicht übertragbar erteilt wird. Die einem Verbraucherschützer erteilte Erlaubnis beinhaltet die Befugnis, Dritte, bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen gegen gesondertes Entgelt rechtlich zu beraten (… Bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach den Sätzen 1 und 2 unterliegt die Industrie- und Handelskammer der Aufsicht der obersten Landesbehörde. (2) Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn 1. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt; die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt in der Regel nicht, wer in den letzten fünf Jahren vor Stellung des Antrages wegen eines Verbrechens oder wegen Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung, Betruges, Untreue, Geldwäsche, Urkundenfälschung, Hehlerei, Wuchers oder einer Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist, 2. der Antragsteller in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt; dies ist in der Regel der Fall, wenn über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren eröffnet worden oder er in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 der Insolvenzordnung, § 915 der Zivilprozessordnung) eingetragen ist, 3. der Antragsteller den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung nicht erbringen kann oder 4. der Antragsteller nicht durch eine vor der Industrie- und Handelskammer erfolgreich abgelegte Prüfung nachweist, dass er die für die Verbraucherberatung notwendige Sachkunde über die versicherungsfachlichen, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Angebotsformen und Leistungsumfang, und rechtlichen Grundlagen sowie die Kundenberatung besitzt (gestrichen:) ; es ist ausreichend, wenn der Nachweis durch eine angemessene Zahl von beim Antragsteller beschäftigten natürlichen Personen erbracht wird, denen die Aufsicht über die unmittelbar mit der Vermittlung von Versicherungen befassten Personen übertragen ist und die den Antragsteller vertreten dürfen.
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Kapitel 7
Gerd Billen, Chef des Verbraucher-Zentralen Bundesverbands „VZBV Bundesverband“, wie die Dachorganisation der Verbraucherschützer sich ganz im Sinne unkomplizierter Kommunikation bezeichnet, sagt: „Beim Anlegerschutz steckt der Teufel im Detail. Um Verbraucher durch Beweiserleichterungen effektiv vor Falschberatungen zu schützen, sind konkrete und einheitliche Standards für Beratungsprotokolle notwendig. Auch muss es spürbare Konsequenzen haben, wenn Vermittler Protokolle mangelhaft oder gar nicht ausfüllen. Außerdem ist das bestehende Vergütungssystem so zu verändern, dass sich für den Vermittler nur eine nachhaltige Kundenbeziehung lohnt.“ Dazu: Wir haben kein „Anleger“-Problem, weil „Geldanlage“ für den Normalo schon deshalb ein Fremdwort ist, weil der Normalo nicht „anlegt“: Er spart die paar Groschen, die er hat. Er ist schon froh, wenn er kapiert, warum er 100 teure Euro in die Riester-Rente zahlen soll und es hoffentlich auch tut. Das Thema Beratungsprotokoll ist bei der Versicherungsvermittlung bereits umgesetzt und manifestiert die Wehrlosigkeit des Bürgers. Der Berater schreibt das Protokoll und wer schreibt, der bleibt. Da das Beratungsprotokoll Beweiswert schaffen soll, schafft es ihn auch – zum Nachteil des Bürgers. Endlich ist ein Dokument geschaffen, auf dem der Bürger, pardon: der Verbraucher, feierlich erklärt, dass er an allem selbst schuld ist, was schief geht. Gratulation. Zur Honorarberatung ist es in Deutschland noch ein weiter Weg, der beim Verbraucher das Verständnis und das Einverständnis voraussetzt, dass Finanzberatung, fundierte Finanzberatung, Zeit und Kompetenz braucht – und Geld kostet. Kosten muss. Auch war sich der VZBV Bundesverband, also die Dachorganisation der Verbraucherschützer, nicht zu schade, eine „Checkliste und Beratungsprotokoll Altersversorgung“ zu erstellen, die im Übrigen den bisherigen Anforderungen an ein Beratungsprotokoll nicht gerecht wird. Wohl gemerkt: Eigenen, hoch ethischen Anforderungen des Verbraucherschutzes! Es spricht nicht für die Sach- und Fachkompetenz des von uns Steuerzahlern finanzierten „VZBV Bundesverband“ und seinen Landes-Verbraucherzentralen, wenn sie ihre eigenen und hart erkämpften Standards nicht einhalten! Eigentlich gehörte dieses Thema noch in das Kapitel 4 „Verbraucherschützer“. Andererseits ist das Thema hier gut aufgehoben, zumal für ein weiteres Kapitel „Unheilvolle Zusammenarbeit von Staat und Verbraucherschutz“ in diesem Buch kein Platz mehr war. Im April 2009 erfand der VZBV auch noch das „Checkheft Altersvorsorge“, mit dem man dem Finanzberater auf eine Weise auf den Zahn fühlen soll, auf dass einem das Sparen verleidet werde. Zu finden ist es auf der Homepage eines der peinlichsten Projekte der Bundesregierung: „www.Altersvorsorge-macht-Schule.de“. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung ging die F.A.Z.-Autorin Bettina Weiguny am 21. Juli 2009 mit ihrem Beitrag „Schützt uns vor den Verbraucherschützern“, wo sie sich entnervt über die die unaufgeforderte Entmündigung durch die Verbraucherschützer zeigt. Aus den Stand 13. August 2009 bisher 175 Leserkommentaren auf faz.net quillt vielfach Tendenziöses und: Finanzieller Analphabetismus. Unser guter Verbraucherschutz kann doch noch nicht böse sein! Er kann.
Altersvorsorge macht Schule
7.3.2
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„Altersvorsorge macht Schule“ Staatsmedizin - Diagnose: unerträglich.
Die Deutschen werden immer weniger und Deutschlands Sozialsysteme bräuchten rund 190 Millionen Einwanderer bis 2050, die den Durchschnittsbeitrag in die Rente (und in die Kranken- und Pflegeversicherung) bezahlen. Diese 190 Millionen Menschen müssten im Monat etwa 2.500 Euro brutto verdienen, um Beiträge und Leistungen der Gesetzlichen Rentenversicherung konstant halten zu können. Selbst wenn wir die genannten 190 Millionen Einwanderer großzügig durch drei teilen, wären das alle 15 Jahre um die 60 Millionen – bei derzeit großzügig geschätzten 30 Millionen vorhandenen Arbeitsplätzen oder selbstständigen Existenzen, das ist klar, geht das nicht! 190 Millionen sind demnach nur eine mathematische Zahl, die der Demografie-Forscher Professor Herwig Birg vor einigen Jahren ermittelt hat. Insofern haben wir es ausnahmsweise nicht mit Finanziellen Analphabetismus zu tun. Dem waren auch Norbert Blüm und dessen Vorgänger und Nachfolger im Amte des Sozialministers nicht direkt ausgesetzt, eher politischen Zwängen oder dem Hang zur Lüge. Professor Rürup158 hatte für die Regierung Schröder die anspruchsvolle Aufgabe, die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichbehandlung von Alterseinkünften mit der Sicherung der Renten in Einklang zu bringen – und zwar bis zum 31.12.2004. Er hat es halbwegs geschafft mit dem Alterseinkünftegesetz (siehe Kapitel 8), das seit 2005 gilt und das viele Geldberater und solche, die sich dafür halten, gezwungenermaßen „über Nacht“ zu Finanziellen Analphabeten in Beraterfunktion machte, weil sie es seitdem in Breite ignorieren (diese Geschichte wird später erzählt). Fiskalisch bedenklich ist der im Sommer 2007 passierte Betriebsunfall, der gegen die demografische Vernunft und gegen Rürups Absicht, den Rentenanstieg zu begrenzen, zu einer ungewollten Rentenerhöhung führte. Um von dieser Schlacht zu berichten, muss man zwar ein wenig ausholen, aber es lohnt sich zu sehen, wie es zu dieser ungewollten Rentenempfängnis kam: Seit der Jahrtausendwende fielen die Rentenerhöhungen für Rentenempfänger mangels Masse aus, weil sich die Nettoeinkommen der Beitragszahler negativ entwickelten. Eigentlich hätten die Renten, mathematisch gesehen, sogar gekürzt werden müssen, eben wegen des gesunkenen Nettoeinkommensniveaus der Beitragszahler. Das ist verfassungsmäßig aber verboten. Und obwohl es das schon immer so war, machte die Regierung zur unnötigen Klarstellung dieses Verbots trotzdem ein Gesetz gegen Rentenkürzungen, obwohl es, das werden wir gleich sehen, ein probates Mittel gibt, eigentlich fällige Rentenkürzungen nachzuholen. Das ist Aktionismus, Politik der Symbole.
158 Rürup: langjähriger Berater der Bundesregierungen seit den 1990er Jahren, bis Anfang 2009 Chef der Wirtschaftweisen, Seit April 2009 Chefvolkswirt des AWD.
108
Kapitel 7
Entsprechend der klammen Rentenkasse wurden die Renten zwar nicht erhöht, aber wegen Verbotsvorgabe in der Verfassung auch nicht gesenkt. Dafür kam er, der Nachholfaktor159 zum Zuge, der im darauf folgenden Jahr trotz leichter Erhöhung des Nettolohnniveaus die eigentlich mögliche minimale Rentenerhöhung des laufenden Jahres durch Verrechnung mit dem Vorjahr wieder ausfallen ließ. Das hätte erwartungsgemäß noch Jahre so weitergehen sollen und wäre, wenn auch hart für die Rentner, fiskalisch vernünftig gewesen, bis 2007 kam. Der Aufschwung ist da! Wie senkt man Renten nachhaltig? Mit dem Nachhaltigkeitsfaktor, eine wunderbare Erfindung, die ebenfalls auf Professor Rürup zurückgeht und die als „Demografiefaktor“ das Licht der Politik erblickt hat. Das war kurz vor 1998, kurz vor der Bundestagswahl. Es sollte mal wieder die Rentenkasse saniert werden und Rürup rechnete aus, dass mit schwindender erwerbstätiger Bevölkerungszahl und damit schwindenden Beitragszahlern das Rentenniveau nicht gehalten werden kann. Das bezieht sich auf heutige Rentner wie auf Rentenanwärter, die heutigen Beitragszahler nämlich. Also brauchte man eine Stellschraube in der Rentenformel, mit der man die Rentenhöhe bei weniger werdenden Beitragszahler und immer mehr werdenden Rentnern nachjustieren kann, den Demografiefaktor. Da aber Gerhard Schröder den Demografiefaktor im Wahlkampf, wie wir wissen erfolgreich, bekämpfte und 1998 ins Amt gewählt wurde, konnte er ihn bei aller später gewonnenen Einsicht nicht einfach nachschieben. So bekam sinngemäß gesprochen ein anderes wissenschaftliches Mitglied der Rürup-Kommission, den Auftrag, auf wissenschaftlicher Basis die Rente demografisch zu justieren und diesen neuen Knopf an die Rentenformel zu schrauben: Professor Bernd Raffelhüschen „erfand“ mit leicht veränderter Begründung den „Nachhaltigkeitsfaktor“, der zum gleichen Zweck der Rentenminderung an die Stelle des Demografiefaktors trat – Mission erfüllt. Nun konnte es losgehen, die Rente konnte von Jahr zu Jahr sinken, weil sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern der Rente stetig verschlechterte, das war klar. Klar? Im Jahr 2006 kamen mit dem deutschen Wirtschaftsboom, im Vergleich zu 2005, ausnahmsweise wieder mehr Menschen wieder in Lohn und Brot als berechnet. Der Saldo von Beitragszahlern zu Rentnern drehte sich zugunsten der Beitragszahler, was niemand erwartet hatte. Anstatt dass die Renten, demografisch getrieben, stagnieren, stiegen sie durch den Nachhaltigkeitsfaktor und der Rentenbeschluss 2007 lautete: Rentenerhöhung um netto 0,54 Prozent. Es wäre mehr „drin“ gewesen, wenn nicht wieder der Nachholfaktor aus dem bösen Jahr 2005 die Erhöhung gedämpft hätte. Das Problem ist hier nicht, dass das volkswirtschaftliche Jahr, das Rentenjahr, für Deutschland 2006 gut gelaufen ist; wer in schlechten Jahren verzichtet, soll in guten Jahren auch profitieren. Das Problem ist ein zeitweise kontraproduktiver Rentensenker mit Namen „Nachhaltigkeitsfaktor“, der zur Lösung unserer demografischen Probleme der Rentenkasse unverzichtbar ist. Wohlge-
159 Wenn gesetzliche Renten rechnerisch gekürzt werden müssten, was verboten ist, dann wird diese rechnerische Kürzung in Folgejahren auf Rentenerhöhungen angerechnet: Erhöhungen fallen kleiner aus.
Altersvorsorge macht Schule
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merkt möchte der Autor hier keine Rentnerschelte austeilen, sondern er argumentiert hier rein fiskalisch. Es ist klar, dass Rentner bei ausbleibenden Rentenerhöhungen und bald drei Prozent Inflation in Probleme geraten, vor allem wenn sie nur kleine Renten erhalten.
7.3.3
„Altersvorsorge macht Schule“ – Amputation gegen Schmerz!
Anfang 2007 startete die Bundesregierung die Initiative „Altersvorsorge macht Schule“, fachlich getragen – nein: nicht von der Bundeszentrale für finanzielle Aufklärung (BZfA), eine solche gibt es nämlich nur zum Thema Gesundheit – fachlich getragen von der Deutschen Rentenversicherung Bund, wie die alte BfA nun heißt. Die Deutsche Rentenversicherung mimt seit Anfang 2007 die Bundeszentrale für finanzielle Aufklärung. Und die Verbraucherzentralen machen auch mit. Hurra, denkt der Bürger: Es scheint für das Sparen selbst und für geförderte Therapieformen, Sparprodukte wie Riester-Renten und Konsorten, einen einfacheren Verständnisweg zu geben als in der Vergangenheit gedacht. „Altersvorsorge macht Schule“: In rund 500 Volkshochschulkursen sollten bis Anfang 2008 erwartet 20.000 Teilnehmer lernen, wie sie die Gesetzliche Rente sinnvoll ergänzen können, um ihren heutigen Lebensstandard zu sichern. Die Eigenwerbung von „Altersvorsorge macht Schule“ lautet: „umfassend und übersichtlich“, fundiert und verständlich“, „neutral und unabhängig“. Da fühlt man sich doch wie privat versichert! Der Autor hat sofort nach Verkündung von „Altersvorsorge macht Schule“ mit Recherchen begonnen. Wenn Deutsche Rentenversicherung und Verbraucherschützer zusammenarbeiten, ist das an sich schon alarmierend. Warum? Weil keiner von beiden beim Thema Altersvorsorge seinen Blick durch fachliche Kenntnis trüben lässt – hier droht ärztliche Behandlung ohne Approbation.160 Entsprechend „alarmiert“ war dann auch das „Infobüro – Altersvorsorge macht Schule“, das die Public Relations der Initiative verantwortet. Auf meine Presseanfrage nach Kursunterlagen, den „Heil- und Kostenplänen“ dieser Initiative, kam als Antwort, man könne mir leider nicht dienen, da eine breitere Streuung nicht vorgesehen sei und (sitzen Sie gut?) um die Exklusivität der Kurse zu gewährleisten. Aha. Was denn jetzt? Bildung für alle oder Herrschaftswissen eines „exklusiven“ Kurses? … von Ihren und meinen Steuern bezahlt. Jedenfalls bedauerte man, mir eine abschlägige Antwort geben zu müssen. Die Pressestelle der Deutschen Rentenversicherung war dann doch so freundlich und sandte dem Schreiber dieser Zeilen die Powerpoint-Kurspräsentation – auf Papier, im Jahre 2007, an die Presse! Eine elektronische Weitergabe wurde abgelehnt. Also wurde zunächst diese Papierversion geprüft, und zwar nach den Maßstäben der Eigenwerbung
160
Ärztliche Zulassung.
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Kapitel 7
von „Altersvorsorge macht Schule“. Ferner weigerte man sich, mich auf das E-LearningPortal der Initiative „Altersvorsorge macht Schule“ zu lassen. Sie wissen schon, … wahrscheinlich der Exklusivität wegen. Einer Exklusivität, die mit unseren Steuern finanziert wird. Kommen wir nun einmal zu den von der Initiative selbst vergebenen Kriterien: Wollen Sie mal nachsehen? Gehen Sie einfach auf http://elearning.deutsche-rentenversicherung.de/ Und geben Sie als User und als Passwort jeweils „avsms“ ein. Klicken Sie sodann auf Kurse. Sehen Sie selbst! Falls Sie mit Erwachsenenbildung zu tun haben: Schnallen Sie sich bitte an!
7.3.3.1
„Umfassend“?
Ja, die Teilnehmer, die so gern wüssten, wie es sich mit dem Alter und der Rente und dem Sparen im Allgemeinen und im Speziellen verhält, werden mit sage und schreibe 270 Folien konfrontiert, aufgeteilt auf sechs Therapiesitzungen. Hier drängen sich erste Fragen zur Erwachsenenbildung auf. Und ein Heilkurs dieses Umfangs ist Erwachsenenbildung. Ziel von „Altersvorsorge macht Schule“ war aber von vornherein keine Ausbildung zum Thema, sondern eine Orientierung in Vorsorgefragen zum Schutze der Rentengesundheit, ein Mündigmachen des Bürgers. Anders gesagt: Warum soll und muss ich wie viel riestern? Das ist eigentlich alles. Punkt. Na ja, der Slogan lautet ja auch „Jetzt Experte werden“. Und wie! Wer ist auf die Idee gekommen, geplant 20.000 Bürger aus ihrer Freizeitgesellschaft herauszureißen und für sechs Abende zu einem Thema zu kasernieren, das sie „bisher“ ablehnten? In unserer reizüberfluteten Medien- und Arbeitsgesellschaft, die ihre Menschen abends aus den Büros und Fabriken ausspuckt, passen sechs Abende, also auch ambulant, nicht mehr in die Freizeitkonzepte der Bürger. „Freizeitkonzept“ ist allerdings nicht der Begriff, mit dem der Mann und die Frau von der Straße ihr Freizeitverhalten beschreiben würden. Die nennen das Feierabend. Der Aspekt „umfassend“ sollte demnach eher warnend verwendet werden, da Umfang und Bildungsferne heutzutage miteinander korrespondieren – pädagogisch gesehen! Hoffnung machen Meldungen vom Spätsommer 2007 von „Altersvorsorge macht Schule“. Demnach sind im ersten Halbjahr nur 3.500 Menschen hingegangen, nur 3.500 Menschen, deren fachliche Verblendung in echten Beratungen repariert werden muss, notfalls schlecht. Aktuellere Zahlen gibt es nicht.
7.3.3.2
„Übersichtlich“?
Nein, dem steht schon der Umfang von bekanntlich 270 Folien entgegen. Addiert man die weiteren 274 Seiten (!) Text mit den Heilformeln zur Rentengesundheit, die „Altersvorsorge macht Schule“ den Teilnehmern „exklusiv“ auf seinem E-Learning-Portal darbietet, dann ist das Chaos im Kopf groß. In der Tat, dieses Programm ist so exklusiv, dass man „exklusiv“ mit „c“ schreiben müsste: „exclusiv“ oder voll-englisch „exclusive“. Lächerlich!
Altersvorsorge macht Schule
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Jetzt kommt’s: Erstens ist das E-Learning-Portal kein Selbstlern-Instrument und mit Telemedizin nicht zu verwechseln: Es ist ein reines und sperrig zu bedienendes Download-Center, weil die einzige „Interaktivität“ darin besteht, auf die Anzeige von PDF-Dateien zu warten, die ein offenkundig müder Server nur portionsweise ins schnelle Datennetz sendet. Zweitens ist der Ausdruck der Materialien teurer als die fünf Euro, für die man die Materialien auch als Papierversion und Medizinbuch erhält. Allerdings nur für Teilnehmer: Journalisten sind keine Teilnehmer! Und inhaltlich? Rein auf die Übersichtlichkeit bezogen wissen die Teilnehmer – und oft genug auch die Referenten und Heiler – nicht, wenn und wann im Augenblick beispielsweise das Alterseinkünftegesetz behandelt wird. Das Alterseinkünftegesetz ist das mit Abstand wichtigste Gesetz im Zusammenhang mit der Rente. Es regelt die Versteuerung aller Arten von Altersbezügen (Renten) einheitlich und besagt: GrundregelndesAlterseinkünftegesetzes Alle Renten, die staatlich gefördert werden161, sind künftig voll zu versteuern. Es wird eine Leibrente („Rürup-Rente“) eingeführt, die wie die Gesetzliche Rente behandelt wird (wesentlicher Unterschied: kapitalgedeckt). Beitragszahlungen in diese Rentensysteme sind von der Steuer freizustellen. Steuerfreistellung und Steuerpflicht werden schrittweise eingeführt, dazu gibt es zwei Tabellen (siehe Anhang). Kapitalerträge aus Lebensversicherungen sind künftig steuerpflichtig.162 Private, nicht geförderte, Renten sind weiter mit dem (gesunkenen) Ertragsanteil zu versteuern (65-Jähriger: 18 Prozent der Rente sind als Einnahme zu versteuern). Ohne vorgreifen zu wollen, aber das oben waren sechs Sätze, die man auf sechs Bildern als Therapieschema veranschaulichen kann. „Altersvorsorge macht Schule“ streut dasselbe Thema Alterseinkünftegesetz und seine Erklärungsversuche zur Befunderhebung wahllos auf über 40 Folien, quer durch die sechs lähmenden Therapiesitzungen. Und: Da man kursseitig anfangs, also von vornherein, keine Funktionsprinzipien vermittelt, kann man sich im Weiteren des Kurses auch nicht darauf beziehen. Damit setzt der Kurs seine Opfer wieder und wieder der Wiederholung von Regeln des Alterseinkünftegesetzes aus. Lähmend. So kommt es, dass auch die betriebliche Altersversorgung, eigentlich eine moderne, steuerschonende Behandlung zur Sicherung der Rentengesundheit, auf weiteren 60 Folien zerredet wird. Das, obwohl der Sparer doch nur verstehen können soll, wie er Teile seines Lohns effektiv dosiert in Rente umwandeln kann.
161 162
Rürup-Rente, Riester-Rente, Betriebsrente (Entgeltumwandlung). Ganz oder zur Hälfte nach 12 Jahren und ab 60 nur zur Hälfte.
112
7.3.3.3
Kapitel 7
„Fundiert“?
Wenn man „fundiert“ mit „Tiefe“ übersetzt, dann erfüllt der Kurs alle Anforderungen: Auf insgesamt 544 Seiten Text und Bild wird besonders gründlich diagnostiziert und nichts ausgelassen, gar nichts! Sogar das Problemfeld der Überalterung der Gesellschaft wird behandelt. Nur: Es wird nicht mit den Auswirkungen auf die Renten- und Beitragshöhen der Zukunft in Verbindung gebracht, sodass die Geriatrie (med. Altersheilhunde) und die Demografie (Bevölkerungswissenschaften) der deutschen Rentensysteme nicht einmal im Ansatz geklärt werden. Setzen: sechs. Wenn man den eigens gesetzten Aspekt „fundiert“ mit „fachlich korrekt“ übersetzen möchte, dann sieht das Ergebnis wie folgt aus: So sehr sich die Kursautoren beim Thema „Gesetzliche Rente“ mühten, alle Leistungsarten, Leistungsanforderungen und Kriterien der Gesetzlichen Rente durchzudeklinieren und zu kategorisieren (weitere 40 Folien), so sehr scheitern sie, sobald es um die private Vorsorge geht. Übrigens: Bei der Gesetzlichen Rente gibt es gar nicht so viel zu erklären, sie ist da. Punkt. Ihre Regeln gelten. Punkt. Und vor allem: Alles Wesentliche erschließt sich dem Bürger aus seiner Renteninformation! Punkt. Hätte man die Renteninformation als Ausgangsbefund und didaktische Ausgangsbasis genommen, wären drei Behandlungstage des Kurses verzichtbar und ein Beitrag zur Kostendämpfung im finanziellen Gesundheitswesen. Jeder Pädagoge, der Bildungsbarrieren abbauen will, würde exakt auf der Renteninformation aufbauen – vom Bekannten zum Unbekannten. Und bei der privaten Vorsorge? Hier ist das Chaos der Bürger am größten, weil sie Riester- und Rürup-Rente, Bausparen, Vermögenswirksame Leistungen, Wohneigentum und anderes als Sparform nicht verstehen oder ihrem eigenen Bedarf nicht zuordnen können. Dies leitet über zur „Verständlichkeit“ (das kennt man von der Medizin):
7.3.3.4
„Verständlich“?
Neben den Fachbegriffen der Deutschen Rentenversicherung, die die Geistheiler von „Altersversorgung macht Schule“ ein ums andere Mal in lähmender Perfektion raumgreifend durch den Kurs wälzen, verheddern sich Autoren und Referenten des Kurses komplett in den Fachbegriffen der privaten Sparprodukte und riskieren den finanzmedizinischen Verständnis-GAU.163 Dies tun sie derart exzessiv, dass einige Begriffe und damit Themen unter den Tisch fallen. Darunter fallen die alternative Therapieformen wie Bausparen und Eigenheim, aber auch „negative Krankheitsverläufe“ wie Inflation und Rente mit 67. Und: Auch sehr wirksame Präparate wie die Riester-Rente für Arbeitslose. Verbleibende Begriffe dürfen im Kurs munter gemischt werden, unter völliger Außerachtlassung der Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen.
163
GAU: Größter Anzunehmender Unfall (Kernschmelze in einem Atommeiler).
Altersvorsorge macht Schule
113
Die pädagogisch-didaktische Situation verschärfen die Macher von „Altersvorsorge macht Schule“ in der Weise, dass sie es nicht unterlassen können, eigene Wortschöpfungen oder falsch entliehene kategorische Begriffe falsch miteinander zu vergleichen. Zum Beispiel mit dem völlig untauglichen, völlig und vollständig unnötigen Versuch, die Begriffe „Altersvorsorge“ und „Altersvermögen“164 voneinander abzugrenzen. Was soll das? Oder: Es werden bei der Beschreibung des sogenannten „magischen Dreiecks“ des Sparens (Zielkonflikte aus Sicherheit, Rendite und Liquidität) ohne jede Not die Begriffe „Rendite“ (fachlich: eine Prozentzahl) falsch durch „Ertrag“ (eine Geldsumme) und „Liquidität“ falsch durch „Verfügbarkeit“ ausgetauscht und: In der Folge werden die Begriffe auch noch falsch verwendet. „Ersatzweise“ werden weitere zehn Folien mit der Heilsbotschaft gefüllt, dass die Deutsche Rentenversicherung rentenmedizinische Auskunft gibt, anstatt direkte Linderung der Rentenmisere zu vermitteln. Noch einmal: Es werden zehn Folien darauf verschwendet, „dass“ die Deutsche Rentenversicherung Auskunft erteilt. Wow! Dem Teilnehmer hilft es auch wenig, wenn „Altersvorsorge macht Schule“ beispielsweise den Genehmigungsprozess für Riester-Produkte so ausführlich behandelt, als ob sich ein Mensch mit Kopfschmerzen für das Zulassungsverfahren von Aspirin interessieren würde, nur weil er Kopfschmerzen hat und zum Zwecke der Linderung seiner Beschwerden eine Apotheke aufsucht. Dafür gibt es kein einziges Riester-Förderbeispiel, also genau das nicht, was den Bürger interessiert und weswegen er gekommen ist. Das ist ein didaktischer Super-GAU, der größte anzunehmende Unfall in der Erwachsenenbildung ist das Weglassen des Paradebeispiels, des Grundes, warum geriestert werden sollte! Und das beim Lieblingsprodukt von „Altersvorsorge macht Schule“, der Riester-Rente, das die Initiative quasi adoptiert hat.
7.3.3.5
„Unabhängig“?
Ja, das kann man sagen. Völlig unabhängig! Unabhängigkeit lässt sich bei „Altersvorsorge macht Schule“ so deuten: Die Macher agieren vielfach unabhängig von steuerlichen und mathematischen Tatsachen, wissenschaftlicher Expertise, dafür auf Grundlage beliebiger Betrachtungen. Mediziner nennen solche Heiler schlicht Quacksalber (aber der Autor ist ja kein Mediziner). Jäger nennen solche „Fachleute“ Schweinestecher, da sie ihr Wild nicht waidgerecht erlegen (aber der Autor ist ja kein Jäger). Da die Macher auf Seiten der Deutschen Rentenversicherung allenfalls ihr eigenes Produkt kennen, bleiben sie thematisch lieber „unabhängig“, als sich von der Aneignung fremder Felder abhängig zu machen. Darf sich in Deutschland eigentlich jeder „Experte“ nennen? Wird er es dadurch, dass er sich das Schild „unabhängig“ umhängt? Nein! „Erwischt!“ werden Sie jetzt sagen, weil der Beratungsteil von AmS von den beratenden Fachärzten der Verbraucherschutzverbände geschrieben wurde. Dazu: Erstens muss die Deutsche Rentenversicherung als lehrendesOrgan für das geradestehen, was sie tut: Volks-
164
„Altersvorsorge macht Schule“, Modul 3, Seite 21.
