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German Pages 214 Year 2006
Die Kunst gemeinsam zu handeln
Stefan Hælscher ´ Wolfgang Reiber Karin Pape ´ Elizabeth Loehnert-Baldermann
Die Kunst gemeinsam zu handeln Soziale Prozesse professionell steuern
Mit 12 Abbildungen
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Dr. Stefan Hælscher Wolfgang Reiber Karin Pape Elizabeth Loehnert-Baldermann Metrion Management Consulting GbR Martinskirchstraûe 74 60529 Frankfurt a.M. [email protected] [email protected] [email protected] [email protected]
ISBN-10 ISBN-13
3-540-27760-9 Springer Berlin Heidelberg New York 978-3-540-27760-6 Springer Berlin Heidelberg New York
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Danksagung
Unser großer Dank gilt zunächst Friederike, Roswitha, Simon und Jo, unseren Frauen und Männern, für die unsere Arbeit auch sonst schon mit erheblichen Einschränkungen gemeinsamer Zeit verbunden ist und denen wir in der Entstehungszeit dieses Buches noch mehr davon zugemutet haben. Ganz besonders möchten wir auch unserem Kollegen Martin Seip danken, der uns für die inhaltliche Diskussion unserer Beiträge ein ebenso guter wie beständiger Sparringspartner war und der dafür gesorgt hat, dass das Buch formal seinen Schliff bekommt. Unser Dank gilt darüber hinaus denjenigen unserer Freunde, Bekannten und Kunden, die zwischenzeitlich manche halbfertige Manuskripte gelesen und uns dazu eine ehrliche Rückmeldung gegeben haben. Herrn Dr. Werner Müller vom Springer Verlag möchten wir schließlich für seine professionelle und freundliche Unterstützung des ganzen Projekts danken. Stefan Hölscher, Wolfgang Reiber, Karin Pape, Elizabeth Loehnert-Baldermann
Vorwort
Erfolg in Organisationen basiert auf erfolgreicher Zusammenarbeit. Erfolgreiche Zusammenarbeit erfordert aber heute mehr denn je ein erfolgreiches Management sozialer Prozesse: Es gilt für sich stellende Herausforderungen und zu lösende Probleme ein zumindest hinreichend gemeinsames Situations- und Zielverständnis zu entwickeln; es gilt, Stellhebel zu identifizieren und die Umsetzung gewählter Handlungsansätze gemeinsam zu realisieren; es gilt, Beziehungen so zu gestalten, dass ein konstruktives und tragfähiges Miteinander überhaupt möglich wird. Die Qualität, mit der das Miteinander-Denken, Kommunizieren und Interagieren gelingt, stellt die letztlich entscheidende Voraussetzung für längerfristigen Ergebniserfolg dar. Während allerdings die meisten Fach- und Führungskräfte auch heute noch für gewöhnlich hoch kundige Experten in der Steuerung ihrer jeweiligen Sachprozesse sind, steckt die Kompetenz in der Steuerung sozialer Prozesse nicht selten noch immer in den Kinderschuhen. Oft wird dann die gut beherrschte Logik der Sachprozesse auf die als sperrig erlebte Logik der Interaktionsprozesse einfach übertragen, zum Teil mit verheerenden Ergebnissen. Was ist zu beachten bei der Steuerung sozialer Prozesse? Welchen Prinzipien lohnt es sich zu folgen? Welche Fallen sollte man meiden? Welche Haltungen, Strategien und Methoden sind hilfreich? Wie lassen sich für Führung und Kooperation typische Interaktionssituationen authentisch und wirkungsvoll gestalten? Solche und ähnliche Fragen bildeten den Ausgangspunkt der Entstehung dieses Buches. Dabei stehen im Zentrum der Betrachtung nicht einzelne soziale Prozesse wie etwa Managementmeetings, Kundenkontakte, Mitarbeitergespräche, Projektbesprechungen, Workshops oder dergleichen; vielmehr geht es gerade darum, was bei der Steuerung unterschiedlichster sozialer Prozesse grundsätzlich wichtig und beachtenswert ist, worin also generell Prinzipien für den Erfolg oder Misserfolg sozialer Interaktionen liegen. Indem das Buch in diesem Sinne zentrale Prinzipien für die Steuerung von professionellen Interaktionssituationen beschreibt, kann der Leser seine Wahrnehmung für die Dynamiken solcher Situationen und sein Instrumentarium für den erfolgreichen Umgang mit ihnen in seinen eigenen Wirkungsfeldern weiter schärfen.
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Vorwort
Die einzelnen Teile des Buches sind unabhängig voneinander lesbar, auch wenn sie alle Mosaiksteine der Kunst gemeinsam zu handeln, bilden. Der erste Beitrag des Buches beschreibt ein Set von Grundpolaritäten, zwischen denen sich soziale Prozesse sowohl innerhalb wie außerhalb von Organisationen bewegen. Entfaltet wird die These, dass das produktive Gelingen sozialer Prozesse maßgeblich daran geknüpft ist, inwieweit es gelingt, die jeweiligen Pole, die in der Praxis oft einseitig, d.h. zulasten ihres jeweiligen Gegenpols optimiert werden, sinnvoll zu integrieren. Integration meint dabei nicht „ein bisschen von diesem, ein bisschen von jenem“ oder „die goldene Mitte suchen“, sondern die gleichzeitige Stärkung beider Seiten der jeweiligen Polarität. Der darauf folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Steuerung von Leistungsprozessen. Dafür werden die Dynamiken psychosozialer und sachlich-rationaler Prozesse untersucht; die Ursachen und Folgen individuellen Verhaltens in Organisationen sowie die Strukturierung von Organisationen in einer von Unbestimmtheit und Turbulenzen geprägten Welt werden betrachtet und das Konzept der Selbst- und Fremdorganisation wird thematisiert. Im Ergebnis zeigt sich die herausragende Bedeutung eines parallelen Managements von rationalem und psychosozialem Prozess für die Gestaltung von Veränderungsprozessen und Leistungsprozessen generell. Welche Rolle Entscheidungen in Organisationen spielen und wer dafür welche Verantwortung trägt, zeigt der dritte Beitrag. Einflussgrößen auf die Entscheidungsfindung sowie der Kontrast und das Zusammenspiel rationaler und intuitiver Entscheidungstechniken werden diskutiert. Besonderes Augenmerk gilt dem Potential von Gruppen in gemeinsamen Entscheidungsprozessen. Fragen als ein mächtiges Instrument zur Steuerung sozialer Prozesse stehen im Mittelpunkt des vierten Beitrags. In dessen erstem Hauptteil werden dabei ausgehend von der Diagnose, dass die Möglichkeiten des Fragens auch in Organisationskontexten im allgemeinen stark ungenutzt bleiben, Faktoren beleuchtet, die dazu beitragen, dass Fragen für unser Denken und Handeln produktiv wirksam werden. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich dann ausführlich mit systemischen Fragestellungen als hilfreichem Mittel, dem Handeln zugrunde liegende Annahmen und Interpretationen sichtbar zu machen und neue, kreative Denk- und Handlungsoptionen zu schaffen. Der fünfte Beitrag stellt die gemeinsame Reflexion als ein wichtiges Entwicklungsinstrument für Organisationen vor. Neben den Voraussetzungen für einen gelingenden Reflexionsprozess werden unterschiedliche Verfahren wie beispielsweise das individuelle Feedback vorge-
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stellt, die eingesetzt werden können, um soziale Interaktionen im Rahmen von Organisationen zu optimieren. Der den Band abschließende Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung von Bildern bei der Steuerung sozialer Prozesse. Es wird gezeigt, wie Bilder als eine Art zweite Sprache Lernprozesse unterstützen, wie sie im Rahmen von Reflexion oder auch zur Reduzierung von Komplexität eingesetzt werden können und welche Wirkung sie als integrations- und identitätsstiftendes Medium zu entfalten in der Lage sind. In allen Beiträgen gibt es zahlreiche Beispiele, die die jeweiligen Themen, Strategien und Methoden für den Praktiker veranschaulichen. Am Ende jedes Beitrags finden sich außerdem Reflexionsfragen und Brücken in den Alltag, die die Umsetzung in die eigene Praxis erleichtern können. Unabhängig davon, ob Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich auf bestimmte Passagen des Buches konzentrieren oder aber das Ganze lesen, wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und vor allem viel Neugier, Lust und kreativen Sinn für die vitale Gestaltung der Herausforderungen, die uns soziale Interaktionen in unseren beruflichen und persönlichen Umfeldern tagtäglich neu bescheren. Im Sommer 2006 Stefan Hölscher, Wolfgang Reiber, Karin Pape, Elizabeth Loehnert-Baldermann
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ............................................................................................... V Vorwort................................................................................................... VII Gegensätze verbinden – Polaritäten sozialer Prozesse ........................... 1 Stefan Hölscher Ergebnis- und Erlebnisorientierung........................................................ 3 Struktur- und Prozessorientierung .......................................................... 7 Sender- und Empfängerorientierung....................................................... 9 Positionierung und Erkundung ............................................................. 12 Vereinfachung und Differenzierung ..................................................... 14 Akzentuierung und Relativierung......................................................... 17 Abstrahierung und Konkretisierung ..................................................... 19 Annäherung und Distanzierung ............................................................ 21 Beschleunigung und Verlangsamung ................................................... 23 Verbalisierung und Verkörperung ........................................................ 26 Abschließende Bemerkungen ............................................................... 28 Fragen zu Polaritäten ............................................................................ 31 Brücken in den Alltag........................................................................... 32 Weiterführende Literatur ...................................................................... 34 Leistungsprozesse steuern....................................................................... 35 Wolfgang Reiber Omas 80. Geburtstag ............................................................................ 37 Prozessebenen sozialer Interaktionen ................................................... 41 Zum Verhältnis von sachrationalem und psychosozialem Prozess ...... 43 Sachrationale Prozesse ......................................................................... 44 Psychosoziale Prozesse......................................................................... 50 Menschen.......................................................................................... 51 Voraussetzungen für erfolgreiche Leistungsgemeinschaften ........... 55 Soziale Strukturen und Dynamik...................................................... 57 Vorstellungen und Konzepte für die Steuerung von Leistungsprozessen ........................................................................ 63
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Inhaltsverzeichnis
Zum Verhältnis von Fremd- und Selbstorganisation........................ 64 Veränderungsprozesse steuern ............................................................. 67 Omas 85. Geburtstag ............................................................................ 73 Fragen zur Steuerung............................................................................ 74 Brücken in den Alltag........................................................................... 75 Weiterführende Literatur ...................................................................... 76 Entscheidungen in Organisationen ........................................................ 77 Wolfgang Reiber Zur Rolle von Managern in Organisationen ......................................... 79 Sachgerechte Entscheidungen treffen................................................... 81 Rationalität, Rationalitätslücken und die (Un-) Zuverlässigkeit der Intuition ...................................................................................... 84 Entscheidungen in Gruppen.................................................................. 89 Emotionaler Konsens........................................................................ 91 Rationaler Konsens........................................................................... 93 Die Weisheit der Gruppe erschließen – Zur Integration von emotionalem und rationalem Konsens ............................................. 95 Fragen zu Entscheidungen.................................................................... 99 Brücken in den Alltag......................................................................... 100 Weiterführende Literatur .................................................................... 101 Fragen ..................................................................................................... 103 Stefan Hölscher Die Kunst des Fragens........................................................................ 104 Vorbereitung................................................................................... 106 Interesse an der in Frage stehenden Sache ..................................... 106 Wertschätzendes Interesse am Gegenüber ..................................... 107 Offenheit......................................................................................... 108 Geeignete Fragetechniken .............................................................. 108 Systemische Fragen ............................................................................ 111 1. Zirkuläre Fragen ......................................................................... 113 2. Operationalisierungsfragen......................................................... 117 3. Differenzierungsfragen............................................................... 119 4. Einschätzungsfragen (Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion) ... 121 5. Hypothetische Fragen (Fragen zur Möglichkeitskonstruktion).. 122 5.1. Selbstmord- und Verschlimmerungsfragen ............................. 122 5.2. Wunderfragen .......................................................................... 124 6. Lösungsfragen (Fragen zu Lösungsversuchen) .......................... 126
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Einsatzmöglichkeiten systemischer Fragen ........................................ 127 Fragen zu Fragen ................................................................................ 130 Brücken in den Alltag......................................................................... 131 Weiterführende Literatur .................................................................... 132 Reflektieren ............................................................................................ 133 Karin Pape Reflexion im Gruppenprozess ............................................................ 135 Die Funktion von Reflexion ............................................................... 136 Reflexion als Veränderung der inneren Landkarte ............................. 137 Reflexionsanlässe ............................................................................... 139 Reflexion als präventive Maßnahme .............................................. 140 Reflexion bei aufkommenden Krisen ............................................. 141 Reflexion bei Veränderungen der Rahmenbedingungen ................ 141 Voraussetzungen für den Reflexionsprozess .................................. 142 Reflexionsmethoden ........................................................................... 143 Reflexionsfragen............................................................................. 144 Initiierung eines Reflexionsprozesses – der erste Schritt ............... 145 Feedback – ein wichtiges Reflexionsinstrument ............................ 146 Ebenenwechsel ............................................................................... 151 Perspektivenwechsel....................................................................... 152 Zeitliche Dimensionen.................................................................... 154 Risiken ................................................................................................ 156 Fazit .................................................................................................... 157 Fragen zur Reflexion .......................................................................... 158 Brücken in den Alltag......................................................................... 158 Weiterführende Literatur .................................................................... 160 Arbeit mit Bildern.................................................................................. 161 Elizabeth Loehnert-Baldermann Bilder oder Begriffe: Formen analoger und digitaler Kommunikation.................................................................... 163 Die Arbeit mit Bildern ........................................................................ 166 Innere Bilder und mentale Landkarten ........................................... 167 Der Mehrwert von Bildern und Metaphern .................................... 170 Einsatz von Bildern in Organisationen ............................................... 171 Bilder als Mittel zur Beschreibung von Zuständen, Ereignissen und Vorhaben.............................................................. 174 Bilder in Lern- und Erkundungsprozessen ..................................... 176 Bilder als Mittel zur Reduzierung von Komplexität....................... 180
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Inhaltsverzeichnis
Bilder in Reflexionsprozessen ........................................................ 182 Bilder als Mittel des Perspektivenwechsels.................................... 185 Identitätsstiftende Bilder ................................................................ 187 Ausgesuchte Beispiele und nützliche Tipps ....................................... 189 Mitarbeitergespräch ........................................................................ 190 Teaminspektion .............................................................................. 193 Teamentwicklung ........................................................................... 195 Teamsitzung – Meetings................................................................. 196 Risiken und Nebenwirkungen ............................................................ 197 Abschließende Bemerkungen ............................................................. 198 Fragen zur Arbeit mit Bildern ............................................................ 200 Brücken in den Alltag......................................................................... 201 Weiterführende Literatur .................................................................... 202 Die Autoren ........................................................................................... 203
Gegensätze verbinden – Polaritäten sozialer Prozesse Stefan Hölscher Der Beitrag beschreibt ein Set von Grundpolaritäten, zwischen denen sich soziale Prozesse sowohl innerhalb wie außerhalb von Organisationen bewegen. Entfaltet wird die These, dass das produktive Gelingen sozialer Prozesse im Sinne hoher Performance wie auch positiven Erlebens maßgeblich daran geknüpft ist, inwieweit es gelingt, die jeweiligen Pole gut zu integrieren. Integration meint dabei nicht „ein bisschen von diesem, ein bisschen von jenem“ oder „die goldene Mitte suchen“, sondern die gleichzeitige Stärkung jeweils beider Seiten der Polarität. Dieses Ziel ist insofern alles andere als trivial, als es generell und in Organisationskontexten insbesondere die starke Tendenz gibt, die jeweiligen Pole in Gegensatz zueinander zu bringen und immer wieder eine Seite auf Kosten der anderen übermäßig zu entwickeln. Anhand der einzelnen Polaritäten wird gezeigt, wo Gefahren für Einseitigkeiten liegen und welche Strategien es gibt, diesen Gefahren vorzubeugen und eine bessere Balance und damit Integration herzustellen. Untersucht werden so folgende Spannungsfelder: Ergebnis- und Erlebnisorientierung, Struktur- und Prozessorientierung, Selbstbezogenheit und Fremdbezogenheit, Positionierung und Erkundung, Vereinfachung und Differenzierung, Akzentuierung und Relativierung, Abstrahierung und Spezifizierung, Annäherung und Distanzierung, Beschleunigung und Verlangsamung, Verbalisierung und Verkörperung. Der Beitrag schließt mit einigen Reflexionspunkten und Hinweisen für den Praxistransfer.
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Gegensätze verbinden – Polaritäten sozialer Prozesse
Der Erfolg von Organisationen und einzelnen Akteuren in ihnen hängt maßgeblich davon ab, inwieweit es gelingt, in ein produktives und zielführendes Handeln miteinander zu kommen. Auch wenn die dabei entstehenden Interaktionssituationen äußerst vielfältig sind, so lassen sich doch bei näherer Betrachtung einige grundlegende Faktoren ausmachen, die die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs solcher Situationen – über alle spezifischen Unterschiede hinweg – deutlich erhöhen. Diese grundlegenden Faktoren und ihre Bedeutungen, Dynamiken und Wechselwirkungen mit Bezug auf das Handeln in Organisationen näher zu beschreiben, ist das Ziel dieses Beitrags. Dabei geht die Argumentation von folgenden Prämissen aus: 1. Soziale Prozesse – hier verstanden als jedwede Interaktion zwischen Menschen – bewegen sich in einem Feld grundlegender Polaritäten, mittels derer sie sich beschreiben lassen. 2. Unter Polaritäten sind dabei Spannungsfelder zu verstehen, wobei jedes Spannungsfeld durch zwei Pole geprägt wird, bei denen es sich um empirisch kontingente, nicht um sich logisch ausschließende Gegensätze handelt. 3. Die Pole, wie etwa Nähe und Distanz, Vereinfachung und Differenzierung, Struktur- und Prozessorientierung sind also Gegenläufigkeiten, die faktisch in Gegensatz zueinander geraten können, die aber an und für sich keinen Gegensatz bilden müssen. 4. Im besten Fall kommt es zu einer polaren Integration, wobei dies nicht bedeutet „von jedem ein bisschen“ oder „die goldene Mitte“, sondern die produktive Stärkung der einen Seite, die zugleich die produktive Stärkung der anderen Seite mit sich bringt. 5. Eine solche Integration ist nichts Statisches. Sie wird von Situation zu Situation immer wieder neu aussehen und neu hergestellt werden müssen. 6. Eine gute Integration der Spannungspole sozialer Prozesse schließt damit insbesondere auch nicht aus, dass, bezogen auf die Erfordernisse spezifischer Situationen, mal die eine und mal die andere Seite einer Polarität klar im Vordergrund steht. 7. Faktisch treten die Polaritäten sozialer Prozesse allerdings nur selten in guter Balance, dafür aber umso mehr als Gegensätze zu Tage; und diese Gegensätzlichkeit geht zu Lasten von Erfolg und Produktivität. 8. Bei den jeweiligen Spannungspaaren gibt es gerade in heutigen Organisationskontexten oft eine Seite, die zu Ungunsten der anderen und damit zugleich zu Ungunsten potenzieller Performance übermäßig kultiviert wird, so z.B. Struktur- im Verhältnis zu Prozessorientierung, Positionie-
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rung im Verhältnis zu Erkundung, (vermeintliche) Beschleunigung im Verhältnis zu Verlangsamung. 9. Hinter solchen einseitigen Kultivierungen stecken zumeist – psychologisch – durchaus nachvollziehbare Motive sowie eine Eigendynamik, die bei infolge der Monokultur auftretenden Problemen typischerweise zu einer weiteren Verstärkung der Monokultur führt. 10.Um zu einer besseren Integration und Balance der jeweiligen Polaritäten zu gelangen, ist es wichtig, die Verführungen zu bestimmten Einseitigkeiten klar zu erkennen, die jeweils unterentwickelte Seite gezielt zu verstärken und ein waches Gespür für den jeweiligen Prozess zu entwickeln und es als Korrektiv aktiv zu nutzen. Im Folgenden werden zehn elementare Grundpolaritäten sozialer Prozesse dargestellt. Obwohl es natürlich schon allein wegen der Konstruktivität jeder Modellbildung kein letztgültiges Set derartiger Polaritäten geben kann, so lassen sich die skizzierten Faktoren doch als Ensemble grundlegender, aufeinander nicht reduzierbarer Spannungsfelder umreißen, mit deren Hilfe unterschiedlichste soziale Prozesse und ihr Grad an Erfolg oder Misserfolg beschrieben werden können.
Ergebnis- und Erlebnisorientierung Wenn Menschen mit anderen Menschen interagieren, geht es immer auch um Ergebnisse und Effekte, die dabei erreicht werden sollen. In organisationalen Kontexten ist dies besonders evident. Man kommt zusammen, um Probleme zu lösen, Informationen auszutauschen, Entscheidungen zu treffen, Strategien und Vorgehensweisen zu planen, Verläufe und Leistungen zu beurteilen etc. Der Umstand, dass durch soziale Prozessen bestimmte Dinge erreicht werden sollen, ist dabei keine organisationsbezogene Spezialität, sondern ein ganz generelles Merkmal sozialer Prozesse. Auch wenn man einfach nur den Nachbarn auf der Strasse trifft und mit ihm ein paar Worte wechselt, so will man etwas, was auch immer hier im einzelnen im Vordergrund stehen mag: ihm ein kleines Stückchen Aufmerksamkeit geben, erfahren, was er Neues zu berichten weiß, loswerden, was einen selbst beschäftigt, sich in bestimmter Weise dem Nachbarn gegenüber präsentieren etc. In organisationalen Kontexten sind Ergebnisziele jedoch für gewöhnlich nicht nur expliziter, sondern vor allem auch, eben durch die Zwecke der Organisation, dezidierter festgelegt als etwa Ziele im privaten Bereich; diese Ziele sind für gewöhnlich mit weniger individuellen Freiheitsgraden veränderbar, mit ihnen verknüpfte Handlungen sind im allgemeinen (noch)
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stärker funktionalisiert und instrumentalisiert und das Erfordernis, die gewünschten Outputs möglichst effizient zu erreichen, stellt sich typischerweise (noch) spürbarer und konsequenzenreicher. Kaum ein Manager oder Mitarbeiter in irgendeiner Organisation würde wohl grundsätzlich bestreiten, dass das gemeinsame Handeln auch klar auf eine gemeinsame Zielerreichung ausgerichtet sein sollte. Nichtsdestotrotz gibt es schon in diesem Punkt erhebliche Probleme. In zahllosen Besprechungen, Meetings, Informationsrunden, Mitarbeitergesprächen und ähnlichem kann man den Eindruck gewinnen, dass zwar eifrig gearbeitet wird, gleichzeitig aber kein genaues und schon gar kein hinreichend gemeinsames Bild darüber besteht, was eigentlich gerade das anzustrebende Ziel ist und in welchem Zusammenhang dieses Ziel zu anderen, übergeordneten Zielen der Organisation steht. Gibt es jedoch unter den Beteiligten kein gemeinsames Bild über das Wohin und Wozu dessen, was man miteinander gerade tut, dann bleibt es natürlich auch eher zufällig, ob am Ende etwas Sinnvolles und Zielführendes herauskommt oder irgendetwas anderes. Die Frage nach gewünschten Ergebnissen und Zielen ist dabei letzten Endes die Frage nach Erwartungen und Vorstellungen. Was erwarten und wollen die verschiedenen Beteiligten von einem bestimmten Tagesordnungspunkt, einem Gespräch oder einer Zusammenkunft? Welche Erwartungen von nicht anwesenden Dritten – Chefs, interne oder externe Kunden, andere Einheiten und Bereiche der Organisation, andere Institutionen, Kooperationspartner etc. – sind für das, was gerade passiert, relevant und d.h. vor allem bei Nicht-Erfüllung folgenreich? Worum sollte es vor dem Hintergrund dieser mehr oder weniger unterschiedlichen Erwartungen eigentlich gehen? Was verdient Priorität und was eher nicht? Wann immer Zweifel daran bestehen, ob über derartige Fragen hinreichende Gemeinsamkeit vorhanden ist, lohnt es sich, die Frage nach dem gewünschten Wozu und Wohin explizit zu thematisieren; und thematisieren heißt hier ganz sicher nicht, was nur allzu oft darunter verstanden wird, nämlich, dass der Chef noch einmal – möglichst markig – die Richtung benennt. Dies kann zwar wichtig sein, doch reicht es nicht. Für eine gemeinsame Ergebnisorientierung braucht man eine gemeinsame Verständigung, und die entsteht nicht durch gemeinsames Abnicken, sondern durch einen wechselseitigen Abgleich von Erwartungen und Vorstellungen. Für die Frage, ob ein solcher Erwartungsabgleich (eventuell erneut) nötig ist oder allgemeiner gesprochen, für die Frage, wie gut die Bedingungen für eine möglichst hohe Zielerreichung zu sein scheinen, schaut man gemeinhin auf sachbezogene Kriterien. Von nicht zu unterschätzender Aussagekraft ist in diesem Zusammenhang jedoch auch der deutlich schlichtere Blick auf das Erleben der jeweiligen Situation: Wie viel Energie, Lust und Drive nimmt man gerade wahr bezogen auf das, was pas-
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siert? Wie viel bei sich selbst und wie viel bei den anderen Beteiligten? Wie viel Präsenz ist spürbar? Wie angenehm oder unangenehm, wie entspannt oder verkrampft, wie flüssig oder zäh, wie offen oder taktisch geprägt scheint die Situation gerade? Solche und ähnliche Fragen zielen auf das Erleben, das Empfinden oder das Gefühl in der jeweiligen Situation und all dies kann man gerade auch im Sinne der Sache höchst sinnvoll nutzen, allerdings wird dies nur in einem Bruchteil der Fälle getan, in denen es eigentlich nötig wäre. Zwar wird seit nunmehr mehreren Jahrzehnten von unterschiedlichsten Managementgurus, Beratern, Psychologen ebenso wie von Managern selbst die Bedeutung von Faktoren wie innerer Beteiligung, Motivation, Engagement, Lust und Drive bei der Arbeit geradezu gebetsmühlenartig betont; aber obwohl all dies „in den Köpfen“ längst selbstverständliches Allgemeingut geworden ist, ist der tatsächliche Umgang damit doch immer noch zu oft von Ignoranz oder Destruktivität geprägt. Häufig scheint die Ansicht zu herrschen: „Wir ziehen die Sache durch – egal, wie man sich dabei fühlt – und tun vielleicht am Anfang oder Ende noch ein bisschen was für „die gute Stimmung“. Nach der Devise: „Solange hier keiner in Ohnmacht fällt oder schreiend aus dem Raum rennt, läuft alles wie geschmiert.“ Das Ergebnis sind zahllose Teammeetings, Gesprächsrunden, Infoveranstaltungen oder ganze Projekte und Veränderungsprozesse, bei denen ein Großteil der Beteiligten sichtlich lustlos, unbeteiligt, desinteressiert, genervt und widerwillig dasitzt und das Gefühl hat, seine Zeit zu vertun. Bei alldem geht es nicht um das Sahnehäubchen auf der Suppe, die so oder so auszulöffeln ist oder um die bunte Farbe am Display, das auch schwarz-weiß schon alle Zwecke erfüllt. Menschen, deren Lust und Interesse an dem, was gerade passiert, deutlich reduziert ist, weil sie für sich kein Bild haben, dass das, was auf der Agenda steht, wirklich relevant ist oder weil sie die Art und Weise, wie es angegangen wird, nicht für gut und sinnvoll erachten oder weil etwas anderes, was für sie größere Relevanz hat, ihnen gerade als Störung im Wege steht, solche Menschen – egal ob Manager oder Mitarbeiter – verfügen nur über einen Bruchteil ihrer eigentlichen Leistungsfähigkeit und Kreativität. Jeder kennt solche Phänomene von sich selbst. Gleichwohl kann man den Eindruck gewinnen, dass viele Leute, nicht selten die gleichen, die die Bedeutung der Lust für die Arbeit vollmundig propagieren, in einer Unzahl von Fällen sowohl bei sich selbst als auch bei ihren Interaktionspartnern das Fehlen einer positiven Erlebnisqualität schlicht nicht bemerken (wollen). Man dümpelt dumpf dahin. Will man mehr erreichen, als dass mit doppelter Mühe und halbierter Lust die Ziele notdürftig realisiert werden, strebt man im echten und nicht bloß rhetorischen Sinn eine exquisite Performance in der gemeinsamen
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Arbeit an, dann ist das Zusammenspiel von klarem Ergebnisbezug und positivem Erleben absolut essentiell. Natürlich handelt es sich dabei zunächst um Polaritäten. Ergebnisorientierung ist immer auf die Zukunft gerichtet. Es geht um das Erreichen bestimmter Ziele und diese sind grundsätzlich auf verschiedenen Wegen mit verschiedenen Verfahren und verschiedenen Ausführenden (Menschen oder auch Maschinen) realisierbar. Erleben bezieht sich demgegenüber auf die Gegenwart. Es ist situativ spezifisch und einmalig und sieht von Person zu Person, von Gruppe zu Gruppe, von Kontext zu Kontext jeweils anders aus. Der Ergebnis- und der Erlebnisbezug sozialer Prozesse können gegeneinander laufen. Im Extrem kann man so einseitig und rücksichtslos Ziele verfolgen, dass ein gutes Gefühl und die Lust am Tun gänzlich auf der Strecke bleiben. Und man kann sich so ausschließlich um Annehmlichkeit und gute Stimmung bemühen, dass dabei die Ziele komplett aus den Augen geraten. Auch in der Realität heutiger Unternehmen ist das Auseinanderdriften von Ergebnisorientierung und Lust immer noch deutlich häufiger als deren gutes Zusammenspiel. Gleichwohl kann dieses Zusammenspiel ungeahnte Kapazitäten freisetzen und es zu erreichen ist kein Hexenwerk. Letztlich erforderlich sind dafür vor allem zwei Grundvoraussetzungen: Zum einen muss man klar und miteinander abgestimmt auf die relevanten Ziele ausgerichtet sein und man muss die für eine Zielerreichung erforderlichen Sachbedingungen ebenso klar ins Visier nehmen wie dann auch schaffen (z.B. Kapazitäten, Zeitvolumina, Planungs- und Umsetzungsschritte etc.). Zum anderen darf und sollte man sich zur Maxime machen, dass es einem selbst und den anderen Beteiligten, mit denen zusammen man etwas tut (Kollegen, Chefs, Mitarbeiter, Kunden), bei dem, was man tut, möglichst gut geht, man sich also miteinander wohlfühlt; und das heißt insbesondere auch, dass das Erleben – egal ob es gerade eher positiv oder negativ ist – in jedem Fall einen wichtigen Indikator für die Qualität des gesamten Prozesses bildet, so dass es sich lohnt, sich dieses Erleben bewusst zu machen und die nötigen Handlungskonsequenzen daraus abzuleiten. Da, wo Arbeit gleichzeitig durch substantielles Vorankommen und spielerische Leichtigkeit gekennzeichnet ist, da, wo im gemeinsamen Prozess ein guter Fluss, ein „Drive“ oder „Flow“ entsteht, da ist die Verbindung von sinnstiftendem Sach- und Lustbezug bei dem, was man gerade tut, signifikant spürbar. Natürlich wird man dies nicht bei jeder Arbeit an jedem Ort und mit allen Beteiligten verwirklichen können. Die Chance aber, dass, wenn schon kein Flow, so doch zumindest eine gute Bewegung in einem Prozess zustande kommt, steigt immens, wenn man die Ergebnis- wie die Lustseite des gemeinsamen Tuns gleichermaßen beachtet und ernsthaft zu verwirklichen versucht. Das größte Potenzial, um hier einen guten Schritt weiter zu kommen, trägt dabei jeder in sich selbst; denn auch wenn
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es ein beliebtes Spiel ist, bei dem sich einem immer mal wieder aufdrängenden Eindruck, dass so wenig (gute) Energie da ist, auf andere als die Verursacher zu schauen, so liegt doch der entscheidende Ansatzpunkt in der Frage: „Wie weit bin ich selbst eigentlich bereit, meine Empfindungen als Informationen über die Situation ernst zu nehmen und daraufhin die nötigen Initiativen zu ergreifen?“ Und diese Frage kann man auch so formulieren: „Habe ich mich mit dem, was geschieht und wie es geschieht, abgefunden (egal, wie sehr ich vielleicht darunter leide) oder bin ich bereit, mir und uns eine echte Chance zu geben, so dass mehr produktive Lebendigkeit entsteht?“
Struktur- und Prozessorientierung Soziale Interaktionen haben immer – egal ob im beruflichen oder privaten Bereich – eine zumindest implizite Struktur und Dramaturgie. Hierzu gehören etwa bestimmte Phasen (z.B. Auftakt, Hauptteil, Abschluss), bestimmte offizielle oder einfach gelebte Rollen (z.B. Chef und Mitarbeiter; Vortragender und Zuhörer; Moderator und Teilnehmer), bestimmte mehr oder weniger verbindliche Spielregeln (z.B. sich gegenseitig ausreden lassen, Nicht-Einspruch als Zustimmung werten, Nicht-persönlichesErscheinen-Können ankündigen und begründen etc.), bestimmte Verfahrensweisen (z.B. die Erstellung einer Agenda oder eines Ergebnisprotokolls), bestimmte Rahmencharakteristika und -begrenzungen (z.B. die Festlegung darauf, wer mit dabei ist und wer nicht, die Entscheidung für bestimmte Orte und Zeitlimitierungen). Strukturen geben eine Art von Raster oder Schema, in dem man sich für bestimmte anstehende Fragen-, Problem- oder Situationstypen miteinander bewegt. Sie bieten einen (zeitlich-örtlich-funktional-personell) definierten Handlungsrahmen und bringen mehr oder weniger festgelegte Vorgehens- und Verhaltensweisen mit sich, deren man sich für die in diesem Rahmen auftauchenden Themen bedienen kann. Damit erhöhen sie Situationssicherheit, Berechenbarkeit, Handlungsökonomie und Effizienz; und genau dies macht Strukturierungen aller Art für Organisationen so nützlich und verführerisch. In organisationalen Kontexten werden Handlungsprozesse für gewöhnlich nicht nur expliziter, sondern auch stärker und elaborierter als in nicht-organisationalen Kontexten strukturiert. Die Entwicklung und Implementierung immer neuer Organisationsstrukturen, Rollengefüge, Verfahrensweisen, Tools, Informations-, Kommunikations-, Beurteilungs-, Dokumentationstechniken beschäftigt Heerscharen hoch bezahlter Fach- und Führungskräfte, und dies in gewisser Hinsicht zu Recht; denn ohne die Verfügbarkeit
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bedarfsoptimierter Strukturen bekommt jede Organisation eher früher als später ernste Probleme – heute mehr denn je. In der Bedarfspassung liegt allerdings zugleich auch der springende Punkt. Jede allgemeine Struktur unterstellt einen standardisierten Bedarf. Jede Handlungssituation ist aber zugleich auch durch spezifische Besonderheiten und nicht (komplett) vorhersehbare Entwicklungen gekennzeichnet. Bedingungen und Konstellationen können sich ändern, Themen oder Themenfacetten können in der Wahrnehmung von Beteiligten plötzlich ein anderes Gewicht bekommen, Reaktionen können anders ausfallen als erwartet, Störungen und Konflikte können auftreten, der Fokus kann sich verschieben oder verlieren, unliebsame Überraschungen können dazwischen kommen, die Arbeitsgrundlage kann auf einmal anders aussehen oder gänzlich ins Wanken geraten etc. Es gibt kein Zaubertool, das eine allgemeine Patentlösung für solche und ähnliche Situationen bieten würde. Nötig ist hier eine echte und konsequente Prozessorientierung. Und das heißt, offen zu sein für das, was passiert, es wahr zu nehmen und zu reflektieren und immer wieder für sich selbst oder mit den anderen Beteiligten neu zu prüfen, ob der eingeschlagene Kurs wohl noch passt oder ob es sinnvoll ist, innezuhalten, die Situation zu betrachten und gegebenenfalls Kurskorrekturen oder -neubestimmungen vorzunehmen. (Prozessorientierung in diesem Sinn einer situativ ausgerichteten Interaktionsgestaltung ist nicht zu verwechseln mit Prozessorganisation, also dem Versuch einer möglichst konsequenten Ausrichtung an kundennutzendefinierten und ressourcenrationalisierten Geschäftsprozessen.) Zum guten Ton und Selbstbild von Managern gehört gemeinhin die feste Idee, situative Aufgeschlossenheit und Flexibilität schon tagtäglich und ganz selbstverständlich zu praktizieren. Tatsächlich ist aber eine echte Offenheit gegenüber dem, was in Interaktionssituationen passiert und – möglicherweise in Abweichung von allen schönen Schemata und Plänen – jetzt erforderlich ist, die ganz große Ausnahme im organisationalen Alltag. Stattdessen gibt es Routinen, weitere Schemata, abgespultes Handeln, das sich bloß offen gibt oder den Impuls, neue weitere Strukturierungen ins Spiel zu bringen, um die auftretenden Probleme endlich „richtig in den Griff zu kriegen“. Echte Prozessorientierung hat es in Organisationen grundsätzlich schwer, da sie redlicherweise mit dem Eingeständnis einhergehen muss, dass sich vorab nicht sicher sagen lässt, wie es weitergeht und wie dann genau die Folge der erforderlichen Schritte und Maßnahmen auszusehen hat. Solche offen eingestandene Unsicherheit wirkt gerade in Anbetracht des überall herrschenden Ergebnis- und Effizienzdrucks tendenziell bedrohlich. Für das persönliche und kollektive Ego ist es da deutlich befriedigender, das Gefühl zu haben, „richtig aufgestellt, organisiert und durch-
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getaktet zu sein“ und die Fäden doch irgendwie alle in der Hand zu haben – egal, wie trügerisch dieses Gefühl sein mag. Natürlich ist auch Prozessorientierung kein Allheilmittel. So wie die Orientierung an Strukturen im übertriebenen Ausmaß praktiziert zu Verkomplizierung, Bürokratisierung, Situationsunangemessenheit und Leblosigkeit führt, so kann auch Prozessorientierung über das Ziel hinausschießen, z.B. dann, wenn man wegen jeder unbedeutenden Kleinigkeit den eingeschlagenen Kurs in Frage stellt oder wenn man alle Nase lang in tiefsinnige Metareflexionen über das Wie, Woher und Warum des ganzen Prozesses verfällt. Es gilt, Prozess- und Strukturorientierung dynamisch miteinander auszubalancieren und nicht die eine auf Kosten der anderen, sondern beide miteinander in ihrem bedarfsorientierten Zusammenspiel zu optimieren. Prozess und Struktur in dieser wechselseitigen Balance und Verstärkung zusammenzuführen ist ein wesentlicher Teil der Kunst soziale Prozesse zielführend zu gestalten. Das faktisch größere Entwicklungsfeld liegt dabei aber eindeutig auf Seiten der Prozessorientierung. Es gibt Haltungen und Methoden, die helfen, eine sinnvolle Prozessorientierung zu entwickeln, zu fördern und umzusetzen, z.B. eigenes Erleben als Indikator für die inhaltliche und soziale Prozessqualität ernst zu nehmen, hinter Widerständen nach berechtigten Anliegen und Interessen zu suchen, kritische Reflexionen über das Geschehen und seine Wirkfaktoren vorzunehmen, hypothesengeleitet zu experimentieren und dabei gemachte Lernerfahrungen miteinander auszuwerten und umzusetzen etc. Die Gefahr in strukturverliebten Organisationen ist jedoch immer, dass all dies unter der Hand wieder zu einer neuen leblosen Mechanik verkommt. Prozessorientierung bedeutet situationsangemessene Offenheit; und diese Offenheit kann es auch erfordern, es jetzt ganz anders als sonst, anders als geplant, anders als einstudiert und anders als ursprünglich abgesprochen zu tun, jedenfalls dann, wenn dies der sich zeigenden Lage, der Dynamik des Geschehens oder der vorherrschenden Energie und Bedürfnissituation der Beteiligten besser entspricht.
Sender- und Empfängerorientierung In sozialen Prozessen begegnen sich verschiedene Menschen und damit zugleich verschiedene Perspektiven. In organisationalen Kontexten wird diese Unterschiedlichkeit für gewöhnlich durch zugewiesene Funktionsund Rollenunterschiede besonders markiert: Kunden treffen auf Lieferanten, Mitarbeiter auf Chefs, Entwicklung und Produktion treffen auf das Controlling, der Bereichsvorstand trifft auf den Holdingvorstand, die Mit-
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glieder eines Teams treffen auf andere Teammitglieder mit unterschiedlichen Expertisen und Aufgaben. Irgendetwas möchte man vom anderen, zu irgendetwas braucht man ihn oder ist auf ihn angewiesen, sonst würde man nicht mit ihm interagieren. Wie nah oder fern sich die verschiedenen Perspektiven dabei auch sind, niemals ist die Perspektive des anderen mit der eigenen komplett identisch. Der andere sieht, erlebt, fühlt, denkt, begreift, wünscht die Dinge, um die es geht, zumindest ein wenig anders, unter Umständen sogar signifikant oder dramatisch anders als man selbst. Perspektiven werden durch unterschiedlichste Dinge geprägt, durch Wahrnehmungen, Erwartungen, Vorstellungen, Fähigkeiten und Kenntnisse, Normen und Bewertungsmaßstäbe, methodische Zugangs- und Strukturierungsweisen, Bedürfnisse, Interessen und Stimmungslagen, wobei all dies wiederum mit den Anforderungen aus der jeweils ausgeübten Rolle, den beruflichen und persönlichen Erfahrungen, dem Bildungs-, Kulturund Ausbildungshintergrund, der momentanen Situation und vielfältigsten anderen Faktoren zusammenhängt. Um die eigenen oder gemeinsamen Ziele (besser) erreichen zu können, braucht man dann gleichsam eine tragfähige Brücke zur Perspektive oder Weltsicht des anderen, auch wenn diese spürbar anders als die eigene sein sollte. Wenn es gut läuft, entsteht so aus der Begegnung der verschiedenen Perspektiven Synergie. Man erreicht für sich und/oder miteinander (deutlich) mehr als losgelöst von oder gar gegen einander. Läuft es andererseits weniger gut, dann können die differenten Perspektiven in Unverständnis, Widerstand, Blockaden, Grabenkämpfen oder Beziehungsabbruch münden. Kaum jemand – egal ob Manager, Experte oder Sachbearbeiter – dürfte in heutigen Organisationen zu finden sein, dem zumindest auf theoretischer Ebene nicht klar ist, dass er die eigenen Funktions- und Handlungsperspektiven mit denen anderer integrieren muss, um überhaupt erfolgreich sein zu können. Gleichwohl gibt es wahrscheinlich keinen anderen Faktor, an dem soziale Prozesse so regelmäßig scheitern oder jedenfalls in ihrer Wirksamkeit empfindlich beschnitten werden wie die mangelnde Verbindung der sich begegnenden Perspektiven. Der Hauptengpass liegt dabei für gewöhnlich in einer defizitären Orientierung am Gegenüber: am Kunden, am Mitarbeiter, am Teammitglied, am Interaktionspartner jedweder Schattierung. Dies mag überraschen. Im Zeitalter der Universalisierung der Kunden-Lieferanten-Beziehungen, des allgegenwärtigen (Selbst-) Marketing- und Performancestrebens und der Omnipräsenz von nutzenversprechenden Kommunikations- und Informationsangeboten scheint alles auf die Bedürfnisse der Empfänger- bzw. Kundenseite ausgerichtet zu sein. Flotte Sprüche wie „radikal vom Kundennutzen her denken“, „unsere Kunden faszinieren“ „ihre ganz individuellen Wünsche exklusiv realisieren“, „unsere Mitarbeiter ins Boot holen“, sie „überzeugen, begeistern und
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inspirieren“ werden bis zur Schmerzgrenze postuliert, plakatiert und aller Orten penetriert. Gleichwohl bleibt der Empfänger nicht selten im Regen stehen. Seine Interessen und Bedürfnisse werden scheinbar fokussiert, tatsächlich aber nur allzu oft ignoriert. Der Verkäufer, der en detail die besten Gründe für den Erwerb eines Produkts ausführt, merkt gar nicht, dass der Kunde von einer Voraussetzung ausgeht, auf die dieses Produkt grundsätzlich nicht passt. Der Chef ist schon beim Maßnahmenplan; der Mitarbeiter hat aber noch eine völlig andere Sicht über das zugrunde liegende Problem. Der Teamkollege hat eine konkrete, überschaubare Frage für einen anstehenden Handlungsschritt gestellt; Antwort erhält er auf 15 Fragen, die er allesamt nicht gestellt hat. Was führt dazu, dass „Sender“ an ihren „Empfängern“ so oft vorbeikommunizieren oder sie jedenfalls nicht optimal erreichen? Zum größeren Teil sind hier klassische menschliche Untugenden am Werk, z.B. Faulheit, die fehlende Bereitschaft, die Zeit, Energie und Anstrengung aufzubringen, um sich in die Welt des anderen ein wenig einzudenken; Eitelkeit, der (Irr)Glaube, etwas ganz Großartiges zu sein und dem anderen zu bieten zu haben; (Selbst-)Täuschung, die Absicht, den anderen zu manipulieren oder das Unvermögen, sich über eigene Wahrnehmungen, Fähigkeiten, Handlungsmotive, Vorhaben ein realistisches Bild zu machen; Gier, der Drang, die eigenen Interessen möglichst stark, möglichst ungebremst und möglichst unmittelbar zu befriedigen; Borniertheit, das Nichterkennenwollen, dass es neben den eigenen auch andere stimmige und respektable Ansichten, Werte, Vorgehens- und Lebensweisen gibt. Solche und ähnliche Unarten sind es, die im Effekt zu einer Fixierung auf die Innensicht und einer Ignoranz der Perspektive des anderen führen. Hinzu kommt eine Besonderheit, die sich aus unserer gegenwärtigen Markt- und Wettbewerbssituation ergibt: Zum einen ist die möglichst individuelle Passgenauigkeit und Distinktivität von Produkten und Dienstleitungen geradezu eine Kernanforderung wirtschaftlichen Erfolgs geworden, zum anderen erzeugt der globalisierte Wettbewerb den Druck, jedes „Geschäft“ möglichst schnell, effizient und rationell abzuwickeln. Das aber ist ein Widerspruch in sich. Man soll sich seinem Gegenüber – dem Kunden, Mitarbeiter, Kollegen, Chef – substanziell widmen und darf sich doch nicht die Zeit dafür nehmen. Das Ergebnis sind oft faule Kompromisse, bei denen es schon ein Erfolg ist, wenn der andere mit einem für seine Bedürfnissituation halbwegs passenden Standardschema „bedient“ wird. Das Ergebnis ist nicht Effektivität und nicht einmal besondere Effizienz; denn an den Anforderungen und Bedürfnissen seines Handlungspartners vorbeizuhandeln, erzeugt in jedem Fall das, was die Japaner „Muda“, d.h. „Verschwendung“ nennen: Worte, die sinnlos verpuffen, Handlungen, die un-
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nötig oder unpassend sind, Irrtümer und Missverständnisse, die wieder ausgeräumt werden müssen, Reibungs- und Produktivitätsverluste etc. Um sich an der Situation, Sichtweise und Bedürfnislage des anderen angemessen zu orientieren, muss man letzten Endes gar nichts anderes tun, als einigen naheliegenden Fragen anhand von sich zeigenden Indizien nachzugehen: „Was beschäftigt den anderen gerade? An welchem Punkt steht er? Was möchte er eigentlich? Was will er auf keinen Fall? Nach welchen Maßstäben und Kriterien bewertet er die Dinge? Welcher Sprache und Ausdrucksform bedient er sich? Wo gibt es Gemeinsamkeiten und naheliegende Anknüpfungspunkte zu eigenen Anliegen und Interessen?“ Sich in dieser Weise der Perspektive des anderen zu nähern, erhöht nicht nur das Verständnis – und dies zumeist wechselseitig – sondern zugleich auch die Chance, mit dem anderen auf gute Weise zusammen zu finden. Natürlich kann man auch hier ins Extrem verfallen und sich so einseitig an der Empfängerperspektive orientieren, dass man die eigene Position dabei vernachlässigt. Eine sinnvolle Orientierung am Gegenüber behält aber das Bewusstsein für das je Eigene. Ja, mehr noch: durch die ernsthafte Orientierung am anderen schärft sich gerade auch der Blick für die eigene Position und ihre Parallelitäten, Komplementaritäten, Differenzen und Inkompatibilitäten zu der des anderen. Dies gilt auch umgekehrt: durch die ernsthafte und kontextbezogene Orientierung an der eigenen Perspektive schärft sich auch das Bewusstsein für die spezifische Perspektive des anderen und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu der eigenen. Innenund Außen-, Sender- und Empfängerperspektive sind wie zwei Seiten einer Medaille. Sich der einen wahrnehmungsoffen zuzuwenden, wird auch die andere öffnen. Die eine auf Kosten der anderen zu privilegieren, wird letzten Endes beide verzerren und schwächen. Wer erfolgreich mit dem anderen handeln will, muss sich und den anderen wahr- und ernstnehmen. Nur so, wird er die Chance haben, Synergien, die diesen Namen auch verdienen, zu heben.
Positionierung und Erkundung Ein Thema auf die Agenda setzen, eine zustimmende oder abweichende Meinung artikulieren, eine neue Facette ins Spiel bringen, ansprechen, was einem wichtig erscheint und einen bewegt, eine Strategie formulieren und sie umsetzen – all dies sind Handlungen, die Dinge sichtbar und damit auch besprechbar machen können, die gemeinsames Handeln anstoßen und orientieren, es in eine Richtung lenken und wirksam machen können. Es sind Formen des Sich-Positionierens. Eine Position wird dabei eingenom-
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men und verdeutlicht, z.B. durch Meinungsäußerungen, Statements, Argumente oder positionsbezogenes Handeln. Was aber bedeutet diese Position? Wie sieht sie genau aus? Welche Sichtweisen, Gründe und Interessen stecken dahinter? Auf welchen Annahmen beruht sie und zu welchen Konsequenzen wird sie wohl führen? Wie passt sie zu den gegebenen Rahmenbedingungen und wie verhält sie sich zu anderen relevanten Eckpunkten? Solchen und ähnlichen Fragen nachzugehen, heißt, die Position zu erkunden, zu eruieren, was sie ausmacht, wovon sie ausgeht, wie sie sich zu Kontextfaktoren verhält und welche Effekte sie wohl produziert. Es ist klar, dass Positionierung und Erkundung einander ergänzen und aufeinander bezogen sind. Je wichtiger ein Agendapunkt, eine anstehende Entscheidung oder eine Vorgehensweise ist, umso wichtiger ist es, das jeweilige Themenfeld und dazu eingenommene Positionen ernsthaft und gründlich zu erkunden. Je besser andererseits die Erkundung eines relevanten Themenfeldes geschieht, umso klarer wird sich nicht nur der Stellenwert bereits bezogener Positionen zeigen, sondern zugleich können auch neue Positionen und weitere Optionen sichtbar werden, die das Denk- und Handlungsspektrum unter Umständen deutlich erweitern. Positionierung und Erkundung sind also gerade für den Erfolg komplexer und bedeutsamer Sachverhalte untrennbar aufeinander angewiesen. Offensichtlich ist nun aber, dass es in der Alltags-, nicht anders als in der Businesskommunikation, ein dramatisches Übergewicht des Positionierens zu Lasten des Erkundens gibt. Es wird zu wenig gefragt und noch viel weniger ernsthaft gefragt. Viele Fragen, die gestellt werden, sind verkappte Aussagen, Suggestiv- und Alibifragen oder genau solche Fragen, die jeder an dieser Stelle erwartet hatte und die denn auch genau die erwartete Antwort produzieren, so dass ihr Erkenntniswert begrenzt bleibt. Ernsthaftes Erkunden im Sinne von wirklich zu verstehen suchen, wie eine Sichtweise und Position wohl aussieht, zumal, wenn sie von der eigenen auch noch abweicht, welche positiven Effekte sie wohl hat, aus welchen guten Gründen man sie einnehmen kann, wo aber auch kritische Punkte stecken, welche Annahmen der Position zugrunde liegen, was von diesen Annahmen zu halten ist etc. – ein solchermaßen nachfragendes Erkunden findet viel zu selten statt. Statt dessen eiliges, oft halb gares SichArtikulieren: Hauptsache, man sagt selbst etwas, man hält etwas dagegen, man formuliert einen flotten Appell, man zeigt auf den Schuldigen, man verteilt ein Motivationsbonbon (auch wenn es niemanden wirklich motiviert), man (re)strukturiert, positioniert, richtet sich neu aus und setzt mal wieder „nachhaltige Impulse.“ Die Gründe für diese einseitige Kost entsprechen zu einem gut Teil denen, die im Zusammenhang des Ungleichgewichts von Sender- und Empfängerorientierung skizziert wurden. Die aus Faulheit, Selbstverliebtheit,
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(Selbst-)Täuschung und anderen Faktoren resultierende Fixierung auf die eigene Perspektive erzeugt Ignoranz gegenüber anderen Perspektiven. Der Druck, schnell ins Handeln zu kommen und Handlungsstärke zu demonstrieren, trägt seinen Teil dazu bei wie auch die damit gekoppelte Idee, durch Fragen zwar vielleicht Informationen zu gewinnen, allein durch das Artikulieren und Verfolgen von Positionen aber die Dinge bewegen, beeinflussen und vorantreiben zu können. Dass dies ein eklatantes Missverständnis ist, sieht nicht, wer nicht lernt, angemessen zu erkunden, weil er sich in jedem Moment der auf bloßes Monologisieren reduzierten „Dialoge“, der auf bloßen Aktionismus reduzierten Interaktionen in seiner eigenen Fehlmeinung glaubt wieder bestätigt fühlen zu können. Die Folgen dieses Erkundungsdefizits sind dramatisch: Lange Reden, die ins Leere laufen, Maßnahmen, die nicht greifen, weil sie dem Problem nicht gerecht werden, ewiges Hin und Her, Energieverluste durch Machtkämpfe und infantiles Imponiergehabe, absurde Inszenierungen und absehbare Misserfolge. Dass substantielles – in der Sache umsichtiges und stringentes, in der Beziehung einfühlsames und wertschätzendes – Erkunden die Dinge auf eine produktive Weise in Bewegung bringen kann, scheint für viele Führungskräfte und in vielen Organisationen eine Erkenntnis zu sein, die der Druck des Operativen regelmäßig zum Verschwinden bringt. Nichtsdestotrotz: hier liegt ein entscheidender, oft der entscheidende Schlüssel für neue Ideen, ein besseres Verständnis, gemeinsame Sichtweisen und nachhaltigen Erfolg. Wer komplexe Probleme bewältigen, wer Barrieren wirksam aus dem Weg räumen, wer mit anderen auch in schwierigen Situationen gut zusammenarbeiten möchte, sollte bereit sein, sich Zeit zum ernsthaften Zuhören und Erkunden zu nehmen. Dies stellt zwar im ersten Schritt eine Investition dar, in der Folge erhöht es jedoch beträchtlich die Wahrscheinlichkeit, dass die verfolgten Positionen auch zu den gewünschten Zielen führen.
Vereinfachung und Differenzierung Wie viel Differenzierung ist nötig? Wie viel Vereinfachung braucht man? Wann immer Menschen sich miteinander verständigen wollen, stellt sich diese Frage, und sie stellt sich um so mehr, je mehr die Beteiligten aus unterschiedlichen Rollen, unterschiedlichen Bezügen, Sichtweisen, Wissensund Erfahrungshintergründen, unterschiedlichen Absichten, Zielsetzungen und Interessen heraus handeln. Der Alltag in Unternehmen ist gespickt mit solchen Konstellationen: Mitarbeiter verschiedener Funktionen oder Hie-
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rarchieebenen treffen zusammen, Vertreter der Zentrale begegnen den Leuten vor Ort, interne oder externe Dienstleister treffen ihre Kunden, Repräsentanten des Unternehmens stoßen auf Repräsentanten einer relevanten Öffentlichkeit etc. Was der eine absolut wesentlich findet, erscheint dem anderen mitunter völlig irrelevant, was für den einen schon Fachchinesisch ist, ist für den anderen gänzlich banal, was der eine als selbstverständlichen Bewertungsmaßstab anlegt, kann für den anderen geradezu exotisch sein, was der eine gerade zum Ausdruck bringen will, versteht der andere in seiner Sprache vielleicht völlig diametral. Damit hier überhaupt ein gemeinsames Verständnis als Basis gemeinsamen Handelns entstehen kann, ist Vereinfachung gefragt, was immer sie im Einzelnen bedeuten mag: Zusammenfassen, Kürzen, Weglassen, Verdichten, Visualisieren, Symbolisieren oder in Analogien und Metaphern kommunizieren. Gleichzeitig ist es aber auch erforderlich, dass für das jeweils anstehende Thema relevante Zusammenhänge, Bedingungsfaktoren, Unterschiede und Möglichkeiten nicht verloren gehen. Diese Balance zu realisieren ist alles andere als einfach. Es droht die Gefahr der Überdifferenzierung ebenso wie die Gefahr der Simplifizierung. Zu gut gemeinte Differenzierung, Komplexitätsabbildung oder Detaillierung resultiert oft aus der allzu starken Identifikation mit der eigenen Rolle und Expertise. Man merkt gar nicht, dass man dem anderen zu reichhaltige, schwerverdauliche und nicht seinem „Gusto“ entsprechende Kost serviert, weil man so ausgeprägt in die eigene Aufgabe und die sie kennzeichnende Logik vertieft ist. Verstärkt wird dies typischerweise noch durch den tatsächlich ausgeübten, viel häufiger aber nur subjektiv wahrgenommenen Erwartungs- und Legitimationsdruck gegenüber der Rolle, die man zu spielen hat. So kann man mitunter den Eindruck bekommen, es bestünde der Glaube einer direkten Korrelation zwischen der Länge und Komplexität von Darlegungen einerseits und der persönlichen und thematischen Wichtigkeit des sie ausführenden andererseits. Wahrscheinlich ist Verkomplizierung in heutigen Organisationen immer noch deutlich häufiger als Simplifizierung. Nichtsdestotrotz ist auch die eine ernsthafte Gefahr in einer Zeit, deren Kennzeichen globale, möglichst jederzeit verfügbare und multimedial vernetzte Information geworden ist. Hier ist man geradezu gezwungen, einfach und kompakt zu kommunizieren, da zunehmend weniger die Zeit und die Bereitschaft besteht, komplexe und ausführliche Darstellungen überhaupt zuzulassen geschweige denn, sie aufzunehmen. Starke, gelegentlich radikale Vereinfachung kann aber auch von der Sache her geboten sein. Je breiter und heterogener beispielsweise die Zielgruppe einer Kommunikation wird, desto einfacher und plakativer muss sie gehalten werden. Der Vorstandsvorsitzende eines multinationalen Großunternehmens, der sich an alle seine Mitarbeiter wendet,
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kann nur in einfachen, möglichst für alle verständlichen Botschaften sprechen, will er nicht Missverständnisse, Unbehagen und Chaos größtmöglichen Ausmaßes bewirken. Verhindern wird er all diese Effekte sowieso nicht, egal, wie vorbildlich er kommuniziert. Trotz dieses Drucks und der Notwendigkeit massiver Kompexitätsreduktion ist der Grat zur Übervereinfachung schmal. Die Welt erscheint dann ähnlich simplifiziert wie im Boulevardjournalismus mit allen Gefahren, die daraus resultieren: Kontextverlust, Pauschalisierung, Blindheit gegenüber wichtigen Unterschieden, kontraproduktive Phänomenverengung, sachliche Inadäquatheit. Intelligent zu vereinfachen ist eine Kunst. Voraussetzung dafür ist zunächst, selbst einen differenzierten Überblick über die Materie zu haben, der einen befähigt, Zusammenhänge erkennen und Wichtigeres von weniger Wichtigem unterscheiden zu können. Hinzukommen muss jedoch auch die Fähigkeit und Bereitschaft wahrzunehmen, was der oder die anderen brauchen: was für die andere Seite relevant oder nicht relevant ist, was wohl (noch) nachvollziehbar oder nicht mehr nachvollziehbar, was problemlos verdaubar oder einfach zu viel des Guten ist. Am schwierigsten ist oft, dass die Bereitschaft zur Vereinfachung Verzicht erfordert: Verzicht auf Dinge, die einem wohl vertraut, selbstverständlich, wichtig, lieb und teuer sind. Intelligente Vereinfachung ermöglicht Differenzierung, da sie Prägnanz schafft, die das eine vom anderen zu unterscheiden hilft. Intelligente Differenzierung andererseits ermöglicht Vereinfachung, da sie Dinge klarer zu erkennen und damit ökonomischer zu behandeln hilft. Eine gute Balance von Differenzierung und Vereinfachung ist hochgradig situativ. Es gibt für sie keine allgemeinen Rezepte; um so mehr lohnt es sich aber, auf sie in der jeweiligen Situation zu achten, zumal hier ein kaum zu unterschätzendes Potenzial für Effektivitäts-, Effizienz- und Lustgewinn liegt. Die Dinge in ihren wichtigen Zusammenhängen differenziert und gleichzeitig einfach klären zu können, bringt für gewöhnlich nicht nur ein echtes Vorankommen in der Sache, sondern zugleich auch ein Gefühl von Befriedigung und Stimmigkeit mit sich. Letzten Endes geht es um einen möglichst angemessenen Umgang mit Komplexität: sie zu erfassen und gleichzeitig sinnvoll zu reduzieren. Um die dafür eingesetzten Handlungen und Strategien im eigenen Wirkungsbereich zu optimieren, kann es fruchtbar sein, Fragen wie diesen nachzugehen: Neige ich selber eher zu Überdifferenzierung und damit Komplexitätsaufblähung oder zu Übervereinfachung und damit Komplexitätsvernachlässigung? Gibt es hierbei möglicherweise themenbezogene Auffälligkeiten, d.h. Themen, die ich systematisch verkompliziere und Themen, die ich übermäßig simplifiziere? Und wie verhält sich in dieser Hinsicht mein
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Umfeld: unser Team, unsere Organisationseinheit, unsere Organisation insgesamt? Welche drohenden Einseitigkeiten würden relevante Dritte (Kunden, Chefs, neutrale Beobachter) hier wohl diagnostizieren? Was verführt mich bzw. uns in solche Einseitigkeiten hinein zu kommen? Was kann mir und uns helfen, dies in konkreten Situationen selbst stärker wahr zu nehmen (z.B. Indikatoren wie Energieverlust, Sich-im-Kreise-drehen oder das Gefühl einer zu schnell erreichten Lösung, eines zu schnell eingegangenen Kompromisses)? Wie können wir uns zu unserem jeweiligen Umgang mit Komplexität zeitnah sinnvolle Rückmeldungen geben? Was könnte uns helfen, den jeweils vernachlässigten Pol noch besser ins Spiel zu bringen? Solche Fragen ernst zu nehmen und miteinander in die Umsetzung zu führen, ist weit mehr als der erste Schritt zu einem effektiveren Komplexitätsmanagement.
Akzentuierung und Relativierung Wann immer wir wahrnehmen, denken, fühlen, wollen, planen oder handeln, greifen wir – bewusst oder unbewusst – aus der Vielzahl des Möglichen etwas heraus – anderes lassen wir liegen. Dieses Phänomen steckt auch im Kern von so unterschiedlichen philosophischen Konzepten wie der besonders von Jaspers, Heidegger, Sartre und anderen formulierten Existenzphilosophie, nach der sich der Mensch ständig – gleichsam von Situation zu Situation – neu entscheiden muss, was er ist und was er tut und dem historisch besonders von Kant, erkenntnistheoretisch aber von vielen bis heute vertretenen Konstruktivismus, nach dem der Mensch seine Welt ständig mit konstruiert und konzipiert. In gewisser Hinsicht können wir also gar nicht anders, als permanent Akzente zu setzen. Die praktisch relevante Frage ist nun allerdings, wie sich die von uns gesetzten Akzente zu denen anderer verhalten, d.h. wie unser jeweiliges Denken, Wollen, Werten, Planen, Tun etc. dazu passt oder eben auch nicht dazu passt, was andere denken, wollen, werten, planen oder tun. Möchten wir dabei mit dem, worum es uns geht, was wir vorbringen oder voranzubringen bestrebt sind, Aufmerksamkeit und Wirkung erzielen, so sollten wir eines mit Sicherheit nicht machen, nämlich uns genau so verhalten, wie möglichst alle es in dieser Situation vermuten und am besten auch selbst an unserer Stelle tun würden. Eine solche Art der Akzentsetzung ist von den Effekten her betrachtet keine. Das Handeln wird in den eingefahrenen Routinen einfach nur mitlaufen, eine rein mechanische Funktion erfüllen oder schlichtweg verpuffen. Um einen wie auch immer gearteten Impuls zu setzen, ist es nötig, in einem emphatischen – gleich-
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sam akzentuierteren – Sinn dieses Wortes zu akzentuieren. Es gilt mit dem eigenen Reden oder Tun Dinge zu betonen, zuzuspitzen, zu überspitzen, grell zu machen, sie anders als erwartet zu bezeichnen, darzustellen oder auszuführen. Der Teamleiter spricht statt die Diskussion wie sonst in dieser Sitzung üblich sich zäh weiter hinschleppen zu lassen seinen Eindruck von der allgemeinen Kommunikationskultur in einer für alle greifbaren und eindringlichen Metapher an. Der Verkäufer findet ein für die Situation des Kunden prägnantes Beispiel, so dass dieser schlagartig den Mehrwert einer neuen Produktfunktion versteht. Der Vorstand schickt sich selbst und alle anderen Führungskräfte jeden Monat einen Tag lang in die peripheren Vertriebseinheiten, damit man in seinem bürokratischen Großunternehmen endlich begreift, dass der Erfolg von der gelebten Ausrichtung am Kunden entsteht. Akzentuierung in diesem Sinn des Markierens, Beispielgebens oder Pointierens schafft – jedenfalls wenn sie erfolgreich ist – Bewusstsein, produktive Reibung und damit die Chance aus eingefahrenen, aber untauglichen Bahnen herauszufinden. Die Gefahr, mit der sie gekoppelt ist, ist Einseitigkeit, Polarisierung, Polemik und das Fallen in Extreme. Werden die Pinselstriche so grob gesetzt, dass wichtige Verbindungen und Unterschiede nicht mehr erkennbar sind, bleibt schließlich nur noch ein Zerrbild übrig. Ein für jedermann offensichtliches Beispiel solcher Verzerrung ist die in der Öffentlichkeit dargebotene Auseinandersetzung mit dem parteipolitischen Gegner. Hier werden von allen Beteiligten mit Regelmäßigkeit so einseitige und polemische Attacken gefahren, dass dadurch nicht nur für sachangemessene Problemklärungen höhere Barrieren entstehen, sondern zugleich auch die eigenen Ziele, nämlich positive Aufmerksamkeit und Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen, vereitelt werden, indem die zum tagtäglichen Einerlei gewordene Übertreibung selbst nur noch als nichtssagendes politisches Umweltrauschen wahrgenommen wird. Auch in Organisationskontexten drohen jedoch die Risiken der Überakzentuierung. Auch hier besteht inmitten all der unablässig passierenden äußeren und inneren Veränderungen die Versuchung, eher überspitzte und extreme Positionen zu verfolgen, um überhaupt noch Wahrnehmung und Wirksamkeit erreichen zu können. Und diese Versuchung nimmt nach oben hin tendenziell zu. Indem nämlich Führung in den höheren Hierarchieebenen mehr und mehr indirekt wird, gestaltet sich die Erreichbarkeit der jeweiligen Mitarbeiter schwerer; gleichzeitig besteht aber ein massiver Erwartungs- und Erfolgsdruck, z.B. von Seiten der Aktionäre, so dass der Griff zu den unübersehbaren, oft aber gleichzeitig einseitigen Maßnahmen nahe liegt: die nächste Umstrukturierung, das nächste Downsizing, der nächste Merger, die nächste Welle von Diversifizierung oder Kerngeschäft-Fokussierung etc. Ähnlich wie in der parteipolitischen Dynamik
Abstrahierung und Konkretisierung
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droht dann auch hier ein Sog des Extremen ausgelöst zu werden, denn zum einen provozieren extremere Vorgehensweisen auch im Umfeld das Entstehen solcher Vorgehensweisen und zum anderen steigt die Gefahr, dass beim Nicht-Eintreten des gewünschten Erfolgs das Ruder in die Gegenrichtung herumgerissen wird, so dass ein stetiger Wechsel diametraler Gegenpositionen droht, bei dem die eine die Krankheiten der anderen zu heilen verspricht. Um Herausforderungen und Probleme angemessen bewältigen zu können, ist es nötig die Dinge in ihren Bezügen und Zusammenhängen zu sehen. Es gilt, den relativen Stellenwert von etwas im Rahmen des größeren Ganzen zu erkennen. Es gilt zu verbinden, zu vermitteln, in Beziehung zu setzen und zu integrieren. Dass dies ein leiseres und deutlich unspektakuläreres Geschäft ist, als zu akzentuieren und zu pointieren, bedarf keiner Erläuterung. Und natürlich kann man auch hier zu viel des Guten tun: übertriebene Relativierung ist Nivellierung, die im Gegenzug häufig eine umso heftigere Akzentsetzung und damit Polarisierung provoziert. Nur wem es gelingt, die Dinge in ihren übergreifenden Zusammenhängen und Relationen zu erfassen, wird zu proportioniertem Handeln in der Lage sein. Nur wer Akzente setzt, wird andererseits Bewusstsein erzeugen und Impulse für sinnvolle Veränderung geben. Beides zu verbinden setzt Leidenschaft und Besonnenheit voraus.
