Die programmatische Entwicklung der PDS: Kontinuitat und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei 3531172158, 9783531172156 [PDF]


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Geleitwort......Page 5
Inhalt......Page 8
1.1. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung......Page 10
1.2. Aufbau......Page 19
1.3. Quellenlage und Forschungsstand......Page 22
2. Innerparteiliche Richtungen......Page 28
3.1. Parteiprogramm von 1990......Page 64
3.2. Parteiprogramm von 1993......Page 74
3.3. Kommentar zur Programmatik der PDS......Page 90
3.4. Parteiprogramm von 2003......Page 99
3.5. Sonstige programmatische Dokumente......Page 128
4.1. Sozialismusvorstellungen......Page 133
4.2. Kapitalismusbegriff......Page 149
4.3. Haltung zum Markt......Page 159
4.4. Haltung zum Eigentum......Page 163
5. Demokratieauffassung......Page 179
6.1. Parlamentarische und außerparlamentarische Politik......Page 196
6.2. Opposition und Regierungsbeteiligung......Page 200
6.3. Reform, Revolution und Gewalt......Page 206
7. Antifaschismus und Haltung zur Nation......Page 225
8. Geschichtsbild......Page 257
8.1. Rezeption klassischer Theoretiker des Sozialismus......Page 264
8.2. Umstrittene Begriffe......Page 274
8.2.1. Totalitarismus......Page 275
8.2.2. Stalinismus......Page 283
8.2.3. Unrechtsstaat DDR......Page 288
9. Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen......Page 299
10.1. Sprache......Page 310
10.2. Verfahren und Verlauf......Page 315
11. Vergleich zwischen der Programmatik und der Politik der PDS......Page 320
12. Zusammenfassung und Ausblick......Page 334
Quellen- und Literaturverzeichnis......Page 349
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Die programmatische Entwicklung der PDS: Kontinuitat und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei
 3531172158, 9783531172156 [PDF]

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Zitiervorschau

Sebastian Prinz Die programmatische Entwicklung der PDS

Sebastian Prinz

Die programmatische Entwicklung der PDS Kontinuität und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Zugl. Dissertation Technische Universität Chemnitz, 2008 Gutachter:

Prof. Dr. Eckhard Jesse (Chemnitz) Prof. Dr. Manfred Wilke (Berlin) Prof. Dr. Uwe Backes (Dresden)

Die Dissertation wurde mit Mitteln der Hanns-Seidel-Stiftung/des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Katrin Emmerich | Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17215-6

Geleitwort

Von Anfang an war das Verhältnis von Theorie und Praxis sowohl der erkenntnistheoretische Angelpunkt als auch das politische Dilemma der marxistischen Theorie. Von Anfang war klar, dass es sich bei den beiden Begriffen um weitgehend inkompatible Kategorien handelt. So wie Denken und Handeln im realen Leben zusammengeführt werden müssen, um als Einheit wirksam werden zu können, so müssen auch Theorie und Praxis zusammengeführt werden. Erst die Einheit von Denken und Handeln konstituiert eine lebendige Biographie. In Gesellschaften, die von Ritus und Mythos getragen sind, entsteht die Einheit von Theorie und Praxis - der individuellen Biographie vergleichbar - scheinbar naturwüchsig. Die Einheit von Theorie und Praxis aber lässt sich in komplexen Gesellschaften nur als Artefakt, als soziales Konstrukt realisieren. Sie ist damit Ausdruck politischen Denkens und politischen Handelns. In modernen, von immer schnelleren Umbrüchen markierten Gesellschaften wird der soziale Wandel zur zentralen politischen Aufgabe. Das konstituiert sowohl eine begriffliche als auch eine politische, als auch schließlich eine humanitäre Aufgabe. Die Moderne muss die Produktion - eigentlich die Produkte - des Wandels immer neu und immer häufiger justieren. Woanders hat man ein solches Tun „self-management“ genannt. Auch für den Marxismus wird daher das Management des sozialen Wandels – gelegentlich verkürzt Revolution genannt - zu ihrer zentralen Aufgabe. Das erklärt die vielfältigen und differenzierten Konzepte, auch die vielen Polemiken und Leidenschaften, die der Marxismus dazu entwickelt hat. Viele davon haben bekanntlich in den Gulag geführt. Die großen Debatten des Marxismus sind der Frage gewidmet, die Einheit von Theorie und Praxis zu realisieren. Zugleich bleibt der Eindruck übermächtig, dass der Marxismus damit gescheitert ist. Der Zusammenhang von Theorie und Praxis ist zwar kognitiv ausdifferenziert, nicht aber praktisch – also subjektiv und gesellschaftlich - vermittelt. Selbst unter der gelegentlichen Nutzung von Systemtheorie oder Existenzphilosophie sind Theorie und Praxis dichotom geblieben. Der Begriff des real-existierenden Sozialismus ist heute das Synonym für die real-exististierende Kapitulation vor dieser Aufgabe. Die Identität der verschiedenen Theorien - und entsprechenden Fraktionen innerhalb des Marxismus, definiert sich daher auch entlang dieser Bruchstelle. Die politische Aufgabe des Marxismus bestand immer schon in der Suche nach einer operativen Basis für die Synthese von Theorie und Praxis. Das war

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für Marx unter dem Eindruck des Manchester-Kapitalismus das Proletariat, einer Klasse also. Der Hegelianer Marx konzipiert dabei „Klasse“ als historische Konstante, tatsächlich gibt er lediglich einen aktuellen sozialpolitischen Befund wieder. Aber auch die historische Bedingtheit von sozialen Klassen scheint Marx nicht bewusst gewesen zu sein – eine intellektuelle Nachlässigkeit mit welthistorischen Folgen. Der durch diese Nachlässigkeit geschaffene KlassenWahn ähnelt strukturell und nicht zufällig dem nationalsozialistischen RassenWahn. Beide sind Produkte jener begrifflichen Verdinglichung, wie sie im 19. Jahrhundert als Wissenschaft durchgingen. Seit der Auseinandersetzung zwischen Stalin und Trotzki, zwischen Klasse und Nation, zwischen einem „Sozialismus in einem Land“ und der „Permanenten Revolution“ ist die Frage nach der operativen Basis für die weltweite gesellschaftliche Umwälzung – der Welt-Revolution – jedenfalls entschieden. Sowohl die theoretischen Schriften Gramscis als auch die national bestimmte Entwicklung in anderen Ländern, insbesondere in Jugoslawien und in China, haben den Internationalen in einen Nationalen Sozialismus umgewandelt. Es ist erhellend dass Stalin in seiner Rede vor dem Moskauer Sowjet am 6. November 1941 den Anspruch der NSDAP, den Nationalen Sozialismus zu verkörpern, mit Empörung zurückweist. Der wahre und einzige National-Sozialismus sei der sowjetische. Stalin und Hitler: die beiden großen Nationalsozialisten - eigentlich wussten wir das schon. Seitdem gilt jedenfalls nicht das internationale Proletariat, sondern die Nation als operative Basis des Sozialismus - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Das Ende der Geschichte ist noch immer nicht abzusehen. Im Schatten von Globalisierung, Glauben und Demographie entwickeln sich neue Kraftfelder, auf denen um eine Einheit von Theorie und Praxis und um die Weltherrschaft gerungen wird. Eine genaue Betrachtung zeigt, dass weder die russische noch die deutsche Entscheidung für die Nation gehalten haben. Sowohl der russische als auch der deutsche National-Sozialismus sind gescheitert. An der Debatte um die Dichotomie – oder eben auch Einheit - von Nation und Klasse sind Utopien und Biographien zerbrochen: Georg von Lukacs, Otto Strasser und Antonio Gramsci, vielleicht auch Rosa Luxemburg. Die Geschichte – das Verhängnis, wenn man so will - des Marxismus lautet daher nicht Theorie UND Praxis sondern Theorie ODER Praxis. Die Entscheidung war früh, schon bald nach dem Oktober, gefallen, spätestens mit der Ermordung Trotzkis mit dem Eispickel. Die Entscheidung für die Praxis und gegen die Theorie, ihre Degradierung zur Ideologie nennen wir heute Stalinismus. In diesem Sinne war auch die SED immer schon Stalinismus. Die – vermeintliche - Pragmatik bestimmte das dumpfe Denken der DDR. Das hat sich mit der Wende allerdings geändert - gewissermaßen in ihr Gegenteil. Die heutige SED (die sogenannte „Linke“) ist eigentlich nur noch kontemplativ, Reflexion pur, heterogen, lebendig und wirr. Auch das hat seine guten Gründe: die Machtlosigkeit der Partei, ihr Verfall zu einer Interessenvertretung alter oder auch neuer

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Fraktionen, der Rückzug zu einer Taktik des politischen Alltags, bis hin zum Opportunismus. Aber auch diese intellektuell insuffiziente Debatte präpariert und präjudiziert die zukünftige politische Praxis des Marxismus in Deutschland. Die tölpelhaft geführte Auseinandersetzung über den theoretischen Beitrag eines Jürgen Elsässer oder die Aberrationen der Anti-Fa machen das überdeutlich. Dass andererseits Gysi gemeinsam mit Stauffenberg und Gauweiler gegen den Lissaboner Vertrag geklagt haben, ist historisch konsequent, wenn auch für den Bewusstseinstand der Partei nicht relevant. Jedenfalls wächst hier zusammen, was zusammen gehört – vorerst jedenfalls und als politisches Wagnis. Die Synthese aus Theorie und Praxis, ihre operative Einheit, ihr Manifest macht das Partei-Programm aus. Das Programm stellt den Versuch dar, langfristige gesellschaftspolitische Ziele theoretisch zu fundieren und umgekehrt - aus der Theorie zu schöpfen, um langfristige Perspektiven zu generieren. Das Schicksal dieser Programme zeigt klarer als manche TheorieDebatte (wie es sie lange gar nicht gab) und besser als die politische Praxis (die es lange ausschließlich gab) die Dynamik und die Perspektive des deutschen Sozialismus. Es ist bezeichnend, dass die Partei nicht zu wissen scheint, auf welcher Ebene sie ihre Debatte führen will: theoretisch, strategisch, taktisch? Oskar Lafontaine, André Brie, Sahra Wagenknecht, Harald Wolf, Diether Dehm - kaum zu glauben, dass sie alle derselben Partei angehören. Damit ähnelt sie übrigens den anderen Parteien in Deutschland. Auch deren politische Identität verschwindet im Nebel eines aufgeregten Pragmatismus. Die SEDFortsetzungspartei passt also gut in den historischen Prozess. Was diese Partei den anderen Parteien allerdings voraus hat, ist ihre Programm-Leidenschaft. Die ist oft genug doppelbödig schillernd, aber wer zu lesen weiß, kann dabei zu manch einer Erleuchtung gelangen. Die Arbeit von Sebastian Prinz bietet hier eine entscheidende Lese- und Erkenntnishilfe. Er hat die Programm-Debatte umfassend dargestellt, sie historisch und systematisch aufgeschlüsselt, die Grundlinien und Hauptwidersprüche dargelegt, die darin verborgenen Interessen aufgedeckt. Sein Beitrag schafft die Voraussetzung, um Theorie und Strategie, Taktik und Kompromiss zu erkennen und für eine fruchtbare Suche nach den Strukturen eines modernen Sozialismus zu nutzen – die offenbar ihre Inkubation in einem Partei-Programm erfährt. Ein kryptisches Partei-Programm wird damit zu einer Schatztruhe der Erkenntnis. Prof. Dr. Alexander Schuller

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Inhalt

1. Einleitung .................................................................................................... 11 1.1. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung ................................... 11 1.2. Aufbau .................................................................................................. 20 1.3. Quellenlage und Forschungsstand ........................................................ 23 2. Innerparteiliche Richtungen ..................................................................... 29 3. Programme und programmatische Dokumente ...................................... 65 3.1. Parteiprogramm von 1990 ..................................................................... 65 3.2. Parteiprogramm von 1993 ..................................................................... 75 3.3. Kommentar zur Programmatik der PDS ............................................... 91 3.4. Parteiprogramm von 2003 ................................................................... 100 3.5. Sonstige programmatische Dokumente .............................................. 129 4. Wirtschaftspolitische Ziele ...................................................................... 135 4.1. Sozialismusvorstellungen ................................................................... 135 4.2. Kapitalismusbegriff ............................................................................ 151 4.3. Haltung zum Markt ............................................................................. 161 4.4. Haltung zum Eigentum ....................................................................... 165 5. Demokratieauffassung ............................................................................. 181 6. Politische Handlungsmöglichkeiten ........................................................ 199 6.1. Parlamentarische und außerparlamentarische Politik ......................... 199 6.2. Opposition und Regierungsbeteiligung ............................................... 203 6.3. Reform, Revolution und Gewalt ......................................................... 209 7. Antifaschismus und Haltung zur Nation ................................................ 229 8. Geschichtsbild ........................................................................................... 261

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8.1. Rezeption klassischer Theoretiker des Sozialismus ............................ 268 8.2. Umstrittene Begriffe ........................................................................... 278 8.2.1. Totalitarismus .............................................................................. 279 8.2.2. Stalinismus .................................................................................. 287 8.2.3. Unrechtsstaat DDR ...................................................................... 292 9. Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen ............................ 303 10. Formale Charakteristika der Programmdebatte ................................ 315 10.1. Sprache ............................................................................................. 315 10.2. Verfahren und Verlauf ...................................................................... 320 11. Vergleich zwischen der Programmatik und der Politik der PDS ...... 325 12. Zusammenfassung und Ausblick .......................................................... 339 Quellen- und Literaturverzeichnis .............................................................. 355

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1. Einleitung

1.1. Untersuchungsgegenstand und Problemstellung Äußere Umstände zwangen die SED 1989/1990 zur Veränderung ihrer Parteikonzeption. Aus der marxistisch-leninistischen Staatspartei wurde eine Strömungspartei, die die parlamentarische Demokratie und das Ende ihres Staates akzeptieren musste. In einer nicht gewollten neuen Welt musste sich die Partei orientieren und politisch Position beziehen, während ihre politischen Gegner auf ihr endgültiges Ende warteten. Daraus lässt sich die These ableiten, dass die Programmdebatten der PDS seit 1990 unter einem permanenten Anpassungsdruck von außen standen, dem die Partei ihre Selbstbehauptung entgegensetzte. Die Programmdebatten begannen unmittelbar nach dem Ende der SED als Staatspartei der DDR. Die Partei erlebte die „Reformen“ von 1989 und 1990 als epochale Niederlage, die das SED-Programm von 1976 in ein historisches Dokument verwandelte und Makulatur werden ließ. Auch in anderen Parteien, in Medien und unter Wissenschaftlern setzte eine intensive Diskussion über Rolle, Programmatik und Selbstverständnis der PDS ein. Diese Diskussionen inner- und außerhalb der PDS dauerten bis zur Annahme des letzten Grundsatzprogramms 2003 und darüber hinaus an. 2003 schrieb dazu in der Theoriezeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Utopie kreativ“ ein Autor rückblickend, im Grunde oder im weiteren Sinne finde die programmatische Debatte in der PDS so lange statt, wie diese Partei existiert. Sie sei also ein permanenter Prozess, der vor allem, aber nicht nur, mit der Zielsetzung eines konkreten Programms geführt werden sollte: „Einerseits geht es ständig darum, dass sich alle Mitglieder der programmatischen Leitlinien der Partei bewusst sind bzw. immer bewusster werden und ihr einheitliches Handeln davon ableiten. In diesem Sinne spricht man oft von einer Identität stiftenden Funktion des Parteiprogramms sowie der Auseinandersetzung mit seinem Inhalt. Andererseits aber ist es eine anerkannte Tatsache, dass sich die gesellschaftliche Welt ständig entwickelt oder verändert und folglich auch der Erkenntnisprozess über sie und damit erst recht die Schlussfolgerungen, die die Partei für ihr

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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Handeln daraus ziehen kann/soll/muss, nie abgeschlossen sein kann.“1 Und so formulierte Horst Dietzel, Mitglied der Grundsatzkommission der PDS und der Zukunftskommission der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der über fünfzehn Jahre die PDS-Programmdebatten begleitete: „Nach dem Programm ist vor dem Programm.“2 Die Programmatik der PDS umfasst nicht nur die Partei- und Wahlprogramme sowie Statute, sondern auch eine Vielzahl von Dokumenten, die Beiträge zu programmatischen Debatten waren oder zu für die Partei zentralen politischen Themen Stellung nahmen. 1990, 1993 und 2003 gab die PDS sich Parteiprogramme. Die Inhalte dieser Programme und ihre Veränderungen sind zentrale Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit. Beim Außerordentlichen Parteitag der SED im Dezember 1989 fasste die Partei einen Beschluss, in dem es hieß, sie strebe einen demokratischen Sozialismus jenseits von stalinistischem Pseudosozialismus und Herrschaft des Profits an. Die Diskussion darüber, was unter einem solchen demokratischen Sozialismus zu verstehen ist, dauerte bis zum letzten Programm von 2003 und bis zum Aufgehen der PDS in der mit der WASG fusionierten Partei an. Jürgen Lang resümierte zutreffend, der Kern der PDS-Programmdebatte sei die Auseinandersetzung darüber, „was Sozialismus war, ist und sein soll“3. Man konnte annehmen, die programmatische Diskussion werde wegen des bundespolitischen Bedeutungsverlusts der PDS in Folge der Niederlage bei der Bundestagswahl 2002 und des vorläufigen Abschlusses der Programmdebatte durch das 2003 angenommene neue Parteiprogramm abebben. Aufgrund der vorgezogenen Neuwahl des Bundestags 2005, des deswegen erfolgten Wahlantritts von WASG-Mitgliedern auf der Liste der Linkspartei und der daraufhin vereinbarten Fusion der beiden Parteien setzte eine neue Programmdebatte ein. Ihr Ausgang ist offen. Sie ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, wird allerdings an manchen Stellen mit Blick auf die Zukunft erwähnt. Der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow blickte 2007 auf die Geschichte der Partei seit 1989 zurück und stellte einen für ihre Entwicklung zentralen Aspekt heraus: „Die Entwicklung der PDS ist keinesfalls geradlinig verlaufen. Sie hat aber eine ständige Tendenz der Anpassung an die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse.“4 Offensichtlich ging es den Reformern primär um Integration in das politische System der Bundesrepublik, Anpassung und „Ankommen“, um als Akteure in diesem System erfolgreich handeln zu können. 1 2 3 4

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Trost, Hans-Georg: Die Eigentumsfrage in der Programmdebatte der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 155/2003, S. 841-847 (842). Dietzel, Horst: Kontinuität und Wandel. Die Programmatik der PDS von 1990 bis 2007 (Pankower Vorträge, H. 99). - Berlin 2007, S. 3. Lang, Jürgen: 15 Jahre PDS – eine zwiespältige Bilanz, in: Deutschland Archiv, Nr. 5/2004, S. 963-969 (965). Modrow, Hans: Es geht um Grundsätzliches, in: Junge Welt v. 11.1.2007.

Tatsächlich konnte man insbesondere bei PDS-Spitzenpolitikern wie André Brie, Dietmar Bartsch, Helmut Holter oder Harald Wolf beobachten, dass die von ihnen vertretenen Positionen wohl dem Ziel dienten, als koalitionsfähig angesehen zu werden und damit die Möglichkeit zur Teilhabe an staatlicher Macht und staatlichen Ressourcen zu haben. So charakterisierte die „Welt“ Bartsch als aalglatten, karrieregeilen „Strippenzieher, dem Programm und Ideologie ziemlich wurscht sind, der sich lieber der eigentlichen Herrschaftsmittel versichert.“5 Der Wille zur Machtteilhabe durch Regierungsbeteiligung blieb nicht ohne Auswirkungen auf die programmatischen Debatten: Die Frage des „Ankommens“ der PDS in der Bundesrepublik wurde zum geheimen roten Faden der innerparteilichen Debatten. Dahinter stand der Wille zur Machtteilhabe.6 Das ehemalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski kommentierte, der PDS gehe es auch bei politischen Stellungnahmen und ihrer politischen Positionierung in erster Linie darum, an die Macht zu kommen.7 Manfred Wilke sah rückblickend schon seit der „Wende“ „eine stringente Linie, die auf die Rückeroberung der Teilhabe an der Macht“8 ausgerichtet war. Nach Viola Neu war dies auch folgerichtig, da die PDS sich nach wie vor als Staatspartei verstanden habe: „Sie fühlen sich - durch die Wende in der DDR – ungerechtfertigt in die Oppositionsrolle versetzt und möchten zurück an die Macht. Daher zielen die programmatisch-inhaltlichen Veränderungen der PDS bewusst auf die potentiellen Bündnispartner.“9 Solche Überlegungen stellten auch PDS-Vertreter an: Vielleicht habe „die Staatspartei SED in Teilen der PDS überlebt und äußert sich jetzt in Koalitions- und Regierungsträumen.“10 Die PDS-Programmatik bot im Lauf der Jahre auch infolge der Marginalisierung der Orthodoxen immer weniger Reibungsflächen und eindeutig extremistische Positionen, die für Koalitionen hinderlich waren und einer Machtteilhabe entgegenstanden. Fraglich ist allerdings, ob die PDS sich nur der für – zumindest auf absehbare Zeit – weitgehend unabänderlich gehaltenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung fügte oder diese aus Überzeugung bejahte.

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Möller, Johann Michael: Was von der PDS bleibt, in: Die Welt v. 12.1.2001. Vgl. Rudolph, Hermann: Und der Zukunft zugewandt, in: Tagesspiegel v. 19.4.2001. 7 Vgl. Interview im Spiegel, Nr. 28/2001, S. 34. 8 Wilke, Manfred/Baron, Udo: „Die Linke“. Entstehung – Entwicklung – Geschichte (Zukunftsforum Politik, Nr. 94). - Sankt Augustin 2008, S. 11. 9 Neu, Viola: „Solidarisch, gerecht, zukunftsfähig. Die sozialistische Opposition“. – Sankt Augustin 2000, S. 1. 10 Niemann, Heinz: Anmerkungen zur Beziehung von Theorie, Programmatik und Politik, in: Marxistischer Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS (Hg.): Sozialistische Programmatik und Marxismus heute. – Schkeuditz 2000, S. 192-208 (207). 6

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Die PDS-Führung, deren Ziel wohl seit jeher Regierungsbeteiligung war, schien Programmatik in erster Linie funktional und taktisch zu verstehen. Ihre programmatischen Vorstöße hatten nichts eigentlich Schöpferisches, sondern waren zumeist eklektische Texte, die zur Anpassung der Partei an Erfordernisse, Situationen und potentielle Bündnispartner dienen sollten. Die Programmatik war nicht um zentrale politische Fragen wie etwa bei der Sozialdemokratie um die soziale Frage oder bei den Grünen um die Ökologie herum entstanden, sondern wurde bestimmt von der aus dem Zusammenbruch der DDR folgenden besonderen Situation, in der sich die ehemalige Staatspartei, die sich gegen eine Auflösung entschieden hatte, befand, und bediente sich aus den programmatischen Angeboten der SPD und der Grünen. Von der „Wende“, von ihrem ersten Programm von 1990, bis zur Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin entsprachen die programmatischen Initiativen der PDS-Führung regelmäßig dem bereits erreichten beziehungsweise angestrebten Stand der Integration der Partei in das politische System der Bundesrepublik. Dabei wurden Grenzen durch die nach innen gerichtete Funktion der Programmatik gesetzt, da die Partei darauf angewiesen war, Klientelpolitik für ihre aus der SED stammenden Mitglieder zu betreiben, sie „mitzunehmen“ und ihre Lebensleistung in der DDR zu würdigen. In den programmatischen Debatten ging es immer um eine Trias von Identität, Integration in die für die Partei neue Ordnung der Bundesrepublik und zugleich um Abgrenzung von dieser, um sie zu verändern und den Kapitalismus beziehungsweise die Marktwirtschaft durch den Sozialismus zu ersetzen. Traditionell hat Programmatik für sozialistische Parteien eine besondere Bedeutung. Sie hat nicht nur die nach außen gerichtete Funktion der Information der Öffentlichkeit und der Wähler über die Grundsätze, Konzeptionen und langfristigen Ziele der Partei, sondern dient auch der Mitgliederintegration. Dass die Verbundenheit des harten Kerns der SED und später der PDS mit ihrer Partei ungleich größer und deren Programmatik für die Mitglieder daher wichtiger war als etwa bei bürgerlichen Parteien, veranschaulicht ein Zitat der Schriftstellerin Helga Königsdorf von 1990, das vom Schock der „Wende“ geprägt war: „Diese Partei ist uns Heimat gewesen. Wir hatten keine andere.“11 Über die Spezifik der PDS-Programmdebatten seit 1990 schrieb Horst Dietzel: „Programmdebatten bieten eine einmalige Gelegenheit, ideologische Gefechte auszutragen, die von einer breiteren Öffentlichkeit nicht nachvollzogen werden können. Denn es handelt sich um die Lieblingsbeschäftigung von Linken, die noch immer viel Libidogewinn für sie abwirft.“12 Eine solche Aussage aus den Reihen der PDS veranschaulicht, welches Ausmaß und welche Intensität die programmatischen Diskussionen in 11

Königsdorf, Helga: Was nun?, in: Scherzer, Landolf (Hg.): Zeit läuft. - Berlin 1990, S. 116-123 (116). 12 Dietzel, Horst: Die Debatte steht auf der Kippe, in: ND v. 10.8.2001.

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der Partei hatten. Dietzel schrieb weiter, die Feinheiten dieser Diskussionen würden außerhalb der PDS zwar kaum wahrgenommen, dennoch solle ihre Bedeutung für die Entwicklung der Partei nicht unterschätzt werden. Ein Grund für die besondere Bedeutung von Programmatik für sozialistische Parteien: Sozialismus wurde auch von Teilen der PDS als Wissenschaft angesehen und Sozialisten verfolgen mehr als Anhänger anderer Weltanschauungen neben der Wahrnehmung der Interessen der eigenen Klientel das Ziel, in der Zukunft einen bestimmten (utopischen) Endzustand zu verwirklichen. Zur Bedeutung von Programmatik für die PDS erklärte Gregor Gysi: „Ein Programm in der CDU zu diskutieren, ist eine Mini-Aufgabe im Vergleich zur PDS. Je linker eine Partei, desto entsetzlicher sind Programmdebatten.“13 Bernd Ihme, Sekretär der PDSProgrammkommission, beschrieb Charakter und Funktion von Programmen für sozialistische Parteien: „Parteiprogramme wurden in linken Parteien nie als „beigefügte Belletristik“ zur praktizierten Politik betrachtet. Sie enthielten stets einen theoretischen Anspruch. Debatten zu linker Programmatik verbinden die Suche nach einer Vorstellung von der Zukunft mit der kritischen Analyse der gesellschaftlichen Zustände, mit der Bestimmung strategischer Zielsetzungen und Schlussfolgerungen für praktische Politik. Programme sind wichtig für das Selbstverständnis der Mitgliedschaft und tragen zugleich zur Profilierung der Partei in der Öffentlichkeit bei.“14 Politikwissenschaftler, die sich zu den PDSProgrammdebatten äußerten, bestätigten die Selbsteinschätzungen Gysis, Dietzels und Ihmes. Der Mainzer Wahlforscher Jürgen Falter sprach von fast der Göttinger religiös ausgetragenen Weltanschauungskämpfen15, Politikwissenschaftler Franz Walter von religiösen Elementen, einem Kampf zwischen Gut und Böse.16 Jürgen Lang bezeichnete die PDS-Programmdebatte gar als Glaubenskrieg.17 Er nannte sie einen jahrelangen, quälenden Prozess mit einer Vielzahl von Entwürfen und Gegenentwürfen.18 Auch der damalige Vorsitzende der Programmkommission Lothar Bisky warnte vor Glaubenskrieg mit semantischem Terrorismus.19 In ihrer Analyse des PDS-Programms von 2003 betonte auch Viola Neu, programmatische Aussagen hätten für Mitglieder sozialistischer Parteien einen besonderen Stellenwert, was sich aus der 13 14 15 16

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Interview in der Berliner Morgenpost v. 5.12.1999. Ihme, Bernd: Im Streit nach vorn. „Programmatische Eckpunkte“ in der Diskussion, in: Disput, Nr. 3/2006, S. 8 f. (9). Vgl. Interview in der Süddeutschen Zeitung v. 15.6.2007. Vgl. Fels, Markus: Hahnenkämpfe unter Genossen, in: Rheinischer Merkur, Nr. 23/2007. Walter fügte hinzu, die führenden Politiker der Linken würden „keine Sekunde mehr an den Gehalt dieser Rhetorik“ glauben. Vgl. Lang, Jürgen: 15 Jahre PDS – eine zwiespältige Bilanz, in: Deutschland Archiv, Nr. 5/2004, S. 963-969 (965). Vgl. ebd., S. 965. Vgl. Bisky, Lothar: Programmatische Debatten werden politisches Profil der PDS schärfen, in: PID, Nr. 51-52/1999, S. 2-6 (2).

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Geschichte und dem Selbstverständnis sozialistischer beziehungsweise kommunistischer Parteien und Organisationen erkläre.20 Der „Spiegel“ formulierte plakativ: „Die PDS ist noch eine richtige Programmpartei. Wortgläubig wie einst Martin Luther lieben die Sozialisten lange Referate, Programmentwürfe und nicht enden wollende Debatten um die Zukunft der Weltrevolution.“21 Das Ziel der Partei, sich auch über Programmdebatten in der Öffentlichkeit beziehungsweise in den Medien zu profilieren, wurde erreicht. In den Jahren vor Annahme ihres Programms von 2003 wurden die meisten Kontroversen um die Ausrichtung der PDS in Zusammenhang mit der Programmdebatte ausgetragen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hieß es dazu 2003: „Drei Jahre lang haben in der PDS Reformlinke und orthodoxe Marxisten ihren Machtkampf großenteils auf dem Debattierfeld des neuen Parteiprogramms geführt, haben Entwürfe, Gegenentwürfe, Minderheitenvoten, Thesen, Einsprüche und Proteste formuliert.“22 Vermutlich Achtzig Prozent der innerparteilich aufgewendeten Kraft und Zeit der PDS sei in den neunziger Jahren in die Debatte über den programmatischen Kurs geflossen, so der „Kölner Stadt-Anzeiger“.23 Wie sich zeigte, fiel es in den programmatischen Debatten zumindest Teilen der PDS bis zuletzt schwer, sich vollständig von dem jahrzehntelangen Glauben an eine historische Mission und eine Utopie zu lösen. Die PDS war mehr als jede andere große deutsche Partei eine Weltanschauungspartei.24 Selbst für führende Reformer war die PDS noch über zehn Jahre nach dem Ende der DDR wegen ihrer Geschichte, ihrer Programmatik und ihrer Mitgliedschaft keine „normale“ Partei in der Bundesrepublik.25 Ihr erstes Programm gab sich die PDS in der Umbruchsituation des Frühjahrs 1990. Diesem Programm konnte keine nennenswerte Diskussion in der Partei vorausgegangen sein. Allein schon deswegen und weil es in einer Zeit beschlossen wurde, in der nicht absehbar war, welchen Weg die Partei, die DDR und ganz Deutschland in Zukunft nehmen, konnte es nur ein Provisorium sein, das die Trennung von der SED dokumentieren sollte. Mit dem Ende der DDR war die ehemalige Staatspartei gezwungen, sich sehr schnell auf eine völlig andere Rolle in einem völlig anderen politischen System einzustellen. Tilman 20 21 22 23 24

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Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm. – Berlin 2003, S. 4 f. Berg, Stefan: „Etwas Drittes muss es sein.“, in: Der Spiegel, Nr. 34/2002, S. 54 f. (54). Leithäuser, Johannes: Der demokratische Vorbehalt gilt, in: FAZ v. 26.2.2003. Vgl. Kaufmann, Tobias: Person schlägt Programme, in: Kölner Stadt-Anzeiger v. 9.9.2008. Gabriele Zimmer, die schon kurze Zeit später als Parteivorsitzende und Vorsitzende der Programmkommission entscheidenden Einfluss auf die Programmdebatte gewann, betonte allerdings 2000 nachdrücklich, die PDS müsse von einer starren Weltanschauungspartei Abschied nehmen (Schütt, Hans-Dieter: Zwischen Baum und Basis. Gespräche mit Gabriele Zimmer. - Berlin 2000, S. 69 f.). Vgl. Brie, André/Brie, Michael/Klein, Dieter: Die Würde des Menschen ist seine Freiheit und ist seine Gleichheit. Warum Deutschland einen Sozialismus braucht, in: FAZ v. 28.8.2001.

Fichter, Referent beim Parteivorstand der SPD, kommentierte, die Ideologie des Sowjetmarxismus sei blitzschnell durch den ideologiefernen Gysi-Pragmatismus ersetzt worden.26 Auch für die extreme beziehungsweise radikale politische Linke in der alten Bundesrepublik, in der DKP und anderen Organisationen, deren ehemalige Mitglieder zum Grundstock der PDS-Landesverbände in Westdeutschland wurden, änderte sich mit dem Zusammenbruch der DDR die Situation grundlegend. Das Vorwort eines Sammelbands zur PDSProgrammdiskussion aus dem Jahr 1992 beschrieb rückblickend treffend die Ausgangsposition, in der sich die PDS nach dem Ende der DDR befand: „Vor der „neuen Unübersichtlichkeit“ scheitern viele alte Antworten und manches Neue spiegelt auch nicht mehr wider als den geläufigen Zeitgeist. Nach dem Zusammenbruch der meisten staatssozialistischen Systeme schwankt denn auch die linke Debatte zwischen hartnäckigen Beschwörungsformeln, Erinnerungslosigkeit oder selbstzerfleischender Resignation hin und her. Dass die PDS, die aus diesem Zusammenbruch hervorgegangen ist, all diese Extreme in sich vereinigt, kann niemand verwundern.“27 Dieses Zitat verdeutlicht, warum die programmatischen Debatten in der PDS so intensiv und kontrovers geführt wurden. Christian von Ditfurth betonte den Ausgangspunkt für die Entwicklung programmatischer Debatten: „Die PDS stand erschüttert vor dem realsozialistischen Scherbenhaufen und kämpfte um ihre Existenz.“28 Er führte dazu weiter aus: „Binnen weniger Monate wurde die SED entmachtet, verlor Hunderttausende von Mitgliedern und ihre komplette Führung, musste sich von ewigen Wahrheiten verabschieden und nach langem Streit den Großteil ihres Vermögens abtreten, brauchte neue Köpfe und neue Programme, wurde von Skandalen geschüttelt und wird bis heute immer wieder von der eigenen Vergangenheit eingeholt.“29 Nach der „Wende“ musste die PDS sich damit abfinden, dass eine Restauration der DDR illusorisch war. Zwar musste die SED ihre Stellung als Staatspartei aufgeben, doch setzten jüngere Kader ihren Weg in den Leitungsgremien der umbenannten Partei und den Parlamenten der Bundesrepublik fort. Sie gaben das Ziel eines abermaligen Anlaufs zum Sozialismus nicht auf und arbeiteten im neuen politischen System weiter mit dem Etappenziel, ihr Standbein in den östlichen Bundesländern zu behaupten, zu konsolidieren und auszubauen, um zunächst dort die Isolation zu überwinden, Akzeptanz zu gewinnen und mittelfristig über das Magdeburger Tolerierungsmodell für die SPD koalitionsfähig zu werden. Zugleich hatte die PDS trotz des Scheiterns der Westausdehnung und Auseinandersetzungen 26

Vgl. Fichter, Tilman: Kein Auslaufmodell, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 8/1994, S. 710-715 (711). 27 Dietzel, Horst/Gehrcke, Wolfgang/Hopfmann, Arndt/Werner, Harald (Hg.): Brückenköpfe. Texte zur Programmdiskussion der PDS (Podium Progressiv, Bd. 17). - Mainz 1992, S. 5. 28 Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. - Köln 1998, S. 150. 29 Ebd., S. 222.

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darüber den Anspruch einer gesamtdeutschen Partei nie aufgegeben. Die Programme von 1993 und 2003 entsprachen der jeweiligen Strecke, die die PDS auf ihrem Weg von der „Wende“ bis zur Regierungsbeteiligung in der ehemals geteilten Hauptstadt zurückgelegt hatte. Das zweite Programm aus dem Jahr 1993 war das erste Programm, dem eine wirkliche Diskussion vorausgegangen war. In diesem Programm verarbeitete die PDS ihre seit dem Ende der DDR gemachten Erfahrungen, verständigte sich über Grundsätze und bestimmte ihren Platz in der Bundesrepublik und ihre Ziele für die nächsten Jahre. Das Programm trug deutliche Züge eines Kompromisses zwischen den verschiedenen Strömungen der PDS. Seine teilweise vage gehaltenen Formulierungen ließen bewusst Interpretationsspielräume zu. Der Kompromisscharakter wurde besonders deutlich bei der Bewertung der DDR als legitimes „sozialistisches Experiment“ im Gegensatz zur restaurativen Bundesrepublik. Bemerkenswert war der Anspruch, einen eigenständigen Weg für die östlichen Bundesländer zu fordern, der zum Modell für die Entwicklung des gesamten Landes werden sollte. Reformer versuchten schon Mitte der neunziger Jahre verstärkt, sich vom Kompromiss des Programms von 1993 zu lösen, den Trennungsstrich zum Stalinismus stärker zu betonen, ihre programmatischen Vorstellungen ungeschmälert durchzusetzen, eindeutig zu formulieren, in einem überarbeiteten oder neuen Programm festzuschreiben und damit dauerhaft die innerparteiliche Hegemonie zu erringen. Michael Schumann argumentierte, die PDS benötige ein neues Programm, um eine Reihe von Fragen aufzuarbeiten, die das Programm von 1993 nicht gestellt beziehungsweise beantwortet hatte: „Globalisierung, Umbrüche im System der Arbeit, soziale Sicherungssysteme, Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, moderne Mediengesellschaft, Kultur und Wertewandel, internationale Integrationsprozesse, Europäische Union.“30 In der PDS setzte daraufhin eine heftige Debatte über das Parteiprogramm ein, die erst beim Chemnitzer Parteitag 2003 abgeschlossen wurde. Wegen der herausragenden Bedeutung von Programmatik für Sozialisten waren die Wortmeldungen zur Programmdebatte zahlreich und teilweise sehr ausführlich. Selbst um einzelne Begriffe und Formulierungen wurde dabei geradezu erbittert gerungen. Die Reformer setzten sich weitgehend durch. Damit wäre die Auseinandersetzung um die PDSProgrammatik wohl mittelfristig abgeschlossen gewesen, aber es kam anders. Durch das Zusammengehen von WASG und PDS bei der Bundestagswahl 2005 gelang der PDS endlich der Sprung nach Westen. Fünfzehn Jahre nach der deutschen Vereinigung, die sie bekämpft hatte, wurde sie eine gesamtdeutsche Partei, die nach der Verschmelzung mit der WASG auch ein neues gemeinsames Programm benötigt. Allerdings hatte André Brie schon 1999 30

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Braucht die PDS ein neues Programm? Streitgespräch zwischen Michael Schumann und UweJens Heuer, in: ND v. 4.4.2000.

erklärt, die Veränderung der PDS werde auch mit dem neuen Programm bei weitem noch nicht abgeschlossen sein.31 Ziel dieser Dissertation ist, Kontinuität und Wandel in der Programmatik der PDS herauszuarbeiten. Dazu werden die programmatische Entwicklung der PDS und ihrer Strömungen von der Umbenennung der Partei bis zur Annahme des neuen Programms 2003 dargestellt, zusammengefasst, analysiert und kommentiert. Die Diskussion von Wandel und Kontinuität der PDSProgrammatik erfolgt anhand der wichtigsten und umstrittensten programmatischen Streitpunkte. Anhand dieser Punkte werden Fragen behandelt wie beispielsweise: x x x x x x x x x x x

Welche Bedeutung und welchen Zweck hatte Programmatik für die PDS? Welche Funktion hatte die Programmdebatte nach innen und nach außen? Was verstanden die PDS beziehungsweise einzelne Strömungen in der PDS unter Begriffen wie Sozialismus, Kapitalismus und Demokratie? Entsprach die Demokratieauffassung der PDS der des Grundgesetzes? Wie stand die PDS zur Marktwirtschaft und zum Privateigentum? Wie spiegelte sich der Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft in der Programmatik der PDS wider? Wie sah die PDS das Verhältnis von parlamentarischer und außerparlamentarischer Politik? Wie bewertete die PDS die Geschichte der DDR und der SED? Distanzierte sich die PDS glaubwürdig vom Unrecht in der DDR? Inwieweit beeinflussten die Schriften klassischer Theoretiker des Sozialismus die PDS-Programmatik? Welche Rolle spielte die Programmatik für die Bündnispolitik der PDS?

Zu diesen und weiteren Fragen wird dargestellt, worin die Bedeutung für die PDS bestand, wie die innerparteiliche Diskussion verlief und welche Positionen vorgetragen wurden. Wer die aufgeworfenen Fragen beantwortet, kann auch eine Antwort auf die Frage geben, ob beziehungsweise inwieweit die PDS in der Grundordnung der Bundesrepublik angekommen war.

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Vgl. Interview in der Welt v. 23.10.1999.

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1.2. Aufbau Um den Verlauf der PDS-Programmdebatte und die programmatischen Positionen der innerparteilichen Lager verstehen zu können, müssen diese Lager und ihre Ziele vor der inhaltlichen Diskussion der programmatischen Entwicklung der Partei skizziert werden. Dies geschieht im 2. Kapitel. Die Mitgliedschaft der PDS war wohl noch heterogener zusammengesetzt als die der Volksparteien. Ihrem Selbstverständnis nach war die PDS eine Strömungspartei. Zunächst werden die einzelnen Strömungen in der PDS mit ihrer Herkunft, ihren Eigenarten und ihren Zielen insbesondere mit Blick auf die Programmatik beschrieben. Anschließend werden die diversen Gegensätze innerhalb der Mitgliedschaft, beispielsweise zwischen Führung und Basis, Reformern und Orthodoxen, westlichen und östlichen Landesverbänden, und die daraus folgenden unterschiedlichen Positionen und Ziele in programmatischen Debatten diskutiert. Die Debatten, die den PDS-Programmen von 1993 und 2003 vorausgingen, wurden zu Austragungsorten der widersprüchlichen Vorstellungen der Strömungen der Partei. Die programmatische Debatte der PDS verlief in mehreren Etappen. Höheund Wendepunkte waren die Programmparteitage von 1990, 1993 und 2003. In dieser Arbeit wird zunächst der zeitliche Verlauf der PDS-Programmdebatte anhand der wichtigsten programmatischen Papiere, insbesondere der Parteiprogramme und Programmentwürfe, kurz dargestellt. Die chronologische Darstellung im 3. Kapitel dient als Orientierungsrahmen für die anschließende detaillierte Diskussion einzelner Programmpunkte, Themen und Politikfelder. Dabei sind Wiederholungen unvermeidlich, um sowohl den zeitlichen Verlauf der Programmdebatte als auch die Auseinandersetzungen um einzelne Programmpunkte erläutern und analysieren zu können. Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet die Beschreibung und Auswertung einzelner Programmpunkte, die in der Debatte wichtig oder umstritten waren. Ich schildere, worin die Bedeutung dieser Streitpunkte für die PDS bestand, wie die innerparteiliche Diskussion verlief und welche Positionen vorgetragen wurden. Dies erfolgt in den Kapiteln 4 bis 10. Im Zentrum der programmatischen Auseinandersetzungen standen die für die Partei wichtigsten Begriffe und Prinzipien, die auch ihren Namen bildeten: Sozialismus und Demokratie. Im 4. und 5. Kapitel wird untersucht, welche Sozialismus- und Demokratieauffassungen in der PDS vertreten wurden und in welchem Verhältnis Sozialismus und Demokratie für die PDS und ihre Strömungen standen. So wichen die Sozialismus- und Demokratievorstellungen verschiedener Strömungen erheblich voneinander ab. Dementsprechend war auch der Stellenwert des sozialistischen Fernziels in Politik und Programmatik verschiedener Strömungen höchst unterschiedlich. Die Sozialismus- und Demokratieauffassungen in der PDS werden auch in Beziehung zu den in der Partei herrschenden Vorstellungen von Kapitalismus, Marktwirtschaft und

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Neoliberalismus sowie zu den Auffassungen zur Eigentumsfrage und zum Fortbestehen einer Klassenstruktur in der Gesellschaft gesetzt. Die Gewichtung von Sozialismus und Demokratie für die PDS kann auch an den Diskussionen über das Verhältnis ihrer wichtigsten Prinzipien Freiheit und Gleichheit abgelesen werden. Zur Definition von Demokratie gab es in der PDS ein ebenso breites Meinungsspektrum wie zum Sozialismus. Es ist fraglich, ob die PDS die Demokratie des Grundgesetzes vorbehaltlos bejahte oder dieses lediglich als derzeit nicht zu ändernde Ordnung akzeptierte, ob sie die repräsentative Demokratie bejahte oder ein direktdemokratisches oder rätedemokratisches System anstrebte. Zum Demokratieverständnis der PDS gehört auch, wie innerparteiliche Demokratie praktiziert wurde und ob sie offen extremistische Strukturen in ihren Reihen oder als Bündnispartner hatte. Im 6. Kapitel werden Konfliktpunkte behandelt, die für die Position der PDS gegenüber dem und im politischen System der Bundesrepublik entscheidend waren: die Frage nach dem Primat parlamentarischer oder außerparlamentarischer Arbeit sowie die Frage nach der Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung. Mit der ersten Frage war für die PDS die Schwierigkeit verbunden, ob sie sich nur als Partei oder auch als Bewegung verstehen sollte, beziehungsweise wie sie ihr Verhältnis zu außerparlamentarischen Bewegungen sah. Der Weg der PDS von einer reinen Oppositionskraft, in der sich zumindest Teile sogar als Systemopposition verstanden, zu einer Partei, die auf Länderebene Regierungsbeteiligungen anstrebte und diese auf Bundesebene nicht ausschloss, wird untersucht. Außerdem sind PDS-Positionen zu einer Umgestaltung der politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Bundesrepublik auf dem Wege von Reform oder Revolution Thema dieses Kapitels. Die Bandbreite reichte von Positionen, die die Rechtsordnung der Bundesrepublik total ablehnten, bis zu solchen, die sie bejahten und auf die Möglichkeiten setzten, Reformen innerhalb der bundesrepublikanischen Grundordnung beziehungsweise mit dem von der bundesrepublikanischen Grundordnung vorgesehenen Instrumentarium zu erreichen. Hier wird auch die besondere Stellung diskutiert, die die Lehre Antonio Gramscis für die PDS hatte, der als Voraussetzung erfolgreicher Revolutionen in bürgerlichen Gesellschaften Angriffe auf die solche Gesellschaften prägenden Weltanschauungen und Überzeugungen für erforderlich hielt. Mit der Frage nach Reform oder Revolution verbunden waren die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber politisch motivierter Gewalt, die innerhalb der PDS vertreten wurden. In diesem Zusammenhang ist auch die Glaubwürdigkeit des von der PDS propagierten Pazifismus zu hinterfragen. Das 7. Kapitel widmet sich dem für die PDS wichtigen Thema Antifaschismus. Dieser hatte für die Partei eine nach innen gerichtete, Identität stiftende und eine nach außen gerichtete Funktion für ihre Bündnispolitik und zur moralischen Diskreditierung und Bekämpfung rechtsstehender politischer Gegner. Wie unter Sozialismus und Demokratie, so war auch nicht eindeutig,

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was in der PDS unter Antifaschismus verstanden wurde. Teilweise herrschte ein traditionskommunistisch-antikapitalistisches Antifaschismusverständnis, teilweise diente der Antifaschismus nicht nur zur Bekämpfung tatsächlicher Rechtsextremisten, sondern auch Konservativer, teilweise sollte das Grundgesetz in antifaschistischem Sinne umgedeutet werden, teilweise sollte die DDR durch den Antifaschismus exkulpiert werden. Die Glaubwürdigkeit des Antifaschismus der PDS wird auch in Frage gestellt durch das erklärte Ziel der Partei, rechtsgerichtete Wähler anzusprechen und zu diesem Zweck populistisch zu argumentieren. Auch die in der PDS immer wieder aufgeflammte Debatte über das Verhältnis der Linken zur Nation wird in diesem Kapitel analysiert. Thema des 8. Kapitels ist die Behandlung der Geschichte in programmatischen Papieren der PDS. Dazu gehören die Bewertung einzelner historischer Ereignisse, historischer Begriffe wie beispielsweise Stalinismus und klassischer Theoretiker des Sozialismus, auf die die Partei sich berief. Da die PDS nicht nur eine geschichts- und traditionsbewusste Partei war, sondern auch wegen der SED-Vergangenheit belastet war, nahmen Geschichte und Geschichtspolitik breiten Raum in ihren programmatischen Debatten ein. Das Verhältnis der PDS zu anderen Parteien und Vereinigungen und dadurch bedingte Einflüsse auf die programmatische Entwicklung der Partei werden im 9. Kapitel diskutiert. Aspekte sind diesbezüglich Bündnispolitik, Koalitionsoptionen, Erwartungen der Öffentlichkeit und parteinaher Milieus sowie das Bestreben, gegenüber dem Verfassungsschutz keine Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bieten. Wenn beispielsweise die SPD MecklenburgVorpommern der PDS eine Distanzierung von der Zwangsvereinigung von SPD und KPD als Vorbedingung einer Koalition abverlangte, wenn die Berliner SPD eine Verurteilung des Mauerbaus forderte oder wenn die SPD die PDS aufgrund ihrer außen- und sicherheitspolitischen Positionen als auf Bundesebene nicht regierungsfähig bezeichnete, liegt es nahe zu fragen, ob und gegebenenfalls wie solche Forderungen die Programmdebatte direkt oder indirekt beeinflussten. Zumindest unterstellten die Orthodoxen den Reformern immer wieder, sie wollten bisherige programmatische Grundsätze räumen, um für andere Parteien koalitionsfähig zu werden oder um Positionen zu besetzen, die von SPD und Grünen seit deren Regierungsübernahme aufgegeben wurden. Die gesamte Programmdebatte war von einem Spannungsverhältnis zwischen den (angenommenen) Erwartungen der Öffentlichkeit und potentieller Bündnispartner einerseits und der PDS-Mitgliedschaft andererseits gekennzeichnet. Im 10. Kapitel werden Besonderheiten der Terminologie und Argumentationsweise der PDS-Programmatik sowie von Verfahren und Verlauf der Programmdebatten erläutert. Beispielsweise fällt auf, dass die PDS Missstände in der DDR nur selten deutlich benannte oder durch äußere Einflüsse entschuldigen und durch (vermeintlich) positive Seiten der DDR

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relativieren wollte. Demgegenüber verfuhr sie mit Blick auf die Bundesrepublik genau umgekehrt. Vor allem ist zu klären, was die PDS beziehungsweise Teile der Partei mit bestimmten Schlüsselbegriffen meinten, die für sie eine vom gewöhnlichen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung haben konnten. So verwendeten manche PDS-Politiker Kapitalismus als Synonym für die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik. Weiter ist anhand von Indizien zu fragen, inwieweit die PDS das, was sie äußerte, auch tatsächlich meinte, denn selbst PDS-freundliche Beobachter zweifelten, ob Stellungnahmen der Reformer aus „taktischem Kalkül oder Überzeugung, Einsicht oder Anpassung“32 erfolgten, ob mit bestimmten Formulierungen weitergehende Ziele verschleiert werden sollten oder welche widersprüchlichen Auffassungen Kompromissformulierungen zugrunde lagen. Im 11. Kapitel schließlich werden Programmatik und tatsächliche Politik der PDS verglichen. So wurden Widersprüche zwischen verschiedenen Zielen in der PDS-Programmatik nur unbefriedigend beantwortet, beispielsweise beim Gegensatz zwischen von der PDS angestrebtem Wirtschaftswachstum und Umweltschutz. Dies war relativ unproblematisch, solange die PDS eine reine Oppositionspartei war, die ihre Programmatik nicht in der politischen Praxis umsetzen musste. Es änderte sich, als die PDS zunächst auf kommunaler Ebene Verantwortung übernahm und dann Koalitionen auf Landesebene einging. Vertreter anderer Parteien und der Medien bescheinigten PDS-Politikern, die Bürgermeister oder Mitglieder von Landesregierungen waren, pragmatische Politik zu machen und Sachzwänge zu akzeptieren. Aus den Reihen der PDS selbst wurde wiederholt auf die Kluft zwischen Programmatik und praktischer Politik der Partei hingewiesen und etwa kritisiert, die Partei erhebe Forderungen, ohne Konzepte zu Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit zu entwickeln.33

1.3. Quellenlage und Forschungsstand Die wichtigsten Quellen zur PDS-Programmdebatte sind die Parteiprogramme, Statute, Wahlprogramme und sonstigen programmatischen Papiere der Partei. Die PDS, einzelne PDS-Politiker, Gliederungen und Strömungen der Partei, die Rosa-Luxemburg-Stiftung beziehungsweise deren Vorläufer, der Verein „Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung“, die parteinahen Bildungsvereine auf Länderebene, andere linke Organisationen und Beobachter der PDS haben im Lauf der Jahre eine Fülle von Veröffentlichungen über die Partei und ihre 32

Beinert, Heinz: Eine kommentierte kurze Geschichte der PDS, in: Ders. (Hg.): Die PDS – Phönix oder Asche? – Berlin 1995, S. 9-29 (22). 33 Z.B.: Analyse: Wahlprogramme der PDS-Landesverbände, in: ND v. 10.9.1999.

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Programmatik herausgegeben. Denn in einer Hinsicht hatte die PDS eindeutig mit der SED gebrochen: Es gab kein Fraktionsverbot mehr und die PDS war mehr als jede andere deutsche Partei seit 1990 eine diskutierende Partei. Das Themenspektrum innerparteilicher Debatten reichte von der Regierungsbeteiligung auf Länderebene bis zur Weltrevolution. 2004 schrieb Heinrich Bortfeldt, selbst ein Kenner der PDS ist überrascht von der Fülle an Literatur, die mittlerweile zu dieser Partei vorliegt.34 Es erschien eine Reihe von Monographien und Sammelbänden zur PDS und speziell zu ihrer Programmatik, darunter auch ein Programmkommentar.35 Mehrere programmatische Konferenzen fanden statt, deren Referate veröffentlicht wurden. Daneben räumten die PDS-Parteipresse und der Partei nahestehende, aber auch parteiungebundene linksgerichtete Zeitungen und Zeitschriften der Programmdebatte breiten Raum ein. Die wichtigsten dieser Periodika sind die Tageszeitungen „Neues Deutschland“ und „Junge Welt“, der wöchentlich erschienene „Presse- und Informationsdienst des Parteivorstands der PDS“, die PDS-Mitgliederzeitschrift „Disput“, die Theoriezeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Utopie kreativ“, die „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform“, die Monatszeitschriften „Sozialismus“ und „Konkret“, die Zeitungen „Freitag“, „Analyse und Kritik“ und „Jungle World“, die „Weißenseer Blätter“ und die „Zeitschrift Marxistische Erneuerung“.36 Der PDS-Bundesgeschäftsführer gab auf dem Höhepunkt der Programmdebatte, die dem Programm von 2003 vorausging, sogar eine eigene Reihe „Beiträge und Informationen zur Programmdebatte“ heraus, die an alle PDS-Kreisverbände versandt wurde, um die Programmdebatte an der Parteibasis zu befördern. Unabhängig von der Frage, inwieweit die Programmdebatte die Parteibasis tatsächlich erreichte, war die interne Kommunikationsstruktur der PDS im Vergleich zu anderen Parteien gut ausgebaut. Mit ihrer Mitgliederzeitschrift, dem Pressedienst, der Theoriezeitschrift „Utopie kreativ“ und insbesondere der vor allem von PDS-Mitgliedern und -Sympathisanten gelesenen Tageszeitung „Neues Deutschland“ war sie in der Lage, innerparteiliche Diskussionen zu

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Vgl. Bortfeldt, Heinrich: Ankommen oder draußen bleiben?, in: Das Parlament, Nr. 11/2004. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997. 36 Das „Neue Deutschland“ befand sich teilweise im Eigentum der PDS (heute der LINKEN), die „Junge Welt“ steht den Orthodoxen nahe. „Analyse & Kritik“ ist das Organ der ehemaligen Mehrheitsfraktion des Kommunistischen Bundes, der zu einem Großteil in den westlichen PDSLandesverbänden aufgegangen ist. „Konkret“ und „Jungle World“, eine Abspaltung von der „Jungen Welt“, sind Blätter mit antifaschistischer und antideutscher Ausrichtung. Die „Weißenseer Blätter“ waren eine Zeitschrift der Orthodoxen und beschäftigten sich vornehmlich mit historisch-programmatischen Fragen. Zwar war ihre Verbreitung gering, doch lösten deren Aufsätze mehrfach heftige programmatische Auseinandersetzungen in der PDS aus, die weite Teile der Partei erfassten. 35

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führen und Meinungsbildungsprozesse zu begleiten.37 Neben den genannten Quellen erschienen zahlreiche Beiträge von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern zur PDS-Programmatik in überregionalen Tages- und Wochenzeitungen, politischen Zeitschriften und Fachzeitschriften. Intensiv begleiteten auch die den anderen Parteien nahestehenden Stiftungen und die Verfassungsschutzämter die programmatische Entwicklung der PDS. Die Programmdebatte der PDS hatte auch über die Parteigrenze hinaus Bedeutung für Sozialisten in Deutschland. Parteilose Sozialisten, Sozialisten in der SPD und die DKP verfolgten die PDS-Programmdebatte und kommentierten sie. Mehrfach lud die PDS linke Intellektuelle außerhalb der Partei ausdrücklich ein, sich an der Programmdebatte zu beteiligen. Zu den prominentesten Vertretern anderer Parteien, die in die PDS-Programmdebatte eingriffen, gehören Peter von Oertzen38 und Thomas Meyer39. Unter Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern, die sich mit der PDS beschäftigten, war umstritten, ob es sich bei der PDS im wesentlichen um eine extremistische Partei handelte oder um eine ehemalige sozialistische Staatspartei, die eine überfällige Reform zum demokratischen Sozialismus vollzog. Für die erstgenannte Position stehen Forscher wie Jürgen Lang, Patrick Moreau und Viola Neu, für die zweitgenannte beispielsweise die Wissenschaftler Gero Neugebauer und Richard Stöss von der Freien Universität Berlin.40 Patrick Moreau, Jürgen Lang und Viola Neu waren die ersten Wissenschaftler, die sich seit Beginn der neunziger Jahre umfassend mit der PDS beschäftigten. Gelegentlich verwendete Moreau das Pseudonym Peter Christian Segall. Gemeinsam und einzeln veröffentlichten sie eine Vielzahl von Büchern und Aufsätzen über die Partei. Neu beobachtete die PDS jahrelang im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2004 erschien sie ihre Dissertation „Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Extremismus und

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Vgl. Brie, Michael: Das politische Projekt PDS – eine unmögliche Möglichkeit. Die ambivalenten Früchte eines Erfolgs, in: Ders./Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 9-38 (34). 38 von Oertzen, Peter: Fragen ohne befriedigende Antworten, in: ND v. 15.6.2001 (von Oertzen war Mitglied der Programmkommission, die das Berliner Programm der SPD von 1989 erarbeitet hat). 39 Strohschneider, Tom: Opposition oder Regierungsbeteiligung? SPD-Theoretiker Thomas Meyer im Gespräch mit Dieter Klein (PDS), in: ND v. 9.6.2001 (Meyer war Stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD und an der Erarbeitung des gemeinsamen Papiers von SPD und SED von 1987 „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ beteiligt). 40 Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996.

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Demokratie“41. Für diese Arbeit konnte sie erstmals umfangreiche Befragungsergebnisse unter PDS-Wählern auswerten, die die Konrad-AdenauerStiftung über Jahre gesammelt hatte. Nicht bei der Dissertation, wohl aber bei ihren Veröffentlichungen für die Konrad-Adenauer-Stiftung, ist zu bemerken, dass sie im Auftrag der der CDU nahestehenden Stiftung entstanden und insofern auch der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner dienten. So legte sie mehrdeutige Äußerungen aus den Reihen der PDS regelmäßig in für die Beurteilung der Partei negativem Sinne aus. Jürgen Lang, der wahrscheinlich kenntnisreichste wissenschaftliche Beobachter der PDS, fasste seine Forschungsergebnisse in seiner 2003 erschienenen Dissertation „Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung“42 zusammen. Bei dieser Arbeit, die auf einer sehr breiten Quellenbasis steht, handelt es sich um eine Untersuchung demokratischer und extremistischer Tendenzen in der PDS und ihren Gliederungen und Strömungen. Lang kam zu dem Fazit, die PDS sei auch über ein Jahrzehnt nach dem Ende der DDR noch keine eindeutig demokratische Partei gewesen. Aus den Reihen der PDS-Reformer waren die bedeutendsten und engagiertesten Autoren zu Programmatik und Strategie der Partei André Brie, Michael Brie und Dieter Klein. Mit Dutzenden von Beiträgen trieben sie die programmatischen Debatten in der PDS immer wieder voran und riefen den Widerstand der Orthodoxen hervor. Ihr zentrales Ziel war, die Konzeption eines sogenannten modernen Sozialismus in der Programmatik der PDS zu verankern, auch um die Optionen für Bündnispolitik und Regierungsbeteiligung zu verbessern. Sie wussten, dass die PDS ohne öffentliche Akzeptanz nicht koalitionsfähig werden konnte, und galten als Stichwortgeber der führenden PDS-Politiker Gregor Gysi, Lothar Bisky, Gabriele Zimmer und Dietmar Bartsch. Brie, Brie und Klein erarbeiteten den Entwurf für das PDS-Programm von 2003. Sie gehörten auch zu den Verfassern des Kommentars zur Programmatik der PDS. Michael Brie initiierte zwei wichtige Sammelbände der Reformer zur Standortbestimmung der PDS.43 Bei den Verfassern der PDSProgramme und weiterer programmatischer Papiere der Partei herrschte also personelle Kontinuität. Die wichtigsten Vertreter der Orthodoxen, die sich jeweils mit einer Vielzahl von Beiträgen an programmatischen Debatten beteiligten, waren Michael Benjamin, Ellen Brombacher, Uwe-Jens Heuer, Klaus Höpcke, Ekkehard 41

Neu, Viola: Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus (Extremismus und Demokratie, Bd. 9). – Baden-Baden 2004. 42 Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden-Baden 2003. 43 Brie, Michael/Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, Brie, Michael/Woderich, Rudolf (Hg.): Die PDS im Parteiensystem. – Berlin 2000.

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Lieberam, Sahra Wagenknecht, Ingo Wagner44 und Winfried Wolf. Sie alle reagierten auf die programmatischen Vorstöße der Reformer und bemühten sich, diese insbesondere bei den Themen DDR-Geschichte, Regierungsbeteiligung und Bundeswehr-Auslandseinsätze abzuwehren. Michael Benjamin beziehungsweise als seine Nachfolgerin Ellen Brombacher, Uwe-Jens Heuer und Winfried Wolf waren die orthodoxen Mitglieder der PDSProgrammkommission und verfassten zusammen mehrere Minderheitsvoten zu von der Programmkommission mehrheitlich beschlossenen Papieren. Horst Dietzel war der kontinuierlichste Begleiter der Programmdebatten aus den Reihen der PDS selbst. Mit weiteren PDS-Mitgliedern gab er schon den Sammelband zur Debatte, die dem PDS-Programm von 1993 vorausging, heraus.45 In diversen Beiträgen verglich er Programme und Programmdiskussionen der PDS mit denen der SPD, der Grünen und der WASG, auch um immer wieder für eine Anschlussfähigkeit der PDSProgrammatik an die Programme anderer Parteien des linken Spektrums zu werben. 2007 veröffentlichte er rückblickend eine Broschüre über die programmatische Entwicklung der PDS beziehungsweise Linkspartei von 1990 bis 2007.46 Auch der Sekretär der Programmkommission Bernd Ihme, der diese Funktion in der fusionierten Partei wieder ausübt, verfasste eine Reihe von Beiträgen zum jeweiligen Stand programmatischer Diskussionen in der PDS. Ein wichtiger Chronist der Entwicklung der PDS ist Heinrich Bortfeldt. Insbesondere für das „Deutschland Archiv“ berichtete er seit Anfang der neunziger Jahre kontinuierlich über die Partei. Dabei ließ er Sympathie für die Reformer erkennen. Ein weiterer wichtiger Chronist des Werdegangs der PDS war Manfred Behrend. Er schrieb, teilweise unter dem Pseudonym Bruno Mander, regelmäßig für die in der Tradition der Kommunistischen ParteiOpposition stehende Zeitschrift „Arbeiterstimme“ sowie für die marxistische Zeitschrift „Hintergrund“ über Politik und Programmatik der PDS. Seine Analysen fasste er in dem 2006 erschienenen Buch „Eine Geschichte der PDS“47 zusammen. Behrend war ein scharfer Kritiker der PDS-Reformer. Aus links-gewerkschaftlicher Perspektive kommentierte und kritisierte Joachim Bischoff seit 1990 den Werdegang der PDS. Bischoff ist Redakteur der Zeitschrift „Sozialismus“ und gehörte kurzzeitig dem Parteivorstand der PDS an.

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Z.B. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004. 45 Dietzel, Horst/Gehrcke, Wolfgang/Hopfmann, Arndt/Werner, Harald (Hg.): Brückenköpfe. Texte zur Programmdiskussion der PDS (Podium Progressiv, Bd. 17). – Mainz 1992. 46 Ders.: Kontinuität und Wandel. Die Programmatik der PDS von 1990 bis 2007 (Pankower Vorträge, H. 99). – Berlin 2007. 47 Behrend, Manfred: Eine Geschichte der PDS. – Köln 2006.

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Zu den profiliertesten Journalisten, die die Entwicklung der PDS über Jahre verfolgten und kommentierten, gehören Brigitte Fehrle („Die Zeit“ und „Berliner Zeitung“), Armin Fuhrer („Die Welt“ und „Focus“), Jens König48 („Die Tageszeitung“), Johannes Leithäuser („Frankfurter Allgemeine Zeitung“) und Mechthild Küpper („Frankfurter Allgemeine Zeitung“), die kenntnisreichste und scharfsinnigste Journalistin, die die Partei analysierte. Monographien über die PDS gehen zwar auf die Programmatik und die programmatische Entwicklung der Partei ein, stellen diese jedoch nicht umfassend, sondern jeweils lediglich Teilaspekte dar. Aufsätze zu diesem Komplex behandeln ebenfalls nur einzelne Aspekte der Programmatik oder einzelne programmatische Dokumente. Bis heute existiert keine Arbeit, die über den gesamten Zeitraum von der Umbenennung der SED bis zum letzten Parteiprogramm von 2003 und unter systematischer Auswertung der einschlägigen Stellungnahmen und Beiträge aller innerparteilichen Strömungen die Programmatik und die programmatische Entwicklung der PDS untersucht. Diese Arbeit will diese Lücke füllen.

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König verfasste auch ein Buch über Gregor Gysi: König, Jens: Gregor Gysi. Eine Biographie. – Berlin 2005.

2. Innerparteiliche Richtungen

Die Programmdebatte wurde auch von den Besonderheiten der Zusammensetzung der PDS-Mitgliedschaft beeinflusst. Faktoren, die sich in dieser Hinsicht auswirkten, waren beispielsweise die verschiedenen individuellen Gründe für eine Mitgliedschaft in der PDS, stark voneinander abweichende Sozialismusauffassungen, die Unterschiede zwischen PDSFührung und Basis oder die bei Sozialisten oft sehr emotionale Bindung an ihre Partei. Zwar gibt es auch in anderen Parteien Zusammenschlüsse, die die spezifischen Ziele bestimmter Interessengruppen oder soziologischer Gruppen wie Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Frauen oder Jugendliche vertreten und für ihre jeweiligen Positionen um innerparteiliche Mehrheiten werben, doch obwohl die PDS eine relativ kleine Partei war, war ihre Mitgliedschaft deutlich heterogener zusammengesetzt als die aller anderen deutschen Parteien. In der PDS gab es miteinander unvereinbare Weltbilder und Sozialismusvorstellungen. Dies war schon in der Tagespolitik problematisch, die Diskussion der Programmatik wurde mit äußerster Schärfe ausgetragen. Auch führende Repräsentanten der PDS bestätigten immer wieder ausdrücklich, dass die Mitgliedschaft sehr heterogen war.49 Die PDS war eine sozialistische Sammlungs- und Strömungspartei.50 Für Manfred Wilke ging es der PDS um die Renaissance einer sozialistischen Strömungspartei neben der und gegen die SPD.51 Die PDS habe die Parteikonzeption einer sozialistischen Union, die die Vielfalt ihrer Bestandteile integriert.52 Jan Bielicki, Redakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“, äußerte, die einzelnen Strömungen der PDS passten eigentlich nicht in eine Partei: „Die mehrheitlich eher kleinbürgerlich geprägte Klientel, die der PDS aus dem Kleinbürgerstaat 49

Vgl. Brie, Michael: Das politische Projekt PDS – eine unmögliche Möglichkeit. Die ambivalenten Früchte eines Erfolgs, in: Ders./Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 9-38 (12). 50 Vgl. Wilke, Manfred: Die PDS: Partei der Spaltung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 70-98 (76). 51 Vgl. Wilke, Manfred: Der lange Marsch der PDS, in: Die Welt v. 29.6.2005. 52 Vgl. Baron, Udo/Wilke, Manfred: Die Partei „Die Linke“. Auseinandersetzung mit Strategie und Taktik, in: Die Politische Meinung, Nr. 456/2007, S. 37-43 (39).

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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DDR übrigblieb und die vor allem an Vertretung ihrer konkreten Belange interessiert ist, und die bunte Truppe, die ihr aus linken Szenen und Sekten zulief und die die Lust an der Totalopposition treibt, passen nicht in eine Partei.“53 Christian von Ditfurth sprach von der PDS als einem Nebeneinander unterschiedlicher Strömungen zwischen Punk und staatstragendem Spießertum.54 Er schilderte anschaulich, welche Bandbreite von Meinungen es in der PDS gab: „Die Autorität der Führung überschreitet in manchen Fällen nicht einmal die Eingangspforte des Karl-Liebknecht-Hauses. Der Pluralismus in der Partei ist statuarisch fest verankert, die Meinungsfreiheit wird geradezu exzessiv genutzt. Gruppen in der Partei, also Fraktionen, haben das Recht, sich zu organisieren, und erhalten Geld aus Parteimitteln. Niemand ist verpflichtet, Parteitagsbeschlüsse richtig zu finden.“55 Armin Pfahl-Traughber skizzierte die Pole innerparteilicher Positionen so: „Einerseits Auffassungen, die sich vom Marxismus-Leninismus traditionellen Typs verabschiedet haben und nach einem sozialistischen System streben, welches zwar nicht mit der DDR identisch sein soll, aber auch nicht mit den Wertvorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates vereinbar wäre; andererseits Positionen, die sich kaum von denen des Marxismus-Leninismus der DDR-Zeit unterscheiden, diesen teilweise sogar noch verschärft ideologisch reproduzieren, wenn sie etwa Honecker eine inaktive Frontstellung gegenüber der Glasnost-Politik Gorbatschows vorwerfen.“56 Für Peter Jochen Winters war die PDS noch 2000 ein Konglomerat von Interessengruppen, Plattformen, Foren und Arbeitsgemeinschaften, die ihr eigenes Süppchen kochten.57 Die PDS warb sogar mit „Gysis bunter Truppe“. Einen Schritt weiter ging der Historiker Klaus-Dietmar Henke. Für ihn war die PDS zerrissener als jede andere deutsche Partei.58 Keine Partei in Deutschland, so Richard Schröder, bestehe aus so disparaten Flügeln wie die PDS.59 Lothar Probst äußerte, man könne von der PDS eigentlich nur im Plural sprechen.60 Der Schriftsteller Thomas Brussig beschrieb die PDS als eine Partei, in der jeder nach seiner Facon links sein kann.61 Selbst Lothar Bisky erklärte, die PDS 53 54 55 56

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Bielicki, Jan: Die PDS – immer noch ein Auslaufmodell, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/1994, S. 1008-1011 (S. 1011). Vgl. Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 273. Ebd., S. 216. Pfahl-Traughber, Armin: Antworten zur Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 7. - Baden-Baden 1995, S. 96-103 (97 f.). Vgl. Winters, Peter Jochen: Ist die PDS am Ende?, in: Thierse, Wolfgang/Spittmann-Rühle, Ilse/Kuppe, Johannes (Hg.): Zehn Jahre Deutsche Einheit. – Opladen 2000, S. 99-112 (105). Vgl. Interview in der Berliner Morgenpost v. 29.7.2001. Vgl. Schröder, Richard: Was vom Sozialismus bleibt, in: Tagesspiegel v. 24.9.2002. Vgl. Probst, Lothar: Die PDS – von der Staats- zur Regierungspartei. Eine Studie aus Mecklenburg-Vorpommern (Politica, Bd. 39). - Hamburg 2000, S. 7. Vgl. Brussig, Thomas: Die Lüge, die Einheit heißt, in: Süddeutsche Zeitung v. 26.6.2001.

bestehe eigentlich aus mehreren Parteien.62 Gregor Gysi schrieb, die PDS bestehe programmatisch, politisch, kulturell und mental aus zwei Parteien mit großen und unverträglichen Unterschieden.63 Michael Brie warnte schon 1995, die Pluralisierung der PDS sei mittlerweile bis zu dem Punkt fortgeschritten, an dem sie das notwendige Mindestmaß an Konsistenz und Handlungsfähigkeit in Frage stellt und in eine organisatorische Verbindung völlig disparater Fragmente übergeht.64 Selbst noch 2006 wurde die Linkspartei.PDS als Ansammlung sozialistischer Ich-AGs bezeichnet.65 Der Binnenpluralismus der PDS beziehungsweise die Gegensätze innerhalb der Partei kamen insbesondere in programmatischen Stellungnahmen zum Ausdruck. Gero Neugebauer schrieb, es existiere keine einheitliche Programmatik der PDS, sondern lediglich eine Sammlung programmatischer Aussagen.66 Das PDS-Programm sei, so Konrad Löw, ein Spiegelbild der heterogenen Kräfte in der Partei.67 Viola Neu meinte, die Programmatik der PDS sei durch eine eigentümliche Mischung aus Nostalgie, Ideologie und Protest charakterisiert.68 Die Spannbreite der innerhalb der PDS tolerierten Positionen reiche vom Stalinismus über den Anarchismus bis hin zur Sozialdemokratie: „Wessis, Ossis, Reformer, Traditionalisten, Marxisten, Leninisten, Pragmatiker, Parlamentarier und Revolutionsträumer bilden das nebeneinander des Unvereinbaren.“69 Für Mechthild Küpper war die PDS ein Omnibus aus rechts und links, autoritär und antiautoritär, reformerisch und beharrend, Umwelt schützend und populistisch, aus diesem und jenem und auch dem Gegenteil.70 Allerdings waren alle Insassen auf dem Weg zu einem 62 63 64

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Vgl. Bisky, Lothar: Stellen wir politische Gemeinsamkeiten über die Unterschiede!, in: PID, Nr. 24/1995, S. 3-5 (3). Vgl. Gysi, Gregor: Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. – Hamburg 2003, S. 200. Vgl. Brie, Michael: Das politische Projekt PDS – eine unmögliche Möglichkeit. Die ambivalenten Früchte eines Erfolgs, in: Ders./Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 9-38 (11). Vgl. Maron, Thomas: Verloren in alten Ritualen, in: Frankfurter Rundschau v. 2.5.2006. Vgl. Neugebauer, Gero: Anmerkungen zum Geschichtsbild in der Programmatik der PDS, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 199-222 (200). Vgl. Löw, Konrad: Für Menschen mit kurzem Gedächtnis. Das Rostocker Manifest der PDS. – Köln 1998, S. 52. Vgl. Neu, Viola: Die PDS: Eine populistische Partei?, in: Werz, Nikolaus (Hg.): Populismus. Populisten in Übersee und Europa (Politik – Gesellschaft – Wirtschaft, Bd. 79). – Opladen 2003, S. 263-277 (270). Ebd., S. 276. Vgl. Küpper, Mechthild: Mit der PDS in die deutsche Einheit? Überlegungen zur Beweglichkeit einer ostdeutschen Partei, in: Probst, Lothar (Hg.): Differenz in der Einheit: Über die kulturellen Unterschiede der Deutschen in Ost und West. – Berlin 1999, S. 54-64 (62).

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gemeinsamen Ziel, dem Sozialismus. Diese Vision blieb die Klammer der inneren Gegensätze der PDS. In der Zeitung „Jungle World“ hieß es, in der PDS gäbe es eine Spannbreite vom Nationalbolschewisten bis zu kosmopolitisch fühlenden Hippies.71 Ein Positionspapier aus den Reihen der PDS stellte fest: während „weite Teile der Mitgliedschaft noch irgendwo zwischen Novemberrevolution und Räterepublik festhängen, möchten manch andere mit „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“-Schlachtrufen durch Berlin rennen oder sind „allzeit bereit für Frieden und Sozialismus““72. 1995 äußerten Rainer Land und Ralf Possekel, gerade programmatisch sei die PDS zerklüfteter als zur Zeit ihrer Umgründung aus der SED.73 Ein trotzkistischer Autor meinte, programmatische Plattformen und Arbeitsgemeinschaften innerhalb der Partei stellten ein Politpotpourri dar, „das den Ideenpluralismus innerhalb westdeutscher Parteien bei weitem übersteigt.“74 Die marxistische Gesellschaft für kritische Sozial- und Subjektwissenschaft formulierte: Die interne Schwankungsbreite in der PDS reiche „von Verfechtern eines oberflächlich modernisierten systemimmanenten Reformutopismus und Sozialkapitalismus über neonationalistische Populisten und Anhänger reaktionärer Sozialismusvorstellungen bis hin zu apologetischen „Realsozialisten“ und dogmatischen „Poststalinisten“.“75 Manfred Wilke sah politikwissenschaftliche Systematiker an der Widersprüchlichkeit der PDSProgrammatik, „in der sozialdemokratische und grüne Puzzleteile ebenso zu finden sind wie DDR-Verklärung, zu der die Existenz einer kommunistischen Plattform gehört“76, nahezu verzweifeln. Die Widersprüche der verschiedenen Strömungen der PDS traten nirgendwo deutlicher zutage als in der Programmdebatte. Im PDS-Programm von 2003 wurde ebenso wie im Programm von 1993 das Spektrum von Meinungen beschrieben, die in der Partei vertreten werden konnten. Demnach hatten in der PDS sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzten und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnten, als auch solche, die ihren Widerstand damit verbanden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden.77 Zwar eröffnete das PDS-Statut die Möglichkeit, ein Mitglied auszuschließen, 71 72 73

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Vgl. Sundermeier, Jörg: Die Partei ist zu allem fähig, in: Jungle World, Nr. 7/2004. Wiemers, Andreas u.a.: Die PDS ist auf dem Weg – nur wohin?, in: ND v. 28.2.2004. Vgl. Land, Rainer/Possekel, Ralf: PDS und moderner Sozialismus, in: Brie, Michael/Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 112-130 (112). Schmidt, Ingo: Die Linke: Arbeiterpartei neuen Typs oder Traditionsverein des alten Sozialstaats?, in: Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis, Nr. 14/2007, S. 3-9 (8). Erklärung der Gesellschaft für kritische Sozial- und Subjektwissenschaft, in: Hintergrund, Nr. 2/2002, S. 48. Wilke, Manfred: Familienbande – Die SPD und die PDS, in: Trend, Nr. 81/1999, S. 6-13 (12). Vgl. Programm der Partei des demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 21.

das erheblich gegen die Grundsätze des Programms verstößt, doch wurde kein einziges Mitglied je aus der PDS ausgeschlossen. Lothar Probst analysierte, wie einige Führungspersonen der PDS kooperierten, um die Partei zusammenzuhalten und zu lenken: „Lothar Bisky als Parteivorsitzender integriert die Partei nach innen, Gregor Gysi ist die witzigspritzige charismatische Führungsfigur nach außen in Richtung Öffentlichkeit und Medien, André Brie verkörpert den intellektuellen Vordenker, der der Partei auch schon mal vors Schienbein tritt, und Hans Modrow ist der Brückenkopf zwischen der sich reformpolitisch gebenden Führung und der traditionell ausgerichteten Mitgliedschaft.“78 Um die programmatischen Auseinandersetzungen in der PDS besser verstehen zu können, ist es hilfreich, die Strukturprinzipien der SED zu betrachten. Die SED mit ihren über zwei Millionen Mitgliedern war mehr als vierzig Jahre lang eine monolithische Partei. Nach dem Prinzip des Demokratischen Zentralismus vollzog sich die Willensbildung in der Partei von oben nach unten. Die SED-Mitglieder waren von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Fraktionsbildung blieb verboten. Regiert wurden die Partei und der Staat vom Politbüro des Zentralkomitees mit dem Generalsekretär an der Spitze. Beim Außerordentlichen Parteitag 1989 wurde anstelle des Zentralkomitees ein Parteivorstand mit 101 Mitgliedern und anstelle des Politbüros ein Präsidium gewählt. Damit kehrte die Partei zu den Gremienbezeichnungen der deutschen Sozialdemokratie zurück. Im Februar 1990 gab sich die PDS ein neues Programm und ein neues Statut. Darin vollzog die Partei einen radikalen Bruch mit dem Parteityp der SED. Im Programm verankerte die PDS, dass die Mitgliedschaft nicht an ein bestimmtes weltanschauliches Bekenntnis gebunden ist. Die PDS wollte fortan eine Strömungspartei sein. Ausdrücklich wurde im Programm festgeschrieben, dass die Formulierung der Ziele der Partei den Wettstreit der Ideen der Mitglieder, Plattformen und innerparteilichen Strömungen einschließt.79 Minderheiten wurde das Recht zugestanden, Kritik an mehrheitlich gefassten Beschlüssen zu üben.80 Mit dem Ende der Parteistruktur der SED ging unter der verbliebenen Mitgliedschaft81 zunächst eine programmatische Orientierungslosigkeit einher. Man suchte in der Geschichte der sozialistischen Bewegung nach Impulsen für die Zukunft und besann sich auf Theoretiker, die in der DDR verfemt waren, auf SED-Dissidenten, die 78

Probst, Lothar: Die PDS – von der Staats- zur Regierungspartei. Eine Studie aus MecklenburgVorpommern (Politica, Bd. 39). – Hamburg 2000, S. 29. 79 Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 12. 80 Vgl. Pohl, Wolfgang: Bericht der Statutenkommission, in: PDS: Wahlparteitag. - Berlin 1990, S. 109-114 (111). 81 Im Juni 1990 hatte die PDS noch 350.000 Mitglieder, vgl. Moreau, Patrick: PDS. Anatomie einer postkommunistischen Partei (Extremismus & Demokratie, Bd. 3). - Bonn 1992, S. 336.

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versucht hatten, den DDR-Sozialismus zu reformieren, und darauf, dass die SED aus der Vereinigung von KPD und SPD hervorgegangen war, also sowohl kommunistische als auch sozialdemokratische Wurzeln hatte. Zur Zeit der „Wende“ wurde wegen der mittlerweile allgemein abgelehnten Parteistruktur der SED in der Partei diskutiert, ob man sich zukünftig als Partei oder als Bewegung definieren solle. Aus einem Bericht der Statutenkommission an den 2. Parteitag der PDS ging hervor, dass in der innerparteilichen Diskussion Bewegung mit positiven Attributen wie basisdemokratisch, offen, transparent, pluralistisch oder individualistisch, Partei dagegen mit den negativen Begriffen Bürokratismus, Zentralismus, Geschlossenheit (Einheit und Reinheit), Undurchschaubarkeit und Kollektivismus verbunden werde.82 Die PDS fügte daraufhin einige Bewegungselemente in ihr Statut ein. Ausdruck des Bewegungscharakters waren die Verleihung von Mitgliedsrechten an Nichtmitglieder sowie die politische und organisatorische Hervorhebung der Arbeits- und Interessengemeinschaften, die eine Brückenfunktion gegenüber sozialen und anderen Bewegungen wahrnehmen sollten.83 Die ohnehin schon großen programmatischen Meinungsverschiedenheiten in der PDS wurden dadurch noch komplizierter. Der Soziologe Dietmar Wittich ermittelte mit Blick auf die Mitglieder und Anhänger der PDS vier Strukturebenen. Auch in anderen Parteien sind Spitzenpolitiker, Berufspolitiker und sonstige Funktionäre nicht repräsentativ für die Gesamtmitgliedschaft, doch in der PDS waren die Unterschiede zwischen diesen Gruppen besonders auffällig. In der durch Massenmedien geprägten Öffentlichkeit entwickelte sich ein Bild der PDS, das nicht der Realität an der Basis entsprach. Das Bestehen verschiedener Strukturebenen dürfte auch für die Programmdebatte von Bedeutung gewesen sei, da die programmatischen Vorstellungen der Angehörigen der einzelnen Strukturebenen deutlich voneinander abweichen dürften. Wittich unterschied folgende Strukturebenen: x x x

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Die Ebene der Akteure, die die PDS in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit repräsentieren. Die Ebene der aktiven Mitglieder, die sich beim politischen Agieren in und für die PDS in irgendeiner Weise beteiligen. Die Gesamtheit der Mitgliedschaft.

Vgl. Schriftlicher Bericht der Statutenkommission an den 2. Parteitag der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 1. Tagung. – Berlin 1991, S. 140-167 (162). Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 321.

x

Das Umfeld der PDS, also vor allem ihre Wählerinnen und Wähler.84

Der SED gehörten über zwei Millionen Mitglieder an. Die individuellen Motivationen für eine Mitgliedschaft in der Staatspartei dürften höchst unterschiedlich gewesen sein. Neben dem Glauben an den Sozialismus waren beispielsweise sicher auch persönliche Karriereambitionen ausschlaggebend. Für die PDS war auch im Hinblick auf die Programmdebatte bedeutsam, welche Mitglieder nach der friedlichen Revolution in der Partei verblieben. Nachdem Hunderttausende die Partei verlassen hatten, wurden Ende 1990 in einer Bestandsaufnahme folgende Motive der PDS-Mitglieder für ihre Zugehörigkeit zur Partei ermittelt: x x x x x x

Wille zur eigenen Vergangenheitsaufarbeitung. Besonders unter älteren Mitgliedern Gefühle der Treue und der Disziplin, Partei als Heimstatt. Festhalten an DDR-Identität. Opposition aus Trotz. Bekenntnis zur Partei und zu sozialistischen Auffassungen. Wille zu politischem Engagement.85

Diese sehr unterschiedlichen Motivationen, die nur teilweise als politisch im engeren Sinne angesehen werden können, verdeutlichen, vor welchen Schwierigkeiten die PDS allein schon aufgrund der Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft bei der Entwicklung neuer, konstruktiver, auf die Gestaltung der Zukunft gerichteter, selbstkritischer und in der Partei allgemein akzeptierbarer programmatischer Positionen stand. Die genannten Gründe für eine Mitgliedschaft in der PDS waren im Vergleich zu anderen Parteien auch ungewöhnlich emotional und irrational. 1991 ließ die PDS ihre erste Mitgliederbefragung durchführen. Die Untersuchung ermittelte fünf Gruppen von typischen PDS-Mitgliedern mit jeweils spezifischen Motiven für die Parteimitgliedschaft: „1. Eine Gruppe mit programmatisch-politischer Motivation (13,8 %). Diese Gruppe begründet ihre Mitgliedschaft mit politischen und programmatischen Motiven, sie ist antikapitalistisch und für einen neuen, einen demokratischen Sozialismus. Das ist die politisch-programmatische Gruppe der emanzipatorischen Sozialisten.

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Vgl. Wittich, Dietmar: Mitgliedschaft und Wählerschaft der PDS zwischen Kontinuität und Veränderung, in: Brie, Michael/Woderich, Rudolf (Hg.): Die PDS im Parteiensystem. – Berlin 2000, S. 52-61 (53). 85 Vgl. Zur Situation der PDS, in: PDS: Dokumente, Nr. 2. – Berlin 1991, S. 346-355 (351).

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2. Die größte Gruppe (45 %) hat als gemeinsames Merkmal die individuelle Verbundenheit. Die typische Formulierung ist: „Die PDS ist meine politische Heimat.“ Sie hat eine individuell-emotionale Motivation, bekundet die Übereinstimmung der eigenen Überzeugungen, braucht den Kontakt mit Gleichgesinnten. Das ist die Gruppe der individuell mit der Partei Verbundenen. 3. Die nächste Gruppe (mit 17 % immerhin die zweitgrößte), verbindet individuelle Verbundenheit und Treue mit einer antikapitalistischen Motivation. Sie begründet ihre Mitgliedschaft überwiegend durch persönliche Ablehnung, definiert sich negativ sowohl gegenüber den Ausgetretenen als auch gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungen. Typisch ist die Formulierung: „Ich bin doch kein Wendehals.“, verbunden mit antikapitalistischen Aussagen, die häufig auch eine gehörige Portion Trotz erkennen lassen. Das ist die Gruppe der „antikapitalistischen Nicht-Wendehälse“. 4. Eine recht große Gruppe (14,4 %) ist durch traditionalistische Motivationsmuster gekennzeichnet, die mit der Forderung nach Interessenvertretung verbunden sind. Dabei gibt es zwei Varianten, einmal Interessenvertretung für die Arbeiter bzw. die Arbeiterklasse – sie sehen die PDS als Arbeiterpartei, als Klassenpartei; zum anderen Interessenvertretung für die Bürger der DDR. Es handelt sich um eine traditionalistische Gruppe mit den Flügeln „Arbeiterpartei“ und „DDR-Partei“. 5. Eine weitere Gruppe (9,1 %) formuliert theoretische bzw. weltanschauliche Begründungen für ihre Mitgliedschaft. Typische Varianten sind Identifizierungen mit dem Marxismus („Weil ich Marxist bin!“) oder die Hoffnung auf Erneuerung des Marxismus. Das ist die Gruppe mit einer dominierend theoretisch-marxistischen Motivation.“86 Dass sich nur 13,8 Prozent der PDS-Mitglieder programmatisch-politisch zum demokratischen Sozialismus bekannten, war für Heinrich Bortfeldt ein Indikator, der zeigte, dass die PDS mehr eine Solidar- denn eine Interessen- und politische Gemeinschaft sei.87 Andreas Fraude sah in den Motiven für die Zugehörigkeit zur PDS ein Zeichen dafür, dass die von Reformern dominierten Führungsgremien der Partei im Gegensatz zur Mehrheit der Basis stünden.88 Angesichts solcher Befunde in der PDS-Mitgliedschaft verwundern die großen ideologischen Gegensätze nicht. Diese waren vielfältiger als der Hauptkonflikt zwischen den beiden großen Lagern der Reformer und

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Institut für Sozialdatenanalyse: Forschungsbericht Strukturen, politische Aktivitäten und Motivationen in der PDS. Mitgliederbefragung der PDS 1991 (Studien des Instituts für Sozialdatenanalyse, Nr. 2). – Berlin 1995, S. 39 f. 87 Vgl. Bortfeldt, Heinrich: Von der SED zur PDS. Wandlung zur Demokratie? – Berlin 1991, S. 281. 88 Vgl. Fraude, Andreas: „Reformsozialismus“ statt „Realsozialismus“? Von der SED zur PDS (Osteuropa – Politik, Wirtschaft und Kultur; Bd. 4). – Münster 1993, S. 110.

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Orthodoxen. Auch diese Lager ihrerseits waren alles andere als monolithisch und frei von Binnenkonflikten. Ein wichtiger innerparteilicher Konflikt war der Ost-West-Gegensatz in der PDS. Dieser hatte nicht nur programmatische Ursachen. So bestand allein schon von Mentalität und Lebensweise her ein Spannungsverhältnis zwischen westdeutschen PDS-Mitgliedern und den von der Partei umworbenen alternativen Milieus in Westdeutschland einerseits und der überalterten Basis im Osten, die zu einem großen Teil aus der ehemals staatstragenden Schicht eines autoritären beziehungsweise totalitären Systems stammte, andererseits. Viele PDS-Mitglieder in Westdeutschland kamen von der DKP, K-Gruppen wie dem Kommunistischen Bund (KB) und dem Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK), der trotzkistischen Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP), vom fundamentalistischen Flügel der Grünen, vom linken Rand der SPD, von der Friedensbewegung, der Anti-Atomkraft-Bewegung, Dritte-Welt-Gruppen oder Frauengruppen.89 Teilweise überführten sie sogar ihre organisatorischen Strukturen in die PDS und setzten sie dort fort. Ein Beispiel dafür ist die „Arbeitsgemeinschaft Bund westdeutscher Kommunisten in der PDS“. Durch die Vereinigung mit der WASG wiederholt sich diese Entwicklung. So setzt die trotzkistische Organisation Linksruck ihre Arbeit als Netzwerk in der Linkspartei fort.90 Claudia Gohde, die jahrelang für den Aufbau der PDS in den westlichen Bundesländern zuständig war, beschrieb die ideologische Herkunft eines Großteils der westdeutschen PDS-Mitglieder so: „Da gab es den Bezug auf Trotzki, auf das maoistische China, auf Albanien, auf Kropotkin, auf die FrühsozialistInnen oder auf die KPD-Opposition und natürlich auf die Länder des realen Sozialismus Moskauer Prägung.“91 Es handelte sich also um eine Herkunft aus sektiererischen Organisationen mit extrem ideologisiertem Hintergrund. Dies ist eine Ursache für die bis 2005 nie überwundenen Schwierigkeiten der PDS in Westdeutschland. Noch 2002 hielten wissenschaftliche Beobachter die westdeutschen PDS-Landesverbände für ein Gravitationsfeld eines linksextremistischen Pluralismus, einer Vielzahl linksextremistischer beziehungsweise linksradikaler Gruppen und Zusammenschlüsse. Sie seien ein Mix aus Marxisten-Leninisten, Stalinisten, Trotzkisten und Sektierern mancherlei Herkunft, aber auch neuen reformorientierten Mitgliedern.92 Das Dilemma der PDS im Hinblick auf ihre Mitglieder in Westdeutschland wurde in der Zeitschrift 89

Vgl. Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 233 f. u. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 139 f. 90 Vgl. Meisner, Matthias: Trotzkisten im Linksbündnis – die Führung wacht langsam auf, in: Tagesspiegel v. 7.5.2007. 91 Gohde, Claudia: Die Hypothek der Westlinken, in: PID, Nr. 50/1995, S. 19 f. (19). 92 Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita/Blank, Bettina: Die West-PDS als Gravitationsfeld eines linksextremistischen Pluralismus, in: Agethen, Manfred/Jesse, Eckhard/Neubert, Ehrhart (Hg.): Der missbrauchte Antifaschismus. – Freiburg i. Breisgau 2002, S. 330-353 (334 f.).

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„Sozialismus“ auf den Punkt gebracht: Viele „vernünftige“ Linke hielten sich von der PDS fern, weil sie mit den sektiererischen Tendenzen in der Partei nicht identifiziert werden wollten. In dem Maße, in dem sie sich zurückhielten, entfalteten die Sekten ihr Eigenleben in den Strukturen der PDS.93 Konflikte mit westdeutschen Sektierern konnten erhebliche Ausmaße annehmen, wofür der jahrelange erbitterte Kleinkrieg zwischen dem PDS-Bundesverband und dem Landesverband Hamburg ein Beispiel ist. Von Reformern war immer wieder zu hören, viele der PDS-Mitglieder in Westdeutschland schreckten potentielle Mitglieder und Wähler der Partei eher ab, statt das Potential der PDS zu vergrößern. Dennoch war die PDS, um eine Chance zu haben, deutschlandweit dauerhaft über 5 Prozent der Wählerstimmen zu erreichen und sich damit als bundespolitische Kraft zu etablieren, auf eine erfolgreiche Westausdehnung und damit auch auf ihre westlichen Landesverbände angewiesen. Durch die Fusion mit der WASG könnte sie dieses Ziel erreichen. Der Ost-West-Gegensatz innerhalb der PDS und der von ihr umworbenen Wählergruppen kam auch in der Programmatik der Partei zum Ausdruck. Während etwa PDS-Programme zu Wahlen in östlichen Bundesländern die Angst der Bürger vor wachsender Kriminalität thematisierten, tauchte diese Problematik im Westen nicht auf. Im Westen griff die PDS dagegen Themen wie Umwelt, Dritte Welt, Asyl, Rechtsextremismus, Drogen oder Abtreibung auf.94 Aus den Reihen der PDS selbst wurde 1991 zur Zusammensetzung der Mitgliedschaft geäußert, in der Partei existierten extrem widersprüchliche Lager, deren politische Vorstellungen unterschiedlicher seien als die von CDU und SPD. Eine Spaltung werde nur durch Wahlkämpfe und Angriffe von außen verhindert.95 Aufgrund der Schärfe der programmatischen Auseinandersetzungen und der Öffnung der PDS-Reformer gegenüber dem politischen System der Bundesrepublik dürften sich die innerparteilichen weltanschaulichen Gegensätze in den folgenden Jahren noch vergrößert haben. Ein weiteres Problem auch für die Möglichkeiten einer programmatischen Neuausrichtung der PDS war die sehr ungünstige Altersstruktur der Partei. Ein Großteil der Mitglieder stammte aus der Aufbaugeneration der DDR, war durch diese Phase geprägt und stark überaltert. 2003 nahm Michael Brie nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2002 eine Bestandsaufnahme der PDSMitgliedschaft im Hinblick auf ihre Zusammensetzung vor. Ein Ergebnis war, dass die Partei im Gegensatz zum über die Medien vermittelten

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Vgl. Zornow, Markus: Das PDS-Phänomen. Anmerkungen zur politischen Kultur, in: Sozialismus, Nr. 10/1994, S. 10 f. (11). 94 Vgl. Moreau, Patrick: Was will die PDS? – Frankfurt/Main 1994, S. 79 f. 95 Vgl. Antrag der Initiativgruppe Neues Statut an den 2. Parteitag der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 1. Tagung. – Berlin 1991, S. 181-203 (192).

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Erscheinungsbild zu fast achtzig Prozent aus sechzigjährigen und noch älteren Mitgliedern bestand.96 Eine Analyse der Hanns-Seidel-Stiftung stellte eine extreme Vielfalt von ideologischen Positionen in der PDS fest. Eine Auswertung von internen Thesenpapieren, Anträgen und Stellungnahmen der unterschiedlichen Richtungen und Strömungen könne allerdings auf zwei sich nur scheinbar widersprechende Gegenpole reduziert werden: Auf der einen Seite stünden diejenigen Anhänger der PDS, die radikal in der Bundesrepublik ankommen wollen, auf der anderen Kommunisten und revolutionäre Marxisten.97 Insbesondere im Hinblick auf die Programmdebatte kann man grob von zwei Lagern sprechen. Jürgen Lang schlug eine Einteilung in Reformer und Orthodoxe vor, da beide Seiten in der Programmdebatte jeweils als Einheit aufträten und auch den Gegner als Einheit identifizierten.98 Diese beiden Hauptlager bestanden bis zum Ende der PDS. Zu den Reformern gehörten die meisten Mandatsträger und Vorstandsmitglieder der Bundes- und der Länderebene, kommunalen Wahlbeamten sowie hauptberuflichen Mitarbeiter der Partei, der Fraktionen und der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zu den Orthodoxen zählten insbesondere die Mitglieder der Kommunistischen Plattform und des Marxistischen Forums sowie Teile der Parteibasis und der westdeutschen Landesverbände. Daneben machte Joachim Raschke eine zentristische Tendenz aus, die zwischen Reformern und Orthodoxen vermitteln wolle und damit eine notwendige Klärung verhindere.99 Die meisten Reformer konzentrierten sich auf die Umsetzbarkeit demokratisch-sozialistischer Politik in der Gegenwart. Sie akzeptierten die Rechtsordnung der Bundesrepublik als Rahmen für die Politik der PDS und wollten politische Verantwortung auch in Regierungsämtern übernehmen. Langfristig wollten sie durch Reformen die Bundesrepublik in eine sozialistische Gesellschaft transformieren. Sie streben eine Zusammenarbeit mit anderen politischen Parteien und Organisationen und Anerkennung in der Gesellschaft an. Erklärtes Ziel war, in der Bundesrepublik anzukommen – ein von André Brie geprägtes geflügeltes Wort in der PDS. „Die Frage des „Ankommens“ der PDS in der Bundesrepublik wurde zum geheimen roten

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Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 30. 97 Vgl. Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita/Hirscher, Gerhard: Die PDS im Wahljahr 1999: „Politik von links, von unten und von Osten“ (Aktuelle Analysen der Hanns-SeidelStiftung, Nr. 15). – München 1999, S. 93. 98 Vgl. Lang, Jürgen: Partei ohne Mitte – Die programmatischen Auseinandersetzungen in der PDS, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 13. Baden-Baden 2001, S. 155-168 (156). 99 Vgl. Raschke, Joachim: SPD und PDS. Selbstblockade der Opposition, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 12/1994, S. 1453-1464 (1462 f.).

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Faden der innerparteilichen Debatten“100, so der „Tagesspiegel“. Im Gegensatz dazu orientieren sich die programmatischen Vorstellungen der Orthodoxen an den klassischen sozialistischen Theoretikern. Die Orthodoxen lehnten die Grundordnung der Bundesrepublik prinzipiell ab und wollten sie beseitigen. Sie waren für einen strikten Oppositionskurs. Sie befürchteten eine Aufweichung sozialistischer Positionen durch vermeintliche Sachzwänge und Kompromisse mit Koalitionspartnern. Die Orthodoxen warnten vor der Gefahr einer Integration in die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie ablehnten und überwinden wollten. Viele Orthodoxe waren ideologische Parteiarbeiter der SED oder setzen sich intensiv mit theoretischen Fragestellungen auseinander. Sie zeigten wenig Interesse an praktisch-politischer Mitarbeit in Parlamenten. Nicht nur Beobachter der PDS101, sondern auch PDS-Politiker fühlten sich bei der Auseinandersetzung zwischen Reformern und Orthodoxen an den Konflikt zwischen Realpolitikern und Fundamentalisten bei den Grünen erinnert102, andere an den Revisionismusstreit der deutschen Sozialdemokraten vor 1914. 1991 versuchte André Brie, die beiden Hauptlinien der PDS zu definieren. Sie sind für das Verständnis der gesamten programmatischen Diskussion der Partei wichtig: „Zugespitzt gesagt handelt es sich bei diesen Linien um die beiden traditionellen Hauptrichtungen linker Politik: Auf der einen Seite stehen die Vorstellungen, mit dem Ringen um neue gesellschaftliche Mehrheiten und die Institutionalisierung von demokratischen Gegenmächten die kapitalistische Gesellschaft schrittweise zu verändern mit dem Ziel, die Dominanz von Kapital, Kapitalverwertung, Profitstreben und Markt zu brechen und damit ihren kapitalistischen Charakter zu überwinden. Auf der anderen Seite wird davon ausgegangen, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht in ihren Wesenszügen sozial, ökologisch und demokratisch veränderbar ist, sondern alles Reformpotential systemimmanent kanalisiert und damit die angestrebten Veränderungen zur Verlängerung kapitalistischer Herrschaft beitragen, die unter heutigen Bedingungen Menschheit, Menschsein und Umwelt mit dramatischem Tempo und Ausmaß zugrunde richtet. Widerstandskultur und Gegengesellschaft werden als Hauptweg angesehen, systemüberwindende Potentiale zu schaffen.“103 Ende 1992 beschrieb André Brie in einer ausführlichen Zusammenfassung des Standes der Programmdebatte für den PDS-Parteivorstand diese als einen kontinuierlichen Prozess, der schon

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Rudolph, Hermann: Und der Zukunft zugewandt, in: Tagesspiegel v. 19.4.2001. Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 57 u. 169. 102 Vgl. Heims, Hans-Jörg: Abschied von der Revolution, in: Süddeutsche Zeitung v. 31.3.2000, Köhne, Rolf/Brakebusch Juan Sanchez: Eckpunkte sozialistischer Programmatik, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 84-87 (86). 103 Brie, André: Radikale Reformpolitik? Zur gegenwärtigen programmatischen Diskussion in der PDS, in: Sozialismus, Nr. 12/1991, S. 31-34 (31). 101

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beim außerordentlichen Parteitag der SED begonnen habe: „Die Entwicklung einer modernen sozialistischen Programmatik für die PDS hat in bemerkensund bewahrenswerter Weise bereits auf dem außerordentlichen Parteitag der SED im Dezember 1989 begonnen, sich im 1. Parteiprogramm der PDS vom Februar 1990 niedergeschlagen, sie umfasst die drei Thesenentwürfe vom Sommer 1991 und eine umfangreiche Diskussion in der gesamten PDS, im Parteivorstand, in der Grundsatzkommission, in vielen Interessen- und Arbeitsgemeinschaften.“104 PDS-Politiker und Wissenschaftler unternahmen zahlreiche Versuche, die Hauptlager in der Partei zu beschreiben. Gregor Gysi unterschied mehrere politisch-programmatische Ansätze in der PDS: Eine Gruppe habe einen nicht nur marxistischen, sondern sogar marxistisch-leninistischen („einschließlich der höchst zweifelhaften Momente“) programmatischen Ansatz. Eine andere Gruppe versuche, auch in ihren programmatischen Vorstellungen breite Akzeptanz zu finden und gehe deshalb über sozialdemokratische Ansätze nicht hinaus. Für eine weitere Gruppe seien die globalen Menschheitsfragen der entscheidende Ansatz.105 An anderer Stelle erklärte Gysi: Eine Strömung in der PDS sei „eher außerirdisch. Sie will ideologisch lupenrein sein und sieht in jedem Kompromiss eine Beschädigung. Deshalb wird alle Verantwortung in dieser Gesellschaft abgelehnt. Andere sind zu so vielen Zugeständnissen bereit, dass sie den etablierten Parteien immer ähnlicher werden. Dann gibt es jene, die mir besonders liegen: Sie wollen einerseits eine Alternative zu unserem System anbieten, sie bestreiten andererseits nicht, dass der Kapitalismus wissenschaftlichen Fortschritt und ökonomische Effizienz hervorbringt.“ Diese Strömung wolle „hier und heute konkret mitwirken und verändern.“106 Für Michael Brie dominierte eine sehr aktive Reformgruppe eine eher passive, den Traditionen der Linientreue einer monolithischen Einheitspartei verpflichtete Mitgliedschaft. Dabei könne sie sich auf Teile einer jüngeren und pragmatischen Funktionselite der Alt-Partei stützen.107 Brie unterschied eher idealtypisch vier wesentliche Positionen in der PDS. Erstens: Der Standpunkt der modernen Sozialisten werde vor allem von intellektuellen SED-Reformern eingenommen. Zweitens: Die Position eines sozialen und linksliberalen Pragmatismus wolle die PDS innerhalb des parlamentarischen Parteiensystems 104

Brie, André: Zur Arbeit am PDS-Programm, in: PID, Nr. 51/1992, S. 13-15 (14). Vgl. Gysi, Gregor: „… bin ich zu dem Entschluss gekommen, nicht mehr für diese Funktion zu kandidieren.“ Brief an die Mitglieder des Bundesvorstandes und des Parteirates der PDS zum Rücktritt als PDS-Vorsitzender, in: Sabath, Wolfgang: Gregor Gysi. – Berlin 1993, S. 88-95 (91-93). 106 Interview in der Welt v. 27.4.2006. 107 Vgl. Brie, Michael: Das politische Projekt PDS – eine unmögliche Möglichkeit. Die ambivalenten Früchte eines Erfolgs, in: Ders./Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 9-38 (9). 105

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etablieren und zu einem Instrument immanenten Systemwandels machen. Drittens: Eine ideologisch restaurative Position reiche von einem demokratischen Staatssozialismus bis hin zu einem krassen Stalinismus und werde etwa von der Kommunistischen Plattform repräsentiert. Viertens: Schließlich gäbe es radikalalternative, antimarktwirtschaftliche, antiparlamentarische und von einem antiautoritären Standpunkt aus formulierte Positionen, die in der AG Junge GenossInnen eine organisatorische Basis hätten.108 Diese Klassifizierung Bries wurde im Kern von Rainer Land und Ralf Possekel bestätigt. Sie analysierten eine programmatische Neuorientierung in drei Richtungen, die sich im Prinzip ausschlössen und daher nicht durch einen echten Kompromiss zu verbinden seien. Eine Richtung weise auf ein staatsinterventionistisches Konzept. Ein weiteres Konzept sei das eines eher orthodoxen Sozialismusverständnisses, das sich primär als Antikapitalismus definiere. Die dritte Richtung sei der sogenannte Moderne Sozialismus.109 Neben den gebräuchlichsten Bezeichnungen Reformer und Orthodoxe wurden auch einige andere Etikettierungen wie Erneuerer, Revisionisten, Opportunisten, Traditionalisten, Dogmatiker, Modernisierer, Fundamentalisten, Sektierer oder (Post-)Stalinisten verwendet. Wie umstritten auch innerparteilich solche Etikettierungen sind, zeigte sich etwa in Überlegungen des früheren PDS-Bundestagsabgeordneten Harry Nick, der die Reformer gerade im Hinblick auf die Umsetzung der Programmatik als die eigentlichen Konservativen darstellte, da sie „zu zaghaft, zu reformunwillig sind, sich zu wenig, nur halbherzig oder gar nicht für PDS-einvernehmliche, beschlossene programmatische Konzepte einsetzen.“110 Harald Neubert sprach sich dafür aus, die Worte Reformer oder Erneuerer nur in Anführungszeichen zu verwenden, da diese Bezeichnung irreführend sei: „So (als Reformer, S.P.) bezeichnen sich bestimmte führende Mitglieder der PDS selbst, um sich von denen abzugrenzen, die sie als „Traditionalisten“, als „Dogmatiker“, als „Ideologen“ denunzieren, während auch diese in der Mehrheit für eine Reformierung und Erneuerung der Partei eintreten. Der Unterschied liegt nicht in der Befürwortung oder Ablehnung von Reformierung oder Erneuerung, sondern darin, welchen konkreten Inhalt man dem gibt und welchen Zweck man damit verfolgt.“111 Neubert wies auch auf eine weitere Problematik der begrifflichen Unterscheidung in Reformer und Orthodoxe hin: „Hierbei fällt z.B. auf, dass gerade jene, die sich am meisten vom Erbe der SED lossagen und andere fortwährend beschuldigen, noch immer 108

Vgl. ebd., S. 28-30. Vgl. Land, Rainer/Possekel, Ralf: PDS und Moderner Sozialismus, in: Brie, Michael/Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 112-130 (113 f.). 110 Nick, Harry: Worum dreht sich der Streit eigentlich?, in: Junge Welt v. 8.11.2002. 111 Neubert, Harald: Politikunfähige Sekte?, in: Sozialismus, Nr. 1/2003, S. 16-20 (17). 109

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in der Orthodoxie verhaftet zu sein, eigentlich in dreierlei Hinsicht an eine negative Praxis der SED anknüpfen, sie fortsetzen. Das betrifft zum einen die Besserwisserei, die Taubheit gegenüber Ratschlägen und Meinungen, die von den ihren abweichen; das betrifft zum anderen das Missionierungsgehabe gegenüber der Mitgliedschaft, als wäre diese unmündig und erziehungsbedürftig, als brauchte man deshalb auf Meinungen von unten wenig Rücksicht zu nehmen.“112 Neubert verzichtete darauf, das unter Sozialisten historisch belastete Wort Avantgardismus zu verwenden. Andere Kritiker bezichtigen die Reformer ausdrücklich des Avantgardismus. Dies war in der Partei, die sich beim Außerordentlichen Parteitag der SED vom Avantgardismus losgesagt hatte, ein besonders schwerer Vorwurf. Wenn etwa André Brie erklärte, die Basis oder die Partei bei der programmatischen Weiterentwicklung mitnehmen zu wollen, so wurde dies selbst von anderen Reformern als Avantgardismus gegenüber der Partei bezeichnet.113 In der Berliner „Tageszeitung“ war 2006 zu lesen, manche PDS-Politiker sprächen über die eigene Basis wie über ein ungezogenes Kind, das man behutsam mit der Wirklichkeit vertraut machen muss.114 Mit Friedrich Wolff sprach anlässlich der Programmdebatte auch ein Mitglied des Rats der Alten der PDS von Basis und Überbau innerhalb der Partei.115 Sogar aus den Reihen der Reformer wurde selbstkritisch eingeräumt, dass die Reformer zwar die Machtstrukturen des Realsozialismus kritisiert hätten, aber eine Analyse des eigenen Verhältnisses zur Macht vermeiden würden: „Die Option auf eine künftige Übernahme der Macht aus der kommunistischen Partei heraus gehörte zum Selbstverständnis der eigenen Rolle als Akteur möglicher politischer Veränderungen. Daraus ergab sich die paradoxe Situation, dass sie (die Reformer) ein modernes politisches System gewissermaßen durch die kommunistische Diktatur einführen wollten: Errichtung eines modernen politischen Systems mit den Mitteln der Gegenmoderne, Abschaffung der staatssozialistischen Strukturen mittels dieser Strukturen, Beseitigung des Avantgardismus der Partei mit eigenem Avantgardismus.“116 Mitte der neunziger Jahre waren die beiden Lager der Reformer und der Orthodoxen etabliert. Ihre Binnendifferenzierung fiel selbst Akteuren und wissenschaftlichen Beobachtern schwer. Noch ungleich schwieriger ist es aber, die reale informelle Machtstruktur in der PDS zu identifizieren, wie nachfolgende Zitate außenstehender Beobachter belegen. Jürgen Lang sprach 112

Ebd., S. 18. Vgl. Adolphi, Wolfram: Kommunikationsstörung. PDS am Jahreswechsel, in: Utopie kreativ, Nr. 101/1999, S. 61-69 (65). 114 Vgl. Reinecke, Stefan: Die bunte Liste, in: taz v. 1.3.2006. 115 Vgl. Wolff, Friedrich: Qual der Wahl, in: Junge Welt v. 13.8.2002. 116 Land, Rainer/Possekel, Ralf: Orthodoxie und Modernität. Vom Sinn der Richtungskämpfe in der PDS, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 5/1995, S. 415-424 (422). 113

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von einem machtbewussten harten Kern in der PDS-Führung.117 Für den Referenten beim SPD-Parteivorstand Tilman Fichter wurde der demokratische Zentralismus durch einen informellen Führungsstil der neuen Troika GysiBisky-Brie abgelöst.118 Auch den Reformern wohlwollend gegenüberstehende wissenschaftliche Beobachter bescheinigen diesen konspirativen Avantgardismus und das Streben nach einer Erneuerung der Partei von oben.119 Gerd Langguth schrieb sogar, einige Reformer regierten die PDS mit zentralistischem und diktatorischem Machtanspruch: „Die Allmacht dieses inneren Zirkels der Parteispitze scheint ungebrochen und erinnert an die Machtverteilung an der früheren SED-Spitze. Bisky, Brie und Bartsch waren schon SED-Kader. Der offiziell abgelehnte Demokratische Zentralismus, nach dem die jeweils höhere Ebene den Kurs der Partei verbindlich definiert, kehrt also durch die Hintertür wieder zurück.“120 Aus der Sicht der Orthodoxen stellte sich die Politik der Reformer gegenüber der innerparteilichen Opposition so dar: „Sie ziehen die Fäden, bestimmen die Politik und organisieren ihnen genehme Parteitage. Wenn das mal nicht so funktioniert und die brodelnde Kritik der Parteibasis an der Politik nicht ausreichend ferngehalten werden konnte, dann wurde ein „fehlgelaufener“ Parteitag in kürzester Zeit durch einen neuen ersetzt und seine Beschlüsse und Wahlen sind erledigt.“121 Dieter Dehm klagte 2006, unter den Abteilungsleitern im Karl-Liebknecht-Haus gäbe „es nicht mal einen oder eine einzige, die die Parteilinke auch nur in ihrer Strömungsnähe nennen könnte.“122 Die marxistische Zeitschrift „Hintergrund“ formulierte eine anschauliche Charakterisierung des PDS-Führungspersonals. Es sei Fleisch vom Fleische der SED. „Durchweg nichts anderes als die jüngere Nomenklatura, mehr oder weniger zu dieser Zeit noch namenlose Gestalten. Wäre es nicht zur Systemkrise und schließlich zum Kollaps gekommen, wären sie über das jeweilige Beerdigungskomitee den üblichen Weg nach oben gegangen. Unter ihnen kein einziger früherer Rebell, keine einzige Rebellin. Nichts, was einem Havemann, einem Harich oder einem Bahro auch nur entfernt ähnlich ist; aalglatte Gesellen durch die Bank, artiger Nachwuchs bis zu dem Tag, an dem 117

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Vgl. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. - Baden-Baden 1994, S. 180-193 (191). Vgl. Fichter, Tilman: Kein Auslaufmodell, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 8/1994, S. 710-715 (711). Vgl. Sturm, Eva/Schmidt, Eberhard: Ein Kommentar zur Programmatik der PDS oder das Problem der Diskursunfähigkeit, in: Utopie kreativ, Nr. 84/1997, S. 81-88 (83). Langguth, Gerd: PDS – Partei mit Doppelgesicht, in: Die Politische Meinung, Nr. 297/1994, S. 19-25 (21). Mika, Vera: „Sozialismus als Tagesaufgabe?“ und „Die Hypothek des kommunistischen Erbes“, in: Weißenseer Blätter, Nr. 1/2004, S. 50-61 (58). Dehm, Dieter: Rechtsruck in der Linkspartei.PDS? Offener Brief an die Mitglieder der Linkspartei. - O.O. 2006.

es um das Heiligste geht – die Macht. Zwar nicht mehr um die „sozialistische“, doch immerhin um die Macht in Staat und Partei als Voraussetzung, im kommenden Spiel dabei zu sein, auch wenn es künftig unter kapitalistischen Bedingungen stattfinden sollte.“123 Wenn man führende PDS-Politiker wie Dietmar Bartsch oder Helmut Holter betrachtet, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, das Streben nach Teilhabe an staatlicher Macht um ihrer selbst Willen sei das Hauptmotiv ihres politischen Handelns. Ihre Auslegung „sozialistischer“ Politik fällt dementsprechend flexibel beziehungsweise phantasievoll aus. Bartsch war sich dieser lebensgeschichtlich begründeten Kontinuität sehr wohl bewusst, als er aus der Rolle der PDS als Fortsetzungspartei der Staatspartei SED ableitete, dass die PDS zur Regierungsbeteiligung quasi prädestiniert sei: „Das Wesen der PDS war nie das einer bloßen Protestpartei. Das erklärt sich schon aus ihrer Vorgeschichte: Die SED hat ja nun wirklich damals den Staat getragen. So verkehrt sich unsere Herkunft vielleicht sogar zu unserem Vorteil.“124 Hätte die SPD sich schon unmittelbar nach dem Ende der DDR für frühere SED-Mitglieder geöffnet, hätten Personen wie Bartsch und Holter ihre Karrieren vielleicht in der SPD fortzusetzen versucht. Michael Gerth machte den grundlegenden inhaltlichen Streit in der PDS zwischen der Aufbaugeneration der DDR und der Perestroikageneration aus. Diese Kontroverse habe es schon in der SED gegeben. Sie setze sich in der PDS fort.125 Eine weitere wichtige Differenz bestand zwischen den Nachwuchskadern der SED und den Mitgliedern der westdeutschen Landesverbände: Die SED hatte einen Staat regiert, die Mitglieder der DKP und anderer sozialistischer oder kommunistischer Gruppierungen in Westdeutschland hatten Opposition gegen einen Staat eingeübt. Viola Neu sah eigentlich keinen Zielkonflikt zwischen Reformern und Orthodoxen beziehungsweise Fundamentalisten. Die Reformer bevorzugten lediglich den Weg der inneren Aushöhlung der Demokratie, die Fundamentalisten träumten eher von einer Art sozialistischer Revolution. Zudem instrumentalisiere die PDS-Führung die Fundamentalisten für eine nach außen wichtige „Gut-böseDebatte“.126 Störten sie, wurde gegen sie die innerparteiliche „StalinismusKeule“ eingesetzt. Patrick Moreau und Jürgen Lang kamen zu dem Ergebnis, der Streit zwischen den verschiedenen Lagern in der PDS drehe sich nur vordergründig um Ideologie. Vielmehr gehe es dabei um die richtige Methode

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Gettél, Willi: Die Gysi-Partei, in: Hintergrund, Nr. 3/2001, S. 53-59 (54). Interview in der Süddeutschen Zeitung v. 28.8.2002. 125 Vgl. Gerth, Michael: Die PDS und die ostdeutsche Gesellschaft im Transformationsprozess. Wahlerfolge und politisch-kulturelle Kontinuitäten (Politica, Bd. 55). – Hamburg 2003, S. 181. 126 Neu, Viola: Das Korsett der alten Ideologie, in: Die Politische Meinung, Nr. 369/2000, S. 57-63 (59). 124

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des politischen Kampfes.127 Der SPD-Politiker Markus Meckel hielt die inneren Widersprüche der PDS für einen Bestandteil einer notwendigen Doppelstrategie einer ums politische Überleben kämpfenden Partei.128 Schon 1991 monierte André Brie, eine kritische Auseinandersetzung zur Programmatik erfolge in der PDS nicht selten lediglich als Wertung (traditionalistisch, patriarchalisch, seicht, sozialdemokratisch, pragmatisch, abstrakt, objektivistisch und so weiter) statt als Argumentation des Für und Wider.129 Allerdings muss Brie sich vorhalten lassen, selbst in erheblichem Maße zu dieser Art der Auseinandersetzung beigetragen zu haben, beispielsweise durch seine Äußerung, die PDS solle für Poststalinisten unerträglich gemacht werden. Der frühere PDS-Bundestagsabgeordnete Dietmar Keller sprach von einem regelrechten Abkommen zwischen Reformern und Orthodoxen aus der Wendezeit, demzufolge die Orthodoxen die politisch-programmatische Standortbestimmung durch die Reformer hätten akzeptieren müssen. Keller äußerte gegenüber dem „Spiegel“: „Und wir haben der alten Funktionärselite der DDR ein Friedensangebot gemacht. Wir haben gesagt: Wir nehmen Euch mit, wir stoßen Euch nicht aus, wir verteidigen auch Eure Rechte. Aber nur unter einer Bedingung ... „Spiegel“: ... dass Ihr die Klappe haltet? Keller: Das war doch ein faires Angebot. Wir haben gesagt: Ihr könnt den Kommunismus ausleben, ihr bekommt Eure Wärmestube – aber nur in der Partei. Ihr habt kein Recht, die Partei nach außen zu vertreten und die Reformentwicklung in Frage zu stellen.“130 Die Reformer sahen es also als Aufgabe der PDS an, DDR-Kader in die Bundesrepublik zu integrieren und im Gegenzug deren soziale Interessen beispielsweise in der Rentenpolitik zu vertreten. Carmen Everts konstatierte, dass die PDS sich hinsichtlich ihres Umgangs mit den Orthodoxen in einer Zwickmühle befinde. Einerseits wolle die Parteiführung nicht wie in der SED innerparteiliche Gegner maßregeln, andererseits müsse sie sich vorhalten lassen, extremistische Strukturen zu dulden: „Wendet sie sich gegen die Ewiggestrigen in ihren Reihen und schlösse gar die KPF oder das „Marxistische Forum“ aus, würde dies als perfider, antidemokratischer Zentralismus gewertet werden; grenzt sie sich aber mit dem 127

Vgl. Moreau, Patrick/Lang, Jürgen: Aufbruch zu neuen Ufern? Zustand und Perspektiven der PDS, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 6/1996, S. 54-61 (61). 128 Meckel, Markus: Koalitionen helfen nur der PDS, in: Die Welt v. 16.1.1999. 129 Vgl. Brie, André: Zur Programmdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 16/1991, S. 105114 (108). 130 Interview im Spiegel, Nr. 16/2000, S. 24.

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durchsichtigen Argument innerparteilicher Demokratie nicht gegen diese Strömungen ab, wie dies zur Zeit doch überwiegend die Praxis ist, gilt dies als Indiz für ihre fehlende Erneuerung und eine im Kern extremistische Basis.“131 Die Strömungen in der PDS, die die programmatischen Debatten bestimmten, lassen sich unterscheiden und systematisieren. Den Kern der Reformer bildet eine Gruppe von Realpolitikern. Die politische Führung haben seit 1989/90 die Reformer inne, die 1989 entschlossen waren, die SED unter den neuen Bedingungen der friedlichen Revolution in der DDR fortzuführen. Um dieses Ziel umzusetzen, brachen sie mit der SED als diktatorischer Staatspartei, sie vollzogen eilig den Bruch mit dem Stalinismus. Zu den Reformern zählten Gregor Gysi und Lothar Bisky, Technokraten wie Helmut Holter und Dietmar Bartsch und Intellektuelle wie Dieter Klein und die Brüder André und Michael Brie. Bereits in den letzten Jahren der DDR hatten André Brie, Michael Brie, Rainer Land und weitere Wissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität im Rahmen des Projekts „Philosophische Grundlagen der Erarbeitung einer Konzeption des modernen Sozialismus“ gemeinsam nach Wegen für eine Reform des Sozialismus gesucht. Ziel dieses Projekts sei der Versuch gewesen, das Konzept der Modernen Gesellschaften als Basis für eine neue Sozialismustheorie zu nutzen, wie Rainer Land später angab.132 Eckhard Jesse und Jürgen Lang ordneten dieses Projekt sogar als eigenständige Vorgeschichte der PDS ein.133 Die Vorstellungen der Mitglieder des Projekts seien teilweise in die Reden eingegangen, die beim außerordentlichen Parteitag der SED gehalten wurden.134 André Brie erklärte, die Reden von Dieter Klein und Gregor Gysi beim außerordentlichen Parteitag seien von den Gedanken des Projekts inspiriert gewesen.135 Seitdem verfolgten die früheren Mitarbeiter des Projekts, die heute zu den Reformern gehören, kontinuierlich das Ziel, mit Stellungnahmen zum Kurs und zur Entwicklung der PDS die Programmatik der Partei im Sinne eines sogenannten modernen Sozialismus beziehungsweise eines Sozialismus der Moderne zu beeinflussen und zu prägen. Diesem Ziel kamen sie sehr nahe. André Brie meinte, die Positionen der Mitarbeiter des Sozialismus-Projekts hätten in beträchtlichem Ausmaß das PDS-Programm von 1993 geprägt.136 2003 131 132

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Everts, Carmen: Politischer Extremismus: Theorie und Analyse am Beispiel der Parteien REP und PDS. – Berlin 2000, S. 282. Vgl. Trömmer, Markus: Der verhaltene Gang in die deutsche Einheit. Das Verhältnis zwischen den Oppositionsgruppen und der (SED-)PDS im letzten Jahr der DDR. – Frankfurt/Main 2002, S. 20 f. Vgl. Jesse, Eckhard/Lang, Jürgen: Die Linke – der smarte Extremismus einer deutschen Partei. – München 2008, S. 33. Vgl. Trömmer, Markus: Der verhaltene Gang in die deutsche Einheit. Das Verhältnis zwischen den Oppositionsgruppen und der (SED-)PDS im letzten Jahr der DDR. – Frankfurt/Main 2002, S. 93. Vgl. Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 123. Vgl. ebd., S. 123 f.

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schrieb Michael Gerth, die Ideen des Projekts seien der Programmatik der PDS sehr ähnlich.137 Zu Zeiten der DDR verhielten sich die Mitarbeiter des Sozialismus-Projekts systemkonform. Mit ihren Konzepten verfolgten sie das Ziel, das Überleben der DDR zu sichern, denn anders als in anderen Staatsparteien der Länder des Ostblocks gab es in der SED auch nachdem Gorbatschow in der Sowjetunion an die Macht gekommen war, keine nennenswerten Reformkräfte.138 In der SED hat es laut Markus Trömmer höchstens eine zunehmende Unzufriedenheit mit der alten Führung, jedoch keine innerparteiliche Oppositionsbewegung gegeben.139 Die Orthodoxen organisierten sich vor allem in der Kommunistischen Plattform und im Marxistischen Forum. Die Kommunistische Plattform ist eine Mitgliederorganisation. Zwar ist die Anzahl der Mitglieder nicht bekannt, doch hat die Kommunistische Plattform in allen östlichen und einigen westlichen Bundesländern eigene Strukturen. Die Kommunistische Plattform brachte ihr Selbstverständnis in einem Papier von 1993 zum Ausdruck. Darin verglich sie ihre Rolle in der PDS mit der der Bolschewiki in der russischen sozialdemokratischen Partei nach der Revolution von 1905. Lenin habe damals die sozialdemokratische Partei als eine linkssozialistische Partei mit vielen politischen Strömungen verstanden, in der die Bolschewiki eben nur eine Strömung, nur eine Plattform, gewesen seien.140 Das Marxistische Forum, das 1995 gegründet wurde, ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen, die überwiegend Intellektuelle sind und aus der DDR-Dienstklasse stammen. Die Gründungsmitglieder des Marxistischen Forums sahen in ihrer ersten gemeinsamen Stellungnahme mit dem Titel „In großer Sorge“ den Grundkonsens der PDS in drei Punkten durch die Reformer aufgekündigt: „Aufweichung des Oppositionsverständnisses, Verabschiedung vom Klassenkampf und Ausklammerung der Eigentumsfrage zugunsten eines Gesellschaftsvertrages; Absage an SED und DDR in Gestalt des Stalinismusverdikts und Einschränkung des Pluralismus in der Partei. Die sozialistische Zielstellung verwandelt sich in eine unverbindliche Vision.“141

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Vgl. Gerth, Michael: Die PDS und die ostdeutsche Gesellschaft im Transformationsprozess. Wahlerfolge und politisch-kulturelle Kontinuitäten (Politica, Bd. 55). – Hamburg 2003, S. 181. Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Wo steht die PDS? Versuch einer extremismusorientierten Einschätzung, in: Liberal, Nr. 3/1993, S. 18-28 (19). Vgl. Trömmer, Markus: Der verhaltene Gang in die deutsche Einheit. Das Verhältnis zwischen den Oppositionsgruppen und der (SED-)PDS im letzten Jahr der DDR. – Frankfurt/Main 2002, S. 22. Vgl. Czichon, Eberhard/Marohn, Heinz: Zum Selbstverständnis, in: Disput, Nr. 6/1993, S. 2123 (23). Marxistisches Forum: In großer Sorge, in: PID, Nr. 21/1995, S. 12.