114
Kapitel 7
hochschulkurse zur Altersversorgung geben. Zweitens: Die Beratung und die Vermittlung von Versicherungen ist seit dem 22. Mai 2007 ein zulassungspflichtiger Beruf. Wie es sich in diesem Zusammenhang mit der Stellung und der Kompetenz der Verbraucherschützer verhält, das haben Sie bereits in Kapitel 4 gelesen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
7.3.3.6
„Neutral“?
Nun, man mag all den bösen Finanzberatern und Finanzunternehmen ja vorwerfen, was man will: Einseitigkeit, Eigennützigkeit, Tendenziösität, Abzockermentalität. Aber was „Altersvorsorge macht Schule“ sich am Ende des Kurses leistet, sprengt alle Grenzen des Akzeptablen. Das sagt der Autor dieser liebevollen Zeilen nach 27 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Rente, Sparen, Zinsformel und Sparprodukten. Gute und schlechte Produkte werden ohne Nennung von beipackzettelpflichtigen Gegenanzeigen (vulgo: Fachwissen!) und Wechselwirkungen qualifiziert oder abqualifiziert, beurteilt oder verurteilt, erhoben oder vernichtet. Völlig, bedarfsanhängige unterschiedliche Kategorien von Produkten werden über einen Kamm geschoren. Andererseits: Gleichartigkeiten des Kapitalanlageprozesses bei Risiken und Chancen erfahren völlig unterschiedliche Bewertungen, ohne dass auf die gleichartige Anlageklasse und damit gleichartige Eigenschaften untereinander Rücksicht genommen wird. Fundamentalkritik wird ausgesprochen, obwohl die Autoren offensichtlich bis entlarvend keine Ahnung von den Fundamenten bestimmter Sparformen haben und damit die Rentengesundheit durch verbreiteten Finanziellen Analphabetismus nachhaltig schädigen.
7.3.4
„Apothekenumschau“: begleitende Pressearbeit von Altersvorsorge macht Schule
Regelmäßig lanciert das Berliner „Infobüro – Altersvorsorge macht Schule“ Presseartikel zur „Sache“: 165
„RiesterRenteundihreVererbung“
Mit solchen falschen Überschriften werden bei den Menschen Erwartungen geweckt, die die Riester-Regeln bei Tod des Versicherten eben nicht erfüllen: Vererbbarkeit! Wenn Riester-Guthaben bei Tod auf den Ehepartner übertragen werden dürfen, dann ist das keine Vererbung, sondern eine andere Form der Witwenversorgung! Warum ist das wichtig? Die Riester-Rente ist keine Zusatzrente sondern eine Ersatzrente für vorhergegangene Renten-Kürzungen innerhalb der Rentenformel der Gesetzlichen Rentenversicherung.166 Wer seine Rentenkürzung zurückhaben will, muss eine Riester-
165
Pressemitteilung von „Altersvorsorge macht Schule“ am 17.07.2007.
Der Staat hat mit Einführung der Riester-Rente jedem Beitragszahler in der GRV unterstellt, er spare monatlich vier Prozent seines Bruttoeinkommens. Daraus errechnete man eine fiktive Rente und kürzte die Gesetzliche Rente entsprechend. 166
Altersvorsorge macht Schule
115
Rente kaufen, die wiederum staatlich gefördert wird. Und dafür gelten die strengen Leistungsregeln der Gesetzlichen Rente, die Vererbung ausschließen. Ist das nun Juristischer oder Finanzieller Analphabetismus? Oder schlicht Dummheit?
7.3.5
„Renteninformation: Beste Planungsbasis“167
Mit dieser Pressemitteilung lobt „Altersvorsorge macht Schule“ – eine Veranstaltung der Deutschen Rentenversicherung – sich selbst und verkündet, die neu gestaltete Renteninformation enthalte ab sofort die Rente mit 67. Erstens entspricht das ohne jedes Wahlrecht verpflichtend dem Rechtsstand des Sozialgesetzbuches. Rente mit 65 ist für die Jahrgänge ab 1964 und jünger passé. Zweitens kommt die Rente mit 67 in den Kursen und den Kursunterlagen von „Altersvorsorge macht Schule“ selbst nicht vor. Drittens enthält der Kurs einige weitere rechtliche Veränderungen ebenfalls nicht (zum Beispiel den erweiterten Verbraucherschutz gegenüber Versicherungsvermittlern und Versicherern). Viertens: In der Pressemitteilung wird dringend darauf hingewiesen, man möge unbedingt die Inflation bei der Rentenplanung berücksichtigen. Das stimmt, aber wie? Bei „Altersvorsorge macht Schule“ kommt das Thema, von einem Satz abgesehen, nicht vor! Und wenn die „Renteninformation“ der Deutschen Rentenversicherung die beste Planungsbasis ist, warum wird der Teilnehmer dann durch 40 Seiten bzw. Powerpoint-Folien-Unsinn getrieben?
7.3.6
„Der Berater-Check“168
Machen wir es kurz. Hier fordert „Altersvorsorge macht Schule“ genau das vom Berater, was weder der Kurs noch seine Vordenker selbst leisten: Qualität! Im Gegensatz zu „Altersvorsorge macht Schule“ haftet ein Berater spätestens seit dem 22. Mai 2007169 für sein Tun. Die Macher von „Altersvorsorge macht Schule“ nicht! Wäre das so, also würden die Autoren des Informationsmaterials haften, dann hätten sie es zeitgerecht … rechtzeitig auf den jeweils aktuellen Stand gebracht. Jeder Vertrieb muss das tun. Also auch die Macher von AmS.
7.3.7
Fazit
Hinsichtlich der Therapievorschläge vermittelt der Volkshochschulkurs „Altersvorsorge macht Schule“ – jetztheileichmichselbst – den Eindruck, dass finanzwissenschaftliche Erkenntnisse der Rentenmedizin völlig unberücksichtigt blieben. Schon Ende 2004 haben
167
Pressemitteilung von „Altersvorsorge macht Schule“ am 26.06.2007.
168
Pressemitteilung von „Altersvorsorge macht Schule“ am 12.06.2007.
Umsetzung der EU-Vermittlerrichtlinie in deutsches Recht: Versicherungsvermittlung ist seit 22.05.2007 eine zulassungspflichtige Tätigkeit, eine Haftpflichtversicherung muss nachgewiesen werden, die Beratung ist schriftlich zu dokumentieren. 169
116
Kapitel 7
Finanzwissenschaftler 170 gerade wegen des damals anstehenden Alterseinkünftegesetz 2005 für Angestellte von 26.000 bis 52.000 Euro Jahresgehalt einmal genau Therapieformen und Dosierung errechnet. Die Berliner Professoren Jaeger und Utecht haben die Nettorenditen von Sparbeiträgen geförderter Produkte zur Rentenheilung nach Steuern und Krankenversicherungsbeiträgen vom ersten Beitrag bis zum Tod in eine rechnerisch belegte Rangordnung gebracht. Bei der abweichenden, „Prioritäten“-Liste von „Altersvorsorge macht Schule“ verzichten die Autoren ganz auf die Begründung dieser Liste, auf Quellenangaben, Berechnungen oder fachliche Dokumentationen. Nachteile aus falschen Empfehlungen sind bei einem falsch beratenden Arzt Gesundheitsschäden oder schlimmer: „Kunstfehler“; bei einem Finanzdienstleister sind das „Vermögensschäden“. Beide können ihren Rat nicht unter Vorbehalt stellen kann, im Gegensatz zu „Altersvorsorge macht Schule“! Die dürfen das. Dürfen die das? Mit welchem Recht? Addiert füllen die fachlich, methodischen Ungereimtheiten und Fehler im Curriculum171 eine zweiseitige tabellarische Aufstellung. Unter Aspekten der Lerntechnik fehlen ein logischer Aufbau (vom Bekannten zum Unbekannten), der Mut zum Abwerfen von Ballast und der Appell: „Spart für eine zusätzliche Rente, sorgt vor!“ Allein sprachlich („zusätzlich geförderte Altersvorsorge“ statt „Riester-Rente“) zeigt sich, wie weit die Autoren von der Realität entfernt sind, wie wenig sie den Bürger erreichen. „Altersvorsorge macht Schule“ ist überfrachtet und motiviert nicht zum Sparen, das ist der Kardinalfehler der Initiative. Weniger das Lehrkonzept selbst, sondern die Art und Weise, wie kommuniziert wird, steht dem Erfolg entgegen. Um die Bürger zum Sparen und damit zur Rentengesundheit zu führen, hätte ein erheblich geringerer Umfang genügt: eine saubere Linie vom Bedarf über die Prinzipien des Sparens, die Förderungen, die Steuer und erläuterte „Faustregeln“ zu den Sparrenditen der geförderten Produkte. „Altersvorsorge macht Schule“ hat sich selbst und seinem Publikum dem Thema Sparen in einem Bildungsmoloch ausgeliefert. Vor allem werden die Notwendigkeit und das Wie des Altersvorsorgesparens vollkommen aseptisch172 vermittelt. „Jetzt Experte werden“. Das ist eine Bedrohung! „Ja nicht anfassen, Rii-Sii-Koo! Wie viel setzen Sie?“ „Nein danke“, sagt da der Spieler, ääh Sparer, „ich bin jetzt völlig verunsichert“ und meldet sich geldkrank. Das ist es, was „Altersvorsorge macht Schule“ erreicht hat. Es wäre besser gewesen, „Altersvorsorge macht Schule“ hätte sich der Einmischung ins Thema enthalten und fachärztlichen Rat eingeholt. So erhalten die Medizinmänner des Staates einen Eintrag in das finanzielle Krankheitslexikon: das AmS-Syndrom als Abart des Finanziellen Analphabetismus.
170 171 172
Jaeger/Utecht, FU Berlin. Lehrkonzept. Aseptisch = keimfrei.
Altersvorsorge macht Schule
117
Ohne Entkernung des didaktischen Gebäudes von „Altersvorsorge macht Schule“ bestehen erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten derartiger finanzieller Renten Heilmaßnahmen. „Altersvorsorge macht Schule“ wird noch lange nach seinem Ende ein finsterer Leuchtturm für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft „für“ staatliche Sorge um das Verständnis der Bürger sein: NULL. Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, es noch ertragen können: Die Deutsche Rentenversicherung hat es im August 2007 doch noch geschafft, ihre Unterlagen zu aktualisieren und dennoch eines der wichtigsten Elemente des Verbraucherschutzes, die Vermittlerrichtlinie, vergessen, mit der die Vermittlung von Versicherungen seit dem 22. Mai 2007 zum erlaubnispflichtigen Gewerbe geworden ist (mehr dazu in Kapitel 9). Das ist so, als würde ein Lufthansa-Pilot das Tanken vergessen! Warum ist das wichtig? Weil ein Pilot nie, nie das Tanken vergessen darf und: Weil mit der Vermittlerrichtlinie europäisches Recht in nationales Recht umgesetzt wurde und weil Europarecht neben der Harmonisierung der vielen Rechtsnormen grundsätzlich verbraucherfreundliche Ziele der Transparenz von Wirtschaft verfolgt. Das wäre eine Meldung auf 544 Seiten „Altersvorsorge macht Schule“ wert gewesen, vor allem wenn Verbraucherschutzverbände den Verbraucherschutz wie eine Monstranz vor sich hertragen. Was bleibt? Medizinisch gesagt ist „Altersvorsorge macht Schule“ eine Amputation gegen Schmerzen. Der Hoffnungsschimmer ist Angela Merkels Forderung nach einer „Sendung mit der Maus“ für Finanzthemen. Deswegen wird der Autor dieser Zeilen ihr dieses Buch schenken.
118
Kapitel 8
Kapitel8 8.1
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Mitte Februar glaubte Professor Adam Riese das Gegenmittel gefunden zu haben, aber nicht in seiner Apotheke, sondern bei der Deutschen Rentenversicherung und ihrer Aktion „Altersvorsorge macht Schule“; ausführendes Organ: die deutschen Volkshochschulen. Dort sollte man „Experte in eigener Sache“ werden können und nach sechs Kurstagen sozusagen die Selbstheilungskräfte entwickeln, die es braucht, dem infektiösen FA [Abkürzung für Finanziellen Analphabetismus wird in Vorkapiteln eingeführt] Herr zu werden. Adam Riese sah darin sogar das Gegengift zu FA! Er meldete sich bei der Volkshochschule Mannheim zu diesem Selbstheilungskurs an. Die 20 Euro Kursgebühr wunderten ihn allerdings. Er hätte höhere Kosten erwartet, gerade bei seinen Erfahrungen mit Kosten medizinischer Fortbildungen. „Ich mache mich schlau“, dachte er, und besuchte den ersten der sechs Teile von „Altersvorsorge macht Schule“. Und es war langweilig, mehr als das: Der Referent referierte mit dem totalen Anspruch auf Vollständigkeit die Haupt- und Nebenaufgaben der Deutschen 173 Rentenversicherung durch, genau so, als würde er den Pschyrembel vorlesen. Da wollte 174 man ihm zumuten, die Ordnung der sogenannten biometrischen Risiken und die sich daraus ergebenden Leistungs- und Rentenarten auswendig wiedergeben zu können. Das hätte sozusagen zusätzliche Heilkraft, glaubte Riese. Als die erste halbe Stunde verstrichen war, fühlte er sich geistig extrem verwirrt, andererseits körperlich völlig erschlafft. Riese hielt durch, holte einen kleinen Taschenspiegel aus seiner Tasche, um seine Augen zu beobachten, er wusste: Ich muss den Stillstand der Pupillen solange herauszögern, bis dieser Abend zu Ende ist. Als der Referent, offensichtlich kein Bildungsmediziner, mit dem ersten Kursteil fertig war, waren die Teilnehmer auch fertig. Riese selbst hatte nach knapp 45 Minuten jede Aufnahme von Informationen eingestellt; er war auch abgelenkt, da er regelmäßig seinen Puls messen musste; sozusagen sein Mini-Kontroll-EKG, da die Sache mit dem Spiegel zwischenzeitlich Aufsehen erregt hatte. Riese sah keinen Ausweg, „Altersvorsorge macht Schule“ ist eine Amputation gegen Phantomschmerzen, dachte er sich, eine Bildungskatastrophe gegen Finanziellen Analphabetismus – „seine“ neue Krankheit im eigentliche Sinne (entdeckt, infiziert und durchlitten, aber nicht geheilt!). Professor Adam Riese ist Wissenschaftler durch und durch und definierte ein neues Forschungsgebiet, das er nicht FA (Finanziellen Analphabetismus), sondern DFA, „Dementen
173
Medizinisches Lexikon.
174Körperlich,
medizinische Lebensrisiken: Tod, Berufsunfähigkeit, Krankheit.
Kaspar Hauser - Fortsetzung
119
Finanzieller Analphabetismus“ nannte. Den Zusatz „Dement“ setzte er ein, weil die Symptome sich galoppierend (wissenschaftlich: akzelerierend) entwickelten. Riese nahm sich drei Strategien vor: 1. Weitere Teilnahme an „Altersvorsorge macht Schule“ als rein wissenschaftlicher Selbstversuch 2. Die Zusammenarbeit mit Professor Kalkül, um aus seiner Fachkompetenz und mit der ihm, Riese, eigenen psychologischen Kompetenz ein eigenes Mittel zu entwickeln, einen Langzeitwirkenden DFA-Blocker 3. Er würde seinen Patienten Kaspar Hauser einbeziehen und, dessen Verständnis vorausgesetzt, Methode 1 und 2 vergleichen. Riese sprach mit Kaspar Hauser. Der war sofort einverstanden, weniger aus Einsicht, eher als Folge des unerträglich gewordenen Leidensdrucks aufgrund der Krankheitssymptome. Auch Professor Kalkül freute sich auf eine interdisziplinäre, Wissenschaftsfeld übergreifende Zusammenarbeit. So sollte es sein. Den Kurs „Altersvorsorge macht Schule“ setzte Riese fort, übrigens bei einem anderen Referenten – ohne Besserung auf beiden Seiten. In das Projekt eingebundene Probanden, studentische Freiwillige, die sich vom Professor einen Studienschein erhofften, gingen ebenfalls in den Volkshochschulkurs. Insgesamt bestätigten deren Meldungen und die ausgefüllten Analysebögen das, was der Professor erlebt hatte. Professor Riese definierte aus den Symptomen, die der Kurs „Altersvorsorge macht Schule“ verursacht, einen vorläufigen neuen Krankheitsbegriff, eine Nebenlinie von Finanziellem Analphabetismus: „Altersvorsorge macht Schule-Syndrom“, „AmS“ oder „AmS-Syndrom“. Damit hatte er seinen wissenschaftlichen Ansatz auf drei fassbare Begriffe gebracht: 1. AmS-Syndrom 2. DFA-Syndrom 3. var. KHS-Syndrom (oder variiertes Kaspar-Hauser Syndrom) Zu 1. AMS: Adam Riese begab sich in den zweiten Teil des Kurses ”Altersvorsorge macht Schule”, diesmal unter massiver Medikation, und durchlitt neben dem Thema wiederkehrend und verstärkt die Symptome des „Altersvorsorge macht Schule-Syndroms“. Zu 2. DFA-Syndrom (die Hauptgruppe der identifizierten Krankheit): Hierzu begab sich Adam Riese nun ebenso regelmäßig unter die Fittiche von Professor Kalkül in Berlin; Riese und Kalkül opferten dafür ihre Wochenenden. Zu 3. var. KHS-Syndrom: üben, üben, üben: mit beiden Methoden: Professor Kalkül und Volkshochschule Wird fortgesetzt…
120
8.2
Kapitel 8
Achter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
21 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2030. Bis zur Rente sind es noch 14 Jahre. AdamRiese: 38.080 Euro, weiterhin fließen 100 Euro auf’s Sparkonto. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen: Null. Nach drei Jahren trifft er wieder auf Adam Riese und man beginnt die inzwischen schon traditionelle Rechnerei. Seine neue NACHHOLRATE: 390 Euro. Im Vergleich zu Adam Rieses unveränderten 100 Euro Sparrate ist das ziemlich viel – fast das Vierfache! Kaspar Hausers Problem: Er will dieses Jahr noch den Wagen ablösen: Leasing läuft aus.
8.3
Eigenvorsorge
Bevor wir zum eigentlichen Sparen fürs Alter kommen: Sparen kommt in der wirtschaftlichen Priorität des Menschen nach der Absicherung der „Wechselfälle des Lebens“, wie Otto von Bismarck sie nannte, nachdem die folgenden Bereiche gesichert sind: 1. Sicherung des Einkommens (bei Krankheit, Berufsunfähigkeit und bei Tod des Geldverdieners) 2. Sicherung der Gesundheit 3. Sicherung des (bisher erreichten) Vermögens Auf diese Wechselfälle des Lebens, wichtiger ausgedrückt: die „biometrischen Risiken“, haben Sie nämlich keinen Einfluss. Da Sie nicht wissen, ob oder wann Sie krank werden, vorzeitig sterben oder Ihr Haus abbrennt oder Sie einem Dritten einen Schaden zufügen: Dafür gibt es Kranken-, Berufsunfähigkeits-, Risikolebens-, Unfall-, Haftpflicht-, Hausratund Feuerversicherungen. Ist der oben genannte Sicherungsbedarf gedeckt, dann ist es Zeit für die Altersvorsorge, auch dann „wenn kein Geld dafür da ist“. Wie geht das? Durch einen vernünftigen Finanzplan, der Ausgaben so optimiert, der Konsum so reguliert, dass „plötzlich“ doch Geld frei wird: zum Sparen! Bisher gab es noch keinen „Masterplan“, keinen wissenschaftlichen Rahmen für Finanzen und ihre Planung. Jeder, auch der versierteste und motivierteste Finanzberater, beriet mehr oder weniger nach eigenen (Ver-)Sicherungs- und Versorgungsberechnungen. Doch all diese Berechnungen und Planungen waren stets ohne wissenschaftliches Fundament: weil es keines gab. Vor allem hatte sich noch niemand, der Autor dieser Zeilen betont dies, niemand hat sich die Ko-Relationen, also die gegenseitigen Abhängigkeiten von zum Bei-
Eigenvorsorge
121
spiel der Hausfinanzierung und (!) der Altersversorgung und (!) der Vermögenssicherung gesamtheitlich vorgenommen. Niemand! Auch kein Wissenschaftler. Dabei ist klar: Der Häuslebauer braucht später weniger Rente, weil er Miete spart. Aber bis zur Entschuldung seines Hauses muss er Hypotheken abtragen. Außerdem hat er seine Altersversorgung, den benötigten „Rest“ zwischen Bedarf, ersparter Miete und Gesetzlicher Rente im Auge zu behalten und anzusparen. Zugleich muss er Geld für die Sicherung des neuen Häuschens ausgeben (Instandhaltungsrücklage, Hausversicherungen). Das Problem: Jeder Haushalt hat ein Einkommen, das er nicht beliebig vermehren kann. Das knappe Gut Geld, wissenschaftlich: die Liquidität, ist logisch über alle Bedarfsfelder zu verteilen. „Qualität formt Zukunft“ … … ist kein Spruch, sondern eine Stiftung, die sich neben der Schaffung eines Berufsbildes des Zertifizierten Finanzberaters dem Ziel einer wissenschaftlich abgesicherten Finanzberatung widmet. Im Jahre 2007 von innovationsgetriebenen Managern der Finanzindustrie gegründet, gab die Stiftung „Qualität formt Zukunft“ (QFZ) als eine ihrer ersten Aktivitäten einen Entwicklungsauftrag an Wissenschaftler. Der Auftrag: Formuliert Masterregeln für eine neue, ganzheitliche Finanzberatung, entwickelt Detailregeln für gleichartige Bedarfsgruppen. Kurzum: Gebt privater Finanzberatung ein sicheres Fundament auf wissenschaftlicher Basis – abgesichert eben. Für Kunden und Berater – auf Augenhöhe. Darauf hin entwickelte ein Team um Professor Philipp Janetzke von der Hochschule Weihenstephan Regelwerke für die Finanzplanung des Privathaushaltes, definierte Bedarfsfelder und Bedarfsermittlung. Zur Bedarfsermittlung ist zu sagen: Vor 2007 war Bedarfsermittlung eine so genannte Lückenrechnung: SOLL minus IST = Abweichung = Bedarf. Das hieß also bisher: ohne Rücksicht auf Verluste und ob der Kunde für seine Bedarfsdeckung einen Kredit aufnehmen musste. Außerdem blieb bislang völlig unklar, was und vor allem wie hoch der Bedarf ist: Der neue Finanzplanungsprozess der QFZ-Stiftung sieht im Ergebnis so aus: 1. Alle (wissenschaftlich definierten) Bedarfsfelder werden betrachtet. Dies ist zugleich die Antwort auf: „WELCHE finanziellen Felder müssen wir betrachten?“. 2. Der Bedarf (jeder Bedarf) wird automatisch ermittelt und beantwortet die Frage „WO ist etwas zu tun?“ (wissenschaftlich neuer Begriff: „Handlungspotenziale). 3. Es folgen wissenschaftlich abgesicherte Handlungsempfehlungen. Also die Antwort auf die Frage „WAS ist zu tun?“ 4. Die Produkt-GATTUNG wird nach wissenschaftlichen Kriterien buchstäblich regelgerecht gesucht und gefunden; sogeannten „Segmentfindung“ oder die Antwort auf die bisher nicht lösbare Frage: „WIE ist es zu tun?“ 5. Die Finanz-Produkte werden nach einem neuen Produkt- und Anbieter-Scoring ebenfalls auf wissenschaftlichem Fundament gesucht: „Mit WEM ist es zu tun?“ ist damit auch beantwortet.
122
Kapitel 8
6. Jahresgespräch. Schlicht und einfach: ein Jahresgespräch ist – jetzt kommt es – für Berater und (!) Kunde verpflichtend. Das schafft Nachhaltigkeit! (manchmal kann einfaches, konsequentes Handeln die Neuerfindung des Rades ersparen!). Der „Renditepapst“ Professor Klaus Jaeger von der FU Berlin hat das Beratungskonzept der QFZ-Stiftung von unabhängiger Seite auf den Prüfstand gestellt. Und: Jaeger gilt in finanzmathematischen Fragen als erbarmungslos; wie bereits im Herbst 2004, als er ein schon heute denkwürdiges Rendite-Vergleichsmodell für gefördertes Sparen nach dem Alterseinkünftegesetz ab 2005 geschaffen hat. Ferner gehörte zu den wissenschaftlich, kritischen Prüfern des Ganzen Professor Hermann Weinmann von der FH Ludwigshafen. Das neue Beratungskonzept steht auf drei Fundamenten: 1. Es folgt erstmals grundsätzlich wissenschaftlich ermittelten Anforderungen. 2. Es ermittelt des Bedarf des Kunden korrekt und es verteilt seine Mittel logisch (speziell dafür wurden geeignete sogenannte „Bedarfsdeckungsstufen“ definiert) 3. Es verlangt ein Jahresgespräch von Berater und Kunde. Hier handelt es sich um keinen wissenschaftlichen Fortschritt, sondern um Stringenz der Umsetzung: jedes Jahr arbeiten Kunde und Berater gemeinsam an der Akutalisierung des Finanzplans – jedes Jahr, verpflichtend. Fortschritt kann so einfach sein! Wie bei einem Laborbefund, Ärzte kennen das, erhalten Kunden, die nach den Masterund Detailregeln der QFZ-Stiftung beraten werden, künftig ein „Blutbild“ über den Zustand ihrer Finanzen und eine so genannte Handlungsmatrix, in der alle Handlungsempfehlungen (zum Beispiel „erhöhe Deine Absicherung im Krankheitsfall“) in eine logisch, finanziell vernünftige Reihenfolge (Priorität) gesetzt werden. Kunde und Berater müssen nur noch abarbeiten: 1., 2., 3. … Der Autor verfügte über die oben gegebenen veröffentlichten Informationen der QFZStiftung als die bereits erwähnte Studie zur Finanzvermittlung in Deutschland im Dezember 2008 veröffentlicht wurde. Dazu muss man wissen, dass die Autoren der Studie zwei Arten von Forderungen entwickelt haben: 1.
Regulatorische, also staatliche Maßnahmen wie vereinheitlichte, strenge Anforderungen (Gesetze) für Finanzvermittler, in der Studie als „Forderungen“ formuliert.
2.
Fachlich/Qualitative Anforderungen an die Finanzberatung der Zukunft; in der Studie als „Visionen“ bezeichnet
Die Forschungs- und Entwicklungsleistungen beziehen sich namentlich auf 2., die „Visionen“ der Studie. Ein sorgfältiger Vergleich der Studien-„Visionen“ zur Beratungsqualität und des neu geschaffenen Beratungsprozesses der QFZ-Stiftung ergab eine nahezu Kongruenz, eine 1:1 Überdeckung. Mit anderen Worten: Was die Studie zur Finanzvermittlung forderte, gibt es bereits.
Eigenvorsorge
123
Das Finanzberatungsunternehmen Formaxx175 hat das Beratungskonzept der Stiftung Qualität formt Zukunft geprüft und plant seinen kompletten Einsatz ab Januar 2010 – für alle seine 700 Berater. Wie man hört, sind die meisten Komponenten bereits in Umsetzung; das Jahresgespräch mit dem Kunden ohnehin, weil es ohnehin Bestandteil des Geschäftsmodells ist. Das ist der wissenschaftliche und praktische Fortschritt. Die Realität, die einfache Realität sieht so aus:
8.3.1
Es geht los: Die Zinsformel oder Die DNA des Geldes
Die Zinsformel ist entschlüsselt! Schon lange! Im Grunde ist es ganz einfach. Beim Sparen dreht sich alles um die Zinsformel. Sie enthält die Bausteine des finanziellen Lebens. Grafik: Zinsformel
Das Prinzip lautet: Wir müssen lediglich
möglichst viel Geld
möglichst hoch verzinst
möglichst lange
sparen: viel, hoch und lange!
Also, möglichst früher an später denken. Vielleicht ist das eine banale Form moderner Finanzgenetik. Klar ist aber: Damit sind alle Bausteine des finanziellen Lebens entschlüsselt. Dazu braucht man auch keine Beratung; dazu braucht man noch nicht einmal unbedingt einen Taschenrechner, wenn man einmal und für immer die folgende Tabelle betrachtet und – beachtet! Ich versichere Ihnen, die Finanzmathematik wird sich bis zu Ihrem Renteneintritt nicht wesentlich ändern. Sie wird sich gar nicht verändern! Ehrenwort. Wie viel Geld kommt eigentlich heraus, wenn ich ab sofort 100 Euro spare?