Abstrahierung und Konkretisierung Auf welcher Konkretisierungsebene sollten wir uns mit unserem Thema bewegen? Bleiben wir eher (noch) allgemein, weil es uns darum geht, das Terrain zu sondieren, uns einen Überblick zu verschaffen, eine eher grobe Skizze oder Planung anzulegen, allgemeinere Aspekte oder Zusammenhänge zu reflektieren etc. oder sollten wir (bereits) konkreter einsteigen: in Beispiele gehen, Details anschauen, Ursachen und Auswirkungen spezieller Einzelereignisse betrachten, spezifische Maßnahmen festlegen etc.? In sozialen Interaktionen gibt es einen ständigen Wechsel von Abstraktion und Konkretion. Man „zoomt“ in ein Thema hinein, vertieft sich darin oder tippt es auch nur kurz an und verlässt es wieder, erhöht den Betrachtungsabstand, vergrößert oder verlässt den Rahmen. Die entscheidende Frage ist stets: Wie viel Konkretheit, Spezifikation, Detailliertheit ist an welchem Punkt erforderlich? Wo ist andererseits Abstraktion, Generalisierung oder bloße Skizzierung hilfreich oder von Nöten? Ein guter, d.h. produktiver und flüssiger Wechsel von Abstraktem und Konkretem setzt Gespür für das Thema, die Situation und die anderen Be-
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teiligten voraus; vor allem aber auch die Bereitschaft, gemeinsam zu prüfen, welche Zugangsebene zum Thema gerade jetzt besonders geeignet erscheint und welche eher nicht. Eine solche Frage zu stellen – wie auch immer dies im Einzelnen aussehen mag – bedeutet gegenüber dem jeweiligen Thema eine Metaebene einzunehmen, also die Art des Umgangs mit dem Thema selbst zum Thema zu machen. Dieser Schritt, der seinerseits eine Form der Abstrahierung ist, kann immens helfen, die richtige Konkretheit ins Spiel zu bringen – was wahrlich nicht immer passiert. Selbst wenn Profis mit einem Interesse an einer brauchbaren Lösung zusammen kommen, so zeigt doch der Alltag gerade auch in der Businesskommunikation, dass ein passender Konkretisierungslevel häufig massiv verfehlt wird. Nicht selten bleiben Diskussionen hoffnungslos abstrakt und ungreifbar, was natürlich auch seinen „guten Sinn“ für die Beteiligten haben kann. Je allgemeiner man bleibt, umso größer ist die Chance, dass alle freundlich nicken und man nicht in Schwierigkeiten oder Konflikte gerät. Schließlich sieht man noch gar nicht – jedenfalls nicht miteinander – auf die kniffligen Punkte, die Streitfragen und problematischen Details. Das Verbleiben im Abstrakten kann so auch dazu beitragen, dass nicht deutlich wird, worauf man (noch) gar keine Antwort hat, dass man nicht in die Schusslinie gerät und sich ein gutes Gewissen bewahren kann. Auf der anderen Seite gibt es aber natürlich auch Konkretismus, d.h. Formen von überschießender Beschäftigung mit einzelnen Elementen und Details. Und auch diese hat ihre Funktionen; z.B. kann sie einem das gute Gefühl bescheren, „alles getan“ zu haben (auch wenn es nicht wirklich weiterhilft), sie kann erfolgreich von der Betrachtung kritischer Fragen ablenken und sie kann dazu führen, dass man die anderen und manchmal auch sich selbst in der Schlacht der Details so einnebelt und verwirrt, dass schließlich keiner mehr weiß, wo vorne und hinten ist, was in manchen Situationen ein unter Umständen gar nicht so unerwünschter Begleiteffekt ist. Der Drang zum Überkonkretisieren wird in Organisationen zumeist noch dadurch genährt, dass Konkretheit besonders von Plänen, Prozessen und Maßnahmen Berechenbarkeit verspricht, selbst wenn sich daraus nur berechenbar kontraproduktive Effekte ergeben. Umgekehrt gibt es oft eine größere Scheu, Handlungsweisen erst einmal nur umrisshaft zu skizzieren, obwohl es bei Lichte gesehen noch gar keinen Sinn macht, sie jetzt zu fixieren, weil erst die Erfahrungen mit dem weiteren Vorgehen auch die Basis für eine angemessene Konkretisierung anstehender Folgeschritte bilden können. Um Konkretisierung und Abstraktion auch dann angemessen zu realisieren, wenn sie sich als unbequemer erweisen, braucht man eine Portion Mut und Disziplin. Mut, um das, was nötig ist, in Angriff zu nehmen, also z.B. konkret zu werden statt sich unanfechtbar im Allgemeinen aufzuhalten und
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Disziplin, um konsequent am Ball zu bleiben, also nicht gleich wieder weg oder zum nächsten zu springen. Als Indikator für die Frage, ob das, was ansteht, gerade auch passiert, kann man dabei vor und neben der Verständigung darüber mit den anderen auch das eigene Gefühl zu Rate ziehen. Überschießende, sich selbst genügende oder themenverdeckende Abstraktion führt tendenziell zu Gefühlen von Langeweile, Beliebigkeit, Relevanzverlust oder Ärger; das Kleben und Sich-Verbeißen im Konkreten führt oft zu Gefühlen von Unfruchtbarkeit, Mühsamkeit, Nichtvorwärtskommen, Erschöpfung und Diffusion. Gelingt es den Beteiligten andererseits zu den anstehenden Themen in ein besonders gutes Verhältnis von Abstraktheit und Konkretisierung zu kommen, so wird dies zumeist als dynamische Bewegung und produktive Wechselwirkung empfunden: die Besprechung allgemeinerer Faktoren und Aspekte hilft zu erkennen, wo man konkret werden muss, wie das Konkrete einzuordnen ist und welche Zusammenhänge zu berücksichtigen sind; die Vertiefung in das Konkrete hilft die allgemeineren Punkte anschaulich zu verstehen, sie in ihren Denkund Handlungskonsequenzen auszubuchstabieren und dabei zugleich neue Aspekte, Ideen und Fragen in Hinblick auf die allgemeineren Dimensionen zu entwickeln. Abstraktion und Konkretisierung ergänzen und befruchten einander wechselseitig. Sie geraten in eine Art von Tanz, in dem sie aufhören, wie eigene Elemente zu erscheinen. Sie werden Teil eines rhythmischen Ganzen, das das Handeln der beteiligten Akteure mindestens ebenso kreiert wie es durch dieses Handeln selbst kreiert wird.
Annäherung und Distanzierung Wie viel Nähe entsteht in der gerade stattfindenden Begegnung? Wie drückt sich diese Nähe aus? Wie viel Abstand wird gebraucht? Auf welche Weise wird er hergestellt? In welchen Momenten und bedingt durch was wird das Verhältnis von Nähe und Abstand verändert? Wie fest oder flexibel ist dieses Verhältnis? Wie passend oder unpassend, wie angenehm oder unangenehm ist es? Gibt es Unterschiede in der Regulation von Nähe und Abstand im Vergleich zu früheren Begegnungen mit den gleichen Beteiligten oder ähnlich gelagerten Begegnungen mit anderen? Man muss solche und ähnliche Fragen nicht explizit stellen und ist doch in sozialen Interaktionen ständig mit ihnen beschäftigt. Wann immer Menschen, egal ob in organisationalen oder anderen Kontexten, in Kontakt miteinander kommen, wird das Verhältnis von gegenseitiger Nähe und Distanz geprüft, eingestellt, neu geprüft, neu eingestellt etc. In Abhängigkeit von der Situation, dem Kontext, den eingenommenen Rollen, den Vorstellungen, Wün-
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schen und Erwartungen der Beteiligten können Nähe und Abstand extrem stark variieren. So wird, wenn der Vorstand bei seinem Besuch vor Ort ein paar freundliche Worte mit einem neuen Auszubildenden wechselt eine andere Art von Nähe entstehen, als wenn zwei gute alte Freunde sich auf einen gemeinsamen Wochenendtrip begeben. Und wenn der Vertriebsmann seinen ersten Kontakt mit einem neuen potenziellen Großkunden hat, so wird für gewöhnlich ein anderer Abstand da sein, als wenn er seinen Kollegen bei einer informelleren Zusammenkunft von den speziellen „Eigenheiten“ dieses neuen Kunden erzählt. Auch zwischen den gleichen Beteiligten und innerhalb der gleichen Situation können Nähe und Abstand sich signifikant verändern. Plötzlich sieht man den anderen in einem neuen Licht: Man versteht sein Handeln schlagartig, man entdeckt eine deutliche Sympathie oder erlebt eine tiefe Enttäuschung. Man spürt, dass der andere sich den eigenen Vorstellungen und Wünschen entzieht oder merkt, wie gut und passend er darauf reagiert. Ähnlich wie soziale Interaktionen auf der thematischen Seite durch einen ständigen Wechsel von Abstrahierung und Konkretisierung geprägt sind, so sind sie auf der Beziehungsseite durch einen ständigen – mehr oder weniger großen – Wechsel von Annäherung und Distanzierung geprägt. Und ähnlich wie die themenbezogene erfolgt auch die beziehungsbezogene Nähe- und Abstandsregulation zumeist unterschwellig, automatisiert, intuitiv oder unbewusst. Nichtsdestotrotz ist diese nicht anders als jene eine zentrale Einfluss- und Steuerungsgröße sozialer Prozesse. Auf der Beziehungsebene wird dies unmittelbar durch die Auswirkungen des Faktors – vorhandene oder fehlende – Nähe deutlich. Mit Personen, zu denen man stärkere Nähe, Verbundenheit oder Sympathie empfindet, sind Kontakte nicht nur angenehmer, sondern oft auch auf eine leichter gängige Weise produktiv. Umgekehrt macht (über)große Distanziertheit Interaktionen nicht nur anstrengender, kühler und sperriger, sondern ganz oft auch inhaltlich weniger ergiebig. Die Distanz im Umgang der Personen springt über auf deren Umgang mit der Sache. Die Energien der Beteiligten, die sich auf der Bühne nur stark gebremst entfalten dürfen, wandern verstärkt hinter die Bühne und wirken dort. Man beginnt zu überlegen, was die Distanz des anderen wohl zu bedeuten hat: welches Kalkül steckt dahinter, welche seiner Ansichten und Absichten sind es, die unausgesprochen bleiben, was hält er zurück, was enthält er einem vor, was meint er wirklich? Eine in dieser Weise in Gang gesetzte Hinterfragungsdynamik ist dazu angetan, die Distanz auf beiden Seiten weiter zu vergrößern, Argwohn und Misstrauen zu säen und die Chance auf ein direktes und unverkrampftes Weiterkommen zu verringern. Gleichwohl ist Distanz natürlich nötig. Eine übertriebene Nähe ist nicht nur mindestens ebenso unangenehm wie übertriebene Distanzierung, sie ist
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auch mindestens ebenso kontraproduktiv. Einerseits kann sie bei denjenigen, die sie als unpassend erleben, ganz vergleichbare Zweifel an den Interessen und Ambitionen des anderen auslösen wie übergroße Distanzierung. Andererseits birgt sie aber auch die Gefahr, insbesondere wenn die Beteiligten sie im Einklang miteinander praktizieren, dass relevante Unterschiede und Konfliktpunkte systematisch ausgeblendet und verdrängt werden, so dass nötige Klärungen und Veränderungen erschwert oder verunmöglicht werden. Die längerfristigen Folgen sind dann nicht selten unangenehme Überraschungen und ein „übles Erwachen.“ So wie ein sinnvoller Abstand zum Thema zu erkennen hilft, wie sich das Thema entwickelt, wo es gut läuft, wo es hakt, wo es vielleicht in unnötige Schleifen hineingerät und was es für ein gutes Weiterkommen braucht, so hilft eine gute Distanz zum Gegenüber zu schauen, wie sich die Beziehung gerade entwickelt, was hier passiert und was gegebenenfalls erforderlich ist. Nur wenn man einen solchen Abstand wahrt bzw. ihn immer wieder herzustellen in der Lage ist, hat man überhaupt die Chance, soziale Prozesse sinnvoll zu gestalten und nicht von ihnen gestaltet zu werden. Daneben bietet Distanz aber natürlich auch Schutz für die eigene Person – Schutz vor ungewollter Nähe, vor Übergriffen, vor Verletzung, vor übertriebenem in die Angelegenheiten des anderen Hineingezogenwerden – und sie bietet die Chance, eine gestärkte Basis für das weitere Entstehen von Nähe zu liefern. Nähe braucht Abstand, damit man Erlebtes verarbeiten und integrieren kann, damit man frei wird für Begegnungen mit Menschen und Themen, denen man sich ebenfalls zuwenden muss oder möchte und damit man, wenn man einander wieder begegnet, mit neuer Frische und Präsenz Nähe abermals herstellen kann. Produktive Nähe setzt also produktiven Abstand voraus. Produktiver Abstand erfordert aber umgekehrt auch produktive Nähe. Ohne die Bereitschaft mit anderen in einen nahen und intensiven Kontakt einzutreten, bleibt der Abstand zu ihnen wie ein psychischer Schutzwall. Er bewahrt einen vielleicht vor manchen Übergriffen und Verletzungen; gleichzeitig verhindert er aber vitale Begegnungen, in denen – bei allen Differenzen und Reibungspunkten – Neues, Bereicherndes und Lustvolles entstehen kann. Und dies gilt für professionelle Kontexte nicht anders als für private.
Beschleunigung und Verlangsamung Egal, was wir tun, wir gestalten Zeit, letzten Endes unsere Lebenszeit. Wir tun dies insbesondere durch die Entscheidung für bestimmte Themen, denen wir uns widmen und damit natürlich zugleich durch die Entscheidung
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gegen andere Themen, denen wir uns weniger oder gar nicht widmen, wir tun es durch die Art und Weise, wie wir die Beschäftigung mit „unseren Themen“ zumindest implizit strukturieren, wie wir z.B. Phasen gestalten (Vorbereitung, Start, Hauptteil, Iterationen, Intermezzi, Abschluss) und natürlich auch durch das Tempo, das wir machen oder zumindest mit zu beeinflussen suchen. Damit soziale Interaktionen – jedweder Art, beruflicher oder privater Natur – produktiv gelingen, brauchen sie ein gutes Tempo. Doch was ist ein „gutes Tempo“ und woran erkennt man, dass es da ist oder fehlt? Gut ist es hier, zunächst auf bestimmte paradoxe Effekte zu achten, und dies gilt ganz besonders für das Thema Schnelligkeit im Sinne eines hohen Tempos. In einer Zeit, die einerseits durch einen immer noch zunehmenden wirtschaftlichen Ergebnis- und Effizienzdruck sowie die wachsende Vielfalt gleichzeitig zu verarbeitender Themen und Inputs gekennzeichnet ist und die andererseits auch technisch immer stärker und universaler Tempo ermöglicht, z.B. in der medialen Kommunikation oder der Produktion und Distribution von Erzeugnissen, ist Geschwindigkeit sowohl ein elementarer Standard als auch eine permanente Forderung. Alles soll schnell gehen. Selbst wenn es schnell geht, müsste es eigentlich noch schneller gehen. Und wenn es einem zu langsam vorkommt, soll es natürlich erst recht schneller gehen. Naheliegend ist daher der Impuls, da, wo es einem insbesondere bei erfolgskritischen Themen an Tempo zu mangeln scheint, mehr Tempo zu machen, um die Sache zu beschleunigen. Der kontroverse Agendapunkt in der Besprechung soll in kürzerer Zeit abgehandelt werden, der schwierige Mitarbeiter soll sich endlich „vernünftig“ verhalten, das nur zögerlich gestartete Change Projekt soll nun „mit Volldampf“ vorangetrieben werden. Mit Druck wird das Tempo erhöht – jedenfalls vermeintlich. Denn auch wenn das Ziel, den Prozess zu beschleunigen, durchaus sinnvoll sein mag; die Wahl der Mittel ist es oft nicht. Der konflikthafte Punkt poppt auch in den nächsten Besprechungen immer wieder hoch (ganz abgesehen davon, dass er zwischendurch seine Blüten treibt), der Mitarbeiter verhält sich nach wie vor nicht „vernünftig“ und die Umsetzung des Change Projekts hakt immer mehr. Noch stärkere Beschleunigungsversuche sind die Antwort. Um einen komplexen und ins Stocken geratenen Prozess zu beschleunigen, ist es nicht selten erforderlich, bewusst zu verlangsamen: einen Schritt zurück zu gehen, um ungeklärte Prämissen zu beleuchten, von der Forcierung der Maßnahmen erst einmal wieder abzusehen und in ein gemeinsames Problemverständnis als Fundament zu investieren, Zeit zu geben, dass ernsthafte Bedenken und Sorgen artikuliert werden können oder sich Zeit zu nehmen, damit die tiefer liegenden Konfliktpunkte ernsthaft besprochen werden können. Um zu spüren, welche Maßnahme jeweils angeraten sein
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könnte, ist ein wacher Blick auf den Prozess erforderlich (siehe dazu auch den Abschnitt über Struktur- und Prozessorientierung) sowie das Durchbrechen des manchmal geradezu reflexhaften Drangs auf ein wahrgenommenes Geschwindigkeitsdefizit in jedem Fall mit Tempoerhöhung zu reagieren. Gutes Tempo braucht Zeit. Gutes Tempo braucht aber auch Geschwindigkeit – wie immer diese im Einzelnen aussehen kann und soll. Manchmal geraten Prozesse einfach deshalb ins Stocken, weil es an angemessener Strukturierung, Taktung oder spannenden neuen Impulsen fehlt. Tempo und Energie gehen verloren, sofern sie überhaupt je zustande gekommen waren, und das Ganze – das Vier-Augen-Gespräch, das Meeting, der Veränderungsprozess etc. – droht zu verplätschern. Verplätschern oder Gar-nicht-erst-in-Gang-Kommen kann dabei natürlich auch aus einem Mangel an Motivation entstehen. Die Beteiligten gehen die Sache nur zögernd, stockend, gebremst oder immer wieder vom Wege abkommend an, weil sie sie eigentlich gar nicht angehen wollen. Der Mangel an Tempo und Motivation und die gleichzeitige Verführung immer neue Nebenschauplätze aufzusuchen, stellen die Weichen in Richtung weiter zunehmenden Tempo- und Effektivitätsverlusts. Stehen dabei wichtige und zeitkritische Dinge auf dem Spiel, so passiert es mit größerer Wahrscheinlichkeit, dass man sich schließlich einer Situation gegenübersieht, in der man zu schnellem Handeln, was dann für gewöhnlich weniger Agieren als Reagieren ist, gezwungen wird. Der Grund hierfür ist einfach: Während man zu Beginn noch einen relativ großen Gestaltungsspielraum hatte, den man aber (weitgehend) ungenutzt hat verstreichen lassen, haben sich gegen Ende die Umstände so verändert und verschärft, dass man sich in einer Situation hohen Handlungsdrucks bei gleichzeitig stark eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten befindet. Um einer solchen destruktiven Dynamik entgegenzuwirken oder gar nicht erst in sie hinein zu kommen, bedarf es zumindest eines Stücks Reflexion – egal ob man für sich selbst oder mit anderen gemeinsam über die Lage nachdenkt (s. dazu auch den Beitrag zum Thema Reflexion in diesem Buch). Und dies ist im ersten Schritt abermals eine Verlangsamung, allerdings eine bewusst gewählte. Es geht um die Frage, was wo blockiert und wie man die Blockaden sinnvoll lösen kann. Lösen heißt dann immer auch Fahrt aufnehmen und im Rahmen des Möglichen Tempo entwickeln: Fordernde, gleichzeitig aber noch realistische Ziele, eine klare Taktung, ein konsequentes Am-Ball-bleiben und Nachverfolgen, provokante Zuspitzungen von Wahrnehmungen und Meinungen, eine zeitliche Verdichtung von Ereignissen – all dies und anderes mehr sind Mittel, um Tempo aufzunehmen, zu halten oder zu steigern.
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Nötig ist letzten Endes eine gute Balance von Beschleunigung und Verlangsamung. Beschleunigung braucht man, um in Schwung zu kommen oder Schwung zu steigern und Verlangsamung braucht man, um Reflexion, Verarbeitung, systematisches Lernen oder schlichtweg Ruhe und Rekreation zu ermöglichen. Soziale Prozesse zu steuern hat an dieser Stelle eine deutliche Parallele zur Musik: die Kunst besteht ganz wesentlich auch darin, verschiedene Tempi organisch in ein Wechselspiel miteinander zu bringen.
Verbalisierung und Verkörperung Interaktion zwischen Menschen ist immer zugleich auch Kommunikation, und Kommunikation läuft gemeinhin zu einem ganz erheblichen Teil über den – wie auch immer organisierten – Austausch von Worten. Neben dem verbalen Teil gibt es aber zugleich auch wichtige non-verbale Komponenten in jeder Kommunikationssituation. Hierzu gehören natürlich alle Phänomene der Körpersprache, wie Gestik, Mimik, Körperhaltung, -bewegung; hierzu gehört aber auch das, was etwa der Rahmen, der Ort, das Setting einer Interaktionssituation zum Ausdruck bringen. Ebenso wie – unwillkürlich stattfindende – körpersprachliche Signale viel über Stimmung, Spannung, Interesse, Motivationslage oder Haltung zum Gegenüber verraten, so verraten Charakteristika des gewählten Rahmens, des Orts, des Settings viel über Werte, Wichtigkeiten, Hierarchie, Formen des Miteinanderumgehens und anderes mehr. In unserer westlichen Kultur sind wir allerdings stark darauf ausgerichtet, auf die Ebene der Sachlagen, der Aussagen, der Inhalte, der Meinungen und Worte zu achten und dies oft auf Kosten der Wahrnehmung dessen, was sich bei unserem Gegenüber oder in einem Situationskontext non-verbal manifestiert. Ganz besonders gilt dieses Übergewicht der bewussten Beachtung des Verbalen gegenüber dem Non-verbalen für Business- und Organisationskontexte. Natürlich braucht man, um Geschäfte machen und Organisationen funktionsfähig halten zu können, ein größeres Maß an Explizitheit, Klarheit, Transparenz, Struktur und Standardisierung – und all dies erfordert Formen von Verbalisierung und ebenso auch numerischer Kennzeichnung als Mittel der Bündelung, Vergleichbarkeit und Objektivierung. Gleichzeitig drohen non-verbale Phänomene dabei zu sehr aus dem Fokus zu geraten. Dabei ist es nicht so, dass man auf diese nicht reagiert. Wir alle reagieren permanent und durchaus stark auf Implizites, Situatives, Atmosphärisches und non-verbal zum Ausdruck Gebrachtes. Es entstehen Eindrücke und Gefühle, wie „mag ich“, „mag ich nicht“, „passt“, „passt
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nicht“, „tut mir gut“, „tut mir nicht gut“, „ist hilfreich“, „ist schädlich“, „ist harmlos“, „ist gefährlich“ etc. Werden uns solche Eindrücke und insbesondere ihr Zustandekommen in unserer Wahrnehmung allerdings nicht bewusst, so eröffnen wir uns kaum die Chance, sie mit Abstand betrachten, gezielt überprüfen, in Frage stellen oder revidieren zu können. Stattdessen werden wir auf ihrer Basis relativ unreflektiert handeln, was – jedenfalls, wenn es schlecht läuft – zu Einseitigkeiten, Tunnelblickphänomenen, sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, Reibungsverlusten oder vermehrten Konflikten führen kann. Wichtig ist es also, die Antennen für eine bewusste Wahrnehmung des Non-Verbalen und seiner Effekte in Interaktionen zu erhöhen. Und dies zu tun erfordert kein Zauberwerk. Nötig ist vor allem dreierlei. Zum einen ist es wichtig, überhaupt die Bereitschaft zu haben, auf Non-verbales gezielt zu achten. Dafür muss man sich aber zunächst die Erlaubnis geben, immer wieder mit der eigenen Wahrnehmung von den Worten weg- und zu nonverbalen Phänomenen hinzuzoomen. Hierfür reichen oft schon wenige Sekunden, in denen man für gewöhnlich verbal nicht allzu viel verpasst, da auf der Ebene der Worte im allgemeinen reichlich Redundanz produziert wird, so dass man Momente nutzen kann, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass Nennenswertes gesagt wird, ohnehin als gering einzuschätzen ist. Dass die Umsetzung dieser Wahrnehmungsabsicht trotzdem nicht trivial ist, hängt damit zusammen, dass unsere Fixierung auf Worte, Zahlen, Daten, und Fakten zumeist von nicht zu unterschätzender Hartnäckigkeit ist. Zweitens ist es wichtig, non-verbale Phänomene in ihrem Kontext zu betrachten. Genauso wie verbale Symbolisierungen haben auch nonverbale Ausdruckformen keine isolierte, gleichsam kontextfreie Bedeutung (nach dem Motto: ein Schreibtisch zwischen Chef und Mitarbeiter bedeutet immer hierarchische Distanziertheit, vor dem Brustkorb verschränkte Arme deuten immer auf Ablehnung hin etc.); vielmehr ergibt sich der Stellenwert solcher Phänomene immer erst aus dem Zusammenhang heraus, in dem sie sich befinden. Sinnvoll ist es daher, auf Bezüge im Kontext zu achten: z.B. darauf zu sehen, ob man sein Gegenüber bei dem gerade anstehenden Thema körpersprachlich vielleicht ganz anders erlebt als sonst oder als bei den Themen, um die es zuvor ging (vielleicht deutlich angespannter und bedrückter oder umgekehrt viel freier und lockerer), ob man deutliche Diskrepanzen zwischen Worten und körperlichem Ausdruck wahrnimmt (z.B. ein verbales „ja, sicher“ und ein non-verbales „auf keinen Fall“), ob sich auf einer non-verbalen Ebene bestimmte schon bestehende Eindrücke verdichten oder sich vielleicht aufschlussreiche Ergänzungen und weitere Facetten ergeben etc. Drittens schließlich ist es hilfreich, die aus situativen, atmosphärischen, körpersprachlichen und ähnlichen Eindrücken sich ergebenden Gefühle
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und Wertungen bewusst zu registrieren, ohne diese Gefühle und Wertungen in jedem Fall als letzte Instanz gelten zu lassen. Erforderlich ist hierfür ein Stück Abstand; und Abstand meint nun nicht, sich die wahrgenommenen Gefühle und Wertungen ausreden oder verbieten zu wollen. Ein solches Unterfangen ist für gewöhnlich wenig aussichtsreich. Abstand zum eigenen Fühlen und Werten zu nehmen heißt, zunächst eher beschreibend festzustellen, welche Gefühle und Wertungen gerade da sind und diese dann – statt sie zu unhinterfragten Prämissen des eigenen Handelns zu machen – als wichtige Information über die Situation und das eigene Reagieren zu nutzen, z.B. als Information darüber, was ein bestimmtes Gegenüber in einem auslöst, welche Bedürfnisse vom anderen und von einem selbst dabei deutlich werden, welche Handlungsimpulse entstehen, was die Folgen der Umsetzung dieser Handlungsimpulse wären etc. Eigenes Fühlen und Werten in solcher Weise zu reflektieren kann in vielen – auch verbal geprägten – Situationen sinnvoll sein, und dies umso mehr, je mehr auf dem Spiel steht und je mehr die Gefahr besteht, sich auf bestimmte Gefühle und Wertungen einseitig zu kaprizieren. Im Zusammenhang mit non-verbalen Phänomenen ist eine solche Reflexion jedoch schon deshalb besonders wichtig, weil diese Phänomene uns typischerweise eher unterschwellig, unbewusst, quasi subkutan oder verwoben mit anderem tangieren. Je mehr es uns gelingt, non-verbale Informationen über uns selbst, unsere Interaktionspartner und die Kontexte, in denen wir uns befinden, bewusst in unsere Wahrnehmung zu integrieren, desto größer ist die Chance auf ein angemesseneres Verständnis und ein produktiveres Handeln in der jeweiligen Situation. Dies zeigt sich oft schon daran, dass bei einem besseren Gespür für das Non-Verbale auch die Worte noch deutlich klarer, prägnanter und zielführender werden. Und bisweilen braucht man dann sogar viel weniger von ihnen.
Abschließende Bemerkungen Die Kunst soziale Prozesse professionell zu steuern, lässt sich beschreiben als die Kunst die Polaritäten sozialer Prozesse sinnvoll zu integrieren. Und integrieren heißt – wie die vorangegangenen Abschnitte zu zeigen versucht haben – hier nicht, die berühmte „goldene Mitte“ zu suchen oder mal dieses und mal jenes zu tun, sondern integrieren meint die wechselseitige produktive Verstärkung der jeweiligen Pole. Diese wechselseitige Verstärkung ist ein hoch dynamischer Prozess, der von Situation zu Situation anders aussieht und es in Abhängigkeit von den Anforderungen der jeweili-
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gen Situation auch mit sich bringen wird, dass einmal die eine und einmal die andere Seite einer Polarität klar im Vordergrund steht, ohne dass damit allerdings die Bezogenheit auf die dann situativ untergeordnete Seite verloren ginge. Mit den Spannungsfeldern sozialer Prozesse verhält es sich hier durchaus ähnlich wie mit bestimmten Eigenschaften von Persönlichkeit, für die in den letzten Jahren oder in der Kulturgeschichte überhaupt immer wieder eine polare Integration diskutiert und als Ideal markiert wurde. Eigenschaften, an die man diesem Zusammenhang denken könnte, sind etwa: Einfühlungsvermögen und Durchsetzungskraft, Tatkraft und Reflexivität, Spontaneität und Besonnenheit oder soziale Bezogenheit und Unabhängigkeit. Auch für solche Eigenschaftspaare lässt sich die These vertreten, dass im Idealfall eine gute Ausprägung der einen Seite die gute Ausprägung der anderen mit sich bringen und verstärken wird. Ähnlich wie in Hinblick auf all die Eigenschaften, die man als Person wünschenswerterweise in sich integrieren sollte, kann man nun allerdings auch in Hinblick auf die Polaritäten sozialer Prozesse fragen, ob deren Integration angesichts der Endlichkeit und Fehlbarkeit der Prozessgestalter (Menschen!) und angesichts der multiplen, immer wieder konflikthaften und druckvollen Situationsanforderungen überhaupt in irgendeiner Weise realistisch ist, oder ob es zwar vielleicht ganz schön wäre, wenn es anders wäre, letzten Endes aber doch alles so bleibt, wie es ist. Um diese Frage ins rechte Licht zu rücken, ist es gut, zunächst zu erkennen, dass ein Ideal ein Ideal ist. D.h., dass alle Polaritäten sozialer Prozesse am besten noch in jedem Moment voll integriert sind, ist schlichtweg nicht zu erwarten. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht sinnvoll ist, eine möglichst gute Annäherung zu versuchen und dass im Einzelnen eine mehr oder weniger starke Annäherung auch stattfinden kann. Natürlich geht es nicht darum, zehn oder wie viel Polaritäten auch immer quasi als ständige Checkliste an die Beurteilung des Gelingens sozialer Interaktionen anzulegen oder diese Interaktionen mithilfe dieser Checkliste „korrekt“ konstruieren zu wollen. Dies wäre ersichtlicherweise unfruchtbar und lächerlich. Sehr wohl ist es aber möglich, das Ideal polarer Integration im Hinterkopf zu haben und etwas dazu beizutragen, dass dieses Ideal in sozialen Interaktionen ein wenig mehr mit Leben erfüllt wird. Und dafür kann man z.B. die Kenntnis nutzen, wo in der Interaktion mit dem Gegenüber, dem Team, der Organisationseinheit oder womit auch immer man es gerade zu tun hat, typischerweise Einseitigkeiten drohen; man kann Selbstkenntnis nutzen, z.B. die, wann man selbst tendenziell zu sehr in eine Richtung läuft und die, welche eigenen Ressourcen man nutzen kann, um dem sinnvoll vorzubeugen; man kann – jedenfalls bei wichtigeren Situationen – sich schon im Vorfeld ein wenig einstimmen und rüs-
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ten, um die Weichenstellung für eine produktive Balance zu erhöhen; man kann sich fragen, welche Qualitäten in der Interaktion, die gerade passiert, auf keinen Fall verloren gehen sollten; man kann und sollte ein waches Auge auf den jeweiligen Prozess haben; man darf Neugier und Lust einsetzen und nicht zuletzt auch die gute Zuversicht, dass es eine reelle Chance gibt, in der jeweiligen Situation zumindest eine einigermaßen produktive Balance miteinander herzustellen zu können.
Fragen zu Polaritäten
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Fragen zu Polaritäten Wenn Sie zunächst auf sich selbst, Ihre eigene Persönlichkeit, schauen, welche polaren Persönlichkeitseigenschaften nehmen Sie bei sich selbst als tendenziell gut integriert wahr? Beispiele, an die sich denken ließe, sind etwa: Einfühlungsvermögen und Durchsetzungskraft, Handlungsstärke und Reflexivität, Besonnenheit und Risikobereitschaft, Entschiedenheit und Aufgeschlossenheit, Genauigkeit und Spontaneität, Rationalität und Emotionalität, Leistungs- und Lustorientierung, Gestaltungswille und Hingabevermögen etc. Was hilft Ihnen und hat Ihnen geholfen, diese Integration zu leben? Wie strahlt diese Integration auf andere ab? Bei welchen polaren Persönlichkeitseigenschaften fällt Ihnen andererseits eine Integration schwerer? Wie zeigen sich diese Schwierigkeiten für Sie selbst und andere und was ruft sie hervor? Was ist es wohl, was Sie zumindest bisweilen offenbar verführt, zu sehr die eine Seite der jeweiligen Polarität zu leben? Welche Annahmen, Gedanken und Sorgen stecken dahinter? Was könnte es andererseits für Sie wohl attraktiv machen, zumindest in der einen oder anderen Situation etwas stärker auch die andere Seite der jeweiligen Polarität mit Leben zu füllen? Wie wirken sich die bei Ihnen persönlich gut und weniger gut integrierten Spannungsfelder auf die Gestaltung von Interaktionen in Ihrem beruflichen Umfeld aus? Wenn Sie die Liste der Polaritäten sozialer Prozesse noch einmal vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen (Ergebnis- und Erlebnisorientierung, Struktur- und Prozessorientierung, Selbstbezogenheit und Fremdbezogenheit, Positionierung und Erkundung, Vereinfachung und Differenzierung, Akzentuierung und Relativierung, Abstrahierung und Spezifizierung, Annäherung und Distanzierung, Beschleunigung und Verlangsamung, Verbalisierung und Verkörperung): was würden Sie sagen, bei welchen Polaritäten es Ihnen tendenziell gut gelingt, sie in Interaktionen zu integrieren und bei welchen Polaritäten Sie sich damit schwerer tun? Wenn Sie an professionelle Kontexte denken, in denen Sie sich bewegen, welche typischen Einseitigkeiten in der Gestaltung sozialer Prozesse fallen Ihnen dabei spontan ein? Wo stören Sie diese Einseitigkeiten ganz besonders? Was be- oder verhindern diese Einseitigkeiten, da wo sie auftreten, besonders? Was tragen wohl Sie selbst – zumindest bisweilen – zum Zustandekommen dieser Einseitigkeiten aktiv mit bei?
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Und was könnten Sie andererseits tun, um in den entsprechenden Situationen die Chance auf eine bessere Balance und damit auf einen größeren Erfolg zu erhöhen?
Brücken in den Alltag Eine Desintegration der Polaritäten sozialer Prozesse ergibt sich für gewöhnlich aus vermeintlichen Sachzwängen heraus: weil man denkt, die angestrebte Ergebniserreichung sei in Gefahr, verfolgt man zunehmend radikaler und eingleisiger den scheinbaren Weg dahin, ohne zu merken, dass die Identifikation und Motivation der anderen Beteiligten (und damit zentrale Quellen für die Ergebniserreichung) weitgehend auf der Strecke bleiben; weil man denkt, jetzt sofort handeln zu müssen, verzichtet man auf ein weiteres Erfragen und Erkunden des Themas und handelt so auf der Basis inadäquater Prämissen oder ohne hinreichende Abwägung möglicherweise besserer Alternativen; weil man glaubt, der andere bewege sich zu langsam, versucht man ihm nachdrücklich Dampf zu machen, woraufhin der andere sich noch langsamer bewegt .... Um zu einer besseren Integration der Polaritäten sozialer Prozesse und damit auch zu einer besseren Performance zu kommen, ist es zunächst wichtig, Dynamiken, die in solche kontraproduktiven Einseitigkeiten hineinführen, möglichst frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Sobald man den Eindruck gewinnt, dass man in Interaktionen anderen gegenüber oder auch mit anderen zusammen auf ein im Kern wiederkehrendes Problem eine bestimmte Vorgehensstrategie verstärkt, wobei durch diese Verstärkung („mehr des selben“) das Problem nicht gelöst wird, sondern erhalten bleibt oder sich sogar verschlechtert, ist es an der Zeit, sich ernsthaft zu fragen, was man eigentlich erreichen möchte und ob der eingeschlagene Weg dorthin wohl erfolgversprechend ist. Sofern die Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet, ist es sinnvoll, einen Strategiewechsel in Betracht zu ziehen; und Strategiewechsel meint hier besonders, die für die erfolgreiche Gestaltung der Situation relevanten, aber bislang durch die einseitige Kultivierung ihrer polaren Gegensätze zu kurz gekommenen Faktoren zu erkennen und stärker ins eigene Handeln zu integrieren – selbst wenn dies auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen sollte (wie z.B. die bewusste Verlangsamung des Prozesses bei einer angestrebten Beschleunigung der Zielerreichung). Gut ist es dabei, möglichst explizit über Risiken nachzudenken. Die Veränderung der eingeschlagenen Strategie ist natürlich genauso wenig
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risikofrei wie ihre – mehr oder weniger penetrante – Beibehaltung. Oft werden Risiken allerdings überschätzt, gerade wenn es um Veränderungen geht. Hier ist eine realistische Betrachtung gefragt. (Hilfreich ist dafür oft, Risikoszenarien konkret auszubuchstabieren und zu prüfen, wie wahrscheinlich und schädlich sie wohl wirklich wären.) Einseitigkeiten in der Gestaltung sozialer Prozesse ergeben sich oft auch kulturbedingt. Jede Organisations-, Abteilungs- oder Teamkultur hat ihre spezifischen Charakteristika; und zu diesen Charakteristika gehören natürlich auch bestimmte immer wieder als schwierig, kritisch oder ärgerlich wahrgenommene Phänomene. Über solche Phänomene wird gern geklagt, wobei jeder sich primär in der Rolle des Leidtragenden sieht, z.B. „Hier im Team hört keiner dem anderen wirklich zu oder fragt nach. Jeder verkündet immer nur seine Weisheiten“, „Statt zu gucken, was der Kunde / der Mitarbeiter / die Einheit ... wirklich braucht, beschäftigt man sich hier immer nur mit Regularien, Formalien und (sinnlosen) Schemata.“ Natürlich kann keiner allein Kultur revolutionieren. Aber jeder trägt auf seine Weise zu ihrer Entfaltung bei. Es lohnt sich zu reflektieren, an welchen Stellen man – vielleicht ganz unbeabsichtigt – die durch die herrschende Kultur sich ergebenden Einseitigkeiten in der Gestaltung sozialer Prozesse mit verstärkt. Oder umgekehrt gesagt: an welchen Stellen kann man durch eigenes Tun und Gestalten ganz konkret mit dazu beitragen, dass eine sinnvollere Balance entsteht, z.B. indem man in einer Umgebung des NichtZuhörens und Nicht-Nachfragens selbst Zuhören und Nachfragen praktiziert und damit auch demonstriert oder indem man in einem überstrukturierenden bürokratischen Umfeld in sinnvoller Weise flexible Prozessorientierung und Mut zum unbürokratischen Handeln zeigt. Vier relativ schlichte Dinge sind es, die in diesem Zusammenhang oft kleine Wunder tun: das Ernstnehmen eigener (Miss-)Empfindungen, eine Idee, dass / wie es besser aussehen könnte, das Ausprobieren etwas anderer Verhaltensweisen und eine kleine Portion Geduld.
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Weiterführende Literatur Aristoteles (2004) Die Nikomachische Ethik. DTV, München Argyle M (1972) Soziale Interaktion. Kiepenheuer & Witsch, Köln Groeben N (1986) Handeln, Tun, Verhalten als Einheiten einer verstehenderklärenden Psychologie. Francke, Tübingen Groeben N (1992) Die Kontraststruktur menschlichen Denkens zwischen Dogmatismus als kurzschlüssiger Polarisierung und polarer Integration als Entwicklungsziel. Bericht aus dem Psychologischen Institut der Universität Heidelberg, Universität Heidelberg Maslow AH (2000) Psychologie des Seins. Fischer, Frankfurt am Main McMullan WE (1976) Creative individuals: Paradoxical personages. Journal of Creative Behaviour 10: 265–275 Neuberger O (1983) Führen als widersprüchliches Handeln. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 27: 22–32 Schein EH (2003) Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edition Humanistische Psychologie, Bergisch-Gladbach Schulz von Thun F (1989) Miteinander reden (Bd 2). Rowohlt, Reinbek Senge PM (1996) Die fünfte Disziplin. Klett-Cotta, Stuttgart Senge PM, Kleiner A, Smith B, Roberts C, Ross R (2000) Das Fieldbook zur Fünften Disziplin. Klett-Cotta, Stuttgart
Leistungsprozesse steuern Wolfgang Reiber
Der Beitrag untersucht die Steuerung von betrieblichen Leistungs- und Veränderungsprozessen in Organisationen. Unterschiedliche Aspekte solcher Prozesse werden betrachtet und zu Clustern zusammengefasst: Sachrationale Prozesse, die der effizienten Erledigung von Sachaufgaben dienen und den Mitarbeitern oft in formalisierter Form vorgeschrieben werden, sowie psychosoziale Prozesse, die informeller Natur sind und aus den komplexen sozialen Interaktionen der beteiligten Menschen hervorgehen. Zum Themenfeld Sachprozesse wird insbesondere untersucht, ob und wie ihre Optimierung und anschließende Standardisierung in einer von Unbestimmtheit und Turbulenzen geprägten Welt funktionieren kann. Beim Themenfeld psychosoziale Prozesse geht es insbesondere um die Ursachen und die Folgen menschlichen Verhaltens im Steuerungszusammenhang. Danach werden die Dynamik und die daraus resultierende Strukturbildung von Gemeinschaften betrachtet. Die Konzepte der Fremd- und Selbstorganisation spielen dabei eine prominente Rolle. Überlegungen zur Steuerung von Leistungs- und Veränderungsprozessen, die sowohl die sachrationalen als auch die psychosozialen Aspekte gleichermaßen berücksichtigen, schließen sich an. Am Ende des Beitrags stehen Fragen für die Praxis und Brücken in den Alltag.
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Leistungsprozesse steuern
Der Begriff „Steuerung“ ist den meisten von uns gut vertraut. In einer technisierten Welt sind wir unaufhörlich dabei, etwas zu steuern. Das betrifft z.B. Utensilien unserer privaten Umwelt – Haushaltsgeräte, Musikanlagen, Telefone etc. Fast jeder weiß, was es heißt, ein Auto oder den Computer zu steuern. Nicht ganz so klar dagegen ist, wie wir uns selbst in knapper werdender Zeit angesichts vielfältiger und widersprüchlicher Anforderungen erfolgreich steuern sollen. Noch andere Probleme tauchen auf, wenn Manager Fabriken steuern oder Führungsgremien größere Veränderungsprozesse in Organisationen, wenn Trainer Sportmannschaften steuern, Lehrer Schulklassen, Eltern ihre Kinder (oder ist es umgekehrt?) und die Bundeskanzlerin die Geschicke unseres Landes. Der Steuerungsbedarf ist allgemein hoch und scheint in unseren turbulenten Zeiten weiter zuzunehmen. Was aber heißt „Steuerung“ eigentlich? Und handelt es sich bei den genannten Beispielen um ein und dasselbe? Offensichtlich nicht. Wenn steuern bedeutet, jemanden oder etwas zu einem gewünschten Ziel hinzubewegen, sieht erfolgreiche Steuerung je nach Gegenstand, Zielsetzung und Voraussetzungen sehr unterschiedlich aus. Das ist wenig überraschend. Technische Aggregate funktionieren anders als Personen und diese wiederum anders als Gruppen, Organisationen oder Gesellschaften. Vor allem, wenn es gilt, das Verhalten anderer Menschen zu steuern, wird es schwierig. Die Zeiten eines unbedingten Autoritätsgehorsams sind (zum Glück) vorbei, absolute Identifikation mit dem vorgegebenen Ziel ist selten und Verhandlungs- und Überzeugungsprozesse sind mühsam und zeitaufwändig. Viele Menschen reagieren uneinsichtig und widerspenstig, wenn sie von anderen gesagt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben. Manche Führungskräfte ignorieren deshalb lieber die soziale Natur von Organisationen und tun so, als ob Unternehmen, Werke oder Abteilungen wie technische Aggregate gesteuert werden könnten – in der Regel mit mäßigem Erfolg. Einige verwechseln ihren Verantwortungsbereich mit einem Computerplanspiel. Weder erkennen sie sich selbst als Teil dessen, was sie zu steuern versuchen, noch verstehen sie die sozialen Zusammenhänge und Dynamiken in ihrem Bereich. Ohne Berücksichtigung der sozialen Natur von Organisationen und ohne persönlichen Kontakt zu den Menschen können sie jedoch die Wirkung, die sie sich wünschen, nicht erzeugen. Andere Führungskräfte reagieren auf Eigensinn und Widerspenstigkeiten ihrer Mitarbeiter mit hierarchischen Anweisungen und Drohgebärden, was oft Identifikations- und Motivationsverluste bis hin zu heimlichen Boykottmaßnahmen auslöst. Die sozialen Folge- und Nebenwirkungen können teurer werden als es der autoritär durchgesetzte Erfolg wert ist. Wieder andere Führungskräfte begeben sich in einen zeit- und energieintensiven Auseinandersetzungsprozess, der Be-
Omas 80. Geburtstag
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wegung auslöst, aber möglicherweise nicht genügend viel, nicht in die gewünschte Richtung oder mit der notwendigen Geschwindigkeit. Die folgenden Überlegungen zielen auf die Steuerung von Leistungsprozessen in sozialen Systemen wie Gruppen, Abteilungen oder Unternehmen. Welche Steuerungslogik gibt es und welche Leitvorstellungen des Steuerns liegen dahinter? Welche Art von Steuerung verspricht Erfolg, was kann dabei aber auch grundlegend schief gehen? Als Einstieg dazu dient eine kleine Geschichte aus dem privaten Alltag. Anschließend wird eine analytische Unterteilung des Geschehens in Organisationen in sachrationale Prozesse und psychosoziale Prozesse vorgenommen, die sich wechselseitig beeinflussen und das beobachtbare Geschehen um uns herum wesentlich bestimmen. In diesem Zusammenhang werden einerseits Managementvorstellungen wie die der Zweckrationalität, der Organisierbarkeit und Machbarkeit oder der Einheit der Steuerung, andererseits die Eigengesetzlichkeiten und Widerspenstigkeiten von Menschen und Gemeinschaften betrachtet. Danach wird es um die Steuerung von sozialen Systemen und in diesem Zusammenhang um die Integration von sachrationalen und psychosozialen Prozessen gehen. Dabei wird u.a. die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdorganisation eine wichtige Rolle spielen. Beide Konzepte haben Vorteile, aber auch Begrenzungen und Nachteile. Die Überlegungen werden gegen Ende dieses Kapitels eingehen in das Thema Steuerung von größeren Veränderungsprozessen in Organisationen. Fragen für die Praxis und Brücken in den Alltag schließen den Beitrag ab.
Omas 80. Geburtstag Die folgende Geschichte zeigt, was aus einem gut gemeinten und sorgfältig erstellten Plan in der Realität werden kann. In wenigen Wochen ist es soweit: Oma wird 80. Ihre Söhne und ihre Tochter, Schwiegersohn und Schwiegertöchter, ihre noch lebenden drei Geschwister und viele Freunde und Bekannte freuen sich schon lange auf dieses außergewöhnliche Ereignis. Vieles muss organisiert und ein schönes und würdiges Programm, das Oma gefällt und allen Gästen hoffentlich für immer in guter Erinnerung bleiben wird, muss geplant werden. Leider bedeutet die Realisierung dieses Vorhabens Arbeit, und zwar eher viel als wenig. Und so verwundert es nicht, dass sich ausgerechnet in der kritischen Phase alle infrage kommenden Personen für ganz und gar überlastet erklären und unglücklicherweise überhaupt keine Möglichkeit sehen, sich an Planung und Vorbereitung des Festes zu beteiligen. Ein suchender Rundblick während der entscheidenden Familiensitzung knapp acht Wochen vor dem Tag X bleibt bei Her-
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bert (der zweitälteste Sohn) hängen, der kürzlich in den beruflichen Vorruhestand getreten ist und bis dahin eine gute Position in einem größeren Unternehmen inne hatte. Zur Erleichterung aller anderen wehrt er sich nur kurz gegen seine Ernennung zum Vorsitzenden (und alleinigen Mitglied) des Festausschusses. Herbert verspürt, wenn er ehrlich ist, durchaus ein gewisses Interesse an der Aufgabe, denn er vermisst den ausgefüllten Alltag seines alten Berufs. Und das bisschen Organisieren – nun, da hat er in der Vergangenheit schon ganz andere Sachen gestemmt! Herbert verlangt von seinen Verwandten allerdings die absolute Planungshoheit, also die alleinige Vollmacht zur verbindlichen Gestaltung des Festtages.
Herbert will seine Verwandten von vornherein nicht mit einbinden und den Ablauf ganz alleine festlegen, weil er denkt, es auf diese Weise einfacher zu haben. Diese Vorstellung setzt – wenig realistisch í voraus, dass Menschen freiwillig bereit sind, genau das tun, was andere von ihnen wollen, unbeeinflusst von deren eigenen Gedanken und Bedürfnissen. Herbert beginnt umgehend mit einem detaillierten Projektstrukturplan, so wie er das früher immer gemacht hat. Es ist tatsächlich allerhand zu tun: Ein geeignetes Hotel ist ausfindig zu machen, die Saaleinrichtung sowie Essen- und Getränkeangebote sind zu regeln, für Blumen, Musik und künstlerische Unterhaltung ist zu sorgen, das Programm festzulegen. Und Herbert schafft das alles tatsächlich alleine, unterstützt lediglich von seiner ihn beratenden Ehefrau. Schon 4 Wochen vor Tag X informiert er per E-Mail die lieben Verwandten über seine Planungen und seine Rollenzuweisungen. Eine prima Leistung, jedoch nicht überraschend, denn Herbert hat sich lange Zeit intensiv mit Total Quality Management und mit rationalen Verfahren der Planung und Entscheidungsfindung beschäftigt. Herberts Verwandte erweisen sich jedoch als äußerst undankbar. Die meisten nehmen ihre Post nur sehr beiläufig zur Kenntnis, reagieren gegenüber Herbert gar nicht, einige behaupten später sogar, sie hätten von ihm nie auch nur irgendetwas zugeschickt bekommen. Ausnahmen sind Omas Enkel Katrin (mit Freund Moritz), Martin (mit Freundin Nicole), Christian (mit Freundin Sandra) und Markus (derzeit ohne Freundin). Herbert hat sie dazu verdonnert, ein paar nette Sketche für Oma zu inszenieren. Die jungen Leute finden die Idee allerdings uncool und teilten dies Herbert einer nach dem anderen unmissverständlich mit per E-Mail. Erst nach dessen Hinweis, dass er die volle Autorität für die Festtagsgestaltung besitze und sie deshalb zu gehorchen hätten, stellen sie ihren (offenen) Widerstand ein. Wenige Stunden vor dem Festtag kommt es tatsächlich zu einem direkten telefonischen Kontakt zwischen den Enkeln mit dem Ergebnis, dass sie vereinbaren, irgendwann während des 80. Geburtstages irgendetwas zu improvisieren. Auch Herberts älterer Bruder Karl-Heinz meldet sich, um wegen der ihm zugewiesenen Festtagsrede zu protestieren. Er sei bis unmittelbar vor Tag X in Kur und könne sich deshalb beim besten Willen nicht vorbereiten. Herberts Hinweis auf seine ihm auch von Karl-Heinz verliehenen Befugnisse sowie die freudige Erwartung der Mutter, von ihrem ältesten Sohn geehrt zu werden (wie es sich ja auch gehört), lassen Karl-Heinz brummig einlenken.
Omas 80. Geburtstag
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Herberts Verwandte identifizieren sich nicht mit seinem Plan. Sie wollen zwar im Vorfeld möglichst wenig Arbeit haben, aber auch nicht völlig fremd bestimmt werden. Das Konzept der „Fremdorganisation“ funktioniert höchstens unter bestimmten Bedingungen, auf die später (siehe S. 64 f.) noch einzugehen sein wird. Schließlich ist es soweit! Oma ist sehr nervös (was nicht überrascht), aber auch Herbert: Wird sein Plan in allen Einzelheiten aufgehen? Wird er hinterher den verdienten Applaus erhalten, den er seiner Meinung nach in jungen Jahren viel zu wenig von seiner Mutter, den Geschwistern, Onkeln und Tanten erhalten hat? Wird es für ihn so etwas wie eine späte Genugtuung geben? Herbert steht neben Oma vor dem repräsentativen Hoteleingang und begrüßt die Gäste: Mehr als 20 Verwandte aus drei Generationen sowie etliche Freunde und ehemalige Nachbarn und Arbeitskollegen sind gekommen. Nach einem kleinen Sektempfang tritt das erste Problem auf: die Sitzordnung. Herbert hat sich viel Mühe gegeben, alle Gäste möglichst kunterbunt an den Tischen zu verteilen. Aus seiner noch nicht so weit zurückliegenden Berufstätigkeit weiß er, dass es immer und vor allem auf das Knüpfen von Kontakten ankommt. Das hat ihn bei der Planung geleitet. Größtenteils kennen sich die Tischgäste überhaupt nicht oder nur sehr entfernt. Diese sind jedoch gar nicht begeistert und glauben zunächst an einen Irrtum beim Verteilen der Tischkarten: Mit den Leuten wollen sie nicht zusammen sitzen! Gewöhnlich haben sie mit anderen Menschen hier im Raum zu tun. Worüber sollen sie sich denn mit ihren Tischnachbarn unterhalten und wie mit ihnen Spaß haben? Besonders Herberts Bruder Karl-Heinz fühlt sich benachteiligt, denn er sitzt ausgerechnet neben dem gewöhnlich sehr anstrengenden Onkel Paul, dem schwarzen Schaf der Familie. Karl-Heinz überlegt ernsthaft, ob er sich den Anweisungen seines Bruders widersetzen soll, aber schließlich setzt sich ebenso wie bei den anderen auch die gute Kinderstube zusammen mit einer Portion Selbstdisziplin durch. Die Kommunikation an den Tischen entwickelt sich mühsam. Die meisten reden irgendetwas daher, hören aber selbst kaum zu. Ein Gesprächsfluss kommt kaum zustande. Auch gibt es nur wenige, die sich positiv über das von Herbert ausgesuchte Essen äußern. An Tisch 3 spürt man allerdings Leidenschaft: Zwei Gäste geraten sich wegen der Aufteilung der Vorspeisensuppe in die Haare. Lautlos werden ähnliche Verteilungskonflikte an den Tischen 1 und 6 geregelt. Ilse ignoriert einfach, dass ihre Schwägerin Mechthild volle dreimal nachschöpft, und Susi hebt sich ihren Ärger über ihren Freund Bastian, der wirklich unverschämt mit Sandra flirtet, für später auf. Erfreulich gut und unterhaltsam spielt die von Herbert engagierte Kapelle. Oma findet sie gut, die Enkel etwas weniger. Zu einem kleinen Desaster entwickeln sich leider die Sketche, zu deren Darbietung die Jugendlichen aufgefordert werden. Lediglich Katrin, Moritz, Christian und Bastian erscheinen auf der Bühne. Sie versuchen, aus dem Stegreif etwas zu improvisieren, leider mit mäßigem Erfolg. Es fällt ihnen zunächst wenig Originelles und bald gar nichts mehr ein. Sie finden sich selbst nicht sehr witzig, und den Spruch von dem Musicload und dem
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Sony Value Pack kann Oma schlicht nicht verstehen. Sie freut sich trotzdem und nippt voller Stolz an ihrem Kirschlikör.
Wenn die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen nicht ernst genommen werden, wird über kurz oder lang Widerstand auftreten. Herbert hat viele Reaktionsweisen und Wendungen während der Geburtstagsfeier nicht vorausgesehen und eingeplant. Wie hätte er das auch tun können? Sein Plan war rigide und ließ keinen Raum für flexible Anpassungen an das reale Geschehen. Geradezu peinlich gerät die Festtagsrede vom ältesten Sohn Karl-Heinz. Sicher ist es den vielen kleinen Schnäpschen zuzurechnen, die er zur besseren Verdauung gebraucht hat. Jedenfalls warten die Gäste vergeblich auf etwas Interessantes und einen roten Faden. Sie werden jedoch schlagartig wach, als Karl-Heinz etwa in der Mitte seiner Rede ein streng beachtetes Familientabu verletzt, indem er auf die von allen vermutete Alkoholkrankheit von Onkel Paul zu sprechen kommt und Dinge ausbreitet, über die bisher nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde. Am Ende weist er gar darauf hin, dass Onkel Paul in seinen jungen Jahren ein großer Schwerenöter gewesen sein müsse, denn sonst hätte ihm seine Mutter nicht davon erzählt, wie er ihr vor gut 30 Jahren charmant den Hof gemacht habe, ohne dass Opa jemals etwas davon mitbekommen hätte. Empörte Zwischenrufe werden laut, Tante Frieda wird rot, Onkel Paul hüstelt, die Enkel kichern, und Oma bestellt sich noch einen Kirschlikör. Irgendwie kippt die Stimmung. Herbert hat sich auch für den späteren Verlauf des Abends das Programm genau überlegt, aber die Geburtstagsgäste folgen ihm nicht mehr. Sie widersetzen sich seiner Führung und stellen als erstes – selbst organisiert – eine ihren Wünschen entsprechende Sitzordnung her. Nun sitzen wieder diejenigen zusammen, die schon immer miteinander Kontakt hatten. Die Atmosphäre wird lebendiger, kreativer und die Gäste wirken irgendwie natürlicher. Ungeahnte Talente werden sichtbar. Als die Kapelle gerade eine Pause macht, nimmt Onkel Franz überraschend Platz am Klavier und spielt sehr gekonnt Omas Lieblingslied, das sie seinerzeit auf ihrer Hochzeitsreise mit ihrem vor drei Jahren verstorbenen Mann erstmals gehört hatte. Die Enkel laufen zu großer Form auf und liefern spontan eine Rap-Performance, die selbst Oma in Verzückung versetzt. Und Susis Freund Bastian erweist sich als halb-professioneller Zauberkünstler.
Die Zeit des Gehorsams ist vorbei! Ausgelöst durch die Tabuverletzung entwickelt sich eine kleine Rebellion, die eine produktive Phase der „Selbstorganisation“ einleitet (siehe zu diesem Konzept S. 64 f.). Energie, Lebendigkeit und Kreativität nehmen sichtbar zu. Ungeahnte Talente und Fähigkeiten zeigen sich plötzlich. Allerdings wird auch bald die Grundproblematik von „Selbstorganisation“ deutlich: sie steht in der ständigen Gefahr der Selbstblockade, was zu freud- und ergebnislosen Auseinandersetzungen und am Ende zu einem Zerfall der Gemeinschaft führen kann.
Prozessebenen sozialer Interaktionen
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Die wirklich geglückte, spontane Zwischenphase endet leider abrupt. Die Kapelle kehrt auf die Bühne zurück und fragt nach Musikwünschen. Die Geburtstagsgesellschaft vermag sich aber nicht darauf zu einigen, ob und was gespielt werden soll. Aus einem anfänglich kleinen Disput wird rasch ein richtiger Konflikt. Schnell bilden sich Lager: Hier diejenigen, die Country-Songs und deutsche Heimatlieder hören wollen, dort diejenigen, die modernere Musik bevorzugen. Schließlich die Jugend, die sich für das Auflegen einiger cooler CD´s ausspricht. Der Ton wird härter und unversöhnlicher. Mechthilds Stimme überschlägt sich zum zweiten Mal. Herbert steht hilflos im Raum und findet seine verloren gegangene Autorität nicht mehr wieder. Die Kapelle reagiert genervt, die Lager blockieren sich nachhaltig. Schließlich ergibt sich eine überraschende Lösung: Die Kapelle hat nach knapp 45 Minuten die Nase voll und packt zusammen. Das wirkt als Aufbruchsignal für die meisten Gäste. Herbert sucht verzweifelt Trost und Zuspruch bei Oma, sie aber versteht nicht richtig, was ihr Sohn ihr sagen möchte. Nach fünf Gläschen Kirschlikör lächelt sie glücklich. Toll, wie sich die Kinder entwickelt haben. Und wie gut sich hier alle verstehen. Einfach ein netter Abend. Danke, Herbert.
So endet die Geschichte für Herbert wenigstens teilweise versöhnlich. Ob er aber aus dem Geschehen gelernt hat? Um es vorweg zu nehmen: Herbert wird auch die Vorbereitung und Planung von Omas 85. Geburtstag übernehmen. Hierauf wird am Ende dieses Beitrags zurückzukommen sein.
Prozessebenen sozialer Interaktionen Wenn es um eine tiefer gehende Betrachtung des sozialen Geschehens geht, hat sich die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Handlungsoder Prozessebenen bewährt. Schon bei der Reflexion von Alltagserfahrungen wird deutlich, dass ein konkreter Handlungsschritt das Ergebnis unterschiedlicher Impulse sein kann, die zur gleichen Zeit wirksam werden. So waren z.B. bei Karl-Heinz, Omas ältestem Sohn, zumindest anfangs noch seine Erziehung und auch sein Sinn für soziale Konventionen wirksam. Bei seiner Festtagsrede stand er entsprechend den Planungen seines Bruders Herbert zur vorgesehenen Zeit auf und hielt sich auch etwa bei der Länge seiner Rede an die Vorgaben. Der Aufbau seiner Rede entsprach den allgemeinen Erwartungen. Er begrüßte und beglückwünschte Oma wie es sich gehörte und hieß auch die anderen Gäste willkommen. Als er feststellte, dass das, was er sagte, nicht so recht zündete, folgte er einem anderen Impuls und verließ sein Konzept. Der Mangel an Aufmerksamkeit hatte natürlich viel mit Inhalt und Form seiner Rede zu tun, aber auch mit dem Verlauf des Abends bis dahin. Die Gäste waren mit sich, mit
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ihren Nachbarn, mit Omas Lächeln beschäftigt. Jedenfalls machte KarlHeinz einige provokante Anmerkungen, von denen er annahm, dass sie die Aufmerksamkeit wieder herstellen würden. Warum das? Aufmerksamkeit von den lieben Verwandten hatte er auch früher schon oft vermisst. Deshalb meinte er, zu gröberen Mitteln greifen zu müssen. Dabei vergaloppierte er sich, übertrieb, wählte die falschen Beispiele und den falschen Ton und interpretierte die peinliche Stille auch noch als Erfolg, was ihn zusätzlich anspornte. Dass er ausgerechnet Onkel Paul auswählte, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer wieder auf sich zu richten, hat auch mit seiner persönlichen Geschichte zu tun: Mit Onkel Paul hatte er nämlich noch aus alten Tagen eine Rechnung offen. Karl-Heinz’ Verhalten folgte offensichtlich unterschiedlichen Impulsen, die von Konventionen, situativen und persönlichen Aspekten bestimmt waren. Sie ergänzten, verstärkten und widersprachen sich zum Teil. In Arbeitssituationen kommt als zusätzlicher Impulsgeber die Verfolgung eines Sachergebnisses hinzu wie z.B. die Reparatur einer Waschmaschine oder die Klärung einer Kundenanfrage. Teilaspekte des beobachtbaren Verhaltens lassen sich eindeutig verstehen, beispielsweise aus dem Auftrag oder den erklärten Intentionen des Handelnden, andere Aspekte (warum der Betreffende vielleicht besonders schnell oder aufreizend langsam arbeitet oder was ihn treibt, nebenbei durch Mimik oder Gestik seine Antipathie gegenüber einem Kollegen auszudrücken) können nur indirekt und spekulativ erschlossen werden. Wenn das konkrete Verhalten von vielen unterschiedlichen Kräften oder Impulsen beeinflusst wird, die teilweise sogar in verschiedene Richtungen wirken, liegt es nahe, zur Komplexitätsreduktion eine grobe Clusterung dieser Impulse vorzunehmen und sie bestimmten Prozessebenen zuzuweisen. In der Regel wird eine Unterscheidung in Sach- oder sachrationale Prozesse (im Folgenden werden beide Begriffe synonym verwendet) und psychosoziale Prozesse gewählt. Die Phänomene auf diesen beiden Ebenen unterscheiden sich z.B. im Hinblick auf ihre innere Funktions- und Ablauflogik. Sachrationale Prozesse sind logisch, psychosoziale Prozesse gleichfalls, sie folgen jedoch anderen Regeln – sie sind „psycho-logisch“. Durch die Unterscheidung lassen sich verschiedene Phänomene, Einflussgrößen und Teilzusammenhänge jeweils getrennt voneinander betrachten und verstehen. Mit „sachrationalem Prozess“ ist im Folgenden der sachliche Leistungsprozess gemeint, die laufende Produktion und Aneinanderreihung von Teilergebnissen ohne Ansehen von Personen. Es geht um Funktions- oder Aufgabenerfüllung. Das „Was“ steht im Vordergrund, „wer“ oder „durch wen“ sind nachrangige Fragen, jedenfalls solange der sachrationale Prozess funktioniert. Die ausführenden Personen sind austauschbar. Ziele sol-
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len erreicht werden durch die Erarbeitung einer Problemlösung, durch die Umsetzung von Maßnahmen oder durch die wiederholte Ausführung von Arbeitsroutinen. Ein Beispiel für letzteres ist die schrittweise Entstehung eines Gebäudes: Baugrube ausheben, Fundament gießen, Rohbau erstellen, Dach decken, Innenausbau vornehmen usw. Bei Omas 80. Geburtstag war Herberts Projektstrukturplan Grundlage für den Sachprozess. Er mündete in einer als Agenda formulierten Abfolge von Programmpunkten, die in ihrer Gesamtheit Oma Ehrung und Freude bereiten sollten. Die für sachrationale Prozesse typische Abstraktion von Menschen, die sie ausführen sollen, ist zunächst einmal durchaus sinnvoll. Im Vordergrund stehen die Aufgabe und die Arbeit, die getan werden muss, nicht die Personen, die nun gerade Lust haben oder auch nicht. Unter „psychosozialem Prozess“ werden im Folgenden Interaktionen verstanden, aufeinander bezogene Handlungen von Menschen, die sich an der Zusammensetzung der Gruppe oder dem Verhältnis der Gruppenmitglieder zueinander orientieren. Fragen der Gruppenzugehörigkeit, der Gruppengrenzen oder der Arbeitsatmosphäre stehen im Vordergrund, dahinter liegen Gefühle, Beziehungen, Interessen und Erlebniszusammenhänge. Bei psychosozialen Prozessen kommt es vor allem auf das „Wie“ an. Die betrachteten Interaktionen stehen nichtsdestotrotz in Verbindung mit dem Sachziel, denn seinetwegen gibt es die Gruppe oder die Gemeinschaft ja überhaupt. Je nachdem kann der psychosoziale Prozess den sachrationalen Prozess unterstützen, behindern oder verunmöglichen. Im Beispiel des 80. Geburtstages war die anfängliche Irritation über die Tischordnung ein Teil des psychosozialen Prozesses, ebenso die Kommunikation oder Nicht-Kommunikation an den Tischen, die spontane Rückkehr der gewohnten Ordnung nach dem Zusammenbruch von Herberts Autorität, das vorübergehende Aufkommen von Lust und Spontaneität oder das etwas missglückte Ende der Feier. Im nächsten Abschnitt wird auf die beiden Teilprozesse und auf ihr Verhältnis zueinander genauer eingegangen werden.
