Dezentrale Leadership : Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochter-gesellschaften diversifizierter Unternehmen 9783834913661, 3834913669, 9783834999658, 3834999652 [PDF]


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Dezentrale Leadership : Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochter-gesellschaften diversifizierter Unternehmen
 9783834913661, 3834913669, 9783834999658, 3834999652 [PDF]

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Zitiervorschau

Eva-Maria Hammann Dezentrale Leadership

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Eva-Maria Hammann

Dezentrale Leadership Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen

Mit einem Geleitwort von em. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hans H. Hinterhuber

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (LFU), Österreich, 2008

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1366-1

GELEITWORT Die Globalisierung, die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die niedrigen Transportkosten, verbunden mit der Zweckmäßigkeit, neue Märkte zu erschließen, führen zu einer Verlagerung von wertschöpfenden Tätigkeiten im internationalen Kontext. Die Internationalisierungsprozesse von Unternehmen rücken die Gründung und Führung von Tochtergesellschaften international tätiger Unternehmer in den Mittelpunkt des Interesses. Von wissenschaftlicher Seite geht dies mit der Notwendigkeit einher, Theorieansätze zu entwickeln und bereitzustellen, die dem Verständnis und der Gestaltung von Internationalisierungsprozessen dienen. Ein Blick auf die Internationalisierungsprozessforschung zeigt, dass dem Thema Leadership/innovatives Unternehmertum in dezentralen Einheiten diversifizierter Unternehmen bislang wenig Beachtung gewidmet wurde. Die wenigen Arbeiten nutzen entweder verhaltenswissenschaftliche oder ökonomische Ansätze. Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit nutzt das Potenzial dieser Ansätze, verbindet und erweitert diese jedoch um einen sozialpsychologischen Ansatz. Sie schließt dadurch eine Lücke zwischen diesen Ansätzen und dem strategischen Management von dezentralen Einheiten. Frau Hammann liefert mit der vorliegenden Arbeit einen Beitrag zum besseren Verständnis der Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen dezentralen Unternehmertums in dezentralen Einheiten diversifizierter Unternehmen. Diversifizierte Unternehmen sind in einer Vielzahl von Geschäftsfeldern und Ländern tätig und sehen sich daher einer wachsenden Unternehmensdynamik und -komplexität gegenüber, auf die sie flexibel und schnell reagieren müssen. Tochtergesellschaften sind Unternehmen in Unternehmen, die durch ihre Geschäftstätigkeit einen Beitrag zum Erfolg der Gesamtunternehmung leisten. Führungskräfte in Tochtergesellschaften übernehmen unternehmerische Verantwortung für ihre Einheit und damit auch für die Gesamtunternehmung, indem sie ihr spezifisches Wissen über Produkte & Dienstleistungen, nationale Märkte und Kunden im Sinne der Gesamtunternehmensstrategie einsetzen. Die Verfasserin nähert sich dem Thema aus drei Perspektiven: —

Makro-Perspektive: Einbettung der diversifizierten Unternehmen in eine externe Umwelt



Meso-Perspektive: Betrachtung der organisationalen Rahmenbedingungen des diversifizierten Unternehmens und seiner Tochtergesellschaften



Mikro-Perspektive: Betrachtung der Rolle der einzelnen Führungskräfte einer Tochtergesellschaft

In der Arbeit werden zwei zentrale Forschungsfragen beantwortet: —

Welche Faktoren ermöglichen unternehmerisches Verhalten der Führungskräfte in dezentralen Einheiten?

VI



GELEITWORT

Welche Möglichkeiten bietet das Konstrukt der „dezentralen Leadership“, um die Innovationsrate sowohl der dezentralen Einheiten als auch des Gesamtunternehmens zu erhöhen?

Die Verfasserin problematisiert dabei auftretende Spannungsfelder zwischen Kompetenzaufbau versus Kompetenznutzung einerseits und lokaler Anpassung versus globaler Integration andererseits. Methodisch beruht die Arbeit auf der sozialpsychologischen Theorie des geplanten Verhaltens. Sie verbindet dabei qualitative Analyseelemente mit quantitativer Erhebung und kommt dadurch zu Aussagen, die stärker intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar sind. Frau Hammann hat ein für die aktuelle Forschung und betriebliche Praxis hoch interessantes Themengebiet an der Schnittstelle zwischen strategischem Management und Sozialpsychologie bearbeitet und dabei wertvolle neue Erkenntnisse gewonnen. Die Arbeit ist gut strukturiert, anschaulich geschrieben und zeugt von einer gründlichen wissenschaftlichen Arbeitsweise und tiefen Kenntnis der Welt der diversifizierten Unternehmen. Das Buch kann allen Führungskräften in diversifizierten Unternehmen, aber auch Unternehmensberatern, empfohlen werden, denen Anregungen aus fundierter wissenschaftlicher Forschung geboten werden. Studenten und Wissenschaftern kann das Buch Hinweise geben, welche Möglichkeiten sich aus der Kombination der sozialpsychologischen Theorie des geplanten Verhaltens mit quantitativen Methoden für die strategische Führung von diversifizierten Unternehmen ergeben. Ich wünsche deshalb dem Werk die Verbreitung in Wissenschaft und Praxis, die es verdient.

Hans H. Hinterhuber

VORWORT An dieser Stelle möchte ich mich bei einigen Personen bedanken, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Erstbegutachter, Herrn em. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hans H. Hinterhuber, der dieser Arbeit nicht nur großes Interesse entgegengebracht hat, sondern der bis heute meine fachliche und professionelle Entwicklung prägt. Auch meinem ehemaligen Vorgesetzten, Herrn Univ.-Prof. Dr. Harald Pechlaner, danke ich sehr, dass er diese Arbeit als Zweitbegutachter begleitet und mir im Rahmen unserer Zusammenarbeit am Zentrum für Entrepreneursh!p sowie am Stiftungslehrstuhl Tourismus immer wieder neue Perspektiven aufgezeigt hat. Von ganzem Herzen danke ich auch meinen Eltern, Monika und Friedrich Hammann, die mich immer uneingeschränkt und vorbehaltlos unterstützt und meinen akademischen Werdegang überhaupt erst ermöglicht haben. Tausend Dank gebührt auch meinen beiden Schwestern Susanne und Christina, die in meinem Leben Rückhalt und Stütze sind und ohne deren Beistand diese Herausforderung wohl nicht zu schaffen gewesen wäre. Ganz besonders danke ich darüber hinaus Dr. Friedrich Schobert, der mir als „Leidensgenosse“ große Verständnis entgegenbrachte und mir trotz eigener hoher Belastung mit Rat und Tat zur Seite stand. Schließlich danke ich auch meinen ehemaligen Kollegen/-innen für die konstruktive Zusammenarbeit und das freundschaftliche Miteinander am Lehrstuhl. Nicht zuletzt möchte ich auf diesem Weg nochmals meinen Gesprächspartnern danken, die mir im Rahmen meiner empirischen Untersuchung Zeit geschenkt und interessante Einblicke in das Wesen ihrer Organisationen und in ihr Führungsverständnis gewährt haben. Ihnen allen widme ich diese Arbeit.

Eva-Maria Hammann

INHALTSVERZEICHNIS ABBILDUNGSVERZEICHNIS ......................................................................................................XVII TABELLENVERZEICHNIS ........................................................................................................... XXI ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .................................................................................................... XXIII 1

EINFÜHRUNG ................................................................................................................. 1 1.1

AUSGANGSSITUATION UND PROBLEMSTELLUNG ............................................................ 2

1.2

ZIELSETZUNG ................................................................................................................. 6

1.3

METHODISCHES VORGEHEN........................................................................................... 8

1.3.1

Forschungsmodell ............................................................................................... 9

1.3.2

Forschungsdesign................................................................................................ 9

1.4 2

AUFBAU DER ARBEIT ................................................................................................... 12

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD ........................................ 15 2.1

EINLEITUNG ................................................................................................................. 15

2.2

DAS UNTERNEHMENSEXTERNE UMFELD ...................................................................... 17

2.2.1

Technologische Umwelt..................................................................................... 19

2.2.2

Internationale Umwelt....................................................................................... 19

2.2.3

Sozio-kulturelle Umwelt .................................................................................... 21

2.2.4

Politisch-gesetzliche Umwelt............................................................................. 22

2.2.5

Ökonomische Umwelt ........................................................................................ 22

2.2.6

Ökologische Umwelt.......................................................................................... 24

2.3

DAS UNTERNEHMENSINTERNE UMFELD ....................................................................... 25

2.3.1

Die diversifizierte, international tätige Unternehmung .................................... 25

2.3.1.1

Die Diversifikation von Unternehmen ....................................................................26

2.3.1.1.1

Definition, Einordnung und Abgrenzung von Diversifikation.............................26

2.3.1.1.2

Ursachen der Diversifikation ..............................................................................29

2.3.1.1.3 2.3.1.2

Motive und Ziele der Diversifikation...................................................................30 Die diversifizierte Unternehmung als strategisch-konzeptioneller Rahmen ..........33

2.3.1.2.1

Die unternehmerische Vision ..............................................................................34

2.3.1.2.2

Die Unternehmenspolitik.....................................................................................34

2.3.1.2.3

Die strategische Orientierung und Strategieentwicklung ...................................35

2.3.1.2.3.1 Strategie auf Gesamtunternehmensebene..................................................................35 2.3.1.2.3.2 Strategie auf dezentraler Ebene.................................................................................39 2.3.1.2.3.3 Strategie auf Netzwerkebene.....................................................................................40

INHALTSVERZEICHNIS

X

2.3.1.2.4

Die Unternehmensarchitektur .............................................................................42

2.3.1.2.4.1 Divisionale Strukturen ..............................................................................................43 2.3.1.2.4.2 Holdingstrukturen .....................................................................................................48

2.3.1.2.5 2.3.1.2.6

Umsetzungsprozesse............................................................................................50 Unternehmenskultur ............................................................................................55

2.3.1.3

Die Entwicklungsfähigkeit der diversifizierten Unternehmung ..............................58

2.3.1.4

Die Dezentralisierung der diversifizierten Unternehmung......................................61

2.3.1.4.1

Begriffliche Abgrenzung von verwandten Gestaltungselementen .......................61

2.3.1.4.1.1 Dezentralisation ........................................................................................................62 2.3.1.4.1.2 Delegation .................................................................................................................63 2.3.1.4.1.3 Partizipation ..............................................................................................................64

2.3.1.4.2 2.3.1.4.3 2.3.1.5

2.3.2

2.4 3

Dimensionen der Dezentralisierung von Unternehmen ......................................64 Sinnhaftigkeit von Dezentralisierungsbestrebungen ...........................................66 Die Beziehung zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten ................................68

Die dezentrale Einheit ....................................................................................... 72

2.3.2.1

Begriffliche Einordnung ..........................................................................................73

2.3.2.2

Mögliche Rollen von Tochtergesellschaften ...........................................................74

ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT .................................................................................. 81

LEADERSHIP – FÜHRUNG IM SPANNUNGSFELD VON ZENTRALE UND DEZENTRALEN EINHEITEN ........................................................................... 83 3.1

EINLEITUNG ................................................................................................................. 83

3.2

ALLGEMEINE DEFINITORISCHE ANNÄHERUNG AN DEN LEADERSHIP-BEGRIFF ............. 84

3.3

FÜHRUNGSKONZEPTE IM ORGANISATIONALEN KONTEXT............................................. 86

3.3.1

Eigenschaftenorientierte Theorien .................................................................... 87

3.3.1.1

Traditionelle Eigenschaften-Ansätze.......................................................................87

3.3.1.2

Neuere Eigenschaften-Ansätze................................................................................89

3.3.2

Verhaltensorientierte Theorien.......................................................................... 93

3.3.2.1

Der entscheidungsorientierte Ansatz nach Tannenbaum & Schmidt ......................94

3.3.2.2

Empirische Studien zum Führungsverhalten (Ohio-/ Michigan-Studien) ...............96

3.3.2.3

3D-Management Style Theory nach Reddin .........................................................100

3.3.2.4

Das Managerial (Leadership) Grid nach Blake & Mouton ...................................101

3.3.2.5

Das System organisatorischer Führungselemente nach Bleicher ..........................104

3.3.3

Transformationale und charismatische Führung ............................................ 105

3.3.3.1

Charismatische Führungstheorien .........................................................................106

3.3.3.2

Transformationale und transaktionale Führung nach Bass....................................110

3.3.3.3

3.3.4

Transformative Führung nach Bennis & Nanus ....................................................114

Partizipation und kooperative Führung .......................................................... 117

INHALTSVERZEICHNIS

3.3.4.1

Normatives Entscheidungsmodell nach Vroom & Yetton ....................................118

3.3.4.2

Shared-Leadership nach Pearce & Conger ............................................................121

3.3.4.3

3.3.5

Self-Leadership nach Manz & Sims......................................................................125

Situationsorientierte bzw. Kontingenz-Theorien ............................................. 127

3.3.5.1

Kontingenztheorie nach Fiedler.............................................................................128

3.3.5.2

Situative Reifegrad-Theorie nach Hersey & Blanchard ........................................130

3.3.5.3

“Path-Goal Theory“ nach House ...........................................................................132

3.3.5.4

Multiple Linkage Model nach Yukl ......................................................................133

3.3.5.5

3.3.6

3.4

XI

“Cognitive Resources Theory” nach Fiedler et al. ................................................134

Strategische Leadership .................................................................................. 136

3.3.6.1

Theorie der strategischen Wahl nach Child...........................................................138

3.3.6.2

„Upper Echelons Theory“ nach Hambrick & Mason ............................................141

3.3.6.3

Strategisches Management in Geschäftseinheiten nach Gupta & Govindarajan .........................................................................................................145

FÜHRUNGSVERANTWORTUNG IM HIERARCHISCHEN KONTEXT ................................... 147

3.4.1

Macht- und Einflussverhältnisse in Organisationen ....................................... 148

3.4.1.1

Wesen von Macht und Einfluss .............................................................................148

3.4.1.2

Quellen von Macht und Einfluss ...........................................................................150

3.4.1.3

Dynamik von Macht und Einfluss .........................................................................150

3.4.2

Einstellungsänderung als Voraussetzung für die Dezentralisierung von Führungsverantwortung und -aufgaben.......................................................... 153

3.4.3

Zentrale versus dezentrale Leadership-Aufgaben ........................................... 154

3.4.3.1

Nicht-delegierbare Führungsaufgaben ..................................................................155

3.4.3.2

Delegierbare Führungsaufgaben............................................................................159

3.4.4

Führungskräfte der Zentrale und der dezentralen Einheiten – eine Abgrenzung...................................................................................................... 163

3.5 4

ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT ................................................................................ 168

DEZENTRALE LEADERSHIP – UNTERNEHMERISCHE FÜHRUNG IN UND VON TOCHTERGESELLSCHAFTEN ........................................................... 169 4.1

EINLEITUNG ............................................................................................................... 169

4.2

HINFÜHRENDE ÜBERLEGUNGEN UNTER EINBEZUG VERWANDTER KONZEPTE ........... 170

4.3

CORPORATE ENTREPRENEURSHIP – STRATEGISCH-UNTERNEHMERISCHES VERHALTEN IM ORGANISATIONALEN KONTEXT ......................................................... 174

4.3.1

Definitorische Annäherung an den Begriff Corporate Entrepreneurship...... 174

4.3.2

Systematisierung unterschiedlicher theoretischer Ansätze ............................. 177

4.3.2.1

Personenbezogene Ansätze....................................................................................178

INHALTSVERZEICHNIS

XII

4.3.2.2

Organisationszentrierte Ansätze ............................................................................180

4.3.2.3

Strategische Ansätze..............................................................................................181

4.3.3

Ursprung unternehmerischen Verhaltens........................................................ 186

4.3.4

Unternehmerische Orientierung als Indikator unternehmerischen Verhaltens........................................................................................................ 190

4.4 4.5

BEGRIFFLICHE BESTIMMUNG DER DEZENTRALEN LEADERSHIP .................................. 192 INTEGRATION VON LEADERSHIP UND CORPORATE ENTREPRENEURSHIP IN DER DEZENTRALEN FÜHRUNG ........................................................................................... 195

4.5.1

Führungsbezogene Elemente der dezentralen Leadership.............................. 196

4.5.2

Unternehmerische Elemente der dezentralen Leadership............................... 199

4.6

KONKRETE AUSPRÄGUNGEN DER DEZENTRALEN LEADERSHIP .................................. 201

4.6.1

Strategisch-unternehmerisches Verhalten....................................................... 201

4.6.2

Spezifische Führungsrollen und konkrete Aufgaben einer Führungskraft auf dezentraler Ebene...................................................................................... 209

4.7

VORAUSSETZUNGEN FÜR DEZENTRALE LEADERSHIP ................................................. 213

4.7.1

Persönlichkeitsbezogene Voraussetzungen ..................................................... 214

4.7.1.1

Die Identifikation mit der eigenen Unternehmenseinheit......................................215

4.7.1.2

Unternehmerische Kompetenzen, fachliches Know-how und Erfahrung .............215

4.7.1.3

Individuelle Einstellung und Absicht zu dezentraler Leadership ..........................216

4.7.2

Unternehmensinterne Voraussetzungen .......................................................... 218

4.7.2.1

Orientierung der Letztentscheidungsträger ...........................................................219

4.7.2.2

Systeme .................................................................................................................220

4.7.2.3

Strukturen ..............................................................................................................221

4.7.2.4

Unternehmenspolitik und -taktik ...........................................................................222

4.7.2.5

4.7.3

Unternehmenskultur ..............................................................................................223

Umweltbezogene Voraussetzungen.................................................................. 224

4.7.3.1

Umweltinfrastruktur ..............................................................................................224

4.7.3.2

Umweltturbulenz ...................................................................................................225

4.7.3.3

Persönliches soziales Umfeld ................................................................................226

4.8

ZIELE DER DEZENTRALEN LEADERSHIP ...................................................................... 227

4.9

EFFEKTE UND KONSEQUENZEN DER DEZENTRALEN LEADERSHIP............................... 229

4.9.1

Positive Effekte ................................................................................................ 229

4.9.1.1

Effekte für und in der Tochtergesellschaft ............................................................230

4.9.1.2

Effekte in der Unternehmenszentrale ....................................................................230

4.9.1.3

Umwelteffekte .......................................................................................................231

4.9.2

Negative Folgen von dezentraler Leadership.................................................. 232

INHALTSVERZEICHNIS

XIII

4.9.2.1

Kosten dezentraler unternehmerischer Initiativen .................................................232

4.9.2.2

Entstehung eines organisationalen Dilemmas .......................................................233

4.9.2.3

Widerstand gegen unternehmerisches Verhalten auf dezentraler Ebene...............234

4.10 ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT ................................................................................ 236 5

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN – APPLIKATION DER THEORIE DES GEPLANTEN VERHALTENS ................ 239 5.1

EINLEITUNG ............................................................................................................... 239

5.2

DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN EINSTELLUNG UND VERHALTEN ..................................... 240

5.2.1

Charakterisierung von Einstellungen.............................................................. 240

5.2.2

Vorhersagekraft von Einstellungen ................................................................. 242

5.3

DIE THEORIE DES ÜBERLEGTEN HANDELNS ALS GRUNDLAGE DER THEORIE DES GEPLANTEN VERHALTENS .......................................................................................... 244

5.3.1

Einordnung der beiden Theorien..................................................................... 244

5.3.2

Kernaussagen der Theorie des überlegten Handelns...................................... 245

5.3.3

Kernaussagen der Theorie des geplanten Verhaltens ..................................... 248

5.3.4

Kritische Betrachtung der Einstellungs-Verhaltens-Theorien ........................ 251

5.3.4.1

Geltungsbereich der Theorien ...............................................................................251

5.3.4.2

Der Begriff „Intention“..........................................................................................252

5.3.4.3

Mangelnde Suffizienz der TPB .............................................................................252

5.3.4.4

Mangelnder Prozesscharakter der Theorien ..........................................................253

5.3.5 5.4

Begründung für die Verwendung der TPB im Rahmen der Untersuchung der dezentralen Leadership ............................................................................. 254

ADAPTION DER THEORIE DES GEPLANTEN VERHALTENS AN DIE ERFORDERNISSE DES DEZENTRALEN LEADERSHIP-KONZEPTS .............................................................. 255

6

5.5

ABLEITUNG DER HYPOTHESEN ................................................................................... 257

5.6

ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT ................................................................................ 260

EMPIRISCHE EXPLORATION DER DEZENTRALEN LEADERSHIP ............ 263 6.1

VORGEHENSWEISE ..................................................................................................... 263

6.2

QUALITATIVE ERHEBUNG .......................................................................................... 264

6.2.1

Leitfadengestützte Interviews .......................................................................... 264

6.2.2

Zentrale Fragestellungen ................................................................................ 264

6.2.3

Sampling und Datenerhebung ......................................................................... 267

6.2.4

Darstellung und Interpretation der Ergebnisse............................................... 269

6.2.4.1

Beschreibung der Interviewpartner .......................................................................269

INHALTSVERZEICHNIS

XIV

6.2.4.2

Werte und Prinzipien .............................................................................................271

6.2.4.3

Führungsstil der Letztentscheidungsträger............................................................272

6.2.4.4

Strategische Orientierung der Mutterunternehmen ...............................................273

6.2.4.5

Unterschiede in der Behandlung von Tochtergesellschaften.................................274

6.2.4.6

Operativer und strategischer Handlungsspielraum nachrangiger Führungskräfte.......................................................................................................276

6.2.4.7

Entstehung von neuen Impulsen in den Unternehmen ..........................................277

6.2.4.8

Wirkungen unternehmerischer Initiativen .............................................................278

6.2.4.9

Initiierung von Projekten ohne Rücksprache mit den Letztentscheidungsträgern .....................................................................................280

6.2.4.10

Historie zu Initiativen aus Tochtergesellschaften..................................................281

6.2.4.11

Voraussetzungen für unternehmerisches Engagement in Tochtergesellschaften ............................................................................................282

6.2.4.12

Zentrale Vorgaben durch die Muttergesellschaft ..................................................285

6.2.4.13

Die Rolle der Letztentscheidungsträger ................................................................287

6.2.5 6.3

Zusammenfassung der qualitativen Ergebnisse .............................................. 288

QUANTITATIVE ERHEBUNG ........................................................................................ 290

6.3.1

Zentrale Fragestellung .................................................................................... 290

6.3.2

Methode ........................................................................................................... 291

6.3.2.1

Modellierung der TPB mittels eines Strukturgleichungsmodells ..........................291

6.3.2.2

Fragebogen und Operationalisierung der Variablen..............................................294

6.3.2.3

Befragte Personen und Datenerhebung .................................................................299

6.3.3

Datenauswertung und Ergebnisse ................................................................... 301

6.3.3.1

Beschreibung der Untersuchungsobjekte ..............................................................301

6.3.3.2

Status quo von dezentraler Leadership ..................................................................305

6.3.3.2.1 6.3.3.2.2 6.3.3.3

Erfahrung mit den Aspekten unternehmerischer Führung ................................305 Einstellung zu unternehmerischer Führung in Tochtergesellschaften ..............306 Überzeugungen im Hinblick auf dezentrale Leadership .......................................308

6.3.3.3.1

Behaviorale Überzeugungen und Ergebnisbewertungen ..................................308

6.3.3.3.2

Normative Überzeugungen und Übereinstimmungsmotivation.........................310

6.3.3.3.3

Kontrollbasierte Überzeugungen und Bewertungen .........................................311

6.3.3.4

Globale Prädikatoren der Intention, Tochtergesellschaften unternehmerisch zu führen................................................................................................................320

6.3.3.5

Zusammenhänge zwischen den spezifischen Überzeugungen und den globalen Prädikatoren der Verhaltensintention .....................................................323

6.3.3.5.1

Behaviorale Überzeugungen und die Einstellung zu dezentraler Leadership .........................................................................................................324

6.3.3.5.2

Normative Überzeugungen und die subjektive Norm ........................................326

INHALTSVERZEICHNIS

6.3.3.5.3

XV

Kontrollüberzeugungen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle ...........326

6.3.3.5.3.1 Kompetenzüberzeugungen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle im Sinne der Selbstwirksamkeit ...................................................................................327 6.3.3.5.3.2 Kontrollüberzeugungen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle im Sinne der Beherrschbarkeit des Verhaltens.............................................................329

6.3.3.6

6.3.4 6.4 7

Potenzial zu dezentraler Leadership als Intention, eine Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen ....................................................................................331

Resümee und Interpretation der quantitativen Ergebnisse ............................. 336

ZUSAMMENFASSUNG DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNGEN ..................................... 342

SCHLUSSBETRACHTUNG UND IMPLIKATIONEN........................................... 345 7.1

EINORDNUNG DER FORSCHUNGSERGEBNISSE UND WISSENSCHAFTLICHER BEITRAG .................................................................................................................... 345

7.2

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR DIVERSIFIZIERTE, INTERNATIONAL TÄTIGE UNTERNEHMEN .......................................................................................................... 354

7.3

IMPLIKATIONEN FÜR WEITERGEHENDE FORSCHUNG .................................................. 356

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1:

Integration qualitativer und quantitativer Elemente des Forschungsdesigns .................................................................................. 11

Abbildung 2:

Struktur der Dissertation ......................................................................... 12

Abbildung 3:

Vereinfachte Darstellung des Zusammenhangs zwischen unternehmensinternen und -externen Umwelten .................................... 16

Abbildung 4:

Determinanten nationaler Wettbewerbsvorteile („Porters Diamant“) .... 18

Abbildung 5:

Dimensionen des Diversifikationsbegriffes ............................................ 27

Abbildung 6:

Einordnung der strategischen Orientierung international tätiger Unternehmen ........................................................................................... 72

Abbildung 7:

Konzeptioneller Rahmen der Leadership-Theorien ................................ 86

Abbildung 8:

Leadership-Verhaltenskontinuum ........................................................... 95

Abbildung 9:

3D-Theorie ............................................................................................ 101

Abbildung 10:

Verhaltensgitter nach Blake & Mouton ................................................ 102

Abbildung 11:

Leadership-Kontinuum der transformationalen und transaktionalen Führung ................................................................................................. 112

Abbildung 12:

Kausaler Zusammenhang im normativen Entscheidungsmodell .......... 119

Abbildung 13:

Überblick über vier Leadership-Modelle .............................................. 122

Abbildung 14:

Kausalbeziehung in der Cognitive Resources Theory .......................... 135

Abbildung 15:

Die Rolle der strategischen Wahl in der Organisationstheorie ............. 139

Abbildung 16:

Kreislauf des strategischen Handelns.................................................... 140

Abbildung 17:

Strategische Wahl in der „Bounded Rationality“.................................. 142

Abbildung 18:

Die Perspektive der Upper Echelons Theory ........................................ 143

Abbildung 19:

Ausprägungen der Beziehung zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten ............................................................................................... 153

Abbildung 20:

Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung .................................................................................. 158

Abbildung 21:

Aufgaben der Führungskräfte innerhalb der organisationalen Prozesse................................................................................................. 160

Abbildung 22:

Grad der Beteiligung von Führungskräften an organisationalen Prozessen............................................................................................... 161

Abbildung 23:

Charakterisierung von Führungskräften................................................ 165

Abbildung 24:

Systematisierung von Unternehmertum ................................................ 174

Abbildung 25:

Transformationsansatz zur Umsetzung von Mitunternehmertum......... 179

Abbildung 26:

Corporate Entrepreneurship .................................................................. 183

Abbildung 27:

Interaktion von Strategie, Struktur und unternehmerischem Verhalten ............................................................................................... 187

XVIII

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 28:

Entstehungsorte unternehmerischer Initiativen..................................... 189

Abbildung 29:

Komponenten der dezentralen Leadership............................................ 193

Abbildung 30:

Ausprägungen der dezentralen Leadership ........................................... 195

Abbildung 31:

Unternehmerisches Verhalten in dezentralen Einheiten ....................... 208

Abbildung 32:

Der unternehmerische Prozess in Unternehmen mit Fokus auf die Führenden.............................................................................................. 213

Abbildung 33:

Der Kontext von Intentionen................................................................. 218

Abbildung 34:

Handlungsspielraum für dezentrale Leadership.................................... 220

Abbildung 35:

Wirkungsgefüge bei dezentraler Leadership mit Fokus auf Einflussfaktoren .................................................................................... 227

Abbildung 36:

Wirkungsgefüge in der dezentralen Leadership mit Fokus auf Effekte ................................................................................................... 232

Abbildung 37:

Widerstände im Implementierungsprozess von dezentraler Leadership und Ansatzpunkte für den Umgang mit ihnen................... 235

Abbildung 38:

Schematische Darstellung der Theorie des überlegten Handelns ......... 245

Abbildung 39:

Determinanten der Theorie des geplanten Verhaltens .......................... 249

Abbildung 40:

Die TBP unter Berücksichtigung der für das Konzept der dezentralen Leadership relevanten Einflussvariablen .......................... 256

Abbildung 41:

Hypothesen des dezentralen Leadership-Modells................................. 260

Abbildung 42:

Einordnung der Unternehmen gemäß den dort vorgegebenen Handlungsspielräumen für nachrangige Führungskräfte ...................... 277

Abbildung 43:

TPB als Strukturgleichungsmodell ....................................................... 293

Abbildung 44:

Branchenverteilung gemäß NACE-Code .............................................. 303

Abbildung 45:

Umsatz [in €] der erfassten Unternehmen in 2006 (n = 251)................ 304

Abbildung 46:

Mitarbeiterzahlen in den erfassten Unternehmen (n = 251).................. 305

Abbildung 47:

Behaviorale Überzeugungen zu und entsprechende Bewertungen von dezentraler Leadership (global bzw. in Bezug auf die Komponenten des Konstruktes) ............................................................ 307

Abbildung 48:

Behaviorale Überzeugungen und entsprechende Bewertungen ............ 309

Abbildung 49:

Normative Überzeugungen mit entsprechender Motivation ................. 311

Abbildung 50:

Kontrollüberzeugungen und -bewertungen zu selbstbezogenen Faktoren................................................................................................. 314

Abbildung 51:

Kontrollüberzeugungen zur Unternehmensstruktur sowie deren entsprechende Bewertungen.................................................................. 315

Abbildung 52:

Kontrollüberzeugungen zu den strategischen Zielen des TopManagements sowie deren entsprechende Bewertungen ...................... 316

Abbildung 53:

Kontrollüberzeugungen zu den internen Prozessen sowie deren entsprechende Bewertungen.................................................................. 316

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

XIX

Abbildung 54:

Kontrollüberzeugungen zur Unternehmenskultur sowie ihre Bewertungen ......................................................................................... 317

Abbildung 55:

Kontrollüberzeugungen zur Rolle der Tochtergesellschaft sowie deren entsprechende Bewertungen........................................................ 318

Abbildung 56:

Kontrollüberzeugungen zur Verfügbarkeit von Ressourcen und Zeit sowie deren Bewertungen ..................................................................... 319

Abbildung 57:

Kontrollüberzeugungen zu Faktoren im externen Umfeld sowie deren entsprechenden Bewertungen...................................................... 320

Abbildung 58:

Das konfirmatorische Modell zweiter Ordnung zur Messung von dezentraler Leadership auf der Basis einer erweiterten Theorie des geplanten Verhaltens............................................................................. 332

Abbildung 59:

Modell der dezentralen Leadership mit Hypothesen ............................ 338

TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1:

Diversifikationsklassifikationen nach Ansoff ......................................... 28

Tabelle 2:

Diversifikationsmotive ............................................................................ 30

Tabelle 3:

“Outside-in”- versus “Inside-out”-Perspektive ....................................... 40

Tabelle 4:

Merkmale der vier Organisationsarchitekturen im Vergleich................. 46

Tabelle 5:

Weitere etablierte Konzepte zu multinationalen Unternehmen .............. 47

Tabelle 6:

Überblick über drei Holding-Typen........................................................ 50

Tabelle 7:

Klassifizierung der strategischen Orientierung weltweit tätiger Unternehmen ........................................................................................... 70

Tabelle 8:

Einflussfaktoren auf den Grad der Autonomie von dezentralen Einheiten ................................................................................................. 76

Tabelle 9:

Vergleichender Überblick über die verschiedenen Rollentypologien .... 78

Tabelle 10:

Strategische Rollentypologien von Tochtergesellschaften ..................... 81

Tabelle 11:

Entscheidungsstile nach Vroom & Yetton............................................ 120

Tabelle 12:

Shared-Leadership begünstigende und behindernde Faktoren ............. 124

Tabelle 13:

Self-Leadership Strategien .................................................................... 126

Tabelle 14:

Taxonomie der Macht ........................................................................... 150

Tabelle 15:

Gegenüberstellung von zentralen und dezentralen Verantwortungsbereichen ..................................................................... 163

Tabelle 16:

Führungskompetenzen auf den unterschiedlichen hierarchischen Ebenen................................................................................................... 167

Tabelle 17:

Prozesse bei unternehmerischen Initiativen .......................................... 205

Tabelle 18:

Strategische Rollen und ihre Bedeutung für die dezentrale Leadership ............................................................................................. 210

Tabelle 19:

Auswahlkriterien der qualitativen Untersuchung.................................. 268

Tabelle 20:

Übersicht Interviews ............................................................................. 270

Tabelle 21:

Gründe für die unterschiedliche Behandlung von Tochtergesellschaften............................................................................ 275

Tabelle 22:

Vorgaben und abstimmungspflichtige Themen (mit Beispielzitaten) .. 286

Tabelle 23:

Übersicht des Samples .......................................................................... 300

Tabelle 24:

Alter und Geschlecht der befragten Führungskräfte (n = 251) ............. 301

Tabelle 25:

Position der befragten Führungskräfte (n = 250; 1 fehlende Angabe) ................................................................................................. 302

Tabelle 26:

Lokale Märkte der Tochtergesellschaften (n = 249; 2 fehlende Angaben) ............................................................................................... 303

Tabelle 27:

Mittelwertvergleich zu den Überzeugungen der einzelnen Aspekte unternehmerischen Führungsverhaltens jeweils für Führungskräfte mit und ohne Erfahrung ........................................................................ 308

XXII

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 28:

Indices für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle .......................... 313

Tabelle 29:

Mittelwerte der globalen Skalen für Führungskräfte mit starker und schwacher Intention .............................................................................. 321

Tabelle 30:

Mittelwerte der globalen Skalen für Führungskräfte mit und ohne Erfahrung mit dezentraler Leadership................................................... 322

Tabelle 31:

Bivariate Korrelationen der zentralen Komponenten der TPB sowie der direkten Erfahrung .......................................................................... 324

Tabelle 32:

Bivariate Korrelation zwischen der Einstellung zum Verhalten (global) und den behavioralen Überzeugungen .................................... 325

Tabelle 33:

Bivariate Korrelation zwischen der Subjektiven Norm (global) und den normativen Überzeugungen ........................................................... 326

Tabelle 34:

Bivariate Korrelation zwischen der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle und den zugrunde liegenden Kontrollüberzeugungen......................................................................... 327

Tabelle 35:

Bivariate Korrelation zwischen der Selbstwirksamkeit (global) und den Kompetenzüberzeugungen ............................................................. 328

Tabelle 36:

Bivariate Korrelation zwischen der Beherrschbarkeit des Verhaltens (global) und den Kontrollüberzeugungen ........................... 330

Tabelle 37:

Zusammenfassung des Modells ............................................................ 331

Tabelle 38:

Standardisierte Regressionskoeffizienten ............................................. 333

Tabelle 39:

Goodness-of-Fit Indices ........................................................................ 334

Tabelle 40:

Zusammenfassung der Hypothesen....................................................... 340

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AHK AMOS ATB bzw. CE d. h. et al. etc. f./ ff. F&E GEM HQ i. e. ICE ICV LV Mio. MNU MV N. N. PBC S. SBU/ SGE SEM SN sog. SPSS SW TG TMT TPB u. a. vgl. z. B.

Aussenhandelskammer Analysis of Moment Structures Attitude towards the Behavior (Einstellung zum Verhalten) beziehungsweise Corporate Entrepreneurship das heißt et alii; und andere et cetera folgende Forschung und Entwicklung Global Entrepreneurship Monitor Headquarter/ Muttergesellschaft id est International Corporate Entrepreneurship Internal Corporate Venturing Process latente Variable Million multinationale Unternehmung manifeste Variable Nomen Nominandum Perceived Behavioral Control (wahrgenommene Verhaltenskontrolle) Seite Strategic Business Unit/ Strategische Geschäftseinheit Structural Equation Modeling Subjektive Norm so genannt Statistical Packlage oft Theo Soviel Scenes Selbstwirksamkeit Tochtergesellschaft Top-Management-Team Theorie des geplanten Verhaltens unter anderem vergleiche zum Beispiel

1 EINFÜHRUNG Major corporations experiment with ways of introducing the ‘entrepreneurial spirit’ into the established environment. Their tools are new approaches to organizational structure, people management, and leadership. John J. Kao1

Große, diversifizierte2 Unternehmen mussten Ende der 80er Jahre erkennen, dass durch die Globalisierung von Märkten, tief greifenden technologischen Entwicklungen und erhöhten Kundenansprüchen eine strategische Erneuerung im Sinne einer Steigerung der eigenen Wandlungs- und Innovationsfähigkeit notwendig wurde.3 Diese Wandlungsfähigkeit war und ist geprägt von der Forderung nach einer optimalen Ressourcenallokation bzw. -nutzung sowie der Generierung neuer Gestaltungsvarianten und Innovationen.4 Die Etablierung unternehmerischen Denkens und Handelns in bestehenden Unternehmen wird als eine – wenn auch sehr komplexe – Möglichkeit gesehen, die strategische Ausrichtung, die Strukturen und Prozesse in einem Unternehmen auf den Prüfstand zu stellen. Gleichzeitig können die Denk- und Handlungsweisen der Unternehmensmitglieder aller Hierarchiestufen hin zum Erkennen neuer, innovativer Gestaltungsmöglichkeiten beeinflusst werden.5 Neben der Gründung von neuen Unternehmen im bzw. aus dem Mutterunternehmen heraus, kann Corporate Entrepreneurship6 auch für eine grundsätzliche unternehmerische Prägung eines Unternehmens stehen, welche letztlich eine Triebfeder der organisationalen Erneuerung und damit Voraussetzung für Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an sich ändernde, turbulente Umweltbedingungen sein kann.7 Das letzthin genannte Phänomen stellt eine organisationale Herausforderung dar und korreliert dabei in hohem Maße mit dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis von „dezentraler Leadership“, einem Führungskonzept, das die unternehmerische Initiative der Führungskräfte in den Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen als Ausgangspunkt für die organisationale Erneuerung sieht. Obwohl sich in den vergangenen 30 Jahren8

1 2 3 4 5 6

7

8

Kao (1989). Die Definition des Begriffs „Diversifizierung“ findet sich in Kapitel 2.3.1.1.1. Vgl. Sommerlatte (2000), S. 192f. Vgl. Stopford/Baden-Fuller (1994). Dess (1999); Morris/Kuratko (2002). Vgl. beispielsweise Pinchot (1987); Burgelman (1984); Chang (2001); Cohen (2002); Covin/Slevin (1991); Dess et al. (2003); Duncan et al. (1988); Greenwood (1974); Guth/Ginsburg (1990); Hisrich (1986); Hornsby et al. (1993); Kao (1991a); Morris/Kuratko (2002); Sharma/Chrisman (1999); Pinchot/Pellman (1999); Thornberry (2001); Zahra (1993a); Zahra et al. (1999a). Birkinshaw (1999), S. 9. Er bezieht sich in seinen Ausführungen auf Bartlett/Goshal (1990), die insbesondere von „dispersed entrepreneurship“ im Kontext multinationaler Unternehmen sprechen. Vgl. die ersten wissenschaftlichen Beiträge zum Thema Entrepreneurship in Organisationen bei Peterson/Berger (1972), Quinn (1979) bzw. Hanan (1976).

2

KAPITEL 1

ein beträchtlicher Teil wirtschaftswissenschaftlicher Entrepreneurship-Forschung mit unternehmerischem Verhalten von Mitarbeitern und Führungskräften innerhalb etablierter Unternehmen beschäftigte, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen es zum Ergreifen unternehmerischer Initiativen in Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen kommt, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, und an welche Grenzen unternehmerisches Engagement in dezentralen Unternehmenseinheiten stoßen kann. Dies scheint – so das Verständnis dieser Arbeit – in erster Linie von der Einstellung der in dezentralen Einheiten tätigen Führungskräfte abhängig zu sein.

1.1

Ausgangssituation und Problemstellung

Zahlreiche Forschungsmeinungen sehen unternehmerisches Verhalten in etablierten Unternehmen einerseits als große Herausforderung für bestehende Strukturen und ganz allgemein für den Status Quo in Unternehmen, andererseits wird unternehmerisches Verhalten als Katalysator für organisationale Erneuerungsprozesse und für eine Verbesserung der Anpassungsfähigkeit des betreffenden Unternehmens an sich verändernde Umweltbedingungen gesehen.9 Burgelman stellte fest, dass hohe Wachstumsraten basierend auf der Ausnutzung geeigneter Rahmenbedingungen einerseits und führungsmäßiger Voraussetzungen andererseits nur mehr durch große Anstrengung möglich sind, vor allem dann, wenn Unternehmen einmal eine bestimmte Größe und strukturelle Komplexität erreicht haben.10 Insbesondere die diversifizierte Unternehmung stand in den letzten Jahren z. T. unter massiver Kritik, die in letzter Konsequenz sogar ein Aufbrechen der organisationalen Strukturen forderte, da beispielsweise empirisch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Diversifikation und Unternehmenserfolg besteht.11 Dabei hält insbesondere die Institutionenökonomie Kritikern Argumente für die Daseinsberechtigung der diversifizierten Unternehmung entgegen. So geht die Principal-Agent- bzw. Transaktionskostentheorie davon aus, dass Führungskräfte bisweilen ihre Eigeninteressen dem Wohl der Unternehmung voranstellen, „Agents“ mit Hilfe ihres Interessensvorsprungs ihren persönlichen Nutzen auf Kosten des „Principals“ maximieren und die hierarchische Struktur der diversifizierten Unternehmung einer marktlichen Anordnung unterlegen ist. Tatsächlich besitzt eine diversifizierte Unternehmung dann Existenzberechtigung, wenn sie durch das Zusammenspiel aus unterschiedlichen Geschäftsfeldern und -einheiten einen Mehrwert 9

10

11

Vgl. hierzu die Ausführungen von Biggadike (1979); Burgelman (1991); Hornsby et al. (1993); Zahra (1993a); Draeger-Ernst (2003). Vgl. hierzu Burgelman (1984); Zahra et al. (1999b), S. 5 halten dazu fest, dass „some of the world’s bestknown companies had to endure painful transformation to become entrepreneurial. These companies had to endure years of reorganization, downsizing and restructuring.” Datta et al. (1991), S. 545.

EINFÜHRUNG

3

schafft, d. h. wenn die Vorteile aus der Geschäftstätigkeit der strategischen Unternehmenseinheiten größer sind, als die Kosten für deren Kontrolle und Koordination.12 Um opportunistisches Verhalten der dezentralen Einheiten zu minimieren und dennoch deren unternehmerische Eigenständigkeit zu gewährleisten, müssen Verfügungsrechte über Ressourcen und Kompetenzen, die in der diversifizierten Unternehmung vorhanden oder im Entstehen sind, klar definiert und kommuniziert werden.13 Je verschiedener dabei die Geschäftsfelder bzw. tätigkeiten sind, desto komplexer wird die Führungsaufgabe und desto eher ist Expertenwissen über Märkte, Produkte und Prozesse gefragt. Führungsanforderungen und -wissen in Einklang zu bringen, bedingt die Kenntnis über das Wesen der Geschäfte und das Vorhandensein eines gemeinsamen Führungsverständnisses.14 Die gemeinsame Geschäftslogik („dominant logic“15) liefert einen strategischen Rahmen, der Wertschöpfung in der gesamten diversifizierten Unternehmung zum obersten Ziel erklärt und jede einzelne Unternehmenseinheit zu Höchstleistungen anspornen kann. Schließlich ist es die strategische Führungskompetenz einzelner, die maßgeblich darüber entscheidet, wie es gelingt, den Wert des Ganzen – auch über den seiner Teile hinaus – zu steigern.16 So gibt es für Friedrich von den Eichen in erster Linie nur gut geführte oder weniger gut geführte (diversifizierte) Unternehmen, was ihn schlussfolgern lässt, dass man statt von einem „conglomerate discount“ im Hinblick auf die diversifizierte Unternehmung eher von einem „leadership discount“ sprechen sollte.17 Häufig wird festgestellt, dass diversifizierte Unternehmen neue Wege beschreiten müssen, um im internationalen Vergleich ihre Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit nachhaltig zu sichern.18 Ausgehend von der Überlegung, dass ein diversifiziertes Unternehmen aufgrund seines Aufbaus in unterschiedliche Geschäftsfelder und organisationale Einheiten einerseits ein sehr komplexes organisationales Umfeld für Führungskräfte und Mitarbeiter darstellt, und die einzelnen Einheiten andererseits auch in sehr unterschiedlichen externen Umwelten, Wirtschaftsräumen und Märkten agieren, in denen globale, nationale und regionale Skalenerträge generiert werden sollen,19 hängt unternehmerisches Verhalten auf dezentraler Ebene neben 12 13

14 15 16 17 18

19

Vgl. Friedrich/Hinterhuber (2000), S. 3ff.; Hinterhuber (2004a), S. 202. Vgl. hierzu Kieser (2002), S. 201 zur Theorie der Verfügungsrechte („Property Rights Theory“), zu deren wichtigsten Vertretern u. a. Alchian (1965), Alchian/Demsetz (1972) und Coase (1937) zählen. Die Theorie unterstellt, dass Individuen nutzenmaximierend handeln, dass zweitens die Verfügungsrechte genau regeln, wer welche Ressourcen wann und in welcher Weise nutzen kann und drittens wird zwischen vier verschiedenen Verfügungsrechten unterschieden (Nutzung (usus), Einbehaltung der Erträge (usus fructus), Veränderung der Ressourcen (abusus) und das Recht der Übertragung von einem oder mehreren Rechten). Vgl. Friedrich/Hinterhuber (2000), S. 17. Vgl. Bettis/Prahalad (1995), S. 5. Vgl. hierzu Friedrich/Hinterhuber (2000), S. 26. Vgl. Friedrich (2002), S. 134. Vgl. Gupta et al. (2004); Santora et al. (1999); Pointer/Sanchez (1994); Bartlett/Goshal (2000a); Hinterhuber (2001); Dunning (1994); Chiesa (1999); Bartlett/Goshal (1998). Vgl. Strikwerda (2003), S. 40.

4

KAPITEL 1

dem externen Umfeld, dem organisationalen Kontext schließlich vor allem auch von persönlichkeitsbezogenen Faktoren der betreffenden Führungsperson ab. Eine so klare Grenzziehung zwischen personen-, organisations- und umweltbezogenen Variablen täuscht jedoch darüber hinweg, dass bei diesen Variablen von einer hohen Interdependenz auszugehen ist. Schließlich sind die Grenzen zwischen einer Organisation und ihrem Umfeld heute oftmals fließend, und auch individuelles unternehmerisches Führungsverhalten ist von Faktoren wie der Motivation einer Person, ihrer Persönlichkeit und der Situation, innerhalb der sie sich befindet, abhängig.20 Führung kann nur dann vollständig erfasst werden, wenn die individuelle Führungsperson einerseits und die sie umgebende Organisation und Umwelt andererseits betrachtet werden.21 Insbesondere die dezentralen Einheiten befinden sich im Spannungsfeld dieser drei Einflussvariablen. Es stellt sich daher die Frage, ob den Führungskräften an der Spitze der dezentralen Einheiten nicht eine ganz besondere Rolle im Hinblick auf die unternehmerische Dynamisierung einer diversifizierten und multinational tätigen Unternehmung zukommt.22 Laut Zahra et al. gibt es zahlreiche Hinweise, dass unternehmerischen Aktivitäten von Tochtergesellschaften eine Schlüsselrolle im Hinblick auf den Erfolg der Mutterunternehmen haben.23 Auch Ayadurai & Sohail stellen wie folgt fest: „Corporate entrepreneurship can be seen as a competitive tool by multinational subsidiaries to compete in this highly competitive and global market.”24 Obwohl unternehmerisches Denken und Handeln grundsätzlich auf allen Unternehmensebenen vorhanden sein und entwickelt werden kann, könnten – so die Annahme dieser Arbeit – unternehmerische Initiativen, die von Führungskräften speziell in Tochtergesellschaften ausgehen, für den wirtschaftlichen Erfolg und die Entstehung von Wettbewerbsvorteilen diversifizierter, multinational tätiger Unternehmen von Bedeutung sein.25 Trotz des gestiegenen Interesses an Initiativen in und von Tochtergesellschaften multinational tätiger Unternehmen, erhält die Thematik gemäß Birkinshaw et al. gegenwärtig eine noch eher geringe direkte Aufmerksamkeit, die nach weitergehenden Forschungsarbeiten verlangt.26 Strikwerda nennt in diesem Kontext einige Gründe, warum unternehmerische Verantwortung auf die Entscheidungsträger in den dezentralen Einheiten übertragen werden sollte:27 Erstens ermöglicht die Übertragung von unternehmerischer Entscheidungskompetenz eine schnellere 20 21 22

23 24 25 26 27

Vgl. Birkinshaw (1999), S. 10. Vgl. House (1988), S. 245ff. Cohen (2002) hält bspw. Leadership nicht nur an der Spitze, sondern auf allen Hierarchieebene für möglich. Vgl. Zahra et al. (2000), S. 2. Ayadurai/Sohail , S. 4. Zahra et al. (2000), S. 2; Birkinshaw et al. (1998), S. 221; Gupta (1987), S. 477; Delany (2000), S. 220ff. Vgl. Birkinshaw et al. (2005), S. 228 sowie Paterson/Brock (2002) und Young (2004). Vgl. Strikwerda (2003), S. 39f.

EINFÜHRUNG

5

Antizipation und Reaktion auf lokale Veränderungen und Opportunitäten. Zweitens basiert die Dezentralisierung von Entscheidungsverantwortung auf ethischen Prinzipien, da sich im Management der Unternehmung bis zu einem gewissen Grad auch die Werthaltung des gesellschaftlichen Umfelds spiegeln sollte. Drittens erlaubt die Entscheidungsdelegation eine Weiterentwicklung der Führungskräfte, die Chancen und Gelegenheiten benötigen, um Erfahrungen zu sammeln und sich zu guten Führungspersönlichkeiten entwickeln zu können. Schließlich führt mehr Handlungs- und Entscheidungsautonomie zu einer Steigerung der Motivation, Zufriedenheit, Kreativität, Flexibilität, Produktivität und Leistungsbereitschaft sowie zu einem besseren physischen und psychischen Wohlbefinden von Mitarbeitern.28 Während bis dato hauptsächlich firmen- und länderspezifische Faktoren im Zusammenhang mit unternehmerischem Verhalten in etablierten Unternehmen untersucht wurden, oder einzelne Aspekte wie etwa kulturelle Einflüsse29, die Rolle von Tochtergesellschaften für die Wertschöpfung des gesamten Unternehmens, die Steigerung des Innovations- oder Leistungsoutputs30 im Gesamtunternehmen oder in einzelnen Einheiten sowie die Risikoneigung31 der Unternehmensmitglieder herausgegriffen wurden, fehlen Untersuchungen, die auf der Basis der unternehmerischen Einstellung bei Führungskräften deren Potenzial zu dezentraler Leadership sowie die sich daraus für das diversifizierte Unternehmen ergebenden Konsequenzen ermitteln. So schreibt Sathe, dass trotz der Bedeutung, die unternehmerisches Verhalten in großen, etablierten Unternehmen bis heute erlangt hat, es dennoch wenig empirische Befunde darüber gibt, wie Führungskräfte unternehmerischen Einfluss ausüben.32 Einige wissenschaftliche Studien wurden der Frage nach der strategischen Bedeutung der oberen und obersten Führungskräfte für ihre Unternehmen im Allgemeinen33 oder der Etablierung unternehmerischen Verhaltens im Speziellen34 gewidmet, welche die Annahme dieser Arbeit rechtfertigen, dass die unternehmerische Einstellung der Führungskräfte in den dezentralen Einheiten als zentraler Ausgangspunkt für die Entstehung, Verbreitung und Etablierung von dezentraler Leadership35 angesehen werden kann. Die Verknüpfung von strategischer

28 29 30 31 32 33

34 35

Vgl. u. a. Argote/McGrath (1993); Deci/Ryan (1987); Loher et al. (1985); Langer (1983). Vgl. Mueller/Thomas (2000); Trice/Beyer (1993). Vgl. Miller/Friesen (1982); Chang (2001); Kuratko et al. (2001); Michalski (2004). Vgl. Antoncic (2003). Vgl. Sathe (2003), S. 19. Vgl. hierzu die „Upper Echelons Theory“ von Hambrick/Mason (1984); Finkelstein/Hambrick (1996); Finkelstein/Hambrick (1990). Vgl. Morris/Paul (1987). „Dezentrale Leadership” wird ausführlich in Kapitel 4 definiert werden, allerdings soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Führungskräfte in Tochtergesellschaften dann dezentrale Leadership zeigen, wenn sie eine unternehmerische Einstellung besitzen sowie ein strategisches Denken entwickeln und infolgedessen eigeninitiativ, innovativ und bis zu einem gewissen Grad risikofreudig zum Wohl des gesamten Unternehmens handeln.

6

KAPITEL 1

Führungsverantwortung und einer unternehmerisch geprägten Einstellung wurde bisher vernachlässigt. Auch stellen Boal & Hooijberg fest, dass dem organisations- und umweltbezogenen Kontext, der für unternehmerische Initiativen eine hohe Bedeutung hat und in dem sich strategisches Führungsverhalten abspielt, bisher noch immer zu wenig Beachtung geschenkt worden ist.36 Bei der Etablierung einer unternehmerischen Kultur in einem diversifizierten Unternehmen, welche die Akteure aller hierarchischen Ebenen anspricht, kommt letztlich den Führungskräften eine entscheidende Verantwortung zu.37 Sie sind bestimmend für den nachhaltigen Erfolg des unternehmerischen Transformationsprozesses.

1.2

Zielsetzung

Unternehmerisches Denken und Handeln wird als ein potenzieller strategischer Pfad zur Erreichung und Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens betrachtet. Mitunter wird das Fehlen unternehmerischen Engagements in der heutigen schnelllebigen und komplexen Weltwirtschaft sogar als Rezept für unternehmerisches Versagen interpretiert.38 Die ganzheitliche Zusammenschau von Theorien und Ansätzen des Strategischen Managements, Leadership und (Corporate) Entrepreneurship zum besseren Verständnis von unternehmerischem Führungsverhalten und seinen möglichen Effekten für Unternehmen ist daher ein erstes Ziel dieser Arbeit. Mittlerweile ist unbestritten und durch zahlreiche empirische Untersuchungen bewiesen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen unternehmerischem Engagement und einer positiven Unternehmensentwicklung besteht.39 Allerdings stellten Reynolds et al. fest, dass die unternehmerische Orientierung deutscher, etablierter Unternehmen im internationalen Vergleich noch immer wenig ausgeprägt ist.40 Daher ist ein zweites Ziel dieser Arbeit, den Stellenwert, den unternehmerisches Führungsverhalten für Entscheidungsträger in Mutter- und Tochterunternehmungen von diversifizierten Unternehmungen hat, zu identifizieren.

36 37

38 39

40

Vgl. Boal/Hooijberg (2000), S. 516. Vgl. Wunderer (1999), der mit besonderem Fokus auf Personalmanager feststellte, dass letztere die Bedeutung ihrer aktiven Rolle bei der Etablierung einer unternehmerischen Kultur durchaus wahrnehmen. Vgl. Zahra (1999), S. 36ff. Zahlreiche Studien konnten Zusammenhänge zwischen Corporate Entrepreneurship-Aktivitäten und Wertsteigerung (vgl. Covin (1991)), Wachstum und Profitabilität (vgl. Zahra/Garvis (2000)), positive Entwicklung der Mitarbeiterzahl oder der Mitarbeiterzufriedenheit (vgl. Pearce et al. (1997)) feststellen. Reynolds et al. (2003), S. 13.

EINFÜHRUNG

7

„While reliable and valid measures have yet to be developed at the level of the individual, progress has been made at the organizational level“41. Zahlreiche Studien setzten sich vorrangig mit dem organisationalen Kontext bzw. den Einflüssen der externen Umwelt auseinander, es fehlen jedoch Erkenntnisse bezüglich der Wechselwirkung zwischen diesen externen Faktoren und der unternehmerischen Einstellung der obersten Führungskräfte in den dezentralen Unternehmenseinheiten. Letztere für die Untersuchung der Frage nach der unternehmerischen Prägung von Führungskräften auszuwählen, erscheint deshalb sinnvoll, weil Führungskräfte in Tochtergesellschaften quasi einem Unternehmen im Unternehmen voranstehen, das sich in einem spezifischen Wettbewerbsumfeld wiederfindet und ggf. über spezifische Kompetenzen verfügt. Eine unternehmerische Kultur, die von einer Führungsperson auf dezentraler Ebene vorgelebt wird, kann sich darüber hinaus in kleineren Unternehmenseinheiten besser entwickeln.42 Mit Hilfe der „Theorie des geplanten Verhaltens“ (TPB) sollen die Determinanten der Intention zu unternehmerischem Verhalten bestimmt, die unternehmerische Prädisposition der dezentralen Führungspersonen somit identifiziert und daraus deren Potenzial als unternehmerisch denkende und handelnde Führungskräfte im Sinne der dezentralen Leadership festgestellt werden. Das dritte Ziel dieser Arbeit ist daher die Überprüfung der Frage, ob die Führungskraft einer Tochtergesellschaft tatsächlich als zentrale Größe bei der Etablierung unternehmerischen Führungsverhaltens verstanden werden kann. Ferner sollen verschiedene, in früheren Studien bestätigte Einflussvariablen43 in die Untersuchung miteinbezogen werden. Diese Vorgehensweise trägt der Forderung nach einer ganzheitlicheren Konzeption und Messung von unternehmerischem Verhalten bzw. Führung in Tochtergesellschaften diversifizierter, multinational tätiger Unternehmen Rechnung.44 Daher lautet eine vierte zentrale Zielsetzung, aus der Sicht der befragten Führungskräfte die Voraussetzungen, Möglichkeiten und daraus ableitbaren Grenzen von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften ganzheitlich zu identifizieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen, welche den Entscheidungsträgern Anleitung und Hilfestellung sein sollen, wenn es darum geht, in ihren Unternehmen unternehmerisches Denken und Handeln zu etablieren. Die konkreten Forschungsfragen, die diese Arbeit beantworten möchte, lauten daher:

41 42 43

44

Morris/Kuratko (2002), S. 290. Vgl. Goshal/Bartlett (1998), S. 46ff. Einfluss auf unternehmerisches Führungsverhalten haben Faktoren im internen und externe Umfeld sowie persönlichkeitsbezogene Variablen. Vgl. die Forderung bei Birkinshaw et al. (2005), S. 246.

8

KAPITEL 1



Welche Faktoren beeinflussen maßgeblich die Absicht von Führungskräften auf dezentraler Ebene, sich im Sinne des dezentralen Leadership-Ansatzes strategischunternehmerisch zu verhalten?



Welche Rolle kommt den Akteuren in der Unternehmenszentrale sowie ihren dezentralen Einheiten bei der Etablierung von unternehmerischem Führungsverhalten im Unternehmen zu?



Wo liegen die Grenzen der Machbarkeit des Konzeptes „dezentrale Leadership“?

Die Beantwortung dieser Fragen wird durch eine theoriegeleitete, empirische Untersuchung erreicht. Die methodische Vorgehensweise wird im nachfolgenden Kapitel erläutert.

1.3

Methodisches Vorgehen

Basierend auf der Vielzahl wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse und unterschiedlicher Forschungsschwerpunkte zur Frage des unternehmerischen Handelns in etablierten Unternehmen möchte die vorliegende Arbeit zum besseren Verständnis des persönlichkeitsbezogenen Aspektes der strategisch-unternehmerischen Führung auf dezentraler Ebene beitragen. Dabei distanziert sich diese Arbeit bewusst von der Überbetonung persönlicher Eigenschaften von Führungskräften, deren Bedeutung zwar in den Eigenschaften-Ansätzen der Leadershipwie Entrepreneurship-Forschung herausgestellt wurde, die jedoch ohne gleichzeitige Berücksichtigung anderer Einflussvariablen nur eine geringe Aussagekraft haben.45 Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit eruiert werden, von welchen Faktoren die Absicht von Führungskräften, sich unternehmerisch zu verhalten, vorrangig abhängig ist. Mit Hilfe der sozialpsychologischen „Theorie des geplanten Verhaltens“ („Theory of Planned Behavior“46) sollen das Potenzial und die wesentlichen Bestimmungsfaktoren für eine risikofreudige, Initiativen ergreifende und nach innovativen Möglichkeiten suchende Einstellung und einem daraus resultierenden unternehmerischen Verhalten einer Führungsperson untersucht werden.

45

46

Northouse (1997, S. 30) ist in diesem Zusammenhang wie folgt zu zitieren: „In analyzing the traits of leaders, the approach has failed to take into account the impact of situations.” Morris & Kuratko (2002, S. 100) bemerken ebenfalls: “[E]ntrepreneurs are not born. The entrepreneurial potential is rich in every employee in a company, no matter what his or her background or position.” Fiedler (1996) meint weiters, dass es keine empirische Evidenz für ein spezifisches Leadership-Verhalten oder eine Führungspersönlichkeit gibt, sondern dass es darauf ankommt, wie Persönlichkeit, Fähigkeiten und das Verhalten des Führenden zur Situation passen, in der er handeln muss. Vgl. Ajzen (1991).

EINFÜHRUNG

1.3.1

9

FORSCHUNGSMODELL

Die Theorie des geplanten Verhaltens (TPB) gilt als eines der bekanntesten Modelle der sozialpsychologischen Verhaltensforschung und zählt zu den Modellen statistischer Natur.47 Die TPB ist prinzipiell als Ausgangspunkt für ein besseres Verständnis des menschlichen Verhaltens aufgrund vorangegangener kognitiver Wahrnehmungsprozesse zu sehen und ermöglicht so letztlich die Vorhersage und Erklärung menschlichen Verhaltens. Insofern liegen der Verhaltensabsicht und – daraus abgeleitet – dem tatsächlichen initiativen, risikofreudigen und unternehmerischen Führungsverhalten drei unterschiedlichen Komponenten zugrunde: Erstens „behavioral beliefs“, die Einschätzung der möglichen Wirkungen des eigenen (unternehmerischen) Verhaltens und deren anschließende Bewertung, zweitens „normative beliefs“, die Erwartungen anderer hinsichtlich der Auswirkungen und Konsequenzen dieses Verhaltens, und schließlich „control beliefs“, die Einschätzung der situativen und persönlichen Faktoren (z. B. in- und externe Faktoren, Gelegenheiten, Kompetenzen), die dieses Verhalten und seinen Erfolg begünstigen oder hemmen können. Die Theorie versucht auf der Basis individueller Einstellungen, d. h. aufgrund früherer Erfahrungen sowie der persönlichen Selbsteinschätzung, der Evaluation der sozialen Erwünschtheit als auch den kontextbezogenen Einflussfaktoren eine spezifische Verhaltensabsicht und schließlich das Verhalten selbst zu erklären.48 Mit Hilfe der TPB soll die Prädisposition von Führungskräften in Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen hinsichtlich des unternehmerischen Führungsverhaltens unter Berücksichtigung der verschiedenen Einflussfaktoren untersucht werden. Daraus sollen Ansatzpunkte aufgezeigt werden, welche es den Letztentscheidungsträgern erlauben, das Potenzial ihrer nachrangigen Führungskräfte festzustellen und dieses für das Unternehmen zu nutzen.

1.3.2

FORSCHUNGSDESIGN

Um ein fundiertes Verständnis über die situativen Bedingungen zu erhalten, denen sich Führungskräfte in Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen gegenübersehen, und die auf die Absicht, eine Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen, Einfluss haben, erscheint die Kombination eines qualitativ und quantitativ orientierten Vorgehens zielführend. Durch den Einbezug qualitativer Analyseelemente gewinnt die quantitative Erhebung an Offenheit für den Untersuchungsgegenstand, während qualitative Forschung durch die Verbin-

47

48

Nach Henning (1998) fassen die Modelle statistischer Natur relevante Einflussfaktoren (z. B. Einstellungen, soziale Normen, Werte, etc.) zu einer einzigen, mathematisch relativ einfach überprüfbaren Vorhersageregel zusammen und werden dabei allgemein der Verhaltensänderungsforschung zugeordnet. Vgl. Antoncic (2003).

10

KAPITEL 1

dung mit quantitativen Elementen an Transparenz und Stringenz gewinnt, und damit stärker intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar wird.49 In der vorliegenden Forschungsarbeit wurden Unternehmen so nach bestimmten Kriterien als Fallbeispiele ausgewählt (sog. „bewusste Auswahl“)50, mit deren Führungskräften auf der Ebene der Unternehmenszentrale Experteninterviews geführt wurden, um ein umfassenderes Verständnis über den Unternehmenskontext zu erhalten und Hypothesen aufstellen zu können. Den Einfluss dieser kontextbezogenen Faktoren auf die Bildung einer konkreten Absicht zu unternehmerischem Verhalten auf dezentraler Ebene gilt es zu bestimmen. Darauf basierend kann aus den in der Literatur bereits festgestellten Erkenntnissen über führungsspezifisches sowie unternehmerisches Verhalten ein standardisierter Fragebogen entwickelt werden, der zunächst in einem Pretest auf die „Probe“ gestellt wird, d. h. der Fragebogen wird auf seine Funktionsfähigkeit, seine Eignung für die spezifische Fragestellung und den reibungslosen Ablauf der Befragung überprüft. Danach wird der Fragebogen gegebenenfalls modifiziert und angepasst, um ihn schließlich im Rahmen der quantitativen Erhebung an die Führungskräfte in Tochtergesellschaften senden. Die Teilnehmer des Pretests werden dabei nicht in den endgültigen Datensatz aufgenommen.51 Schließlich werden die quantitativ gewonnenen Erkenntnisse nach ihrer Auswertung – insbesondere auch im Lichte der Erkenntnisse der qualitativen Interviews mit den Letztentscheidungsträgern in der Unternehmenszentrale – interpretiert, um daraus schließlich Handlungsempfehlungen für die Implementierung unternehmerischen Verhaltens in Tochtergesellschaften abgeben zu können. Die beschriebene Methodik ist dabei aus wissenschaftstheoretischer Sicht konstruktivistisch geprägt. Der Zugang zur Erfahrungswelt, d. h. der natürlichen und sozialen Umwelt sowie den Ereignissen und Aktivitäten, findet über die vom wahrnehmenden Subjekt konstruierten Begriffe und dem daraus gebildeten Wissen statt, welches interpretiert wird und somit das Verstehen ermöglicht.52 Da bei konstruktivistischen Ansätzen davon ausgegangen wird, dass „Organisation“ insbesondere in den Köpfen der Organisationsmitglieder stattfindet, d. h., dass Organisationen funktionieren, weil ihre Mitglieder bestimmte Vorstellungen haben, wie Organisationen funktionieren sollen,53 sind sozialwissenschaftliche Konstruktionen nach Schütz „Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld“54. Ausgehend von dieser Annahme besitzen Menschen in Organisatio-

49 50

51 52 53 54

Vgl. Mayring (2001), S. 11. Die bewusste Auswahl eignet sich nach Kromrey besonders bei hypothesen- bzw. theorietestenden Untersuchungen; vgl. Kromrey (2002), S. 271ff. Vgl. Bortz/Döring (2003). Vgl. Flick (2002), S. 155. Vgl. Kieser (2002). Schütz (1971), S. 68.

EINFÜHRUNG

11

nen relativ große Gestaltungsmöglichkeiten. Interessant ist daher die Frage, wie die Organisationsmitglieder – und dabei besonders die Führungskräfte der Zentrale sowie in den dezentralen Einheiten – die organisationalen Wirklichkeiten sehen und wie sie ihre Handlungen interpretieren. Es ist davon auszugehen, dass durch die Befragung der Führungskräfte deren Wahrnehmung auf den Untersuchungsgegenstand hin sensibilisiert wird. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass die betreffenden Unternehmensmitglieder durch die Befragung zu einer neuen Interpretation ihres organisationalen Handelns angeregt werden.55 Von den möglichen Richtungen konstruktivistischer, interpretativer Konzeptionen harmoniert die zentrale These des kognitiven Ansatzes, dass Individuen von subjektiven Theorien bzw. subjektiven Annahmen über Kausalitäten und Regeln gesteuert sind, am besten mit der Vorgehensweise in dieser Arbeit.56 Das Verhalten einer Person ist durch ihre Wahrnehmung und anschließende Interpretation beeinflusst. Diese Interpretationen und letztlich das (unternehmerische) Handeln beruhen auf subjektiven Theorien, die sich z. B. aus implizit vorhandenen Alltagstheorien, Routinen oder „causal maps“ zusammensetzen, die wiederum als Richtlinien dienen. Zusammenfassend wird die Integration der qualitativen und quantitativen Forschungsmethodik anhand von Abbildung 1 veranschaulicht. In Anlehnung an Mayring ist dieses Forschungsdesign als Vertiefungsmodell mit qualitativer Vorstudie zu bezeichnen.57

Ergebnisse Ergebnisse

qualitativ qualitativ

Methode

Fallstudien-orientierte, Fallstudien-orientierte, theoriegestützte theoriegestützte Vorstudie Vorstudie Zentrale

Pretest Pretest

quantitativ quantitativ

qualitativ qualitativ

Verallgemeinerung Verallgemeinerung Hauptstudie Hauptstudie an an großer großer Stichprobe Stichprobe Dezentrale Einheiten

Interpretation Interpretation Vertiefung Vertiefung anhand anhand Interviews Interviews Zentrale

Ergebnisse Ergebnisse

Erkenntnisziel

Abbildung 1:

Erarbeitung eines grundlegenden Verständnisses der dezentrale Leadership beeinflussenden Faktoren in diversifizierten Unternehme

Test des vorläufigen Fragebogens

Empirische Untersuchung mittels standardisiertem Fragebogen: Operationalisierung des Konstruktes „Dezentrale Leadership“ in diversifizierten Unternehmen

Beurteilung des verhaltenswissenschaftlichen Modells „TpB“ – Entwicklung eines Instruments zur Förderung von dezentraler Leadership

Integration qualitativer und quantitativer Elemente des Forschungsdesigns Quelle: eigene Darstellung.

55 56 57

Vgl. hierzu auch Gergen (1994). Vgl. Kieser (2002) zum kognitiven Ansatz konstruktivistischer Konzeptionen. Mayring (2001), S. 7.

12

KAPITEL 1

1.4

Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit besteht aus drei Teilen: dem einführenden Teil (Kapitel 1), dem Hauptteil, welcher in die theoretischen Ausführungen (Kapitel 2 bis 5) und die Darstellung der empirischen Untersuchung (Kapitel 6) gegliedert ist, sowie schließlich dem resümierenden Schlussteil (Kapitel 7). Die Struktur der Arbeit ist in Abbildung 2 (Seite 12) dargestellt.

Kapitel Kapitel 11

Einleitung Einleitung

Kapitel Kapitel 22

Situatives Situatives & & organisationales organisationales Umfeld Umfeld

Problemstellung Problemstellung Zielsetzung Zielsetzung Methodisches MethodischesVorgehen Vorgehen Aufbau Aufbauder derArbeit Arbeit

Einführender Teil

–– Darstellung Darstellung des desexternen, externen, situativen situativen Umfeld, Umfeld, sowie sowiedes des –– internes internesUmfeld Umfeld

Kapitel Kapitel 33

Leadership Leadership

–– Diskussion Diskussiontheoretischer theoretischer Führungskonzepte Führungskonzepte –– Thematisierung Thematisierung von von MachtMacht-& & Einflussverhältnisse Einflussverhältnisse –– Führungsverantwortung Führungsverantwortung

Kapitel Kapitel 44

Dezentrale Dezentrale Leadership Leadership

–– Integration Integration von vonführungsführungsspezifischem spezifischem & &unternehmerischem unternehmerischem Verhalten Verhalten –– Voraussetzungen, Voraussetzungen,MöglichMöglichkeiten keiten & &Grenzen Grenzen

Kapitel Kapitel 55

Theorie Theorie des des geplanten geplanten Verhaltens Verhaltens

Kapitel Kapitel 66

Empirische Empirische Exploration Exploration der der dezentralen dezentralen Leadership Leadership

Kapitel Kapitel 77

Zusammenfassung Zusammenfassung & & Implikationen Implikationen

Theorie Empirie

–– –– –– ––

Abbildung 2:

Hauptteil

–– Darstellung Darstellung der dersozialsozialpsychologischen, psychologischen,theoretischen theoretischen Grundlagen Grundlagen –– Adaption Adaptiondes desModells Modells –– Ableitung Ableitungder derHypothesen Hypothesen

–– Qualitative QualitativeErhebung Erhebung –– Quantitative QuantitativeErhebung Erhebung

–– Zusammenfassung Zusammenfassung –– Implikationen Implikationen –– Handlungsempfehlungen Handlungsempfehlungen

Schlussteil

Struktur der Dissertation Quelle: eigene Darstellung.

EINFÜHRUNG

13

Kapitel 1 – Einleitung – beinhaltet die Ausgangssituation und Problemstellung, erläutert die Zielsetzung sowie die zentralen und abgeleiteten Forschungsfragen dieser Arbeit. Darüber hinaus werden das methodische Vorgehen und die Struktur der Dissertation beschrieben. Kapitel 2 – Das organisationale und situative Umfeld – thematisiert all jene Faktoren, die unternehmerisches Denken und Handeln auf dezentraler Unternehmensebene beeinflussen (können): das externe Umfeld mit wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie interne, organisationsbezogene Faktoren. In Kapitel 3 werden Fragen zu Leadership behandelt, um im Hinblick auf das unternehmerische Führungsverhalten in dezentralen Einheiten ein umfassendes Verständnis von Führung zu erhalten. Ausgehend von der Definition von Leadership werden die verschiedenen etablierten Führungstheorien diskutiert und das Spannungsverhältnis von zentraler und dezentraler Führung in Unternehmen thematisiert. Ziel des dritten Kapitels ist es, das Forschungsinteresse dieser Arbeit, die Untersuchung von Führungspersönlichkeiten in Tochtergesellschaften im Hinblick auf ihr Potenzial zu dezentraler Leadership, zu legitimieren. Darauf aufbauend konzentrieren sich die Betrachtungen im vierten Kapitel – Dezentrale Leadership – zunächst auf unternehmerische Konzepte im organisationalen Kontext, um diese anschließend mit den relevanten Führungsaspekten zu integrieren. Daraus ergibt sich das Konzept der dezentralen Führung. Die Erörterung der Voraussetzungen, möglichen Effekte und Grenzen bei der Realisierung einer unternehmerischen Führung auf dezentraler Unternehmensebene dienen der weiteren Vertiefung des Konzeptes. In Kapitel 5 – Applikation der Theorie des geplanten Verhaltens – wird die sozialpsychologische Theorie präsentiert, kritisch gewürdigt und um die zentralen, potenziellen Einflussfaktoren im Hinblick auf die Frage nach dezentraler Leadership präzisiert. Das dabei entstehende Modell wird der empirischen Untersuchung zugrunde gelegt. Das fünfte Kapitel schließt damit den theoretisch-konzeptionellen Bezugsrahmen, welcher der empirischen Untersuchung zugrunde liegt. Kapitel 6 – Empirische Exploration der dezentralen Leadership – beinhaltet die empirischen Untersuchungen, die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommen wurden. Die empirische Untersuchung setzt sich aus einer qualitativen und einer quantitativen Teilstudie zusammen. Mit Hilfe statistischer Auswertungsprogramme werden die Daten analysiert und die daraus gewonnenen Ergebnisse vorgestellt und interpretiert. Das letzte Kapitel 7 – Zusammenfassung und Implikationen – rundet die vorliegende Arbeit ab, indem die Ergebnisse zusammengefasst und Handlungsempfehlungen für die Realisation von dezentraler Leadership in diversifizierten Unternehmen abgeleitet werden.

2 DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD Nichts ist beständig, außer dem Wandel. Heraklit

2.1

Einleitung

Das organisationale und situative Umfeld, in dem ein Unternehmen agiert, verändert sich rasanter denn je und ist insofern durch eine hohe Dynamik gekennzeichnet, die nicht zuletzt von den Wirtschaftsakteuren selbst verursacht wird. Diese Sichtweise geht einher mit den Kernpunkten des interpretativen Unternehmensführungsansatzes58, wonach Unternehmen aktiv Impulse in ihrem Handlungskontext setzen und diesen beeinflussen. Dabei wird die „Umwelt als kontinuierlicher Fluss vielfältiger, auch abrupt ablaufender Entwicklungen“59 verstanden, denen man nicht passiv begegnen kann, sondern die man proaktiv im Sinne der Unternehmensziele zu beeinflussen versuchen muss. Die Umwelt muss nach Macharzina sozusagen vom Top-Management „inszeniert“ werden. Um erfolgreich im Markt tätig sein zu können, ist es also vielfach nicht mehr möglich, zur Lösung von wirtschaftlichen Problemen auf traditionelle Regeln zurückzugreifen. Unternehmen müssen heute in der Lage sein, ihre Handlungen ohne größere zeitliche Verzögerungen an die sich ändernden Umfeldbedingungen anzupassen.60 So schreiben Morris & Kuratko: „[F]undamental assumptions about employees, products, control of resources, technologies, and markets have been challenged and in some cases discarded altogether”61. Der technologische Wandel beschleunigt sich, der Wettbewerb nimmt an Stärke und Aggressivität zu, die Fragmentierung der Märkte schreitet voran, Ressourcen verknappen sich, die Bedürfnisse der Kunden gestalten sich immer komplexer, die Anforderungen der Mitarbeiter verändern sich kontinuierlich und das wirtschaftliche Umfeld wird insgesamt nicht zuletzt durch die Globalisierung weniger beherrschbar. Daraus ist ablesbar, dass auf den heutigen Führungskräften hoher Druck lastet. Es ist kaum noch möglich, der Komplexität des wirtschaftlichen Umfeldes und (daraus resultierend) der komplexeren Geschäftstätigkeit des Unternehmens mit klassischen Management-Praktiken zu begegnen. Die Regeln haben sich geändert. Führungskräfte und Mitarbeiter sind gefordert, anpassungsfähig, flexibel, schnell, aggressiv und innovativ zu sein. Sie müssen – um es auf den Punkt zu bringen – in verstärktem Maße unternehmerisch denken und handeln.

58

59 60 61

Als Hauptvertreter des Interpretationsansatzes der Unternehmensführung sind Smircich (1983), Daft/Weick (1984) sowie Macharzina (1993) zu nennen. Vgl. hier und im Folgenden Macharzina (2003), S. 122f. Vgl. Geldmacher/Pawlowski (2000). Morris/Kuratko (2002), S. 3.

16

KAPITEL 2

Das vorliegende, zweite Kapitel stellt daher zunächst das unternehmensexterne Umfeld und im weiteren Verlauf die Eigenheiten von diversifizierten Unternehmen (i. e. das unternehmensinterne Umfeld) dar. In diesen beiden Sphären, dem Umfeld und der Organisation, ergeben sich sowohl Herausforderungen als auch Möglichkeiten, die von Organisationsmitgliedern großes Engagement verlangen, um geeignete Antworten für das Unternehmen zu finden. Gleichzeitig bilden diese beiden Sphären einen Rahmen, in dem sich unternehmerisches Handeln abspielt und Mitarbeiter und Führungskräfte zu „Unternehmern im Unternehmen“ entwickeln können. Abbildung 3 zeigt den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Umwelten, in denen eine Führungsperson auf dezentraler Ebene agiert, in vereinfachter Form:

Interne Umwelt

Po

Dezentraler Leader

Tochter en ch nd Ku logis no ch Te

Micro Level

Li ef er sc an hten re ch tli ch

Meso Level

Zentrale

lit i

Allgemeine & spezielle externe Umwelt

l rel ltu ku z zio en So urr nk Ko

Macro Level

In ter na Ök t io on na om l isc h

Marktorientierte Perspektive

Ressourcen- & Kompetenzorientierte Perspektive

Abbildung 3: Vereinfachte Darstellung des Zusammenhangs zwischen unternehmensinternen und -externen Umwelten Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Hodgetts/Kuratko (1988).

Es wird deutlich, welche Vorgänge im externen Umfeld Einfluss auf die Wahrnehmung der Organisationsmitglieder dahingehend nehmen können, dass die Notwendigkeit zu unternehmerischem Engagement entsteht („Macro level“). In den folgenden Abschnitten werden auch die verschiedenen Aspekte von diversifizierten Unternehmen dargelegt, um später aufzeigen zu können, dass das organisationale, interne Umfeld eines Unternehmens („Meso level“) gestaltet werden kann, so dass unternehmerisches Engagement durch die Führungskraft („Micro level“) möglich wird. Russell stellt in diesem Zusammenhang fest: „Entrepreneurial posture […] [is] influenced by environmental characteristics, the business and mission strategies of

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

17

the firm, and organizational variables such as resources and competencies, structure, culture, and top management values.“62

2.2

Das unternehmensexterne Umfeld

Unternehmen sind in ein Umfeld eingebettet, in dem sich immer neue Möglichkeiten, Anregungen und Herausforderungen ergeben, auf die das Unternehmen zu reagieren in der Lage sein sollte. Nicht selten ist von dynamischen Märkten die Rede, die bereits Teece et al. als „Schumpeterian world of innovation-based competition, price/performance rivalry, increasing returns, and the ‘creative destruction’ of existing competencies” bezeichnen.63 Ähnlich stellt Porter schon zu Beginn der 90er Jahre fest, dass Faktoren wie „the availability of resources and skills necessary for competitive advantage in an industry; the information that shapes what opportunities are perceived and the directions in which resources and skills are deployed; the goals of the owners, managers and employees that are involved in or carry out competition; and most importantly, the pressures on firms to invest and innovate”64 einen Kontext darstellen, in dem Unternehmen agieren und der auf die strategische Wahl eines Unternehmens allgemein und speziell auch in Tochtergesellschaften Einfluss ausüben kann.65 Das unternehmensexterne Umfeld muss dabei als ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Kräften gesehen werden, mit denen ein Unternehmen in einem mittelbaren oder unmittelbaren Einflussverhältnis steht. Porters Charakterisierung des Wettbewerbsumfeldes anhand von vier Faktoren kann dabei zur besseren Systematisierung herausgezogen werden (vgl. Abbildung 4, Seite 18):66 —

Faktorbedingungen, wie qualifiziertes Humankapital, physische, finanzielle und Wissensressourcen oder die Infrastruktur eines Landes, sind notwendig, bergen jedoch nur dann wirkliche Wettbewerbsvorteile, wenn die Ressourcen von herausragender Qualität und Relevanz für eine bestimmte Industrie sind.



Nachfragebedingungen stellen das Wesen der lokalen Nachfrage nach den Produkten und Dienstleistungen einer spezifischen Industrie dar. Die Zusammensetzung und der Charakter des lokalen Marktes haben einen überproportionalen Einfluss auf die Art und Weise, wie Unternehmen Kundenbedürfnisse wahrnehmen, interpretieren und diesen zu entsprechen versuchen. Je klarer Kunden ihre Bedürfnisse artikulieren und je fordernder

62 63 64 65 66

Russel (1999), S. 65. Teece et al. (1997), S. 509. Porter (1990b), S. 71. Vgl. Goshal/Nohria (1989); Jarillo/Martinez (1990); Porter (1989). Porter (1990a), S. 77ff.; Porter (1990b), S. 73ff.

18

KAPITEL 2

sie sind, desto größer ist der Druck auf ein Unternehmen, Innovationen hervorzubringen und desto eher kann es gelingen, gegenüber der Konkurrenz Wettbewerbsvorteile zu erzielen. —

Die Existenz bzw. das Fehlen von verwandten und unterstützenden Industrien, die international wettbewerbsfähig sind, ist eine dritte wichtige Determinante nationaler Wettbewerbsvorteile. Informationsaustausch und technologischer Transfer zwischen Unternehmen und ihren Zulieferern führen zu mehr Innovation.



Die Bedingungen in einer Volkswirtschaft, wie Unternehmen entstehen, geführt werden und untereinander konkurrieren, wird durch die Determinante „Unternehmensstrategie, Struktur und Rivalität“ wiedergegeben. Dabei ist entscheidend, dass Managementpraxis und Organisationsstrukturen zusammenpassen, so dass einerseits Individuen motiviert sind, sich weiterzuentwickeln und dass andererseits Unternehmen die Konkurrenz dazu nutzen, ihre Leistungen zu verbessern.

Diese vier Elemente beeinflussen sich gegenseitig und sind damit Teile eines interdependenten Systems. In diesem System spielen jedoch noch zwei weitere Faktoren eine Rolle: Zufall und Staat. Zufall stellt all jene Diskontinuitäten dar, die außerhalb des Einflussbereichs einer Unternehmung liegen. Der Staat kann indirekt (hemmend oder förderlich) auf das System einwirken und damit die Wettbewerbsfähigkeit einer Industrie maßgeblich beeinflussen, was in Kapitel 2.2.4 noch erläutert werden wird.

Zufall Unternehmensstrategie, Unternehmensstrategie, Struktur, Struktur, und und Rivalität Rivalität

Faktorbedingungen Faktorbedingungen

Nachfragebedingungen Nachfragebedingungen

Verwandte Verwandte und und unterstützende unterstützende Industrien Industrien Regierung

Abbildung 4:

Determinanten nationaler Wettbewerbsvorteile („Porters Diamant“) Quelle: Porter (1990b), S. 72.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

19

Eine etwas anders gelagerte, dennoch mit den Ausführungen Porters vereinbare, da z. T. deckungsgleiche Charakterisierung des externen Unternehmensumfelds findet sich bei Hodgetts & Kuratko. Sie unterscheiden zwischen einer technologischen, einer soziokulturellen, einer internationalen/globalen sowie einer politisch-gesetzlichen Sphäre, welche das Unternehmen unmittelbar beeinflussen.67 Diese sog. Umweltinfrastruktur wird nachfolgend in Anlehnung an die letztgenannten Autoren dargestellt und durch weitergehende Inhalte ergänzt.

2.2.1

TECHNOLOGISCHE UMWELT

Die technologische Umwelt ist für viele Unternehmen eine Schlüsselvariable im externen Umfeld. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich schnell wandelt und durch die technologischen Entwicklungen immer neue Standards setzt. Technologische Faktoren – wie etwa bio- und basistechnologische Entwicklungen, Informations- und Kommunikationstechnologien, Substitutionstechnologien, etc. – bieten die Möglichkeit, in gesättigten Märkten Marktanteile auszubauen und Wachstumsraten zu erzielen oder neue Märkte zu erobern.68 Unternehmen müssen technologisch in der Lage sein, angemessen auf die Veränderungen in der technischen Umwelt zu reagieren oder aber durch gezielte Suchmaßnahmen auch außerhalb des eigenen unmittelbaren Umfeldes Technologien aufzuspüren und an die eigenen Anwendungsbereiche anzupassen.69 Nur jene Unternehmen, denen es gelingt, mit Innovationen schneller als die Konkurrenz am Markt aufzutreten, werden Nutzen aus den neuesten technologischen Entwicklungen ziehen können.

2.2.2

INTERNATIONALE UMWELT

Der Wettbewerb ist längst nicht mehr nur auf einen lokalen Markt beschränkt, sondern er spielt sich mehr denn je auf internationalem Terrain ab. Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung verschärft sich der Wettbewerbsdruck vor allem auf Unternehmen, die global tätig sind. Dies betrifft nicht mehr nur große Konzerne, auch eine Vielzahl von klein- und mittelständischen Unternehmen agieren heute in ausländischen Märkten. Die Komplexität der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens erhöht sich dadurch, dass das Unternehmen mit unterschiedlichen Kulturen, Wirtschaftssystemen oder gesetzlichen und rechtlichen Bestimmungen umgehen muss, zwischen denen wiederum auch über nationale Grenzen hinweg zahlreiche Wechselwirkungen bestehen. So ist das unternehmerische Engagement eines international tätigen Unternehmens in einem bestimmten Land einerseits durch Vorgänge in anderen Volks-

67 68 69

Vgl. hier und im Folgenen Hodgetts/Kuratko (1988), S. 54ff. sowie Neugebauer (1997), S. 45f. Vgl. Sathe (2003), S. 50f. Vgl. Neugebauer (1997), S. 50.

20

KAPITEL 2

wirtschaften beeinflusst, andererseits kann das Engagement des betreffenden Unternehmens ebenfalls zu Veränderungen in anderen nationalen Märkten führen.70 Analog dazu schlägt Porter im Hinblick auf den internationalen Wettbewerb vor, den jeweiligen Wirtschaftszweig bzw. den Markt, in dem ein Unternehmen tätig ist und Wettbewerbsvorteile erzielen möchte, für die genauere Betrachtung heranzuziehen. Internationale Märkte können dabei recht unterschiedlich strukturiert sein: Unter länderspezifischen Märkten versteht Porter Wettbewerbsschauplätze, die relativ unabhängig und unbeeinflusst vom Wettbewerb in anderen Ländern sind, wodurch Unternehmen in der Lage sind, durch den Knowhow-Transfer von einem Land in ein anderes sowie durch die Anpassung an nationale Gegebenheiten recht schnell einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Gerade in länderspezifischen Branchen sollte den dezentralen Einheiten ein hohes Maß an Autonomie und Eigenständigkeit zugesprochen werden, damit letztere in der Lage sind, auf die Besonderheiten eines nationalen Marktes eingehen zu können. In globalen Branchen herrschen dagegen andere Regeln. Hier wird die Stellung eines Unternehmens im Wettbewerb maßgeblich von seiner Stellung in anderen Ländern beeinflusst. Wettbewerbsvorteile sind nur dann zu erzielen, wenn Gemeinsamkeiten der Länder durch global gesteuertes Agieren ausgenutzt werden können. In diesem Zusammenhang können vier strategischen Optionen unterschieden werden, die anhand der beiden Dimensionen „geographische Streubreite“ (Global-/ länderspezifische Strategie) und „wettbewerbspolitische Streubreite“ (viele/ wenige Marktsegmente) festgemacht werden: die Globalstrategie, die globale Segmentierung, die Strategie der geschützten Märkte sowie die länderspezifische Anpassung.71 Dabei hängt die Wahl für eine strategische Variante davon ab, in welchem Maße eine Anpassung an die speziellen Gegebenheiten und Geschäftspraktiken in einem Land möglich bzw. notwendig ist. Es ist darüber hinaus in einer Vielzahl von Branchen möglich, die verschiedenen Strategietypen nebeneinander zu verfolgen. Welche Aktivitäten eines Unternehmens zentral (durch die Globalstrategie) oder dezentral (durch die länderspezifische Strategie) gesteuert werden, hängt wesentlich von zwei Faktoren ab: der Konfiguration und der Koordination der internationalen Unternehmensaktivitäten. Ein Unternehmen muss dabei jede Wertschöpfungsaktivität gesondert betrachten und hinterfragen, welche Konfiguration bzw. Koordination die umfassendsten Wettbewerbsvorteile nach sich zieht.72 Bei der Konfiguration können bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten entweder an einem Standort konzentriert oder auf verschiedene Einheiten verstreut werden, sodass jeder Standort jede Aktivität ausführt. Auch die Koordination kann unterschiedlich ausgeprägt sein. 70 71 72

Vgl. hier und im Folgenden Porter (1989), S. 19ff. Vgl. ebenda, S. 51ff. für eine weiterführende Diskussion der vier Strategien. Vgl. ebenda, S. 26f. Wie später noch genauer ausgeführt wird, nimmt Goshal (1986), S. 369ff. eine ähnliche Unterscheidung vor, indem er einerseits von der weltweiten Integration bzw. der nationalen Differenzierung spricht.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

21

Das eine Ende des Kontinuums steht für die vollkommene Autonomie von Unternehmenseinheiten, das andere bedeutet die Vereinheitlichung von Aufgaben, Prozessen und Funktionen durch die konsequente Koordination durch die Zentrale. Sowohl bei der Konfiguration als auch bei der Koordination ist jedoch eine Vielzahl von Varianten jenseits der dargestellten Extreme denkbar. Es leuchtet jedoch ein, dass das Ausmaß an unternehmerischem Engagement von dezentralen Führungskräften davon in hohem Maße abhängig ist.

2.2.3

SOZIO-KULTURELLE UMWELT

Eine weitere externe Sphäre stellt das sozio-kulturelle Umfeld dar. Darunter sind im Allgemeinen gesellschaftliche Grundannahmen, Werte, Normen und Einstellungen sowie Überzeugungen von Einzelnen oder Gruppen zu verstehen, die in der Regel unter dem Begriff „Kultur“ subsumiert werden. Kultur ist vergangenheits-, gegenwarts- sowie zukunftsbezogen und daher sehr dynamisch. Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Geschäftstätigkeit von Unternehmen ist das kulturelle Umfeld neben der Unternehmens-, Branchen- oder diversen Sozialkulturen eine zentrale Einflussgröße auf das Verhalten in und von Unternehmen.73 Es existieren daher zahlreiche Ansätze, die sich mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Landeskulturen und damit dem sozio-kulturellen Umfeld von Unternehmen beschäftigten.74 Daneben spielen Wertvorstellungen bei der Betrachtung des sozio-kulturellen Umfeldes eine wichtige Rolle. Sie sind nicht stabil, sondern waren gerade in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Gesellschaft von einem tiefgreifenden Wertewandel75 gekennzeichnet, der sich insbesondere in einer Stärkung der Selbstentfaltungs-, Selbstbestimmungs- und Freizeitwerte manifestierte. Veränderte Verhaltensweisen und Wertvorstellung wirken sich nicht zuletzt auf die Vorstellung von der Funktion einer Unternehmung in der Gesellschaft sowie der Stellung des Menschen innerhalb einer Unternehmung, auf das Anspruchsdenken oder die Bedürfnisse der Kunden aus. Auch die Bevölkerungs- und Arbeitsmarktentwicklung birgt zunehmend größere Herausforderungen für Unternehmen.76 In letzter Konsequenz kann der sozio-kulturelle Wandel auch zu Spannungen im Unternehmen führen, weil die gesellschaftlichen Werte und Normen nicht mehr mit den in der Unternehmenskultur verankerten Werthaltungen in Einklang gebracht werden können.

73 74

75

76

Vgl. Kutschker/Schmid (2002). Vgl. hierzu beispielsweise Kluckhohn/Strodtbeck (1961); Hall (1966/1990); Hall/Hall (1990); Trompenaars (1993); Dülfer (2001); Hofstede (2001); Hofstede/Hofstede (2004). Eine ausführliche Darstellung des Wertewandels findet sich u. a. bei Klages (1983), Franz/Herbert (1987) oder Oesterdiekhoff/Jegelka (2001). Vgl. hierzu auch Kastura (1996), S. 18ff.

22

KAPITEL 2

2.2.4

POLITISCH-GESETZLICHE UMWELT

Das Unternehmen muss sich außerdem noch mit dem politisch-gesetzlichen Umfeld auseinandersetzen, das durch rechtliche Faktoren wie das Gesellschafts-, Arbeits-, Tarif-, Betriebsverfassungs- oder Unternehmensverfassungs- sowie Wettbewerbsrecht oder politischen Faktoren wie die Finanz-, Steuer- und Deregulierungspolitik sowie die Patentschutz- oder Umweltschutzgesetzgebung bestimmt ist.77 Sie üben direkten Einfluss auf die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens aus, da jegliches unternehmerisches Engagement rechtlichen Vorschriften und Bestimmungen unterliegt, die durch Legislative, Judikative und Exekutive bestimmt werden Obwohl durchaus auch ein wechselseitiges Verhältnis von einflussreichen Wirtschaftsakteuren und dem politisch-rechtlichen System existiert, da starke Interessensgruppen Lobbying betreiben können, folgen Unternehmen in der Regel eher den Veränderungen in dieser Umwelt, als dass sie diese antreiben.

2.2.5

ÖKONOMISCHE UMWELT

Im Gegensatz zu den genannten allgemeinen Umweltfaktoren sind der speziellen externen Umwelt jene Kräfte zuzuordnen, die insbesondere die ökonomische Sphäre bestimmen. Das wirtschaftliche Umfeld beeinflusst ein Unternehmen sowohl direkt (beispielsweise durch verändertes Kundenverhalten) als auch indirekt, indem nicht nur das Unternehmen betroffen ist, sondern auch Zulieferer Veränderungen im wirtschaftlichem Umfeld spüren. Nach Porter stellt das ökonomische Umfeld bzw. die Branche für Unternehmen den Kern der externen Umwelt dar. Die wichtigsten Triebkräfte innerhalb einer Branche bestimmen die Intensität des Wettbewerbs, die Rentabilität der Branche und schließlich das Verhalten der Unternehmen.78 —

77 78 79

Abnehmer sind ein bedeutender Faktor innerhalb des wirtschaftlichen Umfeldes, da sie durch ihre Anspruchshaltung auf die Höhe der Preise, die Qualität und Leistung eines Unternehmens Einfluss nehmen und damit auch auf das Verhältnis der Wettbewerber innerhalb der Branche einwirken können. Kunden können zu Konkurrenten werden, indem sie beginnen, das zuvor zugekaufte Produkt selbst zu produzieren. Auch bei der gemeinsamen Entwicklung von speziell für einen bestimmten Kunden zugeschnittenen Produkten kann dieser verhindern, dass das betreffende Produkt im größeren Stil vermarktet wird.79 Porter nennt eine Vielzahl von weiteren Ursachen für die Stärke der Abnehmer (z. B. Abnehmerkonzentration, geringer Differenzierungsgrad der Produkte, umfassend informierte Abnehmer, etc.), wobei es unerheblich ist, ob es sich bei den Vgl. hierzu Camphausen (2007), S. 33ff. Vgl. dazu sehr ausführlich Porter (1999), S. 33ff. Vgl. Sathe (2003), S. 42f.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

23

Abnehmern um Konsumenten oder industrielle Abnehmer handelt. Letztlich muss es dem Unternehmen um die im Vergleich zur Konkurrenz bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse gehen. —

Die Auseinandersetzung mit den Wettbewerbern ist ein weiteres Feld zur Identifikation von wirtschaftlichen Chancen. Dabei geht es vorrangig darum, die Marktleistungen und Innovationen der Konkurrenten auszumachen und wenn möglich, zu übertreffen.80 Auch der Markteintritt potentieller neuer Konkurrenten führt zu Neuerungen im Markt. Er schafft innerhalb der Branche neue Kapazitäten, führt mitunter zu sinkenden Preisen, steigenden Kosten und einer geringeren Rentabilität der etablierten Akteure. Wie „gefährlich“ der Markteintritt für die etablierten Wettbewerber ist, hängt vor allem von vorhandenen Markteintrittsbarrieren und der Reaktionsfähigkeit der etablieren Branchenakteure ab. Die Rivalität unter Wettbewerbern hat Auswirkungen auf alle Branchenakteure und zwingt sie, in irgendeiner Form auf die neuen Wettbewerbsbedingungen zu reagieren.



Substitutionsprodukte und -dienstleistungen erfüllen dieselbe Funktion wie die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens und existieren nicht nur innerhalb der eigenen Branche, sondern vor allem auch in anderen Branchen. Sie führen zu einer Begrenzung des maximalen Gewinnpotenzials innerhalb der Branche.



Vergleichbar mit den Abnehmern besitzen auch Lieferanten Verhandlungsstärke. Sie können einerseits damit drohen, Preise für Rohmaterialien, Maschinen, vorgefertigte Produkte oder Energie zu erhöhen bzw. deren Qualität zu senken, andererseits sind sie in der Lage, die Rentabilität der Branche zu drücken, wenn die etablierten Branchenakteure Kostensteigerungen nicht in ihren Preisen weitergeben können. Daher ist es für Unternehmen von großer strategischer Bedeutung, gegebenenfalls Lieferanten zu wechseln, wenn letztere das betreffende Unternehmen nicht mehr entsprechend mit Produkten und Leistungen versorgen können, um die eigenen Fertigungsprozesse nicht zu gefährden. Deshalb ergibt sich auch hier unternehmerisches Potenzial zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.

Letztlich muss das oberste Postulat eines Unternehmens sein, in diesen unterschiedlichen, höchst dynamischen Sphären gegenüber den Konkurrenten nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dazu ist es notwendig, permanent neue und innovative Antworten auf den Wandel in den verschiedenen Umwelten zu finden und die Entwicklung des Unternehmens entsprechend zu gestalten. So schreibt Kuhn, dass der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen das Ergebnis innengerichteter Effizienz („die Dinge richtig tun“) und außengerichteter Effek-

80

Vgl. Neugebauer (1997), S. 48.

24

KAPITEL 2

tivität („die richtigen Dinge tun“) ist.81 Im gegenwärtigen turbulenten unternehmensexternen Umfeld reicht es für den wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr aus, nur Kosten zu senken oder die Qualität der Produkte und Dienstleistungen zu erhöhen. „[C]ompanies have to tap into the creative power of their members. Ideas come from people. Innovation is a capability of the many“82. Das Ausmaß an unternehmerischem Verhalten in Tochtergesellschaften hängt nicht zuletzt davon ab, wie die externe Umwelt von den Führungskräften und Mitarbeitern wahrgenommen wird.83 Es werden Führungskräfte benötigt, die Wandel positiv bewerten, sich Herausforderungen stellen, Innovation als kontinuierliche Triebfeder in ihren Organisationen verstehen und die Bedeutung des lokalen Marktes als integralen Bestandteil der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen begreifen.84

2.2.6

ÖKOLOGISCHE UMWELT

Die ökologische oder natürliche Umwelt wurde zwar von Hodgetts & Kuratko nicht explizit behandelt, soll aber der Vollständigkeit halber an dieser Stelle Erwähnung finden, da sie ein Teilsystem der Unternehmensumwelt ist.85 Sie beschreibt die Gesamtzusammenhänge zwischen Natur und Umwelt und hat für ein Unternehmen unterschiedliche Funktionen. Sie liefert Inputs bzw. Ressourcen für Produktionsprozesse (Versorgungsfunktion), nimmt unerwünschte Outputs auf (Trägerfunktion) und erhält das ökologische System aufrecht (Regelungsfunktion). Ebenso wie die ökologische Umwelt so auf ein Unternehmen einwirkt, beeinflusst auch das Unternehmen durch sein Handeln dieses Teilsystem seines Umfeldes.

81

82 83 84 85

Vgl. Kuhn (2000), S. 9f. Auf seine Aussage wird nochmals im Rahmen der Charakterisierung von Leadership eingegangen. Brandt (1986). Vgl. Boyd et al. (1993); Covin/Slevin (1989); Zahra/Covin (1995); Miller (1983). Vgl. Porter (1990a), S. 93. Vgl. hier und im Folgenden Schmidt/Schwegler (2003), S. 48.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

2.3

25

Das unternehmensinterne Umfeld The internal environment operates like an immune system to isolate or expel “hostile” individuals who challenge current directions or established thinking. Michael E. Porter

2.3.1

DIE DIVERSIFIZIERTE, INTERNATIONAL TÄTIGE UNTERNEHMUNG

In der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in der US-amerikanischen und etwas später auch in der europäischen Wirtschaft mehrfach zu tiefgreifenden Veränderungen.86 Das Aufkommen neuer Telekommunikations- und Transportmöglichkeiten führte zu Innovationen im Produktions- und Distributionsbereich, welche einerseits die Ausnutzung von Kosteneffekten durch die Massenproduktion ermöglichten, andererseits auch eine Intensivierung der Kapitaleinsätze im Produktionsbereich nach sich zogen.87 Gerade diversifizierte Firmen verzeichneten größenund lernbedingte Effizienzvorteile („economies of scale“) und konnten die vorhandenen Ressourcen durch die Ausweitung ihres geschäftlichen Betätigungsfeldes zu ihren Gunsten ausnutzen („economies of scope“).88 Die genannten Produktions-, Distributions- und Marketingstrukturen mussten schließlich von der nationalen auf die internationale Ebene gehoben werden, um weiterhin Effizienzvorteile sichern zu können. Die Komplexität nahm zu und führte dazu, dass die diversifizierte Unternehmung, die über Jahrzehnte hinweg die Wettbewerbslandschaft in den großen Volkswirtschaften geprägt hatte, aufgrund einiger Misserfolge zunehmend ins Zentrum einer teilweise sehr kritischen Diskussion rückte. Um dieser Kritik überhaupt begegnen zu können, war es nach Chandler unerlässlich, fähige Manager für das Unternehmen zu gewinnen, welche in der Lage waren, die zunehmende Komplexität der Geschäftstätigkeit der diversifizierten Unternehmung zu beherrschen.89 Ausgehend von dieser Überlegung soll in den folgenden Kapiteln das besondere Umfeld der diversifizierten Unternehmung für ein unternehmerisch orientiertes Führungsverhalten genauer untersucht werden. Dazu muss die diversifizierte Unternehmung als sehr komplexes System90 verstanden werden, das über kognitive Strukturen verfügt, auf spezifische Zwecke aus-

86 87 88

89 90

Vgl. Mohren (1996), S. 24. Vgl. Best (1990), S. 29ff. Vgl. Friedrich/Hinterhuber (2000), S. 5. Auf eine detaillierte Bestimmung der beiden Begriffe „economies of scale“ sowie „economies of scope“ wird an dieser Stelle verzichtet. Es sei jedoch auf die entsprechenden Ausführungen in Baumol et al. (1988), S. 47ff. verwiesen. Vgl. Chandler (1977), S. 236. Vgl. Hinterhuber (2004a), S. 9.

26

KAPITEL 2

gerichtet ist, in dem die Arbeitsteilung geregelt ist und Unternehmensgrenzen definiert sind.91 Birkinshaw fasst die Unternehmung jedoch weiter und sieht in ihr keine monolithische Einheit mehr, sondern begreift sie als „network of relationships between subunits, groups, and individuals, which is in turn embedded in a wider network of relationships with customers, suppliers, competitors, and other entities”92. Das Verständnis von Organisation oder Unternehmung als Institution gibt, so Schreyögg, nicht nur „den Blick frei für die organisatorische Struktur, die formale Ordnung, sondern für das ganze soziale Gebilde, die geplante Ordnung und die ungeplanten Prozesse, die Funktionen aber auch die Dysfunktionen organisierter Arbeitsabläufe, die Entstehung und die Veränderung von Strukturen, die Ziele und ihre Widersprüche.“93 Die spezifischen Prozesse und Strukturen und die zentralen Merkmale der diversifizierten Unternehmung werden in den nachfolgenden Kapiteln beleuchtet, um zu einem späteren Zeitpunkt deren Bedeutung für unternehmerisches Führungsverhalten innerhalb dieses besonderen Organisationstyps diskutieren zu können. Dezentrale Führung wird vor dem Hintergrund einer international tätigen, diversifizierten Unternehmung besonders im Hinblick auf die höheren Anforderungen an die Informationsverarbeitung aus und der Reaktionsvermögen in unterschiedlichen Märkten und Standorten bedeutsam sein.94

2.3.1.1 2.3.1.1.1

Die Diversifikation von Unternehmen Definition, Einordnung und Abgrenzung von Diversifikation

Bereits in den 50er Jahren tauchte der Begriff „Diversifikation“ auf. Er setzt sich aus den beiden lateinischen Wörtern „diversus“ und „facere“ zusammen und bedeutet entsprechend „Verschiedenartiges tun“.95 Schüle versteht darunter „Veränderung“ oder „Vielfalt“ und hält fest, dass die Diversifikation eines Unternehmens mehrere Dimensionen hat (vgl. Abbildung 5, Seite 27):96 —

Märkte, die wiederum in Regionen bzw. Länder oder Kunden unterteilt werden können.



Produkte und Dienstleistungen



Ressourcen, die nach Kompetenzen, Rohstoffen, Technologien oder Absatzmärkte differenziert werden können.

91 92 93 94 95 96

Vgl. March/Simon (1958); Mayntz (1963). Birkinshaw (2002), S. 4. Schreyögg (2003), S. 11. Vgl. Jones/Butler (1992); Pol/Datta (2005). Vgl. Friedrich/Hinterhuber (2000), S. 5. Vgl. Schüle (1992), S. 7. Auf eine detaillierte Darstellung der einzelnen Definitionen wird an dieser Stelle verzichtet und auf die folgenden Autoren verwiesen: vgl. Ansoff (1965), S. 108ff.; Chandler (1963), S. 14; Rumelt (1986), S. 10ff.; Penrose (1980), S. 109f.; Andrews (1951), S. 91; Bühner (1985), S. 19.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

27

Regionen Regionen

Märkte Märkte

Bedarfe Bedarfe

Kunden Kunden Gruppen Gruppen

Diversifikation Diversifikation

… … … … Vertikale Vertikale Integration Integration

Produkte Produkte Rohstoffe Rohstoffe

Ressourcen Ressourcen

Technologie Technologie Absatzkanäle Absatzkanäle „Skills“ „Skills“ … …

Abbildung 5:

Dimensionen des Diversifikationsbegriffes Quelle: Schüle (1992), S. 7.

Dass keine einhellige Meinung darüber herrscht, was Diversifikation ist, zeigen die folgenden z. T. sehr unterschiedlichen Annäherungen an den Begriff. Andrews spricht von Diversifikation, wenn ein Unternehmen mehr als ein Produkt herstellt oder absetzt.97 Nach Gort kann ein Unternehmen dann als diversifiziert bezeichnet werden, wenn es in verschiedenen, heterogenen Märkten tätig ist, und wenn die dort angebotenen Produkte eine geringe Kreuzpreiselastizität98 der Nachfrage aufweisen.99 Ansoff stellt Produkt und Markt einander gegenüber und bringt durch diese Integration erstmals die Diversifikation mit strategischen Überlegungen eines Unternehmens in Verbindung.100 Aus der Integration der Markt- und Produktperspektive entwickelte Ansoff die Produkt-Markt-Matrix, aus der vier verschiedene Wachstumsstrategien – Marktdurchdringung, Markt- und Produktentwicklung sowie Diversifikation – ableitbar sind. Nach dieser Matrix verfolgt ein Unternehmen dann eine Diversifikationsstrategie, wenn es mit neuen Produkten neue Märkte bearbeitet. Ansoff ging davon aus, dass Produkte auf bestimmten Technologien basieren und Märkte durch bestimmte Kundengruppen charakterisiert sind, wie in Tabelle 1 deutlich wird. Einen

97 98

99 100

Vgl. Andrews (1951), S. 91. Die Kreuzpreiselastizität gibt die Reaktion der mengenmäßigen Nachfrage nach einem Gut x1 auf die Preisänderung eines anderen x2 an. Sind die Kreuzpreiselastizitäten positiv, spricht man von einem Substitutionsverhältnis, während ein Komplementärverhältnis vorliegt, wenn die Kreuzpreiselastizitäten negativ sind (vgl. Gabler (2001)). Vgl. Gort (1962), S. 8f. Vgl. hier und weiter Ansoff (1965), S. 114.

28

KAPITEL 2

vergleichbaren Ansatz vertritt Penrose, die von zwei „Spezialisierungsbereichen“101 spricht – den (Absatz-) Märkten einerseits sowie einer Produktions- und Technologiebasis andererseits – welche den größten Teil des Ressourcenbestandes eines Unternehmens ausmachen und so überhaupt erst die Grundlage für die Diversifikation des Produkt- und Leistungsprogramms eines Unternehmens bilden.102

neue Produkte Produkte

verwandte Technologie

nicht-verwandte Technologie

Kunden

Bedarfsmärkte

gleiche Kundengruppen

Horizontale Diversifikation

Eigenbedarf

Vertikale Diversifikation

ähnliche Kundengruppen

neue Kundengruppen

Tabelle 1:

markt- und technologieverwandte

marktverwandte

konzentrische Diversifikation

konzentrische Diversifikation

technologieverwandte

konzentrische Diversifikation

Konglomerate Diversifikation

Diversifikationsklassifikationen nach Ansoff Quelle: Ansoff (1965), S. 132.

Aus der oben dargestellten Matrix ergeben sich vier Diversifikationsklassifikationen: die horizontale, die vertikale, die konzentrische und die konglomerate Diversifikation. Eine horizontale Diversifikation liegt vor, wenn ein Unternehmen auf der gleichen Stufe seiner Wertschöpfungskette sog. Komplementärprodukte produziert, d. h. innerhalb seiner Industrie verwandte Geschäftsfelder integriert. Daneben ist auch eine horizontale Diversifikation außerhalb der angestammten Branche des Unternehmens denkbar.103 Wenn hingegen in vor- oder nachgelagerte Stufen der Wertschöpfungskette diversifiziert wird, spricht man von vertikaler Diversifikation bzw. Integration. Während die konzentrische Diversifikation durch marktund/ oder technologieverwandte Verknüpfungen der Produkt-Markt-Bereiche gekennzeichnet ist, spricht man von konglomerater bzw. lateraler104 Diversifikation, wenn keine Verbindun101 102 103 104

Vgl. Penrose (1980), S. 109. Vgl. ebenda, S. 84ff. Vgl. DeWit/Meyer (2004), S. 298. Vgl. Bühner (1985), S. 28.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

29

gen zwischen den vorhandenen und neuen Produkt-Markt-Bereichen bestehen. Trotz dieser scheinbar klaren Abgrenzung werden die Begriffe der einzelnen Diversifikationsklassifikationen inkonsistent verwendet. So ordnet Gebert die konzentrische Diversifikation bisweilen der horizontalen Diversifikation unter und spricht von vertikaler Diversifikation, wenn Teile des vertikal integrierten Leistungsprogramms auch außerhalb der diversifizierten Unternehmung abgesetzt werden.105 Ansoff unterschied darüber hinaus zwischen verwandten und nicht-verwandten Technologien, und prägte in der betriebswirtschaftlichen Literatur die beiden Termini „related diversification“ und „unrelated diversification“, wobei sich die beiden Begriffe dadurch unterscheiden, dass im Rahmen der verwandten Diversifikation ähnliche oder gleiche Ressourcen bzw. Technologien genutzt werden, während dies bei der nicht-verwandten Diversifikation nicht möglich ist.106 Neben der Einordnung im Hinblick auf die Richtung der Diversifikation kann aufgrund der Art und strategischen Orientierung der Diversifikation unterschieden werden. Durch internes Wachstum in Form des Einsatzes unternehmenseigener Ressourcen kommt es zur internen Diversifikation, wohingegen die Akquisition oder der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen zur externen Diversifikation führt. Datta et al. stellten dazu fest, dass beide Arten gleichermaßen in der Praxis vorzufinden sind, dass jedoch die externe Diversifikation mit einem höheren Risiko verbunden ist.107 Schließlich findet sich noch die Unterscheidung zwischen offensiver und defensiver Diversifikation. Ein Unternehmen diversifiziert sich offensiv, wenn es ausgehend von seinen Kompetenzen, Ressourcen und Fähigkeiten aktiv nach Möglichkeiten zur Diversifikation sucht. Die defensive Diversifikation steht für die Reaktion eines Unternehmens, welches aufgrund einer Verschlechterung eines seiner traditionellen Geschäftsfelder zurückzuführen ist und in einer Ausweitung der Geschäftstätigkeit auf andere Bereiche mündet.108 2.3.1.1.2

Ursachen der Diversifikation

Die Ursachen, die für die Entscheidung eines Unternehmens relevant sind, in einem oder mehreren Geschäftsfeldern tätig zu werden, sind vielfältig. Zunächst muss daher eine Unterscheidung zwischen exogenen und endogenen Faktoren vorgenommen werden. Die endogenen Faktoren stehen im Zusammenhang mit den in Kapitel 2.3.1.1.3 genannten Motiven. Sie basieren auf der Einschätzung, dass einzelne Funktionsbereiche eines Unternehmens nicht 105 106 107 108

Vgl. Gebert (1983), S. 25ff. sowie Schüle (1992), S. 11. Vgl. Schüle (1992), S. 11f. Vgl. Datta et al. (1991), S. 544f. Vgl. Bühner (1985) bzw. Sutton (1973).