175
www.formaxx.de
124
Kapitel 8
Dauer 10Jahre 20Jahre 30Jahre 40Jahre 50Jahre 60Jahre 70Jahre
3% 13975 32830 58275 92600 138930 201440 285790
MonatlicheSparrate100€ Zinssatz 4% 5% 6% 7% 14725 15530 16390 17300 36670 41100 46200 52100 69400 84225 100450 122000 118190 152600 199150 262480 190935 266860 378720 544800 299380 455050 705430 1112190 461050 765000 1299840 1252420
Wenn Sie 30 Jahre lang monatlich 100 Euro sparen, dann erhalten Sie bei 6 Prozent Zins 100.000 Euro (und ein bisschen mehr; siehe Tabelle) Und da wir hier übers Altern und das Sparen und über die Rente sprechen: Schauen Sie sich die Ergebnisse an! Nehmen einen beliebigen Betrag und teilen Sie ihn durch 200. Das ist Ihre Rente aus dem vorhandenen Kapital. Ein Beispiel: Teilen Sie einmal 100.000 durch 200 = 500. 500 ist Ihre lebenslange Rente. 500 Euro. Wie viel mal brauchen Sie, ja: Sie, 500 Euro, um später über die Runden zu kommen? 4 x 500? Also 2.000 Euro: Das wären dann 4 x 100.000 Euro, 400.000 Euro, die Sie ansparen müssen oder in diesem Falle 400 Euro Sparrate, im Monat. Das oben Gesagte gilt, wenn Sie 30 Jahre lang sparen. Besser gesagt: Wenn Sie noch 30 Jahre Zeit haben zu sparen. Haben Sie nur noch 20 Jahre Zeit? Kein Problem: Verdoppeln Sie Ihren Einsatz und es passt. Das glauben Sie nicht? Schauen Sie bitte noch einmal in die Tabelle bei 6 Prozent und 20 Jahre: 46.200 Euro bedeuten im Vergleich zu 100.450 weniger als die Hälfte! Also: Verdoppeln Sie. Wie beim Pokern: Doppelt oder nichts!
8.3.1.1
Laborwerte des Normalos: Sparquote zu niedrig, Inflation überhöht
Wie viel Rente kriege ich später eigentlich? Wir wollen hier eine Grundlage schaffen! Lassen Sie uns einmal einen Modellfall betrachten, der in abgewandelter Form in Deutschland rund 80 Millionen mal entweder anzutreffen war, ist oder sein wird: Alle sind betroffen! Sollten Sie im Folgenden mehr oder weniger Einkommen haben: Rechnen Sie im Dreisatz.
Eigenvorsorge
125
Lasset uns rechnen176: Ein Durchschnittsverdiener177 hat zurzeit 2.573 Euro Bruttoeinkommen. Das sind (je nach Familienstand, Steuerklasse und Kinderzahl) rund gerechnet 1.600 bis 1.900 Euro netto zum Ausgeben. Zusätzliches Kindergeld rechnen wir nicht ein, weil nicht bedeutsam für die Rente. Wir rechnen hier der Einfachheit halber mit 1.800 Euro Nettoeinkommen weiter. Diesen Durchschnittsverdiener nennt die Deutsche Rentenversicherung „Eckrentner“, der 45 Jahre lang durchschnittlich verdient und der deshalb jedes Jahr rund 27178 Euro Rentenanwartschaft erwirbt. In 45 Jahren Beitragszahlung in die Gesetzliche Rente ergibt das gerundet 1.200 Euro Rentenanspruch mit 65 (oder für die Jahrgänge ab 1964: mit 67). DamitistdieRentenformelerklärt. War das schwierig, liebe Journalisten, Schulungsreferenten, Verbraucherschützer? Ich glaube nicht. Wenn man sich zusätzlich merkt, dass die oben genannten 1.200 Euro des künftigen „Eckrentners“ bis zum Jahr 2030 um etwa 20 bis 30 Prozent sinken werden, dann ist man fast schon Rentenprofi. Dauer der Schulung: 60 Sekunden! Warum sinkt der künftige Rentenanspruch? Das macht der „Nachhaltigkeitsfaktor“, der die künftigen Renten in dem Maße senkt, wie sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern verschlechtert. Am Beispiel des Eckrentners: Neurentner des Jahres 2009 gehen mit 1.200 Euro in Rente; die künftigen Neurentner des Jahres 2030 kommen nur noch auf rund 1.000 Euro Rente, Tendenz fallend. Solange, bis die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre, die so genannten Babyboomer, ausgestorben sind. Das mit dem Nachhaltigkeitsfaktor steht aber NICHT in der allfälligen Renteninformation der Deutschen Rentenversicherung, weil der Bevölkerungsschwund keinen rechtlichen Tatsachenstand erlangt hat. DasmitderRente selbst (!) zu rechnen geht aber noch einfacher – auf dem Bierdeckel (womit sich der CDU-Politiker und wirkliche Finanzexperte Friedrich Merz mit der Steuererklärung leider nicht durchsetzen konnte):
176
Gerundete Zahlen; Sozialversicherungskennzahlen 2009.
Das ist das Bruttomonatseinkommen des Durchschnittsbeitragszahlers in der Deutschen Rentenversicherung. 177
178 Exakter Rentenwert 2009: 27,20 Euro (Ost: 24,13 Euro) = 1,0 Entgeltpunkte im Sinne der Rentenformel.
126
Kapitel 8
Machen wir ein Beispiel: Ein Mensch verdient 3.000 Euro brutto. Die teilen wir durch 100. Das Ergebnis ist: 30. Das nehmen wir mal 40 (Arbeitsjahre, die kaum noch einer schafft) und kommen auf 1.200 Euro Rentenanspruch – vor Steuern, höchstens. Wie viele Bäume könnten noch leben, wenn so genannte Fachleute sich um Verständlichkeit bemühten?
Eigenvorsorge
127
Also: rund 1.200 Euro Rente stehen 1.800 Euro als letztem Nettogehalt gegenüber, das der Neurentner bis einen Monat vor der Rente bezogen hat. Das sind die berühmten 67 Prozent Versorgungsgrad, die der fleißige Beitragszahler erwirtschaften kann, und auf die die Deutsche Rentenversicherung stolz ist und die sich deshalb als Versorger der Nation geriert. Da hat sie Recht: Sie ist nach wie vor der Hauptversorger der Deutschen, aber auch sie kann nichts gegen die Demografie oder schlechte Sozialgesetzgebung ausrichten – und sie darf kein Geld drucken! Selbst wenn der oben genannte Wert 67 Prozent stimmte, rechnerisch stimmt er ja; aber selbst wenn er sich in der Realität bewahrheiten würde, weil ein Arbeiter oder eine Arbeiterin 45 Jahre lang nach heutigem Stand 2.573 Euro Brutto-Durchschnittseinkommen erzielt: Seit dem ersten Januar 2005 und dem Alterseinkünftegesetz gilt jede genannte Staatsrente vor Steuern! Vor Steuern! Das heißt: in der der Vergangenheit waren 1.200 Euro Rente = 1.200 Euro Nettoeinnahmen (über Abzüge für Krankenversicherung ist gesondert zu reden), weil das daraus „zu versteuernde Einkommen“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes unter dem Existenzminimum lag. Steuerlast: Null. Das galt auch für die wenigen Glücklichen mit 2.000 Euro Rente! Spätestens die Rentnerjahrgänge ab 2040 müssen die Rente voll versteuern. Steuerlast für unseren Eckrentner dann: gut 120 Euro im Monat. Rentner mit 2.000 Euro Staatsrente müssen dann monatlich gerechnet um die 350 Euro an Steuern abführen. Viele Menschen kommen wegen Ausbildung und Arbeitslosigkeit nur auf 35 bis 40 Beitragsjahre. Das bedeutet bei zwar gleichem Durchschnittsverdienst von 1.800 Euro netto (aber eben nur 35 oder 40 Jahre lang statt 45) einen späteren Rentenanspruch von 945 bis 1.080 Euro. Steuerlast dann: immer noch 55 bis 70 Euro im Monat. Selbst vor Steuern sind das bei 945 Euro Rente gerademal 53 Prozent Versorgungsquote. Auf Deutsch: Das Nettoeinkommen des Neurentners hat sich mit Renteneintritt halbiert. Unter Experten gelten für das Jahr 2040 tatsächliche Versorgungsquoten von knapp über 40 Prozent als realistisch, gut 700 Euro Rente statt 1.800 Nettoeinkommen! Merken Sie sich einfach: Die Rente wird halbiert; das ist am leichtesten im Kopf zu behalten.
8.3.1.2
Finanzielle Schnell-Alphabetisierung
Rechnen wir andersrum: Wie viel Geld braucht der heutige Durchschnittsverdiener denn später? Wenn wir zum Beispiel mit 2,25 Prozent Inflation rechnen und 30 Jahre in die Zukunft schauen: Aus 1.200 Euro Rentenanspruch im Jahre 2009 werden im Jahre 2039 etwa 600 Euro Kaufkraft. Punkt!
128
Kapitel 8
Auf den heutigen Durchschnittsverdiener bezogen heißt das: Wenn er heute 1.800 Euro zum Ausgeben braucht und sich diese Kaufkraft erhalten will, dann braucht er in 30 Jahren und bei 2,25 Prozent realistischer Inflation später mehr als 3.600 Euro Nettoeinnahmen, nach Steuern (und Krankenversicherung!). Und wie lange arbeiten die Deutschen. In der Regel 35 Jahre? Länger „schafft“ kaum ein Akademiker, der länger studiert. Viele Deutsche erleiden durch Krankheit, Arbeitslosigkeit und Zeiten der Selbstständigkeit Einbußen. Keine Diskussion: Wenn man sich real existierende Rentenverläufe ansieht, dann kommt kaum jemand auf, sagen wir mehr als 35 Jahre, in denen er oder sie den normalen Beitrag eingezahlt hat. Rechnen wir also mit 35 „Voll“-Beitragsjahren in der Gesetzlichen Rente. Und: Rechnen wir mit einem Durchschnittsverdiener in der Gesetzlichen Rentenversicherung: Die gesetzliche Rente bringt (35 Jahre x 27,20 Rentenfaktor im Jahr 2009) etwa 1.000 Euro. Jährlich mutig 1 Prozent Rentensteigerung unterstellt, sind das bis 65 oder 67 etwa 1.200 Euro Rente. Nominal, also vor Inflation gerechnet, 3.600 Euro braucht der Normalverdiener, das heißt: 2.400 Euro Einnahmen sind zusätzlich zu finanzieren, sind anzusparen.
Eigenvorsorge
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2.400 Euro Zusatzrente entsprechen in etwa einem Kapitalbedarf von rund 480.000 Euro. Ist der Sparer bereits 37 Jahre alt, entsprechen 480.000 Euro Sparziel bei 5 Prozent Verzinsung einer monatlichen Sparrate von 570 Euro oder knapp 30 Prozent seines heutigen Nettoeinkommens. Spardauer 30 Jahre. Hätte der Sparer mit 27 begonnen, dann wären nur knapp 320 Euro oder 17 Prozent vom Nettoeinkommen nötig. Spardauer 40 Jahre.
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Kapitel 8
Und hätte unser Sparer mit 20, direkt nach der Lehre, mit dem Sparen angefangen und 47 Jahre lang konsequent durchgespart, könnte er sich heute auf einer Sparrate von 210 Euro quasi „ausruhen“, weil diese Sparrate nur 12 Prozent seines Einkommens von 1.800 Euro entspricht. 12 Prozent vom Nettoeinkommen: Das sind Sparraten, die inzwischen viele Menschen in Deutschland aufbringen: Aber zu spät. Und weil zu spät, sind 12 Prozent zu wenig! By the Way: Was würden Sie, liebe Leserinnen und Leser sagen, wenn ein „Eckrentner“, also ein Durchschnittsverdiener in der Gesetzlichen Rentenversicherung, seine Altersversorgung für 74 Euro sichern könnte? 74 Euro, nur 74 Euro?! Das ist unmöglich! Das ist möglich. Kein Problem: Nur müssten seine Eltern für ihn oder sie als Säugling mit dem Sparen angefangen haben. Die Eltern! Das heißt: Monatlich fließen 74 Euro 67 Jahre lang in den Sparstrumpf. Bei 5 Prozent Zinsen ergibt das 480.000 Euro! (Die Inflation lassen wir netterweise außen vor, es ist dennoch ein Batzen Geld) Es bleibt dabei: ein Durchschnittsverdiener braucht rund 480.000 Euro für seine Zusatzversorgung im Alter, wenn er außerdem 35 bis 40 Jahre lang in die Gesetzliche Rente einzahlt. Sollten Sie als Leser betroffen sein: Bis 5.400 Euro Bruttoeinkommen brauchen Sie als Angestellter nur einen Dreisatz zu 2.575 Euro Durchschnittseinkommen zu bilden. Wenn Sie
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also 5.100 Euro brutto verdienen: Verdoppeln Sie die genannten Beträge. Sie brauchen 960.000 Euro, sobald Sie in Rente gehen! Wohl bemerkt und fachlich korrekt: Nach heutiger Kaufkraft! Bitte rufen Sie einen versierten Finanzberater an, der dieses Buch als Referenz vorweisen kann. Ihre Ausgabe dieses Buches und seine Ausgabe dieses Buches sind der Schlüssel. Es gibt geeignete Zweitschlüssel: Das Buch „Alter, ist das herrlich“, das ich mit meinem Freund und Kollegen Jürgen Hauser geschrieben habe, in welchem wir die Zusammenhänge von Demografie, Sozialpolitik und privatem Sparen erläutert haben (mit „Waschzettel“ zum Sparen). Dort wird auch im Einzelnen auf die Sparprodukte eingegangen. Einen Generalschlüssel hat zudem mein Freund, Trainer und Autorenkollege Bernd W. Klöckner®179 entwickelt, dessen Veröffentlichungen in seinem bisherigen Lebenswerk einen ganzen Schlüsselsatz zum Verständnis von Geld und Sparen bilden. Gerade Bernd W. Klöckner®, einer der profiliertesten Verkaufstrainer der Finanzbranche, der seine mittlerweilen zweifelsohne legendären und nachweislich erfolgreichen Rechentrainings für „Profis“ anbietet (Details unter www.berndwkloeckner.com), aber auch der Finanzanalytiker Volker Looman (der in der F.A.Z. seit über zehn Jahren Rechenbeispiele veröffentlicht) müssen sich in Talkshows, Chats oder Internetforen zum Thema Geld und Rente regelmäßig teilweise beschimpfen lassen. Sie müssen sich dafür beschimpfen lassen, dass sie nichts anderes tun als eine naturwissenschaftliche Tatsachen nachvollziehbar zu erklären: Die Zinsformel! Die (Geld)Welt musste auf Bernd W. Klöckner® - der zudem offizieller erster Geldlehrer Deutschlands ist - warten, damit dieser einen Taschenrechner180 entwickelt, der Sparen leichter macht! Ein Taschenrechner, der das Sparen leichter macht? Ja. Klöckners Taschenrechner „BWK Business®“ ist meinem Wissen nach der erste und einzige Rechner mit Dynamikfunktion. Neben den wundervollen anderen Funktionen für einfach mehr Kompetenz und Souveränität im Umgang mit Geld. Und das geht so: Wir haben verstanden, dass das Sparen für die Rente sich im Wesentlichen nicht nur auf den eigentlichen Rentenbedarf für später richtet, sondern gegen die Geldentwertung, die Inflation. Wir erinnern: In 30 bis 35 Jahren ist das Geld nur noch die Hälfte wert: Die Kaufkraft hat sich halbiert oder, anders gesagt: Die Preise haben sich im Durchschnitt verdoppelt. Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal an den Aufruhr unter MercedesFahrern erinnern, als der Preis eines Mercedes 200 im Jahre 1977 erstmals die 20.000 DMark-Schwelle überschritt. Heute ist ein vergleichbares Modell kaum unter 40.000 Euro oder 80.000 D-Mark erhältlich. Das ist zum Einen dem technischen Fortschritt geschuldet, zum Anderen aber der Geldentwertung.
179
www.berndwkloeckner.com
180
Bezugsquelle BWK Business-Rechner von Bernd W. Klöckner.
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Kapitel 8
Jetzt wird es spannend: Betrachten wir noch einmal den Säugling, der heute geboren wird und dessen Eltern ab heute 74 Euro in die Hand nehmen und diese in einen Sparplan einzahlen. Bei 5 Prozent Verzinsung werden daraus nach 67 Jahren 480.000 Euro. Jetzt könnte der Eine oder Andere sagen, 74 Euro seien ihm zu viel. Gut. Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Gehalt in den nächsten 67 Jahren im Schnitt um 3 Prozent steigt? Nein; so lange werden Sie nicht arbeiten, sagen Sie. Das stimmt. Also machen wir eine geteilte Rechnung auf. In den ersten 30 Jahren zahlen Sie für den Nachwuchs in die private Zusatz-Rente ein. Ab seinem 30. Geburtstag spart der Junior selbst weiter, die restlichen 37 Jahre lang, o.k.? Dann starten Sie, wenn Sie jährlich um 3 Prozent erhöhen, mit 40 Euro. Geht das noch? Dann tun Sie es! 40 Euro. Wie kommen Sie in diesem Beispiel von 74 Euro „Flatrate“ auf 40 Euro Anfangsrate? Mit der magischen „Dynamiktaste“ auf dem Klöckner-Taschenrechner. Ich nenne sie die „Spar-Start-Taste“.
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Ein weiteres Beispiel: Wir bleiben bei den Zahlen oben: Wenn Ihr Kind bereits 10 Jahre alt ist, wenn also bis zum Renteneintritt noch 57 Jahre Zeit ist, dann sparen Sie ab heute bitte monatlich 70 Euro underhöhen das Ganze jährlich um 3 Prozent. Das sind im kommenden Jahr monatlich 2,10 Euro mehr. Können Sie das schaffen? Ja, Sie schaffen das! (Hinweis: Eine Mindestdynamik von jährlich 5 Prozent ist fachlich korrekt die Mindestuntergrenze an Dynamik) Und ich? O.K., SIE SELBST sind derjenige, für den gespart wird. Sie brauchen die Zusatzrente für sich selbst und: Sie sind 47 Jahre alt: Dann sollten Sie heute mit 405 Euro endlich, endlich, mit dem Sparen beginnen und das Ganze jährlich um 3 Prozent steigern! Wenn Sie die Sparrate nicht steigern können: Kein Problem, dann müssen Sie heute nur mit 575 Euro beginnen. Wohl gemerkt: Das Ganze bezieht sich auf ein Nettoeinkommen von rund 1.800 Euro. Sie bemerken: Das geht nicht. 575 Euro entsprechen nämlich einer Sparquote von über 30 Prozent vom Netto und das kann kaum einer leisten. Deshalb mein fachlich fundierter Rat: Sparen Sie so viel wie möglich, ab heute. Diese Botschaft ist einfach zu verstehen, stimmt’s? TIPP 1: Egal, ob Sie Kunde, Verbraucher, Sparer, Vermittler, Berater oder „Experte“ für Geld sind: In dem Buch „Alter, ist das herrlich“ meines Freundes Jürgen Hauser habe ich das Sparen und die Produkthierarchie ausführlich beschrieben, inklusive eines übersichtlichen Finanzplans. Tipp 2: Es gibt den Bernd W. Klöckner® Finanzrechner nun auch in einer einfachen Variante, dem BWK miniMAX®. Mit diesem kleinen BWK miniMAX® können Sie grundlegende Spar-, Finanzierungs- und Rentenberechnungen in wenigen Sekunden selbst durchführen. Bevor Sie nun denken oder sagen „Oh, das kann ich nicht“, sage ich Ihnen: Bereits 8 und 9-Jährige rechnen mit dem BWK miniMAX® Geldrechnungen. Dann können Sie es zweifelsohne auch, nicht wahr? So genannte, also: genannte, Verbraucherschützer und Verbrauchermagazine (seriöser: „Wirtschaftmagazine“ oder sogar „Unternehmermagazine“) beschäftigen sich täglich mit Risiken und Nebenwirkungen unterschiedlichster Spar- und Anlageformen. So weit so gut. So weit es um das Produkt selbst geht, mag das ja in Ordnung gehen, WENN es in die Finanzplanung des Lesers korrekt eingepasst ist! Aber so lange immer und immer wieder auf den Bezug zum betreffenden Haushalt oder die handelnde, sparende Person verzichtet wird, solange es an der Einordnung in das gesamte Finanzgebilde der Menschen fehlt, so lange schreibt die sorgende Journalie, schreien unwissende „Experten“ ins Leere. Und genau so lange ist es nicht gut. Sonst funktioniert es doch auch: In jeder seriösen Politik- oder Wirtschaftberichterstattung wird neben der aktuellen Meldung („XY-Fluggesellschaft pleite“) der Zusammenhang hergestellt, zum Beispiel dass die betroffene Fluggesellschaft wegen der Kerosin-Preise in die Pleite geflogen ist, dass die Kerosin-Preise wegen der steigenden Nachfrage aus Asien, kriegerischer Zerstörung von Ölproduktionsanlagen und Spekulation steigen.
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Kapitel 8
Seit 2008 erklärt man uns die Finanzkrise. Kaum einer versteht es. Wie wär’s dann zum Abschluss dieser vielen Zeilen und Zeichen für Sie mit einer netten Geschichte, mit der wir alle das mit dem Sparen und er Rendite besser verstehen? Die Geschichte heißt:
Die schöne Rendite will ganz nach oben! „... aber wir kennen uns doch kaum“, sagte die „Schöne Rendite“, als sie erstmals geschminkt werden sollte, damit sie besser ankommt! Das ist die Geschichte der "SchönenRendite", einer jungen Frau mit Lebenserfahrung. Die "Schöne Rendite", oft schnöde als "Rendite" bezeichnet, war eine Besondere: sie tanzte seit vielen Jahren in der chorus line der Zinsformel, dem erfolgreichen Rechen-Orchester. Die schöne Rendite durfte in Bücher, auf CDs, und: sie durfte sogar mit auf die Tourneen. Das war toll! Und am Ende durfte Sie immer als erste und am längsten in die Mitte und sich dem Publikum präsentieren, herrlich. Das Rechenorchester Zinsformel setzte die Schöne Rendite jeden Tag virtuos neu in Szene – La Ola. Natürlich war der Schönen Rendite klar, dass ihre Hoch-Leistung ohne ihre Kollegen Zins und Laufzeit nicht zu machen war. Zins musste immer in Höchstform sein, damit alles klappt, und Laufzeit, der Bursche, musste durchhalten. Das Problem war die „Böse Inflation“, die immer alle Mühen der Gruppe zunichte machen wollte. Trieben Zins und Laufzeit ein Doppelspiel? Konnte man sich auf sie verlassen? Sagen wir’s mal so: Solange sie nicht in Sparbüchern auftraten, waren Laufzeit und Zins zusammen stets besser gewesen als die „Böse Inflation“. Rendite;Zinsund Laufzeit hatten geschworen: Nie, nie wieder würden sie der BösenInflationdie Bühne überlassen. Da kam eines Tages ein so genannter Berater, Markus Rieksmeier, hieß der. Der verlangte von Ihr, der SchönenRendite, dass sie sich alle nun bunt anmalen sollten. Farbe? Farbe! Das wäre ja noch in Ordnung, aber Markus Rieksmeier verlangte von ihr, der „Schönen Rendite“, einer klassischen Künstlerin in einer Jahrtausende alten Rechenkunst, dass sie sich ausziehen solle! Na ja, nicht ganz ausziehen, aber: Sie sollte auf Nummerngirl „umschulen“, künftig im Bikini oder im kleinen Schwarzen in den Rechenpausen auf großen Schildern die Ergebnisse hochhalten: Zum Beispiel „sechs Prozent“. War es das wert? Sechssells, dachte sie sich noch. Markus Rieksmeier meinte, so können man sie besser sehen und verstehen. Aus einem virtuosen Rechenwerk würde dann eine Geschichte erzählt, die von Rendite, Zins, Laufzeit und Inflation. Zinseszins als Chef des Ensembles war zunächst sehr skeptisch. Markus Riekmeier selbst lehrte aber das Geschichten-Erzählen, bislang in Zahl und Wort. Jetzt dann in Farbe und Bild. (geplant: Bewegte Bilder. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll). Kurzum, Zinseszins und Rieksmeier trafen sich, um die ersten Kostüme zu sichten. Zinseszins hatte dem Ensemble Zinsformel zuvor versprochen, ihre Interessen zu vertreten. Und auch „Rechner“, das Superhirn des Ensembles, der vor kurzem den Künstlernamen „TaschenRechner“ angenommen hatte, fand die Idee interessant. Er
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selbst wolle aber schwarzweiß bleiben. Da hatte keiner etwas dagegen. Taschen-Rechner bereitete sich überdies auf einen weiteren Karriereschritt zum „Finanzmathematischen Taschenrechner“ vor. Aus den folgenden Kostümproben mit farbigen – nicht bunten – Kostümen entwickelte sich die neu verstandene Geschichte des Rechnens und der Magie des Erfolges. Völlig neu, lebendiger, noch besser greif- und begreifbar ... sichtbar und anfassbar, weil die Seminare neu erstrahlten und die Rechenbücher, an sich schon Meisterwerke der Klarheit, in mehr Köpfe und Bäuche passten. Man erreichte viel mehr Leute, weil es der Zinsformel und Markus Rieksmeier nun gelungen war, die rechte Gehirnhälfte der Menschen vollends zu erobern. Das war die eigentliche Teamleistung. Sehr, sehr geschmeichelt war die „Schöne Rendite“ davon, dass Markus Rieksmeier ihrem Chef vorschlug, die Teilnehmer seiner Auftritte, die ja stets lehrreiche Tage waren, sollten sie nun auch malen, sie zu malen lernen. Sie, die Schöne Rendite würde dann Zahlungsströme zieren. Sie würde Zinstreppen herabschreiten – elegant. Das konnte sie sich gut vorstellen. Zwar war ihr klar, dass es nicht nur um Schönheit ging, sondern um gelebtes, gelerntes Verständnis ihrer Aufgabe. Aber wäre es nicht schön, wenn alle aus dem Publikum sie und ihren Kurs vermarkten würden? Ja, die Menschen sollten sie malen! Sie sollten es lernen. Im ersten Schritt gäbe es eine Art „Malen nach Zahlen“, für den Betrachter unsichtbar vorbereitete Papierbögen mit eingeteilten Flächen und Bezugpunkten. Und wer zwar Linien und Kästchen zeichnen konnten, aber keine Männchen, dem half ein Bogen mit Abziehbildern von ihr und ihren Freunden (Rendite, Zins, Laufzeit, Inflation). Herr Rieksmeier half, den Menschen die Darsteller zu erklären:
႑Zinseszins:Effekt und Chef der „Zinsformel“ (hat seine Karriere vor vielen Jahren als „Laufzeit“ begonnen)
႑Zins: ein gut gelaunter Arbeiter, immer was zu tun; arbeitet 360 Tage im Jahr. ႑Rendite: Die Hauptdarstellerin, so schön, wenn man sie umwirbt und hegt. Manchmal negativ.
႑Inflation:böse, immer etwas ernst und depressiv. Unbeliebt, gehört aber dazu. ႑Laufzeit: der Renner, der aber stets Motivation braucht, um nicht anzuhalten. Hat einen gefährlichen Gegner.