Zum Verhältnis von sachrationalem und psychosozialem Prozess Um besser verstehen zu können, was bei Leistungsprozessen eigentlich geschieht, wird zunächst der sachrationale Prozess genauer betrachtet. Was zeichnet ihn aus? Wie kommt er zustande? Wie ist seine Struktur und welche emotionale Bedeutung hat die Struktur von sozialen Abläufen überhaupt? Wie rigide oder flexibel sollten Sachprozesse deshalb gestaltet
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werden? Welche typischen Fehler passieren in unbestimmten und komplexen Problemsituationen? Der sich anschließende Abschnitt befasst sich mit psychosozialen Prozessen, zunächst mit dem einzelnen Menschen, dessen Verhalten zusammen mit dem Verhalten anderer den Prozess „produziert“. Fragen, die dabei betrachtet werden, sind insbesondere: Was geht in Menschen vor, was sehen, denken und fühlen sie, wenn sie im jeweiligen Prozess voranschreiten, alleine oder in Gruppen? Abschließend geht es um Gemeinschaften (Teams und Organisationen). Was hält die Menschen zusammen und welche Faktoren entscheiden über die Leistungs- und Funktionsfähigkeit ihrer Gemeinschaften? Mit welchen sozialen Strukturierungen und Dynamiken ist zu rechnen?
Sachrationale Prozesse Mit „sachrationalem Prozess“ ist in diesem Beitrag eine logische Abfolge von Denk- und Leistungsschritten gemeint. Diese Denk- und Leistungsschritte orientieren sich an einem zuvor festgelegten Ziel und werden meist durch bestimmte Arbeitsmittel wie Einrichtungen, Anlagen, Technologien oder Methodologien unterstützt. Inhaltlich kann es sich um einen Problemlösungsprozess handeln, dessen Ergebnis zunächst nur auf dem Papier zu finden ist. Es kann sich aber ebenso um Produktionsabläufe in der Fabrik, um Geschäftsprozesse in der Verwaltung oder um eine Marketingkampagne handeln. Wiederkehrende und mit der Zeit Routine werdende Arbeitsprozesse resultieren ursprünglich aus einem mehr oder weniger systematischen und mehr oder weniger bewussten Problemlösungsprozess. Dieser ist immer dann erforderlich, wenn die Ausgangssituation nur vage bekannt ist und Fragen nach den relevanten Zielvorstellungen, Kontextfaktoren, Problemursachen oder Lösungsverfahren zunächst nicht beantwortet werden können. Problemlösungsprozesse orientieren sich idealtypisch an einem Zyklus, der im Folgenden am Beispiel der Generierung von Organisationslösungen kurz dargestellt wird: 1. Problemdefinition: Relevante Vorfälle und Entwicklungen werden erkannt und analysiert. Dafür werden Informationen gesammelt und bewertet, Probleme und Symptome voneinander unterschieden sowie der Problemkern (als die maßgebliche Soll-/ Ist-Abweichung) geklärt. 2. Zieldefinition: Der erwünschte (Soll-)Zustand wird beschrieben und durch die Definition von Kernzielen, eventuell auch von Unter- und Oberzielen, konkretisiert.
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3. Generierung und Auswahl von Lösungsideen: Lösungsideen werden gesammelt, im Hinblick auf ihre wechselseitigen Abhängigkeiten analysiert und bezüglich ihres jeweiligen Beitrags zur Zielerreichung bewertet. Weiterhin werden die zu erwartenden Folge- und Nebenwirkungen bei einer Realisierung der Lösungsideen untersucht. 4. Sammlung und Konkretisierung von Maßnahmen sowie Planung ihrer Umsetzung: Hierfür werden unterschiedliche – kreative wie analytische – Werkzeuge (Tools) eingesetzt. 5. Tatsächliche Umsetzung der Maßnahmen: Die Pläne werden realisiert, eventuell zunächst in Pilotbereichen, und an der Wirklichkeit getestet. Möglichst regelmäßig werden Zwischenevaluationen vorgenommen, um bei Bedarf zeitnah nachsteuern zu können. 6. Gesamtevaluation und kontinuierliche Optimierung / Stabilisierung: Zum Abschluss der Problemlösungs- und Umsetzungsphase erfolgt eine Gesamtbewertung. Im positiven Fall werden die Prozesse für verbindlich erklärt, auch in anderen als den Pilotbereichen eingeführt, standardisiert, kontinuierlich verbessert (optimiert) und durch zunehmende Routine stabilisiert. 7. Veränderung bzw. Aufhebung des Sachprozesses: Wenn die etablierten Sachprozesse ihre Aufgabe nicht mehr länger lösen, vielleicht sogar selbst zum Problem geworden sind, werden sie aufgehoben oder verändert. 8. Neudefinition des Problems und Neustart des Zyklus Problemdefinition Zieldefinition Veränderung, Aufhebung des Sachprozesses Generierung und Auswahl von Lösungsideen
Evaluation, kontinuierliche Optimierung, Stabilisierung Sammlung und Generierung von Maßnahmen Umsetzung der Maßnahmen
Abb. 1. Problemlösungszyklus
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Bei der Bewertung von Sachprozessen geht es in erster Linie um Effektivität und Effizienz. Effektivität heißt Wirkung zu erzielen, und zwar in die richtige Richtung. In Unternehmen bezieht sich das vor allem auf die Erfüllung von Kundenanforderungen, denn darauf gründet die Organisation ihre Existenzberechtigung. Effizienz bedeutet, die Dinge „richtig“ zu tun, damit das gewünschte Sachergebnis nicht mehr Ressourcen (Zeit, Geld, Mühe) kostet als notwendig. Dass Sachprozesse unterschiedlich gut laufen können, entspricht unseren Alltagserfahrungen. Kellner bedienen bei gleichen Laufleistungen ihre Gäste unterschiedlich schnell. Hausarbeit geht manchen rasch von der Hand, andere brauchen dafür länger, weil sie umständlicher arbeiten. Tätigkeiten wie Türen streichen, tapezieren, Teppiche verlegen oder ähnliches dauert je nach Geschicklichkeit des Handwerkers unterschiedlich lang, weshalb es sich empfiehlt, vorher Festpreise auszumachen. Organisationen sind in ihrem formalen Teil planvoll aus Sachprozessen zusammengesetzt, die in sehr komplizierter Weise miteinander verbunden sein können. Sie sind ohne Ansehen konkreter Personen konstruiert und folgen einer linearen Wenn-Dann-Logik. Hierin ähneln Organisationen einer Maschine. Prozesse werden teilweise einzelnen Stellen zugeordnet, zum größeren Teil aber personenübergreifend (zu ihrer Erledigung müssen mehrere Personen involviert sein), abteilungsübergreifend oder sogar unternehmensübergreifend angelegt. Grundprozesse in einem Industrieunternehmen sind typischerweise Strategieentwicklung, Produktentwicklung, kundenbezogenes Design, Kundensupport, Fertigung und Auftragsabwicklung. Differenziert nach Aggregationsstufen werden Tätigkeiten, Teilprozesse und Hauptprozesse unterschieden. Hauptprozesse wiederum werden untergegliedert in Kernprozesse, die auf externe Kunden gerichtet sind, und Unterstützungsprozesse, die auf interne Kunden gerichtet sind. Die Konstruktionsweise von Organisationen legt es nahe, sie wie eine Maschine steuern zu wollen. Aus Unternehmern werden dann Maschinenführer oder Autofahrer. Beim Autofahren geht es bekanntlich darum, ein bestimmtes Fahrtziel durch die koordinierte Anordnung von aufeinander bezogenen Tätigkeiten (kuppeln, Blinker setzen, bremsen, Gas geben etc.) und durch gezielte Aufmerksamkeit z.B. möglichst rasch oder möglichst Kraftstoff sparend anzusteuern. Mit den richtigen Hilfsmitteln lässt sich für den Fachmann der optimale Weg und je nach Zielsetzung auch das optimale Fahrverhalten ermitteln. Anders ausgedrückt: Es gibt objektiv einen „one best way“, den es zu finden und beizubehalten, d.h. so weit wie möglich zu standardisieren gilt. Der amerikanische Ingenieur Frederic Taylor war wohl der erste, der Anfang des letzten Jahrhunderts die Idee des „one best way“ aufgenommen und konsequent umgesetzt hat. Für ihn funktionierte die ideale Orga-
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nisation wie eine Schweizer Uhr. Aus Werkstätten und Manufakturen wurden industrielle Fabrikanlagen, deren markantestes Erkennungszeichen Fließbänder waren. Pionierunternehmen in dieser Zeit war Ford. Die Mitarbeiter wurden quasi zu kleinen Rädchen im komplizierten Getriebe, wie es Charly Chaplin in seinem Spielfilm „Moderne Zeiten“ trefflich dargestellt hat. Autonomie- und Handlungsspielräume schrumpften drastisch zusammen, jeder hatte genau das zu tun, was sich die Fachleute für ihn ausgedacht hatten. Wissen und Ideen der Mitarbeiter waren nicht gefragt, die von den Ingenieuren in die standardisierten Prozesse eingebaute Expertise reichte völlig aus. Die wirtschaftlichen Erfolge dieser neuen Produktionsweise waren beeindruckend. Niemals zuvor in der Geschichte gab es vergleichbare Produktivitätssprünge. Sie gründeten einerseits auf dem technischen Fortschritt in dieser Zeit, andererseits aber auch auf den beschriebenen Veränderungen in der Arbeitsorganisation. Die oben beschriebene konsequente Standardisierung von Arbeitsprozessen bringt also offensichtlich Vorteile mit sich: x Durch die systematische Analyse und Planung einzelner Arbeitsschritte können die tatsächlich zielführenden Aktivitäten identifiziert und alle unnötigen Arbeitsschritte eliminiert werden. x Bei kontinuierlich gleich bleibenden Bedingungen können die einmal definierten Abläufe immer weiter stabilisiert und durch Übung sowie durch kontinuierliche Verbesserungen immer weiter optimiert werden („Lernkurveneffekt“). x Gleichartige Arbeitsabläufe führen zu gleichförmiger und mit den Prozessverbesserungen auch weiter zunehmender Qualität. x Standardisierung und einfache, klein portionierte Arbeitspakete ermöglichen rasche Einarbeitung auch für Ungelernte und damit niedrige Lohnkosten. Auch für die Mitarbeiter ergeben sich Vorteile: x Sie haben es vergleichsweise leicht, denn sie wissen genau, was zu tun ist und was auf sie zukommt. Überraschungen und der eventuell damit einhergehende Stress bleiben ihnen erspart, jedenfalls so lange alles läuft wie geplant. x Treten Komplikationen auf, sind nicht sie selbst, sondern die Experten, die in der Hierarchie über ihnen stehen, zuständig und verantwortlich. Es gibt keinen Grund, „sich verrückt zu machen“. x Aus demselben Grund ist es auch nicht notwendig, sich mit seinen Kollegen zu streiten. Jeder erledigt unabhängig vom anderen seinen Job. Zwar fügen sich die Arbeitsbeiträge der einzelnen zu einem Gesamt-
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Output zusammen, aber das liegt auf einer anderen Ebene und ist außerhalb der individuellen Perspektive und Verantwortung. x Fest programmierte Arbeitsabläufe befriedigen das Bedürfnis nach klarer Orientierung und Vorhersehbarkeit. Das stiftet Sicherheit. Wie wertvoll diese Vorteile sind, wird oft erst deutlich, wenn sich langjährig bewährte und gewohnte Prozesse nachhaltig verändern. Gewohnheiten wirken wie psychische Stabilisatoren und entwickeln mit der Zeit eine immer wieder überraschende Rigidität. Den genannten Vorteilen stehen jedoch auch Nachteile gegenüber: x Zwar stiften rigide Strukturen Sicherheit, viele Mitarbeiter werden durch sie jedoch gelangweilt. Bedürfnisse nach Abwechslung, Mitgestaltung und Herausforderungsbewältigung werden systematisch frustriert. x Mitdenken wird weder gefordert noch gefördert, was zwangsläufig dazu führt, dass die Menschen ihr persönliches Wissen und ihre Kreativität weitgehend aus dem Prozess heraushalten. Die Produktivität des vorhandenen Wissens bleibt gering. x Wenn sich die Menschen mit den Arbeitsablaufplänen nicht identifizieren, können sie nur über Sanktionen durchgesetzt und durchgehalten werden (eine Erfahrung, die bekanntlich auch Herbert bei Omas 80. Geburtstag hat machen müssen). x Ein starres und unternehmensweit gültiges Strukturierungsschema würde über kurz oder lang an der Dynamik und den widersprüchlichen Anforderungen aus dem Umfeld scheitern, denen sich Unternehmen heute typischerweise ausgesetzt sehen. Heterogenität, Unübersichtlichkeit und Unvorhersehbarkeit der Märkte sowie der Ansprüche relevanter Stakeholder (Kunden, Mitarbeiter, Eigentümer, Lieferanten, öffentliche Stellen) lassen gar keine andere Wahl, als auch die Binnenlogik heterogen, flexibel und zeitlich begrenzt zu gestalten. Keine zentrale Instanz im Unternehmen wäre imstande, alle externen Besonderheiten und jegliche Dynamik hinreichend rasch und gründlich nach innen zu übersetzen und zu harmonisieren (auch bei diesem Punkt könnte Herbert mitreden. Schon die wenig komplexe Geburtstagsfeier ließ sich nicht vorab durch ein starres Ablaufprogramm „einfangen“). Die Vorstellung, ein Unternehmen ließe sich durchgängig wie eine Maschine aufbauen und steuern, findet spätestens hier ihre Grenze. Daran könnte auch eine Belegschaft nichts ändern, die sich so diszipliniert wie eine Garnison preußischer Soldaten verhielte. Standardisierte und auf Dauer gesetzte Sachprozesse mögen sehr effektiv und effizient sein in einer Welt, die weitgehend stabil und berechenbar ist. In Taylors Zeit und noch
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lange danach war diese Voraussetzung einigermaßen gegeben. In unserer heutigen sich sehr schnell verändernden Welt sind Planungen jedoch schon oft überholt, bevor mit ihrer Umsetzung begonnen wird. So besteht permanent die Gefahr, Lösungen für die Probleme von morgen mit den Ideen von gestern zu produzieren. Möglicherweise ist es sinnvoll, im Inneren der Organisation einige Inseln der Stabilität einzurichten (z.B. in der Fertigung), aber das ist nur möglich, wenn sie durch dafür spezialisierte Funktionsbereiche abgepuffert werden. In Zeiten größerer Turbulenzen wird auch das nicht gelingen. Wenn standardisierte Sachprozesse den Anforderungen von morgen entsprechen sollen, müssen sie auf realistischen Prämissen und Zukunftsannahmen basieren. Wie leicht es passiert, dass man sich bei Eintrittswahrscheinlichkeiten von Zukunftsannahmen täuscht, zeigt folgende Rechnung: Angenommen, ein Plan basiert auf fünf Annahmen (das ist wenig). Die Eintrittswahrscheinlichkeit jeder Annahme beträgt 80 % (das ist viel). Die Gesamtwahrscheinlichkeit, dass in diesem Fall alles so kommt wie geplant und sich schließlich auch das gewünschte Endergebnis einstellt, beträgt 0,8 x 0,8 x 0,8 x 0,8 x 0,8 x = 32,7 %! Solche Überlegungen legen es nahe, Komplexität, Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit aus dem Umfeld planvoll in die Organisation mit hineinzunehmen. Sich abzuschotten und darauf zu setzen, dass Dinge, die sich gestern bewährt haben, auch morgen noch funktionieren werden, hat schon manchem Unternehmen die Existenz gekostet. Komplexität, Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit sind Kennzeichen von Situationen, die große Unsicherheit und Stress auslösen können. Unüberschaubare Vernetzungen und nicht transparente Eigendynamik sorgen immer wieder für unwillkommene Überraschungen. In sehr angespannten Situationen kann es dann zu folgenden typischen Denk- und Verhaltensfehlern kommen: x Anstelle einer wenigstens groben Situationsanalyse wird hektisch von Teilproblem zu Teilproblem gesprungen, ohne dabei irgendetwas nachhaltig lösen zu können. Solcher Aktionismus bringt immerhin das gute Gefühl mit sich, „etwas unternommen zu haben“. x Anstatt sich um das schwer fassbare Gesamtproblem zu kümmern, bearbeitet man bekannte Details oder Einzelprobleme. Hier kennt man sich wenigstens aus, auch wenn eine Gesamtlösung so nicht zustande kommen kann. x Unabhängig von der Art der Probleme wählt man bekannte Verfahren und Routinen, die sich in der Vergangenheit (unter anderen Voraussetzungen) bewährt haben. Solche Teilprozesse oder Tools mögen zur Lösung der neuen Probleme untauglich sein, werden aber dennoch vertei-
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digt oder sogar verabsolutiert, weil sie durch ihre Vertrautheit und durch die früheren Erfolge (trügerische) Sicherheit geben. x Neue, überraschende Gesichtspunkte, die im Planungsprozess oder im Zuge seiner Realisierung auftauchen, werden nicht ernst genommen und nicht berücksichtigt. Einmal gewonnene Problemsichten werden stattdessen verteidigt und gegen neue Einsichten abgeschottet, weil sonst die Unsicherheit wieder zunehmen würde. x Die Wirksamkeit getroffener Maßnahmen zeigt sich oft erst nach einiger Zeit. Wenn die Geduld, darauf zu warten, nicht ausreicht, kommt es zu Übersteuerungseffekten, die sich im Zeitablauf zu ständigen Schaukelbewegungen entwickeln können. Es ist schwierig, nicht in solche Fallen hineinzulaufen, wenn der aktuelle Druck sehr groß ist. Wir sind im Allgemeinen weder emotional noch intellektuell gut auf die Bewältigung komplexer Problemsituationen vorbereitet. Hierauf wird gegen Ende des Beitrags noch einmal näher eingegangen werden.
Psychosoziale Prozesse Psychosoziale Prozesse „bestehen“ aus sozialen Interaktionen. Sie finden ihre Form, weil Menschen so funktionieren wie sie funktionieren, individuell und kollektiv. Menschen orientieren sich in ihrem Verhalten einerseits an tradierten, gesellschaftlich „vorgefertigten“ Dramaturgien. So war bei Omas 80. Geburtstag beispielsweise den Beteiligten prinzipiell klar, was es heißt, Gast oder Gastgeber zu sein. Und Karl-Heinz begann seine Festtagsrede zumindest formgerecht. Im Rahmen solcher vorgegebener (impliziter) Dramaturgien erzeugen Menschen durch ihr Tun aber auch immer wieder zusätzliche, weiter ausdifferenzierte Verhaltensmuster, die längerfristig ebenfalls eine gewisse Stabilität erreichen. Karl-Heinz hätte innerhalb der bekannten Konventionen auch eine ganz andere Rede halten können. Ob er allerdings regelmäßig in der oben beschriebenen Weise auffällt, also ein stabiles Muster zeigt, wissen wir nicht. Psychosoziale Prozesse können sich zu den sachrationalen Prozessen neutral verhalten, sie unterstützen oder auch konterkarieren. Ein in sich zerstrittenes Team wird sich in aller Regel so verhalten, dass am Ende keine tragfähige, kreative und intelligente Problemlösung erzielt wird. Ein Team, dessen Mitglieder sich prima verstehen und Lust an der gemeinsamen Arbeit haben, wird dagegen höchstwahrscheinlich erfolgreich sein. Im Folgenden geht es zunächst um die „Produzenten“ psychosozialer Prozesse, um die einzelnen Menschen. Im Anschluss werden wichtige Er-
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folgsfaktoren und Regeln für das Funktionieren von Gemeinschaften in den Blick genommen. Der Begriff Gemeinschaft steht für Teams, aber auch für Organisationen. In beiden Fällen handelt es sich um eigenständige Sozialkörper, weil das Verhalten von Gemeinschaften mehr ist als die einfache Addition des Normalverhaltens ihrer Mitglieder. Gemeinschaften bilden mit der Zeit eigene „Persönlichkeiten“ aus, beschreibbar anhand der praktizierten Werte und Spielregeln, denen das kollektive Verhalten im Normalfall folgt. Menschen Setzte man Organisationen mit Maschinen gleich, wären die Menschen darin Schrauben, Keilriemen oder Zahnräder. Im Unterschied dazu sind Menschen aber lebendig, und das bedeutet, sie verhalten sich (zum Schrecken mancher Planungsingenieure) prinzipiell eigensinnig, erfinderisch und unberechenbar. Menschen beobachten ihre Umgebung und verleihen dem wahrgenommenen Geschehen um sie herum Sinn, indem sie dafür Erklärungen schaffen. Je nachdem, welche Erinnerungen die Wahrnehmung wach ruft und wie die Menschen das Geschehen um sie herum erklären und bewerten, empfinden sie Gefühle und entwickeln Absichten. Dies wiederum löst Verhalten aus. Fühlen, Denken und Handeln sind interdependent und beeinflussen sich wechselseitig. Die Zusammenhänge sind jedoch nicht stabil, sondern abhängig von den wechselnden inneren Bedingungen der Person (z.B. wie sie gerade „drauf“ ist), ohne dass ihr diese selbst immer bewusst sind. Man kann Verhalten deshalb nicht streng voraussagen, bestenfalls sind erfahrungsbezogene Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Wenn Menschen ihre Wahrnehmungen erklären oder interpretieren, benutzen sie „mentale Modelle“. Alternativ werden diese auch als „mentale Landkarten“ oder „innere Bilder“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein System von Vorstellungen, die orientierend und sinnstiftend sind (Werte, tief verwurzelte Überzeugungen, Glaubenssätze und Grundannahmen), handlungsleitend („Wenn das passiert, tue das“) sowie aufmerksamkeitsbzw. wahrnehmungssteuernd („Was ist relevant“? und „Was ist zu erwarten?“). Notwendig sind dafür mehr oder weniger bewusste und ausdifferenzierte Vorstellungen über relevante Zusammenhänge in der Welt („Was passiert weshalb?“ und „Womit ist zu rechnen?“) Mentale Modelle vermitteln uns Sicherheit, auch wenn sie sich vielleicht irgendwann als „wackelig“ herausstellen, weil uns die Realität (unangenehm?) überrascht, oder wenn uns ihre Subjektivität bewusst wird, weil sie von anderen nicht geteilt werden. Mentale Modelle entwickeln
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sich mit unseren persönlichen Erfahrungen und spiegeln unsere Lerngeschichte wider. Dadurch bestimmen sie ganz wesentlich mit, wie wir die Welt erleben. Sie beeinflussen unsere Sichtweisen, unser Denken, Fühlen und Handeln, sie werden aber auch umgekehrt von unseren Sichtweisen, unserem Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst, und sie sind ein fester Bestandteil unserer persönlichen Identität. Besonders stabile Elemente sind die früh in der Kindheit gehörten Meinungen und Ratschläge („So etwas gehört sich nicht“, „Das ist typisch für Dich“, „Du musst das so verstehen…“, „Typisch Frau!“, „Was Hänschen nicht lernt…“etc.). Im Laufe des Lebens werden unsere mentalen Modelle umfangreicher und differenzierter. Manche Inhalte verändern sich auch wieder, aber das geht vor allem dann sehr langsam, wenn sie zu den zentralen Bestandteilen unseres Selbstverständnisses gehören. Werden sie sehr plötzlich und radikal in Frage gestellt, aktivieren wir sofort Abwehrreaktionen und geraten in heftige emotionale Turbulenzen. Umfeld Signale
Wahrnehmungen
Erwartungen
Handlungen Erklärungen
Absichten
Erfahrungen
Bedürfnisse
Mentale Modelle
Gefühle / Bewertungen
Abb. 2. Schema menschlichen Erlebens
Der Antrieb unseres Verhaltens sind Bedürfnisse. Sie erfüllen eine lebenserhaltende Funktion und liegen unserer Selbstentfaltung zugrunde. Vergleichbares kennt man bei Schrauben, Keilriemen oder Zahnrädern nicht. Eine allgemein anerkannte Kartographie menschlicher Bedürfnisse gibt es nicht, weil Bedürfnisse weniger gut erfassbar sind als beispielsweise Blutdruck, Herzschlag oder elektrischer Hautwiderstand. Die folgende grobe Klassifizierung von Bedürfnisgruppen lehnt sich an ein Modell von A. H. Maslow (1943) an:
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x Grundbedürfnisse betreffen das unmittelbare Überleben: Nahrung, Kleidung, Unterkunft x Sicherheitsbedürfnisse wollen für das Überleben über den Augenblick hinaus sorgen: Orientierung, Kontinuität und Berechenbarkeit, ein eigenes Territorium x Soziale Bedürfnisse zielen auf das Aufgehobensein in einer Gemeinschaft: Zugehörigkeit, Bindung, Verlässlichkeit, Harmonie, Anerkennung, Respekt und Zuwendung. x Ich-Bedürfnisse betreffen die Sicherung von Individualität und Autonomie: Selbstbehauptung, Interessensdurchsetzung, Streben nach Dominanz, Macht und Einfluss x Selbstverwirklichungsbedürfnissen liegt der Wunsch nach Herausforderungsbewältigung, nach Wirksamkeit in der Welt und nach der Aktualisierung spezifischer Begabungen und Talente zugrunde. In diese Kategorie könnte man auch intellektuelle Bedürfnisse (Wissen und Verstehen wollen) und ästhetische Bedürfnisse (Schönheit) einordnen. Bedürfnisse und Bedürfnisgruppen ergänzen sich und sind zwischen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt. Mancher psychologische Test unterscheidet z.B. Persönlichkeitstypen nach Mischungsverhältnissen der wichtigsten Bedürfnisgruppen. Bedürfnisse melden sich immer dann, wenn sie unbefriedigt sind. Verspüren wir keinen Mangel, gibt es auch keine Bedürfnisspannung. Allerdings können Bedürfnisse zueinander in Konkurrenz geraten. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung kann z.B. dem Wunsch nach existenzieller oder sozialer Sicherheit widersprechen, die Befriedigung von Ich-Bedürfnissen kann zu Lasten gleichzeitig vorhandener Wünsche nach Zuwendung, Harmonie und Zugehörigkeit gehen. Zwei oder mehr Herzen schlagen dann in einer Brust, Ambivalenz tritt auf. Emotionen und Gefühle können im Hinblick auf ihre Entstehung und auf ihre körperliche, psychische oder soziale Funktion sehr unterschiedlich erklärt werden. Aus einer neurobiologischen Perspektive werden sie als Signalgeber verstanden, die Bedürfnisspannung oder -entspannung anzeigen. Sie entstehen durch Gleichgewichts- oder Ungleichgewichtszustände im Körper, sie melden aber auch Alarm bzw. Entwarnung in Bezug auf wahrgenommene Gefahren in der Umwelt. Gefühle sind Emotionen, die die Bewusstseinsschwelle überschritten haben. Erst dadurch gewinnen wir die Freiheit, emotionalen Appellen zu folgen oder auch nicht. Unterhalb der Bewusstseinsschwelle werden Emotionen als Erregungszustände wie Herzklopfen, Schwindelgefühl, Schwitzen, Erblassen oder Erröten erkennbar. Emotionen sind aus neurobiologischer Sicht körperliche, automatisch ablaufende Programme, die sich des Lust- bzw. Unlustprinzips bedienen. Ihre allgemeine Funktion ist es, den Organismus in dem Betriebszustand
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zu halten, in dem er am besten funktioniert. Vereinfacht könnte man sagen, dass positive Gefühle uns auffordern, etwas Bestimmtes zu tun, während uns negative Gefühle sagen, was wir lassen sollen. Insofern sind Emotionen und Gefühle niemals neutral. Ihrem Entstehen gehen (blitzschnelle) Bewertungen der Situation voraus, wir vergleichen das, was wir aktuell erleben mit unserem zum größten Teil unbewusst vorhandenen Erfahrungsschatz. Als Ergebnis dieses automatischen Vergleichsprozesses erhalten wir eine mehr oder weniger eindringliche Handlungsaufforderung. Wenn wir diese rechtzeitig erkennen und ernst nehmen, können wir sie überprüfen und eine bewusste Verhaltensentscheidung treffen. Im Ergebnis stehen dann möglicherweise (Un-)Lust und Ratio in einem Konflikt. Da der emotionale Prozess jedoch extrem schnell verläuft, viel schneller als wir denken können, und da intensive negative Gefühle unser Denkvermögen beeinträchtigen, werden wir leicht zu Getriebenen unserer Gefühle. In den wilden Zeiten unserer Vorfahren, als wir der Gefahr, von Tieren gefressen zu werden, noch real ausgesetzt waren, hat sich dieser Mechanismus gut bewährt. Heute steht er uns häufig im Weg. Emotionen und Gefühle besitzen Eigenarten, die gerade dann, wenn es um die Gestaltung psychosozialer Prozesse geht, sehr relevant sind: x Zu Neuem haben wir generell ein zwiespältiges Verhältnis: Alles Unbekannte belastet (das Bedürfnis nach Erwartungssicherheit wird frustriert), Neugierde und eine positive Überraschung erzeugen andererseits große Lustgefühle. Wenn es zu einem „Wettkampf“ zwischen der emotionalen Bewertung von Risiken und Chancen kommt, siegt meistens die Angst. Negative Gefühle erleben wir intensiver als positive – eine Erbschaft der Evolution. Vor diesem Hintergrund wird es z.B. plausibel, warum sich manche Menschen trotz einer durchaus attraktiven und realistischen Zukunftsaussicht nicht aus ihrer Lethargie herausholen lassen, obwohl sie den Ist-Zustand lautstark beklagen. Sie haben sich vielleicht an die Situation gewöhnt und sich mit ihr arrangiert. Wer weiß, ob eine Veränderung die Verhältnisse nicht noch schlimmer machen würde? x Bedrohungs- und Überforderungsgefühle führen leicht zu einer emotionalen Überflutung. Gefühle wie Hilflosigkeit, Angst oder Wut engen unser Denk- und Reflexionsvermögen stark ein. Ein kühler Kopf und Vertrauen in die Welt braucht umgekehrt ein Mindestmaß an emotionaler Sicherheit. x Mehrdeutigkeit, Unvorhersehbares und Unkontrollierbares ängstigen, selbst wenn die intellektuelle Beschäftigung damit faszinieren mag. Gefühle drängen nach Eindeutigkeit und verlangen einfache Antworten. Die Entdeckung von „Schuldigen“ sorgt beispielsweise für Eindeutigkeit und Einfachheit. Unterscheidungen wie die zwischen „gut“ und
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„böse“ oder zwischen „angenehm“ und „unangenehm“ stellen sofort eine beruhigende (wenn auch oft unangemessene) Ordnung her. Emotionen können uns jedoch auch außerordentlich unterstützen. Sicherheit und Wohlbefinden sowie eine positive Spannung aus Erwartungsfreude und Enthusiasmus ermöglichen intellektuelle Höchstleistungen. Unser emotionales System kann freilich noch viel mehr. Mit seiner Hilfe sind wir imstande, Situationen blitzschnell ganzheitlich zu erfassen und zu bewerten. Das Gehirn greift dafür auf eine riesige „Datenbank“ zurück, die sowohl unsere bewussten als auch unsere unbewussten Erinnerungen umfasst. Ohne dass wir es merken, fahndet es nach Mustern und konstruiert kausale Verbindungen. Wir spüren die Ergebnisse dieses unbewussten Problemlösungsprozesses als Impulse oder als spontane Ideen. Umgangssprachlich wird das Ergebnis dieses Vorgangs auch „Bauchgefühl“ genannt oder als Intuition bezeichnet. Denkvorgänge sind demgegenüber reduktionistisch und in der Regel viel langsamer. Um aber einer einseitigen Glorifizierung unbewusster Hirnvorgänge vorzubeugen: Unsere Intuition ist keineswegs fehlerfrei. Zusammenhänge, die uns unser Gefühl nahe legen will, müssen nicht stimmen. Und im Kern ist Intuition konservativ, weil sie nur auf früheren Erfahrungen basiert. Unser emotionaler Bewertungsprozess steht ständig in der Gefahr, frühere Situationen im „Dort und Dann“ mit aktuellen Situationen im „Hier und Jetzt“ zu verwechseln. Wenn unser Gehirn alarmierende Gemeinsamkeiten zwischen einer unangenehmen früheren Erfahrung und einer aktuellen Situation feststellt, kann es sich in der Wahrnehmung täuschen oder Einzelheiten meinen, die gegenwärtig völlig unwichtig sind. Intuition ist äußerst wertvoll und kann durch neuartige Verknüpfungen von Erfahrungen obendrein zu einer wichtigen Quelle von Kreativität werden, sie kann aber das Denken nicht ersetzen. Im Beitrag „Entscheidungen“ wird auf Möglichkeiten und Begrenzungen menschlicher Intuition noch einmal eingegangen. Voraussetzungen für erfolgreiche Leistungsgemeinschaften Wenn Menschen zusammenkommen, treffen viele Unterschiede aufeinander: unterschiedliche Wahrnehmungen, unterschiedliche Interpretationen, unterschiedliche Werte und unterschiedliche Bedürfnisse. Neugierde und positive Spannung, aber auch Stress, Verwirrung, Ängste, Aggressivität, Resignation, Harmonisierungs- oder Rückzugswünsche tauchen auf und beeinflussen die Szenerie. Im Laufe der Zeit kommt es zu einer Beruhigung und als Ergebnis eines gruppendynamischen Prozesses zu einer tendenziellen Angleichung im Denken, Fühlen und Wollen. Dabei entsteht ein fragiles Gleichgewicht aus zugestandener Individualität und eingeforderter
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Konformität. Das ist eine Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit einer Gruppe. Bleiben die Gegensätze zu groß, kommen keine tragfähigen Verbindungen zustande. Schrumpfen die Gegensätze auf nahe null, geht der einzelne in der Masse unter und verliert viele seiner individuellen Fähigkeiten. Anschauungsunterricht dafür liefern manche Sekten. Im Normalfall pendelt sich im Laufe einer Teamentwicklung ein mittlerer Wert zwischen beiden Polen ein. Angleichungsprozesse und Gleichgewichtsbildung entstehen über den Konflikt. Ist er gelöst, addieren sich gleichartige Aktionen und es entsteht ein emotionaler Gleichklang. Gefühle sind ansteckend und können sich aufschaukeln. Das ist etwa bei Massenveranstaltungen beobachtbar, z.B. in Fußballstadien oder bei großen politischen Demonstrationen. Im Rahmen von betrieblichen Großveranstaltungen oder von Events wird mitunter gezielt auf emotionale Ansteckung plus Selbstverstärkung gesetzt. Ist die emotionale Welle erst einmal am Rollen, kann sich der einzelne kaum mehr entziehen. Organisationen und Teams sind für gewöhnlich nicht als Selbstzweck, sondern zur Lösung gesellschaftlicher oder betrieblicher Probleme eingerichtet. Um optimale Leistungs- und Funktionsfähigkeit im Arbeitskontext zu erreichen, sind dabei die folgenden Faktoren Ausschlag gebend: x ein gemeinsam empfundener Sinn der Arbeit und eine daraus wachsende Grundmotivation, x klare und einheitlich verstandene Arbeitsziele, offensichtliche Verträglichkeit der wichtigsten Ziele untereinander sowie Verträglichkeit der Gruppenziele mit den individuellen Interessen, x klare Arbeitsteilung und anerkannte Wichtigkeit jedes einzelnen Beitrags für die gemeinsame Zielerreichung, x Selbstvertrauen jedes einzelnen, dass er der Aufgabe gewachsen sein wird, x Vertrauen untereinander, dass jeder seine Aufgaben lösen will und kann sowie x Vertrauen in die Funktionalität der Regeln, in die verfügbare Technik, in das soziale und politische Umfeld. Darüber hinaus sind einige kulturelle Regeln für das Funktionieren von Gemeinschaften wichtig: x Ein fairer und als gerecht empfundener Ausgleich von Geben und Nehmen. Er muss nicht unbedingt in gleicher „Währung“ erfolgen. Manchen genügen die aufrichtige Dankbarkeit des Nehmenden und ein vielleicht symbolischer Ausgleich irgendwann. Wenn aber einer der Betei-
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ligten den Eindruck gewinnt, dass der Austausch auf Dauer einseitig bleibt und er ausgenutzt wird, zerbricht die Beziehung. x Gesichtswahrung: Gemeinschaften sind darauf angewiesen, dass sich ihre Mitglieder so weit wie möglich wechselseitig ihren sozialen Wert bestätigen und sich nicht demütigen. Ein absichtlich herbeigeführter Gesichtsverlust bedeutet den sozialen Mord. Wenn sich eine solche Entwicklung abzeichnet, werden Menschen vorsichtig und misstrauisch. Ohne Vertrauen kann aber keine Gemeinschaft überleben. Gemeinschaften brauchen eine interne Differenzierung, die Rollen-, Positions- und Rangunterschiede einschließt. Gleichzeitig aber braucht jedes Gemeinschaftsmitglied das Gefühl, auf einer grundsätzlichen, menschlichen Ebene absolut gleichrangig zu sein. Soziale Strukturen und Dynamik Wenn sich Menschen zum ersten Mal treffen, handelt es sich zunächst um nicht mehr als um ein Zusammenkommen von Einzelpersonen. Das Verbindende mag ein zukünftiger Arbeitsauftrag sein, die soziale Ausgangssituation wird jedoch, wenn sie sehr offen ist, als amorph und vielleicht sogar chaotisch erlebt. Die Komplexität ist hoch, und es fehlt Orientierung. Die Situation wird jedoch nicht lange strukturlos bleiben. Wie schon festgestellt, bringen Menschen immer schon mehr oder weniger klare Vorstellungen darüber mit, was zu geschehen hat („implizite Dramaturgien“) und verhalten sich dementsprechend. Wenn sich die inneren Bilder der Beteiligten bezüglich „Dramaturgien“, „Drehbüchern“, oder „Handlungsskripten“ ähneln, wird die gemeinsame soziale Struktur rasch Kontur gewinnen. Dramaturgien strukturieren und rhythmisieren die Zeit. Sie machen das Leben voraussehbarer, einfacher und sicherer. Damit befriedigen sie ein elementares Grundbedürfnis. Geraten wir in eine Situation, deren Dramaturgie uns fremd ist, sind wir irritiert. Innerhalb eines bestimmten Kulturkreises sind sich die Dramaturgien, die individuellen Drehbücher und Rollenanweisungen ähnlich. Treffen dagegen Menschen aus mehreren Kulturkreisen mit ihren teilweise sehr unterschiedlichen Drehbüchern und Rollenanweisungen unvorbereitet aufeinander, entsteht Konfusion. Hält sich die Fremdheit in Grenzen, sind wir auch fasziniert und genießen mit Spannung die weiteren Überraschungen. Ist die Fremdheit zu groß und können wir uns nicht entziehen, wird es unangenehm. Wir verstehen nicht, was sich abspielt, wer was warum tut, was als nächstes passieren wird, was von uns erwartet wird, wie wir darauf reagieren sollen etc. Wir fühlen uns schlecht, aus Faszination wird Horror. Umgekehrt, wenn sich alles so abspielt wie immer, fühlen wir uns sicher. Aber auch davon kann es ein Zu-
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viel geben: Bleiben Überraschungen nämlich vollständig aus, entsteht Langeweile. Allmählich kommt uns die soziale Ordnung, in die wir eingebettet sind, wie ein Korsett vor, das uns Handlungsfreiheit nimmt. Ändert sich daran nichts, versuchen wir, die Ordnung Stück für Stück wieder aufzulösen. Auch Starrheit und Rigidität können ängstigen. Unsere ersten sozialen Erfahrungen, auf denen implizite Dramaturgien basieren, haben wir in den Herkunftsfamilien gesammelt, wo Rollen und Positionen verteilt sowie Sichtweisen, Werte, Regularien und Benimmregeln vermittelt werden (familiäre Sozialisation). Spätere Erfahrungen aus der Schul- und Berufsausbildung (berufliche Sozialisation), aus der nachfolgenden Berufsausübung und aus dem privaten Leben kommen hinzu. Der genaue Ursprung einzelner Vorstellungen lässt sich meist gar nicht mehr herleiten. Sie sind verwurzelt im sozialen Milieu der Herkunftsfamilie, in der Geschichte des Berufsstandes, in der Geschichte der Organisation und in der Gesellschaft als Ganzem. Von ganz besonderer Stabilität sind gemeinsame Rituale, regelmäßig sich wiederholende, bedeutsame Handlungen, die Einschnitte in den Alltag markieren. Rituale konstituieren, inszenieren und bestätigen soziale Regeln, Ordnungen und Werte. Dadurch vermitteln sie Gemeinschaftsgefühl und Sicherheit. Rituale werden oft mit Naturvölkern in Verbindung gebracht, aber auch in unserer modernen Zivilisation gibt es aufgrund ihrer wichtigen, wenn auch nicht immer ganz offensichtlichen sozialen Funktion mehr davon, als uns im Allgemeinen bewusst ist. Manche Rekrutierungsvorgänge in unseren Organisationen sind im Grunde genommen Initiationsriten. Besondere Beförderungsverfahren, manche Jubiläumsveranstaltungen, Prüfungen, bestimmte Formen des Feierns und Betrauerns, die Inthronisierung wichtiger Führungskräfte – das alles sind weitere Kandidaten. Auch in den Medien (z.B. der Starkult), in der Politik (z.B. die Arbeit der Vermittlungs- und Untersuchungsausschüsse), in der Wissenschaft (z.B. Berufungsverfahren) lassen sich zahlreiche Rituale ausfindig machen. Sie sind gerade in sehr bewegten Zeiten wichtig. Manchmal gehören Rituale zu den letzten Inseln relativer Sicherheit, nicht selten haben sie dadurch sogar therapeutischen Wert. Es lohnt sich also, sie an manchen Stellen bewusst einzusetzen oder zu erfinden, um zu beruhigen und Dingen Bedeutung zu geben. Implizite oder auch explizite Vorstellungen über Dramaturgien bilden einen Rahmen, in dem sich die weitere Strukturierung des sozialen Geschehens abspielen und konkretisieren kann. Es ist freilich nicht sicher, ob die sich herausbildende Struktur am Ende funktional ist in Bezug auf die Ziele, ob die Ziele von allen geteilt werden und ob die Struktur von allen gewünscht wird.
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Die wichtigsten Strukturelemente, die bereits in den psychosozialen Prozess mit eingebracht werden oder sich im Zuge eines gruppendynamischen Prozesses herausbilden, sind: x Werte und Sanktionsformen (Was zählt? Worauf kommt es an? Wie wird abweichendes Verhalten bestraft und konformes Verhalten belohnt?), x Spielregeln und Privilegien (Wie soll miteinander gearbeitet werden? Welche Abläufe und Rituale sollen gelten? Und wer darf die Regeln wie weit dehnen?), x Denkformen und Tabus (Welche Denkformen und -bahnen charakterisieren diese Gruppe? Welche Grundannahmen und Überzeugungen stehen dahinter? Was darf nicht angesprochen werden? Wie teuer käme es, wenn doch?), x Kohäsion (Wie stark fühlt sich die Gruppe als Einheit?), x Beziehungen (Welche Sympathie- und Interessensverbindungen gibt es? Wer ist mit wem zusammen? Welche Untergruppen und Koalitionen lassen sich unterscheiden? Wer ist Einzelgänger?), x Zuschreibungen (Wie sieht die interne Rangliste aus bezüglich Kompetenz und Tüchtigkeit, Macht und Einfluss, Beliebtheit, Ablehnung etc.?) x Rollen und Positionen (aufgabenbezogene und gruppenbezogene Verhaltenserwartungen an einzelne Personen als Rollenträger; interner Wert dieser Rollen). Je offener und unstrukturierter die Ausgangssituation ist und je verschiedener und engagierter die Teilnehmer sind, desto heftiger und konflikthafter spielt sich der Strukturierungsprozess ab. Gibt es dagegen eine strikte Prozessführung mit klaren Strukturvorgaben und wird die Leitung allgemein akzeptiert, läuft der gruppendynamische Prozess sehr viel harmonischer und unspektakulärer ab. Wenn die Gruppe ihre Struktur weitgehend selbst findet, verläuft dieser Prozess in typischen Phasen. Idealtypisch lassen sich die folgenden fünf Entwicklungsphasen unterscheiden, von denen die ersten vier durchlaufen werden müssen, damit die Gruppe ihr höchstmögliches Arbeitspotenzial erreicht. 1. Die Anfangsphase In dieser Phase sind die Menschen vor allem mit sich selbst beschäftigt, nicht mit dem offiziellen Anlass des Treffens. Wie wird sich die bevorstehende Zusammenarbeit abspielen, fragen sie sich. Wer ist überhaupt hier? Wer werde ich in dieser Gruppe sein? Werden mich die anderen akzeptieren und mögen? In welcher Eigenschaft bin ich überhaupt eingeladen worden und welchen Erwartungen bin ich ausgesetzt? Welchen
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Einfluss werde ich ausüben können, inwieweit werde ich z.B. meine persönlichen Bedürfnisse in Bezug auf Arbeitsweise, Zeitgestaltung und Themenbearbeitung vertreten und durchsetzen können? Vorherrschende Gefühle in dieser Phase sind Spannung, Frustration und Angst. Für die Gestaltung von Anfangsphasen ist es wichtig, für rasche Orientierung und für vielfältigen Kontakt untereinander zu sorgen. Daraus entstehen Sicherheit und Entspannung. Wenn die Menschen beginnen, miteinander zu kommunizieren und dabei Ähnlichkeiten entdecken, wachsen Vertrautheit, Vertrauen und Sympathie. 2. Die Auseinandersetzungsphase (Strukturierungsphase) Nachdem die Teilnehmer damit begonnen haben, sich ernsthaft miteinander zu beschäftigen, setzt die Auseinandersetzung um die gemeinsame soziale Struktur ein. Wenn sie durch den Leiter vorgegeben ist und dieser nicht voll akzeptiert wird, werden er und sein Konzept bald infrage gestellt. Die Gruppe schließt sich möglicherweise zusammen, um sich gegenüber dem gemeinsamen „Außenfeind“ zu stärken. Sind der Prozess und das Arbeitskonzept offen, kann vorübergehend Chaos entstehen. Es geht dabei keineswegs alleine um das Konzept der Zusammenarbeit, sondern immer auch darum, wer in der Gruppe was zu sagen hat und wer welche Rolle, Position oder Zuschreibung erhält. Über diesen Konflikt bilden sich Werte und Regeln. Was gilt in der Gruppe, welches Verhalten wird mit Zustimmung und Wertschätzung belohnt, was wird mit Nichtbeachtung oder Konfrontation bestraft? Wer ist „drinnen“, wer an der Peripherie? Wer darf sich wie viel „herausnehmen“, wer nicht? Wenn diese Phase positiv verläuft, wächst eine Struktur, die der Gruppe gemäß ist, weil sie das soziale Kräfteverhältnis in ihr widerspiegelt, den Bedürfnissen der einzelnen Mitglieder gerecht wird und auch funktional in Bezug auf die Sachaufgabe ist. Eine solche passgenaue Struktur lässt sich von außen nicht überstülpen. Allerdings gelingt sie auch gruppendynamisch nicht ohne weiteres. 3. Die Wir-Phase Wenn die Strukturentwicklung einigermaßen zufrieden stellend abgeschlossen ist, setzt eine erschöpfte, aber zufriedene Ruhephase ein. Man freut sich über das gemeinsame Ergebnis und über die Gruppe, so wie sie geworden ist. Reibung produziert Wärme, und ein gut zu Ende gebrachter Konflikt schweißt zusammen. Einmütigkeit kehrt ein, im Denken wie im Fühlen. Nur nicht wieder neuen Streit inszenieren! Individuell abweichende Impulse werden unterdrückt, Widerspruch heruntergeschluckt. Diese Art von Gleichschaltung wird „Group Think“ genannt und kann längerfristig zu kollektiver Verdummung führen. 4. Die Leistungsphase Der Wir-Phase schließt sich die Leistungsphase an. Die Gruppenkohäsi-
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on wird wieder schwächer, der Konflikt kehrt zurück, aber die gemeinsamen Erfahrungen und die Qualität der entstandenen Beziehungen lassen ihn produktiv werden. Nicht jeder Angriff auf eine sachliche Position wird automatisch persönlich genommen, und auch negatives Feedback kann angenommen werden, weil man sich des grundsätzlichen Respekts der anderen sicher ist. In dieser Phase erreicht die Gruppe ihr höchstes Leistungsniveau. 5. Die Abschlussphase Ein guter Interaktionsprozess braucht auch einen gelungenen Abschluss. Dazu gehört es, die Ergebnisse zu sichern und mit den angestrebten Zielen zu vergleichen. Wie sind die positiven oder negativen Abweichungen zu erklären? Wie kam es zur „Punktlandung“? Wie geht es in der Sache weiter, welche Schritte durch wen stehen als nächstes an? Wie lauten im Rückblick die wichtigsten „lessons learned“, also die Lernerfahrungen, die beim nächsten Mal berücksichtigt werden sollten? Wie zufrieden sind die Teilnehmer mit ihrer Arbeit? Nicht nur die Sachergebnisse, auch die Zusammenarbeit will abschließend gewürdigt werden. Im Erfolgsfall rundet eine kleine (vielleicht auch größere) Feier die Abschlussphase und die Zusammenarbeit in diesem Projekt ab. Auseinandersetzungsphase bzw. Strukturierungsphase
Anfangsphase
Wir-Phase
Leistungsphase
Abschlussphase
Abb. 3. Gruppenentwicklungsphasen
Der skizzierte Ablauf ist, wie gesagt, idealtypisch. Normalerweise verläuft er nicht mechanisch in genau dieser Reihenfolge, sondern es kommt zu Rückschleifen, beispielsweise aus der Auseinandersetzungsphase in die „friedlichere“ und distanziertere Anfangsphase oder aus der Leistungsphase zurück in die Auseinandersetzungsphase. Wird die von den meisten Menschen als unangenehm empfundene Auseinandersetzungsphase übersprungen, werden die Wir- und die Leistungsphase nicht lange andauern,
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weil die unbearbeiteten Konflikte aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen durchbrechen werden. Ändert sich Gravierendes im Umfeld der Gruppe (z.B. die Zielsetzung, der Zeithorizont, die Ressourcenausstattung) oder ändert sich die Gruppenzusammensetzung, weil vielleicht ein Mitglied neu hinzukommt oder eines die Gruppe verlässt, ändert sich auch die soziale Struktur der Gruppe. Die Frage nach dem Prozess der Aufgabenstrukturierung stellt sich wieder neu, aber auch die Frage, wer welche Rolle besetzt, welche Spielregeln für den Umgang miteinander gelten sollen, welche Werte vorherrschen sollen etc. Wenn die Gruppe ihre Arbeitsfähigkeit erreicht hat, hat sie einen spezifischen Charakter ausgebildet, und man fühlt sich in ihr heimisch, jedenfalls signifikant anders als in anderen Gruppen. Daran ändern auch wiederkehrende Irritationen nichts, die z.B. aufgrund neu aufflackernder Rivalitäten immer wieder aufkommen können. In Organisationen fällt es schwerer, sich heimisch zu fühlen oder – besser gesagt – sich mit ihnen zu identifizieren. Es sind künstliche Gebilde, von Menschen geplante, komplexe Einrichtungen mit formalisierten Funktionen, Rollen und Kommunikationswegen. Sie bestehen aus mehreren oder gar aus sehr vielen, möglicherweise über Kontinente verteilten Gruppen und Gruppen von Gruppen, von denen jede für sich wie ein Team funktioniert (und damit einen Gegensatz zum Kontext bildet) oder auch in den inneren Abläufen selbst hoch formalisiert ist. Das Zusammenspiel der Gruppen folgt (zumindest in weiten Teilen) offiziellen, organisationsbezogenen Regeln. Sie sind kommunikativ nur lose miteinander verbunden. Rivalitäten, Interessenspolitik und der gezielte Einsatz von Macht und Einfluss spielen deshalb eine weitaus größere Rolle. Organisationen sind aufgrund ihrer Konstruktionsweise anonyme Gebilde. Für eine emotionale Bindung sind jedoch Personen erforderlich, erlebbare Menschen aus Fleisch und Blut. Das können direkte Vorgesetzte, informelle Meinungsführer, Sympathieträger, Betriebsräte, Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder sein, welche die Organisation nach innen repräsentieren. Identifikationsprozesse werden zusätzlich unterstützt durch passende Symbole, durch Rituale und durch gewachsene Regelwerke, die formaler wie informeller Natur sein können. Gruppen und auch Organisationen entwickeln längerfristig bei aller Variabilität in ihrem Verhalten relativ stabile, situationsübergreifende Verhaltensweisen, die den gewachsenen Regelwerken folgen: „That’s the way we do it!“ Sie sind im Kleinen (Gruppen) wie im Großen (Organisationen) das Ergebnis ausgetragener Konflikte und haben sich auch in ihrer sachbezogenen Funktionalität bewährt, wenn sie „überlebt“ haben. Im Laufe der Zeit werden sie für die Menschen zu einer Selbstverständlichkeit, die nicht hinterfragt wird. Neue Mitarbeiter spüren die eingespurten Gewohnheiten
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im Denken, Fühlen und Handeln sofort, denn sie finden überall „Fettnäpfchen“. Immer wieder bestätigte Erwartungsmuster stiften Orientierung und Sicherheit, sie geben Gruppen und Organisationen Individualität und vermitteln das Gefühl von Zugehörigkeit. Insofern entsprechen die Organisationen von heute emotional den Stämmen und Sippen von gestern und vorgestern. Verhaltensregeln, Werte und Denkformen machen die kollektive Persönlichkeit oder die Kultur einer Gemeinschaft aus. Sie zu ändern ist schwer. Notfalls werden kulturelle Identitätskerne mit großer Energie geschützt und verteidigt, selbst wenn sie offensichtlich schädlich geworden sind, weil sie mit den äußeren Anforderungen an die Organisation kollidieren. Im Zuge jüngerer Entwicklungen hat die Verpflichtung der Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitern abgenommen. Lebenslange oder auch nur Jahrzehnte dauernde Beschäftigung bei nur einem Arbeitgeber ist selten geworden. Spiegelbildlich hat auch die Bindung der Mitarbeiter gegenüber „ihren“ Organisationen nachgelassen. Alte Loyalitäten bröckeln, aber das Bedürfnis nach Identifikation und Zugehörigkeit bleibt. Viele Menschen orientieren sich deshalb verstärkt an so genannten Communities. Das können Berufsgruppen sein („Wir Investment-Banker“), Lifestyle-Gruppen, Sportgruppen oder ähnliches. Für die Unternehmen ist das nachteilig, weil auf diese Weise ein Teil der eigentlich dringend benötigten Kreativität und des Engagements der Mitarbeiter abgezogen wird.
Vorstellungen und Konzepte für die Steuerung von Leistungsprozessen Leistungsprozesse steuern bedeutet, eine Gemeinschaft (ein Team oder eine Organisationen) in einer erfolgreichen Spur zu halten oder sie von einem unerwünschten Ist-Zustand in einen bevorzugten Soll-Zustand zu führen. Diese Vorstellung legt die Idee eines externen Steuermanns nahe, und tatsächlich fühlen sich viele Führungskräfte genau in dieser Rolle. Auch Herbert hat sich bei Omas 80. Geburtstag daran orientiert – bekanntlich mit geringem Erfolg. Wie wir lenken, hängt wesentlich von unserer Sichtweise der Natur des Geschehens und von unseren mitgebrachten Steuerungskonzepten ab. In Organisationen sind Leistungsprozesse vor allem die alltäglichen operativen Vorgänge, die am Ende zu einem marktfähigen Produkt führen und damit die fortdauernde Existenz der Organisation sichern. Wenn die Leistungsprozesse den von außen herangetragenen Anforderungen nicht mehr genügen, sind unter Umständen umfangreiche und radikale Veränderungen
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notwendig, die strategische Vorstellungen, Prozesse und Zuständigkeiten genauso umfassen können wie Qualifikationen, Beziehungen, Einstellungen und Gefühle. Alles was an Aktivitäten geschieht, hat Ergebniswirkung und gleichzeitig soziale Folgen. Leistungsprozesse und ihre Veränderung erfolgreich zu steuern erfordert deshalb eine Integration von sachrationalem und psychosozialem Prozess. Wenn die sachliche Seite aus dem Blick gerät, kommt die Existenzgrundlage der Organisation in Gefahr. Wenn die psychosoziale Seite ignoriert wird, kann ein wichtiger Teil des Geschehens, nämlich die multiplen interaktiven Wahrnehmungen, Deutungen, Erwartungen und Absichten und die daraus sich ergebende Stimmungslage gar nicht verstanden werden. Die beteiligten Menschen werden übersehen, missachtet und eventuell sogar gegen die eigene Organisation aufgebracht. Das kann teuer werden und ebenfalls die Existenz der Organisation gefährden. Wenn (hoffentlich) die Zwangsmittel einer Sklavenwirtschaft nicht zur Verfügung stehen und auch die Möglichkeiten einer gründlichen „Gehirnwäsche“ nach dem Beispiel mancher Sekten nicht gegeben sind, führt kein Weg an der Notwendigkeit vorbei, die Menschen zu gewinnen, zumindest eine kritische Anzahl von ihnen. Zum Verhältnis von Fremd- und Selbstorganisation Bei der Integration von sachrationalen und psychosozialen Prozessen geht es immer auch um das Verhältnis von Fremd- und Selbstorganisation. Dieses Begriffspaar ist schon im Zusammenhang mit Omas 80. Geburtstag aufgetaucht (siehe S. 37 ff.). Fremdorganisation setzt einen externen Steuermann voraus und verlangt von den Menschen, Handlungen auszuführen, die sie selbst nicht geplant und entschieden haben (so wie es von den Geburtstagsgästen empfunden wurde). Als Autoritäten bzw. als „Steuermann“ kommen Personen oder Gremien in Frage; aber auch bestimmte Sachzwänge, organisatorische Vorfestlegungen, alte Traditionen, Gewohnheiten oder Werte steuern Verhalten „fremd“, wenn sie unhinterfragt aus der Vergangenheit in die Gegenwart übernommen werden. In diesem Fall gibt es aber keine Akzeptanzprobleme. Diese müssen auch bei einer sehr autoritären Führung nicht auftreten. Solange die Anweisungen im Verständnis der Mitarbeiter Erfolg versprechen, sich im Rahmen der gewohnten Erwartungen bewegen und die wichtigsten Bedürfnisse Berücksichtigung finden, sind Widerstände unwahrscheinlich. Allerdings bleiben Wissen und Kreativität der Mitarbeiter weitgehend ungenutzt, die Qualität des gemeinschaftlichen Handelns hängt hier fast alleine von der Qualität der Führung ab.
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Wenn bedeutsame Veränderungen durchgesetzt werden sollen, entfernen sich die Anweisungen von den gewohnten Erwartungen. In diesem Fall wird es wahrscheinlicher, dass die Menschen nicht verstehen und/oder das Verstandene nicht akzeptieren. Die Folge sind starke Reibungsverluste zumindest bei der Umsetzung, vielleicht sogar offene oder verdeckte Machtkämpfe. Selbstorganisation ist das Ergebnis von Interaktionen im System. Ein externer Steuermann ist nicht dabei. Sie geschieht durch die autonome Festlegung von Handlungsschritten durch die Betroffenen selbst, die sich dabei wechselseitig beeinflussen. Selbstorganisation bringt es mit sich, dass sich die beteiligten Menschen mit dem Geschehen voll identifizieren können, weil sie es ja selbst gestalten und jeder Einfluss ausüben kann. Wenn das geschieht, ist das Engagement hoch und das Wissen wie die Kreativität der Beteiligten gehen voll in den Prozess ein. Die Gruppe erreicht ihr höchstmögliches Problemlösungspotenzial. Außerdem wird ein Maximum an Flexibilität möglich, weil die Besonderheiten rasch wechselnder Situationen durch den Gegenwartsbezug des Konzeptes unmittelbar berücksichtigt werden können. So können auch optimale Strukturlösungen entstehen. Jedoch gelingt all dies keineswegs selbstverständlich: x Selbstorganisation benötigt die Bereitschaft der Mitarbeiter, selbst mit zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Wenn das jahrelang nicht gewünscht oder sogar bestraft worden ist, kann man mit einer solchen Haltung nicht rechnen. x Damit Selbstorganisation funktioniert, muss die Gruppe bereits eine längere gemeinsame Geschichte haben, damit sich die Menschen ausreichend gut kennen, sich vertrauen und Missverständnisse Ausnahmen bleiben. x Selbstorganisation ist konservativ. Die Akteure bringen ihr Wissen, ihre langjährigen Erfahrungen, Sichtweisen und Präferenzen in den Prozess mit ein. Das ist gut, jedoch ist fraglich, ob genau dieses Wissen auch für die Bewältigung aktueller oder zukünftiger Herausforderungen brauchbar ist. Ständig werden Teile des in der Organisation vorhandenen Wissens durch die permanenten Veränderungen im Inneren wie im Äußeren entwertet. In Selbstorganisationsprozessen schmoren die Menschen sozusagen im eigenen Saft. Extern vorhandenes Wissen und relevante externe Erfahrungen bleiben unberücksichtigt. x Selbstorganisationsprozesse stehen ständig in der Gefahr, sich selbst zu blockieren. Sie sind auf Konsens angelegt, der aber kommt keineswegs selbstverständlich zustande. Wenn sich zur Überwindung von Blockaden neue Machtstrukturen formen, kann man nicht mehr von Selbstorganisation sprechen.
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x Auch wenn über den Konsens tatsächlich eine selbst organisierte Struktur entsteht, muss diese keineswegs optimal oder auch nur funktional sein. Möglicherweise ist das Anspruchsniveau der Beteiligten gering und man begnügt sich mit angenehmer Mittelmäßigkeit. x Selbstorganisationsprozesse bergen ständig die Gefahr, dass die Gemeinschaft erodiert. Wenn ein Konsens nicht zustande kommt, wenn Eitelkeiten und Rivalitäten untereinander ein kritisches Maß übersteigen oder wenn nach Meinung der Beteiligten kein gemeinsamer Sinn in der Zusammenarbeit mehr erkennbar ist, wird sich der Gruppenzusammenhalt auflösen. In fremd organisierten Hierarchien wird Zusammenhalt durch abstrakte Regeln und Macht gewährleistet. In selbst organisierten Gruppen kann Zusammenhalt nur dadurch entstehen, dass sich die beteiligten Menschen identifizieren, mit dem Sachziel, mit dem Prozess, mit einzelnen Personen und/oder mit der Gemeinschaft als Ganzes. Wenn also weder Fremd- noch Selbstorganisation für sich alleine eine gute Lösung versprechen, kommt es auf die kluge Kombination beider Konzepte an oder, mit anderen Worten, auf eine kluge Führung. Sie hat die paradoxe Aufgabe, fremd organisiert Selbstorganisation zu ermöglichen und zu kontrollieren. Sie hat einerseits dafür zu sorgen, dass größtmögliche Rationalität im Planungs- und Umsetzungsprozess wirksam bleibt, dass aber andererseits die vielfältigen psychosozialen Aspekte genügend Raum erhalten. Eine Kombination aus Fremd- und Selbstorganisation ist beispielsweise das aus der Wirtschaftspolitik bekannte Konzept der Globalsteuerung. Innerhalb eines festen und notfalls direktiv festgelegten Rahmens, der bestimmte Eckpunkte wie Spielregeln, Werte und Ziele umfasst, wird definierter Raum für Selbstorganisation geschaffen. Die Gültigkeit des Rahmens muss dabei über Sanktionspotenzial gesichert sein. Das Konzept lässt sich prinzipiell auch auf Teams und Organisationen übertragen. Selbstorganisation wird meistens nicht sich selbst überlassen, sondern der Prozess wird durch interne oder externe Moderatoren (die keine Fachexperten sind!) geleitet. Selbstorganisation hat das Potenzial, hohe Komplexität zu verarbeiten, was angesichts der großen Turbulenzen im Umfeld von Unternehmen besonders wertvoll ist. Das Konzept erlaubt es besser als andere, Mehrdeutigkeiten und Unbestimmtheiten planvoll in die Organisation hinein zu nehmen und zu bearbeiten. So können produktive Fließgleichgewichte entstehen, beispielsweise aus x Zielklarheit und Zielbestimmtheit auf der einen Seite sowie Zielvagheit und Zielflexibilität auf der anderen Seite,
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x Zuverlässigkeit und Festigkeit auf der einen Seite, ständige Veränderungsbereitschaft und Flexibilität auf der anderen Seite, x permanente Anpassung durch Lernen auf der einen Seite, Stabilisierung durch den (eingegrenzten und vorübergehenden) Verzicht auf Lernen auf der anderen Seite, x Eliminierung von Freiräumen zwecks Einschränkung von Verschwendung auf der einen Seite, Herstellung und Sicherung von Freiräumen für Innovation auf der anderen Seite, x Nutzung des (umfangreichen, aber alten) Wissens der Mitarbeiter auf der einen Seite, Einspeisung neuen Wissens durch neue Führungskräfte oder externe Experten auf der anderen Seite. Das jeweils günstigste Verhältnis aus Selbst- und Fremdorganisation ergibt sich aus den gegebenen Umständen. Je mehr es darauf ankommt, Wissen, Engagement und Kreativität der Beteiligten im Prozess zu nutzen und eine hohe Akzeptanz für das ganze Vorhaben zu sichern, desto mehr Selbstorganisation ist ratsam. Dabei müssen die Ressourcen und vor allem genügend Zeit zur Verfügung stehen, damit sich ein offener und hinreichend gründlicher Austausch vertikal, horizontal und diagonal entwickeln kann. In Krisensituationen, wenn schnelles Handeln erforderlich ist oder wenn durch Selbstorganisation aus welchen Gründen auch immer keine aussichtsreichen Lösungen zu erwarten sind, verspricht direktive Führung (Fremdorganisation) einen größeren Erfolg.
