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German Pages 751 [764] Year 2006
Dependenz und Valenz Dependency and Valency HSK 25.2
≥
Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Handbooks of Linguistics and Communication Science Manuels de linguistique et des sciences de communication Mitbegründet von Gerold Ungeheuer (†) Mitherausgegeben 1985⫺2001 von Hugo Steger
Herausgegeben von / Edited by / Edite´s par Herbert Ernst Wiegand Band 25.2
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Dependenz und Valenz Dependency and Valency Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung An International Handbook of Contemporary Research Herausgegeben von / edited by ´ gel, Ludwig M. Eichinger, Hans-Werner Vilmos A Eroms, Peter Hellwig, Hans Jürgen Heringer, Henning Lobin Register zusammengestellt von / Indexes compiled by Guta Rau 2. Halbband / Volume 2
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Printed on acid-free paper which falls within the guidelines 앪 of the ANSI to ensure permanence and durability.
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Dependenz und Valenz : ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung ⫽ Dependency and valency : an international hand´ gel ... [et al.]. book of contemporary research / edited by Vilmos A v. cm. ⫺ (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ⫽ Handbooks of Linguistics and Communication Sciences ; 25.2) Includes bibliographical references and indexes. ISBN-13: 978-3-11-014190-0 (v. 1) ISBN-10: 3-11-014190-6 (v. 1) ISBN-13: 978-3-11-017152-5 (v. 2 : cloth : alk. paper) ISBN-10: 3-11-017152-X (v. 2 : cloth : alk. paper) ´ gel, Vilmos. II. Title: Dependency 1. Dependency grammar. I. A and valency. P162.D465 2003 415⫺dc22 2006018886
ISBN-13: 978-3-11-017152-5 ISBN-10: 3-11-017152-X Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ⬍http://dnb.ddb.de⬎ abrufbar. ” Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin, Germany. All rights reserved, including those of translation into foreign languages. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopy, recording or any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher. Printed in Germany Typesetting: META-Systems GmbH, Wustermark Coverdesign: Rudolf Hübler, Berlin
Inhalt / Contents 2. Halbband / Volume 2 VII.
Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten Grammatical Phenomena as Seen from Dependency and Valency Viewpoints
62. 63.
Ludwig M. Eichinger, Abhängigkeiten in der Verbalgruppe . . . . . . . Ursula Hoberg, Wortstellung: valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwin Koller, Wortstellung: textfunktionale Kriterien . . . . . . . . . . . John Ole Askedal, Infinitivkonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm Oppenrieder, Subjekt- und Objektsätze . . . . . . . . . . . . . . Henrik Nikula, Unpersönliche Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . Renate Pasch/Gisela Zifonun, Adverbial- und Relativsätze . . . . . . . Eva Breindl, Präpositionalphrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Schmid, Die „freien“ Dative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roman Sadzin´ski, Diathesen und Konversen . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Lobin, Koordination in Dependenzgrammatiken . . . . . . . . Wilfried Kürschner, Negation in Dependenzgrammatiken . . . . . . . . Thomas A. Fritz, Modalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Eroms, Satzadverbien und Diskurspartikeln . . . . . . . . Jürgen Erich Schmidt, Serialisierung in der Nominalphrase . . . . . . . Ludwig M. Eichinger/Albrecht Plewnia, Flexion in der Nominalphrase Ludwig M. Eichinger, Dependenz in der Wortbildung . . . . . . . . . .
64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78.
.
851
. 861 . 873 . 886 . 900 . 913 . 921 . 936 . 951 . 963 . 973 . 987 . 1000 . 1017 . 1036 1049 . 1065
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung Dependency in Computer-Based Language Processing 79. 80. 81.
Peter Hellwig, Parsing with Dependency Grammars . . . . . . . . . . . . 1081 Helmut Horacek, Generation with Dependency Grammars . . . . . . . . 1109 Klaus Schubert, Maschinelle Übersetzungen mit Dependenzgrammatiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129
IX.
Dependenz und Valenz in der kontrastiven Linguistik Dependency and Valency in Contrastive Linguistics
82.
Marja-Leena Piitulainen, Dependenz und Valenz in der kontrastiven Linguistik: ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1158
VI
83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99.
