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German Pages 401 Year 2007
Martina Müller Die Identifikation kultureller Erfolgsfaktoren bei grenzüberschreitenden Fusionen
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT Literatur - Handlung - System Herausgegeben von PD Dr. Achim Barsch, PD Dr. Gebhard Rusch, Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt, Prof. Dr. Reinhold Viehoff
Die Reihe stellt Literatur in einen handlungs- und systemtheoretischen Zusammenhang. Literaturwissenschaft als Wissenschaft von der Literatur findet damit den Weg zu den Kultur-, Medienund Sozialwissenschaften. In Fortführung der Konzeption einer empirischen Literaturwissenschaft öffnet die Reihe den Diskursraum für grundlagenorientierte und anwendungsbezogene Studien, die literarisches Handeln untersuchen und seine theoretische Modellierung diskutieren.
Martina Müller
Die Identifikation kultureller Erfolgsfaktoren bei grenzüberschreitenden Fusionen Eine Analyse am Beispiel der DaimlerChrysler AG
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Karin Aschenbrücker
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Augsburg, 2006
1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Ingrid Walther Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0750-5
Geleitwort Unternehmen mit transnationalen Strukturen entstehen zu allen Zeiten in unterschiedlichen Größen und in vielen Branchen. Sollen Sie über längere Zeiträume handlungsfähig bleiben – so die Hypothese der vorliegenden Untersuchung – bilden sich notwendigerweise ähnliche Kulturpraktiken oder Handlungsmuster heraus, die systemstabilisierend wirken können. Gegebenenfalls wird in einem solchen Prozess des Zusammenwachsens von Unternehmenskulturen Ressourcenverschwendung reduziert, Synergien können realisiert werden, völlig neue Potenziale können freigesetzt werden. Grundsätzlich werden existierende Unternehmenskulturen vor, während und in Folge eines Zusammenschlusses auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Der vorliegende Fall, den Martina Müller zum Ausgangs- und Bezugspunkt ihrer Untersuchung gewählt hat, die Fusion der Daimler-Benz AG mit der Chrysler Corporation zur DaimlerChrysler AG, befindet sich aktuell in der entscheidenden Phase einer solchen Bewährungsprobe. Die Argumente, die vorwiegend für das potenzielle Scheitern der Fusion kommuniziert werden, sind in erster Linie finanzieller Art. Faktisch wirkt jedoch ein komplexes System grundlegender Kulturunterschiede als harte Größen nach wie vor trennend. Die beiden Konzerne sind in ihrer historischen Entwicklung, in ihrer Kultur und in erster Linie in ihrer produkt- und fertigungspolitischen Ausrichtung höchst verschieden. In dieser Verschiedenheit kann ein potenzieller Gewinn gesehen werden, um ihn zu beleben, wären jedoch größte Anstrengungen der Akteure auf allen Ebenen und auf beiden Seiten des Atlantiks erforderlich. Martina Müller dokumentiert und analysiert in ihrer Untersuchung tiefgehend und hintergründig Stand und Bedingungen der Fusion prozessbegleitend. Die Untersuchung zeichnet sich dabei gleichermaßen durch ein ausgezeichnetes Verständnis der jeweils kulturprägenden Kräfte der beiden Konzerne und durch eine differenzierte Suche nach Erfolgsfaktoren einer Kulturintegration aus. Kenntnisreich werden über Dokumentenanalyse und Experteninterviews sowie durch ergänzende Beobachtung Kulturunterschiede und –ähnlichkeiten herauskristallisiert. Die im Verlauf der Untersuchung wechselhaften Phasen des sogenannten „Integrationsprozesses“ („Euphorie“, „Ernüchterung“, „Koexistenz“) beleben in der Darstellung die vorliegende Studie zusätzlich: War in den Anfangsjahren der mittlerweile neun Jahre zurückliegenden Fusion die Chrysler Corporation finanziell betrachtet defizitär, so entwickelte der Konzern im Nachgang zur erfolgreichen Restrukturierung sieben Jahre später zwischenzeitlich Gewinne. Daimler Benz musste nahezu parallel zu dieser Entwicklung eine fast gegenläufige Entwicklung erfahren und zwischenzeitlich Verluste realisieren. Die Frage, ob der Markt in diesem Zeitraum insgesamt eingebrochen war oder ob ein erfolgreiches Miteinander im Nachgang zur Fusion doch nicht leistbar sein würde, ist bis heute nicht eindeutig beantwortbar. Zu dieser für viele Unternehmen hoch spannenden Frage liefert auch die ökonomische Theorie bisher keine hinreichend aussagekräftigen Erklärungen.
Im Ergebnis der vorliegenden Untersuchung stellt Martina Müller folgende Erfolgsfaktoren sozio-kultureller Integration zur Diskussion: personelle Netzwerke, Identifikation, Integrationsfiguren, Integrationsbereitschaft, der Einfluss des Topmanagement sowie die Anpassung der Anreizsysteme und Organisationsstrukturen. Sie identifiziert und erläutert damit einen Bedingungsrahmen, mit dem Unternehmen mit transnationalen Strukturen erfolgreich einen Fusionsprozess bewältigen können, sofern im Verlauf des Integrationsprozesses keine konzernweite Strategieänderung vorgenommen wird. Die in der vorliegenden Untersuchung einleitend sehr klar strukturiert erläuterten Bedingungen des globalen Wettbewerbs können solche Strategieänderungen kurzfristig auslösen. Die vorliegende Arbeit bietet über Tagesereignisse hinaus Potenzial, um die Diskussion über Bedingungen erfolgreicher Fusionen wachzuhalten.
Augsburg, im Februar 2007
Prof. Dr. rer. pol. K. Aschenbrücker
Vorwort Unternehmensfusionen und Akquisitionen sind zu einem beliebten Mittel des strategischen Managements geworden, um die Wettbewerbsfähigkeit im Zuge zunehmend globalisierter Märkte zu erhalten. Die Erfolgsquote von Unternehmenszusammenschlüssen liegt dabei noch immer deutlich unter 50% (Jansen 2004). Als häufigste Ursache für das Scheitern von Fusionen werden inkompatible Unternehmenskulturen genannt. Im internationalen Umfeld verschärft sich das Problem der unterschiedlichen Unternehmenskulturen, da außerdem verschiedene Landeskulturen aufeinander treffen. Zu diesem vergleichsweise jungen Phänomen liefert die Managementliteratur bisher wenig praktikable und bewährte Handlungsanleitungen. An diesem Defizit setzt die vorliegende Untersuchung an. Mit qualitativen Methoden wird der sozio-kulturelle Integrationsprozess nach dem Zusammenschluss der Automobilkonzerne Daimler-Benz und Chrysler zur DaimlerChrysler AG mit dem Ziel untersucht, Erfolgsfaktoren einer grenzüberschreitenden Integration zu identifizieren. Eine Unternehmensfusion bedeutet Kulturveränderung. Für die langfristige Überlebenssicherung sind Fragen der strategischen und inhaltlichen Kulturausrichtung von hoher Bedeutung. Da sich die meisten Branchen im einen Spannungsfeld zwischen Kräften in Richtung Globalisierung und Lokalisierung bewegen, hängt der Unternehmenserfolg auch vom Verhältnis aus kultureller Vereinheitlichung und kultureller Vielfalt im Unternehmen ab. Um Globalisierungsvorteile realisieren zu können, bedarf es einer gemeinsamen Basis in Form geteilter Ziele und Werte. Andererseits soll das Potential, dass dem Vorhandensein unterschiedlicher Kulturen innewohnt, erhalten bleiben. Die Herausforderung besteht darin neue unternehmenskulturelle Elemente mit bewährten, bestehenden Elementen zu einer übergreifenden und Identifikation stiftenden Unternehmenskultur zu verknüpfen. Die hohe Bedeutung die der Unternehmenskultur gerade bei international tätigen Unternehmen heute und zukünftig zukommt, ist in deren Integrationsfunktion begründet. Sind doch die Unternehmen selbst aufgrund ihrer Größe ständig von Separation bedroht und deren Belegschaft gleichsam von Desorientierung und Verunsicherung, in Folge fortwährender und schneller Veränderungen, ausgelöst durch das globale Umfeld. Die zentrale Frage lautet daher: „Wie kann eine global übergreifende Unternehmenskultur aussehen, die eine gemeinsame Integrations- und Identifikationsbasis für Mitarbeiter darstellt und dennoch vorhandenen Unternehmens- und Markenkulturen Raum lässt?“ Anhand der Analyse der Daimler-Chrysler-Kultur werden in der vorliegenden Untersuchung Faktoren einer erfolgversprechenden Kulturausrichtung von Unternehmen mit transnationalen Strukturen zur Diskussion gestellt. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob sich das Problem des allzu häufigen Scheiterns von Fusions- und Akquisitionsprozessen mittelfristig reduzieren lässt.
An dieser Stelle danke ich den nachstehend genannten Personen, die jeweils eine bedeutende Rolle im Entstehungsprozess dieser Arbeit innehatten: Prof. Dr. Karin Aschenbrücker, Prof. Dr. Friedrich Böhle, Dipl.-Ök. Ralf Hartung, Nikolaus Wacker, Stefanie Künzel, Margit und Hertwig Müller, Claudia, Angelo und Nicolas Capitano sowie Gertraud und Alfred Wacker. Auch Jvonne Blob, Christian Heinrich, Josef Mayr, Thomas Finkenzeller und Andrea Agbo-Uebelherr danke ich für ihre Unterstützung. Augsburg, im März 2007 Martina Müller
Inhaltsverzeichnis I Einführung 1 Problemstellung ...................................................................................................................1 2 Gang der Untersuchung......................................................................................................3
II Analyse des Globalisierungsprozesses 1 Globalisierung als gesellschaftliches Phänomen...............................................................7 1.1 Definitionen zum Begriff Globalisierung ...............................................................7 1.2 Konzepte zur Erklärung des Phänomens Globalisierung .....................................10 2 Voraussetzungen und Triebkräfte der Globalisierung ..................................................15 2.1 Politische Liberalisierungsmaßnahmen und internationale Organisationen......................................................................................................15 2.2 Informations- und kommunikationstechnologische Fortschritte ..........................18 3 Globalisierungsdimensionen der westlichen Industrieländer .......................................20 3.1 Globalisierung der Politik.....................................................................................20 3.1.1 Globale Probleme als politische Herausforderungen.............................20 3.1.2 Entwicklungen in der internationalen Politik ........................................23 3.1.3 Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft............................25 3.1.4 Global Governance ................................................................................29 3.2 Sozio-kulturelle Globalisierungsdimension..........................................................32 3.2.1 Mediale kommunikative Vernetzung.....................................................32 3.2.2 Kulturelle Homogenisierung versus Heterogenisierung........................35 3.2.3 Initiativen und Konzepte zu global-ethischen Standards.......................38 3.3 Indikatoren der ökonomischen Globalisierung.....................................................49 3.3.1 Entwicklung des Welthandels und der ausländischen Direktinvestitionen.................................................................................50 3.3.2 Globalisierung der Finanzmärkte...........................................................56 3.3.3 Grenzüberschreitende Unternehmungen und Unternehmenskooperationen.........................................................................................59
III Stand der Unternehmenskulturforschung 1 Grundlagen der Unternehmenskulturtheorie.................................................................71 1.1 Kulturdefinitionen und Kulturkonzepte der allgemeinen Kulturwissenschaft ...............................................................................................71 1.1.1 Zum allgemeinen Kulturbegriff .............................................................71 1.1.2 Ansätze zur Systematisierung unterschiedlicher Kulturinterpretationen ......................................................................................73 1.2 Entwicklung und Bedeutung des Phänomens Unternehmenskultur .....................75 1.2.1 Definitionen und Abgrenzungen von Unternehmenskultur ...................79 1.2.2 Grundlegende Eigenschaften des Konstrukts Unternehmenskultur ......80 1.3 Richtungen und Methoden der Unternehmenskulturforschung............................83
X Inhaltsverzeichnis 1.3.1 Divergierende Sichtweisen und Verständnisse von Unternehmenskultur...............................................................................83 1.3.2 Empirisch-methodische Zugänge zum Gegenstand Unternehmenskultur...............................................................................88 1.4 Elemente und Aufbau der Unternehmenskultur ...................................................90 1.5 Wirkungspotential und Funktionen der Unternehmenskultur ..............................97 2 Unternehmenskultur im internationalen Kontext........................................................104 2.1 Begriffliche und konzeptionelle Präzisierungen zur internationalen Unternehmenstätigkeit........................................................................................104 2.1.1 Das Konzept der transnationalen Unternehmung ................................107 2.1.2 Integration und Koordination in der transnationalen Unternehmung ..109 2.2 Kulturgestaltung im international tätigen Unternehmen ....................................111 2.2.1 Kultureinflüsse in der internationalen Unternehmung.........................111 2.2.2 Alternativen der Kulturgestaltung nach Schreyögg.............................114 2.3 Unternehmenskultur im Rahmen von mergers & acquisitions (M&A)..............120 2.3.1 Explikation und Entwicklung der M&A-Aktivitäten ..........................120 2.3.2 Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren bei M&A-Prozessen ......................124 2.3.3 Die Relevanz der kulturellen Aspekte in den verschiedenen Fusionsphasen ......................................................................................127 2.3.4 Der Akkulturationsprozess von Unternehmenskulturen......................132 2.4 Ansatzpunkte für eine Kulturveränderung und -integration ...............................136 2.4.1 Die Bedeutung von Unternehmensleitbildern und -grundsätzen für die Unternehmensidentität..............................................................139 2.4.2 HRM-basierte Maßnahmen im Rahmen des Personalmanagements ...144 2.4.3 Führungskräfte – Akteure eines kulturbewussten Managements ........151
IV Forschungsdesign 1 Forschungsmethodische Grundlegung ..........................................................................157 1.1 Gegenstandsbezug leitende Erkenntnisinteressen und Forschungsziele der empirischen Untersuchung ...........................................................................157 1.2 Angewandtes Forschungsverfahren und Methoden............................................159 1.2.1 Form und Ablauf des qualitativen problemzentrierten Interviews.............................................................................................160 1.2.2 Die qualitative Dokumentenanalyse ....................................................162 2 Durchführung der empirischen Untersuchung ............................................................163 2.1 Begründung für die Wahl der transnationalen Unternehmung als Untersuchungsrahmen ...................................................................................163 2.2 Fallauswahl - DaimlerChrysler AG ....................................................................164 2.2.1 Grundlagen für das theoretical sampling .............................................164 2.2.2 DaimlerChrysler – ein Unternehmen mit transnationalen Strukturen .167 2.3 Auswahl der Interviewteilnehmer.......................................................................170 2.4 Konzeptionelle Basis der Leitfadenkonstruktion und Beschreibung der Erhebungsdimensionen.................................................................................172 2.5 Durchführung und Auswertung der Dokumentenanalyse ..................................179 2.6 Beschreibung der Interviewdurchführung und -auswertung ..............................180
Inhaltsverzeichnis XI