Nach Patrick Moreau und Jürgen Lang gehörte zu den Orthodoxen neben Kommunisten ein heterogenes Lager von Fundamentalisten, das sich wiederum grob in drei Hauptrichtungen teilte: „1. Der radikallinke „revolutionäre“ Flügel (AG Junge GenossInnen, AG Autonome Gruppen, die AGs Bund Westdeutscher Kommunisten und ein großer Teil der Mitglieder in den West-Verbänden). 2. Ein Teil der nicht mehr unbedingt „kommunistisch“ orientierten Ex-Elite des Staats- und Parteiapparates der DDR, die sich heute hauptsächlich in einschlägigen Vorfeld- und befreundeten Organisationen der PDS engagiert.“ (…) „3. Die regionale PDS-Elite in Sachsen, andeutungsweise in Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Sie lehnt das strategische Modell der Parteiführung als unrealistisch ab und plädiert stattdessen für eine Strategie, die von unten ausgeht und an der Basis aller anderen Parteien ansetzt. Die Vordenkerin dieses Modells ist Christine Ostrowski, unterstützt von der Dresdner PDS.“142 Wie gezeigt, ist die Einteilung der PDS-Mitgliedschaft in Reformer und Orthodoxe vereinfachend. Tatsächlich war der Binnenpluralismus der Partei weiter ausdifferenziert. So beschrieb der sachsen-anhaltinische PDSLandtagsabgeordnete Matthias Gärtner eine dritte innerparteiliche Richtung neben Orthodoxen und Reformern. Er nannte sie undogmatische Linke. Diese Richtung befinde sich im Verhältnis zu den beiden anderen insbesondere in programmatischen Fragen in einem Dilemma, das Gärtner so darstellte: „Man will einerseits nicht mit Leuten in einem Boot sitzen – Wagenknecht und anderen – die ein rückwärtsgewandtes, staatssozialistisches und bürgerrechtsfeindliches Gesellschaftsmodell vertreten, andererseits will man auch nicht die Politik der „SED-Reformerfraktion“ absegnen, die zunehmend den Eindruck von Wahrnehmungsstörungen bei der Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse vermittelt.“143 Als Reaktion auf den Verlauf der Programmdebatte verließ im Lauf der Jahre eine Reihe von Orthodoxen die PDS. Ingo Wagner beispielsweise trat nach dem Dresdner Parteitag von 2001 aus.144 Er hielt es für die größte

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Moreau, Patrick/Lang, Jürgen: Aufbruch zu neuen Ufern? Zustand und Perspektiven der PDS, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 6/1996, S. 54-61 (58 f.). 143 Gärtner, Matthias: Kein Untergang des sozialistischen Abendlandes, aber ..., in: Freitag, Nr. 19/2001. 144 Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, 65 f.

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Niederlage der marxistischen Linken in der PDS, dass sie die Annahme des neuen Programms beim Chemnitzer Parteitag 2003 nicht verhindern konnte.145 Nach dem Chemnitzer Parteitag stellte sich für die Orthodoxen die prinzipielle Frage, ob sie in der PDS mit der neuen programmatischen Grundlage bleiben wollten und in dieser Partei noch eine Perspektive für sich und ihre Positionen sahen. Schon Jahre vorher hatte Gregor Gysi Teilen der Kommunistischen Plattform vorgehalten, eine tiefe Ablehnung gegenüber der Programmatik der PDS zu haben und sie mit dieser Begründung indirekt zum Austritt aufgefordert.146 Ellen Brombacher erklärte dagegen bei der auf den Chemnitzer Parteitag folgenden Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform: „Wir sollten auch deshalb nicht gehen, weil es unser Recht ist, die permanenten Anpassungsbemühungen zu stören. Wir werden, wie auch in der Vergangenheit, unsere Positionen sagen. Wer will, dass wir damit aufhören, sollte uns rausschmeißen müssen.“147 Und so setzten sich die Streitigkeiten über den weiteren Kurs der PDS und über die Auslegung des Programms auch nach Annahme des neuen Parteiprogramms fort. Das Programm bot dafür auch ausreichend Interpretationsspielraum. Der heterogenen Mitgliedschaft der PDS entsprechend, existieren in der Partei etliche innerparteiliche ideologische und fachliche Zusammenschlüsse wie Plattformen und Arbeits- oder Interessengemeinschaften. Schon unmittelbar nach dem Außerordentlichen Parteitag der SED formierten sich mehrere Plattformen, nämlich die Kommunistische Plattform, die Plattform 3. Weg, die Sozialdemokratische Plattform und die Plattform Demokratischer Sozialismus.148 Diese weltanschauliche Auffächerung berücksichtigte auch das Statut der PDS von 1990. Darin wurde festgeschrieben, dass die Partei in der sozialistischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verwurzelt sei.149 1991 konstituierte sich auch eine Trotzkistische Plattform, die sich revolutionär-kommunistische Fraktion in der PDS nannte. In ihrem Gründungsaufruf hieß es, es gäbe keinen friedlichen, parlamentarischen Weg zum Sozialismus. Durch revolutionären Kampf gegen die Kapitalisten und ihren Staatsapparat müsse die gewaltsame Zerschlagung des Unterdrückungsapparats der Herrschenden erfolgen. Bundeswehr und Polizei sollten zerschlagen und

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Ebd., S. 167. Vgl. Sabath, Wolfgang: Gregor Gysi. - Berlin 1993, S. 104. 147 Brombacher, Ellen: Zur Lage der PDS nach dem Chemnitzer Parteitag, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 11/2003, S. 1-16 (16). 148 Vgl. Falkner, Thomas: Von der SED zur PDS, in: Deutschland Archiv, Nr. 1/1991, S. 30-51 (45). 149 Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 47. 146

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durch bewaffnete Organisationen der Arbeiterklasse ersetzt werden.150 1994 bildete sich eine Ökologische Plattform. Patrick Moreau charakterisierte das Weltbild der Ökologischen Plattform als eine Ansammlung von Versatzstücken, von der Romantik über malthusianisches Denken bis zum Christentum.151 Die Gründung einer Anarchistischen Plattform kam, so Jürgen Lang, über Initiativen nicht hinaus.152 Die einzelnen Plattformen entwickelten sich in den folgenden Jahren unterschiedlich. Manche lösten sich auf oder stellten ihre Aktivitäten weitgehend ein. Kontinuierlich arbeiten heute nur noch die Kommunistische Plattform, die Ökologische Plattform und das Marxistische Forum. Sie verfügen über gefestigte organisatorische Strukturen, eigene Periodika, die regelmäßig erscheinen, Internetangebote und Delegierte zu den Parteitagen. An der Programmdebatte beteiligten sie sich sehr aktiv. Sie entsandten Vertreter in die PDS-Programmkommission und veröffentlichten mehrere Minderheitenvoten und andere Beiträge zur Programmdebatte. Der Umgang der PDS-Führung mit der Kommunistischen Plattform war ambivalent. Mit ihrem Verhalten gegenüber der Kommunistischen Plattform sandte die Parteiführung Signale sowohl an die Öffentlichkeit als auch in die PDS selbst. Viola Neu zeigte, dass die PDS-Führung die Orthodoxen regelmäßig für eine nach außen wichtige „Gut-böse-Debatte“ instrumentalisierte.153 Armin Pfahl-Traughber brachte das Verhältnis der Parteiführung gegenüber der Kommunistischen Plattform auf eine knappe Formel: „Will die PDS-Führung Kontinuität zur SED-/DDR-Vergangenheit wahren, so spielt die „Plattform“ als Bündnispartner eine Rolle, will sie sich erneuert und gewandelt geben, gilt sie als störend.“154 Die marxistische Zeitschrift Hintergrund sprach von einem „ausbalancierten Verhältnis zwischen Führung und Kommunistischer Plattform, das sich hinter Inszenierungen und Scheingefechten verbirgt.“155 Jedenfalls wurde die Kommunistische Plattform von der PDS stets logistisch und finanziell unterstützt. Neben den Plattformen und sonstigen weltanschaulichen Zusammenschlüssen innerhalb der PDS gab es noch weitere Vereinigungen in 150

151 152 153 154 155

Vgl. Aufruf zur Gründung einer revolutionär-kommunistischen Plattform in der PDS! Manuskript, nach: Lang, Jürgen/Moreau, Patrick: PDS. Das Erbe der Diktatur (Politische Studien, Sonderdruck 1/1994), S. 75. Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: „Man muss so radikal sein wie die Wirklichkeit“ Die PDS: eine Bilanz (Extremismus und Demokratie, Bd. 4). Baden-Baden 2002, S. 161. Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden-Baden 2003, S. 124. Vgl. Neu, Viola: Im Korsett der alten Ideologie, in: Die Politische Meinung, Nr. 369/2000, S. 57-63 (59). Pfahl-Traughber, Armin: Wo steht die PDS? Versuch einer extremismustheoretischen Einschätzung, in: Liberal, Nr. 3/1993, S. 18-28 (26). Gettél, Willi: Die Gysi-Partei, in: Hintergrund, Nr. 3/2001, S. 53-59 (55).

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der Partei. Die wichtigsten waren die Linke Sozialistische Arbeitsgemeinschaft der Frauen in der PDS (LISA), die Jugendorganisation Solid beziehungsweise die Arbeitsgemeinschaft Junge GenossInnen als ihre Vorgängerin und die AG ChristInnen. Diese Zusammenschlüsse äußerten sich vereinzelt zur Programmdebatte. LISA und die Jugendstrukturen der PDS entsandten jeweils einen Vertreter in die Programmkommission. Nach dem Geraer PDS-Parteitag von 2002, bei dem es zu einer Umgruppierung innerhalb des Reformerlagers kam, bildeten sich neue innerparteiliche Zusammenschlüsse, darunter das „Forum 2. Erneuerung“ und der Geraer Dialog, später Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog. Das Verdienst der ersten Erneuerung, so das „Forum 2. Erneuerung“, habe darin bestanden, eine verkrustete und entrückte Staatspartei in die Mitte der ostdeutschen Gesellschaft zu führen. Das progressive Potential dieser ersten Erneuerung habe sich jedoch erschöpft. Deswegen bedürfe es einer zweiten Erneuerung.156 Sowohl das reformorientierte „Forum 2. Erneuerung“ als auch der den Orthodoxen nahestehende „Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog“ waren in den folgenden Jahren aktiv, führten Veranstaltungen durch und gaben Periodika heraus. Es ist schwer einzuschätzen, wie stark die innerparteilichen Lager waren. Der Soziologe Dietmar Wittich legte dar, dass die Außenansicht, die die PDS durch ihre Aktivisten bot, deutlich anders sei als die Masse der Mitglieder.157 Bei Parteitagen war unter den Delegierten die Unterstützung für die Anträge und Kandidaten der Orthodoxen und der Reformer unterschiedlich. Zwar stellten die Reformer die meisten Amts- und Mandatsträger und kontrollierten den größten Teil des hauptberuflichen Parteiapparats, doch es gelang den Orthodoxen um die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum und westdeutsche Linksextremisten immer wieder, Teile der Basis in ihrem Sinne zu mobilisieren und bei Parteitagen in zentralen Streitpunkten Mehrheiten gegen die Reformer zu organisieren. Dafür ist der Münsteraner Parteitag ein Beispiel, bei dem es einer Koalition aus Orthodoxen, Westdeutschen und Pazifisten gelang, in der Frage der Einzelfallprüfung von den Vereinten Nationen mandatierter Militäreinsätze den Reformern eine entscheidende Abstimmungsniederlage zuzufügen. Ingo Wagner nannte die Reformer eine kleine intellektuelle Minderheit in der PDS, die in der Partei um Hegemonie kämpfe.158 Wenn die Reformer befürchteten, bei Parteitagen für ihre Positionen keine Mehrheiten zu finden, 156

Vgl. Hoff, Benjamin: Risse im Fundament, in: Freitag Nr. 21/2003. Vgl. Wittich, Dietmar: Zur Soziologie der Umwandlung der SED in die PDS, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 175-185 (181). 158 Vgl. Wagner, Ingo: „Was tun?“ Marxisten in der PDS. Die „Thesen zur programmatischen Debatte“ in der PDS: Darlegung des Sozialismus der Moderne, in: Junge Welt v. 22.12.1999. 157

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verbreiteten sie sie ohne diese demokratische Legitimierung – teilweise über die Medien - in der Öffentlichkeit. Dies trifft beispielsweise auf den Kommentar zur Programmatik der PDS zu. Ein anderes Beispiel ist der Brief der PDS-Führung an Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der ein Bekenntnis zum Grundgesetz, zur deutschen Einheit und zur Verantwortung der Partei für die DDR-Geschichte enthielt. Zu diesem Brief bemerkte Markus Meckel, er hätte bei einem PDS-Parteitag kaum eine Chance gehabt, beschlossen zu werden.159 Die Mehrheitsverhältnisse an der PDS-Basis waren schwer einschätzbar. Unter den Bundesparteitagsdelegierten hatten die Reformer zwar in der Regel eine stabile Mehrheit, doch wählten die Delegierten auch immer wieder Orthodoxe mit guten Ergebnissen in den PDS-Parteivorstand. Vereinzelt konnten sich die Orthodoxen bei Parteitagen mit Anträgen oder Änderungsanträgen durchsetzen. Über die Zahl der Anhänger der Orthodoxen an der PDS-Basis gibt es nur Schätzungen. Heinrich Bortfeldt vermutete, die Orthodoxen stellten an der Basis wohl keineswegs eine Minderheit dar.160 Christian von Ditfurth meinte, die PDS leiste sich einen demokratischen Sozialismus, den an der Basis kaum einer kennt oder kennen will.161 Die PDS habe sich nicht erneuert, sondern sich lediglich Erneuerer in der Parteiführung geleistet.162 Harry Nick schrieb zu den innerparteilichen Kräfteverhältnissen auf den verschiedenen politischen Ebenen: „Der Einfluss des linken Flügels ist in der PDS-Basis stärker als auf den Hauptversammlungen, auf denen die Parteitagsdelegierten gewählt werden, und in den Hauptversammlungen stärker als auf den Parteitagen. Analog nimmt das Gewicht der Vertreter des rechten Flügels von Ebene zu Ebene zu.“163 Andererseits stellte Michael Nelken ein Missverhältnis zwischen der eher kleinen Anhängerschaft des „orthodoxen spät-stalinistischen Parteikommunismus in der PDS und der dogmatischen Verstaubtheit ihrer Debattenbeiträge einerseits und der relativ großen Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird, und dem maßlosen Kraftaufwand, mit dem sie bekämpft werden, andererseits“164 fest. Heinrich Bortfeldt wies auf das Kuriosum hin, dass dieselben Delegierten, die beim Geraer PDS-Parteitag den Reformern eine schwere Niederlage zugefügt hatten, beim Chemnitzer Parteitag mit großer Mehrheit das neue Programm, das maßgeblich von den Reformern geprägt war,

159 160 161 162 163 164

Vgl. Meckel, Markus: Koalitionen helfen nur der PDS, in: Die Welt v. 16.1.1999. Vgl. Bortfeldt, Heinrich: Von Karl-Marx-Stadt nach Chemnitz, in: Deutschland Archiv, Nr. 6/2003, S. 936-944 (943). Vgl. von Ditfurth, Christian: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 273. Ebd., S. 273. Nick, Harry: Streit ist unvermeidbar und unentbehrlich, in: ND v. 13.1.2006. Nelken, Michael: Schwierigkeiten einer Emanzipation vom Stalinismus. Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 41-48 (47).

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annahmen.165 Manfred Gerner sprach von einer asymmetrischen Konstellation einer reformorientierten Mehrheit in der PDS-Führung und einer traditionsverbundenen Mehrheit an der Basis. Diese Konstellation wirke lähmend und habe von Anfang an eine radikale Erneuerung der Partei verhindert.166 Unabhängig davon, ob die Orthodoxen bei bestimmten Streitpunkten mehrheitsfähig waren, waren sie in der PDS fest verankert und wurden von der Partei auch unterstützt. Sie waren bis zuletzt im Parteivorstand und im Parteirat vertreten, entsandten nach einem Schlüssel Delegierte zu den Parteitagen und erhielten finanzielle Mittel von der PDS. Fraglich ist, inwieweit die programmatische Debatte die PDS-Basis überhaupt erreichte. Nach einer Einschätzung von Christian von Ditfurth beteiligte sich nur eine verschwindende Minderheit der PDS-Mitgliedschaft an der Debatte über Programm und Strategie der Partei. Er nahm an, es handle sich um höchstens einige hundert Mitglieder: „Dem Rest der Partei ist dieser Streit eher zuwider. In den meisten stecken noch die Appelle der SED nach „Einheit und Geschlossenheit“. Sie beharren auf dem, was ihnen zu Ulbricht- und Honecker-Zeiten im Parteilehrjahr beigebracht worden ist. Ich habe zu viele Sitzungen an der Basis miterlebt und zu viele Gesprächspartner getroffen, die sich weigerten, neue programmatische und strategische Überlegungen auch nur wahrzunehmen. Für sie ist allein wichtig, dass immer mal wieder vom Sozialismus die Rede ist.“167 Die überalterte PDS-Basis verhalte sich, so Manfred Gerner, weitgehend passiv.168 Dies galt auch für die Programmdebatte. Jürgen Lang stellte nur ein geringes Interesse der Basis an einer aktiven Teilnahme an der Programmdebatte fest und folgerte, der Wunsch nach einem neuen Programm sei kaum vorhanden.169 Ein Papier Lothar Biskys stützte solche Einschätzungen externer Beobachter. Bisky schrieb, es gäbe in der PDS eine große Gruppe, die die radikalen programmatischen Veränderungen nicht mitgemacht habe.170 Für den Passauer Politikwissenschaftler Hendrik Hansen zeigte gerade die Programmdebatte, wie groß die Kluft zwischen dem Modernisierungswillen der Führung und dem Beharrungsvermögen der Basis

165 166 167 168 169

170

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Vgl. Bortfeldt; Heinrich: Von Karl-Marx-Stadt nach Chemnitz, in: Deutschland Archiv, Nr. 6/2003, S. 936-944 (943). Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 244. Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 255. Vgl. Gerner, Manfred: Widerspruch und Stagnation in der PDS, in: Zeitschrift für Politik, Nr. 2/1998, S. 159-181 (180). Vgl. Lang, Jürgen: Partei ohne Mitte – Die programmatischen Auseinandersetzungen in der PDS, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 13. Baden-Baden 2001, S. 155-168 (162). Vgl. Fehst, Georg: Vorstand fordert politisches Herangehen und tut sich schwer damit, in: PID, Nr. 24/1995, S. 5-9 (6).

sei.171 2001 hieß es im „Bericht der Programmkommission zum Stand der programmatischen Debatte und der eigenen Tätigkeit“, in der PDS diskutiere fast niemand das Politikangebot der Partei für einen sozial-ökologischen Umbau, für eine Erneuerung der Demokratie, für eine alternative Beschäftigungspolitik und für eine Neujustierung der sozialen Sicherungssysteme.172 Mitglieder und Anhänger diverser kleiner linksgerichteter Gruppierungen und Organisationen aus Westdeutschland begaben sich nach der „Wende“ unter das Dach der PDS. Zwar konnten sie die Programmatik der Gesamtpartei allenfalls punktuell beeinflussen, doch erhielten sie die Möglichkeit, ihre Positionen innerhalb der PDS weiter zu vertreten. Mit Blick auf diese Gruppierungen und Organisationen schrieb Patrick Moreau von einem Tauschgeschäft. Sie müssten die Strategie des dominierenden Flügels, also die weitgehende Prägung der Programmatik durch die Reformer, akzeptieren. Im Gegenzug dürften sie ihre ideologischen Besonderheiten wahren.173 Aussagen führender PDS-Vertreter deuten darauf hin, dass diese These zutrifft. Beispielsweise erklärten André Brie, Michael Brie und Michael Charpa, 1989 sei es zwischen der Mitgliedschaft der Partei und der neuen Führung zu einer Art stillschweigendem Agreement dieses Inhalts gekommen. 2002 bilanzierten Brie, Brie und Charpa, dass zwar in der PDS-Parteiführung die Reformer dominierten, die Mitgliedschaft aber die programmatischen Veränderungen nicht oder nur teilweise selbst nachvollzogen und inhaltlich getragen habe.174 Offensichtlich hatte sich in der PDS seit etwa Mitte der neunziger Jahre – nicht zum ersten Mal in der Geschichte sozialistischer Parteien - eine oligarchische Schicht von Mandatsträgern und hauptberuflichen Funktionären herausgebildet, deren Selbstverständnis, Wahrnehmung und Interessen von denen des Durchschnitts der Mitgliedschaft deutlich abzuweichen schienen. Hier bestätigte sich in der Geschichte der sozialistischen Parteien einmal mehr das eherne Gesetz der Oligarchie. Uwe-Jens Heuer kritisierte, mit den Parlamentariern, Ministern und hauptamtlichen Bürgermeistern habe sich eine neue bürokratische Schicht in der Partei herausgebildet, die von der Basis abgehoben sei und den Bezug zu den ursprünglichen Prinzipien verloren

171

Vgl. Hansen, Hendrik: Anhaltende Verführungskraft, in: FAZ v. 8.8.2001. Vgl. Bericht der Programmkommission zum Stand der programmatischen Debatte und der eigenen Tätigkeit, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 7-18 (17). 173 Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: Nach der Berliner Wahl: Zustand und Perspektiven der PDS. (Aktuelle Analysen der Hanns-Seidel-Stiftung, Nr. 27). – München 2002, S. 49. 174 Vgl. Brie, André/Brie, Michael/Charpa, Michael: Für eine moderne sozialistische Partei in Deutschland. Grundprobleme der Erneuerung der PDS. – Berlin 2002, S. 10. 172

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habe.175 Schon 1995 waren die meisten Mitglieder des Parteivorstands hauptamtlich bei der PDS beschäftigt.176 Beim Hallenser Parteitag der Linkspartei.PDS 2006 waren 51 Prozent der Delegierten Abgeordnete und hauptberufliche Mitarbeiter der Partei oder ihrer Fraktionen.177 Die „Junge Welt“ wies darauf hin, dass darüber hinaus auch ein erheblicher Teil der übrigen Delegierten direkt oder indirekt von der Partei abhängig gewesen sein dürfte: „Und auch von den 163 Kommunalpolitikern unter den Delegierten dürften etliche ihr Brot mit der vom allgegenwärtigen Sachzwang geprägten Politik verdienen.“178 Der beim Hallenser Parteitag gewählte PDS-Parteivorstand setzte sich zu 84 Prozent aus hauptberuflichen Politikern und Parteiangestellten zusammen. Der Personenkreis der Mandatsträger und hauptberuflichen Funktionäre war auch in der Programmdebatte eine wichtige Stütze der Reformer. Mit der Etablierung der PDS im politischen System der Bundesrepublik waren für PDS-Politiker auch zahlreiche Vorteile und Möglichkeiten zur persönlichen Bereicherung und damit die Zunahme individueller materieller Interessen verbunden. Michael Charpa warnte 1996, die Tatsache, dass Politik ein einträgliches Geschäft sein und zu materieller Sicherheit beitragen kann, sei ein Faktor, der die Programmatik und Politik auch von PDS-Berufspolitikern beeinflussen könne.179 Charpa kam in den folgenden Jahren mehrmals auf dieses Thema zurück. 1999 wies er in einem Beitrag zur Programmdebatte trotz seiner Nähe zu den Reformern in ungewöhnlich scharfer Form auf eine daraus folgende Gefahr für die PDS hin: „Einer bereits existierenden (Selbst)Versorgungsmentalität von Funktionsträgern und ihrem Anhang stehen ehrenamtliche Idealisten (in Größenordnungen) zumeist erstaunt und verbittert gegenüber. Ferner: In der PDS sind sehr schnell „Super-Realos“ entstanden, die ihrem Pragmatismus mit der Überzeugtheit fundamentalistischer Muslims huldigen, und es gibt – eher zersplittert und mit wenig Deutungsmacht – Gruppen, die Wertorientierungen und Moral als etwas eigenständig zu Bewahrendes ansehen.“180 2000 ergänzte Charpa, die PDS biete mittlerweile

175 176 177 178 179

180

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Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Programmdiskussion gestern und heute, in: Höpcke u.a. (Hg.): Nachdenken über Sozialismus. – Schkeuditz 2000, S. 251-267 (257). Vgl. Disput, Nr. 3-4/1995, S. 62 f. Vgl. Bericht der Mandatsprüfungskommission, in: Disput, Nr. 5/2006, S. 42 f. Frielinghaus, Jana: Wer sitzt vorne?, in: Junge Welt v. 2.5.2006. Vgl. Charpa, Michael: Zum Werteprofil der ostdeutschen PDS-Anhängerschaft: Grundmerkmale, Vergleiche und politische Schlussfolgerungen, in: Utopie kreativ, Nr. 6970/1996, S. 152-157 (156). Charpa, Michael: Pyrrhus-Sieg-Syndrom. Weichenstellung. Programmdebatte ist lebenswichtig für Charakter und Zusammenhalt der PDS, in: Freitag, Nr. 8/1999.

durchaus Möglichkeiten für plan- und realisierbare Parteikarrieren.181 Als weiteres Problem in diesem Zusammenhang stellte er insbesondere mit Blick auf Teilhabe an Kommunikation und Entscheidungsprozessen eine relative Abwertung der PDS-Mitgliedschaft gegenüber den Spitzen- und Berufspolitikern der Partei sowie deren möglichen Nachfolgekandidaten fest.182 Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Bundesgeschäftsführer der PDS Uwe Hiksch analysierte 2004, die Entwicklung linker Parteien, ausdrücklich auch der PDS, mache überdeutlich, „dass parlamentarisch fixierte hierarchische Organisationen innerhalb kurzer Zeit ihre eigentliche Aufgaben- und Zielstellung verändern und sich“ (…) „von einer außerparlamentarischen Kraft zu einer wirtschaftsliberal ausgerichteten Mittelstandsorganisation verändern können.“ (…) „Die PDS ist in vielen Bereichen ostdeutscher Kommunen heute immer mehr eine Partei der kommunalen, regionalen und überregionalen Mandatsträger. Damit entwickelt sich die PDS immer mehr zu einer Partei, die sich in den Fängen der parlamentarischen Arbeit völlig von den Notwendigkeiten gesellschaftlicher Basisarbeit entfernt.“183 In einem 2006 veröffentlichten Aufruf, der unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter und Ulla Jelpke sowie der Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht unterzeichnet wurde, wurde kritisiert, in der PDS habe sich ein Flügel entwickelt, „der unberührt von programmatischen Festlegungen für eine Realpolitik zu stehen begann, die jener des neoliberalen Parteienkartells zusehends ähnlicher wurde.“184 Kein Geringerer als der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow verfasste 2004 ein Papier über Entwicklungsprobleme und krisenhafte Erscheinungen in der PDS, in dem er die Entwicklung des Führungspersonals der Partei scharf kritisierte: „Schritt für Schritt bildete sich eine neue Führungs- und Funktionärselite heraus, die“ (…) „nicht selten von der Parteibasis abhebt und deren Mehrheitsmeinung kaum zur Kenntnis nimmt bzw. sich darüber hinwegsetzt. Es entsteht eine Situation, in der Führungsorgane bzw. Führungsmitglieder die Erfahrungen der Generation gering schätzen oder nicht beachten, die die PDS in den Kreisen und Basisorganisationen noch tragen. Politische Fehlentscheidungen werden häufig – wie in allen anderen Parteien üblich – auf „Sachzwänge“ und noch mehr auf Kommunikationsschwierigkeiten, auf mangelnde Vermittlung der jeweiligen Beweggründe an die Basis zurückgeführt, wobei zuweilen der Eindruck vermittelt wird, dass die überalterte

181

Vgl. Charpa, Michael: Interne Konfliktpotentiale und Modernisierungschancen der PDS: Situation, Anforderungen, Optionen, in: Brie, Michael/Woderich, Rudolf (Hg.): Die PDS im Parteiensystem. – Berlin 2000, S. 221-228 (223). 182 Ebd., S. 223. 183 Hiksch, Uwe: Wahlen als Alternative – Wahlalternative?, in: Junge Welt v. 31.7.2004. 184 Für eine antikapitalistische Linke – ein Aufruf, in: Junge Welt v. 28.3.2006.

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Basis nicht klug genug ist, die Weisheit der Führung zu verstehen.“185 Offensichtlich versuchte die PDS-Führung, diese Kritik zu unterdrücken, denn obwohl das Papier bereits im Juli erschien, wurde es erst Ende November im Presse- und Informationsdienst der Partei gedruckt. Patrick Moreau beschrieb die Herausbildung einer Schicht hauptberuflicher Politiker und Parteimitarbeiter und die damit verbundenen Spannungen zwischen dem Großteil der Angehörigen dieser Schicht und der Parteibasis: „die Professionalisierung ihres Apparats, die Etablierung neuer administrativer und politischer Eliten, die Abnutzung ihrer Führungskader, die Verselbständigung und Konkurrenz verschiedener Macht- und Entscheidungszentren, die Fixierung auf die Modernisierung der Kommunikationstechniken und auf die Mediatisierung der Partei, die Abwertung der Basisarbeit, die Schwächung der traditionellen Milieus und des „ehrenamtlichen“ aktiven Engagements, die verbissene „Intellektualisierung“ der programmatischen Arbeit durch eine immer kleinere Gruppe von „Ideologen“ – und schließlich ein kaum bzw. gar nicht Annehmlichkeiten des durchschaubares Entscheidungsgeflecht.“186 Parlamentarismus, wie die Dotierung von Fraktionsarbeit, die Finanzierung eines umfangreichen Apparats und der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder Wahlkampfkostenerstattung wolle man nicht mehr missen.187 An den Machthebeln der PDS fände man Spitzen- und Berufspolitiker, von denen einige fast jeden Kontakt zum Parteileben verloren hätten. Diese Politiker seien von einer neuen Elite aus parlamentarischen Beratern und Mitarbeitern ihrer eigenen Büros umgeben, die oft keine Wurzeln in der Partei hätten.188 Der frühere Bundestagsabgeordnete Harry Nick, der dem Marxistischen Forum angehört, setzte sich in mehreren Beiträgen mit den Akteuren der innerparteilichen Auseinandersetzungen in der PDS auseinander. Auch er machte einen Gegensatz zwischen Parteiführung und Apparat einerseits und Basis andererseits aus. Die von ihm als Parteirechte bezeichneten Reformer beschrieb er mit folgenden Worten: „Sie (die Rechte, S.P.) ist machtbewusst und neigt dazu, demokratische Spielregeln zu missachten. Sie nutzt ihre Verfügungsmacht im Apparat zur Durchsetzung ihrer Linie und riskiert das Zerwürfnis mit der Basis.“ ... „Die Lebensplanungen vieler Angehöriger des rechten PDS-Flügels, ihre Einkommen, sind mit den Machtpositionen der PDS in dieser Gesellschaft

185

Modrow, Hans: Über Entwicklungsprobleme und krisenhafte Erscheinungen in der PDS – ein Denkanstoß. - Berlin 2004, S. 7. 186 Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: „Man muss so radikal sein wie die Wirklichkeit“ – Die PDS: eine Bilanz (Extremismus und Demokratie, Bd. 4). – Baden-Baden 2002, S. 86. 187 Ebd., S. 86, Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita: Der 7. PDS-Parteitag. Die erste Tagung in Cottbus: Weg in die Mitte?, in: Politische Studien, Nr. 374/2000, S. 90 -114 (93). 188 Vgl. Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita: Der 7. PDS-Parteitag. Die erste Tagung in Cottbus: Weg in die Mitte?, in: Politische Studien, Nr. 347/2000, S. 90-114 (94).

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direkt verknüpft; bei den „Linken“ ist dies nur selten der Fall.“189 Die ultraorthodoxe Zeitschrift „Weißenseer Blätter“ drückte diese Tendenz noch drastischer aus. Das Blatt sah die PDS auf dem Weg, sich zu einem Stellenvermittlungsinstitut für sozialdemokratische Hilfspolitiker, gemeint waren PDS-Reformer, zu entwickeln.190 In einer Bilanz der SPD-PDSKoalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern brachte es die „Welt am Sonntag“ mit Blick auf die PDS auf den Punkt: „Der Staat frisst seine Revolutionäre.“191 Offensichtlich wirkt sich die Dominanz der Parlamentarier und hauptberuflichen Funktionäre auch negativ auf die Mobilisierungsfähigkeit der PDS-Basis aus. 2003 ergab eine Untersuchung Michael Bries, dass die aktiven Kräfte der PDS immer mehr fast ausschließlich den Parlamenten beziehungsweise den Apparaten, die von den parlamentarischen Fraktionen sachlich, personell und finanziell weitgehend abhängig seien, angehörten. Die Parlamentsfraktionen seien zum Lebensmittelpunkt der PDS geworden. Für eine linke Partei sei eine solche Verschiebung besonders problematisch.192 In der Programmdebatte war es das erklärte Ziel der Reformer, im neuen Parteiprogramm ihre Positionen ohne Abstriche durchzusetzen und eindeutig zu formulieren, keine „faulen Kompromisse“ mehr zu akzeptieren und eine dauerhafte Hegemonie im innerparteilichen Richtungskampf zu erringen. Sie wollten, so Gero Neugebauers zutreffende Feststellung, mit dem neuen Programm zum einen völlig neue Wählerschichten für sich erschließen und zum anderen Akzeptanz bei den anderen Parteien gewinnen.193 Die Orthodoxen wollten grundsätzlich am Parteiprogramm von 1993 festhalten, rechneten aber aufgrund der innerparteilichen Kräfteverhältnisse schon seit Beginn der Programmdebatte damit, dass dies bei einem Bundesparteitag nicht mehrheitsfähig wäre. Daher setzten sie sich dafür ein, zumindest einen möglichst großen Teil des Programms von 1993 in das neue Programm zu übernehmen. Beim Chemnitzer Programmparteitag 2003 war das Abstimmungsverhalten der Parteilinken unterschiedlich. Alle Delegierten der Kommunistischen Plattform lehnten das neue Programm ab oder enthielten sich. Sahra Wagenknecht enthielt sich, Diether Dehm stimmte sogar für das neue Programm. Das „Neue Deutschland“ charakterisierte zu Beginn der Programmdebatte die gegensätzlichen Pole in der PDS: „Und während diejenigen, die ein überarbeitetes Programm wollen, darauf hinweisen, dass die PDS um ihrer Glaubwürdigkeit willen erklären müsse, was für eine Gesellschaft 189 190 191 192 193

Nick, Harry: PDS: Die Rechte, die Linke, die Mehrheit. Über Strömungen in einer sozialistischen Partei und deren Konflikte, in: Junge Welt v. 28./29.6.2003. Vgl. Weißenseer Blätter, Nr. 1/2003, S. 2. Müller, Peter/Rübel, Jan: Links kämpft um Machterhalt, in: Welt am Sonntag v. 10.9.2006. Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 30 f. Interview in der taz v. 30.11.1999.

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sie anstrebt, meinen Skeptiker, Richtungsentscheidungen in umstrittenen Punkten könnten den parteiinternen Pluralismus gefährden und die PDS in eine Zerreißprobe führen.“194 Jürgen Lang sah in den Reformern den Motor der Programmdebatte: „Sie drängten auf ein neues Programm, weil sie es als überlebensnotwendig für die Partei erachteten, „links von der Sozialdemokratie“ konturiert solche Positionen zu beziehen, die die PDS in den Stand der Politikfähigkeit setzen sollten. Die „Orthodoxen“ nahmen dagegen die Rolle des Bremsers ein. Ihre Einlassungen waren immer Reaktionen auf Vorstöße der „Reformer“. Sie sahen keinen Handlungsbedarf und stellten von sich aus keine Entwürfe für ein neues Programm vor. Das bestehende verteidigten sie als tragfähigen „Minimalkonsens“.“195 Im Verlauf der Programmdebatte kam es zwischen den innerparteilichen Lagern zu Umgruppierungen. Auch solche PDSPolitiker näherten sich unter dem Eindruck der drohenden Aufgabe von grundlegenden und identitätsstiftenden Positionen den Orthodoxen an, die ihnen zuvor – aus welchen Gründen auch immer – distanziert gegenübergestanden hatten. Zwischen der Niederlage bei der Bundestagswahl im September 2002 und dem Geraer Parteitag im Oktober 2002 brachen bis dahin schwelende Konflikte innerhalb der PDS-Spitze und des Reformerlagers aus. Die bisherige Einteilung in Reformer und Orthodoxe half vorübergehend kaum noch weiter. Die Fronten waren unübersichtlich. Die Spaltung verlief – wohl nicht nur aus programmatischen und strategischen, sondern auch aus persönlichen Gründen – quer durch das Reformerlager. Gabriele Zimmer, die selbst den Reformern zugerechnet wurde, stützte sich beim Geraer Parteitag auch auf die Stimmen der Orthodoxen und gewann die Wahl zur Vorsitzenden deutlich gegen ihren Herausforderer Roland Claus. Die Einschätzung, dass auch persönliche Animositäten für die Umgruppierungen im Reformerlager vor dem Geraer Parteitag ausschlaggebend waren, vertrat beispielsweise die Zeitschrift „Sozialismus“: „Es zeigten sich nämlich recht unwürdige persönliche Unverträglichkeiten, Rivalitäten, vielleicht auch persönliche Machtkonkurrenz usw., die sich vielfach kaum mit Meinungsverschiedenheiten zu politischen Fragen erklären lassen und zum Teil mit Beleidigungen und Beleidigtsein, mit Unterstellungen und Verdrehungen ausgetragen wurden und werden und wie Kindereien anmuten.“196 Nicht nur die Mitgliedschaft, auch die Wählerschaft der PDS war sehr heterogen und hatte dementsprechend sehr unterschiedliche Erwartungen an die Partei. Zudem wich ihre Zusammensetzung noch signifikant von der der 194

Hübner, Wolfgang: Parteiprogramm als Brücke. Zehn Jahre nach ihrer Gründung sucht die PDS nach einer neuen Handlungsgrundlage, in: ND v. 6.12.1999. 195 Lang, Jürgen: Partei ohne Mitte – Die programmatischen Auseinandersetzungen in der PDS, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 13. – BadenBaden 2001, S. 155-168 (161). 196 Neubert, Harald: Politikunfähige Sekte?, in: Sozialismus, Nr. 1/2003, S. 16-20 (17).

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Mitgliedschaft ab. Selbst Vertreter der PDS erklärten, die Wählerstruktur der Partei sei ihrer Mitgliederstruktur insbesondere hinsichtlich des Alters geradezu diametral entgegengesetzt.197 Michael Brie stellte in einer Analyse fest, dass die Wählerschaft der PDS sich hinsichtlich ihrer Altersstruktur, sozialen Zusammensetzung, Wertestruktur und Verankerung in der Gesellschaft wesentlich von der Mitgliedschaft unterscheide.198 André Brie sah durchaus, dass es „teilweise scharfe Gegensätze zwischen dem programmatischen und politischen Selbstverständnis und den Forderungen der PDS auf der einen und den Orientierungen nicht weniger ihrer Wähler auf der anderen Seite“ gäbe.199 Jürgen Lang und Patrick Moreau hoben den Aspekt hervor, dass die PDS beinahe alle Kräfte hofiere und vereinnahme, bei denen sie Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse vermutete.200 Die PDS-Zeitung „Berliner Linke“ beschrieb das Spektrum der PDS-Wählerschaft: „Einheitsverlierer; Einheitsgewinner mit sozialem Gewissen und/oder übermächtiger Westkonkurrenz; Ossis, welche die ganze Republik demokratisieren wollen; saturierte Wessis, die sich mit den von Bonn gebeutelten Ossis solidarisieren wollen, ohne gleich die BRD zu wandeln; DDR-Fans; Fans von keine-Machtfür-niemand.“201 Jürgen Falter und Markus Klein charakterisierten die Wähler der PDS: Wer formal hoch gebildet ist, der alten DDR eher positiv als negativ gegenübersteht, sich sozial von der Gesellschaft der Bundesrepublik in irgendeiner Weise benachteiligt fühlt, negative Wahrnehmungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hat und zumindest einige Kernaussagen des Sozialismus bejaht, erscheine geradezu prädestiniert für die Wahl der PDS. Insofern seien die Motive der PDS-Wähler durch eine Mischung aus Ideologie, Nostalgie und Protest gekennzeichnet.202 Diese These modifizierte Klein später. Demnach seien die Motive der PDS-Wähler hauptsächlich von ideologischen Faktoren bestimmt. Politische Unzufriedenheit und nostalgische Verklärung der DDR seien zwar Korrelate der ideologischen Selbsteinstufung der PDS-Wähler, die bei bivariaten Analysen auch Zusammenhänge mit der Wahl der PDS aufwiesen, im Rahmen eines angemesseneren multivariaten Modells gingen

197 198 199 200 201 202

Vgl. Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 256. Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 31. Brie, André: Strategische Konsequenzen aus den PDS-Wahlkämpfen 2004, in: Utopie kreativ, Nr. 170/2004, S. 1079-1087 (1081). Vgl. Lang, Jürgen/Moreau, Patrick: PDS. Das Erbe der Diktatur (Politische Studien, Sonderdruck 1/1994), S. 129. Berliner Linke, Nr. 30/1994, nach Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 300 f. Vgl. Falter, Jürgen/Klein, Markus: Die Wähler der PDS bei der Bundestagswahl 1994, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 51-52/1994, S. 22-34 (34)

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diese Zusammenhänge allerdings verloren.203 Eine andere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die ideologische Ausrichtung ein wichtiger Erklärungsansatz für die Wahlentscheidung zugunsten der PDS sei.204 Besonders kompliziert stellte sich laut Thomas Falkner und Dietmar Huber die Situation in Westdeutschland dar. Dort sei das von der PDS angepeilte Wählerspektrum noch breiter gewesen. Die Wähler, die die PDS im Westen ansprechen wollte, reichten von „linken Sozialdemokraten und Gewerkschaftern über frustrierte Ökos, sonstige Alternative, Kommunisten und radikale Autonome bis zum bürgerlichen „Typ des humanistisch gesinnten Intellektuellen“, der aus demokratischer Gesinnung wähle und autoritäre Parteistrukturen ablehne“.205 Heinz Niemann teilte das Wähler- und Anhängerpotential der PDS in die folgenden vier Hauptgruppierungen ein: x x x x

„Der aus ihren DDR-Entwicklungen herauskatapultierten und bei Strafe ihres sozialen Absturzes zum „Ankommen“ verurteilten mittleren Altersgruppen; den älteren und alten Angehörigen der abgewickelten „Dienstklasse“ (Dietmar Wittich) und ihren Familien; studentischen und anderen Gruppen junger Menschen mit radikalsozialistischen, z. T. romantischen Gesellschaftsvorstellungen aus Ost und West; Resten der westdeutschen Altlinken und einer marginalen Minderheit aus christlichen und friedensbewegten Kreisen.“206

Wegen der Überalterung der PDS-Mitgliedschaft beziehungsweise wegen des Rückgangs der Mitgliederzahl und der sozialen Milieus, mit denen die PDS verbunden war, musste die Partei ihre Programmatik weniger auf ihre Stammklientel ausrichten, sondern neue Wähler- und Mitgliedergruppen anpeilen, um weiter als bundespolitisch relevante Kraft bestehen zu können. Nach der Veröffentlichung des Programmentwurfs von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein aus dem Jahr 2001 wandten sich linksgerichtete Intellektuelle vor allem aus den westlichen Bundesländern in einem gemeinsamen Brief an den PDS-Vorstand, um sich für eine Bewahrung 203

Vgl. Klein, Markus/Caballero, Claudio: Rückwärtsgewandt in die Zukunft. Die Wähler der PDS bei der Bundestagswahl 1994, in: Politische Vierteljahresschrift, Nr. 2/1996, S. 229-247 (245 f.). 204 Vgl. Deinert, Rudolf Günter: Die PDS, die rechten Parteien und das Alibi der „Politikverdrossenheit“, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Nr. 3/1998, S. 422-441 (439). 205 Vgl. Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 239. 206 Niemann, Heinz: Gebraucht wird der einem sozialistischen Programm entsprechende Politikbegriff, in: ND v. 6.2.2003.

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sozialistischer Werte im Programm einzusetzen. Initiatoren waren der marxistische Sozialdemokrat Peter von Oertzen und der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe. Zu den Unterzeichnern gehörten die Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge und Reinhard Kühnl, Frigga und Wolfgang Haug, der Rechtswissenschaftler Norman Paech und der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Schui.207 1989 mussten sich die SED-Fortsetzer für eine Strömungspartei entscheiden, wollten sie die Partei retten. Sie beschritten diesen Weg als Abkehr von den Strukturprinzipien der SED und um diverse linke Organisationen und Gruppierungen mit völlig verschiedenen Ausrichtungen an sich zu binden. Damit wurde die PDS auch Anziehungspunkt für politische Sektierer unterschiedlicher Art. Die weltanschaulichen Gegensätze in der PDS traten nirgendwo deutlicher zutage als im Rahmen der Programmdebatte. Das Ausmaß der ideologischen Widersprüche zeigte sich in der Vielzahl kontroverser Debattenbeiträge und in der Erregung, die sie auslösten. Ohne die Vereinigung mit der WASG hätte das neue Parteiprogramm voraussichtlich die Entwicklung der PDS, ihre Politik, ihren Platz in der Bundesrepublik und ihr Selbstverständnis für das nächste Jahrzehnt maßgeblich geprägt. Und es hätte wahrscheinlich mit darüber entschieden, welche Kräfte im innerparteilichen Machtkampf siegen und ob es für die Orthodoxen noch eine Perspektive in der PDS gibt. Die Reaktionen der Orthodoxen auf das neue Programm waren geteilt. Während mit Winfried Wolf208 ein bekannter Orthodoxer aus der PDS austrat und als einen wichtigen Grund dafür das neue Parteiprogramm nannte, entschieden sich die Kommunistische Plattform209 und der „Geraer Dialog/Sozialistische Dialog“ dafür, ihre Arbeit in der PDS fortzusetzen. Zwar konnten sich die Reformer mit dem neuen Programm von 2003 weitgehend durchsetzen, doch bot es immer noch reichlich Interpretationsspielräume, so dass auch die Orthodoxen zumindest Teile des Programms in ihrem Sinne auslegen können. Im Zuge der Fusion mit der WASG hat bereits eine neue Programmdebatte eingesetzt, bei der sowohl die Orthodoxen als auch Teile der WASG das Programm von 2003 in Frage stellen. Eine mögliche zukünftige Lagerbildung innerhalb der Linken skizzierte ein Mitglied der Bundesleitung der „Sozialistischen Alternative Voran“: „In der neuen Partei ergeben sich zwei große Flügel: Die Alt-PDS-Funktionsträger mit Orientierung auf die Fortsetzung der Berliner Koalition, auf Regierungsfähigkeit und auf Beteiligung an der Sachzwang-Politik in den Kommunen. Der andere 207

Vgl. Brief linker Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die PDS, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 37 f. u. Huber, Wolfgang: Ein „leider unabweisbarer Eindruck“, in: ND v. 6.7.2001. 208 Neues Deutschland v. 25.5.2004, Junge Welt v. 25.5.2004. 209 Vgl. Tiefer Einschnitt. Erklärung der Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform der PDS, in: Junge Welt v. 8.11.2003.

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Flügel, geführt von Lafontaine, will ebenfalls in Regierungen, vor allem im Bund. Seine Strategie ist, durch eine stärkere Orientierung auf Gewerkschaften und soziale Bewegungen, den Druck zu verstärken und die Einbindung der neuen Partei zu erzwingen.“210 Der Unterschied zur Vergangenheit ist dabei erheblich. Es ist der Streit um den Weg zum Ziel, aber keiner der Flügel erhebt mehr den ideologischen Alleinvertretungsanspruch und ist dafür bereit, Spaltungskämpfe durchzufechten. Es lässt sich nicht belegen, ob die Streitigkeiten zwischen Reformern und Orthodoxen lediglich „vorgespielt“ waren. Jedenfalls nutzten sie letztlich der PDS, denn diese war in ihrem jahrelangen Überlebenskampf darauf angewiesen, programmatische Angebote an alle Strömungen zu machen und möglichst viele Linke zu binden. Nachdem in der PDS die Reformer ihre personellen und programmatischen Positionen immer weiter gefestigt und ausgebaut und infolgedessen Orthodoxe die Partei verlassen hatten, ist die Mitgliedschaft der fusionierten Partei wieder sehr heterogen. Auf dem Umweg über die WASG stießen Personen zur LINKEN, die zuvor wegen deren Reformkurs aus der PDS ausgetreten waren. Verstärkt durch enttäuschte und radikalisierte Gewerkschafter und ehemalige Sozialdemokraten stellen sie die innerparteiliche Hegemonie der Reformer in Frage. Zusätzlich zu auch in der fusionierten Partei fortbestehenden Zusammenschlüssen wie der Kommunistischen Plattform bildeten sich drei Hauptströmungen: das „Forum Demokratischer Sozialismus“, die „Sozialistische Linke“ und die orthodoxe „Antikapitalistische Linke“. Im „Forum Demokratischer Sozialismus“ engagieren sich größtenteils aus den östlichen Landesverbänden der PDS stammende Reformer, bei der „Sozialistischen Linken“ insbesondere Gewerkschafter und bei der „Antikapitalistischen Linken“ Linksextremisten aus PDS und WASG, darunter Sahra Wagenknecht und Ulla Jelpke. Das „Forum Demokratischer Sozialismus“ sehe sich, so Mechthild Küpper, als Hüterin des PDS-Programms von 2003.211 Alle drei Strömungen haben bereits programmatische Papiere veröffentlicht und werden sich voraussichtlich intensiv an der Debatte über ein gemeinsames Grundsatzprogramm der vereinten Partei beteiligen. Noch ist nicht absehbar, wie sich die innerparteilichen Kräfteverhältnisse entwickeln werden. Dies dürfte entscheidend davon abhängen, wie sich Oskar Lafontaine positioniert und wie die Wahlergebnisse des Jahres 2009 ausfallen.

210

Kimmerle, Stephan: Zwischen „Systemfrage“ und „erfolgreichen Unternehmen“, in: Solidarität, Nr. 59/2007. 211 Vgl. Küpper, Mechthild: Hundert Eckpunkte, aber kein Programm, in: FAZ v. 18.8.2008.

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3. Programme und programmatische Dokumente

3.1. Parteiprogramm von 1990 Die Diskussion über eine neue Programmatik setzte in der SED bereits unmittelbar nach der Implosion der alten Herrschaftsstrukturen ein.212 Schon vor dem außerordentlichen Parteitag beziehungsweise zum außerordentlichen Parteitag gab es zwei Programmangebote, die wesentliche Elemente des späteren Selbstverständnisses der Partei enthielten:213 das Papier „Für eine sozialistische Partei der DDR. Ein Angebot für die Diskussion zum Programm“214, verfasst von der Plattform 3. Weg (unter anderem von André und Michael Brie), und „Für einen menschlichen, demokratischen Sozialismus in der DDR. Ein Beitrag zur Programmdiskussion“215. Zwar wurden beim außerordentlichen Parteitag der SED außer einem neuen und provisorischen Statut noch keine umfangreichen programmatischen Papiere beschlossen, doch waren die dort gehaltenen und von den Delegierten mit großem Beifall aufgenommenen Referate unter programmatischen Gesichtspunkten von weitreichender Bedeutung. Besonders sind die Referate von Gregor Gysi, Michael Schumann und Dieter Klein hervorzuheben. Es habe beim außerordentlichen Parteitag einen sogenannten Gründungskonsens der Partei gegeben. Dieser Konsens bestehe aus fünf Punkten: 1. Fortdauernde Verantwortung für die Vergangenheit: „Die Delegierten des Sonderparteitages sehen es als ihre Pflicht an, sich im Namen der Partei gegenüber dem Volk aufrichtig dafür zu entschuldigen, dass die ehemalige Führung der SED unser Land in diese Existenz gefährdende Krise geführt hat. Wir sind willens, diese Schuld abzutragen.“ 2. Bekenntnis zur friedlichen Revolution des Herbstes 1989: „Wir danken aufrichtig den mündigen Bürgern unseres Landes, die die radikale Wende durch ihren mutigen, gewaltlosen Kampf erzwungen und uns damit auch eine Chance zur revolutionären Erneuerung unserer Partei gegeben haben.“ 212

Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 220. Vgl. ebd., S. 220. 214 Vgl. ND v. 12.12.1989. 215 Vgl. ND v. 16./17.12.1989. 213

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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3. Bruch mit dem Stalinismus: „Der außerordentliche Parteitag hat den Bruch mit der machtpolitischen Überhebung der Partei über das Volk, mit der Diktatur der Führung über die Parteibasis vollzogen.“ (...) „Ausdruck der Abrechnung unserer Partei mit der diktatorisch geprägten Seite ihres bisherigen Daseins ist der Beschluss des außerordentlichen Parteitages, den Namen SED abzulegen und sich mit dem Abschluss des Parteitages einen neuen Namen zu geben, der dem neuen Geist der Partei entspricht.“ 4. Ziel: Demokratischer Sozialismus: Der außerordentliche Parteitag „stellt den Parteimitgliedern“ (...) „die Orientierung für einen demokratischen Sozialismus, jenseits von stalinistischem Pseudosozialismus und Herrschaft des Profits vor.“ (...) „Unsere Partei ist offen für alle, die einen demokratischen Sozialismus wollen.“ 5. Demokratische, pluralistische Linkspartei: „Wir wollen eine neue, eine sozialistische Partei werden, die die Traditionen der Arbeiterbewegung fortsetzt. Sie knüpft an sozialdemokratisches, sozialistisches, kommunistisches, antifaschistisches und pazifistisches Erbe an.“ ... „Unsere Partei stützt sich in ihrer Politik auf die modernen Gesellschaftswissenschaften. Marx und Lenin sind uns dabei historisches Vorbild. Sie wendet sich gegen jegliche Einengung der theoretischen Quellen. Unsere Partei wird ihre Einheit aus dem Wettstreit der Ideen aller ihrer Mitglieder, aus Plattformen und innerparteilichen Strömungen gewinnen. Unsere Partei ist für Parteienpluralismus. Sie versteht sich als politische Vertretung der sozialen Interessen aller Werktätigen. Wir streben nach einem anerkannten Platz in einem lebendigen System kämpferischer politischer Parteien und gesellschaftlicher Kräfte.“216 Dieser Gründungskonsens wurde in den folgenden Jahren bei programmatischen Auseinandersetzungen über die Richtung der PDS immer wieder beschworen. Dabei zeigte sich allerdings, dass dieser Konsens von Reformern und Orthodoxen unterschiedlich interpretiert wurde. André Brie schrieb rückblickend, die Leichtigkeit ideologischer und politischer Wandlungen habe zunächst nur oberflächlich sein können.217 Er war den äußeren Umständen der friedlichen Revolution geschuldet, worauf die ersten zwei Punkte des Gründungskonsenses nachdrücklich verwiesen. Am 17. Dezember 1989 gab die SED-PDS sich ein Statut. Für dieses hatte der 25 Mitglieder starke Arbeitsausschuss zur Vorbereitung des außerordentlichen Parteitags, der sich mehrheitlich aus den neu gewählten 1. Bezirkssekretären zusammensetzte, Vorarbeiten geleistet. Das Statut wurde von 216

217

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Diese Aufzählung ist dem Kommentar zur Programmatik der PDS entnommen. Es handelt sich um Auszüge aus dem Bericht zur Diskussion beim ersten Beratungstag des außerordentlichen Parteitags. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 274. Vgl. Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 174.

der SED von vornherein als provisorisch verstanden und sollte nur bis zum nächsten Parteitag gelten. Die Delegierten beauftragten eine Statutenkommission, bis zum nächsten Parteitag daran weiterzuarbeiten. Im Statut bekannte sich die SED-PDS zu innerparteilicher Demokratie, zu ihrer historischen Verantwortung gegenüber dem Volk und zum Marxismus als theoretischer Grundlage.218 Die Partei wurde nicht mehr als marxistisch-leninistisch, sondern als marxistisch-sozialistisch bezeichnet. Vom repressiven bürokratischen Zentralismus sagte sie sich los.219 Es wurde festgeschrieben, dass die Mitglieder der Souverän der Partei sind. Im innerparteilichen Leben sollten Meinungsvielfalt sowie demokratische Abstimmungen und Kontrolle gelten.220 Das Statut garantierte ausdrücklich das Recht zur Bildung von Plattformen und anderen innerparteilichen Zusammenschlüssen.221 Die Partei erklärte, gleichberechtigt neben anderen Parteien im politischen System wirken zu wollen.222 Manfred Gerner sah in diesem Statut den Ansatz für die Entwicklung zu einer Strömungspartei, in der sich verschiedene, teils konträre Grundpositionen sammeln könnten.223 Beim Außerordentlichen Parteitag der SED beschloss die Partei neben ihrem neuen Statut auch, sich nicht aufzulösen, sondern sich lediglich umzubenennen. Der Name lautete zunächst SED-PDS, seit Februar 1990 nur noch Partei des Demokratischen Sozialismus. Diese Umbenennung war in der Öffentlichkeit wie auch innerhalb der Partei umstritten. Viele empfanden sie als Etikettenschwindel. Der Wechsel des Namens suggerierte eine Erneuerung, die noch gar nicht stattgefunden haben konnte, zumal die Partei gleichzeitig auf einen Großteil ihres Vermögens pochte und nur wenige Spitzenfunktionäre ausgeschlossen hatte. Hermann Gremliza, der Herausgeber der Zeitschrift „Konkret“, kommentierte die Umbenennung mit den Worten: „Da die SED nicht aufgelöst und die PDS nicht gegründet wurde, ist die PDS rechtlich nicht die Nachfolgerin, sondern das Original. Raider heißt jetzt Twix, die SED heißt jetzt PDS.“224 Tilman Fichter nannte die Umbenennung ein „Schulbeispiel für die postkommunistische Sprachpolitik“.225 In der Umbruchsituation des Winters 1989/1990, in der die Zukunft der DDR und der SED plötzlich völlig unklar und offen war, brauchte die Partei 218

219 220 221 222 223 224 225

Vgl. Statut der SED/PDS – Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Hornbogen, Lothar/Nakath, Detlef/Stephan, Gerd-Rüdiger (Hg.): Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. – Berlin 1999, S. 438-444 (438). Ebd., S. 438. Ebd., S. 439. Ebd., S. 439. Ebd., S. 438. Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 77. Gremliza, Hermann: PDS ist gleich SED minus Sozialismus, in: Konkret, Nr. 9/1994, S. 9. Fichter, Tilman: Das Mühen von Generationen, in: FAZ v. 11.7.2007.

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dringend ein neues Programm. Schon beim ersten PDS-Parteitag am 24. und 25. Februar 1990 wurden ein neues Parteiprogramm, ein neues Statut und ein Wahlprogramm beschlossen. Aufgrund der rasanten und unübersichtlichen Entwicklung in der DDR und in den internationalen Beziehungen, der Auflösungserscheinungen der Partei, der ungewissen Zukunft und der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit konnten Parteiprogramm und Statut nur Provisorien sein. Eine gründliche Reflexion der noch nicht abgeschlossenen epochalen Wende und eine breite, organisierte Debatte in der Partei konnten nicht stattfinden. Fest stand nur, dass das politische System der DDR in der Bevölkerung und selbst in der eigenen Partei so diskreditiert war, dass das Programm sich deutlich davon abgrenzen musste, um den eigenen Mitgliederstand zu stabilisieren und um sich überhaupt Chancen bei der bevorstehenden Volkskammerwahl ausrechnen zu können. Sie entschied über das Schicksal der Partei. Selbst führende PDS-Politiker räumten später rückblickend ein, dass eine wirkliche und glaubhafte Erneuerung der Partei zu diesem Zeitpunkt nur unvollkommen gelungen sei beziehungsweise gelingen konnte. Die Vorarbeiten für das Programm wurden von Arbeitsgruppen geleistet, die im Dezember 1989 gebildet und von Dieter Klein und Rolf Reißig geleitet wurden. Heinrich Bortfeldt schilderte die Umstände des Zustandekommens des Programms: „Es war überhaupt erstaunlich, wie schnell die ehemaligen SEDMitglieder solch einen rasanten Systemwechsel vollzogen. Zu erklären war er nur aus der damaligen Situation: Das alte Modell des Staatssozialismus hatte sich schon vor seinem Ende, selbst bei einem Teil der SED-Mitglieder, verbraucht. Hinzu kam die allgemeine Verunsicherung, nach dem Verlust der Macht und dem Sturz ins Bodenlose wieder eine scheinbar nach vorn weisende Orientierung gefunden zu haben.“ (...) „Die total verunsicherte Mitgliedschaft folgte bedingungslos. Im Grunde war sie von den reformorientierten Parteiintellektuellen überrumpelt worden.“226 Auch Plattformen gaben Stellungnahmen zum Programm ab. Eine Programmkommission unter der Leitung von Klaus Höpcke wertete die Papiere aus. Sie betonte ausdrücklich, dass das Programm nicht als abgeschlossen angesehen werden dürfe.227 Patrick Moreau schrieb, die Programmkommission habe alle provokant oder extrem anmutenden Zwischentöne sorgfältig zum Verstummen gebracht.228 Um sich von ihrer SED-Vergangenheit abzugrenzen, beteuerte die Partei im Programm, sie lehne geistige Intoleranz, Unfehlbarkeitsglauben, Missionarismus und politisches Sektierertum ab.229 Sie wolle stattdessen einen 226

Bortfeldt, Heinrich: Von Karl-Marx-Stadt nach Chemnitz, in: Deutschland Archiv, Nr. 6/2003, S. 936-944 (938). 227 Vgl. ders.: Von der SED zur PDS. Wandlung zur Demokratie? – Bonn 1991, S. 179. 228 Vgl. Moreau, Patrick: PDS. Anatomie einer postkommunistischen Partei. – Bonn 1992, S. 93 f. 229 Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 11.

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Wettstreit der Ideen ihrer Mitglieder, Plattformen und innerparteilichen Strömungen.230 Ausdrücklich nicht übernommen wurde die Abgrenzung zum Stalinismus des Außerordentlichen Parteitags der SED, die unter dem Druck der Straße formuliert worden war. Das Programm beließ es bei der Konsequenz aus diesem Beschluss, der zugleich für die Öffentlichkeit die wichtigste Abgrenzung zur SED darstellte: Die Partei „strebt kein Monopol der Macht an“231. Ebenso wichtig war die Vereinnahmung der Tradition der friedlichen Revolution: „Das Volk hat in unserem Land einen tiefen Umbruch eingeleitet.“ (...) „Damit eröffnete die Volksbewegung die Chance für einen demokratischen Neubeginn. Wir wollen uns beteiligen am Erhalt und Ausbau der neugewonnenen demokratischen Errungenschaften.“232 Und das Statut begann mit einem bemerkenswerten Satz, der ebenfalls eine Abgrenzung zur SED-Vergangenheit beinhaltete: „Die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) ist eine sozialistische Partei auf deutschem Boden.“233 Zurückhaltend, aber deutlich durchtrennten die SED-Reformer damit das Leitungskabel zum Moskauer Kreml. Um die Vergangenheit loszuwerden, bekannte sich die Partei zur lichten Zukunft des Demokratischen Sozialismus. Das Programm war in drei Abschnitte gegliedert. Sie trugen die Titel „Wer wir sind, und was wir wollen“, „Wege des Fortschritts in unserer Gesellschaft“ und „Europa und die Deutschen in einer sich erneuernden Welt“. Im ersten Abschnitt wurden die Werte und Ziele der Partei benannt und erläutert. Im zweiten Abschnitt wurden Positionen und Forderungen zu einzelnen Politikfeldern wie Wirtschafts-, Bildungs-, Forschungs-, Kultur- und Umweltpolitik formuliert. Die Partei legte dort auch ihr Konzept einer Produktionsdemokratie dar. Der dritte Abschnitt enthielt Vorschläge für den Wandel beider deutscher Staaten und die Beschreibung des Ziels einer neuen Ordnung in Deutschland und der Welt. Die Partei bekannte sich im Programm zu sieben zentralen Werten: x x x x x

Individualität.234 Solidarität. Gerechtigkeit. Sinnerfüllte Arbeit und Freizeit. Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

230

Vgl. ebd., S. 12. Ebd., S. 11. 232 Ebd., S. 9. 233 Ebd., S. 46. 234 Es ist, so Eva Sturm, für eine klassisch sozialistische Partei überraschend, dass gerade Individualität an erster Stelle stand. Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 188. 231

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x x

Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Innerer und äußerer Friede.235

Das Programm enthielt einander widersprechende Forderungen insbesondere zu solchen Punkten, wo postmoderne, beispielsweise ökologische, Anliegen nicht mit anderen Zielen wie etwa Wirtschaftswachstum in Übereinstimmung zu bringen waren. Die PDS erkannte im Programm zwar die Marktwirtschaft als effizientes Wirtschaftssystem grundsätzlich an, wollte allerdings eine demokratische Steuerung und Kontrolle der Marktwirtschaft. Durch diverse Räte sollten die Kompetenzen der Parlamente und der Eigentümer von Produktionsmitteln beschränkt werden. Die Partei skizzierte das von ihr angestrebte politische und wirtschaftliche System und äußerte sich zu ihrem Bild von Sozialismus und Kapitalismus in Geschichte und Gegenwart. Sie sagte sich vom dogmatischen Marxismus-Leninismus los, griff populäre Themen linker westlicher Diskurse auf und bekannte sich zu gesellschaftlichem und innerparteilichem Pluralismus. Im Programm sprach sich die Partei für eine sozial und ökologisch verträgliche Entwicklung aus und forderte im selben Satz ein planend beherrschtes Wachstum.236 Im Interesse des Gemeinwohls der Gesellschaft und zukünftiger Generationen müsse die Regulierung durch den Markt mittels strategischer Wirtschaftssteuerung des Staates ergänzt werden. Dabei müsse der Gesamtprozess der demokratischen Kontrolle und Öffentlichkeit unterliegen.237 Eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft erfordere tatsächliche Produktionsdemokratie.238 Es sollten Betriebs-, Wirtschafts- und Sozialräte als gesellschaftliche Aufsichtsräte gebildet werden. Sie sollten den Einfluss der Beschäftigten auf strategische Entscheidungen sichern.239 Die Partei wollte eine höhere Qualität von Demokratie, in der sich parlamentarische Demokratie mit Wirtschaftsdemokratie sowie kommunaler Selbstverwaltung verbinden sollte.240 Die Partei versuchte im Programm, ein Ideal des Sozialismus von den realen Zuständen in der DDR zu trennen, um es möglichst unbeschadet davon erhalten zu können. Sie betonte, dass die sozialistische Ursprungsidee nichts von ihrer Aktualität eingebüßt habe.241 Denn einerseits sei der Kapitalismus zwar effizient und habe die Weltzivilisation bereichert, doch andererseits erweise er sich als unfähig, den globalen Interessen der Menschheit zur Sicherung des Friedens, zur Abrüstung und zur Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zur Natur 235 236 237 238 239 240 241

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Vgl. PDS: Programm und Statut. - Berlin 1990, S. 13 f. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 18 f. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. ebd., S. 8.

zu entsprechen sowie soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten.242 Allerdings enthielt das Programm keine Antworten auf die Fragen, ob beziehungsweise inwieweit die DDR dazu fähig war oder unter welchen Voraussetzungen ein zukünftiger Sozialismus dazu fähig sein könnte. Der negativen Charakterisierung der Marktwirtschaft stellte das Programm einen Sozialismus gegenüber, der als Ausdruck der uralten Menschheitsideale soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit für die Unterdrückten und Hilfe für die Schwachen interpretiert wurde.243 Demokratischer Sozialismus bedeute für die PDS eine friedliche, humane und solidarische Gesellschaft, in der sich jeder Mensch in Gemeinschaft mit anderen frei entfalten und gleichberechtigt am wirtschaftlichen, politischen und geistig-kulturellen Leben teilnehmen kann.244 Laut Programm sollten aus der DDR und von den Neuerungen der Wendezeit in das vereinte Deutschland unter anderem übernommen werden: das Recht auf Arbeit, nicht näher bezeichnete Rechte der Frauen, der Volksentscheid, der Antifaschismus, die Unmöglichkeit der Spekulation mit Grund und Boden, die Ergebnisse der Bodenreform und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften.245 Während zumindest manche PDS-Reformer selbst die Glaubwürdigkeit eines ehrlichen und nachhaltigen Wandels der Partei kritisch beurteilten, waren einige wissenschaftliche Beobachter über die Veränderung der Partei innerhalb weniger Wochen erstaunt. Die Partei hatte ihr Erscheinungsbild und möglicherweise auch ihren Charakter schon zum Zeitpunkt ihres 1. Parteitags Anfang 1990 grundlegend gewandelt, wie aus einer anschaulichen Beschreibung der Parteitagsatmosphäre von Ilse Spittmann, der Chefredakteurin des „Deutschland Archivs“, hervorgeht: „Es gab keine vorbereiteten und zensierten Redebeiträge, sondern kritische Diskussion des Wahlprogramms, ungeschminkte Berichte über die problematische Wirtschaftssituation und den daraus folgenden Sozialabbau im Lande. Der Ablauf war nicht – wie bei früheren SEDParteitagen – ritualisiert, es gab spontane Auseinandersetzungen, Anträge zur Geschäftsordnung, die Ergebnisse von Abstimmungen standen nicht vorher fest. Hier tagte keine Monopolpartei mehr im Vollbesitz der staatlichen Macht, die Pfründen vergeben und nehmen konnte, sondern eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die wusste, dass sie für lange Zeit von der Macht ausgeschlossen sein wird und sich Vertrauen ganz neu erwerben muss.“246 Anders als diese Einschätzung, bewertete Patrick Moreau rückblickend die Umbenennung der Partei, den Ausschluss der alten Führung und das öffentliche Schuldbekenntnis nicht als Beginn einer tiefen Erneuerung, sondern als 242

Vgl. ebd., S. 8 f. Vgl. ebd., S. 9. 244 Vgl. ebd., S. 16. 245 Vgl. ebd., S. 10. 246 Spittmann, Ilse: Runderneuert, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/1990, S. 508-511 (510). 243

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Anzeichen einer unter Zwang erfolgten Anpassung an ein immer feindseliger werdendes politisches, soziales und gesellschaftliches Umfeld.247 Für die PDS war ein Programm 1990 eine politische Notwendigkeit. Es war allerdings ein Programm ohne theoretischen Vorlauf. Mit dem Programm von 1990 wurde die programmatische Debatte als vorläufig abgeschlossen betrachtet, die Arbeit am Statut sollte allerdings fortgesetzt werden. Deswegen wählten die Delegierten beim Programmparteitag eine Statutenkommission unter Leitung von Rainer Börner und Michael Nelken, die die Aufgabe erhielt, eine verbesserte Fassung des Statuts bis zur 1. Tagung des 2. Parteitags am 26. und 27. Januar 1991 vorzulegen. Politische Konkurrenten und wissenschaftliche Beobachter analysierten und kommentierten das Programm. Eine Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung sah in der Programmatik der PDS einen mehrfachen Spagat, um diffuse ökosozialistische, eurokommunistische, sozialdemokratische und klassisch marxistisch-leninistische Politikvorstellungen abzudecken. Die PDS habe damit versucht, sich als sozialistische Catch-all-Partei zu etablieren.248 Patrick Moreau und Viola Neu bescheinigten dem Programm einen eklektizistischen Charakter. Es stelle eine bunte Mischung aus kommunistischen, grünen, sozialdemokratischen, feministischen sowie radikal- und basisdemokratischen Elementen und Forderungen dar. Um einen Modus vivendi zu finden, sei die PDS gezwungen gewesen, mit diesem Programm den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen.249 In der Parteizeitung der Grünen wurde das Programm als ein Mix aus Verbalradikalismus, stinknormalem Reformismus und blassgrünen Einsprengseln charakterisiert. Praktische Politikkonzepte enthalte es nicht.250 Für Manfred Gerner glich das Programm einem Plagiat modischer sozialdemokratischer und grüner Positionen.251 Ähnlich bewerteten auch der PDS nahestehende Beobachter das Programm. Es habe die sozialdemokratischen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit den grünen Grundsätzen Ökologie, Soziales, Basisdemokratie und Gewaltfreiheit sowie dem liberalen Grundsatz Individualität kombiniert.252 Die Partei habe sich mit diesem Programm vom diktatorischen Saulus zum

247 248

249 250 251 252

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Vgl. Moreau, Patrick: Die PDS: eine postkommunistische Partei, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 5/1992, S. 35-44 (36). Vgl. Veen, Hans-Joachim/Bulla, Marcel/Hoffmann, Jürgen/Lepszy, Norbert/Zimmer, Matthias: DDR-Parteien im Vereinigungsprozess (Interne Studien, Nr. 20/1990). - Sankt Augustin 1990, S. 48. Vgl. Moreau, Patrick/Neu, Viola: Die PDS zwischen Linksextremismus und Linkspopulismus (Interne Studien der Konrad-Adenauer-Stiftung, Nr. 76/1994). – Sankt Augustin 1994, S. 36. Vgl. Damus, Renate: Was ist links an der PDS?, in: Die Grünen, Nr. 38/1990, S. 12 f. (13). Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 226. Vgl. Chung, Carl: Von Lenin zu Bernstein?, in: Beinert, Heinz (Hg.): Die PDS – Phönix oder Asche? – Berlin 1995, S. 30-60 (35).

demokratisch-marktwirtschaftlichen Paulus gewandelt.253 Rückblickend setzten sich auch PDS-Politiker kritisch mit dem Zustandekommen und dem Inhalt des Programms auseinander. André Brie berichtete 1995 bei einer Konferenz anlässlich des fünfjährigen Bestehens der PDS, dass sich in der Umbruchphase ab Ende 1989 die Programmatik der Partei sehr schnell entwickeln musste und von vielen Delegierten nicht gründlich durchdacht werden konnte: „Positionen, Einschätzungen, Aufgaben, Grundsätze, Personen mussten neu sein. Wie Ertrinkende nach dem Strohhalm – so griffen die Delegierten nach neuen Gedanken. Nichts war ausdiskutiert, fast nichts war durchdacht, kaum etwas außer der Kritik am Vergangenen und Vergehenden war verinnerlicht und durchlebt. In dieser Hinsicht stand der Neubeginn auf tönernen Füßen.“ (...) „Es wurden Gerüste für einen Bau errichtet, der nicht nur kein Fundament besaß, sondern sich auf dem trügerischen Sand der SED und ihrer antiemanzipatorischen politischen Kultur erheben sollte. Wandel an sich war geradezu Selbstzweck. Die Dogmen des scheinwissenschaftlichen MarxismusLeninismus“ (...) „brachen immer wieder durch und wurden lediglich mit den Attributen modern, demokratisch und basisdemokratisch, ökologisch, feministisch verziert. Und wo sich der Kopf freizumachen begann, da blieb doch das Herz, blieben Kultur und Mentalität gefangen im tief verwurzelten Alten und in dem Zwiespalt von Menschen, die das Beste gewollt und für das Ziel einer besseren Gesellschaft gewirkt hatten, nun aber vor einem Scherbenhaufen standen und in der Öffentlichkeit tausendfach persönlich für alles verantwortlich gemacht wurden.“254 Zwar nahmen die Delegierten beim Programmparteitag die programmatischen Angebote der Reformer an, aber dies heißt nicht, dass diese Programmatik unabhängig vom Abstimmungsverhalten in dieser besonderen Situation tatsächlich mehrheitsfähig war. Eva Sturm ging in ihrer Dissertation über die PDS - wie beispielsweise auch die PDS-Reformer Rainer Land und Ralf Possekel – grundsätzlich davon aus, dass die Modernen Sozialisten in der Partei die Programmatik entwickeln durften, diese jedoch nur als Fassade angenommen wurde.255 Die nachträgliche Selbstkritik einiger SED-Reformer am Wandel oder - wie sie es formulierten – an der „Erneuerung“ der Partei war getragen vom Bewusstsein, dass das neue Statut, das Programm und das Wahlprogramm ihren Zweck erfüllt hätten. Auf dieser Grundlage wurde die PDS 1990 zur stärksten Oppositionsfraktion in der Volkskammer und übertraf das Ergebnis der Bürgerrechtler, die Träger der friedlichen Revolution gegen die SED waren. 1990 zog die PDS in alle Landtage der östlichen Länder und ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Im Bundestag erreichte sie den Gruppenstatus. Die 253

Vgl. ebd., S. 38. Brie, André: Von der SED zur PDS. Versuch eines Beitrags gegen neue Legenden, in: PID, Nr. 49/1995, S. 14-16 (14). 255 Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 49. 254

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Partei hatte damit wichtige Hürden auf dem Weg zur Sicherung ihrer Existenz genommen. Programm, Statut und Wahlprogramm von 1990 bildeten die ideologische Grundlage für die erste Phase der PDS-Geschichte von 1989 bis 1993, die Eckhard Jesse und Jürgen Lang „Selbstbehauptung und Klientelpolitik“256 nannten. Diese Phase war dadurch charakterisiert, dass Klientelsicherung ein wichtiges Element der Parteistrategie war, obwohl den Reformern „einleuchtete, dass dies das Überleben der Partei auf keinen Fall dauerhaft sichert.“257 Die erste Bewährungsprobe für die PDS war die Volkskammerwahl 1990. Der Wahlkampf ging ausschließlich um die Frage der deutschen Einheit. Die PDS formulierte in ihrem Wahlprogramm Bedingungen, mit denen sie sich bereits als Interessenpartei des Ostens profilierte.258 Die Haltung zur SPD war ein besonderer Punkt, den Gregor Gysi in seiner Rede zum Wahlprogramm hervorhob. Die PDS habe die Funktion, die SPD von links unter Druck zu setzen, da diese „immer nur so links und so sozial ist, wie sie politisch von links unter Druck steht.“259 Sie habe also auch als Opposition diese wichtige Aufgabe, die sie umso erfolgreicher wahrnehmen könne, je besser sie bei der Wahl abschneide. Vor der Volkskammerwahl ging es für die PDS noch um den Erhalt der DDR. Der Beschluss der Volkskammer im Juni 1990, dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beizutreten, schuf für die PDS eine grundlegend neue politische Konstellation. Die DDR hörte auf, als Staat zu existieren. Eine Konsequenz für die PDS war, dass sie gesamtdeutsch werden musste und wollte. Mit dem Untergang der DDR stand die PDS vor einer neuen Programmdebatte. Jetzt wurden von ihr Zukunftsentwürfe für das vereinigte Deutschland erwartet. Gewissermaßen als Ergänzung zum PDS-Programm gab Gregor Gysi 1990 einen Sammelband mit dem Titel „Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS“ heraus. Dieser Band enthält Beiträge führender PDS-Politiker zur Programmdiskussion der Partei. Zu den Themen gehören Geschichte, Erneuerung, Ziele, Visionen, Parteicharakter, demokratischer Sozialismus, soziale und ökologische Marktwirtschaft, Parlamentarismus, Umwelt, Frauenpolitik, Pazifismus, Solidarität, Europa und Verhältnis zu anderen politisch linksgerichteten Organisationen. Autoren waren Hans Modrow, Klaus Höpcke, Helga Adler, Michael Brie, Dieter Klein, Klaus Steinitz, Marlies Deneke, Helmar Hegewald, André Brie, Rainer Börner, Jochen Willerding und Alexandra Wagner. Einige dieser Autoren beteiligen sich bis heute aktiv an den programmatischen Debatten der Partei. Der SPD-Politiker 256

Jesse, Eckhard/Lang, Jürgen: Die Linke – der smarte Extremismus einer deutschen Partei. – München 2008, S. 33. 257 Ebd., S. 40. 258 Vgl. Wahlprogramm der PDS, in: Behrend, Manfred/Meier, Helmut (Hg.): Der schwere Weg der Erneuerung. Von der SED zur PDS. - Berlin 1991, S. 367 f. 259 Vgl. Rede von Gregor Gysi zum Wahlprogramm, in: Ebd., S. 365.

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Johano Strasser äußerte in einer Rezension des Sammelbands zur PDSProgrammatik Zweifel, ob die fundamentale programmatische Wende der Partei und die programmatischen Beiträge in diesem Band glaubwürdig sind. Strasser schrieb: „Wäre dieses Buch vor einem Jahr erschienen, die Autoren wären des „Sozialdemokratismus“ angeklagt, aus der SED ausgeschlossen, und wenn die Zeit noch gereicht hätte, wegen „staatsfeindlicher Hetze“ und „Verleumdung der Staatsorgane der DDR“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.“260 Die PDS usurpiere mit atemberaubender Dreistigkeit die spezifisch sozialdemokratische Tradition der Arbeiterbewegung als eine ihrer Wurzeln, als ob sie nachträglich die Zwangsvereinigung von SPD und KPD als inhaltlich gerechtfertigt erscheinen lassen wolle.261 Es sei schwer zu sagen, ob Gysis Sammelband ein Ergebnis ehrlicher Lernprozesse oder vom Organisationsegoismus diktierter Taktik ist.262

3.2. Parteiprogramm von 1993 Zwischen der 1. und der 2. Tagung des 2. Parteitags der PDS verstärkte sich die innerparteiliche Kritik am bisherigen Verlauf der programmatischen Debatte. Es wurde die Auffassung geäußert, die Programmdiskussion sei weitgehend in einem kleinen, aktiven Kreis geführt worden. Nach Einschätzung von Mitgliedern der PDS-Grundsatzkommission war es nicht gelungen, in der Partei eine breite Diskussion über ein zukünftiges Programm in Gang zu setzen.263 Im Sommer 1991 stellte die PDS-Grundsatzkommission einen Entwurf von Thesen zu einem neuen Parteiprogramm vor. Diese Thesen spiegelten die verschiedenen Positionen der Mitglieder der Grundsatzkommission wider. In einer Erläuterung zu Charakter, Inhalt und Absicht der Thesen hieß es, bei den Thesen handle es sich um ein Diskussionsangebot, das produktiven Streit auslösen solle. Dabei verzichte man ausdrücklich darauf, die Thesen als Konsens eines Gremiums zu präsentieren. Zuspitzungen seien gewollt, weder Vollständigkeit noch lückenlose Beweisführung seien angestrebt.264 Die Strömungspartei diskutierte. Neben den Programmthesen der Grundsatzkommission wurden weitere Thesenentwürfe vorgelegt. Ein Thesenentwurf stammte von der Kommunisti260 261 262 263 264

Strasser, Johano: Zum Selbstverständnis der PDS, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/1990, S. 1044-1046 (1044). Vgl. ebd., S. 1045. Vgl. ebd., S. 1045 f. Vgl. Gläser, Jochen/Melis, Charles/Rump, Bernd: Das obskure Objekt theoretisierender Begierden, in: ND v. 20./21.4.1991. Vgl. Ihme, Bernd: Zur Programmdiskussion der PDS, in: Disput, 2. Maiheft/1991, S. 18-20 (18).

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schen Plattform, einer vom langjährigen Stellvertretenden DDR-Kulturminister Klaus Höpcke, der, obwohl als Vorsitzender der PDS-Grundsatzkommission selbst maßgeblich am Zustandekommen der Thesen der Grundsatzkommission beteiligt, zusätzlich eigene Thesen formulierte.265 Die Programmthesen der Kommunistischen Plattform orientierten sich an traditionellen kommunistischen Positionen. Horst Dietzel warf der Kommunistischen Plattform vor, ihre Thesen erweckten den Eindruck, stalinistische Strukturen hätten gar nicht bestanden. Offensichtlich - wenn auch unausgesprochen – im Hinblick auf die Lehre Antonio Gramscis, kritisierte Dietzel, die Kommunistische Plattform würde die kapitalistische Gesellschaft als monolithisch ansehen, zwischen ökonomischen Strukturen und anderen gesellschaftlichen Bereichen, den politischen Verhältnissen und so weiter entweder gar nicht unterscheiden oder eine rein mechanische Beziehung herstellen.266 Klaus Höpcke bezog sich mit seinen Thesen auf das Eisenacher Programm der SPD von 1869. Da das Eisenacher Programm als eine Art Geburtsurkunde des demokratischen Sozialismus angesehen werde, sei es sinnvoll, wenn das Programm der PDS als ein Dokument der Wiedergeburt von Ideen und Vorhaben eines demokratischen Sozialismus einen solchen Traditionsbezug habe.267 Die 2. Tagung des 2. Parteitags der PDS vom 21. bis zum 23. Juni 1991 beauftragte die Grundsatzkommission der Partei, bis zum 3. Parteitag einen Entwurf für ein neues Parteiprogramm auszuarbeiten. Die verschiedenen Thesenpapiere sollten als gleichberechtigte Diskussionsgrundlage in die weitere Programmdebatte einbezogen werden. Wissenschaftler, Vertreter aus den Programmkommissionen der Landesverbände, Mitglieder von Arbeits- und Interessengemeinschaften sowie aus Basisorganisationen der PDS arbeiteten in der Grundsatzkommission zusammen an einem Programmentwurf. Die unterschiedlichen Strömungen der PDS blieben in der Kommission repräsentiert.268 Dies erschwerte die Arbeit der Kommission, da sie anstrebte, einen Konsens über den dem 3. PDS-Parteitag vorzulegenden Programmentwurf zu erzielen. Bei dieser Tagung gab sich die PDS auch ihr drittes und bis zuletzt gültiges Statut. Vorangegangen war eine Statutenkonferenz am 27. Mai 1991, bei der der Entwurf der Statutenkommission gebilligt worden war. Das Statut wurde danach durch eine Urabstimmung unter den PDS-Mitgliedern bestätigt.

265

Vgl. Höpcke, Klaus: (Thesen zum) Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: PID, Nr.24/1991, S. 9-14. 266 Vgl. Dietzel, Horst: Unterschiedliche Prämissen, in: Disput, 1. Augustheft/1991, S. 43-45 (44). 267 Vgl. Höpcke, Klaus: Zur Begründung von Thesen zum Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 105-108 (107). 268 Vgl. Ihme, Bernd: Zum Programmentwurf der Grundsatzkommission, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 40.

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Ende 1991 zog André Brie in einem Aufsatz eine Zwischenbilanz der programmatischen Diskussion in der PDS. Er machte fünf zentrale Felder der Programmdebatte aus, auf denen in der Partei offensichtlich übereinstimmende Ausgangspunkte, allerdings unterschiedliche Schlussfolgerungen bestünden. Im Mittelpunkt der PDS-Programmdebatte stand aus Bries Sicht der Antikapitalismus. Brie betonte ausdrücklich, dass die Auseinandersetzungen zwischen Reformern und Orthodoxen sich innerhalb des Antikapitalismus abspielten. Über den Antikapitalismus sei man sich in der Partei einig: „1. Die kapitalistische Gesellschaft ist nicht das letzte Wort der Geschichte, es sei denn ihr Todesschrei. 2. Die kapitalistische Produktions- und Lebensweise, ihr Ausbeutungsprinzip, ihre Profitorientierung und ihr expansives Bewegungsgesetz sind die Hauptursachen für die eingetretene Existenzkrise der Menschheit. 3. Wenn nicht bereits in absehbarer Zeit radikale Wandlungen hinsichtlich der Gesellschafts- und Wirtschafts-, der Individualitäts- und der Weltentwicklung eingeleitet werden, hat die menschliche Zivilisation keine Überlebenschance. 4. Alle politischen und ideologischen Richtungen in der PDS halten daher – auf unterschiedliche Weise – am Ziel der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft fest. 5. Der gesamten Debatte um die Entwicklung wirksamer sozialistischer Politik und Programmatik in der PDS liegt darüber hinaus die gemeinsame Einschätzung zugrunde, dass in der BRD politisch, ökonomisch, sozial und psychologisch der Boden entsteht und durch bornierte Regierungspolitik bereitet wird für eine erneute verhängnisvolle Rolle Deutschlands in Europa und für einen neuen deutschen Nationalismus.“269 In seinem Aufsatz benannte André Brie zwei Grundlinien in der PDSProgrammdebatte. Die eine Linie versuche, Veränderungspotentiale der bestehenden Gesellschaft zu nutzen, wogegen die andere annehme, dass gerade dadurch radikale Opposition von der bestehenden Gesellschaft kanalisiert werden kann: „Zugespitzt gesagt handelt es sich bei diesen Linien um die beiden traditionellen Hauptrichtungen linker Politik: Auf der einen Seite stehen die Vorstellungen, mit dem Ringen um neue gesellschaftliche Mehrheiten und die Institutionalisierung von demokratischen Gegenmächten die kapitalistische Gesellschaft schrittweise zu verändern mit dem Ziel, die Dominanz von Kapital, Kapitalverwertung, Profitstreben und Markt zu brechen und damit ihren kapitalistischen Charakter zu überwinden. Auf der anderen Seite wird davon ausgegangen, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht in ihren Wesenszügen 269

Brie, André: Radikale Reformpolitik? Zur gegenwärtigen programmatischen Diskussion in der PDS, in: Sozialismus, Nr. 12/1991, S. 31-34 (31). Fast wortgleich: Brie, André: Zur Programmdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 16/1991, S. 105-114 (105).

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sozial, ökologisch und demokratisch veränderbar ist, sondern alles Reformpotential systemimmanent kanalisiert und damit die angestrebten Veränderungen zur Verlängerung kapitalistischer Herrschaft beitragen, die unter heutigen Bedingungen Menschheit, Menschsein und Umwelt mit dramatischem Tempo und Ausmaß zugrunde richtet. Widerstandskultur und Gegengesellschaft werden als Hauptweg angesehen, systemüberwindende Potentiale zu schaffen.“ (...) „In Bezug auf die moderne kapitalistische Gesellschaft zeigen sich in der programmatischen und politischen Diskussion der PDS im Rahmen des oben angeführten Antikapitalismus ebenso zwei Linien. Erstens werden die kapitalistische Gesellschaft, ihre Produktions- und Lebensweise als Bedrohung für die Existenz der Menschheit, Quelle von Ausbeutung, Natur- und Kulturzerstörung sowie existentieller Krisen und Konflikte angesehen, zugleich aber auf ihre zivilisatorischen Errungenschaften bzw. Potenzen verwiesen, die bei antikapitalistischer Politik genutzt und für eine sozialistische Perspektive dialektisch aufgehoben werden müssten. Zweitens wird mit dem Verweis auf weiter angewachsene Expansion von Kapital und Markt in die Gesellschaft und in die Welt sowie das globale und existenzbedrohende Ausmaß von Ausbeutung, Entwicklung von Destruktivkräften und den Antagonismus von Gesellschafts- und Individualitätsentwicklung die Existenz von zivilisatorischen Potentialen des modernen Kapitalismus geleugnet.“270 André Brie schrieb, dass die Gefahr einer systemstabilisierenden Kanalisierung tatsächlich bestehe.271 Damit brachte er klar zum Ausdruck, dass selbst er als führender Reformer die Grundordnung der Bundesrepublik fundamental verändern beziehungsweise beseitigen wollte. Brie bekannte sich zum sozialistischen Ziel. Er betonte, dieses Ziel mit den Orthodoxen gemeinsam zu haben, bemängelte allerdings, die Orthodoxen ignorierten die Frage nach dem Wie eines Ausbruchs aus der kapitalistischen Gesellschaft. Am 30. März 1992 erörterten der Parteivorstand, die Bundestagsgruppe, die Landesvorsitzenden und die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen der PDS den von der Grundsatzkommission erarbeiteten Programmentwurf. Vorher hatte die PDS-Grundsatzkommission schon programmatische Thesen vorgelegt.272 Bei der Sitzung am 30. März 1992 wurde beschlossen, dass der Programmentwurf bis zum 15. Mai überarbeitet werden sollte. Anschließend sollte er veröffentlicht werden.273

270

Brie, André: Radikale Reformpolitik? Zur gegenwärtigen programmatischen Diskussion in der PDS, in: Sozialismus, Nr. 12/1991, S. 31-34 (31). 271 Vgl. ebd., S. 33. 272 Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Neu beginnen ... Thesen zur Programmdiskussion. – Ohne Ort und Jahr. 273 Vgl. Autorenkollektiv: Von den Anfängen. Eine illustrierte Chronik der PDS 1989-1994. – 2. erw. Aufl., Berlin 1995, S. 102.

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Der überarbeitete Programmentwurf der Grundsatzkommission wurde am 28. Mai 1992 bei einer gemeinsamen Sitzung von Grundsatzkommission, Parteivorstand, Parteirat, Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Landtagsfraktionen der PDS beschlossen und am 1. Juni im „Neuen Deutschland“ veröffentlicht.274 Ein von Michael Benjamin und Sahra Wagenknecht verfasster Gegenentwurf wurde ebenfalls im „Neuen Deutsch-land“ abgedruckt. Für die weitere Arbeit am Programmentwurf wurde eine Redaktionsgruppe gebildet, der Michael Benjamin, André Brie, Michael Brie, Judith Dellheim, Horst Dietzel, Klaus Höpcke, Bernd Ihme und Harald Werner, ein ehemaliger DKP-Funktionär, der für die Gewerkschaftsarbeit verantwortlich war, angehörten. In der Redaktionsgruppe waren also die beiden Lager fast gleich stark vertreten. Außer den Programmentwürfen der Grundsatzkommission und der Kommunistischen Plattform wurden einige weitere Entwürfe vorgelegt. Ein Programmentwurf stammte von der PDS-Basisorganisation Berlin-Charlottenburg, die anderen von einzelnen PDS-Mitgliedern. Die Basisorganisation Berlin-Charlottenburg gliederte ihren Programmentwurf in Kapitel zur gegenwärtigen Lage der Welt und der Industrieländer, zum Selbstverständnis der Partei, zu ihrer Rolle in der Bundesrepublik sowie zu ihren Zielen und Forderungen.275 Schwerpunkte des Programmentwurfs von Udo Haupt waren eine Analyse des Scheiterns der sozialistischen Staaten, eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen politischen Lage und eine Formulierung der Ziele der PDS jeweils unter ökonomischen, politischen und weiteren Gesichtspunkten. Haupts Beurteilung der Zustände in der Bundesrepublik ist durch verschwörungstheoretische Elemente, beispielsweise bei der Deutung des Wirtschaftssystems und der Rolle der Massenmedien, gekennzeichnet: „Statt humanistische Verhaltensweisen zu fördern, wird durch die Massenmedien in erheblichem Maße zur Vergrößerung der Zahl der gewaltbereiten Menschen beigetragen. Die dahinter befindlichen Absichten sind der Profit und das Ablenken von den Gebrechen und Verbrechen des Kapitalismus und seiner Handlanger.“276 Jochen Gläser und Bernd Rump legten einen Programmentwurf vor, der unter anderem von Dietmar Keller, Peter Porsch, Ilja Seifert und Roland Weckesser unterstützt wurde. Schwerpunkte dieses Programmentwurfs waren die gegenwärtige politische Situation, Menschenrechte, globale Probleme (Entwicklungspolitik, Umweltschutz und Frieden), die innere Einheit Deutschlands, der Charakter der PDS und Vorschläge für eine neue Verfassung der Bundesrepublik.277 Der

274

Vgl. ebd., S. 110. Der Entwurf ist abgedruckt in: Disput, Nr. 1/1993, S. 24-26. 276 Programmentwurf von Udo Haupt, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 27-40 (34) 277 Der Entwurf ist abgedruckt in: Disput, Nr. 1/1993, S. 11-17. 275

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Programmentwurf von Friedrich Plathe enthielt Grundsätze für sozialistische Politik, Vorschläge zum Arbeitsleben und Forderungen zu sozialen Fragen.278 Am 19. und 20. Dezember 1992 führte die PDS-Grundsatzkommmission eine Klausurtagung zur Programmatik durch. Bei dieser Klausurtagung fasste die Grundsatzkommission einstimmig den Beschluss, dem 3. Parteitag der PDS ihren überarbeiteten Programmentwurf vorzulegen. Nach diesem Beschluss der Grundsatzkommission zog die Kommunistische Plattform ihren Programmentwurf zurück, um keine Kampfabstimmung zu provozieren.279 Eine Auswertung der PDS-Bundesgeschäftsstelle ergab, dass sich an der programmatischen Debatte zahlreiche Untergliederungen und Mitglieder der Partei beteiligt hatten. Allein zum Programmentwurf der PDS-Grundsatzkommission von Mai 1992 erreichten die Partei mehr als 500 Zuschriften von Landes-, Bezirks- und Kreisverbänden, Basisorganisationen, Mitgliedern und Sympathisanten. Mitglieder der Grundsatzkommission nahmen an mehr als 1.000 programmatischen Diskussionen teil.280 Horst Dietzel schrieb über die Intensität der Debatte, die dem PDS-Programm von 1993 vorausging: „Es gab verschiedene Entwürfe der Grundsatzkommission, diverse Gegenentwürfe, Standpunktpapiere, Programmkonferenzen und auch viele Auseinandersetzungen in den Basisorganisationen der Partei.“281 Im Vorfeld des Programmparteitags zog Sahra Wagenknecht eine Bilanz der Programmdebatte. Dabei stellte sie sechs Schwerpunkte der Debatte heraus: „1. Einschätzung der Lage in der Welt von heute (global). 2. Einschätzung des heutigen Kapitalismus. 3. Frage der Klassen; insbesondere in Bezug auf handelndes Subjekt; damit Frage der Arbeiterklasse und der anzustrebenden sozialen Basis einer sozialistischen Partei. 4. Beurteilung des vergangenen Sozialismus. 5. Möglichkeiten und Wege zur Veränderung der bestehenden Gesellschaft. 6. Anspruch, der an ein Parteiprogramm zu stellen ist; Aufgabe des Parteiprogramms.“282

278

Der Entwurf ist abgedruckt in: Disput, Nr. 1/1993, S. 17-24. Vgl. Autorenkollektiv: Von den Anfängen. Eine illustrierte Chronik der PDS 1989 bis 1994. – 2. erw. Aufl., Berlin 1995, S. 130. 280 Vgl. Ihme, Bernd: Zum Programmentwurf der Grundsatzkommission, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 40. 281 Dietzel, Horst: Kontinuität und Wandel. Die Programmatik der PDS von 1990 bis 2007 (Pankower Vorträge, H. 99). - Berlin 2007; S. 13. 282 Wagenknecht, Sahra: Die Programmdiskussion und die Vorbereitung des 3. Parteitages, in: PID, Nr. 37/1992, S. 9 f. (9). 279

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Wagenknecht berichtete auch über Reaktionen aus der Mitgliedschaft auf die Programmentwürfe der PDS-Grundsatzkommission und der Kommunistischen Plattform: „Oft wiederkehrende Begründungen zur Ablehnung des Mehrheitsentwurfes sind der Vorwurf sozialdemokratischer Positionen; die Feststellung, es handele sich um reformistische Illusionen, kritisch vermerkt wird das Fehlen marxistischer Gesellschaftsanalyse und Begrifflichkeit, das reale Wesen des Kapitalismus werde nicht beim Namen genannt, sozialistische Ziele aufgegeben, Sprache und Terminologie seien unverständlich. Wiederkehrende Begründungen zur Ablehnung des Alternativentwurfes waren, es handele sich um die unkritische Fortschreibung alter Auffassungen (Leninsche Revolutionstheorie, Parteiverständnis z.B.), eine Klassensicht sei überlebt und Ausdruck alten bipolaren Denkens. Kritisch angemerkt wird, die Analyse der heutigen Welt sei nicht realistisch (insbesondere die Zielsetzung, noch im 21. Jahrhundert den Sozialismus zu erreichen) und die Haltung zum vergangenen Sozialismus sei zu unkritisch.“283 Würde man die Diskussion ein Jahrzehnt später über das PDS-Programm von 2003 zusammenfassen, fiele die Bilanz ähnlich aus. Mit dem Programm von 1993 versuchte die PDS, die eigene Vergangenheit und die Ereignisse der letzten Jahre zu reflektieren und sich in der veränderten gesellschaftlichen Umwelt zu positionieren. Die Partei musste den Verlust der Macht, das Ende ihres Staates, den Beitritt zur Bundesrepublik, den Austritt der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder der SED und den Aufbau demokratischer Parteistrukturen verarbeiten. Einen Schwerpunkt der Politik der PDS sollte laut Programm die Vertretung ostdeutscher Interessen gegenüber „der zerstörerischen Tendenz kolonialistischer Anschlusspolitik“284 bilden. Die PDS setzte hier die spezifischen Interessen ihrer Klientel mit den Interessen der Menschen in der ehemaligen DDR gleich. Schon die Wortwahl der PDS zeigt, dass die Partei den innerdeutschen Ost-West-Gegensatz verschärfen und Ressentiments schüren wollte, um das Zusammenwachsen Deutschlands zu behindern, um von einer Vertiefung gesellschaftlicher Spannungen zu profitieren und um die politische Ordnung der Bundesrepublik zu destabilisieren. Im Programm war von einem Kalten Krieg in Deutschland die Rede, gleichzeitig wurde aber ausgeblendet, dass die SED für die meisten Missstände in der DDR und für deren Folgen ursächlich und verantwortlich war. Das Programm stellte einen von den verschiedenen Flügeln der PDS mühsam gefundenen Kompromiss dar, der das Ergebnis einer mehrjährigen Diskussion mit zahlreichen Positionspapieren, Artikeln und Konferenzen zur Programmatik war. Viele Formulierungen im Programm ließen Interpretationsspielräume zu, einige Fragen wurden bewusst offengelassen. An 283 284

Ebd., S. 9. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-47 (47).

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einigen Stellen des Programms wurde ausdrücklich festgestellt, dass es in der Partei zu bestimmten Punkten unterschiedliche Auffassungen gab. Andererseits äußerte Wolfgang Gehrcke, das Programm sei ein wichtiges politisches Signal, „dass die PDS kein Sammelbecken unterschiedlichster politischer Strömungen ist, sondern, dass die Pluralität der PDS auf einer gemeinsamen politischen Strategie und Grundorientierung beruht.“285 Im Mittelpunkt des 3. Parteitags der PDS, der vom 29. bis zum 31. Januar 1993 in Berlin tagte, stand die Diskussion über das neue Parteiprogramm. Dazu lagen dem Parteitag der Programmentwurf der Grundsatzkommission sowie einige weitere Entwürfe vor. Die Delegierten des Parteitags nahmen den Entwurf der Grundsatzkommission in namentlicher Abstimmung mit überwältigender Mehrheit an. Unter den 16 Delegierten, die mit Nein stimmten, waren mit Michael Benjamin, Eberhard Czichon, Lothar Hertzfeld und Sahra Wagenknecht führende Vertreter der Kommunistischen Plattform. In seinem Grundsatzreferat beim 3. Parteitag erläuterte Gregor Gysi die Gründe für die Notwendigkeit eines neuen Parteiprogramms: „Zwei strategische Ziele, die wir in der Vergangenheit verfolgen wollten, konnten nicht verwirklicht werden: Einen dritten Weg für die DDR, einen demokratischsozialistischen Weg, konnten wir nicht gehen. Wir streiten unter kapitalistischen Bedingungen in einer größeren Bundesrepublik Deutschland. Das allein verlangt schon nach einer neuen programmatischen Grundlage. Und wir haben es nicht geschafft, eine rasche Verankerung im Westen zu finden.“286 Der als neues Parteiprogramm angenommene Entwurf der Grundsatzkommission war in fünf Kapitel gegliedert: „Die gegenwärtige Welt“, „Das Scheitern des sozialistischen Versuchs“, „Sozialistische Erneuerung“, „Alternative Entwicklungswege“ und „Veränderungen mit der PDS – Selbstveränderung der PDS“. Im Programm beschrieb die PDS sich selbst als einen Zusammenschluss unterschiedlicher linker Kräfte, deren Eintreten für einen demokratischen Sozialismus an keine bestimmte Weltanschauung, Ideologie oder Religion gebunden ist.287 Auch an bestimmte Schichten oder Klassen wollte die Partei nicht mehr gebunden sein. Sozialismus wurde als ein Dreiklang von Ziel, Bewegung und Wertesystem definiert. Dabei beteuerte die PDS ihre kritische Verbundenheit zum Erbe von Marx und Engels, zu den vielfältigen Strömungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung sowie zu anderen revolutionären und demokratischen Bewegungen. Sie betonte, dem Antifaschismus verpflichtet zu sein. Ihre politische Arbeit und Willensbildung 285

Vgl. Gehrcke, Wolfgang: Diskussionsgrundlage zu den Ergebnissen des 3. Parteitages der PDS, in: PID, Nr. 7/1993, S. 2-4 (3). 286 Gysi, Gregor: Zur politischen Situation und zum Programm der PDS, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 14-31 (25 f.). 287 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-47 (36).

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wollte sie transparent gestalten und Toleranz gegenüber Andersdenkenden üben.288 In der Präambel des Programms behauptete die PDS, ihre Ursprünge lägen im Aufbruch des Herbstes 1989, als die Mitglieder aus der SED heraus dazu hätten beitragen wollen, die Gesellschaft der DDR umfassend zu reformieren.289 Gero Neugebauer und Richard Stöss kritisierten, dass an dieser Stelle diejenigen Parteimitglieder überhaupt nicht erwähnt wurden, die 1989 keinen Beitrag zur Reform leisten wollten, jedoch weiterhin der PDS angehörten.290 Damit war die abgewickelte „Dienstklasse“ gemeint, von der Dietmar Keller gesagt hatte, es habe in der Wendezeit ein regelrechtes Abkommen gegeben, demzufolge die Orthodoxen die politischprogrammatische Standortbestimmung durch die Reformer akzeptieren mussten.291 Das von der PDS angestrebte Wirtschaftssystem grenzte das Programm sowohl von der Zentralverwaltungswirtschaft als auch von der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik beziehungsweise von der jeweiligen Art der Realisierung dieser Konzepte ab. Dabei fiel die Kritik der Marktwirtschaft schärfer aus als die der Zentralverwaltungswirtschaft. Zwar habe es bei der Umsetzung der Zentralverwaltungswirtschaft Mängel gegeben, die Marktwirtschaft sei aber die Ursache der größten Menschheitsprobleme. Allerdings räumte die PDS ein, dass eine verabsolutierte Entgegensetzung von Plan und Markt zum Fehlen von Selbstregulierungsmechanismen in der Wirtschaft und zur Totalplanung geführt habe.292 In der Programmdebatte war unumstritten, dass die Bundesrepublik eine kapitalistische Ordnung habe. Diese Auffassung durchzog auch das Programm. Dort hieß es, der kapitalistische Charakter der bürgerlichen Staaten sei ursächlich verantwortlich für die Gefährdung der menschlichen Zivilisation und Kultur, für den militaristischen Charakter der internationalen Beziehungen, für die Krise der globalen Ökosphäre und für das unbeschreibliche Elend vor allem auf der südlichen Hemisphäre.293 Bei allen Meinungsverschiedenheiten – so im Programm verankert – war man sich in der PDS einig, dass die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden müsse: „Unterschiedliche Auffassungen bestehen hinsichtlich der Frage, ob die reale Vergesellschaftung von Eigentum primär durch die Vergesellschaftung der Verfügung über das Eigentum erreichbar ist oder ob der Umwandlung in Gemeineigentum, 288 289 290 291 292 293

Vgl. ebd., S. 47. Vgl. ebd., S. 36. Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 79. Vgl. Interview im Spiegel, Nr. 16/2000, S. 24. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-47 (39). Vgl. ebd., S. 36.

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insbesondere über gesamtgesellschaftliches Eigentum, die bestimmende Rolle zukommen muss.“294 Eva Sturm wies in ihrer Auseinandersetzung mit dem PDS-Programm darauf hin, dass die mangelnde Definition des Begriffs Kapitalismus es möglich mache, dass sich auch solche PDS-Mitglieder im Programm wiederfinden können, die Kapitalismus mit Marktwirtschaft gleichsetzen.295 Das Programm enthielt eine Reihe von Forderungen zum Umbau des deutschen Wirtschaftssystems. Es sollte durch Vorgabe sozialer und ökologischer Ziele umgestaltet und mit planerischen Mitteln demokratisch gesteuert und kontrolliert werden. Das Bankensystem sollte demokratisch kontrolliert und eine gesellschaftliche Investitionslenkung eingeführt werden. Kapital sollte auf gesellschaftlich formulierte Wirtschaftsziele gelenkt werden. Auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sollten Wirtschafts- und Sozialräte eingerichtet werden, um auf die Wirtschaftsentwicklung Einfluss zu nehmen.296 Die PDS forderte ein Recht auf soziale Grundsicherung, auf Wohnen und auf Arbeit. Einer der zentralen Streitpunkte in der PDS-Programmdebatte war die Frage, ob die Partei in Parlamenten konstruktiv mitarbeiten oder Parlamente nur beziehungsweise in erster Linie als Bühne für ihre Politik nutzen und sich als außerparlamentarische Opposition verstehen soll. Zwar schloss das Programm konstruktive parlamentarische Arbeit nicht aus, aber für entscheidend wurde der außerparlamentarische Kampf erklärt.297 Die PDS betonte, sich als Oppositionskraft profilieren zu wollen.298 Allerdings kann man die Formulierung, die PDS sei bereit, politische Verantwortung für radikale gesellschaftliche und ökologische Veränderungen zu übernehmen, als nicht näher konkretisierte Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung oder zur Tolerierung interpretieren. Wie ein roter Faden zog sich durch das Programm die Forderung nach Demokratisierung vieler Lebensbereiche, beispielsweise der öffentlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen, der Medien, des Arbeitslebens und vor allem der Wirtschaft. Gegen aus Sicht der PDS unerwünschte Entwicklungen sollte Widerstand geleistet und organisiert werden. Die PDS wollte sich gegen eine Aushöhlung des Grundgesetzes wehren. Vielmehr wollte sie helfen, die demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes zu verwirklichen und die Staatsziele und Grundrechte ausweiten um:

294

Ebd., S. 39. Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 192. 296 Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-47 (43). 297 Vgl. ebd., S. 47. 298 Vgl. ebd., S. 47. 295

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x x x x x

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x

„die Pflicht zu Abrüstung, Friedenssicherung und internationaler Hilfe; die Pflicht zu Erhaltung der natürlichen Umwelt; die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland; das Recht auf Arbeit, Wohnung, Bildung und soziale Grundsicherung; die Gleichstellung von Frau und Mann, die Pflicht zur Frauenförderung, das Recht der Frauen auf gleiche Teilhabe an allen gesellschaftlichen Aktivitäten, auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und auf selbstbestimmte Schwangerschaft; die Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen und ihre Förderung; die Bürgerrechte einschließlich des Wahlrechts für in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer; die Verpflichtung von Staat und Gesellschaft, jegliche juristische und gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität zu beenden und Bedingungen für die volle und gleichberechtigte Akzeptanz lesbischer Frauen und schwuler Männer und ihrer Lebensformen in der Gesellschaft zu schaffen; das Recht jedes Menschen auf selbstbestimmte Sexualität als einvernehmliche Beziehung unter Wahrung der Würde der Partnerin bzw. des Partners.“299

An mehreren Stellen des Programms zeigte sich, dass die PDS auf ihrem Weg zur Verwirklichung des Sozialismus tragende Säulen der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik schwächen beziehungsweise beseitigen wollte. So sollten alle Regelungen, die bestimmte Formen des Zusammenlebens juristisch oder finanziell privilegieren, also Ehe und Familie, aufgehoben werden.300 Die Gesamtschule sollte zum grundlegenden Schultyp werden.301 Selbst in den Individualverkehr wollte die PDS eingreifen. Individueller Straßenverkehr und Gütertransport auf der Straße sollten radikal vermindert werden. Pazifistisch gab sich die Partei in der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie forderte die Abschaffung der Bundeswehr und die Auflösung von NATO und WEU.302 Dass es der PDS um eine grundlegende Veränderung der Gesellschaftsordnung ging, bekannte sie im Programm offensiv: „In der PDS haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen 299

Ebd., S. 40. Vgl. ebd., S. 44. 301 Vgl. ebd., S. 45. 302 Vgl. ebd., S. 46. 300

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Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden.“303 Mit anderen Worten: Die gesamte Partei lehnte die politische und wirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik ab, die Reformer wollten allerdings die von der Rechtsordnung der Bundesrepublik selbst vorgesehenen Möglichkeiten und Verfahren zur Veränderung nutzen. In einem Kapitel ging das Programm relativ ausführlich – wenn auch selektiv – auf die Vergangenheit, insbesondere auf die Geschichte der SED, der DDR, der sozialistischen Staaten und der Arbeiterbewegung ein: Angesichts der Irrtümer, Fehler und Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, sei die PDS betroffen und nachdenklich. Die Partei wollte kritisch und im Bewusstsein ihrer eigenen Verantwortung für die Entstellung der sozialistischen Idee ihre geistige und politische Tradition befragen.304 Etwas verklausuliert hieß es, in der DDR sei die traditionelle Gewaltenteilung abgelehnt und der Sinn demokratischer Wahlsysteme missachtet worden. Die Rechtsprechung sei bevormundet, die Freiheit von Wissenschaft und Kultur sei verletzt und Medien seien gegängelt worden.305 Die PDS trennte den Aufbau des Sozialismus in der DDR als richtige Konsequenz aus Nationalsozialismus (im Programm als Faschismus bezeichnet) und Krieg und setzte ihn positiv ab von der „Restauration des Kapitalismus“ in der Bundesrepublik. Dieser grundsätzlich richtige Neuanfang sei deformiert worden durch den Stalinismus, der den Namen des Sozialismus missbraucht habe und den die Partei mit Willkür, Grausamkeit und Bürokratie assoziierte.306 Wenn die PDS im Programm auch von Verbrechen des Stalinismus sprach, so bestand sie doch auf der Legitimität der Gründung der DDR. Die Partei rechtfertigte die Legitimität der DDR vor allem mit dem Antifaschismus, der auch aus diesem Grund eine besondere Bedeutung für die PDS hatte. Sie stellte die Gründung der DDR der Gründung der Bundesrepublik gegenüber, die angeblich in einer kapitalistischen – und damit aus der Sicht der PDS auch faschistischen – Tradition stand: „Millionen Menschen setzten sich nach 1945 für den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung und für ein friedliebendes Deutschland in Überwindung des faschistischen Erbes ein. Das bedarf keiner Entschuldigung. Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und später das Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichlichen Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert war.“307

303

Ebd., S. 47. Vgl. ebd., S. 36. 305 Vgl. ebd., S. 39. 306 Vgl. ebd., S. 39. 307 Ebd., S. 38. 304

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Im Programm wurden zwar Fehler, Irrwege, Versäumnisse und selbst Verbrechen in der DDR erwähnt, jedoch nicht näher beschrieben. Auch wurde nicht benannt, wer diese Verbrechen begangen hat. Die aus Sicht der PDS positiven Seiten der DDR schilderte das Programm dagegen ausführlich und gleichzeitig beschönigend: „Zum Sozialismusversuch in der DDR gehören wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der Produktion im Interesse der werktätigen Bevölkerung, um ein solidarisches und friedliches Gemeinwesen auf deutschem Boden.“ Zu den Erfahrungen der DDR-Bürger hätten die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die weitgehende Überwindung von Armut, ein umfassendes soziales Sicherheitssystem, bedeutende Elemente sozialer Gerechtigkeit, insbesondere ein hohes Maß an sozialer Chancengleichheit im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in der Kultur und neue Rechte für Frauen und Jugendliche gezählt.308 DDR-kritisch hieß es, dass die DDR nicht von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde, nicht die Selbstbefreiung des Menschen gewährleistet hat und zum Scheitern verurteilt war.309 Schon im folgenden Absatz aber versuchte die PDS, die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der DDR zumindest teilweise unter Hinweis auf äußere Umstände zu entschuldigen beziehungsweise Ursachen für das Scheitern außerhalb des Einfluss- und Verantwortungsbereichs der DDR zu suchen: „Ostdeutschland entwickelte sich unter anhaltend ungünstigen äußeren Wirtschaftsbedingungen, litt unter dem Aderlass der Zahlung von 96 Prozent der Reparationen für ganz Deutschland und der Spaltung des gesamtdeutschen Wirtschaftssystems. Die Embargopolitik der westlichen Länder und dadurch begünstigte Autarkiebestrebungen schlossen die DDR weitgehend von der internationalen Arbeitsteilung außerhalb des RGW aus.“ (...) „Die DDR war einer Bedrohungs- und Konfrontationspolitik ausgesetzt. Die Beteiligung an dem von den kapitalistischen Ländern ausgehenden Wettrüsten verzehrte einen beträchtlichen Teil ihrer Wirtschaftskraft und beschleunigte den Niedergang.“310 Das Programm hielt an einer positiven Bewertung der russischen Oktoberrevolution fest. Der Oktoberrevolution verdanke die Menschheit grundlegend günstige Entwicklungen: „Sie hat den Zusammenbruch des Kolonialsystems befördert und dazu beigetragen, soziale und politische Zugeständnisse an die arbeitenden Menschen in den kapitalistischen Zentren durchzusetzen. Wesentlichen Anteil hatte die UdSSR an der Niederschlagung des deutschen Faschismus.“311 Eva Sturm sprach in ihrer Dissertation über die PDS mit Blick auf die Passage zur Oktoberrevolution von undifferenzierten, partiell auch historisch banalen Aussagen. Sie schrieb, es gebe kaum 308

Ebd., S. 38. Vgl. ebd., S. 38. 310 Ebd., S. 38. 311 Ebd., S. 38 f. 309

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irgendwelche welthistorischen Ereignisse, denen die Menschheit nicht auch irgendwelche günstigen Entwicklungen zumindest mitverdankt. Solche Aussagen seien als ein Zugeständnis an Personen aufzufassen, die die Oktoberrevolution verherrlichen wollen, wenn diese Interpretation auch nicht zwingend sei.312 In seiner Erläuterung zum Programmentwurf der PDSGrundsatzkommission stellte André Brie diesen in die Tradition der Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland von 1848, des Erfurter Programms der SPD und der Erklärung der KPD vom Juni 1945.313 Brie legte dar, dass die Programmkommission aufgrund ihres Konsensprinzips gezwungen war, „unterschiedliche Positionen zusammenzubringen, nicht selten Kompromisse einzugehen, Meinungsunterschiede auszudrücken oder auch an der einen oder anderen Stelle durch ziemlich allgemeine Formulierungen konkrete Unterschiede zu überdecken“314. Einig sei man sich in der Programmkommission darüber gewesen, eine weit über den bürgerlichen Parlamentarismus hinausweisende Demokratieentwicklung anzustreben.315 Brie sagte, die PDS wolle jenseits tagespolitischen Engagements und gemäßigter Rhetorik das langfristige sozialistische Ziel nicht aus den Augen verlieren. Einerseits teilte er – ohne sie beim Namen zu nennen – einen Seitenhieb in Richtung Kommunistischer Plattform aus, die zunächst einen eigenen Programmentwurf vorgelegt, diesen allerdings kurz vor dem Programmparteitag zurückgezogen hatte. Andererseits richtete sich Bries Kritik nicht gegen das sozialistische Fernziel der Kommunistischen Plattform, sondern gegen deren orthodox-marxistischen Duktus und das Fehlen kurz- und mittelfristiger Konzepte für Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel. Brie bemerkte dies auch im Hinblick auf Bündnispartner, auf die die PDS angewiesen war. Indem Brie sich gegen Anpassung an das politische System der Bundesrepublik und gegen Opportunismus aussprach, zeigte er, dass sich jenseits gemäßigter Rhetorik und tagespolitischen Engagements auch die PDSReformer nicht mit der gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik abgefunden haben: „Nicht die Fähigkeit und Bereitschaft zu fundamentalistischen und verbal-radikalen Formulierungen, sondern die Kultur und das Selbstbewusstsein eines ausdauernden Wirkens für antikapitalistische Veränderungen und sozialistische Ziele werden darüber entscheiden, ob wir eine sozialistische Partei sind und zur realen Überwindung der Profitherrschaft beitragen oder ob wir in einem der vielen Sümpfe von Machtgelüsten,

312

Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 110. Vgl. Brie, André: Zum Programm der PDS, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 32-35 (33). 314 Ebd., S. 34. 315 Vgl. ebd., S. 34. 313

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Opportunismus, Systemanpassung, Sektierertum, Selbstisolierung versacken werden.“316 Neugebauer und Stöss bilanzierten in ihrer Bewertung des PDS-Programms, insgesamt sei es vom Zwang geprägt, einen Kompromiss zwischen den ideologischen Positionen zu finden, den Forderungen nach Auflösung keine Grundlage zu bieten und die Partei zusammenzuhalten.317 Sie bemerkten zu den auf die Geschichte bezogenen Passagen des Programms, die PDS müsse auf dem schmalen Grat zwischen Bewahrung von Traditionen und Kritik an der SED-Herrschaft gehen. Dies erlaube ihr einerseits, sich große Teile ihrer Mitgliedschaft zu erhalten, andererseits aber den Eindruck zu vermeiden, sich der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte nicht stellen und zurück in die Vergangenheit zu wollen.318 Beispielsweise würden im Programm weder eigene ökonomische Mängel, wirtschaftsorganisatorische Schwächen oder falsche forschungspolitische Entscheidungen in der DDR noch die spezifischen Abhängigkeiten durch die Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion erwähnt.319 Dass die Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit die logische Konsequenz aus der Praxis des etablierten Herrschaftssystems gewesen sei, so Neugebauer und Stöss, habe ebenfalls nicht Eingang ins Programm gefunden. Hinsichtlich der Einschätzung der DDR halte sich das Programm bedeckt. Dies treffe vor allem auf den Komplex Staatssicherheit zu.320 Im sozialpolitischen Teil des historischen Kapitels des Programms zeige sich, wie wenig die PDS die internen und externen ökonomischen Bedingungen reflektiere, unter denen die ehemalige DDR als Wirtschaftsgebiet existierte.321 Eva Sturm sah im Programm einen Beleg dafür, dass 1993 von einer programmatischen Hegemonie der Modernen Sozialisten in der PDS keine Rede mehr sein konnte.322 Der SPD-Politiker Richard Schröder hielt das neue Programm im Vergleich zum Programm von 1990 nicht für einen weiteren Schritt weg von der SED, sondern eher für einen kleinen Schritt zurück.323 Ähnlich äußerte sich auch Viola Neu.324 Für Patrick Moreau war die zentrale Botschaft des Programms eine fundamentale Ablehnung des politischen und 316 317 318 319 320 321 322 323 324

Ebd., S. 34. Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 72. Vgl. ebd., S. 82. Vgl. ebd., S. 85. Vgl. ebd., S. 86. Vgl. ebd., S. 88. Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 195. Vgl. Schröder, Richard: SED, PDS und die Republik, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 10/1996, S. 912-921 (912). Vgl. Neu, Viola: Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus (Extremismus und Demokratie, Bd. 9). – Baden-Baden 2004, S. 174.

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gesellschaftlichen Systems der Bundesrepublik.325 Das Programm habe einen stark eklektizistischen Charakter und stelle eine bunte Mischung aus kommunistischen, grünen, sozialdemokratischen, feministischen sowie radikalund basisdemokratischen Elementen und Forderungen dar.326 Carmen Everts charakterisierte das Programm als eine Mischung aus Traditionalismus und Reformanspruch, aus Populismus und Ernsthaftigkeit, aus trotziger Beharrlichkeit und global-historischem Gestaltungswillen.327 Die Zeitung „Die Woche“ beschrieb das Programm als „wildes Sammelsurium orthodoxkommunistischer, reformsozialistischer und linksradikaler Politikkonzepte.“328 Um ein Höchstmaß an Integration zu erreichen und für möglichst viele Bürger wählbar zu sein, sei die PDS-Programmatik, so Gerd Langguth, bewusst vage gehalten.329 Auch Reformer beurteilten das Programm kritisch. Michael Nelken bemängelte, die Zugeständnisse an die DDR-nostalgische, konservative und bisweilen restaurative Grundstimmung in der Programmdebatte seien übertrieben gewesen.330 Ein Autor der PDS-nahen Theoriezeitschrift „Utopie kreativ“ lobte, es sei „gelungen, ein modernes, in wesentlichen Fragen auf der Höhe der Zeit stehendes, linkes Parteiprogramm zu gestalten, das aber auch mit all den Inkonsequenzen und Halbheiten behaftet ist, die das politische Spektrum innerhalb der Partei aufweist.“331 André Brie und Dieter Klein konstatierten rückblickend, im Programm von 1993 seien unterschiedliche Ansätze wie in einem Warenhauskatalog beziehungslos aufgezählt worden.332 Die Ökologische Plattform in der PDS hielt die Berücksichtigung der Umweltpolitik sowohl im Programm als auch in den übrigen Programmentwürfen für unzureichend. Ein Beitrag eines Vertreters der Ökologischen Plattform zur Programmdebatte erklärte die Aufgabe des größten Teils unseres Industriesystems und einen drastischen Konsumverzicht für notwendig.333

325 326 327 328 329

330 331 332 333

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Vgl. Moreau, Patrick: Was will die PDS? – Frankfurt/Main 1994, S. 70. Vgl. ebd., S. 69. Vgl. Everts, Carmen: Politischer Extremismus: Theorie und Analyse am Beispiel der Parteien REP und PDS. - Berlin 2000, S. 262. Seils, Christoph: Fahrziel offen, in: Die Woche v. 7.8.1998. Vgl. Langguth, Gerd: „Ob friedlich oder militant – wichtig bleibt der Widerstand“. Die PDS sucht enge Verbindung zu den verschiedenen Spielarten des Linksextremismus, in: FAZ v. 14.9.1995. Vgl. Nelken, Michael: Schwierigkeiten einer Emanzipation vom Stalinismus. Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 65/1996, S. 41-48 (47). Hopfmann, Arndt: „Unter den Übermütigen ist immer Streit; aber Weisheit ist bei denen, die sich raten lassen, in: Utopie kreativ, Nr. 27-28/1993, S. 166-169 (166). Vgl, Brie, André/Klein, Dieter: Die Tabus abschaffen, in: Freitag, Nr. 6/1999 v. 5.2.1999. Vgl. Ferst, Marko: Wieviel Ökologie braucht der Mensch?, in: Disput, Nr. 21/1992, S. 13-15 (13).

Das Programm von 1993 schloss gewissermaßen die erste Phase der PDSGeschichte ab und orientierte die Partei auf die Politik im vereinten Deutschland. Der Akzent lag auf der Interessenvertretung für die östlichen Bundesländer. Die Parteiführung war überzeugt, dass sie ihre Rolle als „Ostpartei“ in den östlichen Landtagen stärken müsse, bevor die Westausdehnung gelingen konnte. Tatsächlich ging die PDS aus den folgenden Landtagswahlen in den östlichen Ländern deutlich gestärkt hervor.

3.3. Kommentar zur Programmatik der PDS Spätestens 1997 kündigten führende Reformer den innerparteilichen programmatischen Kompromiss auf, indem sie einen umfangeichen Kommentar zur Programmatik der PDS verfassten. Dieser Kommentar wurde von einem Autorenkollektiv von Reformern geschrieben. Die Autoren waren André Brie, Michael Brie, Judith Dellheim, Thomas Falkner, Dieter Klein, Michael Schumann und Dietmar Wittich. Schon zwei Jahre vor Erscheinen des Kommentars hatte Gerhard Branstner eine programmatische Undurchsichtigkeit kritisiert, da das PDS-Programm sowie diverse andere, zum Teil einander widersprechende, programmatische Beschlüsse der Partei und programmatische Stellungnahmen einzelner PDS-Politiker mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stünden: „Wir haben ein nach wie vor gültiges Parteiprogramm. Überdies haben wir ein „Ingolstädter Manifest“, wir haben „Zehn Thesen …“ und „Fünf Punkte“ und ein Strategiepapier. Und keiner sagt, wie sich diese Papiere zueinander verhalten. Sie verhalten sich überhaupt nicht zueinander. Sie ergänzen sich nicht, sie widersprechen sich nur.“334 Es gab also auch vor dem Kommentar zur Programmatik schon mehrere Vorstöße der Reformer, sich vom Programm von 1993 zu lösen. Zwar war der Kommentar zur Programmatik nicht durch einen Parteitags- oder Parteivorstandsbeschluss demokratisch legitimiert, dennoch sollte er den Eindruck eines offiziellen Parteidokuments erwecken, denn er wurde vom PDS-nahen Bildungsverein „Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung“, dem Vorläufer der Rosa-Luxemburg-Stiftung, herausgegeben und enthielt ein Vorwort des PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky. Ursprünglich sollte der Kommentar aus Thesen und Antithesen zur PDSProgrammatik bestehen.335 Damit hätte der Kommentar dem pluralistischen Charakter der Partei entsprochen und unterschiedliche Interpretationsmöglich334

Branstner, Gerhard: Worum geht es? Einführende Bemerkungen zur Gründung des „Marxistischen Forums“ am 29. Mai 1995, in: Ders.: Rotfeder. Die Todsünden des „realen Sozialismus“ und andere Welterfahrungen. – Berlin 1998, S. 14-20 (19). 335 Vgl. Fehst, Georg: Bundesvorstand erörterte Ausarbeitung eines Strategie-Papiers, in: PID, Nr. 21/1995, S. 6 f. (7).