30

KAPITEL 2

ausreichend ausgelastet sind und bestehende Ressourcen oder Kompetenzen, Wissen und Fähigkeiten für weitere Bereiche genutzt werden können. Exogene Faktoren wie Veränderungen im Umfeld einer Unternehmung, etwa die Änderung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, der technologische Fortschritt, Nachfrageänderungen und -schwankungen oder die Intensivierung des Wettbewerbs können in den Augen der Geschäftsleitung des betreffenden Unternehmens zu einer Minderung der Attraktivität einer und/oder mehrerer Geschäftsfelder führen und letztlich für die Entscheidung zur Diversifikation ausschlaggebend sein.109 2.3.1.1.3

Motive und Ziele der Diversifikation

In der Vergangenheit ließen viele Motive für die Diversifikation eines Unternehmens nicht immer einen unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Gesamtstrategie erkennen, sondern waren vielmehr Ausdruck einer Geisteshaltung, die zu dem Zeitpunkt vorherrschte, als man nach den Gründen für die Diversifikation fragte.110 Es existiert in der Literatur eine Reihe von Beweggründen, die für eine Diversifikationsstrategie sprechen. Mohren nennt einige dieser Motive, die entweder leistungs- oder finanzwirtschaftlichen Zielen dienen (vgl. Tabelle 2):111

Leistungswirtschaftliche Motive

Finanzwirtschaftliche Motive

— Wachstum

— Erhöhung der Rendite

— Effizientere Ausnutzung der Ressourcen

— Risikostreuung

— Ausnutzung von Synergiepotenzialen

— Reduktion der Gewinnschwankungen

— Bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse

— Bessere Nutzung von Finanzmarktmechanismen

Tabelle 2:

Diversifikationsmotive Quelle: eigene Darstellung nach Mohren (1996), S. 34.

Exemplarisch für all diese Diversifikationsmotive werden die Ziele „Wachstum“, „Risikostreuung“ und „Ausnutzung von Synergieeffekten“ genauer erläutert. Wachstum ist eines der vorrangigen Diversifikationsziele.112 Viele Wirtschaftswissenschaftler, unter ihnen Penrose und Ansoff, beschäftigten sich mit dem Thema Diversifikation im Zuge ihrer Betrachtungen des Wachstums von Unternehmen. Ansoff sieht in der Diversifikation eine Erweiterung des Leistungsspektrums durch die Herstellung neuer Produkte für bis109 110 111 112

Vgl. Schüle (1992), S. 14 und Gebert (1983), S. 51ff. Vgl. Reed/Luffmann (1986), S. 30. Vgl. Mohren (1996), S. 34. Vgl. Reed/Luffmann (1986), S. 34.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

31

her noch nicht bearbeitete Märkte. Da Unternehmen, die in gesättigten Märkten tätig sind, nurmehr sehr geringe Möglichkeiten haben, hohe Wachstumsraten zu erzielen, bleibt ihnen nur der Schritt in ein neues Geschäftsfeld, das im Idealfall einer noch jungen Branche zuzuordnen ist.113 In diesem Zusammenhang ist auch der Schritt in ausländische Märkte zu sehen, der Teil einer Wachstaumsstrategie sein kann und dabei mit dem Versuch verbunden ist, der zunehmenden Globalisierung und sich verstärkendem Wettbewerb zu begegnen. Allerdings scheint das Diversifikationsvorhaben nur dann erfolgreich zu sein, wenn die Stagnation des angestammten Geschäfts einer Unternehmung nicht auf interne Schwächen (z. B. Managementfehler oder ein nicht konkurrenzfähiges Produktportfolio) zurückzuführen ist. Für Penrose ist die perfekte Abstimmung der geschäftlichen Aktivitäten auf der Basis der Kompetenzen des Unternehmens und deren Anwendbarkeit auf andere Wettbewerbsfelder der Garant für den Erfolg einer Diversifikationsstrategie.114 Um das unternehmerische Risiko aufgrund von saisonalen, konjunkturellen oder strukturellen Schwankungen diverser Geschäftsaktivitäten auszugleichen oder zu minimieren, ist es sinnvoll, mindestens ein weiteres Standbein zu schaffen.115 Daher ist ein wichtiges (finanzwirtschaftlich orientiertes) Ziel der Diversifikation die Risikostreuung. Während saisonale Schwankungen meist mit der Art des Produktes einhergehen, daher eher vorhersehbar sind und durch ein weiteres Produkt, welches zeitlich versetzt nachgefragt wird, ausgeglichen werden kann, treffen konjunkturelle Schwankungen in der Regel nicht nur ein Unternehmen, sondern eine ganze Volkswirtschaft oder zumindest bestimmte Branchen. Bei strukturellen Nachfrageveränderungen durch ein sinkendes Realeinkommen nimmt die Nachfrage nach nicht lebensnotwendigen Gütern ab. Daher kann die Erweiterung der Geschäftstätigkeit hin zu Gütern des täglichen Bedarfs sinnvoll sein, um das Risiko struktureller Schwankungen zu verringern. Letztlich besteht die Möglichkeit, dass die Diversifikation zur Revitalisierung eines Unternehmens führt, indem dem typischen Verlauf des Unternehmens- oder Produktlebenszyklus entgegengewirkt wird. 116 Dadurch dass im Unternehmen vorhandene Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen effektiv ausgeschöpft oder neue Kompetenzen aufgebaut werden, können Synergieeffekte in den wesentlichen Funktionsbereichen eines Unternehmens – z. B. Management, Finanzierung, Marketing, Produktion, etc. – erzielt werden, was die Entscheidung zur Diversifikation in neue Geschäftsfelder durchaus rechtfertigt.117 Synergien im Management können durch die Nutzung spezifischer Erfahrungen und Fähigkeiten, aber auch durch den Einsatz von aufein113 114 115 116 117

Vgl. Löbler (1988), S. 24. Vgl. Penrose (1980). Vgl. Gebert (1983), S. 57. Vgl. Fey (1999), S. 25. Vgl. Ganz (1991), S. 72f.

32

KAPITEL 2

ander abgestimmten Informations- und Kontrollsystemen geschaffen werden.118 Finanzielle Synergien ergeben sich dadurch, dass Kapital intern effizienter verteilt werden kann („interner Kapitalmarkt“), oder dass die Abhängigkeit von Fremdkapital sinkt, weil ein Liquiditätsausgleich zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen vorgenommen werden kann.119 Die funktionalen Bereiche Produktion, Marketing sowie F&E bergen ebenfalls Potenzial für die Nutzung von Synergieeffekten. Aufgrund der oben beschriebenen möglichen Nachfrageschwankungen kann es zur Unterauslastung der Produktion eines Unternehmens kommen. Anstatt die Produktionskapazitäten abzubauen und zu riskieren, einer steigenden Nachfrage nicht mehr gerecht werden zu können, kann es sinnvoller sein, die Kapazitäten durch die Diversifikation in andere, mit der vorhandenen Infrastruktur produzierbare Produkte auszunutzen.120 Daneben ergeben sich auch im Bereich Marketing vielfach Möglichkeiten zur Diversifikation. Nicht ausgelastete Vertriebs- und Distributionskanäle oder aber das Markenimage können auf neue Produkte angewendet werden.121 Letzteres erlaubt – unter der Voraussetzung, dass das Hauptprodukt Wachstumspotenzial besitzt und daher keine Gefahr besteht, dass dessen Absatz gefährdet wird – beispielsweise die Ausweitung der Produktpalette und damit die Übertragung des Markenimages auf neue, mit dem ursprünglichen Produkt verwandte Erzeugnisse sowie auf Komplementärprodukte.122 Schließlich kann ein „wichtiger Impuls zur Diversifikation […] von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Unternehmens ausgehen“.123 Das technologische Know-how in einem Geschäftsfeld kann auch auf die Herstellung weiterer Produkte übertragen werden, was Differenzierungs- und Kostensenkungspotenziale in einzelnen Geschäftsbereichen schafft.124 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es in Unternehmen mitunter großes Potenzial zur Diversifikation gab und noch immer gibt. Die oben beschriebenen Ziele – Wachstum, Risikostreuung und die Ausnutzung von Synergieeffekten – können neben anderen Motiven erfolgversprechend verfolgt werden. Die Frage ist, welche Rolle unternehmerisches Verhalten für die Entwicklung einer diversifizierten Unternehmung spielt, gerade wenn diese – so die Annahme dieser Arbeit – auf internationaler Ebene agiert. In jedem Fall stellt die diversifizierte Unternehmung einen besonderen organisationalen Kontext dar, in dem sich unternehmerischen Denken und Handeln entwickelt.

118 119 120 121 122 123 124

Vgl. ebenda, S. 81. Vgl. Witte (1995), S. 66. Vgl. Fey (1999), S. 27. Vgl. Gebert (1983), S. 73; Witte (1995), S. 64. Vgl. Döhmen (1991), S. 190. Vgl. Fey (1999), S. 26. Vgl. Witte (1995), S. 61.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

2.3.1.2

33

Die diversifizierte Unternehmung als strategisch-konzeptioneller Rahmen

Die diversifizierte Unternehmung stellt in der Regel eine Konföderation von relativ selbständigen Unternehmen oder strategischen Geschäftseinheiten dar, die in unterschiedlichen Märkten agieren und/ oder mehrere Stufen der Wertschöpfung abdecken.125 Dabei ist nicht davon auszugehen, dass eine diversifizierte Unternehmung nur national tätig ist, sondern dass sie inter- bzw. multinational agiert.126 Von einem multinationalen Unternehmen (MNU) wird gesprochen, wenn sich die Geschäftstätigkeit in mindestens zwei Ländern abspielt und nicht nur auf eine Beschaffungs- und Absatzfunktion beschränkt, sondern insbesondere produzierende Funktionen im Ausland stattfinden. Darüber hinaus werden die „internationale Streuung des Aktienkapitals […] und die internationale Besetzung des Top-Managements […] als konstituierende Merkmale einer MNU bezeichnet“127. Darüber hinaus dienen Leistungsmerkmale, d. h. der prozentuale Anteil der im Ausland generierten Wertschöpfung (z. B. Gewinn, Umsatz, Direktinvestitionen, etc.), als Kriterium zur Feststellung der Internationalität einer Unternehmung. Auch findet häufig eine verhaltensorientierte, definitorische Annäherung statt, indem die internationale Orientierung des Top-Managements betrachtet wird.128 Aufgrund der Komplexität der Geschäftstätigkeit der diversifizierten Unternehmung kann letztere als dynamischer Organisationstypus beschrieben werden, der immer im Werden ist und dessen Grenzen sich laufend verschieben.129 Die integrierte Gesamtheit von Strukturen, Einstellungs-, Entscheidungs- und Handlungshilfen stellen die Funktionsfähigkeit eines Unternehmens sicher und sind zentrale Komponenten der Führung. Vision, Unternehmenspolitik, Strategien, Rahmenbedingungen, Organisation, Umsetzung und Unternehmenskultur werden in Anlehnung an Hinterhuber in den folgenden Abschnitten beleuchtet.130 Innerhalb dieses Bezugsrahmens wird die Betrachtung der Umsetzbarkeit von strategischem und unternehmerischem Handeln innerhalb einer diversifizierten Unternehmung und ihren dezentralen Einheiten möglich.131

125 126 127 128

129 130 131

Vgl. Hinterhuber et al. (2000a). Vgl. Ang (2007), S. 17ff. Welge (1980), S. 4. Vgl. Pol/Datta (2005) sowie Welge (1980). Welge sieht dabei die unterschiedlichen Merkmalsgruppen zur Charakterisierung bzw. Definition einer multinationalen Unternehmung durchaus kritisch. Hinterhuber (2004a), S. 195. Vgl. ebenda; Hinterhuber (2004b). Vgl. Ireland et al. (2001), S. 50 sowie Hitt et al. (2001b); Kuratko et al. (2001), S. 60ff.

34

KAPITEL 2

2.3.1.2.1

Die unternehmerische Vision

Die strategische Führung eines Unternehmens ist maßgeblich vom Vorhandensein einer Vision abhängig. Die obersten Führungskräfte müssen in der Lage sein, Fragen aufzuwerfen, Richtungen vorzugeben und Ziele zu formulieren. Ohne die Vergangenheit des Unternehmens aus den Augen zu verlieren, muss der Blick in die Zukunft gerichtet sein. Darüber hinaus müssen entsprechend den bestehenden oder sich schnell wandelnden Verhältnissen neue, innovative Wege aufgezeigt werden. Insofern ist eine Vision immer auch unternehmerisch geprägt. Sie setzt den Bezugsrahmen für engagiertes und damit unternehmerisch motiviertes Handeln aller Mitarbeiter und Führungskräfte. Innerhalb dieses Bezugsrahmens sind die Organisationsmitglieder imstande, Entwicklungen diesseits und jenseits des Unternehmens zu interpretieren und damit wirtschaftliche Möglichkeiten bzw. Herausforderungen zu entdecken. Gerade in turbulenten und unsicheren Zeiten muss eine Vision glaubwürdig und verständlich sein, damit sie Sicherheit vermittelt und Mitarbeiter wie Führungskräfte in die Lage versetzt, selbständig und proaktiv Entscheidungen im Interesse des Unternehmens zu treffen.132 So verstanden stellt die unternehmerische Vision eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von unternehmerischem Engagement dar, die sich auf alle Unternehmenseinheiten niederschlägt und damit auch dezentrale Leadership ermöglicht. Insbesondere den Letztentscheidungsträgern kommt bei der Entwicklung einer glaubwürdigen, unternehmerischen Vision besondere Bedeutung zu. Nur wenn sie persönlich die Vision einer unternehmerisch geprägten Organisation vorleben und entsprechend kommunizieren, kann das Unternehmen nachhaltig und langfristig erfolgreich in einer turbulenten Umwelt operieren und das Potenzial aller Organisationsmitglieder ausnutzen. 2.3.1.2.2

Die Unternehmenspolitik

Unmittelbar auf der unternehmerischen Vision aufbauend gestaltet sich die Unternehmenspolitik. Die Unternehmenspolitik repräsentiert die innere Einstellung der obersten Führungskräfte zu allen unternehmerischen Tätigkeiten und kann daher als Summe der im Unternehmen bestehenden Grundsätze und Verhaltensregeln verstanden werden. Sie bestimmen das Handeln der Organisationsmitglieder und verleihen der Unternehmung gleichzeitig nach außen ihr Profil. In der Unternehmenspolitik spiegeln sich Werte, Normen und Ideale wider, denen sich die Unternehmung verpflichtet hat, und sie gibt Einblick in ihre Bestrebungen und Ziele, beispielsweise bezüglich der Wahl der Strategie oder ihrer Verpflichtung gegenüber den Stakeholdern. Ähnlich wie die Vision muss auch die Unternehmenspolitik glaubwürdig sein und klar kommuniziert werden, wobei unternehmenspolitische Grundsätze entweder im Leitbild

132

Vgl. Hinterhuber (2004a), S. 83ff.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

35

(„mission“) des Unternehmens zu finden sind, oder aber mündlich weitergegeben werden. Im Unterschied zur Vision zeichnet sich die Politik eines Unternehmens durch stärker konkretisierte Vorgaben und Ziele aus, weshalb auch ein sehr enger Zusammenhang mit der strategischen Orientierung des Unternehmens vorliegt. Im Idealfall sind alle Organisationsmitglieder im Prozess der Entwicklung von unternehmenspolitischen Grundsätzen involviert, damit die Unternehmenspolitik Bestand hat.133 2.3.1.2.3

Die strategische Orientierung und Strategieentwicklung

Die Formulierung von Strategien ist – wie bereits angedeutet wurde – nicht ohne Einbezug der Unternehmenspolitik und der hierin entwickelten Ziele möglich.134 Wunderer versteht unter Strategie die systematische Verknüpfung wertfundierter Ziele mit dafür geeigneten Maßnahmen.135 Sie stellt sich als eine besonders komplexe Aufgabe heraus, da der strategische Handlungsspielraum und damit die Ableitung von spezifischen Strategien von verschiedenen Faktoren abhängen. Dazu gehören die Analyse von Umweltkomponenten (und dabei insbesondere die Konkurrenzsituation), die Identifizierung von Kompetenzen und Fähigkeiten des Unternehmens, die Entdeckung von Erfolg versprechenden Marktmöglichkeiten, welche dann wiederum mit den Werten und Normen sowie dem sozial-ethischen Anspruch des Unternehmens in Einklang gebracht werden müssen, und schließlich dem richtigen Timing. Das Wettbewerbsumfeld ist vor allem durch Wandel gekennzeichnet, der einerseits immer seltener vorhersagbar ist, auf den die Unternehmung andererseits jedoch angemessen reagieren muss. Ihre Führungskräfte tun dies, indem Sie auf der Basis der „dominant logic“136 bzw. der strategischen Orientierung der Unternehmung spezifische Strategien ableiten. Der Prozess der Strategieentwicklung und -formulierung ist äußerst vielschichtig, da Strategien auf unterschiedlichen Ebenen formuliert werden, etwa auf der Gesamtunternehmensebene, auf der Ebene der strategischen Geschäftseinheiten sowie auf Netzwerkebene.137 Die wird nachfolgend erläutert: 2.3.1.2.3.1

Strategie auf Gesamtunternehmensebene

Grundsätzlich muss es das oberste Ziel der Unternehmensstrategie sein, das Portfolio von strategischen Geschäftseinheiten und Tochtergesellschaften so zu gestalten, dass der Gesamt-

133 134 135 136 137

Vgl. ebenda, S. 44ff. Vgl. Ulrich/Fluri (1992), S. 114. Vgl. Wunderer (2006), S. 195. Vgl. Bettis/Prahalad (1995), S. 5ff. Vgl. Hinterhuber (2004a), S. 111ff.; DeWit/Meyer (2004), S. 227ff. sowie Steinmann/Schreyögg (2002), S. 154f.

36

KAPITEL 2

wert der Unternehmung größer ist als die Summe ihrer Einzelteile. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich mit einer steigenden Zahl von Geschäftsfeldern die strategische Ausrichtung des Unternehmens verbreitert und sich dadurch die strategische Bedeutung von bestimmten Bereichen zugunsten anderer Geschäftsfelder verlagern kann.138 Hinterhuber et al. stellen fest, dass die Herausforderung der obersten Führungskräfte darin liegt, zwei diametral verschiedenen Erfordernissen gerecht zu werden, nämlich einerseits der Fülle von Entscheidungen, die an verschiedenen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Menschen getroffen werden auf eine bestimmte Zielposition auszurichten und dabei andererseits allen Entscheidungsträgern ausreichend Flexibilität und den größtmöglichen Handlungsspielraum zu gewähren.139 Diese Überlegung ist im Zusammenhang mit der von Morris & Kuratko vorgeschlagenen „strategy for entrepreneurship“ zu sehen. Damit ist die Entwicklung einer Strategie gemeint, die auf die Etablierung unternehmerischer Aktivitäten abzielt. Im Gegensatz dazu ist es allerdings auch möglich, so die Autoren, die Kernstrategie des Unternehmens mit mehr Kreativität und unternehmerischem Denken zu versehen („entrepreneurial strategy“). Trotz ihrer Ähnlichkeit unterscheiden sich die beiden Strategien. Während die unternehmerisch geprägte Kernstrategie durch eine eher externe, markt- und kundenbezogene Orientierung charakterisiert ist, zielt die Strategie zur Implementierung von Unternehmertum auf interne Fragen ab, etwa wodurch und wo Innovationen und Ideen entstehen und wie diese gefördert werden sollen.140 Definiert man Strategie als die grundsätzliche, langfristige Verhaltensweise einer Unternehmung und relevanter Teilbereiche gegenüber der Umwelt zur Verwirklichung der langfristigen Ziele, so spiegeln sich auch hier wiederum die Umweltkomponente sowie die Ausrichtung auf unterschiedliche Organisationsebenen wieder: „Corporate strategy is the pattern of decisions in a company that determines and reveals its objectives, purposes, or goals, produces the principal policies and plans for achieving those goals, and defines the range of business the company is to pursue, the kind of economic and human organization it is or intends to be, and the nature of the economic and noneconomic contribution it intends to make to its shareholders, employees, customers and communities.”141 Auf den Punkt gebracht betrifft die Strategie also den Tätigkeitsbereich der Unternehmung sowie das Ausmaß ihrer Beziehungen mit der Umwelt, ihre Ressourcen und die damit verbundenen Fähigkeiten zur Erreichung der strategischen Ziele, die Wettbewerbsvorteile der Unternehmung, und schließlich

138 139 140 141

Vgl. DeWit/Meyer (2004), S. 298f. Vgl. Hinterhuber et al. (2000b), S. 21. Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 154ff. Andrews (2004), S. 71.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

37

die Synergie, die durch die strategischen Entscheidungen entsteht.142 Wenn es dem Unternehmen gelingt, die Fähigkeit des Innovierens als Kernkompetenz auf allen Ebenen des Unternehmens zu entwickeln, können Wettbewerbsvorteile erzielt und nachhaltig verteidigt werden.143 Eine Strategie, welche eine solche unternehmerische und innovative Orientierung hat, ist dann tatsächlich als „Weg von der Kernkompetenz zum Kernauftrag“144 zu interpretieren, da das Unternehmen eine klare, zukunftsorientierte Ausrichtung hat, mit der es sich im heutigen globalen Umfeld positionieren kann. Ausgehend von dieser Überlegung muss die Strategieentwicklung auf Unternehmensebene vor allem darauf abzielen, auf der Basis der Kernkompetenzen das Unternehmensportfolio so zu gestalten und die Einzelgeschäfte so zu lenken, dass der Wert des Gesamtunternehmens auch langfristig gesteigert werden kann.145 Eine Analyse von 50 stark diversifizierten Unternehmen ergab, dass deren Erfolg auf drei Faktoren zurückzuführen war: —

Jedes der als erfolgreich befundenen Unternehmen hatte seine Geschäftstätigkeit einer bestimmten strategischen Logik unterworfen, um die Komplexität des Managements dieser Geschäftsfelder zu reduzieren.146 Das Geschäftsportfolio einer solchen diversifizierten Unternehmung konnte somit im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der bearbeiteten Märkte äußerst heterogen sein und dennoch große Gemeinsamkeiten bei strategischen und operativen Managementanforderungen aufweisen. Entscheidend für den Erfolg war daher lediglich die Identifikation der strategischen Logik der bestehenden Geschäftsfelder.



Ein zweites Erfolgskriterium war die ausdrückliche und konsequente Wertorientierung, die sich insbesondere in der Investitionspolitik der betreffenden Unternehmen wiederspiegelte. Nur jene Unternehmenseinheiten erhielten demzufolge finanzielle Mittel, denen es gelang, eine Kapitalverzinsung zu erreichen, die über den Kapitalkosten lag. Um dieser expliziten Leistungsorientierung Nachdruck zu verleihen, wurde aus den in Bezug auf die Kapitalverzinsung weniger erfolgreichen Geschäftseinheiten konsequent Kapital abgezogen, was letztlich in der Schließung dieser Einheiten resultierte.



Das dritte Erfolgsmerkmal stark diversifizierter Unternehmen war die Verabschiedung vom Argument der Ausnutzung von Synergieeffekten über die verschiedenen Ge-

142 143

144 145 146

Vgl. Gabler (2001). Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 157 sowie insbesondere Prahalad/Hamel (1990), S. 79ff zur Möglichkeit der Entwicklung spezifischer Fähigkeiten auf Gesamtunternehmensebene als auch auf Ebene der Geschäftseinheiten. Vgl. dazu beispielsweise Hinterhuber (2004a), S. 143. Vgl. hier und im Folgenden Hungenberg (2003), S. 7ff. Vgl. Bettis/Prahalad (1995), S. 5ff.; Grant (1988), S. 639ff.

38

KAPITEL 2

schäftsfelder hinweg. Stattdessen wurde eine Dezentralisierung der Führungsverantwortung herbeigeführt, die sich darin manifestierte, dass Führungskräfte in dezentralen Einheiten dort weitestgehend autonom agierten, wo sich für die Unternehmenszentrale keine Möglichkeit zeigte, wertsteigernd in die Aktivitäten der Einheiten einzugreifen. Die gesamte strategische und operative Führung der jeweiligen Geschäftseinheit lag damit in den Händen der genannten Entscheidungsträger. Die Frage, die im strategischen Management bis heute nicht eindeutig beantwortet werden kann, dreht sich um die richtige Konfiguration von Unternehmen. Soll die Ausnutzung von Synergieeffekten über alle Einheiten hinweg – wie sie beim Ansatz der integrierten Unternehmung verfolgt wird – über die im Portfolio-Ansatz geforderte Möglichkeit der verteilten Zuständigkeiten einzelner Einheiten gestellt werden? Es wurde in den vorangegangenen Kapiteln bereits festgestellt, dass diversifizierte Unternehmen in aller Regel in mehreren strategischen Geschäftsfeldern mit spezifischen Anforderungen tätig sind, was letztlich die strategische Ausrichtung der dezentralen Einheiten bestimmt. Jenseits der Argumentation in dieser Arbeit im Sinne einer Dezentralisierung von unternehmerischer Führungsverantwortung kann der Spagat zwischen Differenzierung und Integration von verschiedenen Geschäftsfeldern nach DeWit & Meyer grundsätzlich auch auf andere Weise gelingen. Während Zentralisierungstendenzen dazu führen, dass Ressourcen und Aktivitäten organisatorisch an einem neuralgischen Punkt innerhalb der Unternehmung, der nicht notwendigerweise die Zentrale sein muss, zusammengefasst werden, führt Koordination zwischen den einzelnen Unternehmenseinheiten zur Orchestrierung von Ressourcen, Fähigkeiten und Produkten, so dass diese auch dann für jede einzelne Einheit zugänglich sind, wenn die Ressourcen und Fähigkeiten de facto irgendwo anders im Unternehmen lokalisiert sind. Schließlich kann eine Integration der verschiedenen Einheiten durch Standardisierung erreicht werden, indem die verschiedenen Ressourcen, Aktivitäten und Produkte anhand einiger zentraler Merkmale zusammengefasst werden, ohne dass letztere zentral gesteuert oder koordiniert werden müssen. Zum Gelingen der Integration von verschiedenen Geschäftsbereichen tragen diverse Kontrollmechanismen (z. B. finanzorientierte, strategische oder planerische Kontrollen) sowie die auf persönlichen Beziehungen und gegenseitigem Vertrauen basierende Kooperation zwischen den einzelnen Einheiten bei.147 Die Entscheidung für eine der beiden großen Strategien auf Ebene der Gesamtunternehmung – Synergie in allen Bereichen versus lokale Zuständigkeit einzelner Bereiche – muss im Hinblick auf den Fokus dieser Arbeit eindeutig zugunsten der Verantwortlichkeit der einzelnen Einheiten getroffen werden, um den Führungskräften vor Ort die Möglichkeit einzuräumen,

147

Vgl. DeWit/Meyer (2004), S. 300f.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

39

eigenverantwortlich unternehmerisch zu handeln. Daher wird in den folgenden Absätzen die Strategieentwicklung auf dezentraler Ebene diskutiert. 2.3.1.2.3.2

Strategie auf dezentraler Ebene

Der Strategie auf Gesamtunternehmensebene ist die Strategieentwicklung auf Ebene der strategischen Geschäftseinheiten und Tochtergesellschaften gegenübergestellt. Betrachtet man die dezentralen Einheiten als „Miniaturausgaben“ der Gesamtunternehmung, so leuchtet ein, dass die Strategieentwicklung ähnlich verläuft, jedoch nicht unabhängig ist, sondern immer in den kognitiven Kontext der diversifizierten Unternehmung passen muss. Die Strategien der dezentralen Einheiten sind grundsätzlich spezifischer, insofern als sie in Einklang mit der speziellen Marktaufgabe der Einheit stehen müssen, sich auf bestimmte Wettbewerber konzentrieren und im Idealfall mit klar abgrenzbaren Kombinationen aus Abnehmergruppen und -funktionen sowie Technologien zu tun haben. Die Profile der strategischen Einheiten sind dabei jedoch nicht unumstößlich determiniert, sondern werden bisweilen in Abhängigkeit vom unternehmerischen Engagement unter Einbezug der Kernkompetenzen, der Strategien der Gesamtunternehmung sowie der externen Umweltfaktoren neu festgelegt.148 Das vorrangige Ziel aller strategischen Überlegungen ist es, die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Die Nachhaltigkeit von Wettbewerbsvorteilen ist dabei von den Vorgängen im externen Umfeld abhängig, an welches sich ein Unternehmen anpassen können muss. Dabei ist zu beachten, dass marktspezifische Veränderungen sowohl nur einen lokalen Markt betreffen, als auch globalen Charakter aufweisen können. Entsprechend muss es dem Unternehmen bzw. seinen dezentralen Einheiten gelingen, mit Hilfe des Aufbaus und des wirksamen Einsatzes seiner Kernkompetenzen auf allen Ebenen diese Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Treacy & Wiersema nennen für die Ebene der einzelnen Geschäftseinheiten drei grundlegende Strategien zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen:149 Ihre „operational excellence“ steht für eine effiziente, kostenminimierende Produktion, ihr „product leadership“ zielt auf hochqualitative, innovationsorientierte, vielfältige Produktlösungen ab, wohingegen die „customer intimacy“ das enge Verhältnis mit den Kunden beschreibt, deren Wünsche und Bedürfnisse maßgeschneidert erfüllt werden. Bei diesen drei Strategien und allen ihren Mischformen geht es letztlich nur darum, Einzigartigkeit zu erreichen und diese auch auf lange Sicht gegenüber Konkurrenten sowie anderen Einheiten zu verteidigen. Folglich ist dieser Ansatz stark an die ressourcen- bzw. kompetenzorientierte Perspektive angelehnt, wonach ein Unternehmen durch seine tangiblen und intangiblen Ressourcen Wettbewerbsvorteile erzielen

148 149

Vgl. Hinterhuber (2004a), S. 150. Vgl. Treacy/Wiersema (1995).

40

KAPITEL 2

kann, sobald das Portfolio an Kompetenzen sich von jenem der Konkurrenz bzw. der anderen Einheiten abhebt.150 DeWit & Meyer bringen die beiden entgegengesetzten Perspektiven auf den Punkt (vgl. Tabelle 3). Diese Gegenüberstellung fasst nochmals zusammen, dass innovatives unternehmerisches Engagement insbesondere in dezentralen Einheiten sowohl auf Chancen im externen Umfeld als auch auf der Basis individueller Kompetenzen gründen kann.

„Outside-In“ Perspektive

„Inside-out“ Perspektive

Betonung auf

Markt

Ressourcen

Orientierung

Externes Potenzial (wirtschaftliche Möglichkeiten)

Internes Potenzial (Kompetenzen und Ressourcen)

Ausgangspunkt

Nachfrage und Branchenstruktur

Ressourcenausstattung und unternehmerische Aktivitäten

Passung durch

Anpassung an externes Umfeld

Anpassung des externes Umfelds

Strategischer Fokus

Vorteilhafte Positionierung

Entwicklung spezifischer Ressourcen

Strategische Vorgehensweise

Externe Positionierung

Bildung einer Ressourcenbasis

Taktische Vorgehensweise

Akquisition von Ressourcen

Externe Positionierung

Wettbewerbsstärke durch

Verhandlungsstärke

Überlegenheit der Ressourcen

Tabelle 3:

“Outside-in”- versus “Inside-out”-Perspektive Quelle: adaptiert nach DeWit/Meyer (2004), S. 255.

2.3.1.2.3.3

Strategie auf Netzwerkebene

Um aus der Situation, in der sich diversifizierte, multinational operierende Unternehmen befinden, den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, indem interne Fähigkeiten und Ressourcen entsprechend den Erfordernissen des dynamischen Umfelds so flexibel wie möglich angewendet werden, ist es wichtig, dass dieses tangible und intangible Kapital allen Einheiten des gesamten Unternehmens grundsätzlich zugänglich ist. Vor diesem Hintergrund kommt die Netzwerkebene ins Spiel, wobei Netzwerkaktivitäten sich immer im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz abspielen. Insofern stellt die Netzwerkstrategie „die höchste Ebene der

150

Tangible Ressourcen sind physisch greifbar, sozusagen die Hardware eines Unternehmens. Intangible Ressourcen hingegen sind nicht greifbar, sondern existieren in den Menschen, beispielsweise in Beziehungen, der Reputation („relational resources“) oder aber als Fähigkeiten, Wissen und Einstellungen („competences“). Vgl. hierzu DeWit/Meyer (2004), S. 242f. sowie Durand (1996).

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

41

Strategie“151 dar. Um erfolgreiches Mitglied innerhalb eines Netzwerkes zu sein, ist es entscheidend, dass die Führungsriege einer Unternehmenseinheit ihre Kernkompetenzen kennt und ihre Netzwerkpartner so wählt, dass auf den Kernkompetenzen aufbauende Aktivitäten effizient, fokussiert und symbiotisch verwirklicht werden können.152 Grundsätzlich sind sowohl inter- als auch intra-organisationale Netzwerke denkbar, da das Unternehmen bzw. seine dezentralen Einheiten sowohl mit anderen Unternehmen konkurrieren bzw. kooperieren kann, ebenso wie dezentrale Einheiten intern zusammenarbeiten und miteinander im Wettbewerb stehen. Wirtschaftliche Chancen zu erkennen und zu realisieren ist bei beiden Netzwerkausprägungen sowie im Rahmen von Kooperation oder Konkurrenz möglich. Birkinshaw plädiert für das Modell des „internen Marktes“ als Sonderform des intraorganisationalen Netzwerkes. Gerade im Hinblick auf den dezentralen Leadership-Ansatz erscheint das interne Marktprinzip im Vergleich zum Hierarchieprinzip zielführend zu sein, da unternehmerische Initiativen auf Ideen, Kapital und Talente angewiesen sind.153 Dabei zeichnet sich ein interner Markt durch vier Charakteristika aus, die unternehmerische Initiativen in den Tochtergesellschaften von diversifizierten Unternehmen unterstützen: 154 —

Aus strategischer Sicht werden Wettbewerbsvorteile auf Gesamtunternehmensebene generiert, jedoch nur durch das Zusammenwirken verschiedener Fähigkeiten und Marktbeziehungen auf der Ebene der dezentralen Einheiten erreicht.



Ferner besteht nach Birkinshaw zunehmend interne Konkurrenz zwischen den dezentralen Einheiten, und zwar insbesondere um exklusive Verantwortlichkeit (beispielsweise bei Produktion, Forschung und Entwicklung, etc.) sowie um Kunden.



Dezentrale Einheiten in ihren lokalen Märkten bemühen sich aktiv um Verantwortung für strategisch bedeutende Aktivitäten oder wichtige Märkte, die ihnen von der Zentrale zugesprochen werden.



Das Modell des internen Marktes basiert auf dem Bild der Tochtergesellschaft als Komposition aus Ressourcen und Fähigkeiten in einem ganz spezifischen Wettbewerbsumfeld.

Es wurde deutlich, dass zur Umsetzung von Strategien auf allen Ebenen strukturelle Rahmenbedingungen gegeben sein müssen („strategy influences structure“155). Die verschiedenen, möglichen Organisationsstrukturen von multinationalen Unternehmen werden im nachfolgen-

151 152 153 154 155

Hinterhuber (2004a), S. 47. Vgl. ebenda. Vgl. Franke (2004), S. 5f. Vgl. Birkinshaw (2000), S. 110ff. Hodgetts/Kuratko (1988), S. 158.

42

KAPITEL 2

den Unterkapitel 2.3.1.2.4 vorgestellt. Sie können entscheidenden Einfluss auf die strategische Stellung einer Tochtergesellschaft und damit der ihr voranstehenden Führungskräfte haben. 2.3.1.2.4

Die Unternehmensarchitektur

Die Organisation einer Vielzahl von unterschiedlichen, etablierten Geschäftsfeldern, aber auch die Integration und Koordination von neuen Geschäftsbereichen führt zu einer Zunahme der Komplexität der Geschäftstätigkeit. Deshalb kommt der Organisationsstruktur einer diversifizierten Unternehmung große Bedeutung zu. Um deutlich zu machen, dass ein Unternehmen nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wirkt, spricht Gerstein nicht mehr von der Organisationsstruktur, sondern von der „Organisationsarchitektur“156. Er weist Führungskräften damit die Rolle von Baumeistern zu, die zwar nicht für die Errichtung eines Gebäudes, jedoch für den Aufbau ihrer Organisation verantwortlich sind. So wie die klassische Architektur Lebensraum für Menschen ist und ihnen Nutzen stiftet, existiert in der Organisation ein „Verhaltensraum“, der einen Rahmen in Form von Befugnissen und Beschränkungen vorgibt, und in dem sich das Handeln der Menschen abspielt. Darüber hinaus gibt es einen „Informationsraum“, der Wissen und Erfahrungen der Organisation enthält, sowie einen „Werteraum“, der die Unternehmenskultur repräsentiert.157 Die beschriebene Wirkung nach innen ist der Wirkung nach außen gegenübergestellt. Umwelt, Struktur, Kultur, Strategie und Personal stehen in einer komplexen Beziehung zueinander und bestimmen die Art und den Aufbau der Organisationsstruktur. Daraus leitet sich auch die Art der Aktivitäten, Funktionen und Bedürfnisse des Unternehmens ab, die sich dann wiederum in der Gliederung des Unternehmens niederschlägt. Es muss eine organisatorische Balance zwischen den einzelnen Variablen gefunden werden, da dadurch wiederum der Grad der Flexibilität und des Reaktionsvermögens eines Unternehmens vor allem im Hinblick auf die zunehmende Beschleunigung und Komplexität des Wirtschaftslebens beeinflusst wird. Im Folgenden werden die wichtigsten hierarchischen Organisationsstrukturen dargestellt: die funktionale, die territoriale, die Produkt- und die Matrixorganisation.158 Eine funktionale Organisation ist entlang der wichtigsten Funktions- und Aufgabenbereiche gegliedert, findet sich idealerweise bei Unternehmen mit einer strategischen Geschäftseinheit, da mit zunehmender Größe und Komplexität andere Organisationsformen besser geeignet sind. Der Schwerfälligkeit der funktionalen Organisation steht die Gliederung nach Produktli-

156 157 158

Gerstein (1994), S. 23. Vgl. ebenda, S. 23ff. Vgl. hierzu Hodgetts/Kuratko (1988), S. 165ff.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

43

nien gegenüber, welche die Errichtung von teilautonomen Profitzentren oder Divisionen erlaubt. Je autonomer die Einheiten werden, desto mehr geht die Organisationsform in eine Holdingstruktur über. Die territoriale Strukturierung trägt der Vielfältigkeit von unterschiedlichen Märkten Rechnung und ist nach bestimmten Gebieten aufgeteilt. Je komplexer sich jedoch die Geschäftstätigkeit einer Unternehmung gestaltet, desto eher ist ein Unternehmen als Matrix aufgebaut, die aus Funktionsbereichen, regionalen Tochtergesellschaften sowie SGEs besteht. In den folgenden Kapiteln werden divisionale Strukturen und Holdingstrukturen vorgestellt, da diversifizierte Unternehmen in der Regel einer dieser Strukturen zuzuordnen sind.159 Obwohl virtuelle Unternehmensstrukturen ebenfalls denkbar sind, wird auf die Diskussion an dieser Stelle verzichtet, da sie im Hinblick auf dezentrale Leadership keine Bedeutung haben. 2.3.1.2.4.1

Divisionale Strukturen

In der einschlägigen Managementliteratur existiert eine Fülle von Beiträgen, die international operierende Unternehmen aus den verschiedensten Blickwinkeln untersuchen. Die Anfänge lassen sich bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück datieren. Damals wurde der Einfluss des internationalen Wettbewerbs auf die Organisationsstruktur von Unternehmen untersucht.160 Dabei wurde das sog. „Struktur-Stadien-Modell“ entwickelt, das anhand von zwei Variablen (Diversifizierung der Produkte für Auslandsmärkte, Auslandsumsatz in Prozent des Gesamtumsatzes) ermöglichte, die strategische und administrative Komplexität zu erfassen. Es konnte gezeigt werden, dass weltweit agierende Unternehmen in verschiedenen Stadien ihrer aufkommenden internationalen Geschäftstätigkeit unterschiedliche Organisationsstrukturen entwickelten. Das Spektrum reichte dabei von der internationalen Division hin zur globalen Produkt- bzw. Gebietsstruktur.161 Zentraler Ausgangspunkt für die Erforschung der Entwicklungspfade von Unternehmen war immer die Muttergesellschaft oder Unternehmenszentrale. Dabei rückte insbesondere die Fra-

159

160

161

Da für diese Arbeit nur von großen Unternehmungen (gemäß Empfehlung der EU-Kommission vom 6. Mai 2003 beschäftigen Großunternehmen mehr als 250 Personen und weisen entweder einen Jahresumsatz von mindestens 50 Mio. € oder eine Jahresbilanzsumme von mindestens 43 Mio. € aus) ausgegangen wird, wird von einer Darstellung einfacher Organisationsstrukturen, wie der linearen bzw. funktionalen Organisationsform Abstand genommen Vgl. Stopford/Baden-Fuller (1994), die auf der Basis einer empirischen Untersuchung von 187 amerikanischen Unternehmen eine zeitliche Abfolge des organisatorischen Wandels skizzieren konnten. Vgl. Kreikebaum (1998), S. 96ff. sowie John (1997), S. 276ff. Stopford & Wells kamen zu dem Ergebnis, dass Unternehmen in einem frühen Stadium (d. h. bei noch relativ geringem Umsatz und überschaubarer Zahl an Produkten im Ausland) die Struktur der „internationalen Division“ wählten. Überstiegen die prozentualen Umsätze 50% der Gesamtumsätze und nahm die Rate der Produktdiversifizierung im Ausland einen Wert von 10% an, so wurde die internationale Division zugunsten der „Gebiets-Division“ bzw. der „Produkt-Division“ aufgegeben. Bei einer hohen Produktdiversifizierung und hohen Umsätzen kam es zur Bildung einer „globalen Matrix“.

44

KAPITEL 2

ge nach „Corporate Strategy and Structure Fit“162 in den Mittelpunkt der Betrachtung. So entstand beispielsweise das Konzept der globalen Unternehmung, welches die Muttergesellschaft als neuralgischen Konten- und Kontrollpunkt und die dezentralen Einheiten als von ihr vollkommen abhängig betrachtete. Allerdings veränderte sich das Interesse an multidivisionalen Organisationsformen mit der Zeit, wodurch der Fokus verstärkt auf die Ebene der dezentralen Unternehmenseinheiten und damit auf einen lockereren Netzwerkverbund gelegt wurde. Das Ziel war es, zu analysieren, wie die Strategien der SGE mit der organisationalen Struktur in Einklang gebracht werden konnten („SBU Strategy and Structure Fit“).163 Somit entstand das Modell der multinationalen Unternehmung mit einer stärkeren Dezentralisierung von strategischen Entscheidungen als Gegenpol zur globalen Unternehmung. So konnte der notwendigen Lokalisierung der Geschäftstätigkeit entsprochen werden. Die internationale Unternehmung wiederum war eine Reaktion auf ein wirtschaftliches Umfeld, in dem sowohl Lokalisierungs- als auch Globalisierungskräfte wirkten. Man ging davon aus, dass Unternehmen in der Lage sein sollten, Innovationen hervorzubringen, die jedoch lokal angepasst wurden.164 Das Wechselspiel zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten rückte zunehmend in den Mittelpunkt. Fragen zur Autonomie von Tochtergesellschaften, der Standardisierung bzw. Formalisierung von unternehmerischen Aktivitäten sowie der Kontrolle und Koordination der Einheiten wurden diskutiert.165 Bartlett stellte den drei genannten Organisationsmodellen seine transnationale Organisation gegenüber, da sich gezeigt hatte, dass Tochtergesellschaften mitunter eine bedeutende Rolle innerhalb des Unternehmens innehaben und längst nicht mehr nur in Beziehung zur Mutter-, sondern auch zu anderen Schwester- oder Tochterunternehmungen stehen.166 Charakteristisch für die transnationale Unternehmung ist, dass sie die Vorzüge der drei anderen Organisationsarchitekturen auf sich vereinigt. Sie besitzt multinationale Flexibilität, welche durch die Anpassung an lokale Gegebenheiten eine stärkere Marktnähe erlaubt und durch die permanente Beobachtung des Wettbewerbsumfeldes die Entwicklung von marktgerechten Innovationen ermöglicht. Darüber hinaus zeichnet sie sich durch globale Effizienz aus, mit der Skalen- und Verbundeffekte erzielt werden können, weil die weltweite Integration der Geschäftstätigkeit des Unternehmens Kostensenkungen und Standardisierungen erlaubt. Schließlich besitzt die transnationale Organisation weltweite Lernfähigkeit, d. h. sämtliches Wissen

162 163 164 165

166

Vgl. stellvertretend Chandler (1963), Rumelt (1986) oder Williamson (1975). Vgl. stellvertretend Porter (1999), Miles/Snow (1978) sowie Galunic/Eisenhardt (1996), S. 256. Vgl. Meier (1997), S. 34ff. Vgl. Otterbeck (1981), der in seiner Herausgeberschaft einen guten, aber durchaus kritischen Überblick über die verschiedensten Problemstellungen des Managements international tätiger Unternehmen gibt. Vgl. Bartlett/Goshal (2000a).

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

45

und Erfahrungen, die in der Mutter- sowie den Tochtergesellschaften gewonnen werden, wird durch ein weltweites Kommunikationsnetzwerk in der Organisation diffundiert.167 Laut Bartlett und Goshal werden die reziproke Abhängigkeit und Kooperation durch gemeinsame Werte, Managementprozesse und Anreizsysteme unterstützt. Letztere ermöglichen es auch, dass der hohe Koordinations-, Kontroll- und Kostenaufwand, der durch die Dezentralisierung entsteht, zumindest aus kontroll- und koordinationsorientierter Sicht überschaubar bleibt. Deshalb schlagen sie vor, dass sich die Führungskräfte der dezentralen Einheiten („local managers“168) gemeinsam koordinieren und ihre Wertschöpfungsaktivitäten miteinander und mit der Zentrale abstimmen.169 Obwohl nicht alle Tochtergesellschaften dieselbe Rolle im Unternehmensnetzwerk spielen können, ist dieser Organisationstypus dadurch gekennzeichnet, dass Zusammenarbeit und Kooperation gegenüber Einzelkämpfertum dominieren. Tabelle 4 auf Seite 46 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die vier Organisationsarchitekturen international tätiger Unternehmen.

167 168 169

Vgl. Kreikebaum (1998), S. 118f. Bartlett/Goshal (2000a), S. 596. Vgl. Gerstein (1994), S. 42ff; Bartlett/Goshal (1991); Bartlett/Goshal (2000b), S. 594ff.

46

KAPITEL 2

Globale Organisation

Internationale Organisation

Multinationale Organisation

Transnationale Organisation

Schwerpunkt

Integration weltweiter Aktivitäten in einem globalen Markt.

Innovations- und Wissenstransfer an die „weniger fortgeschrittenen“ Niederlassungen in Übersee.

Dezentralisierung – Schaffung eines Portfolios nationaler Geschäftsbereiche – Multinationalität.

Simultaneität von multinationaler Flexibilität, globaler Effizienz und weltweitem Lernen.

Verteilung der Aktivitäten

Zentralisierte Aktiva, Ressourcen, Verantwortlichkeiten.

Zentralisierte Kernkompetenzen: Lokale Produktion von zentral entwickelten, aber lokal adaptierten Leistungen.

Lokale Produktionsniederlassungen mit kompletter Wertschöpfungskette.

Exzentralisation von Fähigkeiten: Verteilte Kompetenzzentren mit z. T. unvollständigen Wertschöpfungsketten.

Rolle der Tochter

Erschließung ausländischer Märkte und Ausdehnung des Einflussbereichs.

Stärkung der Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen der Muttergesellschaft.

Erkennen und Nutzen lokaler Marktchancen.

Annäherung an verschiedene Märkte entsprechend den lokalen Umständen; aktive Gestaltung des Wettbewerbsumfeldes.

Koordination

Koordination durch Zentralisierung.

Koordination durch Formalisierung.

Koordination durch Sozialisation.

Zentralisierung, Formalisierung und Sozialisierung je nach Rolle der TG.

Verhältnis Zentrale – dezentrale Einheiten Kontrollart

Lokale TG haben nur sehr eingeschränkte Freiheiten bei Produkt- und Strategieänderungen; große Abhängigkeit von der Zentrale, daher straffe, einfache Kontrollen.

Mehr Freiheit als globale, aber weniger als multinationale Organisation durch professionelles Management und verfeinerte Kontrollmethoden; TG ist von Informationen der MG abhängig.

Flexible Antworten der TG auf lokale Besonderheiten; TG sind weitgehend unabhängig und selbständig. Das Kontrollsystem ist als einfache Finanzkontrolle zu charakterisieren.

Lokale TG liefert ihren Beitrag zum konzerneignen Wissen; Ideen der TG haben Gewicht; intensiver Austausch von Ressourcen und Leistungen zwischen TG und MG.

Vorkom men

Entspricht den ManagementNormen japanischer Unternehmen.

Gut geeignet für die amerikanische Management-Kultur.

Gut geeignet für „informelle“ Management-Praktiken in Europa.

Für international tätige Unternehmen mit hochkomplexem Umfeld.

Typ

Tabelle 4:

Merkmale der vier Organisationsarchitekturen im Vergleich Quelle: in Anlehnung an Bartlett (1989), S. 425ff.,Gerstein (1994), S. 34, sowie Meier (1997), S. 65.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

47

Wie die transnationale Unternehmung gehören auch verwandte Konzepte, wie etwa die „multifokale Unternehmensstrategie“, das „Heterarchy“-Modell oder die „horizontale Unternehmung“ zur Strömung der „intra-organisationalen Netzwerke“170, mit denen der zunehmenden Komplexität im internen und externen Umfeld einer Unternehmung besser begegnet werden kann.171 Tabelle 5 zeigt die Kernaussagen dieser verwandten Ansätze:

Multifokales Unternehmen

Heterarchy Modell

Horizontales Unternehmen

Autoren

Prahalad/Doz (1981); Prahalad/Doz (1987)

Hedlund (1986); Hedlund (1994, Hedlund/Rolander (1990);

Strategische Orientierung

Gleichzeitige Berücksichtigung der Erfordernisse von Integration und Responsiveness.

Gleichzeitige Berücksichtigung der Erfordernisse von Integration und Responsiveness.

Gleichzeitiger Aufbau globaler und lokaler Wettbewerbsvorteile.

Konfiguration

Unabhängige Einheiten in dezentralisiertem internationalen Netzwerk

Spezialisierte Niederlassungen in weltweitem Netzwerk.

Horizontales Netzwerk: Einheiten mit funktionaler Spezialisierung.

Berücksichtigung der Perspektiven Vielfalt in Entscheidungs-prozessen

Leitung über aktorenorientierte Ansätze, Konfliktlösungstechniken, Informationssysteme, den Ausgleich von Produkt-, Funktions- und Regionenperspektive.

Gleichgewicht zwischen globaler und lokaler Perspektive.

Laterale Entscheidungsprozesse: Gleichgewicht zwischen globaler und lokaler Perspektive.

Koordination

Zentralisierung von rahmensetzenden Entscheidungen; Dezentralisierung anderer Entscheidungen.

Differenzierte Mechanismen je nach Problemstellung; v.a. aber normative Integration aktorenorientierter Ansätze.

Aktorenorientierte Ansätze zur Erreichung einer normativen Integration für laterale Entscheidungsprozesse.

Bedeutung von Information und Wissen

Informationen zur Schaffung eines Konsens in der Perspektivenvielfalt.

Gemeinsame, geteilte Wissensbasis über gesamte Organisation hinweg.

Einheiten übergreifender Wissenstransfer.

Tabelle 5:

White/Poynter (1990); White/Poynter (1989)

Weitere etablierte Konzepte zu multinationalen Unternehmen Quelle: in Anlehnung an Meier (1997), S. 78; Mukherji et al. (2004) .

170 171

Vgl. hierzu Porter (1985); Prahalad/Doz (1987); Bartlett/Goshal (1991); Taylor (1991). Jenseits der unternehmensinternen Betrachtung von Netzwerkstrukturen (d. h. der Beziehungsgefüge zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten), sind der Vollständigkeit halber auch externe Netzwerke zu nennen. Diese werden u. a. auch als dynamische bzw. strategische Netzwerke bezeichnet, da sie für Kooperationen einer Unternehmung und ihrer Einheiten mit anderen Marktteilnehmern stehen.

48

KAPITEL 2

Neben den dargestellten Strategie-Struktur- sowie den Netzwerk-Ansätzen existiert schließlich noch eine letzte Strömung, die Galunic & Eisenhardt „Corporate Entrepreneurship and Renewal“ nennen. Darunter fallen grundsätzlich zwei Konzeptionen: der Entstehungsprozess von neuen Geschäftsfeldern und -einheiten innerhalb bestehender Unternehmen sowie die Transformation und Erneuerung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen.172 2.3.1.2.4.2

Holdingstrukturen

Holdingstrukturen liegen den bereits beschriebenen Netzwerkstrukturen zugrunde. Unter „Holding“ wird eine Effektenhaltungsgesellschaft verstanden, die nicht selbst produziert, sondern sich auf die Verwaltung von Effekten sämtlicher von ihr beherrschten Unternehmungen sowie auf die Abstimmung von deren Produktionsprogrammen beschränkt.173 May definiert die Holding als „das rechtlich selbständige Leitungsgremium eines Konzerns“174, wobei der Konzern nach § 18 AktG eine Gruppe von rechtlich selbständigen Unternehmungen ist, die unter einer einheitlichen Leitung175 stehen.176 Wenn die Zentrale selbst keine operativen Tätigkeiten übernimmt, sondern nur die Steuerung, Kontrolle und Koordination der Unternehmenseinheiten übernimmt, spricht man von einer Holding.177 Die Holding übernimmt folglich die Führung und überlässt den dezentralen Einheiten bzw. Tochtergesellschaften weitestgehend die Abwicklung des operativen Geschäfts.178 Obwohl die Tochtergesellschaften zwar wirtschaftlich von der Zentrale abhängig sind, sind sie dennoch nach außen rechtlich selbständige Unternehmen.179 Aufgrund der flach hierarchischen, wenngleich komplexen Unternehmensstruktur besitzen die einzelnen Unternehmenseinheiten ein relativ hohes Maß an Flexibilität und Autonomie, was letztlich eine größere Markt- und Kundennähe ermöglicht. Bühner argumentiert sogar, dass durch die Holding die Innovationskraft und Reaktionsfähigkeit auf Kundenwünsche erhöht werden kann.180 Obwohl die Führungsaufgabe insgesamt komplexer wird, sind international tätige Unternehmen so in der Lage, auf einer Vielzahl von Märkten tätig zu sein und dennoch auf die nationa172

173

174 175

176 177 178 179 180

Vgl. Galunic/Eisenhardt (1996), S. 256, die auf die Autoren Guth/Ginsburg (1990); Burgelman (1983b) und Pettigrew (1985) verweisen. Vgl. Gabler (2001) sowie Bleicher, der neben den originären Funktionen der Holding, der Steuerung, Kontrolle und Verwaltung weitere Funktionen nennt: die Berater-, Service-, Harmonisierungs- und Kopplungsfunktion zwischen den verschiedenen Einheiten (vgl. Bleicher (1992), Sp. 1159-1160). May (1997), S. 374. Die einheitliche Leitung eines Konzerns wird dabei in der Regel als Zentrale bezeichnet. Vgl. Bernhardt/Witt (1995), S. 1342. Vgl. Hungenberg (1995), S. 66. Vgl. Bernhardt/Witt (1995), S. 1342f. Vgl. May (1997), S. 374. Kreikebaum (1998), S. 105f.; Gabler (2001). Bühner (1992), S. 49ff.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

49

len Besonderheiten angemessen eingehen zu können.181 Daneben ergeben sich durch die Holdingsstruktur weitere Vorteile, wie etwa eine verstärkte Kooperationsfähigkeit, die Erleichterung von Firmenan- und -verkäufen, die Nutzung von Steuervorteilen sowie die Förderung der Führungskräfteentwicklung.182 Durch die Verlagerung der Entscheidungskompetenz und Führungsverantwortung von der Zentrale auf die dezentralen Einheiten kann bei den Führungskräften unternehmerischer Geist geweckt und die Motivation gesteigert werden.183 Für die Koordination eines internationalen Holdingunternehmens stehen mehrere Instrumente zur Verfügung. Die Steuerung erfolgt entweder durch die Ausübung der Finanzhoheit über Verrechnungspreise, eine Budgetierung oder klar festgelegte Finanzkennzahlen sowie durch Personalunion, d. h. Führungskräfte der Zentrale übernehmen leitende Funktionen in Tochtergesellschaften bzw. lokale Führungskräfte sitzen im Aufsichtsrat der Zentrale. Zudem können Unternehmensverträge abgeschlossen oder Zusammenkünfte des Top-Managements von Zentrale und dezentralen Einheiten vereinbart werden.184 Auch die Unternehmenskultur spielt eine wichtige Rolle bei der Koordination eines Unternehmens, da sie das Verhalten aller Unternehmensmitglieder prägt.185 Tabelle 6 auf Seite 50 zeigt verschiedene Holding-Typen:

181 182 183 184 185

Vgl. Kreikebaum (1998), S. 107 und Weber (1995), S. 71. Vgl. Frese (1995), S. 524. Vgl. Bühner (1996), S. 9. Vgl. Bühner (1992), S. 95ff.; Theisen (1997), S. 430f. Vgl. May (1997), S. 375.

50

KAPITEL 2

Finanzholding

Strategische Management-Holding

Operative Management-Holding

Verwaltung von Finanzanlagen.

Klassische Geschäftsbereichsorganisation.

Abstimmung der starken Interdependenzen zw. Geschäftseinheiten, Realisation von Skaleneffekten.

Zentrale gestaltet Geschäftsportfolio, nimmt über Unternehmenskultur Einfluss.

Zentrale gestaltet Geschäftsportfolio, nimmt über Unternehmenskultur Einfluss.

Einfluss der Zentrale auf strategische und operative Ziele; dezentrale Einheiten abhängig von zentralen Vorgaben.

Verantwortung vollständig bei dezentralen Einheiten/ Tochtergesellschaften.

Wahrnehmung von gesamtstrategischen Aufgaben auf dezentraler Ebene. Entscheidungen sowohl „top-down“ als auch „bottom-up“.

Operative und strategische Führung der dezentralen Einheiten durch Zentrale, die auch Detailziele vorgibt. Planung v.a. „topdown“.

Koordination

Steuerung nur über finanzielle Kennzahlen, die von Zentrale vorgegeben werden.

Steuerung über finanzielle Kennzahlen und strategische Vorgaben der Zentrale.

Steuerung durch finanzielle, strategische und operative Vorgaben durch die Zentrale.

Vorkommen

Breit diversifizierte Unternehmen mit heterogenen Geschäftsfeldern, insbesondere „unrelated diversification“.

Dezentrale Kompetenzverteilung in Deutschland eher verbreitet als in den USA und Japan.

sog. „Stammhauskonzerne“, die aus ursprünglichem Kerngeschäftsfeld hinaus internationalisiert haben.

Zweck

Verhältnis von Zentrale und dezentrale Einheiten

Führungsverantwortung

Tabelle 6:

Überblick über drei Holding-Typen Quelle: eigene Darstellung186.

2.3.1.2.5

Umsetzungsprozesse

Die Umsetzung der Strategien stellt einen weiteren wichtigen Teilbereich im Gesamtkonzept der diversifizierten Unternehmung dar. Auf der Basis eines wirkungsvollen operativen Planungssystems müssen alle Mitarbeiter und Führungskräfte – auch gegen Widerstände – dazu bewegt werden, sich bei der Umsetzung der strategischen Entscheidungen einzubringen. Hinterhuber stellt dabei fest, dass die „harmonische Verbindung von Leitung und Gewährenlassen, die strategisches Denken und Handeln auf drei Ebenen integriert, […] die Zufriedenstellung aller Stakeholder [verbürgt]: die Unternehmensleitung steuert die Unternehmung als Ganzes mit Hilfe einiger wesentlicher Komponenten der strategischen Führung, in den dezentral geführten strategischen Geschäftseinheiten ist der unternehmerische Geist verkörpert, die 186

Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Holding-Typen findet sich u. a. bei Picot et al. (2002); Kreikebaum (1998); May (1997); Bernhardt/Witt (1995); Hungenberg (1992).

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Funktionsbereiche, Lieferanten, Partnerunternehmungen in strategischen Netzwerken, und regionalen Tochtergesellschaften machen die Umsetzung der Strategien möglich.“187 Da Strategien als Entscheidungen verstanden werden, die im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel getroffen werden, besteht dennoch Raum für die Festlegung der konkreten Umsetzung der Strategie. Hier ist ein Mehr an unternehmerischem Denken und Handeln vor allem von Führungskräften in dezentralen Einheiten sowie ein Weniger an Vorgaben der Unternehmenszentrale gefordert, um zur Erreichung der strategischen Ziele den bestmöglichen Weg zu finden. Für das Gelingen einer solchen Unternehmensführung ist gegenseitiges Vertrauen vonnöten, das insbesondere durch eine entsprechende Unternehmenskultur geschaffen werden kann (vgl. dazu Kapitel 2.3.1.2.6). Daneben sind eine Reihe von Instrumenten einzusetzen, die geeignete Rahmenbedingungen schaffen, d. h. Mitarbeitern und Führungskräften genügend Entscheidungsspielraum bieten und dennoch eine zielorientierte und effiziente Realisation der strategischen Vorgaben gewährleisten: — In Durchführungs- bzw. Aktionsplänen, die kurz-, mittel- und langfristiger Natur sein können, werden die Hauptschritte definiert, die für die Erreichung der Ziele notwendig sind. Der strategische (Durchführungs-)Plan bildet dabei ein eher längerfristig ausgelegtes Rahmenwerk, das sowohl Unternehmensbereiche, funktionale und regionale Aktivitäten als auch externe Partner umfasst und das relativ viel Raum für spezifische Entscheidungen lässt. Der strategische Plan ist dabei kein statisches, unveränderliches Dokument, sondern soll entsprechend den sich verändernden Gegebenheiten im internen und externen Umfeld angepasst werden, um letztlich Flexibilität sicherzustellen und Führungskräfte wie Mitarbeiter rechtzeitig auf Veränderungen vorzubereiten. Im Gegensatz dazu werden in Aktionsplänen Vorgehensweisen viel konkreter vorgegeben. Alle operativen Maßnahmen werden bis ins Detail herunter gebrochen. Deshalb müssen sie bei plötzlichen Änderungen der Gegebenheiten korrigiert und ggf. neu erstellt werden.188 Letztlich ist entscheidend, dass das Planungssystem dennoch nicht zu rigide ist, und dass all diejenigen, die bei der Umsetzung beteiligt sind, in den Prozess der Erstellung der Aktionspläne einbezogen werden. —

187 188

Das Motivationsmanagement stellt ein weiteres wichtiges Instrumentarium für die erfolgreiche Umsetzung von strategischen Entscheidungen dar. Innerhalb eines Unternehmens stehen zwei Ziele im Vordergrund: die unternehmerische Leistung der Organisationsmitglieder, die letztlich das Überleben des Unternehmens sichert, und ihre Zufriedenheit mit der Arbeitssituation. Letztere ist durch verschiedene Faktoren beeinflusst, etwa dem Grad der Autonomie (Selbst- und Mitbestimmung, Entscheidungsfrei-

Hinterhuber (2004b), S. 201. Vgl. ebenda, S. 204ff.

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KAPITEL 2

heit), der Komplexität und den Lernchancen (Qualifizierungsangebote), der Variabilität und Aktivität, den Kooperationserfordernissen und der sozialen Unterstützung, den Kommunikationsmöglichkeiten (informelle Beziehungen) und einer ganzheitlichen und sinnhaften Tätigkeit.189 Vor dem Hintergrund, dass sich Motivation aus dem Zusammenspiel einer motivierenden Situation und einer zu motivierenden Person ergibt, ist es entscheidend, dass die oberen Führungspersonen ein transparentes, klar verständliches und angemessenes Verhalten zeigen, indem sie (a) den Ist-Zustand beschreiben und erklären, (b) den Soll- und Zielzustand festlegen, (c) Veränderungswissen190 bereitstellen und entsprechend intervenierend handeln sowie schließlich (d) die eingeleiteten Maßnahmen evaluieren und kontrollieren.191 Um innerhalb der Unternehmung ein Klima zu schaffen, in dem die Organisationsmitglieder unternehmerisch denken und handeln, müssen diese dazu motiviert sein. Nach Porter & Lawler ist die Motivation einer Person beeinflusst von ihrer Erwartung, dass die erbrachte Leistung eine positive Bewertung nach sich zieht. Sie sollte wiederum zu einer bestimmten Art der Vergütung führen, welche die Person als korrekt und angemessen interpretiert.192 Anreizsysteme haben letztlich nur dann motivierenden Charakter, wenn sie als gerecht angesehen werden. Vergütungen bzw. Anreize können materieller (z. B. Gehalt, Prämien, Sozialleitungen, etc.) sowie immaterieller Natur (z. B. Arbeitsinhalte, Raum für Entfaltung, Entscheidungsbefugnisse, sozialer Status, Macht oder soziale Kontakte, etc.) sein.193 Entscheidend ist dabei immer, dass tatsächlich die unternehmerische Leistung bewertet und vergütet wird. Mit Blick auf die Führungskräfte in Tochtergesellschaften stellt sich jedoch die Frage, welche Komponenten der klassischen Vergütungssysteme auf sie motivierend wirken. Donaldson & Lorsch resümierten nämlich, dass Führungskräfte nicht durch finanzielle Anreize motiviert seien.194 Vielmehr seien sie vom Streben nach Exzellenz und davon getrieben, ihresgleichen in vergleichbaren beruflichen Positionen zu übertreffen.195 Im Gegensatz zu den Letztentscheidungsträgern haben Führungskräfte in Tochtergesellschaften jedoch weniger Einfluss auf die Höhe ihres Gehalts und könnten daher eher durch finanzielle Anreize zu 189 190

191 192

193

194 195

Vgl. von Rosenstiel (2003b), S. 214. Unter Veränderungswissen werden jene Informationen verstanden, die deutlich machen, wie man vom Istzum Sollzustand gelangt, vgl. hierzu von Rosenstiel (2003b), S. 208. Vgl. von Rosenstiel (2003b), S. 208. Vgl. Porter/Lawler (1968) sowie Lawler (1971). Dies wird später noch im Hinblick auf das Untersuchungsmodell näher ausgeführt. Vgl. Ackermann (1974), S. 156f. Wunderer (2006), S. 188 stellt zudem fest, dass neben den immateriellen Anreizen die materielle Honorierung gleichermaßen bedeutsam ist, da sie einerseits den Lebensstandard sichern und andererseits die Voraussetzungen für das Ausleben hedonistischer Neigungen bietet. Vgl. Donaldson/Lorsch (1983), S. 20. Vgl. Finkelstein/Hambrick (1996), S. 284 sowie Donaldson/Lorsch (1983), S. 23.

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unternehmerischen Initiativen motiviert sein.196 Abschließend ist festzuhalten, dass Anreiz- und Motivationssysteme eine langfristige Ausrichtung haben sollten, um Führungskräfte zu unternehmerischen Verhalten zu motivieren, für das es sich lohnt, damit verbundene Risiken einzugehen.197 —

Damit die strategischen Pläne und operativen Aktionsprogramme der Zentrale sowie der Tochtergesellschaften, strategischen Geschäftseinheiten und Funktionsbereiche effizient umgesetzt werden, muss die Unternehmensleitung ein angemessenes Kontrollsystem implementieren, das Leistungsstandards festgelegt, die erzielten Ergebnisse mit den Leistungsstandards abgleicht und die Ist-/ Soll-Abweichungen ggf. durch Korrekturmaßnahmen behebt.198 Das Kontrollsystem eines Unternehmens kann grundsätzlich in vier Kategorien gegliedert werden: (a) die einfache Kontrolle, die ein Vorgesetzter gegenüber seinen Mitarbeitern ausübt, (b) die technologische Kontrolle, mit der technologiebasierte Prozesse überwacht werden, (c) die bürokratische bzw. administrative Kontrolle, welche formale Regeln, Prozeduren und Politiken beinhaltet, und letztlich (d) die kulturelle Kontrolle, die sich in den unternehmenseigenen Werten und Normen widerspiegelt.199 Chung et al. unterscheiden in Bezug auf multinational operierende Unternehmen drei unterschiedliche Kontrollarten: Die Ergebnis- bzw. Leistungskontrolle beinhaltet die klassische Berichterstattung über betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Die verhaltensorientierte Kontrolle steht für die Entsendung von „sozialisierten“ Führungskräften (sog. „Expatriates“) auf Schlüsselpositionen in den dezentralen Einheiten durch die Zentrale, wobei letztere dann im Bewusstsein, dass diese Manager im Sinne der Gesamtunternehmung entscheiden, Kontrolle ausübt. Die Sozialisationskontrolle hingegen läuft indirekter ab als die verhaltensorientierte Kontrolle, indem das Wertsystem sowie die Ziele der Führungskräfte vor Ort im Sinne einer gemeinsamen Unternehmenskultur kontinuierlich beeinflusst werden.200 Will man eine unternehmerische Kultur etablieren, sind manche Ausprägungen der unterschiedlichen Kontrollen kontraproduktiv. Ein Kontrollsystem, das Eigeninitiativen und unternehmerisches Engagement begünstigt, ist nach Morris & Kuratko folgendermaßen charakterisiert: Anstatt sehr detaillierte Richtlinien vorzugeben, wird dem Einzelnen ein größerer Spielraum für Entscheidungen gewährt. Die Letztentscheidungsträger geben einen Teil der Kontrolle ab, dezentra-

196 197 198 199 200

Vgl. Finkelstein/Hambrick (1996), S. 300f. Vgl. dazu die Ausführungen von Lambert (1986) und Ramanan et al. (1993). Vgl. Hinterhuber (2004b), S. 221. Vgl. Circa (1997). Vgl. Chung et al. (2000), S. 648ff.; Gupta/Govindarajan (1991), S. 768ff.

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KAPITEL 2

lisieren das Kontrollsystem und bauen auf das Verantwortungsbewusstsein und die Selbstkontrolle ihrer Führungsriege in den dezentralen Einheiten. Dies wird durch ein offenes und transparentes Kommunikations- und Informationssystem unterstützt.201 —

201 202 203

204 205

„The success of every enterprise is influenced by the manner and effectiveness of organizational communication”202, stellen Hodgetts & Kuratko fest. Innerhalb einer Organisation treten drei Arten von Kommunikation auf. Bei der intrapersonalen Kommunikation werden Informationen und ihre Bedeutung von einer Person gemäß ihrem Selbstkonzept verarbeitet. Dabei ist zu unterscheiden, ob eine Person über Informationen verfügt, die sie mit anderen teilt oder vor diesen geheim hält, oder ob die Person gegenüber anderen ein Informationsdefizit hat, dessen sie sich bewusst ist oder nicht.203 Gemeinsam mit dem Selbstkonzept einer Person hat dies substantiellen Einfluss auf die interpersonale Kommunikation. Das Selbstkonzept einer Person setzt sich aus Erfahrungen mit anderen Personen bzw. mit dem Umfeld zusammen und hat daher Auswirkungen auf die Art und Weise, wie sich eine Person verhält, mit wem oder was sie sich identifiziert, oder welche Werte und Einstellungen sie entwickelt. Grundsätzlich wird intrapersonale Kommunikation von der persönlichen Orientierung (z. B. Werte, Meinungen, Einstellungen, Vorurteile), ihren Eigenschaften sowie Abwehrmechanismen bestimmt. Interpersonale Kommunikation hingegen repräsentiert den Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehr Personen. Neben der reinen Mitteilungsfunktion (Sachebene) gibt es im Kommunikationsmodell eine Selbstoffenbarungsebene, eine Beziehungs- sowie eine Appellebene, die während der Kommunikation immer gleichzeitig ablaufen.204 Genau dieser Umstand macht Kommunikation jedoch schwierig, denn ob und wie eine Meldung das Gegenüber erreicht, ist ungewiss. Die häufigsten Ursachen für Kommunikationsstörungen sind mangelnde Kommunikation, Sender- und Empfängerfehler (z. B. missverständliche Mitteilung des Senders, selektive Wahrnehmung des Empfängers, etc.) sowie dem Widerspruch von verbalem und nonverbalem Verhalten.205 Werden Informationen in Form von Direktiven, Memos oder Berichten über alle Hierarchieebenen

Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 217ff. Hodgetts/Kuratko (1988), S. 253. Dieser Zusammenhang ist bekannt als „Johari Window“, das von Luft (1969) entwickelt wurde. Es zeigt die verschiedenen Arten zwischenmenschlicher Interaktion. Dabei wird unter offenen und geschlossenen Kommunikationsbeziehungen unterschieden, die je nach dem Gegenüber einer Person mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Die oben angesprochenen Ausprägungen sind der „Bereich des freien Handelns“ (Informationen sind der Person selbst sowie den anderen bekannt), der „Bereich des blinden Flecks“ (Informationen sind anderen bekannt, jedoch nicht der Person selbst), der „Bereich des Verbergens“ (Informationen sind der Person selbst bekannt, jedoch nicht den anderen) und schließlich der „Bereich des Unbewussten“ (Informationen sind weder der Person den anderen bekannt). Vgl. Schulz von Thun (2002) zitiert in Regnet (2003), S. 245f. Auf eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Kommunikationsstörungen wird an dieser Stelle verzichtet und auf Hodgetts/Kuratko (1988), S. 26ff. sowie Regnet (2003), S. 246f. verwiesen.

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hinweg verstreut, spricht man von organisationaler Kommunikation. Sie ist funktional bzw. ziel- und zweckgerichtet, denn Sachprobleme sind zu lösen, Entscheidungen zu fällen und eine effektive Zusammenarbeit ist sicherzustellen. Es leuchtet ein, dass das Gespräch innerhalb einer Organisation von entscheidender Bedeutung ist, wobei die organisationale Kommunikation auch die unpersönlichste Form darstellt. Kommunikation wird grundsätzlich als Führungsaufgabe angesehen, denn sie muss nach Hinterhuber zukunftsorientiert und glaubwürdig sein, Sicherheit vermitteln und Mut zu proaktivem Denken und Handeln ausstrahlen.206 Organisationale Kommunikation kann nur dann funktionieren, wenn sie offen, direkt, ehrlich, konstruktiv und authentisch ist, Meinungsvielfalt zulässt und Konfliktbereitschaft und -toleranz unterstützt.207 Wie die Umsetzung von strategischen Entscheidungen, d. h. das Planen, Motivieren, Kontrollieren und Kommunizieren, erfolgt, ist wichtig, um die organisationalen Ziele erreichen zu können. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass gut konzipierte Strategien und Aktionspläne nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, was nach Hinterhuber darin begründet ist, dass diese nicht mit der im Unternehmen gelebten Kultur zusammenpassen.208 Im folgenden Kapitel wird daher die Unternehmenskultur thematisiert. 2.3.1.2.6

Unternehmenskultur

Nach Bögel haben Unternehmen nicht nur eine Kultur, sie sind ihrem Wesen nach Kultur.209 Damit ist Kultur nicht mehr nur ein Erscheinungsbild nach innen wie außen, sondern kann nach strategischen Gesichtspunkten der Unternehmenskonzeption dienen.210 Im Allgemeinen ist die Kultur durch Werte, Normen, Artefakte und Verhaltensweisen geprägt, die für die Angehörigen dieser Kultur typisch sind. Gleiches trifft auch auf die Unternehmenskultur zu, die als Summe der in der Unternehmung vorherrschenden Wertvorstellungen, Traditionen, Überlieferungen, Mythen, Rituale, Normen und Denkhaltungen definiert ist, welche den Mitarbeitern auf allen Hierarchie- und Verantwortungsebenen Sinn und Richtung für ihr Verhalten vermitteln.211 Schein unterscheidet hierbei drei Ebenen von kulturtragenden Elementen innerhalb von Organisationen:212

206 207 208 209 210 211 212

Vgl. Hinterhuber (2004b), S. 276 sowie Regnet (2003), S. 244. Vgl. Neuberger (1996). Vgl. Hinterhuber (2004b), S. 229. Vgl. Bögel (2003), S. 712. Vgl. Pettigrew (1979), S. 570ff. Hinterhuber (2004a) sowie Schein (1995). Vgl. Schein (1984), S. 4ff.

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KAPITEL 2



Auf der obersten Ebene finden sich die leicht sicht-, erkenn- und beobachtbaren Elemente einer Unternehmenskultur, so etwa die künstlich geschaffenen Artefakte wie Gebäude, Zeremonien oder Rituale. Sie geben direkte Hinweise auf die Unternehmenskultur (Indikatorfunktion) und spiegeln wider, welches Verhalten richtig ist (Vorbildfunktion).



Auf der mittleren Ebene sind die Werte der Unternehmensmitglieder angesiedelt, welche ihr Verhalten lenken. Je mehr die Werte von den Unternehmensmitgliedern internalisiert sind, desto größer ist der Einfluss auf ihr Verhalten.



Den größten Einfluss auf das Verhalten der Organisationsmitglieder haben schließlich die Elemente der untersten Ebene der Organisationskultur. Darunter fallen die Grundannahmen der Mitarbeiter und Führungskräfte bezüglich ihrer Umwelt, der Realität oder des Wesens des Menschen, seiner Handlungen sowie seiner Beziehungen zu anderen.

Wie bereits angedeutet wurde, ermöglicht die Kultur einer Unternehmung eine im Vergleich zu anderen Ansätzen (z. B. Anreiz- oder Kontrollsystemen) bessere Steuerung des Mitarbeiterverhaltens, da Werte und Normen verinnerlicht sind und nicht ständig aktiviert werden müssen.213 Die Kultur dient damit der Lenkung und Programmierung des Verhaltens der Mitarbeiter und Führungskräfte, wobei sich die Kultur wiederum aus all jenen Verhaltensweisen ergibt, die innerhalb des Unternehmens von der dominierenden Mehrheit der Unternehmensmitglieder für charakteristisch gehalten werden.214 Die Kultur spiegelt insofern die Geschichte des Unternehmens, eines Teils seiner Mitglieder und ihres Handelns. Sie ist dabei jedoch nicht statisch, sondern abhängig von den Entwicklungen im internen und externen Umfeld. Die Frage, die viele Wissenschaftler in der Vergangenheit beschäftigte, war jene, ob jede Organisation eine ganz individuelle Kultur besitzt oder ob es möglich ist, Kulturen zu typologisieren. Deal & Kennedy versuchten unterschiedliche Unternehmenskulturen in vier Typen zusammenzufassen:215 —

213 214 215

Eine „bürokratische Kultur“ („process culture“) fokussiert die bürokratische Abwicklung der internen Abläufe, ist durch eine strenge Hierarchisierung der Organisation gekennzeichnet, in der Fehler nicht toleriert werden. Sie hält die Mitarbeiter folglich davon ab, sich eigeninitiativ zu verhalten oder Risiken einzugehen. Die Vorgesetzten geben ihren Mitarbeitern darüber hinaus kaum Feedback und lassen sie damit im Unklaren, ob ihr Handeln den Erwartungen entspricht.

Vgl. Bögel (2003), S. 714. Vgl. Scholz (1988), S. 81. Vgl. Deal/Kennedy (2000). Ihre Typologie wurde stellvertretend für viele andere ausgewählt, da sie am deutlichsten auf das unternehmerische Element eingeht.

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In der sog. „Starkult“-Kultur („tough-guy, macho culture“) wird Individualismus und interner Wettstreit groß geschrieben, d. h. alle Mitarbeiter versuchen sich unter relativ großem persönlichen Risiko zu profilieren. Sie richten ihr Handeln dabei eher an kurzfristigen Zielen aus, bekommen dafür allerdings auch sehr schnell Feedback von den Vorgesetzten. Motivierend wirken vor allem monetäre Vergütungen, während eine langfristige Bindung an das Unternehmen nicht im Vordergrund steht.



In einer „Team“-Kultur („work hard – play hard“) stehen flexible Strukturen und schnelles und wenig risikoreiches Handeln im Vordergrund, für welches unmittelbar Feedback gegeben und auch erwartet wird. Zudem ist eine strikte Kunden- und Verkaufsorientierung zentrales Element dieses Kulturtyps.



Die „Techniker/Tüftler“-Kultur („bet-the-company“) stellt ein Umfeld dar, in dem wichtige und z. T. risikoreiche Entscheidungen getroffen werden können, deren Erfolg sich für die meisten Organisationsmitglieder oft erst nach einiger Zeit zeigt. Dadurch ist eine zügige Bewertung von unternehmerischen Aktivitäten nicht möglich. Diese Kultur zeichnet sich ferner durch eindeutig festgelegte hierarchische Strukturen aus. Den Autoren zufolge werden in Unternehmen, die durch diesen Kulturtyp charakterisiert sind, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit innovative Produkte und Dienstleistungen zur Marktreife gebracht als in Unternehmen mit anderen Kulturen.

Die Betrachtung der Kulturkategorisierung nach Deal & Kennedy ist im Hinblick auf die Umsetzung von dezentraler Leadership sinnvoll, da sowohl die zeitliche Orientierung, der Risikograd als einem zentralen Merkmal von unternehmerischem Handeln sowie die Art der Strukturierung des Unternehmens erfasst sind. Wie bereits festgestellt wurde, ist die Unternehmenskultur das prägende Element für den inneren Ablauf einer Unternehmung. Es existiert eine Reihe wissenschaftlicher Studien216, die sich mit der Kultur von Unternehmen beschäftigten, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche kulturellen Werte vorherrschen müssen, damit Unternehmensmitglieder sich unternehmerisch und innovativ verhalten. Morris & Kuratko fassen die unterschiedlichen Komponenten unternehmerischer Organisationskulturen wie folgt zusammen:217 —

Fokus auf Menschen und Eigenverantwortung des Einzelnen (Empowerment).



Wertschöpfung durch Innovationen und Wandel.



Die richtigen Dinge tun – ein Merkmal für Leadership, so Bennis218.

216

217 218

Vgl. hierzu die Untersuchungen von Timmons (1999), Cornwall/Perlman (1990) oder Peters (1997), die einige Komponenten von unternehmerischen Kulturen identifizierten. Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 260. Vgl. Bennis (1989).

58

KAPITEL 2



Spielerisch orientiertes Management, welches das Wesentliche nicht aus den Augen verliert.



Toleranz für Fehler und Möglichkeit zur Entwicklung.



Commitment und persönliche Verantwortung.



Eine in die Zukunft gerichtete Orientierung, die notwendige Veränderungen erkennt.

Die Unternehmenskultur wandelt sich im Zeitverlauf und kann dabei aktiv beeinflusst werden. Gerade deshalb werden Konflikte jedoch nicht ausbleiben, denn tradierte Werte können nicht ohne weiteres verworfen werden. Vielmehr wird eine Kultur erst dann unternehmerisch, wenn sich das Verhalten der Unternehmensmitglieder ändert, wenn die neuen Verhaltensweisen positive Impulse geben und erkennbar wird, dass sich dadurch nachhaltiger unternehmerischer Erfolg einstellt.219 Folgt man der Argumentation Timmons, so kann eine unternehmerische Kultur nur dann entstehen, wenn die Führungskräfte eine unternehmerische Vision entwickelt haben und mehr wie Unternehmer denn Manager agieren. Daneben müssen im Unternehmen kontinuierliche Lernprozesse vorangetrieben werden, die zu organisationalem Wandel, zu Innovation und Wachstum führen und die Kooperation zwischen allen Unternehmensmitgliedern fördern. Nur so können unternehmerische Werthaltungen und Eigenverantwortung implementiert werden. Zeitgleich mit dem Erreichen persönlicher und organisationaler Ziele entstehen im Unternehmen Vertrauen, gegenseitiger Respekt und der Ehrgeiz, neue Möglichkeiten zu entdecken, welche wiederum – so Timmons – zu einer starken und in sich stimmigen Unternehmenskultur führen.220 Nach der Darstellung der diversifizierten Unternehmung als strategisch-konzeptionellem Bezugsrahmen wird ihre Wandlungsfähigkeit diskutiert, welche im Hinblick auf die Realisierbarkeit des dezentralen Leadership-Ansatzes Einfluss nehmen kann.

2.3.1.3

Die Entwicklungsfähigkeit der diversifizierten Unternehmung

Die Entwicklungsfähigkeit bzw. der Wandel eines Unternehmens ist meist abhängig von Veränderungen in seinem Umfeld. Diese Veränderungen müssen allerdings von den Unternehmensmitgliedern wahrgenommen werden und letztere veranlassen, nach entsprechenden Antworten zu suchen, um für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet zu sein. So stellt Macharzina fest, dass der Umweltwandel sowie der Wandel des Unternehmens als Ergebnis des gegenseitigen Interaktionsprozesses verstanden werden können.221 Auslöser eines geplanten organisationalen Wandels und damit der Weiterentwicklung eines Unternehmens kann das 219 220 221

Vgl. Kotter (1996), S. 156. Vgl. die „Chain of Greatness“ von Timmons (1999). Vgl. Macharzina (2003), S. 124.

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Auftreten einer Veränderung sein, welche dazu führt, dass sich zentrale organisationale Variablen verändern. Sie kann wiederum das Verhalten der Organisationsmitglieder beeinflussen und schließlich zu organisationalem Wandel führen.222 Ziel der Organisationsentwicklung ist dabei einerseits die Verbesserung der organisationalen Leistungsfähigkeit und Effizienz zur Erreichung der strategischen Ziele des Unternehmens sowie die Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens für die Mitarbeiter.223 Die Entwicklungsfähigkeit der diversifizierten Unternehmung muss grundsätzlich unter zwei verschiedenen Aspekten analysiert werden. Einerseits kann sie sich durch die Veränderung ihrer Geschäftstätigkeit (z. B. der Aus- oder auch Abbau bestehender Geschäftsfelder oder der Aufbau von neuen Geschäftsbereichen) weiterentwickeln, andererseits können organisatorische und managementbezogene Veränderungsprozesse angekurbelt werden. Im erstgenannten Fall hängt die Entwicklung der bestehenden oder neuen Geschäftsfelder davon ab, ob es gelingt, nach der Identifikation der spezifischen Fähigkeiten im Unternehmen, diese zu Kernkompetenzen aufzubauen und das sich daraus ergebende produktive Potenzial auszunutzen und weiterzuentwickeln. Für diese Weiterentwicklung sind unternehmerisch denkende und handelnde Individuen vonnöten, die nach Schumpeter ständig neue Entwicklungen in Gang setzen, Innovationen hervorbringen und das Bisherige immer wieder in Frage stellen.224 Daher sollte neben der genannten tätigkeitsbezogenen Veränderung der Blick insbesondere auch auf die organisations- und führungsbezogenen Veränderungsprozesse gerichtet werden, um strategische, unternehmerische und führungsrelevante Schlüsselkompetenzen zu entwickeln, ein ganzheitliches Denken und Handeln im Unternehmen zu installieren, den Umgang mit Chancen und Risiken beherrschbar zu machen und über günstige Rahmenbedingungen und eine strukturelle Führung für eine Lernkultur im Unternehmen zu sorgen.225 Die daraus entstehende Dynamik stellt durchaus eine Herausforderung für ein diversifiziertes Unternehmen dar. Nach Mohren ist ein Unternehmen vor allem dann erfolgreich, wenn es ihm gelingt, neben seiner Fähigkeit zur dynamischen Anpassung an veränderte Wettbewerbsbedingungen auch eine gewisse Kontinuität (beispielsweise durch eine klare Vision und Strategien oder durch die Besinnung auf die Kernkompetenzen des Unternehmens) zu gewährleisten.226 Mohren unterscheidet drei unterschiedliche Ebenen der Entwicklungsfähigkeit diversi-

222 223 224 225 226

Vgl. Porras/Silvers (1991), S. 52ff. Vgl. Klimecki (1955); Richter (1994); Weber et al. (1993). Vgl. Schumpeter (1987). Vgl. Wunderer (2006), S. 379f. Vgl. Mohren (1996), S. 206.

60

KAPITEL 2

fizierter Unternehmen: die technologische, die organisatorische und die kulturelle Entwicklungsfähigkeit.227 Die technologische Entwicklungsfähigkeit steht in engem Zusammenhang mit den im gesamten Unternehmen vorhandenen Kernkompetenzen, die kontinuierlich weiterentwickelt werden müssen, um auch langfristig zur Wertsteigerung des Unternehmens und seiner Wettbewerbsfähigkeit beizutragen. Folgt man der Argumentation von Markides & Williamson führt nicht nur die Ausnutzung der Kernkompetenzen228 zu Mehrwert, sondern auch deren Weiterentwicklung sowie die Suche nach neuen Kompetenzfeldern.229 Für die marktgerechte Entwicklung von Technologien spielt die Nähe zu Markt und Kunden eine nicht unwesentliche Rolle. Strategische Geschäftseinheiten und Tochtergesellschaften haben diese Nähe zu lokalen Märkten und Kunden und können über spezifischen Fähigkeiten besitzen, die zusammen Entwicklungspotenziale für das gesamte Unternehmen bieten.230 Gerade in diesen Einheiten bedarf es deshalb des unternehmerischen Gestaltungswillens der Mitarbeiter und Führungskräfte, um zur Weiterentwicklung der einzelnen Einheit und dabei letztlich auch der diversifizierten Unternehmung beizutragen. Allerdings müssen Wissen, Fähigkeiten und Know-how der einzelnen Geschäftsbereiche im gesamten Unternehmen integriert werden, wozu es letztlich lern-, anpassungs- und koordinationsfähige Akteure im Unternehmen braucht. Die Anpassung der im Unternehmen bestehenden Kompetenz- und Wissensbasis ermöglicht erst die dynamische Anpassung des Verhaltens seitens der Organisationsmitglieder an die geänderten Bedingungen.231 Dabei spielt die effiziente Koordination bestimmter Prozesse und Abläufe eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen, weil auch sie zu einer Kernkompetenz im Unternehmen entwickelt werden können. Dies bedeutet konkret, dass die organisatorische Perspektive – verstanden als die Entwicklung und Transformation von Fähigkeiten und Wissen – einen maßgeblichen Einfluss auf die langfristige Konkurrenz- und Entwicklungsfähigkeit eines diversifizierten Unternehmens hat. Die dem spezifischen Wissen vorausgehenden Lernprozesse sind in individuelles und organisationales Lernen zu differenzieren, wobei beide sich gegenseitig beeinflussen. Was nicht in Form von Wissen vorhanden ist, wird vom Individuum

227 228

229 230 231

Vgl. ebenda, S. 207. Kernkompetenzen sind definiert als einzigartige, systematisch gebündelte Kombinationen von Ressourcen, Fähigkeiten, Wissen, Erfahrungen, Technologien und Kompetenzen und damit die Grundlage der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens (vgl. Prahalad/Hamel (1990)). Dadurch, dass sie in der Tiefenstruktur der Organisation verankert sind, sind sie einzigartig und nur schwer zu imitieren. Kernkompetenzen sind für Außenstehende kaum zu erkennen und auch durch eine Konkurrenzanalyse schwer zu identifizieren (vgl. Hinterhuber (2004a)). Ihre Entwicklung ist nach Hinterhuber (2004) eine Leadership-Aufgabe. Vgl. Markides/Williamson (1994), S. 149ff. Vgl. Birkinshaw (2000), S. 6f. Vgl. hier und im Folgenden Mohren (1996), S. 221ff.

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durch Annahmen über die Rechtmäßigkeit und Übereinstimmung mit den Werten und Normen im Unternehmen ergänzt. Durch individuelles Lernen und soziale Interaktion im Unternehmen findet also ein dynamischer Entwicklungsprozess statt, für dessen Gelingen es notwendig ist, altbewährte Verhaltens- und Handlungsmuster der Unternehmensmitglieder kritisch zu reflektieren und den veränderten Bedingungen anzupassen. Auch hier ist unternehmerisches Agieren der Organisationsmitglieder gefragt. Wenn man ein Unternehmen als ein komplexes System interpretiert, in dem ein systemisches Menschenbild vorherrscht, erkennt man an, dass die Unternehmensmitglieder sich durch ihr „intentionales Handeln und ihre Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit“232 auszeichnen. Dadurch sind die Mitglieder des Unternehmens gerade diejenigen, die dessen Entwicklung durch ihr Handeln maßgeblich beeinflussen und für die Zukunft gestalten. Deshalb muss es im Sinne der Letztentscheidungsträger der diversifizierten Unternehmung sein, die Kreativität und Lernbereitschaft aller Unternehmensmitglieder zu fördern und in den verschiedenen Geschäftsbereichen eine Kultur des selbständigen unternehmerischen Denkens und Handelns zu schaffen. Damit ist die Anstrengung des obersten Managements verbunden, die Selbstorganisations- und Kooperationspotenziale zu fördern, um dem Unternehmen Flexibilität im Hinblick auf seine Anpassungsfähigkeit an geänderte Bedingungen zu verleihen. Um den Anforderungen des dynamischen Wettbewerbsumfelds gerecht werden und marktnahe Entscheidungen treffen zu können, wird zunehmend eine dezentrale Unternehmensführung gefordert.233 Ihr geht die Dezentralisierung der diversifizierten Unternehmung voraus, wie sie im folgenden Kapitel 2.3.1.4 dargelegt wird.

2.3.1.4 2.3.1.4.1

Die Dezentralisierung der diversifizierten Unternehmung Begriffliche Abgrenzung von verwandten Gestaltungselementen

Neben Dezentralisierung bzw. Dezentralisation existiert eine Reihe verwandter Terminologien für organisationale Gestaltungselemente, etwa Partizipation, Funktionalisierung, Delegation, Standardisierung und Arbeitszerlegung, von denen nachfolgend die für diese Arbeit relevanten Begriffe Dezentralisation, Delegation und Partizipation herausgegriffen werden.234

232 233 234

Vgl. hier und im Folgenden ebenda, S. 234. Vgl. Scheffler (1992), S. 33f. Vgl. Hillenbrand (1976), S. 88ff.

62

KAPITEL 2

2.3.1.4.1.1

Dezentralisation

Zentralisation und Dezentralisation sind grundsätzlich als Extrempunkte eines Kontinuums zu verstehen, d. h. eine Erhöhung des Dezentralisationsgrads zieht gleichzeitig eine Verringerung des Zentralisationsgrads nach sich. Unter Dezentralisation wird die Art der Zuordnung von Aufgaben zu einzelnen Leistungsträgern bzw. -einheiten (z. B. Abteilungen, Stellen) innerhalb der Unternehmung verstanden, die zu einer zunehmenden horizontalen Autonomie führen. Gupta & Govindarajan verstehen Dezentralisierung als „the extent of decision-making authority that is delegated to the general manager of a subsidiary by corporate superiors“235. Hill et al. konkretisieren den Begriff, indem sie einerseits in einem geographischen Sinne von Delokalisierung bzw. der räumlichen Verteilung von Subsystemen sprechen und andererseits das Problem der vertikalen Zuordnung von Entscheidungskompetenzen auf Stellen (Delegation) thematisieren.236 Ähnlich verstehen auch Young & Tavares Dezentralisierung als eine Form der Delegation, die sich auf den Grad der Entscheidungsautorität und damit die Möglichkeit zu autonomen Entscheidungen auf lokaler Ebene bezieht.237 Je mehr Verantwortung für ökonomisch relevante Entscheidungen auf hierarchisch nachgeordnete Führungsebenen übertragen wird, desto höher ist der Dezentralisierungsgrad des Unternehmens und desto größer die Unabhängigkeit einer Person in der Ausübung von Planungs-, Ausführungs- und Kontrollfunktionen.238 Den stärksten Dezentralisierungsgrad weisen dabei die Divisions- bzw. Branchengliederung sowie die räumliche Dezentralisation auf, bei welcher bestimmte Teilaufgaben an jeweils getrennten Orten verrichtet werden. Die Führungskraft in einer autonomen Division verfügt dann über den größtmöglichen Handlungsspielraum, der nurmehr dadurch begrenzt wird, dass „die für die allgemeine Funktionsfähigkeit des Unternehmens notwendigen Koordinationserwartungen der Unternehmensleitung erfüllt werden“239 müssen. Sehr häufig wird für das Prinzip der Dezentralisation von Entscheidungsaufgaben – verstanden als Maß der horizontalen Autonomie in einer Organisation240 – auch der Begriff Delegation von Entscheidungen bzw. Entscheidungsbefugnissen verwendet.241 Bezug nehmend auf

235 236 237 238 239 240

241

Gupta/Govindarajan (1991), S. 785. Vgl. Hill et al. (1989b), S. 174f. Vgl. Young (2004), S. 228f. Vgl. Gebert (1976), S. 5; Hillenbrand (1976), S. 95; Bleicher (2001), S. 322. Hillenbrand (1976), S. 97. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980b), S. 27 sowie Hill et al. (1974), S. 9. Diese Autoren grenzen Dezentralisation (horizontale Autonomie) klar von Delegation (vertikale Autonomie) ab. Sie begründen diese Unterscheidung damit, dass die Aufgaben- und Kompetenzverteilung erstens als zwei unterschiedliche Stufen im organisatorischen Entscheidungsprozess zu sehen seien, und dass zweitens eine verstärkte Dezentralisierung von Organisationseinheiten nicht zwangsläufig zu einer höheren vertikalen Kompetenz- und Verantwortungsverteilung innerhalb der einzelnen organisationalen Einheiten führt. Eine derartige Unterscheidung findet sich bei Hage/Aiken (1967), S. 77f., die den (De-)Zentralisierungsgrad nach dem Ausmaß der gesamtorganisatorischen Entscheidungsbeteiligung („degree of participation in

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eine empirische Studie von Child, in welcher der Einfluss von Zentralisation strategischer und operativer Entscheidungen auf das Verhalten von Managern untersucht wurde, ist festzustellen, dass Zentralisierung signifikant negativ mit dem Umfang der von den Managern wahrgenommenen Kompetenzen korreliert. Darüber hinaus kam Child zu dem Ergebnis, dass zentralisierte Organisationsstrukturen „are found to be associated with managers perceiving their authority to be relatively low and their role routine relatively high.”242 Im Umkehrschluss heißt dies, dass mit zunehmendem Dezentralisierungsgrad auch die Bereitschaft zu mehr unternehmerischem Risiko sowie zu kreativem und innovativem Verhalten steigt, was Voraussetzungen für die Flexibilität und das Reaktionsvermögen eines etablierten Unternehmens ist.243 2.3.1.4.1.2

Delegation

Im Allgemeinen steht Delegation für den Prozess der bewussten Teilung von Autorität und wird häufig neben dem Begriff Dezentralisation als Indikator für die Verwirklichung kooperativer Führungsmethoden gewählt. Darüber hinaus wird Delegation meist als eine Kompetenzübertragung von einer höheren auf eine niedrigere hierarchische Ebene definiert.244 Sie meint die „vertikale Abtretung von Kompetenzen an nachgeordnete Stellen und erfasst damit die vertikale Autonomie, d. h. den Ermessens- und Entfaltungsraum untergeordneter Stellen.“245 Als zentrale Komponenten der Delegation werden eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten, ein erheblicher Ermessens- und Entscheidungsspielraum bei der Ausübung dieser Verantwortung, ferner die Autorität zur Ergreifung und Umsetzung von Entscheidungen ohne Konsultation Dritter sowie ein Informationsfluss bezüglich der erbrachten Leistungen genannt.246 Als positive Effekte der Delegation werden einerseits die Erhöhung der Entscheidungsqualität durch eine Vergrößerung der Wissens- und Informationsbasis, auf der eine Entscheidung getroffen wird, sowie andererseits die gesteigerte Flexibilität bei der Entscheidungsfindung, die vor allem bei sich ständig ändernden Bedingungen notwendig wird, gesehen. Darüber hinaus steigt durch Delegation das Engagement derjenigen, an die Aufgaben delegiert werden, vorausgesetzt sie empfinden letztere nicht als unmöglich oder unfair.

242

243 244 245 246

decision making“) und dem Entscheidungsspielraum am Arbeitsplatz („degree of hierarchy of authority“) unterscheiden. Vgl. Child (1973), S. 12f. Darüber hinaus konnte in einer weiteren empirischen Studie gezeigt werden, dass dezentrale Entscheidungsstrukturen mit kreativen Leistungen in Beziehung stehen. Kommunikation erwies sich hier als eng verbunden mit kreativer Leistung (vgl. Smith 1970, zitiert in Gebert (1974), S. 49). Vgl. Kao (1991b), S. 195. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980b), S. 27; Yukl (2001), S. 98. Hill et al. (1989a), S. 224. Vgl. hierzu Webber (1981).

64

KAPITEL 2

Grundsätzlich kann nur dann delegiert werden, wenn die Geführten über die entsprechenden fachlichen Fähigkeiten verfügen oder die situativen Bedingungen eine Delegation von Entscheidungsverantwortung zulassen. Gründe für mangelnde Delegation liegen in persönlichkeitsbezogenen Aspekten der Führungspersonen, die das Fehlerrisiko fürchten, Macht schwerlich abgeben können und Furcht vor Konkurrenz durch nachrangige Führungskräfte und Mitarbeiter haben.247 2.3.1.4.1.3

Partizipation

Partizipation steht für die Möglichkeit der Einflussnahme aller Organisationsmitglieder auf die betrieblichen Entscheidungsprozesse.248 Partizipation bezieht sich also einerseits auf die Mitwirkung, Mitsprache, Mitgestaltung oder die Mitbestimmung bei Entscheidungen bzw. bei der Festlegung der Unternehmensziele, kann aber andererseits auch im Sinne der Gewinnbeteiligung von Organisationsmitgliedern verstanden werden.249 Hillenbrand unterscheidet hierin zwischen direkter und indirekter Partizipation. Direkte Partizipation stellt die Beteiligung von Mitarbeitern an der Willensbildung einer hierarchisch höheren Organisationsebene dar, indem mehrere Personen unterschiedlicher Hierarchiestufen gemeinsam Kompetenzen ausüben. Trotz der Beteiligung verschiedener Organisationsmitglieder an Leitungsfunktionen und deren operativer Ausführung ändert Partizipation prinzipiell nichts an den bestehenden hierarchischen Strukturen. Partizipation ist in hohem Maße vom Verhalten des Führenden sowie von situativen Faktoren abhängig und kann sehr flexibel eingesetzt werden. Indirekte bzw. repräsentative Partizipation steht für die Bündelung von Befugnissen auf ein Organ bzw. einen Interessensvertreter, der eine Mehrzahl von Individuen repräsentiert.250 Grundsätzlich können die direkte und indirekte Partizipation gleichzeitig auftreten. 2.3.1.4.2

Dimensionen der Dezentralisierung von Unternehmen

Der Begriff Dezentralisierung wird in der Literatur zur Beschreibung der Veränderung von Organisations-, Entscheidungs- und Umsetzungsstrukturen verwendet. Dabei wird i. d. R. eine Unterscheidung im Hinblick auf die Ausrichtung des Dezentralisierungsprozesses getroffen, der sich nach Faust et al. entweder auf operativer oder strategischer Ebene abspielt.251 Diese Unterscheidung erscheint im Hinblick auf die Fragestellungen dieser Arbeit sinnvoll, weshalb sie in den folgenden Abschnitten näher ausgeführt wird.

247 248 249 250 251

Vgl. hierzu Untersuchungen von Yukl/Fu (1999), S. 219ff. sowie Miller/Toulouse (1986), S. 1389ff. Vgl. Hoffmann (1976). Vgl. Hillenbrand (1976), S. 108. Vgl. ebenda, S. 108ff. Vgl. Faust et al. (1999), S. 23.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

65



Die operative Dezentralisierung bezeichnet all jene „Versuche von Unternehmen, operative Kontrolle, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten aus der Hierarchie bzw. den indirekten Abteilungen und Stäben nach „unten“, zu den ausführend Beschäftigten bzw. in operative Einheiten zu verlagern.“252 Damit verbunden ist dann die Veränderung des hierarchischen Aufbaus, der Anforderungen und des Führungsverhaltens der Vorgesetzten. Je nach Grad und Dauerhaftigkeit kann die operative Dezentralisierung weiter untergliedert werden, in eine strukturbegleitende und eine strukturverändernde Ausprägungsform. Die strukturbegleitende Dezentralisierung ist zweckgebunden und zeitlich genau festgelegt; sie rüttelt nicht an den bestehenden Organisationsstrukturen, sondern ergänzt hierarchische und funktionale Strukturen. Die strukturverändernde, echte Dezentralisierung beschreibt hingegen einen grundsätzlichen und zeitlich unbegrenzten Eingriff in die organisationalen Ebenen und Abläufe.



Unter strategischer Dezentralisierung wird die Verlagerung aller Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf neu definierte Unternehmenseinheiten oder – im Rahmen der bestehenden Unternehmensgliederung – auf marktnahe Organisationseinheiten subsumiert. Darüber hinaus kann auch die Auslagerung bestimmter Prozesse und Aufgaben an externe Einheiten der strategischen Dezentralisierung zugeordnet werden.

Das Konzept der dezentralen Leadership sieht die teilweise Übertragung der unternehmerischen Verantwortung von Führungskräften der Zentrale auf jene der dezentralen Einheiten vor, da letztere in stärkerem Maße als die Entscheidungsträger in der Zentrale spezifisches Wissen über bzw. Nähe und Zugang zu bestimmten Märkten, Ressourcen oder Produkten haben können.253 Wie später noch gezeigt wird, geht das Aufgabenspektrum einer Führungsperson auf dezentraler Ebene idealerweise über operative Tätigkeiten hinaus und mündet vielmehr in unternehmerischem und strategischem Engagement. Dezentrale Führung kann so zu einer Strukturveränderung bzw. einer echten Dezentralisierung führen, weil sich Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche langfristig umverteilen sollen. Dennoch bewegt sie sich grundsätzlich im Spannungsfeld von operativer und strategischer Dezentralisierung. Aufgrund der Tatsache, dass weder alle Kompetenzen von der Zentrale auf dezentralen Organisationseinheiten übertragen werden sollen – wie dies bei der strategischen Dezentralisierung idealtypisch vorgesehen wird – noch eine vollkommene Ausgliederung der Unternehmenseinheit intendiert ist, kann nicht von einer rein strategischen Dezentralisierung gesprochen werden. Allerdings geht mit der Umsetzung des Konzeptes langfristig sicherlich eine strukturelle Veränderung der Organisation einher, weil den Führungspersonen vor Ort in zunehmendem Maße unternehmerische Verantwortung übertragen und ihnen damit eine Vorbildfunktion einge-

252 253

ebenda, S. 23. Vgl. Birkinshaw (2000), S. 14.

66

KAPITEL 2

räumt wird. Es wird in den folgenden Kapiteln gezeigt werden, welche Rolle den Führungspersonen in den dezentralen Einheiten zukommt. 2.3.1.4.3

Sinnhaftigkeit von Dezentralisierungsbestrebungen Soviel Dezentralisation wie möglich, soviel Zentralisation wie nötig. Knut Bleicher

Mit der Dezentralisation von Entscheidungsbefugnissen wird versucht, Organisationen durch unternehmerisches Handeln mit einer größeren Flexibilität auszustatten. Wie bereits gezeigt wurde, ist das externe Umfeld in der Regel Ursache für die Bestrebungen eines Unternehmens, nach neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten zu suchen. Es erscheint durchaus plausibel, dass mit einer steigenden Zahl von Unternehmensmitgliedern, welche sich der Suche nach neuen Geschäftsmöglichkeiten verschreiben, die Wahrscheinlichkeit zunimmt, tatsächlich wirtschaftliche Chancen im (un-)mittelbaren Umfeld wahrnehmen und ausnutzen zu können. Die Gründe, die für die Dezentralisierung von unternehmerischer Führungsverantwortung und damit eine Implementierung des dezentralen Leadership-Konzeptes sprechen, sind vielfältig. Zunächst ist die steigende Komplexität der Geschäftstätigkeit von Unternehmen in verschiedenen Märkten, Ländern und Geschäftsfeldern zu nennen. Sie manifestiert sich unter anderem im erhöhten Druck, mit immer niedrigeren Produktionskosten zunehmend flexibler, schneller und qualitativ hochwertiger produzieren zu können. Die Kundenbedürfnisse im Hinblick auf Qualität, Vielfalt und Individualität von Produkten und Dienstleistungen steigen stetig, ohne dass die Kunden längere Lieferzeiten und Mehrkosten in Kauf zu nehmen bereit wären. Zudem hat sich das Leistungsspektrum von traditionellen produktionsorientierten Unternehmen hin zu neuen Betätigungsfeldern im Dienstleistungsbereich erweitert, was ebenfalls zu einer Komplexitätssteigerung führte. Unternehmen stehen vielfach in wechselseitigen, vom Markt vorgegebenen Beziehungen mit anderen Wirtschaftsakteuren (z. B. Zulieferern mit „just-intime“-Systemen), wodurch ihre Abhängigkeit von Partnern steigt und damit auch der Koordinations- und Planungsaufwand mit etwaigen Kosten für das betreffende Unternehmen zunimmt. Der sich ständig ändernde Entwicklungsstand in einer Branche durch technologische Entwicklungen und Innovationen fordert auch von Unternehmen erhöhtes Innovationspotenzial, das wiederum nur durch eine enge Verknüpfung der einzelnen Funktionsbereiche (z. B. F&E, Marketing/Vertrieb, Produktion) sowie durch unternehmerisch orientierte Mitarbeiter zu gewährleisten ist.254 Doch gerade die Bürokratisierung der Organisationsstrukturen und die damit bisweilen einhergehende Unterauslastung der Arbeitskraft (beispielsweise im Hinblick

254

Vgl. Kanter (1985).

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

67

auf die Arbeitsintensität oder Problemlösekapazität) führten nicht selten zu Unzufriedenheit und Demotivation von Mitarbeitern.255 An dieser Stelle soll noch das spezifische Problem diversifizierter, multinational operierender Unternehmen thematisiert werden, das sich in mangelnder Transparenz der einzelnen Aktivitäten von Tochtergesellschaften und strategischen Geschäftseinheiten konkretisiert. Durch die Verlagerung von unternehmerischer Verantwortlichkeit von der zentralen auf die dezentrale Ebene wächst die Eigenverantwortung der Einheiten und führt bei entsprechender Integration der geographisch verstreuten Einheiten und einer verbesserten Kommunikation zwischen den Funktionsbereichen dazu, dass redundante Aktivitäten vermieden werden können.256 Obwohl Dezentralisierung auch mit dem Abbau von hierarchischen Stufen in Verbindung gebracht wird, wodurch sich Arbeitsbeziehungen verändern und manche Führungsebene obsolet wird, weisen Faust et al. ausdrücklich darauf hin, dass der „Hierarchieabbau […] nicht die Geringschätzung von „Führungsaufgaben“ [bedeutet].“257 Ganz im Gegenteil erfährt die Führungsaufgabe eine Aufwertung, weil die Letztentscheidungsträger durch die Abgabe von Verantwortung ihre nachrangigen Führungskräfte und Mitarbeiter zu proaktivem, unternehmerisch orientiertem Handeln ermuntern. Um nicht das Risiko einer unternehmensweiten Anarchie einzugehen, befinden sich jedoch insbesondere die Führungskräfte auf dezentraler Ebene in einem Spannungsfeld zwischen der notwendigen Abstimmung ihrer eigenen unternehmerischen Einstellung und Verantwortung mit jener der Zentrale bzw. anderen dezentralen Einheiten und der Motivierung der eigenen Mitarbeiter zu unternehmerischem Denken und Handeln, indem sie ihnen als Vorbild dienen. Schwierigkeiten sind mitunter unvermeidlich, da es kein allgemein gültiges, klar festgelegtes Profils von Führungskräften geben kann. Vielmehr sind Einstellungen, Intentionen und Aufgaben von verschiedenen Faktoren abhängig, wie noch erläutert werden wird.258

255

256 257 258

Vgl. Deutschmann (1987), der die Unterauslastung thematisierte und die „Rundumnutzung“ der Mitarbeiter in einem Betrieb forderte. Vgl. Hinterhuber et al. (2003), S. 116ff. Faust et al. (1999), S. 87. Vgl hierzu Kapitel 3.3.

68

KAPITEL 2

In Anlehnung an Bleicher können die Möglichkeiten, die sich durch Dezentralisierung ergeben, zusammengefasst werden:259 —

Befreiung der Spitze von operativer Überforderung und Ausrichtung auf strategische Planung.



Entformalisierung und Differenzierung des Vorgehens: Marktnahe Innovation und Produktgestaltung.



Unmittelbare und schnelle Kommunikation.



Operationsnähe.



Unternehmerische Motivation.



Flexibilität, Innovationskraft und Vernetzung mit der Umwelt als Folge.

2.3.1.5

Die Beziehung zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten

Es wurde bereits festgestellt, dass international tätige, diversifizierte Unternehmen sich einer höheren Komplexität in organisationaler und umweltbezogener Hinsicht gegenübersehen. Insbesondere dann, wenn ein beträchtlicher Teil der Wertschöpfung von bzw. in den (ausländischen) Tochtergesellschaften generiert wird, müssen diese Unternehmungen als stark arbeitsteilige Systeme begriffen werden, die nach Welge einen „systeminhärente[n] Zwang zur Koordination“260 aufweisen. Entscheidend im Hinblick auf die Abstimmung der Einzelaktivitäten und Interdependenzen um Ressourcen, Humankapital oder Know-how zwischen den verschiedenen organisationalen Einheiten ist dabei das Vorhandensein eines übergeordneten Unternehmenszieles.261 Die Koordination in international tätigen Unternehmen kann nach Welge in drei verschiedene Dimensionen gegliedert werden. Er unterscheidet zwischen strukturellen, technokratischen und personalen Koordinationsinstrumenten:262 —

259 260 261 262

Strukturelle Koordinationsinstrumente beinhalten die Errichtung von Kommunikationsbeziehungen (beispielsweise in Form von Komitees, Matrixstrukturen, Ausschüssen oder „cross-function work groups“ etc.) zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten.

Bleicher (2001), S. 323. Welge (1989), Sp. 1184. Vgl. Macharzina (2003), S. 875. Vgl. Khandwalla (1972) sowie Welge (1980), S. 192ff.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

69



Technokratische Koordinationsinstrumente, die Ergebnis von in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen sind, basieren auf Planungs-, Kontroll- und Informationssystemen, die generell nicht personengebundene Regelungen zur Steuerung der Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Unternehmenseinheiten sowie deren Ausrichtung auf ein gemeinsames Unternehmensziel hin darstellen. Konkret versteht Khandwalla unter technokratischen Instrumenten beispielsweise Lager-, Budget- und Qualitätskontrollen, die interne Revision oder die Heranziehung bestimmter finanzieller Kriterien, welche Grundlage für Investitionsentscheidungen darstellen.



Unter personalen Koordinationsinstrumenten sind all jene Bemühungen subsumiert, welche der Aus- und Weiterbildung der Unternehmenseinheiten sowie der Erzeugung eines Klimas des Vertrauens und der Zusammenarbeit dienen. Neben Trainee- und Entwicklungsprogrammen wird in diesem Kontext auch die Notwendigkeit des Praktizierens eines partizipativen Führungsstils genannt.263

Die Wahl eines geeigneten Steuerungsmechanismus in Unternehmen steht in engem Zusammenhang mit deren strategischer Ausrichtung. Dabei unterscheidet Macharzina zwischen idealtypischen und realtypischen Steuerungsmustern, die in weiterer Folge näher beleuchtet werden.264 Zur idealtypischen strategischen Orientierung kann die Klassifizierung nach Perlmutter herangezogen werden, die in Tabelle 7 auf der nachfolgenden Seite 70 dargestellt ist.

263 264

Vgl. Scherm (1999). Vgl. Macharzina (2003), S. 878ff.