V Fallbeispiel DaimlerChrysler AG 1 Historische Anfänge und Entwicklungsprozess der DaimlerChrysler AG................183 1.1 Gründerfiguren und Unternehmensanfänge .......................................................183 1.1.1 Gottlieb Daimler ..................................................................................183 1.1.2 Karl Benz .............................................................................................184 1.1.3 Walter P. Chrysler................................................................................186 1.2 Unternehmensgeschichte der Daimler-Benz AG und der Chrysler Corporation ..........................................................................................187 1.2.1 Die Entwicklung von Daimler/Benz und der Daimler-Benz AG im Zeitraum von 1924-1998 ................................................................187 1.2.2 Zum Werdegang der Chrysler Corporation im Zeitraum von 1940-1998 .....................................................................................190 1.3 Die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler zur DaimlerChrysler AG .............192 1.3.1 Ausgangslage und Motive....................................................................192 1.3.2 Die Partnerwahl ..................................................................................193 1.3.3 Strategie und Struktur des neuen Unternehmens DaimlerChrysler .....195 2 Darstellung und Erläuterung der Untersuchungsergebnisse zum soziokulturellen Integrationsprozess der DaimlerChrysler AG..........................................197 2.1 Untersuchungsziele und Vorgehen .....................................................................197 2.2 Zum Verlauf der Integration ...............................................................................198 2.2.1 Die Phase der Euphorie........................................................................198 2.2.2 Die Phase der Ernüchterung.................................................................200 2.2.3 Die Phase der Koexistenz ....................................................................201 2.2.4 Phase der Kompatibilität und der Harmonisierung..............................206 2.3 Zum Stand der sozio-kulturellen Integration bei DaimlerChrysler ....................213 2.3.1 Kulturrelevante Rahmenbedingungen .................................................213 2.3.2 Ergebnisse der sozio-kulturellen Integration .......................................216 2.4 Probleme des sozio-kulturellen Integrationsprozesses .......................................220 2.5 Erfolgsfaktoren der sozio-kulturellen Integration bei DaimlerChrysler.............224 2.5.1 Personeller Austausch und personelle Netzwerke ...............................224 2.5.2 Identifikation mit dem Unternehmen...................................................225 2.5.3 Integrationsfiguren im Topmanagement..............................................226 2.5.4 Bereitschaft des Einzelnen zur Integration ..........................................228 2.5.5 Einfluss des Topmanagements.............................................................228 2.5.6 Anreizsysteme und Organisationsstrukturen .......................................229 2.6 Ergebnis der Analyse zum sozio-kulturellen Integrationsprozess der DaimlerChrysler AG.....................................................................................231 3 Darstellung der Untersuchungsergebnisse zur Identifikation der Belegschaft mit DaimlerChrysler...................................................................................233 3.1 Untersuchungsziele und Vorgehen .....................................................................233 3.2 Stand der Identifikation der Belegschaft ............................................................234 3.3 Erschwernisse und Probleme im Prozess der Identifizierung der Beschäftigten mit dem Unternehmen .................................................................236 3.4 Ergebnis der Analyse zur Identifikation der Belegschaft mit DaimlerChrysler .................................................................................................238
XII Inhaltsverzeichnis 4 Die DaimlerChrysler-Kultur im Spannungsfeld zwischen einer universellen und einer pluralistischen Ausrichtung.....................................................240 4.1 Untersuchungsziele und Vorgehen .....................................................................240 4.2 Universelle Aspekte der Kulturgestaltung bei DaimlerChrysler ........................240 4.3 Pluralistiche Aspekte der Kulturgestaltung bei DaimlerChrysler ......................242 4.4 Ergebnis der Analyse zur pluralistischen und universellen Ausrichtung der Unternehmenskultur bei DaimlerChrysler...............................244 5 Untersuchungsergebnisse zur Unternehmenskultur der DaimlerChrylser AG .......................................................................................................246 5.1 Die unternehmenskulturelle Ausgangslage - Darstellung der qualitativen Untersuchungsergebnisse zu den Unternehmenskulturen der ehemaligen Daimler-Benz AG und der Chrysler Corporation ...........................246 5.1.1 Untersuchungsziele und Vorgehen ......................................................246 5.1.2 Die kulturellen Basiskräfte der Daimler-Benz AG ..............................249 5.1.3 Die kulturellen Basiskräfte der Chrysler Corporation .........................264 5.1.4 Ergebnis der Analyse zur kulturellen Ausgangslage der DaimlerChrysler AG............................................................................276 5.2 Die kulturprägenden Werte der DaimlerChrysler AG........................................282 5.2.1 Untersuchungsziele und Vorgehen ......................................................282 5.2.2 Ergebnis der Dokumentenanalyse zu den offiziellen DaimlerChrysler-Werten......................................................................283 5.2.3 Ergebnis der Analyse zu den offiziellen Werten und Maßstäben der DaimlerChrysler AG......................................................................316 5.2.4 Ergebnisse der qualitativen problemzentrierten Interviews.................318 5.2.5 Zusammenführung der Teilergebnisse – die „offizielle“ und die „inoffizielle“ DaimlerChrysler-Kultur...........................................324 5.2.6 Erklärungen der Befragten zu den genannten Wertvorstellungen .......328 5.2.7 Die Sonderstellung des Wertes gesellschaftliche Verantwortung .......341 5.2.8 Ergebnis der Analyse zu den Werten der DaimlerChrysler AG ..........344
VI Ergebnis der Untersuchung 1 Schlussfolgerungen für die Kulturausrichtung und die sozio-kulturelle Integration in transnationalen Unternehmen ...............................................................349 1.1 Transnationale Unternehmen im Spannungsfeld einer universellen und einer pluralistischen Kulturausrichtung .......................................................349 1.2 Erfolgsfaktoren der sozio-kulturellen Integration...............................................353 2 Schlussbetrachtung..........................................................................................................359
Anhang I: Anschreiben........................................................................................................367 Anhang II: Interviewleitfaden .............................................................................................368 Literaturverzeichnis ...........................................................................................................373
Abbildungsverzeichnis Abb. 1:
Die größten Exportnationen ...................................................................................52
Abb. 2:
Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen im Zeitraum von 1990 bis 2001 ..................................................................................................55
Abb. 3:
Arten von Unternehmenskooperationen.................................................................61
Abb. 4:
Die fünfzehn größten Firmenübernahmen und -fusionen.......................................66
Abb. 5:
Zahl der international agierenden Großunternehmen und ihrer Tochtergesellschaften .............................................................................................67
Abb. 6:
Die weltweit größten Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ........................69
Abb. 7:
Forschungsrichtungen innerhalb der Unternehmenskulturtheorie .........................84
Abb. 8:
Kulturebenen nach Schein ......................................................................................91
Abb. 9:
Funktionen und Wirkungen von Unternehmenskultur ...........................................98
Abb. 10: Das ambivalente Wirkungspotential starker Unternehmenskulturen ...................103 Abb. 11: Schachtelmodell zur Unternehmenskultur und der sie umgebenden Umkulturen...........................................................................................................112 Abb. 12: Die fünf Fusionswellen auf dem amerikanischen Markt......................................122 Abb. 13: Weltweite Transaktionsvolumen im Zeitraum von 1987 bis 2001.......................123 Abb. 14: Phasen einer Fusion ..............................................................................................127 Abb. 15: Ergebnisse der kulturellen Integration von M&A-Prozessen...............................134 Abb. 16: Verlaufsmuster eines Kulturwandels nach Schreyögg .........................................136 Abb. 17: Zuordnung von Ansatzpunkten der Kulturentwicklung und -veränderung zu den HRM-Politikfeldern ..................................................................................149 Abb. 18: Globalisierungs- und Lokalisierungsnotwendigkeiten in ausgewählten Branchen...............................................................................................................168 Abb. 19: Vier Stufen für das Zusammenwachsen von Unternehmenskulturen nach Grube/Töpfer................................................................................................176 Abb. 20: Erhebungskategorien, forschungstheoretische Grundlegungen und Erkenntnisinteressen.............................................................................................178 Abb. 21: Umsätze der Daimler-Benz AG und der Chrysler Corporation nach Wirtschaftsräumen im Jahr 1997..........................................................................194 Abb. 22: Stand der Integration von DaimlerChrysler im Sommer 2003 aus Sicht des mittleren Managements ........................................................................................217 Abb. 23: Bewertungen: Dominanz der Daimler-/Mercedes-Benz-Kultur...........................219
XIV Abbildungen Abb. 24: Bewertungen: Probleme von Chrysler waren Integrationstreiber ........................220 Abb. 25: Verlauf der sozio-kulturellen Integration bei DaimlerChrysler ...........................232 Abb. 26: Erfolgsfaktoren der sozio-kulturellen Integration nach Meinung der Befragten ........................................................................................................233 Abb. 27: DaimlerChrysler-spezifische Begriffe aus Sicht der Befragten ...........................238 Abb. 28: Die universell-pluralistische Ausrichtung DaimlerChrysler-Kultur nach Einschätzung der befragten Führungskräfte .........................................................245 Abb. 29: Basiskräfte der ehemaligen Unternehmenskulturen von Daimler-Benz und Chrysler .........................................................................................................277 Abb. 30: Unternehmenskulturelle Stärken und Schwächen der Daimler-Benz AG und der Chrysler Corporation ...............................................................................280 Abb. 31: Gegenüberstellung der unternehmenskulturellen Stärken und Schwächen der Daimler-Benz AG und der Chrysler Corporation ..........................................281 Abb. 32: Unternehmensvision der DaimlerChrysler AG ....................................................284 Abb. 33: Wertvorstellungen und Maximen die DaimlerChrysler durch die Befragten zugesprochen werden ...........................................................................................321 Abb. 34: Die zentralen Werte der DaimlerChrysler-Kultur mit mindestens fünf Übereinstimmungen .............................................................................................322 Abb. 35: Wertvorstellungen und Haltungen der Befragten.................................................323 Abb. 36: Kernhaltungen der befragten Führungskräfte.......................................................323 Abb. 37: Wertvorstellungen die vom Topmanagement vorgelebt werden..........................324 Abb. 38: Elemente der offiziellen und der inoffiziellen DaimlerChrysler-Kultur ..............324 Abb. 39: Wertvorstellungen der Befragten die zugleich DaimlerChrysler zugesprochen werden ...........................................................................................325 Abb. 40: Werte des Topmanagements und persönliche Werte der Befragten.....................326 Abb. 41: Kernorientierungen und -haltungen der DaimlerChrysler-Kultur ........................327 Abb. 42: Ebenen und Elemente der DaimlerChrysler-Kultur .............................................347 Abb. 43: Grundtypen internationaler Unternehmenskulturen nach Schreyögg ..................351 Abb. 44: Die global-pluralistische Unternehmenskultur.....................................................352
I Einführung 1 Problemstellung Unternehmensfusionen und -akquisitionen (M&A) sind im Zuge der dynamischen wirtschaftlichen Wandlungsprozesse zu strategischen Grundinstrumenten geworden. Vorrangig dienen sie der schnellen Anpassung an veränderte globalisierte Märkte und der Umsetzung von grenzüberschreitenden Wachstumszielen. Internationale M&A-Prozesse sind längst keine Modeerscheinung mehr, auch wenn sie in den Medien nicht mehr dieselbe Präsenz einnehmen wie zu Zeiten des sog. Börsenhypes und New-Market-Booms. Zwar erreichte die Zahl der Unternehmenszusammenschlüsse zur Jahrtausendwende ihren vorläufigen Höhepunkt und war ab diesem Zeitpunkt leicht rückläufig, aber seit 2004 lässt sich trotz der abgeschwächten Weltkonjunktur wieder ein Zunahme der M&A-Aktivitäten verzeichnen vor allem im Finanz- und Telekommunikationsbereich sowie in den Sektoren Chemie und Pharma. Aktuelle Prognosen gehen von einem weiteren anhaltenden Wachstum der M&ATätigkeit aus, da die Konsolidierungsprozesse in vielen Branchen längst noch nicht abgeschlossen sind. Zudem haben mittlerweile zahlreiche Unternehmen ihre Kostensenkungsprogramme und -maßnahmen erfolgreich durchgeführt und wenden sich nun wieder vermehrt strategischen Wachstumszielen zu. Mit M&A-Aktivitäten verknüpft sind durchwegs hohe Erwartungen wie z. B. eine Stärkung der Position am Markt, die Steigerung des Unternehmenswertes und die Ausnutzung von Synergiepotentialen. Empirische Analysen zur Praxis von internationalen M&A-Vollzügen zeigen jedoch gleichsam eine hohe Misserfolgsrate. Demnach sind ca. die Hälfte der M&AProzesse nicht erfolgreich, unabhängig davon, welche Quelle herangezogen wird. Zu den Problemursachen liegen bereits unterschiedliche Studien vor, die eine Reihe von Gründen benennen. Einigkeit besteht dahingehend, dass unternehmenskulturelle Aspekte als hauptursächlich für das Scheitern von Fusionen und Akquisitionen angesehen werden. Der Problemkomplex konkretisiert sich dahingehend, dass dem Prozess der sozio-kulturellen Integration bei und nach grenzüberschreitenden Fusionen entscheidende Bedeutung für deren Erfolgsträchtigkeit zukommt. Nach wie vor wird jedoch in der Praxis den soziokulturellen Fragen der Zusammenführung von Unternehmen nicht die Priorität zugesprochen, die notwendig wäre. Sowohl in der Vorbereitung als auch beim M&A-Vollzug dominieren rechtliche und organisatorische Aspekte. Die besondere Problematik der kulturellen Dimension von M&A ist darin zusehen, dass sie zweifelsohne weniger planbar und berechenbar ist als andere und zudem einen weitaus langfristigeren Charakter hat. Die meisten Fusionspläne sind auf maximal zwei Jahre ausgerichtet, bis dahin wird angenommen, sind die ehemals getrennten Unternehmen vollständig zusammengeführt. Bei der soziokulturellen Integration der Mitarbeiterschaft wird häufig außer Acht gelassen, dass neben unterschiedlichen unternehmenskulturellen Kontexten auch verschiedene Landeskulturen zu vereinigen sind und sich entsprechende Maßnahmen auf einen größeren zeitlichen Rahmen erstrecken müssen.
2 Einführung Erschwerend kommt hinzu, dass es sich im Falle von internationalen Fusionen um ein vergleichsweise junges Phänomen handelt und sich sowohl die empirische Evidenz als auch der Literaturstand noch als defizitär erweist. Vorliegenden theoretische Annahmen und Erkenntnissen mangelt es häufig an empirischer Fundierung und dringend erforderliche Maßnahmeempfehlungen entstammen größtenteils dem Bereich der unternehmerischen Beratung. Gleichzeitig sind in die Planung der sozio-kulturellen Integration, Überlegungen zur zukünftigen kulturellen Ausrichtung, in Abhängigkeit von der gewählten Strategie mit einzubeziehen. Durch internationale M&A-Prozesse entstehen in zunehmendem Maße transnationale Organisationen von beeindruckender Größe. Zum Teil werden Unternehmen zusammengeführt deren weltweite Belegschaft eine halbe Million Mitarbeiter umfasst. Der Unternehmenskultur kommt dabei eine herausragende Rolle im Hinblick auf die komplexen Koordinations- und Steuerungsaufgaben zu. In der Literatur werden bislang zwei Alternativen der kulturellen Gestaltung bei international tätigen Unternehmen diskutiert. Zum einen die universelle, unternehmensweit einheitliche Kultur und zum anderen, die pluralistische Variante, die sich durch die Existenz von länderspezifisch geprägten Subkulturen in den Auslandsgesellschaften von der universellen unterscheidet. Für eine globale Strategie scheint die universelle Kulturausrichtung Erfolg versprechend zu sein, während für die Strategie der lokalen Anpassung eine pluralistische Ausrichtung empfohlen wird. Prognosen zeigen in diesem Zusammenhang, dass zukünftig mehr und mehr Branchenverhältnisse durch ein gleichzeitiges Wirken von Globalisierungs- und Lokalisierungskräften geprägt sein werden und transnationale Unternehmen entsprechen diesem Trend durch ihre Fähigkeit, simultan Vorteile der Globalisierung und der Lokalisierung ausnutzen zu können. Dabei ist bislang ungeklärt, welcher Typ von Unternehmenskultur sich am ehesten eignet den komplexen Bedingungen und Anforderungen transnationaler Strukturen gerecht zu werden ist bislang ungeklärt. Darüber hinaus entsteht durch eine Fusion in jedem Fall eine neue Unternehmenskultur von deren Merkmalen und Inhalten das Überleben einer Unternehmung langfristig abhängt. Inhaltlich ist von Bedeutung, dass sich die Kultur international tätiger Unternehmen als komplementär zu den sie umgebenden Landeskulturen und zu der sich in Ansätzen abzeichnenden „globalen Kultur“ erweist. Von unterschiedlichen Seiten (Politik, öffentliche Sphäre) werden im Zuge der Globalisierung neue Anforderungen an Unternehmen gestellt, die nicht zuletzt unternehmenskulturelle Herausforderungen darstellen. Für die angesprochene Entwicklung der Unternehmen, sich durch vermehrte grenzüberschreitende M&A-Aktivitäten zu transnationalen Organisationen aufzuschwingen, wurden erst in jüngster Vergangenheit die politischen und technologischen Voraussetzungen geschaffen. Es handelt sich demnach insgesamt betrachtet um ein noch wenig erforschtes Gebiet. Daher liegen auch zu unternehmenskulturellen Fragen kaum Erkenntnisse vor.
