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German Pages 444 [450] Year 2000
Klaus-Peter Matschke Franz Tinnefeld Die Gesellschaft im späten Byzanz
Klaus-Peter Matschke Franz Tinnefeld
Die Gesellschaft im späten Byzanz Gruppen, Strukturen und Lebensformen
2001 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Matschke, Klaus-Peter: Die Gesellschaft im späten Byzanz: Gruppen, Strukturen und Lebensformen / Klaus-Peter Matschke ; Franz Tinnefeld. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 2001 ISBN 3-412-10199-0 Umschlagabbildung: Konstantinopel, Stadtansicht von Andrea Vavassore (1530/50, nach einem um 1480 von unbekannter Hand erstellten Original; vgl. A. Berger, Istanbuler Mitteilungen 44, 1994, 329-355) © 2001 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 91 3900, Fax (0221) 91 39011 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Tönisvorst Druck und Bindung: Strauss Offsetdruck GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-10199-0
Inhal tsverzeichnis 1. Einleitung
Ansichten zur spätbyzantinischen Gesellschaft Einsichten in die spätbyzantinische Gesellschaft ........................ 2. Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft in der Palaiologenzeit 2.1. Die aristokratische Tradition der byzantinischen Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung in der frühen Palaiologenzeit .......... ................... .............................. 2.2. Tradition und Wandel der byzantinischen Bürokratie in der frühen Palaiologenzeit ................................................. 2.3. Aristokratie und Bürokratie in der späten Palaiologenzeit 2.4. Der Platz des Volkes und die Rolle des "demokratischen Elementes" im späten Byzanz................................................ 2.5. Grundstrukturen und Hauptprozesse der byzantinischen Gesellschaft in der Palaiologenzeit - ergänzende Zusammenfassung ....... ........... ........ ........................................ 3. Die Formierung der gesellschaftlichen Mitte in der frühen Palaiologenzeit ........................................................... 3.1. Strukturelle Ansatzpunkte und spezielle Freiräume für die Entwicklung der Mesoi in der frühen Palaiologenzeit......................................................................... 3.2. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Aktivitäten der Mesoi in der frühen Palaiologenzeit ..................................... 3.3. Physiognomie und Dimension der Mesoi in der frühen Palaiologenzeit ........................................................................ 3.4. Die Artikulierung von Gruppeninteressen der Mesoi, ihre Stellung und Haltung zu den Italienern ........................ 3.5. Ausblick: Die Mesoi nach 1350 ............................................. 4. Spuren eines aristokratischen Unternehmertums in der späten Palaoigenzeit .................................................. 4.1. Ausgangspunkte und Prototypen eines aristokratischen Unternehmertums in der späten Palaiologenzeit ................. 4.2. Physiognomie und Struktur des aristokratischen Unternehmertums der Spätzeit .............................................
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Inhalt
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4.3. Zentren unternehmerischer Tätigkeit im späten Byzanz .... 4.4. Byzantinisches aristokratisches Unternehmertum und lateinischer Westen in der späten Palaiologenzeit ............... 4.5. Bildungshorizonte, Denkstrukturen, geistige Bindungen und V~rbi~dungen des aristokratischen Unternehmertums der Spatzelt ............................................................................. 4.6. Aristokratisches Unternehmertum und das Ende von Byzanz ............................................................................. 5. Die Gruppe der literarisch Gebildeten in der spätbyzantinischen Gesellschaft ....................................... 5.1. Definition und Differenzierung .................. .............. ............ 5.2. Die Literaten als gesellschaftliche Gruppe ........................... 5.3. Bildungswesen und Lehrer-Schüler-Beziehungen .............. 5.4. Zentren geistiger Aktivitäten ................................................. 5.5. Die Öffnung der Literaten zum lateinischen Westen ......... 5.6. Äußerungen der Literaten zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen ihrer Zeit ......................................... 5.7. Die Literaten in der spätbyzantinischen GesellschaftVersuch einer Bilanz .............................................................. 5.8. Prosopographische Liste der Literaten .................................
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6. Die spätbyzantinische Gesellschaft und ihre Träger Ergebnisskizze ..........................................................................
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Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................
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Register der Personen und Personengruppen ...................
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Register der Orte und Regionen .............................................
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1. Einleitung
Ansichten zur spätbyzantinischen Gesellschaft Einsichten in die spätbyzantinische Gesellschaft Die Spätphase des byzantinischen Jahrtausends, die Zeit der Palaiologen, hat eine Dauer von etwa 200 Jahren.! An ihrem Anfang stehen die Rückkehr des byzantinischen Kaisertums in seine angestammte Hauptstadt am Bosporus, die Euphorie, die dieses Ereignis im Jahre 1261 bei den meisten Byzantinern auslöst, und die zahlreichen Lobreden, die den ersten. Palaiologenkaiser auf dem byzantinischen Kaiserthron, Michael VIII., für diesen Sieg zu einem neuen Konstantin erheben. 2 Das Ende markiert der illusionslose, todesmutige Kampf des letzten byzantinischen Kaisers auf den von den Türken überrannten Mauern von Konstantinopel im Mai 1453, der diesen elften Konstantin im Bewußtsein des griechischen Volkes unsterblich gemacht und seinen Traum von einer Rückkehr an die Ufer des Bosporus auf lange Zeit wachgehalten hat.) Dazwischen liegt eine lange Reihe dramatischer Ereignisse, jäher politischer Wendungen und zumeist tragischer Schicksale der dramatis personae. Zeit seines Lebens und Herrschens gezwungen, sich westlicher Revancheversuche zu erwehren und eine Rückkehr des lateinischen Kaisertums an den Bosporus zu verhindern, konzentriert sich die Politik des Begründers der Palaiologendynastie ganz und gar auf das römische Papsttum, die französischen Nachfolger der Staufer in Süditalien und auf die oberitalienischen Stadtstaaten, mit der fast zwangsläufigen Konsequenz, daß die Ostgrenze des Reiches in den Hintergrund der politischen Aufmerksamkeit rückt und das kleinasiatische Standbein des Reiches durch die Formierung türkischer Emirate in dem Raum verdünnter Macht zwischen dem byzantinischen Kaiserreich und dem Seldschuken-
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Einen Gesamtüberblick über die Spätzeit und ihre Spezifik bietet D. M. Nicol, The Last Centuries of Byzantium, 1261-1453, London 1972. Vgl. R. Macrides, The New Constantine and the New Constantinople, 1261, BMGS 6, 1980,13-41; TalbRest; BurgMagdMalad. Vgl. D. M. Nicol, The Immortal Emperor. The life and legend of Constantine Palaiologos, last Emperor of the Romans, Cambridge-New York-Port Chester-MelbourneSydney 1992.
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Einleitung
sultanat Rum akut bedroht wird. 4 Schon unter Michaels Sohn Andronikos Ir. wird Byzanz praktisch aus Kleinasien hinaus gedrängt und muß sich in die Rolle eines balkanischen Kleinstaates fügen. 5 Die äußeren Machteinbußen bewirken auch eine Zuspitzung innerer Widersprüche und münden in eine Epoche von Bürgerkriegen, die um 1320 mit einer langwierigen Auseinandersetzung zwischen dem älteren und dem jüngeren Andronikos um den Kaiserthron beginnen und erst Mitte der 50er Jahre mit der Vereitelung des Versuchs der Familie und des Clans der Kantakuzenen zur schleichenden Etablierung einer neuen Dynastie enden. 6 Diese dynastischen Kämpfe, in die sich zeitweilig breitere Kreise der byzantinischen Gesellschaft mit eigenen Zielen und eigenen Aktionen einmischen, werden von den meisten Byzantinisten als eine Katastrophe für das Reich und als der Beginn des endgültigen Niedergangs bewertet, während manche in ihnen eher den Versuch einer letzten Neuorientierung und einer Anspannung aller gesellschaftlichen Kräfte mit diesem Ziel und zu diesem Zweck sehen. 7 Einig sind sich alle darin, daß diese Bürgerkriege einen Wendepunkt in der spätbyzantinischen Geschichte bedeuten und daß ihre Ergebnisse für die byzantinische Zukunft prekär sind. Schon 1345 proklamiert sich der Serbenherrscher Stefan Dusan auf dem Hintergrund und mit dem Faustpfand bedeutender territorialer Erwerbungen auf dem Balkan zum Kaiser nicht nur der Serben sondern auch der Byzantiner, und Anfang 1354 gewinnen türkische Glaubenskrieger aus verschiedenen kleinasiatischen Emiraten mit der Besetzung der Dardanellenfestung Kallipolis/Gallipoli einen ersten wichtigen Stützpunkt auf europäischem Boden und ein ideales Einfallstor für die weitere Expansion. Nach der Niederlage der Serben und Bulgaren an der Maritza gegen die Truppen des Haci Ilbegi im Jahre 1371 kommt ein Teil des von den Serben besetzten Gebietes zwar noch einmal in byzantinische Hände, gleichzeitig gerät das byzantinische Restreich aber in türkische Tri4 Vgl. GeanMich. G. G. Arnakis, Byzantium's Anatolian Provinces During the Reign of Michael Palaeologus, in: Actes du XIIe Congres International d'Etudes Byzantines, Ochride 1961, II, Belgrad 1964, 37-44. 5 Vom byzantinischen Kleinstaat unter Andronikos II. im Gegensatz zur byzantinischen Großmacht unter Michael VIII. spricht schon G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, München '1952,378. Zu den politischen Entwicklungen unter dem zweiten Palaiologen s. Laiou. 6 Zum Beginn des Bürgerkrieges s. Laiou 284ff. Zum Versuch der Machtübernahme durch die Kantakuzenen und zu ihrem Mißerfolg s. zuletzt NicCant. 7 Vgl. TinnKrise 287; K.-P. Matschke, Der Untergang einer Großmacht, ZfG 10,1989, 896. 8 Vgl. WernOs4 145ff. Zur Vorgeschichte der Besetzung Gallipolis s. jetzt N. Oikonomides, From Soldiers of Fortune to Gazi Warriors: the Tzympe Affair, in: Studies in Ottoman History in Honour of Professor V. L. Menage, ed. C. Heywood / C. Imber, IstanbuI1996,239-247.
. Einleitung
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butabhängigkeit,9 die schließlich 1387 zum Verlust der makedonischen Metropole Thessalonike an den Osmanenherrscher Murad I. und seit 1394 zur Dauerbelagerung der Hauptstadt Konstantinopel durch Truppen- und Schiffsverbände seines nach dem Sieg auf dem Kosovo polje zur Herrschaft gelangten Sohnes Bayazid I. führt. 10 Und wenn der erste Osmanensultan11 nicht gleichzeitig in Konflikt mit dem Mongolenherrscher Timur Lenk geraten und Ende Juli 1402 in der Schlacht bei Ankara von ihm besiegt und gefangen genommen worden wäre, dann hätte das byzantinische Reich mit großer Wahrscheinlichkeit schon an der Wende zum 15. Jh. sein Ende gefunden. So ließ die durch Ankara ausgelöste türkische time of troubles noch einmal für kurze Zeit neue byzantinische Hoffnungen aufkommen, die auch durch die Rückgewinnung Thessalonikes und weiterer schon an die Türken verlorener Gebiete genährt wurde, aber diese Hoffnungen waren spätestens verflogen, als Sultan Murad 11. im Jahre 1422 erstmals wieder vor Konstantinopel erschien 12 und ein Jahr später Thessalonike den Venezianern überlassen werden mußte, um die erneute türkische Besetzung der zweiten Stadt des Reiches wenigstens . noch etwas hinauszuzögern. lJ Zum letzten Rettungsanker für den völlig in die Enge getriebenen byzantinischen Kaiser Johannes VIII. wird entgegen den Ratschlägen seines Vaters Manuel 11. die Kirchenunion mit dem Westen, die 1439 auf dem Konzil von Florenz tatsächlich zustandekommt14 und 1443/44 auch zu dem dafür versprochenen abendländischen Kreuzzug gegen die Türken führt, aber die Erfolglosigkeit der vereinigten westlichen Flottenverbände in den Meerengen zwischen Europa und Asien und die Niederlage eines vereinigten Kreuzfahrerheeres unter der Führung des polnisch-ungarischen Königs Wladyslaw III. und des ungarischen Türkenkriegshelden Janos Hunyadi in der Nähe der Schwarzmeerstadt Varna im November 1444 macht auch diese Hoffnung zunich-
9 Dazu zuletzt mit der diesbezüglichen Literatur R. Radic, Vreme Jovana V Paleologa (1332-1391), Belgrad 1993, 355ff. 10 Ausführlich zu diesen Ereignissen BarkMan. 11 Zumindest konnte erst er die notwendige Bestätigun~ dieses Titels durch den in Kairo resid.ierenden Schattenkalifen erlangen, vgl. WernOs 164,174; Der Islam II, ed. G. E. von Grunebaum [Fischer Weltgeschichte 15], Frankfurt/M. 1971,35. 12 Zu dem ganzen Komplex s. MatschAnk. . 13 Vgl. P. Lemerle, La domination venitienne aThessalonique, in: Miscellanea G. Galbiati III, Mailand 1951,219-225; SymPol150ff. 14 Zur Diskussion um die Kircheneinheit zu Beginn des 15. Jh. s. H.-G. Beck, Byzanz und der Westen im Zeitalter des Konziliarismus, in: Die Welt zur Zeit des Konstanzer Konzils, Konstanz-Stuttgart 1965, 135-148. Zum Konzil und seiner Nachgeschichte s. J.-L. van Dieten, Konzil von Ferrara-Florenz, LexMA 390-393; ders., Der Streit in Byzanz um die Rezeption der Unio Florentina, Ostkirchliche Studien 39, 1990, 160-180.
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Einleitung
te. 15 Das Ende des byzantinischen Staates und Kaisertums ist nicht mehr aufzuhalten. Am 29. Mai 1453 wird Konstantinopel von den Truppen des Osmanenherrschers Mehmed 11. im Sturm erobert. 16 Die gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungen des späten Byzanz, die im Mittelpunkt unserer Untersuchung und Darstellung stehen sollen, sind zweifellos weniger dramatisch und liegen gewiß nicht so offen zutage, aber sie sind mit dem politischen Geschehen eng verbunden und mehr oder weniger direkt von politischen Entscheidungen abhängig. 17 Dieser Zusammenhang scheint manchmal so eng und so direkt zu sein, daß der sich um die Mitte des 14. Jh. abzeichnende Zusammenbruch aristokratischer Makrostrukturen und das gleichzeitig oder wenig später zu beobachtende Auftreten eines eher mikrostrukturell geprägten aristokratischen Unternehmertums für die sozialgeschichtlich orientierte Byzantinistik zumindest bis jetzt nicht anders erklärt werden kann als durch die galoppierende Schrumpfung des Reichsterritoriums zu eben dieser Zeit, die dem spätbyzantinischen Magnatentum seine wirtschaftliche Basis in Gestalt von Großgrundbesitz weitgehend entzieht und die politisch-sozialen Überreste der spätbyzantinischen Aristokratie ganz einfach dazu zwingt, sich nach neuen Möglichkeiten und Formen aristokratischen Weiterlebens umzusehen. Und daß sie damit zumindest zeitweilig Erfolg haben, hängt wiederum ganz augenscheinlich auch damit zusammen, daß die oberitalienischen Stadtrepubliken und ihre in der Romania l8 engagierten Unternehmerkreise angesichts der türkischen Bedrohung auch für ihre kolonialen Stützpunkte und ihre kommerziellen Interessen von ihrer traditionellen Politik der Einkreisung und Einschnürung autochthoner Wirtschaftskräfte schrittweise ablassen und diesem neuartigen spätbyzantinischen Unternehmertum den Weg zu einer juniorpartnerschaftlichen Symbiose in einem erweiterten mediterranen Wirtschaftsraum eröffnen.
15 Neben der klassischen Literatur zum Kreuzzug von 1444 s. als letzte Wortmeldungen zum Thema die Referate, die zum 550. Jahrestag der Schlacht bei Varna auf einer Konferenz vor Ort gehalten wurden: Kulturni, istoriceski i etnopoliticeski otnosenija meZdu christijanstvoto i isljama na Balkanite XIV-XV vek, Varna 1995. 16 Vgl. S. Runciman, Die Eroberung von Konstantinopel 1453, München 1966. 17 Zur »politischen Sozialgeschichte", die vor allem nach den sozialen und ökonomischen Bedingungen und Folgen politischer Strukturen, Prozesse und Entscheidungen fragt, und zu ihrer vielleicht wachsenden Bedeutung für die sozialgeschichtliche Forschung s. KockPersp 34f. 18 Zum Begriff und seiner Verwendung für die Kerngebiete des byzantinischen Reiches an den Ufern von Ägäis und Schwarzmeer seit dem 12. Jh., unabhängig ob sie zu dieser Zeit noch zum byzantinischen Reichsverband gehörten, vgl. J. Koder, Der Lebensraum der Byzantiner, Graz-Wien-Köln 1984, 18f.
Einleitung
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Um eine komplexe sozial geschichtliche Analyse des Niedergangs von Byzanz geht es in unserem Buch nicht/ 9 der Einbettung unserer sozialgeschichtlichen Thematik in das Zeitgeschehen und in den politischen Niedergang des Reiches sirtd wir uns aber durchaus bewußt, und deshalb werden wir im Verlauf unserer Darstellung auch immer wieder auf Zusammenhänge zwischen der politischen und der sozialen Geschichte des späten Byzanz abheben und Verständnis für verschiedene Entwicklungen in dem einen durch Berücksichtigung verschiedener Tatsachen in dem anderen Bereich des historischen Gesamtgeschehens zu gewinnen versuchen. Bedeutung für unsere Darstellung der komplexen sozialen Wirklichkeit des späten Byzanz haben auch die aktuellen Diskussionen über Makro- und Mikro-Historie und ihr Verhältnis zueinander. Als sich die sog. Alltagsgeschichte und die historische Anthropologie in den 70er Jahren verstärkt den gesellschaftlichen Kleingruppen zuwandten und das geschichtliche Individuum auf verschiedenen sozialen Ebenen zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse und Beschreibung machten,20 geschah dies nicht zuletzt aus Unzufriedenheit mit den primär makrostrukturell ausgerichteten Ergebnissen der sozialgeschichtlichen Forschung und aus Unbehagen an der theoretischen KopfIastigkeit ihrer Forschungsansätze. Wenn man jetzt den Verlauf dieser Kontroversen resümierend überblickt, darf man wohl konstatieren, daß sich die Sozialgeschichte dieser Provokation positiv gestellt hat. Sie relativierte strukturelle Determinanten des historischen Prozesses und holte individuelles Verhalten aus der Randlage der Analysen stärker in ihren Mittelpunkt. Dadurch gewann sie aber auch ein neues Verständnis für das Wesen sozialer Strukturen und für die Geschichtsmächtigkeit ihres Wirkens. 21 Inzwischen steht Mikrohistorie nicht mehr versus Makrohistorie, weil beide Seiten erkannt haben, daß sie aufeinander angewiesen sind und miteinander zurechtkommen müssen. Auch in Byzanz hat schon seit längerer Zeit und spätestens mit den bahnbrechenden Analysen von H.-G. Beck22 und A. P. Kazhdan23 die 19 KockPersp 34 nennt unter möglichen Themen aus der Perspektive seiner "politischen Sozialgeschichte" auch die sozialgeschichtliche Analyse des Aufstiegs und des Niedergangs von Staaten. 20 Vgl. R. van Dülmen, Historische Anthropologie in der deutschen Sozialgeschichtsschreibung, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 11, 1991, 692-709; W. Hartwig, Alltagsgeschichte heute. Eine kritische Bilanz, in: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, ed. W. Schulze, Göttingen 1994, 19-32; W. Schulze, Mikrohistorie versus Makrohistorie. Anmerkungen zu einem aktuellen Thema, in: Historische Methode, ed. eh. Meier / J. Rüsen, München 1988, 319-341. 21 Vgl. KockPersp 35ff. 22 S. besonders BeckJahrt 232ff., wo die Rede ist von einer Anzahl von "Kleinpyramiden" innerhalb der großen sozialen Pyramide (242). 23 S. unter vielem a~derem A. Kazhdan, Small social groupings (microstructures) in Byzantine society, JOB 32/2, 1982, 3-8, wo neben kleinen sozialen Gruppen, wie Familien,
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Einleitung
Auffassung Eingang gefunden, daß die Gesellschaft sowohl mikro- als auch makrostrukturell organisiert ist, daß gesellschaftliche Groß- und Kleingruppen sich in einer dynamischen Gemengelage befinden und auf vielfältige und sich ständig verändernde Weise miteinander verschränkt sind. Überlegungen und Schlußfolgerungen dieser Art konnten vor allem deshalb an Boden gewinnen, weil durch Untersuchungen von im einzelnen ganz unterschiedlichen Ausgangspositionen aus und auf ganz unterschiedliche Zielstellungen hin deutlicher als zuvor geworden ist, daß die Byzantiner trotz ihres ausgeprägten Individualismus und ihrer bindungsskeptischen Einstellung vielfältige Formen sozialer Kleingruppen und Mikrostrukturen ausgebildet haben, daß sie nicht nur in Familien- und Abstammungsgemeinschaften, in Dorfgemeinden, Mönchsgemeinschaften, Handels- und Handwerkskorporationen, sondern dazu auch noch über mehr oder weniger lange Zeiträume hinweg in Nachbarschaften, Einwohnergemeinden, Laienbruderschaften, Gelehrtenzirkeln, Teilhaberschaften und nicht zuletzt in Gefolgschaften leben und tätig sind und daß nicht nur die byzantinische Familie, sondern auch andere Kleingruppen über eine gewisse innere Stabilität verfügen, daß sie zwar in der Regel lokal begrenzt sind und einen überschaubaren Personenkreis erfassen, daß sie aber ein ziemlich komplexes Beziehungsgefüge ausbilden können. Die Probleme der Benennung und Beschreibung von sozialen Gruppen mit gesamtgesellschaftlicher Dimension haben dagegen in jüngster Zeit eher zugenommen. Zwar operieren die meisten Byzantinisten gewohnheitsmäßig mit den Begriffen Adel und Beamtenturn, sprechen von Amts- bzw. Dienstadel, Militär- und Landadel, aber erst kürzlich wurde mit großer Entschiedenheit und mit neugeschliffenen Argumenten festgestellt, daß es in Byzanz weder einen "verfaßten" Adel noch eine autonome Bürokratie gegeben hat. 24 Und noch größer werden die Schwierigkeiten bei dem Versuch, diese und andere mögliche Groß gruppen den in den historischen und soziologischen Wissenschaften seit langem etablierten Grundkategorien Kaste, Stand oder auch Klasse zuzuordnen. In Fachlexika und Handbuchartikeln wird Kaste immer noch in erster Linie religiös, Stand vor allem politisch-juristisch und Klasse ökonomisch interpretiert.25 Aber neben die religiöse Motivation des Kastenstatus tritt schon in diesen Definitionen die Zuweisung bestimmter gesellschaftlicher Nachbarschaften, Korporationen, Gesellschaften und anderen Kleingruppen, die durch lokale Begrenzung, relative Stabilität und rechtliche und rituelle Ausprägung charakterisiert sind, auch Großgruppen erwähnt werden. 24 FögDenk 58. 25 Vgl. die entsprechenden Lemmata in: Wörterbuch der Soziologie, ed. W. Bernsdorf, Stuttgart 1969; Wörterbuch der Soziologie, ed. K.-H. Hillmann, Stuttgart 4 1994; Soziologie-Lexikon, ed. G. Reinhold, München-Wien 31997. S. auch im Lexikon des Mittelalters das Stichwort DStand".
Einleitung
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Funktionen, und Bemühungen, den Klassenbegriff aus einer rein ökonomischen Verankerung zu lösen, werden schon seit langer Zeit und von unterschiedlichen theoretischen Positionen aus unternommen. Was schließlich den definitorischen Kern von Stand und Ständegesellschaft betrifft, so ist noch vor seiner politisch-rechtlichen Ausprägung erst jüngst wieder auf seine in letzter Instanz religiös-transzendente Grundbestimmung verwiesen worden. 26 Sichtbar wird damit, daß keine dieser großen sozialen Gruppen monokausal und eindimensional gefaßt werden kann, daß sie alle über ein ganzes Wurzel geflecht vedügen und in ein großes Beziehungsgefüge eingebettet sind, so daß es allenfalls möglich ist, in diesem Geflecht und Gefüge eine dominierende, besonders ausgeprägte und besonders charakteristische Seite ausfindig zu machen, daß es aber in erster Linie darauf ankommt, die Komplexität ihrer Existenz und die Vielfalt ihres Auftretens zu erkennen, denn erst dadurch gewinnen sie ihre Subjektivität und Identität, werden sie von einem Objekt wissenschaftlicher Klassifikation zu einer unverwechselbaren historischen Realität. Erst wenn das Zusammenspiel aller wichtigen Elemente und Faktoren, die große gesellschaftliche Gruppen in Byzanz konstituieren und ihr Handeln bestimmen, einigermaßen bekannt ist, läßt sich überhaupt feststellen, welche konkrete Rolle den einzelnen Elementen und Faktoren in diesem Zusammenspiel zukommt. Erst dann kann vielleicht auch geklärt werden, ob byzantinische Groß gruppen unbedingt juristischer Instrumentarien bedürfen, um sich ständisch gegen andere gesellschaftliche Gruppen abzuschließen, oder ob sie über andere Mechanismen verfügen, die eine solche stabile Abschließung möglich machen. Und erst dann wird es sicherlich möglich sein, über die einfache Konstatierung der religiösen Verankerung gesellschaftlicher Strukturierungen hinauszugelangen und genauere Kenntnisse darüber zu gewinnen, wie diese Verankerung historisch konkret an unterschiedlichen Schauplätzen von Geschichte wirkt. 27 Den bisher wei-
26 OexStat 60ff. 27 In dem eben genannten Aufsatz entwickelt Oexle den außerordentlich interessanten Gedanken, daß die für das westliche Mittelalter charakteristische Verbindung von Statik und Dynamik im gesellschaftlichen Bewußtsein sich ableitet aus der Spannung zwischen antiken und christlichen Normen, zwischen Setzung und Bestreitung von Ständen, die auch im Neuen Testament selbst ihren Niederschlag gefunden hat. Sie zeigt sich für ihn auf der einen Seite u.a. in der Rechtfertigung des Unterschieds zwischen Arm und Reich im Sinne der ständischen Kooperation zum wechselseitigen Nutzen und auf der anderen Seite in der Bewegung der freiwilligen Armut, die auf eine NivelIierung der ständischen Unterschiede abzielt, ebd. 67f. Er konstatiert in diesem Zusammenhang das Fehlen ähnlicher Armutsbewegungen in Byzanz, ein Sachverhalt, der für ihn noch der Klärung bedarf und für den auch wir keine Erklärungsversuche kennen. Interessant ist für uns allerdings auch der Umstand, daß gleiche geistige Traditionslinien nicht zu den gleichen historischen Resultaten führen, denn das verweist ein-
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Einleitung
testen byzantinistischen Vorstoß in diese Grundrichtung hat A. P. Kazhdan unternommen, indem er zeigte, daß sich die gesellschaftliche Elite in Byzanz und im weitesten Sinne die herrschende Klasse vor allem über vier Momente definiert, nämlich einen guten familiären Hintergrund, Reichtum, resultierend aus Grundbesitz, aber auch aus Gehältern, Belohnungen, Erpressungen und anderen Quellen, die in ~'yzanz reich machen können, einen oberen Rang in der byzantinischen Amterhierarchie und nicht zuletzt ein besonderes gesellschaftliches Prestige bzw. eine hohe moralische Reputation. Durch eine groß angelegte prosopographische Analyse wies er nach, daß der Wechsel von einer Elite, basierend auf Rang und Position am Hof und in der Staatsverwaltung, zu einer Elite, die durch Familienbeziehung und Grundeigentum geprägt wurde, in mittelbyzantinischer Zeit eine für die gesamte byzantinische Gesellschaftsstruktur entscheidende Wende markierte. 21 Das bisher wohl wichtigste Ereignis für die spätbyzantinische Sozialgeschichte war die Dissertation von G. Weiß aus dem Jahre 1971, der ausgehend von der Person des Aristokraten, Staatsmannes, Kaisers und Mönchs Johannes Kantakuzenos vor allem die aristokratischen Leitbilder dieser Zeit nachzeichnete und zumindest Ansätze eines Standesdenkens nachweisen konnte, die ihn, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, dazu veranlaßten, von einem spätbyzantinischen Adel zu sprechen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich spätbyzantinische Aristokraten zum Auf- und Ausbau ihrer gesellschaftlichen und politischen Positionen eines weitverzweigten Gefolgschaftswesens bedienten. 29 Auch durch diese Verbindung von makro- und mikrostruktureller Analyse, durch die gleichgewichtige Berücksichtigung großer und kleiner gesellschaftlicher Gruppen wurde das Buch von Weiß wegweisend. Sicherlich ist es richtig, daß Großgruppen in erster Linie durch Kleingruppen gebildet werden und sich über Kleingruppen darstellen; über Kleingruppen und durch sie sind große Gruppen aber auch miteinander verbunden, vollziehen sich soziale und geistige Austauschprozesse zwischen ihnen, werden solche Austauschprozesse umgekehrt abgeblockt. In städtischen Nachbarschaften des späten Byzanz treffen sich Handwerker, Literaten, (kleine) Zollbeamte und vielleicht auch der eine oder andere städtische Aristokrat; die Bandbreite dieser Zugehörigkeiten steht aber der Annahme nicht entgegen, daß sie im 14. Jh. zu einem mikrostrukturellen Bildungselement für die Gruppe der "Mittleren" werden, die eben zu dieser Zeit ein erkennbar neuartiges Profil bekommt. Über Lehrermal mehr auf die Notwendigkeit ganz komplexer Analysen, durch die der Weg frei gemacht werden kann auch zu einer genaueren Bewertung einzelner Komponenten. 28 Kazhd. 29 WeiKant.
Einleitung
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Schüler-Verhältnisse verschiedener Art und Dimension tritt die Gruppe der literarisch Gebildeten mit anderen Gruppen der Gesellschaft und ganz besonders mit der spätbyzantinischen Aristokratie in sozialen und kulturellen Kontakt und nutzt sie zu ihrer materiellen Sicherstellung und zur Ausbildung und Erneuerung ihres Selbstverständnisses. Die spätbyzantinische Aristokratie bedient sich des Gefolgschaftswesens als Vehikel, um andere Elemente und Gruppen der Gesellschaft in den Dienst ihrer Interessen zu stellen, um gesellschaftliche Mobilität zu organisieren, zu kontrollieren und, falls nötig und zweckmäßig, auch zu beschränken. Die bessere Kenntnis der gesellschaftlichen Mikrostrukturen, zu der auch die byzantinistische Forschung in den letzten Jahrzehnten gelangt ist, hat die Makrostrukturen vielleicht etwas in den Hintergrund treten lassen und sogar manche Zweifel an ihrer Existenz oder zumindest an ihrer Valenz ausgelöst, tatsächlich ergibt sich daraus aber wohl eher die positive Chance, die großen Gruppen in ihren Strukturen wesentlich differenzierter zu erfassen und ihre Wirkungsmöglichkeiten sehr viel genauer zu bestimmen. Allerdings scheint es möglich zu sein, daß sich das Verhältnis zwischen mikro- und makrostruktureller Organisation einer Gesellschaft im Verlauf ihrer Entwicklung verändert, daß bestimmte Perioden der Gesellschaftsgeschichte eher durch Groß gruppen und ihre Ausprofilierung geprägt sind, während in anderen Perioden Kleingruppen das gesellschaftliche Feld bestimmen und in den historischen Vordergrund treten. Versucht werden soll deshalb in der vorliegenden Arbeit die Be~ründung und Verifizierung der an anderer Stelle geäußerten Hypothese, 0 daß die Gesellschaftsentwicklung der frühen Palaiologenzeit zu einer Entfaltung der Makrostrukturen tendiert, daß die großen Gruppen der byzantinischen Gesellschaft zu Beginn des 14. Jh. noch einmal mit besonderer Klarheit und vielleicht klarer als jemals zuvor in der byzantinischen Geschichte sichtbar werden, daß dieser Trend jedoch in der Jahrhundertmitte kippt, daß die Entwicklungskurve der makrostrukturellen Gruppen dann ganz deutlich verflacht, während verschiedene traditionelle Kleingruppen und eher mikrostrukturelle Neubildungen wie das aristokratische Unternehmertum einen stärkeren Einfluß auf das gesellschaftliche Gesamtgeschehen bekommen. Sicher wäre es aber eine Vereinfachung dieses ganz komplexen und widerspruchsvollen Vorgangs, wollte man das Erscheinungsbild der frühen Palaiologenzeit deshalb als eine letzte gesellschaftliche Hochblüte und erst die davon ganz deutlich abweichenden Tatbestände unter den letzten Palaiologenkaisern als die eigentliche Niedergangs- und Endzeit der byzantinischen Gesellschaft definieren. Zu keiner Zeit zeigt sich die strukturelle Schwäche der byzantinischen Aristokratie klarer als in der Phase ihrer vollendeten Ausprägung im frühen 30 MatschMikr 421ff.
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14. Jh., wirkt sich ihre Unfähigkeit zu entschiedenem gesellschaftlichem Handeln so negativ auf die Positionen und Chancen des spätbyzantinischen Staates aus wie während der außenpolitischen Zuspitzung in der Jahrhundertmitte. Und kaum etwas zeigt den Willen der Byzantiner zum Weiterleben so deutlich wie ihre Orientierung auf Kleingruppen vom Typ der Familie und der Nachbarschaft und besonders die Hinwendung einiger weniger aristokratischer Kreise zu unternehmerischer Tätigkeit, die dieser Gruppe nicht nur die Möglichkeit Zur Weiterführung eines aristokratischen Lebensstils in den letzten hundert Jahren des Reiches läßt, sondern ihr auch über das Reichsende hinweg eine gewisse Chance zum Hineinwachsen in die frühosmanische Gesellschaft eröffnet. Unbestreitbar scheint uns deshalb zu sein, daß man die Gesellschaft des späten Byzanz aufs Ganze nicht einfach unter dem Gesichtspunkt ihrer Auflösung und Ablösung analysieren kann, sondern darauf eingerichtet sein muß, daß es sowohl Auf- als auch Abschwünge in dieser Entwicklung gibt und erst eine abwägende Bilanzierung aller sich abwechselnden und sogar gleichzeitig wirksamen Trends in die roten Zahlen des historischen Kontenbuches von Byzanz verweisen könnte. Einfluß auf die Ausgestaltung der byzantinischen Sozialstrukturen übt schließlich wohl auch der Umstand aus, daß in Byzanz wie in allen vormodernen Ordnungen die verschiedenen Bereiche des historischen Gesamtgeschehens sehr viel enger miteinander verbunden sind und deshalb auch sehr viel direkter aufeinander einwirken. Macht hat in Byzanz eine unmittelbar soziale Dimension, und das bedeutet, daß sich nicht wenige soziale und mentale Tatsachen der byzantinischen Geschichte ganz unvermittelt aus der politischen Ordnung des Reiches ableiten. Die byzantinische Monarchie, ein Kaisertum aus Gott und in der Nachahmung Gottes, war es, die den Individualismus ohne Freiheit bewirkte, von dem verschiedentlich gesprochen wird. 31 Die strenge Ausrichtung der ganzen Gesellschaft auf die Person bzw. Institution des heiligen Kaisers erschwerte soziale Bindung und die Ausformung sozialer Gruppen in der byzantinischen Realität. Sie gab diesen Gruppen eine ganz spezifische Physiognomie, aber sie machte stabilere Gruppenbindungen wohl doch nicht völlig unmöglich. Nur bis zu einem gewissen Grade dürfte deshalb auch die bemerkenswerte Feststellung von M.-Th. Fögen zutreffen, daß sich im byzantinischen Freiraum zwischen Herrscher und Beherrschten "häufig wechselnde Mitglieder des Kaiser,clans', durch Wirtschaftsrnacht temporär privilegierte ,Mächtige' (dynatoi), sich situativ zusammenschließende pressure groups und lobbies, durch persönliche Bande zum Kaiser verpflichtete ,Gefolgsleute', kurzum ein sich ständig erneuernder, labiler 31 KazhdConstPeopl 34 und andere Passagen dieses Buches sowie weitere Arbeiten Kazhdans.
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,Hof'" tummelten, während sich eine "autonome Bürokratie, ein ,verfaßter' Adel oder ,berechtigte' Stände", wie schon weiter oben notiert, nicht formieren konnten, weil in Byzanz nicht nur vor Gott, sondern auch vor dem Kaiser alle Menschen gleich waren und blieben. 32 Daß das byzantinische Kaisertum als politisches Konstrukt trotz seiner Omnipotenz keine orientalische Despotie gewesen ist, zeigt sich vielleicht schon darin, daß es zu seiner politischen Absicherung eine ausgedehnte und intensive Kaiserpropaganda benötigte, daß es ganz spezifische Formen von Öffentlichkeit aufbaute und ausformte, um mit dieser Propaganda auch das Reichs-"Volk", zumindest aber das Volk der Reichshauptstadt zu erreichen. Byzanzspezifisch könnte vielleicht sein, daß durch Öffentlichkeit nicht nur das Kaisertum auf besondere Art geprägt und gehalten wird, sondern daß auch die das Kaisertum tragenden gesellschaftlichen Gruppen in mehr oder minder starkem Maße an Öffentlich~eit gebunden sind, so daß öffentliches Auftreten und Sichzeigen in der Offentlichkeit geradezu zum Kennzeichen des (städtischen) !.'-ristokraten wird und der Rückzug oder auch der Ausschluß aus der Offentlichkeit seine gesellschaftliche Position existentiell gefährden kann. 33 Auch für die von der soziologischen Theorie bereitgestellten und von der mediävistischen Forschung besonders im städtischen Bereich verwendeten Schichtungs modelle haben sich Byzantinisten interessiert und sich ihrer nicht ohne Erfolg bedient. Indem das geschah, wurde aber zugleich deutlich, daß die byzantinische Gesellschaft vielleicht noch weniger als die Gesellschaften des mittelalterlichen Westens der Vorstellung von einer symmetrischen Einteilung in horizontale layers gehorcht, daß Schichtung hier permanent durchstoßen wird von sozialen Gruppen, die anders gegliedert sind, daß zwischen den Schichten bzw. an ihrem Rand Gruppen angesiedelt sind, die das Schichtungsmodell relativieren und in ihrer Symmetrie in Frage stellen. 34 In Anbetracht der vorgefundenen Forschungssituation und der eben beschriebenen sachlichen und begrifflichen Schwierigkeiten haben wir uns für ein primär induktives Herangehen an die von uns selbst gestellte Aufgabe entschieden. Es geht nicht in erster Linie um eine "saubere" Begrifflichkeit, sondern um eine komplexe Darstellung sozialer Realitäten. Wir sind nicht so ohne weiteres in der Lage zu sagen, ob diese oder jene gesellschaftliche Gruppe, mit der wir uns beschäftigen, eine Klasse, Schicht, ein Stand oder eine Kaste ist, was wir aber sagen zu können glauben und worauf wir unsere Aufmerksamkeit ganz besonders richten, das ist der gesellschaftliche Ort, an dem sich diese Gruppen in einer bestimmten 32 FögDenk 58. 33 KazhdByzKult 42; MatschÖff 197f. 34 Zu diesen Problemen siehe besonders BeckJahrt 242ff.
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Einleitung
Phase spätbyzantinischer Geschichte befinden, die Richtung, in der sie sich zu bestimmten Zeiten bewegen, die soziale Konsistenz, die sie entwickeln und die Ausstrahlungskraft, die von ihnen ausgeht, die soziale Grenze, die sie zwischen sich und den anderen Gruppen der Gesellschaft ziehen, und die Bereitschaft dieser anderen bzw. ihr Mangel an Bereitschaft, diese Grenze zu respektieren. Und das alles zusammengenommen bedeutet, daß wir auch konstatieren können, ob eine oder auch mehrere Gruppen und damit die Gesellschaft als Ganzes auf dem Weg zu ständischer Konsolidierung sind und wieweit diese Konsolidierung geht oder eben nicht geht, daß wir auf Erscheinungen einer Schichtung der Gesellschaft hinweisen können, ohne von einer geschichteten Gesellschaft sprechen zu müssen, daß wir die Verbindung von ökonomischer Macht und politischer Herrschaft in dieser Gesellschaft konstatieren können, ohne das Wesen einer herrschenden Klasse exakt bestimmen zu müssen. In diesem Sinne wollen wir zunächst in einem Überblick über die spätbyzantinische Gesellschaft zu zeigen versuchen, welchen Grad der Aristokratisierung und Bürokratisierung sie in dieser Spätzeit erreicht und welchen Platz das Volk zwischen diesen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen besetzt. In den daran anschließenden Hauptkapiteln werden wir uns drei gesellschaftlichen Gruppen zuwenden, von denen wir annehmen, daß ihnen für das Verständnis der spätbyzantinischen Gesellschaft zwar nicht unbedingt die entscheidende, aber wohl doch eine ganz besondere Rolle zukommt. Schwierig genug ist es schon, sie begrifflich und in ihren groben Umrissen zu erfassen und annähernd zu definieren. Die Gruppe der sogenannten Mesoi findet sich in den byzantinischen Quellen aller Zeiträume als allgemein bekannte, aber nicht weiter präzisierte Position byzantinischer "Deutungsschemata sozialer Wirklichkeit",3S die zwischen Notabeln und gesichtsloser Masse eingeschoben ist. Diese Mittleren sind nicht groß und nicht klein, nicht ganz reich und nicht völlig arm, sie haben keine großen Namen, sind aber auch nicht namenlos. Was sie aber tatsächlich sind oder vielleicht noch besser: was sie in spätbyzantinischer Zeit werden wollen, aber schließlich doch nicht werden können, das soll Gegenstand dieses ersten Spezialkapitels sein. Für die Gruppe eines aristokratischen Unternehmertums, die im anschließenden Kapitel behandelt werden soll, läßt sich in den spätbyzantinischen Quellen bisher überhaupt kein spezieller Typenbegriff ausfindig und namhaft machen. Das könnte damit zusammenhängen, daß diese Gruppe nur für eine vergleichsweise kurze historische Zeit existiert hat, die nicht ausreichte, sie auch begrifflich zu erfassen. Zu bedenken ist aber auch, 35 Soweit wir sehen, stammt dieser Begriff von O. G. Oexle, vgl. seinen Aufsatz über die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft, Frühmittelalterliche Studien 12, 1978, Hf. und viele nachfolgende Arbeiten.