Veränderungsprozesse steuern Steuerung wurde oben (siehe S. 63) u.a. als Vorgang beschrieben, der Gemeinschaften von einem unerwünschten Ist-Zustand in einen bevorzugten Soll-Zustand zu überführen versucht. Das ist auch eine Definition für Veränderungsprozesse. Veränderungen beispielsweise in Organisationen gab es natürlich schon immer. Sie sind nichts Besonderes, wenn wesentliche Aspekte dabei unberührt bleiben, z.B. der Kern der zu bearbeitenden Aufgabe, die grundsätzliche Art und Weise ihrer Erledigung, die fundamentalen Werte und Regeln der Zusammenarbeit. Wenn diese Voraussetzungen aber nicht gegeben sind, das Veränderungsvorhaben also eine gewisse Größenordnung und Radikalität erreicht, stößt es in der Regel auf wenig Wohlwollen und meist auf deutlichen Widerstand bei den Betroffenen. Größere Veränderungen führen allgemein betrachtet zu einem Wandel der bestehenden Verhältnisse, ob sich diese aber auch verbessern, ist nicht sicher. Und emotional siegt meistens die Angst über die Hoffnung. Veränderungsvorhaben stoßen immer auf eine mehr oder weniger eingespielte Ei-
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gendynamik, die Orientierung, Sicherheit und Identität stiftet. Sie wird reflexhaft geschützt und verteidigt. Angst kann der Antrieb dafür sein oder der Ärger darüber, implizit kritisiert und abgewertet zu werden, weil die alte Praxis ja offensichtlich nach Meinung der Veränderungsinitiatoren nichts mehr taugt. Die Menschen fühlen sich nicht ernst genommen, nicht verstanden, und nicht selten vermuten sie Manipulationsabsichten. Aus solchen Stimmungslagen heraus entstehen typische Widerstandsformen: Leugnen oder Ignorieren von Zusammenhängen, auch wenn diese von außen betrachtet ganz offensichtlich sein mögen, Apathie, Suche nach Schuldigen anstatt nach Lösungen, Dienst nach Vorschrift, blinder Aktionismus, offener oder verdeckter Boykott, Intrigen und Gerüchteproduktion. Damit Veränderungen überhaupt gelingen können, sind also Orientierung, Sicherheit und Energie notwendig. Orientierung bezieht sich auf den Grund für notwendige Veränderungen („Was passiert, wenn nichts passiert?“) sowie auf die Fragen, wo es hingehen soll, warum gerade dorthin, wie es geschehen wird und wie man sich die Zukunft dort vorstellen kann. Sicherheit wächst bereits mit zunehmender Orientierung. Gestärkt werden kann und muss sie durch das Verhalten der Führungskräfte, durch häufigen, offenen und ehrlichen Kontakt untereinander („geteilte Angst ist reduzierte Angst“) sowie durch organisatorische Vorkehrungen wie stabile Regeln, Strukturen, Rhythmen, Rituale und Symbole. Energie speist sich prinzipiell aus zwei Quellen: Lust auf eine attraktive Zukunft („Vision“) und Angst vor Nicht-Veränderung („Leidensdruck“ resultierend aus Ärgernissen der Gegenwart und/oder aus Zukunftsängsten). In der Regel wirkt Leidensdruck stärker, aber meistens wird ohnehin die volle Kraft aus beiden Energiequellen benötigt. Die Veränderungsenergie muss, damit Bewegung in Richtung auf das Ziel entsteht, stärker sein als die wirksamen Beharrungskräfte. Und diese haben zahlreiche Komponenten: x Vorstellungen über bevorstehende Unannehmlichkeiten: z.B. Anstrengungen, Zeitbedarfe, Stress, Konflikte, x Befürchtete Verluste: z.B. Besitzstände, Reputation und Status, bewährte und weiterhin erwünschte Arbeitsbeziehungen, Chancen, Autonomiespielräume, x Unsicherheiten durch die Infragestellung von bewährten Routinen, Werten, Regeln und Wirklichkeitsvorstellungen („mentale Modelle“), x Lernängste und tiefere Ängste gegenüber Unvorhersehbarem, Unkontrollierbarem und Identitätsgefährdungen überhaupt.
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Befürchtete Unannehmlichkeiten Befürchtete Verluste Leidensdruck
Lust auf attraktive Zukunft
Pro Veränderung
Unsicherheiten Lernängste, tiefere Ängste
Contra Veränderung (Kosten der Veränderung)
Abb. 4. Kräfteverhältnis: Pro / Contra Veränderung
Ein zusätzlicher, immer mitlaufender Aspekt bei Veränderungsprozessen ist Mikropolitik: mehr oder weniger raffinierte, bewusste oder unbewusste, offene oder verdeckte individuelle Manöver, die dazu dienen, persönliche Vorteile zu realisieren, ohne Rücksicht darauf, ob die Ergebnisse für die Gemeinschaft günstig oder ungünstig sind. Veränderungsprozesse sind niemals verteilungsneutral. Karten werden neu gemischt, und im Ergebnis kommt es zu neuen Verteilungen von Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten, Macht und Einfluss, Geld und Privilegien, Chancen und Risiken. Mikropolitik kann die Veränderungsdynamik unterstützen oder bremsen, deshalb empfiehlt es sich, Aufmerksamkeit auf sie zu richten und möglichst transparent und fair mit dem Thema umzugehen. Die Qualität der Aushandlungsprozesse, die Angemessenheit der Sanktionsformen und in größeren Organisationen auch die Klugheit und das Augenmaß personalpolitischer Entscheidungen haben deutliche Auswirkungen auf das mik-
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ropolitische Geschehen und damit auf den Verlauf von Veränderungsprozessen. Zielbezogenes und abgestimmtes Verhalten erfordert ein von allen Beteiligten in den wesentlichen Teilen verinnerlichtes „Big Picture“, das Orientierung, Gemeinschaft und Sicherheit stiftet. Ein „Big Picture“ beinhaltet Vorstellungen zu Fragen der Ausgangssituation, der Zielrichtung und des Weges zum Ziel. Idealerweise erarbeiten Gemeinschaften ihr „Big Picture“ gemeinsam. Das hat mehrere Vorteile. Die Möglichkeiten der Selbstorganisation können genutzt werden, was bedeutet, dass alles, was an Wissen, Engagement und Kreativität verfügbar ist, in den Problemlösungsprozess einfließen kann und auch bei der Umsetzung keine nennenswerten Reibungsverluste zu befürchten sind. Außerdem hat die Gruppe oder Teilorganisation die Möglichkeit, sich selbst als System zu erfahren und zu erforschen. Dadurch kann deutlich werden, dass jeder einzelne mit seinem Verhalten mit zu der Dynamik beiträgt, um die es anlässlich des Zusammentreffens geht. Die übliche, oberflächliche Zuweisung von Problemursachen an bestimmte Personen oder Personengruppen (Personalisierung von Problemen) wird zumindest stark erschwert. Für den einzelnen liegt es gewöhnlich auf der Hand, die Ursachen für Misserfolge in den Unzulänglichkeiten anderer Personen zu sehen und nicht in irgendwelchen anonymen Systemkräften, an deren Entstehung und Beibehaltung er selbst beteiligt ist. Die übliche Erklärung ist einfach und (scheinbar) plausibel: Der mangelnde Wille, die fehlende Sorgfalt oder das unzureichende Wissen des einen oder der anderen sind an der Misere Schuld! Eine andere Möglichkeit erscheint deshalb unwahrscheinlich, weil jeder, der so denkt, sein Bestes gibt. Also muss es andere geben, die das nicht tun. Und dann wird auch klar, wer sich ändern muss: die anderen natürlich. Die gemeinsame Erarbeitung eines „Big Pictures“ funktioniert in kleinen Gruppen oder Teams relativ einfach, in Organisationen erfordert sie hohen planerischen und organisatorischen Aufwand. Diskussionsforen müssen eingerichtet werden für Großgruppen, Dialoggruppen, Projektteams oder Resonanzgruppen. Gremienstrukturen werden gebraucht, die Steuer- und Entscheidungsgruppen, Projekt- und Projektuntergruppen miteinander verknüpfen. Repräsentanten aus den relevanten Subsystemen müssen vernetzt, und ein intelligentes Kommunikationskonzept muss entwickelt werden. Ein klares „Big Picture“ vermittelt Orientierung in Veränderungsprozessen und ist das Ergebnis von vorher betriebenen mehr oder weniger systematischen Strategieüberlegungen. Strategieentwicklung und Veränderungsprozesse sind eng miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Strategieentwicklung ist eine Variante der oben vorgestellten allge-
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meinen Problemlösungslogik (siehe S. 44) und geht prinzipiell der Klärung folgender Teilfragen nach: x Wie ist die gegenwärtige Situation beschaffen? Was geschieht aktuell und perspektivisch im relevanten Umfeld? Was erwarten, fordern oder wünschen die wichtigsten Anspruchsgruppen (z.B. Kunden, Auftraggeber, Wettbewerber, Mitarbeiter, Eigentümer)? x Welche Zusammenhänge zeigen sich aus der Perspektive welcher Anspruchsgruppe? Welche sind für das Unternehmen besonders relevant? Wie lassen sich die wichtigsten Zusammenhänge so detailliert wie nötig und so einfach wie möglich beschreiben bzw. modellieren? x Welche Trends lassen sich ausmachen? Was ist der „best case“, was der „worst case“ und was wird am wahrscheinlichsten geschehen? x Welche spezifischen internen Stärken und Schwächen lassen sich identifizieren, absolut oder gemessen am Wettbewerb, an der eigenen Geschichte oder an anderen Referenzgrößen? x Auf welche attraktive Zukunft will die Organisation hinsteuern? Bis wann? Mit welchen Ressourcen? Innerhalb welcher Rahmenbedingungen und Begrenzungen? x Welche unterstützenden und welche hinderlichen Kräfte sind auf dem Weg zum Ziel zu erwarten? Und was kann heute bereits getan werden, um die einen zu stärken und die anderen umzuleiten oder zu schwächen? x Welche Maßnahmen sind zu ergreifen? Wie heißt der „Masterplan“? x Welche Beobachtungssysteme können die Tauglichkeit der eingebauten Annahmen und Prämissen im Praxistest laufend überprüfen, so dass bei Bedarf rasch eingegriffen und korrigiert werden kann? Strategieentwicklung mit diesen oder mit systematisch ähnlichen Fragen ist anlassbezogen oder periodisch sowohl für Einzelne als auch für Teams und Organisationen sinnvoll. Das Handeln kann dadurch zielbezogener und bestimmter werden. Die Menschen wissen besser, was wichtig ist, worauf es ankommt, was zu tun und zu lassen ist. Auf der Grundlage einer (fundierten, aber auch flexiblen) Strategie fällt es außerdem leichter, in einer sich schnell verändernden Welt plötzliche Chancen auszumachen und Risiken zu identifizieren. Wenn eine Strategie kollektiv erarbeitet werden soll empfiehlt sich als ideales Mittel für die gemeinsame kommunikative Erarbeitung der Dialog, ein Konzept, das der Physiker David Bohm formuliert (1989) und das später von William Isaacs (1999) weiter entwickelt wurde. Dialog ist eine Kommunikationsform, in der es nicht wie in der Praxis weit verbreitet um die energische oder trickreiche Durchsetzung von Einzelpositionen unter
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Wettbewerbsbedingungen geht, sondern um das gemeinsame, unvoreingenommene und ergebnisoffene Betrachten grundsätzlich gleichwertiger Positionen. Anstelle von Durchsetzung geht es darum, voneinander zu lernen: „Wie können wir Dein Argument verstehen?“ „Wie genau meinst Du das?“ „Wie kommst Du darauf?“ „Warum ist es Dir so wichtig?“ Voraussetzung für einen funktionierenden Dialog ist eine bewusste Entschleunigung. In aller Ruhe und mit der notwendigen Gründlichkeit werden alle Positionen auf ihr Lösungspotenzial hin untersucht, Bewertungen werden zunächst hinausgeschoben. Durch das (vorübergehende) Offenlassen von Bewertungen bleibt alles gültig und die Komplexität steigt. Dadurch entsteht Spannung und Unsicherheit. Alles wird mit der Zeit relativ, keiner kann sich mehr auf seiner Position abstützen. Orientierung und Durchblick gehen zeitweise verloren. Gleichzeitig wächst die Verführung, durch eine rasche, vielleicht autoritäre Entscheidung auf der Stelle wieder für Klarheit und Entspannung zu sorgen. Dies würde aber lediglich alte Muster und Entscheidungskriterien neu aktivieren und bestätigen, Kreativitätschancen blieben ungenutzt. Die Gruppe muss, wenn sie innovative Lösungen sucht, durch diese kleine Krise hindurch. Natürlich geht das nur, wenn Vertrauen und Respekt untereinander hoch, Rivalitäten dagegen gering sind. Notwendig ist eine Haltung, die man so umschreiben könnte: „Ich habe eine Position, aber ich bin nicht meine Position“. Das Konzept des Dialogs orientiert sich an einem Ideal, das in der Realität nicht oft beobachtet werden kann. Theoretisch lässt sich begründen, dass Teams ihr Leistungspotenzial nicht voll ausschöpfen, wenn ihr Kommunikationsverhalten davon abweicht. In der Praxis genügen aber meistens schon 60, 70 oder 80 % der möglichen Leistung. Das Konzept eignet sich insofern als Leitidee, die hilft, den Abstand zwischen konkreter Wirklichkeit und dem Zustand höchstmöglicher Leistungsfähigkeit deutlich werden zu lassen. Wenn die erforderliche Zeit oder andere Voraussetzungen für den Dialog nicht gegeben sind oder wenn zu befürchten ist, dass der Gruppe ein Dialog nicht gelingt oder sie aus den eingespurten Denkbahnen nicht herausfindet, empfiehlt sich direktivere Führung „top down“. Die autoritäre Durchsetzung größerer und radikalerer Veränderungen führt jedoch leicht zu einem unproduktiven Gegensatz zwischen Führung und Geführten. Damit das nicht geschieht, sind Vertrauen und Glaubwürdigkeit zentral. Glaubwürdigkeit resultiert aus der wiederkehrenden Erfahrung, dass Worte und Taten deckungsgleich sind. Vertrauen ist so etwas wie ein Vorschuss und bezieht sich einerseits auf das Können der Führungskraft („Sie wird die Probleme mit ihren Entscheidungen schon lösen“) und andererseits auf ihr Verhalten („Sicher wird der Chef sich ernsthaft mit der Aufgabe identifizieren und fair und respektvoll mit uns umgehen“). Der Erfolg der Füh-
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rungskraft hängt im selben Zusammenhang davon ab, ob es ihr gelingt, die vorherrschenden Stimmungen und Gefühle wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen und im eigenen Handeln angemessen zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für Krisensituationen. Wenn Führungskräfte hier erfolgreich sein wollen, ohne unnötig viel Porzellan zu zerschlagen, müssen sie als Profis und als Menschen aus Fleisch und Blut wahrgenommen werden. Sie müssen Präsenz auch in unangenehmen Situationen zeigen und ihre Entscheidungen ausführlich begründen, ohne sie damit gleich wieder in Frage zu stellen. Sie müssen sich emotional berühren lassen und vor Schwierigkeiten und negativen Emotionen nicht davon laufen. Auf dieser Grundlage kann Fremdorganisation auch in größeren Veränderungsprozessen gelingen und dabei eine Grundlage schaffen für einen anschließenden Entwicklungsprozess hin zu mehr Selbstorganisation.
Omas 85. Geburtstag Die Zeit vergeht. Mittlerweile rückt Omas 85. Geburtstag näher, und wieder hat sich Herbert bereit erklärt, die Feier zu planen und zu organisieren. Einiges hat sich verändert. Die Enkel sind nicht nur älter, sondern auch reifer geworden. Um Onkel Paul ist es ruhig geworden, und Oma darf zu ihrem Leidwesen keinen Kirschlikör mehr trinken. Trotzdem ist sie quietschfidel und erwartet gespannt ihren nächsten Festtag. Herbert hat sich auch verändert. Er hat aus seinen Erfahrungen von vor fast 5 Jahren gelernt und besteht deshalb darauf, dass neben ihm noch zwei weitere Verwandte den Festausschuss bilden. Sein Bruder Karl-Heinz und Schwägerin Mechthild erhalten das Vertrauen der Gemeinschaft. Er informiert alle eingeladenen Gäste über die unumstößlichen Rahmenbedingungen und fordert sie (als Sprecher dieses Ausschusses) auf, ihm Gestaltungsvorschläge zuzuschicken. Er selbst unterbreitet ebenfalls Ideen, die er zur Kommentierung weitergibt. Gemeinsam mit Karl-Heinz und Mechthild wertet er danach alle Vorschläge und Ideen systematisch aus. Das Ergebnis erhalten alle wiederum zur Kenntnis mit der Aufforderung, bei Bedarf weitere Änderungsvorschläge vorzutragen. Letzten Endes entwickeln die drei einen Plan, der ihre eigenen Vorstellungen genau so wie die Rückmeldungen aller anderen berücksichtigt und obendrein noch einige zeitliche Puffer enthält, um flexibel reagieren zu können, wenn die Situation es erfordert. Sie erarbeiten zusätzlich noch drei Schubladenpläne für den Fall, dass Teile ihres Konzeptes ganz umgeworfen werden müssen. Als schließlich der Tag Y anbricht, geht es Herbert gut. Er fühlt sich bestens vorbereitet und dementsprechend sicher. Auf Überraschungen ist er dieses Mal gefasst. Aber er denkt auch über den Aufwand nach, den er dafür betrieben hat. Ob das wirklich alles notwendig war?
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Fragen zur Steuerung Wie viel unstrukturierte Zeit haben Sie bei Ihren Sachprozessen eingeplant und wie verhindern Sie, dass die Optimierung von Abläufen keine Resistenz gegenüber unerwünschten neuen Informationen mit sich bringt? Was denken Sie, was Ihre Mitarbeiter in Bezug auf das bei Ihnen gerade laufende Veränderungsprojekt denken und fühlen? Weshalb sollten sie bereit sein, das Veränderungsprojekt zu unterstützen? Inwieweit bedenken Sie bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen die Macht eingespielter Routinen im Denken, Fühlen und Handeln, bei sich und bei Ihren Mitarbeitern? Was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter konstruktiv zu irritieren und zu beunruhigen, damit genügend viel produktive Spannung aufkommen kann? Was tun Sie, um Ihren Mitarbeitern genügend Sicherheit zu geben und sie zu beruhigen? Wenn Sie sich eine beispielsweise siebenstellige Skala vorstellen, an deren einem Ende besonders weiches, d.h. harmonisierendes und rücksichtsvolles Verhalten und an deren anderem Ende besonders hartes, konfrontatives Verhalten steht: Wie würden Sie Ihr Verhalten dann einschätzen und welches wäre Ihrer Meinung nach der gegebenen Situation angemessen? Weshalb meinen Sie das? Welches relevante Wissen in Ihrem Verantwortungsbereich wird noch nicht (ausreichend) genutzt? Welches notwendige Wissen muss von außen zugeführt werden? In welcher Weise drücken Sie Ihren Mitarbeitern Respekt und Verständnis für deren Situation aus? Woran erkennen Sie, dass dies auch ankommt? Was tun Sie, um Motivation und Zuversicht bei Ihren Mitarbeitern zu stärken, um Ihre eigene Glaubwürdigkeit zu sichern und um Vertrauen zu schaffen? Welche Interessenskonstellationen können Sie erkennen? Welche liegen nahe? Und was bedeuten die angestrebten Veränderungen für wen? Welche Macht- und Einflussverhältnisse herrschen vor? In welcher Weise greift das Veränderungsvorhaben in die bestehende Macht- und Einflussverteilung ein? Und welche Reaktionen sind zu erwarten?
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Brücken in den Alltag Wenn es darum geht, in einer hoch komplexen und unstrukturierten Situation Sachergebnisse zu erzielen, empfiehlt es sich, allein oder im Team eine angemessen detaillierte Situations-, Problem- und Zielanalyse zu entwickeln. Dies ist die Grundlage für ein „Big Picture“ das so einfach wie möglich, aber so vernetzt wie nötig sein sollte, damit es als ganzheitliches Modell der Wirklichkeit dienen und damit die erforderliche Orientierung vermitteln kann. Wenn Ziele einander widersprechen, muss entweder das eine oder andere Ziel aufgegeben oder beide Teilziele müssen zielorientiert ausbalanciert werden. Um zu vermeiden, sich nur um die am lautesten „schreienden“ Probleme zu kümmern, ist eine Schwerpunktbildung z.B. nach Wichtigkeit, Dringlichkeit oder Erfolgswahrscheinlichkeit sinnvoll. Handeln in komplexen und unstrukturierten Situationen erfordert nicht einen „großen Wurf“, sondern viele kleine Schritte, deren Ergebnisse sorgfältig elaboriert werden, um daraus zu lernen. Verhalten Sie sich in der notwendigen Auseinandersetzung mit Ihren Mitarbeitern ehrlich und fair, nehmen Sie sie ernst und hören Sie Ihnen zu. Zeigen Sie sich möglichst als Mensch aus Fleisch und Blut, aber auch gleichzeitig sicher und bestimmt in dem, was Sie wollen und für notwendig erachten. Versuchen Sie bei größeren Veränderungsprozessen rasch zu sichtbaren betrieblichen Verbesserungen zu kommen („Quick Wins“), aus denen Mitarbeiter einen persönlichen Nutzen ableiten können. Bauen Sie ein Netzwerk engagierter Multiplikatoren und Meinungsführer auf. Unterstützen Sie Förderer Ihres Veränderungsvorhabens sichtbar und versuchen Sie, Bremser zu isolieren. Zögern Sie nicht, im Grenzfall auch harte Schnitte zu setzen. Gehen Sie nicht zu viel gleichzeitig an. Sortieren, bündeln und priorisieren Sie Initiativen. Sorgen Sie dafür, dass Sie trotz aller Analysen, Erörterungen, Diskursen und Konflikten auch zum Handeln kommen. Und versuchen Sie, aus den Ergebnissen zu lernen.
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Weiterführende Literatur Baecker D (1999) Organisation als System. Suhrkamp, Frankfurt am Main Baecker D (2003) Organisation und Management. Suhrkamp, Frankfurt am Main Bohm D (1998) Der Dialog. Klett-Cotta, Stuttgart Hüther G (2005) Biologie der Angst, 7. Auflage. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen Hüther G (2005) Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen Isaacs W (2002) Dialog als Kunst, gemeinsam zu denken. Edition Humanistische Psychologie, Bergisch-Gladbach Kühl S (2006) Rationalitätslücken. In: Kühl S, Moldaschl M (Hrsg) Soziologische Beratung. Haupt, München Maslow AH (1943) A theory of human motivation. Psychological Review 50: 370–396 Nagel R, Wimmer R (2002) Systemische Strategieentwicklung. Klett-Cotta, Stuttgart Schein EH (2003) Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edition Humanistische Psychologie, Bergisch-Gladbach Spitzer M (2002) Lernen. Spektrum, Heidelberg Wulf C (2005) Zur Genese des Sozialen. Transcript, Bielefeld
Entscheidungen in Organisationen Wolfgang Reiber
Organisationen sind das, was sie geworden sind, aufgrund von Entscheidungen. Prinzipiell gilt das auch für Menschen, d.h. für ihre Biographie und ihre Lerngeschichte. Weil Entscheidungen meist sehr bedeutungsvoll sind, beschäftigen sich die Menschen seit Jahrtausenden damit. Das Orakel von Delphi stellt ein Beispiel für eine Entscheidungsfindungsmethode dar; heute dominieren eher formale Verfahren. Rationale Logik ist an die Stelle irrrationaler Spekulation gerückt. Aber inwieweit stimmt das wirklich? Und schließen sich die beiden Ansätze aus? Der Beitrag geht solchen Fragen nach und betrachtet dafür im ersten Teil Entscheidungssituationen, Entscheidungsanlässe und Entscheidungsverantwortlichkeiten sowie rationale und intuitive Aspekte bei der Entscheidungsfindung. Im zweiten Teil des Beitrags werden Entscheidungen in Gruppen untersucht und in diesem Zusammenhang das Verhältnis von rationalem und emotionalem Konsens. Anschließend werden Möglichkeiten betrachtet, wie die „Weisheit der Gruppe“ erschlossen werden kann. Fragen für die Praxis und Brücken in den Alltag schließen den Beitrag ab.
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Entscheidungen in Organisationen
Organisationen sind das, was sie geworden sind, aufgrund von Entscheidungen. Sie entwickeln sich fort aufgrund von Entscheidungen und sie reproduzieren sich durch Entscheidungen. Ähnliches gilt auch für Menschen: Unsere Biographien und Lerngeschichten resultieren aus persönlichen Entscheidungen, die wir in Kontexten getroffen haben, die wir uns freilich nicht immer aussuchen konnten. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Entscheidungen bewusst oder unbewusst getroffen wurden, spontan oder nach langem Nachdenken, einem rationalen Kalkül folgend oder einem „Bauchgefühl“. Menschen entscheiden unablässig, sie können gar nicht anders. Selbst die bewusste oder nicht bewusste Vermeidung einer Entscheidung ist eine Entscheidung. Entscheidungen gleichen in mancher Hinsicht Weichen auf einer Bahnstrecke, die Richtungen für das Weiterfahren festlegen. Und Alternativen gibt es fast immer. Entscheidungen werden in der Gegenwart getroffen aufgrund von Anlässen, die in der Vergangenheit aufgetaucht sind. Ihre Wirkung zeigt sich in der Zukunft, wo aber bisher noch niemand gewesen ist. Die daraus entstehende Ungewissheit macht Entscheidungen spannend. Ein wenig Spannung gibt dem Leben zwar Würze, aber wenn ein bestimmter Schwellenwert überstiegen wird, finden es die meisten Menschen unangenehm und drängen auf eine Lösung, die Entspannung verspricht. Wenn wir jedoch mit der Entscheidung gleichzeitig Abschied nehmen müssen von ebenso attraktiven Optionen, vielleicht auch von lieb gewordenen Illusionen, oder wenn wir mögliche Folgen unserer Entscheidung besonders fürchten, verdrängen wir häufig den offensichtlichen Entscheidungsbedarf. Die Spannung würde bei den Betroffenen ja auch gar nicht unbedingt sinken, sondern wegen der vorhandenen Risiken möglicherweise sogar weiter zunehmen. Keine Entscheidung ist aber ebenfalls eine Entscheidung und hat Folgen – weshalb das konsequente Wegsehen und Ignorieren gleichfalls riskant sind. Weil Entscheidungen so bedeutsam sind, ist es kein Wunder, dass sich Menschen seit Jahrtausenden damit befassen und mehr oder weniger pfiffige Verfahren zur Vorbereitung und Absicherung von Entscheidungen entwickelt haben. Die alten Griechen befragten beispielsweise das Orakel und sorgten damit für Orientierung und Selbstberuhigung. Als moderner gelten heute formale Methoden und Verfahren, die zumindest auf den ersten Blick den Anschein von Objektivität und Sachrationalität erwecken. Manche Entscheider folgen dennoch lieber ihrem „Bauchgefühl“, andere richten sich nach den Sternen oder lassen den Zufall entscheiden. Wieder andere engagieren Berater, die gar nicht selten die Funktion der antiken Priesterinnen von Delphi übernehmen. Die Gewohnheiten, Erfahrungen, Vorlieben und Glaubenssätze sind verschieden. Eine eindeutige Empfeh-
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lung für das eine oder andere ist schwer, denn kein Verfahren ist ohne Ausnahme erfolgreich oder erfolglos. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Verfahren der Entscheidungsfindung in Organisationen. Betrachtet wird zunächst die Rolle von Managern in Organisationen, zu deren Kernaufgaben es gehört, Entscheidungen zu treffen. Anschließend werden rationale Methoden der Entscheidungsfindung untersucht, die eine gewisse Popularität besitzen und aufgrund ihrer formalen Struktur gut in die Denktradition beispielsweise von Betriebswirten oder Ingenieuren passen. Sie haben zweifellos Stärken, basieren aber auf zum Teil kaum erfüllbaren Voraussetzungen. Fragt man erfolgreiche Manager, wie sie in wichtigen Fragen gewöhnlich zu Entscheidungen kommen, erfährt man dementsprechend auch gar nicht viel über formale Methoden, dafür jedoch einiges über persönliche Erfahrung, über Fingerspitzen- oder Bauchgefühl. Was es damit auf sich hat, und wie möglicherweise Rationalität und Intuition miteinander verknüpft werden können, wird anschließend diskutiert werden. Entscheidungen zu treffen, ist mitunter sachlich schwierig und wegen der unvermeidbaren Zukunftsungewissheit auch emotional mehr oder weniger belastend. Deutlich komplexer und emotional oft noch belastender ist die Entscheidungsfindung in Gruppen oder Teams. Diese besitzen potenziell ein weitaus höheres Problemlösungsvermögen als das beste Mitglied in ihr, so dass ein deutlicher Qualitätsgewinn möglich ist. Um „die Weisheit der Gruppe“ aber erschließen zu können, sind eine Reihe selten anzutreffender Voraussetzungen zu erfüllen. Darauf wird im zweiten Teil dieses Beitrags einzugehen sein. Fragen zu Entscheidungen in Organisationen und Brücken in den Alltag schließen den Beitrag ab.
Zur Rolle von Managern in Organisationen Allgemein gesehen besteht die Aufgabe eines Managers darin, die von ihm geleitete Organisation bzw. Organisationseinheit zu angestrebten Ergebnissen (Zielen) zu führen, sie einigermaßen zusammenzuhalten, ihr eine Richtung zu geben und damit für ihre Zukunftsfähigkeit zu sorgen. Eine Organisation lässt sich als kontinuierlicher Fluss von mehr oder weniger aufeinander bezogenen Handlungen beschreiben, die durch Entscheidungen Form und Richtung bekommen und denen Kommunikation zugrunde liegt. Entscheidungen zu treffen gehört zu den Primäraufgaben des Managers, gleichgültig auf welcher Ebene. Er kann selbst entscheiden oder aber dafür sorgen, dass Mitarbeiter entscheiden, indem er (weiter) delegiert und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür herstellt. Die Ver-
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antwortung behält er trotzdem. Kommt er dieser Aufgabe nicht nach, kann der Fluss aus Handlungen und Anschlusshandlungen abreißen bzw. ins Stocken geraten. Am Ende könnte die Organisation sogar auseinander fallen. In ruhigen und veränderungsarmen Zeiten ist diese Gefahr gering, weil sich in Organisationen Entscheidungsroutinen stabilisieren oder vermeintliche Sachzwänge, die auf früher getroffene Entscheidungen zurückgehen, keine Wahl zwischen Alternativen zuzulassen scheinen. Also wird entschieden, wie immer entschieden wurde. Neuer Entscheidungsbedarf entsteht, wenn eine Fortsetzung des Bisherigen als nicht mehr möglich oder als zu riskant angesehen wird, oder wenn überraschend neue und interessante Möglichkeiten auftauchen. In einer Zeit voller Turbulenzen und Umbrüche ist dies fast schon der Normalfall: Wollen wir vorrangig den Neukunden A bedienen, der viel Potenzial verspricht, und damit den „verdienten“ Altkunden B verärgern, der aktuell in großen Schwierigkeiten steckt? Soll das neue Werk in X oder in Y errichtet werden? Wollen wir uns in China engagieren? Auf welchen Markt sollen wir uns in Zukunft konzentrieren? Welche Produkte sollten wir forcieren, welche aus unserem Portfolio heraus nehmen? Brauchen wir eine neue Strategie? Brauchen wir eine neue Struktur? Passt unsere Kultur noch? Solche oder ähnliche Fragen beschäftigen Manager zunehmend, und die eindeutig richtige Antwort ist selten zu finden. Die Antwort ergibt sich jedenfalls nicht aus einem formalen Algorithmus, sondern hängt vom Ermessen desjenigen ab, der die Entscheidung zu vertreten hat. In Organisationen sollen Manager für Entscheidungen sorgen und die Verantwortung dafür übernehmen. Damit sie dazu imstande sind, erhalten sie Weisungsbefugnisse, also Macht. Selbstorganisierte Gemeinschaften wie Freundeskreise oder Familien kennen das nicht und geraten deshalb manchmal in nicht auflösbare Patt-Situationen und Selbstblockaden. Ein Funktionserfordernis der Hierarchie ist die Engführung der entscheidungsrelevanten Kommunikation. Für wichtige (nicht delegierte) Entscheidungen ist der vertikal verlaufende Dienstweg einzuhalten. Horizontale Kommunikation unter Gleichgestellten ist freigestellt, bleibt aber im Sinne der Entscheidungsfindung (zunächst) folgenlos. Diagonale Kommunikation über Hierarchieebenen und Abteilungsgrenzen hinweg ist, sofern sie nicht absichtsvoll für bestimmte Zwecke organisiert wird, zufällig. Durch diese Konstruktionsprinzipien geraten Hierarchien bei rasch und radikal eintretenden Veränderungen im relevanten Umfeld leicht in Schwierigkeiten, weil der Dienstweg oft langsam ist, es auf dem Weg nach oben regelmäßig zu Informationsverlusten und zu Umdeutungen kommt und weil Wissen, Engagement und Kreativität der Mitarbeitern nur in geringem Maße genutzt werden können. Delegieren Manager Entscheidungskompetenz und
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wird die Hierarchie dadurch flacher, kommen sie in ein Dilemma. Sie geraten in Abhängigkeit, weil andere entscheiden, sie aber in jedem Fall die Gesamtverantwortung behalten. Es bleibt Managern in diesem Fall, zu vertrauen – in die Qualifikation ihrer Mitarbeiter und darin, dass diese sich mit dem Ziel, an dem sie gemessen werden, identifizieren bzw. dass sie loyal zu ihm sind. Manager haben es immer wieder mit Entscheidungssituationen zu tun, die durch große Unübersichtlichkeit, durch Kontingenz, Unschärfen, Paradoxien und Dilemmata gekennzeichnet sind. Ein eindeutiges „Richtig“ ist dann auch auf den zweiten oder dritten Blick nicht zu erkennen. Wenn jedoch aufgrund dessen nicht entschieden wird, kann die Komplexität stetig zunehmen. Das Umfeld ist dynamisch, Optionen kommen und gehen oder sie verändern sich mit der Zeit. Jede Option zieht im Falle ihrer Realisierung unüberschaubar viele direkte und indirekte Folgen nach sich. Menschen können sich in einer solchen Situation gelähmt fühlen wie der berühmte Esel von Johannes Buridan, der zwischen zwei Heuhafen verhungert sein soll, weil es keinen vernünftigen Grund für ihn gab, vom einen und nicht vom anderen zu fressen. Entscheidungen reduzieren Komplexität, indem sie Optionen ausschließen und auf diese Weise zielbezogenes Anschlusshandeln in einer Organisation erst möglich machen. Organisationen, in denen nicht entschieden wird, treten dagegen mehr oder weniger kraftvoll auf der Stelle, drehen angestrengt Pirouetten oder bleiben stur auf ihrer eingespurten Bahn. Über kurz oder lang werden sie zum Objekt äußerer Kräfte, die es nicht unbedingt gut mit ihnen meinen. Getroffene Entscheidungen können freilich von sehr unterschiedlicher Qualität sein. Die wichtigsten Qualitätskriterien sind Sachgerechtigkeit (wie schlüssig und wie zielführend ist die Entscheidung?) und soziale Stimmigkeit (wie gut passt sie zur sozialen Realität der Beteiligten und Betroffenen?). Um diese Aspekte und um ihre häufig sehr schwierige Integration wird es im Folgenden gehen, beginnend mit den Möglichkeiten und Bedingungen sachgerechter Entscheidungen.
Sachgerechte Entscheidungen treffen Weil Entscheidungen in Organisationen so wichtig sind, hat sich auch die Betriebswirtschaftslehre früh für dieses Thema interessiert. Sie geht dabei präskriptiv vor, will also keine Beschreibung der Entscheidungswirklichkeit formulieren, sondern Bedingungen und Zusammenhänge aufzeigen, die ein optimales Entscheiden ermöglichen. Im Rahmen handlungstheore-
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tischer Ansätze finden sich dementsprechend verschiedene Modelle rationalen Entscheidens, wobei „rational“ in Anlehnung an die Gütekriterien der Naturwissenschaften für gewöhnlich objektiv, eindeutig, logisch und widerspruchsfrei bedeutet. Zusätzliche Anforderungen sind in der Regel Zielorientierung sowie die logisch-systematische Berücksichtigung früher getroffener oder andernorts zu verantwortender Entscheidungen. Sachrationalität besitzt in unserer Kultur einen hohen Stellenwert und wird deshalb gerne als Legitimationsgrundlage für getroffene Entscheidungen verwendet, auch wenn die wirklichen Gründe ganz andere sind und der logische Unterbau im Nachhinein konstruiert worden ist. Rationale Entscheidungsmodelle erwecken aufgrund ihres hohen Formalisierungsgrades den Anschein, als ob mit ihrer Hilfe, ähnlich wie bei einer mathematischen Formel, eindeutige Lösungen ableitbar wären. Weit verzweigte Entscheidungsbäume, umfangreiche Entscheidungsmatrizen und damit verbundene komplizierte Rechenregeln können durchaus beeindrucken. Typische Empfehlungen aus einem Standardlehrbuch (z.B. BeythMarom et al. 1991) lauten etwa so: Man solle vor einer Entscheidung x x x x x
alle Handlungsmöglichkeiten auflisten, die möglichen Folgen jeder dieser Alternativen herausfinden, die Wahrscheinlichkeit jeder dieser Folgen bewerten, den Wert jeder dieser Folgen bestimmen und alle Werte und Wahrscheinlichkeiten so verrechnen, dass sich ein bevorzugter Handlungsverlauf ergibt.
Jeder Schritt kann zusätzlich mit mehr oder weniger komplizierten Denkwerkzeugen ausgebaut und auch ausdifferenziert werden. Der verfügbare „Werkzeugkasten“ ist dementsprechend reich gefüllt. So überzeugend die Tools und Techniken aufgrund ihrer logisch-formalen Natur jedoch auch scheinen mögen, sie können einige Grundprobleme nicht auflösen: x Die zu entscheidende Situation ist in der Regel nicht in jeder Hinsicht bekannt, sie ist mehrdeutig und unüberschaubar komplex. Die daraus abzuleitende Problemdefinition ist von der Perspektive des oder der Entscheider abhängig und damit nicht objektiv. Stattdessen gründet sie auf einer subjektiven Ermessensentscheidung oder auf einer sozialen Übereinkunft. x Die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten, die Entscheider erwägen, sind nicht immer vollständig bekannt. x Die Konsequenzen, die die (bekannten) Handlungsalternativen nach sich ziehen, sind ebenfalls nicht vollständig bekannt. x Um Alternativen vergleichend beurteilen zu können, braucht man Bewertungsmaßstäbe. Es gibt aber auch hier selten Eindeutigkeit, weil in
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der Regel mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt werden, die harmonieren oder sich widersprechen können. x Zielprioritäten und die gefundenen Balancen aus konfligierenden Zielen ergeben sich ebenfalls nicht objektiv, sondern gründen auf sozialen Übereinkünften. x Ziele und Entscheidungskriterien sind nicht immer stabil, sondern wandeln sich unter Umständen sehr rasch, wenn sich die äußeren Bedingungen verändern. x Wenn eine Gruppe bzw. ein Gremium entscheidet, kommen neben den üblichen Kommunikations- und Koordinationsschwierigkeiten Interessen mit ins Spiel, die das offizielle Ziel stützen oder konterkarieren können. Die für die Anwendung rationaler Entscheidungsmodelle notwendige Strukturiertheit der Entscheidungssituation und die ebenfalls erforderliche Eindeutigkeit der Problemdefinition finden sich in der Praxis kaum per se, sondern müssen zunächst hergestellt werden. Wie subjektiv oder relativ es schon um die Problemdefinition bestellt ist, zeigt folgendes einfaches Beispiel: Eine Frau klagt darüber, sie sei zu dick. Um dieses Problem von außen zu umschreiben, gibt es recht unterschiedliche Möglichkeiten: x Die Frau hat Übergewicht. x Ihr Freund mag nur superdünne Frauen. x Sie war vor einigen Monaten dünner, und nun passen ihr die Kleider vom letzten Jahr nicht mehr richtig, auch wenn ihre Figur nach wie vor völlig in Ordnung ist. x Ihr Freund und alle anderen in ihrer Umgebung finden sie so genau richtig, aber Supermodels in den Medien sind nun einmal Vorbilder und leider noch viel dünner. x Ihr Arzt hatte ihr vor einem Jahr empfohlen, nicht zuzunehmen, weil dadurch bestimmte gesundheitliche Risiken auftreten könnten. Je nachdem, für welche Problemdefinition man sich entscheidet, werden sich die weiteren Überlegungen unterschiedlich entwickeln. Was für den einen ein Problem ist, ist für den anderen unerheblich oder nur das Symptom für ein ganz anderes Problem. Infolgedessen werden sich auch die Entscheidungen, die zur Lösung des Problems führen sollen, voneinander unterscheiden.
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Rationalität, Rationalitätslücken und die (Un-) Zuverlässigkeit der Intuition Weil Entscheidungssituationen niemals rein objektiv zu verstehen sind, weil außerdem für die Lösung von Problemen grundsätzlich nicht behebbare Schwierigkeiten bei der Prognose und bei der Informationsbeschaffung und -bewertung bestehen, und weil schließlich kaum steuerbare soziale Einflussfaktoren die Entscheidung häufig wesentlich mit bestimmen, bleibt unvermeidbar eine Rationalitätslücke offen. In der Praxis bildet sich freilich kein Vakuum. Rationalitätslücken werden sofort aufgefüllt, beispielsweise durch Interessenpolitik. Wenn es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die Dinge zu sehen, zu verstehen und zu bewerten, liegt es nahe, diejenige zu favorisieren, die im Entscheidungsfall den eigenen Interessen am nächsten kommt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Selektion bewusst oder unbewusst erfolgt. In jedem Fall geraten die anderen, an sich gleichwertigen Möglichkeiten aus dem Blick oder werden attackiert. Tatsachen werden dann häufig durch stramme Behauptungen ersetzt, Meinungen als Fakten dargestellt, Mehrdeutigkeiten bzw. fehlende logische Stringenz durch dominantes Auftreten, subtile Manipulationsmanöver oder persönliche Angriffe verdeckt. Dem Rationalitätsprinzip verbleibt gerade deswegen eine wichtige Funktion, es kann nämlich als regulative Idee die sachliche Qualität der Entscheidung stärken. Wie „hart“ sind denn die Fakten im Einzelfall wirklich? Welche Zusammenhänge bestehen eindeutig, was ist Spekulation? Mit welchen Annahmen wird argumentiert und welche Wahrscheinlichkeiten lassen sich diesen seriös zuordnen? Formale Problemlösungs- und Entscheidungsverfahren kommen dem Anspruch entgegen, rational zu handeln. Geht man aber der Frage nach, wie persönliche Entscheidungen tatsächlich zustande kommen, rückt eine andere Ressource mit ins Bild: die Intuition. Sie erscheint etwas schillernd und ist schwer fassbar. Viele Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass unser „Bauchgefühl“ eine weitaus größere Rolle für unser Verhalten und unsere Entscheidungen spielt als gedankliche Erwägungen. “Intuition ist wichtiger als IQ“, sagte schon Albert Einstein, und er fügte hinzu: „I never discovered anything with my rational mind“. Die moderne Hirnforschung hat hierzu in den letzten Jahren einige interessante Erkenntnisse gewonnen. Demnach sind wir imstande, unterhalb unserer Bewusstseinsgrenze einen äußerst effektiven Problemlösungsprozess zu organisieren und in diesem Zusammenhang sogar komplizierte Rechenleistungen zu vollziehen. Den Prozessablauf nehmen wir nicht wahr, wohl aber sein Ergebnis, und zwar in Form einer Emotion bzw. einer spontanen Idee, die eine Handlungsaufforderung beinhaltet.
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Deutlich wird dieser Vorgang beispielsweise im Sport. Kein Fussballtrainer käme auf die Idee, den formschwachen Mittelstürmer durch einen Roboter zu ersetzen (abgesehen davon, dass dieser wohl keine Spiellizenz erhalten würde). So formschwach kann nämlich kein Spieler sein oder anders ausgedrückt: die für eine Programmierung des Fußballroboters notwendigen Rechenschritte wären im erforderlichen Umfang und in der erforderlichen Differenziertheit nicht zu leisten. Ein Mittelstürmer soll u.a. Vorlagen und Flankenbälle seiner Mannschaftskollegen aufnehmen. Dafür sollte er sie möglichst zutreffend antizipieren, um sich rechtzeitig in Bewegung setzen zu können. Um die Vorlage oder Flanke als Torschuss verwerten zu können, muss er weiterhin die Flugbahn des Balles richtig berechnen, seinen Körper in die richtige Position bringen, die Reaktionen des Torwarts und eventuell der gegnerischen Abwehrspieler einigermaßen zutreffend voraussehen und dementsprechend den Ball an der richtigen Stelle treffen, und zwar mit der richtigen Kraft an der richtigen Stelle seines Schuhs bei einem geeigneten Winkel zwischen Fuß und Fußgelenk, so dass der Ball die gewünschte Flugbahn mit der nötigen Geschwindigkeit in Richtung Tor nimmt und dort an gewünschter Stelle einschlägt. Nicht zufällig spricht man von „Instinktfussballern“. Stürmer, die längere Zeit das Tor nicht getroffen haben, hören den Ratschlag, vor dem Torschuss nicht so viel nachzudenken. Spieler sind auch hinterher nicht in der Lage, zu beschreiben, was sie genau gedacht und getan hatten in dem Moment, als sie ein Tor erzielten, auch wenn Sportreporter nicht aufhören wollen, sie immer wieder danach zu fragen. Eine Erfolgsvoraussetzung ist – neben Talent – sehr viel Erfahrung, die nur durch mehr-tausendfaches Üben zustande kommen kann. Ähnlich wie ein Sportler Spielsituationen intuitiv erfasst, können wir Problemsituationen beim Handeln in Organisationen intuitiv erfassen. Die Komplexität ist in sozialen und ökonomischen Systemen jedoch besonders ausgeprägt und normalerweise größer als in vielen physikalischen Systemen. Dort gibt es stabile und verlässliche Naturgesetze wie z.B. die Schwerkraft. In sozialen Systemen gibt es auch Regeln oder Gesetze, diese sind jedoch typischerweise nicht stabil, sondern verändern sich mit der Zeit, abhängig u.a. von kaum einsehbaren inneren Bedingungen. Der Chef ist z.B. jeden Tag ein wenig anders „drauf“. Dementsprechend werden seine Wahrnehmung und sein Verständnis der Vorgänge um ihn herum mehr oder weniger stark variieren. Außerdem sind soziale Regeln meistens verknüpft mit einer Reihe zusätzlicher Regeln, die je nach Situation einwirken oder auch nicht. So kann es vorkommen, dass ein Wettbewerbsunternehmen sein Lager unerwartet mittels aggressiver Preispolitik leert, ein anderes ebenso unerwartet aufgibt oder ein neuer Konkurrent überraschend im Markt auftaucht.
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Wenn wir eine Situation wahrnehmen, sucht unser Gehirn automatisch nach Mustern, also nach wiederkehrenden Merkmalen, Strukturen oder Ablaufrhythmen. In diesem Sinne gleicht es einer Maschine, die auf die Extraktion von Regeln aus unserer Umwelt spezialisiert ist. Gleichzeitig untersucht es Gedächtnisinhalte nach abgespeicherten vergleichbaren Mustern, auch nach solchen, die unserer bewussten Erinnerung nicht mehr zugänglich sind. Scheinbar vergessene Gedächtnisinhalte sind, wenn sie einmal für uns Bedeutung hatten, als Teil eines impliziten oder emotionalen Gedächtnisses weiter vorhanden und wirksam. Gespeicherte Erfahrungen steuern schon von Anfang an unsere Wahrnehmung mit und werden durch die „Wiederentdeckung“ eines Musters bestätigt. So ist es z.B. bekannt, dass Lehrer dazu tendieren, bei Schülern, die sie für intelligent und lernwillig halten, gute Beiträge besonders deutlich zu registrieren und weniger gute zu überhören oder ihnen keine Bedeutung beizumessen. Dasselbe gilt leider auch umgekehrt bei Schülern, die die Lehrer für weniger begabt oder für lernfaul halten. In beiden Fällen sind sich die Lehrer in ihren (manchmal einseitigen) Einschätzungen ziemlich sicher, und hinterher sind sie sogar noch sicherer. Wenn es irgend geht, versucht unser Gehirn, alte Muster durch aktuelle Wahrnehmungen zu bestätigen und zu bestärken. Je weniger Muster es anlegt, desto weniger Varianten muss es berücksichtigen, bevor es uns (implizit) zu Handlungen auffordert. Findet sich aber kein bekanntes Muster und wird dem aktuellen Vorgang Bedeutung beigemessen, wird ein neues „angelegt“. Ein Teil des Gehirns arbeitet bei dem Versuch, zu verstehen, unbewusst und ganzheitlich. Alles wird dabei als Ganzes gesehen und miteinander in Zusammenhang gebracht. So können wir eine weitaus größere Komplexität verarbeiten als mit unserem rationalen Verstand. Zudem funktioniert dieser Prozess viel schneller. Er bedient sich unseres impliziten oder emotionalen Gedächtnisses, das eine weitaus größere Kapazität besitzt als unser bewusstes (explizites) Gedächtnis. Um voreiligen Glorifizierungen jedoch vorzubeugen: Auch unsere Intuition arbeitet keineswegs fehlerfrei. Die Muster, die das Gehirn identifiziert, müssen die Realität nicht exakt repräsentieren. Manchmal gibt es auch gar kein Muster, wo das Gehirn eines zu erkennen meint. Es arbeitet außerdem nur mit relativ wenigen und nicht immer validen Informationseinheiten: Bei einem Übermaß an Informationen werden die (scheinbar) relevanten Aspekte, das sind diejenigen, die zu unseren früheren Erfahrungen passen, selektiert, die anderen dagegen herausgefiltert. Bei einem Mangel an Informationen werden – für uns unmerklich – fehlende Teile aus unserem Gedächtnis hinzugefügt.
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Gehirne können nur subjektive Realitäten produzieren, auch wenn wir uns ganz sicher fühlen, dass die Dinge so sind, wie wir sie sehen. Und selbst „gute“, d.h. realitätsgerechte Muster bilden nur Ausschnitte einer komplexen Außenwelt ab. Die Qualität einer mehr intuitiven Herangehensweise für die Lösung neuer Probleme wird schließlich durch die Tatsache limitiert, dass die „Datenbasis“ alleine aus unseren Erfahrungen besteht. Diese brauchen für die aktuell zu treffende Entscheidung aber weder relevant noch vollständig zu sein. Wir benutzen ständig ungeprüfte Annahmen und neigen dazu, einmal gebildete Muster immer wieder neu zu bestätigen, was vor allem in einer stabilen Welt sehr ökonomisch ist, uns das Gefühl von Sicherheit und Orientierung verschafft, aber auch zu Lernresistenzen führen kann. Das Gehirn ist trotz seines beeindruckenden Komplexitätsverarbeitungsvermögens ein großer Vereinfacher. Notfalls wird die Realität so umgebaut, dass es passt. Das Gehirn täuscht dann mehr Sicherheit vor, als angebracht ist. In der Wirklichkeit sind die Verhältnisse meistens komplizierter als wir denken oder fühlen. Gut, dass uns dies nicht immer bewusst ist, sonst würde es uns wahrscheinlich so gehen wie einem Tausendfüssler, der bewusst jeden einzelnen seiner Schritte setzen wollte. Höchstwahrscheinlich würde er sehr schnell den Überblick verlieren und ins Straucheln geraten. Um es zusammenzufassen: Unser Problemlösungs- und Entscheidungsverhalten beruht einerseits auf dem rationalen Verstand, der die Dinge zerlegt, zergliedert und im Detail erforscht, sowie andererseits auf der Intuition, die ganzheitlich arbeitet und unterschiedliche Einzelaspekte synthetisiert. Beide, Verstand wie Intuition, haben Stärken und unvermeidbare Schwächen. Sie stehen grundsätzlich nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich, so wie beispielsweise das Auge nicht mit dem Ohr konkurriert. Die Intuition eignet sich daher auch nicht als Denkersatz, wohl aber als Grundlage und als Prüfgröße für analytisches Denken. In der Praxis empfiehlt es sich deshalb, nicht den ersten Impulsen blind zu folgen. Günstiger ist es, das Gefühl ernst zu nehmen, es aber einer rationalen Überprüfung zu unterziehen: Wo kommt das Gefühl her und wie vernünftig scheint das zu sein, wozu es mich auffordert? (Siehe hierzu auch die Praxisbrücken am Ende dieses Beitrags). Empfehlenswert ist grundsätzlich einfaches Denken, weil gegen übermäßige Komplexität am besten mit Einfachheit anzukommen ist. Jedoch dürfen die Denkprozesse und methodische Verfahren nicht trivial werden, was vor allem durch das Zerschneiden wesentlicher Zusammenhänge oder durch das Ignorieren der möglicherweise schlechten Qualität wichtiger zugrunde liegender Prämissen und Grundannahmen geschieht. Ein besonders schnelles und einfaches Verfahren zur Entscheidungsfindung mit reduziertem (aber vielleicht gerade deshalb realistischerem) An-
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spruch ist die „simple Heuristik“ (Gigerenzer, 1999). Sie empfiehlt, sich für die erste Möglichkeit zu entscheiden, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllt, unabhängig davon, ob es bessere Alternativen gibt. Die Mühe konzentriert sich hier auf die Festlegung der jeweiligen Anforderungen und auf den sorgfältigen Abgleich mit den verfügbaren Alternativen. Die so gefundene Lösung wird wahrscheinlich nicht optimal sein, aber sie hat den Vorteil, schnell vorzuliegen, weil nicht lange nach Informationen gesucht werden muss, die teilweise, wenn überhaupt, nur sehr zeitaufwändig zu beschaffen wären. Sie kann auch besser sein als eine aufwändigere Methode, weil ungeprüfte Annahmen es schwerer haben, sich als scheinbar seriöse Informationen in die Entscheidungsfindung einzuschleichen. Wenn von vornherein das Anspruchsniveau gesenkt und auf die Vollständigkeit von Informationen verzichtet wird, entfällt die Versuchung, vor scheinbar irrelevanten Informationen die Augen zu schließen, um sich eine Scheinsicherheit zu verschaffen. Manche Entscheider bevorzugen sogar gleich den Zufall, weil sie davon ausgehen, ohnehin nicht zu wissen, was sie tun, wenn sie so oder so entscheiden, da die Kenntnis der Wirklichkeit zu große Lücken aufweist. Der entscheidende Vorteil bei diesem Verfahren: Alle Vorurteile sind außer Kraft gesetzt. Selbstbetrug, wie er bei manchen methodisch sehr differenzierten Verfahren vorkommen kann, ist ausgeschlossen. Zufall oder die „simple Heuristik“ können typische Fehler bei der Entscheidungsfindung vermeiden helfen. Wenn das Anspruchsniveau nicht zu hoch ist oder großer Zeitdruck besteht, spricht einiges für diese Methoden. Wenn der Anspruch an die Entscheidungsqualität jedoch größer ist und einige Zeit zur Verfügung steht, wenn möglichst viele unterschiedliche Informationen berücksichtigt werden sollen, wenn mehr Kreativität einfließen soll, wenn außerdem die Umsetzung der Entscheidung schon gleich mitbedacht und vorbereitet werden soll, dann empfiehlt sich die Entscheidungsfindung in einer Gruppe. Sie sollte idealer weise aus Mitgliedern mit etwa gleichem intellektuellem Niveau, aber mit unterschiedlichem Wissen und Erfahrungshintergründen bestehen, die bereit und imstande sind, miteinander zu arbeiten. Das Problemlösungspotenzial von Gruppen ist allgemein sehr hoch, jedoch wachsen auch die Komplexität und der notwendige Aufwand, um dieses Potenzial auszuschöpfen. Wie das gelingen kann, soll im folgenden Abschnitt betrachtet werden.
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Entscheidungen in Gruppen Sachgerechte Entscheidungen für sich selbst zu treffen, ist oft schwierig genug. Die Schwierigkeiten vervielfältigen sich jedoch, wenn eine Entscheidung mit anderen zusammen getroffen werden muss, weil die oben schon erwähnten Aspekte der Kommunikation, der Kooperation und der Motivation als Einflussgrößen mit hinzu treten. Gemeint sind beispielsweise Abteilungen, Führungsgremien, Lenkungsausschüsse oder Projektteams. Projektteams werden in der Regel geführt durch einen Projektleiter, der keine Anweisungsbefugnis besitzt und deshalb auf einen Konsens oder einen verlässlichen Kompromiss im Team angewiesen ist. Abteilungen werden hingegen hierarchisch geführt, und auch in Führungsgremien und Lenkungsausschüssen gibt es gewöhnlich hierarchische Unterschiede, die während der Sitzungen nicht aufgehoben sind. Warum kann es in diesem Fall sinnvoll und auch gewinnbringend sein, partizipative Entscheidungsstrukturen zu wählen? Im Allgemeinen lassen sich dafür mindestens drei Gründe finden: 1. Durch die Einbeziehung von Betroffenen in die Entscheidungsfindung kann deren Wissen und Erfahrung mit einfließen. Dadurch wächst (zumindest potenziell) die Ergebnisqualität ganz erheblich. Im anderen Fall ist die Entscheidung nur so gut wie die des Chefs. 2. Dadurch, dass die Betroffenen selbst mit gearbeitet haben, entfällt die sonst notwendige nachträgliche Vorstellung und Begründung der Entscheidung. Informationslücken und Missverständnisse bleiben weitestgehend aus. 3. Durch die Beteiligung an der Entscheidungsfindung wächst die Akzeptanz. Wenn Mitarbeiter gehört, verstanden und ernst genommen wurden, gelingt die Umsetzung erheblich leichter und schneller. Der „Preis“ für eine Beteiligung der betroffenen Gruppe an der Entscheidungsfindung liegt im Aufwand. Ein Konsens oder ein guter Kompromiss kosten Zeit und können viel Mühe und Nervenkraft erfordern, ohne dass von vornherein klar ist, dass ein Konsens oder Kompromiss überhaupt zustande kommen wird. Manchmal ist die Kompromissbereitschaft in der Sache zu gering oder die Teilinteressen sind zu stark. Der erhoffte Qualitätsgewinn braucht ebenfalls nicht einzutreten, z.B. weil Personen, die etwas zu sagen hätten, sich aus Gewohnheit, aus mangelndem Selbstbewusstsein oder aus taktischen Erwägungen zurückhalten, weil die Gruppe methodisch schlecht geführt wird oder weil die interne Beziehungsdynamik die Sachdiskussionen überlagert. Je nach Ausgangssituation ist es deshalb hilfreich zu überlegen, bei welchen Fragen und wie weit eine Partizipation sinnvoll ist. Für die Klarheit der Situation ist es günstig, wenn
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schon anfangs deutlich wird, ob die Diskussion der Meinungsbildung dient, ob sie auf eine gemeinsame Entscheidung hinauslaufen soll und was in diesem Fall genau zu entscheiden ist. Es dient ebenfalls der Klarheit der Situation, wenn deutlich wird, was bereits entschieden wurde und deshalb nur noch einer Begründung bedarf. In manchen Fällen empfiehlt sich weder eine volle Partizipation noch der vollständige Verzicht darauf. In der Praxis gibt es Zwischenstufen, die alle jeweils Vor- und Nachteile haben. Peter Senge (1996) unterscheidet z.B. folgende Stufen: 1. Telling: Unverblümt sagen, was schon entschieden ist. Keine neue Diskussion zulassen, allenfalls Begründungen vorstellen oder wiederholen. 2. Selling: Entscheidungen „verkaufen“. Das heißt, sie so darstellen, dass die Betroffenen auch die daraus resultierenden Vorteile für sich erkennen und würdigen können. 3. Testing: Beabsichtigte Entscheidungen vorstellen, bevor sie endgültig getroffen werden. Das heißt, Reaktionen auf sich wirken lassen, Argumente anhören und ernst nehmen und danach entscheiden. 4. Consulting: Sich von den Betroffenen grundlegend beraten lassen. Bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entscheidung kann sich jeder äußern und Einfluss nehmen. Am Ende entscheidet jedoch der dafür Zuständige alleine – und übernimmt die volle Verantwortung. 5. Co-Creating: In diesem Fall wird die Entscheidung gemeinsam entwickelt und auch getroffen, d.h. im Konsens oder mit einem Kompromiss, den jeder mit trägt. Wenn klar ist, welche dieser Varianten im konkreten Fall gilt, können unnötige Diskussionen vermieden und die Effektivität einer Sitzung kann deutlich erhöht werden. Partizipation beginnt mit Stufe 3. Häufig wird die Gruppe auf Stufe 4 gebeten, für sich eine möglichst einvernehmliche Lösung zu entwickeln, die als Empfehlung an den oder die Entscheider kommuniziert wird. Das ist z.B. die typische Situation einer Projektgruppe. Auf Stufe 5 schließlich ist der Verantwortliche primus inter pares. Bei der Entscheidungsfindung in Gruppen tritt neben die sachliche die soziale Dimension. Je höher der Grad der Partizipation, desto stärker ist die Bedeutung der persönlichen Beziehungen innerhalb der Gruppe sowie der Erwartungen, der Werte, Ziele, Interessen und Gefühle der Beteiligten für den Entscheidungsfindungsprozess. Realitätsgerechte und sozial tragfähige Entscheidungen in einer Gruppe brauchen deshalb sowohl einen sachlichen als auch einen emotionalen Konsens. Wie letzterer zustande kommt, wird im folgenden Abschnitt untersucht.
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Emotionaler Konsens Unter einem emotionalen Konsens wird das einvernehmliche Ergebnis eines Gruppenprozesses verstanden, mit dem alle Mitglieder leben können, unabhängig davon, ob er in der Sache eine hohe Qualität besitzt. Ein emotionaler Konsens betont die Gemeinsamkeiten und die wechselseitige Rücksichtnahme und ist deshalb wichtig für den Gruppenzusammenhalt. Unter Umständen werden in der Sache auch unbefriedigende oder gar faule Kompromisse akzeptiert, wenn dafür Einigkeit in der Gruppe entsteht. Hierfür ein typisches Beispiel aus der Praxis: Eine Sachdiskussion beginnt damit, dass ein Teilnehmer einen Vorschlag macht und eine kurze Begründung anhängt. Ein anderer kommentiert zustimmend oder ablehnend, ebenfalls mit kurzen Begründungen. Weitere Vorschläge, Einwände oder Bedenken folgen. Einige vertreten feste Positionen, die sie schon in die Sitzung mit hineingebracht haben. Anderen ist das Thema ziemlich egal, weil sie nicht betroffen sind, sich weder kompetent noch zuständig fühlen und ohnehin nicht wissen, weshalb sie eingeladen wurden. Wieder andere, die eigentlich hätten dabei sein müssen, sind aus mehr oder weniger wichtigen Gründen verhindert. Nach einer Weile haben sich auch die anfangs Ergebnisoffenen und Engagierten eine Meinung gebildet und alle wiederholen zunehmend nur noch Argumente, die ihrer Auffassung nach für die eigene bzw. gegen die andere Seite sprechen. Koalitionen entstehen (wenn es sie nicht schon von Anfang an gegeben hat) und legen sich machtvoll auf eine Argumentationslinie fest. Die Suche nach „der Wahrheit“ (wenn es sie denn überhaupt gibt) wird mehr und mehr ersetzt durch das Suchen und Erfinden zusätzlicher Begründungen für die eigene Meinung. Mehrheiten bilden sich und Minderheiten lassen, teils aus Erschöpfung, in ihrem Widerstand allmählich nach. Neue Argumente werden mit gequältem Augenaufschlag und vernehmbarem Stöhnen zur Kenntnis genommen. Sie stören den gerade sich abzeichnenden emotionalen Konsens (auf den immerhin Wert gelegt wird) und bringen die Gefahr mit sich, dass in der Sache alles noch einmal neu aufgerollt und analysiert werden muss. Das würde erneut Arbeit und neue Unsicherheit bedeuten. Also werden nur noch die bekannten Informationen zugelassen, und deren Richtigkeit wird immer wieder betont und bestätigt. Das Gefühl wächst, zu einer Entscheidung kommen zu müssen. Also wird nach einem Kompromiss gesucht und sich auf eine Entscheidung geeinigt, die einigermaßen brauchbar erscheint und für alle tragbar ist.
Der Grund dafür, warum am Ende ein ganz bestimmtes und kein anderes Ergebnis herauskommt, liegt natürlich vor allem an den konkreten Vorschlägen und Beiträgen, die die einzelnen Gruppenmitglieder einbringen. Diese werden jedoch im Prozess unterschiedlich gewichtet. Die wichtigsten Gewichtungsfaktoren sind die relative Rangposition desjenigen in der Gruppe, der etwas beiträgt, seine Eloquenz, die Vehemenz und Geschicklichkeit, mit der er seine Punkte vertritt, sein taktisches Geschick, seine
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Koalitionsverbindungen und (hoffentlich) nicht zuletzt die Qualität, die Originalität und die Anschlussfähigkeit seiner Ideen. Kontextfaktoren spielen in diesen Prozess mit hinein: Wie wurde das Treffen angekündigt und begründet? Was ist der offizielle Anlass und das Ziel? Welche Erfahrungen hat es mit vergleichbaren Treffen schon gegeben? An welchem Ort und zu welcher Zeit findet das Treffen statt? Was sind die übergeordneten Ziele und Strategien? Worauf konzentriert sich aktuell die Aufmerksamkeit im Management? Welchen weiteren Weg wird die hier zu treffende Entscheidung in der Folgezeit wohl nehmen? Passt sie in den „Mainstream“? Wird sie bei anderen Entscheidungen berücksichtigt werden? Welches „Schicksal“ im Unternehmen scheint ihr vorbestimmt? Je nachdem, wie die Antworten lauten, wird die infrage stehende Entscheidung in die eine oder andere Richtung tendieren. Der emotionale Konsens gleicht die in der Gruppe vorhandenen Wünsche, Interessen und Bedürfnisse einigermaßen aus und spiegelt das soziale Kräfteverhältnis wider. Das ist eine Voraussetzung für relative Zufriedenheit und anhaltende Akzeptanz. Dabei kann es sich in der Sache, wie schon erwähnt, um eine Fehlentscheidung oder um einen faulen Kompromiss handeln. Aber nicht jede Gruppenentscheidung beinhaltet einen emotionalen Konsens. In einer Vielzahl von Fällen wird bei Gruppenentscheidungen weder sachlich noch sozial stimmig und belastbar entschieden. Ed Schein (2003) hat in diesem Zusammenhang sechs verschiedene Varianten der Entscheidungsfindung in Gruppen vorgestellt, die alle so oder so ähnlich in der Praxis anzutreffen sind: 1. Entscheidung durch Ausbleiben einer Reaktion („Schweigen bedeutet Ablehnung“) Vorschläge werden kurz dargestellt und, noch bevor die Gruppe wirklich reagieren kann, wieder zurückgezogen, vielleicht um keine Diskussion aufkommen zu lassen oder um schon den nächsten Vorschlag zu präsentieren. Die ausbleibende Reaktion (Schweigen) wird als Ablehnung interpretiert, der Vorschlag gilt als durchgefallen. Ob er wirklich zu schlecht war und ob die Urheber des Vorschlages diese Form der Ablehnung akzeptieren, ist freilich eine andere Frage. 2. Entscheidung durch eine Minorität („Schweigen bedeutet Zustimmung“) Ein Gruppenmitglied schlägt etwas vor, dieser Vorschlag wird von den anderen nicht kritisiert, weitere Vorschläge bleiben aus. Wenn nun dieser Vorschlag als angenommen gilt, wurde Schweigen als Zustimmung gewertet. Natürlich muss es das nicht bedeuten, was sich spätestens bei der halbherzigen oder überhaupt nicht stattfindenden Umsetzung zeigen wird.