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keiten des Programms aufgezeigt. Ob der Kommentar, der eine einseitige Deutung – um nicht Umdeutung zu sagen - des Programms im Sinne der Reformer war, bei einem Parteitag eine Mehrheit hätte erhalten können, erscheint zumindest fraglich. Uwe-Jens Heuer bemerkte zum unklaren Charakter des Kommentars zur Programmatik zutreffend: „Dieser Kommentar war etwas seltsam. Nirgendwo stand, was er eigentlich kommentieren sollte. Ein Kommentar zum geltenden Programm war er nicht, weil in vielen Dingen die Lage ganz anders gesehen wurde. Ein anderes Programm, das hätte kommentiert werden können, gab es nicht.“336 Ingo Wagner kritisierte, der Kommentar ziele nicht auf das geltende Programm, sondern bereits auf ein neues.337 Er meinte, die Reformer hätten das Programm von 1993 bereits mit seiner Verabschiedung zu Altpapier erklärt und kontinuierlich daran gearbeitet, es de facto außer Kraft zu setzen.338 Das Vorgehen der Reformer zeigte deutlich, dass die PDS in eine neue Phase ihrer Geschichte eingetreten war. Mit der Duldung der rot-grünen Koalition in Magdeburg 1994 begann der Weg zurück an die Macht. Die nächste Phase der Anpassung der Programmatik an die neue Konstellation war aus Sicht der Reformer notwendig. Dazu bedienten sie sich des Kommentars zur Programmatik. Ihr Vorgehen erinnerte an die Praxis der SED, die in ihrem Parteiverlag „Wörterbücher“ – das bekannteste war das „Kleine politische Wörterbuch“ – veröffentlichte, in denen Schlüsselworte und Begriffe parteiamtlich definiert wurden. Der Kommentar zur Programmatik war in vier Teile gegliedert: x „Sozialismus. Ursprünge, Widersprüche, Wandlungen.“ x „Wo wollen wir hin? oder: Zwischen Alltagsarbeit realitätsgebundenen Visionen.“ x „Wer kann etwas verändern?“ x „Herkunft, Anspruch und Selbstverständnis der PDS.“

und

Ausgangspunkt des Kommentars und Biskys Plädoyers für eine Programmdebatte war folgende, von ihm in seinem Vorwort geäußerte Überlegung: „Manche Aussagen des 93er Programms sind bewusst als Kompromiss formuliert, manche Probleme ausgelassen worden; zu anderen Fragen konnte damals nur festgehalten werden, dass wir auf keinen 336

Heuer, Uwe-Jens: Zur Programmdiskussion in der PDS, in: Marxistischer Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS (Hg.): Linke Programmdebatte in der Bundesrepublik Deutschland (Geschichte und Gesellschaft, Bd. 5). – Schkeuditz 2001, S. 58-85 (65). 337 Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 38. 338 Vgl. ebd., S. 71.

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gemeinsamen Nenner gekommen waren.“ (...) „1993 war es noch akzeptabel zu begründen, warum so kurz nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus noch nicht alle Gründe dafür präzise formuliert und einige Fragen nicht zu beantworten waren.“ (...) „Das damalige Programm war aus der Not geboren, Erneuerung und auch den programmatischen Bruch mit der SED festzuschreiben. Umso wichtiger ist es, ohne Zeitdruck und unmittelbare äußere Zwänge zu prüfen, an welchen Stellen Lücken sind, was präzisiert werden kann oder neu formuliert werden muss.“ (...) Der Kommentar enthalte Angebote vor allem x x x x x

zum Verhältnis von sozialistischer Politik und Menschenrechten, zum Stellenwert der Ökologie für sozialistische Politik, zu Grundkoordinaten für eine radikale Reformperspektive, zu Schlussfolgerungen aus der sozialstrukturellen Entwicklung und den sozialen Lagen vor allem in Ostdeutschland für die Frage nach den potentiellen Akteuren gesellschaftlicher Veränderungen, zu Schlussfolgerungen aus der Analyse der kommunistischen Bewegung, der Geschichte der SED und der PDS sowie des Verhältnisses zur marxistischen Tradition.339

Gleich am Anfang des ersten Teils des Kommentars gingen die Autoren ausführlich auf Moderne-Konzeptionen ein, außerdem auf das Verhältnis des Sozialismus zu anderen geistigen Strömungen, auf soziale Fragen in Geschichte und Gegenwart sowie auf das sozialistische Verständnis von Eigentum und Macht. Im zweiten Teil wurden praktisch-politische Optionen der PDS in der Bundesrepublik diskutiert. Im dritten Teil widmeten sich die Autoren der veränderten und sich weiter verändernden Sozialstruktur und den sich daraus für die PDS ergebenden Handlungsmöglichkeiten. Teil vier setzte sich mit der Geschichte auseinander und bezog sich dabei besonders auf Reformdiskurse in der SED als Quellen des Selbstverständnisses und der Politik der PDS. Lothar Bisky schrieb zwar in seinem Vorwort zum Kommentar, dieser erhebe keinerlei Anspruch auf eine verbindliche Auslegung des Programms, sondern stelle ein Angebot zur Diskussion dar, machte allerdings keinen Hehl daraus, dass er selbst sich mit dem Inhalt des Kommentars identifizierte.340 Bisky sprach sich für eine breite programmatische Debatte in der gesamten Partei aus. Ziel sollte sein, etwa um die Jahrtausendwende ein neues Programm zu beschließen. In ihren Vorbemerkungen äußerten sich die Autoren zum Anliegen des Kommentars. Demnach sollte der Kommentar kein Entwurf eines neuen 339

Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e. V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 9. 340 Vgl. ebd., S. 7.

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Programms sein, sondern ein Beitrag neben anderen innerhalb eines kollektiven Denk- und Diskussionsprozesses, den die Linke in Deutschland und Europa dringend brauche.341 Zumindest mit einem Lippenbekenntnis befürworteten die Autoren also eine pluralistische Debatte. Der tatsächliche Debattenverlauf und der Umgang mit dem Kommentar zeigten jedoch, dass sie für den Kommentar eine herausragende Stellung innerhalb der Beiträge zur Programmdiskussion beanspruchten. Ihrem gesamten Verhalten in der Programmdebatte nach zu urteilen, war ihr Ruf nach einem kollektiven Denk- und Diskussionsprozess der Linken ernsthaft offensichtlich nur an von ihnen als progressive Linke eingeschätzte Kreise inner- und außerhalb der PDS, nicht jedoch an die Orthodoxen gerichtet. Schon auf der ersten Seite der Vorbemerkungen der Autoren zum Kommentar hoben diese die besondere Bedeutung Antonio Gramscis für die PDS hervor. Die PDS wolle ein Teil im Kampf um die Erringung einer Hegemonie der Linken in Deutschland sein. Der Kommentar solle deswegen versuchen, die Frage zu beantworten, wie Schritte zur Formierung eines historischen Blocks – eine Formulierung Gramscis – aussehen könnten, um eine gesellschaftliche Transformation politisch einzuleiten.342 Zur Überwindung konservativer und neoliberaler Hegemonie bedürfe es eines neuen hegemonialen Blocks links von der herrschenden Politik, in dem die SPD die entscheidende Rolle spielen müsse.343 Ein Beobachter der PDS übersetzte, dass die Partei mit konservativer und neoliberaler Hegemonie die politische Kultur der Bundesrepublik und die Marktwirtschaft meine.344 Der Weg zur Hegemonie führte für die Autoren des Kommentars über eine Umwertung der Werte beziehungsweise über eine Uminterpretation von Begriffen: „Damit der Kampf um die Veränderung der Wirklichkeit gewonnen werden kann, muss vor allem der Kampf um die Interpretation dieser Wirklichkeit und die Art, über sie zu sprechen, sie darzustellen und wahrzunehmen, gewonnen werden. Die Ohnmacht steckt nicht so sehr in den realen Verhältnissen als in der Art ihrer Wahrnehmung und der Akzeptanz dieser Ohnmacht durch die Mehrheit der Bevölkerung.“345 Die Autoren des Kommentars gingen ausführlich auf die veränderte Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung und auf die Veränderung des Wirtschaftssystems beispielsweise durch Zunahme des Wertpapiereigentums in 341

Vgl. ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 11. 343 Vgl. ebd., S. 318. 344 Vgl. Winckler, Stefan: Die PDS im Jahre 2002, in: Jebens, Albrecht/Winckler, Stefan (Hg.): In Verantwortung für die Berliner Republik. Ein freiheitlich-konservatives Manifest. Festschrift für Klaus Hornung zum 75. Geburtstag. - Berlin 2002, S. 136-155 (142). 345 Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 349. 342

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Arbeitnehmerhänden oder durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ein. Sie schrieben, dass man in der heutigen Bundesrepublik nicht mehr vom Bestehen von Klassen im marxistischen Sinne sprechen kann, dass sich die Klassenstruktur der Gesellschaft geändert hat. Bei der Analyse der gegenwärtigen hochdifferenzierten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ging der Kommentar davon aus, dass eine formale Lohnabhängigkeit einerseits und Eigentum an Firmen, Aktien, Immobilien und so weiter andererseits nicht die alleinigen Kriterien sein können, die eine eindeutige Zuordnung zu einer Klasse erlauben.346 Hinzu komme ein Rückgang von Normalarbeitsverhältnissen durch geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse und dadurch bedingte öftere Arbeitsplatzwechsel. Dies gehe einher mit wachsenden Zukunftsängsten und dem Erfordernis lebensbegleitender beziehungsweise lebenslanger Weiterbildung. Zu den sich für eine wachsende Anzahl von Menschen widersprüchlich entwickelnden Soziallagen hieß es im Kommentar: „Man kann Arbeitsloser sein und Hausbesitzer und Vermieter, man kann eine gut bezahlte Stellung haben und an einer chronischen Krankheit leiden, man kann hochqualifiziert sein und ein niedriges Einkommen haben, man kann einen relativ gut bezahlten Zeitjob haben und zugleich nicht wissen, was im nächsten Jahr wird.“347 Es hätten sich zwischen Gruppen, Schichten oder Klassen in der heutigen Gesellschaft ungleiche Positionen und Chancen in bezug auf die sozialen Lagen, die Verfügung über Einkommen und Vermögen, die Zugänge zu Bildung und Qualifikation, den gesellschaftlichen Einfluss, die Freiräume zur Lebensgestaltung und so weiter gebildet.348 Die komplizierte soziale Struktur moderner Gesellschaften könne nicht auf das Raster von Klassenstrukturierung reduziert werden, sondern habe vielfältige Strukturebenen: Geschlechter, Generationen, Besitz, Bildung und Qualifikation, Prestige, soziokulturelle Milieus, Soziallagen und anderes. Trotzdem seien allerdings aktuelle Ausdifferenzierungen sozialer Ungleichheit nicht ohne die Dimension von Klassenlagen zu erklären.349 Die Autoren resümierten, ein radikaler Abschied von allen Mythen aus dem Bilderbuch der Klassenkampfgeschichte sei geboten: „Klassen handeln – vermutlich – als solche nicht.“350 Die Betrachtung der Gesellschaft der Bundesrepublik endete mit dem Fazit: „Wer heute auf eine wie immer geartete „historische Mission“ setzt, dem wird es gehen wie jenen, die auf Godot warten, der kommt nicht, und möglicherweise gibt es ihn überhaupt nicht.“351

346 347 348 349 350 351

Vgl. ebd., S. 231. Ebd., S. 196. Vgl. ebd., S. 201. Vgl. ebd., S. 223. Ebd., S. 240. Ebd., S, 241.

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Gleichzeitig beteuerten die Autoren aber, weder die Existenz von Klassen noch von Klassenkämpfen leugnen zu wollen.352 Die Bundesrepublik wurde von den Autoren als nicht nur kapitalistische, sondern auch moderne Gesellschaft beschrieben. Sie sei kapitalistisch, weil ihre Entwicklung durch Kapitaleigentum und Profit dominiert werde, zugleich auch modern, da sie über Institutionen mit dem Charakter von Entwicklungs- und Evolutionspotentialen verfüge. Dies verleihe ihr grundsätzlich den Charakter einer offenen, entwicklungs- und reformfähigen Gesellschaft.353 Die These der Autoren von der kapitalistischen und zugleich modernen Gesellschaft rief heftige Kritik der Orthodoxen hervor, da sie hinter dem Wort modern ein verdecktes Abrücken von der grundsätzlichen Systemopposition der PDS vermuteten. Tatsächlich leiteten die Reformer von der Annnahme, die Bundesrepublik sei eine moderne, also entwicklungs- und reformfähige Gesellschaft, die Begründung für konstruktive Mitarbeit in Parlamenten und Regierungsbeteiligungen ab. Ein Kapitel des Kommentars widmete sich ausführlich der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR und der sozialistischen Bewegung sowie den Ursachen für deren Scheitern: Die Autoren nannten sowohl Hitler als auch Stalin terroristische Führer. Allerdings seien die terroristischen Exzesse des Stalinismus letztlich durch reformerische Potentiale des realen Sozialismus zurückgeführt worden. Unter den Bedingungen der Perestroika hätten sich die reformerischen Potentiale gegen die totalitären Elemente behauptet. Anders als die faschistischen Regime hätten die realsozialistischen Gesellschaften den Keim ihrer (demokratischen) Selbstüberwindung in sich getragen. Die Autoren begründeten diese Auffassung mit den dem Sozialismus zugrundeliegenden Werten und damit, dass der stalinistisch verfasste reale Sozialismus zwar nicht demokratisch gewesen sei, aber aus universellen humanistischen und emanzipatorischen Werten seine ideologische Legitimation zu beziehen versucht habe. Dies unterscheide ihn prinzipiell vom Nationalsozialismus, der seine ideologische Legitimation bei extrem nationalistischen, antisemitischen, rassistischen, elitären, antihumanistischen und antiemanzipatorischen Leitbildern gesucht habe. Während selbst der stalinistisch geprägte Sozialismus stets auf aufklärerische, rationale und wissenschaftliche Traditionen Anspruch erhoben habe, habe sich der Faschismus auf mythische, irrationale und anti-intellektuelle Ansätze bezogen.354 Die Autoren meinten also, der Totalitarismus in den sozialistischen Staaten habe sich nach dem Tod Stalins beziehungsweise nach dem XX. Parteitag der KPdSU zu einer milderen Form diktatorischer Herrschaft entwickelt. Ähnliche Überlegungen gewannen seit den sechziger Jahren auch in 352

Vgl. ebd., S. 303. Vgl. ebd., S. 135. 354 Vgl. ebd., S. 254 f. 353

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Westdeutschland an Bedeutung. Umstritten waren sie damals wie heute. Dagegen argumentierte beispielsweise Karl Graf Ballestrem: „Dass die Herrscher von Zeit zu Zeit, nach eigenem Gutdünken oder unter dem Druck der Umstände, gewisse Freiheiten gewähren, bereitet der Totalitarismus-Theorie keine Schwierigkeiten. Es kommt aufs Prinzip an: Solange die Partei- und Staatsführung mit dem Anspruch der Allkompetenz auftritt und die Bürger keine einklagbaren Freiheitsrechte besitzen, ist ein System grundsätzlich totalitär. Solange es in einem Staat weder eine unabhängige Justiz noch eine legale Opposition und daher auch keine gesicherten Grundrechte gibt, sollte man nicht von „Liberalisierung“ sprechen.“355 Um sowohl die Idee des Sozialismus als auch die Biographien der eigenen Klientel zu retten, versuchten die Autoren, einen gewissermaßen wahren Sozialismus vom real existierenden Sozialismus zu trennen. Die DDR habe sich zwar sozialistisch genannt, sei aber nicht wirklich sozialistisch gewesen. Die Missstände in der DDR seien also gerade nicht Folge des Sozialismus gewesen: „Was uns an der DDR störte, war nicht das Zuviel an Sozialismus, sondern das Zuwenig davon, war der Widerspruch zwischen den emanzipatorischen Zielen, die wir mit der DDR verbanden, und den bornierten Mitteln, die politische Unterdrückung, ideologische Bevormundung, Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen und Mangelwirtschaft einschlossen.“356 Zu ihren Zukunftsvorstellungen und Zielen äußerten sich die Autoren des Kommentars radikal: Die neuen sozialen Probleme seien nur lösbar, „wenn eine radikale Umgestaltung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse eine Qualität gewinnt, die weit über jenes Maß hinausgeht, das in den letzten 150 Jahren erreicht wurde und der Vorherrschaft der Kapitalinteressen ein Ende macht.“357 Einer der wichtigsten Streitpunkte in der Programmdebatte war die Frage der Einschätzung und Bewertung des Unternehmertums durch die PDS. Der Kommentar erkannte – zumindest auf absehbare Zeit – die Notwendigkeit von Unternehmertum an, da auf die Innovationskraft und Risikobereitschaft des Unternehmertums nicht verzichtet werden solle und könne. Ziel der PDS solle nicht sein, das Kapitaleigentum zu beseitigen, sondern es aufzuheben. Eine solche Aufhebung könne in beträchtlichem Maße dadurch geschehen, dass die Wahrnehmung der Verfügungsrechte der Kapitaleigentümer in eine andere Richtung als bisher gelenkt wird: „Nicht vorwiegend Enteignung ist der Zauberschlüssel, sondern die Veränderung des Rahmens für die 355

Ballestrem, Karl Graf: Aporien der Totalitarismus-Theorie, in: Jesse, Eckhard (Hg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 336). - Bonn 1996, S. 237-251 (241). 356 Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 14. 357 Ebd., S. 65.

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Verfügungsrechte über das Eigentum.“358 Die Autoren plädierten dafür, Unternehmer in der Regel nicht zu enteignen und Gewinn als unternehmerisches Effizienzkriterium nicht zu beseitigen. Doch dies sollte offensichtlich nur in den Fällen gelten, in denen Unternehmer ihr Verhalten an den Vorstellungen der PDS ausrichten. Andernfalls sollten enteignungsgleiche Eingriffe drohen: „Überall dort allerdings, wo das Kapitaleigentum sich der im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialbindung des Eigentums entzieht und der Bewahrung der Natur nicht entspricht, wo es zu Unternehmensentscheidungen und Einflüssen auf gesellschaftliche Prozesse führt, die möglichen sozialen, ökologischen und antipatriarchalischen Fortschritten zuwiderlaufen und sie vielfach in ihr Gegenteil verkehren, sind die negativ Betroffenen zu institutionellen Veränderungen herausgefordert, die eine Einschränkung der Verfügungsrechte der Eigentümer bewirken. Wenn etwa Immobilieneigentum durch Mietwucher Teile des gewerblichen Mittelstandes ruiniert, für rund eine Million Obdachlose in der Bundesrepublik keine Lösung anbietet und die Ängste von Millionen um das Dach über dem Kopf ständig vergrößert, muss in die Verfügung über Grund und Boden durch Boden-, Pacht- und Mietrecht und auf andere Weise nachdrücklich regulierend eingegriffen werden. Wenn Banken immer mehr Kapital unkontrollierbar in internationalen spekulativen Geschäften anlegen und mit ihrer Wirtschaftsmacht die Regulationspotentiale des Staates erodieren, liegen analoge Überlegungen nahe.“359 Die Autoren bekannten sich dazu, die von der PDS anzustrebenden Umwälzungen auf dem Boden des Grundgesetzes erreichen zu wollen.360 Das Grundgesetz könne und müsse als Chance auch für linke Politik begriffen werden.361 Allerdings schränkten sie ein, sie wollten sich den Forderungen des Grundgesetzes nicht einfach anpassen oder den Festlegungen des Parteiengesetzes opportunistisch unterwerfen, die von den Parteien Verfassungstreue verlangen, sondern fortschrittliche, demokratische und liberale Inhalte des Grundgesetzes aufgreifen und gegen die Verfassungsrealität und die Politik der etablierten Parteien verteidigen.362 Die Debatten über das Selbstverständnis der PDS seien noch nicht abgeschlossen, betonten die Autoren: „nicht hinsichtlich des Verhältnisses zur eigenen Geschichte, zur DDR und zur SED, nicht hinsichtlich des sozialistischen und des antikapitalistischen Charakters der PDS, nicht hinsichtlich ihres Verhältnisses zur bürgerlichen und kapitaldominierten Gesellschaft in der BRD und des eigenen Oppositionsverständnisses und nicht hinsichtlich der Beziehung zwischen Parteicharakter und der Öffnung 358

Ebd., S. 127 f. Ebd., S. 130. 360 Vgl. ebd., S. 131. 361 Vgl. ebd., S. 311. 362 Vgl. ebd., S. 311 f. 359

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gegenüber gesellschaftlichen Bewegungen.“ Allerdings lasse sich aus dem PDSProgramm von 1993 und aus dem Statut der Partei ein grundsätzlicher, wenngleich sehr allgemeiner und in der politischen Praxis längst noch nicht eingelöster Konsens in fünf Richtungen eines oppositionellen und alternativen Charakters ableiten: „1. als sozialistische und antikapitalistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland; 2. als Partei der sozialen Gerechtigkeit, die um die Überwindung der konservativen und neoliberalen Hegemonie in der BRD ringt, Widerstand gegen den gegenwärtigen Sozial- und Demokratieabbau und die Blockierung eines ökologischen Wandels entwickeln will; 3. als Partei, die den außerparlamentarischen Kampf als entscheidend ansieht und außerparlamentarische Opposition, gesellschaftliche Bewegungen stärken will; 4. als Partei, die die anhaltende Zentralisierung von Macht und Finanzen zuungunsten einer politischen und finanziellen Stärkung der Kommunen und Regionen stoppen will, sich daher gewissermaßen als Bestandteil kommunaler gesellschaftlicher Opposition sieht; 5. als Partei, die gegen die Diskriminierung der Ostdeutschen eintritt und Erfahrungen aus dem Leben in der DDR gesellschaftsgestaltend einbringen will.“363 Für Patrick Moreau war der Kommentar zur Programmatik der PDS ein Beleg dafür, dass die Partei den Bezugsrahmen des Marxismus nie wirklich aufgegeben habe und moderne, den Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie oder der Psychologie entliehene Elemente in synkretistischer Form in eine neomarxistische Vulgata integriere.364 2000 veröffentlichten einige Reformer ein weiteres Buch zur Programmatik mit dem Titel „Reformalternativen – sozial, ökologisch, zivil“. Autoren waren Joachim Bischoff, Judith Dellheim, Dieter Klein, Bernd Schneider, Klaus Steinitz und Florian Weiß, Herausgeberin die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Eingangs fragten die Autoren, ob eine Neue Linke zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Zukunft hat und in der Lage sein wird, „in strikter Abgrenzung von den neoliberal-konservativen Reaktionen auf die Umbrüche seit Mitte der siebziger Jahre und in kritischer Distanz zum Dritten Weg der neuen Sozialdemokratie einen anderen, alternativen Entwicklungsweg herauszufinden? Wird sie Mehrheiten für die Eckpunkte eines alternativen 363 364

Ebd., S. 307 f. Vgl. Moreau, Patrick: „Kulturelle Hegemonie“ – Gramsci und der Gramscismus, in: Backes, Uwe/Courtois, Stéphane (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“. Das Erbe kommunistischer Ideologien. – Köln 2002, S. 259-283 (281).

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Reformprojekts gewinnen können, so dass es in einem voraussichtlich langen Such- und Lernprozess Schritt für Schritt zu verwirklichen sein wird?“ Der Band wolle ein von diesen Fragen bestimmtes Diskussionsangebot über Wege in eine andere Gesellschaft sein, „die den Anforderungen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu entsprechen vermag und die schließlich eine Gestalt annehmen könnte, die als demokratischer Sozialismus zu bezeichnen wäre“365. Die Orthodoxen reagierten auf den Kommentar und auf den Band „Reformalternativen“ mit einigen eigenen Sammelbänden zur Programmatik, von denen der wichtigste „Nachdenken über Sozialismus“366 war. Die programmatischen Bücher der Reformer und der Orthodoxen wurden vom Parteivorstand und von den meisten parteinahen oder der PDS gehörenden Medien ungleich behandelt. Beispielsweise wurde der Kommentar der Reformer von der PDS kostenlos an zahlreiche Parteigliederungen abgegeben, um die Programmdiskussion an der Basis zu intensivieren und in die von den Reformern vertretene Richtung zu lenken, vergleichbare Veröffentlichungen der Orthodoxen hingegen nicht.

3.4. Parteiprogramm von 2003 Die 1. Tagung des 6. Parteitags der PDS, die Ende Januar 1999 in Berlin stattfand, fasste einen Beschluss zur Organisation einer programmatischen Debatte. Dieter Klein hielt beim Parteitag eine Rede, in der er den Antrag zur programmatischen Debatte begründete. In dieser Rede führte er aus, warum die PDS eine programmatische Diskussion brauche. Als ersten Grund nannte er: „Tiefe Umbrüche – der Beschäftigungsverhältnisse, der Erosion des Sozialstaates, zwischen Gesellschaft und Natur, durch die neuen Hochtechnologien, durch EU und Globalisierung – verändern die politischen Handlungsbedingungen derart gravierend und in solchem Tempo, dass unsere im Parteiprogramm und in den letzten Jahren vorgelegten Politikangebote auf Hauptfeldern der Entwicklung weiterer Ausarbeitung dringlich bedürfen.“367 Der Parteitag beschloss, eine für die Gesamtpartei repräsentative Programmkommission zu bilden. Diese erhielt den Auftrag, bis zum 30. Juni 365

Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil (Schriften, Bd. 2). – Berlin 2000, S. 9. 366 Höpcke, Klaus/Krusch, Hans-Joachim/Modrow, Hans: Nachdenken über Sozialismus. Schkeuditz 2000. 367 Klein, Dieter: Eckpunkte einer linken Reformalternative ausarbeiten, in: Parteivorstand der PDS. Programmkommission (Hg.): Zur programmatischen Debatte der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 1999, S. 48-55 (48).

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1999 einen „Standpunkt zum Umfang der Programmdebatte“ zu erarbeiten, zu beschließen und zu veröffentlichen. Danach sollte sie bis zum 31. Oktober 1999 Thesen mit Standpunkten, Problemstellungen und Fragen für die Programmdebatte vorlegen. Gemeinsam mit dem Parteivorstand sollte die Programmkommission einen basisdemokratischen und öffentlichen Diskussionsprozess organisieren. Der Beschluss zur Organisation der programmatischen Debatte sah vor, dass die Programmkommission sich insbesondere mit folgenden Themen befassen sollte: x x x x x x x

„Globalisierung, tiefgreifende Umbrüche in den Weltwirtschaftsverhältnissen und internationalen Finanzbeziehungen, Kapitalinteressen und Konsequenzen für linke Politik; Umbrüche im System der Arbeit und die Erneuerung sozialer Sicherungssysteme; Nachhaltigkeit, die Veränderungen in der Produktions- und Lebensweise und die neuen Ansätze für linke Politik; Menschenrechte verwirklichen/selbstbestimmte Lebensführung/barrierefreie Gesellschaft; Neoliberalismus und Strategien der neuen Koalition, Voraussetzungen und Chancen für eine Demokratisierung der Demokratie, d.h. für eine grundlegende Demokratisierung von Staat und Gesellschaft; Moderne Mediengesellschaft, Kultur- und Wertewandel; Entwicklung der Europäischen Union.“368

Beim Parteitag wurde auch die Zusammensetzung der Programmkommission beschlossen. 17 Mitglieder sollten der Kommission angehören, im Einzelnen: „a. acht Vertreterinnen und Vertreter, die vom neu gewählten Parteivorstand benannt werden, darunter der Bundesvorsitzende und der Bundesgeschäftsführer b. ein/e Vertreter/in der Kommunistischen Plattform c. ein/e Vertreter/in des Marxistischen Forums d. eine Vertreterin der Frauenarbeitsgemeinschaft Lisa e. ein/e Vertreter/in der Jugendstrukturen in und bei der PDS f. ein/e Vertreter/in der Ökologischen Plattform g. zwei Vertreterinnen/Vertreter für die Landesverbände der PDS in den westlichen Bundesländern (mindestens eine von ihnen weiblich), die von den Parteitagsdelegierten aus den westlichen Bundesländern spätestens auf der 2. Tagung des 6. Parteitages gewählt werden

368

Organisation einer programmatischen Debatte in der PDS, in: Parteivorstand der PDS. Programmkommission (Hg.): Zur programmatischen Debatte der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 1999; S. 15-17 (15).

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h. Dr. sc. Bernd Ihme und Tanja Behrend als Sekretär bzw. Sekretärin der Kommission.“369 Mitglieder der Programmkommission wurden Dietmar Bartsch (Bundesgeschäftsführer), Tanja Behrend, Michael Benjamin (Kommunistische Plattform), Lothar Bisky (Bundesvorsitzender), André Brie, Birke Bull, UweJens Heuer (Marxistisches Forum), Bernd Ihme, Ulla Lötzer (westliche Bundesländer), Pia Maier, Eleonora Pfeifer, Monika Runge, Michael Schumann, Halina Wawzyniak (Jugendstrukturen), Elke Wolf (Ökologische Plattform), Winfried Wolf (westliche Bundesländer) und Gabriele Zimmer. Die Delegierten beschlossen, dass die Programmkommission bis Sommer 2000 einen Programmentwurf vorlegen sollte, damit ein Parteitag in der ersten Hälfte des Jahres 2001 ein neues Programm verabschieden könne. In Abänderung dieses Beschlusses entschied der Münsteraner Parteitag 2000, dass erst der 7. Parteitag über den zeitlichen Verlauf der Programmdebatte insgesamt entscheiden sollte. Die Programmkommission verständigte sich am 16. Juni 1999 über „Fragen für die programmatische Debatte der PDS“.370 Es handelte sich um einen umfangreichen Fragenkatalog zu den Themenkomplexen Globalisierung, sozialer und ökologischer Umbau, Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, internationale Friedensordnung und Solidarität sowie Auseinandersetzung mit der Geschichte. Darunter waren Fragen wie: x x x x

„Welchem Demokratiebegriff folgt die PDS? Wie ist ihr Verhältnis zu Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit? Welches sind die wichtigsten Schritte zur Erneuerung und Erweiterung der Demokratie? Welche Veränderungen in der politischen Kultur strebt die PDS an, um eine grundlegende Demokratisierung der Gesellschaft zu realisieren?“371

Die aufgeworfenen Fragen sollten Orientierungspunkte für die weitere programmatische Debatte sein. Sie waren das letzte Dokument, das von den Mitgliedern der Programmkommission im Konsens beschlossen wurde. Ende 1999 legte die Programmkommission Thesen zur programmatischen Debatte vor.372 Die Fassung der Thesen, über die bei der Sitzung der 369

Ebd., S. 16. Vgl. Fragen für die programmatische Debatte der PDS, in: PID, Nr. 26/1999, S. 10-14. 371 Fragen für die programmatische Debatte der PDS, in: Parteivorstand der PDS. Programmkommission (Hg.): Zur programmatischen Debatte der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 1999, S. 4-14 (11 f.). 372 Vgl. Thesen zur programmatischen Debatte, in: PID, Nr. 47/1999, S. 2-32. 370

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Programmkommission im November 1999 abgestimmt werden sollte, wurde den Mitgliedern der Programmkommission erst am Tag der Sitzung bekanntgegeben.373 Uwe-Jens Heuer kritisierte, die Thesen nähmen allein schon wegen ihres Umfangs (sie waren doppelt so lang wie das geltende PDSProgramm von 1993) zum Teil bereits den möglichen Inhalt eines neuen Programms vorweg.374 Heuer, Michael Benjamin und Winfried Wolf verfassten als Mitglieder der Programmkommission gemeinsam ein Minderheitenvotum zu den Thesen. Ein weiteres Minderheitenvotum verfasste Elke Wolf, die Vertreterin der Ökologischen Plattform in der Programmkommission. Das Minderheitenvotum von Benjamin, Heuer und Wolf kritisierte Aussagen und Formulierungen in den Thesen, die für viele PDS-Mitglieder nicht akzeptabel seien. Das betreffe vor allem: x x x x x x x

„die notwendige Bestimmung unseres Ziels einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, die vorgelegte „Moderne-Konzeption“, die Vorstellungen zur Überwindung der Dominanz des großen kapitalistischen Eigentums bzw. der „Profitdominanz“, die Grundwerte-Konzeption, die Umwertung vor allem der DDR-Geschichte, die mögliche Akzeptanz von Kriegseinsätzen „nach Einzelfallprüfung“, die Frage der Regierungsbeteiligung.“375

Die Verfasser des Minderheitenvotums befürchteten, die in den Thesen vertretenen Positionen zu den aufgeführten Streitpunkten könnten Einfallstore für neoliberale Politik sein.376 Elke Wolf bemängelte, ökologische Gesichtspunkte seien in den Thesen nicht ausreichend berücksichtigt worden.377 Michael Brie verglich die Thesen der Programmkommission mit dem Minderheitenvotum von Benjamin, Heuer und Wolf und arbeitete sechs Gegensätze heraus: „(1) Während die Mehrheit sich darauf konzentriert, aktuelle Alternativen zur neoliberalen Offensive aufzuzeigen, fixiert sich die Minderheit auf eine langfristige sozialistische Zielstellung. 373 374 375 376 377

Vgl. Benjamin, Michael/Heuer, Uwe-Jens/Wolf, Winfried: Votum zu den Thesen der Programmkommission der PDS, in: PID, Nr. 47/1999, S. 33-48 (33). Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Programmdebatten in der deutschen Linken oder: Wandel durch Annäherung, Teil 2, in: Marxistisches Forum, H. 26-27/2000, S. 1-15 (9) Benjamin, Michael/Heuer, Uwe-Jens/Wolf, Winfried: Votum zu den Thesen der Programmkommission der PDS, in: PID, Nr. 47/1999, S. 33-48 (33). Vgl. ebd., S. 43. Vgl. Wolf, Elke: Kritik der Thesen der Programmkommission, in: PID, Nr. 5/2000, S. 12-16.

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(2) Während die Mehrheit es für möglich erachtet, dazu beizutragen, die gegenwärtige Kapitalverwertung in einem bestimmten Maße sozial und ökologisch auszurichten, sieht die Minderheit ein Zeitalter entfesselter kapitalistischer Barbarei für unausweichlich. Man könne dem Kapitalismus durch heftigsten Widerstand nur geringe Konzessionen abtrotzen. (3) Während die Mehrheit das Scheitern des Sozialismus sowjetischen Typus und damit der DDR aus den Strukturen dieses Sozialismus selbst erklärt, will die Minderheit Defizite an Demokratie und realer Vergesellschaftung nicht aus den Grundstrukturen erklären. (4) Während die Mehrheit den Sozialismus vor allem auch als eine der großen ideologischen Strömungen neben Liberalismus und Konservatismus versteht und Wertorientierungen für entscheidend hält, insistiert die Minderheit auf einem Verständnis von Sozialismus als einer zukünftigen Gesellschaft. (5) Während die Mehrheit Regierungsbeteiligung der PDS unter bestimmten Bedingungen für möglich hält, sieht die Minderheit darin zwangsläufig eine Unterstützung für eine neoliberale kapitalistische Politik. (6) Zusammenfassend gesagt: Während die Mehrheit bestrebt ist, sich auf die gegenwärtige Gesellschaft praktisch und geistig einzulassen, um sie ausgehend von Zielen sozialer Gerechtigkeit zu gestalten zu suchen, sieht die Minderheit darin ein Einfallstor für eine Politik der Unterstützung genau jener Politik, die Sozialisten prinzipiell ablehnen müssen.“378 Trotz der Gegensätze zwischen den Thesen der Programmkommission und dem Minderheitenvotum sah Michael Brie Verständigungsmöglichkeiten, denn erstens gäbe es wesentliche Gemeinsamkeiten in beiden Papieren und zweitens würden Mehrheit und Minderheit jeweils auf unterschiedliche Weise unverzichtbare Akzente sozialistischen Engagements betonen. Die spannungsvolle Koexistenz des Versuchs eines sozialistischen Engagements für eine gerechte Gestaltung der gegenwärtigen Gesellschaft auch durch Übernahme von Verantwortung in dieser Gesellschaft und einer klaren Systemopposition, die sich primär durch Widerstand äußert, müsse in der PDS bei Strafe ihres Untergangs möglich bleiben.379 Peter Christian Segall hielt die Thesen der Programmkommission für eine Art Weiterentwicklung oder Synthese vorheriger programmatischer Dokumente aus den Reihen der Reformer, namentlich der „10 Thesen zum weiteren Weg der PDS“ beziehungsweise des Kompromisspapiers „Sozialismus ist Weg, Methode, Wertorientierung und Ziel“ von 1995, des Kommentars zur Programmatik der PDS von 1997 und von Gregor Gysis Positionspapier

378

Brie, Michael: Von der Weisheit, das Unmögliche zu lassen und das Mögliche zu tun, in: ND v. 2.12.1999. 379 Vgl. ebd.

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„Gerechtigkeit ist modern“ von 1999.380 Gero Neugebauer erkannte zwar an, dass die PDS sich mit den Thesen in einigen Punkten bewegt habe, kritisierte aber, in den Thesen seien auch immer wieder Rückversicherungen eingebaut: „Es ähnelt sehr der Echternacher Springprozession: ein Schritt nach links, einer nach rechts, einer nach vorn.“381 Lothar Bisky warnte angesichts der Schärfe des Streits über die Thesen die PDS eindringlich davor, im Streit über die Programmatik zu zerbröseln.382 Am 8. Januar 2001 beschloss der Parteivorstand die Ausarbeitung von Grundlinien der Überarbeitung des Parteiprogramms. Die Parteivorsitzende Gabriele Zimmer übernahm am 15. Januar 2001 selbst den Vorsitz der Programmkommission. Die Programmkommission beschloss am 5. März 2001 „Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS“. Diese Grundlinien bestanden aus drei Abschnitten mit folgenden Überschriften: 1. Entwicklung einer konsistenten Gesamtbegründung des demokratischen Sozialismus, der auf Gerechtigkeit zielt und Freiheit, Gleichheit und Solidarität verbindet. 2. Kritische Analyse der gegenwärtigen Welt – den Entwicklungen der Gegenwart gerecht werden. 3. Formulierung von Eckpunkten einer alternativen Reformstrategie der PDS. Dieser Abschnitt nannte sechs Hauptpunkte: „1. Sozial gleicher Zugang aller zur Wahrnehmung demokratischer Rechte in einer erneuerten Demokratie 2. Freiheit von der Gefährdung des Lebens durch Kriege und durch Gewalt im Innern 3. Erhalt der Umwelt und erdumspannend gleiche Anrechte auf gleichen Umweltraum 4. Existenzsichernde Arbeit 5. Sozial gleicher Zugang aller zu Bildung, Wissen und Kultur 6. Erneuerte soziale Sicherung für alle.“383 Uwe-Jens Heuer verfasste auch zu den Grundlinien der Programmkommission ein Minderheitenvotum. Darin schrieb er, dass der Hauptmangel der 380

Vgl. Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita: Programmdebatte und Organisationsdiskussion bei der PDS, in: Hirscher, Gerhard/Segall, Peter Christian (Hg.): Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Bd. 20). – München 2000, S. 7-20 (12). 381 Interview in der taz v. 30.11.1999. 382 Vgl. Leithäuser, Johannes: „Klärungsprozesse“ in der PDS. Eine Mehrheit in der Parteiführung will das Programm überarbeiten, in: FAZ v. 30.11.1999. 383 Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS, in: PID, Nr. 17/2001, S. 2-6 (5).

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Grundlinien darin bestehe, dass sie mit einem theoretischen Konstrukt anfingen, statt von einer Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft auszugehen, also die Reihenfolge der Abschnitte 1 und 2 der Grundlinien falsch sei.384 Die Zurücknahme des materialistischen Ausgangspunktes der Programmatik sei auch der entscheidende Schritt im Godesberger Programm der SPD gewesen: „damals wurden erstmalig Grundwerte an die Spitze des Programms gestellt, die durch Setzung festgelegt wurden und nach eigener Erklärung auf keiner Geschichtsphilosophie und Gesellschaftsanalyse beruhen.“385 Am 23. März 2001 bevollmächtigte die Programmkommission Gabriele Zimmer, einen Programmentwurf zeitgleich der Parteimitgliedschaft, den Gremien der Partei einschließlich der Programmkommission selbst und der Öffentlichkeit vorzustellen.386 Damit verzichtete die Programmkommission darauf, selbst einen Programmentwurf zu erarbeiten. Grund war offensichtlich, dass zwischen den programmatischen Auffassungen der Mitglieder der Programmkommission unüberbrückbare Gegensätze bestanden. Die jahrelange intensive und äußerst kontroverse Diskussion in der PDS gipfelte in drei konkurrierenden Entwürfen für ein neues Parteiprogramm: x

x

x

Der zuerst vorgelegte Entwurf stammte von André Brie, seinem Bruder Michael, dem Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und Dieter Klein, dem Vorsitzenden der PDS-Grundsatzkommission. Gabriele Zimmer hatte die drei Reformer beauftragt, einen Programmentwurf zu erarbeiten. Dieser Entwurf wurde vom Parteivorstand favorisiert. Er wird daher Vorstandsentwurf genannt. Der zweite Entwurf wurde von Monika Balzer, der Sprecherin der Kommunistischen Plattform Hamburg, Ekkehard Lieberam, dem Sprecher des Marxistischen Forums Leipzig, der niedersächsischen PDS-Vorsitzenden Dorothée Menzner und dem Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf verfasst. Autoren des dritten Entwurfs waren die niedersächsischen PDSLandesvorstandsmitglieder Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch.

Es wurde kritisiert, dass mit André und Michael Brie zwei der drei Autoren des Vorstandsentwurfs der Programmkommission nicht angehörten. Allerdings stellte Bernd Ihme, der Sekretär der Programmkommission, heraus, eine Arbeitsgruppe des Bereichs „Strategie- und Grundsatzfragen“ der PDS habe für diesen Entwurf eine Vielzahl von Materialien, Zuschriften aus Basisorganisationen, wissenschaftlicher Literatur und Konsultationen mit 384

Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Zu den „Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS“, in: PID, Nr. 13/2001, S. 5 f. (6). 385 Ebd., S. 6. 386 Vgl. PID, Nr. 13/2001, S. 1.

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Experten aufbereitet und mit Textformulierungen und Bausteinen wichtige Zuarbeiten geleistet. Insofern spiegle der Entwurf nicht nur die Meinung der drei Autoren wider, sondern verarbeite die im Vorfeld geführten Auseinandersetzungen und entwickle daraus entsprechende Positionen.387 Die drei Autoren wurden laut Gabriele Zimmer konzeptionell und inhaltlich bei der Erarbeitung des Programmentwurfs vor allem von Horst Dietzel, Thomas Falkner und Bernd Ihme unterstützt, daneben von Roland Claus, Dietmar Bartsch, Gregor Gysi, Lothar Bisky sowie einzelnen Landesvorsitzenden.388 Winfried Wolf schrieb in einer Kritik des Zustandekommens des Programmentwurfs von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein, es dürfte in der deutschen Parteiengeschichte einmalig sein, dass es keine einzige Parteiinstanz gibt, die für den Text verantwortlich zeichnet.389 Der Vorstandsentwurf wird an dieser Stelle nicht ausführlich behandelt, da er weitgehend Eingang in das PDS-Programm von 2003 gefunden hat.390 Ein Autor eines 2001 aus den Reihen des Marxistischen Forums initiierten Sammelbands zur Programmdebatte fällte ein aus marxistischer Sicht vernichtendes Urteil über den Entwurf von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein: „Entsetzt und deprimiert haben mich die Flachheit, Inhaltsleere und Ungenauigkeit, mit der hier sozialdemokratischer Reformismus vorgetragen wird. Über vierzig Seiten hinweg eine Ansammlung von Gemeinplätzen! Fast auf jeder Seite erscheinen plakativ die hehren Schlagworte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Emanzipation. Aber welche programmatischen Inhalte werden damit verbunden?“391 Das Programm sei keine Handlungsanweisung für eine Partei, sondern eine Sonntagspredigt.392 Ein anderer Orthodoxer schrieb, der Entwurf sei die logisch-historische Fortsetzung des Bernsteinschen Revisionismus.393 Michael Brie behauptete dagegen, der Programmentwurf sei mehr bei Marx als alle deutschen sozialdemokratischen und kommunistischen

387 388 389 390 391

392 393

Vgl. Ihme, Bernd: Zur dritten Ausgabe, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 3. Vgl. Zimmer, Gabriele: Zur Vorstellung des Programmentwurfs, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 44-47 (47). Vgl. Wolf, Winfried: Godesberg II, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 60-64 (60). Wesentliche Abweichungen werden unten im Rahmen der Darstellung des Programms von 2003 genannt. Holz, Hans Heinz: Eine Ansammlung von Gemeinplätzen, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 36-39 (37). Vgl. ebd., S. 39. Vgl. Wagner, Ingo: Moderne, Marxismus und sozialistische Programmatik, in: Marxistischer Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS (Hg.): Sozialistische Programmatik und Marxismus heute. – Schkeuditz 2000, S. 37-51 (48).

107

Parteiprogramme seit 1848.394 Klaus Höpcke kritisierte Form und Umfang des Vorstandsentwurfs: „Was vorliegt, ist vom Genre her weniger ProgrammEntwurf als Essay-Fragmente-Kompilation, vom Umfang her zehnmal so lang wie es zuträglich wäre und in der Ausdrucksweise mehr meditativ-narrativ („erzählend“) als postulierend (handlungsorientierende Forderungen erhebend).“395 Thomas Meyer, der Stellvertretende Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD, fasste sein Urteil über den Programmentwurf von Brie, Brie und Klein so zusammen: „Hier ist das kritische Urteil gerechtfertigt, dass die Modernisierung der PDS auf halbem Wege stecken geblieben ist, denn noch verwickelt sich der Programmentwurf in eine Zwiespältigkeit zwischen prinzipieller Systemopposition und reformerischem Gestaltungswillen, zwischen altmarxistischer Rhetorik und vereinzelten Modernisierungsversuchen, zwischen einer altsozialistischen Eigentumskritik und einer funktionalsozialistischen Entscheidung für Demokratisierung statt Enteignung, zwischen einem grundwerteorientierten Sozialismus-Begriff und massiven Resten der alten Systemfiktion eines Jenseits-Sozialismus, zwischen einer pseudorevolutionären Rhetorik der großen „Transformation“ der Gesellschaft und der reformistischen Beschränkung auf marktkonforme Regulierung.“396 Für die Konrad-Adenauer-Stiftung analysierte Viola Neu den Programmentwurf. Sie sah in vier Punkten wesentliche inhaltliche Unterschiede zwischen dem Vorstandsentwurf und dem Programm von 1993: „Die Strategie der PDS ist flexibler geworden. Die Bereitschaft, Verantwortung innerhalb des parlamentarischen Systems zu übernehmen, ist verankert. D.h. die PDS versteht sich graduell weniger als außerparlamentarische Opposition. Sie betont, dass sie „demokratische Verlässlichkeit und Politikfähigkeit auch in Regierungsverantwortung nachgewiesen“ habe. Damit zielt sie auch in Zukunft auf Regierungsbeteiligung. Die Kritik an der DDR ist deutlicher geworden. Die PDS spricht vom Weg der DDR, der durch „schmerzhafte Fehler, zivilisatorische Versäumnisse und auch unentschuldbare Verbrechen“ gekennzeichnet gewesen sei. Allerdings wird der Grundkonsens, dass die DDR aufgrund des Antifaschismus eine legitime Alternative zur „Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland“ darstelle, nicht verletzt. Die PDS erteilt der „reinen Lehre“ eine Absage. Sozialismus wird zwar noch als „Ziel, Weg und Werte“ begriffen, aber nicht mehr als „Methode“. Weiter 394

Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001 v. 4.5.2001. Höpcke, Klaus: 11. September, Programmdiskussion und Umgang mit Geschichte, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 4/2001, S. 22-31 (25 f.). 396 Meyer, Thomas: Vetomacht oder Gestaltungskraft? Zum ersten PDS-Programmentwurf, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 10/2001, S. 583-588 (585). 395

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schreiben die Autoren, dass Sozialismus keinem „abstrakten Modell verpflichtet“ sei und die sozialistische Politik „eine offene Suche nach Auswegen“ sei. Eine „do ut des“-Strategie, zunächst ein sprachlich akzeptables Angebot zu unterbreiten, das dann ins Gegenteil verkehrt wird, zieht sich wie ein roter Faden durch den Entwurf. Diese Doppelzüngigkeit soll sowohl den innerparteilichen Widersachern den Wind aus den Segeln nehmen als auch den demokratischen Parteien und potentiellen Koalitionspartnern vorspielen, dass die PDS sich zur Demokratie bekennen würde.“397 Die im Vorstandsentwurf aufgestellte These, der DDR-Sozialismus sei von der Feindschaft und Konfrontation einer kapitalistischen Umwelt bedroht gewesen, bezeichnete Neu als kommunistische Variante der Dolchstoßlegende.398 Patrick Moreau wertete die programmatischen Dokumente der PDS, die zwischen 1999 und 2001 veröffentlicht wurden, ebenso wie das Programm von 1993 als Beleg dafür, dass die Partei immer noch ein Gesellschaftsmodell verfechte, das von Antikapitalismus, Antiimperialismus, Antifaschismus und Friedenspolitik dominiert und von egalitär-emanzipatorischen Zielen umrissen wird.399 Einen Alternativentwurf zum Programmentwurf von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein legten Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf vor. Dieser Alternativentwurf enthielt 15 konkrete Forderungen für die Politik der PDS. Laut Alternativentwurf sollten Bodenschätze, wichtige Rohstoffe, Industriezweige und große Unternehmen demokratisch kontrolliert und nach einem gesellschaftlichen Plan eingesetzt werden. Die großen Produktionsmittel, die großen Finanzinstitute und der Rüstungssektor sollten vergesellschaftet werden.400 Im Alternativentwurf hieß es, eine sozialistische Wirtschaftsweise sei mit einer demokratisch geplanten Wirtschaftsweise identisch.401 Der Alternativentwurf forderte die Auflösung der NATO und die Abschaffung der Bundeswehr. Er war aber nicht pazifistisch, denn gleichzeitig sprach er sich für „das Recht von Befreiungsbewegungen und fortschrittlichen Regierungen“ aus, sich gegen militärische Angriffe und 397 398

399

400

401

Neu, Viola: Der neue Programmentwurf der PDS (Arbeitspapiere der KAS, Nr. 31). – Sankt Augustin 2001, S. 4. Vgl. Neu, Viola: Strategische Bedeutung des „Antifaschismus“ für die Politik der PDS, in: Agethen, Manfred/Jesse, Eckhard/Neubert, Ehrhart (Hg.): Der missbrauchte Antifaschismus. Freiburg i. B. 2002, 396-405 (404) Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: Nach der Berliner Wahl: Zustand und Perspektiven der PDS. (Aktuelle Analysen der Hanns-Seidel-Stiftung, Nr. 27) – München 2002, S. 6. Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam, Ekkehard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 77-107 (96). Vgl. ebd., S. 98.

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Unterdrückung auch bewaffnet zu verteidigen.402 Auch die Nachrichtendienste sollten aufgelöst werden.403 Außerdem verlangte der Alternativentwurf den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie404 und die ersatzlose Streichung des § 218 des Strafgesetzbuchs.405 Selbst die aus der DKP stammende PDSBundestagsabgeordnete Ulla Lötzer bescheinigte dem Alternativentwurf Verbalradikalismus.406 Ein dritter Programmentwurf wurde vom niedersächsischen PDSLandesvorsitzenden Rolf Köhne und von Juan Sanchez Brakebusch, Mitglied des niedersächsischen PDS-Landesvorstands, verfasst. Köhne und Brakebusch sprachen sich dafür aus, die Eigentumsfrage als die Grundfrage für die PDS zu verstehen. Schon aus dem ersten Satz des Programmentwurfs von Köhne und Brakebusch ging hervor, dass die Autoren in der Tradition des klassischen Marxismus standen: Die Zivilisationsgeschichte der Menschheit sei eine Geschichte von Klassenherrschaft, Klassenkämpfen und Emanzipationsbestrebungen gegen diese Herrschaft, gegen Ausbeutung und Unterdrückung.407 Die kapitalistische Produktions-, Verteilungs- und Konsumtionsweise in den Herrschaftszentren der Weltwirtschaft sowie die Herrschaft des Patriarchats erklärten Köhne und Brakebusch zu Hauptursachen für die globalen Probleme.408 Wie André Brie, Michael Brie und Dieter Klein, sprachen auch Köhne und Brakebusch von Freiheitsgütern. Der Anspruch auf Freiheitsgüter sei ein Anspruch auf Menschenrecht. Köhne und Brakebusch stellten einen Bezug zur Geschichte der sozialistischen Bewegung her, indem sie den Kampf um dieses Menschenrecht als Botschaft der Internationale darstellten.409 Gewissermaßen einen vierten Programmentwurf schlug der Schriftsteller Gerhard Branstner, Mitglied des Marxistischen Forums, vor. Er meinte, ein Programm von zwei Punkten genüge: „Erstens: Der Kapitalismus ist die kriminelle Vollendung der Klassengesellschaft und muss restlos aus der menschlichen Geschichte getilgt werden. Die Nichtbeteiligung an der Tilgung dieses verbrecherischen Systems sollte als unterlassene Hilfeleistung bestraft werden. 402 403 404 405 406 407

408 409

Vgl. ebd., S. 85. Vgl. ebd., S. 105. Vgl. ebd., S. 102. Vgl. ebd., S. 103. Vgl. Lötzer, Ulla: Eine weltweite Allianz für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratie, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 77-81 (78). Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (87). Vgl. ebd., S. 92. Vgl. ebd., S. 88.

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Zweitens: Die Errichtung der auf die Klassengesellschaft folgenden menschlichen Ordnung kann nur eine Ordnung der völligen Gleichheit sein, der ökonomischen, politischen und sittlichen. Womit die Bedingung für wirkliche Freiheit und Individualität gegeben ist. Punktum!“410 Die 2. Tagung des 7. PDS-Parteitags, die im Oktober 2001 in Dresden stattfand, beschloss, dass der Programmentwurf von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein die Arbeitsgrundlage für die weitere Programmdebatte sein sollte. Anders als beim Münsteraner PDS-Parteitag im April 2000 – als sie gegen ein unnatürliches Bündnis aus Orthodoxen, westdeutschen Linksextremisten und Pazifisten unterlegen waren – konnten sich die Reformer durchsetzen und eine breite Mehrheit der Parteitagsdelegierten für den Brie/Brie/Klein-Entwurf erreichen. Allerdings sah der Beschluss des Dresdner Parteitags vor, dass weiterhin alle Diskussionsbeiträge, also auch die Alternativentwürfe, in der Programmdebatte berücksichtigt werden sollten. Der Leitantrag an den Dresdner Parteitag umriss, welche Erwartungen an ein neues PDS-Programm gerichtet wurden: x

x

x

410 411

„Wir brauchen ein Parteiprogramm, in dem sich der weltweit vollzogene Wandel in der gesellschaftspolitischen Situation und die Veränderungen innerhalb unserer Partei seit 1993 widerspiegeln, das unsere politischen Erfahrungen, Lernprozesse und gewonnenen Kompetenzen aufnimmt, das sich den neuen Fragen und Herausforderungen stellt und das ein Bild zeichnet, wohin wir generell wollen und was wir in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren zur Veränderung dieser Gesellschaft zu tun gedenken. Wir brauchen ein Parteiprogramm, welches Wollen und Handeln in einer pluralistischen Partei eint, welches werbend für neue Mitglieder wirkt und unsere politische Position in der Konkurrenz mit anderen demokratischen Parteien stärkt. Wir brauchen ein Parteiprogramm, welches sich mit demokratischsozialistischen Antworten und Positionen den Fragen und Problemen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande stellt und das die Menschen für sozialistische Lösungen zu gewinnen und zu motivieren versucht.“411

Branstner, Gerhard: Programmgeflüster. Brie, Klein, Brie sind voll damit beschäftigt, den Kapitalismus vor dem Kapitalismus zu retten, in: Junge Welt v. 26.5.2001. Vgl. Teil IV. des Leitantrags der 2. Tagung des 7. Parteitages der PDS in Dresden, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 5 f. (5).

111

Bei ihrer Tagung am 15. Dezember 2001 legte die Programmkommission für die weitere Arbeit am Programmentwurf folgende Phasen fest: x x

Überarbeitung und Diskussion der Themenschwerpunkte Gesprächsrunden, Anhörungen, Klausurtagung der Programmkommission Arbeit der Redaktionsgruppe Neuer Entwurf in Programmkommission und Parteivorstand Ende 2002 Programmkonferenz als Auftakt zur Diskussion Anfang 2003 Beschluss des Programms auf einem Parteitag im Jahre 2003412

x x x x

Die Programmkommission listete bei dieser Tagung auch die Anforderungen auf, die an die Überarbeitung des Vorstandsentwurfs zu stellen seien. Demnach sollte das neue Parteiprogramm: x

„Den weltweit vollzogenen Wandel in der gesellschaftspolitischen Situation und die Veränderungen innerhalb unserer Partei seit 1993 widerspiegeln; die politische Lage in der Welt nach dem Terroranschlag des 11. September 2001 charakterisieren, sich der neuen Dimension in Fragen der Sicherung des Friedens, der Verteidigung zivilisatorischer Errungenschaften und der Durchsetzung von Menschenrechten stellen; sich neuen Fragen und Herausforderungen der gesellschaftlichen Entwicklung verstärkt zuwenden, wichtige Probleme der laufenden gesellschaftspolitischen Diskurse aufgreifen und deutlich herausarbeiten, wohin wir generell wollen und was wir in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren zur Veränderung der Gesellschaft zu tun gedenken; die politischen Erfahrungen, Lernprozesse und gewonnenen Kompetenzen der PDS seit 1993 aufnehmen; den pluralistischen Charakter der Partei stärken, dabei Mehrheitspositionen eindeutig Rechnung tragen, keine Mixtur gegensätzlicher Positionen noch Unterwerfung unter einen einzigen theoretischen Ansatz kann Maßstab sein; die Gesellschaft und ihre Probleme, ausgehend von den Erfahrungen und Erwartungen, dem Fühlen und Wollen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, betrachten und demokratisch-sozialistische Antworten, Positionen und Alternativen anbieten; Menschen für sozialistische Lösungen zu gewinnen und zu mobilisieren versuchen;

x

x

x x

x

x

412

Vgl. Wie weiter? Informationen der Programmkommission, in: PID, Nr. 51-52/2001, S. 3 f. (3).

112

x x x

mit unserer Programmatik neue Mitglieder der PDS werben; den Platz der PDS im Parteiensystem der Bundesrepublik bestimmen und unsere politische Position in der Konkurrenz mit anderen demokratischen Parteien stärken; das überarbeitete Parteiprogramm im Jahr 2003 beschließen.“413

Am 15. Dezember verständigte sich die Programmkommission auf die Bildung von Arbeitskreisen für die weitere programmatische Debatte und berief Arbeitskreisleiter (jeweils in Klammern): x x x x x x x x x x x x x x x x x

Arbeitskreis Sozialismus – Ziel, Weg, Werte (Monika Runge) Arbeitskreis Veränderungen mit der PDS – Selbstveränderung der PDS (Selbstverständnis) (Judith Dellheim) Arbeitskreis Kapitalismus heute, Globalisierung, Wirtschaftspolitik (Ulla Lötzer) Arbeitskreis Demokratie, Menschenrechte, Staatsverständnis (Halina Wawzyniak) Arbeitskreis Kommunales (Renate Harcke) Arbeitskreis Emanzipationspotentiale (Eleonora Pfeifer) Arbeitskreis Geschichte (Jochen Czerny) Arbeitskreis Ostdeutschland (Peter Porsch) Arbeitskreis Frieden und Sicherheit (Gerry Woop) Arbeitskreis Europäische Union und Europapolitik (Helmut Scholz) Arbeitskreis Umwelt (Christian Schwarzenholz) Arbeitskreis Arbeit (Harry Nick) Arbeitskreis Soziales (Pia Maier) Arbeitskreis Bildung (Maritta Böttcher) Arbeitskreis Wissenschaft und Technologieentwicklung (Benjamin Hoff) Arbeitskreis Neue Medien (Angela Marquardt) Arbeitskreis Kultur (Thomas Flierl)414

Die Programmkommission legte auch die Aufgaben der Arbeitskreise fest: „1. Materialien (bisherige Ausarbeitungen, Bausteine, Artikel, Beiträge, Zuschriften etc.) zum jeweiligen Thema auszuwerten. 2. Der Programmkommission zum jeweiligen Themenschwerpunkt Vorlagen zu unterbreiten, in denen 413 414

Ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 4.

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erstens eine kurze Einschätzung der jeweiligen Problemlage des Themas in bezug auf die realen gesellschaftspolitischen Entwicklungsprozesse, - die innerparteilichen Diskussionen zum vorliegenden Entwurf, - die in der Gesellschaft geführten Diskurse gegeben wird und zweitens Vorschläge zu neuen Formulierungen, Ergänzungen bzw. Streichungen im Entwurfstext unterbreitet werden.“ (...) 3. Kontakte zu Vertretern aus Landesverbänden und IG/AG, zu Fachleuten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und VerfasserInnen von längeren Beiträgen aufzunehmen und Sachgespräche zu führen.“415 Schließlich wurde bei der Sitzung der Programmkommission vom 15. Dezember 2001 beschlossen, dass Gabriele Zimmer im Februar 2002 der Programmkommission einen Vorschlag zur Zusammensetzung einer Redaktionsgruppe unterbreiten solle. Die Aufgabe dieser Gruppe sollte in der konzeptionell stimmigen Gesamtfassung und sprachlichen Gestaltung des Programmentwurfs bestehen. Am 28. Februar 2002 berief die Programmkommission eine Redaktionsgruppe. Mitglieder waren André Brie, Michael Brie, Dieter Klein, Klaus Höpcke, Benjamin Howell vom PDS-Jugendrat, Heidi Knake-Werner und Ulla Lötzer. Die Redaktionsgruppe arbeitete weitgehend unabhängig von der Programmkommission. Mit Klaus Höpcke war nur ein – gemäßigter – Orthodoxer in der Redaktionsgruppe vertreten. Die Redaktionsgruppe legte ihren Programmentwurf am 18. Februar 2003 der Programmkommission und den Führungsgremien der PDS vor. So blieb den Mitgliedern der Programmkommission kaum Zeit, um sich auf eine fundierte Diskussion des umfangreichen Textes bei ihrer schon für den 20. Februar anberaumten Sitzung vorzubereiten, bei der sie den Programmentwurf beraten und beschließen sollte. Es ist anzunehmen, dass es Absicht war, so den orthodoxen Mitgliedern der Programmkommission die Möglichkeit zu nehmen, umfangreiche Änderungen des Entwurfs zu beantragen oder rechtzeitig zur Veröffentlichung des Entwurfs ein Minderheitenvotum zu erarbeiten. Bei der Sitzung der Programmkommission am 20. Februar selbst wurde den Kommissionsmitgliedern eine nochmals geänderte Fassung des Programmentwurfs zur sofortigen Beschlussfassung vorgelegt. Offensichtlich war also eine ernsthafte Diskussion über den Entwurf in der Programmkommission nicht erwünscht. Die Mehrheit der Programmkommission, alle Fraktionsvorsitzenden der PDS in den Landtagen, die Vorsitzenden der östlichen PDS-Landesverbände und einige westdeutsche PDS-Landesvorsitzende sprachen sich dafür aus, dass der Programmentwurf der Redaktionsgruppe die Grundlage der weiteren

415

Ebd., S. 3 f.

114

Programmdebatte sein sollte. Auch der PDS-Parteivorstand beschloss dies bei wenigen Enthaltungen und ohne Gegenstimmen. Die orthodoxen Mitglieder der Programmkommission Uwe-Jens Heuer und Winfried Wolf verfassten kurzfristig ein Minderheitenvotum zum Programmentwurf der Redaktionsgruppe. Bei der Sitzung der Programmkommission am 20. Februar beantragten sie, ihr Minderheitenvotum bei der für den 24. Februar geplanten öffentlichen Vorstellung des Programmentwurfs ebenfalls bekanntzugeben und den Anwesenden zur Verfügung zu stellen. Dies lehnte die Mehrheit der Programmkommission ab, obwohl sich Heuer und Wolf auf die Geschäftsordnung der Programmkommission beriefen, wonach Mehrheitsvoten und Minderheitenvoten gleichberechtigt zu behandeln waren. Der Programmentwurf der Redaktionsgruppe war in die vier Abschnitte „Sozialismus – Ziel, Weg und Werte“, „Die gegenwärtige Welt“, „Sozialistische Politik – Reformalternativen im Kampf um Gerechtigkeit“ und „Veränderungen mit der PDS – Selbstveränderung der PDS“ gegliedert. Im dritten Abschnitt nahmen die Autoren zu den aus ihrer Sicht acht wichtigsten Politikfeldern Stellung: 1. Demokratie, 2. Frieden und Gewaltfreiheit, 3. Umwelt, 4. Arbeit, 5. Bildung, Kultur, Medien, 6. soziale Sicherheit – Gesundheit und Rente, 7. Wirtschaftspolitik, 8. Ostdeutschland. In der Präambel des Programmentwurfs berief sich die PDS sowohl auf die Sozialdemokratie als auch auf den Kommunismus, auf Karl Marx und Friedrich Engels und auf den Antifaschismus.416 Wie schon in ihrem Programm von 1993, fasste die PDS ihre Vorstellung von Sozialismus in den drei Worten Ziel, Bewegung und Wertesystem zusammen: „Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel – eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung der Einzelnen zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist. Sozialismus ist für uns eine Bewegung gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, gegen patriarchale Unterdrückung, gegen die Ausplünderung der Natur, für die Bewahrung und Entwicklung von Kultur, für die Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft, in der die Menschen ihre Angelegenheiten demokratisch und auf rationale Weise regeln. Sozialismus ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit, Gerechtigkeit, Erhalt von Natur und Frieden untrennbar verbunden sind.“417 Die PDS bemerkte mit Blick auf die Vergangenheit, Sozialismus misslinge sowohl als isoliertes Vorhaben kleiner Gruppen als auch als Diktatur.418 Der Programmentwurf der Redaktionsgruppe berücksichtigte in einigen Punkten stärker als der Vorläuferentwurf von André Brie, Michael Brie und 416

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 9/2003, S. 1-27 (2, 27). 417 Ebd., S. 3. 418 Vgl. ebd., S. 6.

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Dieter Klein die Befindlichkeiten der Orthodoxen. Diese stärkere Berücksichtigung der Positionen der Orthodoxen erklärt vermutlich, warum sich im Programmentwurf Abschnitte wie der über das sozialistische Selbstverständnis, der sich auf auch außerhalb der PDS verbreitete Werte berief, und Abschnitte wie der über den Charakter des Kapitalismus, in dem radikale Formulierungen vorkamen, abwechselten. Thesen im Programmentwurf wie beispielsweise die, die imperiale militärische und sicherheitspolitische Hegemonie der USA und der NATO habe den Zweck, den Erhalt ausbeuterischer und zerstörerischer Strukturen zu garantieren, zeigten, dass 2003 in der PDS bis in die Programmkommission hinein immer noch einseitige, undifferenzierte, von einem Freund-Feind-Denken geprägte und teilweise verschwörungstheoretisch anmutende Auffassungen mehrheitsfähig waren. Laut Programmentwurf wurzelten ökonomische Ausbeutung, ökologische Verödung, politische Unterdrückung und verbrecherische Kriege im Kapitalismus.419 Weiterhin ging der Programmentwurf davon aus, dass ein neuer Totalitarismus der Herrschaft transnationaler wirtschaftlicher und politischer Gruppen mit Hilfe monetärer und handelspolitischer Instrumente, wirtschaftlichen und politischen Drucks und imperialer militärischer Übermacht entstehe.420 Dass Unternehmertum und Gewinninteresse wichtige Bedingungen von Innovation und betriebswirtschaftlicher Effizienz seien, war eine der umstrittensten Positionen des Brie/Brie/Klein-Entwurfs. Der Programmentwurf von 2003 hielt an dieser Position fest.421 Im Programmentwurf wurde ausführlich das Verständnis der PDS von Sozialismus, Demokratie und Menschenrechten erläutert. Diese drei Begriffe wurden so beschrieben, dass sie fast gegeneinander hätten ausgetauscht werden können. An herausgehobener Stelle, schon in der Präambel, stellten die Autoren die Menschenrechte ins Zentrum der Politik der PDS. Dabei beriefen sie sich auf eine historische Kontinuität: Die Arbeiterbewegung und die sozialistische Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts hätten Anteil an Fortschritten auf dem Weg zu Verhältnissen, in denen die Würde des Menschen unantastbar ist.422 Als grundlegende Elemente von Demokratie nannte der Programmentwurf individuelle politische Grundrechte, freie Wahlen, parlamentarische Demokratie, politischen Pluralismus, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit.423 Die PDS begreife sich als sozialistische Bürgerrechtspartei, da es keine soziale Gerechtigkeit ohne Demokratie und garantierte Bürgerrechte geben könne.424 Die

419 420 421 422 423 424

Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 13.

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SED dagegen sei weder fähig noch bereit gewesen, Sozialismus mit Demokratie und Freiheit zu verknüpfen.425 Zwar war im Programmentwurf viel von Demokratie die Rede, aber fraglich ist, welche Art von Demokratie die PDS meinte. Sie hielt auch in diesem Entwurf an ihrem Ziel fest, das Grundgesetz entscheidend zu verändern. Beispielsweise sollten Umweltorganisationen, Verbraucherverbände, Gewerk-schaften und andere zivilgesellschaftliche Kräfte Planungs-, Kontroll- und Einspruchsrechte im Rahmen eines sozial-ökologischen Umbaus erhalten.426 Die Frage, ob die PDS sich primär als Oppositionskraft verstehen sollte, verneinte der Programmentwurf. Es hieß, die PDS wolle politische Verantwortung sowohl in parlamentarischer Opposition als auch in Regierungsbeteiligungen übernehmen.427 Langfristig strebe die PDS ein Mitte-Links-Bündnis an.428 Das Mitte-Unten-Bündnis, für das sich die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer beim Geraer Parteitag nach der Bundestagswahl 2002 ausgesprochen hatte, tauchte im Programmentwurf nicht auf. Wie im Programm von 1993, so gab es auch im Entwurf der Redaktionsgruppe einen Abschnitt zur Geschichte. Dort behauptete die PDS, sie sei in den politischen Umbrüchen des Herbstes 1989 aus dem Protest von SEDMitgliedern gegen die Politik des Politbüros und aus dem Willen, vollständig mit den Inhalten und Erscheinungen stalinistischer und nachstalinistischer Entstellungen der sozialistischen Idee zu brechen, entstanden. Selbst aus den Reihen der PDS wurde der These, die PDS sei aus den Protesten von 1989 entstanden, widersprochen: „Die SED hat sich bekanntlich nicht aufgelöst; das ZK trat zurück, es tagte ein Sonderparteitag, und der machte aus der SED die SED/PDS, die spätere PDS“429. Tatsächlich hat die PDS das juristische, materielle und politische Erbe der SED angetreten.430 Die Passagen über die Legitimität der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung, über den Aufbau des Sozialismus, über die aus Sicht der PDS positiven Aspekte der DDR und über die Fehler und Verbrechen der SED wurden in den Programmentwurf so übernommen, wie sie schon im Programm von 1993 standen.431 Die Aussage aus dem Programm von 1993, dass die Menschheit der russischen Oktoberrevolution grundlegend günstige 425 426 427 428 429 430 431

Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 26. Vgl. ebd., S. 26. Heinz, Ernst: Zum überarbeiteten Entwurf des PDS-Programms, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 4/2003, S. 19-21 (20 f.). Vgl. Rommelfanger, Ulrich: Die PDS: Eine zu verbietende politische Partei?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Nr. 6/1992, S. 213-217 (216). Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 9/2003, S. 1-27 (25).

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Entwicklungen verdanke, wurde nicht in den Programmentwurf der Redaktionsgruppe übernommen. Dies wurde teilweise heftig kritisiert: „Die Gründung der Sowjetunion ist eine Großtat, mit der sich nichts in der Weltgeschichte vergleichen kann und deren Wert weder Stalins despotische noch Gorbatschows defätistische Entartungen herabsetzen können.“432 Die Frage des Totalitarismus wurde im Programmentwurf gestreift. Die Autoren schrieben, die PDS lehne jeden Versuch ab, mit totalitären Mitteln Fortschritt zu fördern. Da diese Passage im Abschnitt über die Geschichte stand, liegt nahe, dass damit die DDR beziehungsweise die Sowjetunion gemeint war, wenn dies auch nicht eindeutig formuliert wurde. Dies war das erste Mal, dass von den Reformern der Versuch unternommen wurde, in einem PDS-Programm das Wort totalitär zu verwenden.433 Bei der Vorstellung des Programmentwurfs hielten mehrere Mitglieder der Programmkommission Ansprachen. Rosemarie Hein führte in ihrer Ansprache sechs Gründe an, die aus ihrer Sicht für den Entwurf sprachen: „1. Er steht klar in der Konsequenz der Beschlüsse von Dresden. Er vereint die Garantie individueller Freiheitsrechte mit sozialer Gerechtigkeit und stellt den inneren Zusammenhang zwischen beiden klar. Damit steht er auch in der besten Tradition der Gesellschaftstheorie von Marx. 2. Der Programmentwurf stellt die PDS in die linken Traditionen hinein, verleugnet die Verantwortung ihrer Mitglieder vor der Geschichte nicht und leitet daraus Herausforderungen für die Zukunft ab. 3. Er nimmt die Erfahrungen der PDS aus zwölf Jahren aktiven Einbringens in diese Gesellschaft auf, unterscheidet die unterschiedlichen Ebenen politischer Arbeit und verzichtet darauf, die eine gegen die andere aufzuwiegen. 4. Der Programmentwurf geht von einer aktuellen Analyse der Weltentwicklung und des modernen Kapitalismus mit allen seinen Widersprüchlichkeiten aus und entwickelt daraus Aufgabenstellungen für die Linke. 5. Er entwickelt exemplarisch Reformalternativen, die an den grundlegenden Fragestellungen gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse anknüpfen. 6. Mit diesem Programmentwurf wird kein fertiger Gesellschaftsentwurf vorgelegt, aber es werden Zielsetzungen beschrieben, die in konkreter Politik umzusetzen sind. x Darum geht es: Wir müssen künftig auf drei Ebenen Politik entwickeln. Zum ersten müssen wir die ganz praktischen Sorgen und Nöte der Menschen im Umgang mit dieser Gesellschaft aufnehmen und ihnen aufzeigen wie sie ihre konkreten Probleme unter den gegebenen Bedingungen erfolgreich lösen 432 433

Mundstock, Karl: Raus aus dem Dilemma. - Berlin 2003, S. 60. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 9/2003, S. 1-27 (2).

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können. Eine Partei, die sich kümmert. Damit hilft man den Leuten, verändert aber die Gesellschaft noch nicht. x Zweitens müssen wir alternative Lösungen unter den gegebenen bundespolitischen Rahmenbedingungen so wie zu deren Veränderung ausarbeiten. Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit mit Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften und Initiativen. Wir wollen Protest aufgreifen, aber das allein genügt nicht. Wir sind dafür zuständig, dass mit dem Protest der alternative Vorschlag verbunden wird.“ (...) x „Die dritte Ebene erfordert von uns, Vorschläge zu entwickeln, wie eine gerechte Gesellschaft funktionieren könnte und vor allem auch, wie man dahin gelangen kann.“434 Insgesamt blieb auch der Programmentwurf der Redaktionsgruppe widersprüchlich. Heinrich Bortfeldt beispielsweise bilanzierte: „So finden sich kritische Vergangenheitsbewertung und Modernisierungsansätze neben prinzipieller Systemopposition bei ständigem Widerspruch zwischen Wünschbarkeit und Machbarkeit.“435 Kurz nach der Veröffentlichung des Programmentwurfs der Redaktionsgruppe erschien ein Papier mit dem Titel „Sozialistische Politik – Reformalternativen im Kampf um Gerechtigkeit“, das sich als Konkretisierung des Entwurfs und als Brücke zwischen dem Programm und den Konzepten der PDS für die praktische Politik verstand.436 Dieses Papier stellte eine Erläuterung des gleichnamigen Abschnitts III des Programmentwurfs dar.437 Themen des Papiers waren Demokratie, Frieden, Sicherheit, Wirtschaft, Umwelt, Arbeit, Bildung, Wissenschafts- und Hochschulpolitik, Technologie, Information, Kultur, Medien, soziale Sicherheit, Gesundheit und Ostdeutschland. Im Verlauf des Jahres 2003 wurde der Programmentwurf nochmals überarbeitet und geringfügig geändert. Am 8. August 2003 wurde bei einer gemeinsamen Klausurberatung des Parteivorstands und der Programmkommission bei drei Gegenstimmen beschlossen, den überarbeiteten Programmentwurf von 2003 als Leitantrag an den PDS-Parteitag im Oktober 2003 in Chemnitz zu stellen. Der Entwurf von August 2003 bestand aus den vier Hauptabschnitten „Sozialismus – Ziel, Weg und Werte“, „Die gegenwärtige Welt“, 434

Hein, Rosemarie: Programmdebatte erfordert eingreifendes Denken, in: PID, Nr. 11/2003, S. 6 f. (6 f.). 435 Bortfeldt, Heinrich: PDS am Ende?, in: Deutschland Archiv, Nr. 5/2003, S. 737-751 (743). 436 Vgl. Sozialistische Politik – Reformalternativen im Kampf um Gerechtigkeit (Brücken zwischen dem neuen Programmentwurf der PDS und ihren Konzepten für die Alltagspolitik), in: PID, Nr. 18/2003, S. 3-24 (3). 437 Vgl. Nick, Harry: PDS: Die Rechte, die Linke, die Mehrheit. Über Strömungen in einer sozialistischen Partei und deren Konflikte, in: Junge Welt v. 28./29.6.2003.

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„Reformalternativen: demokratisch, sozial, zivil“, „Veränderungen mit der PDS – Selbstveränderung der PDS“. Zu den zentralen sozialistischen Zielen und Werten wurden Freiheit, Gleichheit und Solidarität erklärt. Der sozialistische Weg zu diesen Zielen führe über eine Demokratisierung der Gesellschaft. Im zweiten Hauptabschnitt des Programmentwurfs analysierten die Autoren die gegenwärtige Lage: den Neoliberalismus, den durch die neuen Informationsund Kommunikationstechnologien bedingten Wandel, die globalen sozialen Probleme sowie die Entwicklung der Europäischen Union und Deutschlands. In der Präambel des Programmentwurfs wurde der Anspruch erhoben, Verhältnisse zu schaffen, in denen die Menschenwürde das höchste Gut ist. Dieser Anspruch begründe die erneuerte sozialistische Politik der PDS. In diesem Zusammenhang bezog sich der Entwurf auf den Menschenrechtsschutz im Grundgesetz.438 Der überarbeitete Programmentwurf wurde im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert. Bei dieser Pressekonferenz erklärte Lothar Bisky, zwar sollten auch in Zukunft Minderheiten ihren Platz in der PDS haben, aber das neue Programm müsse, anders als das Programm von 1993, klare Entscheidungen in wichtigen programmatischen Punkten treffen: „Das neue Programm ist kein Warenhauskatalog. Es kann kein Sammelsurium linker Positionen sein. Zum Pluralismus gehört, dass die Mehrheit in der Partei die Grundrichtung in der Parteipolitik und –entwicklung bestimmt.“439 Gabriele Zimmer fasste bei der Pressekonferenz nochmals die programmatische Debatte zusammen, die dem Programmentwurf vorausgegangen war: „Das neue Programm der PDS ist das Ergebnis einer fünf Jahre währenden intensiven Auseinandersetzung innerhalb der PDS und auch mit anderen Leuten außerhalb der PDS. Über einen Fragenkatalog, Thesen, Grundlinien und Entwürfe ist jetzt der neue überarbeitete Programmentwurf als heute verabschiedeter Leitantrag für den Chemnitzer Parteitag, in Programmkonferenzen, in Diskussionen in der Basis und auf Länderebene und durch Fachdiskussionen in AG und IG entstanden. Über 500 Zuschriften, vorwiegend mit Vorschlägen zur Qualifizierung des Textes und viele Gespräche mit Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft waren Ausdruck eines Ringens der Mehrheit um ein erneuertes und zeitgemäßes politisches Profil der Partei und verbunden mit dem Wunsch, die Programmdebatte zu einem Ergebnis zu führen.“440

438

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. Überarbeiteter Entwurf, in: PID, Nr. 35/2003, S.2. 439 Bisky, Lothar: Ein Mehr an Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, in: PID, Nr. 36/2003, S. 3 f. (4). 440 Zimmer, Gabriele: Demokratischer Sozialismus ist Ziel, Menschenrechtsbewegung und Wertesystem, in: PID, Nr. 36/2003, S. 4 f. (4).

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Die orthodoxen Mitglieder der Programmkommission Uwe-Jens Heuer, Ellen Brombacher und Winfried Wolf verfassten auch zum überarbeiteten und endgültigen Programmentwurf der Redaktionsgruppe ein Minderheitenvotum. Dieses fiel allerdings weniger kritisch aus als die vorangegangenen. Sie lobten, dass der neue Programmentwurf auf die Moderne-Konzeption sowie eine strikte Trennung zwischen Industrie- und Informationskapitalismus verzichtete.441 Der überarbeitete und endgültige Programmentwurf der Redaktionsgruppe stieß innerparteilich auf Kritik sowohl der Orthodoxen als auch besonders entschiedener Reformer. Thomas Falkner meinte, der Programmentwurf sei von einem kaum verhüllten Avantgardismus durchzogen.442 Die PDS habe mit diesem Entwurf die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik als verfassungswidrig erkannt. Demzufolge müsse die Bundesrepublik eigentlich verboten werden.443 Dass die Kritik der Orthodoxen weniger scharf war als zuvor, ist wohl vor allem darauf zurückzuführen, dass Klaus Höpcke sich in der Redaktionsgruppe dafür eingesetzt hatte, einige von den Orthodoxen kategorisch abgelehnte Formulierungen des vorherigen Programmentwurfs zu streichen beziehungsweise zu ändern und einige radikal antikapitalistische Forderungen in den Entwurf aufzunehmen. Gleichwohl konnte Höpcke sich nur in einigen Punkten durchsetzen. Und so kritisierte er den Programmentwurf sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Er sei übermäßig lang und vergrause die Leser durch seine Sucht nach Fremdwörtern, Wiederholungen und gewundenen Wendungen.444 Höpckes Sicht deckte sich offensichtlich mit der eines großen Teils der Parteibasis, wie aus einem Bericht über die inhaltliche Diskussion des Programmentwurfs in den Basisorganisationen hervorging: „Heftig kritisiert werden nach wie vor Sprache, Verständlichkeit, emotionale Wirkung und Länge des Programmentwurfs. Die Sprache sei viel zu akademisch und intellektuell überzogen, mit unzumutbar vielen theoretischen Begriffen, Mode- und Füllwörtern angereichert, wenig emotional mitreißend und durch viele komplizierte Satzkonstruktionen und Schachtelsätze schwer verständlich. Auch sollten die vielen zusätzlichen Erklärungen, Wiederholungen und philosophischen Sentenzen vermieden werden.“445 Bernd Ihme, der Sekretär der

441 442 443 444 445

Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Brombacher, Ellen/Wolf, Winfried: Minderheitsvotum zum Programm der PDS, in: PID, Nr. 36/2003, S. 8-11 (8). Vgl. Falkner, Thomas: Politik als Chance, in: Utopie kreativ, Nr. 153/154/2003, S. 592-602 (600). Vgl. ebd., S. 600. Vgl. Höpcke, Klaus: Erfahrungen aus dem Verlauf der Programmdebatte, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 7/2003, S. 10-13 (12). Zur inhaltlichen Diskussion des Programmentwurfs in den Basisorganisationen, in: PID, Nr. 31/2003, S. 8 f. (8).

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Programmkommission, ergänzte: „Während einige Genossinnen und Genossen bemängeln, dass sie nicht die gewohnte Begrifflichkeit des Marxismus wiederfinden, kritisieren jüngere Parteimitglieder, dass das gewählte Vokabular noch zu sehr aus vergangenen Zeiten stammt und der heute üblichen „Schreibe“ nicht entspricht.“446 Auf Widersprüche im Programmentwurf wurde beispielsweise beim Bundestreffen der Ökologischen Plattform 2003 aufmerksam gemacht. Bei diesem Treffen wurde bemängelt, dass der Programmentwurf sich zwar zu einem ökologischen Umbau bekannte, aber auch teilweise konträr dazu auf Wirtschaftswachstum, Stärkung der Massenkaufkraft und Ansiedlung großer Unternehmen setzte. Diese Forderungen seien lediglich mit ökologischen Verzierungen versehen.447 Im Vorfeld des Chemnitzer Programmparteitags wurden etwa 500 Änderungsanträge zum Programmentwurf eingebracht. Tausende Mitglieder, so der PDS-Parteivorstand, hätten im Laufe der Programmdebatte am neuen Programm mitgearbeitet.448 Gabriele Zimmer erstattete als Vorsitzende der Programmkommission beim Parteitag einen Bericht über den Verlauf der programmatischen Debatte. Darin griff sie die Orthodoxen in ungewöhnlich scharfer Form an. Sie sagte, einige PDS-Mitglieder hätten wohl die Programmdebatte mit der letzten Schlacht um die PDS verwechselt: „Ich hatte schon den Eindruck, dass es in der Partei nicht so ganz wenige Mitglieder gibt, denen ihre Rolle in der Partei wichtiger ist als die Rolle – ja sogar die Existenz – der Partei in der Gesellschaft!“449 Im Rahmen der Generaldebatte des Programmparteitags wurden zu Streitfragen der vier Hauptabschnitte des Programmentwurfs jeweils zwei Impulsreferate gehalten, eines von einem Befürworter und eines von einem Kritiker. Zum Thema „Demokratischer Sozialismus – zeitgemäß und zukunftsorientiert“ (Hauptabschnitt 1: „Sozialismus – Ziel, Weg und Werte“) sprachen Dieter Klein und Uwe-Jens Heuer, zum Thema „Eigentumsfrage und unternehmerisches Handeln“ (Hauptabschnitt 2: „Die gegenwärtige Welt“) Christa Luft und Sahra Wagenknecht, zum Thema „Konsequente Friedenspolitik und Gewaltverbot“ (Hauptabschnitt 3: „Reformalternativen: demokratisch, sozial, zivil“) Wolfgang Gehrcke und Winfried Wolf und zum letzten Hauptabschnitt „Veränderungen mit der PDS – Selbstveränderung der PDS“ Wolfgang Methling und Ellen Brombacher.

446

Ihme, Bernd: Unser Ziel: Ein neues Programm der PDS, in: Disput, Nr. 8/2003, S. 12. Vgl. Wolf, Manfred: Effizienz ist kein Allheilmittel. Bundestreffen der Ökologischen Plattform der PDS kritisiert Programmentwurf, in: ND v. 2.6.2003. 448 Vgl. PID, Nr. 48/2003, S. 3. 449 Zimmer, Gabriele: Ein Parteiprogramm ist nicht alles, aber dennoch entscheidend, in: Disput, Nr. 11/2003, S. 18-22 (19). 447

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Dieter Klein sagte in seinem Impulsreferat, den Zusammenhalt des gesamten Programms markiere die elementare Frage, was Menschen brauchen, um selbstbestimmt zu leben.450 Später brachte der Leitantrag, den der PDS-Parteitag in Potsdam 2004 beschloss, die Antwort auf diese Frage auf den Punkt: „Menschen brauchen die Möglichkeit, über die gesellschaftlichen Bedingungen ihres Lebens selbst und gemeinsam mit anderen zu entscheiden. Sie brauchen den Schutz vor Gewalt. Sie brauchen saubere Luft und sauberes Wasser. Sie brauchen Arbeit, Erwerb und soziale Gerechtigkeit. Sie brauchen Bildung und Kultur. Sie brauchen soziale Sicherheit und Gesundheit. Sie brauchen Frieden.“451 Die Delegierten des Chemnitzer Parteitags nahmen das neue Programm mit 333 Stimmen bei 38 Gegenstimmen und 10 Enthaltungen an. Zweifel daran, dass die Mehrheit der Parteitagsdelegierten die reformerischen Positionen des neuen Programms tatsächlich verinnerlicht hatte, ergeben sich daraus, dass dieselben Delegierten noch beim Geraer Parteitag mit deutlicher Mehrheit gegen die Reformer votiert hatten. Das neue PDS-Programm bestand aus vier Hauptabschnitten: „Sozialismus – Ziel, Weg und Werte“, „Die gegenwärtige Welt“, „Reformalternativen: demokratisch, sozial, zivil“ und „Veränderung mit der PDS – Selbstveränderung der PDS“. Im zweiten Hauptabschnitt wurden die heutige Welt und die Lage in Deutschland analysiert. Die Orthodoxen konnten sich mit ihrer Forderung, diesen Abschnitt dem Abschnitt über Ziel, Weg und Werte der PDS voranzustellen, nicht durchsetzen. Der dritte Hauptabschnitt enthielt Forderungen zu acht zentralen Politikfeldern: 1. Demokratie, 2. Frieden und Gewaltfreiheit, 3. Wirtschaft, 4. Umwelt, 5. Arbeit, 6. Soziale Sicherheit und Gesundheit, 7. Bildung, Wissenschaft, Kultur, Medien, 8. Ostdeutschland. Der erste Satz der Präambel berief sich auf das Grundgesetz und dessen Anfangssatz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dieser Anspruch begründe die erneuerte sozialistische Politik der PDS. Wachsende Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit, Armut, Hunger und Kriege, Fremdbestimmung und Gewalt seien Angriffe auf die Würde des Menschen.452 In der Präambel bezeichnete sich die PDS als konsequent antikapitalistisch und beteuerte, sich mit Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, auseinandersetzen zu wollen.453 Das Parteiprogramm definierte Sozialismus als Ziel, als Weg beziehungsweise als Bewegung und als Werte beziehungsweise Wertesystem: 450

Vgl. Kablow, Klaus/Moritz, Marita/Pätzolt, Harald/Richter, Stefan: Die große Aussprache: Vom Entwurf zum neuen Programm, in: Disput, Nr. 11/2003, S. 25-38 (25). 451 Vgl. Für eine starke PDS: Sozial, mit aller Kraft! Beschluss der 1. Tagung des 9. Parteitages der PDS, in: Disput, Nr. 11/2004, S. 49. 452 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 2. 453 Vgl. ebd., S. 2.

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„Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel – eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung einer und eines jeden zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist. Sozialismus ist für uns eine Bewegung gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, gegen patriarchale Unterdrückung, gegen die Ausplünderung der Natur, für die Bewahrung und Entwicklung menschlicher Kultur, für die Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft, in der Bürgerinnen und Bürger ihre Angelegenheiten demokratisch regeln. Sozialismus ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit, Gleichheit und Solidarität, Emanzipation, Gerechtigkeit, Erhalt der Natur und Frieden untrennbar miteinander verbunden sind.“454 Der Weg zu diesen Werten und Zielen der PDS sollte über eine Demokratisierung der Gesellschaft führen. Zum Ausgangspunkt der Ziele der PDS erklärte das Parteiprogramm die Frage, was Menschen brauchen, um selbstbestimmt leben zu können. Das Programm beantwortete diese Frage auch: Menschen brauchten, um selbstbestimmt leben zu können, die Möglichkeit, über die gesellschaftlichen Bedingungen ihres Lebens selbst und gemeinsam mit anderen zu entscheiden. „Sie brauchen das friedliche Zusammenleben mit anderen Menschen. Sie brauchen saubere Luft und sauberes Wasser. Sie brauchen Arbeit und Verteilungsgerechtigkeit. Sie brauchen Bildung, Kultur, Freizeit und Erholungsmöglichkeiten. Sie brauchen soziale Sicherheit und Gesundheit.“455 Die Verfügung über diese Güter entscheide darüber, ob Menschen frei oder unfrei sind. Das Programm nannte diese Güter deswegen grundlegende Freiheitsgüter. Der Anspruch auf gleiche Teilhabe an diesen Gütern sei zugleich ein Anspruch auf Wahrnehmung fundamentaler Menschenrechte.456 Hier knüpfte das Programm wieder an das in der Präambel formulierte Leitbild der Menschenwürde und der Menschenrechte an. Das Programm beschrieb, was gegenwärtig für die PDS sozialistische Politik auf diversen Politikfeldern bedeutete: x x x

454

„Sozialistische Politik heißt Einsatz für die demokratische Mitwirkung aller, denn Frieden und Freiheit brauchen die Demokratisierung der Macht. Sozialistische Politik heißt Einsatz für den Frieden, denn das Recht auf Leben ist elementarste Voraussetzung für die Freiheit aller. Sozialistische Politik heißt Einsatz für einen Richtungswechsel der Wirtschaftspolitik, für soziale und ökologische Effizienz und Gerech-

Ebd., S. 3. Ebd., S. 3. 456 Vgl. ebd., S. 3. 455

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x x

x x x

x x

tigkeit, denn ungebremste Profitsucht gefährdet Leben und Sicherheit aller. Sozialistische Politik heißt Einsatz für die Bewahrung unserer natürlichen Umwelt, denn die Natur ist das am meisten gefährdete Gut der Menschheit. Sozialistische Politik heißt Einsatz für eine Gesellschaft mit erneuerter Vollbeschäftigung, denn existenzsichernde, sozial anerkannte und ökologisch orientierte Arbeit ist die Grundlage individueller Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität. Sozialistische Politik heißt Einsatz für die solidarische Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme, denn soziale Sicherheit ist eine zentrale Bedingung menschenwürdigen Lebens. Sozialistische Politik heißt Einsatz für den freien Zugang aller zu Wissen, Kultur und Information, denn wie nie zuvor bestimmt dies die Möglichkeiten der Einzelnen und die Zukunft der Gesellschaft. Sozialistische Politik heißt Einsatz für ein erneuertes Entwicklungskonzept, um strukturschwache Regionen im Osten und Westen Deutschlands zu stärken, denn gleiche Lebenschancen sind ein Grundmerkmal von Solidarität. Sozialistische Politik heißt, die gesellschaftliche Dominanz von Männern über Frauen zu überwinden und für die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu streiten. Sozialistische Politik heißt Ablehnung jeglicher Form von Altersdiskriminierung und Achtung der Lebensleistung älterer Menschen. Sozialistische Politik heißt, die Diskriminierung von Menschen anderer nationaler, religiöser oder weltanschaulicher Herkunft aufzuheben.“457

Die Reformer konnten sich mit ihrer umstrittenen Position, unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen seien wichtige Voraussetzungen für Innovation und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, durchsetzen und sie im Programm verankern. Allerdings konnten die Orthodoxen erreichen, dass diese Position durch einen Zusatz eingeschränkt wurde: Solange unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen auf die betriebswirtschaftliche Logik der einzelnen Unternehmens beschränkt blieben und dem Profitstreben des Einzelkapitals unterworfen seien, würden sie sich in ihr Gegenteil verwandeln. „Sozialökologisches Wirtschaften setzt gesellschaftliche Kontrolle und demokratische Mitbestimmung voraus. Ohne Mitbestimmung, gewerkschaftliche Gegenmacht und sozialstaatliche Regulierung führen private Unternehmerinteressen zu volkswirtschaftlich verlustreichen, zu sozialen und Umwelt zerstörerischen

457

Ebd., S. 9.

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Fehlentwicklungen.“458 Das Programm forderte in den Regionen, Ländern und auf Bundesebene die Bildung von Wirtschafts- und Sozialräten mit Informations-, Initiativ- und Beratungsrechten.459 Außerdem wollte sich die PDS für die Einführung einer umfassenden Volksgesetzgebung und für Runde Tische einsetzen.460 In der Frage nach Opposition oder Regierungsbeteiligung entschied sich das Programm für Regierungsbeteiligung bei nicht konkretisierten „entsprechenden Kräfteverhältnissen“461. Obwohl die PDS Regierungsbeteiligungen anstrebte, wollte sie gleichzeitig Anti-System-Partei bleiben. Denn wie im Programm von 1993, so hieß es auch im Programm von 2003, dass in der PDS sowohl solche Menschen einen Platz haben, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch solche, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden.462 Allerdings enthielt das neue Programm nicht mehr das Bekenntnis zum Primat außerparlamentarischer Politik. Anders als das Programm von 1993, hatte das Programm von 2003 kein ganzes Kapitel zur Geschichte. Stattdessen wurden an mehreren Stellen des Programms historische Aspekte erwähnt. Das Programm betonte, niemand müsse der PDS die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte abnötigen. Geschichte sei Verantwortung und Interesse der Partei und ein Teil ihres Beitrags bei der Wiedergewinnung und Erneuerung des demokratischen Sozialismus.463 Die PDS sah sich den Traditionen der Aufklärung, dem Erbe von Karl Marx und Friedrich Engels, den vielfältigen Strömungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften, den sozialdemokratischen und den kommunistischen Parteien, den unterschiedlichsten revolutionären und demokratischen Bewegungen kritisch verbunden und dem Antifaschismus verpflichtet.464 Hervorgegangen sei die Partei in den politischen Umbrüchen des Herbstes 1989 aus der SED. Aus historischer Erfahrung wende sich die PDS gegen Antisozialdemokratismus und Antikommunismus.465 Wie schon im Parteiprogramm von 1993, behauptete die PDS die Legitimität der DDR und brachte zum Ausdruck, dass sie sowohl den Nationalsozialismus als auch die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik für Spielarten des 458 459 460 461 462 463 464 465

Ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 10. Ebd., S. 4. Vgl. ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 20 u. 22. Vgl. ebd., S. 20.

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Kapitalismus hielt: „Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Weiterführung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichbaren Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert war.“466 Eine positive Bezugnahme auf die Oktoberrevolution fehlte im neuen Programm. Die Reformer scheiterten mit dem ohnehin vagen Versuch, mit Blick auf die Geschichte das Wort „totalitär“ ins Programm aufzunehmen. Lediglich im Hinblick auf die „globale Herrschaft transnationaler wirtschaftlicher und politischer Gruppen“467 sprach das Programm von einem neuen Totalitarismus. Das Programm nahm auch zu den Vor- und Nachteilen der deutschen Vereinigung und ihren Folgen Stellung. Aus Sicht der PDS positive und negative Seiten der Bundesrepublik und der DDR wurden einander gegenübergestellt. Wie im Programm von 1993 beurteilte die PDS Missstände in der Bundesrepublik sehr streng, während sie tatsächliche oder vermeintliche Vorteile der DDR hervorhob: „Die Einheit Deutschlands hat der ostdeutschen Bevölkerung repräsentative parlamentarische Demokratie, individuelle staatsbürgerliche Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit, eine Modernisierung der Infrastruktur und westlichen Konsumstil gebracht – aber nicht Gerechtigkeit. Die herrschenden Eliten des vereinigten Deutschlands haben das historische Erbe der DDR und ihrer friedlichen Volksbewegung von 1989/90 ausgeschlagen, um ihre eigene Vormacht zu behaupten und soziale und demokratische Reformen der erweiterten Bundesrepublik zu verhindern.“468 Das neue Programm hielt an der Forderung nach Auflösung der NATO fest.469 Hinsichtlich der seit dem Münsteraner Parteitag von 2000 heftig umstrittenen, von den Vereinten Nationen mandatierten Militärinterventionen hieß es im neuen Programm, die PDS lehne auch weiterhin unabhängig von der jeweiligen Haltung der im Sicherheitsrat vertretenen Staaten eine Beteiligung der Bundeswehr an solchen Einsätzen ab.470 Nach Einschätzung der Konrad-Adenauer-Stiftung war auch das PDSProgramm von 2003 widersprüchlich, interpretationsoffen und Ausdruck eines Kompromisses.471 Damit entsprach es einer Position Michael Bries, der 2000 meinte, die „Formelkompromisse“ des Programms von 1993 seien auch künftig notwendig, um die Spannungsbreite der Positionen der Partei im Programm

466 467 468 469 470 471

Ebd., S. 20. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm. – Berlin 2003, S. 17.

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festzuhalten.472 Für den marxistischen Politikwissenschaftler Georg Fülberth war das Programm schlicht „der belangloseste Text dieser Art, den die deutschen sozialdemokratischen und sozialistischen Bewegungen seit 1848 hervorgebracht haben.“473 Auch aus den Reihen der PDS wurde geäußert, im Programm gäbe es einander widersprechende beziehungsweise mehrdeutige Aussagen. Beispielsweise bemängelte Horst Dietzel, das Programm befürworte einerseits ein „Wirtschaftswachstum, das sich auf ökologischen Umbau, auf anspruchsvolle human- und wissensorientierte Dienstleistungen und die Infrastruktur für selbstbestimmte Lebensweisen konzentrieren soll“474, und verlange andererseits eine Erhöhung der Massenkaufkraft. Zu einigen Grundfragen fänden sich im neuen Programm nur Formelkompromisse.475 Da die PDS hinsichtlich ihrer Programmatik und Politik „unmittelbare Tagespolitik, strategische Politikkonzepte für einen absehbaren mittelfristigen Zeitraum und programmatische Ziele für eine antikapitalistische Alternative“476 unterschied, folgte der Programmdebatte eine Strategiedebatte. Ausdrücklich als Folge und auf der Grundlage des neuen Parteiprogramms eröffnete die PDS 2004 diese Strategiedebatte. Zur Vorbereitung der 1. Tagung des 9. Parteitags im Oktober 2004 wurde dazu ein Diskussionspapier mit dem Titel „Thesen zur strategischen Weiterentwicklung der PDS“ veröffentlicht.477 Autoren waren Wolfgang Gehrcke, Bernd Ihme, Konstanze Kriese, Katina Schubert und Dietmar Wittich. Zentrale Aussage des Papiers war, dass die PDS ein strategisches Dreieck zwischen Widerstand und Protest, Mit- und Umgestaltung sowie einer „über den Kapitalismus hinausgehenden Alternative“ ausfüllen wolle.478 Auf die Thesen zur strategischen Weiterentwicklung der PDS reagierte die Kommunistische Plattform mit einem Gegenpapier, in dem sie das Konzept des strategischen Dreiecks ablehnte.479 Die Reformer setzten sich auch in der Strategiedebatte durch. 2004 beschloss der Potsdamer PDS-Parteitag mit großer Mehrheit einen Leitantrag, in dem es hieß: „Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und

472 473 474 475 476

477 478 479

Vgl. Brie, Michael: Pluralismus braucht Kultur des Streits, in: Junge Welt v. 5.5.2000. Fülberth, Georg: Die Gelegenheitspartei, in: Junge Welt v. 11.6.2007. Dietzel, Horst: Mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten. Ein Vergleich der Grundsatzprogramme von PDS und Bündnis 90/Die Grünen, in: Utopie kreativ, Nr. 161/2004, S. 227-237 (232 f.). Vgl. Dietzel, Horst: Kontinuität und Wandel. Die Programmatik der PDS von 1990 bis 2007 (Pankower Vorträge, H. 99). - Berlin 2007, S. 36. Bischoff, Joachim/Nick, Harry/Steinitz, Klaus: Sozio-ökonomische Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen für eine Reformstrategie der PDS. Zur Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus – Berlin 2000, S. 34. Vgl. Bisky, Lothar: Eine Anregung zur Debatte, in: PID, Nr. 29/2004, S. 4. Vgl. Thesen zur strategischen Weiterentwicklung der PDS, in: PID; Nr. 29/2004, S. 4-12 (4). Vgl. Brombacher, Ellen/Wagenknecht, Sahra/Hecker, Thomas/Herold, Jürgen/Marohn, Heinz/Rabe, Friedrich: Strategie der Anpassung, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 8/2004, S. 1-11.

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Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinausweisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck.“480

3.5. Sonstige programmatische Dokumente Neben den Papieren, die sich direkt auf die Programmdebatte der PDS bezogen, gab es einige weitere wichtige Dokumente zur PDS-Programmatik. Diese werden hier kurz dargestellt. 1994 veröffentlichte Gregor Gysi ein „Ingolstädter Manifest. Wir – mitten in Europa. Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag“. Kernpunkt dieses Papiers war die Forderung nach einem neuen Gesellschaftsvertrag und damit eine Absage an den Klassenkampf. Dabei bezog sich Gysi positiv auf das Sozialstaatsmodell und den New Deal.481 Er schrieb, er halte die Marktwirtschaft für gestaltbar.482 Das Ingolstädter Manifest wurde in der PDSMitgliedschaft intensiv und kontrovers diskutiert. Eva Sturm vermutete, es sei ein Versuch gewesen, mit Hilfe der Autorität Gysis auszutesten, wie weit die Reformer bei dem Versuch der Öffnung der PDS gehen können und wie weit sich die Partei in Richtung eines modernen Sozialismus bewegen lässt.483 Im November 1994 beschloss der PDS-Parteivorstand als Diskussionsgrundlage für die 1. Tagung des 4. Parteitags im Januar 1995 „10 Thesen zum weiteren Weg der PDS“. Die von der Stellvertretenden Parteivorsitzenden Sylvia-Yvonne Kaufmann und von Wolfgang Gehrcke ausgearbeiteten Thesen knüpften in manchen Punkten an Gregor Gysis Ingolstädter Manifest an, so Christian von Ditfurth.484 Die Thesen enthielten Aussagen zu einzelnen Politikfeldern, zum Verhältnis der PDS zu anderen Parteien, zu kurz- und langfristigen Strategien sowie zu Zielen der Oppositionspolitik. Der Bruch mit dem Stalinismus wurde bekräftigt und ein neuer Gesellschaftsvertrag gefordert.485 Dazu hieß es in den Thesen, die Probleme der Gegenwart und Zukunft ließen sich nicht mit einem vereinfachten und reduzierten Denken in den Kategorien von Klassenkampf und Sozialpartnerschaft erfassen.486 480 481 482 483 484 485 486

Für eine starke PDS: Sozial mit aller Kraft! Beschluss der 1. Tagung des 9. Parteitages der PDS, in: Disput, Nr. 11/2004, S. 49-53 (51). Staatsinterventionistisches Reformprogramm zur Belebung der US-amerikanischen Wirtschaft und für Chancengleichheit in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Vgl. Gysi, Gregor: Ingolstädter Manifest, in: PID, Nr. 7/1994, S. 1-7 (2). Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 208. Vgl. Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 244. Vgl. 10 Thesen zum weiteren Weg der PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 19-24 (21). Vgl. ebd., S. 21.

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Nach nahezu einhelliger Ablehnung an der Parteibasis, so jedenfalls die Einschätzung eines führenden Vertreters der Kommunistischen Plattform, zog die Parteiführung die Thesen zurück.487 Stattdessen formulierten Lothar Bisky, Gregor Gysi und Hans Modrow als Kompromiss fünf Standpunkte, die wesentliche Positionen der Thesen zurücknahmen. Der Parteitag beschloss diese fünf Standpunkte. Die fünf Punkte waren: x Der sozialistische Charakter der PDS. x Der Oppositionscharakter der PDS. x Der Pluralismus in der PDS. x Das Verhältnis der PDS zu ihrer Geschichte, zur Geschichte der DDR und zum untergegangenen „real existierenden Sozialismus“. x Das Verhältnis der PDS zur SPD und zu Bündnis 90/Die Grünen. In den fünf Punkten hieß es, die PDS stehe zwar in prinzipieller Opposition zu den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland, wolle allerdings auch zivilisatorische, demokratische und soziale Errungenschaften in der Bundesrepublik anerkennen und nutzen.488 Eine Mitgliedschaft in der PDS sollte nicht nur mit nationalistischen, rassistischen und antisemitischen, sondern auch mit stalinistischen Auffassungen unvereinbar sein.489 Den Orthodoxen war es zunächst gelungen durchzusetzen, dass auch antikommunistische Auffassungen mit einer Mitgliedschaft in der PDS unvereinbar sein sollten. Nach Protesten bekennender Antikommunisten, darunter Heinrich Graf von Einsiedel und Gerhard Zwerenz, wurde schließlich folgende Formulierung angenommen: „Als sozialistische Partei kann und darf die PDS nicht antikommunistisch sein. Die PDS ist nicht bereit, auf demokratisch-kommunistische Positionen in ihren eigenen Reihen zu verzichten.“ Undemokratischer inhumaner Antikommunismus sei mit einer Mitgliedschaft in der PDS nicht zu vereinbaren. Eva Sturm hielt die Annahme der 5 Standpunkte für einen Scheinsieg der Reformer, der dem Parteitag durch erheblichen Zwang, nämlich durch eine Rücktrittsdrohung Lothar Biskys, abgerungen worden sei.490 Michael Benjamin bewertete die „10 Thesen zum weiteren Weg der PDS“ als den direktesten

487

Vgl. Benjamin, Michael: Die PDS und ihr linker Flügel, in: Utopie kreativ, Nr. 69-70/1996, S. 146-151 (148). 488 Vgl. Beschluss des 4. Parteitages der PDS zu den „5 Punkten“, in: Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 244-247 (245). 489 Vgl. ebd., S. 245 f. 490 Vgl. Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 133.

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Versuch der Reformer, den im Parteiprogramm widergespiegelten Konsens aufzukündigen.491 1999 veröffentlichte Gregor Gysi – wie er selbst sagte, als Reaktion auf das gemeinsame Papier von Gerhard Schröder und Tony Blair492 - ein Papier mit dem Titel „Gerechtigkeit ist modern. Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus“. Gysi kam damit der Veröffentlichung der Thesen der Programmkommission zuvor. Er sprach sich in seinem Papier für eine Verbindung von Sozialismus und Moderne aus und würdigte Verdienste der Sozialdemokratie. Zentrale Botschaft der Thesen war das Konzept für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Dieser Gesellschaftsvertrag sollte folgende Grundelemente haben: x x x x

x x

„eine Politik, die sich glaubwürdig der Aufgabe stellt, die neuen Chancen solidarisch in Chancen der freieren Entwicklung aller zu verwandeln; der Übergang zu einer Entwicklungsweise, die eine gerechte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum durch eine neue Arbeits- und Lebensweise sichert und ökologisch nachhaltig ist; die Überwindung aller Hemmnisse, die der Selbstbestimmung von Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter entgegenstehen; Vollbeschäftigung durch den Aufbau neuer Felder für eine nachhaltige, ökologischen und sozialen Kriterien genügende Wirtschaftsentwicklung, Verkürzung, Flexibilisierung und inhaltliche Anreicherung der Erwerbsarbeit und ihre Verbindung mit der Möglichkeit zu freiwilliger schöpferischer Eigenarbeit; ein Sozialsystem, dessen Kosten solidarisch getragen werden und dessen Ziele Grundsicherung einer und eines jeden und aktive Beteiligung aller an den neuen Chancen sind; eine Politik der Sanierung der öffentlichen Finanzen, die zugleich den Weg für eine gerechtere Sozialordnung und neue Entwicklung öffnet.“493

André Brie nannte die zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus Gysis massivsten Beitrag zur Programmdebatte.494 Für Peter Christian Segall und Rita Schorpp-Grabiak waren Gysis Thesen eine synkretistische Synthese

491

Vgl. Benjamin, Michael: Die PDS und ihr linker Flügel, in: Utopie kreativ, Nr. 69-70/1996, S. 146-151 (148). 492 Vgl. Interview im Tagesspiegel v. 8.8.1999. 493 Gysi, Gregor: Gerechtigkeit ist modern, in: PID, Nr. 31/1999, S. 2-11 (4). 494 Vgl. Interview in Freitag, Nr. 32/1999 v. 6.8.1999.

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marxistischer, sozialdemokratischer, ökologischer und gelegentlich neoliberaler Positionen.495 Im Rahmen der Programmdebatte wurde eine Reihe von für das Selbstverständnis der PDS wichtigen Punkten jahrelang äußerst intensiv und kontrovers diskutiert. Jeder einzelne dieser Punkte war sowohl für die Reformer als auch für die Orthodoxen von zentraler Bedeutung. Jede endgültige Entscheidung eines dieser Streitpunkte, die den programmatischen Kompromiss von 1993 aufgegeben hätte, hätte die jeweils unterlegene Seite vor die grundsätzliche Frage gestellt, ob eine weitere Mitarbeit und Mitgliedschaft in der PDS für sie überhaupt noch sinnvoll oder vertretbar ist. Die beiden wichtigsten Ziele der Programmatik und Politik der PDS waren Sozialismus und Demokratie. Nicht umsonst hat sie den Namen „Partei des Demokratischen Sozialismus“ gewählt. Hans Modrow schrieb dazu anschaulich, ein Parteiname sei wie eine Fahne, ein Banner, ein Programm.496 Fraglich und umstritten ist, was die PDS, ihre Gliederungen und ihre Strömungen unter Sozialismus und Demokratie verstanden. So wurde in einem Papier der Rosa-Luxemburg-Stiftung festgestellt, der Terminus „Demokratischer Sozialismus“ sei kaum mit Inhalt gefüllt. Die Befürworter des Demokratischen Sozialismus verbänden mit dem Terminus ganz unterschiedliche Vorstellungen.497 Bernd Rump, Mitarbeiter der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag, verdeutlichte in einem Beitrag zur Programmdebatte den Stellenwert von Sozialismus und Demokratie für die PDS und ihre Programmatik: „Der Name Partei des Demokratischen Sozialismus war auf den Punkt gebrachte Programmatik.“498 In einer programmatischen Studie der Rosa-LuxemburgStiftung hieß es, demokratischer Sozialismus sei der Schlüsselbegriff im Programm der Partei.499 Neben Sozialismus und Demokratie betonte die PDS in ihren programmatischen Dokumenten immer wieder drei weitere besonders wichtige Punkte: x x 495

496 497 498 499

Soziale Gerechtigkeit beziehungsweise Solidarität. Einsatz für den Frieden. Vgl. Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita: Programmdebatte und Organisationsdiskussion bei der PDS, in: Hirscher, Gerhard/Segall, Peter Christian (Hg.): Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Bd. 20). – München 2000, S. 7-20 (13). Vgl. Modrow, Hans: Eine bunte Republik mit kräftigem Rot, in: ND v. 3.9.2005. Vgl. Hillebrand, Heinz/Troost, Axel: Demokratischer Sozialismus – Metarmorphose eines Begriffs (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 17/2007), S. 1. Rump, Bernd: Die PDS ist wie immer in Gefahr, in: ND v. 25.5.2001. Vgl. Dietzel, Horst/Hoffmann, Jana/Woop, Gerry: Studie zum Vergleich der Parteiprogramme von PDS und WASG. - Berlin 2005, S. 7.

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x

Interessenvertretung für die östlichen Bundesländer.

So hieß es beispielsweise im PDS-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1998, die PDS sei Partei der sozialen Gerechtigkeit, Friedens- und Antikriegspartei sowie Partei für die jungen Bundesländer.500 Nachdem sich PDS und WASG vor ihrer Fusion ohne eine längere Debatte vorläufig auf sogenannte Programmatische Eckpunkte, quasi einen kleinsten gemeinsamen Nenner, geeinigt hatten, begann nach dem Vereinigungsparteitag 2007 eine neue Debatte über das erste gemeinsame Grundsatzprogramm. Im Rahmen dieser Debatte werden Punkte auf den Prüfstand kommen, die in der PDS bereits ausdiskutiert und entschieden waren. Die Programmatik wird zukünftig sicher gesamtdeutscher und weniger auf die östlichen Bundesländer ausgerichtet sein. Aus dem westdeutschen Gewerkschaftsmilieu stammende Mitglieder haben in der neuen Partei ein viel größeres Gewicht als in der PDS. Ihr Ideal ist der in der Bundesrepublik seit den siebziger Jahren immer weiter ausgebaute Sozialstaat. Dessen Leistungen wollen sie verteidigen beziehungsweise wiederherstellen. Dieses Ziel war auch das Hauptmotiv für die Gründung der WASG. Ein zentraler Konflikt in der neuen Partei wird zwischen diesem etatistischen Flügel und PDS-Pragmatikern beispielsweise der rot-roten Berliner Koalition, die Sach- und Sparzwänge akzeptieren, ausgetragen werden.

500

Bundesgeschäftsführer der PDS (Hg.): Es geht auch anders: Nur Gerechtigkeit sichert Zukunft! Programm der PDS zur Bundestagswahl 2002. – Berlin 2002, S. 4.

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4. Wirtschaftspolitische Ziele

4.1. Sozialismusvorstellungen Jürgen Lang fasste 2004 rückblickend zusammen, der Kern der PDSProgrammdebatte sei die Auseinandersetzung darüber gewesen, „was Sozialismus war, ist und sein soll“501. Es sei um die Deutungsmacht über diese Fragen gegangen.502 Umstritten war in der PDS sowohl, was genau unter Sozialismus verstanden werden soll, als auch, welche Stellung das sozialistische Fernziel – darüber, dass unter den gegebenen Umständen in absehbarer Zeit nicht mit einer Möglichkeit zum Aufbau eines sozialistischen Staates gerechnet werden konnte, herrschte Einigkeit - in der Programmatik und Politik der PDS einnehmen soll. Gregor Gysi schrieb, in der PDS gäbe es vielleicht ein Gefühl für das, was man sozialistisch nennen könnte, aber keine feste Theorie und keine Definition.503 Sahra Wagenknecht meinte noch 2006, „dass in der PDS mit dem Begriff „Demokratischer Sozialismus“ sehr unterschiedliche politische Strategien verbunden wurden und werden.“504 Manfred Uschner von der Sozialdemokratischen Plattform wies selbstkritisch darauf hin, dass die SED/PDS beziehungsweise die PDS sich überstürzt zum demokratischen Sozialismus bekannt habe: „Demokratischer Sozialismus – das war noch zehn Monate vor der Umbenennung in SED/PDS das Schlimmste an Defätismus, das war im Verständnis Mielkes, Honeckers und der Zentralen Parteikontrollkommission und des ZK-Kaderchefs Sozialdemokratismus.“505 Als die Partei sich zum demokratischen Sozialismus bekannte, konnte dies

501 502 503 504 505

Lang, Jürgen: 15 Jahre PDS – eine zwiespältige Bilanz, in: Deutschland Archiv, Nr. 5/2004, S. 963-969 (965). Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden-Baden 2003, S. 39 f. Vgl. Gysi, Gregor: Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. – Hamburg 2003, S. 180. Vgl. Wagenknecht, Sahra/Hirsch, Nele/Jelpke, Ulla/Lösing, Sabine: Kehrtwende nach rechts, in: Junge Welt v. 28.10.2006. Vgl. Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 183.

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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zumindest für die Masse der Mitglieder noch gar nicht gründlich durchdacht sein, konnte noch gar kein Konsens darüber bestehen, was unter demokratischem Sozialismus verstanden werden sollte. Die PDS, Parteigliederungen und auch einzelne Mitglieder bemühten sich vielfach, das Sozialismusverständnis der Partei zu definieren. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in einer Gesellschaft sozialer Gerechtigkeit und Solidarität erklärte die PDS in ihrem ersten Programm von 1990 zum Kern ihrer Vision eines demokratischen Sozialismus.506 Demokratischer Sozialismus sei das Eintreten für eine friedliche, humane und solidarische Gesellschaft. Er sei für die PDS nichts Abgeschlossenes, kein Gesellschaftssystem, das es in Kürze in Deutschland geben werde.507 In den bei der 1. Tagung des 4. PDS-Parteitags 1995 beschlossenen 5 Standpunkten wurde folgendes Sozialismusbild entworfen: „Er ist für uns verbunden mit vielfältigen Formen der Vergesellschaftung, Überwindung der Kapitalvorherrschaft, Ökologie, Demokratie, Solidarität, sozialer Gerechtigkeit, Emanzipation des Menschen, Überwindung des Patriarchats, Freiheit und Verwirklichung der Menschenrechte, Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Minderheitenschutz, Chancengleichheit in Bildung und Kultur und Dezentralisierung.“508 Im Kommentar zur Programmatik der PDS wurde Sozialismus mit einer Menschenrechtsideologie moderner Gesellschaften gleichgesetzt.509 Der Band „Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil“ skizzierte demokratischen Sozialismus als eine Gesellschaft, in der für jeden die Menschenrechte uneingeschränkt gelten und die sich im Einklang mit der Natur und mit deren Reproduktion nachhaltig und zukunftsfähig zu entwickeln vermag.510 Sowohl einzelne Orthodoxe, beispielsweise Winfried Wolf511, als auch einige Reformer, beispielsweise Horst Dietzel512, verwendeten die Begriffe Sozialismus und Demokratie wie Synonyme. In den Programmen von 1993 und 2003 wurde Sozialismus als Ziel, als Weg und als Werte, beziehungsweise als Ziel, als Bewegung und als Wertesystem beschrieben: „Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel – eine Gesellschaft,

506 507 508 509 510 511 512

Vgl. PDS – Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 44 f. Vgl. ebd., S. 16. Beschluss des 4. Parteitages der PDS zu den „5 Punkten“, in: Uschner: Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 244-247 (244). Vgl. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 49. Vgl. Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil (Schriften, Bd. 2). – Berlin 2000, S. 62. Vgl. Wolf, Winfried: Spur der Steine oder Spur der Scheine, in: Junge Welt v. 27.8.2003. Vgl. Diskussion zum Bundestagswahlprogramm, Diskussionsbeitrag von Horst Dietzel, in: PID, Nr. 11/1994, S. 41-43 (42).

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in der die freie Entwicklung einer und eines jeden zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist. Sozialismus ist für uns eine Bewegung gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, gegen patriarchale Unterdrückung, gegen die Ausplünderung der Natur, für die Bewahrung und Entwicklung menschlicher Kultur, für die Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft, in der Bürgerinnen und Bürger ihre Angelegenheiten demokratisch regeln. Sozialismus ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit, Gleichheit und Solidarität, Emanzipation, Gerechtigkeit, Erhalt der Natur und Frieden untrennbar miteinander verbunden sind.“513 Dietmar Bartsch nannte die Definition des Demokratischen Sozialismus als Gesellschaftsordnung, Weg und Wertesystem die „Dreieinigkeit des Demokratischen Sozialismus“.514 Gregor Gysi sagte in seiner Rede bei der 1. Tagung des 10. Parteitags der Linkspartei.PDS im April 2006: „Für uns ist demokratischer Sozialismus die Vollendung der Einheit von sozialen und zivilen, bürgerlichen und politischen Rechten.“515 Winfried Wolf stellte „zehn Gebote für einen demokratischen Sozialismus“ auf: „1. Sozialismus heißt Rückgewinnung der Arbeit als Teil der Menschwerdung“ „2. Sozialismus heißt Planung der großen gesellschaftlichen Ressourcen“ „3. Sozialismus heißt umfassende Demokratie“ „4. Sozialismus heißt Wirtschaftsdemokratie“ „5. Sozialismus heißt Solidargesellschaft“ „6. Sozialismus heißt Gleichberechtigung der Geschlechter und Zerstörung des Patriarchats“ „7. Sozialismus heißt nachhaltiges Wirtschaften“ „8. Sozialismus heißt Dezentralität und Nähe statt Zentralismus und Schnelligkeit“ „9. Sozialismus heißt internationale Solidarität“ „10. Sozialismus heißt Frieden“516 Wie Teile der PDS alles Negative auf den Kapitalismus projizierten, so projizierten manche Mitglieder alles Positive auf den Sozialismus: „Die Fragen globale Gerechtigkeit, Friedenspolitik, Gefahren der Atomenergie, multikulturelle Gesellschaft, Fragen der Ökologie, Geschlechtergerechtigkeit“517 513

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 3. Interview in Freitag, Nr. 12/2007. 515 Gysi, Gregor: Demokratischer Sozialismus – Einheit von sozialen und politischen Rechten, in: Disput, Nr. 5/2006, S. 24-31 (29). 516 Wolf, Winfried: Die zehn sozialistischen Gebote, in: Kalaschnikow, Nr. 14/2000, S. 103-108 (106 ff.). 517 Faber, Michael/Bens, Jonas: Für eine moderne und bunte Linke!, in: Utopie kreativ, Nr. 191/2006, S. 838-840 (839). 514

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seien für die PDS untrennbare Bestandteile einer Vision vom Demokratischen Sozialismus. Die Ableitung des Sozialismus aus abstrakten Werten oder Prinzipien statt aus einer sozialökonomischen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse wurde von den Orthodoxen stets scharf angegriffen. Sie beriefen sich dabei auf Marx und Engels, die es immer kategorisch abgelehnt hätten, den Sozialismus auf Werten oder Prinzipien aufzubauen statt aus historischer Notwendigkeit und sozialökonomisch begründeten Interessen abzuleiten.518 In der Programmdebatte wurden auch Sozialismusauffassungen vertreten, die aus DDR-Zeiten stammten, wie etwa die folgende: „Der Sozialismus ist aber vor allem und zuallererst ein politisches Machtsystem der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten – der Diktatur des Proletariats.“519 Zur Beantwortung der Frage, was die PDS unter Sozialismus verstand und wie ihre Vorstellungen von einer angestrebten sozialistischen Ordnung aussahen, muss auch berücksichtigt werden, wie die Partei sich gegenüber dem Kommunismus positionierte. Bei der 1. Tagung des 4. PDS-Parteitags setzten sich am Abend des 27. Januar 1995 die Orthodoxen knapp mit dem Antrag durch, antikommunistische Auffassungen sollten unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der PDS sein. Nach heftigen Protesten eines Teils der Delegierten brachte das Arbeitspräsidium bei der Fortsetzung der Tagung am Morgen des 28. Januar dazu einen Änderungsvorschlag ein. Dieser lautete, als sozialistische Partei könne und dürfe die PDS nicht antikommunistisch sein. Sie sei zudem nicht bereit, auf demokratisch-kommunistische Positionen zu verzichten. Undemokratischer inhumaner Antikommunismus sei mit der Mitgliedschaft in der PDS nicht zu vereinbaren. Dieser Änderungsantrag wurde angenommen. Noch 2000 nannte selbst Gregor Gysi den Kommunismus eine der wichtigsten Befreiungsideologien des 19. Jahrhunderts.520 Unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der DDR favorisierten manche Reformer zunächst einen Dritten Weg jenseits des klassischen Sozialismus und der Marktwirtschaft. So trug der erste Sammelband zur PDS-Programmatik den Titel „Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS“521. In der Wendezeit konstituierte sich auch eine Plattform Dritter Weg. André Brie versuchte zu beschreiben, was mit einem Dritten Weg gemeint war: „Der Begriff (Dritter Weg) ist vielfältig und unterschiedlich besetzt. Wir verstanden darunter einen Weg nicht zwischen, sondern jenseits von 518

Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 88. 519 Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 1/2001, ohne Seitenangabe. 520 Vgl. Gysi, Gregor: Brief an die Delegierten der 3. Tagung des 6. Parteitages der PDS (Teil II und Schluss), in: Junge Welt v. 11.3.2000. 521 Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990.

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Realsozialismus und Realkapitalismus, eine demokratische sozialistische Perspektive. Einiges davon hat Eingang in die Programmatik der PDS gefunden.“522 Schon seit 1990 hatte die PDS das Ziel, den Sozialismus gewissermaßen zu exkulpieren, indem sie die These vertrat, in der DDR habe es keinen wahren und wirklichen Sozialismus, sondern nur einen Sozialismus-Versuch unter ungünstigen Voraussetzungen und Bedingungen gegeben. Sie sprach auch von Frühsozialismus oder von einem Experiment.523 Nach dieser Argumentation könne der Sozialismus auch nicht für die Fehler und Verbrechen der DDR verantwortlich gemacht werden. Die Idee des Sozialismus sollte möglichst unbefleckt erscheinen und für einen möglichen weiteren Versuch erhalten bleiben. So hieß es etwa im PDS-Programm von 1990, der administrativzentralistische Sozialismus habe eine der größten humanistischen Ideen der Menschheitsgeschichte, die Idee des Sozialismus, in den Schmutz gezogen. Doch die sozialistische Ursprungsidee habe dennoch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.524 Der Sozialismus als Ausdruck uralter Menschheitsideale – soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit für die Unterdrückten, Hilfe für die Schwachen – sei unvergänglich.525 In einer Erklärung der Historischen Kommission beim Parteivorstand der Linkspartei.PDS hieß es, der Stalinismus habe mit dem „Wesen der Sozialismusidee nur noch abstrakt und propagandistisch“526, nicht aber mehr real etwas gemeinsam gehabt. Im Programmentwurf von August 2003 war von Verbrechen, die von Menschen begangen wurden, die sich Sozialisten und Kommunisten nannten, die Rede.527 Im Parteiprogramm von 2003 hieß es dann, die PDS wolle sich mit Verbrechen auseinandersetzen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden.528 Mit solchen Formulierungen sollte wohl zum Ausdruck gebracht werden, dass echte Sozialisten und Kommunisten solche Verbrechen nicht begangen hätten beziehungsweise begangen haben. André Brie ging mit seiner Kritik am DDR-Sozialismus wie auch in anderen Fragen besonders weit. Er schrieb, Sozialismus beziehungsweise sozialistische

522 523 524 525 526 527 528

Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 265. Vgl. Schulz, Wilfried: Nachdenken über Sozialismus, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/2000, S. 602-608 (605). Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 8. Vgl. ebd., S. 9. Historische Kommission beim Parteivorstand der Linkspartei.PDS: 50 Jahre nach dem XX. Parteitag der KPdSU, in: PID, Nr. 7/2006, S. 11-15 (15). Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. Überarbeiteter Entwurf, in: PID, Nr. 35/2003, S. 2. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 2.