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daß sie als kleine Gruppe aus dem Zerfalisprozeß der großgrundbesitzenden und Macht ausübenden Aristokratie entstand und daß sie letztlich eine kleine Gruppe blieb, die nur noch wenig innere Konsistenz gewinnen und deshalb als eigenständiges soziales Phänomen kaum erkannt werden konnte. Schließlich geht es um die Gruppe der literarisch Gebildeten, die ein byzantinisches Kontinuum war, was nicht heißt, daß sie im Verlauf der byzantinischen Geschichte nicht manche Veränderungen durchgemacht hätte. J6 Sie entwickeln, wie noch gezeigt werden soll, als Gruppe zwar ein geradezu übersteigertes Selbstbewußtsein, fehlen aber g.anz auffällig und in der Regel dort, wo zeitgenössische Autoren einen Uberblick über die Gliederung der Gesellschaft geben. Eine Ausnahme bildet daher ein Horoskop aus dem Jahre 1336 für das seit 1204 selbständige, aber immer noch mit dem alten byzantinischen Zentrum verbundene Kaiserreich Trapezunt, das unter den eingangs benannten Adressaten unmittelbar nach dem Kaiser und seinen Großen und noch vor Klerikern, hohen Beamten (Ö.PXOV'tES) und Militärs (O'tpa'tub'taL) zwei typische Gruppen von Bildungsträgern erwähnt, nämlich Grammatiker und Notare, und ihnen damit eine soziale Position mit hohem sozialen Prestige zuweist,J7 ein Prestige, das ihnen zumindest in der spätbyzantinischen Volksliteratur eher bestritten wird. J8 Es geht also in diesen Kapiteln zum einen um etwas, was begrifflich schon aus vorbyzantinischer Zeit bekannt ist, ohne daß man bisher sicher weiß, um was es sich in Byzanz sachlich handelt, zum anderen um etwas, wofür es gegenwärtig noch nicht einmal einen Begriff gibt, und schließlich um ein Institut, das zu den sozialen Fixpunkten der byzantinischen Geschichte gehört und Schwierigkeiten deshalb besonders bei der Erfassung möglicher Modifikationen im Verlauf dieser Geschichte macht. Versucht werden soll, diese ganz unterschiedlichen sozialen Phänomene wenigstens etwas mehr in das historische Licht zu rücken, als das bisher gelungen ist, ihre innere Struktur zu beleuchten und ihre Eigendynamik zu verfolgen, soweit uns das möglich ist. In der Schlußzusammenfassung wollen wir uns dann ganz besonders mit dem Verhältnis der analysierten Gruppen zueinander beschäftigen, indem wir noch einmal die Frage aufrollen, wie Mesoi und aristokratisches Unternehmertum zueinander stehen, ob es genetische Verbindungen zwischen ihnen gibt und was aus ihrem Verhältnis zueinander für die Dynamik der spätbyzantinischen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu erschließen ist. Darüberhinaus wollen wir in Erfahrung bringen, welche Auswirkun36 So notiert A. K(azhdan), Art. Class Structure, ODß I, 469, daß Intellectuals did not form aseparate group until the 12th c.; before then they were part of the secular and ecclesiastical administration. 37 NE 13, 1916,33-50; vgl. SevSoc 75. 38 DöPhil203ff.
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Einleitung
gen die Entwicklung dieser beiden Gruppen, ihr wachsendes bzw. schwindendes gesellschaftliches Gewicht, auf die innere Konsistenz und das gesellschaftliche Verhalten der Gruppe der literarisch Gebildeten hat, denn diese Gruppe, die besonders durch das Bewußtsein ihrer gemeinsamen Teilhabe an den Bildungsgütern der byzantinischen Gesellschaft und durch ihre Fähigkeit, sie in besonderer Weise zu nutzen, gebildet wird, spricht nicht nur für sich selbst, sondern auch für und gegen andere Gruppen, grenzt sich von ihnen ab oder sucht Verbindung zu ihnen. Sie ist in diesem Sinne ein äußerst wertvoller Seismograph gesellschaftlicher Befindlichkeiten mit Gespür für ganz subtile gesellschaftliche Veränderungen, freilich sehr subjektiv und alles andere als unvoreingenommen. So wie die spätbyzantinische Gesellschaft nicht mit dem identisch war, was spätbyzantinische Literaten über sie sagten, so ist die spätbyzantinische Literatur und Geistigkeit nicht auf das reduzierbar, was die Gesellschaft von ihnen wollte und erwartete. Um die Spezifik der spätbyzantinischen Gesellschaft zu edassen, muß man auch die gesellschafts gestaltenden Kräfte der spätbyzantinischen Literatur und Kultur berücksichtigen und die sozialisierenden Wirkungen geistiger Gemeinsamkeit sichtbar machen. Und um Veränderungen in der spätbyzantinischen Kulturlandschaft und im weltanschaulichen Gehalt von Literatur zu verstehen, muß man auch Veränderungen und Schwankungen des gesellschaftlichen Milieus und des gesellschaftlichen Klimas in Betracht ziehen und die verschlüsselten Signale zu deuten versuchen, die davon ausgehen. Das kann nicht allein Sache der Zusammenfassung sein, sondern ist nur zu erreichen durch eine möglichst intensive Verschränkung der von uns vorgelegten Texte, indem wir uns bei der Analyse sozialer Phänomene auch für ihren kulturellen Gehalt interessieren und ständig nach dem sozialen Gehalt kultureller Phänomene fragen, die wir beschreiben und untersuchen. Dabei können durchaus auch unterschiedliche Auffassungen im Herangehen an bestimmte Fragen und in der Bewertung einzelner Erscheinungen angedeutet werden und zum Ausdruck kommen, schon allein dadurch, daß wir von unterschiedlicher Seite an diese Fragen herangehen und diese Erscheinungen von unterschiedlichen Ausgangspositionen her ins Blickfeld geraten. Das muß kein Mangel sein, es könnte sogar zum zusätzlichen Anreiz für eine Diskussion werden, die wir uns erhoffen und über die wir sehr glücklich wären. Zu danken haben wir für vielfältige sachliche und persönliche Hilfe, ganz besonders der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bereitstellung eines großzügigen Druckkostenzuschusses, aber auch dem Dumbarton Oaks Center und seinen Mitarbeitern für die Möglichkeit zu Gesprächen über unser Projekt und zur Ausarbeitung von Teilen des Manuskriptes in Washington, und nicht zuletzt den Leipziger Studenten und Absolventen Peter Männig und Sebastian Kolditz für die Einrichtung des Textes zum Druck.
2. Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft in der Palaiologenzeit Trotz aller Fortschritte sozialgeschichtlicher Forschung ist die byzantinische Gesellschaft bis jetzt ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Sie nimmt im Verlauf ihrer Entwicklung viele feudale Züge an, wird aber nicht zu einer klassischen Feudalgesellschaft. Sie bewahrt lange Zeit starke Elemente autokratischer Unterordnung des Reichsvolkes, aber von einer orientalischen Despotie kann trotzdem keine Rede sein. Die byzantinische Gesellschaft ist vielleicht eine Klassengesellschaft, eben deshalb, weil sie so wenig Kasten- und Ständegesellschaft ist, aber die Beschreibung von Klassen in Byzanz macht ohne Frage noch größere Schwierigkeiten als in anderen Gesellschaften der gleichen Zeit und benachbarter Räume. Schon diese knappe Auflistung dessen, was die byzantinische Gesellschaft ist bzw. nicht ist, macht deutlich, daß sie bis in die Gegenwart hinein von außen her gesehen und mit Begriffen beschrieben wird, die aus anderen gesellschaftlichen Tatbeständen gewonnen und an ihnen praktisch erprobt wurden. Dabei hatte diese Gesellschaft einen für Historiker außerordentlich langen und für die Byzantiner selbst sogar ewigen Bestand, und schon deshalb verbietet sich die Vorstellung eigentlich von selbst, daß sie mehr als tausend Jahre pausenlos zwischen Entwicklungsrichtungen hin und her schwankt, die ihr von außen angeboten, aufgedrängt und aufgezwungen werden, ohne daß es ihr gelingt, ganz spezifische und unverwechselbar eigene Strukturen aufzubauen und beizubehalten, Strukturen, die durch äußere Einflüsse zwar mehrfach und auf vielfältige Art und Weise modifiziert, aber zu keiner Zeit oder allenfalls am Ende des byzantinischen Jahrtausends grundsätzlich verändert werden. Das heißt nun allerdings nicht, daß es bisher noch keine ernsthaften Versuche gegeben hätte, die spezifischen Züge der byzantinischen Gesellschaft und des byzantinischen Menschen in der Gesellschaft zu erfassen und zu beschreiben. Ganz das Gegenteil ist der Fall, denn die vielleicht faszinierendsten byzantinistischen Beiträge der letzten 25 Jahre sind eben dieser Thematik gewidmet. Gemeinsam ist diesen Beiträgen, daß sie sich nicht nur für die Oberen der Gesellschaft, sondern auch für die anderen, die Mittleren und die Unteren interessieren, gemeinsam ist ihnen aber auch, daß sie sich mehr oder weniger eindeutig auf die herrschenden, besitzenden, tonangebenden Klassen, Schichten, Gruppen orientieren und konzentrieren, nicht zuletzt aus Gründen der Machbarkeit, aber wohl
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Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft
auch aus der Überzeugung heraus, daß eine Gesellschaft besonders durch ihre Oberschicht geprägt und konturiert wird. Grundsätzlich sind es vier Bildungselernente, die die byzantinische Oberschicht - wie wohl auch die Oberschichten anderer mittelalterlicher Gesellschaften - zumindest seit der frühmittelbyzantinischen Zeit konstituieren: vornehme Geburt, hohe Funktion im Staatsdienst, wesentlicher Anteil am Reichtum der Gesellschaft und ein spezifisches Selbstbewußtsein, Gruppenethos.\ Byzanztypisch und byzanzspezifisch ist allerdings, daß vornehme Geburt nicht zu erblichem Geburtsadel führt, daß staatliche Funktionen immer personengebunden bleiben, zwar verkauft, aber nicht vererbt werden können, daß mobiler und immobiler Reichtum zwar sehr umfangreich sein kann, daß sich ein spezifisches ständisches Eigentum aber nicht oder nur in Ansätzen entwickelt und daß die Entwicklung eines besonderen Standesethos durch einen besonderen byzantinischen Individualismus behindert wird und begrenzt bleibt. 2 Die byzantinische Oberschicht wird also weder zu einem v.a. juristisch fixierten Stand noch zu einer primär religiös geprägten Kaste, sie bleibt eine soziale Gruppe, die über weite, wenn nicht über alle Strecken byzantinischer Geschichte hinweg zu anderen Gruppen hin offen erscheint, dem Zugang zu ihr und Zugriff auf sie keine stabilen Schranken entgegensetzt. H.-G. Beck möchte deshalb anstelle von Adel oder auch herrschender Klasse lieber von den "Angesehenen" sprechen, er hält diesen Begriff bei all seiner Ungenauigkeit für genauer und umfassender als die beiden anderen.' Die Sammelbezeichnung der byzantinischen Quellen, die vielleicht den weitesten Bedeutungsumfang hat und zumindest am Anfang der frühmittelbyzantinischen Entwicklung steht, ist dagegen -ö.l:'.ya'tol.,,)die griechische Entsprechung von potentes, die im westlichen Frühmittelalter eine zentrale Rolle spielt. 4 Der öuva'tos; ist ganz allgemein ein Mann in Position, ein Mann von Bedeutung im öffentlichen Leben, also zunächst vor allem ein viel vermögender = mächtiger Mann, ein Mann, der via Staatsdienst Anteil an der öffentlichen Macht hat, ein Mann, der nicht unbedingt vermögend = reich sein muß, der bedeutende materielle Güter aber eben durch seine Macht erwerben und damit auch zum 3tAOUOLOS;, zum Reichen werden kann, und schließlich auch ein Mann von Ansehen, ein Elttepa'ViJs;, ein durch persönliche Qualitäten und
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Kazhd 223; WeiAntByz 544ff. Kazhd, Kap. 4, 221f. vgl. auch A. Kazhdan, Mikrostruktury v Vizantii VIII / IX vv, in: XVI11th International Congress of Byzantine Studies, Main Papers, Moskau 1991, 84101. BeckJahrt 253. K. Bosl, Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa, München 1964, 106-134: Potens und Pauper.
, Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft
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durch das Ansehen seiner Familie herausragender und hochgestellter Mann. 5 Mehr oder weniger deutlich vereinigen sich in diesem Begriff also alle die Elemente und Qualitäten, die den Vertreter der byzantinischen Oberschicht ausmachen. Am Anfang steht und am deutlichsten ausgeführt isS der Machtaspekt, während der Aspekt des Herkommens kaum zu erkennen ist, und das muß nicht zufällig so sein, denn diese Oberschicht ist in ihrem Kern zumindest seit dem Beginn der Makedonenherrschaft ein in kaiserlichen Diensten stehendes und sich um den Herrscher gruppierendes Beamtentum. Während der Krise des bürokratischen Systems von Staat und Gesellschaft im 11. Jh. schiebt sich aber eine neue aristokratische Elite in den gesellschaftlichen Vordergrund, die in erster Linie aus der byzantinischen Provinz stammt und militärische Funktionen ausübt und sich schließlich als familiärer Clan um Alexios Komnenos und seine Nachfolger formiert, für die Herkunft und Verbindung zur neuen Dynastie den entscheidenden Stellenwert bekommt und die auch ein neues ritterliches Ethos entwickelt. 6 Zu einer Verbindung von Adel und Rittertum bzw. zu einer Ersetzung von Adel durch Rittertum wie zu gleicher Zeit im lateinischen Westen 7 kommt es allerdings nicht. Aus dem bäuerlichen Stratioten der byzantinischen Frühzeit wird zwar immer mehr ein Herrenkrieger, der militärische Begriff wird aber nicht wie die vergleichbaren westlichen Begriffe bellator, miles, eques zum Synonym und zur klassischen Bezeichnung dieser neuprofilierten byzantinischen Oberschicht. Seinen Grund hat das nicht zuletzt darin, daß die von den Komnenen eingeleitete Entwicklung nicht mit aller Konsequenz betrieben wurde und wohl auch deshalb schon nach gut hundert Jahren durch die Dynastie der Angeloi gestoppt und rückgängig gemacht werden konnte. Ihre Geschichtsträchtigkeit kann diese Tendenz nach dem 4. Kreuzzug erneut in der byzantinischen Provinz unter Beweis stellen,8 aber mit der Rückgewinnung der alten Hauptstadt im Jahre 1261 werden die gesellschaftlichen Karten noch einmal neu gemischt, beginnt das alte byzantinische Spiel zwischen bürokratischer und aristokratischer Ausprägung der Gesellschaft und den für unterschiedliche Entwicklungsrichtungen stehenden gesellschaftlichen Kräften wieder von vorn. Zum Spielverlauf und zum Spielergebnis gibt es viele wichtige und interessante Meinungsäußerungen, gerichtet auf die Aristokratie in ihrer Gesamtheit, wie den grund-
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H.-G. Beck, Byzantinisches Gefolgschaftswesen [Abh. Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.hist. Kl., 5], München 1965, 7ff.; LaiouArist 132, 141. KazhdByzKult 172. F.-R. Erkens, Militia und Ritterschaft. Reflexionen über die Entstehung des Rittertums, HZ 258, 1994,623-659. AngGovEx; vgl. A. Kazhdan, Rez. AngGovEx, VV 39,1978,271-273.
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Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft
legenden Aufsatz von A.E. Laiou aus dem Jahre 1973 9 und die Dissertation ihrer Schülerin K. Kyritses von 199io, oder aus dem Blickwinkel einzelner Familienclans, wie das unter anderen M.A. Poljakovskaja mit einem eben erschienenen Aufsatz über die Tarchaneiotai versucht hae\ und nicht zuletzt aus der Sicht von Einzelpersonen, wofür das schon zitierte Buch von G. Weiß über Johannes Kantakuzenos steht. 12 Auf diesen und anderen Beiträgen fußen die folgenden Ausführungen.
2.1. Die aristokratische Tradition der byzantinischen
Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung in der frühen Palaiologenzeit Die gesellschaftliche Wirklichkeit der frühen Palaiologenzeit wird in starkem Maße von der Entwicklung des privaten Grundbesitzes geprägt. Die byzantinische Reconquista nach 1261 stellt sich bei Licht besehen ganz besonders als eine Wiederherstellung alter Grundbesitzverhältnisse dar. Reklamiert und eingeklagt werden tatsächliche und vorgebliche Rechte auf Immobilien der unterschiedlichsten Art. Vergeben werden neue Rechtstitel an verschiedene Anhänger der Palaiologen aus alten und auch aus weniger alten Familien. Einigermaßen dokumentieren läßt sich diese Seite der Reconquista allerdings nur für den kirchlichen und klösterlichen Revindikations- und Akkumulationsprozeß. Besonders die Regierungszeit des Kaisers Andronikos Ir. wird nach dem Urteil eines modernen Beobachters zur hohen Zeit des klösterlichen Grundbesitzes. 1J Zu vermuten ist aber, daß die weltlichen Großen bei der Aneignung und Ausnutzung von kultiviertem Land und abhängiger Arbeitskraft den Klöstern nicht nachstanden oder sogar vorausgingen. Johannes Kantakuzenos, führender Vertreter dieser Gruppe, später Kaiser und noch später Mönch, spricht auf einer Senatsversammlung in eben dieser Zeit von "uns Dynatoi, die wir viele schöne Besitzungen auf dem Lande haben. ,,14 Diese Gruppe von "Vermögenden" findet in seinem Geschichtswerk noch sehr oft Erwähnung, bei der genannten Gelegenheit und in der zitierten Passage wird sie der Bevölkerung in den Städten, die über geringere Mittel 9 LaiouArist 131-151. 10 K. Kyritses, The Byzantine Aristocracy in the Thirteenth and Early Fourteenth Centuries, Ann ArborlMi., University Microfilm International 1997. 11 M.A. Poljakovskaja, Mesto semejnogo klana v strukture pozdnevizantijskogo obscestva: Tarchanioty, ADSV 1998, 153-164. 12 WeiKant. 13 OstFeod 146. 14 Kant 1,188; FatKriKant 1,129.
·Die aristokratische Tradition der byzantinischen Gesellschaft
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verfügt, entgegengestellt. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit der frühen Palaiologenzeit sind Groß klöster und große Herren aber nicht nur auf dem flachen Land, sondern auch in den Städten präsent,15 und das in einer Weise, die es erlaubt, davon zu sprechen, daß die Gesellschaft der Palaiologenzeit auch die Stadt der Logik der feudalen Ordnung unterworfen hat. 16 Personen kaiserlichen Vertrauens und familiärer Zugehörigkeit zur herrschenden Dynastie lassen sich OPWllcfJ 'tfj~ ßaOLA.Ei.a~ ganze Stadtviertel, Festungen und Inseln übertragen, verbunden mit der Verpflichtung, für ihren Erhalt und ihre Sicherheit zu sorgen, und mit dem Recht, örtliche Ressourcen und staatliche Gerechtsamen in privatem Interesse zu nutzen. 17 Nicht nur Kaiserbrüder, Kaiseronkel und Kaiserneffen, sondern auch entferntere Verwandte versuchen ganze Provinzen als persönliche Apanagen oder in Verbindung mit staatlichen Funktionen in ihre Hand zu bekommen, und sie scheinen mit diesen Versuchen auch zunehmenden Erfolg gehabt zu haben. IB Die Verwalter ihrer Dörfer und Güter verfügen über erweiterte Rechte zur Erhebung von Abgaben, sie werden nicht als Verwalter, sondern als Regierer bezeichnet/ 9 üben also selbst Macht aus, zumindest mehr Macht als normale Träger grundherrschaftlicher Administration. Sie und ihre Leute geben in den dörflichen Gemeinschaften und in den städtischen Einwohnergemeinden den Ton an. Schon unter den Laskariden in Nikaia und dann besonders unter den frühen Palaiologen werden diese Vermögenden auch sehr gern und sehr 15 Zu den städtischen Besitzungen der Groß klöster s. besonders M. A. Poljakovskaja, Gorodskie vladenija provincial'nych monastyrej v pozdnej Vizantii, VV 24, 1964,202208, und andere Arbeiten der gleichen Autorin. 16 MaksCharakt 188. 17 MagdPron 155-163. Festungen werden im 14. Jh. nicht mehr nur auf Zeit, wie im 11. Jh. an Reichsuntertanen vergeben, vgl. Oikonomides, The Donation of Castles in the last Quarter of the 11 th Century, in: Polychronion. Festschrift F. Dölger zum 75. Geburtstag, Heidelberg 1966, 413-417, sondern auf Dauer mit allen Rechten und Pflichten. Das Unbehagen, das Kaiser Andronikos IH. gegenüber dem vorstädtischen Kastell des Parakoimomenos Apokaukos empfunden haben soll, Greg 11, 603, und die angebliche Anweisung an den Großdomestikos Kantakuzenos, Epibatai zu schleifen, erklärt sich wohl kaum durch eine Ahnung kommender Ereignisse, sondern eher dadurch, daß Apokaukos den Ausbau seiner Festung ohne kaiserliche Erlaubnis bewerkstelligt hatte. 18 ].W. Barker, The Problem of Apanages in Byzantium during the Palaeologan Period, Byzantina 3, 1971, 105-122; L. Maksimovic, Geneza i karakter apanaia u Vizantiji, ZRVI 14/15, 1973, 103-154. Als der avE'\jJL6~ und ya1lßQ6~ von Kaiser Andronikos 11., Syrgiannes, in den 20er Jahren die ihm zur Verwaltung übertragene Provinz Thrakien privatisieren (lÖLOJ'tOt01jIlEVO~) und der kaiserlichen Macht entziehen will, bringt ihn dieser Versuch, sich ein Stück vom Reich abzuschneiden, aber noch ins Gefängnis, Greg I, 298f. 19 SchreinProst 163.
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Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft
häufig als Megistanes/IlEYLavöiv bezeichnet und dann noch genauer als Tochter des genannten Protasekretis N. und als Ehefrau eines Palaiologen vorgestellt, d. h. vornehm wird sie anscheinend erst durch ihre Heirat, ist es nicht bereits durch ihre Geburt. 81 A. O. 293f. 82 PLP 7968. Daß er richterliche Aufgaben wahrnimmt, könnte sich daraus ableiten, daß er zu den synkletikoi archontes gehört, die 1273 auf einer kirchlichen Synode im Auftrag des Kaisers die Anklagen gegen Johannes Bekkos vortragen. Allerdings ist er zu diesem Zeitpunkt noch nicht Protasekretis, sondern Logothetes ton oikeiakon. 83 PLP 2183. 84 SevBard 258. 85 LemDoc 33. 86 Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings noch nicht Protasekretis, sondern Orphanotrophos, PlanEpL 65 (Nr. 32), ähnlich Anm. 73. 87 So LemDoc 34. 88 Text seines Briefes an den Kaiser, in dem er seine Schuld prinzipiell eingesteht bzw. deren Ahndung er akzeptiert, deren Konsequenzen in Gestalt der Konfiskation seiner Güter er aber zu unterlaufen sucht, ed. M. Dyobouniotes in: TIpaKtLKu tij:; 'AKafiTjl.d.aS 'A8Tjvöiv, 1934,296-298.
, Tradition und Wandel der byzantinischen Bürokratie
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der Region der Stadt Zichna,89 ob es sich dabei um ein Dienstgut handelte, wie sie die im Jahre 1329 eingesetzten Oberrichter zugesprochen erhielten, kann allerdings nicht mit Sicherheit gesagt werden. Daneben wurde 1337 offenbar auch mobiler Besitz eingezogen, von dem Bardales mit dem Argument, er gehöre nicht ihm, sondern verschiedenen Gläubigern, soviel wie möglich aus der Beschlagnahmung heraushalten wollte. 90 Er war also mit Sicherheit kein armer Mann, er war aber offenbar auch kein Magnat, und die Verbindungen seiner Familie zum Clan der Palaiologen scheinen auch nur schwach gewesen zu sein. 91 Zum kaiserlichen Sekreton gehörte vor 1329 eine wechselnde Zahl von Senatoren, die wahrscheinlich auf den jeweiligen Fall bezogen gesondert eingeladen wurden. Zu diesem Schluß könnte man jedenfalls kommen, wenn man annimmt, daß die Zusammenkunft, die der ältere Andronikos im Apri11321 einberief, um seinen gleichnamigen Enkel politisch auszuschalten, tatsächlich den Charakter eines Gerichts hatte bzw. nach dem Willen des Kaisers haben sollte, wie Johannes Kantakuzenos in seinem Geschichtswerk betont. Anwesend waren als Senatoren einige hohe Würdenträger, und dazu kamen der Patriarch und verschiedene in der Hauptstadt weilende Bischöfe, während andere Senatoren, wie Kantakuzenos selbst, vor dem Verhandlungs raum warten mußten. 92 Vom Protasekretis Bardales ist in seinem Bericht keine Rede. 9J Der jüngere Andronikos hatte seinem aristokratischen Freund zufolge allerdings ein anderes, d. h. richtiges Gerichtsverfahren erwartet mit einer formellen Anklage, der Möglichkeit zur Verteidigung und einem ordentlichen Urteilsspruch, und er beklagte sich während der Sitzung, daß der alte Kaiser Ankläger und Richter in einer Person sei und die anderen Anwesenden nur als Zuhörer geladen wären. 94 Sollten sich die Dinge tatsächlich so abgespielt haben, wie sie Kantakuzenos darstellt, dann könnte das bedeuten, daß das oberste Reichsgericht in der Endphase der Regierung des älteren Andronikos keine feste Zusammensetzung hatte und die zentrale Rechtsprechung sehr willkürlich gehandhabt wurde, daß aber schon in dieser Zeit kirchli-
89 P. Lemerle, Un praktikon inedit des archives de Karakala Qanvier 1342) et la situation en Macedoine orientale au moment de l'usurpation de Cantacuzene, in: XapLO't~pLOV E~ A.K. 'OpAltvöov, Athen 1964,278-298. 90 Vgl. SevBard 252. 91 Familiäre Verbindungen deuten sich eventuell zu den Metochites und den Angeloi an, PLP 2183, 2185, nicht aber zu den Palaiologen unmittelbar. 92 Kant I, 67ff. 93 Er wird allerdings kurze Zeit später als Gesandter des alten Kaisers zu seinem Enkel erwähnt, Kant I, 118, befand sich also ohne Zweifel am Kaiserhof und in der Umgebung des alten Kaisers, als dieser das Gerichtsverfahren gegen den jüngeren Andronikos inszenierte. 94 Kant I, 69.
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Grundstrukturen und Grundtendenzen der byzantinischen Gesellschaft
che Vertreter in die Arbeit der obersten Rechtsinstanz einbezogen wurden und wahrscheinlich auch nicht immer nur die Funktion von Zuhörern ausübten. Mit der Justizreform von 1329 kurz nach dem Herrschaftsantritt des jüngeren Andronikos wurde ein oberstes Richterkollegium mit einer festen Anzahl von Oberrichtern, nämlich vier, und mit starker kirchlicher Beteiligung, d. h. zwei von vier, geschaffen. 95 Alle Untertanen des Reiches ohne Ansehen der Person sollten vor dieses Gericht gestellt werden können, angeklagte Senatsmitglieder genossen nur das Vorrecht, der Verhandlung sitzend beizuwohnen, ansonsten sollte ihr Fall aber wie jeder andere behandelt werden. 96 Die kaiserliche Absicht lief also auf eine Verstärkung zentralistischer Kontrolle und auf die Belebung des traditionellen Untertanenverbandes hinaus, und diese Intention wird auch daran ablesbar, daß es Leute ohne große Namen sind, die zu Mitgliedern des Richterkollegiums berufen werden. Die beiden Kleriker, der Bischof Joseph von Apros und der Dikaiophylax der Großen Kirche in Konstantinopel, Gregorios Kleidas, hatten schon als Mitglieder des Patriarchalgerichtes viele juristische Erfahrungen sammeln können,97 ob der Megas Dioiketes Glabas und Nikolaos Matarangos auch nicht ohne solche Erfahrungen waren, ist unklar. 98 Allenfalls Glabas könnte einer bekannten 95 Greg I, 437f.; vgl. LemJuge 292-316. 96 Befehl Kaiser Andronikos' III., ZachRezGeib 875; vgl. DöReg 2808, erklärt unter Bezug auf Ps.-Kodinos, daß das alle Ränge vom Logothetes ton agelon abwärts betrifft. 97 In dem apologetischen bzw. satirischen Text über den Justizskandal von 1337 ist die Rede davon, daß alle vier Oberrichter wegen ihrer langjährigen (juristischen?) Erfahrung in ihr Amt berufen wurden, TheochApol 30f. Joseph von Apros ist zwischen 1324 und 1329 mehrfach an Rechtsentscheidungen des Patriarchalgerichts beteiligt, PRK Reg. 36. Gregorios Kleidas wird in der Entschuldigung nicht namentlich erwähnt, könnte aber auch vor 1329 unter den Patriarchatsbeamten gewesen sein, die als Gruppe immer wieder in den Texten Erwähnung finden. Zur wachsenden Rolle der kirchlichen und besonders auch der patriarchalen Gerichtsbarkeit in der Palaiologenzeit vgl. H. Hunger, Das Patriarchats register von Konstantinopel als Spiegel by.~anti nischer Verhältnisse im 14. Jahrhundert, Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften 115, 1978, 117-136. 98 Vgl. den Brief des Johannes Chumnos an Matarangos, wo die Rede ist von 1:0V aov IlEyav xQo~ 1:0 ÖLXULOV ~ijA.OV, BoissAnNov 209f. Die Botschaft des Kleidas zusammen mit dem Bischof von Moglaina Ende 1327 zum jüngeren Andronikos mit dem Verbot zum Betreten der Hauptstadt hat eine deutlich juristische Dimension, denn das Verbot wird mit dem Eid- und Vertragsbruch des Kaiserenkels begründet, die beiden kirchlichen Würdenträger stellen im Lager des jungen Kaisers praktisch eine Untersuchung an, inwieweit der Vorwurf, der in die kirchliche Kompetenz fällt, zutreffend ist, und der Beschuldigte erklärt sich bereit, in einem erneuten Prozeß vor dem Kaisergericht seine Unschuld zu beweisen, Kant I, 215ff. Zur Person und seinem Amt s. auch FatKriKant I, 283 (Anm. 305). Ende 1327 schickt Andronikos 11. praktisch einen vollständigen Gerichtshof nach Rhegion, die beiden ersten Gesandten überbringen die Anklageschrift, tragen sie auf der Gerichts-
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Familie mit Beziehungen zum Palaiologenclan angehört haben,99 die anderen waren mehr oder weniger nobodies. Falls auch das Absicht gewesen sein sollte, so zahlte sie sich allerdings nicht aus, denn 8 Jahre nach ihrer Bestallung wurden drei von ihnen wegen Korruption und speziell wegen Bevorzugung von kaiserlichen Verwandten, Mitgliedern des Palaiologenclans ('t'OL~ eYYLcrtu tep ßUOIAEi) selbst gerichtlich belangt,loo ihrer Ämter entsetzt, von ihren Pfründen abgetrennt, zur Rückgabe von Bestechungsgeldern gezwungen und in die Verbannung geschickt. lol Das rigide Vorgehen des Kaisers gegen die beschuldigten bzw. überführten Oberrichter, das im diesbezüglichen Text eines bisher nicht eindeutig zu benennenden Autors kritisiert wird, erklärt sich sicher nicht nur mit dem Druck der Volksmeinung, sondern vielleicht auch aus der persönlichen Enttäuschung des Kaisers über den Fehlschlag seiner Justizreform und das Versagen der Personen seines Vertrauens. Zu seiner Entlastung führt der Autor der genannten Apologie bzw. Satire an, daß die Oberrichter bei der Erfüllung ihres Auftrages in ein Wespennest gestochen hatten und daß besonders die Großen des Reiches (OL fLEYUAOL) sich desto mehr gegen die katholischen Richter wandten, je größere Macht und größeren Einfluß sie auf die Geringeren besaßen, daß sie sich(überhaupt) wenig Gedanken über unrechtmäßigen Besitz machten. lo2 Allerdings erklärt der eher fiktive Exrichter, nur für sich allein und nicht auch für seine ehemaligen Kollegen (auVtpocj>OL) sprechen zu können und zu wollen, und er lehnt es auch ab, für die Handlungen seiner Untergebenen, seiner dienstlichen Helfer, Verantwortung zu tragen. IOl Eine Kastensolidarität, wie auch immer sie geartet sein
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versammlung vor und nehmen zusammen mit den anderen Erzpriestern und Senatoren die Argumente zur Kenntnis, die der junge Kaiser zu seiner Verteidigung vorträgt, Kant I, 225ff. Vgl. PLP 4209ff., 91682ff. TheochApol81. Greg I, 537f. TheochApol 80. Die hier gebotene Übersetzung orientiert sich an WeiKant 77. Zum Autor und zum Charakter des Textes vgl. neuerdings KrestProz. TheochApol 84. Die Gerichtsdiener, -bediensteten wurden offenbar nicht von ihren Vorgesetzten bzw. von ihrer Dienststelle besoldet, sondern durch Sporteln, die von den streitenden Parteien aufzubringen waren und die durchaus den Charakter von Bestechungsgeldern annehmen bzw. in den Geruch von Bestechungsgeldern kommen konnten. Michael Kabasilas, der bedienstete Sekretär des als Oberrichter fungierenden Bischofs ]oseph von Apros, wird im April 1342 jedoch ausdrücklich von der patriarchalen Synode von dem Verdacht der unrechtmäßigen Geldeinnahme freigesprochen, PRK 11, 286ff. (Nr. 136), weil jeder den eigenen Beruf ungehindert als Erwerbsquelle benutzen dürfe und Kabasilas aus seinem Hilfsdienst viel oder wenig Entgelt bezogen haben könne, sofern er keine richterlichen Eide geleistet habe. Diese bemerkenswerte Feststellung erklärt sich vielleicht auch aus dem besonderen gesellschaftlichen Klima in der Reichshauptstadt zur Zeit der Regentschaft.
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mochte und so weit sie allenfalls reichen konnte, hat es unter diesen höchsten Reichsrichtern also ganz augenscheinlich nicht gegeben, von einer Schutzpflicht für das juristische Personal ganz zu schweigen. Zu einem wirklichen Gegengewicht gegen die Ambitionen der Magnaten konnten sie also schon aus diesem Grunde kaum werden. Das Institut der Oberrichter blieb trotz des Eklats von 1337 bis zum Reichsende bestehen,l04 und die auf das erste Kollegium folgenden Amtsträger kamen, soviel die bisher bekannten Informationen über sie hergeben, auch weiterhin aUS weniger bekannten spätbyzantinischen Familien, aber die kollektive Verantwortlichkeit des ganzen Gremiums ging noch weiter zurück, zu einer Keimzelle und zu einem Modellfall für ein neues Leistungsethos und für neue Gruppensolidaritäten konnte dieses oberste Reichsgericht der byzantinischen Spätzeit also allem Anschein nach nicht werden. Das eigentliche Zentrum bürokratischer Restauration in der frühen Palaiologenzeit war nach A. Kazhdan aber nicht die Rechtsprechung, sondern die Finanzverwaltung. l05 Leider ist die Geschichte der spätbyzantinischen Reichskasse und der zentralen Büros des spätbyzantinischen Fiskus noch sehr wenig edorscht, gibt es kaum konkrete Informationen über die Leiter und Mitarbeiter der zentralen Finanzinstitutionen. I06 Ähnlich wie im Falle des obersten Reichsgerichtes ist bisher unklar, ob und wie lange die Leitung der Staatskasse(n) noch an einen speziellen Rang und Titel gebunden ist. Infrage ~o~en nach Meinung d~r Forschung ~e~ ~~;:>tobe stiarios, der Protobesnantes und der Prokathemenos tu besnanu. Aber bei keinem der bisher bekannten Inhaber der genannten Titel läßt sich ein eindeutiger Zusammenhang mit finanziellen Aufgaben erkennen,108 und 104 LemDoc 34ff. 105 A. Kazhdan, Rez. AngGovEx, VV 39, 1978, 273. Er verweist darauf, daß Michael VIII. Abstand von der Beauftragung höchster Höflinge mit fiskalischen Aufgaben nimmt und sie Leuten einfacher Herkunft überträgt. 106 Unklar ist weiterhin, ob es ein oder zwei zentrale Finanzressorts in der frühen Palaiologenzeit gegeben hat, zur Diskussion vgl. T. Miller, The Basilica and the Demosia, REB 36, 1978, 171-191; A. Failler, L'eparque de I'armee et le Bestiarion, REB 45, 1987, 199-203. 107 MaksProvAdm 228, Anm. 157. AngGovEx 206 betont, daß der Protobestiarios schon im Kaiserreich von Nikaia mit dem Bestiarion nichts (mehr) zu tun hat und ihm die Aufsicht über das Finanzwesen nicht zusteht, vgl. BlumAkrop 249. Demgegenüber teilt PachFail IV, 607 im Zusammenhang mit der Ernennung des genuesischen Korsaren und Kaperkapitäns Andreas Muriskos zum Bestiarios mit, daß dieser Funktion die materielle Sicherstellung der Flotte oblag, ob ihr Träger damit zu einem Funktionär der Staatskasse wurde, ist aber auch nicht eindeutig. 108 Bekannt ist nur, daß der zeitweilig in byzantinischen Diensten stehende genuesische Pirat Andrea Moreschi (Muriskos) zunächst vom Kaiser Andronikos 11. zum Bestiarios ernannt wurde und als solcher für die Ausrüstung von (Kriegs-)Schiffen verantwortlich war, PachFail IV, 607, und daß das kaiserliche bestiarion bis in die Spätzeit hinein für Flottenausrüstungen verantwortlich war, DöReg 3340. Von verschiedenen
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umgekehrt ist unbekannt, ob von den nachweislich mit Aufgaben in der zentralen Finanzverwaltung betrauten Personen jemand einen der eben genannten Titel getragen hat. Einigermaßen deutlich ist nur, daß die in diesem Umkreis genannten Leute nicht aus den großen Familien stammen: genannt werden ein Georgios Pepagomenos, ein Nikolaos Meliteniotes, von denen persönlich nur wenig bekannt ist/ o9 und die beiden wegen ihrer politischen Aktivitäten besser bekannten kaiserlichen Schatzmeister Alexios Apokaukos und Manuel Kinnamos, von denen der eine immer wieder wegen seiner angeblich obskuren Herkunft unter dem Beschuß seiner Gegner steht, während der andere zwar einen bekannteren N amen trägt, der in der Palaiologenzeit aber einiges von seinem früheren Prestige verloren zu haben scheint. 110 Nicht nur der Mangel an bekannten Namen, sondern das weitgehende Fehlen von jedwedem Namenmaterial ist ein sicheres Indiz für die geringe Bedeutung und das geringe Ansehen dieses Bereiches des staatlichen Apparates und der in ihm tätigen Beamten. Dabei müssen verschiedene sehr tüchtige Leute unter ihnen gewesen sein, denn trotz der mißlichen Lage des Reiches gelang es im frühen 14. Jh. zumindest zeitweilig, die Staatsfinanzen einigermaßen zu konsolidieren. Etwas besser bekannt ist der regionale und lokale Fiskalapparat des späten Byzanz. Wie L. Maksimovic nachgewiesen hat, fallen Steuerveranlagung und Steuererhebung seit dem 13. Jh. immer mehr zusammen. 111 Das ist unzweifelhaft ein Zeichen für den Verfall des traditionellen byzantinischen Steuersystems und für seine Anpassung an die neuausgebildeten feudalen Strukturen, zugleich eröffnet es den Steuerbeamten aber
nunciis et factoribus Vestiarii excellentissimi Domini nos tri Imperatoris kaufen 1285 zwei Genuesen Getreide, BertolNuovSer 533. 109 Pepagomenos gehört sicherlich zu einer seit der Komnenenzeit bekannten Beamtenfamilie, vgl. A. Kazhdan, Esce raz.o Pepagomenach XI-XII VV., ADSV 10, 1973,6063, die in spätbyzantinischer Zeit ihren Charakter sehr wahrscheinlich beibehält, vgl. PLP 22341ff. Auch die Meliteniotes des späten 13. und der 1. H. des 14. Jh. sind v. a. in der staatlichen und kirchlichen Administration verankert, haben aber auch literarische Ambitionen, vgl. PLP 17847ff. 110 Die Kinnamoi gehören zur zivilen Aristokratie der Komnenenzeit, Kazhd 97, 127 u. a. Sie erscheinen in der frühen Palaiologenzeit als (kleine) Grundbesitzer, Träger verschiedener Würden und Funktionen (Sebastos, PRK I, 288ff. [Nr. 38], Logothetes tu stratiotiku, BelgrPrimSer 103), Kleriker und zivile Beamte, zu denen neben dem Mystikos Manuel K. auch der hauptstädtische Gouverneur K. an der Wende zum 14. Jh. gehört. 111 MaksProvAdm 224. Das Zusammenrücken erfolgt in der Weise, daß die Steuereinnehmer zu some kind of executive agents der Steuerveranlagungsbeamten werden, a. 0.223.