In Büchern sollten diese fleißigen Arbeiter mehr sein als bunte Bildchen. Sie würden an jeder Stelle die Erklärung unterstützen, ja: sogar abkürzen können. Sozusagen als Wahrer und Mahner des Erfolges. Jedes Rechenbuch für Kinder und, ganz neu, für Erwachsene, bekäme eine Art Materialausgabe (diese Aufgabe würden sie sich teilen), an der sie dem Leser auf bestimmten, wichtigen Seiten Tabellen aushändigen würden, die im Buch zwar auch gedruckt sein sollten, aber als schöne Handschrift wie Merkzettel gestaltet! Oben drauf
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Kapitel 8
klebten aber auch noch Haftnotizen mit eben demselben Inhalt, die die Leser sich in Kalender, Beratermappe, Auto – ja sogar an den Kühlschrank und den Rasierspiegel – kleben konnten und sollten. Für die Allerdümmsten hatten die „Schöne Rendite“ und ihre Freunde sogar kurze Arbeitsblätter vorbereitet, die in den Büchern bemustert und von den Lesern nachbestellt werden konnten. Das würden möglicherweise nicht viele tun, aber die Wirkung des Buches würde sich vervielfachen. Die „Schöne Rendite“ merkte nach den ersten Proben zu Buch und Bühne bald, dass man ernste Stücke, ursprünglich erfolgreich für Finanzberater und Sparer geschrieben, nun auch dem einfachen Volk vermitteln konnte. Rechnen konnte zum anspruchsvollen Volkstheater werden. Ihr Chef, Herr Zinsformel, soll Rieksmeier sogar einmal dabei ertappt haben, wie dieser von Rechenshows faselte ... So’n Blödinn: Als wenn TimMälzer ein bekannter Koch wäre und ‘ne eigene Show hätte. Fürdererst überlegten sie nun ernsthaft, dem Volke einen ersten Schritt entgegen zu gehen. Alle trafen sich und sichteten ihre Abonnenten und Dauerkunden, denen sie ein fantastisches Angebot machten: Rechnen für NichtRechner. Aber machten sie doch schon seit Jahren! Stimmt; für Finanzberater in Banken, Versicherungen und alle, die beruflich rechnen sollten, es aber nie richtig konnten. NEIN: gemeint waren die ganz normalen Memschen. Herr Rieksmeier sagte, das sei der Zugangsweg über Firmenkunden an deren Mitarbeiter zu kommen, quasi der erste „halbprivate“ Schritt zum Privatkunden, zum Volk! Am Ende würden alle Beteiligten dem Volk das Rechnen beibringen am Beispiel ihrer Altersvorsorge. ..... Buch, Kurs, Platte, Film, TV-Show, Kinofilm. Zinsformel auf Bettdecken, Kaffeetassen. Ja: Und auf einem Starschnitt. Zinsformel sprach mit seinem Team übder die neue Rechen-Show: Die „Schöne Rendite“ sagte, ihr könne das gefallen, ganz groß rauskommen, da war sie sehr ehrlich, wie immer! „Zins“ sah nur mehr Arbeit, sagte aber auch: „könnte sich lohnen, die Mühe“. „Laufzeit“, zwar wie immer müde vom Zinstragen, konnte sich allerdings vorstellen, SubUnternehmer zu engagieren, Junior-Läufer mit Beruferfahrung, dann läge die Last auf mehrere Schultern verteilt. „Inflation“ gähnte: „Meine Arbeit macht sich doch von alleine. Nur zu mit Euren Ideen“. Etwas fehlt: Zinseszins grübelte. Es schien alles so toll, aber ihm fehlte etwas. Etwas fehlte ihm. Das Team war nicht vollständig. Zum großen Auftritt gehörte mehr. Er hatte zwar verstanden, dass Bilder, Bilddarstellungen, handgeschriebene Tabellen und Listen – auch als herausnehmbare PostitZettel – und MalkursSegmente (für Verkäufer), möglicher weise um pinups von der „Schönen Rendite“ und Zins etc. ergänzt, sein Dienstleistungs-Universum verbreitern würden.
Kaspar Hauser - Fortsetzung
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Aber das Volk? Der Weg zum Volk? Wer oder was steht dem Volk entgegen, um Rechnen und Sparen zu verstehen, zu lernen und es endlich zu tun? Für das Volk hatte die Story zu wenig. Bösewichte gab es zwar, aber die „BöseInflation“ war lahm und langweilig, trotz Farbe ein Darsteller mit zu wenig Ausdruck – wer fehlte? Wen konnte das Volk anfeinden, wen wollte es besiegen, sterben sehen und sich an seinem Leid ergötzen??? Markus Rieksmeier schlug Zinseszins und dem Zinsformel-Theater ein Casting vor. Man schaltete Anzeigen: Es bewarben sich viele und am Ende stand ein völlig durcheinandergewirbelter Haufen einzeln nacheinander vor dem Casting-Komitee: Die erste war die „Leidensfähigkeit“, die sich allerdings als starker, schier unüberwindlicher Gegner des Volkes gerierte. Urteil: zu stark besetzt und viel zu traurig, der „Inflation“ emotional zu nah. Ein zwar böser, aber entschlossenerer Antagonist (Gegner) des Sparens wurde gesucht, der Blofeld des Geldes, der Dr. No des Sparens, dem die „Schöne Rendite“ im Auftrag ihrer Majestät das Handwerk legen sollte. Der Nächste war „Geiz“, stark, stur, wortkarg. Das wäre eine weitere Fehlbesetzung, ausserdem farblos. „Not“ stellte sich als Zwillingsschwester der Leidensfähigkeit heraus – Absage. „Angst“ war gelähmt und konnte nur mühsam die Gemüter bewegen – ausdruckslos. Um das abzukürzen: am Ende des Castings fand man ein Tier, dass in keinem Biologiebuch vorkommt. Es ist zottelig wie ein Bär, hat aber einen dicken unbehaarten Bauch, geht aufrecht, rülpst und ärgert jeden und alles in seiner Umgebung. Es ist gefrässig, laut und aufdringlich. Es braucht eine starke Hand, um ihm seinen Platz in der Szene zuzuweisen. Das beste war allerdings, dass dieses Tier ohne Honorar arbeiten wollte. Vorhang auf für
Den „Inneren Schweinehund“! Man nahm sich vor, den „Inneren Schweinhund“ für die Volksauftritte fest zu buchen um ihn gegen die „Laufzeit“ antreten zu lassen – in einer bühnenreifen Rangelei. Aber zum Volksschauspiel des Rechnens war es noch ein langer Weg Merke: Wer nicht spart, muss sparen. Wer nicht rechnet, der wird gerechnet. Und: Sparen in der Rächenkurs gegen böse Blüms und gegen die böse Inflation.
8.4
Kaspar Hauser - Fortsetzung
Zunächst war Kalkül gefragt: Professor Adam Riese besuchte Professor Kalkül für die erste Lektion: Eigentlich wollte Professor Kalkül seinem Namen alle Ehre machen und systematisch vorgehen, also einmal erklären, warum Dementer Finanzieller Analphabetismus , wie
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Kapitel 8
Riese das Problem bezeichnete, zur neuen Zivilisationskrankheit geworden ist. Er wollte mit den Ursachen und den Rahmenbedingungen anfangen. Aber zur Linderung von Rieses Schmerzen, verarztete er ihn auf seine Art und zog als Mathematiker für den umlernenden Psychologen ein Medikament aus der Tasche, das sofort wirkt, wenn man es streng verordnet bekommt und konsequent einnimmt. Also zog er vor:
Die Riester-Rente Das erste Kapitel hieß Riester-Rente, davon hatte Adam Riese schon viel gehört und doch nicht: Kalkül rechnete vor, erklärte, und Riese notierte und fragte nach, zum Beispiel was denn kapitalgedeckte, zulagengeförderte Zusatzversorgung auf Deutsch heiße. „RiesterRente“ sagte da der andere Professor mit Kalkül, denn er hatte aus den Vorgesprächen mit Professor Riese gelernt, dass Fachwissen und seine Vermittlung so etwas wie einen Zugangskanal in Hirn und Herz der Menschen braucht, um ihn zu erreichen. Und weil Kalkül, der unbestrittene Fachmann, nun Blut geleckt hatte, nahm er sich vor, künftig alle Erklärungen in einen Satz zu packen und Fachbegriffe durch greifbare deutsche Ausdrücke in die Umgangssprache zu übersetzen. Riese fragte weiter: „Was hat es denn mit dem Altersvermögenszertifizierungsgesetz auf sich?“ Kalkül: „Das muss man nicht alles wissen. Wollen Sie wissen, warum Ihr Auto die 181 Crash-Test Norm erfüllt hat? Wichtig ist: Das Gesetz ist sozusagen das Kraftfahrtbundesamt für die amtliche Zulassung von Produkten der kapitalgedeckten, pardon, der Riester-Rente. Und da wir schon mal dabei sind, die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist dann der TÜV für Riester und andere Zusatzrenten. „Herr Kollege, merken Sie sich, nur dies“, fährt Professor Kalkül fort: „Bei der Riester-Rente gibt es Zulagen vom Staat geschenkt; das mit den Steuern machen wir später.“ Dann fing Professor Kalkül an zu malen, denn er hatte vom Psychologen Riese inzwischen auch gelernt, dass das Erklären mit Bildern besser funktioniert. Also die Zulagen:
0D[LPDOH=XODJHSD -DKU XQG $E
*UXQG]XODJH (85 (85
.LQGHU]XODJH (85SUR.LQG (85SUR.LQG
Im Jahre 2002 war das losgegangen. Die Folgen einer weiteren Rentenkürzung, die von dem damaligen Sozialminister Walter Riester durchgeführt wurde, sollten die Bürger mit der damals neu eingeführten „Riester-Rente“ ausgleichen können, allerdings gegen Bares. Im Januar 2007 war bereits die dritte Riester-Stufe erreicht. Die Versicherten der Deutschen Rentenversicherung, aber auch Beamte, mussten drei Prozent, seit 2008 bleibend vier Prozent, in eine Riester-Rente einzahlen, um Zulagen zu erhalten.
181
NCAP-Norm: Europaweite Norm für Fahrzeug- und Fußgänger-Sicherheit.
Neunter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
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Es war wie ein Wunder. Kalkül verstand es auf einmal, aus einem Zahlenwirrwarr echte, brauchbare Informationen zu machen. Offenbar fehlten diesen Fachleuten der ihm so fremden Disziplin „Geld und Finanzen“ die Sparringspartner, an deren Rückmeldungen man sich als Lehrer orientieren kann (wenn man darauf achtet!).
Bilder, Klarheit und Kürze Riese, der als Psychologe in der Beobachtung des eigenen Körpers geschult war, stellte Linderung seiner Krankheitssymptome fest. Das Rezept für das Wundermittel gegen den „Dementen Finanziellen Analphabetismus“ (DFA) schien sich grundsätzlich aus drei Komponenten zusammenzusetzen: Bilder, Klarheit und Kürze. „Bildungswürze“, wie er gleich zu sich selbst sagte. Professor Kalkül lachte herzlich auf, denn Adam Riese hatte es laut zu sich gesagt. „Gut, Riester-Rente. Wer kann die machen?“ fragte Adam Riese, bereits den Taschenrechner in der Hand wiegend. Kalkül runzelte die Stirn, um aufzudrehen. Er hob zu einer ausartenden Erklärung an, die er mit einer weit ausladenden Geste seiner Hand einleitete, was Riese vermittelte: Das wird jetzt dauern. Doch da sagte Kalkül kurz und bündig: „alle Beamten und alle, die Pflichtbeiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, das war’s.“ Ergänzend fügte er an: „Das betrifft auch Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger, pro Nase 154 Euro im Jahr, für Kinder gibt’s 185 Euro dazu“. „Das war’s? Das war Riester? Ist das alles?“ stammelte der Psychologie- den Rechenprofessor. an. „Ja, mehr gibt’s nicht zu wissen, im Wesentlichen; allerdings ist bei 2.100 Euro im Jahr Schluss“. „Sie können aber mit dem Geld „für Riester“, haha, auch Steuern sparen. Wenn das mehr hilft als die Zulagen, kommt das obendrauf; vollautomatisch. Bürokratie hat auch Vorteile!“ Wird fortgesetzt …
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8.5
Kapitel 8
Neunter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
24 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2033. Bis zur Rente sind es noch 11 Jahre. AdamRiese: 46.339 Euro. Er spart immer noch 100 Euro mittels Dauerauftrag. Kaspar Hauser, der Kaspar Hauser in uns allen: Null. NACHHOLRATE: 526 Euro – im Monat.
8.6
Lösungen der Finanzindustrie
8.6.1
Die PET-Shop Boys
Beratung zur privaten Pflegeversicherung: „Herr Kunde, den Pflegetarifen PET und dem PT3 haben wir den PT0 hinzugefügt, so dass Sie die Möglichkeit haben, neben dem PET mit dem PT0 eine Anwartschaft zu schalten, die Sie bis zum 60 Lebensjahr ohne neue Gesundheitsprüfung in den PT3 umwandeln können. Dadurch hat der Kunde die Möglichkeit, sich einen Pflegeschutz so zu ermöglichen, wie er ihn braucht.“ Interne Veranstaltung: Es war der 19. Januar 2006: Jahresauftakt der Ich-weiß-nicht-mehr182 wer-es-war-Versicherung in Fruststadt . 80 Vertreter und ihr großer Ortsvorsitzender treffen sich, um sich gegenseitig Mut für das neue Geschäftsjahr zu machen. Der Vorsitzende verkündet die Ergebnisse der Besten (Beifall) und der Schlechtesten (höflicher Beifall). Zwei Stunden lang fahren nacheinander bis zu 20 Textzeilen in die PowerpointPräsentation, so dass die Teilnehmer längst vor dem Referenten fertig sind. Pause, Fanfaren, zweiter Teil. Es betreten die Bühne: die Direktionsbevollmächtigten Wanderprediger 183 des Kooperationspartners der Vitalix -Krankenversicherung, um sich gegen den erklärten Willen des Publikums mit der Pflegeversicherung auseinanderzusetzen und monologisieren abwechselnd: Dazu ein Vorwort: „Experten“, die keine Ahnung haben und die sich um ihr Publikum nicht scheren, reduzieren beim Vorlesen von Folien oder Computerpräsentationen seit 1995 die Begriffe „können“, „dürfen“, „erlauben“, „berechtigen“ auf die sprachliche EinDimension: „...habenSiedieMöglichkeit...“,
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Name des Versicherers und Ort der Veranstaltung von der Redaktion entstellt.
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Name an den Haaren herbeigezogen.
Lösungen der Finanzindustrie
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so dass fachliche, geistige und fleißige Armut mit sprachlicher Beliebigkeit bedeckt werden. Ferner „ ... haben Sie die Möglichkeit ... “ bei dauernder Anwendung eine narkotisie184 rende Wirkung zu erzielen, die beim Publikum bis zum Pupillenstillstand mit einhergehender Kritikunfähigkeit führt. So genannte „Anfangsverschlechterungen“ wie in der Medizin, wo die Gabe von Medikamenten manchmal zunächst die Beschwerden erhöht, werden von den Referenten billigend in Kauf genommen: Langeweile! (aber der Schlaf tritt ja bald ein). Dennoch ist es durchaus als sprachliche Kunst zu werten, dass Referenten die Formel „ ... haben Sie die Möglichkeit ... “ beim VORLESEN verwenden, obwohl ausgerechnet diese Worte gar nicht auf der Folie stehen! Hauptteil: Hier kommen jetzt gerafft Auszüge aus dem Text der Pflegeversicherungsspezialisten und ihren Pflegeversicherungstarifen: „DemPETunddemPT3habenwirdenPT0hinzugefügt,sodassSiedieMöglichkeithaben,neben dem PET mit dem PT0 eine Anwartschaft zu schalten, die Sie bis zum 60 Lebensjahr ohne neue GesundheitsprüfungindenPT3umwandelnkönnen.DadurchhatderKundedieMöglichkeit,sich einenPflegeschutzsozuermöglichen,wieerihnbraucht.“ Zielgruppengerechte fachliche Ergänzung für den Vertrieb (Vertrieb muss immer mehr wissen als der Kunde): 185
Sie haben dadurch im Vertrieb die Möglichkeit, über CrossSelling mehr Geschäft zu machen; vorausgesetztderPETwirdmitmaximal60EuroTagegeldabgeschlossenunddasGesamttagegeld ausPT3undPETübersteigt100EuroproTagnicht.Siesehen,allesistmöglich.Fragen?Nein. Schluss: Nach vier Stunden, als sich die Teilnehmer verabschieden, werden zwei Dinge klar: Der erste Teil der Veranstaltung war die dramaturgische Einleitung für die PET-Shop Boys und der warme Pausensnack eigentlich das vorgezogen, jetzt kalte Mittagesse … nur war es am Ende zu wenig. Aber das Hotel ist Kunde und mit Kunden macht man angemessene Gegengeschäfte. Der Autor dieser Zeilen war Teilnehmer dieses Events und findet: So schlecht wie das Hotel war, hat es der Veranstaltung angemessen Dienst geleistet. Im Ernst: Die Pflegeversicherung ist ein wichtiger Bestandteil der Altersversorgung, weil Pflegekosten entweder die Rente erheblich „lindern“ und deshalb über eine Zusatzversicherung bereitgestellt werden müssen. Und da es Gott sei Dank nicht jeden trifft, aber doch viele, ist Versicherungsschutz erheblich günstiger als ein teurer Sparvorgang. Schon die normale Altersvorsorge verlangt erhebliche Sparanstrengungen, ab heute!
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Einschläfernde.
Cross-Selling: das heißt, dem Kunden neben der Kaffeemaschine auch den Kaffee, die Arbeitsplatte, die Küche und das Haus und das Grundstück zu verkaufen, auf dem Öl gefunden wird, direkt neben dem als verschollenen geltenden Bernsteinzimmer. 185
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Kapitel 8
Was haben die PET-Shop Boys nicht verstanden? 1. das Fachliche, 2. die Übersetzung, 3. den sprachlichen Zugang zu unbescholtenen Versicherungsvertretern und 4. die Einordnung des Einen zum Anderen. „Heute verkaufen wir mal Pflege“(-versicherung) an den Vertrieb, geht nicht! Heute verkaufen wir mal „Riester“ an Vertrieb oder gar Kunde: geht nicht, schon lange nicht mehr! In vielen Produktentwicklungsabteilungen werden Produkte entwickelt, die mit den Bedürfnissen des Kunden und ihrem Mittler, dem Vertrieb, wenig zu tun haben. Der PETShop der Vitalix Krankenversicherung und ihre insgesamt vier Pflegeversicherungstarife sind zustande gekommen, weil der Vertrieb sie gefordert hat. Wurden diese vier (!) Pflegeversicherungstarife tatsächlich„mitundfür“ den Vertrieb und seine Kunden entwickelt? NEIN. Was war geschehen?
Der Doppel-Blindtest
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:
Die Vitalix Krankenversicherung war mit dem Absatz ihrer Pflege-Tarife unzufrieden und fragte den Vertrieb, woran es liegt, per Email. Außendienstler sind fleißig, immer am Kunden, und haben keine Zeit, Emails zu beantworten. Emails beantworten bringt kein Geld. Dennoch bekam die Vitalix Antworten auf ihre Produkt-Umfrage, immerhin zehn Prozent der Vertreter antworteten. Wer antwortete? Produktgeile, die faulen Außendienstmitarbeiter, die wegen Angelegenheiten der Selbstverwaltung, der „Fortbildung“ und wegen des Übens von Kundenkarteitricks sowieso keine Zeit für Kunden haben. Natürlich sagen diese faulen Verkäufer nicht „wir waren zu faul“. Sie sagen: „Uns fehlt noch das Spezialprodukt für XYZ“. Das wird dann von den Mathematikern der Vitalix Krankenversicherung „vertriebsorientiert“ entwickelt (übrigens kostet die Entwicklung eines neuen Versicherungstarifs bis zu einer Million Euro!). Im Ergebnis stagniert der Absatz auf niedrigem Niveau, weil es nicht an Produkten, sondern an Vertrieb hapert. Ist das eine übertriebene Darstellung? Nein: Isoliert auf die faule Gruppe der Verkäufer bezogen stimmt dieser Befund. Der Versicherer weiß nicht was die Kunden brauchen und er weiß nicht, was der Vertrieb braucht, weil er die falschen Leute fragt, oder besser gesagt: Weil er von den falschen Leuten Antwort erhält. Oder noch besser: weil er sich an den falschen Antworten der falschen Leute „erhellt“. Doppelt Blind. Aber es gibt ja noch die fleißigen Leute im Vertrieb. Nehmen wir einmal an, auch die Fleißigen geben brauchbare, wahre Rückmeldung und es fehlte wirklich ein vernünftiger Pflegeversicherungstarif und der würde entwickelt. Nehmen wir ferner an, man braucht tatsächlich insgesamt vier Tarife für die Pflegeversicherung (oder die Riester-Rente oder
186 In der Pharmazie ein Instrument, um die Wirksamkeit neuer Medikamente zu testen, bei dem eine Hälfte der Patienten das neue Medikament, die andere Hälfte ein Placebo (wirkungslose Tabletten) bekommt. Die Ärzte erfahren erst am Ende aller Behandlungen, welcher Patient in welcher Gruppe war.
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die Rürup-Rente oder die Privatrente oder für die Betriebsrente ). Dann werden bekanntlich bis zu einer Million Euro in die Produktentwicklung gesteckt: 950.000 Euro für Mathematik, EDV und Rechtsfragen, 49.000 Euro für die Prospekte und 1.000 Euro für eine ausgefeilte, vollständige Vertriebspräsentation, die mit folgenden Worten beginnt: „DemPETunddenPT3habenwirdenPT0hinzugefügt,sodassSiedieMöglichkeithaben,neben dem PET mit dem PT0 eine Anwartschaft zu schalten, die Sie bis zum 60 Lebensjahr ohne neue GesundheitsprüfungindenPT3umwandelnkönnen.DadurchhatderKundedieMöglichkeit,sich einenPflegeschutzsozuermöglichen,wieerihnbraucht.“ Im Prospekt steht, zielgruppengerecht: „DemPETunddemPT3habenwirdenPT0hinzuge fügt,...“ Dem Kunden wird erklärt: „DemPETunddemPT3habenwirdenPT0hinzugefügt,...“ Daraufhin wendet sich der Kunde samstags händeringend an einen anderen Verkäufer. Der sagt: „FreudeamFahren!“ Der Kunde fragt nach: „BMWM3?“
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Der Verkäufer sagt: „JA“ Bedarf geklärt, Bedarf gedeckt. Kunde glücklich, Verkäufer glücklich. Der Aufschwung ist da. Sie sehen, Produktgeilheit funktioniert – aber leider nicht in der Finanzdienstleistung. Zurück zur Vitalix Krankenversicherung. Gibt es fleißige Verkäufer? Ja. Gibt es faule Verkäufer? Ja. Sind Verkäufer faul geboren? Nein. Faul werden sie gemacht durch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz: hier durch die Wirkstoffgruppe der neuen „PET“Substanzen. PET-Flaschen, sozusagen. Solange Finanzdienstleister Kunden für ihre Produkte suchen werden sie scheitern. Solange Finanzdienstleister die Produkterläuterungen mit einem Chinesisch-Kurs verbinden, werden sie scheitern. Umgekehrt: Sobald Finanzdienstleister anfangen, für ihre Kunden die geeigneten Produkte zu suchen und dann geeignet entwickeln, begeben sie sich auf die Erfolgsspur: dann entsteht eine gemeinsame Zielrichtung und der Verkäufer darf seine verdiente Provision ohne Missgunst einstreichen. Sobald die Versicherungsverkäufer, aber auch die Bank- und Fondsverkäufer beginnen, den Kunden zu erklären, wie ihr Bedarf aussieht, was sie mit dem Produkt machen können, werden sie ihre Akzeptanz beim Kunden erhöhen – besser gesagt: wieder herstellen. Die Voraussetzung hierfür ist die Aufgabe von Eitelkeiten bei Produktanbieter und Verkäufer.
187
Wird fortgesetzt.
188
Spitzenversion der BMW 3er Reihe: 420 PS.
144
Kapitel 8
Die Grundtherapie heißt „Konzeptberatung“ oder „Gesamtheitliche Beratung“, bei der alle – alle – wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Menschen notiert, ausgewertet und behandelt werden. Allgemein-Finanzberater sollten hier erkennen, ab wann an den FachFinanzberater für Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung oder für die Baufinanzierung überwiesen werden sollte, der mit finanziellem Attest und Rezept zurück überweist. In der 189 Medizin, vor allem in der untergegangenen DDR, ist dann von Polykliniken die Rede. Bei den „Fachärzten“ der Finanzindustrie sieht das noch viel zu oft so aus:
႑Rentenprobleme lindern Versicherer mit Rentenversicherungen, ႑Rentenprobleme behandeln Bausparkassen mit Bausparverträgen, ႑Rentenprobleme therapieren Fondsgesellschaften mit Fondsanlagen, ႑Rentenprobleme kurieren Banken mit Banksparplänen. Hämmer schlagen auch Schrauben in die Wand; Schraubendreher drehen Nägel in die Wand, auch wenn es dauert, weil Nägel keine Schraubnut haben. Und es geht weiter:
႑Immobilien entschulden Versicherer mit Versicherungen ႑Immobilien entschulden Bausparkassen mit Bausparverträgen ႑Immobilien entschulden Fondsgesellschaften mit Fonds ႑Immobilien entschulden Banken mit Sparplänen, pardon: Darlehen. ႑Immobilien kann man auch mit Schrauben zusammennageln. ႑Wir beenden das hier. Für Fehler entschuldigt sich keiner. Banken und Bausparkassen entschulden Immobilien, pardon: tilgen die Hypothek, bei Tod des Kunden mit Restschuldversicherungen. Immerhin hat die Witwe dann eine „Rente aus Stein“, kann das Haus im Falle finanzieller Schwierigkeiten vermieten und dann selbst in 190 die Garage ziehen. Aus diesem Grund wurde der „Wohn-Riester“ erfunden und damit die Bausparkassen nicht weiter Schrauben mit dem Hammer einschlagen müssen. Für Rente und Hinterbliebenenversorgung ist der Facharzt von der Versicherung zuständig. Versicherer zahlen auch noch eine Rente, wenn (wenn!) neben der „Hausversorgung“ auch die Hinterbliebenenversorgung abgesichert wurde. Fondsgesellschaften? ... wollen einen Erbschein, Auszahlung, fertig. Das funktioniert auch, wenn das Geld für die Witwe nicht zum Leben reicht. „Falsch beraten“ beraten haben Sie dann nicht. Nur Geld gesammelt. Den Fehler hat der Versicherungsvertreter gemacht. Ja?
189
Eine Klink mit allen Fachärzten.
190
Auch die Eigenheimfinanzierung ist inzwischen in die Riester-Förderung einbezogen.
Lösungen der Finanzindustrie
145
Sind Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften böse? Nein. Ihre Produkte sind, bitteschön, geeignet einzusetzen, von Fachleuten, die den Blick nach links und rechts nicht vergessen!
8.6.2
Pandemische191 Ordnungsflut!
Hinweis: Das Nachstehende sollen Sie ausdrücklich nicht verstehen (Sie erhalten rechtzeitig Hinweis, dass „es wieder gilt“). Sie sollen hier einmal sehen, womit sich Vorsorgeprofis (Anbieter, Erklärer und Verkäufer) tatsächlich tagtäglich rumschlagen müssen, wovon Sie als Kunde im Endeffekt betroffen sind und wie weit der Weg vom Gesetzeschaos zur einfachen Darstellung bei den Menschen ist und: Warum dieses Buch geschrieben werden musste. (Ich hatte den Drang einen Mönch zu vergiften192): Gerhard Schröder, ja, soweit müssen wir zurückgehen, wurde 1998 letztlich auch deshalb ins Amt gewählt, weil er dem vom Helmut Kohl und Norbert Blüm gewünschten Demografiefaktor in der Gesetzlichen Rentenversicherung öffentlich und laut eine Absage erteilte: „Ohne mich“. Das Problem ist: Dieser Demografiefaktor, von Professor Rürup erfunden, sollte den Rentenanstieg künftig in dem Verhältnis dämpfen, wie sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern der Gesetzlichen Rentenversicherung jedes Jahr verändert: vulgo verschlechtert. Sinkt also die Anzahl der Beitragszahler in der Gesetzlichen Rentenversicherung und steigt die Anzahl der Rentenempfänger, dann muss die Rente in diesem Verhältnis sinken. Genau gesagt: Da laufende Renten nicht sinken dürfen, muss die künftige Renten-Erhöhung entsprechend gedämpft werden. Der Demografiefaktor hätte also die Rente in gerechter Weise reguliert, stets korrekt angepasst an die Kassenlage der Nation. Das macht klar: Rentenerhöhungen, die dank Blüm seit den 1980er Jahren an den Anstieg der Nettogehälter der Beitragszahler gekoppelt sind, würden nur noch gedämpft bei den Rentnern ankommen. Wie wir heute wissen: Sie werden nur noch gedämpft ankommen! Schröders Nein zum Demografiefaktor machte in vor der Wahl 1998 zum „Rentnerkanzler“. Im Jahr 2001 beschloss die Regierung Schröder, dass sich bei der gesetzlichen Rente dennoch so einiges ändert. Es gab wieder einmal eine Rentenkürzung für die künftigen Rentner mit dem Unterschied, dass man sich diese „zurückholen“ konnte mit einem Instrument, das „Riester-Rente“ genannt wurde. Offiziell hieß und heißt die Riester-Rente natürlich weiterhin „zulagengeförderte, kapitalgedeckte, zertifizierte ...“, Sie wissen schon, was ich meine. „Nebenbei“ wurden die Pensionskasse und der Pensionsfonds als vierter und fünfter so genannter Durchführungsweg bei der Betriebsrente erfunden. Außerdem wurde das „Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung“ umgebaut und endlich
191
Kontinentübergreifende Epidemie.