Einführung 3
2 Gang der Untersuchung International tätige Unternehmen sind als globale Akteure den Rahmenbedingungen des globalen Umfeldes ausgesetzt. Die globale Entwicklung forciert umfassende Wandlungsprozesse. Diese verändern in unterschiedlichem Ausmaß die sozialen Umsysteme - Politik, Kultur und Gesellschaft - in welche die wirtschaftliche Unternehmung eingebunden ist. Sie kann nur dann erfolgreich am Markt agieren, wenn sie den Strömungen und Anforderungen der globalen Prozesse und der Umsysteme angemessen Rechnung trägt. Die globalen Tendenzen erfordern auf allen Ebenen der Unternehmung Anpassungsprozesse und können somit auch als neue unternehmenskulturelle Herausforderungen angesehen werden. Mittels deskriptiven Vorgehens soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zunächst eine Analyse der globalen Prozesse erfolgen, um die derzeitigen Situationsbedingungen von Unternehmen mit transnationalen Strukturen zu erfassen. Zu Beginn wird eine Erklärung von Globalisierung über begriffliche Explikationen und die Darstellung der in der Literatur vorherrschenden Globalisierungskonzepte versucht. Um die Dynamik und das heutige Ausmaß von Globalisierung verstehen zu können ist es unerlässlich die Voraussetzungen und Triebfedern dieser Entwicklung offen zu legen. Im Anschluss werden die Ausführungen zum Phänomen Globalisierung in einzelne Dimensionen aufgeschlüsselt. Analysiert werden die globalen Entwicklungen in politischer, sozio-kultureller und ökonomischer Hinsicht. Aus allen drei genannten Teildimensionen ergeben sich neue Anforderungen an global tätige Unternehmen die auch deren unternehmenskulturelle Ebene betreffen. Zum Themenkomplex Unternehmenskultur liegen bereits umfassende wissenschaftliche Erkenntnisse vor, deren Erarbeitung eine Voraussetzung für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand Unternehmenskultur darstellt. Von besonderer Bedeutung ist im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung der Bereich Unternehmenskultur im internationalen Kontext. Die systematische Analyse der theoretischen Grundlagen zum Forschungsfeld Unternehmenskultur dient dazu, einen Überblick zum gegenwärtigen Forschungsstand zu gewinnen und eine solide, wissenschaftlich fundierte Basis für die anschließende empirische Studie zu schaffen. Im ersten Teil des Kapitels zum Themenkomplex Unternehmenskultur, werden die allgemeinen kulturtheoretischen Grundlagen offen gelegt. Daran anschließend wird der Entwicklung und Bedeutung von Unternehmenskultur nachgegangen. Die Darstellungen zu den divergierenden Unternehmenskulturkonzepten und zu Methoden der Unternehmenskulturforschung dienen als Grundlegung für die empirische Untersuchung. Schließlich werden die Elemente von Unternehmenskultur und ihre Funktion im Unternehmen erklärt. Der zweite Teil fokussiert die unternehmenskulturelle Thematik vor dem Hintergrund einer internationalen Unternehmenstätigkeit. Hierfür ist es zunächst notwendig, die verschiedensten Möglichkeiten der internationalen Tätigkeit von Unternehmen begrifflich und konzeptionell zu fassen. Im nächsten Schritt werden die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse denen international agierende Unternehmen ausgesetzt sind sowie in der Literatur diskutierte Alternativen für die Kulturgestaltung aufgezeigt. Der nachfolgende Punkt thematisiert Unternehmenskultur im Rahmen von M&A-Vollzügen. Abschließend kommen, innerhalb der Unter-
4 Einführung nehmenskulturtheorie und M&A-Praxis favorisierte Ansatzpunkte einer kulturellen Integration bzw. Kulturveränderung zur Darstellung. Im vierten Teil der Arbeit wird das Forschungsdesign und der konkrete Ablauf der empirischen Untersuchung vorgestellt. Für die Qualität der erwarteten Untersuchungsergebnisse ist die Angemessenheit der angewandten Verfahren und Methoden in Bezug auf den Forschungsgegenstand und im Hinblick auf die leitenden Fragestellungen von großer Bedeutung. Im Rahmen der durchgeführten Einzelfallstudie erfolgte daher die Entscheidung für die Anwendung des qualitativen Forschungsinstrumentariums. Zudem sind die Forschungsfragen hier explorativer Art, da es sich bei beiden Themenbereichen - sowohl im Falle der sozio-kulturellen Integration nach grenzüberschreitenden M&A-Prozessen, als auch im Falle von Unternehmenskultur im transnationalen Unternehmen - um bislang noch wenig erforschte Problembereiche handelt und dementsprechend die Hypothesengenerierung im Vordergrund steht. Als Fallbeispiel wurde die DaimlerChrysler AG ausgewählt. Sie entstand im Jahr 1998 durch die transatlantische Fusion von Daimler-Benz und Chrysler und weist offenkundig transnationale Struktur auf, weshalb sie als aussagekräftiger Fall für die Klärung von noch weitgehend offenen Fragen zur kulturellen Gestaltung und Integration nach internationalen M&A-Prozessen angesehen werden kann. Mittels qualitativer problemzentrierter Interviews mit DaimlerChrysler-Führungskräften und einer vorausgehenden und begleitenden qualitativen Dokumentenanalyse wurden die sozio-kulturelle Integration, die kulturelle Ausrichtung und die Unternehmenskultur der DaimlerChrysler AG untersucht. Die Ergebnisdarstellung zum Fallbeispiel DaimlerChrysler erfolgt, gegliedert nach den einzelnen Erhebungskategorien im fünften Gliederungsteil. Der erste Abschnitt fasst den Entstehungs- und Entwicklungsprozess der DaimlerChrysler AG zusammen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass gerade den Gründerfiguren sowie einschneidenden Erfahrungen im Entwicklungsprozess einer Unternehmung, entscheidende Wirkung auf die jeweilig vorherrschende Unternehmenskultur zugesprochen wird. Gegenstand der ersten Erhebungskategorie der Untersuchung ist der sozio-kulturelle Entwicklungsprozess, den die DaimlerChrysler AG im Zeitraum vom Herbst 1998 bis zum Sommer 2003 durchlaufen hat. Rekonstruiert werden soll, welche Phasen auf welche Weise durchlaufen wurden und wie sich der Stand der sozio-kulturellen Integration zum Erhebungszeitpunkt darstellt. Das Erkenntnisinteresse ist hierbei auf möglichen Barrieren und Erfolgsfaktoren der sozio-kulturellen Integration im internationalen Kontext gerichtet. Voraussetzung und zugleich Bedingung einer gelungenen sozio-kulturellen Integration im Zuge von M&A-Prozessen ist die Identifikation der Mitarbeiter mit dem neu geschaffenen Unternehmen. Sie wird als ein bedeutsamer Indikator für den Stand der Integration in Unternehmen angesehen. Dementsprechend wird im Rahmen der zweiten Erhebungskategorie analysiert, inwieweit sich die DaimlerChrysler-Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren. Anhand dieser Forschungsfrage sollen Faktoren, die den Prozess der Identifikation der Mitarbeiter mit einer Unternehmung behindern oder hemmen, aufgedeckt werden.
Einführung 5 Im Unterschied zu den ersten beiden Erhebungskategorien, in deren Zentrum die Integration bei DaimlerChrysler steht, zielen die dritte und vierte Erhebungskategorie auf die DaimlerChrysler-Kultur. Die dritte Erhebungskategorie ist auf die Untersuchung der Kulturausrichtung innerhalb der DaimlerChrysler AG angelegt. Es soll festgestellt werden, aus welchen Gründen welche Form der unternehmenskulturellen Gestaltung (universell/pluralistisch/Mischform) bei DaimlerChrysler praktiziert wird, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die für andere Unternehmen mit transnationalen Strukturen bei Fragen der Kulturgestaltung hilfreich sein können. Die letzte Erhebungskategorie fokussiert die DaimlerChrysler-Kultur inhaltlich. Ihrer inhaltlichen Gestalt wird auf unterschiedlichen Ebenen nachgegangen. Im Rahmen der Interviews und der Dokumentenanalyse erfolgt zum einen, die Analyse zu den offiziell propagierten DaimlerChrysler-Werten und zum anderen, werden die persönlichen Werthaltungen der befragten Führungskräfte erfasst. Aus diesen Erkenntnissen werden Aufschlüsse zu unternehmenskulturellen Erfolgsfaktoren in Unternehmen mit transnationalen Strukturen erwartet. Der sechste und letzte Teil beinhaltet die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit. Auf der Basis der Untersuchungsergebnisse, ergänzt durch vorliegende theoretische Erkenntnisse werden Schlussfolgerungen für die Kulturausrichtung und die sozio-kulturelle Integration in transnationalen Unternehmen gezogen. Innerhalb der Schlussbetrachtung werden Überlegungen inhaltlicher Art zu einer erfolgreichen transnationalen Unternehmenskultur zur weiteren Diskussion gestellt.
Zielsetzung dieser Untersuchung ist, Erfolgsfaktoren der sozio-kulturellen Integration und einer transnationalen Unternehmenskulturausrichtung im globalisierten Umfeld aufzuzeigen, um dadurch einen kleinen Beitrag zur Überlebensfähigkeit von Unternehmen mit transnationalen Strukturen zu leisten.
Analyse des Globalisierungsprozesses 7
II Analyse des Globalisierungsprozesses 1 Globalisierung als gesellschaftliches Phänomen Die globale Entwicklung hat in ihrem derzeitigen Ausmaß nahezu alle Gesellschafts- und Kulturbereiche erfasst und forciert dynamische gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse. Dieser Vorgang scheint dabei unumkehrbar und keinesfalls bereits abgeschlossen zu sein. Im Folgenden soll durch begriffliche Explikationen und die Darstellung von in der Literatur favorisierten Konzepten zur Erklärung von Globalisierung sowie durch die Beschreibung verschiedener Prozesskomplexe ein Verständnis für die globalen Strukturen und Bedingungen, wie sie sich zum momentanen Zeitpunkt zeigen, geschaffen werden.
1.1 Definitionen zum Begriff Globalisierung Das Aufkommen des Begriffs „Globalisierung“ in den 70er-Jahren steht in direktem Zusammenhang mit dem ersten Erscheinen von Satellitenfotos, auf welchen die Erde nicht mehr nur modellhaft als Globus, sondern in realer Weise als ein „Ganzes“ in seiner Einheit zu betrachten war. Der Terminus „Globalisierung“ hat hier auch seine lateinischen Wurzeln, „globus“ bedeutet die Erde. Dem ist zu entnehmen, dass es sich bei der Globalisierung um ein Phänomen mit weltweiter Dimension handelt. Mit dem Adjektiv „global“ werden demgemäß Phänomene bezeichnet, die sich auf die ganze Erde beziehen.1 Ursprünglich wurde der Begriff „Globalisierung“ im ökonomischen Bereich verwendet, als ein Ausdruck der zunehmenden globalen Verflechtung der Weltwirtschaft.2 Hieran knüpft auch zumeist seine alltagssprachliche Verwendung an. Schimany zufolge fand der Begriff „Globalisierung“ erst Anfang der 80er-Jahre Eingang in die wissenschaftliche Diskussion.3 Seit Beginn der 1990er-Jahre ist die Zahl der politischen, publizistischen und wissenschaftlichen Beiträge zum Thema „Globalisierung“ sprunghaft angewachsen. Der inflationäre Gebrauch des Begriffes erschwert dabei die begriffliche und inhaltliche Bestimmung von Globalisierung. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt existiert keine verbindliche Definition und es herrscht keineswegs Einigkeit darüber, was unter Globalisierung zu verstehen ist.4 Es liegen zwar etliche Definitionen vor, aber je nach wissenschaftlicher Perspektive werden dabei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. 1
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Vgl. Kutschker, Michael/Schmid, Stefan: Internationales Management. 2., bearb. Aufl., München; Wien 2002, S. 149. Vgl. Nohlen, Dieter: Globalisierung. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München, 2002a, S. 181. Schimany, Peter: Globalisierung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. In: Schimany, Peter/Seifert, Manfred (Hg.): Globale Gesellschaft? Perspektiven der Kultur- und Sozialwissenschaften. Frankfurt/Main u. a. 1997, S. 139. Vgl. z. B. Schimany, 1997, S. 137; Varwick, Johannes: Globalisierung. In: Woyke, Wichard (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik. 8., aktual. Aufl., Opladen 2000, S. 136; Nohlen, 2002a, S. 181; Kutschker/Schmid, 2002, S. 147f.; Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. 6. Aufl., Münster 2004, S. 20.