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einen deutlich größeren Handlungsspielraum,112 stärkt ihre Positionen gegenüber den Steuerpflichtigen und kompensiert die finanziellen Einbußen, die durch den Verlust von Reichsterritorien an äußere Feinde und durch den Ausbau fiskalischer Immunitäten im Reichsinneren drohen. Das Interesse an der Übernahme von Tätigkeiten und Aufgaben in der Steuerverwaltung ist deshalb zu Beginn der Palaiologenzeit sehr groß. Die Steuerbeamten arbeiten mit Angestellten und organisieren sich in Kollegien, um ihre Steuerbezirke effektiv zu veranlagen und auszunehmen. Verschiedene dieser Kollegien und ihre Tätigkeit sind in den letzten Jahren genauer untersucht und dadurch besser bekannt geworden, so das Zweigespann Pharisaios-Pergamenos und die Troika Kunales-KontenosKalognomos aus dem frühen 14. Jh.1\J Zeitweilig Mitglied eines solchen Steuerkollegiums ist vermutlich auch der vielleicht bekannteste Steuerfachmann der frühen Palaiologenzeit, Theodoros Patrikiotes. 114 Ein spezielles Amt scheint er im Laufe seiner Tätigkeit nicht ausgeübt und besetzt zu haben, jedenfalls hüllen sich die Quellen zu dieser Frage in Schweigen. Geführt wird er nur mit dem Ehrentitel Pansebastos Sebastos,1\5 der im Kreise dieser Steuerbeamten sehr häufig anzutreffen ist und generell auf Beamte im provinziellen Staatsdienst hinweist. 116 Unbekannt ist auch seine Herkunft, der Dichter Manuel Philes, der ihm viele Gedichte gewidmet hat und von ihm in vielfältiger Weise protegiert wird, spricht ihn nur als YEwypawv äptO'tE und als LA.WV äptO'tE an,117 läßt aber nichts über eine vornehme Herkunft seines Gönners verlauten, die er sich mit Sicherheit nicht entgehen gelassen hätte, wenn es irgendwie 112 MaksProvAdm 202, 227, hat die unabhängige Rolle der Steuerbeamten in der Provinz besonders herausgearbeitet. Er verweist dabei auch auf den von Kant H, 62, gebotenen
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Vergleich zwischen Krites und Exisotes, den ich aber nicht als Gegensatz zwischen 1tOAL'tLKa und ~TJI,U)m.a :rtQaYlla'ta verstehen kann, 227, Anm. 156. MaksProvAdm 186ff. OstPrakt 85ff. Eine das bisher bekannte Material über ihn zusammenfassende Arbeit existiert leider nicht, besonders interessante Bemerkungen zu seiner Person finden sich in zwei Rezensionen von G. Weiß: einmal zu KurGab in BZ 68,1975,412, urid dann zu GabrEp in BZ 69, 1976,73. Vgl. PLP 22077, MaksProvAdm 198. Nach MaksProvAdm 22, Anm. 45, wird der Titel vergeben to eminent officials, that is to members of the aristocracy. Diese These ist aber nicht unanfechtbar. Von den 5 Mitgliedern der zwei Steuerkollegien, die Ostrogorsky nennt, tragen 2 den Titel Pansebastos Sebastos (Demetrios Kontenos, Konstantinos Kunales), 2 den Titel Sebastos (Leon Kalognomos, Konstantinos Pergamenos), und nur Georgios Pharisaios trägt diesen Titel sehr wahrscheinlich nicht. Pansebastos Sebastos ist auch der Apographeus Konstantinos Makrenos, dem Alexios Apokaukos zeitweilig als Gehilfe diente. Nur einige dieser Beamten gehören aber zu aristokratischen Familien. Philes I, 189, 204.
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möglich gewesen wäre. Dafür lebt Patrikiotes in Konstantinopel aber auf großem Fuße. Er bewohnt ein eigenes Haus mit einer Privatkapelle, das von einem Pförtner bewacht wird. 118 Zu seinem Hausstand gehören weitere Bedienstete, unter ihnen ein Sekretär namens Kabasilas, der von Philes als Bruder angesprochen wird. 119 In seinem Auftrag soll ein gewisser Patzopulos einen Posten Getreide an den literarisch tätigen Schulmeister Theodoros Hyrtakenos liefern,120 und ein gewisser RhentakenoslRhyntakenos erhält 10 Geldstücke, die Philes ihm als Zinsen für ein von Patrikiotes veranlaßtes Darlehen schuldig ist. 121 Zumindest der Getreidelieferant könnte durchaus zum Mitarbeiterstab des Patrikiotes gehören. Kompagnon oder Angestellter im Steuergeschäft ist Anfang der 20er Jahre der Bruder des kleinen Beamten und Literaten Michael Gabras. Als während des Bürgerkrieges zwischen den beiden Andronikoi die Leute des Kaiserenkels Jagd auf die Steuerbeamten des alten Kaisers machen und ihnen die eingetriebenen Steuergelder abnehmen, kann sich Patrikiotes augenscheinlich durch den zeitweiligen Rückzug in ein Kloster bzw. eine andere kirchliche Einrichtung unangenehmen Fragen und Forderungen entziehen und vielleicht sogar die unübersichtliche politische Situation zu zusätzlicher persönlicher Bereicherung nutzen, während sein Kollege oder Untergebener Gabras wegen fehlender Gelder und Nachweise ins Gefängnis wandert und sich sein Bruder mit der Bitte um Hilfe für den Gefangenen und Übernahme eigener Verantwortlichkeiten für die vermißten Steuerbeträge an Patrikiotes wendet. 122 Die Intervention ist offenbar vergeblich: ebenso wie im Richterstand entwickeln sich auch unter den Steuerbeamten keine festeren Solidaritäten. Das Zentrum der weitgespannten Tätigkeiten des Patrikiotes zwischen dem Beginn der 20er und der Mitte der 40er Jahre liegt im byzanti-
118 A. O. 340, 344. 119 A. O. 340. In PLP 10069 wird er als Grammatikos des Philes bezeichnet, was aber ganz sicherlich falsch ist, denn das autou der Überschrift des vierzeiligen Epigramms bezieht sich wohl doch auf den Patrikiotes der vorangehenden Texte. Die BruderAnrede muß nicht auf wirkliche Verwandtschaft, sie kann auch auf freundschaftliche Verbundenheit, oder auch tatsächliche bzw. beanspruchte soziale Gleichwertigkeit hindeuten, vgl. Mazaris 32; KydEp I, 166 (Nr. 130); MM 11, 557, letzter Beleg gegen E. Papagianni, Vorkaufsrecht und Verwandtschaft, in: Eherecht und Familiengut in Antike und Mittelalter, ed. D. Simon, München, 147-160; 159f. 120 HyrtEp 14 (Nr. 47). P. stirbt aber, ohne vorher den Auftrag zu erfüllen, verhindert dadurch, daß H. die Wohltat empfängt und sich bei Patrikiotes dafür bedanken kann. In welchem konkreten Verhältnis der Verstorbene zu seinem Auftraggeber stand, läßt sich aus dem Brief nicht eindeutig entnehmen. 121 Philes 1,340. 122 GabrEp 318ff. (Nr. 192); 324ff. (Nr. 196); 576ff. (Nr. 369). Vgl. Weiß, Rez. GabrEp, BZ 69, 1976, 73.
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nischen Kernland Thrakien. Diese Tätigkeiten scheinen ihm selbst nicht nur Geld, sondern auch Naturalien der verschiedensten Art: Getreide, Salz und Fisch, Wein, Jagdbeute und sogar handwerkliche Erzeugnisse, wie Leinen, einzubringen. 123 Nach den überschwenglichen Worten des Manuel Philes wird sein Gönner von der ganzen Erde und vom Meer ebenfalls ernährt. l24 Als sich Patrikiotes 1341 dem Großdomestikos J 0hannes Kantakuzenos als finanzkräftiger Helfer und Steuerexperte zur Verfügung stellt, kann er für die geplante Exisosis 100.000 Hyperpern in ausgemünztem Gold und Wertgegenstände von weiteren 40.000 Hyperpern flüssig machen. 125 In dem wenig später ausbrechenden neuen Bürgerkrieg wird Patrikiotes aber selbst zum Opfer und verliert sogar sein Leben, sicherlich bei dem Versuch, die von Kantakuzenos gewährten großzügigen Steuerkompensationen zu realisieren. Kinder scheint er keine gehabt zu haben; mit seinem Tod verschwindet nicht nur seine Person, sondern auch sein Name aus den byzantinischen Zeitquellen. Erst vor kurzem ist die Unterstützung des Patrikiotes für den Thronprätendenten Kantakuzenos und seine Magnatenfraktion in Zweifel gezogen und als eine von dem späteren Historiker Kantakuzenos bewußt in die Welt gesetzte Legende bezeichnet worden,126 sicherlich nicht völlig unbegründet, eine politische Ortung des lange Zeit edolgreichen Steuereintreibers wird dadurch aber nicht unbedingt erleichtert, und seine soziale Haltung wird sogar noch weiter individualisiert. Ob und wie weit auch die spätbyzantinischen Zolleinnehmer in diese Gruppe gehören, ist nur schwer auszumachen, da bisher nur sehr wenige kommerkiarioi überhaupt namentlich bekannt sind. In Konstantinopel tun um 1278 ein Georgios Gram(m)atikos und um 1332 ein N. Kephalas als K0IA.IA.EPKLOPLOL Dienst,127 im Flottenstützpunkt Anaia ist 1273 ein Georgios Chaluphes als Inhaber des K0IA.IA.EPKLOV erwähnt. 128 Keiner der drei Amtsträger läßt sich durch andere Quellen näher erfassen. Vom sozialen Milieu her könnte Kephalas immerhin mit einem gleichnamigen Geldverleiher identisch sein, der 1324 zusammen mit einem Dishypatos als Gläu-
123 In der von A. E. Laiou zur Edition vorbereiteten Economic History of Byzantium habe ich drei Kapitel geschrieben: 1: Mines, 2: The Late Byzantine Urban Economy, 3: Exchange, Commercial Activities and Market Relations in Late Byzantium. Im Literaturverzeichnis und im Text werden diese Ausarbeitungen unter den Siglen LaiouEcHist I, II, III ausgewiesen. Vgl. hier LaiouEcHist III. 124 Philes I, 347. 125 Kant II, 62f. 126 VriesEl63, Anm. 28. 127 MM III, 187; 118. 128 MM VI, 233; vgl. MakrStud 248, Anm. 11; PLP 30532.
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biger der Witwe eines Theodoros Marmaras Erwähnung findet,129 und diese (gemeinsame) Pfandleihe ist vielleicht nicht zufällig, denn in den 80er Jahren sollte ein Kephalas die Tochter eines verarmten Dishypatos heiraten,IJO sicherlich um eine neue wirtschaftliche Basis für diese Familie zu schaffen, die in der frühen Palaiologenzeit verschiedene Kirchenbeamte und zumindest auch einen Steuerbeamten stellt und deshalb vielleicht als Beamtenfamilie bezeichnet werden kann. lJ1 Neben Zöllnern, die in Einzelverantwortlichkeit mit Bediensteten tätig waren, scheint es auch Kollegien gegeben zu haben. Im Jahre 1278 erhält ein genuesischer Kaufmann den Auftrag, sich in einer Zollangelegenheit an die comerciarios imperatoris Grecorum Nicolaum Drogum, Gabrielen Cigalam et Bonifacium Sardenum in der byzantinischen Hauptstadt zu wenden. 132 Interessant ist der Tatbestand, daß von diesen drei Zollbeamten wenigstens zwei Lateiner sind\J3 und allenfalls der erste griechisch-byzantinischer Herkunft ist, wie sein Name Dragon oder Drongus andeutet, der aber auch sehr selten ist und nicht für ein gehobenes soziales Milieu seines Trägers spricht. 134 Auf die Möglichkeit, daß Angehörige der lateinischbyzantinischen Mischbevölkerung, sog. Gasmulen, als Dolmetscher von byzantinischen Kommerkiarioi eingesetzt wurden, hat G. Makris vor kurzem hingewiesen,135 hier deutet sich sogar die Existenz byzantinischlateinischer Kollegien an. 129 PRK I, 436ff. (Nr. 74). Nach PLP 5527 ist dieser D. eventuell mit dem Steuerbeamten Georgios Dishypatos identisch, der etwa zur gleichen Zeit unter den Adressaten des Michael Gabras auftaucht. 130 GKypEp 132; vgl. PLP 5522. 131 Vgl. PLP 5522ff. Mit dieser Familie war Alexios Apokaukos durch seine erste Frau verwandtschaftlich verbunden. Daß sein Schwiegervater, der Kleriker der Megale Ekklesia D., mit dem hauptstädtischen Kleriker von 1357, Leon D., identisch war, scheidet aus zeitlichen Gründen jedo~h aus. 132 BratRechCom 311 (Nr. XI). 133 Ein Babilano Cigala mietet 1290 in Konstantinopel ein Schiff für eine Handelsfahrt nach Tana, BalGen 11, 625; ein Ugolino Sardena ist 1264 Mitbesitzer einer genuesischen Galeere, a. O. 547. 134 Vgl. PLP 5792; 5837ff. Im übrigen kann auch dieser Dragus genuesischer Herkunft bzw. in genuesischem Milieu zu Hause sein, vgl. BalGen I, 141f., wo ein Benisse Dragus und ein MicheIe Dragus als genuesische Konsuln in Savastopoli auf der Krim genannt werden, allerdings erst aus der zweiten Hälfte des 14. Jh. Ein Palolinus Drogus tritt aber schon bei dem gleichen Notar, Leonardo Negrini, bei dem die drei Kommerkiarioi Erwähnung finden, als Zeuge auf, BratRechCom 311 (Nr. X). 135 MakrStud 254. Vgl. auch seine präzisierende Studie, Die Gasmulen, Thesaur 22, 1991 (1992), 44-96, die den Nachweis führt, daß Gasmulen häufig nichts anderes sind als Griechen, die sich um eine Gleichstellung mit den Genuesen in Konstantinopel bemühten, daß die ethnische Komponente also schnell eine untergeordnete Rolle spielte, 67ff.
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Nicht byzantinischer, aber auch nicht lateinischer, sondern levantinischer Herkunft ist ein Zolleinnehmer in Konstantinopel, über dessen Tätigkeit sich der gelehrte Mönch Maximos Planudes in einem Brief aus dem späten 13. Jh. beklagt. Er stammt aus Syrien, besitzt zeitweilig die genuesische Staatsbürgerschaft und läßt sich schließlich in Byzanz einbürgern, um die t'EA.OOvEi.a der byzantinischen Hauptstadt zu übernehmen,136 was G. Makris ohne klar ersichtlichen Grund als das Amt eines Oberkommerkiarios bezeichnet. 137 Planudes wirft dem Syros vor, daß er die Zollgebühren auf das Doppelte des bisher üblichen heraufgeschraubt habe, so daß die byzantinischen Kaufleute es vorziehen, in die Hände von Seeräubern zu fallen bzw. das Meer überhaupt nicht mehr zu befahren. Er beschränke sich also nicht darauf, die ihm überlassenen Schafe in der üblichen Weise zu scheren, sondern er rasiere sie auf seine barbarische Weise besonders gründlich ab und werde sich deshalb bald rühmen können, daß er Schaffelle im Überfluß anzubieten habe. Jemand, der die Kühe=Schafe schlachtet, die er nur melken soll, kann den Byzantinern nicht von Nutzen, sondern nur zum Schaden sein, das will Planudes sichtbar machen, davon will er überzeugen. Vielleicht ist der ßa.pßapo~ ... v6J.1.o~ des Syrers,\J8 von dem der gelehrte Byzantiner spricht, aber nichts anderes als die Durchsetzung von etwas moderneren und effektiveren Handelsnormen, die geeignet waren, etwas mehr Ordnung in die korrupte byzantinische Finanzwirtschaft zu bringen, in der es für die Steuerschuldner und Zollpflichtigen günstiger war, die Steuereintreiber und Zolleinnehmer zu bezahlen als den Zoll bzw. die Steuer. 1J9 Um diesen wohl auch schon für die Zeitgenossen naheliegenden Schluß zu verwischen, beeilt sich Planudes zu erklären, daß die Staatskasse trotzdem keine erhöhten Einnahmen zu verzeichnen habe. Was an der gesamten Geschichte stimmt, sei dahingestellt und muß offenbleiben; zu ergeben scheint sich aus der abschließenden Feststellung immerhin, daß der eingewanderte Syrer die hauptstädtische Zollerhebung nicht (für eine Fixsumme) gepachtet hat, sondern daß er tatsächlich als byzantinisch,er Zollbeamter fungiert, der alle Zolleinnahmen an die Staatskasse abführen . muß, während er selbst ein festes Salär erhält. Nicht völlig ausgeschlossen ist aber auch, daß sich die Sache genau umgekehrt verhält und Planudes ganz bewußt den Tatbestand übergeht, daß ein Zollpächter nur die Fixsumme entrichten muß, für die er seine Pfründe ersteigert hat, und den gesamten Mehrerlös als seinen privaten Gewinn verbuchen kann.
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PlanEpL 27ff. (Nr. 12). MakrStud 257. PlanEpL 31. Vgl. MatschTor 52f.
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Hintergrund des brieflich geäußerten Zornes des spätbyzantinischen Gelehrten ist auch nicht so sehr das Schicksal der byzantinischen Kaufleute und ihre zweifellos drückende Lage, sondern die entgangene Chance seines Bruders, der von dem landfremden Eindringling aus dem attraktiven Zolleinnehmergeschäft herausgedrängt worden ist. 140 Sicherlich hat es aber nicht erst dieser negativen Edahrung bedudt, um dem Steuergeschäft überhaupt kritisch gegenüber zu stehen. Planudes spricht an anderer Stelle von t'j vuv eJtIJtOAa~ouO'u IlUVLU t'OOV t'EAOOVOOV,141 und er verwendet sich in diesem Zusammenhang für einen Freund, der sich zur Beteiligung an einem Steuergeschäft hat verleiten lassen, dann aber nicht skrupellos genug ist, dieses Geschäft auch wirklich zu realisieren. 142 Er bestätigt also die Vermutung, daß sich nach der Rückkehr des byzantinischen Kaisers und seiner zentralen Administration in die alte Hauptstadt sehr bald ein Boom im traditionellen Steuergeschäft abzeichnet und der staatliche Finanzsektor damit zu einem Kristallisationspunkt auch für neue bürokratische Entwicklungen wird. Und grundsätzlich läßt sich deshalb auch sagen, daß die frühe Palaiologenzeit nicht nur der byzantinischen Reichsaristokratie neue gesellschaftliche Dimensionen erschließt, sondern daß sie auch dem byzantinischen Beamtenturn ganz beachtliche Freiräume offenläßt bzw. sogar neu eröffnet. Von manchen Richtern und Steuerbeamten ist nur ein einziges Mal und dann nicht wieder die Rede, und nicht einmal Personen mit gleichem N amen sind im Bereich der Rechtsprechung oder der Finanzverwaltung erneut auszumachen. Demgegenüber gibt es aber auch Fälle, wo Personen gleichen Namens gleichzeitig oder kurz hintereinander in gleicher oder ähnlicher Funktion zu beobachten sind, was vermuten läßt, daß sich eine solche Tätigkeit vom Vater auf den Sohn ,.vererbt" oder zumindest in der Familie weitergegeben wird. So verhält es sich wahrscheinlich bei den drei Neokaisareites und ihrer Protasekretis-Funktion bzw. ihrem Protasekretis-Titel an der Wende zum 14. Jh. So könnte es auch bei den Steuerbeamten Makrenos gewesen sein, wenn man sich der Auffassung ~n G. Weiß anschließt, daß der Domestikos der westlichen Themen Makrenos, bei dem der spätere Megas Dux Alexios Apokaukos als junger Mann Dienst tut,143 aus zeitlichen Gründen kaum mit dem erst im Jahre 1333 erstmals auftretenden Domestikos Konstantinos Makrenosl 44 iden140 PlanEpL 32.
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A. O. 9 (Nr. 3). A. O. Sf. Kant 11, 279. Vgl. PLP 16365. Er ist auch Pansebastos Sebastos, avanciert schließlich zum Logothetes ton agelon. Vielleicht hat dieser Titel doch auch in der Spätzeit noch eine Funktion, die mit der Beauftragung und Einsetzung von Steuerfunktionären zu tun haben
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tisch sein kann.!45 Und die vom gleichen Autor mehrfach geäußerte Vermutung von der Existenz sog. Beamtenfamilien auch noch im späten Byzanz!46 verdichtet sich ebenfalls, wenn man einige dieser Familien noch etwas genauer unter die Lupe nimmt. So finden sich unter den acht im Prosopographischen Lexikon der Palaiologenzeit verzeichneten Trägern des Namens Neokaisareites neben den drei schon erwähnten Justizbeamten auch ein Apographeus, der um 1320 in kaiserlichem Auftrag verschiedene Eigentumsregelungen zugunsten des Chilandarklosters auf dem Athos trifft,147 und ein staatlicher Salinenverwalter, der nach Verlust seines Amtes - vielleicht durch die vorrückenden Türken - vor der Gefahr der Verarmung steht. H8 Die im gleichen Lexikon verzeichneten Kinnamoi der frühen Palaiologenzeit sind vor allem Kleriker, Bischöfe und Kirchenbeamte. 149 Ein Sebastos Eustathios Kinnamos wird 1316 nur als Besitzer von Häusern und Grundstücken ~enannt, er könnte aber auch zeitweilig als Beamter tätig gewesen sein.! 0 Für das Profil der Familie bzw. der Familien Kinnamos von besonderer Wichtigkeit ist aber die nur aus lateinischen Quellen stammende Information, daß ein Träger dieses Namens gegen Ende des 13. Jh. Gouverneur der Hauptstadt gewesen ist und sich in dieser Funktion durch Rührigkeit und selbständiges Handeln ausgezeichnet hat.!5! Die Familie Oinaiotes stellt zwei Katholikoi kritai, zwei Apographeis, einen Kleriker und einen Schriftsteller, der über Besitz von Häusern und Grundstücken in und um Konstantinopel verfügt, sich durch rhetorische Bildung und astronomisches Interesse auszeichnet und vielleicht auch deshalb im Justiz- und Finanzapparat der frühen Palaiologenzeit tätig ist.!52 Verbindungen zu den Kinnamoi hat auch die schon erwähnte Familie Dishypatos. Den gleichen Familiennamen wie der als
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könnte, so wie sich das an der Wende zum 14. Jh. bei dem Briefpartner des Planudes N. Phakrases, PLP 29570, der den gleichen Titel trägt, andeutet. WeiKant 25. Die Beamtenfamilien der mittelbyzantinischen Zeit gehören seiner Auffassung nach zu den Mittelschichten, WeiBeamt 171, Anm. 59, gegen Kazhdan, der sie der Aristokratie zurechnet. PLP 20095. Er ist Megas Adnumiastes, und hatte nach H.-G. Beck, Theorie und Praxis im Aufbau der byzantinischen Zentralverwaltung, München 1974 [SB der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 1974, 8], 17, die Stammrollen der Soldaten evident und aktuell zu halten, eine Aufgabe, die auch die Steuerverwaltung tangieren könnte. Erwähnt wird dieser Neokaisarites erst 1385, PLP 20090, sein Fall liegt damals aber schon einige Zeit zurück, wie lange, kann nicht gesagt werden. Vgl. PLP 11716ff. PRK I, 288ff. (Nr. 38). Die Vermutung stützt sich darauf, daß er den Sebastos-Titel führt. Vgl. MatschGouv 83. Vgl. PLP 21018ff.
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Apographeus tätige Pansebastos Sebastos J ohannes Panaretos tragen der :n:poKae~JlEVO~ 'tOU (3EO'tLapi.ou und Pansebastos Sebastos Nikolaos Panaretos, der 1274 als Gesandter Kaiser Michaels VIII. zum Unionskonzil in Lyon bei einem Schiffsunglück vor Kap Maleas/Peloponnes ums Leben kommt,153 der Tabularios und Referendar der Großen Kirche in Konstantinopel Manuel Panaretos 154 und der Nomophylax und Schriftsteller Theodoros Panaretos. 155 Und erwähnt sei in diesem Zusammenhang schließlich auch noch einmal die Familie Bardales. Johannes, der Bruder des Protasekretis und Richters am Kaisergericht Leon Bardales findet im Jahre 1299 als Dux und Apographeus im europäischen Teil des Reiches den Tod/ 56 und ein weiterer Bardales ist im frühen 14. Jh. als Steuereintreiber in Mesothynia/Bithynien tätig. 157 Dazu kommen ein Hypomnematographos in Konstantinopel158 und ein Kaufmann bzw. Lebensmittellieferant ebenfalls in der Hauptstadt. 159 Die für verschiedene Magnatenfamilien besonders der frühen Palaiologenzeit typische Namenakkumulation ist bei den genannten Familien nicht zu beobachten. Sie besitzen keine oder nur schwache Verbindungen zum Clan der Palaiologen. Wesentlich enger sind die Bindungen dieser Familien an die Kirche und den Klerus/ 60 und einen erkennbaren sozialen Austausch gibt es auch zu den spätbyzantinischen Handels- und Geldkreisen, besonders über die Finanzverwaltung und ganz speziell über die Zolleintreibung, die nicht selten von finanzstarken bzw. risikobereiten
153 154 155 156 157 158 159 160
Vgl. PLP 21652. Vgl. PLP 21648. Vgl. PLP 21639. Vgl. PLP 2182 sowie N.S. Tana~oca, Une mention inconnue des Vlaques a la fin du XIIIe siede: Maximos Planude, Epistulae, XIV, RESEE 12, 1974, 577-582. Vgl. PLP 2179. Er kann nicht mit dem vorgenannten B. identisch sein, weil er noch 1306 erwähnt wird. Vgl. PLP 2187. RubDipl275: ser Dimitro Verdali, Grech, en Contestinoble, Zuckerlieferant, vgl. a.O. 272f. G. Weiß, Rez. Kameniates, ed. Böhlig, SOF 35,1976,409, spricht von Klerikerfamilien in mittelbyzantinischer Zeit, die nicht zur "herrschenden Klasse" gehören. KapFarn 194 spricht für die spätbyzantinische Zeit von einer kirchlichen Aristokratie, deren Mitglieder im höheren Klerus Karriere machten und dadurch ihr soziales Prestige stärkten. Daß die von ihm untersuchten Familien der Balsamones, Eugenikoi und Kabasilai zum aristokratischen Clan der Palaiologen gehörten, kann er m.E. nicht überzeugend belegen. Deutlicher wird in seinen Ausführungen aber das gleichzeitige Engagement in anderen Bereichen der Administration, so daß mir ihre Einbeziehung in eine größere Gruppe von Beamtenfamilien am sinnvollsten erscheint.
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Privatleuten gepachtet wird. 161 Die Mitglieder dieser Familien sind in der Regel nicht arm, und nicht wenige besitzen nachweislich Häuser und Grundstücke, wirkliche Großgrundbesitzer sind unter ihnen aber kaum zu finden. Sie stellen also zweifellos einen anderen sozialen Typus dar als die Magnatenfamilien. Sie sind sicherlich nicht so konsistent wie die Reichsaristokratie, aber sie bewahren ihren Charakter wohl nicht selten auch über mehr als eine oder zwei Generationen. Über ihre Familienpolitik ist fast nichts zu erfahren, aber es gibt kaum einen Zweifel, daß es eine solche Politik gegeben hat, daß durch Heiraten familiäre Kontinuitäten erhalten und gesichert wurden, daß die Familientraditionen bei der Entscheidung für bestimmte Tätigkeiten und Laufbahnen eine Rolle spielten und daß sie den Start in die gewünschten Richtungen erleichterten. Viele Mitglieder dieser Familien besaßen eine gute allgemeine Bildung, zu der eine militärische Ausbildung allerdings nicht zu gehören scheint. Sie legten Wert auf Handschriftenbesitz, waren nicht selten selbst schriftstellerisch tätig und standen in brieflichem Gedankenaustausch mit bekannten Literaten und Intellektuellen der frühen Palaiologenzeit. Was spätbyzantinischen Beamten darüberhinaus an spezieller "beruflicher" Bildung und besonderen "Fachkenntnissen" vermittelt wurde und überhaupt vermittelt werden konnte, das ist immer noch schwer zu sagen. Zwar blieb das römische Recht auch in der Spätzeit weiterhin ein Teil des byzantinischen Kulturbewußtseins l62 und juristische Bildung eine traditionelle Komponente der byzantinischen Stadtkultur, 163 aber juristische Fakultäten an den höheren Bildungseinrichtungen des späten Byzanz hat man bisher vergeblich gesucht, und ihr Verschwinden mit dem Zusammenbruch des mittelbyzantinischen Staates, ihr Fehlen im erneuerten byzantinischen Staat der Palaiologen muß die Formierung eines spätbyzantinischen Beamtentums und die Ausbildung eines spezifischen Selbstbewußtseins ganz ernsthaft behindert haben. Spätbyzantinische Richter stehen nicht nur wegen ihrer Bestechlichkeit, sondern auch wegen ihrer Inkompetenz allenthalben in der Kritik. IM Ähnliches gilt aber auch für die Steuerbeamten und Feldmesser. So geißelt der Konsul der Philosophen Johannes Pediasmos an der Wende zum 14. Jh. in seinem geometrischen Werk das barbarische Herangehen der Feldmesser an ihre Berechnungs161 Insofern stehen sie der gesellschaftlichen Mitte unzweifelhaft näher als die Magnaten, aber eine nahtlose Eingliederung in die Mesoi scheint mir trotzdem problematisch zu sem. 162 Vgl. FögGesetz 157. 163 Vgl. 1. Medvedev, Pravovoe obrazovanie v Vizantii kak komponent gorodskoj kul'tury, in: Gorodskaja kul'tura: Srednevekov'e i nacalo novogo vremeni, Leningrad 1986, 8ff., 26. 164 Aus den zahllosen Belegen sei nur auf einige Briefe des Kabasilas, NikKabEp 41 und des Kydones, KydEp I, 30 und auf Mazaris' Hadesfahrt, Mazaris 18 verwiesen.
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aufgaben und ihre völlige Unkenntnis der Geometrie. 165 Allerdings scheint in solchen und ähnlichen Urteilen auch ein ganzes Stück intellektueller Überheblichkeit von Vertretern der "reinen" Wissenschaften gegenüber denen zu stecken, die sie im praktischen Leben brauchten und nutzten und dabei um Vereinfachungen und Verkürzungen nicht herumkamen und sich immer wieder zu otKovo~ta veranlaßt sahen, zum Abrücken vom Kanon reiner Lehre im Interesse praktischer Erfordernisse. Augenscheinlich in diesem Sinne bezeichnet der Patriarch Philotheos Kokkinos den Geometer als Vertreter einer aocj>ta ~EPLKi] und stellt ihn als solchen neben den Arzt und den Architekten,166 und in die gleiche Reihe könnte wohl auch der Advokat und vielleicht sogar der Richter gestellt werden. An die Stelle juristischer Hochschulausbildung trat sicherlich nicht selten das Selbstudium, das Abschreiben und Memorieren alter Rechtstexte, und das machte durchaus noch einen Sinn, auch wenn die juristische Lebenswirklichkeit ihnen ganz und gar nicht mehr entsprach. 167 Und für die fiskalische Geometrie existierten sogar verschiedene Lehrtexte, die den praktischen Erfordernissen sehr nahekamen und die nicht nur für das Selbstudium geeignet waren, sondern die auch bei hauptstädtischen Notaren und vielleicht sogar bei Notaren in der Provinz erlernt werden konnten. 168 Und schließlich muß das Lernen im praktischen Umgang, die Weitergabe von Wissen und Erfahrung von einer Generation auf die andere bei der gemeinsamen Arbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben und zugleich identitätsstiftend gewesen sein. So kann der Apographeus und Geographos Patrikiotes 1341 erklären, daß niemand besser und professioneller als er die vom Großdomestikos Kantakuzenos in Auftrag gegebene Exisosis durchführen könne, denn er sei schon viele Jahre im Geschäft und habe dabei schon viele Gelder eingenommen, und zwar vor allem durch Können und Erfahrung, nicht mit Gewalt und mit anderen Mitteln. 169 Und es paßt durchaus ins Bild, wenn Manuel Philes diesen seinen Gönner als 'tov aocj>ov YEwy,pacj>ov bezeichnet und ihn als Jtmöaywye 't1i~ €:rtLO"t'i]~T]~ ÖA.T]~ anredet. 70 Kantakuzenos selbst setzt sogar noch eins drauf, indem er erklärt, was der Richter für 'tOL~ JtOA.mKOL~ Jtpayt-tamv bedeute, das solle der Exisotes in 'tOL~ ÖT]~O atOL~ bewirken. Der eine habe für die Euvot-tLa in den Städten zu wirken,
165 Die Geometrie des Pediasimos, ed. G. Friedlein, Programm zur öffentlichen PreiseVertheilung an der Studienanstalt, Ansbach 1866, 7; vgl. GeomFisc 249f. 166 PhilothErga III, 81. 167 FögGesetz 157, mit etwas anderer Akzentuierung. 168 GeomFisc 249: geometrie du fisc als »science des notaires". 169 Kant II, 58f. 170 Philes I, 348f.
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während der andere für eine Umverteilung von Grundbesitz sorgen und auf diese Weise recht tun und dem Gemeinnutz dienen könne. 171 Augenblicksaussagen, die auf ein solches Selbstbewußtsein bürokratischer Kräfte der frühen Palaiologenzeit hinweisen, lassen sich auch noch aus anderen Bereichen beibringen. So soll der hauptstädtische Gouverneur Kinnamos um 1290, als ihm ein genuesischer Kaufmann zum Zwekke freier Getreideausfuhr eine carta signata signo imperiali vorlegte, erklärt haben, quod dictum papyrum nihil valebat eidem,172 und das ist sicherlich kein Zeichen fortschreitender Dezentralisierung des Staatsapparates,l7J aber auch nicht unbedingt ein Ausdruck von Beamtenwillkür,174 eher vielleicht ein Hinweis auf eine ganz besondere Amtsauffassung, die den an diesem Amt hängenden Auftrag sogar dem kaiserlichen Auftraggeber gegenüber verteidigt und persönliche Konsequenzen wegen dieser selbstbewußten Haltung nicht scheut. Und der Verfasser der Apologie für die verurteilten Oberrichter, der Dioiketes Glabas, findet sogar scharfe Worte gegen den Kaiser selbst, der die Richter schon bei den ersten Angriffen gegen ihre Tätigkeit fallen gelassen habe, anstatt sie ~egen diese Angriffe zu schützen und dadurch ihre Positionen zu stärken. 1 5 Grundsätzlich bemüht sich dieses Beamtenturn der frühen Palaiologenzeit aber um Loyalität gegenüber dem politischen Regime und seinen Repräsentanten, denn dieses Regime bietet bürokratischen Existenzformen durchaus einen gewissen Raum und eine gewisse Perspektive. Mit der Rückkehr nach Konstantinopel wird der byzantinische Staat wieder mehr als ein großer Privathaushalt, als der er sich unter den Laskariden in Nikaia und Nymphaion dargestellt hatte. Um den Kaiserhof, im Bereich der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung können sich bürokratische Strukturen ausbilden und eine ganz beachtliche Konsistenz und Resistenz gewinnen. Beamtenfamilien, die über mehrere Generationen hinweg existieren, die untereinander in verwandtschaftlichen Beziehungen stehen und Familienpolitik zur Sicherung ihrer Existenz und ihrer Perspektive betreiben, werden immer mehr von einem historiographischen Phantom zu einer historischen Realität. Deutlicher sichtbar und besser lesbar werden auch bestimmte Spuren eines bürokratischen Selbstbewußtseins, gespeist von der Über:z:~ugung eigenen Könnens, eigener Erfahrung, vielleicht sogar von der Uberzeugung gesellschaftlicher Beauftragung und Bedeutung.
171 172 173 174 175
Kant II, 62. BertolNuov5er 187. So Laiou 72f. So Makr5tud 253. TheochApol81, 83.
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Exemplarisch läßt sich die Problematik des spätbyzantinischen Beamtentums an der Geschichte von zwei Familien aufzeigen, die sich zu Beginn der Palaiologenzeit auf vergleichbaren gesellschaftlichen Positionen zu befinden scheinen, dann aber erkennbar voneinander entfernen, wenn auch nicht s~ weit, daß sie ihre Ausgangspositionen dauerhaft hinter sich lassen können, gemeint sind die Familien Metochites und Meliteniotes. Die ersten Mitglieder der beiden Familien, die nach 1261 faßbar werden, sind die Palastkleriker und Kirchenbeamten Georgios Metochites und Konstantinos Meliteniotes, die von Kaiser Michael VIII. in Schlüsselpositionen seiner Unionspolitik gegenüber der Westkirche gedrängt werden, die sich nach dem Tod des Kaisers weigern, die orthodoxe Kehrtwende seines Sohnes Andronikos II. mitzumachen und deshalb bis zu ihrem Lebensende inhaftiert bleiben. 176 Dieses Schicksal der Väter hat den Karrieren ihrer Nachkommen aber nicht im Wege gestanden, sondern sie vielleicht sogar gefördert. Jedenfalls avanciert der Metochites-Sohn Theodoros schon im Jahre 1290 zum Logothetes 'tWV ~E";..WVm und übernimmt mit dieser Funktion wahrscheinlich die Verantwortung für die Auswahl und die Einsetzung von Finanzbeamten und Pfründenverwaltern und die Vergabe von Steuer- und Zollgefällen. Sein cursus honorum, der ihn schließlich bis zum Mesazon und Megas Logothetes führt, bleibt offenbar auf Dauer mit diesem Aufgabenbereich verbunden, bringt allerdings nach und nach eine Kompetenzausweitung mit sich, so daß er am Ende über die Verwaltung ganzer Regionen - Städte und Dörfer bestimmen kann, und er tut das, indem er Verwaltungs- und Steuerbezirke entweder an Meistbietende verpachtet oder sich seine Ernennung durch hohe Einstandsgelder bezahlen läßt. 178 Sein rigoroser Fiskalismus macht ihn zu einem der meistgehaßten Leute der frühen Palaiologenzeit/ 79 nicht nur bei den einfachen Steuerzahlern in Stadt und Land, sondern auch bei manchen Aristokraten, die an lukrative Verwaltungsaufgaben nicht mehr nur aufgrund ihres bekannten Namens herankamen, sondern dafür wenigstens zunächst in die eigenen Taschen greifen muß-
176 Vgl. H.-G. Beck, Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen Reich, Göttingen 1980, 199ff. 177 Vgl. PLP 17982. Zu seiner Biographie zuletzt VriesMet. 178 Greg I, 42Sf. Der Historiker referiert hier allerdings nur ein Gerücht, das zutreffend gewesen sein kann, aber nicht muß, vgl. BeyerHum 36. 179 Vgl. MatschFort 44f. Ob und in welchem Umfang sich Metochites dabei der Korruption schuldig macht, ist heftig umstritten, vgl. VriesMet 28; BeyerHum 36ff. Bedeutung hat das für die Beurteilung der Möglichkeiten zur Bereicherung, die hohe Beamte der frühen Palaiologenzeit hatten und nutzten, für die Bewertung ihrer grundsätzlichen politischen Orientierungen ist es aber eher zweitrangig.