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3. Entscheidung durch die Autorität Diese Form der Entscheidungsfindung ist weit verbreitet und in vielen Fällen auch durchaus in Ordnung (siehe oben). Wer bei einer Entscheidungsfindung nicht mit einbezogen wurde, wird sich allerdings bei der Entscheidungsumsetzung auch nicht allzu viel Mühe machen. 4. Entscheidung durch die Mehrheit (Abstimmung) Diese Methode ist ebenfalls weit verbreitet und gilt allgemein als akzeptabel. Jedoch zeigt die Erfahrung, dass mit einfacher Mehrheit entschiedene Beschlüsse oft nicht oder schlecht umgesetzt werden. Die unterlegenen Gruppenmitglieder identifizieren sich dann nicht damit, weil sie das Gefühl haben, nicht ausreichend gehört oder von einer „Gegenkoalition“ überrumpelt worden zu sein. Manchmal glauben sie auch, von vornherein keine Chance gehabt zu haben, weil die „Gegenpartei“ zu mächtig war oder das Ergebnis sowieso schon fest stand. 5. Entscheidung durch tragfähigen Kompromiss Ein Kompromiss basiert nicht auf Einmütigkeit. Jedoch wird er von den „Unterlegenen“ dann unterstützt, wenn sie zumindest ihre „Essentials“ berücksichtigt finden und sie nach ihrer eigenen Einschätzung eine faire Chance hatten, sich zu beteiligen und Einfluss zu nehmen. Der Kompromiss ist besonders dann stabil, wenn die Kommunikation als ausreichend offen und das Gruppenklima als ausreichend unterstützend erlebt wurde. 6. Entscheidung durch Konsens In diesem Fall sind sich alle Gruppenmitglieder ausnahmslos einig. Natürlich ist diese Variante die stabilste von allen, aber sie verlangt viel Zeit und Mühe. Für bestimmte Schlüsselentscheidungen mag Einmütigkeit notwendig sein, für die meisten Entscheidungen ist sie es aber nicht. In den Fällen a) bis d) kommt es nicht zu einem sozialen Konsens. Im Fall c) ist es offen, wie weit die Gruppe die Entscheidung der Autorität akzeptiert und sich mit ihr identifiziert. In den Fällen e) und f) kann ein emotionaler Konsens vorliegen. Ob es auch ein rationaler Konsens ist, lässt sich jedoch zunächst nicht sagen. Er kommt auf andere Weise zustande und wird an anderen Qualitätsmaßstäben gemessen. Er ist jedoch notwendig, damit die Entscheidung auch in der Sache erfolgreich und nachhaltig ist. Rationaler Konsens Um einen rationalen Konsens herbeizuführen, ist es auch hier notwendig, einige Grundsätze und Regeln zu beachten. Ziel sollte es sein, dass allein
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die Qualität der Argumente entscheidet und andere Einflussfaktoren wie Vorurteile, Bekenntnisse und Glaubenssätze, einseitige Interessenpolitik, der Einsatz von Dominanz und Macht oder gruppendynamische Effekte so weit wie möglich zurückgedrängt werden. Die Qualität eines rationalen Konsenses erweist sich besonders an seiner Realitätstauglichkeit. Und die Realität interessiert sich nicht im Geringsten für die soziale Struktur der Gruppe. Für einen rationalen Konsens ist zunächst eine sorgfältige Bestandsaufnahme im Team notwendig, bei der u.a. zwischen Fakten, Mutmaßungen und Spekulationen so gut es geht unterschieden wird. Der Bestandsaufnahme schließt sich idealer weise eine Diskussion an, mit der versucht wird, die wesentlichen Zusammenhänge zu verstehen bzw. zu modellieren. Eine Abbildung der Realität im Verhältnis 1 : 1 ist jedoch unmöglich, weil die miteinander erarbeiteten Modelle sehr stark vereinfachen müssen. Im besten Fall beschreiben sie Realitätsausschnitte unter spezifischen Bedingungen, was Bescheidenheit und Vorsicht bei den resultierenden Konsequenzen verlangt. Bei dem Versuch, der Realität möglichst nahe zu kommen, können u. U. computerunterstützte Simulationen sehr hilfreich sein. Das gilt auch für andere Methoden der rationalen Problemlösung und Entscheidungsfindung wie z.B. die Szenariotechnik (siehe hierzu auch den Beitrag über Reflexionen in diesem Buch) oder biokybernetische Ansätze. Je besser die Entscheidungssituation und der relevante Kontext verstanden werden, desto offensichtlicher liegt für gewöhnlich die Lösung, wie es zu entscheiden gilt, auf der Hand. Weil sich die Entscheider trotz größter Sorgfalt und Mühe jedoch täuschen können, empfiehlt es sich in der Regel, Entscheidungen möglichst geringer Reichweite zu treffen. Kleine Schritte reduzieren das Risiko und erlauben einen raschen Kurswechsel, wenn erforderlich. Allerdings muss sich das Team dann häufiger treffen, mit ehrlicher Lernbereitschaft und unter Verzicht auf die altbekannten Selbstbestätigungsmechanismen. Ein guter rationaler Konsens basiert auf miteinander geteilten expliziten, in sich schlüssigen Überlegungen und Situationsmodellen, die je nach Ziel und Anlass unterschiedlich umfangreich und ausdifferenziert sein können. Mit Hilfe der anderen Gruppenmitglieder kann es (leichter) gelingen, dafür auch intuitive Impulse in Worte zu fassen und mit einzubringen. Alleine fällt das sprachliche Ausdrücken impliziter Wissens- und Erfahrungsbestände gewöhnlich viel schwerer. Im nächsten Abschnitt wird es um die Frage gehen, worin die Leistungsfähigkeit einer Gruppe begründet ist und wodurch sie sich entfalten kann.
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Die Weisheit der Gruppe erschließen – Zur Integration von emotionalem und rationalem Konsens Während der gemeinsamen Arbeit an einem Thema kann neben dem rationalen Konsens auch ein emotionaler Konsens entstehen, der als zusätzlicher „emotionaler Kitt“ für die Gemeinschaft wirkt und außerdem im Rahmen des Möglichen Rücksicht nimmt auf die individuellen Wünsche, Bedürfnisse, Interessen und auf die Statusstruktur der Gruppe. Das klingt nach der Quadratur des Kreises und ist auch oft sehr schwierig. Aber es ist keine Hexerei. Wenn bestimmte soziale, psychologische und strukturelle Bedingungen gewährleistet sind, besitzt eine Gruppe ein weitaus höheres Problemlösungspotenzial als der beste einzelne in ihr. Diese Erkenntnis ist von vielen wissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder bestätigt worden. Man spricht dabei von Prozessgewinnen oder von Synergien, die daraus erwachsen (z.B. Ardelt-Gattinger et al. 1998). Plakativ könnte man diesen Sachverhalt auch mit der Ungleichung 2 + 2 > 4 ausdrücken, wenn die Gruppe aus 4 Personen besteht. Wo kommen jedoch diese Prozessgewinne her? x Motivationseffekte: In einer funktionierenden Gruppe gibt es ein spürbares „Wir-Gefühl“, was ein wechselseitiges Ermuntern und Anspornen mit sich bringt. Dies fördert und verstärkt wiederum umgekehrt das Wir-Gefühl. Im Ergebnis wächst das Selbstvertrauen der einzelnen Gruppenmitglieder und das Energieniveau steigt. Jeder einzelne findet unter solchen Bedingungen leichteren Zugang zu seinen intellektuellen Möglichkeiten. x Kreativitätseffekte: Sie resultieren ebenfalls aus dem gesteigerten Energieniveau und dem Selbstvertrauen sowie aus den wechselseitigen Anregungen im Team. x Fehlerausgleichseffekte: Unterschiedliche Perspektiven sowie differierendes Wissen ergänzen und kontrollieren sich. Mehrere Augenpaare sehen mehr als eines. Wenn das geschieht, wird sich u.a. die Risikoneigung der Gruppe in realistischen Grenzen halten, die häufig aufgrund der geteilten Verantwortung höher ist als bei Einzelnen. x Gedächtnisleistungen: Durch das positive Klima in einem guten Team und durch das erhöhte Energieniveau können sich die individuellen Gedächtnisleistungen verbessern. Darüber hinaus entsteht eine Art kollektives Gedächtnis, was jedem einzelnen Gedächtnis überlegen ist: Was der Eine vergessen hat, erinnert der Andere. x Lerneffekte: Im Zuge des Problemlösungs- und Entscheidungsprozesses im Team lernen die Gruppenmitglieder voneinander, was sowohl die in-
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dividuelle Leistungsfähigkeit verbessert als auch die Anschluss- und Kombinationsfähigkeit der einzelnen Wissensinhalte wesentlich erleichtert. Prozessgewinne treten freilich nicht selbstverständlich ein, wenn mehrere Menschen zusammen kommen und sich als Team erklären. Wenn bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind, kann aus der oben genannten Ungleichung auch 2 + 2 < 4 werden, was in der Praxis nicht selten vorkommt. Um die oft beschworenen Gruppenvorteile zu realisieren, sind bestimmte Haltungen und Techniken sowie ein realitätsgerechtes Grundverständnis über die Natur menschlicher Kommunikation wichtige Voraussetzungen. Gute Gruppenentscheidungen in Bezug auf eine komplexe, unübersichtliche Problemsituation vertragen keine strenge Hierarchie. Für Ranghöhere im Team verlangt das den bewussten Verzicht auf die gewohnte Dominanz, für die Rangniedrigen den Mut, ihren Beitrag ohne Selbstzensur und taktische Erwägungen vorzutragen. Es ist notwendig, dass allen gleichermaßen zugehört wird (selten hat jemand mit einem ernst gemeinten Beitrag in jeder Hinsicht Unrecht) und dass alle darauf verzichten, die eigene Position als unumstößliche Gewissheit anzusehen. Dominanz, Hierarchie, Macht, Eigeninteressen, dogmatische Überzeugungen, Profilierungen zu Lasten anderer – alle diese bekannten Phänomene und Manöver führen dazu, dass die Leistung der Gruppe unter ihren Möglichkeiten bleibt. Lernen und Denkfortschritte liegen dort, wo die eigenen „Gewissheiten“ von denen der Anderen abweichen. Im Unterschied dazu ist es unproduktiv, einen Kampf zu führen mit dem Ziel, die eigenen Argumente gegenüber den anderen Argumenten durchzusetzen und dabei aggressiv oder kokett zwischen „meinem“ und „deinem“ Argument zu unterscheiden. Durchsetzungsbemühungen und Bekehrungsversuche führen weg von der optimalen Lösung. Eine wechselseitige Erkundung dagegen, was die verschiedenen Positionen an offensichtlichem, an implizitem und hintergründigem Wissen beinhalten und aufgrund welcher Erfahrungen sie sich gebildet haben, hilft weiter. Jede Position baut auf Prämissen und Annahmen auf, die selten vollständig bewusst sind und somit zumindest teilweise verborgen bleiben. Bei jeder Konversation treffen mit den Argumenten immer auch die daran geknüpften unterschiedlichen Prämissen und Annahmen aufeinander. Sie zu kennen hilft, sich selbst und die anderen besser zu verstehen, sachlich wie emotional. Und es hilft, in der zu entscheidenden Sache „Kurzschlüsse“ zu vermeiden und die Komplexität realitätsgerechter zu handhaben. Wenn es gelingt, die hinter den Positionen liegenden Erwartungen, Erfahrungen, Absichten und Bedürfnisse deutlich werden zu lassen, wird ein Gespräch persönlicher und intimer. Das wiederum verlangt ein hohes Maß
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an Respekt und Vertrauen im Team, welches jedoch erst wachsen muss. Beschleunigungsversuche von außen misslingen meistens: Pflanzen wachsen auch nicht dadurch schneller, dass man an ihnen zieht. In Alltagsgesprächen sind Menschen normalerweise stärker nach außen als nach innen orientiert. Sie stellen ihre bereits vorgefassten Meinungen und Positionen vor, attackieren oder prüfen wohlwollend-kritisch die der anderen, geben vielleicht ein Feedback in Bezug auf das, was sie an anderen wahrnehmen. Um an die eigenen Quellen der Lernfähigkeit, der Intuition und der Kreativität zu gelangen, ist demgegenüber eine stärkere Innenorientierung erforderlich. Die Lockerung festgefahrener Meinungen und Positionen setzt darüber hinaus eine bewusste Verlangsamung voraus, damit in Ruhe den eigenen Gedanken und Impulsen nachgespürt werden kann. Durch die Bewusstwerdung der hinter den Meinungen und Positionen stehenden Gefühle, Erfahrungen, Annahmen und Urteile kann auch deutlich werden, in welcher Weise die eigenen Denkvorgänge durch der expliziten Erinnerung nicht mehr zugängliche lebensgeschichtliche Episoden geprägt werden. Wenn das im Team geschieht, im forschenden Miteinander, kann daraus ein kollektiver Lernprozess entstehen. Einzelwissen, Einzelerfahrungen und deren Verbindungen untereinander werden dann vollständiger und besser verstanden, genauso wie deren Relevanz für das aktuell zu entscheidende Thema. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist die Fähigkeit und die Bereitschaft aller Beteiligten, nicht wie gewohnt spontan und reflexhaft zu reagieren, wenn die Reaktionen der anderen nicht wie gewünscht ausfallen und man sich unverstanden, abgelehnt, herausgefordert oder angegriffen fühlt. Stattdessen ist es erforderlich, den Dissens anzunehmen und zunächst einmal stehen zu lassen. Bewertungen und Handlungen müssen zurückgestellt bzw. für eine Weile in der Schwebe gehalten werden, damit es möglich wird, in sich hineinzuhören und die eigenen Annahmen sowie die der Anderen im Raum zu hinterfragen: Welcher Gedanke und welcher Handlungsimpuls meldet sich bei mir, inwieweit beruht er auf früheren Erfahrungen und inwieweit ist er durch das aktuelle Geschehen in der Gruppe ausgelöst worden? Ein produktiver gemeinsamer Denkprozess in der Gruppe führt mit der Zeit zu kollektiven Einsichten und zu einem gemeinsamen Satz an Grundannahmen, Begriffsverständnissen und Bedeutungszuschreibungen. Angleichungsprozesse finden statt bei Meinungen, Motiven, Werten und Orientierungen. Die Gruppe gewinnt „Persönlichkeit“ und wird zu einer eigenständigen sozialen Entität. Tendenziell entsteht auch ein emotionaler Gleichklang in der Gruppe. Wenn die Grenzen zwischen den Individuen und dem Kollektiv als Ganzes erodieren, wird dies in der Gruppe als „flow“ (Konfluenz) erlebt. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu einem
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immer besseren Verständnis der Gruppenmitglieder untereinander. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit wächst, Missverständnisse werden seltener und das Wissen der einzelnen kann sich zu einem kollektiven Wissen verbinden. Der gegenseitige Respekt, die Sympathien untereinander sowie die Bereitschaft, aufeinander Rücksicht zu nehmen, wachsen. Das ist die Grundlage für einen guten emotionalen Konsens, der wiederum, wenn er gelingt, zu einem erneuten Zuwachs an Respekt, Sympathie und gegenseitiger Rücksichtsnahme führt. Allerdings kann es auch ein Zuviel an Harmonie geben: Wenn sich die Unterschiede im Team immer mehr angleichen und die bestehenden Restunterschiede aus der Wahrnehmung verschwinden, werden zum Schutz der gewordenen Gemeinschaft alle abweichenden, individuellen Impulse unterdrückt. Dieser mitunter sehr starke Konformitätsdruck wird „Group Think“ genannt. Er reduziert letztendlich die kollektive Intelligenz. So wie der Einzelne durch Introspektion besseren Zugang zu seinen kreativen und intuitiven Potenzialen gewinnt, kann die Gruppe im Zuge kollektiver Reflexionen Zugang zu ihrer größtmöglichen Kreativität und Leistungsfähigkeit finden. Die sich durch einen solchen Prozess ergebende Sachlösung, eine Entscheidung oder eine Entscheidungsempfehlung, basiert dann auf einem rationalen Konsens, der das Wissen und die Ideen aller Beteiligten enthält, und auf einem emotionalen Konsens, der zu einer substanziellen Identifikation mit der Entscheidung führt und es darüber hinaus ermöglicht, dass alle Beteiligten damit leben können.
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Fragen zu Entscheidungen Wie gehen Sie persönlich mit Entscheidungsdruck um? Wann nehmen Sie ihn an und wann neigen Sie dazu, ihm auszuweichen? Was hat Sie in jüngerer Zeit daran gehindert, sich zu entscheiden (z.B. das Warten auf den richtigen Zeitpunkt, die Sorge vor den möglichen Folgen, die Mehrdeutigkeit der Problemsituation)? Inwieweit hat sich der Entscheidungsaufschub gelohnt? Inwieweit entscheiden Sie gewöhnlich intuitiv („aus dem Bauch heraus“) inwieweit rational, d.h. nach sorgfältiger gedanklicher Abwägung? Wie kombinieren Sie beide Herangehensweisen? Wie prüfen Sie vor wichtigen Entscheidungen die Validität und die Vollständigkeit Ihrer Informationen und Annahmen? Wie vermeiden Sie es, vor allem solche Informationen und Annahmen zu verwenden, die am wahrscheinlichsten zu Ihrem Wunschergebnis führen werden? Wenn Sie Entscheidungen mit bzw. für Ihr Team treffen: Welche Partizipationsstufe nach Peter Senge (Seite 90) bevorzugen Sie in welchen Situationen? Zu welcher Partizipationsstufe neigen Sie persönlich? Wenn Sie an die letzten Entscheidungen in Ihrem Team denken: Welche der von Ed Schein dargestellten Varianten (Seite 92 f.) kam am häufigsten vor? Welche Konsequenzen hatte das? Wenn Entscheidungen in Ihrem Team gefällt werden: Wie häufig gelingt ein emotionaler Konsens? Wie kommt er zustande? Welchen Preis sind Sie bezüglich der sachlichen Qualität der Entscheidung bereit, dafür zu bezahlen? Wenn Sie mit Ihrem Team wichtige und schwierige Entscheidungen treffen: Wie viel Geduld bringen Sie und die Anderen im Team auf, um abweichende Meinungen und Positionen zu verstehen, zu analysieren und zu bewerten? Inwieweit ist bei Ihren Entscheidungen die Möglichkeit einer Revision und eines kurzfristigen Kurswechsels vorgesehen, wenn sich wichtige Annahmen als falsch herausstellen sollten?
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Brücken in den Alltag Bei wichtigen persönlichen Entscheidungen hat sich der folgende Dreischritt bewährt: Spüren Sie zunächst Ihrer Intuition, Ihrem „Bauchgefühl“ nach. Es wird Sie in eine bestimmte Richtung lenken. Geben Sie dem jedoch nicht sofort nach, sondern listen Sie weitere Ziele, die vorhandenen Informationen, die Anforderungen an die Lösung und die Ihnen bekannten Lösungsmöglichkeiten mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen systematisch auf. Für diesen zweiten Schritt können die Methoden der rationalen Entscheidungsfindung sehr hilfreich sein. Fehlende Informationen müssen beschafft oder notfalls durch Annahmen ersetzt werden. Seien Sie sich dabei bewusst, dass es sich um Annahmen handelt, denn wer seine Theorien auf Vermutungen gründet, ohne etwas über ihre Richtigkeit zu wissen, hat spätere Fehler schon programmiert. Wenn das Ergebnis Ihrer Analyse vorliegt, achten Sie im dritten Schritt auf Ihr nun vorherrschendes Gefühl. Oft verändert es sich im Zuge einer Analyse. Lassen Sie das Ergebnis „sacken“ und folgen Sie dann Ihrem Gefühl. Spüren Sie deutliches Unbehagen, könnte Ambivalenz vorliegen („zwei Herzen schlagen in der Brust“). Vielleicht liegt auch ein Kategorienfehler vor: Haben Sie die richtigen Entscheidungskriterien gewählt? Haben Sie diese in der Analyse richtig gewichtet? Oder fehlt noch ein wichtiges Entscheidungskriterium? Vielleicht vertrauen Sie aber auch den zugrunde liegenden Informationen und Annahmen nicht. Bei starkem Unbehagen empfiehlt es sich, den analytischen Klärungsprozess noch einmal neu zu starten und das Ergebnis anschließend auch emotional noch einmal zu überprüfen. Diskutieren Sie gelegentlich mit Ihrem Team die Qualität der Entscheidungsfindung. Welche Qualität verlangen Sie für die zu berücksichtigenden Informationen und Annahmen? Welche Sorgfalt entwickeln Sie beim Modellieren der Problem- und der Zielsituation? Wie hoch ist Ihre Lernbereitschaft bei der späteren Überprüfung der Ergebnisse? Wie gut wird einander zugehört? Wie unterstützend ist das soziale Klima im Team? Verabreden Sie ein Treffen, in dem es einmal „ganz anders“ als sonst zugehen soll und werten Sie es hinterher ehrlich aus. Laden Sie zu einer Ihrer Sitzungen einen externen Beobachter ein, der dem Team professionelle Rückmeldung gibt.
Weiterführende Literatur
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Weiterführende Literatur Ardelt-Gattinger E, Lechner H, Schlögl W (Hrsg) (1998) Gruppendynamik. Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen Baecker D (1999) Organisation als System. Suhrkamp, Frankfurt am Main Berner W (2002) Emotionaler Konsens. http:/www.umsetzungsberatung.de Beyth-Marom R, Fischhoff B, Jacobs M, Furby L (1991) Teaching adolescents decision making. In: Baron J, Brown R (eds) Teaching Decision Making. Lawrence Erlbaum Associates, New Jersey, pp 19–61 Bohm D (1998) Der Dialog. Klett-Cotta, Stuttgart Dörner D (1989) Die Logik des Misslingens. Rowohlt, Reinbek Gigerenzer G, Todd PM (eds.) (1999) Simple Heuristics That Make Us Smart. Oxford University Press, New York Hüther G (2005) Biologie der Angst, 7. Auflage. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen Isaacs W (2002) Dialog als Kunst gemeinsam zu denken. Edition Humanistische Psychologie, Bergisch-Gladbach Klein S (2005) Alles Zufall. Rowohlt, Reinbek Kühl S (2006) Rationalitätslücken. In: Kühl S, Moldaschl M (Hrsg) Soziologische Beratung. Haupt, München Neuberger O (1995) Mikropolitik. Enke, Stuttgart Schein EH (2003) Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edition Humanistische Psychologie, Bergisch-Gladbach Schwarz G (1987) Die „Heilige Ordnung“ der Männer. Westdeutscher Verlag, Opladen Senge PM (1996) Die fünfte Disziplin. Klett-Cotta, Stuttgart Spitzer M (2002) Lernen. Spektrum, Heidelberg
Fragen Stefan Hölscher
Der Beitrag behandelt die Kunst des Fragens als zentrales Mittel der Steuerung sozialer Prozesse. Im ersten Hauptteil werden dabei ausgehend von der Diagnose, dass die Möglichkeiten des Fragens auch in Organisationskontexten im allgemeinen stark ungenutzt bleiben, Faktoren beleuchtet, die dazu beitragen, dass Fragen für unser Denken und Handeln produktiv wirksam werden. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich dann ausführlich mit systemischen Fragestellungen als hilfreichem Mittel, dem Handeln zugrunde liegende Annahmen und Interpretationen sichtbar zu machen und neue, kreative Denk- und Handlungsoptionen zu bilden. Dabei wird von einer einfachen Klassifizierung der wichtigsten Typen systemischer Fragen ausgegangen. Die jeweiligen Typen – zirkuläre Fragen, Operationalisierungs-, Differenzierungs- und Einschätzungsfragen, hypothetische und lösungsbezogene Fragen – werden in Hinblick auf ihre Logik, ihre Besonderheiten und Anwendungsmöglichkeiten bezogen auf die Praxis in Organisationen dargestellt und diskutiert. Der Beitrag endet mit Reflexionspunkten und Hinweisen für die Umsetzung in der Praxis.
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Fragen
Die Kunst des Fragens Fragen sind der Schlüssel zur Welt. Ein altes Sprichwort sagt: Wer fragt, der führt. Dieses Sprichwort lässt sich auch umdrehen: Wer führt, der fragt. Die Qualität von Führung zeigt sich gerade auch darin, produktiv Fragen zu stellen. Fragen können Dinge sichtbar machen und in Bewegung bringen: unreflektierte Annahmen, festgefahrene Meinungen und Denkgewohnheiten, das Gefühl, nicht weiter zu kommen, sich im Kreis zu drehen etc. Durch gutes Fragen können Situationen und Probleme klarer erfasst, Ursachen besser identifiziert, Hebelwirkungen und Ansatzpunkte deutlicher erkannt, Handlungsstrategien fundierter gebildet und überprüft werden. Fragen sind ein entscheidendes, oft sogar das entscheidende Instrument produktiver Problemlösung. Durch gutes Fragen kann Denken und vor allem auch gemeinsames Denken und Lernen in Gang kommen und an Fahrt gewinnen. Und das bedeutet auch: Fragen sind ein absolut zentrales Instrument der Steuerung sozialer Prozesse. Nichtsdestotrotz muss es eher als Regel denn als Ausnahme gelten, dass zu sparsam, zu uninteressiert, zu wenig situationsbezogen und zu unkreativ gefragt wird. In zahllosen Meetings, Teamsitzungen, Verhandlungssituationen, Mitarbeitergesprächen etc. wird zwar viel geredet, aber wenig gesagt; und dies liegt maßgeblich auch daran, dass die Beteiligten zwar stark mit dem selbstverliebten „Download“ ihrer eigenen Ansichten und Meinungen beschäftigt sind, daneben allerdings kaum erfragen und erkunden, welche Sichtweisen, andere haben und welche Bedingungen, Implikationen und Konsequenzen diese Sichtweisen auch im Verhältnis zu den eigenen Vorstellungen aufweisen. Die wenigen Fragen, die gestellt werden, sind oft Fragen der Art: „Was halten Sie denn davon, wenn wir es jetzt so machen?“ – „Sie finden doch auch, dass man das in der und der Weise sehen muss, oder?“ – „Machen wir das jetzt so oder so?“ – „Alles klar, oder haben Sie (etwa) noch Fragen?“ Der Anteil der echten, d.h. nicht rhetorischen, suggestiven oder anderen Schein- und Höflichkeitsfragen geht selbst bei wichtigen Gesprächsanlässen nicht selten gegen Null. Wie kommt es, dass ein so wirkungsmächtiges Mittel so unter Wert genutzt wir? Ein Teil der Antwort scheint zu sein, dass viele Menschen und insbesondere auch viele Führungskräfte wenig geübt und wenig kompetent im guten Fragenstellen sind. Hier fehlt es nicht selten schlicht an handwerklichem Können, und dies hängt wiederum damit zusammen, dass die Bedeutung von Fragen noch immer systematisch unterschätzt wird. Fragen werden für ein Instrument der Informationsabfrage und der Kontrollmöglichkeit gehalten. Das Bild ist: „Durch Fragen bekomme ich diejenigen Informationen, die der andere hat und die ich brauche.“ Das Bild ist nicht:
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„Durch Fragen entwickeln wir Einsichten und Ideen, die wir beide (so) vorher noch gar nicht hatten.“ Um Fragen in dieser Weise als Abfrageinstrument benutzen zu können, braucht es im wesentlichen nur zwei Voraussetzungen: man muss wissen, welche Informationen man gerade benötigt und man sollte der Sprache mächtig sein, in der ich man nach diesen Informationen fragt. Ernsthaft weiterzufragen, steht dabei gar nicht in Frage. Da das, was fehlt, nicht als fehlend bemerkt wird, öffnet sich überhaupt nicht der Horizont für das besondere Handwerk oder die Kunst des Fragens. Hierfür mit entscheidend ist darüber hinaus auch der folgende Umstand: Mitarbeiter und erst recht Führungskräfte in Organisationen werden für gute Ergebnisse, nicht aber für das Stellen guter Fragen bezahlt. Um Ergebnisse erzielen zu können, muss man zu Maßnahmen und Handlungen kommen, und genau hierhin geht denn auch der Blick – und zwar zu oft und zu schnell, so dass neue oder verhärtete Probleme die Folge sind, was aber nur den Druck erhöht und eher zu weiteren schnellen Maßnahmen und Handlungen führt als zu sorgfältigerem Nachfragen. Gutes Fragen hat es also unter dem permanenten Druck operativen Entscheidens nicht gerade leicht, und obwohl jedem klar ist, dass einseitiges und vorschnelles Handeln Probleme eher verstärkt als löst, hat der Glaube, es jetzt zu wissen, es sagen zu können, nicht zweifeln zu müssen, sondern entscheiden und handeln zu können ein gewaltiges Verführungspotenzial, zumal er mit dem angenehmen Gefühl einhergeht, die Dinge irgendwie unter Kontrolle zu haben, zumindest bis zur nächsten Hürde, auf die man stößt und die man mit einer anderen mehr oder weniger schnellen Gewissheit meint nehmen zu können. Je bedeutsamer ein Thema ist, umso mehr sollte man also darauf achten, jedenfalls dann, wenn man an tragfähigen Lösungen interessiert ist, ob überhaupt ernsthaft nachgefragt wurde, ob man den Spuren des Fragens nachgegangen ist und ob es bei diesen Spuren auch kritische Perspektiven gab, die einen anderen Weg als die jeweilige Main-Stream-Perspektive verfolgt haben. Und je mehr die Antwort darauf lauten sollte: „Dies war nicht der Fall“, umso mehr gibt es Grund, den so gewonnenen Überzeugungen und Entscheidungen zu misstrauen und lieber noch einmal mindestens einen Schritt zurück zu gehen, um den Prozess für Fragen zu öffnen. Dabei geht es selbstredend nicht darum, Fragen um des Fragens willen zu stellen, sich durch scheinbares Hinterfragen ein Alibi dafür zu verschaffen, was man ohnehin meinte, plante und umsetzen wollte. Wirksames Fragen ist immer auch echtes Fragen, und echtes Fragen birgt das Risiko oder eben auch die Chance von neuen Ideen und Veränderung. Folgende Faktoren können dazu beitragen, dass Fragen unser Denken und Handeln produktiv beeinflussen:
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Fragen
Vorbereitung Je mehr man von einer Sache weiß, umso eher kann man spezifische Fragen dazu stellen. Gleichzeitig ist der Wissensfaktor nicht immer entscheidend. Manchmal ist er sogar hinderlich. Zu viel Spezialwissen oder Detailkenntnis verstellt nicht selten den Blick auf neue Ansatzpunkte, und zu tief in einem Problem oder Konflikt vergraben zu sein, fördert nicht unbedingt die freie Sicht auf Handlungsmöglichkeiten. Vielfach kann gerade jemand, der deutlich weniger in die Sache involviert ist, fruchtbare Anstöße für sie liefern. (Hierin liegt auch ein Erfolgsrezept von Coaching: Weil der Coach mehr Abstand hat und gerade nicht „im gleichen Saft schmort“ wie sein Gegenüber, vermag er mit seinen Fragen und Impulsen eine andere und genau dadurch oft hilfreiche Perspektive ins Spiel zu bringen.) Ist Wissen für gutes Fragen also durchaus ambivalent, so ist Vorbereitung auf die Gesprächssituation sicher sinnvoll. Je wichtiger und unalltäglicher sich Thema, Art der Begegnung und Situationskontext darstellen, um so entscheidender wird sie. Für formellere Gespräche, wie etwa Meetings, Feedback- und Mitarbeitergespräche, Workshops etc., ist sie grundsätzlich anzuraten. Dabei kann Vorbereitung natürlich nicht immer bedeuten, sich stundenlang vorher hinzusetzen und alles mögliche auszuarbeiten. Hinreichend ist oft schon sich durch Fragen auf eine Gesprächssituation einzustimmen: „Was ist eigentlich mein Ziel? Und was ist mir in Hinblick auf Ergebnis, Inhalt, Atmosphäre und Prozess besonders wichtig? Was ist wohl das Ziel des bzw. der anderen? Wie sieht wohl die andere Seite die Lage und welche Bedürfnisse könnten damit verbunden sein? Welche Fragen können wohl in den Vordergrund rücken und welche Schwierigkeiten und Hürden können sich dabei ergeben?“ Um solche Fragen zumindest anzudenken, reichen oft schon einige Minuten, die man, wenn vorher nichts anderes möglich war, selbst noch auf dem Weg zum Gespräch im Sinne einer Minimalvorbereitung erübrigen kann. Sich einzustimmen bringt dabei – neben dem Gefühl einer größeren Situationssicherheit – den kaum zu unterschätzenden Vorteil, Fragefelder, Themen und Richtungen zumindest im Hinterkopf zu haben, so dass sie auch im Gespräch eher verfügbar sind und vorschnellen Festlegungen entgegenwirken können. Interesse an der in Frage stehenden Sache Dinge, die einen interessieren und bei deren Thematisierung man energiegeladen und hellwach ist, führen meist wie von selbst dazu, dass sich einem auch spannende und interessante Fragen aufdrängen. Natürlich wird man dabei nicht für jedes Thema das flammendste Interesse haben, selbst
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nicht für jedes Thema, das für die eigene Arbeit relevant ist oder eben einfach dazugehört. Wenn ein Thema nun aber schon mal auf der Tagesordnung steht und egal aus welchem Grunde es verdient, darauf zu bleiben, dann hilft es, um das eigene, möglicherweise zunächst noch verhaltene Interesse aktiv zu stimulieren, sich zu fragen: „Was finde ich an diesem Themenfeld spannend? Wo ist der Punkt, der mein Interesse und meine Neugier findet und bei dem ich einsteigen möchte und Fragen habe.“ Nahezu bei jedem Thema gibt es solche Punkte und fast wie von selbst generieren sie Fragen und Ideen, die ihrerseits Interesse fördern, was neues Denken und Fragen hervorbringt. Wertschätzendes Interesse am Gegenüber Die Haltung, mit der man sein Gegenüber, egal ob es sich dabei um einen einzelnen Gesprächspartner oder eine Gruppe handelt, sieht, ist entscheidend dafür, wie produktiv der Kontakt werden wird. Wenn man denkt: „Von dieser Pfeife ist nichts Nennenswertes zu erwarten“, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man tatsächlich nicht viel Nennenswertes aus dem Gespräch wird mitnehmen können (zumal man auch gar nicht ernsthaft danach Ausschau gehalten hat). Und wenn man denkt: „Der wird hier sowieso bloß taktieren und will doch gar nicht wirklich mit mir zusammenarbeiten,“ dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Qualität der Zusammenarbeit nicht eben gigantisch vorwärtsbewegt (zumal man selbst tendenziell taktischer und konkurrierender geworden ist dem Anderen gegenüber und so ganz nebenbei auch das Verhalten des anderen stärker in diese Richtung gebracht hat). Haltungen zu Personen sind wie Filter. Je eingeschränkter der Filter, um so eingeschränkter ist auch das, was „durchgeht“ und „rauskommen“ kann (womit sich die Berechtigung des jeweiligen Filters prima bestätigen lässt, da man ja ohnehin nur bekommt, was man schon erwartet hatte). Positiv ausgedrückt bedeutet das: Je mehr ich mein Gegenüber als interessanten Gesprächspartner ansehe, den ich schätze und von dem ich glaube, dass er mir wichtige Dinge zu sagen hat, um so höher ist auch die Chance, mit meinem Gegenüber zu interessanten und weiterführenden Punkten zu kommen. Und je mehr ich mein Gegenüber als gleichberechtigten Gesprächspartner ansehe (statt ihn etwa als Mittel zu betrachten, das mir bestimmte Outputs zu liefern hat), um so höher ist die Chance, dass sich zwischen uns auch ein tatsächlicher Dialog entwickelt, in dem neue Fragen und Ideen entstehen.
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Fragen
Offenheit Seinem Gegenüber mit wertschätzendem Interesse zu begegnen, wird natürlich auch die Bereitschaft zur Offenheit im Gespräch erhöhen. Nichtsdestotrotz ist Offenheit nicht nur ein Interaktionsphänomen, sondern auch eine Haltung in einem selbst. Offenheit bedeutet dabei nicht nur die Bereitschaft, sich auf Anderes und Neues einzulassen; Offenheit als innere Haltung bedeutet in Konsequenz auch, die Bereitschaft und Lust zu haben, eigene Annahmen in Frage zu stellen, wenn sich gute Gründe dafür ergeben, und dies auch dann, wenn es sich um grundlegende und tragende Annahmen des eigenen Bildes z.B. vom Markt, vom Kunden, vom Funktionieren der Organisation, vom Chef, von Mitarbeitern, Kollegen oder sogar von sich selbst handelt. Offenheit in diesem Sinn ist eine neugierig fragende Haltung zur Welt, die in letzter Konsequenz bedeutet, dass sich ultimative Gewissheiten egal worüber nicht gewinnen lassen, dass die Dinge „im Fluss sind“, und auch auf der Basis fundierter und stringent praktizierter Einstellungen, Werte und Ansichten immer wieder kritische Überprüfungen, Ergänzungen, Korrekturen und Modifikationen erforderlich machen. Es wäre menschenunmöglich (und auch gar nicht nötig) von sich oder anderen zu verlangen, sozusagen in Hinblick auf alles und jedes eine „absolute“ Offenheit mitzubringen. Bei jedem von uns wird man früher oder später auf Grenzen der Offenheit treffen, und dies umso eher, je mehr es um grundlegende Annahmen des eigenen Selbst- und Weltbildes geht („Wer bin ich? Was macht mich aus? Welches sind meine elementaren Bedürfnisse, Werte und Orientierungen?“ Etc.) Ähnlich wie beim Interesse an der Sache und beim Interesse am Gegenüber verhält es sich jedoch auch mit der Offenheit: Eine innere Offenheit wird ernsthaftes Fragen fördern und das Erleben der Produktivität dieses Fragens wird umgekehrt die Bereitschaft zur Offenheit verstärken. Geeignete Fragetechniken Fragetechniken können helfen, gezielter, genauer, facettenreicher und insgesamt produktiver zu fragen. Keine Fragetechnik kann allerdings über einen Mangel an Interesse an der Sache, am Gegenüber oder an der Bereitschaft zur Offenheit hinweghelfen. Sind diese Dinge vorhanden, so dürfte man sich bereits auf einem guten Weg befinden und der kompetente Umgang mit Fragetechniken kann dann die Wahrscheinlichkeit auf ein gutes und erfolgreiches Ergebnis noch einmal deutlich erhöhen. Ist andererseits nur die Technik spürbar, aber kein echtes Interesse und keine Offenheit, die diesen Namen verdient, so wird die Technik beim Gegenüber tenden-
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ziell Unbehagen, Argwohn oder Manipulationsverdacht auslösen und den Prozess damit im Gegensatz zu der mit ihr verfolgten Absicht eher mühsamer und ergebnisschwächer machen. Erfolgsentscheidend ist also letzten Endes nicht die Technik, sondern die Einstellung und Haltung hinter der Technik. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, die Kunst des Fragens auch methodisch zu fundieren. Welche Fragen im Einzelfall weiterführend sind, hängt dabei stark von der jeweiligen Situation und vom Gesprächsziel ab. Geht es um die Eröffnung von Themenfeldern, um das Verstehen von Sichtweisen, Orientierungen, Werten, Bedürfnissen oder um das bessere Begreifen von Problemen, ihren Ursachen und Wirkungen etc., so sind auf jeden Fall offene Fragen hilfreich: „Wie sehen Sie die gegenwärtige Situation?“, „Wie schätzen Sie die Entwicklung der letzten Wochen ein?“, „Worin glauben Sie, liegt zur Zeit das Haupthindernis?“, „Was halten Sie für besonders beachtenswert, um zu einer guten Lösung zu kommen?“ Etc. Was für Fragen generell gilt, gilt dabei für offene Fragen ganz besonders: sie werden für gewöhnlich viel zu selten gestellt. Da, wo sie sinnvoll oder erforderlich wären, finden sich stattdessen oft Fragen wie: „Sehen Sie das nicht auch so?“, „Teilen Sie die Einschätzung, dass das-und-das die Hauptursache ist?“, „Sollten wir dann jetzt nicht A tun? Oder halten Sie doch B für besser?“, „Wenn wir aber die Ergebnisse von vorhin zugrundelegen, müssen wir wohl A machen, oder?“ Solche geschlossenen Fragen sind durchaus wichtig und erforderlich werden sie spätestens dann, wenn es um Entscheidungen und Verabredungen geht. Im Vorfeld davon, etwa bei der Situationsanalyse, dem gemeinsamen Situations- und Problemverständnis, der Überlegung, wo aussichtsreiche Stellhebel sein könnten und mit welchen Schwierigkeiten zu rechnen ist etc., führt die einseitige Häufung geschlossener Fragen aber oft zu verengten Sichtweisen und suboptimalen Ergebnissen. Hier lohnt es sich bewusst gegenzusteuern und offenen Fragen nachzugehen, um der Spezifität der Gegebenheiten auch tatsächlich gerecht werden zu können. In beiden Phasen, sowohl, wenn Entscheidungen und Handlungsplanungen anstehen, als auch im Vorfeld davon, wenn es um das Verstehen der Situation, der Bedingungszusammenhänge und das Suchen geeigneter Handlungsideen geht, sind die sogenannten W-Fragen hilfreich, die die jeweils nötige Konkretisierung unterstützen können: Wer? Mit wem? Wozu? Mit welchen Mitteln? Wie? Wann? Wie oft? etc. Solche Fragen tragen dazu bei, notwendige Differenzierungen vorzunehmen und punktgenauer und damit auch transparenter und realistischer zu denken, zu planen und zu handeln. Ebenfalls hilfreich in potenziell allen Phasen von Gesprächen sind Verständnisfragen und verstehenssichernde Nachfragen: „Wie haben Sie diesen Punkt genau gemeint?“, „Was verstehen Sie eigentlich unter
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Fragen
...?“, „Bei mir ist angekommen, dass Ihnen das-und-das besonders wichtig ist. Habe ich Sie da richtig verstanden?“, „Wenn Sie sagen, dass Sie den Optimismus nicht teilen, könnten Sie einen Punkt nennen, den Sie besonders kritisch finden?“ Etc. Solche Fragen können in der Tat dazu beitragen, genauer zu verstehen, was eigentlich gemeint ist; sie können die Gefahr von Missverständnissen und unnötigen Reibungspunkten verringern; sie können helfen, sich besser in die Perspektive des anderen einzudenken und sie geben, jedenfalls wenn sie authentisch sind, dem Gegenüber den Eindruck ernst genommen zu werden, was sich für gewöhnlich sowohl auf die Beziehungsebene wie auch die Kooperationsbereitschaft positiv auswirkt. Umgekehrt gibt es Fragen, die in ihrem üblichen Gebrauch, jedenfalls dann, wenn einem an konstruktivem Zusammenkommen mit seinen jeweiligen Interaktionspartnern gelegen ist, nahezu immer fehl am Platze sind. Hierzu gehören besonders Suggestivfragen („Bestimmt haben Sie auch schon den überragenden Vorteil dieses Produkts bemerkt?“, „Sie finden doch sicher auch, dass kaum einer hier so intrigant ist wie Meier?“), unterstellende Fragen („Wie oft haben Sie in den letzten zwei Wochen diese Ergebnisse manipuliert?“, „Wie gehen Sie damit um, dass Ihre Kollegen Sie für den größten Versager der Firma halten?“) und Drohfragen („Machen Sie das jetzt, oder müssen wir erst Ihren Chef einschalten?“, „Dürfen wir jetzt mit Ihrer Unterstützung rechnen oder wollen Sie Krieg?“). Nichtsdestotrotz gibt es keine an und für sich guten oder schlechten Fragen. Da die Haltung des Fragenden für ihre Wirkung folgenreicher ist als ihr Wortlaut, und sich prinzipiell jede Technik je nach Verwendungsart konstruktiv oder destruktiv einsetzen lässt, können auch unorthodoxe und auf den ersten Blick wenig kunstgerechte Fragen durchaus fruchtbar sein. So können etwa Suggestivfragen helfen, dass Dinge angesprochen werden, die vorher nicht geäußert wurden, die aber von zentraler Bedeutung für den Fortgang des Geschehens sind: „Wir haben uns jetzt darauf geeinigt; aber wenn ich in Ihr Gesicht sehe, so habe ich nicht den Eindruck, dass Sie besonders glücklich über das Ergebnis sind: Sind Sie sicher, dass es wirklich das ist, was Sie wollen? Haben wir hier das Ergebnis, von dem Sie wohl auch in einigen Monaten noch sagen werden: Gut, dass es das geworden ist?“ Selbst unterstellende Fragen können, wenn sie getragen sind von Wertschätzung statt von Aggressivität und in ihrer Formulierung eher spielerisch-pointierende Leichtigkeit als groß-inquistorischen Eifer zeigen, eine kreative Wirkung entfalten: „Sehe ich das richtig: Sie sind alle miteinander der Ansicht, dass Alternative A so inadäquat und abwegig ist, dass wir mit ihr hier wirklich nicht unsere kostbare Zeit verplempern sollten; wir sollten sie schlicht ad acta legen und vergessen und uns voll auf Alternative B konzentrieren, da hier alle, aber auch wirklich alle guten Argumente lie-
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gen?“ Derart freundlich unterstellende Zuspitzungen können helfen, dass man den eigenen Standpunkt noch einmal kritisch überdenkt, ihn zumindest bewusster bemerkt, statt auf seiner Grundlage blindlings weiterzuhandeln. Welche Frage wie wirkt, wird letztlich immer der weitere Gesprächsverlauf erweisen. Gut ist es daher, ein waches Auge darauf zu werfen, wohin einen das Fragen gerade führt: wie die Reaktion des Gegenübers ist, ob man miteinander weiterkommt oder sich im Kreise dreht, ob Energie in dem Gespräch entsteht oder sich nach und nach daraus verabschiedet, wie es einem selbst gerade geht etc. Und gut ist ebenfalls aus solchen Beobachtungen sinnvolle Konsequenzen zu ziehen, also z.B. die Art oder den Fokus des Fragens zu verändern, was um so relevanter wird, je mehr es um das Verstehen komplexer Zusammenhänge und das Entwickeln neuer Lösungen geht. Um hier aus den eingefahrenen, aber nicht immer erfolgreichen Denk- und Handlungsmustern herauszukommen, ist es hilfreich, Fragen parat zu haben, die solche Muster erst einmal ans Licht bringen und neue Denk- und Handlungsmöglichkeiten sichtbar machen können. Eine Fragetechnik, die einem hierfür gute Dienste leisten kann, ist die Technik systemischer Fragen.
Systemische Fragen Systemische Fragen sind ein Diagnose- und Interventionsinstrument, das im Bereich systemischer Beratung und Therapie entwickelt wurde, aber weit darüber hinaus Bedeutung und Relevanz besitzt. Leitend für den systemischen Beratungs- und Therapieansatz ist die Frage, wie soziale Systeme ihre Realität konstruieren, d.h. von welchen Annahmen und Orientierungen solche Systeme ausgehen und welche Handlungseffekte sie aufgrund ihrer Annahmen und Orientierungen produzieren. Als soziale Systeme lassen sich dabei alle wie auch immer gearteten Vereinigungen von Menschen betrachten, also z.B. Familien, Gruppen, Organisationseinheiten, Organisationen als Ganzes, Gesellschaften etc. Das Kennzeichen sozialer Systeme ist die Fähigkeit zu kommunizieren oder wie sich dafür auch sagen lässt sozial zu interagieren. Jeder Kommunikation liegen dabei bestimmte Realitätskonstruktionen zugrunde, was abstrakt klingt, aber gleichwohl in unserem Alltag überall konkret spürbar wird: Wir Menschen als Träger sozialer Systeme können gar nicht anders als Annahmen, Erwartungen und Bilder, z.B. über unser jeweiliges Gegenüber, die Situation und den Kontext zu bilden; wir bilden, jedenfalls wenn wir in Organisationen tätig sind, Prämissen und Schlussfolgerungen über unsere Kunden, den
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Markt, die Kollegen, die Mitarbeiter, den Chef, die Charakteristika der Organisation als Ganzes etc.; und natürlich haben wir auch alle möglichen Bilder und Annahmen über uns selbst: wer wir sind, was uns ausmacht, was unsere Stärken und Schwächen sind, wohin wir wollen, was wir mögen und brauchen und was wir gerade nicht mögen und brauchen. Solche Annahmen, ob nun von Einzelnen, von Gruppen oder größeren sozialen Einheiten (wie Organisationen oder Gesellschaften), sind in sozialen Systemen permanent im Spiel. Die jeweiligen Annahmen, Bilder und Interpretationen sind dabei quasi wie Landkarten; sie geben Orientierung und steuern das Handeln, wobei für gewöhnlich gilt: je grundlegender die Annahme, desto weniger expliziert und reflektiert ist sie auch. Die selbstverständlichsten Annahmen sind gemeinhin auch die wirkungsmächtigsten. Und das heißt: die grundlegenden Weichenstellungen für unser Handeln sind uns zumeist gar nicht wirklich bewusst oder transparent. Wir handeln einfach nach ihnen, was auch nicht weiter schädlich ist, solange unser Handeln fruchtbare Effekte produziert. Anders sieht es allerdings in Problem-, Konflikt- und Krisensituationen aus. Hier sind Menschen tendenziell nur sehr wenig oder gar nicht in der Lage wahrzunehmen, dass sie – wie es mit hoher Regelmäßigkeit der Fall ist – aufgrund der Effekte ihrer handlungsleitenden Annahmen munter mit dazu beitragen, das Problem zu erhalten, zu verschärfen oder überhaupt erst hervorzurufen, so etwa wenn grundlegende Bilder und Landkarten des einen (z.B. darüber, auf welche Weise Entscheidungen zu erfolgen haben) nicht mit den Bildern und Landkarten des anderen harmonieren, wenn Annahmen in ihrem Geltungsanspruch so ausgeweitet werden, dass sie auf Bereiche bezogen werden, auf die sie nicht mehr passen (z.B. die Annahme, dass man in jeder Situation freundlich und entgegenkommend zu sein habe) oder wenn einstmals angemessene Grundprämissen nicht länger tragfähig sind, weil sich die (Um-)Welt signifikant verändert hat (z.B. die Prämisse, dass stabile und langfristige Bindungen eine oder sogar die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg in Organisationen sind). In solchen und zahllosen anderen Fällen liegt die größte Hebelwirkung auf der Ebene der dem Handeln zugrunde liegenden Ausgangsannahmen. Nötig für eine produktive Problemlösung ist es dann, einen erkundenden Blick hinter die Bühne des operativen Geschehens zu werfen und genau hierfür stellen systemische Fragen ein hervorragendes Instrumentarium dar. Systemische Fragen helfen zu erfassen, was eine bestimmte individuelle oder soziale Perspektive eigentlich ausmacht, welche signifikanten Implikationen und Effekte sie hat und wie diese Perspektive mit anderen relevanten Perspektiven und deren Implikationen und Effekten interagiert und harmoniert. Deutlich werden kann so, welche typischen Wirkungszusammenhänge in den jeweils betrachteten Handlungsfeldern bestehen
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und welche von den involvierten Personen und Systemen zugrunde gelegten Annahmen Stellgrößen sind, um diese Wirkungszusammenhänge so zu beeinflussen, dass die Chance auf ein möglichst angemessenes und wirkungsvolles Handeln (weiter) steigt. Einige „Klassiker“ systemischen Fragens sollen nun nachfolgend vorgestellt und anhand von Beispielen erläutert werden. 1. Zirkuläre Fragen Für gewöhnlich fragen wir direkt. A fragt B.: „Wie schätzen Sie das-unddas ein?“, „Was halten Sie von X?“, „Was sollten wir nach Ihrer Ansicht in dieser Angelegenheit weiter tun?“ Etc. Zirkuläre Fragen folgen einer anderen Logik. A fragt B, was B meint, was C denkt, will, beabsichtigt, fühlt etc.; z.B.: “Was glauben Sie, was diesem Kunden gerade besonders wichtig ist? Was erwartet er von uns und worauf achtet er wohl vor allem?“
Zirkuläre Fragen sind gleichsam eine Einladung zur Einnahme einer anderen Perspektive. Indem B sagt, was er glaubt, was in C vorgeht, muss B zumindest den Versuch unternehmen, für einen Moment in C’s Perspektive zu schlüpfen. Und genau hierin liegt der Charme zirkulärer Fragen. Wir alle sind es gewohnt die Dinge aus unserer eigenen Perspektive heraus zu betrachten und merken oft gar nicht, dass dies bloß eine unter vielen, bei Leibe aber nicht die eine, „einzig richtige“ Sichtweise ist. Immer wieder führt dies auch zu „Tunnelblick“-Phänomenen: Man ist so gefangen in seiner eigenen Sichtweise, dass man gar nicht mehr in der Lage ist, wahrzunehmen, was rechts und links davon passiert und sich mit größerem Kraftaufwand zu verrennen droht. Zirkuläre Fragen können solche Blickverengungen zu verhindern helfen, indem sie es ermöglichen, andere relevante Perspektiven ernsthaft zu betrachten und mit den eigenen Vorstellungen abzugleichen. Dabei kann, wenn A B nach seinen Vermutungen in Hinblick auf C fragt, C anwesend sein oder nicht. So kann es ausgesprochen wichtig sein, sich beispielsweise in einem Team Gedanken darüber zu machen, was wichtige Dritte, etwa bestimmte Kunden, andere Organisationseinheiten, Chefs und Auftraggeber an der gegenwärtigen Kooperationsgestaltung wohl besonders schätzen und was sie wohl eher schwierig finden, was sie erwarten und wollen und was sie umgekehrt gerade nicht erwarten und nicht wollen. Wenn man sich auf eine derartige Betrachtung ernsthaft und systematisch einlässt, hat man nicht nur die Chance sich genauer in die Perspektive dieser Dritten einzudenken, sondern man bekommt zugleich auch noch die Möglichkeit, zu prüfen, in-
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wieweit die Bilder und Vorstellungen, die die einzelnen Beteiligten über den jeweiligen Dritten haben, überhaupt zusammenpassen und miteinander harmonieren. Die Erfahrung zeigt, dass man dabei immer wieder größere Überraschungen erleben kann dergestalt, dass sich selbst in miteinander vertrauten und schon längere Zeit zusammen arbeitenden Teams Differenzen, Heterogenitäten und Inkonsistenzen auch in Hinblick auf zentrale gemeinsame Themen und Fragestellungen auftun. Und egal wie man solche Unterschiede dann weiter behandelt; ob man darin sinnvolle Ergänzungen sieht, die sich zu einem vollständigeren Bild integrieren lassen, ob man manche Bilder revidieren, die Sache noch einmal überprüfen oder das Ganze von anderen Aspekten aus noch einmal durchdenken muss, in jedem Fall ist es hilfreich, vorhandene Einschätzungsunterschiede zu erfolgskritischen Faktoren gemeinsam anzuschauen, um nicht in ein unabgestimmtes, inadäquates oder inkonsistentes Verhalten hineinzulaufen. Je wichtiger dabei das reflektierte Thema ist, je mehr Unklarheit in Hinblick auf C’s Vorstellungen herrscht und je entscheidender C’s Verhalten für einen guten Erfolg ist, um so sinnvoller wird es sein, den jeweiligen C, über dessen Haltungen und Vorstellungen man sich Gedanken gemacht hat, im Anschluss an die internen Überlegungen auch noch direkt zu befragen. Eine besondere Situation ergibt sich dann, wenn C bei den Hypothesenbildungen von B über C direkt anwesend ist. In diesem Fall bekommt C zugleich eine Form von Feedback von B, nämlich ein Feedback darüber, wie sein Verhalten bei B ankommt. Beispielsweise fragt A, eine Führungskraft, die mit B und C, zwei sich mit schöner Regelmäßigkeit streitenden Mitarbeitern ein klärendes Gespräch führen möchte, B: „Was glauben Sie, lieber Kollege B, wie Kollege A die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden momentan erlebt? Was schätzt er wohl und was stört ihn?“
In Gegenwart von C den B über C zu befragen, ist natürlich zunächst einmal ungewöhnlicher. Warum fragt man nicht gleich C direkt, wie er es sieht? Was soll der Weg über B? Was hier auf den ersten Blick wie ein Umweg aussieht, kann der Einstieg in einen intensiven Austausch sein. Wenn C einfach nur direkt befragt wird, passiert es nicht selten, dass, selbst wenn es sich bei B und C gar nicht um Streithähne handelt, C zu B genau das sagt, was er immer in solchen Situationen zu sagen pflegt und B von C genau das versteht, was er immer in solchen Situationen zu verstehen pflegt und möglicherweise bringt das Gespräch B und C dann nicht einen Deut weiter, obwohl dies dringend nötig und auch möglich wäre. Wenn andererseits B in C’s Gegenwart über seine, B’s Vermutungen zu C’s Wünschen, Ansichten, Erwartungen etc. spricht, dann wird C mit größerer Wahrscheinlichkeit schon einmal eines tun, worin bereits ein erster wichtiger Unterschied zu sonstigen Begegnungen der beiden liegen kann,
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nämlich genauer zuhören. Des weiteren wird C recht punktgenau prüfen können, inwieweit B’s Hypothesen über seine Vorstellungen, Erwartungen und Wertungen zu seinem eigenen Erleben davon passen, und er wird, wenn er nach der Äußerung der Vermutungen durch B von A zum Gegencheck direkt befragt wird, sagen können, bei welchen Punkten er tatsächlich eine gute Passung sieht und bei welchen nicht. Durch den sich so ergebenden Wechsel von zirkulärem und direktem Fragen entsteht dann die Möglichkeit, dass in dem Gespräch gleichermaßen Verbindendes wie Differentes und Spannungsvolles deutlicher und damit auch klarer verhandelbar wird. Dieser Gewinn an Klarheit und Prägnanz ist ein kaum zu unterschätzender Vorteil. Situationen, in denen die Beteiligten größeren Argwohn, Skepsis oder Antipathien gegeneinander verspüren oder in denen sie sich miteinander oder allein schlichtweg festgefahren haben, zeichnen sich nämlich nicht nur durch Tunnelblickphänomene aus, sondern auch dadurch, dass man auf direktes Fragen häufig nur sehr wenig substantielle Antworten erhält. Die Gefahr ist groß, dass wenn etwa Führungskraft A seine Mitarbeiter B oder C ausschließlich direkt befragt, er von jedem das „alte (Klage-)Lied“ oder aber relativ dünne Antworten zu hören bekommt. A zu B: „Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit dem Kollegen C momentan?“ – B: „Na ja, so lala, Sie wissen schon.“ – A: „Aha. Und wie sehen Sie das, Herr C?“ – C: „Na ja, so wie eben schon öfter, Sie wissen ja.“ Wenn A demgegenüber zirkulär fragt: „Was glauben Sie denn, Herr Kollege B, wie Kollege C zur Zeit ihre Zusammenarbeit wahrnimmt, was gefällt ihm wohl, was missfällt ihm?”,
dann kann Kollege B nicht einfach nur sein „altes Lied“ anstimmen und er muss auf jeden Fall etwas Inhaltsreicheres als bloß „so lala“ von sich geben, und egal, was er dann sagt, wie treffend oder wenig treffend, wie zentral oder peripher, wie offen oder „mauernd“ es ist, A kann der Spur der Antwort näher nachgehen und er kann C fragen: „Ja, ist es das, was Sie zur Zeit wahrnehmen? Ist es das, was Ihnen gefällt und missfällt?“ Und etwas später kann er C fragen, was dieser in Hinblick auf B glaubt. Zirkuläre Fragen können also ein gutes Mittel sein, um in sensiblere Themen hineinzukommen und sie sind zugleich ein gutes Mittel, genauer und intensiver auf die verschiedenen relevanten Perspektiven und ihr Zusammenwirken im Handeln zu schauen. Voraussetzung ist dabei, dass man mit dem Eruieren der Vorstellungen über die jeweilige Perspektive am Ball bleibt. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine zirkuläre Frage bringt noch keinen Perspektivenwechsel. Der Sog der eigenen Perspektive ist ausgesprochen hoch, und es gilt: je höher die emotionale Erregung oder Verstrickung in etwas ist, um so schwieriger wird es, andere
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Perspektiven ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen. Hier muss man einiges dafür tun, damit ein forschendes Hineingehen in eine andere Perspektive überhaupt zustande kommt. Unterstützend kann dabei zum einen ein zirkuläres Nach- und Weiterfragen und zum anderen eine möglichst anschauliche und spezifizierende Perspektiveninitialisierung sein: „Angenommen, Kunde X, mit dem Sie in letzter Zeit im Service solche Probleme hatten, säße jetzt hier, Sie selbst wären gar nicht mit dabei, aber wir hätten ein wenig Zeit und ich würde ihn fragen, wie er Ihre Serviceleistung und die Kontaktgestaltung in letzter Zeit erlebt hat? Was denken Sie, würde er mir sagen?“
Wenn man den Eindruck hat, dass schon allein der Umstand, dass man seinem Gegenüber eine zirkuläre Frage stellt, für das Gegenüber befremdlich ist, so kann man solche Fragen gleichsam auch ankündigen und vorbereiten: „Ich möchte Ihnen gerne eine Frage stellen, die Ihnen vielleicht im ersten Moment merkwürdig erscheint. Aber mir ist es wichtig, dass wir die Sache auch noch einmal unter einem etwas anderen Blickpunkt betrachten.“
Ein wenig ungewohnter ist der Umgang mit zirkulären Fragen in der Regel allerdings nicht nur für den Befragten, sondern auch für den Fragenden. Von unserem intuitiven alltagssprachlichen Fragen ist die zirkuläre Logik deutlich weiter entfernt als andere Arten systemischen Fragens (z.B. Operationalisierungsfragen oder Einschätzungsfragen). Von daher gibt es auch für den Fragenden, dem das systemische Instrumentarium weniger vertraut ist, eine starke Tendenz, in seine gewohnte Art, auf die Dinge zu schauen, zurückzugehen, und das heißt in diesem Fall: vor allem direkt zu fragen. Gerade wenn man anfängt zirkuläre Fragen stärker nutzen zu wollen, ist es deshalb nötig, die eigene Aufmerksamkeit relativ direkt auf das Formulieren solcher Fragen zu richten und es sich zu erlauben, dass die eine oder andere Frage wahrscheinlich etwas holpriger und konstruierter klingen und die Quote der mit Leichtigkeit gesetzten Volltreffer wahrscheinlich zunächst sehr überschaubar bleiben wird. Sinnvoll ist es daher auch, und dies gilt letzten Endes für alle systemischen Fragen, solange man noch unerfahrener mit ihnen ist, sich systematisch Übungsmöglichkeiten zu schaffen, also „Einsatzorte“, an denen man diese Fragen ausprobieren und das Risiko dabei geringer halten kann als z.B. in der schwierigsten Verhandlungssituation mit dem größten Kunden, dem hitzigsten Konfliktgespräch mit dem eigenen Chef oder der entscheidenden Runde der Bewerbung um eine neue Stelle. Situationen, in denen es um Problemlösungsprozesse geht und in denen man sich relativ entspannt und sicher fühlt, sind zum weiteren Ausprobieren bestens geeignet: z.B. Gespräche mit Kollegen oder Mitarbeitern, mit denen man gut klar kommt, Gespräche mit Freunden oder in
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der Familie oder Situationen eigenen Nachdenkens. Gerade letztere sind ein nicht zu unterschätzendes Anwendungsfeld, und das nicht nur zu Übungszwecken. Alle Funktionen zirkulärer Fragen wie das systematische Hineindenken in andere Perspektiven, die ganzheitlichere Betrachtung von komplexen Problemzusammenhängen, die Planung und Prüfung von Vorgehensstrategien, die Einstimmung auf wichtige Handlungssituationen mit anderen etc. – all dies kann man auch im inneren Dialog für sich selbst nutzen. Z.B. kann man sich fragen: „Was ist es wohl, was mein neuer Chef am meisten von mir erwartet? Was ist ihm wohl am wichtigsten, und was muss ich tun, um seine positive Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu gewinnen? Was in meinem Handeln würde andererseits wohl dazu führen, dass er denkt: „Hat der überhaupt seinen Job verstanden? Weiß er überhaupt, wo er sich befindet und mit wem er es zu tun hat?“
Sich solche und ähnliche Fragen zu stellen, ist nicht nur angesichts eines neuen Chefs und neuer Rahmenbedingungen von Zeit zu Zeit durchaus heilsam. 2. Operationalisierungsfragen Operationalisierungsfragen zielen auf Indikatoren, d.h. sie eruieren, was in Hinblick auf einen behaupteten oder in Frage stehenden Sachverhalt wahrnehmbar und beobachtbar ist. Beispiele sind: „Wenn unser Ziel heißt: mehr Kundenorientierung, woran würden denn unsere Kunden merken, dass wir noch stärker an Ihren Wünschen und Bedürfnissen orientiert sind?“ „An welchen Signalen und Reaktionen des Verkäufers könnten Sie erkennen, dass möglicherweise noch mehr finanzieller Verhandlungsspielraum da ist, als er zunächst behauptet?“ „Woran machen Sie fest, dass die vorgeschlagene Vorgehensweise, wie Sie sagen, untauglich ist?“ „Wenn Sie meinen, Herr Schulz sei unkollegial: Was tut denn Herr Schulz oder was tut er gerade nicht, so dass Sie zu der Einschätzung kommen, es mangele ihm an der erforderlichen Kollegialität?“
Indem Operationalisierungsfragen auf Beobachtbares zielen, tragen sie zur Präzisierung und Konkretisierung in Gesprächen bei. Oft gebrauchen Menschen zwar die gleichen Worte, sie verstehen aber ganz unterschiedliche Dinge darunter oder wissen bei näherem Hinsehen gar nicht so genau, was sie eigentlich mit einem bestimmten Begriff meinen. In solchen Situationen können Operationalisierungsfragen helfen, das Gemeinte zu klären und ein gemeinsames Verständnis herbeizuführen. Gleichzeitig können Operationalisierungsfragen auch zur Versachlichung beitragen. Oft werden
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Wertungen artikuliert, ohne dass der Sprecher merkt, dass er wertet. Er sagt: „Das passt. Unser Verhältnis ist entspannt. Ich bin cool. Der Kunde lügt“ und meint damit Dinge zu beschreiben, „so wie sie sind.“ Nun können Wertungen solange als unproblematisch gelten, wie die miteinander interagierenden Personen ihre Wertungen teilen und mit den auf ihnen beruhenden Handlungen auch längerfristig erfolgreiche Resultate erzielen. Beides ist jedoch offenbar nicht immer der Fall. Es gibt Konflikte und Spannungen, also Situationen, die sich gerade durch unterschiedliche oder gegensätzliche Wertungen auszeichnen, und es gibt Fälle, in denen Wertungen sich früher oder später als problematisch herausstellen, z.B.: „Es lassen sich Weltautos produzieren, die passen auf alle Märkte gleichermaßen gut.“ Oder: „Wer nicht in großem Stil global akquiriert und fusioniert, der wird eher früher als später eliminiert.“ In solchen Situationen ernsthaft zu prüfen: „Was ist denn bei genauerer Betrachtung beobachtbar? Welche Indikatoren liegen vor? Woran können wir erkennen, dass das Angenommene auch wirklich zutrifft? Welche positiven Beispiele gibt es? Und welche Gegenbeispiele lassen sich ausmachen?“ etc. – solchen und ähnlichen Fragen systematisch nachzugehen, kann nicht nur helfen, die Dinge deutlich unverzerrter und realitätsbezogener wahrzunehmen, sondern trägt auch dazu bei, stärker zu gemeinsamen Sichtweisen zu gelangen. Gerade von differenten und konfliktiven Ansichten gekennzeichnete Situationen sind dazu prädestiniert, dass man sich, bleibt man nur beharrlich genug bei den eigenen Vorstellungen und Wertungen, immer weiter festfährt und miteinander verhakt. Operationalisierungsfragen bieten hier die Chance, dass man, selbst wenn die Wertungen auseinandergehen, zu Punkten kommt, in denen zumindest eher Übereinstimmung möglich ist, da man über konkret Wahrnehmbares (statt über allgemeine Wertungen und Schlussfolgerungen) spricht. Gleichzeitig signalisieren Operationalisierungsfragen dem Gegenüber, dass man ihn ernst nimmt und ihn genauer verstehen möchte, was sich gemeinhin positiv auf die Beziehungsebene auswirkt und oft tatsächlich zu einem besseren Verständnis führt, da man so wechselseitig sowohl übereinstimmende wie auch voneinander abweichende Wahrnehmungen und Wertungen klarer erkennt und so die Basis für eine tragfähigere Übereinkunft schafft. Operationalisierungsfragen sind insgesamt ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Mittel, miteinander und an der in Frage stehenden Sache produktiv weiterzukommen. Daneben bieten diese Fragen einem auch die gute Möglichkeit, den Ball an den anderen zurückzuspielen und so etwas mehr thematisches Material und Zeit zu gewinnen, beispielsweise in Situationen, wenn das Statement des anderen einen stark überrascht oder wenn der andere Kritik oder Ärger äußert, wozu man nicht sofort nur „Ja, genau“ sagen kann oder möchte. Auch wenn man Operationalisierungsfragen in
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dieser Weise, also um den Ball erst noch einmal zurück zu geben, einsetzt, ist eines für ihre weitere Wirkung im Gespräch allerdings fundamental: nämlich ob der andere sie als tatsächlich konstruktiv-lösungsorientiert und getragen von dem Wunsch, genauer zu verstehen, erlebt oder aber ob er das Gefühl bekommt, er solle nun noch etwas mehr Material produzieren, um dann möglichst „kunstgerecht“ widerlegt oder vorgeführt zu werden. In dieser Weise gebraucht sind Operationalisierungsfragen Waffen, und wer sie als Waffen einsetzt, sollte sich nicht wundern, wenn die andere Seite entsprechend kontert. 3. Differenzierungsfragen Besonders in Stress- und Konfliktsituationen, aber nicht selten auch unter ganz entspannten „normalen“ Bedingungen neigen Menschen zu Polarisierungen. Es entsteht ein Schwarz-Weiß-Spiel, in dem es nur noch um „gut oder schlecht“, „richtig oder falsch“, „passend oder unpassend“, „brauchbar oder unbrauchbar“ geht. Differenzierungsfragen laden demgegenüber dazu ein, Ideen, Überzeugungen, Stimmungen, Konzepte etc. genauer zu unterscheiden und abzustufen. Sinnvolle Differenzierungen lassen sich dabei etwa durch Fragen nach Prozenten, Skalenwerten oder Klassifizierungen erreichen: „Was glauben Sie, zu wie viel Prozent erfüllen Sie derzeit die Erwartung Ihrer Kunden, schnell und zuverlässig beliefert zu werden?“ „Angenommen man würde Ihre Mitarbeiter bitten, ihre momentane Motivation im Team auf einer Skala zwischen 0 und 10 einzuschätzen, wobei „0“ bedeuten würde „gar keine Motivation (mehr)“ und „10“ bedeuten würde „total motiviert“, in welchem Bereich lägen wohl die meisten Einschätzungen?“ „Mit welchen Kunden kommen Sie derzeit am besten klar, mit welchen durchschnittlich gut und mit welchen nicht so gut?“
Differenzierungsfragen helfen zu einer klaren, aber nicht pauschalen Einschätzung zu kommen. Zugleich wecken sie das Bewusstsein dafür, dass sich Dinge auf einem Spektrum und nicht in binären „Ja-Nein“-Zuständen bewegen. Dadurch wird es auch leichter möglich, auf die andere Seite einer vorschnell oder einseitig aufgelösten Ambivalenz zu schauen. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter seinem Chef sagt, dass er mit einem Kollegen aus einer anderen Abteilung größte Probleme habe, da dieser so „unflexibel und stur“ sei, so kann der Chef etwa fragen: „Wie schätzen Sie denn die Qualität der Zusammenarbeit mit dem Kollegen auf einer Skala von 0 bis 10 gegenwärtig ein, wenn „0“ bedeutet „miserabel“ und „10“ bedeutet „absolut gut“?“
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Und egal zu welcher Einschätzung der Mitarbeiter auf der Skala gelangt, der Chef kann in jedem Fall, nachdem er sich hat einige der Probleme, die der Mitarbeiter in der Zusammenarbeit sieht, schildern lassen, auch auf die andere Seite gehen und nach den positiveren Erfahrungen fragen. Wenn der Mitarbeiter die Qualität der Zusammenarbeit z.B. bei „3“ einschätzt hat, so kann der Chef sagen: „Es gibt also auch noch irgendetwas, was zwischen Ihnen beiden funktioniert. Was ist das denn?“
Und selbst wenn, was nur in selteneren Fällen passieren dürfte, der Mitarbeiter die Qualität der Zusammenarbeit zunächst mit „0“ einschätzt, heißt das noch nicht, das auf der anderen, positiveren Seite nichts zu finden ist. „Zwischen Ihnen beiden gibt es also tatsächlich nichts auch nur ansatzweise Brauchbares in der Zusammenarbeit. Da funktioniert schlechterdings nichts, aber auch rein gar nichts.“ Äußerungen dieser Art, die das behauptete Fehlen funktionierender Zusammenarbeit, noch einmal deutlichst pointieren, führen häufig dazu, dass das Augenmerk doch noch auf irgendetwas Positives fällt, was die Einseitigkeit der Aufmerksamkeit auf das Defizitäre brechen und das Bewusstsein dafür, dass es unterschiedliche Qualitätsfacetten gibt, wieder schärfen kann. Neben dem Effekt, dass sie realitätsverzerrenden Einseitigkeiten entgegensteuern, bieten Differenzierungsfragen zugleich noch die Chance, tiefer in Themen hineinzukommen, indem sie deren Entwicklung fokussieren. So lässt sich nach der Angabe der Einschätzung eines Skalenwertes etwa fragen, wie wohl die Einschätzung auf dieser Skala zu dem in Frage stehenden Thema vor z.B. einem Jahr ausgefallen wäre und, wenn sich hier eine Abweichung zeigt, so ist es sinnvoll, nach Gründen für die veränderte Einschätzung zu fragen, was oft wichtige Bedingungen und Wirkfaktoren sichtbar werden lässt. Ebenso kann es wichtig sein, Prognosen für die Zukunft zu erfragen: „Was schätzen Sie denn, bei welchem Wert die Qualität der Zusammenarbeit in einem Jahr ist, wenn es so weiterläuft wie bisher? Und was müsste wohl passieren, um von dem Wert 3 zumindest wieder zu 4 oder sogar 5 zu kommen?“ Fragen wie die letztgenannte können dazu beitragen, überschaubare und praktikable Veränderungsschritte ins Visier zu nehmen, was in den meisten Fällen deutlich erfolgversprechender ist, als etwa die Frage: „Wie kommen wir denn jetzt aus diesem Fiasko heraus und auf direktem Wege ins Paradies?“
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4. Einschätzungsfragen (Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion) Diese Fragen kommen auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch häufig vor. Gemeint sind damit alle direkten Fragen, bei denen A B nach seinen Ansichten zu einer Situation, nach seinen Einschätzungen zu Bedingungen, Ursachen und Entwicklungen, nach Prognosen oder Bewertungen und dergleichen fragt. Beispiele für solche Fragen sind: „Wie erleben Sie gegenwärtig die Fortschritte im Projekt? Was, denken Sie, hat sich besonders gut entwickelt, was läuft noch nicht so gut?“ „Was ist nach Ihrer Einschätzung hauptursächlich für die positiven Ergebnisse und was für diejenigen Punkte, die noch nicht richtig gut laufen?“ „Wo werden wir nach Ihrer Prognose mit dem Projekt wohl in einem Jahr stehen, wenn alles so weiterläuft wie bisher?“ „Worin sehen Sie einen geeigneten Stellhebel, um die Entwicklung insgesamt noch positiver zu beeinflussen?“
Auch Fragen dieser Art zielen auf ein konstruktives oder interpretatives Element, da, egal, was A B fragt, er damit immer nur B’s subjektive Sichtweisen erfährt, aber nie, egal wie fundiert und empiriegestützt B’s Sichtweisen sind, die „Wahrheit oder Wirklichkeit an und für sich“, frei von jedweder Interpretation. Diese „an sich seiende Wirklichkeit“ ist, nicht, weil A irgendwie ungeschickt fragt oder B nicht wirklich ehrlich antwortet, nicht „buchstäblich“ zu erfahren, sondern es gibt sie schon deswegen nicht, weil jede Antwort, jeder Gedanke, jede Einsicht, jede Erkenntnis immer schon eine bestimmte Perspektive der Wahrnehmung und damit auch eine bestimmte Vermittlung oder eben (Mit-) Konstruktion der Realität voraussetzt. Diese Konstruktivität und Perspektivität mit im Auge zu behalten, ist auch für den Fragenden gut, insbesondere dann, wenn die Antworten, die er gerade bekommt, seine eigene Sichtweise bestätigen, so dass die Verführung groß wird, zu glauben, dass die Dinge wirklich so sein müssen, wie sie betrachtet werden. Die Kunst im Umgang mit Einschätzungsfragen besteht also gerade darin, die Fragen und die Antworten darauf als das ernst zu nehmen und zu nutzen, was sie sind, nämlich gute Möglichkeiten Genaueres über die jeweilige Sichtweise des Befragten zu erfahren, gleichzeitig dabei aber nicht zu vergessen, dass es vielleicht sogar beim Befragten selbst, mit größerer Wahrscheinlichkeit jedoch, wenn man andere relevante Parteien hört, noch andere, möglicherweise deutlich differierende Sichtweisen gibt, die mit zu berücksichtigen für einen erfolgreichen Umgang mit dem jeweiligen Thema entscheidend sein kann. Sinnvoll ist es hier, neben der genaueren Eruierung der Perspektive des Befragten andere Perspektiven möglichst explizit mit ins Spiel zu bringen, z.B. durch zirkuläres Fragen oder durch eine direkte Befragung der anderen Beteiligten.