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Politik sei in Deutschland erst nach der Niederlage der DDR möglich geworden. Diese Niederlage müsse objektiv als ein Fortschritt angesehen werden.529 Bereits in den achtziger Jahren hatten die späteren Reformer eine Konzeption eines sogenannten modernen Sozialismus beziehungsweise einer Moderne entwickelt, die sie insbesondere in den Thesen zur programmatischen Debatte und im Programmentwurf von 2001 darlegten und mit Nachdruck vertraten. Allerdings nahmen sie von dieser Konzeption – zumindest vom Moderne-Begriff – wegen des massiven Widerstands der Orthodoxen später Abstand. Ausgangspunkt der Moderne-Konzeption war die Überlegung, dass die heutige Gesellschaft der Bundesrepublik allein mit dem Begriff Kapitalismus nicht erfasst werden könne. Die Gesellschaft der Bundesrepublik sei nicht nur kapitalistisch. Aus der kapitalistischen Dynamik, aus den politischen und den geistig-kulturellen Auseinandersetzungen seit dem Beginn des bürgerlichen Revolutionszyklus und aus dem Prozess der Aufklärung seien unverzichtbare Zivilisationsgewinne erwachsen, die die Reformer mit dem Begriff der Moderne oder der modernen Gesellschaft erfassen wollten. Die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik habe zwar Defizite, doch solle die PDS die Vorteile der pluralistischen Demokratie, des Markts und des Rechtsstaats anerkennen und deren Möglichkeiten für eine Transformation des Staats in sozialistischem Sinne nutzen, so die Verfechter der Moderne-Konzeption: x x x

„die pluralistische Demokratie, die trotz ihrer Dienlichkeit als Herrschaftsmechanismus eine Chance für Gegenmächte, für Korrekturen in der Politik und für Lernprozesse ist, -er Markt, der trotz seiner sozialen Kälte, ökologischen Blindheit und zerstörerischen Wirkungen zugleich ein unverzichtbarer dezentraler Selektionsmechanismus ist, -der Rechtsstaat, der in seiner gegenwärtigen Verfasstheit keineswegs Gerechtigkeit sichert, dem aber doch für die Behauptung von Bürgerrechten erhebliche Bedeutung zukommt.“530

Weitere Eigenschaften der Moderne seien unter anderem die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in leistungsfähige Teilsysteme, beispielsweise Politik, Recht, Wissenschaft und Kunst531, die Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft und der Individualisierungsprozess. Die DDR sei daran gescheitert, dass sie die Überwindung des Kapitalismus mit der Absage an die 529

Vgl. Brie, André: Ankommen in der Bundesrepublik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 10/1996, S. 1161-1165 (1162 f.). 530 Thesen zur programmatischen Debatte, in: PID, Nr. 47/1999, S. 2-32 (4). 531 Vgl. Land, Rainer: Moderner Sozialismus versus Neoliberalismus, in: Das Argument, Nr. 233/1999, S. 811-826 (814).

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zivilisatorischen Qualitäten der Moderne gleichgesetzt habe. Definitions- und Deutungsmacht im Hinblick auf Moderne und Modernisierung dürften nicht neoliberaler Hegemonie überlassen bleiben. In seinen „Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus“ sprach sich auch Gregor Gysi schon in der ersten These für eine Verbindung von Sozialismus und Moderne als die Vision für das 21. Jahrhundert aus.532 Rainer Land, der schon in den letzten Jahren der DDR am Projekt „Philosophische Grundlagen der Erarbeitung einer Konzeption des modernen Sozialismus“ an der Humboldt-Universität mitgearbeitet hatte, erläuterte, was aus der Sicht eines Reformers unter Moderne und modernem Sozialismus zu verstehen ist. Er definierte Moderne als eine Gesellschaft, deren eigentümliche Evolutionspotentiale auf der funktionalen Differenzierung in (relativ) autonome Subsysteme beruhen.533 Von dieser Überlegung ausgehend, entwickelte er ein Modell des modernen Sozialismus: „Der moderne Sozialismus wurzelt zwar im Marxismus, verlässt aber marxistische Vorstellungen an wichtigen Positionen. Er ist nicht „anti-kapitalistisch“ im Sinne der Ablehnung einer Kapitalverwertungsökonomie, er will Kapitalverwertung durch gesellschaftliche Institutionen gestalten. Er lehnt Etatismus ab, ohne anti-etatistisch zu sein, denn er sieht in der Dominanz der Partei und des Parteistaats über die Gesellschaft eine zentrale Ursache für das Scheitern des leninistischen Sozialismus und die Entstehung eines (post)stalinistischen „Staatssozialismus“. Und er ist liberal – in einem libertären Sinn.“534 Die Orthodoxen kritisierten die Moderne-Konzeption scharf. Sie vermuteten hinter dieser Konzeption eine verschleierte Abkehr von sozialistischen Kernpositionen und von der grundsätzlichen Systemopposition der PDS. Die Auffassung der Reformer, der Markt, die pluralistische Demokratie und der Rechtsstaat könnten vom „kapitalistischen System“ getrennt und separat im Sinne der PDS weiterentwickelt werden, lehnten die Orthodoxen ab.535 Ingo Wagner beispielsweise schrieb: „Diese „Basisinstitutionen“ (gemeint sind Markt, Demokratie und Rechtsstaat) wurden so von ihrer letztlich entscheidenden (bestimmenden) ökonomischen Basis abgekoppelt, aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang und der sozialen Gliederung herausgelöst und so als ein Feld geschichtlicher Entscheidungen begriffen, als Möglichkeiten,

532

Vgl. Gysi, Gregor: Gerechtigkeit ist modern, in: PID, Nr. 31/1999, S. 2-11 (2). Vgl. Land, Rainer/Possekel, Ralf: PDS und moderner Sozialismus, in: Brie, Michael/Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 112-130 (120). 534 Land, Rainer: Moderner Sozialismus versus Neoliberalismus, in: Das Argument, Nr. 233/1999, S. 811-826 (811). 535 Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 40. 533

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die als solche weder gut noch schlecht waren.“536 Die Moderne-Konzeption bedeute das Ende der materialistisch-dialektischen Betrachtungsweise der Gesellschaft.537 Wagner sah Parallelen zwischen den Positionen Eduard Bernsteins und der Konzeption des modernen Sozialismus.538 Er resümierte, alle grundlegenden Differenzen in der programmatischen Debatte ließen sich auf die Trennlinie zwischen einer zeitgemäßen marxistischen Positionierung und dem Modernen Sozialismus zurückführen.539 Im Gegensatz zu den Orthodoxen beteuerten die Reformer, Ziel der sozialistischen Moderne sei keineswegs die Aufgabe marxistischer Kapitalismusanalyse und Sozialismusvorstellungen, sondern deren Verbindung mit Moderne-Konzepten.540 Allerdings laufe die Moderne-Konzeption, so André Brie, in dreierlei Hinsicht auf einen Abschied von einem marxistischmaterialistischen Verständnis der Formierung von Gesellschaft hinaus: x

x

x

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„Erstens: Die Marxsche Vorstellung von einer quasi gesetzmäßigen gesellschaftlichen Höherentwicklung hat sich als unzutreffend erwiesen. Dieser Prozess ist komplizierter, umfassender. Fragen zivilisatorischer Kontinuität, der Kultur, Moral, Psychologie etc. müssen in wesentlich stärkerem Maße berücksichtigt werden. Zweitens: Sozialökonomische Verhältnisse bestimmen in letzter Instanz die Entwicklungsrichtung der Gesellschaft. Gesellschaft auf ihre Ökonomie zu reduzieren,“ (...) „führt jedoch zu einem blutleeren Ökonomismus und zu gravierender Fehleinschätzung der widerspruchsvoll-heterogenen Ganzheitlichkeit und Komplexität moderner Gesellschaften. Drittens: Moderne Gesellschaften sind von starken und relativ autonomen Substrukturen und dem Wirken unterschiedlicher mehr oder minder starker Mächte gekennzeichnet. Innen- und Außenpolitik, Ideologie und Kultur, gesellschaftliche Wertorientierungen, die Entwicklung des Rechts haben ein eigenes Wesen, unterliegen letzten

Ebd., S. 41. Vgl. ebd., S. 41. 538 Vgl. Wagner, Ingo: Rosa Luxemburgs Kritik an Eduard Bernstein und der Moderne Sozialismus in der PDS, in: Poßneck, Ehrenfried/Wagner, Ingo: Eduard Bernstein, Rosa Luxemburg und der Sozialismus der Moderne. Ein Beitrag zur programmatischen Debatte in der PDS (Marxistisches Forum, H. 34/45). – Leipzig 2001, S. 18-33 (23). 539 Vgl. Wagner, Ingo: „Was tun?“ Marxisten in der PDS. Die „Thesen zur programmatischen Debatte“ in der PDS: Darlegung des Sozialismus der Moderne, in: Junge Welt v. 22.12.1999. 540 Vgl. Brie, André: Zur Verteidigung von Theorie und Politik sozialistischer Moderne, in: Utopie kreativ, Nr. /1995, S. 56-64 (56). 537

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Endes aber durchaus der Gewalt ökonomischer und politischer Interessenlagen“541. Brie stellte klar, dass sein Verständnis von Moderne keine marktwirtschaftliche, sondern eine zivilisatorische und letztlich antikapitalistische Moderne sei.542 Ziel sei die Überwindung der Profitdominanz, nicht aber die Abschaffung des Privateigentums an allen Produktionsmitteln. Die PDS wollte den Begriff Sozialismus überhöhen und lud ihn mit als positiv angesehenen Werten wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit, Menschenrechte und so weiter auf. So empfahl Dieter Klein, die PDS solle Begriffe wie Freiheit, Grundrechte und Modernisierung nicht anderen überlassen.543 Zuweilen hatte es den Anschein, die PDS setze sozialistische Ziele mit karitativen Zielen oder Sozialismus mit Menschenrechten gleich. Jürgen Lang und Viola Neu sahen 2002 die Menschenrechte zu einer universellen Grundlegitimation der sozialistischen Politik der PDS aufgerückt.544 Patrick Moreau stellte bei den Reformern ab etwa 2002 eine Tendenz fest, die Termini Freiheit, Gleichheit und Sozialismus austauschbar zu machen.545 Der Begriff Sozialismus würde so von den ungleich positiveren Konnotationen der Begriffe Freiheit und Gleichheit profitieren.546 Es gäbe eine Gleichung, die Sozialismus mit Freiheit und diese wiederum mit Menschenrechten gleichsetzt. So sei es der PDS möglich, jede Aktion des Widerstands gegen den Kapitalismus nicht nur im Namen des Sozialismus, sondern auch im Namen von Freiheit und Menschenrechten zu führen.547 Hermann Klenner wiederum definierte Menschenrechte beziehungsweise die Deklaration der Menschenrechte als juristischen Ausdruck eines konstruktiven Antifaschismus.548 Moreaus These wurde beispielsweise durch eine zentrale Äußerung Dieter Kleins gestützt. In seiner Begründung des Antrags zur Organisation der programmatischen Debatte bei der 1. Tagung des 6. PDSParteitags im Januar 1999 setzte Klein demokratischen Sozialismus in einer

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Ebd., S. 56 f. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. Hildebrandt, Axel: Große Mehrheit: Programmatische Debatte weiterführen, in: Disput, Nr. 4/2000, S. 17 f. (17). Vgl. Lang, Jürgen/Neu, Viola: Die PDS und ihr Verhältnis zum Grundgesetz, in: Die Politische Meinung, Nr. 388/2002, S. 51-56 (54). Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 276. Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: Dichtung oder Wahrheit? Die Grundlinien des zukünftigen Programms der PDS, in: Politische Studien, Nr. 378/2001, S. 78-89 (82). Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 286. Vgl. Klenner, Hermann: Kampf für Menschenrechte, in: Antifa, Nr. 9-10/2008, S. 3.

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Kurzdefinition mit radikaler Menschenrechtspolitik gleich.549 In seinen zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus schrieb Gregor Gysi, der politische Anspruch eines demokratischen Sozialismus bestehe in einer solchen Gestaltung der Gesellschaften, die die Durchsetzung der sozialen und politischen Menschenrechte für jeden einzelnen und für alle garantiert. In diesem Sinne könne Sozialismus auch als die Menschenrechtspolitik moderner Gesellschaften bezeichnet werden.550 Schon 1995 empfahl das parteilose Mitglied der PDS-Bundestagsgruppe Gerhard Zwerenz der PDS, sich zu einer radikalen Menschenrechtsverfechterin zu entwickeln, insbesondere um in Westdeutschland in neue Wählerschichten eindringen zu können.551 Welchen Stellenwert die Menschenrechte beziehungsweise das von der PDS mit dem Begriff Menschenrechte Gemeinte für die Partei hatte, zeigte sich daran, dass das Parteiprogramm von 2003 schon im ersten Satz der Präambel auf den Satz des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Bezug nahm. Diese Position begründe gar die erneuerte sozialistische Politik der PDS.552 Die Frage, was Menschen brauchen, um selbstbestimmt leben zu können, sei der Ausgangspunkt der Ziele der PDS. Die Verfügung über Freiheitsgüter entscheide darüber, ob Menschen frei oder unfrei sind. Der Anspruch auf gleiche Teilhabe an den Freiheitsgütern sei zugleich ein Anspruch auf Wahrnehmung fundamentaler Menschenrechte.553 Mit dieser Argumentation verband das Programm also Menschenrechte, Freiheit und Sozialismus. Lothar Bisky erläuterte dazu in seiner Rede bei der 1. Tagung des 10. Parteitags der Linkspartei.PDS im April 2006: „Das geltende Programm der Linkspartei.PDS ist entlang einer Idee formuliert: Demokratischer Sozialismus und Menschenrechte gehören untrennbar zusammen. Individuelle Freiheit einer und eines jeden durch soziale Gleichheit und Solidarität – das ist der libertäre Grundgedanke des demokratischen Sozialismus, der Dreh- und Angelpunkt in unserem geltenden Programm.“554 Aus den Reihen der PDS wurde die Verwendung der Begriffe Freiheit, Gleichheit und Sozialismus durch die Reformer auch kritisiert. Beispielsweise wurde in der Generaldebatte des Chemnitzer Programmparteitags im Oktober

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Klein, Dieter: Eckpunkte einer linken Reformalternative ausarbeiten, in: Parteivorstand der PDS. Programmkommission (Hg.): Zur programmatischen Debatte der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 1999, S. 48-55 (51). Vgl. Gysi, Gregor: Gerechtigkeit ist modern, in: PID, Nr. 31/1999, S. 2-11 (2). Vgl. Einsiedel, Heinrich Graf von/Zwerenz, Gerhard: Deutschland braucht eine neue pluralistische Linke (Interview), in: Beinert, Heinz (Hg.): Die PDS – Phönix oder Asche? – Berlin 1995, S. 139-155 (147). Vgl. Programm der Partei des demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 2. Vgl. ebd., S. 3. Bisky, Lothar: Die Bildung einer neuen Linken ist die Aufgabe der Stunde, in: Disput, Nr. 5/2006, S. 6-13 (11).

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2003 bemängelt, Sozialismus werde bis hin zu offener Metaphysik mit Freiheit, Gleichheit und anderen Begriffen gleichgesetzt.555 Dass es Ziel der PDS war, die Begriffe Sozialismus, Freiheit und Gerechtigkeit austauschbar zu machen, zeigte sich auch in einem Beitrag Michael Bries über Freiheit und Gerechtigkeit bei Rosa Luxemburg: „Das auch von ihr (Luxemburg, S.P.) immer wieder gebrauchte Wort „Sozialismus oder Barbarei“ könnte auch „Freiheit oder Barbarei“, „Gerechtigkeit oder Barbarei“ buchstabiert werden. Und der Satz „Freiheit oder Sozialismus“ wäre für sie genauso sinnlos gewesen wie der Satz „Freiheit oder Freiheit“.“556 Patrick Moreau stellte das Modell der PDS zur Gleichsetzung von Sozialismus und Menschenrechten wie folgt dar: „Sozialismus = Gerechtigkeit und Gleichheit (- die die Bedingungen setzen für die -) = Freiheit (- welche identisch ist mit -) = Menschenrechte(n) (- die wiederum den Rahmen der politischen und theoretischen Aktion bilden für die -) = PDS (- deren Projekt sich identifiziert mit dem -) = Sozialismus.“ In dieser Argumentationskette stehe die Gleichheit de facto als Wert über der Freiheit. Gleichheit sei der Nukleus der anderen Werte.557 2007 analysierte das Institut für Demoskopie in Allensbach anhand von Umfragedaten, es sei der PDS beziehungsweise der Linken gelungen, „die Zusammenhänge zwischen Sozialismus und Unfreiheit zu verwischen.“558 Und so setzte Gregor Gysi beim Gründungsparteitag der Linken der Parole „Freiheit statt Sozialismus“ ein „Freiheit und Sozialismus“559 entgegen. Oskar Lafontaine plädierte sogar für „Freiheit durch Sozialismus“560. Moreau vertrat die Auffassung, die PDS wolle die Menschenrechte lediglich instrumentalisieren. Er untermauerte diese Auffassung mit einem Zitat aus dem Kommentar zur Programmatik der PDS: „Wenn sich Sozialisten auf Menschenrechte berufen, dann tun sie dies nicht deshalb, weil sie von den Widersprüchen zwischen Klassen und anderen sozialen Gruppen ablenken wollen, sondern um genau diesen sozialen Widersprüchen jene politische Ausdrucksform zu verleihen, mit der sie überhaupt wirksam im Interesse von benachteiligten Gruppen ausgetragen werden können und Grundstrukturen in Politik und Wirtschaft verändern.“561 Jürgen Lang sah im Eintreten der PDS für

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Vgl. Kablow, Klaus/Moritz, Marita/Pätzolt, Harald/Richter, Stefan: Die große Aussprache: Vom Entwurf zum neuen Programm, in: Disput, Nr. 11/2003, S. 25-38 (30). Vgl. Brie, Michael: Freiheit ist immer die Freiheit der Anderen, in: Freitag, Nr. 39/2000 v. 22.9.2000. Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 287. Petersen, Thomas: Der Zauberklang des Sozialismus, in: FAZ v. 18.7.2007. Küchen, Marina: „Freiheit durch Sozialismus“, in: Hamburger Abendblatt v. 18.6.2007. Lafontaine, Oskar: Freiheit durch Sozialismus, in: FAZ v. 9.7.2007. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 38.

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die Menschenrechte nichts anderes als ideologischen Kitt, um Belange unterschiedlichster sozialer Gruppen zu einem einheitlichen gesellschaftlichen das Gegenteil der Willen zusammenzuführen.562 Gewissermaßen Menschenrechte stellte für die PDS der Kapitalismus dar, der in ihren Augen die ganze Menschheit bedrohte. Eine Redakteurin der Zeitschrift „Utopie kreativ“ stellte die These auf, die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik stehe im Gegensatz zur grundgesetzlich geschützten Menschenwürde. Daher sei die Demokratisierung der Wirtschaft der Weg, „Menschenwürde im Sinne des Grundgesetzes für alle zu verwirklichen.“563 Dass für die PDS die Verbindung von Sozialismus und Menschenrechten immer auch antikapitalistisch war, bekannte beispielsweise Gabriele Zimmer 2003 unter Bezugnahme auf das neue Parteiprogramm: „Das neue Programm der PDS ist sozialistisch, weil es zutiefst demokratisch und antikapitalistisch ist und die Interessen und Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt.“564 Der Programmentwurf von Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch stellte eine Verbindung zwischen Menschenrechten, Freiheitsgütern – der Anspruch auf Freiheitsgüter sei ein Anspruch auf Menschenrecht – und der Geschichte des Sozialismus her, indem er den Kampf um dieses Menschenrecht zur Botschaft der Internationalen erklärte.565 Was Teile der PDS unter Menschenrechten verstanden, legte Ingo Wagner offen dar: Die Menschenrechte seien „der Dialektik der Klassengesellschaft unterworfen und damit historisch-konkret und geschichtlich veränderlich. Insofern sind sie als klassenmäßige und ideologische Erscheinungen zu bewerten.“566 Anhand des PDS-Programms von 2003 meinte Viola Neu, nicht nur unter Orthodoxen sei ein solches Verständnis von Menschenrechten zu finden. Die PDS fasse Menschenwürde nicht als elementares Persönlichkeitsrecht auf, sondern leite sie indirekt ab. Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit, Armut, Hunger, Krieg, Fremdbestimmung und Gewalt bedrohten die Menschenwürde.567 Ein Staat, der dies zulässt, befinde sich aus Sicht der PDS im Unrecht und sei durch einen anderen zu ersetzen.568 Das gesamte Programm sei von einem Freund-Feind-Schema durchzogen, demzufolge neoliberale 562 563 564 565

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Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden-Baden 2003, S. 60. Plener, Ulla: Wirtschaftsdemokratie in der Programmdiskussion der neuen Linken, in: Utopie kreativ, Nr. 195/2007, S. 31-40 (39). Zimmer, Gabriele: Auf einer Stufe mit innerparteilichen Kritikern, in: PID, Nr. 38/2003, S. 3. Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (88). Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 91. Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm. – Berlin 2003, S. 7. Vgl. ebd., S. 8.

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Politik die Menschenwürde bedrohe und allein der Sozialismus in der Lage sei, sie zu schützen.569 2006 sah sich André Brie in Zusammenhang mit einer Diskussion über Menschenrechte auf Kuba zu der Kritik veranlasst, die PDS habe trotz vieler Erklärungen kein wirkliches Verhältnis zu Menschenrechten entwickelt.570 Die PDS war bemüht, ihr Bild von Sozialismus so zu beschreiben, dass sich Berührungs- und Anknüpfungspunkte zu anderen wichtigen weltanschaulichen Richtungen ergeben. Sie versuchte beispielsweise, Bezüge zu christlichen, liberalen und ökologischen Traditionen und Positionen herzustellen. Diese Versuche wirkten mitunter arg konstruiert. Sie dienten auch dazu, das aktuelle Handeln der PDS zu erklären oder zu begründen. 1990 zog Gregor Gysi in einem zentralen programmatischen Aufsatz Parallelen zwischen der Entwicklung des Sozialismus und derjenigen des Christentums. Die Idee des Sozialismus sei ebenso unsterblich wie die des Christentums, „dessen Vision – gleichermaßen unerreicht – in den Jahrhunderten tausendfach von sich Christen nennenden Menschen beschmutzt wurde. Die Kirche, die dem Christentum verpflichtet ist, hat sich nicht aufgelöst, weder nach Hexenverbrennungen oder Inquisition noch nach größtem Versagen wie während des Nationalsozialismus.“571 Später sagte Gysi, die Ideale des Sozialismus seien auf dem Boden der christlich-jüdischen Moral gewachsen572 und die Moralvorstellungen der Linken seien immer auch christlich-jüdisch geprägt gewesen.573 Gegenwärtig könnten nur die Kirchen die Gesellschaft mit moralischen Werten prägen. Gysi erklärte mehrfach, eine gottlose Gesellschaft sei auch eine wertlose Gesellschaft.574 In einem Interview mit der Zeitschrift Kompass, dem Organ der katholischen Militärseelsorge, sagte Gysi: „Ohne die Religionen, ohne den Glauben, ohne die Kirchen gäbe es keine Grundlage für allgemein verbindliche Moralnormen gegenwärtig in unserer Gesellschaft. Das hätte zerstörerische Konsequenzen.“575 Lothar Bisky erklärte, die Sozialenzykliken der Päpste und die Bergpredigt seien nicht weit von den Ideen des demokratischen Sozialismus entfernt.576 In einem Beitrag zu

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Vgl. ebd., S. 7. Vgl. Interview in Spiegel-Online v. 1.3.2006, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck-403755,00html. Gysi, Gregor: Was will die PDS in Deutschland?, in: Ders. (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 9-26 (9). Vgl. von Bullion, Constanze: Über Gott und die Welt, in: Tagesspiegel v. 20.9.2007. Vgl. Interview im Rheinischen Merkur, Nr. 20/2008. Lohmar, Henry: Gysi ganz nah bei Gott, in: Märkische Allgemeine v. 20.9.2007 u. Der Atheist Gysi lobt die Kirche, in: Kölner Stadt-Anzeiger v. 9.3.2007. Interview in Kompass. Soldat in Welt und Kirche, Nr. 11/2009, S. 8 f. (9). Vgl. Bittner, Juliane: Nie wieder Staatssozialismus, in: Katholische Sonntagszeitung für das Erzbistum Berlin, Nr. 34/2009, S. 1.

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einer Debatte, die in der Zeitung „Neues Deutschland“ über Christentum und Sozialismus geführt wurde, äußerte eine Vertreterin der AG „Christinnen und Christen in der PDS“, Jesus habe eine soziale Botschaft gehabt, die jedoch schon von der Urgemeinde „ins Geistliche umgebogen und entschärft“577 worden sei. Auf diese soziale Botschaft Jesu solle die PDS sich beziehen. Der für Kirchen sowie Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zuständige Berliner Kultursenator Thomas Flierl erklärte ein gutes Verhältnis zu Christen gar zu einem Teil des Gründungskonsenses der PDS. Auch das PDSProgramm sei in diesem Zusammenhang zu sehen: „Es war eine der historischen Lehren der PDS, das Verhältnis zu den Kirchen zu normalisieren und weltanschauliche Enge zu überwinden, das heißt also auch Menschen mit christlichem Glauben für den Sozialismus und den Kampf für den Sozialismus zu gewinnen. In einem weiten Verständnis kann man ja sagen, nicht jeder Sozialist muss religiös sein oder Christ, aber in bestimmter Hinsicht muss eigentlich jeder Christ auch Sozialist sein. Und diese Nähe, die wir auch zu vielen Christen haben, die ein soziales Bewusstsein haben, eine soziale Verantwortung spüren, war Teil des Gründungskonsenses der PDS. Insofern fühle ich mich durch mein Parteiprogramm legitimiert, an dieser Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche mitzuwirken.“578 Anlässlich der Unterzeichnung eines Staatsvertrags zwischen dem Land Berlin und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz stellte Flierl die PDS in die jüdisch-christliche Tradition Europas: „Gerade als Politiker der Linkspartei.PDS habe ich mich intensiv um diese Einigung mit der Evangelischen Kirche bemüht, denn meine Partei bekennt sich zum jüdischchristlichen Erbe Europas, zur bürgerlichen Aufklärung und zu einer staatsrechtlichen Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche, wie sie sich aus der deutschen Verfassungsgeschichte ergibt.“579 Bodo Ramelow forderte Teile seiner Partei auf, ihre Frontstellung gegen den Religionsunterricht aufzugeben, und begründete dies mit der Bündnispolitik gegenüber den Kirchen: „Ich warne meine Partei davor, antireligiös zu agieren. Wir haben Bündnispartner, die in Kirchen gebunden sind. Die dürfen wir nicht verlieren.“580 Neben dem Christentum war auch der Liberalismus ein Anknüpfungspunkt für die Reformer. 1996 plädierte der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky für einen libertären Sozialismus. Ausgangspunkt war seine Überlegung, ein Sozialismus ohne individuelle Freiheit, ohne Realisierung der Menschenrechte und ohne Demokratie sei zum Scheitern verurteilt und letztlich reaktionär. Ein libertärer Sozialismus im Sinne einer Verbindung von Freiheit und solidarischer 577

Schulte, Hannelis: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“, in: ND v. 30.7.2004. Interview in ND v. 25.2.2006. 579 Flierl, Thomas: Vertrauensvolles Miteinander, in: PID, Nr. 11/2006, S. 15. 580 Interview im Spiegel, Nr. 43/2009, S. 24 f. (24). 578

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Kollektivität sei eine unabdingbare Schlussfolgerung aus dieser These.581 Es bedürfe des emanzipatorischen Impulses der libertären Ideen in Bezug auf die Individuen und des emanzipatorischen Impulses der sozialistischen Idee in Bezug auf die Gesellschaft. Libertärer Sozialismus wäre somit die Freiheit von Gleichen.582 André Brie erklärte anlässlich der Vorstellung des von ihm mitverfassten Programmentwurfs von 2001, der Sozialismus dieses Entwurfs sei libertär, da das Individuum und seine politische Freiheit der Ausgangspunkt und Nukleus des Entwurfs seien.583 Der Gedanke eines libertären Sozialismus durchziehe den Programmentwurf wie ein roter Faden.584 Michael Brie schrieb über diesen Entwurf, eine wesentliche Stärke der neuen Programmphilosophie sei die konsequente Verbindung von libertärem und egalitärem Sozialismus.585 Auch dem später – mit geringfügigen Veränderungen - als Programm angenommenen Entwurf von 2003 bescheinigte er eine sozial-libertäre Orientierung.586 Nicht immer trat die PDS direkt und offen für ihr sozialistisches Fernziel ein. Wenn die Partei Forderungen erhob, die innerhalb der gegenwärtigen Grundordnung der Bundesrepublik nicht realisierbar waren, warb sie indirekt für ein anderes wirtschaftliches und politisches System. Manfred Gerner meinte, die PDS arbeite gewissermaßen auf eine Einführung des Sozialismus auf Umwegen hin, indem sie immense Aufgaben an den Staat übertragen wollte. In ihrer Programmatik richte sie zahlreiche unfinanzierbare Maximalforderungen an den Staat. Der Staat sei der erste und einzige Adressat der Forderungen der Partei und werde damit allzuständig. Die Realisierung dieser Forderungen müsse den Markt völlig außer Kraft setzen.587 Ähnlich wie Gerner äußerte sich Patrick Moreau, der hinter manchen Positionen der PDS die Zielsetzung vermutete, die Grundordnung der Bundesrepublik fundamental zu verändern: „Würde das Recht auf Arbeit (wie die anderen geforderten „Menschenrechte“) als Grundrecht in das Grundgesetz aufgenommen, so zöge dies in der Folge nach aller Logik eine andere Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsform nach sich: Nur ein Staat, der über die Arbeitsplätze verfügt und die Wirtschaft lenkt, kann ein Recht auf Arbeit

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Vgl. Bisky, Lothar: Plädoyer für einen libertären Sozialismus, in: Utopie kreativ, Nr. 63/1996, S. 21-31 (24). Vgl. ebd., S. 31. Vgl. Erklärung von André Brie, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 48 f. (48 f.), Interview in der Berliner Zeitung v. 26.5.2001. Vgl. Hübner, Wolfgang: Zimmer: Neues Programm keine Verbeugung vor SPD, in: ND v. 28.4.2001. Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001. Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 38. Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994.

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(und die anderen „Menschenrechte“) garantieren.“588 Die Verwirklichung der Positionen der PDS würde laut Moreau zu einer sozialistischen Wirtschaft, einer egalitaristischen Sozialordnung und einem allgegenwärtigen und dirigistischen Staat führen.589 An anderer Stelle schrieb Moreau sogar, die PDS strebe eine unterschwellige Kommunisierung der Gesellschaft an. Er begründete diese Einschätzung damit, dass die Vorschläge der PDS auf Staatsinterventionismus, Verstaatlichungen, Dirigismus, Umbau der Besitzverhältnisse und autoritäre Transformation hinausliefen.590 Viola Neu meinte, die PDS wolle mit unrealisierbaren Forderungen die Demokratie überdehnen und den Staat überfordern, um so Gegenmächte zu mobilisieren. Sie setze auf Zersetzung von innen.591 Mittelpunkt der PDS-Programmdebatten war das Ringen um die Bewertung des Sozialismus der Vergangenheit und die Ausgestaltung eines zukünftigen Sozialismus sowie um den Weg dorthin. Dabei stand die Partei vor der Schwierigkeit, sich einerseits vom diskreditierten DDR-Sozialismus distanzieren zu müssen, andererseits aber auch auf die „Biographien“ eines Großteils ihrer Mitglieder und Wähler Rücksicht nehmen zu müssen. Heftig umkämpft war das von den Reformern favorisierte Modell eines sogenannten Modernen Sozialismus, dessen Grundzüge im PDS-Programm von 2003 verankert wurden. Auch in der programmatischen Debatte der fusionierten Partei dürfte die Auseinandersetzung um Ziel und Bedeutung eines Demokratischen Sozialismus im Mittelpunkt stehen. So heißt es in einem Papier der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Der Demokratische Sozialismus, genauer die Verankerung dieses Begriffes in der Programmatik, ist einer der strittigsten Punkte der inhaltlichen Diskussion der neuen linken Partei.“592 Die Autoren nannten die Fragen, die sich in der neuen Programmdebatte in diesem Zusammenhang stellen: „Was soll Demokratischer Sozialismus sein? DDR minus Stasi plus mehr Demokratie und Markt? Keynesianismus plus Wirtschaftsdemokratie? Graswurzelsozialismus mit Grundeinkommen für alle? Machen wir uns daran zu definieren, was wir unter Demokratischem Sozialismus verstehen, dann können wir ihn mit größerer Berechtigung in das

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Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 299 f. Vgl. ebd., S. 302. Vgl. Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita/Hirscher Gerhard: Die PDS im Wahljahr 1999: „Politik von links, von unten und von Osten“ (Aktuelle Analysen der Hanns-SeidelStiftung, Nr. 15). – München 1999, S. 96. Vgl. Neu, Viola: Die PDS zwischen Utopie und Realität: Bundestagswahlprogramm und Regierungsbeteiligung in den Ländern (Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung, Nr. 63/2002). – St. Augustin 2002, S. 4. Hillebrand, Heinz/Troost, Axel: Demokratischer Sozialismus – Metamorphose eines Begriffs (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 17/2007), S. 1.

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Programm der neuen LINKEN aufnehmen.“593 Wie die Partei Sozialismus definiert, dürfte künftig noch unklarer sein. So beschrieb Oskar Lafontaine 2007 Demokratischen Sozialismus mit folgenden Worten: „Ich übersetze diesen Begriff: Wir brauchen eine Wirtschaftsordnung, die zum Frieden führt, die Umwelt bewahrt, den Hunger in der Dritten Welt vermeidet und in den Industriegesellschaften nicht Millionen Menschen ausgrenzt.“594 Das dürften wohl auch alle anderen Parteien unterschreiben.

4.2. Kapitalismusbegriff Zur Definition von Sozialismus gehört auch die Definition des Gegenbegriffs Kapitalismus beziehungsweise Neoliberalismus oder Marktwirtschaft, denn selbst für Teile der Reformer sind die Begriffe Marktwirtschaft mit Kapitalismus oder Neoliberalismus beziehungsweise bürgerliche Demokratie und Kapitalismus austauschbar. Dies trifft auch auf die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik zu.595 Anhand des Programmentwurfs der Reformer von 2001 und des Programms von 2003 belegte Viola Neu, dass die PDS nach wie vor den Gegensatz von Kapitalismus zu Sozialismus für wichtiger hielt als den Gegensatz von Diktatur und Demokratie.596 Dies bestätigten einzelne PDSPolitiker auch ausdrücklich. In seinem Impulsreferat beim Chemnitzer Programmparteitag 2003 wandte sich Uwe-Jens Heuer gegen eine abstrakte Gegenüberstellung von Staaten anhand der Kriterien Demokratie und Diktatur. Stattdessen sollten die jeweiligen sozialen Zielstellungen, die jeweilige ökonomische Struktur berücksichtigt werden.597 Das PDS-Programm von 2003 verwendete Kapitalismus als gemeinsamen Oberbegriff für den Nationalsozialismus und die Bundesrepublik.598 Winfried Wolf schrieb, Kapitalismus habe immer einen diktatorischen Kern.599 Gregor Gysi antwortete in einem Interview zur PDS-Programmdebatte auf die Frage, was die Sozialismusvorstellungen der PDS von der sozialen 593 594 595 596

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Ebd., S. 8. Interview in der Berliner Morgenpost v. 2.3.2007. Vgl. Brie, André: Zur Programmdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 16/1991, S. 105114 (112). Vgl. Neu, Viola: Der neue Programmentwurf der PDS (Arbeitspapiere der Konrad-AdenauerStiftung, Nr. 31). – Sankt Augustin 2001, S. 10, dies.: Das neue PDS-Programm. Berlin 2003, S. 15. Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Diese Partei soll Heimat auch für jene sein, die sich zu Marx bekennen!, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 12/2003, S. 19-23 (22). Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 20. Vgl. Wolf, Winfried: Spur der Steine oder Spur der Scheine, in: Junge Welt v. 27.8.2003.

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Marktwirtschaft unterscheide: „Wir wollen, dass in der Gesellschaft nicht mehr die Kapitalverwertungsinteressen dominieren, sondern die sozialen, kulturellen und ökologischen Interessen der Menschen. Das ist der Qualitätsunterschied zwischen Kapitalismus und demokratischem Sozialismus.“600 Sahra Wagenknecht benannte aus ihrer Sicht die Unterschiede zwischen einer in Kernbereichen sozialisierten und einer privatkapitalistischen Wirtschaft: „Erstens, dass erwirtschaftete Überschüsse im Falle von Gemeineigentum der Allgemeinheit und nicht privaten Shareholdern zugute kommen. Zweitens, dass Produktions- und Investitionsentscheidungen nicht sklavisch dem Prinzip der Gewinnmaximierung unterliegen.“ (...) „Und der dritte, vielleicht wichtigste Unterschied ist, dass hohe Löhne, Mitbestimmung und Humanisierung der Arbeitswelt nicht länger mit Investitionsentzug und Erpressung beantwortet werden können.“601 Die Autoren des Kommentars zur PDS-Programmatik charakterisierten die Bundesrepublik als nicht nur, aber auch kapitalistischen Staat. Gleichzeitig sei sie eine moderne Gesellschaft. Kapitalistisch sei die Dominanz von Kapitaleigentum und Profit, modern seien Institutionen mit Entwicklungs- und Evolutionspotentialen. Damit sei die Bundesrepublik grundsätzlich eine offene, entwicklungs- und reformfähige Gesellschaft.602 Dieter Klein sagte in seiner Rede zur Begründung des Antrags zur Organisation einer programmatischen Debatte bei der 1. Tagung des 6. PDS-Parteitags im Januar 1999, die Bundesrepublik habe eine von der PDS abgelehnte, von Großbanken und Konzernen bestimmte kapitalistische Grundstruktur.603 Sahra Wagenknecht sprach mit Blick auf die Bundesrepublik von real existierendem Kapitalismus.604 Auch Reformer verwendeten zuweilen Bezeichnungen wie Realkapitalismus.605 Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch verzichteten in ihrem Programmentwurf bewusst auf den Begriff „antikapitalistisch“. Sie begründeten dies damit, dass der Gegensatz von Kapitalismus für sie nicht Antikapitalismus, sondern Sozialismus sei.606 Für viele in der PDS war Neoliberalismus ein 600 601 602 603

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ND v. 8.2.2000. Wagenknecht, Sahra: Welche Aufgaben hat ein Programm einer sozialistischen Partei?, in: Utopie kreativ, Nr. 152/2003, S. 536-542 (541). Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 135. Vgl. Klein, Dieter: Eckpunkte einer linken Reformalternative ausarbeiten, in: Parteivorstand der PDS. Programmkommission (Hg.): Zur programmatischen Debatte der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 1999, S. 48-55 (54). Vgl. Wagenknecht, Sahra: Kein Appendix der SPD, in: Freitag v. 16.5.2003. Vgl. Land, Rainer/Posselkel, Ralf: Orthodoxie und Modernität. Vom Sinn der Richtungskämpfe in der PDS, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 5/1995, S. 415-424 (418). Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (102 f.).

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zeitgemäßer Ersatz für den Begriff Kapitalismus.607 Thomas Meyer, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, kritisierte anhand des Programmentwurfs der Reformer von 2001, selbst diese differenzierten nicht zwischen dem angelsächsischen, dem rheinischen und dem ostasiatischen Typ des Kapitalismus. Die gewaltigen Unterschiede dieser Kapitalismus-Typen würden sogar verdeckt, indem alles unter der Überschrift „Neoliberaler Kapitalismus“ subsumiert werde.608 Auch PDS-Politiker bemängelten, es gebe in der Partei keine Definition, „was wir unter neoliberaler Politik verstehen. Häufig wird „neoliberal“ synonym verwendet für „schlecht“.“609 Viola Neu kam in ihrer Analyse des PDS-Programms von 2003 zu dem Ergebnis, die Partei bezeichne die Bundesrepublik und die bürgerlichen Demokratien insgesamt als Kapitalismus beziehungsweise neoliberalen Kapitalismus.610 Die PDS neigte dazu, die verschiedensten politischen Missstände und Fehlentwicklungen in ursächlichen Zusammenhang mit dem Kapitalismus beziehungsweise mit der Marktwirtschaft zu bringen. Umweltprobleme, patriarchalische Strukturen, Kriege, der Nord-Süd-Gegensatz und viele andere Probleme seien grundsätzlich im Rahmen der von großen Teilen der PDS als kapitalistisch angesehenen Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik nicht lösbar. Allein schon deswegen sei es im Überlebensinteresse der gesamten Menschheit, den Kapitalismus zu überwinden. Beispielsweise schrieb Gregor Gysi, die Gleichstellung der Geschlechter sei im Kapitalismus nicht denkbar.611 Joachim Bischoff und Hasko Hüning stellten in einem Beitrag zur Programmdebatte die These auf, für Unterentwicklung, Unterdrückung und Ausplünderung der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung, Choleraepidemien, Überschwemmungskatastrophen, Hungersnöte und Kriege seien die spezifischen kapitalistischen Weltwirtschaftsverhältnisse ursächlich.612 Im Programmentwurf von Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch hieß es, die Hauptursachen für die globalen Probleme lägen in der kapitalistischen Produktions-, Verteilungs- und Konsumtionsweise in den Herr-

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Vgl. Winckler, Stefan: Die PDS im Wahljahr 2002, in: Ders./Jebens, Albrecht (Hg.): In Verantwortung für die Berliner Republik. Festschrift für Klaus Hornung zum 75. Geburtstag. Berlin 2002, S. 136-155 (142). Vgl. John, Robert/Kabisch, Jörn: PDS-Programmdebatte: Sozialismus als Sowohl-als-auch?, in: Freitag, Nr. 29/2001. Wawzyniak, Halina: Von der Euphorie über das Vorurteil in die Niederlage, in: Die Linkspartei.PDS Berlin: Beiträge zur Wahlauswertung. - Berlin 2006, S. 42-46 (44). Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm. – Berlin 2003, S. 14. Vgl. Gysi, Gregor: Was will die PDS in Deutschland?, in: Ders. (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. - Hamburg 1990, 9-26 (16). Vgl. Bischoff, Joachim/Hüning, Hasko: Opposition ohne eigene Vorstellungen?, in: Disput, 1. Augustheft/1991, S. 37-42 (38).

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schaftszentren der Weltwirtschaft und in der Herrschaft des Patriarchats.613 Sogar eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebene Studie kritisierte das Kapitalismusbild im PDS-Programm von 2003: „In nahezu „klassischer“ Wiese werden hier alle Übel der Welt im international agierenden Kapital (früher Monopolkapital) gesehen.“614 Selbst für prominente Reformer wie André Brie, Michael Brie und Michael Charpa schien noch 2002 der Kapitalis-mus die Wurzel fast aller Übel auf der Welt zu sein: „Gedämpftes Wirtschafts-wachstum, Finanzkrisen, andauernde hohe Massenarbeitslosigkeit, Verschlechterung und Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse, weitere Polarisie-rung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Umweltkrisen, Vorboten einer möglichen Klimakatastrophe, eine wachsende Kluft zwischen den reichen Industrieländern und der Mehrheit der sogenannten Entwicklungsländer, die für größere Teile der Weltbevölkerung zu einer ausweglosen Situation geführt hat – das sind Merkmale des gegenwärtigen Kapitalismus.“615 Michael Brie machte den Kapitalismus auch für Kriege verantwortlich. Krieg werde gebraucht, um Kapitalismus möglich zu machen.616 Der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow sah im Kapitalismus den Ursprung der beiden Weltkriege.617 Karl Mundstock formulierte in einem Beitrag zur Programmdebatte noch drastischer: „Krieg oder Frieden, das ist eine Frage der Gesellschaftsordnung und keine der Hirngespinste von Politikern und Militärs; die sind samt parlamentarischem und autokratischem Klimbim doch nur Marionetten an den Strippen der wirklichen Macht, der politökonomischen Macht der Wirtschaftsmultis, die wie eh und je nach wie vor Regierungen ganz allein nach ihrem Gusto bilden lassen.“618 Ingo Wagner schrieb, der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts habe Abermillionen Menschen in zwei Weltkriege geschickt, auf deren Schlachtfeldern über 70 Millionen für imperialistische „Vaterländer“ umgekommen seien.619 Ein Autor schlussfolgerte in einem Sammelband der Orthodoxen zur Programmdebatte, der Kapitalismus sei ur-

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Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (92). Dietzel, Horst/Hoffmann, Jana/Woop, Gerry: Studie zum Vergleich der Parteiprogramme von PDS und WASG. - Berlin 2005, S. 8. Brie, André/Brie, Michael/Charpa, Michael: Für eine moderne sozialistische Partei in Deutschland. Grundprobleme der Erneuerung der PDS. – Berlin 2002, S. 17. Vgl. Brie, Michael: Wer vom Krieg redet, darf nicht vom Kapitalismus schweigen, in: ND v. 5.2.2003. Vgl. Modrow, Hans: Es beginnt ein neuer Abschnitt in der Entwicklung der Partei, in: ND v. 18.5.2001. Mundstock, Karl: Raus aus dem Dilemma. – Berlin 2003, S. 67. Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 114.

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sächlich für alle Übel dieser Welt.620 2006 formulierte die Kommunistische Plattform Brandenburg gemeinsam mit den Landesverbänden der DKP und der KPD einen Katalog von Verbrechen des gegenwärtigen Kapitalismus: „Wir klagen den real existierenden und global agierenden Kapitalismus der Gegenwart schlimmster Verbrechen an der Menschheit an: x x x x x x x

der Durchführung imperialistischer Eroberungs- und Unterdrückungskriege, in deren Folge Millionen Menschen Leben, Gesundheit, Hab und Gut verlieren, des rigorosen Sozialabbaues und der absoluten Verelendung von Milliarden Menschen durch die Ausbeutung multinationaler Konzerne, der Vernichtung von Volkswirtschaften und vieler Millionen Existenzen durch die Finanzspekulationen des internationalen Finanzkapitals, des Ausstoßens von Milliarden Menschen aus dem Arbeitsprozess mit die Existenz bedrohenden und menschlich entwürdigenden Folgen, der Verelendung breitester Kreise der Bevölkerung in den ehemals sozialistischen Ländern, des Abbaues elementarer demokratischer Grundrechte für Milliarden Menschen rund um den Globus, der Umweltzerstörung globalen Ausmaßes und damit der Gefährdung der Lebensgrundlagen der Weltbevölkerung.“621

In einem Sammelband der Orthodoxen zur Programmdebatte schrieb eine Autorin über eine Tendenz großer, expansiver und aggressiver Kapitale, die Dominanz des Profitkalküls bis hin zu Völkermord, Eroberungskriegen, Barbarei und Umweltvernichtung durchzusetzen.622 Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch machten in ihrem Programmentwurf die bürgerlichkapitalistischen Gesellschaften allein für die beiden Weltkriege und den Faschismus verantwortlich.623 Gregor Schirmer empfahl der PDS, den Charakter des Kapitalismus durch die Verwendung von Begriffen wie Aggressivität, Menschenfeindlichkeit, Hungersnot, Kindersterblichkeit, Aids, Obdachlosigkeit,

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Vgl. Joseph, Detlef: Überwinden! Aber was?, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 44-53 (51). 621 Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS Brandenburg, DKP Brandenburg, KPD Brandenburg: Appell an die Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 2/2006, S. 18 f. (18). 622 Felfe, Edeltraut: Auf dem Boden der Realität?, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 14-20 (16). 623 Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (88 f.).

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Analphabetismus und Korruption im Programm zum Ausdruck zu bringen.624 Die PDS sah die deutsche Politik einschließlich der Außenpolitik als maßgeblich vom Kapital gesteuert an. So hieß es zum Beispiel im Wahlprogramm der Linken Liste/PDS von 1990, hinter der Außenpolitik einer weltweiten Friedensverantwortung des vereinigten Deutschland steckten immer noch die alten Ziele, nämlich die weltweite Sicherung von Rohstoffquellen, Absatzmärkten und Einflusszonen für das deutsche Kapital.625 Auch die Europäische Union und andere internationale Organisationen sahen Teile der PDS ausschließlich als Instrument des Großkapitals an. Elke Wolf, die Vertreterin der Ökologischen Plattform in der Programmkommission, schrieb in ihrer Kritik der Thesen der Programmkommission, die Europäische Union sei kein freiwilliger Zusammenschluss von Völkern, sondern eine hierarchische Struktur, die es den größten Konzernen und Banken (wie bei Weltorganisationen) besser ermögliche, andere Regionen ihrem Willen zu unterwerfen. Die Gesetzgebung der Europäischen Union diene nur diesem Ziel und nicht Selbstbestimmung und Wohlergehen der EU-Bürger.626 Wilfried Schulz sah im „Deutschland Archiv“ in der Verteufelung des Kapitalismus durch die PDS wie in der sozialistischen Heilserwartung eine Entsprechung zu religiösen Mustern. Der Teufel müsse ausgetrieben werden, dann würden sich die Probleme der Menschen von selbst lösen.627 Laut Richard Herzinger ist der Kapitalismus für die Linke „Chiffre für die Ursache aller Katastrophen wie Krieg, Armut und Hunger sowie sozialer Missstände und Ungerechtigkeiten jeder Art.“628 Harald Bergsdorf kam in einer vergleichenden Untersuchung extremistischer Parteien zu dem Ergebnis, die PDS verbreite eine Freund-FeindPropaganda, die sich „vorrangig gegen ein „System“, den „Kapitalismus“, und seine Repräsentanten bzw. Träger“629 richte, da die kategorische Weltsicht der rigorosen und antipluralistischen PDS Feindbilder produziere. An anderer Stelle führte Bergsdorf aus, die Unterstellung der PDS, der Kapitalismus sei verantwortlich für Probleme, sei eine Sündenbock-Agitation und biete

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Vgl. Schirmer, Gregor: Vornehmheit im Urteil über den Kapitalismus?, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 92-100 (100). Vgl. Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 49. Vgl. Wolf, Elke: Kritik der Thesen der Programmkommission, in: PID, Nr. 5/2000, S. 12-16 (14). Vgl. Schulz, Wilfried: Nachdenken über Sozialismus, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/2000, S. 602-609 (603). Herzinger, Richard: Hilfloser Antikapitalismus, in: Merkur, Nr. 700/2007, S. 801-808 (801). Bergsdorf, Harald: Extremismusbegriff im Praxistest: PDS und REP im Vergleich, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 14. - Baden-Baden 2002, S. 61-80 (66).

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extremistischen Parteien die Basis, um rigide Lösungen zu fordern.630 Auch Spitzenpolitiker der PDS räumten ein, es bestünden Freund-FeindVorstellungen in der Partei.631 In den Thesen der PDS-Grundsatzkommission, die dem 1993 beschlossenen Programm vorausgingen, war von einem Diktat des Kapitals die Rede. Die wichtigste Grundlage des menschlichen Lebens, die Organisation der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, sei in der Bundesrepublik einem Diktat des Kapitals unterworfen.632 2001 hieß es in einem Beitrag der PDSArbeitsgemeinschaft Friedenspolitik zur Programmdebatte, gegenwärtig müsse von einer Totalherrschaft des Kapitals ausgegangen werden.633 Sahra Wagenknecht wies 2003 in einem Beitrag zur Programmdebatte die These der Reformer, der Kapitalismus könne dauerhaft reguliert werden, als unrealistisch zurück: „Auch der bestregulierte Kapitalismus bleibt Kapitalismus. Die Herrschenden – und genau das beweist die Geschichte seit 1989 – bleiben stets auf dem Sprung, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den lästigen Sozialfesseln erneut den Garaus zu machen.“634 Bis in die Führungsspitze der PDS und bis in die Reihen der prominenten Reformer reichen Vorstellungen, das freiheitlich-demokratische politische System der Bundesrepublik sei nur eine Fassade zur Verschleierung der Kapitalherrschaft. So sagte Diether Dehm 2003 gegenüber der Zeitschrift Konkret: „Bei parlamentarischen Parteien ist es ja regelrecht eingeschliffen, sich mit höheren Werten zu maskieren: christlich, liberal, ökologisch, sozialdemokratisch, um die entsprechenden Hoffnungen dann im Namen der Herrschenden zu verwalten. Sonst müssten die Wähler ja über nackte Konzerninteressen abstimmen. So entstand um Verlagskonzerne und BNDgestützte Medienmacher die publizistische Kaste, Schild und Schwert des Kapitals.“635 Die Autoren des Minderheitenvotums zu den Thesen zur programmatischen Debatte von 1999 hielten Institutionen wie die Welthandelsorganisation, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank für durch und durch im Dienste der großen Konzerne und des Finanzkapitals

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Vgl. Bergsdorf, Harald: Extremisten ohne Maske, in: Die Politische Meinung, Nr. 407/2003, S. 43-50 (44). Vgl. Bisky, Lothar/Brie, André: Deutschland braucht eine neosozialistische Alternative. Probleme und Aspekte der Ausarbeitung einer Strategie der PDS bis 1998, in: PID, Nr. 8/1995, S. 3-9 (5). Vgl. Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Neu beginnen ... Thesen zur Programmdiskussion. – O.O.o.J., S. 9. Vgl. Klein, Ingomar/Triebel, Wolfgang: Eine solide Grundlage für eine vorurteilsfreie Diskussion, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 56-58 (58). Wagenknecht, Sahra: Welche Aufgaben hat ein Programm einer sozialistischen Partei?, in: Utopie kreativ, Nr. 152/2003, S. 536-542. Vgl. Interview in Konkret, Nr. 8/2003, S. 3.

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stehend.636 Gregor Gysi schrieb in seinen „Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus“, der Neoliberalismus habe die Politik der Nationalstaaten und der internationalen Organisationen in Vollzugsgremien transnationaler Unternehmen und internationaler Finanzmärkte verwandelt.637 Im Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf hieß es, die demokratische Struktur der Bundesrepublik sei nur eine Hülle für die Vorherrschaft von Konzernen und Banken.638 An anderer Stelle führte Lieberam aus, Staat, Demokratie und Recht seien Instrumente kapitalistischer Herrschaftsausübung.639 In einem Sammelband der Orthodoxen zur Programmdebatte äußerte ein Autor, der Staat sei ein Erfüllungsorgan des Großkapitals.640 Michael Benjamin erklärte, die Bundesrepublik Deutschland sei ein Staat des Kapitals.641 Ein Autor der „Geschichtskorrespondenz“, des Organs des „Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS“, schrieb, die Bevölkerung sei nur scheinbar in Gestalt der repräsentativen Demokratie an der Entscheidung ihrer Lebensfragen beteiligt, während die wirkliche Macht direkt oder indirekt durch das große Kapital, Banken und Konzerne und die von ihnen abhängigen Institutionen und Parteien ausgeübt werde.642 In einem Diskussionspapier des marxistischen Wissenschaftlers und PDS-Mitglieds Theodor Bergmann hieß es: „In den „Volksparteien“ bestimmen die Interessen der herrschenden Klasse die Politik. Der Rest ist Manipulation – in der alten bürgerlichen Demokratie mehr mittels der Medien, im Faschismus mit Zwang und Terror.“643 Eine andere Stimme zur PDS-Programmatik meinte, hinter den Kulissen kommandiere ein Stab globaler Multis, dem gegenüber die

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Vgl. Benjamin, Michael/Heuer, Uwe-Jens/Wolf, Winfried: Votum zu den Thesen der Programmkommission der PDS, in: PID, Nr. 47/1999, S. 33-48 (40). Vgl. Gysi, Gregor: Gerechtigkeit ist modern, in: PID, Nr. 31/1999, S. 2-11 (4). Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam, Ekkehard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 77-107 (91). Vgl. Lieberam, Ekkehard: Thesen, in: Marxistisches Forum: Zur Programmdebatte der PDS. Positionen – Probleme – Polemik. – Berlin 2000, S. 13-17 (13). Vgl. Doernberg, Stefan: Leitgedanken, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. - O.O. 2001, S. 6-8 (7). Vgl. Benjamin, Michael: Konsens und Dissens in der Strategiedebatte, in: „Helle Panke“ e.V. (Hg.): Pankower Vorträge, Nr. 5. – Berlin 1997, S. 24-46 (26). Vgl. Krusch, Hans-Joachim: Sozialistische Programmatik und Regierungsfrage. Geschichtliches und Aktuelles, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 2/2003, S. 17-29. Bergmann, Theodor: Friedliches Hineinwachsen in die Kapitulation, in: Beiträge zur XI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. - Berlin 2006, S. 31-33 (31).

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Regime bis zum Kadaver gehorsam seien.644 Michael Brie schrieb 2004, der eigentliche Souverän sei die Wirtschaft.645 Der alte Kapitalismusbegriff stand in der PDS über Jahre auf dem Prüfstand. In der Partei wurde diskutiert, ob beziehungsweise wie das überkommene Bild des Kapitalismus angesichts des Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft modifiziert werden solle. Es bestanden unterschiedliche Auffassungen, wie Kapitalismus in der Informationsgesellschaft definiert werden kann. Die These im PDS-Programmentwurf von 2003, die auch Eingang ins neue Programm fand, der Industriekapitalismus werde im Informationskapitalismus aufgehoben, wies beispielsweise Sahra Wagenknecht zurück. Diese Annahme erscheine „in einer Zeit, in der das amerikanische Industrie- und Rüstungskapital seine Macht unter Beweis gestellt hat, die ganze Welt – gegen den Willen von Teilen des europäischen Kapitals, aber auch der Nasdaq! – in einen grauenvollen Krieg zu treiben, als wenig realitätsnah. Die größten und mächtigsten transnationalen Konzerne – an Umsatz, Börsenwert wie auch gesellschaftlichem Einfluss – sind solche der „old economy“, die sich die neuen Technologien zunutze machen und einen Teil der sie repräsentierenden Unternehmen inzwischen aufgekauft haben.“646 In den ersten Jahren nach der „Wende“ herrschte in der PDS Einigkeit, dass die Partei antikapitalistisch sein soll. Seit etwa Mitte der neunziger Jahre unterstellten die Orthodoxen den Reformern, die Partei vom strikten Antikapitalismus abwenden zu wollen. Die PDS solle nur noch kapitalismuskritisch sein. Einzelne Reformer äußerten sich auch offen in diesem Sinne. André Brie schrieb 1991 in einem Aufsatz zur programmatischen Diskussion, die Auseinandersetzungen in der Partei zwischen Reformern und Orthodoxen spielten sich innerhalb des Antikapitalismus ab, über den man sich einig sei.647 Der antikapitalistische Charakter der PDS könne sogar mit einer letztlich revolutionären Zielsetzung gleichgesetzt werden, hieß es beispielsweise noch 2003 in einem Beitrag zur Programmdebatte, der im „Neuen Deutschland“ veröffentlicht wurde.648 Sahra Wagenknecht sprach 1994 in ihrem Vortrag bei der Konferenz „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“

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Vgl. Mundstock, Karl: Raus aus dem Dilemma. – Berlin 2003, S. 66. Vgl. Brie, Michael: Jenseits dieser billigen Freiheit. Eine andere Demokratie ist nötig, in: Freitag, Nr. 4/2004. 646 Wagenknecht, Sahra: Welche Aufgaben hat ein Programm einer sozialistischen Partei?, in: Utopie kreativ, Nr. 150/2003, S. 536-542 (538). 647 Vgl. Brie, André: Radikale Reformpolitik? Zur gegenwärtigen programmatischen Diskussion in der PDS, in: Sozialismus, Nr. 12/1991, S. 31-34 (31). 648 Vgl. Niemann, Heinz: Gebraucht wird der einem sozialistischen Programm entsprechende Politikbegriff, in: ND v. 6.2.2003. 645

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von einem antikapitalistischen Gründungskonsens der PDS.649 2000 schloss sich selbst Michael Brie dieser Sichtweise an.650 Dieter Klein sagte in seiner Rede zur Begründung des Antrags zur Organisation der programmatischen Debatte bei der 1. Tagung des 6. PDS-Parteitags im Januar 1999, die PDS müsse auch mit einem neuen Programm eine antikapitalistische Partei sein.651 Der PDSParteitag im April 2000 beschloss, dass das neue Parteiprogramm den Vorrat an gemeinsamen antikapitalistischen demokratisch-sozialistischen Positionen der PDS vergrößern und stärken solle.652 Michael Brie äußerte über den von ihm mitverfassten Programmentwurf von 2001 wie auch über die Thesen zur programmatischen Debatte von 1999, sie seien antikapitalistisch.653 Auch André Brie sprach sich 2001 für einen – wenn auch modernen und differenzierten – Antikapitalismus aus.654 Den Programmentwurf von 2003 nannten dann auch unabhängig voneinander Lothar Bisky, Gabriele Zimmer und Dieter Klein antikapitalistisch.655 Dass sich dieser Antikapitalismus auch gegen die als kapitalistisch angesehene Bundesrepublik richtete, schrieb Gabriele Zimmer in einem Brief an die Mitglieder der PDS.656 In der Präambel des Programms von 2003 wurde die PDS als konsequent antikapitalistisch bezeichnet.657 Die Verankerung des Antikapitalismus erkannten bei aller Kritik auch Repräsentanten der PDS-Linken an. Diether Dehm sagte nach der Verabschiedung des Programms von 2003: „Jetzt ist der Begriff Imperialismus drin, der Text ist antikapitalistisch, die Überwindung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ist als Ziel enthalten.“ Man könne aus dem Programm viel herauslesen, „aber keine Akzeptanz des Kapitalismus, kein Bekenntnis zur

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Vgl. Wagenknecht, Sahra: Anforderungen an die PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 6-8 (7). Vgl. Brie, Michael: Pluralismus braucht Kultur des Streits, in: Junge Welt v. 5.5.2000. Vgl. Klein, Dieter: Eckpunkte einer linken Reformalternative ausarbeiten, in: Parteivorstand der PDS. Programmkommission (Hg.): Zur programmatischen Debatte der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 1999, S. 48-55 (54). Vgl. Ablauf der programmatischen Debatte bis zur Vorlage des Entwurfs durch Gabriele Zimmer, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 7-10 (9). Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001 v. 4.5.2001, Hübner, Wolfgang: Dezidiert antikapitalistisch, in: ND v. 28.2.2000. Vgl. Interview in den Blättern für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/2001, S. 942-954 (944). Vgl. Neues Deutschland v. 27.8.2003, Zimmer, Gabriele: Auf einer Stufe mit innerparteilichen Kritikern, in: PID, Nr. 38/2003, S. 3, Klein, Dieter: nach langjähriger Debatte: der Programmentwurf, in: Disput, Nr. 9/2003, S. 4-6 (4).. Vgl. Zimmer, Gabriele: An die Mitglieder der PDS, in: PID, Nr. 25/2001, S. 2-6 (5). Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 2.

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Marktwirtschaft“658. Reformer, etwa Horst Dietzel, kritisierten dagegen einen diffusen Antikapitalismus des neuen Programms.659 Kapitalismus beziehungsweise Neoliberalismus war für die PDS die Inkarnation des Bösen und ein absolutes Feindbild. Teile der Partei verstanden darunter Marktwirtschaft, mitunter sogar die soziale Marktwirtschaft. Auch Faschismus wurde, zumindest von manchen in der Partei, in unmittelbaren Zusammenhang mit Kapitalismus – also gegebenenfalls mit Marktwirtschaft – gebracht. Die meisten Reformer hielten die Bundesrepublik für nicht nur kapitalistisch. Sie gingen davon aus, dass das politische und wirtschaftliche System der Bundesrepublik Möglichkeiten bietet, Reformen umzusetzen und sich so dem sozialistischen Ziel zu nähern.

4.3. Haltung zum Markt Die Äußerungen der PDS, ihrer Gliederungen, Strömungen und einzelner Politiker zur (sozialen) Marktwirtschaft waren über die Jahre hinweg höchst unterschiedlich, widersprüchlich und ambivalent. Einerseits erkannten viele programmatische Papiere an, dass die Zentralverwaltungswirtschaft ineffizient war und zum Niedergang der DDR zumindest beigetragen hat. Andererseits herrschte die Auffassung vor, Marktwirtschaft habe zwangsläufig zerstörerische Auswirkungen, beispielsweise auf die Umwelt. Arno Klönne fasste 2005 zusammen, in der PDS fänden sich prinzipiell antikapitalistische Positionen „neben Auffassungen, die „Marktwirtschaft“ ganz in Ordnung finden, wenn diese nur für sozialmaterielle Sicherheit garantiere.“660 2001 mahnte ein Autor der Zeitschrift „Utopie kreativ“ an, dass Sozialisten heute ihr Verhältnis zur Marktregulierung neu formulieren müssten. Dabei warf er die Frage auf, ob eine sozialistische Marktwirtschaft überhaupt möglich ist.661 Diese Frage konnte in der Programmdebatte nicht eindeutig beantwortet werden. Die Bandbreite der in der PDS zur sozialen Marktwirtschaft vertretenen Positionen reichte von vorbehaltloser Zustimmung bis zu totaler Ablehnung und Negierung der sozialen Komponente der Marktwirtschaft in der Bundesrepublik. Beispielsweise erklärte Helmut Holter in einem Interview zur Programmdebatte, 658

Hübner, Wolfgang: „Ein Boden, auf dem ich mich bewegen kann“, in: ND v. 28.10.2003. Vgl. Dietzel, Horst: Mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten. Ein Vergleich der Grundsatzprogramme von PDS und Bündnis 90/Die Grünen, in: Utopie kreativ, Nr. 161/2004, S. 227-237 (236). 660 Klönne, Arno: Die Linkspartei im Bundestag ... in: Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 64/2005, S. 7-16 (14). 661 Vgl. Janke, Dieter: Markt und Plan – neue Kontroversen zu einem „ewigen“ Streitfall, in: Utopie kreativ, Nr. 129-130/2001, S. 749-751 (749). 659

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die PDS sei eine Partei, die für marktwirtschaftliche Prinzipien eintritt.662 Er wolle nicht, dass an der Partei das Etikett einer Umverteilungspartei klebe.663 Andererseits wurde die soziale Marktwirtschaft in der Programmdebatte immer wieder angegriffen. Zuweilen tauchte in Veröffentlichungen der PDS soziale Marktwirtschaft in Anführungszeichen auf664 oder wurde als vermeintliche soziale Marktwirtschaft665 beziehungsweise asoziale Marktwirtschaft666 bezeichnet. Die Kommunistische Plattform verlautbarte unverblümt, sie wende sich entschieden gegen alle Versuche, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse als soziale Marktwirtschaft zu verklären oder den neuen deutschen Imperialismus als eine kapitaldominierte moderne Gesellschaft zu verharmlosen.667 Klaus Steinitz, Mitglied des Präsidiums des Parteivorstandes der PDS, schrieb in dem Sammelband zur PDS-Programmatik „Wir brauchen einen dritten Weg“, Marktwirtschaft könne ihrem Wesen nach nicht sozial gerecht und nicht auf die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, der lohnabhängig Arbeitenden, gerichtet sein. Sie sei aus sich heraus weder sozial, human oder solidarisch, noch ökologisch und kulturell.668 Marktwirtschaft beruhe auf kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen.669 Da in der PDS die Ablehnung der Marktwirtschaft überwog, musste sie ein alternatives Wirtschaftsmodell verfolgen. So umriss Lothar Bisky 1996 Elemente für eine neue Wirtschaftsordnung. Demnach sollten Ware-GeldBeziehungen, Elemente einer Marktregulierung, wirtschaftliche Autonomie bei gesellschaftlicher Definition und Verwirklichung der entscheidenden Entwicklungsrichtungen der Ökonomie sowie eine Pluralität von Eigentumsformen mit gesellschaftlicher und qualifizierter Mitbestimmung

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Vgl. Interview in der Jungen Welt v. 8.1.2001. Vgl. Oertel, Gabriele: LINKE streitet um Milliardenprojekt, in: ND v. 10.4.2008. Vgl. beispielsweise Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 46. Vgl. Zur radikalen Erneuerung der Programmatik und Struktur der PDS. Diskussionsangebot der AG Lesben- und Schwulenpolitik in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1990, S. 20-27 (24). Vgl. Höpcke, Klaus: Mangel an Gleichheitsgütern, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – o.O. 2001, S. 40-43 (42), Zur Programmatischen Debatte. Erklärung des Marxistischen Forums der PDS vom 8. Juni 2001, in: PID, Nr. 26/2001, S. 14-16 (15), Höpcke, Klaus: 11. September, Programmdiskussion und Umgang mit Geschichte, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 4/2001, S. 22-31 (27). Vgl. Thesen für eine Plattform der KommunistInnen in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1990, S. 259-270 (265). Vgl. Steinitz, Klaus: Kann es eine soziale und ökologische Marktwirtschaft geben?, in: Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 72-88 (76). Vgl. ebd., S. 77 f.

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Bestandteile eines wirtschaftlichen Wandels hin zu nachhaltiger sozial- und naturverträglicher Wirtschaftsentwicklung sein.670 André Brie entwickelte 1999 ein Modell eines Sozialismus im 21. Jahrhundert. Darin beschrieb er das ihm vorschwebende Wirtschaftssystem: „Anzustreben wäre eine pluralistische Wirtschaft, in der Privatwirtschaft, genossenschaftliche, kommunale und öffentlich-rechtliche Wirtschaftsformen, staatliche Wirtschaftspolitik, zivilgesellschaftliche Verantwortung und demokratische internationale Institutionen zu ausgewogenen Kompromissen zwischen gewinnorientierter Effizienz, sozialem Gemeinwohl, Bewahrung der Natur und Solidarität mit den Armen in der Welt zusammengeführt werden.“671 Die Autoren des Vorstandsentwurfs von 2001 schrieben in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die auf das angestrebte Wirtschaftssystem bezogenen Aussagen des Ahlener Programms der CDU von 1947 seien weitgehend mit ihrem Programmentwurf identisch.672 2004 stellte Bodo Ramelow als Vorsitzender der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag ein Papier vor, in dem er einen Gesellschaftsvertrag für Deutschland entwarf. Ziele waren, die Verantwortung der Gemeinschaft und des Einzelnen neu auszutarieren, die Verantwortung auch der Besitzenden für das Gemeinwohl deutlich zu machen und dem Anspruch des Sozialen in der Marktwirtschaft zu entsprechen.673 Auch im Leitantrag, den der Potsdamer Parteitag der PDS 2004 beschloss, wurde für einen Gesellschaftsvertrag für das 21. Jahrhundert plädiert.674 Diskussionsanstöße für einen neuen Gesellschaftsvertrag gab es auch schon in den Vorjahren. In den „Zehn Thesen zum weiteren Weg der PDS“ von 1994 wurde ein neuer Gesellschaftsvertrag gefordert.675 Gregor Gysi sprach sich 1994 in seinem Ingolstädter Manifest „Wir – mitten in Europa. Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag“676 und 1999 in seinen „Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus“ für einen neuen Gesellschaftsvertrag aus, dessen Grundelemente er skizzierte.677 Zuweilen wurde in der Programmdebatte gefordert, der Staat solle massiv planend und lenkend in die Wirtschaft eingreifen. Der Programmentwurf von 670 671 672 673 674 675 676 677

Vgl. Bisky, Lothar: Plädoyer für einen libertären Sozialismus, in: Utopie kreativ, Nr. 63/1996, S. 21-31 (28). Brie, André: Sozialismus im 21. Jahrhundert, in: Kalaschnikow, Nr. 13/1999, S. 111-114 (114). Vgl. Brie, André/Brie, Michael/Klein, Dieter: Die Würde des Menschen ist seine Freiheit und ist seine Gleichheit. Warum Deutschland einen Sozialismus braucht, in FAZ v. 28.8.2001. Vgl. Ramelow Bodo: Demokratischer Lebensort Deutschland, in: PID, Nr. 51-52/2004, S. 8-12 (9). Vgl. Für eine starke PDS: Sozial, mit aller Kraft! Beschluss der 1. Tagung des 9. Parteitages der PDS, in: Disput, Nr. 11/2004, S. 49-52 (52). Vgl. 10 Thesen zum weiteren Weg der PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 19-24 (21). Gysi, Gregor: Wir – mitten in Europa. Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag. - Berlin 1994. Vgl. Gysi, Gregor: Gerechtigkeit ist modern, in: PID, Nr. 31/1999, S. 2-11 (4).

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Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf enthielt das Ziel eines gesellschaftlichen Plans und demokratischer Kontrolle der großen Produktionsmittel und Ressourcen wie Bodenschätze, wichtige Rohstoffe, Industriezweige und große Unternehmen.678 Sozialistische Wirtschaftsweise sei demokratisch geplante Wirtschaftsweise.679 André Brie sprach sich 1998 für eine Rahmenplanung aus, die die Gesamtrichtung festlegt.680 In einem Papier des PDS Kreisverbands Mainz-Bingen zur Programmdebatte, das in der Mitgliederzeitschrift „Disput“ abgedruckt wurde, wurde die Vergabe von Produktionsquoten gefordert.681 Sogar ein Diktat des Staats gegenüber der Wirtschaft wurde vereinzelt in die Diskussion gebracht. So schlug noch 2003 ein programmatischer Beitrag im „Neuen Deutschland“ vor, ins Zentrum der Strategie sozialistischer Politik die Forderung zu rücken, der Staat solle der Wirtschaft Aufgaben und Ziele diktieren.682 Noch 2007 erklärte Gregor Gysi in einem Grundsatzreferat zu seinen Vorstellungen über einen künftigen Sozialismus, eine Rahmenplanung zur Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ziele sei notwendig.683 Manche Beiträge zur Programmdebatte votierten mehr oder weniger offen nicht nur für eine Einschränkung, sondern für die Abschaffung der Marktwirtschaft. So sprach sich das Marxistische Forum für eine völlige Abschaffung der Marktwirtschaft aus.684 In einem Beitrag zur Programmdebatte, der in einem Sammelband der Orthodoxen erschien, wurde verlangt, die auf Angebot und Nachfrage basierende Marktwirtschaft durch eine auf Bedarfsdeckung gegründete Planwirtschaft zu ersetzen.685 Horst Dietzel kam in einer Untersuchung des Programmentwurfs von Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch zu dem Resultat, deren Wirtschaftskonzeption liefe praktisch auf

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Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam, Ekkehard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2003, S. 77-107 (96). Vgl. ebd., S. 98. Vgl. Interview in Mut, Nr. 6/1998, S. 45. Vgl. PDS Kreisverband Mainz-Bingen: Thesen und Anfragen an die PDS. Ein Beitrag zur Programmdebatte, in: Disput, Nr. 11/1999, S. 20-22 (21 f.). Vgl. Niemann, Heinz: Gebraucht wird der einem sozialistischen Programm entsprechende Politikbegriff, in: ND v. 6.2.2003. Vgl. Gysi, Gregor: Ende der Geschichte? Über die Chancen eines modernen Sozialismus. Berlin 2007, S. 26. Vgl. Erklärung des Marxistischen Forums der PDS zur programmatischen Debatte, in: PID, Nr. 26/2001, S. 14-16 (15). Vgl. Peters, Arno: Friedrich Engels´ Rat und Friedrich Schillers Urteil, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – o.O. 2001, S. 79-82 (82).

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die Abschaffung des Marktes hinaus.686 Dies treffe auch auf den Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf zu.687 Die logische Folge wäre, so Dietzel, die Rückkehr zur Zentralverwaltungswirtschaft.688 Gero Neugebauer und Richard Stöss resümierten in ihrer Monographie über die PDS, die wirtschaftspolitische Programmatik der Partei sei zwischen die Marktwirtschaft akzeptierendem, reformsozialistischem Wohlfahrtsstaat und staatssozialistischen Umverteilungskonzeptionen angesiedelt.689

4.4. Haltung zum Eigentum Wie zum anzustrebenden Wirtschaftssystem, so gab es in der PDS auch zur Eigentumsfrage stark voneinander abweichende Positionen. Sowohl Reformer als auch Orthodoxe äußerten wiederholt, die Eigentumsfrage sei die zentrale Frage der Programmdebatte. Uwe-Jens Heuer beispielsweise erklärte anlässlich der Diskussion der Thesen zur programmatischen Debatte, im Kern gehe es beim Streit in der PDS um die Eigentumsfrage.690 Die Reformer wollten keine Enteignungen in großem Umfang. Ihr Ziel war, die Dominanz der Kapitalverwertungsinteressen zu beseitigen. Dieses Ziel war in der Programmdebatte heftig umstritten. Die besondere Bedeutung dieses Streitpunkts betonte Gregor Gysi: „Es darf also Kapitalverwertungsinteressen geben, sie dürfen nur nicht dominieren. Und hier geht es bei der Programmdebatte der PDS ans Eingemachte.“691 Dieter Klein erläuterte: „Die Lösung der Eigentumsfrage in erster Linie durch eine Erneuerung der Demokratie anzustreben, um die Verfügung über sämtliche Eigentumsformen durch den Druck der Zivilgesellschaft von unten sozialen Kriterien zu unterwerfen – das zielt auf die Überwindung der Profitdominanz jenseits traditionalistischer Vorstellungen.“692 Und André Brie führte aus: „Wir wollen eine Dominanz der Gesellschaft, ohne das Unternehmerische zu zerstören, und keine Dominanz des Marktes, wie sie auch in der sozialsten Form der sozialen 686 687 688 689 690 691 692

Vgl. Dietzel, Horst: Zum Programmentwurf von Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 97-100 (98). Vgl. Dietzel, Horst: Zum Programmentwurf von Winfried Wolf u.a., in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 92-96 (92). Vgl. ebd., S. 93 f. Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. Opladen 1996, S. 154. Vgl. Fehrle, Brigitte: … auf zum letzten Gefecht, in: Berliner Zeitung v. 30.11.1999. Vgl. Interview im Tagesspiegel v. 26.12.1999. Klein, Dieter: Alte Frage nach dem Neuen, in: ND v. 17.3.2006.

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Marktwirtschaft üblich ist.“693 Er, sein Bruder Michael und Dieter Klein erklärten sogar das Eigentum des Einzelnen zu einer fundamentalen Bedingung von Freiheit.694 Strittig war schon, was unter den Oberbegriff Eigentum zu subsumieren sei. Im PDS-Programm von 2003 etwa wurde Eigentum mit wirtschaftlichen Machtressourcen gleichgesetzt. Dies bedeutete eine Ausweitung gegenüber dem herkömmlichen Verständnis von Eigentum an Produktionsmitteln: „Wirtschaftliche Machtressourcen schließen vor allem unter dem Aspekt des heutigen Kapitalismus, dessen Produktion immer stärker durch Informationsund Kommunikationstechnologien geprägt wird, auch Wissen, Information, Patente, Lizenzen bis hin zu Geschäftskonzepten ein oder selbst Anrechte auf Ausbeutung und Belastung der Natur, womit Elemente der Natur zum Gegenstand von Eigentumsverhältnissen werden.“695 Thomas Meyer, der stellvertretende Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD, monierte, der Programmentwurf von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein von 2001 verwende ständig zwei verschiedene Eigentumsbegriffe: „Einmal den klassischen, der Eigentum vor allem als Rechtsform begreift. Dann aber auch wieder einen moderneren, funktionalen, bei dem es darum geht, in welchem Umfang über Eigentum tatsächlich verfügt werden kann, und wieweit diese Verfügung durch Gesetze eingeschränkt wird“.696 Aus den tiefgreifenden Veränderungen und Differenzierungen der Eigentumsstrukturen in Deutschland und international ergaben sich für die PDS wichtige neue Fragen. Ein Beispiel ist die Entwicklung, dass immer mehr Arbeitnehmer über Aktien verfügen und damit gewissermaßen gleichzeitig Arbeitgeber sind. Damit geht auch eine Veränderung ihrer Interessen einher, denn als Aktionär strebt man nach Gewinnmaximierung, als Arbeitnehmer dagegen beispielsweise nach Erhalt des Arbeitsplatzes, Gehaltssteigerung oder Verkürzung der Arbeitszeit. Mitglieder von Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen andererseits sind nicht Eigentümer, sondern selbst nur – wenn auch sehr gut bezahlte – Angestellte. Neue Fragen folgten auch aus der Tendenz zur Herausbildung relativ weniger mächtiger internationaler Großkonzerne und der damit einhergehenden Einengung der ordnungspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Staaten, denen Konzerne mit Standortverlagerungen drohen können, um eine Politik und Rahmenbedingungen, die ihren Interessen entsprechen, zu erreichen. 693

Interview in Mut, Nr. 6/1998, S. 44 f. Vgl. Brie, André/Brie, Michael/Klein, Dieter: Die Würde des Menschen ist seine Freiheit und ist seine Gleichheit. Warum Deutschland einen Sozialismus braucht, in: FAZ v. 28.8.2001. 695 Trost, Hans-Georg: Die Eigentumsfrage in der Programmdebatte der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 155/2003, S. 841-847 (845). 696 Kaufmann, Tobias: „Wo eine Vision fehlt, werden Menschen leer“, in: Das Parlament v. 15.6.2001. 694

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In der Programmdebatte wurden Überlegungen angestellt, welche Eigentumsformen die PDS kurz-, mittel- und langfristig anstreben sollte. Ein Beitrag zur Programmdebatte aus den Reihen der Orthodoxen forderte eine Verständigung über Inhalt und juristische Ausformung von Eigentum in einer künftigen sozialistischen Ordnung. Dafür wurden vier Varianten vorgeschlagen: x

x x x

„Volkseigentum in Form staatlich organisierten Eigentums (Konzeption in der DDR). Den Wirtschaftseinheiten (Betriebe), die nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeiten, werden nicht Eigentumsrechte, sondern im Rahmen der Eigentumstriade bestimmte Befugnisse übertragen (Besitz-, Nutzungs-, Verfügungsbefugnis). Die Schaffung von Gruppeneigentum. Hier fungieren die Wirtschaftseinheiten als originäre Eigentümer. Bildung von Genossenschaften, vor allem für kleine und mittlere Betriebe. Gründung von Kapitalgesellschaften (als Anteilseigner kämen in erster Linie die eigenen Werktätigen in Frage, aber auch andere Bürger, Wirtschaftseinheiten und Banken).“697

Seit der Wende in der DDR diskutierte die PDS einen dritten Weg für eine Wirtschafts- und Eigentumsordnung zwischen Sozialismus und Kapitalismus bzw. Marktwirtschaft. In diesem Zusammenhang wurden immer wieder Modelle von Wirtschaftsdemokratie thematisiert. In ihrem Programm von 1990 sprach sich die PDS für eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft aus, was auch tatsächliche Produktionsdemokratie erfordere. Betriebs-, Wirtschafts- und Sozialräte sollten eingeführt werden. Diese „gesellschaftlichen Aufsichtsräte“ sollten sich aus „Vertretern der Werktätigen, Leitern, Kapitalgebern, Vertretern des Territoriums und aus Experten zusammensetzen und den Einfluss der Beschäftigten auf strategische Entscheidungen sichern“698. Produktionsdemokratie beziehungsweise Wirtschaftsdemokratie blieb auch in den folgenden Jahren ein Ziel der PDS. Im Programm von 2003 sprach sich die PDS für Wirtschaftsdemokratie aus. In den Regionen, in den Ländern und im Bund sollte es Wirtschafts- und Sozialräte mit Informations-, Initiativ- und Beratungsrechten geben.699 697

Roß, Werner: Die Demokratisierung der Wirtschaft und die Eigentumsfrage als Fundament radikal-demokratischer Reformen. Ein Suchpfad zu einem neuen Sozialismus, in: Reformalternative als Gesellschaftsalternative. Beiträge zur Theoretischen Konferenz des Marxistischen Forums Sachsen am 9. Juni 2001 in Leipzig (Marxistisches Forum, H. 36/37). – Leipzig 2001, S. 43-47 (46). 698 PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 18 f. 699 Vgl. Die Linke.PDS: Programm. - Berlin 2005, S. 21 f.

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In einem gemeinsamen programmatischen Grundsatzpapier der Historischen Kommission und der Grundsatzkommission der PDS wurde erläutert, was unter Demokratisierung der Wirtschaft verstanden werden kann: „Demokratisierung der Wirtschaft greift tief in die bestehenden Eigentums-, Produktions- und Verteilungsverhältnisse ein. Die PDS sieht darin einen aussichtsreichen Weg, um die anachronistische Trennung der Produzenten von der Verfügung über die Produktionsbedingungen zu überwinden. Das Scheitern des realen Sozialismus zeigt, dass eine gewaltsame Enteignung der besitzenden Klassen und die Verwaltung der Produktionsmittel durch einen auf lediglich andere Herrschaftsverhältnisse gegründeten Staat keine geeigneten Mittel sind, um die Souveränität von Individuen und der Gesellschaft über die Bedingungen der Arbeit zu verwirklichen.“700 Die Autoren des Buches „Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil“ definierten Wirtschaftsdemokratie. Den Hauptinhalt bilde Mitbestimmung in einem umfassenden und komplexen Sinn, die nicht auf die Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung des Betriebsverfassungsgesetzes, des Mitbestimmungsgesetzes und des Montan-Mitbestimmungsgesetzes reduziert werden dürfe. Mitbestimmung solle „auch die Mitbestimmung am Arbeitsplatz, die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen der Regionen und Kommunen, gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung bzw. Einwirkungsmöglichkeiten sowie zunehmend die demokratische Einflussnahme auf EU- und internationaler Ebene einschließen.“701 Wirtschaftsdemokratie war nicht das endgültige Ziel der PDS. Vielmehr sollte die Wirtschaftsdemokratie ein Etappenziel auf dem Weg zu einer umfassenden Umgestaltung beziehungsweise Umwälzung der gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sein. Klaus Steinitz, damals Leiter der Kommission Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Sozialpolitik der PDS, erläuterte 1991, im Kalkül der PDS laufe die Demokratisierung der Wirtschaft langfristig auf einen entscheidenden Ansatzpunkt für Veränderungen in der Wirtschafts- und Lebensweise, „nicht zuletzt, um die kapitalistische Entwicklungslogik einzuschränken und schließlich zu überwinden“702, hinaus. Dieter Klein legte dar, was der Grundgedanke der von der PDS angestrebten alternativen Eigentumspolitik ist, nämlich eine so weitreichende „Erneuerung der Demokratie“, dass jegliche Form von Eigentum dem Gemeinwohl unterworfen wird. Der ökonomische Kern einer solchen Alternative sei die Zurückdrängung und Überwindung der Profitdominanz zugunsten

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Thesen der Grundsatzkommission/Historischen Kommission: Neu beginnen ..., in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 79-90 (84). 701 Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil (Schriften, Bd. 2). – Berlin 2000, S. 322. 702 Steinitz, Klaus: PDS und Wirtschaftspolitik, in: Utopie kreativ, Nr. 14/1991, S. 80-88 (86).

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emanzipativer, sozialer und ökologischer Maßstäbe in demokratischen Entscheidungsprozessen.703 Klein und andere Vertreter der PDS setzten sich für eine Konzeption von Soziallogik ein, die der Kapitallogik entgegengesetzt werden sollte. Ein Autor erläuterte in einem Beitrag zur Programmdebatte, wie eine solche Soziallogik verstanden werden konnte. Dabei wurde deutlich, wie durch diese Konzeption mittels einer Fülle von Maßnahmen und Eingriffen die Verfügungsgewalt über das Eigentum eingeschränkt und Gewinne umverteilt werden sollten: „Das kann konkret erfolgen durch mehr Wirtschaftsdemokratie – mehr Mitbestimmung der Betriebsräte und Gewerkschaften -, Steuer- und Abgabengesetzgebung (Vermögenssteuer, Vermögensabgabe, Erbschaftssteuer, Abgaben in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Leistung, also in Abhängigkeit der Nettowertschöpfung, Tobinsteuer, Verhinderung der Steuerflucht), starke Wahrung der staatlichen Aufsicht gegenüber Banken, Versicherungen und Finanzunternehmen und weitere konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen.“704 Die Kapitalverwertung sollte der Tendenz nach der Reproduktion der Bedingungen eines freien und solidarischen Lebens untergeordnet und die Dominanz des „kapitalistischen Privateigentums“ aufgehoben werden. Sie sollte durch die Dominanz eines Sozialeigentums ersetzt werden, das die Individuen in die wahren Eigentümer des gesellschaftlichen Reichtums verwandeln sollte.705 In der PDS wurde lange darüber diskutiert, ob die Partei nach Enteignungen größerer Produktionsmittel oder lediglich nach einer Beschränkung der Verfügungsgewalt über Eigentum - ohne Antastung der Eigentumstitel - streben solle. André Brie favorisierte eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, mit denen die Verfügungsgewalt über privates Eigentum beschränkt werden sollte: „durch strategische Rahmenplanung von Staat und Gesellschaft; durch über die paritätische Mitbestimmung hinausgehende Mitbestimmungsmodelle, u.a. auch durch öffentliche Aufsichtsräte, in denen neben Eigentümern und Belegschaften auch Kommunen, Parlamente oder soziale und ökologische Bewegungen vertreten sind; durch ein Bodenrecht, das die spekulative Preistreiberei beendet (z.B. durch das Splitting von Eigentümer- und Nutzungsrechten); durch die Erhaltung und Ausweitung kommunalen Eigentums; durch die Gleichstellung und gezielte Förderung genossenschaftlichen Eigentums; durch die demokratische Kontrolle der Bundesbank (die längst überfällig ist) und durch einen öffentlich-rechtlichen Status die Einschränkung der Macht von Großbanken und anderen Finanzunternehmen (beginnend mit der Besteuerung 703

Vgl. Klein, Dieter: Demokratischer Sozialismus – ein transformatorisches Projekt, in: Utopie kreativ, Nr. 147/2003, S. 17-29 (28). 704 Trost, Hans-Georg: Die Eigentumsfrage in der Programmdebatte der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 155/2003, S. 841-847 (846). 705 Vgl. Brie, Michael: Welcher Marxismus und welche Politik?, in: Utopie kreativ, Nr. 165166/2004, S. 648-661 (654).

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internationaler Spekulationsgewinne); durch die Ausweitung öffentlichrechtlicher Verfügungs- und Einflussmöglichkeiten auch in anderen Bereichen.“706 In Positionen der PDS zur Wirtschaftspolitik wurden 1998 Ziele der Partei im Hinblick auf die Ausgestaltung der Eigentumsverhältnisse formuliert. Demnach sollten natürliche Monopole wie Wasserver- und Abwasserentsorgung, Energiewirtschaft, Schienenverkehr, sowie Bewirtschaftung des Straßen- und Wegenetzes nach Möglichkeit in Form öffentlichen Eigentums organisiert werden. Dies sollte auch für die Bank- und Versicherungsbranche gelten. Vor allem sollte eine weitgehende Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit auf die Erfordernisse gesellschaftlicher Reproduktion realisiert und demokratisch kontrolliert werden.707 Den Passus im Verfassungsentwurf der PDS, wonach sich die Wirtschaft humanen und ökologischen gesellschaftlichen Zwecken unterzuordnen habe, interpretierte Viola Neu als staatlich verordneten Wirtschaftsdirigismus und als Generalklausel des staatlichen Eingriffsrechts in alle privaten Wirtschaftsbeziehungen.708 Michael Brie offenbarte 2004, dass die von der PDS geplanten wirtschaftspolitischen Schritte langfristig faktisch auf Enteignungen hinausliefen. Sie seien zwar nicht unbedingt der Form, aber dem Inhalt nach eine Kette von umwälzenden Eingriffen in die Macht- und Eigentumsverhältnisse und Vergesellschaftungsformen.709 Im Verlauf der programmatischen Debatten gab es zahlreiche Äußerungen von PDS-Politikern, die sich nicht nur für Wirtschaftsdemokratie, für eine Beschränkung der Verfügungsrechte über Eigentum oder für Sozialisierungen, sondern auch für noch massivere Eingriffe in das Eigentumsrecht bis hin zu Enteignungen aussprachen. Gregor Gysi befürwortete 1990 in einem programmatischen Grundsatzartikel die Verstaatlichung von Großbanken.710 Die Kommunistische Plattform verlangte 1990 die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln.711 Auch noch 2003 forderte Sahra Wagenknecht in einem Beitrag zur Programmdebatte, das Privateigentum im Finanzsektor, bei der Energiewirtschaft, beim Fahrzeugbau, bei weiten Teilen der chemischen Industrie, bei der Telekommunikation, beim Transport und bei bestimmten

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Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 280. Vgl. Positionen der PDS zur Wirtschaftspolitik (6), in: PID, Nr. 3/1998, S. 13 f. (13). Vgl. Neu, Viola: Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus (Extremismus und Demokratie, Bd. 9). – Baden-Baden 2004, S. 178. Vgl. Brie, Michael: Welcher Marxismus und welche Politik?, in: Utopie kreativ, Nr. 165166/2004, S. 648-661 (656). Vgl. Gysi, Gregor: Was will die PDS in Deutschland?, in: Ders. (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. - Hamburg 1990, S. 9-26 (16). Vgl. Thesen für eine Plattform der KommunistInnen in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. Berlin 1991, S. 259-270 (264).

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Zweigen des Handels, mindestens bei allen Dax-Unternehmen, zu beseitigen.712 Als Stellvertretender PDS-Parteivorsitzender sprach sich Diether Dehm für die Vergesellschaftung von Konzernen wie DaimlerChrysler und BMW sowie Großbanken wie der Deutschen Bank aus.713 Diese Position bekräftigte Dehm 2006.714 2007 formulierte er das Ziel, beispielsweise die Verlagskonzerne Bertelsmann, Springer und Bauer in öffentlich-rechtliche Anstalten zu überführen.715 Ein Mitglied des Präsidiums des PDS-Parteivorstands forderte in einem Sammelband zur Programmatik, Großkonzerne in überschaubare Betriebe zu entflechten, die von den Beschäftigten selbst oder gleichberechtigt mit den Kapitaleignern verwaltet werden sollten.716 Die AG Wohnen der PDS sprach sich dafür aus, in das neue Programm die Forderung nach Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum aufzunehmen.717 Der Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf forderte die Vergesellschaftung der großen Produktionsmittel, der großen Finanzinstitute und des Rüstungssektors.718 In einem von den Orthodoxen veröffentlichten Sammelband zur Programmdebatte wurde die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln verlangt.719 Ein Autor dieses Sammelbands schrieb, er halte Sozialismus nur für möglich, wenn das große Kapital, die Konzerne, die Banken, die Versicherungen und der landwirtschaftliche Großgrundbesitz enteignet werden.720 Ingo Wagner erklärte die Aufhebung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln zur

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Vgl. Wagenknecht, Sahra: Welche Aufgaben hat ein Programm einer sozialistischen Partei?, in: Utopie kreativ, Nr. 152/2003, S. 536-542 (541). Vgl. Bild v. 14.6.2001. Vgl. Hulverscheidt, Claus: Linke fordert Verstaatlichung von Konzernen, in: Financial Times Deutschland v. 15.5.2006. Vgl. Dehm, Diether/Sohn, Manfred: Macht, Medien und kulturelle Hegemonie im Kapitalismus, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 72/2007, S. 90-101 (96). Vgl. Hegewald, Helmar: Naturaneignung, Menschenwürde, Demokratie, in: Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 99-111 (109). Vgl. AG Wohnen: Wohnungspolitik im Parteiprogramm – Vorschläge für den Text des Programmentwurfs, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 108 f. (109). Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam Ekkhard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 77-107 (96). Vgl. Peters, Arno: Friedrich Engels´ Rat und Friedrich Schillers Urteil, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 79-82 (82). Vgl. Schirmer, Gregor: Vornehmheit im Urteil über den Kapitalismus?, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen. 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 92-100 (97).

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entscheidenden Bedingung für den Sozialismus.721 Harald Werner, Mitglied der Grundsatzkommission der PDS, schrieb 1992 in einem Aufsatz, der in einem Sammelband zur Programmdebatte erschien, die private Verfügung über Produktionsmittel sei unvereinbar mit einer sozialen und ökologischen Entwicklungsänderung.722 2005 beschloss die Bundesdelegiertenkonferenz des PDS-nahen Jugendverbands Solid vor dem Hintergrund des aktuellen Arbeitskampfs im Bochumer Opel-Werk das Ziel der „Vergesellschaftung der Autoindustrie wie auch anderer Schlüsselbereiche der Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle von Belegschaften und Gewerkschaften“723. Klaus Steinitz, Vorsitzender des Vereins „Helle Panke“, des PDS-nahen Bildungsvereins in Berlin, skizzierte Elemente einer Eigentumsordnung eines zukünftigen demokratischen Sozialismus: „Die Sicherung und Erweiterung des öffentlichen Eigentums in der Daseinsvorsorge und die Überführung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft in gesellschaftliches Eigentum bleiben unverzichtbare Bedingungen für eine demokratische Wirtschaftsplanung und die Durchsetzung eines neuen Typs sozial und ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung. Bei den Schlüsselbereichen der Wirtschaft geht es vor allem um solche Bereiche, die für die Wirksamkeit der gesellschaftlichen Regulierung und Kontrolle entscheidend sind.“ (...) Heute gehören hierzu in den Industrieländern u.a.: Finanz- und Kreditwesen (Großbanken und finanzielle Institutionen mit erheblichem Einfluss), Telekommunikation, Medien wie Fernsehen und Rundfunk, Schienenverkehr und Nahverkehr, Energiewirtschaft, speziell Energieübertragungsnetze.“724 Auch wenn in programmatischen Papieren der PDS nicht direkt von Enteignungen gesprochen wurde, muss dies nicht heißen, dass dieses Ziel nicht intendiert war. Die CDU-Politikerin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld übersetzte, die PDS meine auch dann Enteignungen, wenn sie von Vergesellschaftung spricht.725 Michael Gerth vermutete, in der Sprache der PDS seien Enteignung und Verstaatlichung gemeint, wenn von Umwandlung in

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Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 109. Vgl. Werner, Harald: Der moderne Kapitalismus – die fortschrittlichste Katastrophe der Menschheitsgeschichte, in: Dietzel, Horst/Gehrcke, Wolfgang/Hopfmann, Arndt/Werner, Harald (Hg.): Brückenköpfe. Texte zur Programmdiskussion der PDS (Podium Progressiv, Bd. 17). – Mainz 1992, S. 12-24 (14). Mürdter, Christoph/Gamstätter, Thomas/Maywood, Timothi/Dirmeier, Alexander: Nachbetrachtung der Bundeskonferenz von Solid, in: Der Funke, Nr. 55/2005, S. 22 f. (23). Steinitz, Klaus: Scheitern des Realsozialismus im 20. Jahrhundert - Konsequenzen für einen zukünftigen Sozialismus, in: Müller, Horst (Hg.): Die Übergangsgesellschaft des 21. Jahrhunderts. - Norderstedt 2007, S. 156-182 (176 f.). Vgl. Lengsfeld, Vera: Kein Pardon für die PDS, in: Die Politische Meinung, Nr. 365/2000, S. 70-72 (72) u. Dies.: Gefährdet die PDS unser Land?, in: Deutschland-Magazin, Nr. 10/2001, S. 6 f. (6).

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Gemeineigentum die Rede ist. Die Forderung nach Vergesellschaftung der Verfügung über Eigentum ziele auf eine räteorientierte, basisdemokratische Verfügungsgewalt über sämtliche Wirtschaftsentscheidungen ab.726 Viola Neu sah 2003 aufgrund der gesamten Programmatik der PDS in Formulierungen wie „aus der Logik der Profitdominanz befreien“ oder in der Forderung nach Demokratisierung nur eine sprachliche Modernisierung von Verstaatlichung oder Enteignung. Auf Umverteilung, Verstaatlichung und letztlich Enteignung liefen auch die zahlreichen sozialen Forderungen hinaus, die die PDS an den Staat richtete.727 Mit „Überwindung des Kapitalismus“ meine die PDS Errichtung des Sozialismus und Zerschlagung der bürgerlichen Demokratie, mit Solidarität Umverteilung und mit sozialer Gerechtigkeit Klassenkampf.728 Für die Annahme, dass die PDS ihre Fernziele sprachlich absichtlich verschleierte, sprechen auch Äußerungen von Vertretern der PDS. So empfahl eine Referentin bei einer Konferenz der PDS, die Partei solle negativ besetzte Formulierungen wie „Überwindung der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft“ durch nicht belastete Formulierungen mit gleicher Intention wie „Schaffung einer solidarischen, basisdemokratischen Gesellschaft“ ersetzen.729 Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung kritisierte, die im PDS-Programm erhobene Forderung nach Vergesellschaftung sei vage. Es werde nicht ganz klar, was Vergesellschaftung konkret bedeuten soll.730 Seit etwa 2006 war in der PDS auch ein entgegengesetzter Trend festzustellen. Es meldeten sich Stimmen zu Wort, die sich unter bestimmten Voraussetzungen für eine Privatisierung öffentlichen Eigentums aussprachen. Spektakulär war das Votum der Mehrheit der Dresdner PDS-Stadtratsfraktion für den Verkauf der städtischen Wohnungsgenossenschaft an einen privaten Investor. Auch in anderen Kommunen führten PDS-Fraktionen ähnliche Diskussionen. Die vom PDS-Politiker Harald Wolf geleitete Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft und Arbeit entwarf ein Gesetz zur Privatisierung der Sparkasse des Landes und nahm damit eine Vorreiterrolle

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Vgl. Gerth, Michael: Die PDS und die ostdeutsche Gesellschaft im Transformationsprozess. Wahlerfolge und politisch-kulturelle Kontinuitäten (Politica, Bd. 55). – Hamburg 2003. S. 100 f. Vgl. Neu, Viola: Die PDS: Eine populistische Partei?, in: Werz, Nikolaus (Hg.): Populismus. Populisten in Übersee und Europa (Politik – Gesellschaft – Wirtschaft, Bd. 79). – Opladen 2003, S. 263-277 (268 f.). Vgl. Neu, Viola: Die PDS zwischen Utopie und Realität: Bundestagswahlprogramm und Regierungsbeteiligung in den Ländern (Arbeitspapier der KAS, Nr. 63/2002). – St. Augustin 2002, S. 5. Vgl. Link, Andrea: Der tradierte Antikommunismus und die PDS, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 246-249 (249). Vgl. Dietzel, Horst/Hoffmann, Jana/Woop, Gerry: Studie zum Vergleich der Parteiprogramme von PDS und WASG. - Berlin 2005, S. 35.

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unter allen Bundesländern ein. Der Berliner SPD-PDS-Senat verkaufte sogar landeseigene Wohnungen an den „Heuschrecken“-Fonds Cerberus. Mit der Eigentumsfrage verbunden war für die PDS die Frage nach der Klassenstruktur der Gesellschaft. Die PDS versuchte im Rahmen ihrer programmatischen Diskussionen, die Auswirkung des tiefgreifenden Wandels gesellschaftlicher Strukturen auf die Klassen- beziehungsweise Schichtzusammensetzung der Bevölkerung zu analysieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. In den Diskussionen, die der Beschlussfassung über das PDS-Programm von 1993 vorausgingen, setzte sich die PDS mit der Marginalisierung beziehungsweise der Ausdifferenzierung der Arbeiterklasse im herkömmlichen Sinne auseinander. Dieser Prozess war für die PDS von herausragender Wichtigkeit, denn die SED war überzeugt, dass die Arbeiterklasse eine besondere historische Mission auf dem Weg zum Kommunismus hatte. Demzufolge beanspruchte die Partei der Arbeiterklasse eine Avantgardefunktion. In den programmatischen Äußerungen eines Teils der PDS wirkte diese Sichtweise bis zuletzt mehr oder weniger deutlich nach. Die Thesen der PDS-Grundsatzkommission zur Vorbereitung des Parteiprogramms von 1993 problematisierten die veränderte Klassen- beziehungsweise Schichtenstruktur und sich daraus ergebende Folgen. In den Thesen hieß es, nicht alle gesellschaftlichen Konflikte ließen sich auf den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit reduzieren. Die Interessenstruktur lohnarbeitender Schichten sei heute höchst unterschiedlich und werde sich weiter differenzieren: „Sie ist anders beim Arbeiter im Entwicklungsland als im hochentwickelten Industrieland. Im letzteren wiederum unterscheiden sich die Interessen eines Beamten von denen eines Industriearbeiters, die Interessen von Stamm- und Randbelegschaften, die Interessen der Rationalisierungsgewinner und – verlierer.“731 Die Autoren des Kommentars zur Programmatik der PDS griffen diese Überlegungen auf und schlussfolgerten, die komplizierte soziale Struktur moderner Gesellschaften könne nicht auf das Raster von Klassenstrukturierung reduziert werden. Allerdings seien aktuelle Ausdifferenzierungen sozialer Ungleichheit nicht ohne die Dimension von Klassenlagen zu erklären. Dennoch seien Klassen als solche vermutlich nicht handlungsfähig. Man könne heute nicht auf eine wie auch immer geartete historische Mission einer Klasse setzen.732 Schon in den nicht beschlossenen zehn Thesen zum weiteren Weg der PDS von 1994 hatten die Reformer versucht, ihren Blick auf die Klassenfrage durchzusetzen. Die Probleme der Gegenwart und Zukunft ließen sich nicht mit einem vereinfachten und reduzierten Denken in den Kategorien von

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Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Neu beginnen ... Thesen zur Programmdiskussion. – O.O.o.J., S. 17. Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 223.

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Klassenkampf oder Sozialpartnerschaft erfassen.733 Bei der Vorstellung des Programmentwurfs von 2003 nannte Rosemarie Hein im Hinblick auf die veränderte Klassen- beziehungsweise Schichtenstruktur die Stichworte Scheinselbständigkeit, Globalisierung der Produktion und der Herrschaftsverhältnisse, Vielfalt und Durchdringung der Eigentumsformen, Subunternehmertum und Ich-AGs. Mit der damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderung der Arbeitswelt komme es auch zu einer Vervielfältigung der Interessenstrukturen.734 Teile der PDS hielten stets an der traditionellen Vorstellung von Klassen fest. Sahra Wagenknecht etwa sagte 1992 in ihrem Beitrag bei einem Hearing des PDS-Parteivorstands zur Programmdiskussion, der Klassenkampf sei die entscheidende Bewegungsform gesellschaftlicher Entwicklung. Das Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen in der gegenwärtigen Epoche sei eindeutig die Arbeiterklasse.735 1994 erklärte die Kommunistische Plattform, die Arbeiterklasse sei nach wie vor die Kraft, die gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann.736 Für Gerhard Branstner war die PDS eine Klassenpartei: „Und auch das Verhältnis von Klasse und Partei ist nach wie vor das gleiche. Die Partei als originärer politischer Bestandteil der Klasse ist ihr bestes Stück.“737 Der frühere PDS-Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch nannte das Proletariat den wichtigsten gesellschaftlichen Akteur.738 Für manche in der PDS war auch Klassenkampf gegenwärtig beziehungsweise künftig erforderlich. In den Thesen der Kommunistischen Plattform von 1990 hieß es, Klassenkampf sei weiterhin das elementare Wesen der sozialen, politischen und ideologischen Auseinandersetzungen. Der bürgerliche Staat bleibe ein Machtinstrument der ökonomisch und politisch herrschenden Klasse.739 Solche Positionen wurden in den Reihen der Orthodoxen auch noch über zehn Jahre später vertreten.740 Michael Benjamin

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Vgl. 10 Thesen zum weiteren Weg der PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 19-24 (21). Vgl. Hein, Rosemarie: Programmdebatte erfordert eingreifendes Denken, in: PID, Nr. 11/2003, S. 6 f. (6). Vgl. Hearing des Parteivorstandes zum Entwurf des Parteiprogramms der PDS am 13./14. Juni 1992 in Halle, in: PID, Nr. 25/1992, S. 1 f. (1). Vgl. Albrecht, Sybille/Benjamin, Michael/Czichon, Eberhard/Hecker, Thomas/Marohn, Heinz/Salpius, Bodo: Es geht um die Zukunft der PDS, in: PID, Nr. 10/1994, S. 11-14 (12). Vgl. Branstner, Gerhard: Arbeiterklasse/Klassenkampf, in: Reformalternative als Gesellschaftsalternative. Beiträge zur Theoretischen Konferenz des Marxistischen Forums Sachsen am 9. Juni 2001 in Leipzig (Marxistisches Forum, H. 36/37). - Leipzig 2001, S. 26-28 (26). Vgl. Hiksch, Uwe: Eine Alternative ist nötig und machbar, in: Bulletin des Geraer Dialogs/Sozialistischer Dialog, Nr. 2/2004, S. 16-23 (23). Vgl. Thesen für eine Plattform der KommunistInnen in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 259-270 (266). Vgl. Triller, Wolfram: Was jetzt tun? – Überlegungen nach dem Sonderparteitag der PDS, in: WB, Nr. 2/2003, S. 34-39 (35).

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führte 1991 bei der 2. Tagung des 2. PDS-Parteitags in seiner Begründung der Thesen der Kommunistischen Plattform zur Programmatik aus, die Bundesrepublik sei eine Klassengesellschaft, in der Klassenkämpfe stattfänden.741 Ekkehard Lieberam definierte Politik als das Verhältnis zwischen den Klassen in bezug auf Macht und Staat.742 Die Autoren des Kommentars zur Programmatik der PDS schrieben zwar einerseits, ein radikaler Abschied von allen Mythen aus dem Bilderbuch der Klassenkampfgeschichte sei geboten743, andererseits, die Existenz von Klassenkämpfen nicht leugnen zu wollen.744 Herbert Münchow meinte 2000, die wichtigste Tatsache der Politik in der gegenwärtigen Etappe sei die Objektivität des Klassenkampfes.745 In einem Papier von Mitgliedern des Marxistischen Forums zur Programmatik hieß es, die Geschichte habe nicht aufgehört, eine Geschichte von Klassenkämpfen zu sein. In der Politik gehe es um den Kampf widerstreitender Klasseninteressen.746 Harald Neubert schrieb, die heute Herrschenden betrieben Klassenkampf von oben nach unten.747 Selbst ein von den Reformern durchgesetzter Parteitagsbeschluss von 2004 lautete, Hartz IV sei Klassenkampf von oben.748 2006 war im Gründungsaufruf für die Sozialistische Linke, in der sich führende Mitglieder von Linkspartei.PDS und WASG zusammengeschlossen haben, von alltäglichem Klassenkampf die Rede.749 Thies Gleiss, Mitglied des Parteivorstands der Linkspartei, schrieb 2007, Klassenkämpfe könnten „durch keinen Dekonstruktivismus, keinen Geschichtsfatalismus und schon gar nicht durch Verschwörungstheorien“750 weggeredet werden. Erhard Crome stellte die Globalisierung als Klassenkampf von oben dar751, Jürgen Elsässer definierte Globalisierung als „weltweite

741 742 743 744 745 746 747 748 749 750 751

Vgl. Michael Benjamin zur Begründung der Thesen der Kommunistischen Plattform, in: PID, Nr. 27/1991, S. 14-16 (15). Vgl. Lieberam, Ekkehard: Politische Krise und linke Politik, in: Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 64/2005, S. 17-28 (25 f.). Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 240. Vgl. ebd., S. 303. Vgl. Münchow, Herbert: Burgfrieden. Die PDS auf dem Weg zur „Volkspartei“?, in: Junge Welt v. 11.11.2000. Vgl. Koenitz, Bernd/Lieberam, Ekkehard: Fünf programmatische Eckpunkte, in: Junge Welt v. 17.3.2006. Vgl. Neubert, Harald: Konflikt und Konsens, in: ND v. 25.3.2000. Vgl. Für eine starke PDS: Sozial, mit aller Kraft! Beschluss der 1. Tagung des 9. Parteitages der PDS, in: Disput, Nr. 11/2004, S. 49-52 (49). Vgl. Sozialistische Linke: realistisch und radikal! – O.O. 2006, S. 13. Gleiss, Thies: Keine Partei des Kapitals, in: Analyse & Kritik, Nr. 519/2007. Vgl. Crome, Erhard: PDS. Ansichten einer Krise, in: Utopie kreativ, Nr. 153-154/2003, S. 628634 (631)

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Entfesselung des Klassenkampfes von oben“752. Im Band „Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil“ liest man dazu zurückhaltender, die Globalisierung sei in starkem Maße die Folge von Deregulierungsbeschlüssen, die von den Teilen der Gesellschaften gefällt werden, die als einzige davon profitieren können. Globalisierung reproduziere also den alten Konflikt zwischen den Interessen der Reichen und Mächtigen auf der einen Seite und den Interessen der Armen und zunehmend Entrechteten auf der anderen Seite in neuem Gewand.753 Der Programmentwurf von Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch begann mit der Aussage, die Zivilisationsgeschichte der Menschheit sei eine Geschichte von Klassenherrschaft, Klassenkämpfen und Emanzipationsbestrebungen gegen diese Herrschaft, gegen Ausbeutung und Unterdrückung.754 Manche in der PDS riefen noch 2003 offen zum Klassenkampf auf, etwa Karl Mundstock, der in einer Schrift zur Programmatik der Partei den Scharfrichter Proletariat aufrief, des ihm von der Geschichte übertragenen Amtes zu walten.755 In einem Beitrag zur Programmdebatte wurde gefordert, die PDS solle klassenkämpferische Positionen statt Sozialpartnerschaft unterstützen.756 Kaum verhohlen propagierte der Sprecher- und Koordinierungsrat des Geraer Dialogs/Sozialistischen Dialogs der PDS Klassenkampf: „Politik in der antagonistischen Klassengesellschaft ist eben keine Sache der Konsensfindung zwischen den „demokratischen Parteien““ (…) „Politik in dieser Gesellschaft ist das Kampffeld der sozialen Großgruppen um ihre Interessen.“757 Teile der PDS versuchten gezielt, bei sozialen Konflikten „Klassenbewusstsein zu entwickeln und in soziale Auseinandersetzungen klassenkämpferische Positionen einzubringen“758, auch wenn dies nicht immer offen ausgesprochen wurde. Der sozialdemokratische Historiker Heinrich August Winkler schrieb, die PDS

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758

Elsässer, Jürgen: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Bonn 2007, S. 116. Vgl. Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil (Schriften, Bd. 2). – Berlin 2000, S. 358. Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (87). Vgl. Mundstock, Karl: Raus aus dem Dilemma. – Berlin 2003, S. 44. Vgl. Kallabis, Heinz/Krusch, Hans-Joachim/Wagner, Ingo: Ein Beitrag zur linken Programmdebatte in der BRD, in: Marxistischer Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (Hg.): Globale Dimension sozialistischer Programmatik (Geschichte und Gesellschaft, Bd. 4). – Schkeuditz 2001, S. 107-127 (123). Aggelidis, Michael u.a.: Für eine Grundsatzdebatte. Erklärung des Sprecher- und Koordinierungsrates des Geraer Dialogs/Sozialistischen Dialogs der PDS, in: Junge Welt v. 4./5.9.2004. Teuber, Wolfgang: Linke Programmdebatte und Gewerkschaften, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 4/2001, S. 11-15 (13).

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spreche zwar nicht mehr vom Klassenkampf, denke aber noch in den Kategorien des Klassenkampfes.759 Im Rahmen der PDS-Programmdebatte wurde intensiv erörtert, wie die Partei Unternehmertum und Gewinnstreben bewerten solle. Der Programmentwurf von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein aus dem Jahr 2001 erkannte erstmals ausdrücklich das Innovationspotential von Unternehmertum und die mit Unternehmertum verbundene Gewinnerzielungsabsicht als gesellschaftlich wertvoll an. Diese Anerkennung bezog sich offensichtlich in erster Linie auf mittelständische Unternehmen, weniger auf große Konzerne. Der damalige Stellvertretende PDS-Vorsitzende Diether Dehm setzte sich sogar dafür ein, kleine und mittlere Unternehmen als natürliche Verbündete der PDS im Kampf gegen die großen transnationalen Konzerne anzusehen. Zu diesem Zweck arbeitete die PDS eng mit ihrer Vorfeldorganisation für kleine und mittlere Unternehmer, dem „Offenen Wirtschaftsverband von klein- und mittelständischen Unternehmern, Freiberuflern und Selbständigen“, zusammen. Andere Vertreter der PDS lehnten eine positive Bewertung des Unternehmertums prinzipiell ab. Harald Werner schrieb, den Kapitalismus zu kritisieren, heiße nicht, seine unübersehbaren Missstände anzugreifen, sondern im „ganz normalen, alltäglichen und scheinbar innovativen unternehmerischen Handeln“ die Wurzel aller Deformation aufzuzeigen. Auch kapitalistische Produktivität sei so lange unlösbar mit Arbeitslosigkeit, ökologischem Raubbau und Verarmung verwoben, wie sie aus unternehmerischem Gewinninteresse entsteht.760 Mit der Innovation und Effizienz des Unternehmertums verhalte es sich wie mit der von Marx zitierten Gottheit, die ihren Nektar aus den Schädeln der Erschlagenen trinkt: „Auf jede Innovation und Effizienzsteigerung des unternehmerischen Gewinninteresses folgen ungezählte Arbeitslose, vernichtetes Kapital, zerstörte Lebensperspektiven und zerrüttete Sozialstrukturen.“761 Auch die AG Betrieb und Gewerkschaft der PDS kritisierte in einer Erklärung die positive Bezugnahme auf unternehmerisches Handeln und Gewinninteresse scharf: „Das Profitinteresse der Unternehmen ist in erster Linie für die wachsende Ausbeutung der lebendigen Arbeit, für das Entstehen konjunktureller Krisen und für die massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen verantwortlich. Im Unternehmensinteresse wird die Politik zum Sozialabbau gezwungen, werden die Sozialsysteme ausgehöhlt und einstmals erkämpfte Sicherheiten des Arbeitslebens dereguliert.“ (...) „Die im Programmentwurf vollzogene Trennung von guten und schlechten Profiten ist angesichts der

759

Vgl. Winkler, Heinrich August: Von Marx zur Marktlücke, in: FAZ v. 19.10.1999. Vgl. Werner, Harald: Antikapitalismus reicht nicht aus, in: ND v. 5.9.2003. 761 Werner, Harald: Gute Gewinne – schlechte Profite?, in: 13 Wortmeldungen zur PDSProgrammdebatte, Beilage zur Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 46/2001, S. 26-28 (26). 760

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wirtschaftlichen Verflechtungen eine völlig absurde Kapitalismusvorstellung.“762 Im Parteiprogramm von 2003 wurde die positive Bezugnahme auf unternehmerisches Handeln und Gewinninteresse - wenn auch gegenüber den vorangegangenen Programmentwürfen der Reformer stark eingeschränkt verankert. In der endgültigen Fassung hieß es, so lange unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen auf die betriebswirtschaftliche Logik der einzelnen Unternehmen beschränkt bleiben und dem Profitstreben des Einzelkapitals unterworfen sind, würden sie sich in ihr Gegenteil verwandeln. Ohne Mitbestimmung, gewerkschaftliche Gegenmacht und sozialstaatliche Regulierung würden private Unternehmerinteressen zu volkswirtschaftlich verlustreichen, sozialen und umweltzerstörerischen Fehlentwicklungen führen.763 Wie interpretationsfähig die Formulierungen über Unternehmertum, Gewinninteresse, Gegenmacht und Regulierung beziehungsweise Rahmenbedingungen sind, verdeutlichte die Begründung eines Änderungsantrags zum Programmentwurf, der beim Chemnitzer Programmparteitag 2003 gestellt wurde. Demnach könne man unter sozialstaatlichen Gegengewichten und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beispielsweise Rahmenplanungen für alle privaten Unternehmen, staatliche Investitionslenkung und Vergesellschaftung der großen Betriebe verstehen. Aus der Programmpassage über unternehmerisches Handeln und Gewinninteresse ließe sich sowohl eine Neuauflage der Leninschen Neuen Ökonomischen Politik als auch eine Neuauflage einer keynesianischen nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik ableiten.764 Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen führender PDS-Politiker reichten von der Forderung nach Enteignungen und Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln bis zur vorbehaltlosen Bejahung des Wirtschaftssystems in der Bundesrepublik. Während manche Klassenkampf propagierten, sahen andere in kleinen und mittelständischen Unternehmern natürliche Verbündete der PDS. Nach harten Auseinandersetzungen konnten sich die Reformer – wenn auch mit Abstrichen – mit ihrer Forderung, Unternehmertum zu würdigen und Gewinnerzielungsabsicht als legitim anzuerkennen, beim Programmparteitag 2003 durchsetzen. Durch die Fusion mit der WASG stießen Gewerkschaftsfunktionäre und traditionalistische Sozialdemokraten zur Partei. Sie wurden in einer Zeit sozialisiert, in der in der Bundesrepublik für fast alle 762

Borchard, Barbara/Grünwedel, Holger/Kemski, Gerald/Lesch, Martin/Pommerenke, Heidi/Werner, Harald: Absurde Kapitalismusvorstellung, in: Junge Welt v. 2.5.2001. 763 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 3. 764 Vgl. BO St. Pauli, Schanzen- und Karoviertel, Hamburg Neustadt u.a.: Änderungsantrag PR.1.49., in: Bundesgeschäftsführer der PDS (Hg.): Chemnitzer Programmparteitag der PDS. Antragsheft. – Berlin 2003, S. 64-66 (65 f.).

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Bürger existenzsichernde Normalarbeitsverhältnisse erreichbar waren und in der das Arbeitsrecht Arbeitnehmer beispielsweise vor Kündigung und befristeter Beschäftigung weitgehend schützte. Zu diesen Zuständen wollen sie zurück, während die Teile der PDS, die Regierungsverantwortung übernommen haben oder übernehmen wollen, die aus wirtschaftlichen Zwängen folgenden Notwendigkeiten akzeptieren. Sie setzten der Reformpolitik der SPD kaum Widerstand entgegen, die WASG wurde aber gerade als Reaktion auf diese Politik gegründet. Die neue Partei wird also in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen künftig eher traditionalistischere Positionen vertreten, teilweise sogar radikalere. So forderte der Bundesvorstand des Studierendenverbands der LINKEN „Die Linke.SDS“, „alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge – Energiekonzerne, Nah- und Fernverkehr, Gesundheitswesen, Wohnraum etc. müssen dem Wahnsinn der Märkte entrissen und unter demokratischer Kontrolle vergesellschaftet werden.“ ... „Alle Banken – und zwar vor allem die profitablen – müssen zur Sicherung unserer Ersparnisse und zur Gewährleistung einer sinnvollen Kreditvergabe entschädigungslos in einem öffentlichen Bankensystem vergesellschaftet und demokratisch kontrolliert werden.“765 Und die Landessprecherin der Linksjugend Solid Baden-Württemberg forderte, Betriebe, die Entlassungen oder Schließung androhen, in öffentliches Eigentum zu überführen, außerdem eine demokratische sozialistische Planwirtschaft.766 Zur Begriffsverwirrung hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der innerparteilichen Strömungen trägt bei, dass gerade die größtenteils aus der PDS stammenden Pragmatiker und Reformer sich in einer Strömung zusammengeschlossen haben, die das Ziel Sozialismus im Namen trägt, im „Forum Demokratischer Sozialismus“, wohingegen die Mehrheit der ehemaligen WASG die Aufnahme des Sozialismus in den Parteinamen verhinderte und in die „Programmatischen Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland“ zunächst verhindern wollte, tatsächlich aber näher am Sozialismus ist als die PDS-Pragmatiker und –Reformer.

765 766

Bundesvorstand Die Linke.SDS: Die Systemfrage stellen!, in: Unsere Zeit, Nr. 43/2008. Vgl. Schnatterer, Tinette: „Remmi-Demmi gegen Kapitalismus“, in: Solidarität, Nr. 77/2009.

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5. Demokratieauffassung

Die Mehrheit der PDS bekannte sich zur Demokratie. Doch wie beim Sozialismusbegriff ist nicht eindeutig, was unter Demokratie verstanden wurde. Wenn die PDS sich zur Demokratie bekannte, muss dies nicht bedeuten, dass damit die Demokratie des Grundgesetzes gemeint war. Im PDS-Programm von 1990 ist zu lesen, die Partei strebe nach einer höheren Qualität von Demokratie, in der sich parlamentarische Demokratie mit Wirtschaftsdemokratie sowie kommunaler Selbstverwaltung eng verbindet.767 1991 hieß es in einem Bericht des PDS-Parteivorstands, Demokratie habe für die PDS revolutionären Charakter, da die von der Partei angestrebten Umwälzungen über die derzeitigen gesellschaftlichen Strukturen hinausweisen.768 Das Verhältnis zumindest von Teilen der PDS zur Demokratie der Bundesrepublik war ambivalent. So wurde beispielsweise das Mehrheitsprinzip nicht uneingeschränkt anerkannt. Michael Benjamin schränkte 1996 ein, zwar bedeute für ihn „demokratisch“, gesellschaftliche Veränderungen nur mit Mehrheiten erreichen zu können, allerdings gelte dies für ihn nur „hier und heute, d.h. in Deutschland für den historisch überschaubaren Zeitraum“769. Gerhard Branstner bekannte offen, es sei idiotisch, von einem demokratischen Weg zum Sozialismus zu schwätzen.770 Die Glaubwürdigkeit der Bekenntnisse der PDS zur Demokratie muss unter anderem deshalb in Frage gestellt werden, da die Partei sich in programmatischen Dokumenten positiv auf historische Ereignisse bezog, die mit dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes unvereinbar sind. Man könne also, so Manfred Wilke, von der PDS bei passender Gelegenheit die Wiederholung solcher Ereignisse erwarten.771

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Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 28. Vgl. Bericht des Parteivorstandes an den 2. Parteitag der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 1. Tagung. – Berlin 1991, S. 40-76 (61). 769 Benjamin, Michael: Konsens und Dissens in der Strategiedebatte, in: „Helle Panke“ e.V. (Hg.): Pankower Vorträge, Nr. 5. – Berlin 1997, S. 24-46 (34). 770 Vgl. Branstner, Gerhard: Arbeiterklasse/Klassenkampf, in: Marxistisches Forum, H. 36/37, S. 26-28 (26). 771 Vgl. Wilke, Manfred: Die PDS: Partei der Spaltung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 70-98 (84). 768

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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Schon aus dem Namen der PDS ergibt sich die Frage, welches Verhältnis von Demokratie und Sozialismus die Partei anstrebte. Dass zwischen Demokratie und Sozialismus ein Widerspruch bestehen kann, räumten auch Vertreter der PDS ein. Beispielsweise schrieb Michael Brie, durch die gewaltsame Auflösung der russischen Konstituante sei eine weltpolitische Alternative von Sozialismus und Demokratie begründet worden. Diese falsche Alternative habe die Tragödie der demokratischen Sozialisten des 20. Jahrhunderts ausgemacht.772 Während unklar ist, welchen Demokratiebegriff die PDS und ihre Gliederungen vertraten, griffen PDS-Politiker die Demokratie der Bundesrepublik teilweise heftig an. Vertreter der Kommunistischen Plattform charakterisierten die demokratische Ordnung der Bundesrepublik als eine monopolkapitalistische Gesellschaft, deren Demokratie dort ende, wo die Macht der Finanzoligarchie gefährdet oder stark eingeschränkt wird.773 Uwe-Jens Heuer vertrat die Ansicht, der bürgerlichen Demokratie wohne eine antidemokratische Tendenz inne.774 Sahra Wagenknecht bestritt, dass die Bundesrepublik demokratisch, dass sie sozial und dass sie ein Rechtsstaat ist.775 Ein Programmentwurf von 1993 sah in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik nichts anderes als ein Instrument zur Festigung der Herrschaftsstrukturen der herrschenden Bourgeoisie. Demokratie werde nur in deren Klassensinn ausgelegt.776 Im Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf hieß es, die Demokratie der Bundesrepublik und ihre Institutionen stünden unter der ständigen Einflussnahme - oft unter der Kontrolle - der Großunternehmen und ihrer Verbände.777 Die Gramsci-Expertin Sabine Kebir nannte die Grundordnung der Bundesrepublik in einem Beitrag zur Programmdebatte eine bestenfalls embryonale Demokratie.778 Viola Neu resumierte in einer Analyse

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Vgl. Brie, Michael: Rosa Luxemburg und Alexandra Kollontai – Parteinahme für einen demokratischen Sozialismus, in: Utopie kreativ, Nr. 162/2004, S. 312-328 (319). Vgl. Hannemann, Konrad: Beide Entwürfe nicht ausgereift, in: Disput, Nr. 18/1992, S. 34 f. (35). Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Bürgerliche repräsentative Demokratie und Grundgesetz im fünfzigsten Jahr der BRD, in: Fischer, Gerhard/Krusch, Hans-Joachim/Modrow, Hans/Richter, Wolfgang/Steigerwald, Robert (Hg.): Gegen den Zeitgeist. Zwei deutsche Staaten in der Geschichte. – Schkeuditz 1999, S. 416-429 (426). Vgl. Das erste Gespräch, in: Schütt, Hans-Dieter: Zu jung, um wahr zu sein? Gespräche mit Sahra Wagenknecht. – Berlin 1995, S. 33-57 (46). Vgl. Programmentwurf von F. Plathe, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 17-24 (20). Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam, Ekkehard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 77-107 (91). Vgl. Kebir, Sabine: Bildung, Wissen, Kultur, in: 13 Wortmeldungen zur Programmdiskussion, Beilage zur Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 46/2001, S. 35-39 (36).