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ten. 180 Auf der anderen Seite waren es aber natürlich in erster Linie und ganz besonders diese Aristokraten, die sich den Ankauf solcher Rechte leisten konnten, und sie haben von diesen Möglichkeiten allem Anschein nach auch regen Gebrauch gemacht,l8l konnten dadurch besser als auf jede andere Weise regionale Präsenzen verstärken, verstreute Besitzungen abrunden und private Kompetenzen durch öffentliche erweitern. Die Ambivalenz der Politik dieses obersten Reichsbeamten zeigte sich auch in seinem Bemühen, den Reichsuntertanen die Zuflucht zum Kaiser zu verbauen, ihnen also wahrscheinlich die Möglichkeit zur Klage, auch zur gerichtlichen bei zentralen Reichsinstanzen, zu nehmen und das bedeutete, daß die Reichsuntertanen nicht nur gierigen Steuereintreibern und ihren Machinationen ausgeliefert waren, sondern auch den großen Grundherren und ihren Bemühungen um den Ausbau privater Immunitäten. Schließlich nutzte Theodoros Metochites seine Stellung auch dazu, seiner Familie und besonders seinen Söhnen die Verwaltung wichtiger Städte und Stadtregionen zuzuschanzen,1S2 und sie werden damit nicht zu Stützpunkten der zentralen Administration, sondern zu Ausgangspunkten für den Versuch, selbst Zugang zur Magnatenschicht zu finden, eigenen Grundbesitz in der Provinz zu erwerben, familiäre Verbindungen zu den führenden Familien herzustellen und auch hohe militärische Kommandofunktionen zu übernehmen, die dem HerrschercIan vorbehalten waren. Durch den spektakulären Sturz des Mesazon Metochites beim Machtwechsel vom älteren zum jüngeren Andronikos wurde diese Familienentwicklung zwar gebremst, aber nicht wirklich gestoppt. l8J Wenn die 180 Zu seinen aristokratischen Gegnern gehört auch der Kaisersohn Theodor (von Montferrat), der ihn in einer als Fürstenspiegel getarnten Streitschrift wegen seiner Habgier und Machtgier massiv angreift und ihm mit der Gegenwehr des Volkes gegen seine Machenschaften droht, Neuedition der erhaltenen französischen Fassung durch Ch. Knowles, Les Enseignements de Theodore Paleologue, London 1983. Schon 1. Sevcenko, Etudes sur la polemique entre Theodore Metochites et Nicephore Choumnos, Brüssel 1962, 166, hat darauf hingewiesen, daß das Volk, von dem bei dem Palaiologensprößling die Rede ist, vor allem die Barone und Magnaten sind, die sich von Metochites geprellt und verdrängt fühlen, sie können sich zugleich als Interessenvertreter des Volkes aufspielen. 181 Daß Metochites zu den hohen Beamten gehörte, von denen sich Kantakuzenos und Syrgiannes ihre Statthalterschaften kauften, als sie mit dem jungen Andronikos ihr Komplott gegen den alten Kaiser vorbereiteten, vgl. Greg I, 292f., 302, hat J. Verpeaux, Contribution 11 l'etude de I'administration byzantine: 6 flEaa~WV, BS116, 1955, 282 durchaus begründet festgestellt. 182 Vgl. PLP 17977, 17980, 17985. 183 Greg I, 425 behauptet zwar, daß mit der Konfiskation der Güter des Großlogotheten auch seine Kinder in Armut gefallen seien, aber nur Michael Laskaris Metochites scheint 1328 als Statthalter von Melenikon abgesetzt worden zu sein. Zwei der Söhne hatten schon vor 1328 Verbindungen zum jüngeren Andronikos hergestellt, die ihnen
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Metochites in der spätenPalaiologenzeit kaum noch gewichtige Positionen einnahmen, dann sicherlich deshalb, weil ihre dauerhafte Etablierung in der Reichsaristokratie durch die äußeren Ereignisse blockiert wurde, weil sie dadurch in den gleichen Strudel gerieten, von dem auch die anderen Magnaten erfaßt wurden. 184 Ein vergleichbarer Höhenflug bleibt der Familie Meliteniotes augenscheinlich versagt. Immerhin taucht in der Spätphase der Herrschaft des älteren Andronikos ein Johannes Meliteniotes als enger Vertrauter des Kaisers auf, der in dienstlichen und wahrscheinlich auch in familiären Beziehungen zu Theodoros Metochites steht und wohl im gleichen Jahr wie der Großlogothet stirbt,185 der also sehr gut ein Sohn des Palastklerikers Konstantinos Meliteniotes gewesen sein könnte, nicht zuletzt deshalb, weil er vielleicht seinerseits einen Sohn namens Konstantin hatte, der 1362 als Arzt nachgewiesen ist und mit dem Verfasser verschiedener familiengeschichtlicher Notizen aus den 30er Jahren identisch sein könnte. 186 Der Kanzleichef J ohannes Gabras Meliteniotes und der Schatzkanzler Nikolaos Meliteniotes, die 1341 kurzfristig im politischen Leben des Reiches in Erscheinung treten, könnten bereits einer nächsten Generation dieser Familie zugehörig sein. 187
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beim Machtwechsel offenbar zugute kamen. Alexios Laskaris Palaiologos Metochites spielt als Stadtgouverneur von Thessalonike 1349150 eine Schlüsselrolle bei der Liquidierung der Zelotenbewegung, vgl. TinnKyd 11, 231; MatschThes 28f. Er ist auch als Grundbesitzer auf der benachbarten Chalkidike bezeugt. Allerdings ist am Anfang des 15. Jh. ein Andronikos Metochites als Archon und OlKELoa YLa tTJv MEyaA,1] EKKA,1]oia (1483-1567), Athen 1995. 274 Dazu K.-P. Matschke, Forschungsprobleme des Übergangs in die Turkokratie aus byzantinistischer Sicht, soll in einem von S. Faroqhi mitherausgegebenen Sammelband erscheinen.
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5. Die Gruppe der literarisch Gebildeten in der spätbyzantinischen Gesellschaft 5.1. Definition und Differenzierung 5.1.1. Einleitung Im nun folgenden Kapitel dieser Analyse der spätbyzantinischen Gesellschaft wird der Versuch unternommen, die Gesamtheit der literarisch Gebildeten bzw. Literaten als gesellschaftliche Gruppe zu erfassen. Da es dieser Gruppe vorbehalten blieb, sich schriftlich zu artikulieren, und sich aus ihr auch die politische Führung des Staates rekrutierte, scheint es sinnvoll, ihr innerhalb dieser Gesamtpublikation ein besonderes Kapitel zu widmen.· Am Anfang steht eine Definition des spätbyzantinischen Literaten (5.1.2) und ein Überblick über die Differenzierung der Literatengruppe nach den Hauptströmungen des Geisteslebens der Epoche (5.1.3). Sodann werden die Literaten bzw. Gebildeten als gesellschaftliche Gruppe sowohl nach außen, in ihrer Beziehung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten, wie auch nach innen, in ihren wechselseitigen Beziehungen, vorgestellt (5.2). Wesentliches Fundament dieser Analyse ist eine numerisch beschränkte Teilgruppe von 174 namentlich bekannten Personen, die aufgrund ihrer überlieferten literarischen Produktion in besonderem Maß als Angehörige der Gruppe ausgewiesen sind und somit repräsentative Bedeutung haben. Diese (meist männlichen) Personen werden in einer alphabetischen Liste am Schluß des Kapitels (5.8) aufgrund ihrer Lebensdaten, soweit sie bekannt sind, nach den Kategorien der Herkunft und vor allem der erreichten sozialen Stellung in ihrer Zuordnung "nach außen" untersucht und verschiedenen Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten zugeordnet. Gemäß den Angaben dieser Liste wird eine prozentuale Verteilung der Zuordnung berechnet (5.2.1). Vornehmlich die in der Liste aufgeführten Literaten werden nun unter dem Aspekt ihrer Gruppenmerkmale, ihrer wechselseitigen Beziehungen und "Vernetzungen" (5.2.2) und ihrer Abgrenzungstendenzen nach außen (5.2.3) wie auch nach innen (5.2.4) als Gruppe sui generis vorgestellt. Querverweise in den Anmerkungen dieses Kapitels beziehen sich auf vorliegendes Kap. 5, wenn nichts anderes angegeben ist.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
Ein wichtiger Sonderaspekt sozialer Vernetzung der Literaten ist ihre Einordnung in die Weitergabe des Bildungsgutes. Diesem Thema sind die Abschnitte 5.3 und 5.4 gewidmet. In 5.3 werden als konstitutive Faktoren der Gruppe das spätbyzantinische Bildungswesen (5.3.1-3) und die Lehrer-Schüler-Beziehungen (5.3.4-6) untersucht, in 5.4 die Gravitationszentren des Bildungswesens (in Konstantinopel und an andere~. Orten) vorgestellt. Der im betrachteten Zeitraum zunehmenden Offnung des byzantinischen Geisteslebens für die abendländische Kultur, die allerdings auf Teilgruppen beschränkt bleibt, ist ein besonderer Abschnitt vorbehalten (5.5). Die äußerst schwierige Frage, wie die Literaten im einzelnen ihre gesellschaftliche Umwelt wahrnahmen, kann hier nicht umfassend beantwortet werden. Die Ausführungen hierzu beschränken sich auf einige wenige Äußerungen von Literaten zu gesellschaftlich relevanten Grundsatzfragen, die als Beispiele für ein entsprechendes Interesse zu verstehen sind, aber nicht verallgemeinert werden können (5.6). 5.1.2. Definition des literarisch Gebildeten Da im folgenden die Existenz einer "Gruppe der literarisch Gebildeten" bzw. "Literaten" als kohärentes, von anderen gesellschaftlichen Gruppen deutlich unterscheidbares Gebilde vorausgesetzt wird, ist zunächst die Frage zu stellen, ob sie in der Realität nachweisbar ist. Die Gruppe definiert sich durch das einzig Gemeinsame, das alle ihre Angehörigen miteinander verband: die literarische Bildung. Literarische Bildung ist ein Phänomen aller höheren Kulturen, die über Schriftlichkeit verfügen. Die Schrift war vor dem Zeitalter der Tonkonservierung das wichtigste Medium, Gedanken unabhängig vom gesprochenen Wort festzuhalten oder sich Gedanken anderer anzueignen. Sie rangierte in dieser Hinsicht, zumindest was die Präzision der Aussage betrifft, weit vor einem anderen Medium, dem vieldeutigen Bild. Schreiben und Lesen allein aber konstituiert noch nicht literarische Bildung. Sie ist vielmehr als ein komplexes Ganzes von Wissensinhalten zu verstehen, die durch mündliche Weitergabe, aber grundsätzlich auch durch eigenes Lesen angeeignet werden und schließlich auch zur Niederschrift eigener Texte befähigen. In Byzanz wurde, vielleicht mehr als in manchen anderen Kulturen, außer der orthographischen und grammatischen Beherrschung der Sprache vom literarisch Gebildeten erwartet, sich in gepflegtem Stil ausdrücken zu können, eine Fähigkeit, die durch das Studium der rhetorischen Technik erworben wurde. Der Literat war deshalb immer auch ein rhetorisch Gebildeter. Was ihn mit Seinesgleichen verband und zugleich von anderen abgrenzte, war also vor allem eine von rhetorischer Sprachkultur geprägte gemeinsame Sprache. Diese Sprache war von der gespro-
,Definition und Differenzierung
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chenen Alltagssprache weit entfernt. Sie war vielmehr den antiken und spätantiken Texten nachgeformt, deren Studium literarische Bildung konstituierte. In dieser von den byzantinischen Gebildeten gepflegten griechischen "Reinsprache" wird das Wort Mym ("Worte, Gedanken") als Terminus zugleich für das Wissen und seine rhetorisch gestaltete schriftliche Formulierung wie auch für Literatur im weiteren Sinne verwendet. Wer sich gern und regelmäßig mit den Mym beschäftigt bzw. Mym produziert, ist ein "LMA.oyo~,,l Als Sammelbegriff für das Bildungsgut, das in Form der Mym weitergegeben wird, steht seit der Antike vorzugsweise der Begriff TCaLöeLa zur Verfügung. Der geographische Ort der Literatengruppe ist wegen der Zersplitterung des ehemaligen Reichsgebietes in der spätbyzantinischen Zeit weniger klar umrissen als in den vorausgehenden Jahrhunderten. Blieb doch das "Reich" in dieser Zeit auf einige verstreute kleine Territorien reduziert, aus denen sich Konstantinopel, Thessalonike und mehr und mehr auch Mistra auf der Peloponnes als wichtigste Zentren hervorhoben. Griechische Bildung wurde aber auch an Orten weiter gepflegt, die politisch nicht mehr zum Reich gehörten, z. B. auf der bald nach dem Vierten Kreuzzug in den Besitz Venedigs gelangten Insel Kreta, auf der von den Lusignan beherrschten Insel Zypern und im Kaiserreich von Trapezunt, und Literaten an diesen Orten standen in Kontakt mit denen, die im Reichsgebiet lebten. Sie sind also zweifellos zu dieser Gruppe zu rechnen. Noch ein anderes ist vorweg zu klären: Die methodische Beschränkung des Geisteslebens auf die Schriftlichkeit, wie sie hier für die folgenden Ausführungen programmatisch postuliert wird, zieht den Verzicht auf einen großen Bereich nach sich, der zumindest aus moderner Sicht ebenfalls zum Geistesleben gehört: die bildende Kunst in allen ihren Formen. Der Verzieht erscheint aber notwendig, weil die Zusammenfassung der Literaten und der Künstler (einschließlich der Architekten) zu einer gemeinsamen Gruppe dem sozialen Bewußtsein der Epoche nicht entspricht. Der handwerkliche Aspekt der bildenden Kunst wurde in Byzanz von ihrem geistigen Gehalt noch nicht deutlich unterschieden, mag sich auch in der Palaiologenzeit hier ein allmählicher Wandel abzeichnen. 2 Die Kunstproduktion
2
Zur Verwendung des Begriffs LAOAOYOC; siehe z. B. PachFail II, 369 (§ 14, Z. 7). Ausführlicher zur Terminologie unten, Text mit A. 76-98. Zu diesem Wandel 1. Medvedev in: Kul'tura Vizantii, III, XIII - pervaja polovina XV V., ed. G. G. Litavrin u. a., Moskau 1991, 231f., wonach die Künstler der späten Jahrhunderte allmählich beginnen, sich zur "Intelligenz" zu zählen; dies leitet Medvedev allerdings im wesentlichen aus Zeugnissen ihres wachsenden Selbstbewußtseins ab, vor allem daraus, daß sie nun nicht länger anonym bleiben, sondern mit Stolz ihren Namen nennen. Aber die Zahl dieser Künstler bleibt, verglichen mit dem Umfang des Kunstschaffens, doch recht gering.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
folgte jedenfalls im ganzen einer eigenen Gesetzlichkeit, die auch aus methodischen Gründen eine gesonderte Behandlung verdient. Im folgenden bleiben also die Begriffe "Geistesleben, geistige Strömungen" auf das beschränkt, was im Zusammenhang mit schriftlich formulierter oder formulierbarer Bildung steht. Gegen diese Beschränkung spricht auch nicht die Tatsache, daß man seit langem für Literatur und bildende Kunst gemeinsam eine neue Blüte der byzantinischen Kultur in dieser Epoche konstatiert, die man unter dem Begriff "palaiologische Renaissance" - im Englischen steht der hier genauere Begriff revival (Wiederaufleben) zur Verfügung3 - zusammenfaßt. Eine gemeinsame Sicht dieser Art ist sicher legitim, wo es um das Phänomen der Kultur als solcher geht. In einer soziologischen Analyse hingegen erscheint es nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig, Produzenten von Literatur und von Kunst getrennt zu behandeln, da dies dem Selbstbewußtsein der Epoche entspricht. Festzuhalten ist aber der Begriff des Wiederauflebens auch für die Literatur, denn tatsächlich ist die neue Blüte der literarischen Produktion in der Palaiologenzeit unbestritten. Diese Entwicklung verhalf zweifellos auch der Gruppe der Literaten in dieser Epoche zu höherem Ansehen. 5.1.3. Hauptströmungen des Geisteslebens im späten Byzanz Die literarisch Gebildeten oder Literaten sind also in der spätbyzantinischen Gesellschaft, wie noch im einzelnen gezeigt wird,~ deutlich als soziale Gruppe nachzuweisen, die vor allem durch ein einigermaßen gleich hohes Niveau der Sprachkultur verbunden war. Dennoch kann man hier nicht von einem ganz homogenen Gebilde sprechen. Dies ist bedingt durch unterschiedliche, einander z. T. widersprechende Inhalte der literarischen Betätigung und gegensätzliche Auffassungen über die Bewertung von Bildung, wie man sie innerhalb der beiden Hauptströmungen des spätbyzantinischen Geisteslebens konstatieren kann. Die eine von ihnen ist mehr auf profane, die andere vornehmlich auf religiös-theologische Inhalte ausgerichtet, doch kann man wie in früheren byzantinischen Jahrhunderten auch in der Spätzeit zahlreiche Literaten finden, die sich in verschiedenen Lebensphasen oder auch nebeneinander mit beiden Polen der Literatur beschäftigten.
3
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1. Sevcenko, The Palaeologan Renaissance, in: Renaissances before the Renaissance: Cultural Revivals of Late Antiquity and the Middle Ages, ed. W. Treadgold, Stanford 1984, 144-171 (Text), 201-223 (Anmerkungen). S. u., 5.2.
, Definition und Differenzierung
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Im profanen Bereich wurden auch in dieser Epoche die bereits früher gepflegten Literaturformen weitergeführt: Geschichtsschreibung, Epistolographie, diverse Formen der Rhetorik (Lobrede, vor allem am Kaiserhof, Grabrede, aber auch seit langem Ruhendes wie die beratende Rede), Dichtung (Weiterführung byzantinischer und Wiederaufnahme antiker Formen, z. T. Neuansätze in der Volkssprache), Beiträge zu politischen Zeitfragen sowie zu allen damals bekannten Wissenschaften: Philosophie, Philologie, Rhetorik, Medizin, Jurisprudenz, Naturwissenschaften (das sog. Quadrivium, also Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, sowie einige Spezialwissenschaften wie Zoologie usw.) und Geographie. Es wurden aber auch neue Bereiche erschlossen. Vor allem wird eine erhöhte Neigung zu inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem geistigen Erbe der Antike erkennbar. Man hat die entsprechende Strömung vielfach als "humanistisch"S bezeichnet; doch kann dieser Begriff auch zu Mißverständnissen führen und sollte deshalb mit Vorsicht verwendet werden. 6 Die vertiefte Hinwendung zur Antike läßt sich für folgende Bereiche beobachten: 1. Man beschäftigte sich eingehender und grundsätzlicher als zuvor mit Fragen der Philosophie und der Naturwissenschaften im Sinne der antiken Tradition, sowohl in der Unterrichtspraxis wie auch in Spezialabhandlungen und in großen Enzyklopädien. Im 15. Jh. führte dies schließlich bei einigen zu einer Übernahme gedanklicher Inhalte des heidnisch-antiken Denkens. 7 2. Gedanken und Stil mancher antiker Autoren wurden zum Gegenstand gelehrter Reflexionen oder Disputationen. 3. Die Textphilologie auf der Basis verfeinerter Editionsmethoden und die Kunst des Kommentierens antiker Texte erreichten eine neue Blüte und in wenigen Fällen ein bis dahin nicht erreichtes Niveau. 4. Erstmals wurden in Konstantinopel in größerem Umfang lateinische Klassiker, Prosaautoren wie Dichter, ins Griechische übersetzt. Man hat diese Hinwendung zur Antike sozialpsychologisch als Flucht aus der politisch unruhigen Gegenwart in die goldene Ferne der Vergangenheit gedeutet. Fragt man aber einen Zeitzeugen wie Th. Metochites, dann erscheint dieses Phänomen in anderem Licht. Nach seiner Über5 6
7
HungGrund XX, 1959, 136 spricht von "christlichem Humanismus griechischer Prägung". Vgl. ferner VerpChoum, BeckHum, MedGum, PodTheol124ff. und andere. VriesMet 11-22 unterwirft den Begriff "Humanismus" wegen seiner Unschärfe einer eingehenden Kritik und lehnt die Bezeichnung zumindest des Metochites als "Humanist" entschieden ab. Mit VriesMet setzt sich BeyerHum kritisch auseinander, gibt ihr aber im wesentlichen recht. Hier sind vor allem zu nennen: G. G. Plethon (BlumPleth; WoodhPleth) und ein gewisser Jubenalios (WoodhPleth 315-317). Vgl. auch S. Vryonis, The "Freedom of Expression" in Fifteenth Century Byzantium, in: La notion de liberte au Moyen Age: Islam, Byzance, Occident, ed. G. Makdisi u.a., Paris 1985,261-272.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
zeugung besitzt die antike Literatur vielmehr in besonderer Weise die Eigenschaft, das praktische Handeln zu fördern, und er nennt als Beispiele die Kriegs- und die Staatskunst, persönliche Beziehungen zu Freund und Feind und das Verhalten in schwierigen Lebenssituationen. Das Lesen solcher Texte vermittele sogar mehr Lebenserfahrung als das Reisen. 8 Doch zeichnete sich in dieser Epoche auch gerade diesem literarischen Klassizismus entgegen, wie bereits zuvor einmal im 12. Jh., nun aber deutlicher, die Tendenz ab, Unterhaltungsliteratur in der gesprochenen Sprache oder wenigstens in einem Idiom zu schreiben, das sich dieser Volkssprache annäherte. Die Mehrheit der byzantinischen Autoren blieb freilich von der Spätantike bis in die Palaiologenzeit hinein zumindest der Intention nach dem Konzept der Nachahmung (!.t.LILTlOLC;) antiker und spätantiker Sprach- und Stilmuster verpflichtet. Um so bemerkenswerter ist die Durchbrechung dieses Prinzips im Falle des Versromans, der nun grundsätzlich, sei er byzantinisches Original oder Übersetzung, zugunsten der Volkssprache von diesem sprachlichen Muster abweicht. 9 Einen großen Anteil an der literarischen Hinterlassenschaft der Byzantiner nimmt auch in der Spätzeit die religiös-theologisch geprägte Literatur ein. Traditionell beschäftigten vor allem Kontroversen auf diesem Feld einen größeren Anteil der Bevölkerung, weil sie tief in die kirchliche Praxis hineinreichten und deshalb nicht nur die literarisch kundigen geistigen Führer, sondern auch ihre Anhänger in Atem hielten; z. T. spielten auch politische Gesichtspunkte mit. Dies gilt vor allem für die erste der vier wichtigsten miteinander konkurrierenden theologischen Gruppen, die sog. AatLv6poVE~, welche eine Annäherung an die römische Kirche befürworteten. Die im wesentlichen politisch motivierten Bemühungen Kaiser Michaels VIII. (1259-82), eine Union der orthodoxen mit der römischen Kirche zu erreichen, veranlaßten eine Reihe von theologisch gebildeten Literaten dazu, die im Osten kontroversen römischen Lehren, vor allem die über den Primat des Papstes und über den Ausgang des Heiligen Geistes, in ihren Schriften in romfreundlichem Sinne zu beantworten. Nach der Beendigung der unionistischen Politik unter Andronikos 11. (1282-1328) verfiel die Literatur dieser Gruppe zunächst dem kirchlichen yerdikt. Einige Unionsfreunde blieben aber auch nach der Wende ihrer Uberzeugung treu und zeigten
8 9
Theodoros Metochites, Miscellanea, ed. Ch. G. Müller / Th. Kießling, Leipzig 1821, 744-747, Nr. 111. H.-G. Beck, Besonderheiten der Literatur in der Palaiologenzeit, in: Art et Societe a Byzance sous les Paleologues. Actes du Colloque organise par l' Association Internationale des Etudes Byzantines aVenise, Sept. 1968, Venedig 1971, 41-52 (auch in: BeckId XIX), hier 48f.
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großen intellektuellen 10 Mut in der Verteidigung ihres Standpunktes, vor allem Patriarch Johannes XL, der 1297 im Gefängnis starb, und G. Metochites, der Vater des Theodoros, der seine Standhaftigkeit mit jahrelanger Kerkerhaft büßte. Unter Kaiser Johannes V. (1354-91) ging dessen führender Staatsmann (Mesazon) D. Kydones noch einen Schritt weiter. Er versuchte nicht nur in mehreren Schriften ll die Richtigkeit der römischen Theologie zu erweisen, er übersetzte auch zahlreiche lateinische Werke der Scholastik ins Griechische l2 und trat schließlich selbst zur römischen Kirche über, fand aber damit bei seinem Kaiser nur vorübergehend, bei den kirchlichen Amtsträgern keinerlei Zustimmung. 13 Um ihn scharte sich eine Reihe von Gleichgesinnten, die sich früher oder später der römischen Kirche zuwandten und, wie schließlich auch Kydones, von der byzantinischen Orthodoxie abgelehnt, aus Byzanz emigrierten. 14 Eine letzte Generation "lateinisch" gesinnter Byzantiner ist im Umfeld des Konzils von Ferrara-Florenz zu nennen. Ihr berühmtester Vertreter war Kardinal Bessarion. Mit den Unionsfreunden setzte sich die Gruppe der Unionsgegner auseinander, deren geistige Führer ebenfalls literarisch gebildet waren. Der Versuch der ersteren, den Konsens der byzantinisch-orthodoxen mit der römischen Lehre zu erweisen, stieß auf den Widerspruch orthodoxer Kreise, die vor allem in den entscheidenden Fragen wie Primat und Filioque tiefe Glaubensunterschiede feststellten. Diese Auffassung blieb nicht nur bis zum Ende des Reiches, sondern sogar bis zur Gegenwart in der orthodoxen Kirche die beherrschende. Man kann zumindest einigen Vertretern der Unions gegner theologischen Sachverstand und ehrliche Aufgeschlossenheit für den gegnerischen Standpunkt nicht absprechen. So gehörte auch Patriarch J ohannes XI. anfänglich dieser Richtung an, geriet dadurch in Gegensatz zu Kaiser Michael VIII., der die Union wünschte, und büßte für seine Überzeugung mit Gefängnishaft, bis er zu einem offenbar auf Einsicht beruhenden Gesinnungswandel fand; dieser brachte ihm allerdings unter Andronikos 11., dem Sohn und Nachfolger Michaels, der die Union ablehnte, erneute Haft ein. 15 Auch andere, die unter Michael VIII. offen ihre unionsfeindliche Überzeugung vertraten, handelten 10 Der Begriff des "Intellektuellen" wird hier im Sinne einer gebildeten Persönlichkeit verwendet, die bereit ist, ihre Überzeugung in der Gesellschaft öffentlich zu vertreten und dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen. 11 Angaben zu den einschlägigen Werken bei TinnKyd 1/1, 63. Vgl. auch die Apologien I und 11 (a. O. 66). 12 TinnKyd 111, 68-72. 13 TinnKyd 1/1, 16ff. 14 S. u., Text mit A. 742-75l. 15 Über den Patriarchen zusammenfassend P. Schreiner, LexMA V, 1991, 550f.
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sich dafür Mißhandiungen16 oder Verbannung17 ein. Manche lehnten aber erst nach der unionsfeindlichen Wende unter Andronikos 11. den römischen Standpunkt offen ab, während sie sich vorher eher unionsfreundlich verhalten hatten, so vor allem Patriarch Gregorios 11. und sein Schüler Th. Bollas Muzalon; für M. Planudes besteht zumindest der Verdacht, daß sich unter dem Einfluß der politischen ERtwicklung auch seine .. d 18 Uberzeugung än erte. Die zweite bedeutende Gegnerschaft aufgrund unterschiedlicher theologischer Überzeugungen entwickelte sich in der Spätzeit zwischen den Anhängern und den Opponenten des Gregorios Palamas. 19 Dieser errichtete zusammen mit einigen Gleichgesinnten, vor allem dem späteren Patriarchen Philotheos, zur Erklärung und Verteidigung mystischer Praktiken und Erlebnisse in Mönchskreisen des frühen 14. Jh. ein an den Vätern orientiertes, aber dennoch in seiner Art eigenständiges theologisches Gebäude, das auf einer Synode zu Konstantinopel 1351 unter dem Vorsitz des Kaisers J ohannes Kantakuzenos als orthodoxe Lehre bestätigt wurde. Die ersten Einwände gegen die palamitische Theologie erhob der orthodoxe Mönch Barlaam von Kalabrien, der anfangs nur an den mystischen Praktiken seiner Mönchsbrüder Anstoß genommen hatte. Nach ihm geriet der Mönch Gregorios Akindynos, der ursprünglich mit Palamas befreundet gewesen war und vergeblich versucht hatte, zwischen den Parteien zu vermitteln, mehr und mehr in das Fahrwasser der Palamasgegner. Ein dritter Opponent erstand Palamas in dem bedeutenden Literaten Gregoras, der 1351 mit anderen Antipalamiten kirchlich verurteilt wurde und seine Unbeugsamkeit mit Haft (Hausarrest in seiner Wohnung im Chorakloster) bezahlte. Weitere bedeutende Gegner der palamitischen Theologie waren die Gebrüder Kydones, von denen aber nur Prochoros, Mönch der Athos-Lavra, 1368 von der Bischofssynode zu Konstantinopel verurteilt wurde;20 sein Bruder Demetrios wurde zwar als Unionsfreund, Konvertit und Antipalamit angefeindet, verfiel aber wegen seiner hohen politischen Stellung und der Protektion, die ihm zuerst Johannes V., später dessen Sohn Manuel gewährte, zu Lebzeiten wahr-
16 Z. B. J. Melias Jasites, PLP 7959. 17 Z. B. Meletios Homologetes, PLP 17753. 18 Über ihn zusammenfassend F. Tinnefeid, LexMA VII, 1994, 1462. Der hier skizzierte Antagonismus zwischen Unionisten und Antiunionisten bzw. Anti- und Prolateinern wird im folgenden unter zwei Aspekten eingehender behandelt, einmal aus der Sicht der Abgrenzungen innerhalb der Literatengruppe (Text mit A. 355-371), ein zweites Mal unter dem Aspekt der Öffnung der Literaten zum lateinischen Westen (5.5). 19 Ältere Literatur bei D. Stiernon, Bulletin sur le palamisme, REB 30, 1972, 232-341. Neuere Literatur: PLP 21546. 20 TinnKyd 1/1,237-244; 1/2, Nr. 81.
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scheinlich nicht dem Anathema. 21 Unter den Gegnern der palamitischen Lehre, die nach P. K ydones in Konflikt mit der Orthodoxie gerieten, ist als erster J. Kyparissiotes zu nennen. Er verließ spätestens 1376 Konstantinopel und begab sich schließlich nach Rom, von wo er aber anscheinend, als sich eine für ihn giinstigere Situation ergab, ca. 1378/79 wieder nach Byzanz zurückkehrte. 22 Unter den Patriarchaten Neilos' I. (137988) und Antonios' IV. (1391-97) mußte der Antipalamit Konstantinos Asanes je einmal ein Bekenntnis seiner Rechtgläubigkeit ablegen und den Lehren des Barlaam und Akindynos abschwören. 23 Im Herbst 1396 verließ D. Kydones angesichts einer neuen Verfolgungswelle gegen die Antipalamiten Konstantinopel und begab sich zunächst nach Italien.24 Kurz zuvor hatte sein Schüler und Freund Manuel Kalekas, u. a. wegen Schikanen palamitischer Mönche gegen seine Schule, mit der orthodoxen Kirche gebrochen und war in der genuesischen Siedlung Pera am Goldenen Horn in den Dominikanerorden eingetreten. 25 Noch im 15. Jh. polemisierte u. a. der Antiunionist Markos Eugenikos gegen die Antipalamiten. 26 Häufig, wenn auch nicht durchweg, ist seit Beginn des Palamitenstreites um 1335 eine Tendenz zur Verbindung der romfreundlichen mit einer antipalamitischen Gesinnung erkennbar. Entsprechend neigten die Palamiten eher zur Betonung der orthodoxen Eigenständigkeit gegenüber der Papstkirche, vor allem der machtvolle Patriarch Philotheos. Es soll nicht behauptet werden, daß die theologische Literatur der Epoche ohne Ausnahme je einer dieser vier Richtungen zuzuordnen ist. Es gab daneben auch weniger langlebige Kontroversen wie z. B. den sog. Arsenitenstreit. In zahlreichen theologischen Werken spielen Kontroversen gar keine oder nur eine marginale Rolle; doch gehörten die Verfasser dieser Literatur oft doch zumindest als Gemäßigte zu einer der genannten Richtungen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist Nikolaos Kabasilas, der zwar sicher kein Gegner des Palamas war, seine theologischen Werke aber vornehmlich in direkter Anlehnung an die Lehren der Kirchenväter konzipierte und sich weitgehend aus der Kontroverse heraushielt. Bisher war nur von Gegensätzen innerhalb des theologischen Lagers die Rede. Es bestand aber auch ein Antagonismus zwischen der Theolo21 Das früheste Zeugnis für seine Anathematisierung stammt aus dem Jahr 1404 (sechs Jahre nach seinem Tod), TinnKyd 1/1, 52 mit A. 286. 22 TinnKyd II, 86, 163. 23 LetMan XXVIII mit A. 10. 24 TinnKyd 1/1, 47. 25 KalekEp, Nr. 5I. 26 ODB 742. Die Auseinandersetzungen zwischen Palamiten und Antipalamiten werden unter dem Aspekt der Abgrenzungen innerhalb der Literatengruppe eingehender behandelt unten, Text mit A. 342-354; vgl. auch Text mit A. 320-326.
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gie bzw. gewissen Richtungen der Theologie und der an antikes Gedankengut anknüpfenden Philosophie bzw. der antik-heidnischen Bildung (:rcmöeLa), der nach Meyendorff im wesentlichen zwischen Palamismus und, wie er es nennt, "Humanismus" ausgetragen wurde. 27 Er sieht in den Lehren des Palamas die siegreiche Reaktion gegen wiederaufkommende Tendenzen, wie sie im mittelalterlichen Byzanz zum ersten Mal im 11. Jh. bei Michael Psellos und seinem Schüler Johannes halos erkennbar wurden. Typisch für diese geistige Strömung waren Versuche, eine Harmonie zwischen philosophischer Erkenntnis und christlichem Glauben herzustellen oder sogar noch einen Schritt weiterzugehen und Philosophie als selbständige Disziplin gleichsam parallel zum Glauben zu betreiben. In jedem Fall erschien ein solcher Rationalismus, der dem diskursiven Denken und seinen Syllogismen zumindest gleiches Recht neben der göttlichen Offenbarung zuzubilligen schien, der amtlichen Orthodoxie verdächtig und wurde von ihr bekämpft. So lehnte auch Palamas im 14. Jh. die griechische Philosophie als ein "Trugbild der wahren Weisheit" ab und gestand ihr einen Nutzen nur in ihrer Eigenschaft als "Heilmittel gegen ihre eigenen Bisse" zu. Beck28 hat allerdings gezeigt, daß sich die Situation des 11. Jh. nicht ohne weiteres auf die Spätzeit übertragen läßt, weil sich im Palamitenstreit beide Seiten in erster Linie auf die Vätertradition beriefen, die sie jeweils in ihrem Sinne interpretierten, und erst in zweiter Linie auf philosophische Überlegungen. Wo aber, wie z. B. bei Barlaam, Philosopheme zur Begründung der Gotteserkenntnis Anwendung fanden, wurden sie jedenfalls von Palamas und seinen Anhängern als "Weltweisheit" scharf abgelehnt. 29 Noch bis zur Gegenwart werden der sog. Humanismus und der sog. Palamismus in ihrer kulturellen Bedeutung unterschiedlich beurteilt. Die einen sehen im mystischen Enthusiasmus ein bildungsfeindliches Element, das früher oder später den Widerspruch eines an der Antike orientierten Bildungsideals herausfordern mußte. JO Andere, vor allem Meyendorff, sehen es umgekehrt: Die humanistische Strömung der Epoche habe nicht über die notwendige Schöpferkraft verfügt, die ihr eine Zukunftsperspektive hätte eröffnen können; dagegen habe der Hesychasmus, der 27
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Meyendorff, Society and culture in the fourteenth century. Religious problems, in: ABuc I, 111-124, hier 112f. Zur Problematik des Begriffs »Humanismus" s.o., Text mit A. 5 und 6. 28 BeckHum 66. 29 Meyendorff, a. O. 115f.; ausführlicher darüber unten, Text mit A. 308-314. 30 Vgl. A. Kazhdan in seiner Rezension des Buches von J. Meyendorff, Byzantium and the Rise of Russia, Speculum 57, 1982, 156: " ... Byzantine Hesychasm, regarded by many scholars as a backward, reactionary movement which was directed against the ,Palaeologan Renaissance' ... ".
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bereits seit den frühen Zeiten des Mönchtums den Weg zur unmittelbaren Vereinigung mit Gott im Gebet gewiesen habe, der byzantinischen und nachbyzantinischen orthodoxen Gesellschaft neue Lebenskraft verliehen. Sicherlich beschränkte das hesychastische Mönchtum sich nicht auf den Rückzug in spirituelle Kontemplation. So sehr die Mystik ein Teil des hesychastischen Lebensprogramms war, so wenig ist doch auch das aktive Wirken dieser Mönche in der Welt zu übersehen. Ja, sie suchten von Zeit zu Zeit geradezu die Öffentlichkeit, um ihr Lebenskonzept zu propagieren. Einige ihrer leitenden Persönlichkeiten organisierten Aktionsgruppen, die unter der Laienbevölkerung in den Städten wirken sollten. Auch Palamas selbst suchte zum Mißvergnügen seiner Gegner immer wieder das Gespräch mit dem Volk, und er verlangte dies ebenso von anderen. Auch die Wundertaten, von denen die hesychastischen Schriftsteller zu berichten wußten, waren ein Teil ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Schließlich präsentierten sich die Hesychasten als die eigentlichen Vollender des humanistischen Bildungsauftrages, indem sie behaupteten, erst durch die Diener des Evangeliums sei die antike Philosophie von ihren Irrtümern befreit worden. Suchten sie hiermit die weltlich Gebildeten, also die "Humanisten" zu überrunden, so erwiesen sie sich auch in anderer Hinsicht gegenüber diesen als die besseren Propagandisten. Viele humanistisch Gebildete standen eher dem Volk fern; sie nutzten Bildung und Wissen nicht zur "Aufklärung" des Volkes, sondern grenzten sich als Bildungselite vom Volk ab. Die Hesychasten hingegen konnten sich viel leichter beim Volk Gehör verschaffen. So war der Sieg des palamitischen Hesychasmus in der orthodoxen Kirche von Byzanz nicht gleichbedeutend mit allgemeiner Weltflucht und mönchischer Isolation, sondern schloß ein gesellschaftliches Engagement geradezu mit ein. ll Das bezeugen auch hesychastisch gesinnte Prediger aus dem hohen Klerus wie z. B. Patriarch Neilos 1., der von seinen Gläubigen ausdrücklich eine im Alltag gelebte Glaubenspraxis forderte. l2 Jedenfalls zeigt die Übersicht, daß das Geistesleben der Palaiologenzeit von starken Gegensätzen geprägt war, und die Auseinandersetzungen nahmen eine solche Schärfe an, daß es nicht übertrieben ist, von einer geistigen Krise zu reden, die mit dem Scheitern der Unionisten nach 1282 und mit den Verurteilungen der Antipalamiten auf den Synoden von 1351 und 1368 Höhepunkte erreichte und auch im 15. Jh. noch ihre Auswirkungen zeigte. Es ist nicht Ziel dieser Ausführungen, die Krise im
31 MatschOrth 41-46. 32 H. Hennephof, Das Homiliar des Patriarchen Neilos und die chrysostomische Tradition, Leiden 1963, 18.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
einzelnen zu beschreiben.)) Die Zeichnung ihrer Umrisse dient nUr als Hintergrund für die folgenden Ausführungen über die Träger der geistigen Auseinandersetzung, die Literaten, und die Gel?,ensätze und Spannungen innerhalb dieser Gruppe, wie sie weiter unten 4 näher beschrieben werden. Es sei am Schluß nochmals betont, daß die hier angedeuteten Antagonismen natürlich nicht die reale Existenz einer Literatengruppe in Frage stellen können, wie sie zuvor3; definiert wurde. Die Gegensätze und Spannungen innerhalb der Gruppe wurden ja nur dadurch möglich, daß man auf einem gemeinsamen geistigen Niveau mit- oder gegeneinander argumentieren konnte. Diese Gemeinsamkeit bestand auch, wie im folgenden gezeigt werden soll, unabhängig von der Zugehörigkeit der Literaten zu verschiedenen sozialen Schichten.