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5. Hypothetische Fragen (Fragen zur Möglichkeitskonstruktion) Hypothetische Fragen sind Fragen der Art: „Was wäre, wenn ...?“ oder „Angenommen, dass ...?“ Der Sinn solcher Fragen besteht darin, in Szenarien und Optionen hineinzugehen und zu prüfen, welche Situations- und Handlungsalternativen es gibt, welche Voraussetzungen und wahrscheinlichen Folgen die jeweiligen Alternativen haben und welche Alternative damit wie einzuschätzen ist. Beispiele für solche Fragen sind: „Wenn die Qualitätsprobleme in den nächsten Monaten so bleiben, welche Auswirkungen wird das wohl auf die Beziehung zu unseren Kunden haben? Bei welchen Kunden bestünde die Gefahr, sie zu verlieren? Und wie würden wohl die anderen Kunden reagieren?“ „Angenommen, wir würden das Nachfolgeprodukt im Preis um 10% gegenüber seinem Vorgänger anheben, welche Folgen dürfte das wohl auf den Absatz in unseren wichtigsten Märkten haben? Und sofern unser Ziel wäre, trotz 10%iger Preiserhöhung sogar die verkaufte Stückzahl deutlich zu erhöhen, welche Voraussetzungen müssten wir wohl erfüllen, um mit diesem Ziel erfolgreich zu sein?“ „Wenn Sie sich entscheiden würden, deutlicher als bisher Ihre Sichtweisen, Wünsche und Erwartungen gegenüber den anderen Teammitgliedern zu artikulieren, was glauben Sie, wie wohl die anderen darauf reagieren? Würden sich die Kollegen dann wohl von Ihnen „überfahren“ fühlen oder würden sie sich freuen, deutlicher Ihre Position zu erfahren? Womit rechnen Sie?“
Je mehr es darum geht, sich auf relevante, aber nicht eindeutig absehbare Entwicklungen einzustellen, bedeutsame Entscheidungen zu treffen oder in komplexen oder konfliktiven Situationen nicht in Einseitigkeiten zu verfallen, desto wichtiger wird es, den vorhandenen Möglichkeitsraum auszuloten, d.h. zu schauen, welche Möglichkeiten überhaupt bestehen, was von ihnen zu halten ist, und wie man sich am besten für sie wappnen kann. Hypothetische Fragen bieten hierfür ein ideales Instrumentarium, das gleichermaßen Punktgenauigkeit und Systematik wie auch Kreativität fördern kann. Gerade unter dem Gesichtspunkt, das Denken kreativ in Bewegung zu bringen, sind dabei zwei Varianten hypothetischer Fragen besonders interessant, sogenannte Selbstmord- und Wunderfragen. 5.1. Selbstmord- und Verschlimmerungsfragen Auf den ersten Blick wirkt nicht nur der Begriff „Selbstmordfrage“ merkwürdig, sondern auch die Art der Fragen die dahinter steckt. Beispiele für Selbstmordfragen sind: „Was, glauben Sie, müssten wir tun, um diesen Großkunden, der sich in letzter Zeit immer wieder über schlechte Produkt- und Servicequalität von uns beklagt hat, endgültig zu verprellen?“
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„Wie müssten Sie sich wohl verhalten, wenn Sie die Absicht hätten, das kritische Verhältnis zu Ihrem Kollegen Schlendermann so weiter zuzuspitzen, dass absolut gar nichts mehr zwischen Ihnen beiden läuft?“ „Wenn ich bei meiner neuen Stelle den wichtigsten Beteiligten möglichst schnell den Eindruck vermitteln wollte, dass ich eine ausgesuchte Fehlbesetzung bin, was sollte ich dann tun? Welche Handlungsstrategie wäre vor dem Hintergrund dieses Ziels in Hinblick auf meinen Chef wohl besonders wirksam? Womit könnte ich die wichtigsten Meinungsbildner und Key Player in meiner Einheit am besten gegen mich aufbringen? Und was würde helfen, um die einflussreichsten Vertreter von Nachbareinheiten möglichst nachhaltig abzuturnen?“
Selbstmordfragen sind also Fragen der Art: „Was müssen wir / Sie / ich tun, um „den Karren“ (das Projekt, den Job, das Unternehmen, die Beziehung etc.) möglichst schnell, möglichst wirkungsvoll und möglichst endgültig gegen die Wand zu fahren?“ Natürlich geht es bei solchen Fragen nicht darum, die identifizierte Untergangsstrategie auch tatsächlich umzusetzen. Geschärft werden kann allerdings der Blick dafür, was man auf jeden Fall unterlassen sollte, wenn man überleben möchte; und das heißt umgekehrt, Selbstmordfragen können helfen genauer zu erkennen, was man unter allen Umständen berücksichtigen muss, weil man es so dringend braucht, wie die Luft zum Atmen. Dies zu erkennen ist keinesfalls immer trivial. Komplexe Handlungssituationen sind gekennzeichnet durch das Zusammenspiel unterschiedlichster Bedingungen. Nur wenige der jeweils wirksamen Bedingungen sind aber gemeinhin entscheidend fürs Überleben. Selbstmordfragen können dazu beitragen, diese überlebensnotwendigen Bedingungen klarer zu identifizieren. In der Praxis kann man dabei gar nicht so selten beobachten, dass das Eruieren der Frage, wie man die Dinge möglichst schnell zum Abgrund bringen kann, die Einsicht zu Tage bringt, dass man bei Lichte besehen schon sehr viel in dieser Richtung unternimmt. In diesem Fall gewinnt man durch Selbstmordfragen zumindest die Chance, noch einmal zu überdenken, ob man den eingeschlagenen Weg fortsetzen oder sein Handeln in irgendeiner Weise ändern möchte. Einer grundsätzlich ähnlichen Logik wie Selbstmordfragen folgen auch Verschlimmerungsfragen, d.h. Fragen der Art, wie man einen bestimmten Zustand gezielt verschlechtern kann. Auch diese Fragen fokussieren erfolgs- bzw. misserfolgskritische Bedingungen, wenn auch in einer weniger ultimativen Form – quasi als „Selbstmord light“. Besonders geeignet sind Verschlimmerungsfragen da, wo es Menschen schwer fällt, ihre Akteursrolle wahrzunehmen. Immer wieder gibt es Situationen, in denen man sich selbst vor allem als Opfer sieht oder in denen man Personen trifft, die vielleicht sogar sehr versiert darin (geworden) sind, sich voll und ganz als Opfer zu betrachten. Menschen in solcherlei Stimmung fällt es für gewöhn-
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lich nicht schwer, sich vorzustellen, wie alles noch ein bisschen schlimmer sein kann als es ist. Fragt man: „Angenommen Sie wollten, dass sich dieser Kollege, dessen Verhalten Sie als so gemein und niederträchtig erleben, noch gemeiner und niederträchtiger Ihnen gegenüber verhält – natürlich wollen Sie das nicht, denn es ist alles ja auch so schon schlimm genug – aber als reines Gedankenexperiment, was könnten Sie tun, um ihn dazu zu bringen?“
Was auch immer der Befragte als Möglichkeit hier anbringt, deutlich wird damit zugleich auch, dass er nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist; denn, was jemand verschlechtern kann, das kann er offenbar aktiv beeinflussen, und was man aktiv beeinflussen kann, das kann man natürlich potenziell in beide Richtungen beeinflussen: in eine negative und eine positive. Verschlimmerungsfragen können somit dazu beitragen, zu erkennen, wie man wieder stärker und in einer konstruktiven Weise in eine Akteursrolle hineinfinden kann. Voraussetzung ist dafür allerdings, und dies gilt für alle Fragen, die die intendierte Aktivität in eine Negativrichtung beleuchten, dass diese Fragen bei allem Ernst in der Sache und allem Ernstnehmen der Betroffenen mit einer gewissen Leichtigkeit, einem Augenzwinkern gestellt werden. Geschieht dies, so kann die in solchen Fragen liegende Paradoxie ausgesprochen kreativitätsbeflügelnd wirken. Wer andererseits den Akteur mit biblischem Ernst oder erhobenem Zeigefinger „überführt“, der zeigt, dass er auf die Frage: „Was kann ich tun, um mich und den Prozess mit wenigen Sätzen in eine Sachgasse zu befördern?“ bereits eine schlüssige Antwort gefunden hat. 5.2. Wunderfragen Komplementär zu Selbstmordfragen beleuchten Wunderfragen die andere Seite des Spektrums, den bestmöglichen Zustand. Dabei geht es zunächst gar nicht darum, welche Bedingungen und Mechanismen diesen Zustand herbeiführen, sondern gefragt ist lediglich, wie dieser Zustand, wenn er denn wie durch ein Wunder da wäre, eigentlich aussähe. Wunderfragen entlasten also erst einmal von der oft als drückend empfundenen Aufgabe, Maßnahmen und Handlungsschritte zu identifizieren und geben stattdessen Raum, einen idealen Zustand in der Phantasie auszumalen. Genau hierin liegt aber auch die Herausforderung; denn vielfach haben Menschen und Gruppen keine klaren und schon gar keine klaren und gemeinsamen Vorstellungen darüber, was sie eigentlich wollen, sondern lediglich Vorstellungen darüber, was sie nicht wollen und gefragt nach ihren positiven Ideen für die Zukunft produzieren sie variantenreiche Negierungen der von Ihnen abgelehnten oder aber bloße Fortschreibungen der ihnen wohl ver-
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trauten Realität. Wunderfragen stehen daher immer in Gefahr, in den Sog des nur Negativen oder des als unabänderlich Gegebenen zu kommen und das heißt umgekehrt: die Wirksamkeit dieser Fragen ist an das Erfülltsein bestimmter Bedingungen geknüpft. Wunderfragen zielen auf visionäre Vorstellungen. Damit sich solche Vorstellungen aber überhaupt entfalten können, braucht man zunächst einmal etwas Zeit und eine entspannte Grundgestimmtheit. Zeit ist nötig, weil visionäre Ideen nicht auf Knopfdruck kommen und weil es in jedem Fall Zeit erfordert, die auftauchenden Ideen zu konkretisieren und fassbar zu machen. Eine relativ entspannte Stimmung ist nötig, weil ohne diese Stimmung gar nicht die für kreative Gedanken erforderliche Freiheit und Offenheit entsteht. Wichtig ist weiterhin, das sinnliche Vorstellungsvermögen anzusprechen, also nicht nach Abstrakta (Kenngrößen, Zahlen, allgemeinen Begriffen etc.) zu fragen, sondern nach sinnlich wahrnehmbaren und erfahrbaren Qualitäten, weil nur so überhaupt eine Vision, d.h. ein Leit-Bild entstehen kann. Wie insbesondere der amerikanische Kurzzeittherapeut Steve de Shazer gezeigt hat, ist außerdem die Art und Weise maßgeblich, wie Wunderfragen artikuliert werden. Da solche Fragen, jedenfalls wenn sie nennenswerte Wirksamkeit erlangen, quasi trance- oder hypnoseinduzierende Instrumente sind, unser Denken also durch sie in einen weniger kontrollierten Zustand frei fließender Fokussierung versetzt wird, ist es hilfreich die Art des Sprechens gegenüber der normalen sachgeprägten Sprechweise entsprechend zu verändern. Pausen können hier eine gute Unterstützung bieten, ein einfaches und klares Vokabular ist wichtig und Wiederholungen, Reihungen und Retardierungen können helfen, in einen quasi meditativen Rhythmus zu kommen: „Angenommen, es käme eine gute Fee – und sie käme speziell zu unserem Team, und wir könnten uns etwas wünschen – den bestmöglichen Zustand des Teams – wir könnten uns wünschen, welche Ziele wir erreicht haben wollen, und was die Schwerpunkte unserer Arbeit sein sollen – wir könnten uns wünschen, wie wir miteinander umgehen, welche Werte hier von uns gelebt werden und uns auszeichnen – wir könnten uns wünschen, wie die anderen uns betrachten und von uns sprechen – und was immer uns sonst noch wichtig und erstrebenswert ist – und all das, was auch immer wir uns wünschen, würde in Erfüllung gehen – wie sähe dann die Welt bei uns wohl aus – woran würden wir merken, dass all diese Dinge da, dass alle unsere Wünsche erfüllt sind?“ „Wenn Sie nach unserem Treffen und diesem Arbeitstag nach Hause kommen, den Tag ausklingen lassen und irgendwann müde werden und sich schlafen legen – angenommen, in dieser Nacht geschähe ein Wunder – und das Wunder bestünde darin, dass das Problem weg wäre und dass alle Ziele, die Sie in dieser Sache haben, erreicht sind – auf einmal, einfach so – und das wäre ja wirklich ein Wunder, oder? – und wenn Sie dann morgen früh aufwachen – und niemand sagt Ihnen,
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dass dieses Wunder geschehen ist, – woran würden Sie merken, dass dieses Wunder eingetreten ist?“
Durch Wunderfragen ist es nicht nur möglich, dass ein deutlicheres Bild davon entsteht, wie eine gewünschte Zukunft aussieht, sondern mit diesem Bild entsteht für gewöhnlich zugleich auch Energie, das Handeln in die Richtung dieser gewünschten Zukunft zu bewegen, selbst wenn der Weg dorthin nicht nur angenehm und bequem zu werden verspricht. Wunderfragen haben also den Charme, unser Handeln zu zielgerichteten Veränderungen motivieren zu können, und bei Lichte besehen gibt es für solche Veränderungen überhaupt nur zwei grundlegende Energiequellen in uns: die eine ist empfundener Leidensdruck, der bei entsprechender Intensität häufigste Grund, warum Menschen ihr Verhalten ändern; die andere Quelle ist die Aussicht auf eine als attraktiv wahrgenommene Zukunft. Indem Wunderfragen diese Aussicht in uns wachrufen und konkretisieren, helfen sie uns, mehr und anderes zu tun, als bloß einen als schlecht wahrgenommenen Zustand beenden zu wollen. 6. Lösungsfragen (Fragen zu Lösungsversuchen) Diese Fragen dienen dem Zweck, herauszufinden, welche Lösungsstrategien in der aktuellen oder auch in vergleichbaren früheren Problemsituationen schon versucht worden sind und welche Erfahrungen damit gemacht wurden. Beispiele für Lösungsfragen sind: „Welche Lösungsversuche haben Sie bisher schon unternommen? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt? Was hat sich in Ihren Augen bewährt? Was hat sich als schwierig oder schädlich erwiesen?“ „Wie würden die anderen Beteiligten die bisherigen Lösungsversuche wohl einschätzen? An welchen Punkten gibt es wohl ähnliche und wo ganz andere Einschätzungen als bei Ihnen?“ „Wie haben Sie früher schwierige Situationen dieser Art gemeistert?“ „Auf welche Ressourcen und Fähigkeiten bei sich und den anderen können Sie sich – auch wenn es noch so schwierig wird – auf jeden Fall verlassen?“
Fragen zu Lösungsversuchen bieten Hinweise darauf, welche Strategien und Vorgehensweisen bei der bisherigen Problemlösungssuche zumindest partiell erfolgreich und welche umgekehrt eher wirkungslos waren. Dadurch bekommt man nicht nur wertvolle Hinweise auf den bisherigen Problemverlauf, sondern gleichzeitig werden auch Ressourcen und Fähigkeiten sichtbar, die für die Lösung des Problems und eine produktive Gestaltung der Situation hilfreich sein können.
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Einsatzmöglichkeiten systemischer Fragen Ganz besonders geeignet sind systemische Fragen in allen Beratungs- und Coachingkontexten, wenn es darum geht, für schwierige Probleme neue Lösungen zu finden. Anwendungsbereiche hier sind etwa Führungscoachinggespräche, also Situationen, in denen die Führungskraft gegenüber Mitarbeitern als Coach agiert, Teamentwicklungsgespräche, Konfliktmoderationen, andere Moderationsanlässe und natürlich auch Momente systematischerer Selbstreflexion (Selbstberatung). Grundsätzlich lassen sich systemische Fragen aber in allen Problemlösungskontexten mit Gewinn verwenden, also z.B. in Meetings und Gruppenbesprechungen mit Problemlösungsfokus, in Fehleranalysen und Gesprächen zur Vorgehensplanung, in Visions- und Strategiegesprächen etc. Voraussetzung für einen möglichst sinnvollen Einsatz systemischer Fragen ist neben der Haltung, mit seinem Gegenüber ein Thema gemeinsam ergründen zu wollen (statt Informationen zu einem Thema aus seinem Gegenüber herausziehen zu wollen) die Bereitschaft, eine Art Beobachteroder Außenperspektive auf das Thema einzunehmen und so unterschiedliche Sichtweisen und Möglichkeiten zu dem Thema durchzuspielen. Die Bereitschaft zur Einnahme einer derartigen Perspektive kann dabei durch systemische Fragen, die deren Wirksamkeit demonstrieren, durchaus noch gefördert werden. Zurückhaltung in bezug auf den Einsatz systemischer Fragen empfiehlt sich demgegenüber insbesondere dann, wenn man selbst als Partei gerade mitten in einem Konflikt steckt und innerlich (mal wieder) auf 180 ist. In solchen Situationen neigen viele Leute eher zur Anhänglichkeit an ihre eigene Perspektive. Fragen wie „Was glauben Sie eigentlich, wie Ihr Chef das findet, was Sie hier gerade tun?“ können dann zwar lupenrein systemisch scheinen, gleichwohl tragen sie eher zur Problemverschärfung als zur Entspannung bei.
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Fragen
Tabelle 1. Übersichtstabelle Systemische Fragen Fragetyp
Kennzeichen
Beispiel
1. Zirkuläre Fragen
Einladung zum Perspektivenwechsel: A fragt B, was B meint, was C denkt, will, beabsichtigt, fühlt etc. Zielen auf Indikatoren, eruieren, was in Hinblick auf einen behaupteten oder in Frage stehenden Sachverhalt wahrnehmbar und beobachtbar ist. Fragen nach genaueren Unterscheidungen, z.B. durch Skalierungen, Prozenteinschätzungen oder Klassifizierungen. A fragt B nach seinen Ansichten zu einer Situation, nach seinen Einschätzungen zu Bedingungen, Ursachen und Folgen etc. Hineingehen in Möglichkeiten, Optionen, Szenarien: „Was wäre, wenn ...?“ – „Angenommen, dass ...?“
„Was glauben Sie, was diesem Kunden besonders wichtig ist? Was erwartet er wohl von uns und worauf achtet er vor allem?“ „Wenn unser Ziel heißt: mehr Kundenorientierung, woran würden denn unsere Kunden merken, dass wir noch stärker an Ihren Wünschen orientiert sind?“ „Was glauben Sie, zu wie viel Prozent erfüllen Sie derzeit die Erwartung Ihrer Kunden, schnell und zuverlässig beliefert zu werden?“ „Wie erleben Sie gegenwärtig die Fortschritte im Projekt? Was, denken Sie, hat sich besonders gut entwickelt, was läuft noch nicht so gut?“
2. Operationalisierungsfragen
3. Differenzierungsfragen
4. Einschätzungsfragen (Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion) 5. Hypothetische Fragen (Fragen zur Möglichkeitskonstruktion) 5.1. Selbstmordfragen
Fragen, wie man den schlimmstmöglichen Fall – den „worst case“ – selbst herbeiführen kann.
„Wenn die Qualitätsprobleme in den nächsten Monaten so bleiben, welche Auswirkungen wird das wohl auf die Beziehung zu unseren Kunden haben?“ „Was, glauben Sie, müssten wir tun, um diesen Großkunden, der sich in letzter Zeit immer wieder über schlechte Produkt- und Servicequalität von uns beklagt hat, endgültig zu verprellen?“
Fragen zu Fragen
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Tabelle 1. (Fortsetzung) Fragetyp
Kennzeichen
Beispiel
5.2. Wunderfragen
Beleuchten, wie der bestmögliche Zustand aussieht.
6. Lösungsfragen
Eruieren, welche Lösungsstrategien in der aktuellen oder auch in vergleichbaren früheren Problemsituationen schon versucht worden sind und welche Erfahrungen damit gemacht wurden.
„Angenommen, es käme eine gute Fee zu uns und wir könnten uns den bestmöglichen Zustand für unser Team wünschen, wie sähe dann die Welt bei uns wohl aus?“ „Welche Lösungsversuche haben Sie bisher schon unternommen? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Was hat sich in Ihren Augen bewährt? Was hat sich als schwierig erwiesen?“
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Fragen zu Fragen Wie würde wohl jemand, der Sie gut kennt und Ihnen genau zuhört, Ihre Art zu fragen beschreiben? Was würde er oder sie wohl sagen, wie ausgeprägt und interessiert Sie nachfragen, wie sehr Sie offene bzw. geschlossene Fragen stellen, mit welcher Haltung Sie tendenziell nachfragen (z.B. Suche nach Informationsgewinn, Aufdecken von Widersprüchen, Verstehenwollen des anderen, Dinge gemeinsam erkunden etc.) und wie gut es Ihnen gelingt, durch Fragen Bewegung und Kreativität ins Spiel zu bringen? Von welchen Annahmen gehen Sie in Situationen aus, in denen Sie stärkeres Nachfragen absichtlich reduzieren oder gar nicht erst vornehmen? (z.B. „Wer intensiver nachfragt, erweist sich leicht als zu neugierig oder grenzüberschreitend“, „Intensiveres Nachfragen lohnt sich in der Regel nicht, da man damit eher redundante Schilderungen, unnötige Details oder Abwehr hervorruft“, „Lieber in Lösungen als in Fragen investieren“, „Ich habe oft gar keine Idee, was ich überhaupt noch weiter Sinnvolles nachfragen könnte“ etc.) In welchen Situationen können und sollten Sie intensiver nachfragen, um noch erfolgreicher zu kommunizieren und Ihre Effektivität zu erhöhen? Welches sind die Fragen, die Sie sich selbst zu wenig stellen? Was befürchten Sie, wenn Sie sie sich stellen? Welchen Gewinn könnten Sie dabei haben? Welche Frage treibt Sie momentan in all ihrem Handeln am meisten an? Welche Frage war dies wohl bei Ihnen vor 10 oder 20 Jahren? Was glauben Sie, welche Frage wird Sie wohl in 10 und welche in 20 Jahren am stärksten antreiben? Wenn Sie davon ausgingen, dass gutes Fragenstellen eine essentielle Kunst ist, was würden Sie dann in Ihrem Leben anders tun?
Weiterführende Literatur
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Brücken in den Alltag In unserem alltäglichen Sprechen kommen systemische Fragen zwar auch vor; für gewöhnlich werden sie jedoch nur mit einem Bruchteil ihrer Wirkungskraft genutzt. Um das Potenzial dieser Fragen auch für den eigenen Fragestil stärker zu heben, ist es gut, jedenfalls dann, wenn einem diese Fragen noch nicht sehr vertraut sind, den Umgang mit ihnen zu üben. Dafür bieten sich z.B. an: Vorbereitungen auf schwierigere Situationen. Hierzu kann man sich selbst systematisch befragen (z.B. „Was erwartet wohl mein Gegenüber von mir? Was will ich selbst? Woran erkenne ich, dass die Situation sich in eine gute Richtung bewegt? Was ist das Schlimmste, was passieren kann, und was kann ich dazu beitragen, dass das tatsächlich passiert? ...“); sachorientierte Gesprächssituationen, in denen man sich relativ gut und entspannt fühlt, z.B. mit Kollegen, Mitarbeitern, Freunden oder der eigenen Familie; die Analyse einer Konfliktsituation („Wie sieht wohl mein Konfliktpartner die Situation? Welche Gefühle hat er wohl gerade? Was ist sein Bild von mir? Was möchte er von mir? Was will er auf keinen Fall? Was denkt er wohl, was ich jetzt tue, und wie wird er vermutlich reagieren, wenn ich genau das tatsächlich tue? Wenn mein Ziel wäre, mit ihm / ihr zu einer richtig guten Beziehung zu kommen, was müsste ich dann wohl machen? ...“); Gespräche, in denen jemand mit einem Problem zu Ihnen kommt: Wenn Sie sich hier mit eigenen Meinungen, Erfahrungen und dem Verabreichen guter Ratschläge (ein wenig) zurückhalten, und statt dessen vor allem erst mal nachfragen, um besser zu verstehen, können Sie nicht nur gezielt systemische und andere Fragen üben, sondern erreichen obendrein auch oft die deutlich besseren Ergebnisse in der Sache und in der Beziehung zum anderen.
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Fragen
Weiterführende Literatur Brunner A (2006) Die Kunst des Fragens. Hanser, München Grochowiak K, Castella J (2002) Systemdynamische Organisationsberatung. CarlAuer-Systeme, Heidelberg Königswieser R, Hillebrand M (2005) Einführung in die systemische Organisationsberatung. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg Mücke K (1998) Systemische Beratung und Psychotherapie – ein pragmatischer Ansatz. Klaus Mücke Systemeverlag, Potsdam Simon F, Rech-Simon, C (2004) Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen. Ein Lernbuch. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg von Schlippe A, Schweitzer J (2003) Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen
Reflektieren Karin Pape
Der Beitrag betrachtet Reflexion als ein wichtiges Instrument zur Optimierung und Weiterentwicklung sozialer Prozesse. Besonders in kritischen Phasen sind das prüfende Nachdenken über den laufenden Prozess und die Fähigkeit zum Reflektieren Erfolgsfaktoren für die konstruktive Vorwärtsbewegung der sozialen Interaktion. Reflexionsprozesse über das aktuelle Geschehen sind nicht einfach anzustoßen, da sie ein Denken und Sich Ausdrücken auf ungewohnten Ebenen erfordern. Der erste Teil des Beitrags beschreibt die Funktionen der Reflexion an sich, aus welchen Anlässen heraus eine Reflexionsphase entstehen kann und welche Voraussetzungen für ein Gelingen erfüllt sein sollten. Der zweite Teil beschäftigt sich mit einigen ausgewählten Vorgehensweisen, die sich in Organisationen relativ unkompliziert anleiten lassen. Ein besonderer Blick wird auf das Thema Feedbackprozesse gerichtet, da dieses Instrument besonders mächtig in der sozialen Interaktion ist. Nach einigen Anregungen für die Initiierung von Reflexionsprozessen werden verschiedene Ansatzpunkte für Reflexion wie der Wechsel von Betrachtungsebenen, Perspektivveränderungen, Fokusverschiebungen und Zukunftsszenarien erläutert. Da Reflexion nicht die „Wunderwaffe“ für alle Arten von sozialen Störungen sein kann, werden am Schluss Risiken aufgezeigt, die mit der reflexiven Betrachtung des sozialen Geschehens verbunden sein können. Einige Praxishinweise dienen als Umsetzungshilfe in den Arbeitsalltag.
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In Organisationen treffen sich Personen in der Regel, um gemeinsam etwas zu erarbeiten, ein Problem zu lösen, eine Entscheidung zu treffen oder einfach Informationen auszutauschen. Diese Handlungen kann man als soziale Interaktionen zwischen den beteiligten Menschen betrachten, die die Zusammenarbeit und die Arbeitsergebnisse beeinflussen. Diese sozialen Interaktionen werden wiederum beeinflusst von den Haltungen, Werten und Einstellungen der Beteiligten, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen, den von ihnen eingenommenen Rollen sowie dem individuellen Erleben der Situation. Die meisten Menschen wissen oder spüren zumindest intuitiv, unterschwellig oder unbewusst, dass über die Bewältigung der Aufgabe und die Erreichung des Sachzieles hinaus noch andere Dinge „verhandelt“ werden, die den Arbeitsprozess positiv oder negativ beeinflussen können. Diese verdeckten Verhandlungen drehen sich z.B. um Fragen der Machtverteilung, der Zugehörigkeit zum System bzw. zu einzelnen Subsystemen, um informelle Strukturen und Prozesse sowie um die verschiedenen expliziten und impliziten Dynamiken in der Beziehungsgestaltung untereinander. Eine Reflexionsphase innerhalb eines sozialen Prozesses kann uns zu einem besseren Verständnis dieses „Anderen“ verhelfen. Reflexion ist ein auf die eigenen Handlungen und Gedanken gerichtetes, prüfendes Nachdenken. Hier ist also eine Rückkopplungsschleife in einem sozialen Prozess über den Prozess selbst gemeint, nicht das eher philosophische Denken und Sinnieren über die Welt an sich. Reflexion auf der Metaebene setzt vorher gemachte Erfahrungen (Gefühle, Gedanken, Interpretationen) voraus, die es in der Reflexionsschleife zu betrachten gilt, um sie zu verstehen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Die Wiedereinspeisung der entstehenden Erkenntnisse in den Prozess beeinflusst das weitere Handeln. Damit ähnelt die Reflexion Rückkopplungsprozessen, wie sie auch häufig im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Regelkreisen (kybernetischen Modellen) verwendet werden. Indem wir Verständnis suchen für das Geschehen, können wir Zusammenhänge erkennen und aus den entstehenden Beschreibungen Schlüsse für das zukünftige Handeln in diesem und in zukünftigen Prozessen ziehen. Im Reflexionsprozess wird das Geschehen in der Zeit künstlich angehalten, durch eine reflexive Schleife geschickt, um dann Basis und Ausgangspunkt für neues Handeln zu sein (Antons, 2004). Reflexion bedarf also immer zumindest eines minimalen Handlungsaufschubes. Im Folgenden wird dargestellt, was Reflexion in einem sozialen Prozess bedeutet, warum sie ein mächtiges Element im gemeinsamen Denken und Handeln ist und welche Methoden unter welchen Rahmenbedingungen zur Reflexion eingesetzt werden können. Der Blick insbesondere bei den methodischen Hinweisen wird auf die geleitete Steuerung von Gruppenpro-
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zessen wie beispielsweise Besprechungen, Workshops oder Teammeetings gerichtet, obwohl viele Erläuterungen auch für die Reflexion von unmoderierten Kommunikationssituationen sowie Zweierkonstellationen gelten.
Reflexion im Gruppenprozess Innerhalb einer Gruppe ist es häufig schwierig, ohne einen konkreten Anstoß von „außen“ z.B. durch einen Moderator oder Prozessbegleiter die Reflexion des aktuellen Gruppengeschehens zum Thema zu machen. Einerseits kann es schwer fallen, als Beteiligter mitten im Geschehen inne zu halten, um aus einer beobachtenden distanzierten Perspektive das Geschehen, in das man selbst möglicherweise emotional involviert ist, zu beleuchten. Andererseits haben einzelne Gruppenmitglieder aus verschiedenen Gründen manchmal kein Interesse, eine Reflexionsphase einzuschieben. Es ist nicht immer unmittelbar einleuchtend, warum ein Nachdenken über die individuellen und kollektiven Handlungen, Gedanken und Empfindungen im Gruppenprozess hilfreich ist und auch dem eigenen persönlichen Interesse dienen kann. Reflexion wird nicht geschehen, wenn beispielsweise einzelne Beteiligte in einer Verhandlungssituation daran interessiert sind zu „gewinnen“, egal was dieser Sieg für die andere Partei bedeutet. Um eine Reflexionsphase im Gruppenprozess einzuleiten, ist eine Entscheidung zu treffen, welches theoretische Modell im Sinne eines Denkrahmens für die Intervention herangezogen wird. Ein Modell, das sich in der Praxis der Prozessberatung bewährt hat, ist das Modell zur Themenzentrierten Interaktion (TZI) von Ruth Cohn, welches den Gruppenprozess auf vier Ebenen betrachtet, die es gilt miteinander in Balance zu halten. Ruth Cohn differenziert zwischen der Person (dem ICH), die sich ihrer selbst bewusst wird und sich den anderen sowie dem Thema in dieser bestimmten Gruppensituation zuwendet, der Gruppe (dem WIR) als konstitutive und erlebte Anteilhaftigkeit der einzelnen Personen untereinander, dem Thema bzw. dem zu bearbeitenden Anliegen (dem ES) sowie dem Umfeld (dem GLOBE) im näheren und weiteren Sinne (Löhmer, Standhardt, 1992). Angelehnt an dieses Modell geht es im Reflexionsprozess im Wesentlichen um folgende Betrachtungsfelder: x Eigenes Erleben Wie erlebe ich mich selbst in diesem Prozess? (Gefühle, Selbstverständnis, individuelle Muster, Verhalten, Absichten)
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x Erleben des Gruppenprozesses Was passiert hier zwischen uns? (kollektive Muster, individuelle und kollektive Befindlichkeiten, Absichten, Verhalten, Interaktion, mentale Modelle) x Wahrnehmung und Einschätzung des Umfeldes Was passiert außerhalb der Gruppe? (andere Gruppen, Umwelt, Markt, Schnittstellen) x Wahrnehmung und Einschätzung der Arbeitsergebnisse Wie nähern wir uns dem Thema/der Sache? (Zielsetzungen, Grenzen, mentale Modelle, Denk- und Handlungstraditionen) Dieses Modell ist als eine brauchbare „Hintergrundfolie“ zum Verständnis von Reflexionsprozessen zu verstehen. Die Unterteilung in die beschriebenen vier Ebenen kann, muss aber nicht explizit verwendet werden.
Die Funktion von Reflexion Warum sollten Menschen sich damit beschäftigen, bewusst zu erkunden, welche Dynamiken ihr Miteinander beispielsweise in einer Besprechung oder in einem Projektteam beeinflussen? In Organisationen ist es idealerweise Ziel eines Gruppenprozesses, eine gemeinsame Fortbewegung zu erreichen. Soziale Interaktionen verlaufen nicht eindeutig kalkulierbar, sondern bewegen sich einmal in diese, einmal in jene Richtung, machen manchmal einen Rückschritt oder eine Schleife. Das kann an unterschiedlichen Zielen und Absichten der Prozessteilnehmer liegen oder durch divergierende Ideen darüber, wie das angestrebte Ziel zu erreichen sei, begründet sein. Aufgrund dieser Unwägbarkeiten ist es nicht immer eindeutig, ob der Prozess sich in die gewünschte Richtung bewegt. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, das gemeinsame Handeln in regelmäßigen Abständen zu reflektieren, allerspätestens dann, wenn der Prozess in eine schwierige Phase läuft, z.B. angesichts von Blockaden, Frustrationen oder schlechter Stimmung. Das Einnehmen einer prüfenden Außenperspektive kann dann dazu verhelfen, Dinge neu zu strukturieren und zu sortieren. Blockaden können entfernt oder reduziert werden, subjektive Annahmen und Ansichten lassen sich überprüfen und möglicherweise verändern. Themen, die einer günstigen Entwicklung der Interaktion im Wege stehen, können benannt und bearbeitet werden. Eine solche Überprüfung ist nicht selbstverständlich. Individuen und auch Gruppen entwickeln häufig Abwehrroutinen, die dafür sorgen sollen, dass der Status Quo aufrechterhalten wird, auch wenn er im Sinne des Prozessfortschritts nicht sinnvoll ist. Das soziale System verwehrt sich unbe-
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wusst und manchmal intellektuell wohlbegründet Veränderungen, die auf den zweiten Blick doch nützlich sein können. Der aktuelle Zustand ist bekannt und somit eher kalkulierbar und wird daher als weniger bedrohlich wahrgenommen. Abwehrroutinen betreffen dabei nicht nur die Sachlogik des Prozesses, sondern auch Gefühlszustände sowie die interpersonalen Muster. Eine Veränderung der im bisher abgelaufenen Prozess hergestellten Balancen zwischen den Gruppenmitgliedern bedeutet etwas Neues, das mit Risiken und möglicherweise widersprüchlichen Gefühlen behaftet ist. In Gruppen kann es auch geschehen, dass sich die Gruppenmitglieder an einem Thema oder dem Teilaspekt eines Themas aufhalten, obwohl dieses nicht oder nur teilweise der Ergebniserreichung dient. Hier kann es durch eine Fokusverschiebung gelingen, die Energien zielorientiert umzulenken. Reflexion bewegt sich somit immer im Spannungsfeld zwischen zu erwartenden Prozessfortschritten und potenziellen Risiken bei Erschütterung des Systems. Das genauere Verständnis des Reflexionsprozesses kann in diesem Zusammenhang Anhaltspunkte für die professionelle Handhabung von Reflexion geben.
Reflexion als Veränderung der inneren Landkarte Bei der Reflexion von sozialen Prozessen geht es um das Aufdecken, Verstehen und Bearbeiten so genannter mentaler Modelle. Alle Menschen machen sich im Laufe ihres Lebens unbewusst oder bewusst ein Bild davon, wie ‚“die Welt“ funktioniert, welche Zusammenhänge existieren, in welcher Art sie ihr Leben leben und warum sie dies tun, warum andere Menschen andere Dinge tun usw. Jede neue Erfahrung verändert oder bestärkt diese vom Individuum selbst entwickelten mentalen Konstrukte, je nachdem wie die jeweilige Erfahrung vom Wahrnehmenden verstanden und eingeordnet wird. Mentale Modelle meinen nun genau jene subjektiven Konstruktionen im Sinne tief verwurzelter innerer Vorstellungen von „der Welt“, die uns an vertraute Denk- und Handlungsweisen binden. Die inneren Vorstellungen sind dabei bei jedem Menschen einzigartig, weil sie auf seinem persönlichen Erleben basieren. Mentale Modelle entstehen also durch Erfahrungen, deren Wahrnehmung und Bewertung wiederum beeinflusst ist durch vorherige Erfahrungen. In sozialen Prozessen sind die mentalen Modelle der einzelnen Beteiligten nun insofern von Bedeutung, als die Wahrnehmung einer Situation oder eines sozialen Prozesses durch verschiedene Einzelpersonen kaum deckungsgleich sein kann. Dies wird jedoch besonders von in Hinblick auf soziale Dynamiken ungeschulten, stärker intuitiv handelnden Personen
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häufig vermutet. Ihr eigenes Verhalten basiert auf der Annahme, dass die Anderen die Situation genauso oder zumindest ähnlich wahrnehmen und verstehen wie sie selbst. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass dies gerade nicht der Fall ist und genau diese Annahme somit zu gravierenden Missverständnissen führen kann. Um festzustellen, ob diese unbewusst etablierten mentalen Konstruktionen möglicherweise zu einer Behinderung des Prozesses führen können, gilt es, diese im Reflexionsprozess bewusst zu machen. Folgende zwei Phänomene wirken sich dabei oft kontraproduktiv auf den Fortschritt im Gruppenprozess aus: x Eine zu homogene Wahrnehmung des Geschehens Falls es in Bezug auf die mentalen Modelle nur geringfügige Unterschiede zwischen den Beteiligten gibt, können schnell ein gemeinsames Verständnis hergestellt und notwendige Entscheidungen getroffen werden. Dies ist aber nur dann zielführend, wenn die existierenden mentalen Modelle genügend Flexibilität aufweisen, notwendige Veränderungen zu berücksichtigen und somit einem sinnvollen Ergebnis nicht im Wege stehen. Eventuell werden durch eine festgestellte Übereinstimmung wichtige Teile des Themas, die außerhalb der Erlebenswelt aller Beteiligten liegen, ausgeblendet. Ein Beispiel kann hier die wohlintendierte Strategiesitzung eines Teams oder einer Abteilung sein, an deren Ende – nach ausführlichen Analysen und Betrachtungen – die einhellige Schlussfolgerung steht, dass es wirklich keiner Veränderung bedarf, weil alles eigentlich gut so ist, wie es ist (was bei differenzierterer Betrachtung stark bezweifelt werden müsste). Über lange Zeit eingespielte mentale Modelle hindern uns oft daran, neue Wege zu gehen, sowohl im Denken als auch im Handeln. Hier kann manchmal die Einführung anderer Konstrukte neue Perspektiven eröffnen, die sich bei zuviel Einigkeit schwerer finden lassen. x Unbemerkte Unterschiede in der Verwendung von Begrifflichkeiten Nicht selten sind die mentalen Konstrukte der Beteiligten zwar bei näherer Betrachtung sehr unterschiedlich; die Beteiligten bemerken dies jedoch nicht, weil sie die gleichen Begriffe – wenn auch eben mit ganz unterschiedlicher Bedeutung – verwenden. Hier können detaillierte Beschreibungen und Veröffentlichungen der verschiedenen Vorstellungen und Implikationen häufig zu klärenden „Aha-Erlebnissen“ führen. So plausibel derartige Zusammenhänge über das Zusammenspiel von mentalen Modellen und Interaktionserfolgen bzw. deren Ausbleiben sind, so sehr kann man sich fragen, warum es denn so schwierig ist, die eigenen subjektiven mentalen Konstruktionen wahrzunehmen, zu verstehen, in
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Frage zu stellen und gegebenenfalls zu modifizieren. Die wichtigste Ursache dafür scheint zu sein, dass Menschen zahlreiche psychologische Mechanismen, sogenannte Abwehrroutinen (Isaacs, 1999) entwickelt haben, um an ihren zur lieb gewonnenen Gewohnheit gewordenen Denkschemata festhalten zu können. Menschen finden und entwickeln aufgrund ihrer Erfahrungen im Leben individuelle Wege, um bestimmte Situationen im Leben zu bewältigen. Eine einmal gemachte Erfahrung hilft bei der Bewältigung einer nochmals auftretenden gleichen oder ähnlichen Situation. Bei häufigen Wiederholungen wird die Reaktion auf eine Situation zur Routine, über die nicht mehr nachgedacht werden muss. Das vereinfacht den Entscheidungsprozess und erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit. Nach und nach entstehen so in unseren Köpfen innere „Landkarten“, die uns helfen, uns schnell und unkompliziert im Rückgriff auf frühere Erlebnisse auch in fremdem Terrain zurecht zu finden. Diese Landkarten sind beschrieben mit Werten, Haltungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und Gefühlen, die als Filter für die Wahrnehmung einer Situation dienen. Sie schützen vor zuviel Komplexität und ersparen es uns, bei der Erfassung einer Lage immer wieder ganz von vorn anfangen zu müssen. Dabei gibt es natürlich nicht so etwas wie ein schlechterdings richtiges mentales Modell für eine Situation, aber es kann durchaus ein jeweils bestes mentales Modell für denjenigen, der gerade mit dieser Situation konfrontiert ist, geben. Bei erwünschten Veränderungen auf der persönlichen, der Gruppen- oder auch der Organisationsebene ist es nun aufgrund des beschriebenen Festhaltens an den inneren Landkarten für die Betroffenen oft nicht einfach, ihre Situation bzw. ihr Verhalten in einer bestimmten Situation umstandslos und ohne große Reibungsverluste zu verändern. Impulse und Interventionen zur Veränderung müssen sich demzufolge auf die Veränderung der „inneren Landkarten“ richten, in deren Folge sich dann auch die äußere Realität verändern kann. Einige Vorgehensweisen dazu werden weiter unten beschrieben.
Reflexionsanlässe Reflexionsarbeit ist in praktisch jedem sozialen Prozess eine sinnvolle Investition. Zu klären ist zunächst, welches Ausmaß sie annehmen soll und in welcher Tiefe sie hilfreich für die Interaktion ist. Sie sollte nicht zum Selbstzweck werden. In einigen Organisations- und Teamkulturen kann man beobachten, dass die Beleuchtung des eigenen Miteinanders mehr Zeit und Energie in Anspruch nimmt als die Verfolgung der gemeinsamen Sachinteressen. Dann ist abzuwägen, ob dies tatsächlich im Sinne der Be-
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teiligten und der übergeordneten Organisationsinteressen ist oder ob das Interesse am Verstehen der sozialen Dynamik vom eigentlich drängenden, aber ungeliebten Sachgeschehen ablenkt. Die Beschäftigung mit sich selbst und den menschlichen Aspekten der Zusammenarbeit verändert den Fokus und bringt möglicherweise neue Energie, wenn das Interesse an der eigentlichen Aufgabe abnimmt oder die Außenwelt als zu schwierig erscheint, sich damit zu beschäftigen. Dann kann die Reflexion als Beschäftigung mit der Innenwelt des Systems eine willkommene Abwechslung bieten. Dieses Ausweichmanöver ist möglicherweise für eine vorübergehende Zeit akzeptabel, weil es das System entlastet, jedoch ist eine letztendliche Wiederhinwendung zu den primären zu bewältigenden (Sach)Themen unerlässlich. Reflexion als präventive Maßnahme In sozialen Interaktionen, die über einen längeren Zeitraum andauern, wie z.B. Team- und Gruppenarbeiten, Projektarbeiten, Vorgesetzten-/Mitarbeiterverhältnissen oder fallweisem Zusammenarbeiten über Abteilungs- oder Bereichsgrenzen hinweg ist es empfehlenswert, Reflexionsprozesse regelmäßig stattfinden zu lassen. In Teams, Gruppen oder an Schnittstellen sollten neben den Sachthemen regelmäßig auch die Art und Weise der Zusammenarbeit thematisiert werden sowie die individuellen Befindlichkeiten in den Fokus genommen werden, um frühzeitig Reibungsverluste festzustellen und zu vermeiden. Regelmäßige Feedbackgespräche zwischen Kollegen bzw. Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten helfen, eventuell aufgelaufene kleinere Störungen anzusprechen, um rechtzeitig Korrekturen vornehmen zu können. Der Vorteil von Präventivmaßnahmen ist es, dass sie typischerweise in einer entspannten Atmosphäre stattfinden können, weil es keinen kritischen oder sogar bedrohlichen Anlass für eine Reflexionsschleife gibt. Während solcher Präventivmaßnahmen können auch regelmäßig Betrachtungen der „Außenwelt“ der anwesenden Gruppe angestellt werden. Dazu gehört die Betrachten von Fragen wie: Wie erleben wir den Markt/den Vorstand/die Abteilung X etc. im Moment? Wie wird sich diese Außenwelt entwickeln? Wie sind wir darauf vorbereitet? Wie werden wir uns darauf einstellen? Die Diskussion und Beantwortung solcher Fragen fördert das permanente kollektive Lernen und die kollektive Weiterentwicklung.
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Reflexion bei aufkommenden Krisen Evident wird die Notwendigkeit zur Reflexion bei der Entstehung von Krisen im sozialen System. Mit Krise ist hier eine über einen längeren Zeitraum von Einzelnen oder Mehreren wahrgenommene Störung des gemeinschaftlichen Handelns gemeint. Besonders deutlich werden Krisen bei offen zutage tretenden länger andauernden oder sich wiederholenden Konflikten. Weniger offensichtliche Indikatoren für Krisen sind schlechte Stimmung, Unruhe, Zynismus, unerklärte Abwesenheit oder Krankheit, Ausflüchte, nicht oder schwer begründbare schlechte Arbeitsergebnisse sowie Mangel an Verbindlichkeit, der sich zum Beispiel im Nichteinhalten von Vereinbarungen ausdrücken kann. Diese Störungen sind typischerweise verbunden mit einer Zunahme erlebter Unsicherheit oder auch Ärger der Beteiligten. Diese versuchen zunächst, ihr Verhalten unbewusst an die wahrgenommene kritische Situation anzupassen und weniger eine Lösung für das Problem oder einen Fortschritt im Prozess zu suchen. Dies liegt typischerweise daran, dass Krisen von Menschen eher negativ erlebt werden. Sie versuchen also, diese unangenehme Situation zu umgehen, zu ignorieren und auszublenden, manchmal sogar zu leugnen („Bei uns läuft es bestens!“) Erst bei näherer Beschäftigung mit dem, was tatsächlich passiert oder passiert ist, können diese Menschen wahrnehmen, dass in der Krise auch eine Chance liegt. Durch den entstandenen Leidensdruck werden so manchmal neue bessere Lösungen gefunden. Im aktuellen Wirtschaftsgeschehen lässt sich beobachten, dass das Erleben einer Krise und die damit verbundenen unangenehmen Irritationen bei Menschen bewusst und aktiv von Schlüsselpersonen herbeigeführt werden, um Reflexionsprozesse in Bewegung zu bringen und Motivation für eine Veränderung entstehen zu lassen. Auf Unternehmensebene kann so eine Irritation z.B. eine sehr deutliche, vielleicht sogar übertriebene Präsentation der schlechten Unternehmenssituation sein, auf individueller Ebene kann ein Krisenerleben beispielsweise durch ein ungeschminktes negatives Feedback durch einen Vorgesetzten gegenüber einem Mitarbeiter unter Aufzeigen von potenziellen Konsequenzen bei Nichtveränderung für den Mitarbeiter sein. Ein Reflexionsprozess sollte natürlicherweise ein Teil von daran anschließenden Optimierungsbemühungen sein. Reflexion bei Veränderungen der Rahmenbedingungen Eine dritte Kategorie von Anlässen für Reflexionsphasen können Veränderungen der relevanten Umwelt eines sozialen Systems sein, d.h. Reflexion wird von außen angestoßen, bevor das System in eine potenzielle Krise hi-
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neinläuft. Diese externen Veränderungen können den Markt, politische oder rechtliche Rahmenbedingungen, Strukturen, neue Personen an relevanten Schnittstellen, Budgets, technologische Entwicklungen, Wettbewerber etc. betreffen. Sobald oder idealerweise bevor diese Veränderungen greifen, hilft die Reflexionsschleife, das eigene Handeln und die eigene Entscheidungsfindung auf die zu erwartende oder tatsächlich schon eingetretene Veränderung einzustellen. Hier gilt es besonders, die herkömmlichen Annahmen, mit denen der aktuelle Prozess betrachtet wird, auf seine Extrapolierbarkeit in die Zukunft hin zu überprüfen. Als Bespiele für solche Annahmen auf Unternehmensebene dienen die folgenden Aussagen: „Unsere Technologie ist sehr innovativ“; „Wir sind Marktführer“; „Unsere Mitarbeiter sind gut ausgebildet.“ Auf Gruppenebene können dies Annahmen sein wie „Mit diesem Kunden haben wir nie Probleme“; „Wir sind reaktionsschnell.“ Zu überprüfen ist hier, ob diese Annahmen den veränderten Anforderungen oder Rahmenbedingungen standhalten. Während es bis hierher um das Verständnis von Reflexion überhaupt sowie dafür denkbare Anlässe ging, konzentrieren sich die folgenden Seiten auf den praktischen Einsatz von Reflexionsprozessen in Organisationen. Voraussetzungen für den Reflexionsprozess Betrachtet man die relevanten Anlässe für bewusste Reflexionsphasen in verschiedenen Arten von sozialen Prozessen, bleibt die Frage, unter welchen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen die gemeinsame Reflexion überhaupt möglich wird. Es scheint offensichtlich, dass das SichEinbringen der Interaktionspartner in einen Reflexionsprozess nicht erzwungen werden kann. Es braucht das Einverständnis der Beteiligten. Diese müssen sich einlassen und öffnen können. Andernfalls werden lediglich Gesprächsbeiträge ohne Anliegen oder Relevanz abgegeben, um dem Wunsch des Leiters oder dem Gruppendruck zu genügen, die aber mangels Substanz und Ehrlichkeit für den Prozess dann meist wenig hilfreich sind. Werden taktische „Spiele“ gespielt oder geheime Agenden abgewickelt, behindert das den Erkenntnisgewinn. Um eine reflexive Offenheit herstellen zu können, d.h. eine Situation, in der über wichtige Angelegenheiten offen und ehrlich gesprochen und gleichzeitig das eigene Denken und Handeln immer wieder in Frage gestellt werden kann, braucht es ein Mindestmaß an Vertrauen zueinander. Muss ein Beteiligter befürchten, dass sich seine Beiträge in irgendeiner Weise im aktuellen Prozess oder auch anschließend negativ für ihn auswirken, wird er seine Gedanken lieber für sich behalten. Weitere notwen-
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dige Rahmenbedingungen sind eine prinzipiell konstruktive Atmosphäre, eine ruhige Arbeitsumgebung und ein ausreichendes Maß an Zeit, damit sich Gedanken entwickeln können. Trotz besten Willens gelingt es Menschen dennoch manchmal einfach nicht, eine distanzierte und zunächst abstrakte Betrachtung der eigenen Person und der eigenen Situation herzustellen. Ein Weg kann hier die Arbeit mit analogen Methoden wie Bildern, Geschichten oder sozialen Aufstellungen sein. Unter den vielfältigen Reflexionsmethoden werden nachfolgend einige beleuchtet, die von Angehörigen einer Organisation (Führungskräften, Projektleitern und -managern, Fachexperten und Fachvorgesetzten) angeleitet werden können. Für diese ist es aufgrund ihrer eigenen Beteiligung am Organisationsgeschehen an vielen Stellen schwieriger als für externe Berater, Reflexion anzuregen bzw. anzuleiten. Sie sind in der Regel Teil einer Struktur, die auf die zu betrachtenden Interaktionen Einfluss hat. Sie teilen mit der Organisation und den dazugehörigen Menschen Erfahrungen, Muster, Werte etc. Sie bekommen von Kollegen, Mitarbeitern oder ihren Vorgesetzten Zuschreibungen aufgrund ihrer Rolle und ihrer Person, die sich z.B. auf die Atmosphäre und den Grad an Offenheit auswirken können. Sie sind möglicherweise selbst sachlich und emotional involviert und können schwerer Distanz halten, um eine konstruktive Reflexionsschleife anzuleiten. Im Sinne der Praktikabilität werden nachfolgend vor allem solche Methoden dargestellt, die relativ unkompliziert einzuleiten und anzuwenden sind und die auf die Teilnehmenden nicht zu fremd wirken. Die betrachteten Reflexionsmethoden können in normaler Arbeitsumgebung, d.h. in der Regel in (ruhigen) Besprechungsräumen stattfinden und mit den gängigen Medien oder Werkzeugen durchgeführt werden.
Reflexionsmethoden Worauf es bei den einzelnen Reflexionsmethoden ankommt und welche Fragen bei welchem Vorgehen zielführend sind, wird nachfolgend erläutert. Anschließend werden zwei ausgewählte Methoden zur Initiierung von Reflexionsprozessen dargestellt, um einen Eindruck zu vermitteln, welche Art des Vorgehens Erfolg versprechend ist. Feedback, insbesondere das Einzelfeedback, wird ausführlich beschrieben, um deutlich zu machen, welche wichtige Rolle es in Reflexionsprozessen spielt und um einige konkrete Hilfestellungen für die Durchführung zu geben. Die Erläuterungen zu verschiedenen Vorgehensweisen wie Ebenenwechsel, Perspektivwechsel und Reflexion entlang der Zeitachse runden das Bild ab.
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Reflexionsfragen Reflexion beginnt immer mit einer oder mehreren Fragen. Die treffsichere Formulierung der Reflexionsfragen trägt maßgeblich zum Gelingen des Reflexionsprozesses bei. Sie setzen nicht nur inhaltlich sondern auch atmosphärisch den Rahmen für das folgende Geschehen. Generell gelten folgende Empfehlungen: Die Fragen sollten x die Gruppenmitglieder unmittelbar betreffen, x nicht alltäglich und vielleicht sogar etwas überraschend sein, damit sie neue Impulse bringen, x bei den Beteiligten Interesse wecken, so dass sie Lust und Energie bekommen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, x inhaltlich von den Beteiligten beantwortbar sein und x die Gruppenmitglieder zum Nachdenken anregen. Die effektive Formulierung der Frage setzt voraus, dass der Leiter den Gruppenprozess beobachtet hat oder zumindest informiert wurde, was bisher im sozialen Prozess geschehen ist. Darauf aufbauend weiß er oder kann zumindest erahnen, welche Blickrichtung für die Gruppe Fortschritt bringen könnte. So kann man etwa fragen, welche Erfahrungen gemacht wurden, welche Wahrnehmungen damit verbunden waren, wie sich jemand selbst erlebt hat, wie jemand andere erlebt hat, wie eine bestimmte Situation bewertet wurde oder wie sich diese Bewertung auf das Handeln und Entscheiden von Personen ausgewirkt hat. Diese Aufzählung kann beliebig erweitert werden, je nachdem, welcher Teilaspekt des gemeinsamen Handelns es wert erscheint, genauer „unter die Lupe“ genommen zu werden. Die Auswahl eines Teilaspekts hängt maßgeblich davon ab, wie derjenige, der die Reflexionsfrage in den Prozess hineingibt, die Situation einschätzt. Seine Annahme, dass eine genauere Betrachtung gerade dieses Teilaspektes zu neuem Verständnis und zu neuen Erkenntnissen führen könnte, ist subjektiv und erfolgskritisch. Die Qualität der Reflexionsfragen entscheidet über die Qualität des Reflexionsprozesses. Aus welcher Perspektive die Frage gestellt wird, welchen bisher nicht beleuchteten Aspekt sie möglicherweise erhellt, in welche Richtung diese Frage führt, welche Ebene sie anspricht oder wie tief sie in die Reflexion hineinführt, bestimmt den weiteren Fortlauf des individuellen oder gemeinsamen Reflektierens. (Ausführlichere Erläuterungen zum Einsatz von professionellen Fragetechniken finden sich im Beitrag „Fragen“)
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Initiierung eines Reflexionsprozesses – der erste Schritt Manchmal ist es nicht offensichtlich, ob und warum eine Reflexionsphase für eine Gemeinschaft sinnvoll ist. Es gibt vielleicht ein diffuses Gefühl, dass etwas im Prozess nicht ganz rund läuft, es bleibt aber unklar, was es ist. Um Ansatzpunkte zu identifizieren, über die dann weiter reflektiert werden kann, bieten sich Methoden an, die relativ schnell und unkompliziert deutlich machen, wie die Gruppenmitglieder das Geschehen wahrnehmen. Als Impulsgeber bieten sich dazu Methoden an, die eher die Intuition als die Ratio ansprechen. Diese benötigen im Vorfeld keine langen Analysen oder ausführlichen Erklärungen, sondern können spontan von der Gruppe mitgemacht werden. Im Folgenden werden dazu zwei Varianten beschrieben. Arbeit mit Bildern
Für eine Momentaufnahme des subjektiven Prozesserlebens kann die kreative Arbeit mit Bildern eingesetzt werden. Bei Teammeetings, in denen die Zusammenarbeit genauer beleuchtet werden soll, kann jedes Teammitglied ein Bild zu der Thematik „Wie ich unser Team im Moment erlebe“ malen. Verstärkt werden kann der analoge Ansatz noch dadurch, dass man eine Metapher dazu gibt: „Malen Sie das Team als Schiff, als Auto, als Zoo, …“ Allein die Darstellung der verschiedenen Rollen gibt hier oft reichlich Anlass für vertiefte Betrachtungen der Teambeziehungen. Falls die Außenbeziehungen einer Gruppe betrachtet werden sollen, kann die Aufgabe lauten: „Stellen Sie in einem Bild sich, Ihre Gruppe und die relevanten Außenkontakte dar, so wie Sie sie heute erleben.“ Ein Fokus auf die Einzelperson kann gelegt werden, indem man Fragen stellt wie „Malen Sie sich selbst in der Organisation.“ Die Betrachtung der verschiedenen Bilder der am Prozess Beteiligten macht in der Regel relativ schnell klar, wo weitere Themen im Interesse des Gruppenprozesses zur Bearbeitung anstehen. Wenn die Beteiligten diese Arbeit ernst nehmen und sich öffnen, kann nach einer anfänglich relativ zügig durchgeführten kreativen Arbeit die nachfolgende Vertiefung der Reflexion zum Beispiel in Form von Diskussionen oder weiteren Einzelarbeiten sehr zeitintensiv werden. Mehr über das Thema Arbeit mit Bildern und Metaphern erfahren Sie im Beitrag „Arbeit mit Bildern“.