8 Analyse des Globalisierungsprozesses Im sozialwissenschaftlichen Exkurs ist Globalisierung mittlerweile das zentrale Charakteristikum für gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen5 und bezeichnet neuartige Prozesse, das Verhältnis von Raum und Zeit betreffend sowie der weltweiten Integration und lokalen Fragmentierung. Der Soziologe Anthony Giddens definiert Globalisierung als die „Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse am einen Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt“6. Er hebt demnach zwei Merkmale der Globalisierung hervor, die Verbreitung sozialer Verbindungen über Raum und Zeit hinweg und die lokale Beeinflussung oder sogar Umgestaltung. Daran anschließend konkretisiert Schimany drei Aspekte der inhaltlichen Begriffsbelegung von Globalisierung: erstens, die räumliche Ausweitung von Beziehungen; zweitens, die grenzüberschreitende Vernetzung von Denk- und Handlungszusammenhängen auf weltweiter Ebene und drittens, wechselseitige Verflechtung und Interdependenz von Akteuren und Problemlagen.7 Mögliche Folgwirkungen dieser der Globalisierung innewohnenden Kennzeichen bringt Reimann in ihrer Definition zum Ausdruck. „Globalisierung ist der Prozeß der Zunahme und Beschleunigung weltumspannender Kommunikation und Interaktion, der zum Entstehen gemeinsamer Kulturen und Institutionen führt.“8 Die hier angesprochene Intensivierung der grenzüberschreitenden Interaktionen, welche zur Entstehung gemeinsamer Kulturen und Institutionen führen kann, ist auf die rasanten Fortschritte der informations- und kommunikationstechnologischen Entwicklung zurückzuführen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur hat sich der Begriff „Globalisierung“ in den 80er-Jahren eingebürgert und bezeichnet die drastisch ansteigende weltwirtschaftliche Verflechtung bezogen auf internationale Finanztransfers, Wanderungsbewegungen von Arbeitskräften und grenzüberschreitende Organisationsformen.9 Der Ursprung der kontrovers geführten Diskussion zur Globalisierung war der 1983 von Theodor Levitt erschienene Beitrag zur Globalisierung der Märkte. Darin vertritt er den Standpunkt, dass sich die Welt auf Grund des technologischen Fortschritts im Prozess der Homogenisierung befindet, die Unternehmung der Zukunft werde daher eine globale sein, die auf der gesamten Welt in identischer Weise aktiv sei, da sich die Geschmäcker weltweit angleichen.10 Im Gegensatz dazu postuliert Philip Kotler neue verschiedenartige Märkte und unterschiedliche Geschmäcker, die sich im Laufe der Zukunft entwickeln würden.11 Hausschildt überführt den Streit um die
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Vgl. Schimany, 1997, S. 137. Giddens, Anthony: Konsequenzen der Moderne. 2. Aufl., (The consequences of Modernity, engl.) übers. von Joachim Schulte, Frankfurt/Main 1995, S. 85. Vgl. Schimany, 1997, S. 139. Reimann, Helga: Globalisierung: die universelle Herauforderung. Konstanz 2002. Vgl. Kantzenbach, Erhard: Die Entwicklung multinationaler Unternehmen und deren Bedeutung für die nationalen Arbeits- und Kapitalmärkte. In: Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur e. V. (Hg.): Globalisierung. Der Schritt in ein neues Zeitalter. Berlin u. a. 1997, S. 63. Vgl. Levitt, Theodore: The globalization of markets. In: Harvard Business Review, Vol. 61, May/June 1983, S. 92-102. Vgl. auch: Germann, Harald/Rürup, Bert/Setzer, Martin: Globalisierung der Wirtschaft: Begriff, Bereiche, Indikatoren. In: Steger, Ulrich (Hg.): Globalisierung der Wirtschaft. Konsequenzen für Arbeit, Technik und Umwelt. Berlin u. a. 1996, S. 20. Vgl. Kotler, Philip: Globalization – Realities and Strategies. In: Die Unternehmung, 44. Jg., Nr. 2, 1990, S. 87. Vgl. auch: Germann/Rürup/Setzer, 1996, S. 20.
Analyse des Globalisierungsprozesses 9 Globalisierung in eine pragmatisch orientierte Definition: „Globalisierung ist eine strategische Entscheidung einer Unternehmung, Präsenz in allen Ländern der Erde anzustreben“12. Es zeigt sich, dass Globalisierung je nach wissenschaftlicher Perspektive sehr unterschiedlich belegt und definiert wird. Die Sozialwissenschaften verstehen darunter neue kulturelle und raum-zeitliche Transformationen. In den Wirtschaftswissenschaften bezeichnet „Globalisierung“ eine unternehmerische Strategieentscheidung. Globalisierung als Sammelbegriff bündelt verschiedene Diskurse, welche die momentanen Entwicklungen bestimmen wie z. B. das Ausgreifen des Marktgeschehens, Veränderungen von Kultur, politische Entgrenzungen und nicht zuletzt die Produktion von globalen Risiken. Die Verwendung des Begriffs „Globalisierung“ erweckt den fälschlichen Eindruck, es handle sich dabei um ein einheitliches, teleologisches Phänomen. Dagegen zeigt sich Globalisierung, wie aus den nachfolgenden Ausführungen weiter hervorgehen wird, als ein komplexer Prozess mit sehr widersprüchlichen Formen, Reichweiten und Ausdrucksweisen, der sich einer eindeutigen Kennzeichnung entzieht13. Die globalen Prozessdynamiken lassen sich daher am ehesten noch nach ihren Auswirkungen auf die einzelnen Gesellschaftsbereiche differenzieren, weshalb in der Literatur vielfach auch die Begriffe „kulturelle Globalisierung“, „ökonomische Globalisierung“ oder „Globalisierung der Politik“ und ähnliche Differenzierungen verwendet werden14, um thematische Schwerpunkte in der Auseinandersetzung mit Globalisierung zu setzen. Wie im Falle von Globalisierung handelt es sich auch dabei allerdings nicht um wissenschaftliche Begriffe, mit denen konkretere Aussagen verbunden sind.15 Dennoch erscheint es in Anbetracht der Komplexität des Phänomens Globalisierung sinnvoll, eine derartige Unterteilung vorzunehmen. Hieran knüpft auch die vorliegende Arbeit an. In den weiteren Darstellungen soll anhand der Beschreibung der Kennzeichen der globalen Entwicklungen, gegliedert nach den Bereichen, Politik, Kultur und Gesellschaft sowie Ökonomie, eine Skizze zur Globalisierung insgesamt geschaffen werden, die zugleich wichtige ökonomische, soziale, kulturelle und politische Rahmenbedingungen der gegenwärtigen Situation aufzeigt. Gerade wenn es darum geht Globalisierung nicht misszuverstehen, wie dies häufig durch verallgemeinernde Schlussfolgerungen beruhend auf der Betrachtung lediglich einzelner Teilaspekte geschieht16, ist es notwendig die verschiedenen Prozesse, Akteure und Handlungsfelder differenziert darzustellen.
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Vgl. Hauschildt, Jürgen: ’Globalisierung der Wirtschaft’ – Zur Rolle der Betriebswirtschaftslehre. In: Haller, Matthias u. a. (Hg.): Globalisierung der Wirtschaft – Einwirkungen auf die Betriebswirtschaftslehre: 54. Wissenschaftliche Jahrestagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre e. V. vom 9. – 13. Juni 1992 in St. Gallen, Bern; Stuttgart; Wien 1993, S. 5. Vgl. auch: Germann/Rürup/Setzer, 1996, S. 21. Vgl. Wagner, Bernd: Kulturelle Globalisierung. Von Goethes ‚Weltliteratur‘ zu den weltweiten Teletubbies. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, B 12/2002, S. 10. Vgl. z. B. Varwick, 2000, S. 140-143; Wagner, 2002, S. 10; Kutschker/Schmid, 2002, S. 156-158. Wagner, 2002, S. 10. Weit verbreitet ist in diesem Zusammenhang die Annahme, Globalisierung bedeute kulturelle Vereinheitlichung aufgrund einer einseitigen Wahrnehmungsperspektive, die Prozesse der kulturellen Lokalisierung ausgrenzt. Siehe Teil II Abschnitt 3.2.2 der Ausführungen.
10 Analyse des Globalisierungsprozesses
1.2 Konzepte zur Erklärung des Phänomens Globalisierung Die Komplexität, mit der Globalisierung alle gesellschaftlichen Bereiche ergreift, zeigt sich erneut an der Uneinigkeit der vorliegenden Konzepte bezüglich einer einheitlichen Globalisierungstheorie. Jeweils ausgehend von bestimmten Effekten und Dynamiken werden die zentralen Antriebskräfte der Globalisierungsentwicklung unterschiedlich bewertet. Dabei kann bislang keine der Konzeptionen dem Anspruch gerecht werden, das Phänomen Globalisierung vollumfänglich zu fassen17. Dennoch offenbaren sie, jeder für sich betrachtet unter Kenntnis der jeweiligen Zugangsperspektive, wichtige Erklärungszusammenhänge, die zu einem tieferen Verständnis und einer größeren Transparenz der oft undurchsichtigen globalen Prozessdynamik führen. Das älteste der vorliegenden wissenschaftlichen Konzepte innerhalb des Globalisierungsdiskurses ist die in den 70er-Jahren entwickelte „Weltsystemtheorie“ von Immanuel Wallerstein. Darin proklamiert er die Entstehung eines Weltsystems, in dem sich alle Gesellschaften und ihre Teilnehmer in einer Arbeitsteilung behaupten müssen. Die zentrale Antriebsfeder der globalen Entwicklung sieht Wallerstein im Kapitalismus, dessen innere Logik eine globale ist18. Die kapitalistische Weltökonomie ist der globale Kontext, der alle anderen Momente des sozialen Lebens bestimmt. Moderne Nationalstaaten sind darin einverleibt und verlieren ihre kontrollierende Funktion. Am Ende dieser Entwicklung steht nach Wallerstein der Zusammenbruch dieses Weltsystems. Das kapitalistische Wirtschaftsprinzip, ein Spezifikum der westlichen Welt, wird als eben dieses anti-westliche, fundamentalistische Reaktionen provozieren.19 Hierbei handelt es sich eindeutig um ein holistisches, monokausales ökonomisches Erklärungsmodell. Globalisierung wird einzig und ausschließlich als Institutionalisierung eines Weltmarktes bestimmt, dabei wird aber die Rolle der Nationalstaaten verkannt und die Bedeutung des kulturellen Überbaus vernachlässigt20. Zu würdigen ist die frühzeitige Voraussicht, dass ein freier Kapitalismus ohne sozial-verantwortliche Steuerung Ungleichheiten hervorbringt und weltweit anti-westliche Stimmungen erzeugt, die sich in fundamentalistisch motivierten Reaktionen äußern werden. Diese These scheint sich auf tragisch-leidvolle Weise durch die jüngsten Ereignisse des 11. Septembers 2001 bislang bewahrheitet zu haben. Aufbauend auf dem Konzept von Wallerstein aber in der Einsicht einer dort unterschätzen Stellung der Nationalstaaten fügt John Meyer in seiner „World Polity“ dem ökonomischen Weltsystem Wallersteins ein globales Nationalstaatensystem hinzu. Entstehungshintergrund für ein zentralistisches System einer Weltpolitik sind gemeinsame weltpolitische Normen und Ziele der Einzelstaaten: die Förderung von Fortschritt und Gleichheit. Getragen wird dieses System von einer „Weltkultur“ und ihren Stiftern und Vermittlern, modernisierenden Intellektuellen und einer international anerkannten Weltelite, die sich aus unterschiedlichen Kulturbereichen (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst) rekrutiert. Meyer erwähnt damit 17
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Vgl. Backhaus, Norman: Zugänge zur Globalisierung. Konzepte, Prozesse, Visionen. 1. Aufl., hg. von Ulrike Müller-Böker, Zürich 1999, S. 20. Vgl. Beck, Ulrich: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. 5. Aufl., Frankfurt/Main 1998, S. 64. Vgl. Beck, 1998, S. 66. Vgl. Backhaus, 1999, S. 24.
Analyse des Globalisierungsprozesses 11 zwar die Bedeutung von Kultur, versteht sie aber in erster Linie als Kommunikationsmittel der weltpolitischen Elite21. Wie sich aber noch zeigen wird, sind die kulturellen globalen Prozesse derart bedeutsam für die gesamte Globalisierungsentwicklung, dass ihre Subsumierung unter einem anderen Aspekt sträflich defizitär wirkt. Fraglich erscheint darüber hinaus die These einer zentralistischen Weltpolitik. Fehlen doch bislang selbst die rudimentärsten Ansatzmöglichkeiten für deren konkrete Institutionalisierung. Rosenau beurteilt die politische Situation vor dem Hintergrund der Globalisierung grundlegend anders. Für ihn kennzeichnet Globalisierung in erster Linie den Übergang von einer nationalstaatlichen zu einer polyzentrischen Politik. Basierend auf der empirischen Tatsache einer vorher nie da gewesenen Größenordnung von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen erscheint es für Rosenau offensichtlich, dass nationalstaatliche Akteure ihre Macht in zunehmendem Maße teilen. Er sieht zukünftig zwei politische Arenen in der globalen Gesellschaft, die Gesellschaften der Staaten und die Welt transnationaler Subpolitik. Letztere konstituiert sich durch transnationale Organisationen verschiedenster Art, wie die Weltbank, die Kirchen, Drogenkartelle und politisch, ideologisch, sozial motivierte Zusammenschlüsse (Greenpeace, Amnesty International etc.), durch transnationale Gemeinschaften begründet in Religion, Expertenwissen und gleichförmigen Lebensstilen, durch transnationale, via Satellitenfernsehen global übertragene Ereignisse wie z. B. die Fußball-Weltmeisterschaft oder den Golf-Krieg und nicht zu vergessen durch transnationale Strukturen (Arbeits-, Produktions- und Kooperationsformen). Die Voraussetzung für diese Entwicklung sieht Rosenau durch die technologische Dimension der Globalisierung geschaffen. Innerhalb der technisch-medialen Vernetzung haben Dichte und Signifikanz internationaler Abhängigkeiten eine neue Qualität gewonnen.22 Eine völlig andere Betrachtungsebene beschreitet Anthony Giddens in seinem Konzept. Er verortet die Dynamik der Globalisierung auf die Ebene der Individuen und deren Handlungen. Prozesse der Globalisierung führen zu räumlichen und zeitlich ausgreifenden Handlungen und eben solchen Konsequenzen. In traditionellen Gesellschaften war die hauptsächliche Interaktionsform der Menschen die direkte Begegnung, dadurch waren Handlungen und Handlungsfolgen in der Nähe ihres Ausgangspunktes lokalisierbar. Anders zeigt sich dieser Zusammenhang vor den globalen Rahmenbedingungen post-traditioneller Gesellschaften mit völlig neuen Interaktionsmöglichkeiten. Handlungen und ihre Konsequenzen werden multidimensional und kaum noch auf einzelne Initiatoren zurückführbar. Giddens will Globalisierung primär als Umstrukturierung von Zeit und Distanz im sozialen Leben verstanden wissen und vertritt die Ansicht, dass sich der Begriff „Globalisierung“ am besten verstehen lässt, wenn man ihn auf grundlegende Aspekte räumlicher und zeitlicher Entfernung bezieht, auf die Überschneidung von Anwesenheit und Abwesenheit, auf die Verflechtung von sozialen Ereignissen und sozialen Beziehungen in der Ferne mit lokalem Zusammenhang.23
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Vgl. Backhaus, 1999, S. 27. Vgl. Beck, 1998, S. 67-70. Vgl. Robertson, Roland: Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. 1. Aufl., Frankfurt/Main 1998, S. 194f. Vgl. auch: Backhaus, 1999, S. 27.