5.2. Die Literaten als gesellschaftliche Gruppe 5.2.1. Zur prozentualen Verteilung der sozialen Herkunft
und Position der Literaten Die Gruppe der Literaten ist als eine statistisch nicht genau erfaßbare Groß gruppe in der spätbyzantinischen Gesellschaft zu verstehen. Zählt man ZUr ihr alle, die über eine einigermaßen solide sprachlich-rhetorische Grundbildung verfügten und in der Lage waren, sich schriftlich, also zumindest in Briefen/6 zu äußern, dann ist es nicht möglich, den Umfang der Gruppe auch nur annähernd numerisch zu erfassen. Es gehörten ja nicht nUr alle bezeugten Briefpartner dazu, von denen kein persönlicher Brief erhalten ist, sondern grundsätzlich die meisten Männer und ein gewisser Anteil von Frauen der Oberschicht,37 zudem von den Berufsgruppen, soweit sie sich nicht der Oberschicht zuordnen lassen (höhere Beamte und höhere Kleriker), auch die mittleren Beamten und Kleriker, weil eine gewisse Beherrschung der griechischen Schriftsprache Vorbedingung ihrer Stellung war, schließlich auch die Kopisten, die man in der Regel nicht als rein mechanische Abschreiber ihrer Texte verstehen darf. Wieviel Prozent der Gesamtbevölkerung diese Großgruppe umfaßte, läßt
33 34 35 36
Vgl. dazu TinnKrise, insb. 290-294. 5.2.4. 5.1.2. Zur großen Zahl der erhaltenen Briefe aus spätbyzantinischer Zeit (mehr als 6000) vgl. SmetEp 63. 37 Vgl. LaiouWomen 256: "The high aristocracy, in any case, was literate, and some of its women were very weil educated indeed." Siehe auch TalbNuns.
· Die Literaten als gesellschaftliche Gruppe
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sich kaum berechnen. Vielleicht geht eine Schätzung auf 10-15% nicht ganz fehl. Will man aber über die Gruppe einige konkretere Aussagen machen, dann empfiehlt sich die Beschränkung auf eine repräsentative Teilgruppe namentlich bekannter Personen. Hier kommen am ehesten die in Frage, die durch eine bedeutende oder wenigstens einigermaßen nennenswerte schriftliche Hinterlassenschaft (durch profane oder religiös-theologische Werke oder auch nur durch eine größere Zahl von Briefen, in wenigen Fällen auch durch das besonders qualifizierte Zeugnis anderer) bekannt sind. Dieser engere Literatenkreis, der in der Mehrzahl Personen aus dem byzantinischen Reichsterritorium, aber auch einige aus Randgebieten der byzantinischen Kultur (Trapezunt, Kreta, Zypern) umfaßt, wird unten in einer alphabetischen Liste (5.8) vorgestellt. Die Zahl von 174 erfaßten Personen (darunter nur sehr wenige Frauen) ist nur in begrenztem Maße als repräsentativ zu verstehen. Ein Anspruch auf quantitative Vollständigkeit wird nicht erhoben, da bei der Auswahl im einzelnen Willkür unvermeidbar ist. 38 Es sollte aber zumindest kein wichtigerer Literat fehlen. Entsprechend werden innerhalb der Liste Personen, die ein umfangreicheres Werk oder ein Werk von besonderer Bedeutung hinterlassen haben, besonders gekennzeichnet. Nicht aufgenommen wurden wegen der Notwendigkeit von Lebensdaten für die folgende statistische Auswertung anonyme Verfasser, mögen ihre Werke auch bedeutend sein, ferner die Autoren, die sich vor 1453 nicht schriftlich geäußert haben, wie die Geschichtsschreiber Kritopulos von Imbros, Laonikos Chalkokondyles, Dukas oder auch Michael Apostoles. Es wird aber hier schon ausdrücklich betont, daß das biographische Material selbst für diese Zahl bedeutenderer Literaten lückenhaft ist und folglich trotz ihrer begrenzten Zahl die statistische Auswertung unvollkommen bleiben muß. Das Prinzip, nur die Literaten in die Liste aufzunehmen, die durch hinterlassene Werke ausgewiesen sind, führt im Falle der Briefpartner des 38 Vgl. z. B. die bei SmetEp 27-57 aufgelistete Zahl von nicht weniger als 355 griechischen Briefschreibern im gleichen Zeitraum. Daß auch die Forschung der Gruppe der wichtigeren bekannten Literaten immer noch neue Namen hinzufügen kann, zeigt das Beispiel des Georgios Karbones. Vgl. zu seiner Person R. Browning, A Byzantine scholar of the early fourteenth century: Georgios Karbones, in: Gonimos. Neoplatonic and Byzantine studies presented to L. G. Westerink at 75, ed. J. Duffy I J. Peradotto, Buffalo/NY 1988, 223-231. - Die in der Liste 5.8 vorgenommene soziale Einordnung stützt sich im wesentlichen auf das PLP; doch werden dessen Angaben aus anderen Quellen ergänzt. - Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in diesem ganzen Kapitel die in der Liste aufgeführten Literaten aus Raumgründen mit abgekürztem Vornamen zitiert werden; der volle Name ist der Liste zu entnehmen. Vornamen werden nur ausgeschrieben, wenn sie bei zwei Personen gleichen Nachnamens mit demselben Buchstaben beginnen oder auch, wenn der Nachname unbekannt ist, ferner bei Kaisern und Patriarchen.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
M. Planudes zu folgendem Ergebnis: Von den 122 Briefen dieses hochgelehrten Mönches sind an Personen, die in der Liste vorkommen, die folgenden Briefe gerichtet: 2 an L. Bardales, 6 an N. Chumnos, 23 an Patriarch Johannes XIII., 28 an Th. Xanthopulos, 33 an M. Bryennios, 64 an Patriarch Arsenios, 67 an Th. Muzalon, 68 an Th. Kantakuzene und 84 an M. Philes. Seine häufigsten Briefpartner aber sind der Logothet Phakrases, der General Alexios Tarchaneiotes Philanthropenos39 und der Mönch Melchisedek, Sohn des Georgios Akropolites. 40 Natürlich waren auch diese und andere Briefpartner des Planudes "Literaten", aber doch vorwiegend, als Beamte, Offiziere oder Geistliche, mit praktischen Aufgaben befaßt; jedenfalls sind im vorliegenden Fall weder ihre Antwortbriefe überliefert, noch sind sie als Autoren nachweisbar. Sie werden daher nicht in die Liste aufgenommen. Die Auswertung der Liste soll mit der Frage nach der sozialen Herkunft der dort aufgeführten 174 Literaten beginnen. Leider ist dazu das biographische Material besonders lückenhaft. Es scheint zwar sicher zu sein, daß literarische Bildung im allgemeinen etwas kostete41 und deshalb einen gewissenen sozialen Standard des Elternhauses voraussetzte, aber über die Herkunft und das Vorleben der meisten Literaten ist zu wenig bekannt, als daß sie sich einwandfrei belegen ließen. Nur für etwa 50 Personen der Liste ist mit einiger Wahrscheinlichkeit die Herkunft aus einer angesehenen oder begüterten Familie nachweisbar; etwa 20 waren eher von bescheidener Abkunft; bei allen übrigen, also bei ca. 60%, kommt man über Vermutungen (etwa Schlüsse aus einem existierenden oder nichtexistierenden Familiennamen) nicht hinaus. Es läßt sich also vom biographischen Befund her die Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten, ob die soziale Stellung der Eltern grundsätzlich von entscheidender Bedeutung für den später erworbenen Bildungsgrad war. Man sollte zumindest Ausnahmen von der Regel des bezahlten Unterrichtes annehmen und entweder mit Autodidakten oder auch mit der Förderung begabter Kinder durch verantwortungsbewußte, nicht auf Gewinn bedachte Lehrer rechnen, jedoch den Prozentsatz der Ausnahmen nicht zu hoch ansetzen. Ein enger Zusammenhang zwischen dem Zugang zur Bildung und der gesellschaftlichen Stellung des Elternhauses ist kaum zu bezweifeln, doch ist damit nicht gesagt, daß Kindern aus begütertem Elternhaus grundsätzlich der Zugang zu literarischer Bildung offenstand. Ergiebiger ist das Listenmaterial für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen literarischer Bildung und der erreichten sozialen Position. 39 Vgl. zu diesem ODB 1649. 40 Vgl. zu diesem PLP 523. 41 Zur Bezahlung der Lehrer s. u., 5. 3. 3.
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Im folgenden wird eine Übersicht gegeben, wie sich Literaten der Liste anderen gesellschaftlichen Gruppen zuordnen lassen. Es werden weltliche und geistliche Gruppen unterschieden. Als weltliche Gruppen kommen, abgesehen von drei Kaisern der Spätzeit, in Frage: Beamte, vor allem am Kaiserhof, in höchster oder hoher Position; Personen, die dem Kaiserhof nahestanden, ohne Beamte zu sein; Privatgelehrte; Privatlehrer; Angehörige verschiedener Berufe. Zu den s.eistlichen Gruppen zählen: Patriarchen, Metropoliten, höhere Kleriker, Abte, Mönche und Nonnen. Jede Person wird nur einer Gruppe zugerechnet, auch wenn ihre Karriere sie über mehrere Gruppen aufsteigen ließ. Ausschlaggebend für die Eingliederung ist in der Regel die höchste erreichte Position. So wird Johannes VI. in der Gruppe der Kaiser und nicht unter den Mönchen aufgeführt, obwohl er die letzten 28 Jahre seines Lebens als Mönch, allerdings nach wie vor in einflußreicher Position, verbrachte. Auch in manchen anderen Fällen wird bei der Angabe die Position vorgezogen, die im Laufe des Lebens die entscheidende war. So erscheint Maximos Planudes in der Gruppe der Mönche, obwohl er vor seinem Eintritt in das Kloster eine hohe Beamtenstellung am Kaiserhof hatte. Seine Lehrtätigkeit, durch die er bedeutend wurde, übte er im wesentlichen als Mönch aus. Wir beginnen mit den Angehörigen weltlicher Berufe. Sie sind in der Liste wie folgt verteilt: Nächst den drei Kaisern der Epoche, die Schriftliches hinterlassen haben (1,7%):2 sind neun Literaten (5,2%) zu nennen, welche die hohe Position eines nur dem Kaiser verantwortlichen Staatslenkers (Megas Logothetes oder Mesazon) erreichten:3 18 Literaten (10,3%) bekleideten eine andere hohe Beamtenstellung.44 Noch weitere 17 Personen (9,8%) standen den Kaiserhöfen von Konstantinopel oder Trapezunt bzw. dem Despotenhof von Mistra (Peloponnes) nahe, waren aber vermutlich nicht Beamte:s Nur als Privatgelehrte sind uns zehn Personen 42 Johannes VI., sein Sohn Matthaios und Manuel II. 43 G. und K. Akropolites (Vater und Sohn), G. Amirutzes, D. Chrysoloras, N. Chumnos, D. Kydones, Th. Metochites, Th. Muzalon und G. Sphrantzes. 44 L. Bardales, M. Gabras, G. Gemistos Plethon (Mistra), Th. Kabasilas, G. Lakapenos, N. Lampenos, Ph. Logaras, K. Lukites (Trapezunt), Mazaris (?), M. Neokaisareites, Matthaios Panaretos, Michael Panaretos (Trapezunt), G. Phakrases, St. Sguropulos (Trapezunt), M. Tarchaneiotes, Th. Xanthopulos, A. Zarides (Gouverneur von Melenikon) und J. Zacharias (Hofarzt). 45 J. Abramios (Astrologe), K. Amanteianos (Arzt, Mistra), K. Asanes (kaiserlicher Vertrauter), N. Kabasilas Chamaetos (kaiserlicher Vertrauter), G. Chioniades (kaiserlicher Vertrauter, Trapezunt), M. Chrysoloras (kaiserlicher Vertrauter), Th. Dexios (kaiserlicher Vertrauter), G. Gabrielopulos (Arzt, Mistra), N. Gregoras (Gesandter, Gelehrter), K. Hermoniakos (Gelehrter, Hof von Epeiros), A. Lampenos (Hofredner), A. Palaiologos (Heerführer), D. Pepagomenos (Arzt, Mistra), M. Philes (Gesandter, Hofdichter), Th. Potamios (Hofredner), M. Rhaul (Vertrauter der Kantakuzenen, Mistra) und Staphidakes (Hofredner, Thessalonike).
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
(5,7%) der Liste bekannt:6 Sieben Literaten (4%) wirkten im wesentlichen als Privatlehrer:7 weitere sechs (3,4%) übten diverse profane Berufe aus. 48 Eine sichere soziale Zuordnung von weiteren neun Personen der Liste (5,2%), abgesehen von ihrer Zugehörigkeit zum weltlichen Bereich, scheint nicht möglich zu sein.49 Einschließlich der drei Kaiser sind also insgesamt 79 Personen der Liste (45,4%) dem "weltlichen" (nichtkirchlichen) Bereich zuzuordnen. Die Angehörigen der drei letzteren Untergruppen (Privatgelehrte, Privatlehrer und diverse Berufe) darf man wohl im wesentlichen zu der in Kapitel 3 beschriebenen Mittelschicht zählen. Unter den Angehörigen des geistlichen Bereichs sind an erster Stelle die Patriarchen zu nennen, 17 Personen der Liste (9,8%), 15 von Konstantinopel50 und je einer von Alexandreia (Athanasios 11.) und von Antiocheia (Ignatios 11.). 27 Literaten (15,5%) wurden Metropoliten,51 17 (9,8%) waren hohe und höhere Kleriker. 52 Nur drei Äbte finden sich in der Liste,53 aber 24 Mönche und zwei Nonnen. 54 Dies sind mit den Äbten 46 N. Artabasdos, M. Bryennios, Jubenalios, D. Kabakes, J. Kanabutzes, J. Kyparissiotes,
G. Lapithes, A. Lopadiotes, M. Moschopulos und D. Triklinios. 47 G. Chrysokokkes 11, Th. Hyrtakenos,J. Katrares,J. Katrones,J. Kukuzeles,J. Laskaris (Kreta) und Th. Pediasimos. 48 K. Armenopulos (Richter), G. Chrysokokkes I (Arzt), L. Dellaporta (im venezianischen Staatsdienst), G. Oinaiotes (begüterter Privatmann) und St. Sachlikes (Advokat, Gutsbesitzer). 49 M. Blemmydes, M. Chrysaphes, Ephrai'm, J. Gabras I und 11, K. Kataphygiotes, A. Makrembolites, N. Pepagomenos und Sophianos. 50 Arsenios, Athanasios, Gennadios 11. (nach 1453), Gregorios 11., Gregorios 111., Johannes XL, Johannes XIII., Johannes XIV., Joseph 1., Isidoros I., Kallistos 1., Kallistos 11., Neilos 1., Philotheos und Sophronios I. (= S. Syropulos, der erst nach 1453 [1463-64] Patriarch wurde). 51 Th. Agallianos (Medeia), Anthimos (Athen bzw. Kreta), Antonios (Larissa), Arsenios (Pergamon), Bessarion (Nikaia), J. Chortasmenos (Ignatios von Selymbria), M. Chrysokephalos (Philadelpheia), N. Diasorenos (Rhodos), Dorotheos (Mitylene), M. Eugenikos (Ephesos), M. Gabalas (Ephesos), Gabriel I (Thessalonike), Georgios (Pelagonia), I. Glabas (Thessalonike), Jakob (Serres), Joasaph (Ephesos), Isidoros (Kiev), Neilos Kabasilas (Thessalonike), J. Lazaropulos (Trapezunt), Makarios (Ankyra), G. Palamas (Thessalonike), Philotheos (Selymbria), Symeon (Thessalonike), Theoleptos (Philadelpheia), Theophanes I (Nikaia), Theophanes 11 (Peritheorion); hier mitzuzählen ist auch Matthaios, Exarch von "Chazarien" auf der Krim. 52 J. Argyropulos, M. Balsamon, D. Beaskos, M. Chrysokokkes, J. Eugenikos, G. Galesiotes, J. Kladas, A. Libadenos, K. Meliteniotes, Th. Meliteniotes, G. Metochites, G. Moschampar, G. Pachymeres, J. Pediasimos, J. Staurakios, Symeonakes (Protopapas, Kreta) und N. Xanthopulos. 53 M. Chumnos, J. Kalothetos und M. Makres. 54 Mönche: G. Akindynos, G. Alyates, K. Angelikudes, I. Argyros, M. Blastares, J. Bryennios, N. Damilas, D. Disypatos, Gabriel 11, G. Sinaites, M. Holobolos, J. Jasites, Ignatios, J. Rhakendytes, P. Kydones, Th. Magistros, Markos I, Markos 11, N. Momtzilas, Nikephoros Athonites,J. Philagrios (Kreta), M. Planudes, Sophonias und Theoktistos. Nonnen: E. Chumnaina, Th. Kantakuzene.
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29 Personen (16,7%) aus dem Mönchsstand. Zählt man fünf noch nicht genannte Personen hinzu, die lateinische Kleriker oder Mönche wurden,55 dann sind insgesamt 95 Personen (54,6%) der Liste Angehörige des geistlichen Standes.56 Die Zahl der literarisch gebildeten Mönche war eigentlich noch erheblich größer, weil sich fast alle Bischöfe (also auch Metropoliten und Patriarchen) aus dem Mönchsstand rekrutierten. Der geistliche Bereich hat jedenfalls in der Liste ein merkliches, wenn auch nicht allzu bedeutendes Übergewicht. Die Zahl würde sich allerdings noch erhöhen, wollte man die nicht wenigen geistlichen Schriftsteller von geringerer Bedeutung mit einbeziehen, die in der Liste nicht berücksichtigt wurden. Als Verfasser eines umfangreichen oder bedeutenden Werks sind insgesamt 79 Personen der Liste gekennzeichnet. Von diesen sind 44 dem geistlichen, 35 dem weltlichen B~reich zuzuordnen. Es ist also auch bei den bedeutenderen Autoren ein Ubergewicht der Kleriker bzw. Mönche erkennbar. Im großen und ganzen kann man aus dieser Aufstellung die Bilanz ziehen, daß die literarisch Gebildeten im späten Byzanz nicht abseits von den führenden Kreisen in Kirche und Staat ein gesellschaftliches Sonderdasein führten oder gar eine Art intellektuelle Opposition bildeten. Selbst ein Mann wie J. Rhakendytes, der aus bescheidenen Verhältnissen in der fernen Provinz kam, ein typischer Autodidakt war und sich viermal weigerte, die ihm angebotene Patriarchenwürde anzunehmen,57 unterhielt Kontakte zu führenden Kreisen der Gesellschaft, vor allem zu Th. Metochites. Auch G. Akindynos, der wegen Ablehnung des Palamismus zum Außenseiter wurde, stand in Verbindung zu höchsten Gesellschaftskrei58 sen. Zweifellos bestand ein Zusammenhang zwischen Bildung und erreichter Position, wenn auch hohe Bildung nicht unbedingt zu einer hohen Position führen mußte. Daß Bildung und Karriere zusammengehörten, ist auch aus dem hohen Anteil von Literaten in der hohen Bürokratie und im hohen Klerus erkennbar, wie sie die vorstehende Auflistung für die Spätzeit bezeugt. Unhaltbar ist jedenfalls die gelegentlich geäußerte Meinung, daß eine größere Zahl spätbyzantinischer Literaten ein bescheide-
55 S. Atumanos, Barlaam, A. und M. Chrysoberges sowie M. Kalekas. 56 Von insgesamt 174 Literaten (= 100%) sind also 79 (= 45,4%) dem weltlichen und 95 (= 54,6%) dem geistlichen Bereich zuzuordnen. 57 Zu seiner Person ODB 1074. 58 Zu seinen Kontaktpersonen gehörten z. B. Alexios Apokaukos (vgl. AkindH, Nr. 24) und Patriarch Johannes XIV. (a.O., Nr. 25, 37, 38 und 63). Zu einer aus der Zuordnung zur "höheren Gesellschaft" sich ergebenden "konservativen" Mentalität der Literaten, vor allem in der frühen Palaiologenzeit, vgl. oben, Kap. 2. 1, Text mit A. 58.
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nes Dasein fristete. 59 Die Klagen über ihre soziale Lage, die übrigens nicht allzu häufig sind, dienen in der Regel dem Zweck, vom Kaiser oder hohen Beamten finanzielle Unterstützung zu erhalten. 6o Die soziale Zuordnung der Literaten mit Hilfe der bisher zugrundegelegten Liste kann allerdings durch zusätzliche Informationen erweitert und ergänzt werden. Dies beweist eine Untersuchung der allerjüngsten Zeit,61 die in zahlreichen Handschriften gelehrten (theologischen oder profanen) Inhalts der Biblioteca Vaticana finanzielle Notizen nachweist, und zwar in 20 Handschriften Einträge, die sich auf Handelsgeschäfte beziehen, in 24 Handschriften Aufzeichnungen von Grundeigentümern und in 13 von Geldleihern. Wie ist dieses Phänomen zu deuten? Nach Meinung des Verfassers (P. Schreiner) handelt es sich im wesentlichen nicht um Unternehmer und Begüterte, die Handschriften aus Interesse an ihrem Inhalt oder gar als Prestigeobjekt oder Wertanlange sammelten. Es verbreitete sich vielmehr im Kreis der Gebildeten, einschließlich der Literaten im Dienst des Kaiserhofes, etwa seit dem späten 14. Jh. ein Interesse am Handel und an lukrativen Geldanlagen, wie dies bereits in einem früheren Kapitel gezeigt wurde. 62 Bisher war nur von der Beziehung zwischen Bildung und sozialer Position bzw. der beruflichen Tätigkeit die Rede. In der neueren Forschung wurde aber auch die Frage nach dem Zugang der Frauen zur Bildung gestellt. In einer grundsätzlich patriarchalisch strukturierten Gesellschaft wie der byzantinischen war erwartungsgewäß der Zugang des weiblichen Geschlechtes zur Bildung außerordentlich beschränkt. Für die Spätzeit lassen sich nur wenige gebildete Frauen namentlich nennen, die zudem ausschließlich der Aristokratie angehörten. 63 Aus der Aristokratie des 13. Jh. sind zwei, aus der des 14. Jh. von 83 immerhin 13 zu nennen. 64 Von diesen erscheinen aber in unserer Liste nur die zwei Frauen, die nachweislich Schriftliches hinterlassen haben, E. Chumnaina und Th. Kantakuzene. E. Chumnaina ist die einzige Frau der Epoche, von der mehr als ein Brief erhalten ist. 65 Eudokia Palaiologina, Tochter des Protasekretis Theodoros Neokaisareites,66 und Helene, Tochter Johannes' VI. und Gattin Johan-
59 So z. B. HungTend 148-150. 60 Vgl. SevSoc 74-76: Weder M. Philes noch Th. Hyrtakenos, beide besonders versiert in der rhetorischen Klage, lebten je in Armut. Zu Philes vgl. auch unten, Text mit A. 71-74. 61 SchreinFin 439-446. 62 Vgl. oben, Kap. 4. 5, zu den Bildungshorizonten des aristokratischen Unternehmertums. 63 LaiouWomen; TalbNuns. 64 LaiouWomen 255. 65 Text der Briefe: CorChoum; zur Zahlenangabe: SmetEp 58 und TalbNuns, 606f. 66 Greg I, 293f.; Übers. DietGreg II11, 2M.; PLP 21369.
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nes' V.,67 werden in zeitgenössischen Quellen wegen ihrer hohen Bildung gerühmt. Nicht der Aristokratie angehörende Frauen, die wenigstens über eine gewisse Bildung verfügten, sind .kaum bezeugt. Laiou nennt einen konkreten Fall, eine bürgerliche Frau, die zur Auflistung ihrer Geschäfte und ihres Vermögen in der Lage war. 68 Dazu gehörte aber wohl kaum mehr als eine gewisse Beherrschung der Schrift. Größer ist allerdings die Zahl der Briefe, die an Frauen adressiert sind.69 Der geringe Anteil von Frauen im engeren Literatenkreis kann angesichts dessen, was sonst von der Stellung der Frau in der byzantinischen Öffentlichkeit bekannt ist, nicht verwundern. Eine Berufskarriere als Beamter wie als Kleriker stand ausnahmslos Männern offen, und so erwarben in der Regel auch nur Männer die Bildung, die Vorbedingung für eine solche Karriere war. Wie unsere Beispiele zeigen, hatten am ehesten Frauen aus dem Milieu des Kaiserhofes Zugang zu einer Bildung, die über das Elementare hinausging. Auch dies ist wieder ein Argument dafür, daß eine Bildungskarriere durch die gehobene gesellschaftliche Stellung zumindest erleichtert wurde. Am Schluß dieser Betrachtung, wie sich die Literaten auf die verschiedenen anderen sozialen Gruppen und Kategorien verteilten, ist noch die wichtige Frage zu stellen, ob man in der behandelten Epoche eigentlich auch so etwas wie "Berufsliteraten" finden kann. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten. Entweder bezeichnet man als Berufsliteraten nur die relativ bescheidene Gruppe von Personen, von denen keine andere Tätigkeit als ihre literarische bekannt ist, also die zuvor genannten Privatleute und Privatlehrer, die zusammen nicht einmal 10% des von uns angesetzten Personenkreises ausmachen. 70 Dies ergäbe insofern ein falsches Bild, als gerade die bedeutendsten Literaten der Epoche in der Regel wenigstens während einer längeren Spanne ihres Leben~ hohe staatliche oder kirchliche Posten bekleideten. Daher kann man mit einem gewissen Recht zumindestens alle in der Liste aufgeführten bedeutenderen Vertreter der Gruppe als Berufsliteraten verstehen, weil sie einen erheblichen Teil ihres Lebens mit dem Studium schöner, rhetorischer oder fachlicher Literatur und der Abfassung entsprechender Werke verbracht haben. 67 PLP 21365. Zu ihrer Bildung: KydEp 11, Nr. 389 (= TinnKyd 1/1, Nr. 24); F. Kianka, The letters of Demetrios Kydones to empress Helena Kantakouzene Palaiologina, DOP 46 (= Homo Byzantinus, Papers in Honor of Alexander Kazhdan, ed. A. Cutlerl S. Franklin), 1992, 155-164. 68 LaiouWomen 257; Text jetzt in PRK 11, 390-399, hier 396, Z. 45f. (ein von ihr angelegtes kEm:oIlEpec; KU,IlCTtLXOV, eine "detaillierte Aufstellung", spielt in einem Erbschaftsstreit eine Rolle). 69 SmetEp 58f. 70 S.o., Text mit A. 46 und 47.
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Es bleibt aber noch die Frage, ob es Berufsliteratenturn in dem Sinne gab, daß jemand mit seiner literarischen Tätigkeit Geld verdienen konnte. Entsprechende Entlohnung gab es zweifellos für die Abfassung höfischer Literatur, vor allem enkomiastischer Werke (Reden oder Gedichte). Manuel Philes z. B., der produktivste Dichter der Epoche, lebte wohl im wesentlichen von Lob- und anderen Auftragsgedichten für den Kaiser, für hohe Beamte und für hohe Kleriker/1 wenn er daneben auch Einnahmen vielleicht aus Lehrtätigkeit72 und sicher aus Gelegenheitsaufträgen im Staatsdienst73 bezog. Die Entlohnung für seine Tätigkeit als Gelegenheitsdichter war allerdings, soweit er uns informiert, recht unterschiedlich. Nicht immer erhielt er bare Münze, sondern vielfach auch diverse Geschenke, die er sich recht gezielt zu erbetteln pflegte. Seine vielen Klagen (auch über Schulden) und Bitten lassen aber eher auf seine Ansprüche als auf Bedürftigkeit schließen. Immerhin verfügte er über bescheidenen Grundbesitz; es ist von einem Weingarten die Rede.7~ Auch die sonst bekannten Hofenkomiasten haben sicher für ihre Arbeiten eine Entlohnung erhalten, aber bei der Knappheit der Staatskasse konnten sie sich sicher nicht bereichern. So ist festzuhalten, daß "Berufsliteraten", die ausschließlich von ihrer schriftlichen Produktion leben konnten, doch recht selten waren; fast immer lassen sich auch andere Einnahmequellen wie Ämter oder Grundbesitz oder wenigstens eine Lehrtätigkeit nachweisen oder erschließen. Die Produzenten von Büchern, Kopisten also, sind nicht Gegenstand dieses Kapitels, da man nur einer soliden Kenntnis der griechischen Schrift bedurfte, um Texte einigermaßen richtig abschreiben zu können. Eigenschaften wie Genauigkeit und Ausdauer waren und sind für diese Tätigkeit wichtiger als ein höherer Bildungsstandard. Daß einige Kopisten dennoch besser gebildet waren, als es für ihre Aufgabe nötig war, soll damit nicht ausgeschlossen werden. Jedenfalls wurde diese Möglichkeit des Gelderwerbs von den Literaten eher als eine Art Handwerk denn als höhere geistige Betätigung bewertet. 75 5.2.2. Kohärenz und Vernetzungen innerhalb der Literatengruppe
Wie zuvor gesagt, ist literarische Bildung das alle Zugehörigen zu dieser Gruppe einigende Band. Dies wird auch aus den Selbstbezeichnungen der
71 SticklPhilPs 31. 72 SticklPhilPs 27f. erwägt für Philes diese Verdienstmöglichkeit, ohne sie für erwiesen zu halten. 73 A. 0.28-31. 74 A. O. 31-36. 75 Vgl. dazu unten, Text mit A. 259.
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Literaten deutlich. 76 An erster Stelle sind die Verbindungen mit dem nicht präzise übersetzbaren griechischen Grundbegriff für den Gegenstand aller geistigen Tätigkeit zu nennen. Es ist der Begriff A.6yo~ (Grundbedeutung: Wort) bzw. dessen Plural A.6ym. So wird der Gebildete z. B. als A.6YWV i]IJ.IJ.EVO~77 (einer, der sich mit "Worten", also mit literarischer Bildung, befaßt hat) bezeichnet, als A.6ywv IJ.EtE'X,WV78 oder A.6you IJ.EtO'X,0~79 (einer, der an der Bildung Anteil hat), als A.6ywv K.al. ooLa.~ rtELpav E'X,WV80 (einer, der in der Bildung und in der Weisheit edahren ist) oder A.6yov E'X,WV ävepWrtO~81 (Mensch, der Bildung besitzt). Alle diese Wendungen sind ebenso wie das einfache Adjektiv A.6YLO~82 wie Synonyme zu verstehen. Was die Literaten verbindet, ist die Liebe (der EpW~) zu den A.6YOL,83 weshalb sie sich auch A.6ywv fPOOvtE~84 (Liebhaber der Bildung) nennen. Eine Person, mit der man sich auf dem gleichen Bildungsniveau verbunden fühlt, wird freundschaftlich als K.OLVWVO~ tWV flJ.WV A.6ywv 8S (Gefährte meiner literarischen Studien) angeredet. 86 Neben den Verbindungen mit A.6yo~ werden von den Literaten noch andere Selbstbezeichnungen verwendet. Vom traditionellen Terminus rtaLÖELa. (Bildung) wird das mit A.6yLO~ synonyme rtErtaLÖEUIJ.EVO~ (gebildet) abgeleitet. 87 Einen jugendlichen Literaten lobt man mit dem Epitheton LA.OlJ.ae..;~ (bildungsbeflissen).88 Eine Steigerung gegenüber den bisher genannten Begriffen enthält die Bezeichnung oo6~ (weise). Meist verwendet sie respektvoll der Schüler gegenüber dem Lehrer, so N. Chumnos für G. Akropolites,89 M. Planu76 Einige solcher Selbstbezeichnungen nennt SmetEp 126, Nr.25 und 29 im Rahmen einer Übersicht über die Phraseologie der sozialen Gruppen im späten Byzanz, wie sie aus der Epistolographie erkennbar wird. 77 KydEp I, Nr. 12 (= TinnKyd 1/1, Nr. 5), Z. 27. 78 KalekEp 172, Nr. 4, Z. H. 79 Bryennios 111, 181, Z. 12-11 von unten. 80 D. Kydones, Apologia I (vgl. TinnKyd 1/1, 66, Nr. 1. 6.1): MercNot 359, Z. 11. 81 GregPhil196. 82 Bryennios 111, 149, Z.10 von unten; SevMakr 191, A. 22. 83 LetMan, Nr. 25, Z. 14; KydEp 11, Nr. 279 (= TinnKyd III, Nr. 248), Z. 37. 84 Argyr 231; vgl. auch Epacrr~\; 'J...6yoov bei Th. Hyrtakenos (Bois sAn I, 283). Hierher gehört auch der oben, Text mit A. 1 besprochene Begriff q,L'J...6'J...oyo\;. 85 HungChort 170, Nr. 20. 86 Ähnlich bezeichnet der Begriff oUVtpoq,O\; im entsprechenden Kontext einen Literaten, der gemeinsam mit anderen seine Bildung erhielt (SevMakr 191, A. 22.). Das Gemeinschaftsgefühl der Gebildeten klingt ferner an, wenn Gregoras in seiner Auseinandersetzung mit den Palamiten, den Verächtern der "Weltweisheit", die literarische Tradition stolz als tU TJl-letEpa (das Unsrige) bezeichnet (Greg 11, 884). 87 M. Chrysoloras, Brief Nr. 1, PG 156, 25B; vgl. auch tij\; :71mÖELa\; d:n;0YEumiI-lEVO\; (einer, der Bildung gekostet hat), GregPhil187. 88 TreuPed 48; vgl. auch den Titel des Gregoras-Traktates GregPhil. 89 BoissAnNov 103.
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des für seinen Lehrer Nikephoros Moschopulos, den Onkel des M. Moschopulos,90 oder auch für den Mönch Arsenios Autoreianos,91 Bessarion für Plethon.92 Bei Syropulos erscheinen nebeneinander MYLOL und O'ocj>oi. als Förderer der Kirchenunion. 9J Entsprechend wird Gelehrsamkeit zur größeren Ehrung als O'ocj>i.a bezeichnet.94 Eine weitere ehrenvolle Bezeichnung des Literaten ist cj>LA.oO'Ocj>O~.9S Sie wurde aber daneben auch in der byzantinischen Spätzeit noch in der Bedeutung "Mönch" verwendet. 96 Seit dem Einbruch der Abendländer in die byzantinische Welt im Gefolge des Vierten Kreuzzuges (1203/04) besannen sich die Byzantiner mehr und mehr auf den griechischen Charakter ihrer Kultur, und Bezeichnungen wie "Hellene", "hellenisch" gewannen eine neue, kulturelle Dimension. So erscheinen nun die in der antiken Tradition Gebildeten als "Hellenen"97 oder werden mit dem Ehrennamen "Philhellenen" für besondere Verdienste um die antike Tradition ausgezeichnet. 98 Unmittelbarer Ausdruck der literarischen Bildung und ein wichtiges Band der Gemeinsamkeit der Literaten untereinander ist eine gepflegte Sprache, orientiert am "attischen" Stil, für den häufig Platon und Demosthenes als repräsentative Vertreter stehen;99 sie wird auch als "Sprache der Hellenen" bezeichnet. loo Nach G. Akindynos ist die Sprache der "Bote eines edlen Geistes" .101 Manuel 11. möchte die Fähigkeit, sich gewandt auszudrücken ('tb "A.eYELv tOXUELV), dem Reichtum und allen Freuden vorziehen. l02 E. Chumnaina dankt ihrem geistlichen Mentor, daß er seine 90 PlanEpL 42, Z. 7f.: 0'00; Ö.>v 'to. 'tE BEta Kat öO'a avBpw:ItLva (weise in göttlichen und menschlichen Dingen). 91 A. O. 94, Z. 3. Arsenios (PLP 1693) ist nicht identisch mit dem gleichnamigen Patriarchen. 92 MohlBess III, 463, Nr. 20 (Titel); 468, Nr. 22 (Titel). 93 Syr 448, Z. 23. 94 HungChort 200, Nr. 44, Z. 25; D. Kydones, Apologia I, MercNot 359, Z. 11. 95 So bezeichnet D. Kydones mehrfach seinen Freund G. Gabrielopulos: Adresse von KydEp I, Nr. 31, 32,110,130. 96 DöPhil. 97 So nennt z. B. N. Kabasilas Chamaetos die Literaten seiner Vaterstadt Thessalonike, NikKabEp 32, Nr. 4. 98 TinnKyd 1/2, 313, A. 16. 99 KydEp 11, Nr. 182 (= TinnKyd 11, Nr. 147), Z. 5f.; LetMan, Nr. 45, Z. 58. 100 TinnKyd U2, 313, A. 16. Gepflegter Briefstil wird als 'EiJ..TJVLK~ Xo.pt; bezeichnet: LetMan, Nr. 29. Ein Gebildeter erhält die Ehrenbezeichnung "reinsprachiger Hellene": HungChort 87 und 168 (Nr. 19). Zu Stilfragen in den Briefen Gregorios' 11. siehe LaiouCorr 92f., aber auch 98f., wo auf den Zusammenhang zwischen gutem Stil und politischem Erfolg hingewiesen wird. 101 AkindH 70, Nr. 20, Z. 5 (... voiiv ... yevvaiov, YAwnav öE äYYEAOV't01l'tq> :7tpe:7touO'av). 102 LetMan, Nr. 11, Z. 2.
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Unterweisung in gebildeter, rhetorisch vollendeter Sprachform vermittle. IOJ Freilich war man sich auch dessen bewußt, daß es den zeitgenössischen Nachahmern unmöglich war, den Standard der antiken Literatur, also etwa Vorbilder wie Thukydides oder Demosthenes, ganz zu erreichen. Nach Meinung Manuels 11. verhalten sich die literarischen Produkte seiner Zeit zu den antiken wie Bronze zu Gold; dennoch solle man sich von der Abfassung eigener Schriften nicht abschrecken lassen, denn ein solcher Verzicht würde die Bildung so in Verfall bringen, daß man nicht einmal mehr die Dogmen der Orthodoxie verstehen könnte (die ja auch in einer antikisierenden Sprache verfaßt sind).I04 Eine solche Bemerkung zeigt, daß auf sprachlicher Ebene von einem prinzipiellen Gegensatz zwischen Gottes- und Weltweisheit - dazu weiter unten l05 ausführlicher -, kaum die Rede sein kann. Die Schriftsprache wurde jedenfalls, wie aus solchen Äußerungen ersichtlich ist, von der Umgangssprache, die natürlich auch die Gebildeten beherrschten und wohl auch im Gespräch verwendeten, deutlich unterschieden. Das "hochsprachliche" Idiom mußte durch das Studium klassischer und nachklassischer Autoren von jedem in der Jugend erlernt werden, bevor er eine Chance hatte, von der Gruppe der Literaten als einer der Ihren anerkannt zu werden. Doch genügte die bloße Beherrschung dieses Idioms nicht als Gütezeichen eines Literaten; vielmehr sollte er sich auch in einem angemessenen Stil ausdrücken können. So ist das Lob für die stilistische Leistung des Briefpartners ein beliebter Topos der Epistolographie. l06 Eine Steigerung des Lobes bestand darin, den Stil des Partners als vorbildlich für andere Literaten zu bezeichnen 107 oder ihm zuzubilligen, er habe den absoluten Gipfel der stilistischen Vollkommenheit erreicht. lOS Besondere Anerkennung fand vollendeter Stil dann, wenn der Verfasser eines Briefes kein "Berufsliterat" war, sondern sich vorwiegend im praktischen Leben ausgezeichnet hatte. Für eine solche Leistung dankt z. B. M. Gabras dem Parakoimomenos und Heerführer Johannes Chumnos.l09 Er bewundert auch M. Gabalas, weil er trotz seiner Tätigkeit im Dienst der Kirche (von Philadelpheia, also in der "Provinz") so vorzügliche Briefe schreiben könne. llo D. Kydones preist Johannes VI. für
103 104 105 106 107 108 109 110
CorChoum 34, Nr. 5. LetMan, Nr. 52. 5.2.4. Z. B. GabrEp, Nr. 34, 49, 53, 81, 106, 146, 147. Gegenseitiges Lob der Briefpartner bezeugen GabrEp, Nr. 16 und 17. Vgl. auch HungChort, Nr. 7. KydEp II, Nr. 183 (= TinnKyd II, Nr. 0194), Z. 12-18. LetMan, Nr. 15, Z. 19-24. GabrEp, Nr. 34. Zur Person des Adressaten: PLP 30954. Vgl. auch GabrEp, Nr. 71. A. 0., Nr. 72.