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Stimmungen einfangen mit Skalenfragen
Ein schneller „Aufhänger“ für einen vertieften Reflexionsprozess kann eine Skalenfrage sein. In der Skalenfrage geben die Teilnehmer auf einer Skala z.B. von 0–10 eine Bewertung ab, wie sie zu einem bestimmten Thema stehen, welche Meinung sie haben oder welche Stimmung sie bewegt. Zur erlebten Prozessqualität kann man fragen: „Wie zufrieden sind Sie bisher mit den in diesem Meeting erreichten Ergebnissen?“, 0 wäre dann „gar nicht zufrieden“, 10 wäre „ausgesprochen zufrieden“. Zu einem Sachthema kann man fragen: „Wie wichtig ist die Bearbeitung dieses Themas für unsere Zielerreichung?“ (0 = überhaupt nicht wichtig, 10 = sehr wichtig). Die Abfrage kann verbal in der Runde, mit Punkten auf einer Pinnwand oder durch Aufstellen der Menschen im Raum auf einer gedachten Skala erfolgen. Jeder gibt spontan seine subjektive Einschätzung ab. Skalenfragen sind ein Reflexionstool, das eine Momentaufnahme von subjektiven Einschätzungen macht. Es zwingt die Beteiligten zur (kurzen) Reflexion, zum „In sich Gehen“, weil sie für sich selbst evaluieren müssen, wie sie sich zu dem Gefragten in Beziehung setzen wollen. Je nach den Ergebnissen dieser Skalenfrage kann der Reflexionsprozess vertieft werden. Entscheidend für den Einsatz dieses Instrumentes ist der richtige Zeitpunkt. Skalenfragen werden manchmal am Ende eines Prozesses im Sinne eines Feedbacks eingesetzt. Allerdings besteht dann das Risiko, dass bei ausgedrückten Unzufriedenheiten oder Problemen keine Zeit bleibt, diese noch zielführend zu bearbeiten, so dass die Beteiligten mit offenen Themen aus dem Prozess hinausgehen. Feedback – ein wichtiges Reflexionsinstrument Eine Methode zur Vertiefung des Reflexionsprozesses ist ein Feedback innerhalb der Gruppe. Soziales Handeln passiert oft intuitiv, wenn auch mit Sicherheit nicht ziellos. Häufig denken die Handelnden nicht konkret darüber nach, welchen Einfluss das individuelle und das kollektive Verhalten auf das Gesamtgeschehen und somit auch auf die gewünschten Interaktions- und insbesondere die Sach- und Arbeitsergebnisse haben. Individuen verfolgen in der sozialen Interaktion unterschiedliche Absichten, bewegen sich in verschiedenen Stimmungslagen und Befindlichkeiten, gestalten vielfältige Beziehungen untereinander und sind mit diversen Kompetenzen für den Prozess ausgerüstet. In jeder Gruppe entwickeln sich bestimmte Verhaltensmuster und Arten des Umgangs untereinander, es bilden sich Koalitionen und Oppositionen. Macht und Vertrauen werden auf Einzelne oder Untergruppen verteilt.
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Eines der wirkungsvollsten Instrumente zur Beleuchtung des eigenen Verhaltens ist ein expliziter gegenseitiger Feedbackprozess, in dem einzelne, mehrere oder alle Beteiligten ausdrücken, wie sie andere Personen oder Subgruppen im Gruppenprozess erleben oder wie das Gesamtgeschehen aus ihrer subjektiven Sicht auf sie wirkt. Durch die bewusste und zielgerichtete Wiedereinspeisung von Wahrnehmungen, Beobachtungen und Informationen durch die beteiligten Personen in das aktuelle soziale System verändert sich die soziale Wahrnehmung des Systems. So entstehen Rückkopplungseffekte auf die soziale Wirklichkeit der Gruppe. Gegenseitige Feedbacks können in Teammeetings, in Workshops, in Seminaren und in Management- oder Projektgruppen ein nützlicher Schritt zur individuellen und kollektiven Weiterentwicklung sein. Bei einem Feedback kann es sich um individuelles, auf einzelne Personen bezogenes Feedback oder um kollektives Feedback, d.h. um Rückkopplung in Bezug auf das Geschehen zwischen mehreren oder allen Teilnehmern der Gruppe handeln. Ein effektiver Feedbackprozess ist nur unter folgenden Voraussetzungen möglich: x Die Empfänger und die Geber von Feedback begeben sich freiwillig in den Feedbackprozess. x Die Atmosphäre ist, wenn nicht geprägt von Vertrauen, dann doch zumindest von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung getragen. x Das Feedback ist konstruktiv, d.h. prinzipiell herrscht ein Interesse an einer Verbesserung bzw. Lösung vor, es geht nicht um das Niedermachen des Interaktionspartners. Auf Einzelpersonen bezogenes Feedback
Beim individuellen Feedback geht es vor allem darum, einzelnen Personen die Gelegenheit zu geben, zu erfahren, wie ihr Handeln und ihr Verhalten auf andere wirkt, wie Andere dieses Handeln interpretieren, was es bei ihnen auslöst und wie es sich aus deren Sicht auf das soziale Miteinander auswirkt. Hier ist es erforderlich, den Prozess „anzuhalten“, mental „zurückzutreten“ und die Beziehungen untereinander aus einer gewissen Distanz zu reflektieren. Diese Feedbacks können mit verschiedenen Methoden sowohl innerhalb der Gesamtgruppe als auch in Klein- oder Zweiergruppen durchgeführt werden. Das Ziel des Feedbackprozesses ist in erster Linie die Informationsgewinnung für den Einzelnen. Durch die Erläuterung der Auswirkungen des eigenen Handelns auf den oder die Anderen wird dem Feedbacknehmenden ein Spiegel vorgehalten, mit dessen Hilfe er sich selbst betrachten
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kann. So lange eine Rückmeldung nicht explizit stattfindet, kann ein Kommunikationspartner lediglich durch eigene Beobachtungen der Reaktionen anderer auf sich selbst versuchen, Schlüsse zu ziehen, wie sein Verhalten auf das Umfeld wirkt. Es bleibt jedoch immer eine Ungenauigkeit, weil einerseits das eigene Wahrnehmungsvermögen selektiv eingeschränkt ist und andererseits die Reaktionen der Anderen wiederum durch „die eigene Brille“ interpretiert werden und somit die Treffgenauigkeit leidet. Die bessere Wahrnehmung und das bessere Verständnis der eigenen Wirkung ermöglicht eine bewusste Entscheidung für oder gegen bestimmte Verhaltensweisen. Feedbacks müssen nicht notwendigerweise Veränderungen beim Betroffenen hervorrufen, auch wenn sich das die Feedbackgebenden wünschen. Der Feedbackempfänger kann die Entscheidung treffen, ein Verhalten weiterhin zu zeigen und mit den (nun besser bekannten) Wirkungen und gegebenenfalls den damit verbundenen Konsequenzen zu leben. Jede Person wirkt auf jede andere Person unterschiedlich. Wie oben erläutert, hängt die Wahrnehmung des Verhaltens und des Seins anderer auch maßgeblich von den mentalen Modellen des Wahrnehmenden, also hier des Feedbackgebers, ab. Welche Aspekte an einer Person schaue ich mir genauer an? Was erweckt meine Aufmerksamkeit? Wie bewerte ich bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen? Somit gibt eine Person mit einem Feedback auch immer ein wenig von sich selbst, ihrem eigenen Denken und ihrer Interpretation preis. Ein bedeutsamer Nebeneffekt offener Einzelfeedbacks in Gruppen ist, dass durch deren Veröffentlichung unterschiedliche und geteilte Wahrnehmungen zwischen den Feedbackgebern deutlich werden. Daraufhin verändern sich möglicherweise auch die Beziehungen der Feedbackgeber untereinander. Geteilte Einschätzung kann beispielsweise die Beziehung zwischen Menschen im Sinne von „Das verstehst Du genauso wie ich. Da haben wir etwas gemeinsam.“ verdichten, unterschiedliche Einschätzungen können zu Überraschungen im Sinne von „Das ist interessant, so habe ich die Person bzw. die Situation noch gar nicht gesehen.“ oder zur kritischeren Betrachtung des anderen Feedbackgebers im Sinne von „Da bemerke ich zwischen uns einen Unterschied in der Wahrnehmung.“ führen. Um die Empfänglichkeit des Betroffenen für ein Feedback zu erhöhen, ist eine Rückmeldung auf drei Ebenen hilfreich. 1. Beobachtung Was habe ich konkret gesehen, gehört, wahrgenommen? Hier geht es um die Beschreibung der Wahrnehmungen. Wertungen sollten hier vermieden werden. „Mir ist aufgefallen, dass Sie…“
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„Ich habe beobachtet (gesehen, gehört) …“ „Es kam mehrmals vor...“ 2. Wirkung auf mich Wie ist das bei mir angekommen? Was habe ich gefühlt? Was löst das bei mir aus? Hier formuliert der Feedbackgeber aus seiner Perspektive (Ich-Botschaften) „Ich fühle mich dann...“ „Auf mich wirkt das…“ „Bei mir kommt das… an.“ 3. Mein Wunsch, meine Erwartung an Sie Welches Verhalten wäre für mich angemessener? Womit könnte ich besser umgehen? Wie würde ich dann reagieren? Der Ausdruck als Wunsch impliziert, dass der Feedbacknehmer selbst entscheiden kann, ob er diesem folgen möchte. Der Ausdruck als Erwartung ist schärfer und ist zum Beispiel angebracht, wenn ohne die Erfüllung dieser Erwartungen ernsthafte Probleme auftauchen würden. Der Druck auf den Feedbacknehmer steigt dann, insbesondere, wenn der Feedbackgeber wichtig ist. „Ich wünsche mir, dass Sie…“ „Ich erwarte von Ihnen…“ Der Empfänger des Feedbacks empfängt dieses zunächst unkommentiert. Es ist wichtig, dass er es unmittelbar aufnimmt und versteht, was gemeint ist. Er soll sich nicht erklären oder rechtfertigen, die dafür aufgewandte Energie blockiert die spontane Wirkung des Feedbacks. Da der Feedbackgeber seine subjektiven Eindrücke schildert, sind diese ohnehin nicht als „Wahrheit“ zu verstehen, die es zu bestätigen oder zu widerlegen gilt. Eine Diskussion und Bewertung der Feedbackbotschaften inklusive potenziell daraus entstehender Konsequenzen kann gegebenenfalls später stattfinden. Das Einzelfeedback ist ein sehr intensiver Reflexionsprozess, der stark in die Gruppe hinein wirkt. Professionell angeleitet können Feedbackprozesse ungeahnte Energien in der Gruppe freisetzen, latent wahrgenommene „Knoten“ lösen sowie die Atmosphäre deutlich klarer und damit für die meisten Beteiligten angenehmer machen. Feedback zwischen Teilgruppen
Falls sich in einem Meeting oder in einem Workshop unterschiedliche Teilgruppen (z.B. verschiedene Mitarbeiter aus verschiedenen Funktionsgruppen) befinden, kann ein gegenseitiges Feedback nützlich sein, um aufzudecken, welche Bilder von der jeweils anderen Seite auf einer kollekti-
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ven Ebene präsent sind, welche Zuschreibungen es gibt, wo es in der Zusammenarbeit miteinander gut läuft, wo es schwierig ist und welche Wünsche bzw. Erwartungen existieren. Fragen an denen gearbeitet werden kann, können beispielsweise lauten: „Wie erleben wir die Zusammenarbeit mit Ihnen als Gruppe?“, „Welche kollektiven Verhaltensmuster erkennen wir im Miteinander zwischen unseren Teilgruppen und wie wirken diese auf uns?“, „Wo wurden bisher unsere Erwartungen erfüllt bzw. enttäuscht?“ oder „Was hat sich in letzter Zeit in der Zusammenarbeit zwischen uns verändert?“ Idealerweise werden diese Einschätzungen zunächst in den Teilgruppen getrennt diskutiert. Da auch innerhalb der Subgruppen die Sichtweisen meist nicht identisch sind, sollte zunächst dort eine Auseinandersetzung stattfinden, um so etwas wie eine geteilte Einschätzung zu finden, die der anderen Teilgruppe mitgeteilt werden kann. Die Ergebnisse der Diskussion werden dann zwischen den Teilgruppen ausgetauscht und weiter bearbeitet. Ein Arbeitsbeispiel dafür findet sich im Abschnitt „Perspektivenwechsel“ auf S. 152. Allein die Veröffentlichung von subjektiven Einschätzungen (sowohl individueller als auch kollektiver Art) verändert häufig schon die Atmosphäre zwischen Gruppen. Die erlebte Offenheit bei Anderen und die manchmal unerwarteten Deutungen des Geschehens können zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen und zu mehr gegenseitigem Verständnis führen. Die Sichtweise anderer Beteiligter stellt sich neben die eigene. Die Wahrnehmungen voneinander werden differenzierter. Ein weiteres zu beobachtendes Phänomen ist, dass oft eine Person ausspricht, was mehrere Gruppenmitglieder denken, aber vielleicht nicht sagen wollten oder konnten. Dann kann Erleichterung entstehen, dass „es nun endlich einmal gesagt wurde“. Die nun mögliche offene Besprechung oder Bearbeitung der bis dahin verborgenen aber vielleicht hinderlichen Dynamiken gibt Gelegenheit, diese näher anzuschauen, zu bewerten und zu bearbeiten. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Sichtweisen kann die Qualität des gemeinsamen Vorgehens und der getroffenen Entscheidungen besser beurteilt werden. Für Feedback zwischen Teilgruppen gelten dabei dieselben Voraussetzungen und Empfehlungen wie für Einzelfeedback. Eine wertschätzende und von gegenseitigem Respekt geprägte Atmosphäre vorausgesetzt, steigert ein Feedbackprozess die Transparenz innerhalb der Gruppe. Das Verständnis dafür, wie die anderen einen selbst oder die eigene Teilgruppe erleben und wie sich dieses auswirkt, steigt erheblich. Daraus entstehen Chancen zum Lernen und zur Weiterentwicklung.
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Ebenenwechsel In Besprechungen, in Projektgruppen und auch in Kleingruppengesprächen wird naturgemäß darüber gesprochen, wie bestimmte Sachthemen zu bearbeiten sind, welche Probleme es gibt, welche Ziele angestrebt werden, welche Entscheidungen zu treffen sind und wie welche Probleme zu lösen sind. Es wird diskutiert, argumentiert und entschieden, häufig, um dann später festzustellen, dass man aneinander vorbei geredet hat. Einzelne sind mit einem schalen Gefühl aus dem Gespräch herausgegangen, weil sie sich überfahren fühlten; getroffene Entscheidungen werden nicht beachtet, Vereinbarungen nicht eingehalten. Dieses ist häufig eine Folge der Nichtbeachtung der emotionalen Logik, die ein sozialer Prozess neben der Sachlogik entfaltet. Im Glauben, man sei „sich in der Sache einig“, wird unterschätzt, welchen Einfluss die Psycho-Logik auf den Prozess selbst sowie auf die daraus abgeleiteten Konsequenzen in Form von Handlungen oder eben auch Nicht-Handlungen haben kann. So kann der Wunsch nach Harmonie in der Gruppe zu einem voreiligen Kompromiss führen oder unterschwelliges Positionsgerangel lässt an sich gute Lösungen nicht zu, weil eine bestimmte Person oder Teilgruppe sie vorgeschlagen hat. Einzelne können durch wortreiche, aber wenig aussagekräftige Beiträge die Entscheidungs- oder Lösungsfindung behindern, anstatt ihre Interessen und Absichten anzusprechen und deren Berücksichtigung einzufordern. Nähere Ausführungen dazu im Beitrag „Entscheidungen“. Mit Hilfe einer Reflexionsschleife kann man dieser manchmal latent spürbaren, aber nicht notwendigerweise explizit ausgesprochenen emotionalen Ebene auf die Spur kommen, um sie im weiteren Geschehen mit zu berücksichtigen. Die Verknüpfung von sachbezogener und emotionaler Ebene kann durch gezielte Fragen geschehen. Diese Fragen könnten lauten „Mit welchen Gefühlen betrachten Sie jetzt die getroffene Entscheidung?“ oder „Was löst dieser Vorschlag bei den Anderen aus?“. Indirekt kann man über analoge Methoden wie dem Malen eines Bildes (siehe Beitrag „Arbeit mit Bildern“) oder der Darstellung der Situation in einer kurzen (Theater-)Szene die emotionale Befindlichkeit der am Gruppenprozess Beteiligten sichtbar machen und diese dann thematisieren, soweit es erforderlich und dem sozialen Prozess und der Situation angemessen erscheint. Teaminspektion
Ein Beispiel für eine reflektierende Intervention auf mehreren Ebenen ist die Teaminspektion. Die Teaminspektion ist eine Reflexionsrunde, die die verschiedenen Ebenen eines Gruppenprozesses beleuchtet. Analog zu der Inspektion einer technischen Anlage werden verschiedene Teilaspekte des
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Gruppenprozesses „inspiziert“, um zu evaluieren, wie die „Produktion“, also hier der Prozess von den Teilnehmenden erlebt wird. Es werden Fragen in die Teilnehmerrunde hinein gegeben, die parallel verschiedene Ebenen ansprechen. Nach dem eingangs vorgestellten TZI Modell von Ruth Cohn können diese Fragen sich auf das Thema (die Sachebene), die einzelne Person (das Ich) oder den Gruppenprozess (das Wir) beziehen. Die Reflexionsfragen lauten dann entsprechend „Wie geht es Ihnen im Moment mit dem Thema?“ „Wie geht es Ihnen als Person in diesem Prozess?“ „Wie erleben Sie den Gruppenprozess?“
Das Ziel ist hier das spontane Explizieren und Sichtbarmachen von individuellem Erleben und persönlichen Stimmungen. Während der Antwortphase findet keine Diskussion statt. Erst wenn alle Teilnehmer sich geäußert haben, geht es in den nächsten Schritt. Abhängig davon, was in der Teaminspektion ausgedrückt wurde, wird weiter über den Gruppenprozess entschieden. Falls die Äußerungen insgesamt sehr positiv waren, kommt es manchmal zu verstärkenden Effekten in der Gruppe, d.h. die Stimmung verbessert sich noch weiter, die Atmosphäre wird dichter. Falls es überwiegend kritische Einschätzungen gab, gilt es gegebenenfalls die Reflexionsschleife zu vertiefen oder darüber zu entscheiden, wie mit diesen skeptischen oder negativen Äußerungen weiter umgegangen werden kann. Falls es eine sehr gemischte Stimmung in der Gruppe gibt, ist es möglich, diese Unterschiede zu thematisieren und zu eruieren, wie es zu diesem unterschiedlichen Erleben kommen konnte und welche Schlüsse daraus für das weitere Vorgehen zu ziehen sind. Perspektivenwechsel Ein Perspektivenwechsel soll in einer Reflexionsphase zu einer alternativen Sichtweise aus einem neuen Blickwinkel heraus verhelfen. Beim Perspektivenwechsel werden die Beteiligten ermutigt, die von ihnen bisher lediglich von ihrem Standpunkt aus betrachtete Situation aus der Perspektive von anderen Menschen oder Gruppen zu betrachten. Sie schauen aus einer anderen Richtung in eine andere Richtung. Diese Einnahme einer anderen Position auf seiner „mentalen Landkarte“ lässt den Betrachter nun Landschaften erkennen, die er vorher nicht wahrgenommen hat, andere Gegenden wiederum verschwinden bzw. verändern sich. Diese mentale Blickwinkelveränderung verhilft typischerweise zu einer breiteren Betrachtung des Geschehens und kann mehr Verständnis für andere Positionen im Pro-
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zess erzeugen. Daher eignet sich der Perspektivenwechsel besonders für konfliktäre Themen, die lediglich vom eigenen Standpunkt aus betrachtet werden. Um den Blick aus einer anderen Perspektive auf das Geschehen zu lenken, helfen beispielsweise Reflexionsfragen wie „Wenn Sie sich einmal gedanklich in die Position der Abteilung XY versetzen, was wäre dann für Sie im bisherigen Prozess wichtig/unwichtig?“ oder „Wenn unser Kunde dieses Gespräch bis hierhin hätte mitverfolgen können, was würde er darüber sagen oder denken?“ Das Einnehmen anderer Standpunkte kann die eigene Wahrnehmung verändern. Das Verändern der Wahrnehmung wiederum kann, muss jedoch nicht notwendigerweise zu einer Meinungsänderung führen. Im ersten Reflexionsschritt geht es um die Überprüfung und gegebenenfalls die Adjustierung der eigenen mentalen Modelle. Im zweiten Schritt können neue und bisher nicht wahrgenommene Lösungen entwickelt werden. Im Konfliktfall wird durch besseres gegenseitiges Verständnis manchmal eine innere Annäherung erzeugt, die neue Verhandlungsräume eröffnet. Ein Arbeitsbeispiel: An einem Workshop nehmen Mitarbeiter der Bereiche Vertrieb und Technik teil. Anlass für den Workshop sind an der Schnittstelle entstehende Reibungsverluste durch Missverständnisse und mangelhafte Kommunikation. Konflikte treten auf und wirken sich letztendlich auf die Auftragsbearbeitung und somit direkt oder indirekt auf den Kunden auf. Statt der Frage nach den Ursachen für diese Kommunikationsstörungen auf den Grund zu gehen, wurden bisher Rechtfertigungsstrategien bzw. Schuldzuweisungen vorgenommen. Um die mentalen Bilder über die jeweils andere Abteilung zu verstehen und bearbeitbar zu machen, arbeiten die Teilgruppen „Technik“ und „Vertrieb“ getrennt an folgenden Fragestellungen: „Frage an die Technikgruppe Aus der Sicht des Vertriebs: - „Was schätzt der Vertrieb an der Technik?“ - „Was stört den Vertrieb an der Technik?“ - „Welche Wünsche hat der Vertrieb an die Produktion?“ Diese drei Fragen werden analog von der Gruppe Technik beantwortet. Allein durch die Aufforderung, die eigene Abteilung „durch die Brille der Anderen“ zu betrachten, wird zunächst das eigene Handeln aus distanzierter Perspektive reflektiert und bewertet, was auf beiden Seiten bereits in der bereichsinternen Diskussion zu veränderten Einschätzungen und mehr Verständnis führt. Durch die anschließende gegenseitige Präsentation und Diskussion wird eine Kommunikationsplattform geschaffen, die es möglich macht, Prozessverbesserungen anzustoßen sowie tragfähige Vereinbarungen für die Zukunft zu treffen.
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Zeitliche Dimensionen Eine Betrachtung von Entwicklungen auf der Zeitschiene gibt den Gruppenmitgliedern die Chance, das Geschehen innerhalb und außerhalb der Gruppe flexibler wahrzunehmen und nicht nur den aktuellen Stand, sondern auch erlebte oder erwartete Veränderungen mit einzubeziehen. Die Bearbeitung wird erweitert um Reflexionen zur Vergangenheit, zur Gegenwart oder zur Zukunft, die üblicherweise verdrängt oder ausgeschlossen werden. Zukunftsszenarien – die Zukunft denken
Das Denken in Zukunftsszenarien hilft einer Gruppe, den (möglicherweise eindimensionalen) Fokus zu verschieben und/oder mentale Modelle zu irritieren, um sie beweglicher zu machen und sich auf die Zukunft vorzubereiten. Szenarienhaftes Denken ist anders als die Reflexion im „Hier und Jetzt“ ein Als-ob-Denken; es ist der Versuch, sich der Unberechenbarkeit der Zukunft zu stellen, Unsicherheiten zu benennen, Trends und Entwicklungen zu erkennen und sich mit Annahmen zur aktiven Zukunftsgestaltung auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht darum, Zukunft wirklich einzufangen, sondern durch die getätigten Annahmen Beobachtungspositionen für bessere Einschätzungsmöglichkeiten zukünftiger Entwicklungen aufzubauen und daraus Handlungsoptionen abzuleiten. Um bei diesen Zukunftsbetrachtungen nicht nur eine Extrapolation der Vergangenheit zu betreiben, sollten für den Prozess einige zukünftige „Ungewissheiten“ ausgewählt werden, die in Betracht gezogen werden sollen. Schon der Prozess der Auswahl dieser zukünftigen Ungewissheiten fördert die Reflexion der Beteiligten über ihre heutige Wahrnehmung und ihre Zukunftsannahmen. Eine in Organisationen häufig angewandte Vorgehensweise ist die Szenariotechnik. Die Szenariotechnik ist ein mehrstufiger Prozess, in dem es explizit darum geht, abseits der gewöhnlichen Denkpfade über die Zukunft nachzudenken. Um Innovation und Kreativität Raum zu geben, muss es einerseits erlaubt sein, auch auf den ersten Blick abwegig erscheinende Ideen, Einschätzungen und Ansichten mit einzubringen und ein wenig zu „spinnen“. Andererseits hilft eine Vorgehensweise in strukturierten Teilschritten, eine ausgewogene Balance zwischen Kreativität und Innovation auf der einen Seite sowie Zielorientierung und einem angemessenen Realitätssinn auf der anderen Seite zu wahren. Die Teilschritte der Szenariotechnik befassen sich mit folgenden Fragen: x Was wollen wir genau beschreiben? (allgemeine Situation, Untersuchungsfeld)
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x Wie stellen wir uns die gewünschte Zukunft vor? (assoziative Beschreibungen, Bilder, Geschichten, Gedankenexperimente) x Welche Abweichungen von dieser beschriebenen Zukunft werden möglicherweise auftreten? x Woran werden wir merken, dass wir vom erwarteten Weg abweichen? x Welche Alternativen haben wir dann? x Was müssen wir tun, damit die gewünschte Zukunft unter Berücksichtigung externer und interner Einflussfaktoren stattfindet? x Wer könnte was tun, um die Umsetzung der geplanten Maßnahmen zu blockieren? Wie wollen wir damit umgehen? Um den Blickwinkel nicht einzuengen, empfiehlt es sich, Alternativszenarien wie Best Case (Was im besten Fall passieren wird) und Worst Case (Was im schlechtesten Fall passieren wird) zu skizzieren. Aufbauend auf den erarbeiteten Zukunftsvorstellungen können Vereinbarungen getroffen, Maßnahmen verabredet und Ressourcen geplant werden. Fokusverschiebung
In vielen Organisationen werden Besprechungen, Workshops und Mitarbeitergespräche unter anderem auch dazu genutzt, negative Emotionen auszudrücken, die die Betroffenen aktuell in ihrer Organisation erleben. Es wird geklagt und geschimpft, wie schwierig, schlecht und unerträglich heute alles (besonders im Gegensatz zu „früher“) ist. Dieser Ausdruck von Frustrationen, Zweifeln, Sorgen und Befürchtungen ist legitim und auch menschlich, blockiert jedoch häufig das Vorwärtskommen im Prozess bzw. im eigentlichen Thema. Das Gestern verklärt sich so in der Erinnerung zu einem (meist nie so da gewesenen) Ideal, das in unerreichbare Ferne gerückt ist und doch so gerne wieder hergestellt werden sollte. Ein zu intensiver und zu stetiger Blick in die Vergangenheit wird kontraproduktiv, wenn er zuviel Energie aus dem heute zu Bewältigenden abzieht oder die Menschen in ihrer Fähigkeit einschränkt, neue Herausforderungen zu bewältigen. Eine Reflexionsphase im Prozess kann eine Ausdifferenzierung des Bildes der Vergangenheit betreffen („Was am Gewesenen ist es wert in die Zukunft mitgenommen zu werden? Was lohnt sich nicht, wovon sollten wir uns verabschieden?“) Das bewusste Reflektieren über die Vergangenheit erlaubt es, diese realistischer einzuschätzen, mit angemessener Wertschätzung zu behandeln sowie sich vom nicht mehr Notwendigen oder Gewünschten zu verabschieden. Erst dann können sich Menschen mit Kraft und vollem Einsatz dem Heute oder der Zukunft widmen.
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Risiken Um dem Eindruck vorzubeugen, Reflexion sei immer und überall ein adäquates Vorgehen, um Prozessfortschritte zu erzielen, sei hier auf einige Risken hingewiesen, die mit einer vertieften Reflexion des gemeinsamen Handelns verbunden sind. x Der falsche Zeitpunkt Manchmal spüren einzelne Teilnehmer oder der Leiter eines Gruppenprozesses, dass etwas hakt, und versuchen, durch einen Impuls oder eine Intervention auf die Reflexionsebene zu gelangen. Die anderen Beteiligten wehren dieses ab oder gehen gar nicht darauf ein. Das kann bedeuten, dass die Situation von ihnen anders eingeschätzt wird und sie die Notwendigkeit einer Prozessreflexion nicht sehen. Möglicherweise fürchten sie auch aus anderen Gründen das Betrachten der sozialen Mechanismen oder verfolgen im Moment andere eigene Prioritäten. Wenn absehbar ist, dass sich der vom Impulsgeber wahrgenommene Anlass für eine Prozessreflexion verschärft, hilft manchmal ein geduldiges Abwarten, bis andere seinen Vorschlag unterstützen. x Sich verstärkende Rückkopplungseffekte Ein weniger leicht zu entdeckendes Phänomen ist die Falle der verstärkenden Rückkopplungseffekte. Im Falle der sich positiv verstärkenden Rückkopplung kann es passieren, dass ein Team sich im besten Glauben äußerst positives Feedback gibt, so dass eine sehr gute Stimmung aufkommt. Das ist normalerweise hilfreich für das weitere gemeinsame Handeln, es sei denn, es wird dadurch „jetzt und für alle Zeit“ tabuisiert, diese positive Stimmung in irgendeiner Weise anzuzweifeln oder Störungen aufzuzeigen, obwohl es für den weiteren Fortschritt hilfreich wäre. Dahinter steht der verständliche Wunsch nach einer möglichst langen Konservierung der positiven Atmosphäre. Andererseits kann zum Beispiel die kritische Betrachtung der bisher erzielten Arbeitsergebnisse ein negatives Erleben bei den Beteiligten hervorrufen, das – bisher vielleicht gar nicht so kritisch wahrgenommen – durch die Reflexion weiter verschärft wird und zu Demotivation führt. Hier gilt es, den Fokus der Gruppe wieder auf die Positivseite bzw. wie oben beschrieben auf die Zukunftsbetrachtung zu führen, damit die Energie nicht in einer Negativspirale verloren geht. x Nachwirkungen für den Einzelnen Da in Reflexionsprozessen die verdeckten Strukturen, die Rollen, die Machtverhältnisse, die Wirkungen Einzelner im System etc. angesprochen werden, bleibt es meist nicht aus, das einzelne Beteiligte „besser wegkommen“ als andere, d.h. sie werden als mächtiger, einflussreicher,
Fazit
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kompetenter oder sympathischer wahrgenommen. Auf der anderen Seite stehen die weniger Mächtigen, Kompetenten, Sympathischen, Einflussreichen. Falls sich in einem Reflexionsprozess die Letzteren unerwartet plötzlich auf der „Verliererseite“ im System erleben, wird das die Betroffenen nach dem Durchlaufen der Reflexionsschleife weiter beschäftigen. Sie haben dann entweder die Möglichkeit, ihre Position im Geschehen zu verändern oder in der beschriebenen Rolle zu bleiben. Eventuell benötigen sie hier zu Klärung ihrer Gedanken, Gefühle und Handlungsoptionen Unterstützung von innerhalb oder außerhalb der Gruppe.
Fazit Aus der Reflexion von Gruppenprozessen ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte zur Verbesserung der Zusammenarbeit. Der zu erzielende Gruppenfortschritt ist es wert, diesen nicht immer einfachen und reibungslosen Weg zu gehen. Es existiert eine große Anzahl von Methoden, die hier nur auszugsweise angesprochen werden konnten. Jede Führungskraft, jeder Moderator muss für sich die Vorgehensweisen auswählen, die er sich zutraut und die zu seinem Arbeitsstil passen. Je häufiger Reflexionsprozesse durchgeführt und von den Beteiligten positiv erlebt werden, umso selbstverständlicher und routinierter wird der Umgang damit, so dass viele von den zuvor beschriebenen Nach- und Nebenwirkungen ausbleiben.
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Reflektieren
Fragen zur Reflexion Welche wirklich interessanten Reflexionsprozesse haben Sie schon erlebt, von denen Sie sagen würden: „Das oder so etwas Ähnliches würde sich lohnen?“ Welche Situationen können Sie sich in Ihrem beruflichen Alltag vorstellen, in denen Reflexionsprozesse hilfreich und nützlich wären? Welche Momente haben Sie in Besprechungen und anderen Gesprächen schon vorüber gehen lassen, obwohl Sie sich den Prozess gern etwas tiefer angeschaut hätten, hatten aber nicht die Zeit, den Mut, …. dazu? Wie viel Zeit nehmen Sie und Ihre Kollegen sich für die gemeinsame Reflexion? Wie könnten Sie sich und andere dazu motivieren? Was könnte passieren, wenn Sie tatsächlich einen intensiveren Blick auf das individuelle und gemeinsame Handeln werfen? Welche Chancen und welche Risiken verbergen sich darin? Mit welchen Fähigkeiten sind Sie im Moment ausgerüstet, einen Reflexionsprozess selbst anzuleiten? Gibt es da etwas, was Sie noch lernen wollen?
Brücken in den Alltag Eine Reflexion anzuregen, ist in den meisten Organisationskulturen und auch in vielen privaten Zusammenhängen alles andere als selbstverständlich. Weil die Ebene der gewohnten Sachzusammenhänge verlassen wird, ist es für die Beteiligten oft befremdlich, dass etwas jenseits des Sachthemas angesprochen wird. Daher sind ein wenig Mut und ein Gespür für den richtigen Moment erforderlich. Auch in Kontexten, wo Reflexion über das gemeinsame Handeln selbstverständlicher ist, bleiben immer noch die Fragen: „Lohnt sich das jetzt?“ „Wirbele ich hier unnötig Staub auf?“ „Will ich das wirklich so genau wissen, wie es zwischen uns aussieht?“ Eine Antwort auf die letztgenannte Frage ist, dass unterschwellige Themen die Gruppe ohnehin beschäftigen und somit Energie verzehren. Nur ein Ansprechen und Bewusstmachen gibt die Chance, solche Blockaden aus dem Weg zu räumen. Dennoch sind Situationen vorstellbar, in denen es legitim und sinnvoll ist, den Blick bewusst nicht auf den sozialen Prozess zu lenken beispielsweise, wenn das Ende des gemeinsamen Handelns absehbar ist oder wenn die Bearbeitung mehr Energie kosten würde als sie Nutzen bringt.
Brücken in den Alltag
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Hier einige Empfehlungen für die Umsetzung in den Arbeitsalltag: Falls es bisher nicht Ihr tägliches Geschäft war, Reflexionen anzuleiten, suchen Sie sich idealerweise für den Anfang relativ „geschützte“ Situationen aus, d.h. Situationen, in denen Sie Vertrauen in die Beteiligten haben und die vermutlich positiv verlaufen werden. Das können Besprechungen oder Zweiergespräche in vertrauten Konstellationen sein, das können Fortbildungen und Seminare sein, in denen Sie Anlässe für Reflexionsphasen wahrnehmen oder private Kommunikationssituationen in stabilen Interaktionsbeziehungen. Hier kann z.B. ein kleinerer Konflikt als Auslöser genommen werden. Nehmen Sie sich genug Zeit, damit eventuell auftretende wichtige Themen direkt bearbeitet werden können. Falls das nicht möglich ist, ist zumindest zu klären, wann das Thema später bearbeitet werden kann. Da Reflexion Zeit braucht und in Ruhe durchgeführt werden soll, sollte sie nicht eben mal schnell kurz vor Ende einer Teamsitzung nach dem Motto: „Wir machen mal schnell eine Runde: wie war’s?“ gemacht werden. Ideal ist es, wenn Sie zumindest die Einstiegsfrage in die Reflexion vorbereiten können. Wenn Sie sich eine Frage überlegen, versuchen Sie, sich potenzielle Antworten bzw. Antwortkategorien vorzustellen, um zu überprüfen, ob die Frage den Punkt trifft, ob sie konkret oder vage genug ist. Achten Sie darauf, dass die Frage genügend Raum für vielfältige Antworten lässt.
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Weiterführende Literatur Antons K, Amann A, Clausen G, König O, Schattenhofer K (2004) Gruppenprozesse verstehen. VS-Verlag, Wiesbaden Isaacs W (1999) Dialogue and the art of thinking together. Doubleday, New York Löhmer C, Standhardt R (Hrsg) (1992) TZI: Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Klett-Cotta, Stuttgart Senge PM (1996) Die fünfte Disziplin. Klett-Cotta, Stuttgart Senge PM, Kleiner A, Smith B, Roberts C, Ross R (2000) Das Fieldbook zur Fünften Disziplin. Klett-Cotta, Stuttgart
Arbeit mit Bildern Elizabeth Loehnert-Baldermann
Der Beitrag lädt ein, neue Wege in der Gestaltung sozialer Prozesse zu suchen und speziell die Vorzüge von Bildern als kommunikatives Mittel zu nutzen. Im Vergleich zur Sprache – dem klassischen Medium der Kommunikation in Unternehmen – bieten Bilder eine Reihe von Möglichkeiten, die gerade in Zeiten turbulenter Veränderungen von großem Nutzen sein können: Bilder sind konkreter als Sprache, sie erzeugen effektiver Aufmerksamkeit und sie wirken unmittelbar. In diesem Sinne sorgen sie für Klarheit. Gleichzeitig sind Bilder auch bedeutungsoffen, können parallel Nähe und Distanz erzeugen und sind in der Lage, affektive und kognitive Aspekte zusammenzuführen. Sie sorgen für Öffnung und Offenheit, für Spiel- und Gestaltungsraum und laden zur gedanklichen Grenzüberschreitung ein. Im ersten Teil des Beitrages wird auf die Besonderheiten digitaler sowie analoger Kommunikation eingegangen, um dann den tatsächlichen „Mehrwert“ visueller und sprachfigurativer Bilder zu beschreiben. Im zweiten Teil wird Fragen nachgegangen wie: In welchen Bereichen des Unternehmensalltages macht diese „zweite Sprache“, diese andere Form des Dialoges, Sinn? Wie kann Bildkommunikation inszeniert werden? Wo sind die Grenzen und Risiken dieser Gestaltungsform? Bilder sind natürlich kein Ersatz für Sprache, sie können diese aber sinnvoll ergänzen, z. B. beim Vermitteln von Information, beim Erklären von Zusammenhängen, beim Lernen und beim Entwickeln neuer Ideen, bei der Reflexion des eigenen Tuns und bei der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft. Im dritten Teil werden Beispiele aus der Praxis und für die Praxis dargestellt und mit Tipps für konkrete Situationen untermauert. Fragen zum individuellen Umgang mit der Bildersprache und einige Hinweise und Brücken für den Alltag schließen den Beitrag ab.
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Arbeit mit Bildern
Bilder und Metaphern gehören ohne Zweifel zu den ältesten Mitteln menschlicher Kommunikation: Höhlenmalereien aus der Steinzeit, Erdzeichnungen aus der Nazca-Kultur, unzählige Bilder, Mythen und Geschichten über die Entstehung der Welt sind nur einige Beispiele dafür, welche Kraft Bilder als kommunikatives Mittel entwickeln können. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, diese alte Volksweisheit fasst in einem Satz die Wirkung, die Bildern unterstellt wird, zusammen. In einer Zeit, in der es darum geht alles gleichzeitig, schnell, gut und günstig zu bekommen – ein Bild gegen 1.000 Worte! – findet die Bildersprache die Bestätigung ihres Daseins in fast allen Bereichen menschlichen Lebens, allen voran natürlich in der Werbung und Medienwelt. Die Überzeugungskraft der Bilder wird hier erfolgreich und Gewinn bringend eingesetzt. Wie steht es aber mit der Verwendung von Bildersprache in anderen Bereichen: in Unternehmen, in Schulen, in Organisationen, in Arbeitskontexten? x Wird der Bildersprache in diesen anderen Kontexten eine annähernd vergleichbare Beachtung geschenkt? x Welchen Nutzen können Bilder in der Kommunikation und der Verständigung der Menschen im Arbeitsalltag stiften? x Welche Inhalte können mit welcher Sprache besser vermittelt werden? Welche Chancen bieten sich dadurch? x Ist es denkbar, Bilder als „zweite Sprache“ in der Gestaltung sozialer Prozesse in Unternehmen einzuführen und zu etablieren? Der vorliegende Beitrag plädiert dafür, sich auf den Weg zu machen, die Bildersprache zu erkunden und sie für die Gestaltung sozialer Prozesse im betrieblichen Alltag zu nutzen. Die Entdeckungsreise führt zunächst durch die Klärung einiger grundlegender Begriffe und Konzepte zum Thema, um sich dann den speziellen Eigenschaften und Vorzügen der Bildersprache zu widmen. Im Hauptteil werden unterschiedliche Möglichkeiten des Einsatzes der Bildersprache beleuchtet und erste Hinweise auf konkrete Anwendungen gegeben. Ergänzend dazu werden anschauliche Beispiele aufgeführt, die aufzeigen, wie Bilder – visuelle und sprachfigurative Bilder – sich als eine nützliche Sprache in der Gestaltung von Prozessen erweisen können. Anschließend werden Grenzen und Risiken der Arbeit mit Bildern im betrieblichen Alltag erörtert. Als Abschluss schlagen Fragen und Tipps eine Brücke zur Umsetzung in den betrieblichen Alltag.
Bilder oder Begriffe: Formen analoger und digitaler Kommunikation
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Bilder oder Begriffe: Formen analoger und digitaler Kommunikation Unternehmen sind unentwegt damit beschäftigt, die Verhaltensweisen der Menschen im betrieblichen Gefüge zielführend zu organisieren und gleichzeitig einigermaßen schlüssige Interpretationen und Erklärungen für die resultierenden Handlungen und ihre Folgen zu produzieren. Beides geschieht in ineinander greifender Form, d. h. in zirkulären Prozessen: Menschen handeln und deuten, Menschen deuten und handeln. Sowohl das Organisieren von Verhaltensweisen – was ist wie zu tun – wie das Interpretieren – warum soll es so sein – bedürfen der Kommunikation, also eines wie auch immer gestalteten Informationsaustausches über das Was, das Wie und das Warum. Dieser Austausch kann in sehr unterschiedlichen Formen geschehen: direkt oder indirekt, stichwortartig oder umfassend, offen oder anweisend, mündlich oder schriftlich, anhand von Begriffen und Texten oder auf der Grundlage von Bildern. In diesem Beitrag soll es vor allem um eine der letztgenannten Varianten, nämlich der Kommunikation mit Bildern in sozialen Prozessen gehen als eine Alternative und Ergänzung zur unternehmensüblichen begriffsgeleiteten Kommunikation. Soziale Prozesse gestalten heißt, diesen und im engeren Sinne der dort stattfindenden Kommunikation und Interaktion eine Form zu geben bzw. geeignete Gestaltungsformen zu finden und anzubieten. Dafür kann auf ein breit gefächertes Repertoire an Vorgehensweisen und Methoden zurückgegriffen werden. Man denke nur an die reiche Palette von unterschiedlichen Kommunikations- und Interaktionsformen, derer sich gesellschaftliche, religiöse oder kultische Veranstaltungen in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen bedienen: Von der stillen Andacht als Form der individuellen inneren Sammlung bis zur gemeinsam angestimmten Hymne als Ausdruck von Zugehörigkeit zu einer Gruppe; von der vom Schamanen bei Trommelwirbel verlautbarten Verkündung von Vorhersehungen bis zum eher bedächtigem afrikanischen Palaver, dessen Länge Auskunft darüber gibt, wie wichtig die Angelegenheit ist und welchen Rang die Beteiligten in der Gemeinschaft haben; von dem bei Staatsbesuchen obligatorischen, würdevollen Abschreiten der Staatsoberhäupter vor der Uniformiertenkulisse bis hin zum so genannten „Hammelsprung“ als klärende und zeitsparende parlamentarische Abstimmungsform im Deutschen Bundestag. Die Palette der Gestaltungsformen menschlicher Kommunikation und Interaktion scheint schier unerschöpflich, die Auswahl könnte hier beliebig erweitert werden. Grundsätzlich können zwei verschiedene Formen unterschieden werden, wie Menschen miteinander kommunizieren bzw. wie sie Dinge darstellen,
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Arbeit mit Bildern
die sie zum Gegenstand ihrer Kommunikation machen wollen: Sie drücken sie entweder durch eine Analogie, ein Bild aus oder durch eine sprachliche Bezeichnung, einen Begriff (siehe Abb. 5). Im ersten Fall handelt es sich um ein dingähnliches Mittel, ein Bild, was eine grundsätzliche Ähnlichkeitsbeziehung zu dem Gegenstand hat, für den es steht. Im zweiten Fall handelt es sich um ein Zeichen bzw. einen Code, also ein nicht dingähnliches Mittel, für den es unter den Kommunikanten in der Regel ein konventionelles semantisches Übereinkommen gibt. Die verwendete Bezeichnung muss aber in der Regel keinerlei Ähnlichkeit mit dem Objekt aufweisen. Sie besitzt nur eine zufällige, willkürliche Beziehung zum bezeichneten Objekt.
Informationsebene Hase Begriff Bild
Das Ding selbst Objektebene Abb. 5. Unterschiedliche Kommunikationsformen: Kommunikation durch analoge, bildliche Darstellung oder durch digitale, begriffliche Bezeichnung
Deutlich werden diese unterschiedlichen Kommunikationsformen und ihre Qualitätsmerkmale zum Beispiel dann, wenn man sich in einem fremden Sprachraum befindet: Mit der unbekannten Sprache kann man so gut wie nichts anfangen, eine Decodierung der digital vermittelten Inhalte in Form von Wörtern und Sätzen erscheint unmöglich. Parallel dazu ist es aber durchaus möglich, Informationen aus der Beobachtung der analogen Zei-
Bilder oder Begriffe: Formen analoger und digitaler Kommunikation
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chen, z. B. aus Mimik und Körpersprache der Menschen, abzuleiten, obwohl man sich verbal nicht verständigen kann. Analoge Kommunikation ist die weit ältere und archaische Mitteilungsform und hat – wie im dargestellten Beispiel – eine weit breitere Allgemeingültigkeit, auch über Kulturen hinweg, als die jüngere, abstrakte digitale Kommunikationsweise. Analoge Mitteilungen, wie wir sie z. B. durch unsere Mimik „versenden“ – ein Lächeln, eine Stirnfalte, ein Kopfschütteln – drücken unmittelbar den inneren Zustand, die Empfindungen und Haltungen bzw. die Absichten des Senders aus. Der Empfänger wird direkt unterrichtet, es bedarf keiner Übersetzung in Worte und Sätze: Es ist, wie es ist! Menschliche Kommunikation bedient sich immer beider Gestaltungsmöglichkeiten, der digitalen und der analogen Form, die sich im Normalfall ergänzen, bestärken oder gegenseitig übersetzen. Die Arbeit mit Bildern in sozialen Prozessen zielt vorrangig auf die Form der analogen Kommunikation, wobei sie in der Regel auch digitale Elemente einschließen wird, die z. B. auf den Kontext, in dem Bilder verwendet werden, verweisen. Der Einsatz von Bildern bringt eine neue, andere und zusätzliche Qualität in die Kommunikation ein, die für die Gestaltung sozialer Prozesse von hohem Nutzen sein kann: Bilder erzeugen besondere Aufmerksamkeit, sie bündeln Informationen, stiften Identität, wecken Emotionen und geben Raum für andere Ausdrucksformen. Ein einfaches und prägnantes Beispiel für die Unterschiedlichkeit der Wirkung einer Analogie gegenüber einer digital vermittelten Botschaft ist der Vergleich zwischen der Zifferblattuhr und der Digitaluhr: Die Ziffernblattuhr zeigt nicht nur – wie die Digitaluhr auch – die Uhrzeit an, sie vermittelt auch ein räumliches Bild davon, wie Zeit „voranschreitet“ bzw. „vergeht“. Die Zeiger beschreiten hier tatsächlich einen Weg, sie überwinden einen für den Beobachter auch wahrnehmbaren Zeit-Raum. Dieser Beitrag ist eine Einladung, dem analogen Weg in der Kommunikation mehr Beachtung zu schenken, die Arbeit in diesem Bereich zu intensivieren und mit Hilfe von Bildern neue, interessantere und fruchtbarere Formen der Gestaltung sozialer Prozesse in Organisationen und Unternehmen zu erproben. Der Bildersprache mehr Beachtung zu schenken heißt auch, auf die Suche nach vorhandenen, aber noch verborgenen Bildern in Unternehmen zu gehen: Bilder entdecken, vielleicht auch aufzudecken und zu veröffentlichen. Mit Bildern arbeiten bedeutet auch, neue und bis jetzt nicht angezapfte Energie- und Kreativitätsquellen in der Organisation zu erschließen: Bilder vitalisieren und emotionalisieren. Visuelle und sprachmetaphorische Bilder verraten darüber hinaus oft viel mehr über die innere Verfassung eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter, als Sprache allein es vermag: Ih-
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Arbeit mit Bildern
re Wirkung ist direkter, lebendiger und auch aufschlussreicher als die der Sprache. Die folgenden Ausführungen dienen dem Einstieg in diese Arbeitsform. Dabei werden die Besonderheiten der Bildkommunikation näher betrachtet, die Bedeutung von inneren Bildern, die Menschen über die eigene Organisation entwickeln, in den Fokus genommen und schließlich der Mehrwert, den analoge Kommunikation stiften kann, ergründet und ausgearbeitet.
Die Arbeit mit Bildern Die Arbeit mit Bildern kann mit sehr unterschiedlichen Mitteln geschehen. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen der Arbeit mit physischen Bildern – bildliche Darstellungen, Abbildungen, Grafiken, Zeichnungen, Fotos, Collagen etc. –, die dem Empfänger im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild über das verschaffen, worum es geht, und der Verwendung von sprachlichen Metaphern, Analogien oder Geschichten. Sprachmetaphorische Bilder werden zunächst digital (also durch Sprache) vermittelt und entstehen dann als Bild vor dem inneren Auge des Hörers oder Lesers.
Analogie durch
Die Organisation ist eine Festung
Visuelle Bilder
Sprachmetaphorische Bilder
Abb. 6. Unterschiedliche Arbeitsformen bei der Verwendung von Bildern: visuelle und sprachmetaphorische Bilder
Die Arbeit mit Bildern
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In diesem Beitrag geht es um beide Formen, also sowohl um die Verwendung von bildlichen Darstellungen wie auch von sprachmetaphorischen Formen. In der praktischen Arbeit können beide Formen sinnvoll und kreativ miteinander verbunden werden. Im Wesentlichen kann die Arbeit mit Bildern in sozialen Prozessen als ein Angebot verstanden werden, welches eine andere als die übliche Form der Kommunikation und des Dialoges zwischen einzelnen Menschen oder Gruppen nahe legt. Die Arbeit mit Bildern eröffnet einen „anderen Raum“, in dem Gedanken und Ideen nicht wie üblich sprachlich-digital ausgetauscht werden, sondern eine neue bildliche und damit direktere Ausdrucksform finden. Die einfache und fundamentale Spielregel dieser „anderen“ Arbeitsform lautet: „Sage mir nicht, was du analytisch denkst, oder was deine tiefen Überlegungen sind, sondern teile mir mit, was für eine Wahrnehmung, ein Gefühl, ein inneres Bild du von etwas Bestimmten hast“.
Um sich dieser Arbeitsform besser nähern zu können, erscheint es in einem nächsten Schritt sinnvoll zu sein, zunächst den hier schon verwendeten Begriff der „inneren Bilder“ bzw. den Begriff der „mentalen Landkarten“ genauer zu beleuchten. Innere Bilder und mentale Landkarten Wird jemandem die Frage gestellt: „Was ist denn dein Bild von deiner Familie, von Europa, von Demokratie, vom Unternehmen, von deiner Abteilung, von deinem Projekt oder von deiner Zukunft?", so muss der Befragte in sich „hinein schauen“ und das geforderte Bild oder vielleicht auch nur einen ersten Entwurf davon abrufen. Möglicherweise gibt es zu einem bestimmten Thema noch gar kein fertiges Bild, es sind nur erste Umrisse oder skizzenhafte Ideen da. Diese sich entwickelnde oder schon vorhandene räumliche Vorstellung über etwas ist das, was wir als inneres Bild und, in komplexeren Zusammenhängen, als „mentale Landkarte“ bezeichnen. In der Fachliteratur wird der Begriff „mentale Karte“ (cognitive map) auf den Psychologen E. C. Tolman zurückgeführt. Tolman führte 1948 das Konzept zur Erklärung von räumlichen Lernleistungen bei tierexperimentellen Untersuchungen ein. Die psychologische Forschung zu mentalen Raumrepräsentationen übernahm diesen Begriff. Seitdem beschäftigen sich sehr unterschiedliche Disziplinen mit der Thematik, so z. B. verschiedene Teildisziplinen der Psychologie (Umwelt- und Architekturpsychologie,
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Arbeit mit Bildern
kognitive Entwicklungspsychologie), Mediziner, Informatiker, Geografen und natürlich auch Architekten und Stadtplaner. Der amerikanische Architekt und Stadtplaner Kevin Lynch geht in seinem Buch „The Image of the City“ Anfang der sechziger Jahre der Frage nach: „Was bedeutet Form und physische Ausprägung einer Stadt tatsächlich für die Menschen, die in ihr leben?“ Es ist die Frage nach dem „inneren Bild“, das Bewohner von ihrer Stadt haben: Wie wird Stadt wahrgenommen? Was bleibt in Erinnerung und warum? Wie läuft Orientierung ab und welche Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt beeinflussen die Wahrnehmung und die innere Einstellung? Sein Buch zählt heute zu den Klassikern der Fachliteratur zur Stadtgestaltung. Die von Lynch in seinem Buch formulierte Eingangsthese, dass jedes Einzelwesen sein eigenes Bild der Welt erschafft und in sich trägt, kann auch als Grundannahme in die Gestaltung von sozialen Prozessen übernommen werden: Jeder einzelne Mensch in einer Gruppe, im Unternehmen, in einer Organisation erschafft sein eigenes inneres Bild seiner Umwelt, er entscheidet – bewusst oder unbewusst –, welche Gegebenheiten, welche Vorgänge und welche Elemente für ihn wichtig und bedeutsam sind und welche nicht. Und dieses Abbild von seiner auf diese Weise „konstruierten“ Wirklichkeit trägt er in sich. An ihm orientiert er sich, von ihm lässt er sich in seiner Wahrnehmung und Einstellung, in seinem Denken und Handeln leiten. Von Kindesbeinen an be-greifen und er-fassen Menschen die Welt, in der sie leben, in dem sie aus Selbsterfahrungen sich ein Bild der Realität machen und eigene "mentale Landkarten" anlegen, die ihnen als Abbild der komplexen Außenwelt bei der Suche nach Orientierung helfen. Um sich in der realen Welt zurechtzufinden, folgen sie ihren inneren Bildern, die sie als Wegweiser nutzen wie eine Wanderkarte, um Auskunft über den richtigen Pfad, über mögliche Hindernisse und Engpässe, aber auch über Chancen oder günstige Umwege zu bekommen. Menschen betätigen sich nebenberuflich als heimliche Kartografen und lagern ihre Atlanten als mentale Bilder in ihrem Gedächtnis, um sie bei Bedarf als Orientierungshilfe zu nutzen. Mentale Bilder sind also nicht nur beschreibende Abbildungen der Realität, in der sich der Mensch bewegt, sie sind vornehmlich bewertende Atlanten, die Vorentscheidungen für künftige Bewegungen beinhalten, im Sinne von: „Soll ich oder soll ich lieber nicht?“ Zur Beschreibung der geografischen Lage von Orten wurden in der Kartografie schon sehr früh die so genannten geografischen Koordinaten eingeführt: Längen- und Breitengrade ergeben zusammen ein gedachtes Koordinatennetz zur genauen Bestimmung eines Standortes auf der Erdoberfläche. So befindet sich z. B. Berlin genau auf 13,4° östlicher Län-
Die Arbeit mit Bildern
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ge und 52,5° nördliche Breite. Richtungweisend für die Bemessung sind jeweils der Nullmeridian von Greenwich für die Messung der Längengrade und der Äquator für die Breitenmessung.
Abb. 7. Das Bekannte kann kartografiert werden, das Unbekannte hinterlässt blinde Flecken
Analog dazu entwickeln Menschen zur Bewertung ihrer Umwelt und ihrer jeweiligen Lage innere Koordinaten, die als Grundlage ihres Navigationssystems im eigenen Werte- und Bewertungssystem verstanden werden können. Diese inneren Koordinaten unterscheiden zwar nicht zwischen Länge und Breite, aber doch zwischen gut und böse, zwischen schwach und stark, zwischen Gebot und Verbot, zwischen hilfreich und gefährlich. Sie geben dem Wegsuchenden Auskunft darüber, wann und bei wem man vermutlich auf Widerstand trifft und wo oder bei wem sich ein Annäherungsversuch lohnen könnte. Sie geben Hinweise, wann etwas zu sagen und wann besser zu schweigen ist, wann Bewegung angesagt ist und wann man doch besser still halten sollte. Wenn Menschen im Alltag handeln, dann gründet dieses Handeln immer auch auf die individuelle innere Landkarte mit einem jeweils individuellen, nicht allgemein gültigen Werte-Koordinatensystem. Die Parameter dafür unterliegen eigenen, sehr persönlich definierten Maßstäben.
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Arbeit mit Bildern
Der Erfolg gemeinsamen Handelns in Organisationen hängt im Wesentlichen davon ab, inwieweit es gelingt, die individuellen mentalen Landkarten und Maßstäbe zu veröffentlichen, Informationen über ihren Inhalt und ihre Gestalt auszutauschen und wenn nötig abzustimmen, um so zu einer gemeinsamen Handlungsgrundlage zu kommen. Die Arbeit mit Bildern im Rahmen der Gestaltung sozialer Prozesse zielt vornehmlich auf die Veröffentlichung dieser mentalen Landkarten ab. Bilder bieten sich förmlich an, als unmittelbares Medium eine Veröffentlichungsfunktion zu übernehmen. Die Arbeit mit Bildern erspart bzw. umgeht die sprachliche Übersetzung der inneren Landkarten und lädt zu einer anderen, direkteren Form des Dialoges ein. Wie das geschehen kann und worin der Mehrwert der Bilderkommunikation besteht, sind die zentralen Fragen, die im folgenden Abschnitt angegangen und erläutert werden. Der Mehrwert von Bildern und Metaphern Der Begriff Metapher stammt von dem griechischen metapherein = übertragen. Das Wesen der Metapher besteht darin, eine Idee, einen Begriff in einen anderen Sprach- und Sinnbereich zu übertragen und somit weitere Verstehensformen zu ermöglichen. Eine Metapher weist auf Bedeutungen hin, die über den unmittelbaren wörtlichen Sinn des Gesagten hinausgehen. Eine Metapher steht nicht für sich selbst, sie erscheint stellvertretend für etwas anderes, sie beruht auf Analogien oder auf Gleichnissen: Man sitzt wie auf heißen Kohlen, jemand benimmt sich wie ein Pascha oder: Der Laden läuft wie eine geschmierte Maschine. Welche sind nun die besonderen Qualitäten und Vorzüge einer Kommunikation mit Bildern und Metaphern? Das Bild vermittelt eine Ganzheit und erlaubt somit eine holistische Gestaltwahrnehmung: Nicht die Eigenschaft seiner Bestandteile, sondern deren Zusammenhang im Gefüge bestimmt die Gestalt. Abstrakte und komplizierte Vorgänge, deren Sinn man zunächst nicht versteht, werden durch ein Bild vorstellbar, greifbar und griffig, da sie sich als zusammenhängendes Ganzes darstellen: Das Bild ist mehr als die Summe seiner Bestandteile. Verglichen mit Texten werden Bilder schneller und effizienter rezipiert und praktisch unbegrenzt gespeichert. Die Wirkung von Bildern ist in der Regel nachhaltiger als die von Worten. Bilder prägen sich weitaus langfristiger und eindeutiger im Gedächtnis ein als z. B. die beim gleichen Ereignis gesprochenen Worte. Das eingeprägte Bild kann auch schneller und vollständiger aus der Erinnerung re-aktiviert werden.
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Bilder sind geeignet, das Denken mit dem Fühlen, den Geist mit den Sinnen, die kognitive und die affektive Dimension zu verbinden. Sie adressieren ihre Botschaft sowohl an das sachliche Verständnis – was ist der Inhalt, die Aussage? – wie auch an die emotionale Befindlichkeit des Empfängers – wie ist dieser Inhalt zu verstehen? Bei der Verwendung von Bildern und Metaphern in der Kommunikation greifen wir immer auf etwas Bekanntes und damit auf Erfahrung zurück. Dabei wird das bekannte Bild aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgenommen und in einer neuen Dimension und Perspektive gezeigt. Diese Handlung, die im Grunde genommen darin besteht, Bekanntes und Unbekanntes in überraschender Form zusammenzubringen, Gewohntes mit Unvorhergesehenem zu verbinden, ermöglicht eine subtile und zugleich starke Beeinflussung der Gefühle des Betrachters. So verwendet können Bilder eine irritierende und gleichzeitig motivierende Wirkung haben. Metaphorisches Denken „öffnet die Türen“ für neue und tiefere Erkenntnisse über die Realität. Bilder besitzen die Gabe, auf der einen Seite ein hohes Maß an Konkretheit zu vermitteln, auf der anderen Seite ein gutes Maß an Deutungsraum offen zu lassen. Diese Ambivalenz erzeugt ein interessantes Spannungs- und Suchfeld, in dem Kreativität und Neugier gefördert und gefordert werden. Die Arbeit mit Bildern in der Gestaltung sozialer Prozesse, ob es sich nun um sprachliche oder visuelle Bilder handelt, soll genau diese hier beschriebenen Qualitäten und Vorzüge nutzend einsetzen. Bilder sind aber kein Allheilmittel für die Kommunikation im Unternehmen. Es ist deshalb notwendig, im weiteren Verlauf genauer zu ergründen, welche Qualitäten und Vorzüge für welche Zwecke und welche Situationen relevant oder von besonderer Bedeutung sein können. Oder umgekehrt betrachtet: Welche sozialen Prozesse können mit Hilfe der Bildersprache eine besondere Qualität erreichen und dadurch bessere Ergebnisse ermöglichen.
Einsatz von Bildern in Organisationen Die Unternehmen selbst, aber auch Bereiche, Abteilungen, Gruppen und Gremien innerhalb von Unternehmen gestalten unentwegt – bewusst oder unbewusst – soziale Prozesse, die der Organisation und Interpretation von Verhaltensweisen und Handlungen dienen. Die Frage, der hier nun nachgegangen werden soll, ist: Für welche dieser Prozesse in Organisationen kann die Arbeit mit Bildern von Nutzen sein?
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Zu einem späteren Zeitpunkt sollen dann weitere Fragen, die auf die Umsetzung zielen, untersucht werden, wie z. B.: Welche Vorgehensweisen dabei denkbar sind, in welcher Dosierung und in welchen Kombinationen das geschehen kann und welche Aufwendungen dazu erforderlich sind. Um die Palette der Einsatzmöglichkeiten von Bildern zu präzisieren, werden hier sechs Grundfunktionen vorgestellt – und später näher erläutert –, für die die Bildersprache sich besonders gut eignet. 1. Bilder erzeugen Aufmerksamkeit und können deshalb bei der Vermittlung von prägnanten und ganzheitlichen Informationen über Zustände, Ereignisse oder Vorhaben außerordentlich hilfreich sein. Sie können – entsprechend eingesetzt – eine direkte und unmittelbare Antwort auf die Frage geben: Was ist das Wesentliche an der Botschaft? Dabei muss es natürlich gelingen, dass der Betrachter des Bildes mit einem Blick erkennt, worum es geht. In diesem Metier – Aufmerksamkeit wecken und ganzheitliche Botschaften senden – spielen die Medien und vor allem die Werbung eine absolute Vorreiterrolle und bieten auch für Unternehmen durchaus interessante Lernfelder. 2. Bilder haben und entwickeln eine besondere Qualität beim Erlernen von Neuem und beim Erkunden von Unbekanntem: Mit der Hilfe von Bildern können neue, noch nicht da gewesene Realitäten entworfen und somit auch begutachtet werden. Natürliche Lehrmeister auf diesem Gebiet sind Entwickler, Designer und Künstler, die sich der Bildersprache bedienen, um Neues zu erdenken und zu entdecken. Von ihnen und ihren Vorgehensweisen kann viel gelernt und auf Unternehmensprozesse übertragen werden. 3. Bilder sind in der Lage, die Komplexität von Sachverhalten und Situationen zu reduzieren und Zusammenhänge verstehbar zu machen: Ein Strich, ein Pfeil oder eine schnelle Skizze sind in der Lage, eine „ganze Geschichte zu erzählen“; ein Ausrufezeichen schafft es, die gesamte Aufmerksamkeit zu fokussieren. Beneidenswerte Vorbilder im Umgang mit Komplexitätsreduktion mit Hilfe von Bildern sind Karikaturisten: Mit wenigen Strichen erfassen, überzeichnen und vermitteln sie das Wesentliche einer Situation. 4. Bilder können helfen, Situationen und Vorgänge zu reflektieren, denn sie ermöglichen ein gutes Maß an Abstraktion bei gleichzeitiger Pointierung und Fokussierung auf die wichtigen und relevanten Dimensionen. Die Suche nach Lehrmeistern und Lehrstücken auf diesem Gebiet führt unter anderem zu Volksweisheiten, Parabeln und Sprichwörtern als sprachmetaphorische Vorlagen, aber auch zu unzähligen Beispielen aus der darstellenden Kunst.
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5. Bilder eignen sich hervorragend, um Perspektivenwechsel herbeizuführen und Menschen beim Verstehen anderer Sichtweisen zu unterstützen. Bilder können in eklatanter Form deutlich machen, dass die Realität vielschichtig ist, dass ein und dasselbe Bild durchaus unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Das klassische Bild „Alte Frau – junge Frau“ (Abb. 8), z. B., verdeutlicht das auf frappierende Weise: Was stellt das Bild wirklich dar? Welche Perspektive, welches Bild ist das „Richtige“? 6. Schließlich haben Bilder die besondere Qualität identitätsstiftend zu sein, da sie in der Lage sind kognitive und emotionale Botschaften zu verbinden und beide direkt und gleichzeitig zu vermitteln. In der Geschichte gibt es unzählige Beispiele für identitätsstiftende Bildergestaltung, vom Familienwappen über Graffitis bis hin zur Tätowierung: Alle diese Bilder haben eine einigende und gleichzeitig eine unterscheidende Wirkung, Menschen dokumentieren damit ihre Zugehörigkeit.
Abb. 8. Alte Frau oder junge Frau, welches ist das „richtige“ Bild?
Diese Funktionen sind nicht trennscharf: Bei der Gestaltung sozialer Prozesse überlappen sie und gehen ineinander über. Bilder haben genau diese besondere Qualität, alle oder viele dieser Funktionen zu vereinen. Welche
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der Funktionen jeweils im Vordergrund steht oder besonders dominant ist, ergibt sich erst durch den Kontext, in dem Bilder verwendet werden. Im Folgenden werden die beschriebenen Funktionen und Einsatzmöglichkeiten näher beleuchtet und die Aspekte vertieft, die von besonderer Bedeutung für die Arbeit im betrieblichen Alltag sind. Dabei werden auch erste Einblicke in praktische Anwendungsmöglichkeiten gegeben. Bilder als Mittel zur Beschreibung von Zuständen, Ereignissen und Vorhaben Was eine Person angesichts einer bestimmten Situation denkt, welche Wahrnehmung und welche Gedanken sie zu einem Geschehen oder einem Problem hat, welches Szenario sie gerade für die Zukunft entwirft, kann verbal geschildert oder schriftlich mitgeteilt werden. So geschieht es auch in der Regel: Informationen werden in Unternehmen vornehmlich mit Hilfe von Sprache vermittelt. Seit dem triumphalen Einzug der Power-PointPräsentation in die Unternehmenswelt der ´90er Jahre wird zunehmend diese medienunterstützte Vermittlungsform gewählt, die allerdings nichts anderes tut als Sprache, Texte oder Stichworte – und natürlich auch Bilder – visuell strukturiert wiederzugeben. Die Sprache – und weniger das Bild – ist das in Unternehmen bevorzugte Kommunikationsmedium. Parallel zu der dominierenden Sprachwelt gibt es aber auch in Unternehmen Bilderwelten – auch wenn diese im Bewusstsein der Beteiligten weniger präsent sind bzw. nicht immer als solche wahrgenommen werden. Diese verborgenen Welten gilt es zu entdecken, den dort lagernden – vielleicht auch gehüteten – Informationen und Botschaften soll mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Diese zum Teil ungenutzte Ressourcen – Wissen, Erfahrungen, Ansichten, Wahrnehmungen, Emotionen und Energien – können verfügbar und für das Unternehmen nutzbar gemacht werden. Dazu bedarf es geeigneter Kommunikationsmittel und entsprechender sozialer Gestaltungsformen. Die Arbeit mit Bildern kann den Zugang zu diesen Ressourcen erleichtern und wichtige Informationen zum Vorschein bringen. In die Welt der meist unveröffentlichten Bilder gehören z. B. das individuelle Bild, das Mitarbeiter von sich selbst im Unternehmensgefüge haben, Bilder über Gebote und Verbote, Bilder über das Beziehungsgeflecht und den Machtverhältnissen in der Organisation: Wer bin ich denn hier? Wofür wird man hier belohnt und wofür bestraft? Wer hat hier wem was zu sagen? Menschen tragen ihre inneren Bilder und mentalen Landkarten in sich und entwickeln, je nach Bedarf, auch immer wieder neue. Viele dieser Bil-
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der finden aber im Unternehmensalltag keine Ausdrucksmöglichkeit. Ereignisse im Unternehmen und auch schon die Ankündigung von Vorhaben wecken bei den beteiligten und betroffenen Menschen Vorahnungen, die sich dann zu mehr oder weniger eindeutigen inneren Bildern entwickeln. Ist die Reaktion auf eine Ankündigung eine eher positive, dann wird das innere Abbild davon vermutlich bunter, leuchtender und zukunftsträchtiger werden als wenn die Reaktion negativ ausfällt und dadurch das Zukunftsbild grau in grau, dumpf und mit wenig Spielraum gesehen wird. Eine anstehende Veränderung kann z. B. als „Befreiungsschlag“, als „Putsch“, als „Alibiveranstaltung“, als „weder Fisch noch Fleisch“ oder als „Neugeburt“ beschrieben werden. Jedes einzelne Bild spiegelt eine andere Art der individuellen Wahrnehmung und der persönlichen Bewertung des Ereignisses wider.