Inhalt / Contents
Rudolf Emons, Contrastive Case Study: Predicates in English and German . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albrecht Plewnia, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Französisch . . . Maria Teresa Bianco, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Italienisch . Christian Fandrych, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Spanisch . . . Norbert Nübler, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Russisch . . . . . . Christoph Schatte, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Polnisch . . . . Ulrich Engel, Ein deutsch ⫺ bosnisch-/kroatisch-/serbisches Valenzlexikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emilia Baschewa, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Bulgarisch . . . . Sperant¸a Sta˘nescu, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Rumänisch . . Siamak Mohadjer, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Persisch . . . . . Irma Hyvärinen, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Finnisch . . . . . . Jan Daugaard, Contrastive Case Study: German ⫺ Danish . . . . . . . Peter Bassola, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Ungarisch . . . . . . Abderrazzaq Msellek, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Arabisch . . Han, Wanheng, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Chinesisch . . . . . Susumu Zaima, Valenzvergleich Deutsch ⫺ Japanisch . . . . . . . . . . Lie, Kwang-Sook/Hong, Mi-Kyoung, Kontrastive Fallstudie: Deutsch ⫺ Koreanisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 1170 . 1177 . 1187 . 1197 . 1207 . 1214 . . . . . . . . . .
1217 1229 1234 1244 1258 1272 1279 1287 1292 1298
.
1303
X.
Das Valenzkonzept in der Grammatikographie The Valency Concept in Grammaticographical Studies
100.
Ulrich Engel, Das Valenzkonzept in der Grammatikographie: ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Kobler-Trill/Anita Schilcher, Das Valenzkonzept in Referenzgrammatiken: deutsche Schulgrammatiken und Sprachbücher Karl-Ernst Sommerfeldt, Das Valenzkonzept in Referenzgrammatiken: Gebrauchsgrammatiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hentschel, Das Valenzkonzept in Referenzgrammatiken: Handbuchgrammatiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Thurmair, Das Valenzkonzept in Referenzgrammatiken: Grammatiken für Deutsch als Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . .
101. 102. 103. 104.
XI.
Das Valenzkonzept in der Lexikographie The Valency Concept in Lexicography
105.
Jacqueline Kubczak, Valenzinformationen in den großen deutschen einbändigen Wörterbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Bassola, Valenzinformationen in allgemeinen zweisprachigen Wörterbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Schumacher, Deutschsprachige Valenzwörterbücher . . . . . Winfried Busse, Valenzlexika in anderen Sprachen . . . . . . . . . . . Helmut Schumacher, Kontrastive zweisprachige Valenzwörterbücher
106. 107. 108. 109.
1309 1330 1343 1356 1365
..
1379
. . . .
1387 1396 1424 1435
. . . .
VII
Inhalt / Contents
XII.
Das Valenzkonzept in der Sprachgeschichtsforschung: ausgewählte Bereiche The Valency Concept in Research into the History of Language: Selected Areas
110. 111. 112. 113.
Hans Jürgen Heringer, Prinzipien des Valenzwandels . . . . . . . Jarmo Korhonen, Valenzwandel am Beispiel des Deutschen . . . Albrecht Greule, Historische Fallstudie: Althochdeutsch . . . . . Oliver Pfefferkorn/Hans-Joachim Solms, Historische Fallstudie: Mittelhochdeutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jarmo Korhonen, Historische Fallstudie: Frühneuhochdeutsch . Rosemarie Lühr, Historische Fallstudie: Altsächsisch . . . . . . . Peter Stein/Claudia Benneckenstein, Historische Fallstudie: Altfranzösisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tama´s Forga´cs, Historische Fallstudie: Altungarisch . . . . . . .
114. 115. 116. 117.
. . . . . 1447 . . . . . 1462 . . . . . 1474 ..... ..... .....
1479 1494 1500
. . . . . 1508 . . . . . 1516
XIII. Das Valenzkonzept in weiteren Forschungsbereichen The Valency Concept in Other Areas of Research 118. 119. 120. 121.
Franz Simmler, Varietätenlinguistik: Fachsprachen . . . . . . . . Bernhard Sowinski, Varietätenlinguistik: Sprache der Literatur . Franz Patocka, Varietätenlinguistik: Dialekte . . . . . . . . . . . . Heidrun Gerzymisch-Arbogast, Valenz und Übersetzung . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
1523 1538 1545 1549
Namenregister / Index of Names . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister / Index of Subjects . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1561 1582
Register / Indexes Zusammengestellt von / Compiled by Guta Rau
1. Halbband / Volume 1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.
1. 2. 3. 4.