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seine Begabung, Kriegsführung und andere Tätigkeiten im öffentlichen Leben mit überzeugender epistolographischer Kunst zu vereinbaren. 111 Eine manchmal bewußt gepflegte Eigenschaft der Literatenbriefe, auch in früheren Jahrhunderten, ist ihre sprachliche Dunkelheit, die Verschleierung der präzisen Aussage durch Andeutungen, gelehrte Anspielungen oder Ironie. 1l2 Man kann die Verwendung eines dunklen Stils als Versuch der Abgrenzung von den weniger Gebildeten verstehen, die solche Anspielungen nicht zu verstehen vermochten. ll3 Die Bemühung der Literaten auch dieser Epoche um ein hohes Sprachniveau ist also unverkennbar. Um so bemerkenswerter ist es, daß ab dem 14. Jh. in der gleichen Gruppe auch Werke in einem der Umganrssprache angenäherten Griechisch entstehen, z. B. erotische Romane lt , von denen einer sogar im Umkreis des Kaiserhofes verfaßt wurde. 1l5 Diese Neubewertung der Sprachebenen führt schließlich auch zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Schrift- und Umgangssprache. Dafür spricht nicht nur das von einigen späten Geschichtsschreibern der Epoche verwendete Griechisch, das sich, offenbar unwillkürlich, weitgehend der gesprochenen Sprache annähert,116 sondern auch eine Äußerung wie die des Lukas Notaras ll7 in einem Brief an G. Scholarios:11 8 Er habe in seiner Jugend gehört, die Hellenen gebrauchten fünf Sprachen. Die Umstände hätten ihn gehindert, diese zu lernen, und er beherrsche bloß die Koine, "die wir ... alle gebrauchen"; Attisch und Jonisch (dttLKL~eLv Kat twvL~eLv) habe er nicht gelernt. Mit dieser Aufzählung sind drei der fünf "Sprachen" abgedeckt; welche mit den beiden restlichen gemeint sind, teilt Notaras nicht mit. Da aber dieser Brief (wie auch andere von seiner Hand) nicht in der Volks-, sondern in der Hochsprache geschrieben ist, mag er trotz seiner ungenauen Formulierung doch jedenfalls erheblich anders geschrieben als gesprochen haben. Bemerkenswert ist aber, daß er zwischen den beiden Sprachebenen der gesprochenen und der geschriebenen Gebrauchssprache offenbar trotzdem nicht mehr deutlich unterscheidet.
111 KydEp I, Nr. 12 (= TinnKyd 1/1, Nr. 5). 112 Vgl. SevSocColI X, 49f. 113 SmetEp 24-27 bezeichnet dieses Phänomen als "Dekonkretisierung" (dekonkretizacyja): Die Briefe enthalten neben der offenen auch verborgene Informationen. 114 Zur Sprache dieser Romane: BeckVolk 128. 115 A. 0.124. 116 Der Geschichtsschreiber Dukas beabsichtigt noch, "hochsprachlich" zu schreiben, doch überwiegen bei ihm die umgangssprachlichen und volkssprachlichen Elemente in Stil und Grammatik (Hunger I, 493); die Sprache des G. Sphrantzes nimmt eine Mittelstellung zwischen Hoch- und Umgangssprache ein (a. O. 498). 117 Zur Person: PLP 20730. 118 LPP 11,194, Nr. 7. Siehe zu diesem Brief auch oben, Kap. 4. 5, Text mit A. 212.
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Außer der Sprache gab es aber, zumindest nach ausdrücklichem Bekunden eines Teils der Literaten, noch andere, tiefere Bande der Gemeinsamkeit unter ihnen. Sie waren überzeugt, daß die Texte der antiken Autoren das Ideal vom sittlich harmonischen Menschen vermitteln, der von der umfassenden Tugend der KaA01caya9ia und von der d01:ELO'tTJS als einer verfeinerten Form der Bildung geprägt ist. Freilich bleibt der "weltlieh" gebildete Byzantiner nicht bei der antiken Tradition stehen. Erst in Verbindung der antiken moralischen Werte mit dem Christentum entsteht das, was man als "christlichen Humanismus" der Byzantiner bezeichnet hat. Aber umgekehrt bewirkt die "profane" antike Bildung Vollendung des Menschen im ethischen Sinne; ohne sie würde er zu sittlicher Roheit entarten. Dies jedenfalls glaubt Gregoras, der das aus seiner Sicht unmenschliche, tierische Verhalten eines Athosmönches (er bezieht sich auf den Patriarchen Kallistos) mit seiner angeblich mangelnden Bil·· 119 dung erkl art. Grundsätzlicher und umfassender vertritt Th. Metochites als entschiedener Anhänger der antiken Bildung (JtaLöEia) im Traktat "Ethikos,,120 ein entsprechendes Bildungsideal: Wahre Bildung basiere zwar auf den christlichen Glaubenswahrheiten, finde aber ihre zusätzliche Orientierung und Vollendung im Studium der antiken Autoren. Dieses verhelfe dem Menschen dazu, ganz er selbst zu werden; es lasse ihn wie von hoher Warte aus den ganzen Kosmos schauen und an der unaussprechlichen Harmonie des Seins teilnehmen. 121 Daß die Literaten ihre Bildung auch als ein Band tieferer Gemeinsamkeit mit ihren Briefpartnern verstanden, ist aus manchen ihrer Äußerungen zu erkennen. So begreift M. Gabalas, daß E. Chumnaina "die höhere Schönheit der Seele" sucht und im geistigen Austausch mit philosophisch gebildeten Gleichgesinnten zu finden hofft. 122 D. Kydones sehnt sich in einer Phase der Depression nach den "tröstenden Gesängen der Philosophie" seines Freundes Gabrielopulos. 12J Die Freundschaft zwischen Gebildeten ist von größerer Tiefe als die gewöhnliche; in einer solchen Be119 Greg 11, 873; Übers.: DietGreg IV, 6lf. Daß dieses Urteil sehr subjektiv gefärbt ist, liegt auf der Hand; vgl. a. O. 19M., A. 12. Im übrigen bewertet aber Gregoras den Mönchsberg und seine Bewohner recht positiv (Greg 11, 714-718; Übers.: DietGreg III, 125-127). 120 I. D. Polemes, 8EOlioopoS ME"tOX(:tTJS, 'H8LKOS 1\ 1tEpL 1taLliELaS. El.aayooyTJ - KPL"tLKTJ EKlioOT) - ME"talj>paOT) -l:TJI1Eu.OOELS, Athen 1995. Der Herausgeber ordnet den Traktat als philosophischen Protreptikos ein (14-20). 121 HungEth 145-149. - D. Kydones läßt in einem seiner Briefe den Gedanken anklingen, daß man von Ungebildeten ein geringeres politisches Ethos zu erwarten habe als von einem Gebildeten (KydEp 11, Nr. 332 [= TinnKyd III, Nr. 328], Z. 29-32). 122 MatthEp, Nr. 32. 123 KydEp I, Nr. 110 (= TinnKyd 112, Nr. 50), Z. 41.
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ziehung weiß der Freund, »wie man zu lieben hat" .124 M. Chrysoloras beschreibt D. Chrysoloras in einem Brief aus Florenz die geistige Freude, die er bei der Betrachtung der Stadt und ihrer Kunstwerke empfindet, und er ist überzeugt, daß der Briefpartner seine Empfindungen teilen und sogar die göttliche Dimension der Schönheit noch besser als er selbst erfassen könne. 125 Besonders eindrucksvoll ist das Bild geistiger Gemeinsamkeit mit dem Freund, das J. Bryennios in einem Brief an D. Kydones entwirft. Er beklagt die Trennung von ihm und teilt ihm mit, er könne fast nicht atmen, ohne seinen Freunden die Vorzüge des Briefpartners zu schildern. Diese aber seien: Seine erhabene Weisheit, sein Talent für die geistigen Dinge (n:ept tou~ A.6yo'U~), seine ständige Bemühung um Ausgewogenheit im Denken, seine rasche Auffassungsgabe, die Fülle seines Wissens, seine Fähigkeit, das Lateinische ins Griechische zu übertragen,126 die Lauterkeit seines Charakters, seine Bescheidenheit, sein maßvoller Sinn, der Fluß seiner Sprache und die Schönheit seines Stils. 127 Für Spezialkenntnisse auf bestimmten Wissensgebieten spendeten Literaten einander gegenseitig das gebührende Lob. 128 Planudes ehrte M. Bryennios als hervorragenden Astronomen. 129 Joseph Rhakendres wird von M. Gabalas als großer Meister der Philosophie anerkannt. 13 Die ehrfürchtige Wertschätzung der Schüler für den Philosophen G. Gemistos Plethon ist reichlich bezeugt. 131 Erwähnt sei hier nur das Urteil seines Schülers Bessarion, er sei der weiseste Mensch seit Platon gewesen. Manchmal waren solche Lobreden aber auch nur Schmeichelei, die dem Zweck diente, die Gunst des Adressaten zu gewinnen. 132 Es spricht daher eher für die Fähigkeiten eines Gelehrten, wenn ein Älterer sie neidlos anerkennt. 133 In diesem Zusammenhang sollte wenigstens kurz das Eigenlob mancher Literaten erwähnt werden. Männer in hoher Position wie N. Chum-
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LetMan, Nr. 3, Z. 30. PG 156, 52f. Übersetzungen des D. Kydones ins Lateinische: Übersicht bei TinnKyd VI, 68-72. Bryennios III, 134f., Nr.4. Er widmet D. Kydones diese ehrerbietige Anerkennung, obwohl er ihn wegen seines "Abfalls" von der Orthodoxie tadeln muß. Offensichtlich fällt es ihm aber noch leichter, die Weisheit des N. Kabasilas Chamaetos zu rühmen, mit dem ihn Gemeinsamkeit im Glauben verbindet (Bryennios III, 138-141, Nr. 6). Z. B. VerpChoum 68f. ConstEd 96. MatthEp, Nr. 10. WoodhPleth 7-13. So z. B. GabrEp, Nr. 144. So Th. Pediasimos in einem Brief an einen jungen Mann, in dem M. Treu den jugendlichen D. Kydones vermutet (TreuPed 34-36, Nr. 6; dazu a. O. 59).
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nos 134 und Th. Metochites 13S entwickelten ein entsprechendes Selbst- und Elitebewußtsein, bekundeten aber andererseits auch, unter der Spannung zwischen ihren staatsmännischen Aufgaben und ihren intellektuellen Interessen zu leiden. 136 Ein wichtiges Anzeichen der Solidarität innerhalb der Literatengruppe war der Austausch von Büchern bzw. Handschriften. Zum Teil handelte es sich um eigene Werke, zum Teil um Werke anderer Autoren, die einem der Partner oder beiden wichtig waren. Zunächst einige Beispiele für den Austausch eigener Werke. Patriarch Gregorios II. dankte dem jüngeren Th. Metochites überschwenglich für den Empfang eines von ihm vedaßten Werkes,137 übersandte ihm aber ein anderes Mal seinerseits eine Schrift zur Begutachtung. 138 Auch G. Pachymeres ließ GreBorios eines seiner Werke lesen, doch wurde dieser begreiflicherweise 9 auch nach viermaliger Lektüre aus dem Opus nicht klug und bat den Vedasser schließlich um eine Erläuterung. Ho N. Chumnos sandte M. Gabras seine Reden, und dieser pries sie, wohl nicht ohne Schmeichelei, als "golden" .141 Gabras lobte in seinen Briefen mehdach Werke seiner Bekannten oder bat um ihre Zusendung. 142 Gabalas sandte der Chumnaina eine von ihm selbst vedaßte philosophische Abhandlung zu und betonte zu~leich, daß er ihr damit viel mehr gewähre, als wenn er selbst zu ihr käme. 43 M. Gabras schickte an Gabalas seine Schrift "Über Tugend und Bosheit" als Zeichen der Freundschaft. 1H M. Gabalas bat respektvoll einen Hypatos der Philosophen (üJta'to~ 't(ov LAoa6wv)14S um die Beurteilung seiner Schriften. H6 Eine Abhandlung, die N. Gregoras an M. Gabalas (damals bereits Kleriker) sandte, fesselte diesen nach eigenem Bekunden so sehr, daß sie ihn von den theologisch-geistlichen Idealen abzulenken und wieder für das philosophische Leben der Gebildeten
134 VerpChoum 189. 135 Er zählte sich ausdrücklich zu der Gruppe der Besten (ä.PUJ'tOL), die mit dem Neid der übrigen zu rechnen haben (SevChor 49). 136 So Th. Metochites (SevChor 49f.) und D. Kydones (KydEp I, Nr. 31 [= TinnKyd 1/2, Nr. 49], Z. 14-26). 137 GKypEp, Nr. 54 und Nr. 56. 138 A. 0., Nr. 112. 139 Zum "schwierigen und geschraubten Stil" des Pachymeres vgl. Hunger I, 449 mit A. 38. 140 GKypEp, Nr. 69. Doch mußte er selbst sich in einem anderen Brief gegen den Vorwurf des Pachymeres verteidigen, er schreibe nicht gefällig; a. 0., Nr. 105. 141 GabrEp, Nr. 98 und 99. 142 GabrEp, Nr.29, 31,108,322. 143 MatthEp, Nr. 32. 144 GabrEp, Nr. 54. 145 Zu diesem Titel s. u., Text mit A. 535-543. 146 MatthEp, Nr. 60.
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zurückzugewinnen drohte. 147 Um Durchsicht eigener Werke bat auch Chortasmenos einige seiner Freunde und Bekannten,148 oder er lobte bzw. tadelte seinerseits deren Werke. 149 M. Kalekas pries das Werk eines Freundes, das er von ihm zur Beurteilung erhalten hatte, und mahnte ihn zugleich aufgrund dieser Leistung, sich nicht länger als sein Schüler zu verstehen. 150 Seinem bewährten Gesandten im Abendland M. Chrysoloras ließ Manuel II. als besonderes Zeichen des Vertrauens die selbstverfaßte Grabrede auf seinen Bruder Theodor zukommen und bat ihn um Korrekturen (Streichungen, Änderungen und Zusätze), an deren Notwendigkeit er nicht zweifelte. 151 Nicht anders als heute gab es auch in Byzanz säumige Entleiher von Büchern. So mahnte Planudes den Mönch Arsenios Autoreianos dringlich, ihm sein Werk über Harmonik zurückzugeben. 152 Eines Tages verlor er die Geduld, machte sich auf und suchte persönlich während der Abwesenheit des Unzuverlässigen in seiner Zelle, wo ein Haufen von Büchern wirr durcheinanderlag, aber vergebens. 153 Schließlich gab er die Hoffnung auf,154 und wahrscheinlich war das Werk tatsächlich schon damals auf immer verschwunden, denn es zählt heute zu Planudes' nicht erhaltenen Schriften. 155 Man verfaßte auch Schriften, um sie Bekannten und Freunden, deren Interesse an der behandelten Thematik man voraussetzte, zu schenken. Ein geeignetes Geschenk für einen Geistlichen war eine religiöse Schrift, wie sie z. B. Manuel II. dem Metropoliten Gabriel von Thessalonike widmete. 156 Ein Vertrauter dieses Kaisers, D. Chrysoloras, kam sogar auf die Idee, seinen Herrn mit einem ganzen Dossier von hundert Kurzbriefen zu erfreuen; Manuel bedankte sich mit der ironischen Bemerkung, der Verfasser sei wegen Faulheit zu tadeln, weil er nicht gleich zehntausend verfaßt habe. Zum Dank überreichte er ihm ein Gebet zur Muttergottes und bat ihn, er möge es nicht als Versuch auffassen, seine Leistung zu überbieten. 157 Ein anderes Mal widmete derselbe Chrysoloras dem Kaiser seine "Lobrede auf einen Floh", in der er kunstvoll beschrieb, wie ihm
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MatthEp, Nr. 35. HungChort, Nr. 39f. A. 0., Nr. 10 bzw. Nr. 13. KalekEp, Nr. 41. LetMan, Nr. 56. PlanEpL 94, Nr. 64. A. O. 95f., Nr. 65. A. O. 103, Z. 22. A. 0., App. zu Nr. 64, Z. 1: "Hic Planudis liber periit." LetMan, Nr. 52. Es handelte sich wahrscheinlich um seine Schrift "Über Sünde und Buße oder Über Maria von Ägypten" (a. 0., A. 4). 157 LetMan, Nr. 61. Vgl. unten, Text mit A. 555.
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das Tierchen zugesetzt habe. Der Kaiser dankte es ihm mit einer humorvollen Replik. 158 Aus Scheu vor der Kritik des Freundes zögerten manche Autoren mit der Zustellung einer selbstverfaßten Schrift, so z. B. in einem Fall Th. Pediasimos. 159 Doch hatten sie für solche Zurückhaltung gelegentlich mit Tadel zu rechnen. 16o Natürlich kam es auch vor, daß zwei Autoren ein Werk gemeinsam verfaßten. So dankt Manuel II. z. B. Euthymios 11., damals noch nicht Patriarch, für dessen Mitarbeit bei der Erörterung einer theologisch-philosophischen Streitfrage. 161 Neben dem Austausch eigener Werke war auch das gegenseitige Ausleihen von Handschriften antiker oder patristischer Autoren üblich. Die Briefcorpora Gregorios' II. und des M. Planudes 162 , neuestens auch die des Th. Hyrtakenos, N. Chumnos und M. Gabras 16J wurden unter diesem Gesichtspunkt ausgewertet. Gregorios 11. bezeichnete sich selbst als Liebhaber von Büchern (LMßLßAO~) und bedankte sich überschwenglich, wenn man ihm ein gewünschtes Buch zur Lektüre auslieh. 164 Er erbat sich mehrfach Handschriften, die er benötigte, bei deren Besitzern165 und mahnte auch versprochene Bücher an. l66 N. Chumnos wandte sich u. a. an Th. Kantakuzene, eine Nichte Michaels VIII., um von ihr Bücher zu entleihen. 167 In den Briefen des M. Gabras ist der Austausch von Büchern ein häufiges Thema. 168 M. Planudes entlieh Spezialschriften von entsprechenden Fachleuten; so erbat er sich eine Handschrift des antiken Mathematikers Diophant bei M. Bryennios. 169 D. Kydones erhielt durch Vermittlung Manuels 11. einen Platon-Kodexl70 und korrespondierte vergeblich mit dem Despoten der Peloponnes Theodoros 1., um von ihm eine Plutarch-Handschrift auszuleihen. l7l Er bedankte sich aber auch für die Zusendung einer patristischen Handschrift Oohannes Chrysostomos).172 J. 158 LetMan, Nr. 50. 159 TreuPed 31, Nr.1. 160 Entsprechend kritisiert z. B. Manuel H. seinen Freund N. Kabasilas Chamaetos (LetMan, Nr. 6, 2ff.). 161 LetMan, Nr. 54. Es handelt sich um die Diskussion zu einem Jesuswort über den Verräter Judas (Edition: TinnJud). 162 ConstEd 133-158. Es sei hier darauf hingewiesen, daß die Korrespondenz Gregorios' 1I. neuestens auch unter sozialgeschichtlichem Aspekt untersucht wurde (LaiouCorr). 163 KarpBooks. 164 GKypEp, Nr. 9. 165 A. 0., Nr. 47,48,58. 166 A. 0., Nr. 20, 21. Zum Bücheraustausch in der Korrespondenz des Gregorios siehe auch LaiouCorr 95f. 167 BoissAnNov 93f., Nr. 77. 168 GabrEp,Nr. 1-3; 15;28;35;39;46;98; 100; 118;260;266;269. 169 PlanEpL 66, Nr. 33. 170 KydEp 1I, Nr. 258, 276, 259 (= TinnKyd III, Nr. 240-242); LetMan, Nr. 3; TinnThess 38f. 171 KydEp H, Nr. 293, 313, 322 (= TinnKyd III, Nr. 273, 309, 313). 172 A. O. 36lf., Nr. 406.
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Chortasmenos reagierte empfindlich, als ihm ein Buchwunsch abgeschla173 gen wur d e. / Natürlich wurden auch entliehene Bücher mit Texten fremder Autoren nicht immer rechtzeitig zurückgegeben. In solchen Fällen forderte man sie ein,174 manchmal unter Hinweis auf bereits langdauernde Säumigkeit des Ausleihers,175 oder man beklagte sich sogar über einen Wiederholungsfall. 176 Gelegentlich bat man, um es von vorneherein nicht soweit kommen zu lassen, gleich beim Ausleihen um schnelle Rückgabe. In Handschriften wurden nicht nur zur Lektüre, sondern auch zur Kollationierung und zur Emendierung von Textenl78 oder zur Erstellung einer Abschrift ausgetauscht. 179 Dazu mußte man sich auch Beschreibmaterial wie Pergament oder Papier beschaffen. Gregorios 11. informiert uns in einem Brief, daß vor allem in der Fastenzeit - wegen des Verzichtes auf Fleischgenuß - Tierhäute zur Herstellung von Pergament knapp waren. 180 Aber auch abendländisches Papier war, zumindest in der Frühzeit seiner Verbreitung im byzantinischen Osten,18I so rar, daß man es sich von denen erbat, die es aufgrund ihrer Position leichter beschaffen konnten,182 und man war sogar mit bereits einseitig beschriebenem Schreibpapier zufrieden. \8J Eine natürliche Konsequenz aus den gemeinsamen Interessen der Literaten war der Gedankenaustausch, der entweder mündlich oder in Form eines Briefwechsels gepflegt wurde. Obwohl die Nachwelt über den brieflichen Dialog naturgemäß besser informiert ist, besitzen wir doch in den Briefen der Literaten zahlreiche schriftliche Zeugnisse darüber, wie sehr man in diesen Kreisen das persönliche Gespräch schätzte,
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HungChort, Nr. 17. GKypEp, Nr. 26, 30, 52, 59; PlanEpL 94f., Nr. 64. A. 0., Nr. 62. ConstEd 78, A. 67. GKypEp, Nr. 38. GKypEp, Nr. 75. A. 0., Nr. 187. A. O. Abendländisches Papier, vornehmlich aus Italien, wo es seit den ersten Jahrzehnten des 13. Jh. hergestellt wurde, aber auch aus dem arabischen Spanien und Nordafrika sowie aus Katalonien, wurde seit etwa 1250 mehr und mehr auch in Byzanz eingeführt und verwendet. Vgl. J. Irigoin, Les premiers manuscrits ecrits sur papier et le probleme du bombycin, Scriptorium 4,1950,194-204; derselbe, Les debuts de I'emploi du papier a Byzance, BZ 46,1953,314-319 und derselbe (u. a.), Papiers orientaux et papiers occidentaux, in: La paIeographie grecque et byzantine, Paris 1977,45-54. 182 So Gregorios II. (in der Zeit vor seinem Patriarchat) in einem Brief an G. Akropolites, GKypEp, Nr. 39. 183 A. 0., Nr. 102.
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das Zweier gespräch unter Freunden oder auch den Vortrag und die Diskussion in kleineren und größeren Zirkeln. Das Wiedersehen mit einem Freund nach einer Trennung wird in der Regel höher bewertet als der briefliche Kontakt. 184 Einen besonderen Akzent erhält der Wunsch nach persönlicher Nähe des Briefpartners in der Korrespondenz der E. Chumnaina. Sie will sich in der Einsamkeit des Klosters nicht auf den Austausch von Briefen mit ihrem geistlichen Berater Ignatios beschränken, sondern öfter, wenigstens einmal im Monat, mündlichen Austausch mit ihm pflegen, um geistigen und geistlichen Trost von ihm zu erhalten. Er hingegen sieht solche persönlichen Besuche angesichts ihres Mönchsstandes als unschicklich an und hält die Korrespondenz für ausreichend. Die Chumnaina hält ihm entgegen, die lebendige Stimme unterscheide sich von einer Mitteilung mit Papier und Tinte wie der lebendige, sprechende Mensch von einem leblosen gemalten Bild. Doch geht es ihr weniger um das gelehrte Gespräch als um geistlichen Trost, und es schwingt auch eine Komponente sublimierter Erotik mit. 18s In manchen Briefen des D. Kydones klingt es deutlicher an, daß er sich von persönlichem Beisammensein gelehrten bzw. philosophischen Austausch erhofft. Er meint z. B., der Freund G. Gabrielopulos könnte ihn, wenn er anwesend wäre, von einer Krankheit nicht nur durch seine ärztliche Kunst, sondern auch durch die "tröstenden Gesänge der Philosophie" heilen. 186 Er beteuert auch sein Verlangen, in der Nähe seines gelehrten Freundes, Kaiser Manuels H., in Thessalonike zu weilen, wenn nur die Umstände es gestatteten. 187 Einen anderen Freund, Johannes Laskaris Kalopheros, mahnt er, sein betriebsames Leben als Geschäftsmann und Unternehmer aufzugeben und gemeinsam mit ihm in Venedig seinen Lebensabend der Muße und der Philosophie zu widmen. 188 Beliebt war aber auch der Gedankenaustausch in elitären Zirkeln, den sog. 8EU'tPU. 189 Hier wurden mit Vorliebe Briefe und rhetorische Texte verlesen, von den Versammelten begutachtet und z. T. stürmisch gepriesen. Einen solchen Zirkel unterhielt z. B. der Staatsmann N. Chumnos.1 9o 184 185 186 187
Z. B. PlanEpL 45, Z. 23-27, Nr. 19; 86, 22-24, Nr. 54. CorChoum, vor allem 42f., 46f., 52f. KydEp I, Nr. 110 (= TinnKyd 1/2, Nr. 50), Z. 41. Vgl. oben, Text mit A. 123. KydEp II, Nr. 279 (= Tinn Kyd III, Nr. 248), Z. 34-43. Hier fällt zweimal (Z. 36 und 40) das in diesem Zusammenhang beliebte Stichwort O'UvovuLa (Beisammensein). 188 KydEp II, Nr. 345 (= TinnKyd III, Nr. 330), Z. 35-61. 189 Darüber zuletzt I. P. Medvedev, The so-called 8eatpa as a form of communication of the Byzantine intellectuals in the 14th and 15th centuries, in: 'H 'EmKOLvoovLa Uto Bv~aVtLO, Athen 1993, 227-235. Über die entsprechende Tradition seit der Spätantike: Hunger I, 210f. 190 VerpChoum 67.
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Th. Metochites, zuerst Schüler und später Rivale des Chumnos, bedachte allerdings dessen selbstgefälliges, pathetisches Gehabe bei der Leitung der Zusammenkünfte mit ätzender Ironie. 191 G. Akindynos bezeugt, daß Gregoras in vielen 8ea'tpa gefeiert wurde. 192 Auch Th. Xanthopulos in Thessalonike 191 und J. Gabras (I), der Bruder des M. Gabras/ 94 unterhielten literarische Zirkel. Doch kann man wohl sagen, daß die Grenze zwischen einer Institution und zwanglosen Zusammenkünften fließend war. Wenn einige Freunde zusammenkamen, um sich gemeinsam an den kleinen stilistischen Glanzleistungen der Epistolographie zu freuen, wie z. B. die Zuhörerschaft in Thessalonike, welcher der jugendliche D. Kydones einen Brief Johannes' VI. vorlas,195 kann natürlich von einem förmlichen Zirkel keine Rede sein. 196 Jedenfalls wurde die persönliche Anwesenheit als sehr notwendig empfunden, und so sah man es denn auch nicht gern, wenn ein Angehöriger eines solchen Kreises sich aus freien Stücken zu lange an einem fernen Ort aufhielt. Er mußte über kurz oder lang damit rechnen, wegen seiner Reiselust getadelt zu werden,197 und wurde manchmal sogar unlauterer Motive, z. B. der Gewinnsucht, verdächtigt. 19B Dennoch gab es natürlich auch zwingende Gründe (die politische Situation, berufliche Aufgaben), welche Dialogpartner voneinander trennten, glücklicherweise, wäre aus heutiger Sicht zu sagen; denn erst die Distanz zwang sie zum Austausch von Briefen, die uns Heutigen eine Vorstellung über Details ihrer Beziehungen vermitteln. Die damaligen Vedasser dachten, wenn sie schrieben, allerdings eher daran, literarische Kunstwerke zu schaffen; erst an zweiter Stelle sahen sie im Brief ein Medium zur Übermitdung von Informationen. Erst aus dem Brief konnten sie entnehmen, ob der andere das Sprachniveau beherrschte, das seine Zugehörigkeit zur Literatengruppe begründete. Dennoch kam es gelegentlich vor, daß zwischen dem vollendeten Stil eines Briefes und seinem sachlichen Gehalt ausdrücklich unterschieden wurde, so im Brief Manuels 11. an D. Chrysoloras, in dem es heißt: ,, geht nicht von unwiderleglichen Gründen und allgemein angenommenen Prinzipien aus, sondern ist allein auf sprachliche Eleganz gegründet und mit bloßer
Metochites, Logos 14, § 27, in: SevMet 253. AkindH 17f., Nr. 1. VerpChoum68. GabrEp, Nr.358, Z. 26. KydEp I, Nr. 12 (= TinnKyd 1/1, Nr. 5), Z. 18ff. Dasselbe gilt für einen Freun~~skreis, dem der alternde Kydones einen Brief vorliest (KydEp 11, Nr. 442, Z. 13f.). Uber literarische Zirkel und gelehrte Disputationen am Kaiser- bzw. Despotenhof s. u., Text mit A. 526-528, 548f., 553-557, 665. 197 HungChort, Nr. 12; vgl. auch Nr. 44 und 47. 198 KarpBooks 82.
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Überzeugungskunst eingefärbt. ,,199 Das heißt, so gut gelungen der Brief des Partners aus literarischer Sicht auch sein mochte, seine philosophische Argumentation wurde als oberflächlich beurteilt. Gemäß seinem Bildungsstand erwartete ein Briefschreiber also ein entsprechendes Briefniveau von seinem Partner. Die Wertschätzung für den Brief als Sprachkunstwerk ging so weit, daß man die Briefe des Partners, aber auch eigene, kopierte und sammelte. Gregorios H. sammelte seine eigenen Briefe mit der Begründung, es sei ein Gesetz der Natur, seine Abkömmlinge zu lieben. 2°O Nun hatte sein Briefpartner, der Großlogothet Th. Muzalon, die Briefe, die Gregorios II. ihm geschrieben hatte, auch seinerseits gesammelt und aufbewahrt, um sich immer wieder an ihrem Stil zu erfreuen. Diese Briefe nun erbat sich der Patriarch, um sie abschreiben zu lassen und seiner Sammlung hinzuzufügen. Muzalon war bereit, sie ihm zu diesem Zweck zu überlassen, bat ihn aber dringend, sie ihm alsbald zurückzusenden, denn er betrachte sie als sein Eigentum. 201 Gregorios erhielt also leihweise seine Briefe zur Abschrift und sandte sie nach einiger Zeit zurück. Im Begleitschreiben zu dieser Sendung teilte er Muzalon mit, er habe entgegen seiner Absicht, alle diese Briefe als ein Denkmal schönen Stils (AOYLKil~ KaAAL'n:xvta; lJJtO/lvlJ/la) kopieren zu lassen, jetzt - wegen ihres schlechten Stils - nur noch wenige einer Abschrift für wert gehalten. Er sende sie zwar alle zurück, aber mit der Bitte, sie samt und sonders zu vernichten, damit ihm die Nachwelt nicht mangelnde Bildung vorwerfen könne. 202 Manuel H. ließ die Briefe seines Lehrers D. Kydones, die er während seiner Zeit in Thessalonike (1382-87) erhielt, in einen Kodex abschreiben. 20J Kydones bedachte dieses Vorhaben zwar aus Bescheidenheit mit Kritik,204 doch führte er selbst ein Kopialbuch seiner späteren Korrespondenz (319 Briefe), das sowohl autograph wie auch in einer von ihm autorisierten Abschrift seines Schülers M. Kalekas erhalten ist. 205 Auch diese Briefsammlung erfolgte aus rein literarischem, nicht aus historischem Interesse. Nur so erklärt es sich, daß die Kopien von Kydones noch im Kopialbuch stilistisch verbessert wurden, nachdem die Originalbriefe längst abgeschickt waren. 206 K ydones war in der Palaiologenzeit nicht er erste, der seine eigenen Briefe sammelte. Entsprechendes ist auch von dem Staatsmann N. 199 200 201 202 203 204 205 206
LetMan, Nr. 33, Z. 14-16. GKypEp, Nr. 155 (v6IJ.O~ tij~ q)'\)aE(J)~ ". atEPYELV tU fKyova). A. 0., Nr. 156 (Brief des Th. Muzalon). A. 0., Nr. 157. Zu dieser Korrespondenz siehe auch LaiouCorr 92. LetMan, Nr. 10, Z. 3. KydEp II, Nr. 326 (= TinnKyd III, 256), Z. 15f. Dazu Loenertz in KydEp II, (5.) V. A. O. V-VI,
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Chumnos bekannt,20? vor allem aber von M. Gabras, der mit geradezu peinlicher Sorgfalt auf die Sammlung und Verbreitung seiner ebenso umfangreichen wie geschwätzigen Briefe bedacht war und mit ihnen insgesamt vier Kopialbücher (ßtßALa) zu füllen gedachte. 208 In seiner Korrespondenz bezeu~t er, solche Kopialbücher an interessierte Freunde ausgeliehen zu haben. Von J. Bryennios ist ein ausführlicher Brief zum Thema der Briefkonservierung überliefert. 2lo Er schildert eingangs dem Briefpartner die Mühen, welche das Briefeschreiben erfordere, die Beschaffung von Papier, Tinte, Schreibfedern, Siegelwachs und anderen notwendigen Utensilien, aber auch die körperliche und geistige Anstrengung beim Vorgang des Schreibens und schließlich den weiten Weg, den der Zusteller zurücklegen müsse. Dies teilt er dem Empfänger mit, weil er befürchtet, er werde den Brief nach der Lektüre achtlos wegwerfen, und er fährt fort, die Menschen in früheren Zeiten (OL n:aAaLot) - als Beispiele nennt er Libanios, Synesios von Kyrene und Isidor von Pelusion, Autoren des 4. und 5. Jh., aber auch alle späteren Autoren, deren Briefe erhalten sind - seien mit Briefen sorgfältiger verfahren. Sie hätten sie vor der Absendung in ein Heft (ßtßALOV) kopiert; aber auch der Empfänger habe ihn anderen Literaten gezeigt, und diese hätten ihn wie er selbst auswendig gelernt, abgeschrieben, ihn in ihren Reden zitiert und öffentlich gepriesen. So sei binnen eines Jahres der eine Brief durch zahlreiche Abschriften vervielfältigt und weit verbreitet gewesen, so daß die Mühe des Verfassers sich wahrhaft gelohnt habe. Bryennios will aber wohl nicht leugnen, daß auch noch zu seiner Zeit Briefe mit solcher Sorgfalt aufbewahrt wurden; er nennt die Vorbilder aus der Spätantike wohl aus pädagogischen Gründen. Das Medium des Briefes ermöglichte es den Literaten, auch über größere Entfernungen hinweg Gedankenaustausch zu pflegen. Man kann geradezu von einem Netz von Kontakten sprechen, das sich über die damalige griechischsprachige Welt hinwegzog. Die Knotenpunkte dieses Netzes waren einige Städte und Herrschaftszentren in einem Raum, der
207 Gemäß Brief Nr.2, BoissAnNov 2-4, suchte er für das Vorhaben einen geeigneten Kalligraphen; vgl. auch a. O. 167f., Nr. 144. 208 GabrEp, Nr. 175. Anscheinend verteilte Gabras seine insgesamt 1470 (oder 1400) Briefe später auf zwei Bände, von denen nur der erste, mit 462 Briefen, erhalten ist. Vgl. F. Tinnefeid, Zur Entstehung von Briefsammlungen in der Palaiologenzeit, in: IIoAUn:AEuPO!; Noii!;, Festschrift P. Schreiner, München-Leipzig 2000, S. 365-381, Text mit A. 37-46. 209 Kopialbuch I: GabrEp, Nr. 175; Bitte um Rückgabe: a. 0., Nr. 301. Kopialbuch II: a. 0., Nr. 365, an M. Gabalas. Teile der Sammlung verlieh er auch an den Metropoliten Gregorios von Dyrrhachion (a. 0., Nr. 419) und an einen gewissen Dermokaites (a. 0., Nr. 450). 210 Bryennios III, 180-182, Nr. 25.
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außer den wenigen noch zum byzantinischen Reich gehörenden Gebieten auch ehemaliges Reichsgebiet (Kreta, Zypern, Trapezunt), manchmal sogar Aufenthaltsorte von Briefpartnern in Italien211 , umfaßte. Die wichtigste Quelle für diese weitgespannten Kontakte sind die großen Briefcorpora der Epoche. Briefsammlungen in größerem Umfang (über 50) sind erhalten (in chronologischer Reihenfolge; Zahl der Briefe in Klammern) von: Patriarch Gregorios H. (242), M. Planudes (122), Patriarch Athanasios (126), N. Chumnos (179), M. Gabras (462), Th. Hyrtakenos (93), M. Gabalas (64), G. Akindynos (76), N. Gregoras (159), D. Kydones (448), Kaiser Manuel II. (68), M. Kalekas (89) und J. Chortas212 menos ( 52.) Jedes dieser großen Briefcorpora, von denen im folgenden nur ein Teil exemplarisch auf die Spannweite der Adressaten befragt werden soll, hat je seine Eigenart; jeder Autor hat einen Kreis von Briefpartnern, der die unter 5.8 aufgelistete Literatengruppe bei weitem überschreitet. Von den Briefpartnern der genannten Literaten ist leider nur ein verschwindend geringer Bruchteil der anzunehmenden Briefe erhalten. Regelrechte Korrespondenzen zweier Briefpartner liegen nur für kleinere Briefcorpora vor. 2lJ Auch zu einigen Briefen der großen Briefsammlungen sind vorausgehende oder folgende Briefe der Partner erhalten, so z. B. zu denen des D. Kydones. 214 Wir müssen aber annehmen, daß auch die Briefpartner, 211 So adressiert z. B. D. Kydones Briefe (KydEp U, Nr. 331 und 345) an seinen Freund Johannes Laskaris Kalopheros in Venedig bzw. an einem anderen Ort im Abendland. 212 Die maßgebenden Editionen sind: GKypEp (dazu LaiouCorr), PlanEpL, CorAth, BoissAnNov 1-190 (Chumnos; eine kritische Edition liegt nicht vor), GabrEp, MatthEp, AkindH, GregEpL, KydEp, LetMan, KalekEp, HungChort. Für Hyrtakenos liegt bislang nur die seltene Edition von La Porte du Theil (HyrtEp) vor. Ferner ist das Briefcorpus des G. Oinaiotes, früheres 14. Jh. (PLP 21026), zu nennen (179 Briefe, gemäß ODB 1519), dessen Edition in den "Supplementa Byzantina" von G. Fatouros, St. Kouroussis und D. R. Reinsch vorbereitet wird (siehe: Arbeitsgemeinschaft deutscher Byzantinisten, Publikationsliste 1998, 4). Die Mehrzahl der bei MohlBess UI, 415-571 edierten griechischen und lateinischen Briefe Bessarions (griech.: Nr. 1-37 und 59-61) stammen aus der Zeit nach 1453. 213 In der Sammlung CorChoum sind die Briefe Nr. 1-16 eine alternierende Abfolge von Briefen der E. Chumnaina und der Antworten ihres geistlichen Beraters, des "Philosophen" Ignatios. Einen Briefwechsel enthält auch die Edition: Georgii Lacapeni et Andronici Zaridae epistulae, ed. S. Lindstarn, Göteborg 1924. Zu beiden Autoren s. u., 5. 8: G. Lakapenos, A. Zarides. Ferner ist ein Briefwechsel zwischen Gennadios U. und Lukas Notaras überliefert (LPP H, 182-212). 214 Auf NikKabEp, Nr. 14 (auch ediert in KydEp I, 169, Appendix I, Nr. 1) antwortet KydEp I, Nr. 124 bzw. nach dessen Verlust KydEp I, Nr. 125 (vgl. TinnKyd 112, Nr. 52 und 58). Auf KydEp H, Nr. 213 antwortet NikKabEp, Nr. 15 (auch ediert in KydEp I, 170, Appendix I, Nr. 2; vgl. TinnKyd Ir, 210, Nr. 0223). Zu erhaltenen Antworten auf erhaltene Briefe im Briefwechsel zwischen D. Kydones und Manuel U. vgl. LetMan, Nr. 3, A. 1; Nr. 8, A. 1; Nr. 10, A. 1; Nr. 11, A. 1; Nr. 12, A. 1; Nr. 16, A. 16; Nr. 21, A. 1.