70

KAPITEL 2

Organisationales Design

Ethnozentrische Orientierung

Polyzentrische Orientierung

Regiozentrische Orientierung

Geozentrische Orientierung

 Selektionsstrategie

 Einzelmarktstrategie

 Interaktionsstrategie

 Interaktionsstrategie

Komplex in der Zentrale, einfach in der dezentralen Einheit

Unterschiedlich und voneinander unabhängig

Höchst interdependent auf regionaler Ebene

Zunehmend komplex und interdependent

Vornehmlich in der Zentrale

Relativ eingeschränkt in der Zentrale

Hoch in regionalen Zentralen bzw. Zusammenarbeit zwischen TG

Fokus auf Zusammenarbeit zw. MG und TG

Evaluation und Kontrolle

Leistungsstandards von Zentrale festgelegt

Lokal definierte Standards

Regional bestimmt

Universal und lokal anwendbare Standards

Belohnungs- und Anreizsysteme

Hoch in der Zentrale, niedrig in den dezentralen Einheiten

Große Unterschiede, je nach Leistung der dezentralen Einheit

Belohnung für Beitrag zu regionalen Zielen

Belohnung für die Erreichung lokaler und weltweiter Ziele

Intensiv von der MG zu den TG, v. a. in Form von Anweisungen

Wenig Austausch zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten

Wenig Austausch von und zur Zentrale, aber zw. regionalen Einheiten

Austausch zwischen allen Einheiten. TGManager sind Teil des TMT

Nationalität der Zentrale als Eigentümerin

Nationalität des Gastlandes

Regionale Firma

Stark international orientiertes Unternehmen mit Interesse an Nationalität

Einsatz heimischer Führungskräfte in weltweiten Positionen

Entwicklung lokaler Führungskräfte für Schlüsselpositionen in ihrem Heimatland

Entwicklung von regionalen Humanressourcen für regionale Schlüsselpositionen

Entwicklung des am besten Qualifizierten für weltweite Schlüsselpositionen

Steuerungsmuster265 Komplexität der Organisation Autorität/ Entscheidungsfindungsprozess

Kommunikation und Information

Identifikation

Personalauswahl und -entwicklung

Tabelle 7:

Klassifizierung der strategischen Orientierung weltweit tätiger Unternehmen Quelle: in Anlehnung an Perlmutter (1969), S. 12 sowie Heenan/Perlmutter (1979), S. 18f.

Die ethnozentrische Strategie verfolgt das Ziel, attraktive Auslandsgeschäfte wahrzunehmen, wobei weniger auf länderspezifische Besonderheiten Rücksicht genommen wird. Die auslän-

265

Vgl. ebenda, S. 878ff.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

71

dischen Gesellschaften dienen aus der Sicht des Mutterunternehmens dem Export heimisch erzeugter Produkte. Deshalb ist die Entscheidungsfindung stark zentralisiert. Prozesse sowie Politikinhalte sind den Standards im Stammland der Gesamtunternehmung angepasst. Perlmutters polyzentrische Strategie steht für Unternehmen, die relativ autonome dezentrale Einheiten aufweisen, welche differenzierte Aufgaben übernehmen, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Dabei besteht zwischen den Einheiten relativ wenig materielle oder informationelle Interdependenz. Sie agieren nahezu als eigenständige Unternehmen in ihrem jeweiligen nationalen Markt. Die Muttergesellschaft zeigt deshalb relativ wenig Koordinationsaktivität. Standardisierung findet nur in sehr geringem Maße statt. Lediglich im finanzwirtschaftlichen Bereich werden einheitliche Standards erhoben, um den internen Zahlungsverkehr oder einen konzernübergreifenden Jahresabschluss zu ermöglichen. Heenan & Perlmutter ergänzten die Typen strategischer Orientierung um die regiozentrische Perspektive, die letztlich als eine Erweiterung der polyzentrischen Orientierung zu sehen ist. Anstatt sich an einzelnen Ländern zu orientieren, wird im Falle der regiozentrischen Strategie auf die zunehmende Regionalisierung der Wirtschaft Bezug genommen und eine Einteilung in einzelne, homogene Ländergruppen vorgenommen.266 Die geozentrische Ausrichtung eines Unternehmens steht in engem Zusammenhang zu einer Interaktionsstrategie bzw. zur transnationalen Unternehmung nach Bartlett & Goshal, da versucht wird, Vorteile der weltweiten Integration mit den Chancen der nationalen Anpassung zu verbinden. Aufgrund dieser Orientierung ergeben sich einerseits Autonomierechte der ausländischen Unternehmenseinheiten in marktbezogenen Funktionsbereichen und andererseits entstehen Integrationsbemühungen im internen Verhältnis der verschiedenen Einheiten. Letztere partizipieren folglich stärker an der unternehmerischen Entscheidungsfindung. Um die Koordination zu erleichtern, werden neben strukturellen Maßnahmen auch Führungskräfte von der Zentrale in die dezentralen Einheiten (und vice versa) transferiert. Damit kann eine lokale Anpassung an marktbezogene Funktionsbereiche bei gleichzeitiger Sicherung der internen Effizienz von Unternehmen erreicht werden. Somit wird die Kompetenzentwicklung bzw. die Ansiedelung von Know-how in den lokalen Unternehmenseinheiten ermöglicht. Entsprechend würden zentralisierte Entscheidungsprozesse – so Macharzina – zu „dysfunktionalen Wirkungen und Demotivierung des Auslandsmanagements oder Informationsverzerrungen“267 führen. Auf der Grundlage von umfassenden Informations- und Kommunikationsbeziehungen können die Tochtergesellschaften an Entscheidungsfindungsprozessen teilhaben und es wird möglich, die dezentralen Handlungen aufeinander abzustimmen. Insofern herrschen in Unternehmen mit geozentrischer Ausrichtung partizipative Entscheidungsprozesse vor. 266 267

Vgl. Heenan/Perlmutter (1979). Macharzina (2003), S. 882.

72

KAPITEL 2

Daneben wurde jedoch auch deutlich, dass manche Unternehmen keine der drei idealtypischen Strategien verfolgen, sondern eine Integrationsstrategie wählen, die sich nicht mit der Klassifizierung von Perlmutter in Einklang bringen lässt. Hinter dieser vierten Strategie verbergen sich interdependente Leistungsbeziehungen, die zentral gesteuert werden und daher in standardisierten Prozessen und Politikinhalten resultieren. Der Handlungsspielraum der dezentralen Einheiten ist entsprechend stark eingeschränkt, sodass sie nurmehr die Funktion von verlängerten Werkbänken erfüllen. In der Praxis findet sich noch eine abgeschwächte Form der globalen Orientierung („einfache Globalstrategie“), bei der die dezentralen Einheiten in bestimmten Bereichen wie etwa im Marketing über Entscheidungs- und Mitwirkungsrechte verfügen. Zusammenfassend können die vier Formen der strategischen Orientierung mit den bereits angesprochenen Unternehmensstrukturen in Einklang gebracht werden (vgl. Abbildung 6):

Globalisierungsvorteil

hoch

— — — —

Globale Branche Integrationsstrategie Ethnozentrisch Global

— — — —

Blockiert globale Branche Interaktionsstrategie Geozentrisch Transnational

niedrig

— — — —

Internationale Branche Selektionsstrategie Regiozentrisch International

— — — —

Multinational Branche Einzelmarktstrategie Polyzentrisch Multinational

niedrig

Abbildung 6:

hoch

Lokalisierungsvorteil/-erfordernis

Einordnung der strategischen Orientierung international tätiger Unternehmen Quelle: in Anlehnung an Delfmann (1998).

2.3.2

DIE DEZENTRALE EINHEIT

Dezentrale Einheiten und hierin insbesondere Tochtergesellschaften werden – im Vergleich zur Muttergesellschaft – zunehmend wichtiger, da sie zunehmend höhere Anteile an Umsatz, Gewinn und Deckungsbeitrag erwirtschaften.268 Daher ist die langjährige, einseitige ZentrumPeripherie-Betrachtung nicht mehr angebracht und kaum zeitgemäß. Da Tochtergesellschaften zunehmend über Ressourcen und Kompetenzen verfügen, die für die Gesamtunternehmung von Bedeutung sind, verlieren sie ihren Peripheriecharakter und die Gesamtunternehmung

268

Vgl. Kutschker/Schmid (2002), S. 324.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

73

beginnt, multizentrische Strukturen zu bilden.269 Die Bedeutung von Tochtergesellschaften und ihre Rolle im internationalen Unternehmensverbund verdeutlichen zahlreiche Forschungsarbeiten, welche in Kapitel 2.3.2.2 vorgestellt werden. Zunächst wird jedoch die dezentrale Einheit begrifflich eingeordnet.

2.3.2.1

Begriffliche Einordnung

In Ergänzung zu den Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln wird die dezentrale Einheit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Der Term „dezentrale Einheit“ wird in dieser Arbeit stellvertretend für die Begriffe „Tochtergesellschaft“ oder „Auslandstochtergesellschaft“ verwendet. Zum besseren Verständnis werden diese Begriffe definiert:270 Unter einer Tochtergesellschaft versteht man eine von einer Muttergesellschaft abhängige Kapitalgesellschaft (z. B. GmbH, AG), deren Kapital zu einem großen Teil – meist zu 100% – im Besitz der herrschenden Gesellschaft ist. In diesem Fall spricht man von einer vollbeherrschten Tochtergesellschaft, wobei auch Tochtergesellschaften als Mehrheitsbeteiligungen (zwischen 50,1% und 99,9% des Kapitals bzw. der Stimmrechte) denkbar sind. Dennoch sind Tochtergesellschaften im Gegensatz zu Betriebsstätten, Niederlassungen, Filialen oder Repräsentanzen „rechtlich selbständige Engagements“271. Tochtergesellschaften unterscheiden sich zum Teil stark, wenn man beispielsweise Vergleichsgrößen heranzieht, wie etwa ihre strategische Bedeutung, ihr Tätigkeitsspektrum (i. S. v. Wertschöpfungsaktivitäten mit vollständiger Wertekette oder mit spezialisierter Wertschöpfung), die Art ihrer Etablierung (Neugründung bzw. Akquisition) sowie ihre Größe oder die Dauer ihrer Zugehörigkeit zur Gesamtunternehmung. Für die Fragestellung des unternehmerischen Verhaltens von Führungskräften in dezentralen Einheiten kann es jedoch von Bedeutung sein, welche Rolle letztere innerhalb der diversifizierten Unternehmung einnimmt. Neben „Tochtergesellschaft“ wird häufig auch der Begriff „Auslandstochtergesellschaft“ verwendet. Sie verkörpert eine eigene Rechtspersönlichkeit und stellt die Grundeinheit eines internationalen Unternehmens im Ausland dar.272 Sie wird entweder durch Neugründung in einer vom Heimatland der Muttergesellschaft abweichenden Nation oder durch Akquisition eines ausländischen Unternehmens errichtet und ist mit Eigenkapital ausgestattet. Ihre Geschäftstätigkeit reicht von einer reinen Vertriebsgesellschaft bis zu einem produzierenden Un-

269 270 271 272

Vgl. hierzu Forsgen (1990). Gabler (2001); Kutschker/Schmid (2002). Vgl. hierzu und im Folgenden Kutschker/Schmid (2002), S. 870. Die Auslandstochtergesellschaft ist eindeutig von einer „Auslandsniederlassung“ abzugrenzen, die zwar ebenfalls eine Grundeinheit eines grenzüberschreitend tätigen Unternehmens darstellt und dabei entweder einzelne betriebliche Funktionen oder die gesamte betriebliche Leistungspalette übernehmen kann. Sie besitzt allerdings keine rechtliche Eigenständigkeit.

74

KAPITEL 2

ternehmen. Trotz der juristischen Eigenständigkeit einer Auslandstochter trägt die Muttergesellschaft die unternehmerische Verantwortung (Haftungsverantwortung). Es besteht jedoch zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft kein rein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis, vielmehr sind die Beziehungen sehr vielfältig und reichen vom Austausch von Finanzmitteln, Unterstützungs- und Serviceleistungen, über Leistungsverflechtungen hin zur weitreichenden Beteiligung an operativen und strategischen Entscheidungen. Wie eingangs festgestellt wurde, unterscheiden sich dezentrale Einheiten aufgrund der Art ihrer Tätigkeit und damit auch aufgrund ihrer strategischen Bedeutung/Rolle im Unternehmen. Da dieser Status auf die Entstehung von unternehmerischem Engagement Einfluss haben kann, dient das folgende Kapitel der Diskussion der unterschiedlichen Rollen dezentraler Einheiten innerhalb des Unternehmensverbundes.

2.3.2.2

Mögliche Rollen von Tochtergesellschaften

Tochtergesellschaften haben oftmals ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Muttergesellschaft, wie Steward feststellt: „Foreign subsidiaries of multinational corporations (MNCs) exhibit many of the characteristics of individuals – pride mixed with insecurity; a strong drive for identity, combined with the realization of the value of a parent with global reach; often a feeling of powerlessness, of frustration with the limited scope of their mandate, and the resentment of the paternalism frequently present in the relationship. As with individuals and teams, there are potentially great benefits in providing subsidiaries with more space for initiative and encouraging development of a sense of ownership.“273 Nicht selten generieren dezentrale Einheiten einen beträchtlichen Anteil des Gesamtumsatzes, weisen eine nicht unbedeutende Zahl von Mitarbeitern auf oder verfügen über spezifische Ressourcen und Kompetenzen. So können Tochtergesellschaften aufgrund ihrer Bedeutung für das Gesamtunternehmen weit mehr sein als verlängerte Werkbänke oder billige Produktionsstätten.274 Generell agiert eine dezentrale Einheit auf zwei spezifischen Wettbewerbsschauplätzen, die Chancen und Herausforderungen bereithalten, und die die strategischen Pläne der dezentralen Führungskräfte beeinflussen können: die „external competitive arena“ (z. B. Kunden, Zulieferer und Konkurrenten in lokalen Märkten) sowie die „internal competitive arena“ (z. B. Kunden, Zulieferer und konkurrierende Einheiten innerhalb der diversifizierten Unternehmung).275 Diese komplexe Situation, in der sich Tochtergesellschaften innerhalb einer Orga-

273 274 275

Steward (1995), S. 63. Vgl. Schmid et al. (1998), S. 3ff. sowie Birkinshaw (2000), S. 83. Vgl. Birkinshaw et al. (2005), S. 228.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

75

nisation befinden bzw. ihre Interaktion mit diesen verschiedenen Umwelten, ihre strategische Bedeutung, der Grad der Autonomie oder die Art der Koordination und Kontrolle können leichter erfasst werden, wenn man sich ihr aus zwei Richtungen annähert. Die Beziehung einer Tochtergesellschaft zu ihren externen Umwelten und ihre Bedeutung für die Gesamtunternehmung wurde meist aus der Perspektive der Mutterunternehmung betrachtet und repräsentierte damit die „Strategie“ der Mutterunternehmung, global koordinieren und gleichzeitig lokal (mittels Tochtergesellschaft) präsent sein zu können. Der Begriff „Struktur“ beschrieb die Art der Einbindung der dezentralen Einheit in den Unternehmensverbund und sollte sich langfristig der Strategie unterordnen.276 Die strategie- und strukturorientierte Annäherung an das Verhältnis von Mutter- und Tochterunternehmen wurde abgelöst durch die Fokussierung auf Zentralisierung und Formalisierung von Entscheidungsprozessen im Verhältnis von Mutter und Tochter, wobei den dezentralen Einheiten mitunter relativ viel Autonomie und Einfluss zugesprochen wurde.277 Eine dritte Forschungsrichtung betonte die Bedeutung der spezifischen Ressourcen von Tochtergesellschaften und die daraus resultierende Verschiedenartigkeit ihrer strategischen Rollen.278 Prahald & Doz lenkten den Blick auf die Entwicklung von Tochtergesellschaften aufgrund der Entscheidungen, die von ihrem Führungsteam getroffen wurden.279 Birkinshaw & Hood entwickelten schließlich ein Modell, das die Entwicklung von Tochterunternehmen an drei Triebkräften festmachte: der Mutterunternehmung, dem lokalen Umfeld und der strategischen Wahl der Tochterunternehmung.280 Wie bereits eingangs erläutert, werden die Variablen, welche auf die Situation einer Tochtergesellschaft Einfluss haben können, grundsätzlich in interne sowie externe Einflussfaktoren unterteilt, wobei noch zwischen der Ebene der dezentralen Einheiten und der Ebene der Zentrale differenziert wird (vgl. Tabelle 8, Seite 76). Die Ergebnisse der einzelnen Studien zeigen z. T. ein sehr widersprüchliches Bild281, was laut Birkinshaw & Morrison insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass die unterschiedlichen Rollen, welche Tochtergesellschaften innehaben können, bei der Betrachtung des Grads ihrer Autonomie und Integration im Gesamtunternehmen außer Acht gelassen wurden.282

276 277 278

279 280 281

282

Vgl. Klemm (1997), S. 30f. sowie Paterson/Brock (2002), S. 140. Vgl. hierzu Gates/Egelhoff (1986); Hedlund (1981). Auf die Unterschiedlichkeit der Fähigkeiten und Rollen von (ausländischen) Tochtergesellschaften internationaler Unternehmen weist Macharzina (2003), S. 864 ausdrücklich hin, da sich die dezentralen Einheiten unterschiedlichen Umfeldbedingungen gegenübersehen. Vgl. Prahalad/Doz (1981); Jarillo/Martinez (1990); Delany (1998). Vgl. Birkinshaw/Hood (1998). Ein guter Überblick über die verschiedenen, z. T. sehr widersprüchlichen empirischen Ergebnisse findet sich bei Birkinshaw/Morrison (1995), S. 732ff. sowie Klemm (1997), S. 32ff. Vgl. Birkinshaw/Morrison (1995), S. 732.

76

KAPITEL 2

Kontext der dezentralen Einheit

Kontext der Zentrale

Interne Faktoren

Externe Faktoren

Interne Faktoren

Externe Faktoren

- Größe/Alter der Tochtergesellschaft - Glaubwürdigkeit/ Reputation - Eigentumsverhältnisse - Performance

- Entwicklung des Gastlandes - Dynamik und Unsicherheit der Umwelt der Tochter - Ausmaß des lokalen Wettbewerbs

- Größe des Gesamtunternehmens - Branche - Strategie (Kultur, Interdependenzen) - Produktdiversifikation

- Geographische Ausdehnung - Dauer der Auslandsbetätigung - Nationalität des jeweiligen Heimatlandes der Zentrale

Tabelle 8:

Einflussfaktoren auf den Grad der Autonomie von dezentralen Einheiten Quelle: in Anlehnung an Klemm (1997) und Birkinshaw/Hood (1998).

Die Betrachtung der Rollentypologien ausländischer Tochtergesellschaften macht deutlich, dass die Rolle einer Tochtergesellschaft und der damit verbundene Grad ihrer Eigenständigkeit und Verantwortung von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Je eigenständiger die Tochtergesellschaft in einer Unternehmensgruppe ist und je wichtiger ihre Aufgaben und Funktionen im Gesamtunternehmen, desto größer ist auch der unternehmerische Handlungsspielraum der Führungskräfte und Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang stellt Birkinshaw fest, dass die Zentrale in der Regel jeder dezentralen Einheit entweder eine bestimmte Rolle zuschreibt („assigned role“) oder den ihr vorangestellten Führungskräften die Freiheit gibt, die strategische Position der betreffenden Tochtergesellschaft selbst festzulegen („assumed role“). Diese Unterscheidung deckt sich mit jener Cantwells, der zwischen „competence-exploiting subsidiaries“ und „competence-creating subsidiaries“ differenzierte.283 Die Rolle einer Tochtergesellschaft impliziert einen unterschiedlich großen Spielraum der lokalen Führungskräfte für eigenständiges unternehmerisches Handeln. Insofern setzt Birkinshaw den beiden Ansätzen zwei unterschiedlichen Formen von internem Unternehmertum gegenüber.284 Die wichtigsten Ansätze zu den strategischen Rollen von Tochtergesellschaften werden in Tabelle 9 auf den folgenden zwei Seiten gegenübergestellt:

283 284

Vgl. Cantwell (1987); Cantwell/Mudambi (2005). Vgl. Birkinshaw (2000), S. 19. In dezentralen Einheiten mit genau festgelegter Rolle wird eher „focused corporate entrepreneurship“, d. h. das gezielte Streben nach Erschaffung neuer Geschäftsfelder, stattfinden, während in Tochtergesellschaften mit mehr Eigenverantwortung „dispersed corporate entrepreneurship“ oder „intrapreneurship“ vorzufinden sein wird, welches langfristig die Entwicklung einer unternehmerischen Kultur nach sich zieht.

 TG in Kanada  MG vermutlich aus USA

 Qualitativ  Ca. 35 TG, davon 7 vertieft untersucht

TG

Art der Typo- Idealtypologie logie

Land der Durchführung

Empirische Stichprobe

Fokus

TG

Idealtypologie

 TG in Kanada  MG vermutlich aus USA Nicht eindeutig

 TG in Kanada  MG aus USA

 Qualitativ (persönli-  Qualitativ (Einzelche Interviews) fallbeispiel)  47 TG

TG

     

Ganze Organisation

Off-Shore Source Server Contributor Outpost Lead

Spezielle TG

 europäische TG  MG aus USA, Europa und Japan Idealtypologie, da Em- Empirisch induzierte pirie und Rollenkonzept Idealtypologie unterschiedlich

 Orte der TG unklar  MG aus USA und Europa

Eher Realtypologie (Dimensionen und Rollen vorab ermittelt)

 TG aus Spanien  MG aus USA, Europa und Japan

 Quantitativ (schrift-  Qualitativ (Fallstu-  Qualitativ liche Befragung) dien) (persönliche Interviews)  618 ausländische  8 bzw. später 10 inTG von 66 MG ternationale Firmen  50 TG und deren TG

Ganze Organisation

Strategic Leader Contributor Implementer Black Hole

 Autonomous Subsidiary  Receptive Subsidiary  Active Subsidiary

 Importer  Satellite Business  Local Service Business  Branch Plant  World Product Mandate  Globally Rationalized Business

   

 Truncated Business  Miniature Replica  Mature Nonstrategic Subsidiary  Strategically Managed Subsidiary 

Zahl und Be-  Miniature Replica zeichnung der  Marketing Satellite  Rationalized ManuRollen facturer  Product Specialist  Strategic Independent

Jarillo/Martinez (1990)

 Degree of Localization  Degree of Integration

Ferdows (1989); Ferdows (1997)

 Strategic Importan-  Primary Strategic ce of Local EnviReason for the Site ronment  Site Competence  Competence of Subsidiary

D'Cruz (1986)

Bartlett/Goshal (2000a); Bartlett/Goshal (1991); Bartlett (1989)

 Decision-Making  (Annual Business Zahl und Be-  Market Scope Autonomy Planning) zeichnung der  Product Scope Dimensionen  Value Added Scope  (Strategic Planning)  Extent of Market Involvement

Rollentypolo- White/Poynter (1984); gie nach: White/Poynter (1990)

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD 77

Tabelle 9:  TG in GB  Lokalisierung der MG unklar

 Lokalisierung der TG unklar (MG aus USA, EU und Japan) Eher Realtypologie (Dimensionen und Rollen vorab ermittelt)

 Quantitativ (schriftliche Befragung)  171 TG

Spezielle TG

 Quantitativ (schriftliche Befragung)  359 TG von 79 MG

Ganze Organisation

Art der Typo- Idealtypologie, aber später empirisch logie überprüft

Land der Durchführung

Empirische Stichprobe

Fokus

 Quantitativ (schriftliche Befragung)  115 TG

 TG aus USA, Kanada, GB, Frankreich; D und Japan Eher Realtypologie (Rollen vorab ermittelt, Dimensionen nur implizit)

 Quantitativ (schriftliche Befragung)  171 TG

 TG in GB  Lokalisierung der MG unklar Eher Realtypologie (Dimensionen und Rollen vorab ermittelt)

Spezielle TG

TG relativ zu anderen

Eher Realtypologie (Dimensionen und Rollen vorab ermittelt)

 TG in Dänemark  MG weltweit

 Quantitativ (schriftliche Befragung)  60 TG

TG

 Local Implementer  Independent Centre  Specialized Contributor  External Centre  World Mandate  Internal/Corporate Centre  Strategic Centre

Vassal Militant Collaborator Partner

   

 Autonomous Receptive  Constraint Independent  Quiescent

 Corporate Embeddedness  External Embeddedness

Forsgen/Pedersen (1997)

Zahl und Be-  Local Innovator  Global Innovator zeichnung  Implementer der Rollen  Integrated Player

Birkinshaw/Morrison (1995)

 (Market Scope)  (Product Scope)  (Value Added Scope)

Taggart (1996); Taggart (1997); Taggart (1998)

 Autonomy  Procedural Justice

Gupta/Govindarajan (1991); Gupta/Govindarajan (1994)

Zahl und Be-  Outflow of Know-  Degree of Localiledge zation zeichnung  Degree of Integrader Dimensi-  Inflow of Knowledge tion onen

Rollentypologie nach:

Charakter uneindeutig, da Korelation zw. Typologie und Empirie unklar

 TG in Belgien  MG weltweit

 Quantitativ (schriftliche Befragung)  Zahl der TG unklar

TG relativ zu anderen

 Dormant Centre  Administrative Centre  Strategic Centre of Excellence  Global HQ

 Domain of Influence  Scope of Influence

Surlemont (1996)

78 KAPITEL 2

Vergleichender Überblick über die verschiedenen Rollentypologien

Quelle: leicht verändert nach Schmid et al. (1998), S. 90ff. sowie Young (2004), S. 222 und Paterson/Brock (2002), S. 145f.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

79

Um einen besseren Überblick über die Parallelität der verschiedenen Ansätze zu erhalten, werden die wichtigsten in Tabelle 9 dargestellten Konzepte sowie der Ansatz von Roth & Morrison anhand der drei strategischen Typologien von Birkinshaw & Morrison gruppiert und näher erläutert werden.285 Unter „Local Implementer“ verstehen die Autoren all jene Tochtergesellschaften, deren Tätigkeit durch eine begrenzte geographische Reichweite (i. d. R. ein Land), eine geringe Zahl von Produkten bzw. einen niedrigen Beitrag zur Wertschöpfung der Gesamtunternehmung charakterisiert sind. Unter diese Gruppe fällt beispielsweise die von White & Poynter definierte Rolle der „Miniature Replica“, die als ein Abbild der Muttergesellschaft gesehen werden kann, da sie die gesamte Wertschöpfungskette innerhalb eines lokalen Marktes abdeckt. In diese Kategorie fällt auch die „autonome“ Tochtergesellschaft von Jarillo & Martinez, die kaum integriert ist und daher die meisten Wertschöpfungsaktivitäten selbst ausführt. Die „Branch Plant“ von D’Cruz verfügt über einen hohen Grad an Autonomie und wird mit zunehmenden eigenständigen Aktivitäten immer unabhängiger von der Muttergesellschaft. Gupta & Govindarajan untersuchten die Rollen dezentraler Einheiten auf der Basis des Wissenszu- und -abflusses und definierten eine „Local Innovator“-Tochter als diejenige, die weder Wissen von anderen Einheiten empfängt noch ihr Wissen abgibt. Die sowohl von Gupta & Govindarajan als auch von Bartlett & Goshal identifizierte „Implementer“Tochtergesellschaften sind etwas mehr in das Gesamtunternehmen integriert und adaptieren die globalen Produkte an die Bedürfnisse des lokalen Marktes. Forsgen & Pedersen definierten das „External Centre“, das ebenfalls dieser Kategorie zuzuordnen ist, weil es starke Beziehungen zum externen Umfeld unterhält. Taggarts „militant“ Tochtergesellschaft passt ebenfalls in diese Gruppe, weil sie über ein hohes Maß an Autonomie verfügt. Tochtergesellschaften, die in die Gruppe der „Specialized Contributors“ eingeordnet werden können, besitzen zwar große Erfahrung und Kompetenz in einem oder mehreren Funktionsbereichen, allerdings sind ihre Aktivitäten sehr stark mit dem Engagement der anderen dezentralen Einheiten abgestimmt. Die „Receptive Subsidiary“ von Jarillo & Martinez ist in diese Gruppe einzuordnen. Sie ist gekennzeichnet durch ein Umfeld mit einem hohen Grad an Integration bei niedriger lokaler Anpassung. White & Poynters „Product Specialist“- und „Rationalized Manufacturer“-Einheiten fallen auch in diese Kategorie. Sie besitzen einen globalen Verantwortungsbereich, jedoch ein relativ geringes Produktspektrum. Sie unterscheiden sich jedoch dadurch, dass Produktspezialisten im Gegensatz zu den „Rationalized Manufacturers“ eine hohe Wertschöpfung generieren. Die „Contributor Subsidiary“ von Bartlett & Goshal entspricht dem von Birkinshaw & Morrison definierten Rollentypus, weil sie in einem (rela285

Vgl. Birkinshaw/Morrison (1995), S. 733f. sowie Schmid et al. (1998) für den weitergehenden Vergleich der verschiedenen Rollentypologien. Daneben nehmen die Ausführungen Bezug auf die Arbeiten der in Tabelle 10 genannten Autoren.

80

KAPITEL 2

tiv) unwichtigen Markt spezielle Fähigkeiten und Kompetenzen besitzt, die auch für ein weltweites Engagement genutzt werden könnten. Die „Globally Rationalized Subsidiaries“ von D’Cruz produzieren für den Weltmarkt, ohne dabei jedoch eigene Entwicklungs- oder Vertriebsaktivitäten durchzuführen. Darüber hinaus sind sie eng mit anderen Unternehmenseinheiten verbunden. Der „Global Innovator“ von Gupta & Govindarajan gibt Wissen an andere Einheiten ab, empfängt jedoch umgekehrt kaum Know-how aus dem Gesamtunternehmen. Roth & Morrison definierten die „integrierte Einheit“, deren wertschöpfende Aktivitäten sich auf eine begrenzte Anzahl von Märkten erstreckt und die im Unternehmensverbund exklusiv über spezifische Kompetenzen verfügt. Forsgen & Pedersen charakterisierten Tochtergesellschaften als „Internal/ Corporate Centre“, weil sie intensive F&E-Beziehungen mit anderen Unternehmenseinheiten unterhalten. Schließlich passt Taggerts „Collaborator“Tochtergesellschaft in diese Gruppe, da sie zwar nicht unabhängig ist, jedoch in einem regen, wechselseitigen Austausch mit der Zentrale steht. Das „World Mandate“ von Birkinshaw & Morrison ist eng an das “Global Mandate” von White & Poynter angelehnt. Beide Typologien beschreiben Tochtergesellschaften, die weltweite oder regionale Verantwortung für eine Produktlinie oder ein ganzes Geschäftsfeld besitzen. Ähnlich verhält es sich mit der Typologie von Jarillo & Martinez, „active subsidiary“, die sowohl weltweit integriert als auch lokal angepasst ist. Ebenfalls in diese Gruppe ist das „World Product Mandate“ von D’Cruz einzuordnen, weil dieser Typ einer Tochtergesellschaft ein hohes Maß an strategischer Freiheit besitzt und für ein Produkt weltweit verantwortlich ist. Der „Strategic Leader“ (Bartlett & Goshal) befindet sich in einem strategisch wichtigen Markt und besitzt eine hohe Kompetenz im Hinblick auf bestimmte Funktionen. Auch zu dieser Typologie passt der „Integrated Player“ von Gupta & Govindarajan, der innerhalb des Unternehmensverbunds sowohl Wissen diffundiert, als auch absorbiert. Das „Global Subsidiary Mandate“ (Roth & Morrison) steht für weit reichende, d. h. lokale und multinationale Wertschöpfungsaktivitäten und hohe Flexibilität bei strategischen Entscheidungen. Das von Forsgen & Pedersen definierte „Strategic Centre“ besitzt eine hohe strategische Bedeutung sowohl innerhalb der Gesamtunternehmung als auch im Hinblick auf die externen Partner. Taggarts „Partner“ ist ebenfalls in diese Gruppe einzuordnen, da die Typologie für dezentrale Einheiten steht, die ein hohes Maß an Freiheit besitzen, in sehr engem Austausch mit der Zentrale stehen und dabei auch Einfluss auf die strategische Entscheidungen für das gesamte Unternehmen nehmen können. Häufig werden Tochtergesellschaften mit hoher Kompetenz auch als „Centers of Competence bzw. Excellence“ bezeichnet.286

286

Macharzina (2003), S. 866.

DAS EXTERNE UND ORGANISATIONALE UMFELD

81

Birkinshaw/Morrison (1995)

Local Implementer

Specialized Contributor

World Mandate

White/Poynter (1984)

Miniature Replica

Rationalized Manufacturer, Product Specialist

Global Mandate

D'Cruz (1986)

Branch Plant

Globally Rationalized

World Product Mandate

Bartlett/Goshal (2000a)

Implementer

Contributor

Strategic Leader

Jarillo/Martinez (1990)

Autonomous

Receptive

Active

Gupta/Govindarajan (1991)

Local Innovator, Implementer

Global Innovator

Integrated Player

Roth/Morrison (1992)

-

Integrated

Global Subsidiary Mandate

External Centre

Internal Centre

Strategic Centre

Militant

Collaborator

Partner

Forsgen/Pedersen (1997) Taggart (1997)

Tabelle 10:

Strategische Rollentypologien von Tochtergesellschaften Quelle: in Anlehnung an Birkinshaw/Morrison (1995), S. 733.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass den dargestellten Typologien zwar unterschiedliche Dimensionen zugrunde liegen, sie jedoch in vielerlei Hinsicht deckungsgleich sind oder zumindest Ähnlichkeiten aufweisen. Dieses hohe Maß an Parallelität war bei den ersten Überlegungen zu Strategie und Struktur von Tochtergesellschaften nicht gegeben. Letztlich ist davon auszugehen, dass sich die Bedeutung einer dezentralen Einheit innerhalb des Gesamtunternehmens in bestimmten Rollen bzw. Aufgaben widerspiegelt. Diese Rollen werden zunächst einmal in Abhängigkeit von externen Faktoren, so etwa den Entscheidungen der Muttergesellschaft bzw. den Vorgängen des externen Umfelds der dezentralen Einheit, gesehen.

2.4

Zusammenfassung und Fazit

Die Untersuchung des organisationalen und situativen Umfelds, in welchem sich die diversifizierte Unternehmung mit ihren Tochtergesellschaften und den darin tätigen Führungskräften befindet, ist für die Erforschung des dezentralen Leadership-Ansatzes deshalb von zentraler Bedeutung, weil innovatives und unternehmerisches Führungsverhalten in einem Kontext stattfindet, der von unternehmensinternen und -externen Faktoren bestimmt ist. Vor allem von diesen Faktoren wird angenommen, dass sie die Entstehung von dezentraler Leadership ver-

82

KAPITEL 2

hindern oder begünstigen können. Der Charakter des externen Umfeldes, die Strategie und Struktur der Gesamtunternehmung und die dezentrale Einheit als solche müssen als spezifische Einflussgrößen verstanden werden. So unterstreicht Russel die Bedeutung von dezentralen und informellen Organisationsstrukturen, innerhalb der alle Unternehmensmitglieder mehr Verantwortung und Autonomie übertragen bekommen. Herrscht darüber hinaus im Unternehmen eine Kultur, die unternehmerisches Verhalten als zentralen Wert und die Fähigkeit zu Innovation als wichtige strategische Aufgabe herausstellt, kann unternehmerisches Denken und Handeln etabliert werden.287 Trotz der Bedeutung von organisationalen und situativen Faktoren für unternehmerisches Verhalten, hängt unternehmerisches Führungsverhalten letztlich von einer entsprechenden Prädisposition der Führungsperson vor Ort ab. Daher wird in den folgenden Kapiteln das Thema Führung und im weiteren die Führungskraft der dezentralen Einheit in den Vordergrund gestellt.288

287 288

Vgl. Russel (1999), S. 73ff. Diese dreiteilige Betrachtung, d. h. „three levels of variables - environmental, organizational, and individual” war insbesondere von Covin/Slevin (1991) als für die Betrachtung von unternehmerischem Verhalten in etablierten Unternehmen als adäquat vorgeschlagen worden.

3 LEADERSHIP – FÜHRUNG IM SPANNUNGSFELD VON ZENTRALE UND DEZENTRALEN EINHEITEN When the deed is done, the mission accomplished, of the best leaders the people will say, ‘We have done it ourselves.’ Laotse

3.1

Einleitung

Leadership ist ein sehr facettenreiches und komplexes Thema, das seit langer Zeit die verschiedensten Disziplinen beschäftigte. Wie weit die Frage, was Führung ist, zurückzudatieren ist, zeigt auch das obige Zitat von Laotse. Neben Führung in Militär, Religion, Politik oder im sozialen Leben ist sie vor allem auch in Organisationen von zentraler Bedeutung. Im letztgenannten Kontext spielt sich Führung insbesondere im Zusammenspiel von Menschen ab, auf deren Schultern streng genommen die Unternehmensführungsfunktion lastet.289 Die Komplexität von Führung wird auch an der Vielzahl von theoretischen Ansätzen, die sich mit der Zeit herausgebildet haben, deutlich. So wird Führung auf bestimmte persönlichkeitsbezogene Eigenschaften zurückgeführt, als spezifische Verhaltensweise interpretiert oder aber als Prozess verstanden. Im organisationalen Kontext findet sich häufig auch die Unterscheidung zwischen Management und Leadership: „There is a difference between leadership and management. Leadership is of the spirit, compounded of personality and vision; its practice is an art. Management is of the mind, a matter of accurate calculation… its practice is a science. Managers are necessary; leaders are essential.”290 Obwohl Wissenschaftler wie Bennis & Nanus eine qualitative Unterscheidung zwischen Managern und Leadern vornahmen und damit ihren Beitrag dazu leisteten, dass der Begriff „Management“ zunehmend mit negativen Werten assoziiert wurde,291 sind Bass, Mintzberg, Kotter oder Hinterhuber eher dem Lager zuzurechnen, das Management und Leadership unterschiedliche Rollen zuweist, diese jedoch als einander ergänzend bewertet.292 Heute herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass Führungskräfte in einem modernen Unternehmen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie sowohl Management- als auch Leadership-Fähigkeiten auf sich vereinigen.293 So sind ManagementFunktionen – der Umgang mit Komplexität, Planung, Budgetierung, Organisation, Personal-

289 290 291 292 293

Vgl. Macharzina (2003), S. 123. Field Marshal Lord W. Slim (Britischer Militärkommandant, 1897-1971) zitiert in van Maurik (2001), S. 2. Vgl. Bennis/Nanus (1985), S. 21ff. Vgl. Mintzberg (1973a); Kotter (1988); Kotter (2001); Bass (1990); Hinterhuber (2003). Vgl. Kotter (1990a), S. 3ff.; Mintzberg (1973a); Yukl (2001), S. 6; Hinterhuber (2003), S. 19f.; Kent (2005), S. 1013.

84

KAPITEL 3

beschaffung, Controlling und Problemlösefähigkeiten – ebenso wichtig wie LeadershipFunktionen – Umgang mit Veränderung, Zielfestlegung, Motivation und Inspiration.294 Das Ziel des dritten Kapitels ist, das Phänomen „Führung“ in seiner Komplexität darzustellen und gleichzeitig das theoretische Fundament zu legen, auf dem der Ansatz der dezentralen Leadership entwickelt werden kann. Zunächst werden die verschiedenen theoretischen Ansätze jedoch in eine thematische Ordnung gebracht werden, um den Überblick zu erleichtern. Die inhaltliche Gruppierung der Theorien zeigt, dass sie nicht voneinander unabhängig betrachtet werden können, sondern dass sie zum Teil aufeinander aufbauen oder sich gegenseitig ergänzen. Wenngleich die nachfolgende Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, ist die Betrachtung der ausgewählten theoretischer Konzepte für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung. Führung spiegelt sich nämlich nicht nur in den Charakteristika einer herausragenden Persönlichkeit oder der Beziehung zwischen einer Führungsperson und ihren Mitarbeitern wieder, sondern bestimmt auch das Verhältnis zwischen oberen und mittleren Führungskräften in Organisationen. Dabei stellen sich Fragen, beispielsweise wie sich die Beziehung der Führungskräfte in den verschiedenen Einheiten eines Unternehmens gestaltet oder in welchem Umfang Entscheidungsbefugnisse zentralisiert bzw. dezentralisiert werden können. Die Beantwortung der beiden Fragen ist aber nur dann möglich, wenn geklärt ist, was unter Führung verstanden wird, wodurch sie sich auszeichnet und welche Faktoren sie letztlich bestimmen.

3.2

Allgemeine definitorische Annäherung an den Leadership-Begriff

So vielfältig die Perspektiven im Hinblick auf das Thema Leadership sind, so zahlreich sind die unterschiedlichen Definitionen des Begriffs.295 Stogdill stellte diesbezüglich fest, dass es beinahe so viele Definitionen gibt wie Menschen, die versucht haben, das Konzept zu definieren.296 Auch die Abgrenzung des Führungsbegriffs von verwandten Termini ist nicht immer eindeutig möglich.297 Trotzdem existieren einige wenige grundlegende Kategorisierungen, denen die vielen unterschiedlichen Definitionen des Führungsbegriffs zugeordnet werden können. Ein erster Ansatzpunkt bildet das Verständnis von Leadership als Prozess, der den Führenden in Interaktion zu einer Gruppe von Menschen setzt: „Leadership is a process of giving purpo-

294 295 296 297

Vgl. Kotter (1990b) und Cohen (2002). Vgl. stellvertretend Yukl (2001); Kent (2005). Vgl. Stogdill (1974), S. 259. Es findet sich in der Literatur eine Reihe dem Begriff ‚Führung“ verwandter Begriffe, wie Leitung, Management, Autorität, Macht, Einfluss, Herrschaft, Steuerung, Dominanz, Status oder Rang, die zum Teil synonym verwendet werden.

LEADERSHIP

85

se (meaningful direction) to collective effort, and causing willing effort to be expended to achieve purpose“298. Leadership wird allerdings ebenso häufig als Kombination von bestimmten Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person interpretiert. Jago versucht die Integration von Leadership als Prozess und als Eigenschaft, indem er feststellt: „The process of leadership is the use of noncoercive influence to direct and coordinate the activities of the members of an organized group towards the accomplishment of group objectives. As a property, leadership is the set of qualities or characteristics attributes to those who are perceived to successfully employ such influence.”299 Darüber hinaus finden sich auch Ansätze, die Leadership als Verhalten beschreiben oder die die Beeinflussung durch den Führenden als zentrales Element hervorheben.300 Northouse fasste diese unterschiedlichen Leadership-Perspektiven zusammen, indem er Leadership als einen Prozess innerhalb einer Gruppe von Individuen beschrieb, in dessen Verlauf ein Individuum auf andere Menschen Einfluss ausübt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen: „Leadership is the ability of an individual to influence, motivate, and enable others to contribute toward the effectiveness and success of the organization.“301 Yukl näherte sich 1998 in der vierten Auflage seiner Leadership-Monographie mit Hilfe einer ganzheitlichen Betrachtung dem Leadership-Begriff: “it involves a social influence process whereby intentional influence is exerted by one person over other people in an attempt to structure the activities and relationships in a group or organization.”302 Diese Definition erweiterte Yukl später, indem er nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die künftigen Herausforderungen einer Gruppe oder Organisation in die Definition integrierte: “Leadership is the process of influencing others to understand and agree about what needs to be done and how it can be done effectively, and the process of facilitating individual and collective efforts to accomplish the shared objective.“303 Später unterstreicht Yukl das unternehmerische Engagement in der Führung, welches gerade in turbulenten Zeiten der Globalisierung, der wirtschaftlichen und vor allem technologischen Dynamik sowie der Veränderungen der Unternehmensorganisation notwendig wird: „Leaders in these new organizations are expected to function more like entrepreneurs than like traditional managers. They must identify strategic opportunities, negotiate joint ventures with people in other organizations, build strategic alliances, and coordinate interdependent activities in dozens of locations spread around the globe.”304 Führung ist daher nicht auf einige wenige Individuen begrenzt, sondern kann von jedem Menschen erlernt werden. Sie ist – so Hinterhuber – eine Verhaltensweise, ein Lebens298 299 300 301 302 303 304

Jacobs/Jaques (1990), S. 281. Jago (1982), S. 315. Vgl. dazu Northouse (1997), S. 2. House et al. (1999), S. 184. Yukl (1998), S. 14. Yukl (2001), S. 7. Yukl (2001), S. 38.

86

KAPITEL 3

stil und somit auch eine Einstellung, die – wenn es notwendig wird – auch verändert werden kann.305 Diese allgemeine definitorische Annäherung an den Führungsbegriff soll zunächst dem Einstieg in die theoretischen Grundlagen dienen. Auf die spezifischen Führungsanforderungen in der Mutterunternehmung und ihren Tochtergesellschaften wird in einem späteren Kapitel eingegangen. Erst nach der Diskussion der unterschiedlichen Leadership-Theorien ist es möglich eine Abgrenzung vorzunehmen und das Konzept der dezentralen Leadership eindeutig zu definieren.

3.3

Führungskonzepte im organisationalen Kontext

Das vorliegende Kapitel wird eine Übersicht über zahlreiche Führungstheorien geben, die sich über viele Jahre in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre etabliert haben. Abbildung 7 zeigt die zentralen Ansätze der Führungsforschung, die miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig bedingen. So haben individuelle Eigenschaften Einfluss auf das Führungsverhalten und die Machtverhältnisse in einem organisationalen oder sozialen Kontext. Macht ist wie das Führungsverhalten aber von situativen Variablen und bestimmten Erfolgskriterien abhängig. Daneben bestehen aber auch zwischen dem Verhalten einer Führungskraft und situativen und intervenierenden Variablen wechselseitige Einflüsse.

Führungsverhalten

Eigenschaften

Macht

Situative Variablen

Intervenierende Variablen

Erfolgskriterien

Abbildung 7:

Konzeptioneller Rahmen der Leadership-Theorien Quelle: leicht abgewandelt nach Yukl (2001), S. 430.

305

Vgl. Hinterhuber (2003), S. 155.

LEADERSHIP

87

Im Folgenden werden die auf den Eigenschaften des Führenden basierenden Theorien vorgestellt, welche persönliche Charakteristika als primäre Einflussvariable zur Erforschung von Führungspersonen und -erfolg verstehen. Obwohl die unter den Eigenschaften-Ansatz eingeordneten Theorien in der Vergangenheit Kritik ausgesetzt waren, sind Persönlichkeit einer Führungsperson und ihr Verhalten, das in dieser Arbeit gesondert im Rahmen der verhaltensorientierten Ansätze thematisiert wird, noch immer entscheidende Faktoren im Hinblick auf ein holistisches Verständnis von Führung. Allerdings müssen, so von Rosenstiel, die Eigenschaften „vor dem Hintergrund der Führungssituation und vor dem Hintergrund anderer Persönlichkeitsmerkmale der Person interpretiert werden, mit denen sie in Interaktion stehen.“306 Deshalb werden nach der Betrachtung von Eigenschaften- und Verhaltensansätzen die situationsorientierten Theorien vorgestellt, welche verschiedene, kontextbezogene Variablen als bestimmend für die Art und den Erfolg der Führung charakterisieren. Die Übersicht über die verschiedenen theoretischen Konzeptionen wird schließlich abgerundet durch die Präsentation der transformationalen und strategischen Leadership-Theorien. Letztere setzen den Unternehmenserfolg in direkten Zusammenhang zur Führungsleistung, welche das Ergebnis der auf spezifischen Wertsystemen und mentalen Modellen beruhenden Interpretationen von branchen- bzw. wettbewerbsbezogenen Anforderungen durch die Führungskräfte ist.

3.3.1

EIGENSCHAFTENORIENTIERTE THEORIEN …it is unequivocally clear that leaders are not like other people. Shelley A. Kirkpatrick & Edwin A. Locke

3.3.1.1

Traditionelle Eigenschaften-Ansätze

Die Identifikation bestimmter Eigenschaften von erfolgreichen Führungspersönlichkeiten stellt die erste große theoretische Annäherung an das Thema Führung dar. Carlyle begründete mit seiner „Great Man“-Theorie diese Forschungsrichtung. Es konzentrierte sich auf individuelle Eigenschaften und Charakteristika großer (militärischer, politischer oder sozialer) Führer und sah diese als ursächlich für ihren Führungserfolg an.307 Die Wirksamkeit von Führung in der klassischen Version der Persönlichkeits- und Eigenschaftstheorie wird zunächst also als situations-, aufgaben- und gruppenunabhängig angesehen.308 Führung basiert einzig auf bestimmten Eigenschaften, die „zeitlich überdauernde, konsistente, generelle und ökonomische Beschreibungs- und Erklärungskonzepte“309 darstellen. Sie werden allerdings hinsichtlich ih306 307 308 309

von Rosenstiel (2003a), S. 10. Vgl. Carlyle (1910). Vgl. Wunderer/Grunwald (1980a), S. 113. ebenda, S. 123.

88

KAPITEL 3

rer Ausrichtung unterschieden. So können die Eigenschaften einer Führungsperson technischer, zwischenmenschlich-sozialer, konzeptionell-kognitiver oder administrativer Natur sein, wobei administrative Fähigkeiten schon stark in die verhaltensorientierte Forschungsrichtung weisen (vgl. Kapitel 3.3.2).310 Allerdings gehen die ersten Untersuchungen zu den Eigenschaften von Führungspersonen nicht so weit. Zunächst stand lediglich die Identifikation von Eigenschaften, die für den Führungserfolg relevant sind, im Vordergrund. Stogdill konnte in zwei unterschiedlichen Metaanalysen zusammenfassen, dass die untersuchten Studien bezüglich einiger Charakteristika von Führenden übereinstimmten. Führungskräfte zeichnen sich nach Stogdill insbesondere durch Intelligenz, ein starkes Verantwortungsbewusstsein, Ausdauer, Tatkraft, eine konsequente Aufgaben- und Zielorientierung, Anpassungsfähigkeit, Selbstvertrauen, eine hohe Frustrationstoleranz sowie durch die Fähigkeit aus, andere zu lenken.311 Ähnliche Untersuchungen finden sich auch später beispielsweise bei Lord et al. oder Kirkpatrick & Locke.312 Eine der aktuellsten Studien zu Führungseigenschaften thematisiert implizite Führungstheorien, d. h. persönliche Annahmen von Geführten über diejenigen Eigenschaften und Fähigkeiten, die eine ideale Führungsperson ausmachen.313 Obwohl die Autoren zeigen, dass verschiedene Gruppen von Geführten diverse Führungscharakteristika unterschiedlich stark bewerten, befindet sich die Studie in Einklang mit der ursprünglichen Annahme, dass Führungseigenschaften kontextunabhängig und im Zeitverlauf stabil sind, und bestätigt damit frühere Forschungsergebnisse zu Führungseigenschaften.314 Trotz der Bandbreite von Eigenschaften sind jene als zentral anzusehen, die mehrfach in Studien genannt werden: Intelligenz, Selbstvertrauen, Verantwortungsbewusstsein, Männlichkeit, Bestimmtheit, Integrität sowie Freundlichkeit.315 Stogdill und Mann kamen letztlich zu dem Schluss, dass die Persönlichkeit allein Führung nicht erklären kann und dass der organisationale Kontext eine wichtige Rolle dabei spielt, welche Eigenschaften zu Führungserfolg führen.316 Obwohl es stets das Ziel des traditionellen Eigenschaften-Ansatzes war, eine hohe Korrelation zwischen Personenmerkmalen und Füh310

311 312 313 314

315

316

Die Kategorisierung von Eigenschaften nach Yukl (2001) wird im Rahmen der neueren EigenschaftenAnsätze thematisiert. Vgl. Stogdill (1974), S. 81. Lord et al. (1986); Kirkpatrick/Locke (1991). Vgl. Epitropaki/Martin (2004), S. 293. Es findet sich eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, dass bestimmte Führungseigenschaften und -fähigkeiten unabhängig von Geschlecht, professionellem Hintergrund oder kulturellen Gegebenheiten als charakteristisch für Führungspersonen angesehen werden. Vgl. hierzu Offerman et al. (1994); Nye/Forsyth (1991); House et al. (1991). Vgl. Stogdill (1948); Mann (1959); Stogdill (1974); Lord et al. (1986); Kirkpatrick/Locke (1991); Offerman et al. (1994); Northouse (1997). Vgl. Mann (1959); Stogdill (1974); Peterson et al. (2003).

LEADERSHIP

89

rungserfolg zu finden317, gilt es heute in der „seriös zu bezeichnenden Führungsliteratur“318 als überholt, personale Eigenschaften per se als wesentliches oder ausschließliches Kriterium für Führungserfolg bzw. -effektivität zu sehen, v. a. weil die Allgemeingültigkeit bestimmter Eigenschaften nur schwer zu beweisen ist.319 Auch trägt die statische Betrachtung von Führungseigenschaften der Komplexität einer Führungssituation nur unzureichend Rechnung.320

3.3.1.2

Neuere Eigenschaften-Ansätze

Stellvertretend für viele Versuche, entscheidende Persönlichkeitsmerkmale zu identifizieren und die Interpretation von Persönlichkeitsmerkmalen zu vereinfachen, wird der „Big Five Personality Traits“-Ansatz321 vorgestellt, der einen konzeptionellen Rahmen bildet, in dem relevante Eigenschaften fünf Metakonstrukten zugeordnet werden: Extraversion („Extraversion/ Surgery“), Verträglichkeit („Agreeableness“), Gewissenhaftigkeit („Conscientiousness“), emotionale Instabilität („Neuroticism/ Emotional Instability“) sowie Offenheit für Neues („Intellectance/ Openness to Experience“).322 Extraversion ist charakterisiert durch die Attribute Freundschaftlichkeit, Geselligkeit, Redseligkeit sowie Durchsetzungsvermögen, die den Interaktions- und Energiegrad in der Führung bestimmen und in einer Dominanz des Führenden gegenüber Dritten resultieren. Verträglichkeit steht für persönliche Wärme, Vertrauen sowie Kooperation mit und Akzeptanz von anderen, was den Zusammenhalt von Teams und die Möglichkeit zur Dezentralisierung von Verantwortung positiv beeinflusst. Gewissenhaftigkeit reflektiert den Grad der Verlässlichkeit, des Verantwortungsbewusstseins, der Leistungsbereitschaft sowie des Willens einer Person, vorgegebene Regeln zu befolgen. Analog ist nach Peterson et al. davon auszugehen, dass gewissenhafte Führende eher zu einer Zentralisierung der Verantwortung tendieren und die Kontrolle über ihr Umfeld bewahren wollen.323 Emotional instabile Führende werden ängstlich und defensiv beschrieben, haben geringes Selbstvertrauen und wirken deshalb auf andere eher schwach. Darüber hinaus wird angenommen, dass diese Führungskräfte eher risikoavers sind. Offenheit von Führungspersonen äußert sich in der Bereitschaft, neue Erfahrungen zu machen, Risiken einzugehen und intel-

317

318 319

320

321 322

323

Gibb (1947), Jenkins (1947) und Stogdill (1948) konnten in einer Analyse verschiedener Studien eine positive Korrelation zwischen Eigenschaften und diversen Indikatoren für Führungserfolg feststellen. Wunderer/Grunwald (1980a), S. 122. Das Problem mit den frühen Eigenschaftenansätzen ist nach House/Aditya (1997) u. a. darauf zurückzuführen, dass einerseits empirische Persönlichkeitstheorien fehlten, auf deren Basis die Studien hätten durchgeführt werden können und andererseits die Operationalisierung von Eigenschaften zu unterschiedlich war. Vgl. Mann (1959), Kirkpatrick/Locke (1991) sowie Lord et al. (1986). Auch Conger/Kanungo (1998) bemerken, dass der Eigenschaftenansatz Führung simplifiziert und daher als unzulänglich anzusehen ist. Vgl. unter anderem Digman (1990), Hough (1992) sowie McGrae/Costa (1999). Vgl. hier und im Folgenden McGrae/Costa (1987), S. 81ff., Gosling et al. (2003), S. 504ff. sowie Peterson et al. (2003), S. 798ff. Vgl. hier und im Folgenden Peterson et al. (2003).

90

KAPITEL 3

lektuell flexibel zu sein. „It is one thing to know that personality characteristics are an important determinant of leadership effectiveness, it is quite another to know how (i. e. through what processes) personality has an impact on effectiveness”324, stellten Peterson et al. fest und fanden in ihrer empirischen Analyse letztlich Belege dafür, dass sich die persönlichen Charakteristika des Vorsitzenden der Geschäftsleitung auf die Gruppendynamik des Top Managements und darüber hinaus auf den Unternehmenserfolg auswirkten. Trotz dieser positiven Belege hängt die Aussagekraft der „Big-Five“Eigenschaftenkategorisierung immer davon ab, welche Eigenschaften unter den fünf Konstrukten subsumiert werden und welcher Zusammenhang zwischen den fünf Konstrukten und der Effektivität von Führung besteht. Wie bereits im vorangegangenen Unterkapitel angedeutet wurde, können Eigenschaften zudem aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausrichtung unterschieden werden:325 —

Unter technischen Fähigkeiten, die hauptsächlich durch Ausbildung und berufliche Erfahrungen erlangt werden, wird das Wissen über Methoden, Prozesse und den Einsatz von Maschinen für spezielle Aufgaben verstanden. Auch die Kenntnis über Regeln, Organisationsstrukturen, Managementsysteme, Mitarbeiter sowie die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens werden darin zusammengefasst. Technische Fähigkeiten geben Organisationsmitgliedern die Möglichkeit, innovative Produkte zu entwickeln oder bestehende Produkte zu optimieren. Wenngleich technische Fähigkeiten allein nicht ausreichen, um sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten, bilden sie doch die Ausgangsbasis für die strategische Planung im Unternehmen. Letztere wiederum setzt die Fähigkeit einer Führungsperson voraus, Wandel wahrzunehmen, wirtschaftliche Herausforderungen sowie gesellschaftliche Trends zu erkennen.



Konzeptionelle oder kognitive Fähigkeiten spielen daher ebenfalls eine große Rolle, wie etwa analytisches oder logisches Denken, Kreativität, Urteilsfähigkeit sowie Voraussicht und Intuition. Sie sind insbesondere dann von Bedeutung, wenn es um eine effektive Planung und Organisation geht und Probleme gelöst werden müssen. Auch ermöglichen kognitive Fähigkeiten einer Führungsperson den Wandel im externen Umfeld zu verstehen und dessen Konsequenzen für das Unternehmen zu antizipieren. Kommt Intuition hinzu, so gelingt es einer Führungsperson unter Unsicherheit (beispielsweise in Folge von Informationsmangel) Entscheidungen zu treffen.

324 325

ebenda, S. 796. Vgl. Yukl (2001), S. 176. Analog dazu nennt Wunderer (2006), S. 57ff. als Schlüsselkompetenzen insbesondere mit Blick auf unternehmerisches Denken und Handeln die Gestaltungskompetenz (vgl. kognitiven Fähigkeiten), die Umsetzungskompetenz (vgl. technischen Fähigkeiten) und die Sozialkompetenz.

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Schließlich sind jene Fähigkeiten für Führungspersonen wichtig, die als interpersonale oder soziale Kompetenzen zutage treten. Darunter fällt die Fähigkeit, Einstellungen, Wertorientierungen, Motive und Gefühle zu verstehen und klar zu kommunizieren. Empathie, Diplomatie oder Taktgefühl sind insbesondere bei der Entwicklung und Pflege von zwischenmenschlichen Beziehungen mit Mitarbeitern, Kollegen oder Vorgesetzten entscheidend.



Eine Führungsperson sollte ferner administrative Fähigkeiten besitzen, die wiederum eine Kombination der zuvor beschriebenen technischen, kognitiven und interpersonalen Kompetenzen einschließen. Weil aber administrative (Management-) Fähigkeiten eher als Verhaltensweisen zu verstehen sind, werden sie an dieser Stelle nicht näher beschrieben.326

Die engere Betrachtung von Führungseigenschaften abschließend sollen noch drei weitere Kompetenzen zumindest angesprochen werden, weil sie eine Erweiterung zu den klassischen Fähigkeiten einer Führungsperson darstellen: die emotionale und soziale Intelligenz sowie die Fähigkeit des lebenslangen Lernens.327 Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die dargestellten Eigenschaften und Fähigkeiten nicht für jede Führungsanforderung und -situation in gleicher Weise relevant sind. Dieser Erkenntnis Rechnung zu tragen, war der Anspruch neuerer Untersuchungen des Eigenschaftenansatzes. Ein erster Versuch, über die Analyse von Führungseigenschaften hinauszugehen, stellt McClellands Forschungsprogramm dar, das sich auf die Führungsmotivation konzentriert, die anhand von drei Bedürfnissen eines Individuums gemessen wird: das Erbringen von Leistung, das Streben nach Macht und Einfluss sowie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit.328 „Achievement motivation is defined as a non-conscious concern for achieving excellence in accomplishment through one’s individual efforts.“329 Dieser Kategorisierung entsprechend ist eine Person, die ein starkes Leistungsstreben besitzt, dann mit sich zufrieden, wenn sie Aufgaben erfolgreich erfüllt oder hervorragende bzw. noch nie erreichte Leistungen zeigen kann. Eine solche Person verlässt sich daher wenig auf das Eintreten glücklicher Zufälle, sondern auf sich selbst. Ein Individuum mit einem starken Bedürfnis nach Zugehörigkeit sucht nach der Wertschätzung und Sympathie anderer. Die soziale Interaktion insbesondere mit Freunden und die Zusammenarbeit mit anderen führen zu einer gesteigerten Motivation. Schließlich versucht eine nach Macht strebende Person Einstellungen, Emotionen und Verhaltensweisen anderer zu beeinflussen, weshalb sie vor allem beruflich anspruchsvolle und ein326

327 328 329

Vgl. Yukl (2001), S. 184ff. für eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Fähigkeiten und Eigenschaften einer Führungsperson. Vgl. stellvertretend Goleman (1995); Zaccaro et al. (1991); Argyris (1991). Vgl. McClelland (1965) sowie McClelland (1985). House/Aditya (1997), S. 413 mit Bezug auf McClelland et al. (1958).

92

KAPITEL 3

flussreiche Positionen innehaben möchte. McClelland konnte zeigen, dass Führungskräfte in großen Unternehmen im Allgemeinen ein stark sozial orientiertes Macht- sowie ein verhältnismäßig starkes Leistungsstreben bei einem relativ niedrigen Zugehörigkeitsbedürfnis aufweisen.330 Andere Autoren fanden heraus, dass Teams unter der Führung einer motivierten Person im Vergleich zu anderen Gruppen erfolgreicher sind und dass zwischen der Leistungsmotivation einer Führungskraft und dem Unternehmenserfolg unternehmerisch geprägter Organisationen ein starker Zusammenhang besteht.331 Auch Miner konzentrierte sich in seiner schon 1965 formulierten Theorie zur Führungsmotivation auf Führungskräfte in großen, hierarchischen Unternehmen. Er ging der Frage nach, welche motivationalen Eigenschaften erforderlich sind, um beruflich erfolgreich zu sein.332 Miner konnte zeigen, dass Individuen mit ausgeprägtem Machtstreben, Konkurrenzdenken und einer positiven Einstellung zu Autoritätspersonen eher in der Hierarchie aufsteigen als Individuen mit anders ausgeprägten Merkmalen. Allerdings konnte dieser Zusammenhang bei Führungspersonen in kleinen Unternehmen nicht bestätigt werden. Die unterschiedlichen Ansätze der Eigenschaftentheorie zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Stärken des Eigenschaftenansatzes im Vergleich zu anderen Forschungsrichtungen vor allem in seiner Einfachheit liegen. Dies ist nach Lord et al. unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass Führung mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften assoziiert wird.333 Führungspersonen besitzen in der Wahrnehmung anderer außergewöhnliche Eigenschaften, die sie befähigen, außergewöhnliche Leistungen zu erbringen und die sie deshalb eindeutig von anderen Menschen unterscheiden.334 Trotz der Vielzahl von Studien gibt es weder eine definitive Zahl von Führungseigenschaften, noch können Aussagen darüber getroffen werden, welche Persönlichkeitsmerkmale besonders relevant für Erfolg und Effektivität von Führungspersonen sind.335 Die Erklärung von Führung mittels Persönlichkeitsmerkmalen und Eigenschaften haben in der Praxis zwar noch immer großen Stellenwert,336 für sich allein betrachtet sind Eigenschaften jedoch keine verlässliche Quelle zum besseren Verständnis von Führung. Werden Eigenschaften jedoch in Verbindung mit anderen Einflussvariablen wie et330 331 332 333 334

335

336

Vgl. hierzu stellvertretend für weitere empirische Studien McClelland/Boyatzis (1982). Vgl. Litwin/Stringer (1968) sowie House et al. (1997) Vgl. Miner (1965). Vgl. Lord et al. (1986), S. 402ff. An dieser Stelle sei nochmals auf die bereits erwähnten implitziten Führungstheorien verwiesen, die davon ausgehen, dass eine Person erst dann zu einer Führungsperson wird, wenn sie von anderen als solche wahrgenommen wird. Vgl. Northouse (1997), S. 22f. sowie Macharzina (2003), S. 483. Allerdings konnten im Rahmen der GLOBE-Studie (vgl. u. a. House et al. (1999)), die in über 60 Ländern die herausragenden Führungseigenschaften zu identifizieren versuchte, Integrität, Inspiration, Team- und Leistungsorientierung, Partizipationsbereitschaft und Entscheidungsfähigkeit als bedeutende Eigenschaften herauskristallisiert werden. Vgl. Wunderer (2006), S. 277.

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93

wa situativen Bedingungen gesetzt, sind sie eine wichtige Basis für das Verständnis von Führung. Wie in den nachfolgenden Kapiteln noch deutlich werden wird, spielen Eigenschaften in vielen Führungskonzepten eine – wenn auch nicht die zentrale – Rolle.

3.3.2

VERHALTENSORIENTIERTE THEORIEN

Nachdem sich die reine Analyse der Eigenschaften für die Erklärung von Führungserfolg als wenig verlässlich zeigte, konzentrierte man sich verstärkt auf das Führungsverhalten bzw. auf Führungsstile337. Die Klassifizierung der verschiedenen verhaltensorientierten Führungstheorien erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch ebenfalls als nicht unkritisch, da sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten eine immense Fülle an wissenschaftlicher Forschung zu diesem Thema angesammelt hat. Deshalb verschaffen die von Yukl et al. definierten Metakategorien einen ersten Überblick über das Führungsverhalten: Führungsverhalten kann einerseits in aufgaben- bzw. zielgerichtete, beziehungsfokussierte sowie andererseits veränderungsorientierte Verhaltensweisen von Führungspersonen gegliedert werden.338 Ferner sind die einzelnen Theorien aufgrund ihrer Entstehung entweder als idealtypisch-konzeptionell oder als empirisch-fundiert zu beschreiben. In der weiteren Folge werden die einzelnen Theorien entsprechend der Anzahl der einbezogenen Untersuchungsdimensionen voneinander abgegrenzt. Einer vierstufigen Gliederungslogik folgend beginnt die Diskussion der Verhaltenstheorien mit der eindimensionalen Kontinuumstheorie von Tannenbaum & Schmidt, welche nur einen einzigen Aspekt zur Klassifikation von Führung berücksichtigt: die Entscheidungspartizipation. Stellvertretend für zweidimensionale Ansätze wird das Verhaltensgitter („Managerial Grid“) von Blake & Mouton dargestellt. Abgesehen von dieser idealtypischen Konzeption sind jedoch auch zwei empirisch-fundierte Theorien den zweidimensionalen Ansätzen zuzurechnen: die Ohio-Studien um Fleishman et al. und die Michigan-Studien um Likert et al. Die 3-D-Theorie der Führung nach Reddin repräsentiert die dreidimensionalen, idealtypischen Konzepte. Als Beispiel für einen vierdimensionalen Ansatz soll das einflussorientierte Führungsstilmodell von Farris genannt werden, der vier Führungsstile (Verzicht, Dominanz, Delegation und Zusammenarbeit) unter dem Aspekt der Einflussnahme innerhalb von Organisationen unterscheidet. Daneben existieren eine Reihe von vieldimensionalen, idealtypischen Konzeptionen, von denen der Führungsstil-Ansatz von Bleicher stellvertretend herausgegriffen wird, da er auf dem Grundgedanken von Tannenbaum & Schmidt aufbaut und „ein System abgestufter organisatorischer

337

338

Ein Führungsstil ist ein „ein zeitlich überdauerndes und in Bezug auf bestimmte Situationen konsistentes Führungsverhalten von Vorgesetzten gegenüber Mitarbeitern“, wie Wunderer/Grunwald (1980a) feststellen. Ein Führungsstil unterscheidet sich dabei vom Führungsverhalten insofern, als sich der Führungsstil eines Vorgesetzten erst anhand von wiederholt beobachtbaren Verhaltensmustern dieser Person zeigt. Vgl. Yukl et al. (2002), S. 15f.

94

KAPITEL 3

Führungselemente entwickelt, die verschiedene Führungsstile zu beschreiben erlaubt.“339 Ein empirisch fundiertes, vieldimensionales Führungskonzept stellt die Kontingenztheorie von Fiedler dar, die jedoch in einem späteren Kapitel vorgestellt wird, da ihr inhaltlicher Schwerpunkt schon eher auf situativen Parametern liegt.

3.3.2.1

Der entscheidungsorientierte Ansatz nach Tannenbaum & Schmidt

Tannenbaum & Schmidt340 schlagen in ihrem 1958 entwickelten Modell vor, das Führungsverhalten einer Person an ihre Potenziale, an die Potenziale der Geführten und an die spezifische Situation zu knüpfen. Aufgrund des Umstands, dass das Führungsverhalten vom Umfang des Entscheidungsspielraums abhängt, den eine Führungsperson im Vergleich zu einer ihr gegenüberstellten Gruppe besitzt, könnte dieser theoretische Erklärungsansatz grundsätzlich auch zu den partizipativen Theorien gezählt werden. Mit der partizipativen Führung ist immer eine bestimmte Form von Entscheidungsprozessen verbunden, die neben der primären Führungsperson andere Individuen mehr oder weniger stark in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Je nachdem, wie groß dieser Entscheidungsspielraum ist, variiert nach Tannenbaum & Schmidt das Führungsverhalten vom autoritären bis hin zum kooperativen Führungsstil. Während die Mitarbeiter beim autoritären Führungsstil keine Möglichkeit der Einflussnahme auf Entscheidungen haben, sind sie beim kooperativen Führungsstil einer (nur noch koordinierend eingreifenden) Führungsperson innerhalb bestimmter Grenzen in die Entscheidungsfindungsprozesse involviert.341 Zwischen diesen beiden Extremen finden sich weitere fünf Ausprägungen des Führungsverhaltens, wie Abbildung 8 auf Seite 95 zeigt.

339 340 341

Wunderer/Grunwald (1980a), S. 218. Vgl. Tannenbaum/Schmidt (1958), S. 95ff. Vgl. Rodler/Kichler (2002), S. 42f.

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95

Mitarbeiterzentriertes Leadership

Nutzen der Autorität durch die Führungskraft

Manager fällt und verkündet seine Entscheidung.

Abbildung 8:

Manager „verkauft“ anderen die Entscheidung.

Spielraum für Mitarbeiter

Manager stellt Ideen vor und erlaubt das Stellen von Fragen.

Manager präsentiert vorläufige Entscheidung, die geändert werden kann.

Manager stellt Problem vor, erhält Lösungsvorschläge und entscheidet.

Manager legt Rahmenbedingungen fest und bittet die Gruppe um eine Entscheidung.

Kooperativer Stil

Autoritärer Stil

Führungskraft-zentriertes Leadership

Manager erlaubt Mitarbeitern Entscheidungen innerhalb der von ihm definierten Grenzen zu treffen.

Leadership-Verhaltenskontinuum Quelle: leicht verändert nach Tannenbaum/Schmidt (1958), S. 96.

Die Frage, wie sich eine Führungskraft verhalten bzw. welchen der sieben Führungsstile sie zu welchem Zeitpunkt anwenden soll, hängt nach Tannenbaum & Schmidt von drei Einflussfaktoren ab: der Führungskraft selbst, den Mitarbeitern und der Situation.342 Interne Kräfte, die das Führungsverhalten beeinflussen, sind der persönliche Hintergrund des Managers, seine Erfahrungen sowie sein Wissen und Wertesystem, sein Umgang mit Unsicherheit und sein Vertrauen in die Mitarbeiter. Als externe Kräfte sind die Mitarbeiter jedoch auch durch ihre Persönlichkeit beeinflusst und haben mitunter sehr unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse, welche die Führungskraft bei der Entscheidung für einen Führungsstil berücksichtigen sollte. Schließlich können situative Kräfte, wie der Organisationstyp, die Effektivität der Mitarbeiter in einer Gruppe, die Problemstellung oder der Zeitdruck, auf die Art des Führungsverhaltens eine Wirkung haben. Obwohl die idealtypische Kontinuumstheorie in der Literatur aufgrund der Möglichkeit der Klassifizierung von Führungsstilen große Popularität erreicht hat, gilt sie heute als überholt, da sie – wenngleich verschiedene Einflusskräfte angesprochen werden – lediglich eine situative Einflussvariable, die Partizipation an Entscheidungen, thematisiert und nicht explizit erklärt, in welcher Weise die anderen Einflussfaktoren wirken.343

342 343

Vgl. hier und im Weiteren Tannenbaum/Schmidt (1958), S. 98ff. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980a), S. 225.

96

KAPITEL 3

3.3.2.2

Empirische Studien zum Führungsverhalten (Ohio-/ MichiganStudien)

Die beiden bedeutendsten empirischen Studien zum Führungsverhalten wurden in den 50er Jahren an der Ohio State University sowie an der Universität von Michigan durchgeführt. Ihr Ergebnis waren zwei grundlegende Führungsdimensionen, Sachaufgaben- und Mitarbeiterorientierung. An der Ohio State University entwickelten Hemphill et al. das sog. „Leadership Behavior Description Questionnaire“ (LBDQ). Dieser Fragenkatalog zeigte zunächst 1800 unterschiedliche Aspekte von Führungsverhalten auf, welche die Autoren auf 150 Fragen reduzierten, die sie schließlich an die Mitarbeiter und Führungskräfte des Militärs, der Wirtschaft und des Erziehungswesens richteten.344 Eine Faktoranalyse ergab, dass die Befragten vor allem zwei Verhaltensweisen von Führungskräften besonders wahrnahmen: „Consideration“ und „Initiating Structure“:345 —

„Consideration“ steht für Verhalten, das auf gegenseitigem Vertrauen beruht und durch gegenseitige Wertschätzung, Achtung und Wärme zwischen dem Vorgesetzten und seinen Mitarbeitern gekennzeichnet ist. Einsatz und Sorge um die Bedürfnisse des Einzelnen innerhalb der Gruppe werden bei dieser Dimension betont. Unterstützt wird dies durch eine wechselseitige, offene Kommunikation zwischen dem Führendem und den Mitarbeitern, welche letztlich auch in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.



„Initiating Structure“ umfasst Verhaltensweisen der Führungskraft, die eine Strukturierung, Definition und Klärung der zu erreichenden Organisationsziele beinhalten, und durch welche die Rollen festlegt werden, die jeder Einzelne einzunehmen hat, um die anvisierten Ziele zu erreichen. Der Vorgesetzte motiviert die Mitarbeiter zu Leistung, kontrolliert und beaufsichtigt sie bei der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben.

Hemphill et al. gingen davon aus, dass die beiden dargestellten Dimensionen voneinander unabhängig sind und nicht als Extrempunkte eines Kontinuums zu verstehen sind.346 Daher kann eine Führungsperson sowohl niedrige und hohe Werte entlang der beiden Dimensionen zei-

344 345 346

Vgl. Hemphill/Coons (1957). Vgl. Fleishman (1973), S. 8; Fleishman/Harris (1962), S. 43; Fleishman/Peters (1962), S. 127ff. Eine vergleichende Untersuchung durch Weissenberg/Kavanagh (1972) zeigte, dass die Dimensionen Initiating Structure und Consideration z. T. signifikant miteinander korrelierten und daher die von Fleishman postulierte Unabhängigkeit der Dimensionen angezweifelt werden musste. Allerdings ist bei dieser Analyse zu beachten, dass das Führungsverhalten in der Selbstwahrnehmung der Führungsperson und in der Fremdwahrnehmung durch die Mitarbeiter eruiert wurde. Eine genauere Analyse von Kerr et al. (1974), welche Fremd- und Selbstwahrnehmung getrennt voneinander untersuchte, zeigte, dass bei der Selbsteinschätzung die beiden Dimensionen in 67% der Fälle unabhängig waren, während bei der Fremdeinschätzung in 75% der Fälle eine Abhängigkeit von Initiating Structure und Consideration nachgewiesen werden konnte.

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97

gen, also sowohl mitarbeiter- als auch aufgabenorientiert sein. Allerdings ist es aufgrund der z. T. widersprüchlichen empirischen Ergebnisse als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass moderierende Variablen, wie etwa Einstellungen, Erwartungen und Werte der Mitarbeiter, Hierarchieebenen oder die Art der Aufgaben einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Führungsverhaltens haben. So identifizierten beispielsweise Kerr et al. nach einer intensiven Literaturanalyse eine Reihe von relevanten Einflussvariablen: Druck, aufgabenbezogene Zufriedenheit, Bedürfnis der Mitarbeiter nach Informationen, Statushöhe der Mitarbeiter, Aufgabensicherheit, Einfluss des Vorgesetzten auf höherrangige Führungspersonen sowie organisatorische Abhängigkeit der Mitarbeiter.347 Stogdill bemerkte in diesem Zusammenhang, dass eine hohe Aufgabenorientierung im Vergleich zur Mitarbeiterorientierung tendenziell in einer größeren Gruppenproduktivität resultiert, wohingegen Mitarbeiterorientierung eher als Aufgabenorientierung zu einer größeren Zufriedenheit führt. Trotzdem hielt Stogdill den zweidimensionalen Ansatz insgesamt für unzulänglich, um der Komplexität des Führungsverhaltens gerecht zu werden. Stattdessen schlug er zwölf voneinander unabhängige Merkmalsdimensionen vor, anhand derer Führung charakterisiert werden kann: Neben den bekannten Faktoren Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung nannte er Repräsentation, Konfliktausgleich, Toleranz hinsichtlich Ungewissheit oder Freiheitsspielraum, Überzeugungskraft, Rollenbeibehaltung, Betonung der Produktion, Vorhersagegenauigkeit, Integration und Einfluss durch Vorgesetzte.348 Es zeigte sich jedoch auch hier, dass vom Anspruch der Allgemeingültigkeit über alle Hierarchieebenen hinweg Abstand genommen werden muss.349 Die zweite prominente, ebenfalls empirisch-induktive Untersuchung des Führungsverhaltens wurde an der Universität von Michigan durchgeführt, um das Verhältnis von Führungsverhalten erfolgreicher Vorgesetzter, Gruppenprozessen und einer gruppenbezogenen Leistungsmessung zu erforschen.350 Bei näherer Betrachtung der Untersuchungsergebnisse kristallisierten sich auch hier zwei, zunächst als voneinander abhängig angesehene Dimensionen heraus, welche die Forscher als Mitarbeiter- und Produktionsorientierung („employee/ production orientation“) bezeichneten.351 Aufgaben- bzw. produktionsorientiertes Führungsverhalten zeigt sich bei erfolgreichen Führungskräften darin, dass diese anderen Beschäftigungen als ihre Mitarbeiter nachgehen; sie übernehmen vor allem planerische, koordinierende oder technische Aufgaben und setzen hohe, jedoch realistische Ziele. Neben der Aufgabenorientierung finden besonders erfolgreiche Führungskräfte allerdings die Zeit, ihre Mitarbeiter zu unter347 348 349 350 351

Vgl. hierzu ausführlich Kerr et al. (1974). Vgl. Stogdill (1974), S. 140ff. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980a), S. 254. Vgl. Yukl (2001), S. 53. Vgl. Likert (1972); Likert (1975) sowie Katz/Kahn (1966).

98

KAPITEL 3

stützen. Ähnlich wie beim „consideration“-Führungsverhalten der Ohio-Studien schließt mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten Vertrauen, eine freundschaftliche Atmosphäre, Verständnis und Interesse an den Problemen und Ideen der Mitarbeiter sowie die Bereitschaft zur Förderung der Mitarbeiter ein. Effektive Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Mitarbeitern im Rahmen bestimmter Vorgaben und Regeln etwas mehr Spielraum bezüglich der Arbeitsgestaltung überlassen und ihnen unterstützend zur Seite stehen.352 Mit einer steigenden Zahl empirischer Studien zeigte sich, dass die beiden Dimensionen nicht als zwei Extremausprägungen zu sehen, sondern voneinander unabhängig zu bewerten sind. Die Konsequenz dieser veränderten Annahmen ist, dass Führungspersonen sich sowohl mitarbeiter- als auch aufgabenorientiert verhalten können. Dies bestätigt auch eine neuere empirische Untersuchung von Shea, die zeigen konnte, dass die Orientierung der Führungsperson einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Leistung hat. Untersucht wurden die Effekte verschiedener Führungsstile, u. a. die Aufgaben- bzw. Beziehungsorientierung auf Leistungsquantität und -qualität, wobei sich herausstellte, dass unter dem Einfluss eines beziehungsund mitarbeiterorientierten Führenden mehr und auch qualitativ hochwertigere Leistungen erzielt wurden als unter einer aufgabenorientierten Führung.353 Likert erweiterte das traditionell zweidimensional gegliederte Führungsstilmodell zu einem vierfach unterteilten Führungssystem, das zwischen dem ausbeutend autoritären (System 1), dem wohlwollend autoritären (System 2), dem beratenden (System 3) und dem partizipativgruppenbezogenen (System 4) Führungsstil unterschied. Likert ergänzte die Führungssysteme durch weitere von ihm als wichtig erachtete Merkmale wie Motivation, Kommunikation, Interaktions- bzw. Beeinflussungsprozesse, Entscheidungsfindungsprozesse, Kontrolle, Leistung, Zielfestlegung sowie Befehlserteilung.354 Diese Vorgehensweise, d. h. die ganzheitliche Betrachtung der Organisation, erscheint aus heutiger Sicht durchaus sinnvoll, vor allem wenn es um die Bewertung des Führungssystems geht. Deshalb ist bei der Analyse, Interpretation und Veränderung von Führungssystemen in Organisationen zwischen kausalen (z. B. Art des Führungsverhaltens), intervenierenden (z. B. Gruppenkohäsion, Leistungsziele, Motivation, Einstellungen der Mitarbeiter gegenüber der Führungsperson etc.) und resultierenden (z. B. Höhe des Umsatzes, Produktivität, Innovationskraft, Qualität) Variablen zu unterscheiden.355 Anhand ihrer empirischen Studien versuchten Likert & Likert schließlich den Nachweis zu erbringen, dass der partizipativ-gruppenorientierte Führungsstil den anderen drei Stilen über-

352 353 354 355

Vgl. Yukl (2001), S. 53. Vgl. Shea (1999), S. 414ff. Vgl. Likert (1975), S. 185ff. Vgl. ebenda, S. 36f.

LEADERSHIP

99

legen ist.356 Für die bestmögliche Realisierung der partizipativen Führung357 stellte Likert daher drei Prinzipien auf:358 —

Nach dem Prinzip der unterstützenden Beziehungen muss Führung sicherstellen, dass die Organisationsmitglieder ihre zwischenmenschlichen Beziehungen für ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstverwirklichung als förderlich empfinden.



Das Prinzip der überlappenden Gruppen, welches durch die Führungsperson hergestellt werden muss, soll gewährleisten, dass eine intensive Zusammenarbeit innerhalb und zwischen organisationalen Gruppen möglich ist. Diese Zusammenarbeit erlaubt dann, Entscheidungen auf Gruppenebene zu treffen.



Schließlich sollen hohe Leistungsziele durch die partizipative Führung gesteckt und die Mitarbeiter dazu bewegt werden, sich für die Erreichung dieser Ziele einzusetzen.

Dennoch reichen diese allgemeingültigen Postulate nicht aus, in jeder Situation effektive Führung zu gewährleisten. Die Berücksichtigung situativer Bedingungen, ist auch bei Likerts Ansatz unumgänglich, wie er selbst feststellt: „Principles never should be applied in a rigid, uniform manner regardless of the requirements of the specific situation.“359 Es ist resümmierend festzuhalten, dass es trotz der Vielzahl an Untersuchungen zu Führungsstilen im Allgemeinen und den beiden vorgestellten Theorien im Speziellen keine definitive Bestätigung ihrer Wirkung auf Führungsleistung oder soziale Effizienz gibt. Die empirischen Studien zeigten ein sehr uneinheitliches Bild bezüglich des Zusammenhangs zwischen Führungsstil und Führungserfolg, was zum Teil auf methodische Schwächen, unterschiedliche Operationalisierungen oder Stichprobengrößen zurückzuführen war.360 Auch ist davon auszugehen, dass die zweidimensionalen Führungskonzeptionen ähnlich wie der Eigenschaftenansatz das komplexe Phänomen Führung zu stark vereinfachen und damit von einer ganzheitlichen Erfassung weit entfernt bleiben.361

356 357

358 359 360

361

Vgl. Likert/Likert (1976), S. 16f. Auf eine detaillierte Darstellung des partizipativen Führungsstils wird an dieser Stelle verzichtet und auf die Ausführungen in Kapitel 3.3.4 verwiesen. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980a), S. 259. Likert/Likert (1976), S. 55. Stellvertretend für die vielen Studien sollen an dieser Stelle Yukl (1971), Allerbeck (1977), Seidel (1978) und Bass (1990) genannt werden. Dies stellt auch Yukl (1999) in seinem Essay fest (vgl. S. 34).

100

KAPITEL 3

3.3.2.3

3D-Management Style Theory nach Reddin

Da Reddin bezweifelte, dass es einen idealen Führungsstil gibt, der den Führungserfolg zu erklären in der Lage ist, entwickelte er seine „3D-Management Style Theory“362. Er war der Ansicht, dass jede Führungsaufgabe einzigartig ist und dass der Führungserfolg davon abhängen würde, wie gut der Führungsstil, der eine Kombination aus Aufgaben- und Beziehungsorientierung darstellt, den Anforderungen der spezifischen Situation gerecht wird. Die situativen Anforderungen setzen sich nach Reddin aus den Anforderungen der Tätigkeit, den Erwartungen des Vorgesetzen (i. e. Unternehmens- bzw. Managementphilosophie, Stil des Vorgesetzen) sowie den Bedürfnissen der Untergebenen (i. e. ihre Erwartungen und die Art ihrer Bedürfnisse) zusammen.363 Die Abhängigkeit des Führungsstils von diesen situativen Parametern soll letztlich zu effektivem oder ineffektivem Führungsverhalten führen. Entscheidende Kompetenzen jeder Führungsperson sind dann entsprechend die Fähigkeit der Situationsdiagnose und -änderung sowie ihre Flexibilität.364 Wie aus der 3D-Theorie hervorgeht, charakterisiert Reddin eine Führungsperson entsprechend seinen vier effektiven Führungsstilen als „Bürokrat“, „Entwickler“, „gütiger Autokrat“ und „Führungsperson“. Der Bürokrat ist erfolgreich, weil er in erster Linie die Regeln befolgt. Er hat weder Interesse an Beziehungen, noch an den Aufgaben. Der Entwickler hat Vertrauen in die Menschen und sieht seine Funktion in der Steigerung der Motivation und Zufriedenheit anderer, dadurch dass er deren Talente fördert. Der gütige Autokrat verfolgt kurz- und langfristige Ziele und bringt andere dazu, sich entsprechend seinen Anweisungen für die Erreichung der Ziele einzusetzen. Schließlich versucht die Führungskraft ihre Beziehungs- und Aufgabenorientierung zu maximieren.365 Reddin definiert auch vier weniger effektive Führungsstile, die er „Missionar“, „Deserteur“, „Autokrat“ und „Schlichter“ nennt. Der Führungsstil eines Missionars ist gekennzeichnet durch ein großes Harmoniebedürfnis, das die Aufgabenerfüllung in den Hintergrund rückt. Der Deserteur besitzt keine ausgeprägte Beziehungs- oder Aufgabenorientierung und steht dabei anderen bei der Verfolgung organisationaler Ziele eher im Weg. Ein Autokrat fokussiert die unmittelbare Aufgabenerfüllung und vernachlässigt die Bedürfnisse anderer. Obwohl sie eine hohe Aufgaben- und Beziehungsorientierung besitzt, ist eine kompromisssuchende Führungsperson nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Sie ist weniger erfolgreich, weil sie

362 363 364 365

Vgl. Reddin (1967); Reddin (1979a). Vgl. Reddin (1979a), S. 66. Vgl. Reddin (1970) zitiert nach Wunderer/Grunwald (1980a), S. 231. Vgl. Reddin (1979a), S. 65f.

LEADERSHIP

101

die Problemvermeidung vor die Erreichung langfristiger Produktionsziele stellt.366 Die dreidimensionale Perspektive ist in Abbildung 9 graphisch dargestellt.

effektiver

latent

Entwickler

Führungskraft

Bürokrat

gütiger Autokrat

beziehungs- integriert orientiert

Beziehung

weniger effektiv

Missionar

Kompromisssuchender

Deserteur

Autokrat

aufgetrennt gabenorientiert t itä tiv k e f Ef

Aufgabe

Abbildung 9:

3D-Theorie Quelle: Reddin (1979a), S. 6.

Abschließend ist zu erwähnen, dass Reddin ein neunstufiges Programm entwickelte, um seine 3D-Theorie auf die Praxis anwenden zu können. Dabei wurden verschiedene Mikro- und Makroebenen berücksichtigt, um organisationalen Erfolg sicherzustellen.367

3.3.2.4

Das Managerial (Leadership) Grid nach Blake & Mouton

Ende der 60er Jahre führten Blake & Mouton eine Untersuchung bei mehreren tausend Führungskräften aus Industrie und Verwaltung mit dem Ziel durch, das Führungsverhalten in Organisationen zu beschreiben und zu erklären.368 In ihrem Konzept unterschieden die Autoren dabei wiederum zwischen den beiden Merkmalsdimensionen, Aufgaben- und Beziehungsorientierung, die anhand einer Skala von 1 (niedrig) bis 9 (hoch) gemessen wurden.

366 367 368

Vgl. ebenda, S. 65. Vgl. Reddin (1979b). Vgl. Blake/Mouton (1964).

102

KAPITEL 3

Die Betonung der Produktion („concern for production“) steht für die Art und Weise, wie sehr eine Führungsperson versucht, die betrieblichen Ziele zu erreichen. Der Fokus auf den Menschen („concern for people“) repräsentiert dagegen den Umgang einer Führungskraft mit den Mitarbeitern, indem sie versucht, bei ihnen Vertrauen und ein Zugehörigkeitsgefühl gegenüber dem Unternehmen zu etablieren. Im Gegensatz zu Tannenbaum & Schmidt entwickelten Blake & Mouton allerdings kein Führungskontinuum, sondern verstanden die unterschiedlich ausgeprägten Führungsstile als voneinander unabhängig, wodurch sie implizierten, dass eine Führungsperson nicht nur einen Führungsstil, sondern entsprechend den situativen Erfordernissen mehrere Stile zeigen kann. Obwohl insgesamt 81 Führungsstile (9²) theoretisch abgeleitet werden können, stellten Blake & Mouton lediglich fünf elementare Ausprägungen des Führungsverhaltens heraus, die auch im Verhaltensgitter aufscheinen (Abbildung 10).

Hoch hoch

9

8

Betonung der Menschen (sozio-emotionale Aspekte)

7

9.9 Führungsstil („Team Leadership“) Hohe Arbeitsleistung von begeisterten Mitarbeitern. Verfolgung des gemeinsamen Zieles führt zu gutem Verhalten.

6

5.5 Führungsstil („Organisation Man Management“) Genügende Arbeitsleistung möglich durch das Ausbalancieren der Notwendigkeiten zur Arbeitsleistung und zur Aufrechterhaltung der zu erfüllenden Arbeitsleistung.

5

4

3

2

niedrig niedrig

1.9 Führungsverhalten („Country Club Management“) Sorgfältige Beobachtung der interpersonalen Beziehungen führt zu einer bequemen und freundlichen Atmosphäre und zu einem entsprechenden hohen Arbeitstempo.

1

1.1 Führungsstil („Impoverished Management“) Geringstmögliche Einwirkung auf die Arbeitsleistung und auf die Menschen. 1

niedrig niedrig

2

9.1 Führungsstil („Authority-Obedience“) Wirksame Arbeitsleistung wird erzielt, ohne viel Rücksicht auf interpersonale Beziehungen zu nehmen.

3

4

5

Betonung der Produktion (sach-rationale Aspekte)

6

7

8

9

hoch hoch

Abbildung 10: Verhaltensgitter nach Blake & Mouton Quelle: übersetzt nach Blake/Mouton (1982a), S. 23.

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103

Die verschiedenen Führungsstile werden nachfolgend dargestellt.369 —

Das „1.9“-Führungsverhalten repräsentiert ein starkes Interesse an den Bedürfnissen der Mitarbeiter, da humane Elemente als leistungsbestimmend angesehen werden. Deshalb müssen vertrauensvolle Arbeitsbedingungen geschaffen werden, in denen die Mitarbeiter selbständig arbeiten und ein natürliches Leistungsstreben entwickeln können. In der Konsequenz heißt dies, dass Aufgaben nicht standardisiert sind oder bis ins Detail konkretisiert werden, und dass Entscheidungen in der Regel dezentral getroffen werden. Dadurch steigt die persönliche Motivation des Einzelnen, da die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung gegeben ist. Allerdings treten Innovationen seltener auf, weil Spannung und Widerspruch fehlen.



Bei einem „9.9“-Führungsverhalten („team leadership“) werden sozio-emotionale und sach-rationale Aspekte gleichermaßen stark berücksichtigt. Die Mitarbeiter erbringen eine hohe Arbeitsleistung, müssen dafür jedoch über einen hohen Grad an geistiger Reife verfügen. Von ihnen wird erwartet, dass sie mitdenken und auch auf die zu treffenden Entscheidungen Einfluss ausüben. Lösungen müssen gemeinsam gefunden und Entscheidungen somit weitgehend dezentral getroffen werden, während der Vorgesetzte nur mehr helfend eingreift. Fachliche Problemlösefähigkeiten und menschliche Qualifikation sind deshalb wichtige Kriterien für das professionelle Weiterkommen. Motivation entsteht bei diesem Führungsstil über die Gruppe. Die Mitarbeiter zeigen darüber hinaus eine hohe Bereitschaft zu innovativen Ideen.



Eine ausgeglichenere Berücksichtigung von Mitarbeiter- und Sachorientierung herrscht beim „5.5“-Führungsstil vor. Ziel ist in diesem Fall das Funktionieren der Organisation, womit die Sach- und Formalziele automatisch erreicht werden können. Gefördert werden Mitarbeiter, die sich organisationskonform verhalten, d. h. man sucht den Kompromiss zwischen individuellen und organisationalen Zielen. Der Vorgesetzte fungiert als Repräsentant der Organisation, welche starke hierarchische Züge aufweist und somit eine mittlere Entscheidungsdezentralisation zulässt.



Beim „1.1“-Führungsstil besteht weder großes Interesse an persönlichen noch sachlichen Belangen, was die Frage aufwirft, ob man bei diesem Verhalten überhaupt noch von Führung sprechen kann. Die Führungsperson versucht schlicht zu „überleben“, Kritik zu meiden und Aufgaben unverbindlich weiterzuleiten. Obwohl die Entscheidungen stark dezentralisiert werden, geht es beim „Impoverished Management“ um die Erhaltung des Status Quo, d. h. es besteht kaum Motivation zu Leistung, wodurch auch die Entwicklung innovativer Ideen in den Hintergrund rückt.

369

Vgl. hierzu auch Bleicher/Meyer (1976), S. 168f.

104



KAPITEL 3

Schließlich steht der „9.1“-Führungsstil für ein starkes sachliches Interesse an der Aufgabenerfüllung, was zu Lasten der Mitarbeiter- und Beziehungsorientierung geht. Mitarbeiter werden als unselbständig und wenig leistungsbereit angesehen. Sie können daher meist nur noch über materielle Anreize motiviert werden. Aufgaben werden beim „authority-obedience“ stark konkretisiert und Entscheidungen zentral getroffen mit der Konsequenz, dass Ideen und Innovationen auch nur von oben ausgehen können.

Die fünf Führungsstile zusammenfassend empfehlen Blake & Mouton den „9.9“-Führungsstil als das den meisten Erfolg versprechende Führungsverhalten.370 Allerdings täuscht diese Empfehlung wiederum darüber hinweg, dass Führungserfolg im Kontext der spezifischen Situation betrachtet werden muss. Ein bestimmter Führungsstil kann aufgrund unterschiedlicher situativer Bedingungen zu höchst verschiedenen Ergebnissen führen. Grundsätzlich erlaubt das Verhaltensgitter eine Beschreibung des Führungsverhaltens anhand der beiden Dimensionen Aufgaben- und Beziehungsorientierung, jedoch werden keine Empfehlungen gegeben, wie sich Führungskräfte zu verhalten haben, noch wie sich das Verhalten auswirkt.371 Eine Allgemeingültigkeit für ein bestimmtes effektives Führungsverhalten konnte nie festgestellt werden.

3.3.2.5

Das System organisatorischer Führungselemente nach Bleicher

Wie bereits eingangs erwähnt wurde, führt Bleicher den Grundgedanken von Tannenbaum & Schmidt weiter, indem er darauf aufbauend ein System abgestufter organisatorischer Führungselemente entwickelt, die je nach Ausprägung in einem eher autoritären oder eher kooperativen Führungsverhalten münden.372 Als Führungs- und Organisationselemente nennt Bleicher die Organisationsstruktur, die Art der Willensbildung, -durchsetzung und -sicherung sowie die Führungsphilosophie.373 Sie bezeichnen zusammen die Spielräume, innerhalb derer Führung ausgeübt werden kann.374 Die Führungsphilosophie drückt sich – so Bleicher – in der Art des Führungsleitbildes und in der Einschätzung der Mitarbeiter aus. Autoritäre Führungskräfte unterstellen den Mitarbeitern, nicht selbständig arbeiten zu können, während der kooperative Führende sich selbst als Koordinator und seine Mitarbeiter als Partner betrachtet, welche die Fähigkeit besitzen, ihre Arbeit zu erfüllen und gleichzeitig ihre persönlichen Bedürfnisse zu realisieren. Betrachtet man die Organisationsstruktur aus den beiden Führungsperspektiven, so zeigt sich, dass bei

370 371 372 373 374

Vgl. Blake/Mouton (1982a), S. 20ff.; Blake/Mouton (1982b), S. 43. Vgl. Northouse (1997), S. 40. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980a), S. 235. Vgl. Bleicher/Meyer (1976), S. 155f. Vgl. Berthel/Becker (2003), S. 68.

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105

der autoritären Führung Aufgaben konkretisiert sind und Hierarchien einer klaren Abgrenzung dienen. Kooperative Führende legen nur die Rahmenbedingungen für die Aufgabenerfüllung fest, so dass von einem geringen Konkretisierungsgrad der Aufgaben auszugehen ist. Darüber hinaus werden hierarchische Bezüge durch informelle Beziehungen überlagert. Die Willensbildung verläuft bei der autoritären Führung von oben nach unten, d. h. den Mitarbeitern werden nur Ausführungsaufgaben und -verantwortungen, jedoch keine Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollaufgaben übertragen, wie dies bei der kooperativen Führung durchaus möglich ist. In der kooperativen Führung stützt sich die Führungsperson auf die Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter. Aus diesem Grund ist beim kooperativen Führungsstil die Kommunikation ein wichtiges Führungsmittel, während autoritäre Führende lediglich die nötigsten Informationen an die Mitarbeiter weitergeben. Gemeinsam ist beiden Führungsstilen die Notwendigkeit der Willenssicherung in Form von sachlicher und führungsbezogener Kontrolle, wobei letztere eher beim kooperativen Führungsstil vorzufinden ist.375 Insgesamt bietet die Betrachtung einer Vielzahl von Führungselementen ein facettenreicheres und differenziertes Bild von Führungsverhalten als dies bei den ein- und zweidimensionalen Ansätzen möglich ist. Dennoch kann Bleichers Ansatz dahingehend kritisiert werden, dass er lediglich auf der Plausibilität des Verfassers beruht und nicht empirisch fundiert ist. Auch wurde versäumt, die Auswahl der Führungselemente auf fundierte theoretische Überlegungen zurückzuführen, sodass nicht geklärt werden kann, ob die einzelnen Elemente miteinander in (kausalen) Beziehungen stehen oder wirklich als voneinander unabhängig betrachtet werden können.376

3.3.3

TRANSFORMATIONALE UND CHARISMATISCHE FÜHRUNG

Trotz oder gerade dank der bereits dargestellten Schwächen des Eigenschaften-Ansatzes377 diente er als Grundlage für die Entwicklung neuerer Führungstheorien. Dementsprechend haben persönliche Charakteristika und Eigenschaften sowohl in der Theorie zur transformationalen als auch zur charismatischen Führung Eingang gefunden. Allerdings bleibt keiner der beiden Ansätze auf eine bloße Aufzählung spezifischer Eigenschaften beschränkt, sondern sie finden ihren Ausdruck in der Kombination von diversen Verhaltensweisen. Obwohl die charismatische und die transformale Führungstheorie – wohl aufgrund ihrer engen Verwandtschaft – oft gleichgesetzt werden, werden die folgenden Ausführungen zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung sinnvoll und notwendig ist.

375 376 377

Vgl. Bleicher/Meyer (1976), S. 155f. Ähnliche Kritik äußern auch Wunderer/Grunwald (1980a), S. 238. Vgl. hierzu Kapitel 3.3.1.

106

KAPITEL 3

3.3.3.1

Charismatische Führungstheorien

Charismatische Führungstheorien wurden zunächst stark beeinflusst durch die Ideen des Soziologen Max Weber, der Charisma als außergewöhnliche, gottgesandte und vorbildliche Begabung einer Persönlichkeit beschrieb.378 Trotz Webers Fokus auf die Eigenschaften einer charismatischen Persönlichkeit wird eine Person erst durch die Wahrnehmung der beeinflussenden Ausstrahlung durch ihre Anhänger wirklich charismatisch. Daher kommt den Geführten eine wichtige Rolle zu. Zentrale Kernpunkte der charismatischen Führungstheorie stellen Emotionen, der Selbstwert der Geführten, ihr Vertrauen in den Führenden und das Leistungsmotiv dar. So vermitteln charismatische Führende insbesondere in Krisen- und Stresssituationen eine klare Vision und beeinflussen Werte und Verhalten derart, dass innovative, emotional fundierte Problemlösungen gefunden und auch tiefgreifende, radikale Veränderungen herbeigeführt werden können.379 Hierin unterscheidet sich die charismatische Führung von anderen etablierten Führungskonzeptionen, welche sich auf aufgaben- und personenzentriertes Führungsverhalten konzentrieren und sich an der Arbeitszufriedenheit und Leistung von Mitarbeitern orientieren.380 In Anlehnung an einige von Webers Ideen entwickelten Conger & Kanungo ihre „Attributionstheorie“, deren zentrales Element die Zuweisung charismatischer Eigenschaften auf eine Führungsperson durch ihre Geführten ist.381 Folgt man der Argumentation der beiden Autoren, ist das Charisma einer Führungsperson von vier Variablen abhängig: a) dem Grad der Diskrepanz zwischen dem Status quo und den Zielen der Führungsperson, b) der Verwendung innovativer und unkonventioneller Mittel zur Erreichung des angestrebten Wandels, c) eine realistische Evaluierung der vorhandenen Ressourcen und der möglichen Hindernisse sowie d) der Art des Austausches und der Kommunikation mit den Geführten.382 Konkret heißt dies, dass die Führungsperson und die von ihr geführten Personen in einem wechselseitigen Einflussverhältnis stehen, wobei Kontextfaktoren einen Einfluss auf das Verhältnis in der charismatischen Führung haben können.383 Das Charisma der Führungsperson kommt insbesondere dann zum Vorschein, wenn ihre Vision stark vom Status quo abweicht und dennoch von den Geführten akzeptiert wird. Mit neuen, unkonventionellen Verhaltensweisen und ungewöhnlichen Mitteln versucht der charismatische Führende die bestehende Ordnung zu überwinden, was nicht selten mit einem hohen 378 379 380 381 382 383

Vgl. Weber (1980), S. 140. Vgl. House/Shamir (1995). Dies sieht Weinert (1998) ähnlich. Vgl. hierzu nochmals die Theorien des vorangegangenen Kapitel 3.3.2. Vgl. hierzu Willner (1984), S. 14. Vgl. Conger/Kanungo (1987), S. 640. In diesem Zusammenhang sind u. a. die Unzufriedenheit mit einer bestimmten Situation oder negativer Stress zu nennen.

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107

persönlichen Risiko einhergeht und z. T. große Opfer fordert. So kann es ihm mit Hilfe unternehmerischer und innovativer Strategien gelingen, eventuelle Hindernisse zu überwinden und dabei dennoch Selbstvertrauen auszustrahlen. Die charismatische Führungsperson dient aufgrund ihrer fachlichen Expertise und der Fähigkeit, auch auf die Bedürfnisse der Geführten einzugehen, als Vorbild. Nicht die formale Stellung, sondern die Persönlichkeit ist Grundlage für die Einflussnahme auf andere. Dabei kann der Einfluss des charismatischen Führenden soweit gehen, dass dieser von seinen Geführten förmlich idealisiert wird und die Anerkennung durch ihn für die Untergebenen zur wichtigsten Motivationsquelle avanciert.384 Unterstützend für die Entstehung von charismatischer Führung wirkt nach Conger & Kanungo die Unzufriedenheit mit einer gegebenen Situation, für die der charismatische Führende attraktive Alternativen aufzeigt. Allerdings erlischt Charisma, wenn sich der charismatische Leader vom Reformer zum Verwalter entwickelt.385 Ein weiterer wichtiger Erklärungsansatz zur charismatischen Führung, die „Self-Concept Theory“, wurde von House entwickelt und später durch Shamir et al. noch differenzierter ausgearbeitet.386 In dieser Theorie wird – im Gegensatz zu Conger & Kanungos Ansatz – die Attribution bestimmter Eigenschaften auf eine Führungsperson nicht als notwendig erachtet.387 Kernpunkte von Houses Konzept bilden die Annahmen über das Selbstkonzept und das Verhalten des Führenden als Ausdruck seiner Gefühle, Werte und seiner Zielorientierung einerseits, sowie die daraus resultierenden Effekte auf das Selbstkonzept und die (intrinsische) Motivation der Geführten andererseits. Je besser es dem Führenden gelingt, Vertrauen und Loyalität der Geführten zu erlangen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und diese mit seiner Vision in Einklang zu bringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Geführten jene Leistung zeigen, die zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist. Shamir et al. unterstreichen die Bedeutung der sozialen Identifikation, der Internalisierung und des Anstiegs der eigenen und kollektiven Selbstwirksamkeit388 als Quellen der Einflussnahme der charismatischen Führungspersönlichkeit. Die soziale Identifikation führt bei einer Person dazu, auf die Zugehörigkeit zur Gruppe oder Organisation stolz zu sein und die eigene Arbeit als bedeutsam zu empfinden. Gleichsam werden die persönlichen Bedürfnisse zugunsten der Bedürfnisse der Gemeinschaft zurückgestellt und die Person definiert sich fortan über die zu erfüllende Aufgabe. Dabei kommt es zu einer Verstärkung der gemeinsamen Werte und Verhaltensnormen innerhalb der Gemeinschaft und zu einer stärkeren Abgrenzung von anderen Gruppen.389 Internali-

384 385 386 387 388 389

Vgl. Conger (1989). Vgl. Conger/Kanungo (1987), S. 641ff. Vgl. House (1977); Shamir et al. (1993). Vgl. Yukl (2001), S. 243f. Vgl. Bandura (1986). Dies wird später noch in Kapitel 5 thematisiert werden. Vgl. House (1977) sowie Shamir et al. (1993), S. 577ff.

108

KAPITEL 3

sierung bedeutet, dass die bereits bestehenden Werte und Normen der Geführten verstärkt und auf die von der charismatischen Führungspersönlichkeit vorgegebenen Ziele hin ausgerichtet werden. Individuelle Selbstwirksamkeit, d. h. die Überzeugung eines Individuums, kompetent zu sein und schwierige Ziele erreichen zu können, führt zu einer erhöhten Leistungs- und Durchhaltebereitschaft. Kollektive Selbstwirksamkeit steht dementsprechend für die Überzeugung einer Gruppe, hohen Anforderungen durch intensive Zusammenarbeit gerecht werden zu können. Charismatischen Führenden kann es gelingen, die Selbstwirksamkeit zu verstärken, indem sie gegenüber ihren Untergebenen gerade unter Umweltunsicherheit Zuversicht ausstrahlen.390 Neben dem positiven Effekt von charismatischer Führung auf Untergebene, etwa in Bezug auf ihre Zufriedenheit, ihr Commitment, eine positive Arbeitseinstellung oder den Führungserfolg,391 konnte auch ein positiver Zusammenhang zwischen charismatischer Führung und dem Erfolg von Geschäftseinheiten392, der Nettoumsatzrendite393, der Erfolgswirksamkeit des Führenden394, dem Vertrauen in das Management und die Arbeitskollegen395, der Profitabilität396 bzw. dem individuellen Verhalten in der Arbeitsumgebung397 empirisch ermittelt werden. In ihrer Metaanalyse stellen DeGroot et al. zudem fest, dass bei einer Analyse des Zusammenhangs von charismatischer Führung und Einzel- bzw. Gruppenleistung der Effekt auf Gruppenebene doppelt so groß ist wie auf Einzelebene.398 Charisma sollte allerdings nicht nur als positive Eigenschaft verstanden werden, da sie auch negative Formen annehmen kann.399 Ein erster Weg, charismatische Führer einzuordnen, ist 390

391 392 393 394

395 396 397

398 399

Vgl. Yukl (2001), S. 245 sowie Waldman et al. (2001), S. 140 mit Bezug auf Shamir et al. (1993) und Trice/Beyer (1986) zum Zusammenhang zwischen charismatischer Führung und Umweltunsicherheit. Allerdings konnten später weder Waldman et al. (2004) noch Agle et al. (2006) zeigen, dass wahrgenommene Umweltunsicherheit eine moderierende Wirkung auf den Unternehmenserfolg hat oder mit dem Charisma einer Führungsperson dazu geeignet ist, einen signifikanten Anteil der Varianz am Unternehmenserfolg zu erklären. Vgl. hierzu stellvertretend die Studienergebnisse von Fuller et al. (1996) sowie De Hoogh et al. (2004). Vgl. Howell/Avolio (1993). Vgl. Koene et al. (2002). Vgl. hierzu Atwater/Yammarino (1989), die in einer Studie mit Militärs eine Korrelation zwischen Charisma und Führungserfolg von r = 0,91 festellten, sowie Hater/Bass (1988), die mit demselben Messinstrument bei Fortune 500-Unternehmen einen Zusammenhang von r = 0,36 ermittelten. Lowe et al. (1996) konnten in einer Metaanalyse zeigen, dass Charisma von allen untersuchten Variablen am stärksten mit Führungserfolg korrelierte. Vgl. Den Hartog et al. (2002). Vgl. De Hoogh et al. (2004). Das Verhalten in der Arbeitsumgebung wird meist mit dem englischen Fachbegriff „organizational citizenship“ umschrieben. Vgl. hierzu Podsakoff et al. (1990). DeGroot et al. (2000), S. 363. Einige Autoren, etwa Conger/Kanungo (1998), Maccoby (2000) oder Sankowski (1995), sehen eine Verbindung zwischen Charisma und dysfunktionalem Narzissmus, welcher sich auf den Unternehmenserfolg negativ auswirken kann.

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109

die Eruierung der Konsequenzen, die sich für die Geführten aus dem Verhalten des Charismatikers ergeben. Da die Folgen oftmals nicht eindeutig festgelegt werden können, wird die Analyse der vom charismatischen Leader gelebten Werte und seine Persönlichkeit vorgezogen.400 Beispiele für negative Eigenschaften sind das Verfolgen egoistischer Ziele im Sinne des Versuchs, den eigenen Einflussbereich auf Kosten anderer auszudehnen, Macht auf sich zu konzentrieren, andere zu manipulieren und von sich abhängig zu machen. Im Gegensatz dazu delegieren positive Charismatiker Aufgaben und lassen ihre Untergebenen an Informationen und Entscheidungen partizipieren. Sie versuchen, jene Verhaltensweisen bei ihren Geführten zu unterstützen, die den Zielen der Organisation dienen.401 Zusammenfassend bewirkt charismatische Führung einen „’fundamentalen Bewusstseinswandel aller Betroffenen’ (sog. „Metanoia“), der zu einer ‚Mobilisierung bzw. Begeisterung der Massen im Unternehmen’ für das gemeinsame Ziel führt“.402 Nichtsdestotrotz kann auch die charismatische Führungstheorie kritisch betrachtet werden. Zunächst wird in diesem Führungsansatz förmlich unterstellt, dass die Mitglieder einer Organisation unmündig und unreif sind. Das Verhältnis von Führendem und Geführten ist als asymmetrisch zu charakterisieren, da die Geführten vom Führenden abhängig sind. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Organisationsmitglieder ihre personen- und gruppenspezifischen Interessen zugunsten eines gemeinsamen (Unternehmens-) Interesses zurückstellen.403 Das höhere Risiko radikaler Veränderungen, das charismatische Führende einzugehen sich nicht scheuen, um ihre Organisation entsprechend ihrer Vision umzukrempeln, ist mitunter nicht angemessen und auch nur dann sinnvoll, wenn Wandel nachhaltig in der Organisation institutionalisiert wird.404 Ob das Charisma einer Führungsperson letztlich überhaupt einen positiven Effekt auf den Unternehmenserfolg hat, kann angesichts widersprüchlicher empirischer Studienergebnisse angezweifelt werden.405 Obwohl die charismatische Führung damit eher eine Ausnahmeerscheinung im betrieblichen Alltag darstellt, sind Überzeugungskraft, Vertrauenswürdigkeit und Tatendrang von Führungspersonen im Hinblick auf unternehmerisches Engagement mit Sicherheit von Bedeutung.

400 401 402 403 404 405

Vgl. Yukl (2001), S. 250f. Vgl. House/Howell (1992), S. 81ff. Kuhn (2000), S. 26; Bretz (1991), S. 289. Vgl. hierzu auch Kuhn (2000), S. 31ff. Vgl. stellvertretend Trice/Beyer (1992) oder Schein (1992). Vgl. Waldman et al. (2001), die ebenso wenig wie Tosi et al. (2004) oder Agle et al. (2006) einen direkten Zusammenhang zwischen Charisma und Unternehmenserfolg feststellen konnten. Abgesehen davon konnte Wunderer (2006) in seinen Umfragen überhaupt nur einen geringen Anteil (5-10%) an charismatischen Führungskräften in der Unternehmenspraxis feststellen.

110

KAPITEL 3

3.3.3.2

Transformationale und transaktionale Führung nach Bass The Best of Leadership is Both Transformational and Transactional. Bernard M. Bass

Die charismatische und transformationale Führung werden oftmals synonym verwendet. Ähnlich wie bei der charismatischen Führung gründet transformationale Führung auf Vertrauen, Loyalität, Respekt und Bewunderung für die Führungspersönlichkeit. Allerdings wird in der transformationalen Führungstheorie weniger Gewicht auf die persönliche Identifikation der Geführten mit der Führungspersönlichkeit gelegt. Vielmehr steht die Fähigkeit der Führungsperson im Vordergrund, andere zu inspirieren, zu entwickeln und mit Verantwortung auszustatten. Transformationale Führende besitzen in der Regel Charisma, während charismatische Führende nicht notwendigerweise transformationale Fähigkeiten auf sich vereinigen. Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen den beiden Theorien ist der Abhängigkeitsgrad der Geführten. Letztere sind viel eher vom charismatischen als vom transformationalen Führenden abhängig, da letzterer sie stärker in den Führungsprozess einbindet.406 Zusammenfassend ist Charisma eine Komponente der transformationalen Führung, da es sich „insbesondere in Krisensituationen, bei Transformationsprozessen und bei angestrebten Innovationen in einer Organisation besonders positiv auszuwirken“407 scheint. Nach dieser Abgrenzung stellt sich die Frage, was transformationale Führung tatsächlich ausmacht? Nach Vera & Crossman sind weder die transformationale noch die transaktionale Führung gänzlich neu, sondern gründen auf früheren Ansätzen wie jene der Beziehungs- und Aufgabenorientierung (vgl. Kapitel 3.3.5) oder der direktiven bzw. partizipativen Führung (vgl. Kapitel 3.3.4).408 Ursprünglich stammt der Begriff „transformationale Führung“ von Downton409, allerdings erlangte dieses Führungskonzept erst durch Burns an Bedeutung. Burns sah das Geheimnis der Transformation anstrebenden Führung darin, „[t]hat people can be lifted into their better selves“410. Erweitert und auf den Wirtschaftskontext angewendet wurde das ursprünglich auf politische Führer bezogene Konzept schließlich von Bass. Er legte mehr Augenmerk auf die Bedürfnisse der Geführten und schlug vor, transformationale Führung auch in Situationen anzuwenden, die vermutlich kein positives Ende nehmen würden. Eine transformationale Führungsperson, so Bass, motiviert und verwandelt ihre Mitarbeiter, 406 407

408 409 410

Vgl. Bass (1997a), S. 130ff.; Yukl (2001), S. 260f. Wunderer (2006), S. 278 mit Bezug auf Pillai/Meindl (1991), Wunderer (1994) und Howell/Higgins (1990). Vgl. Vera/Crossman (2004). Vgl. Downton (1973). Burns (1978), S. 462.