XI XV
Das Dependenz- und Valenzparadigma in Natur- und Geisteswissenschaften The Dependency and Valency Paradigm in the Arts and Sciences Klaus Mainzer, Das Abhängigkeitskonzept in den Wissenschaften . . . . Stefan Pongo´, Die Wertigkeitsmetapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Otto Seidel, Valenzverwandte Ansätze in der Antike . . . . . . . . . Lauri Seppänen, Mit der Valenz verwandte Begriffe im Mittelalter: ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 7 14 20
VIII
5. 6. 7.
Inhalt / Contents
Jonathan Owens, Valency-like Concepts in the Arabic Grammatical Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Cherubim, Valenzverwandte Ansätze in Humanismus und Aufklärung: ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Mudersbach, Mathematische und logische Rekonstruktion des Abhängigkeits- und Valenz-Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.
Lucien Tesnie`re und seine Zeit Lucien Tesnie`re and his Times
8. 9. 10.
Jean Fourquet, Lucien Tesnie`re. Ein Zeugnis 1933⫺1993 . . . . . . Hans Jürgen Heringer, Lucien Tesnie`re. Sein Leben . . . . . . . . . . John Ole Askedal, Das Valenz- und Dependenzkonzept bei Lucien Tesnie`re . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Engelen, Die Wortartenlehre bei Lucien Tesnie`re . . . . . Gerd Wotjak, Zu Tesnie`res Semantikkonzept . . . . . . . . . . . . . . Edeltraud Werner, Das Translationskonzept Lucien Tesnie`res . . . Hans Jürgen Heringer, Die Junktionstheorie Lucien Tesnie`res . . . Richard Waltereit, Negation und Frage bei Lucien Tesnie`re . . . . . Peter Koch, Metataxe bei Lucien Tesnie`re . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Eroms, Die Wegbereiter einer deutschen Valenzgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.
... ... . . . . . . .
. . . . . . .
159
Willy Van Langendonck, The Dependency Concept and its Foundations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Igor Mel’cˇuk, Levels of Dependency Description: Concepts and Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pa´l Uzonyi, Dependenzstruktur und Konstituenzstruktur . . . . . . . . . Hans-Werner Eroms/Hans Jürgen Heringer, Dependenz und lineare Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Colliander, Dependenzstruktur und grammatische Funktion . . . Stanley Starosta, Dependency Grammar and Lexicalism . . . . . . . . . Wha-Young Jung, Rektion und Kongruenz in der Dependenzgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Bröker, Formal Foundations of Dependency Grammar . . . . . Elisabeth Leiss, Empirische Argumente für Dependenz . . . . . . . . . . . Henning Lobin, Dependenzgrammatik und Kategorialgrammatik . . . . Thomas Michael Groß, Dependency Grammar’s Limits ⫺ and Ways of Extending Them . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25. 26. 27. 28.
67 70
...
18.
22. 23. 24.
37
80 100 108 115 129 139 144
Dependenz. Grundlagen und Grundfragen Dependency. Basic Principles and Basic Issues
20. 21.
32
. . . . . . .
III.
19.
26
IV.
Valenz. Grundlagen und Grundfragen Valency. Basic Principles and Basic Issues
29. 30.
Gisela Zifonun, Grundlagen der Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Jacobs, Die Problematik der Valenzebenen . . . . . . . . . . . .
170 188 230 247 263 270 282 294 311 325 331
352 378
Inhalt / Contents
31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.
Hans-Joachim Meinhard, Ebenen der Valenzbeschreibung: die logische und die semantische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Richard Wolf, Ebenen der Valenzbeschreibung: die syntaktische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Harnisch, Ebenen der Valenzbeschreibung: die morphologische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christina Gansel, Valenz und Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viktor S. Xrakovskij, Valenz und Sprachtypologie . . . . . . . . . . . . . . Charles Fillmore, Valency and Semantic Roles: the Concept of Deep Structure Case . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Welke, Valenz und semantische Rollen: das Konzept der ThetaRollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcel Vuillaume, Valenz und Satzbauplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henrik Nikula, Valenz und Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.
Dependenzielle Theorien Dependency Theories
40. 41. 42. 43.
Richard Hudson, Word Grammar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stanley Starosta, Lexicase Grammar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvain Kahane, The Meaning-Text Theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Hajicˇova´ /Petr Sgall, Dependency Syntax in Functional Generative Description . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hellwig, Dependency Unification Grammar . . . . . . . . . . . . . Klaus Schubert, Metataxe: ein Dependenzmodell für die computerlinguistische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karel Oliva, Dependency, Valency and Head-Driven Phrase-Structure Grammar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Srinivas Bangalore/Aravind K. Joshi/Owen Rambow, Dependency and Valency in Other Theories: Tree Adjoining Grammar . . . . . . . . . . . Dan Maxwell, The Concept of Dependency in Morphology . . . . . . . Henning Lobin, Konzeptuelle Semantik als dependenzielle Theorie . . . Wolfgang Menzel, Semantische Netze und Dependenzgrammatik . . . . Claudia Villiger, Dependenzielle Textmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . .