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von denen keine Zeile erhalten ist, durchweg in der Lage waren, ihre Briefe auf dem Niveau der erhaltenen Antworten zu verfassen. So schreibt z. B. M. Planudes an folgende Adressaten: Kaiser Andronikos 11., Mitglieder der Kaiserfamilie (auch an Th. Kantakuzene), vorwiegend an Hofbeamte und Heerführer wie Demetrios Angelos 215 und Alexios Philanthropenos,216 sowie an einen Arzt; ferner an Metropoliten (z.B. auch einen Brief an den Metropoliten von Kreta Nikephoros Moschopulos217 ) sowie an Bischöfe, Priester, Äbte und Mönche. Unter den letzteren ist vor allem Melchisedek, ein Sohn des G. Akropolites,218 zu nennen. Dagegen finden sich im erhaltenen Briefcorpus nur wenige nachweislich produzierende Literaten, wie sie in der Liste aufgezählt sind, als Briefpartner (M. Bryennios, M. Philes und Th. Xanthopulos). Auch nur wenige Schüler des Planudes sind darunter Qohannes Zarides219 und der Mönch Merkurios 220). Dieses Briefcorpus bezeugt also deutlich die unscharfen Ränder des Literatenkreises, und sie reichen nicht nur in diesem Fall weit über den beschriebenen Kernkreis hinaus. Die Briefpartner des D. Kydones sind ebenfalls in entsprechender Weise " gemischt" ; der Adressatenkreis verteilt sich ziemlich gleichmäßig auf Kaiser, Despoten, Beamte, Patriarchen, Metropoliten, Bischöfe, Priester und Mönche. Als Briefpartner sind zwar auch mehrere Literaten der Liste zu nennen; doch sind an sie, abgesehen von den Kaisern J ohannes VI. und vor allem Manuel 11., prozentual nur wenige Briefe gerichtet. Es handelt sich um K. Asanes, S. Atumanos, N. Kabasilas Chamaetos, Neilos Kabasilas, M. Kalekas, M. Chrysoberges, G. Gabrielopulos, N. Gregoras, Th. Meliteniotes und Patriarch Philotheos. Vielleicht darf man zu den Literaten im engeren Sinne, auch wenn nichts von ihm erhalten ist, auch Manuel (?) Tarchaneiotes221 zählen, an den mehrere Kydones-Briefe gerichtet sind. Jedenfalls preist ihn Kydones hoch wegen seiner rhetorischen und stilistischen Fähigkeiten.222 Einem privaten Schülerkreis zuzurechnen sind wie M. Kalekas auch der Kaufmannssohn Rhadenos 22J und ein gewisser Georgios. 224 Ein Sonderfall unter den Briefpartnern des Ky-
215 PLP 193. Zur Korrespondenz des Planudes siehe auch oben, Text mit A. 39f. 216 PLP 29752. Hier und im folgenden ist die PLP-Nummer in den Fällen angegeben, wenn es sich nicht um Personen der prosopographischen Liste (unten, 5. 8) handelt. 217 PLP 19376. 218 PLP 823. Vgl. auch ConstEd 40, 74f. 219 PLP 6462. 220 PLP 17913. 221 PLP 27471. 222 TinnKyd 111, 218-221. 223 PLP 23986. 224 PLP 3925.
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dones ist Johannes Laskaris Kalopheros,m von Beruf Kaufmann und Unternehmer, der früh zur römischen Kirche übertrat und sich bald sehr weitgehend dem abendländischen Kulturkreis annäherte. Er und G. Gabrielopulos sind die "weltläufigsten" unter den Briefpartnern des Kydones. Fragen wir nach der geographischen Spannweite seines Briefnetzes,226 dann ist zunächst ein Schwergewicht auf Thessalonike als Ort der Adressaten zu beobachten. Schon wesentlich geringer ist die Zahl der Briefe, die Kydones nach Mistra oder zu anderen Orten der Peloponnes sandte. Weitere Orte im engeren byzantinischen Bereich einschließlich des genuesischen Lesbos kommen nur sporadisch vor. Die entferntesten sind: d 230 "eI b . Z ypern, 227 V ened·19,228 R om,229· em un b ek annter O rt·1m Ab endl an, 232 2JJ den Walachen"2J1, Kreta und Kaffa auf der Krim. Doch handelt es sich, vielleicht mit Ausnahme des Mönchs Athanasios auf Kreta, nicht um dort ständig Ansässige, sondern - wenn man einmal von Paulos in Kaffa absieht - um Freunde des Kydones, die aus Konstantinopel stammen und sich an dem fernen Ort vorübergehend aufhalten. Die Korrespondenz des Kydones bewegt sich also in einem relativ engen Kreis, der sich im wesentlichen auf den griechisch-byzantinischen Raum konzentriert, und wenn seine Briefe einmal in weitere Fernen gerichtet sind, dann doch an Leute, die in der Regel dem engeren Raum zuzuordnen und nur gerade auf Reisen sind. Eine ähnliche Beobachtung gilt auch für das Briefcorpus des ca. 30 Jahre älteren N. Gregoras. Thessalonike hat auch als Ort seiner Adressaten bei weitem das Ubergewicht. 234 Daneben stehen sporadisch Serrai, wo sich der Literat A. Zarides aufhält,235 Mistra236 und andere Orte im byzan-
225 PLP 10732. 226 Ein Überblick über die feststell baren Orte der Adressaten findet sich für die einigermaßen genau datierbaren Briefe in KydEp H, 484-496. 227 KydEp I, Nr. 35 O. Kyparissiotes), 37 Oohannes Laskaris Kalopheros); H, Nr. 436 (Kalopheros). 228 KydEp I, Nr. 21 (Manuel H.); Nr. 24 (ein Unbekannter, vielleicht Kalopheros; vgl. TinnKyd 112, Nr.90); H, Nr. 331 (Kalopheros). 229 KydEp H, Nr. 161 O. Kyparissiotes), 167, 190 (Kalopheros). 230 A. 0., Nr. 345 (Kalopheros). 231 A. 0., Nr. 337 (ein unbekannter Freund). 232 A. 0., Nr. 408, 434, 441 (Mönch Athanasios, PLP 401). 233 A. 0., Nr. 439 (Paulos, ein junger Mann aus Mailand, PLP 22087). 234 GregEpL, Nr. 20-22, 34, 46, 49, 51, 91, 99, 100, 113, 129, 133, 134, 141, 142, 158, 159. Ferner kommen auch von den 22 Briefen "ad Gregoram" in GregEpL, Nr.l, 3-13 und 17, also weit mehr als die Hälfte, aus Thessalonike. 235 A. 0., Nr. 30, 32, 45, 110; Zarides an Gregoras: GregEpL, Nr. 2 ad Gregoram. 236 A. 0., Nr. 5,96.
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. . h en BerelC. . h 2J7 Von welter . enclernten 0 rten sm . d nur Z ypern 2J8 und tJ.msc 2J9 Trapezunt zu nennen. Auch in der Korrespondenz des Gregoras gehört die Mehrzahl der Adressaten nicht zum engeren Kreis der Literaten; es handelt sich meist um Beamte und Kleriker. Die im späten 14. Jh. zunehmenden Kontakte einiger Literaten mit dem lateinischen Westen spiegeln sich auch in der Spannweite ihrer Korrespondenz. Ein Paradebeispiel dafür sind die Orte, an die M. Kalekas seine Briefe versandte. Von seinen insgesamt 89 Briefen gingen 20 an Briefpartner im Abendland, und wenn auch die Mehrzahl dieser Adressaten Byzantiner sind, so sind doch immerhin fünf Briefe an Iacopo Angeli, einen des Griechischen kundigen Humanisten aus Florenz, adressiert. 24o Fernere Briefziele des Kalekas sind auch Kreta,241 wo er sich zeitweilig selbst aufhielt, und Zypern. 242 Das Briefcorpus Manuels II. schließlich enthält von den besprochenen Sammlungen den prozentual höchsten Anteil von Briefen an Literaten im engeren Sinne: K. Asanes, M. Balsamon, D. und M. Chrysoloras, N. Kabasilas Chamaetos und D. Kydones; hinzu kommen der Rhetor und Richter Konstantinos Ibankos, ein Lehrer Manuels,24J und Manuel Pothos, der auch als Literat gelten kann. 244 Andere Adressaten aus dem byzantinischen Raum sind Angehörige des Kaiserhauses, Patriarch Euthymios, Metropoliten, Bischöfe und Mönche. Auch hier ist das Netz der Korrespondenz gelegentlich weiter gespannt. Doch sind seine Adressaten im Abendland (vor allem Italien) im wesentlichen die beiden Byzantiner D. Kydones 245 und M. Chrysoloras. 246 Darüber hinaus liegt nur ein Brief an einen Italiener vor, den Humanisten Guarino Veronese. 247 Auf Zypern erhält derselbe Manuel Rhaul von ihm einen Brief, der aus der Korrespondenz des M. Kalekas bekannt ist. 248 In Tra~ezunt richtet Manuel nur einen Brief an seinen Amtskollegen ManuelllI. 49 237 Apros (a. 0., Nr. 28), Philadelpheia (Nr. 61), Monembasia (Nr. 62) und das genuesische Lesbos (Nr. 107). 238 A. 0., Nr. 44 und 97. Von dort erhält Gregoras auch Post von G. Lapithes (a. 0., ad Gregoram, Nr. 14-16). 239 Nur GregEp L, Nr. 143 (K. Lukites). 240 KalekEp, Nr. 18,22,33,64 (nach Florenz) und Nr. 81 (nach Rom). 241 A. 0., Nr. 38,40,66 (letzterer innerhalb Kretas versandt). 242 A. 0., Nr. 46, 58,60,61,77 an Manuel Rhaul (PLP 24128), nicht identisch mit dem gleichnamigen Literaten der Liste, sowie Nr. 70. 243 LetMan, Nr. 45; PLP 7973. 244 LetMan, Nr. 35; PLP 23450. 245 LetMan, Nr. 31, 36, 62. 246 A. 0., Nr. 37, 38, 49, 55, 56. 247 A. 0., Nr. 60; PLP 4324. 248 LetMan, Nr. 32; s.o., A. 242. 249 A. 0., Nr. 53.
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Auch die genauere Auswertung der übrigen genannten großen Briefsammlungen würde das Gesamtbild kaum verändern: Das geographische Netz wird erheblich dünner, je weiter es ausgedehnt ist, und die Verbindungsachse Konstantinopel-Thessalonike bleibt durchweg stärker als jede andere. Die Verbindung zu Italien wird sich allerdings in der spätesten Zeit des Reiches noch weiter intensivieren. 25o 5.2.3. Abgrenzung der Literaten von anderen
Mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl und der Verbundenheit der Literaten untereinander korrespondierte deren entsprechende Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppen. Generelle Bezeichnungen für einen, der nicht zum Kreis der Gebildeten gehört, sind z. B. aYPoLKo~ (bäurisch)251 oder ypa.~~a'toov a~OLpo~ (Analphabet).252 Etwas milder klingen Begriffe wie aJ'ta.LöEu'to~253 und d~a.8~~ (ungebildet); Literaten bezogen sie gelegentlich in rhetorischer Bescheidenheit auch auf sich selbst. 254 Man sprach ferner in abfälligem Sinne von der Menge (oL J'tOAAOL), die einer höheren Bildung unzugänglich und deshalb z. B. nicht fähig sei, die Bedeutung eines Gelehrten zu erkennen.255 Fehlende Bildung verband man von vorneherein mit bestimmten Berufen. So ist z. B. N. Gregoras überzeugt, der Landarbeiter sei weit entfernt von jeder Bildung und zeichne sich durch einen "ungezähmten und tierischen Charakter" aus. 256 D. Kydones ist seinen Eltern dankbar, daß sie ihn zur Sicherung seines Lebensunterhaltes nicht etwa ein Handwerk erlernen ließen. 257 Chortasmenos klagt in einem Gedicht aus gegebenem Anlaß, er, der "Liebhaber der Weisheit" müsse sich mit Handwerkern und Gelegenheitsarbeitern, Banausen ohne Kultur, abgeben. 258 Es ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, daß trotz ihrer Kenntnis der Schrift auch die berufsmäßigen Kopisten zu den Handwerkern gezählt
250 Siehe dazu unten, 5. 5. 251 LetMan, Nr. 5, Z. 13. Daneben wird auch der Begriff »barbarisch" verwendet; s. u., A. 266. 252 M. Chrysoloras, Brief Nr. 1, PG 156, 25B. 253 KydEp II, Nr. 258 (= TinnKyd III, Nr. 240), Z. 12. 254 KydEp II, Nr. 302 (= TinnKyd III, Nr. 302), Z. 37 (Öf.t.a8La der ungebildeten Mönche). Bescheidenheit: LetMan, Nr. 41, Z. 38. 255 ConstEd 96 mit A. 39. 256 Greg 11, 871; Übers.: DietGreg IV, 60. Hier sind die Äußerungen des Gregoras über das »gemeine" Volk .~m allgemeinen zu vergleichen, s.o., Kap. 2. 4, Text mit A. 199215. Einige positive Außerungen a. 0., Text mit A. 21M. 257 MercNot 359. 258 HungChort 48 und 190, Gedicht a.
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wurden; folglich verkehrte man mit ihnen im allgemeinen nicht auf gleicher Ebene, und wenn sie schlecht oder zu langsam gearbeitet hatten, mußten sie mit entsprechendem Tadel rechnen. 259 Als "Barbar" galt natürlich, wer Handschriften beschädigte. 26o Kauf- und Geschäftsleuten traute man kein großes Bildungsinteresse zu. Jedenfalls geht D. Kydones davon aus, daß sie "Feinde geistiger Betätigung" (toov Mywv E')(.8pOL) sind. 261 In der Provinz erwartete man, anders als in den großen Städten (vor allem Konstantinopel und Thessalonike), generell kein hohes Bildungsniveau. Wer sich zu den Gebildeten zählte und dennoch, z. B. als Bischof, in der "barbarischen" Provinz leben mußte, wurde von anderen bedauert. 262 Treffend schildert M. Gabalas in einigen seiner Briefe die Situation eines Bischofs in der barbarischen Provinz. Zunächst begab er sich um 1335 in das kleine Städtchen Brysis in Thrakien. Von dort schreibt er an M. Gabras: "J etzt sind wir wirklich Vertriebene, da wir in diese Einöde ans Ende der Welt gegangen sind ... , die keinerlei Freuden zu bieten hat außer einer rohen Sprache und Lebensart." Daher falle ihm nun sogar der geistige Austausch in Briefen schwer. 263 In einem anderen Brief schildert er die Menschen seiner Umgebung genauer: Sie seien "nichts wert", nur Nomaden, Hirten, Bauern, Handwerker, Schlächter und Schafhirten. Trunksucht herrsche überall. Moralische Begriffe seien ihnen unbekannt. Selbst ihre Sinnesorgane seien stumpf und bäurisch. Entsprechend könne man nicht einmal mit ihrer Beteiligung am Gemeindeleben rechnen. 264 1339 reiste Gabalas in das von Türken beherrschte Kleinasien, um als Metropolit Matthaios in Ephesos zu residieren. Die wahrscheinlich nur kurze Zeit, die er dort verbrachte, war reich an bitteren Erfahrungen. Aus seinen insgesamt vier Briefen, die aus diesen Tagen erhalten sind, erfährt man, daß die christliche Bevölkerung der Gegend unter Schikanen der Türken zu leiden hatte. Wiederum beeinträchtigt die "barbarische" Umgebung seine geistige Verfassung; er befürchtet, aus einem solchen Um-
259 GKypEp, Nr. 28, 76. 260 A. 0., Nr. 38. 261 KydEp II, Nr. 177 (= TinnKyd II, Nr. 168), Z. 10. Dort ist vom Vater des Schülers Rhadenos die Rede, der unter dem Einfluß von "Feinden geistiger Betätigung" verlangt, daß sein Sohn "einer dieser Mehlhändler und Krämer" werden solle. Eine Anspielung auf Händler als ungebildetes Volk enthält auch die Apologie des P. Kydones gegen Patriarch Philotheos (dazu TinnKyd I/I, 72, Nr. 3. 2), MercNot 311. In einem Brief des Planudes wird die Verwaltung von Familiengütern als bildungsfeindliche Tätigkeit verurteilt; s.u., Text mit A. 499. 262 HungChort 87f. und 168f., Brief Nr. 19. 263 MatthEp, Nr. 58. 264 A. 0., Nr. 64.
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feld nun schon selbst "barbarische" Briefe zu schreiben. 265 Doch ist die christliche Bevölkerung hier doch nicht so roh und ungeschliffen wie die von Brysis, und er kann wenigstens eine kleine, aktive Gemeinde um sich scharen. 266 Sogar das einstige Kulturzentrum Athen galt in dieser Zeit als tiefste Provinz. Jedenfalls ist J. Chortasmenos überzeugt, diese Stadt habe ihre Rolle als Stätte der Bildung längst ausgespielt, und Konstantinopel sei an ihre Stelle getreten. Er warnt seinen Briefpartner daher, sich zu lange dort aufzuhalten, sonst werde man ihm ausgerechnet dort die Vernachlässigung der Weisheit (aoLu) vorwerfen müssen. 267 Doch wurde ein Briefpartner bewundert, wenn er im Barbarenland lebte und trotzdem seinen guten griechischen Briefstil nicht vernachlässigte. 268 Die Literaten neigten allgemein dazu, den Bildungsstand eines jeden Ausländers gering einzuschätzen. So konnte z. B. nicht einmal Gregorios 1I., weil er seine erste Schulbildung auf Zypern erhalten hatte, als junger Mann (Georgios "Kyprios") Zu~ang zum elitären Gelehrtenkreis des Nikephoros Blemmydes erhalten. 69 Ein Ausländer ist aus der Sicht des Gregoras trotz seiner griechischen Bildung der aus Kalabrien stammende Barlaam. 27o Im Dialog "Phlorentios,,271 gibt er ihm den Schlüsselnamen Xenophanes (der als Fremdling erscheinende) und betont, daß er Latein als Muttersprache spreche, Griechisch aber nur "gezwungen" (ßeßLua!lEVW~); denn von der hellenischen Muse und der gemeinsamen Sprache sei in Kalabrien keine Spur fieblieben, nicht einmal soviel, wie Bauern und Landarbeiter sprechen!2 Im übrigen habe er seine Gelehrsamkeit nicht einmal dort, sondern "tiefer in Italien" erworben, was ihn noch mehr abqualifiziere. 27J Auch M. Gabras gibt Ausländern keine Chance: nach seiner Ansicht ist ein ungebildeter Barbar nicht einmal würdig, mit Griechen zu streiten. 274 Mit größerer Höflichkeit, aber nicht ohne feine 265 A. 0., Nr. 54-56. Vgl. auch Th. Metochites, der auf seiner Gesandtschaft zu den Serben (1298/99) der dortigen "Barbarei" (&YPOLKLa, ßaPßapLK~ OllVt1JXta) die Anmut der griechischen Sprache entgegenstellt (im "Presbeutikos", ed. L. Mavromatis, La fondation de l'Empire serbe - Le kralj Milutin, Thessalonike 1978, 89-119, hier 90, Z. 25-27). 266 MatthEp, Nr. 57. 267 HungChort, Briefe Nr. 44, 47. 268 GabrEp, Nr. 146, 147. 269 Diese Passage seiner Autobiographie ist übersetzt bei H.-G. Beck, Byzantinisches Lesebuch, München 1982, 149. 270 Barlaam war Mönch im Kloster S. Elia di Galatro in Kalabrien gewesen. Er kam von dort ca. 1328 nach Byzanz; vgl. GregPhii 175f. 271 Niceforo Gregora, Fiorenzo 0 Intorno alla sapienza, a cura di P. L. M. Leone, Neapel 1975. 272 A. O. 65f. 273 A. O. 71. 274 GabrEp, Nr. 111.
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Ironie, wurde das Desinteresse an der griechischen Bildung bei angeseheneren Abendländern wie z. B. dem König VOn Zypern vermerkt. 275 Es gab allerdings auch Gegenstimmen. Vor allem D. Kydones wandte sich gegen das Vorurteil seiner Mitbürger, auch die Abendländer als Barbaren einzustufen, und verherrlichte stattdessen deren wissenschaftliche Fortschritte,276 während er das Bildungsniveau seiner eigenen Landsleute gering einschätzte. ln Erst mit der wachsenden Annäherung an den Westen in den spätesten byzantinischen Jahrzehnten setzte sich in weiteren Kreisen eine positivere Bewertung der abendländischen Bildung durch, so daß z. B. J. Argyropulos trotz oder gerade wegen einer Studienzeit und Lehrtätigkeit in Italien (Padua) als geeigneter Lehrer an einer kaiserlichen Schule in Konstantinopel akzeptiert wurde. 278
5.2.4. Abgrenzungen innerhalb der Literatengruppe Bisher war nur VOn einer eindeutigen Kohärenz innerhalb der Literatengruppe und von deren Abgrenzung nach außen die Rede. Doch gilt das Gemeinschaftsbewußtsein der spätbyzantinischen Literaten nicht ohne Einschränkung. Zwar bestanden die als verbindend beschriebenen Elemente in jedem Fall weiter, die formalen Kategorien der Sprachkultur und der Logik galten für alle, doch gab es stärkere Gesichtspunkte, die zu einer Polarisierung innerhalb der Literatengruppe führten. Dazu zählte zunächst der einfache Gelehrtenstreit, in dem persönliche Antipathien sich mit sachlichen Gegensätzen mischten. Ein Gegensatz von größerer Tragweite war aber der zwischen "Gottesweisheit" und "Weltweisheit", wie ihn erstmals Paulus im 1. Korintherbrief (1,17-25; 2,13; 3,19), allerdin!?s mit anderer Intention als seine späteren Interpreten, entwickelt hatte. 2 Die Untergruppe innerhalb der Literaten, die sich zur "Gottesweisheit" bekannte, ist keineswegs einfach die der Theologen; es handelt sich vielmehr um ein spezifisches Konzept von der Beziehung zwischen Wissen und Glauben. 275 276 277 278
LetMan, Nr. 32, Z. 10f. TinnNiv 273f. KydEp II, Nr. 183 (= TinnKyd II, Nr. 0194), Z. 19-21. Hunger II, 314. Zur Lehrtätigkeit des Argyropulos siehe auch unten, Text mit A. 565568. 279 Mit dem Pauluszitat argumentiert z. B. Patriarch Philotheos in Logos 4 (Antirrhetikos gegen N. Gregoras), KokDogm I, 94, Z. 371-375, und fordert Z. 376-380, die Weltweisheit (f] 1:0Ü KOOftOU oota) sei wie eine Magd (IlOUAT] Kat Bepa.3tULva) der oota wu Beau unterzuordnen. Zur Geschichte des Magd-Vergleichs: PodTheol25f. Zum traditionellen Mißverständnis bei der Interpretation des Ersten Korintherbriefes, Kap. 1-3, im bildungsfeindlichen Sinne: a. O. 28f.
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Am Anfang sollen jedoch einige Beispiele für Streitigkeiten der "Weltweisen« untereinander stehen. Zu den bekanntesten Auseinandersetzungen dieser Art in der byzantinischen Spätzeit gehört die zwischen N. Chumnos und seinem ehemaligen Schüler Th. Metochites um 1325. Der Disput wurde, nach einer ersten Vorstellung durch R. Guilland, von 1. Sevcenko ausführlich analysiert. 28D Zuerst hielt Chumnos dem einstigen Schüler seinen unklaren und nicht den Regeln der rhetorischen Kunst entsprechenden Stil vor. Mit entsprechender Unfreundlichkeit konstatierte Metochites, sein Gegner pflege die literarische Kunst auf ungebildete Weise. 281 In einer zweiten Runde stritt man darüber, wie man wissenschaftliche Astronomie zu betreiben habe. In den Streitschriften, welche die beiden Rivalen gegeneinander verfaßten, finden sich noch mancherlei weitere Verunglimpfungen des Gegners, die mit den angesprochenen Sachfragen nur noch wenig zu tun haben. Aus dem frühen 15. Jh. ist der Text einer byzantinischen Gelehrteninvektive überliefert, wie sie einige Jahrzehnte später auch von den Humanisten Italiens gepflelit wurde, so von dem scharfzüngigen Florentiner Humanisten Poggio. 2 Ihr anonymer Verfasser ist sehr wahrscheinlich identisch mit J. Argyropulos. Der attackierte Gegner heißt Katablattas, zu identifizieren mit Demetrios Katadokeinos Katablat(t)as, einem Gerichtsschreiber, von dem aus den Jahren 1407 und 1421 je eine unterschriebene Urkunde überliefert ist. 28J Beide sind nach Ansicht der Herausgeber der Invektive "fort lettres«,284 mag Katablattas auch weit weniger bekannt sein als Argyropulos. Die beiden Formen der invectiva contentionis (in der es um eine Sachfrage geht) und der invectiva criminis (die dem Gegner moralische Verfehlungen anlastet) sind in diesem Text miteinander verwoben: Argyropulos versucht den als Literaten an sich offenbar ernstzunehmenden Gegner als Banausen und Ignoranten hinzustellen und ihn als Päderasten moralisch zu desavouieren. Dies sagt mit prägnanter Kürze u. a. ein einziger Satz der Invektive aus: "Saul ist unter den Propheten und Skatablattas (sie!) unter den Gelehrten«.285 Verletzen-
280 SevMet. 281 SevMet 25; 47, Z. 189. Vgl. auch die Überschrift zu Logos 13 des Th. Metochites: "EAEYXO~ Ka"ta "toov d.n;möEll"t(o~ XPWI-IEVWV "tot~ A6yo~ - "Widerlegung der ungebildeten Literaten" (vgl. SevMet 47 und 188: hommes de lettres incultes). 282 OikAnag 252. 283 CanivOik 12f.; PLP 92341 (neu, an Stelle von PLP 11410): Lemma Ka"taöoKELv6~, ~TJI-I~"tPLO~ Ka"taßAa"ta~.
284 CanivOik 8. 285 A. O. 65, Z. 531f.; Bezug auf die verwunderte Frage im 1. Buch der Könige (Zählung der Septuaginta) 10, 11f., ob Saul auch zu den Propheten zähle, und zugleich durch pejorative Entstellung des Namens "skatologische" Anspielung auf das angebliche Laster des Attackierten.
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de Ironie dieser Art ist bezeichnend für die gesellschaftliche Gruppe, die sie hervorbringt. Offenbar sind es Literaten der "neuen" gesellschaftlichen Gruppe eines aristokratischen Unternehmertums, die in ihren rhetorischen Auseinandersetzungen mit Kollegen vor gesellschaftlichen Tabus nicht mehr zurückschrecken. 286 Ein weiteres Beispiel für verletzende Kritik an einem gelehrten Kollegen ist G. Plethons Invektive gegen Scholarios (später Gennadios 11.)287, der in maßvollem Ton wegen seiner Kritik an Aristoteles 288 gegen ihn polemisiert hatte. 289 Hier wird der Gegner zwar nicht moralisch, wohl aber intellektuell diffamiert. Plethon läßt seinen Kritiker wissen, er sei allenfalls ein Kinderschreck, über dessen Beschimpfungen erwachsene Leute erhaben seien. 290 Die meisten Passagen aus Aristoteles, die er (Scholarios) gegen ihn (Plethon) zitiere, habe er selbst nicht verstanden; überhaupt habe er von dessen Philosophie so wenig Ahnung, daß man über seine Vermessenheit, Kommentare zu seinen Schriften zu verfassen, nur lachen könne. So gibt Plethon ihm den Rat, alle seine bisherigen Schriften zu Aristoteles schleunigst zu verbrennen und nie wieder etwas über ihn zu schreiben, wolle er sich nicht zum Gespött aller machen. 291 Auch am Schluß der Schrift ermahnt Plethon seinen Widersacher noch einmal, die philosophische Schriftstellerei aufzugeben. Nur völlige Ignoranten und Analphabeten würden ihn überhaupt beachten. Er konzediert ihm zwar eine gewisse W ort~ewandtheit, aber nicht die geringste Fähigkeit zum präzisen Denken. 2 Schließlich sei noch auf die Gelehrtenpolemik mit intellektuellen und moralischen Angriffen eingegangen, die in drei Briefen des Argyropulos an einen "Georgios" überliefert ist. 293 Im ersten Brief greift Argyropulos 286 Zur sozialen Einordnung des Argyropulos s.o., Kap. 4. 5, Text mit A. 230. Zur Interpretation der Katablattas-Satire vg!. auch N. Oikonomides, Byzantium between East and West (XIII-XV Cent.), Byz.Forsch. 13, 1988, 319-332, hier 330-332. 287 Ilpoe; to.e; ~xoAapio'U u:rrep 'APLOtOtEAO'Ue; aVtLATpjJELe;, verfaßt um 1450; PG 160,9791020. Ausführliche Paraphrase bei WoodhPleth 283-307. Zum scharfen Ton der Invektive: CanivOik 24. 288 Sc. in seinem 1439 verfaßten Werk "IlEpt ~ ... (Tomos, Version B, gemäß DarPatr V, 2213, S. 168; Text: PG 151, 679B; I. Karmires, Ta ÖOYI'a'tLKa Kat OUl'ßOALKa I'V'lJI'eLa nie; 'Op80ö6;ou Ka8oMK'lje; 'EKKA'lJoiae;, I, 2Graz 1968,355). KokDogm I, 36 (Logos 1, Z. 403--436). MatschOrth 42f. KantRef 11: Refut. I, § 7, Z. 16-25.
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Maximos Kausokalybes 315 zu sich in den Palast kommen. Dort beeindruckte er zwar, weil er frei aus dem Johannesevangelium zitieren konnte, erregte aber bei .Metochites Anstoß, weil er beim Sprechen wohl zu sehr von der Volks- bzw. Alltagssprache beeinflußt war und jedenfalls angeblich gegen die Regeln der Grammatik verstieß. Dies veranlaßte Metochites, ihm durch ein Bibelzitat (Genesis 27, 22) einen entsprechenden Verweis zu erteilen: "Diese Stimme ist zwar Jakobs Stimme, aber seine Hände sind Esaus Hände." Daraufhin verließ der Mönch gekränkt den Palast und betrat ihn nie wieder.J\6 Derselbe Metochites traute auch, als er nach der Absetzung Andronikos' 11. in die Verbannung gehen mußte, den Mönchen des Choraklosters einen angemessenen Umgang mit seiner geliebten Bibliothek nicht zu. J17 Entsprechend freute sich Manuel 11., als er seinem Lehrer D. Kydones eine Platonhandschrift aus einem Kloster beschafft hatte, darüber, daß Platon nun zu neuem Leben erweckt werde, denn die Ha..pdschrift sei für die Mönche, "die seit langem der weltlichen Weisheit entsa~ haben (tiJv tOU KOO!J.OU ooi.av Ka1:aAIJtOum)", ungeeignet gewesen. 18 In seinem Antwortbrief an den Kaiser betont Kydones noch mehr das Unvermögen der Mönche, den wahren Wert einer Platonhandschrift einzuschätzen; ihr Interesse ziele allein auf den Gewinn, den der Verkauf des Kodex ein. k"onne. 319 brmgen Tief ins Grundsätzliche geht die Polemik gegen eine mit mangelnder Bildung gepaarte Gottesweisheit bei Gregoras, der von der Warte seiner Gelehrsamkeit aus Palamas und seine Anhänger bekämpft und mit Verunglimpfung' Spott und Verachtung für seine Gegner nicht spart. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß es im Streit zwischen Palamas und seinen Anhängern einerseits und deren Gegnern andererseits im wesentlichen um unterschiedliche theologische Inhalte ging. Hier lag es nahe, dem Gegner, der eine abweichende Meinung vertrat, mangelnde Bildung vorzuweden. Zudem wurde der Antagonismus zwischen Gottes- und Weltweisheit in dieser Debatte auch deshalb so deutlich thematisiert, weil die Anhänger des Palamas, wie wir sahen, bewußt die Gottesweisheit für sich in Anspruch nahmen. In diesem Sinne spricht Gregoras ausdrücklich von "unserem Lager" (ta Tj!J.Etepov mJotT)!J.a), welches die Verirrung" (:7tAavT) der Palamiten widerlege. 32o Er hält Palamas vor, theologische Disputationen zu scheuen, weil er wegen mangelnder Bildung und seiner dadurch 315 PLP 16810. 316 E. Kurilas / F. Halkin, Deux vies de S. Maxime le Kausokalybe, Analecta Bollandiana 54,1936,38-112, hier 71. Ich verdanke den Hinweis auf die Episode A.-M. Talbot. 317 SevChor 34f. 318 LetMan, Nr. 3, Z. 7f. 319 KydEp 11, Nr. 276 (= TinnKyd III, Nr. 241), Z. 21-25. 320 GregEpL, Nr. 97, Z. 17-19; dazu MedGum 30.
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bedingten verworrenen Ar~mentationsweise von vorneherein mit einer Niederlage zu rechnen habe. 321 Aus der Sicht des Gregoras war es daher auch kein Wunder, daß einer seiner jugendlichen Schüler in einer Diskussion mit Palamas angeblich glänzender Sieger blieb und den Vertreter der Gottesweisheit dem allgemeinen Spott preisgab. 322 Die bischöflichen Anhänger des Palamas erklärt Gregoras samt und sonders für ungebildet "wie Landarbeiter" und macht sich lustig über ihr "unartikuliertes" Gefasel; außer ihrem prächtigen Gewand hätten sie nichts Bemerkenswertes anzubieten. 321 Ihnen die Mysterien der Theologie anzuvertrauen, bedeute soviel wie das Heilige den Hunden, Perlen den Säuen vorzuwerfen. J24 Unversehens gleitet die Kritik an der intellektuellen Verfassung der Palamiten zur moralischen Injurie hinüber. So behauptet Gregoras im Zusammenhang mit der Kandidatur des Kallistos, aus der Sicht der Palamiten sei es die wichtigste Voraussetzung für die Erlangung der Patriarchenwürde, ein "Schläger und Säufer und von jeder und jeglicher Bildung so weit entfernt" zu sein"wie jene, die zu später Stunde Spaten und Hakke im Stich lassen, um ihren ungezähmten und tierischen Charakter heimzutragen".325 In dieselbe Richtung geht auch die Bemerkung, seine Gegner seien Räuber des Heiligen und gewohnheitsmäßige Bordellbesucher. 326 Eine andere, eher positive Färbung gewinnt die Abgrenzung des Gebildeten von der Welt der Gottesweisheit in einer Bemerkung des D. Kydones. In einem Brief an Patriarch N eilos sieht er es geradezu als ein Gütezeichen für einen Bischofskandidaten an, daß er eine schlichte Natur sei, die weder von der "E;c.o8ev mlLÖeLa" und der "Sritzfindigkeit der Hellenen" noch von der Redekunst eine Ahnung hat. 32 Offenbar ist aus seiner Sicht eine umfassendere Bildung, auf die er selbst nicht verzichten möchte, keine notwendige Voraussetzung, ja eher abträglich für einen 321 Greg 11, 964f.; Übers.: DietGreg IV, 118f. Palamas selbst berichtet, Gregoras habe ihn als Analphabeten bezeichnet (Palam IV, 241). 322 Greg 11,1001; Übers.: DietGreg IV, 140. 323 Greg 11, 993f.; Übers.: DietGreg IV, 136. Wenn Gregoras sich über Reden der Bischöfe, die "nach Meer und Fischernetzen rochen" lustig macht, spielt er wohl auf das berühmte QALEU'tLICI'iiS, äJJ.: o\nc: dpLO"tO'tEALICI'iiS Gregors von Nazianz an (dazu PodTheo124). 324 Greg 11, 884; Übers.: DietGreg IV, 69. Hier zeigt sich wieder deutlich, daß die "Gottesweisheit" der Mönchskreise nicht einfach mit Theologie gleichzusetzen ist; denn auch Gregoras versteht sich als Theologe, aber er kann eine ohne ausreichende Bildung betriebene Theologie nicht akzeptieren. 325 Greg 11, 871; Übers.: DietGreg IV, 60. Ähnlich Greg 11, 883f.; Übers.: DietGreg 68: "Die einen von ihnen hatten spät am Tage Pflug und Spaten im Stich gelassen und konnten mit Mühe und Not das Alphabet buchstabieren ... " 326 Greg 11, 884; Übers.: DietGreg IV, 68f. 327 KydEp 11, Nr. 307 (= TinnKyd III, Nr. 290), Z. 33f., 37-39.
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Kleriker, der sich als Seelsorger, zumal in der Provinz, bewähren soll. Die Eigenschaften, für die er ihn (zweifellos ohne Ironie) lobt, sind sein tiefer Glaube und seine charakterliche Eignung. Es wurde bereits gesagt,328 daß das Mönchtum (und auch der Klerus) dieser Epoche keineswegs pauschal als ungebildet einzustufen sind. Das beweist schon der große Anteil ihrer Vertreter unter den Literaten. Bereits für frühere Jahrhunderte gilt eine deutliche Unterscheidung zwischen dem ungebildeten "Durchschnittsmönch" und einer kleinen Zahl gebildeter und hochgebildeter Mönche,329 vielleicht aber noch in höherem Grade für unsere Epoche. Ein Mann wie M. Planudes, der eine -ganze Schule von Literaten begründete, war vor allem in der Phase seines Lebens, als er Mönch war, als der bedeutende Gelehrte tätig, der uns bekannt ist. JJO Auch Männer von der geistigen Dimension eines Barlaam331 oder P. Kydones 332 waren Mönche. Sogar N. Gregoras nahm nach eigenem Bekunden das Mönchsgewand, doch wird man ihn nicht im strengen Sinne als Mönch bezeichnen können. 333 Auch die führenden Mönche im Palamitenstreit wie G. Palamas oder Patriarch Philotheos waren keineswegs so ungebildet, wie es ihre Gegner sehen möchten. 334 Kein Geringerer als N. Kabasilas Chamaetos, der als Vertreter einer mystischen Theologie ohne Zweifel dem Lager der Gottesweisheit zuzuordnen ist und der auch über eine solide literarische Bildung verfügte, verfaßte eine kurz~efaßte Schrift gegen die, welche die Weltweisheit für unnütz erklärten. 33 Man sieht aus diesen Beispielen, daß de facto der Gegensatz zwischen Gottes- und Weltweisheit eine geringere Rolle spielte, als die Polemik es vermuten läßt, ja, daß die Vertreter der Gottesweisheit eigentlich auf die S.o., A. 302. PodTheol 36-38. Siehe ConstEd, passim. PodTheoI126-157. TinnKyd 1/1, 237-244. Greg 11, 891; Übers.: DietGreg IV, 73f. Für ihn trifft wohl am ehesten der bei PodTheol37 verwendete Begriff "Teilzeitmönch" zu. 334 Palamas und wohl noch mehr Philotheos waren trotz aller theoretischen Ablehnung der "weltlichen" Bildung bedeutende theologische Schriftsteller. Zu Palamas siehe auch oben, A. 309. 335 Text: AngKabas 111-113. Zu diesem Traktat: PolemNotes. Er verweist zunächst auf den Brief NikKabEp, Nr. 8 an den Ostiarios Synadenos, in dem derselbe Grundgedanke vertreten wird: Wer weder Weisheit (oo Reden an Wahrem entgegensetzen konnten ... , obwohl sie den vielen Schweiß der Sieben Weisen für die Widerlegung daransetzten und man reichliche Belohnungen für den Fall in Aussicht stellte, daß einer etwas gegen die Wahrheit (sc. aus der Sicht des Kydones) vorbringen könne ... Sie verachteten Argumente, als seien sie etwas Abgeschmacktes, und beschlossen, die Wahrheit in Abwesenheit zu verurteilen, mehr aber noch: während sie jene verwarfen und sich die Ohren zuhielten, stürzten sie sich auf ihren Vorkämpfer wie einst die Rotte der Gottesmörder sich auf Stephanus stürzte, und schleuderten anstelle von Steinen wie Schneeflocken ihre Beschimpfungen ... ,,354
350 A. O. 7: Refut I, § 5, Z. 1-6. 351 A. 0.29: Refut. I, § 21, Z. 12-15. 352 Wie G. Podskalsky in einer Rezension von KantRef, BSI 50, 1989, 75f. zeigt, lehnt sich die Formulierung eng an eine Kelsos-Passage an, die von Origenes, Contra Cels. IV, 23, zitiert wird. 353 S.o., A. 345. 354 TinnKyd 112, Nr. 81, Z. 104-112.
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Die zweite wichtige theologische Auseinandersetzung der Byzantiner in dieser Epoche war die um die Beziehung zur Kirche von Rom. In diesen Streit waren auch die Kaiser des Palaiologenhauses mehr oder weniger einbezogen. Der Begründer der Dynastie, Michael VIII., sah in der Kirchenunion mit Rom die einzige Chance, die Bedrohung seines Reiches durch den mächtigen Karl von Anjou zu unterlaufen. So versuchte er den orthodoxen Klerus in seinem Sinne umzustimmen, und die Unionsverhandlungen auf dem Konzil von Lyon erfolgten in seinem Auftrag. 355 Nach dem Abschluß der Verhandlungen in Lyon, die wegen des Verzichts auf eine ernsthafte Diskussion der eigentlichen Kontroversfra gen allenfalls zu einer Scheinunion führten,356 veranstaltete Michael VIII. zwar am 16. Januar 1275 im Blachernenpalast eine feierliche Unionszeremonie,J57 stieß aber auf heftigen Widerstand nicht nur bei Klerus und Mönchtum, sondern sogar in der eigenen Familie358 und in Kreisen der Beamtenschaft. 359 In seinem Bemühen, die Annahme der Union zu erzwingen, scheute der Kaiser nicht vor Verfolgungen und Strafmaßnahmen zurück. 360 Mochte es Michael VIII. auch gelungen sein, Anhänger für den Unionsgedanken zu finden und im übrigen einen Teil des Klerus einzuschüchtern, so zeigte sich doch alsbald nach seinem Tod, was von dieser "Union" zu halten war. Sein Sohn und Nachfolger Andronikos II., ein strikter Gegner der Vereinigung mit Rom, setzte Patriarch Johannes XI., den theologischen Befürworter der Union, ab und an seiner Stelle Gregorios 11. ein, der es erst jetzt wagte, seine antiunionistische Gesinnung zu zeigen. In einer Grundsatzerklärung gegen die Unionisten361 richtete er heftige Angriffe gegen ihren Anführer, Patriarch Johannes XI. Er deutet die Annäherung an die römische Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes als "Reden und Taten der Bosheit", die "Verwirrung
355 GeanMich 264f. In einer Rede an den Klerus von Byzanz im Palast vor der Abreise der Konzilsdelegation (PachFail 11, 495-497) versuchte er zugleich Druck auszuüben und die Tragweite der Union zu verharmlosen. Gemäß RobLyon 228 waren alle Mitglieder der Delegation kaiserliche Gesandte. 356 RobLyon 271-275 lehnt es in seiner Bewertung der Verhandlungen ab, hier von einem "Unionskonzil" zu reden. 357 PachFail 11,511,4-13. 358 Seine Schwester Eirene (als Nonne seit ca. 1261: Eulogia; PLP 21360) und deren Tochter Th. Kantakuzene verbannte der Kaiser als heftige Gegnerinnen der Union in eine Festung bei Nikomedien (TaibNuns 615). Über die sonstige Rolle von Frauen in religiösen Kontroversen der Epoche a. O. 614-617. 359 GeanMich 274f. 360 Strafmaßnahmen vor allem gegen Beamte und Mönche: PachFail 11, 581,13-23; 611623. 361 "EKeEOL~ .0'Ü .°11°11 .ij~ :n;[O'tEW~, PG 142,233-246.