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des PDS-Programms von 2003, nach Auffassung der Partei sei die Demokratie der Bundesrepublik nicht demokratisch, da sie kapitalistisch sei.779 Selbst die Reformer, die den Kommentar zur Programmatik der PDS verfasst haben, gingen davon aus, dass das Demokratiemodell der Bundesrepublik tatsächliche Demokratie verunmögliche. Das Demokratiemodell der Bundesrepublik gehe von drei prinzipiellen Bedingungen aus, die heute obsolet seien: „a) die Teilnehmer des demokratischen Prozesses sind personal identisch mit denen, über die entschieden wird; b) die Teilnehmer des demokratischen Prozesses sind zugleich auch Teilnehmer aller anderen wesentlichen sozialen Prozesse; c) die Institutionen der Demokratie sind gemeinwohlorientiert.“780 Mindeststandards demokratischer Entscheidungen würden von der bestehenden Ordnung der Bundesrepublik nur noch partiell und in abnehmendem Maße erfüllt.781 Michael Brie schrieb 2004, die Demokratie werde, wenn ihr Widerstand entgegengesetzt wird, zur Tyrannis.782 Die heutige Situation stelle sich dar wie der Übergang von der Republik zum Kaiserreich im antiken Rom: „Die staatlichen Institutionen bleiben, aber die realen Machtverhältnisse werden radikal verändert. Was wir heute immer mehr bekommen, ist kapitalistische Diktatur in demokratischer Form.“783 Die PDS kritisierte nicht nur die Form der Demokratie in der Bundesrepublik, sondern äußerte sich auch zu Entwürfen für eine sozialistische Demokratie. Wohl nicht zufällig nannte die PDS als Fernziel mitunter eine „neue demokratische deutsche Republik“.784 Zumindest Sahra Wagenknecht erklärte, die DDR sei nicht undemokratischer gewesen als die Bundesrepublik.785 In einem Sammelband der Orthodoxen wurde eine anzustrebende sozialistische Demokratie skizziert: Eine zukünftige sozialistische Ordnung 779 780 781 782 783 784

785

Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm. – Berlin 2003, S. 13. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 94 f. Vgl. ebd., S. 96. Vgl. Brie, Michael: Jenseits dieser billigen Freiheit. Eine andere Demokratie ist nötig, in: Freitag v. 16.1.2004. Brie, Michael: Jenseits dieser billigen Freiheit. Eine andere Demokratie ist nötig, in: Freitag v. 16.1.2004. Vgl. Offen für alle fortschrittlichen und humanistischen Ideen und Ideale. Thesen für die Konferenz zur Erneuerung der PDS (Entwurf), in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 6174 (73). Vgl. Interview in der Welt am Sonntag v. 17.6.2001.

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brauche eine „Art Mehrparteiensystem, was auch bedeutet, dass es in einer solchen Ordnung möglich sein muss, auf dem Boden einer sozialistischen Verfassung zu opponieren.“ Recht solle auf der Grundlage einer sozialistischen Rechtsordnung gesprochen werden.786 Die Reformer wollten die demokratische Ordnung der Bundesrepublik duch eine Demokratisierung der Demokratie verändern. Wie ein roter Faden zieht sich die Forderung nach Demokratisierung aller Lebensbereiche durch viele programmatische Papiere der PDS. Die Konzeption einer Demokratisierung der Demokratie haben die Reformer beispielsweise in ihrem Band „Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil“ dargestellt. Unter einer Demokratisierung der Demokratie sei ein mühsamer, vielfach erst noch zu konzipierender und auszuprobierender Weg einer radikalen Demokratisierung von Staat und Gesellschaft als Ziel und Mittel emanzipatorischer sozialistischer Politik zu verstehen.787 Demokratisierungsvorschläge müssten beim Wandel innerhalb der herrschenden parlamentarischen und marktwirtschaftlichen Grundordnung beginnen, jedoch über diese hinausweisen. Die Demokratisierung der Demokratie sei daher sowohl Mittel als auch Zielorientierung, aber kein starres, festgelegtes System. Es handle sich um einen ungefähren Wegweiser und eine Planskizze, aber nicht um einen fertigen Bauplan.788 Diskutiert wurde in der PDS neben einer Demokratisierung von Staat und Gesellschaft immer wieder auch die innerparteiliche Demokratie. In ihrem Programm von 1990 wandte sich die PDS vom Prinzip des Demokratischen Zentralismus ab und bekannte sich zur innerparteilichen Willensbildung von unten nach oben.789 Das Amt des Generalsekretärs und die Gremien Politbüro, Zentralkomitee und Parteikontrollkommission wurden abgeschafft und durch einen Parteivorsitzenden, ein Präsidium, einen Parteivorstand und eine Schiedskommission ersetzt. Weitere Elemente innerparteilicher Demokratie seien, wie aus einem Bericht der Statutenkommission an den Wahlparteitag der PDS von 1990 hervorgeht, das Recht der Mitglieder, Anträge zu stellen und wahrheitsgetreue Informationen zu erhalten, die ständige Rechenschaftspflicht der Vorstände und deren Kontrolle durch die Basis.790 Viola Neu stellte in Frage, inwieweit die Demokratisierung der Partei freiwillig erfolgte. Neu 786

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Vgl. Neubert, Harald/Steigerwald, Robert: Für einen anderen Fortschritt, für einen neuen Sozialismus, in: Fischer, Gerhard/Krusch, Hans-Joachim/Modrow, Hans/Richter, Wolfgang/Steigerwald, Robert (Hg.): Gegen den Zeitgeist. Zwei deutsche Staaten in der Geschichte. – Schkeuditz 1999, S. 472-491 (486). Vgl. Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil (Schriften, Bd. 2). – Berlin 2000, S. 298. Vgl. ebd., S. 303. Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 12. Vgl. Pohl, Wolfgang: Bericht der Statutenkommission, in: PDS: Wahlparteitag der PDS. – Berlin 1990, S. 109-114 (110).

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schrieb, die Partei habe sich zumindest im Sinne des Parteien- und Wahlgesetzes demokratisieren müssen, um unter den politischen Bedingungen der Demokratie zu überleben. Neu sprach von einer von außen aufgezwungenen „Demokratisierung von oben“791. Die Thesen der PDS-Grundsatzkommission, die dem Programm von 1993 vorausgingen, lehnten die Vorstellung ab, eine „Partei neuen Typs“ sei im alleinigen Besitz der Wahrheit und daher zur Machtausübung legitimiert.792 Man verabschiedete sich also von der Konzeption der führenden Rolle einer einzigen Partei. Allerdings warfen Reformer Orthodoxen immer wieder vor, nicht weit von Avantgarde-Vorstellungen entfernt zu sein.793 Da mit Harald Neubert der führende Gramsci-Interpret der PDS noch 2001 die Auffassung vertrat, Hegemonie im Sinne Gramscis, dessen Schriften ein wichtiger theoretischer Bezugspunkt für die PDS waren, sei gleichbedeutend mit Führung, sind zumindest Zweifel angebracht, ob die PDS sich tatsächlich konsequent von Avantgarde-Vorstellungen abgewandt hat.794 Jürgen Lang nannte die PDS eine Avantgarde des Apparates, die in der Gesellschaft vorhandene systemoppositionelle Potentiale zu einer Gegenmacht formieren wolle.795 Die programmatischen Äußerungen aller Strömungen der PDS forderten die Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch rätedemokratische und direktdemokratische Elemente. Gregor Gysi skizzierte 1991, wie er sich eine Ergänzung der bestehenden Vertretungskörperschaften vorstellte. Er sprach sich für Sozial- und Fachparlamente mit Beratungs- und Zustimmungsrechten aus. Diese sollten aus Wahlen hervorgehen und spezifische Bevölkerungsgruppen oder gesellschaftliche Fragestellungen vertreten. Als Beispiele nannte er Parlamente der Kinder, der Jugendlichen, der Frauen, der Rentner, der Ausländer oder der Behinderten, außerdem Umwelt-, Kultur- und Wirtschaftsparlamente. Bei Bundestags- und Landtagswahlen sollte eine dritte Stimme eingeführt werden, mit der die Wähler auf wichtigen Politikfeldern über die Richtung der Politik entscheiden können, unabhängig davon, welche Person

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Neu, Viola: Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus (Extremismus und Demokratie, Bd. 9). – Baden-Baden 2004, S. 151. Vgl. Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Neu beginnen ... Thesen zur Programmdiskussion. – O.O.o.J., S. 5. Vgl. beispielsweise Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 155. Orthodoxe ihrerseits kritisieren, die Reformer erteilten zwar offiziell Avantgarde-Vorstellungen eine Absage, ihr tatsächliches Verhalten gegenüber abweichenden Meinungen innerhalb der PDS sei aber avantgardistisch. Vgl. Neubert, Harald: Antonio Gramsci in unserer Zeit, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 1/2001, S. 3-15 (8). Vgl. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Jesse, Eckhard/Backes, Uwe (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. - Baden-Baden 1994, S. 180-193 (190 f.).

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oder Partei sie wählen.796 Im Programm von 2003 wurden mehrere Vorschläge gemacht, wie das politische System auf den Ebenen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Europäischen Union um direktdemokratische Elemente erweitert werden soll: „Auf Bundesebene und im Rahmen der Europäischen Union sollte es Volksentscheide mit niedrigen Einstiegsquoren geben. Die Linkspartei.PDS engagiert sich für die Einführung einer umfassenden Volksgesetzgebung sowie für Runde Tische und regionale Wirtschafts- und Sozialräte.“797 Teile der PDS hingen dem Modell des imperativen Mandats an. So forderte die Kommunistische Plattform 1990 in ihren Thesen eine basisdemokratische Kontrolle aller Parlamentarier, beispielsweise durch ein imperatives Mandat.798 Vereinzelt sprachen sich PDS-Gliederungen für ein imperatives Mandat für Parteitagsdelegierte aus.799 Die PDS-Programmatik ist daraufhin zu untersuchen, ob die Partei sich eindeutig zu den zentralen Werten und Prinzipien der freiheitlichdemokratischen Grundordnung bekannte. Nach – aus welchen Gründen auch immer – möglicherweise eingebauten „Hintertüren“ ist zu suchen. Es ist zu prüfen, ob es Anzeichen dafür gibt, dass die Programmatik der PDS nur verfassungskonform formuliert wurde, um äußeren Druck wie etwa Überwachung durch die Verfassungsschutzämter abzuwenden, um sich in der demokratischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik positiver profilieren zu können oder um für potentielle Koalitionspartner bündnisfähig zu sein. In der PDS war ein ambivalentes Verhältnis zum Grundgesetz verbreitet. Einerseits wurden bestimmte Rechte grundsätzlich gewürdigt, andererseits wurde die Verfassungswirklichkeit scharf attackiert oder die Rechtsordnung der Bundesrepublik zu einem Instrument kapitalistischer Herrschaft beziehungsweise zur Verschleierung solcher Herrschaft erklärt. Uwe-Jens Heuer charakterisierte die demokratischen Institutionen der Bundesrepublik als Instrumente der Herrschaftsausübung und –tarnung und zugleich als wichtige reale zivilisatorische Errungenschaften des demokratischen Kampfes.800 Ein engagiertes Bejahen des Grundgesetzes und der freiheitlichdemokratischen Grundordnung war in der PDS selten. André Brie löste 1996 in 796

797 798 799

800

Vgl. Gysi, Gregor: Wir wollen eine andere Politik in einem anderen Deutschland, in: Klein, Thomas/Vordenbäumen, Vera/Wiegrefe, Carsten/Wolf, Udo (Hg.): Keine Opposition. Nirgends? Linke in Deutschland nach dem Sturz des Realsozialismus. – Berlin 1991, 39-45 (42). Die Linke.PDS: Programm. - Berlin 2005, S. 22. Vgl. Thesen für eine Plattform der KommunistInnen in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 257-270 (267). Zur radikalen Erneuerung der Programmatik und Struktur der PDS. Diskussionsangebot der AG Lesben- und Schwulenpolitik in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 20-27 (27). Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Rechtsstaat und Unrechtsstaat – zur PDS-Debatte, in: PID, Nr. 50/1995, S. 16 f. (16).

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der PDS heftigen Widerspruch aus, als er forderte, die Partei müsse endlich in der Bundesrepublik ankommen und ein positives Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zum Grundgesetz finden.801 Soweit und so lange die PDS glaubte, ihre Ziele im Rahmen des Grundgesetzes erreichen zu können, wurde dieses nicht offen abgelehnt. Wo Grundgesetz und Ziele der PDS in Konflikt gerieten, sprachen sich zumindest Teile der Partei für eine – wie sie es nannten - Weiterentwicklung, was nichts anderes als Änderung oder Uminterpretation bedeuten kann, aus. So hieß es in einem Antrag zur Statutendiskussion beim 2. Parteitag der PDS, in den Bereichen, in denen das Grundgesetz keine hinreichenden Voraussetzungen für die Verwirklichung der Ziele der PDS bietet, solle die Partei sich für die Weiterentwicklung der verfassungsrechtlichen Grundlagen in diesem Sinne einsetzen.802 Die Autoren des Kommentars zur Programmatik der PDS beteuerten, die von der Partei angestrebten Umwälzungen nur auf dem Boden des Grundgesetzes verwirklichen zu wollen.803 Das Grundgesetz könne und müsse als Chance auch für linke Politik begriffen werden.804 Im Kommentar hieß es, die PDS solle sich den Forderungen des Grundgesetzes nicht einfach anpassen oder den Festlegungen des Parteiengesetzes opportunistisch unterwerfen, die von den Parteien Verfassungstreue verlangen, sondern sich davon leiten lassen, fortschrittliche, demokratische und liberale Inhalte des Grundgesetzes aufzugreifen und gegen die Verfassungsrealität und die Politik der etablierten Parteien zu verteidigen.805 Der Leitantrag an die 2. Tagung des 7. Parteitags der PDS forderte, die Partei solle kein taktisches, sondern ein prinzipiell bejahendes Verhältnis zum Grundgesetz haben.806 Im ersten Satz der Präambel ihres Programms von 2003 nahm die PDS positiv auf das Grundgesetz, speziell auf seinen Anfang, die Menschenwürde, Bezug. Häufig behauptete die PDS, sie verteidige das Grundgesetz gegen seine Aushöhlung oder Änderung durch andere Parteien. Diese Haltung wurde auch innerparteilich kritisiert. Thomas Falkner schrieb in einer Kommentierung des Programmentwurfs von 2003, die PDS habe mit diesem Entwurf die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik als verfassungswidrig erkannt.

801 802 803 804 805 806

Vgl. Stern, Nr. 32/1996 v. 1.8.1996. Vgl. Antrag der Initiativgruppe Neues Statut an den 2. Parteitag der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 1. Tagung. Berlin – 1991, S. 181-203 (182). Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 131. Vgl. ebd., S. 311. Vgl. ebd., S. 311 f. Vgl. Teil IV. des Leitantrages an die 2. Tagung des 7. Parteitages der PDS in Dresden, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 5 f. (6).

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Demzufolge müsse die Bundesrepublik eigentlich verboten werden.807 Anhand des PDS-Programms von 2003 legte Viola Neu dar, wie die Partei Normen der Demokratie und des Grundgesetzes uminterpretiere. Diese erhielten einen anderen Wert- und Bedeutungsgehalt. Damit wolle die PDS beweisen, dass sie demokratisch sei. Die Umwertung diene dem Ziel der Unterminierung der Legitimität des Staates.808 Auf der Basis der Neudefinition von Begriffsinhalten leite die PDS die Legitimation des Kampfs und des Widerstands gegen die bürgerliche Demokratie ab.809 Auch ohne das Grundgesetz offen abzulehnen, ist es möglich, durch das Aufstellen von im Rahmen der derzeitigen Staats- und Gesellschaftsordnung unerfüllbaren Forderungen auf ein substantiell anderes politisches und wirtschaftliches System hinzuwirken. Patrick Moreau sah in Teilen der Programmatik der PDS das Ziel einer fundamentalen Veränderung des Grundgesetzes: „Würde das Recht auf Arbeit (wie die anderen geforderten „Menschenrechte“) als Grundrecht in das Grundgesetz aufgenommen, so zöge dies in der Folge nach aller Logik eine andere Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsform nach sich: Nur ein Staat, der über die Arbeitsplätze verfügt und die Wirtschaft lenkt, kann ein Recht auf Arbeit (und die anderen „Menschenrechte“) garantieren.“810 Die Umsetzung der Forderungen der PDS würde den Übergang zu einer sozialistischen Wirtschaft, einer egalitaristischen Sozialordnung sowie einem allgegenwärtigen und dirigistischen Staat bedeuten.811 Ein Autor der Beiträge und Informationen zur Programmdebatte betonte, die PDS wolle, auch wenn sie konstruktive politische Vorschläge im Rahmen der Rechtsordnung der Bundesrepublik macht, ein anderes politisches System, denn die Partei könne ein anderes politisches System eben nur bekommen, „wenn wir das jetzige mit dem Einverständnis einer Mehrheit bei laufendem Betrieb Uwe-Jens Heuer verglich das Grundgesetz mit umbauen.“812 Waffenstillstandsbedingungen. Deswegen gehe es nicht um ein Bekenntnis zum Grundgesetz, „sondern um den Kampf innerhalb der hier gesetzten verbindlichen Regeln.“813 807 808 809 810 811 812 813

Vgl. Falkner, Thomas: Politik als Chance, in: Utopie kreativ, Nr. 153/154/2003, S. 592-602 (600). Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm, S. 7. Vgl. ebd., S. 7. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 299 f. Vgl. ebd., S. 302. Gläser, Jochen: Soziale Gerechtigkeit und Regierungsfähigkeit, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 60-65 (62). Heuer, Uwe-Jens: Bürgerliche repräsentative Demokratie und Grundgesetz im fünfzigsten Jahr der BRD, in: Fischer, Gerhard/Krusch, Hans-Joachim/Modrow, Hans/Richter, Wolfgang/Steigerwald, Robert (Hg.): Gegen den Zeitgeist. Zwei deutsche Staaten in der Geschichte. - Schkeuditz 1999, S. 416-429 (424 f.).

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Alle Strömungen der PDS übten Kritik am Grundgesetz und an der Verfassungswirklichkeit. Grad und Deutlichkeit der Kritik waren allerdings höchst unterschiedlich. Die Kritik reichte bis zu heftigen Angriffen auf das Grundgesetz und zur Forderung nach völliger Abschaffung der freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Für Teile der PDS war der demokratisch-parlamentarische Rechtsstaat nichts anderes als das zentrale Instrument der Herrschaftsmethoden des Kapitalismus.814 Winfried Wolf sah im Grundgesetz die Verfassung eines kapitalistischen und imperialistischen Landes.815 In einer von PDSBundestagsabgeordneten herausgegebenen Schrift, die den Verfassungsentwurf der PDS/Linke Liste erläuterte, sprach sich ein Autor dafür aus, die fdgo (die freiheitlich-demokratische Grundordnung) in ihrer bisherigen Form ersatzlos zu streichen.816 Angela Marquardt vertrat die Auffassung, Linkssein bedeute auch, nach Möglichkeit den Staat abzuschaffen. Der Staat sei der Feind der Linken. Das Oppositionsverständnis der PDS beziehe sich nicht nur auf die Regierung, sondern auch auf das Herrschaftssystem.817 In einem Zwischenbericht zum Verlauf der Diskussion über die zehn Thesen zum weiteren Weg der PDS wurde festgehalten, Teile der Partei lehnten überhaupt jede Art von Herrschaft und staatlicher Autorität ab.818 Ein erheblicher Teil der PDS war grundsätzlich gegen den staatlichen Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Von Konzept und Praxis der „sogenannten abwehrbereiten Demokratie“ gehe eine Tendenz zur Einschränkung politischer Freiheitsrechte aus. Das damit verbundene Staatsschutzinstrumentarium schütze die Demokratie nicht, sondern verstümmele sie: „In der Zeit des Kalten Krieges entstanden, mit dem KPD-Verbotsurteil und der politischen Gesinnungsjustiz der 50er und 60er Jahre auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit, richtet sich dieses Instrumentarium auch heute noch gegen gewaltfreies und legales politisches Handeln linker und radikaldemokratischer Kräfte.“819 Als innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion brachte die 814

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Vgl. Zur radikalen Erneuerung der Programmatik und Struktur der PDS. Diskussionsangebot der AG Lesben- und Schwulenpolitik in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 20-27 (24). Vgl. Wolf, Winfried: Spur der Steine oder Spur der Scheine, in: Junge Welt v. 27.8.2003. Vgl. Dammann, Klaus: Von den Gefahren der wehrhaften Demokratie, in: Heuer, UweJens/Riege, Gerhard (Hg.): Neues Deutschland – Neue Verfassung?! – Bonn 1992, S. 34-36 (35) Vgl. Marquardt, Angela/Bozic, Ivo: Turnübung auf einem Holzbein, in: PID, Nr. 30/1994, S. 79 (8). Vgl. Ihme, Bernd: Zu bisherigen Ergebnissen der Thesen-Diskussion, in: PID, Nr. 18/1995, S. 3-9 (4). Heuer, Uwe-Jens/Lieberam, Ekkehard/Schumann, Michael: Die PDS und ihr Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat, in: Utopie kreativ, Nr. 13/1991, S. 26-34 (32).

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Abgeordnete Ulla Jelpke wiederholt ihre Ablehnung des Verfassungsschutzes zum Ausdruck.820 Der Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf forderte die Auflösung der Nachrichtendienste.821 Patrick Moreau stellte seit etwa 1999 bei der PDS eine verstärkte Tendenz fest, aus ihrem Programm sämtliche semantischen Bezüge zu löschen, die den Vorwurf des Extremismus belegen könnten.822 2000 schrieben Peter Christian Segall und Rita Schorpp-Grabiak, diese sprachliche Tarnung impliziere allerdings keinesfalls die Aufgabe aller früheren Positionen.823 2002 kam Moreau auf Grundlage der programmatischen Logik der PDS zu dem Ergebnis, sie sei eine radikale Antisystempartei mit extremistischem Ansatz.824 Für den Programmentwurf von 2001 legte Viola Neu dar, dass insbesondere die Teile des bisherigen Programms, die in den Verfassungsschutzberichten erwähnt waren, entschärft wurden. Daher könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Programmentwurf die ursprünglichen Ziele der PDS nur moderater formuliert.825 Auch andere wissenschaftliche Beobachter schätzten die PDS auch über ein Jahrzehnt nach dem Ende der DDR nicht als eine Partei ein, die den demokratischen Verfassungsstaat uneingeschränkt bejaht.826 Im Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2003 ist über das PDSProgramm von 2003 zu lesen, damit sei trotz verbaler Anklänge an das Grundgesetz keine politische Neuausrichtung der Partei verbunden. Das Programm biete weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes.827 1996 stellte 820 821

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Vgl. beispielsweise Jelpke, Ulla: Verfassungsschutzbericht 2000 – schlampig, dreist und verbohrt, in: PID, Nr. 14/2001, S. 12. Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam, Ekkehard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 77-107 (105). Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 270. Vgl. Segall, Peter Christian/Schorpp-Grabiak, Rita: Programmdebatte und Organisationsdiskussion bei der PDS, in: Hirscher, Gerhard/Segall, Peter Christian (Hg.): Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Bd. 20). – München 2000, S. 7-20 (12). Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: Nach der Berliner Wahl: Zustand und Perspektiven der PDS, (Aktuelle Analysen der Hanns-Seidel-Stiftung, Nr. 27). – München 2002, S. 58. Vgl. Neu, Viola: Der neue Programmentwurf der PDS (Arbeitspapiere der KAS, Nr. 31). – Sankt Augustin 2001, S. 3. Vgl. Agethen, Manfred/Jesse, Eckhard/Neubert, Ehrhart: Vorwort der Herausgeber, in: Dies. (Hg.): Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken. – Freiburg/Breisgau 2002, S. 13-18 (16). Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2003. Pressefassung. – Berlin 2004, S. 137.

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der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Hansjörg Geiger unter anderem anhand der Programmatik beim politisch-ideologischen Selbstverständnis der PDS deutliche Anhaltspunkte dafür fest, dass die Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik überwinden wolle.828 Gemessen an ihrer Programmatik und an ihrem politisch-ideologischen Selbstverständnis sei die PDS eine Partei mit dem Anspruch auf Systemüberwindung.829 Die Programmatik sei ein Grund dafür, dass die PDS eine im Kern extremistische Partei sei, so Eckhard Jesse 1996.830 Lothar Probst meinte, „dass zahlreiche programmatische Aussagen der PDS mit dem Wesensgehalt des Grundgesetzes und der Demokratie nicht in Einklang zu bringen sind“831. 1995 stufte der Verfassungsschützer Armin Pfahl-Traughber nicht nur einzelne PDS-Gliederungen, sondern die gesamte Partei als extremistisch ein.832 Zwar ist umstritten, ob die PDS und ihre Programmatik in ihrer Gesamtheit als extremistisch eingestuft werden konnten, doch dass es in der Partei extremistische Gruppierungen und extremistische Positionen gab, steht fest. Die Kommunistische Plattform wurde selbst von Beobachtern, die der PDS nahestanden, als undemokratisch angesehen.833 Linksextremistisch waren auch das Marxistische Forum und der Geraer Dialog/Sozialistische Dialog, die wie die Kommunistische Plattform zahlreiche Stellungnahmen zur Programmatik abgaben. Gleiches gilt für die vor einigen Jahren aufgelöste Arbeitsgemeinschaft Junge GenossInnen. Die „AG Autonome Gruppen in und bei der PDS“ bezeichnete ihre Positionen selbst als linksradikal.834 Als

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Vgl. Geiger, Hansjörg: Verfassungsschutzrelevante Aspekte der PDS, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erbschaften und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 17-37 (36 f.). Vgl. ebd., S. 18. Vgl. Jesse, Eckhard: Die Bedeutung des antitotalitären Konsenses für die deutsche Diktaturaufarbeitung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 99-109 (105). Probst, Lothar: Die PDS: eine linksextremistische Partei?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Nr. 1/2006, S. 232 f. (233). Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Antworten zur Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Jesse, Eckhard/Backes, Uwe (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 7. - Baden-Baden 1995, S. 96-103 (97 f.). Vgl. Söll, Bernd: PDS – Protestpartei gegen die Kolonialisierung. Das Problem ihrer demokratischen Legitimation, in: Vilmar, Fritz (Hg.): Zehn Jahre Vereinigungspolitik. Kritische Bilanz und humane Alternativen (Kritische Analysen zur Vereinigungspolitik, Bd. 1). – Berlin 2000, S. 93-115 (107). Vgl. AG Autonome Gruppen in und bei der PDS: 1. Entwurf eines Grundsatzpapiers, Manuskript, o. J., nach: Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden Baden 2003, S. 124.

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linksradikal sah Jürgen Lang auch die kurz existierende Gruppe „Radikale Linke in der PDS“ an.835 Sogar Gregor Gysi grenzte die demokratische Linke innerhalb der PDS immer wieder von einer dogmatischen Linken in der Partei ab.836 Als Lothar Bisky 1999 in einem Interview auf den Befund des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes angesprochen wurde, die PDS sei ein Aktionsbündnis mit allen linksextremistischen Gruppen bis hin zu gewaltbereiten Autonomen eingegangen, antwortete er, er habe keinen Grund, die Mitglieder der PDS im Westen zu schelten.837 Sahra Wagenknecht sprach sich 1994 in ihrem Referat bei der Konferenz „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“ dafür aus, ohne Ausgrenzung mit allen gesellschaftlichen Kräften zusammenzuarbeiten, die dem herrschenden Kurs Widerstand entgegensetzen wollen.838 Einer der Hauptstreitpunkte in der Programmdebatte war das Verhältnis beziehungsweise die Gewichtung von Freiheit und Gleichheit, von Freiheitsund Gleichheitsrechten. Die PDS räumte mehr oder weniger eindeutig ein, dass die mangelnde Freiheit in der DDR ein Missstand war. Dies wurde auch deshalb kritisiert, weil die mangelnde Freiheit in der DDR zu deren Ende und zur Diskreditierung des Sozialismus beigetragen habe. Gleichzeitig bemängelte die PDS, in der Bundesrepublik genössen zwar theoretisch und rechtlich alle Bürger die gleichen Freiheiten, aber viele könnten ihre Rechte nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen, da es ihnen an den dazu faktisch erforderlichen materiellen Mitteln mangelt. Tatsächlich hänge das Maß, in dem Bürger die ihnen zustehenden Freiheitsrechte in Anspruch nehmen können, von ihrer wirtschaftlichen Stellung ab. In den Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des PDS-Programms von 2001 wurde Freiheit aus Sicht der PDS definiert: „Wir verstehen unter Freiheit die verwirklichte Möglichkeit des Individuums, seine Lebensfragen nach Maßgabe und Erkenntnis der eigenen Interessen zu entscheiden, diese Entscheidungen zur Geltung zu bringen und Konflikte mit Entscheidungen anderer auf dem Wege gleichberechtigter Aushandlung auf der Basis institutioneller Absicherung (Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Pluralismus) und gesellschaftlich akzeptierter Werte zu lösen.“839 Michael Brie beschrieb den von ihm mitverfassten Programmentwurf von 2001 als ein 835 836 837 838 839

Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden Baden 2003, S. 124. Vgl. beispielsweise Gysi, Gregor: Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. – Hamburg 2003, S. 196. Vgl. Interview in der Woche v. 5.11.1999. Vgl. Wagenknecht, Sahra: Anforderungen an die PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 6-8 (7). Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS, in: PID, Nr. 12/2001, S. 2-6 (6).

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politisches Programm der Freiheit.840 Im Programmentwurf von August 2003 wurde Freiheit als drittes zentrales Ziel der PDS neben Sozialismus und Demokratie genannt.841 Das Programm von 2003 nannte Freiheit, Gleichheit und Solidarität die drei Hauptziele und -werte der PDS.842 Freiheit sei der Bezugspunkt sozialistischer Politik. Gleichheit ohne Freiheit sei Unterdrückung.843 Es ist zumindest fraglich, ob die PDS Freiheiten um ihrer selbst willen oder aus taktischen Gründen forderte. Jürgen Lang hielt das Freiheitsverständnis der PDS für instrumentell. Es ordne sich politischen Prämissen unter. Für die PDS komme wirkliche Freiheit nur unter Bedingungen einer sozialistischen Gesellschaft zur Entfaltung. Einen solchen Freiheitsbegriff habe im Grunde schon die SED vertreten.844 Michael Brie schrieb 2006, der zentrale Zielkonflikt der Linken „war und ist der zwischen Freiheit, Gleichheit und Solidarität.“845 Er listete eine Reihe von Fragen auf, die die PDS stellen solle, um das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit zu gestalten: x x x x x x x

„Ist aber jede Art von Freiheit des Einzelnen solidarisch? Welcher Verhältnisse bedarf es, um dies zu sichern? In welchem Maße darf dabei in die Freiheit der Einzelnen eingegriffen werden? Und wer darf darüber entscheiden? Welche Grundrechte dürfen unter keinen Bedingungen verletzt werden, damit nicht zuletzt grundlegende Gleichheit gesichert wird? Inwieweit verpflichtet Freiheit auch? Welche Gleichheit vernichtet Freiheit?“846

Freiheit und Sozialismus sollten, so Michael Brie, für die PDS nicht länger Alternativen sein. Vielmehr sollte sozialistische Politik der Befreiung, der Emanzipation und dem Freiheitsgewinn dienen.847 Dieter Klein äußerte über das PDS-Programm von 2003, es sei entlang einer zentralen Leitidee formuliert: „Jeder und jedem sozial gleiche Grundbedingungen für ein selbstbestimmtes 840 841 842 843 844 845 846 847

Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 35/2003, S, 29. Vgl. Linkspartei.PDS: Programm. - Berlin 2005, S. 3. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). - Baden-Baden 2003, S. 140. Brie, Michael: Die Linke im Konflikt, in: ND v. 25.2.2006. Ebd. Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001 v. 4.5.2001.

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Leben in sozialer Sicherheit und Würde. Individuelle Freiheit einer und eines jeden durch soziale Gleichheit und Solidarität – dies ist der libertäre Grundgedanke des demokratischen Sozialismus und Angelpunkt im Programm der Linkspartei.PDS.“848 Mit Katja Kipping vertrat eine Stellvertretende Parteivorsitzende der Linkspartei.PDS noch 2006 die Position, Freiheit für jede und jeden Einzelnen sei nur durch gesamtgesellschaftliche Umverteilung möglich.849 Bei der Vorstellung des von ihm mitverfassten Programmentwurfs von 2001 sagte André Brie, das Individuum und seine politische Freiheit seien Ausgangspunkt und Nukleus des Entwurfs.850 Einige Jahre später erklärte Brie anlässlich einer Diskussion über Menschenrechte auf Kuba, es gäbe in der PDS „noch immer das Bewusstsein, dass politische Freiheiten so etwas wie schmückendes Beiwerk sind – und nicht der zwingende Ausgangspunkt jeder neuen linken Politik.“851 Bries Einschätzung wurde beispielsweise durch aufschlussreiche Äußerungen der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke gegenüber dem ARD-Fernsehmagazin „Kontraste“ belegt: „Kontraste“: „Würden Sie sagen, dass es auf Kuba Menschenrechtsverletzungen gibt?“ Jelpke: „Ich würde sagen, dass es auf Kuba vor allem Menschenrechte gibt, die eingehalten werden. Und da geht’s zum Beispiel um das Gesundheitssystem, um das Bildungssystem.“ „Kontraste“: „Auf der anderen Seite werden doch auch Menschenrechte verletzt. Es gibt ja dort keine Meinungsfreiheit, keine Pressefreiheit und es gibt politische Gefangene.“ Jelpke: „Ja, aber ich finde das jetzt eine kleinkarierte Diskussion.“852 Diese Position steht eindeutig im Gegensatz zum PDS-Programm, in dem es heißt: „Es gibt keinen noch so ehrenwerten Zweck, der die Verletzung grundlegender Menschenrechte und universeller demokratischer Grundsätze rechtfertigen könnte.“853 Demgegenüber betonte Uwe-Jens Heuer, „eine Revolution, die darauf verzichtet, die politischen Freiheitsrechte ihrer Feinde

848 849 850 851 852 853

Klein, Dieter: Alte Fragen nach dem Neuen, in: ND v. 17.3.2006. Vgl. Bonk, Julia/Kipping, Katja/Lay, Caren: Freiheit und Sozialismus – Let´s make it real. O.O. 2006, S. 8. Vgl. Erklärung von André Brie, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 48 f. (48 f.). Interview in der taz v. 3.3.2006. Kuba-Krise in der Linkspartei – wieviel Kritik verträgt der Sozialismus unter Palmen?, in: Cuba Si (Hg.): Die Kuba-Krise in der Linkspartei.PDS. - Berlin 2006, S. 70 f. (71). Die Linkspartei.PDS: Programm. - Berlin 2005, S. 52.

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einzuschränken“854 gebe sich selbst auf. Michael Brie wiederum kritisierte, eine Resolution des Parteivorstands der Linkspartei.PDS, mit der dieser sich in der Diskussion um Menschenrechte auf Kuba mit der Inselrepublik solidarisierte, stehe in direktem Gegensatz zu Geist und Buchstaben des Parteiprogramms.855 2003 konstatierte Roland Claus, für die PDS stünden, wenn es ernst wird, individuelle Freiheitsrechte hinter sozialen Grundrechten zurück.856 Jürgen Lang vertrat die Auffassung, die Reformer wollten die Freiheit der Individuen deswegen stärken, um sie mit ihren Interessen gegen die bestehenden Verhältnisse positionieren zu können.857 Einer der Schlüsselbegriffe im neuen PDS-Programm ist „Freiheitsgüter“. Thomas Flierl definierte, was die PDS unter Freiheitsgütern versteht, nämlich sozial gleichen Zugang zu den grundlegenden Bedingungen, sein Leben selbstbestimmt führen und individuell gestalten zu können.858 Freiheitsgüter seien solche Güter, die ein Leben in Freiheit ermöglichen, also einen sozial gleichen Zugang zu den elementaren Grundbedingungen eines selbstbestimmten, menschenwürdigen Lebens, so die Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms von 2001.859 Es gelang den Reformern, den in der PDS umstrittenen Begriff Freiheitsgüter an zentraler Stelle im Programm von 2003 zu verankern. Das Programm erklärte Frieden, saubere Luft und sauberes Wasser, Arbeit, Verteilungsgerechtigkeit, Bildung, Kultur, Freizeit, Erholungsmöglichkeiten, soziale Sicherheit und Gesundheit zu grundlegenden Freiheitsgütern. Die Verfügung über diese Güter entscheide darüber, ob Menschen frei oder unfrei sind.860 Michael Brie erläuterte zum von ihm mitverfassten Programmentwurf von 2001, Freiheit brauche Güter, um mehr als ein bloß formales Recht zu sein.861 Auch der Programmentwurf von Rolf Köhne und Juan Sanchez Brakebusch nahm die Forderung nach Freiheitsgütern auf.862 854 855 856 857 858 859 860 861 862

Heuer, Uwe-Jens: Soziale Menschenrechte in den Vordergrund stellen, in: ND v. 6.6.2008. Vgl. Brie, Michael: Was hätte Rosa gesagt? Über politische und soziale Menschenrechte, den Tyrannenmord und die Haltung zur Republik Kuba, in: Junge Welt v. 4.4.2006. Vgl. Claus, Roland: Was wollen die Reformer?, in: Utopie kreativ, Nr. 149/2003, S. 274-279 (278). Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden Baden 2003, S. 145. Vgl. Interview in den Blättern für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/2001, S. 942-954 (948). Vgl. Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS, in: PID, Nr. 12/2001, S. 2-6 (3). Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 3. Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001 v. 4.5.2001. Vgl. Köhne, Rolf/Brakebusch, Juan Sanchez: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf III -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 4/2001, S. 87-103 (88).

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Die Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des PDS-Programms legten ausführlich dar, warum der Ansatz der sozialen Gleichheit hinsichtlich des Zugangs aller zu den wichtigsten Freiheitsgütern in der Kontinuität des demokratisch-sozialistischen Selbstverständnisses der Partei stehe: x

Dieser Ansatz knüpfe an die Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beziehungsweise Solidarität an. Dieser Ansatz weise Vorwürfe gegenüber der PDS, freiheitlichen Werten nicht verpflichtet zu sein, prinzipiell zurück, da er Sozialismus und Freiheit verbinde. Dieser Ansatz gehe über das Freiheitsverständnis als grundgesetzliches Postulat, mit dem die Verfassungswirklichkeit vielfach kollidiere, weit hinaus: „Eingefordert wird, die realen Grundbedingungen eines selbstbestimmten Lebens zu schaffen und soziale Gleichheit des Zugangs zu ihnen zu erkämpfen.“ Dieser Ansatz verstehe die Verbindung von Gleichheit und Freiheit als Aufgabe eines langen Kampfes um die Veränderung und schließlich Überwindung der gegenwärtigen Eigentums- und Machtverhältnisse. Dieser Ansatz verbinde sozialistische Politik unter den gegebenen Verhältnissen, das Eintreten für alternative Reformen in der Gegenwart, für machbare kleine Schritte mit dem über den Kapitalismus hinausweisenden Ziel. Dieser Ansatz gehe insgesamt von der einfachen, elementaren und lebensnahen Frage aus: „Was braucht jeder Mensch für ein Leben in Menschenwürde?“ Damit werde der Zusammenhang zwischen Sozialismus und individueller Persönlichkeitsentfaltung entschieden stärker entwickelt als im Programm von 1993.863

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Demokratie war neben Sozialismus das wichtigste Ziel und Prinzip der PDS. Dies kam schon im Namen der Partei zum Ausdruck und war auch Zeichen der Distanzierung von der SED. Niemand in der PDS hätte sich selbst als undemokratisch bezeichnet. Dennoch gab es in der PDS Mitglieder und Gliederungen, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes standen. Auch das Verhältnis der Gesamtpartei zum demokratischen System der Bundesrepublik war bis zuletzt nicht eindeutig. Insbesondere das repräsentativ-parlamentarische Modell war in der PDS umstritten. Es gibt zumindest Anhaltspunkte, die in Frage stellen, ob die Partei wirklich demokratisch sein wollte oder ob sie sich nur in die politischen Mechanismen der Bundesrepublik einfügte, mit demokratischen Mitteln an die Macht wollte und ihre Ziele mittels demokratischer Terminologie verfolgte. Die PDS nahm für sich in Anspruch, 863

Vgl. Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS, in: PID, Nr. 12/2001, S. 2-6 (4).

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die demokratische Leistung vollbracht zu haben, DDR-Kader friedlich in die Bundesrepublik zu integrieren und Wähler aufzufangen, die ansonsten für rechtsextremistische Parteien gestimmt hätten. Den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit kehrten manche PDS-Politiker um und kritisierten ihrerseits, das Grundgesetz beziehungsweise die Verfassungswirklichkeit seien nicht wirklich beziehungsweise nur auf dem Papier demokratisch, rechtsstaatlich und sozialstaatlich. Durch die Fusion mit der WASG kamen zahlreiche Linksextremisten in die Partei, die zuvor schon aus Enttäuschung über deren pragmatische Politik aus der PDS ausgetreten waren. Während der Großteil der PDS-Politiker die Demokratie der Bundesrepublik weitgehend akzeptiert hatte, könnte dies daher in der vereinten Partei nicht mehr der Fall sein. Darauf deuten auch die Programmatischen Eckpunkte hin, in denen die Demokratie der Bundesrepublik deutlicher in Frage gestellt wird als im PDSProgramm von 2003.

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6. Politische Handlungsmöglichkeiten

6.1. Parlamentarische und außerparlamentarische Politik Zwar beteiligte sich die PDS an Wahlen und arbeitete mehr oder weniger konstruktiv auf allen politischen Ebenen in den Parlamenten, doch war umstritten, ob sie die Parlamente primär als Bühne für ansonsten außerparlamentarisch artikulierte Ziele nutzen und die sich ihr durch die Beteiligung an Wahlen und den Einzug in Parlamente bietenden finanziellen und infrastrukturellen staatlichen Ressourcen ausschöpfen sollte. Neben der Unterstützung außerparlamentarischer Bewegungen setzte sich die Partei für eine Ausweitung direktdemokratischer Elemente auf allen politischen Ebenen ein. Die „Frage von Parlamentarismus, notwendigen realpolitischen Entscheidungen und außerparlamentarischem Widerstand prägen die Diskussionen der Linken seit vielen Generationen“864, so Uwe Hiksch. Die gesamte PDS maß dem außerparlamentarischen Kampf eine hohe, Teile der Partei sogar die entscheidende Bedeutung bei, wie es im Programm von 1993 verankert war. Im Programm von 2003 fehlte diese Position. Jürgen Lang schrieb dazu, die praktische Parlamentsarbeit der PDS sei von einer Gratwanderung zwischen einer eher radikalen Demonstration ihrer sozialistischen Ideen gegenüber der Gesellschaft und einer eher moderaten Demonstration politischer Verlässlichkeit gegenüber potentiellen Koalitionspartnern gekennzeichnet.865 Auch PDS-Reformer brachten ihre Ablehnung der repräsentativen Demokratie und ihre tiefe Abneigung gegenüber dem parlamentarischen System zuweilen drastisch zum Ausdruck. Mitunter wurde das pluralistische politische System der Bundesrepublik als bloßer Scheinpluralismus von Parteien dargestellt, zwischen deren Zielen es trotz in der Öffentlichkeit ausgetragener Scheingefechte keine großen Gegensätze gäbe. So schrieb ein Autor in einem Beitrag zur PDS-Programmatik, Wahlen dienten im Bann mediengesteuerter Massenpsychose ohnehin nur den mit verteilten Rollen spielenden 864 865

Hiksch, Uwe: Berliner Wahlen und die Bildung einer neuen Linken, in: Junge Welt v. 5.4.2006. Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). - Baden Baden 2003, S. 94.

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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systemkonformen Parteien und ließen einer grundsätzlichen Opposition keine Chance.866 Rainer Börner, Mitglied des Präsidiums des PDS-Parteivorstands, meinte 1990, Abgeordnete westlicher Parlamente missbrauchten die parlamentarische Demokratie ebenso wie stalinistische Führer zur Herrschaft von Parteifunktionären, zur Entmündigung der Bürger.867 Sahra Wagenknecht sagte 1994 in ihrem Vortrag bei der Konferenz „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“, die angestrebten grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen seien durch Abstimmungen in den Parlamenten nicht zu erreichen.868 Hinsichtlich der Bewertung von Wahlteilnahmen und des Parlamentarismus bestand Einigkeit zwischen der Kommunistischen Plattform und der AG Junge GenossInnen. Angela Marquardt schrieb 1994, wenn Wahlen wirklich etwas ändern könnten, wären sie verboten.869 Noch 2004 behauptete Arnold Schölzel vom Marxistischen Forum, die Annahme, Politik spiele sich in Wahlen oder im Parlament ab, sei ein Aberglaube.870 Die PDS startete auch parlamentarische Initiativen, um außerparlamentarische Elemente in der Rechtsordnung der Bundesrepublik zu stärken. Eine Untersuchung des Verfassungsentwurfs der PDSBundestagsgruppe kam zu dem Ergebnis, bei der darin geforderten Bürgerbeteiligung in Form von Volksinitiativen und Volksbegehren handle es sich um ein Instrument zur Lahmlegung des Parlamentarismus.871 Wolfgang Gehrcke schlug wie auch andere PDS-Politiker vor, Arbeitnehmern ein Recht zu politischen Streiks und Allgemeinen Studierendenausschüssen und Gewerkschaften ein allgemeinpolitisches Mandat zuzuerkennen.872 Noch 2006 sprach sich die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke dafür aus, dass die PDS ihre Aufgabe im Bundestag darin sehen solle, als Sand im Getriebe zu wirken.873 Rainer Börner skizzierte im Sammelband zur PDS-Programmatik „Wir brauchen einen dritten Weg“ seine Sicht des Verhältnisses von 866 867

868 869 870 871

872 873

Vgl. Mundstock, Karl: Wege aus dem Dilemma. – Berlin 2003, S. 58. Vgl. Börner, Rainer: Parlament und Runder Tisch – Zum Verhältnis von parlamentarischen und außerparlamentarischen Zielen der PDS, in: Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 125-131 (127 f.). Vgl. Wagenknecht, Sahra: Anforderungen an die PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 6-8 (7). Vgl. Marquardt, Angela/Bozic, Ivo: Turnübung auf einem Holzbein, in: PID, Nr. 30/1994, S. 79 (8). Vgl. Schölzel, Arnold: Zivile Barbarei, in: Junge Welt v. 31.1.2004. Vgl. Wehner, Gerd: Die etwas andere Art einer zukünftigen Verfassung. Ein historischer Beitrag zum Verfassungsentwurf der PDS von 1994, in: Zeitschrift für Politik, Nr. 2/2000, S. 173-181 (174). Vgl. Gehrcke, Wolfgang: Mitbestimmung – Sozialstaatlichkeit – Reform der politischen Institutionen – Teil sozialistischer Reformpolitik, in: PID, Nr. 6/1998, S. 8-11 (10). Vgl. Schölzel, Arnold: Prioritäten im Parlament?, in: Junge Welt v. 20.4.2006.

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Parlamentarismus und Außerparlamentarismus. Börners Vorstellung einer den gesamten Staatsaufbau durchziehenden und gegenüber den Parlamenten aller Ebenen gleichberechtigten parallelen Rätestruktur hätte eine totale Aushebelung der repräsentativen parlamentarischen Demokratie bedeutet. Ergebnisse von Wahlen schätzte Börner gering. Aktive Bürger sollten einen rechtlich abgesicherten größeren Einfluss auf die Politik erhalten als andere: „Demokratie bedarf der gleichrangigen, verfassungsrechtlich auf allen Ebenen fixierten Erweiterung der Parlamente durch außerparlamentarische, problem- und strukturorientierte Formen demokratischer Selbst- und Mitbestimmungsformen. Diese sind keine „Ergänzungen“, sondern Bedingung für tatsächliche Demokratie. Solche Formen können sein, ohne Patentrezepte anzubieten: x

x

x x x

Ein „Runder Tisch“ neben dem Parlament als eine Art zweiter Kammer aller Bürgerbewegungen, Parteien, Organisationen und Verbände mit Sitz und Stimme, unabhängig von ihrem „Wahlerfolg“, legitimiert durch basisdemokratisch gewachsene Interessenartikulation vor allem auch der gesellschaftlichen Minderheiten; eine Art Räteparlament aktiver BürgerInnen; „Sachparlamente“ zu bestimmten Problemkreisen in Analogie zum Beispiel des „Grünen Tisches“ der DDR (Kultur, Ökologie, Verkehrswesen, Bauwesen, usw.) mit festen, nicht personengebundenen Sitzen in den entsprechenden Ausschüssen der Parlamente, ausgestattet mit Rede-, Antrags- und Vetorecht; juristische Ausgestaltung der Rechte von Bürgerkomitees und Bürgerinitiativen; Aufnahme weiterer Formen direkter Demokratie, u.a. Volksbefragung und Volksentscheidung in das Verfassungsrecht; Verfassungsrechtliche Festschreibung der BürgerInnenbewegungen als Rechtsinstitut und damit juristische Aufhebung des Parteienmonopols.“874

Die PDS war ständig auf der Suche nach sich bildenden außerparlamentarischen Bewegungen, als deren teils ebenfalls außerparlamentarischer und teils parlamentarischer Bündnispartner sie sich anbieten wollte. Sie beobachtete die Entwicklung außerparlamentarischer Bewegungen, unterstützte sie und versuchte, sie zu infiltrieren und zu instrumentalisieren. Diese Taktik ist typisch für sozialistische beziehungsweise kommunistische Parteien und wurde beispielsweise gegenüber der westdeutschen Friedensbewegung oder gegenüber der grünen Partei in ihrer Gründungsphase praktiziert. Ein Beispiel für den Versuch 874

Börner, Rainer: Parlament und Runder Tisch – Zum Verhältnis von parlamentarischen und außerparlamentarischen Zielen der PDS, in: Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 125-131 (128 f.).

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der Beeinflussung einer neuen außerparlamentarischen Bewegung war das Verhalten der PDS gegenüber den Globalisierungsgegnern. Die PDS wollte außerparlamentarischen Bewegungen als Ansprechpartner dienen, um deren Forderungen in den Parlamenten zu artikulieren. In einem Beitrag zur Strategiedebatte wurde gefordert, die PDS solle sich als Transmissionsriemen für außerparlamentarische Bewegungen verstehen.875 Die Fraktion „Die Linke“ im Bundestag richtete eigens eine Kontaktstelle zu außerparlamentarischen Bewegungen ein. Aufgabe dieser Kontaktstelle ist, dazu beizutragen, eine systematische, kontinuierliche und aktionsbezogene Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften zu sichern.876 Unmittelbar nach dem Einzug der LINKEN in die Landtage von Hessen und Niedersachsen beriefen die Landesverbände der Partei Treffen außerparlamentarischer Organisationen ein, um zu diskutieren, wie die neuen Fraktionen Anliegen dieser Bewegungen in die Parlamente tragen und dort artikulieren können.877 Die niedersächsische Landtagsfraktion etablierte einen regelmäßigen institutionalisierten „Dialog zwischen Bewegungen und parlamentarischem Arm“, „als den sich die neue Fraktion ausdrücklich versteht.“878 Der Landesausschuss der LINKEN Niedersachsen verabschiedete im Februar 2008 eine Erklärung, in der er sich zur „Priorität des außerparlamentarischen Kampfes vor dem parlamentarischen“879 sowie zur Führung der Landtagsfraktion durch die Partei bekannte. Das Verhältnis der PDS zum repräsentativ-parlamentarischen System war stets ambivalent. Zwar enthielt das Programm von 2003 – anders als das Programm von 1993 – kein Bekenntnis zum Primat außerparlamentarischer Aktivitäten mehr, doch vertraten auch noch nach 2003 selbst führende PDSPolitiker diese Position. Immer noch sahen sie ihre Hauptaufgabe in Parlamenten darin, „Sand im Getriebe“ zu sein, als Sprachrohr außerparlamentarischer Gruppen zu fungieren oder Gelder und Infrastruktur in diesem Sinne zu nutzen. Außerdem setzte sich die PDS Zeit ihres Bestehens für die Einführung diverser Räte und direktdemokratischer Elemente ein. Nachdem die PDS in den letzten Jahren für außerparlamentarische Bewegungen uninteressanter geworden zu sein scheint und sich immer mehr auf die Parlamentsarbeit konzentriert hatte, ist die Debatte über den Primat parlamentarischer oder außerparlamentarischer Arbeit in der neuen Partei

875

876 877 878 879

Vgl. Breitenbach, Elke/Schubert, Katina: Opposition und Regierung – Partei und Bewegung – Widersprüche? Überlegungen zur PDS-Strategiedebatte, in: Utopie kreativ, Nr. 165-166/2004, S. 715-725 (716 u. 718). Vgl. Brose, Antje/Buchholz, Christine/Hirsch, Nele/Pithan, Felix: Opposition statt Rechenspiele – Mehrheit noch nicht gewonnen, in: ND v. 9.12.2005. Vgl. Interview mit Willi van Ooyen in der Jungen Welt v. 29.1.2008. Vgl. Macke, Volker: Elf Dienstleister im Landtag, in: ND v. 31.1.2008. Landesausschuss der LINKEN Niedersachsen: Erklärung zu den Schlussfolgerungen aus den Wahlen vom 27. Januar, in: Junge Welt v. 18.2.2008.

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wieder völlig offen. In den „Programmatischen Eckpunkten auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland“ von WASG und Linkspartei.PDS ist ausdrücklich festgehalten, dass das Verhältnis zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit zu den ungeklärten programmatischen Fragen in der neuen Partei gehört.

6.2. Opposition und Regierungsbeteiligung In der Regierungsfrage, so die Herausgeber eines Sammelbands zur Bilanz der Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, „sammeln sich wie in einem Brennglas viele Probleme, vor denen Linke im Kampf gegen Hegemonie und Herrschaft des entfesselten Kapitalismus heute stehen.“ Und ein Autor dieses Bandes leitete seinen Beitrag mit den Worten ein: „Im Streit um Opposition und Regierungsbeteiligung spiegelt sich auch heute noch letztlich der Grundkonflikt der organisierten Arbeiterbewegung seit Anfang des vorigen Jahrhunderts wider: Reform oder Revolution?“880 1990 war man sich in der PDS einig, dass nach dem Schock des Zusammenbruchs der DDR und unter dem Eindruck des Machtmissbrauchs der SED zumindest eine längere Phase der Opposition in der ungewollten Bundesrepublik erforderlich sei. Ohnehin war kein potentieller Koalitionspartner für die PDS in Sicht. Die Position einer prinzipiellen Opposition wurde von den Reformern in den folgenden Jahren schrittweise aufgegeben. Nach der Übernahme kommunaler Verantwortung einschließlich Bürgermeisterämtern folgten auf Landesebene 1994 das Magdeburger Tolerierungsmodell (die PDS tolerierte eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen, ab 1998 nur noch der SPD) und 1998 die direkte Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern sowie 2002 in der Hauptstadt. Der Streit über die Frage, ob die PDS sich als reine Oppositionskraft verstehen oder für Regierungsbeteiligungen offen sein sollte, wurde auch im Rahmen der Programmdebatte ausgetragen. Die Reformer wollten das grundsätzliche Ausschließen einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene verhindern, die Orthodoxen dieses im Programm verankern. Angela Marquardt forderte, die PDS solle unter Opposition nicht nur Opposition gegenüber der Regierung, sondern auch gegenüber dem Herrschaftssystem verstehen.881 Noch 2006 betonten PDS-Bundestagsabgeordnete, darunter Ulla Jelpke, laut Focus 880

Niemann, Heinz: Sozialisten in die Regierung? Historisches und Aktuelles, in: Felfe, Edeltraut/Kischel, Erwin/Kroh, Peter (Hg.): Warum? Für wen? Wohin? 7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung. - Schkeuditz 2005, S. 279-299 (279). 881 Vgl. Marquardt, Angela/Bozic, Ivo: Turnübung auf einem Holzbein, in: PID, Nr. 30/1994, S. 79 (8).

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die Animierdame der Linksradikalen882, die Fraktion stehe nicht nur in Opposition zur Politik der Großen Koalition, sondern in Opposition zu den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Ziel müsse eine grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse sein.883 Teile der PDS sprachen sich dafür aus, dass die Partei nicht danach streben solle, mitgestaltende Kraft in den Parlamenten zu sein, sondern sich zu einer wirklichen Oppositionspartei entwickeln solle, die die bestehenden gesellschaftlichen Zustände radikal ablehnt.884 Helmut Holter dagegen sagte 1999, die PDS solle sich von der Systemopposition verabschieden.885 Harald Werner machte 2006 in der Linkspartei.PDS „mindestens drei widerstreitende Haltungen zur Regierungsbeteiligung“ aus: x

x x

Die erste lehne Regierungsbeteiligung ab, „hat aber kein Konzept für den politischen Wandel durch dauerhafte Opposition, es sei denn sie setzt auf den Zusammenbruch der Herrschaft und „Machtübernahme durch die Massen“. Moderater zur Regierungsbeteiligung verhalten sich jene, die Opposition in der Regierung erwarten und davon eine Unterstützung des außerparlamentarischen Kampfes erwarten.“ Die dritte Haltung befürworte Regierungsbeteiligung und setze sich für eine Mäßigung der Forderungen der PDS ein. „Sie sollen machbar, bezahlbar, natürlich durchgerechnet und sofort durchsetzbar sein.“886

Schon seit 1990 wurden in der PDS Oppositionskonzeptionen entwickelt. Nach einer solchen Konzeption könne Opposition für die Partei beispielsweise bedeuten: x x x

882

„In den Parlamenten schonungslos eine Politik zu kritisieren, die nicht die Interessen der Menschen, der Völker und der Menschheit zum Ausgangspunkt hat, dabei aufzudecken, wessen Interessen Regierungspolitik dient, den konkreten Bedingungen entsprechende Alternativen zur Regierungspolitik anzubieten,

Vgl. Jach, Michael/Vernier, Robert: „Offene Missachtung“, in: Focus, Nr. 16/2009, S. 32. Vgl. Hirsch, Nele/Jelpke, Ulla: „... nicht vor zivilem Ungehorsam zurückschrecken“, in: Junge Welt v. 3.7.2006. 884 Vgl. Zur radikalen Erneuerung der Programmatik und Struktur der PDS. Diskussionsangebot der AG Lesben- und Schwulenpolitik in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 20-27 (25). 885 Vgl. Interview in der Berliner Zeitung v. 23.10.1999. 886 Werner, Harald: Eine neue Partei?, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 65/2006, S. 4252 (47). 883

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über den parlamentarischen Bereich hinaus in der Gesellschaft wirksam zu sein – in den verschiedenen demokratischen Bewegungen einschließlich der Gewerkschaftsbewegung, in den Betrieben und Einrichtungen, in gesellschaftlichen Organisationen, örtlichen Initiativen usw., dabei eine oppositionelle Bewegung zu entwickeln, die durch den Druck von unten die Regierenden zu Veränderungen ihrer Politik zwingen kann.“887

In den 1995 bei der 1. Tagung des 4. PDS-Parteitags beschlossenen 5 Standpunkten definierte die Partei ihr Oppositionsverständnis: Die PDS stehe in prinzipieller Opposition zu den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik. Dies bedeute allerdings nicht, dass sie die existierenden zivilisatorischen, demokratischen und sozialen Errungenschaften in der Bundesrepublik nicht anerkennen und nutzen würde.888 Neben der Frage, ob die PDS eine reine Oppositionspartei sein sollte, war strittig, was unter Opposition zu verstehen war. In einem Papier von 2003 zur Programmdebatte wurde festgehalten, dass in der PDS-Mitgliedschaft manche, wenn sie von Opposition sprechen, Opposition zur kapitalistischen Gesellschaft meinen, andere diesen Begriff nur für den politischen und parlamentarischen Raum gelten lassen.889 Eine Vorstufe zum Magdeburger Tolerierungsmodell war der sogenannte Brandenburger Weg (die Brandenburger SPD-Politikerin Esther Schröder nannte diese Linie den „Brandenburger Irrweg“890). Damit ist ein im Land Brandenburg praktizierter kooperativer Umgang der regierenden SPD mit den anderen Parlamentsparteien einschließlich der PDS gemeint. 1992 hatte der brandenburgische Landtag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um die Zusammenarbeit des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe mit dem Ministerium für Staatssicherheit aufzuklären. Vorsitzender des Untersuchungsausschusses wurde Lothar Bisky. Er nutzte dieses Amt geschickt, um die politische Ächtung der PDS aufzubrechen. In den folgenden Jahren habe er die SPD bei politischen Konflikten gelegentlich an seine Verdienste im Stolpe-Untersuchungsausschuss erinnert.891 887 888 889 890 891

Konsequent links? Kontroverses zum Selbstverständnis der PDS (Podium Progressiv, Bd.1). – Berlin 1990, S. 19. Vgl. Beschluss des 4. Parteitages der PDS zu den „5 Punkten“, in: Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 244-247 (245). Vgl. Zur inhaltlichen Diskussion des Programmentwurfs in den Basisorganisationen, in: PID, Nr. 31/2003, S. 8 f. (9). Schröder, Esther: Brandenburger Irrweg, in: Tagesspiegel v. 3.12.2009. Vgl. Wilke, Manfred: Die PDS. Partei der Spaltung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 70-98 (93).

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Ausdruck des Brandenburger Wegs war, dass schon Jahre vor dem sogenannten Aufstand der Anständigen, der zur Einbeziehung der PDSBundestagsfraktion bei der Formulierung eines gemeinsamen Antrags der anderen Fraktionen außer der CDU/CSU gegen Rechtsextremismus führte, SPD und PDS im Landtag von Brandenburg einen gemeinsamen Antrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus eingebracht hatten.892 Eine Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene wurde von der Partei selbst und von ihren potentiellen Koalitionspartnern erstmals im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 diskutiert. Etliche Vertreter der politischen Linken aus SPD, Grünen, Gewerkschaften und weiteren Organisationen sowie Einzelpersonen hatten sich im Rahmen der Erfurter Erklärung für die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene ausgesprochen, um eine CDU/CSU-FDP-Bundesregierung abzulösen. Auch vor der Bundestagswahl 2002 wollten einige PDS-Reformer trotz eines entgegenstehenden Parteitagsbeschlusses, der die Partei auf eine Oppositionsrolle im Bund festlegte, die Option einer Regierungsbeteiligung nicht ausschließen. Zumindest hätte die PDS nach Meinung dieser Reformer daran mitwirken sollen, eine Regierungsbildung unter Führung der Union zu verhindern, wenn die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag dies zugelassen beziehungsweise erfordert hätten. Damit wäre die PDS Bestandteil eines rot-rotgrünen Projekts geworden. Doch dazu kam es nicht. Die PDS konnte weder fünf Prozent der abgegebenen Zweitstimmen noch drei Direktmandate erringen. Sie war in der 15. Legislaturperiode nur mit zwei direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag vertreten. SPD und Grüne konnten mit ihrer Mehrheit der Mandate wieder eine Regierung bilden. Um die PDS mit einer eindeutigen Festlegung auf Oppositions- oder Regierungskurs keiner Zerreißprobe auszusetzen, suchte man in der Partei nach einem Mittelweg. Beim Geraer Parteitag von 2002, der kurz nach der Niederlage bei der Bundestagswahl stattfand, brachte Gabriele Zimmer, die sich in Gera gegen die Reformer als Parteivorsitzende behaupten konnte, einen Antrag ein, in dem das Ziel formuliert war, die PDS solle eine gestaltende Oppositionspartei werden. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Hauptziel einer gestaltenden Oppositionspartei sollte es demnach sein, einen Beitrag zur Veränderung geistiger und politischer Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft zu leisten und damit an der Schaffung von Voraussetzungen für eine deutliche Linkswende mitzuwirken.893 Schon ein Jahr später war das Ziel einer gestaltenden Oppositionspartei kein Thema mehr. Es gab keinen 892

Rechtsextremismus und Gewalt entschlossen bekämpfen – Intoleranz und Hass dürfen in Brandenburg keine Chance haben! Antrag der Fraktionen der SPD und der PDS (LandtagsDrucksache 2/5313). 893 Vgl. Dietzel, Horst: Wohin geht die PDS? Zur Richtungsdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 149/2003, S. 265-273 (268 f.).

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Versuch, den Terminus in das PDS-Programm von 2003 aufzunehmen.894 Offensichtlich war beabsichtigt, die Frage einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene im Programm von 2003 nicht eindeutig zu beantworten, um einen innerparteilichen Konflikt zu vermeiden. Im Programm erklärte die PDS ihre Bereitschaft, sich bei entsprechenden – nicht näher bezeichneten – Kräfteverhältnissen an Regierungen zu beteiligen.895 Immer wieder mahnten Reformer eine grundsätzliche Entscheidung in der Frage der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene an. Die PDS müsse sich entscheiden, ob sie sich als Regierungspartei in Reserve und als Koalitionspartner für RotGrün – also als Teil eines rot-rot-grünen Projekts – oder als eigenständiges Projekt begreifen will.896 Im Rahmen der auf die Programmdebatte folgenden Strategiedebatte äußerte der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky, die Partei wolle Regierungsbeteiligungen künftig als immanenten Bestandteil ihrer Politik verstehen.897 Vorausgegangen war dieser Äußerung eine Klausurtagung der Bundes- und der Landesspitzen der PDS, bei der über Fragen von Opposition und Regierung diskutiert wurde. 2004 fasste der Potsdamer Parteitag der PDS einen Beschluss, in dem sich die Partei zu einem strategischen Dreieck bekannte, dessen Elemente Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und Umgestaltung sowie das Streben nach über den Kapitalismus hinausweisenden Alternativen waren.898 Schon 2000 hatte Lothar Bisky für einen Dreiklang aus gesellschaftlicher Opposition, politischer Mitgestaltung und sozialem Widerstand plädiert.899 1995 hatte er als die drei zentralen Aufgaben der Partei genannt: „Widerstand gegen die herrschende Politik und ihre Folgen, die Teilhabe an der gerechteren Verwaltung des Status quo (und sei es durch gute Oppositionspolitik) und die Veränderung der geistigen Hegemonie in Deutschland.“900 In Zusammenhang mit dem Vereinigungsprozess von PDS und WASG spottete ein Autor der Mitteilungen der KPF, die neue Partei laufe Gefahr, in einem strategischen Dreieck von Zentrismus, Bibel (eine Anspielung auf den Fusionsbeauftragten der PDS Bodo Ramelow, der wiederholt erklärte, seine sozialistischen Standpunkte aus der Bibel abzuleiten) und zum Teil

894 895 896 897 898 899 900

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 35/2003, S. 29. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 4. Vgl. Dietzel, Horst: Wohin geht die PDS? Zur Richtungsdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 149/2003, S. 265-273 (268). Vgl. Gajevic, Mira: Zwischen Regieren und Opponieren, in: Berliner Zeitung v. 20.7.2004. Vgl. Für eine starke PDS: Sozial mit aller Kraft! Beschluss der 1. Tagung des 9. Parteitages der PDS, in: Disput, Nr. 11/2004, S. 49-53 (51). Vgl. PDS gegen „Aktionärs-Kapitalismus“, in: FAZ v. 10.4.2000. Bisky, Lothar: Solidarisch – alternativ – bundesweit, in: ND v. 28.1.1995.

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realistischer Gewerkschaftspolitik zu versinken.901 Die Orthodoxen reagierten weitgehend mit Resignation auf die Aufweichung des oppositionellen Selbstverständnisses der PDS. In einer Stellungnahme von Mitgliedern des Bundeskoordinierungsrats des „Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog“ von 2004 etwa hieß es, die oppositionelle Grundsubstanz der PDS befinde sich in Auflösung.902 Andererseits wurde zum Beispiel noch 2006 selbstkritisch in einem Thesenpapier der Fraktion „Die Linke“ im Brandenburger Landtag festgestellt, die Linkspartei.PDS sei wegen ihrer Programmatik nicht oder nur unter großen internen Störungen regierungsfähig.903 1990 war die PDS als reine Oppositionspartei mit teilweise sogar systemoppositionellem Charakter gestartet. Dafür gab es mehrere Gründe: x x x

Die Partei war ohnehin so diskreditiert, dass sie keinen Koalitionspartner gefunden hätte. Die Öffentlichkeit hätte eine Regierungsbeteiligung der PDS nicht akzeptiert. Zumindest Teile der Partei lehnten das vereinigte Deutschland und das politische System der Bundesrepublik prinzipiell ab. Die ehemalige Staatspartei benötigte eine Phase der Neuorientierung und Läuterung, bevor sie wieder nach exekutiver Macht greifen konnte.

Wie schon in der Geschichte der sozialistischen Bewegung, so war auch in der PDS die Frage von Opposition und Regierung lange heftig umstritten. Über Verantwortungsübernahme auf kommunaler Ebene, das Magdeburger Tolerierungsmodell und die Beteiligung an Landesregierungen ist die PDS bis heute zu einer Partei geworden, deren Spitzenpolitiker – wenn auch noch unter bestimmten Bedingungen – eine Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene anstreben. Einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene steht nur noch die bislang strikte Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Weg. Deshalb haben Reformer immer wieder versucht, diese Position aufzuweichen, Orthodoxe sie so vehement verteidigt. In der politischen Praxis der Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern erwies sich die PDS nach übereinstimmender Einschätzung aller Beobachter als sehr „pflegeleicht“. Für die Teilhabe an der Macht gab sie sich in der Regel mit symbolischen

901

Vgl. Latzo, Anton: Gedanken zum „Manifest“, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 7/2006, S. 19-24 (20). 902 Aggelidis, Michael u.a.: Die PDS hat viel gewonnen – Zeit, in: Bulletin des Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog, Nr. 2/2004, S. 3-8 (5). 903 Vgl. Falkner, Thomas/Kaiser, Kerstin: Thesen zur Leitbild-Diskussion und zur Rolle der Linkspartei.PDS. - Potsdam 2006, S. 5.

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Zugeständnissen904 zufrieden und wurde mitunter von der SPD sogar öffentlich brüskiert, ohne Konsequenzen zu ziehen. Nachdem die PDS-Eliten erklärtermaßen Regierungsbeteiligungen angestrebt hatten, gibt es in der fusionierten Partei eine neue Kontroverse über Regierung und Opposition. Zumindest die Hürden für Regierungsbeteiligungen dürften künftig höher werden. Da die WASG gerade wegen der Ablehnung der SPDRegierungspolitik gegründet worden war, werden die aus der WASG stammenden Mitglieder nicht bereit sein, Koalitionen wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu akzeptieren, in denen die Handschrift der eigenen Partei kaum erkennbar ist. Auch seitens der SPD dürften die Hürden für Koalitionen mit der LINKEN höher werden, ist die Partei doch jetzt unberechenbarer und radikaler als die PDS es in den letzten Jahren war. In den „Programmatischen Eckpunkten auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland“ heißt es, im Rahmen der neuen Programmdebatte solle geklärt werden, unter welchen Bedingungen die Partei sich an Regierungen beteiligen kann.

6.3. Reform, Revolution und Gewalt In der PDS herrschte Einigkeit darüber, dass gegenwärtig und auf absehbare Zeit keine revolutionäre Situation zu erwarten ist. Während die Orthodoxen die Option auf eine revolutionäre Umwälzung der bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht aufgeben wollen, bekennen sich die Reformer dazu, Veränderungen nur friedlich und im Rahmen der Rechtsordnung der Bundesrepublik erreichen zu wollen. Christian von Ditfurth schrieb dazu 1998, die Debatte in der PDS erinnere an die Diskussion über Reform und Revolution, „wie sie die Arbeiterbewegung von Anfang an geführt hatte: zuerst Marx gegen Bakunin und die Anarchisten, dann Rosa Luxemburg und Karl Kautsky gegen Eduard Bernstein im „Revisionismusstreit“ in der deutschen Sozialdemokratie (dessen russische Variante der Kampf zwischen Menschewiki und Bolschewiki in Russland war), dann die Konflikte zwischen Sozialdemokraten und

904

2006 waren die Forderungen für die Fortsetzung der rot-roten Koalition in Berlin der Einstieg in öffentlich geförderte Beschäftigung, der Start eines Modellprojekts Gemeinschaftsschule, Sanierung statt Verkauf öffentlicher Unternehmen, Sicherung und Ausbau von Projekten gegen Rechtsextremismus und die Ablehnung der Einführung von Studiengebühren. Diese Forderungen waren weitgehend defensiv, also nur gegen mögliche Verschlechterungen gerichtet, wurden teils von der SPD ohnehin ebenfalls erhoben oder werden voraussichtlich im Modellstadium steckenbleiben wie das Gemeinschafts- beziehungsweise Einheitsschulprojekt, vgl. Lederer, Klaus: Eigene Akzente in die Landespolitik eingebracht, in: ND v. 23.11.2007.

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Kommunisten in der Weimarer Republik (und zwischen der Zweiten und der Kommunistischen Internationale in Europa).“905 Wie schon das PDS-Programm von 1993, so ließ auch das Programm von 2003 Zweifel aufkommen, ob die Partei sich bedingungslos zur Gewaltfreiheit bekennt. Das neue Programm hielt an der 1993 formulierten Position fest, dass die gesamte PDS der Grundordnung der Bundesrepublik Widerstand entgegensetzen will. Auch im Programm von 2003 hieß es, in der PDS hätten sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch Menschen, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden.906 Auch wenn die PDS nicht ausdrücklich von Revolution sprach, muss man fragen, ob sie nicht letztlich Revolution meinte, wenn sie von Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse sprach.907 In einer Schrift des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz hieß es, die PDS strebe eine Revolution an, auch wenn sie dies nicht explizit äußert: „Der Begriff „Reformprojekt“ ist offensichtlich ebenso zu bewerten wie die von der DKP propagierte „sozialistische Umwälzung“. Diese wiederum ist identisch mit dem marxistisch-leninistischen Begriff der sozialistischen Revolution, die zur Diktatur des Proletariats führen müsse.“908 Gero Neugebauer und Richard Stöss vertraten in ihrem Buch über die PDS die Auffassung, das Programm von 1993 lasse zumindest die Deutung zu, die Partei sei eigentlich keine Reformpartei im Kapitalismus, da die von ihr geforderten Veränderungen sich letztlich revolutionär beziehungsweise systemüberwindend auswirken würden.909 Offensichtlich sahen dies auch führende PDS-Politiker ähnlich. Sie forderten, das neue Programm solle eine eindeutige Absage an revolutionäre Mittel enthalten. Dietmar Bartsch erklärte, die PDS wolle weg von der Vorstellung eines revolutionären Bruchs. Dies müsse in der Programmdebatte abschließend erledigt werden.910 Insbesondere die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum hielten an einer revolutionären Perspektive fest. In ihren Thesen für eine Plattform der KommunistInnen in der PDS verlieh diese ihrer Überzeugung Ausdruck, der bürgerliche Staat könne nur revolutionär-demokratisch

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Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 235. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 21. Vgl. Schmidt, Giselher: Zum Demokratie-Verständnis der PDS, in: Die neue Ordnung, Nr. 4/2000, S. 286-291. Bayerisches Staatsministerium des Innern (Hg.): Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). – München 1997, S. 40. Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 92. Vgl. Leithäuser, Johannes: „Klärungsprozesse“ in der PDS. Eine Mehrheit in der Parteiführung will das Programm überarbeiten, in: FAZ v. 30.11.1999.

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überwunden werden.911 Dies bekräftigte sie in einem Papier von 1993, in dem sie die revolutionäre Errichtung einer „realen sozialistischen Demokratie“ forderte.912 Gerhard Branstner schrieb 2001, die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution sei längst gegeben.913 Wegen gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse und der Vielfalt gesellschaftlicher Konflikte ging die PDS nicht von einer homogenen Opposition gegen die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsstrukturen aus. Revolutionäres Subjekt sei nicht mehr die Arbeiterklasse im traditionellen Sinne, sondern „jeder, der sich an den Verhältnissen reibt, nicht nur an denen der Produktion“914. Ein kollektives revolutionäres Subjekt müsse erst künstlich geschaffen werden, was allerdings nach Überzeugung der PDS nur eine Frage des Managements sei, so Jürgen Lang. Die Komitees für Gerechtigkeit seien in diesem Zusammenhang als ein Paradebeispiel für das Bestreben der PDS, eine im Volk ausgemachte Missstimmung zu organisieren, anzusehen.915 Wenn in der PDS über eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaftsordnung diskutiert wurde, musste die Partei sich auch mit ihrem Verhältnis zu politisch motivierter Gewalt auseinandersetzen. Neben Distanzierungen von Gewalt gibt es auch Stellungnahmen aus den Reihen der PDS, die Gewalt zum Erreichen der politischen Ziele der Partei billigen oder zumindest nicht ausschließen.916 Die Gewaltfrage wurde beispielsweise in einem Papier thematisiert, das 1991 im Vorfeld des 2. PDS-Parteitags erstellt wurde. Dieses Papier fasste verschiedene Positionen zusammen, die im Rahmen einer Aussprache bei einem bundesweiten PDS-Basistreffen diskutiert worden waren. Darunter fanden sich auch Standpunkte wie der, es sei notwendig, die staatstragende Ängstlichkeit der PDS dem Gewaltbegriff gegenüber zu überwinden.917 1994 antwortete die Bundesregierung auf eine Frage des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz, die PDS zeige keine Berührungsängste

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Vgl. Thesen für eine Plattform der KommunistInnen in der PDS, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 257-270 (266). Vgl. Czichon, Eberhard/Marohn, Heinz: Zum Selbstverständnis, in: Disput, Nr. 6/1993, S. 2123 (22 f.). Vgl. Branstner, Gerhard: Programmgeflüster. Brie, Klein, Brie sind voll damit beschäftigt, den Kapitalismus vor dem Kapitalismus zu retten, in: Junge Welt v. 26.5.2001. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. - Baden Baden 1994, S. 180-193 (190). Vgl. ebd., S. 191. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Anneliese Augustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, Bundestagsdrucksache, Nr. 13/3830, S. 8. Streitpapier, in: PDS: Dokumente Nr. 2. – Berlin 1991, S. 310-321 (317).

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gegenüber gewaltbereiten Linksextremisten.918 2001 bekräftigte Bundesinnenminister Otto Schily unter Bezugnahme auf Verbindungen zwischen der PDS und militanten Globalisierungsgegnern, die sich Straßenschlachten mit der Polizei geliefert hatten, die PDS lasse nicht die geringste Distanzierung von solchen Gewalttätern erkennen.919 Auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion antwortete die Bundesregierung, Äußerungen von PDS-Funktionären erweckten den Eindruck, die Partei beurteile militante Aktionsformen nach taktischen Erwägungen.920 Das Verhältnis der PDS zu Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung scheine sich nach Zweckmäßigkeitserwägungen zu bestimmen.921 Unklar war das Verhältnis zu politisch motivierter Gewalt innerhalb der PDS insbesondere bei der Kommunistischen Plattform und der Arbeitsgemeinschaft Junge GenossInnen. So erklärte Michael Benjamin 1996, er wolle derzeit auf Gewaltanwendung zur Durchsetzung seiner politischen Ziele verzichten, begründete dies allerdings nicht mit prinzipiellen Erwägungen, sondern mit zu erwartender Erfolglosigkeit. Prinzipiell schloss er Gewalt als politisches Mittel keineswegs aus: „Hier und heute, d.h. in Deutschland für den historisch überschaubaren Zeitraum ist Gewaltanwendung mit dem Ziel sozialer Veränderungen perspektivlos und abzulehnen.“922 Dass es sich bei dieser Äußerung nicht um einen Ausrutscher handelte, zeigt die Tatsache, dass Benjamin diese Position einige Monate später bekräftigte und das Gewaltmonopol des Staates ausdrücklich in Frage stellte.923 Noch 2003 lehnte Ellen Brombacher, die Vertreterin der Kommunistischen Plattform in der PDSProgrammkommission, es ab, sich von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung vorbehaltlos zu distanzieren. Sie wollte die Aufnahme des Satzes „Die Mittel für diese Auseinandersetzungen müssen den Zielen von Gewaltfreiheit und Demokratie entsprechen, da sie sonst zum Ausgangspunkt neuer Herrschaft und Unterdrückung werden“ in das neue PDS-Programm nicht akzeptieren. Brombacher begründete ihre Ablehnung dieser Position mit dem 918

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Vgl. Antwort des Staatssekretärs Dr. Walter Priesnitz auf die Frage des Bundestagsabgeordneten Jürgen Augustinowitz, in: Bundestagsdrucksache, Nr. 12/8372, S. 1-8 (7). Vgl. Interview in Bild v. 27.6.2001. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Anneliese Augustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, Bundestagsdrucksache, Nr. 13/3830, S. 10. Vgl. ebd., S. 7 f. Benjamin, Michael: Was wollen Kommunisten heute? Expertengespräch des Vereins Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. am 30. Mai 1996 im Karl-Liebknecht-Haus (Ms.), S. 3 f., nach: Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 320. Vgl. Benjamin, Michael: Konsens und Dissens in der Strategiedebatte, in: „Helle Panke“ e.V. (Hg.): Pankower Vorträge, Nr. 5. – Berlin 1997, S. 24-46 (37 f.).

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Argument, sie bedeute eine pauschale Entsolidarisierung mit gegenwärtigen und zukünftigen Befreiungsbewegungen, denen ihre oftmals brutal diktatorisch herrschenden Gegner die Wahl der Mittel häufig nicht freistellen würden.924 Auch Beobachter, die der PDS wohlwollend gegenüberstanden, konnten bei der Kommunistischen Plattform keinen grundsätzlichen Gewaltverzicht erkennen.925 1998 schrieb Gerhard Branstner, Mitglied des Marxistischen Forums, es sei idiotisch, von einem demokratischen Weg zum Sozialismus zu schwätzen: Der Übergang werde spontan, eruptiv, gewaltsam und qualvoll sein.926 Die Arbeitsgemeinschaft Junge GenossInnen formulierte bei einer Bundeskonferenz 1994, sie stehe zwar allen linken Gruppen und Menschen, die ihren Widerstand mit gewaltsamen und militanten Formen verbinden, kritisch gegenüber, zugleich betonte sie aber, sich durch niemanden von diesen entsolidarisieren lassen zu wollen.927 Diese Arbeitsgemeinschaft organisierte auch eine Veranstaltung unter dem Motto „Ob friedlich oder militant – wichtig ist der Widerstand“. Dort diskutierten beispielsweise eine ehemalige Gefangene aus dem Umfeld der RAF, Vertreter autonomer Antifa-Gruppen und ein früherer Offizier der Staatssicherheit. Laut Angela Marquardt, der Sprecherin dieser Arbeitsgemeinschaft, seien sich alle einig gewesen, dass eine pauschale Verurteilung politisch motivierter Gewalt abzulehnen und Solidarität mit „Menschen, die Widerstand gegen das bestehende System in individueller Form leisten“, dringend erforderlich sei.928 Marquardt bekannte sich zu politisch motivierter Gewalt, wobei sie nicht zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen differenzierte.929 Notwehr beinhalte auch illegale Mittel.930 Auf ihrer Internetseite legte Marquardt einen Link zu der verbotenen Zeitschrift „Radikal“, die als terroristisch eingestuft wird und beispielsweise eine Anleitung zum Bombenbau veröffentlicht hatte. Die Bundesanwaltschaft leitete daraufhin ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung beziehungsweise wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung gegen Marquardt ein.931 Da Marquardt es bis zur Stellvertretenden 924 925

926 927 928 929 930 931

Vgl. Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Nr. 9/2003, S. 17. Vgl. Söll, Bernd: PDS – Protestpartei gegen die Kolonialisierung. Das Problem ihrer demokratischen Legitimation, in: Vilmar, Fritz (Hg.): Zehn Jahre Vereinigungspolitik. Kritische Bilanz und humane Alternativen (Kritische Analysen zur Vereinigungspolitik, Bd. 1). - Berlin 2000, S. 93-115 (107). Vgl. Branstner, Gerhard: Arbeiterklasse/Klassenkampf, in: Ders.: Rotfeder. Die Todsünden des „realen Sozialismus“ und andere Welterfahrungen. – Berlin 1998, S. 21-27 (21). Vgl. PID v. 28.1.1994, S. 7. Vgl. Marquardt, Angela: Die unendliche Geschichte ... Widerstand und kein Ende, in: PID, Nr. 20/1994, S. 15 f. (16). Vgl. ebd., S. 16. Vgl. Marquardt, Angela/Bozic, Ivo: Turnübung auf einem Holzbein, in: PID, Nr. 30/1994, S. 79 (8). Vgl. Marquardt, Angela: Was ich bin, was mir stinkt, was ich will. – Köln 1999, S. 197.

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PDS-Parteivorsitzenden und Bundestagsabgeordneten brachte, muss sich die PDS ihre Positionen in einem höheren Maße zurechnen lassen, als etwa ein Flugblatt der Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS, in dem laut Verfassungsschutzbericht des Bundes Hausbesetzer zur Militanz aufgerufen wurden.932 Auch wenn es sich bei solchen Aufrufen nicht um Verlautbarungen der Bundespartei handelte, so ist doch bezeichnend, dass in der Regel keine Distanzierung der PDS-Spitze erfolgte. Ein unklares Verhältnis zur Gewalt kam auch in einzelnen Forderungen der Partei zum Ausdruck. So forderte die Linke Liste/PDS in ihrem Wahlprogramm von 1990 die Streichung des Landfriedensbruchparagraphen und der Antiterrorgesetze.933 Auch der in § 129 a des Strafgesetzbuchs geregelte Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung sollte nach dem Willen der Linken Liste/PDS abgeschafft werden. 1994 antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz, Teile der PDS bewegten sich im Umfeld von RAF-Sympathisanten.934 Mitglieder und Gliederungen der PDS hätten sich auch gegen das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK eingesetzt und wären zur Zusammenarbeit mit Autonomen bereit.935 Die PDS arbeite auch mit gewaltbereiten Linksextremisten zusammen und unterstütze die Ziele der PKK, so Hansjörg Geiger, der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.936 Geiger wies darauf hin, dass die PDS Gewalt besonders gegen vermeintliche Rechtsextremisten nicht eindeutig ablehne.937 Dies ging auch aus einer Stellungnahme der Bundesregierung von 1996 hervor.938 Beispielsweise unterhielt die Berliner Unterstützergruppe eines wegen des Mordes an einem vermeintlichen Rechtsextremisten Angeklagten ihren Sitz im Büro der PDS Berlin-Kreuzberg.939 Wenn auch nicht direkt zu Gewalt, so doch zu – nicht näher definiertem – zivilem Ungehorsam riefen noch 2006 nicht nur führende Vertreter des Antifa-Flügels in der PDS940, sondern auch eine Gruppe 932 933 934

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Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.): Verfassungsschutzbericht 1996. – o.O. 1997, S. 55. Vgl. Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 48. Vgl. Antwort des Staatssekretärs Dr. Walter Priesnitz auf die Frage des Bundestagsabgeordneten Jürgen Augustinowitz, in: Bundestagsdrucksache, Nr. 12/8372, S. 1-8 (2). Vgl. ebd., S. 6 f. Vgl. Geiger, Hansjörg: Verfassungsschutzrelevante Aspekte der PDS, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. - München 1996, S. 17-37 (32 u. 35). Vgl. ebd., S. 24. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Anneliese Augustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, Bundestagsdrucksache, Nr. 13/3830, S. 8. Vgl. Wolfschlag, Claus: Das „antifaschistische Milieu“.- Graz 2002, S. 31. Vgl. Interview mit Steffen Dittes in der Jungen Welt v. 5.7.2006.

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von PDS-Bundestagsabgeordneten auf.941 Noch 2003 ließ die PDS an herausgehobener Stelle, nämlich im neuen Parteiprogramm, Zweifel an ihrem Verhältnis zu politisch motivierter Gewalt aufkommen. Widerstand und ziviler Ungehorsam seien mögliche Mittel zum Erreichen politischer Ziele.942 Ein Beobachter schrieb, wenn die PDS sich auf das grundgesetzlich garantierte Widerstandsrecht berief, lege sie dieses völlig sinnwidrig aus und missbrauche es.943 Die politisch motivierte Gewalt befürwortenden oder zumindest billigenden oder rechtfertigenden Äußerungen auch von führenden Genossen sind so zahlreich, dass die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der Gesamtpartei zum Gewaltverzicht zumindest fraglich ist. Auch PDS-Politiker, die sich von politisch motivierter Gewalt distanzierten, strebten eine Umwälzung der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen an. In den Thesen der PDS-Grundsatzkommission zur Vorbereitung des Programms von 1993 hieß es, die Partei solle sich nicht auf nachträgliche Korrekturen einer vom Kapital dominierten Gesellschaft beschränken, sondern durch fortschreitende Demokratisierung dieser Gesellschaft über kapitalistische Verhältnisse hinausstreben.944 Selbst PDS-Reformer erklärten offen ihre Ablehnung der Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik. Beispielsweise warnte André Brie 1991 in einem Beitrag zur Programmdiskussion, bei einer Politik der Reformen bestehe die Gefahr, das bestehende System zu stabilisieren.945 In gemeinsamen Thesen der Grundsatzkommission und der Historischen Kommission der PDS, die der 2. Tagung des 2. Parteitags 1991 vorgelegt wurden, wurde der Versuch unternommen, den Gegensatz von Reform und Revolution aufzuheben. Dieser Gegensatz werde hinfällig, da er aus einer Zeit stamme, in der grundlegende Umwälzungen durch Eroberung politischer und ökonomischer Macht durchsetzbar schienen.946 In den „Beiträgen und Informationen zur Programmdebatte“ hieß es, die PDS strebe eine Revolution in evolutionärer Bewegungsform an.947 2004 schrieb Dieter Klein, die Philosophie

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Vgl. Hirsch, Nele/Jelpke, Ulla und andere: „... nicht vor zivilem Ungehorsam zurückschrecken“, in: Junge Welt v. 3.7.2006. Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 17. Vgl. Schmidt, Giselher: Zum Demokratie-Verständnis der PDS, in: Die neue Ordnung, Nr. 4/2000, S. 286-291 (289). Vgl. Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Neu beginnen ... Thesen zur Programmdiskussion. – O.O.O.J., S. 18. Vgl. Brie, André: Zur Programmdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 16/1991, S. 105114 (110). Vgl. Thesen der Grundsatzkommission/Historischen Kommmission: Neu beginnen ..., in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 79-90 (82). Vgl. Wüsteneck, Klaus-Dieter: Erwiderung zum Beitrag von Uwe-Jens Heuer und Klaus Höpcke, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 109-120 (119).

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des neuen Programms werde von einem Verständnis des demokratischen Sozialismus als eines langen transformatorischen Prozesses getragen.948 Zwischen direkter Revolution und Reformen innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung der Bundesrepublik wurde in der PDS die Variante diskutiert, die von der Rechtsordnung zugelassenen Reformmöglichkeiten voll auszuschöpfen und zu überschreiten, um so langfristig ein einer Revolution entsprechendes Ergebnis zu erreichen. In den Thesen zur Programmatik, die die Historische Kommission der PDS der 2. Tagung des 2. Parteitags vorlegte, wurde das Ziel formuliert, in der modernen Industriegesellschaft vorhandene Ansatzpunkte für eine Reformierbarkeit der Gesellschaft zum Zweck radikaler, systemüberwindender Veränderungen zu nutzen.949 Jürgen Lang sah 1994 in Reformen nicht das eigentliche Ziel der PDS, sondern ein Mittel einer Taktik der kleinen Schritte.950 Ein Vorschlag für eine Passage des neuen PDSProgramms, der 2001 in der Reihe des Marxistischen Forums erschien, forderte „ein Bekenntnis zu einer kontinuierlichen revolutionären Politik“: „Diese revolutionäre Politik soll in der Praxis insofern revolutionär und evolutionär sein, als der große Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit evolutionär durch viele kleinere revolutionäre Einzelschritte mit der Lösung einzelner gesellschaftlicher Widersprüche allmählich aufgehoben werden soll.“951 Harald Neubert versuchte 1991, den Gegensatz von Reform und Revolution insoweit aufzuheben, als er zwischen Revolutionen im weiteren Sinne und Revolutionen im engeren Sinne unterschied. Eine revolutionäre Umwälzung sei durchaus als eine Summe von strukturellen, systemüberwindenden Reformen denkbar.952 Die PDS solle sich von der alten Revolutionsauffassung kommunistischer Parteien freimachen, derzufolge die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft eine Bastion sei, von der man sich als ausgeschlossen betrachtet, innerhalb derer man nichts Konstruktives ausrichten könne und die man deshalb von außen erstürmen müsse.953 Mit einer etwas kryptischen Formulierung wollten drei Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion den Gegensatz von Reform und Revolution aufheben: „Dem Grundgesetz neues Leben zu geben ist im übrigen 948 949 950

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Vgl. Klein, Dieter: Gegen das Maß des Profits das Maß des Menschen stärken. Anmerkungen zur Strategie der PDS, in: Disput, Nr. 9/2004, S. 28 f. (29). Vgl. Historische Kommission beim Parteivorstand der PDS: Thesen zur Programmatik der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 91-96 (95). Vgl. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. - Baden Baden 1994, S. 180-193 (184). Gildemeister, Johannes: Über das Objekt und das Subjekt in unserem angestrebten Programm und den dazwischen liegenden Erkenntnisprozess, in: Marxistisches Forum, H. 36/37, S. 24 f. (25). Vgl. Neubert, Harald: Reform oder Revolution (II), in: Disput, 2. Augustheft/1991, S. 33-36 (33). Vgl. ebd., S. 35.

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ein Projekt, in dem die klassisch linke Sollbruchstelle von „Reformkräften contra demokratische Revolutionäre“ überwindbar wird.“954 Michael Brie warf den Orthodoxen 2004 vor, mit ihren Positionen verschöben sie Politik, die über Protest hinausgeht, bis auf den Jüngsten Tag der Revolution.955 Einer besonderen Betrachtung bedarf in Zusammenhang mit der Frage von Reform und Revolution die Rezeption des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci durch die PDS. Gramsci hatte nach dem Erfolg der Oktoberrevolution in Russland und dem Scheitern der Revolutionsversuche in Westeuropa nach den Ursachen dieser unterschiedlichen Entwicklungen gefragt, zumal die sozialistischen Theoretiker zuvor von der Annahme ausgegangen waren, die russische Gesellschaft sei im Gegensatz zu westeuropäischen Gesellschaften noch nicht reif für eine proletarische Revolution. Gramsci kam zu dem Ergebnis, in entwickelten bürgerlichen Gesellschaften reiche es aufgrund ihrer ausgeprägten Zivilgesellschaften anders als in Russland nicht aus, mit einer Revolution die staatliche Macht zu erobern. Zivilgesellschaftliche Strukturen würden wie zusätzliche Verteidigungslinien der bestehenden Gesellschaft beispielsweise auf den Gebieten der Kultur, des Rechts, der Werte, der Moral, der Sitten, religiöser Überzeugungen oder der Wissenschaft und in Form von Institutionen wie Medien, Universitäten, Schulen, Kirchen oder Verbänden wirken. Den Schlüssel zur Sprengung oder Aufweichung dieser Verteidigungslinien beziehungsweise zur grundlegenden Veränderung der bestehenden Gesellschaft sah Gramsci in der Erringung der geistigen Hegemonie als Voraussetzung für den Erfolg einer Revolution. Auf dem Weg zur Erringung der geistigen Hegemonie kommt laut Gramsci Intellektuellen wegen ihrer Funktion in der Zivilgesellschaft eine besondere Rolle zu.956 Intellektuelle hätten als Avantgarde die Aufgabe, der Bevölkerung die Mängel des bürgerlich-kapitalistischen Systems aufzuzeigen und sie aus ihrer geistigen Unmündigkeit herauszuführen.957 Für Harald Neubert, den führenden GramsciForscher der PDS, waren Hegemonie im Sinne Gramscis und Führung Synonyma. Führung beziehe sich auf die politische, geistige, kulturelle und moralische Ebene. Hegemonie sei eine Voraussetzung sowie eine ständige

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Dehm, Diether/Gehrcke, Wolfgang/Schäfer, Paul: Eine Revolution für das Grundgesetz, in: ND v. 8.12.2007. 955 Vgl. Brie, Michael: Welcher Marxismus und welche Politik?, in: Utopie kreativ, Nr. 165166/2004, S. 648-661 (657). 956 Vgl. Moreau, Patrick: „Kulturelle Hegemonie“ – Gramsci und der Gramscismus, in: Backes, Uwe/Courtois, Stéphane (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“. Das Erbe kommunistischer Ideologien (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 20). – Köln 2002, S. 259-283 (263). 957 Vgl. ebd., S. 263.

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Bedingung für Machtausübung im Allgemeinen und für Herrschaft im Besonderen.958 Nachdem die ehemalige Staatspartei die Macht verloren hatte, wandte sie sich sehr schnell der Lehre Antonio Gramscis zu und versuchte, diese für ihren politischen Kampf unter den veränderten Bedingungen nutzbar zu machen. Patrick Moreau wies darauf hin, dass Gramsci von allen Strömungen der PDS bei der Formulierung strategischer und bündnispolitischer Perspektiven und Leitlinien vereinnahmt werde.959 Gramsci beeinflusst schon seit der Wende Programmatik und Politik der PDS wie kaum ein anderer Theoretiker. Als erster Band der von der PDS-Grundsatzkommission herausgegebenen Reihe „Controvers“ erschien 1990 Harald Neuberts Broschüre „Von Sozialismus und Demokratie – Antonio Gramsci“. 1994 präzisierte und aktualisierte Neubert seine darin vertretenen Thesen in der Schrift „Zur „Machtfrage“ in der marxistischen Theorie. Der Beitrag Antonio Gramscis“. Neubert beschrieb die Ausgangslage, in der sich die PDS befand, als sie Gramsci für sich entdeckte: Paradox sei, dass in den sozialistischen Ländern, zu deren Grundprinzipien gehört habe, dass die Machtfrage die alles entscheidende Frage ist, die Macht im Moment ihrer größten Perfektion paralysiert und deshalb nicht mobilisierbar gewesen und in sich zusammengebrochen sei.960 Man müsse bezüglich der Verfasstheit moderner Gesellschaften die zivile oder bürgerliche von der politischen Gesellschaft, dem Staat, unterscheiden, bezüglich der Machtausübung Herrschaft von Hegemonie und bezüglich gesellschaftspolitischer Umbrüche und Transformationen „passive Revolution“ von (aktiver) Revolution.961 Die politische Gesellschaft umfasse die staatlichen, institutionalisierten politischen, juristischen und militärischen Macht- und Gewaltinstrumente.962 Der Staat werde von Gramsci der Gesellschaft untergeordnet.963 Die zivile Gesellschaft sei das Terrain, auf dem sich das Ringen um Hegemonie vollzieht beziehungsweise auf dem Hegemonie verwirklicht wird.964 Harald Werner, Mitglied der PDS-Grundsatzkommission, beschrieb in einem Beitrag zur Programmdebatte, welch hohen Stellenwert die Lehre Gramscis in der PDS hatte. Begriffe sollten besetzt beziehungsweise

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Vgl. Neubert, Harald: Antonio Gramsci in unserer Zeit, in: Geschichtskorrespondenz, Nr. 1/2001, S. 3-15 (8). Vgl. Moreau, Patrick: „Kulturelle Hegemonie“ – Gramsci und der Gramscismus, in : Backes, Uwe/Courtois, Stéphane (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“. Das Erbe kommunistischer Ideologien. – Köln 2002, S. 259-283 (271). Vgl. Neubert, Harald: Zur „Machtfrage“ in der marxistischen Theorie. Der Beitrag Antonio Gramscis. – Berlin 1994, S. 8. Vgl. ebd., S. 17 u. 30. Vgl. ebd., S. 32. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 34.

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umdefiniert werden. Mit einer solchen Definitionsmacht sollten die eigenen Werte und Ziele zu gesellschaftlich anerkannten Werten und Zielen werden: „In Jahrhunderten wuchs ein dichtes Geflecht an Verbänden, Parteien, nichtstaatlichen Körperschaften und wissenschaftlichen Institutionen heran, das die sozialen Bewegungsformen der Gesellschaft weitaus wirksamer und vor allem flexibler regelte, als es der Staat je gekonnt hätte. Aber die zivile Gesellschaft ist auch wesentlich dauerhafter als die politische. Wer hier die Macht ausübt, wer das Selbstverständnis der Gesellschaft, ihre Werte und Normen bestimmt, der beherrscht letztlich auch die politische Macht oder kann sie erobern.“965 ... „Das wichtigste Instrument der Zivilgesellschaft aber ist die Öffentlichkeit, die sich wie eine permanent tagende Versammlung mit allem beschäftigt, was die Gesellschaft bewegt.“966 ... „Wenn es der Linken gelingt, in den zivilgesellschaftlichen Strukturen geistig führend zu werden, die Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung neu zu formulieren und ihre eigenen Werte zu anerkannten gesellschaftlichen Werten zu machen, erwirbt sie mit dieser „Definitionsmacht“ auch die Fähigkeit, die gesellschaftliche Entwicklungsrichtung zu ändern.“967 Viola Neu erläuterte anhand der Verwendung der Begriffe Menschenwürde und Freiheit im PDS-Programm von 2003, wie die PDS zentrale Begriffe umdefiniert. Normen des demokratischen Staates würden nicht entsprechend ihres wirklichen Rechtsgehalts interpretiert. Sie erhielten einen Wert- und Bedeutungsgehalt, der nicht dem demokratisch-bürgerlichen entspricht: Die Benutzung von Begriffen, die in der Demokratie eine positive Konnotation haben, solle beweisen, dass die PDS demokratisch sei. Ziel der Umwertung sei jedoch eine Unterminierung der Legitimität des Staates.968 Gramsci spielte insbesondere für die Überlegungen der PDS-Reformer zur Erringung politischen Einflusses eine große Rolle. Dies zeigte sich beispielsweise daran, dass die Autoren des Kommentars zur PDS-Programmatik schon auf der ersten Seite ihrer Vorbemerkungen zum Kommentar die wichtige Funktion der Lehre Gramscis für die Partei herausstellten.969 Unter den wissenschaftlichen Beobachtern hat sich Patrick Moreau am intensivsten mit dem Einfluss Gramscis auf die PDS und mit der Anwendung seiner Lehre durch die PDS beschäftigt. Moreau beschrieb, welche Lehren die PDS aus Gramscis Werk zog: „Wenn der deutsche kapitalistische Staat eine 965

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Werner, Harald: Alternative Entwicklungswege, in: Dietzel, Horst/Gehrcke, Wolfgang/Hopfmann, Arndt/Werner, Harald (Hg.): Brückenköpfe. Texte zur Programmdiskussion der PDS (Podium Progressiv, Bd. 17). – Mainz 1992, S. 77-82 (78). Ebd., S. 79. Ebd., S. 80. Vgl. Neu, Viola: Das neue PDS-Programm. – Berlin 2003, S. 7. Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 11.

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ideologische „Hegemonie“ genießt und die meisten Menschen eine Weltauffassung vertreten, die ihn stärkt und rechtfertigt, müssen die Aktivitäten der PDS doppelt ausgerichtet werden: Einerseits eine nach vorne gerichtete und offene Kapitalismuskritik, andererseits eine subversive und fraktionsbezogene Aktion im Rahmen der zivilen Gesellschaft und des kulturellen Konsenses. Das organisatorische und theoretische Prinzip bestand also sowohl in großen Kampagnen der Kapitalismuskritik (im Rahmen der Friedensbewegung beispielsweise) als auch in gezielten und speziell ausgegrenzten Aktionen, die an den schwächsten Gliedern, die am Konsens beteiligt sind, angesetzt werden (z.B. den sexuellen Minderheiten). Die PDS, die sich auf längere Sicht in der Defensive weiß, hegt sicher keine Hoffnung auf eine unmittelbare Rückeroberung der zivilen Gesellschaft und hat verstanden, dass der Marxismus auf die Mehrheit der Bürger derzeit wenig attraktiv wirkt.“970 Es scheine, dass die PDS den Sieg des Kapitalismus über eine bestimmte geschichtliche Form des Sozialismus akzeptiere und all ihre Kräfte auf eine destruktive Opposition gegen die Marktwirtschaft konzentriere.971 Die PDS hatte sich also auf eine längere Phase eingerichtet, in der sie gesellschaftliche Gegensätze, Spannungen und Konflikte aufspürte und schürte und die Interessen diverser Minderheiten gegenüber der Mehrheit offensiv vertrat. Ziel war, den sozialen Frieden und Konsens zu zerstören, die Akzeptanz und die Stabilität der Gesellschaftsordnung zu untergraben, Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen zu erzeugen und den Zusammenhalt der Bürger zu schwächen. Da die PDS wusste, dass der Sozialismus auf absehbare Zeit nicht mehrheitsfähig war, sprang sie auf fahrende Züge auf und instrumentalisierte neue Bewegungen wie beispielsweise die Globalisierungskritiker. Patrick Moreau erklärte, wie die PDS die Lehre Gramscis auf die Bundesrepublik anwenden will: „Das Ziel der PDS besteht darin, auf allen Gebieten der zivilen Gesellschaft die Konfliktzonen auszumachen und in jedem Spannungsfeld oder jeder Kluft eine spezifische Botschaft zu vermitteln. Kernpunkt ist der Widerstand gegen den sozialen Konsens, wo immer er möglich ist.“972 Ziel der Partei sei die Destabilisierung der politischen Lage und die Zerstörung des Friedens innerhalb des Systems. Sie verfolge eine Spannungsstrategie, die

970

Moreau, Patrick: Die verpasste Erneuerung der PDS, in: Löw, Konrad (Hg.): Terror und Extremismus in Deutschland (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 42). – Berlin 1994, S. 97-112 (107). 971 Vgl. ebd., S. 108. 972 Moreau, Patrick: PDS. Anatomie einer postkommunistischen Partei. - Bonn 1992, S. 156, dazu auch: Ders.: Delegitimierung und Destabilisierung – Parteiapparat und Bündnispolitik der PDS, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 5. - BadenBaden 1993, 141-155 (145).

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darauf abziele, das politische System lahmzulegen.973 Moreau sprach von einem subversiven Modell.974 Jürgen Lang nannte in diesem Zusammenhang die PDS eine Partei der Krise, die in Zeiten politischer Instabilität schnelle, weil radikale Lösungen parat habe.975 Gramscis Modell bedeute, so Patrick Moreau, die Abkehr vom Versuch einer direkten Eroberung der Staatsmacht wie bei der Oktoberrevolution.976 Dass die PDS auf dem Weg zur Erringung geistiger Hegemonie dennoch äußerst aggressiv vorgehen könnte, zeigte die Äußerung Dietmar Wittichs im Rahmen der an die Programmdebatte anschließenden Strategiedebatte, der Kampf um die Köpfe sei ein Krieg.977 Beobachter brachten die Anwendung der Gramscischen Lehre durch die PDS auf die Formel „Klassenkampf als Kulturrevolution.“978 In den östlichen Bundesländern sei die PDS ihrem Ziel durch scharfe Kritik an den Folgen der Vereinigung Deutschlands schon nahe gekommen, wie Patrick Moreau ausführte: „Es ist ihr auch gelungen, einem Teil der ostdeutschen Bevölkerung (die der Partei mehrheitlich feindlich gesonnen war) Abwehrmechanismen gegen demokratische Institutionen, politische und wirtschaftliche Eliten anzuerziehen und einen abwertenden Jargon zu verbreiten („Kolonialisierung“, „Strafrecht“, Ungleichheit usw.).“979 Damit habe es die PDS geschafft, ihr Weltbild mit dem „Gemeinsinn“ zu verschmelzen. An einem offensichtlich von Gramsci inspirierten programmatischen Papier Michael Bries belegte Moreau seine Einschätzung. Moreau deutete die in diesem Papier vorgestellte Strategie als ein Kampfmodell unzähliger Kleinoffensiven, die den Kapitalismus und seine Machtstrukturen langfristig zermürben sollen. Brie schrieb: „Es wird notwendig, solche Bereiche wie Umweltschutz, Wohnungswirtschaft, Bildung und Information, Gesundheitswesen, Kultur und Wissenschaft schrittweise aus einer vorwiegend von den Verwertungsinteressen des Kapitals bestimmten Regulierung herauszulösen und sie nichtstaatlicher (zivilgesellschaftlicher)

973

974 975

976 977 978 979

Vgl. Moreau, Patrick: Die verpasste Erneuerung der PDS, in: Löw, Konrad (Hg.): Terror und Extremismus in Deutschland (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 42). – Berlin 1994, S. 97-112 (112). Vgl. ebd., S. 108. Vgl. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. - Baden Baden 1994, S. 180-193 (193). Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? München 2002, S. 257. Vgl. Wittich, Dietmar: In welcher Gesellschaft leben wir, in: Utopie kreativ, Nr. 165-166/2004, S. 689-700 (692). Arenberg, Sandro/Domdey, Horst: Schamlose Wiedergeburt, in: FAZ Sonntagszeitung v. 17.3.2002. Moreau, Patrick: „Kulturelle Hegemonie“ – Gramsci und der Gramscismus, in: Backes, Uwe/Courtois, Stéphane (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“. Das Erbe kommunistischer Ideologien. – Köln 2002, S. 259-283 (278).

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Einflussnahme auszusetzen.“980 Auch noch 2003 war Michael Bries Denken offensichtlich stark von Gramsci beeinflusst. In einem nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 und dem Geraer Parteitag verfassten Beitrag zur Programmdebatte sprach er sich für den Aufbau einer Gegenhegemonie aus. Diese könne die geistigen und politischen Kräfteverhältnisse in der deutschen Gesellschaft mittelfristig nachhaltig verändern. Eine alternative politische Formation, die sich diesem Ziel verschreibt, habe reale Chancen.981 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Gramsci setzte sich Brie dafür ein, einen historischen Block für eine wirklich soziale und demokratische Reformalternative zu schaffen.982 Jürgen Lang wertete solche Äußerungen als Versuch der Reformer, aus einem Konglomerat von Minderheiteninteressen eine Mehrheit des Protests zu schmieden.983 Dieses Ziel wollte die PDS, so Patrick Moreau, erreichen, indem sie legitime gesellschaftliche Protestthemen und Ängste aufgreife und verbreitete Unzufriedenheit kanalisiere.984 Die PDS versuchte nicht nur, die Begriffe Sozialismus und Menschenrechte inhaltlich anzunähern, auch bei der Anwendung der Lehre Gramscis durch die PDS kam den Menschenrechten eine Funktion zu. Moreau stellte diesbezüglich fest, bei der PDS finde die moralische Dimension ihren Niederschlag in der gebetsmühlenhaften Beschwörung der Menschenrechte und den ständigen Warnungen vor der zerstörerischen und perversen Natur des Kapitalismus, der die ganze Menschheit bedrohe.985 Insgesamt war die Anwendung der Lehre Gramscis durch die PDS laut Moreau zwar angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse nicht direkt revolutionär, dies ändere aber nichts an ihrer grundsätzlichen Radikalität. Das Streben nach Hegemonie sei ein zwangsläufiges Moment des endgültigen Bruchs mit dem System.986 Moreau sah in Gramscis politischer Theorie freiheitsgefährdende Elemente, die autoritären bis totalitären Praktiken als Ansatzpunkt dienen könnten987: „Der Marxismus in 980 981 982 983 984 985

986 987

Für radikale Reformen. Sechs Thesen zur Strategie und Politik der PDS, in: PID, Nr. 39/1991, S. 4-6. Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 2. Vgl. ebd., S. 35. Vgl. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden Baden 2003, S. 144. Vgl. Moreau, Patrick: Gefahr von links? Die PDS auf dem Weg zur Etablierung, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 8/1994, S. 694-705 (705). Vgl. Moreau, Patrick: „Kulturelle Hegemonie“ – Gramsci und der Gramscismus, in: Backes, Uwe/Courtois, Stéphane (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“. Das Erbe kommunistischer Ideologien (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 20). – Berlin 2002, S. 259-283 (272). Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 277 f. Vgl. ebd., S. 262.

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seiner gramscistischen Version ist ein Integrismus (im religiösen Sinne) und selbst ein Totalitarismus, weil er eine „Homogenität“ von Intellektuellen und Masse, Führern und Geführten herzustellen beansprucht.“988 Der Auffassung, die Rezeption Gramscis durch die PDS sei gerade ein Indiz für eine ideologische Öffnung und Liberalisierung der Partei, sei zu widersprechen. 989 Neben Gramsci wurde – wenn auch in deutlich geringerem Maße – das Werk des französischen Philosophen Michael Foucault in der PDS auf der Suche nach Wegen für einen zukünftigen Sozialismus rezipiert. Foucault setzte sich mit Machttechniken in Verbindung mit Diskursen auseinander. Ausgangspunkt der Foucault-Rezeption in der PDS war die simple Feststellung Foucaults, dass Macht von unten komme.990 In der PDS wurde Foucault ähnlich interpretiert wie Gramsci. Eine Schrift, die in der von der PDS herausgegebenen Reihe „Podium Progressiv“ erschien, widmete sich der Diskussion über Foucault. Darin wurden lokale, alltägliche Kämpfe gefordert, die in den Fabriken, in den Familien, in Institutionen wie Schule, Krankenhaus, Psychiatrie oder Gefängnis und in den sexuellen Beziehungen stattfinden sollten. Die Bedeutung dieser Kämpfe läge darin, dass sie Basis und Voraussetzung für die „großen“ gesellschaftlichen Spaltungen wie Klassenkampf, Geschlechterkampf oder ethnische Auseinandersetzungen seien.991 Allerdings ergäben sich aus den Widersprüchen der einzelnen Kämpfe Schwierigkeiten für die praktische Anwendung der Foucaultschen Lehre: „Kleinbürgerliches Wertesystem des „Proletariats“ versus Emanzipation der Frauen und Schwulen, weiße Arbeitsplatzbesitzer versus Immigranten, weiße Frauen gegen Immigrantinnen, Westlinke versus Ostlinke etc. Kein „Hauptwiderspruch“, den der linke Diskurs noch orten könnte, keine Möglichkeit der Vereinheitlichung der Kämpfe (schon gar nicht durch eine Partei), sondern ein Netz von Differenzen.“992 Auch der 2002 verstorbene französische Soziologe Pierre Bourdieu beeinflusste die programmatische Diskussion in der PDS. Bourdieu hatte die Bedeutung der Bewegungen, die sich gegen die Globalisierung der Wirtschaft wenden, hervorgehoben. Patrick Moreau und Rita Schorpp-Grabiak sahen Ähnlichkeiten zwischen Bourdieu und Gramsci: „Die Idee einer intellektuellen Gegenmacht, die in dialektischer Weise genährt wird und gleichzeitig selbst eine Bewegung nährt, die vom Rand in die Mitte der Gesellschaft kommt und

988

Ebd., S. 263. Vgl. Moreau, Patrick: „Kulturelle Hegemonie“ – Gramsci und der Gramscismus, in: Backes, Uwe/Courtois, Stéphane: „Ein Gespenst geht um in Europa“. Das Erbe kommunistischer Ideologien. – Köln 2002, S. 259-283 (283). 990 Vgl. Schwarz, Richard: Aspekte einer neuen Machttheorie. Michel Focault (Podium Progressiv, Bd. 3). – Mainz 1991, S. 10. 991 Vgl. ebd., S. 11. 992 Ebd., S. 11 f. 989

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dank der neuen Praktiken der Masse die kapitalistische Hegemonie – notfalls auch mit Gewalt – brechen kann.“993 Im Widerspruch zur Einstellung zumindest von Teilen der PDS zu innenpolitisch motivierter Gewalt gegen Sachen und Personen stand der strikte Pazifismus insbesondere der Orthodoxen in den internationalen Beziehungen. Obwohl die PDS durch frühere Mitglieder bewaffneter Organe der DDR zumindest prozentual mehr Soldaten in ihren Reihen haben dürfte als jede andere deutsche Partei, gab sie sich streng pazifistisch. Sie verkaufe sich, so der „Spiegel“, „zugleich als Hort des Pazifismus und Anwältin der Mauerschützen“994. Indem die PDS „konsequent“ pazifistische Positionen vertrat, hoffte sie, von den Grünen in dieser Hinsicht enttäuschte Menschen erreichen und für sich gewinnen zu können. Gleichzeitig konnte die PDS mit pazifistischen Positionen sowohl in den östlichen Bundesländern als auch in Westdeutschland verbreitete antiwestliche Ressentiments bedienen, denn konkret richtete sich der Pazifismus der PDS gegen militärische Maßnahmen der Vereinigten Staaten und der NATO. So zitierte beispielsweise das Nachrichtenmagazin „Focus“ nach dem Münsteraner PDS-Parteitag von 2000, bei dem die Mehrheit der Delegierten von den Vereinten Nationen mandatierte Bundeswehreinsätze ablehnte, Petra Sitte, die PDS-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt, mit den Worten: „Hätte es sich nicht um westliche Militäreinsätze, sondern um die Nationale Volksarmee der DDR oder die Kubaner gehandelt, wäre die Abstimmung völlig anders verlaufen.“995 Gregor Gysi schrieb, der Pazifismus eines Teils der Delegierten des Münsteraner Parteitags sei aufgesetzt gewesen, denn sie hätten das Militärische, solange es von den Staaten des Warschauer Vertrages ausging, nie abgelehnt.996 André Brie erklärte mit Blick auf die Haltung der PDS zu nationalen Befreiungsbewegungen und die Herkunft aus der SED, in der PDS gäbe es keinen pazifistischen Grundkonsens.997 In einer Schrift der Rosa-LuxemburgStiftung hieß es, die Kriegskritik der Partei sei nur taktisch.998 In einer Analyse der Friedenspolitik der PDS stellte Karsten Voigt, Koordinator für die deutschamerikanischen Beziehungen im Auswärtigen Amt, die These auf, der PDS gehe es beim Thema Frieden vor allem um eine innen- und außenpolitische Instrumentalisierung. Als die rot-grüne Bundesregierung die Bundeswehr auf 993 994 995 996 997 998

Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: „Man muß so radikal sein wie die Wirklichkeit“ – Die PDS: eine Bilanz (Extremismus und Demokratie, Bd. 4). – Baden Baden 2002, S. 235. Berg, Stefan/Knaup, Horand/Stuppe, Andrea: Elefanten und Eisbären, in: Der Spiegel, Nr. 42/1999, S. 112-114 (114). Flocken, Jan von/Opitz, Olaf: Auferstandene SED-Enkel, in: Focus: Nr. 16/2000, S. 54-57 (56). Vgl. Gysi, Gregor: Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn, 3. Aufl. – Hamburg 2001, S. 304. Vgl. Interview in Freitag, Nr. 11 v. 12.3.1999. Vgl. Rilling, Rainer: Die Frage, in: Rilling, Rainer (Hg.): Eine Frage der Gewalt. Antworten von links (Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 49). - Berlin 2008, S. 7-9 (9).

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den Balkan entsandte, habe sich der PDS die einmalige Gelegenheit geboten, sich zum Anwalt der Pazifisten zu machen.999 Voigt verglich den Besuch Gregor Gysis bei Slobodan Milosevic während des Jugoslawien-Konflikts mit einem Besuch Jörg Haiders bei Saddam Hussein.1000 Patrick Moreau stellte einige Fragen, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Pazifismus der PDS aufkommen lassen: „Wäre die pazifistische Überzeugung echt, müsste dann nicht auch die Volksrepublik China zur Abrüstung aufgefordert werden? Könnten dann junge PDS-Mitglieder ruhigen Gewissens die kubanische Revolution feiern? Müsste man nicht eine – wenigstens formale – Distanzierung von „Befreiungsbewegungen“ wie der PKK erwarten?“1001 Der Pazifismus war in der PDS-Programmdebatte auch deshalb so heftig umstritten, weil eine Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland als ein Haupthindernis für eine Regierungsbeteiligung der Partei auf Bundesebene angesehen wurde. In den Thesen zur programmatischen Debatte von 1999 hieß es, die PDS solle die Charta der Vereinten Nationen einschließlich des Gewaltmonopols des Weltsicherheitsrates anerkennen. Die PDS solle in jedem Einzelfall prüfen, „ob der Beschluss der Charta entspricht, ob er verhältnismäßig erscheint und politisch und moralisch auch im Detail akzeptiert werden kann oder abgelehnt werden muss.“1002 Beim Münsteraner PDSParteitag 2000 unternahmen die Reformer den Versuch, mit der Forderung nach Einzelfallprüfungen bei von den Vereinten Nationen mandatierten Militäreinsätzen vom strikten Pazifismus abzurücken. Eine unnatürliche Koalition aus Orthodoxen, westdeutschen Linksextremisten und Pazifisten fügte den Reformern in dieser Frage eine deutliche und entscheidende Abstimmungsniederlage zu. Doch schon unmittelbar nach der Abstimmung kündigten führende Reformer an, diesen Beschluss nicht dauerhaft akzeptieren, sondern ihn alsbald revidieren zu wollen. Das PDS-Programm von 2003 blieb in der Frage der von den Vereinten Nationen mandatierten Militäreinsätze letztlich unentschieden. Zwar lehnt das Programm solche Einsätze nicht grundsätzlich ab, die Bundeswehr solle daran aber unter keinen Umständen teilnehmen. Erst unmittelbar vor dem Chemnitzer Programmparteitag von 2003 hatte der PDSParteivorstand auf die Anerkennung des Gewaltmonopols des Weltsicherheitsrats im Entwurf des neuen Programms verzichtet. Teile der PDS forderten wiederholt Deutschlands Austritt aus der NATO und die Auflösung der Bundeswehr. Im PDS-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2002 beispielsweise hieß es, Ziele der Partei seien ein 999

Vgl. Voigt, Karsten: Friedenspolitik als antiwestliche Integrationsideologie, in: Deutschland Archiv, Nr. 3/2002, S. 459-463 (462). 1000 Vgl. ebd. S. 462. 1001 Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: „Man muß so radikal sein wie die Wirklichkeit“ – Die PDS: eine Bilanz (Extremismus und Demokratie, Bd. 4). – Baden Baden 2002, S. 189. 1002 Thesen zur programmatischen Debatte, in: PID, Nr. 47/1999, S. 2-32 (29).

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Deutschland ohne Bundeswehr und die Auflösung der NATO.1003 Andererseits bekannte sich die Berliner PDS 2001 in der Koalitionsvereinbarung mit der SPD zur Mitgliedschaft in der NATO.1004 Die Reformer Horst Dietzel und Gerry Woop unterzogen die sicherheitsund friedenspolitischen Aussagen des PDS-Programms von 2003 einer kritischen Analyse. Demnach bediene das entsprechende Kapitel des Programms ein einfaches, aus früheren Zeiten überkommenes Weltbild: „Eigenständige Ursachen für regionale Konflikte und Kriege, für Unterdrückung und Ausbeutung in verschiedenen Regionen der heutigen Welt existieren offenbar diesem Text zufolge nicht. Die negativen Entwicklungen in der Welt werden ausschließlich auf das Wirken der USA und der NATO zurückgeführt. Offenbar gibt es keine zerfallenden staatlichen Strukturen in der heutigen Welt, keine privatisierte Gewalt, keine Warlords, keine ethnischen Konflikte usw.“1005 An anderer Stelle wurde Dietzel noch deutlicher. Die PDS sehe in ihrem neuen Programm das Grundübel der gegenwärtigen Welt in den USA und der von ihnen beherrschten NATO.1006 Die rigorose Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr war zeit ihres Bestehens eine der wichtigsten Positionen der PDS. Wie kaum ein anderer Gegenstand der PDS-Programmatik war der Pazifismus der Partei Bezugspunkt von Emotionen einerseits und strategischen Zielen der Parteiführung andererseits. Für Emotionen war die unter Tränen vorgetragene Rede SylviaYvonne Kaufmanns beim Münsteraner PDS-Parteitag ein Beispiel, für strategische Ziele einerseits der Wunsch, von den Grünen enttäuschte Wähler zu gewinnen, andererseits das Ziel einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene, wofür offensichtlich die Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr Voraussetzung ist. Zu diesem Zweck unternahmen die PDS-Reformer immer wieder Vorstöße, die strikte Haltung der Partei aufzuweichen. Der Pazifismus der PDS war noch unglaubwürdiger als andere Programmpunkte. Er war nicht konsequent, denn die Partei setzte sich weder kritisch mit der Rolle des Militärs in der DDR auseinander noch wandte sie sich gegen die Militärpolitik der von der PDS als Partner angesehenen Staaten wie Serbien oder Russland. Vielmehr instrumentalisierte die PDS den Pazifismus gegen den Westen. Die Frage nach einer Revolution in Deutschland im Sinne einer gewaltsamen gesellschaftlichen Umwälzung stellte sich aktuell für keine Gruppierung in der 1003

Vgl. Bundesgeschäftsführer der PDS (Hg.): Es geht auch anders: Nur Gerechtigkeit sichert Zukunft! Programm der PDS zur Bundestagswahl 2002. – Berlin 2002, S. 44. 1004 Vgl. Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS in Berlin für die Legislaturperiode 2001-2006, in: FAZ v. 9.1.2002. 1005 Dietzel, Horst/Woop, Gerry Programmatische Erneuerung bei der PDS, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Nr. 6/2003, S. 48-50 (49). 1006 Vgl. Dietzel, Horst: Mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten. Ein Vergleich der Grundsatzprogramme von PDS und Bündnis 90/Die Grünen, in: Utopie kreativ, Nr. 161/2004, S. 227-237 (230).

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PDS. Neben PDS-Politikern, die Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung prinzipiell ablehnten, und solchen, die dies ausdrücklich nicht ausschlossen und zur Zeit nur keine revolutionäre Situation in Deutschland sahen, wurde in der PDS das transformatorische Modell vertreten, durch viele kleine Reformschritte evolutionär einen Zustand zu erreichen, der dem Ergebnis einer Revolution entspricht. In diesem Zusammenhang hatten die Schriften Antonio Gramscis eine herausragende Bedeutung. Das Verhältnis der PDS zur Gewalt blieb bis zuletzt unklar: 2007 mahnten nach den gewaltsamen Ausschreitungen beim G8-Gipfel in Rostock Michael Brie und Lutz Brangsch eine Diskussion in der Partei zum Verhältnis zur Gewalt und eine Abgrenzung gegenüber gewaltbereiten Demonstranten an.1007 Diese Fragen wurden bislang nicht eindeutig beantwortet. Aus Anlass des Vereinigungsparteitags der Linken bemerkte die „Süddeutsche Zeitung“ in Anspielung auf eine Äußerung Lenins ironisch zum revolutionären Potential der neuen Partei: „Auch diese Linke würde, käme es zum Umsturz, erst einmal eine Bahnsteigkarte lösen, und zwar quotiert, bevor sie den Bahnhof stürmte. Noch wahrscheinlicher ist allerdings, dass man anstatt den Sturm einzuleiten, ein Papier verfassen würde, warum die Bahn wieder in Gemeineigentum überführt werden muss.“1008 Doch es gibt auch Revolutionäre in der Partei. So konstituierte sich ein Netzwerk „Marx 21“ in der Linken, das in seinen politischen Leitsätzen offen bekannte, „den bestehenden, undemokratischen Staatsapparat“1009 in Deutschland durch andere Organe ersetzen zu wollen. Und ein Mitglied des nordrhein-westfälischen Landesvorstands der LINKEN sagte 2007, in der Partei gebe es Mitglieder, die den Willen haben, „das System zu stürzen“1010. Udo Wolf, Vorsitzender der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sah sich 2009 genötigt zu mahnen, Mitglieder der Partei dürften keinen Zweifel an ihrer Ablehnung von Gewalt als Mittel der Politik lassen: „Manche Äußerung in der jüngeren Vergangenheit war mindestens missverständlich“.1011

1007

Vgl. Brie, Michael/Brangsch, Lutz: In der Sackgasse – oder: Mittel beherrschen Ziele (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 9/2007), S. 2. 1008 Kister, Kurt: Im Bund der Niemalszufriedenen, in: Süddeutsche Zeitung v. 18.6.2007. 1009 http://marx21.de/content/view/194/93 1010 Interview in der Jungen Welt v. 23.10.2007. 1011 Interview im „Neuen Deutschland“ v. 23.11.2009.

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7. Antifaschismus und Haltung zur Nation

Schon für die DDR hatte der Antifaschismus eine herausragende Bedeutung zur Rechtfertigung der eigenen Existenz und auch, um sich gegenüber der Bundesrepublik als der moralischere Staat darstellen zu können. Nach dem Scheitern der DDR und dem Bekanntwerden vieler Verbrechen wurde der historische wie der gegenwärtige Antifaschismus für die PDS noch wichtiger.1012 Mit dem Zusammenbruch der DDR wurde fast alles in Frage gestellt, was Sozialisten vertreten und woran sie geglaubt hatten. Davon ausgenommen und unberührt schien allein der Antifaschismus zu sein. Deswegen nutzte die PDS den Antifaschismus noch zwischen Beginn der „Wende“ und deutscher Einheit bei einer Demonstration anlässlich der Schändung eines Denkmals für die Rote Armee durch tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, um die Existenz eines Amtes für Nationale Sicherheit zu begründen. In der Bundesrepublik benötigte die PDS den Antifaschismus vor allem für ihre Bündnispolitik und zur Umdeutung des antitotalitären Konsenses und des antitotalitären beziehungsweise antiextremistischen Charakters der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Hartmut Soell analysierte 1996 die Zielsetzung des Antifaschismus der PDS, die neben der im engeren Sinne antifaschistischen eine historische, eine bündnispolitische und eine gesellschaftsverändernde Dimension habe. Zum einen sollten mit dem Antifaschismus Verbrechen des Sozialismus ausgeblendet werden, zum anderen sollte der PDS das Einklinken in ein breites Bündnis erleichtert werden, „das zunächst nur gegen den Rechtsextremismus gerichtet zu sein scheint, aber mittelfristig der Veränderung der gesamten politischen Landschaft dienen soll.“1013 Das Bekenntnis zum Antifaschismus gehört zu den wenigen Punkten, die in der PDS unumstritten waren. Immer wieder betonte die PDS ihren Antifaschismus. Der Antifaschismus fehlte in keinem Programm oder Programmentwurf. Es wird auch von einem antifaschistischen Grundkonsens

1012

Dazu ausführlich: Peters, Tim: Der Antifaschismus der PDS aus antiextremistischer Sicht. – Wiesbaden 2006. 1013 Soell, Hartmut: Weltgeschichtliche „Tragik“ oder defizitäres Menschenbild, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 223-234 (225).