12 Analyse des Globalisierungsprozesses Mit dieser Sichtweise rückt ein oftmals vernachlässigter Aspekt ins Zentrum der Betrachtungen, Individuen steuern durch ihre Handlungen Art und Richtung des Globalisierungsverlaufs entgegen geläufiger Ansichten, Globalisierung sei ein selbstlaufender, eigendynamischer und übermächtiger Prozesskomplex, der unkontrollierbar und unsteuerbar über die Welt hereinbricht. Durch die Hervorhebung der Bedeutung individueller Handlungen leidet die Analyse manifester globaler Rahmenbedingungen und Strukturen in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen. Deshalb greift auch dieser Ansatz für sich allein stehend in seiner Essenz zu kurz. Ein wichtiger Skeptiker von vereinfachenden Globalisierungstheorien ist Ronald Robertson. Er betont die empirische Präsenz gegenläufiger Images, denn gerade die Existenz unterschiedlicher Bilder von einer globalen Gesellschaft machen seiner Meinung nach Globalisierung aus. Robertson spricht in diesem Zusammenhang von der „Partikularisierung des Universalismus“. Jede Gesellschaft kreiere ihr eigenes Bild von einer globalen Ordnung, durch die Interaktion dieser Bilder entsteht ein global Universales. Nichts desto trotz wendet sich Robertson klar gegen eine einzige Weltkultur. Der kommunikative und interaktive Zusammenschluss von Kulturen ist für ihn nicht gleichzusetzten mit einer grundlegenden Homogenisierung aller Kulturen. Gerade unter modernen Bedingungen zeigt sich eine größere Differenzierung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Durch interkulturelle Kontakte, Migrationsbewegungen, Tourismus und Nichtregierungsorganisationen wird die Identität zunehmend transsozial geformt, denn die Freiheit des Individuums wird gegenwärtig vor allem an der freien sozialen Konstruktion von Identität ablesbar. Problematisch ist in diesem Zusammenhang der Sachverhalt, dass der Kulturtheorie immer noch ein Kulturbegriff zu Grunde liegt, der einer Vielzahl von Individuen, die bereits vielfältigste kulturelle und ethnische Eigenschaften in sich vereinigen, nicht Rechnung tragen kann.24 Ähnlich zu Giddens findet sich bei Robertson der Standpunkt, dass Globalisierung ihren Ort im eigenen Leben hat und im Kleinen fassbar wird25. Das Lokale ist konstitutiver Bestandteil des Globalen. Für Robertson schließen sich Homogenisierung und Heterogenisierung nicht aus, im Gegenteil, er betrachtet sie als gleichzeitige und sich durchdringende Tendenzen. Um diesen widersprüchlichen Verbund, der für ihn im Zentrum einer Globalisierungstheorie steht, gerecht zu werden, bevorzugt Robertson die Verwendung des Begriffs „Glokalisierung“. Entscheidend ist dementsprechend bei ihm nicht die Frage Homogenisierung oder Heterogenisierung, entweder Partikularismus oder Universalismus, sondern die Art und Weise, in der diese ambivalenten Entwicklungsrichtungen zu charakteristischen Eigenschaften des modernen Lebens geworden sind. Zudem warnt er eindringlich davor, das globale Ganze als Ausdruck seiner Teile zu verstehen.26 Das vorgestellte Globalisierungsmodell von Robertson ist ohne Zweifel komplex und tief greifend, dennoch ist es auch ihm nicht möglich die Dimensionen von Globalisierung in ihrer Gesamtheit zu erklären. Er beschränkt sich auf die kulturelle Perspektive unter Vernachlässigung der ökonomischen und politischen.
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Vgl. Robertson, 1998, S. 192-220. Vgl. auch: Backhaus, 1999, S. 45ff. und 55-61. Vgl. Beck, 1998, S. 91. Vgl. auch: Backhaus, 1999, S. 55. Vgl. Robertson, 1998, S. 192-220.
Analyse des Globalisierungsprozesses 13 Appadurai Arjun erweitert Robertsons Theorie der glokalen Kulturen um die „Macht der Imagination möglicher Leben“27, die im Alltag an Bedeutung gewinnt und eine Vielzahl an global-lokal geprägten Lebensstilen hervorbringt. Unter Imagination versteht Appadurai dabei die Tatsache, dass immer mehr Menschen in immer mehr Teilen der Welt mehr Variationen möglicher Lebensentwürfe in Betracht ziehen. Zwei Quellen dieser Veränderung macht Appadurai ursächlich aus. Die modernen Massenmedien mit ihrem ständig wechselnden Repertoire an möglichen Leben und der direkte oder indirekte, weltweite Kontakt mit anderen. Auf diese Art und Weise eröffnet sich ein nahezu unbegrenzter Zugang zu Bildern und Wissen um andere Lebensformen.28 Appadurais wesentlicher Beitrag zur Globalisierungsdiskussion ist das Aufgreifen der Tatsache, dass sich durch Prozesse der Globalisierung orts-unabhängige Felder der Identifikation bilden, die sich überlappen, ergänzen aber auch widersprechen können. Seine Erklärungen bleiben jedoch ebenfalls auf die kulturelle Dimension von Globalisierung beschränkt. Die gesellschaftstheoretische Ebene der globalen Entwicklung thematisiert Martin Albrow mit seinem Konzept von Globalisierung. Er ist der Ansicht, dass Globalisierung eine qualitativ neue Epoche einleitet und nicht als ein weiteres Stadium der sich stetig entwickelnden Moderne betrachtet werden kann. Dabei argumentiert Albrow, dass sich in vielen Bereichen ein Bewusstsein gegenseitiger Zusammengehörigkeit entfaltet hat, z. B. in Hinblick auf die Bedrohtheit allen menschlichen Handelns auf Grund des desolaten Zustandes des Globus’. In dieser Erkenntnis finden sich Menschen weltweit kommunizierend zusammen. Albrow spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Reflexivität des globalen Zeitalters, belegt diese positiv als eine Entwicklung, auf Grund derer sich menschliches Verhalten ändern wird. Grundsätzlich geht er von dem Modell der „Global Society“ aus, die er aber nicht mit Weltgesellschaft gleichsetzt, sondern als ein Teil ihrer identifiziert. Albrow spricht von der „Globalen Gesellschaft“ als einer besonderen Gesellschaftsform, die sich durch neue globale Rahmenbedingungen entfaltet. Sie entstehe dort, wo Menschen in transnationalen Unternehmen, in weltumspannenden Bewegungen arbeiten und dort, wo Menschen das Globale in ihre Alltagsentscheidungen einbeziehen. Gestalt bekommt diese Gesellschaft durch sich entwickelnde Institutionen wie z. B. die Vereinten Nationen und eine sich etablierende Weltelite. Darin vertreten sieht Albrow ähnlich wie Meyer eine Wirtschaftselite, kosmopolitische Staatsmänner und prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.29 Martin Albrow konzentriert sich in seinem Beitrag auf die soziale Dimension der Gesellschaften und lässt damit andere Perspektiven unweigerlich außen vor. Die augenscheinliche Eindimensionalität dieser Konzeption erlaubt es dabei nicht Globalisierung in ihrer Multidimensionalität zu erklären. Nicht so sehr die Erklärung von Globalisierung steht im Mittelpunkt der Ausführungen von Ulrich Beck, sondern die globalen Risiken, die in ihren Folgen erkennbar werden. Er unterscheidet verschiedene Dimensionen der Globalisierung (eine informatorische, ökologische, ökonomische und kulturelle) und expliziert unterschiedliche Bedrohungen und Risiken für eine seinem Standpunkt zufolge bereits existente Weltgesellschaft. Die Erfahrung einer ver27 28
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Vgl. Beck, 1998, S. 97. Vgl. Appadurai, Arjun: Globale ethnische Räume. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. 1. Aufl., Frankfurt/Main 1998, S. 11-40. Vgl. Albrow, Martin: Auf dem Weg zu einer globalen Gesellschaft?. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. 1. Aufl., Frankfurt/Main 1998, S. 411-434.
14 Analyse des Globalisierungsprozesses bundenen Gemeinschaft erlebt die globale Weltgesellschaft in erster Linie als Schicksalsgemeinschaft in Anbetracht verschiedenartiger und weitreichender Bedrohungen (z. B. Umweltkatastrophen, Technologiefolgen, atomare Bedrohung). Weiter aktiviert wird sie durch die massenmediale Herstellung und Konstruktion der globalen Bedeutung, an sich lokaler Ereignisse. So finden kriegerische Auseinandersetzungen heute und in Zukunft unter medialer Beteiligung aller statt, „Kriege verlieren in einem bestimmten Sinn ihren Ort und werden […] zu politischen Krisen, in denen Gerechtigkeits- und Interventionsfragen auch in den weit entfernten Zentren der globalen Zivilgesellschaften öffentlich erörtert und entschieden werden müssen“30. Positiv bewertet Beck die neuen politischen Macht- und Handlungschancen der Zivilgesellschaft im Hinblick auf eine globale Subpolitik, deren Prinzip darauf basiert, Handeln von Konzernen und nationalen Regierungen unter den Druck der Weltöffentlichkeit zu stellen. Sanktionen und Machtanwendung erfolgen in Form von bewussten Kaufentscheidungen und Boykotthaltungen. Die neue Macht sei die der Konsumenten. Ein hoffnungsvoller Aspekt innerhalb des ansonsten überwiegend düster gezeichneten Globalisierungsszenariums von Ulrich Beck. Denn charakteristisch für die neue Weltgesellschaft ist bei ihm in erster Linie deren Konfrontation mit weitreichenden globalen Risiken, dementsprechend prägte er auch die Bezeichnung „Risikogesellschaft“31. Innerhalb der ökonomischen Globalisierungsdimension beurteilt er transnationale Unternehmen als besonders bedrohlich vor dem Hintergrund, dass er ihnen eine Schlüsselrolle in der Gestaltung der Wirtschaft und Gesellschaften zuspricht. Sie handeln bislang ohne transnationale Gegenmacht und sind Beck zufolge durch ihre globalen Strukturen in der Lage Nationalstaaten gegeneinander auszuspielen. Als weitere Missverhältnisse der globalen Entwicklung nennt er soziale Ungleichheiten und globale Umweltprobleme. Pragmatisch orientiert erörtert Beck darüber hinaus Modellansätze und Lösungsvorschläge als Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung. Seine politische Notwendigkeit als Folge der globalen Entwicklung ist die zwischenstaatliche Kooperation, Koordination und letztlich der Zusammenschluss in der Überzeugung, daraus erwachse für den einzelnen Nationalstaat neue Produktivität und Souveränität. Den Machtzuwachs transnational agierender Konzerne sieht er gebunden an die unternehmerische Verpflichtung und Verantwortung zur Selbstkontrolle. Und gesamtgesellschaftspolitisch plädiert er für eine Neuorientierung der Bildungspolitik im Hinblick auf die geforderten Fähigkeiten der Bürger, zukünftig komplexe Probleme lösen zu können und ihren Beitrag zur Produktivität innerhalb der Bildungs- und Wissensgesellschaft leisten zu können.32 Innerhalb des Beck`schen Ansatz sind seine pragmatischen Empfehlungen für die Gestaltung der Globalisierungsprozesse, insbesondere das Erfordernis der alten Industrienationen in Bildung und Forschung zu investieren, um auf diese Weise ihre Produktivität in der Weltwirtschaft aufrecht zu erhalten, zu würdigen. Geforderte Schritte in Richtung unternehmerische Selbstverpflichtung sind mittlerweile bereits auf den Weg gebracht33 und auch in der politischen Diskussion werden unterschiedliche Konzeptvorschläge eines engeren transnationalen Zusammenschlusses zumindest diskutiert34. Eine Erklärung der Ursachen 30 31 32 33 34
Beck, 1998, S. 156 [Kursivschreibung im Original]. Vgl. z. B. Beck, 1998, S. 171. Vgl. Beck, 1998. Siehe dazu Teil II Abschnitt 3.2.3 der Ausführungen. Siehe dazu Teil II Abschnitt 3.1.4 der Ausführungen.
Analyse des Globalisierungsprozesses 15 und Verlaufsmomente von Globalisierung unterbleibt innerhalb der Ausführungen von Beck. Die extreme Unterschiedlichkeit, in der sich die einzelnen Erklärungsansätze darstellen, ergibt sich zum einen aus der jeweiligen wissenschaftlichen Zugangsperspektive des Autors und zum anderen aus dem Sachverhalt, dass für jeden von ihnen nur bestimmte Effekte und Dynamiken bei der Erklärung des Globalisierungsphänomens vordergründig sind. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass verschiedene globale Prozessstrukturen gleichwertig nebeneinander und ineinander verwoben Globalisierung in ihrer Gesamtheit konstituieren. Des Weiteren fehlt innerhalb der beschriebenen Globalisierungskonzepte z. T. eine Darstellung der Ursachen und Anfänge der globalen Entwicklung am Ende des 20. Jahrhunderts. Als entweder rein ökonomisch oder kulturell motiviertes Kalkül erklärt bleiben grundlegende politische Rahmenentscheidungen sowie die Dynamik der technologischen Entwicklung für die fortlaufende Gesamtglobalisierung oftmals außen vor. In dieser Situation des Vorliegens, von zahlreichen aber jede für sich genommen doch defizitären, Globalisierungstheorien wird im Folgenden eine Untersuchung der wichtigsten globalen Prozesse unter Aufnahme zeitgenössischer Ursachen und Anfänge, sowie aktuellster Entwicklungstendenzen vorgenommen. Die Komplexität des Forschungsgegenstandes Globalisierung erfordert dabei für ein besseres Verständnis und mehr Übersichtlichkeit, eine Aufteilung in unterschiedliche globale Dimensionen. Mittels deskriptiven Vorgehens sollen maßgebliche Strukturen und Wirkungen der globalen Realität erfasst werden.
2 Voraussetzungen und Triebkräfte der Globalisierung Begonnen hat die zeitgenössische Globalisierungsentwicklung durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in internationalen Organisationen und die weitreichenden (wirtschafts-) politischen Liberalisierungsmaßnahmen, die aus diesen verstärkten internationalen Kooperationen hervorgingen. Ihr heutiges Ausmaß wäre ohne die dynamischen Fortschritte der technologischen Entwicklung undenkbar. Beide Faktoren gelten heute als Voraussetzungen und zugleich maßgebliche Antriebsfedern der Globalisierung.35
2.1 Politische Liberalisierungsmaßnahmen und internationale Organisationen Ihren Anfang nahm die Integration der Weltwirtschaft, die heute vielfach mit Globalisierung gleichgesetzt wird, zumindest aber als ein bedeutender Beleg derselbigen gilt, mit innerstaatlichen Deregularisierungsmaßnahmen. Sie initiierten den Wegfall mengenmäßiger und tarifärer Handelsschranken. Der nationalstaatliche Protektionismus wurde zugunsten einer Liberalisierung der Märkte und damit einer freien Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte innerhalb der Länder aufgegeben. Internationale politische Abkommen zur Erweiterung der 35
Vgl. z. B. Varwick, 2000, S. 138. Vgl. auch: Floren, Franz Josef : Wirtschaftspolitik im Zeichen der Globalisierung. Paderborn 2001, S. 200f. und Kutschker/Schmid, 2002, S. 170.
16 Analyse des Globalisierungsprozesses zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen – und dabei vor allem in Verbund Nordamerika Europa – wurden schon unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs verwirklicht. Verantwortlich für diese ersten, entscheidenden wirtschaftspolitischen Annäherungen sind weltweit agierende internationale Organisationen, die ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden sind und heute maßgeblich dazu beitragen, die weltweiten Interdependenzen weiter zu intensivieren. Als maßgeblich bestimmend für den ökonomischen Integrationsprozess der westlichen Industrieländer gelten dabei, der „Internationale Währungsfond“ (IWF), die Weltbank, das „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von Genf“ (GATT), die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) und die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG).36 Ihre Hauptaufgabe besteht in der Errichtung, Weiterentwicklung und Stabilisierung einer internationalen Handels-, Finanz- und Währungsordnung. Weitere Errungenschaften der aufgeführten internationalen Organisationen sollen dabei im Folgenden nicht im Detail erörtert werden, sondern vielmehr gilt es ihre grundsätzlichen Aufgabenstellungen und daraus resultierende wirtschaftlich-strukturelle Bedingungen offen zu legen. In der Nachkriegszeit waren vor allem der IWF, die Weltbank und das GATT von besonderer Bedeutung. Gegründet wurden sie unter dem Aspekt, durch institutionalisierte Konsultationen und Zusammenarbeit permanente wirtschaftliche Koordinierung zu schaffen und aufkeimende Konflikte frühzeitig zu vermeiden.37 Mittlerweile sind diese Organisationen angesichts der weltwirtschaftlichen Verflechtung unerlässlich geworden für eine effiziente weltwirtschaftliche Ordnung. Die älteste der internationalen Organisationen ist das „General Agreement on Tariffs and Trade“. Es nahm seinen Anfang im Jahr 1947 in Genf als Sonderorganisation der Vereinten Nationen, mit dem Ziel eine freie und stabile Welthandelsordnung zu errichten. Basierend auf drei Grundsätzen sollten eine Erhöhung des Lebensstandards, die Sicherung der Vollbeschäftigung, Intensivierung des internationalen Warenaustauschs und die Förderung der bestmöglichen Ausnutzung der Produktionsquellen der Welt erreicht werden. Der Grundsatz der Liberalisierung beinhaltet die Forderung nach innerstaatlicher Deregularisierung, um tarifäre und nicht-tarifäre Handelsrestriktionen zu beseitigen. Der schrittweise Abbau von Zöllen ist die Zielsetzung multilateraler Zollverhandlungen - auch „Zollrunden“ genannt. Ihm Rahmen verschiedener GATT-Runden kam es zu einem weitgehenden Wegfall mengenmäßiger und tarifärer Handelsschranken, der dem Welthandel den entscheidenden Auftrieb verschaffte. Im Jahr 1996 wurde das GATT durch die „World Trade Organisation“ abgelöst.38 Die Errichtung des IWF wurde zusammen mit der Gründung der Weltbank 1944 in Bretton Woods beschlossen. Damals einigten sich die Vertreter von 45 Nationen auf ein Abkommen, das die Währungsordnung der Nachkriegszeit festlegte. Seither wurde dieses als sog. „Bretton-Woods-System“ bekannt gewordene Abkommen zweimal geändert, 1969 und 1978. Die Mitglieder des IWF haben sich vertraglich in einem Verhaltenskodex verpflichtet, vereinbarte Regeln einzuhalten und in Fragen des zwischenstaatlichen Zahlungsverkehrs eng 36
37 38
Vgl. Wagner, Helmut: Einführung in die Weltwirtschaftspolitik: internationale Wirtschaftsbeziehungen – internationale Organisationen – internationale Politikkoordinierung. München; Wien 1991, S. 40. Vgl. ebenda, S. 41. Vgl. und siehe ausführlicher dazu ebenda, S. 52-55.