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111

indem sie erstens ihr Bewusstsein für die Wichtigkeit der Aufgabe schärft, indem sie zweitens die Mitarbeiter dazu bewegt, über ihr Eigeninteresse hinaus im Sinne der Unternehmung zu denken und zu handeln, und indem sie drittens höhere Bedürfnisse der Mitarbeiter anspricht.411 Sie verändert dadurch im Idealfall den Blickwinkel der Mitarbeiter von der Sorge um die eigene Existenz hin zur Sorge um Leistung, Wachstum und Entwicklung des Unternehmens.412 Damit unterscheidet sich die transformationale grundsätzlich von der transaktionalen Führung, welche zumeist im selben Atemzug genannt wird.413 Bass beschreibt – anders als Burns – die transaktionale und transformationale Führung als Elemente eines Kontinuums anstatt sie als voneinander unabhängig zu sehen. Er geht davon aus, dass transformationale Führung die transaktionale Führung nicht herabstuft, sondern auf ihr aufbaut und ihre Effektivität steigert.414 Konkret bedeutet dies, dass eine Führungsperson in einem ersten Schritt transaktional handelt, indem sie ihren Mitarbeitern zum Ausgleich für ihre Arbeitsleistung Anreize bietet und damit ihr persönliches Interesse anspricht. Im zweiten Schritt findet eine kulturelle Steuerung der Mitarbeiter durch den transformationalen Führenden statt, indem er „‚einfach’ deren Werte, Ziele und Bedürfnisse [verändert]“415. Wie Abbildung 11 (Seite 112) zeigt, stehen beide Konzepte für ein spezifisches Führungsverhalten.

411 412 413

414 415

Vgl. Bass (1985), S. 20. Vgl. ebenda; Avolio/Bass (1988). Vgl. Burns (1978); Northouse (1997), S. 133ff.; Yukl (2001), S. 253ff.; Rodler/Kichler (2002), S. 64ff.; von Rosenstiel (2003a), S. 23f. Vgl. Yammarino (1993), S. 379ff. sowie Waldman et al. (2001), S. 134ff. Macharzina (2003), S. 483.

112

KAPITEL 3

LEADERSHIP-KONTINUUM

Non-Leadership Non-Leadership Laissez-faire

Transaktionale Transaktionale Leadership Leadership Management-byException Bedingte Belohnung

Transformationale Transformationale Leadership Leadership Charisma Inspirierende Motivierung Intellektuelle Stimulierung Individuelle Wertschätzung

Abbildung 11: Leadership-Kontinuum der transformationalen und transaktionalen Führung Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Bass (1985) und Northouse (1997).

Eine Führungsperson verhält sich transformational, sobald sie den Versuch unternimmt, positiv auf Veränderungen zu reagieren, sie aktiv zu suchen und das Potenzial der Mitarbeiter zu entdecken und zu entwickeln. Der transaktionale Führende handelt im Gegensatz dazu effizient. Er belohnt bzw. bestraft seine Mitarbeiter, wenn ihre Leistungen über bzw. unter dem Erwarteten liegen.416 Die transaktionale Führung basiert auf der „Weg-Ziel-Theorie“417 und damit letztlich auf dem Marktprinzip, dem rational begründeten Tausch, und motiviert Mitarbeiter primär durch aktives oder passives „Management-by-Exception“ sowie die bedingte Belohnung („Contigent Reward“). —

416 417 418

Bedingte Belohnung stellt einen Austauschprozess zwischen Führendem und Geführtem dar, indem der Führende für eine bestimmte Leistung des Geführten eine spezifische Belohnung gewährt. Die Erläuterung der Ziele und die Anerkennung, wenn letztere erreicht werden, sollten – so Bass – dazu führen, dass Individuen und Gruppen die Leistungserwartungen erfüllen.418

Vgl. Bass/Avolio (1990), S. 21 sowie Northouse (1997), S. 131. Vgl. hierzu das spätere Kapitel 3.3.5.3. Vgl. Bass (1985). Empirische Studien von Hunt/Schuler (1976), Podsakoff et al. (1984) oder Bycio et al. (1995) haben gezeigt, dass zwischen der bedingten Belohnung in der transaktionalen Führung und dem Commitment, der Zufriedenheit und der Performance ein positiver Zusammenhang besteht. Goodwin et al. (2001) stellten darüber hinaus einen positiven Zusammenhang zwischen bedingter Belohnung und dem Verhalten als „organizational citizen“ fest, wobei sie zwischen zwei Ausprägungen von transaktionaler Leadership unterschieden: Transaktionale Führung, die eher auf Anerkennung fußte („implicit contrac-

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113

Management-by-Exception beinhaltet korrigierende Maßnahmen und negatives Feedback. Es kann passiv und aktiv ausgeprägt sein. Ein aktives Management-by-Exception steht für die konsequente Leistungsüberwachung der Mitarbeiter durch die Führungsperson, was bei negativer Abweichung von Standards und bei Problemen unmittelbar zu korrigierenden Maßnahmen führt, während bei passiver Ausprägung eine Führungsperson erst dann eingreift, wenn Probleme bereits offen zutage getreten oder bestimmte Standards nicht eingehalten worden sind.419 In einer extremen Ausprägung wird diese passive Haltung auch als „Laissez-faire-Leadership“ bezeichnet, und zwar vor allem dann, wenn passive Führungspersonen es unterlassen, Vereinbarungen zu treffen, ihre Erwartungen zu äußern oder Standards und Ziele festzulegen.420

Die transformationale Führung basiert dagegen auf vier Komponenten, die auch als „higher order construct of transformational leadership“ bezeichnet werden:421 —

Idealisierte Beeinflussung bzw. Charisma („idealized influence“) betreibt eine Führungsperson, die über eine Vision verfügt sowie den Respekt und das Vertrauen ihrer Mitarbeiter genießt. Sie besitzt hohe ethische und moralische Standards. Aufgrund dessen dient diese Führungsperson anderen als Vorbild.



Inspirierende Motivation („inspirational motivation“) eines transformationalen Führenden dient der Bindung der Geführten, indem er ihrer Arbeit Sinn verleiht und die Mitarbeiter gleichzeitig vor Herausforderungen stellt, denen sie schließlich auch optimistisch begegnen. Sich für die gemeinsamen Ziele einzusetzen, hat für alle Organisationsmitglieder Bedeutung.



Eine transformationale Führungsperson fordert ihre Mitarbeiter intellektuell („intellectual stimulation“), indem sie sie dazu bringt, Dinge zu hinterfragen und Probleme aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Folglich werden die Mitarbeiter stärker in Problemlösungsprozesse eingebunden und sollen neue, innovative und kreative Ideen und Lösungswege finden.



In seiner Rolle als Mentor oder Berater bringt der Führende seinen Mitarbeitern individuelle Wertschätzung („individualized consideration“) entgegen, d. h. er berücksichtigt die persönlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter und unterstützt jeden einzelnen bei dessen Weiterentwicklung. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die Mitarbeiter in der weiteren

419 420 421

ting“), zeigte im Vergleich zu transaktionaler Führung, die mehr auf eine klare Vereinbarung von Zielen abzielte, einen stärkeren positiven Zusammenhang mit dem spezifischen Verhalten im Arbeitsumfeld. Vgl. Northouse (1997), S. 137f. Bass et al. (2003), S. 208. Vgl. Bass/Avolio (1990), S. 22f.; Bass et al. (2003), S. 208; Bass (1997b); von Rosenstiel (2003a), S. 23; Northouse (1997), S. 134f.

114

KAPITEL 3

Folge auch mehr Verantwortung für sich selbst und die zu erfüllenden Aufgaben übernehmen. Die verschiedenen Unterkategorien von transaktionaler und transformationaler Leadership zusammenfassend, kann festgehalten werden, dass die transformationale Führung besser als die transaktionale Führung geeignet ist, Performance vorherzusagen, da sie weniger kurzfristige Ziele verfolgt und höhere, intrinsische Bedürfnisse anspricht.422 Sie scheint insbesondere in Situationen zu funktionieren, die sich durch instabile Umweltbedingungen, flexible Organisationsstrukturen oder durch eine unternehmerische Kultur auszeichnen.423 Nach von Rosenstiel dürfte transformationale Führung auch „besonders dort wirken, wo Vorgesetzte im Detail die Arbeit ihrer Mitarbeiter gar nicht beurteilen können oder wo sie – etwa im Dienstleistungsbereich oder im virtuellen Unternehmen – nur noch sporadisch räumlich mit diesen zusammen sind.“424 Jenseits der Annahme von Rosenstiels finden sich jedoch auch zahlreiche empirische Belege, die eine Wirkung von transformationaler Leadership auf diverse organisationale Prozesse aufzeigen. So konnte eine positive Korrelation zwischen transformationaler Führung und dem vom Vorgesetzten attestierten Führungserfolg, der Zahl der Innovationen von Forschungs- und Entwicklungsprojektteams oder der Loyalität von Mitarbeitern festgestellt werden.425 Darüber hinaus leistete die transformationale Führung (und nicht die transaktionale Führung) laut einer Studie von Howell & Avolio einen positiven Beitrag zu den erreichten finanziellen Zielen strategischer Geschäftseinheiten.426 Schließlich konnte auch in drei Metaanalysen ein positiver Zusammenhang zwischen transformationaler Leadership und Unternehmenserfolg festgestellt werden.427

3.3.3.3

Transformative Führung nach Bennis & Nanus

„A more deeply normative application of transformational leadership to a business setting has been undertaken by Warren Bennis and Burt Nanus“428 stellt Harvey fest. Neben der oben diskutierten transformationalen Führung kann die transformative Führung nach Bennis & Nanus als weitere Theorie in diesen thematischen Schwerpunkt eingeordnet werden. Die Autoren stellen hierin fest, dass „in der heutigen Zeit der gewaltigen Herausforderungen und des raschen Wandels oft die großen Ideen und die großen Persönlichkeiten fehlen, die diese in die

422 423 424 425

426 427 428

Vgl. Waldman et al. (1990) sowie Judge/Piccolo (2004). Vgl. Bass et al. (2003). von Rosenstiel (2003a), S. 23. Vgl. hierzu stellvertretend Hater/Bass (1988), Waldman et al. (1987), Keller (1992) und Fullager et al. (1992). Vgl. Howell/Avolio (1993). Vgl. Lowe et al. (1996); Patterson et al. (1995); DeGroot et al. (2000). Harvey (2002), S. 40.

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115

Tat umzusetzen vermögen“, dass jedoch „Führung die entscheidende Kraft hinter erfolgreichen Organisationen ist, und dass Führung notwendig ist, um vitale und lebensfähige Organisationen zu schaffen“.429 Man kann Führung aber nur dann wirklich begreifen, wenn man ihren Kontext versteht, der sich nach Bennis & Nanus durch drei Elemente auszeichnet: Engagement, Komplexität und Glaubwürdigkeit. Führungskräfte, die sich in diesem Kontext erfolgreich behaupten, verfügen über vier strategische Fähigkeiten, die erlernbar sind:430 —

Strategie 1: Mit einer Vision Aufmerksamkeit erzielen. Eine klare, leicht zu verstehende, glaubwürdige und realistische Vision fußt auf der Aufmerksamkeit des Führenden. Sie entsteht auf der Basis der Erfordernisse der Organisation sowie den Bedürfnissen der Geführten, und ist – wenn sie vom Führenden richtig artikuliert wird – dazu fähig, die Geführten anzusprechen und sie dazu zu bewegen, sich für die Organisation einzusetzen. Eine Vision inspiriert und spornt an, aus Absichten Taten werden zu lassen.



Strategie 2: Sinn vermitteln durch Kommunikation. Führungskräfte müssen die Ziele klar umreißen und so kommunizieren, dass die Geführten den Sinn der Ziele erkennen können. Organisationen brauchen einen Sinngehalt, über den sich alle einig sind, der eine Interpretation der Realität zulässt und aus welchem Handlungen abgeleitet werden können. Folglich fungieren transformative Führende als soziale Architekten, sie beeinflussen und organisieren Sinngehalte, indem sie sowohl Fakten präsentieren als auch Richtungen vorgeben. Anstatt Probleme nur zu lösen, suchen sie nach herausfordernden Themen und entwickeln schöpferische Ideen.



Strategie 3: Eine Position einnehmen und damit Vertrauen erwerben. Mit einer klaren Positionierung wird eine Führungskraft beherrsch- und berechenbar. Nur durch das Beziehen eines klaren Standpunktes kann eine Führungsperson ihre Zielperspektiven verwirklichen. Zwei Gründe sprechen für eine klare Positionierung von Führungspersonen: Einerseits kann eine „organisatorische Integrität“ und damit die Identität des Unternehmens geschaffen werden, aus der ablesbar ist, was die Unternehmung ist und was sie sich zur Aufgabe gemacht hat. Andererseits muss Beständigkeit geschaffen werden, damit sich innovative Ideen überhaupt gegen mögliche Widerstände durchsetzen können.



Strategie 4: Entfaltung der Persönlichkeit durch ein positives Selbstwertgefühl. „Die kreative Entfaltung des Selbst macht Führung […] zu einer zutiefst persönlichen Angelegenheit.“ 431, wie Bennis & Nanus feststellen. Führungskräfte müssen ihre Stärken erkennen und ihre Schwächen kompensieren, sie müssen ausdauernd sein, um die eigenen

429 430 431

Bennis/Nanus (1992), S. 11f. Vgl. ebenda, S. 33. Bennis/Nanus (1992), S. 60.

116

KAPITEL 3

Fertigkeiten und Talente zu entfalten und weiterzuentwickeln. Schließlich muss es ihnen gelingen, zu beurteilen, ob die eigenen Qualifikationen mit den beruflichen Erfordernissen in Einklang gebracht werden können. Nur so sind sie in der Lage, ein positives Selbstwertgefühl zu erlangen, das auch bei anderen ein Gefühl des Selbstvertrauens schafft. Bennis & Nanus zogen aus ihren Studien mit Führungskräften den Schluss, dass letztere vor allem fünf Fähigkeiten gemein haben: Sie akzeptieren die Menschen, so wie sie sind und nicht, wie sie sie haben wollen. Sie besitzen darüber hinaus die Fähigkeit, an Beziehungen und Herausforderungen gegenwartsbezogen und nicht vergangenheitsorientiert heranzugehen. Sie behandeln die Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld, also auch die Mitarbeiter, mit Aufmerksamkeit und schenken ihnen auch bei möglichen Risiken Vertrauen. Letztlich machen sie sich nicht von Anerkennung und Zustimmung anderer abhängig. Beim transformativen Führungsansatz ist entscheidend, dass eine Vision über die Zukunft der Unternehmung entwickelt wird, in deren Sinne der Führende spezifische Entscheidungen trifft und sein Verhalten ausrichtet. Das Commitment der Geführten kann dabei nur über Vertrauen in den Führenden erreicht werden, welches wiederum nur dann entsteht, wenn das Verhalten des Führenden mit den von ihm gesetzten Zielen konsistent ist und es ihm gelingt, den Einsatz aller auf das Ziel hin zu kanalisieren. Unbestritten ist, dass die transaktionalen und transformationalen Führungstheorien zu einem tieferen Verständnis über das Phänomen Leadership beigetragen haben. Durch diese Ansätze wird deutlich, wie und wodurch Führungspersonen auf ihre Untergebenen Einfluss ausüben. Transaktionale Führung fördert marktorientiertes Denken und Handeln, während transformationale Führung Begeisterung für sachbezogene Werte, Ziele und Aufgaben weckt.432 Obwohl insgesamt eine Vielzahl unterschiedlicher Variablen berücksichtigt wird, weisen die Konzepte gewisse Schwächen auf, insbesondere im Hinblick auf die der Führung zugrunde liegenden Einflussverhältnisse. In der Regel wird nur der Prozess zwischen Führendem und Geführten abgebildet, jedoch wird nicht eindeutig beleuchtet, wie sich das Einflussverhältnis von Führenden zu Gruppen gestaltet oder wie Organisationen konkret verändert werden. Letztlich, und dies stellt auch Harvey resümierend zu den normativen Leadership-Theorien fest, kann das höchste Ziel eines Unternehmens nichts anderes sein, als Profit zu erzielen.433 Die persönliche Entwicklung der Organisationsmitglieder, wie sie in der charismatischen und transformationalen Führungstheorie beschrieben wird, kann unter diesem Aspekt nur als Mittel zum Zweck, dem Erzielen langfristiger Wettbewerbsvorteile, verstanden werden.

432 433

Vgl. Wunderer (2006), S. 247. Vgl. Harvey (2002), S. 46.

LEADERSHIP

3.3.4

117

PARTIZIPATION UND KOOPERATIVE FÜHRUNG

Partizipation gilt in der einschlägigen Literatur als eine zentrale Dimension kooperativer Führung und wird dabei als Verhalten interpretiert, das an eine Aufgabe und/ oder an Beziehungen gebunden ist.434 Wunderer & Grunwald nennen als grundlegende Merkmale der Partizipation die verbesserte Information der Geführten über die Arbeitsbedingungen, ihr Suchen nach Verantwortung und die Chance zu selbständiger Tätigkeit, die Entstehung von intrinsischer Motivation sowie die Veränderung von Führungsstrukturen und -beziehungen zwischen dem Individuum und der Organisation.435 Der Grad der Partizipation in Entscheidungsprozessen variiert dabei – wie sich schon bei Tannenbaum & Schmidt gezeigt hat – von der —

autokratischen Entscheidungsfindung, bei der andere kaum einbezogen werden, über die



Konsultation, bei der sich die Führungsperson die Meinungen anderer einholt, ohne sie in die Entscheidung einzubeziehen, sowie die



gemeinsame Entscheidung, welche neben der Führungsperson gewisse Mitarbeiter inkludiert, bis hin zur



Delegation. Hier gibt die Führungsperson einen Rahmen vor, innerhalb dessen die Entscheidung zu treffen ist, und delegiert somit die Entscheidungsautorität weitestgehend an ihre Mitarbeiter.

Sashkin unterstreicht die Effektivität von partizipativem Management, indem er feststellt, dass „participative management has positive effects on performance, productivity, and employee satisfaction because it fulfills the three basic human work needs: increased autonomy, increased meaningfulness, and increased isolation.”436 Partizipation bietet nach Einschätzung vieler Autoren einem Unternehmen eine Reihe von weiteren Vorteilen, etwa eine höhere Wertschöpfung437 und Produktivität438, eine bessere Entscheidungsqualität439, eine höhere Entscheidungsakzeptanz440 und mehr Zufriedenheit mit dem Entscheidungsfindungsprozess441. Yukl & Latham konnten zudem zeigen, dass Mitarbeiter, die in den Prozess der Ziel-

434 435 436 437 438 439 440 441

Vgl. Likert (1967); Yukl (1971). Vgl. Wunderer/Grunwald (1980b) sowie Mulder (1971), S. 31ff. Sashkin (1984), S. 11. Vgl. Cooke (1994); Huang (1997). Vgl. Miller/Monge (1986); Wagner/Gooding (1987). Vgl. Wagner/Gooding (1987). Vgl. ebenda. Vgl. Cotton et al. (1988); Macy et al. (1989); Spreitzer et al. (1997). Allerdings argumentieren Daniels/Bailey (1999), dass die Beweise, dass partizipative Entscheidungsfindung eine Wirkung auf die Arbeitszufriedenheit hat, nicht konsistent sind.

118

KAPITEL 3

festlegung einbezogen wurden und über eine hohe Leistungsbereitschaft sowie Kontrollüberzeugung verfügten, dazu neigten, sich höhere Ziele zu setzen.442 In der Literatur finden sich zahlreiche Ansätze zur kooperativen Führung, wobei das normative Entscheidungsmodell und der „Shared-Leadership“-Ansatz stellvertretend für jeweils eine etablierte bzw. eine relativ junge theoretische Konzeption diskutiert werden sollen. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Shared-Leadership-Ansatz dem Grundgedanken dieser Arbeit widerspricht, insofern, als der Gruppe im Gegensatz zum Individuum die prominentere Rolle im Führungsprozess zugewiesen wird. Allerdings dient dieser Ansatz als Grundlage für das Verständnis von dezentraler Leadership insofern, als Führungskräfte in dezentralen Unternehmenseinheiten unternehmerische Führungsverantwortung übernehmen und damit maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des gesamten Unternehmens nehmen können.

3.3.4.1

Normatives Entscheidungsmodell nach Vroom & Yetton

Die heute existierenden Theorien und Konzeptionen zur partizipativen Führung stimmen in einigen zentralen Merkmalen überein: Ausmaß der Entscheidungsbeteiligung der Mitarbeiter, Gruppenarbeit bzw. gruppenbezogene Führung, partnerschaftliche Zusammenarbeit, wechselseitiges Vertrauen, Machtausgleich zwischen Führendem und Mitarbeitern, Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter im Sinne der Selbstverwirklichung, Ziel- und Leistungsorientierung sowie Schulung und Entwicklung des Personals.443 Exemplarisch für die unterschiedlichen kooperativen Führungstheorien soll zunächst das normative Entscheidungsmodell von Vroom & Yetton vorgestellt werden.444 Sie ist im Hinblick auf die Erforschung einer dezentralen, unternehmerischen Führung interessant, weil sie zu einem besseren Verständnis über die Beteiligung von Führungskräften an für das gesamte Unternehmen weitreichenden Entscheidungen beiträgt. Frühere Studien von Tannenbaum & Schmidt oder Maier weiterentwickelnd445 verbinden Vroom & Yetton in ihrem Modell die Dimensionen „Partizipation“ und „Führungsverhalten“, wobei letzteres unter Berücksichtigung bestimmter Regeln stattfinden soll, um die Effektivität der Führung zu gewährleisten. Dabei wirken sich insbesondere die beiden Dimensionen „Ent442 443

444 445

Vgl. Yukl/Latham (1978). Eine Übersicht über die unterschiedlichen sozialpsychologischen, betriebswirtschaftlichen oder soziologischen Ansätze zu partizipativer Führung sowie eine vergleichende Analyse dieser Konzeptionen finden sich bei Wunderer & Grunwald (1980b), S. 38ff. Vgl. Vroom/Yetton (1973). Wie bereits gezeigt wurde, gingen Tannenbaum/Schmidt (1958) davon aus, dass eine Führungsentscheidung von verschiedenen Variablen abhängt, etwa dem Führenden selbst, seinen Untergebenen sowie bestimmten situativen Bedingungen. Maier (1963) postulierte, dass eine Führungsentscheidung nicht ohne Überlegungen zur erforderlichen Qualität sowie zur Akzeptanz der Untergebenen betroffen werden sollte.

LEADERSHIP

119

scheidungsqualität“ und „Akzeptanz durch die Mitarbeiter“ auf die Effektivität einer Entscheidung, ihre Umsetzung sowie den Erfolg einer organisationalen Einheit bzw. eines Teams aus.446 Die Entscheidungsqualität steht für die objektiv bewertbaren Aspekte der Entscheidung und ist vor allem dann von Bedeutung, wenn große Unterschiede zwischen den Entscheidungsalternativen und ihren Konsequenzen für den Teamerfolg bestehen. Es wird angenommen, dass Partizipation zu einer besseren Qualität der Führungsentscheidung führt, jedoch nur dann, wenn die Mitarbeiter über die relevanten Informationen verfügen, mit ihrem Vorgesetzten in einem Vertrauensverhältnis stehen, dieselben Ziele verfolgen und generell gewillt sind, an der Entscheidungsfindung zu partizipieren. Die Entscheidungsakzeptanz steht für die Bereitschaft und das Engagement, eine Entscheidung effektiv umzusetzen. Sie ist insbesondere dann bedeutsam, wenn die Entscheidung von den Mitarbeitern umgesetzt werden muss oder sie selbst betrifft. Nach dem normativen Modell können Führungskräfte unter Berücksichtigung der beiden beschriebenen Dimensionen und in Abhängigkeit von diversen situativen Bedingungen – etwa der Strukturiertheit des Problems, dem Vorhandensein von Informationen, dem Willen zur Kooperation, der Akzeptanz der Entscheidung oder der damit verbundenen Organisationsziele sowie dem vorhandenen Konfliktpotenzial – verschiedene Entscheidungsstile zeigen, die je nach Grad der Einbindung der Geführten variieren. Darüber hinaus berücksichtigt das Modell, dass Entscheidungen trivial oder wichtig sein können, und dass Mitarbeiter Entscheidungen auch dann akzeptieren können, wenn sie nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Der kausale Zusammenhang der verschiedenen Dimensionen wird in Abbildung 12 deutlich:

EntscheidungsEntscheidungsprozess prozess

Entscheidungsqualität Entscheidungsqualität & & -akzeptanz -akzeptanz

Erfolg Erfolg der der Einheit Einheit bzw. bzw. des des Teams Teams

Situative Situative Variablen Variablen

Abbildung 12: Kausaler Zusammenhang im normativen Entscheidungsmodell Quelle: Yukl (2001), S. 89.

Das Ausmaß der Einbindung von Mitarbeitern in die Entscheidungsfindung ist dabei grundsätzlich abhängig von bestimmten Erfordernissen. Untergebene sollen dann stärker integriert werden, wenn eine hochqualitative Entscheidung angestrebt wird, wenn die Mitarbeiter über mehr (Fach-)Wissen verfügen als ihr Vorgesetzter, wenn die Akzeptanz der Entscheidung bei

446

Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Yukl (2001), S. 88f.

120

KAPITEL 3

den Mitarbeitern von Bedeutung ist und wenn das Konfliktpotenzial als gering eingestuft werden kann.447 All diese Ansatzpunkte sind auch bei Entscheidungen, die Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen betreffen, von Belang, da Führungskräfte vor Ort in der Regel über spezifischere Kenntnisse über die lokalen Marktgegebenheiten verfügen als ihre Kollegen in der Mutterunternehmung und derartige Entscheidungen nur dann erfolgreich umgesetzt werden können, wenn eine hohe Akzeptanz bei den lokalen Führungskräften besteht. Mit Hilfe des normativen Entscheidungsmodells wird sichergestellt, dass die Entscheidung zeitlich effizient, qualitativ hochwertig und rational getroffen sowie schließlich von den Mitarbeitern akzeptiert wird.448 Um herauszufinden, welcher Führungsstil für eine bestimmte Situation geeignet ist, bieten die Autoren sieben Fragen an, durch deren Beantwortung sukzessive ein Entscheidungsbaum entsteht, an dessen Ende ein oder mehrere Entscheidungsstile vorgeschlagen werden. Bei mehreren möglichen Stilen soll nach den Autoren jener Stil gewählt werden, der am wenigsten Zeit in Anspruch nimmt. Die zur Auswahl stehenden Führungsstile sind in Tabelle 11 dargestellt:

AI

Autoritäre Entscheidung 1

Der Führende trifft die Entscheidung allein auf der Basis der ihm zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen.

A II

Autoritäre Entscheidung 2

Die Führungsperson trifft ihre Entscheidung allein, nachdem sie Informationen bei ihren Geführten eingeholt hat, allerdings werden letztere nicht unbedingt über die Details der Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Die Mitarbeiter sind nicht an der Entwicklung alternativer Lösungen beteiligt.

CI

Konsultierende/ beratende Entscheidung 1

Die Führungskraft trifft die Entscheidung, nachdem sie das Problem mit einigen ausgewählten Mitarbeitern einzeln diskutiert hat, ohne letztere dabei als Gruppe zusammenzubringen und in den Prozess zu involvieren. Die Meinungen und Vorschläge der ausgewählten Mitarbeiter finden jedoch nicht notwendigerweise bei der Entscheidung Berücksichtigung.

C II

Konsultierende/ beratende Entscheidung 2

Die Führungsperson trifft ihre Entscheidung, nachdem sie das Problem mit einer Gruppe diskutiert hat und deren Meinungen und Ideen kennt; allerdings müssen die Vorschläge nicht bei der Entscheidung berücksichtigt werden.

G II

Gruppenentscheidung

Nachdem das Problem diskutiert wurde, entscheidet die Gruppe, welche die Führungskraft inkludiert, gemeinschaftlich. Diese Entscheidung wird von der Führungskraft als Primus inter pares in jedem Fall akzeptiert.

Tabelle 11:

Entscheidungsstile nach Vroom & Yetton Quelle: übersetzt nach Vroom/Yetton (1973), S. 13.

447 448

Vgl. Pearce/Conger (2003), S. 10. Vgl. Rodler/Kichler (2002), S. 50f.

LEADERSHIP

121

Vroom & Yetton erheben für Ihr Modell zum Entscheidungsverhalten von Führungskräften keinen Allgemeingültigkeitsanspruch. Zwar erleichtert das Modell die Entscheidung zwischen einem autoritären und partizipativen Führungsstil, indem situative Bedingungen einbezogen werden, allerdings ist die Zahl der Situationsvariablen zu gering, um ein tatsächliches Bild der Realität widerzuspiegeln. So werden beispielsweise Zeitdruck, der Umfang der Informationen, über welche die Mitarbeiter verfügen, oder der Umstand, dass Mitarbeiter sich an unterschiedlichen geographischen Orten befinden können, außer Acht gelassen.449 Aus diesem Grund wurde das ursprüngliche Entscheidungsmodell Ende der 80er Jahre durch Vroom & Jago überarbeitet, indem die Mitarbeiterförderung sowie die zeitliche Komponente als Einflussvariablen des Entscheidungsprozesses einbezogen wurden.450 Zudem wurden die Antwortalternativen von zwei auf fünf Antworten erweitert, jedoch mit der Folge, dass das Modell an Komplexität zunahm. Kritik am Modell bezieht sich hauptsächlich auf die dort getroffene Annahme, dass der Entscheidungsprozess einmalig ist, wobei in der betrieblichen Realität in der Regel mehrere Sitzungen mit den verschiedensten Personen nötig sind, um Entscheidungen treffen zu können. Auch sind insbesondere jene Führungskräfte bei Gruppenentscheidungsprozessen erfolgreich, die sich im Konfliktmanagement verstehen und mit Meinungsvielfalt umzugehen wissen.451 Schriesheim & Kerr geben zu bedenken, dass der Ansatz stark von Selbstberichten abhängig ist und daher die Gefahr besteht, sozial erwünschte Antworten zu erhalten.452 Trotz des genannten Erklärungsgehaltes des normativen Entscheidungsmodells für dezentrale Leadership scheint dieser streng systematische Ansatz der Entscheidungsfindung letztlich problematisch, da er die Kreativität der Führungskräfte verhindern und damit der Komplexität und Vernetztheit der wirtschaftlichen Herausforderungen nicht gerecht werden könnte.453 In der empirischen Forschung wurde das normative Entscheidungsmodell jedoch als nützlich bestätigt.454

3.3.4.2

Shared-Leadership nach Pearce & Conger

„Shared-Leadership“ ist grundsätzlich als die extremste Form partizipativer Führung zu verstehen.455 Im Gegensatz zu den meisten Leadership-Theorien, welche – vereinfacht ausgedrückt – von einem Top-down-Führungsprozess ausgehen (vgl. Abbildung 13a., Seite 122) und eine individualzentrierte Perspektive einnehmen, fokussiert der Shared-Leadership449 450 451 452 453 454 455

Vgl. Yukl (2001), S. 90. Vgl. Vroom/Jago (1988). Vgl. hierzu die Crouch/Yetton (1987), S. 384ff. Vgl. Schriesheim/Kerr (1977). Vgl. hierzu auch Wilpert (1987), Sp. 763. Vgl. Field/House (1990); Field et al. (1990); Paul/Ebadi (1989); Böhnisch et al. (1987); Reber (1995). Vgl. Pearce (2004), S. 49.

122

KAPITEL 3

Ansatz auf die Interaktion innerhalb einer Gruppe von Individuen, die sich selbst führen und gemeinsam Entscheidungen fällen (vgl. Abbildung 13c.). Eine Definition findet sich bei Cox et al.: „Shared leadership relies on dynamic exchange of lateral influence among peers rather than vertical downward influence by an appointed leader.”456 Wie in diesem Zitat deutlich wird, geht es bei dieser noch recht jungen457 Konzeption weniger um das Individuum an der Spitze einer Organisation und seine Rolle im Führungsprozess, sondern primär um die Gruppe, in der Mitglieder aller Organisationsebenen als gleichberechtigt angesehen werden und in wechselseitigen Beziehungen zueinander stehen. Je stärker dabei die Interdependenz der relevanten Akteure, je mehr Kreativität gefordert ist, um bestimmte Aufgaben erfüllen zu können, und je komplexer die Anforderungen an Führungskräfte wie Mitarbeiter sind, desto stärker sollte eine gemeinsame Führung im Sinne der Shared-Leadership betont werden.458 Allerdings besteht heute Einstimmigkeit darüber, dass der konsequente Verzicht auf eine Führungsperson an der Spitze eines Unternehmens, wie in Abbildung 13c. dargestellt, als sehr unrealistisch einzustufen ist. Aus diesem Grund wird in der einschlägigen Literatur vorgeschlagen, den Shared-Leadership-Ansatz mit dem Topdown-Ansatz zu einem integrierten Modell zu verbinden (vgl. Abbildung 13d.).459

Top Down-Ansatz

Bottom Up-Ansatz

Leader

Leader

Geführte Geführte Geführte

Geführte Geführte Geführte

a.

b. Shared Leadership-Ansatz

Geführte

Geführte

Geführte

Geführte

Integriertes Modell

Leader Geführte

c.

Geführte

Geführte d.

Abbildung 13: Überblick über vier Leadership-Modelle Quelle: leicht abgewandelt nach Locke (2003), S. 272.

456

457 458 459

Cox et al. (2003), S. 48. Daneben findet sich eine Reihe weiterer wichtiger Vertreter dieser Forschungsrichtung, so etwa Perry et al. (1999), Pearce/Sims (2000), Ensley/Pearce (2000), Pearce/Conger (2003). Vgl. Pearce/Conger (2003), S. 14. Vgl. Pearce (2004), S. 48ff. Cox et al. (2003), S. 48ff.; Mayo et al. (2003), S. 193ff.

LEADERSHIP

123

Das integrierte Modell (13d.) stellt eine Kombination der anderen drei Modelle dar. Es weist der „vertikalen“ Führungsperson eine entscheidende Rolle im Führungsprozess zu, wobei letztere sowohl durch nachrangige Organisationsmitglieder als auch durch gleichgestellte Kollegen beeinflusst werden kann. So halten Fletcher & Käufer wie folgt fest: „We might see – and even need to see – figureheads at the top. But models of shared leadership recognize that these visible “heros” are supported by a network of leadership practices distributed throughout the organization.“460 Shared-Leadership basiert zunächst also auf der Interaktion vieler, nicht auf der Leistung einzelner. Nicht die einzelne Führungsperson sorgt für soziale Integration, vielmehr entsteht Führung – verstanden als dynamischer, sozialer Prozess – durch Interaktion, Netzwerkbeziehungen und durch den Einfluss bestimmter Gruppen.461 Eine sinnvolle Betrachtung des Shared-Leadership-Ansatzes kann grundsätzlich nur bei der Rolle und Funktion der Führungsperson im Gruppenkontext beginnen.462 Nach Locke zeichnet sich die Führungsperson anhand der folgenden acht Kernaufgaben aus: Entwicklung einer Vision, Definition der Kernwerte des Unternehmens, Strukturierung der Organisation, Auswahl und Weiterentwicklung sowie Motivation der Mitarbeiter, Kommunikation, Bildung von (projektbezogenen) Teams und Förderung des Wandels.463 Führungspersonen müssen, wie Houston et al. argumentieren, Teammitglieder befähigen, indem sie der Gruppe Entscheidungsautorität übertragen.464 Um jedoch Organisationsmitglieder mit (Führungs-) Verantwortung ausstatten und die anvisierten Ziele erreichen zu können, müssen alle Organisationsmitglieder einerseits Motivation und Selbstvertrauen entwickeln und andererseits verstehen, im Sinne der Unternehmensvision, der Kernwerte des Unternehmens und der übergeordneten Organisationsziele zu handeln. Dies kann nur durch die Vorbildfunktion starker Führungspersonen erreicht werden, die im Unternehmen dafür Sorge tragen, dass sich ein gemeinsamer Führungsgedanke etablieren kann. So auch unter den Mitgliedern des Top-Managements. Diese Vorreiterrolle können Führungskräfte in Tochtergesellschaften übernehmen, die eine Vision für ihre Einheit entwickeln, wobei diese nicht mit der übergeordneten Unternehmensvision, den Strategien und Kernwerten im Widerspruch stehen sollte.465 Jenseits der Förderung von Shared-Leadership durch die obersten Führungskräfte finden sich weitere relevante Faktoren, welche die Umsetzung des kollektiven Führungsansatzes verhindern bzw. begünstigen können. Sie sind in Tabelle 12 auf Seite 124 zusammengefasst:

460 461 462 463 464 465

Fletcher/Käufer (2003), S. 22. Vgl. ebenda, S. 22ff. Vgl. Locke (2003), S. 275. Vgl. ebenda, S. 276f. Houghton et al. (2003), S. 125. Vgl. Locke (2003), S. 282.

124

KAPITEL 3

Begünstigende Faktoren

Hinderliche Faktoren

 Notwendigkeit für unterschiedliche Rollen und vielfältige Austauschbeziehungen innerhalb der Gruppe aufgrund der Komplexität der Aufgabenstellung.

 Negative Einstellung der Organisationsmitglieder gegenüber dem kollektiven Führungsansatz.

 Bestimmte Gruppengröße, bis zu dem Punkt, an dem Koordination noch keiner Formalisierung bedarf.

 Statusunterschiede in Gruppen sind unvermeidbar.

 Hohe Wertschätzung der Fähigkeiten und Kompetenzen der anderen Gruppenmitglieder, die für die Zielerreichung als notwendig erachtet werden.

 Implizite Vorstellung, dass es einen Führenden geben muss, der sich mehreren Geführten gegenübersieht.

 Hohe gegenseitige Wertschätzung der Gruppenmitglieder.

 Unterschiede zwischen Individuen bezüglich ihres Strebens nach Status.

 Multiple Austauschbeziehungen zwischen allen Gruppenmitgliedern, statt dyadischer Beziehungen zwischen Führenden und Geführten.

 Existenz von ein oder zwei Führenden in Gruppen ohne formale Führungsperson.  Demographische Zusammensetzung der Gruppe (Geschlecht, Alter, Rasse, Ausbildung etc.).

Tabelle 12:

Shared-Leadership begünstigende und behindernde Faktoren Quelle: Seers et al. (2003), S. 90.

Die Shared-Leadership-Theorie versucht zu erklären, wer führt und wo geführt wird, indem die Führungsaufgaben und -verantwortlichkeiten auf alle Hierarchieebenen verteilt werden. Sie beschreibt Führung als sozialen Prozess (was?), der durch Interaktion entsteht, und sie versucht zu verdeutlichen, unter welchen Bedingungen (wie?) eine kollektive Führung funktionieren kann.466 Trotzdem weist diese spezielle Führungstheorie Widersprüche auf. Zunächst wird der in der Hierarchie positionierten Führungsperson die diskrepante Rolle des Vorgesetzten einerseits und dem gleichberechtigten Teammitglied andererseits zugewiesen. Auch zeigen sich Schwierigkeiten in der retrospektiven Evaluierung von unternehmerischem Erfolg. Erfolg wird meist den Fähigkeiten einer Person zugeschrieben bzw. als „Akt eines Einzelnen“467 interpretiert und folglich selten auf mehrere Individuen zurückgeführt. Die Folge ist, dass die gemeinsame Führung in den Hintergrund rückt. Manche Individuen besitzen bestimmte Fähigkeiten, die sie zur Führung anderer befähigen, weshalb sie aktiv nach einer Führungsrolle 466 467

Vgl. Fletcher/Käufer (2003), S. 24. Vgl. Beer (1999), S. 133.

LEADERSHIP

125

suchen, während andere dies nicht tun. Nicht zuletzt daraus ergeben sich Schwierigkeiten für die Durchsetzung der Gleichberechtigung aller Gruppenmitglieder.

3.3.4.3

Self-Leadership nach Manz & Sims

Der „Self-Leadership“-Ansatz stellt zwar weniger eine Führungs- als vielmehr eine Motivationstheorie dar, passt aber in die Systematik der partizipativen Führungstheorien, da dieser Ansatz ebenfalls mit einer konsequenten Delegation von Führungsverantwortung zu tun hat. Houghton et al. interpretieren Self-Leadership als das Kernelement des Shared-LeadershipProzesses.468 Ähnlich der Shared-Leadership ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Self-Leadership, dass die Organisationsmitglieder aller Hierarchiestufen mehr Verantwortung übernehmen, wobei sie zunächst ein umfassendes Verständnis über Vision, Ziele und Werte des Unternehmens haben müssen. Beide Konzepte sind, so Houghton et al., dazu geeignet, in einer dynamischen Unternehmensumwelt eigenverantwortliches Verhalten seitens der Organisationsmitglieder zu fördern.469 Self- und Shared-Leadership unterscheiden sich jedoch durch ihr Untersuchungsobjekt: Während der Fokus der Shared-Leadership auf der Gruppe liegt, dreht sich das Self-LeadershipKonzept um das Individuum und seine Fähigkeit, sich selbst zu führen. Um dies zu tun, werden dem Self-Leader einige Strategien, basierend auf der „Self-Management Theory“, vorgeschlagen.470 Die Self-Leadership-Theorie erweitert damit die verhaltensorientierten Strategien mit einer Reihe von kognitiven Strategien aus der intrinsischen Motivationstheorie, der sozialkognitiven Theorie und der klinisch-kognitiven Psychologie (vgl. Tabelle 13, Seite 126).471

468 469 470

471

Vgl. Houghton et al. (2003), S. 126. Vgl. ebenda, S. 124. Die „Self-Management Theory“ geht zurück auf Andrasik/Heimberg (1982), Manz/Sims (1980) sowie Manz (1986). Auf eine eingehende Darstellung der angesprochenen Theorien wird an dieser Stelle verzichtet und für einen Überblick über die verschiedenen theoretischen Ansätze auf Houghton et al. (2003), S. 128 verwiesen.

126

KAPITEL 3

Selbstbeobachtung, wann und warum bestimmte Verhaltensweisen auftreten und wie sie ggf. geändert werden können. Verhaltensorientierte Strategien („behavior-focused strategies“)

Setzen persönlicher, ehrgeiziger Ziele zur Effektivitätssteigerung. Selbstbelohnung. Selbstkontrolle/ persönliches Feedback über negative Verhaltensweisen und Versagen. Einstudieren und Trainieren erwünschter Verhaltensweisen.

Intrinsische Belohnungsstrategien („natural reward strategies“)

Verbesserung der (Arbeits-) Situation, um eine bestimmte Aufgabe angenehmer zu gestalten. Änderung der eigenen Wahrnehmung der Aufgabe hin zum eigentlichen Ziel. Selbstanalyse und Verbesserung der eigenen Einstellung zu einer bestimmten Angelegenheit.

Kognitive Strategien („constructive thought strategies“)

Mentale Antizipation und Vorstellung einer erfolgreichen Erreichung der Ziele. Positives Denken und konstruktiver Selbstdialog.

Tabelle 13:

Self-Leadership Strategien Quelle: Manz/Neck (1999); Houghton et al. (2003), S. 128ff.

Die verhaltensorientierten Strategien erhöhen die Selbstwahrnehmung, welche wiederum zu einem besseren Umgang mit den eigenen Verhaltensmustern im Hinblick auf notwendige, unter Umständen jedoch unangenehme Aufgaben führt. Deshalb unterstützen verhaltensorientierte Self-Leadership-Strategien positive Verhaltensweisen und verhindern negative Verhaltensmuster.472 Intrinsische Belohnungsstrategien führen dazu, die positiven Aspekte bestimmter Aufgaben zu erkennen. Positives Denken spielt letztlich auch bei den kognitiven Strategien eine Rolle, da „individuals can influence and control their own thoughts through the use of specific cognitive strategies designed to facilitate the formation of constructive thought patterns or habitual ways of thinking that can positively affect performance.”473 Das gewohnheitsmäßige Denken einer Person ist dabei untergliedert in das Denken in Möglichkeiten („opportunity thinking“) sowie in das Denken in Hindernissen („obstacle thinking“). Beim Denken in Möglichkeiten sieht eine Person in schwierigen Situationen Herausforderungen,

472 473

Vgl. Manz/Neck (1999); Houghton et al. (2003). Houghton et al. (2003), S. 129 in Anlehnung an Neck/Manz (1992) sowie Manz/Neck (1999).

LEADERSHIP

127

Chancen und konstruktive Lösungspfade, während beim Denken in Hindernissen eher über Gründe nachgedacht wird, die dafür sprechen, sich geschlagen zu geben.474 Zusammengefasst führen die unten aufgeführten Strategien grundsätzlich zum Infragestellen irrationaler, negativ belegter Denkprozesse zugunsten einer positiven Grundeinstellung, die dann in einer Erhöhung der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit und damit in besseren Leistungen resultiert. Ein stärkeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten führt nach Bandura zu höheren Leistungsstandards, mehr Einsatzbereitschaft und mehr Nachdruck in Bezug auf die Erreichung bestimmter Ziele.475 Unter diesem Gesichtspunkt ist Self-Leadership geeignet, bei Individuen die Bereitschaft zu schaffen, Führungsaufgaben zu übernehmen. Houghton et al. stellen zudem explizit einige Vorzüge jener Individuen heraus, die Self-Leadership leben. Diese Führungspersonen sind reflektiert, selbständig, realitätsnah, suchen nach Chancen und Lösungen und besitzen eine langfristige Orientierung.476 Ihre Unabhängigkeit ist ein entscheidender Faktor, weil sie sie in die Lage versetzt, in einer komplexen Entscheidungssituation die für die Problemlösung relevanten Informationen zu identifizieren und darauf basierend eine Entscheidung zu treffen. Empirische Bestätigung erhält die Theorie durch Elloy & Randolph, die zeigen konnten, dass zwischen Self- bzw. Super-Leadership und dem Commitment, der Zufriedenheit und dem Selbstwertgefühl ein starker Zusammenhang besteht. Auch die Kommunikation unter dem Einfluss von Self-Leadership-Verhaltensweisen läuft effizienter ab, wobei jedoch zunehmend Rollenkonflikte und -ambiguität auftreten.477 Trotz der Unterschiedlichkeit der empirischen Ergebnisse zu partizipativer bzw. kooperativer Führung kann resümierend festgestellt werden, dass Partizipation von Mitarbeitern in Entscheidungsprozessen in der Regel478 zu einer höheren Zufriedenheit, mehr Leistungsbereitschaft und besseren Ergebnissen im organisationalen Kontext führt.479

3.3.5

SITUATIONSORIENTIERTE BZW. KONTINGENZ-THEORIEN

Situationsorientierte Theorien oder Kontingenztheorien gründen auf der Annahme, dass Führungsverhalten immer vor dem Hintergrund von situativen Faktoren oder externen Einflüssen interpretiert werden muss. Kontingenz ist dabei explizit als die Bedingtheit einer Sache durch 474 475 476 477 478

479

Vgl. Manz (1986), S. 585ff. Vgl. Bandura (1986); Bandura (1991). Vgl. Locke (2003), S. 280. Vgl. Elloy/Randolph (1997), S. 264ff. An dieser Stelle muss nochmals einschränkend bemerkt werden, dass viele Studien zu recht unterschiedlichen Ergebnissen gelangt sind, so etwa Cotton et al. (1988), Miller/Monge (1986), Wagner/Gooding (1987). Vgl. hierzu die Metaanalysen von Cotton et al. (1988), Leana et al. (1990) oder Sagie/Koslowsky (2000).

128

KAPITEL 3

Ereignisse und Situationen bzw. in Abhängigkeit von diesen zu verstehen.480 Führungsverhalten ist gemäß den hier dargestellten Konzeptionen nur dann erfolgreich, wenn es den situativen Erfordernissen gerecht wird. Situative Leadership-Studien fokussieren daher auf bestimmte Einflussgrößen, etwa dem Verhalten der Mitarbeiter, bestimmten Aspekten der zu lösenden Aufgaben (z. B. Komplexität, Art, Technologie oder Größe der Aufgabe), der Größe und Organisation des Unternehmens oder den Gegebenheiten des externen Umfeldes. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit sind die situationsorientierten Theorien bzw. die Kontigenztheorien ein wichtiger Ausgangspunkt, um die Einflüsse des unternehmensinternen und -externen Umfeldes sowie der spezifischen Situation, in der dezentrale Leadership stattfindet, zu verstehen.

3.3.5.1

Kontingenztheorie nach Fiedler

Fiedlers „LPC Contingency Theory“ 481 gilt als die bekannteste aller Kontingenztheorien. Sie setzt die Art des Führungsstils, der entweder aufgaben- oder beziehungsorientiert sein kann482, in Bezug zur Situation, welche durch die Art der Beziehungen zwischen Führendem und Geführten, die Strukturiertheit der Aufgabenstellung als auch das Ausmaß der Machtposition des Führenden gekennzeichnet ist.483 Diese drei situativen Parameter bestimmen den Führungserfolg, den Fiedler vom Grad der Situationskontrolle („situational control“) abhängig macht, die eine Führungsperson in einer bestimmten Situation besitzt. Die Beziehung zwischen Führendem und Geführten wird als gut (schlecht) bezeichnet, wenn sie (nicht) auf Vertrauen, gegenseitiger Unterstützung und Loyalität basiert. Darüber hinaus spielt es eine Rolle, ob klare Regeln und Beschreibungen zur Aufgabenbewältigung existieren, anhand derer bewertet werden kann, ob eine Arbeitsaufgabe erfüllt wurde oder nicht. Wichtig dabei ist dann, dass der Führende die Autorität besitzt, die Leistung der Geführten zu bewerten und ggf. zu honorieren.484 Fiedler führte in sein Modell das „LPC-Maß“ („Least Preferred Coworker score“) ein, das sich anhand der Bewertung von positiven oder negativen Attributen, die jemand nach Ansicht der Führungsperson besitzt, errechnet. Dieser Wert gibt Aufschluss über die motivationale Orientierung der Führungsperson. Ist eine Führungsperson gegenüber dem von ihr (hypothetisch) am wenigsten geschätzten Kollegen eher kritisch eingestellt, erhält sie einen niedrigen LPC-Wert, während eine einem ungeliebten Kollegen eher nachsichtige Führungsperson ei480 481 482

483 484

Vgl. Rodler/Kichler (2002). Vgl. Fiedler (1964) sowie Fiedler (1967). Hier zeigt sich der Gegensatz zu den Ohio-Studien, die Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung als unabhängig voneinander betrachteten. Vgl. Northouse (1997), S. 76. Vgl. Yukl (2001), S. 209.

LEADERSHIP

129

nen hohen LPC-Wert besitzt. Anhand dieses Wertes lässt sich ablesen, ob eine Führungsperson ihren Erfolg eher von zwischenmenschlichen Beziehungen oder von der Erreichung der gesetzten Ziele abhängig macht. Betrachtet man dann eine bestimmte Situation, in der sich die Führungsperson befindet, so zeigt sich, dass Führungskräfte, die ein niedriges LPC-Maß aufweisen, erfolgreicher sind als jene mit hohem LPC-Maß, wenn die situativen Bedingungen extrem, d. h. entweder sehr günstig oder sehr ungünstig sind. Diese situativen Extreme zeichnen sich danach entweder durch sehr gute bzw. sehr schlechte zwischenmenschliche Beziehungen, gut bzw. schlecht strukturierte Aufgaben bei einem beträchtlichen oder sehr geringen Ausmaß an Autorität aus. Situative Konstellationen, die sich zwischen diesen beiden Extremen befinden, können am besten von Führungskräften mit einem hohen LPC-Wert bewältigt werden. Obwohl Fiedlers Theorie empirisch bestätigt werden konnte485 und zu einem besseren Verständnis von Führung beigetragen hat, wird in der Literatur eine Reihe von Kritikpunkten angeführt. So wird bezweifelt, dass das LPC-Maß einer Person, das auf der Bewertung anderer basiert, tatsächlich den persönlichen Führungsstil dieser Person widerspiegelt. Im Zusammenhang mit dem LPC-Maß, aber auch in Bezug auf die drei genannten Situationsparameter wird weiters kritisch angemerkt, dass nur eine unzureichende theoretische Begründung existiert und das LPC-Maß im Zeitverlauf nicht stabil ist. Es leuchtet ein, dass es weit mehr Führungskräfte gibt, die durchschnittliche LPC-Werte aufweisen, und die aufgrund der Balance zwischen Beziehungs- und Aufgabenorientierung weit erfolgreicher sind, als Führungskräfte mit einer einseitigen Ausrichtung in eine der beiden Richtungen.486 Recht unrealistisch erscheint auch die Forderung Fiedlers, die Situation so zu gestalten, dass sie zum Führenden passt. Letztlich zeichnet sich die Kontingenztheorie durch eine hohe Komplexität aus, da sowohl der Führungsstil als auch situative Faktoren berücksichtigt werden. Der Einbezug all dieser Variablen ist im Verlauf einer empirischen Untersuchung in der realen Arbeitswelt nicht uneingeschränkt möglich. Trotz dieser Kritik und einer nicht unerheblichen Zahl von erfolglosen Überprüfungs- und Wiederholungsstudien487 war und ist Fiedlers Kontingenztheorie jedoch Ausgangspunkt vieler situativer Theorien.

485

486 487

Vgl. hierzu u. a. Peters et al. (1985) sowie Strube/Garcia (1981), die jeweils Meta-Analysen durchführten, sowie Fiedler/Mahar (1979) und Burke/Day (1986). Vgl. hierzu stellvertretend Kennedy (1982). Vgl. u. a. Neuberger/Roth (1974); Schriesheim/Hosking (1978); Jago/Ragan (1986); Kennedy et al. (1978).

130

KAPITEL 3

3.3.5.2

Situative Reifegrad-Theorie nach Hersey & Blanchard The crux of the difference between the Grid and Situational Leadership is attitudes and behavior. Paul Hersey & Kenneth Blanchard

Hersey & Blanchard488 entwickelten Ende der 70er Jahre die situative Reifegrad-Theorie. Auch in diesem Kontingenzmodell stellen Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung die beiden zentralen Dimensionen dar, wobei sie im Gegensatz zu Fiedlers Kontingenztheorie als voneinander unabhängig angesehen werden. Sie sind vielmehr abhängig von einem einzigen situativen Parameter, dem „Reifegrad“ der Geführten. Der Reifegrad setzt sich dabei aus sowohl aufgabenrelevanten Fähigkeiten und fachspezifischem Wissen („job maturity“) als auch vorhandener Leistungsmotivation und Selbstsicherheit („psychological maturity“) zusammen.489 „Reife“ Mitarbeiter sind imstande und motiviert, Verantwortung zu übernehmen und die ihnen übertragenen Aufgaben erfolgreich auszuführen. Ein geringer Reifegrad der Mitarbeiter erfordert demnach eine hohe Aufgaben- und geringe Mitarbeiterorientierung („unterweisen“), während ein geringer bis mittlerer Reifegrad einer sowohl stark unterstützenden und stark anleitenden Führungsperson bedarf („coachen“). Eine mittlere bis hohe Reife der Mitarbeiter verlangt nach einer starken Mitarbeiter- und einer geringen Aufgabenorientierung der Führungsperson („partizipieren“). Schließlich ist bei einem hohen Reifegrad der Mitarbeiter nur eine geringe Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung vonnöten („delegieren“), d. h. die Mitarbeiter brauchen wenig Unterstützung durch ihren Vorgesetzten.490 Erfolgreich ist eine Führungskraft also insbesondere dann, wenn es ihr gelingt, die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu erkennen und den Führungsstil so anzupassen, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter befriedigt werden können. Die Autoren stellen dazu fest, dass Führungskräfte je nach Situation und Problemstellung unterschiedliche Führungsstile anwenden sollten.491 Im von Blanchard et al. erweiterten „Situational Leadership II“-Modell finden die Dimensionen „Aufgabenorientierung“ und „Mitarbeiterorientierung“ Entsprechung in den beiden Dimensionen „anleitendes“ und „unterstützendes Verhalten“.492 Daraus leiten die Autoren vier spezifische Führungsstile ab: —

488 489 490 491 492

Der autoritäre Führungsstil ist gekennzeichnet durch eine eher einseitige Kommunikation zwischen Führendem und Geführten im Sinne von Anweisungen und genauen Ziel-

Vgl. Hersey/Blanchard (1977). Vgl. ebenda sowie Rodler/Kichler (2002), S. 38. Vgl. von Rosenstiel (2003a), S. 17. Hersey/Blanchard (1982), S. 50. Vgl. Blanchard et al. (1985).

LEADERSHIP

131

vorgaben durch die Führungsperson. Letztere überprüft auch die Erfüllung der Aufgaben und Anweisungen. —

Mit einem integrierenden Führungsstil versucht die Führungskraft bei den Mitarbeitern mit Hilfe von rationalen Argumenten und sozio-emotionaler Unterstützung eine hohe Akzeptanz für Arbeitsaufträge zu erreichen, wobei letztlich die Entscheidungsgewalt bezüglich der Art und Umsetzung der Aufgaben weiterhin dem Führenden obliegt.



Dem gegenüber steht der partizipative Führungsstil, bei dem die Mitarbeiter sehr stark in die Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen werden. Deshalb liegt hier das Gewicht stärker auf der sozio-emotionalen Unterstützung der Mitarbeiter und weniger auf der Aufgabenorientierung. Der aufgabenrelevante Reifegrad, d. h. die Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter, ist schon relativ hoch.



Schließlich zeichnet sich der Delegationsstil durch die Übertragung der Verantwortung vom Vorgesetzten auf seine Mitarbeiter aus. Nachdem Aufgaben und Ziele definiert worden sind, zieht sich die Führungsperson zurück und tritt nurmehr zur gelegentlichen Kontrolle in Erscheinung.493

Flexibilität der Führungsperson ist in diesem Modell essentiell, da der Reifegrad der Mitarbeiter nicht statisch ist, sondern sich im Zeitverlauf verändern kann. Die Folge ist, dass sich die Führungssituation ständig wandelt, was von der Führungsperson verlangt, die Situation ständig neu zu bewerten und ihr Führungsverhalten entsprechend anzupassen. Obwohl kritisiert werden kann, dass zu wenige empirische Untersuchungen die Modellannahmen494 untermauern, hat sich das situative Reifegrad-Modell in der Praxis, insbesondere bei der Führungskräfteentwicklung, als praktikabel herausgestellt und weitreichende Anwendung gefunden.495 Das vorliegende Modell ist weit weniger komplex als viele andere situative Theorien und unterstreicht die Bedeutung der Flexibilität in der Führung. Allerdings kann ein solches flexibles Führungsverhalten bei Mitarbeitern auch zu Verunsicherung führen, weil der Vorgesetzte weniger gut einzuschätzen ist.496

493 494

495

496

Vgl. Northouse (1997), S. 57f. Zu den Modellannahmen zählen bspw. die Berücksichtigung des Reifegrads als alleinige situative Variable oder die Bewertung und der Zusammenhang zwischen Kompetenz und Motivation. Es existieren wenige empirischen Studien zur Situativen Reifegrad-Theorie, etwa von Hersey et al. (1982) oder Jacobson (1984), die die Relevanz der im Modell getroffenen Aussagen stützen Andere empirische Studien, bspw. von Vecchio (1987), Goodson et al. (1989) oder Blank et al. (1990), konnten dagegen die zentralen Aussagen der Theorie nicht bestätigen. Vgl. Rodler/Kichler (2002), S. 42.

132

KAPITEL 3

3.3.5.3

“Path-Goal Theory“ nach House

Die „Path-Goal Theory“ bzw. Weg-Ziel-Theorie geht zwar ursprünglich auf Evans zurück, ihr prominentester Vertreter ist jedoch House. House sieht die Führungsperson in der Pflicht, ihre Mitarbeiter durch eine klare Strukturierung und Planung der Arbeitssituation so zu motivieren, dass letztere die betrieblichen Ziele erreichen und persönlich motiviert werden können.497 Neben den situativen Einflussfaktoren als moderierenden Variablen spielt in dieser Theorie vor allem die Motivation eine zentrale Rolle, die mit Hilfe der Erwartungs-ValenzTheorie von Vroom erklärt wird. Danach ist das Verhalten von Individuen abhängig von ihren Erwartungen hinsichtlich der Ergebnisse des Verhaltens sowie der Summe der Valenzen bzw. der persönlichen Befriedigung, die sich aufgrund der Erreichung der Ziele ergeben.498 So werden Mitarbeiter sich nur für die Erreichung solcher Ziele einsetzen, die ihnen einen erkennbaren Nutzen stiften. Deshalb ist das Führungsverhalten hinsichtlich der Modifikation der Mitarbeitereinstellung von entscheidender Bedeutung. Nach House bzw. House & Mitchell existieren vier grundlegende Verhaltensweisen, welche eine Führungsperson flexibel an die situativen Erfordernisse anzupassen in der Lage sein muss:499 —

Die unterstützende Führung steht für ein angenehmes Arbeitsklima, in dem die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Sie führt bei wenig anspruchsvollen, langweiligen Aufgaben zu mehr Freude an der Arbeit oder zu einer Steigerung des Selbstvertrauens der Mitarbeiter, wenn sie sich anspruchsvollen Aufgaben gegenübersehen.



Eine Führungsperson mit direktivem Verhalten gibt ihren (u. U. unerfahrenen) Mitarbeitern genaue Instruktionen und sorgt dafür, dass Regeln eingehalten werden. Dies führt zu einer Reduktion der Unsicherheit und einer gesteigerten Zufriedenheit mit der Arbeitssituation, da die Mitarbeiter genau wissen, was von ihnen erwartet wird.



Beim partizipativen Führungsverhalten werden die Mitarbeiter in die Entscheidungsfindungsprozesse eingebunden, was vor allem bei unstrukturierten Aufgabenstellungen zu einer gesteigerten Zufriedenheit der Mitarbeiter führt.



Schließlich steht die leistungsorientierte Führung für die Festlegung engagierter Ziele, womit eine kontinuierliche Leistungsoptimierung verbunden ist. Auch dieses Führungsverhalten scheint in einer unsicheren und durch komplexe Aufgabenstellungen gekenn-

497 498

499

Vgl. Evans (1970); House (1971); Rodler/Kichler (2002). Vgl. Vroom (1964). Wie sich später in Kapitel 5.3 zeigen wird, ist auch die Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen den Erwartungs-Valenz-Theorien zuzuordnen. Situative Erfordernisse zeigen sich beispielsweise in spezifischen Aufgabenstellungen, in Veränderungen in der externen Umwelt oder in einem bestimmten Mitarbeiterverhalten. Vgl. hierzu House (1971) sowie House/Mitchell (1974).

LEADERSHIP

133

zeichneten Arbeitssituation am effektivsten, da die Mitarbeiter zuversichtlich sind, den Herausforderungen gerecht werden zu können. Die Relevanz dieser einbezogenen situativen Variablen muss jedoch in Zweifel gezogen werden.500 So konnte eine Meta-Analyse von Wofford & Liska nur vereinzelt einen moderierenden Effekt von Mitarbeiter- und Organisationsmerkmalen und überhaupt keinen Effekt von Job-Charakteristika nachweisen.501 Die Weg-Ziel-Theorie ist ein sehr komplexer Versuch der Erklärung von Führungsverhalten, da situative Faktoren auf ihren Einfluss auf das Führungsverhalten berücksichtigt werden. Dabei weist die Theorie einige Schwächen auf: Die Annahme, dass menschliches Verhalten rein rational begründet werden kann, erscheint unrealistisch vor dem Hintergrund, dass Menschen in Krisensituationen häufig emotional reagieren. Darüber hinaus ist Motivation nicht nur von der Einwirkung durch Dritte abhängig, sondern auch durch innere Prozesse bestimmt, die darauf abzielen, das eigene Selbstbild mit dem betreffenden Verhalten in Einklang zu bringen. Schließlich bleiben die Aussagen zum Verhalten einer Führungsperson einerseits zu allgemein, was eine Bewertung der Wechselwirkung von Verhalten und Mitarbeitermotivation erschwert, und anderseits wird ausgeschlossen, dass es in einer bestimmten Konstellation von unterschiedlichen situativen Bedingungen zwischen den vier Führungsverhaltensweisen Überschneidungen geben könnte.502

3.3.5.4

Multiple Linkage Model nach Yukl

Das „Multiple Linkage Model“ baut auf früheren Führungsmodellen auf.503 Der Fokus des Modells liegt auf vier Variablen: dem Führungsverhalten, intervenierenden Variablen (d. h. bestimmten Einzel- oder Gruppenleistungsmerkmalen), situativen Variablen sowie bestimmten Erfolgskriterien.504 Auf die intervenierenden Variablen Einfluss nehmend und damit letztlich für den Erfolg einer organisationalen Einheit maßgeblich ist vor allem das Zusammenspiel von Führungsverhalten und situativen Variablen. Dabei wirken die situativen Variablen in dreifacher Hinsicht: Erstens sind sie geeignet, die Effekte des Führungsverhaltens auf die intervenierenden Variablen zu verändern („neutralizers“), zweitens können sie sich direkt auf die intervenierenden Variablen auswirken („substitutes“) und drittens die Wirkung der intervenierenden Variablen auf die Effektivität der jeweiligen Organisationseinheit verändern.

500 501 502 503 504

Vgl. Wunderer (2006), S. 290. Vgl. Wofford/Liska (1992). Vgl. hierzu auch Yukl (2001), S. 216f. Vgl. unter anderem Porter/Lawler (1968); Likert (1967); Kerr/Jermier (1978). Vgl. Yukl (2001), S. 220.

134

KAPITEL 3

Bei der Festlegung der intervenierenden Variablen stützt sich Yukl auf bereits etablierte Determinanten, etwa das persönliche Commitment der Mitarbeiter, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, die Klarheit über Verantwortlichkeiten und Aufgaben, die Art der Arbeitsorganisation, den Grad der Kooperation sowie das Ausmaß des gegenseitigen Vertrauens, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und schließlich der Einbindung externer Partner. Die genannten Variablen wirken sich je nach Wichtigkeit für die Aufgabe auf die Effektivität bzw. den Erfolg der betreffenden Organisation aus. Ihre Wirkung kann allerdings durch situative Faktoren relativiert werden, beispielsweise durch eine starke Abhängigkeit von Partnern bzw. Ressourcen, durch eine hohe Komplexität der Aufgabe oder ein beträchtliches Risiko, an der Erfüllung der Aufgabe zu scheitern. Sobald sich die intervenierenden Variablen negativ entwickeln, muss die Führungsperson kurzfristig korrigierend eingreifen (i. e. reaktives Verhalten), wobei die Wirksamkeit ihres Einschreitens von ihrem Einfluss im Unternehmen, der Unternehmenspolitik, technologischen oder rechtlichen Restriktionen etc. abhängig ist.505 Auch langfristig ausgerichtete Maßnahmen sind im Modell vorgesehen (i. e. proaktives Verhalten), etwa die Änderung der Organisationsstruktur und/oder der Unternehmenskultur oder die Ergreifung unternehmerischer Initiativen.506 Eine kritische Überprüfung des vorliegenden Modells zeigt, dass sein Wert vor allem darin zu sehen ist, als eine der ersten Kontingenztheorien Gruppenprozesse (statt einer reinen Betrachtung der Führender-Geführte-Beziehung) in den Vordergrund gestellt zu haben. Die Integration eines kurz- und langfristig orientierten Führungsverhaltens und zahlreicher intervenierender Variablen sowie eine starke Differenzierung der situativer Faktoren führte jedoch zu einer hohen Komplexität, die eine empirische Validierung bis heute erschwert. Das Modell bleibt darüber hinaus sehr vage und lässt konkrete Aussagen vermissen, welche die Interaktion und Wirkung der verschiedenen Parameter erklären würden. Die Frage, wie sich beispielsweise das Führungsverhalten auf das Engagement, die Selbstwirksamkeit oder das Rollenverständnis der Mitarbeiter auswirkt, ist noch immer ungeklärt.

3.3.5.5

“Cognitive Resources Theory” nach Fiedler et al.

Im Vergleich zu den bereits dargestellten Kontingenztheorien nimmt die „Cognitive Resources Theory“ einen etwas anderen Blickwinkel ein. Zentrale Elemente dieses Ansatzes sind kognitive Ressourcen, d. h. Intelligenz und Erfahrung, die zusammen mit einem direktiven Führungsstil und zweier situativer Faktoren, dem interpersonalen Stress und der Art der professionellen Anforderung an eine Gruppe (situativer Stress) für den Führungserfolg entschei-

505 506

Ein Überblick über mögliche kurzfristige Korrekturen findet sich bei Yukl (2001), S. 225. Vgl. Yukl (2001), S. 226f.

LEADERSHIP

135

dend sind.507 Stress moderiert dabei grundsätzlich das Verhältnis zwischen den kognitiven Fähigkeiten des Führenden einerseits und der Leistung der Mitarbeiter oder der Entscheidungsqualität andererseits. In Situationen mit geringem Stresspotenzial ist die Führungsperson in der Lage, basierend auf ihren Erfahrungen und insbesondere ihrer Intelligenz ein Problem zu analysieren und geeignete Lösungen zu finden. Allerdings bergen Situationen mit hohem Stresspotenzial das Risiko, dass Entscheidungen getroffen werden, ohne dass die dafür relevanten Informationen ausgewertet oder die geeigneten Mitarbeiter für die Aufgabenerfüllung ausgewählt worden sind. Deshalb wird angenommen, dass sich Führungspersonen in Stresssituationen verstärkt auf ihre Erfahrung und weniger auf ihren Verstand bzw. ihre Intelligenz stützen. Neben dem situativ bedingten Stress ist Stress auch auf zwischenmenschlicher Ebene denkbar, der dadurch entsteht, dass die Ansprüche der Führungsperson an die Mitarbeiter zu hoch gesteckt sind, die Verantwortlichkeiten der Mitarbeiter nicht klar festgelegt oder die notwendigen Ressourcen zur Bewältigung der Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. Abbildung 14 zeigt die kausalen Zusammenhänge der beschrieben Variablen:

Sozialer Sozialer Stress Stress

Intelligenz Intelligenz des des Leaders Leaders

EntscheidungsEntscheidungsqualität qualität

Erfahrung Erfahrung des des Leaders Leaders

Leistung Leistung der der Mitarbeiter Mitarbeiter

Situativer Situativer Stress Stress

Abbildung 14: Kausalbeziehung in der Cognitive Resources Theory Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Yukl (2001), S. 228.

Wie eingangs erwähnt, wird in der Theorie über die kognitiven Ressourcen ein direktiver Führungsstil vorausgesetzt, der sich dadurch auszeichnet, dass Entscheidungen vom Vorgesetzten ausgehen und an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Jedoch ist auch ein partizipativer Führungsstil denkbar, wenn die kognitiven Fähigkeiten der Mitarbeiter, welche für die Bewältigung einer komplexen Aufgabenstellung notwendig sind, jene der Führungsperson übersteigen.508

507 508

Vgl. Fiedler (1986); Fiedler/Garcia (1987). Vgl. Yukl (2001), S. 227ff.

136

KAPITEL 3

Obwohl die Theorie empirische Unterstützung fand und auch die Gründe für den moderierenden Effekt von Stress auf den Zusammenhang zwischen Intelligenz, Erfahrung und Führungserfolg dargelegt werden konnten, sind die Variablen grundsätzlich zu wenig spezifiziert.509 Es geht aus dieser Konzeption nicht eindeutig hervor, warum die Variable „Intelligenz“ als maßgeblicher Faktor zur Erklärung für Entscheidungsqualität anderen kognitiven Fähigkeiten vorgezogen wird, oder warum Intelligenz in Situationen mit niedrigem Stresspotenzial eher zum Tragen kommt als Erfahrung. Dennoch hat die Theorie einige, mögliche Gründe identifiziert, die einen Einfluss auf die Qualität von Entscheidungen in Stresssituationen haben können. Ihr wichtigster Beitrag zum besseren Verständnis von Führung liegt aber in der Adressierung der Frage, wann es sinnvoller ist, partizipativ oder direktiv zu führen.510

3.3.6

STRATEGISCHE LEADERSHIP Strategic leadership may prove to be one of the most critical issues facing organizations. R. Duane Ireland & Michael R. Hitt

Die meisten der bisher vorgestellten Leadership-Theorien untersuchten ausgewählte Aspekte, die im Führungsprozess von Bedeutung sind. In gewissem Sinne beschäftigten sich diese Theorien mit der Führung in Unternehmen, während sich die Überlegungen innerhalb des strategischen Leadership-Paradigmas – so Boal & Hooijberg – auf die Führung von Unternehmen konzentrieren. Sie sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, die Entwicklung der Unternehmung als Ganzes anzustreben.511 Pettigrew et al. unterscheiden in ähnlicher Weise zwischen „Leadership“ und „Strategic Leadership“, indem sie feststellen, dass Führung auf jeder Ebene eines Unternehmens zu finden ist, während strategische Führung in aller Regel die obersten Führungskräfte eines Unternehmens betrifft. Darüber hinaus fokussiert Leadership auf die Beziehung von Führendem und Geführten, wohingegen die strategische Leadership-Theorie die Führungsarbeit über die relationale Komponente hinaus als strategische und symbolische Aktivität versteht.512 Jedoch wurde den Aktivitäten und Prozessen, durch die strategische Führungskräfte ihre Organisationen beeinflussen relativ wenig Beachtung geschenkt.513 Grund dafür scheint die geringe Zahl an empirischen Untersuchungen zu sein, die

509

510 511 512 513

Vgl. die empirischen Befunde durch Fiedler (1995) sowie die Untersuchungen von Potter/Fiedler (1981), Frost (1983), Vecchio (1990) und Gibson et al. (1993). Vgl. hierzu weitergehende Ausführungen von House/Aditya (1997), S. 423ff. Boal/Hooijberg (2000), S. 515, die sich u. a. auf Hunt (1991) und Selznick (1984) beziehen. Vgl. Pettigrew et al. (2001). Vgl. House/Aditya (1997), S. 447.

LEADERSHIP

137

sich mit dem Effekt von strategischen Führungskräften auf den Unternehmenserfolg beschäftigen.514 Als allgemeine Definition von strategischer Führung scheint Irelands & Hitts Begriffsbestimmung passend: „Strategic leadership is defined as a person’s ability to anticipate, envision, maintain flexibility, think strategically, and work with others to initiate changes that will create a viable future for the organization.”515 Aufgaben, die mit strategischer Führung eng verknüpft sind, beinhalten die Entwicklung und Kommunikation einer Vision, die Identifikation der Kernkompetenzen und Stärken des Unternehmens, das Treffen strategischer Entscheidungen, die Entwicklung von Organisationsstrukturen, die Erhaltung einer wertebasierten Unternehmenskultur und -identität sowie die Auswahl und Förderung einer neuen Generation von Führungskräften.516 Im organisationalen Kontext ist es jedoch unabdingbar, neben den internen Prozessen auch das Wechselspiel mit dem externen Umfeld in Betracht zu ziehen, da letzteres auf das erfolgreiche Bestehen von Unternehmen einen entscheidenden Einfluss hat. Nicht zuletzt hängt der Erfolg von Unternehmen auch davon ab, wie effizient sich der Transformationsprozess als Antwort auf das sich ständig verändernde wirtschaftliche Umfeld gestaltet. Diese Gestaltung obliegt den Führungskräften in (etablierten) Unternehmen, die nach Boal & Hooijberg „managerial wisdom“ sowie Absorptions- und Anpassungsfähigkeiten besitzen müssen:517 Die Absorptionsfähigkeit steht für die Fähigkeit zu lernen, d. h. neue Informationen zu erkennen, zu verarbeiten und anschließend unternehmerisch einzusetzen, um Neues zu schaffen, bzw. um das Unternehmen besser an seine Umwelten zu adaptieren. Dieser Prozess fordert von der strategisch handelnden Führungskraft, Anpassungen der eigenen Verhaltens- oder organisationalen Interpretationsmuster vorzunehmen und Wandel herbeizuführen. Dadurch, dass Wissen und Erfahrungen im gesamten Unternehmen vorhanden sind, zeigt sich die Absorptionsfähigkeit folglich sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Adaption bezieht sich auf die Wandlungsfähigkeit und Flexibilität einer Unternehmung, sich an das zuvor beschriebene dynamische, externe Umfeld anzupassen. Diese strategische Flexibilität leitet sich aus dem Denken und Handeln der oberen Führungskräfte ab, die einem möglichen Wandel offen und flexibel gegenüberstehen. „Managerial wisdom“ steht für das Urteilsvermögen und die Handlungsbereitschaft der strategisch agierenden Führungskräfte, die kritische Veränderungen im Umfeld der Unternehmung erkennen und Lösungswege entwickeln müssen. Dabei kann die Bewältigung kritischer Situationen nur durch die Einbindung

514 515 516 517

Vgl. hierzu Thomas (1988); Waldman et al. (1996b); Waldman et al. (1996a). Ireland/Hitt (2005), S. 63. Selznick (1984); Hunt (1991); Hickman (1998); Hinterhuber (2004b); Ireland/Hitt (2005). Vgl. Boal/Hooijberg (2000), S. 517.

138

KAPITEL 3

anderer Akteure funktionieren, weshalb strategisch agierende Führungskräfte auch soziale Intelligenz besitzen sollten. Wie bereits im zweiten Kapitel deutlich gemacht wurde, bestimmt eine Reihe von internen und externen Faktoren das Handlungsspektrum von Führungskräften. Je dynamischer dabei das Umfeld, in dem sich die Führungskräfte befinden, desto wichtiger ist es, dass sie eine Balance zwischen Stabilität und Wandel finden.518 Welche Chancen zu ergreifen und welche Bedrohungen abzuwehren sind, bedarf der Expertise der Führungskräfte in allen Unternehmenseinheiten.519

3.3.6.1

Theorie der strategischen Wahl nach Child

Nachdem in den 60er und 70er Jahren der Einfluss von Führungskräften auf den Erfolg von Unternehmen sehr kritisch bewertet wurde, argumentierte Child 1972 erstmals, dass die oberen Führungskräfte in Unternehmen durchaus Handlungsspielraum hätten, um strategische Entscheidungen zu treffen, die sich auf den Unternehmenserfolg auswirkten. Die Theorie der strategischen Wahl führte dabei zu einer Diskussion über die Rolle von Führung in Organisationen, die Art der organisationalen Umwelt und die Beziehung zwischen den Führenden einer Organisation und ihrer Umwelt.520 Die strategische Wahl („strategic choice“) sollte dabei als Prozess verstanden werden, in dem die Verantwortlichen einer Organisation über die Richtung der Unternehmensstrategien entscheiden. Die strategische Wahl der Entscheidungsträger erstreckt sich dabei auf das Umfeld des Unternehmens, auf seine Leistungsstandards, die im Lichte des Wettbewerbsdrucks bewertet werden müssen, sowie auf die Unternehmensstruktur.521 So stellt Child fest, dass „those who possess power to decide upon an organization’s structural rationale, towards the limits upon that power imposed by the operational context, and towards the process of assessing constraints and opportunities against values in deciding organizational strategies.”522 Wie aus Abbildung 15 (Seite 139) hervorgeht, beginnt der Prozess bei der Bewertung der Lage der Unternehmung im Hinblick auf ihren wirtschaftlichen Erfolg, die möglichen Entwicklungen im externen Umfeld und die Zufriedenheit der Entscheidungsträger mit internen Prozessen. Die Bewertung, die von den Erfahrungen, den Werten oder der Ausbildung der Entscheidungsträger bestimmt ist („prior ideology“), dient als Grundlage zur Festlegung der Organisationsziele sowie der Entscheidung über das strategische Vorgehen. Letzteres kann ent-

518 519 520 521 522

Tushman/Romanelli (1985). Vgl. Yukl (2001), S. 329; Rowe (2001), S. 83. Vgl. Child (1997), S. 43. Vgl. Child (1972), S. 2; Child (1997), S. 45. Child (1972), S. 13.

LEADERSHIP

139

weder nach außen (beispielsweise in Form eines Eintritts in neue Märkte) oder nach innen (in Form einer Ressourcenallokation entsprechend der geplanten Maßnahmen) gerichtet sein.

von Ressourcenlieferanten erwartete Belohnungen Strategische Wahl der „Dominant Coalition“ Variabilität Komplexität Nicht-Liberalität Umweltbedingungen

Umweltstrategie

Ideologie 1. Bewertung der Situation 2. Zielfestlegung 3. Strategie Unternehmensstrategie

1. Umfang der Geschäftstätigkeit 2. Technologie 3. Struktur 4. HumanRessourcen

Operative Effektivität (Effizienz)

Organisationale Effektivität (Ausmaß der Unternehmensperformance) Markteffizienz (Wahl einer günstigen Umwelt für Absatz von Produkten und Dienstleistungen

Empfänglichkeit der Umwelt (Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen

Abbildung 15: Die Rolle der strategischen Wahl in der Organisationstheorie Quelle: Child (1972), S. 18.

Diese ursprüngliche Fassung der Theorie der strategischen Wahl wurde später ergänzt und die zentralen Kernelemente des Modells vertieft diskutiert. So wurde präziser zwischen externen und internen Bedingungen bzw. Hindernissen unterschieden, da nicht nur Faktoren im externen Umfeld des Unternehmens oder intern in Form von politischen Prozessen die strategischen Entscheidungen der verantwortlichen Akteure bestimmen können, sondern auch kognitive Prozesse eine Rolle spielen, auf deren Basis ein Entscheidungsträger an der Unternehmensspitze sein Umfeld interpretieren kann. Dutton unterscheidet hierin zwischen einer automatischen, auf Erfahrung beruhenden oder einer aktiven Analyse strategischer Problemstellungen („strategic issue diagnosis“), wobei ein Entscheidungsträger bei der aktiven Analyse bewusst und intentional nach Informationen sucht und diese analysiert. Daher ist es durchaus denkbar, dass ein aktiv analysierender Entscheidungsträger zu mehr strategischen Entscheidungsvarianten gelangt, als ein Individuum, das eine Analyse aufgrund bestehender kognitiver Kategorien durchführt.523 Weitere Determinanten strategischer Entscheidungen bilden einerseits politische Prozesse im Unternehmen, v. a. dann, wenn eine bestimmte strategische 523

Vgl. Dutton (1993), S. 340ff.

140

KAPITEL 3

Entscheidung von der kollektiv akzeptierten Meinung abweicht sowie andererseits die Verfügbarkeit, Qualität und Relevanz von Informationen für die strategische Entscheidung. Das zweite, zentrale Element der Theorie der strategischen Wahl stellt die Unternehmensumwelt dar, die Herausforderungen und Chancen für das Unternehmen bereithält und auf welche die Entscheidungsträger im Unternehmen entweder pro-aktiv oder re-aktiv antworten können. Die Umwelt ist für ein Unternehmen nicht nur durch ihre Geschäftstätigkeit und die relevanten Märkte gekennzeichnet, sondern sie ist sozial strukturiert, d. h. die kulturelle Dimension als Ausdruck einer gemeinsamen Identität und eines gewissen Branchenstandards sowie die relationale Dimension in Form von Netzwerken üben Einfluss auf die strategische Entscheidungsfindung der Führungskräfte aus.524 Andererseits bieten sich auch aufgrund der letztgenannten Dimensionen für die Entscheidungsträger in den Unternehmen die Möglichkeit, auf ihre Umwelt Einfluss zu nehmen. Die Theorie der strategischen Wahl geht somit von einem wechselseitigen Einflussverhältnis zwischen Umwelt und Organisation aus, indem einerseits die Umwelt im Hinblick auf die strategischen Entscheidungen von den Entscheidungsträgern interpretiert wird, aber indem andererseits auch die Grenzen zwischen Unternehmen und Umwelt verschwimmen, da die Entscheidungsträger Beziehungen zu unternehmensexternen Akteuren eingehen: „Organization and environment therefore permeate one another both cognitively and relationally – that is, both in the minds of actors and in the process of conducting relationships between the two“525. Allerdings hängt die Frage, ob sie die Unternehmensumwelt eher als Herausforderung oder Chance interpretieren, nicht zuletzt von ihrer unternehmerischen Prägung ab.526 Dabei geht es um die Bewertung von Informationen aus dem internen und externen Kontext, auf deren Grundlage Chancen und Bedrohungen für das Unternehmen herausgefiltert und entsprechende Maßnahmen beschlossen werden. Diesen dynamischen Prozess beschreibt Child wie folgt:527

Information ˆ Bewertung ˆ Lernen ˆ Entscheidung ˆ Handlung ˆ Ergebnis ˆ Feedback

Abbildung 16: Kreislauf des strategischen Handelns Quelle: Child (1997), S. 70

524 525 526 527

Vgl. Child (1997), S. 55. Child (1997), S. 58. Vgl. Child (1997), S. 56ff. Vgl. ebenda, S. 70.

LEADERSHIP

141

Die Entscheidungsträger handeln zunächst auf der Basis der bestehenden unternehmensinternen Strukturen und Routinen, dann jedoch versuchen sie, eine Passung ihres Handelns mit den Umweltbedingungen zu erreichen. So kommt es zu einem kontinuierlichen organisationalen Wandel, welcher der strategischen Wahl letztlich sowohl eine proaktive als auch eine reaktive Dimension zugesteht und damit dem Handeln von strategisch denkenden Individuen eine hohe Bedeutung beimisst.

3.3.6.2

„Upper Echelons Theory“ nach Hambrick & Mason

Die „Upper Echelons Theory“528 stellt die meistzitierte529 und damit gleichzeitig zentrale Theorie zur strategischen Führung dar.530 Quasi als Gegenreaktion auf die stark ökonomiebasierten, strategischen Überlegungen, welche den Führungskräften in Organisationen per se kaum Bedeutung schenkten531, konzentrierten sich Hambrick & Mason in ihrer Theorie auf die „dominant coalition“532, d. h. auf die Akteure in Führungspositionen von Unternehmen. So beschränken sich die Autoren in ihren Überlegungen nicht nur auf den Vorstandsvorsitzenden, CEOs oder Geschäftsführer, sondern auf jene Individuen in der Unternehmensführung, die strategische Entscheidungen treffen können. Entsprechend interpretieren sie Organisationen als das Spiegelbild ihrer Top-Manager, die auf der Basis ihres Wissens, ihrer Erfahrungen bzw. Annahmen über zukünftige Ereignisse, Handlungsalternativen und den damit verbundenen Konsequenzen sowie ihrer Werte und Motive auf Stimuli und Situationen im inund externen Umfeld der Unternehmung reagieren. Die Interpretation dieser in- und externen Parameter erlaubt dann dem Top-Management-Team strategische, d. h. komplexe und für das Unternehmen bedeutsame Entscheidungen zu treffen. Die strategische Wahl kann dabei formaler und informeller Natur, zögerlich oder entschlossen sein. Je stärker verhaltensbezogen sie ist, desto mehr spiegeln sich die Eigenheiten der Entscheidungsverantwortlichen wider.533 Ausgehend von der Theorie der strategischen Wahl sieht sich eine Führungsperson in der Regel einer komplexen Situation (z. B. aufgrund von Informationsüberfluss oder konkurrierenden Zielen) gegenüber, deren Komponenten sie nicht gänzlich erfassen kann. Aus diesem Grund greift sie auf ihre kognitive Basis bzw. ihre Werte zurück, wodurch ein Bild von der spezifischen Situation und ihrer möglichen Wahrnehmung durch die Führungsperson entsteht. Wahrgenommen werden nur einige wenige Bereiche, welche die Aufmerksamkeit eines Ent-

528 529

530 531 532 533

Vgl. Hambrick/Mason (1984). Carpenter et al. (2004) halten fest, dass die Upper Echelons Theory mehr als fünfhundertmal in akademischen Journals zitiert wurde, was ihren Einfluss und ihre Reichweite deutlich macht. Vgl. Boal/Hooijberg (2000); Pettigrew et al. (2001); Finkelstein/Hambrick (1996) S. 307ff. Vgl. hierzu Porter (1980); Hambrick et al. (1982). Cyert/March (1963). Vgl. Hambrick/Mason (1984), S. 195.

142

KAPITEL 3

scheidungsträgers auf sich ziehen und dann von ihm interpretiert werden. Daraus leitet sich die strategische Wahl ab (vgl. Abbildung 17, Seite 142).

Situation (alle relevanten Stimuli in Umwelt und Organisation)

Kognitive Basis

einselektive geschränktes Interpretation Blickfeld Wahrnehmung Führungsbezogene Wahrnehmung

Strategische Wahl

Werte

Abbildung 17: Strategische Wahl in der „Bounded Rationality“534 Quelle: Hambrick/Mason (1984), S. 195.

Hambrick & Mason erweiterten das ursprüngliche Modell um demographische Elemente wie Ausbildung, berufliche Erfahrung oder Beschäftigungsdauer, bildeten somit ein umfassenderes Bild der kausalen Beziehungen ab und verzichteten insofern bewusst auf die spezifischen psychologischen Dimensionen.535 Wissen, Werte und Wahrnehmungen einer Führungsperson stehen im Zentrum des Modells. Demographische Aspekte wie das Alter, der funktionelle oder sozioökonomische Hintergrund, die berufliche Erfahrung und Ausbildung stellen dabei eine Näherung an (nicht-beobachtbare) psychologische Konstrukte dar, die eine Interpretation der in- und externen Situation sowie die Auswahl und Formulierung von strategischen Alternativen ermöglichen.536 Die strategischen Wahlalternativen – von Innovation über Diversifikation bis hin zu Kapitalaufnahme – reflektieren die Charakteristika der Führungskräfte und beeinflussen die Leistung eines Unternehmens (vgl. Abbildung 18, Seite 143).

534

535 536

„Bounded Rationality“ ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Modelle des intendiert rationalen Umgangs mit Realitätshindernissen. Vgl. Hambrick im Interview mit Pettigrew et al. (2001), S. 38. Vgl. Carpenter et al. (2004), S. 749.

LEADERSHIP

143

Charakteristika Charakteristika der der Führungskräfte Führungskräfte Situation Situation intern intern und und extern extern

Psychologisch - Kognitive Basis - Werte

Beobachtbar - Alter - berufliche Erfahrung - Ausbildung - sozioökonomische Wurzeln - finanzielle Position - Gruppencharakteristika

Strategische Strategische Wahl Wahl - Produktinnovation - (nicht) verwandte Diversifikation - Akquisition - Kapitalintensität - Vorwärts- und Rückwärtsintegration - Reaktionszeit - administrative Komplexität - Alter der Einheit - Kapitalaufnahme

Leistung Leistung - Profitabilität - Abweichungen in der Profitabilität - Wachstum - Überleben

Abbildung 18: Die Perspektive der Upper Echelons Theory Quelle: leicht abgeändert nach Hambrick/Mason (1984), S. 198.

Das ursprüngliche Modell der „Upper Echelons Theory“ wurde von Carpenter et al. basierend auf ihren Analysen spezifischer Forschungsergebnisse erweitert. Die situativen Faktoren konnten näher bestimmt werden, indem zwischen dem externen Umfeld (externe Anteilseigner, externer Arbeitsmarkt etc.) und organisationalen Faktoren (Charakteristika der Unternehmen bzw. Vorstände/ Aufsichtsräte, interner Arbeitsmarkt etc.) unterschieden wurde. Die demographischen Charakteristika konnten ebenfalls konkretisiert werden. So wurden Fähigkeiten, Neigungen, der Zugang zu Informationen und Ressourcen oder der relative Status innerhalb des Führungsteams bzw. über die Unternehmenseinheiten hinweg untersucht. Darüber hinaus wurden moderierende Variablen identifiziert, so etwa Macht, Anreizsysteme, Integrationsgrad, Gruppenprozesse oder Handlungsspielräume, die sich auf die Unternehmensergebnisse auswirken. Somit haben strategische Entscheidungen auf zentraler und dezentraler Ebene in Bezug auf die Unternehmenspolitik, den organisationalen Wandel oder spezifische Interaktionen ebenso Einfluss auf das finanzielle, marktbezogene, soziale und innovationsgerichtete Leistungsvermögen der Unternehmung wie die Zusammensetzung des Führungsteams.537 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die „Upper Echelons Theory“ einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis des Einflusses von Führungskräften auf strategische Entscheidungen und letztlich den Unternehmenserfolg geleistet hat. Zwar zeigen empirische Untersuchungen zu dieser Theorie z. T. sehr unterschiedliche Resultate.

537

Vgl. Abbildung 2 in ebenda.

144

KAPITEL 3

In der Studie von Ferrier konnte bspw. gezeigt werden, dass heterogene Führungsteams sich eher als homogene Teams aggressiv im Wettbewerb verhalten, komplexe Initiativen ergreifen und damit Marktanteile sichern oder auszubauen können.538 Eisenhardt & Schoonhoven stellten darüber hinaus einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Umfang der früheren professionellen Erfahrung der Mitglieder der Geschäftsleitung und ihrer Bereitschaft, strategische Allianzen einzugehen, fest.539 Ähnliches gilt für die Internationalisierungstendenzen von Unternehmen, die von der internationalen Erfahrung der Unternehmensleitung abhängig zu sein scheinen.540 Das soziale Netzwerk der obersten Führungskräfte scheint ebenfalls ein Einflussfaktor auf den Unternehmenserfolg (im Sinne von Wachstum oder Kursgewinnen) zu sein.541 Führungserfahrung und -kompetenzen haben grundsätzlich auch jenseits der in der Theorie enthaltenen Charakteristika einen signifikanten Einfluss auf die Performance von Unternehmen.542 Die Darstellung der Effekte oberster Führungskräfte abschließend soll noch auf die Studie von Haleblian & Finkelstein verwiesen werden, die zeigt, dass große Führungsteams sowie Teams mit weniger dominanten Vorsitzenden profitabler in einem turbulenten Umfeld wirtschafteten als in einem stabilen Umfeld.543 Trotz der zahlreichen empirischen Belege ist zentraler Kritikpunkt an dieser Theorie, dass nicht geklärt werden kann, welche Prozesse hinter den Führungscharakteristika und dem Unternehmenserfolg tatsächlich ablaufen. Diesem Umstand wird jedoch zunehmend Beachtung geschenkt. Eine der aufschlussreichsten Untersuchungen von Peterson et al. zeigt, wie die Persönlichkeit der Führungskräfte die Dynamik in der Unternehmensleitung und damit letztlich auch den Unternehmenserfolg beeinflusst.544 Allerdings wird die Annahme, dass Führungskräfte – quasi in einem Vakuum – den Unternehmenserfolg beeinflussen, bemängelt. Um diesen Kritikpunkt zu entkräften, wurde in den jüngeren Untersuchungen der Kontext als Einflussfaktor auf das Führungsverhalten genauer untersucht.545 Einflussfaktoren sind dabei im externen Umfeld, innerhalb der Organisation sowie in der Unternehmensführung zu finden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Kontext, in dem die Führungskräfte agieren,

538 539 540

541 542 543

544 545

Vgl. Ferrier (2001), S. 870ff. Vgl. Eisenhardt/Schoonhoven (1996). Vgl. hierzu stellvertretend die Studien von Reuber/Fischer (1997), Sanders/Carpenter (1998), Carpenter et al. (2001), Carpenter et al. (2003) sowie Herrmann/Datta (2005). Vgl. Geletkanycz/Hambrick (1997) und Collins/Clark (2003). Vgl. hierzu Carpenter et al. (2001) sowie Kor (2003). Haleblian/Finkelstein (1993), S. 857. Dieses Ergebnis ist in Einklang mit Resultaten früherer Studien zum Verhältnis von Teamgröße und Wachstum zu sehen, die Cooper/Bruno (1977), Eisenhardt/Schoonhoven (1990) oder Hambrick et al. (1996) durchgeführt hatten. Vgl. Peterson et al. (2003). Vgl. hierzu Untersuchungen zum Einfluss des externen Umfelds von Keck (1997) und Carpenter/Frederickson (2001) sowie Carpenter (2002) oder Jensen/Zajac (2004) zum Einfluss des organisationalen Kontextes.

LEADERSHIP

145

sowohl eine Folge als auch eine zentrale Einflussvariable des Verhaltens und der Zusammensetzung des Führungsteams darstellt.546 Darüber hinaus schlagen Kritiker der Theorie vor, jenseits der beobachtbaren, demographischen Charakteristika von Führungskräften auch Konstrukte wie Macht, Einstellung oder Urteilsvermögen in die Analyse zu integrieren.547 Deren direkte Untersuchung sei notwendig, wenn man Führungskräfte und ihre strategischen Entscheidungen verstehen wolle.548 Gerade psychographische Faktoren wie Einstellungen, Interessen und Meinungen haben sich für die Vorhersage von Verhalten besser erwiesen als demographische Faktoren.549 Die Distribution von Macht in Unternehmen ist ferner dazu geeignet, sämtliche anderen Faktoren an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu drängen, beispielsweise dann, wenn die Entscheidung einer mächtigen Führungsperson die Entscheidung anderer außer Kraft setzen kann.550 Das Urteilsvermögen einer Führungsperson, d. h. ihre Fähigkeit, kausale Zusammenhänge zwischen Strategie, Struktur, Umwelt und Unternehmenserfolg zu erkennen, stellt eine weitere wichtige Variable zur Erklärung strategischer Managemententscheidungen dar. Schließlich wäre eine Diskussion der „Upper Echelons Theory“ unvollständig – so Carpenter et al. – wenn der Prozess der Nachfolge in der Unternehmensleitung und seine Wirkung auf ihre Mitglieder nicht erwähnt würden, da er sich auch auf die Performance eines Unternehmens auswirken kann.551

3.3.6.3

Strategisches Management in Geschäftseinheiten nach Gupta & Govindarajan

Im Gegensatz zu den meisten wissenschaftlichen Forschungsarbeiten, die sich beinahe ausschließlich auf die Führungskräfte in der Unternehmenszentrale konzentrierten552, setzten sich Gupta & Govindarajan mit strategischer Führung sowie mit der Entwicklung und Implementierung von Strategien auf der Ebene der Geschäftseinheiten auseinander. Sie stellten heraus, dass die Strategieformulierung und -implementierung nicht nur in der diversifizierten Unternehmung als Ganzes, sondern auch auf der Ebene der Divisionen, Tochtergesellschaften und SGEs stattfindet.553 Aufgrund der Tatsache, dass jede Geschäftseinheit ein eigenes Portfolio

546 547 548 549 550 551

552

553

Vgl. Carpenter et al. (2004), S. 774ff. Vgl. Priem et al. (1999), S. 935ff. Vgl. Carpenter et al. (2004). Vgl. Ajzen (1991); Frye/Klein (1974). Vgl. Mintzberg/Waters (1985), S. 257ff. Studien, die sich mit der Nachfolge in der Unternehmensführungsriege beschäftigten, wurden u. a. von Herrmann/Datta (2002) oder Bigley/Wiersema (2002) durchgeführt. Vgl. Finkelstein/Hambrick (1996), S. 328. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Analyse von Führungskräften auf Ebene der Geschäftseinheiten im Vergleich zur Untersuchung von Führungskräften der Zentrale vernachlässigt wurde, obwohl „contemporary firms have many SBU positions, and it is precisely at this level that competitive strategy is formulated and executed“. Gupta/Govindarajan (1984), S. 25; Hambrick (1980).

146

KAPITEL 3

und damit einen eigenen strategischen Auftrag hat, sich in einem spezifischen Wettbewerbsumfeld befindet und in unterschiedlichen, wechselseitigen Beziehungen innerhalb des Unternehmensverbunds steht, müssen Strategien im Hinblick auf die spezifische Situation der dezentralen Einheiten entwickelt werden. Gupta & Govindarajan filtern aus der Vielzahl möglicher strategischer Richtungen zwei zentrale Strategien heraus, die sog. „harvest“- und „build“-Strategie.554 Die erfolgreiche Implementierung einer der beiden Strategien auf dezentraler Ebene ist dabei abhängig vom strukturellen Kontext, der in der Regel von der Zentrale vorgegeben wird. Allerdings gehen Gupta & Govindarajan davon aus, dass die Wahl von Individuen, die einer dezentralen Einheit voranstehen, als eine zentrale Größe im intraorganisationalen Kontext verstanden werden müssen.555 Insofern wird angenommen, dass die persönlichen Charakteristika einer Führungskraft auf Ebene der dezentralen Geschäftseinheiten für die Entwicklung und Implementierung von Strategien für die dezentralen Einheiten eine Rolle spielen. Führungskräfte, die eine „build“-Strategie verfolgen, müssen grundsätzlich unternehmerischer orientiert sein als jene Manager, die eine „harvest“-Strategie umsetzen. Neben den persönlichen Charakteristika hängt die Wirkungskraft der dezentralen Strategieimplementierung schließlich auch von der internen Organisation der dezentralen Geschäftseinheit sowie der Art der Kontrolle, welche die Unternehmenszentrale auf die dezentrale Einheit ausübt, ab.556 Im Modell werden die Eigenschaften einer Führungsperson in Beziehung zur Strategie der strategischen Geschäftseinheit und zur Effektivität der Einheit bei der Strategieimplementierung gesetzt. Charakteristika der Führungsperson vor Ort sind repräsentiert durch ihre fachliche Erfahrung557, ihre Risikobereitschaft und ihre Toleranz gegenüber Ambiguität. Dass diese drei persönlichen Charakteristika zu einer höheren Effektivität bei der Strategieimplementierung – insbesondere im Bezug auf „build“-Strategien – führt, konnte bestätigt werden.558 Damit wurde auch die Annahme einiger Wissenschaftler gestützt, dass die Charakteristika von Führungspersonen in dezentralen Einheiten in Zusammenhang mit deren strategischen Ausrichtung bzw. Positionierung zu sehen sind.559

554

555 556

557

558 559

Gupta/Govindarajan (1984) lehnen sich dabei an die Strategie-Klassifizierungen von MacMillan (1982) sowie von Hofer/Schendel (1978) an. Eine „harvest“-Strategie verfolgt dabei das Ziel der Abschöpfung, während eine „build“-Strategie darauf abzielt, ein Projekt oder eine Einheit aufzubauen. Gupta/Govindarajan (1984), S. 27. Vgl. Kerr (1982) zu den Eigenschaften einer Führungsperson, vgl. Miles/Snow (1978) zur internen Organisation und vgl. Vancil (1980) bezüglich der organisationalen Kontrollmechanismen. Die Autoren untersuchten in Bezug auf die fachliche Erfahrung insbesondere Erfahrung in Marketing und Vertrieb. Vgl. Gupta (1987), S. 38. Vgl. u. a. Hofer/Schendel (1978); Kerr (1982).

LEADERSHIP

147

Dennoch weist auch dieser konzeptuelle Ansatz eine Schwäche hinsichtlich der begrenzten Zahl von einbezogenen Variablen auf. Strategien von Unternehmenseinheiten unterscheiden sich nicht nur aufgrund ihrer Ausrichtung, sondern müssen auch im Lichte der relativen Wettbewerbsposition der betreffenden Einheit betrachtet werden. Zudem kann der Grad der Vernetzung der Einheit innerhalb des Unternehmensverbunds Auswirkungen auf die Formulierung von Strategien haben. Noch entscheidender ist jedoch der Einfluss der spezifischen Eigenschaften der Führungsperson auf die Strategie. Neben den drei in dieses Konzept integrierten Dimensionen können auch Faktoren wie frühere Erfahrungen, der professionelle Hintergrund, das Alter, der Führungsstil oder die Einstellung gegenüber Autoritäten einen Einfluss auf die Entwicklung und Wahl von Strategien haben. Letztlich sind neben der Effektivität auch andere Wirkungen durch strategische Entscheidungen denkbar, etwa die Arbeitszufriedenheit oder das Commitment der Führungskräfte.560

Die Diskussion der verschiedenen Leadership-Theorien hat gezeigt, wie komplex das Thema Führung ist und wie viele unterschiedliche Facetten für die wissenschaftliche Diskussion interessant sind. Diese Fülle an Ansätzen hat jedoch auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit des Forschungsfelds beigetragen und dazu geführt, dass zahlreiche empirische Untersuchungen – obwohl sie dasselbe Thema behandeln – in Widerspruch zueinander stehen. Dies macht ein tiefes Verständnis von Führung in und von Unternehmen zwar schwierig, eröffnet jedoch auch künftig Anknüpfungspunkte für weitergehende Fragestellungen. Um mit den Worten Hambricks zu sprechen: Es ist entscheidend, sowohl eine Mikro- als auch eine Makroperspektive in der Führungsdiskussion einzunehmen.561

3.4

Führungsverantwortung im hierarchischen Kontext The relationship between subsidiary and parent management needs to change. Julian Birkinshaw

Um das Potenzial aller Unternehmenseinheiten voll ausschöpfen zu können, müssen die Führenden in allen Unternehmenseinheiten von der Dezentralisierung von Führungsverantwortung überzeugt sein, d. h. die Führenden in der Unternehmenszentrale müssen gewillt sein, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen abzugeben, während nachrangige Führungspersonen, u. a. in den dezentralen Unternehmenseinheiten, die Delegation dieser Verantwortung 560 561

Vgl. Gupta/Govindarajan (1984), S. 39. Vgl. Hambrick (2007), S. 337.

148

KAPITEL 3

akzeptieren müssen.562 Führungskräfte in Tochtergesellschaften werden jedoch erst dann beginnen, unternehmerisch zu handeln, wenn ihr Spielraum bei strategischen Entscheidungen oder bei der Allokation von Ressourcen erweitert wird.563 Die Qualität der Übertragung von strategischer Führungsverantwortung von oben nach unten bzw. von der Unternehmenszentrale in die „Außenbereiche“ des Unternehmens zeigt sich in der Zahl der strategischen Entscheidungen, die von nachrangigen Führungskräften getroffen werden oder an der Bedeutung dieser Entscheidungen, die daran erkennbar ist, wie viele andere Akteure und Funktionsbereiche im Unternehmen von ihnen berührt sind. Schließlich drückt auch das Ausmaß an bzw. das Fehlen von Kontrolle dieser Entscheidungen durch die obersten Führungskräfte aus, wie viel strategische Führungsverantwortung sie abgegeben haben.564 Die Frage der Dezentralisierung von Führungsverantwortung soll in den folgenden Absätzen thematisiert werden.

3.4.1

MACHT- UND EINFLUSSVERHÄLTNISSE IN ORGANISATIONEN POWER, the basic energy to initiate and sustain action translating intention into reality, the quality without which leaders cannot lead. Warren Bennis & Burt Nanus

3.4.1.1

Wesen von Macht und Einfluss

Durch die vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, dass Macht, Autorität und Einfluss Faktoren darstellen, die Beziehungen, aber auch Entscheidungsprozesse in Organisationen bestimmen. Um verstehen zu können, wie Führung in Organisationen funktioniert, müssen Macht- und Einflussverhältnisse analysiert werden. Dabei ist grundsätzlich zwischen der Mikro- und Makroebene zu unterscheiden. Bezogen auf die Mikro-Perspektive bedeutet Macht nicht nur, Mitarbeiter zu beeinflussen, sondern sie kann auch gegenüber Kollegen, ranghöheren Vorgesetzten und Akteuren jenseits der Unternehmensgrenzen (z. B. Kunden, Lieferanten) ausgeübt werden.565 Parallel dazu zeigen sich Machtverhältnisse in Unternehmen zwischen unterschiedlichen Unternehmenseinheiten und Koalitionen (Makro-Perspektive).566 Macht, Einfluss und Autorität werden dabei häufig synonym verwendet, obgleich Cartwright schon sehr früh zwischen den Begriffen unterschied: Die Handlung einer Person, die zu einer 562 563 564 565 566

Vgl. Greenwood (1974), S. 6 Vgl. Taylor (2001), S. 129. Vgl. Dale (1952), S. 107. Yukl (1989), S. 254. Vgl. hierzu u. a. Mintzberg (1983).

LEADERSHIP

149

Veränderungen von Einstellungen und Verhalten bei einer anderen Person führt, ist als Einfluss gekennzeichnet, während die Fähigkeit, andere zu beeinflussen, Macht bedeutet.567 Autorität beruht dagegen auf der Stellung oder dem Rang einer Person in einer Hierarchie und ist mit Rechten und Pflichten verbunden.568 Im Hinblick auf die Dezentralisierung von strategischer Führungsverantwortung bedeutet Autorität so zu delegieren, dass diejenigen handeln können, die sich am nächsten am Ort des Geschehens befinden.569 Macht stellt eine Austauschbeziehung zwischen mehreren Akteuren dar, die grundsätzlich über Möglichkeiten verfügen, Ressourcen für ihre Interessen zu mobilisieren.570 Winter definiert soziale Macht als die „ability or capacity of O to produce (consciously or unconsciously) intended effects on the behavior or emotions of another person P.“571 Die Durchsetzung des Willens stößt bisweilen auf Widerstand („resistance“), kann aber durchaus auch konsensgestützt sein und in partizipativen Austauschbeziehungen münden.572 Allerdings existiert bei der konsensgestützten Reaktion ein qualitativer Unterschied zwischen vollkommener Zustimmung („commitment“) und schlichter Befolgung der Anweisung („compliance“), da im letzteren Fall zwar das Handeln einer Person beeinflusst wird, nicht jedoch ihre Einstellungen.573 Generell sind die Austauschbeziehungen zwischen den verschiedenen organisationalen Akteuren dadurch gekennzeichnet, dass die auf den genannten Quellen basierende Macht – mikropolitisch betrachtet – interdependent und multilateral geprägt ist. Somit ist jedes Handeln als strategische Aktion zu interpretieren, durch die jeder Agierende in der Organisation zu einem mikropolitischen Akteur wird. Entscheidend ist dabei, dass kompetente Akteure innerhalb struktureller Spielräume handeln, d. h. dass die Akteure organisationale (und nicht egoistische) Interessen verfolgen und dass innerhalb der Organisation Regeln und Mechanismen existieren, die den Handlungsspielraum der Akteure bis zu einem gewissen Punkt begrenzen.574

567 568 569 570 571 572

573

574

Vgl. Cartwright (1965) zitiert in Wunderer/Grunwald (1980a), S. 70f. Vgl. Yukl (2001), S. 142; Wunderer/Grunwald (1980a), S. 71f. Vgl. Greenwood (1974), S. 5. Vgl. Greifenstein et al. (1993), S. 23. Winter (1973), S. 5. Vgl. Machtbegriff bei Weber (1980), der Macht als Durchsetzung des eigenen Willens auch gegen Widerstreben definiert. Der Begriff der auf Konsens basierenden Macht findet sich dagegen bei Ortmann et al. (1990). Vgl. Yukl (2001), S. 143. Kelman (1958) unterscheidet darüber hinaus drei Arten von Einflussprozessen: Instrumentalisierte Befolgung, Internalisierung und persönliche Identifikation. Vgl. Greifenstein et al. (1993), S. 24; Ortmann et al. (1990), S. 511.

150

KAPITEL 3

3.4.1.2

Quellen von Macht und Einfluss

Quellen für Machtressourcen sind die Kontrolle von Informations- und Kommunikationskanälen, die Möglichkeit, durch Belohnung oder Zwang Macht auszuüben, Identifikation, Sachkenntnis und Expertenwissen, die Verfügung über Schnittstellen zu relevanten Umweltsegmenten, Legitimation oder die Nutzung von Organisationsregeln.575 Die verschiedenen Machtbasen können ferner als positions- und persönlichkeitsbezogen klassifiziert werden (vgl. Tabelle 14).

Machtbasis „Position Power“

Legitimation („legitimate power“)

(„reward power“)

Zwang („coercive power“)

Information („information power“)

Umwelt („ecological power“)

Identifizierung („referent power“)

Expertise („expert power“)

Tabelle 14:

Formale Autorität aufgrund von Rechten und Verantwortlichkeiten. Zugang zu Ressourcen und Möglichkeit der Honorierung von Leistung durch Belohnungen.

Belohnung

„Personal Power“

Beschreibung

Möglichkeit der Sanktionierung. Kontrolle und Zugang zu relevanten Informationen. Kontrolle über die physische Umwelt, Technologien und Arbeitsorganisation. Einfluss durch Identifikation und Loyalität anderer. Besitz von relevantem Wissen und Fähigkeiten.

Taxonomie der Macht Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Yukl (2001), S. 144f.

Vor dem Hintergrund des dezentralen Leadership-Ansatzes wird klar, dass es innerhalb der Organisation zu einer Umverteilung von Macht kommen muss, d. h. dass die obersten Führungskräfte nicht nur Aufgaben, sondern auch Kompetenzen und Verantwortung abgeben.576

3.4.1.3

Dynamik von Macht und Einfluss

Macht- und Einflussverhältnisse in Organisationen sind nicht statisch, sondern je nach Situation und den Handlungen der Organisationsmitglieder einem dynamischen Wandel unterwor-

575 576

Vgl. French/Raven (1968), S. 259ff. sowie Crozier/Friedberg (1979), S. 43. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980b), S. 58.

LEADERSHIP

151

fen. Nicht selten spielen Unsicherheit bzw. der Umgang mit ihr, die mangelnde Substituierbarkeit von Personen und Einheiten sowie der Grad der Interdependenz von verschiedenen Akteuren eine Rolle bei der Verteilung von Verantwortung innerhalb von Organisationen.577 Dabei kann sich der Machtgewinn bzw. -verlust auf zwischenmenschlicher Ebene zwischen Führungspersonen und Mitarbeitern oder auf organisationaler Ebene zwischen Unternehmenseinheiten abspielen. Basierend auf der „Social Exchange Theory“, welche soziale Interaktion als einen Austausch von Gefallen interpretiert, hängt die Rolle einer Führungsperson von den Erwartungen anderer an ihre Kompetenzen und ihre Loyalität ab. Macht und Status verhalten sich dabei proportional zur Einschätzung der potenziellen Leistungsfähigkeit einer Führungsperson im Vergleich zu anderen Organisationsmitgliedern. Dies bedeutet, dass Mitarbeiter und Führungskräfte bewerten, wie groß die Kontrolle einer bestimmten Führungsperson über knappe Ressourcen, wie gut ihr Zugang zu relevanten Informationen oder ihre Problemlösefähigkeit ist.578 Führungspersonen, die neben ihrem Status und Einfluss ein gutes Urteilsvermögen beweisen, genießen mehr Freiheiten als andere Organisationsmitglieder – beispielsweise in Bezug auf die Möglichkeit zur Initiative und Verfolgung innovativer Projekte, welche von Führungskräften erwartet werden, um Herausforderungen erfolgreich begegnen zu können. Scheitert der Führende jedoch an der Realisierung von Innovationen aufgrund von Fehleinschätzungen oder falschen Entscheidungen, kann dies aber erhebliche Verluste seines Einflusses und Status nach sich ziehen, mitunter sogar seine formale Autorität in Frage stellen.579 Neben dem persönlichen Machtgewinn und -verlust kann es auch auf der Ebene der Unternehmenseinheiten zu einem Aus- oder Abbau der Einflussmöglichkeiten kommen. Dies spiegelt sich beispielsweise in einer Ausweitung der Fähigkeiten und Handlungsspielräume der betreffenden Einheit oder in einer Einschränkung der Mitspracherechte, der Bestimmung der Wettbewerbsstrategie oder der Allokation von Ressourcen wider.580 Betrachtet man die drei Machtdimensionen nach Kaplan – Gewicht („weight“), Wirkungsbereich („domain“) und Umfang („scope“) von Macht – wird der Unterschied zwischen individueller und organisationaler Ebene deutlich. Das Gewicht von Macht zeigt sich in der Wahrscheinlichkeit, mit der Person A das Verhalten von B bestimmt, der Wirkungsbereich stellt die Zahl der durch B beeinflussten Personen A, C, D, etc. dar und der Umfang der Macht äußert sich in der Bandbreite der verschiedenen Verhaltensweisen von A, die durch B beeinflusst werden. Hebt man diese Überlegungen auf die Ebene von Unternehmenseinheiten, zeigt sich der Macht- bzw. Einflussbereich einer Unternehmenseinheit in der Zahl anderer Einheiten und Unternehmensbe577 578 579 580

Vgl. Hickson et al. (1971), S. 218ff. Vgl. Hollander (1961), Yukl (2001), S. 154. Vgl. Evans/Zelditch (1961), S. 883ff. Vgl. Hickson et al. (1971); Galunic/Eisenhardt (1996); Birkinshaw (1999); Birkinshaw (2000).