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und Krieg" zur Folge gehabt hätten. 362 Dieses Dogma sei eine "ausländische Pest" (un:Ep6pLO~ A:UIlTJ). Patriarch Johannes habe sich für diese als "fruchtbarer Acker" .erwiesen, "bewässert mit Bosheit und Gießbächen der Gesetzlosigkeit". Indem er die Schriften der Heiligen böswillig interpretierte, habe er den Samen ausgestreut und das Heiligtum entweiht. Der Kaiser sei zu loben, der dieses Patriarchat beendet habe. 36J Am Schluß seiner Ausführungen wendet sich Gregorios noch einmal "schaudernd" (ßöEA.uTt6IlEVO~) ab von diesen wahrheitsfeindlichen Lehren und Lästerungen. 364 Dies ist also eine Probe aus dem Arsenal der Beschimpfungen in der Unionskontroverse. Wie es unter Michael VIII. den Unionsgegnern schlecht erging, so mußten nun die Verteidiger der römischen Lehren mit Haft rechnen, wenn sie sich nicht beugten. Zu den Männem, die dazu bereit waren, lieber im Gefängnis zu bleiben als zu widerrufen, gehörte der in den vorausgehenden Zitaten geschmähte Patriarch, der die letzten zwölf Jahre seines Lebens in Festungshaft verbrachte,365 und G. Metochites, der einem Widerruf seiner unionsfreundlichen überzeugung sogar 43 Jahre Haft (von 1285 bis zu seinem Tode 1328) vorzog. 366 Der Streit um die Beziehung zur römischen Kirche kam auch in der Folgezeit nicht zur Ruhe. Im Rahmen des gestellten Themas ist es nicht möglich, ihn auch nur im überblick zu behandeln. Die Gruppe der Literaten, die in der Hinwendung zum lateinischen Westen und zur römischen Kirche das Heil sah, soll in einem späteren Abschnitt vorgestellt werden. 367 Hier nur noch einige Beispiele. Aus der Sicht des Neilos Kabasilas sind die Angehörigen seiner Kirche, die dem lateinischen Filioque zuneigen, bemitleidenswerte Kranke, die er mit Gottes Hilfe von ihrem Irrtum zu befreien hofft. 368 Jedenfalls sparten sowohl Anti- wie Prolateiner nicht mit gegenseitigen Vorwürfen. Der Prolateiner D. Kydones tadelt seine orthodoxen Gegner, sie seien in ihrem bitteren Haß mehr auf üble Nachrede als auf die Wahrheit bedacht und begingen in ihrer Argumentation gegen die Lateiner schwere logische Fehler. J69 Die beiden Kontrahenten in der Auseinandersetzung für oder gegen die Union Bessarion und M. Eugenikos diffamierten sich gegenseitig auch persön362 363 364 365 366
A. O. 233B-234A. A. O. 234A-235A. A. O. 245A. PLP 2548. Gregorios 11. erwähnt ihn in der wEKeEcr~ (wie A. 361), 235A, als Parteigänger des Patriarchen Johannes XI. Ein eindruckvolles Bild von seiner Persönlichkeit zeichnet VriesMet 31ff. 367 S. U., 5. 5. 368 E. Candal, Nilus Cabasilas et theologia S. Thomae de processione spiritus sancti, Vatikan 1945, 244. 369 MercNot 387f.
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lich. 370 Georgios Scholarios (später Gennadios Ir.) beklagt im Januar 1453 in einer Lamentatio über die Proklamation der Union mit Rom (Konstantinopel, 12. Dezember 1452) die so entstandene "Verderbnis des Glaubens"; die Anhänger der Union hätten die Schriften der Väter mit Füßen getreten, die Mauern des ewigen Heiles niedergerissen usw. 371 Die Gruppe der Literaten war also trotz aller Gemeinsamkeiten durch mannigfache Kontroversen entzweit und gespalten. Dies ist bei aller Bewunderung für die geistige Leistung dieser Gruppe in einer Zeit des politischen Niederganges doch als deutliches Merkmal einer "Kulturkrise" zu deuten, die in der gesamten byzantinischen Spätzeit nicht überwunden wurde. Doch sollte man sie auch nicht als Katastrophe bewerten, zumal die Weitergabe des traditionellen Bildungsgutes über Generationen, die im folgenden Abschnitt dargestellt werden soll, als starke verbindende und integrierende Kraft zu werten ist. Nicht zuletzt soll schließlich auch auf die schöpferischen Neuansätze bei der Umsetzung dieser Bildungstraditionen als kulturelle Leistung hingewiesen werden, auch wenn sie in diesem Buch nicht ausführlich thematisiert werden können. ln
5.3. Bildungswesen und Lehrer-Schüler-Beziehungen Bisher war im wesentlichen vom "horizontalen" Beziehungsgeflecht innerhalb der Literatengruppe die Rede. Nun soll die Aufmerksamkeit der "Vertikale" gelten, der Weitergabe des Bildungsgutes über die Generationen. Es soll vor allem gezeigt werden, daß das Bildungswesen in dieser Epoche und dies kaum anders als in früheren Jahrhunderten - in Byzanz wesentlich weniger als das moderne institutionalisiert war, sondern der Anstoß praktisch immer von privater Initiative ausging. Dies ist der Grund, warum dieser Abschnitt "Bildungswesen" mit den privaten Initiativen beginnt und erst dann genauer gefragt wird, welche Rolle die staatliche und kirchliche Organisation bei der Förderung solcher Tendenzen spielte. 5.3.1. Bedeutung der privaten Initiative im Bildungswesen Ein kontinuierliches organisiertes Bildungswesen hat es in Byzanz nach dem 6. Jh. nicht mehr gegeben.373 Einrichtungen wie staadiche oder kirchliche Hochschulen oder Schulen wurden zu bestimmten Zeiten gegründet 370 C.N. Tsirpanlis, Mark Eugenicus and the Council of Florence, Thessalonike 1974,54. 371 GennSchol III, 180-188. 372 TinnAnt. 373 Vgl. F. TinnefeId, LexMA VIII, 1998/99, 1255f.
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und unterhalten, hatten aber durchweg keinen dauernden Bestand oder im Fall der kirchlichen Schulen - nicht den Rang als Bildungsstätten, den man ihnen früher beimaß. Seitdem zumindest für eine längere Epoche der byzantinischen Geschichte die Existenz einer "Kaiserlichen Universität" überzeugend in Frage gestellt worden ist,374 wird das Thema der institutionalisierten Schulen in Byzanz allmählich mit der gebotenen größeren Vorsicht behandelt. 375 Die byzantinische Bildungstradition war während des Exilreiches von Nikaia (1208-61) durch private Initiative weitergegeben worden. Von größter Bedeutung war in dieser Hinsicht der elitäre Kreis des Nikephoros Blemmydes. 376 Es war vor allem sein Schüler G. Akropolites, der das, was er bei ihm gelernt hatte, an Personen weitergab, die in der Folgezeit das Bildungsleben entscheidend mitgestalteten,377 und so entfaltete sich in der Palaiologenzeit ein Bildungswesen von wesentlich größerer Breite als in dem eher provinziellen Exilreich. Grundsätzlich sind zwei Unterrichtsformen zu unterscheiden: Unterricht für kleine Gruppen von Schülern, der naturgemäß eher der Elementar- und der Sekundarebene (im wesentlichen Sprachunterricht: anfangs Grammatik, dann Rhetorik und Stilistik, schließlich Logik) entsprach, und Einzelunterricht, der in der Regel nur auf einer höheren Bildungsstufe und in Spezialfächern erteilt wurde. Es läßt sich in unserer Epoche eine ganze Reihe von Literaten anführen, die privaten Unterricht an Schülergruppen erteilten, z. B. Patriarch Gregorios (vor seinem Patriarchat),378 M. Planudes zu Anfang seiner Laufbahn, noch als Laie "Manuel", ab ca. 1280,379 Manuel Moschopulos,JBO Patriarch Johannes XIII. (vor seinem Patriarchat),3Bl Th. Hyrtake. h I SI'd oros (vor semem . nos, JB2 Th . P ed"laSlmos, JBJ G . L ak apenos, JB4 P atnarc
374 Einen bedeutenden Fortschritt in der kritischen Sicht des byzantinischen Schulwesens in früheren Jahrhunderten bedeutet die Untersuchung von P. Speck, Die Kaiserliche Universität von Konstantinopel. Präzisierungen zur Frage des höheren Schulwesens in Byzanz im 9. und 10. Jahrhundert, München 1974. Speck begründet überzeugend, daß der institutionale Anteil am Schul- und Bildungswesen in dieser Epoche minimal war. 375 Siehe vor allem Kap. X (Das byzantinische Bildungswesen) in: MazHandb 148-152. Näheres zum organisierten Bildungswesen unten, 5.4.1 und 5.4.2. 376 Zu Blemmydes siehe neuestens J. A. Munititz, TRE XXIV, 1994,457-460. 377 S. u., 5. 3. 6, unter Akropolites, Georgios. 378 ConstEd 36. 379 A. O. 68. 380 A. O. 104f. 381 A. O. 98f. 382 A. O. 93. 383 A. 0.119. 384 A. O. 102f.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
Patriarchat),385 M. Kalekas 386 und Alexios Phorbenos. 387 Ein besonders wertvolles Zeugnis für Fragen des privaten Schulunterrichtes im späten Byzanz ist ein vertrags ähnliches Dokument aus dem 14. Jh., in dem eine Gruppe von Schülern ihrem Lehrer diszipliniertes Verhalten verspricht und sich widrigenfalls mit Strafmaßnahmen einverstanden erklärt. 38 Hier wird auch Elementarunterricht im privaten Einzelunterricht durch Hauslehrer bezeugt.389 5.3.2. Stufen und Gegenstände des Unterrichts In Byzanz wie in anderen Kulturbereichen ist Unterricht auf verschiedenen Stufen der Bildung und in unterschiedlichen Fachgebieten zu unterscheiden. Doch sollte man sich die Einteilung der vermittelten Bildung nach Stufen und Gegenständen nicht allzu systematisch vorstellen. Wenn man also von einem dreistufigen Bildungswesen in Byzanz spricht, ist zugleich zu berücksichtigen, daß die Grenzen zwischen den Stufen nicht schad gezogen waren. Mit diesen Einschränkungen kann man von einer Elementarstufe sprechen, auf der man Lesen, Schreiben und Grundkenntnisse in der griechischen Grammatik erlernte. Es folgte eine Sekundarstufe mit einem Basisstudium, der sog. tYK1J1CA.LOC; 3tatöeLa bzw. 3tut-
385 TinnKyd 1/1,158. 386 KalekEp 18-20. 387 CanivOik 11. Zur Lehrtätigkeit des Ibankos s. u., Text mit A. 445. Auch Katablattas (s.o., Text mit A. 283-285), der von Phorbenos und Ibankos Unterricht erhielt, war später als Lehrer tätig (CanivOik 12; vgl. Text: CanivOik 43, Z. 205f.). Katablattas berief sich sogar auf eine kaiserliche Ernennung zum Aufseher über die Schulen Thessalonikes; doch wissen wir nicht, was von dieser an sich interessanten Nachricht historisch zu halten ist (CanivOik 13; Text: CanivOik 75, Z. 678: dl;wilv'tO: oe 'tii>v tv geua)'lq LAoo6wv (NikKabEp, Nr. 3, Z. 28). Georgios Chioniades -+ Manuel Bryennios (?) (ConstEd 96). J ohannes Chortasmenos +- Michael Balsamon, -+ Theodeges Kolybas der Jüngere (PLP 11989), Markos Eugenikos, Bessarion, Gennadios 11. (HungChort 13). Maximos Chrysoberges +- Demetrios Kydones (PLP 31123). Georgios Chrysokokkes (11) -+ Bessarion, Francesco Filelfo (ODB I, 453). Makarios Chrysokephalos -+ Sophianos (PLP 26398). Manuel Chrysoloras +- Demetrios Kydones (HungChort 97; KydEp 11, Nr. 358, Z. 30-32). Eirene Chumnaina +- Theoleptos. Nikephoros Chumnos +- Gregorios 11. David Disypatos +- Gregorios (Sinaltes), Gregorios Palamas. Johannes Eugenikos +- Georgios Gemistos (Plethon) (?). Markos Eugenikos +- J ohannes Chortasmenos, Georgios Gemistos (Plethon), -+ Theodoros Agallianos, Gennadios II. Manuel Gabalas +- Theoleptos, -+ Georgios Oinaiotes (PLP 21026). Michael Gabras +- Manuel Bryennios (ConstEd 96). Georgios Galesiotes (I) +- Manuel Holobolos, Gregorios 11. Georgios Gemistos (Plethon) +- Elissaios (WoodhPleth 23-28), -+ Markos Eugenikos, Bessarion, Laonikos Chalkokondyles (WoodhPleth 33), Demetrios Rhaul Kabakes (? WoodhPleth 34), Jubenalios (?) (WoodhPleth 34). Gennadios II. Scholarios +- Joseph Bryennios, Johannes Chortasmenos, Markos Eugenikos, Makarios Makres, -+ Theodoros Scholarios Sophianos (PLP 26405), Matthaios Kamariotes (PLP 10776), Johannes (PLP 8411). Nikephoros Gregoras +- J ohannes, Metropolit von Herakleia (PLP 8609), Johannes XIII. Glykys, Joseph (Rhakendytes) (GregEpL, Nr. 22), Theodoros Metochites, -+ Isaak Argyros (DietGreg I, 7, A. 30), Theodoros Dexios (a. 0.23, A.118; 34f.), Johannes Kyparissiotes (a. 0.25, A. 125), Manuel Angelos (PLP 91040). Gregorios II. (= Georgios Kyprios) +- Georgios Akropolites, -+ Nikephoros Chumnos, Theodoros Metochites (SevMet 41), Johannes XIII. Glykys (ODB 11, 1055), Markos (I) (PLP 17087), Theodoros Muzalon Bollas (PLP 19439), Manuel Neokaisareites (PLP 20094), wahrscheinlich auch Konstantinos Akropolites und Maximos Planudes (ConstEd 36-38) sowie Dukopulos (a. O. 117).
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Bildungswesen und Lehrer-Schüler-Beziehungen
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Gregorios (Sinaites) +- Arsenios, Mönch auf Kreta (PLP 1416), -+ David Disypatos, Isidoros Bucheir (TinnKyd 1/1,158), Kallistos 1., Markos (II). Manuel Holobolos +- (Anonymus in Nikaia, s.o., A. 402), Konstantinos Akropolites, -+ Georgios Galesiotes (I) (ConstEd 59, MergPaul 246), Thomas Gorianites (MergPau1245), Johannes Pediasimos. Theodoros Hyrtakenos -+ Konstantinos Lukites, Nikephoros Metochites (Sohn des Theodoros), Basileios Glykys (Sohn des späteren Patriarchen Johannes XIII.), Alexios Apokaukos (der spätere Megas Dux) (siehe auch ConstEd 93f.). Konstantinos Ibankos -+ Manuel 11., Katadokeinos Katablat(t)as (s.o., A. 283). Ignatios Philosophos -+ Eirene Chumnaina (HeroCh). Johannes XI. Bekkos +- (Georgios Babuskomites) (ConstEd 15f.). Johannes XIII. Glykys +- Gregorios II. (ODB II, 1055), -+ Nikephoros Gregoras. Joseph (Rhakendytes) -+ Nikephoros Gregoras (GregEpL, Nr. 22), Thomas Magistros (TinnThess 34). Isidoros Bucheir +- Gregorios (Sinaites), -+ Demetrios Kydones (TinnKyd II1, 158f. mitA. 14, 19). Jubenalios +- Georgios Gemistos (Plethon) (?) CWoodhPleth 34). Demetrios Rhaul Kabakes +- Georgios Gemistos (Plethon) (?) CWoodhPleth 34). Neilos Kabasilas -+ Nikolaos Kabasilas Chamaetos (NikKabEp, Nr. 1), Demetrios Kydones. Manuel Kalekas +- Demetrios Kydones. Kallistos I. +- Gregorios (Sina'ites). J oseph Kalothetos +- Gregorios Palamas. Demetrios Kydones +- Isidoros Bucheir, Neilos Kabasilas, -+ Maximos Chrysoberges, Manuel Chrysoloras, Manuel Kalekas, Manuel II. (PLP 21513), Rhadenos. J ohannes Kyparissiotes +- Nikephoros Gregoras. Georgios Kyprios, siehe Gregorios 11. Georgios Lakapenos +- Maximos Planudes. Konstantinos Lukites +- Theodoros Hyrtakenos. Thomas Magistros +- Joseph (Rhakendytes) (s.o.), -+ Gregorios Akindynos, Philotheos (Kokkinos), Demetrios Triklinios. Manuel 11. +- Konstantinos Ibankos (PLP 7973), Demetrios Kydones. Markos (I) +- Gregorios 11. Markos (II) +- Gregorios (Sina'ites). Theodoros Metochites +- Gregorios 11. (SevMet 41), Maximos Planudes (ConstEd 88), Manuel Bryennios (VriesMet 148), -+ Nikephoros Gregoras. Manuel Moschopulos +- Nikephoros Moschopulos (ConstEd 103f.), Maximos Planudes.
Die Gruppe der literarisch Gebildeten
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Theodoros Muzalon ~ Gregorios H. Manuel Neokaisareites +- Gregorios 11. Nikephoros (Athonites) -+ Theoleptos. Georgios Oinaiotes ~ Manuel Gabalas, J ohannes Zacharias. Georgios Pachymeres +- (Anonymus in Nikaia) (ConstEd 61, A. 58), Georgios Akropolites (PLP 22186), -+ Manuel Philes (?) (SticklPhilPs 27).
Gregorios Palamas ~ Theoleptos, Athanasios (Patr.), Gregorios (Sinaltes), Gregorios Drimys (PLP 5828), -+ David Disypatos, Joseph Kalothetos. Johannes Pediasimos ~ Georgios Akropolites, Manuel Holobolos, -+ Dukopulos (PLP 5703; ConstEd 117). Manuel Philes +- Georgios Pachymeres (?) (SticklPhilPs 27). Philotheos (Kokkinos) +- Thomas Magistros. Maximos Planudes +- Gregorios 11. (?) (ConstEd 36-38), -+ Georgios Lakapenos, Manuel Moschopulos, Andronikos Zarides, J ohannes Zarides (PLP 6462), Gregorios (PLP 4606), Merkurios (PLP 17913), Johannes Zacharias (ConstEd 86), Theodoros Metochites (ConstEd 88). Rhadenos ~ Demetrios Kydones. Sophianos ~ Makarios Chrysokephalos. Theoleptos ~ Nikephoros Athonites, -+ Gregorios Palamas, Eirene Chumnaina. Demetrios Triklinios +- Thomas Magistros. Johannes Zacharias ~ Maximos Planudes (ConstEd 86), Joseph (Rhakendytes). Andronikos Zarides ~ Maximos Planudes.
5.4. Zentren geistiger Aktivitäten Es wurde bisher gezeigt, daß literarische Betätigung und Unterricht in der untersuchten Epoche in der Regel auf privater Initiative basierten. Diese brauchte jedoch das ihr angemessene Umfeld. So lassen sich, wie gezeigt wurde, Kontakte zwischen Literaten vor allem zwischen den beiden wichti~sten Städten des Reiches Konstantinopel und Thessalonike nachweisen, 12 und es steht ganz außer Zweifel, daß sich das spätbyzantinische Bildungsleben mit Schwerpunkt, wenn auch nicht ausschließlich, an diesen beiden Orten abspielte. Zudem waren in Konstantinopel manche der Literaten, zumindest in vorgerücktem Alter, als Beamte am Kaiserhof oder als hohe Kleriker im Bereich des Patriarchates anzutreffen. 512 S.o., Text mit A. 226-250.
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r , Zentren geistiger Aktivitäten
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Nicht selten waren es Kaiser, Patriarchen oder Metropoliten, die sich entweder selbst den Studien widmeten oder als Förderer der Bildung mit unterschiedlicher (geistlicher oder eher weltlicher) Zielrichtung auftraten. So lohnt es sich, die Frage nach der Bedeutung des Kaiserhofes und des Patriarchates im spätbyzantinischen Bildungsleben zu stellen, dann aber auch einige andere Zentren abzufragen, deren Beitrag zwar geringer, aber nicht unerheblich war: den Despotenhof von Mistra, einige Klöster, die Stadtkommune von Thessalonike sowie einige Gebiete des byzantinischen Kulturbereiches, die in der Spätzeit nicht mehr unter byzantinischer Herrschaft standen: Trapezunt, Zypern, Kreta, Bulgarien und Serbien. 5.4.1. Der Kaiserhof in Konstantinopel
Am Anfang soll die Frage nach der Rolle des Kaiserhofes von Konstantinopel bei der Entwicklung des spätbyzantinischen Geisteslebens stehen. In der Palaiologenzeit lassen sich mehrere Kaiser nennen, die an Bildung und Wissenschaft interessiert waren; aber im einzelnen waren die Motive und die Formen ihres Einwirkens auf das Geistesleben recht unterschiedlich. Michael VII!., der Begründer der Palaiologendynastie, war kein Literat, sondern ein Mann der Praxis, der sich als Verwalter und Verteidiger von Grenzstädten im Balkanbereich (Melenikon, Serrai) und allgemein im Kriegdienst bewährt hatte. Sein auffälliges Bemühen um das Bildungswesen stand im Zusammenhang mit dem doppelten Makel, der seinem Ansehen schadete: Er war 1258/59 durch einen Staatsstreich, die Ermordung eines kaiserlichen Regenten und die Ausschaltung eines legitimen Thronerben, zur Macht gelangt, und er sah sich bald aus politischen Gründen gezwungen, eine von der Orthodoxie weitgehend bekämpfte Politik der Union mit der römischen Kirche zu propagieren. Zur Hebung seiner moralischen Autorität suchte er daher an die kulturellen Traditionen der Hauptstadt Konstantinopel anzuknüpfen, in welcher er 1261 nach einem fast sechzigjährigen Exil des byzantinischen Kaisertums wieder den Thron hatte besteigen können. 5lJ
513 Dazu gehörte auch der Versuch Michaels, als neuer Konstantin zu erscheinen. R. J. Macrides, From the Komnenoi to the Palaiologoi: imperial models in decline and exile, in: New Constantines, ed. P. Magdalino, Cambridge 1994,269-282, fragt nach den Vorbildern im 12. und 13. Jh. für die Inszenierung Michaels als neuer Konstantin. Unter dem Aspekt der Propaganda untersucht TalbRest seine Bautätigkeit. Zu letzterer vgl. auch KidonBaut 232ff. und A. Failler, Pachymeriana novissima, REB 55, 1997, 221-246, hier 221-238.
302
Die Gruppe der literarisch Gebildeten
In diesem Zusammenhang gründete er zwei Schulen, eine kaiserliche Schule für höhere Bildung, die er nach einiger Zeit auch Klerikern zugänglich machte, und eine Elementarschule. Es entsprach dem, was der Kaiser hören wollte, wenn Georgios Kyprios (später Gregorios Ir.) in einer Lobrede auf ihn betonte, ihm sei ein Wiederaufleben (dvUßLWOL~) der Wissenschaften zuzuschreiben. 514 Kaiserliche Schulen hatte es in Byzanz auch in früheren Jahrhunderten gegeben, so die des Kaisars Bardas im 9. Jh., die kaum über das Niveau einer Sekundarschule hinausreichte, und die Schule für höhere Studien (Philosophie und Jurisprudenz) Kaiser Konstantins VIII. im 11. Jh.j doch waren beide Einrichtungen offenbar kurzlebig. 515 Eine kaiserliche Schule scheint es auch im Exilreich von Nikaia gegeben zu haben. 516 In Anknüpfung an diese Tradition gründete Michael VIII. bald nach seinem Einzug in die wiedererlangte Hauptstadt Konstantinopel eine Schule für höhere Bildung, an die er den Großlogotheten G. Akropolites als Lehrer für Rhetorik, Philosophie, Mathematik und Geometrie berief. Leider ist die vorliegende Information über die Lehrtätigkeit des Akropolites spärlich, und es ist nicht bekannt, wie die Schule im einzelnen organisiert war. 517 Einiges spricht dafür, daß er bis 1274 im Dienst des Kaisers lehrte. 518 Die zweite von Michael VIII. wiederbegründete Lehrstätte war eine Elementarschule (YPUfl,W'tLKEUOflfVWV axoA:rl) "im alten Waisenhaus bei der Paulskirche" zu Konstantinopel,519 die seit dem Komnenenkaiser Alexios I. (1081-1118) bestanden hatte. Seine Tochter Anna Komnene berichtet, ihr Vater habe hier sowohl ein Waisenhaus (das ja eigentlich 514 PG 142, 381D. 515 Siehe dazu, mit Literaturangaben, ODB 2143 und F. Tinnefeld, LexMA VIII, 1998, 1255f. 516 ConstEd 53. 517 ConstEd 31-35; LamGreg 181, 185. PachFaii II, 369, 14f. nennt den Lehrgegegenstand des Akropolites zusammenfassend !!ae~!!ata. Vgl. dazu die folgende Anmerkung. 518 Gemäß PachFail II, 369, 15f. hatte Patriarch Germanos III. 1265 geltend gemacht, G. Akropolites sei mit seiner anstrengenden Lehrtätigkeit bereits überfordert. Doch berichtet K. Akropolites in einem Brief (St. Kuruses, '0 A6yLO~ OLKOU!!EVLKO~ rcatpLaPXT]~ 'I(J)avvT]~ Ir' 6 n.UKU~. EEBS 41,1974,297-405, hier337, A. 2), J. Pediasimos habe in Konstantinopel zuerst bei Holobolos, dann aber bei seinem Vater (also bei G. Akropolites) "höhere Lehren" (U'IjlT]A.OtEpa !!ae~!!ata) studiert. Daraus ist wohl mit MergPaul 246 zu schließen, daß Akropolites auch nach der Gründung der kirchlichen Schule durch Germanos III. und dem Beginn der dortigen Lehrtätigkeit des Holobolos (s. u., Text mit A. 586) als Lehrer tätig blieb, wie ConstEd 35 annimmt, wahrscheinlich bis zu seiner Abreise zum Lyoner Konzil (März 1274). 519 PachFail II, 369, 27-371, 2. Kaiser Justin II. (565-578) hatte bereits dieses seit dem 5. Jh. bestehende Waisenhaus erstmals renoviert und hier eine Kirche zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus errichten lassen (MergPaul 238 mit A. 2), die aber in den Quellen meist als Paulskirche erscheint (a. 0., A. 27).
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303
schon eine längere Tradition hatte) als auch eine Grammatikschule (JtmÖelJ'ttlPLoV 'tWV ypalllla'tLKwv) für Waisenkinder gegründet, an der auch die tyKUKÄLOC; JtmöeLa (Sekundarbildung) vermittelt worden sei. 520 An der Organisation dieser Paulsschule beteiligten sich im Laufe des 12. Jh. mehr und mehr auch die Patriarchen, doch blieb sie eine kaiserliche Einrichtung. 521 Während der lateinischen Okkupation (1204-61) war ihr Fortbestand zweifellos unterbrochen, so daß Pachymeres nun folgerichtig von einer Neugründung (O'Uo'ttloao8m) und nicht von der Förderung einer bestehenden Schule durch den Kaiser spricht. 522 Allerdings bezeichnet er sie als eine Grammatikschule, was kaum vermuten läßt, daß sie auch eine Sekundarstufe umfaßte. 523 Der Kaiser zeigte, zumindestens in den ersten Jahren nach ihrer Gründung, großes Interesse an der Einrichtung. Er gewährte Lehrern und Schülern jährliche finanzielle Zuwendungen (p6ym t'ttlOLm), informierte sich durch regelmäßige Inspektionen über die Fortschritte der Schüler, stellte den Edolgreichen Preise in Aussicht und erließ auch eine Ferienregelung. Diese Schule wird leider nur an der zitierten Pachymeres-Stelle und dann nicht wieder erwähnt, so daß es unbekannt ist, ob sie die Regierungszeit Michaels VIII. überdauerte. Ferner ist in dem zitierten Pachymeres-Passus von der Begründung einer Schule für Kleriker die Rede, die mit Gutheißung des Kaisers durch den Patriarchen Germanos III. 1265 edolgte, sich aber nicht, wie früher vermutet, im Bereich der Paulskirche befand. 524 Von dieser Einrichtung wird weiter unten die Rede sein. 525 Wir wissen nicht, was unter Michaels Sohn und Nachfolger Andronikos II. (1282-1328) aus den kaiserlichen Einrichtungen, der Stätte für höhere Bildung und der Elementarschule, geworden ist. Dies mag zunächst überraschen, weil Andronikos mehr als sein Vater ein aktives Interesse am Geistesleben zeigte und sich als Förderer der Wissenschaft, als kompetent in philosophischen Diskussionen, als Kenner der Schriften Platons 520 Alexias, Buch XV, Kap. 7, § 3-4 und 9. Siehe jetzt: Anna Komnene, Alexias, übers. (auf der Basis einer noch nicht erschienenen kritischen Neuedition), eingel. u. mit Anm. versehen von D. R. Reinsch, Köln 1996, 535, 538. Die Geschichtsschreiberin teilt auch mit, das Waisenhaus habe "bei der Akropolis" (also auf der Ostspitze der Altstadt von Konstantinopel, wo später der Sultanspalast errichtet wurde) gelegen. 521 MergPaul241. 522 PachFail II, 369, Z. 27-29. 523 A. 0., Z. 29. Daß es sich nur um eine Elementarschule handelte, betont auch MergPaul 244. Wenn die Verfasserin aber sagt, sie nehme dies an, obwohl Pachymeres (PachFail II, 369, Z. 27-370, Z. 2) vom Studium der tYKUKA.l.O!; 1tatöeLa an dieser Schule berichte, so irrt sie sich. Von tYK\l1c1..LO!; 1tatÖeLU ist in der genannten Passage (im Gegensatz zur Situation in der Komnenenzeit) überhaupt nicht die Rede. 524 Dies hat MergPaul244f. durch sorgfältige Analyse der Passage sichern können. 525 S. u., Text mit A. 582-587.
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
und als platonischer Philosophenkönig feiern ließ.526 Er versammelte im Kaiserpalast einen elitären literarisch-philosophischen Zirkel (8tm:pov),527 in dem z. B. Gregoras 1324 seine Vorschläge zu einer Kalenderreform vortrug. 528 Man wird aber nicht deshalb schon sagen können, Andronikos habe über eine "außergewöhnlich hohe Bildung" verfügt. 529 Jedenfalls hat er nicht wie seine Nachfolger Johannes VI. und Manuel II. durch die Abfassung von Schriften seine literarische Bildung unter Beweis ~estellt. Die rhetorischen Lobhudeleien des Gregoras in dieser Hinsicht JO sind jedenfalls mit Vorsicht aufzunehmen.5J\ Andronikos war auch sonst für Schmeicheleien empfänglich; wer sich aber ihm gegenüber eine freie Sprache erlaubte, hatte seinen Zorn zu fürchten. 5J2 Auch andere private Unterrichtsstätten wurden von Andronikos 11. gefördert. Der gelehrte Mönch M. Planudes weiß zumindest davon zu berichten, in seinem Kloster stehe den Bildungsbeflissenen eine "kaiserliche Bibliothek" zur Verfügung. 5JJ Die Bibliothek befand sich in einem 526 Siehe Greg I, 327; Übers.: DietGreg lI11, 46 (Gregoras berichtet dort, daß Andronikos "das kaiserliche Haus ... zu einem Übungsplatz wissenschaftlicher Bildung" gemacht habe), Greg I, 333; Übers.: DietGreg lIll (Verehrer aus aller Welt versammeln sich um den Kaiser wie um Pythagoras einst dessen Schüler, "und gleichsam mit durstigen Ohren nehmen sie in stiller Sammlung" das von ihm Gesagte auf, "so wie die göttlichen Seher, wenn sie die gö~~liche Inspiration in sich aufnehmen."), Greg I, 334f.; Übers.: DietGreg II11, 50 ("Uber jede Akademie, jedes Lykeion und jede Stoa erhaben machst du durch deine Worte deinen Palast, den man besser ein Prytaneion jeglicher Bildung nennen könnte."). Als Philosophenkönig und Kenner der Schriften Platons wird Andronikos gepriesen in: Nicephori Gregorae ad Imperatorem Andronicum II Palaeologum orationes, ed. P. A. M. Leone, Byz 41,1971,497-519, hier 504. 527 VerpChoum 66f. Zum 8EUtpOV s.o., Text mit A. 189ff. 528 Vgl. oben, Text mit A. 428. Zu diesem ersten Auftritt des Gregoras im kaiserlichen Zirkel siehe auch BeyerKab 136f. 529 So G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, München '1963, 395. 530 S.o., A. 526. 531 Wie N. Radosevic, Pochvalna slova caru Androniku II Paleologu, ZRVI 21,1982,6383 gezeigt hat, ist Gregoras unter den Lobrednern des Kaisers der einzige, der seiner angeblichen Gelehrsamkeit solch hohes Lob zukommen läßt. Vielleicht hatte er einen persönlichen Grund zu derlei Schmeicheleien: In einem Brief (GregEpL, Nr. 114, Z. 62-70) berichtet er davon, er habe eine (private) Schule eröffnet und sich damit viel Mühe gemacht (ÖLÖU01CUAELoV u'ÖtO~ dVEq>;U Kul KOn:OL~ eKöEöooKu eIlUUtOv), und zwar auf Bitten der Freunde und, wie er mit einer rhetorischen Umschreibung andeutet, auch wohl des Kaisers, der ihm zu dem Unternehmen anscheinend einen Zuschuß (ÖÖipov) zahlte. Leider ist dies der einzige sichere Quellenbeleg für die Lehrstätte, die man im Chorakloster (s. u., Text mit A. 623) vermuten darf. Leone läßt es offen, ob der Brief in die zwanziger (Zeit Andronikos' 11.) oder dreißiger Jahre (Zeit Andronikos' IlI.) gehört, doch ist die Förderung der Schule durch den ersteren wahrscheinlicher. 532 GKypEp, Nr. 138. 533 PlanEpL, Nr. 67 (100, Z. 17-19: 1) Ku8 1)llä~ ~ÖE 1l0V~ ßUOLALK~V ßLßAL08~KT]V tO'[~ ~ Wpl.O"taL, Lv' ulLe~ ILEv deL KaKOltpayijte Kat tU ltaVÖeLVa ltaax,1Jte, 1J ILtv öe ltavtax,68ev KatU poilv tU ltpaYlLata EP1JtaL. 786 A. O. 207, Z. 11-13. 787 A. O. 210, Z. 20, 28f.; 211, Z. 22-24. 788 A. O. 212, Z. 10-14,19-29. 789 A. 0.213, Z. 12-23; 214, Z. 24-215, Z. 10.
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Außerungen der Literaten zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen
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Zulassung von klassenübergreifenden Eheverbindungen vor. 790 Es ist schwer zu sagen, ob und inwieweit sich der Verfasser durch solche Vorschläge eine wirkliche Besserung der Verhältnisse in seinem Sinne erhoffte; ein gewisser resignativer Ton ist in der ganzen Schrift nicht zu überhören. Die Schrift ist nicht von einem Revolutionär geschrieben, zeigt aber deutlich die Tendenz, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse in Frage zu stellen, mit dem Verweis auf Gott, der maßlose Ungleichheit (ä.J.l.E'tpO~ a.vLa6't'l1~) nicht zulassen könne, um nicht ungerecht genannt zu werden.79\ Es geht auch den Armen nicht um völlige Gleichmacherei, sondern nUr um die Beseitigung ausufernder sozialer Unterschiede, und dies nicht durch Gewalt und Umsturz, sondern durch friedliche Übereinkunft, wie Makrembolites sie z. B. in ehelichen Verbindungen gegeben sieht. II. Der Theologe, Mystiker und Literat N. Kabasilas Chamaetos stammte aus der gleichen landbesitzenden Stadtaristokratie wie D. Kydones und war etwa gleichen Alters wie dieser, also um 1324 geboren. Beide Familien standen dem Megas Domestikos und späteren Kaiser (ab Oktober 1341) Johannes VI. (Kantakuzenos) nahe. Als Johannes 1347 in der Hauptstadt die Macht übernommen hatte, berief er Kydones und Kabasilas, die noch nicht 25 Jahre alt waren, zu vertraulicher Mitarbeit in seine Umgebung. Doch scheint Kabasilas später wieder im wesentlichen in Thessalonike gelebt zu haben. Ob er je Mönch wurde, ist bis heute umstritten. Jedenfalls ist er ein solide gebildeter Literat, der sich in den Dienst der "Gottesweisheit" stellte, ohne dabei die "Weltweisheit" ganz zu verachten. 792 Er hat vier Texte hinterlassen, die sich mit sozial-wirtschaftlichen Zeitproblemen beschäftigen; doch kann nUr der im folgenden erstgenannte einigermaßen sicher datiert werden: 1. Eine Denkschrift an die Kaiserin Anna von Savoyen, die Witwe Andronikos' III., gegen das Zinsnehmen, verfaßt sehr wahrscheinlich 1351.793 2. Traktat (A6yo~) gegen die Zinsnehmer, verfaßt wahrscheinlich längere Zeit nach der Denkschrift. 794 790 A. O. 208, Z. 3-12. 791 A. O. 207, Z. 21-25. 792 Zur Biographie der frühen Jahre immer noch grundlegend: LoenCab. Über die Einstellung des Kabasilas zur" Weltweisheit" s.o., Text mit A. 335. 793 Titel: TU EuoEßE01:aT[1 AuyouOT[1- IIEpt 'tOKOU. Edition, Resümee und kommentierende Erläuterungen: R. Guilland, Le traite inedit "Sur l'usure" de Nicolas Cabasilas, in: ElC; I'vTJl'TJv l:mJptöwvOC; Aaf.l3tpou, ed. G. Charitakes, Athen 1935,269-277; Text: 274-277. Überzeugende Begründung der Datierung auf 1351 bei LoenCab 317-320; sie wird auch von AngKabas 87-91 übernommen. Näheres zu diesem Ansatz weiter unten. 794 Titel: Ku'tu 'tOKL~OV'tWV. Edition und lat. Übers.: PG 150, 727-750. Für eine Datierung des Traktates in die 50er Jahre könnte sprechen, daß Kabasilas sich im Anschluß an seine Denkschrift über die Zinsfrage grundsätzliche Gedanken machte, die er in diesem Traktat niederlegte. Der Traktat wird wegen der besonderen Bedeutung der
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Die Gruppe der literarisch Gebildeten
3. Traktat über die ungesetzlichen Frevel der Herrschenden an den Heiligtümern (A6yo~ 1tepL 'tWV 1tapaV6ILlO~ 'tote; äpXOUOLV bet 'tot~ tepo~ 'tO).,lLlOILEVlOV). Verfaßt nach 1370 ?795 4. Appell an die Behörden zur Verteidigung der sozial Schwachen (daSevEO'tepOL) gegen Habsucht und Ungerechtigkeit (Fragment). Datie. her. 196 rung unslc Diese vier Texte werden nun in der angegebenen Reihenfolge im einzelnen besprochen. 1. Denkschrift an die Kaiserin Anna. Die Situation dieser Denkschrift läßt sich aus ihrem Text klar entnehmen. Sie ist eingangs an die Kaiserin Anna gerichtet, geht aber im weiteren Verlauf zu einer Anrede im Plural über, die nun auch Annas Sohn Johannes V. ohne Namensnennung miteinbezieht, und appelliert am Schluß an die Kaiserin, auf den Kaiser, sc. ihren Sohn, im Sinne der Denkschrift einzuwirken.797 Kabasilas appelliert an Mutter und Sohn, ein Gesetz des "alleredelsten Kaisers" (1t..eu'tL1Co\; :n:pO\; 'tov öea:n:01:Tlv geoöwpov :n:ept 'ttl\; TIe>..o:n:ovv~aou): PG 160, 841-866; LPP IV, 113-135.2. An Manuel (Ei; MuvouTJ>" TIu>"aLowyov :n:ept 'twv Ev TIe>"03tovv~a
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KapFam +KarayEntw
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