Analyse des Globalisierungsprozesses 17 zusammenzuarbeiten sowie sich gegenseitig bei der Finanzierung von Zahlungsbilanzdefiziten zu helfen. Dahinter stehen die Ziele, das Wachstum des Welthandels zu befördern und dadurch ein möglichst hohes Niveau für die Beschäftigung und das Realeinkommen zu erreichen.39 Der Begriff „Weltbank“ fungiert heute allgemein anerkannt als Abkürzung für die „Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“. Sie wurde gemeinsam mit dem IWF 1944 in Bretton Woods gegründet, mit Blick auf den für die Nachkriegszeit erwarteten großen Bedarf an langfristigem Kapital zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedsstaaten. Nach ihrer Gründung widmete sich die Weltbank nahezu ausschließlich dem Wiederaufbau in Europa. Diese Aufgabe wurde 1948 durch das amerikanische „European Recovery Programm“, auch geläufig als „Marshallplanhilfe“, übernommen. Daher beschränkte sich die Weltbank ab etwa 1950 auf die wirtschaftliche Förderung der Entwicklungsländer. Gemeinsam mit den später gegründeten Schwestergesellschaften, der „Internationalen Entwicklungsorganisation“ und der „Internationalen Finanz-Corporation“, besteht ihr Hauptanliegen darin, die wirtschaftliche Entwicklung in weniger entwickelten Mitgliedsländen durch z. B. die Vergabe von Krediten und Darlehen zu fördern.40 Die wirtschaftspolitische Kooperation der westlichen Industrieländer ist das Hauptanliegen der OECD. Die “Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ ist 1961 aus der Organisation für Europäische Zusammenarbeit hervorgegangen, inzwischen gehören ihr 24 Länder an, darunter alle bedeutenden westlichen Industrienationen. Zu ihren Aufgaben zählen Zusammenarbeit in der allgemeinen Wirtschafts- und Währungspolitik, Förderung der Wirtschaftsentwicklung der OECD-Länder sowie die Erörterung handelspolitischer Fragen. Diese Aufgabenfelder haben die OECD zur herausragenden weltwirtschaftlichen Koordinationsinstitution in der Weltwirtschaftspolitik werden lassen.41 Die Schaffung des EU-Binnenmarktes geht auf die Initiative der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) im Jahr 1957 zurück. Die EWG ist aus ökonomischer Sicht die wichtigste Teilorganisation der EG. Ihre vertraglichen Regelungen zielen auf die Integration der beteiligten Volkswirtschaften als Ganzes ab mittels der Schaffung binnenmarktähnlicher Wettbewerbsbedingungen, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes. Zentrales Element dabei ist die Koordinierung der nationalen Politiken. Nachdem bis Ende der 1960er-Jahre schon Kernstücke des Gemeinsamen Marktes verwirklicht waren (z. B. Zollunion und Freizügigkeit der Arbeitskräfte), setzte man sich die Weiterentwicklung der Gemeinschaft zu einer „Wirtschafts- und Währungsunion“ und schließlich zu einer „Europäischen Union“ zum Ziel. Mit der Entstehung der EU wurden jegliche zwischenstaatliche Handelsbeschränkungen aufgegeben und die fortschreitende internationale Verflechtung gefördert.42 Internationale Organisationen als Träger und Förderer wirtschaftlicher Beziehungen sind mitverantwortlich für grundlegende ökonomische Strukturveränderungen, innerhalb derer sich Unternehmen und private Akteure heute wiederfinden. Kennzeichen dieser Situation sind eine hohe grenzüberschreitende Mobilität von Gütern und Dienstleistungen, liberalisier39 40 41 42
Vgl. und siehe ausführlicher dazu ebenda, S. 42-49. Vgl. und siehe ausführlicher dazu ebenda, S. 49-52. Vgl. und siehe ausführlicher dazu ebenda, S. 56-62. Vgl. und siehe ausführlicher dazu ebenda, S. 62-72.
18 Analyse des Globalisierungsprozesses te Kapital- und Wertpapiermärkte und vereinheitlichte technische Normen und Standards. Internationale wirtschaftspolitische Liberalisierungen sind auch die Basis für die Entstehung international tätiger Großunternehmen, die heute als sog. „global players“ alle Möglichkeiten dieser Strukturveränderungen durch ihre strategische Globalausrichtung auszuschöpfen vermögen.
2.2 Informations- und kommunikationstechnologische Fortschritte Bereits in der Vergangenheit gab es, meist durch ökonomische Motive initiiert, verschiedene Phasen der Internationalisierung.43 Sie erreichten aber zu keinem Zeitpunkt das gegenwärtige Niveau. Als primär ausschlaggebend dafür, dass heute in vielen Bereichen globale Dimensionen und Verflechtungen anzutreffen sind, kann der technologische Fortschritt angesehen werden. Entscheidende Errungenschaften liegen hier im Bereich des Transportwesens und der Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese Neuerungen haben vor allem zu dramatischen Kosteneinsparungen beim grenzüberschreitenden Verkehr von Gütern und Informationen geführt. Die Beschleunigung der globalen Entwicklung wird häufig durch die Fortschritte im Transportwesen erklärt. Die daraus resultierenden sinkenden Preise für Transportdienstleistungen haben z. B. positive Auswirkungen auf das Anwachsen der weltweiten Exporte von Waren. Anfallende Kosten für See- und Luftfracht haben sich in den letzten Jahren deutlich reduziert und den Welthandel entsprechend stimuliert.44 Die Fortschritte im Bereich Transport ermöglichen dabei nicht nur einen grenzüberschreitenden und preiswerten Gütertransport, sondern selbiges gilt auch für den Personentransport. Ohne derart gesunkene Preise für den Flugpassagierverkehr wären die globalen Ausmaße des heutigen Tourismus unvorstellbar und damit auch dessen Auswirkungen auf die kulturelle Dimension. Eine vermutlich noch wichtigere Rolle für die Globalisierung und insbesondere für die Mobilität der Wirtschaft spielen die Forschritte bei den Informations- und Kommunikationstechnologien. Sie ermöglichen den weltweiten Austausch von Ressourcen zwischen und innerhalb von Unternehmen. Für die heute bei international tätigen Großunternehmen häufig zu beobachtende globale Aufgliederung der Wertschöpfungskette und Ausbildung weltweiter Wertschöpfungsnetzwerke sind die Verringerung der Kosten für die weltweite Informationsübertragung und der Ausbau der internationalen Kommunikationsnetze mitentscheidend. Die Möglichkeiten der virtuellen Kommunikation ersetzen mittlerweile vielfach bereits den personellen Transport und Austausch.45 Relevante Daten werden für alle Beteiligten jederzeit abrufbar in Intranetsysteme eingespeist und können sekundenschnell zwischen weitentfernten Firmenstandorten verschickt werden. Der Grundstein für den Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien wurde vor mehr als 50 Jahren mit der Entwicklung des Transistors (Halbleiter) gelegt.46 Weiter große Fortschritte bargen die 1970er- und 1980er-Jahre. Durch die Entwicklung von 43 44 45 46
Vgl. dazu Teil II Abschnitt 3.3 der Ausführungen. Vgl. Kuschker/Schmid, 2002, S. 179. Vgl. ebenda, S. 179. Vgl. Schweigler, Gebhart: Informationsrevolution und ihre Folgen. In: Informationen zur politischen Bildung: Globalisierung. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, 3. Quartal 2003, S. 7.
Analyse des Globalisierungsprozesses 19 Satellitensystemen konnten Fernseh- und Radioprogramme empfangen und Telekommunikationsdienstleistungen in Anspruch genommen werden. Zudem liegen in dieser Zeit die Anfänge des Internets und des Personal Computers (PC). Wobei erst letzterer dem Internet zu seinem endgültigen Durchbruch verhalf. Die Zahl der weltweit benutzten PCs stieg seit Mitte der achtziger Jahre explosionsartig an, von schätzungsweise 30 Millionen auf mehr als 615 Millionen im Jahr 2002.47 Das Internet ist heute zum Inbegriff des Globalisierungseffektes der Informationstechnologien geworden48 und es herrscht weitgehende Übereinstimmung dahingehend, dass keine der in der Vergangenheit entwickelten Technologien vergleichbar revolutionär ist wie das Internet49. Die Entwicklung des Internets stand, ähnlich wie die der Rechner und Satelliten, zunächst im Dienste militärischer Zwecke. In diesem Falle war das amerikanische Verteidigungsministerium auf der Suche nach einem Kommunikationsmittel, das selbst im Falle eines nuklearen Angriffes funktionstüchtig bleiben würde. Das erste rechnergestützte Kommunikationsnetzwerk entstand dadurch bereits 1969. Die Verknüpfung mehrerer Netzwerke gelang im Jahr 1937 und damit begann auch die eigentliche Entwicklung des Internets. Seinen Aufschwung als übergreifendes Netzwerk einer wachsenden Zahl einzelner nationaler und internationaler Netzwerke nahm das Internet zu Beginn der 1980er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt entdeckten die damals ausschließlich militärischen oder akademischen Benutzer, dass sich auf diesem Wege schnell und kostengünstig Nachrichten aller Art austauschen lassen, womit das System der E-Mail, der elektronischen Post, entstanden war. Mittlerweile übertrifft deren Umfang den Post- und Faxverkehr um ein Vielfaches.50 Anfang der 90er-Jahre kamen schließlich preisgünstige und leistungsfähige Personal Computer auf den Markt, die für einen großen Teil der Bevölkerung eine Nutzung der Angebote des Internets erst möglich machten. Die Zahl der weltweiten Internetnutzer lag 2002 bei 580 Millionen.51 Zu den in der Literatur angeführten Gründen für die schnelle Verbreitung der Internet-Technologie gehören die Interaktivität des Mediums, die Unmittelbarkeit des Zugriffs auf eine nahezu unfassbar große Datenmenge, die Möglichkeit der multimedialen Integration sowie die erhebliche Senkung von Transportkosten.52 Nahezu alle derzeit diskutierten Globalisierungsindikatoren und -effekte wurzeln in der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien, wie aus den nachfolgenden Ausführungen weiter hervorgehen wird. Sie ermöglichte eine neuartige, weltweit verflochtene Produktionstechnik und Logistik, sekundenschnelle, weltweite Finanztransaktionen und insbesondere sofortige Preisvergleiche der Verbraucher mit der Folge eines dramatisch intensivierten Kostenwettbewerbs auf der Seite der Hersteller.53
47 48 49 50 51 52 53
Vgl. ebenda, S. 10. Vgl. ebenda, S. 8. Vgl. Kutschker/Schmid, 2002, S. 180. Vgl. Schweigler, 2003, S. 9. Vgl. ebenda, S. 10. Vgl. Kutschker/Schmid, 2002, S. 180. Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags: Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten. Zwischenbericht, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Drucksache 14/6910, Bonn 2001, S. 4.
3 Globalisierungsdimensionen der westlichen Industrieländer 3.1 Globalisierung der Politik Die nationalstaatlich organisierte internationale Politik, einst Hauptinitiator für weitreichende ökonomische Globalisierungsprozesse, erweckt heute mehr denn je den Eindruck, hinter der weltwirtschaftlichen Verflechtung zurück zu bleiben. Dabei zeigen sich vor dem Hintergrund der Globalisierung schwerwiegende neue Problemstellungen, die nur noch auf der Basis einer transnationalen Kooperation einer Lösung zugeführt werden können. Zumindest das allgemeine Bewusstsein hierfür scheint zu steigen, denn das weltpolitische Handlungsvakuum ruft neue transnationale politische Akteure auf die Bühne, die eine Globalisierung der Politik vorantreiben. Politische Hauptakteure auf internationaler Ebene sind nach wie vor die nationalstaatlichen Regierungen.54 Sie leiden jedoch, wie aus den nachfolgenden Gliederungspunkten weiter hervorgehen wird, unter zunehmenden Souveränitätsverlusten. Ursächlich dafür ist die wirtschaftliche Globalisierung. Sie hat die politische Handlungsfreiheit der Staaten geschwächt. Der Primat der Politik ist auf vielen Feldern dem Primat der globalisierten Wirtschaft gewichen. Diese faktische Kompetenzverschiebung hat zu einem Macht- und Gestaltungsvorsprung der Ökonomie geführt.55 Verschärfend hinzu kommt, dass bestehenden internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen die notwendigen Souveränitätsrechte für eine durchschlagende politische Handlungsfähigkeit auf globaler Ebene fehlen. Es stellen sich akut Fragen nach Konzepten einer der globalen Weltentwicklung angemessenen Politik, die am Ende dieses Abschnitts Erläuterung erfahren. Zunächst erfolgt die Darstellung einiger relevanter global-politischer Herausforderungen, die transnationale Interventionen unumgänglich machen. Im Anschluss daran werden derzeitige gegenläufige politische Entwicklungstendenzen dargestellt. Von besonderer Bedeutung zeigen sich dabei die neuen politischen Kräfte, die transnationalen Zivilgesellschaft und transnational organisierter Non-Governmental-Organizations (NGOs) auf Grund ihres erheblichen Einflusses auf die internationale Politik und vor allem auch auf international tätige Unternehmen.
3.1.1 Globale Probleme als politische Herausforderungen Die Globalisierung der Lebenszusammenhänge und der Ökonomie sowie die Verdichtung weltpolitischer Interdependenzen auf räumlich-geopolitischer, zeitlich-historischer und sachlich-sektoraler Ebene werfen Probleme auf, die nicht mehr im nationalstaatlichen Alleingang zu fassen sind56. Darüber hinaus bedürfen bestimmte globale öffentliche Güter wie das globale Klima, der Weltfrieden, ökonomische, soziale und finanzielle Stabilität, Aspekte 54
55
56
Vgl. Brock, Lothar: Internationale Beziehungen/Politik. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München 2002, S. 212. Vgl. Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk, Nuscheler, Franz: Global Governance. Notwendigkeit – Bedingungen – Barrieren. In: Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen. Hg. von Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 2001, S. 22. Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2001, S. 106.