152

KAPITEL 3

reiche, die sie bei bestimmten Problemstellungen involviert. Der Machtumfang ist an der Fülle von Problemfeldern abzulesen und das Gewicht der Einheit manifestiert sich in dem Ausmaß, wie sie den Entscheidungsprozess anderer Einheiten beeinflusst.581 Zusammengefasst hängt der Verantwortungsbereich einer Einheit und damit der ihr vorstehenden Führungskräfte – so die Strategische Kontingenztheorie – von der Problemlöseexpertise der Einheit, der Stellung der Einheit im Unternehmensnetzwerk sowie der Einzigartigkeit der Kompetenzen der Einheit innerhalb der Gesamtunternehmung zusammen.582 Je einzigartiger und unersetzbarer die Kompetenzen einer Einheit für die Bewältigung von Herausforderungen („expert power“), desto mehr Einfluss und Macht besitzt sie innerhalb des Unternehmensverbunds und desto wahrscheinlicher ist es, dass die Einheit sogar formale Autorität („legitimate power“) erlangt. Im Spannungsfeld von Markt- und Kompetenzorientierung aller Organisationseinheiten kann Führung also nicht mehr nur formal begründet sein, sondern muss vor allem auf spezifischem Wissen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Ressourcen fußen, da es in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld und in komplexen Organisationen häufig nicht mehr möglich ist, eine einzige Richtung einzuschlagen. Vielmehr muss in viele Richtungen gleichzeitig gedacht werden, um den Veränderungen in den verschiedenen Umwelten Rechnung zu tragen. Vielfalt kann zu einer Stärke werden, wenn die Unternehmensführung in der Lage ist, andere zu befähigen, Ideen zu verfolgen und innovative Konzepte zu realisieren.583 Da sich der Wettbewerb einer diversifizierten Unternehmung nicht nur auf der Ebene der Zentrale, sondern vor allem auch auf der Ebene der dezentralen Einheiten abspielt, gewinnt schließlich der strategische Handlungsspielraum der Führungskräfte auf dezentraler Ebene an Bedeutung.584 Die Dezentralisierung von Macht innerhalb der Unternehmung entspricht der EmpowermentLogik, dass diejenigen, die mit bestimmten Situationen täglich umzugehen haben, am besten qualifiziert sind, Entscheidungen in diesen Situationen zu treffen.585 Dabei wird grundsätzlich zwischen einer Makro- und Mikroebene des Begriffs unterschieden, d. h. es wird zwischen dem Empowerment begünstigenden Arbeitsumfeld und dem psychologischen Zustand eines Individuums differenziert.586 Das strukturelle Empowerment setzt sich nach Blanchard et al. aus drei Schlüsselkomponenten zusammen, und zwar einer offenen und breit angelegten Informationsweitergabe im Unternehmen, einer klaren Definition der Kompetenz- und Verant581 582 583 584 585 586

Vgl. Kaplan (1964), S. 11ff. Vgl. Hickson et al. (1971). Vgl. McCrimmon (1995), S. 7ff. Vgl. Gupta (1987), S. 477; Porter (1980); Anderson/Zeithaml (1984), S. 5ff. Pearce/Conger (2003), S. 12. Diese Unterscheidung geht zurück auf die Arbeit von Liden/Arad (1996), die zwischen strukturellem und psychologischem Empowerment differenzierten. Eine neuere empirische Untersuchung dazu findet sich bei Seibert et al. (2004).

LEADERSHIP

153

wortungsbereiche des Einzelnen sowie dem Verzicht auf das Denken in Hierarchien.587 Beim (psychologischen) Empowerment geht es vornehmlich um die intrinsische Motivation und Selbstwirksamkeit einer Person, welche durch das Führungsverhalten, die Charakteristika des Arbeitsumfelds, die Organisationsstruktur sowie die persönlichen Bedürfnisse und Werte beeinflusst wird.588 Spreitzer definiert in diesem Kontext vier zentrale Elemente des Empowerments: die Bedeutung der Arbeit für den Einzelnen („Meaning“), die Selbstbestimmung über die Verrichtung der Arbeit („Self-Determination“), die Selbstwirksamkeit bzw. das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten („Self-Efficacy“) sowie die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Arbeitsumfeld („Impact“). Diese vier Elemente, so Spreitzer, reflektieren eine aktive Einstellung zur Arbeit,589 und wirken sich auf die Leistung des Einzelnen sowie den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens positiv aus.590

3.4.2

EINSTELLUNGSÄNDERUNG ALS VORAUSSETZUNG FÜR DIE DEZENTRALISIERUNG VON FÜHRUNGSVERANTWORTUNG UND -AUFGABEN

Die Einstellungen der Führungskräfte in der Muttergesellschaft und ihren Tochterunternehmungen sollten flexibel sein. Für Birkinshaw sind in diesem Zusammenhang vier Ausprägungen des Verhältnisses zwischen der Zentrale und ihren dezentralen Unternehmenseinheiten denkbar. Die Letztentscheidungsträger der Zentrale können den unternehmerischen Initiativen offen oder reserviert gegenüberstehen, während die Führungskräfte in den dezentralen Einheiten sich passiv oder aktiv verhalten können, wie die folgende Abbildung 19 zeigt:

Haltung der Tochtergesellschaft

Haltung der Zentrale gegenüber unternehmerischen Initiativen

passiv

aktiv

offen

(3) Entgangene Möglichkeiten

(4) synergetisch und kreativ

reserviert

(1) Neutral und paternalistisch

(2) Konfrontation

Abbildung 19: Ausprägungen der Beziehung zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten Quelle: Birkinshaw (2000), S. 129.

587 588 589 590

Blanchard et al. (1999). Vgl. Yukl (2001), S. 106. Vgl. Spreitzer (1995), S. 1443f. Vgl. Seibert et al. (2004), S. 341.

154

KAPITEL 3

In Situation 1 akzeptieren die Führungskräfte der Tochtergesellschaft die reservierte Haltung der Zentrale und verhalten sich in Bezug auf die Entwicklung unternehmerischer Initiativen passiv. Konfliktreicher gestaltet sich dagegen das Verhältnis zwischen Zentrale und dezentralen Einheiten im zweiten Fall. Hier wissen die Führungskräfte der dezentralen Einheit zwar um die Reserviertheit der Zentrale gegenüber Initiativen, konfrontieren diese jedoch mit unternehmerischem Engagement. In Situation 3 erkennt die Zentrale wirtschaftliche Möglichkeiten in einem lokalen Markt, allerdings unternimmt die dezentrale Einheit vor Ort nichts, um diese Möglichkeiten auszunutzen. Von einem synergetischen und gleichsam sehr effektiven Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist dann zu sprechen, wenn unternehmerische Aktivität der Tochter auf eine offene Haltung bei den Letztentscheidungsträgern trifft (Situation 4). Während die Ausprägungen im ersten und vierten Fall ein ausbalanciertes Beziehungsgefüge zwischen Mutter- und Tochterunternehmung darstellen, ist das Verhältnis (1) und (3) wenig harmonisch und wird sich mittelfristig verändern.591 Denkbar ist dabei sowohl die Einstellungsänderung der Letztentscheidungsträger gegenüber unternehmerischem Verhalten als auch der Verhaltenswandel bei den Managern der dezentralen Einheit.

3.4.3

ZENTRALE VERSUS DEZENTRALE LEADERSHIP-AUFGABEN

Führungskräfte an der Spitze großer Unternehmen können, so stellt Cohen fest, nicht alles wissen, jeden Markt und/ oder jedes Produkt kennen, jede neue Technologie und ihre Anwendungsmöglichkeiten verstehen oder jeden viel versprechenden Mitarbeiter identifizieren. Vielmehr müssen sie sich auf das Urteilsvermögen einer Vielzahl von Akteuren im Unternehmen verlassen.592 Um Unsicherheit und unternehmerisches Risiko leichter bewältigen zu können, wird dem Management von Vertrauen innerhalb eines Unternehmens eine zentrale Bedeutung beigemessen.593 Dies stellen auch Goshal & Bartlett insbesondere im Hinblick auf eine erfolgreiche Unternehmensführung in turbulenten Umwelten fest. Sie sollte deshalb auf vier Säulen fußen: Vertrauen, Unterstützung, Disziplin und Ehrgeiz.594 Transparenz und Offenheit über (Entscheidungs-)Prozesse im Unternehmen oder faire Managementpraktiken sind Ausdruck von Vertrauen, das Unternehmensmitglieder innerhalb einer großen diversifizierten Unternehmung in das Urteilsvermögen und Engagement der anderen haben. Die Partizipation bei zentralen Kernaufgaben des Unternehmens sowie die Weiterentwicklung der Kompetenzen wirken vertrauensbildend bei der Zusammenarbeit zwischen Personen und Einheiten. Zudem kann gegenseitige Unterstützung traditionelle Kontrollmecha-

591 592 593 594

Vgl. Birkinshaw (2000), S. 130f. Vgl. hierzu Cohen (2002) sowie Bradford/Cohen (1998). Vgl. Albach (1994), S. 6. Vgl. Goshal/Bartlett (1998), S. 153ff.

LEADERSHIP

155

nismen ersetzen, sodass die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern bzw. zwischen gleichgestellten Kollegen v. a. durch partnerschaftliches Verhalten, gegenseitiges Coaching und konstruktive Leitung gekennzeichnet ist. Wirkliche Unterstützung drückt sich dabei im erleichterten Zugang zu jenen Ressourcen aus, die außerhalb der eigenen Einheit liegen, aber auch im Verhalten von Führungskräften, die weniger kontrollorientiert und dafür mehr unterstützend die Verwirklichung innovativer Projekte begleiten. Das Engagement sollte dabei mit Disziplin gepaart sein, die sich weniger in der Erfüllung von Direktiven und Richtlinien, sondern im Worthalten widerspiegelt. Die Etablierung klarer Leistungsstandards in Relation zur externen Konkurrenz, offenes und konstruktives Feedback sowie eine faire, konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten und -entscheidungen sind Ausdruck der Disziplin in Organisationseinheiten und geben den Organisationsmitgliedern Sicherheit. Der Einführung von Standards vergleichbar müssen Ziele klar und gemeinsam formuliert sein, sodass jedem Unternehmensmitglied deutlich wird, wie es zur Erreichung dieser Ziele beitragen kann. Auf diese Weise können sich die Mitarbeiter und Führungskräfte besser mit der Aufgabe und dem Unternehmen identifizieren. Sie entwickeln persönlichen Ehrgeiz. Die Fähigkeit und Bereitschaft, Ideen zu entwickeln und Initiativen zu ergreifen, beruht auf dem Spannungsverhältnis von Disziplin und Ehrgeiz, wobei Ehrgeiz Antrieb für die Verfolgung von innovativen Ideen ist und Disziplin verhindert, dass diese Ideen an der Realität scheitern. Umgekehrt würde Disziplin ohne Antrieb kreatives Denken unterdrücken. Vertrauen und Unterstützung fördern die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen einzelnen Unternehmensmitgliedern, aber auch zwischen verschiedenen Einheiten. Darüber hinaus werden weitere Verhaltensweisen, etwa Zuversicht und Engagement, kontinuierliches Lernen und eine effiziente Erledigung der Aufgaben begünstigt. Die Etablierung von Vertrauen, die Definition ambitionierter Ziele und gegenseitige Unterstützung stellen die Basis einer erfolgreichen Unternehmensführung in turbulenten Zeiten dar. Sie müssen an der Spitze des diversifizierten Unternehmens beginnen und in die dezentralen Einheiten weitergegeben werden. Allerdings sind nicht alle Führungsaufgaben delegierbar, sondern sollten in der Unternehmenszentrale verbleiben.

3.4.3.1

Nicht-delegierbare Führungsaufgaben

Nicht alle Bereiche einer diversifizierten Unternehmung können dezentralisiert werden. Gerade in einem Unternehmensnetzwerk von mehr oder weniger unabhängigen Einheiten kommenen der Zentrale wichtige Aufgaben zu. Albach leitet beispielsweise drei spezifische Rollen (Koordinator, Vertrauensmanager und Schlichter) für die Führungskräfte der Zentrale einer

156

KAPITEL 3

diversifizierten Unternehmung ab.595 Tricker definiert vier Rollen für die obersten Führungskräfte: „direction, formulating the strategic direction for the future of the enterprise in the long term; executive action, involvement in crucial executive decisions; supervision, monitoring and oversight of management performance; and accountability, recognizing the firm’s responsibilities to those making legitimate demands for accountability”596. Auch Bartlett & Goshal nennen spezifische Aufgaben des Top-Managements, welche die Festlegung der Ziele, die Entwicklung der Werte sowie die Möglichkeit zu sinnstiftender Arbeit umfassen.597 Van Oijen & Douma zählen zu den Rollen der Führungskräfte in der Unternehmenszentrale die Planung, die Bewertung der Vorschläge und Resultate der Einheiten, die Selektion geeigneter Führungskräfte, die Rotation von Schlüsselakteuren zwischen Einheiten, die Motivation durch spezifische Anreize sowie die Koordination und Unterstützung von Kooperation zwischen Unternehmenseinheiten.598 Hinterhuber et al. konkretisieren die Verantwortungsbereiche, die bei den Letztentscheidungsträgern in der Unternehmenszentrale verbleiben müssen:599 —

Ein gemeinsames Führungsverständnis (i. e. gemeinsame Entscheidungsmethoden, Einstellungen) ist gerade in einer diversifizierten Unternehmung bedeutsam, da ihre dezentralen Einheiten unter Umständen sehr ungleich sind, in sehr unterschiedlichen Märkten agieren und die Identität der Unternehmung nur unscharf umrissen werden kann. Führung in der Zentrale wird daher in einem solchen organisationalen Kontext zunehmend komplexer und ist auf eine von allen Führungskräften verinnerlichte Führungslogik angewiesen.



Das Unternehmensleitbild legt die langfristige strategische Stoßrichtung der diversifizierten Unternehmung fest, d. h. Märkte, Geschäftsfelder und Entwicklungsmöglichkeiten werden ebenso festgelegt, wie Ziele, Werte und Verantwortung gegenüber Stakeholdern definiert werden. Die Bestimmung und ein übergeordnetes Ziel des Unternehmens müssen im Leitbild deutlich werden, damit sich die Mitglieder des Unternehmens mit ihm identifizieren können und sich ihm verbunden fühlen.600 Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das Verhalten der Letztentscheidungsträger die Inhalte des Unternehmensleitbilds spiegelt und sie so das Unternehmen prägen.601 Darüber hinaus können

595 596 597 598 599

600 601

Vgl. Albach (1994), S. 6. Tricker (1984), S. 7. Vgl. Bartlett/Goshal (1994), S. 79ff. Vgl. van Oijen/Douma (2000), S. 561ff. Vgl. hier und im Folgenden Hinterhuber et al. (2000a), S. 1357ff. Ergänzungen zu den Ausführungen der Autoren werden in den Fußnoten kenntlich gemacht. Vgl. Bartlett/Goshal (1994), S. 81; Reade (2001), S. 405f. Vgl. Bleicher (2001), S. 69.

LEADERSHIP

157

mit Hilfe des Leitbildes Strategic Issues, d. h. plötzlich auftretende Möglichkeiten und Schwierigkeiten, besser und effizienter gemeistert werden. —

Die im gesamten Unternehmen gebündelten Einstellungen, Werte, Erfahrungen, bereichsübergreifenden Prozesse und Technologien sowie das Wissen und Know-how bilden im Allgemeinen die zentralen Kernkompetenzen, welche den dezentralen Einheiten Werte und dauerhafte Wettbewerbsvorteile verschaffen sollen. Nicht selten sind jedoch auch die dezentralen Einheiten maßgeblich am Aufbau dieser Kompetenzen beteiligt, wobei der Zentrale der Spagat gelingen muss, das Know-how dem gesamten Unternehmen zugänglich zu machen, und dennoch der Tochtergesellschaft oder SGE die spezifische Kompetenz nicht wegzunehmen.602 Dabei ist zwischen Kernkompetenzen auf operativer und strategischer Ebene zu unterscheiden: Kernkompetenzen auf operativer Ebene ermöglichen den dezentralen Einheiten, in der Unternehmung vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten zu nutzen, während Kernkompetenzen auf strategischer Ebene den Letztentscheidungsträgern erlauben, externe Einheiten zu akquirieren/ integrieren oder sich von schlecht geführten Einheiten zu trennen, Wissen unter den Einheiten aufzubauen und zu transferieren, ein Führungssystem zu entwickeln, eine Kultur zu etablieren, die Heterogenität zulässt und die dezentralen Einheiten an der Reputation der Unternehmung partizipieren zu lassen.



Die Gesamtunternehmensstrategie zielt auf die optimale Gestaltung des Unternehmensportfolios, das durch Diversifikation, (Des-)Investition, Integration, Akquisition oder Allokation von Ressourcen erreicht werden kann. Nach der IST- und SOLL-Analyse wird in der Gesamtstrategie festgelegt, wie das angestrebte SOLL-Portfolio aussehen soll. Nur wenn die Zentrale und die dezentralen Einheiten zusammenspielen, kann die Gesamtstrategie erfolgreich umgesetzt und ein Wertzuwachs für die gesamte diversifizierte Unternehmung erreicht werden.



Die Unternehmenskultur gibt die im Unternehmen gelebten Werte, Einstellungen und Orientierungen wieder. Je nachdem, wie offen oder geschlossen die Unternehmenskultur ist, herrschen im Extremfall entweder Heterogenität, Selbständigkeit, Risikobereitschaft und Wettbewerb, oder aber Homogenität, Abhängigkeit, Fremdbestimmung und Risikoaversion. Die der Unternehmenskultur zugrunde liegenden, gemeinsamen Werte führen zu einer kollektiven Identität sowie einem Gefühl der Einheit und Solidarität, das Vertrauen schafft und den horizontalen Informationsfluss sicherstellt. Beides ist für die

602

Ein möglicher Weg, die Balance herzustellen, ist jener, den das Unternehmen 3M eingeschlagen hat und der mit dem folgenden Satz verdeutlicht wird: „products belong to divisions, but technology belongs to the company“ (vgl. hierzu Goshal/Bartlett (1998), S. 86).

158

KAPITEL 3

organisationale Lernprozesse entscheidend.603 Werte beeinflussen das Handeln der Mitarbeiter und Führungskräfte, die sich nur dann für die Erreichung der Unternehmensziele einsetzen, wenn sie sich mit diesen Zielen und Werten identifizieren können. —

Schließlich stellt die strategische Architektur ein Rahmenwerk dar, in dem unternehmerisches Denken und Handeln aller Führungskräfte und Mitarbeiter möglich wird. Dabei muss es den zentralen Entscheidungsträgern gelingen, die Balance zwischen direkten, steuernden Eingriffen und weitestgehender Entscheidungs- und Handlungsfreiraum für die dezentralen Führungskräfte zu schaffen. Die Aufgaben der zentralen Führungskräfte sind unter Berücksichtigung der situativen Wettbewerbsbedingungen vor allem in der Abgrenzung der Aufgaben der jeweiligen dezentralen Einheiten, in der Schaffung synergetischer Verflechtungen zwischen den verschiedenen Unternehmenseinheiten sowie in der Festlegung der formalen und inhaltlichen Controllinganforderungen zu sehen. Die Auswahl der obersten Führungskräfte in den dezentralen Einheiten ist dabei von entscheidender Bedeutung, weil sie die zentralen Führungswerte verstehen müssen, um ihre jeweilige Einheit im Sinne einer Wertsteigerung der gesamten diversifizierten Unternehmung zu leiten.

Abbildung 20 verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen zentraler und dezentraler Führung:

Führung durch die Zentrale

Hohe interne Komplexität Vertrauen Zulassen von Heterogenität

Autonomie der SGEs und Tochtergesellschaften

„Gleichrichtung“ Kontrolle Geringe interne Komplexität



Dezentralisierung

Geringe Handlungsfreiheit der SGEs und Tochtergesellschaften



Große Handlungsfreiheit der SGEs und Tochtergesellschaften

„Der Chef kocht selbst“



„Der Chef sucht die Köche aus und überwacht die Kochprozesse“

Geringe externe Komplexität



Hohe externe Komplexität

Große Zentralbereiche



Kleine Zentralbereiche

Zentralisierung

Abbildung 20: Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung Quelle: Hinterhuber et al. (2000a) in Anlehnung an Mirow (1999), S. 1366.

603

Vgl. ebenda, S. 98.

LEADERSHIP

159

Die Veränderung einer diversifizierten Unternehmung hin zu einer flexiblen, unternehmerisch orientierten Organisation beginnt bei den obersten Führungskräften, indem sie das übergeordnete Unternehmensziel klar definieren, ihr Handeln den Kernwerten des Unternehmens anpassen und die Mitarbeiter und nachrangigen Führungskräfte bei der Verwirklichung innovativer Ideen unterstützen. Dazu müssen sie die geeigneten Führungskräfte für die dezentralen Unternehmensbereiche identifizieren und deren strategischen Handlungsspielraum genau festlegen.604

3.4.3.2

Delegierbare Führungsaufgaben

Bei der Etablierung von unternehmerischem Verhalten im Unternehmen, sind alle Führungskräfte in der diversifizierten Unternehmung gefragt. Sie müssen den organisationalen Kontext schaffen, der Mitarbeiter dazu ermutigt, eigeninitiativ innovative Ideen zu entwickeln. Versteht man wie Goshal & Bartlett ein diversifiziertes Unternehmen als Portfolio von intraorganisationalen Prozessen jenseits der hierarchischen Strukturen, kommen den Führungskräften auf den verschiedenen Ebenen spezifische Aufgaben zu. Im Rahmen des ersten organisationalen Prozesses, dem unternehmerischen Prozess, geht es um die Suche nach wirtschaftlichen Chancen. Der zweite, integrierende Prozess repräsentiert die Verknüpfung der Größe und Vielfalt der diversifizierten Unternehmung sowie der Kleinheit der dezentralen Einheiten, welche Flexibilität, Kreativität und Adaptionsfähigkeit sicherstellen können. Der dritte Prozess der organisationalen Erneuerung schafft die Fähigkeit, etablierte Prozesse und Praktiken ggf. in Frage zu stellen und Strategien zu entwickeln, die eine kontinuierliche Anpassung an die sich verändernden Umwelten ermöglicht. Abbildung 21 auf Seite 160 zeigt, in welcher Weise die Organisationsmitglieder der unterschiedlichen hierarchischen Stufen – untere, mittlere und obere Führungskräfte605 – in diese Prozesse eingebunden sein sollten und trägt damit den Überlegungen Burgelmans Rechnung, dass individuelle unternehmerische Aktivitäten internes Unternehmertum fördern können.606

604 605

606

Vgl. hierzu nochmals Pearce (2004), S. 50. Die erwähnten Managementebenen gliedern sich in obere Manager, d. h. Mitglieder der Geschäftsleitung und leitende Angestellte, in mittlere Manager, die mindestens zwei hierarchische Ebenen unter sich haben oder Stabsmitarbeiter mit Personalverantwortung sind, sowie untere Manager, die eine hierarchische Ebene unter sich haben (vgl. hierzu Kuhn (2000), S. 12). Vgl. Burgelman (1983b), S. 224ff.

160

KAPITEL 3

Mittlerer Manager

Entwicklung von Mitarbeitern, Überprüfung und Unterstützung der Initiativen Mitarbeiter

Obere Führungskraft

Entdeckung und Entwicklung wirtschaftlicher Chancen

Schaffung eines ganzheitlichen Unternehmensziels bei gleichzeitigem in Frage stellen der etablierten Annahmen

Etablierung ehrgeiziger Zukunftsperspektiven und Leistungsstandards

Integrationsprozess

Balance zwischen kurzfristigen Ergebnissen und langfristigen Zielen Mittlerer Manager

Beschaffung und Entwicklung von Kompetenzen; Management von Abhängigkeiten

Unternehmerischer Prozess

Erneuerungsprozess

Kontinuierliche Leistungsverbesserung der jeweiligen Einheit

Obere Führungskraft

Mitarbeiter

Verknüpfung von verstreutem Wissen, Fähigkeiten und Best Practices der verschiedenen Einheiten

Institutionalisierung von Werten und Normen zur Etablierung von Vertrauen und Unterstützung

Mittlerer Manager

Obere Führungskraft

Mitarbeiter

Abbildung 21: Aufgaben der Führungskräfte innerhalb der organisationalen Prozesse Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Goshal/Bartlett (1998), S. 190ff.

Wendet man das prozessorientierte Konzept auf die Überlegungen zur Führungsverantwortung von Führungskräften in Mutter- und Tochtergesellschaften an, könnte der Grad ihrer Beteiligung an den verschiedenen organisationalen Prozessen – wie in Abbildung 22 dargestellt – aussehen. Durch die Festlegung von Leistungsstandards, die Definition der Unternehmensziele sowie die Etablierung von Werten und Normen wirken die Führungskräfte in der Unternehmenszentrale systembildend auf die diversifizierte Unternehmung und legen spezifische Rahmenbedingungen fest, die das Denken und Handeln aller Organisationsmitglieder bestimmen. In dem Maß, wie sie sich gegenüber Veränderungen in der Unternehmensumwelt pro- oder re-aktiv verhalten, gestalten sie die internen Prozesse und prägen das Verhalten der Mitglieder untergeordneter hierarchischer Ebenen.607

607

Volberda et al. (2001), S. 163.

LEADERSHIP

161

entwickelnd, integrierend

hoch

Führungskräfte in der Zentrale

mittel

Führungskräfte in Tochtergesellschaften

niedrig

Mitarbeiter niedrig niedrig mittel

mittel hoch

hoch

innovativ, unternehmerisch

systembildend, erneuernd

Abbildung 22: Grad der Beteiligung von Führungskräften an organisationalen Prozessen Quelle: eigene Darstellung.

Um das Potenzial der Führungspersönlichkeiten in den Tochtergesellschaften voll auszuschöpfen, müssen letztere die Möglichkeit haben, selbständig Entscheidungen zu treffen und nicht nur zu Entscheidungen anderer beizutragen.608 Führungskräfte in den dezentralen Unternehmenseinheiten bewegen sich hierbei in einem führungsmäßigen Spannungsfeld, da sie analog zu den Aufgaben der Führungskräfte der Zentrale auch durch ihr Handeln auf das System einwirken können und darüber hinaus jedoch sowohl integrierend und aufgrund ihrer Nähe zu Märkten bzw. ihres Zugangs zu spezifischen Ressourcen unternehmerisch handeln sollten. In Anlehnung an die oben beschriebenen Aufgaben des mittleren Managements müssen sie ihren Mitarbeitern Raum für Initiativen geben, Fähigkeiten und „Best Practices“ innerhalb des Unternehmensnetzwerkes verknüpfen und eine Balance zwischen kurz- und langfristigen Unternehmenszielen herstellen. Die kontinuierliche Verbesserung der Kompetenzen ihrer Einheit, die einen erkennbaren Beitrag zur Wertsteigerung des gesamten Unternehmens leisten muss, sollte oberstes Ziel der Führungskräfte der dezentralen Einheiten sein. Neben der Fähigkeit, eine Vision für ihre Einheit zu entwickeln und ihre Fähigkeiten und ihr Know-how so einzusetzen, dass Wert geschaffen werden kann, haben sie auch eine Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter und andere Führende innerhalb der diversifizierten Unternehmung. Durch ihr Engagement bei der Unterstützung der initiierten innovativen Projekte im gesamten Unter-

608

Vgl. Steward (1995), S. 71.

162

KAPITEL 3

nehmen zeigt sich ihre unternehmerische Einstellung und wirkt auf die Mitarbeiter motivierend, ebenfalls nach wirtschaftlichen Möglichkeiten zu suchen. Die Überlegungen zum unternehmerisch orientierten Führungsverhalten in der Zentrale bzw. den dezentralen Einheiten zusammenfassend, lassen sich zwei mögliche Entwicklungsrichtungen ableiten. Obwohl Volberda et al. insgesamt vier strategische Entwicklungsrichtungen definierten, spielen im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit vor allem die unterstützte und transformationale Erneuerung eine Rolle.609 Im ersten Fall des „facilitated strategic renewal“ geht die Initiative für die organisationale Erneuerung von nachrangigen Führungsebenen aus, während das Top-Management einen strategischen Kontext schafft, in dem unternehmerische Initiativen dezentral entstehen können. Nachrangige Führungskräfte und Mitarbeiter verfügen dementsprechend über spezifisches Fach-/ Expertenwissen und Kompetenzen, die für die Entwicklung innovativer Ideen erforderlich sind. Die Aufgabe der Letztentscheidungsträger der Zentrale ist es dann, die unternehmerischen Initiativen ex-post zu legitimieren.610 Beim „transformational strategic renewal“ fungieren die oberen Führungskräfte hingegen als transformationale Leader, welche die unternehmerische Entwicklung im Unternehmen aktiv steuern und dennoch andere Organisationsmitglieder stark in den Prozess einbinden, so dass letztere ebenfalls aktiv die strategische Ausrichtung mitbestimmen können. Dazu ist – wie bereits deutlich gemacht wurde – ein kollektives Verständnis der Werte und Normen des Unternehmens notwendig, auf deren Grundlage das Wettbewerbsumfeld interpretiert werden kann. Transformationale Entwicklungsprozesse werden von der obersten Führungsebene angetrieben und sind dabei von einem kontinuierlichen In-Frage-Stellen gekennzeichnet, das unternehmerisches Engagement nicht nur partiell, sondern ganzheitlich im Unternehmen zu etablieren versucht.611 In Tabelle 15 (Seite 163) werden abschließend in Anlehnung an Strikwerda die verschiedenen Verantwortungsbereiche der Führungskräfte in den dezentralen Einheiten und jene der Zentrale aufgezeigt.

609

610 611

Volberda et al. (2001), S. 161 definieren die aus unternehmerischem Engagement resultierende strategische Erneuerung eines Unternehmens in Abhängigkeit verschiedener Parameter: dem Verhalten der Führungskräfte auf allen Ebenen des Unternehmens, dem Verhältnis zwischen der Suche nach neuen Möglichkeiten und dem Abschöpfen bestehender Geschäftsfelder sowie der Art der Wissens- und Informationsweitergabe innerhalb verschiedener Einheiten. Aus diesen Überlegungen leiten die Autoren vier idealtypische Entwicklungsrichtungen ab: „emergent, directed, facilitated and transformational renewal journeys“. Vgl. Burgelman (1983b). Vgl. Volberda et al. (2001), S. 159ff.

LEADERSHIP

163

Unternehmenszentrale

Tochtergesellschaften

— Gewährung von Garantien gegenüber Dritten

— Produktinnovation und -politik

— Festlegung von Bilanzierungsstandards und Konsolidierungsrichtlinien

— Preisbildung und Marktpositionierung

— Management der Ressourcen (Patente, Marken)

— Produkt- und Prozessentwicklung

— Besitz der Unternehmensimmobilien — Entsendung von Managern in Tochtergesellschaften — Finanzmanagement

— Vertrieb, Distribution und Marketing — Personalmanagement — Produktion und Beschaffung — Diverse Investitionsentscheidungen

— Entscheidungen bei Wandel des Rechtssystems — Erstellung der Geschäftsberichte, Beziehungspflege zu Regierungen, Anteilseignern, Kapitalmärkten — Festlegung der Verantwortlichkeiten der dezentralen Einheiten — Finanzierung der Geschäftsfelder, internationales Cash-Management — Entscheidungen über Akquisitionen und Desinvestitionen, M & A — Festlegung der Managemententwicklungspraxis — Entscheidungen über Restrukturierungen und Entlassungen

Tabelle 15:

Gegenüberstellung von zentralen und dezentralen Verantwortungsbereichen Quelle: Strikwerda (2003), S. 45.

Nach der Darstellung der spezifischen Aufgaben von Führungskräften unterschiedlicher hierarchischer Ebenen stellt sich die Frage, welche Kompetenzen und charakterlichen Eigenschaften diese Führungskräfte besitzen. Im nachfolgenden Kapitel gelingt es auch, dieser Überlegung nachzugehen.

3.4.4

FÜHRUNGSKRÄFTE DER ZENTRALE UND DER DEZENTRALEN EINHEITEN – EINE ABGRENZUNG

Die erfolgreiche Umsetzung des dezentralen Leadership-Ansatzes hängt nicht zuletzt von den besonderen Eigenschaften und Kompetenzen der Führungskräfte aller hierarchischen Ebenen der diversifizierten Unternehmung ab. In Anlehnung an eine allgemeine Charakterisierung von Führungskräften durch Mintzberg sollen die Charakteristika der Führungskräfte herausgearbeitet werden. Mintzberg definierte zehn potenzielle Führungsrollen, welche er wiederum

164

KAPITEL 3

in drei Kategorien (zwischenmenschlich, informations- und/ oder entscheidungsbezogen) untergliederte (vgl. Abbildung 23, Seite 165).612 In der Klasse der interpersonalen Rollen sollten Führungskräfte in der Zentrale sowie den dezentralen Einheiten für die Mitarbeiter als Symbolfigur oder Vorbild dienen. Wie bereits in Kapitel 3.4.3 ausgeführt wurde, ist Leadership-Kompetenz für die Entscheidungsträger auf zentraler wie dezentrale Ebene wichtig, wobei Führungskräfte auf dezentraler Ebene stärker als Netzwerker agieren müssen als jene Führenden in der Unternehmenszentrale. Gerade im Hinblick auf das Lobbying für innovative Projekte sind Kontakte im in- und externen Netzwerk erfolgsentscheidend.613 Was den Zugang zu und die Akquisition von Informationen angeht, sind die Führungskräfte auf dezentraler Ebene u. U. etwas stärker gefordert als das Top-Management, da sie sich innerhalb des Unternehmensnetzwerkes gegenüber gleichgestellten Kollegen behaupten müssen. Nichtsdestotrotz haben die Letztentscheidungsträger eine nicht zu unterschätzende Rolle als „Knotenpunkte“, da bei ihnen die Informationen aus allen Unternehmenseinheiten zusammenlaufen und ihnen ermöglichen, sich ein Bild von Umwelt und Unternehmung zu machen. Damit in engem Zusammenhang ist die Rolle des Übermittlers zu sehen, der die Informationen interpretieren und für andere Organisationsmitglieder nutzbar machen muss. Diese Rolle ist ebenso wie die Funktion des Sprechers für jede Führungskraft unabhängig von ihrer Stellung in der Hierarchie gleichermaßen entscheidend. Die Funktion des Sprechers ist eher als zentrale Führungsaufgabe zu sehen, da das Bild der diversifizierten Unternehmung gegenüber ihrer Außenwelt einheitlich sein sollte. Im Hinblick auf die dritte Kategorie, die sich auf den Entscheidungsspielraum der Führungskräfte bezieht, sind Führende auf jeder Unternehmensebene gleichermaßen Problemlöser. In Bezug auf das Top-Management eher relevant sind die Rollen des Verhandlungsführers und des Ressourcenverteilers, wobei die Führungskräfte in den dezentralen Einheiten diese Rollen auf der Ebene ihrer Einheit ebenfalls übernehmen können. Schließlich ist die Rolle des Entrepreneurs, der nach wirtschaftlichen Möglichkeiten sucht und innovative Projekte initiiert, eher für Führungskräfte in den lokalen Einheiten von Bedeutung, wie sich im folgenden Kapitel 4 zeigen wird.

612 613

Vgl. Mintzberg (1973a). Vgl. hierzu Birkinshaw/Fry (1998), S. 51ff.

LEADERSHIP

165

Interpersonal Informationsbezogen Symbolfigur Knotenpunkt

Leader Netzwerker

Übermittler Führungskraft

Sprecher

Problemlöser

Verhandlungsführer

Entrepreneur

Entscheidungsbezogen Ressourcenverteiler

• als Symbolfigur („Figurehead“) muss die Führungskraft in ihrem Handeln als Vorbild dienen; • als „Leader“ rekrutiert, motiviert, fördert und leitet sie seine Mitarbeiter; • als Netzwerker („Liaison“) unterhält sie Kontakte mit internen und externen Informanten und Partnern.

• als Knotenpunkt („Monitor“) laufen relevante Informationen bei der Führungsperson zusammen, die ihr ermöglichen, sich ein Bild von Umwelt und Unternehmen zu machen, • die Rolle des Übermittlers beinhaltet die Aufgabe, Informationen ggf. zu interpretieren und dann an Organisationsmitglieder weiterzugeben; • in der Funktion des Sprechers („Spokesperson“) werden Informationen über das Unternehmen an deren Umfeld weitergegeben.

• der „Entrepreneur“ sucht nach wirtschaftlichen Möglichkeiten und initiiert Projekte, die mitunter einen organisationalen Wandel herbeiführen können; • die Ressourcenverteilung („Resource allocator“) setzt strategische Entscheidungen voraus und obliegt ebenfalls der Führungsperson; • die Führung von Verhandlungen („Negotiator“) ist eine weitere Aufgabe; • korrigierende Maßnahmen („Disturbance handler“) einzuleiten, wenn das Unternehmen auf Krisen zusteuert, liegt ebenfalls in der Verantwortung einer Führungsperson.

Abbildung 23: Charakterisierung von Führungskräften Quelle: eigene Darstellung nach Mintzberg (1973a) und Pavett/Lau (1982).

Neben der Charakterisierung der Führungskräfte anhand der von Mintzberg definierten Rollen tragen auch Kompetenzen zu einem besseren Verständnis der Führung auf den unterschiedlichen hierarchischen Ebenen bei. Kompetenzen können unterschiedlich klassifiziert werden. Drei Kategorien sind in diesem Zusammenhang zu unterscheiden:614 Zum einen spielen intrinsische, persönlichkeitsbezogene Charakteristika (Einstellungen, Eigenschaften und Werte) eine Rolle, zum anderen sind neben Wissen und Erfahrung spezifische fachliche Fähigkeiten entscheidend, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Anhand dieser drei Kategorien können die verschiedenen Kompetenzen, die zur Etablierung von dezentraler Leadership in diversifizierten Unternehmen notwendig sind, herausgearbeitet werden. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, sind die Führungskräfte in der Zentrale als „Baumeister“ zu sehen, die den Rahmen festlegen, in dem das unternehmerische Engagement stattfinden kann. Aus diesem Grund müssen die zentralen Führungskräfte Visionäre sein, die ein umfassendes Verständnis ihrer Organisation im Kontext interner und externer 614

Vgl. Goshal/Bartlett (1998), S. 219.

166

KAPITEL 3

Vorgänge haben. Es ermöglicht ihnen, trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen im Unternehmen Stabilität zu garantieren. Konkret äußert sich dies in ihrer Einstellung bzw. ihren Eigenschaften, die als herausfordernd und ehrgeizig, offen und fair sowie inspirierend zu charakterisieren sind. Sie beweisen ihr Wissen dadurch, dass sie ihre Organisation ganzheitlich kennen und sie als komplexes System begreifen, das durch Struktur, Kultur und Prozesse geprägt ist. Jenseits dieser Kenntnis spielt das Wissen über andere Branchenakteure eine weitere wichtige Rolle. Führende auf dezentraler Ebene müssen sowohl den Letztentscheidungsträgern vergleichbare Eigenschaften, Fähigkeiten und fachliches Wissen besitzen, wobei sich ihre Kompetenzen primär auf die Tochtergesellschaft und den lokalen Markt beziehen. Allerdings ist es für den Erfolg dezentraler, unternehmerischer Führung entscheidend, dass auch sie ein ganzheitliches Verständnis der diversifizierten Unternehmung haben, um mit den Initiativen nicht über das Ziel „hinauszuschießen“. In erster Linie sind die Führungskräfte der dezentralen Einheiten als „Entwicklungscoaches“ zu sehen, welche einerseits eigene Initiativen hervorbringen und andererseits die Mitarbeiter ihrer Einheit bei der Verfolgung innovativer Ideen unterstützen. Sie sollten das Wissen und die Fähigkeiten, die sowohl in ihrer eigenen Einheit, aber auch im gesamten Unternehmen verstreut sind, integrieren und zugänglich machen. Daneben sollten sie sowohl die langfristige Entwicklung als auch das Erreichen kurzfristiger Ziele gewährleisten. Dazu ist eine genaue Kenntnis über die Mitarbeiter, die es zu leiten gilt und deren Beziehungsgefüge sich ständig verändern können, sowie das Wissen um die vorhandenen Ressourcen von Nöten. Aufgaben müssen delegiert, Teams gebildet und Ungleichgewichte ausbalanciert werden, um eine konstruktive Zusammenarbeit sicherzustellen. Obwohl manche Mitarbeiter noch näher an der Schnittstelle von Unternehmen und Märkten agieren als sie selbst, sollten Führungskräfte in dezentralen Einheiten persönlich das Potenzial wirtschaftlicher Chancen erkennen und sowohl ihre eigenen Anstrengungen als auch ihre Mitarbeiter auf diese Ziele ausrichten. Tabelle 16 (Seite 167) fasst die verschiedenen Kompetenzen zusammen:

LEADERSHIP

167

Rolle / Aufgabe

Einstellung / Eigenschaften

Wissen / Erfahrung

Fähigkeiten

Zentrale Führungskraft | „Baumeister“

Visionär sein

Verständnis des Unternehmens im Kontext

Balance zw. Ordnung und wirtschaftlicher Herausforderung

Infragestellen etablierter Annahmen; Setzen ambitionierter Ziele

- herausfordernd - ehrgeizig

- umfassende Kenntnis des Unternehmens und seiner Einheiten

- Fähigkeit, forderndes Arbeitsumfeld zu schaffen

Schaffen von Vertrauen und Kooperation

- offen - fair

- Begreifen des Unternehmens als System aus Struktur, Kultur und Prozessen

- Fähigkeit, Vertrauen zu Unternehmen und Führung zu wecken

Stiften von Sinn und unternehmerischem Ehrgeiz

- inspirierend - einfühlsam

- Breites Wissen über andere Firmen, Industrien, die Gesellschaft

- Fähigkeit der Verknüpfung konzeptioneller Einblicke und Motivation.

Dezentraler Leader | Entwicklungscoach

Mitarbeiterorientierung, Integration

Langjährige Erfahrung im Unternehmen

Entwicklung von Menschen u. Beziehungen

Unterstützung und Entwicklung von Individuen, Initiativen

- unterstützend - Ruhe ausstrahlend

- Kenntnis der Menschen und Möglichkeit der Einflussnahme

- Fähigkeit, zu delegieren und andere zu entwickeln

Verknüpfung von verstreutem Wissen und Fähigkeiten

- integrierend - flexibel

- Wissen um Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen

- Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen, Teams zu bilden

Balance zwischen langund kurzfristigen Zielen

- fordernd - scharfsinnig

- Kenntnis über Einsatz der Mittel zur langund kurzfristigen Zielerreichung

- Fähigkeit, Ungleichgewichte auszubalancieren und Spannung aufrechtzuerhalten

Mitarbeiter | innovativer Entrepreneur

Ergebnisorientierung

Operatives Wissen

Fokus auf wirtschaftliche Chancen

Ausnutzung wirtschaftlicher Chancen

- kreativ - intuitiv

- Wissen über technik-, wettbewerbs-, kundenspez. Charakteristika

- Fähigkeit, Potenziale zu erkennen und sich zu engagieren

Anziehen von Ressourcen und Fähigkeiten

- überzeugend - engagiert

- Kenntnis der in- und externen Ressourcen

- Fähigkeit, Menschen zu motivieren

Kontinuierliche Leistungsverbesserung

- konkurrenzfähig - nachdrücklich

- Verständnis der Geschäftsprozesse

- Fähigkeit, Anstrengungen auf Ziele auszurichten

Tabelle 16:

Führungskompetenzen auf den unterschiedlichen hierarchischen Ebenen Quelle: Goshal/Bartlett (1998), S. 221f.

Die Delegation von Entscheidungs- und Führungsverantwortung auf nachrangige hierarchische Ebenen kann ein entscheidendes Kriterium sein, damit eine diversifizierte Unterneh-

168

KAPITEL 3

mung mit ihren geographisch verstreuten und in unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätigen Einheiten der Komplexität und Dynamik des Wettbewerbsumfeldes gerecht werden kann. Dazu müssen Führungskräfte der dezentralen Einheiten mit unternehmerischer Verantwortung ausgestattet werden, die Flexibilität garantiert und die für die Entwicklung innovativer Produkte, Dienstleistungen und Prozesse benötigt wird.

3.5

Zusammenfassung und Fazit

Das dritte Kapitel hat deutlich gemacht, wie vielfältig und komplex das Thema Führung bzw. Leadership ist. Grundsätzlich wird an allen Führungstheorien Kritik geübt, wofür die Vielzahl der unterschiedlichen theoretischen Ansätze ein Indikator sein könnte. So gibt es eben nicht „‚die’ optimalen Führungseigenschaften, nicht ‚den’ besten Führungsstil, nicht ‚das’ ideale Führungsverhalten“615. Diese Fülle an Definitionen und theoretischen Konzeptionen führen bisweilen zu mehr Unsicherheit darüber, was Leadership ist, als dass sie Klarheit bringen. Auch im Hinblick auf den Ansatz der dezentralen Leadership ist es nicht einfach, eine eindeutige Einordnung vorzunehmen. Viele Aufgaben, die grundsätzlich den Letztentscheidungsträgern in der Unternehmenszentrale zugeschrieben werden, sind gleichermaßen für den Erfolg von Tochtergesellschaften entscheidend. Gerade im Hinblick auf die Etablierung von unternehmerischem Denken und Handeln müssen die Führungskräfte in den dezentralen Einheiten Vorbild für andere Organisationsmitglieder sein, indem sie sich Risiken bei der Verwirklichung innovativer Ideen einzugehen wagen und sich für die Akquisition von Ressourcen einsetzen sowie ggf. etablierte Prozesse innerhalb der diversifizierten Unternehmung durch ihr Handeln in Frage stellen. Die unternehmerische Orientierung stellt einen festen Bestandteil des Leadership-Konstruktes dar, insbesondere im Rahmen der Diskussion über die strategische oder transformationale Leadership. In welcher Form diese Leadership-Theorien für die dezentrale Leadership bedeutsam sind, wird im folgenden Kapitel herausgearbeitet werden.

615

von Rosenstiel (2003a), S. 15.

4 DEZENTRALE LEADERSHIP – UNTERNEHMERISCHE FÜHRUNG IN UND VON TOCHTERGESELLSCHAFTEN Most reorientation were initiated by new leadership. Gary Yukl

4.1

Einleitung

Die Ausführungen der vorangegangenen Kapitel haben die Grundlagen geschaffen, die für das Verständnis von dezentraler Leadership in diversifizierten Unternehmen notwendig sind. Es wurde einerseits der Kontext, in dem sich eine dezentrale Einheit befindet, vorgestellt und andererseits gezeigt, dass Führung ein komplexes Phänomen ist und zwar insbesondere dann, wenn sie im Spannungsfeld von Zentrale und dezentralen Einheiten stattfindet. Da über das, was in dezentralen Einheiten geschieht, weit weniger bekannt ist, als über das Umfeld, in dem sich eine Tochtergesellschaft befindet,616 wird im vorliegenden Kapitel herausgearbeitet, wie dezentrale Leadership von diesen Umfeldbedingungen bestimmt sein kann. Die grundlegende Argumentation für den Versuch, ausgehend von den dezentralen Einheiten bzw. den dort tätigen Führungskräften einen Wandel von einer traditionell hierarchisch geordneten zu einer unternehmerischen Organisation zu erreichen, liegt darin, dass das Engagement der Führungskräfte in den dezentralen Einheiten aus verschiedenen Gründen für den Prozess dieses organisationalen Wandels entscheidend sein kann.617 Denkbar sind dabei sowohl intern getriebene als auch durch die Erfordernisse des externen Umfeldes in Gang gesetzte Prozesse.618 So wird aufgrund externer Faktoren, wie dem Entstehen neuer Technologien, einem immer aggressiver werdenden Wettbewerb oder weltweiten Überkapazitäten, aber auch aufgrund interner Herausforderungen durch eine hohe strukturelle Komplexität oder Trägheit von diversifizierten Unternehmen, der Ruf nach Innovation, Revitalisierung und der Suche nach neuen Möglichkeiten lauter. Mit zunehmender Größe und Bedeutung einer Tochtergesellschaft steigen die Zahl ihrer Ressourcen sowie die Tendenz, dass die Kontrolle durch die Zentrale ab- und das strategische Gewicht der Führungskräfte vor Ort zunehmen können.619 Um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, sind jedoch die Anstrengungen, die fachlichen Fähigkeiten und der Einsatz von mehr als einer, an der Spitze des Unternehmens angesiedelten Führungskraft nötig.620 Mary Parker Follet propagierte das „Gesetz der Situation“, wonach man in einer gege-

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Vgl. hierzu Birkinshaw et al. (1998), S. 223. Ähnlich sieht dies Birkinshaw (2000), S. 3f. Vgl. hierzu Schindehutte et al. (2000), S. 23. Vgl. Prahalad/Doz (1981), S. 5ff.; Birkinshaw et al. (1998), S. 223. Vgl. Miller (1984), S. 176.

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KAPITEL 4

benen Situation nicht demjenigen Führenden folgen sollte, der formal Autorität besitzt, sondern demjenigen, der in einer bestimmten Situation über das meiste Wissen verfügt.621 Wissen ist zu einer kostbaren Ressource avanciert, die nicht nur an der Spitze eines Unternehmens zu finden ist, sondern auch in den Führungskräften und Mitarbeitern aller hierarchischen Ebenen und Unternehmenseinheiten verkörpert ist. Deshalb gilt es, alle Kräfte zu mobilisieren und das unternehmerische Potenzial aus jedem einzelnen Organisationsmitglied auszuschöpfen. Damit dies gelingen kann, müssen die Führungskräfte ihre Prioritäten und Denkmuster verändern, bevor ihr Verhalten und ihre Einstellungen auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet werden können.622 Nachfolgend soll unternehmerisches Führungsverhalten auf der Ebene der Tochtergesellschaften thematisiert werden, das auf dem Engagement und der strategischen Führungskompetenz der in nationalen Märkten tätigen Führungskräfte gründet und dabei das Potenzial besitzt, die diversifizierte Unternehmung von außen nach innen, d. h. von den geographisch verstreuten, dezentralen Einheiten hin zum Zentrum der diversifizierten Unternehmung unternehmerischer zu gestalten.623 Dies kann jedoch nur dann gelingen, wenn die dezentralen Führungskräfte selbst eine Einstellung zu unternehmerischem Verhalten besitzen, ihren Mitarbeitern und Kollegen als Vorbild dienen und dies mit einer Vision sowie dem Willen zur Wertschöpfung für die dezentrale Einheit und die gesamte diversifizierte Unternehmung verbinden.

4.2

Hinführende Überlegungen unter Einbezug verwandter Konzepte

Im vorangegangenen Kapitel wurden jene Faktoren vorgestellt, die im Hinblick auf die Umsetzung der unternehmerischen Führung auf dezentraler Ebene eine Rolle spielen können. Mit Blick auf eine detaillierte Charakterisierung des dezentralen Leadership-Ansatzes werden einige grundsätzliche Überlegungen zu verwandten Konzepten – Entrepreneurship im Allgemeinen und strategisches Management im Besonderen – angestellt. Ziel ist nicht die umfassende Diskussion der beiden Konzepte. Sie sollen vielmehr überblickshaft dargestellt werden. Mit der Vielzahl von Leadership-Theorien und -Definitionen vergleichbar, existieren unzählige Annäherungen an das Phänomen und den Begriff „Entrepreneurship“. Es ist jedoch möglich, die verschiedenen Annäherungen grob in zwei Gruppen einzuteilen:624 Vertreter der ers-

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624

Vgl. Follet (1924) zitiert in Pearce/Conger (2003), S. 6. Unterstützung findet diese Aussage bei Bartlett/Goshal (1994), S. 80. Vgl. Hammann (2006), S. 3. Ähnlich spricht sich auch Cohen (2002), S. 8 dafür aus, dass unternehmerische Führungspersönlichkeiten die Wahrscheinlichkeit der Etablierung von unternehmerischem Verhalten in der ganzen Unternehmung erhöhen können. Vgl. Gartner (1990), S. 15ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

171

ten Denkrichtung unterstreichen die spezifischen Charakteristika von Entrepreneurship, etwa Innovation, Wachstum oder Einzigartigkeit, während die andere, etwas kleinere Gruppe „Entrepreneurship“ anhand der möglichen Effekte und Wirkungen (z. B. Wertschöpfung) definiert. Trotz Gartners Versuch einer Abgrenzung sind viele Definitionen von Entrepreneurship nicht immer eindeutig einer Denkrichtung zuzuordnen. Eine vergleichsweise umfassende Definition von Entrepreneurship könnte daher die Integration von vier zentralen Merkmalen sein, die von bedeutenden Vertretern dieser Forschungsrichtung aufgezeigt wurden:625 Entrepreneurship ist ein kontextabhängiger, sozialer Prozess, bei dem Individuen Wohlstand schaffen, indem sie Ressourcen einsetzen und in einzigartiger Weise kombinieren, um wirtschaftliche Möglichkeiten unternehmerisch auszunutzen. Eine genauere Betrachtung dieser Definition macht deutlich, dass Entrepreneurship erstens als Wertschöpfungsprozess zu verstehen ist, der in verschiedene Schritte gegliedert ist und grundsätzlich in jeglichem organisationalen Kontext stattfinden kann. Zweitens entwickeln Unternehmer bzw. unternehmerisch agierende Individuen eine Vision, gehen kalkulierte Risiken ein und schaffen Werte in Organisationen und Märkten. Als eine durch Chancen getriebene, proaktive Verhaltensweise führt Entrepreneurship zu einer Neukombination von Ressourcen, die letztlich Wertschöpfung nach sich zieht.626 Morris interpretiert Entrepreneurship noch konkreter als „Input-Output“-Prozess, bei dem Chancen, Individuen, der organisationale Kontext, Geschäftskonzepte und Ressourcen „Inputs“ darstellen, während sich der „Output“ in neuen Produkten, Dienstleistungen, Prozessen, Technologien, Geschäftsfeldern sowie in Wertschöpfung, Wachstum und persönlichen Vorteilen zeigt.627 Indem er wirtschaftliche Chancen erkennt, schafft der Unternehmer Innovationen, die vor dem Hintergrund einer ergebnisorientierten Perspektive den Eintritt in einen neuen oder etablierten Markt mit neuen oder bereits existierenden Produkten oder Dienstleistungen ermöglichen, und letztlich zu Wertsteigerung oder Wettbewerbsvorteilen für das Unternehmen führen.628 Sobald eine wirtschaftliche Chance erkannt ist und durch die Kombination von Ressourcen realisiert wird, beginnt sich der unternehmerische Prozess und damit die Rolle des Unternehmers zu verändern. Entscheidungen, Prozesse und Praktiken, die zum tatsächlichen Entstehen eines neuen Unternehmens, Projektes oder Produktes führten, verwandeln sich in Entschei-

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Die Definition gründet auf Überlegungen von Kirzner (1978) zur Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie von Schumpeter (1987) zur Neukombination von Ressourcen. Auch die Aussagen von Ireland et al. (2001), S. 51, Morris/Kuratko (2002), S. 22ff. und Timmons (1999) wurden in die integrierte Definition einbezogen. Vgl. hierzu auch Morris/Kuratko (2002), S. 22ff sowie Timmons (1999). Vgl. Morris (1998), S. 19. Vgl. Lumpkin/Dess (1996), S. 136. Damit einhergehend stellt Entrepreneurship entweder eine Unternehmensgründung dar oder kann – wie im Fall der unternehmerischen Aktivitäten eines bestehenden Unternehmens – die Erschließung neuer Aktivitätsfelder und damit Diversifikation nach sich ziehen.

172

KAPITEL 4

dungen über die Effizienz und Kontrolle der Produktion: „Initiatives and excitement give place to structure and systems.“629 Der unternehmerische Prozess verwandelt sich in einen (strategischen) Managementprozess, bei dem der Unternehmer, der ursprünglich nach Wettbewerbsvorteilen durch die Entwicklung und Realisierung innovativer Ideen gesucht hat, zum Manager wird, der nun bestrebt ist, das Erreichte zu optimieren, Routinen zu beherrschen und auftretende Probleme kreativ zu lösen.630 Schendel & Hofer beschreiben das strategische Management als „process that deals with the entrepreneurial work of the organization, with organizational renewal and growth, and more particularly, with developing and utilizing the strategy which is to guide the organization’s operation.”631 Im strategischen Management geht es vor allem um die Erreichung von Ergebnissen, Wachstum und Wettbewerbsvorteilen durch die Verwendung bestimmter Systeme und Strategien, die an die Gegebenheiten des bestimmten externen Umfelds angepasst werden. Sie wurden im zweiten Kapitel dieser Arbeit thematisiert. Strategisches Management umfasst die erfolgreiche Positionierung des Unternehmens innerhalb der Branche, die effektive Nutzung der firmeneigenen Ressourcen, Fähigkeiten und Kernkompetenzen sowie die Mitgliedschaft in Netzwerken und kooperativen Arrangements mit anderen Unternehmen.632 Da nicht mehr von einem statischen Umfeld und effizienten Märkten ausgegangen werden kann, sind Ziele wie Kostensenkungen, Qualitätssteigerungen und die Anpassung der Kompetenzen des Unternehmens an die veränderten Umweltbedingungen nur mit Flexibilität zu erreichen.633 Trotz dieser Erkenntnis wird Managern nicht selten „der Vorwurf gemacht […], in ihrem Verhalten allzu technokratisch bzw. bürokratisch ausgerichtet zu sein, unternehmerische Fähigkeiten wie Kreativität und Risikobereitschaft entsprechend selten unter Beweis zu stellen[634] und mithin nur eine Art „paper entrepreneurism“[635] zu betreiben.“636 Die Vereinbarkeit von Entrepreneurship und strategischem Management wird heute nicht mehr bestritten, da beide Konzepte klar erfolgsorientiert sind und auf die Schaffung von Wert zielen. Sandberg sieht im unternehmerischen Element sogar den Kern des Strategiekonzepts und definiert die Schnittstelle zwischen strategischem Management und Entrepreneurship als „Corporate Entrepreneurship“.637 Hinterhuber stellt fest, dass die Verbindung von unterneh629 630

631 632 633 634 635 636 637

Ramachandran et al. (2006), S. 87. In diesem Zusammenhang stellen Ireland et al. (2001) fest, dass „strategic actions are the pathway through which a concept or idea is moved from the invention stage to its positioning in a competitive arena”. Schendel/Hofer (1979), S. 11. Vgl. Ireland et al. (2001), S. 53 in Anlehnung an Porter (1980), Barney (1991) und Dyer/Singh (1998). Vgl. Saly (2001). Staehle (1992), S. 85ff. Reich (1983), S. 140ff. Kuhn (2000), S. 1. Vgl. Sandberg (1992), S. 81ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

173

merischem Verhalten, erlernbaren Fähigkeiten und Wissen die Essenz von Leadership ist.638 Leadership wiederum ist die Voraussetzung, um in Unternehmen nachhaltigen Wert schaffen zu können.639 Nach der bereits in Kapitel 3.4.4 vorgestellten Klassifizierung von Mintzberg ist es möglich, dass Führungskräfte eine Vielzahl von Rollen übernehmen, darunter auch jene eines Entrepreneurs oder Leaders.640 Die Abgrenzung der unterschiedlichen Begriffe ist deshalb nicht eindeutig möglich, da sich die Konzepte in vielen Punkten überlappen. Um die hier verwendeten Termini „Manager“, „(externer/ interner) Unternehmer“ und „Leader“ etwas voneinander abzugrenzen, kann die Klassifizierung des Unternehmertums nach Kuhn herangezogen werden. Er stellt fest, dass externes Unternehmertum sich auf jene Individuen konzentriert, die eine Unternehmung auf eigenes Risiko gründen und führen. Sie sind demnach „weder ökonomisch noch weisungsmäßig unmittelbar von betrieblichen Arbeitgebern abhängig“641. Sie setzen als formal selbständige Wirtschaftssubjekte ihr fachliches Know-how, ihr Geldvermögen, ihre sozialen Netzwerke und ggf. die Arbeitsleistung anderer am Markt ein, um Wertschöpfung zu generieren. Im Gegensatz dazu zielt internes Unternehmertum vorrangig auf bereits im Unternehmen tätige Individuen, d. h. Mitarbeiter und Führungskräfte, ab. Hierin ist – so Kuhn – eine weitere Trennlinie hinsichtlich der Systematisierung von Unternehmertum zu ziehen, da unternehmerisches Verhalten sich nur auf einen eingeschränkten Personenkreis („elitäres Unternehmertum“), z. B. Führungskräfte oder aber auf eine Vielzahl von Individuen („kollektives Unternehmertum“) beziehen kann (vgl. Abbildung 24, Seite 174).642

638 639 640 641 642

Vgl. Hinterhuber (2003), S. 156. Vgl. Ireland et al. (2001), S. 50. Vgl. Mintzberg (1973a). Voß/Pongratz (1998), S. 136. Vgl. Kuhn (2000), S. 3f.

174

KAPITEL 4

(Manager/Leader) Elitäres Unternehmertum

(organisations-) internes Unternehmertum

Unternehmertum

„externes“ (marktförmig reguliertes) Unternehmertum

Kollektives Unternehmertum (Mitarbeiter)

Abbildung 24: Systematisierung von Unternehmertum Quelle: Kuhn (2000), S. 2.

Der Klassifizierung von Kuhn folgend, ist die dezentrale Leadership daher eindeutig dem elitären, organisationsinternen Unternehmertum zuzuordnen.

4.3

Corporate Entrepreneurship – Strategisch-unternehmerisches Verhalten im organisationalen Kontext Strategy provides a good starting point for the examination of corporate entrepreneurship. Vijay Sathe

4.3.1

DEFINITORISCHE ANNÄHERUNG AN DEN BEGRIFF CORPORATE ENTREPRENEURSHIP

Im Hinblick auf ein besseres Verständnis von dezentraler Leadership, das – wie noch gezeigt werden wird – als Symbiose aus Leadership und Corporate Entrepreneurship zu verstehen ist, ist der Überblick über die verschiedenen definitorischen Annäherungen an den Begriff Corporate Entrepreneurship (CE) unabdingbar, zumal dieser Terminus häufig sehr unterschiedlich verstanden und verwendet wird.643

643

Corporate Entrepreneurship wird häufig mit den Begriffen „intrapreneuring“ (Pinchot (1987)), „intrapreneurship“ (vgl. u. a. Bitzer (1991); Hisrich (1986)), „internal entrepreneurship“ (Schollhammer (1982)), „corporate venturing“ (vgl. Burgelman (1983b); Block/MacMillan (1993); von Hippel (1977)) oder „internes Unternehmertum“ (Kuhn (2000)) bzw. „internes Mitunternehmertum“ (Neugebauer (1997); Wunderer (1996)) gleichgesetzt, wobei auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass gleiche Begriffe unterschiedliche Sachverhalte meinen. Einer der jüngsten Versuche einer definitorischen Abgrenzung findet sich bei Christensen (2004), wobei sie sich nur auf englischsprachige Konzepte bezieht.

DEZENTRALES LEADERSHIP

175

Sharma & Chrisman definierten sechs Kategorien von Phänomenen, die unter Corporate Entrepreneurship subsumiert werden:644 „Corporate Entrepreneurship”, „Internal Corporate Entrepreneurship”, „Corporate Venturing”, „Venture”, „Intrapreneurship”, „Strategic Renewal” und „Organizational Renewal”. Neben dieser begrifflichen Unterscheidung kann eine andere Annäherung an das Phänomen durch die Kategorisierung nach inhaltlichen Schwerpunkten vorgenommen werden, wie aus den nachfolgenden Ausführungen deutlich wird. Das unternehmerische Verhalten der Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens wird zunächst als ursächlich für seine unternehmerische Prägung angesehen.645 Insofern wird CE häufig als unternehmerisches Verhalten beschrieben, das organisationale Maßnahmen und Ressourcen voraussetzt, um wertschöpfende Innovationen hervorbringen zu können.646 Jones & Butler sprechen von „internal corporate entrepreneurship“, betonen jedoch auch die Bedeutung unternehmerischen Verhaltens innerhalb einer Unternehmung.647 Pinchot stellte den „Träumer“ im Intrapreneurship heraus, der sich in der Verantwortung sieht, Innovationen innerhalb des Unternehmens zu entwickeln.648 Auch Vesper ist in diesem Zusammenhang zu nennen, der CE von der Initiative der Mitarbeiter abhängig macht, etwas Neues, Innovatives ohne Abstimmung mit Vorgesetzten zu schaffen.649 Gemeint ist damit, aufbauend auf den Grundlagen des klassischen Managements einen Verhaltensstil zu entwickeln, der für bürokratische Strukturen eine Herausforderung darstellt und zu Innovation ermutigt.650 Diese Definition deckt sich zum Teil mit jener von Birkinshaw, der zwar den Begriff „dispersed corporate entrepreneurship“ verwendet und dabei feststellt, dass jedes Unternehmensmitglied die Fähigkeit haben kann, gleichzeitig Führungs- und unternehmerisches Verhalten zu zeigen.651 Er fügt ergänzend hinzu: „Rather then hiving off separate groups or divisions to be entrepreneurial while the rest are left to pursue the ongoing managerial tasks […], the dispersed approach sees the development of an entrepreneurial culture or posture as the key antecedent to initiative.” Als einer der wenigen Vertreter des deutschen Sprachraums sieht Wunderer den „Co-Intrapreneur“ bzw. „Mitunternehmer“ schließlich als ein kooperierendes

644

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Vgl. Sharma/Chrisman (1999). Aus heutiger Sicht ist diese Aufstellung jedoch nicht mehr als ausreichend zu bezeichnen, insbesondere deshalb, weil Bemühungen nicht-englischsprachiger Ansätze vernachlässigt werden. Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 31; Kuratko et al. (1993); Kuratko/Hornsby (1998). Vgl. unter anderem Schollhammer (1982); Burgelman (1984); Jennings/Young (1990). Vgl. Jones/Butler (1992), S. 734; Echols/Neck (1998). Pinchot (1985), S. ix. Vgl. Vesper (1984), S. 295. Vgl. Barringer/Bluedorn (1999). Vgl. Birkinshaw (2000), S. 18.

176

KAPITEL 4

Organisationsmitglied, das innoviert, wirtschaftliche Möglichkeiten identifiziert, Ressourcen neu kombiniert und zur Wertschöpfung beiträgt.652 Weitaus häufiger wird CE jedoch als Prozess beschrieben, wobei dieser Prozess zum Teil unterschiedlich akzentuiert ist. So beginnt CE nach Stevenson & Jarillo bei der Wahrnehmung und Nutzung wirtschaftlicher Chancen, ohne dass das unternehmerische Individuum notwendigerweise über die dafür benötigten Ressourcen verfügt. Schließlich sei es typisch für einen Unternehmer, irgendwie einen Weg zu finden.653 Sie stellen damit das Individuum in den Mittelpunkt des Prozesses, während andere Autoren CE eher als organisationalen Prozess verstehen. Chungs & Gibbons’ Definition stellt dabei eine Art Schnittstelle dar, da sie CE als einen „organizational process for transforming individual ideas into collective actions through the management of uncertainties”654 beschreiben. Dagegen ist die Definition von Guth & Ginsberg klar in die Reihe jener Begriffsbestimmungen einzureihen, die den Prozessgedanken als organisationsbezogen begreifen, indem sie von zwei CE-Phänomenen, der strategischen Erneuerung und der Entstehung neuer Unternehmen, sprechen.655 Letztlich verstand auch Burgelman CE als einen Prozess, in dem Unternehmen durch interne die Entwicklung die eigene Diversifikation vorantreiben. Diese Diversifikation basiert auf neuen Ressourcenkombinationen und kann die Unternehmensaktivitäten zum Teil in nicht oder nur wenig verwandte Geschäftsfelder ausweiten.656 Covin & Slevin definierten CE darüber hinaus als unternehmerische Haltung („entrepreneurial posture“) eines Unternehmens, die in allen Unternehmensebenen zum Vorschein kommt und die strategische Philosophie des Top-Managements bezüglich erfolgreicher Managementpraktiken spiegelt.657 Diese Haltung impliziert, dass Firmen Risiken eingehen, innovativ, proaktiv und bei der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten aggressiv sind (vgl. Kapitel 4.3.4 dieser Arbeit). In diesem Sinne stellt CE nach Covin & Slevin die Summe der Einzelhaltungen der Akteure im Unternehmen dar. Insofern spielen die Akteure der oberen Führungsebenen für die erfolgreiche Implementierung von CE eine große Rolle, wobei „Geschäftschancen überall in der Umwelt des Unternehmens auftreten können und überall im Unternehmen erkannt werden können bzw. sollten.“658

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656 657 658

Vgl. Wunderer (1998); Wunderer (2001a), S. 194. Vgl. Stevenson/Jarillo (1990), S. 23 sowie Stevenson (2000), S. 8. Chung/Gibbons (1997), S. 14. Guth/Ginsburg (1990), S. 5. Vergleichbare Definitionen, die CE als strategische Erneuerung und Entstehung neuer Geschäftsfelder/ Unternehmenseinheiten verstehen, finden sich auch bei Schendel (1990), S. 2 sowie Zahra (1993a), S. 321, Zahra (1995), S. 227 und Zahra (1996), S. 1715. Burgelman (1983a), S. 1349. Vgl. Covin/Slevin (1991), S. 7. Frank (2006), S. 16.

DEZENTRALES LEADERSHIP

177

Schließlich wird CE häufig als die Summe spezifischer Aktivitäten bzw. Anstrengungen eines Unternehmens dargestellt. Damit sind beispielsweise die Entwicklung und/ oder Optimierung neuer Produkte, Prozesse und Methoden sowie die Entstehung neuer Geschäftseinheiten gemeint.659 Zahra stellt hierzu Folgendes fest: „[C]orporate entrepreneurship may be formal or informal activities aimed at creating new businesses in established companies through product and process innovations and market developments. These activities may take place at the corporate, division (business), functional, or project level with the unifying objective of improving a company’s competitive position and financial performance.”660 Generell kann die unternehmerische Aktivität auch als radikaler Veränderungsmechanismus661 verstanden werden. Darüber hinaus unterstrichen Zahra & Garvis die internationale Dimension von CE, jedoch blieben sie auch bei der Definition ihres „international corporate entrepreneurship“ (ICE) dabei, ICE als die Gesamtheit der Anstrengungen eines Unternehmens zu betrachten, das Innovation, Proaktivität und Risikobereitschaft im Sinne einer Revitalisierung und Erneuerung einsetzt.662 Auch wenn Bitzer nicht explizit von Aktivitäten spricht, so kann sein Verständnis von Intrapreneurship in diesen Kontext eingeordnet werden. Für ihn ist es „ein Konzept zur Förderung unternehmerischen Verhaltens auf allen Ebenen einer bestehenden großen Organisation, welches zum Ziel hat, Innovationen zu stimulieren und zu realisieren, sowie der sinnentleerten und neuerungsfeindlichen Atmosphäre am Arbeitsplatz entgegenzuwirken.“663

4.3.2

SYSTEMATISIERUNG UNTERSCHIEDLICHER THEORETISCHER ANSÄTZE

Die möglichen Annäherungen an das Phänomen „Corporate Entrepreneurship“ sind – wie im vorangegangenen Kapitel 4.3.1 gezeigt wurde – vielfältig, wobei allen Konzepten das Verständnis zugrunde liegt, dass unternehmerisches Denken und Handeln nicht nur von einem Unternehmer, sondern grundsätzlich von allen Mitarbeitern etablierter Unternehmen entwickelt werden kann. Ein Vergleich der verschiedenen CE-Konzepte zeigt, dass sie sich perspektivisch unterscheiden. Neben der Personenorientierung, werden auch organisationsbezogene und strategische Überlegungen angestellt.664

659 660 661 662 663 664

Vgl. Schollhammer (1982) bzw. von Hippel (1977). Zahra (1991), S. 259ff. Vgl. McFadzean et al. (2005), S. 351. Vgl. Zahra/Garvis (2000), S. 470. Bitzer (1991), S. 17. Vgl. Steinle/Daeger (2002), S. 265ff.

178

KAPITEL 4

4.3.2.1

Personenbezogene Ansätze

Die personenbezogene Perspektive konzentriert sich auf die Motive und Charakteristika unternehmerisch agierender Individuen, die sich durch besondere Fähigkeiten von anderen Mitarbeitern unterscheiden. Ihnen muss die Chance gegeben werden, eine eigene Idee auch innerhalb bestehender organisationaler Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. Dies kann erreicht werden, indem die Organisationsstrukturen angepasst und Anreizsysteme geschaffen werden, die den unternehmerischen Individuen ihr Handeln ermöglichen.665 Der prominenteste Vertreter dieser Richtung ist Pinchot, der dem Intrapreneur aufgrund seines besonderen Engagements oder seiner erwiesenen Erfolge eine Sonderstellung im Unternehmen zuspricht. Pinchot bietet konkrete Handlungsempfehlungen für die Förderung unternehmerischer Initiativen, die insbesondere auf die Gestaltung der Organisationsstruktur zu einem „IntrapriseSystem“ und die Entwicklung eines spezifischen Motivationssystems in Form von „Intrakapital“ fokussieren.666 Daneben sollte dem Intrapreneur Freiheit in der Wahl der Aufgaben gegeben werden, er sollte Projektverantwortung und Entscheidungsbefugnisse besitzen und langfristigen Zugang zu Ressourcen erhalten. Entsprechend sollten Projektteams interdisziplinär zusammengesetzt sein und im Unternehmen eine grundsätzliche Toleranz gegenüber Misserfolgen bestehen.667 Pinchots Ausführungen beruhen dabei weniger auf theoretischen Überlegungen, sondern stellen vielmehr praktische Beobachtungen des Autors zu den optimalen persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen eines Intrapreneurs zur Verwirklichung innovativer Initiativen dar. Bitzer stellt im Gegensatz zu Pinchot fest, dass die Verantwortung für Innovation nicht allein beim Intrapreneur oder Team liegt, das er für die Entwicklung und Umsetzung der Idee begeistert, sondern dass es dem Management obliegt, die entsprechenden Rahmenbedingungen und die notwendigen Freiräume sowie Anreizsysteme zu schaffen, in denen sich unternehmerisches Verhalten entwickeln kann.668 Ähnlich versteht auch Wunderer unternehmerisches Verhalten. Er entwickelte einen stark führungszentrierten Transformationsansatz, der darauf ausgerichtet ist, Unternehmensziele festzulegen, den Kontext (d. h. Kultur, Strategie, Organisation und Personalstruktur) systematisch zu gestalten, das unternehmerische Potenzial in den Unternehmensmitgliedern offenzulegen, sowie Organisation und Führung so auszurichten, damit Mitunternehmertum möglich wird.669 Mitunternehmertum ist dabei gekennzeichnet durch die Verantwortung für das Ganze sowie

665 666 667 668 669

Vgl. Pinchot (1987); Pinchot/Pellman (1999), S. 107ff. Vgl. Steinle/Daeger (2002), S. 265. Vgl. Pinchot (1985). Vgl. Bitzer (1991), S. 19. Vgl. Wunderer (2001b), S. 54ff.; Wunderer (2001a), S. 194ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

179

die Freiheit und Flexibilität des Einzelnen hinsichtlich der Verwirklichung seiner innovativen Ideen.670 Konkret gründet der unternehmerische Transformationsprozess auf zehn Prinzipien, die nachfolgend kurz dargestellt werden und sich auch in Abbildung 25 wiederfinden.

Kontext

Potenzial

Koordination

Politik

UnternehmensUnternehmensziel ziel

Bedürfnisse Bedürfnisse der der Stakeholder Stakeholder

Wertschöpfung Wertschöpfung durch durch Nutzenstiften Nutzenstiften für für Stakeholder Stakeholder

-------

Unternehmerische Unternehmerische SchlüsselSchlüsselkompetenzen kompetenzen

Unternehmerische Unternehmerische KoordinationsKoordinationsKonzepte Konzepte

Unternehmerische Unternehmerische Auswahl Auswahl & & Entwicklung Entwicklung

-- ProblemlösungsProblemlösungsfähigkeiten fähigkeiten -- ImplementierungsImplementierungsfähigkeiten fähigkeiten -- Soziale Soziale Kompetenz Kompetenz

-- Interner Interner Markt Markt (Konkurrenz) (Konkurrenz) -- Soziales Soziales Netzwerk Netzwerk (Kooperation) (Kooperation)

-- Zielorientierte Zielorientierte Förderung Förderung -- Entwicklung Entwicklung des des Einzelnen/Teams, Einzelnen/Teams, der der Organisation Organisation

Identifikation Identifikation von von Mitunternehmern Mitunternehmern

Unternehmerische Unternehmerische Führung Führung

Unternehmerische Unternehmerische Leitprinzipien Leitprinzipien

(personenbezogen) (personenbezogen) -- Commitment Commitment -- Loyalität Loyalität -- Identität Identität

Strukturelle Strukturelle Führung Führung -- Kultur Kultur -- Strategie Strategie -- Organisation Organisation -- qualitative qualitative Personalstruktur Personalstruktur

-- Leitende Leitende Prinzipien Prinzipien für für das das Verhalten Verhalten und und die die Entwicklung Entwicklung unternehmerischer unternehmerischer Mitarbeiter Mitarbeiter -- Leitlinien Leitlinien für für Führungspersonen Führungspersonen

Ziel Ziel der der Transformation Transformation Aktive Aktive & & effiziente effiziente strategische strategische Problemlösung Problemlösung von von möglichst möglichst vielen vielen Akteuren Akteuren aller aller hierarchischen hierarchischen Ebenen Ebenen

Verhaltensziele Verhaltensziele -- Gegenseitiges Gegenseitiges Verständnis Verständnis und und Vertrauen Vertrauen -- Gemeinsame Gemeinsame Verantwortung Verantwortung -- Gemeinsame Gemeinsame Wissensbasis Wissensbasis -- Betonung Betonung der der GemeinschaftsGemeinschaftsleistung leistung -- Faire Faire GewinnGewinnverteilung verteilung

Kunden Kunden Mitarbeiter Mitarbeiter Shareholder Shareholder Zulieferer Zulieferer Gesellschaft Gesellschaft Umwelt Umwelt

Makro-Kontext Makro-Kontext -- Politik/ Politik/ gesetzgesetzliches liches System System -- Wirtschaftssystem Wirtschaftssystem -- Gesellschaft Gesellschaft -- Technologie Technologie

Mikro-Kontext Mikro-Kontext -----

Kultur Kultur Strategie Strategie Organisation Organisation Personalstruktur Personalstruktur

Ressourcen Ressourcen ------

Personalbezogene Personalbezogene Finanzielle Finanzielle InformationsInformationsNatürliche Natürliche Technische Technische

Unternehmerische Unternehmerische Motivation Motivation (situationsbezogen) (situationsbezogen) -- Verlässlichkeit Verlässlichkeit -- Vermittlung Vermittlung -- Erfolgserwartung Erfolgserwartung

Mitunternehmertum

Ziele

Interaktive Interaktive Führung Führung -- Ziel-/ Ziel-/ ergebnisorientiert ergebnisorientiert -- Visionär, Visionär, inspirierend, inspirierend, indivi-duell indivi-duell

Abbildung 25: Transformationsansatz zur Umsetzung von Mitunternehmertum Quelle: leicht verändert nach Wunderer (2001a), S. 195.

Mit Blick auf die Bedürfnisse der wichtigsten Stakeholder muss die Wertschöpfung, welche durch unternehmerisches Engagement gesteigert werden soll, das vorrangige Ziel jedes Unternehmens sein. Voraussetzung für unternehmerisches Engagement ist die Definition der zentralen Anforderungen an potenzielle Mitunternehmer, die Identifikation und Umsetzung motivationsfördernder Maßnahmen sowie die Veränderung der internen (hierarchischen) Koordination hin zum Modell des internen Marktes. Wunderer unterstreicht gerade im Hinblick auf die Schaffung einer geeigneten Kultur sowie Organisation und Strategie die Bedeutung der Führungspersonen, ihres Führungsstils und ihrer Vorbildfunktion als interne Unternehmer. Auch bei der Auswahl und Entwicklung geeigneter Mitarbeiter, der Bereitstellung (im)materieller Anreize sowie dem Management von widersprüchlichen Anforderungen kommt den Führungskräften eine bedeutende Rolle zu.

670

Vgl. Wunderer (2001a), S. 194.

180

KAPITEL 4

Vor dem Hintergrund von Management-Praxis und Leadership-Theorie interpretiert Wunderer CE als strategische Kernkompetenz, die mittelfristig schwer zu imitierende Wettbewerbsvorteile schafft.671 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass dieser Ansatz aufgrund der starken Fokussierung auf führungsbezogene und personalpolitische Maßnahmen im Hinblick auf vier spezifische Zielgruppen – beginnend beim Mitarbeiter mit geringer Mitunternehmerkompetenz bis hin zum „Subunternehmer“ mit hoher Gestaltungs-, Handlungs- und Sozialkompetenz – als personalzentriert charakterisiert werden kann.672

4.3.2.2

Organisationszentrierte Ansätze

Im Gegensatz zu den personenorientierten Konzeptionen konzentrieren sich die organisationszentrierten Ansätze auf strukturelle Anforderungen im Hinblick auf die Umsetzung von CE. Die Frage nach der organisatorischen Einbindung von innovativen Projekten wird insbesondere bei den sog. „Corporate Venturing“-Prozessen gestellt. Dabei geht es um die Integration dieser Projekte als (halb-)autonome Subeinheiten in den Unternehmenskontext, ihre Ausstattung mit Ressourcen und das Management dieser Einheiten, mit dem primären Ziel des Aufbaus neuer Geschäftsfelder.673 Der Grund für eine Trennung der innovativen Einheiten von den bestehenden, effizienzorientierten Bereichen besteht darin, zu verhindern, dass intraorganisationale Widerstände aufgebaut werden und die unternehmerischen Initiativen zu ersticken drohen.674 Vertreter der Strukturorientierung sind u. a. Hisrich & Peters sowie Burgelman, deren Konzepte an dieser Stelle dargestellt werden, weil sie eine Vielzahl unterschiedlicher struktureller und kontextbezogener Einflussvariablen in ihre Überlegungen einbezogen. Hisrich & Peters diskutieren die Möglichkeiten der Schaffung eines unternehmerischen Klimas in etablierten Unternehmen und heben dabei die Bedeutung der unternehmerischen Umwelt anhand von neun spezifischen Faktoren hervor, etwa die Nutzung moderner Technologien, eine „Trial & Error“-Kultur, die uneingeschränkte Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten, die Verfügbarkeit von Ressourcen, multidisziplinäre Teamarbeit, Freiwilligkeit, effektive Belohnungssysteme, das Vorhandensein von Sponsoren sowie die Unterstützung durch die Letztentscheidungsträger. In dem von ihnen definierten Umfeld kommt einigen Charakteristika von internen Unternehmern große Bedeutung im Hinblick auf den Erfolg des unternehmerischen Engagements zu, beispielsweise ein umfassendes Verständnis des in- und

671 672 673 674

Vgl. ebenda, S. 193. Vgl. Wunderer (1998), S. 342ff. Vgl. Servatius (1994), S. 247ff.; Müller-Stewens (1992), S. 267ff. sowie Draeger-Ernst (2003), S. 35. Vgl. hierzu Bitzer (1991), S. 32f. sowie Drucker (1985b), S. 252.

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181

externen Umfelds sowie die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln, flexibel zu sein, im Team zu arbeiten und offen zu kommunizieren.675 Burgelman hingegen definierte CE als einen durch die interne Entwicklung getriebenen Diversifikationsprozess, in den Führungskräfte unterschiedlicher hierarchischer Ebenen eingebunden sind.676 Der „Internal Corporate Venturing Process“ (ICV) ist in jeweils zwei Kernsowie überlagernde Prozesse gegliedert. Die Kernprozesse bestehen aus der Definition der technisch-ökonomischen Aspekte des ICV sowie des innerhalb der Organisation Unterstützung suchenden Impulses. Die überlagernden Prozesse bestimmen den strukturellen und strategischen Kontext, d. h. es entstehen Mechanismen, welche einerseits organisationale und administrative Voraussetzungen schaffen, um die ICV-Strategie verfolgen zu können. Andererseits kann die vorherrschende Unternehmensstrategie so erweitert werden, dass die neuen ICV-basierten Aktivitäten darin integriert werden können. Die Akteure der unterschiedlichen Unternehmensebenen (Venture-Manager, mittlere und obere Manager) können sich in die vier Phasen des ICV-Prozesses unterstützend und steuernd einbringen. Burgelman gründete seine Überlegungen dabei auf der Annahme, dass sich die Akteure grundsätzlich strategisch autonom verhalten. Später setzte er jedoch die autonomen Initiativen und ihre strategische Bedeutung für die Unternehmensentwicklung in Bezug zum bestehenden Stammgeschäft des Unternehmens und leitete daraus neun mögliche Venture-Formen ab. Je größer die strategische Bedeutung der Initiativen für das Unternehmen, desto stärker würde das unternehmerische Projekt in die bestehenden Strukturen integriert, während umgekehrt wenig bedeutsame Initiativen eher ausgelagert werden würden (sog. Spin-offs).677 Obwohl sich Burgelman nur auf einen Teilbereich des CE-Diskussion beschränkt, verfolgte er mit seinem Modell das Ziel, theorie- und empiriegestützt die grundlegenden Mechanismen dieser spezifischen Form des internen Unternehmertums zu erklären. Durch die Integration von Strategie und Struktur in den ICV-Prozess konnte er Managementprobleme herausarbeiten und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Dies macht sein Modell bis in die Gegenwart zu einem der bedeutendsten Erklärungsansätze unternehmerischen Verhaltens in etablierten Unternehmen.

4.3.2.3

Strategische Ansätze

Obwohl auch Burgelmans Ansatz zum unternehmerischen Verhalten in etablierten Unternehmen in das Paradigma des strategischen Managements hätte eingeordnet werden können,

675 676 677

Vgl. Hisrich/Peters (2002), S. 49ff. Vgl. hier und im Folgenden Burgelman (1983b), S. 223ff. Vgl. Burgelman (1984), S. 161.

182

KAPITEL 4

dringen einige andere CE-Ansätze noch tiefer in strategische Überlegungen ein.678 Strategisches Management bedeutet für sie nicht nur, Vorgänge im in- und externen Umfeld im Blick zu haben, sondern es verlangt, dort nach Quellen für Wettbewerbsvorteile zu suchen und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, wo wirtschaftliche Chancen ausgenutzt werden können.679 Insofern ist die Forderung von Hitt et al. zu unterstreichen, dass Entrepreneurship und strategische Perspektiven integriert werden sollten, um wertschöpfende unternehmerische Strategien untersuchen zu können.680 Unternehmerisches Denken kann dabei eine explizite Strategie sein, die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zu erhöhen („entrepreneurial strategy“). Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet können in Unternehmen jedoch auch Strategien entwickelt werden, die auf die Erhöhung des unternehmerischen Potenzials zielen („strategy for entrepreneurship“).681 In jedem Fall spielen die Letztentscheidungsträger eine bedeutende Rolle. Sie müssen eine strategisch-unternehmerische Führungslogik besitzen, damit langfristig die Unternehmensmitglieder aller Unternehmenseinheiten und Hierarchiestufen unternehmerische Kompetenzen entwickeln können.682 Die prominentesten Vertreter der strategieorientierten Perspektive683 sind Guth & Ginsberg, die für die erfolgreiche Etablierung von CE Umweltfaktoren (i.e. Wettbewerb, Technologie, Gesellschaft und Politik), die strategische Führung (i.e. Verhalten und Werte der Führungspersonen), die Organisation (i.e. Strategie, Struktur, Prozesse und Kultur) sowie den bisherigen Erfolg des Unternehmens verantwortlich machen (vgl. Abbildung 26, Seite 183).684 Die genannten Faktoren sind auch im strategischen Management als zentral anzusehen, was die Strategieorientierung nochmals unterstreicht. Der Einfluss des externen Umfelds auf CE ist dabei auf Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen oder des technologischen Status quo zurückzuführen, die für die Entstehung neuer Geschäftschancen sorgen. Daneben spielt das strategische Management, d. h. die Wertorientierung, die Charakteristika oder der Führungsstil des oberen Managements bzw. das Verhalten der mittleren Manager, eine Rolle. Auch der organisationale Kontext, der sich an der Struktur, Kultur sowie an den Prozessen und Strategien zeigt, kann die Entstehung von Innovationen und des organisationalen Wandels begünstigen oder hemmen. Schließlich besteht zwischen unternehmerischem Engagement und wirt-

678 679

680 681 682 683

684

Vgl. bspw. Sathe (2003). Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 153f. sowie Miles et al. (2000), S. 112, die insbesondere die Bedeutung unternehmerischer Kompetenzen für die Entwicklung von unternehmerischen Strategien betonen. Hitt et al. (2001a), S. 480. Vgl. Morris/Kuratko (2002), S. 154. Vgl. Miles et al. (2000). Bei den strategieorientierten Ansätzen werden Strukturen und Prozesse häufig als Teilbereiche der strategischen Orientierung betrachtet, etwa bei Burgelman (1984) oder Morris/Kuratko (2002). Guth/Ginsburg (1990) beziehen sich auf die Grundlagen des strategischen Managements, die sich aus Organisationsform, Strategie, Struktur und Managementprozessen zusammensetzen.

DEZENTRALES LEADERSHIP

183

schaftlichem Erfolg ein reziprokes Verhältnis, da einerseits Erfolg und Misserfolg Ausgangspunkt für die Suche nach neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten sein können, andererseits aber unternehmerisches Engagement umgekehrt auch zu (Miss-)Erfolg von Unternehmen führen kann.

Umwelt • • • •

Wettbewerb Technologie Gesellschaft Politik

Strategische Führung • Charakteristika • Werte • Verhalten

Organisation • • • •

Strategie Struktur Prozesse Kultur/Kernwerte

Erfolg • Effektivität • Effizienz • Zufriedenheit der Stakeholder

Corporate Corporate Entrepreneurship Entrepreneurship Innovationen Innovationen innerhalb innerhalbder der bestehenden bestehenden Unternehmung Unternehmung

Strategische Strategische Erneuerung Erneuerung der derbestehenden bestehenden Unternehmung Unternehmung

Abbildung 26: Corporate Entrepreneurship Quelle: leicht verändert nach Guth/Ginsburg (1990), S. 7.

Da der Ansatz von Guth & Ginsberg als Ausgangspunkt für eine tiefer gehende Betrachtung von CE gedacht war, verzichteten die Autoren auf eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Einflussfaktoren. Insofern stellt der Ansatz aus heutiger Sicht lediglich eine grundlegende Orientierungshilfe innerhalb des Forschungsfeldes dar. Wie bereits festgestellt wurde, vertreten auch Hitt et al. den Standpunkt, dass die Integration einer strategischen Perspektive (im Sinne des Suchens nach Wettbewerbsvorteilen) und einer unternehmerischen Sicht (im Sinne des Suchens nach wirtschaftlichen Möglichkeiten) für eine erfolgreiche Unternehmensführung notwendig sind. Sie fassen diesen Ansatz unter dem Begriff „Strategic Entrepreneurship“ zusammen und nennen verschiedene Anwendungsfelder, in denen sowohl strategisches, als auch unternehmerisches Denken zum Tragen kommen (sollte).685 So denken die Autoren zunächst an externe Netzwerke, die – wenn sie die relevanten Stakeholder inkludieren – für Unternehmen entscheidend sind, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen und den Zugang zu Informationen, Ressourcen, Technologien oder Märkten zu erhalten. Zudem ermöglichen solche Netzwerke, die eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen weiterzuentwickeln oder aber in Märkten tätig werden zu können, die zuvor mit

685

Vgl. Hitt et al. (2001a), S. 480f.

184

KAPITEL 4

limitierten Ressourcen bzw. ohne Partner nicht erreichbar waren. Ressourcen und Fähigkeiten sind zum Teil sehr vielfältig. So ist etwa an die Führungskräfte und Mitarbeiter zu denken, die einzigartige Ressourcen des Unternehmens darstellen. Auch die Reputation oder das Wissen sind für ein Unternehmen von hohem Wert. Wenn es im Unternehmen gelingt, das Wissen zwischen verschiedenen Einheiten zu transferieren, kann das Humankapital gestärkt und die Fähigkeiten der Organisationsmitglieder erweitert werden, was letztlich zu einer Verbesserung der betrieblichen Leistung führen kann. Darüber hinaus sind – so Hitt et al. – Innovationen unabdingbar, die nach Drucker in direktem Zusammenhang mit unternehmerischem Verhalten stehen.686 Die genannten Autoren argumentieren weiter, dass Führungskräfte in der Lage sein müssen, nicht-linear zu denken, um dem sich nicht-linear verhaltenden Wettbewerbsumfeld erfolgreich begegnen zu können.687 Letzteres ist darüber hinaus primär durch Internationalisierung bestimmt und zwingt Unternehmer wie Führungskräfte, eine globale Sicht zu entwickeln, um die komplexen Interaktionen und Transaktionen auf globalen Märkten antizipieren zu können.688 Die globale Sicht muss darüber hinaus unternehmerisch orientiert sein, um der wachsenden Zahl kleiner, flexibler und internationaler Firmen auf globalen Märkten etwas entgegenzuhalten. Daher muss unternehmerisches Verhalten in erster Linie als Strategie interpretiert werden. Der Wert der Überlegungen von Hitt et al. ist zusammenfassend darin zu sehen, dass einige zentrale Bereiche diskutiert werden, in denen sowohl strategisches als auch unternehmerisches Denken und Handeln zum Tragen kommen. Trotz des Versuchs, diese Bereiche in ein ganzheitliches Konzept zu integrieren, bleibt offen, wie die genannten Bereiche konkret miteinander zusammenhängen und worauf die Unternehmen der verschiedensten Größen ihr Augenmerk legen sollten. Die Verknüpfung strategischer und unternehmerischer Überlegungen findet sich schließlich auch bei Morris & Kuratko, die die Bedeutung unternehmerischen Denkens als dominante Logik eines Unternehmens in einer veränderten Wettbewerbslandschaft unterstreichen und gleichzeitig feststellen, dass Strategien und strategisches Management bestimmen, wie diese dominante Logik erreicht werden kann. Anhand ausgewählter strategischer Konzepte zeigen die Autoren, inwiefern Strategie zur Etablierung von CE führt, und wie umgekehrt CE auch in die Strategie einfließt. Der Strategieformulierungsprozess umfasst dabei u. a. das Bemühen um die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen sowie eine nachhaltige strategische Positionierung, strategische Flexibilität und den strategischen „Leverage“.689 Da Wettbewerbsvorteile in dynamischen Märkten nach Ansicht der Autoren nur mehr durch Innovationen erreicht wer686 687 688 689

Vgl. Drucker (1985a). Vgl. Hamel (2000). Vgl. hierzu auch Hitt et al. (1998b); Murtha et al. (1998). Vgl. hier und im Folgenden Morris/Kuratko (2002), S. 156ff.

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den können, muss Innovation zu einer Kernkompetenz des Unternehmens avancieren, was eine Strategie zur Etablierung unternehmerischen Denkens und Handelns voraussetzt. Ähnlich entscheidend für das Erreichen von Wettbewerbsvorteilen ist die erfolgreiche strategische Positionierung.690 Unternehmerisches Denken erlaubt die Identifikation sowohl einer geeigneten strategischen Position als auch jener Wege, die das Erreichen dieser strategischen Position möglich machen. Deshalb muss auch hier eine Strategie im Sinne des CE verfolgt werden. Um sich dem Wettbewerb anpassen zu können, ist Flexibilität nötig, die nach Hitt et al. durch strategische Führung und die Anpassung von Prozessen und Strukturen erreicht werden kann.691 Ressourcen aufzuspüren und kreativ zu kombinieren, ermöglicht schließlich eine effizientere und synergetischere Nutzung der im Unternehmen vorhandenen Ressourcen („strategic leverage“). Die Integration von CE und Strategie wird dann als Erfolg versprechend erachtet, wenn sowohl Managementpraktiken als auch Organisationsstrukturen entsprechend angepasst werden. Noch konkreter thematisieren Barringer & Bluedorn unternehmerisches Verhalten im Lichte des strategischen Managementprozesses, welchen sie anhand von fünf Dimensionen (i.e. Suchintensität, Planungsflexibilität und -horizont, Grad des Einbezugs von Organisationsmitgliedern in Planungsprozesse sowie Kontrolle) definieren.692 Sie konnten empirisch nachweisen, dass die Intensität der unternehmerischen Prägung einer Unternehmung von der Art ihrer strategischen Managementpraktiken bestimmt wird. Die Intensität der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten stellt sich als zentrale Anforderung an unternehmerisch orientierte Firmen dar. Auch die Flexibilität bei Planungsprozessen korrelierte stark mit einer unternehmerischen Prägung von Unternehmen. In Bezug auf den Planungshorizont resümierten die Autoren, dass unternehmerisch orientierte Firmen sich der Herausforderung stellen müssen, sowohl kurzfristige Planungshorizonte zu entwickeln, um auf Veränderungen angemessen reagieren zu können und sich dennoch auch eine langfristige, visionäre Perspektive anzueignen. Auch konnten Barringer & Bluedorn einen Zusammenhang zwischen CE sowie der Einbindung von Mitarbeitern in Planungsprozesse oder in bestimmte strategische Kontrollen feststellen.693 Die Relevanz der Betrachtung von CE unter spezifischen strategischen Gesichtspunkten konnte also bestätigt werden, wenngleich die fünf gewählten Komponenten strategischen Managements grundsätzlich nicht ausreichen können, um die Multidimensionalität des Konstruktes ganzheitlich zu erfassen. Basierend auf den Überlegungen des ressourcen- und kompetenzbasierten Ansatzes innerhalb des strategischen Management-Paradigmas interpretiert Güttel Corporate Entrepreneurship als 690 691 692 693

Vgl. Porter (1990b). Vgl. Hitt et al. (1998a), S. 22ff. Vgl. Barringer/Bluedorn (1999), S. 422ff. Dieser Zusammenhang konnte beispielsweise auch von Sathe (1988), S. 389ff. nachgewiesen werden.

186

KAPITEL 4

programmatischen Rahmen zur Akkumulierung, Veränderung, Transformation und Nutzung von Ressourcen und Kompetenzen, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.694 Für innovatives, unternehmerisches Agieren sind neben grundlegenden Strategieentwicklungskompetenzen verschiedene organisationale Kompetenzen Voraussetzung, die Güttel als Generierungs-, Umsetzungs- und Transformationskompetenzen bezeichnet. Generierungskompetenzen erlauben das interne wie externe Umfeld zu beobachten, um dort innovative Ideen zu entdecken. Wird eine wirtschaftliche Chance als strategisch wertvoll eingestuft, kommt es zur Implementierung dieser neuen Initiative innerhalb der bestehenden Prozesse und Strukturen des Unternehmens. Damit im Zeitverlauf aus dem Neuen etwas Bestehendes (d. h. ein Produkt, eine Leistung oder Kompetenz) wird, sind Umsetzungskompetenzen („first-order dynamic capabilities“) nötig. Diese können mit Hilfe von Transformationskompetenzen („second-order dynamic capabilities“) optimiert werden, wenn sie geeignet sind, dem Unternehmen nachhaltigen Wert zu schaffen. Ist die nachhaltige Wertschöpfung nicht möglich, werden sie nach einiger Zeit ausgesondert, da das Unternehmen durch die neuen Fähigkeiten Gefahr laufen würde, seine Stabilität und Identität zu verlieren. Das Hauptaugenmerk des strategisch motivierten Corporate Entrepreneurship nach Güttel liegt dabei auf der Weiterentwicklung der Generierungs- sowie der Umsetzungskompetenzen zur Realisierung von Innovations- und Veränderungsideen. Jedoch können auch Transformationskompetenzen relevant werden, wenn im Unternehmen deutlich wird, dass das Innovationspotenzial bestehender Projekte nicht ausreichend ist. Zusammenfassend zeigt auch dieser Ansatz, dass strategische Maßnahmen eine Möglichkeit der Annäherung an das unternehmerische Potenzial eines Unternehmens sind. Ziel einer unternehmerisch orientierten Strategieentwicklung ist die strategische Intention, über bestehende Fähigkeiten/ Kompetenzen hinauszugehen, d. h. im unternehmerischen Sinne zu handeln.695

4.3.3

URSPRUNG UNTERNEHMERISCHEN VERHALTENS

Grundlage unternehmerischen Verhaltens ist zunächst die Existenz einer wirtschaftlichen Möglichkeit, wobei zu unterscheiden ist, wo und von wem sie entdeckt wird. Hinsichtlich dieser Frage unterscheidet Burgelman zwischen zwei grundlegenden strategischen Prozessen, die in einem dynamischen Verhältnis zum strategischen Gesamtkonzept der Unternehmung, d. h. dem mehr oder weniger expliziten Verständnis der Unternehmung über ihre vergangenen und aktuellen (Miss-)Erfolge, stehen und in komplexen Organisationen auch simultan ablaufen können, wie die folgende Abbildung 27 auf Seite 187 illustriert.

694 695

Vgl. hier und im Folgenden Güttel (2006). Vgl. Stopford/Baden-Fuller (1994).

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187

Autonomes Autonomes strategisches strategisches Verhalten Verhalten

Strategischer Strategischer Kontext Kontext

Induziertes Induziertes strategisches strategisches Verhalten Verhalten

Struktureller Struktureller Kontext Kontext

Konzept Konzept der der UnternehmensUnternehmensstrategie strategie

Abbildung 27: Interaktion von Strategie, Struktur und unternehmerischem Verhalten Quelle: Burgelman (1984), S. 155.

Er bezeichnet diese beiden Prozesse als autonomes und induziertes strategisches Verhalten. Das induzierte strategische Verhalten beruht auf der traditionellen Sichtweise des strategischen Managements, dass einzig die Letztentscheidungsträger eines Unternehmens strategisch wichtige Entscheidungen treffen. Sie legen die Gesamtunternehmensstrategie fest, die als Referenz für alle strategischen Akteure dient und der letztere ihr Handeln unterzuordnen haben. Die Ziele des Unternehmens bezüglich der Gestaltung des Portfolios und der Ressourcenallokation sind durch die Gesamtstrategie vorgegeben. Mit Hilfe struktureller bzw. administrativer Mechanismen, die auf die Gesamtstrategie abgestimmt sind, ist es den obersten Führungskräften möglich, das strategisch-unternehmerische Handeln der Organisationsmitglieder im Sinne der strategischen Gesamtkonzeption des Unternehmens zu steuern.696 Es ist dabei – so Burgelman – eher unwahrscheinlich, dass durch induziertes strategisches Verhalten unternehmerisches Engagement oder radikal neue Ressourcenkombinationen entstehen.697 Auf der anderen Seite ist denkbar, dass aufgrund des großen unternehmerischen Potenzials bei den Mitarbeitern und Führungskräften auf allen Ebenen großer Unternehmen autonomes strategisches Verhalten entsteht, das wirtschaftliche Möglichkeiten vollkommen neu definiert und nicht immer in Einklang mit der Gesamtstrategie des Unternehmens sein wird. Autonome strategische Initiativen passen oftmals nicht in das bestehende Portfolio des Unternehmens und stellen damit für den Status quo eine Bedrohung dar. Damit autonomes strategisches Verhalten, das Burgelman mit CE gleichsetzt, dennoch zum Erfolg führen kann, muss innerhalb des Unternehmens zunächst Akzeptanz entstehen und anschließend der strategische Kontext entsprechend angepasst werden. Diese Anpassung hat dabei die Funktion, die unternehmerischen Aktivitäten für das gesamte Unternehmen plausibel zu machen, was bei einer positiven Bewertung der unternehmerischen Initiativen letztlich zu einer Veränderung des strategischen 696 697

Vgl. Burgelman (1984), S. 155. Vgl. Burgelman (1983a), S. 1350.

188

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Gesamtkonzepts und damit des Status quo der Unternehmung führt. Das Modell zeigt, dass es innerhalb einer Unternehmung möglich ist, auf verschiedenen Pfaden innovative unternehmerische Projekte zu verfolgen, die auf Initiativen starker Führungspersonen oder auf das unternehmerische Engagement selbständig agierender Akteure, die sich über die traditionellen Entscheidungswege hinwegsetzen, zurückzuführen sind.698 Die Frage nach dem Ursprung unternehmerischen Verhaltens stellt auch Birkinshaw, der zwischen „dispersed corporate entrepreneurship“ und „focused corporate entrepreneurship“ unterscheidet und damit ebenfalls den Entstehungsort bzw. die Quelle unternehmerischer Initiativen thematisiert.699 Verfolgen die Letztentscheidungsträger in der Unternehmenszentrale mit dieser Aufgabenzuweisung ein bestimmtes (strategisches) Ziel, indem Sie einer Einheit bzw. einem Bereich bestimmte Aufgaben zuweisen, spricht Birkinshaw vom „focused corporate entrepreneurship“700. Je nach Grad der strategischen Bedeutung und der Ähnlichkeit des innovativen Projektes mit bereits bestehenden Geschäftsfeldern müssen bestimmte organisationale Strukturen geschaffen werden, die von perfekter Integration bis zu vollkommener Auslagerung reichen.701 Entscheidend dabei ist, welche Ziele das gesamte Unternehmen verfolgt, und wie die unternehmerischen Projekte am besten zum Erreichen dieser Ziele beitragen können.702 Auf der anderen Seite entstehen unternehmerische Initiativen unabhängig von der strategischen Planung der Letztentscheidungsträger. Beim „dispersed corporate entrepreneurship“ ist das unternehmerische Engagement auf die Entscheidungen eines Akteurs im Unternehmen (i.e. Führungsperson, Mitarbeiter) zurückzuführen, der neben der Aufrechterhaltung seiner regulären (Management-)Aufgaben neue wirtschaftliche Möglichkeiten erkennt und auszuschöpfen versucht. Jedoch kann durch die Schaffung einer entsprechenden Unternehmenskultur und geeigneten Organisationsstrukturen sowie dem Vorleben unternehmerischer Werte durch die Führungskräfte Einfluss auf unternehmerisches Verhalten der Akteure genommen werden.703 Während beim dispergierten internen unternehmerischem Verhalten die Suche und das Experimentieren mit neuen Möglichkeiten im Vordergrund stehen („exploration“), verfolgt das fokussierte CE das Ziel, die bestehenden Kompetenzen auf der Basis des im Unternehmen vorhandenen Wissens neu zu definieren und zu erweitern („exploitation“).704

698 699 700 701

702 703 704

Vgl. Peters/Waterman (1983); Burgelman (1984). Vgl. Birkinshaw (1997), S. 207ff. Birkinshaw (2000), S. 18. Hier lehnt sich Birkinshaw an die in Kapitel 4.3.2.2 angesprochenen Venture-Formen von Burgelman (1984), S. 160ff. an. Vgl. Elfring (2005), S. 11. Vgl. ebenda, S. 6ff. Vgl. hierzu March (1991).

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189

In diesem Zusammenhang ist schließlich auch die Frage nach dem Entstehungsort wirtschaftlicher Möglichkeiten zu sehen. Das in- und externe Umfeld von Unternehmen kann eine Quelle für wirtschaftliche Möglichkeiten sein, und damit den Ursprung interner und externer unternehmerischen Initiativen bedeuten:705 Interne unternehmerische Initiativen spiegeln sich insbesondere in unternehmerischen Chancen innerhalb des Unternehmensnetzwerks wider, indem beispielsweise Aktivitäten und Prozesse effizienter erledigt werden können und Unternehmertum im Kirzner’schen Sinne möglich wird. Die Vernetzung sowie der Aufbau und die Pflege von Beziehungen sind deshalb von großer Bedeutung. Im Vergleich zu internen Initiativen sind die Quellen externer unternehmerischer Initiativen vielfältiger. Sie entstehen in der Regel im wirtschaftlichen Umfeld einer Unternehmung. Externe Initiativen finden auf lokalen und globalen Märkten statt und sind primär darauf ausgerichtet, neue Wertschöpfungsmöglichkeiten zu schaffen. Meist benötigen die unternehmerisch agierenden Individuen ein hohes Maß an Autonomie, um ohne Einmischung anderer Akteure das unternehmerische Unterfangen erfolgreich aufzubauen und entwickeln zu können.

Lokaler Markt Globaler Markt Zulieferer Kunden

Initiativen im lokalen Markt

Konkurrenten Regierung

Globale Kunden & Zulieferer

Initiativen im globalen Markt

Interner Markt

Initiativen im internen Markt

Schwestereinheit Mutterunternehmen

Abbildung 28: Entstehungsorte unternehmerischer Initiativen Quelle: Birkinshaw (1997), S. 212.

Nachdem beleuchtet wurde, wie und wo unternehmerisches Verhalten entsteht, wird nachfolgend die ihm zugrunde liegende unternehmerische Orientierung vorgestellt.

705

Vgl. hier und im Folgenden Birkinshaw (2000), S. 22ff. sowie Burgelman (1983a), S. 1354.

190

KAPITEL 4

4.3.4

UNTERNEHMERISCHE ORIENTIERUNG ALS INDIKATOR UNTERNEHMERISCHEN VERHALTENS

Das Konzept der unternehmerischen Orientierung („entrepreneurial orientation“, „strategic entrepreneurial posture“) geht ursprünglich zurück auf sehr grundsätzliche Überlegungen zur Entwicklung von Strategien, die nach Mintzberg adaptiv, planerisch und unternehmerisch vonstatten gehen kann.706 Der unternehmerische Weg der Strategieentwicklung ist dabei gekennzeichnet von der aktiven Suche einer Führungsperson nach neuen Möglichkeiten, die unter Unsicherheit stattfindet und Wachstum als oberstes Ziel definiert. Die Dimensionen wurden später zunächst von Miller durch die Schlagworte Innovationsfähigkeit, Risikobereitschaft und der pro-aktiven Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten konkretisiert und schließlich von Lumpkin & Dess durch die beiden Dimensionen Autonomie und Aggressivität gegenüber Wettbewerbern erweitert.707 Innovationsfähigkeit, Proaktivität, Risikobereitschaft, Autonomie und Aggressivität im Wettbewerb charakterisierten die unternehmerische Orientierung, die sich aus Prozessen, Praktiken, Einstellungen und Entscheidungen von Individuen zusammensetzt und sich schlussendlich im unternehmerischen Agieren in etablierten Unternehmen konkretisiert. Ziel ist es, durch die unternehmerische Orientierung den Erfolg von Unternehmen positiv zu beeinflussen.708 Die fünf Dimensionen der unternehmerischen Orientierung sind in Anlehnung an Dess & Lumpkin wie folgt definiert:709 —

706 707

708

709 710

Innovation in Unternehmen kann als Konzept beschrieben werden, das die Schaffung, Entwicklung und Implementierung neuer Ideen und Verhaltensweisen umfasst. Sie zeigt sich in neuen Methoden, Prozessen, Technologien, administrativen Systemen sowie in innovativen Produkten und Dienstleistungen, die vor allem in turbulenten Zeiten zentrale Erfolgs- und Wettbewerbsfaktoren von Unternehmen darstellen.710 Innovationsfähigkeit setzt Kreativität, Experimentierfreudigkeit sowie Reiz an Neuem von Individuen und Organisationen voraus, welche wiederum über ein relativ hohes Maß an Freiheit und Flexibilität verfügen müssen. Innovativität ist ein wichtiger Teil der unternehmerischen Strategie und bedeutet zumeist das Infragestellen bewährter Produkte und Prozesse, ohne dabei sicher sein zu können, dass die Innovation zum Erfolg führt.

Vgl. Mintzberg (1973b), S. 44ff. Vgl. Miller (1983), S. 770ff. sowie Lumpkin/Dess (1996), S. 137 und Lumpkin/Dess (2001), S. 429ff. Allerdings beschränken sich die meisten Überlegungen auf die drei zentralen Dimensionen Proaktivität, Innovationsfähigkeit und Risikobereitschaft. Vgl. Lyon et al. (2000) und Rauch et al. (2004) konnten den Einfluss einer unternehmerischen Orientierung auf den Unternehmenserfolg empirisch nachweisen. Vgl. Dess/Lumpkin (2005), S. 148ff. Vgl. hierzu auch Damanpour (1991), S. 556.

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Proaktivität ist durch die Fähigkeit einer Person charakterisiert, wirtschaftliche Möglichkeiten zu entdecken, Trends oder Nachfrageänderungen zu erkennen und zukünftige Kundenbedürfnisse zu identifizieren. Das Erkennen allein reicht jedoch nicht aus, Proaktivität impliziert auch den Willen, der Konkurrenz bei der Verwirklichung der wirtschaftlichen Möglichkeit zuvorzukommen und dadurch klare Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Erfolg verspricht Proaktivität nur dann, wenn die Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld sorgfältig beobachtet und die Machbarkeit der innovativen Projekte eindeutig festgestellt werden können.



Entscheidungen zu treffen und Ressourcen einzusetzen, ohne wirklich wissen zu können, welche Ergebnisse und Konsequenzen zu erwarten sind, steht für die Risikobereitschaft eines Individuums oder Unternehmens. Drei Arten von Risiken können unterschieden werden: Das wirtschaftliche Risiko bezieht sich auf unternehmerische Vorhaben, deren Erfolgswahrscheinlichkeit unklar ist. Ein Unternehmen geht finanzielle Risiken ein, wenn es Kapital aufnimmt oder beträchtliche Ressourcen einsetzt. Persönliches Risiko gehen die Entscheidungsträger durch ihr Handeln ein, das Auswirkungen auf die Karrierepfade haben kann. Um Wettbewerbsvorteile erzielen zu können, müssen Risiken erfasst und ggf. minimiert werden.



Autonomie wird im Kontext unternehmerischer Orientierung als eigenständige und unabhängige Handlung eines Individuums oder Teams definiert, welche zum Ziel hat, ein Konzept oder eine Idee zu entwickeln und umzusetzen.711 Dies bedeutet, dass einerseits Freiräume geschaffen, aber auch die für die Entwicklung neuer Lösungen notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen. Um Redundanzen zu vermeiden, müssen die innovativen unternehmerischen Projekte begleitet und kontrolliert werden.



Aggressivität im Wettbewerb steht für das Bestreben, die stärksten Konkurrenten zu übertreffen, indem durch Effizienz- oder Kapazitätssteigerungen die bestehende Wettbewerbsposition verbessert wird oder indem die Herausforderungen im Wettbewerbsumfeld gemeistert werden, welche die Existenz und Marktposition des Unternehmens bedrohen.

In der einschlägigen Literatur wird die unternehmerische Orientierung meist als Eigenschaft eines Unternehmens definiert, allerdings finden sich auch Verwendungen des Begriffs für die unternehmerische Einstellung von Individuen.712 So stellt Wiklund in Bezug auf die Untersu-

711 712

Vgl. auch das „Self-determination“-Konstrukt von Spreitzer (1995), S. 1443 und Spreitzer (1996), S. 484. Vgl. Covin/Slevin (1988), S. 218ff.; Covin/Slevin (1991), S. 10; Zahra (1993a), S. 5ff.; Stevenson et al. (1999); Dess/Lumpkin (2005), S. 147. Krauss et al. (2005), S. 316ff. stellen mit Bezug auf Klein/Kozlowski (2000) fest, dass die unternehmerische Orientierung im Grunde immer ein auf dem Individuum basierendes Konzept war, weil ein objektives Maß der firmenbezogenen unternehmerischen Orientierung auf einer Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens, einer Beobachtung auf verschiedenen Ebenen

192

KAPITEL 4

chung der unternehmerischen Orientierung von Unternehmen fest: „[I]t seems perilous to attribute outcomes of a firm to an individual no longer working there.“713 Bezogen auf das Unternehmen zeigt sich die unternehmerische Orientierung insbesondere in der Risikobereitschaft, der Innovationsorientierung sowie im pro-aktiven Verhalten der Führungskräfte, die somit eher geneigt sind, Initiativen zu ergreifen.714 Initiativen, verstanden als tatsächliches unternehmerisches Verhalten, ergeben sich aufgrund von wirtschaftlichen Möglichkeiten im externen Wettbewerbsumfeld oder aufgrund von im Unternehmen vorhandenen Ressourcen.715 Insofern hat sich die unternehmerische Orientierung als guter Indikator für unternehmerisches Verhalten erwiesen, das grundsätzlich auf einer Vielzahl von hierarchischen Ebenen möglich ist und die Einbindung verschiedenster Organisationsmitglieder bei der Formulierung und Implementierung unternehmerischer Strategien erlaubt.716

4.4

Begriffliche Bestimmung der dezentralen Leadership Leaders are not just those at the top. Allen R. Cohen

Dezentrale Leadership steht ganz grundlegend für die Führung auf dezentraler Ebene, d. h. in Tochtergesellschaften und/ oder Geschäftseinheiten. Allerdings reicht dieser Erklärungsansatz nicht aus, um den besonderen Charakter des Konstrukts zu verdeutlichen. Dezentrale Leadership findet in einem besonderen Kontext statt und deckt sich insofern nicht eindeutig mit einem der in Kapitel 3.3 diskutierten führungstheoretischen Ansätze. Im Rahmen der Diskussion der dezentralen Leadership sollten vielmehr jene theoretischen Konzepte berücksichtigt und integriert werden, die für das Verständnis von dezentraler Führung bedeutsam sind. Die Betrachtung des Kontextes, in dem sich dezentrale Leadership abspielt, zeigt, dass sich dieser zum einen auf das externe Umfeld der dezentralen Einheit bezieht, welches sich aus verschiedenen Umwelten auf globaler und lokaler Ebene zusammensetzt, in denen eine dezentrale Einheit geschäftsmäßig tätig ist.717 Zum anderen stellt der organisationale Kontext, d. h. die (diversifizierte) Mutterunternehmung sowie die dezentrale Einheit als rechtlich abhängiges, teilautonomes „Unternehmen im Unternehmen“ einen weiteren, wichtigen Kontext für die dezentrale Leadership dar. Unternehmerisches Führungsverhalten im Allgemeinen und speziell

713 714 715 716 717

der Unternehmenshierarchie, einer Aggregation der Einzeldaten auf die Ebene der Organisation sowie einem Test, ob verschiedenen Unternehmensrepräsentanten derselben Meinung sind, basieren müsste. Dies ist jedoch bisher nicht erfüllt worden. Wiklund (1999), S. 41. Vgl. Miller (1983), S. 770ff. sowie Burgelman (1983a). Vgl. Aloulou/Fayolle (2005), S. 36f. Vgl. Stevenson/Jarillo (1990), S. 17ff.; Birkinshaw (1997), S. 207ff. Vgl. Kapitel 2.2.