44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51.
VI.
Valenz: Schwerpunkte der Forschung Valency: Core Research Areas
52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60.
Marja Järventausta, Das Verb als strukturelles Zentrum des Satzes . . . Irma Hyvärinen, Der verbale Valenzträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Storrer, Ergänzungen und Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . Marja Järventausta, Das Subjektproblem in der Valenzforschung . . . . Heinz Vater, Valency Potency and Valency Realization . . . . . . . . . . Fritz Pasierbsky, Toward a Classification of Complements . . . . . . . . Kjell Johan Sæbø, Valency and Context Dependence . . . . . . . . . . . . Wolfgang Teubert, Die Valenz nichtverbaler Wortarten: das Substantiv Thomas Michael Groß, The Valency of Non-Verbal Word Classes: the Adjective . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gertrud Gre´ciano, Probleme der Valenz in der Phraseologie . . . . . . . .
61.
IX
399 404 411 422 444 457 475 484 499
508 526 546 570 593 636 660 669 678 684 691 703
717 738 764 781 794 803 814 820 835 843
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten Grammatical Phenomena as Seen from Dependency and Valency Viewpoints 62. Wortstellung: Abhängigkeiten in der Verbalgruppe 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einfache Prädikate Analytische Prädikate Periphere Prädikatsgrammatik Am Rande: die Lexikalklammer Schluss Literatur in Auswahl
1.
Einfache Prädikate
Einfache Prädikate gelten als der lexikalische Kern des Satzes (s. Fabricius-Hansen 2005, 855). (1)
Sie sitzt mit ihm an einem Fenster. (Handke 2005, 131)
(2)
Sonst sah und ahnte ich Don Juan dort tag- und nachtlang völlig allein. (131)
Alle Textbeispiele, die mit einfachen Seitenangaben versehen sind, stammen aus: Peter Handke, Don Juan (erzählt von ihm selbst).
Insofern sie in einer Wortform repräsentiert sind, gibt es in der üblichen wortorientierten Analyse keinen Anlass über die internen Beziehungen nachzudenken. Tatsächlich sind aber im Finitum mehrere Beziehungen erkennbar, die auch hier schon die Frage nach der internen Struktur zu stellen erlauben ´ gel 2000, 220). Es (Mikrovalenz, vgl. dazu A ist offenkundig, dass gemäß der klassischen Definition der Vorkommensabhängigkeit hier ähnliche Probleme auftauchen wie beim Verhältnis von Artikel und Substantiv in der Nominalphrase. In gewisser Hinsicht ist der lexikalische Kern dominant, in anderer das grammatische Realisierungselement (vgl. Eroms 2000a, 252⫺254; Eichinger 2004a, 39⫺ 40). Das grammatische Realisierungselement macht, wenn man die Wortgrenze beiseitelässt, aus einem infiniten verbalen Element erst ein Finitum, das es erlaubt, den Satz zu
schließen. Andererseits entfaltet auch das infinite Verb bereits die Optionen, die durch seine Aktantenbindung angelegt sind. Zudem ist nicht ganz klar, wie die Kategorisierung Person in diese Struktur hineinkommt (zur Basis dieser „Rollen-Konjugation“ s. Weinrich 2005, 87 f.; zur dependenziellen Einordnung Eroms 2000a, 132). Was die Vorkommensrelationen angeht, so ist die Antwort klarer: die beiden Teile können nicht ohne einander vorkommen. Die dem Verb angehängten Flexive geben die notwendigen Informationen über Person/Numerus, Tempus und Modus (s. Eroms 2000a, 132; 389 f.; Fabricius-Hansen 2005, 855). Dabei ist die Tempusform offenkundig unabhängig von der Wahl des konkreten lexikalischen Verbs, kann aber ohne dieses nicht auftreten. Allerdings erscheint das als eine merkwürdige Formulierung. Wie soll solch ein Element allein kommunikativ wirksam werden? Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung, durch die der Charakter und die zeitrelationale Stellung der im Verbalsatz ausgedrückten Vorgänge oder Zustände auf Textebene, also auf jeden Fall oberhalb des konkreten Verbs festgelegt werden (s. Eichinger 2004a, 39⫺41). Diese Funktion der Tempuswahl wird an einem Textbeginn wie dem folgenden besonders deutlich; schon zu Textbeginn wird für den Text eine sich dann notwendig in der Form des Satzes niederschlagende Entscheidung getroffen. In den Tempuswechseln liegt eine Entscheidung für die Textstrukturierung: (3)
Don Juan war schon immer auf der Suche nach einem Zuhörer gewesen. In mir hat er den eines schönen Tages gefunden. Seine Geschichte erzählte er mir nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Per-
852
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Ähnliches gilt für die Frage des Modus, die auf aussageintentionaler Ebene ermittelt wird; ihr Geltungsbereich ist aber zweifellos eher satzorientiert zu bestimmen.