Analyse des Globalisierungsprozesses 21 menschlicher Sicherheit, Einkommensverteilungsgerechtigkeit und der breite Zugang zu globalen Wissensbeständen des internationalen Schutzes.57 Der Begriff der „globalen Probleme“ richtet sich auf grenzüberschreitende Probleme mit regionaler Tragweite, die in zwischenstaatlicher regionaler Kooperation gelöst werden müssen, auf Probleme, die wesentlich durch die ökonomische Globalisierung entstanden sind, aber nur einen Teil der Welt negativ betreffen und auf sog. „echte“ globale Probleme, die durch die Globalisierung entstanden sind oder verschärft werden und insgesamt zurückschlagen. Diese Weltprobleme können grundsätzlich ökologischer, ökonomischer, sozialer oder humanitärer Art sein.58 In den vergangenen Jahrzehnten hat die Umweltzerstörung und der Abbau nicht regenerierbarer Ressourcen exponenziell zugenommen. Zu den wichtigsten Problemen globaler Relevanz gehören die Erwärmung des Klimas, die Verschmutzung der Meere, die zunehmende Wüstenbildung, die Verknappung sauberen Wassers sowie energetischer und mineralischer Reserven.59 Beispielhaft für die ökologischen globalen Probleme, für deren befriedigende Lösung eine Beteiligung aller betroffenen Staaten notwendig wäre, seien an dieser Stelle der Klimawandel und die zunehmende Wasserknappheit und -verschmutzung angeführt, wobei insbesondere Letzteres von sicherheitspolitischer Bedeutung ist, wie aktuelle Diskussionen dazu zeigen60. Die massivste und folgenreichste Beeinflussung des Erdsystems durch den Menschen spielt sich über seinem Kopf ab in Form von Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre, welche eng mit der industriellen Revolution zusammenhängen. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe führte in den letzten 50 Jahren zu einer Vervierfachung des Kohlenstoffausstoßes61. Die Folge ist eine immer schnellere Erwärmung des Erdklimas, die wiederrum ein Abschmelzen der Gletscher und Poleiskappen nach sich zieht. Durch einen weiteren Anstieg des Meeresspiegels wären z. B. hunderte Millionen Küstenbewohner gefährdet. Zeitlich näherliegende Folgewirkungen machen sich bereits in Form von unbeständigen und extremeren Wetterverhältnissen, die zu gewaltigen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Hurrikans, Hitze- und Kältewellen eskalieren können, bemerkbar. Allein im Jahr 1998 verursachten wetterbedingte Katastrophen Kosten, welche die Gesamtkosten der 1980er-Jahre übertrafen.62 Besonders betroffen davon sind arme Menschen, von denen jedes Jahr Zehntausende durch Umweltkatastrophen ums Leben kommen oder sich zur Flucht gezwungen sehen.63 Zwar sind in Deutschland die Emissionen zwischen 1989 und 1998 um ca. 13 % gesunken, doch steigen sie in den USA um ca. 12 % und in Japan um ca. 10 %64. Damit setzt sich der Trend zur Erwärmung des globalen Klimas fort und wird zur globalen politischen Herausforderung. Einzelstaatliche Bestimmungen und Maßnahmen werden in 57 58 59 60
61
62 63 64
Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 106f. Vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler, 2001, S. 15. Zum Beispiel veranstaltete das Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg am 21. April 2004 eine Podiumsdiskussion mit Experten aus Wissenschaft und Politik zum Thema: „Wasser – Kriegsgrund der Zukunft“. Annan, Kofi, A.: ‘Wir die Völker’. Die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert. Hg. vom Informationszentrum der Vereinten Nationen (UNIC), Bonn 2000, S. 55. Vgl. ebenda. Im Jahr 2000 mussten schätzungsweise 25 Millionen „Umweltflüchtlinge“ umsiedeln. Vgl. ebenda. Vgl. Petschel-Held, Gerhard: Umweltmedien und Umweltschäden. In: Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen. Hg. von Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 2001, S. 343.
22 Analyse des Globalisierungsprozesses Bezug auf die weltweite Entwicklung obsolet, nur im transnationalen Verbund ist einer weiteren Klimaverschärfung entgegenzutreten. Besorgniserregend sind neben dem Klimawandel die allgemeine Verknappung sauberen Wassers und das Problem seiner zunehmenden Verschlechterung. Die Ursache für die Dezimierung der wichtigsten Lebensressource liegt in einem steigenden Bedarf. Durch das anhaltende Bevölkerungswachstum und die ökonomische Fortentwicklung hat sich der Süßwasserbrauch im Zeitraum von 1900 bis 1995 versechsfacht.65 Über 50 Staaten leiden mittlerweile unter großer Wasserknappheit.66 Verschärft wird dieses Problem durch die begrenzte Nutzungsmöglichkeit der Ressource Wasser durch Verschmutzung oder Versalzung. Mehr als eine Milliarde Menschen hat keinen Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem Trinkwasser und 80 % aller Krankheiten der Entwicklungsländer sind auf verschmutztes Wasser und schlechte Kanalisation zurückzuführen.67 Die dargestellten Problemlagen sind nicht nur umweltpolitisch von globaler Brisanz, sondern ebenso sicherheitspolitisch relevant. Die Ansprüche auf wichtige Ressourcen wie Wasser und Boden wachsen, während gleichzeitig die verfügbaren Mengen rückläufig sind. Je knapper die lebenswichtigen Ressourcen werden, desto größer wird ihre strategische Bedeutung, insbesondere in Krisenregionen.68 Mit der Verknappung steigt das Konfliktpotential, weshalb dieses Problem voraussichtlich zukünftig noch an Brisanz gewinnen wird. Staaten, die bereits heute oder in nächster Zukunft davon betroffen sind, befinden sich vor allem in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten und auf dem indischen Subkontinent. In Regionen also, die ohnehin als politisch labil gelten.69 Die Gefährdung der natürlichen Ressourcen durch zunehmende Umweltverschmutzung wird zu einem großen Teil auf die ökonomische globale Entwicklung zurückgeführt. Die Marktöffnung der Volkswirtschaften führt darüber hinaus zu weiteren schädlichen Auswirkungen. Sie erleichtert vor allem auch internationale kriminelle Zusammenschlüsse und illegale Geschäfte, z. B. im Bereich der Rüstung oder des Rauschgifthandels.70 Derzeit wird der Jahresumsatz der Drogenwirtschaft weltweit auf 300 bis 350 Mrd. US-Dollar geschätzt.71 Daneben stehen die Nationalstaaten vor dem Problem einer erleichterten Verbreitung von Krankheiten. Mit der ökonomischen Verflechtung verbunden ist ein erhöhter grenzüberschreitender personeller Austausch, welcher der weltweiten Übertragung von Krankheitserregern Vorschub leistet.72 Weitere problematische Aspekte der wirtschaftlichen Globalisierung werden insbesondere im Zusammenhang mit dem Anstieg der Zahl international tätiger Großunternehmen gesehen und an späteren Stellen noch eingehender beleuchtet.73 Konfliktträchtig sind nicht nur die negativen Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung und die wachsenden Umweltprobleme, sondern ebenso auf sozial-humanitärer Ebene, 65 66
67 68 69 70 71 72 73
Vgl. Annan, 2000, S. 58. Vgl. Eberwein, Wolf Dieter/Chojnacki, Sven: Umweltkonflikte und Umweltsicherheit. In: Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen. Hg. von Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 2001, S. 359. Vgl. Annan, 2000, S. 58. Vgl. Eberwein/Chojnacki, 2001, S. 370. Vgl. ebenda, S. 359. Ausführlicher zur Entwicklung des informellen Weltmarktes siehe Altvater/Mahnkopf, 2004, S. 268ff. Vgl. ebenda, S. 268. Vgl. Annan, 2000, S. 10. Siehe dazu Teil II Abschnitte 3.2.3 und 3.3.3.
Analyse des Globalisierungsprozesses 23 die zunehmende Spaltung in der Wohlstandsentwicklung zwischen und innerhalb der Staaten. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung muss immer noch mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen und Einkommensungleichheiten bestehen weiter fort. Weltweit verdienen eine Milliarde Menschen in den entwickelten Ländern, 60 % des Welteinkommens.74 Eine Verringerung der Armut75 ist dabei bekanntermaßen nur über nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. Dies erfordert die Anknüpfungs- und Beteiligungsmöglichkeit an der globalen Ökonomie. Noch immer spielt sich die weltwirtschaftliche Verflechtung größtenteils innerhalb der Triade Nordamerika, Europa und Asien ab, ohne nennenswerten Anteil der Entwicklungsländer.76 Auf Dauer wird dieser Zustand auch für die reichen Nationen dieser Welt und vor allem für das weltwirtschaftliche Wachstum kaum tragbar sein. Zudem wird ein Ausschluss weiter Teile der Weltbevölkerung vom weltwirtschaftlichen Geschehen und Wohlstand weiterhin Gegenbewegungen in Gestalt terroristischer Aktionen hervorrufen und langfristig lassen sich Massen von Armutsflüchtlingen nicht aus der Ersten Welt aussperren. Ohne gemeinsames weltpolitisches Agieren global relevanter Akteure – Regierungen, Internationale Organisationen und Konzerne – wird sich die Kluft zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern voraussichtlich weiter vergrößern und auf diese Weise den Weltfrieden gefährden. Die nationalstaatliche Politik, auf sich allein gestellt, vermag Probleme dieser globalen Art kaum mehr befriedigend zu lösen, da ihr Wirkungsbereich territorial begrenzt ist. Vor diesem Hintergrund herrscht heute dahingehend Übereinstimmung, dass ökologische, ökonomische und soziale bzw. humanitäre, globale Problemlagen, die Kooperation mehrerer und bestenfalls aller betroffenen Staaten erfordert.77 Konzepte zur zukünftigen Gestaltung der Weltpolitik unter Berücksichtigung der globalen Herausforderungen - die hier exemplarisch erläutert wurden, aber sicherlich nur einen kleinen Ausschnitt darstellen – werden bereits fieberhaft diskutiert und in 3.1.4 aufgegriffen. Im Vorfeld sollen jedoch zunächst wichtige Entwicklungen in der internationalen Politik beschrieben werden, um die derzeitigen politischen Rahmenbedingungen besser fassen zu können.
3.1.2 Entwicklungen in der internationalen Politik Gegenwärtig bestimmen zwei heterogene und scheinbar gegenläufige Tendenzen das Feld der weltpolitischen Entwicklung. Es zeigen sich einerseits Anzeichen einer weiteren Auffächerung von Akteuren, Interaktionsebenen und Regelungsgegenständen der staatenübergreifenden Politik. Neben den Nationalregierungen gewinnen internationale Organisationen, transnationale Netzwerke, substaatliche Verwaltungseinheiten, öffentlich-private Partnerschaften und fachlich spezialisierte NGOs an Bedeutung für die Regelung öffentlicher Be74 75
76 77
Vgl. Annan, 2000, S. 17. Ausführlicher zur Thematik der Armut im Zusammenhang mit Globalisierung siehe z. B. Eberlei, Walter: Armut und Reichtum. In: Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen. Hg. von Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 2001, S. 73-91 und Eberlei, Walter: Armut und Armutsbekämpfung. In: Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2004/2005. Fakten, Analysen, Prognosen. Hg. von Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 2003, S. 49-65. Vgl. hierzu Teil II Abschnitt 3.3 der Ausführungen. Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2001, S. 107.
24 Analyse des Globalisierungsprozesses lange auf transnationaler Ebene.78 In der einschlägigen Literatur ist Brock zufolge in diesem Zusammenhang von der Herausbildung einer internationalen Gesellschaft oder einer Weltgesellschaft die Rede.79 Demgegenüber steht gleichzeitig andererseits das Beharren der Nationalstaaten gemäß der realistischen Tradition auf ihre Souveränitätsansprüche. Ähnlich ambivalent zeigt sich die Lage in Bezug auf die globale Zusammenarbeit der Nationen. Vor allem im Hinblick auf den Weltfrieden gab es schon früh Bestrebungen die internationale Kooperation zu intensivieren. Präsident Woodrow Wilson propagierte bereits 1918 die Idee des Völkerbundes. Tatsächlich dauerhaft umgesetzt wurden Bestrebungen dieser Art erst nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges. Sie führten zur Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 mit dem Ziel, durch dauerhafte politische und wirtschaftspolitische Kooperation der Mitgliedsstaaten den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln, den sozialen Fortschritt, einen besseren Lebensstandard und die Menschenrechte weltweit zu fördern.80 Die Zahl ihrer Mitgliedsnationen hat sich von 51 im Gründungsjahr auf mittlerweile 188 erhöht, die Vereinten Nationen sind zu einer universalen Staatenorganisation geworden, die rund 97 % der Weltbevölkerung repräsentieren.81 Weitere Indizien für eine Zunahme der weltpolitischen Verflechtung sind der Anstieg grenzüberschreitender Verträge von einigen wenigen im Jahr 1946 bis zu einer Anzahl von knapp 55 000 im Jahr 199782 und einen Anstieg der „International Governmental Organizations“ (IGO) auf mittlerweile 340 Stück83. Der Begriff IGO verweist auf eine mittels multilateralem völkerrechtlichen Vertrag geschaffene Staatenverbindung mit eigenen Organen und Kompetenzen mit dem Ziel der politischen Zusammenarbeit mindestens zweier Staaten in den Bereichen Kultur, Militär und Ökonomie.84 Auf vermehrte zwischenstaatliche Zusammenarbeit deuten auch regionale Staatenbündnisse wie die EU - das bislang erfolgreichste Integrationsprojekt mit weltweitem Modellcharakter85 – NAFTA, ASEAN und jüngst auch die Gründung der „Afrikanischen Union“ hin. Zweifelsohne hatte die kooperative Weltpolitik ihren Höhepunkt mit einer Folge von Weltkonferenzen in den 90er-Jahren. Sie stehen synonym für die Aufbruchstimmung in der Weltpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts.86 Hoffnungen keimten auf in Richtung einer politischen Weltgemeinschaft. Momentan zeigt sich ein anderes Bild. Erfahrungen mit einer eher verhaltenen Umsetzungsbereitschaft der verabschiedeten Konventionen seitens der einzelnen Mitgliedsstaaten87 und den häufig zu hörenden substantiellen Vorwurf, die UNO werde seit Jahren von der größten 78
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Vgl. Brock, Lothar: Trends und Interdependenzen in der Weltpolitik. In: Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen. Hg. von Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 2001, S. 380. Vgl. ebenda. Vgl. auch: Brock, 2002, S. 211. Vgl. Vereinte Nationen: Charta der Vereinten Nationen und Statut des Internationalen Gerichtshofs. Hg. vom Informationszentrum der Vereinten Nationen (UNIC), Bonn 2000, S. 5. Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): Deutschland und die Vereinten Nationen. Berlin 2000, S. 5. Vgl. Brock, 2001, S. 378. Woyke, Wichard: Internationale Organisationen. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München 2002, S. 218. Vgl. ebenda. Vgl. Nohlen, Dieter: Integration. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., München 2002b, S. 209. Vgl. Brock, 2001, S. 384. Vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler, 2001, S. 11.