DEZENTRALES LEADERSHIP

193

in Tochterunternehmen ist von der Interaktion von Umweltfaktoren, organisationalen Gegebenheiten und der Prädisposition der einzelnen Führungskraft abhängig718, oder wie Birkinshaw feststellt: „Individual propensity to act entrepreneurially is a function of motivation, which in turn is a function of both an individual’s innate personality and the context in which he or she is working.”719 Eine Charakterisierung von dezentraler Leadership ist daher – wie in Abbildung 29 illustriert wird – nur dann möglich, wenn die besonderen Aspekte des externen und internen Umfelds sowie Leadership und Corporate Entrepreneurship Berücksichtigung finden.

Kontext

Internes Umfeld

Externes Umfeld

Dezentrale Leadership Persönliche Prädisposition

(Corporate) Entrepreneurship

Leadership

Abbildung 29: Komponenten der dezentralen Leadership Quelle: eigene Darstellung.

Für eine dezentrale Leadership kommen all jene Führungskräfte in den Tochtergesellschaften einer diversifizierten Unternehmung in Frage, die entweder die geschäftsführende Funktion in einer Unternehmenseinheit bekleiden oder die die Leitung eines Funktionsbereichs (Beschaf720

fung, Produktion, Absatz, Personal, Finanzen, F&E) übernommen haben.

Führende auf de-

zentraler Ebene sollten sich idealtypisch nicht nur auf die operative Umsetzung der für ihren Zuständigkeitsbereich von der Zentrale getroffenen Entscheidungen beschränken, sondern auf der Grundlage ihres spezifischen Wissens über lokale Märkte, Geschäftsfelder und Kunden, sowie der einzigartigen Fähigkeiten und Kompetenzen ihrer Einheit neue wirtschaftliche Möglichkeiten verfolgen. Indem sie ihr Verhalten dann diesen Gegebenheiten anpassen, han721

deln sie strategisch.

718 719 720

721

Vgl. Covin/Slevin (1991); Hornsby et al. (1993). Birkinshaw (1999) S. 10. Die Wahl, den geschäftsführenden Manager sowie die Leiter der Funktionsbereiche (Management-Team) als potentielle „dezentrale Leader“ zu benennen, deckt sich mit früheren Forschungsarbeiten. Vgl hierzu Vansina (1999) sowie Birkinshaw et al. (2005). Vgl. Vera/Crossman (2004), S. 226.

194

KAPITEL 4

Vansina identifizierte spezifische Verhaltensmerkmale erfolgreicher Führungskräfte in dezentralen Einheiten: Erstens managen erfolgreiche Führungskräfte die verschiedenen Schnittstellen ihrer Einheit und zwar mit der Zentrale, dem spezifischen Geschäftsbereich sowie dem soziopolitischen Umfeld, um- und vorsichtig. Sie lenken zweitens ihre Bemühungen auf die Gestaltung eines Zieles innerhalb der Gesamtunternehmung hin. Drittens übernehmen diese Führungskräfte nicht nur für ihre Einheit, sondern für die Gesamtunternehmung Führungsverantwortung und stärken viertens die Identität des Unternehmens. Fünftens sind sie Teil des Systems und handeln von innen. Sie gründen sechstens ihr Handeln auf dem Fundament des Unternehmens und zeigen schließlich einen sehr persönlichen Führungsstil.722 Aus diesem Grund kommt einer Tochterunternehmung eine weit bedeutendere Rolle zu als jener der verlängerten Werkbank der Unternehmenszentrale. Die Initiative zur Verfolgung wirtschaftlicher Möglichkeiten ist zwar für die Gesamtunternehmung durchaus nicht immer unproblematisch, da einzelne Projekte den von den Letztentscheidungsträgern festgelegten Unternehmenszielen entgegenlaufen können, sie hat jedoch auch das Potenzial zur Steigerung des Erfolgs.723 In diesem Spannungsfeld von zentraler Lenkung des gesamten Unternehmens und dezentraler, unternehmerischer Führung von Tochtergesellschaften befinden sich die Führungskräfte auf dezentraler Ebene. Es ist deshalb zu klären, was dezentrale Leadership ausmacht, wie Führende in Tochtergesellschaften oder auch strategischen Geschäftseinheiten zu charakterisieren sind, wie sie agieren müssen und welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit von dezentraler Leadership gesprochen werden kann. Den theoretischen Ausführungen zur unternehmerischen Führung auf dezentraler Ebene vorgreifend, wird dezentrale Leadership in dieser Arbeit definiert als das Verhalten einer Führungsperson im Kontext einer Tochtergesellschaft, indem sie eine unternehmerische Vision generiert und sich selbst und andere Organisationsmitglieder dafür begeistert, sich mit einem kalkulierbaren Risiko eigeninitiativ für die Entdeckung und Ausnutzung wirtschaftlicher Möglichkeiten einzusetzen, um nachhaltig Wert für das gesamte Unternehmen zu schaffen. Die nachfolgende Abbildung 30 auf der folgenden Seite 195 gibt die zentralen Elemente von dezentraler Leadership nochmals schematisch wider.

722

723

Vgl. Vansina (1988), S. 127ff.; Vansina (1999), S. 90: Erfolgreiche Führungskräfte wurden anhand von zwei Kriterien identifiziert. Sie mussten einerseits zwei Erfolge nachweisen können (Steigerung der Profitabilität einer bereits profitablen Einheit bzw. Verwandlung einer erfolglosen in eine gewinnbringende Einheit) und andererseits diese Erfolge in zwei unterschiedlichen sozio-politischen oder kulturellen Umwelten erreicht haben. Vgl. Birkinshaw (2000); Amit et al. (2000), S. 90 stellen fest, dass unternehmerisches Management aufgrund der höheren Risiken unternehmerischer Projekte anfänglich zu sinkenden Erträgen führen kann, dass das Unternehmen jedoch auf lange Sicht mit überdurchschnittlichen Erträgen rechnen kann.

DEZENTRALES LEADERSHIP

195

Vision Vision Vorbildfunktion Vorbildfunktion und und Befähigung Befähigung anderer anderer Strategische Strategische Wertschöpfung Wertschöpfung Risikobereitschaft Risikobereitschaft

Dezentrale Dezentrale Leadership Leadership

Innovationsfähigkeit Innovationsfähigkeit Initiative Initiative und und Proaktivität Proaktivität

Abbildung 30: Ausprägungen der dezentralen Leadership Quelle: eigene Darstellung.

4.5

Integration von Leadership und Corporate Entrepreneurship in der dezentralen Führung Was eine Einheit bilden soll, muss der Art nach verschieden sein. Artistoteles

Strategische Entscheidungen ohne eine unternehmerische Einstellung können den wachsenden Herausforderungen nicht mehr gerecht werden.724 Wirtschaftliche Möglichkeiten im Umfeld zu erkennen und auszunutzen, um Wert zu schaffen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen, setzt strategisches und unternehmerisches Denken und Handeln voraus.725 Daher stellt die Kombination aus Führungsfähigkeiten und unternehmerischem Denken und Handeln gerade im Hinblick auf eine erfolgreiche dezentrale Führung ein wichtiges Fundament dar. Schließlich ist das Verhalten der Führungskräfte in Tochtergesellschaften entscheidend für die Etablierung einer unternehmerischen Kultur.726 Durch die Integration von Leadership und Entrepreneurship kann indes sichergestellt werden, dass trotz der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten im externen und internen Umfeld die Risiken überschaubar bleiben und dass unternehmerische Initiativen nicht auf Kosten von intra- und interorganisationaler Zusammenarbeit

724 725

726

Bettis/Hitt (1995), S. 7ff.; Gupta et al. (2004), S. 242f. Die Forderung einer Integration von strategischem Management und Entrepreneurship erhoben vor allem Meyer/Heppard (2000), McGrath/MacMillan (2000) sowie Hitt et al. (2001a). Vgl. Goshal/Bartlett (1994), S. 91ff.

196

KAPITEL 4

gehen. Dennoch stoßen unternehmerische Initiativen oft auf Widerstand, sind letztlich ein positives Zeichen dafür, dass Führungskräfte in Tochtergesellschaften Verantwortung für die Zukunft ihrer Organisation nehmen. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch, dass sich auch die Rolle von Tochtergesellschaften bei der Entwicklung und Implementierung der Gesamtunternehmensstrategie verändern muss.727

4.5.1

FÜHRUNGSBEZOGENE ELEMENTE DER DEZENTRALEN LEADERSHIP

Wie in Kapitel 3 gezeigt wurde, ist die Fülle an Führungstheorien groß und reicht von den persönlichen Eigenschaften des Führenden, seinen spezifischen Verhaltensweisen, dem bilateralen Verhältnis zu seinen Mitarbeitern hin zu Wechselwirkungen von Führung und den situativen Gegebenheiten der Organisation und des Umfelds. All diese Überlegungen sind für das Verständnis von Führung bedeutsam, jedoch sollen an dieser Stelle nur jene theoretischen Ansätze noch einmal betrachtet werden, die im Hinblick auf die besonderen Anforderungen der dezentralen Leadership Berücksichtigung finden werden. Führung hat im Zusammenhang mit unternehmerischem Verhalten große Bedeutung, weil sie geeignet ist, die paralysierenden Effekte der Unsicherheit, welche unternehmerische Initiativen kennzeichnet, zu reduzieren.728 Insbesondere die Überlegungen im Rahmen der transformationalen, partizipativen sowie strategischen Führungsansätze sind für die dezentrale Führung von Belang. Um das unternehmerische und kreative Potenzial aller Organisationsmitglieder ausschöpfen zu können, müssen die Führungskräfte auf allen hierarchischen Ebenen bei ihren Mitarbeitern die Bereitschaft entwickeln, ihre traditionellen Denkmuster zugunsten einer unternehmerischen Orientierung aufzugeben. Die transformationale Führung kann einen Wandel sowohl in Bezug auf organisationale als auch individuell-persönliche Aspekte bewirken und ist damit geeignet ist, eine Veränderung vom traditionell geprägten, Risiken und Fehler vermeidenden Verhalten hin zu einem unternehmerisch-orientierten Denken und Handeln herbeizuführen. Dies impliziert, die zentralen Themen des Unternehmens zum Thema jedes einzelnen Mitarbeiters zu machen. Voraussetzung dafür ist einerseits die Wertschätzung der Bedürfnisse des Einzelnen nach persönlicher Weiterentwicklung, die nicht durch unternehmerisches, risikobehaftetes Verhalten gefährdet werden darf. Andererseits spielt die Führungsperson selbst eine wichtige Rolle, weil sie den Mitarbeitern das Vertrauen gibt, Initiativen ergreifen und Ideen entwickeln zu können. Sie muss gleichzeitig für Beständigkeit und Wandel stehen, d. h. Sicherheit vermitteln, dass unternehmerische Initiativen gewünscht sind und auch gegen Widerstände unterstützt werden, ohne dabei die dezentrale Einheit aufs Spiel zu setzen. Mit Hilfe

727 728

Dies unterstützen auch Birkinshaw/Fry (1998), S. 52. Vgl. McGrath/MacMillan (2000), S. 302 sowie Vansina (1999), S. 104, der sich hierbei auf Bion (1961) beruft.

DEZENTRALES LEADERSHIP

197

einer wertorientierten Vision, welche Richtung sowie Ziele vorgibt, können Mitarbeiter motiviert werden, das Bestehende zu hinterfragen und für die Herausforderungen ggf. neue, innovative Lösungspfade zu finden. Die transformationale Leadership-Theorie bietet daher insofern einen geeigneten Rahmen, da sie in durch Komplexität gekennzeichneten Situationen zu funktionieren scheint und vor allem auch die Bedeutung der Führungsperson betont. Eine transformative Führungsperson ist in der Lage, unternehmerische Herausforderungen zu erkennen und zu kommunizieren. Transformative Führungskräfte stehen idealtypisch den Zielen und Projekten von Mitarbeitern offen und begeisterungsfähig gegenüber. Eine Führungsperson auf dezentraler Ebene wird nur dann erfolgreich unternehmerisch agieren, wenn ihr Verhalten auf transformationalen und weniger auf transaktionalen Führungsgrundsätzen aufbaut, denn – so stellt Bass fest – transformative Leader betonen das Experimentieren, die Risikobereitschaft, die Vielfalt der Möglichkeiten und den gezielten Wandel.729 Eine einzelne Führungskraft wäre trotz einer unternehmerischen Orientierung nicht in der Lage, den Chancen und Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Noch stärker als in der transformationalen Leadership-Theorie sieht die partizipative Führung vor, dass auch nachrangige Organisationsmitglieder in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, um die Entscheidungsqualität und -akzeptanz, aber auch die Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Zusammenarbeit zu erhöhen. Die Integration jener Mitarbeiter und Führungskräfte, die über spezifische Informationen, Kenntnisse und Kompetenzen verfügen, welche für die Entdeckung und Nutzung einer Geschäftsmöglichkeit benötigt werden, erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit der unternehmerischen Initiative. Darüber hinaus stellt die Interaktion aller für die Entdeckung und Nutzung wirtschaftlicher Chancen relevanten Akteure im Unternehmen sicher, dass nur die vielversprechendsten innovativen Projekte verfolgt werden. Gleichzeitig wird verhindert, dass Ressourcen in weniger aussichtsreiche Initiativen gesteckt werden. Der Einbezug aller Organisationsmitglieder in Entscheidungsprozesse führt letztlich auch zu einer Steigerung der Motivation der beteiligten Akteure und zu einer Veränderung des Gewohnheitsdenkens hin zu einem Denken in Möglichkeiten, das gerade für unternehmerisches Engagement eine Grundvoraussetzung darstellt. Die Self-Leadership-Theorie ergänzt die partizipativen Führungstheorien insofern, als sie eigenverantwortliches, unternehmerisches und langfristig orientiertes Verhalten betont und die Führungsperson als ein reflektiertes, leistungsorientiertes Individuum beschreibt. Insofern spielen deshalb auch die Überlegungen der partizipativen Leadership-Theorie für die Führung in Tochtergesellschaften eine Rolle. Neben der Interaktion der verschiedenen Organisationsmitglieder laufen auch zwischen dem Unternehmen und seinem Umfeld Austauschprozesse ab. Im Gegensatz zu den situativen Leadership-Theorien, die zwar den Einfluss situativer Variablen berücksichtigen, jedoch 729

Vgl. Bass (1985).

198

KAPITEL 4

grundsätzlich eher auf intraorganisationale Prozesse beschränkt bleiben, wird die Perspektive in den strategischen Führungstheorien auf Faktoren jenseits der Unternehmensgrenzen ausgedehnt und damit das Unternehmen in eine wechselseitige Beziehung mit seinen Umwelten gesetzt. Entsprechend ergibt sich eine Vielzahl an Informationen aus dem unmittelbaren Umfeld des Unternehmens, die für ein Unternehmen relevant sein können. Sie müssen allerdings auf ein Maß reduziert werden, das beherrschbar ist und unternehmerisches Handeln möglich macht. Eine Integration von Führungskräften der dezentralen Einheiten in unternehmerischstrategische Entscheidungen könnte zu einer Komplexitätsreduktion im Hinblick auf die Beherrschung des Unternehmensumfeldes für alle Entscheidungsträger im Unternehmen führen. Die Darstellung der strategischen Leadership-Theorien machte deutlich, dass Führungskräfte auf Erfahrungen, Wissen und Werte zurückgreifen, um diese Komplexität beherrschbar zu machen und auf der Basis der relevanten Informationen strategische Alternativen auszuwählen, die für den Erfolg des Unternehmens oder einer Unternehmenseinheit entscheidend sind. Vera & Crossman stellen in Anlehnung an Tushman & O’Reilly fest, dass strategische Führungskräfte die Fähigkeit besitzen müssen, gleichzeitig verschiedene Aktivitäten einzuleiten und durchzuführen: Inkrementale und diskontinuierliche Innovationen, Entdeckung und Ausnutzung wirtschaftlicher Möglichkeiten, Flexibilität und Kontrolle sowie „feedforward“- and „feedback“-Lernprozesse.730 Die Bedeutung der Führungsperson wird in den strategischen Führungstheorien betont. Letztlich ist strategische Leadership gekennzeichnet durch die Bestimmung einer visionären Richtung, der Pflege von Kernkompetenzen, der Förderung der Humanressourcen, der Etablierung einer Unternehmenskultur, dem Vorleben ethischer Werte bzw. Überzeugungen sowie der Schaffung effizienter Kontrollen.731 Da sich Führungskräfte in Tochtergesellschaften und strategischen Geschäftseinheiten in einem sehr komplexen Umfeld wiederfinden, ist der strategische Führungsansatz neben den zuvor genannten Konzeptionen besonders bedeutsam. Er erlaubt es, Führungskräfte als entscheidende Akteure zu begreifen, die durch die Wahl ihrer Strategien die Geschicke ihrer Unternehmenseinheit bestimmen.

730 731

Vgl. Vera/Crossman (2004); Tushman/O'Reilly (1996). Vgl. Hitt et al. (2001b); Hagen et al. (1998), S. 39ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

4.5.2

199

UNTERNEHMERISCHE ELEMENTE DER DEZENTRALEN LEADERSHIP

Im Allgemeinen müssen nach Gupta et al. vier Bedingungen erfüllt sein, um Unternehmertum im Unternehmen zu etablieren:732 Die erste Voraussetzung ist die Entwicklung, die effektive Kommunikation und Betonung einer unternehmerischen Vision bzw. gemeinsamer Werte durch die Letztentscheidungsträger.733 Darüber hinaus sollten Systeme und Prozesse installiert werden, die Innovation bzw. innovative Köpfe im Unternehmen unterstützen, indem v. a. auch die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Zeit sowie der Zugang zu Fachwissen und der spezifischen Expertise anderer Organisationsmitglieder erleichtern Mitarbeitern schließlich, eigenständig Ideen zu entwickeln. Mit innovativen Ansätzen experimentieren und dabei auch gewisse unternehmerische Risiken eingehen zu können, ermöglicht dann die Etablierung von unternehmerischem Verhalten.734 Zwar ist das unternehmerische Element in den Theorien zur strategischen Unternehmensführung implizit vorhanden, nur selten wird es jedoch deutlich artikuliert. Deshalb soll die unternehmerische Komponente in der dezentralen Führung nochmals explizit herausgearbeitet werden.735 Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Herausforderungen für Unternehmen erscheinen unternehmerische Anstrengungen unabdingbar für den langfristigen Erfolg und die Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Dabei beziehen sich diese auf das Maß, „to which top managers are inclined to take business-related risks (risk-taking dimension), to favor change and innovation to obtain a competitive advantage for their firm (the innovation dimension), and to compete aggressively with other firms (the proactiveness dimension)”.736 Führungskräfte in Tochtergesellschaften stehen in der Verantwortung, unternehmerisches Denken und Handeln zu entwickeln und dabei ein Klima in ihrer Einheit zu schaffen, das die Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie das Eingehen gewisser Risiken erlaubt, und damit die Entwicklung spezifischer Fähigkeiten, innovativer Produkte und neuer Ressourcenkombinationen in und für die dezentrale Einheit ermöglicht.737 Unternehmerisch orientierte Führende sollten zudem die für die Umsetzung notwendigen Freiräume schaffen und bestrebt sein, sich gegen interne und externe Konkurrenten durchzusetzen.738 Um Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sicherzustellen, Innovation zu fördern, den Wettbewerbern bei der Ausnutzung wirtschaftlicher Möglichkeiten zuvorzukommen und neue Ge732 733 734 735 736 737 738

Vgl. Gupta et al. (2004), S. 244. Vgl. Brazeal/Herbert (1999); Hitt et al. (1999), S. 145ff. Vgl. Kuratko/Hornsby (1998). Vgl. Covin/Slevin (2002), S. 310, die eine ähnliche Meinung vertreten. Vgl. Covin/Slevin (1988), S. 217. Vgl. Birkinshaw et al. (1998), S. 227. Vgl. hierzu bspw. auch Lumpkin/Dess (1996).

200

KAPITEL 4

schäftsmodelle zu realisieren, wird von Führungskräften generell unternehmerisches und strategisches Geschick und Engagement gefordert.739 Für die Verwirklichung derartiger unternehmerischer Strategien müssen Führungskräfte auf dezentraler Ebene unternehmerische Kompetenzen entwickeln, d. h. sie müssen die Fähigkeit besitzen, wirtschaftliche Chancen zu erkennen und die für deren Ausnutzung notwendigen Ressourcen identifizieren und bereitstellen können.740 Dies ist jedoch nicht uneingeschränkt möglich, da Führungskräfte in dezentralen Unternehmenseinheiten zwar innerhalb ihrer eigenen Einheit an der Spitze der Hierarchie stehen und damit über gewisse Ressourcen im Rahmen der mit der Zentrale vereinbarten Budgetplanung verfügen können, sie finden sich jedoch innerhalb der Gesamtunternehmung eher auf einer nachrangigen Managementebene wieder und müssen daher um die für größere unternehmerische Projekte notwendigen Ressourcen bei der Mutterunternehmung ansuchen. Unternehmerisches Verhalten auf der Ebene der dezentralen Einheiten ist folglich durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet, die sich vor allem in unterschiedlichen Führungsrollen und -aufgaben im dezentralen Leadership-Ansatz zeigt (vgl. Kapitel 4.6). In dieser Doppelfunktion als oberste und u.U. nachrangige Manager befinden sich Führende in dezentralen Einheiten in einem Spannungsfeld, da sie einerseits selbst unternehmerisch agieren und andererseits ihre Mitarbeiter dazu befähigen und motivieren sollen, Initiativen zu ergreifen. Sie stehen in der Verantwortung für das Ganze und gewähren gleichzeitig Freiheit und Flexibilität für den Einzelnen bei unternehmerischen Initiativen. Obwohl Führungspersonen in dezentralen Einheiten weisungsgebunden sind, wird in dieser Arbeit angenommen, dass sie ein autonomes, unternehmerisch-strategisches Verhalten zeigen können, das auf ihrer Eigeninitiative und Risikobereitschaft beruht und die Verfolgung innovativer Projekte zunächst zum Wohl der Einheit nach sich zieht. Diese Annahme ist somit Birkinshaws „dispersed corporate entrepreneurship“ zuzuordnen, d. h. dass lokale Führungskräfte dann zu dezentraler Leadership fähig sein werden, wenn es ihnen gelingt, neben ihren regulären Managementaufgaben und den Weisungen durch die Unternehmenszentrale offen zu sein für neue Geschäftsmöglichkeiten, die idealerweise in das strategische Gesamtkonzept der diversifizierten Unternehmung passen. Dezentrale Leadership basiert somit auf einer positiven Einstellung zu unternehmerischem Denken und Handeln, das primär von der betreffenden Führungsperson ausgeht, daher überall in der diversifizierten Unternehmung entstehen und nicht unmittelbar „von oben“ oktruiert werden kann. Man könnte den dahinter stehenden unternehmerischen Prozess auf dezentraler Unternehmensebene auf zwei Säulen fußend beschreiben, dem unternehmerischen Verhalten an sich sowie dem Willen zu unternehmerischem Verhalten. Die erste Komponente beinhaltet 739 740

Vgl. Meyer/Heppard (2000); Miles et al. (2000), S. 101ff. Vgl. Miles et al. (2000), S. 112.

DEZENTRALES LEADERSHIP

201

Handlungen, die notwendig sind, um ein Konzept oder eine Idee durch die Startphase des unternehmerischen Prozesses hin zur Implementierung zu entwickeln. Die zweite Komponente bezieht sich auf die Bereitschaft des Einzelnen oder der Organisation, neue Geschäftsmöglichkeiten weiterzuverfolgen und die Verantwortung für den daraus resultierenden, kreativen Wandel zu übernehmen.741 Führungsqualitäten und unternehmerisches Gespür sind – wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde – bei der unternehmerischen Führung auf dezentraler Ebene symbiotisch. Im folgenden Kapitel wird dezentrale Leadership anhand von spezifischen Verhaltensweisen und -mustern sowie konkreten Rollen, die im Verlauf des unternehmerischen Engagements zum Tragen kommen, charakterisiert.

4.6

Konkrete Ausprägungen der dezentralen Leadership

4.6.1

STRATEGISCH-UNTERNEHMERISCHES VERHALTEN

Neben den Entscheidungsträgern der Zentrale können insbesondere auch die Akteure in den Tochtergesellschaften von diversifizierten Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Strategieformulierung und -implementierung spielen.742 Führungskräfte in dezentralen Einheiten leiten innovative Projekte, haben u. U. Kontrolle über spezifische Ressourcen, die für das gesamte Unternehmen von Wert sind oder können den Auftrag erhalten, bestimmte Geschäftsfelder oder Märkte exklusiv zu bearbeiten.743 Neben dem letztgenannten von oben induzierten Verhalten („head office assignment“), bei dem die Muttergesellschaft ihren Töchtern bestimmte Rollen im Rahmen der Gesamtstrategie überträgt, kann – so Birkinshaw – auch ein lokaler Markt aufgrund seiner strategischen Bedeutung und des dort herrschenden aggressiven Wettbewerbs dafür ausschlaggebend sein („environmental determinism“), dass eine dezentrale Einheit innerhalb der diversifizierten Unternehmung einen hohen Stellenwert erlangt und unternehmerisches Denken und Handeln von den Führungskräften entscheidend wird.744 Die spezifische Situation einer Tochtergesellschaft kann jedoch auch für die dort tätigen Führungskräfte Anlass sein, Geschäftsmöglichkeiten wahrzunehmen und sich damit auf der Basis der in ihrer Einheit vorhandenen Kompetenzen und Kenntnisse in unternehmerischer Weise zu engagieren. Damit wäre die Rolle der betreffenden dezentralen Einheit nicht mehr fremd-

741 742 743 744

Vgl. Morris/Kuratko (2002). Vgl. Bartlett/Goshal (2000a); Gupta/Govindarajan (1994); Hedlund (1986). Vgl. Bartlett/Goshal (2000a); Gupta/Govindarajan (1994); Roth/Morrison (1992). Vgl. hierzu Goshal/Nohria (1989); Porter (1985); Birkinshaw et al. (1998), S. 222f.

202

KAPITEL 4

bestimmt, sondern von der strategisch-unternehmerischen Entscheidung bzw. der strategischen Wahl745 der lokalen Führungskräfte abhängig („assumed role“).746 Die Frage, warum sich Führungskräfte in einer dezentralen Einheit unternehmerisch verhalten sollen, konnte Delany zumindest ansatzweise beantworten:747 Führende in Tochtergesellschaften scheinen ihren persönlichen Erfolg mit dem Erfolg ihrer dezentralen Einheit zu verknüpfen. Sie gehen i. d. R. davon aus, dass sich die Rolle einer Einheit innerhalb der Gesamtunternehmung im Zeitverlauf ändern kann und dass die positive Entwicklung der Einheit nur dann sichergestellt werden kann, wenn herausragende Leistungen erbracht und damit ein Beitrag zur Wertschöpfung der gesamten Unternehmung geleistet wird.748 Da unternehmerische Initiativen sich aufgrund ihres innovativen Charakters, der mit ihnen einhergehenden Risiken sowie dem dafür notwendigen Grad an Proaktivität unterscheiden, werden je nach Projekt unterschiedliche Anforderungen an eine dezentrale Leadership beweisende Führungsperson gestellt. Die Integration von Führungsfähigkeiten und unternehmerischem Gespür wurde in der Literatur bereits thematisiert749 und soll nachfolgend unter Berücksichtigung der besonderen Situation einer Führungskraft in einer Tochtergesellschaft dargestellt werden. In Anlehnung an Covin & Slevin kann strategisch-unternehmerisches Verhalten anhand der folgenden sechs Kriterien gekennzeichnet werden:750 —

Unternehmerische Kompetenz schaffen

Die Entdeckung und Nutzung wirtschaftlicher Chancen setzt die unternehmerische Fähigkeit voraus, die im Unternehmen vorhandenen Ressourcen aufzuspüren und effizient einzusetzen.751 So argumentieren Birkinshaw & Hood: „[S]ubsidiary evolution is the result of an accumulation or depletion of capabilities over time“.752 Es reicht nicht aus, die Suche und Verwirklichung innovativer Projekte zu propagieren, Führungskräfte müssen Vorbild sein und die für unternehmerische Initiativen notwendigen Human-, Finanz- und sonstige Ressourcen zur Verfügung stellen.753 Dies impliziert, dass unternehmerische Ideen und Initiativen nicht als „Nebeneffekt“ der regulären Geschäftstätigkeit angesehen werden sollten, sondern nur durch aktives Engagement entstehen. Insofern muss es Aufgabe der Führungskräfte vor Ort sein, ei745 746 747 748 749

750 751 752 753

Vgl. Child (1972). Vgl. Birkinshaw (2000); Roth/Morrison (1992). Vgl. Delany (2000), S. 237f. Vgl. ebenda, S. 238. Vgl. Stevenson/Jarillo (1990); Kuratko/Hornsby (1998); Hinterhuber (2003); Gupta et al. (2004); Fernald et al. (2005). Vgl. hier und im Folgenden Covin/Slevin (2002), S. 311ff. Vgl. Miles et al. (2000), S. 112. Birkinshaw/Hood (1998), S. 773ff. Vgl. McGrath/MacMillan (2000), S. 306ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

203

ne unternehmerische Vision für ihre Einheit zu entwickeln, Organisationsmitglieder aller hierarchischen Stufen in strategische Überlegungen einzubeziehen und vorhandene Strukturen wie Systeme so einzusetzen, dass unternehmerische Initiativen entstehen können.754 Alle Mitarbeiter müssen verstehen, welche Rolle die dezentrale Einheit aufgrund ihrer Kompetenzen im gesamten Unternehmen spielt bzw. spielen kann, wie diese Kompetenzen strategisch weiterentwickelt werden können und welche konkreten Maßnahmen dafür notwendig sind.755 Baghai et al. identifizierten vier Arten von Kompetenzen, die Führende in ihren Einheiten entwickeln sollten: Beziehungs-, geschäftsspezifische und Wachstum begünstigende Kompetenzen sowie privilegierte Anlagen.756 Spezifische Beziehungen zu internen und externen Kunden und strategischen Partnern zu knüpfen kann für den nachhaltigen Erfolg von dezentralen Einheiten entscheidend, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Informationen über wirtschaftliche Möglichkeiten.757 Geschäftsspezifische Kompetenzen wiegen vor allem bei der Erweiterung des Verantwortungsbereichs einer Tochtergesellschaft innerhalb der diversifizierten Unternehmung schwer. Kompetenzen, die zu Wachstum führen, sind ebenso wichtig, da sie den nötigen Spielraum schaffen, den eine dezentrale Einheit benötigt, um ohne die Unterstützung Dritter wirtschaftliche Chancen verwirklichen zu können. Schließlich ist die Pflege privilegierter Anlagen, etwa der Zugang oder das Wissen über lokale Märkte, eine unternehmerische Kompetenz758, die sowohl für die Einheit als auch die Gesamtunternehmung Wert schafft. —

Innovative, das bestehende Geschäftsmodell in Frage stellende Projekte schützen

Bisweilen sind Innovationen für ein bestehendes Geschäftsfeld nicht nur von Vorteil, sondern können auch eine Bedrohung darstellen, weil sie das Bestehende in Frage stellen, Macht- und Einflussverhältnisse im Unternehmen zu verschieben drohen oder sogar bestehende Geschäftsfelder obsolet werden lassen. Eine weitere wichtige Aufgabe unternehmerisch orientierter Führungskräfte ist es daher, sicherzustellen, dass die bestehenden Strukturen, Prozesse und Geschäftspraktiken nicht die Flexibilität verhindern, die für die Verwirklichung innovativer Projekte notwendig ist. Gleichzeitig sollten sie bewirken, dass Innovationen als Chance begriffen und auch gegen Widerstände weiterverfolgt werden.759 Die Kunst einer unternehme754 755

756 757

758 759

Vgl. auch Birkinshaw et al. (1998). Vgl. Kuratko/Hornsby (1998). Es ist davon auszugehen, dass sich Strukturen und Prozesse innerhalb der diversifizierten Unternehmung nicht schnell ändern lassen und unternehmerische Initiativen z. T. zunächst innerhalb traditioneller Strukturen entstehen werden. Vgl. hier und im folgenden Baghai et al. (1996), S. 39ff. Diese Fähigkeit wird auch von Ireland et al. (2001) als beabsichtigte, strategisch-unternehmerische Handlung interpretiert, die über die Akquisition von Wissen zu Effizienzsteigerung, den Zugang zu Ressourcen und zu einer Erhöhung der Innovationsfähigkeit führen kann. Vgl. hierzu nochmals Miles et al. (2000). Vgl. hierzu Kanter (1985), S. 47ff.

204

KAPITEL 4

risch agierenden Führungsperson in einer Tochtergesellschaft ist es, allen dort tätigen Akteuren, aber auch in der Unternehmenszentrale die „Last“ der Unsicherheit abzunehmen und eine Balance zwischen struktureller Stabilität und innovationsgetriebenem Wandel herzustellen.760 Während Bower & Christensen vorschlagen, für die erfolgreiche Umsetzung unternehmerischer Innovationen neue Unternehmenseinheiten zu schaffen (sog. Spin-offs),761 könnte gerade eine Tochtergesellschaft Inkubator für ein neues innovatives Geschäftsfeld sein und dazu beitragen, dass die Stabilität des Unternehmensverbundes nicht gefährdet wird. Aufgrund der von unternehmerischen Initiativen ausgehenden Bedrohung für bestehende Geschäftsfelder ist damit zu rechnen, dass unternehmerische Initiativen in dezentralen Einheiten gegen Widerstände ankämpfen müssen, die bei bürokratischer Trägheit im Unternehmen beginnen und bis zu unternehmenspolitisch motivierten Gegenmaßnahmen reichen können. Eine Führungskraft auf dezentraler Ebene sollte per definitionem daher darum bemüht sein, Initiativen zu schützen. Es sollte ihr gelingen, dass eine unternehmerische Initiative nicht als „stand-alone operation“762 im Unternehmensverbund wahrgenommen wird, sondern dass diese vielmehr als logische Erweiterung des bereits bestehenden Portfolios der diversifizierten Unternehmung angesehen wird. Darüber hinaus muss möglicherweise auch mit Widerstand aus anderen dezentralen Einheiten gerechnet werden, die ihre eigene Existenz bedroht sehen oder ebenfalls um Ressourcen für eigene unternehmerische Projekte angesucht haben.763 Die verschiedenen Formen des Widerstands unter Berücksichtigung des Ursprungs der Initiative sowie möglicher Strategien für die Umsetzung von unternehmerischem Engagement sind nachfolgend in Tabelle 17 (Seite 205) dargestellt.

760

761 762 763

Die Kunst, die bestehenden Aktivitäten weiter zu managen und sich dennoch auf die Suche nach Neuem zu begeben, d. h. unternehmerische und klassisch-betriebwirtschaftliche Aktivitäten in Einklang zu bringen, und nicht die vage definierten und damit unsicheren unternehmerischen Initiativen durch klar definierte, betriebswirtschaftliche Überlegungen im Keim zu ersticken (vgl. hierzu Hedlund/Ridderstråle (1997)), ist Kennzeichen unternehmerisch-orientierter Führungskräfte aller Unternehmenseinheiten. Vgl. Bower/Christensen (1995), S. 43ff. Birkinshaw (2000), S. 128. ebenda.

DEZENTRALES LEADERSHIP

205

Interne unternehmerische Initiative Art der Entscheidung

Art der Gegenargumentation

Ausprägungen des organisationalen Widerstands

 Zentralisierte Entscheidung über Ressourcenallokation

 Dezentralisierte Entscheidung über Ressourcenallokation

 Ressourcenallokation als kritischer Faktor

 Externe Marktakzeptanz und organisationale Legitimation entscheidend

 Marktakzeptanz und organisationale Legitimation sekundär  Ablehnung, Verzögerung und Verlangen von weiteren Nachweisen für Erfolgspotenziale durch Zentrale  Lobbying von und Konkurrenz mit anderen Einheiten  Nachdruck bei Promotion des Projektes

Strategische Maßnahmen durch dezentrale Leadership

Tabelle 17:

Externe unternehmerische Initiative

 Nutzen persönlicher Beziehungen zu Entscheidungsträgern in der Zentrale, um Widerstand zu umgehen  Vermeidung von Konflikten mit anderen Einheiten

 Ressourcenallokation sekundär  Fehlende Legitimität in anderen Einheiten  Lobbying von und Konkurrenz mit anderen Einheiten  Frühzeitige Suche nach Marktakzeptanz für das Projekt  Vermeidung möglicher Angriffe zu Beginn der Initiative  Nutzen der erwiesenen Marktakzeptanz als Mittel gegen Einwände anderer Einheiten

Prozesse bei unternehmerischen Initiativen Quelle: Birkinshaw (2000), S. 47; Birkinshaw/Fry (1998), S. 51ff.



Sinn und Bedeutung wirtschaftlicher Möglichkeiten für das Unternehmen greifbar machen

Eine weitere Ausprägung unternehmerischen Verhaltens ist die Suche und das Erkennen wirtschaftlicher Möglichkeiten. Ihren Sinn bzw. ihre Bedeutung greifbar zu machen, setzen einerseits die Sensibilisierung eines Individuums sowie andererseits seine positive Einstellung und subjektiv wahrgenommene Fähigkeit voraus, wirtschaftliche Opportunitäten zum Erfolg bringen zu können.764 Um selbst aus der Fülle potenzieller wirtschaftlicher Chancen jene zu erkennen, die im Sinne der Gesamtstrategie des Unternehmens sind, und diese dann auch für alle anderen Organisationsmitglieder zu plausibilisieren, müssen Führungskräfte in Töchtern in engem Austausch mit der Zentrale stehen, um die Gesamtstrategie der diversifizierten Unternehmung verinnerlichen und diese auch den eigenen Mitarbeitern klar kommunizieren zu können. Schließlich werden nur jene wirtschaftlichen Möglichkeiten das Potenzial zu nach-

764

Wie auch Stevenson/Jarillo (1990), S. 24 bestätigen.

206

KAPITEL 4

haltigem Erfolg haben, die mit der Gesamtstrategie vereinbar sind.765 Um sicherzustellen, dass allen Mitgliedern einer dezentralen Einheit bei der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten die übergeordneten Unternehmensziele bekannt sind und sie diese nicht aus dem Augen verlieren, schlagen Covin & Slevin vor, die Tätigkeitsfelder der Mitarbeiter und Führungskräfte so zu definieren, dass die Grenzen klar aufzeigt und dennoch genug Raum gelassen wird, um auf der Basis der Kernkompetenzen über die bestehenden Produkte und Dienstleistungen hinaus Innovationen zu entwickeln. Als eine weitere Möglichkeit, den Blick für Opportunitäten zu schärfen, könnte die Frage nach neuen Absatzmöglichkeiten für bestehende Produkte oder nach neuen Anwendungsbereichen für die vorhandenen Technologien gestellt werden. Schließlich werden wirtschaftliche Chancen u. U. auch dadurch besser wahrgenommen, dass Zukunftsszenarien entwickelt werden, welche die Organisationsmitglieder sensibilisieren. Um der Suche nach Geschäftsmöglichkeiten Sinn zu verleihen, ist eine gute Integration und Positionierung der Führungskräfte auf dezentraler Ebene im Unternehmensnetzwerk bedeutsam, da es ihnen die Möglichkeit bietet, von potentiellen, für die Umsetzung innovativer Ideen notwendigem Wissen und spezifischen Ressourcen rechtzeitig zu erfahren. Unternehmerisch denkende Individuen sind letztlich dadurch charakterisiert, dass sie sich zur Verwirklichung von Chancen entschließen, selbst wenn zu dem betreffenden Zeitpunkt nicht klar ist, ob die dafür benötigten Ressourcen verfügbar sind. Aus diesem Grund ist eine gute Vernetzung entscheidend, um sich ggf. Zugang zu Ressourcen verschaffen zu können. Persönliche Kontakte und die Reputation einer lokal tätigen Führungsperson haben dabei eine ebenso wichtige Funktion, wenn unternehmerische und damit zumeist risikobehaftete Aktivitäten Unterstützung in der Zentrale finden sollen.766 —

Die herrschende Logik hinterfragen

Das herrschende Verständnis über das externe Umfeld sowie das interne Umfeld zu kennen und dennoch zu hinterfragen, ist eine weitere Forderung an unternehmerische Führungskräfte. Informationen müssen kontinuierlich gesammelt und ausgewertet werden, um neue Impulse für Produktideen und Prozessinnovationen zu erhalten. Diese dynamische „dominant logic“767 stellt ein unternehmerisches, proaktives Unterfangen dar, das die altbewährten Wettbewerbsregeln nicht als gegeben und unveränderlich betrachtet, sondern als wandelbar begreift.768 Die

765

766 767 768

Birkinshaw (2000), S. 126 stellt im Hinblick auf unternehmerische Initiativen fest: „The first key success factor is simply the identification of a potentially viable opportunity, that is, one that is ‘do-able’ and consistent with the corporation strategic priorities.“ Vgl. ebenda. Prahalad/Bettis (1986). Vgl. hierzu auch Kim/Mauborgne (1999), S. 83ff.; Markides (1998), S. 31ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

207

Dynamik des lokalen Wettbewerbsumfeldes ist dabei determiniert durch die Qualität und das Ausmaß der Interaktionen mit anderen Wettbewerbsakteuren, wie sie im Rahmen von Porters Überlegungen bereits im zweiten Kapitel diskutiert wurden.769 Das externe Umfeld bietet dabei Stimuli für die Entwicklung innovativer Ideen und neuer Kompetenzen in der dezentralen Einheit, beispielsweise durch die aggressiven Aktionen anderer Wettbewerber, sich verändernde Kundenbedürfnisse und technologische Standards, Handlungen nationaler Regierungen (i. e. Protektionismus, Deregulierung, gesetzliche Bestimmungen) oder Kostenvorteile eines Standortes im Vergleich zu anderen Standorten.770 All diese Umweltfaktoren, mit denen sich Führungskräfte in ihrer Geschäftstätigkeit konfrontiert sehen, können zusammenfassend als Umweltdynamik, -feindlichkeit und -komplexität subsumiert werden.771 Die Kunst der dezentralen Leadership liegt darin, die veränderten Bedingungen nicht mehr mit den traditionellen Herangehensweisen bzw. der herrschenden Managementlogik zu begegnen, sondern neue, flexible und innovative Methoden und Wege zu beschreiten. —

Sinn und Zweck des Unternehmens immer wieder neu ergründen

Der Kern des strategischen Managements ist die Frage nach der Daseinsberechtigung des Unternehmens, der Art der Geschäftstätigkeit oder der Zukunft des Unternehmens. Alle Organisationsmitglieder müssen verstehen, was das Unternehmen ausmacht, warum es besteht.772 Die Formulierung, die Kommunikation und das Verstehen einer Vision sind daher nicht nur für die gesamte diversifizierte Unternehmung entscheidend, sondern sollten auch für eine Tochtergesellschaft entwickelt werden. Gerade in Zeiten dynamischer und aggressiver Wettbewerbsbedingungen gibt sie die Richtung vor und dient als Orientierungshilfe. „It is about seeing what is not there“773, wie McFadzean et al. feststellen. Führungskräfte in Tochtergesellschaften sollten eine Vision entwickeln, aus der sich dann auch ihr unternehmerischstrategisches Handeln ableiten lässt. So können für die dezentrale Einheit spezifische Ressourcen entwickelt werden, welche die Voraussetzung für unternehmerische Initiativen schaffen. Daraus kann sich dann die Verantwortung für Produktion, Produktentwicklung oder Vermarktung ergeben, die letztlich auch die Bekanntheit und Rolle der dezentralen Einheit innerhalb des Unternehmensverbunds steigert.774

769 770 771 772 773 774

Vgl. Porter (1990b). Vgl. Birkinshaw (2000), S. 95f. Vgl. Zahra et al. (2000). Vgl. Roberts (1984). McFadzean et al. (2005), S. 366 in Anlehnung an Carland et al. (1996). Vgl. Birkinshaw et al. (1998), S. 223 sowie Crookell (1986), S. 102ff.

208

KAPITEL 4

Spezifische Spezifische Ressourcen Ressourcen Vision Vision der der dezentraler dezentraler Leader Leader

Autonomes Autonomes unternehmerischunternehmerischstrategisches strategisches Verhalten Verhalten der der dezentralen dezentralen Leader Leader

Interne Interne Bedingungen Bedingungen

Dezentrale Dezentrale unternehmerische unternehmerische Initiative Initiative

Steigerung Steigerung der der (internationalen) (internationalen) Verantwortung Verantwortung

Erhöhte Erhöhte Sichtbarkeit Sichtbarkeit innerhalb innerhalb der der Organisation Organisation

Wirtschaftliche Wirtschaftliche Möglichkeiten Möglichkeiten

Abbildung 31: Unternehmerisches Verhalten in dezentralen Einheiten Quelle: verändert nach Birkinshaw et al. (1998), S. 224.

Nach Miles et al. sind in der strategischen Vision der Umfang der unternehmerischen Anstrengungen sowie die Prozesse definiert, die zur Erreichung der Ziele notwendig sind.775 Bezug nehmend auf den Umfang und die Richtung des unternehmerischen Engagements sollte aus der Vision deutlich hervorgehen, ob Innovationen primär ergebnis- oder prozessorientiert sein sollen. Beides ist nur schwer möglich. Es sollte deshalb klar definiert werden, ob innovative Produkte und Dienstleistungen durch unternehmerische Initiativen entstehen sollen oder ob das Engagement auf Prozessoptimierung ausgerichtet werden soll. Darüber hinaus sollten sich Manager in ihrer Vision deutlich für unternehmerisches Engagement aussprechen und durch ihr eigenes Handeln die Mitarbeiter dazu ermutigen. —

Unternehmerisches Engagement und Geschäftsstrategien miteinander verbinden

Die Integration unternehmerischer Prozesse und strategischer Überlegungen ist entscheidend, wenn eine langfristige und nachhaltige Wertsteigerung angestrebt wird. Innovationen können geplant werden oder zufällig entstehen.776 Sie sind dann entweder ohnehin in Einklang mit den strategischen Vorgaben oder müssen ex-post den Strategien angepasst werden, d. h. die bestehenden Strategien müssen ggf. verändert werden. Darüber hinaus werden Führungskräfte in Tochtergesellschaften unternehmerische Aktivitäten mit bestimmten Absichten verbinden, etwa um Ressourcenknappheit zu überwinden, die Ressourcen ihrer Einheit aufzuwerten, in neuer Weise einzusetzen und damit letztlich den Verantwortungsbereich ihrer Einheit auszuweiten.777 Emergente innovative Projekte haben großes Wertschöpfungspotenzial, allerdings werden sie nur dann nachhaltig sein, wenn sie mit der Gesamtunternehmensstrategie in Ein-

775 776

777

Vgl. hier und im Folgenden Miles et al. (2000), S. 103. Vgl. Burgelman (1984), der hierin zwischen geplanten und emergenten unternehmerischen Prozessen unterscheidet. Vgl. Birkinshaw (2000), S. 8; Birkinshaw et al. (2005), S. 233.

DEZENTRALES LEADERSHIP

209

klang gebracht werden können.778 Dies fordert Führungspersönlichkeiten, die dazu beizutragen, dass Organisationsstrukturen und -systeme sowie Finanzierungsmöglichkeiten flexibilisiert werden. Dadurch wird unternehmerisches Engagement unterstützt, und die sich daraus möglicherweise ergebenden, negativen Effekte für den Einzelnen werden abgemildert.779 Trotz hierarchischer Strukturen, die nur mit der Zeit verändert werden können, kann es durch dezentrale Leadership gelingen, das Denken zu verändern und professionelle Rollen zu überdenken. Die dargestellten grundlegenden Verhaltensprämissen können noch weiter konkretisiert werden, indem die spezifischen Aufgaben im Rahmen von dezentraler Leadership in Relation zu den Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter gesetzt werden.

4.6.2

SPEZIFISCHE FÜHRUNGSROLLEN UND KONKRETE AUFGABEN EINER FÜHRUNGSKRAFT AUF DEZENTRALER EBENE

Die Komplexität des dezentralen Leadership-Ansatzes zeigt sich anhand der verschiedenen Führungsrollen, -aufgaben und -kompetenzen. Eine unternehmerische Kompetenz wird dabei als erlernbar angesehen, die grundsätzlich in jedem Individuum gefördert werden kann.780 Wie schon im dritten Kapitel aus den Führungsaufgaben in Mutter- und Tochtergesellschaften hervorging, sind Führungskräfte, die dezentrale Leadership leben, sowohl systembildend als auch integrierend und innovativ-unternehmerisch tätig. Sie sind idealtypischerweise in strategische Entscheidungsfindungsprozesse eingebunden und haben die Funktion des Vermittlers zwischen über- und untergeordneten Führungsebenen. Zudem sollten sie auf Chancen und Bedrohungen im in- und externen Umfeld unternehmerisch reagieren. Allerdings werden sie erst dann beginnen, unternehmerisch zu handeln, wenn ihr Spielraum bei strategischen Entscheidungen oder bei der Allokation von Ressourcen erweitert wird.781 Vor diesem Hintergrund sollen zehn strategische Führungskompetenzen auf ihre Bedeutung für dezentrales Führung beleuchtet werden. Dabei ist zu beachten, dass die verschiedenen persönlichen Kompetenzen sich in Relation zur Unternehmensstrategie, der zeitlichen Dimension, den zentralen Werten sowie der Art und dem Umfang von Informationen, die für die Umsetzung unternehmerischen Engagements relevant sind, unterscheiden.

778

779 780 781

Delany (2000), S. 238 stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Einheiten, die mit ihren Aktivitäten nicht in die Kerngeschäftsfelder der Gesamtunternehmung integriert sind, nur schwerlich langfristige Investitionen erwarten können und damit Gefahr laufen, irgendwann geschlossen oder veräußert zu werden. Vgl. Stevenson/Jarillo (1990), S. 24; Covin/Slevin (2002), S. 319. Vgl. Drucker (1985a), S. 55; Stevenson/Jarillo (1990), S. 23; Süssmuth Dyckerhoff (1995), S. 53f. Vgl. Taylor (2001), S. 129.

210

KAPITEL 4

Persönliche, strategische Führungskompetenz

Konkrete Führungsaufgaben

Bedeutung für dezentrale Leader

Entscheidungsfindung und Systembildung (Aufgaben oberer Führungsebenen) Ratifizieren M

 Strategische Pläne formulieren  Kontrollieren  Unterstützen

hoch

Erkennen N

 Strategisches Potenzial erkennen  Strategische Richtung vorgeben  Empowerment

hoch

Führen O

 Planen  Ressourcen zur Verfügung stellen  Konkrete Anweisungen geben

hoch

Integration (Aufgaben mittlerer Führungsebenen) Sich einsetzen P

 Unternehmerische Projekte entwickeln  Sich für Projekte einsetzen  Projekte präsentieren

sehr hoch

Aufbauen und Entwickeln Q

 Herausforderungen identifizieren  Informationen über Herausforderungen an Letztentscheidungsträger weiterleiten  Strategische und operative Informationen integrieren  Weiterentwicklung

sehr hoch

Fördern und Unterstützen R

   

sehr hoch

Implementieren S

 Implementierung  Adjustierung und Kontrolle  Motivation und Inspiration

Anpassung fördern Informationen weiterleiten Anpassung leiten Lernprozesse in Gang setzen

sehr hoch

Aktion und Reaktion (Aufgaben unterer Führungsebenen)

Experimentieren T

   

Lernen und verbessern Fähigkeiten verknüpfen Initiative ergreifen Experimentieren und Risiken eingehen

hoch

Anpassen U

 Antworten auf Herausforderungen und wirtschaftliche Chancen finden

hoch

Konform bleiben V

 „Ein guter Soldat sein“  Dem System folgen

hoch

Tabelle 18:

Strategische Rollen und ihre Bedeutung für die dezentrale Leadership Quelle: in Anlehnung an Floyd/Lane (2000), S. 159f.

DEZENTRALES LEADERSHIP

211

In Tabelle 18 (Seite 210) werden die verschiedenen idealtypischen persönlichen Führungskompetenzen und die abgeleiteten Aufgaben sowie ihre Relevanz für das Handeln von Führenden auf dezentraler Ebene im Kontext der diversifizierten Unternehmung dargestellt. Definition und Entwicklung der Kompetenzen eines Unternehmens gehen i. d. R. auf Entscheidungen zurück, die von Akteuren/ Mitarbeitern getroffen werden, welche eine große Nähe zu Märkten besitzen und mit neuen Lösungen für aufkommende Probleme und Herausforderungen experimentieren (T). Derartige unternehmerische Möglichkeiten entstehen einerseits innerhalb des Unternehmensnetzwerks beispielsweise dadurch, dass Aktivitäten anderer dezentraler Einheiten von einer Tochtergesellschaft besser oder effizienter erledigt werden können, oder indem von zentraler Stelle Investitionen geplant sind, um die sich ein Manager mit seiner Einheit bewerben kann. Andererseits entwickeln sich aus dem Zusammenspiel mit Kunden, Zulieferern oder Wettbewerbern Möglichkeiten außerhalb der Unternehmensgrenzen auf lokalen und globalen Märkten. Denkbar ist, dass die Führungskraft in der Tochtergesellschaft selbst eine Chance erkennt oder aber ihre Mitarbeiter unternehmerisches Geschick beweisen. Die sich aus den Möglichkeiten ergebenden, innovativen Projekte werden dann von Akteuren der nächsten Hierarchieebene basierend auf ihrer Kenntnis der strategischen Ziele des Unternehmens bewertet. Dies ist in jedem Fall die Aufgabe einer Führungskraft in der Tochtergesellschaft, die entweder Initiativen ihrer Mitarbeiter oder ihre eigenen Ideen im Lichte der übergeordneten Ziele bewerten muss, um die erfolgversprechendsten Initiativen herauszufiltern und sich für diese bei den Letztentscheidungsträgern in der Unternehmenszentrale stark zu machen (P). Je nachdem, ob es sich um externe oder interne Initiativen handelt, wird die Führungskraft das Top-Management erst dann über das Projekt informieren, wenn dieses sich in einem bereits markttauglichen Stadium befindet, oder aber – wie im Fall interner Initiativen – das innovative Projekt möglichst schnell bei strategischen Partnern vorstellen, um deren Unterstützung zu erhalten. Aufgrund der finalen Entscheidungsverantwortung innerhalb seiner Einheit trifft die Kompetenz des „Ratifizierens“ – wenn auch nicht primär – auch auf die Führungsperson einer dezentralen Einheit zu. Sie überwacht den Entwicklungsprozess des unternehmerischen Projektes und unterstützt es durch die Bereitstellung von Ressourcen. Da diese i. d. R. bei größeren Projekten den Handlungsspielraum der Führungskräfte vor Ort übersteigen, kommt diese Rolle dennoch in erster Linie den Letztentscheidungsträgern der Zentrale zu, die über das Potenzial einer dezentralen unternehmerischen Initiative und den dafür benötigten Einsatz von Unternehmensressourcen entscheiden. Von ihrem Urteil hängt ab, ob eine neue Kompetenz, welche die dezentrale Einheit durch die Ausnutzung der Chance erringt, für die künftigen Herausforderungen des wirtschaftlichen Umfeldes entscheidend ist, in die strategischen Ziele passt oder ob die bestehenden Strategien ggf. geändert werden müssen (M).

212

KAPITEL 4

Der Prozess der Kompetenzmodifikation schließt sich unmittelbar an die Auswahl und Bestätigung der relevanten Kompetenzen durch die Akteure der obersten Managementebene an. Aufgrund ihrer Kompetenzen hat eine Einheit innerhalb der diversifizierten Unternehmung eine bestimmte Rolle („charter“782) zu erfüllen, wobei sich sowohl die Kompetenzen als auch die Rolle im Zeitverlauf verändern können. Die Veränderung der Kompetenzen der Einheit kann dabei durch Veränderungen des Wettbewerbsumfelds, der Übertragung von Verantwortung durch die Zentrale oder der autonomen Initiative einer Führungskraft hervorgerufen werden. Damit sind die operativ agierenden Führungskräfte und Mitarbeiter gezwungen, ihr Handeln entsprechend anzupassen (U). Die Akteure auf der nächsten Hierarchieebene sind im Anschluss daran gefordert, die formalen Mechanismen und Prozesse so auszurichten, dass die Organisation flexibel genug ist, um auf Chancen und Probleme angemessen reagieren zu können (R). Ist die Notwendigkeit nach Veränderung der bestehenden Strategien, Strukturen und Systeme nachhaltig, sind die hier involvierten Akteure gefordert, den Letztentscheidungsträgern alle relevanten Informationen über die Veränderung der Kompetenzbasis bereitzustellen (Q), damit diese erkennen können, ob die betreffende Situation strukturelle Veränderungen oder einen signifikanten strategischen Wandel verlangt (N). Letztlich geht es bei der Modifikation von Kompetenzen einer dezentralen Einheit um ihre Entwicklung. Neue Fähigkeiten müssen von den Führungskräften vor Ort innerhalb des Unternehmensverbunds öffentlich gemacht werden, damit sich aus der Kompetenzentwicklung auch eine nachhaltige Erweiterung des Verantwortungsbereichs ergibt.783 Die Möglichkeit des Einsatzes bzw. der Nutzung der spezifischen Fähigkeiten einer dezentralen Einheit beginnt bei den Letztentscheidungsträgern, die über die Allokation der Ressourcen und im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen entscheiden, um bestimmte Strategien verwirklichen zu können (O). Sobald die Zustimmung der oberen Führungsebene vorliegt, können das mittlere Management und damit die Führungskräfte in den Tochtergesellschaften damit beginnen, die für die Implementierung der Strategie notwendigen Strukturen, Systeme und Humanressourcen zusammenzubringen (S). Schließlich müssen die unteren Führungskräfte sicherstellen, dass die operativen Maßnahmen und Praktiken mit der strategischen Ausrichtung im Einklang sind (V). Abbildung 32 auf der folgenden Seite 213 zeigt den von Kuratko et al. konzipierten unternehmerischen Prozess und die damit einhergehende Verpflichtung der Führungskräfte auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen eines etablierten Unternehmens. Auf die Wirkungen des

782

783

Unter „charter“ verstehen Galunic/Eisenhardt (1996) sowie Birkinshaw (2000) ein Geschäftsfeld, einen Markt oder Technologien, für die eine dezentrale Einheit Verantwortung besitzt. Vgl. Birkinshaw (2000), S. 97.

DEZENTRALES LEADERSHIP

213

unternehmerischen Engagements wird an dieser Stelle noch nicht eingegangen, da sie in Kapitel 4.9 thematisiert werden.

Individueller Vergleich

Organisationale Voraussetzungen: ƒ Top Management

Externe Veränderungsimpulse: ƒ Intensiver Intensiver Wettbewerb ƒ Schnelle technologische Entwicklungen ƒ Kürzere Produktlebenszyklen

Durchführung einer CE-Strategie: ƒ Streben nach Wettbewerbsvorteilen durch Commitment und unternehmerisches Verhalten

–– Entscheidungsverantwortung –– Unternehmerisches Denken –– Unternehmenskultur –– Governance Mechanismen Mechanismen

ƒ Mittleres Management n

Unternehmerisches Verhalten: ƒ Top Management –– –– ––

–– Top ManagementUnterstützung Unterstützung –– Verfügbarkeit o Verfügbarkeit von von Zeit Zeit –– Autonomie –– Effektive Effektive Verstärkung Verstärkung

ƒ Unteres Management –– Unternehmerisches Training Training –– Freie Freie ArbeitsArbeitsgestaltung gestaltung –– Unternehmenskultur –– Teambildungsfähigkeiten

Bestätigung Bestätigung Erkennen Erkennen Führung Führung

ƒ Mittleres Management –– –– –– ––

Einsatz Einsatz Aufbau Aufbau Unterstützung Unterstützung Implementierung Implementierung

ƒ Unteres Management –– Experimentieren Experimentieren –– Adjustierung Adjustierung –– Bestätigung Bestätigung

n Existenz o Wahrnehmung

Unternehmensvergleich

Führungsbezogene Effekte Effekte / Konsequenzen: ƒ Effektives untern. Verhalten –– Beitrag Beitrag zur zur StrategieStrategieimplementierung implementierung –– Erweiterung Erweiterung der der Fähigkeiten Fähigkeiten –– Stärkere Stärkere Verbindung Verbindung zu zu Kernkompetenzen Kernkompetenzen –– Bonus Bonus –– Gehaltssteigerungen Gehaltssteigerungen –– Promotion/Förderung Promotion/Förderung –– Anerkennung Anerkennung

ƒ Ineffektives unternehmerisches Verhalten –– Ungenügender Ungenügender Beitrag Beitrag zur zur Strategieimplementierung Strategieimplementierung –– Training Training und Entwicklung Entwicklung

Organisationale Effekte / Konsequenzen ƒ Strategische Erneuerung ƒ Entstehung neuer Einheiten Einheiten ƒ Reputation ƒ Entwicklung von Kernkompetenzen ƒ Effektive Strategieanpassung ƒ Wissenszuwachs ƒ Erhöhung des innovativen Verhaltens ƒ Steigerung der Innovationen –– Finanzielle Finanzielle Leistungssteigerung steigerung –– Erhöhung Erhöhung der der Marktanteile Marktanteile –– Reputation Reputation

Abbildung 32: Der unternehmerische Prozess in Unternehmen mit Fokus auf die Führenden Quelle: Kuratko et al. (2004), S. 12.

Nicht alle Führungskräfte in Tochtergesellschaften sind in der Lage, auf strategische Entscheidungen maßgeblich einzuwirken, da Faktoren wie die Art der Tätigkeit, das externe Wettbewerbsumfeld, die internen Gegebenheiten oder die Führungsperson selbst für unternehmerisch-strategisches Verhalten hinderlich sein können. Welche Voraussetzungen prinzipiell gegeben sein müssen, damit Führungskräfte dezentrale Leadership zeigen können, wird im folgenden Kapitel thematisiert werden.

4.7

Voraussetzungen für dezentrale Leadership

Die Voraussetzungen für unternehmerisches Verhalten in Tochtergesellschaften etablierter Unternehmen sind vielfältig, jedoch spielt – so die zentrale Annahme dieser Arbeit – in erster Linie kreatives und innovatives Führungsverhalten für die nachhaltige Entwicklung einer Einheit bzw. des gesamten Unternehmens die entscheidende Rolle, und zwar unabhängig davon, welche Ziele mit der Etablierung unternehmerischen Verhaltens verfolgt werden. Noch immer fehlt theoretisches und empirisches Wissen über die Voraussetzungen von unternehmerischem Verhalten in bestehenden Unternehmen allgemein und speziell im Hinblick auf

214

KAPITEL 4

die unternehmerische Führung in dezentralen Einheiten.784 So stellen Morris et al. fest: „[The] willingness to push an entrepreneurial concept from conceptualization to implementation is strongly influenced by the development of inside and outside the organization.“785 Die Akzentuierung des Individuums sowie seines unternehmerischen Denkens und Handelns im Kontext von internen und externen Umwelten erlaubt ein umfassenderes Verständnis dieses komplexen Verhaltens auf der Ebene dezentraler Unternehmenseinheiten.786 Neben den Fragen, wie unternehmerisches Verhalten entsteht und welche Effekte es nach sich zieht, ist vor allem entscheidend, warum Individuen unternehmerisch handeln.787 Die Antezedenzien für dezentrale Führung in Tochtergesellschaften werden deshalb in drei Kategorien gegliedert. Da im zweiten Kapitel der situative und organisationale Kontext bereits ausführlich diskutiert und damit die Voraussetzungen schon thematisiert wurden, konzentrieren sich die folgenden Überlegungen primär auf persönlichkeitsbezogene Voraussetzungen. Allerdings wird der Vollständigkeit halber nochmals kurz auf die „internal and external competitive arena“788 Bezug genommen.

4.7.1

PERSÖNLICHKEITSBEZOGENE VORAUSSETZUNGEN The commitment of leadership to developing and sustaining corporate entrepreneurship, […] has the potential to help transform organizations and unleash talent. Allen R. Cohen

Wenngleich eine unternehmerische Person in einem spezifischen Umfeld agiert, das wirtschaftliche Chancen bietet und auf unternehmerisches Denken und Handeln förderlich (oder hemmend) wirkt, geht unternehmerisches Verhalten doch primär auf das Individuum und seine Charakteristika (Persönlichkeit, Hintergrund, Fähigkeiten etc.) zurück.789 Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Damanpour, der neben knappen Ressourcen die fachliche Spezialisierung und eine positive Einstellung der Führungsperson als Voraussetzungen für unternehmerische Aktivitäten darstellt.790 Nachfolgend werden einige persönlichkeitsbezogene

784 785 786 787 788 789

790

Vgl. Kuratko et al. (2004) S. 8. Morris et al. (2000), S. 142. Vgl. hierzu Baum et al. (2001), S. 292ff. Vgl. Stevenson/Jarillo (1990), S. 18ff. Birkinshaw et al. (2005). Vgl. Stevenson/Jarillo (1990) S. 21 sowie Morris (1998), S. 75f. Auch Mischel (1968) hatte festgestellt, dass Verhalten ein dynamischer Prozess ist, der aus der Interaktion zwischen Person und Situation resultiert. Cooper et al. (1986) stellen ein Einflussverhältnis zwischen der Person, dem situativen Kontext und den unternehmerischen Prozessen dar. Vgl. Damanpour (1991), S. 355ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

215

Voraussetzungen aufgezeigt, die für die Entstehung von dezentraler Leadership bedeutsam sind.

4.7.1.1

Die Identifikation mit der eigenen Unternehmenseinheit

Identifikation ist als eine personenbezogene Grundmotivation zu sehen.791 Die Bereitschaft, unternehmerische Anstrengungen über die normalen Arbeitsanforderungen hinaus auf sich zu nehmen, setzt zunächst voraus, dass sich Führungskräfte mit ihrer Organisation bzw. der Tochtergesellschaft identifizieren und sich verbunden fühlen.792 „Organizational Citizenship“793, verstanden als Ausdruck hohen Commitments und großer Loyalität zum Unternehmen, unterstützt unternehmerisches Verhalten, indem ein überdurchschnittliches Problemund Verantwortungsbewusstsein entwickelt wird.794 Je bedeutender die Kompetenzen einer dezentralen Einheit oder je wichtiger ein lokaler Markt dabei für das Gesamtunternehmen sind, desto größer sind die Identifikation und das Commitment der Organisationsmitglieder mit der Einheit, an welche sie letztlich psychologisch ebenso stark gebunden sein können wie an die Mutterunternehmung selbst.795 Es wird deutlich, dass der Kontext, in dem der unternehmerische Prozess stattfindet, einen hohen Stellenwert besitzt, wenngleich das zentrale Element dieses Prozesses nach wie vor das Individuum bleibt. Seine Grundeinstellungen sind für unternehmerische Initiativen von elementarer Bedeutung.

4.7.1.2

Unternehmerische Kompetenzen, fachliches Know-how und Erfahrung

Führungskräfte interagieren in hohem Maße mit ihren Mitarbeitern, um an deren Wissen über Märkte und Kunden partizipieren zu können. Voraussetzung dafür ist technisches bzw. fachliches Wissen, welches die Führungsperson dazu befähigt, den Prozess der Identifikation, Entwicklung und Nutzung von Kompetenzen und Know-how innerhalb der dezentralen Einheit zu verstehen. Darüber hinaus sollte sie die strategischen Ziele sowie den politischen Kontext der diversifizierten Unternehmung verstehen, um mit den relevanten Akteuren innerhalb ihrer Einheit, aber auch innerhalb des Unternehmensverbunds und insbesondere in der Zentrale effektiv zusammenarbeiten zu können und auch Zugang zu deren Wissen zu erhalten. Führungskräfte in Tochtergesellschaften sollten motiviert sein, herausragende Leistungen zu erbringen und sich Herausforderungen zu stellen, welche sich ergeben können, wenn bei der

791 792 793 794 795

Vgl. Wunderer (2001a), S. 199. Vgl. Reade (2001), S. 409. Vgl. Moormann (1991); Smith et al. (1983). Vgl. Bovens (1998). Vgl. Becker (1992); Reade (2001), S. 419.

216

KAPITEL 4

Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten ggf. bestehende Geschäftspraktiken in Frage zu stellen sind.796 Die Überzeugung, Veränderungen herbeiführen zu können („internal locus of control“) birgt ein gewisses Risiko, das Führungskräfte in dezentralen Einheiten nur dann eingehen werden, wenn für sie klar ist, dass die Initiative auch wirtschaftlich attraktiv ist und letztere weder ihre persönlichen Möglichkeiten noch die Möglichkeiten ihrer Einheit oder der gesamten diversifizierten Unternehmung übersteigt. Unternehmerische Führungspersonen verhalten sich im Idealfall proaktiv und versuchen, unternehmerische Ideen nicht nur zu entwickeln, sondern auch umzusetzen. Dazu müssen sie die Fähigkeit besitzen, relevante Akteure aus der eigenen Einheit, aber auch darüber hinaus für das innovative Projekt zu gewinnen, indem sie nicht zuletzt die innovativen Projekten inhärente Unsicherheit für die beteiligten Akteure verringern. Führungskräfte in Tochtergesellschaften müssen wie alle unternehmerisch handelnden Individuen Veränderung und Innovation als unternehmerisches Ziel definieren und davon überzeugt sein, dass die Ziele auch erreicht werden können.797 Je größer und positiver dabei ihre Erfahrungen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich nachhaltig unternehmerisch verhalten. Diese Überlegungen decken sich mit den drei Schlüsselkompetenzen, die Wunderer für unternehmerisches Verhalten als notwendig erachtet:798 —

die kognitive Gestaltungskompetenz als Begabung und Motivation zu innovativgestalterischer Aktivität im Sinne der strategischen Organisationsziele,



die reflexionsorientierte und aktionsgesteuerte Handlungsbefähigung und -motivation zur effizienten Verwirklichung innovativer Problemlösungen sowie



die Sozialkompetenz verstanden als kooperative und autonome Disposition zur Beziehungsgestaltung und Integration.

4.7.1.3

Individuelle Einstellung und Absicht zu dezentraler Leadership

Unternehmerische Ideen beginnen mit einer gewissen Inspiration, um jedoch wirklich greifbar zu werden, bedürfen sie nachhaltiger Aufmerksamkeit und konkreter Absichten.799 Krueger et al. interpretieren Unternehmertum bzw. unternehmerisches Engagement als intendiertes, geplantes Verhalten.800 Gilat & Levine stellen fest, dass Individuen unternehmerische Ambitio796

797 798 799 800

Vgl. hier und im weiteren Verlauf die fünf zentralen Charakteristika unternehmerischer Individuen nach McGrath/MacMillan (2000), S. 2f. Diese Aussagen unterstützen auch Kuratko/Hodgetts (2001). Vgl. Wunderer (2006); Wunderer (2007), S. 61ff. Vgl. Bird (1988), S. 442. Vgl. Krueger/Carsrud (1993), S. 315 sowie Krueger/Reilly (2000), S. 413, die unternehmerisches Engagement im Kontext der Gründung neuer Unternehmen thematisieren, wobei in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen wird, dass ihre Überlegungen auch auf unternehmerisches Verhalten im Kontext bereits etab-

DEZENTRALES LEADERSHIP

217

nen entwickeln, wenn sie situative Faktoren als negativ betrachten oder den Wunsch verspüren, potenziell profitable Geschäftsmöglichkeiten auszuschöpfen.801 Die Absicht, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten, erlaubt letztlich auch bei besseres Verständnis über das Verhalten an sich.802 Unternehmerisches Verhalten allgemein – daher auch jenes in Tochtergesellschaften – kann weder durch Einstellungen allein noch durch exogene, situationsbezogene oder individuelle Faktoren bestimmt oder erklärt werden.803 Exogene Einflussvariablen betreffen Absichten und Verhalten indirekt durch die Veränderung von relevanten Einstellungen, wobei eine konkrete Absicht und die ihr zugrunde liegenden Einstellungen auf Wahrnehmungen basieren und als solche grundsätzlich erlernbar sind.804 Darauf wird im fünften Kapitel eingegangen. Mit Blick auf die unternehmerische Intention unterscheidet Bird zwischen Ratio und Intuition, die mit dem persönlichen und sozialen Kontext interagieren (vgl. Abbildung 33, Seite 218). Der Hintergrund einer Person, d. h. frühere Erfahrungen, Eigenschaften und Fähigkeiten, aber auch der situative und organisationale Kontext haben Einfluss auf die Entwicklung der Absicht, unternehmerisch zu handeln. Die persönlichen rationalen, analytischen, UrsacheWirkungs-bezogenen Prozesse strukturieren die Absichten und auch das Handeln einer unternehmerischen Person. Diese psychologischen Prozesse bilden die Grundlage für die Suche und Analyse wirtschaftlicher Möglichkeiten, die Planung des möglichen, neuen Geschäftsfeldes, die Entwicklung und Festlegung der Ziele und einen Großteil des zielorientierten Verhaltens.805 Darüber hinaus ist sie verbunden mit einem höheren Grad an Freiheit, Kreativität und Herausforderung.806 Intuitive, holistische und kontextbezogene Denkmuster spielen eine ebenso wichtige Rolle insbesondere im Hinblick auf die Bildung einer unternehmerischen Absicht. Zu ihnen gehören die Vision und ein Gespür für den Einsatz bestimmter Ressourcen sowie das Potenzial des unternehmerischen Projektes.

801 802 803 804 805 806

lierter Unternehmen Anwendung finden können. In diesem Zusammenhang wird auch auf Dutton (1993) verwiesen, der die Wahrnehmung und Nutzung wirtschaftlicher Möglichkeiten auf absichtliches Verhalten zurückführt. Vgl. Gilat/Levine (1986). Vgl. Ajzen (1991). Vgl. hierzu Krueger/Reilly (2000), S. 414. Vgl. Ajzen (1991) sowie Krueger/Reilly (2000), S. 414. Vgl. Latham/Yukl (1975), S. 824ff.; Locke (1968), S. 157ff. Es finden sich weiterführende Untersuchungen zu unternehmerischen Einstellungen bei Burns/Kippenberger (1988); Pellisier/Van Buer (1996); Jackson/Rodkey (1994); Ensley et al. (2000); Shaver/Scott (1991).

218

KAPITEL 4

Persönlicher Persönlicher Hintergrund, Hintergrund, Persönlichkeit Persönlichkeit und und Fähigkeiten Fähigkeiten

Sozialer, Sozialer, politischer politischer und und wirtschaftlicher wirtschaftlicher Kontext Kontext

Rationales, Rationales, analytisches, analytisches, Ursache-WirkungsUrsache-Wirkungsbezogenes bezogenes Denken Denken

Intuitives, Intuitives, holistisches, holistisches, kontextbezogenes kontextbezogenes Denken Denken

Intention Intention

Handlungen Handlungen

Abbildung 33: Der Kontext von Intentionen Quelle: Bird (1988), S. 444.

Bird sieht den Beginn des intentionalen Prozesses in den Werten, Bedürfnissen und Denkhaltungen der unternehmerischen Person, welche versucht, Gegenwart und Zukunft miteinander zu verbinden („sustaining temporal tension“), strategische Ziele festzulegen („sustaining strategic focus“) und ihre Absichten mit den eigenen Werten, Bedürfnissen und Denkhaltungen anzugleichen und abzustimmen („developing an intentional posture“).807 Die Absicht einer Führungskraft in einer Tochtergesellschaft reicht jedoch im organisationalen Kontext nicht aus, um sich unternehmerisch zu verhalten und muss deshalb mit nichtmotivationalen Faktoren kombiniert werden, d. h. den unternehmensinternen und -externen Faktoren, da diese die wahrgenommene Machbarkeit des unternehmerischen Engagements bestimmen können.

4.7.2

UNTERNEHMENSINTERNE VORAUSSETZUNGEN

Bis dato herrscht noch wenig Einstimmigkeit darüber, welche organisationalen Aspekte den entscheidenden Einfluss auf unternehmerisches Denken und Handeln ausüben. Die Zahl von potenziellen, unternehmerisches Engagement begünstigenden oder behindernden Faktoren ist groß, weshalb versucht wurde, trotz oder gerade wegen möglicher Überschneidungen die verschiedenen Aspekte zu klassifizieren und dadurch besser greifbar zu machen. Morris wählte beispielsweise den Zugang zu einem besseren Verständnis unternehmerischen Verhaltens über die Systematisierung der möglichen intraorganisationalen Hürden: Systeme, Strukturen,

807

Vgl. Bird (1988), S. 445ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

219

strategische Ziele sowie die Unternehmenspolitik, der Humanfaktor und die Kultur.808 Den konträren, d. h. positiv akzentuierten Ansatz zur Analyse von unternehmerisches Engagement beeinflussenden Faktoren findet man dagegen bei Hornsby et al., die fünf Dimensionen festlegten:809 Anreizsysteme, der Zugang bzw. die Verfügbarkeit von Ressourcen und Zeit, die Unterstützung durch die oberste Führungsebene, Autonomie sowie die Unternehmenskultur.810 Sie werden nachfolgend mit Bezug auf die Ausführungen im zweiten Kapitel sowie im Hinblick auf ihren potenziellen Einfluss auf unternehmerisches Verhalten kurz dargestellt.

4.7.2.1

Orientierung der Letztentscheidungsträger

Unterstützung durch die Letztentscheidungsträger spielt eine wichtige Rolle im Hinblick auf eine Institutionalisierung von unternehmerischem Engagement. Dafür sind nach Morris Führungskräfte notwendig, die das Potenzial ihres Unternehmens und der Organisationsmitglieder erkennen und nicht zu sehr vergangenheitsorientiert denken.811 Die Gesamtunternehmensstrategie sollte von den Führungskräften der Zentrale daher relativ breit definiert werden, so dass sie zwar eine klare Richtung vorgeben und dabei dennoch den Führungskräften in den dezentralen Einheiten die Möglichkeit geben, im Rahmen dieser Richtung selbständig Strategien zu entwickeln. D. h., dass die obersten Führungskräfte die Ziele für die diversifizierte Unternehmung sowie ihre Einheiten identifizieren und messen, jedoch die Wege, wie diese Ziele erreicht werden, im Ermessensspielraum der nachrangigen Führungskräften liegen.812 Diese unternehmerisch-strategischen Ziele vorausgesetzt, impliziert die Unterstützung durch die oberen Führungskräfte die Bereitstellung von Ressourcen, die Etablierung einer Kultur der Toleranz gegenüber Fehlern, die Dezentralisierung von Entscheidungsautorität und die Delegation von strategischer Verantwortung an nachrangige Führungskräfte, so vor allem auch den Führungskräften in dezentralen Unternehmenseinheiten. Letztere wiederum sind als die obersten Führungskräfte in ihren Einheiten gefordert, selbst unternehmerisch zu denken und zu han808

809

810

811 812

Vgl. Morris (1998), S. 97ff. Auch Prasad (1998) nennt Entscheidungsmechanismen und -stile, fehlendes Engagement, rigide Strukturen und Prozesse sowie eine ineffektive Kommunikation als Gründe dafür, dass Projekte verzögert, Chaos entstehen und Produktivitätseinbussen verursacht werden können. Eine Zusammenfassung der verschiedenen organisationsbezogenen Voraussetzungen für unternehmerisches Verhalten in dezentralen Einheiten findet sich bei Hornsby et al. (2002) sowie Kuratko et al. (2004). Auch Zahra (1991), Steward (1989) und Jelinek/Litterer (1995) thematisieren Voraussetzungen für unternehmerisch geprägte Organisationen. Diese fünf Dimensionen erwiesen sich auch in empirischen Untersuchungen als stabil und bildeten die Grundlage für das von Hornsby et al. entwickelte, sog. „Corporate Entrepreneurship Assessment Instrument (CEAI)“; vgl. Hornsby et al. (2002), S. 263ff. Morris (1998), S. 99. Vgl. Birkinshaw (2003), S. 47ff. Draeger-Ernst (2003) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Ziele – im Sinne eines Management-by-Objectives – Orientierung geben und nicht als Freiheitseinschränkung verstanden werden dürfen. Durch Zielvereinbarungen wird die „innovationsgerichtete Kanalisierung“ (Boerner/Gebert (2002), S. 35) von selbstgesteuerten unternehmerischen Verhaltensweisen von Organisationsmitgliedern innerhalb der Entscheidungs- und Handlungsspielräume ermöglicht.

220

KAPITEL 4

deln, Flexibilität und Risikobereitschaft zu zeigen und unternehmerische Initiativen seitens ihrer Mitarbeiter dadurch zu erleichtern, dass die „ungeplanten“ dezentralen Initiativen – wo sie als sinnvoll und erfolgversprechend angesehen werden – nachträglich mit den geplanten Strategien in Einklang gebracht werden können. In Anlehnung an Wunderer schafft die Orientierung der Letztentscheidungsträger einen bestimmten Spielraum, in dem sich dezentrale Leadership entfalten kann (vgl. Abbildung 34).

Prosoziale Dimension der Führung

transformational

Wechselseitige Kooperation

Führungsspielraum für dezentrale Leadership konsultativ

kooperativ delegativ/ transaktional

patriarchalisch

autonom

autoritär

Machtdimension der Führung Partizipation/ Autonomie der Führenden auf dezentraler Ebene

Abbildung 34: Handlungsspielraum für dezentrale Leadership Quelle: leicht verändert nach Wunderer (2006), S. 248.

4.7.2.2

Systeme

Planungs-, Kontroll-, Budgetierungs-, aber auch Anreizsysteme dienen prinzipiell der Stabilität und besseren Koordination eines Unternehmens und stehen daher zunächst unternehmerischem, d. h. Wandel herbeiführendem Engagement entgegen. Systembezogene Voraussetzungen für unternehmerisches Engagement sind Teilsysteme, die tatsächlich innovatives, initiatives Verhalten begünstigen. Bezogen auf die formalen Planungssysteme eines Unternehmens heißt dies, dass diese nicht zu restriktiv und rigide gestaltet sein dürfen. Unternehmerisches Handeln wird begünstigt, wenn inhaltliche Aspekte die formalen Kriterien dominieren und wenn die Planungsleistung über die Umsetzungsleistung gestellt wird. Die Entwicklung und der Einsatz von leistungsbezogenen materiellen und immateriellen Anreizsystemen ermutigen beispielsweise Führungskräfte und Mitarbeiter, außergewöhnliche

DEZENTRALES LEADERSHIP

221

Leistungen zielkonform zu erbringen.813 In der Regel sind jedoch Anreizsysteme so ausgelegt, dass sie konservative Verhaltensweisen begünstigen und kurzfristige Ergebnisse honorieren.814 Um unternehmerisches Verhalten zu unterstützen, sollten Belohnungssysteme Ziele, Feedback und die Verantwortung des Einzelnen berücksichtigen und Belohnung von erzielten Ergebnissen abhängig machen.815 Kontrollsysteme sind eine weitere wichtige Voraussetzung für unternehmerisches Handeln. Will man letzteres fördern, müssen Kontrollsysteme die entsprechenden Werte und Verhaltensweisen, wie etwa Eigenständigkeit und unternehmerische Selbstverantwortung widerspiegeln und diese in die Unternehmensführung integrieren.816 Während strategische Kontrollen langfristig ausgerichtet sind und damit Kreativität und innovative Aktivitäten begünstigen, wirken finanzielle Kontrollen hinderlich, indem sie eher kurzfristige Leistungen honorieren und Organisationsmitglieder davon abhalten, unternehmerische und u. U. auch riskantere Aktivitäten zu verfolgen. Schließlich wirken sich restriktive Budgetierungssysteme ebenfalls negativ auf die Bereitschaft zu innovativ-unternehmerischem Verhalten aus, da sie zu wenig finanziellen Spielraum lassen, um experimentieren zu können. Die Verfügbarkeit von Ressourcen und Zeit stehen damit in Zusammenhang. Auch können sich Kostenrechnungssysteme auf die Entstehung unternehmerischer Initiativen auswirken, indem Allokationsmechanismen angewendet werden, die jedes Produkt oder jeden Prozess „as a function of indirect fixed costs“817 betrachten und damit innovativen Projekten mit unsicherem Ausgang wenig Spielraum lassen. Schließlich sollten Planungssysteme so angewendet werden, dass sie den unternehmerischen Prozess begleiten, ihn aber nicht bremsen und unflexibel gestalten.

4.7.2.3

Strukturen

Strukturen werden mit der hierarchischen Gliederung eines Unternehmens verbunden. Sie geben Aufschluss über die Zuständigkeiten und erlauben eine effiziente Koordination. Sie sind dazu geeignet, die Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten, die Unterstützung der Letztentscheidungsträger und die Allokation von Ressourcen zu begünstigen oder zu hemmen. Da Strukturen sowohl Ordnung und Stabilität als auch Kreativität und Dynamik gewährleisten sollen, entsteht ein „organisatorisches Dilemma“.818 Dies wird daran deutlich, dass die De-

813 814 815 816 817 818

Vgl. hierzu beispielhaft Mühlemeyer (1992), S. 107. Vgl. Morris (1998), S. 97. Vgl. Hornsby et al. (1999), S. 11; Kuratko et al. (1990), S. 52. Vgl. Draeger-Ernst (2003), S. 154. Morris (1998), S. 98. Vgl. Burgelman/Sayles (1986), S. 191; Grochla (1973), S. 560; Corsten (1989), S. 28ff.

222

KAPITEL 4

zentralisierung von Entscheidungsverantwortung positiv auf unternehmerische Initiativen wirkt, indem die Kompetenzträger im Unternehmen befähigt werden, sich eigenverantwortlich für die Steigerung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens einzusetzen. Allerdings kann eine uneingeschränkte Delegation von unternehmerischer Verantwortung auch zu Redundanz führen, d. h. dass ähnliche Projekte in verschiedenen Unternehmenseinheiten gleichzeitig verfolgt werden.819 Deshalb ist die Integration der Aktivitäten der verschiedenen Unternehmenseinheiten ein weiterer wichtiger Bestandteil der Unternehmensstruktur. Die Integration kann dabei jedoch einerseits einen positiven Effekt auf unternehmerisches Engagement haben, indem beispielsweise der Informationsaustausch und die Kommunikation besser funktionieren, andererseits kann eine hohe Integration zu einer stärkeren Kontrolle führen. Organisationale Strukturen und Mechanismen müssen daher so gestaltet werden, dass die Möglichkeit der strukturunabhängigen Zusammenarbeit über bestehende Bereichsund Hierarchiegrenzen hinweg besteht und gleichzeitig die Evaluierung, Auswahl und Implementierung von innovativen Ideen ermöglich wird.820 Dazu sind die Führungskräfte in den Tochtergesellschaften mit Verantwortung, Autorität und Ressourcen auszustatten, die das Finden von und Experimentieren mit neuen Methoden und Herangehensweisen an Problemstellungen ermöglichen.821 Im Hinblick auf die besondere Situation der Führungskräfte in dezentralen Einheiten kann insbesondere die strategische Rolle der betreffenden dezentralen Einheit bedeutsam sein, da mit ihr bestimmte Kompetenzen und Zuständigkeiten verbunden sind, die unternehmerisches Handeln auf dezentraler Ebene erleichtern.822

4.7.2.4

Unternehmenspolitik und -taktik

Regeln, umfangreiche Genehmigungsprozesse, Leistungsanforderungen und eine umfassende Pflicht der Dokumentation bzw. Berichterstattung bei Projekten waren eingeführt worden, um Ordnung und Konsistenz in die täglichen operativen Prozesse zu bringen. Allerdings sind diese etablierten Zeitraster und Benchmarks z. T. nicht auf unternehmerische Projekte anwendbar. Sie können die Flexibilität und damit die Bereitschaft zu unternehmerischem Verhalten hemmen. Deshalb sollte verhindert werden, dass unternehmerische Akteure ihre Projekte an diesen Richtlinien ausrichten, um dann die eigentlichen Erfordernisse, denen das Projekt Rechnung tragen sollte, aus dem Blick verlieren. Darüber hinaus spielen innerhalb der diversifizierten Unternehmung bisweilen Macht und Einfluss entscheidende Rollen (vgl. Kapitel 819 820 821

822

Vgl. Birkinshaw (2003). Vgl. Draeger-Ernst (2003), S. 174. In diesem Zusammenhang wird häufig vom sog. „organizational slack“ gesprochen, dem Vorhandensein von überschüssigen humanen und sachlichen Ressourcen im Unternehmen bzw. in ihren Einheiten. Vgl. hierzu u. a. Kreder (1983). Vgl. hier und nachfolgend in Bezug auf den Informationsaustausch im Rahmen der Kommunikationsstruktur Neugebauer (1997), S. 288.

DEZENTRALES LEADERSHIP

223

3.4.1). Auch die Reputation der dezentralen Einheit und die Beziehung zu wichtigen Akteuren im Unternehmensverbund sind für den Erfolg unternehmerischen Handelns entscheidend. Je nachdem, worauf Macht basiert, findet sich eine Tochtergesellschaft in verschiedenen Situationen wieder. Einfluss, der auf Ressourcen zurückzuführen ist, bedeutet die Unabhängigkeit der Einheit von anderen Einheiten, während systemimmanente Macht den Grad der Partizipation der Einheit innerhalb des Unternehmensnetzwerkes wiedergibt. Je mehr systemimmanente Macht eine dezentrale Einheit besitzt, desto größer ist ihr Einfluss bei strategischen Entscheidungen innerhalb der gesamten diversifizierten Unternehmung und desto größer könnte die Wahrscheinlichkeit sein, vielversprechende unternehmerische Initiativen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.823

4.7.2.5

Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur kann ebenfalls einen starken Einfluss auf die Entstehung von unternehmerischem Engagement innerhalb einer Organisation ausüben, da sie Werte beinhaltet, welche die Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten, Kreativität, Innovationsfähigkeit und Risikobereitschaft betonen und unterstützen. Eine unternehmerisches Verhalten unterstützende Unternehmenskultur muss – wie bereits in Kapitel 2.3.1.2.6 dargelegt wurde – das Streben nach Wertschöpfung durch Innovation und Wandel unterstützen, alle Mitarbeiter einbeziehen und ihnen die persönliche Verantwortlichkeit für den Erfolg der Einheit bzw. des Unternehmens greifbar machen sowie die Werte „Fehlertoleranz“ und „organisationales Lernen“ kommunizieren. Die einer Kultur zugrunde liegenden Werte finden ihren Ausdruck in Zielen, die von den Akteuren im Unternehmen als erstrebenswert angesehen werden und die das Verhalten leiten. Die Verankerung des Wertes „unternehmerisches Verhalten“ in der Kultur eines Unternehmens kann dabei letztlich auf verschiedenen Wegen erfolgen. Einerseits können unternehmerische Wertvorstellungen auf emotionaler Ebene durch die Führungskräfte im Arbeitsalltag vorgelebt werden, da sie über die Ressourcenzuweisung entscheiden und insofern unternehmerisches Handeln aktiv fördern können.824 Andererseits müssen der Wert „unternehmerisches Handeln“ sowie seine Effekte innerhalb der Organisation rational argumentiert werden (kognitive Ebene).825 Insofern schließt sich der Kreis hin zur Bedeutung des unter-

823 824

825

Vgl. Forsgen/Pahlberg (1992). Vgl. u.a. Steinmann/Schreyögg (2002), S. 579ff. In diesem Zusammenhang ist auch ein entsprechend gestaltetes Belohnungssystem zu sehen, das signalisiert, dass unternehmerisches Handeln explizit gewünscht ist, wie Wunderer (1992), Sp. 926 betont. Vgl. Draeger-Ernst (2003), S. 126f.

224

KAPITEL 4

nehmerischen Engagements von Führungskräften auf dezentraler Ebene im Hinblick auf ein unternehmerisches Klima innerhalb diversifizierter Unternehmen.826

4.7.3

UMWELTBEZOGENE VORAUSSETZUNGEN

Im zweiten Kapitel wurde neben den organisationalen Rahmenbedingungen auch das externe Wettbewerbsumfeld diskutiert, das eine Reihe von Ereignissen bereithält, die z. T. nicht vorhersehbar und von den Führungskräften daher nur schwer kontrollierbar sind.827 Die Wahrnehmung der Bedingungen des externen Umfelds kann dabei einen signifikanten Einfluss auf das Ausmaß unternehmerischen Verhaltens in dezentralen Einheiten haben.828 Die Bedingungen des Umfeldes als Voraussetzung für unternehmerische Initiativen anzusehen, erscheint legitim, da Unternehmen förmlich dazu gezwungen sind, ihre Kompetenzen kontinuierlich zu erneuern, um mit den wechselnden Umfeldbedingungen Schritt zu halten.829 Morris gruppiert Umweltfaktoren, die unternehmerisches Verhalten verhindern oder begünstigen können, in drei allgemeine Kategorien, die er zwar als interdependent betrachtet, die aber für sich gesehen einen spezifischen Einfluss auf das unternehmerische Verhalten haben können: die Umweltinfrastruktur, der Grad der Umweltturbulenz und die persönlichen Erfahrungen im sozialen Umfeld. 830

4.7.3.1

Umweltinfrastruktur

Die Infrastruktur des externen Umfeldes beinhaltet wirtschaftliche, politische, rechtliche, finanzielle und soziale Aspekte. Die Vorgänge im externen Unternehmensumfeld sind daher vielfältig. So können spezifische Vorgänge im wirtschaftlichen Umfeld (z. B. freie Preisbildung, niedrige Steuersätze, geringe staatliche Intervention etc.) Anreize für unternehmerische Akteure bieten, knappe Ressourcen im Rahmen wertschöpfender Aktivitäten einzusetzen. Politische Systeme begünstigen unternehmerisches Handeln, wenn sie auf demokratischen Prinzipien beruhen, die Rechte des Einzelnen wahren, und/ oder die Gewaltenteilung sicherstellen.831 Rechtliche und gesetzliche Strukturen wirken u. a. dann positiv auf unternehmerisches

826

827

828 829 830 831

Es sei an dieser Stelle auf MacMillan et al. (1986) verwiesen, welche in der mangelnden Unterstützung von Führungskräften einen entscheidenden Misserfolgsfaktor für unternehmerische Vorhaben in etablierten Unternehmen sehen. Milliken (1987) stellt fest, dass die Unsicherheit des Umfeldes anhand der wahrgenommenen Unfähigkeit eines Individuums definiert werden kann, die Richtung, in die sich eine Umwelt verändern kann, die möglichen Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Organisation sowie den Erfolg der entsprechenden Reaktionen auf die Umweltveränderungen zu verstehen. Vgl. Miller/Friesen (1982); Miller (1983); Covin/Slevin (1989); Covin/Slevin (1991); Zahra/Covin (1995). Vgl. Teece et al. (1997), S. 515. Vgl. Morris (1998), S. 60. ebenda, S. 61.

DEZENTRALES LEADERSHIP

225

Verhalten, wenn intellektuelles Kapital geschützt ist, freier Wettbewerb gewährleistet ist, und/ oder Monopole weitestgehend verhindert werden. Bürokratie oder staatliche Korruption werden im Gegensatz dazu als schwerwiegende Hindernisse für unternehmerisches Handeln angesehen. Sind hingegen Finanzmärkte frei zugänglich, private Investoren verfügbar und Zinssätze kompetitiv festgelegt, wird unternehmerisches Engagement in einem lokalen Markt vergleichsweise eher entstehen können. Wenn schließlich das soziale und gesellschaftliche Umfeld individuelle Freiheit, Selbstverwirklichung und -bestimmung postuliert, werden die Mitglieder einer Tochtergesellschaft sich idealtypischerweise risikobereiter, innovativer und proaktiver verhalten, als wenn dies nicht der Fall ist.

4.7.3.2

Umweltturbulenz

Führungskräfte sind in einem turbulenten Umfeld mit engeren Entscheidungsfenstern, fragmentierteren Märkten, einem höheren Risiko des Wertverlusts von Ressourcen und Produkten sowie eher einem Verlust von langfristiger Kontrolle konfrontiert. Umweltturbulenz ist neben Feindseligkeit und Komplexität auch durch Dynamik gekennzeichnet, d. h. den Grad der Vorhersagbarkeit von sowie der Unsicherheit über Veränderungen von Märkten, Industrien und/ oder Technologien. Technologische oder marktbezogene Veränderungen halten wirtschaftliche Herausforderungen bereit und führen dazu, dass Unternehmen ihr technologisches Know-how sowie ihre Produkte und Dienstleistungen kritisch überprüfen und diese durch innovative Lösungspfade aufwerten bzw. weiterentwickeln. Die erfolgreiche Anpassung an dynamische Umwelten verlangt schnelle, fundierte und regelmäßige interne wie externe Analysen sowie die Entwicklung flexibler Pläne. Ergebnis des unternehmerischen Engagements ist eine Erhöhung der Reputation des betreffenden Unternehmens, die wiederum die Akquisition neuer Kunden oder das Erzielen höherer Profite nach sich ziehen kann. Mit seiner Reaktion auf Umweltveränderungen kann ein Unternehmen jedoch auch selbst zu einem Wandel seiner externen Umwelten beitragen. Ein weiteres Kennzeichen des turbulenten Umfeldes ist Feindseligkeit, die insbesondere auf die Globalisierung und die Intensität des Wettbewerbs durch die steigende Zahl von Branchenakteuren zurückgeführt wird.832 Konkrete Beispiele für die zunehmende Feindseligkeit eines Wettbewerbsumfelds sind das Hinzutreten neuer Konkurrenten, ungünstige gesetzliche Veränderungen oder protektionistische Maßnahmen nationaler Regierungen. Wenn Führungskräfte in dezentralen Unternehmenseinheiten derartige Entwicklungen als negativ erach-

832

Vgl. Bartlett/Goshal (1991); Pearce (1992), S. 38ff.; Baum et al. (2001), S. 293f.; Dess/Beard (1984), S. 52ff.

226

KAPITEL 4

ten, werden sie eher versuchen, neue, innovative und unternehmerische Wege zu finden, welche die negativen Effekte auf ihre Geschäftsfelder abmildern.833 Die letzte Quelle für Turbulenz ist die wahrgenommene Komplexität des unmittelbaren Umfelds der Tochtergesellschaft, welche sich beispielsweise durch die vielfältigen Bedürfnisse und Erwartungen unterschiedlicher Kundengruppen oder die wahrgenommene Vernetzung und die daraus resultierende Unsicherheit über das Wettbewerbsumfeld ergibt.834 Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Mitglieder von Tochtergesellschaften tatsächlich unternehmerischer sind, wenn das externe Umfeld dynamisch ist.835

4.7.3.3

Persönliches soziales Umfeld

Morris nennt schließlich noch die persönlichen Erfahrungen eines Individuums im sozialen Bereich als eine entscheidende Einflussvariable für unternehmerisches Handeln. Das Persönlichkeitsprofil, die Fähigkeiten und Kompetenzen eines Individuums können nur begrenzt erklären, warum unternehmerisches Engagement entsteht. Die Frage nach dem „Warum“ erscheint deshalb sinnvoll. Der familiäre Hintergrund einer Person, frühere Erfahrungen in der Kindheit sowie dem Schul- und Berufsleben können ebenso wie das Vorhandensein von Vorbildern und bedeutenden Referenzgruppen einer im unternehmerischen Sinne positiven Entwicklung dienen. So stellen Greenberger & Sexton fest, dass unternehmerische Individuen trotz begünstigender charakterlicher Eigenschaften und einer persönlichen Disposition zu unternehmerischem Handeln bisweilen der Unterstützung anderer bedürfen.836 Bezugspersonen (z. B. Familie, Kollegen, Vorgesetzte, Mentoren etc.) haben für die Bewertung von Einstellungen und Verhalten einer Person eine normative Funktion. Jedes Individuum vergleicht deshalb seine Einstellungen, Werte, Emotionen oder Handlungen mit denen anderer Personen ähnlichen soziokulturellen Hintergrunds und bewertet diese.837 Abbildung 35 auf der folgenden Seite 227 zeigt zusammenfassend die möglichen Einflussfaktoren und damit das Wirkungsgefüge im Hinblick auf die Entstehung von dezentraler Leadership.

833 834 835 836 837

Vgl. auch Stopford/Baden-Fuller (1994). Vgl. u. a. Miller (1983); Miller/Friesen (1982); Zahra et al. (2000). Vgl. Covin/Slevin (1989); Zahra (1991); Zahra (1993b). Vgl. Greenberger/Sexton (1988), S. 107ff.; Shapero (1984), S. 21ff. Festinger (1954), S. 117ff.

DEZENTRALES LEADERSHIP

227

Vorgänge in der ökonomischen ökonomischen Umwelt Umwelt Internationale/ globale Umwelt Technologische Entwicklungen Strategische Strategische Ziele Ziele der der Zentrale Unternehmensinterne Systeme

Unternehmensexternes Umfeld

Gesellschaftlicher und sozialer sozialer Wandel Wandel Gesetzliche/rechtliche Veränderungen

Soziales Soziales Gefüge Gefüge

Unternehmensstruktur Unternehmenskultur

Unternehmensinternes Umfeld Umfeld

Rolle der Tochtergesellschaft Verfügbarkeit von Ressourcen & Zeit Zeit

Wahrnehmung & Interpretation

Führungsperson in der Tochtergesellschaft

Einstellung

Dezentrale Leadership

Effekte

Wahrnehmung & Interpretation

Legende: Einfluss einer Variable auf eine andere Eine Variable als Ausprägung/Teil einer anderen

Abbildung 35: Wirkungsgefüge bei dezentraler Leadership mit Fokus auf Einflussfaktoren Quelle: eigene Darstellung.

4.8

Ziele der dezentralen Leadership

Die möglichen Ziele des klassischen Corporate Entrepreneurship-Ansatzes sind auch auf die Fragestellung des unternehmerischen Verhaltens in Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen übertragbar. So definierten Covin & Miles beispielsweise vier Ziele, welche die Akteure einer unternehmerisch orientierten Organisation anstreben können. Ausgangspunkt ist dabei immer eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, die einerseits auf die Fähigkeit des Unternehmens zurückzuführen ist, regelmäßig neue Produkte hervorzubringen oder in neue Märkte einzudringen, Produkt-Markt-Kombinationen aktiv zu gestalten, und andererseits Strategien zu entwickeln, mit denen das Unternehmen in der Lage ist, sich effektiv an das Wettbewerbsumfeld anzupassen. Die nachhaltige Regenerierung, organisationale Verjüngung, strategische Erneuerung und Neudefinition des Geschäftsfelds sind dabei als idealtypische Ausprägungen zu verstehen, die in unterschiedlicher Ausprägung gleichzeitig in einer Organisation auftreten können.838 Als häufigster Effekt unternehmerischen Engagements findet sich die „nachhaltige Regenerierung“ („sustained regeneration“), die sich in der Entwicklung und Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen oder im Eintritt in neue Märkte widerspiegelt. Sie ist meist mit einer Sensibilisierung der Unternehmensmitglieder auf Kundenansprüche und Verbesserungsmöglichkeiten verbunden, was sich schließlich u. a. in einer höheren Kunden- und Marktorientie838

Vgl. hier und im Folgenden Covin/Miles (1999), S. 51ff.

228

KAPITEL 4

rung äußert. Auf der Basis von Strukturen, Prozessen und einer unternehmerischen Kultur sowie der spezifischen Fähigkeit eines Unternehmens, Innovationen hervorzubringen, können wirtschaftliche Möglichkeiten ausgenutzt werden. Unternehmen, die eine nachhaltige Erneuerung anstreben, haben organisationales Lernen und kontinuierlichen Wandel etabliert und sehen ihre Stärke darin, Innovation zur Kernkompetenz entwickelt zu haben, die es zu schützen, pflegen und auszunutzen gilt. Folgt man den Ausführungen Birkinshaws, so zielt eine dezentrale unternehmerische Initiative, die einen lokalen Markt betrifft, auf eine Stärkung des globalen Lernens sowie einer Maximierung des Innovationspotenzials der gesamten diversifizierten Unternehmung ab und kann damit der nachhaltigen Regeneration zugeordnet werden.839 „Organisationale Verjüngung“ („organizational rejuvenation“) fokussiert auf die Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch den Wandel der internen Prozesse, Strukturen und Fähigkeiten. Im Zentrum des Interesses steht die Verjüngung der Organisation selbst. Dafür müssen nicht notwendigerweise die bestehenden Strategien geändert werden. Es genügt, wenn eine Optimierung dieser Strategien stattfindet. Denkbar sind dabei Innovationen durch die Rekonfiguration der Wertekette, die Optimierung zentraler Leistungsprozesse, die Steigerung der Leistungseffizienz oder eine Veränderung der Ressourcenallokation innerhalb des Unternehmens. Derartige Maßnahmen führen zu einem Wandel des betreffenden Unternehmens von einer veränderungsresistenten zu einer kontinuierlich lernenden Organisation. Unternehmerische Initiativen im internen Markt tragen zur Verjüngung des Unternehmens bei, indem sie zu einer effizienteren Gestaltung der weltweiten Prozesse führen und dabei auch der betreffenden dezentralen Einheit Wert schöpfen. „Strategische Erneuerung“840 („strategic renewal“) ergibt sich dann, wenn ein Unternehmen durch das Engagement seiner Führungskräfte und Mitarbeiter sein Wettbewerbsverhalten in Märkten und Industrien grundlegend ändert, um eine bessere Adaption der Organisation an ihre externen Umwelten zu erreichen und dadurch neue Wettbewerbsstrategien entwickeln zu können. Strategische Erneuerung bedeutet bei Covin & Miles hingegen die Implementierung einer neuen Geschäftsstrategie, die sich klar von früheren Praktiken des Unternehmens unterscheidet und die Ressourcen besser für die Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten ausnutzt. Die bewusste und grundlegende Neupositionierung der Aktivitäten ist zentrales Kennzeichen der strategischen Erneuerung. Auf der Ebene der Tochtergesellschaften können vor allem unternehmerische Initiativen auf lokalen, aber auch auf globalen Märkten zu strategischer Erneuerung führen.

839 840

Vgl. hier und im Folgenden die Ausführungen von Birkinshaw (1997), S. 214. Der hier verwendete Begriff der strategischen Erneuerung darf dabei nicht mit dem von Guth & Ginsberg eingeführten Begriff gleichgesetzt werden, da letzterer die Transformation einer Unternehmung durch Erneuerung ihres Grundverständnisses beschreibt.

DEZENTRALES LEADERSHIP

229

Schließlich verwenden die Autoren den Begriff der „Neudefinition des Geschäftsfelds“ für die Aktivität eines Unternehmens, deren Gegenstand die proaktive Schaffung neuer ProduktMarkt-Kombinationen darstellt, die bisher noch unentdeckt geblieben sind. Es geht dabei um die Erzielung eines Wettbewerbsvorteils durch den „First-Mover-Advantage“ und die nachhaltige Prägung eines jungen Wettbewerbsschauplatzes anhand von Standards und Benchmarks. Unternehmen, die eine Neudefinition anstreben, sind zutiefst unternehmerisch, da sie Neuland betreten und wirtschaftliche Chancen vor der Konkurrenz erkennen. Beispiele für diese Art von unternehmerischem Engagement ist einerseits die Strategie, die Konkurrenz anzugreifen, indem sie zu Aktivitäten in einem neuen Wettbewerbsumfeld gezwungen wird („bypass strategy“), während andererseits auch Strategien denkbar sind, welche die Vorreiterrolle eines Unternehmens in einem neuen Wettbewerbsschauplatz anvisieren. Ergebnis ist dabei eine Vitalisierung und Neuorientierung des Unternehmens, die durch Innovation, Risikobereitschaft und Proaktivität gekennzeichnet ist. Die Identifikation bestehender sowie die Generierung neuer Kernkompetenzen der dezentralen Einheiten, die klar mit einer Dezentralisierung der Strategiekompetenz einhergehen sowie ihre Nutzung in neuen oder verwandten, jedoch zuvor noch nicht bearbeiteten Geschäftsfeldern ist ein mögliches Ergebnis dezentraler unternehmerischer Initiativen auf globalen Märkten. Sie ist damit im Zusammenhang mit der Neudefinition von Geschäftsfeldern der dezentralen Einheit durchaus denkbar.841

4.9

Effekte und Konsequenzen der dezentralen Leadership

4.9.1

POSITIVE EFFEKTE

Durch unternehmerisches Engagement sind grundsätzlich nach innen und außen gerichtete sowie finanzielle und nicht-finanzielle Effekte denkbar.842 Im ersten Fall besteht u. a. die Möglichkeit zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, der Marktpositionierung, der Komplettierung und Erweiterung des bestehenden Produktportfolios, der Effizienz und des Wachstums.843 Auch die strategische Erneuerung844, interne Innovation mit dem Ziel der Schaffung neuer Geschäftseinheiten/ -felder845, Profitabilität846, internationaler Erfolg847, Wissensgene841 842

843 844 845

846

Vgl. hierzu auch Smith/Di Gregorio (2002), S. 130. Zu den finanziellen und nicht-finanziellen Effekten vgl. beispielsweise Venkataraman/Ramanujam (1986), die zwischen „financial performance“, „operational perfomance“ und „organizational effectiveness“ unterscheiden. Vgl. u. a. Zahra (1991); Schollhammer (1982); Penrose (1980). Vgl. Guth/Ginsburg (1990), S. 5ff. Vgl. Burgelman/Sayles (1985); Sharma/Chrisman (1999) präzisieren die Effekte unternehmerischen Engagements und unterscheiden zwischen Innovation, der Entstehung neuer Unternehmen in bestehenden Unternehmen und der Transformation bestehender Unternehmen durch Erneuerung oder Neudefinition zentraler Ideen. Vgl. Vozikis et al. (1999), S. 33ff.; Zahra (1993b), S. 319ff.

230

KAPITEL 4

rierung848 oder eine effektive Kombination von Ressourcen mit dem Ziel der Schaffung von Wettbewerbsvorteilen849 werden genannt. Eine Erhöhung des Identifikations- und Bindungsgrads an die dezentrale Einheit bzw. die Gesamtunternehmung ist in diesem Zusammenhang ebenfalls möglich, wodurch auch die Leistungsbereitschaft und Motivation gesteigert wird. Dies unterstützt letztlich den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg und kann damit langfristig die Beschäftigungslage innerhalb der diversifizierten Unternehmung positiv beeinflussen. Im zweiten, nach außen gerichteten Fall ist eine Beeinflussung des Status quo des Wettbewerbsumfelds durch das Engagement in den dezentralen Einheiten und damit letztlich auch der gesamten diversifizierten Unternehmung denkbar. Auf den unterschiedlichen hierarchischen Ebenen sind folgende Effekte denkbar:

4.9.1.1

Effekte für und in der Tochtergesellschaft

Für die Tochtergesellschaft ist eine Reihe von Effekten durch dezentrale Leadership denkbar, etwa die erfolgreiche Abwehr von Desinvestitionsbestrebungen der Mutterunternehmung, die bis zur Schließung des Standortes reichen können, aber auch die Erhöhung der strategischen Bedeutung und die Ausweitung des Verantwortungsbereichs der Tochter innerhalb des Unternehmensverbunds.850 Darüber hinaus kann es durch unternehmerisches Engagement gelingen, die Kompetenzen und Ressourcen in der dezentralen Einheit auszubauen, dadurch mehr Autonomie zu erhalten, in strategische Entscheidungen eingebunden zu werden und innerhalb der Unternehmensgrenzen (auch im Vergleich zu anderen dezentralen Einheiten) mehr Macht und Einfluss zu erhalten. Dies kann nicht zuletzt aus einer Verbesserung der Reputation der dezentralen Einheit und ihres Führungsteams sowie aus der größeren Sichtbarkeit der Tochtergesellschaft im Unternehmensverbund resultieren.851

4.9.1.2

Effekte in der Unternehmenszentrale

Für die Unternehmenszentrale ergeben sich ebenfalls eine Reihe von Effekten. Unternehmerisches Verhalten kann in Unternehmen zu einer Verjüngung oder strategischen Erneuerung der Organisation führen, die sich auf ihre Wettbewerbsfähigkeit positiv auswirken kann. Wissens-

847 848 849 850

851

Vgl. Birkinshaw (1997); Birkinshaw (2000). Vgl. McGrath et al. (1994), S. 351ff. Vgl. Covin/Miles (1999); Ireland et al. (2003). Delany (2000), S. 227ff. entwickelte ein achtstufiges Modell, das die Entwicklungsschritte und Erhöhung der strategischen Bedeutung von Tochtergesellschaften mit der unternehmerischen Initiative in Zusammenhang setzt. Die Entwicklung reicht dabei von der schlichten Verteidigung bis hin zur Erweiterung des Aufgabenspektrums der Tochtergesellschaften. Delanys acht Stufen reichen von einem Grundmandat, über ein erweitertes Mandat bis hin zur Rolle des Produktspezialisten mit strategischer Unabhängigkeit. Vgl. Birkinshaw/Hood (1998); Paterson/Brock (2002).

DEZENTRALES LEADERSHIP

231

und Kompetenzzuwachs sowie eine gesteigerte Lernfähigkeit im Unternehmen tragen zu einer Erneuerung etablierter Unternehmen bei. Darüber hinaus wird eine Flexibilisierung und schnellere Anpassungsfähigkeit der Unternehmenseinheiten erreicht, die gerade in turbulenten Umwelten von entscheidender Bedeutung sind. Durch die Initiative der Führungskräfte in Tochtergesellschaften kann sich die Beziehung zu wichtigen Interessens- und Bezugsgruppen des Unternehmens optimieren und sich günstig auf zukünftige Aktivitäten des Unternehmens auswirken. Nicht so sehr kurzfristig, jedoch langfristig ist mit einer Steigerung der Profitabilität der diversifizierten Unternehmung zu rechnen, die auf die Entstehung und Verwirklichung neuer innovativer Projekte zurückgeführt werden kann. Die unternehmerischen Initiativen führen auch zu einer Erhöhung des Innovationsoutputs und können dabei gleichzeitig der Grundstein für neue Geschäftsfelder des Unternehmens sein.

4.9.1.3

Umwelteffekte

Auch auf das externe Umfeld kann sich dezentrales unternehmerisches Engagement auswirken, etwa indem die Einheit durch ihre Aktivitäten neue Branchenstandards setzt, ihre Beziehungen zu lokalen Stakeholdern (i. e. nationale Regierungen, Behörden, Lieferanten, Kunden) intensiviert und damit besser im lokalen Markt verankert ist. Durch dezentral gesteuertes Handeln ist auch eine bessere Anpassung an den lokalen Kontext möglich. Auch ist denkbar, dass die betreffende Einheit aufgrund ihrer erhöhten Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt bessere und qualifiziertere Mitarbeiter anzieht. In Abbildung 36 sind die möglichen Wirkungen unternehmerischer Initiativen in Tochtergesellschaften nochmals zusammengefasst, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Negative Wirkungen sind bereits in Abbildung 36 integriert, wenngleich sie erst im nachfolgenden Kapitel 4.9.2 thematisiert werden.