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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der PDS gesprochen.1014 Die herausragende Bedeutung des Antifaschismus kam beispielsweise in einer Stellungnahme der PDS/Linke Liste-Bundestagsgruppe von 1993 zum Ausdruck: „Unsere Stellungnahme ist von der Hoffnung getragen, dass das Eintreten für Erneuerung niemanden weiter in der PDS dazu verleitet, das mit über Bord zu werfen, was für uns die wertvollste Fracht einer linken Bewegung ist: der Kampf gegen jede Art von Faschismus und Rassismus. Es sind viele Zweifel erlaubt – daran aber kein einziger.“1015 Der Antifaschismus hatte für die PDS eine integrierende Funktion. Die FAZ schrieb dazu, der Antifaschismus diene als ideologischer Kitt zwischen den Generationen der PDS.1016 In den PDS-Programmen nahmen die Glorifizierung des Antifaschismus und das Bekenntnis zu ihm eine herausgehobene Stellung ein. Mit dem Antifaschismus verfolgte die PDS keine eigenständige konkrete Zielsetzung, sie richtete ihn lediglich gegen etwas. Dies erleichterte es den diversen, teilweise zerstrittenen linken Richtungen innerhalb und außerhalb der PDS, sich auf den Antifaschismus als kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Zudem konnte die PDS mit Antifaschismuskampagnen auch Bündnispartner gewinnen, die sich sozialistischen Bündnissen und Kampagnen nicht angeschlossen hätten. Der Antifaschismus sollte den Eindruck erwecken, moralisch zu sein, da er sich gegen etwas allgemein als negativ Angesehenes, gegen Faschismus, richtet. Tatsächlich richtete sich der Antifaschismus der PDS nicht nur gegen wirklichen Rechtsextremismus, sondern wurde auch gegen Organisationen und Personen eingesetzt, von denen nur behauptet wurde, sie seien rechtsextremistisch. Gleichzeitig konnten sich linksextremistische Organisationen, die sich an antifaschistischen Kampagnen beteiligten, als positiv und demokratisch darstellen. Durch antifaschistische Bündnisse mit demokratischen Organisationen erodierte die Abgrenzung zwischen Demokraten und Linksextremisten, wovon auch die PDS profitierte. Das Etikett des Antifaschismus bot der PDS die Gelegenheit, vom Extremismus in den eigenen Reihen und von der eigenen Vergangenheit abzulenken. Mit zahlreichen Initiativen versuchte die PDS zudem, den antiextremistischen Charakter des Grundgesetzes in antifaschistischem Sinne umzudeuten. Schon seit der „Wende“ arbeitete die PDS daran, den antiextremistischen beziehungsweise antitotalitären Konsens, der eine Äquidistanz des Staates und der demokratischen Parteien gegenüber allen Formen des Extremismus

1014

Vgl. Erklärung von Lothar Bisky und Gregor Gysi, in: PID, Nr. 11/1993, S. 6. PDS/Linke Liste-Bundestagsgruppe: Antifaschismus – wertvollste Fracht der linken Bewegung, in: PID, Nr. 12/1993, S. 7. 1016 Vgl. Burger, Reiner: Im Milieu der Widersprüche. Eine Reise durch die Seelenlandschaft der PDS in Sachsen, in: FAZ v. 1.4.2006. 1015

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bedeutet, durch einen antifaschistischen Konsens zu ersetzen.1017 Dabei versucht die PDS, einerseits den Text des Grundgesetzes umzudeuten, andererseits das Grundgesetz zu ändern, um den Antifaschismus darin ausdrücklich zu verankern. Schon in ihrem Wahlprogramm von 1990 forderte die Linke Liste/PDS eine neue Verfassung, die antifaschistisch und antirassistisch sein sollte.1018 In den Thesen zur programmatischen Debatte von 1999 war von einem antinazistischen Gründungskonsens der DDR und der Bundesrepublik die Rede. Die PDS betrachtete diesen Gründungskonsens als den Kern des historischen Selbstverständnisses des vereinten Deutschland.1019 2004 behauptete der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky ausgerechnet bei einer Feier zum Gedenken an Ernst Thälmann, beide deutsche Staaten seien bei ihrer Gründung mit einem antifaschistischen Grundkonsens angetreten.1020 In der 14. Legislaturperiode brachte die PDS-Fraktion einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, um das Grundgesetz um eine sogenannte antifaschistische Klausel zu ergänzen. Ähnliche Initiativen startete die PDS auch in Landtagen. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf behauptete die PDS, das Grundgesetz sei von einer antifaschistischen Grundtendenz geprägt1021, es sei antifaschistisch.1022 Dass das Bundesverfassungsgericht die freiheitlichdemokratische Grundordnung gegen die KPD instrumentalisiert habe, habe nicht der Intention des Grundgesetzes entsprochen.1023 In der Plenardebatte über den Gesetzentwurf lehnte nur der Redner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Abgeordnete Wolfgang Götzer, das Ansinnen der PDS grundsätzlich ab. Für Manfred Wilke zeigten die Diskussion über die antifaschistische Klausel und der damit verbundene Kampf um die Köpfe, dass der Antifaschismus als Leitbild konsensfähig sei und als Basis für eine neue Lagerbildung im Parteiensystem tauge. Das strategische Ziel der PDS sei die Teilhabe an der politischen Macht. Das antifaschistische Lager, das sich um die SPD gruppiere, würde die PDS im Rahmen eines linken Pluralismus integrieren, die Partei

1017

Vgl. beispielsweise Hartke, Olaf: Konsequent links? Kontroversen zum Selbstverständnis der PDS. – Berlin 1990, S. 8, Agethen, Manfred/Jesse, Eckhard/Neubert, Ehrhart: Vorwort der Herausgeber, in: Dies. (Hg.): Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken. – Freiburg/Breisgau 2002, S. 13-18 (15). 1018 Vgl. Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 46. 1019 Vgl. Thesen zur programmatischen Debatte, in: PID, Nr. 47/1999, S. 2-32 (6 f.). 1020 Vgl. Bisky, Lothar: Antifaschismus gehört zum Grundverständnis einer demokratischen Gesellschaft, in: PID, Nr. 34/2004, S. 4 f. (5). 1021 Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 26 Abs.1, Antifaschistische Klausel)“, Bundestags-Drucksache, Nr. 14/5127, S. 4. 1022 Vgl. ebd., S. 5. 1023 Vgl. ebd., S. 5.

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würde auch auf Bundesebene koalitionsfähig.1024 Der Berliner Soziologe Alexan-der Schuller schrieb schon 1994 anlässlich des Beginns der Magdeburger Tolerierung, Ziel von PDS und SPD sei die Legitimierung der PDS als Partner in einer Antifa-Koalition. Dazu diene vor allem die Konstruktion einer rechten Gefahr.1025 Patrick Moreau sah in dem Gesetzentwurf der PDS „eine Art Automatismus, der eine beträchtliche Zahl politischer Positionen und sehr unterschiedliche Parteien – von echten Neonazis bis zu Nationalkonservativen – als rechtsextrem und damit grundgesetzwidrig brandmarkt. Betroffene Personen/Gruppen könnten sich nicht einmal auf ihre Grundrechte berufen. Die „antifaschistische“ Klausel würde das Grundgesetz seines demokratischen Gehalts entleeren.“1026 Ihren Höhepunkt erreichten die Bestrebungen der PDS, das Grundgesetz in antifaschistischem Sinne umzudeuten, 2001 mit einem gemeinsamen Antrag der Bundestagsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt.1027 Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollte sich nicht einseitig gegen Rechtsextremismus, sondern gegen jede Form von Extremismus aussprechen und keinen Antrag gemeinsam mit der PDS einbringen. Trotzdem hielten die anderen Fraktionen an ihrem gemeinsamen Antrag mit der PDS fest. In der Plenardebatte über den Antrag ging Roland Claus, der Vorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion, auf den Verfassungsschutz und auf antifaschistische Organisationen ein. Er kritisierte die Einstufung der VVN-BdA als linksextremistisch und führte zur Erläuterung aus: In der Begründung zu dieser Einschätzung des Verfassungsschutzes stehe „eigentlich nur, dass sie aktiv im Kampf gegen Rechtsextremisten auftreten und dass sie – verkürzt gesagt – gegen eine Gleichsetzung von links und rechts sind. Wenn man diese Maßstäbe aus dem Verfassungsschutzbericht anlegt, dann müssten auch die antragstellenden Fraktionen im nächsten Verfassungsschutzbericht auftauchen.“ (…) „Wir wollen, dass der Begriff Antifaschismus aus dem Verfassungsschutzbericht herausgenommen und in den gesellschaftlichen Wertekanon aufgenommen wird.“1028 2006 wertete die Thüringer Landtagsfraktion der Linkspartei.PDS das Zustandekommen eines gemeinsamen Beschlusses mit den Fraktionen von SPD

1024

Vgl. Wilke, Manfred: Der antifaschistische Konsens der Berliner Republik, in: Mut, Nr. 410/2001, S. 14-25, S. 23 ff. 1025 Vgl. Schuller, Alexander: Eine neue Linke in Deutschland, in: FAZ v. 29.9.1994. 1026 Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: „Man muss so radikal sein wie die Wirklichkeit“ – Die PDS: eine Bilanz (Extremismus und Demokratie, Bd. 4). – Baden Baden 2002, S. 170. 1027 Vgl. Antrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS „Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“ (Bundestagsdrucksache, Nr. 14/5456). 1028 Plenarprotokoll, Nr. 14/162, S. 15812.

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und CDU gegen Extremismus als Wert an sich.1029 2007 erklärte die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch den Antifaschismus gar zur staatsbürgerlichen Pflicht.1030 Dass der Antifaschismus der PDS nichts mit der Verteidigung des Grundgesetzes zu tun hat, beweisen zahlreiche Äußerungen von PDS-Politikern. So hieß es beispielsweise in einem Aufruf zu einer von der PDS angemeldeten Demonstration, Antifaschismus bedeute nicht, das „demokratische Gemeinwesen“ kapitalistischer Prägung gegen die „Verfassungsfeinde“ zu verteidigen.1031 Mit der Autonomen Antifa Göttingen hatte nach eigenem Bekunden sogar eine kriminelle Vereinigung ein einvernehmliches Arbeitsverhältnis zur örtlichen PDS.1032 2006 schrieb die FAZ, der Antifaschismus sei das Feigenblatt, mit dem die PDS ihre Kontakte in die linksextreme Szene rechtfertigt.1033 Bei manchen Äußerungen von PDSPolitikern zum Verhältnis von Antifaschismus und Grundgesetz kam ein antikapitalistisches Antifaschismus-Verständnis zum Ausdruck. Zum Beispiel schrieb Wolfgang Gehrcke, das Grundgesetz atme einen antifaschistischen, antimonopolistischen Geist.1034 In einigen Fällen distanzierte sich die PDS von antifaschistischen Aktionen. Dabei dürfte zumindest ein Motiv gewesen sein, Schaden für das eigene Ansehen in der Bevölkerung durch das Auftreten von Antifaschisten beziehungsweise durch von Antifaschisten verübte Straftaten zu vermeiden. So berichtete das „Neue Deutschland“ 2004, die PDS Königs Wusterhausen habe wegen der Beteiligung tatsächlich oder vermeintlich linksradikaler Gruppen an einem antifaschistischen Bündnis offenbar negative Schlagzeilen befürchtet und sei kurz davor gewesen, das Bündnis zu verlassen.1035 Der Antifaschismus war ein wichtiges Instrument der Bündnispolitik der PDS. Im Rahmen antifaschistischer Bündnisse konnte die PDS bisweilen sogar Organisationen und Personen aus dem kirchlichen und bürgerlichen Spektrum als Partner gewinnen. Ein Beispiel für die antifaschistische Bündnisarbeit der PDS war der sogenannte Aufstand der Anständigen am 9. November 2000, bei dem die PDS öffentlichkeitswirksam ins Lager der Anständigen integriert

1029

Vgl. Berninger, Sabine: „Gegen Extremismus und Gewalt“, in: Disput, Nr. 4/2006, S. 17. Vgl. Interview in der Jungen Welt v. 25.1.2007. 1031 Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2002. – Berlin 2003, S. 145. 1032 Vgl. Paul, Reimar: „Wichtig ist linke, radikale Politik“, in: ND v. 4.9.2002. 1033 Vgl. Burger, Reiner: Im Milieu der Widersprüche. Eine Reise durch die Seelenlandschaft der PDS in Sachsen, in: FAZ v. 1.4.2006. 1034 Vgl. Gehrcke, Wolfgang: Mitbestimmung – Sozialstaatlichkeit – Reform der politischen Institutionen: Bestandteile sozialistischer Reformpolitik, in: Utopie kreativ, Nr. 91-92/1998, S. 155-162 (161). 1035 Vgl. Heine, Hannes: Rechte überfielen Besucher von linkem Festival, in: ND v. 6.9.2004. 1030

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wurde, während die Union sich wegen ihrer Haltung in der Leitkultur-Debatte Vorhaltungen machen lassen musste. Die PDS versuchte gezielt, den Antifaschismus als Anknüpfungspunkt an kirchliche Gruppen zu nutzen. Sie berief sich dabei auf eine angebliche Tradition antifaschistischen Zusammengehens von Arbeiterbewegung und religiösen Sozialisten, speziell auf den antifaschistischen Widerstand von Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, Pfarrer Paul Schneider und Domprobst Bernhard Lichtenberg.1036 Die antifaschistische Zusammenarbeit der PDS mit der SPD wurde durch die Sozialfaschismusthese aus der Zwischenkriegszeit behindert. Die Sozialfaschismusthese ist ein Beispiel für den Missbrauch des Faschismus-Begriffs und des Antifaschismus durch Kommunisten. 1991 erkannte die Historische Kommission beim Parteivorstand der PDS in einem Beitrag zur Programmdebatte an, dass die Sozialfaschismusthese verhängnisvoll gewesen sei und den Antifaschismus der Kommunisten diskreditiert habe.1037 Wenn die PDS von Antifaschismus sprach, meinte sie damit auch den Kampf beispielsweise gegen konservative Positionen, die zwar nicht rechtsextremistisch sind, von ihr aber unter den antifaschistischen Kampf oder den sogenannten Kampf gegen Rechts subsumiert wurden. Damit verfolgte die PDS das Ziel, missliebige Positionen zu stigmatisieren und aus dem öffentlichen Diskurs auszugrenzen. Diese Zielsetzung zeigte sich beispielsweise in einem Papier der PDS-Grundsatzkommission zur Vorbereitung des Programms von 1993, worin gefordert wurde, alle rassistischen, fremdenfeindlichen, sexistischen und kriegsverherrlichenden Erscheinungen im kulturellen Leben zu ächten.1038 Diese Adjektive sind so interpretierbar und wurden von der PDS auch so interpretiert, dass sie auch gegen bürgerliche politische Gegner gewendet werden konnten. Mit Blick auf den Entwurf der PDSProgrammkommission von 2002 warnte Patrick Moreau vor der Gefahr, die der Antifaschismus der Partei für die Meinungsfreiheit bedeutete. Aus dem Programmentwurf ergäbe sich, dass politische Positionen, die von Werten abweichen, die als gesellschaftlich akzeptierte Werte festgelegt werden, zwingend ausgeschlossen werden müssten: „Dies gilt natürlich für eindeutige negative Werte wie zum Beispiel Rassismus, aber de facto auch für alle anderen abweichenden Bezugssysteme.“ Demnach müssten, so Moreau, alle politischen, moralischen und wirtschaftlichen Minderheitspositionen und -rechte entweder völlig verschwinden oder das Recht auf freie Meinungsäußerung zumindest

1036

Vgl. Positionen der PDS zu Gläubigen, Religionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 203-206 (205). 1037 Vgl. Historische Kommission beim Parteivorstand der PDS: Thesen zur Programmatik der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 91-96 (93). 1038 Vgl. Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Neu beginnen ... Thesen zur Programmdiskussion. – O.O.o.J., S. 15.

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stark eingeschränkt werden. Man könne sich fragen, ob die PDS nicht unter dem Banner der Freiheit und der Menschenrechte ein totalitäres Regime fordert.1039 Ein Dualismus von Gut und Böse, den die PDS vertrete, charakterisiere eine Denkstruktur, die sich zum Totalitarismus entwickeln könne.1040 Hier sehen manche Beobachter eine Parellele zur Funktion des Antifaschismus in der DDR. Der Antifaschismus habe in der DDR, so Viola Neu, nicht nur als allgegenwärtige Legitimationsgrundlage der Etablierung und Aufrechterhaltung einer Diktatur, sondern auch als ideologische Basis zur Ausschaltung der Meinungsfreiheit gedient. Dies sei eine Parallele zur Ausgrenzung von von der PDS als faschistisch bezeichneten Meinungen.1041 Die vom Antifaschismus der PDS ausgehenden Gefahren für die Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungsund Pressefreiheit waren real. Beispielsweise hielt Angela Marquardt 1995 die Verhinderung rechtsgerichteter Veranstaltungen für eine demokratische Meinungsäußerung, da es sich dabei um Personen handele, die nicht das Recht hätten, zu tagen.1042 Ein Autor der „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform“ forderte, Antifaschisten sollten sich nicht „auf die schiefe Ebene einer „Garantie der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit“ auch für Neonazis drängen lassen.“1043 Andererseits widersprachen im Verlauf der Programmdebatte einzelne PDS-Politiker den Bestrebungen, im Namen des Antifaschismus die Meinungsfreiheit massiv zu beschränken. Halina Wawzyniak kritisierte eine entsprechende Passage im Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf mit deutlichen Worten: „Völlig inakzeptabel ist allerdings, wenn im Entwurf von Winfried Wolf u.a. in den 15 Reformpunkten formuliert wird: „Verbot faschistischer Organisationen“. In lückenloser Fortführung des Satzes „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ wird kurzerhand Demokratie außer Kraft gesetzt. Ja, Faschismus ist ein Verbrechen, aber eine faschistische Meinung ist zunächst eine Meinung. Und mit dieser muss sich auseinandergesetzt werden. Verbote helfen nichts, sie vertreiben die Gedanken nicht aus den Köpfen. Demokratie muss menschenverachtende Meinungen – nicht Handlungen – aushalten können.“1044

1039

Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 275. 1040 Vgl. ebd., S. 276. 1041 Vgl. Neu, Viola: Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus (Extremismus und Demokratie, Bd. 9). – Baden Baden 2004, S. 177. 1042 Vgl. Interview in der Wochenpost v. 24.8.1995. 1043 Karl, Heinz: Vor dem 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 1/2005, S. 5-11 (19). 1044 Wawzyniak, Halina: Entwurf mit inneren Widersprüchen, in: 13 Wortmeldungen zur PDSProgrammdiskussion, Beilage zur Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 46/2001, S. 39-42 (42).

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Zum antifaschistischen Kampf der PDS gehörte neben der Repression gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten Indoktrination. Schon in den Schulen sollten die Kinder im Geist des Antifaschismus erzogen werden. Selbst PDS-Reformer wollten Schulen in diesem Sinne umgestalten. Dieter Klein sprach sich 2002 dafür aus, Schulen zu sozio-kulturellen Zentren, die Gegengewichte zu rechtsradikalen und neofaschistischen Tendenzen sein sollen, zu machen.1045 In einer Erläuterung zum Programmentwurf von ihm, André Brie und Michael Brie wiederholte Klein seine Auffassung, Schulen sollten zu Orten einer Gegenkultur zu Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt werden.1046 In ihrem Programmentwurf forderten Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf ein flächendeckendes Netz von Jugendzentren mit demokratisch-antifaschistischer Ausrichtung.1047 Antifaschistische Kultur und Tradition sollten unter anderem durch die Pflege von Gedenkstätten, die Förderung antifaschistischer Verbände und die verstärkte Integration antifaschistischer Inhalte in die Bildungsarbeit gestärkt werden.1048 Der Antifaschismus hatte für die PDS neben einer aktuell-politischen auch eine historische Bedeutung. Denn wenn die PDS auch Kritik an DDR und SED übte und üben musste, um von der Öffentlichkeit der Bundesrepublik akzeptiert zu werden, so relativierte und exkulpierte sie doch Verbrechen in der DDR regelmäßig durch Verweis auf den Antifaschismus. Mit dem Argument, die DDR habe sich entschieden gegen Völker- und Rassenhass gewandt, lehnte die PDS beispielsweise die Anwendung des Totalitarismus-Begriffs auf die DDR ab.1049 Manfred Wilke schrieb, allein der Antifaschismus erlaube der PDS, eine Legitimation für die kommunistische Diktatur in der SBZ/DDR zu konstruieren.1050 Unter Berufung auf den Antifaschismus verübte Verbrechen und Repressalien, zum Beispiel der sogenannte antifaschistische Schutzwall und die sogenannte Bodenreform, entschuldigte die PDS mit dem Argument, die DDR sei der legitime Versuch gewesen, im Gegensatz zu einer angeblichen Restauration in Westdeutschland einen besseren, nämlich antifaschistischen, 1045

Vgl. Klein, Dieter: Alltagsschritte und Visionen, in: Brie, André/Brie, Michael/Chrapa, Michael: Für eine moderne sozialistische Partei in Deutschland. Grundprobleme der Erneuerung der PDS. – Berlin 2002, S. 26-31 (29). 1046 Vgl. Sozialistische Politik – Reformalternativen im Kampf um Gerechtigkeit (Brücken zwischen dem neuen Programmentwurf der PDS und ihren Konzepten für die Alltagspolitik), in: PID, Nr. 18/2003, S. 3-24 (16). 1047 Vgl. Balzer, Monika/Menzner, Dorothée/Lieberam, Ekkehard/Wolf, Winfried: Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Entwurf -, in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 3/2001, S. 77-107 (104). 1048 Vgl. ebd., S. 105. 1049 Vgl. Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“ (Bundestags-Drucksache 12/7820), S. 265. 1050 Vgl. Wilke, Manfred: Dialektische Distanzierung, in: FAZ v. 15.1.2002.

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deutschen Staat zu gründen. Bei dieser Argumentation wird deutlich, dass der Antifaschismusbegriff der PDS, sofern er theoretisch fundiert war und nicht bloß bei Kampagnen als Schlagwort eingesetzt wurde, wie schon die klassische Definition Georgi Dimitroffs und der Kommunistischen Internationale davon ausgingen, dass Faschismus ursächlich mit Kapitalismus verbunden sei. So hieß es etwa in einer Schrift der PDS Rheinland-Pfalz, die Opfer des Stalinismus würden gegenüber den Opfern der jahrhundertelangen Geschichte des Kapitalismus bis hin zum Nationalsozialismus verblassen.1051 Auch dem PDSProgramm von 1993 lag ein solches Antifaschismusverständnis zugrunde: Der Kapitalismus sei durch die Verbrechen des Faschismus geschwächt und diskreditiert worden.1052 Dazu bemerkte Christian von Ditfurth, die PDS unterstelle, wenn sie die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als historische Antwort auf den Faschismus betrachte, „dass der Faschismus lediglich eine Spielart des Kapitalismus sei und dass man, um den Faschismus vom Erdball zu tilgen, den Sozialismus einführen müsse.“1053 Im PDSProgramm von 2003 wurden der Nationalsozialismus und die Bundesrepublik unter dem gemeinsamen Oberbegriff Kapitalismus zusammengefasst. Demgegenüber sei die DDR aufgrund ihres Antifaschismus und Sozialismus legitim gewesen: „Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Weiterführung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichbaren Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert war.“1054 Selbst führende PDS-Reformer hatten ein solches Faschismus- beziehungsweise Kapitalismusverständnis. So erklärte Gregor Gysi noch 2003, der Kapitalismus habe den Faschismus und die nationalsozialistische Herrschaft hervorgebracht.1055 Immer wieder äußerten PDS-Politiker die Auffassung, der Kapitalismus sei die beziehungsweise eine wichtige Ursache für den gegenwärtigen Rechtsextremismus. Sahra Wagenknecht machte die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse für Rechtsextremismus verantwortlich. Diese Gesellschaftsverhältnisse würden Neofaschismus sogar züchten und Nazihorden zum Brandschatzen ermutigen.1056 Aus den Reihen der Kommunistischen 1051

Vgl. Ritzheimer, Hartmut: Ein trotziges Dennoch! Orthodox-marxistische Marginalien (Podium Progressiv, Bd. 19). – Bonn 1993, S. 50. 1052 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-37 (38). 1053 Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. Köln 1998, S. 84 f. 1054 Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 20. 1055 Vgl. Gysi, Gregor: Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. – Hamburg 2003, S. 201. 1056 Vgl. Wagenknecht, Sahra: Nach Gysi, in: Konkret, Nr. 1/1993, S. 34.

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Plattform stammt die These, Rechtsextremisten seien eine strategische Reserve der Großbourgeoisie. Sie würden von der Bundesrepublik geschont, um sie im Falle eines Erstarkens der politischen Linken gegen diese einsetzen zu können.1057 Das Kapital sei bereit, so Ellen Brombacher, die bürgerliche Demokratie bei Bedarf durch offen diktatorische Herrschaftsformen zu ersetzen.1058 In einem Programmentwurf von 1993 wurde behauptet, unterschiedliche Kapitalgruppen putschten nationale Emotionen auf, um Kriege zu schüren, die ihren jeweiligen Machtinteressen dienen.1059 2004 hieß es in der Zeitschrift des „Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog“, Rechtsextremisten seien die äußersten Apologeten des Kapitals, die dessen Vertretern gerade recht kämen.1060 Dabei ignorierten die Autoren die teilweise sozialrevolutionäre beziehungsweise sozialistische Programmatik vieler Rechtsextremisten. Tim Peters sah in der von der PDS vertretenen These, die neoliberale soziale Marktwirtschaft sei die wesentliche Ursache für den heutigen Rechtsextremismus, eine modernisierte Dimitroff-Formel für das 21. Jahrhundert.1061 Auf der internationalen Ebene machten im Verlauf der Programmdebatte PDS-Vertreter mit mehr oder weniger deutlichen Worten im führenden marktwirtschaftlichen Staat das Zentrum eines neuen Faschismus aus. Beispielsweise wurde 2003 in einer Schrift zur PDS-Programmdebatte die Auffassung vertreten, die Politik der Vereinigten Staaten zöge mit allem gleich, was die vorangegangene Geschichte an nationalistischen Aggressivitäten einschließlich des Nationalsozialismus aufzuweisen hat.1062 Der Amerikanismus übersteige sogar noch den Faschismus, denn er sei zum Weltmaßstab potenzierter Faschismus.1063 Es handle sich um neofaschistischen USImperialismus.1064 Während die PDS den Antifaschismus zur Rechtfertigung der DDR nutzte, fand eine kritische Auseinandersetzung mit dem Charakter des oft als verordnet bezeichneten DDR-Antifaschismus nur vereinzelt statt. Dass beispielsweise die 1057

Vgl. Hannemann, K.: Beide Entwürfe nicht ausgereift, in: Disput, Nr. 18/1992, S. 34 f. (35). Ähnlich argumentierte Sahra Wagenknecht 1994 in ihrem Referat bei der Tagung „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“: Wagenknecht, Sahra: Anforderungen an die PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 6-8 (6). 1058 Vgl. Brombacher, Ellen: Bericht des Bundessprecherrates, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 10/2004, S. 1-19 (9). 1059 Vgl. Programmentwurf von Friedrich Plathe, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 17-24 (21). 1060 Vgl. AG gegen Rechts der PDS-Hamburg: Die Allianz. Die Verharmlosung des Faschismus zur Forcierung des Neoliberalismus, in: Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog Bulletin, Nr. 3/2004, S. 20 f. (21). 1061 Vgl. Peters, Tim: Der Antifaschismus der PDS, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhardt (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 15. - Baden Baden 2003, S. 177-193 (192). 1062 Vgl. Mundstock, Karl: Raus aus dem Dilemma. – Berlin 2003, S. 18 f. 1063 Vgl. ebd., S. 68. 1064 Vgl. ebd., S. 68 f.

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DDR erst kurz vor ihrem Ende geringfügige Wiedergutmachungszahlungen an Israel geleistet hat, wobei fraglich ist, ob dies eher aus Einsicht oder aus dem Wunsch nach größerer internationaler Anerkennung erfolgt ist, wurde von der PDS nicht thematisiert. Nur selten konnte sich die PDS zu – auch noch allgemein gehaltenen - Eingeständnissen, wie dem, dass es auch in der sozialdemokratischen und kommunistischen Bewegung Antisemitismus gab, durchringen.1065 Insgesamt gilt, dass die Auseinandersetzung mit dem DDRAntifaschismus in den ersten Jahren nach der „Wende“ offener war als später. Ab etwa der zweiten Hälfte der neunziger Jahre konnte man feststellen, dass der DDR-Antifaschismus in der PDS fast nur noch unkritisch gesehen und idealisiert wurde. 1991 hatte die PDS-Grundsatzkommission in einer Analyse des DDR-Antifaschismus noch festgestellt, dieser sei einseitig und inkonsequent gewesen und von vielen Bürgern nicht wirklich verinnerlicht worden.1066 Von verordnetem Antifaschismus sprachen PDS-Politiker nur selten, so Lothar Bisky 2002.1067 Wie ambivalent die Einstellung selbst von PDS-Reformern zum historischen Antifaschismus auch noch 2004 war, sieht man etwa an den Ehrungen Ernst Thälmanns als Antifaschisten durch PDS-Spitzenpolitiker, darunter den Parteivorsitzenden Bisky.1068 André Brie räumte 1991 ein, zu den Ursachen der rechtsextremen Ausschreitungen in den östlichen Bundesländern gehörten Geschichtsverdrängungen sowie Demokratieund Öffentlichkeitsdefizite der DDR.1069 Brie verschwieg allerdings, dass, als sich in den achtziger Jahren unter DDR-Jugendlichen eine relativ große rechtsextreme Subkultur entwickelte, die Staats- und Parteiführung nach dem Motto verfuhr, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Existenz dieser Szene wurde entweder bestritten oder als Rowdytum abgetan. Von der PDS gar nicht problematisiert wurde, dass sich auch am Aufbau von DDR und SED nicht wenige ehemalige Nationalsozialisten in verantwortlichen Positionen beteiligt hatten.1070 Nicht nur die Glaubwürdigkeit des Antifaschismus der SED muss bezweifelt werden, auch der Antifaschismus der PDS wirft Fragen auf. Obwohl die PDS 1065

Vgl. Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 54. 1066 Vgl. Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS: Politische Erklärung des 2. Parteitages. Diskussionsgrundlage, in: PDS: 2. Parteitag, 1. Tagung. – Berlin 1991, S. 84-108 (87). 1067 Vgl. Bisky, Lothar: Nicht Gelassenheit, Eindeutigkeit ist nötig, in: PID, Nr. 48/2002, S. 14. 1068 Vgl. Engelmann, Anke: Kränze für „Teddy“, in: ND v. 19.8.2004, Bisky, Lothar: Antifaschismus gehört zum Grundverständnis einer demokratischen Gesellschaft, in: PID, Nr. 34/2004, S. 4 f. 1069 Vgl. Brie, André: Grundgesetz, Grundwerteveränderung, Politik, in: PID, Nr. 39/1991, S. 16-19 (17). 1070 Z.B. Kappelt, Olaf: Das braune Erbe der PDS: Von NS-Mitmachern zu DDR-Schrittmachern, in: Politische Studien, Nr. 360/1998, S. 70-78.

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ständig ihren Antifaschismus betonte, gab es in Politik und Programmatik der Partei eine Reihe von Berührungspunkten zu rechtsextremen oder rechtsradikalen Positionen. So behauptete Jürgen Elsässer in seiner antideutschen Phase, die PDS umwerbe rechte Klientel, vollziehe rechte Diskurse nach und enttabuisiere Dialog mit Faschisten.1071 In einer vergleichenden Untersuchung links- und rechtsextremer Parteien wurde festgestellt, dass die Links-Rechts-Unterschiede zwischen PDS und Republikanern geringer seien als es zuweilen scheine beziehungsweise scheinen solle.1072 Gero Neugebauer und Richard Stöss wiesen darauf hin, hinsichtlich der Wertorientierung ihrer Mitglieder stünden PDS und Republikaner einander näher als etwa PDS und CDU. Zwar seien Republikaner und PDS sehr unterschiedlich, die Wertorientierungen ihrer Wähler seien es jedoch nicht.1073 Der Bürgerrechtler Jens Reich schrieb, unter Mitgliedern und Stammwählern der PDS sei eine Werteskala verbreitet, die man als rechts einordnen könne und die Autorität, Ordnung, Sicherheit, Disziplin, Unterordnung unter die Obrigkeit, Konstanz von weltanschaulichen Überzeugungen, Zusammenhalt von Familie und Freundesgruppen sowie betontes Nationalbewusstsein umfasse.1074 Selbst Vertreter der PDS bekannten, im politischen Spektrum der Partei fänden sich auch wertkonservative Einstellungen, etwa bei den Themen Familie, Sicherheit und Ordnung, Rolle des Staates oder Ausländerpolitik. Rainer Land sprach in diesem Zusammenhang von einem antikapitalistischen Linkskonservatismus.1075 André Brie erklärte: „Wir haben natürlich messbar, bis weit in die PDSWählerschaft hinein, Momente eines echten Nationalismus, von Law-andOrder-Positionen, von Intoleranz und Xenophobie. Über fünfzig Prozent der PDS-Wähler fanden bei unserer eigenen Wahlkampfumfrage die RepublikanerLosung „Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche“ sehr gut oder gut.“1076 Lothar Probst stellte eine konservative politische Grundorientierung der Mehrzahl der PDS-Mitglieder fest. Die PDS bediene auch rechte bis traditionellkonservative Wählerschichten und mobilisiere antidemokratische Ressentiments gegen den Westen, die in der Tradition konservativen Denkens in Deutschland

1071

Vgl. Elsässer, Jürgen: PDS: Rechts nicht ganz dicht?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 9/1998, 1040-1044 (1040). 1072 Vgl. Bergsdorf, Harald: Extremisten ohne Maske, in: Die Politische Meinung, Nr. 407/2003, S. 43-50 (50). 1073 Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 296. 1074 Vgl. Reich, Jens: Befreiungsakt. Die PDS und ihre bunte Wählerkonstellation, in: FAZ v. 6.12.1995. 1075 Vgl. Land, Rainer: Das Rot-Grüne Projekt des „sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft“ und die PDS, in: Engler, Wolfgang/Guggenberger, Bernd (Hg.): Einsprüche. Kritik der politischen Tagesordnung. – Berlin 1996, S. 79-100 (96 f.). 1076 Interview in der Jungle World v. 24.3.1999.

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stünden.1077 Die konservative Grundorientierung der PDS-Mitgliedschaft setzte Probst in Beziehung zur programmatischen Entwicklung der Partei. Den Versuchen der PDS-Führung, die Partei stärker auf Reformen auszurichten und programmatisch zu modernisieren, seien durch dieses konservative Potential Grenzen gesetzt.1078 PDS-Reformer, beispielsweise Gregor Gysi, warfen den Orthodoxen konservative Denkweisen vor. Gysi begründete dies mit deren relativ unkritischer Einstellung zur DDR und mit ihrer zumindest partiellen Verteidigung von „Law and Order“ in der DDR.1079 Patrick Moreau machte auf die signifikanten Wählerwanderungen zwischen der PDS und rechtsextremen Parteien aufmerksam.1080 So gab 1998 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein überproportionaler Anteil der Wähler der DVU, die nur mit der Zweitstimme wählbar war, Direktkandidaten der PDS die Erststimme. Diese Tendenz könnte sich in der neuen Partei unter Führung Oskar Lafontaines noch verstärken. Moreau stellte den Widerspruch zwischen dem von der PDSFührung nach außen verkündeten antifaschistischen Charakter der Partei und der Realität an der Basis heraus. Man könne beobachten, „dass in den neuen Bundesländern viele lokale PDS-Gruppen sich weigern, dem aufkommenden kollektiven Rassismus eine deutliche Absage zu erteilen. Sie vermeiden es auch tunlichst, eine Auflösung lokaler rechtsextremer Jugendgruppen zu verlangen. Diesen Gruppen gehören oft frühere FDJ-Mitglieder oder Söhne und Töchter von ehemaligen SED- oder PDS-Anhängern an.“1081 Eine PDSMitgliederbefragung stützte Moreaus Einschätzung. Demnach stießen die Themen Rechtsextremismus, Antifaschismus und Ausländerpolitik unter der Mitgliedschaft auf geringes Interesse.1082 Diverse PDS-Politiker erklärten immer wieder, die Partei werbe um solche Wähler, die auch zur Zielgruppe rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien zählen. Die Bedeutung einer linken Artikulation von Protest sei auch gegeben, weil sonst der Rechten das Feld überlassen werde: „Der rechtsnationalistische und rechtskonservative bis rechtsextreme Populismus zieht seine Stärke vor allem daraus, dass er ignorierte Positionen gerade der „einfachen Leute“ zur Sprache bringt, Positionen, die der elitäre Konsens der 1077

Vgl. Probst, Lothar: Zur Strafe an die Macht! Plädoyer für eine Entdramatisierung der PDSDebatte, in: taz v. 15.7.1994. 1078 Vgl. Ders.: Die PDS – von der Staats- zur Regierungspartei. Eine Studie aus MecklenburgVorpommern (Politica, Bd. 39). – Hamburg 2000, S. 27. 1079 Vgl. Gysi, Gregor: Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn, 3. Aufl. – Hamburg 2001, S. 318. 1080 Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: „Man muss so radikal sein wie die Wirklichkeit“ – Die PDS: Eine Bilanz (Extremismus und Demokratie, Bd. 4). – Baden Baden 2002, S. 25. 1081 Moreau, Patrick: Delegitimierung und Destabilisierung – Parteiapparat und Bündnispolitik der PDS, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 5. Baden Baden 1993, S. 141-155 (154 f.). 1082 Vgl. Charpa, Michael/Wittich, Dietmar: Die Mitgliedschaft, der große Lümmel … Studie zur Mitgliederbefragung 2000 der PDS. – O.O. 2001, S. 12 f.

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Sachzwänge und politischen Korrektheit verdrängt hat.“1083 Der Historiker Paul Nolte meinte, die PDS schöpfe ein Wählerpotential ab, das, würde es sie nicht geben, „zum großen Teil Parteien des gemäßigten rechten Spektrums, bisweilen auch der radikaleren Rechten zuneigen würde.“1084 Solche Befunde werden durch Ergebnisse der Meinungsforschung belegt. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap im Auftrag der Zeitung „Die Welt“ ergab, die Forderung nach einem Ausländerstopp werde „tendenziell bei Stammtischen am häufigsten vertreten, die als der Linkspartei.PDS nahestehend gelten können.“1085 Thomas Ebermann äußerte 2007 sogar: „Die PDS/WASG ist vom Wählerpotential her hinter den Nazis die zweitrassistischste Partei.“1086 Helmut Roewer, der Präsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz, berichtete am Beispiel eines PDS-Landtagsabgeordneten über die Behinderung der Bekämpfung des Rechtsextremismus beziehungsweise dessen Instrumentalisierung: „Was zunächst als ein Widerspruch erscheint, klärt sich schnell, wenn man berücksichtigt, dass das Zusammenspiel mit der sogenannten Antifa und deren inneres Funktionieren nur dadurch sichergestellt werden kann, wenn es im Lande genügend rechtsextremistische Vorfälle gibt. Ein schöner Nebeneffekt für die Betroffenen ist es zudem, den mit der Bekämpfung betrauten öffentlichen Stellen vorhalten zu können, die Gefahr von Rechts durch Nichtstun zu verharmlosen.“1087 Auch Harald Bergsdorf warf der PDS vor, den Rechtsextremismus zur Legitimation ihrer eigenen Existenz heranzuziehen.1088 Rechtsextreme Tendenzen in der PDS wurden schon früh auch von politisch linksstehenden Kräften ausgemacht. Die Zeitschrift „Konkret“ bescheinigte der PDS bereits 1990 deutsch-nationales Denken und Parallelen zu Rechtsextremisten. Forderungen der PDS würden im Wortlaut exakt denen rechtsextremistischer Gruppierungen entsprechen, beispielsweise die Forderung nach Rückzug aller fremden Truppen von deutschem Territorium.1089 Auch in der Europapolitik seien, wie linke Kritiker 1994 schrieben, die Unterschiede 1083

Ders.: Stärken und Schwächen der PDS im Wahljahr 2002 (Standpunkte der Rosa-LuxemburgStiftung, Nr. 2/2002), S. 4. 1084 FAZ v. 31.10.2001. 1085 Die Welt v. 16.9.2005. 1086 Linkspartei – Rechtspartei? Ein Streitgespräch zwischen Thomas Ebermann und Georg Fülberth über Wesen und Potential der Partei aus PDS und WASG, in: Konkret, Nr. 2/2007, S. 32-37 (34). 1087 Roewer, Helmut: Die PDS in Thüringen, in: Hirscher, Gerhard/Segall, Peter Christian (Hg.): Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Bd. 20). – München 2000, S. 97-96 (96). 1088 Vgl. Bergsdorf, Harald: Extremismusbegriff im Praxistest: PDS und REP im Vergleich, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 14. – BadenBaden - 2002, S. 61-80 (73). 1089 Vgl. Tolmein, Oliver: Von allen verkannt, in: Konkret, Nr. 9/1990, S. 16-19 (19).

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zwischen den Positionen der PDS und von Rechtspopulisten zumindest unklar. Die PDS sei stolz darauf gewesen, als einzige Bundestagspartei den Vertrag von Maastricht abgelehnt zu haben. In ihrer Begründung dieser Ablehnung habe sie sich in maßgeblichen Punkten in eine Reihe mit Europakritikern auch rechtspopulistischer Couleur gestellt.1090 Angela Marquardt beklagte, man könne nicht sagen, in der PDS gäbe es kein rassistisches Gedankengut.1091 Ein langjähriger PDS-Landtagsabgeordneter erklärte: „Auch unter Mitgliedern der Linkspartei.PDS sind Fragmente rechter Ideologie vorhanden. Ich will nicht sagen, dass diese Mitglieder Neonazis sind, aber sie plappern zeitweise schon eindeutig rechtes Gedankengut vor sich her.“1092 In Teilen der PDS komme sogar deutschnationaler Chauvinismus vor, so Harald Bergsdorf.1093 Der sächsische PDS-Landtagsabgeordnete Heiko Hilker hielt in diesem Zusammenhang für problematisch, dass auch unter PDS-Politikern beispielsweise restriktive Positionen zur Zuwanderungspolitik verbreitet seien.1094 Diese Einschätzung wurde auch von anderen innerparteilichen Kritikern geteilt. So wurde festgestellt, dass zumindest an der PDS-Basis im Gegensatz zur Programmatik der Partei ausländerfeindliche Einstellungen verbreitet seien: „Wer die zugespitzten Diskussionen zu Einwanderungsregelungen und zum Zustrom von Asylbewerbern in den Basisgruppen auch nur einigermaßen kennt, der weiß, was mit hoher Wahrscheinlichkeit droht, wenn auch nur versucht würde, die Formel von „offenen Grenzen für Menschen in Not“ in konkrete Bestimmungen aufzulösen und praktisch anzuwenden.“1095 Peter Ritter, Landesvorsitzender der Linkspartei.PDS Mecklenburg-Vorpommern, fragte dazu: „Warum lässt sich die Forderung nach „Offenen Grenzen für Menschen in Not“ locker in jedes Wahlprogramm aufnehmen, und warum wird gleichzeitig in nicht wenigen Basisorganisationen über das „viele Geld“ debattiert, das angeblich den „Asylanten hinten reingesteckt“ wird?“1096 2005 klagten Schriftsteller, darunter Wolf Biermann und Klaus Harpprecht, in einem gemeinsamen Aufruf an: „Es ist bezeichnend, dass die PDS im Osten Deutschlands nichts gegen die 1090

Vgl. Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 198. 1091 Vgl. Hübner, Wolfgang: Gysi: Gesellschaft hat Recht auf Klarheit über die PDS, in: ND v. 6.12.1999. 1092 Interview mit Uwe Adamczyk in der Jungen Welt v. 21.9.2006. 1093 Vgl. Bergsdorf, Harald: Mit und ohne Maske. PDS und WASG bieten Verschwörungstheorien, in: FAZ v. 22.5.2006. 1094 Vgl. Hilker, Heiko: Politische Kommunikation und PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 153-154/2003, S. 617-627 (622). 1095 Hopfmann, Arndt: „Unter den Übermütigen ist immer Streit; aber Weisheit ist bei denen, die sich raten lassen“, in: Utopie kreativ, Nr. 27-28/1993, S. 166-169 (169). 1096 Ritter, Peter: Kein Imageschaden, ein Schaden für die Demokratie, in: PID, Nr. 40/2006, S. 810 (9).

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grassierende Fremdenfeindlichkeit unternahm, sondern sich klammheimlich die Hände rieb: Seite an Seite mit den Neonazis der NPD.“1097 Strukturelle Parallelen zwischen Positionen von Rechtsextremisten und PDS-Vertretern gab es nicht nur in der Ausländerpolitik. So kritisieren PDS-Politiker ebenso wie Rechtsextremisten eine Political Correctness, so André Brie, die vom ideologischen Mainstream diktiert sei.1098 Eine nach heftigen Protesten nicht angenommene Formulierung im Leitantrag des Landesvorstands der Linkspartei.PDS Sachsen-Anhalt an den Landesparteitag am 23. und 24. September 2006, die offensichtlich auch gegen Teile der eigenen Partei gerichtet war, lautete, ein Antikapitalismus mit nationalen und etatistischen Vorzeichen sei das Tor zu nationalistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Mobilisierung.1099 Es gibt eine Reihe von Beispielen für Berührungspunkte der PDS beziehungsweise einzelner PDS-Politiker sowohl zum Konservatismus als auch zum Rechtsextremismus, beispielsweise: 1993 traf sich die Dresdner PDSPolitikerin Christine Ostrowski, damals Stellvertretende Parteivorsitzende, mit Constantin Mayer, dem sächsischen Landesvorsitzenden der später verbotenen neonazistischen Organisation „Nationale Offensive“, um unter anderem Probleme Jugendlicher in Dresden zu erörtern. Ostrowski antwortete nach diesem Treffen auf die Frage, worin sie Gemeinsamkeiten mit der „Nationalen Offensive“ sehe, ihre sozialen Forderungen stimmten im Grunde überein, bis hin zum Wortlaut. Unterschiede gebe es bei der ideologischen Grundlage. So sehe die PDS die Ursachen für die Arbeitslosigkeit anders als die „Nationale Offensive“.1100 Zwar trat Ostrowski daraufhin von ihrem Amt als Stellvertretende Parteivorsitzende zurück, doch blieb sie weiter in der Partei führend tätig. Sie behielt den Vorsitz der PDS Dresden und ihr Abgeordnetenmandat im sächsischen Landtag, später wurde sie Mitglied des Bundestags. Sahra Wagenknecht und Jürgen Elsässer warfen Ostrowski anlässlich einer späteren Stellungnahme, des sogenannten Briefs aus Sachsen (s.u.), vor, völkische Argumente zu verwenden.1101 Ein späterer Vortrag André Bries vor der Burschenschaft Alemannia Göttingen wurde nur von einigen Linksextremisten aus den Reihen der PDS kritisiert und hatte für Brie keine

1097

Die Welt v. 30.6.2005. Vgl. Brie, André: „Die PDS in die Waagschale des Kampfes um eine andere Politik werfen“, in: ND v. 16.12.1999. 1099 Landesvorstand der Linkspartei.PDS Sachsen-Anhalt: Offen für Veränderung – offen für den Dialog. Die neue Linke. – Magdeburg 2006, S. 16. 1100 Vgl. Maske in Rot, in: Der Spiegel, Nr. 10/1993, S. 93-98. 1101 Wagenknecht, Sahra/Elsässer, Jürgen: Wohin, PDS?, in: Dies: Vorwärts und vergessen? Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus (KonkretTexte, Bd. 10). – Hamburg 1996, S. 119-126 (119 u. 121). 1098

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Konsequenzen.1102 Folgenlos blieb auch ein Vortrag von Heiko Kosel, dem europa- und migrationspolitischen Sprecher der PDS-Fraktion im sächsischen Landtag, vor der Burschenschaft Cheruskia Dresden 2003. Vor dieser Vortragsveranstaltung hatte die PDS-Landtagsfraktion sogar darüber diskutiert und war zu der Entscheidung gekommen, dass Kosel vor der Studentenverbindung sprechen sollte.1103 Selbst für Antisemitismus von PDS-Politikern gibt es einzelne Beispiele. Bernd Gestewitz etwa, Stellvertretender Bürgermeister von Bad Saarow, erklärte 2004 in der Gemeindevertretersitzung mit Blick auf die Übertragung von Immobilien an die „Jewish Claims Conference“, er habe „40 Jahre in Saarow-Strand gelebt, bis die Juden uns rausgeschmissen haben“1104. 1991 ergab eine Analyse von Artikeln des „Neuen Deutschland“ zum Golfkrieg, dort seien immer wieder unterschwellige und offene Angriffe gegen Israel zu finden, die der Verfasser dieser Untersuchung auf ein Fortwirken antisemitischer Ressentiments aus der DDR zurückführte.1105 Und noch 2007 behauptete Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die unselige Tradition von SED und DDR gegenüber Israel blitze in der neuen Linkspartei immer wieder auf.1106 2008 bekräftigte Graumann: „Im Orchester der Linkspartei wird von zu vielen noch die alte miese Melodie vom Israel-Hass aus unseligen DDR-Zeiten gespielt. Jene, die diese Melodie schätzen, sind offenbar tonangebend in der Partei. Die Köpfe und Herzen zu vieler Mitglieder der Linkspartei sind bis heute offenbar noch infiltriert und vergiftet von der krankhaften Israel-Feindschaft der SED.“1107 Die von PDS-Politikern immer wieder vertretene These, ohne die PDS gäbe es in den östlichen Bundesländern noch erheblich mehr Wähler rechtsextremistischer Parteien, sollte auch vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, dass die PDS, wie Beispiele zeigen, wiederholt Signale an dieses Spektrum gesandt hat. Der linke Populismus von PDS und Linkspartei weise nicht nur mit Blick auf Agitationsformen und Stilmittel, sondern auch in programmatisch-ideologischer Hinsicht verblüffende Ähnlichkeiten mit seinen

1102

Vgl. Wolf, Winfried: Koalitionsfähig um jeden Preis? Über Parallelen in der Programmdebatte der PDS zum „Godesberger Programm“ der SPD, in: Junge Welt v. 22.2.1999. 1103 Vgl. Interview in der Jungen Welt v. 27.5.2003. 1104 PDS-Mann sagte Antisemitisches, in: ND v. 21./22.8.2004. 1105 Vgl. Grycz, Wolfgang: Die PDS und der Golfkrieg, in: Ost-West-Informationsdienst des Katholischen Arbeitskreises für zeitgeschichtliche Fragen, Nr. 167/1991, S. 25-38 (29). 1106 Vgl. Graumann, Dieter: Altes Gift in neuen Schläuchen, in: Tagesspiegel v. 22.6.2007. 1107 Interview in der FAZ v. 10.11.2008.

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rechten Gegenstücken auf, so die Populismusforscher Frank Decker und Florian Hartleb.1108 Bedeutung und Funktion des Antifaschismus für die PDS sind aus verschiedenen Gründen, die hier dargelegt wurden, nach außen wie nach innen nicht zu unterschätzen. Der Antifaschismus gehörte unumstritten zum Kern der Identität der PDS und war auch mit Emotionen der Mitgliedschaft verbunden. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem „verordneten“ Antifaschismus der DDR hat die PDS nur ansatzweise geleistet. Außerdem hat sie nie geklärt, was sie präzise unter Antifaschismus versteht. Mit dem Antifaschismus-Verständnis der PDS eng verbunden war die Frage, welche Haltung die Partei zur Nation und speziell zur deutschen Nation einnehmen soll. Dazu erklärte Gregor Gysi 2000, die Linken hätten ein gestörtes Verhältnis zur Nation.1109 Das Thema Nation, so die Mitarbeiterin der RosaLuxemburg-Stiftung Sabine Kebir, sei in der Linken ein weithin vermintes Gelände.1110 Klaus Höpcke, ehemaliger stellvertretender DDR-Kulturminister und Thüringer PDS-Landtagsabgeordneter, warf einzelnen Parteifreunden vor, sich „in pauschale nationsverneinende Deutungsansätze“ einzuigeln.1111 Gysi sagte, ein Teil der politischen Linken habe sich nur noch gegen Hitler definieren können, indem man sich gegen alles Deutsche definiert habe.1112 In diesem Zusammenhang sprach Gysi von linkem totalitären Antinationalismus.1113 2006 bekräftigte Gysi, es sei ein Fehler gewesen, dass sich Linke außerhalb und gegen die Nation definiert haben. Er wiederholte seine These von einem totalitären Antinationalismus bei einem Teil der Linken.1114 An anderer Stelle hatte Gysi auf die Frage nach seiner Einstellung zur Heimat allerdings erklärt, da mit dieser Frage immer verbunden sei, wie man sich innerlich zur deutschen Nation verhält, müsse er zugeben, schon zu der Frage ein gestörtes Verhältnis zu haben.1115 Für Ulrich Maurer ist der Nihilismus der deutschen Linken in der nationalen Frage „ein aus der Geschichte zwar verständlicher, aber trotzdem schwerwiegender politischer Fehler.“1116 Wie gestört das Verhältnis zur Nation

1108

Vgl. Decker, Frank/Hartleb, Florian: Populismus auf schwierigem Terrain. Die rechten und linken Herausfordererparteien in der Bundesrepublik, in: Decker, Frank (Hg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv? – Wiesbaden 2006, S. 191-215 (209 f.). 1109 Vgl. Interview in der Frankfurter Rundschau v. 30.9.2000. 1110 Vgl. Kebir, Sabine: Deutsche Arbeiterbewegung, Nation, Hegemonieproblem, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 69/2007, S. 158-162 (158). 1111 Höpcke, Klaus: Nix mit „Ick bün all hier“, in: ND v. 9.2.2008. 1112 Vgl. Interview in der Frankfurter Rundschau v. 30.9.2000. 1113 Vgl. ebd. 1114 Vgl. Interview in der taz v. 22.6.2006. 1115 Vgl. Sabath, Wolfgang: Gregor Gysi. – Berlin 1993, S. 100. 1116 Maurer, Ulrich: Eiszeit. Staatsstreich des Kapitals oder Renaissance der Linken. - München 2006, S. 237 f.

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sein kann, zeigte 2006 die sächsische PDS-Landtagsabgeordnete Julia Bonk. Angesichts vieler schwarz-rot-goldener Fahnen während der FußballWeltmeisterschaft erklärte sie, mit den Fahnen in den Nationalfarben werde durch die Hintertür ein nationalistisches Symbol eingeführt.1117 Jürgen Elsässer, zeitweise Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag und ständiger Autor der „Jungen Welt“, sieht die Wurzel der Feindschaft der Linken gegenüber Nation und Nationalstaat in der Orientierung auf Minderheiten und der Fetischisierung der Differenz und des „Nomadischen“.1118 Er ermahnt die Linke: „Im Zeitalter der Globalisierung stellt sich die nationale Frage neu – auch in Deutschland.“1119 Stefan Bollinger, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS, kritisierte, die nationale Frage oder die deutsche Einheit würden in allen Programmentwürfen allenfalls am Rande thematisiert: „Nicht zu übersehen ist in allen Entwürfen das völlige Ausblenden der deutschen Einheit. Durch ihr mehr oder minder begeistertes antinationales Antichambrieren und ihren alleinigen Bezug auf eine europäische Perspektive ist ein Loch im geschichtlichen Selbstverständnis der PDS als deutscher linker Partei mit internationalistischem Anspruch entstanden. Das ist umso verheerender, weil diese Partei ihren politischen Kampf heute und morgen auf deutschem Boden zu führen hat.“1120 Zum Verständnis der Diskussionen über die Frage, wie national die politische Linke und die PDS sein sollten, ist die Kenntnis der Haltung der DDR zur Nation hilfreich. In der DDR war in den fünfziger Jahren die deutsche Einheit offiziell Ziel, später wurde eine sozialistische Nation propagiert. In den achtziger Jahren versuchte man, als Ersatz für die deutsche nationale Identität regionale Identitäten, insbesondere die preußische und die sächsische, zu stärken. Eine Reihe von Beispielen stand für das Bemühen, durch Bezugnahme auf historische Ereignisse und Personen den Eindruck zu erwecken, die DDR stehe in deren Tradition. Man sprach auch von den „roten Preußen“, so der Titel eines Buches von Wolfgang Venohr.1121 Die DDR und mit ihr die DKP und andere kommunistische und sozialistische Organisationen in der Bundesrepublik unterstützten sogenannte nationale Befreiungsbewegungen vor allem in der Dritten Welt. Einzelne, insbesondere maoistische, Gruppen, deren Mitglieder sich später zum Teil der PDS anschlossen, bezogen diese Sichtweise auch auf das geteilte Deutschland. Aus ihrer Perspektive stellte der westliche Teil

1117

Vgl. B.Z. v. 21.6.2006. Vgl. Elsässer, Jürgen: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Bonn 2007, S. 43. 1119 Ebd., S. 116. 1120 Bollinger, Stefan: PDS-Programmatik und das Schlüsseljahr 1989, in: Utopie kreativ, Nr. 141142/2002, S. 682-688 (684). 1121 Venohr, Wolfgang: Die roten Preußen. - Erlangen 1989. 1118

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Deutschlands eine Kolonie der Vereinigten Staaten und der östliche Teil eine Kolonie der Sowjetunion dar. Auch solche Sichtweisen wirkten in der PDS fort. Im Verlauf der Jahre flammte in der PDS immer wieder Streit über die Frage auf, wie national die Partei und die politische Linke sein solle beziehungsweise sein dürfe. Die sogenannten Antideutschen vertreten die Auffassung, die Linke in Deutschland müsse, um links zu sein, explizit antinational sein. Diese Position bekräftigte beispielsweise Jan Korte, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei.PDS, 2006 mit den Worten. „Links ist dort, wo keine Nation ist!“1122 Dagegen hieß es etwa in einem Papier führender Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Rechtsextremismus beim Parteivorstand der PDS: „Für realitätsfern und falsch halten wir auch heutige Losungen von der Art „Links braucht kein Vaterland“ usw.“1123 In einer Resolution zu aktuellen Aspekten des Antifaschismus aus Anlass des – wie sie es nannte – „Tags der Befreiung“ bezeichnete die KPF die Antideutschen als unerträglich.1124 Die Gegenposition vertrat Angela Marquardt, die meinte, der Nationsbegriff habe für Linke überhaupt keine Bedeutung. Das linke „Wir“ gründe nicht auf der Zugehörigkeit zu einer Nation, sondern auf der gesellschaftlichen Position. Allerdings sei nicht die Nation der Feind der Linken, sondern der Staat.1125 Manche sprechen sich mittlerweile für einen klaren Trennungsstrich der Linken gegenüber den Antideutschen aus.1126 Die Linke solle sich nicht länger von den „Einflüsterungen der Antideutschen, jeden unter Naziverdacht zu stellen, der von Nation und Gott nicht lassen kann“,1127 beeinflussen lassen. In den Jahren seit der „Wende“ gab es eine Reihe von Ereignissen und Stellungnahmen, die Aufhänger für Diskussionen über die Frage nach dem Verhältnis der PDS zur Nation waren: Johann Scheringer, Vorsitzender der PDS-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, legte in einem Interview mit der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ein Bekenntnis zur deutschen Nation ab.1128 In einem späteren Beitrag für die Zeitschrift „Wir selbst“ bekräftigte er dieses Bekenntnis. Scheringer, der einer nationalkommunistischen Familie entstammt (sein Vater, der Reichswehr-Offizier Richard Scheringer, wechselte in der Weimarer

1122

Korte, Jan: Liebe zum Staat oder zur Frau?, in: ND v. 24.6.2006. Richter, Rolf u.a.: Der Antifaschismus, die PDS und die Auseinandersetzungen unserer Zeit. – O.O. 1991, S. 39 (Ms.). 1124 Vgl. KPF: Zu aktuellen Aspekten des Antifaschismus, in: Junge Welt v. 23.3.2005. 1125 Vgl. Marquardt, Angela/Bozic, Ivo: Turnübung auf einem Holzbein, in: PID, Nr. 30/1994, S. 79 (8). 1126 Vgl. Elsässer, Jürgen: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Bonn 2007, S. 91. 1127 Ebd., S. 96. 1128 Vgl. Junge Freiheit, Nr. 9/1993. 1123

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Republik von der NSDAP zur KPD1129), wurde zwar innerparteilich für dieses Interview kritisiert, konnte aber weiter führend in der PDS tätig sein. Der PDSParteivorstand gab lediglich eine Erklärung zum Interview Scheringers ab, in der er betonte, es werde keine „Toleranz gegenüber rechten politischen Richtungen“1130 geben. Später wurde Scheringer sogar für die PDS-Fraktion zum Stellvertretenden Präsidenten des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Er setzte sich auch in den folgenden Jahren mit dem Verhältnis der Linken zur deutschen Nation auseinander. So beteiligte er sich mit einem längeren Beitrag an einer vom „Neuen Deutschland“ initiierten Debatte zur Frage „Wie national soll die Linke sein?“. 1994 löste die Kandidatur Heinrich Graf von Einsiedels auf der Offenen Liste der PDS zur Bundestagswahl einen heftigen Streit aus. Einsiedel war ein Urenkel Bismarcks und hatte sich als Wehrmachtsoffizier während seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft dem „Nationalkomitee Freies Deutschland“ angeschlossen, wo er einer von fünf Vizepräsidenten war. Er sagte in einem Interview mit dem „Neuen Deutschland“, in dem er die Gründe seiner Kandidatur für die PDS darlegte, beim Überqueren der ehemaligen Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR sei er bis heute immer wieder bereit, die Nationalhymne anzustimmen. Einsiedel erklärte, letzten Endes immer noch ein Deutschnationaler zu sein und das Ende der DDR mit Begeisterung aufgenommen zu haben. Nach massiven Protesten gab Einsiedel an, seine Aussage, er sei ein Deutschnationaler, sei ironisch gemeint gewesen.1131 Diese Behauptung wurde insbesondere von westdeutschen PDS-Landesverbänden angezweifelt1132, von führenden PDS-Politikern allerdings verteidigt.1133 Der PDS-Parteivorstand sah sich veranlasst, eine Erklärung abzugeben, in der er dazu aufrief, die Äußerungen Einsiedels differenziert und vor dem Hintergrund seiner Biographie und seiner Familiengeschichte zu bewerten. Diese Erklärung wurde von der Zeitschrift „Konkret“ als völkisches Manifest bezeichnet.1134 „Konkret“ warf der PDS vor, es gäbe nationalistische Elemente in ihrer Politik.1135 Die Diskussion über das Interview Einsiedels nahmen Thomas Falkner und Dietmar Huber zum Anlass, um das gestörte Verhältnis der

1129

Vgl. Scheringer, Richard: Das große Los, neue, vom Autor durchgesehene Ausgabe. (Kleine Arbeiterbibliothek, Bd. 53) – München 1979. 1130 Bundesvorstand kritisiert Interview, in: PID, Nr. 38/1993, S. 3 f. (4). 1131 Vgl. Einsiedel, Heinrich Graf von: An den Landesverband Bayern der PDS, in: PID, Nr. 15/1994, S. 8 f. 1132 Vgl. Stellungnahme des Landesvorstandes der PDS/Linke Liste Bayern, in: PID, Nr. 14/1994, S. 14 f. (15). 1133 Vgl. Bisky, Lothar/Brie, André/Gohde, Claudia/Gysi, Gregor/Lederer, Andrea: Borniertheit als politische Kategorie, in: PID, Nr. 13/1994, S. 9 f. (10). 1134 Vgl. Konkret, Nr. 7/1994, S. 36. 1135 Vgl. ebd., S. 36.

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deutschen Linken zur Nation zu kritisieren. Die Reaktionen auf dieses Interview kommentierten sie mit den folgenden Worten: „Damit hatte er (Einsiedel) das west-linke Gebot des nationalen Selbsthasses und das ostdeutsche Dogma von der Einheit allein als „Ko(h)lonialisierung“ der DDR gleichermaßen gebrochen – und die im Umgang mit ihrer nationalen Identität völlig überforderte deutsche Linke in die Schützengräben getrieben.“1136 Falkner und Huber schienen die Kandidatur Einsiedels für einen - von ihnen befürworteten - gezielten Versuchsballon zu halten. Sie sprachen sich als Reaktion auf die Diskussion über Einsiedel für einen unvoreingenommenen und unverkrampften Umgang der Linken mit der deutschen Nation aus. Die Linke dürfe die Nation nicht der Rechten überlassen: „Der erste Tabubruch dürfte weitere nach sich ziehen – bis hin zu dem Punkt, wo die Linke die gesamte deutsche Geschichte mit all ihren Schauplätzen bis in das frühere Danzig und das einstige Königsberg im Spannungsfeld zwischen Ostexpansion und Immanuel Kants „ewigem Frieden“ sowie die Geschichte des europäischen Deutschtums in ihrer ganzen Zwiespältigkeit von nationaler Überhebung und kulturhistorischer Leistung ohne jede Einseitigkeit behandelt und sie nicht weiter der Nostalgie und der Instrumentalisierung durch Konservative und Vertriebenenpolitiker überlässt.“1137 Nach dem Scheitern der PDS bei der Bundestagswahl 2002 kam Falkner nochmals auf diese Thematik zurück. In diesem Zusammenhang riet er der PDS für die Zukunft, sich auch den Ängsten der Bürger vor dem Fremden zuzuwenden.1138 Einen Bezug zur Frage nach dem Verhältnis der PDS zur Nation hat auch die wohlwollende und relativ intensive Beschäftigung von der PDS angehörenden beziehungsweise ihr nahe stehenden Wissenschaftlern mit Wolfgang Harich. Harich hatte sich in den fünfziger Jahren aus der SED heraus für die deutsche Einheit in einem neutralen und entmilitarisierten Staat eingesetzt und war deswegen aus der Partei ausgeschlossen worden. Nach der „Wende“ war er zunächst einer Initiative zur Rekonstitution der KPD und 1994 der PDS beigetreten. Der Harich-Experte Siegfried Prokop vom Marxistischen Forum nannte ihn 1996 in seinem Eröffnungsreferat zu einem Wolfgang HarichGedenk-Kolloquium einen Nationalkommunisten.1139 Das „Neue Deutschland“ startete 1998 auf seiner Debattenseite eine Diskussion zur Frage „Wie national muss die Linke sein?“. Als Auftakt waren zwei kontroverse Debattenbeiträge vorgesehen. Einen dieser beiden Beiträge verfasste Roland Wehl. Wehl war Mitarbeiter der links-nationalen Zeitschrift 1136

Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 188. 1137 Ebd., S. 191. 1138 Vgl. Falkner, Thomas: Sozialisten im Abseits?, in: Perspektive 21, Nr. 17, S. 15-27 (24). 1139 Vgl. Prokop, Siegfried: Wolfgang Harich – Leben und Werk, in: Ders. (Hg.): Ein Streiter für Deutschland. – Berlin 1996, S. 14-25 (21).

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„Wir selbst“ und der Zeitung „Junge Freiheit“. Den zweiten Beitrag sollte eigentlich Angela Marquardt schreiben. Marquardt weigerte sich allerdings aus prinzipiellen Gründen, sich argumentativ und direkt mit von ihr als rechtsradikal oder national angesehenen Positionen auseinanderzusetzen. Deswegen verfasste Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform den zweiten Beitrag. Brombachers Beitrag kommentierte Marquardt mit den Worten, man sehe daran, dass die Inhalte faschistischer und kommunistischer Nationalisten einander überlappen.1140 Marquardt ging bei einer Podiumsdiskussion des „Neuen Deutschland“, bei der Wehl im Publikum anwesend war, sogar so weit, zu verlangen, dass er auch als einfacher Zuhörer nicht im Veranstaltungsraum geduldet werden solle. Nach der Weigerung des Veranstalters, Wehl des Saales zu verweisen, forderten Mitglieder der „AG Junge GenossInnen“ ihn „mit physischem Nachdruck zum Verlassen“1141 der Veranstaltung auf. Die Debatte im „Neuen Deutschland“ über die Frage, wie national die Linke sein muss, löste ein beispielloses Echo unter den Lesern der Zeitung aus. Die überwiegende Mehrheit der Zuschriften sprach sich für ein positives Verhältnis der Linken zu Deutschland aus. Als Reaktion auf diese Debatte kündigte Angela Marquardt ihr Abonnement des „Neuen Deutschland“. Johann Michael Möller stellte zutreffend fest, die Diskussion über die Nation im „Neuen Deutschland“ sei keine Kopfgeburt von Redakteuren gewesen, sondern habe einer latenten Stimmung Rechnung getragen.1142 Debatten, die im „Neuen Deutschland“ geführt werden, kann man zwar nicht direkt der PDS zurechnen, doch bestehen zwischen den Diskussionen im „Neuen Deutschland“ und in der PDS Wechselwirkungen. Dies zeigte sich gerade am Beispiel der Programmdebatte. Das „Neue Deutschland“ befand sich teilweise im Eigentum der PDS. Und die Zeitung wurde von vielen Mitgliedern und Anhängern der PDS gelesen. Außerdem begleitete die Berichterstattung des „Neuen Deutschland“ Politik und Programmatik der PDS kontinuierlich. Das tat auch die Zeitung „Junge Welt“, die den Orthodoxen nahesteht. Gegen diese Zeitung wurde aus den Reihen der sogenannten antideutschenden Linken wiederholt der Vorwurf erhoben, nationalbolschewistisch zu sein. Dies führte zur Abspaltung einiger Redakteure und zur Gründung der dezidiert antideutschen Wochenzeitung „Jungle World“. Schon vor der Debatte im „Neuen Deutschland“ über das Verhältnis der Linken zur Nation war innerhalb der PDS vereinzelt auf Kritik gestoßen, dass Marcel Braumann, Redakteur des „Neuen Deutschland“, einen Aufsatz für die liberal-konservative Zeitschrift „Mut“, die Jahre zuvor als rechtsextrem eingestuft worden war, verfasst und einen Leserbrief an die „Junge Freiheit“ geschrieben hatte.

1140

Vgl. Marquardt, Angela: Was ich bin, was mir stinkt, was ich will. – Köln 1999, S. 185. Ebd., S. 186. 1142 Vgl. Möller, Johann Michael: Gysis braune Goldader, in: Die Welt v. 12.6.1999. 1141

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Beim Cottbusser PDS-Parteitag, mitten in der Programmdebatte, griff die Vorsitzende Gabriele Zimmer persönlich die Diskussion über das Verhältnis der Linken zur Nation auf. Sie bekannte in ihrem Referat, Deutschland zu lieben. Als offizielles Motto dieses Parteitags wurde das Brecht-Zitat „Dass ein gutes Deutschland blühe“ gewählt. Angela Marquardt wertete Zimmers Rede als nationalistische Töne.1143 Winfried Wolf schrieb, eine nationale linke Partei müsse unglaubwürdig bleiben, weil Nation, Vaterland und Deutschlandliebe in Widerspruch zur Essenz sozialistischer Politik stünden.1144 Wolfs Position wurde grundsätzlich von den westdeutschen PDS-Bundestagsabgeordneten Uwe Hiksch, Ulla Jelpke und Ulla Lötzer unterstützt.1145 Die Kommunistische Plattform dagegen reagierte mit einer Erklärung, in der sie sich von Antideutschen distanzierte. Parolen wie „Nie wieder Deutschland“ gingen an der Realität vorbei.1146 Gegenüber der Berliner „Tageszeitung“ erklärte Zimmer nach dem Cottbusser Parteitag, sie wünsche sich, dass man sich als Linker unbefangen zu Deutschland bekennen kann. Auf der Grundlage von „Deutschland verrecke“ könne sie keine Politik machen. „Die meisten Linken definieren sich bis heute meistens außerhalb oder gegen Deutschland, gegen die Nation. Genau das will ich verändern. Ich muss doch nicht unbedingt ein Land bekämpfen, wenn ich Verhältnisse in ihm ändern will. Mit Hass können wir keine Menschen gewinnen.“ … „Ich liebe Deutschland – diesen Satz habe ich in Cottbus ganz bewusst gesagt. Ich wollte meine Partei provozieren.“ … „Für mich gibt es darüber hinaus eine nationale Identität.“ … „Wer das Volk verachtet und seine eigene kleine Meinung für die ewige Wahrheit hält, wie es ein Teil unserer westlichen Mitgliedschaft tut, der endet im Sektierertum.“1147 Nach dem Bekenntnis Zimmers, Deutschland zu lieben, gab die RosaLuxemburg-Stiftung zwei Studien in Auftrag, die Aspekte des Verhältnisses der Linken zur Nation untersuchten. Die eine Studie wurde von Ronald Lötzsch1148, die andere von Eberhard Crome1149 verfasst. Lötzsch hatte sich zuvor bereits in mehreren Aufsätzen in der Zeitschrift „Utopie kreativ“ mit dem Verhältnis der Linken zur Nation beschäftigt und daraus konkrete Forderungen abgeleitet. In 1143

Vgl. Interview im Neuen Deutschland v. 10.7.2003. Vgl. Wolf, Winfried: Kann es einen „linken Patriotismus“ geben? Eine Antwort auf Klaus Höpcke, in: Junge Welt v. 4.11.2000. 1145 Vgl. Fehrle, Brigitte: PDS streitet um künftigen Kurs der Partei, in: Berliner Zeitung v. 25.10.2000. 1146 Vgl. Kommunistische Plattform: Eine überflüssige Debatte, in: Junge Welt v. 8.11.2000. 1147 Interview in der taz v. 28.10.2000. 1148 Lötzsch, Ronald: Die Linke und ihr Verhältnis zu Nation und Nationalstaat. Nationalismus und nationale Minderheiten (Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2001, Nr. 16). – Berlin 2001. 1149 Crome, Eberhard: Die Linke und ihr Verhältnis zu Nation und Nationalstaat. Die Nation zwischen Europäischer Union und Regionen (Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 28). – Berlin 2001. 1144

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der PDS-Mitgliederzeitschrift „Disput“ sprach er sich dafür aus, das Recht aller Völker auf nationale Selbstbestimmung in das PDS-Programm aufzunehmen.1150 Anlässlich der Präsentation der beiden Studien veranstaltete die RosaLuxemburg-Stiftung eine Podiumsdiskussion, an der auch Tilman Fichter, ein für seine patriotische Einstellung bekannter früherer Leiter der SPDParteischule, teilnahm.1151 Fichter hatte 1993 mit seinem Buch „Die SPD und die Nation“ eine Kontroverse ausgelöst. Der sächsische PDS-Landesvorstand gab als Reaktion auf Zimmers Positionen in seiner Reihe „Beiträge zur Programmdebatte“ einen Band mit mehreren Aufsätzen zum Thema „Nation und die Linke im 21. Jahrhundert“ heraus. In dieser Schrift äußerte Michael Schumann, die Linke dürfe nationale Identitäten nicht abstrakt negieren oder gar verachten. Ein solcher nationaler Nihilismus sei immer geschichts- und damit wirklichkeitsblind gewesen. Eine Linke, die sich durch den abstrakten Gegensatz zur Nation definiert, schneide sich von den geschichtlichen Bedingungen ihres politischen Wirkens ab. Davor habe Gabriele Zimmer warnen wollen. Die teils bornierten Reaktionen auf ihre Äußerungen würden zeigen, wie recht sie daran getan habe. Alternative sei ein sektiererischunpolitisches Nicht-Verhältnis zur Nation.1152 Vor dem Hintergrund der diversen Berührungspunkte zwischen Positionen der PDS beziehungsweise einzelner PDS-Politiker und nationalen Standpunkten sprach Patrick Moreau wiederholt von einer nationalbolschewistischen Versuchung der Partei.1153 Die Zeitung „Jungle World“ machte Nationalbolschewisten in der PDS1154 und später in der Linkspartei gar eine nationalbolschewistische Strömung1155 beziehungsweise eine nationalbolschewistische Allianz von ehemaligen Sozialdemokraten und alten Stalinisten aus. „Mit dem verkürzten, tendenziell völkischen Antikapitalismus, wie ihn diese Leute vertreten,“ seien „unappetitliche Bündnisse in die Mitte der Gesellschaft und bis nach Rechtsaußen möglich.“1156 Sie verstieg sich gar zu der These, die Begeisterung

1150

Vgl. Lötzsch, Ronald: Nationale Frage hat höheren Stellenwert, in: Disput, Nr. 15/1992, S. 37 f. (38). 1151 Vgl. Peter, Joachim: Wer vom „Volk“ spricht, ist ganz schnell ein „Faschist“. Die Linke sucht noch immer ihr Verhältnis zur Nation, in: Die Welt v. 6.2.2002. 1152 Vgl. Schumann, Michael: Position: Die Linke darf die Nation nicht verachten, in: Landesvorstand der PDS Sachsen (Hg.): Nation und die Linke im 21. Jahrhundert (Beiträge zur Programmdebatte, Bd. 8). – Dresden 2001, S. 8-10 (10). 1153 Vgl. Moreau, Patrick: Was will die PDS? – Frankfurt/Main 1994, S. 38, Ders./Lang, Jürgen: PDS. Das Erbe der Diktatur (Politische Studien, Sonderdruck Nr. 1/1994), S. 25. 1154 Vgl. Sundermeier, Jörg: Die Partei ist zu allem fähig, in: Jungle World, Nr. 7/2004. 1155 Vgl. Bozic, Ivo: Partei auf Anabolika, in: Jungle World, Nr. 9/2008. 1156 Ders: Sieg an der Westfront, in: Jungle World, Nr. 7/2008.

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für einen nationalen Sozialismus sei Fundament der Partei.1157 Später erwähnte auch Lothar Bisky „nationalbolschewistisch Orientierte“1158 in der Partei. Neben teilweise hysterischen Reaktionen auf nationale Äußerungen von PDS-Politikern fand sich in der Partei auch ein gelassener Umgang mit dem Thema Nation. Bestimmte PDS-Politiker, beispielsweise Angela Marquardt und Ulla Jelpke, wollten jede argumentative und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit der Nation verhindern. Grund dafür dürfte wahrscheinlich sein, dass sie fürchten, eine freie Diskussion nicht kontrollieren zu können. Demgegenüber herrschte insbesondere unter solchen PDS-Mitgliedern, die schon der SED angehört hatten, ein unverkrampfteres Verhältnis zur Nation vor. Es ist bemerkenswert, dass dies auch auf Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus/Antifaschismus beim PDS-Parteivorstand zutraf. So hieß es in einem internen Papier dieser Arbeitsgemeinschaft sogar patriotisch: „Nachdenken über Antifaschismus ist auch ein Nachdenken über Deutschland. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war doch stets auch eine Auseinandersetzung für Deutschland, der Widerstand gegen Hitler eine Tat für Deutschland.“1159 Sogar mit Blick auf die antifaschistische Arbeit der PDS warnte das Papier vor einem verkrampften Umgang mit dem Thema Nation: „Manche Antifaschisten und manche Linke müssen dazu ihre psychische Krise, in der sie sich mit Blick auf die unerwarteten und ungeliebten nationalen Entwicklungen befinden, überwinden und begreifen lernen, dass antinationale Verkrampfungen und Berührungsängste in Sachen deutscher Nation und deutschem Vaterland die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus erheblich schwächen können. Vielmehr sind wir als Antifaschisten mit Deutschland eng verbunden, stehen zu ihm im Bewusstsein unserer Verantwortung vor der deutschen Geschichte.“1160 In der Frage der Zuwanderung stand die PDS vor einem Dilemma, das mit ihrem Verhältnis zu Deutschland zusammenhing. Einerseits forderte die PDS offene Grenzen - mal für alle, mal für alle „Menschen in Not“. Andererseits wäre als Folge einer Ausweitung der Zuwanderung der deutsche Arbeitsmarkt schwer belastet und zwangsläufig das Lohnniveau gesenkt worden. Dies hätte den Interessen der eigenen Klientel, nämlich der inländischen Arbeitnehmer, widersprochen. In ihrem Wahlprogramm von 1990 forderte die Linke Liste/PDS eine „multikulturelle Demokratie, die allen BürgerInnen, die in diesem Lande leben, gleiche Menschen- und Bürgerrechte garantiert“1161, 1157

Vgl. Gerber, Jan: Austreten, aber schnell, in: Jungle World, Nr. 23/2008. Interview im Spiegel, Nr. 50/2009, S. 27. 1159 Richter, Rolf u.a.: Der Antifaschismus, die PDS und die Auseinandersetzungen unserer Zeit. – O.O. 1991 (Ms.), S. 38. 1160 Ebd., S. 39. 1161 Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 46. 1158

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gleiche Rechte und offene Grenzen für alle sowie Wahlrecht auf allen Ebenen für hier lebende Ausländer.1162 Klaus Höpcke sprach sich 1991 in seinen Thesen für ein neues PDS-Programm für die Umwandlung Deutschlands in eine multikulturelle Gesellschaft aus.1163 Jürgen Elsässer, der als Vordenker des Lafontaine-Flügels der LINKEN gilt, erkannte die eigentlich banale Problematik der Zuwanderungsfrage für die politische Linke: „Im globalisierten Kapitalismus sind die Flüchtlinge tatsächlich nicht nur Opfer, sondern können auch eine Waffe der Veränderung sein – allerdings nicht im Interesse der Emanzipation, sondern für die Zwecke des Kapitals.“ Die multinationalen Konzerne instrumentalisierten „diejenigen, die aus den Elendszonen des Neoliberalismus fliehen, zum Angriff auf das Lohnniveau und den Sozialstaat in den Metropolen.“1164 Ähnlich äußerte sich Ulrich Maurer, als Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, einer der wichtigsten Politiker der fusionierten Partei.1165 Um den Druck auf die Arbeitenden weiter zu erhöhen, „organisiert das Kapital die Zuwanderung neuer Elender.“ (...) „Die deutsche Gefühlslinke hat nie darüber reflektiert, warum das Kapital in der Frage der Immigration überraschenderweise so voll von liberaler Menschenfreundlichkeit ist.“ (...) „Ein erheblicher Teil der veröffentlichten Meinung hat es wunderbar verstanden, jeden, der darauf hinweist, dass die massenhafte Zuwanderung im Interesse des Kapitals liegt und zu Lasten der Arbeitenden und Arbeitslosen geht, direkt oder indirekt zum Rassisten oder zum Rechtskonservativen zu erklären.“ ... „Willkommen sind die neuen Elenden also nur als industrielle Reservearmee.“1166 Hier dachte Maurer offenbar an die Reaktionen auf Oskar Lafontaines Rede in Chemnitz 2005, in der er den Ausdruck Fremdarbeiter gebrauchte. Sollte sich Maurers, Elsässers und Lafontaines Haltung zu Zuwanderung und Nation, die beispielsweise von Diether Dehm und Peter Porsch geteilt wird, in der fusionierten Partei durchsetzen, könnte sie nicht nur in große, neue Wählerschichten eindringen, sondern würde wohl auch ihr Profil entscheidend verändern. Dann würde auch Elsässers Perspektive realistisch: „Vielmehr gilt es zu erkennen, wie sehr die Erosion des traditionellen Links-Rechts-Koordinatensystems die Möglichkeiten

1162

Ebd., S. 55. Vgl. Höpcke, Klaus: (Thesen zum) Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: PID, Nr. 24/1991, S.9-14 (13). 1164 Elsässer, Jürgen: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Bonn 2007, S. 50. 1165 Maurer, Ulrich: Eiszeit. Staatsstreich des Kapitals oder Renaissance der Linken. - München 2006, S. 22. 1166 Ebd., S. 122 ff. 1163

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für Sozialisten erweitert hat, auch mit der konservativen Klientel ins Gespräch zu kommen.“1167 Maximalforderungen nach weitgehend unbegrenzten Zuwanderungsmöglichkeiten, bei denen sie sich auch kaum zu den Auswirkungen äußerte, erhob die PDS ab Mitte der neunziger Jahre seltener. Je weniger sich die PDS als strikte Oppositionskraft verstand, desto differenzierter und gemäßigter entwickelten sich ihre Positionen zur Ausländerpolitik. Als die PDS durch die Übernahme kommunaler Verantwortung praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Ausländerpolitik gesammelt hatte und sich auf Regierungsbeteiligungen auf Länderebene vorbereitete, wurden in der Partei Stimmen lauter, die eine Abkehr von der Forderung nach offenen Grenzen für alle und eine praktikable Positionierung zur Migrationsproblematik anmahnten. Beispielsweise schrieb Thomas Falkner 1994: „Wer, wie die PDS, theoretisch das soziale Gefälle zwischen Nord und Süd als existentielles globales Problem begreift, der dürfte auch davon ausgehen können, dass dieser Herausforderung nicht durch die Einladung an die verarmten Massen des Südens in den Norden begegnet werden kann. Dafür fehlen zudem in den Gesellschaften des Nordens und bei der Mehrzahl ihrer Bürger die objektiven und vor allem subjektiven Voraussetzungen.“1168 Dieses Zitat ist eines der wenigen Beispiele dafür, dass Vertreter der PDS in der Ausländerfrage die Interessen und Wünsche der Mehrheit der Bürger der Bundesrepublik und die begrenzten Kapazitäten Deutschlands überhaupt thematisierten. Dies verwundert, da angenommen werden kann, dass ein erheblicher Teil der eigenen Mitgliedschaft und noch mehr der Wählerschaft in den östlichen Bundesländern in der Ausländerpolitik eine restriktive Auffassung vertrat. So äußerte bei einem Antirassismuskongress der PDS ein Referent seine Beobachtung, auch PDS-Mitglieder seien für als rechtsextrem bezeichnetes Gedankengut empfänglich, was er anhand von Leserbriefen zur Zuwanderungsproblematik im „Neuen Deutschland“ und in der PDS-Mitgliederzeitschrift „Disput“ belegte.1169 Angela Marquardt, immerhin zeitweise stellvertretende PDS-Parteivorsitzende, meinte, die PDS sei „größtenteils streng national“ und „an der Basis genauso ausländerfeindlich wie andere“1170. Als einen Grund für ihren Austritt nannte sie nationalistische Töne in der Partei1171 und fremdenfeindliche Positionen.1172 Immer wieder berichten

1167

Elsässer, Jürgen: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg. Bonn 2007, S. 110. 1168 Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 193. 1169 Vgl. Elsner, Lothar: Nationalismus oder Internationalismus in der sogenannten Ausländerfrage, in: PDS: Droht uns ein neues ´33? Analysen zum heutigen Rechtsextremismus. – Berlin 1993, S. 48-51 (48). 1170 Vgl. Marquardt, Angela: Was ich bin, was mir stinkt, was ich will. - Köln 1999, S. 104. 1171 Vgl. Interview im Neuen Deutschland v. 14.3.2008.

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PDS-Politiker, Parteimitglieder an der Basis würden gegen Ausländer wettern.1173 Diese Auffassung vertrat auch Harald Bergsdorf unter Berufung auf Meinungsumfragen.1174 Ein Indiz für diesen Befund ist, dass, als die Deutsche Volksunion 1998 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt knapp 13 Prozent der Wählerstimmen errang, jedoch ohne Direktkandidaten in den Wahlkreisen angetreten war und deswegen nur mit der Zweitstimme gewählt werden konnte, ein deutlich überproportionaler Anteil der DVU-Wähler die Erststimme für PDS-Kandidaten abgab. Dass die Folgen massenhafter Einwanderung aus fremden Kulturkreisen für den inneren Frieden und die Stabilität des politischen Systems der Bundesrepublik auch von Teilen der PDS als Gefahr wahrgenommen wurden, zeigte sich an einzelnen Beispielen. So wurde etwa im Programmentwurf von Udo Haupt Einwanderung sogar als eine Ursache für einen neuen deutschen Nationalismus und Faschismus gesehen. Haupt sagte als Folge der Masseneinwanderung die Gefahr kriegsähnlicher Zustände in Mitteleuropa voraus.1175 Nicht alle in der PDS sprachen sich für eine Auflösung nationaler Identitäten aus. In einer zentralen Veröffentlichung der Reformer, dem Band „Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil“, hieß es wörtlich, die MultiKulti-Idee altgrüner Spontis setze eine fatale Ignoranz fort, indem sie Differenzen tot-toleriere, statt ihnen mit dem Willen zum Verstehen zu begegnen.1176 Im sachsen-anhaltinischen Landtagswahlkampf 2006 plakatierte die Partei die Losung „Wirtschaft braucht Standort. Menschen brauchen Heimat“. Der ehemalige Thüringer PDS-Landtagsabgeordnete Klaus Höpcke veröffentlichte sogar ein Buch mit dem Titel „Über linke Heimatliebe“.1177 Die PDS forderte die Förderung der nationalen Identität der in Deutschland lebenden Minderheiten der Sorben, Dänen, Friesen und Zigeuner.1178 Diether Dehm brachte die Bedrohung und Zerstörung nationaler Identitäten mit dem internationalen Kapitalismus in Verbindung. Er kritisierte wiederholt, es gehöre zum Wesen des transnationalen Monopolkapitals und seiner politischen Regime, bestehende Kulturen samt ihrer identitätsstiftenden Kerne zu zertreten.1179 Ulrich 1172

Vgl. Erb, Nadja: Von Rot nach Rot, in: Frankfurter Rundschau v. 15.3.2008. Vgl. Meisner, Matthias: Lieber Jux und Tollerei, in: Tagesspiegel v. 14.9.1999. 1174 Vgl. Bergsdorf, Harald: Extremisten ohne Maske, in: Die Politische Meinung, Nr. 407/2003, S. 43-50 (45). 1175 Vgl. Programmentwurf von Udo Haupt, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 27-40 (35). 1176 Vgl. Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Reformalternativen. Sozial – ökologisch – zivil (Schriften, Bd. 2). – Berlin 2000, S. 343. 1177 Höpcke, Klaus: Über linke Heimatliebe. - Berlin 2008. 1178 Vgl. Bundesgeschäftsführer der PDS (Hg.): Es geht auch anders: Nur Gerechtigkeit sichert Zukunft! Programm der PDS zur Bundestagswahl 2002. – Berlin 2002, S. 33. 1179 Vgl. Dehm, Diether: Kein Entwurf für die Westentasche, in: 13 Wortmeldungen zur PDSProgrammdiskussion, Beilage zur Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 46/2001, S. 31-35 (33). 1173

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Maurer schlug in dieselbe Kerbe: „Der marktimperiale Kapitalismus zerstört kulturelle Identität, soziale Bindungen, Wertegemeinschaft, Nähe und Heimat.“1180 Dehm setzte sich dafür ein, den Begriff Heimat nicht der politischen Rechten zu überlassen.1181 Heimat sei ein Wert, den „heute gegen die Allmacht der kalten, globalisierten Geldgier zu verteidigen die Aufgabe der Linken ist.“1182 Dehm warnte die Linke, Heimatgefühle erziehungsdiktatorisch unterdrücken zu wollen. Demonstrationen gegen das Gipfeltreffen der Regierungschefs der führenden Industriestaaten 2007 in Heiligendamm seien auch „Kämpfe um Erneuerung und Erhaltung der Heimat“. Der Kampf für Nationalstaat und Heimat gehöre „eng zusammen mit dem Kampf gegen das Monopolkapital der global players“1183. Die Nationalsozialisten hätten, so Dehm, den Linken die Worte „national“ und „sozialistisch“ gestohlen. Die Linken seien töricht, wenn sie sie sich nicht zurückholen würden.1184 Gemeinsam mit anderen Bundestagsabgeordneten forderte Dehm einen linken Patriotismus in der Tradition von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Hanns Eisler, Willy Brandt und Johannes R. Becher.1185 Zu Dehms Ablehnung einer Verfassung für die Europäische Union schrieb die Europaabgeordnete der Linkspartei Sylvia-Yvonne Kaufmann, es sei „nicht einmal mehr eine scharfe Trennlinie zu deutsch-nationalen Anti-EU-Positionen erkennbar“1186. Ein Aspekt der Kontroverse über das Verhältnis der PDS zu Deutschland war der Vorschlag, die PDS solle sich zu einer „ostdeutschen Volkspartei“ entwickeln. Das Modell „ostdeutsche Volkspartei“ wurde von den sächsischen PDS-Landtagsabgeordneten Roland Weckesser und Christine Ostrowski in die Diskussion gebracht. Demnach solle die PDS sich am strategischen Vorbild der CSU orientieren und sich nicht links von der SPD, sondern lediglich anders als die SPD positionieren. Nach dem Scheitern der PDS bei der Bundestagswahl 2002 griff Michael Brie diesen Gedanken wieder auf und sprach sich dafür aus, die PDS als ostdeutsche Volkspartei anzusehen.1187 Gero Neugebauer und Richard Stöss sahen in der PDS die Partei, die mehr als jede andere Repräsentantin der Ost-West-Konfliktlinie - auch in einem nationalistischen Sinne - im deutschen Parteiensystem war: „Der Ost-West1180

Maurer, Ulrich: Eiszeit. Staatsstreich des Kapitals oder Renaissance der Linken. - München 2006, S. 261. 1181 Vgl. Enderby, Vincent: Komödienstadl, in: Gegengift v. 1.3.2007, S. 30 f. (30). 1182 http://www.forum-ds.de/newsletter.php?id=724 1183 http://www.diether-dehm.de/html/heimat_und_kleineigentum.php 1184 Vgl. http://www.diether-dehm.de/html/heimat_und_kleineigentum.php 1185 Vgl. Dehm, Diether/Gehrcke, Wolfgang/Schäfer, Paul: Eine Revolution für das Grundgesetz, in: ND v. 8.12.2007. 1186 Kaufmann, Sylvia-Yvonne: „Echt rote“ Positionen, in: Freitag, Nr. 19/2007. 1187 Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 38.

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Konflikt steht für einen Wertekonflikt, der eher soziale und autoritäre mit eher neoliberalen und libertären, der eher traditionalistische mit eher modernen Orientierungen kontrastiert.“1188 Sie hielten die Ostinteressen für den einzigen programmatischen Punkt, mit dem sich alle relevanten Strömungen der PDS identifizieren konnten: „Für die einen ist es die Burg, in der sie sich belagert sehen, für die anderen das Basislager, von dem sie auf- und manchmal ausbrechen wollen.“1189 Es bestehe insofern eine Parallele zum Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, da auch diese Partei „eine soziale, verteilungspolitische („Lebensrecht im Westen“) und eine ideologische, nationalistische Komponente („Heimatrecht im Osten“)“1190 gehabt habe. Die Parallele zum Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten wurde wiederholt gezogen, beispielsweise von Richard Schröder.1191 Auch Vergleiche mit der Lega Nord wurden angestellt.1192 Speziell auf die Belange der östlichen Bundesländer ausgerichtete Partner- und Vorfeldorganisationen der PDS waren Ausdruck dieser Parallele. Auch Michael Brie hielt einen Vergleich der PDS mit den Vertriebenen für sinnvoll.1193 Der Schriftsteller Lutz Rathenow nannte die PDS eine Lega Nord der östlichen Bundesländer.1194 Die Beschreibung der Atmosphäre bei einer PDS-Diskussionsveranstaltung, bei der André Brie vor einem Publikum größtenteils älterer Parteimitglieder sprach, verdeutlicht, dass solche Vergleiche berechtigt waren: „Er muss sich vorkommen wie ein Redner auf einem Schlesiertreffen, der sich dafür stark macht, die politische Wirklichkeit in Europa wahrzunehmen und zu achten.“1195 Zum Entstehen einer solchen Atmosphäre trugen manche PDS-Politiker selbst bei. So bezeichnete etwa Sahra Wagenknecht nicht nur die Wiedervereinigung als Konterrevolution,

1188

Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 302. 1189 Vgl. ebd., S. 146. 1190 Ebd., S. 239. 1191 Vgl. Schröder, Richard: Die PDS – eine überalterte Partei von Aussteigern und Abgestiegenen, in: Tagesspiegel v. 5.9.1994. 1192 Vgl. Schmidt, Ute: Sieben Jahre nach der Einheit. Die ostdeutsche Parteienlandschaft im Vorfeld der Bundestagswahl 1998, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 1-2/1998, S. 37-53 (39). 1193 Vgl. Brie, Michael: Das politische Projekt PDS – eine unmögliche Möglichkeit. Die ambivalenten Früchte eines Erfolgs, in: Ders./Herzig, Martin/Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 9-38 (17). 1194 Vgl. Rathenow, Lutz: Take it easy – nimm Gysi, in: Rheinischer Merkur v. 22.6.2001. 1195 Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 19.

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sondern auch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik als Maßnahme einer ausländischen bürgerlichen Macht, einer Besatzungsmacht.1196 Selbst PDS-Spitzenpolitiker beklagten, die Partei habe ein gestörtes Verhältnis zur Nation. Offensichtlich hatte dies mehrere Ursachen: Die DDRSozialisation der PDS-Mitglieder in den östlichen Bundesländern stand einer Identifikation mit der Bundesrepublik beziehungsweise mit Deutschland im Wege. Für einen Großteil der PDS-Mitglieder im Westen war ein antinationales Verständnis von Antifaschismus von zentraler Bedeutung. Die Frage nach dem Verhältnis der PDS und der Linken zur Nation bewegte die Partei wie wenige andere Themen. Das beweisen die Intensität und die Schärfe - man kann sogar von teilweise geradezu hysterischen Reaktionen sprechen - der verschiedenen Debatten zu diesem Komplex. Ein Aspekt der Diskussionen über die Nation war die Einstellung zur sogenannten multikulturellen Gesellschaft. Das Bekenntnis zum Multikulturalismus war in der PDS-Führung unumstritten. Allerdings räumten PDS-Politiker ein, die Programmatik in diesem Punkt stehe im Gegensatz zu den Wünschen der meisten Wähler und Mitglieder zumindest im Osten. Die Frage des Verhältnisses der fusionierten Partei zur Nation stellt sich auch durch die herausragende Position Oskar Lafontaines neu. Richard Herzinger meint, an dessen sozial-nationaler Rhetorik könne man ablesen, „dass sich in der deutschen Gesellschaft eine politische Frontlinie herausbildet jenseits der traditionellen Lagereinteilung in links und rechts.“1197 Darauf deuten diverse Äußerungen führender LINKE-Politiker, darunter die hier erwähnten von Ulrich Maurer, Diether Dehm, Jürgen Elsässer und anderen, hin.

1196

Vgl. Wagenknecht, Sahra: Unter Fremdverwaltung, in: Dies./Elsässer, Jürgen: Vorwärts und vergessen? Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus (Konkret-Texte, Bd. 10). – Hamburg 1996, S. 11-13 (11). 1197 Herzinger, Richard: Der neue Graben Globalisierung, in: Welt am Sonntag v. 24.6.2007.

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8. Geschichtsbild

Der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow hob in seinem Eröffnungsreferat beim Chemnitzer Programmparteitag im Oktober 2003 die Bedeutung der Geschichte für die Programmatik der Partei hervor: „Zur Geschichte einer Partei gehört auch die Geschichte ihrer Programme. Die PDS hat hier, bleibt sie beim Wesen und Charakter ihrer Entstehung und Entwicklung, eine Geschichte, die mehr als eineinhalb Jahrhunderte beträgt.“1198 In ihrem Programm von 2003 legte die PDS die Bedeutung der Geschichte für die Partei dar. Die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte sei die Verantwortung und das Interesse der PDS und ein Teil ihres Beitrags bei der Wiedergewinnung und Erneuerung des demokratischen Sozialismus. Niemand müsse der PDS die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte abnötigen.1199 Im Vorwort zu einem Sammelband über eine historische Konferenz der PDS wurde betont, bei einer so traditionsbeladenen und –belasteten Partei wie der PDS schließe theoretischprogrammatische Arbeit die Auseinandersetzung mit der Geschichte stets ein.1200 Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hatte für die PDSProgrammatik eine große Bedeutung, da sie eine sowohl durch die Geschichte belastete als auch eine sehr geschichtsbewusste Partei war. An der Bewertung der Geschichte der sozialistischen Bewegung, der DDR und der Bundesrepublik, insbesondere bestimmter einzelner historischer Ereignisse oder Personen, entzündete sich immer wieder Streit in der PDS. Die Auseinandersetzung der Partei mit der eigenen Geschichte begann schon zur Zeit der „Wende“ und erreichte beim Außerordentlichen Parteitag mit Michael Schumanns Referat „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“ einen ersten Höhepunkt. Die Partei entschuldigte sich bei der Bevölkerung der DDR. Verfemte SED-Mitglieder wie Robert Havemann, Walter Janka oder Wolfgang Harich wurden rehabilitiert. Acht Jahre lang war die PDS allein schon deshalb gezwungen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, da der Bundestag in der 12. und 13. Wahlperiode jeweils 1198

Modrow, Hans: Es geht um das Profil der PDS in der Gesellschaft, in: Disput, Nr. 11/2003, S. 4 f. (4). 1199 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 20. 1200 Vgl. Vorwort, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 9 f. (9).

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte eingesetzt hatte. Die PDS arbeitete zwar in diesen Kommissionen mit, gleichzeitig gründete sich allerdings in ihrem Umfeld eine „Alternative EnqueteKommission Deutsche Zeitgeschichte“. Da immer wieder die Tätigkeit führender PDS-Politiker für das Ministerium für Staatssicherheit enthüllt wurde, musste die Partei sich auch immer wieder mit der eigenen Geschichte und insbesondere mit dem Komplex Staatssicherheit befassen. Die Notwendigkeit kritisch-distanzierender Stellungnahmen zu bestimmten Aspekten und Ereignissen der DDR-Geschichte ergab sich für die PDS auch aus Erwartungen der Öffentlichkeit beziehungsweise von Organisationen1201 oder Personen, mit denen die Partei eine Zusammenarbeit anstrebte. So bemerkte Tom Strohschneider rückblickend zu den Geschichtsdebatten in der PDS, diese seien eine Folie gewesen, „auf der häufig ganz andere Fragen verhandelt wurden“1202. Zum Beispiel wurde von der PDS als Vorbedingung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gefordert, die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und den Bau der Berliner Mauer zu verurteilen. Die PDS ihrerseits erinnerte daran, dass das Verhältnis zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten historisch auch durch die SPD belastet sei, etwa durch die Art und Weise der Niederschlagung der Revolte nach dem Ersten Weltkrieg durch den sozialdemokratischen Reichswehrminister Gustav Noske oder durch die sogenannten Berufsverbote gegen Kommunisten, die in den Öffentlichen Dienst der Bundesrepublik eintreten wollten. Darstellung, Analyse und Bewertung der Geschichte in programmatischen Dokumenten der PDS hatten einerseits den Zweck, Signale über den Stand der Erneuerung der Partei an die Öffentlichkeit und potentielle Partner auszusenden, und andererseits, sich innerparteilich über die Stellung zu historischen Ereignissen und Entwicklungen zu verständigen und zu vergewissern. Die Beschäftigung mit Geschichte in einem Parteiprogramm kann nicht rein objektiv und wissenschaftlich sein, sondern hat naturgemäß auch politische Ziele. Im Verlauf der Programmdebatte wurde darauf hingewiesen, dass es speziell in einer sozialistischen Partei Probleme aufwerfe, sich auf Tradition und Geschichte zu berufen, denn bei der Entfaltung und Nutzung von Traditionen handle es sich um das Werkzeug Geschichte, um Geschichtspolitik. Geschichte diene zur Legitimierung und Begründung der aktuellen Ziele der PDS sowie zur Orientierung und Mobilisierung der

1201

Vgl. Jesse, Eckhard: Regierungs- und Oppositionsparteien nach der Bundestagswahl 1998 und vor der Bundestagswahl 2002, in: Politische Studien, Nr. 377/2001, S. 93-102 (95). 1202 Strohschneider, Tom: Rückwärts nimmer, in: Freitag, Nr. 35/2008.

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Parteimitglieder.1203 Uwe-Jens Heuer forderte 1995, die PDS solle Geschichtswissenschaft als Kampffeld von Politik und Ideologie ansehen.1204 Die Bedeutung historischer Themen für die Meinungsbildung der PDSMitgliedschaft und die programmatische Entwicklung der Partei war erheblich. Nach Einschätzung des Historikers Ernst Wurl, der die historischprogrammatische Debatte der PDS über Jahre begleitete, erfolgte die politische Meinungsbildung in der Partei in hohem Maße über die Diskussion zur eigenen Herkunft, zur DDR und zur Geschichte des Staatssozialismus in Europa.1205 In seinen Erläuterungen zum PDS-Programm zur Bundestagswahl 1994 sagte André Brie, warum der Umgang mit der Geschichte für die aktuelle Politik der Partei einen hohen Stellenwert hatte: „Unsere Politikfähigkeit, unsere Fähigkeit, die vielfältigen und schlimmen Fehler der Vergangenheit zu überwinden, zu lernen und eine erneuerte sozialistische Politik zu entwickeln, stehen und fallen mit unserer Selbstkritik und der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit.“1206 In programmatischen Papieren der PDS, die sich mit der Geschichte beschäftigten, wurden regelmäßig pejorative Begriffe für Missstände in der Bundesrepublik verwendet, während Missstände in der DDR sehr zurückhaltend beschrieben wurden. Dies gilt grundsätzlich für die gesamte Partei und besonders für Äußerungen der Orthodoxen. Die strafrechtliche Aufarbeitung der DDR-Geschichte wurde in vielen Dokumenten der PDS Siegerjustiz genannt, die Wiedervereinigung kolonialistischer Anschluss. Beim sprachlichen Stil fällt auf, dass über negative Seiten der Geschichte meistens im Passiv geschrieben wurde. So wollte die PDS wohl vermeiden, Verantwortliche zu benennen. Die Schuld für negative Entwicklungen suchte die PDS regelmäßig bei äußeren Einflüssen wie dem Kalten Krieg oder personalisierte sie und erklärte damit die oberste Führungsebene der SED für hauptverantwortlich für Fehlentwicklungen. Vom Redakteur des „Neuen Deutschland“ Hans-Dieter Schütt stammt eine Überlegung, die auf eine Parallele zwischen der Personalisierung und dem Abschieben von Verantwortung für Verbrechen in der DDR und dem Umgang mit der profiliertesten Repräsentantin der Orthodoxen Sahra Wagenknecht hindeutet: „Die unmittelbare Führung der Partei legt zwar ein intellektuelles Niveau der Distanz zur DDR (und damit zum einst praktizierten SozialismusExperiment) vor, das notwendig und ermutigend ist, aber freilich wenig Bezug

1203

Vgl. Wurl, Ernst: Macht und Last der Tradition. Das Exempel PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 141142/2002, S. 666-674 (666). 1204 Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Rechtsstaat und Unrechtsstaat – zur PDS-Debatte, in: PID, Nr. 50/1995, S. 16 f. (16). 1205 Vgl. Wurl, Ernst: Macht und Last der Tradition. Das Exempel PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 141142/2002, S. 666-674 (667). 1206 Brie, André: Veränderung braucht Opposition. Opposition braucht Selbstveränderung, in: PID, Nr. 11/1994, S. 37-40 (39).

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hat zum geistigen Aufholvermögen vieler Mitglieder. Die mögen sich mit dem Einstimmen in einen verwaschenen Antistalinismus-Chor, der sich momentan prononciert gegen die Kommunistische Plattform richtet, als konjunkturell up to date erweisen, die mögen mit der Akzeptanz eines wohlgefälligen Inquisitionsrituals, etwa gegen S.W. (Sahra Wagenknecht), von eigener DDRVerwurzelung ablenken – im Herzen bleibt die PDS ein Verein Tausender von Nostalgikern, deren Protestinstinkt gegen den Kapitalismus, ganz natürlich gewachsen im gewesenen Staatssozialismus, zum Stimmenpolster für ein paar wenige (wirklich geistige!) Erneuerer geworden ist.“1207 Mit Manfred Uschner beklagte ein sich offenbar selbst betroffen Fühlender, welche Auswirkungen der Eindruck, bevormundet zu werden oder die persönliche Biographie entwertet zu sehen, auf den Umgang mit der SED- und DDR-Vergangenheit haben könne. Es entstehe dadurch ein Trotz- und Verdrängungskomplex, der den Weg zu einer kritischen Selbstreflexion versperre.1208 Bei den historisch-programmatischen Debatten in der PDS kann man mehrere Phasen unterscheiden. Dabei räumten selbst PDS-Politiker ein, auch äußere Faktoren und politische Opportunitätserwägungen hätten die Entwicklung der historischen Programmatik der Partei beeinflusst. Vor dem Hintergrund eines Stimmungsumschwungs in den östlichen Bundesländern, wo Folgen der Einheit von breiten Bevölkerungskreisen zunehmend als negativ empfunden wurden, kam es, wie Michael Nelken feststellte, in der PDS zu einer positiveren Bewertung der DDR-Geschichte. Die nach der „Wende“ zunächst kritische Bewertung der DDR seitens der PDS sei im Zuge dieser Entwicklung immer mehr relativiert worden: „Eine offene und schonungslose Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kollidierte mit dem ParteiInteresse an einer breiten ostdeutschen Sammlungsbewegung. Die Analyse des repressiven, zentralistischen, antidemokratischen Gesellschaftssystems wurde im PDS-Diskurs verdrängt durch die Verteidigung der „Legitimität des Versuchs“, die Bewahrung der positiven „Errungenschaften und Erfahrungen“, die Würdigung des „selbstlosen Einsatzes von Millionen“ DDR-Bürgern für die Errichtung einer „sozialistischen Alternative“ usw. usf.“1209 Mit wachsendem zeitlichem Abstand zur DDR nahm die Intensität der Auseinandersetzung mit der Geschichte ab. Im letzten PDS-Programm von 2003 nahm Geschichte keinen so breiten Raum mehr ein wie noch im Programm von 1993. Es gab kein eigenes Kapitel zur Geschichte mehr. Neben einigen Kontinuitäten enthielt das letzte Programm auch einige Neubewertungen historischer Fakten. Die Oktoberrevolution beispielsweise wurde nicht mehr als welthistorisches 1207

Schütt, Hans-Dieter: Zu jung, um wahr zu sein? Gespräche mit Sahra Wagenknecht, 2. verb. Aufl. - Berlin 1995, S. 10. 1208 Vgl. Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 228. 1209 Nelken, Michael: Schwierigkeiten einer Emanzipation vom Stalinismus. Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 65/1996, S. 41-48 (45).

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Ereignis, dem die Menschheit grundlegend günstige Entwicklungen verdankt, bezeichnet.1210 Fraglich ist, inwieweit die Bewertung der Geschichte in programmatischen Stellungnahmen der PDS von der Masse der Mitgliedschaft getragen wurde, ob sie nur hingenommen oder auch verinnerlicht wurde. Ein Indikator kann die Zustimmung zu Kandidaten der Orthodoxen, über die bekannt war, dass sie von der Parteilinie abweichende Auffassungen zur Geschichte vertraten, bei Bewerbungen für Parteiämter sein. Ein Beispiel ist Sahra Wagenknecht. Auch nach wiederholten Äußerungen, mit denen sie Stalins Politik ausdrücklich gerechtfertigt hatte, und der Drohung Gregor Gysis, im Falle einer Wiederwahl Wagenknechts in den PDS-Parteivorstand selbst nicht mehr für ein Vorstandsamt zur Verfügung zu stehen, scheiterte ihre Kandidatur bei einem Bundesparteitag nur knapp. Eva Sturm erläuterte, die Tatsache, dass knapp ein Drittel der Parteitagsdelegierten die Kandidatur Wagenknechts für den PDSVorstand trotz ihrer Äußerungen und trotz des Drucks Gysis unterstützten, zeige, „dass für dieses Drittel die Positionen von Wagenknecht kein Grund waren, sie nicht zu wählen, d.h. auch wenn nicht behauptet werden kann, dass dieses Drittel sie wegen ihrer Positionen gewählt hat, wurde sie mindestens trotz dieser Positionen gewählt“1211. Wie bereits dargelegt, dürfte die Zustimmung zu Wagenknecht an der PDS-Basis noch größer sein als unter den Bundesparteitagsdelegierten. Obwohl Wagenknecht ihre umstrittenen Äußerungen nicht zurücknahm, wurde sie bei folgenden PDS-Parteitagen wieder in den Bundesvorstand gewählt. Heute gehört sie dem Bundesvorstand der LINKEN an. Für die Partei, die die SED fortsetzte, war natürlich von Bedeutung, wie sie mit ihrer Herkunft umging. In den Thesen der Historischen Kommission der PDS zur Programmatik von 1991 wurde behauptet, die PDS sei aus dem Umbruch in der DDR hervorgegangen, vor allem aus den Auseinandersetzungen zwischen den Machtpolitikern der SED und der unzufriedenen Parteibasis, in der ein kritisch-reformerisches Potential vorhanden gewesen sei.1212 Für Armin Pfahl-Traughber wurde andererseits die Kontinuität zur Vorläuferpartei immer dann als Selbstverständlichkeit angesehen, „wenn es der PDS nutzt, wie die Auseinandersetzung um das Parteieigentum eindrucksvoll gezeigt hat.“1213 Die Behauptung, die PDS sei aus der „Wende“ in der DDR hervorgegangen, fand

1210

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-47 (38 f.). 1211 Sturm, Eva: „Und der Zukunft zugewandt“? – Opladen 2000, S. 133. 1212 Vgl. Historische Kommission beim Parteivorstand der PDS: Thesen zur Programmatik der PDS, in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 91-96 (95). 1213 Pfahl-Traughber, Armin: Antworten zur Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 7. – Baden-Baden 1995, S. 96-103 (97).

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sich mit unwesentlich modifizierten Formulierungen auch in den Programmentwürfen der Reformer. Wissenschaftler wiesen sie zurück.1214 Auch André Brie räumte ein, die PDS habe sich gerade nicht aus einem inneren Reformprozess der SED, sondern unter dem Druck des Zusammenbruchs von DDR und SED gebildet.1215 Im PDS-Programm von 2003 hieß es zu dieser Frage lediglich, die PDS sei in den politischen Umbrüchen des Herbstes 1989 aus der SED hervorgegangen.1216 Einige Jahre später wurde die Legendenbildung noch weiter getrieben. Lothar Bisky, Vorsitzender der Linkspartei.PDS, erklärte 2006 beim gemeinsamen Programmkonvent seiner Partei und der WASG, 1989/1990 hätten Mitglieder aus der SED heraus die Partei des demokratischen Sozialismus gegründet.1217 Manche in der PDS glaubten, die realsozialistischen Staaten seien wegen der Anlage ihres politischen Systems von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, andere glaubten, Deformationen in diesen Staaten seien nicht zwingend vorprogrammiert gewesen, sondern hätten sich unter den besonderen historischen Bedingungen entwickelt. Konrad Jarausch sammelte Erklärungsversuche aus den Reihen der PDS für den Zusammenbruch der DDR. Zu diesen Erklärungsversuchen zählten das sektiererische Erbe der KPD, die überdurchschnittlichen Kriegszerstörungen in der sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der DDR, der repressive Einfluss der Besatzungsmacht, der Mangel an Rohstoffen und die Reparationsleistungen an die Sowjetunion.1218 Ein Beispiel für eine orthodoxe Interpretation des Scheiterns der sozialistischen Staaten ist eine Erklärung Sahra Wagenknechts. Man sieht daran, dass nicht alle in der PDS ihre Kritik an der DDR mit mangelnder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit begründeten, sondern im Gegenteil mit mangelnder Konsequenz bei der Durchsetzung ihrer sozialistischen Ziele: „Die sowjetische Entspannungspolitik der fünfziger Jahre war – wie wir gesehen haben – gleichbedeutend mit der Einführung des Opportunismus in die Politik (Statusquo-Orientierung, ersatzlose Auflösung des Kominform, ausdrückliche Anerkennung des jugoslawischen Weges, kurz: Verzicht auf das Bemühen um eine offensive sozialistische Einheitsstrategie) und mit der Einführung des Revisionismus in die Ideologie (implizite Verneinung des Systemantagonismus, Neubewertung der westeuropäischen Sozialdemokratie, Befürwortung eines

1214

Vgl. Faulenbach, Bernd: Taktische Wahrheiten, in: Tagesspiegel v. 3.7.2001. Vgl. Interview in den Blättern für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/2001, S. 943. 1216 Vgl. Die Linke.PDS: Programm. - Berlin 2005, S. 50. 1217 Vgl. Bisky, Lothar: Programmdebatte als Schritt wirklicher Bewegung, in: PID, Nr. 40/2006, S. 3 f. (3). 1218 Vgl. Jarausch, Konrad: „Sich der Katastrophe stellen“: (Post-)Kommunistische Erklärungen für den Zusammenbruch der DDR, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 141-150 (145). 1215

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„parlamentarischen Weges“ zum Sozialismus usw.).“1219 Die Gegenposition zu Wagenknecht vertraten beispielsweise Manfred Uschner von der Sozialdemokratischen Plattform oder André Brie. Uschner warf den Orthodoxen vor, eine neue Art von Dolchstoßlegende zu pflegen.1220 André Brie schrieb, die Niederlage der DDR müsse objektiv als Fortschritt angesehen werden. Durch diese Niederlage sei Sozialismus beziehungsweise sozialistische Politik in Deutschland erst möglich geworden.1221 Historisch-programmatische Stellungnahmen der PDS griffen immer wieder die in der Partei und darüber hinaus in Teilen der Bevölkerung der östlichen Bundesländer anzutreffende DDR-Nostalgie auf. Für Patrick Moreau handelte es sich dabei um eine DDR-Nostalgie, die sich nicht auf das beziehe, was die DDR wirklich war, sondern auf eine gewissermaßen virtuelle DDR, auf ein Kunstgebilde, das zur Rettung einiger konstitutiver Prinzipien der PDS-Identität erschaffen werde.1222 Hier gab es eine Parallele zu NS-Nostalgikern, die beispielsweise den Autobahnbau unter dem Nationalsozialismus hervorheben. Moreaus Sichtweise wurde auch von einzelnen PDS-Politikern und Gliederungen geteilt. So sah sich der Landesvorstand der PDS MecklenburgVorpommern schon 1994 genötigt, zu erklären, aus DDR-Nostalgie erwüchsen keine Antworten auf die brennenden politischen Fragen der deutschen Gegenwart.1223 André Brie zog einen anschaulichen Vergleich: Ehemalige DDR-Bürger erinnerten sich an eine DDR, „die es so nie gegeben hat. Wie man etwa in Museen von Deutschstämmigen in den USA oder Namibia Bilder von einem Deutschland vorgeführt bekommt, das niemals existierte: mit einem grundgütigen Kaiser oder Kanzler und glücklichen Menschen, die in Frieden und Eintracht miteinander lebten, deutsche Wertarbeit leisteten und die Welt mit Dichtern und Denkern beglückten.“1224 Gero Neugebauer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die PDS negative Seiten der DDR ausblende. So erwähnte sie in ihrem Programm weder eigene ökonomische Schwächen der DDR, wirtschaftsorganisatorische Mängel oder falsche forschungspolitische Entscheidungen noch die spezifischen Abhängigkeiten aus dem Außenhandel

1219

Wagenknecht, Sahra: Antisozialistische Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzung. Zwei Taktiken im Kampf gegen die sozialistische Welt. – Bonn 1995, S. 166. 1220 Vgl. Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 175. 1221 Vgl. Brie, André: Ankommen in der Bundesrepublik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 10/1996, S. 1161-1165 (1162 f.). 1222 Vgl. Moreau, Patrick: Politische Positionierung der PDS – Wandel oder Kontinuität? – München 2002, S. 306. 1223 Vgl. „Mit dem Ende der DDR ist Sozialismus in Deutschland erst möglich geworden.“ Erklärung des Landesvorstandes der PDS Mecklenburg-Vorpommern, in: PID, Nr. 16/1994, S. 2. 1224 Brie, André: Ankommen in der Bundesrepublik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 10/1996, S. 1161-1165 (1163).

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mit der Sowjetunion.1225 DDR-Nostalgie gipfelte in Äußerungen wie etwa von Sahra Wagenknecht, die in ihrem Referat bei der Konferenz „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“ sagte, die DDR sei im Vergleich zur Bundesrepublik in jeder Phase ihrer Entwicklung das friedlichere, sozialere und menschlichere Deutschland gewesen.1226

8.1. Rezeption klassischer Theoretiker des Sozialismus Mit dem Marxismus-Leninismus hatten die Staatsparteien in den realsozialistischen Ländern eine verbindliche Weltanschauung. Beim Außerordentlichen Parteitag der SED löste sich die Partei vom MarxismusLeninismus. In ihrem bei diesem Parteitag beschlossenen Statut bekannte sie sich allerdings noch zum Marxismus als theoretischer Grundlage der Partei. Schon im Programm und im Statut von 1990 rückte die Partei auch vom Marxismus als verbindlicher Grundlage ab. Die Berechtigung einer marxistischen Strömung innerhalb der PDS wurde allerdings auch von den Reformern nie bestritten. Offensichtlich wurde der Marxismus-Leninismus in der PDS nicht endgültig überwunden. So wurde noch 2003 aus den Reihen der Orthodoxen eine Rückkehr zum Marxismus-Leninismus gefordert.1227 In programmatischen Papieren erwähnte die PDS regelmäßig eine Reihe klassischer Theoretiker des Sozialismus, Richtungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, weitere von ihr als fortschrittlich oder emanzipatorisch angesehene Bewegungen, ihr sozialdemokratisches und kommunistisches Erbe sowie gelegentlich auch liberale, libertäre oder christliche Einflüsse. Die PDS berief sich auf diese Geschichte, stellte sich in ihre Tradition und wollte sie fortentwickeln. Sie betonte – auch in Abgrenzung zur SED - stets, sie lehne ideologische Enge ab und nehme die Tradition kritisch in sich auf. Ideologische Enge machte die PDS für Fehlentwicklungen und das Scheitern der DDR mitverantwortlich. Dass die Partei sich vom MarxismusLeninismus lossagte und verschiedenen Sozialismusvorstellungen öffnete, ermöglichte ihr eine gewisse Distanzierung von der eigenen Vergangenheit und eine zumindest teilweise Exkulpierung der sozialistischen Idee. Die PDS distanzierte sich vom Dogmatismus, bezeichnete den Marxismus-Leninismus als pseudowissenschaftlich und sprach sich gegen eine verbindliche 1225

Vgl. Neugebauer, Gero: Anmerkungen zum Geschichtsbild in der Programmatik der PDS, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 199-222 (209). 1226 Vgl. Wagenknecht, Sahra: Anforderungen an die PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 6-8 (8). 1227 Vgl. Triller, Wolfram: Was jetzt tun? – Überlegungen nach dem Sonderparteitag der PDS, in: Weißenseer Blätter, Nr. 2/2003, S. 34-39 (35).

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Weltanschauung und für einen linken Pluralismus aus. Davon ausgenommen waren stalinistische Positionen. In den sozialistischen Staaten verfemte Theoretiker wurden in die Ahnenreihe aufgenommen, auch weil sie als von den Deformationen und Verbrechen in diesen Staaten unbelastet angesehen wurden. Dass die PDS sich auch auf sozialdemokratische Theoretiker berief beziehungsweise diese zu vereinnahmen versuchte, wurde aus den Reihen der SPD als Usurpation zurückgewiesen. Die PDS stellte sich in die Tradition einzelner Theoretiker und historischer politischer Bewegungen. Einige Vertreter der PDS legen die ideologischen Wurzeln der Partei dabei sehr weit aus. Auf die Frage, in wessen Nachfolge die PDS steht, wurden 1995 bei der Konferenz über Herkunft und Selbstverständnis der Partei als drei Haupttraditionslinien Christentum, Aufklärung und Arbeiterbewegung genannt.1228 Mitglieder der Historischen Kommission der PDS führten in einer Stellungnahme zur Programmdebatte als unterschiedliche geschichtliche Ausprägungen einer Gegenbewegung zum Kapitalismus auf: „Utopismus - Maschinenstürmerei – Tradeunionismus – Chartismus1229 – Arbeiterbewegungssozialismus – politische Parteien und deren Differenzierung vor allem in eine sozialreformerische und eine radikal-revolutionäre Richtung – Ausbruchsversuche in Gestalt der Pariser Kommune, des Sowjetregimes bzw. des „Realsozialismus“, Kampf um sozialstaatliche Ausgestaltung und Eingrenzung des kapitalistischen Systems – und manches andere mehr.“1230 Manfred Behrend zählte zu den Traditionen der PDS „alles, was es an Widersetzlichkeit gegen Unterdrückung und Versklavung, an Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung, Krieg und politischen Mord gegeben hat. Der Spartakusaufstand und die Ketzerbewegung im Mittelalter, die Bauernkriege, die großen Befreiungsbewegungen und Revolutionen der Neuzeit“.1231 In seinem Referat bei einem Hearing des PDS-Parteivorstands zur Programmdebatte holte auch André Brie weit aus und sprach von Jahrtausende alten Wurzeln des Sozialismus: „Die sozialistische Idee hat sich in mindestens zweieinhalbtausend Jahren entwickelt aus den Sehnsüchten und Nöten unterdrückter und ausgebeuteter Menschen. Sie hatte und hat in diesen vielen Jahrhunderten unterschiedliche Gestalt: bei Mo Di im alten China, bei antiken 1228

Vgl. Seidel, Helmut: Traditionen und Visionen, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 12-20 (13). 1229 Britische Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. 1230 Benser, Günter/Czerny, Jochen/Hofmann, Jürgen/Libera, Kurt/Mayer, Herbert/Otto, Wilfriede: Wortmeldung von Vertretern der Historischen Kommission der PDS zur Programmdebatte, in: Marxistisches Forum: Zur Programmdebatte der PDS. Positionen – Probleme – Polemik. Berlin 2000, S. 19-21 (20). 1231 Behrend, Manfred: Traditionslinien eines demokratischen Sozialismus, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 138-142 (140).