Schon wieder?
Wo soll es denn hingehen?
Und wo bleibe ich?
Wie geht es dann weiter?
Wieso denn eigentlich?
Abb. 9. Welches Bild, welche Landkarte steht „hinter“ der Veränderung?
Die Erfahrung zeigt, dass ab dem Moment, in dem ein solches Bild sich in den Köpfen der Betroffenen breit macht, sowohl die Akteure als auch die weiteren Ereignisse ein Teil des Bildes werden und in der dort angelegten analogen Sprache erlebt, bezeichnet und bewertet werden. Wird also die
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Veränderung als „Putsch“ wahrgenommen, so wird es auch entsprechende Orte, Geschehnisse und Rollen geben: „Putschisten“, „Kommandozentralen“, „Verhöre“, „Parlamentsschließungen“, „Oppositionelle“, „Widerstandkämpfer“ und „Exilkandidaten“. Wird umgekehrt das Ereignis als Neugeburt erlebt, wird es wahrscheinlich „Mütter“, „Väter“, „Hebammen und Kreißsäle“, „Patentanten“, „Krabbelalter“, „erste Laufschritte“ und eine zwar unsichere aber interessante, vielleicht sogar erfolgsverdächtige Zukunft geben. Da Menschen sich als Kartografen betätigen und innere Landkarten anlegen, um die Welt im Unternehmen zu verstehen, macht es Sinn, Veränderungen in Unternehmen nicht nur sachlich-analytisch zu begründen sondern sie auch mit einer bildhaften, sinnstiftenden Be-Zeichnung zu versehen: „Der Aufbruch zu …“, „Die Verschmelzung mit …“, „Die Konzentration auf ..“, „der Abschied von …“. Ob es sich nun um die Beschreibung von Zuständen, Ereignissen oder Vorhaben handelt: Bilder erweisen sich gegenüber der Sprache oft als das tauglichere Mittel, wenn es darum geht, Ganzheitlichkeit zu vermitteln, Denken und Empfinden zu verbinden und nachhaltiges Verstehen sicher zu stellen. Als Faustregel gilt: Je einfacher das Bild, desto eindeutiger die Botschaft. Je attraktiver und interessanter das Bild, desto stärker die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen. Je glaubwürdiger und realitätsnäher die Metapher, desto ernsthafter die Auseinandersetzung mit den Inhalten und Zielen der Veränderung. Auf die eventuellen Risiken, die aufgrund der offenen Interpretationsmöglichkeiten und der Mehrdeutigkeit von Bildern entstehen können, und darauf, wie diese zu mindern sind, wird zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen. Bilder in Lern- und Erkundungsprozessen Bilder und Metaphern sind eine hilfreiche Stütze beim Lernen und Verstehen, bei der Suche nach neuen Ideen und Alternativen und bei der Erkundung von Problemlösungen. Mit Hilfe einfacher Analogien zu bekannten Objekten oder Ereignisse sind Menschen in der Lage, neue Inhalte wesentlich schneller zu erfassen und zu begreifen als wenn diese mittels sprachlich verfasster Texte beschrieben werden. Die Aussage „Die Welt ist rund wie eine Apfelsine“ vermittelt dem Zuhörer ein klares erstes Bild über die Form dieser Welt und versetzt ihn gleichzeitig in die Lage, mitreden und gezielt nachfragen zu können, da er nun weiß, worum es geht: Er hat sich ein Bild von der Welt gemacht. Das metaphorische Bild „die Stadt ist wie ein Fächer gestaltet“ gibt dem
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Fremden wichtige Informationen über die Gestalt der Stadt, um seine Erkundungsgänge gezielter zu gestalten und zu optimieren. Verkündungen in Unternehmen wie „Die neue Organisationsform ist wie eine Matrix aufgebaut“ oder „das Projekt ist als zeitlimitierter Bypass zu sehen“ verwenden Bilder, die den Betroffenen Hilfestellungen geben, um zusätzliche Detailinformationen richtig verstehen und interpretieren zu können. In Lernprozessen bieten Bilder eine Art Hintergrundfolie, vor der das weitere Wissen „aufgehängt“, d.h. auch richtig deponiert bzw. positioniert werden kann. Nicht nur Menschen mit ausgesprochen gutem visuellem Gedächtnis bedienen sich gerne der bildlichen Darstellung. Bilder helfen auch dem Gedächtnis, da die Gedächtnisleistung für Bilder erheblich höher ist als für Begriffe. Der Grund: Bilder haben in der Regel einen größeren sensorischen Reichtum, sie „sprechen“ uns vielfach an. Somit hat das Gedächtnis gleichzeitig mehrere Anker, auf die es zurückgreifen kann. Bilder unterstützen Prozesse der Wissensvermittlung, insbesondere in der Erwachsenenbildung, indem sie Zusammenhänge darstellen und Assoziationen wecken. Erwachsene Menschen lernen assoziativ, d.h. Gedanken verbindend. Erwachsene brauchen – weit mehr als Kinder oder Jugendliche – einen Sinn-Bezug zu dem, was ihnen an Neuem begegnet. Sie wollen wissen: Wo gehört das hin? Mit was ist es verwandt? In welches System kann es eingeordnet werden? Wofür kann ich es gebrauchen? Ist ein solcher Bezug nicht gegeben, wird das Neue „im Sande verlaufen“ und keinen geeigneten Platz in der eigenen Wissenslandschaft, d.h. im Gedächtnis finden, von wo es bei Bedarf wieder aufgerufen werden könnte. Ist aber dieser Bezug vorhanden, gibt es einen Hinweis darauf, auf welcher inneren Landkarte das Neue seinen Platz finden und zu welchen der dort schon vorhandenen Kategorien und Informationen es passen kann, dann kann Lernen stattfinden und das vorhandene Wissen erweitert, verändert oder ersetzt werden. Bezüge zwischen Wissensbausteinen herstellen können heißt auch, räumlich denken, als Bild visuell wahrnehmen, was mit was zusammenhängt. Oft reicht dabei die Sprache als Mittel der Darstellung nicht aus, da diese Zusammenhänge lediglich sequenziell abzubilden vermag. Bilder besitzen hier den Vorteil, mehrere Bezüge gleichzeitig und räumlich differenziert darstellen zu können. Auch bei Erkundungsprozessen und auf der Suche nach Problemlösungen kann der Einsatz von Bildern außerordentlich hilf- und aufschlussreich sein. Dabei ist zu empfehlen, die Bildersprache von Anfang an in Anspruch zu nehmen, d.h. schon den Ausgangspunkt der Fragestellung bildlich zu betrachten und das System, in das das Problem eingebettet ist, greifbar zu machen. Wenn ein Problem wirklich und im wahrsten Sinne des Wortes betrachtet und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet
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wird, dann gewinnt auch die Fragestellung an Konturen, sie wird prägnanter. Kreative Denkprozesse laufen in erster Linie visuell ab, ehe sie dann in Worte verpackt werden. Die technische Kreativität der Renaissance ist ohne die Inanspruchnahme von Zeichnungen, Aufzeichnungen und Bildern als Mittel und Technik der Erkundung und Erfindungskunst nicht denkbar: Da Vincis Annäherungsversuche an die Geheimnisse des Fliegens oder Galileos Erkenntnisgewinnung über das heliozentrische Weltsystem geschahen vor allem auf der Basis bildhafter Vorstellungen und deren Aufzeichnungen (Michalko, 2001). Nur auf diese Weise konnten gewonnene Informationen unterschiedlich dargestellt, und ausgewertet werden. Die konventionellen Vorgehensweisen der mathematischen oder verbalen Darstellung und Vermittlung reichten hierfür alleine nicht aus. Erst die Zeichnung vermochte es, das Ganze zu erfassen, Ebenen zu unterscheiden, Gleichzeitigkeit wiederzugeben, Zusammenhänge darzustellen, Lücken und Denkfehler aufzudecken. Erkundungsprozesse können als visuelle Denkreisen gestaltet werden. „Wie sähe unsere Welt aus, wenn sie besser, menschlicher, gerechter, also anders als heute wäre?“ oder: „Wie sähe unser Bereich aus, wenn er kundenorientiert, qualitätsbewusst und hoch effizient arbeiten würde?“ sind gute einleitende Fragen, um innovative Wege einzuschlagen. Dabei geht es vor allem darum, ein – greifbares – Bild darüber zu entwickeln, wie denn dieser gewollte Endzustand aussieht und wie er wahrgenommen werden soll. Will man diesen Weg mit Hilfe der Bildersprache beschreiten, dann besteht der erste Schritt darin, sich darüber auszutauschen, welche Bilder über die gegenwärtige Welt, über ein ausgesuchtes Problem oder eine bestimmte Aufgabe überhaupt vorhanden sind. Es ist immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie unterschiedlich schon die Antworten auf diese erste Frage ausfallen können. Das muss jedoch nicht allein als irritierend und problematisch wahrgenommen werden: Auf diese Weise kann zu einem sehr frühen Zeitpunkt Klarheit über unterschiedliche Wahrnehmungen, divergierende Interessen und Perspektiven entstehen. In einem weiteren Schritt kann der Frage nachgegangen werden: Wenn das Gebilde verändert wird, welche grundsätzliche Varianten, welche neuen Bilder sind denkbar? Bilder haben auch eine fast magische Funktion: Sie entziehen sich dem klassischen rationalen Denken und entwickeln durchaus regelfreie, anarchische, nicht-logische Momente. In diesem Sinne sind sie in einem frühen Stadium des Erkundungsprozesses und der Veränderung von Denkmustern von außerordentlichem Nutzen: Sie öffnen, zerstören und ersetzen vorhandene Muster in einer bestechenden, anschaulichen und sinnlichen Form und eröffnen damit ganz neue Möglichkeiten der Erkundung. Erst in einem späteren Schritt sollten Rückschlüsse gezogen werden, welche Vor- und Nachteile die neu entworfenen Welten gegenüber dem alten
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System aufweisen und welche Veränderungsenergie von Nöten wäre, die ursprüngliche Welt zu verwandeln. Viele der gängigen Kreativitätstechniken zur Unterstützung von Problemlösungsprozessen verwenden bzw. stützen sich auf visuelle Techniken. So z. B. die Mind Mapping Technik, von Tony Buzan entwickelt, in der durch eine grafische Darstellung ein System ganzheitlich erfasst wird und dennoch Raum für Kreativität entstehen lässt. Oder das bekannte Fischgrätendiagramm, mit dessen Hilfe sämtliche Faktoren, die eine Situation beeinflussen können, bildnerisch dargestellt, zugeordnet und im Spannungsfeld möglicher Ursachen und potenzieller Wirkungen analysiert werden können. Diese Techniken haben zum Ziel, wie Bilder und Metaphern auch, die Ganzheitlichkeit im Auge zu behalten, Zusammenhänge zu verdeutlichen und den Weg für alternative Denkmuster und Denkweisen zu ebnen.
Materialien
Menschen
Flip Chart Motivation Papier
Lust
Arbeit mit Bildern
Raum + Zeit
Reflexion Erkunden
Spaß Aufträge Vorgehensweisen
Feedback
Umgebung
Abb. 10. Visuelle Techniken (Fischgrätendiagramme) unterstützen Lern- und Erkundungsprozesse
Bilder und Metaphern sind durch ihre unmittelbare Anschaulichkeit, ihre emotionale Sinnlichkeit und ihre anarchische Subversivität eher in der Lage, die Beschaffenheit der Landkarte unseres Denkens zu verändern als Sprache es vermag. Insofern bietet die Verwendung von Bildern gute Chancen, Lern- und Erkundungsprozesse kreativer, interessanter, prägnanter und produktiver zu gestalten. Bilder sind auch in der Lage, auf prägnante Weise, sozusagen mit einem Strich, das Wesentliche hervorzuheben, den Vordergrund vom Hintergrund
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zu unterscheiden, zu differenzieren und Strukturen anschaulich darzustellen. Sie eignen sich deshalb auch hervorragend für die Reduzierung von Komplexität Bilder als Mittel zur Reduzierung von Komplexität Die Verwendung von Schaubildern, Grafiken und Skizzen, um komplexe Sachverhalte so einfach wie möglich darzustellen und damit verständlich zu machen, gehört zum Alltag vieler Berufe: Architekten verwenden Pläne mit Grundrissen und Zeichnungen, Elektriker erstellen Schaltpläne, Verfahrenstechniker entwickeln Entscheidungsbäume, Modedesigner zeichnen Entwurfsskizzen. Welchen Platz können komplexitätsreduzierende Bilder in der Gestaltung sozialer Prozesse einnehmen? Die Reduzierung von Komplexität ist eine der vornehmlichsten Aufgaben heutiger Führung. Führung muss die Kunst beherrschen, das jeweils Wesentliche zu erfassen, es aus der Komplexität zu extrahieren und für die geführten Menschen in ein be-greifbares Bild zu überführen. Führung muss sich Überblick verschaffen und ein verständliches Bild über die Geschehnisse und die zukünftigen Vorhaben im Unternehmen entwerfen. Sie muss die Realität handhabbar machen. Oft fehlt es hier an Mut, das Komplexe und Diffizile aus der Ferne zu betrachten, blinzelnd draufschauen, um sich auf die wichtigen, tieferen Strukturen eines Subjekts zu fokussieren und dann Zugang zur „Gestalt“ des Ganzen zu bekommen. Bilderkommunikation als Alternative zur wissenschaftlichen, aufwendigen und komplizierten Ausführung erfordert Übung und Erfahrung, gleichzeitig auch Selbstvertrauen und Unerschrockenheit, also Mut. Mut, Dinge in ihrer – immer existierenden – Einfachheit darzustellen. Mut, sich nicht nur in der fachlich korrekten Sprache auszudrücken, Mut, sich „einfacher“ Bilder zu bedienen. Als ermutigendes Vorbild kann der Musiker Wolfgang Amadeus Mozart dienen: Um seine hoch angesehene und beneidenswerte Art des Komponierens zu erklären, verwendete er eine durchaus hausbackene Metapher: Man erzählt, dass der Meister einen Vergleich zwischen seiner Musik und der Zubereitung einer Mahlzeit zog. Auf diese Weise bot und ermöglichte er auch dem Laien einen einfachen – weil bekannten – Zugang zu den „höheren Weihen“ der Musikkunst. Ein metaphorisches Bild – die Mahlzeitzubereitung – stimuliert den Denkprozess, in dem es ein Schaubild, eine Gestalt, eine Struktur als Hintergrund anbietet, das dann mit neuen Inhalten gefüllt und angereichert werden kann: Zutaten, Vorbereitungs- und
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Verarbeitungsangaben, Zusammenstellungsmöglichkeiten, Geschmacksrichtungen, besondere Akzente und Erscheinungsformen. Ähnlich wie bei Lernprozessen haben Bilder und Metaphern bei der Aufgabe, Komplexität zu reduzieren, den Charme der Einfachheit: Sie überzeugen durch ihre Schlichtheit und Direktheit. Für einen erfolgreichen Einsatz von Bildern im Sinne dieser Funktionen heißt das: „Weniger ist mehr“. Das gilt sowohl für die Anzahl der verwendeten Bilder wie für die jeweils im Bild verwendeten Formen und Zeichen. Eine gute Metapher verbindet auf kreative Weise zwei an sich getrennte Sinnbereiche. Die Metapher lässt den ursprünglichen Sinnbereich im Lichte eines anderen erscheinen, dem so genannten Quellbereich: Musik komponieren ist wie Mahlzeiten zubereiten. Wichtig bei der Wahl der Metapher ist es, im Vorfeld zu klären, was denn verglichen werden soll, worin die Analogie besteht. Im dargestellten Beispiel bezieht sich die Analogie auf die Vorgehensweise. Einer Metapher, die der Reduzierung von Komplexität dienen soll, muss der Wechsel des Blickfeldes auf prägnante und überraschende Weise gelingen: Je einfacher die Analogie desto offensichtlicher ist der Übertragungseffekt. Die Metapher „Die Frau ist wie ein Wirbelwind“ vergleicht implizit aber dennoch eindeutig die Bewegung, die dynamische Erscheinung beider Objekte. Bei der Metapher „Er ist schlau wie ein Fuchs“ wird der Vergleichsgegenstand, die Analogie, explizit benannt, nämlich die Schläue. Wenn es um Komplexitätsreduzierung geht, gilt es zu erkennen, was wesentlich und vorrangig ist und was verzichtbar ist; was ist Vordergrund und was ist Hintergrund. Erst dann kann man sich auf die Suche nach einem Bild oder einer Metapher machen, die als Analogie dienen kann. Die Formel, die Hilfestellung bei der Suche nach dem Wesentlichen gibt, lautet: Wesentlich ist jeweils das, was ein Gebilde von anderen bzw. von seiner Umwelt unterscheidet. Das kann die Form sein, der Inhalt, die Farbe, die Position, die Größe, die Struktur. Zur Überprüfung der Qualität der entstandenen Reduktion dient die Frage: Was ist dabei meine Intention, was will ich damit erreichen und unterstützt das Bild meine Intention? Das Innehalten mit der Frage – was ist das Wesentliche, auf das ich mein Gebilde reduzieren will? – ist im gewissen Sinne auch schon ein Schritt in das kommende Thema, einem weiteren Einsatzbereich der Arbeit mit Bildern: Reflexionsprozesse in Unternehmen.
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Bilder in Reflexionsprozessen Reflexionsprozesse in Organisationen sind wichtige Quellen für viele grundlegende und lebenswichtige Prozesse in Unternehmen, wie z. B. der gezielte Austausch von Informationen und Erfahrungen, die Initiierung und Förderung von Lern- und Veränderungsprozessen oder die Schaffung von Gemeinsamkeiten und Identität. Auf die wesentlichen Merkmale reflexiver Prozesse soll hier nicht weiter eingegangen werden, sie wurden im vorausgegangenen Beitrag „Reflexionsprozesse“ im Detail erörtert. Hier soll es um die Gestaltung solcher Prozesse und speziell um deren Gestaltung mit Hilfe von Bildern gehen. Die wesentliche Qualität von Reflexionsprozessen besteht darin, dass der Handelnde gedanklich aus dem Handlungsraum heraus tritt und zum Beobachter seines eigenen Denkens und Handelns wird. Um das Wahrgenommene schildern bzw. darstellen zu können, bieten sich visuelle und metaphorische Bilder förmlich an. Hier hat das Bild einige Vorteile gegenüber der Sprache anzubieten: Bilder haben den Vorteil der ganzheitlichen Erfassung und direkten Vermittlung von Situationen: Dadurch kann die zu reflektierende Sachlage tatsächlich von Außen und mit Distanz erfasst und betrachtet werden. Bilder sind außerdem in der Lage, objektive Gegebenheiten und subjektive Wahrnehmungen zu verbinden: In einer Reflexion mit Hilfe der Bildersprache können sich beide Sichtweisen ergänzen. Bilder erzeugen Aufmerksamkeit und haben in der Regel eine tiefer greifende Wirkung als sprachlich verfasste Texte: Somit können sie auf Reflexionsprozesse sowohl einen vitalisierenden Effekt haben wie auch die nachhaltige Aufnahme von Information und deren spätere Handlungsrelevanz beeinflussen. Wie kann nun ein Reflexionsprozess mit Hilfe von Bildern oder Metaphern gestaltet werden? Ähnlich wie bei der Beschreibung von Zuständen geht es darum, die wichtigen bzw. für die Menschen bedeutsamen Aspekte herauszukristallisieren und in Bilder zu transferieren. Bei der Reflexion eines Ist-Zustandes können Bilder angeboten oder selbst entwickelt werden, die unterschiedliche Varianten und Schattierungen von Situationsbewertungen darstellen: von freudig bis trauernd, von gut bis suboptimal, von stark bis schwach, von lebendig bis statisch. Dazu eignen sich einfache Symbole – z. B. die mittlerweile allbekannten Smilies, Clips-Männchen oder die klassischen Ampelfarben – aber auch komplexere Abbildungen wie z. B. selbst erstellte Bilder oder zusammengestellte Collagen, ausgewählte Postkarten, Fotos oder andere Darstellungsformen. Bei der Reflexion eines Werdegangs – z. B. eines Projektverlaufs, der eigenen beruflichen Laufbahn, der Zusammenarbeit im Team – kann die
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Beschreibung zeitbezogen differenziert werden, in dem eine Zeitachse aufgezeichnet oder simuliert wird, auf der die wichtigsten Ereignisse festgehalten und die Ergebnisse der Reflexion symbolisch bildhaft dokumentiert werden.
Was nun?
Heute…
Stabilisierung
Dienst nach Vorschrift
Neue Projektdefinition Klare Struktur Klärung – WS am …
3. Meilenstein 2. Meilenstein Kein klares Bild Niemand weiß bescheid!
Erste Euphorie schnell verflogen
Start (15.04.03) Abb. 11. Bilder in Reflexionsprozessen: Standortklärung im Team
Natürlich können in Reflexionsprozessen auch sprachliche Metaphern verwendet werden, wobei es dabei einer gewissen Übung und – wie später noch zu erläutern sein wird – der Disziplin und Konsequenz bedarf. Metaphern müssen in erster Linie einfach, anschaulich und greifbar sein. Wenn Metaphern in Reflexionsprozessen eingesetzt werden, sollten diese ein gutes Maß an Deutungsoffenheit besitzen, d. h. auch Spielraum
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für eine Umdeutung lassen. Wird z. B. für eine Person im Extremfall die Metapher des Teufels oder für eine Situation die der Hölle verwendet, so bleibt nicht viel Raum für weitere Nuancen: Ende der Reflexion! Geschieht es aber trotzdem, so wird es nötig sein, die Metapher zu „öffnen“, indem z. B. im Nachhinein die weitere Götterwelt einbezogen wird oder der Hölle auch positive Qualitäten zugeschrieben werden, wie z. B. warm, eindeutig oder nicht ganz unbekannt. Nicht minder wichtig ist es zu bedenken, dass Metaphern eine zwar subtile aber doch starke Wirkung auf die emotionale Befindlichkeit von Menschen haben und diese Wirkungen individuell und kulturell sehr unterschiedlich sein können. Zum Beispiel: Die Metapher, man habe jemand in einer bestimmten Situation als „Fels in der Brandung“ oder als „Mutter der Kompanie“ erlebt, sind in der Tat deutungsoffene Bilder und können sowohl positive wie negative Konnotationen bekommen. Eine Abteilung, die als eine „Burg“ beschrieben wird, kann für sich die Geschlossenheit, Festigkeit und Solidität der Burg als Qualität beanspruchen oder aber ihre Unnahbarkeit, Nichtoffenheit und Weltfremdheit in den Vordergrund der Deutung stellen. Diese Beispiele zeigen, dass es sinnvoll und nötig sein kann, den Kontext zu betonen und den Interpretationsraum einzugrenzen. Viele in Reflexionsprozessen gut nutzbare und mit einschätzbarem Risiko behaftete Metaphern für Arbeitsgruppen und Teams kommen aus dem Bereich des Mannschaftssports, vor allem aus dem Fußball. Da drängen sich schnell Fragen vor wie: In welcher Liga spielt man heute und in welcher morgen, in welcher Rollenverteilung soll das Spiel vor sich gehen, welche Spielkombinationen sind erfolgreich, wie bereitet man Tore vor, wer macht die Vorlagen, was tun, wenn einer in die Abseitsfalle gerät, und wie kann vorgesorgt werden, damit keine Eigentore kassiert werden. Gelingt es den Beteiligten, in den Kontext der Metapher einzudringen, d. h. sich die Strukturen und Logiken im Sinnbereich der Metapher zu Eigen zu machen, dann kann damit leicht weiter „gespielt“ werden. So könnte zum Beispiel das Bild weiter verwendet werden: Ist das nächste Spiel ein Freundschaftsspiel oder geht es doch um die Champions League, was muss getan werden, um ins Finale zu kommen, stimmt noch die Aufstellung oder muss vielleicht ein neuer Spieler eingekauft werden? Und überhaupt: Will man unbedingt bei dieser Sportart bleiben? Die Kunst in der Verwendung von Bildern im Rahmen von Reflexionsprozessen besteht darin, auf der einen Seite die Metapher mit Disziplin und Konsequenz zu verfolgen, sie sozusagen situationsgerecht „zu entbeinen und zu verwerten“ – d. h. im ursprünglichen Bild und dem dazugehörigen Kontext zu bleiben –, sie aber auf der anderen Seite nicht überzustrapazieren und rechtzeitig die Überleitung in die reale Situation zu gestalten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass eine Überstrapazierung droht, ist das stocken-
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de Gespräch: Es fließt nicht mehr, die Suche nach Analogien wirkt quälend und krampfhaft, die Bezogenheit geht verloren, man verfällt in Lächerlichkeiten: Die Metapher ist ausgereizt. Es kann aber auch anders kommen: Die Metapher wird zu schnell verlassen. Eine zu frühe Überleitung aus der Metapher in die reale Situation ist im Prinzip weniger problematisch, man verschenkt aber gute Chancen für einen ergiebigen Reflexionsprozess und verzichtet womöglich auf wichtige Erkenntnisse. Hier kann eine Schärfung der Beobachtungsgabe, d. h. das genaue Hinschauen und Hinhören, helfen und die kreative und kontinuierliche Übung – auch im Kleinen – den Meister machen. Bilder als Mittel des Perspektivenwechsels In einer Zeit, in der Interdisziplinarität und Internationalität zum Alltag fast jeden Teams gehören und in der das Denken in Prozessketten Vorrang gegenüber dem klassischen Funktionsdenken hat, ist das mentale Verlassen des eigenen Standpunktes und das Einnehmen anderer Perspektiven ein Muss für jede Führungskraft, aber auch für jeden Mitarbeiter. Dabei geht es immer wieder um das Wahrnehmen der vorhandenen Gemeinsamkeiten und das Erkennen und Aushandeln der Differenzen. Es geht um Selbst- und Fremdwahrnehmung: Wie sehe ich die Welt, was sehen andere und warum? Man stelle z. B. die Frage: Mit welchen Augen schaut der Einkauf, die Entwicklung, die Fertigung, der Vertrieb oder das Controlling auf das alte oder auf das neue Produkt? Schon entstehen vor dem inneren Auge die entsprechenden Bilder, die vor allem deshalb unterschiedlich sein werden, weil die jeweiligen Menschen aus unterschiedlichen Interessenslagen und Perspektiven darauf schauen. Bilder helfen, die Wahrnehmungen schneller und prägnanter auf den Punkt zu bringen, als das die Sprache es vermag. Bilder haben den Vorzug, den Fokus klarer und direkter auf das Wesentliche richten zu können. Am effektivsten unter den Bildern tut das naturgemäß die Karikatur. Die Karikatur überzeichnet; sie übertreibt bewusst und fokussiert damit die Aufmerksamkeit auf den Unterschied. Gute Bilder, die einen Perspektivenwechsel erzeugen und Unterschiede pointieren sollen, haben bei näherer Betrachtung die Qualität einer Karikatur: Sie überraschen, decken auf, sie wirken aufklärend und lösungsorientiert zugleich. Zur Verdeutlichung sei hier ein Beispiel aus der Praxis angeführt: Im Rahmen einer informellen Kundenbefragung bei einer Vertriebsorganisation werden einige Kunden aufgefordert, spontan ihr Bild vom Unternehmen wiederzugeben. Die Kunden bieten recht unterschiedliche Metaphern
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an: Das Unternehmen sei – bildlich gesprochen – eine bürokratische Behörde bzw. eine selbstverliebte Bastlergruppe, ein zuverlässiger Partner, ein akzeptabler Lebensabschnittsgefährte, ein attraktiver Zulieferer. Überraschend und interessant sind dabei sowohl das einzelne Bild wie auch die Bandbreite der unterschiedlichen Bilder. Beides zeigt, dass der einzelne Kunde sehr eigene und individuelle Erwartungen an den Lieferanten hat. Natürlich ist diese Information allein nicht ausreichend, wenn es darum geht, mögliche Verbesserungen in der Organisation im Detail einzuleiten. Als Erstinformation gibt sie aber einige Anstöße zur Reflexion und Hinweise auf die Lösungsrichtung. Die Unternehmensmetaphern geben auch Auskunft darüber, dass die Organisation mehr ist als das, was der einzelne Mitarbeiter von innen sieht und dass aus einer anderen Perspektive, z. B. der des einzelnen Kunden, ganz andere Merkmale an Bedeutung gewinnen. Mit Hilfe von Bildern einen Perspektivenwechsel zu erzeugen kann viele Formen annehmen und in unterschiedlichen Situationen zum Einsatz kommen. Das eingangs dargestellte Beispiel der Unternehmensmetapher zielt auf Perspektivenwechsel durch das Einholen von Fremdbildern: Wie schaut ein anderer, hier der Kunde, auf uns und welches Bild entsteht dadurch bei ihm? Perspektivenwechsel durch Einholen von Fremdbildern erzeugt Klarheit – manchmal auch Betroffenheit – über die eigene Wirkung und gibt Auskunft über die Erwartungen, die Andere an mich haben. Vor allem in Arbeitsgruppen kann es sinnvoll sein, Selbstbild und Fremdbild abzugleichen und auch die individuellen Bilder über die Gruppe, die Außenwirkung, die jeweiligen Erwartungen oder die Aufgabe auszutauschen. Werden dafür nicht die Sprache, sondern Bilder als Ausdruckmittel verwendet, die auch tatsächlich in einer Art Vernissage gleichzeitig veröffentlicht werden können, so stehen sowohl die Vielfalt wie die Einzigartigkeit der Wirkungen im Raum und beides wirkt gleichzeitig! Sprache kann diese Wirkung nur partiell bzw. nur seriell realisieren. Perspektivenwechsel kann auch erreicht werden, wenn Menschen in andere Rollen schlüpfen und dadurch ihren Blickwinkel verändern. So kann es zum Beispiel hilfreich sein, für ein neues Produkt im Vorfeld unterschiedliche Nutzerperspektiven einzunehmen und das Produkt mit den Augen des jeweiligen Nutzers zu betrachten: Was trifft seine Wünsche und Interessen und was nicht, welche Veränderungen würde er vornehmen wollen, auf was könnte er verzichten und wie sähe dann „sein“ Produkt aus? Wie sähe z. B. ein Parkhaus, eine Bahnhofshalle, ein Eis am Stiel, eine Rolltreppe oder ein Taschenbuch aus der Sicht eines Kindes, eines traditionsbewussten Einheimischen, eines Globetrotters, einer allein erziehenden Mutter, eines Technikfreaks oder eines grünen Männchen vom
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Mars aus? Und welche Erkenntnisse können aus diesen Bildern und dem gegenseitigen Vergleich in einer Vernissage für die Produktentwicklung gewonnen werden? Bilder können Prozesse, die einen Perspektivenwechsel erfordern, auch aufgrund ihrer Deutungsoffenheit und Ambivalenz unterstützen. Das Bild Alte Frau – Junge Frau (Abb. 8) kann ein guter Appetizer für ein solches Anliegen sein. Darüber hinaus können Bilder und Metaphern eine wichtige Brückenfunktion beim Perspektivenwechsel erfüllen: Sie differenzieren und vermitteln gleichzeitig, z. B. zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, zwischen Tiefgründigkeit und Leichtigkeit, zwischen Schlichtheit und Übertreibung. Sie können Einblick in die Kehrseite des im Moment gültigen Bildes geben: Was wäre wenn? Wie sieht die Kehrseite aus? Welches Bild entsteht, wenn wir das Vorhandene auf den Kopf stellen? Abschließend soll nun ein Blick auf die identitätsstiftende Kraft von Bildern geworfen werden. Identitätsstiftende Bilder Unternehmen, Organisationen und Gruppen können Bilder und Metaphern über sich selbst entwickeln bzw. annehmen: Bilder, mit denen sie sich selbst identifizieren und von anderen differenzieren. Herkunft und ursprüngliche Funktion solcher Bilder können sehr unterschiedlich sein. So steht oft das Bild, mit dem sich Unternehmen identifizieren, für das eigene Produkt oder die Produktmarke, wie es beim Mercedes-Stern, bei den AUDI-Ringen oder dem Lufthansa-Kranich der Fall ist. Der dreizackige Mercedes-Stern symbolisierte ursprünglich die Motorisierung zu Lande, zu Wasser und in der Luft, die vier AUDI-Ringe stehen für die vier Firmengründer, der Kranich der Lufthansa ist ein altes Zeichen für Freiheit und Glück. Heute dienen diese Symbole als Kennzeichen der Zugehörigkeit zu der jeweiligen Organisation: Das sind wir! Oft steht das Bild oder die Metapher, mit denen sich Menschen in Organisationen identifizieren, für die Menschen selbst oder für eine besondere Qualität der Gruppe. So bezeichnen sich heute noch BASF Mitarbeiter traditionsbewusst als „Aniliner“, also als ein Teil der 1865 gegründeten Badischen Anilin & Soda Fabrik. Als „Halbstarke“ bezeichnete sich eine Strömung der Jugendkultur der 50er Jahre und distanzierte sich damit von der als autoritär verpönten Kultur ihrer Elternhäuser; und als „Kanalarbeiter“ sah sich eine in den 50er Jahren gegründete Gruppe innerhalb der SPD, die sich gegen modische Trends in der Partei wandte und sich als Hüter sozialdemokratischer Traditionen verstand.
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Abb. 12. Identitätsstiftende Bilder in Unternehmen: Gemeinsam die Zukunft gestalten
Die Funktion solcher Bilder und Metaphern besteht darin, Identität zu stiften – wer sind wir? –, Zusammengehörigkeit zu dokumentieren – wer gehört zu uns? – und Orientierung zu geben – wofür stehen wir und wo wollen wir hin? Unternehmen befinden sich, heute mehr denn je, in grundlegenden Wandelprozessen. Dabei geht das, was war und den Menschen Orientierung gibt, zum Teil verloren und das, was kommt, ist noch nicht zu fassen. Das Halt gebende und vertraute Bild, die ursprüngliche Identität der Organisation bekommt Risse oder fällt sogar auseinander. Die neue Ausrichtung ist für den Einzelnen nicht klar erkennbar und damit auch nicht begreifbar. Solange das entstandene Bild-Vakuum nicht mit zukunftsgerichteten, Stabilität spendenden Zeichen gefüllt wird, bleibt die emotionale
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Desorientierung und wird durch Ängste und Unsicherheiten weiter genährt. Aufgabe der Führung ist es, hier tätig zu werden, Identität zu stiften, begreifbare Bilder zu entwickeln und diese zu vermitteln. Führung kann aber auch anstiften, gemeinsam Bilder zu entwickeln. Dafür müssen Identifikations- und Projektionsflächen angeboten und entsprechende Prozesse initiiert und begleitet werden.
Ausgesuchte Beispiele und nützliche Tipps In diesem Abschnitt werden unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten der Arbeit mit Bildern anhand von konkreten Beispielen dargestellt und die Besonderheiten herausgearbeitet, die es dabei zu beachten gilt. Die ausgesuchten Beispiele beziehen sich durchgehend auf den Unternehmensalltag. Viele davon können auch auf private oder gesellschaftliche Begegnungen übertragen werden. Im privaten und gesellschaftlichen Umgang sind Bilder und Metaphern ein gängiges Kommunikationsmittel und – bildhaft gesprochen – in der Regel auch gern gesehene Gäste. Und das aus gutem Grund: Bilder und Metaphern helfen Menschen vieles auszudrücken, was mit einer rein beschreibenden Sprache zu kompliziert, zu langwierig, nicht prägnant genug oder – aus der Sicht des Sprechenden – nicht angemessen wäre. Die Verwendung von Bildern und Metaphern in gesellschaftlichen Kontexten erzeugt in der Regel auch eine gewisse Leichtigkeit und Offenheit. Gemeinsame Bilder stellen Bezogenheit her, manchmal auch Vertrautheit und Vertraulichkeit: all das sind wichtige Elemente in der Gestaltung von Beziehungen und von sozialen Prozessen. Im täglichen Umgang und in der normalen Umgangssprache ist man mit der Verwendung von Bildern weit geübter als es oft im eher sperrigen offiziellen Umgang im Unternehmen der Fall ist. Humor und Witz sind ohne die Verwendung von Bildern und Metaphern gar nicht denkbar. Fazit: Das Leben – draußen, jenseits der Unternehmenswelt – ist voller Bilder und Metaphern. Man darf sich dort auch bedienen und sie sozusagen als Proviant für den Betriebsalltag einpacken. Anders formuliert: Viele Formen des Umgangs mit Bildern und Metaphern im privaten und gesellschaftlichen Raum sind durchaus geeignet, Einzug in die Gestaltung sozialer Prozesse in Unternehmen zu finden. Es bedarf aber des genauen Hinschauens. Für singuläre und unternehmensspezifische Situationen und Intentionen werden nun hier einige Beispiele aufgeführt, die dazu verhelfen sollen, die
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Arbeit mit Bildern in die Praxis zu überführen. Es wurden gezielt Situationen ausgesucht, die im normalen Alltag von Bedeutung sind und die für ihre Umsetzung keine besonderen Aufwendungen verlangen. Sie verlangen lediglich etwas Mut und Lust auf Bilder. Bei den ausgesuchten Situationen handelt es sich um das Mitarbeitergespräch, die Teaminspektion, die Teamentwicklung und die Teamsitzung bzw. das Meeting. Mitarbeitergespräch Ziel des Mitarbeitergespräches ist es, im offenen und direkten Dialog zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter die gegenseitigen Erwartungen und Vorstellungen zu formulieren und Vereinbarungen für die weitere Zusammenarbeit zu treffen. In Normalfall werden im Mitarbeitergespräch drei Themen abgedeckt: x Arbeitssituation und Aufgaben des Mitarbeiters, x Zusammenarbeit und Zufriedenheit und x Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten. Zu diesen Themen werden jeweils drei Perspektiven zu besprechen sein: x Der aktuelle Stand, x anzustrebende Veränderungen und x konkrete Schritte für die Zukunft. Für den Dialog über Arbeitssituation, Aufgaben und Zusammenarbeit sind Bilder und Metaphern durchaus brauchbare Instrumente, um im Gespräch die notwendige Distanz zum Thema und die erforderliche Nähe zwischen den Menschen zu erreichen. Dabei sind unterschiedliche Vorgehensweisen denkbar. Als Anregung werden hier drei Varianten mit unterschiedlichen Gesprächsschwerpunkten vorgestellt. Die Beschreibung richtet sich im Fall des Mitarbeitergespräches explizit an den Vorgesetzten. Variante 1 (Gesprächsschwerpunkt: Arbeitssituation und Entwicklungsmöglichkeiten): Lassen Sie den Mitarbeiter (MA) offen erzählen, wie er/sie die momentane Arbeitssituation wahrnimmt. Laden Sie ein, die Lage aus der Distanz zu betrachten, in dem Sie das Gespräch – mithilfe der Bildersprache – auf eine andere Ebene überführen. Das könnte z. B. folgendermaßen vor sich gehen: „Wenn man unsere/ihre Arbeit mit einer Sportart vergleichen wollte, welche Sportart würden sie wählen?“
Mögliche Fragen, die sich auf die gewählte Metapher beziehen:
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Wo sind die Gemeinsamkeiten mit der gewählten Sportart? In welcher Liga spielt das Team gerade? Welche Rolle übernimmt der MA zurzeit im Team? Welche andere Rolle könnte er sich vorstellen? Wie sind, aus seiner Sicht, die weiteren Rollen verteilt? Welche Stärken sieht er bei sich? Welche Stärke zeigen andere? Wann wird das Spiel schwierig für ihn / für andere? In welcher Rolle wird die Führungskraft gesehen? Was müsste geschehen, damit das Team in die nächst höhere Liga einzieht? x Auf was sollte beim Training geschaut werden? x x x x x x x x x
Sorgen Sie rechtzeitig für eine für den Mitarbeiter klar verständliche Zurückführung auf die reale Arbeitssituation, in dem das Gehörte dorthin übertragen wird und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden: Was heißt das für die vorliegende Situation? Gehen Sie noch mal die Aussagen gemeinsam durch. Tipps und Hinweise: x Akzeptieren Sie dankend jede Metapher, führen Sie keine Diskussionen über die Richtigkeit der Wahl! x Sorgen Sie im Gespräch für Offenheit, Experimentierfreudigkeit und spielerische Leichtigkeit, achten Sie auf entsprechende Sprache und Haltung! x Falls die Einladung, eine Metapher zu suchen, keine Resonanz findet, können Sie mit eigenen Beispielen nachhelfen. x Wenn es nicht funktioniert: charmante Rücknahme! Variante 2 (Gesprächsschwerpunkt: Aufgaben und Aufgabenwahrnehmung): Lassen Sie den Mitarbeiter eine erste Einschätzung seiner Arbeitssituation schildern. Wenn das Gespräch auf die Aufgabenwahrnehmung zusteuert, lassen Sie den Mitarbeiter die unterschiedlichen Tätigkeiten/Aufgaben/Projekte visuell darstellen. Sprechen Sie die Einladung aus, die Arbeitssituation aus der Distanz zu betrachten – die Visualisierung hat schon dazu beigetragen. Bieten Sie dem Mitarbeiter ein Bild an, das sich für die weitere Beschreibung der Aufgaben eignet. Die Summe der Aufgaben kann gesehen werden als: x Baustellen, die zu besichtigen und zu beaufsichtigen sind, die unterschiedliche Größen haben, sich in unterschiedlichen Bauphasen befinden und die auch ein Ende finden müssen.
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x Kinder, die versorgt werden müssen, die sich entwickeln, Freude und Ärger bereiten, Zeit und Energie beanspruchen und auch einmal erwachsen werden sollten. x Filialen, die unterschiedlich weit entfernt liegen, immer wieder beliefert werden müssen, die mehr oder weniger Gewinn einbringen, die man im Auge behalten muss, vielleicht auch zusammenlegen könnte. x Fuhrpark, bestückt mit unterschiedlichen Fahrzeugen: gute, schnelle, kostspielige, auch Oldtimer, die gepflegt, repariert, ausgetauscht oder auch verschrottet werden können. x Nutzgarten, der bestellt und gegossen werden muss, in dem gesät, gepflanzt, geerntet wird, wo unterschiedliche Gewächse sind: Gemüse, Blumen, Unkraut. In dem jeweiligen Kontext können durchaus vergleichbare Fragen gestellt werden, wie z. B.: x x x x x x x
Wie ist die eigene Einschätzung: Was läuft gut, was weniger gut? Wie geht der Mitarbeiter damit um? In welcher Rolle sieht er sich? Wie sind die Zukunftschancen insgesamt? Was bereitet Sorge? Was sollte verändert werden? Welche Unterstützung wäre von Nöten?
Tipps und Hinweise: x Sorgen Sie für Visualisierungsmöglichkeiten (Tafel, Flip-Chart, Papier). x Laden Sie den Mitarbeiter immer wieder ein, das Bild weiterzuentwickeln, z. B. indem Anmerkungen und Kommentare im Bild festgehalten werden. x Versuchen Sie mit dem Mitarbeiter zusammen ein abschließendes, ein wünschenswertes Bild zu entwerfen. x Achtung: Das Bild gehört dem Mitarbeiter. Gehen Sie respektvoll damit um! Bieten Sie ihm an, es an sich zu nehmen. Variante 3 (Gesprächsschwerpunkt: Zusammenarbeit): Lassen Sie den Mitarbeiter eine erste Einschätzung über die Arbeitssituation geben. Steuern Sie auf das Thema Zusammenarbeit zu und leiten Sie folgende Metapher ein: Angenommen, ein Außerirdischer käme zu uns mit dem Auftrag, auf Bildern festzuhalten, was in der Zusammenarbeit im Unternehmen außerordentlich gut läuft und was verbesserungsfähig ist. Lassen sie das „good“-Bild und das „bad“-
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Bild vom Mitarbeiter malen. Der Außerirdische versteht die Menschensprache nicht. Was er sieht, hält er in seinen Bildern fest.
Begleiten Sie die Entstehung der Bilder, stellen Sie Verständnisfragen, seien Sie geduldig. Wenn die Bilder fertig sind, würdigen Sie das "good"Bild, fragen Sie dort neugierig nach, wie es denn dazu kommt, dass das Männchen die Situation als gut bewertet. Fokussieren Sie nun das „bad“-Bild. Denkbare Leitfragen: x Was ist dort zu sehen und wieso die negative Bewertung? x Wie könnten Teile davon ins „good-Bild“ überführt werden? x Inwieweit ergänzen sich beide Bilder? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? x Welche Bilder wären vor zwei Monaten / zwei Jahren entstanden? x Welche Bilder könnten in zwei Monaten / zwei Jahren entstehen? Überführen Sie nun die Bilder in die reale Situation. Fragen Sie nach konkretem Handlungsbedarf und unterstützender Hilfe. Tipps und Hinweise: x Sorgen Sie für Visualisierungsmöglichkeiten (Tafel, Flip-Chart, Papier). x Seien Sie neugierig, begleiten Sie den Außerirdischen bei seiner Besichtigung, beeinflussen Sie ihn aber nicht! x Überlegen Sie mit dem MA gemeinsam, was mit den Bildern geschehen soll. Die Verwendung von Bildern und Metaphern in Mitarbeitergesprächen eröffnet für den Mitarbeiter eine gute Möglichkeit, in die Beobachterrolle zu gehen, das eigene Tun als Ganzes wahrzunehmen, Zusammenhänge zu verstehen und darzustellen. Die Führungskraft hat die Chance, das Gespräch nicht nur mit dem handelnden sondern mit auch mit dem beobachtenden und reflektierenden Mitarbeiter zu führen. Beide können die Gelegenheit nutzen, Inhalte ihrer inneren Bilder zu veröffentlichen, zu vergleichen und evtl. zu verändern oder anzugleichen. Teaminspektion Ziel einer Teaminspektion ist es, offen und konstruktiv sowohl über Sachthemen – Aufgaben, Aufgabenverteilung, Informationsaustausch, Kompetenzen, Ressourcen etc. – wie auch über die Art der Zusammenarbeit – Kommunikation, Teamkultur, Atmosphäre, Spielregeln, Vereinbarungen etc. – zu kommunizieren. Dazu gehört auch der Austausch über die gegen-
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seitigen Erwartungen und Vorstellungen und die Formulierung von Vereinbarungen für die weitere Zusammenarbeit. Vor allem beim Austausch gegenseitiger Vorstellungen und Erwartungen sind Bilder und Metaphern brauchbare Methoden. Die hier vorgeschlagenen Vorgehensweisen sind als Anregungen zu verstehen und decken nur einen Teil der Möglichkeiten ab. Variante 1: Die Teammitglieder werden einzeln aufgefordert, ein Bild zu malen, was aus der Perspektive des Einzelnen x x x x x
die jetzige Befindlichkeit im Team, die interne Zusammenarbeit, die Außenwirkung, seine Rolle im Team oder einen weiteren inhaltlichen oder formalen Aspekt
darstellt. Variante 1a: Die Teammitglieder kommen in Kleingruppen (3–4 Personen) zusammen und sollen ein gemeinsames Bild zu einem der oben aufgeführten Aspekte entwerfen. Dazu müssen sie sich zunächst austauschen, bevor sie sich an die Arbeit machen. Sind die Bilder fertig gestellt, so kann die Vernissage erfolgen: Alle Bilder werden aufgehängt, gemeinsam besichtigt und die Aussagen und Botschaften reflektiert: x Was heißt das für die Zukunft des Teams? x Welche Themen müssen besprochen / geregelt werden? x Was wurde vergessen, versäumt, was ist offen geblieben? Tipps und Hinweise: x Für entsprechende Atmosphäre sorgen: Offenheit, Humor, Lust auf Experimentieren. x Räumlichkeiten und Material bereitstellen (Papier, Stifte, Aufhängemöglichkeiten). x Genügend Zeit einplanen. Variante 2: Die Teammitglieder (einzeln oder in Kleingruppen) werden aufgefordert, das Team, seine Qualitäten, seine Mitglieder oder die Art der Zusammen-
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arbeit (immer nur ein Thema!) in einem metaphorischen Bild zu beschreiben. Ein Beispiel: Angenommen, unser Team wäre eine Sportmannschaft, ein Verkehrsmittel, ein Märchenwesen, die Crew der Enterprise, eine neue Partei: x x x x x x
Was wäre das genau? Welches Ziel hätte es? Was würde man über es sagen? Was würde man im Innern sehen? In welche Richtung würde es sich entwickeln wollen? Welche realen Personen entsprechen den Rollen bzw. den Subsystemen der gewählten Metapher?
Tipps und Hinweise: x Metaphorische Selbstbeschreibungen können jederzeit angewandt werden, auch als kurze Einlage in einem Meeting, auf dem Betriebsausflug, im Zweiergespräch oder im Coaching. x Auch die für Mitarbeitergespräche angeführten Bilderbeispiele können in einer Teaminspektion Verwendung finden. Teamentwicklung Auch im Rahmen von Teamentwicklungen kann die Arbeit mit Bildern außerordentlich fruchtbar sein. Dabei können viele der schon erwähnten Beispiele in leicht veränderter Form zum Zuge kommen. Es kann jedoch wichtig sein, bei einer Teamentwicklung nicht nur das „Innenleben“ zu betrachten, sondern auch die Außenwirkung und Zukunftsorientierung zu thematisieren. Dazu sollen hier noch zwei weitere Varianten skizziert werden: Variante 1: Das Team wir aufgefordert, in Kleingruppen Werbeplakate für das Team zu einem bestimmten Anlass zu kreieren. Die fertigen Plakate werden ausgestellt und prämiert. Tipps und Hinweise: x x x x
Für entsprechende Atmosphäre sorgen: Offenheit, Kreativität, Energie. Für entsprechende Räumlichkeiten und Material sorgen. Genügend Zeit einplanen. Für eine angemessene Anerkennung der entstandenen Werke sorgen.
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Variante 1a: Anstatt eines Werbeplakates kann auch ein Werbespot für das Fernsehen entworfen werden! Variante 2: Den Mitgliedern des Teams wird eine Auswahl an Postkarten, Bildern oder Abbildungen angeboten, aus denen sie das Exemplar auswählen dürfen, das für sie am besten jeweils eine der folgende Fragen beantwortet: x x x x x x
Wie sehe ich das Team heute? Was wäre aus meiner Sicht der ideale Zustand? Wie sehe ich meine Rolle im Team? Wie glaube ich, werden wir von Außen gesehen? Wie sehe ich unsere unmittelbare Zukunft? Welches Bild entspricht meiner momentanen Befindlichkeit?
Der Auswählende begründet in der Runde seine Entscheidung für das jeweilige Bild. Tipps und Hinweise: x x x x
Entsprechendes Bildmaterial vorrätig halten. Für adäquate Atmosphäre sorgen. Die Auswahl wird von Dritten nicht kommentiert! Genügend Zeit einplanen.
Teamsitzung – Meetings In Sitzungen und Meetings finden Bilder vor allem im Bereich der Verkündung von Vorhaben und bei Problemlösungsprozessen ihren Einsatz. Hier sei auf die Ausführungen in Kapitel Einsatz von Bildern (S. 171) verwiesen. Auch in Feedbackrunden und in der Auswertung von Meetings können metaphorische Bilder von hohem Reiz sein und konstruktive Energie in die Runde einbringen. Folgende Fragen können sich dazu eignen: x Angenommen, Sie hätten nur einen kleinen Rucksack bei sich, um Proviant für die weitere Arbeit mitzunehmen: Welche der in den letzten drei Stunden gewonnen Einsichten wären dabei? x Wenn wir die anstehenden Aufgaben als einen zu erklimmenden Berg sehen würden, wie würden Sie die heute stattgefundene Tour beschreiben? Wie weit sind wir gekommen? Wie soll es weiter gehen?
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x Hätte ein Reporter und Fotograf der Sitzung beigewohnt, welchen Schnappschuss müsste er für seinen Zeitungsbericht wählen, um die Stimmung im Meeting so getreu wie möglich zu reproduzieren? Tipps und Hinweise: x Sorgen Sie dafür, dass in Sitzungsräumen immer genug Visualisierungsmöglichkeiten und entsprechende Materialien vorhanden sind. x Seien Sie Vorbild, indem Sie öfter als erwartet zum Stift greifen und Ihr inneres Bild mitteilen! Die dargestellten Vorgehensweisen und Methoden können in vielen weiteren Situationen angewandt werden. Bilder und Metaphern sind allerdings auch zerbrechliche Gebilde, es muss sorgsam mit ihnen umgegangen werden. Deshalb noch ein kleiner Exkurs zu Risiken und Nebenwirkungen bei der Arbeit mit Bildern und Metaphern.
Risiken und Nebenwirkungen So wie jedes Medikament eine Packungsbeilage haben muss, soll hier kurz auf die Risiken und Nebenwirkungen der Arbeit mit Bildern und Metaphern eingegangen werden. Einige davon wurden in den vorangegangenen Ausführungen bereits erwähnt: Bilder und Metaphern sind immer bedeutungsoffen und daher in ihrer Wirkung auf andere nicht immer voraussehbar. Bilder können keine Schwerpunkte setzen oder Einzelaspekte betonen: Der Betrachter entscheidet, was für ihn wichtig ist! In der Gestaltung sozialer Prozesse muss deswegen immer klar gestellt werden, in welchem Kontext ein bestimmtes Bild verwendet wird, um auf diese Weise den Interpretationsraum einzugrenzen. Metaphern stellen immer nur eine Analogie zur Wirklichkeit dar, sie sind nicht die Wirklichkeit. Strukturen und sonstige Eigenschaften des wirklichen Begriffes und der gewählten Metapher stimmen nie vollkommen überein. Deshalb müssen immer wieder die Grenzen des Analogiebereiches deutlich gemacht werden. Metaphern haben eine bedingte Tragfähigkeit, sie dürfen im wahrsten Sinne des Wortes nicht überladen werden und sie bedürfen einer sorgsamen zeitlichen Dosierung. Wenn sie überdehnt oder zu oft wiederholt werden, verlieren sie schnell ihren Nutzen und ihren Reiz. Manche Sachverhalte können mit Bildern nicht oder nur schwer ausgedrückt werden. Bilder haben eine bedingte Differenzierungsfähigkeit: Sie unterscheiden nicht zwischen Richtig und Falsch, machen keine Angaben
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über Zeit, Gültigkeitsdauer oder Wahrhaftigkeit. Auch eine Unterscheidung zwischen Sagen, Behaupten, Fragen oder Befehlen ist in Bildern nicht möglich. Um fruchtbar zu werden und um ihre volle Wirkung zu entfalten, bedürfen Metaphern und Analogien der positiven Disposition der Hörer und Teilnehmer. Es geht nicht darum, Menschen mit Bildern oder Metaphern zu nötigen sondern darum, die Menschen positiv zu überraschen, sie zur Betrachtung und Entdeckung dieser kreativen Möglichkeiten einzuladen und anzustiften. Metaphern brauchen Anhänger! Bilder brauchen Fans! Schließlich sind Bilder und Metaphern in erster Linie Kulturträger: Sie haben somit auch immer kulturelle Wurzeln und sind deshalb nicht für jedermann in jeder Situation bekömmlich und verträglich. Dass ein Schornsteinfeger ein Glückszeichen sein soll oder dass eine schwarze Katze für die Mächte der Finsternis steht, ist auch in einer globalisierten Welt nicht für jeden Weltbürger unmittelbar einsichtig! Es ist wichtig, diese Risiken und Nebenwirkungen zu beachten. Die angeführten Hinweise sollten bei der Arbeit mit Bildern präsent sein und berücksichtigt werden, so wie es auch Sinn macht, im Straßenverkehr auf rote Ampeln und Stoppschilder zu achten. Aber so wie die rote Ampel nicht wirklich ein Grund ist, kein Auto zu fahren, so sind die Risiken kein Grund, sich bei der Arbeit mit Bildern entmutigen oder verunsichern zu lassen!
Abschließende Bemerkungen Die Gestaltung sozialer Prozesse in Unternehmen braucht die Bildersprache, wenn es darum geht, Unsichtbares sichtbar zu machen, noch Ungeschehenes vorweg zu sehen, komplexe Situationen begreifbar zu machen, Lernen lebendig zu gestalten, Aufmerksamkeit zu erzeugen, Orientierung zu geben und Identität zu stiften. Gründe genug, sich mit den Besonderheiten der Bildersprache zu beschäftigen und Wege zu erkunden, die den Bildern und Metaphern Zugang in den Unternehmensalltag verschaffen. Seit je her haben Bilder eine magische Funktion als Vermittler zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, als Mittel, um die Welt verstehen und begreifen zu können und als Brücke in die imaginäre Welt der Träume und Visionen. Warum nicht wieder davon Gebrauch machen? Warum nicht des Öfteren die emotionalen, anarchischen und auch subversiven Momente aufgreifen, die durch den Einsatz von Bildern und Metaphern möglich werden?
Abschließende Bemerkungen
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Warum nicht hin und wieder dem Bild und nicht immer dem Wort die höhere Priorität geben? Vieles spricht dafür. Es bedarf nur etwas Mut, Lust und Neugierde. Experimentierfreude gehört vielleicht auch dazu und ein gutes Maß an Zuversicht, dass die Arbeit mit Bildern bei der Gestaltung sozialer Prozesse bis jetzt noch ungenutzte Ressourcen im Unternehmen mobilisieren kann.
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Fragen zur Arbeit mit Bildern Wenn Sie an Ihre Lernzeit zurückdenken, gab es da Menschen, die ihnen deshalb in Erinnerungen geblieben sind, weil sie die Kunst der Arbeit mit Bildern, Metaphern und Geschichten gut beherrschten? Welche besonderen Fähigkeiten hatten aus ihrer Sicht diese Menschen? Welche Situation ist Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben und welche Auswirkung hatte diese auf Sie? Wann haben Sie in letzter Zeit bewusst ein Bild, eine Metapher, ein Gleichnis verwendet, um jemanden einen Sachverhalt zu erklären? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Was genau war in der Situation hilfreich? Was würden Sie heute vielleicht anders machen? Wann waren Sie zum letzten Mal in einer Bilderausstellung? Gab es bei dieser Gelegenheit oder bei einer anderen ein Bild, das Sie besonders bewegt oder aufgerüttelt hat? Was hat dieses Bild dargestellt und welche Deutungen hat das Bild bei Ihnen hervorgerufen? Angenommen, Sie wollten ein Bild über die Themen malen, die Sie im Moment am meisten beschäftigen. Wie sähe das Bild aus? Was wäre dort zu sehen? Welche Farben würden Sie vermutlich einsetzen? Wem würden Sie das Bild zeigen? Vor wem würden Sie es auf jeden Fall verbergen wollen? Wo und wofür würden Sie dieses Bild aufheben wollen? Würde Ihr Kind Sie darum bitten, ein Bild über Ihre Kindheit zu malen, was würden Sie darstellen? Welche Mitteilung, welche Botschaft wäre Ihnen dabei wichtig? Welche Metapher verwenden Sie insgeheim, wenn sie an Ihre Arbeit denken? Und welche, wenn Sie ihr Privatleben betrachten? Würden Sie diese Bilder veröffentlichen wollen? Wer wäre darüber überrascht, wer wäre vielleicht enttäuscht? Und eine letzte Frage: Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 die höchste Bewertung ist, wie groß ist Ihre Lust, mit der Arbeit mit Bildern demnächst zu beginnen oder diese sogar zu intensivieren?
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Brücken in den Alltag Mit Bildern arbeiten kann zunächst heißen, sich mit den eigenen Bildern und mentalen Landkarten zu beschäftigen, d.h. mit den Bildern, die man im Inneren trägt. Es kann durchaus Sinn machen, eine erste private und vielleicht auch geheime Bilderausstellung zu organisieren. Nicht zu viele Bilder auf einmal, nur die Wichtigen und Bedeutungsvollen würden im Ausstellungsraum hängen. Es wären Bilder über die eigenen Gedanken, über die großen Themen, über Wünsche und Träume; alle mit Überschriften versehen. Das ist keine metaphorische Aufforderung, wie es vielleicht den Anschein hat, sondern ein realer Aufruf, eine aufrechte Einladung und eine ernst gemeinte Empfehlung. Machen Sie sich auf den Weg, malen Sie Ihre Bilder und organisieren Sie die Ausstellung. Nur so werden Sie tatsächlich erfahren können, was die Kraft und die Magie von Bildern sein kann, wann und warum sie unbequem werden und welche subversiven Seiten sie in einem wecken können. Ist dieser Weg einmal begangen worden, dann kann es weiter gehen, in das Unternehmen hinein, in die Gruppe, zum nächsten Meeting, in das kollegiale Gespräch. Für die Umsetzung im Alltag können folgende Hinweise hilfreich sein: x Versuchen Sie, wann immer Sie Lust haben, sich ein Bild Ihrer Gedanken und Ideen zu machen und zeichnen Sie dieses auch auf. Gönnen Sie sich die Zeit! x Achten Sie darauf, wer in Ihrer Umgebung mit visuellen oder sprachmetaphorischen Bildern arbeitet und versuchen Sie heraus zu finden, für wen und in welchen Situationen diese Arbeitsform einen tatsächlichen Mehrwert hat. x Schauen Sie Kindern zu, wie diese anhand von Bildern die Welt entdecken und begreifen. x Begeben Sie sich auf die Suche nach brauchbaren Analogien für Ihren Arbeitsalltag und experimentieren sie damit. x Nehmen Sie sich vor, mindestens einmal in der Woche einen Versuch zu starten, die Arbeit mit Bildern und Metaphern zu intensivieren.
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Weiterführende Literatur Gordon D (2005) Therapeutische Metaphern. Junfermann, Paderborn Eco U (1977) Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main Kuchenmüller R, Stiefel M (2005) Quality without a Name. In: Schuman S (ed) The IAF Handbook for Group Facilitation, Jossey-Bass, San Francisco, 381– 419 Loebbert M (2003) Storymanagement – Der narrative Ansatz für Management und Beratung. Klett-Cotta, Stuttgart Lynch K (2001) Das Bild der Stadt. Birkhäuser, Basel Michalko M (2001) Erfolgsgeheimnis Kreativität: Was wir von Michelangelo, Einstein & Co. lernen können. Moderne Verlagsgesellschaft, München Morgan G (1997) Bilder der Organisation. Klett-Cotta, Stuttgart Schuck-Wersig P (1993) Expeditionen zum Bild. Beiträge zur Analyse des kulturellen Stellenwerts von Bildern. Peter Lang, Frankfurt am Main Weick KE (1995) Der Prozess des Organisierens. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Die Autoren
Stefan Hölscher, geboren 1961, lebt in Heidelberg und ist tätig als Organisationsberater, Managementtrainer und Coach. Nach Studien in Philosophie, Psychologie, Germanistik, Geschichte, Rechtswissenschaft und Musik (Dr. phil., Diplom-Psychologe, M.A.) Tätigkeit in verschiedenen wissenschaftlichen Positionen an der Universität Heidelberg, u.a. als Psychotherapeut und Lehrbeauftragter für Theoretische Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Aus- und Weiterbildungen in Klientenzentrierter Gesprächsführung, Verhaltenstherapie, Systemischer Beratung und Coaching, Provokativer Therapie und anderen Ansätzen. Seit 1996 als selbständiger Unternehmensberater tätig. Partner und Mitbegründer der Metrion Management Consulting in Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: Beratung in Veränderungsprozessen, Managementtrainings (insbesondere zu Führung, Persönlichkeit und Konfliktmanagement), Coaching von Einzelpersonen und Gruppen, Konfliktmediation und Beratung zu Personalentwicklungskonzepten. Stefan Hölscher ist für zahlreiche internationale Großunternehmen tätig, u. a. Abbott, Allianz Group, Bosch, Bosch und Siemens Hausgeräte, DaimlerChrysler, Haniel, KPMG, Parker Hannifin. Wolfgang Reiber, geboren 1952, lebt in Frankfurt am Main und ist tätig als Organisationsberater, Managementtrainer und Coach. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und der Wirtschaftspädagogik mehrjährige Aus- und Weiterbildungen in Gruppendynamik, Supervision und systemischer Organisationsberatung, außerdem Fortbildung in unterschiedlichen Themen der Humanistischen Psychologie, der Soziologie und des Managements. Langjährige Erfahrung in der industriellen Wirtschaft, in unterschiedlichen Unternehmen und in verschiedenen Positionen. Seit 1996 als selbständiger Unternehmensberater tätig. Partner und Mitbegründer der Metrion Management Consulting in Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: Beratung in Veränderungsprozessen, Managementtrainings (insbesondere zu Führung, Kommunikation und Teamarbeit), Trainings zur Steigerung der Wirksamkeit von Experten in Unternehmen sowie Coaching von Einzelpersonen, Gruppen oder Teams. Wolfgang Reiber ist für zahlreiche internationale Großunternehmen tätig, u.a. Bosch, Bosch Rexroth,
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Die Autoren
Bosch und Siemens Hausgeräte, BMW, DaimlerChrysler, Dyckerhoff, RAG, Nestlé. Karin Pape, geboren 1958, lebt in Hofheim am Taunus und ist tätig als Managementtrainerin, Organisationsberaterin und Coach. Nach einer Lehrausbildung, dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und Arbeitsaufenthalt in den USA Tätigkeit in der Konsumgüterindustrie im Vertriebs- sowie im Personalbereich in Deutschland und in England. Aus- und Weiterbildungen in Systemischer Beratung und Coaching, Organisationsund Familienaufstellungen, Organisationsentwicklung und verschiedenen Managementkonzepten (z.B. EFQM). Seit 1995 als selbständige Organisationsberaterin tätig. Partnerin und Mitbegründerin der Metrion Management Consulting in Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: Managementtrainings (insbesondere zu Führung, Moderation, Teamarbeit und Persönlichkeitsentwicklung), Coaching und Change Management. Karin Pape ist für verschiedene mittelständische und große Unternehmen tätig, u. a. Bosch, Bosch Rexroth, Dyckerhoff, KPMG, RAG Immobilien. Elizabeth Loehnert-Baldermann, geboren 1948 in Santiago de Chile, Mutter dreier erwachsener Kinder, lebt in Karlsruhe und arbeitet als Unternehmensberaterin, Trainerin und Coach. Studium der Architektur, Stadtplanung und Regionalwissenschaft in Santiago de Chile, Stuttgart und Karlsruhe. Langjährige Tätigkeit in Forschung und Lehre und als freiberufliche Planerin. Aus- und Fortbildungen in Erwachsenenbildung, Prozessbegleitung und Systemischer Beratung. Seit 1993 als selbständige Personalentwicklerin und Organisationsberaterin tätig. Mitbegründerin und Partnerin der Metrion Management Consulting in Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: Beratung in Veränderungsprozessen, Personalentwicklung und -qualifikation, Coaching, Mediation und Konfliktmanagement. Zu den derzeitigen Kunden von Elizabeth Loehnert-Baldermann gehören unter anderem Robert Bosch, Bosch Rexroth, DaimlerChrysler, Deutsche Post, Deutsche Lufthansa sowie verschiedene mittelständische Unternehmen.