232

KAPITEL 4

Effekte für TG

Unternehmensexternes Umfeld

Soziales Gefüge

Unternehmensinternes Umfeld

• Widerstand Widerstand gegen gegen Kürzungen & Schließung • Größere Autonomie • Mehr Einfluss im Netzwerk • Reputation Reputation • Erweiterung der der Kompetenzbasis •… Wahrnehmung & Interpretation

Führungsperson in der Tochtergesellschaft

Einstellung

Dezentrale Leadership

Wahrnehmung & Interpretation

Effekte

Effekte in in der der Zentrale Zentrale • Strategische ErErneuerung/ Verjüngung • Schnellere Reaktion Reaktion auf Wandel Wandel des des lokalen Umfelds • Mehr Unterstützung lokaler Behörden/ Netzwerke • Mehr Profitabilität • Weniger direkte Kontrolle • Wissenszuwachs • Höhere Höhere Kosten Kosten bei bei Ressourcenallokation • Weniger Effizienz Effizienz • Steigerung Steigerung der der Innovationen • Reputation Reputation •…

Umwelteffekte • Größere Größere Einbindung der der dezentralen Einheit Einheit in in den den lokalen lokalen Kontext • Größere Größere lokale Anpassung Anpassung •… …

Abbildung 36: Wirkungsgefüge in der dezentralen Leadership mit Fokus auf Effekte Quelle: Darstellung in Anlehnung an Paterson/Brock (2002) sowie Kuratko et al. (2004).

4.9.2 4.9.2.1

NEGATIVE FOLGEN VON DEZENTRALER LEADERSHIP Kosten dezentraler unternehmerischer Initiativen

Ungeachtet der Vorteile und positiven Effekte, die unternehmerisches Engagement einer etablierten Unternehmung bringen kann, darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass dieses Engagement auch Kosten verursachen kann. Unternehmerische Initiativen führen nicht immer zu Erfolg, wie einige Studien in der Vergangenheit gezeigt haben.852 Dass sie eindeutig nicht frei von Risiken sind, macht das folgende Zitat deutlich: „So, one source of costs of entrepreneurship stems from the large part of activities that fail to produce the expected results and in which the revenues are insufficient to cover the costs. The successful entrepreneurial activities of a firm also have to bear the net costs of the unsuccessful entrepreneurial activities.”853 Obgleich die Kosten unternehmerischer Initiativen weniger deutlich zutage treten, weil sie anfänglich zum großen Teil im Rahmen der regulären Tätigkeit unternehmerischer Akteure 852 853

Vgl. Zahra/Covin (1995); Kanter (1985); Zahra (1993a). Vgl. Saly (2001), S. 122.

DEZENTRALES LEADERSHIP

233

stattfinden, können später jedoch insbesondere Anpassungskosten entstehen, da ein Unternehmen Wandlungs- und Transformationsprozesse einleiten muss, um unternehmerische Initiativen zu ermöglichen. Bestehende Routinen, Organisationsabläufe und bestimmte Anforderungen müssen dann angepasst oder vollkommen neu implementiert werden, was erhebliche Kosten nach sich ziehen kann.854 Die Rentabilität unternehmerischer Initiativen ist – wie sich in vergangenen empirischen Studien gezeigt hat – nicht immer gegeben.855 Unternehmerisches Engagement ist darüber hinaus oftmals ressourcenintensiv, so dass die Ressourcenbasis eines Unternehmens bzw. einer Unternehmenseinheit auf die unternehmerischen Kapazitäten begrenzend wirken kann.856 Die Akquisition von für die unternehmerischen Projekte notwendigen Ressourcen und Kompetenzen verursacht Kosten, etwa dadurch, dass (vor allen nicht-finanzielle) Ressourcen nicht einfach von einer Einheit zu einer anderen transferiert werden oder unter den Einheiten aufgeteilt werden können. Auch aufgrund der Unvollkommenheit von Faktormärkten kann es vorkommen, dass bestimmte Vermögenswerte nicht gehandelt werden können (z. B. Reputation).857 Ferner kann ex-ante nicht sichergestellt werden, dass die akquirierten oder durch die unternehmerischen Initiativen neu entwickelten Ressourcen und Kompetenzen erstklassig sind, was u. U. zu Ineffizienzen führt.858 Schließlich ist die Entwicklung neuer Kompetenzen kein einfaches Unterfangen und kann bisweilen viel Zeit in Anspruch nehmen, was wiederum für die diversifizierte Unternehmung Kosten verursacht.

4.9.2.2

Entstehung eines organisationalen Dilemmas

Initiativen müssen einer gewissen Kontrolle unterliegen, um die Unternehmung nicht ins Chaos zu stürzen.859 Die wesentliche Gefahr, die diversifizierten Unternehmungen durch die unternehmerische Selbständigkeit ihrer dezentralen Einheiten drohen kann, ist ein „Zuviel“ an Flexibilität kombiniert mit einem „Zuwenig“ an Stabilität. So müssen „[v]itale Unternehmen […] gleichzeitig flexibel sein, um auf geänderte Marktbedingungen reagieren zu können, und trotzdem auf Standards, Routinen und fest gefügten Strukturen basieren, um Lern- und Kostenvorteile zu realisieren.“860 Unternehmerisches Engagement auf dezentraler Ebene kann dann, wenn es unfokussiert und unkoordiniert abläuft, zu einer Redundanz der Innovationsak854 855

856 857 858 859 860

Vgl. hierzu u. a. Hannan/Freeman (1977), S. 929ff. Covin/Slevin (1989) untersuchten den Zusammenhang zwischen Wachstum, Profitabilität und der Intensität unternehmerischer Initiativen. Morris/Sexton (1996) untersuchten ebenfalls den Zusammenhang zwischen Profitabilität und der Intensität unternehmerischer Initiativen. Vgl. Covin/Slevin (1991). Vgl. Barney (1986), S. 1231ff.; Wernerfelt (1984), S. 171ff. Vgl. Peteraf (1993), S. 179ff. Vgl. Sundbo (1996), S. 397ff. Nippa (2000), S. 67.

234

KAPITEL 4

tivitäten, zu einer Fehlallokation von organisationalen Ressourcen und schließlich zum Verlust der Steuerbarkeit der diversifizierten Unternehmung führen.861 Um diesem organisationalen Dilemma entgegenzuwirken, schlägt Sathe vor, spezifische Kontroll- und Koordinationsmechanismen im Unternehmen zu installieren.862

4.9.2.3

Widerstand gegen unternehmerisches Verhalten auf dezentraler Ebene

Eine bedeutende Ressource im Hinblick auf die erfolgreiche Umsetzung von dezentraler Leadership ist das Vorhandensein von Akteuren mit unternehmerischem Gespür und entsprechenden Fähigkeiten. Die Umsetzung von dezentraler Leadership führt jedoch – wie Corporate Entrepreneurship im Allgemeinen – zu Veränderungen für alle Organisationsmitglieder. Führungskräfte, die als Vorbilder dienen, müssen ihre Rollen und Aufgaben neu definieren.863 Führungskräfte auf den mittleren und unteren Hierarchieebenen sind, so Draeger-Ernst, „zum einen Subjekt der Veränderung, zum anderen treiben sie diese selbst voran“864. Diese Rollenambiguität kann zu Überforderung und Widerstand führen. Widerstände im Prozess der Implementierung von unternehmerischem Denken und Handeln thematisiert auch Hornberger, indem er das „Kennen“ der Ziele mit dem „Können“, d. h. den vorhandenen unternehmerischen Fähigkeiten, dem „Wollen“, also der Änderungsbereitschaft, welche sich in Motiven, Erfahrungen und persönlichen Interessen ausdrückt, sowie schließlich dem „Sollen“ (externe Einflüsse) gegenüberstellt.865

861 862 863

864 865

Steinle et al. (1996), S. 653; Birkinshaw (2003). Sathe (1988), S. 389ff. Auf die unterschiedlichen Rollen der Führungskräfte in Mutter- und Tochtergesellschaften wurde bereits eingegangen. Draeger-Ernst (2003), S. 257. Vgl. Hornberger (2000), S. 246f.

DEZENTRALES LEADERSHIP

235

Entwicklungsmaßnahmen - Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten für dezentrale Leadership

Partizipation - Gezieltes Einbinden bei der inhaltlichen Konzepterarbeitung und implementierung - Erhöhung des Verständnissen und der Identifikation

„Wollen“ „Wollen“

„Können“

-- Negative Negative frühere frühere Erfahrungen Erfahrungen -- Interessenskonflikte Interessenskonflikte

-- Mangelnde Mangelnde unternehmerische unternehmerische Fähigkeiten Fähigkeiten

Änderungsbereitschaft

Widerstand

Änderungsfähigkeit

„Sollen“ „Sollen“

„Kennen“

-- Autoritäre Autoritäre Führung Führung -- Inadäquate Inadäquate Ressourcen Ressourcen -- Angst Angst vor vor Statusverlust Statusverlust

-- Mangelnde Mangelnde Information Information und und Wissen Wissen über über Ziele Ziele und und Inhalte Inhalte

Belohnung

Kommunikation - Vermittlung von Zielen und Wissen über dezentrale Leadership - Überzeugung im Dialog - Einstellungsänderung

- Aufzeigen von Vorteilen von dezentraler Leadership - Gewährung von Anreizen

Abbildung 37: Widerstände im Implementierungsprozess von dezentraler Leadership und Ansatzpunkte für den Umgang mit ihnen Quelle: in Anlehnung an Hornberger (2000), S. 246.

Abgesehen von den mangelnden spezifischen Fähigkeiten potenzieller unternehmerischer Akteure auf dezentraler Ebene, ist das Können im Hinblick auf unternehmerisches Engagement auch durch Widerstände von außen bestimmt. Eine mangelnde Allokation von finanziellen, technologischen und organisationalen Ressourcen kann dazu führen, dass ein unternehmerisches Projekt nicht umgesetzt werden kann.866 Auch die mangelnde Akzeptanz des Marktes und die fehlende Legitimation der Initiative in den bestehenden Routinen und Geschäftsprozessen können ihren Erfolg verhindern. In allen drei Fällen kann das Immunsystem des Unternehmens wirken, das im Widerstand diverser Organisationsmitglieder zum Ausdruck kommt. Obwohl dieses unternehmensinterne Immunsystem Daseinsberechtigung besitzt, da unternehmerische Initiativen mitunter nicht immer im Sinne der Unternehmensstrategien sind, kann es dazu führen, dass auch aussichtsreiche Initiativen verhindert werden. Widerstände im Unternehmen treten sowohl offen zutage als auch unterschwellig in Erscheinung. Im letzteren Fall können drei Typen unterschieden werden: —

866

Zunächst ist Ethnozentrismus seitens der zentralen Führungskräfte denkbar (vgl. Kapitel 2.3.1.5), der im Gefühl der Überlegenheit gegenüber Führungskräften in (ausländischen) Tochtergesellschaften und Geschäftseinheiten zum Ausdruck kommt und dabei dezentralen Initiativen (zu) wenig Beachtung geschenkt wird.

Vgl. hier und im Folgenden Birkinshaw (2000), S. 38.

236

KAPITEL 4



Daneben sind die Skepsis gegenüber allem Unbekannten sowie eine Abwehrhaltung gegenüber Veränderungen, welche mit der Angst vor Statusverlust und mangelndem Vertrauen einhergehen, weitere Indikatoren für unterschwelligen Widerstand bei den Letztentscheidungsträgern in der Unternehmenszentrale.867



Konkrete Maßnahmen gegen unternehmerisches Engagement einer Tochtergesellschaft können verschiedene Akteure innerhalb des Unternehmensverbunds einleiten. Denkbar sind Verzögerung, Zurückweisung und die Forderung nach weiteren Erfolgsnachweisen für ein innovatives Projekt durch eine für das Projekt entscheidungsverantwortliche Führungskraft in der Unternehmenszentrale. Daneben kann Widerstand in anderen dezentralen Einheiten entstehen, insbesondere dann, wenn die Einheiten in einem bewusst wettbewerblichen Verhältnis zueinander stehen. Lobbying und Gegeninitiativen anderer Einheiten sind dann Manifestationen des intraorganisationalen Widerstands. Schließlich kann die noch ausstehende Legitimierung eines unternehmerischen Projektes ein letztes Hindernis sein. Dadurch kann sich die Anpassung des Projekts in das bestehende Produktportfolio der Tochtergesellschaft grundlegend schwierig gestalten, und auch dadurch erschwert werden, dass Argumente für die Verlagerung des Projektes in die Unternehmenszentrale gefunden werden.868

4.10 Zusammenfassung und Fazit Dezentrale Leadership kann nur dann nachhaltig etabliert werden, wenn die Unternehmensführung innerhalb der diversifizierten Unternehmung weniger über explizite hierarchische Anweisungen als über einen gemeinsamen Normenkonsens gesteuert wird, der den Organisationsmitgliedern ermöglicht, ein Bewusstsein der Identität und „Zweckhaftigkeit“ zu entwickeln. Dies hat zur Folge, dass die unternehmerisch-strategische Verantwortung und Unternehmensführungsfunktion tatsächlich auf den Schultern vieler Führungskräfte auf zentraler und vor allem auch auf dezentraler Ebene ruht. Strategische Unternehmensführung ist nicht ein rein analytischer Prozess, sondern vielmehr ein kreativer Akt, in dem das Unternehmen und seine Umwelt von den Organisationsmitgliedern konstruiert und gestaltet wird.869 Dezen-

867

868

869

Zu ähnlichen Schlüssen gelangen auch Darragh/Campbell (2001), die die Probleme bei der Umsetzung von Initiativen zwar aus dem Blickwinkel der Muttergesellschaft betrachten, jedoch drei Hauptgründe nennen, welche auch im Hinblick auf dezentrale unternehmerische Initiativen Geltung finden können: Das Problem, das eine Initiative zu lösen versucht, wird nicht erkannt und daher die Initiative nicht unterstützt; das Problem wird erkannt, jedoch wird ihm wenig Priorität gegeben; das Problem wird erkannt und auch als wichtig erachtet, jedoch greifen die Maßnahmen nicht. Meist wird diese Verlagerung damit begründet, dass ein größerer Nutzen für die Gesamtunternehmung entsteht, wenn das Projekt zentral angesiedelt ist. An dieser Stelle sei auf den bei Macharzina (2003) dargestellten Interpretationsansatz der strategischen Unternehmensführung verwiesen.

DEZENTRALES LEADERSHIP

237

trale Führungskräfte müssen sich somit von agierenden zu unternehmerisch kreierenden Akteuren entwickeln. Diese Überlegungen knüpfen damit unmittelbar an das Konzept der dezentralen Leadership im Sinne des Birkinshawschen verstreuten, unternehmerischen Verhaltens in den dezentralen Unternehmenseinheiten an. Zentrales Element sind die Führungskräfte an der Spitze oder in einer leitenden Position eines Funktionsbereichs der Tochtergesellschaft. Ihre Einstellung zu strategisch-unternehmerischem Verhalten ist für die Umsetzbarkeit und den Erfolg des dezentralen Leadership-Ansatzes essenziell. Das vorliegende Kapitel hat deutlich gemacht, dass der Ansatz der unternehmerischen Führung in Tochtergesellschaften äußerst komplex ist, da Führungskräfte auf Veränderungen im internen und externen Umfeld reagieren müssen. Es wurde gezeigt, dass in diesen beiden Kontexten eine Vielzahl von Faktoren auf eine Führungskraft in einer Tochtergesellschaft wirken kann. Entscheidend ist jedoch, zu verstehen, dass es letztlich auf die Wahrnehmung und Interpretation dieser Faktoren durch die Führungskraft ankommt, die dann entscheidet, unternehmerische Initiativen zu ergreifen. Aus diesem Grund werden im folgenden Kapitel 5 die getroffenen Annahmen und Anforderungen in Bezug auf die dezentrale Führung aus der sozialpsychologischen Perspektive beleuchtet. Daraus soll letztlich abgeleitet werden, welche Einflussfaktoren für die Entstehung von dezentraler Leadership entscheidend sind und im Rahmen der empirischen Studie untersucht werden.

5 DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN – APPLIKATION DER THEORIE DES GEPLANTEN VERHALTENS Entrepreneurial attitudes and behaviors are necessary for firms of all sizes to proper and flourish. Bruce R. Barringer & Allen C. Bluedorn

5.1

Einleitung

Die vorliegende Arbeit basiert auf der Annahme, dass die Führungskraft in einer Tochtergesellschaft die zentrale Rolle bei der Etablierung unternehmerischen Führungsverhaltens spielt. Um nicht auf die deterministische Sicht von Eigenschaften und demographischen Variablen der Entscheidungsträger beschränkt zu bleiben, wird der Fokus auf den beabsichtigten, erwartungsgetriebenen und situativen Charakter einer Entscheidung, die Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen, gerichtet.870 Die Initiierung innovativer, unternehmerischer Projekte in etablierten Unternehmen bzw. ihren dezentralen Einheiten wird daher als beabsichtigte Handlungen der internen Akteure verstanden, wofür nach McFadzean et al. drei Elemente entscheidend sind: eine unternehmerische Einstellung, eine Vision und konkrete Handlungen.871 Um den Zusammenhang zwischen der Einstellung und Absicht einer Führungskraft, sich unternehmerisch zu verhalten und dem unternehmerischen Verhalten als dezentraler Leader besser verstehen zu können, soll die etablierte „Theorie des geplanten Verhaltens“ (TPB) als Basis für die Identifikation der Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen von dezentraler Leadership herangezogen werden. Da die TPB in der Vergangenheit in einer Reihe empirischer Studien zur Analyse von Einstellungen und Verhalten herangezogen wurde, ist ihre Anwendbarkeit auf praxisorientierte Fragestellungen erwiesen. Allerdings besteht insbesondere im Hinblick auf unternehmerisches Verhalten noch immer Forschungsbedarf. Die stärkste Anwendung innerhalb der Entrepreneurship-Forschung fand die TPB bisher bei Forschungsfragen, die sich auf die Einstellung zur unternehmerischen Selbständigkeit872 konzentrierten, jedoch wurde die TPB kaum für Fragestellungen rund um das unternehmerische Verhalten in etablierten Unternehmen herangezogen.873

870

871 872 873

Vgl. hierzu auch Autio et al. (2001), S. 145. Die Autoren führen aus, dass der Eigenschaften-Ansatz längst seinen Sättigungspunkt erreicht habe, insbesondere deshalb, weil sich dieser Forschungszweig auf die expost Untersuchung von Unternehmensgründungen und Unternehmern konzentrierte und dabei annahm, dass sich Eigenschaften, Einstellungen und Denkhaltungen nicht verändern. Damit wurde unterstellt, dass persönliche Erwartungen, situative Faktoren und das Urteil des sozialen Umfelds eine im Vergleich zu den Eigenschaften und der sozialen Stellung nur untergeordnete Rolle für die persönliche Entscheidungsfindung des unternehmerischen Individuums spielen. McFadzean et al. (2005), S. 351. Vgl. u. a. Shapero (1982); Bird (1988); Krueger (1993); Krueger/Carsrud (1993). Antoncic (2003) untersuchte unter Einbezug der TPB die unternehmerische Dimension „Risikobereitschaft“ im Kontext etablierter Unternehmen. Monsen (2005) nahm in seiner Arbeit, in der er den Einfluss

240

KAPITEL 5

Unternehmerisches Führungsverhalten in Tochtergesellschaften kann – wie in den vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit deutlich geworden ist – nicht unabhängig betrachtet werden, sondern ist von situativen Faktoren beeinflusst, etwa dem Vorhandensein einer wirtschaftlich attraktiven Möglichkeit, der Verfügbarkeit von Ressourcen oder der wahrgenommenen Existenz von für die Umsetzung der unternehmerischen Initiative relevanten Kompetenzen und Fähigkeiten des Individuums selbst, die letztlich zur Bildung von Einstellungen und einer konkreten Verhaltensabsicht führen. Insofern werden relevante Einflussfaktoren einbezogen und untersucht, die sich auf die Absicht, eine Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen, auswirken können. Zu diesem Zweck wird zunächst auf die Theorie als solches eingegangen, um sie in einem weiteren Schritt um die für eine dezentrale Leadership relevanten Faktoren zu erweitern. Die der empirischen Untersuchung vorausgehende Hypothesenbildung wird außerdem im fünften Kapitel vorgenommen.

5.2

Die Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten

5.2.1

CHARAKTERISIERUNG VON EINSTELLUNGEN

Der Begriff Einstellung meint in seiner ursprünglichen Bedeutung zunächst eine Stellungnahme zu etwas, beispielsweise zu Personen, Gruppen, Objekten, Sachverhalten sowie Ideen und Ideologien.874 Eine Einstellung ist deshalb definiert als die Summe von positiven und negativen Bewertungen und Reaktionen gegenüber Personen, Objekten, Situationen und Sachverhalten sowie abstrakten Ideen und sozialen Konstrukten.875 Ajzen versteht unter Einstellung den „overall degree of favorability“876, andere Autoren charakterisieren sie als multifunktionales Konstrukt.877 Six & Eckes beschreiben die Einstellung als psychologische Tendenz, mit der sowohl abstrakte als auch konkrete Einstellungsobjekte sowie Verhaltensweisen bzw. Klassen von Verhaltensweisen bewertet werden. Die Bewertungen können dabei affektiv, kognitiv oder konativ ausgeprägt sein und sich auch in ihrer Intensität und Richtung unterscheiden.878 Die kognitive Komponente besteht dabei aus Vorstellungen und Gedanken

874 875 876 877

878

von unternehmerischer Kultur, Autonomie und Teamwork auf unternehmerisches Verhalten von Mitarbeitern in etablierten Unternehmen untersuchte, Bezug auf die TPB. Vgl. Bierbrauer (2005), S. 139. Vgl. Bem (1974). Ajzen (2001), S. 29. Vgl. hier und im Folgenden Six/Eckes (1996), S. 7. Nach Murray et al. (1996) zählen zu den Funktionen von Einstellungen die instrumentelle, utilitaristische, Ich-Verteidigungs-, Wissens- und Anpassungsfunktion sowie die Möglichkeit, eigene Werte und sein Selbstkonzept auszudrücken („value-expressive function“). Wichtige Vertreter der Sozialpsychologie, unter ihnen Rosenberg/Hovland (1960), charakterisieren Einstellungen als mehrdimensionales System, das sich aus kognitiven, affektiven und konativen Komponenten zusammensetzt, während beispielsweise Ajzen auf diese Mehrdimensionalität von Einstellungen verzichtet.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

241

über ein bestimmtes Objekt, die affektive Komponente beinhaltet positive und negative Gefühle dem Objekt gegenüber und die konative Komponente setzt sich aus Prädispositionen und Verhaltensabsichten in Bezug auf das Objekt zusammen.879 Gemäß der Erwartungs-WertTheorie880 ist die Einstellung eine Funktion der Erwartung und damit sowohl eine Funktion der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit, dass das Einstellungsobjekt bestimmte Eigenschaften und Attribute besitzt, als auch eine Funktion der subjektiven Bewertung von Eigenschaften und Attributen, die einem Objekt oder einer Person zugeschrieben werden, sowie von Verhaltenskonsequenzen.881 Einstellungen sind auch dualer Natur, d. h. Individuen können zwei unterschiedliche Einstellungen zu einem bestimmten psychologischen Objekt haben: eine implizite, gewohnheitsmäßige sowie eine explizite Einstellung. Spezifische situative Bedingungen können dazu führen, dass eine gewohnheitsmäßige Einstellung durch eine explizite Einstellung überlagert wird.882 Bezogen auf die dezentrale Leadership bedeutet dies, dass Veränderungen im (un-)mittelbaren Umfeld einer Führungsperson dazu führen können, dass diese sich vom traditionellen Manager zu einer strategisch-unternehmerisch agierenden Führungsperson entwickelt. Die neu gebildeten Einstellungen ermöglichen dann wiederum die Anpassung an das Umfeld.883 Schließlich sind Einstellungen in der Regel relativ stabil, jedoch nicht so unveränderlich wie persönliche Eigenschaften, da sie sich im Zeitverlauf und durch die Interaktion mit dem Umfeld verändern können.884 Dadurch können sich auch die entsprechenden Einstellungen zu einem Objekt verändern, wobei eine neue Einstellung die frühere zwar überlagert, jedoch nicht ersetzt.885 In der Konsequenz bedeutet dies, dass zu einem bestimmten Einstellungsobjekt ambivalente Einstellungen vorliegen können, die entweder auf die Existenz von einander widersprechenden Meinungen oder auf einen Konflikt zwischen Kognition und Emotion bezüglich des Objekts zurückzuführen sind.886 Ambivalente Einstellungen sind – so stellen Jonas et al. fest – mit einer systematischeren Informationsverarbeitung verbunden und daher besser geeignet, die Absicht einer Person vorherzusagen als nicht-ambivalente Einstellungen (vgl. hierzu das folgende Kapitel 5.2.2).887

879 880 881 882 883 884 885 886 887

Vgl. Robinson et al. (1991), S. 17. Vgl. Fishbein/Ajzen (1975); Feather (1982). Vgl. Güttler (2003). Vgl. Ajzen (2001), S. 35. Vgl. Eagly/Chaiken (1998). Vgl. Rosenberg/Hovland (1960); Chaiken/Stangor (1987). Vgl. Wilson et al. (2000). Vgl. Ajzen (2001), S. 39. Vgl. Jonas et al. (1997).

242

KAPITEL 5

5.2.2

VORHERSAGEKRAFT VON EINSTELLUNGEN

Die Frage, ob Einstellungen das Verhalten einer Person vorhersagen können, beschäftigte die Sozialpsychologie lange. Die bekanntesten Studien zum Verhältnis von Einstellung und Verhalten veröffentlichten La Piere oder Wicker, die zunächst empirisch belegten, dass Einstellungen keinen oder einen nur sehr geringen Zusammenhang mit dem Verhalten aufweisen. Dies führte zu einer anfänglich sehr pessimistischen Sicht über die Eignung von Einstellungen zur Vorhersage von Verhalten.888 Ferner ergab eine Metaanalyse von Six im Jahre 1992, die alle empirischen Untersuchungen zur Beziehung von Einstellungen und Verhalten im Zeitraum von 1927 bis 1990 analysierte, eine gewichtete durchschnittliche Korrelation zwischen Einstellung und Verhalten von r = 0,392 (r² = 0,1549).889 Die Gründe für diese Inkonsistenz zwischen Einstellung und Verhalten sind vielfältig und liegen – so Güttler – „in Persönlichkeitsfaktoren (konkurrierenden Einstellungen) oder in Situationsfaktoren (Erwartungen über Konsequenzen; Anwesenheit einflussreicher Personen; privaten, sozialen Normen, sozialer Wünschenswertigkeit usw.)“890. Kim & Hunter resümierten jedoch in ihrer 1993 veröffentlichten Metaanalyse zum Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang, dass die Korrelationen zwischen Einstellung und Verhalten doch relativ hoch sind und dass relevante Einstellungen sehr wohl das willentliche Verhalten vorherzusagen in der Lage sind.891 Eckes & Six konnten zwei Jahre später schließlich ebenfalls zeigen, dass Einstellungen ein relevantes Verhalten doch bis zu einem bestimmten Maß prognostizieren können.892 Die Korrelationen zwischen Einstellung und Verhaltensintention ergab einen Koeffizient von 0,42 (minderungskorrigiert 0,54), während sich die Korrelationsschätzung zwischen Intention und Verhalten auf 0,41 (minderungskorrigiert 0,51) belief.893 Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass Einstellungen Verhaltensprädikatoren sein können, u. z. insbesondere dann, wenn Einstellungen die Absicht einer Person determinieren. Die konkrete Absicht ist wiederum ein unverzerrter Verhaltensprädikator, und zwar auch dann, wenn die Handlung aufgrund widriger äußerer Umstände nicht unmittelbar auf die Absicht folgt.894 Die Gründe für die ehemals fehlende Vorhersagbarkeit von Verhalten aus Einstellungen sind heute weitgehend bekannt. Ein Faktor, der für die mangelnde Übereinstimmung von Einstellung und Verhalten von Bedeutung sein kann, ist die Art der Messung der beiden Konstrukte. 888 889 890 891 892 893 894

Vgl. La Piere (1934); Wicker (1969). Vgl. Six (1992), S. 21. Güttler (2003), S. 193. Kim/Hunter (1993a), S. 132. Vgl. Eckes/Six (1994). Six/Eckes (1996), S. 13. Vgl. Bagozzi et al. (1989), S. 35ff. sowie Kim/Hunter (1993b).

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

243

Sie sollten nach Ajzen anhand von vier verschiedenen Aspekten beschrieben werden: dem Zielaspekt („Target“), dem Handlungsaspekt („Action“), dem Kontextaspekt („Context“) sowie dem Zeitaspekt („Time“), kurz TACT.895 Der Handlungsaspekt legt das Verhalten fest, das untersucht werden soll (z. B. jemandem helfen), wobei das Verhalten sehr allgemein oder eine sehr eng definierte Verhaltensweise sein kann. Der Zielaspekt stellt die Frage nach dem Objekt bzw. dem Ziel, auf das das Verhalten ausgerichtet ist (z. B. einem Freund helfen). Der Kontextaspekt determiniert den Kontext, in dem das Verhalten stattfindet (z. B. im privaten, beruflichen bzw. öffentlichen Bereich), während der Zeitaspekt bestimmt, wann bzw. zu welchem Zeitpunkt das Verhalten ausgeführt werden soll (z. B. sofort, innerhalb der nächsten zwei Jahre).896 Nur dann, wenn Einstellungs- und Verhaltenskomponenten einen auf der Basis der vier beschriebenen Aspekte vergleichbaren Spezifikationsgrad aufweisen, ist es möglich, das Verhalten aufgrund von Einstellungen vorherzusagen.897 Es gilt das Prinzip der Korrespondenz. Auch spezifische Merkmale von Einstellungen können eine moderierende Funktion im Hinblick auf die Einstellungs-Verhaltens-Relation haben. Während die Einstellung oft als komplexes Konstrukt definiert wird, das sich – wie eingangs erwähnt wurde – aus kognitiven, affektiven und konativen Komponenten zusammensetzt, reduzierten viele Modelle die Einstellung zu einem bestimmten Verhalten auf die beiden ersten Komponenten, wobei diese erst dann die Vorhersage von Verhalten ermöglichen, wenn die affektive und kognitive Komponente konsistent sind.898 Die Einstellungsstruktur ist jedoch so kompliziert, dass das mit der Einstellung zusammenhängende Verhalten besser vorhergesagt werden kann, wenn neben der affektiven Komponente auch die komplexen Meinungen einer Person in Bezug auf das Einstellungsobjekt, d. h. die kognitive Komponente, berücksichtigt werden. Je mehr Erfahrungen ein Individuum mit einem bestimmten Einstellungsobjekt hat, desto schwieriger wird es, die Einstellungsstruktur durch eine einfache affektive Reaktion abzubilden und desto weniger gut ist die Vorhersage des betreffenden Verhaltens.899 Jedoch sind laut Fazio & Zanna Einstellungen, die auf direkten Erfahrungen basieren oder die stark sind, im Zeitverlauf stabiler, von anderen Einstellungen klarer zu unterscheiden und leichter abrufbar. Insofern sind Einstellungen, die auf direkten Erfahrungen beruhen, bessere Verhaltensprädikatoren.900

895 896 897 898 899 900

Ajzen (2002, revised January 2006), S. 2. Vgl. hierzu Frey et al. (1993), S. 362. Vgl. hierzu Ajzen/Fishbein (1977). Vgl. hier und im folgenden Frey et al. (1993), S. 364. Schlegel (1975), S. 386ff. Vgl. Fazio/Zanna (1981); Fazio et al. (1982). Auch Robinson et al. (1991) stellen im Zusammenhang mit der Stabilität von Einstellungen fest, dass die Möglichkeit der Einstellungsänderung ihren Beitrag zur schwierigen Vorhersagbarkeit von Verhalten aus Einstellungen leistete.

244

KAPITEL 5

Diese doch teilweise widersprüchlichen Erkenntnisse zusammenfassend, halten Frey et al. fest, dass Einstellungen bei einem geringen Grad an persönlichen Erfahrungen bessere Vorhersagen erlauben, während mit zunehmendem Maß an persönlichen Erfahrungen die Einstellungsstruktur komplexer wird und nicht mehr nur durch eine affektive Reaktion abgebildet werden kann.901 Im Allgemeinen eignen sich Einstellungen dann zur Verhaltensvorhersage, wenn sie erstens auf eigener Erfahrung beruhen, wenn sie zweitens auf einen spezifischen Einstellungsgegenstand konkret bezogen sind und wenn die Einstellung drittens nahe und unvermittelt am vorherzusagenden Verhalten anknüpft und nicht durch situative Zwänge beeinflusst wird.902

5.3

Die Theorie des überlegten Handelns als Grundlage der Theorie des geplanten Verhaltens

5.3.1

EINORDNUNG DER BEIDEN THEORIEN

Die Theorie des überlegten Handelns sowie die auf ihr aufbauende Theorie des geplanten Verhaltens gelten heute als „wichtigste Einstellungstheorien der Gegenwart“903, weil sie dazu beitrugen der Einstellungs-Verhaltens-Problematik entgegenzuwirken und die Vorhersage von Verhalten aus Einstellungen zu verbessern. Bevor die Theorie des überlegten Handelns (TRA904) bzw. die Theorie des geplanten Verhaltens (TPB) im Detail vorgestellt werden, erscheint eine allgemeine Charakterisierung sinnvoll. Theoretische Modelle werden nach Abelson & Levi in Struktur- und Prozessmodelle unterschieden.905 Während sich Prozessmodelle auf einen Transformationsprozess von Input- in Outputvariablen konzentrieren, stellen Strukturmodelle Beziehungen zwischen Input- und Output-Variablen dar. Da sowohl die TPB als auch die TRA einen linearen Zusammenhang zwischen Einstellung, subjektiver Norm (und – wie im Fall der TPB – der Verhaltenskontrolle) mit der Verhaltensintention feststellen, sind die zwei Theorien als Strukturmodelle zu charakterisieren.906

901 902 903 904 905 906

Frey et al. (1993), S. 366. Vgl. Bierbrauer (2005), S. 144. Bierhoff (2000), S. 276. Die Abkürzung bezieht sich auf die englische Originalbezeichnung: „Theory of Reasoned Action“. Vgl. Abelson/Levi (1985). Vgl. Jonas/Doll (1996), S. 19.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

5.3.2

245

KERNAUSSAGEN DER THEORIE DES ÜBERLEGTEN HANDELNS

Ein rationales Modell des Menschen voraussetzend, bezieht sich die Theorie des überlegten Handelns („Theory of Reasoned Action“907) auf Einstellungen gegenüber Verhaltensweisen und nicht auf die Einstellung gegenüber Objekten, Personen und Institutionen. Ausgangspunkt sind Meinungen („beliefs“), die positiv oder negativ ausgeprägt sein können und in kausalem Zusammenhang mit Einstellungen, Verhaltensintentionen und dem tatsächlichen Verhalten stehen. Die Determinanten des Verhaltens einer Person, die Einstellungskomponente und die soziale/ subjektive Normkomponente sind in Abbildung 38 dargestellt:

Meinung Meinung über über Konsequenzen Konsequenzen des des Verhaltens Verhaltens

Einstellung Einstellung zu zu dem dem Verhalten Verhalten Intention Intention

Normative Normative Meinung Meinung über über das das Verhalten Verhalten

Verhalten Verhalten

Subjektive Subjektive Norm Norm

Abbildung 38: Schematische Darstellung der Theorie des überlegten Handelns Quelle: Fishbein/Ajzen (1975).

Die Einstellungskomponente („attitude towards the behavior“), d. h. die Einstellung zu einem bestimmten Verhalten, beschreibt das Ausmaß, mit dem das betreffende Verhalten positiv oder negativ bewertet wird. In Anlehnung an die sog. „Erwartungs-Wert-Theorie“ ist die Einstellungskomponente determiniert durch die Gesamtheit der erfassbaren Meinungen oder Überzeugungen über die Konsequenzen des Verhaltens oder andere Attribute/ Eigenschaften. Konkret heißt dies, dass die Meinungen/ Überzeugungen über ein Einstellungsobjekt (bi), d. h. die subjektive Wahrscheinlichkeit, dass das Einstellungsobjekt die Eigenschaft i besitzt bzw. die Folge i nach sich zieht, durch die Bewertung der jeweils betrachteten Eigenschaft oder Verhaltenskonsequenz i (ei) gewichtet wird. Dazu wird die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Konsequenz mit ihrer Bewertung multipliziert. Die endgültige Einstellung des betreffenden Verhaltens resultiert schließlich aus der Summe aller in Bezug auf das Verhalten relevanten Überzeugungen multipliziert mit den Bewertungsprodukten, wie die folgende Gleichung zur Einstellungskomponente (ATB908) deutlich macht:909

907 908

Fishbein/Ajzen (1975). Die Abkürzungen beziehen sich hier und im Folgenden jeweils auf die englischen Originalbegrifflichkeiten, etwa „ATB“ auf „Attitude towards the Behavior“.

246

KAPITEL 5

n

ATB =  (biei) i=1

ATB ist die Einstellung gegenüber dem Verhalten B. Die Überzeugung bzw. subjektive Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten eine bestimmte Konsequenz i nach sich ziehen wird, wird mit dem Faktor bi dargestellt. ei steht für die Bewertung der Verhaltenskonsequenz. Die Summe bezieht sich auf n verhaltensbezogene Meinungen. Ein Individuum wird folglich dann ein bestimmtes Verhalten zeigen, wenn es davon überzeugt ist, dass die Konsequenzen des Verhaltens positiv sind. Es wird andererseits von der Ausführung des Verhaltens Abstand nehmen, wenn es die Konsequenzen negativ einschätzt oder nur geringe Chancen bestehen, dass positive Folgen zu erwarten sind. Ähnlich wie die Einstellungskomponente kann auch die subjektive Normkomponente („subjective norm“) als Funktion von Meinungen und der Bewertung dieser Meinungen beschrieben werden. Die subjektive Norm (SN) beschreibt die individuelle Wahrnehmung der Erwartungen anderer bzw. die Wahrnehmung des sozialen Umgebungsdrucks, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen oder zu unterlassen. Je nachdem, wie die Erwartungen von bedeutsamen Personen bewertet werden und in Abhängigkeit davon, ob ein Individuum motiviert ist, den mutmaßlichen Wünschen des sozialen Umfelds nachzukommen, wird die subjektive Norm auf das Verhalten wirken. Die subjektive Norm wird dabei determiniert von der Gesamtheit der erfassbaren normativen Meinungen eines Individuums bezüglich der Erwartung von wichtigen Bezugspersonen bzw. -gruppen, etwa dem Ehepartner, der Familie, Freunden, Vorgesetzten oder Kollegen. Die Stärke der normativen Meinung (ni) wird gewichtet mit der Motivation (mi), den subjektiv wahrgenommenen Vorstellungen der Bezugsperson(en) zu entsprechen. n steht für die Anzahl von relevanten Bezugspersonen. Die Produkte werden wiederum summiert, wie die folgende Gleichung zeigt: n

SN =  (nimi) i=1

Eine Person wird sich – so die TRA – dann in einer bestimmten Weise verhalten, wenn sie das Verhalten einerseits positiv bewertet und andererseits der Meinung ist, dass wichtige Bezugspersonen es positiv aufnehmen würden, wenn die Person das betreffende Verhalten zeigt. Je nach Situation können die beiden Komponenten unterschiedlich gewichtet sein, d. h. wenn keine bedeutsamen Personen existieren, hat die Einstellungskomponente sehr großes Gewicht, während die starke Einbindung einer Person in eine Gruppe, persönliche Einstellungen aushebeln kann, sodass der soziale Druck zur einzig bestimmenden Verhaltensdeterminante wird. 909

Vgl. Ajzen (2006); Güttler (2003), S. 194f. sowie Frey et al. (1993), S. 367ff.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

247

Laut der TRA verhält sich die Verhaltensintention (I) proportional zur gewichteten Summe der Einstellung gegenüber dem Verhalten und der subjektiven Norm.910 In der folgenden Gleichung ist B das spezifische Verhalten, I die Verhaltensintention einer Person, ATB die Einstellung der Person zur Ausübung des Verhaltens, SN die subjektive Norm der Person in Bezug auf das Verhalten und schließlich stehen w1 und w2 für die empirisch zu ermittelnden Gewichtungen, welche die relative Wichtigkeit von ATB und SN bestimmen. „~“ drückt aus, dass eine Intention nur dann aussagekräftig ist, wenn sie nicht vor der Ausübung des Verhaltens geändert wurde.911

B ~ I = [w1ATB + w2SN] Aus der Gleichung wird deutlich, dass Fishbein & Ajzen davon ausgingen, dass die beiden Komponenten zur Vorhersage von Verhalten geeignet sind. Andere Einflussvariablen, wie etwa demographische Faktoren oder Persönlichkeitsvariablen, haben gemäß der TRA keinen direkten Einfluss auf das Verhalten. Sie üben lediglich Einfluss auf die Meinungen und Bewertungen aus.912 Abschließend ist festzustellen, dass die TRA in empirischen Untersuchungen gute Verhaltensprognosen lieferte, wobei der Beitrag der Einstellungskomponente in Relation zu jenem der subjektiven Norm im Hinblick auf die Vorhersage des Verhaltens in der Regel größer ist.913 Dennoch stieß die Theorie an gewisse Grenzen hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit. Wie bereits erwähnt, lässt sich das Verhalten nur dann unmittelbar aus der Verhaltensintention ableiten, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:914 Intentionen müssen zum einen kurz vor dem eigentlichen Verhalten reflektiert werden, zum anderen muss das Verhalten unter willentlicher Kontrolle der Person stehen, d. h. sie muss in der Lage sein, das Verhalten ohne Probleme ausführen zu können. Eine weitere Limitation des Modells ist die Möglichkeit der Änderung von Intentionen im Zeitverlauf, insbesondere durch das Eintreten unvorhergesehener Ereignisse. Um zufriedenstellende Verhaltensprognosen zu erhalten, bietet sich jedoch die Möglichkeit, die individuellen Intentionen zu aggregieren (Aggregatintentionen), da diese im Zeitverlauf stabiler sind. Auch die Stärke der Intention kann die Verhaltensprognose beeinflussen. Je stärker bzw. je sicherer eine Intention, desto stärker fällt die Korrelation zwischen Intention

910 911 912 913

914

Vgl. Frey et al. (1993), S. 369. Vgl. Ajzen (1985), S. 13. Vgl. Fishbein/Ajzen (1975). Einen Überblick über die verschiedenen Anwendungsbereiche der Theorie des überlegten Handelns findet sich sowohl bei Ajzen (1985), S. 17, als auch bei Frey et al. (1993), S. 373. Vgl. Frey et al. (1993), S. 374.

248

KAPITEL 5

und Verhalten aus, d. h. desto besser sagt die betreffende Intention das Verhalten voraus.915 Auch die öffentliche Bekanntmachung einer Verhaltensintention führt – so Sherman – zu einer erhöhten Bereitschaft, das betreffende Verhalten auch tatsächlich zu zeigen.916 Schließlich existieren interindividuelle Unterschiede zwischen Personen, beispielsweise hinsichtlich der Fragen, inwiefern ihr Verhalten von situationalen Hinweisreizen oder inneren Merkmalen (wie Werten, Dispositionen, Einstellungen) gesteuert wird, wie hoch ihre Selbstwirksamkeit917 ist, und wie sehr sie ein über verschiedene Situationen hinweg relativ konsistentes Verhalten zeigen.918

5.3.3

KERNAUSSAGEN DER THEORIE DES GEPLANTEN VERHALTENS

Die Theorie des geplanten Verhaltens919 („Theory of Planned Behavior“) gilt in der Gegenwart als die wichtigste Einstellungstheorie und setzt sich wie die TRA mit verhaltensspezifischen Faktoren auseinander, um das menschliche Verhalten in einem spezifischen Kontext zu erklären.920 Die TPB wurde – wie im vorangegangenen Unterkapitel angedeutet wurde – auf der Grundlage der TRA entwickelt und stellt im Grunde eine Erweiterung der TRA dar, da sie auch die Behandlung von Verhaltensweisen erlaubt, bei denen Menschen nicht mehr die vollkommene Kontrolle über ein bestimmtes Verhalten besitzen. Die ausschließliche Untersuchung von motivationsabhängigen Verhaltensweisen (wie in der TRA) erschien Ajzen zu restriktiv, da die Ausführung vieler Verhaltensweisen in der Regel an bestimmte Gegebenheiten gebunden ist und spezifische Ressourcen (z. B. Zeit, finanzielle Mittel, Fähigkeiten, soziale Unterstützung etc.) voraussetzt. Diese Verhaltensweisen unterliegen nicht mehr nur der willentlichen Kontrolle eines Individuums. Infolgedessen können intendierte Verhaltensweisen auch als Ziele interpretiert werden, deren Realisierung mit einem gewissen Grad an Unsicherheit verbunden ist.921 Die Erweiterung der TRA um die Komponente der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle hat letztlich auch zu einer Verbesserung der Vorhersagefähigkeit von In-

915 916 917

918 919 920 921

Vgl. Fazio/Zanna (1978), S. 398ff. Vgl. Sherman (1980), S. 211ff. Die Theorie der Selbstwirksamkeit wird als Ausgangspunkt für die TRA gesehen. Eine Person besitzt eine hohe Selbstwirksamkeit, wenn sie ihre Aufmerksamkeit vor allem auf sich selbst, ihre Gefühle, Einstellungen und Normen richtet. Eine niedrige Selbstwirksamkeit liegt dann vor, wenn die Person ihre Aufmerksamkeit primär auf äußere, nicht-personale Umweltfaktoren richtet. Eine selbstaufmerksame Person sollte daher versuchen, ihre Einstellungen mit ihrem Verhalten in Einklang zu bringen. Vgl. hierzu Frey et al. (1993), S. 376ff. Ajzen (1988); Ajzen (1991). Vgl. ebenda, S. 181. Vgl. Frey et al. (1993), S. 378.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

249

tentionen mit Bezug auf ein bestimmtes Verhalten geführt.922 Abbildung 39 illustriert die Determinanten in der TPB:

Meinung Meinung über über VerhaltensVerhaltenskonsequenzen konsequenzen

Einstellung Einstellung zu zu dem dem Verhalten Verhalten

Normative Normative Meinung Meinung über über das das Verhalten Verhalten

Subjektive Subjektive Norm Norm

Meinung Meinung über über Kontrollierbarkeit Kontrollierbarkeit von von bestimmten bestimmten Faktoren Faktoren

Wahrgenommene Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Verhaltenskontrolle

Intention Intention

Verhalten Verhalten

Tatsächliche Tatsächliche Verhaltenskontrolle Verhaltenskontrolle

Abbildung 39: Determinanten der Theorie des geplanten Verhaltens Quelle: Ajzen (1991) sowie Ajzen (2006).

Wie in der Abbildung deutlich wird, stellt die TPB insofern eine Erweiterung des ursprünglichen Modells dar, als eine neue Komponente, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle („perceived behavioral control“; PBC), in das neue Modell aufgenommen wurde. Im Gegensatz zur TRA wird Intention nicht mehr als subjektive Wahrscheinlichkeit der Realisierung eines Verhaltens betrachtet, sondern als Absicht verstanden, die als Indikator für den Grad der Anstrengung einer Person dient.923 Intentionen erwiesen sich in der Vergangenheit als alleinige Verhaltensprädikatoren nämlich immer dann als unzureichend, wenn ein Individuum nur eine eingeschränkte Kontrolle über ein bestimmtes Verhalten hatte. Ajzen definiert diese Kontrolle daher als „people’s perceptions of their ability to perform a given behavior”924. Ob eine Person sich in einer bestimmten Weise verhält, hängt damit letztlich vom Umfang der Kontrolle ab, die sie über ihr Verhalten hat. Analog zur „Erwartungs-Wert-Theorie“ wird angenommen, dass die wahrgenommene Verhaltenskontrolle von der Gesamtheit von Meinungen und Überzeugungen über die das Verhalten begünstigenden oder hemmenden Faktoren bestimmt wird.925 Darunter sind Ressourcen, Gelegenheiten, aber auch Verhaltensmöglichkeiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verstehen. Je mehr eine Person glaubt, diese Faktoren zu 922 923 924 925

Einen Überblick über einschlägige Studien finden sich bei Jonas/Doll (1996), S. 22. Vgl. Ajzen (1991), S. 181. Ajzen (2006). Vgl. ebenda.

250

KAPITEL 5

besitzen bzw. im Griff zu haben, desto größer ist ihre wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Ähnlich den Meinungen bezüglich der Konsequenzen und den normativen Überzeugungen, welche die Einstellungs- sowie die subjektive Normkomponente determinieren, bestimmen die Überzeugung einer Person, die Kontrolle über Ressourcen, Fähigkeiten und entsprechenden Möglichkeiten zu haben, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Ajzen bringt diese dritte Komponente (PBC) mathematisch folgendermaßen auf den Punkt: n

PBC =  (ci pi) i=1

Die Stärke jeder Kontrollüberzeugung (ci) wird gewichtet mit der wahrgenommenen Stärke eines spezifischen Kontrollfaktors (pi), der das Verhalten begünstigen oder hemmen kann. Die Produkte werden wie in den vorangegangenen Fällen summiert. Wie aus Abbildung 39 (Seite 249) hervorgeht, kann die wahrgenommene Verhaltenskontrolle auf zwei Pfaden ein bestimmtes Verhalten beeinflussen. Vor dem Hintergrund, dass Personen, die weder über Fähigkeiten noch Ressourcen verfügen und sich aufgrund externer Hindernisse nicht in der Lage sehen, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, keine Intention entwickeln werden, muss die wahrgenommene Verhaltenskontrolle einen direkten Einfluss auf die Verhaltensabsicht haben. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle kann sich aber auch direkt auf das in Frage kommende Verhalten auswirken (gestrichelte Linie). Wenn die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die tatsächliche Verhaltenskontrolle widerspiegelt – dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das betreffende Individuum einschlägige Erfahrungen mit dem Verhalten gemacht hat – wird die wahrgenommene Verhaltenskontrolle einen direkten Einfluss auf das in Frage kommende Verhalten ausüben. Streng genommen existieren daher zwei Versionen der TPB. Letztlich wird im Modell davon ausgegangen, dass sich die drei Komponenten – Einstellung, subjektive Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle – wechselseitig beeinflussen, „so dass auch von indirekten Einflüssen der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle – vermittelt über ihre Beziehungen zur Einstellungs- und subjektiven Normkomponente – auf die Verhaltensintention auszugehen ist“926. Die Frage nach den die wahrgenommene Verhaltenskontrolle bestimmenden Faktoren ist wichtig, da diese sowohl intern (bezogen auf das Individuum und seine Charakteristika) als auch extern (bezogen auf bestimmte Ereignisse und Möglichkeiten) vorhanden sind. Bezüglich der internen Faktoren ist davon auszugehen, dass Individuen sich in der Fähigkeit unterscheiden, Kontrolle über ihr Verhalten auszuüben und Kontrollmöglichkeiten überhaupt zu erkennen. Wie bereits erwähnt, etablierte Bandura den Begriff Selbstwirksamkeit („selfefficacy“), womit er die Erwartung einer Person verstand, sich in einer bestimmten Weise 926

Frey et al. (1993), S. 380.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

251

verhalten zu können.927 Insofern begünstigt die Selbstwirksamkeit ebenso wie die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die Ausführung einer bestimmten Handlung. Darüber hinaus kann es passieren, dass eine Person eine bestimmte Handlung durchzuführen beabsichtigt, jedoch bemerkt, dass die dafür notwendigen Informationen und Ressourcen nicht zur Verfügung stehen. Auch können Menschen bemüht sein, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, besitzen aber nicht die dafür notwendige Willensstärke und Selbstdisziplin. Neben den genannten internen Faktoren sind auch externe Effekte denkbar, die Einfluss auf das Handeln einer Person ausüben können. Ungünstige Gegebenheiten und unerwartete Ereignisse verhindern u. U. ein bestimmtes Verhalten. Auch das Verhalten Dritter kann dazu führen, dass ein bestimmtes Verhalten zwar intendiert ist, jedoch letztlich nie realisiert wird.

5.3.4 5.3.4.1

KRITISCHE BETRACHTUNG DER EINSTELLUNGS-VERHALTENS-THEORIEN Geltungsbereich der Theorien

Die TPB und TRA unterscheiden sich hinsichtlich ihres Geltungsbereichs, da die TRA sich auf willentlich kontrollierbares Verhalten beschränkt und die TBP auch eingeschränkt willentlich kontrollierbare Verhaltensweisen in Betracht zieht. Unter willentlich kontrollierbarem Verhalten werden jene Verhaltensweisen verstanden, die nicht von situativen Faktoren abhängig sind und die ein Individuum dann zeigen kann, wenn es die Absicht dazu hat.928 Mit der Einführung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle wurde schließlich die Möglichkeit eingeräumt, dass ein Individuum die Ausführung eines bestimmten Verhaltens durch die Existenz von internen und externen Faktoren als einfach oder schwer einschätzen kann. Im Gegensatz zum bereits erwähnten Konzept der Selbstwirksamkeit, das nach Ajzen & Timko nur interne Faktoren berücksichtigt, können mit der Kontrollkomponente der TPB in- und externe Faktoren abgebildet werden.929 Obwohl die beiden Theorien auf die Vorhersage von Verhalten abzielen, kann mit ihnen weder spontanes, nicht-intendiertes Verhalten noch gewohnheitsmäßiges Verhalten abgebildet werden.930 Nach Bagozzi & Yi können sich Individuen aber durchaus spontan verhalten, ohne eine Absicht gebildet zu haben. Sie handeln somit nur aufgrund einer spezifischen Einstellung.931 Für die Untersuchung von häufig wiederkehrenden Verhaltensweisen bzw. Gewohnheiten sind die TRA und TPB ebenfalls nicht geschaffen worden. Sie dienen vielmehr der

927 928 929 930 931

Bandura (1977), S. 191ff. Vgl. Jonas/Doll (1996), S. 21. Vgl. Ajzen/Timko (1986), S. 279ff. Vgl. Jonas/Doll (1996), S. 21f. Vgl. Bagozzi/Yi (1989a), S. 266ff.; Bagozzi/Warshaw (1992), S. 601ff.

252

KAPITEL 5

Analyse gelegentlich auftretenden Verhaltensweisen.932 Der Einfluss der Verhaltensintention bei Gewohnheitshandlungen ist deshalb entsprechend klein.

5.3.4.2

Der Begriff „Intention“

Wie bereits in Kapitel 5.3.2 und 5.3.3 deutlich wurde, liegt den beiden Theorien ein unterschiedliches Verständnis des Intentionsbegriffs zugrunde. Während in der TRA Intention als subjektive Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens verstanden wird, sind Intentionen in der TPB „Absichten […], die den Grad der Anstrengungen beschreiben, den Personen zu investieren bereit sind, um ein Verhalten auszuführen“933. Dies entspricht dem gängigen Verständnis von Intention als dem Entschluss einer Person, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Der Intentionsbegriff, den Ajzen & Fishbein ursprünglich verwendeten, ist dagegen eher als eine Verhaltenserwartung zu charakterisieren. Letztere unterscheidet sich jedoch im Fall einer eingeschränkten willentlichen Kontrolle von der Absicht oder Intention.934

5.3.4.3

Mangelnde Suffizienz der TPB

Die TPB unterscheidet – so Ajzen – zwischen drei unterschiedlichen Meinungen und den damit in Beziehung stehenden Konstrukten der Einstellung zum Verhalten, der subjektiven Norm sowie der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle. Im Hinblick auf die Frage der Suffizienz bemerkt Ajzen: „It can reasonably be argued that all beliefs associate the behavior of interest with an attribute of some kind, be it an outcome, a normative expectation, a resource needed to perform the behavior. It should thus be possible to integrate all beliefs about a given behavior under a single summation to obtain a measure of the overall behavioral disposition.”935 Die Unterscheidung zwischen der persönlichen Bewertung einer Verhaltensweise (ausgedrückt durch die Einstellung zum Verhalten), der sozialen Akzeptanz des Verhaltens (subjektive Norm) und der Selbstwirksamkeit bzw. Kontrollierbarkeit hinsichtlich des Verhaltens (wahrgenommene Verhaltenskontrolle) haben sich in zahlreichen empirischen Studien für die Vorhersage von Absicht und Verhalten als brauchbar erwiesen.936 Damit stellt Ajzen grundsätzlich die Suffizienz der TPB fest, wobei er eine Erweiterung seines Modells um zusätzliche Erklärungsvariablen jedoch nicht kategorisch ausschließt.937

932 933 934 935 936 937

Vgl. Triandis (1980), S. 195ff. Vgl. Jonas/Doll (1996), S. 23. Vgl. hierzu Sheppard et al. (1988), S. 325ff. Ajzen (1991), S. 198f. Vgl. Vogelsang (2004), S. 10. Vgl. Ajzen (1991), S. 199.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

253

Auch wenn die Vorhersage von Verhalten durch Intention grundsätzlich nicht mehr angezweifelt wird, da dieser Zusammenhang sich empirisch und theoretisch etabliert hat,938 konnten Studien unabhängige Effekte weiterer Prädikatoren (z. B. wahrgenommene moralische Verpflichtung, soziale Identität, moralisches Bedauern, Erfahrung etc.) zeigen, welche den Suffizienzanspruch anzweifeln ließen. Jonas & Doll gehören zu den Kritikern und nennen einige Argumente, die für die Aufgabe des Suffizienzanspruchs der TRA bzw. der TPB sprechen.939 So beziehen sie sich beispielsweise auf Studien, in denen gezeigt werden konnte, dass die Selbstdefinition oder Identität einer Person Einfluss auf deren Verhalten haben. Auch das moralische Empfinden oder Bedauern einer Person über ein bestimmtes, von ihr zuvor gezeigtes Verhalten liefert neben der Einstellung, der sozialen Akzeptanz und der Verhaltenskontrolle einen zusätzlichen, signifikanten Beitrag zur Vorhersage einer Absicht bzw. des Verhaltens (d. h. eine Erhöhung der erklärten Varianz um 3% bis 6%).940 Ferner konnte gezeigt werden, dass in Situationen, in denen ein Individuum über mehr als eine Handlungsalternative verfügt, eine einzige Intention nicht ausreicht, um das Verhalten dieser Person zu erklären. Wenn alternative Handlungen ähnliche Konsequenzen haben und diese keine entsprechende Berücksichtigung im Zuge der Analyse von Einstellungen finden, verringert sich der Erklärungsgehalt der TRA bzw. der TPB. Schließlich wurde immer wieder vorgeschlagen, frühere Erfahrungen einer Person mit einem bestimmten Verhalten in die EinstellungsVerhaltens-Modelle aufzunehmen. Ajzen wirkt dieser Forderung entgegen, indem er feststellt, dass die frühere Erfahrung mit einem bestimmten Verhalten die wichtigste Informationsquelle für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle darstellt und dass letztere eine wichtige Rolle spielt, die Wirkung von vergangenem auf künftiges Verhalten aufzuzeigen.941

5.3.4.4

Mangelnder Prozesscharakter der Theorien

Ein letzter Kritikpunkt der beiden Theorien ist ihr mangelnder Prozesscharakter. Gemeint ist damit, dass in beiden Theorien zwar Faktoren modelliert werden, die geeignet sind, die Absicht zur Ausführung einer Verhaltensweise zu bestimmen, dass jedoch die tatsächliche Umsetzung der Verhaltensweise nicht abgebildet wird. Durch den Einbezug der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle in die TPB hat Ajzen zwar mögliche Störungen und negative Einflussfaktoren im Hinblick auf die Ausführung eines Verhaltens berücksichtigt, allerdings

938 939 940

941

Vgl. hierzu Triandis (1980); Bentler/Speckart (1979); Eagly/Chaiken (1998). Vgl. hier und im Weiteren Jonas/Doll (1996), S. 24. Die Studien wurden u. a. von Sparks/Shepherd (1992) sowie Charng et al. (1988) durchgeführt. Unter Verwendung der TRA bzw. TPB wurde die Möglichkeit der Vorhersage von spezifischem Verhalten untersucht, wobei Rollenidentität und Selbstdefinition neben den zentralen Elementen der beiden Theorien einen Einfluss auf das Verhalten hatten. Die Untersuchung von Beck/Ajzen (1991) zeigte, dass auch Bedauern über eine bestimmte Verhaltensweise Erklärungsgehalt besitzt. Ajzen (1991), S. 204.

254

KAPITEL 5

meint Kuhl, reicht diese nicht aus, um die Vielzahl der Kontrollprozesse, welche zur Ausführung der Verhaltensweise notwendig sind, zu erfassen.942

5.3.5

BEGRÜNDUNG FÜR DIE VERWENDUNG DER TPB IM RAHMEN DER UNTERSUCHUNG DER DEZENTRALEN LEADERSHIP

Trotz der dargestellten Problemfelder und Schwächen soll die Theorie des geplanten Verhaltens zur Analyse des unternehmerischen Führungsverhaltens in Tochtergesellschaften herangezogen werden. Die TPB hat sich bereits in vielen verschiedenen Untersuchungskontexten als praktikabel erwiesen und gilt in der Sozialpsychologie als etabliert. Die Kritik, dass die TPB gewohnheitsmäßiges Verhalten nicht erfassen kann, erscheint vernachlässigbar, insofern als unternehmerisches Verhalten durch das Auftreten einer wirtschaftlichen Möglichkeit, die in nicht vorhersehbaren Zeitabständen auftritt, initiiert wird. Auch wenn unternehmerisches Denken und Handeln aufgrund verschiedenster Impulse wiederholt auftreten kann, so kann dennoch nicht von einem habituellen Vorgang gesprochen werden, da es einer bewussten Entscheidung bedarf, auf Opportunitäten zu reagieren. Frühere Erfahrungen mit einem Verhalten werden zwar laut Ajzen in der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle erfasst, sollen aber im Rahmen der Analyse der dezentralen Leadership explizit in das Forschungsmodell aufgenommen werden. Dabei wird von einem direkten Einfluss früherer Erfahrung mit den Aspekten von dezentraler Leadership auf die Verhaltensintention ausgegangen. Insofern wird dem in Kapitel 5.3.4.3 angesprochenen Kritikpunkt Rechnung getragen. Mit Bezug auf den in Kapitel 5.3.4.2 diskutierten Intentionsbegriff wird deutlich, dass der vorliegenden Arbeit der Intentionsbegriff der TPB zugrunde liegt, d. h. Intention als Absicht verstanden wird, eine Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen. Im Hinblick auf den zuletzt genannten mangelnden Prozesscharakter der TPB wird in der vorliegenden Arbeit versucht, die in einer Organisation und deren Umfeld möglichen hinderlichen und günstigen Faktoren, die auf dezentrale Leadership wirken können, bestmöglich zu erfassen. Da es das Ziel dieser Arbeit ist, die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzbarkeit von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften zu erfassen, ist es zielführend, die unterschiedlichen Faktoren in eine systematische Beziehung zu setzen. Die Abläufe, die zur Bildung einer unternehmerischen Einstellung von Führungspersonen führen, in ihre Bestandteile zu zerlegen und/ oder im Zeitverlauf zu analysieren, wie dies in Prozessmodellen gefordert wird, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Insofern hat der letztgenannte Kritikpunkt für diese Arbeit keine Relevanz.

942

Vgl. Kuhl (1985), S. 101ff.

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

5.4

255

Adaption der Theorie des geplanten Verhaltens an die Erfordernisse des dezentralen Leadership-Konzepts Person, process, and choice: For that we need a truly psychological perspective on new venture creation. Kelly G. Shaver & Linda R. Scott

Wie bereits an früherer Stelle dargelegt wurde, ist die Absicht, sich unternehmerisch zu verhalten, das beste Vorhersageinstrument für tatsächliches unternehmerisches Verhalten. Da Einstellungen sich mit der Zeit und durch das Eintreten von Ereignissen im externen Umfeld verändern können, sind sie besser als Eigenschaften und persönliche Charakteristika einer Führungskraft dazu geeignet, der Komplexität des unternehmerischen Verhaltens in Tochtergesellschaften von diversifizierten Unternehmen zu entsprechen. Da unternehmerisches Verhalten in Tochtergesellschaften im Sinne der dieser Arbeit zugrunde liegenden Definition streng genommen eher als eine Verhaltenskategorie denn als ein Einzelverhalten interpretiert werden muss und die TPB primär zur Vorhersage von Einzelverhaltenskriterien („single act criteria“943) konzipiert wurde, wurde das Verhalten einer Führungskraft auf dezentraler Ebene wiederum in sechs einzelne Verhaltensweisen unterteilt: Vision entwickeln, Vorbild sein, Wert für Stakeholder schaffen, proaktiv handeln, gewisse Risiken eingehen, innovative Ideen entwickeln (vgl. Abbildung 30, Seite 195). Abbildung 40 stellt die erweiterte TPB dar. Die in Kapitel 4 angesprochenen Einflussfaktoren aus dem unternehmensinternen und -externen Umfeld sowie des sozialen Gefüges haben in das Modell Eingang gefunden.

943

Vgl. Fishbein (1980).

256

KAPITEL 5

Kontrollüberzeugungen Strategische Strategische Ziele Ziele Unternehmensinterne Unternehmensinterne Systeme Systeme Unternehmensstruktur Unternehmensstruktur Unternehmenskultur Unternehmenskultur Normative Überzeugungen Führungskräfte Führungskräfte in in der der Muttergesellschaft Muttergesellschaft Behaviorale Überzeugungen Wahrgenommene Wahrgenommene positive positive Konsequenzen Konsequenzen des des unternehmerischen unternehmerischen Verhaltens Verhaltens Wahrgenommene Wahrgenommene negative negative Konsequenzen Konsequenzen des des unternehmerischen unternehmerischen Verhaltens Verhaltens

Erfahrung Erfahrung mit mit dezentraler dezentraler Leadership Leadership

Untersuchungsgegenstand

Einstellung Einstellung zu zu dezentraler dezentraler Leadership Leadership

Führungskräfte Führungskräfte in in anderen anderen Töchtern Töchtern

Rolle Rolle der der dezentralen dezentralen Einheit Einheit Verfügbarkeit Verfügbarkeit von von Ressourcen/Zeit Ressourcen/Zeit

Nachrangige Nachrangige Führungskräfte Führungskräfte

Umweltinfrastruktur Umweltinfrastruktur

Mitarbeiter/Untergebene Mitarbeiter/Untergebene

Umweltturbulenz Umweltturbulenz

Privates Privates soziales soziales Umfeld Umfeld

Unternehmerische Unternehmerische Kompetenzen Kompetenzen

Subjektive Subjektive Norm Norm

Wahrgenommene Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Verhaltenskontrolle

Intention, Intention, sich sich unternehmerisch unternehmerisch zu zu verhalten verhalten

(nicht Teil der empirischen Untersuchung!) Unternehmerisches Unternehmerisches Verhalten Verhalten auf auf dezentraler dezentraler Ebene Ebene

Abbildung 40: Die TBP unter Berücksichtigung der für das Konzept der dezentralen Leadership relevanten Einflussvariablen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Ajzen (1991).

Bevor aus der schematischen Darstellung des Forschungsmodells die zentralen Hypothesen, die in dieser Arbeit empirisch überprüft werden sollen, abgeleitet werden, werden die Modellkomponenten kurz erläutert: Die Einstellung zu dezentraler Leadership wird dabei bestimmt von den von der Führungsperson wahrgenommenen positiven und negativen Konsequenzen, die sich aus der unternehmerischen Führung der Tochtergesellschaft ergeben können, beispielsweise Ineffizienz interner Prozesse, mehr Verantwortung für die eigene Tochtergesellschaft (vgl. hierzu wiederum die Ausführungen in Kapitel 4.9).

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

257

Die subjektive Norm wird determiniert von der Wahrnehmung und Bewertung des sozialen Drucks seitens verschiedener Bezugsgruppen der Führungskraft in der Tochtergesellschaft, d. h. konkret den Letztentscheidungsträgern in der Zentrale, gleichgestellten Kollegen in anderen Tochtergesellschaften, nachrangigen Führungskräften in der eigenen Tochtergesellschaft, den eigenen Mitarbeitern sowie dem privaten Umfeld. In einer wissenschaftlichen Studie hatte sich gezeigt, dass die Bereitschaft, diesen Bezugsgruppen durch Verhaltensanpassung zu entsprechen, der Führungskraft letztlich erlaubt, Antworten auf die Komplexität und Dynamik der unternehmerischen Aufgaben zu finden.944 Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle wird von drei Kategorien von Faktoren bestimmt. Im organisationalen Umfeld können die übergeordneten strategischen Ziele der Letztentscheidungsträger in der Mutterunternehmung neben internen Prozessen, der Unternehmensstruktur und -kultur sowie der Rolle der jeweiligen Tochtergesellschaft und den zur Verfügung stehenden Ressourcen einen Einfluss auf die wahrgenommene Kontrollfähigkeit der Führungskraft haben. Impulse aus dem externen Umfeld (Umweltinfrastruktur und -turbulenz) können ebenso eine Rolle wie die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen spielen. Neben den drei Komponenten der TPB wird angenommen, dass die direkte Erfahrung mit unternehmerischem Führungsverhalten sich auch auf die Absicht einer Führungskraft auswirkt, unternehmerisch zu handeln. Deshalb wurde das ursprüngliche Modell der TPB um diesen Faktor ergänzt. Die Verhaltensabsicht wird abschließend ebenfalls untersucht, da sie als bester Prädikator von Verhalten angesehen wird und damit Aufschluss über das Potenzial zu dezentraler Leadership in den untersuchten Unternehmen geben kann.

5.5

Ableitung der Hypothesen

Ausgangspunkt der Diskussion der dezentralen Leadership ist die Annahme, dass die einzelne Führungsperson in einer Tochtergesellschaft das zentrale Element aller dort stattfindenden Vorgänge darstellt. Ihre Wahrnehmung und Bewertung der situativen Faktoren bestimmt, ob ihr Führungsverhalten unternehmerisch und initiativ ausgeprägt ist oder nicht. Nach der TPB bestimmen die Einstellung zum Verhalten, die subjektive Norm sowie die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die Bildung einer konkreten Verhaltensabsicht, welche geeignet ist, Rückschlüsse auf das Verhalten der betreffenden Person zu ziehen. Auf den dezentralen Leadership-Ansatz übertragen bedeutet dies, dass die Einstellung zum unternehmerischen Führungsverhalten auf dezentraler Ebene von der Wahrnehmung der Konsequenzen des betreffenden Verhaltens abhängt. Positiv wahrgenommene Konsequenzen haben eine po944

Vgl. hierzu Sosik et al. (2002).

258

KAPITEL 5

sitive Wirkung auf die Einstellung zu unternehmerischem Verhalten, während eine negative Bewertung zu einer negativen Einstellung führt. Die positive bzw. negative Einstellung zum Verhalten wirkt sich positiv bzw. negativ auf die Entwicklung einer konkreten Verhaltensabsicht aus. Deshalb lauten die ersten beiden zentralen Hypothesen: H 1:

Die Einstellung zu dezentraler Leadership beeinflusst die Intention, eine Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen.

H 2:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den verhaltensbasierten Überzeugungen bezüglich der Konsequenzen und Wirkungen von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften und der Einstellung zu dezentraler Leadership.

Die subjektive Norm beschreibt die Wahrnehmung des sozialen Drucks durch relevante Bezugspersonen eines Individuums. In Abhängigkeit davon, ob ein Individuum den Erwartungen dieser Personen entsprechen möchte, wird die subjektive Norm auf die Bildung der Verhaltensabsicht Einfluss nehmen. Bezogen auf die dezentrale Leadership sind die wichtigsten Personengruppen des sozialen Umfelds die Führungskräfte der Zentrale, Kollegen, Mitarbeiter (als unternehmensinterne Bezugsgruppen) sowie gleichgestellte Kollegen in anderen Tochtergesellschaften oder das private Umfeld der Führungskraft (als unternehmensexterne Bezugsgruppen).945 Es wird angenommen, dass ein dezentraler Leader den Erwartungen dieser Bezugsgruppen zu entsprechen versucht. Deshalb lauten die Hypothesen wie folgt: H 3:

Die subjektive Norm beeinflusst die Intention zu unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften.

H 4:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den normativen Überzeugungen und der subjektiven Norm.

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beschreibt allgemein die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, sich in einer bestimmten Weise verhalten zu können.946 Das Verhalten einer Führungskraft auf dezentrale Ebene ist dabei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Im internen Umfeld können die übergeordneten Ziele, die internen Systeme, die Unternehmensstruktur und -kultur sowie die Stellung der dezentralen Einheit im Unternehmensverbund und die Verfügbarkeit von Zeit und Ressourcen positiven wie negativen Einfluss auf die wahrgenommene Verhaltenskontrolle haben. Daneben spielen die Vorgänge im unternehmensexternen Umfeld, repräsentiert durch die Umweltturbulenz und 945

946

Die Familie wurde in den Kreis der wichtigsten Bezugsgruppen eines dezentralen Leaders einbezogen, weil sich gezeigt hat, dass die Unterstützung im persönlichen Umfeld für das Durchhalten in schwierigen Situationen während des unternehmerischen Prozesses entscheidend ist; vgl. hierzu u. a. Hisrich/Peters (2002), S. 73. Vgl. Ajzen (1991); Ajzen (2006).

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

259

-infrastruktur, ebenfalls eine Rolle für die Entstehung von dezentralem, unternehmerischem Führungsverhalten. Daher lauten die weiteren Hypothesen: H 5:

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beeinflusst die Absicht zu unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften.

H 6:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den kontrollbasierten Überzeugungen und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

H 6a:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Kontrollüberzeugungen bezüglich der unternehmensinternen Faktoren und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

H 6b:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Kontrollüberzeugungen bezüglich der unternehmensexternen Faktoren und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

H 6c:

Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Kontrollüberzeugungen bezüglich der eigene unternehmerischen Kompetenzen und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

H 7:

Die direkte Erfahrung mit Aspekten der dezentralen Leadership beeinflusst die Intention, eine Tochtergesellschaft zu führen.

In Abbildung 41 (Seite 260) sind die Hypothesen, die in der empirischen Untersuchung getestet werden sollen, nochmals zusammengefasst. Dabei ist zu beachten, dass aufgrund des Querschnittcharakters der empirischen Untersuchung nicht das tatsächliche unternehmerische Führungsverhalten von Führungskräften in Tochtergesellschaften gemessen wird, sondern die entsprechende Intention als Ausdruck des Potenzials zu dezentraler Leadership.

260

KAPITEL 5

Kontrollüberzeugungen Strategische Strategische Ziele Ziele Unternehmensinterne Unternehmensinterne Systeme Systeme Unternehmensstruktur Unternehmensstruktur Unternehmenskultur Unternehmenskultur Normative Überzeugungen Rolle Rolle der der dezentralen dezentralen Einheit Einheit

Führungskräfte Führungskräfte in in der der Muttergesellschaft Muttergesellschaft Behaviorale Überzeugungen Wahrgenommene Wahrgenommene positive positive Konsequenzen Konsequenzen des des unternehmerischen unternehmerischen Verhaltens Verhaltens Wahrgenommene Wahrgenommene negative negative Konsequenzen Konsequenzen des des unternehmerischen unternehmerischen Verhaltens Verhaltens

H2

Erfahrung Erfahrung mit mit dezentraler dezentraler Leadership Leadership

Verfügbarkeit Verfügbarkeit von von Ressourcen/Zeit Ressourcen/Zeit

Führungskräfte Führungskräfte in in anderen anderen Töchtern Töchtern Nachrangige Nachrangige Führungskräfte Führungskräfte

Umweltinfrastruktur Umweltinfrastruktur

Mitarbeiter/Untergebene Mitarbeiter/Untergebene

Umweltturbulenz Umweltturbulenz

Privates Privates soziales soziales Umfeld Umfeld

Unternehmerische Unternehmerische Kompetenzen Kompetenzen

H4

Einstellung Einstellung zu zu dezentraler dezentraler Leadership Leadership

H1 H7

H6

Wahrgenommene Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Verhaltenskontrolle

Subjektive Subjektive Norm Norm

H3

H5

Intention, Intention, sich sich unternehmerisch unternehmerisch zu zu verhalten verhalten

Abbildung 41: Hypothesen des dezentralen Leadership-Modells Quelle: eigene Darstellung.

5.6

Zusammenfassung und Fazit

Im fünften Kapitel wurde der Ansatz der dezentralen Leadership aus einer sozialpsychologischen Perspektive ausgearbeitet. Unternehmerisches Führungsverhalten in Tochtergesellschaften soll nun im Rahmen der empirischen Studie in Abhängigkeit von Motivation und persönlichen Motiven der einzelnen Führungsperson einerseits sowie von Einflüssen im internen und externen Umfeld andererseits untersucht werden.947 Das vorliegende Modell wurde

947

Vgl. McClelland (1966); Carsrud/Johnson (1989).

DEZENTRALE LEADERSHIP ALS INTENDIERTES VERHALTEN

261

auf der Basis der Theorie des geplanten Verhaltens entwickelt und trägt der besonderen Situation, in der dezentrale Leadership stattfindet, Rechnung. Es wurden insgesamt sieben zentrale Hypothesen formuliert, die im Rahmen der empirischen Untersuchung getestet werden. Zum tieferen Verständnis seien an dieser Stelle nochmals die zentralen Forschungsfragen dieser Arbeit genannt: Die erste Forschungsfrage zielt auf die Identifikation von Faktoren, die eine unternehmerische Haltung der Führungskräfte in Tochtergesellschaften, sich strategisch-unternehmerisch zu verhalten, beeinflussen können. Die zweite zentrale Frage thematisiert die Rolle der Führungskräfte in Mutter- und Tochtergesellschaften bei der Etablierung von unternehmerischem Führungsverhalten. Mit Hilfe der dritten Forschungsfrage sollen die Grenzen der Machbarkeit des Konzeptes „dezentrale Leadership“ aufgezeigt werden. Im nachfolgenden sechsten Kapitel wird auf diese drei zentralen Forschungsfragen mit Hilfe der empirischen Erhebungen Bezug genommen. Eine zusammenfassende Bewertung findet schließlich in Kapitel 7 statt.

6 EMPIRISCHE EXPLORATION DER DEZENTRALEN LEADERSHIP Durch Zweifeln kommen wir nämlich zur Untersuchung; in der Untersuchung erfassen wir die Wahrheit. Petrus Abaelardus

6.1 Vorgehensweise Um sich den Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen von dezentraler Leadership anzunähern, wurden sowohl qualitative als auch quantitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren gewählt. Dabei sollte es weniger um die wechselseitige Validierung der Methoden, sondern um eine Vervollständigung gehen.948 Diese Vorgehensweise wird unter dem Begriff der „Triangulation“ zusammengefasst. Darunter wird die Ergänzung von Perspektiven verstanden, die eine ausführliche Erfassung, Beschreibung und Erklärung eines Gegenstandsbereichs ermöglichen.949 Flick stellt dazu fest, dass „Triangulation […] damit weniger zu einer Strategie der Validierung der Ergebnisse und Vorgehensweisen als zu einer Alternative dazu (…) [wird], die Breite, Tiefe und Konsequenz im methodischen Vorgehen erhöht“950. Nachfolgend werden beide Teile der empirischen Erhebung dargestellt. Die qualitative Erhebung in Form von persönlichen Interviews zielt darauf ab, die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen unternehmerischen Führungsverhaltens in dezentralen Unternehmenseinheiten aus der Sicht der Letztentscheidungsträger in deutschen, diversifizierten Unternehmen zu erörtern. Die Vorgehensweise, Führungskräfte in den Mutterunternehmen zu befragen, ist sinnvoll, da empirische Untersuchungen zum einen belegen, dass mangelnde Unterstützung von Führungskräften an der Unternehmensspitze eine der Hauptursachen für das Fehlschlagen von Innovationsprozessen ist.951 Zum anderen gilt es, einen Eindruck vom Wesen deutscher Unternehmungen zu erhalten, welches durch die Perspektive des Top Managements am besten einzufangen ist. Die Mutterunternehmen bilden den organisationalen Rahmen, innerhalb dem dezentrale Leadership stattfindet. Dieser organisationale Rahmen wird dabei nicht unerheblich von der Einstellung, den Werten und Normen der Letztentscheidungsträger determiniert und hat insofern einen Einfluss auf die Entscheidungs- und Handlungsspielräume nachrangiger Führungskräfte.952

948 949 950 951 952

Vgl. Fielding/Fielding (1986), S. 33. Vgl. Kelle/Erzberger (2003), S. 304. Flick (1998), S. 230. Vgl. Gupta/Wilemon (1990), S. 30f. Vgl. hierzu Bass (1998); Schein (1992); Yammarino (1994); Lord/Maher (1990).

264

KAPITEL 6

Die Erkenntnisse aus der qualitativen Erhebung fließen anschließend in die Konzeption eines Fragebogens ein und sollen im Rahmen einer quantitativen Erhebung zu einem besseren Verständnis der Determinanten und Wirkungen von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften führen. In diesem zweiten Teil der empirischen Untersuchung werden Führungskräfte in den Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen auf der Basis eines standardisierten Online-Fragebogens um ihre Einschätzung möglicher Einflussvariablen und Effekte im Hinblick auf die Realisation von dezentraler Leadership gebeten.

6.2 Qualitative Erhebung 6.2.1

LEITFADENGESTÜTZTE INTERVIEWS

Die qualitative Erhebung wurde mittels leitfadengestützter Interviews durchgeführt. Leitfadengestützte Gespräche sind teilstandardisierte, mündliche Tiefeninterviews, bei denen mit offenen Fragen gearbeitet wird und die sich aufgrund ihrer Intensität und Dauer von normalen Befragungen unterscheiden. Sie setzen eine hohe Bereitschaft der Befragten voraus und werden insbesondere dort angewendet, wo es um die Herauskristallisierung zentraler Aspekte geht.953 Sie ermöglichen den Zugang zu Expertenwissen über das jeweilige Forschungsfeld und erlauben, „zu bestimmten Themen genauer nachzufragen, Sachverhalte tiefer oder mehr in die Tiefe gehend zu erfassen“954. Dabei wirkt die Teilstandardisierung wie ein „roter Faden“ und stellt sicher, dass wichtige Fragestellungen nicht vergessen werden.955 Wie aus den Ausführungen der vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, handelt es sich bei der dezentralen Führung in und von Tochtergesellschaften um ein sehr komplexes Themenfeld, auf das eine Vielzahl unterschiedlichster Faktoren einflussnehmend wirken kann. Die Methodik der Leitfadeninterviews bietet die Möglichkeit, diese Fülle der determinierenden Faktoren bis zu einem gewissen Maß einzugrenzen und jene Themenfelder herauszuarbeiten, die für die Beantwortung der Fragenstellung dieser Arbeit zentral sind.

6.2.2

ZENTRALE FRAGESTELLUNGEN

Die Konzeption des Leitfadens erfolgte auf der Basis der bereits vorhandenen theoretischen Erkenntnisse, die in den vorangegangenen Kapiteln diskutiert worden sind und orientierte sich ferner an eigenen plausibilitätsgestützten Überlegungen im Hinblick auf die zentrale Fragestellung dieser Arbeit. Der Leitfaden umfasste insgesamt dreizehn offene Fragen zur Füh-

953 954 955

Vgl. Bortz/Döring (2003). Kromrey (2002), S. 378 und darüber hinaus Hopf (2003), S. 350. Vgl. Hopf (1995), S. 177.

EMPIRISCHE EXPLORATION

265

rungssituation in deutschen, diversifizierten und international tätigen Unternehmen sowie abschließend vier kurze Fragen zum persönlichen Hintergrund der obersten Führungskräfte. In Frage 1 werden die Gesprächspartner zunächst gebeten, ihre Führungslogik, -prinzipien und -werte sowie ihren Führungsstil zu beschreiben. Hintergrund dieser ersten Frage ist die Annahme, dass Werte und Normen das Verhalten von Führungskräften bestimmen.956 Letztlich kann aus der Führungslogik der Letztentscheidungsträger der Gestaltungsspielraum nachrangiger Führungskräfte, insbesondere in den dezentralen Unternehmenseinheiten, abgeleitet werden. Frage 2 befasst sich mit der strategischen Orientierung der Unternehmen. Hierbei wird auf die in Kapitel 2.3.1.5 beschriebenen Organisationsarchitekturen, d. h. den globalen, internationalen, multinationalen bzw. transnationalen Organisationstypus, Bezug genommen, um herauszufinden, in welchem Maße die Tochtergesellschaften als verlängerte Werkbänke oder als dezentrale Kompetenzzentren eingeordnet werden können. Basierend auf den Überlegungen in Kapitel 2.3.2, könnten kontextbezogene Faktoren in Bezug auf die Tochtergesellschaft (z. B. Alter der Tochtergesellschaft, Art des lokalen Wettbewerbs) oder entsprechend auf die Mutterunternehmung (z. B. ihre Größe, Dauer des Auslandseinsatzes) die Gestaltungs-, Entscheidungs-, und Handlungsspielräume der dezentralen Einheit bestimmen. Die Letztentscheidungsträger werden daher im Rahmen der dritten Frage gebeten, ihre Aussagen zur Gleich- bzw. Ungleichbehandlung von Tochtergesellschaften zu erläutern. Daran anknüpfend zielt die vierte Frage auf die Art und den Umfang des strategischen Handlungs- und Entscheidungsspielraums ab, der den Führungskräften in den weltweit angesiedelten Tochtergesellschaften seitens der Unternehmenszentrale gewährt wird. In Abhängigkeit vom strategischen Grundverständnis, welches die Letztentscheidungsträger in der Unternehmenszentrale von ihrer Organisation haben, wird sich – so die Annahme dieser Arbeit – letztlich der strategisch-unternehmerische Handlungsspielraum der Führungskräfte in Tochterunternehmen gestalten.957 Frage 5 leitet einen neuen Frageblock ein, der sich mit unternehmerischen Initiativen, insbesondere aus dezentralen Unternehmenseinheiten beschäftigt. Die Gesprächspartner werden deshalb zunächst ganz allgemein gefragt, wie und wo in ihren Unternehmen Impulse für neue

956

957

Nach Deal/Kennedy (2000) stellen die Werte das Wesen bzw. den Kern eines Unternehmens dar, und dienen als Leitlinien für organisationales Handeln. Insbesondere im Hinblick auf die Fragestellung der dezentralen Leadership sind Kernwerte für das gesamte Unternehmen unerlässlich (vgl. Zhao (2005), S. 234), welche eine nicht-delegierbare Führungsaufgabe der Zentrale darstellen und unternehmerisches Denken und Handeln nicht unterbinden dürfen. Vgl. hierzu Birkinshaw (2000).

266

KAPITEL 6

Produkte, Dienstleistungen, Prozesse etc. entstehen. Durch diese Frage soll nochmals festgestellt werden, wo neues Wissen und Know-how in den Unternehmen generiert wird. Anschließend werden die Befragten um ihre Einschätzung gebeten, welche Wirkungen und Konsequenzen unternehmerische Initiativen haben, bezogen sowohl auf die Gesamtunternehmung als auch auf einzelne Unternehmenseinheiten. Bei dieser Frage wird Bezug genommen auf die Ausführungen verschiedener Wissenschaftler958, die sich mit den Effekten unternehmerischen Verhaltens bereits beschäftigt haben.959 Ihre Erkenntnisse zu bestätigen bzw. zu ergänzen würde einen weiteren Wissensgewinn bedeuten. Frage 7 lenkt die Aufmerksamkeit der befragten Führungskräfte auf unternehmerische Initiativen und Projekte, die ohne Abstimmung mit der Gesamtgeschäftsleitung bzw. ohne deren expliziten Beschluss in einzelnen Unternehmenseinheiten ins Leben gerufen würden. Diese Fragestellung ist bereits von Birkinshaw thematisiert worden. Er hat aus seinen Beobachtungen einzelner Beziehungsgefüge von Tochter- und Mutterunternehmung in Bezug auf unternehmerische Initiativen vier Ausprägungen von Reaktionen abgeleitet.960 Eine explizite Aufforderung zur Bewertung unternehmerischer Initiativen durch Letztentscheidungsträger, wie sie im Rahmen dieser Interviews stattfindet, findet sich jedoch nicht bei ihm. Insofern kann die vorliegende Befragung auch hier einen Wissensgewinn liefern. Daran anknüpfend werden die Gesprächspartner im Rahmen der Fragen 8 und 9 gebeten, unternehmerische Initiativen von Tochtergesellschaften in der Vergangenheit zu nennen und deren weitere Entwicklung zu skizzieren. Um Nennung konkreter Beispiele wird ebenfalls ersucht. Auf der Basis der Überlegungen in Kapitel 4.7. fokussiert Frage 10 die Voraussetzungen für unternehmerisches Denken und Handeln von Führungskräften. Dabei werden die Gesprächspartner auf drei unterschiedliche Perspektiven – Voraussetzungen im internen und externen Umfeld sowie personelle Voraussetzungen – aufmerksam gemacht, zu denen sie Stellung nehmen sollen. Die Fragen 11 und 12 thematisieren die zentralen Vorgaben und abstimmungspflichtigen Bereiche. Dabei wird explizit abgefragt, wann Initiativen aus Tochtergesellschaften einer Abstimmung bedürfen und welche Funktions- und Verantwortungsbereiche zentral organisiert werden. Auch an den Antworten auf diese Fragen lässt sich der Grad der Zentralisierung der Unternehmen ablesen.

958 959 960

Vgl. u. a. Paterson/Brock (2002); Kuratko et al. (2004). Vgl. Kapitel 4.8 und 4.9. Vgl. Birkinshaw (2000).

EMPIRISCHE EXPLORATION

267

Die letzte inhaltliche Frage rundet die Befragung ab. Mit ihr wird das Interview schließlich auf den jeweiligen Gesprächspartner selbst zurückgelenkt, der um eine Einschätzung seiner eigenen Rolle bei der Entwicklung oder Etablierung eines unternehmerischen Klimas in seinem Unternehmen gebeten wird. Damit kann abschließend auf den persönlichen Hintergrund des Gesprächspartners übergeleitet werden. Jeder Interviewpartner wirde gebeten, zu erklären, wie lange er/sie bereits in der gegenwärtigen Position tätig ist und ob er/sie Manager oder Unternehmer ist. Alter, höchster Bildungsabschluss und Geschlecht werden ebenfalls erfasst, wobei letzteres festgestellt, jedoch nicht explizit erfragt wird.

6.2.3

SAMPLING UND DATENERHEBUNG

Im Gegensatz zu quantitativen Untersuchungen, bei denen statistische Repräsentativität angestrebt wird, geht es bei der qualitativen Erhebung um eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse, die u. a. dadurch erreicht werden kann, dass die Stichprobe den untersuchten Fall inhaltlich repräsentiert.961 Ziel ist nicht die Erfassung der Verteilung von Merkmalen in Grundgesamtheiten, sondern die Feststellung der Typik des untersuchten Gegenstandes – im Fall der vorliegenden Arbeit die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen der dezentralen Leadership.962 Um einen systematischen Zugriff auf die Daten bei der qualitativen Erhebung zu gewährleisten, müssen nach Merkens zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss eine Vorstellung über den Fall vorliegen und zweitens müssen nachvollziehbare Techniken bei der Ziehung der Stichproben von Personen, Ereignissen oder Aktivitäten dokumentiert werden.963 Aufgrund der breiten theoretischen Basis lag bereits vor der qualitativen Erhebung ein Vorverständnis über den Forschungsgegenstand vor, sodass die erste Merkens’sche Voraussetzung erfüllt ist. In Bezug auf die Nachvollziehbarkeit des Samplings ist festzustellen, dass die Stichprobe der vorliegenden qualitativen Erhebung auf der Basis einer bewussten Auswahl964 anhand von zuvor festgelegten Kriterien stattfand. Die Kriterien bezogen sich dabei auf zwei unterschiedliche Aspekte. Wie aus Tabelle 19 (Seite 268) hervorgeht, wurden zum einen Kriterien für die Auswahl der Unternehmen festgelegt, zum anderen sind in Anlehnung an Morse die potenziellen Interviewpartner wie folgt zu charakterisieren:

961 962 963 964

Vgl. Merkens (1997), S. 100. Vgl. Merkens (2003), S. 291; Hartley (1994), S. 225. Vgl. Merkens (2003), S. 290. Die bewusste Auswahl eignet sich nach Kromrey (2002) insbesondere für Theorie testende Untersuchungen. Da die dieser Arbeit zugrunde liegende Theorie bereits auf einer breiten Basis vorliegt, ist die beschriebene Vorgehensweise zulässig.

268

KAPITEL 6

Auswahl der Unternehmen aufgrund von:

— Stammsitz in Deutschland — Zugehörigkeit zu den Wirtschaftszweigen D bis J — Tochtergesellschaft(en) im In- und Ausland

Auswahl der Interviewpartner aufgrund von:

— Status als Letztentscheidungsträger

Tabelle 19:

— Besitz von Wissen und Erfahrung in Bezug auf die Themenstellung — Fähigkeit zur Reflexion — Fähigkeit der Artikulation — Verfügbarkeit von Zeit für das Interview — Bereitschaft, an der Befragung teilzunehmen.

Auswahlkriterien der qualitativen Untersuchung Quelle: Destatis (2007b); Morse (1994), S. 228.

Am 18. Februar 2007 wurden insgesamt 107 Letztentscheidungsträger (z. B. Vorstandsvorsitzende(r), geschäftsführende(r) Gesellschafter(in), Geschäftsführer(in), etc.) als potenzielle Interviewpartner schriftlich kontaktiert und anhand einer allgemeinen Erläuterung des Themas um ein Interview gebeten. Zusätzlich wurden den potenziellen Gesprächspartnern auf Anfrage der Interviewleitfaden sowie ein kurzes Essay zugesandt, um weitergehende Informationen zum Forschungsprojekt zu liefern. Letztlich erklärten sich Entscheidungsträger aus 25 Unternehmen bereit, an der Befragung teilzunehmen, was einer Rücklaufquote von 23,4% entspricht. Diese Stichprobengröße befindet sich im üblichen Rahmen für qualitative Interviews.965 Außerdem zeichnete sich im Verlauf der Interviews eine theoretische Sättigung ab, so dass angenommen werden konnte, dass durch die Hinzunahme weiterer Interviewpartner keine neuen Informationen hätten gewonnen werden können.966 Die Interviews fanden von Februar bis April 2007 in den Büroräumlichkeiten der Gesprächspartner (23 Interviews) oder auf deren Messeständen (2 Interviews) statt. Die Interviews wurden überwiegend digital aufgezeichnet und anschließend in Anlehnung an die Transkriptionsregeln nach Kuckartz wörtlich transkribiert.967 Aufgrund eines technischen Problems mit dem Ausnahmegerät und der Ablehnung des Interviewmitschnitts durch zwei Gesprächspartner wurden insgesamt drei Gespräche protokolliert. Anschließend wurden die Transkripte bzw. Protokolle mit Hilfe von MAXqda2 nach der Methode der qualitativen In-

965 966 967

Vgl. Mayring (2002), S. 23f. Vgl. Kvale (1996), S. 102. Vgl. Kuckartz (2007), S. 43.

EMPIRISCHE EXPLORATION

269

haltsanalyse ausgewertet.968 Analog zu den Fragen im Leitfaden wurden die relevanten Textpassagen paraphrasiert und die Kategorien anschließend induktiv gebildet.969

6.2.4

DARSTELLUNG UND INTERPRETATION DER ERGEBNISSE

Das folgende Kapitel präsentiert die zentralen Ergebnisse der qualitativen Erhebung und setzt diese in den Kontext der theoretischen Überlegungen aus den vorangegangenen Kapiteln. Zunächst wird dem Leser ein Überblick über die befragten Unternehmen gegeben werden.

6.2.4.1

Beschreibung der Interviewpartner

Alle 25 teilnehmenden Unternehmen haben ihren Stammsitz in Deutschland, sind national wie international tätig und unterhalten zwischen zwei und rund 300 Tochtergesellschaften im In- und/ oder Ausland. Insgesamt wurden Interviews mit 29 Letztentscheidungsträgern geführt, da sich in vier Unternehmen je zwei Gesprächspartner der Geschäftsleitung den Fragen stellten. Durchschnittlich dauerten die Interviews 64 Minuten. Die Gesprächspartner waren überwiegend männlich, hatten ihre geschäftsführende/ leitende Position im Unternehmen durchschnittlich seit 10,3 Jahren inne und waren im Mittel 51,7 Jahre alt. Die nachfolgende Tabelle gibt jeweils Aufschluss über den Zeitpunkt und die Dauer des jeweiligen Interviews sowie die Bezeichnung und Dauer der gegenwärtigen Position, das Geschlecht und das Alter des Gesprächspartners. Die Interviews sind chronologisch sortiert und nummeriert, sodass in den weiteren Ausführungen in anonymisierter Form Bezug auf einzelnen Interviews genommen werden kann.970 Tabelle 20 zeigt die 25 Interviews in der Übersicht:

Interview

968 969 970

Gesprächspartner

Geschlecht

Alter

Dauer Position

Position

m/w

Jahre

in Jahren

#

Datum

Dauer (h:min)

1

26.02.07

1:08

Geschäftsführer

weiblich

30

2

2

27.02.07

0:54

Vorstand

männlich

57

3

3

02.03.07

0:46

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

67

37

4

05.03.07

1:11

Geschäftsführer

männlich

62

3

5

08.03.07

0:23

Vorstandsvorsitzender

männlich

44

10

Vgl. Mayring (2000, Juni). Vgl. Mayring (2001, Februar). Die Namen der Firmen und Gesprächspartner werden aus Gründen der Vertraulichkeit in den Ausführungen nicht genannt.

270

KAPITEL 6

Fortsetzung Interview

Gesprächspartner

Geschlecht

Alter

Dauer Position

Position

m/w

Jahre

in Jahren

#

Datum

Dauer (h:min)

6

09.03.07

0:51

Vorstand

männlich

46

9

7

14.03.07

1:08

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

61

38

8

16.03.07

1:15

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

57

8

9

19.03.07

1:07

Vorstandsvorsitzender

männlich

60

3

10

22.03.07

1:12

Geschäftsführer

männlich

66

0,6

11

30.03.07

2:30

Vorstandsvorsitzender | Manager

beide männlich

70 | k.A.

7 | k.A.

12

02.04.07

0:57

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

45

8

beide männlich

51 | 42

1,5 | 1,5

13

04.04.07

1:04

Vorstandsvorsitzender | Vorstand

14

05.04.07

0:55

Hauptbereichsleiter*

männlich

65

34

15

05.04.07

1:38

Geschäftsführer

männlich

56

26

16

11.04.07

0:56

Vorstand

männlich

61

8

männlich

54

12

17

12.04.07

0:46

Leiter Unternehmensentwicklung/ Kooperations-, zentrales Rechtswesen*

18

16.04.07

1:35

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

55

26

19

19.04.07

0:31

Geschäftsführer

männlich

51

4

20

19.04.07

0:58

Vorstand | ehem. Vorstand/Berater

beide männlich

51 | 61

2,5 | 16

21

24.04.07

0:48

Vorsitzende | Mitglied der Geschäftsführung

weiblich | männlich

47 | 40

4 | 0,8

22

25.04.07

1:18

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

45

11

23

27.04.07

0:54

Direktor HR*

männlich

51

12

24

10.05.07

0:40

Geschäftsführer

männlich

51

6

25

15.05.07

1:03

Inhaber-Geschäftsführer

männlich

53

5

* Diese Position ist hierarchisch eine Ebene unter der Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebene angesiedelt, wird jedoch unternehmensintern dem Top Management zugerechnet. Die betreffenden Gesprächspartner waren von der Geschäftsleitung als deren Vertreter bestellt worden, da sie unmittelbaren Bezug zu bzw. Verantwortung für Tochtergesellschaften haben.

Tabelle 20:

Übersicht Interviews Quelle: eigene Darstellung.

EMPIRISCHE EXPLORATION

271

Entsprechend der Gliederung des Leitfadens werden im Folgenden die Erkenntnisse der qualitativen Erhebung präsentiert und interpretiert.

6.2.4.2

Werte und Prinzipien

Werte sind die Grundlage für jegliches Handeln in Organisationen. Sie spiegeln die Sollvorstellung dessen, was aus der Sicht der Unternehmensführer wünschens- und erstrebenswert ist und bieten dabei Orientierung und Hilfestellung bei der Beurteilung von Handlungsalternativen.971 Mitunter finden sie ihren Ausdruck in Zielen, die eine generelle Richtung für das Verhalten vorgeben. Das Verhalten der Unternehmensmitglieder wird so letztlich in gewisser Weise normiert, dadurch dass bestimmte Verhaltensweisen vorgeschrieben und andere untersagt werden.972 Führungskräfte haben durch die von ihnen im Arbeitsalltag verfolgten Führungsprinzipien Einfluss auf die Etablierung der im Unternehmen vorherrschenden Werte.973 Aus den Äußerungen der Gesprächspartner konnten 38 unterschiedliche Werte identifiziert werden, die deren Führungsverständnis und -verhalten zugrunde liegen. Von insgesamt jeweils neun Unternehmensführern und damit am häufigsten genannt wurde der Wert „Vertrauen“ sowie „Eigenverantwortung“ bzw. „Eigenverantwortlichkeit“ jedes einzelnen Unternehmensmitglieds. Diese beiden Werte können als Basis eines für unternehmerisches Handeln förderlichen Klimas angesehen werden. Mit jeweils sechs Nennungen rangieren „Ergebnisorientierung“, „Nachhaltigkeit“, „Offenheit“, „Innovation“ und „Fairness“ unter den Top-FiveWerten an zweiter Stelle. „Qualität“ wurde von fünf Gesprächspartnern als zentraler Wert in ihren Unternehmen angeführt. „Respekt vor dem Menschen“, „(gesellschaftliche und soziale) Verantwortung“ des Unternehmens, „Kommunikation“ sowie ein „Geben & Nehmen“ sind mit jeweils vier Nennungen ebenfalls zentrale Werte in den befragten Unternehmen. Schließlich sind “Wachstum“, „Konformität mit gesetzlichen Vorgaben“ sowie „Kreativität“ mit jeweils drei Nennungen ebenfalls Teil der Wertebasis einiger der befragten Unternehmen. Alle weiteren Werte, die jeweils von einem oder zwei Gesprächspartnern genannt wurden, werden hier nicht aufgeführt, wenngleich sie für die einzelnen Unternehmen durchaus bedeutsam sein können. Es wird deutlich, dass die von den Gesprächspartnern genannten Werte zum Teil auch als Ziele interpretiert werden können, etwa Wachstum, Effizienz oder Technologieführerschaft (jeweils eine Nennung). Dennoch geben alle genannten Werte bzw. Ziele Orientierung und definieren den Gestaltungsspielraum der Unternehmensmitglieder. Die Möglichkeit, Initiativen zu ergreifen und sich unternehmerisch zu verhalten, wird – wie bereits erwähnt – ebenfalls durch 971 972 973

Vgl. Heinen (1997), S. 22f.; Berthel/Becker (2003), S. 112. Vgl. Kreikebaum (1996). Vgl. Wunderer (1992), Sp. 926.

272

KAPITEL 6

die im Unternehmen gelebten Werte bestimmt. Betrachtet man die einschlägige Literatur974, so ist eine Vielzahl der von den Gesprächspartnern genannten Werte in hohem Maße konsistent mit jenen Werten, die für unternehmerisches Verhalten als förderlich angesehen werden. Insofern kann dies als Indikator interpretiert werden, dass in den befragten Unternehmen zunächst ein Wertesystem vorherrscht, das grundsätzlich die Rahmenbedingungen schafft, innerhalb derer dezentrale Leadership Bestand hat bzw. haben könnte.

6.2.4.3

Führungsstil der Letztentscheidungsträger

Die Vielzahl der in Kapitel 3 diskutierten Führungstheorien und -konzepte hat deutlich gemacht, dass es nicht den perfekten Führungsstil oder das ideale Führungsverhalten gibt, sondern dass der Führungsstil bzw. das Führungsverhalten von unterschiedlichen Bedingungen, etwa dem Reifegrad der Mitarbeiter oder einer Aufgaben- versus Personenorientierung bzw. von situativen Gegebenheiten abhängen kann.975 Dies bestätigte auch ein Gesprächspartner explizit, indem er feststellte, dass „[e]s […] unterschiedliche Führungsstile [gibt], die je nach Situation unterschiedlich sind.“976 Im Rahmen der vorliegenden qualitativen Erhebung zeichnete sich ab, dass in der betrieblichen Praxis die Tendenz besteht, zwischen zwei Führungsstil-Varianten, dem autoritären und kooperativen Führungsstil zu unterscheiden und diese beiden Varianten als die beiden Extrempunkte eines Kontinuums zu begreifen. Insgesamt konnten sich so alle Führungspersönlichkeiten einem Führungsstil zuordnen, wobei keiner der Befragten sich als autoritäre Führungsperson verstand. Alle Befragten charakterisierten sich als kooperative Unternehmensführer, wobei zehn von ihnen sich eindeutig dem kooperativen Stil zuordneten, wiewohl sie sich bewusst waren, dass die Entscheidungsfindung damit unter Umständen etwas länger dauert. 15 Unternehmensführer stellten im Rahmen dieser Frage fest, dass sie zwar sehr großen Wert auf Kooperation und Partizipation in ihrem Umgang mit Kollegen und Mitarbeitern legen, es aber grundsätzlich so sei, dass bei gewissen Themen oder in bestimmten Bereichen Entscheidungen entweder ausschließlich beim Letztentscheidungsträger liegen oder gegebenenfalls gegen die Meinung anderer getroffen werden müssen. Die Tendenz geht daher bei diesen 15 Unternehmensführern eher in die Richtung eines konsultativen Führungsstils, bei dem die Mitarbeiter und nachrangigen Führungskräfte zu Wort kommen und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, letztlich an der Entscheidung selbst jedoch nicht unmittel-

974 975 976

Vgl. Hisrich/Peters (2002); Oden (1997); Morris/Kuratko (2002). Vgl. hierzu die Kapitel 3.3.2 und 3.3.5. Zitat aus dem Interview Nr. 25.

EMPIRISCHE EXPLORATION

273

bar beteiligt sind. So bemerkte ein Gesprächspartner: „Wenn Sie dann in einer Pattsituation sind, brauchen Sie auch mal jemanden, der den Gordischen Knoten durchschlägt.“977 Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass die Befragten die zunehmend kooperativpartizipatorischen Tendenzen in der heutigen Führungspraxis bestätigen.978 Da ein wertorientierter, kooperativer Führungsstil die Entwicklung von unternehmerischem Denken und Handeln begünstigt,979 zeigt sich hier in der Tendenz, dass in deutschen Unternehmen grundsätzlich ein Klima herrscht, in dem sich unternehmerische Initiativen entwickeln können.

6.2.4.4

Strategische Orientierung der Mutterunternehmen

Auf die Frage, wie die strategische Orientierung in ihren Unternehmen zu beschreiben sei, machten alle befragten Entscheidungsträger eine Aussage. Von den 25 Unternehmen konnten ein globales Unternehmen mit einer eher geozentrischen Orientierung, sechs internationale Unternehmen mit einer ethnozentrischen Orientierung, 13 multinationale Unternehmen mit einer polyzentrischen Orientierung sowie fünf transnational agierende Unternehmen mit einer regiozentrischen Orientierung identifiziert werden (vgl. hierzu nochmals Abbildung 6, Seite 72). Lokalisierungserfordernisse spielen in den globalen und internationalen Unternehmen eine eher untergeordnete Rolle und es geht stattdessen verstärkt darum, den Einflussbereich der Mutterunternehmung in ausländischen Märkten auszudehnen sowie ihre Fähigkeiten, Ressourcen und Kompetenzen zu stärken. So stellte eine Gesprächspartnerin fest, dass ihr Unternehmen versuche, die Produktpalette auf möglichst viele neue Märkte zu übertragen.980 Bei den multinationalen und transnationalen Unternehmen wird zugunsten von Lokalisierungsvorteilen auf etwaige Globalisierungsvorteile verzichtet. Lokale Führungskräfte haben insofern Gewicht, als sie auf Chancen im nationalen Wettbewerbsumfeld flexibel eingehen können und damit einen Beitrag zur Wertsteigerung des gesamten Unternehmens leisten. Das folgende Zitat bestätigt dies: „[W]ir versuchen auf der einen Seite zentral übergeordnete Aspekte […] vorzugeben […], aber wir legen auch sehr hohen Wert auf den jeweiligen nationalen Charakter eines Landes oder die Spezifika einer Niederlassung und achten da darauf, dass die natürlich erhalten bleiben“981. Insgesamt decken sich die Ergebnisse bezüglich der „Dominanz“ der multinationalen Unternehmung bei den befragten Unternehmen mit den Schlussfolgerungen Bartletts, dass diese 977 978 979 980 981

Zitat aus dem Interview Nr. 22. Vgl. Berthel/Becker (2003), S. 114. MacMillan et al. (1986), S. 184; Süssmuth Dyckerhoff (1995), S. 94; Guldin (1999), S. 212. Vgl. Statement im Interview Nr. 1. Zitat aus dem Interview Nr. 19.

274

KAPITEL 6

Organisationsarchitektur und die mit ihr verbundene strategische Orientierung sich für die informellen Management-Praktiken in Europa eignet.982 Zusammen mit jenen Unternehmen, die als transnational zu charakterisieren sind, scheint in den untersuchten Organisationen ein Umfeld zu herrschen, das Eigeninitiative und -verantwortlichkeit von Führungskräften in Tochtergesellschaften grundsätzlich begünstigt. Allerdings muss in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass kein Unternehmen einem der vier Konzepte zu 100 Prozent zugeordnet werden kann, da die Unternehmensführer ihre Orientierung von bestimmten Faktoren abhängig machen.983 Insofern ist die Frage nach den Unterschieden in der Behandlung von dezentralen Einheiten, die nachfolgend thematisiert wird, gerechtfertigt.

6.2.4.5

Unterschiede in der Behandlung von Tochtergesellschaften

Tochtergesellschaften unterscheiden sich zum Teil wesentlich voneinander, wie in Kapitel 2.3.2.2. bereits erläutert wurde. Ob Unterschiede in der Behandlung von Tochtergesellschaften aus der Sicht der Letztentscheidungsträger bestehen und wodurch diese Unterschiede begründet sind, sollte mit Hilfe der dritten Frage konkretisiert werden. Denn trotz der günstigen strategischen Architektur und Orientierung der Unternehmen könnten diverse Tochtergesellschaften aufgrund dieser Unterschiede mehr oder weniger Spielraum haben. Vier Gesprächspartner verneinten, einen unterschiedlichen Umgang mit den Tochtergesellschaften zu pflegen und stellten stattdessen eine grundsätzliche Gleichbehandlung ihrer dezentralen Einheiten fest. Man gebe jedem das Gefühl, dass er wichtig und ein Baustein des Ganzen ist.984 Alle anderen Unternehmensführer stellten doch in ihrer Reflexion Unterschiede in der Behandlung von Tochtergesellschaften und Niederlassungen fest, die mit den nachfolgend genannten Faktoren begründet wurden:

982 983 984

Vgl. nochmals Bartlett (1989), S. 425ff. Dies stellte auch der Interviewpartner Nr. 22 explizit fest. Vgl. Statement im Interview Nr. 24.

EMPIRISCHE EXPLORATION

275

Interne Faktoren

Externe Faktoren Zahl der Nennung

Zahl der Nennung

Führungskraft der Tochtergesellschaft

10

Markt und Kunden

8

Alter/ Reifegrad der Tochtergesellschaft

5

Kulturelle Besonderheiten

4

Wirtschaftlicher Erfolg der Tochter

3

Regionale Erfordernisse

4

Art des Geschäftsfelds der Tochter

3

Gewachsene Strukturen985

2

Größenunterschiede zwischen Töchtern

2

Charakteristika der Tochter986

2

Art der Tätigkeit

1

Tabelle 21:

Gründe für die unterschiedliche Behandlung von Tochtergesellschaften Quelle: Qualitative Interviews.

Die verschiedenen Aussagen zu den Gründen für die unterschiedliche Behandlung von Tochtergesellschaften machen deutlich, dass einige Faktoren eine große Rolle spielen. Im externen Umfeld sind insbesondere der Markt bzw. die Kunden, mit denen die Tochtergesellschaft zu tun hat, entscheidend (8 Nennungen). Kulturelle Besonderheiten, auf die geachtet werden müsse, und regionale Gegebenheiten (jeweils 4 Nennungen) wurden ebenfalls als Einflussfaktoren genannt, denn „ein Österreicher oder ein Franzose oder ein Italiener oder ein Spanier, das ist schon - sagen wir mal – durchaus eine andere Welt.“987 Im internen Kontext hat neben dem wirtschaftlichen Erfolg der Tochtergesellschaft (3 Nennungen) und ihrem Reifegrad (5 Nennungen) vor allem die Führungskraft vor Ort den stärksten Einfluss auf das Verhältnis mit der Muttergesellschaft und damit die Stellung der Tochtergesellschaft innerhalb des Gesamtunternehmens (10 Nennungen). Dies bestätigt bereits bestehende Erkenntnisse einschlägiger Literatur, wobei sich letztere nicht explizit auf deutsche Unternehmen bezieht, so dass durch die vorliegende Arbeit ein Erkenntnisgewinn festgestellt werden kann. Führungskräfte in dezentralen Unternehmenseinheiten haben also die Möglichkeit einer aktiven Gestaltung ihres Entscheidungs- und Handlungsspielraumes in Abhängigkeit davon, ob die Entscheider in der Unternehmenszentrale deren Fähigkeiten und Kompe-

985 986

987

Diese müssen jedoch nicht immer sinnvoll sein, so der Interviewpartner Nr. 8. Hier wurde z. B. die Höhe der Beteiligung der Muttergesellschaft oder die eigene Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft genannt. Zitat aus dem Interview Nr. 10.

276

KAPITEL 6

tenzen erkannt haben und ihnen entsprechend unternehmerisches Handeln zutrauen. Entsprechend konnte an dieser Stelle nahtlos Frage 4 angeschlossen werden, die die gestalterischen Spielräume der Führungskräfte in Tochtergesellschaften thematisiert.

6.2.4.6

Operativer und strategischer Handlungsspielraum nachrangiger Führungskräfte

Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum nachrangiger Führungskräfte wird vom Top Management vorgegeben. Entsprechend wurden die Unternehmensführer gefragt, wie sie die operativen und strategischen Spielräume ihrer Führungskräfte, insbesondere in den dezentralen Einheiten, einschätzen. Wie aus Abbildung 42 (Seite 277) hervorgeht, haben die Führungskräfte der dezentralen Einheiten in den meisten Unternehmen ein Vorschlags- bzw. Mitspracherecht bei der Festlegung der für sie, aber auch der für das Gesamtunternehmen relevanten Strategien. In der Regel findet die Strategieentwicklung in regelmäßigen Abständen statt, meist in Form von jährlichen Strategiemeetings, in denen die „Leitplanken“988 für das Gesamtunternehmen sowie die dezentralen Einheiten festgelegt werden. In Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten variiert die strategische Einflussnahme der Führungskraft in einer Tochtergesellschaft jedoch erheblich. So haben die Führungskräfte vor Ort vor allem die Möglichkeit, selbständig Anpassungen der zentral getroffenen Strategien an die lokalen Erfordernisse vorzunehmen. Hier vertrauen die Letztentscheidungsträger in der Unternehmenszentrale ihren lokalen Geschäftsführern und deren Kenntnissen über die örtlichen Gegebenheiten. Operativ besitzen sie deshalb auch relativ große Handlungs- und Entscheidungsspielräume, wobei hier wiederum die spezifische Situation der Tochtergesellschaft hineinspielt. D. h. es kann mitunter entscheidend sein, in welchem Geschäftsfeld, Markt oder Land die Tochtergesellschaft tätig ist, wie ein Gesprächspartner beispielhaft bemerkt: „Wir versuchen im Grunde genommen da, wo es geht, immer ganzheitliche operative unternehmerische Aufgaben oder Einheiten zu bilden. […] Hängt aber immer wie gesagt vom Markt ab.“989 In all jenen Unternehmen, die in der Matrix im operativen Mittelfeld eingeordnet sind, gewähren die Letztentscheidungsträger ihren nachrangigen Führungskräften zwar (relativ) große operative Freiheit, wünschen aber entweder eine hohe Transparenz und regelmäßige Berichterstattung über die Vorgänge in den Tochtergesellschaften. Mitunter sind sie ohnehin Teil deren Geschäftsleitung und insofern in das operative Geschäft eingebunden. Einige Gesprächspartner stellten fest, dass der Grad der Einmischung ins tägliche Geschäft davon abhängig sei, wie erfolgreich die Tochtergesellschaft ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Zentra988 989

Auf diese Leitplanken wiesen die Gesprächspartner Nr. 3, 9, 15, 16, 17 und 20 explizit hin. Zitat aus dem Interview Nr. 2.