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griechischen und römischen Philosophen, im Gleichheits- und Erlösungsanspruch des Neuen Testaments und der frühchristlichen Gemeinden, in den Predigten und politischen Programmen des protestantischen Thomas Münzer, bei Vertretern der bürgerlichen Aufklärung im 18. Jahrhundert, vormarxistischen Sozialisten in Frankreich, Großbritannien, Nordamerika und Deutschland, in dem so prophetischen Brief des Indianerhäuptlings Seattle an den amerikanischen Präsidenten, in der jüdischen Kibbuz-Bewegung, im Kuba Fidel Castros, im China Deng Xiaopings, in den Vorstellungen linker Sozialdemokraten, in der Südafrikanischen Kommunistischen Partei oder auch bei den Mitgliedern der PDS, einer Partei, die aus dem Scheitern des verstaatlichten Sozialismus in der DDR, aber auch aus den Anstrengungen, ihn zu demokratisieren, entstanden ist.“1232 In den Programmen und auch in weiteren programmatischen Papieren der PDS wurden wichtige Theoretiker des Sozialismus, die der Partei als Vorbild dienen sollten, namentlich aufgeführt. Das Parteiprogramm von 1990 berief sich auf die dialektischen und materialistischen Auffassungen von Karl Marx und Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht und August Bebel, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Lenin und Antonio Gramsci, deren Ideen die Partei kritisch in sich aufnehmen wolle.1233 Diese Breite sollte auch in Abgrenzung zur SED für das Konzept einer sozialistischen Sammlungs- oder Strömungspartei stehen.1234 Dass sich die PDS hier zugleich auf Bernstein und Kautsky bezog, charakterisierte Andreas Fraude als einen personifizierten ideologischen Kompromiss.1235 Es ist naheliegend, dass Beobachter meinten, im Richtungsstreit der PDS wiederholten sich Fragestellungen des Revisionismusstreits.1236 Beim Außerordentlichen Parteitag der SED hatte Hans Modrow noch Ernst Thälmann, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl zu den Ahnen der Partei gezählt. Auch Lenin wurde, ohne dass dies begründet wurde, in späteren relevanten programmatischen Papieren der PDS nicht mehr namentlich erwähnt. Stattdessen wurde die russische Oktoberrevolution als Ereignis mit positiven Folgen hervorgehoben. Allerdings zitierte der „Spiegel“ ein Dokument des Bundesinnenministeriums von 2007, in dem es hieß, Lenin und Stalin prägten bis heute die Strategie der Linkspartei.1237 1232

Brie, André: Für eine moderne sozialistische Programmatik, in: PID, Nr. 25/1992, S. 3-6 (3). Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 11. 1234 Vgl. Wilke, Manfred: Die Post-Kommunisten und die deutsche Demokratie, in: German Studies Review, Nr. 2/1997, S. 293-316 (298). 1235 Vgl. Fraude, Andreas: „Reformsozialismus“ statt „Realsozialismus“? Von der SED zur PDS (Osteuropa – Politik, Wirtschaft und Kultur, Bd. 4). – Münster 1993, S. 35. 1236 Vgl. Chung, Carl: Von Lenin zu Bernstein?, in: Beinert, Heinz (Hg.): Die PDS – Phönix oder Asche? – Berlin 1995, S. 30-60 (51). 1237 Vgl. Stalins Ratschläge, in: Der Spiegel, Nr. 21/2007, S. 20. 1233

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Im PDS-Programm von 1993 wurden nur noch Karl Marx und Friedrich Engels als Ahnen der Partei genannt. Die PDS fühle sich dem Erbe von Marx und Engels, den vielfältigen Strömungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung sowie anderen revolutionären und demokratischen Bewegungen kritisch verbunden.1238 Anlässlich der Vorstellung des Programmentwurfs von 2001 beteuerte die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer, die Partei werde sich auch in Zukunft oft auf das Denken von Marx und Engels berufen.1239 Im Programm von 2003 bekannte die PDS, dem Erbe von Marx und Engels und der Aufklärung kritisch verbunden zu sein.1240 Ein von den Delegierten des Chemnitzer PDS-Programmparteitags abgelehnter Änderungsantrag zum Programm von 2003 wollte eine Passage über das humanistische Erbe der Partei einfügen, das „von Lessing über Büchner, Heine bis Brecht und Thomas Mann, von Marx, Weitling, Gramsci bis zu heutigen Globalisierungskritikern und christlichen Denkern von Schweitzer bis zu Drewermann und Küng“1241 reiche. Weitere Namen sozialistischer Theoretiker, die im Verlauf der Programmdebatte als Ideengeber der PDS Erwähnung fanden, waren Ferdinand Lasalle, Franz Mehring, Klara Zetkin1242, Karl Korsch, Theodor Adorno, Eric Hobsbawm, Jürgen Kuczynski, Robert Havemann1243, August Thalheimer1244, Wolfgang Abendroth1245, Paul Levi 1246 und Gracchus Babeuf.1247 Zur Untermauerung ihrer jeweiligen Positionen in der Programmdebatte beriefen sich sowohl Reformer als auch Orthodoxe immer wieder auf historische Autoritäten des Sozialismus, insbesondere auf Karl Marx. So schrieb Michael Brie, der von ihm mitverfasste Programmentwurf von 2001 sei mehr

1238

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: Disput, Nr. 3-4/1993, S. 36-47 (47). 1239 Vgl. Feldenkirchen, Markus: Die PDS bekennt sich zum Kapital, in: Tagesspiegel v. 28.4.2001. 1240 Vgl. Die Linke.PDS: Programm. - Berlin 2005, S. 55. 1241 Sonntag, Heinz: Änderungsantrag PR.1.18., in: Bundesgeschäftsführer der PDS (Hg.): Chemnitzer Programmparteitag der PDS. Antragsheft. – Berlin 2003, S. 40. 1242 Vgl. Engelberg, Ernst: Antikapitalistisch, nicht kapitalismuskritisch, in: Ein Programm sollte nicht mit einer Lüge beginnen. Wortmeldungen von 32 Autoren zum Programm der PDS. – O.O. 2001, S. 12 f. (12). 1243 Vgl. Hecker, Rolf: Marx im Parteiprogramm, in: Disput, Nr. 3/2003, S. 5. 1244 Vgl. Bollinger, Stefan: Innehalten und neu orientieren, in: Disput, Nr. 6/2001, S. 18-20 (19). 1245 Vgl. Münchow, Herbert: Vor Übertheoretisierung wird gewarnt. Wolfgang Abendroth gegen die „Modernesozialisten“ verteidigen!, in: Junge Welt v. 15.5.2006, von Freyberg, Jutta/Gehrcke, Wolfgang: Verfassungsrecht und Klassenkampf, in: Junge Welt v. 29.4.2006. 1246 Vgl. Gysi, Gregor: Ingolstädter Manifest, in: PID, Nr. 7/1994, S. 1-7. 1247 Vgl. Brie, Michael: Sozialismus: Ein Blick zurück in die Zukunft, in: Utopie kreativ, Nr. 129130/2001, S. 722-737 (724).

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bei Marx als alle deutschen sozialdemokratischen und kommunistischen Parteiprogramme seit 1848.1248 Die historisch-ideologischen Vorbilder der Kommunistischen Plattform wichen teilweise von denen der Gesamtpartei ab. Sie bekannte sich 1990 auch zu den Kampferfahrungen der Bolschewiki und zu Nikolai Bucharin, in dessen Auffassungen sie eine Alternative zum Stalinismus sah.1249 1993 berief sich die Kommunistische Plattform in einem Papier zum eigenen Selbstverständnis auf den Marxismus in seiner Weiterentwicklung durch Lenin und andere marxistische Theoretiker, darunter Antonio Gramsci, Leo Trotzki und August Thalheimer. Auch Mao Tse-Tung zählte sie zu ihren Vorbildern.1250 Die Kommunistische Plattform erklärte, sie sehe die Lehren dieser Theoretiker als wissenschaftlichen Kommunismus, als Methode zur gesellschaftlichen Analyse und als Theorie zur Erforschung der Grundlagen der Geschichte der Menschheit an.1251 Ein solches Verständnis unterschied sich grundlegend von demjenigen, das die Gesamtpartei in ihrer Auseinandersetzung mit der Ideologie der SED entwickelt hatte. Offensichtlich glaubte die Kommunistische Plattform sogar noch an eine gemäß der marxistischen Lehre gesetzmäßig verlaufende Geschichte. Reformer behaupteten, die Kommunistische Plattform ignoriere faktisch Theoretiker wie Luxemburg, Gramsci, Trotzki, Bucharin, Thalheimer, Brandler oder Togliatti.1252 Der Reformerflügel ging auf ein Projekt zurück, das vor der „Wende“ an der Berliner Humboldt-Universität nach Wegen für eine Reform des Sozialismus gesucht hatte. Die Mitarbeiter dieses Projekts hatten Zugang zu Schriften westlicher Wissenschaftler. Nach Angaben von Mitarbeitern des Projekts sind sie von Max Weber, Joseph Schumpeter, Norbert Elias, Karl Mannheim, Sigmund Freud, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann beeinflusst worden.1253 André Brie, der auch Mitarbeiter dieses Projekts war, nannte als weitere Ideengeber für einen Sozialismus im 21. Jahrhundert Claude Saint-Simon, Robert Owen und Michail Bakunin.1254 In einem zentralen Beitrag zur 1248

Vgl. Brie, Michael: Alles auf Anfang – zurück zu Marx, in: Freitag, Nr. 19/2001 v. 4.5.2001. Vgl. Kommunistische Plattform: Zum Selbstverständnis und zu den Zielen der Kommunistischen Plattform der PDS, in: PID, Nr. 17/1990, S. 6-8 (6). 1250 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk, Anneliese Augustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Bundestagsfraktion der CDU/CSU „Verfassungsfeindliche Bestrebungen der PDS und ihres Umfeldes“, Bundestagsdrucksache, Nr. 13/3830, S. 2. 1251 Vgl. Czichon, Eberhard/Marohn, Heinz: Zum Selbstverständnis, in: Disput, Nr. 6/1993, S. 2123 (22). 1252 Vgl. Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 262. 1253 Vgl. Land, Rainer/Possekel, Ralf: Orthodoxie und Modernität. Vom Sinn der Richtungskämpfe in der PDS, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 5/1995, S. 415-424 (420). 1254 Vgl. Brie, André: Sozialismus im 21. Jahrhundert, in: Kalaschnikow, Nr. 21/1999, S. 111-114 (111). 1249

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Programmdebatte bezeichneten André Brie, Michael Brie und Dieter Klein ihren Programmentwurf als „ganz im Sinne der Philosophie einer offenen Gesellschaft, wie sie von Karl Popper formuliert wurde“.1255 Der Einfluss der Wissenschaftler, die bei diesem Projekt mitgearbeitet hatten, zog sich seit 1989 wie ein roter Faden durch die programmatischen Äußerungen der Reformer. Mitunter fasste die PDS den Kreis ihrer Ahnen sehr weit. In dem Papier „Positionen der PDS zu Gläubigen, Religionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften“ zählte die Partei sogar Jesus und Moses Mendelssohn sowie die christlichen und jüdischen Reformer zu ihren Vorbildern.1256 In einem Beitrag zum christlich-marxistischen Dialog nannte Michael Brie als Vorläufer des Sozialismus Platon, Thomas Morus, Tommaso Campanella und Gerrard Winstanley.1257 Der PDS-Mitgliederzeitschrift „Disput“ fiel insbesondere in den ersten Jahren nach der „Wende“ die Aufgabe zu, den Parteimitgliedern die bislang weitgehend unbekannten neuen Vorbilder vorzustellen beziehungsweise in neuer Interpretation nahezubringen. Im Rahmen einer Serie erschienen in „Disput“ Kurzbiographien einer Reihe sozialistischer Theoretiker, beispielsweise Leo Trotzkis, Nikolai Bucharins, Viktor Adlers, August Thalheimers, Georgi Plechanows und Heinrich Brandlers. Das Marxistische Forum gab die Reihe „Marxistische Lesehefte“ mit Texten wichtiger Theoretiker zu für die PDS-Programmatik zentralen Themen heraus. Diese Lesehefte enthielten Beiträge von Marx, Engels, Luxemburg, Lenin, Stalin, Bucharin, Gramsci, Togliatti, Wyschinski, Adorno, Bloch und Horkheimer. Programmatische Diskussionen in der PDS erinnerten nicht nur an die Auseinandersetzungen zwischen Fundamentalisten und Realpolitikern bei den Grünen, sondern auch an historische Debatten der sozialistischen Bewegung. So wurden mehrfach Parallelen zwischen der Konzeption des modernen Sozialismus und den Positionen Eduard Bernsteins gezogen.1258 Michael Brie wiederum kritisierte, Uwe-Jens Heuer verharre auf den Positionen Karl Kautskys.1259 In einer Schrift der Kommunistischen Partei Deutschlands hieß es treffend: „Die Diskussionen und leidenschaftlichen Auseinandersetzungen 1255

Brie, André/Brie, Michael/Klein, Dieter: Die Würde des Menschen ist seine Freiheit und ist seine Gleichheit. Warum Deutschland einen Sozialismus braucht, in: FAZ v. 28.8.2001. 1256 Vgl. Positionen der PDS zu Gläubigen, Religionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Gysi, Gregor (Hg.): Wir brauchen einen dritten Weg. Selbstverständnis und Programm der PDS. – Hamburg 1990, S. 203-206 (204). 1257 Vgl. Brie, Michael: Sozialismus: Ein Blick zurück in die Zukunft, in: Utopie kreativ, Nr. 129130/2001, S. 722-737 (723). 1258 Vgl. Wagner, Ingo: Rosa Luxemburgs Kritik an Eduard Bernstein und der Moderne Sozialismus in der PDS, in: Pößneck, Ehrenfried/Wagner, Ingo: Eduard Bernstein, Rosa Luxemburg und der Sozialismus der Moderne. Ein Beitrag zur programmatischen Debatte in der PDS (Marxistisches Forum, H. 34/35). –Leipzig 2001, S. 18-33 (22). 1259 Vgl. Brie, Michael: Welcher Marxismus und welche Politik?, in: Utopie kreativ, Nr. 165166/2004, S. 648-661 (656 u. 661).

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darum, was „demokratischer Sozialismus“ ist oder sein soll, sind nicht nur innerhalb der deutschen Linken und Arbeiterbewegung nicht neu – im Gegenteil, viele der derzeit in dieser Debatte eingenommenen Positionen gleichen, zum Teil bis in die Wortwahl hinein, jenen, die bereits von verschiedenen Vertretern und Anhängern des „demokratischen Sozialismus“ in scharfen ideologischen und politischen Debatten an historischen Wendepunkten der Geschichte der Arbeiterbewegung eingenommen wurden.“1260 Ein Autor der „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform“ schrieb, in den Arbeiten Bernsteins sei „in nahezu fertiger Form das gesamte „Sortiment“ an reformistischen Argumenten und Ideen enthalten, die von heutigen „Vordenkern“ gepflegt werden.“1261 Seinen Ursprung hatte der an den Revisionismusstreit der deutschen Sozialdemokratie erinnernde Richtungsstreit der PDS schon in den Tagen der „Wende“. So berief sich die Sozialdemokratische Plattform beziehungsweise der Sozialdemokratische Studienkreis bei der SED-PDS schon bei ihrer Gründung ausdrücklich auf Eduard Bernstein.1262 Viola Neu stellte noch 2004 in der PDS Richtungskämpfe zwischen Anhängern trotzkistischer, stalinistischer, maoistischer und marxistisch-leninistischer Überzeugungen fest.1263 Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der programmatischen Diskussionen in der PDS, dass sowohl Reformer als auch Orthodoxe nicht nur sachliche Argumente, sondern auch Zitate klassischer Theoretiker des Sozialismus nutzen, um ihre jeweiligen Positionen zu untermauern. Dabei warf man sich gegenseitig vor, Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen, unvollständig wiederzugeben, eklektisch zu argumentieren oder die Werke der Klassiker gewissermaßen als Steinbruch zu nutzen. Beispielsweise kritisierte anlässlich der Vorstellung des PDS-Programmentwurfs von 2003 der Marx-Engels-Forscher Rolf Hecker (mit dieser Bezeichnung wurde Hecker in der PDS-Mitgliederzeitschrift „Disput“ vorgestellt, für die er einen Beitrag mit dem Titel „Marx im Parteiprogramm“ verfasste), Marx werde als „Steinbruch“ verwendet, um diese oder jene Formulierung zu verteidigen.1264 Diesen Vorwurf erhoben auch Kritiker aus den Reihen der Orthodoxen.1265 Die Orthodoxen gingen davon aus, sozialistische Theorie im Allgemeinen und insbesondere Marx` Schriften hätten zumindest für 1260

Opperskalski, Michael: PDS, SPD und „Demokratischer Sozialismus“ (Schriftenreihe der KPD, Nr. 22). – Berlin 1995, S. 1. 1261 Latzo, Anton: Wohin? Der „dritte Weg“ der PDS, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 1/2005, S. 1420 (19). 1262 Vgl. Sozialdemokratische Plattform in der SED-PDS, in: Neues Deutschland (b) v. 9.1.1990, nach: Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 234-237 (236). 1263 Vgl. Neu, Viola: Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus (Extremismus und Demokratie, Bd. 9). – Baden-Baden 2004, S. 48. 1264 Vgl. Hecker, Rolf: Marx im Parteiprogramm, in: Disput, Nr. 3/2003, S. 5. 1265 Vgl. Wagner, Ingo: Eine Partei gibt sich auf. Theoretisch-politische Glossen zum Niedergang der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2004, S. 40.

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einen Teil der Reformer keine Bedeutung mehr. Sie würden Zitate der Klassiker in die Auseinandersetzung um innerparteiliche Deutungshoheit nur einstreuen, wenn solche Zitate den Zielen der Reformer entsprechen oder zu entsprechen scheinen, um die traditionalistische Basis zu täuschen. Beispielsweise schrieb Uwe-Jens Heuer über den Programmentwurf von 2003, zur Versöhnung der PDS-Mitglieder würden dem eklektischen Brei des Entwurfs Marx-Zitate beigefügt.1266 Auch Orthodoxen wurde vorgeworfen, Aussagen der Klassiker willkürlich heranzuziehen.1267 Dass in Diskussionen mit Zitaten der Klassiker trotz veränderter, neuartiger und für diese unvorhersehbarer ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklungen wie mit biblischen Belegstellen oder unwiderlegbaren Gesetzmäßigkeiten argumentiert wurde, von deren Gültigkeit a priori ausgegangen wurde und bei denen nur die Exegese strittig war, erinnerte an die Interpretation der klassischen Theoretiker in den sozialistischen Staaten oder in sektenartigen sozialistischen Organisationen. Angela Marquardt kritisierte an der Praxis, Klassiker-Zitate zur Begründung der eigenen Positionen heranzuziehen, damit werde Geschichtskritik sofort wieder legitimatorischen Zwecken untergeordnet. Deswegen sei diese Art der Beschäftigung mit der Vergangenheit in erster Linie eine Kritik an der Umsetzung von Theorien, nicht aber an den Mechanismen, die die gewesenen Deformationen erst möglich gemacht haben.1268 Die PDS wollte nicht nur den Sozialismus von „in seinem Namen begangenen Verbrechen“ trennen und entlasten, sondern auch die wichtigsten Theoretiker der sozialistischen Bewegung nicht als (mit)verantwortlich für solche Verbrechen gelten lassen. Nur selten räumten PDS-Politiker ein, die Lehren von Karl Marx und anderen könnten ursächlich für spätere Fehlentwicklungen in den sozialistischen Staaten sein. Michael Brie etwa sagte, es gäbe einen Zusammenhang zwischen dem durch Marx und Engels formulierten Projekt und zentralverwaltungswirtschaftlichen Gesellschaften unter der Diktatur kommunistischer Parteien.1269 Uwe-Jens Heuer äußerte, die sozialistische Praxis unter Lenin und Stalin sei als Möglichkeit im Werk von Marx angelegt.1270 Neben Marx, der insbesondere für das Marxistische Forum und für die Kommunistische Plattform der herausragende Theoretiker war, hatten für die

1266

Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Bruch – unvermeidlich? PDS-Programmdebatte vor dem Finale (Teil 2 und Schluss), in: Junge Welt v. 3./4.5.2003. 1267 Vgl. Marquardt, Angela: Zurück in die Zukunft. Wenn der Vergangenheitsdebatte das Ziel fehlt, in: PID, Nr. 51/1995, S. 11-13 (12). 1268 Vgl. ebd., S. 12. 1269 Vgl. Brie, Michael: Sozialismus: Ein Blick zurück in die Zukunft, in: Utopie kreativ, Nr. 129130/2001, S. 722-737 (734). 1270 Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Marxismus und Demokratie in der Geschichte des Sozialismus, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 30/1997, S. 105-111 (107).

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PDS Antonio Gramsci und Rosa Luxemburg besondere Bedeutung. Die Rezeption Gramscis durch die PDS wurde bereits dargestellt. Die besondere Bedeutung Luxemburgs, nach der die der PDS nahestehende Stiftung benannt ist, für die Erneuerung des Sozialismus ergab sich insbesondere aus den Umständen ihres Todes, aus ihrer Kritik an der Herrschaftspraxis der Bolschewiki und daraus, dass sie selbst nie staatliche Herrschaft ausüben konnte, so dass sie auch nicht für Verbrechen des Sozialismus an der Macht verantwortlich gemacht werden konnte. Jochen Staadt bezeichnete Luxemburg als PDS-Heilige.1271 Eine Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem Titel „Rosa Luxemburg – Eine Ikone des Sozialismus“ sah die besondere aktuelle Bedeutung Luxemburgs für die PDS darin, dass „die heute so wichtige Quote stimmt: weiblich, links, intellektuell und geistig-moralisch „aus dem Osten“.“1272 Der Autor dieses Papiers stellte die Widersprüche in der Person Luxemburgs und ihre selektive Wahrnehmung durch die PDS heraus: „Rosa Luxemburg wird für ihren Antimilitarismus, für ihre Kritik an dem Vorgehen Lenins sowie für ihre humanistischen Ideale gerühmt, ohne dass erhellt wird, warum sie gegen den ersten Weltkrieg eintrat, was sie Lenin vorwarf und welcher Art von Humanismus sie anhing. Erneut zeigt sich, wie der Kontext ausgeblendet wurde, um so die Ikone zu erhöhen.“1273 Der Berliner Historiker Heinrich August Winkler nahm die Debatte um ein Rosa-Luxemburg-Denkmal in Berlin zum Anlass, um die Bedeutung Luxemburgs für die Kulturpolitik der PDS zu untersuchen. Für die PDS sei die Vereinbarung der SPD/PDS-Koalition, ein Luxemburg-Denkmal zu errichten, der willkommene Kontrapunkt zu den geschichtspolitischen Zugeständnissen, die sie in der Präambel des Koalitionsvertrags den Sozialdemokraten habe machen müssen.1274 Immer wieder beriefen sich sowohl Reformer als auch Orthodoxe zur Untermauerung ihrer Positionen auf Rosa Luxemburg. Beispielsweise erschienen Anfang 2004 vier kontroverse Artikel zu Luxemburg im „Neuen Deutschland“. Zwei dieser Artikel stammten von Reformern, Michael Brie1275 und Jörn Schütrumpf1276, zwei von Orthodoxen, Uwe-Jens Heuer1277 sowie Ekkehard Lieberam und Herbert Münchow.1278 In solchen Beiträgen warfen sich die Autoren nicht nur regelmäßig gegenseitig vor, Luxemburg für ihre 1271

Vgl. Staadt, Jochen: Mehr Ideologie wagen. Die Programmdebatte der Linkspartei als ödes Erörterungseinerlei, in: FAZ v. 6.1.2007. 1272 Neubauer, Heinz: Rosa Luxemburg – Eine Ikone des Sozialismus. - Sankt Augustin 2002, S. 4. 1273 Ebd., S. 4. 1274 Vgl. Winkler, Heinrich August: Nachdenken über Rosa L., in: Tagesspiegel v. 15.1.2002. 1275 Vgl. Brie, Michael: Die Quelle wahrer Emanzipation, in: ND v. 10.1.2004. 1276 Vgl. Schütrumpf, Jörn: Ohne die Gespenster der Vergangenheit, in: ND v. 28.2.2004. 1277 Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Prophetin des Gewaltlosen?, in: ND v. 14.2.2004. 1278 Vgl. Lieberam, Ekkehard/Münchow, Herbert: Wenn Luxemburgianer – dann auch wirklich, in: ND v. 9.3.2004.

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jeweiligen Ziele zu vereinnahmen oder selektiv aus ihrem Werk zu zitieren, sondern bekannten teilweise auch offen, dass sie sich gerade nicht auf die (vermeintlich) demokratischen Äußerungen Luxemburgs beriefen beziehungsweise dass diese nicht im Sinne der Demokratie des Grundgesetzes gedeutet werden sollten. So schrieben Lieberam und Münchow: „Jedem Linken ist es unbenommen, über Rosa Luxemburg zu denken, was er will. Aber wer sie auf eine Gegnerin von Lenin zurechtstutzt, nicht ihre Entscheidung für eine sozialistische Demokratie und gegen den bürgerlichen Parlamentarismus teilt, der sollte nicht so tun, als ob er sich als Luxemburgianer versteht.“1279 Durchaus zustimmend wurde von Teilen der PDS – beispielsweise in einer von der PDS/Linken Liste Rheinland-Pfalz herausgegebenen Schrift - erklärt, Rosa Luxemburg habe den bürgerlichen Staat und den Parlamentarismus abgelehnt, obwohl sie einige bürgerlich-demokratische Grundrechte wie Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit sowie allgemeines und gleiches Wahlrecht anerkannt habe.1280 Luxemburg habe zwar den Begriff Demokratie verwendet, jedoch in folgender doppelter Bedeutung: „negativ für parlamentarische Systeme auf der Grundlage einer kapitalistischen Ökonomie, d.h. als Bezeichnung für eine politische Form bürgerlicher Klassenherrschaft und positiv als „Herrschaft der Armen“ mit vergesellschafteter Wirtschaft sowie republikanisch-demokratischen bzw. rätedemokratischen Strukturen.“1281 Luxemburg habe ein Demokratiemodell, wie es etwa dem Grundgesetz zugrunde liegt, verworfen.1282 Sie habe Gewalt zum Erreichen politischer Ziele nicht ausgeschlossen.1283 Luxemburgs Zielsetzung und ihre Bedeutung für die PDS wurden wie folgt zusammengefasst: „Ihr Ansatz ist damit jenseits sowohl der sozialdemokratischen Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft als auch der Liquidierung demokratischer Rechte durch die Bolschewiki. Rosa Luxemburgs Werk liefert damit entscheidende Anstöße für jede radikale sozialistische Politik, die zwischen den Klippen Sozialdemokratismus und Bolschewismus hindurchgelangen will.“1284 Vereinzelt setzten sich auch PDSPolitiker kritisch mit Luxemburgs Demokratieauffassung auseinander. Wolfgang Gehrcke sprach von einer Einseitigkeit der Demokratiekonzeption Luxemburgs. Sie habe die Bedeutung der formalen Seiten der Demokratie, des Erhalts und der Erneuerung demokratischer Institutionen vernachlässigt. Es stelle sich die Frage, ob die Demokratiekonzeption Luxemburgs nicht ungewollt, aber aus der Logik der Dinge heraus, ein ähnliches Ergebnis gezeitigt 1279

Ebd. Vgl. Bierl, Peter: Rosa Luxemburg – Die rote Demokratie (Podium Progressiv, Bd. 5). – Mainz 1991, S. 80. 1281 Ebd., S. 87. 1282 Vgl. ebd., S. 89. 1283 Vgl. ebd., S. 87. 1284 Ebd., S. 89. 1280

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hätte, wie es mit den Vorstellungen von Lenin und Trotzki geschah.1285 Der Berliner Wissenschaftssenator Thomas Flierl sagte, manche Ansichten Luxemburgs entsprächen nicht dem heutigen Verständnis von Demokratie.1286 Stefan Bollinger, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS, empfahl der Partei im Rahmen der Programmdebatte eine Neuorientierung mit Blick auf ihre historischen Vorbilder und eine positive Bezugnahme auf folgende vier Traditionslinien: x

x

x

x

„erstens: die Gründung der DDR als eines unvollkommenen, auch fremdbestimmten, aber legitimen Versuches alternativer Entwicklung jenseits von Kapitalismus und Faschismus, wobei ebenfalls die Gründung der Bundesrepublik zu diskutieren ist - nicht nur unter dem Aspekt der Kontinuitäten, sondern auch der Brüche; zweitens: die Gesamtheit der antistalinistischen Opposition und Dissidenz sowohl in der DDR als auch in den deutschen und internationalen linken sozialen wie politischen Bewegungen ebenso wie alle Bewegungen gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Militarismus und Umweltzerstörung Westdeutschlands. drittens: das Jahr 1968 als das für die beiden Staaten auf deutschem Boden entscheidende Jahr des Übergangs zu einer Gesellschaftsentwicklung, in der die neuen Produktivkräfte langsam, aber zwingend nach mehr Demokratie, mehr individueller Selbstbestimmung drängten“ (...) „Und viertens zählt dazu das Jahr 1989, in dem die DDR-Bürger mit der revolutionären Erneuerung ihres sozialistischen Staatsgebildes eine Rückkehr zu den sozialistischen und demokratischen Wurzeln ihres Gesellschaftssystems anstrebten.“1287

8.2. Umstrittene Begriffe Bei den historischen Aspekten der programmatischen Debatte der PDS wurde um jede Formulierung gerungen. Dabei spielten sicherlich auch persönliche Beweggründe eine Rolle, denn die größtenteils älteren Orthodoxen wollten wohl möglichst viel von ihren Biographien retten. Im Hinblick auf die Geschichte 1285

Vgl. Gehrcke, Wolfgang: Mitbestimmung – Sozialstaatlichkeit – Reform der politischen Institutionen: Bestandteile sozialistischer Reformpolitik, in: Utopie kreativ, Nr. 91-92/1998, S. 155-162 (157). 1286 Vgl. Flierl, Thomas: Denkzeichen für Rosa Luxemburg, in: Disput, Nr. 10/2006, S. 28-30 (30). 1287 Bollinger, Stefan: PDS-Programmatik und das Schlüsseljahr 1989, in: Utopie kreativ, Nr. 141142/2002, S. 682-688 (687).

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besonders umstritten waren einige Begriffe, insbesondere Totalitarismus, Stalinismus und Unrechtsstaat. Die Anwendung dieser Begriffe auf die DDR wurde von der überwiegenden Mehrheit der PDS kategorisch abgelehnt. Viele PDS-Politiker sahen sie als Kampfbegriffe an. Uwe-Jens Heuer hob 1995 die Bedeutung der umstrittenen Begriffe für die historisch-programmatische Debatte der PDS hervor. Er rief die Partei auf, zwar nicht mehr von bürgerlicher und sozialistischer Geschichtswissenschaft zu sprechen, wohl aber Geschichtswissenschaft als Kampffeld von Politik und Ideologie anzusehen. Dabei seien nicht nur Aussagen, sondern auch und gerade Begriffe umkämpft.1288

8.2.1. Totalitarismus Die Totalitarismus-Theorien und der Totalitarismus-Begriff als gemeinsamer Oberbegriff für die nationalsozialistische Diktatur und die sozialistischen Diktaturen wurden vom größten Teil der PDS stets abgelehnt. Dass unter dem Eindruck des Endes der sozialistischen Staaten auch solche Wissenschaftler die Totalitarismus-Konzeption übernommen haben, die dieser vorher kritisch gegenübergestanden hatten, beeinflusste die Haltung der PDS zu dieser Frage von Ausnahmen abgesehen – nicht. Zwar bezeichneten auch führende PDSPolitiker die DDR als eine Diktatur1289, verbanden diese Einstufung aber meistens mit Einschränkungen. Uwe-Jens Heuer äußerte, man könne den Staatssozialismus eine sozialistische Erziehungs- oder Gestaltungsdiktatur nennen.1290 Zuweilen kam es zu verbalen Verrenkungen, beispielsweise wenn Gregor Gysi die DDR in einem Satz eine Diktatur und eine humanistische Gesellschaft nannte.1291 Vereinzelt gab es in der PDS Stimmen, die den Totalitarismus-Begriff akzeptierten. Das PDS-Statut von 1990 stellte den Stalinismus in eine Reihe mit dem Faschismus und allen anderen Formen der Verletzung der Würde des Menschen, was man als eine unausgesprochene Bejahung der TotalitarismusKonzeption deuten kann: „Entschieden kämpft die Partei gegen jede Form von Nationalismus, Faschismus, Rassismus, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, 1288

Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Rechtsstaat und Unrechtsstaat – zur PDS-Debatte, in: PID, Nr. 50/1995, S. 16 f. (16). 1289 Vgl. Gysi, Gregor: Nur wenn die SPD und die Grünen auch von links unter Druck geraten, gibt es Reformen (Interview), in: Beinert, Heinz (Hg.): Die PDS – Phönix oder Asche? - Berlin 1995, S. 106-114 (107). 1290 Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Marxismus und Demokratie in der Geschichte des Sozialismus, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 30/1997, S. 105-111 (109). 1291 Vgl. Gysi, Gregor: Das war´s. Noch lange nicht!, 3. akt. Neuausgabe. – München 1999, S. 243.

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Antisemitismus, Stalinismus und alle Formen der Verletzung der Würde des Menschen.“1292 In der Präambel ihres zweiten Statuts zollte die PDS dem Widerstand gegen totalitäre Diktaturen jeglicher Art Respekt.1293 1994 sagte Michael Brie bei der Konferenz „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“, wer Hannah Arendt gelesen habe, sollte den Begriff Totalitarismus nicht Antikommunisten überlassen.1294 In den folgenden Jahren verwendete er den Totalitarismus-Begriff wiederholt zur Charakterisierung sozialistischer Staaten.1295 2006 schrieb er, es habe totalitäre Herrschaft im Namen des Sozialismus gegeben.1296 1998 sprachen Lothar Bisky, Gregor Gysi und die Vorsitzenden der östlichen PDS-Landesverbände in einem veröffentlichten Brief an den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker von totalitären Diktaturen.1297 Stefan Bollinger, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS, schrieb, der Staatssozialismus habe totalitäre Züge aufgewiesen. Die Linke komme nicht umhin, mit dem Totalitarismus-Begriff umzugehen. Ein antitotalitärer Konsens könne eine wichtige Erkenntnis aus der Geschichte aller Diktaturen sein.1298 Später ging Bollinger noch weiter und forderte: „Wir brauchen eine Totalkritik des Realsozialismus, eines Staatssozialismus mit autoritärem, paternalistischem und patriarchalischem Charakter, der auch über totalitäre, zumindest zu Stalins Lebzeiten über offen terroristische Züge verfügte.“1299 Der sächsische PDSLandtagsabgeordnete Werner Bramke erkannte an, dass es möglich sei, mit der Totalitarismustheorie „Teile des realen Sozialismus zu erfassen“1300. Selbst der DDR-Faschismus- und Konservatismusforscher und PDS-Bundestagsabgeordnete Ludwig Elm stellte strukturelle und nominelle Ähnlichkeiten des

1292

PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 47. Vgl. Statut der Partei des Demokratischen Sozialismus, in: PDS: 2. Parteitag, 2. Tagung. – Berlin 1991, S. 120-130 (120). 1294 Vgl. Brie, Michael: Die PDS, wenn sie bestehen will, muss ständig neu erfunden werden, in: PID, Nr. 50/1994, S. 12 f. (12). 1295 Vgl. z.B. Brie, Michael: Was hätte Rosa gesagt? Über politische und soziale Menschenrechte, den Tyrannenmord und die Haltung zur Republik Kuba, in: Junge Welt v. 4.4.2006. 1296 Vgl. Brie, Michael: Was hätte Rosa gesagt?, in: Utopie kreativ, Nr. 189-190/2006, S. 710-720 (717). 1297 Vgl. Bisky, Lothar/Gysi, Gregor/Hein, Rosemarie/Holter, Helmut/Pau, Petra/Porsch, Peter/Thiel, Wolfgang/Zimmer, Gabi: Mit demokratischen Mitteln die politischen und sozialen Menschenrechte verteidigen, in: PID, Nr. 33/1998, S. 2-4 (3). 1298 Vgl. Bollinger, Stefan: Geschichtsstreit – was ist hieran notwendig?, in: Disput, Nr. 5/2000, S. 12-14 (13). 1299 Bollinger, Stefan: PDS-Programmatik und das Schlüsseljahr 1989, in: Utopie kreativ, Nr. 141142/2002, S. 682-688 (685). 1300 Interview in der taz v. 6.11.2004. 1293

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Totalitären zwischen der DDR und dem Nationalsozialismus fest.1301 2007 war in einem von Stefan Liebich, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, initiierten Papier, das von zahlreichen Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie Amtsträgern der Linkspartei unterzeichnet wurde, von totalitären Zügen des Realsozialismus die Rede.1302 Infolge des Widerstands der orthodoxen Mitglieder der PDSProgrammkommission wurde die Charakterisierung der PDS als antitotalitäre Partei nicht in die Thesen zur programmatischen Debatte von 1999 aufgenommen.1303 Der erste Programmentwurf von 2003 lehnte jeden Versuch, mit totalitären Mitteln Fortschritt zu fördern, ab. Da diese Formulierung in einem Absatz über die Geschichte stand, kann man das Wort totalitär auf die DDR beziehen, wenn dies auch nicht eindeutig ausgedrückt wurde.1304 Die Formulierung wurde schließlich nicht ins PDS-Programm von 2003 aufgenommen. Im Programm tauchte der Totalitarismus-Begriff allerdings in einem anderen Zusammenhang auf. Ein „Totalitarismus der globalen Herrschaft transnationaler wirtschaftlicher und politischer Gruppen“1305 wurde angeprangert. Die wichtigsten Beiträge zur Totalitarismus-Diskussion aus den Reihen der PDS und ihres Umfelds stammten von Gerhard Lozek, Helmut Bock, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS, und Ernst Wurl.1306 Lozek war der bedeutendste Totalitarismus-Experte der DDR.1307 Er schrieb unter Bezugnahme auf den Totalitarismus-Begriff, die Ausbildung eines zeitgemäßen historischen und politischen Selbstverständnisses der marxistischen Linken impliziere die Notwendigkeit, auch nichtmarxistische Denkansätze, die man früher abgelehnt habe, unvoreingenommen zu

1301

Vgl. Elm, Ludwig: „Zwei Diktaturen“ - „zwei totalitäre Regimes“. Die Enquete-Kommissionen des Bundestages und der konservative Geschichtsrevisionismus der neunziger Jahre, in: Klotz, Johannes/Schneider, Ulrich (Hg.): Die selbstbewusste Nation und ihr Geschichtsbild. - Köln 1997, S. 205-220 (214). 1302 Vgl. Liebich, Stefan: Keine neue Linke ohne unser Erbe, in: ND v. 17.2.2007. 1303 Vgl. Benjamin, Michael/Heuer, Uwe-Jens/Wolf, Winfried: Votum zu den Thesen der Programmkommission der PDS, in: PID, Nr. 47/1999, S. 33-48 (36), Hübner, Wolfgang: Dezidiert antikapitalistisch, in: ND v. 28.2.2000. 1304 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 9/2003, S. 1-27 (2). 1305 Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 7. 1306 Vgl. Friedrich, Wolfgang-Uwe: Denkblockaden: Das Totalitarismusmodell aus der Sicht der PDS, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 111-139 (118). 1307 Vgl. ebd., S. 116.

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überprüfen.1308 In bestimmten Perioden der Geschichte der DDR hätten sich Übergangs- und Mischformen totalitärer und autoritärer Machtausübung herausgebildet.1309 Lozek sprach sich für Diktaturvergleiche aus: „Wenn antikommunistische und antisozialistische Auswirkungen bei einem Vergleich faschistischer und stalinistischer Herrschaftssysteme nicht auszuschließen sind, dann liegt das am Stalinismus selbst, nicht in der Absicht derer, die Geschichte objektiv aufzuarbeiten bemüht sind. Und noch eines: Von der Bereitschaft zu jenem Vergleich hängt in ganz hohem Maße auch die Glaubwürdigkeit linker Faschismus-Kritik ab.“1310 Ernst Wurl sprach von einer bürokratisch-totalitären Entartung des politischen Systems in der UdSSR und später in den anderen staatssozialistischen Ländern.1311 Er berichtete, dass ihm wegen seiner Sichtweise der Totalitarismus-Frage Renegatentum vorgeworfen werde.1312 Neben Wissenschaftlern meldeten sich auch einzelne PDS-Politiker zustimmend zur Totalitarismus-Konzeption zu Wort. Beispielsweise bezeichnete Bodo Ramelow die DDR 1999 als totalitäres Regime.1313 2003 erklärte er als Vorsitzender der Thüringer PDS-Landtagsfraktion im Rahmen einer Debatte über Extremismus und Radikalismus, er bekenne sich dazu, die Strukturen der DDR als totalitär zu klassifizieren.1314 20061315, 20081316 und 20091317 äußerte er sich ähnlich. In der Berliner Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und der PDS von 2001 wurde die Berliner Mauer ein Symbol für Totalitarismus genannt.1318 Das Sondervotum der PDS-Bundestagsgruppe zum Bericht der EnqueteKommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ vermied das Wort „totalitär“. Ernst Wurl kommentierte, das Sondervotum sei zur Charakterisierung der DDR auf Adjektive wie „diktatorisch“, „autoritär“ und „bürokratisch“ ausgewichen. Im Sondervotum

1308

Vgl. Lozek, Gerhard: Stalinismus – Ideologie, Gesellschaftskonzept oder was? (Klartext, Nr. 4), 2. Aufl. - Berlin 1994, S. 26. 1309 Vgl. ebd., S, 29. 1310 Ebd., S. 25. 1311 Vgl. Wurl, Ernst: Politische Herrschaft in der DDR – totalitär, bürokratisch, autoritär?, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 199-208 (203). 1312 Vgl. ebd., S. 199 f. 1313 Vgl. Schneider, Jens: Im Widerspruch zur halben Partei, in: Süddeutsche Zeitung v. 30.8.1999. 1314 Ramelow, Bodo: Die PDS kritisiert – und macht Vorschläge, in: PID, Nr. 51-52/2003, S. 26 f. (27). 1315 Vgl. FAZ v. 29.4.2006. 1316 Vgl. Interview in der taz v. 29.5.2008. 1317 Vgl. Leserbrief Ramelows „Das schreiende Unrecht in der DDR“, in: FAZ v. 19.5.2009. 1318 Vgl. Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS in Berlin für die Legislaturperiode 2001-2006, in: FAZ v. 9.1.2002.

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wurde die DDR als eine Art Erziehungsdiktatur bezeichnet.1319 Im Entwurf dieses Votums sei der Begriff Totalitarismus noch enthalten gewesen.1320 Dietmar Keller, der Vertreter der PDS-Bundestagsgruppe in der EnqueteKommission, nannte den Staatstyp der DDR einen autoritären Sozialismus in Form einer Parteidiktatur.1321 Aufsehen in der Öffentlichkeit und scharfe Ablehnung innerhalb der PDS erregte die Äußerung André Bries, die DDR sei in gewisser Weise noch totalitärer gewesen als der Nationalsozialismus, denn im Gegensatz zu diesem sei sie zu keinem Zeitpunkt von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt worden: Wenn man „im Sinne Hannah Arendts Totalitarismus als Bewegung sieht, dann muss ich sagen: Die DDR war nicht verbrecherischer als der Nationalsozialismus, ganz und gar nicht. Aber totalitärer waren Sowjetkommunismus und DDR im Anspruch, alles unterzuordnen unter einen gestaltenden gesellschaftlichen Willen. Die Nationalsozialisten hatten ja Zustimmung, die Sowjetunion und in vielen Zügen auch die DDR mussten diese Zustimmung erzwingen. Der politische Anspruch reichte viel stärker bis ins Privatleben. Sie unternahmen den Versuch, die Wirtschaft völlig unterzuordnen, eine internationale Bewegung unterzuordnen, wozu der Nationalsozialismus nie in der Lage war.“1322 An anderer Stelle sagte André Brie im Hinblick auf den Sozialismus in der DDR, Utopien, die dogmatischen Charakter haben, könnten Ausgangspunkt von Totalitarismus sein.1323 In den PDS-Programmentwürfen von 2003 wurde die TotalitarismusDiskussion nur gestreift. Die Autoren formulierten, die PDS lehne jeden Versuch, mit totalitären Mitteln Fortschritt zu fördern, ab. Da diese Formulierung in einer Passage über die Geschichte stand, kann man sie auch auf die DDR beziehen.1324 Sie fand schließlich nicht Eingang in das neue Programm. Die Thesen zur programmatischen Debatte von 1999 bezogen sich unausgesprochen auf die Totalitarismus-Konzeption, indem sie die Freiheitsvorstellungen der PDS und ihre Idee einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft in Abgrenzung zu den in der klassischen Totalitarismus-Theorie von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski definierten allgemeinen Merkmalen der totalitären Diktatur entwickelten: Diese Freiheitsvorstellungen 1319

Vgl. Wurl, Ernst: Politische Herrschaft in der DDR – totalitär, bürokratisch, autoritär?, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. - Berlin 1996, S. 199-208 (204). 1320 Vgl. ebd., S. 204. 1321 Vgl. Eppelmann, Rainer/Keller, Dietmar: Zwei deutsche Sichten. Ein Dialog auf gleicher Augenhöhe. – Bad Honnef 2000, S. 139. 1322 Interview in der Frankfurter Rundschau v. 16.1.1999. 1323 Vgl. Interview in Mut, Nr. 370/1998, S. 42. 1324 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus – Überarbeiteter Entwurf -, in: PID, Nr. 9/2003, S. 1-27 (2), Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. Überarbeiteter Entwurf, in: PID, Nr. 35/2003, S. 2.

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und diese Idee seien prinzipiell unvereinbar mit Herrschaftsformen, in denen alle gesellschaftlichen Ressourcen beim Staat monopolisiert sind und dem Ziel dienen, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens zu steuern und zu kontrollieren. „Sie stehen im Gegensatz zu jeglicher Uniformierung des gesellschaftlichen Lebens, zu staatlicher Reglementierung aller Lebensräume, zur Gleichschaltung aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte, zu der Herrschaft und dem Informations- und Meinungsmonopol einer zentralistischen Staatspartei, mit politischem Terror und einer allgegenwärtigen Ideologie zur Absicherung und Zielorientierung solcher Zustände.“1325 Gegenüber den vereinzelten, meist nur indirekten, zustimmenden Äußerungen von PDS-Politikern zum Totalitarismus-Begriff überwog eindeutig die Ablehnung. Ludwig Elm, zu DDR-Zeiten Konservatismus- und Faschismusforscher an der Universität Jena, heute Mitglied des Marxistischen Forums und Funktionär einer Antifa-Organisation, schrieb noch 2003, die Anwendung von Totalitarismus-Theorien auf die DDR stelle militanten Antikommunismus dar. Er begründete seine Ablehnung der TotalitarismusTheorien damit, dass mit diesen unvergleichliche Geschehnisse und Opfer nivelliert würden, um den Vorrang eines überlieferten illiberalen Antikommunismus gegenüber antifaschistischen Wertvorstellungen zu gewährleisten.1326 Dietmar Keller wies in seinem Sondervotum zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“ die Anwendung des Totalitarismus-Begriffs auf die DDR zurück. Er räumte zwar ein, dass es nicht zu bestreitende Ähnlichkeiten zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der DDR gab, jedoch seien die Unterschiede so gewaltig, dass es keinen gemeinsamen theoretischen Ansatz geben könne, um die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen unter einen Begriff zu fassen.1327 Keller führte fünf Ähnlichkeiten der beiden Systeme auf, die auch er anerkannte: „a) der Mechanismus der politischen Machtausübung auf der Grundlage des Führungsanspruchs und des Machtmonopols einer Partei, einer Parteiführung oder eines Diktators; b) das Verhältnis von Staat und Partei, der Staat wird zum Hilfsinstrument der Parteiführung; c) die Verneinung der Gewaltenteilung und die Verhinderung fast jeglicher Machtkontrolle;

1325

Thesen zur programmatischen Debatte, in: PID, Nr. 47/1999, S. 2-32 (5). Vgl. Elm, Ludwig: „Zwei Diktaturen in Deutschland“, in: Antifa, Nr. 2/2003, S. 12 f. (13). 1327 Vgl. Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“ (Bundestags-Drucksache 12/7820), S. 264. 1326

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d) das Beanspruchen des weltanschaulichen Wahrheitsmonopols durch die Funktionsträger der herrschenden Partei, die Leugnung des Pluralismus in Staat und Gesellschaft; e) das Bestreben der politischen Machtorgane und Organisationen, in die privaten Lebensbereiche der Menschen einzudringen.“1328 Keller ging auch auf die Unterschiede zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der DDR ein. Besonders gravierend seien „die völlig andersgearteten welthistorischen Wirkungen und Ergebnisse des Faschismus einerseits und des Staatssozialismus andererseits – hauptsächlich in bezug auf die Lebensrechte der Völker sowie auf die Krieg-Frieden-Problematik.“1329 Ein weiteres Hauptargument Kellers bezog sich auf die Ideologien des Nationalsozialismus und des Sozialismus: „Grundverschieden sind die Herkunft und die Hauptinhalte der jeweiligen Ideologien. Während die faschistische Ideologie von Mystizismus und Irrationalismus, vor allem von der antihumanen Rassenlehre getragen wird, ist die Ideologie des „Marxismus/Leninismus“ mit dem Rationalismus und Humanismus der Aufklärung verbunden und wendet sich entschieden gegen Völker- und Rassenhass.“1330 Michael Brie lehnte zwar den Totalitarismus-Begriff nicht grundsätzlich ab, legte aber dar, welche Defizite er bei den Totalitarismus-Theorien sah. Der Mangel dieser Theorien bestehe vor allem darin, dass die neuen Strukturen und eigenmächtigen Beziehungsformen des späten Staatssozialismus, die nicht einfach auf bloße Abweichungen von einem totalitären Kern reduziert werden könnten, völlig ausgeklammert blieben.1331 Auch wenn die überwiegende Mehrheit der PDS-Politiker gegen die Anwendung des Totalitarismus-Begriffs auf die DDR war, verwendeten manche ihn in bezug auf gegenwärtige Entwicklungen. Im Programm von 2003 wurde die Behauptung aufgestellt, mit Hilfe monetärer und handelspolitischer Instrumente, wirtschaftlichen und politischen Drucks und imperialer militärischer Übermacht entstehe ein neuer Totalitarismus der globalen Herrschaft transnationaler wirtschaftlicher und politischer Gruppen.1332 Klaus Höpcke sprach schon 2000 in einem Beitrag zur PDS-Programmdebatte von einem gegenwärtig totalitär herrschenden Terror der Ökonomie als dritter Erscheinungsweise von Totalitarismus.1333 Kurz darauf 1328

Ebd., S. 264 f. Ebd., S. 265. 1330 Ebd., S. 265. 1331 Vgl. Brie, Michael: Von den Schwierigkeiten, über die DDR zu sprechen, in: Ders./Klein, Dieter: Der Engel der Geschichte. Befreiende Erfahrungen einer Niederlage. – Berlin 1993, S. 13-53 (30). 1332 Vgl. Die Linke.PDS: Programm. – Berlin 2005, S. 14. 1333 Vgl. Höpcke, Klaus: Nicht ein Geist bloß. Zur programmatischen Debatte in der PDS, in: Junge Welt v. 29.2.2000. 1329

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machte er einen Totalitarismus im Marktfundamentalismus aus1334, André Brie eine totalitäre gesellschaftliche Zerstörungskraft des Neoliberalismus.1335 Michael Brie schrieb über Aktien, deren Bewegung zu einer totalitären Kapitalverwertung werde, die die Weltgesellschaft beherrsche.1336 Bezüglich des Kapitals sprach sogar Ellen Brombacher von der Leitung der Kommunistischen Plattform von totalitärer Machtausübung1337 und totalitären Zügen der bürgerlichen Gesellschaft.1338 In einem von Marko Ferst von der Ökologischen Plattform initiierten, allerdings beim Chemnitzer PDS-Parteitag 2003 abgelehnten, Antrag zur Änderung des Abschnitts Umweltpolitik des Programmentwurfs war von totalitären Entwicklungen mit schweren Konflikten um Verteilungsgerechtigkeit und erdumspannenden Bürgerkriegen angesichts der zukünftigen ökologischen Situation die Rede.1339 Bei einer anderen Gelegenheit sprach Ferst von einem erdumspannenden Totalitarismus.1340 Auch islamischer Fundamentalismus wurde gelegentlich als totalitär bezeichnet, so von Sebastian Voigt, einem der Protagonisten des Bundesarbeitskreises Shalom der Linksjugend Solid.1341 Obwohl die meisten PDS-Politiker die Anwendbarkeit des TotalitarismusBegriffs auf die DDR verneinen, machten einige ihrerseits im Hinblick auf die Bundesrepublik Gebrauch davon. So bezichtigte Gregor Gysi die Bundesrepublik in seinem Ingolstädter Manifest eines totalitären Machtanspruchs.1342 An anderer Stelle sprach Gysi von einem linken totalitären Antinationalismus in Deutschland.1343 Patrick Moreau und Rita Schorpp-Grabiak wiederum machten in der PDS eine Denkstruktur aus, die sich zwangsläufig zum Totalitarismus hin entwickeln müsse. Sie begründeten diese Einschätzung mit einem Dualismus in Bezug auf den Kapitalismus, der Gut und Böse einander gegenüberstelle, wobei der Kapitalismus dem Bösen entspräche.1344 2009 überraschte die sächsische LINKE 1334

Vgl. Höpcke, Klaus: Hauptskandal Bankenmacht. Über neoliberale Dogmatik und „Moderne“, in: Junge Welt v. 20.6.2000. 1335 Vgl. Brie, André: Die Linke und die Realität, in: Disput, Nr. 12/2007, S. 47. 1336 Vgl. Brie, Michael: Freiheit ist immer die Freiheit der Anderen, in: Freitag, Nr. 39/2000. 1337 Vgl. Brombacher, Ellen: Referat des Sprecherrates, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 12/2008, S. 126 (6). 1338 Vgl. ebd., S. 12. 1339 Vgl. Ferst, Marko: Antrag PR.1.111., in: Bundesgeschäftsführer der PDS (Hg.): Chemnitzer Programmparteitag der PDS. Antragsheft. – Berlin 2003, S. 116-118 (117). 1340 Vgl. Ferst, Marko: Die Kopf-Mauern in der PDS, in: Frankfurter Rundschau v. 4.4.2000. 1341 Vgl. Voigt, Sebastian: Antiamerikanismus. Referat, gehalten auf der Ferienakademie der RosaLuxemburg-Stiftung im September 2005. Manuskript, S. 6 u. 24. 1342 Vgl. Gysi, Gregor: Ingolstädter Manifest, in: PID, Nr. 7/1994, S. 1-7 (3). 1343 Vgl. Interview in der Frankfurter Rundschau v. 30.9.2000. 1344 Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: Dichtung oder Wahrheit? Die Grundlinien des zukünftigen Programms der PDS, in: Politische Studien, Nr. 378/2001, S. 78-89 (82).

286

mit der Platzierung des Totalitarismusforschers und ehemaligen Direktors des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung auf der Kandidatenliste zur Landtagswahl.

8.2.2. Stalinismus Anders als der Totalitarismus-Begriff, wurde der Stalinismus-Begriff von der PDS zwar nicht abgelehnt, aber sein Inhalt war umstritten. Die Auseinandersetzung der Partei mit dem Stalinismus begann beim Außerordentlichen Parteitag der SED. Bei diesem Parteitag hielt Michael Schumann ein Grundsatzreferat mit dem Titel „Zur Krise in der Gesellschaft und zu ihren Ursachen, zur Verantwortung der SED“, in dem er sagte, die Partei breche unwiderruflich mit dem Stalinismus als System. Der beim Parteitag bekundete Wille zum Bruch mit dem Stalinismus wurde immer wieder als antistalinistischer Gründungskonsens der Partei bezeichnet. Allerdings wurde darüber nicht abgestimmt. Bei der 1. Tagung des 4. PDS-Parteitags im Januar 1995 bekräftigte die Partei die Absage an den Stalinismus und beschloss die Unvereinbarkeit stalinistischer Auffassungen mit der Mitgliedschaft in der PDS.1345 Zwar distanzierte sich die PDS wiederholt vom Stalinismus, doch es gab keine in der PDS allgemein anerkannte Definition des Stalinismus. Im Gegenteil ist in der PDS äußerst strittig, was unter Stalinismus verstanden werden soll. Manche verstehen darunter den Stalinismus im engeren Sinne, also eine Phase, die mit Stalins Tod 1953 beziehungsweise mit dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 endete. Andere beziehen den Begriff Stalinismus auf die gesamte Geschichte der DDR, obwohl der Totalitarismus beziehungsweise Autoritarismus in der DDR seit den sechziger Jahren deutlich milder war. Der Stalinismus-Streit hatte gerade auch in Zusammenhang mit der Programmdebatte eine Dimension, die über den bloßen Begriff hinausreichte. Michael Nelken, der sich jahrelang intensiv mit dem Stalinismus und der Stalinismus-Debatte in der PDS beschäftigt hat, erläuterte, dass es verfehlt sei, die Stalinismus-Debatte am Streit um den Begriff Stalinismus zu verfolgen. Denn die Stalinismus-Debatte in der PDS umfasse vielschichtige Diskurse wie beispielsweise die Debatte um Unrechtsstaat und Legitimität, die Stasi-Debatte oder die Programmdiskussion.1346

1345 1346

Vgl. Beschluss des 4. Parteitages der PDS zu den „5 Punkten“, in: Uschner, Manfred: Die roten Socken. – Berlin 1995, S. 244-247 (245 f.). Vgl. Nelken, Michael: Schwierigkeiten einer Emanzipation vom Stalinismus. Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 65/1996, S. 41-48 (41).

287

Michael Schumann analysierte beim außerordentlichen Parteitag der SED in seinem Grundsatzreferat sehr kritisch das politische System der DDR. Dieses Referat wurde in den programmatischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahre immer wieder zitiert. Schumann bemühte sich darin um eine Definition des Stalinismus: „Es entwickelte sich ein bürokratisch-zentralistisches Regime – vor dem Lenin oft gewarnt hatte -, dessen Hauptkennzeichen in Dogmatismus, Subjektivismus und schließlich in diktatorischer Herrschaft bestanden.“1347 Als Symptome des Machtmissbrauchs zählte Schumann auf: x x

x x x x

„Konzentration der Macht in den Händen eines arroganten Alleinherrschers Steuerung der Wirtschaft durch eine Kommandozentrale, der es an Verständnis für elementare Bedürfnisse der produktiven und sozialen Bereiche der Gesellschaft und für Lebensqualität der Bevölkerung fehlte Reglementierung und bürokratische Zentralisation von Kultur, Wissenschaft und Bildung, die einen Teil unserer kritischen Geister außer Landes trieb Politische Entmündigung der Bürger unserer Republik und Kriminalisierung Andersdenkender Verwandlung der Medienlandschaft in eine trostlose Informationswüste und eine widerliche Hofberichterstattung Ausgrenzung der Parteibasis aus allen innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsproblemen.“1348

Für die von Schumann beschriebenen Merkmale des politischen Systems prägte Markus Wolf die Bezeichnung Stalinismus in den Farben der DDR.1349 Schumanns Referat bescheinigte selbst Karl Wilhelm Fricke, Leiter der OstWest-Abteilung des Deutschlandfunks und langjähriger kritischer Beobachter der DDR, eine schonungslose Abrechnung mit dem Stalinismus in der DDR gewesen zu sein.1350 Demgegenüber bemängelte Johannes Kuppe, Mitarbeiter des Gesamtdeutschen Instituts, dass Schumann eine Reihe von für die Geschichtsaufarbeitung der Partei zentralen Ereignissen überhaupt nicht

1347

Schumann, Michael: Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System! Zur Krise in der Gesellschaft und zu ihren Ursachen, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/1990, S. 624-629 (625). 1348 Ebd., S. 624. 1349 Vgl. Wolf, Markus: In eigenem Auftrag. – München 1991, S. 310. 1350 Vgl. Fricke, Karl Wilhelm: Symptome eines Verfalls, in: Deutschland Archiv, Nr. 1/1990, S. 79 (8).

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erwähnt habe.1351 Im PDS-Statut von 1990 wurde verankert, die Partei kämpfe entschieden gegen jede Form von Stalinismus.1352 Michael Nelken fasste 1995 rückblickend zusammen, was beim außerordentlichen Parteitag der SED und zur Wendezeit in der Partei unter Stalinismus verstanden wurde, um gegenteilige Auffassungen zu widerlegen: Stalinismus habe nicht nur für Personenkult, Schauprozesse, Terror und Massenmord in der Sowjetunion während der Stalin-Ära, sondern für das zusammenbrechende politische System der DDR, Bürokratismus, Zentralismus, Administrieren, Willkür, fehlende Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, uneffektive Kommandowirtschaft, Gängelei des geistig-kulturellen Lebens, das Fehlen von Pressefreiheit, Reisefreiheit und so weiter gestanden.1353 Nelken beschrieb stalinistische Denk- und Argumentationsmuster als Vorstellung eines allgegenwärtigen Feindes, der innere Einheit und Geschlossenheit erfordert, als Denken in Freund-Feind-Schemata des Kalten Krieges und als ideologische Leerhülsen des Marxismus-Leninismus.1354 Eva Sturm stellte die These auf, beim außerordentlichen Parteitag der SED sei der Bruch mit dem Stalinismus nur proklamiert, nicht aber von der Gesamtpartei getragen worden.1355 Rückblickend konstatierten selbst PDSReformer wie Michael Nelken, einen anti-stalinistischen Gründungskonsens im engen Wortsinn, als allseitiges Einverständnis, habe es nicht gegeben. Ein Großteil der Mitgliedschaft habe in der Ausnahmesituation des Herbstes 1989 wahrscheinlich aus Opportunitätsgründen oder aus Orientierungslosigkeit geschwiegen, ohne einen anti-stalinistischen Konsens zu verinnerlichen oder aus Überzeugung zu bejahen. Ähnlich äußerte sich André Brie in seinen Erinnerungen an den außerordentlichen Parteitag: „Wie Ertrinkende nach dem Strohhalm, so griffen die Delegierten nach neuen Gedanken. Nichts war ausdiskutiert, fast nichts war durchdacht, kaum etwas außer der Kritik am Vergangenen und Vergehenden war verinnerlicht und durchlebt. In dieser Hinsicht stand der Neubeginn auf tönernen Füßen.“1356 Laut Nelken müsse man präzise von einem hegemonialen anti-stalinistischen Gründungskonsens sprechen. Ein hegemonialer Konsens sei aber natürlich logisch ein Widerspruch

1351

Vgl. Kuppe, Johannes: Der Außerordentliche Parteitag der SED, in: Deutschland Archiv, Nr. 1/1990, S. 52-58 (53). 1352 Vgl. PDS: Programm und Statut. - Berlin 1990, S. 47. 1353 Vgl. Nelken, Michael: Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: PID, Nr. 51/1995, S. 9-11 (9). 1354 Vgl. Nelken, Michael: Schwierigkeiten einer Emanzipation vom Stalinismus. Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 65/1996, S. 41-48 (45). 1355 Vgl. Sturm, Eva/Schmidt, Eberhard: Ein Kommentar zur Programmatik der PDS oder das Problem der Diskursunfähigkeit, in: Utopie kreativ, Nr. 84/1997, S. 81-88 (85). 1356 Brie, André: Der zweigeteilte Parteitag. Versuch eines Beitrags gegen neue Legenden, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. Eine politisch-historische Debatte. – Berlin 1996, 52-65 (52).

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in sich.1357 Laut Gabriele Zimmer sei zwar Gründungskonsens eines der meistgebrauchten Worte in der innerparteilichen Auseinandersetzung, allerdings interpretiere jeder diesen Konsens anders und mancher wolle damit nur der eigenen Interessenlage eine programmatische Autorität geben.1358 Sahra Wagenknecht sprach 1994 in ihrem Vortrag bei der Konferenz „Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen“ anstelle eines antistalinistischen Gründungskonsenses von einem antikapitalistischen Gründungskonsens.1359 Darauf, dass es in der programmatischen Debatte beim Thema Stalinismus keineswegs nur um die Vergangenheit ging, deutet eine Aussage Nelkens hin. Unverblümt erklärte er, die PDS-Reformer verteidigten in der Stalinismus-Debatte ihre innerparteiliche politisch-geistige Hegemonie.1360 Gerhard Lozek plädierte für einen differenzierten Umgang mit dem Stalinismus-Begriff. Angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen des Stalinismus solle man Stalinismus im engeren Sinne von Stalinismus im weiteren Sinne unterscheiden. Stalinismus im engeren Sinne beziehe sich auf „das Geschehen in der UdSSR, insbesondere (aber nicht nur) auf die Herrschaftsperiode Stalins“. (…) „Stalinismus im weiteren Sinne betrifft seine internationale Transformation in die und eigenständige Ausformung in den kommunistischen Parteien sowie in den Staaten des „realen Sozialismus“.“1361 André Brie hielt denjenigen, die den Begriff Stalinismus nur für die Lebenszeit Stalins gelten lassen wollten, entgegen, die Gemeinsamkeiten zwischen dem Stalinismus unter Stalin und dem Poststalinismus nach seinem Tod seien größer gewesen als die Unterschiede.1362 Horst Helas argumentierte, zwar sei es bedenkenswert, verschiedene Perioden der Herrschaft von Stalinismus getrennt zu untersuchen und eventuell auch unterschiedlich zu benennen, dennoch dürfe das Gemeinsame, dürften die durchgängigen Grundstrukturen und Wesensmerkmale, die Kontinuitätslinien nicht vernachlässigt werden.1363 An der Diskussion einzelner historischer Ereignisse entflammte in der PDS der Stalinismus-Streit immer wieder. Das meistbeachtete Beispiel dafür war ein Aufsatz Sahra Wagenknechts, der 1992 in den „Weißenseer Blättern“, einer den 1357

Vgl. Nelken, Michael: Schwierigkeiten einer Emanzipation vom Stalinismus. Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 65/1996, S. 41-48 (43). 1358 Vgl. Schütt, Hans-Dieter: Zwischen Baum und Basis. Gespräche mit Gabriele Zimmer. – Berlin 2000, S. 59. 1359 Vgl. Wagenknecht, Sahra: Anforderungen an die PDS, in: PID, Nr. 48/1994, S. 6-8 (7). 1360 Vgl. Nelken, Michael: Zur Stalinismusdebatte in der PDS, in: PID, Nr. 51/1995, S. 9-11 (9). 1361 Lozek, Gerhard: Stalinismus – Ideologie, Gesellschaftskonzept oder was? (Klartext, Nr. 4), 2. Aufl. – Berlin 1994, S. 8. 1362 Vgl. Brie, André: Von der SED zur PDS. Versuch eines Beitrags gegen neue Legenden, in: PID, Nr. 49/1995, S. 14-16 (15). 1363 Vgl. Helas, Horst: Die Stalinismusdebatte in der PDS, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, 309-324 (320).

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Orthodoxen nahestehenden Zeitschrift, erschien. Dieser Aufsatz mit dem Titel „Marxismus und Opportunismus. Kämpfe in der sozialistischen Bewegung gestern und heute“ rief empörte Reaktionen aus dem Reformerlager hervor. In ihrem Aufsatz rechtfertigte Wagenknecht Stalins Politik. Das zur Stalinzeit entstandene Gesellschaftsmodell sei in dieser historischen Situation die notwenige und einzig mögliche Form eines realisierten Sozialismus gewesen. Nicht der Stalinismus, sondern der Opportunismus habe sich als tödlich für die sozialistische Gesellschaftsordnung erwiesen.1364 Wagenknecht kritisierte Gorbatschow, weil er durch Glasnost und Perestroika zum Ende der sozialistischen Staaten beigetragen habe. Der PDS-Parteivorstand entband Wagenknecht infolge dieses Artikels von der Funktion als Verantwortliche für die Organisation und Auswertung der Programmdiskussion.1365 Zwar wurde Wagenknecht nach einem dringenden Appell Gregor Gysis beim 4. PDSParteitag 1995 nicht wieder in den Bundesvorstand gewählt, doch zog sie später erneut in dieses höchste Gremium der PDS und auf der Liste der PDS ins Europaparlament ein, obwohl sie sich nie von ihren umstrittenen Positionen distanziert hat. Auf den andauernden Stalinismus-Streit und die Zunahme solcher Stimmen, die sich für eine weniger negative Bewertung der Stalin-Ära aussprachen, reagierte der 4. PDS-Parteitag mit einem Beschluss, der sowohl rechtsextremistische als auch stalinistische Positionen für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der PDS erklärte: „Es gibt Grenzen, die durch kein Mitglied der PDS überschritten werden dürfen. Nationalistische, chauvinistische, rassistische, antisemitische Auffassungen sind mit der Mitgliedschaft in der PDS unvereinbar. Dies gilt ebenso für stalinistische Auffassungen.“1366 Infolge dieses Beschlusses kam es allerdings zu keinem einzigen Parteiausschlussverfahren. Einige PDS-Reformer nutzten die Programmdebatte gezielt dazu, Orthodoxe aus der Partei zu drängen. Dies erklärten mehrere führende Reformer auch öffentlich. André Brie sagte schon 1996 in einem vielbeachteten Interview gegenüber der Zeitschrift „Stern“, die Mitgliedschaft in der PDS müsse für Poststalinisten unerträglich werden.1367 Meist wurde mit Blick auf die DDR in der PDS über Stalinismus, nicht aber über Stalinisten diskutiert. Diese Herangehensweise tendierte dazu, die Schuld für Verbrechen ausschließlich bei Strukturen und nicht bei eigenverantwortlich handelnden Menschen zu suchen, und war auch dem Umstand geschuldet, dass 1364

Vgl. Wagenknecht, Sahra: Marxismus und Opportunismus. Kämpfe in der sozialistischen Bewegung gestern und heute, in: Weißenseer Blätter, Nr. 4/1992, S. 12-26 (13). 1365 Vgl. Sahra Wagenknechts Position unannehmbar, in: PID, Nr. 49/1992, S. 2. 1366 Beschluss des 4. Parteitages der PDS, nach: Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 287. 1367 Interview im Stern, Nr. 32/1996, S. 108.

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die PDS als Klientelpartei zumindest die subjektiv guten Absichten der DDRDienstklasse verteidigen musste.

8.2.3. Unrechtsstaat DDR Alle Rechtswissenschaftler und Politiker der PDS kritisierten mehr oder weniger deutlich Mängel des DDR-Rechtssystems. Doch anders als bei den Begriffen Stalinismus und Totalitarismus war bis zuletzt kein einziger PDS-Politiker bereit, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, worauf Beobachter der Partei verschiedentlich hingewiesen haben.1368 Der Historiker Heinrich August Winkler schrieb, die PDS wehre sich „mit allen Mitteln juristischer Spitzfindigkeit gegen das Eingeständnis, dass die DDR ein Unrechtsstaat war und bis zum Herbst 1989 blieb.“1369 Stefan Wolle nahm an, der Grund dafür sei, dass sich die PDS nicht völlig von der DDR als Unrechtsstaat distanzieren konnte, weil dies ihre Stamm- und Ostwähler nicht mitgemacht hätten.1370 Diese Einschätzung wurde durch die empirische Sozialforschung gestützt. 1998 antworteten auf die Frage des Allensbacher Demoskopie-Instituts „Würden Sie die DDR als Unrechtsstaat bezeichnen oder eigentlich nicht?“ 88 Prozent der befragten PDS-Anhänger mit „Eigentlich nicht“.1371 Obwohl führende Rechtspolitiker und Rechtswissenschaftler der PDS schon früh von einem im Grundsatz stalinistischen Staatsverständnis der SEDFührung, wonach Staat und Recht fast ausschließlich instrumentell begriffen worden seien, sprachen und feststellten, das DDR-Recht habe weite Bereiche politischer Rechtlosigkeit, Entmündigung und Demütigung sanktioniert, wiesen sie den Begriff Unrechtsstaat zurück, da die These vom Unrechtsstaat DDR eine differenzierte Analyse ausschließe.1372 Die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat diene zur Fortsetzung des Kalten Krieges innerhalb Deutschlands, so auch die Überschrift eines Kapitels im PDS-Programm von 1993. Das Sondervotum des Vertreters der Bundestagsgruppe der PDS/Linke Liste in der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“ räumte ein, dass die DDR „trotz aller Fortschritte auch 1368

Vgl. Jesse, Eckhard: Das Abschneiden der PDS und der Rechtsparteien bei der Bundestagswahl 2002, in: Zeitschrift für Politik, Nr. 1/2003, S. 17-36 (22), Ders.: Tiefer Riss durch Berlin und Deutschland, in: Focus, Nr. 25/2001, S. 80, Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 100. 1369 Winkler, Heinrich August: Von den eigenen Sünden ablenken, in: Die Zeit v. 11.11.1994. 1370 Vgl. Interview in der taz v. 6.12.1999. 1371 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die zwei Gesichter der PDS, in: FAZ v. 8.7.1998. 1372 Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Lieberam, Ekkehard/Schumann, Michael: Die PDS und ihr Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat, in: Utopie kreativ, Nr. 13/1991, S. 26-34 (29 f.).

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auf dem Gebiet der Rechtskultur bis zum Schluss kein Rechtsstaat“ gewesen sei, „weil wesentliche Merkmale des Rechtsstaats (Dreiteilung der Gewalten, Bindung der Staatsgewalten an das Recht) entweder fehlten oder unzulänglich ausgestaltet waren. Die Charakterisierung der DDR als „Unrechtsstaat“ oder „Unrechtssystem ist jedoch absurd, weil sie sich einer wissenschaftlichen Begründung entzieht.“1373 Zudem impliziere die Anwendung des Begriffs Unrechtsstaat auf die DDR, die Legitimität der Existenz dieses Staates zu bestreiten.1374 Bis zuletzt verwahrte sich die PDS entschieden gegen die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat. Beobachter der Partei machten hier noch 2002 eine nach wie vor intakte Weltanschauungsgrenze aus, die kein PDSPolitiker, gleich welchen Lagers, öffentlich überschreiten würde.1375 Zuweilen glichen Stellungnahmen von Vertretern der PDS zur Unrechtsstaat-Frage einem Eiertanz. Gregor Gysi beispielsweise erklärte, in der DDR seien Methoden des Unrechts und des Verbrechens angewandt worden.1376 Dennoch wies auch er den Begriff Unrechtsstaat zurück. Im Zuge der Sondierungsgespräche für eine eventuelle rot-rot-grüne Koalition in Thüringen akzeptierte die Partei 2009 erstmals den Begriff Unrechtsstaat. Mehrere Vertreter der Partei, darunter Bodo Ramelow, unterzeichneten ein Protokoll eines Sondierungsgesprächs, in dem es hieß, es müsse festgestellt werden, „dass die Menschenrechtsverletzungen und die Tatsache, dass man sich nicht in letzter Instanz auf einen Rechtsstaat verlassen konnte, sondern mit einem Willkürstaat konfrontiert sah, in letzter Konsequenz dazu führe, dass die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen sei.“1377 Nur wenige Monate zuvor hatte Ramelow die Einordnung der DDR als Unrechtsstaat noch zurückgewiesen und eine differenzierte Begrifflichkeit zur Beschreibung des DDR-Rechtssystems verlangt. Beispielsweise hatte er erklärt, er werde den Begriff Unrechtsstaat nicht grüßen wie einen Geßler-Hut. Wörtlich sagte er: „Diejenigen, die jetzt von mir verlangen, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, wollen doch nur die völlige Delegitimierung der DDR erreichen. Und das ist mit mir nicht zu machen.“1378 Die heutige Bundesrepublik als Unrechtsstaat einzustufen, fiel einzelnen PDS- beziehungsweise LinkePolitikern leichter. So äußerte Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, mit Blick auf Auslandseinsätze der Bundeswehr,

1373

Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (Bundestags-Drucksache 12/7820), S. 270. 1374 Vgl. ebd., S. 270. 1375 Vgl. Wendt, Alexander: Gefangen im Milieu, in: Die Politische Meinung, Nr. 396/2002, S. 1214 (14). 1376 Vgl. Interview im Tagesspiegel v. 8.7.2001. 1377 Protokoll des Sondierungsgesprächs vom 30.9.2009, nach: Junge Welt v. 13.10.2009. 1378 Interview in der Thüringischen Landeszeitung v. 26.5.2009.

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wegen des Verstoßes gegen das im Grundgesetz verankerte Verbot von Angriffskriegen könne man die „BRD“ als Unrechtsstaat bezeichnen.1379 Der Rechtswissenschaftler Uwe-Jens Heuer war der PDS-Politiker, der sich am intensivsten mit der Frage beschäftigt hat, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Er verneinte diese Frage nachdrücklich. Heuer und der PDSBundestagsabgeordnete Gerhard Riege widmeten dem Thema „Rechtsstaat und Unrechtsstaat“ sogar eine Monographie. Darin räumten sie ein, dass die DDRFührung nicht bereit gewesen sei, das Recht als Maß der Politik zu akzeptieren, sondern es stattdessen als Instrument der Politik angesehen habe. Allerdings versuchten Heuer und Riege, dies durch die Umstände der besonderen historischen Situation zu entschuldigen, in der die DDR sich seit ihrer Gründung befand.1380 Zudem relativierte Heuer diesen Befund, indem er ihm die Behauptung gegenüberstellte, Bürger der ehemaligen DDR würden in der Bundesrepublik erfahren, dass auch in diesem Staat Recht nicht nur Maß, sondern auch Instrument der Politik sei.1381 Heuer ging sogar so weit, die Parteilichkeit im DDR-Recht mit dem Recht in der Bundesrepublik gleichzusetzen. Was in der DDR Parteilichkeit hieß, heiße in der Bundesrepublik Gerechtigkeit.1382 Heuer und Riege schilderten in ihrem Buch „Der Rechtsstaat – eine Legende?“ aus ihrer Sicht Vorzüge und Mängel des Rechts der DDR und der Bundesrepublik. Zwar benannten sie Mängel des DDR-Rechts, doch nahmen sie diesem Befund die Schärfe dadurch, dass sie den Defiziten der DDR-Rechtsordnung tatsächliche oder vermeintliche Stärken derselben und tatsächliche oder vermeintliche Mängel des Rechts der Bundesrepublik gegenüberstellten. Selbst wenn die von Heuer und Riege aufgeführten Vorzüge des DDR-Rechts und die Mängel des Rechts der Bundesrepublik – hier wurde immer wieder der Radikalenerlass genannt -, zutreffen sollten, so wären diese Eigenschaften doch auf einer anderen Ebene angesiedelt als die Frage, ob ein Staat ein Rechtsstaat oder ein Unrechtsstaat ist. Heuer und Riege argumentierten, das DDR-Recht sei bei vielen Regelungen des Arbeits-, Zivil- und Familienrechts in Inhalt und Form bürgernäher und verständlicher als das Recht der Bundesrepublik gewesen. Auf den für die Demokratieentwicklung zentralen Gebieten des Strafrechts, insbesondere des politischen Strafrechts, des Verwaltungsrechts und des Verfassungsrechts sei das DDR-Recht allerdings weit hinter den Erfordernissen und Möglichkeiten

1379

Vgl. Interview in der Jungen Welt v. 6.11.2009. Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Riege, Gerhard: Der Rechtsstaat – eine Legende? Erfahrungen zweier Rechtswissenschaftler 1990/1991 in Volkskammer und Bundestag. - Baden-Baden 1992, S. 82 u. 88. 1381 Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Macht, Recht und Unrecht in Geschichte und Gegenwart, in: PID, Nr. 50/1992, S. 9-16 (15). 1382 Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Schumann, Michael: Das Dilemma der politischen Justiz, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 5/1994, S. 533-538 (536). 1380

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zurückgeblieben.1383 Damit war gemeint, dass die DDR-Verfassung zwar Bürgerrechte enthielt, diese aber wegen des Fehlens von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber dem Staat nicht einklagbar waren.1384 Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit hätte im Gegensatz zur marxistischleninistischen Staatslehre gestanden, „da mit ihr die einheitliche, vom Volk getragene, unbeschränkte Staatsgewalt durchbrochen würde“1385. Heuer und Riege kamen bei der Untersuchung der Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, zu dem Ergebnis, sie sei trotz einer positiven Entwicklung ihres Rechts bis zu ihrem Ende nicht zu einem Rechtsstaat geworden. Gleichzeitig lehnten sie aber die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat kategorisch ab. Sie begründen diesen Standpunkt mit dem Argument, die Qualifizierung der DDR als Unrechtsstaat diene ausschließlich politischen Zwecken wie der Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus und der Rechtfertigung von heutigen Abrechnungsmaßnahmen.1386 Obwohl Heuer selbst Teile des Realsozialismus als barbarisch charakterisierte, wies er die Etikettierung Unrechtsstaat nachdrücklich zurück.1387 Aufschlussreich ist die Aussage von Heuer und Riege, auch die sozialistische Gesellschaft habe nach Abschluss der revolutionären Umschlagphase der Rechtsstaatlichkeit zur Schaffung rechtlicher Bewegungsformen für ihre Widersprüche bedurft.1388 Hier zeigte sich eine grundsätzliche Einstellung zum Recht, die Heuer selbst an anderer Stelle kritisierte, nämlich ein instrumentelles Verständnis von Recht, das zumindest in bestimmten Situationen keine Begrenzung staatlicher Macht sein soll. Man kann in dieser Aussage eine Rechtfertigung des Unrechts zumindest in der Frühphase der DDR und eine Parallele zu der umstrittenen Äußerung Sahra Wagenknechts sehen, derzufolge der nächste Sozialismus sich mehr Demokratie werde leisten können. Aus dieser Aussage Rieges und Heuers kann man schließen, dass das Rechtsstaatsprinzip für sie keinen eigenständigen und unabhängigen Wert hatte,

1383

Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Riege, Gerhard: Der Rechtsstaat – eine Legende? Erfahrungen zweier Rechtswissenschaftler 1990/1991 in Volkskammer und Bundestag. – Baden-Baden 1992, S. 88. 1384 Der PDS-Rechtswissenschaftler Volkmar Schöneburg erklärte, die Begründung für das Fehlen von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit sei die Annahme einer Identität zwischen Staat und Bürger gewesen. Daraus sei für das Recht und die Justiz der Schluss gezogen worden, der Bürger brauche keinen Schutz vor dem Staat und folglich auch keine dementsprechend einklagbaren subjektiven Rechte, vgl. Schöneburg, Volkmar: Recht und Repression in der DDR, in: Utopie kreativ, Nr. 91-92/1998, S. 146-154 (153). 1385 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.): DDR Handbruch, Bd. 2, 3. überarb. u. erw. Aufl. – Köln 1985, S. 1435. 1386 Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Riege, Gerhard: Der Rechtsstaat – eine Legende? Erfahrungen zweier Rechtswissenschaftler 1990/1991 in Volkskammer und Bundestag. – Baden-Baden 1992, S. 98. 1387 Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Marxismus versus Politik?, in: Junge Welt v. 16.6.2005. 1388 Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Riege, Gerhard: Der Rechtsstaat – eine Legende? Erfahrungen zweier Rechtswissenschaftler 1990/1991 in Volkskammer und Bundestag. – Baden-Baden 1992, S. 99.

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sondern je nach den Bedürfnissen des Staats gewährt oder auch wieder zurückgenommen beziehungsweise eingeschränkt werden konnte. Neben Heuer und Riege haben sich insbesondere die PDS-Politiker Michael Nelken und Volkmar Schöneburg jeweils mehrfach in programmatischen Aufsätzen zur Unrechtsstaat-Problematik geäußert. Auch Nelken sprach sich gegen die Anwendung des Begriffs Unrechtsstaat auf die DDR aus, da er Differenzierungen nicht zulasse und mit diesem Begriff bestimmte politische Zielsetzungen verbunden seien. Zur Begründung seiner Position führte Nelken an, mit dem Begriff Unrechtsstaat werde die komplexe und vielschichtige gesellschaftliche Realität der DDR in der Retrospektive auf Unterdrückung, Verfolgung, Verbrechen, Kollaboration, Mitläufertum und Anpassung einerseits und Zivilcourage und Widerstand andererseits reduziert.1389 Nelken vertrat die Ansicht, der Begriff Unrechtsstaat sei ein Instrument, um DDR-Identität auszulöschen. Eine pauschale und undifferenzierte Dämonisierung der DDRGeschichte werde dabei als Voraussetzung begriffen, eine gesamtdeutsche Identität durch die Ausdehnung der westdeutschen gewinnen zu können.1390 Volkmar Schöneburg sah in der Auseinandersetzung um den Begriff Unrechtsstaat einen Historikerstreit, der letztlich in die Formel Hitler-StalinHonecker münde und damit die „nachfaschistische BRD entsorge“. Die Anwendung des Begriffs Unrechtsstaat auf die DDR habe dabei drei wesentliche konkrete Folgen: x x

x

1389

„Einmal basiert die Abwicklung der „Staatsnahen“ samt „Rentenstrafrecht“ in Ostdeutschland auf der Pauschalunterstellung, sie hätten einem „Unrechtsregime“ gedient. Zum anderen schlägt sich dieser Kampfbegriff“ (...) „in den politischen Prozessen gegen ehemalige Grenzsoldaten der DDR nieder. In diesen wurde nämlich solcher Art Verurteilung des politischen Systems der DDR bisher mehrheitlich zur Urteilsvoraussetzung! So kam es in der überwiegenden Zahl der Verfahren zu einer unzulässigen (weil unvermittelten) Verknüpfung von politisch-moralischen Werturteilen mit solchen strafrechtlicher Natur. Die wirkliche Erforschung der spezifischen Sozialisations- und Handlungsbedingungen wurde durch Leerformeln ersetzt. Und drittens: Ohne die Konservierung, ja Wiederbelebung der Ideologie des Kalten Krieges wären wohl die abstrusen Landesverratsprozesse gegen DDR- und BRD-Spione undenkbar.“1391

Vgl. Nelken, Michael: „Unrechtsstaat“ – ein Ideologem am „Ende der Geschichte“, in: Utopie kreativ, Nr. 21-22/1992, S. 29-38 (30). 1390 Vgl. ebd., S. 33. 1391 Schöneburg, Volkmar: Vom „Unrechtsstaat“ in den „Rechtsstaat“?, in: Disput, Nr. 18/1993, S. 12-14 (12).

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Solche Argumente ermöglichten der PDS, so Manfred Wilke, eine „offensive Interessenwahrnehmung für die funktionslos und damit arbeitslos gewordenen Parteisekretäre, Marxismus-Leninismus-Lehrer, Offiziere und hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Offiziere und Unteroffiziere der Grenztruppen und der NVA und nicht zuletzt die Funktionäre der Massenorganisationen der SED.“1392 1995 machte Schöneburg darauf aufmerksam, dass die Formulierung des Parteiprogramms, die antifaschistischdemokratischen Veränderungen hätten in einem berechtigten Gegensatz zur Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland gestanden, unter anderem ein Ergebnis der Zurückweisung der These vom Unrechtsstaat und der mit dieser zusammenhängenden Delegitimierungsversuche sei.1393 In einem Aufsatz, in dem er das Recht der DDR mit dem Recht des nationalsozialistischen Staates verglich, sprach Schöneburg von unmenschlicher Rechtsbeugung in der DDR. Das Recht sei zum Instrument der Durchsetzung stalinistisch geprägter Parteipolitik geworden. Grund- und Menschenrechte seien nur partiell eingehalten worden. Es habe Rechtsnihilismus und Rechtsbruch durch Partei- und Staatsfunktionäre gegeben. Schöneburg erkannte sogar Kontinuitäten zum Recht im nationalsozialistischen Staat.1394 Die Terminologie in den Urteils- und Gesetzesbegründungen vornehmlich der fünfziger Jahre erinnere beschämend an die der nationalsozialistischen Justiz.1395 Zu politischen Gerichtsverfahren führte Schöneburg aus, die normativen Grundlagen des Staatsschutzes müssten von den ungesetzlichen Mechanismen der direkten machtpolitischen Eingriffe in die Justiz getrennt werden: „In solchen Verfahren fand die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner oft nur noch scheinbar justizförmig statt, standen die „Urteile“ bereits vorher fest.“1396 An anderer Stelle kritisierte Schöneburg kautschukartige Tatbestandsbeschreibungen.1397 Ein zusätzlicher Grund, die Anwendung des Begriffs Unrechtsstaat auf die DDR abzulehnen, war für Schöneburg, dass, wenn jeder Staat, der kein klassischer bürgerlicher Rechtsstaat ist, als Unrechtsstaat qualifiziert würde, 1392

Vgl. Wilke, Manfred: Die PDS: Partei der Spaltung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 70-98 (85). 1393 Vgl. Schöneburg, Volkmar: Unrechtsstaat DDR?, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, 334-346 (340). 1394 Vgl. Schöneburg, Volkmar: Recht im nazifaschistischen und im „realsozialistischen“ deutschen Staat – Diskontinuitäten und Kontinuitäten, in: Neue Justiz, Nr. 2/1992, S. 49-54 (50). 1395 Vgl. ebd., S. 53. 1396 Schöneburg, Volkmar: Unrechtsstaat: Wissenschaft, Moral oder Ideologie?, in: Utopie kreativ, Nr. 21-22/1992, S. 39-47 (44). 1397 Vgl. Schöneburg, Volkmar: Recht und Repression in der DDR, in: Utopie kreativ, Nr. 146-154 (151).

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„die Konsequenz wäre, dass die überwiegende Zahl vergangener wie gegenwärtiger Staaten Unrechtscharakter hätte, einschließlich der USA zur Zeit der Gesinnungsverfolgungen unter McCarthy oder gar die BRD in der Hochzeit des Kalten Krieges in den fünfziger Jahren.“ Der Begriff eigne sich zwar zur Diffamierung, nicht aber zur wissenschaftlichen Analyse.1398 In allen Programmentwürfen spielte die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, eine Rolle. Zumeist wurde diese Frage in Zusammenhang mit dem Streit um Totalitarismus und Stalinismus beziehungsweise im Rahmen der Kapitel über das Geschichtsverständnis der Partei thematisiert. Allerdings gingen die meisten Programmentwürfe nicht ausführlich auf die UnrechtsstaatFrage ein. Nur ein Programmentwurf widmete sich ausführlicher dem Rechtssystem der DDR. Die entsprechende Passage lautete: „Einer Überarbeitung hätte das politische Strafrecht der DDR bedurft, es war keineswegs demokratisch, dass politisch Andersdenkende kriminalisiert wurden, anstatt die aufgeworfenen Dinge ernst zu nehmen und mit politischen Mitteln zu klären. Eindeutige rechtliche Grundlagen mit klar formulierten Rechten und Kontrollmechanismen wären auch für die Arbeit des MfS erforderlich gewesen.“1399 Zwar wandte sich der Autor gegen Auswüchse der Repression in der DDR, doch offensichtlich hielt er den Auftrag der Staatssicherheit für grundsätzlich berechtigt. Weiterhin bemängelte er, in der DDR hätte es keine klare Trennung zwischen Legislative und Exekutive sowie keine demokratischen Kontrollmechanismen gegeben.1400 Diese ohnehin verhaltene Kritik schränkte er allerdings durch die Behauptung ein, das Recht in der Bundesrepublik trage Klassencharakter, zumindest unter dem Gesichtspunkt, dass man zur Einforderung des Rechts Geldmittel benötige.1401 Auch die Autoren des Kommentars zur Programmatik der PDS äußerten sich zur Unrechtsstaat-Problematik: Aus der Annahme, der Gulag sei der blutigste Ausdruck der Willkür des Stalinismus und die politische Justiz der DDR eine „aufgeklärtere“ Form gewesen, ergebe sich, dass die realsozialistischen Gesellschaften in diesem Sinne keine Rechtsstaaten gewesen seien. Sie dürften allerdings auch keinesfalls pauschal als „Unrechtsregime“ abgetan werden.1402 Ein wichtiger Grund, warum PDS-Politiker den Unrechtsstaat-Begriff ablehnten, war die Anwendung der sogenannten Radbruchschen Formel in Prozessen wegen staatlichen Handelns in der DDR, das gegen Naturrecht verstieß. Der Rechtswissenschaftler Gustav Radbruch hatte unter dem Eindruck 1398

Vgl. Schöneburg, Volkmar: Recht im nazifaschistischen und im „realsozialistischen“ deutschen Staat – Diskontinuitäten und Kontinuitäten, in: Neue Justiz, Nr. 2/1992, S. 49-54 (49). 1399 Programmentwurf von Udo Haupt, in: Disput, Nr. 1/1993, S. 27-40 (30). 1400 Vgl. ebd., S. 30. 1401 Vgl. ebd., S. 33. 1402 Vgl. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. (Hg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar. – Berlin 1997, S. 252.

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des Nationalsozialismus die nach ihm benannte Formel geprägt, wonach positives Recht dann als Unrecht anzusehen ist, wenn der Widerspruch eines Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz der Gerechtigkeit weichen muss. Mit der Radbruchschen Formel wurde etwa in Prozessen gegen Mauerschützen argumentiert, um Grenzsoldaten der DDR, die den Schießbefehl befolgt hatten, verurteilen zu können, obwohl sie in Einklang mit DDR-Gesetzen gehandelt hatten. Uwe-Jens Heuer meinte in diesem Zusammenhang, es komme einer Quadratur des Kreises gleich, wenn die DDR als Unrechtsstaat qualifiziert und gleichzeitig der Staat DDR an seinem eigenen Recht gemessen werde.1403 Die Diskussion über Rechtsstaatlichkeit wurde in der PDS nicht nur hinsichtlich der Verteidigung der DDR, sondern auch der Kritik an der Bundesrepublik geführt. So griffen Uwe-Jens Heuer, Ekkehard Lieberam und Michael Schumann die Konstruktion des Rechtsstaats in der Bundesrepublik an. In der Bundesrepublik sei der Rechtsstaat von konservativen Kräften zur zentralen Kategorie erhoben worden. Er habe sowohl den demokratischen als auch den Sozialstaat weitgehend verdrängt. Das Recht sei über das Gesetz gestellt worden. Die Interpretation des Rechts durch das Bundesverfassungsgericht solle dieses zum Supergesetzgeber machen.1404 Eine Besonderheit der Diskussion über die Unrechtsstaat-Frage war, dass die PDS-Politiker, die sich daran beteiligten, in diesem Punkt strikt auf einer formalen Trennung von Recht und Moral bestanden, wohingegen sie auf anderen Politikfeldern regelmäßig moralisch argumentierten. Volkmar Schöneburg sprach in diesem Zusammenhang von einer oft rückwärtsgewandten, selektiven Moral: „Weder der chilenische Staat unter Pinochet noch der südafrikanische „Rassistenstaat“ werden als „Unrechtsstaat“ deklariert. Oder: Wer käme gar auf den Gedanken, die katholische Kirche des Mittelalters mit ihren Kreuzzügen und ihrer Inquisition als „Unrechtsregime“ zu qualifizieren. Was ist mit dem Römischen Reich, in welchem der größte Teil der Bevölkerung lediglich Rechtsobjekt war?“1405 Ähnlich argumentierten sowohl Michael Brie als auch der dem Marxistischen Forum angehörende Rechtshistoriker Detlef Joseph. Brie schrieb, wenn alle Staaten, die keine Rechtsstaaten waren, als Unrechtsstaaten zu klassifizieren wären, wäre die menschliche Geschichte – abgesehen von einer kurzen westlichen Episode –

1403

Vgl. Heuer, Uwe-Jens: Rechtsstaat und Unrechtsstaat – zur PDS-Debatte, in: PID, Nr. 50/1995, S. 16 f. (17). 1404 Vgl. Heuer, Uwe-Jens/Lieberam, Ekkehard/Schumann, Michael: Die PDS und ihr Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat, in: Utopie kreativ, Nr. 13/1991, S. 26-34 (32). 1405 Schöneburg, Volkmar: Unrechtsstaat: Wissenschaft, Moral oder Ideologie?, in: Utopie kreativ, Nr. 21-22/1992, S. 39-47 (44).

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nichts als die Geschichte von Unrechtsstaaten.1406 Für das ambivalente Verhältnis von Marxisten zum Recht, so Joseph, könne man auf die negativen Erfahrungen verweisen, „die revolutionäre Sozialdemokraten und Kommunisten während des Kaiserreichs mit Sozialistengesetz und Klassenjustiz in Gestalt der Majestätsbeleidigungs- und Hochverratsprozesse, während der Weimarer Republik mit der Einäugigkeit der Verfolgung Linker oder während der Zeit nazistischer Gesetzgebung ohne Recht und der Blutrichterjustiz mit kapitalistisch-imperialistischem Recht und seiner Vollstreckung machten. Die Erfahrungen, die Linke in der Alt-BRD mit ihren politischen Prozessen und Berufsverboten und mit der schonenden Behandlung von Naziverbrechern machten, seien hier nur erwähnt, nicht besonders aufgelistet.“1407 Michael Brie verließ bei seiner Auseinandersetzung mit der UnrechtsstaatThese die juristische Argumentationsebene und begründete seine Auffassung mit Gerechtigkeitserwägungen, womit er indirekt den Unrechtsstaat-Vorwurf an Staaten mit marktwirtschaftlichem System richtete: „Auch ein Rechtsstaat kann zu einem Unrechtssystem werden – durch ein Wirtschaftssystem z.B., das bedeutende Teile der Bevölkerung des Rechts auf Arbeit, auf eigenständigen Wohnraum, auf Bildung und Gesundheitsfürsorge beraubt, durch ein Leistungsund Konsumsystem, das die ökologischen Grundlagen der menschlichen Existenz untergräbt, durch indirekte Folgen, die in anderen Ländern soziale Katastrophen auslösen.“1408 Nicht nur die PDS, sondern auch unabhängige Wissenschaftler hielten den Begriff Unrechtsstaat für ungeeignet zur Kennzeichnung der DDR. So schrieb Johannes Raschka, die pauschale Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat als Antonym zum Terminus Rechtsstaat sei unangemessen: „Diese Bezeichnung fand in Deutschland auf das nationalsozialistische Regime Anwendung, das die Zuständigkeit der Gerichte durch Willkür und Terror von Polizei und SS systematisch aushöhlte.“ (...) „Obwohl der Zugriff von zentralen Justizorganen bzw. der Parteispitze auf jedes einzelne Gerichtsverfahren in der DDR im Prinzip immer möglich blieb – und dies in bestimmten Fällen auch geschah -, dürfte sich die Mehrzahl der Prozesse sowohl im Zivil-, Familien- und Arbeitsrecht wie auch im Strafrecht nach den Buchstaben des Gesetzes

1406

Vgl. Brie, Michael: Von den Schwierigkeiten, über die DDR zu sprechen, in: Ders./Klein, Dieter: Der Engel der Geschichte. Befreiende Erfahrungen einer Niederlage. – Berlin 1993, S. 13-53 (28). 1407 Joseph, Detlef: Vom schwierigen Verhältnis der Marxisten zum Recht, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. - Berlin 1996, S. 208-216 (209). 1408 Brie, Michael: Von den Schwierigkeiten, über die DDR zu sprechen, in: Ders./Klein, Dieter: Der Engel der Geschichte. Befreiende Erfahrungen einer Niederlage. Berlin 1993, S. 13-53 (28 f.).

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vollzogen haben.“1409 Dieser Argumentation Raschkas kann entgegengehalten werden, dass auch im nationalsozialistischen Staat gerade auf den von ihm genannten Rechtsgebieten Streitigkeiten nicht nur durch Willkür entschieden wurden. Auch Lothar Fritze hielt die Bezeichnung der Bundesrepublik als Rechtsstaat und der DDR als Unrechtsstaat innerhalb der wissenschaftlichen Aufarbeitungsdiskussion für von nur begrenztem Erkenntniswert: „interessant ist vielmehr, dass es in der Diktatur der DDR partiell gelang, den Eindruck rechtsstaatlicher Verhältnisse zu erwecken oder solche vielleicht auch partiell durchzusetzen, gleichzeitig jedoch jegliche Rechte sowie die Unabhängigkeit der Gerichte hätten suspendiert werden können. Oder es ist interessant, in welchen Bereichen, in welchem Maße und in welchem Sinne vielleicht doch quasi-rechtsstaatliche Verhältnisse bestanden haben, weil de facto von der Macht, in das Rechtswesen unter herrschaftsstabilisierenden oder ideologischen Gesichtspunkten einzugreifen, nicht Gebrauch gemacht wurde.“1410 Andere Wissenschaftler sahen den Schwachpunkt der PDS-Argumentation zur Unrechtsstaat-Diskussion darin, dass die Partei mit Blick auf das Dritte Reich das Etikett Unrechtsstaat zuließ.1411 Gero Neugebauer kam in seiner Analyse der geschichtlichen Aspekte der PDS-Programmatik zu dem Ergebnis, die Partei wolle mit der Ablehnung des Begriffs Unrechtsstaat der Befassung mit der Vergangenheit eine bestimmte Grenze ziehen, die nicht nur dem Schutz bestimmter Identitäten, sondern auch der Abwehr radikalerer Geschichtsarbeit dienen könnte. Neugebauer fügte diesem Befund eine Anmerkung hinzu: „Klammheimliches Unbehagen kann einen jedoch beschleichen, wenn durch die Art der Argumentation der Verdacht einer nicht inhaltlichen, aber strukturellen Identität zwischen der Behauptung der PDS und beispielsweise der Aussage des ehemaligen Marinerichters Filbinger „Was damals Recht war, kann heute nicht unrecht sein“ auftaucht und damit Analogieschlüsse nahegelegt werden, die die methodischen Probleme von Vergleichen zugunsten einer politischen Bewertung hintanstellen.“1412 Harald Bergsdorf stellte eine Analogie zwischen der Stigmatisierung der juristischen Aufarbeitung der DDR als Siegerjustiz 1409

Raschka, Johannes: „Sozialistischer Rechtsstaat DDR“: Realität oder Rhetorik?, in: Heydemann, Günther/Mai, Gunther/Müller, Werner (Hg.): Revolution und Transformation in der DDR 1989/90. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 73). – Berlin 1999, S. 87-104 (104). 1410 Fritze, Lothar: Sinn und Unsinn der „Vergangenheitsbewältigung“ – Methodologische Überlegungen, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. - Baden-Baden 1994, S. 88-111 (94). 1411 Vgl. Jesse, Eckhard: Schreibt die PDS eine Erfolgsgeschichte?, in: Die Politische Meinung, Nr. 383/2001, S. 57-61 (60). 1412 Neugebauer, Gero: Anmerkungen zum Geschichtsbild in der Programmatik der PDS, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 199-222 (215).

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durch die PDS und der diesbezüglichen Argumentation rechtsextremistischer Parteien hinsichtlich des Nationalsozialismus her.1413 Die Beschäftigung mit der und die Auseinandersetzungen über die Geschichte der SED, der DDR, des Staatssozialismus insgesamt und der sozialistischen Bewegungen nahmen in den Programmdebatten der PDS breiten Raum ein. Dabei reichten die Positionen von völlig unkritischer Apologie bis zur schonungslosen Abrechnung mit der DDR. Die Bewertung der Geschichte durch die PDS wurde dadurch erschwert, dass sie im Rahmen der Programmdebatten nicht nur objektiv-historisch und wissenschaftlich erfolgen konnte, sondern naturgemäß auch von verschiedenen aktuell-politischen Faktoren beeinflusst wurde. Zu diesen Faktoren gehörten der Wunsch, Biographien zu „retten“ und die DDR als legitime Alternative zum westdeutschen Staat zu verteidigen, DDR-Nostalgie, das Ziel der Exkulpierung des Sozialismus, Erwartungen der Öffentlichkeit und Vorbedingungen für Zusammenarbeit seitens potentieller politischer Partner. Neben dem Streit über einzelne historische Ereignisse und die Interpretation von Quellen sozialistischer Theoretiker war der Kleinkrieg um Begriffe wie Totalitarismus, Stalinismus und Unrechtsstaat ein Hauptgegenstand historischprogrammatischer Diskussionen in der PDS. Selbst wenn in diesem Zusammenhang historische Tatbestände unumstritten waren, wurde teilweise verbissen über Bezeichnungen gestritten. Dieselben PDS-Politiker, die mit anderen Begriffen nicht so vorsichtig umgingen und schnell und leichtfertig Etiketten wie „Faschismus“ verteilten, forderten bei solchen Begriffen extreme Differenzierungen. Auch nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG dürfte die Geschichtsdebatte nicht beendet sein. Petra Pau erklärte dazu: „Dieses Stück der Geschichte ist jetzt die Geschichte der gesamten Partei. Wir müssen das weiter aufarbeiten.“1414 Allerdings ist zu erwarten, dass die Intensität der Geschichtsdebatte weiter abnehmen wird: Wegen des zeitlichen Abstands zur DDR, wegen der sinkenden Bedeutung der Erlebnisgeneration, weil bereits eine Fülle von Veröffentlichungen der PDS zur Geschichte vorliegt, weil die Öffentlichkeit die fusionierte Partei weniger in der Kontinuität zur SED sehen wird und weil die neu in die Partei gekommenen Mitglieder sich nicht schuldig und wohl auch nur bedingt verantwortlich für die SED fühlen dürften.

1413 1414

Vgl. Bergsdorf, Harald: Die PDS und rechtsextremistische Parteien, in: Die neue Ordnung, Nr. 5/2001, S. 387-391 (389). Lehmann, Armin/Meisner, Matthias: 13. August – neuer Streit um das SED-Regime, in: Tagesspiegel v. 12.8.2007.

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9. Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen

Selbstverständlich gab es eine Wechselwirkung zwischen der Programmatik der PDS und der Stellung anderer politischer Kräfte gegenüber der Partei. Das Bild der PDS in der Öffentlichkeit, die Haltung potentieller Bündnispartner und Koalitionsoptionen hingen von der Entwicklung der Programmatik ab. Die Erwartungen der Öffentlichkeit und der politischen Kräfte, mit denen die PDS eine Zusammenarbeit anstrebte, beeinflussten die programmatische Debatte der Partei. Dies räumten Vertreter der PDS auch wiederholt ein. Orthodoxe warnten regelmäßig davor, die PDS-Programmatik an solche Erwartungen anzupassen. Angela Marquardt mahnte in diesem Zusammenhang, ein neues Programm dürfe kein Koalitionsvertrag werden.1415 Reformer erklärten es dagegen für notwendig, sich programmatisch so zu entwickeln, dass die PDS bündnisbeziehungsweise koalitionsfähig und als demokratische und „normale“ Partei angesehen werde. Patrick Moreau nannte als bevorzugte Partner der PDS: Gewerkschaften, linke Christen, Pazifisten, Antifaschisten, basisdemokratische Zirkel, Ökofundis, Antiimperialisten/Antiamerikaner und so weiter.1416 Im PDSProgramm von 2003 wurde eine Reihe von Organisationen und Bewegungen aufgezählt, die als Partner der Partei angesehen wurden: „Wir Mitglieder der PDS wollen intensiver als bisher in demokratischen, sozialen und politischen Bewegungen mitwirken: in Kommunen, in Gewerkschaften und Betrieben, in Arbeitslosen- und Umweltinitiativen, in der Frauenbewegung, in der Friedensbewegung, in antifaschistischen, antirassistischen und antimilitaristischen Organisationen und Initiativen, in Jugend- und Studierendengruppen, in schwulen und lesbischen, transgenden und queeren Bewegungen, in Dritte-Welt-Gruppen, in Behindertenvereinen, in Mieter- und Verbraucherverbänden, in sozialen, kulturellen und sportbezogenen Interessengruppen. Wir achten und unterstützen das ethische Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, die in Kirchen, Religionsgemeinschaften und kirchlichen Sozialeinrichtungen tätig sind. Wir sehen in einer Vielzahl 1415

Vgl. Marquardt, Angela: Realismus heißt nicht einfach, das Erreichbare als Ziel zu formulieren, in: PID, Nr. 50/1999, S. 8-10. 1416 Vgl. Moreau, Patrick/Schorpp-Grabiak, Rita: Nach der Berliner Wahl. Zustand und Perspektiven der PDS. (Aktuelle Analysen der Hanns-Seidel-Stiftung, Nr. 27). – München 2002, S. 49.

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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internationaler und weltweit wirkender sozialer, insbesondere auch globalisierungskritischer Bewegungen entscheidende Gegenkräfte zur entfesselten kapitalistischen Modernisierung.“1417 Die SPD und die Grünen sah die PDS zwar als Konkurrenten, aber auch als potentielle Partner an. Zumindest die PDS-Reformer fühlten sich einem gemeinsamen politischen Lager mit der SPD und den Grünen zugehörig. Die PDS war sich bewusst, nur mit der SPD und nicht gegen sie Mehrheiten erreichen und an der politischen Macht beteiligt werden zu können. Im PDSProgramm von 1990 hieß es, die Partei strebe gegenüber der Sozialdemokratie ein partnerschaftliches Verhältnis an.1418 Im PDS-Programm von 2003 bekannte die Partei, langfristig ein Mitte-Links-Bündnis anzustreben.1419 Sie distanzierte sich sowohl vom Antisozialdemokratismus als auch vom Kommunismus, was auch als ein Signal im Hinblick auf mögliche weitere Koalitionen mit der SPD aufgefasst werden konnte.1420 Ungeachtet dessen bezichtigten Orthodoxe wiederholt Reformer des Sozialdemokratismus.1421 Beispielsweise dadurch, dass die SPD sich zur Neuen Mitte erklärte und die Hartz-Gesetze durchsetzte und die Grünen Auslandseinsätze der Bundeswehr mittrugen, waren Teile deren bisheriger Anhängerschaft enttäuscht oder politisch heimatlos. Die Reformer wollten die von der SPD und den Grünen geräumten politischen Positionen besetzen und die entsprechende Klientel für die PDS gewinnen. Gleichzeitig betonen sie, keine zweite sozialdemokratische Partei sein zu wollen, sondern von links Druck auf die SPD und die Grünen ausüben zu wollen.1422 Sie spekulierten lange auf die Chance, mit Hilfe westdeutscher alternativer Milieus und Intellektueller doch noch eine Westausdehnung der PDS in ihrem Sinne zu schaffen. Ob gerade die PDS als Fortsetzung der autoritären Staatspartei SED alternative Positionen glaubwürdig vertreten konnte, durfte bezweifelt werden. Sahra Wagenknecht jedenfalls befürchtete, die PDS könne die Entwicklung der Grünen im Hinblick auf den Konflikt zwischen Fundamentalisten und Realpolitikern im Zeitraffer durchlaufen.1423 Der frühere nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der Grünen Daniel Kreutz bestätigte, Wagenknechts Befürchtung sei realistisch und begründete diese Meinung: „Die Grünen gingen aus gewachsenen Bewegungen 1417

Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 21. Vgl. PDS: Programm und Statut. – Berlin 1990, S. 12. 1419 Vgl. Die Linke.PDS: Programm. – Berlin 2005, S. 53. 1420 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 20. 1421 Vgl. Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 262. 1422 Vgl. beispielsweise Land, Rainer: Das Rot-Grüne Projekt des „sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft“ und die PDS, in: Engler, Wolfgang/Guggenberger, Bernd (Hg.): Einsprüche. Kritik der politischen Tagesordnung. – Berlin 1996, S. 79-100 (79). 1423 Vgl. Fraude, Andreas: Die PDS in der „Berliner Republik“, in: Deutschland Archiv, Nr. 2/1999, S. 172-176 (174). 1418

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von unten hervor“ (...) „Die Aktivisten kannten die Risiken der Systemintegration nur zu gut und wollten anfangs eine „Anti-Parteien-Partei“, die ihr „Standbein“ in den Bewegungen behält.“1424 Dies sei bei der LINKEN anders. Jürgen Lang sah die PDS hinsichtlich ihres Verhältnisses zur SPD in einem Dilemma: „Je mehr Platz die SPD aus Sicht der „Reformer“ links von sich freigab, desto schärfer trat zwar das PDS-Profil als „linker Druckfaktor“ hervor. Desto schlechter waren aber die Aussichten, die SPD durch Koalitionen und parlamentarische Kooperationen mit ins strategische Boot zu holen – zumal die von den „Reformern“ angestrengten Versuche, die PDS auch programmatisch gegenüber den Sozialdemokraten salonfähig zu machen, in innerparteilichen Streitigkeiten steckenblieben. Hätte es umgekehrt eine inhaltliche Annäherung beider Parteien gegeben, wäre die PDS als schwächerer Teil eines möglichen „Linksbündnisses“ als eigenständige politische Kraft nicht mehr zu erkennen gewesen.“1425 Das bestehende und das angestrebte Verhältnis zur SPD beeinflusste – teils ausgesprochen, teils unausgesprochen – auch die PDSProgrammdebatte. Ein Beobachter meinte, die PDS komme mit dem neuen Programm einer Platzanweisung nach, die Gerhard Schröder ihr als ausgelagertem linken Flügel der Sozialdemokratie schon seit einiger Zeit anbiete: „Auf der Basis ihrer schwindenden Verankerung in den ostdeutschen Milieus sucht die PDS zukunftssichernde Anlehnung an einen zeitgenössischen Gefühlssozialismus, wie er auch in manchen Kreisen der SPDBundestagsfraktion durchaus hoffähig ist, dort aber Schröder beim Regieren stört. Dieses Konzept eines Wandels durch Annäherung an die SPD läuft auf eine Art Arbeitsteilung mit der Sozialdemokratie hinaus, die bislang aber nur der SPD Stimmen gebracht hat.“1426 Es gelang der PDS, einige Politiker der linken Flügel von SPD und Grünen zum Übertritt zu bewegen. Diese fanden sich - wohl zu ihrem eigenen Erstaunen - bald auch in der neuen Partei auf dem linken Flügel wieder. Beispiele dafür sind der ehemalige PDS-Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch und der ehemalige Stellvertretende Parteivorsitzende Diether Dehm. Beim PDS-Sonderparteitag 2003 in Berlin wurden sie auf Betreiben der Reformer nicht wieder in Führungsämter gewählt. 2006 schrieb dazu Dieter Dehm rückblickend: „Nahezu alle, die aus verschiedenen reformorientierten, marxistischen oder sogar zentristischen Strömungen der Sozialdemokratie in den letzten zehn Jahren in die PDS bzw. Linkspartei gekommen waren, fanden sich – meist unversehens,

1424

Interview in der Jungen Welt v. 8.2.2008. Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden Baden 2003, S. 94. 1426 Clauss, Ulrich: Die ausgestreckte Hand der PDS, in: Die Welt v. 27.2.2003. 1425

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irritiert und ungewollt – schließlich auf dem linken Flügel der „neuen“ Partei wieder.“1427 Die PDS beobachtete sorgfältig die parallel zur eigenen Programmdebatte geführten entsprechenden Debatten bei SPD und Grünen. Horst Dietzel wies 2000 im Rahmen einer vergleichenden Untersuchung der programmatischen Diskussionen der SPD, der PDS und der Grünen darauf hin, dass durch den Umstand, dass die SPD und die Grünen sowohl praktisch-politisch als auch programmatisch Positionen räumten, für die PDS eine ambivalente Situation entstand. Einerseits könne die PDS dadurch Terrain gewinnen, andererseits seien damit Gefahren in zweierlei Richtung verbunden: „Zum einen könnte die PDS der Versuchung unterliegen, die traditionalistischen Forderungen oder Positionen der SPD zu übernehmen und das Doppelte draufzusatteln. Das führt zum Strukturkonservatismus. Oder sie übernimmt alternativ-grüne fundamentalistische Positionen, die aber nicht viel einbringen würden, weil solche Positionen bei der PDS nicht besonders glaubwürdig erscheinen, ihre Politikfähigkeit folglich nicht gefördert würde.“1428 Für die Zusammenarbeit der PDS insbesondere mit der SPD stellte die SEDGeschichte ein Hindernis dar. Die SPD verlangte von der PDS als Vorbedingung für Koalitionen Distanzierungen von bestimmten historischen Ereignissen wie der Zwangsvereinigung von SPD und KPD oder dem Bau der Berliner Mauer. Während die Reformer in der Regel bereit waren, entsprechende Erklärungen abzugeben, lehnten die Orthodoxen dies ab und verwiesen ihrerseits auf aus ihrer Sicht negative, von der SPD zu verantwortende Ereignisse wie die Zustimmung zu den Kriegskrediten im Ersten Weltkrieg, den „Radikalenerlass“ oder den NATO-Doppelbeschluss.1429 Die historisch-programmatischen Annäherungsbemühungen der PDSFührung gegenüber der SPD und anderen potenziellen Partnern wurden immer wieder von entgegengesetzten Stellungnahmen und Angriffen aus den Reihen der Orthodoxen konterkariert. Mitunter äußerten sich Vertreter der Orthodoxen in einer Weise über die Sozialdemokratie, wie es die SED auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges tat. Beispielsweise führte der Historiker Manfred Behrend bei der historisch-politischen Konferenz „Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis“ über Geschichte und Gegenwart der SPD aus: Die heute dominierende Sozialdemokratie sei um des Wohls der herrschenden Klasse willen zu jeder Schandtat gegen die Beherrschten bereit. „Die Geschichte der

1427

Dehm, Dieter: Rechtsruck in der Linkspartei.PDS? Offener Brief an die Mitglieder der Linkspartei. - O.O. 2006. 1428 Dietzel, Horst: Die Grundsatzprogramm-Debatte bei SPD, Bündnis90/Die Grünen und PDS, in: Brie, Michael/Woderich, Rudolf (Hg.): Die PDS im Parteiensystem. – Berlin 2000, S. 110-118 (117). 1429 Vgl. Friedland, Günter: PDS und sozialdemokratisches Erbe, in: Disput, 1. Septemberheft/1991, S. 35-37 (36 f.).

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SPD reicht insofern vom Ja eines Noske zum deutschen Kolonialismus sowie dem Pakt Friedrich Eberts mit dem Militarismus im Ersten Weltkrieg und danach über das Abwürgen sozialistischer Entwicklungstendenzen in der Novemberrevolution, die Mitschuld an der Ermordung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und Tausender Proletarier bis zum Ja für den Panzerkreuzerbau, faktisch auch zu Brünings Notverordnungskurs und Hitlers außenpolitischem Programm. Sie setzt sich nach der Nazidiktatur in der Generallinie fort, aus sturem Antikommunismus mit konservativen und reaktionären Kräften zu paktieren, anfangs bekämpfte Kernelemente der CDUPolitik zu übernehmen, die damalige deutsche Spaltung mitzutragen und nach 1989, ungeachtet eigener programmatischer Schwüre zum demokratischen Sozialismus, an der Rekapitalisierung und Plünderung der DDR mitzuwirken. Seither trugen rechte SPD- und Gewerkschaftsführer verstärkt auch zur Deregulierung, zum Sozial-, Asylrechts- und Demokratieabbau sowie zum Übergang der Bundeswehr zu Kriegseinsätzen im Ausland bei.“1430 Solches Denken auch in bezug auf die aktuelle Politik der SPD war unter Orthodoxen weit verbreitet. Der Ablehnung des Sozialdemokratismus durch die Orthodoxen stand innerhalb der PDS auch eine positive Rezeption sozialdemokratischer Positionen gegenüber. Zuweilen sprachen sich PDS-Politiker dafür aus, explizit an historische Positionen der SPD anzuknüpfen und das sozialdemokratische Erbe vorurteilsfrei und differenziert für die PDS zu erschließen. Beispielsweise wurde angeregt, die PDS solle sich insbesondere auf folgende klassisch sozialdemokratische Konzepte beziehen: x x

x

Das Konzept der Wirtschaftsdemokratie, Die seit Ende der zwanziger Jahre geführten Verfassungsdebatten, die sich damit auseinandersetzten, inwieweit radikale, sozialistische Reformen mit Geist und Buchstaben einer bürgerlichen Verfassung vereinbar sind. Die Theorie vom Organisierten Kapitalismus über die Möglichkeiten einer weitgehenden Beeinflussung und Steuerung wirtschaftspolitischer Prozesse durch eine von sozialistischen Kräften dominierte, aber noch auf dem Boden bürgerlicher Verhältnisse befindliche Staatsmacht.1431

Neben dem Verhältnis zur SPD und zu den Grünen waren die Beziehungen der PDS zu diversen linksgerichteten und linksextremistischen Parteien, 1430

Behrend, Manfred: Traditionslinien eines demokratischen Sozialismus, in: Bisky, Lothar/Czerny, Jochen/Mayer, Herbert/Schumann, Michael (Hg.): Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. – Berlin 1996, S. 138-142 (138). 1431 Vgl. Zilkenat, Reiner: PDS braucht positives Verhältnis zum sozialdemokratischen Erbe, in: Disput, 2. Juliheft/1991, S. 36-38 (37 f.).

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Organisationen, Publikationen und Einzelpersonen von Bedeutung. Insbesondere mit sogenannten offenen Listen integrierte die PDS Teile des linken politischen Spektrums.1432 Wegen ihrer Mitgliedschaft, ihres Apparats, ihrer Finanzmittel, ihrer Organisation, ihrer Kompetenzen und ihrer parlamentarischen Vertretung war die PDS seit 1990 eindeutig die stärkste und dominierende Partei im linksradikalen beziehungsweise linksextremistischen Spektrum Deutschlands. Sie wurde daher von anderen linksradikalen und linksextremistischen Gruppierungen als Gravitationszentrum angesehen.1433 Beispielsweise spaltete sich der Kommunistische Bund in eine Mehrheit, die fast geschlossen zur PDS übertrat, und eine Minderheit. Die DKP, die zu DDRZeiten von der SED und der KPdSU gesteuert und finanziert worden war, war nach der Wiedervereinigung der erste natürliche Partner für die PDS. Jahrelang pflegte die PDS intensive und freundschaftliche Kontakte zur DKP. Diese reichten von gegenseitigen Parteitagsbesuchen über Kandidaturen von DKPMitgliedern auf PDS-Listen bei Wahlen bis zu gemeinsamen Veranstaltungen. Die Zusammenarbeit von PDS und DKP wurde in den letzten Jahren immer loser. Teile der PDS, insbesondere die Kommunistische Plattform, unterhielten allerdings nach wie vor enge und partnerschaftliche Kontakte zur DKP. 1994 sprachen sowohl der PDS-Pressesprecher Hanno Harnisch als auch der DKPSprecher Heinz Stehr mit Blick auf das Verhältnis beider Parteien zueinander von kritischer Solidarität.1434 2008 zog über die niedersächsische Landesliste der LINKEN erstmals seit Gründung der DKP vor vierzig Jahren ein DKP-Mitglied in einen deutschen Landtag ein. Als die DDR zusammenbrach, war die DKP zerrissen zwischen einer SEDtreuen Parteiführung einerseits und einem oppositionellen Reformflügel von Anhängern der Gorbatschowschen Linie von Glasnost und Perestroika andererseits. Zwar kam es nicht zu einer Vereinigung der PDS und der DKP, doch traten führende Vertreter der DKP-Reformströmung zur PDS über, wo einige von ihnen, zum Beispiel Wolfgang Gehrcke, bald wichtige Ämter bekleideten. Außer zu anderen Parteien, war für die PDS insbesondere in den ersten Jahren nach der Wende das Verhältnis zu Bürgerrechtlern von Bedeutung. Manche Beobachter glaubten sogar, ein Teil der PDS-Führung und des intellektuellen Umfelds der Partei seien an einem Zusammengehen oder gar einem Zusammenschluss mit Bürgerbewegungen interessiert. Da solche Ambitionen bei diesen auf Ablehnung stießen, seien, so das „Deutschland 1432

Vgl. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. Baden-Baden 1994, S. 180-193 (186). 1433 Vgl. ebd., S. 192. 1434 Vgl. Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 245.

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Archiv“ 1991, die eher modernen Jungen in der PDS an die Orthodoxen gebunden. Auch eine Sozialdemokratisierung der PDS sei – im Gegensatz zu anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks – wegen des Abgrenzungskurses der SDP und später der SPD ausgeschlossen.1435 Traditionell sind Gewerkschaften die größten und wichtigsten Organisationen, mit denen sozialistische Parteien eine Zusammenarbeit anstreben. So wurde in einem Beitrag zur PDS-Programmdebatte dafür geworben, die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften zu intensivieren, da diese die wichtigsten Organisationen seien, die das Klassenbewusstsein stärkten. Sie seien Schulen des Klassenkampfes, in denen die Werktätigen die Begrenztheit von Reformen und die begrenzte Reformbereitschaft der kapitalistischen Gesellschaft erführen.1436 Der Wert der PDS als Partner für die Gewerkschaften wurde allerdings dadurch erheblich gemindert, dass der Großteil der Mitglieder der Partei nicht mehr im Erwerbsleben stand. Durch die Fusion mit der WASG ist die Partei jetzt im Gewerkschaftsmilieu verankert. Zu weiteren wichtigen Bündnispartnern zählte die PDS den Mieterbund und den Arbeitslosenverband.1437 Dass Gregor Gysi die Bedeutung des Schulterschlusses mit diesen Organisationen in einem Beitrag zur Programmdebatte betonte, deutet darauf hin, dass die PDS sich bei der Formulierung ihrer Programmatik und ihrer Forderungen gezielt an den Interessen ihrer Klientele und Zielgruppen orientierte. Außer Kontakten zu etablierten Großorganisationen wie Gewerkschaften suchte die PDS die Anbindung an bestimmte soziale Milieus sowohl in den östlichen als auch in den westlichen Bundesländern. In Westdeutschland war die Partei personell und organisatorisch mit diversen linksgerichteten und linksextremistischen Organisationen verflochten. In den östlichen Bundesländern war sie fest in einem Milieu verwurzelt, das in einer Reihe von Verbänden und Vereinen organisiert war. Beispiele sind die Volkssolidarität, der Verband der Grundstücksnutzer, die Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde, die Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung oder die Komitees für Gerechtigkeit. Solche Vereinigungen sind Zusammenschlüsse etwa von Angehörigen der ehemaligen Dienstklasse der DDR oder Nutznießern der sogenannten Bodenreform. Ihr gemeinsamer Dachverband ist das Ostdeutsche Kuratorium der Verbände. Die meisten dieser Verbände vertreten die Interessen bestimmter Klientele, die allerdings auf die östlichen Bundesländer beschränkt sind und sich tendenziell auf aus der DDR1435

Vgl. Suckut, Siegfried/Staritz, Dietrich: Alte Heimat oder neue Linke?, in: Deutschland Archiv, Nr. 10/1991, S. 1038-1051 (1047). 1436 Vgl. Bergmann, Theodor/Haible, Wolfgang: Klassenkampf ausgeklammert?, in: Disput, Nr. 13/1992, S. 34-36. 1437 Vgl. Gysi, Gregor: Zur politischen Situation und zum Programm der PDS, in: Disput, Nr. 34/1993, S. 14-31 (29).

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Vergangenheit herrührende Fragen konzentrieren. Die Komitees für Gerechtigkeit allerdings erhoben den Anspruch, auch in Westdeutschland tätig zu werden und Gegenwarts- und Zukunftsprobleme zu thematisieren. Sie sollten der Überwindung der Isolierung und Ausgrenzung der PDS dienen. Zwar entstammte die Masse der Mitglieder der lokalen Komitees der PDS, die auch Räumlichkeiten und sonstige Unterstützung zur Verfügung stellte, doch in der nationalen Leitung der Komitees war die Partei nur mit Gregor Gysi und Lothar Bisky vertreten. Um den Eindruck zu vermeiden, die Komitees seien lediglich Vorfeld- oder Tarnorganisationen der PDS, bemühte man sich, unabhängige beziehungsweise unabhängig erscheinende Persönlichkeiten und Vertreter anderer Parteien zur Übernahme von Positionen in den Komitees zu gewinnen. Der frühere CDU-Politiker und letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel war ein prominentes Beispiel. Ein ähnliches Vorgehen konnte man auch in den achtziger Jahren seitens der DKP in bezug auf die Friedensliste beobachten. Patrick Moreau sprach hinsichtlich der Komitees für Gerechtigkeit von einer Volksfront und Ost-APO.1438 Ähnlich wie im Fall der Komitees für Gerechtigkeit bildeten sich unter maßgeblicher Beteiligung von PDSMitgliedern 1997 sogenannte Erfurter Initiativen. Sie gingen auf die Erfurter Erklärung linksgerichteter Persönlichkeiten zurück, in der ein Regierungswechsel nach der Bundestagswahl 1998, gegebenenfalls unter Einbeziehung der PDS in die neue Regierung, gefordert wurde. Während ihre traditionellen Milieus schrumpften, richtete die PDS ihre Bündnisarbeit auf neue und dynamische Bewegungen wie die globalisierungskritische Organisation Attac aus. Die PDS hoffte, durch solche Bewegungen würden sich Verschiebungen der gesellschaftlichen Konfliktlinien und damit auch Veränderungen im Parteiengefüge ergeben. Michael Brie stellte die Frage, inwieweit sich mit den neuen sozialen Bewegungen, Attac und den Auseinandersetzungen in Gewerkschaften, Sozialverbänden und so weiter eine politische Formation herausbildet, „die sich von der bisherigen Bindung an die SPD und die Grünen emanzipiert und nachhaltig auf einen Richtungswechsel hinarbeitet. Aus einer solchen Tendenz Ende der siebziger Jahre ist die Partei der Grünen hervorgegangen. Neue Konfliktlinien waren aufgetreten, Werte in der Gesellschaft hatten sich verändert, neue Akteure hatten die Tagesordnung verändert, ohne dass dies im alten bundesdeutschen Parteiensystem hinreichend schnell verarbeitet worden wäre.“1439 Brie entwickelte ein Konzept, wie es der PDS nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl 2002 gelingen könne, gemeinsam mit anderen linksgerichteten Organisationen ein zukunftsfähiges 1438

Vgl. Moreau, Patrick: Die verpasste Erneuerung der PDS, in: Löw, Konrad (Hg.): Terror und Extremismus in Deutschland (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 42). – Berlin 1994, S. 97-112 (111). 1439 Vgl. Brie, Michael: Ist die PDS noch zu retten? (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 3/2003), S. 5 f.