192
Als Reminiszenz an Umberto Eco „Nachschrift zum Namen der Rose“.
146
Kapitel 8
auch auf „Betriebsrentengesetz“ umbenannt: Es wurde der Anspruch auf Entgeltumwandlung eingeführt (selbst finanzierte Betriebsrente). Die entsprechenden Vorschriften wurden später im „Hüttenknappschaftlichen Gesetz“ vollendet. Also, wenn Sie Fragen zur Betriebsrente haben, zum Beispiel weil Sie Finanzdienstleister oder Arbeitgeber sind, lohnt ein Blick in das Hüttenknappschaftliche Gesetz. Aber das war doch klar: Jeder von Ihnen hätte bei Fragen zur Betriebsrente zu allererst im „Hüttenknappschaftlichen“ gesucht, stimmt’s? Das dachte sich auch die Bundesregierung. Im Jahr 2004 kam dann das Alterseinkünftegesetz. Das heißt offiziell natürlich ganz anders, so dass Sie sich bei Fragen zum Alterseinkünftegesetz bisher um Himmels Willen Zeit nehmen mussten, wenn Sie darüber etwas auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums erfahren wollten. Erst seit einigen Monaten, nach fünf Jahren, hatte das Ministerium ein Einsehen und den Suchbegriff mit Fundstellen versehen – jetzt sogar als Video mit Gebärdensprache! Zurück zum Alterseinkünftegesetz: Im Jahressteuergesetz 2006 wurde es rückwirkend zum 01.01.2006 nachgebessert, um die steuerliche „Verpuffung“ von Rürup-Beiträgen bei der so genannten steuerlichen Günstigerprüfung zu verhindern. Merken Sie sich einfach, dass die Rürup-Rente mit einem Geburtsfehler auf die Welt kam. Man musste wirklich ein halber Mathematiker sein, um den Steuervorteil der Rürup-Rente, offiziell „Basisrente“ oder „Basisversorgung“ genannt, zu ermitteln. Dabei sollte die Rentenform die große Schwester der Gesetzlichen Rente sein – wenn man sie verstand. Weiter: Mit dem Alterseinkünftegesetz kam dann noch eine Neuigkeit in die Rentenformel, der so genannte „Nachhaltigkeitsfaktor“. Den kann man so beschreiben wie …, genau: Wie den Demografiefaktor! Der Begriff „Demografiefaktor“ musste vereinfacht gesagt nur in „Nachhaltigkeitsfaktor“ umbenannt werden; diesmal von einem anderen Mitglied der Rürup-Kommission193, um Herrn Rürup nicht zu blamieren (schließlich hatte er ja schon 1998 Recht gehabt). Seitdem dämpft die schrumpfende Gruppe der Beitragszahler die Rentenbezüge der wachsenden Gruppe der Rentner, denn: Bevor die Deutschen aussterben, werden sie erst mal vergreisen. Dies beginnt so richtig, sobald die 1960er Jahrgänge in Rente gehen. Danach kamen wegen des Pillenknicks weniger Kinder auf die Welt, die heute Eltern sein könnten, die wiederum noch weniger Kinder in die Welt setzen: Insgesamt sind zu wenige Beitragszahler auf der Welt, die der großen Gruppe der 1960er Jahrgänge und älter, die bald in Rente gehen, das Auskommen im Alter finanzieren könnten. Können sie aber nicht: Es sind zu wenige! Uns fehlen keine Kinder, uns fehlen Eltern, die Kinder haben könnten. Allerdings passierte gleich 2006 der Betriebsunfall. Statt die Renten zu dämpfen, verursachte der Nachhaltigkeitsfaktor eine Rentenerhöhung: Durch die Super-Konjunktur in Deutschland kamen überproportional viele Arbeitslose wieder in Lohn und Erwerbsbrot: Das heißt, die Quote von Arbeitenden zu Rentnern verbesserte sich und die Renten konn-
193 Diese Kommission sollte die Bundesregierung bei der Neu-Regelung der Rentenbesteuerung beraten. Vorsitzeder war Professor Bert Rürup.
Lösungen der Finanzindustrie
147
ten um 0,54 Prozent steigen. Besser gesagt: Sie mussten von Gesetzeswegen um 0,54 Prozent steigen und das heißt volkswirtschaftlich: Die Gesetzliche Rentenversicherung muss, weil es einmal – in einem Jahr – gut gelaufen ist, die Renten aller Rentner lebenslang um 0,54 Prozent erhöhen und damit einen Wechsel auf die Zukunft in Höhe von vorsichtig geschätzten 1,3 Milliarden Euro „quer unterschreiben“! Um dieses „Versprechen“ zu erfüllen, wird man sich an anderer Stelle Geld besorgen müssen. Zum Beispiel über den „Nachholfaktor“, der ausgefallene Rentenkürzungen, die verfassungsmäßig verboten sind, in bessern Jahren „nachzuholen“. So geschehen in den ersten Jahren dieses noch jungen Jahrtausends, weswegen Rentensteigerungen mehrfach ausfielen. Der guten Ordnung halber muss man einfach noch hinzufügen, dass trotz verfassungsmäßigen Verbots von Rentenkürzungen von der Regierung Merkel im Jahre 2006 dennoch ein gesondertes Gesetz zur Klarstellung gemacht wurde, dass Rentenkürzungen verboten sind. Der guten Ordnung halber? Die spinnen, die Politiker! Oder war zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens ein Landtagswahlkampf in Sicht? Dann kam auch noch das Jahr 2009 und die Finanzkrise. In 2009/ 2010 drohen die Nettoeinkommen der Rentenbeitragszahler und damit die Renten zu sinken; rechnerisch und tatsächlich! Die Regierung hat den vorstehenden Absatz im Gegensatz zu Ihnen nicht gelesen und deshalb anlässlich des Europa- und vor allem des Bundestagswahlkampfes ein weiteres Gesetz gemacht, das Rentenkürzungen ausschließt. Sicherheitsprofis nennen das: Gürtel und Hosenträger und Sicherungsseil. Keine Sorge: Entstehende Sicherungslücken (vulgo: Kosten) werden den Rentnern dennoch in Rechnung gestellt. Was der Staat in schlechten Jahren drauflegt, um die Rente nicht sinken zu lassen, holt er sich zurück: Künftige Rentensteigerungen sollen zu 50 Prozent auf Nicht-Senkungen angerechnet werden und fallen dadurch kleiner aus. Allerdings sind Rentensteigerungen erst möglich, nachdem der oben beschriebene Nachhaltigkeitsfaktor und der Nachholfaktor gearbeitet haben. Vorher wurden die Rentenansprüche der Zukunft (die Anwartschaften) natürlich noch durch den Riester-Faktor gesenkt. Anders gesagt: Die Renten und die Rentenansprüche werden kaum noch steigen. Einen Kaufkraftausgleich wird es nicht mehr geben. So,abjetztsollenSieauchwiederinhaltlichverstehen,wasSielesen:
8.6.3
Risiken und Nebenwirkungen: Wie erklärt uns die Finanzindustrie eigentlich das mit dem Geld und dem Sparen?
Bei dem oben beschriebenen Gesetzes-Chaos bis 2005 ging es im Wesentlichen „nur“ um die Ordnung der Altersversorgung der Menschen und das „Wer darf wann was, warum, wie, wie oft und wie viel und wann nicht…?“ Alles klar? Ja, wenn man es versteht: Das Ganze muss der Verbraucher als „mündiger Bürger“ natürlich auch verstehen, damit er das Richtige tun kann:
148
Kapitel 8
Damit der Bürger das Richtige tun kann, muss man es ihm erklären. Das tun in der Regel Finanzberater, genau gesagt Versicherungsvermittler. Für Versicherungsvermittler gilt inzwischen die EU-Vermittlerrichtlinie, die am 22. Mai 2007 in deutsches Recht umgesetzt wurde. Mit der EU-Vermittlerrichtlinie zur Vermittlung von Versicherungen und dem Versicherungsvertragsgesetz werden europäische Bestrebungen zur Konvergenz194 staatlicher Regelungen, Transparenz und Verbraucherschutz umgesetzt. Und wie! Selbst dem einen oder anderen echten Fachmann, wohl auch dem kritischen Verbraucher (gibt es den kompetent und kritisch?), hat nebenbei die Krankenversicherungsreform den Schlaf geraubt. Aber das mit der Krankenversicherung ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll. Die EU-Vermittlerrichtlinie, diese neue Welt der Versicherungsvermittlung musste 1. zu allererst von den Juristen der Unternehmen verstanden und aufbereitet werden. 2. Die Mathematiker mussten gesetzeskonforme Versicherungsprodukte entwickeln und 3. die Vertriebsunterstützung hatte die edle Pflicht, das Ganze aufzubereiten. 4. Das Marketing sollte die Erklärungen der Sachlage „schön“ machen. 5. Der Vertrieb sollte es dem Kunden beibringen. Jetzt die Frage: Wie viel echte Beratungskompetenz ist seit 2002 (Riester-Gesetze) oder 2004 (Alterseinkünftegesetz) oder 2006 (Vermittlerrichtline) oder bis 2008 (Versicherungsvertragsgesetz) bei den Vertrieben und Finanzberatern angekommen? [Und falls Sie in einem Finanzdienstleistungsunternehmen arbeiten. Ehrlich: Wie steht es um die Fachkompetenz des Vertriebs in Ihrem Unternehmen?]. Spätestens seit dem 22. Mai 2007, seit es für die Versicherungsvertriebe ernst wurde, ist das mit dem „Ankommen“ in den Köpfen der Vertriebler keine intellektuelle Frage mehr! Es geht um viel Geld. Inzwischen kann der Berater nicht mehr unterscheiden, ob er wegen Tuns oder aus Unterlassung für Falschberatung haftet! Im günstigsten Fall sind die Selbstversorger unter den Beratern, die bildungsaktiven, die sich schon immer selbst in komplexe Materie gekniet haben, in ihren wichtigen Versicherungs-Sparten up to date. Aber nur dort. Selbst die engagiertesten Finanzberater aller Couleur bekommen angesichts der Masse der wichtigen Veränderungen echte Kapazitätsprobleme: Verstehen oder verkaufen? Für Anbieter von Finanzdienstleistungen: Auf Unternehmensebene ist die Vertriebsunterstützung gefragt. Vertriebsunterstützung: Das ist in jeder Bank oder Versicherung oder Bausparkasse die Abteilung, die dem Vertrieb die neue Welt erklärt. Zum Beispiel das seit 2005 gültige Alterseinkünftegesetz: Das Alterseinkünftegesetz verlangt massiv erhöhte Fachkompetenz. Zum Beispiel die EU-
194
Angleichung.
Lösungen der Finanzindustrie
149
Vermittlerrichtlinie: Die Vermittlerrichtlinie verlangt ein neues, transparenteres Beratungsverhalten. Provisionen sind erstmals offenzulegen. Beratungen sind zu dokumentieren. Und, und, und. Damit die Vertriebler das alles lernen und verstehen, dafür gibt es also die Vertriebsunterstützungs-Abteilungen. Und das geht dort so: Man zeigt den Beratern/Vermittlern/Verkäufern erst einmal die unendliche Komplexität und die Gefahren der neuen (Gesetzes-)Welt: Haftungsgewitter donnern auf sie herab. Seitenlang erfahren Finanzberater nun wie es nicht geht – mit Powerpoint-Präsentationen! Bleiwüsten sind Vergangenheit, Pixelwüsten sind die Zukunft! Powerpoint-Präsentationen gelten inzwischen berechtigt als kreative Schlechtwetterzonen (und sind darum in einigen Unternehmen inzwischen verboten). Powerpoint-Präsentationen werden heute beim intelligenteren Teil der Wissenswelt der Kommunikation mit Menschen als Beleg für die Instinktlosigkeit der Macher gesehen, weil sich die Betrachter von PowerpointPräsentationen sich schlicht misshandelt fühlen dürfen. Bei Konferenzen regiert inzwischen oft nicht mehr das Wort, der sprachliche Dialog, sondern das gegenseitige Vorzeigen von Powerpoint-Präsentationen. Zeigt der eine Kollege eine Pro-Präsentation, dann zieht der andere eine Kontra-„Präsi“ aus dem Datenstick. Kurz-Exkurs zur internen Kommunikation: In gruppendynamischen Prozessen hat es sich bewährt, unter Anleitung eines Kommunikationstrainers „schriftlich zu diskutieren“, indem Stichwortkarten mit Pro und Kontra an die Wand gepinnt werden. Bei Fachgesprächen, Arbeitsprozessen, die Projekte voranbringen sollen, ist das lähmend langweilig und nutzlos. Den Gipfel von Inkompetenz erreichen Gruppen regelmäßig, wenn (in unserem Zusammenhang) Präsentationen durch (zu) große Gruppen erstellt werden; je größer die Gruppe, desto schlechter das Ergebnis. David Goleman195 berichtete vor einigen Jahren in dem sehr beachteten Buch „Emotionale Intelligenz“ einmal über den Intelligenzquotienten von Entscheidungen oder Handlungen. Dabei wurde die jeweilige Faktenlage der gemessenen Qualität der Entscheidung gegenübergestellt. Das Ergebnis war: Menschen entscheiden als Einzelperson zumeist auf dem Niveau ihres persönlichen IQ. Kleinen Gruppen bis etwa 7 Personen gelingen oft Entscheidungen auf dem Niveau des Gruppen-Leiters oder dem Intelligenzniveau der „Eule“. Die „Eule“ ist in der Regel der erfahrenste Mitarbeiter, der Sacharbeit macht und den Chef führen lässt. Entscheidungen von größeren Gruppen erreichten oftmals nur einen IQ von 70 = Schwachsinn. Das gelte laut David Goleman vor allem für anonyme Gruppen, zum Beispiel Politiker, die eine Krankenversicherungsreform machen. Zurück zur modernen Wissensvermittlung:
195
David Goleman, Emotionale Intelligenz, 1995.
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Kapitel 8
Emotionale Wüsten Hier die Vorhersage für eine herkömmliche 60 Minuten (Powerpoint-)Präsentation. Die Betrachter werden wie folgt reagieren: 1. Die Betrachter verlassen den Ort des Geschehens geistig lange vor der Zeit, vom Schein des Projektors ausgemergelt, von der Dämmerung des Saales benebelt, fertig – lange, bevor der Referent es war! 2. Gäbe es eine Versicherung gegen Kommunikationsmisere bei Vertrieb und Kundschaft: Die derzeitige Erwachsenenbildung entspräche der Herbeiführung des Versicherungsfalls: nicht versicherbar. Im Jahre 2001, dem Vorabend der Riester-Rente, wurden die Vertriebe regelrecht wundgeschult. Millionen verpufften, weil es an didaktischen Konzepten mangelte. Außerdembinichdafür,dassGeldthemenendlicheinfachdargestelltwerden.
8.6.4
Offener Brief an die „Erwachsenenbildner“ der Finanzdienstleistungsindustrie oder: „Marketing_2.0_install.exe“
Regen in die kreative Dürre! Riester, Rürup, Einkommensteuergesetz, Alterseinkünftegesetz, Vermittlerrichtlinie, Versicherungsvertragsgesetz, Abgeltungssteuer, Sozialgesetze, Inflation… An Produktmanager und Vertriebsverantwortliche: Lest das! Kunden: Versteht das! Wie viel Geld wird in die mühsame Erschließung neuer Sachverhalte gesteckt? Wohl gemerkt, es geht immer noch ums Sparen. Auf die eine oder andere Art, aber es geht ums Sparen. Und Sparen an sich erinnert uns an die Zinsformel. Ist die Zinsformel neu? Merken Sie etwas? Es gibt nichts Neues! Aber lassen Sie uns einmal so tun, als gäbe es etwas Neues: Nehmen wir einmal an, ein neues Gesetz ist in Aussicht. Dann passiert Folgendes: In den Unternehmen graben ganze Heerscharen von Juristen und Produktfachleuten, also Juristen, und Marketingfachleute, also: Juristen, und Vertriebsprofis, also: Juristen, bereits die vorlaufende Berichterstattung drohender neuer Gesetze um. Blatt für Blatt. Wie die Trüffelschweine suchen sie in neuen Gesetzen für ihre Kunden nach Vorteilen, um ihre Geschäftsmodelle und Vertriebsprozesse anzupassen. Das ist löblich und es ist ihre Aufgabe. In der Zwischenzeit wird der Vertrieb – er liest ja Zeitung – unruhig und stellt sicherheitshalber die Aktivität ein. Sicher ist sicher. Der Vertrieb tut das sozusagen im vorauseilenden Gehorsam auf die Emotionen der durch die Presse und anderen Unheilverkündern des „Verbraucherschutzes“ verunsicherten Verbraucher. Die geneigten Verbände der Finanzindustrie tun ein Weiteres, um „das Schlimmste“ zu verhindern. Sie sind dagegen.
Lösungen der Finanzindustrie
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Die Verbraucherschützer wittern Böses und wettern Zeter und Mordio (dabei würde Mordillo196 helfen, der einer der weltweit profiliertesten humoristischen Zeichner ist). Die Verbraucherschützer sind auch dagegen, wenn auch aus anderen Gründen. Es ist wie es ist: Die Welt dreht sich immer schneller. Manchmal, wie beim Alterseinkünftegesetz oder bei der Vermittlerrichtlinie, wechselt sie zwischendurch mehrfach die Richtung. Dazwischen liegen politische Willensbildung und Einflussnahme der interessierten Lobbys. Dennoch! Selbst wenn ganze Produktlinien quasi „steuerlich verboten“ werden, so bei der Lebensversicherung im Jahre 2004 oder wenn Neues nur noch mit IngenieurFähigkeiten verstanden werden kann (Riester-Rente) … also, auch wenn’s schwer wird: Wie wenig müht man sich in den Unternehmen um die Vermittlung der neuen Welt?! Wie wenig müht man sich, dass die Menschen „es“ so verstehen, dass sie Neues anwenden können, verwenden und kaufen wollen: erst der Berater, dann der Kunde! Moderne Wissensvermittler, sie sind selten, aber er gibt sie und ich nenne sie „Regenmacher“. Regenmacher reden bildhaft und illustrieren das Gesagte. Die Kette sieht ungefähr so aus: 1. Die Juristen klären sie Sachverhalte, 2. die Produkttechniker (Finanzwissenschaftler und im Falle von Versicherungslösungen die Versicherungsmathematiker, Aktuare genannt) „bauen“ das regelgerechte Produkt. 3. Das Produktmarketing erklärt das Produkt dem Vertrieb und die Werbung und 4. der Vertrieb erklärt „es“ dem Kunden. Das mit der Werbung ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll. Wie aber redet das Produktmarketing mit dem Vertrieb, der ja, wie der Kunde, seltenst Jura studiert hat oder gar Finanzmathematik? Sprechen wir über stürmische Zeiten in Finanzunternehmen: Stürmische Zeiten? Dann zeigt stürmische Zeiten, Ihr Produkterklärer! Zeigt den Leuten den Sturm: als Bild, besser als bewegtes! Die Betrachter werden es verstehen. Aber was passiert? Erstens wird über die Emotionen von Vertrieb und Kunden heutzutage, also seit Erfindung des Marketings, einfach hinweg gegangen und intern Ruhe eingefordert. „Spätestens“ dann, wir sind in der ersten Phase einer Umwälzung, fühlen sich die Menschen, deren Sensorik meistens bestens funktioniert, regelrecht hinters Licht geführt. Zweitens folgen dann Entwarnungen ohne Warnungen! Drittens wird die Vergangenheit für falsch erklärt, werden plötzlich neue Sichten und Produkte wie neue Moden eingeführt. Wie macht man sich maximal unglaubwürdig? So!
196
Guillermo Mordillo.
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Kapitel 8
Falls Sie es nicht merken, Liebe Leserinnen und Leser: Sie als Konsument sitzen mit Ihrem Finanzberater (und Ihrem Handyverkäufer und Ihrem Autoverkäufer) öfter im selben Boot als Sie denken! Im Unterschied zum Auto- und zum Handyverkäufer wissen Sie aber nicht wirklich, wovon der Finanzberater redet, stimmt’s? Auf die Geldbranche bezogen heißt das: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Wie viele Worte ersparte sich und uns Friedrich Merz197, als er die Steuererklärung auf dem Bierdeckel forderte? Wie viele Worte sparen wir, wenn wir das Alterseinkünftegesetz für die Finanzberater und seine Kunden auf eine Postkarte bringen? Geht nicht? Gibt’s nicht. Es ist nämlich nur noch nie versucht worden – bis heute. Bitteschön:
Das Alterseinkünftegesetz in drei Leitsätzen. Seit dem 1.1.2005 gilt: 1. Riester- und Betriebsrenten sind voll zu versteuern, Rürup und Gesetzliche Rente je nach Beginn der Rente. 2. Privatrenten sind mit dem Ertragsanteil zu versteuern (beim 65-Jährigen zum Beispiel mit 18 Prozent der Jahresrente).
3. Kapitalleistungen aus „neuen“ Lebensversicherungen: Ablaufleistung – Beitragssumme = Steuerpflichtiger Ertrag; nach zwölf Jahren Laufzeit und Fälligkeit ab 60: nur die Hälfte. Kapitalleistungen aus Alten Lebensversicherungen (vor 2005), auch alte Direktversicherungen, bleiben steuerfrei. (auf die Rückseite kommt eine kleine „Rürup“-Steuertabelle mit Rechenschema und eine Liste der Fördergrenzen für Riester und Betriebsrente, fertig!) DaswardasAlterseinkünftegesetz.DieseInformationenpassenaufeinemBierdeckel! Viel mehr Worte oder Zeit haben Finanzberater beim Kunden auch nicht – der Vertrieb ist genauso Kunde des Produktanbieters – und Kunden sind das Ziel, oder? Ist das populistisch? Populistisch ist, im Sonnenschein betrachtet, das, was das Volk versteht. Intelligente Schrift- und Bild-Kommunikatoren (nicht: BILD-Zeitung!) verzichten dabei trotzdem auf Banalität, obwohl auf der Postkarte oben „notfalls“ sogar noch Platz für eine nackte Frau wäre, falls „BILD“ die „Schulung“ übernimmt. „Bevor ich auf einen Berg steige, überlege ich nicht, was ich mitnehmen muss, sondern was ich weglassenkann“(frei zitiert nach Reinhold Messner) Die Kunst besteht in der zumutbarkorrekten Verkürzung. Wie geht das? Beispiel: Versicherungs-Vermittlerrichtlinie 2008. (Falls Sie als Leser Kunde sind: Sie sind davon auch betroffen; Sie wussten es nur noch nicht!)
197 Friedrich Merz, CDU, ehemals Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, über Parteigrenzen hinaus angesehener Finanzexperte.
Lösungen der Finanzindustrie
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1. Ballastabwerfen: bei der Vermittlerrichtlinie sind Berufszulassung, Vermittlerregister, Vermögensschaden-Haftpflicht und Kundengeldsicherung einmalig zu erledigende Punkte, die die Unternehmen für ihre Versicherungsvertreter EINMALIG regeln. Einmal und nie wieder, fertig. Es hat keinen Sinn, diese Themen wieder und wieder durchzukauen, nachdem einmal kurz und bündig darüber berichtet, die Checklisten ausgehändigt und abgearbeitet wurden. FürFachleuteoderKundenoder„Experten“:ArbeitenSie,jaSie,zufälliginderVersiche rungsvermittlung?Oder,fragenSieIhrenVersicherungsvertreter:MitwievielhundertFolien hatmanIhnenoderihm/ihrzumBeispieldieVermittlerrichtlinieerklärtundganzeVertriebs BelegschafteneinenTaglanggeistigzuTodegeritten? Ein anderes Beispiel habe ich Ihnen bereits vorne gegeben: Statt der seitenlangen Riester-Litanei, wer alles riestern darf, formulierte ich zur Lösung eine einzige zusammenfassende Frage: „Zahlen Sie Pflichtbeiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung oder sind Sie Beamter?“ Fertsch, socht der Sochse. War das schwer? Nein. 2. Prioritätenverstärken: Wir bleiben bei der Vermittlerrichtlinie für Versicherungsverträge (aber das Beispiel lässt sich auf sehr, sehr viele Fachthemen übertragen). Fachlich: Welche Pflichten sind künftig in jedem Kundengespräch einzuhalten? Die Informations-, Beratungs-, Dokumentations- und Fragepflichten. Oder kürzer gesagt: Verhal tenspflichten! All das lässt sich zusammenfassen auf: Verhalten! Bei allen Unwettern: Würde man sich auf die täglich neu zu beachtenden Verhaltensregeln der Verkäufer beschränken … viel Zeit, auch für die Kunden, wäre gespart. Viel Raum wäre gewonnen, um dem Vertrieb zu zeigen, wie er sich im Gewitter verhalten muss, wie er Blitz und Donner abprasseln lassen und Sonnenschein erzeugen kann. Welche Chancen ergeben sich in der neuen Welt? Wie (nicht: wie nicht!); wie umschiffe Klippen der Verbrauchertransparenz, wenn ich Abschlusskosten offenlegen muss? Oder, wie fahre ich durchs Wetter? Schotten zu? Wie kann ich mit der Beratungsdokumentation, mit dem Kunden als Partner, konfliktfrei mehr Geschäft machen? Mehr Geschäft machen? Ja, und: Kunden dürfen das gerne lesen. Immer wenn ein Dienstleister einen Bedarf des Kunden deckt, fließt Geld an den Dienstleister, immer dann verdient der Dienstleister, der Vermittler der Problemlösung Geld. Ist das schlimm? Nein. Sagen und zeigen wir die Antworten. 3. Bilder: bewegte Abläufe und fachliche Zusammenhänge, logisch animiert!
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Kapitel 8
4. Begriffe! Wie verstärkt man Bilder? Wie erzeugt man mit ZU–TREFFENDEN Worten im Gehirn des „Betrachters“ Bilder, die das gewünschte und erforderliche Verständnis schaffen? Das Alterseinkünftegesetz ist ein gordischer Knoten? Zeigen Sie den Knoten, sagen Sie „Knoten“. Zeigen Sie das Schwert und sagen Sie „Schwert“! Die Beratungsdokumentation behindert den Weg? Seien Sie das Navigationssystem und zeigen Sie den Weg: Zeigen Sie eine Umleitung und sagen Sie „Umleitung“. Sagen Sie „Sehenswürdigkeiten“, wenn Sie die Umleitung mit „Zusatzverkauf“ versüßen werden. Offen gelegte LV-Vertriebskosten lösen beim Kunden Futterneid aus? Zeigen Sie Futterneid, Sagen Sie „Futterneid“. Zeigen Sie notfalls bissige Stuten, zeigen Sie Kompetenz und – das ist höchst anspruchsvoll – zeigen und sagen Sie, wie man Kompetenz zeigt, die Futterneid stillt! Leben Sie vor, wie man mit kurzen Sätzen der Erklärung den langen Weg der Dokumentation abkürzt. Erzeugen Sie mit kurzen Merksätzen und Bildern das prinzipielle Verständnis komplexer Zusammenhänge. Wenn die Rente für die meisten Kunden ein Luftschloss ist, zeigen Sie es, machen Sie eine Ortsbegehung mit dem Vertrieb. Anfang 2008 besprachen Mitarbeiter der Vertriebsunterstützung eines Lebensversicherers den Lehrplan. Einer der Teilnehmer sprach das „uralte“ Thema Alterseinkünftegesetz aus dem Jahre 2004 an. Der Chef sagte: „Das haben wir im Vertrieb schon geschult, das sitzt“. Wirklich?