EMPIRISCHE EXPLORATION

277

le eingreift, wenn erkennbar wird, dass die Tochtergesellschaft Probleme hat, die sie nicht allein zu lösen in der Lage ist. Im Grunde entspricht dieses Vorgehen dem aktiven „Management-by-Exception“. Man kann resümierend festhalten, dass der Handlungsspielraum der Führungskräfte in den dezentralen Unternehmenseinheiten umso größer ist, je transparenter letztere gegenüber der Zentrale agieren und je besser es ihnen gelingt, die Muttergesellschaft von der Bedeutung ihres Wissens über lokale Gegebenheiten einerseits und von der Bereitschaft zur Wahrung der vorgegebenen Leitplanken andererseits zu überzeugen.

operativ hoch

mittel

4 Unternehmen

6 Unternehmen

6 Unternehmen

8 Unternehmen

1 Unternehmen

niedrig niedrig

mittel

hoch

strategisch

Abbildung 42: Einordnung der Unternehmen gemäß den dort vorgegebenen Handlungsspielräumen für nachrangige Führungskräfte Quelle: eigene Darstellung.

6.2.4.7

Entstehung von neuen Impulsen in den Unternehmen

Die Frage nach der Entstehung von Impulsen in den befragten Unternehmen wurde sehr allgemein gehalten, um den Gesprächspartnern größtmögliche Freiheit bei der Beantwortung zu geben. 15 Interviewpartner stellten fest, dass Impulse überall im Unternehmen entstehen können. Einige Unternehmensführer konkretisierten ihre Aussage anschließend, andere nannten überhaupt sehr spezifisch, wo in ihren Unternehmen Impulse entstehen. Neun Gesprächspartner sahen das Top Management als Impulsgeber, insbesondere dann, wenn es um die großen strategischen Themen geht. So stellte ein Gesprächspartner fest, dass es Dinge gebe, bei denen die Zentrale mehr wisse.990 Ebenfalls aus der Zentrale, jedoch nicht aus der Geschäftsleitungsebene, sondern aus den funktionalen Abteilungen, kommen Impulse. Dies stellten wiederum 15 Gesprächspartner fest. Insbesondere die Bereiche Forschung und Entwicklung, Produktion sowie Marketing und Vertrieb liefern den Unternehmen in der Regel die entscheidenden Impulse. 16 Gesprächspartner gaben an, dass neue Impulse auch von den Tochtergesellschaften kommen, insbesondere dann, wenn die Tochtergesellschaft über eine entsprechende 990

Interviewpartner Nr. 9.

278

KAPITEL 6

Expertise in einem bestimmten Bereich verfügt. Da für 15 Letztentscheidungsträger wichtige neue Impulse nicht im internen Umfeld anzusiedeln sind, sondern von Markt und Kunden kommen, könnten die dezentralen Einheiten indirekt auch hier ihr Potenzial als Impulsgeber unter Beweis stellen, da sie in lokalen Märkten tätig sind, zu denen die Mutterunternehmung oft keinen direkten Zugang hat. Die Ergebnisse machen deutlich, dass sich sowohl im internen als auch im externen Umfeld Möglichkeiten ergeben, die Unternehmen wirtschaftlich ausnutzen können. Tochtergesellschaften können dabei auf beiden Ebenen ihren Beitrag leisten, was bestehende Erkenntnisse – nun auch für deutsche Unternehmen – bestätigt.991

6.2.4.8

Wirkungen unternehmerischer Initiativen

In der Literatur finden sich zahlreiche Effekte und Wirkungen unternehmerischen Engagements, die in Kapitel 4.8 sowie 4.9. erläutert wurden. Auch die befragten Entscheidungsträger nannten eine Vielzahl von Auswirkungen, die sowohl die Gesamtunternehmung als auch die initiativ gewordene Tochtergesellschaft betreffen. Sie werden nachfolgend aufgeführt und erläutert: —

Veränderung des Images: Insgesamt ist eine durch unternehmerisches Engagement initiierte Imageveränderung positiv akzentuiert. Es profitiert vor allem die Tochtergesellschaft von ihrem Engagement (5 Nennungen), aber auch die Muttergesellschaft kann ihr Image durch „aktive“ Tochtergesellschaften verbessern (2 Nennungen). Ein Gesprächspartner berichtete in diesem Zusammenhang allerdings auch von missglückten Initiativen, die nicht nur dem Image der Tochter, sondern auch jenem der Mutterunternehmung geschadet hätten.992



Wirtschaftlicher (Miss-)Erfolg: Der Erfolg unternehmerischer Initiativen ist sowohl für die Tochtergesellschaft spürbar (5 Nennungen), als er auch dem Gesamtunternehmen dient (7 Nennungen). Hingegen sind auch Misserfolge, beispielsweise in Form eines finanziellen Schadens für zwei Entscheider denkbar.



Verfahrens- und Prozessverbesserungen: Durch unternehmerisches Engagement konnten in fünf der befragten Unternehmen in der Vergangenheit Prozess- oder Verfahrensverbesserungen realisiert werden, die dem Gesamtunternehmen zugute kamen.



Übernahme und Verbreitung von Projekten durch die Zentrale: Fünf Gesprächspartner stellten fest, dass erfolgversprechende Initiativen mitunter aus dem Verantwortungsbe-

991 992

Vgl. hierzu stellvertretend die Ausführungen von Birkinshaw (1997). Vgl. Statement im Interview Nr. 7.

EMPIRISCHE EXPLORATION

279

reich der Tochtergesellschaft genommen und in die Zentrale transferiert werden. Als Gründe dafür werden die mangelnden finanziellen Mittel der Tochtergesellschaft, eine einfachere Realisierbarkeit des Projekts durch die infrastrukturelle Ausstattung der Mutterunternehmung oder die erleichterte Verbreitung der Idee im Unternehmensverbund genannt. Ein Gesprächspartner bemerkte hierzu: „Initiativen im eigenen Land, die stören eigentlich niemanden. Die Initiative, die nur nach oben geht, und dann für alle wieder verbreitet wird, stört auch niemanden. Aber eine Initiative der Schweizer, die quasi aus einer Initiative Export betreiben in die Länder ihrer Kollegen. Das ist das Problem.“993 —

Redundanz: Redundanz in den betrieblichen Aktivitäten wäre für vier Gesprächspartner durch parallel verlaufende Initiativen in Tochtergesellschaften denkbar. Allerdings sind die Gesprächspartner der Meinung, dass der Redundanz durch funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme entgegengewirkt werden kann.



Entwicklung neuer Produkte: Neue Produkte oder Produktweiterentwicklungen könnten durch das unternehmerische Engagement in Tochtergesellschaften entstehen, so vier Unternehmensführer.



Entstehung von Kompetenzzentren: Durch unternehmerisches Engagement ist für vier Gesprächspartner denkbar, dass Tochtergesellschaften sich zu Kompetenzzentren entwickeln und die Verantwortung für den betreffenden Bereich erhalten würden.



Dynamik: Wird unternehmerisches Engagement ermöglicht, so entsteht in den Unternehmen eine Dynamik und Aufbruchstimmung, die nicht von oben oktruiert oder verordnet werden muss, sondern von selbst entsteht. Ein Gesprächspartner meinte diesbezüglich: „Und die verfügte Dynamik, von der halte ich praktisch nichts.“994



Erfolgsbeteiligung: Für drei Unternehmensführer ist es denkbar, dass als Konsequenz unternehmerischen Engagements der betreffende Leiter einer Tochtergesellschaft am Erfolg seines Projekts beteiligt wird.



Anerkennung: In engem Zusammenhang mit der zuvor genannten Erfolgsbeteiligung stehen auch das Lob und die Anerkennung für unternehmerisches Engagement (2 Nennungen).



Interner Wettbewerb: Durch unternehmerisches Engagement in dezentralen Einheiten kann im gesamten Unternehmen eine Art Wettbewerb, insbesondere um Ressourcen

993 994

Statement im Interview Nr. 9. Statement im Interview Nr. 16.

280

KAPITEL 6

entstehen. Zwei Unternehmensführer fördern dieses Konkurrenzdenken in ihren Unternehmen. —

Kostensenkungen: Engagement kann nach Ansicht zweier Gesprächspartner zu Kostenreduktion führen.



Vorbildwirkung: Tochtergesellschaften, die sich durch Initiativen hervorgetan haben, können im gesamten Unternehmen eine Vorbildwirkung haben (2 Nennungen). Die Verbreitung einzelner Erfolge wird beispielsweise auf jährlich stattfindenden Meetings gepflegt, bei denen die entsprechenden Führungskräfte über ihre Erfolge berichten.995



Mehr Verantwortung: Führungskräfte in dezentralen Einheiten, die sich durch ihr Engagement hervorgetan haben, erhalten nach Aussage von zwei Letztentscheidungsträgern mehr Verantwortung oder Zusatzaufgaben.



Synergien: Ein Gesprächspartner stellte Synergiepotenzial aufgrund von unternehmerischen Initiativen fest, während ein anderer Unternehmensführer nicht die Erfahrung machen konnte, Synergiepotenziale für sein Unternehmen zu erschließen.

Daneben konnten einige weitere positive Wirkungen identifiziert werden, etwa eine gesteigerte Kreativität oder die Akquisition neuer Kunden, es wurde jedoch auch eine mangelnde Fokussierung als negative Konsequenz unternehmerischen Engagements genannt.996 Aus den dargestellten Antworten der Unternehmensführer wird dennoch deutlich, dass die Wirkungen von unternehmerischen Initiativen mehrheitlich eher positiv bewertet werden, wenngleich auch negative Effekte nicht auszuschließen sind.

6.2.4.9

Initiierung von Projekten ohne Rücksprache mit den Letztentscheidungsträgern

Auf die Frage, welche Reaktion zu erwarten wäre, wenn unternehmerische Initiativen von Tochtergesellschaften nicht mit den Letztentscheidungsträgern abgestimmt würden, gaben vier Gesprächspartner an, dass ein solcher Fall nie eingetreten ist bzw. nicht eintreten würde: „Initiativen sind möglich, aber niemand wäre so dumm, diese außerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen zu machen.“997 Neun Gesprächspartner lehnen nicht abgestimmte Initiativen ab, da es einer Missachtung der „Geschäftsordnung“998 gleich käme. Der betreffende Initiator in der Tochtergesellschaft hätte mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen. Allerdings bedeute dies nicht, dass Initiativen nicht erwünscht seien, sondern es ginge der Zent995

996 997 998

Über ein derartiges Vorgehen berichteten beispielsweise die Entscheidungsträger in den Interviews Nr. 15, 16 und 24. Statements in den Interviews Nr. 18, 3 sowie 1 (Reihenfolge entsprechend der Nennung im Text). Statement im Interview Nr. 14. Statement im Interview Nr. 10.

EMPIRISCHE EXPLORATION

281

rale eher darum, die Gründe für das Engagement zu verstehen, wie ein Gesprächspartner feststellte.999 16 Gesprächspartner bestätigten jedoch, dass Initiativen ohne Abstimmung schon vorgekommen sind. Solange sich die Initiativen dann innerhalb der festgelegten Rahmenbedingungen oder Leitplanken bewegen, stellen sie aus der Sicht der Letztentscheidungsträger kein großes Problem dar. Sie werden zum Teil sogar bewusst in Kauf genommen, weil die Letztentscheidungsträger eigenverantwortliche Führungskräfte in ihren dezentralen Einheiten wünschen. Je nach Tragweite der Initiativen – sei es aufgrund der Höhe der eingesetzten finanziellen Mittel oder aufgrund der Bedeutung des Projektes für das gesamte Unternehmen – stehen alle Befragten Initiativen ohne Abstimmung aber eher kritisch gegenüber. Letztlich ist aus den Aussagen herauszuhören, dass dezentrale Initiativen gewünscht sind, dass aber im Sinne des Gesamtunternehmens eine Abstimmung mit den Letztentscheidungsträgern zielführender ist als eigenmächtiges Handeln.

6.2.4.10 Historie zu Initiativen aus Tochtergesellschaften Die meisten der befragten Unternehmen konnten Beispiele für unternehmerische Initiativen ihrer Tochtergesellschaften aus der Vergangenheit nennen, die zum Teil weiterverfolgt wurden (16 Nennungen), etwa Produktideen oder neue Lösungsansätze1000. Zum Teil mussten Initiativen jedoch auch vorzeitig gestoppt werden, wenn die Erfolgserwartung gering war (9 Nennungen). Das Zitat eines Gesprächspartners macht deutlich, dass Fehlschläge im Geschäftsalltag durchaus üblich sind, und die Letztentscheidungsträger nicht dazu veranlasst, unternehmerisches Engagement in dezentralen Einheiten zu unterbinden: „Ideen werden aufgegriffen, […] und wenn sie Erfolg versprechend sind, auch umgesetzt. Als Faustregel gilt: 20% der Initiativen werden was.“1001 Ein anderer Unternehmensvorstand bemerkte in diesem Zusammenhang: „Insofern sie [die Initiativen; Anmerkung der Verfasserin] in die vorhin genannte Kategorie fielen und die Ressourcenbindung, die sich aus deren Umsetzung ergeben hätte, zulässig war, haben wir einfach gewähren lassen, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil wir bewusst gegenüber unseren chinesischen Mitarbeitern nicht als ein deutscher Kolonialist auftreten wollen, der jegliche Selbstinitiative einfach unterdrückt. Insofern versuchen wir das sogar bewusst zu pushen.“1002 Letztlich scheint es für das Gelingen unternehmerischer Initiativen entscheidend zu sein, dass sie sich im Rahmen dessen bewegen, was von der Muttergesellschaft vorgegeben wird. Die große Mehrheit der Befragten signalisierte große Offenheit gegenüber jeglicher Art von Engagement und Selbstverantwortung der Führungskräfte in den dezentralen Einheiten. 999 1000 1001 1002

Statement im Interview Nr. 13. Vgl. Interview Nr. 9. Statements im Interview Nr. 14. Statements im Interview Nr. 6.

282

KAPITEL 6

6.2.4.11 Voraussetzungen für unternehmerisches Engagement in Tochtergesellschaften Im Zuge der zehnten Frage sollten die Voraussetzungen für unternehmerisches Engagement aus der Sicht der Letztentscheidungsträger identifiziert werden. Um diese – doch sehr weit gefasste – Frage etwas zu konkretisieren, wurden die Befragten gebeten, Stellung zu möglichen Voraussetzungen im internen und externen Umfeld sowie zu den Fähigkeiten und Kompetenzen der Führungskräfte zu nehmen. Die hier vorgenommene Gliederung wurde in den vorangegangenen Kapiteln plausibilisiert. Die Ergebnisse werden anschließend diskutiert. Faktoren im externen Umfeld Wie in Kapitel 2.2. erläutert wurde, ist das externe Umfeld sehr vielfältig ausgestaltet. Dies spiegelt sich auch in den Antworten der Befragten wider. Kunden, die eindeutig dem wirtschaftlichen Umfeld zuzurechnen sind (vgl. Kapitel 2.2.5.), wurden viermal als mögliche Impulsgeber für unternehmerisches Engagement genannt. Ihre Zufriedenstellung ist auch in den Augen dieser befragten Unternehmensführer eine der zentralen Aufgaben von Unternehmen. „Die Nähe zum Kunden ist entscheidend“1003, wie einer der Gesprächspartner feststellte. Die ökologische Umwelt hat für zwei Gesprächspartner mögliche Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit ihrer Unternehmen. Sie bezogen sich dabei explizit auf die Diskussion um den fortschreitenden Klimawandel, der in ihren Augen Auslöser für unternehmerische Initiativen sei. Jedes Unternehmen sei im Prinzip angehalten, Lösungen zu finden, die beispielsweise zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes führen. Das internationale Umfeld kann ebenfalls zu neuen Impulsen beitragen (2 Nennungen), etwa dadurch, dass regionale Unterschiede oder Embargos gegenüber bestimmten Ländern bestehen, mit denen sich Unternehmen wiederum „technologisch, marktlich oder produktmäßig auseinandersetzen“1004 müssen. Mit jeweils einer Nennung finden sich auch die rechtlich-gesetzliche, die technologische, die persönlich-soziale sowie die sozio-kulturelle Umwelt als mögliche Vorbedingungen für unternehmerisches Engagement. Faktoren im unternehmensinternen Umfeld Nicht nur im externen Umfeld spielt Kultur eine wichtige Rolle, sondern auch im Unternehmen. In der Kultur verankerte Werte wie Vertrauen (4 Nennungen), Fehlertoleranz (7 Nennungen) oder Offenheit (1 Nennung), aber auch das Motto „fordern und fördern“ (6 Nennun1003 1004

Statement im Interview Nr. 14. Statement im Interview Nr. 17.

EMPIRISCHE EXPLORATION

283

gen) wurden im Zusammenhang mit einem internen Klima genannt, in dem Führungskräfte und Mitarbeiter motiviert sein können, Initiativen zu ergreifen. Die Prozesse können daneben ebenfalls Einfluss auf die Entstehung von dezentraler Leadership haben. Informationsbereitstellung und -weitergabe, Transparenz und klare Zielvorgaben (in Form von Regelwerken und Richtlinien) für jeden Einzelnen gehören – so die Aussagen einiger Unternehmensführer – zu den Rahmenbedingungen, die im Unternehmen gegeben sein müssen. Allerdings dürfe die Bürokratie nicht Überhand nehmen, da sonst die für unternehmerisches Denken und Handeln notwendige Kommunikation unterbleibe und auch die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt werde.1005 Darüber hinaus sollten in den Unternehmen Mechanismen vorhanden sein, mit denen Leistungen honoriert werden können und so dem engagierten Mitarbeiter bzw. Führungskraft eine Erfolgsbeteiligung gewährt werden kann.1006 Die Organisationsstruktur kann – so die Aussage eines Gesprächspartners – eine Rolle dabei spielen, wie sehr die Abteilungen und Unternehmenseinheiten an die Zentrale gebunden sind und wie eng oder weit die Spielräume dadurch ausgeprägt sind. Herrscht in einem Unternehmen das Stammhausprinzip, so sehen sich die dezentralen Einheiten nach Meinung dieses Gesprächspartners anderen Bedingungen gegenüber als in einem Unternehmen mit Holdingstruktur (vgl. Kapitel 2.3.1.2.4.). Schließlich stellt das Top Management aus der Sicht von vier Gesprächspartnern ebenfalls eine Voraussetzung für dezentrale Leadership dar. Es fungiert dabei als Berater, Coach, Impulsgeber und Vorbild für nachrangige Führungskräfte und muss eine Vorstellung davon haben, wie sich das Unternehmen entwickeln soll. Fähigkeiten und Kompetenzen der Führungskräfte In den Gesprächen zeichnete sich ab, dass weder das externe noch das interne Umfeld maßgebend für die Entstehung von unternehmerischem Engagement in dezentralen Einheiten sind. Viel entscheidender ist nach Ansicht einiger der befragten Unternehmensführer die einzelne Führungskraft in der Tochtergesellschaft. Ihre Persönlichkeit spielt für elf Gesprächspartner die zentrale Rolle, aber auch ihre fachlichen Fähigkeiten und Kompetenzen scheinen für 11 der befragten Unternehmensführer ähnlich ausschlaggebend. Ein Gesprächspartner bemerkte im Hinblick auf die Möglichkeit, unternehmerische Projekte in Gang zu setzen: „Hat er also mehr Freiheiten? Ja. Bekommt er sie jetzt schriftlich fixiert? Nein. Die nimmt er sich durch seine Kompetenz.“1007

1005

1006 1007

Sechs Unternehmensführer stellten explizit fest, dass Freiraum ganz entscheidend ist, wenn es darum geht, unternehmerisch tätig werden zu können. Vgl. Kapitel 2.3.1.2.5. zum Motivationsmanagement Statement im Interview Nr. 13.

284

KAPITEL 6

Darüber hinaus kann die Bereitschaft bzw. Motivation, sich unternehmerisch zu verhalten, auch eine Voraussetzung für dezentrale Leadership sein, so die Aussage von acht Gesprächspartnern. Selbstverantwortung und Verantwortlichkeit können – nach Meinung von vier Gesprächspartnern – die Entstehung von dezentraler Leadership bedingen. Für vier Gesprächspartner ist Überzeugungskraft für engagierte Führungskräfte sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis entscheidend, denn Führungskräfte repräsentieren durch ihr Handeln das gesamte Unternehmen und müssen in der Lage sein, andere zu überzeugen. Proaktives Verhalten zeichnet nach Aussagen von drei Gesprächspartnern eine unternehmerische Person aus, denn sie agiert eher, als dass sie reagiert und ergreift Initiativen, wo sich Marktmöglichkeiten ergeben. Mut kann ein weiteres Charakteristikum einer unternehmerischen Führungskraft darstellen, wie sich aus drei Antworten ablesen lässt. Einer der drei Gesprächspartner bemerkte beispielsweise: „[…] und dann glaub ich, müssen’s einfach vom Charakter her Leute sein, die mutig sind“1008. Mit jeweils zwei Nennungen sind Realitätssinn, Risikobereitschaft, Erfahrung und eine fundierte Ausbildung Merkmale, die für eine unternehmerische Führungskraft charakteristisch können. Auch Kreativität und Ideenreichtum, Durchhaltevermögen und ein Verständnis der Unternehmensphilosophie wurden bei der Beantwortung dieser Frage erwähnt und runden das facettenreiche Kompetenzportfolio von unternehmerisch agierenden Führungspersönlichkeiten ab. Obwohl diese qualitativen Aussagen nicht repräsentativ für die Situation in deutschen Unternehmen sind, lässt die Zusammenfassung dennoch den Schluss zu, dass die einzelne Führungskraft den größten Einfluss darauf zu haben scheint, ob und in welchem Umfang sie unternehmerisch tätig sein kann. Ihre persönlichen Anlagen, Kompetenzen und ihre Bereitschaft zu unternehmerischem Handeln können als die zentralen Voraussetzungen für dezentrale Leadership interpretiert werden. Einige Gesprächspartner, die eine unternehmerische Kultur in ihren Unternehmen stärken oder entwickeln wollen, sehen die Auswahl der „richtigen“ Führungskräfte als Erfolgsfaktor an. Zwar kann durch ein entsprechendes internes Umfeld eine günstige Ausgangssituation geschaffen werden, letztlich ist aus den Äußerungen der Letztentscheidungsträger deutlich herauszuhören, dass die internen Gegebenheiten eher Randbedingungen darstellen. Das externe Umfeld scheint den geringsten Einfluss auf die Entstehung von unternehmerischem Verhalten zu haben, wenngleich es gewisse Impulse geben kann, die von den Unternehmensmitgliedern aufgegriffen werden können. 1008

Statement im Interview Nr. 15.

EMPIRISCHE EXPLORATION

285

6.2.4.12 Zentrale Vorgaben durch die Muttergesellschaft Die Erkenntnisse, die durch die Fragen 11 und 12 erlangt wurden, werden im Rahmen der Darstellung und Diskussion zusammengefasst, da die zentralen Vorgaben der Muttergesellschaft in aller Regel dafür ausschlaggebend sind, was mit den Letztentscheidungsträgern abgestimmt werden muss. Generell wurden für alle befragten Unternehmen klare Richtlinien und Vorgaben definiert, die als Handlungshilfen dienen sollen. Dies betrifft insbesondere die funktionalen Unternehmensbereiche, wobei hier eine differenziertere Betrachtung notwendig erscheint. Tochtergesellschaften, die als reine Vertriebsgesellschaften fungieren, sind naturgemäß von Vorgaben beispielsweise für Forschung und Entwicklung, Produktion etc. weniger stark betroffen als Tochtergesellschaften, welche die gesamte Wertschöpfungskette abbilden. Tabelle 22 auf den folgenden Seiten zeigt all jene Bereiche, für welche die Mutterunternehmungen Vorgaben machen. Die verschiedenen Bereiche sind zur Veranschaulichung mit Beispielzitaten illustriert.

Anzahl Nennung

Zitat (beispielhaft)

Interview Nr.

18

„Größere Investitionen. All das, was außerhalb der Leitplanken liegt und das Finanzbudget sprengt.“

20

Preispolitik

11

„Wir müssen beides machen: sowohl eine einigermaßen abgestimmte Preispolitik für die paar großen europäischen Einkäufer, als auch eine möglichst ausdifferenzierte, „shockingly“ ausdifferenzierte Preispolitik, um die Chancen wahrzunehmen, die aus Hoch-Preis-Ländern erwachsen.“

18

Konditionen

8

„Sie können nicht Verpflichtungen eingehen, die zum Beispiel unsere Zahlungsbedingungen einfach völlig aushebeln.“

3

Corporate Image

7

„Wir haben überall das CI von [Firmenname]. In allen Gesellschaften weltweit. Das verbindet und man fühlt sich daheim. Alle sind gleich wichtig.“

11

IT

7

„Also das Thema IT-Organisation ist ein… Sie kriegen einen großen Verbund mit 15 000 Mitarbeitern nur dann effizient geführt, wenn sie einen Rahmen vorgegeben haben.“

19

Rechnungswesen

7

„Rechnungswesen“

25

Zielerreichung

7

„Für alle Funktionsbereiche/Abteilungen gibt es jährliche Zielvereinbarungen; die dort definierten Ziele müssen erreicht werden, darauf hat man sich geeinigt.“

8

Bereich Investitionen

286

KAPITEL 6

Fortsetzung Anzahl Nennung

Bereich

Interview Nr.

Zitat (beispielhaft)

Key Account Management

7

„und natürlich das Key-Account-Management.“

13

Personalpolitik

6

„Personalentscheidungen treffen momentan in den Tochtergesellschaften immer wir.“

1

Produkte

5

„Darum stimmen wir das in der Strategie ab, welche Produkte sie haben.“

15

Finanzen

4

„Ja, zum einen ist das natürlich das Finanzwesen. Hier ergibt sich die Vorgabe zwingend aus der gerade erwähnten Konsolidierungspflicht.“

6

Einkauf

4

„Es gibt einen zentralen Einkauf und Verkauf, das heißt, dass die Mutter eigentlich damit auch schon den Umsatz und die Kosten der Tochter bestimmt.“

14

Erweiterung der Wertschöpfungskette

4

„und wenn jemand kommt und sagt, ich hätte gerne eine eigene Produktion... Das sind Dinge, die müssen auch abgestimmt werden.

23

Strategie

4

„Wir sagen zum Beispiel an, dass wir von der Strategie her bestimmte Kernmärkte bearbeiten.“

9

Qualitätsmanagement

3

„Auch das Qualitätsmanagement, insbesondere was bspw. Allergene angeht, da sind wir ganz streng.“

8

Controlling

3

„Wir haben einen relativ guten, wie ich meine, vorbildlichen Entwicklungsprozess, der von der Grundstruktur her überall gleich sein muss.“

22

Rechtswesen

3

„dann Rechtsfragen, bestimmte Rechtsthemen, z. B. Patentgeschichten und so weiter.“

13

Immobilien

3

„zum Beispiel Kauf von Liegenschaften und so weiter, das ist dann in Absprache.“

16

F&E

2

„Gut, die Forschungs- und Entwicklungsverantwortung liegt im Stammhaus.“

23

Zuständigkeit der Tochtergesellschaft

2

„Wenn das jetzt ein Neukunde ist, der auch nicht nur das jeweilige Land, sondern auch die andere Länder mit berührt, ja.“

19

Marke

1

„Es muss alles abgestimmt werden, das mit der Marke zu tun hat.“

8

Administration

1

„Stichwort Verwaltung/ Administration: Wird weitestgehend […] von der Zentrale aus gesteuert.“

10

Distribution

1

„Distribution ist sicher auch ein Punkt, wo man sich stärker austauscht.“

16

Tabelle 22:

Vorgaben und abstimmungspflichtige Themen (mit Beispielzitaten) Quelle: Qualitative Interviews.

EMPIRISCHE EXPLORATION

287

Es entstünde jedoch ein falscher Eindruck, wenn man die Vielzahl der genannten abstimmungspflichtigen Bereiche als Indikator für die Zentralität der betrachteten Unternehmen ansehen würde. Es gibt delegierbare und nicht-delegierbare Führungsaufgaben (vgl. Kapitel 3.5.2.). Die meisten der oben genannten Bereiche sind richtigerweise in der Unternehmenszentrale angesiedelt, um den Unternehmensmitgliedern die Leitplanken aufzuzeigen, innerhalb derer sie sich bewegen können. Entscheidend für den Erfolg einer Initiative ist nach Aussagen einiger Unternehmensführer, dass die Tochtergesellschaften einen überzeugenden „Business Plan“ (7 Nennungen) erarbeiten, aus dem hervorgeht, welche Ressourcen für welche Maßnahmen mit welchem Ziel eingesetzt werden sollen.

6.2.4.13 Die Rolle der Letztentscheidungsträger Die letzte inhaltliche Frage konzentrierte sich nochmals auf den Unternehmensführer und seine Rolle bei der Entwicklung bzw. Etablierung einer unternehmerischen Kultur. Auch hier kann ein facettenreiches Bild gezeichnet werden, das dennoch eine gewisse Schwerpunktbildung in Bezug auf die Rolle einer Führungsperson an der Spitze des Unternehmens zulässt. In Anlehnung an die Ausführungen in Kapitel 6.2.4.12 und mit 13 Nennungen an erster Stelle steht die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen als eine der zentralen Aufgaben der Letztentscheidungsträger. Hierzu scheint auch die Etablierung einer Kultur bzw. eines Klimas zu gehören, in dem die Mitarbeiter sich unternehmerisch entfalten können (6 Nennungen). Wie bereits im Rahmen der Wertediskussion deutlich wurde, sind Transparenz und eine offene Kommunikation wichtig. Rahmenbedingungen zu schaffen heißt, konkrete Ziele zu definieren und dabei gleichzeitig Freiräume zu geben. Einige der Gesprächspartner sehen sich auch als Vorbilder für ihre Mitarbeiter und nachrangigen Führungskräfte (12 Nennungen), wie einer der Gesprächspartner so konkretisiert: „Was immer ganz wichtig ist, ist das Vorleben.“1009 Darüber hinaus sind zwölf der befragten Führungskräfte der Ansicht, dass sie auch eine Funktion als Coach oder Mentor in ihren Unternehmen haben. Mitarbeiter zu fordern, aber auch zu fördern, ist ihr Ziel. Dazu bedarf es jedoch auch der richtigen Auswahl geeigneter Führungskräfte, was sieben der Gesprächspartner als ihre Aufgabe ansehen. Darüber hinaus fühlen sie sich in der Verantwortung, eine Vision für das Unternehmen zu entwickeln, die nach Hinterhuber & Krauthammer neben der Vorbildfunktion und der Wertsteigerung des Unternehmens die Prämissen für Unternehmensführer darstellt.1010 Konsequenz im Handeln und den Mitarbeitern Vertrauen zu schenken sind ebenfalls wichtige Aufgaben für einige der Letztentscheidungsträger (5 bzw. 4 Nennungen). Ein Interviewpartner führte wie folgt aus: „Viel wichtiger ist, dass man weiß, dass ich Vertrauen schenke; dass man weiß, dass wenn ich et1009 1010

Statement im Interview Nr. 23. Vgl. Hinterhuber/Krauthammer (2001).

288

KAPITEL 6

was sage, dann gilt es auch. Dann ist es auch so gemeint.“1011 Die obersten Führungskräfte scheinen ferner glaubwürdig und tolerant sein zu müssen (jeweils 4 Nennungen), damit sich eigenständiges Verhalten in ihren Unternehmen etablieren kann. Unternehmensführer sollten nach Angaben einiger von ihnen alle Mitarbeiter gleich behandeln, ihnen – beispielsweise über eine Art internen Wettbewerb – grundsätzlich dieselben Möglichkeiten bieten (3 Nennungen) und ihre Leistungen entsprechend honorieren (2 Nennungen). Schließlich sollten sie selbst fachliche Kompetenz besitzen (3 Nennungen) und ihren Mitarbeitern Nähe vermitteln (2 Nennungen), sich gut informiert zeigen und berechenbar sein (jeweils 1 Nennung). Aus den zahlreichen Äußerungen der befragten Führungspersönlichkeiten an der Spitze international tätiger, deutscher Unternehmen geht hervor, dass ihre Rolle an der Spitze der Unternehmen sich durch eine hohe Komplexität auszeichnet und von zentraler Bedeutung ist. Ferner ist festzustellen, dass alle Gesprächspartner mehrere Funktionen bzw. Aufgaben in einem Atemzug nannten, was ebenfalls den Facettenreichtum der Führungsrolle unterstreicht. Zusammenfassend und auf das Kapitel 3.5.2 Bezug nehmend zeigt sich, dass zwischen den genannten Rollen und den von Goshal & Bartlett definierten vier Säulen – Vertrauen, Unterstützung, Disziplin und Ehrgeiz – auf denen ein Unternehmen fußen sollte, eine hohe Deckung herrscht. Diese Säulen können nur durch die oberste Führungsebene geschaffen werden:1012 —

Transparenz und Offenheit als Ausdruck von Vertrauen,



gegenseitige Unterstützung durch partnerschaftliches Verhalten, Coaching und konstruktive Leitung,



Disziplin durch Berechenbarkeit, Konsequenz und Worthalten, sowie



die klare Vorgabe von konkreten Zielen, die den Ehrgeiz jedes Einzelnen ansprechen.

6.2.5

ZUSAMMENFASSUNG DER QUALITATIVEN ERGEBNISSE

Die qualitative Befragung gewährte einen Einblick in das Wesen international und in verschiedenen Geschäftsfeldern tätiger Unternehmen mit Stammsitz in Deutschland. Die zentralen Erkenntnisse der Leitfaden-gestützten Interviews können mit Hilfe des Führungsrades1013 nach Hinterhuber zusammenfassend strukturiert werden. Die Letztentscheidungsträger in der Unternehmenszentrale müssen eine Vision für ihr Unternehmen entwickeln und diese vorleben, damit die Mitarbeiter und nachrangigen Führungs-

1011 1012 1013

Statement im Interview Nr. 9. Vgl. Goshal/Bartlett (1998), S. 153ff. Vgl. Hinterhuber (2004a), S. 206.

EMPIRISCHE EXPLORATION

289

kräfte die Strategien verstehen und in ihrem Sinne denken und handeln. Die Vorbildfunktion spielt dabei eine zentrale Rolle, d. h. die in der Unternehmenskultur verankerten Werte (z. B. Vertrauen, Eigenverantwortlichkeit, Offenheit, Respekt) müssen vom Top Management gelebt werden. Wie eingangs in Kapitel 6.2.4 dargelegt, finden Werte mitunter Ausdruck in den Zielen, welche wiederum in der Summe das Leitbild des Unternehmens repräsentieren. Die befragten Führungskräfte haben wiederholt festgestellt, dass die Festlegung jährlicher Ziele und Strategien für alle Unternehmensbereiche und regionalen Einheiten entscheidend ist und die Leitplanken des Unternehmens markieren. Innerhalb dieser Leitplanken scheint selbständiges und initiatives Verhalten auch ohne Eingriff durch die Unternehmensspitze bestehen zu können. Letztere sollte nur in Ausnahmen – etwa wenn die Gefahr besteht, dass Strategien aus den festgelegten Bahnen laufen – eingreifen. Dort, wo der direkte Zugriff der Letztentscheidungsträger nicht uneingeschränkt möglich ist, müssen dann die organisationalen Strukturen in Form von entsprechend ausgewählten Führungskräften, klar definierten Prozessen und funktionierenden Systemen wirken. Auch dies hatten einige Gesprächspartner festgestellt, indem sie die zentralen Vorgaben und abstimmungspflichtigen Bereiche als Orientierungspunkte für das organisationale Handeln bewerteten. Jenseits der administrativen Aufgaben, die in aller Regel von zentraler Seite abgewickelt werden, haben die Führungskräfte in den dezentralen Unternehmenseinheiten entsprechende Freiräume und partizipieren an der Entwicklung von Strategien und Jahreszielen. Bestätigt wird dies durch einen konsultativen und bisweilen sogar kooperativ verstandenen Führungsstil, zu dem sich die meisten der befragten Unternehmensführer bekannten. Die strategische Orientierung der Unternehmen gibt Aufschluss über das Selbstverständnis der Gesamtunternehmung. Aufgrund der Einordnung der betrachteten Unternehmen in die Kategorien der multinationalen und transnationalen Organisationsarchitekturen mit ihren entsprechenden Orientierungen kann der Schluss gezogen werden, dass die Tochtergesellschaften mehr sind als verlängerte Werkbänke und zum Teil deutlich zur Wertsteigerung des Unternehmens beitragen (sollen). Wie groß die Erwartungen an, aber auch das Vertrauen in das Management der regionalen Einheiten sind, hängt mehr oder weniger stark von in- und externen Faktoren ab, die in den theoretischen Überlegungen aufgezeigt und durch die Aussagen der befragten Personen bestätigt wurden. Insgesamt den größten Einfluss auf die Bedeutung einer dezentralen Einheit im Unternehmensverbund scheint jedoch die für sie verantwortliche Führungskraft zu haben. Insofern kann hieraus das gewählte Untersuchungsdesign auf der Basis einer sozialpsychologischen Theorie, die das Individuum in den Mittelpunkt stellt, ohne die auf es wirkenden externen Einflussfaktoren zu vernachlässigen, als legitim betrachtet werden. Unternehmerische Initiativen entstehen grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen im Unternehmen, können aber auch durch Markt und Kunden angeregt werden. Ihre Effekte können entweder auf den Initiator selbst (z. B. Verantwortungszuwachs, Erfolgsbeteiligung), die be-

290

KAPITEL 6

treffende Einheit (z. B. Vorbildwirkung, Entwicklung zum Kompetenzzentrum) beschränkt bleiben oder sich sogar auf das gesamte Unternehmen auswirken (z. B. Dynamik, interner Wettbewerb, Produkt-, Prozess- oder Projektentwicklung, Redundanz). Da die aus den Initiativen resultierenden Effekte jedoch überwiegend positiv akzentuiert waren, scheinen Initiativen von den Letztentscheidungsträgern grundsätzlich unterstützt zu werden. Selbst Rückschläge im Verlauf der Projektrealisierung scheinen an dieser Einstellung nicht viel zu ändern, da Fehlschläge nach Meinung einiger Gesprächspartner zum Geschäftsalltag gehören. Um unternehmerische Initiativen zum Erfolg zu führen, ist eigenmächtiges Handeln ohne Abstimmung mit den Letztentscheidungsträgern wenig zielführend. Zwar wird ein derartiges Verhalten, solange es sich innerhalb des festgelegten Rahmens bewegt, nicht unterbunden und meist auch nicht sanktioniert. Es zeugt jedoch in den Augen zahlreicher Gesprächspartner von einem bewussten Stilbruch, der nicht gewünscht ist. Voraussetzungen für unternehmerisches Handeln sind sowohl intern als auch extern zu finden, wobei das externe Umfeld eher eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Es müssen jedoch in den Unternehmen die geeigneten Rahmenbedingungen vorherrschen, innerhalb derer sich Freiräume für unternehmerisches Handeln entdecken lassen. Letztlich würden aber auch die idealsten organisationalen Rahmenbedingungen nicht die erwünschte unternehmerische Dynamik erzielen, wenn nicht die personalen Voraussetzungen gegeben sind. Die Persönlichkeit sowie die soziale und fachliche Kompetenz des unternehmerischen Individuums wurden im Rahmen der vorliegenden qualitativen Befragung ganz deutlich in den Mittelpunkt gerückt. Generell scheinen in den 25 Unternehmen, in denen die Interviews durchgeführt wurden, die Voraussetzungen gegeben zu sein, die für Eigeninitiative und innovatives Denken wichtig sind. Es ist jedoch aus den qualitativen Ergebnissen nicht abzulesen, in welchem Umfang die diskutierten Faktoren auf die Bereitschaft des Einzelnen wirken, sich unternehmerisch in einer Tochtergesellschaft einzubringen. Die Sicht der befragten Letztentscheidungsträger bezüglich des Wesens ihrer Organisationen ist als erster Ansatzpunkt zu verstehen, der in die Möglichkeiten zu dezentraler Leadership Einblick gibt. Der zweite, entscheidendere Schritt zu einem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist jedoch die Bewertung dieser Möglichkeiten durch die Akteure in den Tochtergesellschaften. Sie findet im folgenden Kapitel 6.3 Ausdruck.

6.3 Quantitative Erhebung 6.3.1

ZENTRALE FRAGESTELLUNG

Die Erhebung auf der Basis eines standardisierten Fragebogens dient der Bestätigung und der Erweiterung des theoretischen Wissens sowie der Ergebnisse aus der qualitativen Studie. Die theoretisch aufgearbeiteten und durch die Interviews erzielten Erkenntnisse flossen entspre-

EMPIRISCHE EXPLORATION

291

chend in den Fragebogen ein. Ziel der Untersuchung ist die Feststellung des Status quo bezüglich dezentraler Leadership, die Identifikation der Einflussfaktoren und Effekte von unternehmerischem Führungsverhalten in den Tochtergesellschaften diversifizierter Unternehmen sowie das Potenzial zu dezentraler Leadership.

6.3.2

METHODE

Nachdem die theoretischen Überlegungen in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt worden sind und die TPB dem konkretisierten Modell für die empirische Erhebung der dezentralen Leadership zugrunde gelegt worden ist, sollen die kausalen Beziehungen zwischen den verschiedenen Einflussfaktoren auf unternehmerisches Führungsverhalten mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen (SEM) untersucht werden.1014

6.3.2.1

Modellierung der TPB mittels eines Strukturgleichungsmodells

Seit den 70er Jahren hat die Entwicklung von Strukturgleichungsmodellen1015 („structural equation modeling“) insbesondere in den Sozialwissenschaften stark zugenommen.1016 Strukturgleichungsmodelle sind eine Technik zur Spezifizierung und Berechnung von Modellen, die lineare und kausale Beziehungen zwischen Variablen abbilden und die die Analyse von inhaltlichen Hypothesen anhand von empirisch gewonnenen Daten erlauben.1017 Bortz stellt fest, dass lineare Strukturgleichungsmodelle regressionsanalytische Überlegungen, Aspekte der Faktorenanalyse sowie der Pfadanalyse integrieren und somit als Methode zur Überprüfung von kausalen Hypothesen verwendet werden.1018 Deshalb können Pfad-, Regressionsund (konfirmatorische) Faktorenanalyse als Teilmodelle der linearen Strukturgleichungsmodelle angesehen werden. Während jedoch die Pfadanalyse kausale Beziehung zwischen direkt beobachtbaren Variablen abbildet, ermöglichen lineare Strukturgleichungsmodelle die Berücksichtigung von latenten Variablen. In SEM wird daher explizit zwischen gemessenen/ manifesten und nicht direkt messbaren/ latenten Variablen, die nur über Indikatoren erfasst werden können, unterschieden.1019

1014

1015

1016

1017 1018 1019

SEM wurden für die Analyse der TPB bereits bei verschiedenen Fragestellungen verwendet. Vgl. hierzu u. a. Reinecke (1997) sowie Reinecke et al. (1997). Strukturgleichungsmodelle werden auch als Kovarianzstrukturanalyse oder Kovarianzstrukturmodelle bezeichnet. Vgl. Bagozzi/Yi (1989b), S. 271. Auch MacCallum/Austin (2000) stellten fest, dass zwischen 1993 und 1997 rund 500 Anwendungen von SEM in 16 wissenschaftlichen Fachjournalen veröffentlicht wurden. Vgl. hier und im Folgenden MacCallum/Austin (2000); Reinecke (2005); Reinecke (1999). Vgl. hier und im Folgenden Bortz (1993), S. 436. Manifeste Variablen (MV) sind tatsächliche Werte, deren Bedingungshintergrund vollständig außerhalb des betrachteten Variablensystems liegt (vgl. Baltes-Götz (1994), S. 1-2). Latente Variablen (LV) sind hypothetische Konstrukte, wie etwa Einstellungen oder Intelligenz, die typischerweise durch mehrere MV repräsen-

292

KAPITEL 6

Da man nicht von einer perfekten Übereinstimmung von gemessenen Daten und dem hypothetischen Modell ausgehen kann, nimmt das SEM eine Differenzierung nach Mess- und Strukturmodell vor, wobei das Messmodell die Beziehung zwischen gemessenen und nicht messbaren Variablen definiert, während das Strukturmodell die Beziehung zwischen latenten Variablen abbildet.1020 Nach Reinecke erlaubt die „explizite Formulierung eines Meßmodells […] die Berücksichtigung unterschiedlicher Meßqualitäten der manifesten Variablen, vorausgesetzt die latenten Variablen werden über mehr als eine gemessene Variable definiert.“1021 In einem SEM sollte daher jedes theoretische Konstrukt durch mehrere Indikatoren, den latenten Variablen, erfasst werden und die Beziehung zwischen den Konstrukten und den jeweiligen Indikatoren einer eigenständigen, statistischen Prüfung unterzogen werden.1022 Latente Variablen in SEM haben somit die Funktion, das theoretische Konstrukt zu repräsentieren.1023 Bortz spricht in diesem Zusammenhang von der Dekomposition einer beobachtbaren Variable in einen Anteil, der durch jenes Konstrukt determiniert wird, das der betreffenden Variable zugrunde liegt, und einem Anteil, der auf Messfehler und andere Konstrukte zurückzuführen ist.1024 Mit diesem theoretischen Konzept sollte jeder Messprozess beginnen. Das für die Untersuchung des dezentralen Leadership-Ansatzes verwendete Modell der TPB wird als Strukturgleichungsmodell konzipiert (vgl. Abbildung 43, Seite 293).1025 Das Modell konzentriert sich dabei auf die zentralen Konstrukte, da von ihnen angenommen wird, dass sie die Verhaltensintention bestimmen.1026 Die zentralen Konstrukte der TPB stellen latente Variablen dar, wobei im Modell die Einstellung zum Verhalten (1), die subjektive Norm (2) sowie die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (3) als unabhängig und die Intention (1) als abhängig angenommen werden. Sie stellen zusammen das Strukturmodell dar.1027 Messmodelle finden sich bei allem vier Konstrukten, da sie durch manifeste Variablen1028 erfasst wer-

1020 1021 1022 1023 1024 1025

1026 1027 1028

tiert werden, welche wiederum als Indikatoren des Konstrukts dienen. Sie können in einen exogenen (d. h. unabhängigen, im Modell nicht erklärten) sowie endogenen (d. h. abhängigen, direkt oder indirekt beeinflussten, im Modell erklärten) Typus unterschieden werden (vgl. Bollen (1989), S. 12). Eine exogene (latente) Variable wird i. d. R. mit dem griechischen Zeichen „“ (lies: xi) dargestellt, während eine endogene (latente) Variable mit dem Zeichen „“ (lies: eta) angegeben wird (vgl. Rigdon (2007)). Vgl. hierzu u. a. Bollen (1989). Reinecke (2005), S. 3. Vgl. ebenda, S. 99. Vgl. Blalock (1968); Costner (1969). Vgl. Bortz (1993), S. 440f. Um ein Modell identifizieren zu können, müssen zum einen mehr bekannte als geschätzte Parameter vorhanden sein und zum anderen muss jede latente Variable eine Metrik aufweisen. Letztere wird dadurch erzielt, dass für jede latente Variable ein Pfad auf „1“ gesetzt wird, wodurch ein Anstieg der manifesten Variable zum selben Anstieg der latenten Variable führt. Gleiches gilt auch für Fehlerwerte. Vgl. Ajzen (2006). Latente Variablen werden ebenso wie Fehlervarianzen mit einem Kreis („{“) dargestellt. Manifeste, direkt beobachtete Variablen werden in Form von Rechtecken („…“) repräsentiert. Im Modell wird angenommen, dass zwischen den manifesten Variablen kein Zusammenhang besteht.

EMPIRISCHE EXPLORATION

293

den (X1…X10 bzw. Y1…Y3). Für alle manifesten Variablen werden zudem Messfehleranteile (1…10 bzw. 1…3) ausgewiesen. Die Regression der endogenen latenten Variablen (Intention zu dezentraler Leadership) auf die drei exogenen Variablen (Einstellung zu dezentraler Leadership, subjektive Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle) wird durch Strukturkoeffizienten () dargestellt.1029

1 1

1

ATB1 (X1)

2

1

ATB2 (X2)

1

ATB3 (X3)

1

SN1 (X4)

1

SN2 (X5)

3

x11 x21

Einstellung zu dezentraler Leadership (1)

x31

11

2 4

5

6

7

8

9

4 y11

x41 x51

Subjektive Norm (2)

21

x61

1

SN3 (X6)

1

PBC_SW1 (X7)

x71

1

PBC_Control1 (X8)

x81

1

PBC_SW2 (X9)

1

PBC_Control2 (X10)

Intention, sich unternehmerisch zu verhalten (1)

y21

Intention1 (Y1)

Intention2 (Y2)

y31 Intention3 (Y3)

x91

3

1

1

1

11

12

13

31

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle (3)

x101 10

Legende: Strukturmodell Messmodelle

Abbildung 43: TPB als Strukturgleichungsmodell Quelle: eigene Darstellung.

Um herauszufinden, was Führungskräfte in Tochtergesellschaften dazu bewegt, sich unternehmerisch zu verhalten, sollte die empirische Erhebung unter mit bisherigen Untersuchungen auf der Basis der TPB vergleichbaren Bedingungen erfolgen.1030 Da derartige Untersuchungen nur selten in experimentellen oder quasiexperimentellen Forschungsdesigns Anwendung finden, sondern vielmehr mit Hilfe von Fragebögen in Querschnittuntersuchungen stattfinden, wurden die relevanten Daten in der vorliegenden Arbeit ebenfalls querschnittlich erhoben, wenngleich diese einmalige Betrachtung beispielsweise die zeitliche Dynamik bei der

1029 1030

Eine regressive Beziehung, wie sie hier vorliegt, wird durch einfache Pfeile („“) repräsentiert. Vgl. bspw. Cordano/Frieze (2000); Hrubes et al. (2001); Cunningham/Kwon (2003); Wang et al. (2007)

294

KAPITEL 6

Bildung von Intentionen und Verhalten nicht abzubilden in der Lage ist und daher kritisiert werden kann.1031

6.3.2.2

Fragebogen und Operationalisierung der Variablen

Bevor auf die Operationalisierung aller Konstrukte eingegangen wird, soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass eine genaue Definition des spezifischen Verhaltens notwendig ist, um einen auf eine ungenaue Erfassung zurückgehenden, schwachen Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten zu vermeiden.1032 Sowohl die Einstellung als auch das Verhalten können anhand der vier Aspekte – das Ziel, auf das die Handlung gerichtet ist, die spezifische Handlung selbst, der Kontext, in dem die Handlung stattfindet und die Zeit (TACT) – festgelegt werden. In der TPB sollen gemäß dem Kompatibilitätsprinzip Einstellungs-, Überzeugungs-, Intentions-, Norm-, Kontroll- und Verhaltenskomponenten in diesen vier Aspekten übereinstimmen.1033 Ajzen & Fishbein schlagen ein prinzipielles Vorgehen bei der Konstruktion des Fragebogens vor, das für die vorliegende Arbeit folgendermaßen aussieht: —

Festlegung des spezifischen Verhaltens, der unternehmerischen Führung in Tochtergesellschaften nach den vier genannten Aspekten.



Definition der Verhaltensintention entsprechend der vier Aspekte.



Definition der entsprechenden Einstellung zum Verhalten, der subjektiven Norm sowie der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.



Bestimmung der behavioralen Überzeugungen und der Bewertung der Verhaltenskonsequenzen, der normativen Überzeugungen und Übereinstimmungsmotivation sowie der Kontrollüberzeugungen und -bewertungen.



Bestimmung der relevanten, direkten Erfahrung mit der unternehmerischen Führung von Tochtergesellschaften.

Das Verhalten, das in dieser Arbeit von Interesse ist, jedoch nicht gemessen wird, ist „unternehmerisches Führungsverhalten in Tochtergesellschaften in den kommenden ein bis drei Jahren“. Die einzelnen Aspekte dieses Verhaltens sind – wie bereits in Kapitel 5.2.2 erläutert – folgendermaßen festgelegt: —

Handlung („action“): Führungsverhalten



Ziel („target“): Unternehmerische Orientierung

1031

1032 1033

Querschnittsanalysen stellen einen aktuell gegebenen Zustand dar und bieten daher grundsätzlich einen einmaligen Blick auf ein System aus Variablen und Konstrukten. Vgl. Ajzen (1988). Vgl. Ajzen/Fishbein (1977); Kim/Hunter (1993a).

EMPIRISCHE EXPLORATION

295



Zeit („time“): Kurz- und mittelfristig, d. h. in den kommenden ein bis drei Jahren



Kontext („context“): In Tochtergesellschaften (bzw. funktionalen Abteilungen von Tochtergesellschaften)

Nach einigen einführenden Fragen zur Mutter- bzw. Tochtergesellschaft wird im Rahmen der zweiten Frage die direkte Erfahrung mit den in Kapitel 4.4 festgelegten Komponenten unternehmerischer Führung thematisiert. Die Erfahrung wird mittels einer zweistufigen Skala (1 = yes; 2 = no) mit sechs Items erhoben. Die Summenwerte über die sechs Items ergeben entsprechend ein Maß für die bisherige Erfahrung der Führungskraft mit unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften. Ein Item-Beispiel lautet: „Did you ever (have to)… engage in high-risk projects (with chances of high returns)?“ mit den entsprechenden Antwortalternativen “yes” und “no”. Anschließend werden in Frage 3 die zentralen Komponenten der TPB – Intention, Einstellung zu dezentraler Leadership, subjektive Norm sowie wahrgenommene Verhaltenskontrolle – global bzw. allgemein abgefragt: Die Intention einer Führungskraft, in ihrer aktuellen beruflichen Position kurz- und mittelfristig (d. h. in den kommenden ein bis drei Jahren) die Tochtergesellschaft bzw. die funktionale Abteilung (d. h. Marketing und Vertrieb, Finanzen, Produktion, F & E, Personal, Kommunikation/ PR) einer Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen, wird wie alle anderen Variablen gemäß den Vorschlägen von Ajzen & Fishbein sowie Ajzen & Madden mittels dreier Items auf einer fünfstufigen, uni- bzw. bipolaren Skala erfasst.1034 Dies gilt mehrheitlich auch für die nachfolgend genannten Variablen und entsprechend konstruierten Items. Als Item zur Erfassung der Intention dient beispielsweise die folgende Aussage „I intend to act entrepreneurially in my subsidiary in the next 1-3 years.“ mit entsprechender Skala von “absolutely true” bis “absolutely false”. Die (globale) Einstellung der Führungskraft, kurz- bzw. mittelfristig die Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen, wird ebenfalls mittels dreier Items auf einer fünfstufigen Skala (1 bis 5) gemessen. Als Beispiel hierfür dient folgende Aussage: „To act entrepreneurially in my subsidiary in the next 1-3 years in my opinion is… definitely good – definitely bad“. Die globale Variable der subjektiven Norm bezüglich unternehmerischen Führungsverhaltens in Tochtergesellschaften wird wiederum anhand von drei Items gemessen, etwa durch die

1034

Vgl. Ajzen/Fishbein (1980); Ajzen/Madden (1986). Die bipolare Skalierung ist – wie Sparks et al. (1991) in einer Analyse von sieben Studien mit uni- und bipolaren Skalierungen zeigen – der unipolaren sowohl unter theoretischen Gesichtspunkten, als auch aus methodischen Gründen vorzuziehen. In Anlehnung an Francis et al. (2004), auf die auch Ajzen auf seiner Homepage explizit verweist, werden die Wahrscheinlichkeitskomponente mittels unipolarem (1 bis 5) und die Bewertungskomponente mittels bipolarem (-2 bis +2) Skalen gemessen.

296

KAPITEL 6

Aussage „It is expected of me to act entrepreneurially in my subsidiary in the short- and medium-term.“ mit der Skala von “absolutely true” bis “absolutely false”. Die (globale) wahrgenommene Verhaltenskontrolle soll die Zuversicht der Führungskraft widerspiegeln, die Tochtergesellschaft kurz- und mittelfristig unternehmerisch führen zu können. Dies wird dadurch erreicht, dass die Selbstwirksamkeit der Führungskraft sowie ihre Einschätzung der Beherrschbarkeit des Verhaltens analysiert werden. Aus diesem Grund wird die wahrgenommene Verhaltenskontrolle mit Hilfe von vier Items anhand einer fünfstufigen Skala gemessen:1035 —

Selbstwirksamkeit: zwei Items, z. B.”To act entrepreneurially in my subsidiary in the next 1-3 years for me is… absolutely easy – absolutely difficult”.



Beherrschbarkeit des Verhaltens: Zwei Items, z. B. “Whether I act entrepreneurially in my subsidiary in the next 1-3 years is entirely up to me.” mit den Antwortalternativen “definitely true” und “definitely false”.

Im Vergleich zu den oben direkt gemessenen, globalen Variablen messen die Fragen 4 bis 17 im Fragebogen die wahrgenommene Verhaltenskontrolle indirekt. Hierbei werden in den gerade bezifferten Fragen die Stärke der Kontrollüberzeugung (Überzeugungskomponente) und in den ungerade bezifferten Fragen die Bewertung jedes Kontrollaspekts (Bewertungskomponente) abgefragt. In der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle werden unternehmensinterne und -externe Faktoren abgebildet: —

Die strategischen Ziele der Mutterunternehmung, interne Systeme und Prozesse, die Unternehmensstruktur und -kultur, drei mögliche Rollen von Tochtergesellschaften sowie die Verfügbarkeit von Zeit und Ressourcen waren in den vorangegangenen Kapiteln als Einflussfaktoren im internen Umfeld identifiziert worden. Sie können sich auf den Grad der Kontrollierbarkeit unternehmerischen Verhaltens auswirken und sind mit den Fragen 4 bis 15 abgedeckt.



Die Effekte des externen Umfelds auf die Beherrschbarkeit unternehmerischen Führungsverhaltens in Tochtergesellschaften wurden ebenfalls in den Fragebogen aufgenommen (Frage 16 und 17). Das externe Umfeld wird anhand von sechs Items für die Unternehmensinfrastruktur sowie drei Items für die Turbulenz des Umfeldes gemessen.

Die Überzeugungskomponente wird anhand der bereits genannten fünfstufigen Skala mit den Endpunkten „absolutely unlikely“ und „absolutely likely“ erfasst. Ein Beispiel hierfür mit Bezug auf die Aussagen über die im Unternehmen gelebte Kultur ist: „If you act entrepreneurially in your subsidiary, how likely is it that in the entire corporation … change is perceived as

1035

Diese Operationalisierung wurde von Francis et al. (2004) vorgeschlagen.

EMPIRISCHE EXPLORATION

297

an opportunity?“. Um jedoch nicht nur festzustellen, ob und in welchem Umfang die abgefragten möglichen Einflussfaktoren im internen Umfeld vorhanden sind, sondern auch herausstellen zu können, welchen Einfluss sie auf die dezentrale Leadership haben, werden die Führungskräfte um eine entsprechende Bewertung gebeten. Schließlich wird sich eine Führungskraft, die es für unwahrscheinlich hält, dass Wandel im Unternehmen als Chance begriffen wird, gleichzeitig aber der Meinung ist, dass dies nicht entscheidend ist, um die Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen, in ihrer Verhaltenskontrolle nicht beeinträchtigt fühlen. Deshalb wird die Bewertung jedes Kontrollaspekts zusätzlich mittels einer fünfstufigen, bipolaren Skala von -2 bis +2 gemessen. Mit Bezug auf die oben aufgeführte exemplarische Aussage lautete die Frage zur entsprechenden Bewertung: „For acting entrepreneurially in a subsidiary,…the shared belief that change is an opportunity, is…absolutely beneficial – absolutely hindering.“ Die Produktsumme aus Überzeugungs- und Bewertungskomponente ergibt dann das überzeugungsbasierte Maß für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle.1036 Die Fragen 18 und 19 befassen sich mit den Kompetenzen der Führungskraft, die nach Wunderer für unternehmerisches Verhalten entscheidend sind.1037 Er identifizierte dabei drei Schlüsselkompetenzen, die anhand von insgesamt neun Items gemessen werden. Die Frage „If you act entrepreneurially in your subsidiary, how likely is it that… you inspire others and convince them of the advantages of your goals?“ mit den Antwortalternativen „absolutely likely” bis „absolutely unlikely” dient als Item-Beispiel. Wie im Fall der unternehmensinternen und -externen Kontrollaspekte werden die Respondenten gebeten, die neun Ausprägungen unternehmerischer Schlüsselkompetenzen anhand einer fünfstufigen, bipolaren Skala mit den Endpunkten „absolutely hindering“ und „absolutely beneficial“ zu bewerten. Die Produktsumme aus der Überzeugungs- und Bewertungskomponente ergibt dann wiederum das Maß für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Die Überzeugungen und Bewertung der sechs einzelnen Aspekte unternehmerischen Führungsverhaltens werden anschließend abgefragt. Die Befragten werden gebeten, anhand einer fünfstufigen, unipolaren Skala mit den Endpunkten „absolutely likely” bis „absolutely unlikely” anzugeben, wie wahrscheinlich es ist, die verschiedenen Aspekte des dezentralen Leadership-Konstruktes zeigen zu können. Zusätzlich sollen sie die Wichtigkeit dieser Aspekte anhand einer bipolaren Skala mit den Endpunkten „absolutely important“ und „absolutely unimportant“ bewerten. Im Hinblick auf die überzeugungsbasierte Einstellung sprechen Ajzen & Fishbein von salienten, d. h. einem Individuum zu einem gegebenen Zeitpunkt unmittelbar verfügbaren Überzeu-

1036 1037

Vgl. hierzu ebenda. Vgl. Wunderer (2006).

298

KAPITEL 6

gungen bezüglich eines bestimmten Verhaltens.1038 Auf der Basis bestehender Erkenntnisse aus der einschlägigen Literatur und nach Abgleich mit den Ergebnissen der qualitativen Studie wurden insgesamt zehn mögliche Überzeugungen ausgewählt, die die Respondenten bewerten sollen. Wie in den vorangegangenen Fällen wird die Überzeugungskomponenten mittels einer unipolaren Skala mit den Endpunkten „absolutely likely” bis „absolutely unlikely” gemessen, wohingegen die Bewertungskomponente bipolar mit den Endpunkten „absolutely important“ und „absolutely unimportant“ erfasst wird. Als Beispiel für ein überzeugungsbasiertes Item dient folgende Aussage: „If you act entrepreneurially in your subsidiary in the short- and medium-term, how likely is it that…efficiency of internal processes would increase?” Die entsprechende Bewertung der Aussage lautet: „To contribute to an increase in efficiency within the corporation is… absolutely important – absolutely unimportant.“ Schließlich werden die Bezugsgruppen der befragten Führungskräfte in den Fragen 22 und 23 angesprochen. Es wurden fünf Bezugsgruppen ausgewählt, die sich auch aus der Literatursichtung und im Rahmen der qualitativen Erhebung als wichtig herauskristallisiert hatten.1039 Im Gegensatz zu den oben genannten Komponenten der TPB sprechen Ajzen & Fishbein bei der überzeugungsbasierten subjektiven Norm nicht von einer Überzeugungs- und Bewertungskomponente, sondern von der Norm- und Motivationskomponente.1040 Die Normkomponente wird mit einer unipolaren, fünfstufigen Skala („absolutely likely“ bis „absolutely unlikely“), die Motivationskomponente mittels einer bipolaren, fünfstufigen Skala („absolutely important“ bis „absolutely unimportant“) gemessen. Ein Beispiel für die Normkomponenten ist folgende Aussage: „Top executives in the mother company generally support entrepreneurial leadership behavior in subsidiaries.“ Für die Motivationskomponente ergibt sich entsprechend: „How important is it to you to meet the expectations of … top management in the corporate headquarter?” Der Fragebogen schließt mit der Bitte um einige demographische Angaben. Ferner wird den Teilnehmern der Befragung die Möglichkeit eingeräumt, ihre Emailadresse anzugeben, um konsolidierte Ergebnisse nach Abschluss der Untersuchung zu beziehen. Nachdem der Aufbau des Fragebogens sowie die interessierenden Variablen präsentiert worden sind, ist zusammenfassend festzuhalten, dass der Fragebogen inklusive Deckblatt in der Microsoft Word-Version sieben Seiten, in seiner Onlineversion 16 Seiten umfasst und deshalb eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von gut 30 Minuten angenommen wird.

1038 1039 1040

Vgl. Ajzen/Fishbein (1980). Vgl. Kapitel 4.7.3.3. Vgl. Ajzen/Fishbein (1980).

EMPIRISCHE EXPLORATION

6.3.2.3

299

Befragte Personen und Datenerhebung

Nach der Durchführung eines Pretests1041 zur Klärung von Inhalts- und Verständnisfragen erfolgte die Datenerhebung im Rahmen der Hauptuntersuchung in den Monaten August bis Oktober 2007.1042 Zunächst wurden jedoch die in der qualitativen Erhebung interviewten Letztentscheidungsträger schriftlich um ihre nochmalige Unterstützung des Forschungsprojektes gebeten, indem sie den standardisierten Fragebogen an ihre Führungskräfte in den Tochtergesellschaften weiterleiteten. Dieser Bitte kamen letztlich insgesamt 10 der 25 Unternehmensentscheider (40%) nach, was den Zugang zu potenziell 603 Tochtergesellschaften ermöglichte. Daneben konnten über die Deutschen Außenhandelskammern (AHKs) Kontaktdaten von ausländischen Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen für den Versand des Online-Fragebogens genutzt werden. Sechs AHKs verfügten über eine entsprechende Datenbank von Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen.1043 Tabelle 23 auf Seite 300 zeigt die Zusammensetzung des Samples:

1041

1042

1043

Der Pretest erfolgte einige Wochen vor der eigentlichen Erhebung. Die befragten Führungskräfte, die strukturell den Führungskräften der endgültigen Stichprobe entsprechen (Friedrichs (1990), S. 153), wurden gebeten, den standardisierten Fragebogen auszufüllen und anschließend kritisches Feedback zu geben, auf dessen Grundlage der Fragebogen nochmals verfeinert werden konnte. Diese Vorgehensweise wird als angemessen angesehen (vgl. Bortz/Döring (2002); Kirchhoff et al. (2000)). Die Fragebogen, die im Rahmen des Pretests ausgefüllt werden, werden nicht in den endgültigen Datensatz aufgenommen, wie Bortz/Döring (2002), S. 359 feststellen. Da die Befragung in die Betriebsferienzeit vieler Unternehmen fiel und anhand zahlreicher Abwesenheitsnotizen von angeschriebenen Führungskräften ersichtlich wurde, dass eine Vielzahl potenzieller Respondenten aufgrund dessen nicht an der Befragung teilnehmen würden, folgte auf die erste Erhebungsphase ein zweiter Durchlauf in Form eines „Reminders“. Die Kontaktdaten wurden von den AHKs in gedruckter und/oder digitaler Form zur Verfügung gestellt.

300

KAPITEL 6

Anzahl Tochtergesellschaften Art

Land

davon Führungskraft namentlich adressierbar

gesamt Tochtergesellschaften der befragten Unternehmen1044 Tochtergesellschaften laut AHK-Datenbanken

diverse

603

8,7%

603

100%

Australien1045

313

4,5%

67

21%

2901

41,9%

2611

90%

450

6,5%

364

81%

Niederlande

585

8,5%

141

24%

Spanien1049

577

8,4%

79

14%

1480

21,4%

1278

86%

6909

100,0%

5143

74%

1046

China

Frankreich1047 1048

USA1050 GESAMT

Tabelle 23:

Übersicht des Samples Quelle: eigene Darstellung.

Neben den Führungskräften in den Tochtergesellschaften der 25 im Rahmen der qualitativen Erhebung betrachteten Unternehmen, konnten im ersten Durchlauf der quantitativen Erhebung 6306 Führungskräfte per Email angeschrieben und um Teilnahme an der Befragung gebeten werden. Aufgrund ungültiger Emailadressen, systembezogener Fehlermeldungen oder automatischer Ablehnungsemails waren insgesamt 25% der Einladungen zur Befragung nicht zustellbar. Dies führte im zweiten Durchlauf der Erhebung („Reminder“) zu einem bereinigten AHK-Datensatz von 4705 Führungskräften. Das endgültige Sample betrug deshalb 5308 Adressaten. Nach Eingang von insgesamt 251 verwendbaren Fragebogen1051 konnte eine Gesamtrücklaufquote von 4,73% ermittelt werden.1052 Dieser geringe Rücklauf ist vor allem auf

1044

1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051

1052

An der standardisierten Befragung nahmen die Unternehmen mit der Nr. 1, 2, 3, 9, 10, 11, 16, 22, 23 und 24 teil. Die Ansprache der Führungskräfte in den Töchtern erfolgte durch die Gesprächspartner. AHK Australien (2005/2006)., N.N. (2005/2006). AHK China (2007b).N.N. (2007b). AHK Frankreich (2005).N.N. (2005). AHK Niederlande (2007c). N.N. (2007c). AHK Spanien (2007a).N.N. (2007a). AHK USA (2006/2007).N.N. (2006/2007). Ein Fragebogen wurde nicht in SPSS-Datenbank aufgenommen, da er von einem Gesprächspartner der qualitativen Untersuchungsphase stellvertretend für einen seiner lokalen Geschäftsführer ausgefüllt wurde. Da sich das Sample aus 212 Fragebogen von über die AHK-Kontaktdaten erreichten Führungskräfte sowie 51 Fragebogen von Führungskräften der 25 befragten Unternehmen zusammensetzt, ergeben sich – bezogen auf die jeweilige Stichprobengröße – Einzelrücklaufquoten von 4,25% bzw. 8,46%.

EMPIRISCHE EXPLORATION

301

den Umfang des Fragebogens und einer generellen Ablehnung vieler Führungskräfte, an Befragungen teilzunehmen, zurückzuführen, wie auch aus einigen Rückmeldungen deutlich wurde.

6.3.3

DATENAUSWERTUNG UND ERGEBNISSE

Alle Berechnungen und statistischen Analysen wurden mit Hilfe der Software-Programme SPSS 15, Microsoft Excel und AMOS 7 durchgeführt. Die Analyse umfasst dabei deskriptive Statistiken, T-Tests, Korrelations- sowie Regressionsanalysen. Die Ergebnisse werden anschließend mit Bezug auf die im theoretischen Teil getroffenen Aussagen durchleuchtet und diskutiert. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Zusammenfassung der gesamten empirischen Ergebnisse.

6.3.3.1

Beschreibung der Untersuchungsobjekte

Das vorliegende Kapitel gibt Aufschluss über den persönlichen Hintergrund der befragten Führungskräfte und die Charakteristika der betreffenden Unternehmen, in denen sie tätig sind. Wie in Tabelle 24 (Seite 301) ersichtlich wird, ist die Mehrheit der Befragten zwischen 40 und 49 Jahren alt (42,2%) und männlich (94,4%). 68% der befragten Führungskräfte gaben an, ein Hochschulstudium absolviert zu haben. 10% von ihnen sind promoviert. 7% gaben die mittlere Reife und 9% das Abitur als höchsten Bildungsabschluss an. Die verbleibenden 6% verfügen über eine andere Ausbildung.

Alter Bezeichnung

Geschlecht

Häufigkeit

%

Bezeichnung

5

2,0

30-39 Jahre

46

40-49 Jahre

106

50-59 Jahre

72

28,7

60-69 Jahre

18

7,2

über 70 Jahre

4

1,6

20-29 Jahre

Tabelle 24:

Häufigkeit

%

männlich

237

94,4

18,3

weiblich

11

4,4

42,2

k. A.

3

1,2

Alter und Geschlecht der befragten Führungskräfte (n = 251) Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Von den befragten Führungskräften wurden 53% als sog. Expatriates ins Ausland gesandt, 47% der lokal tätigen Führungskräfte sind „Einheimische“. 88% von ihnen fungieren als Ge-

302

KAPITEL 6

schäftsführer bzw. Generalbevollmächtigte. 8,4% der Respondenten leiten eine Abteilung mit unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung (vgl. Tabelle 25). 3,6% ordneten sich keiner der Antwortalternativen zu und wählten daher die Antwort „andere Position“.

Position Bezeichnung

Tabelle 25:

Häufigkeit

%

Geschäftsführer/ Generalbevollmächtigter

220

88,0

Abteilungsleiter

21

8,4

 Marketing

8

3,2

 Personal

2

0,8

 Finanzen

1

0,4

 Produktion

3

1,2

 F&E

1

0,4

 Kommunikation/PR

3

1,2

 andere Abteilung

3

1,2

andere Position

9

3,6

Position der befragten Führungskräfte (n = 250; 1 fehlende Angabe) Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Die Frage, in welcher Branche das Gesamtunternehmen tätig ist, wurde ebenso wie die Frage, wann die Tochtergesellschaft gegründet wurde, offen gestellt. Aufgrund der Bandbreite der angegebenen Branchen wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit eine Gruppierung entsprechend der NACE-Klassifizierung1053 vorgenommen. Wie aus Abbildung 44 (Seite 303) hervorgeht, können über 60% der Unternehmen dem produzierenden Gewerbe (Gruppe „D“) zugeordnet werden. Knapp 7% der Unternehmen erbringen unternehmensbezogene Dienstleistungen (Gruppe „K“) sowie 2,4% sind der Gruppe „I“, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, zuzurechnen. 23,1% der Befragten machten keine Angaben zur Branche.

1053

Vgl. Destatis (2007b).

EMPIRISCHE EXPLORATION

303

0,4%

C D F

23,1% 60,2%

G H I J K N

1,2%

O

0,8%

keine Angabe

6,8% 1,6% 2,4% 0,4% 1,6%

1,6%

Abbildung 44: Branchenverteilung gemäß NACE-Code Quelle: eigene Darstellung.

80% der Tochtergesellschaften wurden gegründet, nur 20% der erfassten lokalen Einheiten wurden akquiriert. Die Zugehörigkeit zum jeweiligen Mutterunternehmen währt seit durchschnittlich 17,6 Jahren, wobei die jüngste Tochtergesellschaft ein Jahr und die älteste 129 Jahre alt sind. Fast alle Tochtergesellschaften sind im Kerngeschäft der Mutterunternehmung tätig (96%). Die Frage, in welchem lokalen Markt die Tochtergesellschaft angesiedelt ist, führt zu folgender geographischer Verteilung (vgl. Tabelle 26):

Land

Häufigkeit

Land

Häufigkeit

China

77

Schweiz

3

USA

69

Griechenland

2

Australien

18

Großbritannien

2

Spanien

15

Italien

2

Deutschland

13

Japan

2

Niederlande

12

Österreich

2

Frankreich

8

Ungarn

2

Schweden

3

sonstige

19

Tabelle 26:

Lokale Märkte der Tochtergesellschaften (n = 249; 2 fehlende Angaben) Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

304

KAPITEL 6

Ökonomische Kennzahlen zu den befragten Unternehmen sind in den beiden nachfolgenden Abbildungen dargestellt. Abbildung 45 zeigt die in 2006 generierten Umsätze der befragten Tochter- und Muttergesellschaften. In 2006 generierten rund ein Drittel der befragten Tochtergesellschaften bis zu 10 Mio. Euro, 27% erwirtschafteten bis zu 50 Mio. Euro. Nach Angaben der befragten Führungskräfte, konnten 24% der Muttergesellschaften durchschnittlich Umsätze von bis zu 500 Mio. Euro verzeichnen, 18% bzw. 14% der Mutterunternehmen erreichten sogar Umsätze von bis zu 5 Mrd. Euro und mehr.

31%

35%

27% 30% 25% 16%

20%

14%

15% 24%

8% 18%

10% 12%

5% 4%

14% 1%

11%

2%

14%

2%

4%

0% bis 1 Mio.

bis 10 Mio.

bis 50 Mio.

bis 100 Mio.

Muttergesellschaft

bis 500 Mio.

bis 1 Mrd.

bis 5 Mrd.

> 5 Mrd.

Tochtergesellschaft

Abbildung 45: Umsatz [in €] der erfassten Unternehmen in 2006 (n = 251) Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Die Größe der Tochter- und Mutterunternehmen wird ferner anhand der Mitarbeiterzahlen erfasst (Abbildung 46). Knapp die Hälfte der erfassten Tochtergesellschaften (49%) beschäftigen weniger als 50 Mitarbeiter. 26% der Mutterunternehmen beschäftigen dagegen bis zu 5000 Mitarbeiter. 16% bzw. 10% verfügen über einen weltweiten Mitarbeiterstamm von bis zu 50.000 Mitarbeitern und mehr.

EMPIRISCHE EXPLORATION

305

49%

50% 40% 30% 14%

20%

15% 9% 6%26% 4%

10% 6%

4%

7%

bis 50

bis 100

bis 250

6%

13%

12%

2%

16% 1%

0%

10%

0% bis 500 bis 1000 bis 5000 bis 10000 bis 50000 > 50000

Muttergesellschaft

Tochtergesellschaft

Abbildung 46: Mitarbeiterzahlen in den erfassten Unternehmen (n = 251) Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

An dieser Stelle schließt die Beschreibung der Untersuchungsobjekte. Im folgenden Kapitel wird auf die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf dezentrale Leadership eingegangen.

6.3.3.2

Status quo von dezentraler Leadership

Da eine Zielsetzung dieser Arbeit die Feststellung des Status quo hinsichtlich unternehmerischen Führungsverhaltens in Tochtergesellschaften ist, soll im vorliegenden Kapitel zum einen die Erfahrung und zum anderen die Einstellung mit den zuvor festgelegten Aspekten unternehmerischer Führung auf dezentraler Ebene thematisiert werden. 6.3.3.2.1

Erfahrung mit den Aspekten unternehmerischer Führung

Mit Blick auf die Definition von dezentraler Leadership in Kapitel 4.4 setzt sich das Konstrukt aus sechs Komponenten zusammen: Risikobereitschaft, Proaktivität, Vorbildwirkung, Wertschöpfungsorientierung, Innovationsfähigkeit und die Fähigkeit, eine Vision zu entwickeln. Diese sechs Ausprägungen bilden jedoch keine Skala, deren Items dasselbe messen soll. Sie berücksichtigen unterschiedliche Aspekte des unternehmerischen Führungsverhaltens in Tochtergesellschaften, weshalb sie empirisch nicht durch einen gemeinsamen Faktor abgebildet werden können. Da ein Interesse dieser Arbeit der Frage des Status quo von dezentraler Leadership in Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen gilt, sollte festgestellt werden,

306

KAPITEL 6

inwiefern die befragten Führungskräfte mit diesen sechs Ausprägungen der dezentralen Leadership bereits Erfahrungen gemacht haben. Die Berechnung ergab, dass 94,0% der befragten Führungskräfte mit proaktivem Verhalten Erfahrung haben. 92,0% der Führungskräfte haben eine klare Vision für ihre Tochtergesellschaft entwickelt. 87,6% haben Erfahrungen mit der Einführung von neuen Produkten, Dienstleistungen und Prozessen gemacht, was die Innovationsfähigkeit wiederspiegelt. Das eigene Handeln auf die Wertschöpfung für die Stakeholder des Unternehmens auszurichten und anderen Unternehmensmitgliedern als Vorbild zu dienen, ist 86,9% bzw. 86,5% der Befragten aus ihrem Geschäftsalltag bekannt. Allerdings geben nur 43,8% an, bereits Risiken eingegangen zu sein, um die Chance zu nutzen, hohe Profite erzielen zu können. Die Antworten der befragten Führungskräfte lassen somit den Schluss zu, dass die Aspekte der dezentralen Leadership im Geschäftsalltag großteils Anwendung finden. Allerdings wurde auch deutlich, dass die Anwendung unkonventioneller Methoden bzw. ein riskantes Verhalten deutlich weniger an der Tagesordnung sind, sodass die befragten Führungskräfte als eher risikoscheu charakterisiert werden können. Insgesamt haben 80 Respondenten (31,8%), mit allen sechs Aspekten der unternehmerischen Führung in ihren Tochtergesellschaften direkte Erfahrungen gemacht. 103 (41,0%) haben mit fünf Aspekten Erfahrung. Dieser hohe Anteil an Führungskräften, die große Erfahrung mit dezentraler Leadership haben, lässt den Schluss zu, dass deren Einstellung zu dezentraler Leadership im Zeitverlauf auch als stabiler angesehen werden kann und damit ein besserer Indikator für tatsächliches unternehmerische Führungsverhalten sind (vgl. Kapitel 5.2.2). Es besteht folglich Potenzial zu dezentraler Leadership in den befragten Tochtergesellschaften. 6.3.3.2.2

Einstellung zu unternehmerischer Führung in Tochtergesellschaften

Neben der direkten Erfahrung mit dezentraler Leadership wurde auch die Einstellung der Führungskräfte in Tochtergesellschaften abgefragt. Die Häufigkeitsverteilung zeigt, dass 78,9% der Befragten es für sehr wahrscheinlich bzw. eher wahrscheinlich halten, proaktiv sein zu können. Für 85,3% ist es eher bzw. sehr wahrscheinlich, Innovationen hervorbringen zu können, aber nur für 36,7% ist es eher bzw. sehr wahrscheinlich, unkonventionelle und riskantere Wege zu beschreiten. Abgesehen von diesen drei unternehmerischen Aspekten des dezentralen Leadership-Konstruktes, halten es 90,0% für sehr bzw. eher wahrscheinlich, eine Vision für die Tochtergesellschaft zu entwickeln und für die Interessensgruppen der dezentralen Einheit Wert zu schaffen. Eine sehr hohe bzw. hohe Wahrscheinlichkeit, anderen Organisationsmitgliedern als Vorbild zu dienen, sehen 73,7% der befragten Führungskräfte. Abbildung 47 zeigt die Durchschnitte zu den behavioralen Meinungen über und zu den Bewertungen von dezentraler Leadership. Von den einzelnen Aspekten des dezentralen Leadership-Konstruktes ist die Entwicklung einer Vision am wahrscheinlichsten (4,49). Sie wird auch

EMPIRISCHE EXPLORATION

307

als sehr wichtig eingestuft (1,61). Proaktives Verhalten wird am wichtigsten angesehen (1,77) und ist dabei ziemlich wahrscheinlich (4,02). Innovationsfähigkeit scheint für die Geschäftstätigkeit sehr wichtig und dabei auch relativ wahrscheinlich umsetzbar (4,26; 1,60) zu sein. Ebenso wahrscheinlich ist die Risikobereitschaft, allerdings ist sie von den sechs Aspekten der dezentralen Leadership am wenigsten entscheidend (4,02; 1,02). Für Stakeholder der Tochtergesellschaft Wert zu generieren wird als relativ wahrscheinlich und wichtig eingestuft (4,36; 1,18). Die Vorbildfunktion ist mit den Mittelwerten 4,00 und 1,18 von den sechs Aspekten der dezentralen Leadership am wenigsten wahrscheinlich, hat jedoch eine höhere Relevanz als die bereits dargestellte Risikobereitschaft. Fasst man alle sechs Einzelüberzeugungen bezüglich der unternehmerischen Führung zusammen, ist dezentrale Leadership mit einem Mittelwert von 4,19 recht wahrscheinlich und für die befragten Führungskräfte auch recht wichtig (1,44).1054

2,0

4,02; 1,77 4,26; 1,60

Bewertung

4,49; 1,61 Proaktivitität

1,5

4,19; 1,44

4,36; 1,44

Innovationsfähigkeit Risikobereitschaft

4,00; 1,18 4,02; 1,02

1,0

Visionarität Wertschöpfung für Stakeholder Vorbildfunktion

0,5

Dezentrale Leadership

0,0 3,5

4,0

4,5

5,0

Behaviorale Überzeugung

Abbildung 47: Behaviorale Überzeugungen zu und entsprechende Bewertungen von dezentraler Leadership (global bzw. in Bezug auf die Komponenten des Konstruktes)1055 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Wie aus der folgenden Tabelle 27 (Seite 308) hervorgeht, kann ferner festgestellt werden, dass diejenigen Führungskräfte, die bereits Erfahrung mit Aspekten der unternehmerischen Führung auf dezentraler Ebene gemacht haben, insgesamt eine positivere Einstellung dazu haben. Signifikante Unterschiede ergeben sich in Bezug auf die Risikobereitschaft und die

1054

1055

Der Gesamtwert für dezentrales Leadership ergibt sich aus den aufsummierten Durchschnitten der Produkte aus behavioraler Überzeugung und Bewertung der sechs Einzelaspekte. Die Skala für die Überzeugungskomponente reicht von 1 (sehr unwahrscheinlich) zu 5 (sehr wahrscheinlich). Die Bewertung erfolgte anhand einer Skala von -2 (sehr unwichtig) bis +2 (sehr wichtig).

308

KAPITEL 6

Wertschöpfungsorientierung. Zusammengefasst heißt dies, dass Führungskräfte in Tochtergesellschaften, die bereits Erfahrungen mit dezentraler Leadership gesammelt haben, eher Risiken eingehen als diejenigen ohne Erfahrung. Auch ist es für Führungskräfte mit Erfahrung entscheidender, die Erwartungen der Stakeholder der eigenen Tochtergesellschaft zu erfüllen und ihnen so Wert zu stiften.

Erfahrung Proaktivität

nein

ja

7,00

7,59

Innovationsfähigkeit

6,86

7,21

Risikobereitschaft

3,84

5,56***

Fähigkeit zur Entwicklung einer Vision

7,34

7,45

Wertschöpfung für Stakeholder der Tochtergesellschaft

6,14

7,07*

Vorbild

4,89

5,60

Werte der Überzeugungsitems rangieren von -10 bis +10. Signifikanz: * p < 0,05; *** p < 0,001

Tabelle 27:

Mittelwertvergleich zu den Überzeugungen der einzelnen Aspekte unternehmerischen Führungsverhaltens jeweils für Führungskräfte mit und ohne Erfahrung1056 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

6.3.3.3

Überzeugungen im Hinblick auf dezentrale Leadership

Neben den globalen Maßen – Einstellung zu dezentraler Leadership, subjektive Norm sowie wahrgenommene Verhaltenskontrolle – dienen die behavioralen, normativen und kontrollbasierten Meinungen der Erfassung der den drei globalen Konstrukten zugrundeliegenden Bestimmungsgrößen.1057 Diese Determinanten werden als konkretisierte Voraussetzungen für unternehmerisches Führungsverhalten in Tochtergesellschaften interpretiert. 6.3.3.3.1

Behaviorale Überzeugungen und Ergebnisbewertungen

Gemäß der TPB können die möglichen Konsequenzen und Effekte von unternehmerischem Führungsverhalten in Tochtergesellschaften an den verhaltensbasierten bzw. behavioralen Überzeugungen („behavioral beliefs“) abgelesen werden. Sie setzen sich aus der Verhaltensergebnisbewertungskomponente für die Einschätzung der Erwünschtheit möglicher Ergebnis1056

1057

Erfahrung haben Führungskräfte, die angaben, mit allen sechs Aspekten unternehmerischen Führungsverhaltens Erfahrung zu haben. Vgl. Ajzen (2006).

EMPIRISCHE EXPLORATION

309

se von unternehmerischem Führungsverhalten und der Ergebnisüberzeugungskomponente zusammen.1058 Letztere gibt an, für wie wahrscheinlich eine Führungskraft die Konsequenzen aus dem Verhalten hält. Das Gesamtmaß für die behaviorale Überzeugung der Führungskräfte in den Tochtergesellschaften wird errechnet, indem jede Ergebnisüberzeugung mit der entsprechenden Ergebnisbewertung multipliziert und die einzelnen Produkte der behavioralen Meinungen aufsummiert werden.1059 Es ergibt sich daraus der Verhaltensüberzeugungsindex. Der Verhaltensüberzeugungsindex kann sich im vorliegenden Fall zwischen den Extremwerten -100 und +100 bewegen.1060 Die Berechnung des Index ergab einen Wert von +55,54, was einer moderat positiven Einstellung zu dezentraler Leadership entspricht. Abbildung 48 auf Seite 309 zeigt die Mittelwerte der behavioralen Überzeugungen mittels Punktdiagramm1061 zu den ausgewählten Effekten und ihren entsprechenden Bewertungen:

2,0 4,12; 1,60 Bewertung

1,5

3,72; 1,39

1,0

4,33; 1,55

4,51; 1,57

4,25; 1,50 4,27; 1,52

3,74; 1,28

4,03; 1,12

3,89; 1,15

4,23; 0,79 0,5 0,0 3,5

4,0

Überzeugung

Etablierung von Netzwerken mit strategischen Partnern Kostensteigerungen Erhöhung der Ressourcenzuteilung Effektive Anpassung an Umwelten Erhöhung des intraorganisationalen Wissens

4,5

5,0

Effizienz der internen Prozesse Ausweitung des Verantwortungsbereichs der TG Steigerung des persönlichen Einflusses imUnternehmen Entwicklung von Kernkompetenzen Strategische Erneuerung des Unternehmens

Abbildung 48: Behaviorale Überzeugungen und entsprechende Bewertungen1062 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

1058 1059 1060

1061

1062

Vgl. Ajzen/Fishbein (1980); Francis et al. (2004). Vgl. Ajzen/Fishbein (1980). Der Wertebereich errechnet sich für n Items aus den Skalenextremwerten je einer fünfstufigen uni- bzw. bipolaren Skala wie folgt: n*(5*±2). Der sich hier ergebende Wert -100 würde eine sehr negative, der Wert 0 eine neutrale und der Wert +100 eine sehr positive Einstellung zu dezentraler Leadership reflektieren. Hier und im Folgenden werden auf der Abszisse jedes Punktdiagramms jeweils die Werte der Überzeugungen, auf der Ordinate die Werte für die entsprechenden Bewertungen abgebildet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die Achsen so skaliert, dass sie nur die für die Darstellung relevanten Abschnitte zeigen. Die Skala für die Überzeugungskomponente reicht von 1 (sehr unwahrscheinlich) zu 5 (sehr wahrscheinlich). Die Bewertung erfolgte anhand einer Skala von -2 (sehr unwichtig) bis +2 (sehr wichtig).

310

KAPITEL 6

Es zeigt sich, dass die Führungskräfte in den dezentralen Unternehmenseinheiten am stärksten davon überzeugt sind, dass Netzwerke mit strategisch wichtigen Partnern etabliert werden können (Mittelwerte: 4,51; 1,57). Durch dezentrale Leadership kann das intraorganisationale Wissen erhöht werden, welches die befragten Führungskräfte sehr wichtig einschätzen (1,55) und auch für recht wahrscheinlich halten (4,33). Die (Weiter-)Entwicklung von Kernkompetenzen wird als recht wahrscheinliche und bedeutende Konsequenz unternehmerischen Führungsverhaltens aufgefasst (4,25; 1,50). Auch eine effektive Anpassung des Unternehmens an die Gegebenheiten in den Umwelten wird als eine ziemlich wahrscheinliche und positive Wirkung unternehmerischen Verhaltens angesehen (4,12; 1,60). Effizienz der internen Prozesse als Folge unternehmerischen Verhaltens wird sowohl für wahrscheinlich gehalten (4,27), als auch als wichtig angesehen (1,52). Dass es durch dezentrale Leadership zu einer strategischen Erneuerung des gesamten Unternehmens kommt, wird am wenigsten wahrscheinlich betrachtet (3,72), wenngleich eine strategische Erneuerung durchaus wichtig ist (1,39). Insgesamt am wenigsten überzeugt sind die Respondenten davon, ihren persönlichen Einfluss im Unternehmen erhöhen zu können (4,23; 0,79), wobei dies zwar relativ wahrscheinlich ist, jedoch für die Führungskräfte eine verhältnismäßig geringe Bedeutung zu haben scheint. Demgegenüber werden die Ausdehnung des Verantwortungsbereichs der Tochtergesellschaft (4,03; 1,12) und die gesteigerte Zuteilung von Ressourcen an die Tochtergesellschaft (3,89; 1,15) als recht wahrscheinlich und wichtig eingestuft. Wenngleich die befragten Führungskräfte Kosteneinsparungen für wichtig halten (1,28), konnten sie Kostensteigerungen als weitere abgefragte Wirkung unternehmerischen Führungsverhaltens nicht ausschließen (3,74).1063 6.3.3.3.2

Normative Überzeugungen und Übereinstimmungsmotivation

Die normativen Überzeugungen einer Führungskraft sind eine Kombination aus den wahrgenommenen Erwartungen von wichtigen Bezugsgruppen in Bezug auf unternehmerisches Führungsverhalten in Tochtergesellschaften und der Motivation einer Führungskraft, sich entsprechend diesen Erwartungen zu verhalten. Der Index für die normative Überzeugung errechnet sich aus der Summe der Einzelüberzeugungen. Im vorliegenden Fall nimmt der Index einen Wert von +20,14 an und ist damit als moderat positiv zu beschreiben.1064

1063

1064

Da bei der Bewertungskomponente im Gegensetz zur Überzeugungskomponente nach der Bedeutung von Kostensenkungen (anstatt von Kostensteigerungen) gefragt wurde, musste diese Frage bei der Auswertung umkodiert werden. Der Wertebereich errechnet sich für n Items aus den Skalenextremwerten je einer fünfstufigen uni- bzw. bipolaren Skala wie folgt: n*(5*±2). Der maximal mögliche Wert „-50“ würde eine sehr negative, der Wert „0“ eine neutrale und der Wert „+50“ eine sehr positive subjektive Norm reflektieren.

EMPIRISCHE EXPLORATION

311

Erwartungsgemäß am stärksten motiviert sind die Führungskräfte in den dezentralen Unternehmenseinheiten, den Erwartungen der Letztentscheidungsträger in der Muttergesellschaft zu entsprechen (1,52). Von letzteren wird angenommen, dass sie unternehmerisches Verhalten mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit unterstützen (4,13). Mitarbeiter stellen ebenfalls eine wichtige Bezugsgruppe dar, deren Ansprüchen die Führungskräfte vor Ort ebenfalls gerecht zu werden versuchen (1,40). Von anderen, z. T. nachrangigen Führungskräften in der eigenen Tochtergesellschaft wird angenommen, dass auch sie unternehmerisches Führungsverhalten begrüßen würden (4,20). Die Befragten versuchen auch, diesen Vorstellungen zu entsprechen (1,22). Am wenigsten bedeutsam scheinen gleichrangige Kollegen in anderen Tochtergesellschaften sowie das private Umfeld der Führungskräfte zu sein (0,70 bzw. 0,68) wie aus Abbildung 49 deutlich wird:

2,0

Letztentscheidungsträger in Muttergesellschaft

Motivation

4,13; 1,52 1,5

nachrangige Führungskräfte in der eigenen Tochtergesellschaft

4,14; 1,40 4,20; 1,22

gleichrangige Kollegen in anderen Tochtergesellschaften

1,0 4,20; 0,70 3,92; 0,68

Mitarbeiter

0,5

Familie/ Freunde 0,0 3,5

4,0

4,5

Normative Überzeugung

Abbildung 49: Normative Überzeugungen mit entsprechender Motivation1065 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

6.3.3.3.3

Kontrollbasierte Überzeugungen und Bewertungen

Um jene Faktoren zu identifizieren, welche die Ausführung eines Verhaltens begünstigen oder hemmen können, wurden in Übereinstimmung mit den Vorgaben der TPB die kontrollbasierten Meinungen („control beliefs“) abgefragt. Da in den Interviews mit den Letztentscheidungsträgern deutscher Mutterunternehmen bestätigt worden war, dass die Voraussetzungen für eine dezentrale Führung von Tochtergesellschaften sehr vielfältig sind und dass eine Unterscheidung zwischen unternehmensinternen und -externen sowie personalen Vor-

1065

Die Skala für die Überzeugungskomponente reicht von 1 (sehr unwahrscheinlich) zu 5 (sehr wahrscheinlich). Die Bewertung erfolgte anhand einer Skala von -2 (sehr unwichtig) bis +2 (sehr wichtig).

312

KAPITEL 6

aussetzungen zweckmäßig ist, wird diese Gruppierung bei der folgenden Darstellung beibehalten. Meinungen setzen sich – wie bereits dargelegt wurde – generell aus zwei Komponenten, der Überzeugungs- und Bewertungskomponente, zusammen. Die wahrgenommenen kontrollbasierten Meinungen geben an, mit welcher Wahrscheinlichkeit beispielsweise eine bestimmte Begebenheit im internen und externen Unternehmensumfeld aus der Sicht der Führungskräfte vor Ort bei der Ausübung unternehmerischen Führungsverhaltens auftritt und wie deren Einfluss auf das Verhalten wahrgenommen wird. Auch das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Fähigkeiten und Kompetenzen und ihre Bedeutung im Hinblick auf die Ausübung unternehmerischer Führung ist den kontrollbasierten Meinungen zuzurechnen. Um ein Gesamtmaß für die wahrgenommenen, kontrollbasierten Meinungen der befragten Führungskräfte zu erhalten, wird gemäß der TPB jede Kontrollüberzeugung mit der entsprechenden Bewertung multipliziert. Anschließend werden die einzelnen Produkte der kontrollbasierten Meinungen addiert, um den Gesamtindex für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle zu erhalten. Die Berechnung des Gesamtindex für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle, der sich aus den drei Gruppen möglicher Einflussfaktoren zusammensetzt, ergibt einen Wert von +204,97 (Bandbreite: -490 bis +490). Dies spiegelt eine moderat positiv wahrgenommene Verhaltenskontrolle der Führungskräfte in den dezentralen Einheiten wider. Tabelle 28 zeigt die verschiedenen Einflussbereiche für dezentrale Leadership in der Wahrnehmung der Führungskräfte (gruppiert nach unternehmensinternen und -externen sowie personalen Faktoren):

EMPIRISCHE EXPLORATION

Kontrollbasierte Meinungen zu:

persönlich

extern

intern

Strategische Ziele des TopManagements

313

Anzahl Items

Bandbreite1066

Tatsächlicher Wert

Interpretation

6

-60 bis +60

34,34

moderat positiv

Interne Systeme/ Prozesse

7

-70 bis +70

27,19

moderat positiv

Unternehmensstruktur

6

-60 bis +60

9,16

schwach positiv

Unternehmenskultur

5

-50 bis +50

25,76

moderat positiv

Rolle der Tochtergesellschaft

3

-30 bis +30

11,12

moderat positiv

Verfügbarkeit von Zeit und Ressourcen

4

-40 bis +40

14,33

moderat positiv

PBC-Wert (intern)

31

-310 bis +310

121,90

moderat positiv

Umweltinfrastruktur

6

-60 bis +60

9,81

schwach positiv

Umweltturbulenz

3

-30 bis +30

7,21

schwach positiv

PBC-Wert (extern)

9

-90 bis +90

17,02

schwach positiv

Umsetzungskompetenz

3

-30 bis +30

23,19

voll positiv

Gestaltungskompetenz

3

-30 bis +30

19,57

moderat positiv

Sozialkompetenz

3

-30 bis +30

23,29

voll positiv

PBC-Wert (persönlich)

9

-90 bis +90

66,05

voll positiv

GESAMTINDEX

49

-490 bis +490

204,97

MODERAT POSITIV

Tabelle 28:

Indices für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Die über Kontrollüberzeugungen erfasste wahrgenommene Verhaltenskontrolle wird insgesamt positiv bewertet, d. h. dass die Führungskräfte grundsätzlich der Meinung sind, ihre Tochtergesellschaften unternehmerisch führen zu können. Um ein detailliertes Bild von den unterschiedlichen Kontrollüberzeugungen zu erhalten, sollen diese wieder unter Zuhilfenahme von Punktdiagrammen dargestellt und erläutert werden. Die Aussagen werden farblich entsprechend ihrer Zuordnung zu den unterschiedlichen Kategorien voneinander abgegrenzt.

1066

Der Wertebereich errechnet sich für n Items aus den Skalenextremwerten je einer fünfstufigen uni- und bipolaren Skala wie folgt: n*(5*±2).

314

KAPITEL 6

2,0 1,9

4,68; 1,86 4,68; 1,81

Bewertung

1,8 4,57; 1,74

4,62; 1,67 4,65; 1,64

1,7 4,6; 1,64 1,6

3,83; 1,57

1,5 4,32; 1,43

1,4

4,33; 1,35

1,3 1,2 3,8

4,0

4,2

4,4

4,6

4,8

Kontrollüberzeugung Kreatives Experimentieren bei Problemlösung

Inspiration und Überzeugung anderer

Offenheit für Neues

Nutzung von Informationstechnologien und Netzwerken

Antizipation von Gegenargumenten

Systematische Annäherung an neue Herausforderungen

Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer

Teamorientierung und Konsultation anderer

Aktive Konfliktlösung

Abbildung 50: Kontrollüberzeugungen und -bewertungen zu selbstbezogenen Faktoren1067 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Bei der Betrachtung der Ergebnisse wird deutlich, dass die Führungskräfte am meisten davon überzeugt sind, Kontrolle über ihre eigenen Kompetenzen zu haben. Insbesondere die Umsetzungs- und Sozialkompetenz werden sehr, die Gestaltungskompetenz moderat positiv bewertet, d. h. die Führungskräfte sind davon überzeugt, dass sie diese unternehmerischen Fähigkeiten mitbringen und letztere auch für die Führung von Tochtergesellschaften relevant sind. Dabei ist die Offenheit gegenüber Neuem bei Führungskräften in Tochtergesellschaften sehr wahrscheinlich (4,68), was ihrer Meinung nach für die dezentrale Leadership beinahe so entscheidend ist wie die aktive Konfliktlösung (1,86 bzw. 1,81). Ebenfalls wahrscheinlich ist die Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer (4,65), die im Hinblick auf die dezentrale Leadership einen relativ hohen Stellenwert einnimmt (1,64). Etwas entscheidender ist jedoch noch die Teamorientierung für Führungskräfte in lokalen Märkten (1,67), die auch sehr wahrscheinlich vorzufinden ist (4,62). Am wenigsten Kontrolle haben die Führungskräfte nach eigenem Empfinden in Bezug auf die Kreativität bei der Lösung von Problemen (3,83), die sich aber grundsätzlich positiv auf die Möglichkeit, sich unternehmerisch zu verhalten, auswirkt (1,57). Am wenigsten förderlich schätzen die Befragten eine systematische Annäherung an neue Herausforderungen ein (1,35), wenngleich sie recht wahrscheinlich ist (4,33). 1067

Farbliche Zuordnung: Gestaltungs- (schwarz), Sozial- (weiß), Umsetzungskompetenz (grau). Die Skala für die Überzeugungskomponente reicht von 1 (sehr unwahrscheinlich) bis 5 (sehr wahrscheinlich). Für die Bewertung wurde eine bipolare Skala von -2 (sehr unnötig) bis +2 (sehr nötig) vorgegeben.

EMPIRISCHE EXPLORATION

315

Der Einfluss des unternehmensinternen Umfelds wird insgesamt moderat positiv wahrgenommen (vgl. nochmals Tabelle 28, Seite 313), wobei die Unternehmensstruktur den schwächsten positiven Anteil an der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle hat. Bei der Betrachtung der Einzelaussagen zu den unternehmensinternen Gegebenheiten wird nochmals deutlich, dass insbesondere Aspekte der Unternehmensstruktur negativ bewertet werden (vgl. Abbildung 51). Die Führungskräfte sehen sich in einem Umfeld mit zahlreichen hierarchischen Ebenen (3,39) und bewerten dieses recht negativ (-0,69). Noch hinderlicher ist es jedoch, wenn Muttergesellschaften die weltweiten Aktivitäten exklusiv bearbeiten (-1,32), wobei die Wahrscheinlichkeit nicht allzu sehr ausgeprägt zu sein scheint (3,39).

2,0 4,31; 1,69

Stark hierarchische Struktur

1,5 3,89; 1,12

Bewertung

1,0

Präzische Stellenbeschreibungen

3,60; 0,66

0,5

Dezentrale strategische Entscheidungen

4,17; 0,47 0,0 -0,5

2,5

3,0

3,5 3,39; -0,69

-2,0

4,5

Unabhängige Anpassung der TG an lokale Märkte Hoch spezialisierte TGs

-1,0 -1,5

4,0

3,39; -1,32 Exklusive Bearbeitung weltweiter Aktivitäten durch Mutter Kontrollüberzeugung

Abbildung 51: Kontrollüberzeugungen zur Unternehmensstruktur sowie deren entsprechende Bewertungen1068 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Die Untersuchung der für dezentrales Führungsverhalten förderlichen Faktoren zeigt zunächst, dass die Führungskräfte in den Tochtergesellschaften es am wahrscheinlichsten einschätzen, dass die Letztentscheidungsträger in den Mutterunternehmen ein langfristiges Wachstum verfolgen (4,72). Letzteres wirkt sich förderlich aus (1,67). Darüber hinaus scheinen die Unternehmen gezielt nach wirtschaftlichen Möglichkeiten zu suchen (4,54). Auch dies wird positiv bewertet (1,65), wie Abbildung 52 zeigt.

1068

Die Überzeugungsskala reicht von 1 (sehr unwahrscheinlich) zu 5 (sehr wahrscheinlich), die Bewertungsskala von -2 (sehr hinderlich) zu +2 (sehr förderlich).

316

KAPITEL 6

2,0 4,72; 1,65

Umsatzmaximierung

3,98; 1,67 Bewertung

1,5

Kostenreduktion

4,24; 1,48 4,54; 1,21

langfristiges Wachstum

4,22; 1,05

1,0 4,00; 0,86

Identifikation wirtschaftlicher Möglichkeiten

0,5

klare Zielvorgaben Innovationsführerschaft

0,0 3,8

4,0

4,2 4,4 Kontrollüberzeugung

4,6

4,8

Abbildung 52: Kontrollüberzeugungen zu den strategischen Zielen des Top-Managements sowie deren entsprechende Bewertungen1069 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Mit diesen strategischen Zielen einhergehend ist ein eher langfristiger Planungshorizont in den Unternehmen zu sehen (4,07), den die Führungskräfte ebenfalls als recht günstig einschätzen (1,53). Die Darstellung findet sich im nachfolgenden Diagramm zu den internen Systemen und Prozessen.

2,0

Leistungsabhängige Vergütung 3,87; 1,47

Bewertung

1,5 3,36; 1,20

3,40; 1,21

4,07; 1,53 Langfristiger Planungshorizont

3,78; 1,30

1,0

3,96; 0,98

Berichtssystem

0,5

Kommunikation

0,0 2,5 -0,5

3,0

3,5 3,48; -0,48

4,0

4,5

Teambasierte Belohnungssysteme Frei zugängliche Informationen Kontrollmechanismen

-1,0 Kontrollüberzeugung

Abbildung 53: Kontrollüberzeugungen zu den internen Prozessen sowie deren entsprechende Bewertungen1070 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

1069 1070

Vgl. Fußnote 1068. Vgl. Fußnote 1068.

EMPIRISCHE EXPLORATION

317

Die genauere Betrachtung von Abbildung 53 zeigt, dass die internen Systeme und Prozesse einen moderat positiven Einfluss auf unternehmerisches Führungsverhalten haben. So konstatieren die Führungskräfte, dass in den Unternehmen ein detailliertes und aufwendiges Berichtssystem vorherrscht (3,96), das insgesamt positiv bewertet wird (0,98). Wechselseitige Kommunikation zwischen allen Unternehmenseinheiten und ein von individueller Leistung abhängiges Vergütungssystem sind ziemlich wahrscheinlich in deutschen Unternehmen anzutreffen (3,87 bzw. 3,78). Dies hat einen günstigen Einfluss auf die Entstehung von dezentraler Leadership (1,47 bzw. 1,30), so die Angaben der befragten Führungskräfte. Obwohl ein Belohnungssystem, das auf die Bewertung der Teamleistung ausgerichtet ist, unternehmerisches Handeln stärken würde (1,20), findet es in der Unternehmenspraxis offenbar nur eingeschränkt Anwendung (3,36). Eine auf Kennzahlen basierte Kontrolle in den Unternehmen ist schließlich eher ungünstig für die Entstehung einer unternehmerisch orientierten Führung in und von Tochtergesellschaften (-0,48). Laut den Angaben der Führungskräfte vor Ort ist es darüber hinaus wahrscheinlich (4,70), dass in den Organisationen Vertrauen ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur ist, der durchschnittlich sehr günstig bewertet wird (1,76) und damit als eine unbedingte Voraussetzung für die Entstehung von unternehmerischem Verhalten verstanden werden kann. Unternehmenskulturen, die hohe Leistungsanforderungen an Organisationsmitglieder postulieren und Wandel als Chance begreifen, wirken sich förderlich auf die Entstehung von unternehmerischem Führungsverhalten in dezentralen Einheiten aus (1,49 bzw. 1,50) und sind darüber hinaus auch recht wahrscheinlich in deutschen Unternehmen anzutreffen (4,49 bzw. 4,27).

2,0 4,27; 1,50

Fehlertoleranz 4,70; 1,76

Bewertung

1,5

hohe Leistungserwartung an Mitarbeiter

4,49; 1,49 1,0

Vertrauen als zentraler Wert

3,70; 0,91

Wandel als Chance

0,5 3,03; 0,34

Toleranz ggü. Unsicherheit & Ambiguität

0,0 3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

Kontrollüberzeugung

Abbildung 54: Kontrollüberzeugungen zur Unternehmenskultur sowie ihre Bewertungen1071 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung. 1071

Vgl. Fußnote 1068.

318

KAPITEL 6

Aus den Ergebnissen kann ferner abgeleitet werden, dass die Möglichkeit der unabhängigen Anpassung der Tochtergesellschaft an ihr lokales Umfeld eine positive Wirkung auf die Entstehung von unternehmerischem Führungsverhalten hat (1,69). Derartige Adaptionsmöglichkeiten sind in den Augen der befragten Führungskräfte auch ziemlich wahrscheinlich in der Unternehmenspraxis anzutreffen (4,31). Strategische Entscheidungen sind damit auch auf dezentraler Ebene denkbar (4,17). Sie haben dabei einen (wenn auch nicht sehr stark ausgeprägten) positiven Einfluss auf die Möglichkeit zu unternehmerischem Handeln (0,47). Im nachfolgenden Punktdiagramm ist dies veranschaulicht:

2,0 1,8

Autonomie in lokalen Märkte bei begrenzten Produkten

1,5

Bewertung

4,05; 1,26 1,3

Kompetenzführer, aber interdependent mit anderen TGs

1,0 3,46; 0,97 0,8 3,97; 0,67 0,5

Autonomie und Exklusivität für gesamte(s) Produktlinie/Geschäftsfeld

0,3 0,0 3,4

3,5

3,6

3,7

3,8

3,9

4,0

4,1

Kontrollüberzeugung

Abbildung 55: Kontrollüberzeugungen zur Rolle der Tochtergesellschaft sowie deren entsprechende Bewertungen1072 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Die Verfügbarkeit von Zeit sowie materiellen und personellen Ressourcen wird positiv bewertet, wobei vor allem Zeit eine erfolgskritische Variable zu sein scheint (1,63). Die begrenzte Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen (3,53) stellt jedoch ein Hindernis in Bezug auf unternehmerisches Führungsverhalten in Tochtergesellschaften dar (-0,42), wie Abbildung 56 auf Seite 319 abschließend zeigt.

1072

Vgl. Fußnote 1068.

EMPIRISCHE EXPLORATION

319

2,0 3,94; 1,63 1,5

3,95; 1,37

Verfügbarkeit von Zeit

Bewertung

3,37; 1,18 1,0

Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen

0,5

Zugang zu qualifizierten HR 0,0 3,0 -0,5

3,2

3,4

3,6

3,8

4,0

Zugang zu materiellen Ressourcen

3,53; -0,42

-1,0 Kontrollüberzeugung

Abbildung 56: Kontrollüberzeugungen zur Verfügbarkeit von Ressourcen und Zeit sowie deren Bewertungen1073 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Mit Blick auf die potenziellen unternehmensexternen Einflussfaktoren zeigt sich, dass das unternehmensexterne Umfeld von den Führungskräften als am wenigsten beherrschbar eingeschätzt wird. In Bezug auf die Umweltinfrastruktur wird deutlich, dass ein demokratisch geprägtes Umfeld relativ wahrscheinlich vorzufinden ist (3,86) und gleichzeitig für unternehmerisches Führungsverhalten am günstigsten eingestuft wird (1,31). Im Gegensatz dazu scheint das rechtlich-gesetzliche Umfeld am wenigsten förderlich für unternehmerisches Führungsverhalten zu sein (-0,87). Auch das wirtschaftliche Umfeld wird von den befragten Führungskräften negativ bewertet (-0,31). Die Führungskräfte haben dabei neutrale Kontrollüberzeugungen (3,11 bzw. 3,01). Daneben ist es eher unwahrscheinlich, dass das internationale Umfeld lokal bearbeitet werden kann (2,29), wobei es aber förderlich für unternehmerisches Führungsverhalten wäre (0,95). Der Zugang zu Finanzkapital ist nicht sehr wahrscheinlich (3,34), wobei er aber für dezentrale Leadership förderlich wäre (1,12). Das sozio-kulturelle Umfeld wird noch als günstig eingestuft (0,38), jedoch sind die Führungskräfte eher indifferent in Bezug auf eine anhaltende Veränderung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen (2,97), wie Abbildung 57 auf Seite 320 abschließend zeigt:.

1073

Vgl. Fußnote 1068.

320

KAPITEL 6

2

3,34; 1,12

1

3,86; 1,31 3,71; 0,95

4,23; 1,22

3,39; 0,68 2,97; 0,38 0 2,0

2,5

3,0 3,01; -0,31

3,5

4,0

4,32; -0,06 4,5

3,11; -0,87

-1

-2

Rechtlich-gesetzliches Umfeld

Politisches Umfeld

Wirtschaftliches Umfeld

Finanzielles Umfeld

Internationales Umfeld

Sozio-kulturelles Umfeld

Technologien

Wettbewerb

Kundenwünsche

Abbildung 57: Kontrollüberzeugungen zu Faktoren im externen Umfeld sowie deren entsprechenden Bewertungen1074 Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

In Bezug auf die Umweltdynamik lässt sich folgendes festhalten: Während die Entstehung neuer Technologien und die Komplexität der Kundenwünsche als förderlich eingestuft werden (0,68 bzw. 1,22), wird ein aggressiver Wettbewerb leicht hinderlich bewertet (-0,06). Ein aggressives Wettbewerbsumfeld und vielfältige Kundenwünsche sind in den Augen der Befragten dabei ziemlich wahrscheinlich (4,32 bzw. 4,23)

6.3.3.4

Globale Prädikatoren der Intention, Tochtergesellschaften unternehmerisch zu führen

Die globalen Maße zur Einstellung zu dezentraler Leadership, zur subjektiven Norm sowie zur wahrgenommenen Verhaltenskontrolle sollen im Rahmen dieses Kapitels diskutiert werden. Dabei soll betrachtet werden, ob und inwiefern eine starke Absicht, die eigene Tochtergesellschaft unternehmerisch zu führen sowie die einschlägige Erfahrung damit sich auf die Einstellung, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle auswirken. Einen detaillierten Einblick in diese Fragen sollen Gruppenvergleiche mittels sog. t-Tests geben.

1074

Farbliche Zuordnung: Umweltinfrastruktur (grau), Umweltdynamik (schwarz). Die Skala für die Kontrollüberzeugung reicht von 1 (sehr unwahrscheinlich) zu 5 (sehr wahrscheinlich), während die Bewertungsskala von -2 (sehr hinderlich) zu +2 (sehr förderlich) rangiert.

EMPIRISCHE EXPLORATION

321

Eine erste statistische Analyse ergab, dass die befragten Führungskräfte insgesamt eine starke Absicht haben, ihre Tochtergesellschaften kurz- und mittelfristig unternehmerisch zu führen (Mittelwert: 4,73). Ob sich jedoch Führungskräfte, die eine sehr starke Intention äußern, von jenen mit weniger starken Absichten unterscheiden, zeigt der in Tabelle 29 präsentierte Gruppenvergleich für die drei globalen Skalen.1075

Mittelwert1076 Anzahl Items

gesamt

starke Intention

schwache Intention

Signifikanz p