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Projekt zu schaffen. Er wies nachdrücklich darauf hin, dass wegen der Überalterung der PDS und des damit zusammenhängenden Mitgliederrückgangs die Zeit absehbar sei, in der die Partei noch über ausreichende Ressourcen verfüge, um maßgeblich an einem solchen Projekt mitwirken zu können. Als mögliche Bündnispartner für ein solches Projekt nannte Brie nichtsektiererische Potentiale unter linken Gewerkschaftern, in Sozialverbänden, in der Friedensbewegung und in der globalisierungskritischen Bewegung: „Wenn dieses Potential durch die PDS nicht für gemeinsame parteipolitische Ziele erschlossen wird, wird es auch kein linkes politisches Parteiprojekt geben, dessen Teil die PDS wäre. Die PDS kann gegenwärtig noch viel in ein solches Projekt einbringen und verfügt auch über ein hinreichendes Potential dafür, ohne aber ein solches Projekt allein tragen zu können. Ein solches Projekt sei PDS Plus genannt. Es zielt auf die Verbindung der Stärken der PDS mit jenen Potentialen, die außerhalb der PDS für ein sozialistisches parteipolitisches Projekt in Deutschland bestehen und nicht direkt durch die PDS erreicht werden können.“1440 Beim Geraer Parteitag nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 sprach sich die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer für gesellschaftliche Mitte-UntenBündnisse unter Beteiligung der PDS aus. Was darunter genau verstanden werden sollte, wurde beispielsweise unter PDS-Intellektuellen wie André Brie, Michael Brie und Michael Charpa oder in der Theoriezeitschrift der RosaLuxemburg-Stiftung „Utopie kreativ“ diskutiert. Drei Ebenen von Mitte-UntenBündnissen beschrieb ein Autor in „Utopie kreativ“. Auf der ersten Ebene der öffentlichen Meinung und der alltagskulturellen Vorstellungen gehe es darum, die Hegemonie der populär gewordenen neoliberalen Vorstellungen in Frage zu stellen und an der Etablierung einer neuen Hegemonie mitzuwirken. Auf der zweiten Ebene gehe es um die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen, Verbänden und Netzwerken von globalisierungskritischen Bewegungen, über lobbyistische Verbände bis zu Bürgerbewegungen. Auf der dritten Ebene schließlich gehe es um parteipolitische Bündnisse innerhalb und außerhalb von Parlamenten.1441 In einem Grundsatzartikel zur auf die Programmdebatte folgenden und auf ihr fußenden Strategiedebatte schrieb 2004 Bernd Ihme, der beim PDS-Parteivorstand sowohl für die Programmdebatte als auch für die Strategiedebatte zuständig war, langfristig solle auf Bundesebene ein MitteLinks-Bündnis unter Beteiligung der PDS angestrebt werden.1442 André Brie, Michael Brie und Michael Charpa definierten ein Mitte-Unten-Bündnis als ein Zusammengehen der sozialen Mitte der Gesellschaft mit Menschen, die von 1440

Ebd., S. 37 f. Vgl. Meves, Helge: Das Selbstverständnis der PDS, der Neoliberalismus und die Mitte-UntenOptionen, in: Utopie kreativ, Nr. 152/2003, S. 525-535 (532 f.). 1442 Vgl. Ihme, Bernd: … in überschaubaren Zeiten zu Ergebnissen führen. Verständigung über die Strategie der Partei hat begonnen, in: Disput, Nr. 7/2004, S. 20-22 (21). 1441

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sozialem Abstieg bedroht sind. Neben dieser sozialen Dimension bedürfe es einer kulturellen und einer im engeren Sinne politischen Dimension, damit die PDS sich zu einer modernen sozialistischen Partei entwickeln kann. Kulturell solle sich die PDS für den Vorrang öffentlicher Güter einsetzen. Politisch solle die Partei langfristig die Schaffung der Voraussetzungen einer breiten MitteLinks-Koalition anstreben. Politischer und kultureller Fokus dieses Projekts seien Widerstand gegen Neoliberalismus und die Entwicklung eines breiten Bündnisses.1443 Brie, Brie und Charpa untersuchten auch, ob die PDS gegenüber ihren angestrebten Partnern gegenwärtig und zukünftig tatsächlich bündnisfähig und bündnistauglich war. Aufgrund ihres Altersdurchschnitts seien die Aktivitäten der PDS-Mitglieder gegenüber anderen Organisationen zunehmend auf Seniorenarbeit, Kleingarten- und Siedlerverbände und Sportvereine konzentriert. Demgegenüber sei die Tätigkeit in wichtigen politisch orientierten Gruppierungen, beispielsweise auf den Gebieten Frieden, Umwelt, Ausländer und auch Gewerkschaftsarbeit, auf einen sehr kleinen Teil der Mitgliedschaft beschränkt.1444 Auch wenn die PDS ihre Programmatik aufgrund innenpolitischer Gegebenheiten auf Koalitionsfähigkeit ausrichtete, muss bei der programmatischen Bewertung der Partei ebenfalls beachtet werden, welche ausländischen Parteien sie als Partner ansah. Wie die Bundesregierung 2002 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion1445 mitteilte, unterhielt die PDS Kontakte zu den Kommunistischen Parteien der Russischen Föderation, der Volksrepublik China, des Irak und Kubas sowie zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die Wahl dieser Partner lässt zumindest Zweifel aufkommen, wie ernst es der PDS mit ihrer programmatischen Erneuerung war. Gerhard Branstner forderte 2001 in einem Beitrag zur Programmdebatte gewissermaßen eine Neuauflage des Kominform, nämlich ein internationales Büro unter Einschluss beispielsweise Nordkoreas, Chinas, Kubas, Venezuelas, der mexikanischen Zapatisten und kommunistischer Parteien.1446 Wie dargestellt, deutet einiges darauf hin, dass die Programmatik der PDS in größerem Maße als bei anderen Parteien durch äußere Faktoren wie Bündnisbestrebungen beeinflusst wurde. Dies betraf ihre Rolle innerhalb des von ihr dominierten linksradikalen beziehungsweise linksextremen Spektrums,

1443

Vgl. Brie, André/Brie, Michael/Charpa, Michael: Für eine moderne sozialistische Partei in Deutschland. Grundprobleme der Erneuerung der PDS (Standpunkte der Rosa-LuxemburgStiftung, Nr. 7/2002). – Berlin 2002, S. 20. 1444 Vgl. ebd., S. 12. 1445 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Aktuelle linksextremistische Aktivitäten in Deutschland“, Bundestags-Drucksache 14/9010. 1446 Vgl. Branstner, Gerhard: Programmgeflüster. Brie, Klein, Brie sind voll damit beschäftigt, den Kapitalismus vor dem Kapitalismus zu retten, in: Junge Welt v. 26.5.2001.

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ihre Vereinnahmungsversuche neu aufkommender Bewegungen sowie ihr Verhältnis zu anderen Parteien und Verbänden. Die programmatischen Signale, die die PDS aussandte, waren widersprüchlich und orientierten sich an den Erwartungen des jeweiligen Adressaten. Es ist anzunehmen, dass durch die Fusion mit der WASG die Übernahme gewerkschaftlicher Positionen zunehmen wird. Via WASG hat die Partei jetzt die langersehnte Verankerung in den Gewerkschaften geschafft. Umgekehrt haben Gewerkschafter nun auch ein größeres Gewicht in der Partei. Auch der Zugang zu alternativen westdeutschen Milieus und außerparlamentarischen Bewegungen dürfte durch die Fusion einfacher werden. Aus der Perspektive von SPD und Grünen „wildert“ die neue Partei mehr in ihrem „Revier“ als die PDS es konnte. Es bleibt abzuwarten, ob sich als Reaktion darauf in diesen Parteien diejenigen durchsetzen, die für eine Zusammenarbeit mit der fusionierten Partei im Rahmen eines linken Lagers und für eine „Entzauberung“ durch Regierungsbeteiligung plädieren, oder diejenigen, die die LINKE konsequent bekämpfen wollen, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen.

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10. Formale Charakteristika der Programmdebatte

10.1. Sprache Bei der Untersuchung der Programmatik der PDS sind auch die Spezifika der Ausdrucksweise und Terminologie der Partei zu berücksichtigen.1447 Hier stellen sich Fragen wie etwa: Was bedeutete für die PDS Vergesellschaftung? Unterschied die PDS zwischen der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik und Kapitalismus? Die Schlüsselworte der programmatischen Debatten waren mehrdeutig, so dass selbst wohlwollende Beobachter in Frage stellten, wie glaubwürdig reformistische Verlautbarungen der PDS waren. Man müsse sich fragen, ob für solche Äußerungen taktisches Kalkül oder Überzeugung, Einsicht oder Anpassung ausschlaggebend seien.1448 Jürgen Lang hielt es für charakteristisch, „dass in programmatischen Texten weniger politische Bekenntnisse zum Ausdruck kommen, als vielmehr in erster Linie das Image die Feder geführt hat. Man schreibt mit strategischen Motiven im Hinterkopf das nieder, was etwa potentielle Bündnispartner oder überhaupt die Öffentlichkeit von einem erwarten.“1449 Lang1450 und Günter Schabowski1451 behaupteten, die PDS beziehungsweise die Linkspartei bediene sich in ihrer Programmatik einer demokratischen Mimikry, bis einmal wieder eine revolutionäre Zuspitzung kommt.

1447

Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung der PDS-Programmatik findet sich in: Good, Colin: Über die „Neuen Linken“: Der Versuch der PDS, eine neue Sprache des Sozialismus zu finden“, in: Reiher, Ruth/Läzer, Rüdiger (Hg.): Von „Buschzulage“ und „Ossinachweis“. OstWest-Deutsch in der Diskussion. – Berlin 1996,S. 265-285. 1448 Vgl. Beinert, Heinz: Eine kommentierte kurze Geschichte der PDS, in: Ders. (Hg.): Die PDS – Phönix oder Asche? – Berlin 1995, S. 9-29 (22). 1449 Lang, Jürgen: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung (Extremismus und Demokratie, Bd. 7). – Baden-Baden 2003, S. 52 f. 1450 Vgl. Lang, Jürgen: Die PDS und die deutsche Linke – ein ambivalentes Verhältnis, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 6. – Baden-Baden 1994, S. 180-193 (182). 1451 Vgl. Interview im Deutschlandradio v. 12.6.2007.

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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Wenn es um die Benennung von Verantwortlichen für Missstände, Fehler und Verbrechen in der DDR ging, formulierte die PDS fast immer im Passiv. So stellten mit Blick auf das Parteiprogramm von 1993 Gero Neugebauer und Richard Stöss fest, die PDS spreche zwar von Verbrechen, hüte sich jedoch, Verbrecher zu benennen.1452 Formulierungen im Programm wie „Alle Versuche zur Erneuerung und Rettung des Sozialismus wurden letztlich blockiert“ beantworteten nicht, wer aus welchen Gründen Reformen blockiert habe.1453 Zur Behandlung der Geschichte im PDS-Programm von 1993 stellte Armin PfahlTraughber fest, es würde kein handelnder und damit auch kein verantwortlicher Akteur benannt.1454 Schon der Beschluss des außerordentlichen Parteitags der SED, in dem es hieß, die SED-Führung habe das Land in eine existenzgefährdende Krise geführt, zeigte die Tendenz, Verantwortung auf die wenigen Genossen der obersten SED-Führungsspitze abzuwälzen. Hier ging es auch um die Abschiebung von Verantwortung der Vorgängerpartei im Interesse der eigenen Parteimitglieder. Christian von Ditfurth kommentierte, die PDS mache es sich zu einfach, indem sie die Schuld an die SED-Spitze und den Apparat delegiere.1455 Manfred Wilke sprach von rituellen Opfern, die der Tradition des Führungswechsels in kommunistischen Parteien seit Stalins Tagen entsprächen.1456 Auch Manfred Behrend kommentierte, beim außerordentlichen Parteitag hätten Delegierte SED-typisch „übertriebene, in dieser Form unhaltbare Angriffe gegen die ehemalige Führung“ gerichtet und „allein sie, keineswegs auch sich selbst“1457 für die entstandene Misere verantwortlich gemacht. Für Konrad Jarausch waren Formulierungen wie „Gerontokratie“, „Bonzen im Politbüro“ oder „Stasi-Krake“ ein Beleg für das Abwälzen von Verantwortung.1458 Jarausch sah eine Strategie im Eingeständnis sektoraler 1452

Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 83. 1453 Vgl. Wilke, Manfred: Die PDS: Partei der Spaltung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 70-98 (85). 1454 Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Wandlung zur Demokratie? Die programmatische Entwicklung der PDS, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/1995, S. 359-368. 1455 Vgl. Ditfurth, Christian von: Ostalgie oder linke Alternative. – Köln 1998, S. 146. 1456 Vgl. Wilke, Manfred: Die PDS: Partei der Spaltung, in: Koschyk, Hartmut/Weiß, Konrad (Hg.): Von Erblasten und Seilschaften. Die Folgen der SED-Diktatur und Gefahren für die Demokratie. – München 1996, S. 70-98 (73), Wilke, Manfred: Die Post-Kommunisten und die deutsche Demokratie, in: German Studies Review, Nr. 2/1997, S. 293-316 (296), ders.: Statt der Arbeiterklasse die sozialen Bewegungen. Die „Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)“ und ihre Ziele, in: FAZ v. 30.10.1990. 1457 Vgl. Behrend, Manfred: Eine Geschichte der PDS. - Köln 2006, S. 29. 1458 Vgl. Jarausch, Konrad: „Sich der Katastrophe stellen“: (Post-)Kommunistische Erklärungen für den Zusammenbruch der DDR, in: Eckert, Rainer/Faulenbach, Bernd (Hg.): Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild. – München 1996, S. 141-150 (144).

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Fehlentwicklungen als Ursachen für den Zusammenbruch der DDR durch die PDS. Diese Strategie gebe offen das Versagen in einigen Teilbereichen zu, suche aber durch solche partiellen Zugeständnisse die Korrektheit der DDR als Ganzes zu verteidigen.1459 In einzelnen Fällen gab es auch innerparteiliche Kritik am Verschweigen von Verantwortlichkeiten für Missstände in der DDR. So warf Michael Brie dem aus Westdeutschland kommenden Diether Dehm Verharmlosung und eine bewusst subjektlos gehaltene Sprache bei der Beschreibung von Missständen im vergangenen Sozialismus vor. Dehm bemühe objektive Zwänge, die sich jeder Verantwortung entzögen.1460 Die PDS sprach nicht von Verbrechen von Sozialisten oder des Sozialismus, sondern nur von Verbrechen von Menschen, die sich Sozialisten nannten, beziehungsweise von Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden. Damit sollte wohl zum Ausdruck gebracht werden, dass solche Verbrechen die sozialistische Vision missbraucht hätten, der Sozialismus als Idee nicht für diese Verbrechen verantwortlich gemacht werden könne. So steht es im PDS-Programmentwurf von August 2003, in dem von Verbrechen, die von Menschen begangen wurden, die sich Sozialisten und Kommunisten nannten, die Rede ist.1461 Und im Parteiprogramm von 2003 versprach die PDS, sich mit Verbrechen auseinanderzusetzen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden.1462 Die PDS nannte häufig die DDR nicht einen sozialistischen Staat, sondern lediglich einen Sozialismus-Versuch, der unter stalinistischen Vorzeichen begann. Insbesondere bei solchen PDS-Politikern, die selbst in der DDR Verantwortung auf höherer Ebene getragen haben, lässt sich die Tendenz feststellen, sich in historisch-programmatischen Stellungnahmen einer konsequenten Auseinandersetzung mit der Geschichte zu entziehen. Beispielsweise kritisierte Johano Strasser in seiner Besprechung eines Sammelbands zu Programm und Selbstverständnis der PDS, die Autoren machten es sich mit der eigenen Verstrickung in das Unrechtssystem etwas zu leicht. Mit Blick auf einen Beitrag des früheren Stellvertretenden DDRKulturministers Klaus Höpcke in diesem Sammelband schrieb Strasser: „Diese Form der persönlichen Vergangenheitsbewältigung, bei der kleinere Fehler eingestanden werden, nur um die wirkliche moralische Schuld um so besser kaschieren zu können, ist in ihrer verlogenen Aufrichtigkeit schon schwer zu

1459

Vgl. ebd., S. 144. Vgl. Brie, Michael: Über welche Brücken sollen wir gehen, welche Mauern sollen wir überwinden?, in: Utopie kreativ, Nr. 134/2001, S. 1071-1081 (1076 f). 1461 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. Überarbeiteter Entwurf, in: PID, Nr. 35/2003, S. 2. 1462 Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 2. 1460

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ertragen.“1463 Strassers Kritik an diesem autobiographischen Beitrag trifft den Kern dieser Symbolpolitik. Hinsichtlich der Sprache der PDS-Programmatik schrieb Manfred Gerner, der Versuch der verschiedenen Strömungen in der Partei, einen gemeinsamen Nenner zu finden, führe unweigerlich zu grotesk anmutenden verbalen Kunstgriffen, die keinen echten Kompromiss darstellten.1464 Reformer und Orthodoxe rangen geradezu verbissen um einzelne Begriffe, Formulierungen und Passagen. Dies veranlasste Lothar Bisky anlässlich der Diskussion über die Thesen zur programmatischen Debatte zu einer Warnung vor semantischem Terrorismus im Programmstreit.1465 Eine weitere Besonderheit der programmatischen Auseinandersetzungen in der PDS war, dass vom jeweils eigenen Standpunkt abweichende Meinungen oft nicht unvoreingenommen und ergebnisoffen diskutiert, sondern entweder als reformistisch oder stalinistisch eingestuft und abgetan wurden. André Brie monierte, eine kritische Auseinandersetzung zur Programmatik erfolge in der PDS nicht selten lediglich als Wertung (traditionalistisch, patriarchalisch, seicht, sozialdemokratisch, pragmatisch, abstrakt, objektivistisch et cetera) statt als Argumentation des Für und Wider.1466 Allerdings muss Brie sich vorhalten lassen, selbst in erheblichem Maße zu dieser Art der Auseinandersetzung beigetragen zu haben, beispielsweise durch seine Äußerung, die PDS solle für Poststalinisten unerträglich gemacht werden. Die Orthodoxen innerhalb der PDS und beispielsweise auch der DKP kritisierten den Sprachgebrauch der Reformer in der Programmdebatte grundsätzlich. Sie warfen den Reformern vor, recht wahllos interpretatorische Leerstellen mit Theoriefragmenten und Modebegriffen der akademischen Soziologie des Westens auszufüllen.1467 Solche Vorwürfe aus den Reihen der Orthodoxen wurden im Verlauf der Programmdebatte immer wieder erhoben. Klaus Höpcke forderte in einer Reaktion auf die Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Programms den Gebrauch deutlicher Worte, die PDS solle sprachlich nicht blasser sein als linksliberale Publizisten oder sozialdemokratische Politiker.1468 1463

Strasser, Johano: Zum Selbstverständnis der PDS, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/1990, S. 1044-1046 (1046). 1464 Vgl. Gerner, Manfred: Widerspruch und Stagnation in der PDS, in: Zeitschrift für Politik, Nr. 2/1998, S. 159-181 (166). 1465 Vgl. Leithäuser, Johannes: „Klärungsprozesse“ in der PDS. Eine Mehrheit in der Parteiführung will das Programm überarbeiten, in: FAZ v. 30.11.1999. 1466 Vgl. Brie, André: Zur Programmdiskussion in der PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 16/1991, S. 105114 (108). 1467 Vgl. Seppmann, Werner: Kapitalismusbegriff und Sozialismuskonzeption. Offener Brief an Gregor Gysi, in: Sozialismus, Nr. 10/1991, S. 13-17 (14). 1468 Vgl. Höpcke, Klaus: Gewandeltes Kapital? Zur Debatte über „Grundlinien der Überarbeitung und Neufassung des Parteiprogramms der PDS“, in: Junge Welt v. 19.3.2001.

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Patrick Moreau und Jürgen Lang stellten in Frage, ob beziehungsweise inwieweit die PDS-Programmatik die wirklichen Ziele der Partei wiedergab oder eher verschleierte. Sie meinten, die politischen Vorstellungen der PDS seien ein taktisches Manöver, dessen Ziele viel weiter griffen als die einzelnen Forderungen glauben machten.1469 An anderer Stelle ergänzte Moreau, die PDSSpitze wolle lediglich eine andere Methode des radikalen Umbaus der Gesellschaft anwenden als die Orthodoxen. Die Reformer hielten nur die „alten Parolen von Klassenkampf und sozialistischem Fortschritt“ für nicht mehr praktikabel für eine Revolution in einem System wie der Bundesrepublik der Gegenwart.1470 Unabhängig von der Frage, inwieweit die Gegensätze zwischen Orthodoxen und Reformern nur „vorgespielt“ oder real waren, ist festzustellen, dass die Flügel objektiv der Partei dienten, da diese, um überleben zu können, auf beide Lager angewiesen war. Tilman Fichter nannte die PDS eine Mimikry-Formation.1471 Die Troika Gysi-Bisky-Brie habe nach der Wende der SED zuerst einmal die Verkleidungen und die Firmenschilder gewechselt und vor allem auch die Sprache der Partei verändert.1472 Der Journalist Johannes Leithäuser beobachtete 2000, dass die Partei „immer öfter die Vorsilben „Anti-“ gegen die Anfügung „kritisch“, etwa um das Wort „Kapitalismus“ herum“ tausche. Auch den Begriff Systemopposition ersetze sie durch gesellschaftliche Opposition.1473 2003 schrieb er über den Programmentwurf der Reformer, dieser trage viele verschlüsselte Botschaften, die „von den Wortführern der Marxisten, von Sahra Wagenknecht oder den einstigen Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer und Winfried Wolf sogleich empört dechiffriert worden sind.“1474 So verwundert es nicht, wenn das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz 1997 feststellte, eine für ungeschulte Betrachter schwer einzuschätzende Doppeldeutigkeit präge die Sprache der PDS-Programmatik: „Die PDS verwendet Begriffe wie Demokratie und Menschenrechte, die sie auch schon als SED gebraucht hat. Die Realität der DDR bewies jedoch, dass diese Begriffe dort anders, nämlich freiheits- und demokratiefeindlich, definiert waren.“1475 Ähnlich argumentierte vier Jahre später Viola Neu, die PDS verwende in ihrem Programmentwurf

1469

Vgl. Moreau, Patrick/Lang, Jürgen: Aufbruch zu neuen Ufern? Zustand und Perspektiven der PDS, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 6/1996, S. 54-61 (60). 1470 Vgl. Moreau, Patrick: Mit Lenin im Bauch …? Die PDS auf der Suche nach einer Berliner Republik von Links, in: Politische Studien, Nr. 349/1996, S. 27-42 (31 f.). 1471 Vgl. Fichter, Tilman: Kein Auslaufmodell, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 8/1994, S. 710-715 (710). 1472 Vgl. ebd., S. 711. 1473 Vgl. Leithäuser, Johannes: Auf dem Weg nach Deutschland, in: FAZ v. 16.10.2000. 1474 Leithäuser, Johannes: Der demokratische Vorbehalt gilt, in: FAZ v. 26.2.2003. 1475 Bayerisches Staatsministerium des Innern (Hg.): Partei des Demokratischen Sozialismus. – München 1997, S. 28.

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Begriffe mit positiver Assoziation, die sie mit vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Inhalten fülle. Damit verschleiere sie die eigentliche Stoßrichtung.1476 Dies räumten auch PDS-Vertreter ein. Horst Dietzel beispielsweise übersetzte, Vergesellschaftung heiße im Klartext Verstaatlichung.1477 In bemerkenswerter Offenheit sprach sich die Kommunistische Plattform für klare Begriffe und gegen eine gezielte Umwertung von Begriffen im Rahmen programmatischer Diskussionen aus: Der Kapitalismus in Deutschland werde in den Thesen der Programmkommission beschönigend als Marktwirtschaft bezeichnet, tödliche Konkurrenz als Wettbewerb, Klassenjustiz als Rechtsstaat, der Weltherrschaftsanspruch supranationaler Konzerne als Internationalisierung und das „wechselnde Trumpf-Karten-Spiel der Parteien, derer sich die Bourgeoisie bedient“ als Pluralismus.1478 Aus den genannten Gründen kann man nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die PDS das, was in ihren Programmen stand, auch tatsächlich meinte beziehungsweise so meinte, wie es dem allgemein üblichen Sprachgebrauch in der Bundesrepublik entsprach. Die Partei bemühte sich, Begriffe zu besetzen und mit einem Inhalt zu verwenden, der nach innen integriert und im Zweifel die Außenwelt täuscht. Die Konsequenz dieser gewollten Verunklarung der wirklichen Ziele – wer immer sie auch in der Partei definierte – war, dass zwar das Ziel Sozialismus die einigende Klammer blieb, aber der Sprachgebrauch zugleich verdeutlichte, dass die Partei, um an die Macht zu kommen, pragmatisch zu Zugeständnissen bereit war. Durch Auslegung und Interpretation kann man versuchen, eventuell hinter von der PDS verwendeten Begriffen stehende Botschaften und Absichten zu entschlüsseln beziehungsweise zu übersetzen. Es gibt berechtigte Zweifel, ob die PDS tatsächlich demokratisch sein wollte oder ob sie sich lediglich angesichts der gegebenen Verhältnisse in der Bundesrepublik einer demokratischen Rhetorik bediente und auf demokratischem Weg an die Macht strebte.

10.2. Verfahren und Verlauf Wer das Zustandekommen des PDS-Programms von 2003 betrachtet, muss feststellen, dass es zwar beim Chemnitzer Parteitag ordnungsgemäß und mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen wurde, aber diesem Beschluss ein 1476

Vgl. Neu, Viola: Der neue Programmentwurf der PDS (Arbeitspapier der Konrad-AdenauerStiftung, Nr. 31/2001). – Sankt Augustin 2001, S. 3 f. 1477 Vgl. Dietzel, Horst: Die Debatte steht auf der Kippe, in: Neues Deutschland v. 10.8.2001. 1478 Heinz, Ernst: Große Illusionen. Zu den „Thesen zur programmatischen Debatte“, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 3/2000, S. 1-7 ( 3, 7).

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langwieriges Verfahren vorausgegangen war, in dessen Verlauf die Orthodoxen und ihre Entwürfe gegenüber den Reformern wiederholt – teilweise satzungswidrig – massiv benachteiligt worden waren. Die PDS-Reformer beziehungsweise die von den Reformern dominierten Parteigremien setzten sich im Verlauf des Verfahrens zu einem neuen Programm mehrfach über Zuständigkeiten und zwingende Regelungen des PDS-Statuts hinweg, wo ihnen diese hinderlich waren. Michael Benjamin fasste das Verhalten der Reformer gegenüber den Orthodoxen mit den Worten zusammen, für sie seien die Grenzen des Pluralismus dort erreicht, wo die Parteilinken versuchten, real Einfluss auf die Strategie und Politik der PDS zu nehmen.1479 PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch kritisierte schon 1999 nach der Vorstellung der Thesen zur programmatischen Debatte, Positionen seien durch den Versuch, einen Konsens zwischen den unterschiedlichen Strömungen zu finden, verwässert worden.1480 Damit brachte Bartsch ein für ihn und andere PDS-Reformer typisches Verständnis von innerparteilicher Demokratie zum Ausdruck. Für ihn ging es um die ungeschmälerte Durchsetzung seiner Positionen in der Programmdebatte. Zu Entgegenkommen und Kompromissen war er nicht bereit. Winfried Wolf brachte diese Geisteshaltung auf die Formel „Legal, illegal, bartschegal“1481. Der frühere PDS-Bundestagsabgeordnete Harry Nick resümierte, die Reformer neigten dazu, demokratische Spielregeln zu missachten.1482 Jürgen Lang und Patrick Moreau sahen schon 1994 in Gestalt der Reformer in der PDS-Führung einen Demokratischen Zentralismus durch die Hintertür wieder eingetreten.1483 In der Berliner „Tageszeitung“ war von kaltem Machiavellismus und Kommandoton der Parteispitze die Rede.1484 2003 gab das Marxistische Forum eine Erklärung ab, in der es hieß, die Regeln innerparteilicher Demokratie würden durch Willkürregeln eines Ausnahmezustands abgelöst.1485 Edeltraut Felfe bilanzierte 2006, die innerparteiliche Demokratie in der PDS sei auf vielfältige Weise eingeschränkt, verletzt und manipuliert worden.1486 Mit Blick auf die Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern ergänzte sie,

1479

Vgl. Benjamin, Michael: Die PDS und ihr linker Flügel, in: Utopie kreativ, Nr. 69-70/1996, S. 146-151 (148). 1480 Vgl. Fehrle, Brigitte: Bartsch will Statutenänderung, in: Berliner Zeitung v. 2.12.1999. 1481 Wolf, Winfried: Legal, illegal, bartschegal. PDS-Programmdebatte in der Sackgasse und Dresdener Parteitag vor Richtungsentscheidung, in: Junge Welt v. 4.10.2001. 1482 Vgl. Nick, Harry: Worum dreht sich der Streit eigentlich?, in: Junge Welt v. 8.11.2002. 1483 Vgl. Lang, Jürgen/Moreau, Patrick: PDS. Das Erbe der Diktatur (Politische Studien, Sonderdruck 1/1994), S. 128. 1484 Vgl. Reinecke, Stefan: Nichts begriffen, in: taz v. 6.9.2007. 1485 Vgl. Junge Welt v. 12.5.2003. 1486 Vgl. Felfe, Edeltraut: Vom Parlament in die Regierung, in: Sozialistische Hefte, Nr. 10/2006, S. 13-18 (16).

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oligarchische, antidemokratische Prozesse innerhalb der Partei hätten sich verstärkt.1487 Der massivste und offensichtlichste Verstoß gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung von Mehrheits- und Minderheitsmeinung in der PDSProgrammkommission erfolgte bei der Veröffentlichung der drei konkurrierenden Programmentwürfe von 2001. Diese drei Programmentwürfe wurden entgegen den eindeutigen Bestimmungen der Geschäftsordnung der Programmkommission nicht gleichberechtigt veröffentlicht. Der Entwurf von Dieter Klein, André Brie und Michael Brie erschien als von der PDS bezahlte Beilage zur unter der PDS-Mitgliedschaft weit verbreiteten Zeitung „Neues Deutschland“. Eine Veröffentlichung im „Neuen Deutschland“ wurde den beiden anderen Entwürfen verweigert, wohl um zu verhindern, dass sich die Masse der PDS-Mitglieder aus erster Hand über die Vorstellungen der Orthodoxen informieren konnte. Solche Vorkommnisse veranlassten Dieter Dehm zu der Bemerkung, der Führungsapparat der PDS hüte „die allermeisten innerparteilichen Kommunikationsmittel wie Goldstaub“1488 und setze sie einseitig ein. Die PDS-Programmkommission, also dasjenige Gremium, das eigens zur Erarbeitung eines neuen Programms gebildet worden war, wurde, weil einige Kommissionsmitglieder die Linie des von den Reformern dominierten Parteivorstands mehrmals öffentlich kritisiert hatten, ihrer Aufgabe faktisch enthoben. Dies widersprach der Intention des bei der 1. Tagung des 6. PDSParteitags im Januar 1999 gefassten Beschlusses zur Organisation einer programmatischen Debatte, der die Zusammensetzung der Programmkommission regelte. Mit diesem Beschluss war die Zusammensetzung der Programmkommission nämlich bewusst so geregelt worden, dass alle maßgeblichen Strömungen der PDS - und damit selbstverständlich auch verschiedene Meinungen - in ihr vertreten waren. Die „Berliner Morgenpost“ beschrieb anschaulich das Zustandekommen des vom PDS-Vorstand favorisierten Programmentwurfs von 2001: André Brie, Michael Brie und Dieter Klein hätten hinter verschlossenen Türen am Entwurf gearbeitet. Er sei wie eine Geheimsache behandelt worden. Die vom PDS-Parteitag gewählte Programmkommission sei auf Anweisung der Parteivorsitzenden Gabriele Zimmer umgangen worden.1489 Sogar die Namen der drei Autoren wurden selbst den Mitgliedern der PDS-Programmkommission erst mitgeteilt, als der Entwurf öffentlich vorgestellt wurde.1490 Die marxistische Zeitschrift 1487

Vgl. ebd., S. 17. Dehm, Dieter: Rechtsruck in der Linkspartei.PDS? Offener Brief an die Mitglieder der Linkspartei. - O.O. 2006. 1489 Käßner, Frank: 40 Seiten Sprengstoff, in: Berliner Morgenpost v. 28.4.2001. 1490 Vgl. Brombacher, Ellen/Wagenknecht, Sahra: Kniefall vor der SPD. Die PDS-Führung will mitregieren und braucht dazu ein neues Programm, in: Junge Welt v. 30.4.2001. 1488

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„Hintergrund“ sprach von konspirativer Arbeit am Programmentwurf.1491 Winfried Wolf bezeichnete dieses Procedere als einmalig in der deutschen Parteiengeschichte.1492 Es widersprach auch dem Beschluss zur Organisation der programmatischen Debatte, demzufolge die Programmkommission einen Programmentwurf ausarbeiten und diesen nach Bestätigung durch den Parteivorstand der Öffentlichkeit vorlegen sollte. Offensichtlich sollte verhindert werden, dass Mitglieder der Programmkommission, die sich mit dem Entwurf nicht identifizieren konnten, rechtzeitig zur offiziellen Vorstellung des Entwurfs ein Minderheitsvotum vorlegen konnten. Der PDS-Parteirat, in dem die Orthodoxen eine stärkere Stellung hatten als im Parteivorstand, forderte den Parteivorstand zweimal, bei seinen Sitzungen am 19. Mai und 7. Juli 2001, mit deutlicher Mehrheit auf, alle Programmentwürfe in gleicher Weise bekanntzumachen. Der Parteirat war ein Gremium, das sich aus Vertretern der PDS-Landesverbände, bundesweit tätiger Zusammenschlüsse, beispielsweise Arbeitsgemeinschaften, des Rats der Alten und der Bundestagsfraktion zusammensetzte. Er hatte laut PDS-Satzung gegenüber dem Parteivorstand Konsultativ-, Kontroll- und Initiativfunktion. Über die Aufforderungen des Parteirats, die drei Programmentwürfe gleichberechtigt bekannt zu machen, setzte sich der Parteivorstand hinweg, obwohl im PDS-Statut für den Fall einer zweimaligen Missachtung eines Einspruchs des Parteirats gegen einen Beschluss des Parteivorstands durch diesen zwingend die Einberufung eines Sonderparteitags vorgeschrieben war. Die orthodoxen Mitglieder der PDS-Programmkommission Winfried Wolf und Uwe-Jens Heuer verfassten nach der Bekanntgabe des Programmentwurfs der Redaktionsgruppe von 2003 in der Programmkommission kurzfristig ein Minderheitsvotum. Wolf und Heuer beantragten bei der Sitzung der Programmkommission am 20. Februar 2003, dieses Minderheitsvotum bei der öffentlichen Vorstellung des Programmentwurfs am 24. Februar 2003 ebenfalls bekanntzugegeben und den Anwesenden zur Verfügung zu stellen. Die Mehrheit der Programmkommission lehnte dies ab, obwohl Wolf und Heuer sich auf die Bestimmung in der Geschäftsordnung der Programmkommission, dass Mehrheitsvoten und Minderheitsvoten gleichberechtigt zu behandeln waren, beriefen. Am 8. August 2003 befassten sich der PDS-Bundesvorstand und die Programmkommission gemeinsam mit dem zweiten Programmentwurf von 2003. Bei dieser Sitzung wurden Änderungen beantragt und abgestimmt. In der Ausgabe des Presse- und Informationsdienstes des Parteivorstands der PDS vom 29. August 2003 wurde der Programmentwurf als Leitantrag an den Chemnitzer 1491 1492

Vgl. Seppmann, Werner: Zivilisierter Kapitalismus? Anmerkungen zur PDSProgrammdiskussion, in: Hintergrund, Nr. 3/2001, S. 44-52 (44). Vgl. Käßner, Frank: Die Programmdebatte in der PDS spitzt sich zu, in: Berliner Morgenpost v. 8.5.2001.

323

Programmparteitag veröffentlicht. Allerdings waren in dieser Fassung einige von den Vertretern der Orthodoxen bei der Sitzung vom 8. August beantragte und angenommene Änderungen nicht enthalten beziehungsweise nicht korrekt wiedergegeben. Darüber berichteten Uwe-Jens Heuer und Ellen Brombacher: „Wir reagierten sofort. Am 30. September 2003 erhielten wir dann, nach Rückfrage bei Lothar Bisky, eine vom 10. September datierte E-Mail von Bernd Ihme, Sekretär der Programmkommission, in der es u.a. heißt: „Alle Entscheidungen in der Programmkommission zum Text des Programmentwurfs wurden mit der Einschränkung gefasst, dass es der Redaktionsgruppe erlaubt sei, stilistische Veränderungen vorzunehmen, wenn damit die inhaltlichen Aussagen nicht verändert werden. Daran hat sich die Redaktionsgruppe gehalten““1493 Heuer und Brombacher verneinten allerdings, dass es sich bei diesen Änderungen lediglich um rein stilistische Veränderungen gehandelt habe. Die Summe der Fälle der Missachtung von Minderheitenrechten, der Verstöße gegen zwingende Bestimmungen der PDS-Satzung und der Geschäftsordnung der Programmkommission sowie der Ungleichbehandlung von Debattenbeiträgen der Orthodoxen und der Reformer dürfte unter Parteien in der Bundesrepublik einzigartig sein. Sie nähren nicht nur Zweifel am Demokratieverständnis der PDS-Führung, sondern werfen auch die Frage auf, ob das neue Parteiprogramm so auch – zumindest mit einer so großen Mehrheit – beschlossen worden wäre, wenn die Programmdebatte Mindeststandards von Fairness im Hinblick auf innerparteiliche Demokratie genügt hätte.

1493

Heuer, Uwe-Jens/Brombacher, Ellen: Ein schlimmer Vorgang, in: Junge Welt v. 21.10.2003.

324

11. Vergleich zwischen der Programmatik und der Politik der PDS

Grundsatzprogramme werden für einen mittelfristigen Zeitraum beschlossen und enthalten auch langfristige Ziele und Visionen. Doch in ihnen findet man in der Regel kaum konkrete Handlungsanleitungen für praktische Politik im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden. Den Spielräumen der Tagespolitik werden von rechtlichen Rahmenbedingungen, Kompromissen, langfristigen Festlegungen, verfügbaren Haushaltsmitteln und gesetzlichen Verpflichtungen Grenzen gesetzt. Deswegen ist fraglich, inwieweit die tatsächliche Politik der PDS durch ihre Programmatik bestimmt wurde beziehungsweise inwieweit die tatsächliche Politik der Partei mit ihrer Programmatik in Einklang stand. In diesem Kapitel sollen also die programmatischen Positionen mit dem praktischen Handeln von PDS-Politikern verglichen werden. Zwar hatte die PDS bei der 2. Tagung des 7. Parteitags 2001 ausdrücklich beschlossen, dass Politik und Programmatik der Partei eine Einheit bilden1494, doch bestanden zwischen den theoretischen Positionen der PDS und der Politik der PDSVertreter in den Bundesländern und Kommunen, in denen die Partei mit Ministern und Bürgermeistern Verantwortung trug, erhebliche Unterschiede.1495 Ein Kommentar sah in diesem Widerspruch eine Stärke der PDS. Sie verstehe, auf der Protestklaviatur zu spielen, aber auch staatstragend aufzutreten.1496 Eine rückblickende Betrachtung Hans Modrows zur Entwicklung der PDS von der „Wende“ bis zur Fusion mit der WASG benannte den Kern der gesamten programmatischen Debatten und ihrer Wechselwirkungen mit der tatsächlichen Politik der Partei: Die PDS habe eine ständige Tendenz der Anpassung an die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse gezeigt.1497 Die Programmatik der Partei habe sich also nach den Worten ihres Ehrenvorsitzenden an den in der Bundesrepublik herrschenden politischen Zuständen orientiert und dem Ziel der Integration in diese und damit der 1494

Vgl. Es geht auch anders: Nur Gerechtigkeit sichert Zukunft! Zur Strategie und Programmatik der PDS bis 2003, in: Disput, Nr. 10/2001, S. 40-45 (40). 1495 Vgl. Hopfmann, Arndt: „Unter den Übermütigen ist immer Streit; aber Weisheit ist bei denen, die sich raten lassen“, in: Utopie kreativ, Nr. 27-28/1993, S. 166-169 (169). 1496 Vgl. Seils, Christoph: Der Osten tickt doch anders, in: Frankfurter Rundschau v. 16.6.2004. 1497 Vgl. Modrow, Hans: Es geht um Grundsätzliches, in: Junge Welt v. 11.1.2007.

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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Möglichkeit zur Teilhabe an staatlicher Macht gedient. André Brie bezeichnete diese Tendenz als „Ankommen in der Bundesrepublik“. Die gesamten programmatischen Debatten der PDS standen im Zeichen des mit dem Ende der DDR einhergehenden Verlusts von Macht und Staat. Bedingungen für das Überleben der PDS waren die Aufgabe ihres Machtmonopols, die Umwandlung in eine parlamentarische Partei und die Zulassung von Opposition. Sie musste sich als Partei quasi neu erfinden. Die staatliche Macht hatte sie verloren und musste zunächst die Oppositionsrolle annehmen. In den ersten Jahren nach der „Wende“ konzentrierte sich die PDS bei der Erarbeitung und Weiterentwicklung ihrer Programmatik darauf, sich in ihren östlichen „Stammlanden“ zu konsolidieren und dort die Voraussetzungen für Koalitionen mit der SPD zu schaffen, um wieder regieren zu können. Die Programmatik der PDS musste also für die SPD kompatibel sein. Die PDS war, um mit der SPD regieren zu können, auch bereit, programmatischen „Ballast“ über Bord zu werfen, wie die Erklärung zur Zwangsvereinigung von SPD und KPD in Mecklenburg-Vorpommern oder das Bekenntnis zur westlichen Staatengemeinschaft in Berlin zeigten. Die Erblast der SED-Geschichte war in den ersten Jahren nach der „Wende“ für die PDS allgegenwärtig. Sie musste in dieser Situation den Spagat schaffen, sich einerseits gegenüber angestrebten politischen Partnern und der Öffentlichkeit als geläutert und erneuert darzustellen und andererseits die Legitimität der DDR und die Biographien ihrer Mitglieder und Wähler zu verteidigen. Es ging also bei den programmatischen Debatten stets auch um Integration nach innen, denn das Zusammenhalten der Partei war die Grundvoraussetzung für politischen Erfolg und damit für die Option auf Machtteilhabe. Ein wichtiger Grund für den Erfolg der PDS in den östlichen Bundesländern war, dass sie sich als Vertreterin des Ostens darstellte. Durch die Fusion ist die Partei jetzt tatsächlich gesamtdeutsch, so dass sich die Frage stellt, ob es ihr gelingen wird, sich auch weiterhin als Stimme des Ostens in Szene zu setzen. Die PDS regierte auf kommunaler Ebene schon wenige Jahre nach der „Wende“. 2001 verfügte sie über 6.500 kommunale Mandate, darunter zwei Landräte, 27 hauptamtliche und 159 weitere Bürgermeister sowie 18 hauptamtliche kommunale Wahlbeamte.1498 In öffentlichen Ämtern handelten PDS-Politiker zumeist pragmatisch und akzeptierten Sachzwänge. Auch Bundesgesetze, die die PDS ablehnte, setzten ihre Regierungsmitglieder auf Länderebene um, etwa die sogenannten Hartz-Gesetze. Dies lobte immer wieder auch die bürgerliche Presse. So kommentierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, der Berliner PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf gehe unideologisch

1498

Vgl. Brie, André/Brie, Michael/Charpa, Michael: Für eine moderne sozialistische Partei in Deutschland. Grundprobleme der Erneuerung der PDS (Standpunkte der Rosa-LuxemburgStiftung, Nr. 7/2002), S. 8.

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und pragmatisch vor.1499 Der „Spiegel“ nannte Wolf sogar Sparminator. Die Berliner PDS habe den Ruf von Manchester-Sozialisten.1500 Der Berliner Landes- und Fraktionsvorsitzende der Koalitionspartnerin SPD Michael Müller bezeichnete Wolf wegen seiner Privatisierungsvorhaben als der FDP sehr nahe.1501 Ausgerechnet die „Financial Times Deutschland“ kritisierte, die linkeste Landesregierung betreibe am entschiedensten die Privatisierung ihrer Sparkasse: „Die FDP hätte das nicht besser machen können, obwohl sie es wenigstens programmatisch vertritt.“1502 Solche Einschätzungen wurden auch von PDS-Mitgliedern geteilt.1503 Vertreter der WASG warfen der Berliner PDS vor, ihre Politik sei Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz.1504 Die „Junge Welt“ nannte Wolf „Genosse der Bosse“1505. Bei der Einführung der weitgehendsten Ladenöffnungszeiten aller Bundesländer habe er eine Einpeitscherrolle übernommen und „sich einen Teufel um die Kritik von ver.di“1506 geschert. Seine Partei habe sich, so sogar das parteinahe „Neue Deutschland“, an die Spitze der Sonntagsshoppingbewegung gesetzt.1507 Lob erhielt Wolf vom Präsidenten der Berliner Industrie- und Handelskammer Eric Schweitzer1508 und von der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“1509, Kritik von seiner eigentlichen Klientel. So sagte Günther Waschkuhn, Fachbereichsleiter Berlin-Brandenburg der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, die Linkspartei habe sich bei der Liberalisierung der Ladenschlusszeiten „als beratungsresistent erwiesen und sich ausschließlich der Lobby großer Einzelhandelskonzerne und Tourismusunternehmen gebeugt.“1510 Und der Pressesprecher der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ Berlin erklärte, ausgerechnet die Koalition unter Beteiligung der PDS beziehungsweise Linken „ist die arbeitnehmerfeindlichste Landesregierung im ganzen Bundesgebiet“1511. Wolf war kein Einzelfall. Trotz eines entgegenstehenden Beschlusses des Cottbusser PDS-Parteitags von 2001, der 1499

Vgl. Ritter, Johannes: Die (un)geliebte Hauptstadt, in: FAZ v. 29.6.2004. Vgl. Berg, Stefan/Latsch, Gunther: Scheinheiliger Spagat. Wie die PDS als Regierungspartei den Sozialabbau organisiert, in: Spiegel, Nr. 37/2004, S. 40. 1501 Vgl. Herrmann, Klaus Joachim: Keine Schonung für Gegner und Partner, in: ND v. 23.6.2006. 1502 Zeise, Lucas: Anfang vom Ende, in: Financial Times Deutschland v. 30.1.2007. 1503 Vgl. Mäde, Michael: Der Streit um Berlin – Profilierungswahn oder Ausdruck realer Widersprüche eines linken „Neuanlaufs“, in: Sozialistischer Dialog/Geraer Dialog, Nr. 5/2006, S. 9-12 (11). 1504 Vgl. Wallrodt, Ines: „Was haben wir mit euch zu tun?“, in: ND v. 23.2.2006. 1505 Boewe, Jörn: Genosse der Bosse, in: Junge Welt v. 23.11.2007. 1506 Balcerowiak, Rainer: Ein wenig Adventsruhe, in: Junge Welt v. 2.12.2009. 1507 Frech, Günther: Gegen den Homo oeconomicus, in: ND v. 2.12.2009. 1508 Vgl. Interview in der Berliner Zeitung v. 10.7.2006. 1509 Vgl. Balcerowiak, Rainer: Harald Wolf, in: Junge Welt v. 30.6.2007. 1510 Interview in der Jungen Welt v. 11.6.2006. 1511 Behruzi, Daniel: Tarifdiktat oder Wohltat?, in: Junge Welt v. 17.7.2008. 1500

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sich eindeutig gegen eine weitere Ausweitung der Ladenöffnungszeiten ausgesprochen hatte, entwickelte die von der PDS-Senatorin Heidi KnakeWerner geleitete Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz einen Gesetzentwurf, der die völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten an allen Werktagen und bundesweit einmalig weitgehende Ladenöffnungszeiten an Sonntagen vorsah. Eckhard Jesse und Jürgen Lang sprachen von einer ganz und gar unsozialistischen Privatisierungspolitik des rotroten Berliner Senats, die der PDS-Programmatik diametral widerspreche.1512 Linke Kritiker meinten, von den Grundsätzen einer modernen linkssozialistischen Partei sei in den Regierungen von Berlin und MecklenburgVorpommern wenig übriggeblieben.1513 Die Orthodoxen griffen die Regierungspolitik der PDS immer wieder scharf an. Beispielsweise wurden schwere Vorwürfe an die Berliner PDS-Senatoren gerichtet: „Umwandlung des Staatsratsgebäudes in eine „Arbeitgeber“-Hochschule und Wiederaufbau der Berliner Schlossfassade – dieses gleichzeitige Bekenntnis der SchweinefondsHüter zu den wahren und zu den einst gewesenen (Hohenzollern-)Herren Deutschlands reicht nicht nur, es ist schon mehr als zuviel.“1514 Der „Stern“ schrieb, die Politik der PDS in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern folge dem Prinzip des dialektischen Opportunismus: „Während die Genossen samt den alten und neu gewonnenen Sympathisanten montags demonstrieren, exekutieren ihre Minister die Hartz-Gesetze.“1515 Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie sowie des Wirtschaftsmagazins „Impulse“ ergab, dass die Bundestags- und Landtagsabgeordneten der PDS den Reformen der Arbeits- und Sozialpolitik weitaus weniger ablehnend gegenüberstehen, als man angesichts der Programmatik der Partei annehmen könne.1516 Den Gipfel erreichten die Anpassungsleistungen der Partei 2009 im Zuge der Sondierungsgespräche beziehungsweise Koalitionsverhandlungen in Thüringen und Brandenburg. Während die Partei in Brandenburg auf den Ausstieg aus der Kohleverstromung – zuvor ein zentrales Wahlkampfthema – verzichtete, akzeptierte sie in Thüringen sogar die Anwendung des Begriffs Unrechtsstaat auf die DDR - bis dahin ein Tabu in der Partei. Außerdem ließ der Spitzenkandidat Bodo Ramelow erkennen, auch von der strikten Ablehnung von Auslandseinsätzen 1512

Vgl. Jesse, Eckhard/Lang, Jürgen: Die Linke – der smarte Extremismus einer deutschen Partei. – München 2008, S. 65. 1513 Vgl. Bischoff, Joachim/Hüning, Hasko: Perspektiven der Linksparteien in Deutschland, in: Sozialismus, Nr. 1/2005, S. 24-27 (26). 1514 Behrend, Manfred: Schon mehr als zuviel, in: Junge Welt v. 14.5.2002. 1515 Hoidn-Borchers, Andreas/Krause, Dieter/Zimprich, Stephan: Partei des dialektischen Opportunismus, in: Stern, Nr. 37/2004, S. 36-40 (40). 1516 Vgl. Plöger, Christian: Wo der Stillstand regiert, in: Impulse, Nr. 5/2004, S. 140-143.

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der Bundeswehr abzurücken. Da die PDS ihre Programmatik bei sogenannten harten Themen in der Regel gegen ihren Koalitionspartner nicht durchsetzen konnte, durfte sie sich ersatzweise auf ideologischen Spielwiesen wie dem „Kampf gegen rechts“ oder dem Kampf gegen Gymnasien profilieren. In der „Jungen Welt“ hieß es mit Blick auf den Brandenburger Koalitionsvertrag, die Selbstverleugnung der Partei für eine Machtperspektive habe die absolute Schmerzgrenze überschritten.1517 Und die „Berliner Morgenpost“ kommentierte, Ziel der Partei sei gewesen, endlich an die Macht zu kommen. Sie sei bereit gewesen, dafür einen hohen Preis zu zahlen. Das Ergebnis sei ein Regierungsvertrag, der auch die Überschrift „SPD-Wahlprogramm“ tragen könnte.1518 Anlässlich des Streits um den Verkauf der Dresdner städtischen Wohnungsbaugesellschaft forderten Christine Ostrowski und Ronald Weckesser in einem Offenen Brief, den sie als Beitrag zur programmatischen Debatte bezeichneten1519, von ihrer Partei eine Grundsatzentscheidung zwischen linker Realpolitik und ideologischer Symbolpolitik.1520 Ostrowski begründete später ihren Austritt damit, dass in der Partei „deklamatorische Politik dominiert, in der prinzipielle Postulate, fundamentalistische Phrasen, oberflächliche Sprüche und verbale Kraftmeierei an die Stelle konkreter politischer Arbeit treten“. Es würden „unrealistische Wunschvorstellungen“ propagiert, statt „reale Gestaltungsmöglichkeiten in konkreten Situationen“ zu suchen.1521 Angela Marquardt warf der PDS nach ihrem Parteiaustritt in einem für ihr Demokratieverständnis aufschlussreichen Beitrag vor, nichts anderes als autoritäre Machtpolitik zu betreiben, indem sie ihre Inhalte am Zuspruch der Wähler ausrichte.1522 Eine Ursache für die Diskrepanz zwischen Programmatik und Politik der PDS lag in der auch von Vertretern der PDS eingestandenen Inkonsistenz und mangelnden Klarheit ihrer Programmatik.1523 Horst Dietzel kritisierte, im vom PDS-Vorstand favorisierten Programmentwurf stünden verschiedene politische Ansätze unvermittelt nebeneinander.1524 Sahra Wagenknecht und andere wiesen 1517

Vgl. Pirker, Werner: Platzecks Vergleich, in: Junge Welt v. 7.11.2009. Vgl. Mallwitz, Gudrun: Rot-Rot in Brandenburg ist SPD pur, in: Berliner Morgenpost v. 30.10.2009. 1519 Vgl. Lasch, Hendrik: Woba-Verkauf führt zu Grundsatzdebatte, in: ND v. 21.3.2006. 1520 Vgl. FAZ v. 17.3.2006. 1521 Lasch, Hendrik: „Ossi“ kehrt der LINKEN den Rücken, in: ND v. 4.1.2008. 1522 Vgl. Marquardt, Angela: Diktat der Prozente. Die Realpolitik der PDS, in: Jungle World, Nr. 7/2004 v. 4.2.2004. 1523 Vgl. Land, Rainer: Das Rot-Grüne Projekt des „sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft“ und die PDS, in: Engler, Wolfgang/Guggenberger, Bernd (Hg.): Einsprüche. Kritik der politischen Tagesordnung. – Berlin 1996, S. 79-100 (97). 1524 Vgl. Dietzel, Horst: Berliner Einerlei? Programmatische Positionen von SPD, PDS und Bündnis 90/Die Grünen (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 4/2002), S. 6. 1518

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in Beiträgen zur Programmdebatte auf konkrete Widersprüche zwischen Programmatik und Politik hin. Beispielsweise stehe die Aussage im PDSProgrammentwurf von 2003, die PDS werde stets an der Seite der Gewerkschaften bei der Verteidigung der Flächentarifverträge stehen, im Gegensatz zum Handeln des Berliner SPD-PDS-Senats.1525 Vertreter der Ökologischen Plattform bemängelten, die Politik der PDS in Landesregierungen habe mit der ökologischen Programmatik der Partei wenig gemein. Die PDS übernähme in Regierungsverantwortung „flugs die sattsam bekannten Sprüche, wie wichtig Autobahnen, Kanäle oder Flughäfen für den wirtschaftlichen Aufschwung seien“.1526 Der energiepolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Hans-Kurt Hill räumte 2007 ein, in der Partei sei in der Vergangenheit umweltpolitisch mit zwei Stimmen gesprochen worden.1527 Äußerungen aus den Reihen der PDS ließen darauf schließen, dass Ökologie für die Partei lediglich eine Hilfsfunktion zur Flankierung ihrer sozialpolitischen Ziele hatte. So hieß es in einer Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, es gehe um eine Integration von Umweltpolitik und sozialer Gerechtigkeit: „Umweltpolitik wird sich nur durchsetzen lassen, wenn sie gleichzeitig die soziale Ungleichheit verringert oder besser noch: Wenn mehr soziale Gleichheit die Folge von Umweltpolitik ist.“1528 Auch das Klimaproblem sollte instrumentalisiert werden, um soziale Veränderungen zu erreichen: „Es müsste linker Politik daher gelingen, das Klimaproblem vielfach zu verknüpfen: Mit Fragen der (nicht-)demokratischen Gestaltung der Gesellschaft, der Verfügung über Eigentum, neben den ressourcenintensiven Industrien auch im Verhältnis zu Finanzmärkten und deren Rolle beim Raubbau an Natur, mit Diskussionen über ein gutes Leben, über Gerechtigkeit und andere Nord-Süd-Verhältnisse, mit der Frage von Krieg und Frieden, denn viele Kriege werden um Ressourcen und die Aufrechterhaltung der bestehenden weltweiten Ressourcen- und Energieordnung geführt.“1529 Unstimmigkeiten zwischen Programmatik und praktischer Politik der PDS fand man auf vielen Politikfeldern. So hieß es 2000 in einer Bewertung der PDS-Programmatik und insbesondere der Thesen zur Programmatik, „dass eine enorme Kluft zwischen den Ansprüchen der PDS bezüglich feministischer Politik und deren Umsetzung besteht.“1530 Die

1525

Vgl. Wagenknecht, Sahra: Welche Aufgaben hat ein Programm einer sozialistischen Partei?, in: Utopie kreativ, Nr. 152/2003, S. 536-542 (542), und Karl, Heinz: Geschichte in der Programmdebatte der PDS, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 8/2003, S. 17-20 (17). 1526 Vgl. Schnell, Roland: Die Ökologie fehlt, in: ND v. 9.1.2003. 1527 Vgl. Interview in der Jungen Welt v. 2.11.2007. 1528 Schachtschneider, Ulrich: Wie „grün“ muss die Linke sein? „Grün muss links sein! (Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Nr. 7/2007), S. 4. 1529 Brand, Ulrich: Radikale Transformation der imperialen Lebensweise, in: ND v. 27.7.2007. 1530 Rommelspacher, Birgit: PDS und feministische Politik – ein Widerspruch?, in: Utopie kreativ, Nr. 117/2000, S. 641-650 (641).

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„formalen Konzessionen“1531 der PDS an ein feministisches Artikulationsbedürfnis stünden exemplarisch für die taktische Instrumentalisierung symbolträchtiger Begriffe, so eine Schrift der DKP zur PDS-Programmdebatte: „Bei jedem Bezug auf die Macht- und Herrschaftsproblematik wird der Begriff „patriarchal“ hinzugefügt; der vielschichtigen Problematik aber wird keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt.“1532 In einem Beitrag des PDS Kreisverbands Mainz-Bingen zur Programmdebatte hieß es, zwar würden die Worte „ökologisch“ und „nachhaltig“ fast inflationär und pflichtschuldigst in programmatischen Äußerungen verwendet, doch dies spiegle sich im Handeln der Partei kaum wieder.1533 Selbst führende PDS-Politiker kritisierten wiederholt, die politische Praxis der Partei sei nicht selten sogar konträr zu programmatischen Positionen.1534 Brigitte Fehrle, die jahrelang für die „Berliner Zeitung“ über die PDS berichtete, schrieb, die Programmatik habe für das praktische Handeln der Partei wenig Bedeutung: „Dort, wo die PDS in Verantwortung ist, macht sie Politik nach dem Opportunitätsprinzip. Die Bürgermeister, Landräte, Abgeordneten und gar die Minister tun, was sie jeweils für richtig halten. Ihr Handeln lässt sich kaum aus einem Parteiprogramm ableiten.“1535 Ein linker Kritiker der PDS spitzte zu, die Programme der Partei seien „das Geld nicht wert, das man zu ihrem Druck ausgibt.“1536 Lothar Probst stellte im Rahmen seiner Untersuchungen an der PDS-Basis einen starken Kontrast zwischen dem programmatischen Anspruch der Partei, eine linkssozialistische moderne Partei zu sein, und dem traditionellen Gedankengut vieler älterer Mitglieder fest.1537 Auch ist fraglich, inwieweit die neue Programmatik von der Masse der PDSMitglieder tatsächlich angenommen wurde beziehungsweise ob Teile der Mitgliedschaft lediglich aus typisch kommunistischer Parteidisziplin dem Kursschwenk folgten. Auch PDS-Politiker stellten diese Fragen. So sagte André Brie 1996, es sei vergleichsweise einfach gewesen, die Programmatik der Partei zu verändern, doch „die schwerste Bürde, die die PDS aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands mitnahm, war der nicht- und sogar 1531

Seppmann, Werner: Kapitalismusbegriff und Sozialismuskonzeption. Zur ProgrammDiskussion in der PDS. - Essen 2000, S. 2. 1532 Ebd., S. 2. 1533 Vgl. PDS Kreisverband Mainz-Bingen: Thesen und Anfragen an die PDS. Ein Beitrag zur Programmdebatte, in: Disput, Nr. 11/1999, S. 20-22 (21 f.). 1534 Diskussionsbeitrag von Rosemarie Hein, vgl. Fehst, Georg: Politische Praxis und Programmatik der PDS nach den Wahlen, in: PID, Nr. 49/1994, S. 15-18 (16). 1535 Vgl. Fehrle, Brigitte: Regieren als Überlebensfrage: Die PDS, in: Forschungsjournal neue soziale Bewegungen, Nr. 3/2001, S. 105-110 (109). 1536 Magel, Johannes: Thesen zur Formierung der Linkspartei.PDS, in: Theorie und Praxis, Nr. 6/2006, S. 13 f. (13). 1537 Vgl. Probst, Lothar: Die PDS – von der Staats- zur Regierungspartei. Eine Studie aus Mecklenburg-Vorpommern (Politica, Bd. 39). – Hamburg 2000, S. 32.

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antiemanzipatorische Charakter der SED.“1538 1999 bekräftigte Brie seine Bedenken. Zwar sei in der PDS programmatisch vieles radikal verändert worden, kulturell aber lebe die SED zum Teil in der Partei fort.1539 Er räumte ein, die inflationäre Verwendung ökologischer und libertärer Attribute in Erklärungen und Beschlüssen der PDS sei eher Ausdruck dafür, „wie lang der Weg von der Distanzierung von illiberaler und antiökologischer Politik und Programmatik der SED hin zu einer gelebten anderen politischen Kultur ist.“1540 Horst Dietzel und Bernd Ihme fragten ebenfalls, inwieweit sich die Parteimitglieder mit den Programmpositionen identifizierten. Als Beispiel führten sie das Bekenntnis der PDS zu feministischer Politik an. Dieser Ansatz werde von sehr vielen PDS-Mitgliedern nicht wirklich mitgetragen. Die Dimension der Feminismus-Problematik als einer fundamentalen Frage emanzipatorischer Gesellschaftsveränderung werde kaum erfasst.1541 In einem weiteren Beitrag hieß es, Forderungen aus den PDS-Programmen wie die Legalisierung von Drogen oder offene Grenzen für Flüchtlinge würden von der Basis oft nur aus Loyalität zur Parteispitze mitgetragen.1542 Auch politische Gegner machten wiederholt darauf aufmerksam, dass es eine Diskrepanz zwischen der offiziellen PDS-Programmatik und Auffassungen gebe, die an der Parteibasis tatsächlich verbreitet seien. Der SPD-Politiker Markus Meckel schrieb, emanzipatorische Themen der PDS-Programmatik wie Ausländerintegration, Liberalisierung des Asylrechts, Rechte von Frauen, Kindern und Homosexuellen entsprächen „keineswegs den inhaltlichen Vorstellungen des größten Teils der – überalterten – Mitgliedschaft in Ostdeutschland, die der Partei durch ihren unaufgebbaren Bezug zur SEDVergangenheit zwar ideologisch anhängen, gesellschaftlich aber weitgehend konservativ geprägt sind.“ (…) „Außerdem ist sie es von der SED her gewohnt, per se der Parteilinie zuzustimmen.“1543 Ähnlich äußerte sich beispielsweise auch Richard Schröder.1544 Unabhängig davon, ob die PDS-Programmatik mit den Überzeugungen der Masse der Mitgliedschaft übereinstimmte, stellt sich die Frage, wie realisierbar 1538

Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 171. Vgl. Interview in der Welt v. 23.10.1999. 1540 Brie, André: Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen. – Berlin 1996, S. 271. 1541 Vgl. Dietzel, Horst/Ihme, Bernd: Auseinandersetzungen um die Programmatik der PDS, in: Brie, Michael/Herzig, Martin//Koch, Thomas (Hg.): Die PDS. Postkommunistische Kaderorganisation, ostdeutscher Traditionsverein oder linke Volkspartei? Empirische Befunde und kontroverse Analysen. – Köln 1995, S. 102-111 (107 f.). 1542 Vgl. Ehmke, Wolfgang: PDS im Spagat, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. /1998, S. 524-527 (527). 1543 Vgl. Meckel, Markus: Koalitionen helfen nur der PDS, in: Die Welt v. 16.1.1999. 1544 Vgl. Schröder, Richard: Die PDS – eine ostdeutsche Milieupartei, in: Brose, Thomas (Hg.): Gewagte Freiheit. Wende – Wandel – Revolution (Deutsches Neuland, Bd. 3). – Leipzig 1999, S. 197-202 (197). 1539

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die programmatischen Forderungen der PDS überhaupt waren und warum sie erhoben wurden. Typisch für die PDS war, dass sie in programmatischen Papieren unrealisierbare Maximalforderungen stellte. So forderte die Linke Liste/PDS in ihrem Wahlprogramm eine neue Verfassung, in der das Recht auf ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum, auf qualifizierte und menschenwürdige Arbeit, auf eine geschützte Natur und Umwelt, auf Volksentscheide, Volksbegehren und Volksinitiativen, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, das Aussperrungsverbot, das informationelle Selbstbestimmungsrecht sowie die Pflicht zur Abrüstung und Entmilitarisierung verankert werden sollten.1545 Die Kritik von Thomas Falkner, Vision und Realität stünden bei der PDS oft in einem nicht überbrückbaren Widerspruch, ist berechtigt. Konkrete Vorschläge seien nicht miteinander vereinbar und zu wenig auf ihre Handhabbarkeit überprüft. Vor allem gebe es ein Zuviel an „Dagegen“ und ein Zuwenig an konstruktivem „Dafür“.1546 Thomas Meyer, stellvertretender Vorsitzender der SPDGrundwertekommission, sprach im Hinblick auf den PDS-Programmentwurf von 2001 von einem überall wehenden Lüftchen eines praktisch vage bleibenden Linkspopulismus.1547 Reformer warfen dem Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf vor, populistische Forderungen zu enthalten. Diese gingen an den tatsächlichen ökonomischen Problemen vorbei und würden Konsequenzen nicht bedenken.1548 Auch auf der kommunalen Ebene stelle die PDS unfinanzierbare Forderungen, wie Patrick Moreau und Viola Neu anhand konkreter Beispiele belegten. So könne sich „die PDS problemlos als Verteidigerin der „kleinen Leute“ ausgeben, deren Konzepte durch die „herrschende Klasse“ durchkreuzt würden.“1549 Wenn die PDS überhaupt Vorschläge zur Finanzierung ihrer kostenintensiven Forderungen machte, blieb sie zumeist vage oder erging sich in Allgemeinplätzen. So hieß es im Programm von 2003, Haushaltsmittel müssten mittels Verbesserung der öffentlichen Einnahmen, erfolgreicher Beschäftigungspolitik, effizienten Ressourceneinsatzes, Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Abrüstung, Entbürokratisierung, Abkehr von der Wegwerfgesellschaft und mit überlegterem Einsatz von Fördermitteln

1545

Vgl. Linke Liste/PDS: Für eine starke linke Opposition. Gesamtdeutscher Wahlkongress der Linken Liste/PDS. – Potsdam 1990, S. 46. 1546 Vgl. Falkner, Thomas/Huber, Dietmar: Aufschwung PDS. Rote Socken – zurück zur Macht? – München 1994, S. 206. 1547 Vgl. Meyer, Thomas: Vetomacht oder Gestaltungskraft? Zum ersten PDS-Programmentwurf, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 2001, S. 583-588 (588). 1548 Vgl. Dietzel, Horst: Zum Programmentwurf von Winfried Wolf u.a., in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 5/2001, S. 92-96 (95). 1549 Moreau, Patrick/Neu, Viola: Die PDS zwischen Linksextremismus und Linkspopulismus (Interne Studien der Konrad-Adenauer-Stiftung, Nr. 76). – Sankt Augustin 1994, S. 63.

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erwirtschaftet werden.1550 Die „Wirtschaftswoche“ untersuchte die PDSProgrammatik im Hinblick auf ihre Finanzierbarkeit und Realisierbarkeit. Sie kam zu dem Ergebnis, die PDS biete programmatisch vor allem kostspieligen Dirigismus. Ihre sozialistische Wundertüte wolle die PDS durch Umverteilung finanzieren.1551 In einem Positionspapier aus den Reihen der PDS wurde selbstkritisch festgestellt, die Partei könne kaum plausibel definieren, wie ihre politischen Ideen finanziert werden können.1552 „Die Zeit“ schrieb in diesem Zusammenhang über programmatischen Unernst der PDS vor allem auf dem Gebiet der Finanzpolitik.1553 Horst Dietzel fragte mit Blick auf den Programmentwurf von Monika Balzer, Dorothée Menzner, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf: „Woher kommt nun das Geld, um die vielen Dinge zu bezahlen, die von den Autorinnen und Autoren gefordert werden? (32-StundenWoche bei vollem Lohnausgleich, öffentlich geförderter Beschäftigungssektor bei Tarifbezahlung, sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie, sofortige Angleichung der Löhne Ost auf westliches Niveau, Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung und Rücknahme aller Verschlechterungen bei der Sozialversicherung, unentgeltliche und qualitativ wertvolle Betreuung der Kinder in Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen und Schulhorten, Ausgleich der Abschaffung des Ehegattensplittings für untere und mittlere Einkommen, Erhalt dörflicher Grundschulen, erhebliche Senkung der Klassenstärken, Beseitigung des Lehrermangels, Programm zur Schaffung und Förderung von ansprechenden Jugendzentren mit hochqualifizierten Fachkräften in allen „Kiezen“ u.a.).“1554 Doch nicht nur die Orthodoxen stellten unrealistische und unfinanzierbare Forderungen. Eine Studie des Bereichs „Strategie und Grundsatzfragen“ beim Parteivorstand der PDS, in der Landtagswahlprogramme der PDS untersucht wurden, kam zu einem vernichtenden Urteil: „Wir wollen die kommenden Generationen nicht noch stärker belasten (eher entlasten), wir wollen mehr Geld nicht nur für die Länder, sondern auch und vor allem für die Kommunen. Das hätte zur Folge, dass im Bund bedeutend weniger Geld zur Verfügung ist. Dieser muss aber nach unseren Reformvorstellungen (Finanzierung eines dritten Sektors, Grundsicherung, Hochschulen und Wissenschaft u.a.) bedeutend mehr Mittel zur Verfügung haben. Das ist alles nicht über eine Umverteilung der Steuerlast finanzierbar (Den Mittelstand wollen wir ja auch noch fördern!).“1555 Den Forderungen standen Finanzierungsvorschläge gegenüber wie: Baumaßnahmen 1550

Vgl. Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus. – Berlin 2003, S. 13. Vgl. Von Haacke, Brigitte: Keine Antworten, in: Wirtschaftswoche v. 25.11.1999. 1552 Vgl. Wiemers, Andreas u.a.: Die PDS ist auf dem Weg – nur wohin?, in: ND v. 28.2.2004. 1553 Vgl. Hartung, Klaus: Partei des beliebigen Sozialismus, in: Zeit, Nr. 41/1999. 1554 Dietzel, Horst: Zum Programmentwurf von Winfried Wolf u.a., in: Beiträge und Informationen zur Programmdebatte, Nr. 1/2004, S. 92-96 (95). 1555 Analyse: Wahlprogramme der PDS-Landesverbände, in: ND v. 10.9.1999. 1551

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und Instandhaltung von öffentlichen Einrichtungen auf ein für deren Funktionsfähigkeit notwendiges Maß beschränken, öffentlichen Dienst umstrukturieren, Spaßbäder nicht mehr fördern.1556 Ähnlich kommentierten Beobachter beispielsweise das Europawahlprogramm der PDS von 2004: „Die Finanzierung eines alle glücklich machenden Programms bleibt völlig unklar: In öffentlicher Hand soll die Ankurbelung der europäischen Wirtschaft aus der Rezession in die Vollbeschäftigung liegen, die Garantie von Arbeitsplätzen, die Förderung von Existenzgründungen und lebenslangem Lernen, die drastische Erhöhung der Sozialausgaben, die Aufrechterhaltung alter und Übernahme neuer Strukturförderungen und Sonderaktionsprogramme – letztlich auch die Beseitigung der Armut weltweit. Zur Frage der Gegenfinanzierung dieser betäubenden Mehrausgaben lässt das Programm nicht viel mehr vernehmen als dass gewissermaßen Schuldenmachen für den guten Zweck sich selbst refinanzieren würde.“1557 Die sachsen-anhaltinische PDS-Vorsitzende Rosemarie Hein schrieb, die PDS verwende „Soziale Gerechtigkeit“ wie ein Füllhorn, aus dem nur auszuteilen sei. Hein plädierte dafür, umsetzbare und finanzierbare Konzepte zu entwickeln.1558 In einer Bewertung der Programmatik der PDS kam Manfred Gerner 1994 zu der Schlussfolgerung, erster und einziger Adressat der Forderungen der Partei sei der Staat, der erneut als allzuständig angesehen und mit Maximalforderungen konfrontiert werde, die im Falle ihrer Realisierung den Markt völlig außer Kraft setzen müssten und ohnehin unfinanzierbar seien. Letztlich liefe dies auf eine Wiedereinführung des staatlichen Sozialismus auf Umwegen hinaus.1559 2000 wiederholte Gerner diese Einschätzung. Beim Programm handle es sich im Kern um eine Aneinanderreihung von Maximalforderungen. Machbarkeit und Finanzierbarkeit von sachpolitischen Projekten spielten bei der Formulierung des Programms überhaupt keine Rolle.1560 Viola Neu schrieb, die PDS formuliere einen unerfüllbaren Forderungskatalog, der vom Staat eingelöst werden soll: Vollbeschäftigung, hochwertige Bildung, umfassende soziale Sicherheit, hohe Renten, niedrige Mieten, perfekte Gesundheitssysteme, Umweltschutz und Frieden. Die

1556

Vgl. ebd. Hohlt, Andreas/Bortfeldt, Heinrich: „Jein“ zu Europa. Der Europa-Parteitag der PDS, in: Deutschland Archiv, Nr. 2/2004, S. 190-198 (195). 1558 Vgl. Hein, Rosemarie: Und der Gesellschaft zugewandt … Gedanken zur Strategie der PDS, in: Disput, Nr. 8/2004, S. 10 f. (11). 1559 Vgl. Gerner, Manfred: Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS. – München 1994, S. 252. 1560 Vgl. Gerner, Manfred: Die SPD-PDS Regierungskoalition in Mecklenburg-Vorpommern. Nagelprobe für die Regierungsfähigkeit der SED-Nachfolgeorganisation, in: Hirscher, Gerhard/Segall, Peter Christian (Hg.): Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Bd. 20). – München 2000, S. 97-108 (98). 1557

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Lösungsvorschläge der PDS basierten auf der Grundlogik von Umverteilung, Verstaatlichung und letztlich Enteignung.1561 Anhand der Regierungsbeteiligungen der PDS beziehungsweise des Magdeburger Tolerierungsmodells kann man die Programmatik der PDS mit ihrer tatsächlichen Politik vergleichen. Eine Untersuchung von Gero Neugebauer und Richard Stöss ergab, die PDS habe als Tolerierungspartner in Sachsen-Anhalt sogar gegen ihr eigenes Wahlprogramm gehandelt.1562 Heinrich Bortfeldt resümierte mit Blick auf das Magdeburger Modell rückblickend, die PDS habe sich oftmals darauf beschränkt, Schlimmeres bei sozialen Einschnitten zu verhindern.1563 Er schrieb, die PDS fordere zwar in ihrer Programmatik Sozialstaat und Vollbeschäftigung, aber dort, wo sie mitregiert, könne sie keine überzeugenden praktischen Antworten geben.1564 Der damalige sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reinhard Höppner erklärte später, die PDS sei ein ausgesprochen zuverlässiger Partner und eine eher staatstragende Partei gewesen.1565 Innerparteiliche Gegner von PDS-Regierungsbeteiligungen kritisierten mit Blick auf die Berliner Koalition, die politische Praxis der PDS sei Lichtjahre weiter als die programmatischen Aussagen.1566 Als Regierungspartei in Berlin musste die PDS beispielsweise aus dem Flächentarifvertrag aussteigen, die Gebühren für Kindertagesstätten drastisch erhöhen, das Blindengeld kürzen und die Lernmittelfreiheit, das Sozialticket der Berliner Verkehrsbetriebe sowie die Wohnungsbauförderung (weitgehend) abschaffen.1567 Mit Zustimmung der PDS wurden sogar landeseigene Wohnungen an die berüchtigte „Heuschreckenfirma“ Cerberus verkauft. Kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2006 listeten Gegner der SPDPDS-Koalition auf, wo die PDS als Regierungspartei gegen ihre eigentlichen Ziele gehandelt beziehungsweise eine entsprechende Politik zumindest hingenommen habe:

1561

Vgl. Neu, Viola: Die PDS. Eine populistische Partei, in: Werz, Nikolaus (Hg.): Populismus. Populisten in Übersee und Europa (Politik – Gesellschaft – Wirtschaft, Bd. 79). – Opladen 2003, S. 263-277 (268 f.). 1562 Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Nach der Bundestagswahl 1998. Die PDS in stabiler Seitenlage?, in: Niedermayer, Oskar (Hg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 1998. Opladen 1999, S. (135) 1563 Vgl. Bortfeldt, Heinrich: Die PDS am Ende?, in: Deutschland Archiv, Nr. 5/2003, S. 737-751 (738). 1564 Vgl. ebd., S. 743. 1565 Vgl. Höppner, Reinhard: Rot-Rot regieren, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 3/2008, S. 56-59 (58). 1566 Vgl. Mäde, Michael: Der Streit um Berlin. - Profilierungswahn oder Ausdruck realer Widersprüche eines linken „Neuanlaufs“, in: Sozialistischer Dialog. Geraer Dialog, Nr. 5/2006, S. 9-12 (11). 1567 Vgl. Hecker, Thomas: Es ist gerechtfertigt, Fragen zu stellen, in: ND v. 20.5.2005.

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„Ausstieg aus dem kommunalen Arbeitgeberverband Abschaffung des BVG-Sozialtickets (Berliner Verkehrsbetriebe, S.P.) Lohn- und Gehaltskürzungen in öffentlichen Einrichtungen Stellenabbau und Einführung des Stellenpools Risikoübernahme für die Fondszeichner der Bankgesellschaft Berlin Beschluss zur Privatisierung der Berliner Sparkasse Verkauf von landeseigenem Wohnungsbestand Mietspiegel gegen die Proteste der Mietervereine beschlossen deutliche Reduzierung des Blindengeldes um 20 % Abschaffung der Lernmittelfreiheit an den Berliner Schulen Erhöhung der Kita-Gebühren Erhöhung der Lehrerarbeitszeit um zwei Unterrichtsstunden Kürzung der Hilfen zur Erziehung Kürzung von 75 Millionen Euro im Universitätsbereich Streichungen im Kulturbereich massenhafte Einführung von 1-Euro-Jobs insbesondere auch im öffentlichen Bereich Kürzung von 400 Referendariatsstellen in den Jahren 2005 und 2006 Zustimmung Berlins im Bundesrat zur EU-Verfassung Zustimmung Berlins im Bundesrat zur Föderalismusreform“1568

Auch in Mecklenburg-Vorpommern konnte die PDS als Regierungspartei nur symbolische Maßnahmen zur Schaffung eines von ihr im Wahlkampf geforderten öffentlich geförderten Beschäftigungssektors durchsetzen. Orthodoxe kritisierten, die PDS habe in der Regierung die Überwachung von Parteigliederungen durch den Verfassungsschutz, die teilweise Rückgängigmachung der so genannten Bodenreform und Privatisierung öffentlicher Leistungen mitgetragen oder zumindest geduldet.1569 2006 zog der „Spiegel“ eine Bilanz der SPD-PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. Dort war zu lesen: „In den koalitionspolitischen Kerndisziplinen „Kröten schlucken“ und „Niederlagen schönreden“ haben sich die Linken MecklenburgVorpommerns seit Jahren geübt.“1570 Sie nahmen sogar hin, dass Ministerpräsident Harald Ringstorff im Bundesrat entgegen der Vereinbarung

1568

Mäde, Michael: Der Streit um Berlin – Profilierungswahn oder Ausdruck realer Widersprüche eines linken „Neuanlaufs“, in: Sozialistischer Dialog. Geraer Dialog, Nr. 5/2006, S. 9-12 (10). 1569 Vgl. Lieberam, Ekkehard: Programmpräzisierung aus marxistischer Sicht anstatt „Gang nach Godesberg“, in: Marxistisches Forum, H. 28/29, S. 4-10. 1570 Berg, Stefan/Latsch, Gunter/Sontheimer, Michael: Lohn der Anpassung, in: Spiegel, Nr. 33/2006, S. 30 f. (31).

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im Koalitionsvertrag für die Rentenreform stimmte.1571 Eckhard Jesse wies auf ein Dilemma hinsichtlich der Regierungsbeteiligungen der PDS hin: „Was die PDS angestrebt hatte – durch Koalitionsbildung salonfähig zu werden -, kann der Partei zum Verhängnis gereichen. Ihr Dilemma stellt sich mit einiger Zuspitzung folgendermaßen dar: Erreicht sie ihr Ziel der Regierungsbeteiligung, so führt dies zur Enttäuschung bei manchen ihrer Wähler, die geglaubt haben, sie könne Wunder wirken. Aber für ihre öffentliche Resonanz benötigt sie die Regierungsbeteiligung. So gerät sie in eine Art „Regierungsfalle“.“1572 PDSPolitiker sahen infolge der Regierungsbeteiligungen ihrer Partei eine ähnliche Problemkonstellation. So schrieb Benjamin Hoff, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, die Erwartungshaltung der PDS-Wähler changiere ständig zwischen zwei Polen: „Vor Wahlen hegen sie vor allem die Erwartung, die PDS möge mit ihren Stimmen Schlimmeres – etwa CDU-geführte Regierungen – verhüten. Gewählt wird sie vor allem aus einer oppositionellen Haltung heraus. Nach Wahlen, in denen die PDS erfolgreich abgeschnitten hat, findet dann regelmäßig ein Perspektivenwechsel statt: nun wird erwartet, dass die PDS Verantwortung übernimmt und für jene blühenden Landschaften sorgt, die Helmut Kohl einst versprochen hat. Gelingt ihr dies nicht, so wendet sich die im Vergleich zu Westdeutschland enorm große Zahl an Wechselwählern schnell enttäuscht von ihr ab.1573 Widersprüche zwischen der Programmatik und der praktischen Politik der PDS als Regierungspartei waren offensichtlich. Regelmäßig erhob die PDS populistische und unrealistische beziehungsweise unfinanzierbare Forderungen. Vielfach entwickelte sie auch keine konkreten Konzepte zur Umsetzung ihrer Positionen. Dort, wo die PDS in der Exekutive Verantwortung übernahm, handelten ihre Vertreter fast immer pragmatisch. Diese Einschätzung wurde nicht nur von Orthodoxen und anderen linken Kritikern wie der WASG Berlin, sondern auch von neutralen Beobachtern, politischen Gegnern und – teilweise selbstkritisch – sogar von Reformern vertreten. Der „Spiegel“ fasste die Widersprüche zwischen dem von der Partei in programmatischen Papieren Geforderten und dem Handeln ihrer Politiker in Regierungsämtern zusammen: Sonntags huldige sie Marx, Engels und Lenin, im Alltag sei die Partei aber längst in der Bundesrepublik angekommen und betreibe Realpolitik.1574

1571

Vgl. Pergande, Frank: Schweriner Koalition streitet über die EU-Verfassung, in: FAZ v. 27.5.2005. 1572 Jesse, Eckhard: Das Abschneiden der PDS und der Rechtsparteien bei der Bundestagswahl 2002, in: Zeitschrift für Politik, Nr. 1/2003, S. 17-36 (34). 1573 Hoff, Benjamin: Jahre der Entscheidung, in: Vorgänge, Nr. 1/2003, S. 56-59 (56 f.). 1574 Vgl. Bartsch, Matthias und andere: Schmerzhaftes Vorspiel, in: Spiegel, Nr. 10/2008, S. 22-38 (34).

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12. Zusammenfassung und Ausblick

Die programmatischen Debatten der letzten zwanzig Jahre haben ihren Zweck erfüllt: Die PDS beziehungsweise Linke wurde zu einer weitgehend akzeptierten Partei im neuen deutschen Fünf-Parteien-Spektrum. Dem Ziel des Ankommens in der Bundesrepublik ist sie nahe. Der marxistische Marburger Politikwissenschaftler Georg Fülberth nannte die programmatischen Papiere der Reformer daher Ankunfts-Potpourri.1575 Die Partei wird in der Öffentlichkeit als fast normale Partei angesehen. Zumindest in den östlichen Bundesländern und in der Hauptstadt wird ihre Regierungsfähigkeit nicht mehr in Frage gestellt. Das wollten die Reformer erreichen. Ein prominenter Reformer, Thomas Falkner, bestätigte dies in aller Offenheit: „Jene „Reformer“, die seit 1989/90 mehrheitlich die Partei reformierten und ihr einen stabilen Platz in der Gesellschaft zurückerobern wollten, waren mit diesen Regierungsbeteiligungen am Ziel – und damit eigentlich auch am Ende ihres politischen Strebens.“1576 Machtteilhabe um ihrer selbst Willen dürfte auch Ziel der fusionierten Partei bleiben, so zumindest eine langjährige Beobachterin der Partei: Die Linke sei „eine von alten Kadern aus Ost und West zusammengezwungene Interessengemeinschaft zu einem einzigen Zweck: der Eroberung von Macht.“1577 In der „Süddeutschen Zeitung“ hieß es mit Blick auf die Partei in den östlichen Ländern, sie sei geprägt vom „Willen zur Macht“1578. Auf der Bundesebene stehen der Regierungsbeteiligung der Partei nicht etwa ihre Vergangenheit oder ihre Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern primär ihre außenpolitischen Positionen und noch die Personalie Lafontaine im Weg. Seit Jahren arbeiten die Reformer daran, das außenpolitische Hindernis aus dem Weg zu räumen. Neuerdings fordert Gregor Gysi seine Partei sogar auf, sich zur Staatsraison der Bundesrepublik zu bekennen.1579 Das Bestreben, Akzeptanz zu gewinnen und regierungsfähig zu werden, wirkte sich auch auf die programmatischen Debatten aus. Die Programme von 1990, 1993 und 2003 spiegeln den jeweiligen Grad der Anpassung an die 1575

Vgl. Fülberth, Georg: Ankunfts-Potpourri, in: Konkret, Nr. 7/2001, S. 30. Falkner, Thomas: Am Bedarf vorbei?, in: Berliner Republik, Nr. 4/2009, S. 46-55 (48). 1577 Fehrle, Brigitte: Was für die Linke auf dem Spiel steht, in: Berliner Zeitung v. 25.8.2009. 1578 Brössler, Daniel: Das Lafontaine-Dilemma, in: Süddeutsche Zeitung v. 9.12.2009. 1579 Vgl. Winter, Heinz-Dieter: Staatsraison oder Solidarität?, in: ND v. 8.5.2008. 1576

S.Prinz, Die programmatische Entwicklung der PDS, DOI:10.1007/ 978-3-531-92295-9_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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politischen Verhältnisse und der Integration in das politische System wider. Sie wurden neben dem Ziel der Machtteilhabe beeinflusst einerseits durch äußeren Druck, andererseits insbesondere in den ersten Jahren nach der „Wende“ durch das Erfordernis, die eigene Klientel zu verteidigen und die eigene Mitgliedschaft „mitzunehmen“. Angesichts des Schrumpfens ihrer Mitgliedschaft und der sozialen Milieus, auf die die PDS sich stützte, und angesichts der Entwicklung der anderen Parteien und der Gesellschaft insgesamt, musste die PDS-Programmatik Wege aufzeigen, wie die Partei auf diese Veränderungen reagieren konnte, um die eigene Existenz zu sichern, ihren Platz im deutschen Parteiengefüge zu bestimmen und die Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die PDS musste auf die dramatische Überalterung ihrer Mitgliedschaft beziehungsweise auf einen dramatischen Mitgliederschwund reagieren. Aus dieser Entwicklung folgte unter anderem, dass die Bedeutung der PDS als Partner beispielsweise für Gewerkschaften abnahm, da immer weniger ihrer Mitglieder im Erwerbsleben standen. Sie bedeutete zudem, dass die PDS auch in den östlichen Bundesländern nicht mehr flächendeckend mit aktiven Kommunalpolitikern Präsenz zeigen konnte. Gleiches galt für das Engagement ihrer Mitglieder im vorpolitischen Raum, etwa in Mieter-, Verbraucheroder Steuerzahlervereinigungen. Neben der Abnahme der Verankerung der PDS und ihrer Mitglieder in solchen Organisationen sank das Gewicht der traditionell mit der PDS verbundenen ehemaligen Dienstklasse der DDR weiter. Um neue Wählerschichten erreichen und Mitglieder gewinnen zu können, also um überleben zu können, und um eine Option zur Teilhabe an staatlicher Macht in der Bundesrepublik zu haben, musste die PDS ihre Programmatik verändern. Gero Neugebauer und Richard Stöss stellten schon 1996 Überlegungen an, wie die PDS ihre soziale Basis erweitern könne. Sie hielten es zu diesem Zweck für erforderlich, dass die PDS sich dem Modernisierungsdiskurs stellt, eine Reformperspektive in Richtung auf mehr Libertarismus und Marktfreiheit entwickelt und ihr SED-Erbe ernsthaft und glaubwürdig verarbeitet.1580 Thomas Falkner benannte 2003, also nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl 2002, die Themen, die für die PDS in Zukunft politisch und programmatisch zentral sein sollten: „a) Der Aufbau auch in Zukunft beständiger sozialer Sicherungssysteme – insbesondere Renten und Gesundheit betreffend. b) Arbeitsmarktreform – oder umfassender gesagt, aber nicht alternativ zu denken: Umbau der Arbeitsgesellschaft.

1580

Vgl. Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. – Opladen 1996, S. 304.

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c) Die Entwicklung einer eigenständigen, global orientierten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik als Gegengewicht zum Unilateralismus der derzeit in den USA dominierenden Kräfte. d) Die Berücksichtigung der Spezifik Ostdeutschlands insbesondere bei den Punkten a) und b).“1581 Dabei sollte, so Falkner, die PDS die folgenden vier spezifisch sozialistischen Zugänge zu diesen Themen nutzen: x „Gerechten Zugang aller zu den gesellschaftlichen Ressourcen herstellen und gewährleisten! x Die gesellschaftlichen Verhältnisse so ordnen, dass nicht Menschen sozial ausgegrenzt werden – und tatsächliche Ausgrenzung durch Integration beendet und nicht durch Alimentierung erträglich gemacht wird! x Wirtschaftliche und politische (Über-)Macht durch Stärkung der Interessen des Individuums und der sozial Betroffenen auf allen Ebenen begrenzen und zurückführen!“ (...) x „Schließlich: Solidarisches, nicht egoistisches Menschenbild – in dem Wissen, dass der Mensch auch in die Lage versetzt werden muss, sich solidarisch zu verhalten.“1582 Anders als in einigen Beiträgen über die PDS, die weniger von wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse als von politischer Gegnerschaft motiviert sein dürften1583, werden in dieser Arbeit nicht Äußerungen aus den Reihen der PDS regelmäßig in einer Weise interpretiert, die die Partei unter dem Gesichtspunkt der Bejahung der Demokratie und der Abkehr von undemokratischen Sozialismusmodellen in möglichst negativem Licht erscheinen lässt. Sicherlich gebrauchte die PDS mitunter absichtlich mehrdeutige und interpretationsoffene Formulierungen, was berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Erneuerung aufkommen lässt, doch rechtfertigt dies nicht Unterstellungen und gewagte Thesen, wenn dafür keine hinreichenden Anhaltspunkte vorliegen. Neben „belastenden“ sollten – falls vorliegend - immer auch „entlastende“ Argumente in eine Bewertung der Partei einfließen. In den Jahren vor der Fusion hatte sich die PDS von einer oppositionellen, zunächst sogar systemoppositionellen Partei zu einer Partei gewandelt, die Regierungsverantwortung auch auf Bundesebene anstrebte. Diesbezüglich 1581

Falkner, Thomas: Politik als Chance, in: Utopie kreativ, Nr. 153/154/2003, S. 592-602 (597). Ebd., S. 599. 1583 Z.B. trifft dies auf die Texte von Harald Bergsdorf zu. In diese Richtung geht auch Jürgen Langs Kritik an Bergsdorfs Buch „Fakten statt Legenden. Argumentationshilfen gegen die „Linke“ Lafontaines und Gysis“. Rezension in: Politische Studien, Nr. 425/2009, S. 98 f. (98). 1582

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machte die PDS aus der Not eine Tugend, denn mangels Koalitionspartnern hatte sie in der ersten Hälfte der neunziger Jahre ohnehin keine Aussicht auf Regierungsbeteiligung. Dem Ziel Regierungsbeteiligung wurden Politik und Programmatik seitens der PDS-Führung immer mehr untergeordnet. Das Modell der DDR war für die Mehrheit der PDS kein Vorbild mehr, obwohl sie kritisierte, „Errungenschaften“ der DDR seien nicht in die Bundesrepublik übernommen worden. Die Mehrheit der PDS akzeptierte – wenn auch ohne Begeisterung – grundsätzlich das politische und wirtschaftliche System der Bundesrepublik, forderte allerdings Einschränkungen des Eigentumsrechts und direktdemokratische Elemente. Man hielt auf absehbare Zeit keine revolutionäre Situation und keine realisierbare Alternative zu den bestehenden Verhältnissen für wahrscheinlich. Von einer sozialistischen Vision war in der PDS zuletzt nur noch in Sonntagsreden, in Papieren zu programmatischen Grundsatzfragen und in Zirkeln der Orthodoxen die Rede. So vertraten Gero Neugebauer und Richard Stöss die Ansicht, das „Insistieren auf dem demokratischen Sozialismus“ habe für das Zentrum der PDS, beispielsweise für Gregor Gysi, „faktisch nur deklamatorische Bedeutung im Kontext der rhetorischen Bemühungen um innerparteiliche Integration“1584. Auch wenn die Partei im Wahlkampf populistisch gegen die Arbeitsmarktreformgesetze agitierte, so war doch die tatsächliche Politik der PDS-Vertreter in Regierungsverantwortung pragmatisch. Zwar war auch das neue PDS-Programm von 2003 noch so interpretationsfähig, dass die Orthodoxen es auch in ihrem Sinne auslegen konnten, doch hatten sie kaum noch Einfluss auf die Richtung der Partei. Nur selten gelang es Orthodoxen, in Führungsgremien gewählt oder als Kandidaten aufgestellt zu werden oder Parteitagsbeschlüsse in wichtigen Streitpunkten zu beeinflussen. Die programmatische Mäßigung der PDS war eine Voraussetzung für die Fusion mit der WASG, denn unter westdeutschen Linken waren zunächst Vorbehalte wegen der Vergangenheit der Partei und ihres Ziels Sozialismus verbreitet. Die PDS verstand sich seit 1990 als sozialistische Sammlungs- und Strömungspartei. Im Zuge der zunehmenden Etablierung der PDS spitzten sich die Gegensätze zwischen den Lagern der Reformer und Orthodoxen immer weiter zu. Sie gipfelten im Programmstreit, der mit dem Programm von 2003 beendet wurde. Teile der Orthodoxen verließen danach die Partei, manche schlossen sich der entstehenden WASG an. Auf diesem Umweg stießen sie wieder zur PDS beziehungsweise LINKEN. Dort verstärken sie und andere insbesondere aus Westdeutschland stammende Linksextremisten, die aus der WASG kommen, das orthodoxe Lager. Die Orthodoxen befinden sich also jetzt 1584

Neugebauer, Gero/Stöss, Richard: Die Partei Die Linke. Nach der Gründung in des Kaisers neuen Kleidern? Eine politische Bedarfsgemeinschaft als neue Partei im deutschen Parteiensystem, in: Niedermayer, Oskar (Hg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2005. Wiesbaden 2005, S. 151-199 (190 f.).

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in der fusionierten Partei in einer stärkeren Position als in den letzten Jahren der PDS. Darauf deutet auch die Zusammensetzung der ersten Fraktionen in westdeutschen Landesparlamenten hin. Im Laufe der Jahre seit 1990 trat das Fernziel der PDS, eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu erreichen, immer mehr in den Hintergrund. Angeblich sozialistische Werte wie Demokratie, Solidarität, Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit wurden durch die Reformer in den Vordergrund gerückt, wobei unklar blieb, was genau die PDS auch in Abgrenzung von anderen Parteien damit meinte. Es war kaum erkennbar, inwieweit die Politik der PDS-Vertreter in Europa, Bund, Ländern und Kommunen auf ein durchdachtes, umfassendes und realisierbares Transformationskonzept, geschweige denn auf das Fernziel, hinauslief. Zudem war völlig unklar, was für einen Sozialismus die PDS anstrebte und auf welchem Weg sie ihn erreichen wollte. Die Orthodoxen drängten immer wieder auf eine gründliche Analyse gegenwärtiger Kräfteverhältnisse und Entwicklungen als Voraussetzung einer programmatischen Positionsbestimmung und auf eine Orientierung an den historischen sozialistischen Theoretikern. Davon war allerdings in der realen Politik der PDS nichts und in ihrem Programm von 2003 nur noch wenig zu sehen. Die PDS war in ihren letzten Jahren eine allenfalls linkssozialdemokratische Partei, deren Politik jenseits gelegentlicher Beteuerungen, die wohl in erster Linie der Beschwichtigung von Skeptikern in den eigenen Reihen dienten, keinen Anspruch auf eine grundlegende Gesellschaftsveränderung erkennen ließ. Manche PDS-Spitzenpolitiker konnte man sogar zur „Neuen Mitte“ zählen. Haupttriebfeder des PDS-Führungspersonals und damit ausschlaggebend für die Positionierung der Partei war der Wille zur Machtteilhabe. Dafür waren die Reformer bereit, immer mehr programmatischen Ballast über Bord zu werfen1585 und sich immer mehr anzupassen. Am Beispiel der Geschichtspolitik verdeutlichte Tom Strohschneider dies: „Die Bereitschaft zur Distanzierung von der DDR-Geschichte wuchs oft parallel zur Vorliebe für eine Koalition mit der SPD. Die Option zum Mitregieren wollten sich vor allem jüngere Genossen nicht durch den Vorwurf verbauen lassen, zu wenig Eifer bei der „Aufarbeitung“ an den Tag gelegt zu haben.“1586 Auch der ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Harry Nick äußerte öffentlich, er halte historisch-programmatische Verlautbarungen der Partei für von außen beeinflusst und auf das Erzielen von Außenwirkung gerichtet. Er vertrat die Ansicht, die geschichtspolitischen Stellungnahmen der Parteiführung seien „Veranstaltungen, die nicht vornehmlich nach innen gerichtet waren, nicht vornehmlich in die Partei hineinwirken sollten (am liebsten wäre den Intendanten solchen Streits, wenn das in der Partei niemand bemerkte), sondern 1585

Vgl. Jesse, Eckhard/Lang, Jürgen: Die Linke – der smarte Extremismus einer deutschen Partei. – München 2008, S. 65. 1586 Strohschneider, Tom: Rückwärts nimmer, in: Freitag, Nr. 35/2008.

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nach außen. Der Zweck der Übung, das reale Interesse, eben des Pudels Kern ist: Die Rechte will die Unterwerfung unter den herrschenden Zeitgeist, ihre Regierungswilligkeit als „Wert an sich“, ihr „Angekommensein“ öffentlichkeits-, medienwirksam vorführen.“1587 Solche Äußerungen begründeten Zweifel an der Erneuerung der PDS, denn der Parteiführung schien auch nach Auffassung von PDS-Politikern in historischen und wohl auch anderen programmatischen Streitpunkten das äußere Erscheinungsbild wichtiger gewesen zu sein als die ehrliche innerparteiliche Auseinandersetzung und Klärung. Das Abwerfen programmatischen Ballasts heißt jedenfalls nicht, die PDSPolitiker wären zu überzeugten Befürwortern der Marktwirtschaft, des Privateigentums, des Parlamentarismus und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geworden, doch fanden sie sich mit diesen Rahmenbedingungen ab, gaben das Ziel grundlegender Umwälzungen auf, richteten sich in den gegebenen Verhältnissen ein und trugen den Rückbau des Sozialstaats mit. Ihre Forderungen in Koalitionsverhandlungen waren stets sehr bescheiden. Da eine solche Politik weder den Ansprüchen der aus der WASG stammenden Mitglieder noch der Orthodoxen genügt, sind diesbezüglich innerparteiliche Kämpfe in der fusionierten Partei vorprogrammiert. Auch die in den letzten Jahren der PDS kaum noch wahrnehmbare Bedeutung der Partei für außerparlamentarische Bewegungen und Gewerkschaften und das abnehmende Interesse der Partei an solchen Bewegungen dürften durch die Fusion wieder größer werden. Zuletzt hatten die Fraktionen und der Apparat weitgehend die Partei bestimmt und sich auf die Arbeit in den Parlamenten konzentriert. Sowohl die Bundestagsfraktion der LINKEN als auch die neuen Fraktionen in westdeutschen Landtagen verstehen sich allerdings als Sprachrohr und parlamentarischer Arm außerparlamentarischer Bewegungen und der Gewerkschaften. Auch darin kommt der gesamtdeutsche Charakter der fusionierten Partei zum Ausdruck. Ob es ihr gelingt, sich zugleich weiter als Anwältin der östlichen Bundesländer darzustellen, wird sich zeigen. Jedenfalls wird die Kontinuität zu SED und DDR weniger Bedeutung haben und die Auseinandersetzung mit deren Geschichte weiter zurückgehen. Durch die unverhoffte und schnelle Fusion mit der WASG stellen sich die erwähnten, unter anderem von Gero Neugebauer, Richard Stöss und Thomas Falkner aufgeworfenen Überlebens- und Orientierungsfragen für die Partei heute so nicht mehr. Stattdessen stellen sich neue Fragen, insbesondere nach einer dauerhaft tragfähigen programmatischen Grundlage für die „neue sozialistische Einheitspartei“1588, deren zwei Vorgängerorganisationen PDS und WASG durch verschiedene politische Kulturen geprägt waren. Der Berliner Soziologe Claus Offe urteilte, durch den Zusammenschluss sei das Spektrum 1587 1588

Nick, Harry: Worum dreht sich der Streit eigentlich?, in: Junge Welt v. 8.11.2002. Baron, Udo/Wilke, Manfred: Die Partei „Die Linke“. Auseinandersetzung mit Strategie und Taktik, in: Die Politische Meinung, Nr. 456/2007, S. 37-43 (39).

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der programmatischen Forderungen noch ein Stück breiter geworden.1589 Heiko Langner, der seine Diplomarbeit über die programmatische Entwicklung der PDS geschrieben hat, sah kontroverse programmatische Debatten in der fusionierten Partei voraus: „Sie wird eine ziemlich „bunte Truppe“ sein. Strategieorientierte Reformsozialisten, hauptberufliche Politikpragmatiker, fortschrittsorientierte Offensivsozialisten, Traditionsmarxisten und Kommunisten, linke Sozialdemokraten, wertkonservative Sozialstaatsnostalgiker, wo-möglich auch einige Trotzkisten etc. werden dieser Parteiformation eine unnachahmliche pluralistische Prägung sui generis verleihen. So sehr einerseits dieser Pluralismus zu begrüßen ist, weil er der strategischen Bündelung linker Kräfte in Deutschland dient, umso schwieriger wird womöglich ein belastbarer innerparteilicher Konsens über die neue Grundsatzprogrammatik zu erzielen sein.“1590 Albrecht von Lucke prognostizierte, die Einigung auf ein einheitliches Programm für die Linkspartei, die „jenseits der Ost-West-Unterschiede so viele zum Teil zutiefst zerstrittene Kleinstmilieus beherbergt“1591, dürfte in weiter Ferne liegen. Ähnlich äußerte sich Mechthild Küpper: „Wer die Programmdiskussionen vor der „Parteineugründung“ verfolgte, staunte, über welche grundlegenden Fragen gestritten – und wie viel um des Friedens willen dann doch im Ungefähren gelassen wurde.“1592 Ulrich Maurer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, schrieb 2006 mit Blick auf die bevorstehende Fusion von Linkspartei.PDS und WASG, beide Parteien seien Ansammlungen von Strömungen und Individuen: „Ihre Bandbreite reicht von Kommunisten bis zu Privatisierern. In ihnen bewegen sich autoritäre und solche, deren Lebensweise darin besteht, immer misstrauisch und vorsichtshalber immer dagegen zu sein. In ihnen sammeln sich Karrieristen, Paradiesvögel und Gescheiterte, Strömungsweltreisende und am Ort verhaftete Gewerkschaftler. Sie schreiben E-Mails, deren Denunziations- und Klatschcharakter jeden Friseursalon vor Neid erblassen lässt.“1593 Kurz darauf nannte Maurer als Beispiele für offene Fragen, auf die die fusionierte Partei Antworten finden müsse, „die Haltung der neuen Linken zum Islam, zu Israel, zu Migration, zu UNO-Einsätzen gegen Völkermord“1594. In der fusionierten Partei hat bereits eine neue Debatte über das erste gemeinsame Grundsatzprogramm begonnen. Es ist zu erwarten, dass im 1589

Vgl. Offe, Claus: Warum sie den Linken ersparen?, in: FAZ v. 24.7.2008. Langner, Heiko: Kapitalistische Moderne – moderner Kapitalismus? Zur Grundsatzdebatte in der Linkspartei.PDS, in: Utopie kreativ, Nr. 187/2006, S. 454-459 (458). 1591 von Lucke, Albrecht: Linkspartei am Scheideweg, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 11/2006, S. 9-12 (12). 1592 Küpper, Mechthild: „Alte SED-Geschichten an der Backe“, in: FAZ v. 18.2.2008. 1593 Maurer: Partei oder Strömung?, in: Ders./Modrow, Hans (Hg.): Links oder lahm? Die neue Partei zwischen Auftrag und Anpassung. – Berlin 2006, S. 18 f. (18). 1594 Kalbe, Uwe: Wetterfrosch kämpft gegen die Eiszeit, in: ND v. 15.12.2006. 1590

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Rahmen dieser Debatte die alten innerparteilichen Hauptstreitpunkte wieder auf die Tagesordnung kommen. Gero Neugebauer rechnete damit, dass auch Konflikte, die in der PDS vor der Verabschiedung des Programms von 2003 ausgetragen worden waren, wieder aktuell würden.1595 Matthias Höhn, Landesvorsitzender der Linkspartei.PDS in Sachsen-Anhalt, warnte bereits, weite Passagen des von Spitzenfunktionären seiner Partei und der WASG formulierten Aufrufs zur Gründung einer neuen Linken seien ein programmatischer Rückschritt zum Teil um mehr als 15 Jahre.1596 Das „Neue Deutschland“ kommentierte, die Programmdiskussion im Zuge des Fusionsprozesses klinge wie die Fortsetzung einer alten Diskussion mit neuen Beteiligten.1597 Jürgen Elsässer kritisierte, in der zusammenwachsenden Partei duellierten sich Fundamentalisten und Realpolitiker, „die Wiedergänger von Jutta Ditfurth und Joseph Fischer.“1598 Heinrich Bortfeldt schrieb, die zwischen der PDS und der WASG „vereinbarten Ziele bleiben hinter dem Chemnitzer Programm der PDS deutlich zurück, sind traditionalistischer und fundamentalistischer.“1599 Mechthild Küpper äußerte, der Grundkonsens, der im Chemnitzer PDS-Programm nachzulesen sei, könne zu einer Minderheitenposition in der Partei werden.1600 Bortfeldt prognostiziert: Die Linke „bekommt Diskussionen, die die PDS in den 90er Jahren bis zur Erschöpfung geführt hatte. Nun wird sie von den Westlinken eingeholt und programmatisch zurückgeworfen.“1601 Die WASG sei der wesentlich radikalere Teil der neuen Partei.1602 Dieser Beurteilung Bortfeldts ist zuzustimmen. Die Zweifel an der demokratischen Gesinnung der Partei seien, so Brigitte Fehrle, durch die Vereinigung mit der WASG wieder gewachsen.1603 Auch Jürgen Lang sagte als Folge der Fusion eine Stärkung der Orthodoxen voraus: „Wer glaubt, die Fusion dränge Gruppierungen wie die Kommunistische Plattform jetzt an den Rand, liegt falsch. Vielmehr gehen die radikalen Linken gestärkt aus dem Zusammenschluss hervor.“1604 Und selbst PDS-Politiker äußerten sich 1595

Vgl. Neugebauer, Gero: Die Partei DIE LINKE: Portrait einer Bedarfsgemeinschaft, in: Perspektivends, Nr. 2/2007, S. 106-131 (123). 1596 Vgl. Höhn, Matthias: Bei der Parteibildung klären, was unser Platz und unsere Aufgaben sind, in: PID, Nr. 26/2006, S. 5. 1597 Vgl. Strohschneider, Tom: Alte Debatten, neue Beteiligte, in: ND v. 24.10.2006. 1598 Elsässer, Jürgen. Große Koalition als Herausforderung für linke Opposition, in: Maurer, Ulrich/Modrow, Hans (Hg.): Links oder lahm? Die neue Partei zwischen Auftrag und Anpassung. - Berlin 2006, S. 108-117 (110). 1599 Bortfeldt, Heinrich: Die neue Politik kommt später, in: Das Parlament, Nr. 26-27/2007. 1600 Vgl. Küpper, Mechthild: Irgendwie die Einheit der Arbeiterklasse, in: FAZ v. 22.2.2008. 1601 Bortfeldt, Heinrich: Im Gleichschritt, in: Deutschland Archiv, Nr. 3/2007, S. 390-394 (393). 1602 Vgl. ders.: Abschied und Neubeginn, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/2007, S. 582-585 (584). 1603 Vgl. Fehrle, Brigitte: Die Gefahr aus dem Westen, in: Zeit, Nr. 8/2008. 1604 Lang, Jürgen: Die Ideologie der SED lebt weiter, in: Bayernkurier, Nr. 32-33/2007, ähnlich argumentiert: Jesse, Eckhard: Umarmen statt ausgrenzen, in: Financial Times Deutschland v.

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unverblümt in dieser Richtung: Die fusionierte Partei suche „eine Breite und Offenheit gegenüber Kräften am linken Rand der Gesellschaft, gegenüber linksradikalen Vereinigungen und Sekten, gegen die sich sowohl die SPD als auch die PDS bis dahin immer abgegrenzt hatten.“1605 Angesichts solcher Befunde verwundert der Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2006, der an neun Stellen ausdrücklich betonte, die WASG sei nicht extremistisch.1606 Dagegen böten programmatische Aussagen der Linkspartei.PDS sowie Äußerungen führender Funktionäre weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes.1607 Derselbe Verfassungsschutzbericht, der immer wieder betonte, die WASG sei nicht extremistisch, erwähnte eine Reihe von Indizien, die zumindest Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen dieser Organisation gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung begründen sollten, darunter, die Kommunistische Plattform intensiviere ihre Zusammenarbeit mit der WASG1608, die aktivste trotzkistische Organisation in Deutschland „Linksruck“ sehe den Schwerpunkt ihrer Agitation in der Mitarbeit in der WASG1609 und Mitglieder der als extremistisch eingestuften „Sozialistischen Alternative“1610 und der trotzkistischen „Internationalen sozialistischen Linken“1611 arbeiteten als Mitglieder in der WASG mit. Wenn die Partei Personen wie Lucy Redler, die in Berlin bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2006 gegen die PDS angetreten war und im September 2008 mit ihren trotzkistischen Anhängern der Linken beitrat beziehungsweise beitreten wollte, aufnimmt, lässt das Rückschlüsse auf ihre Verfassungstreue zu. Zwar konnte Redler anders als viele ihrer Genossinnen und Genossen aus der trotzkistischen „Sozialistischen Alternative“ letztlich nicht Mitglied werden, allerdings betonte die Bundesschiedskommission der LINKEN ausdrücklich, dass dieser Beschluss nicht wegen ihrer politischen Ziele erfolgt ist: „Der offene und plurale Charakter dieses Grundsatzdokuments (der Programmatischen Eckpunkte der LINKEN, S.P.) lässt es zu, dass sich darunter auch Anhänger einer leninistisch-trotzkistischen Revolutionstheorie versammeln“.1612 Solche

30.1.2008, ders.: „Die Linke“ im Parteiensystem Deutschlands, in: Deutschland Archiv, Nr. 4/2009, S. 593-600 (595 f.). 1605 Falkner, Thomas: Am Bedarf vorbei?, in: Berliner Republik, Nr. 4/2009, S. 46-55 (51). 1606 Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2006. - Berlin 2007, S. 145, 169, 172, 176, 178, 179, 190, 192, 193. 1607 Vgl. ebd., S. 168. 1608 Vgl. ebd., S. 174. 1609 Vgl. ebd., S. 190. 1610 Vgl. ebd., S. 192. 1611 Vgl. ebd., S. 193. 1612 Beschluss der Bundesschiedskommission der LINKEN v. 8.5.2009 „Verfahren betreffend Erwerb der Mitgliedschaft der Frau Lucy Redler und des Herrn Sascha Stanicic“.

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Positionen dürften Hartwig Möller, den Leiter des nordrhein-westfälischen Landesamts für Verfassungsschutz, zu der Kritik veranlasst haben, es sei der Glaubwürdigkeit des Nachrichtendienstes abträglich, dass die LINKE von einigen Landesämtern in deren Jahresberichten nicht genannt wird. Er sagte unzweideutig: „Die LINKE ist für mich insgesamt gesehen eine extremistische Partei.“1613 Der Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2007 wiederholte die hier kritisierte Einstufung des aus der WASG stammenden Teils der LINKEN nicht. Diese offensichtlich geänderte Einschätzung begründete der Verfassungsschutzbericht allerdings nicht. Bei parallel stattfindenden Parteitagen von Linkspartei.PDS und WASG am 24. und 25. März 2007 in Dortmund wurden „Programmatische Eckpunkte“ beschlossen. Die ehemalige PDS konnte ihre Kernsubstanz, den demokratischen Sozialismus, in den Eckpunkten verankern: „Die Ideen des demokratischen Sozialismus stellen zentrale Leitvorstellungen für die Entwicklung der politischen Ziele der Linken dar.“1614 Ursprünglich hatte es aus den Reihen der WASG Widerstand gegen die Aufnahme des Ziels eines demokratischen Sozialismus gegeben. Die Programmatischen Eckpunkte wurden im „Deutschland Archiv“ als kleinster gemeinsamer programmatischer Nenner der beiden Parteien bezeichnet.1615 In der Tat mussten sie in relativ kurzer Zeit entwickelt und von getrennten Parteitagen von Linkspartei.PDS und WASG unverändert angenommen werden. Erst danach konnte in der neuen Partei eine neue Programmdebatte beginnen. Aus den Reihen der Orthodoxen wurden die Eckpunkte ein Gemisch „richtiger, aber auch miteinander unvereinbarer, falscher oder nebulöser Einschätzungen und Ziele“1616 genannt. Horst Dietzel fasste 2007 den bisherigen Verlauf der programmatischen Diskussionen auf dem Weg zur neuen Partei und innerhalb der neuen Partei zusammen: „Zusammengefasst kann man zwei Tendenzen in der Programmentwicklung von der PDS hin zur neuen Linkspartei ableiten: Erstens ist die überwiegende Mehrheit der in den „Programmatischen Eckpunkten“ enthaltenen Positionen ähnlich denen des Chemnitzer Programms der PDS. Zweitens war die PDS programmatisch in ihrer Geschichte auf wichtigen Politikfeldern auf dem Wege zu mehr Realismus. Mit dem Parteibildungsprozess entwickeln sich die programmatischen Positionen auf wichtigen Teilgebieten in Richtung traditionalistischer linker Positionen.“1617 1613

Jansen, Frank: Streng öffentlich, in: Tagesspiegel v. 23.3.2009. Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE (Hg.): Programmatische Eckpunkte. - Berlin 2007, S. 2. 1615 Vgl. Koß, Michael/Hough, Dan: Die Linkspartei.PDS nach der Bundestagswahl 2005, in: Deutschland Archiv, Nr. 1/2007, S. 11-19 (19) 1616 Lieberam, Ekkehard: Barbarei oder Sozialismus, in: Junge Welt v. 16.2.2008. 1617 Dietzel, Horst: Kontinuität und Wandel. Die Programmatik der PDS von 1990 bis 2007 (Pankower Vorträge, H. 99). - Berlin 2007, S. 58. 1614

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Man kann davon ausgehen, dass die Fronten im Programmstreit der neuen Partei noch unübersichtlicher verlaufen werden, als es mitunter in der PDS der Fall war. Der Bundestagsabgeordnete Axel Troost erklärte beim Programmkonvent von Linkspartei.PDS und WASG, in der neuen Debatte über ein gemeinsames Programm verliefen die Diskussionslinien längst nicht mehr entlang der Parteizugehörigkeit, sondern quer dazu.1618 Ähnlich äußerte sich Matthias Höhn, Landesvorsitzender von Sachsen-Anhalt.1619 Tom Strohschneider, einer der besten Kenner des Vereinigungsprozesses von PDS und WASG, schrieb: „Die Gräben verlaufen kreuz und quer durch die Parteien und mitunter findet zusammen, was im nächsten Moment einander beharkt.“1620 Katina Schubert, Stellvertretende Parteivorsitzende, befürchtete gar, der Fusionsprozess könne den Parteien „um die Ohren“ fliegen.1621 Sowohl Orthodoxe als auch Reformer rechnen damit, dass sich im Zuge der Fusion und der neuen Programmdebatte die Programmatik zu ihren Ungunsten verändern könnte. Die Kommunistische Plattform befürchtet, die Reformer könnten die Fusion nutzen, um die Zugeständnisse, die im Chemnitzer Programm an die Orthodoxen gemacht wurden, beziehungsweise die Punkte, in denen sich die Orthodoxen (teilweise) durchsetzen konnten, zu revidieren. Ellen Brombacher vermutet, „dass unter Berufung auf die WASG nun eliminiert werden soll, was im 93er Programm noch selbstverständlich war und im 2003er Programm zumindest noch vorkam.“1622 Manche Reformer dagegen nehmen an, die Position der Orthodoxen werde durch die Fusion gestärkt: „Die Befürchtungen dogmatischer Kräfte in der PDS, der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums oder auch an der Parteibasis, dass mit dem Parteibildungsprozess die letzten Reste des alternativen sozialistischen Gedankenguts über Bord gehen würden, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, einige ihrer Vorstellungen, wie nach dem Primat von Protest und Widerstand oder nach „Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien“, nach mehr Etatismus, bei gleichzeitiger größerer Distanz zur Regierungsverantwortung, nach populistischen Forderungen und der drastischen Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse, scheinen sich erst in der neuen Partei zu verwirklichen.“1623 Oskar Lafontaine stand den Orthodoxen offener gegenüber als vor ihm die PDS-Vorsitzenden. Markus Wehner nannte ihn sogar den Patron 1618

Vgl. Troost, Axel: Solide und verständlich analysieren, Alternativen entwickeln, in: PID, Nr. 40/2006, S. 5 f. (5). 1619 Vgl. Interview im ND v. 6.3.2008. 1620 Strohschneider, Tom: Gemengelage unübersichtlich, in: Analyse & Kritik, Nr. 512/2006. 1621 Vgl. Interview in der taz v. 21.10.2006. 1622 Brombacher, Ellen: Überlegungen zu den Eckpunkten und weiteren Fragen des Parteineubildungsprozesses, in: Mitteilungen der KPF, Nr. 12/2006, S. 3-6 (5). 1623 Dietzel, Horst: Kontinuität und Wandel. Die Programmatik der PDS von 1990 bis 2007 (Pankower Vorträge, H. 99). - Berlin 2007, S. 57.

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der Fundis.1624 Auch Mechthild Küpper schrieb, die Fusion habe die Kräfteverhältnisse in der Partei verändert und keineswegs die Reformer gestärkt.1625 Die entgegengesetzte Position vertraten Frank Decker und Florian Hartleb.1626 Einige Orthodoxe fühlen sich mittlerweile in der neuen Partei tatsächlich gestärkt. Sahra Wagenknecht erklärte bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2008, die politischen Inhalte der neuen Partei seien deutlich linker „als vieles, was in den letzten Jahren die Vorgängerpartei PDS vertreten hat.“1627 Diese Linksentwicklung scheint auch mit den persönlichen Biographien wichtiger Akteure der fusionierten Partei und den sich daraus ergebenden Zielsetzungen zusammenzuhängen. So sagte Gregor Gysi 2007: „Er (Lafontaine) kommt aus einer Partei, die in Westdeutschland immer zum Establishment gehört hat. Er hat sich nun entschlossen, bewusst außerhalb zu stehen – auf Ausgrenzung ist er eingestellt.“ (...) „Ich gehöre zu einer Partei, die immer ausgegrenzt wurde. Viele von uns ringen um Akzeptanz.“1628 - Gemeint ist wohl das von André Brie geprägte Schlagwort vom „Ankommen in der Bundesrepublik“. Heinrich Bortfeldt prognostizierte in diesem Zusammenhang, „dass der Reformflügel, der Gestaltungsanspruch erhebt, bestehend aus eher jüngeren Funktionsträgern der PDS, durch Strukturkonservative der WASG und Altkommunisten der PDS zurückgedrängt wird.“1629 In einem Kommentar der „Berliner Zeitung“ hieß es dazu, die Linke sei unter Lafontaine zu einer „gesamtdeutschen Stattpartei“1630 geworden. Und tatsächlich verschoben sich die innerparteilichen Machtverhältnisse. Dies zeigte sich etwa bei der Nominierung der Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament 2009, bei der die dem Reformerlager zugerechneten bisherigen Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann und André Brie nicht wieder für aussichtsreiche Listenplätze aufgestellt wurden. Kaufmann verließ daraufhin die Partei. Auch die ebenfalls dem Reformerlager zugerechneten Politiker Carl Wechselberg, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, und Ronald Weckesser, Mitglied des sächsischen Landtags, traten wegen der Entwicklung der Partei seit der Fusion aus. Dass bei der Wahl des neuen Parteivorstands im Mai 2010 die Frontfrau der Kommunisti-

1624

Vgl. Wehner, Markus: Steige hoch, du roter Adler!, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 8.11.2009. 1625 Vgl. Küpper, Mechthild: Irgendwie die Einheit der Arbeiterklasse, in: FAZ v. 22.2.2008. 1626 Vgl. Decker, Frank/Hartleb, Florian: Populismus auf schwierigem Terrain. Die rechten und linken Herausfordererparteien in der Bundesrepublik, in: Decker, Frank (Hg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv? – Wiesbaden 2006, S. 191-215 (209). 1627 Auszüge aus der Podiumsdiskussion der XIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, in: Junge Welt v. 14.1.2008. 1628 Interview im Spiegel, Nr. 10/2007, S. 46. 1629 Bortfeldt, Heinrich: Die neue Politik kommt später, in: Das Parlament, Nr. 26-27/2007. 1630 Büchner, Gerold: Die Stattpartei, in: Berliner Zeitung v. 30.10.2007.

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schen Plattform Sahra Wagenknecht mit Zustimmung Gregor Gysis als Stellvertretende Bundesvorsitzende kandidieren soll, ist ebenfalls als Zeichen einer Verschiebung der innerparteilichen Machtverhältnisse zu werten. Bei der vorangegangenen Wahl 2008 hatte Wagenknecht die von ihr erwogene Kandidatur als Stellvertretende Parteivorsitzende nach Protesten Gysis und anderer noch abgesagt. Am 15. November 2007 konstituierte sich die Programmkommission der fusionierten Partei. Zu ihren Mitgliedern gehören Personen, die schon die Programmdebatte der PDS maßgeblich geprägt haben. Geleitet wird die Programmkommission von den beiden Parteivorsitzenden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine. Einer der beiden Sekretäre der Programmkommission ist Bernd Ihme, der diese Funktion auch bei der PDS-Programmkommission innehatte. Mitglieder sind unter anderem Michael Brie, Dieter Klein, Sahra Wagenknecht, Heinz Vietze und Elmar Altvater.1631 Damit dürfte bereits vorprogrammiert sein, dass die Kommission keinen von allen ihren Mitgliedern getragenen Programmentwurf wird erarbeiten können. Hinsichtlich der weiteren Entwicklung der zusammenwachsenden Partei und ihrer Programmatik gibt es zahlreiche offene Fragen. Die wichtigsten offenen Fragen wurden in den von Linkspartei.PDS und WASG beschlossenen Programmatischen Eckpunkten festgehalten: x

x x x x

1631

„Welche Möglichkeiten und Instrumente einer Demokratisierung der Wirtschaft und der Unterwerfung der Verfügungsgewalt über Eigentum unter soziale Kriterien gibt es? Inwieweit müssen dazu auch kapitalistische Eigentumsverhältnisse aufgehoben werden? Wie soll eine demokratische Steuerung der Grundlinien wirtschaftlicher Entwicklung realisiert werden? Was gilt der neuen linken Partei als erstrebenswertes Verhältnis von zivilgesellschaftlichem Engagement, Marktregulation, nationalem Sozialstaat und internationalen Institutionen? Kann die Forderung nach Vollbeschäftigung noch ein realistisches Ziel alternativer Politik sein? Sind unsere politischen Konzepte hinreichend, dieses Ziel zu erreichen? Inwieweit ist der Prozess der Globalisierung demokratisch und sozial gestaltbar, und welche Möglichkeiten hat nationalstaatliche Politik noch? Ist es ausreichend, eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung für Menschen in sozialer Not zu fordern, oder ist ein bedingungsloses individuelles Grundeinkommen als Rechtsanspruch für alle Bürgerinnen und Bürger zu verlangen?

Vgl. Disput, Nr.12/2007, S. 29.

351

x

x x x

x

Was bedeutet es und was wäre zu leisten, wenn weibliche Autonomie in den Mittelpunkt feministischer sozialistischer Politik rücken und eine politische Ökonomie der Frauenunterdrückung überwunden werden soll, in der Frauen mehr arbeiten als Männer, aber weniger produktiv bewertet werden? Mit welchen realen Widersprüchen und Konflikten werden wir bei unserem Eintreten für den Erhalt und Ausbau öffentlichen Eigentums künftig konfrontiert werden, und wie verhalten wir uns dazu? Wie stehen Linke in der Menschenrechtsfrage zum Verhältnis von sozialen und individuellen Bürgerrechten? Begründen wir linke Politik vorrangig aus der Bezugnahme auf die Sorgen und Nöte, Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere der abhängig Arbeitenden und der sozial Benachteiligten, oder vorrangig aus Wertorientierungen und politischen Zielvorstellungen? Welche Bedeutung hat der Bezug auf Klasseninteressen und -kämpfe für unsere Politik? Welches sind die besonderen Aufgaben einer Partei im Unterschied zu sozialen Bewegungen? Wie ist das Verhältnis zwischen außerparlamentarischer und parlamentarischer Arbeit zu gestalten? Unter welchen Bedingungen kann sich eine linke Partei an einer Regierung auf Landes- bzw. Bundesebene beteiligen?“1632

Die Programmatischen Eckpunkte sind, so auch Jürgen Lang1633, antikapitalistischer und radikaler als das letzte Programm der PDS. Der Ausgang der neuen Programmdebatte ist ungewiss. Ein Grund dafür war bis zu Lafontaines Erklärung, 2010 nicht wieder als Parteivorsitzender zu kandidieren, dass nicht klar war, wie insbesondere er sich letztlich positioniert hätte. Lafontaine, so Eckhard Jesse 2008, radikalisierte sich sozusagen im Wochenrhythmus.1634 Er hatte in der Partei, so Mechthild Küpper, zuletzt eine Stellung, die der Joschka Fischers bei den Grünen glich.1635 Der ehemalige sogenannte Vordenker der PDS André Brie beklagte 2009 sogar einen Lafontainismus in der Partei.1636 Die Linke will laut Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch im ersten Halbjahr 2011 ein neues Programm beschließen. Es solle, so Bartsch weiter, so

1632

DIE LINKE: Programmatische Eckpunkte. – Berlin 2007, S. 23 f. Vgl. Lang, Jürgen: Wandel und Beharrung: SED und PDS, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 47/2008, S. 34-39 (39). 1634 Vgl. Interview in der Neuen Rhein Zeitung v. 19.9.2008. 1635 Vgl. Küpper, Mechthild: Ein Mann, seine zweite Partei, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 16.8.2009. 1636 Brie, André: Der Lafontainismus, in: Spiegel, Nr. 24/2009, S. 40 f. 1633

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formuliert werden, dass es 15 bis 20 Jahre lang gelten könne.1637 Bei der Programmdiskussion gehe es um die Frage „Was ist demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert?“1638 Voraussichtlich wird der Hauptkonflikt zwischen der Führung der ehemaligen PDS und der Masse der ehemaligen WASG sowie den Orthodoxen verlaufen. Für die Führung der ehemaligen PDS bleibt das wichtigste Ziel eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene um ihrer selbst willen. Dafür ist man bereit, die Politik der SPD mitzutragen. Die Masse der ehemaligen WASG, die gerade aufgrund der strikten Ablehnung des Kurses der SPD gegründet worden war, wird dagegen Widerstand leisten. Die Programmdebatte in der fusionierten Partei dürfte ebenso intensiv und kontrovers geführt werden wie frühere Debatten in der PDS. Darauf deutet beispielsweise das besonders radikale Programm des Landesverbands Nordrhein-Westfalen zur Landtagswahl 2010 hin. Bodo Ramelow sprach mit Blick auf die Programmdiskussion bereits von einem Kampf um jeden Buchstaben.1639 Ein Mitglied des Ältestenrates der Partei formulierte zur Streitkultur zwischen den Strömungen und Lagern drastisch: „Zu politischen Fragen werden gegenseitige Stellungnahmen veröffentlicht, die bisweilen den Charakter von Noten zwischen verfeindeten Staaten haben.“1640 Michael Brie erwartet, die neue Programmkommission werde künftig das „Kampffeld“1641 innerparteilicher Konflikte sein. Es wird bei der Programmdebatte also wieder nicht nur um das Programm im engeren Sinne gehen, sondern die Debatte wird auch die Arena sein, in der die kommenden Auseinandersetzungen in der Partei stattfinden werden. Welche Positionen sich durchsetzen werden, wird auch vom Wählerzuspruch bei den kommenden Wahlen und von der Haltung der anderen Parteien gegenüber der Linken abhängen.

1637

Vgl. Küpper, Mechthild: Linkspartei bereitet Programmdiskussion vor, in: FAZ v. 20.10.2009. Interview im Neuen Deutschland v. 27.10.2009. 1639 Vgl. Strohschneider, Tom: Besser als gedacht, in: ND v. 27.12.2006. 1640 Meinicke, Erich: Streitkultur, in: Disput, Nr. 8/2009, S. 44. 1641 Küpper, Mechthild: Familienfrieden per Beschluss, in: FAZ v. 27.8.2007. 1638

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Das

neue

Programm

der

SPD.

Unterschiede

und

Gemeinsamkeiten

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