Lösungen der Finanzindustrie
8.6.5
155
So wie’s mal war, so wird es nimmer
Sparen. Wenn man früher nichts machte, dann machte man nichts, weil es noch halbwegs ausreichend Rente gab. Dennoch: Wie begann Sparen früher? Ausschließlich durch einen Telefonanruf. Dann kam der Mann von der Versicherung und schwupps hatte man seine Zusatzversorgung, immerhin etwas – „etwas“. Viele Leute haben in ihrem Versicherungsordner eine „damals 50 Mark im Monat“-Lebensversicherungspolice, die sie „damals mal gemacht haben“, bei einem Freund, einem Bekannten, auf Betreiben der Eltern bei einem Freund der Eltern, einem Bekannten der Eltern, auf Betreiben eines Versicherungsvertreters, der von einem Freund der Eltern empfohlen wurde. Immerhin lehrt das die Berater und Produktverkäufer eines: Verkaufen und Vorsorge hängen von persönlicher Vermarktung und Networking ab! Vorhang auf: Die „Bedarfsanalyse“ Später wurde es „moderner“. So begannen schlaue Anbieter von Beratung und Produkt mit einer Bedarfsanalyse, die heute noch als Theaterstück aufgeführt wird, wenn ein Vorsorgeverkäufer seine Qualifikation198 zum Versicherungsverkauf erwirbt. Der Kunde ist nett, verständig, freut sich über die Aufklärung zur bösen niedrigen Rente, hat keine Einwände, schimpft mit auf Norbert Blüm, unterschreibt und bedankt sich. Er empfiehlt zugleich auch seinen Freunden den netten Versicherungsmann. Währenddessen darf der Berater dem Kunden auch noch ausführlich erklären, wie die Versicherung gewartet wird, wie man Öl und Wasser überprüft, den Vertrag rechtzeitig winterfest macht und wie der Urlaubscheck abzulaufen hat. Für den Fall der Fälle wird dem Kunden gegen seinen Willen auch jede Notlaufeigenschaft erläutert – den Kunden im Schauspiel interessiert es! Apropos Versicherungsmann: Das ist heutzutage auch der nette Mann von der Bank, der jeden der selten gewordenen Besuche bei der Bank mit einer Kundenansprache auf die Riester-Rente bestraft. Wären derart „spontane“ Riester-Ansprachen eine Straftat, dann ginge der Banker, neudeutsch: Bänker, dennoch straffrei aus, weil inzwischen schon das Betreten einer Bankfiliale einem körpersprachlichen Ausdruck des Riester-Beratens auf Verlangen gleichkommt. Böse Welt! Zurück zur Bedarfsanalyse, weg vom Produktverkauf: Im Gegensatz zum Produktverkauf liefert Bedarfsanalyse zugleich den Grund dafür, warum der Kunde das vom Verkäufer gewünschte Produkt gefälligst zu kaufen hat. Passt es nicht, dann wird es gesundgebetet. Gesundbeten: Analyse stiehlt Kunden und Verkäufern die Zeit, erst recht, wenn sie ein reines Schauspiel ist, das aber aus der Dramaturgie des Abschlusses einer Lebensversicherung nicht mehr wegzudenken ist. Die „Bedarfsanalyse“ ist die moderne Form des Gesundbetens, schadet zwar nicht, hilft aber auch nicht.
198
Sachkunde-Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer.
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8.6.6
Kapitel 8
Mensch
Stellen Sie sich vor, Sie liegen auf dem Operationstisch. Sie haben eine Vollnarkose und sind an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Der Strom fällt aus. Was passiert? Nichts! Das Gerät, genau gesagt der Blasebalg für Ihre Beatmung, wird vom Anästhesisten per Hand weiterbedient. Dabei überwacht das Gerät auch ohne Strom (und ohne Notstrom!) die Beatmungsfrequenz und den Beatmungsdruck. An dieser Stelle möchte der Autor, der einmal einer Demonstration dieser Technik beiwohnen durfte, der Firma Dräger ein riesengroßes Kompliment aussprechen! High Tech plus No Tech, genau so muss auch Finanzberatung laufen, wenn Technik versagt oder erst gar nicht vorhanden ist: Bleistift, Block und Taschenrechner! Fortschrittliche Berater verfügen sogar über farbige Stifte, um Übersichtlichkeit durch optische Akzente zu schaffen.
Kaspar Hauser – Fortsetzung und Schluss
157
Kapitel9 9.1
Kaspar Hauser – Fortsetzung und Schluss
Adam Riese ist baff. Er will sofort fluchtartig den Raum verlassen, nach Hause zurück und mit Kaspar Hauser einen „Medikamententest Riester“ durchführen. Kalkül hält ihn zurück: „Moment mal, es sind erst fünf Minuten um und Sie haben noch Zeit gut.“ Riese hält inne. Kalkül: „Wenn Sie mir nach fünf Sätzen Riester noch fünf Sätze zum Thema Bevölkerungsentwicklung, dem Zustand der Rentenkassen und den neuen Steuergesetzen lassen, dann haben sich ihre insgesamt zehn Minuten auch gelohnt, dann gehen wir erst einmal schön essen, einverstanden?“ Kalkül belässt es wie versprochen bei fünf Sätzen: 1. Die Deutschen bekommen immer weniger Kinder, die später die Rente der Alten bezahlen können; gleichzeitig werden die Deutschen immer älter und sterben später. 2. Dadurch muss die Rentenversicherung immer mehr Leuten immer länger die Rente bezahlen, die von immer weniger arbeitenden Menschen verdient werden müssen. 3. Die Beiträge der Arbeitenden werden sich verdoppeln müssen. Oder die Leistungen sinken auf die Hälfte. Von beidem trifft etwas ein. Und von den schwindenden Renten 199 müssen immer mehr Rentner in Zukunft Steuern bezahlen, und Krankenkassenbeiträge. 4. Der Staat hilft auf verschiedene Weise; „Riester-Rente“ ist nur eines von vielen Medikamenten. 5. Jeder muss jetzt für sich rechnen, wie viel er später braucht; und das, obwohl das Geld immer weniger wert wird (WKK oder „Weniger-Kaufen-Können-Syndrom“, nennt Professor Kalkül das, um sich auch mal medizinisch zu verbreiten). Professor Riese bedankt sich und beschließt, den Kurs bei Professor Kalkül nächste Woche zu Ende zu bringen. Die Stunde hat er noch, allemal. Adam Riese beginnt bei Kaspar Hauser mit den ersten Tests, jeden Tag bis zu fünf Minuten. Zunächst verzichtet Riese noch auf die Anwendung der bei Hauser vorgefundenen „Renteninformation“, um ihn am Anfang der Therapie nicht seelisch zu überfordern: DFA scheint nämlich stets von Rentenschocks, hervorgerufen durch Renteninformationen, begleitet zu sein. Dies führt bei Fällen geringerer Ausprägung zu verdeckter, nicht einfach diagnostizierbarer Hoffnungslosigkeit, öfters jedoch zu körperlich durchlebten Zukunftsängsten.
199
Alterseinkünftegesetz seit 01.01.2005.
158
Kapitel 9
Anfangs ziehen sich die täglichen Fünf-Minuten-Sitzungen für Kaspar Hauser endlos hin, 200 solange er sich noch sperrt. Adam Riese notiert „rezidivierene zahlenaversive Abstoßungsreaktion“ und beschließt in der ersten Woche ferner auf die Anwendung medizinisch-technischer Hilfsmittel wie Taschenrechner zu verzichten. Riese beginnt diesmal ganz einfach und sagt mit hypnotischer Kraft sanft: ErsterSatz: „Alles wird gut“ (Adam Riese wartet Reaktion Kaspar Hausers ab): Er notiert die Patientenreaktion: „Lächeln, Pat. rezitiert den Satz dreimal und schildert 201 angenehmen flash-back zu der ihm bekannten Boulevard-Stimme einer sanften Journalistin blonder Art. Beginnt scheinbar langsam, sein Erinnerungsvermögen zurück zu gewinnen“. ZweiterSatz: „Wenn es eine Lösung für Ihr Problem gibt, wollen sie sich damit befassen, wenn ich Ihnen versichere, dass der Weg leicht, leicht ist?“ Riese notiert wieder Hausers Reaktion: „Pat. atmet tief ein, entspannt sich und sagt JA“. Dritter Satz: „Nun, den Geistern, die man verjagen will, muss man einmal ins Gesicht schauen, einmal; sind sie einverstanden. Habe ich Ihre Erlaubnis?“ Kaspar Hauser: „Ich kann es fühlen. Die Lösung steckt in mir. Ich muss sie nur herausholen“. VierterSatz: „Dann darf ich beginnen. Bitte seien Sie unbesorgt, denn wir werden es lösen, gemeinsam und sie werden selbst die Kraft haben: die Rentenversicherung ist nämlich so gut wie pleite. Riese muss eingreifen, um die Kontrolle zu behalten, Kaspar Hausers Dauer-EKG zeigt 202 Extrasystolen . Er will ihn nicht verlieren! Hauser bekommt Schock hemmende Medikamente in den Venenzugang. Hauser beruhigt sich. Nein, abbrechen will er nicht. Kaspar Hauser spürt ein Gefühl aus einer „fern empfundenen Vergangenheit; Glück“ wie er Adam Riese zu Protokoll gibt. Fünfter Satz: „Gratuliere, Professor Kalkül lässt ausrichten, wenn sie diesen letzten Satz überleben, sind sie über den Berg. Dann nähern sie sich schon dem Ziel. Alles wird gut“. Die fünf Minuten sind um. Die Basis ist gelegt. Das Fundament wird halten. Die Sitzung ist beendet. Kaspar Hauser geht mit Kraft und Zuversicht in den nächsten Tag – auch ein Spätinfarkt, wie er Marathonläufer häufig im Ziel, nach Ende der Belastung ereilt, ist nicht zu befürchten. EKG: normal.
200
Wiederholte Ablehnung von Zahlen aller Art.
201
Rückfall (hier positiv gemeint).
Anormale Ausschläge des Elektrokardiogramms (EKG), die bei Andauern zu Herzinfarkt führen können. 202
Kaspar Hauser – Fortsetzung und Schluss
159
203
Frank Braun von der Staatsanwaltschaft ruft an. Es gehe um die Ermittlungen gegen die unbekannten Beschuldigten, die für den Zustand des Patienten Kaspar Hauser verantwortlich gemacht werden können. Inzwischen berate ein Spezialist der Deutschen Rentenversicherung die „SoKo Altersvorsorge“, scheitere aber immer noch an dem Zusammenhang zwischen Altersvorsorge und Rente, da das Wort „privat“ weder zum einen noch zum anderen Begriff passe. Außerdem rede der endlos und sicherlich kein richtiges Deutsch. Immerhin kann Braun mitteilen, dass Kaspar Hauser nicht vorbestraft ist und dass nichtgegen ihn vorläge. Er wolle nur sagen, dass man das Verfahren einstellen werde; auch weil der Geschädigte, Hauser, seinen Schaden noch nicht mal definieren, geschweige denn der Höhe nach beziffern könne. Nicht zuletzt sei eine heiße Spur im Sand verlaufen: einen gewissen Blüm, der Tipp stammte von der Presse („Blümleinbrief“), sei im Umfeld des Geschädigten auch nicht zu ermitteln. Das Verfahren werde eingestellt. Eine Kopie der Einstellungsverfügung gehe ihm in den nächsten Tagen zu. Sollte der Herr Hauser, jetzt wurde er wieder „Herr“ genannt, seinerseits mit der Einstellung nicht einverstanden sein, könne er bei der Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde einlegen. Professor Riese schmunzelte. 204
Riese hospitierte weiter beim Mathematikprofessor Kalkül und lernte recht bald: Das finanzielle Leben bewegt sich um die Zinsformel: Irgendwann passten die wichtigsten Fakten um das Sparen auf eine Din A4-Seite und besagten: Geld mal Zeit ist gleich Vermögen. Viel Geld mal viel Zeit ist gleich viel Vermögen. Wenig Geld mal wenig Zeit ist gleich wenig Vermögen. Wer früh anfängt und wenig spart ist besser dran als der, der spät anfängt viel zu sparen. Diese erfrischende Klarheit war ihm Trost für die Jungen, Mahnung für die Mittelalten um die 40 und Warnung an die Alten, für die „das mit dem Sparen“ zu spät ist. Aber die Alten kriegen ja auch noch halbwegs ordentliche Renten vom Staat. Und Kaspar Hauser? Die Geschichte ist schnell zu Ende erzählt: Hauser begleitete seinen Arzt zu Professor Kalkül. Man lernte gemeinsam, notierte, skizzierte, malte und colorierte das Thema Geld, Rente und Sparen. Aber auch Professor Kalkül, das Mathematikgenie lernte: Deutsch! Tatsächlich gelang es ihm unter Führung des Psychologen Professor Adam Riese, die Dinge so darzustellen, dass man sie versteht. Klar, deutlich, kurz und zumutbar korrekt vereinfacht! Ein Beispiel: Wer kann riestern? Alle, die Beiträge in die Gesetzliche Rente einzahlen müssen; und Beamte. Fertig. War das schwer? Wie viel kann man riestern? Bis 2.100 Euro pro Jahr. Wenn man mindestens 4 Prozent seines Einkommens riestert, gibt es die Zulagen (154 Euro für Erwachsene, 185 Euro je Kinder, für „Frischlinge“ ab 2008 geboren fließen sogar 300 Euro Zulagen). Weitere Steuervorteile errechnet das Finanzamt automatisch.
203
Frei erfundener Name.
Wissenschaftler lernen nicht bei anderen: Sie können es! Falls sie doch bei anderen lernen, dann nennen sie das „hospitieren“. Noblesse oblige! 204
160
Kapitel 9
Alle waren zufrieden: Kalkül, Riese und Hauser. Alle? Kaspar Hauser verwies die Professorenschaft der kleinen Runde auf den
„Kaspar Hauser in uns allen“ und empfahl eine volksweite Therapie. Bilder … Bilder müssten es sein…. Adam Riese beschloss, sich dieses Buch hier zu kaufen und es als Comic herauszubringen. Dann würde es wirklich jeder verstehen, mal „sehen“ – buchstäblich!
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Kapitel 9
Gesellschaftliche Lösungen
9.2
167
Zehnter Sparschritt: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
27 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2036. Bis zur Rente sind es noch 8 Jahre. AdamRiese: 55.562 Euro + 100 Euro Sparrate an jedem Ersten. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen: Null. Er müsste ab heute 767 Euro monatlich sparen, um mit Riese gleich zu ziehen.
9.3
Gesellschaftliche Lösungen
9.3.1
Regelvermehrung
Es genügte, ein einheitliches Regelwerk für die Finanzberatung zu schaffen. Basis könnten durchaus die Forderungen der Studie „Anforderungen an Finanzvermittler – mehr Qualität, bessere Entscheidungen“ sein, die das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Dezember 2008 veröffentlicht hat (obwohl die Studie empirische Schwächen hat).
Visionen der Studie (= Forderungen an Finanzberatung) 1. Die Wünsche und Ziele des Kunden sind zu erfassen und 2. mit objektiven Notwendigkeiten zusammenfügen: Bedarf identifizieren (Anmerkung des Autors: und Bedarf erstmals wissenschaftlich205 definieren!) 3. Passende Empfehlung als Entscheidungsvorlage 4. Abwägung Vor-/ Nachteile. Alternativen prüfen. Prozess- + Ergebnisqualität sind zu prüfen. Produktklassen sind zu definieren 5. Ergebnisoffenes Prüfraster für Einzelprodukte (Anmerkung des Autors: Unabhängigkeit des Beraters!) 6. Schnittstellen für Folgeberatungen als Kriterium für Servicequalität (Anmerkung des Autors: wie ein TÜV-Termin. Verpflichtendes Jahresgespräch für Berater und Kunde)
205
Vgl. www.qfz-initiative.de
168
Kapitel 9
Ein einsatzbereites Modell legte die QFZ-Stiftung im Herbst 2008 bereits vor. Dies zu einem Zeitpunkt, an dem es die genannte Studie noch gar nicht gab. Die QFZ-Stiftung sagt sinngemäß: Das was die Studie fordert, das gibt es schon. Was kann man nun tun, außer Handeln? Nichts, nur Handeln!
Regulatorische (Gesetzes-)Forderungen der Studie Man muss wissen, dass die von der Studie kritisierten Schäden durch falsche Finanzberatung („20 bis 30 Mrd. Euro“ pro Jahr) nicht nur auf eine falsche Versicherungsvermittlung oder finanziell unfähige Verbraucher zurückgeführt werden. Es muss schon klar sein: Einen großen Teil tragen wir als unmündige Verbraucher durchaus selbst zur Misere bei, sobald wir schon bei kleinerer Geldnot die falschen Verträge falsch behandeln oder gar kündigen. Vielmehr kritisiert die Studie die nicht regulierte Vermittlung von Finanzprodukten und Kapitalanlagen außerhalb der Versicherungsbranche und fordert – vereinfacht gesagt – dieselbe strenge Regulierung jeglicher Finanzvermittlung wie bei der Versicherungsvermittlung im Jahre 2007 bereits geschehen. Wie kommt man eigentlich auf die Zahl von „20 bis 30 Milliarden“ Schäden durch falsche Finanzberatung? Haben Studien immer Recht, weil sie teuer waren? Die Zahl von 20 bis 30 Milliarden Schäden geht zurück auf eine Pressemitteilung vom 18. Mai 2005 von Michael Westendorf von der privaten Universität Witten-Herdecke206. Die Quelle dieser Zahl ist aber nicht genannt und nicht belegt. Damit gibt es diese Zahl in wissenschaftlich ermittelter Form gar nicht. Auch nicht dadurch, dass Sie von den Autoren der FinanzvermittlerStudie offenbar ohne jeden Beleg übernommen wurde. Peinlich. Zurück zur eigentlichen Finanzvermittler-Studie: Desweiteren werden Finanzvermittlung und Finanzberatung gleich gesetzt! Richtig! Und wer berät auch Finanzen? Verbraucherschützer. Deshalb fordern die Autoren der Finanzvermittler-Studie, dass Verbraucherschützer einen „Sachkundenachweis“ erbringen, aber einen richtigen! Welchen? Am besten ganz genau den, den sie und Verbraucherschützer von den Versicherungsvermittlern fordern! Ferner muss es eine Regelung geben, die zu jeglicher Finanzberatung, auch unentgeltlicher, ein Beratungsprotokoll verlangt. Auf diese Weise könnte sich ein Ratsuchender nämlich an einen beliebigen (zugelassenen) Finanzberater/„Verbraucherschützer“ wenden, sich zum Beispiel auf Honorarbasis (dazu später mehr) beraten lassen und woanders sein Produkt kaufen. Dort dann ohne Beratung. Er übergibt dem reinen Produktverkäufer lediglich eine von ihm unterschiebene Kopie des Beratungsprotokolls. Und wenn auf dem Beratungsprotokoll „100 Euro monatlich in die Riester-Rente, fondsgebunden“ drauf steht, dann darf der reine Produktverkäufer dieses Produkt, aber nur dieses (!) ohne weitere Beratung auch verkaufen. Das läuft dann wie beim mit der Waffenbesitzkarte im Waffenladen oder wie beim Arzt: Wer einmal pro Quartal seine Praxisgebühr bezahlt hat, der darf
206
http://www.openpr.de/news/68870/Guter-Rat-wird-oftmals-teuer.html
Gesellschaftliche Lösungen
169
ohne weitere Praxisgebühr einen weiteren Arzt aufsuchen. Wer Riester-Rente „verordnet“ bekommt, darf diese in jeder Finanzapotheke kaufen. Der Verkäufer nimmt das Rezept, greift ins richtige Regal und alle sind glücklich. Im Falle einer Falschberatung haftet der Verordnende/ der Finanzberater, der mit dem Kunden das Protokoll erstellt hat. Fertig. Der so genannte „Beratungsverzicht“ wird für Finanzgeschäfte ausnahmslos verboten.
9.3.2
Sofortmaßnahmen am Finanz-Ort!
Jeder, der es wissen will, kennt die Preisangabenverordnung und ihre Pflichtangaben im Kreditvertrag. Die Preisangabenverordnung regelt in § 6 die genaue Angabe des Effektivzinses für den Kredit. Ergänzung des § 6 in die Preisanangabenverordnung um den effektiven HABEN-Zins:
႑§ 6 „Kredite“ wird umbenannt in „Kredite und Kapitalanlagen“ ႑§ 6a „Kredite“ enthält den unveränderten Text des alten § 6 ႑§ 6b „Kapitalanlagen“ regelt künftig auch die Angabe eines effektiven (Haben-)Zinses für jede Sparform. Für jeden Sparvertrag ist genau so exakt vorzugehen wie beim Effektivzins von Krediten. Zum Beispiel ist anzugeben, wie hoch in effektiven Prozenten die Wertentwicklung beispielsweise eines Aktiensparplans ist, wenn die Aktien um 8 Prozent steigen: zum Beispiel „7,2 Prozent effektiv“, weil in diesem Falle „laufende Kosten in Höhe von xxxx Euro“ entnommen werden. Auch laufende Kosten sind in Euro-Beträgen auszuweisen.
႑§ 6c „Kombinationen“ von Finanzverträgen!!! 1. Zusammenhängende Finanzverträge (zum Beispiel Bausparvertrag plus Hypothekendarlehen bei der Baufinanzierung) sind als wirtschaftliche Einheit zu definieren. Es ist ein (in Worten: e-i-n) einziger Effektivzins (Guthaben oder Schuld) für das Gesamtkonzept anzugeben. 2. Anbieter/Berater werden verpflichtet, die günstigste Kombination oder Einzellösung anzubieten. Maßstab ist der Effektivzins. Der Begriff „zusammenhängend“ ist zu definieren, um Umgehungstatbestände auszuschließen. Indizien für einen Zusammenhang sind 1. die zeitgleiche Beratung und Verhandlung zweier oder mehrerer Finanzverträge 2. die Abtretung/Verpfändung/Sicherung/Übereignung von (auch und besonders NEUEN) Ansparverträgen/ Vermögen/ vermögensgleichen Rechten an den Kreditgeber oder seinen wirtschaftlichen Partner (konzertiert agierende Verbünde).
170
Kapitel 9
3. der Schuldgrund ist künftig auch für die Abtretung von Recht anzugebenen (beispielsweise an einem Sparvertrag für den Tilgungs-ERSATZ bei Krediten). Letztlich kritisiert die Studie auch, berechtigt, dass zum Beispiel Bankmitarbeiter keine eigene Zulassung für die Finanzberatung benötigen, weil ihr Arbeitgeber für sie haftet. Bänker leihen sich ihre Kompetenz von Arbeitgeber. Aber hat der Bankvorstand jemals eine Sachkundeprüfung zur Vermittlung von Versicherungen abgelegt? Nicht immer. In jeder Lagerhalle braucht jeder Stapler-Fahrer einen Stapler-Führerschein; jeder Schweißer braucht einen Schweißerschein. In beiden Fällen ist es egal, ob er Stapler-Fahrer oder Schweißer bei der Schlosserei Gottlieb Daimler oder bei der Daimler AG arbeiten. Es wird also Zeit, dass jeder, der Finanzen für andere Leute in die Hand nimmt, auch seine eigene Sachkunde nachweist. Oder wollen Sie künftig im Krankenhaus vom Hausmeister operiert werden, weil die Klinik ja für ihn haftet? Das gilt auch für Finanzoperationen.
9.3.3
Wissensvermehrung?
Das Wissen ist da. Es muss nur neu vermittelt werden, und einfacher: auf Bierdeckeln, um einfache Prinzipien zu verdeutlichen. Vom Bekannten zum Unbekannten, sagen die Pädagogen, und dann: dranbleiben. Zum Beispiel brauchen wir nun bald endlich eine „Sendung mit der Maus“ für Finanzthemen oder dieses Buch hier, das Sie gerade lesen, in Comic-Form. Meinungsumfrage: Möchten Sie dieses Buch als Comic erleben? E-Mail genügt an [email protected] Aber Wissen? Wissen haben wir schon genug: Machen ist gefordert. PS. Ach so, ja: natürlich brauchen wir das Fach „Geld“ als Schulfach. Aber das wussten Sie ja schon, stimmt’s?
9.3.4
Gewissensvermehrung
Das wäre eine gute Idee! Wer fängt an?
9.3.5
Geldvermehrung?
Der DGB und die Partei „Die Linke“ schlagen eine Geldvermehrung vor. Neben Hartz IVStreichung oder Erhöhung der Regelsätze sollen die Renten wieder steigen. Erstens durch die ersatzlose Streichung oder Aufweichung der Rente mit 67. Wer soll das bezahlen? Zweitens mit der Erhöhung des Rentenniveaus. Wovon? Ist das „Freibier“-Politk? Ja. Aber, einer zahlt die Zeche. Der „eine“ sind wir alle, Beitragszahler in der Rentenversicherung oder Steuerzahler.
Gesellschaftliche Lösungen
171
Geldvermehrung scheidet also aus. Die Alternative wäre noch: Geld drucken. Aber das erzeugt Inflation. Seien wir darauf gefasst, dass einige Staaten demnächst ihre immensen Unterstützungsleistungen für die Finanzmärkte wieder durch Gelddrucken herein holen. Inflation ist die elegantere Form der Steuererhöhung. An der Inflation sind nämlich die „schuld“, die die Preise erhöhen. Oder haben Sie im Supermarkt mal erlebt, dass sich die Leute statt über höhere Preise über die gestiegene Geldmenge aufregen?
172
9.3.6
Kapitel 9
Honorarberatung?
Honorarberatung erhöht gewiss die Transparenz in der Finanzberatung. Sobald das reine Spar- oder Kreditprodukt ohne Vertriebs-, also Beratungskosten gekauft wird, dann sinkt der Preis für das Produkt. Allerdings wurde die lang geforderte Transparenz der Beratungskosten im Versicherungsbereich, namentlich in der Lebensversicherung (und RiesterRente u. ä.) bereits im Jahre 2008 verwirkt – aber nicht verwirklicht: Seit dem stehen die Abschluss- und Verwaltungskosten für Versicherungsprodukte im schriftlichen Angebot, das zudem „rechtzeitig“ vor Abschluss dem Kunden vorliegen muss. Dass das Ganze kaum ein Kunde „zumutbar“ deutlich zur Kenntnis nehmen kann, liegt an durchschnittlich 1- 2 Zentimeter dicken Angebotskonvoluten. „Geschickt vernebelt“, könnte man sagen: Welcher Kunde liest 1,5 Zentimeter dicke Papierstapel, nur um 75 Euro in eine RiesterRente zu investieren? Und wer 500 oder gar 1.000 Euro im Monat anlegt, der verdient sein Geld meist so mühsam, dass ihm erst recht Zeit und Muße fürs Aktenstudium fehlen. Die Leute wollen „das Thema“ erledigt haben und keine Bücher auswendig lernen. Außerdem vertrauen sie ihrem Berater. Ein Weg zu mehr Transparenz sind die so genannten, seit 2008 vorgeschriebenen „Produkt-Informationsblätter“. Dort sollen Sie kurz, klipp und klar alles Wesentliche zum Vertrag erfahren. Soll. Haben Sie aber nicht. Der Autor dieser Zeilen hat soeben (wiederholt) zwei vollkommen identische Angebote zweier Lebensversicherungsgesellschaften verglichen: Der Kunde ist 45 Jahre alt und möchte 20 Jahre lang in eine Rürup-Rente einzahlen. Das ist einfach zu verstehen: Jedes Jahr sollen 10.000 Euro eingezahlt werden. Das sind nach 20 Jahren 200.000 Euro Einzahlung. Daraus werden (selbst bei gleicher Verzinsung) je nach Anbieter unterschiedlich hohe Renten gezahlt. Der Grund sind zum Einen unterschiedliche Kalkulationen der Versicherer. Zum Anderen unterscheiden sich aber die Kosten, und zwar in Höhe und Verteilung und Bezeichnung! Es sind die Kosten, die den Unterschied machen: Wir werfen einen Blick in das „Produkt-Informationsblatt“: Versicherer A lanciert 8.000 Euro Abschluss- und Vertriebskosten. Bei Versicherer B beginnt der Gebührenkosmos mit nur 4.000 Euro. Soweit so klar. Dem Kunden ist das „egal“, weil die Kosten ja nicht als separate Abschlussgebühr anfallen, sondern mit den Beitragszahlungen verrechnet werden. Dementsprechend muss bei der Beratung auch nicht auf die Abschlusskosten eingegangen werden. Sie stehen im „Produkt-Informationsblatt“. Der Effekt dieser Abschlusskosten ist folgender:
႑Bei Versicherer A startet das „Sparkonto“ mit minus 8.000. ႑Bei Versicherer B startet das „Sparkonto“ mit minus 4.000.
Gesellschaftliche Lösungen
173
Bevor also das erste Guthaben entstehen kann, muss der Sparer zunächst 4.000 bzw. 8.000 Euro abtragen. Welcher Versicherer wird der Rentablere sein? Sie tippen auf B? Richtig, weil 4.000 Euro Anfangs-„Schulden“ schneller abgetragen sind. Sie tippen auf Versicherer A? Richtig, weil die LAUFENDEN Kosten des Vertrags zu berücksichtigen sind. Um das hier abzukürzen: Wenn man die laufenden Kosten finanzmathematisch korrekt berücksichtigt, dann sind die Gesamtkosten des Vertrags bei Versicherer B erheblich höher. Der Kunde hat keine Chance, das wirklich zu erkennen. Und der Fachmann? Das Problem beginnt auch für den Fachmann bei der Ermittlung der laufenden Kosten, die sich auf drei bis vier Kostenblöcke verteilen. Einige Kosten verlaufen anteilig zum jeweils erreichten Vertragsvermögen, werden aber in Euro je 1.000 oder je 10.000 Euro Vertragsvermögen angegeben, gerne auch je 100 Euro. Der Grund ist: Prozentuale Kosten-Angaben sind weitgehend verboten. Es müssen Kostenbeträge in Euro benannt werden. Die 30-Euro-Welle Wenn es beispielsweise heißt: „Weitere aus dem jeweiligen Kapital zu entnehmende Kosten je 1.000EurogezahltemBeitrag:0,15Euro“, dann müssen Sie zuerst die Beitragssumme ermitteln (in unserem Beispiel 200.000). Diese Beitragssumme ist durch 1.000 zu teilen = 200. 200 x 0,15 = 30 Euro. So ein Aufstand wegen 30 Euro, die über 20 Jahre entstehen! Übrigens dürfte es sich hier um die Inkassokosten handeln, die der Versicherer mit 0,15 Prozent des eingezogenen Beitrags kalkuliert. Und diese Kostenart ist zu separieren! Der Versicherer kann nichts dafür – er muss offenlegen und er muss auf die beschriebene Art offenlegen. Verbraucherschutz wirkt.