Analyse des Globalisierungsprozesses 25 Weltmacht für ihre nationalen Interessen instrumentalisiert oder finanziell ausgetrocknet88 sowie eingeschränkter Fähigkeiten präventive Sicherheitspolitik zu betreiben, etwa im Nahen Osten oder in Afrika vor dem Hintergrund hierfür fehlender Ressourcen mangels angemessener Ausstattung mit denselbigen durch ihre Träger, trüben bisweilen die Euphorie. Hinzu kommt die unübersehbare nationalistische Rückbesinnung der Großmacht USA und in deren Folge ein sukzessiver Rückzug aus internationalen Verpflichtungen und Abkommen, z. B. der Austritt aus dem Kyotoprotokoll und neuerdings der militärische Alleingang gegen den Irak ohne UN-Mandat. Eine wachsende Zahl ethnographischer Konflikte und die Erosion von Staaten durch zunehmende Unabhängigkeitsbestrebungen von Teilregionen (ehemalige Sowjetunion, Jugoslawien) deuten ebenfalls auf politische Fragmentierungstendenzen in der Weltpolitik. Es lässt sich konstatieren, in der Weltpolitik gibt es derzeit zum einen Trends in Richtung einer Intensivierung der globalen Politikkoordination und -zusammenarbeit, vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen, im Bewusstsein weltweiter Interdependenz. Gleichzeitig lassen sich zahlreiche Autonomiebestrebungen, neue Regionalismen und Lokalismen unter Rückbesinnung auf religiös-fundamentalistische und kulturelle Traditionen beobachten.
3.1.3 Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft Im Feld der internationalen Politik sind zwar immer noch einzelstaatliche Regierungen ausschlaggebend, gleichzeitig lassen sich aber verstärkte Tendenzen transnationaler Politik beobachten, basierend auf der supranationalen Politisierung nicht-staatlicher Akteure und Akteursgruppen. Der Terminus „transnationale Politik“ wurde Rausch zufolge in den 70erJahren geprägt und bezieht sich generell auf die grenzüberschreitende Subpolitik nichtstaatlicher Akteure der transnationalen Weltgesellschaft. Auf eine einheitliche Definition konnte man sich bislang noch nicht einigen.89 Insgesamt basiert das Konzept der transnationalen Politik auf der Beobachtung, dass die technologisch-informatorische Globalisierung das Entstehen weltweiter zivilgesellschaftlich getragener Bündnisse auf substaatlicher Ebene fördert. BECK spricht in diesem Zusammenhang von „Bündnissen der eigentlich NichtBündnisfähigen“90. Dahinter steht die weltweite Mobilisierung von NGOs, privaten Gesellschaften und Individuen für gemeinsame Interessen, Zwecke und Ziele. Virtuelle Plattformen bieten die Möglichkeit für grenzenlose Kommunikation, weltweiten Wissens- und Informationsaustausch und schließlich auch für die Koordination der zivilgesellschaftlichen Aktions- und Protestformen. Nicht selten rufen die negative Effekte der ökonomischen Globalisierung und die Unfähigkeit der internationalen Politik bei ihrer Eindämmung zivilgesellschaftlich organisierte Netzwerke hervor, im Bewusstsein dringender Handlungs- und Gestaltungsnotwendigkeit. Die Interaktionsebenen der Politik globalisieren sich auf der Basis des Zusammenrückens lokaler und regionaler Akteure unterstützt durch eine Vielzahl NGOs mit bereits transnationalen Strukturen. Parallel zur wachsenden Einsicht über fatale 88 89
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Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2001, S. 110. Vgl. und siehe dazu ausführlicher Rausch, Ulrike: Transnationale Politik. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München 2002, S. 519f. Vgl. Beck, 1998, S. 122.
26 Analyse des Globalisierungsprozesses globale Problemlagen und Missstände stieg ihre Anzahl kontinuierlich auf mittlerweile knapp 25 000. Vor allem in den 1980er-Jahren kam es zu einer schlagartige Zunahme der internationalen NGOs von rund 5 000 zu Anfang des Jahrzehnts auf 20 000 im Jahr 1990, ausgelöst durch soziale und ökologische Krisen, die im Zuge der Globalisierung noch verschärft wurden.91 Die Bezeichnung „NGO“ steht für „Non-Governmental-Organization“, dazu äquivalent der deutsche Terminus „Nicht-Regierungs-Organisation“ (NRO). Generell umfasst der Begriff nach der Definition der Enquete-Kommission „alle Organisationen, die keine Befugnis zu allgemein verbindlichen politischen Entscheidungen haben, also eben kein Mandat zu ‚regieren‘ haben“.92 Dies gilt prinzipiell für alle privaten Akteure, Wirtschaftsunternehmen, Interessengruppen und Kirchen. Umgangssprachlich werden darunter aber zumeist nur umwelt-, menschenrechts- und entwicklungspolitische Verbände verstanden wie Greenpeace oder Amnesty International, die sich als Non-Profit-Organisationen weniger für partikulare Interessen ihrer Mitglieder als vielmehr für allgemeine Anliegen einsetzen.93 In diesem Sinne begreift auch Nohlen den Begriff. Für ihn bezeichnet er zivilgesellschaftlich angebundene Organisationen, die sich in Abgrenzung zu Staat und Markt verstehen. Als wesentliche Merkmale erkennt er zum einen die Autonomie der NGOs gegenüber dem Staat und der Regierung und zum anderen, dass ihre Arbeit weder profitorientiert noch von kommerziellen Interessen geleitet ist. Gegenüber Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen heben sie sich dadurch ab, dass sie konkrete Organisationsstrukturen ausbilden.94 Die zweite politische Kraft, die neben den NGOs zunehmend Bedeutung erlangt im globalen politischen Geschehen, ist die Zivilgesellschaft. Auf umfassender Ebene bezeichnet der Begriff „Zivilgesellschaft“ „eine Sphäre kollektiven Handelns und öffentlicher Diskurse, die zwischen Privatbereich und Staat wirksam ist“95. Ihren organisatorischen Kern bildet eine Vielzahl pluraler, auch konkurrierender Assoziationen, die ihre Angelegenheiten weitestgehend autonom organisieren und ihre materiellen wie immateriellen Interessen artikulieren. Zum Spektrum dieser nicht-staatlichen Akteure gehören Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen, religiöse Vereinigungen, Entwicklungsorganisationen und Selbsthilfegruppen. Konzerne und Parteien werden gemeinhin nicht als Akteure der Zivilgesellschaft bezeichnet. Ihre politische Wirkung erzielt die Zivilgesellschaft nicht durch Streben nach politischer Macht, sondern durch Einflussnahme auf staatliche Institutionen und Parteien vermittelt über die Öffentlichkeit.96 Die Idee der Zivilgesellschaft als einer vom Staat unterscheidbaren, eigendynamischen Handlungssphäre reicht bis in die politische Philosophie des 18. Jahrhunderts zurück. Ihre Renaissance erlebte sie in den 1970er-Jahren, herausgefordert durch gesellschaftliche Veränderungs- und Emanzipationsprozesse. Ende der 1980er-Jahre verhalfen ihr die politischen Umbrüche in Osteuropa schließlich zum Durchbruch, nunmehr verstanden als Kampfbegriff gegen die staatliche Allmacht.97 Demokratisierungsbestrebun91 92 93 94
95
96 97
Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2001, S. 9. Ebenda, S. 113. Vgl. ebenda. Vgl. Nohlen, Dieter: NGO. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München 2002c, S. 324f. Thiery, Peter: Zivilgesellschaft. In: Nohlen, Dieter (Hg.): Kleines Lexikon der Politik. 2. Aufl., Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München 2002, S. 593. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 594.
Analyse des Globalisierungsprozesses 27 gen in vielen Teilen der Welt wurden und werden weithin als zivilgesellschaftlich forcierte Errungenschaft interpretiert. In den etablierten Demokratien der alten Industrieländer richtet sich das zivilgesellschaftliche Engagement heute auf ökologische, soziale und ökonomische Sachfragen. Unterstützt und transportiert werden die zivilgesellschaftlich getragenen Inhalte über die weit gespannte Medienlandschaft. Die mediale Berichterstattung verleiht der transnationalen Zivilgesellschaft erst die entscheidende Durchschlagskraft im Sinne eines Aufmerksamwerdens der Politik und der Wirtschaft. Mittlerweile erfährt die zivilgesellschaftliche Subpolitik weitreichende Anerkennung auf internationaler politischer Ebene. Bereits bei den Weltkonferenzen der 90er-Jahre traten die NGOs als Vertreter einer internationalen Zivilgesellschaft in großer Zahl in Erscheinung. Oftmals bestimmen sie auf Grund ihrer Anzahl und Fachexpertise das Bild der Konferenzen mehr als die offiziellen Delegationen.98 Bei vielen internationalen Organisationen wie der OECD, WTO und IWF kommt ihnen seit vielen Jahren entscheidende Beratungsfunktion zu, indem sie ihre Sachkompetenz in Anhörungen und der Teilnahme an Beratungsverfahren einbringen können. Für Verhandlungen der Vereinten Nationen können sich NGOs über den Wirtschafts- und Sozialrat akkreditieren.99 Auf unterschiedlichste Weise können zivilgesellschaftliche Netzwerke heute zur Lösung globaler Probleme beitragen, auch wenn sie globale Rechtsstaatlichkeit langfristig nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können.100 Sie erfüllen mittlerweile eine Reihe wichtiger Funktionen, deren Relevanz im Spannungsfeld der globalen Entwicklung vermutlich weiter steigen wird. Durch Öffentlichkeitsarbeit und Mobilisierung der Medien für bestimmte Sachanliegen sorgen sie für mehr Informationen und Transparenz bei einzelnen Problemlagen, wie auch im Weltgeschehen insgesamt. Einerseits ermöglichen sie Politik und Wirtschaft die Früherkennung gesellschaftlicher Probleme und sozialer Protestbewegungen.101 Auf der anderen Seite fördern sie weltweit die Einsicht der globalen Interdependenz aller Lebensbereiche und schaffen ein Gefühl der gemeinsamen Verbundenheit vor dem Hintergrund zahlreicher globaler Risiken. Auf diese Weise wecken sie globales Bewusstsein und bauen Plattformen für globales Denken und Handeln auf.102 Neben diesen Leistungen, die von zivilgesellschaftlichen Kräften erbracht werden, soll im Kontext der vorliegenden Arbeit insbesondere auf eine weitere, speziellere Funktion verwiesen werden. Mittlerweile werden im Zusammenhang mit den Potentialen der Zivilgesellschaft im wirtschaftlichen und politischen Bereich deren Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten in Bezug auf das Agieren großer, internationaler Konzerne diskutiert, mangelt es doch gerade dort bislang an einer wirkungsvollen Gegenmacht103 und damit Kontrollinstanz. Gefordert und zunehmend medial-öffentlich überwacht wird eine soziale, ökonomische und ökologische Verantwortungsübernahme der international tätigen Unternehmen in Bezug auf ihre Produktions- und Beschaffungsweisen sowie ihr weltweites Handeln und mögliche Handlungsfolgen. Dabei wird die soziale Verantwortung auch von der Wirtschaft selbst betont.104 Dementsprechend wird in der Politik und der Wirtschaft diesen neuen Ansprüchen 98
Vgl. Brock, 2001, S. 384. Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2001, S. 113. 100 Vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler, 2001, S. 24. 101 Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2001, S. 113. 102 Vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler, 2001, S. 24. 103 Vgl. Beck, 1998, S. 14. 104 Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2002, S. 82. 99
28 Analyse des Globalisierungsprozesses bereits vermehrt Rechnung getragen, indem unternehmerische Selbstverpflichtung propagiert und vielerorts zumindest auf formaler Ebene auch umgesetzt wird. Schnelle Reaktionen sind hier sicherlich die Folge beeindruckender Demonstrationen der zivilgesellschaftlich-formierten Machtausübungsmöglichkeiten in Form von transnational organisierten Protest- und Boykottaktionen der jüngeren Vergangenheit. Spätestens mit dem „Anti-SchellBündnis“105 erfolgte die allgemeine Anerkennung der zivilgesellschaftlichen Kräfte als machtvolle nicht-staatliche Akteure auf internationaler Ebene und effektive Kontrollinstanz für Unternehmen. Der Kaufakt fungiert im zunehmenden Maße als politisches Mittel, wie auch Beck feststellt106. Über bewusste Konsumentenentscheidungen erhält jeder Einzelne direkten Einfluss auf das Handeln und Verhalten der Unternehmen. Heute bewirken offenbar schon die Erwägung möglicher Reputationsschädigungen und damit verbundene Gewinneinbußen eine stärkere Berücksichtigung zivilgesellschaftlich getragener Belange. Dabei wirkt sich die zivilgesellschaftliche Wachsamkeit und Überwachung nicht nur grundlegend negativ für die Konzerne selbst aus. Im Gegenteil, sichtbar ethisches Verhalten kann zu Wettbewerbsvorsprüngen und Gewinnsteigerungen führen unter der Voraussetzung seiner Glaubwürdigkeit. Das Streben nach Glaubwürdigkeit der sozialen Verantwortung von Unternehmen legt in jedem Falle eine enge Kooperation zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft nahe unter Beachtung der jeweiligen Eigenart beider Seiten.107 Die Zivilgesellschaft hat mit ihren zahlreichen NGOS längst nationalstaatliche Grenzen überwunden und ein großes Potential entwickelt, um weltweit zum effektiven Schutz der öffentlichen Güter und der natürlichen Ressourcen beizutragen.108 Diesen positiven Bildern in Bezug auf die zukünftigen Leistungsbeiträge der Zivilgesellschaft zum weltpolitischen Geschehen stehen auch mögliche negative Wirkungen und Erfahrungen gegenüber. Thiery zufolge hat die Transitionsforschung darauf aufmerksam gemacht, dass die zivilgesellschaftlichen Kräfte in vielen Ländern nicht stark genug sind um ihre Anliegen und Funktionen gegenüber machtvollen Strukturen von Staat, politischer und ökonomischer Gesellschaft zu behaupten.109 Hinzu kommt, dass die Zivilgesellschaft selbst Gefährdungspotentiale für politische Stabilität und Demokratie beinhaltet. Dann nämlich, wenn sie auf ethnische und nationalistische Spaltung ausgerichtet ist, wie in Ex-Jugoslawien und einigen Ländern Afrikas geschehen. die Kehrseite der Zivilgesellschaft zeigt sich darin, dass sie auch intoleranten Gruppen und Diskursen ein Forum bietet. Ein normativer Basiskonsens, der alle zivilgesellschaftlich organisierten Akteure auf grundlegende Prinzipien wie Gewaltlosigkeit und Toleranz bindet, könnte derartige negative Effekte eindämmen. In diesem Sinne koppelt Thiery die Funktionsfähigkeit von Zivilgesellschaft grundsätzlich an recht-staatlich gesicherte Handlungsbedingungen, in Form staatlich gesicherter Bürgerrechte und Menzel propagiert die Notwendigkeit eines einheitlichen Katalogs von Normen und Werten als grundlegende Basis für eine globale Zivilgesellschaft.110
105 106 107 108 109 110
Beck, 1998, S. 123. Vgl. ebenda, S. 124. Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2002, S. 82. Vgl. ebenda, S. 80. Vgl. Thiery, 2002, S. 595. Vgl. Menzel, Ulrich: Globalisierung versus Fragmentierung. 1. Aufl., Sonderauflage für die Bundeszentrale für politische Bildung, Frankfurt/Main 1998, S. 259.
Analyse des Globalisierungsprozesses 29
3.1.4 Global Governance „Ob es uns passt oder nicht: Wir sehen uns mehr und mehr Problemen gegenüber, welche die Menschheit insgesamt angehen, so dass folglich auch die Lösungen hierfür in steigendem Maße internationalisiert werden müssen. Die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen - … - erfordert eine Art >Weltinnenpolitik