Bonusheft Bei anderen laufenden Kosten geht es um das aufgelaufene Vertragsvermögen, quasi den Kontostand inklusive Zinsen. Um jetzt die laufenden Kosten für das Jahr 2019 zu ermitteln, müssen Sie im Vertragsangebot an anderer Stelle nachsehen. Dort steht, falls Sie es finden können, wie hoch der (mit zum Beispiel 6 Prozent Netto-Verzinsung) voraus berechnete Kapitalstand am Ende des Versicherungsjahres 2019 ist. Auf dieses Vermögen zahlen Sie Verwaltungskosten. Diese Kosten heißen aber nicht einfach „Verwaltungskosten“, denn es gibt derer im Schnitt vier Arten. Im Begriffskosmos eines prominenten Direktversicherers heißt es zum Beispiel „Verwaltungskosten je 100 Euro Bonuszuführung“. Wenn Sie jetzt tatsächlich die Hochrechnung finden und die Zeile des Jahres 2019, dann hilft Ihnen der Kapitalstand nicht weiter. Sie müssen vom Kapitalstand die Beiträge abziehen, um die „Bonuszuführung“ … … wir beenden das hier, weil der Kunde schon längst am Ende ist, der Experte auch. Auch der gute Experte kann nicht für jedes einfache Sparen in Standardprodukten finanzmathematische Ermittlungen durchführen. Zurück zur Honorarberatung:
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Kapitel 9
Wenn man die Kosten- und Begriffsakrobatik betrachtet, zu der Versicherer und Verbraucherschützer sich gegenseitig treiben, dann wird klar: Kompetenz zählt. Und es wird klar: DieArtderVergütungsagtnichtsüberdieGütedesBeratersaus:Auchnichtüberdie GütedesHonorarberaters.Soeinfachistdas. Außerdem, das ist ein wesentlicher psychologischer Aspekt (!!!), wird ein Honorar-Berater weniger auf Abschluss drängen als ein Provisionsberater! Nein, nein: Hier geht es nicht um böse, böse Hochdruckverkäufer oder um eine Übervorteilung des Kunden! Finanzvertriebe dürften das nie sagen, ohne gesteinigt zu werden. Ich sage es: Hier geht es um das gemeinsame Ziel von Berater und Kunde: Nur wenn der Kunde wirklich handelt, hat er aus der Beratung einen Vorteil (mehr Rente, abgesicherte Hinterbliebene, gesparte Steuern, bessere Zinskonditionen …), nur dann hat der Berater Geld verdient. Beide machen sich vom gemeinsamen Erfolg abhängig. In diesem Buch habe ich Ihnen bereits von wirklich sehr, sehr guten Finanzplänen berichtet, die Privatbanken ihren Kunden gegen angemessen hohes Honorar erstellen. Für 1.000 bis 5.000 Euro (je nach Vermögensgröße und Aufwand) verfügen die Kunden über ausgefeilte finanzielle Aktionspläne. Sie erinnern sich an das Ergebnis: Wenn man in fünf Jahre alte Finanzpläne dieser Privatbank-Kunden schaut und mit der heutigen Situation der Kunden vergleicht, dann hat sich dort (meist) nichts getan. Der Handlungsdruck fehlte – nicht die Kompetenz! Wer sagt denn, dass Berater und Kunde Interessengegensätze haben müssen? Und: warum? Es muss keinen Interessengegensatz geben. Wenn Berater und Kunde gemeinsam dafür sorgen, dass der Kunde im Alter nicht verarmt, dann verarmt der Berater auch nicht. Durch die Versicherungsvermittler-Richtlinie, die seit 2007 Bundesrecht ist, verschwinden zirka 300.000 nebenberufliche Versicherungsvermittler. Gut so, das dient der Qualität! Andererseits fehlt qualifizierte Finanzberatung jetzt noch mehr als je zuvor. Das nächste Problem ist: Ein guter Finanzberater ist durchaus 150 Euro die Stunde wert; absolute Spezialisten auch mehr als 300 Euro. Wann beginnen Spezialprobleme, die den Spezialisten erfordern? Zum Beispiel an der fachlichen Einbeziehung und Abgrenzung zur Gesetzlichen Sozialversicherung. Ja: der Kommentar zu den elf Sozialgesetzbüchern ist etwa 1,5 Meter lang, wenn Sie ihn einmal in der Bibliothek besuchen gehen. Bleiben wir beim guten Finanzberater für 150 Euro die Stunde (plus Umsatzsteuer): Der berät nun einen kritischen Kunden zum Riestern. Er tut es so aufwendig wie er es gelernt hat: aufwendig eben. Er berät genau so, wie der Verbraucherschutz es verlangt oder weil der Kunde als durchschnittlicher Finanzanalphabet dem Berater „LöcherindenBauch“ fragt. Die erste Beratung dauert zwei Stunden. Die zweite Beratung dauert ebenfalls zwei Stunden plus insgesamt zwei Stunden Büroarbeit (komplette (!) Datenaufnahme, Angebot, Abwicklung) plus eine weitere Stunde im Frühjahr des Folgejahres, um die Riester-Förderung mit dem Kunden zu beantragen. Für diese sieben Stunden inklusive Fahrzeit und Fahrtkosten des Beraters soll der Kunde zahlen: inklusive Umsatzsteuer 1.249,50 Euro Honorar.
Gesellschaftliche Lösungen
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Das Beratungsergebnis in diesem fachlich minderschweren Fall ist: Der Kunde soll monatlich 100 Euro „riestern“. Zusammen mit der ersten Sparrate wird die Rechnung des Finanzberaters fällig. Welcher Kunde macht das? Welcher Kunde kann das? Ein Kunde, der 100 Euro riestert, (das rechne ich jetzt aber nicht vor) verdient 30.000 Euro brutto. Das entspricht dem Durchschnittsverdiener in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Wird dieser Kunden wegen „dem riestern“ (wobei ihm 100 Euro monatlich schon weh tun) von seinen 1.550 Euro netto dem Berater auch noch 1.249,50 Euro überweisen wollen? Ja, er wird. Und: Die Erde ist eine Scheibe! Zum Vergleich: Wird dieselbe Riester-Rente mit Abschlussprovision abgeschlossen, werden höhere, 1.440 Euro Abschlusskosten fällig. Dadurch sinkt in 30 Jahren die Rente um zirka 25 Euro im Monat. Versicherungsmathematiker wissen, dass das am etwa 5.000 Euro niedrigeren Endkapital liegt (wegen der fortgeschriebenen Abschlusskosten). Man kann es auch anders ausdrücken: Der Kunde müsste zum Ausgleich 7,20 Euro im Monat „drauf packen“, um die Abschlusskosten auszugleichen. Ja, ja; das sind 7,2 Prozent Mehrkosten! Aber in jeder anderen Branche nennt sich dieser Vorgang „Absatzfinanzierung“. Absatzfinanzierung bedeutet, ein Produkt bezahlbar, besser: erreichbar zu machen. Was spricht weiterhin dagegen, auf diese Weise dem Kunden eine Absatzfinanzierung zu geben? Beim Abwracken und beim Auto-Leasing schimpft keiner; aber beim Riestern! In der Finanzberatung sind Kosten böse Kosten. Im Autohandel sind sie normal. Übrigens sollte jeder Abwracker wissen, dass die Autohäuser im Schnitt 15% Provision kriegen. Dabei sind sich gefühlt 117 Prozent aller deutschen Männer sicher, dass sie in Sachen Auto keine Beratung brauchen. Bei den Frauen ist das anders. Die interessieren sich nicht so für Autos. Im Falle des Falles erhalten sie von den Männern Auto-Beratung – honorarfrei. Warum braucht der Händler dann soviel Provision? Für „Glaspaläste“ wie die Banken? In der Tat genügte für das Thema Auto ein kleiner Showroom pro Stadt oder Stadtteil. Minimale Personalbesetzung. Da kann man probesitzen und anfassen. Eine Probefahrt kostet 60 Cent pro Kilometer für einen VW Passat, 40 Cent für einen VW Golf. Prospekte gibt’s online. Bestellt wird im Internet und es gibt eine „Helpline“ unter Telefon 01805… . Das Auto kommt per Transporter direkt nachhause. Die Kaufpreise sinken um 10 Prozent. Wussten Sie übrigens, dass Ihr Hemd oder Ihre Bluse, die Sie für 90 Euro kaufen, dem Einzelhandel 50 Prozent „Provision“ in die Kassen spülen, 45 Euro! Ich selbst kaufe meine Hemden übrigens immer innerhalb von drei Sekunden. Das sind 15 Euro pro Sekunde oder entsprechend 54.000 Euro Stundenlohn für den Laden-Inhaber (der Verkäufer bekommt natürlich weniger). Dafür kann der Laden sicherlich die Personalkosten verkraften, die das Bestellen, Auspacken und einsortieren der Ware kostet – und den Espresso und die geschenkte Krawatte. Ich selbst überlege aber, ob ich auf Honorarberatung umstelle und mich statt innerhalb von drei schon in zwei Sekunden entscheide. Dann spare ich 15 Euro und für den Händler ändert sich nichts. Er verdient zwar nur 36.000 Euro die Stunde, hat mich aber auch nur zwei statt drei Sekunden „beraten“ müssen. Und den Espresso gibt es obendrein (ich muss nur das mit der Bonus-Krawatte noch verhandeln).
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Kapitel 9
Im Ernst: Am besten wird es sein, wenn man dem Kunden beide Varianten vorrechnet: und dann selbst entscheiden lässt. Da beginnen aber schon neue Probleme! Finanzmathematik, also die Nummer oben mit den 7,20 Euro „Absatzfinanzierung“, gehört nicht zur „Sachkunde“ des Versicherungsvertreters (oder künftig aller Finanzberater, wenn die Finanzvermittlerstudie „wirkt“). Honorarberatung hat dann ihren Sinn, wenn hochvolumige Finanzverträge beraten werden. Wenn ein Kunde zwei Millionen Euro bewegt, dann wären nämlich 80.000 Euro Honorar nicht angemessen. Selbst wenn ein Spezialberater (300 Euro die Stunde) zugange sein muss, weil‘s vielleicht kompliziert ist: Für 300 Euro Stundenlohn könnte der Berater dann vergleichsweise über 265 Stunden abrechnen. Das ist selbst bei komplizierten Fällen selten. Honorarberatung wird von Verbraucherschützern gefordert, weil die in diesen neuen Markt einsteigen wollen (gerne, sobald sie sachkundig und zugelassen sind). Dort schätzt man die einfache Riester-Beratung auf 300 Euro Honorarwert. Vereinzelt werden Stimmen laut, eine staatliche „Abwrackprämie“ von 150 Euro in Form eines Beratungsgutscheins bereit zu stellen. Alternativ soll der Staat die Finanzierung der Verbraucherschützer mehr als verdoppeln! Das wird ernstlich gefordert. Erstens ist die einfache Form des RiesterSparens (genauer: der Ersetzung der Rentenkürzung durch die Riester-Gesetze) seit acht Jahren in den Finanzvertrieben schon „wund“ geschult worden, so dass es volkswirtschaftlich keiner weiteren Ausbildungsinitiative bedarf. Zweitens ist eine isolierte RiesterBeratung nicht umfassend und widerspricht den Forderungen der Finanzvermittler-Studie nach Ganzheitlichkeit der Finanzberatung. Fragen Sie einmal Ihren Verbraucherschützer, ob er die Studie zur Finanzvermittlung gelesen hat und messen seine Aussagen und Leistungen an den Forderungen der Studie (die sich im Übrigen mit VerbraucherschutzForderungen weitgehend decken). Vereinbaren Sie sodann mit ihm einen neuen Termin in sechs Monaten. Bis dahin müsste er eine Sachkundeprüfung bestanden haben. Dann darf er Sie beraten. Zurück zum Kunden: Soll der Kunde für seine Hausratversicherung eine weitere Beratung kaufen, und für die Berufsunfähigkeitsversicherung auch? Und wie ist das mit dem WohnRiester, mit der Baufinanzierung. Jedesmal Honorar? Oder: Wie viel darf eine umfassende Finanzberatung beim Normalverdiener mit 1.500 Euro Nettoeinkommen kosten? 600 Euro? 800? Wer bietet mehr? Wer bezahlt das? Keiner! Das kennen Sie: Kaspar Hauser will ein Haus kaufen. Das Haus kostet 200.000 Euro. Dazu kommen die Kaufkosten: Notar, Grunderwerbssteuer, Grundsteuer, Kreditgebühr: 15.000 Euro. Diese 15.000 Euro nennt man auch „weiche Kosten“, weil sie durch den Wert des Hauses nicht gedeckt sind. Die Bank schätzt den Wert des Hauses. Sie schätzt korrekt: 200.000. Die Bank ist sehr großzügig: Sie verzichtet auf Sicherheitsabschläge und bietet dem Mann ein Darlehen über 200.000 Euro an. Wenn der Kunde klamm wird, kann die Bank das Haus verkaufen und erhält ihre 200.000 Euro zurück. Die Kaufkosten von 15.000 Euro muss der Kunde in bar bezahlen. Da der Kunde die 15.000 Euro nicht hat, scheitert der Hauskauf.
Gesellschaftliche Lösungen
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Das kennen Sie nicht: Kaspar Hauser will ein Auto kaufen. Das Auto kostet 20.000 Euro ab Werk. Kaspar Hauser geht also zum Händler und sagt: „Ich will dieses Auto auf Kredit kaufen“. Der Verkäufer bietet dem Kunden eine Finanzierung an: 60 Monate, 5% Effektivzins, macht 376, 41 Euro Monatsrate für das Auto. Kaspar Hauser ist einverstanden. Der Verkäufer legt dem Kunden jetzt drei Verträge vor: 1. Bestellung eines Automobils. Kaufpreis 20.000 Euro. 2. Darlehensvertrag über 20.000 Euro, Monatsrate 376,41 Euro. 3. Beratungshonorar 3.000 Euro, zahlbar sofort. Kaspar Hauser ist entsetzt. Die 3.000 hat er nicht. Ob man die 3.000 Euro denn mitfinanzieren könne, fragt er. Der Verkäufer bedauert. Die Beratungsgebühr seien „weiche Kosten“, die durch den Substanzwert des Fahrzeugs nicht gedeckt seien. Die Bank brauche schließlich die Gewissheit, im Pleitefall eine ausreichende Sicherheit zu haben. Und außerdem habe die Beratung des Kunden ja auch einen gewissen Wert: Alleine die technische Erläuterung des Unterschieds von Diesel oder Benziner sei schon recht aufwendig gewesen. Ganz abgesehen von den unterschiedlichen Steuerberechnungen für Diesel und Benziner in Abhängigkeit zu Laufleistung und Haltedauer. Ferner habe man ja auch eine Vorausschau auf den zu erwartenden Wiederverkaufswert gerichtet und ob die Signalfarbe Orange einen positiven oder negativen Effekt auf Sichtbarkeit im Verkehr habe. Das habe man dann nochmals mit dem Wiederverkaufswert abgeglichen. Das Geschäft scheitert. Sie sehen: Honorarberatung ist transparent. Warum steht dieses Thema eigentlich hier im Kapitel „Gesellschaftliche Lösungen“? Weil staatliche Regulierung ihr Ziel verfehlt, wenn die falschen Leute das Falsche beschließen. In der Autoindustrie würde ein Honorarmodell niemals funktionieren. Der Konsum der Menschen würde sich auf andere „absatzfinanzierte“ Konsumgüter richten: Handys, HiFiGeräte, Flachbildschirme, Urlaub. Die Autoindustrie würde erheblich schrumpfen – mindestens! Bei Autos geht es um Eitelkeit und Konsum – weniger um „Bedarf“ im wissenschaftlichen Sinne. Bei der Altersversorgung geht es um echten Bedarf. Wissenschaftlich, volks- und „einzelwirtschaftlich“ (Haushalt) geht’s schlicht ums Eingemachte! Ludwig Erhardt, unser Wirtschaftwunder-Wirtschaftminister, sagte einmal: „Man kann die Pferde nur zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst“. Das heißt: Anreize müssen dazu führen, dass sich Menschen auch danach verhalten – KÖNNEN! Und wenn das Sparen nur noch gegen eine hohe Beitrittsgebühr möglich ist wie im Golfclub, dann wird auch Sparen exklusiv! Willkommen im Club.
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Kapitel 9
Natürlich brauchen wir bereits in den Schulen einen Geld-Unterricht. Aber viele Interessengruppen fordern ihr eigenes Spezialfach, so dass mit einer Umsetzung des Themas „Geld und Sparen“ auf Sicht nicht zu rechnen ist. Es gibt aber auch einfache Möglichkeiten, seine Familie und die Kinder einzubeziehen: Familie Riese geht zum Elektronik-Händler und beschließt, einen neuen Fernseher zu kaufen: Budget 1.000 Euro. Dafür kann der Fernseher das, was ein Fernseher heute können muss. Die Betonung liegt auf „muss“. Die Kinder gehen natürlich mit zum Einkauf, weil sie mit entscheiden wollen. Wenn nun die Kids Sonderwünsche haben, dann werden diese erfüllt. Sie müssen sich aber je 100 Euro Mehrpreis mit einem Euro pro Monat beteiligen. Das gleicht die Mehrkosten nicht aus. Aber es macht den Kindern klar, dass ihre Extrawünsche Geld kosten – ihr Geld. Bei Autos gilt es als uncool, zum Beispiel im VW Passat vorgefahren zu werden. Ein Audi A6 wäre schon besser: nicht weil größer, sondern weil Audi. Kaufentscheidungen bei Autos werden zu großen Teilen von Kindern mit getroffen. Beteiligt Eure Kinder: je 1.000 Euro Kinder-Extrawunsch-Mehrpreis 1 oder 2 Euro Taschengeldkürzung. Seit einigen Jahren kann man im Internet beim Zusammenstellen der Sonderausstattung statt des Kaufpreises auch den Leasingpreis je Sonderausstattung ansehen: Elektrische Fensterheber hinten kosten dann eben anteilig das Geld der Kinder: symbolisch ein oder zwei Euro oder reale 15 Euro im Monat. Man muss es nicht übertreiben, aber Kinder sollten diese Kostensignale erkennen können und mit einem Euro beitragen. Ein Auto, das nur sehr selten von allen vier Familienmitgliedern bestiegen wird, braucht nicht unbedingt vier Türen. Da spart man leicht 500 Euro und jedesmal das zusätzliche Öffnen der nicht vorhandenen hinteren Türen – und den Kindern den symbolischen Komfort-Euro. Gesellschaftliche Lösungen entstehen in der „Keimzelle“ der Gesellschaft: in der Familie – und im Kopf:
9.3.7
Fortbildung
Apropos Kopf: Warum knüpfen Unternehmen den Lohn nicht an die Fortbildung der Mitarbeiter? Die Fortbildungsbereitschaft steigt erheblich, wenn die Leute verstehen, dass sie ihre Lohngruppe (also den IST-Lohn) nur erhalten können, wenn sie planmäßig Fortbildungen absolvieren. Viele langjährig Beschäftigte verlieren über die Jahre ihre marktgerechte Qualifikation. Wer’s nicht glaubt, der merkt es, wenn er arbeitslos wird und sich woanders bewirbt. Die Anforderungen sind gestiegen. Andere Bewerber sind jünger, besser und billiger. Wem jetzt „plötzlich“ eine branchenübliche Fremdsprache fehlt, der hat ein existenzielles Problem! Gleich verhält es sich mit berufstypischen Zertifikaten (Meister, Techniker, Fachkursen) oder Fortbildungen, die jeder Arbeitgeber als selbstverständlich voraussetzt. Personalmanager werten Berufserfahrung unter 3-5 Jahren als noch nicht ausreichend für höhere Lohngruppen oder Beförderungen. Das lässt sich absitzen, denkt man. Ja, solange man sich dabei aktiv fortbildet.
Gesellschaftliche Lösungen
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Bedenklich ist das Folgende: Personalmanager betrachten Berufserfahrung überfünfJahre eheralsBetriebsblindheit. Zumindest, solange der Mitarbeiter, schlimmer: der Bewerber, sich fachlich und persönlich nicht fortentwickelt hat.
Beispiel Bank: Bankmitarbeitern in der Kundenberatung (Bänkern) ist schon aus Gründen der erbärmlichen Beratungsqualität eine geeignete Fortbildung anzubieten, mit der zwei Ziele erreicht werden: Sachkunde und Beratungsqualität. Es ist völlig unverständlich, warum die Bänker nicht in großen Schwärmen die Industrie- und Handelskammern überrennen, um sich für die „Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen“ und von Investmentfonds zu qualifizieren. Es ist völlig unverständlich, warum die Banken ihre Berater nicht zu dieser fachlichen Qualifikation anhalten. Es ist völlig unverständlich, warum Personaler namentlich in den Banken eine solche Weiterqualifikation nicht zur Bedingung für die Weiterbeschäftigung (hier) in der Kundenberatung machen – und die Weiterbeschäftigung im Verkauf nicht an das Bestehen der gesetzlich vorgeschriebenen Sachkundeprüfung knüpfen. Ach so: sie müssen es nicht. Alles klar, aber: … aber was würden Sie sagen, wenn Sie als Kassenpatient plötzlich vom Krankenpfleger operiert werden? Kein Problem: Schäden aus falscher Behandlung werden von Krankenhaus ersetzt. Das übernimmt ja die Haftung für den Operateur. Da ist es doch egal, wenn es sich hier um den Krankenpfleger handelt oder? Im Krankenhaus geht das nicht, in der Bank schon. Deshalb sollten alle Verkaufs-Bänker Sachkunde erwerben (müssen) oder mit Gehaltskürzung im backoffice, früher hieß das Sachbearbeitung, verschwinden. Ein Bänker ohne Sachkundenachweis kann dann nicht mehr beraten: weil er es nicht kann und weil er es deswegen nicht darf. Im Anhang zum Arbeitsvertrag eines Verkaufsbänkers müsste eigentlich bei jedem Mitarbeiter stehen: §1 „… absolvieren Sie bis zum 31.12.2010 die Sachkundeprüfung zur Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen. Die Bank übernimmt die Ausbildungs- und Prüfungskosten. Dadurch erhalten Sie Ihre derzeitige Gehaltsgruppen-Einstufung „X“ aufrecht. Ohne die oben stehende Fortbildung werden Sie ab 01.01.2011 in die Lohngruppe „X–„ herabgestuft…“. §2 „für die weitere Vermittlung von Investmentfonds-Anteilen weisen Sie bis zum 31.12.2010 ihre persönliche Eignung entsprechend der Gewerbeordnung nach (§ 34 c Gewerbeordnung). Dies ist Voraussatzung für Ihre Höhergruppierung in die Tarifgruppe „X+“.
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Kapitel 9
Beispiel Produktions-Branchen: Ein Mitarbeiter, der eine neue Maschinengattung nicht bedienen kann, muss fortgebildet werden. Er muss sich fortbilden, weil es in drei oder vier Jahren die heutige Maschinengeneration nicht mehr gibt. Darum bieten Betrieb und Betriebsrat jedem Mitarbeiter an, auf die neue Maschine umzulernen. Auf Vorrat sozusagen und abgestimmt auf die zu erwartenden betrieblichen Änderungen. Auf diesen zeitlichen Innovationshorizont abgestimmt geben sich Unternehmen und Mitarbeiter die nötige Zeit für die Fortbildung und verpflichten sich gegenseitig darauf. In Großunternehmen funktioniert das seit vielen Jahren, aber nicht flächendeckend und je schlechter, je kleiner die Unternehmen sind. Im Anhang zum Arbeitsvertrag müsste eigentlich bei jedem Mitarbeiter stehen: „… absolvieren Sie bis zum 31.12.2013 die xyz-Fortbildung mit Bestehen der Prüfung. Die Kosten trägt das Unternehmen. Dadurch erhalten Sie Ihre derzeitige Lohngruppe 4. Ohne die oben stehende Fortbildung werden Sie ab 01.01.2014 in die Lohngruppe 3 herabgestuft…“. „Im Kleinen werden wir groß“ (sagt der alte Mann, der einmal klein war).
9.3.8
Arbeitgeber als Teil der Gesellschaft: neue Herausforderungen
Die Spät-Rente mit 67 braucht neue betriebliche Modelle Bereits Ende 2005, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen, war es besprochen, aber da hat es keiner wahrnehmen wollen; jetzt ist sie Gesetz: die Rente mit 67. Das heißt, bereits die Jahrgänge ab 1964 müssen zwei Jahre länger arbeiten. Die Zeitungen füllten sich mit Aufschreien des Protestes, dem Ruf nach Lösungsmodellen und Ausnahmen von der 67erRegel. Dabei hat sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck um den Dachdeckerstand verdient gemacht. Mut in diesem Meldungs- und Meinungshaufen machten im Jahre 2006 bereits die Ankündigungen der Banken, Fondsgesellschaften und Lebensversicherer, demnächst sogenannte Lebensarbeitszeitkonten anzubieten, in das die Werktätigen alle Lohnformen einbringen können. Mit dem angesparten Geld wird später ein privater „Vorruhestand“ finanziert. Diese Produkte waren zu begrüßen, doch vorläufig bleibt , und hier ist die Gegenwartsform wieder angemessen, diese Produktgattung nur ein Produkt mehr im Bauchladen der Finanzindustrie, bis die Anbieter aus den Startlöchern kommen und es in ein Erklärungsmodell einfügen, das im Kopf der Menschen ein „Verständnismodell“ entstehen lässt. Ohne hier das Alterseinkünftegesetz nochmals bemühen zu wollen; es wird komplizierter: Private und betriebliche Versorgungen steigerndie Rente. Lebensarbeitzeitkonten verkürzen die (Warte-) Zeit bis zur Rente. Dieser neuen Zeitkomponente gilt es Rechnung zu tragen, vor allem wenn man bedenkt, dass die Leute nicht etwa „wieder“ oder „weiterhin“ mit 65
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in Rente gehen wollen, sondern dass sie derzeit mit 59 bis 60 in den Ruhestand gehen. Ferner macht Sorgen, dass viele Unternehmen keine Leute über 50 mehr haben wollen. Diese Arbeitsmarktsituation wird sich erst in zehn Jahren entspannen, wenn die BabyBoomer, also die erste Nachkriegsgeneration und die letzte vor dem Pillenknick, nach und nach in den Ruhestand gehen. Danach wird ein Arbeitskräftemangel einsetzen, wie er seit ungefähr fünf Jahren schon bei Pflegeberufen und ersten Ingenieursparten bestand. Seit 2007 werden auch Facharbeiter und Angestellte mit Ausbildungsberufen knapp. Am 28.11.2007 vermeldete der Deutsche Industrie- und Handelskammer-Verband, dass im Jahre 2007 über 400.000 Facharbeitsplätze nicht besetzt werden konnten. Allein dieser Zustand dämpfe das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um ein Prozent!
Der runde Tisch: Zukunftsteams Auch Großunternehmen können nicht länger die Krankenhäuser des auf dem Rückzug befindlichen Sozialstaates spielen. Also: Wie überbrückt man sieben Jahre zwischen 60 und 67? Wie bringt man den Leuten sieben (!) Jahresgehälter auf das Konto? Wie gelingt es, den Menschen eine berufliche „Mindesthaltedauer“ bis 60 zu gewährleisten? Um die Komplexität der Arbeit und die Lösungsmethoden unter einen Hut zu bringen, ist ein Runder Tisch aller Beteiligten vonnöten. Bei der Altersversorgung, zumal der betrieblichen als Bestandteil eines erweiterten Sozialsystems, kommt es auf betrieblicher Ebene, beim Mittelstand mindestens auf Verbandsebene, auf ausgefeilte, neue Arbeitsmodelle an, die darüber hinaus für ältere Arbeitnehmer arbeitsmedizinischen Grundsätzen folgen müssen. Die Industrie muss schon der Größe und ihrer Signalkraft wegen der Vorreiter sein und ihre neuen Modelle sinnvoll mit den Spezialprodukten der Banken und Versicherer abstimmen und verbinden. Je klarer hier künftig die Aufgabenteilung zwischen Betrieb und Finanzindustrie geregelt wird, desto weniger sind komplizierte, teure Hilfsinstrumente207 der jüngeren Vergangenheit erforderlich: weil der andere es besser kann! Den Gewerkschaften kommt dabei die Aufgabe des Regulativs zu, zeit- und geldwirtschaftlichen Ausgleich ebenso wie Verteilungsgerechtigkeit zu gewährleisten. In der Tat müssen sich andererseits gerade die Beraterzünfte der betrieblichen Altersversorgung wesentlich mehr mit Arbeitszeitmodellen, nicht nur mit dem Geldeinsammeln, befassen, sodass in den Unternehmen oder auf Basis der Verbände Zukunftsteams entstehen, die neben betriebswirtschaftlichen Aspekten auch gestaltend Rücksicht auf die künftigen Erwerbsbiografien der Menschen nehmen. Der Autor ruft nach Branchenplattformen, an denen sich die Finanzindustrie gestaltend beteiligt.
Das Belegschafts-Zielfoto 2040 Wie nennt man die Addition der Erwerbsbiografien der Mitarbeiter in einem Unternehmen? Betriebsdemografie! Volkswagen hat bereits Mitte der 1990er Jahre, stark vereinfacht
207
Vorruhestand oder Altersteilzeit auf Kosten der Allgemeinheit
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Kapitel 9
beschrieben, seine „Wunschbelegschaft“ der Zukunft definiert und entdeckt, dass sich die betriebliche Demografie gestalten lässt. Die Belegschaft kann in ihrer Alterszusammensetzung umso besser „modelliert“ werden, je weiter in die Zukunft geblickt wird. Dies führte bei VW zum „Arbeitszeit-Wertpapier“. Das für Lebensarbeitszeitkonten bedeutsame „Flexigesetz“ von 1998 wird deswegen auch als „Lex-VW“ bezeichnet; tatsächlich ist das Gesetz als Epoche machend einzustufen und letztlich von VW mit initiiert. Das ist ohne Wenn und Aber eine große Leistung von Peter Hartz und Gerhard Schröder, die knapp an Riester und Hartz IV heranreicht Um Lebensarbeitszeitkonten auch auf kleinere Betriebe zu übertragen, braucht es erhebliche Vereinfachungen und Prognosemodelle, mit denen sich ein Belegschaftszielfoto 2040 skizzieren lässt. Diese sind seit dem Jahr 2005 auch für Betriebe ab 100 Personen verfügbar, um im Anschluss daran sofort das passende Lebensarbeitszeitkonto für den Betrieb einzuführen, allein an diesem Wissen und in wenigen Fällen, der Akzeptanz, mangelt es noch. Absehbar ist für die Jahre nach 2020, dass die heute 30-Jährigen in Summe nicht mehr das dann gefragte Anforderungsprofil der Unternehmen erfüllen, zumal sich Entwicklungen der Globalisierung hinsichtlich der Auslastungen heutiger Werke in Deutschland durchaus hochrechnen lassen. In gemindertem Maße betrifft das auch den Mittelstand. Jede Branche wird Bildungs- und Personaloffensiven starten müssen, um den künftigen Anforderungen an die Mitarbeiterqualifikationen gerecht werden zu können. Andererseits wird ein Teil der heutigen Belegschaften diesen Zukunftsschritt nicht mitgehen können – und seien wir ehrlich: nicht mitgehen wollen. Neben beruflicher Fortbildung, neuen Arbeitszeitmodellen kommt ab heute den Lebensarbeitszeitkonten eine entscheidende Bedeutung zu, denn nur mit ihnen lassen sich Arbeit und Lohn zeitlich trennen, Lebenseinkünfte glätten und planmäßige Ausstiegsszenarien für bestimmte Belegschaftsgruppen gestalten! Übrigens, und das ist neu erkannt, lassen sich auch Belegschaften „sterbender“ Standorte (Kernkraftwerke oder „geheime“ Werkschließungspläne) erwiesenermaßen mittels Prognosemodellen gestalten, aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.
Jedem sein Konto: Lebensarbeitszeitkonten werden Personalmagneten Angesichts der erwarteten Personalmangelszenarien ab 2020 werden Lebensarbeitszeitkonten sich zu Personalmagneten entwickeln, gerade weil „gesuchte“ Leute wissen wollen, wie sie früher in Rente gehen können! Bis es soweit ist, müssen Unternehmen, Berater und Produktanbieter den weiten Weg der Erkenntnisvermittlung an die Mitarbeiter gehen, bei dem es darauf ankommt, dass der Mitarbeiter das Wesen und den Zweck betrieblicher Vorsorge als, allerdings notwendiges, „Gesamtkunstwerk“ versteht. Betriebliche Vorsorgemodelle müssen künftig neben der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) mit Lebensarbeitszeitkonten „ausgestattet“ sein. Obwohl unterschiedlicher Art, empfiehlt sich dringend die zusammenhängende Vermarktung als Komplettlösung. Die Mitarbeiter brauchen dringend ein Verständnis für das Verhältnis von hoher Rente (bAV) und früher Rente (Zeitwertkonto) zueinander. Dabei kommt es auf die Erklärungsmodelle der Finanzindustrie an, die die Gesamtheit der Person einbeziehen. Solche Modelle müs-
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sen die privaten Förderwege (Rürup, Riester) erklärend und verständlich einbeziehen. Die Abwicklung möglichst vieler Attribute privater Vorsorge über den Betrieb muss einfacher werden (Bruttosparen). Sodann folgen betriebliche Erweiterungen zur Krankenversicherung, die den nächsten Krankenversicherungsreformen organisatorisch und materiell gerecht wird. Gesundheitsmanagement wird schon bald zu den zentralen Aufgaben der Personalabteilung gehören. Viel wäre gewonnen, wenn die Mitarbeiter in den Unternehmen eine persönliche Beratung erhielten, die während der Arbeitszeit und verpflichtend durchgeführt wird, weil dies den Arbeitgeber hinsichtlich Aufklärungs- und Fürsorgepflichten, auf die hinterher immer mehr Arbeitsrichter erkennen, enthaftet! Angebote zur bAV (Rentenhöhe) sollten ab heute – nicht ab bald – obligatorisch mit der Eröffnung eines Lebensarbeitszeitkontos (Renten„Nähe“) verbunden und erklärt werden, selbst wenn der Mitarbeiter es erst später bespart; zum Beispiel, sobald der Vorgesetzte, mit sanftem hierarchischem Druck, zum Zwecke der Präsenz seiner Leute aufgelaufene Überstunden in das Konto „umschaufeln“ lässt, um Freischichten zu vermeiden. Grundsätzlich helfen dem Mitarbeiter Selbstberatungstools im Intranet der Firma, mit denen sich der eigene Rentenbeginn kalkulieren lässt. Die Regeln der Zukunft Regel1: Ein Runder Tisch muss Arbeit und Erwerbsbiografien neu gestalten. Regel 2: Bereits ab dem Mittelstand sind Prognoseberechnungen der Zukunftsbelegschaft nötig. Regel3: Neue Arbeits- und Arbeitszeitmodelle sind gefragt, die Lebensphasen berücksichtigen. Regel 4: Neue Vergütungsmodelle sind nötig, die Arbeits- und Einkommensschwankungen glätten. Regel5: Arbeiten und Entgeltzahlung sind zu erheblichen Teilen zeitlich zu entkoppeln. Regel 6: Aus Gründen des Insolvenzschutzes sind Vermögensanlagen der Mitarbeiter auszulagern. Regel7: die Finanzindustrie muss passende Produkte anbieten (Bausteine). Regel 8: Erklärungsmodelle müssen Verständnismodellen weichen und Bestandteil einer integrierten Mitarbeiterberatung werden. Und wie übersetzt man das den Beratern, die es den Arbeitgebern und ihren Mitarbeitern erklären sollen?
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Kapitel 9
Lebensarbeitszeitkonten: „Momo“ im Garten Leben Sind Sie noch jung, liebe Leserin, liebe Leser? Oder sind Sie schon älter? Was ist Zeit? Damit befasste sich Michael Ende Anfang der 1970er Jahre und brachte 1973208 „Momo“ heraus. In dem Buch geht es um graue Herren (erinnert das nicht an den grauen Kapitalmarkt?), die den Menschen die Zeit abschwatzen, um sie für später bei der Zeit-Spar-Kasse anzulegen. Allerdings handelten die „grauen Herren“ (Verkäufer) betrügerisch und unterschlugen die gesparte Zeit, indem sie sie verrauchten. Rettung erfährt die Welt in dem Werk durch das Mädchen Momo und den Meister Hora – dem Herrn über die Zeit –, die den Zeitdieben das Handwerk legen. Der Nebenaspekt in diesem Plot: Die Menschen vergaßen, im Hier und Jetzt zu leben und ihre Gegenwart zu gestalten. Erinnert Sie das nicht an Einwände der Menschen, Konsumverzicht zugunsten ihrer Altersvorsorge zu üben? Insgesamt ist „Momo“ in seiner von Michael Ende gegebenen Diktion eine gesellschaftliche Kritik am Geldwesen. Das Thema Geld war für Michael Ende eine unbeantwortete moderne Kulturfrage und die hat inzwischen auch die Personalabteilungen erreicht.209 Jetzt aber wird es praktisch: Die Rente mit 67 ist beschlossen, die Produkte dafür – oder besser dagegen – werden täglich mehr, die Schulungen und Produktinformationen auch. Dabei wird den Unternehmen zwar der Rechtsrahmen der Lebensarbeitszeitkonten ausführlich erklärt, werden mit fantastischsten Wortschöpfungen fantastische Fondskonstruktionen bemüht - aber keiner versteht so recht, wie er Lebensarbeitszeitkonten an den mittelständischen Personalchef „übersetzen“ kann, schlimmer noch: wie der Hans von der Werkbank oder Oberschwester Gisela das Produkt und seinen Nutzen erkennen können. Mit hoher Komplexität wird wohl allerhöchstem Expertenniveau (der „grauen Herren“ jeder Art) gedient, nicht aber dem Anspruch an die Verständlichkeit eines Massenprodukts der Zukunft beim Kunden und beim Formenberater. Die modernen „grauen Herren“ sind nämlich seriöse, verständige und verständliche Verkäufer. Spätestens seit Kathrin Kümmerle und Andreas Buttler210 zu Lebensarbeitszeitkonten ein Standardwerk verfasst haben, hat sich das fachliche Thema auf betrieblicher Ebene erledigt. Blicken wir endlich auf die Unternehmen und dass die Menschen uns verstehen – mit Verständnisbildern wie „Momo“.
208 209 210
Michael Ende „Momo“, Thienemann Verlag (ISBN 3522119401). Rieksmeier, Versicherungswirtschaft, 01.08.2005, S. 1134. Kümmerle/Buttler/Keller, Betriebliche Lebensarbeitszeitkonten“.
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Seit den Zeiten von „Momo“ hat sich schließlich Einiges getan. Das Produkt ist vom „grauen“ in den geregelten Markt gewandert, das sogenannte FlexiGesetz211 regelt das Umfeld und die Spitzenverbände der Sozialversicherung spielen mit. In diesem Punkt ist sogar eine interessante Parallele zum Buch zu finden. Dort hält Meister Hora kurz die Zeit an, um die Verhältnisse zu regeln. Ebenso halten derzeit die Finanzbehörden die Zeit an, indem sie (noch) verbindliche Auskünfte ablehnen. Aber sogar ein Erlass des Bundesfinanzministeriums zu Lebensarbeitszeitkonten für GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer und Vorstände von Aktiengesellschaften ist in Arbeit; Chapeau! Und die grauen Herren selbst? Die sind seriös geworden. Die Anzüge sind branchentypisch immer noch grau, die Vertriebsmethoden der damaligen grauen Herren halten inzwischen, entsprechend motiviert oder reguliert, der Vermittlerrichtlinie stand. Die BaFin hat übernommen und Meister Hora abgelöst. Es ist nun an der Zeit, zu handeln. Übrigens: die einzige „nicht (er)sparbare“ Zeit ist Zinszeit. Aber damit es zum Einsatz der Lebensarbeitszeitkonten kommt, müssen die Anbieter zunächst ihre Key-Account Manager und später in gesamter Vertriebsbreite, also alle modernen grauen Herren, mit Bildern und Verständnismodellen zur motivierten Einsicht bringen. Die grauen Herren müssen die Personalmessen besuchen, sich als die wahren Grauen Herren zeigen und sich einer Demonstration potenzieller Frührentner anschließen, die über die Messe marschieren und gegen die Rente mit 67 skandieren. Ihr gemeinsamer Weg führt zum besten Aussteller – nicht dem, mit dem besten Produkt (was ist das?), sondern zum besten Kommunikator der Lebensarbeitszeitkonten-Branche. Die Anbieter der Lebensarbeitszeitkonten müssen sich aber beeilen. Eine Parallelgeschichte aus den USA zu Marktaufteilungen mittels neuer Produktmärkte ist Fidelity, die durch ein einzigartiges Marketing und Clienting seit 1980, nach Einführung der sogenannten 401kPlans (des „US-Riester“) von einem unbedeutenden Anbieter zu einem „bedeutenden“ wurden. Was empfiehlt der Autor? Moment mal, werden Sie, geschätzter Leser, fragen: Meinen Sie jetzt das „Buch Momo“ (das klingt jetzt je nach Gänsefüßchen-Anordnung fast wie ein Evangelium – da ist was dran) oder den Markt der Lebensarbeitszeitkonten? Der Autor meint beides! Nehmen Sie das Buch „Momo“ – gern auch dieses – erzählen Sie diese Geschichte und die von Momo. Geben Sie das Buch an Ihre Geschäftspartner, Kunden und deren Mitarbeiter. Bestellen Sie „es“ und „damit“ das Feld, düngen Sie die Nischen, aus denen die Lebensarbeitszeitkonten eine breite neue Versorgungsform machen.
211
Gesetz zur Flexibilisierung der Arbeitszeit.
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Kapitel 10
Kapitel10 Die letzten Sparschritte: Kaspar Hauser gegen Adam Riese 30 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2039. Bis zur Rente sind es noch 5 Jahre. AdamRiese: 65.863 Euro. Die 100 Euro spart er weiter, jeden Monat. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen: Null. Das Hinterher Sparen nervt, deswegen tut er es nicht. Wer würde schon 1.300 Euro im Monat auf die Seite bringen können? Das wäre nämlich der Betrag, den er ab heute jeden Monat anlegen müsste, um Adam Riese einzuholen.
33 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2042. Bis zur Rente sind es noch 2 Jahre. AdamRieses Vermögen zählt jetzt 77.366 Euro. Monatssparrate: 100 Euro – wie immer. KasparHauser, der Kaspar Hauser in uns allen: Null, „Prost“.
35 Jahre sind vergangen, heute am 01.01.2044. Heute geht’s in Rente: AdamRiese hat 35 Jahre lang jeden Monat 100 Euro gespart. Heute bekommt er Post von seiner Bank. Auf dem Kontoauszug steht: „Guthaben 85.000 Euro“. Kaspar Hauser, der Kaspar Hauser in uns allen, hat keinen Kontoauszug. Aber er erbt: 85.000 Euro und trifft Adam Riese in ihrer gemeinsamen Stammkneipe „Zum Kalkulator“. Kaspar Hauser: „Ääätsch, Riese. Das hast Du nun davon“ und legt den Scheck auf den Tisch, direkt neben Rieses Kontoauszug. AdamRiese: „Das Geld ist wichtig, schließlich ergeben 85.000 Euro ungefähr 400 Euro Rente im Monat, lebenslang, Gottseidank“. KasparHauser: „Wie viel Geld brauchst Du denn jetzt im Ruhestand?“ Riese: „4.000 Euro – wie du, Kaspar“
Die letzten Sparschritte: Kaspar Hauser gegen Adam Riese
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Hauser: „O.k., ich hab‘ 400 Euro Rente aus der Erbschaft und du aus dem Sparvertrag. Mit 400 Euro Rente kommt keiner von beiden aus, wenn wir wissen, dass wir das Zehnfache brauchen: 4.000 statt 400 Euro im Monat. Wir müssen arbeiten bis zum Umfallen!“ Riese: „Wieso 400 Euro? Unsere Rechnung über 35 Jahre war doch nur ein Vergleichsbeispiel. Unsere Einkommen sind gestiegen, das Geld wurde weniger wert. Da fiel es mir von Jahr zu Jahr leichter, monatlich 100 Euro zu sparen. Weißt Du, ich habe irgendwann angefangen, von jeder Einkommenssteigerung einen Teil zu sparen; hat mir nie weh getan“. Hauser: „Wie meinst Du das?“ Riese:„Nun,…ichhatte10Sparverträge.HastDuzehnErbschaften?“ …woraufKasparHauser(derKasparHauserinunsallen?)erblasste.
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Literatur- und Quellenhinweise
LiteraturundQuellenhinweise CAPPON, RENE J.: Associated Press Handbuch Journalistisches Schreiben, Berlin 2005. DEUTSCHE RENTENVERSICHERUNG BUND: Rentenstudie, www.deutsche-rentenversicherungbund.de DEUTSCHES AKTIENINSTITUT: Altersvorsorge in Deutschland – Verloren im Dschungel der Möglichkeiten“; www.dia.de ECO, UMBERTO: Nachschrift zum Namen der Rose, 3. Auflage, München 1986. ENDE, MICHAEL: Die unendliche Geschichte, Stuttgart 2004. FIDELITY INTERNATIONAL: Fidelity Real Index, www.Fidelity.de GOLEMAN, DANIEL: EQ Emotionale Intelligenz, München 1997. GRIS, RICHARD (PSEUDONYM): Die Weiterbildungslüge: Warum Seminare und Trainings Kapital vernichten und Karrieren knicken, Frankfurt am Main 2008. JAEGER, KLAUS/UTECHT, BURKHARD: Sparen für das Alter – was kostet das eigentlich? (I), in: Versicherungswirtschaft, 15.01.2004. KÜMMERLE, KATRIN/BUTTLER, ANDREAS/KELLER, MARKUS: Betriebliche Zeitwertkonten: Einführung und Gestaltung in der Praxis, Heidelberg 2009. LEINERT, JOHANNES: Finanzieller Analphabetismus in Deutschland: Schlechte Voraussetzungen für eigenverantwortliche Vorsorge“, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2004. POSTBANK AG/INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH: Studie „Altersvorsorge in Deutschland“, www.ifd-allensbach.de RIEKSMEIER, MARKUS: Lebensarbeitszeitkonten, in: Versicherungswirtschaft, 01.08.2005. RIFKIN, JEREMY: Access - Das Verschwinden des Eigentums: Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden, München 2007. SINUS SOCIOVISION/COMMERZBANK AG: ohne Titel, Handelsblatt vom 19.03.2004. STATISTISCHES BUNDESAMT: www.destatis,de
Statistisches
Jahrbuch
des
Statistischen
Bundesamtes,
DerAutor PD MarkusRieksmeier ist Versicherungskaufmann und Versicherungsfachwirt. Er arbeitete zunächst über zehn Jahre im Versicherungs-Betrieb, weitere zehn Jahre im Vertrieb, schwerpunktmäßig im Bereich betrieblicheAltersversorgung auf Industriestandard.
Einen Namen machte er sich 2002 durch seine Arbeit am Hamburger Universitätsklinikum. Dort organisierte und leitete er für das Klinikum selbst und für ein Versicherer-Konsortium die Umstellung der Zusatzversorgung der 6.000 öffentlich Bediensteten der Klinik. Später dehnte Rieksmeier seine Aktivitäten auf das Gebiet der Lebensarbeitszeitkonten aus und entwickelte mathematische Prognose-Modelle und -Instrumente zur Gestaltung von Betriebsdemografien. Zugleich führte er im Jahre 2005 den Begriff „Betriebsdemografien“ mit einem Leit-Aufsatz in „Versicherungswirtschaft“ in die moderne Betriebswirtschaft ein. Er veröffentlicht seine Arbeiten bereits seit 2003 regelmäßig in der Fachpresse. Seit Anfang des Jahrtausends widmet sich Rieksmeier zunehmend der vereinfachenden Vermittlung komplexer Sachverhalte: Er lehrt Experten die verständliche Sprache, zunächst disziplinär und interdisziplinär untereinander – und zum Verbraucher. Rieksmeier übersetzte für diesen Zweck wissenschaftliche Aufsätze namentlich von Prof. Klaus Jaeger, FU Berlin, in Absatzinstrumente. Seit einigen Jahren berät er die Finanzbranche in Sachen Vertriebs-, Kundenkommunikation und Erwachsenenbildung (Akademie). Rieksmeier hat am Curriculum und am Skriptum des „Zertifizierten Finanzberater“ (Hochschule Deggendorf) ebenso mitgearbeitet wie an dem zugrunde liegenden Beratungsprozess, der erstmals auf wissenschaftlicher Basis steht. Im Jahre 2006 hat Markus Rieksmeier das Projekt „Altersvorsorge macht Schule“ untersucht, eine Initiative der Bundesregierung, der Deutschen Rentenversicherung und des Bundesverbands Verbraucherzentrale. Sein Untersuchungsergebnis, es war fachlich und didaktisch vernichtend, hat er in Presseaussendungen und auf rieksmeier.blog.de veröffentlicht. Mitte 2007 veröffentlichte er im Buch „Alter, ist das herrlich“ (Hauptautor Jürgen Hauser, Gabler Verlag) einen viel beachteten Beitrag über das Sparen und über das Verstehen des Sparens. Zur Vermittlung des Themas Geld und Finanzen sagt Rieksmeier: „Wissen muss ankommen!“ Andere sagen über ihn, dass er wie kein Anderer komplexe Sachverhalte (zumutbar korrekt gekürzt!) in einfache Verständnisbilder übersetzen kann, zum Beispiel die 2009 vorgelegte „Renten-Erklärung“ auf dem Bierdeckel. Seit 2010 ist Markus Rieksmeier Lehrbeauftragter an der Hochschule Deggendorf. Markus Rieksmeier, 1964 in Bochum geboren, lebt heute mit seiner Familie in Hamburg.
Lieber Patientin, lieber Patient! Bitte lesen Sie folgende Gebrauchsinformation aufmerksam, weil sie wichtige Informationen darüber enthält, was Sie bei der Anwendung dieses Buches beachten sollen. Wenden Sie sich bei Fragen bitte an Ihren Autor. Gebrauchsinformation Präparat: Erklärungsnotstand
Altersvorsorge
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Buch Wirkstoff: Demenzdemontierender Fiskal Antagonist (DDFA)
Zusammensetzung Finanziell wirksamer Bestandteil
1 Buchseite enthält im Schnitt 2500 Zeichen Analytische Demenz demontierenden Fiskal Antagonist Lösung (DDFA), entspr. 2000 Buchstaben-Zeichen nach Buchnorm.
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Sonstige Bestandteile: Wahrheit, Kompetenz, Auszüge aus Berechnungen (BWK Business ), gereinigte Luft, Druckereipapier und Druckerschwärze, Spuren von Zynismus und Donnerhall-Schlieren, minimaler CO2-Ausstoß. Restspuren von Laserlicht.
Darreichungsform und Inhalt Kleinpackung mit 1 x 200 Seiten Lösung Familienpackung mit 5 x 200 Seiten Lösung (Darreichung für Verlage und Verbraucherschützer) Anstaltspackung mit 50 x 200 Seiten Lösung (Darreichung für Versicherer, Banken und Vertriebe)
Stoff und Indikationsgruppe Erklärungsnotstand Altersvorsorge
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ist ein Text- und Bild-Mittel, um finanziellem Unmut, Depressionszuständen und
seinen somatischen/psychosomatischen Folgen und wirtschaftlichen Beklemmungen abzuhelfen.
Anwendungsgebiete Beim Übergang vom Gehirnbesitz in die Gehirnbenutzung Bewegungsstörungen des oberen Denkapparates Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen (bei finanziell motivierter Migräne, migränösen Zuständen oder der Unverträglichkeit anderer finanzieller Arzneien derselben Indikationsgruppe - Alternativmedikation)
Gegenanzeigen ®
Wann dürfen Sie Erklärungsnotstand Altersvorsorge nicht einnehmen? ®
Erklärungsnotstand Altersvorsorge darf nicht eingenommen werden bei: bekannter Überempfindlichkeit gegenüber den Wirkstoff Analytische Veritas oder sonstigen Bestandteilen, insbesondere vorhandener, nachweisbarer Analysis bestimmten hormonabhängigen Schwülsten wie übersteigertem Selbstdarstellungstrieb mechanischem Gehirnverschluss und Gehirnverlust Synaptischen Fehlfunktionen im Gehirn Akuter, numerischer Epilepsie
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Wann dürfen Sie Erklärungsnotstand Altersvorsorge erst nach Rücksprache mit Ihrem Autor einnehmen? Bei Lesern mit eindeutig dementem, nicht herkömmlichem, Finanziellem Analphabetismus soll die Dosis schrittweise gesteigert werden, bis der vor-demenzielle Zustand (Klarheit) wieder erreicht ist.
Was müssen Sie in der Schwangerschaft und Stillzeit beachten? Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® sollte wegen der ablenkenden Wirkung während der ersten 3 Monate von den werdenden Eltern vorsorglich in mittlerer Dosis gelesen werden und unter ärztlicher Kontrolle auf Wechselwirkungen (siehe dort) mit hormonellen Reaktionen der werdenden Mutter abgeglichen werden. Ab dem 2. Drittel der Schwangerschaft sollte Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® bis zur Stillzeit nicht oder nur dem Vater verabreicht werden.
Was ist bei Kindern zu beachten? Bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu 2 Jahren ist die direkte Anwendung von Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® nicht angezeigt. Kindern über 2 bis zu 14 Jahren soll Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® nach strenger Renditeberechnung indirekt über die Eltern verabreicht werden und in Begleitung eines Taschenrechners.
Was müssen Sie im Geldverkehr und bei Arbeiten mit Rechenmaschinen und Arbeiten ohne sicheren Halt beachten? Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® kann bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Reaktionsfähigkeit gerade bei analphabetischer Konfrontation im persönlichen Umfeld in gewünschter, einstellbarer Weise erhöhen, so dass auf plötzliche, unerwartete Ereignisse schnell genug und geeignet reagiert werden kann.
Wechselwirkungen zu anderen Medikamenten Welche anderen Bildungsmittel beeinflussen die Wirkung von Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® oder werden selbst durch Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® beeinflusst? Was müssen Sie beachten, wenn Sie zusätzlich andere Bildungsmittel der Indikationsgruppe Finanzieller Analphabetismus einnehmen? Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® kann die Aufnahme von anderen Stoffen im Hirntrakt verändern, zum Beispiel die von „Ratgebern“, „Experten“ oder „Beratern“ vermindern, andererseits die von Finanzmathematik, Rechenvorgängen auf Taschenrechnern und Tabellenkalkulationen beschleunigen bzw. erhöhen. Antinumerische Neigungen, Bildungsrückstand und Bildungsferne können die Wirkung von Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® vermindern. Bei gleichzeitiger Gabe von „Altersvorsorge macht Schule“ können verstärkt extrapyramidale Störungen (Krampferscheinungen im Kopf-, Hals- und Schulterbereich) auftreten. Rufen Sie dann sofort einen Arzt. Bei einem geplanten Besuch von “Altersvorsorge macht Schule“ ist nach der letzten Gabe von Erklärungsnotstand Altersvorsorge ® ein zeitlicher Mindestabstand von 48 Stunden einzuhalten. Dies kann bei Untergewichtigen oder finanziell dement Vorbelasteten, deren Gehirn eine messbar verzögerte Abbaugeschwindigkeit von Unsinn zeigt, auf einen Zeitraum von sicherheitshalber mindestens 72 Stunden zu steigern sein. In diesen Fällen dürfen andere Gaben nur unter EEG (Hirnstrommessung) erfolgen.
Beachten Sie bitte, dass diese Angaben auch für vor kurzem angewandte Bildungsmittel gelten können, die über einen Zeitraum von mehr als 30 Minuten dauerhaft eingenommen wurden!
Dosierung, Art der Dauer der Anwendung (soweit vom Autor nicht anders verordnet) ®
Erwachsene nehmen pro Tag 2-3mal täglich 4-5 Seiten „Erklärungsnotstand Altersvorsorge “ (entsprechend 2-3mal täglich 12.500 Zeichen, inklusive Leerzeichen). Der Wirkstoff verteilt sich schnell, so dass eine unterlassene Einnahme in nachträglich ausnahmsweise doppelter Dosierung im Allgemeinen nicht bedenklich ist. In Notfällen oder bei akuten Lesebeschwerden können sie akut auch das folgende Bild einsetzen, um Schleimzustände Ihres Finanzberaters oder seines oder Ihres oberen Bronchienbereichs zu lösen und abzuhusten.