kation durch die vollständig ausbuchstabierte Pronominalsetzung gesteuert sein und nicht umgekehrt. Dazu passt auch, dass in Fällen, bei denen das Subjekt eher formalen Charakter hat, klitische Reduktionsformen des Subjektelements diesen Vereindeutigungsprozess leisten:
(4)
(5)
son. So kommt sie mir jetzt jedenfalls in den Sinn. (7)
Und dann bedeutete er mir, er habe Hunger. (19)
In gewisser Weise lassen sich die im Kontext von Tempus und Modus auftretenden Beziehungen mit der Realisierungskraft des nicht pronominalen Teils bei den (bestimmten) Artikeln, dem {d}-Morph vergleichen (s. Eroms 2000a, 249 f.). Rein formal ist die Bildung einer finiten Form zweifellos die Realisierung einer Interdependenzrelation, im Bezug auf den Gesamtsatz handelt es sich weitgehend um thematische Elemente (d. h. um textbezogene: vgl. Weinrich 2001, 209). Etwas anders ist das bei der Kategorisierung nach Person. Wie am augenfälligsten der Vergleich mit Sprachen zeigt, in denen pronominale Subjekte nur in der Flexion indiziert werden (lat.: amo ⫺ dt. ich liebe), sind hier die Abhängigkeitsverhältnisse oder auch die Vererbungsrichtungen der Information ´ gel 2000, 118⫺121 und ambivalenter (vgl. A 217; „Kongruenzkategorie“ s. Eisenberg 2004, 8). Unter solchen Umständen wird die Frage, inwieweit das Subjekt als abhängig zu sehen ist, besonders virulent. Die Wahl vor allem von erster und zweiter Person ist (im Normalfall) nicht von der Verbsemantik abhängig. In Sätzen mit einem solchen Subjekt ist es eher andersherum: es werden Verben ausgesucht, die Aussagen über Personen zulassen. Bei der dritten ⫺ „echt pronominalen“ ⫺ Person (s. Zifonun et al. 1997, 41) ist das anders. In diesem Fall ist die Wahl der semantischen Kategorie der Substantive von den semantischen Anforderungen des lexikalischen Verbs bestimmt. Formal noch etwas komplizierter wird das dadurch, dass die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat an den meisten Stellen ebenfalls eine hierarchische Struktur erkennen lässt, wie sie gut zu generellen typologischen Charakteristika des Deutschen passt (s. Eisenberg 2004, 6 f.). Außer in dem prominenten Sonderfall des Indikativ Aktiv Singular wird bei „normalen“ Verben (d. h. nicht bei formalen Sonderfällen wie den Kopula-, Hilfs- und Modalverben) durch die Flexive nur die zweite Person der ersten und dritten gemeinsam gegenübergestellt. Daher muss diese formal unterspezifizierte Klassifi-
Auch zu hören gab’s von dem Paar keinen Laut (32)
Die Verbindung von Subjekt und Prädikat ist erkennbar durch einander überlagernde Abhängigkeitsbeziehungen gekennzeichnet. Das heißt nichts Anderes, als dass Abhängigkeit ein Konzept ist, das sich auf verschiedene sprachliche Ebenen bezieht. Vielleicht müsste man sich diese Gedanken nicht machen, wenn nicht die Analogie zu den analytischen Formen nahe legen würde, bei einer Analyse die dort ausgebildete Struktur von grammatischem linkem und lexikalischem rechtem Element auch in den synthetischen Flexionsformen des Verbs zu suchen (s. Eroms 2000a, 131). Die analytischen Erweiterungen des synthetischen Kernsystems der verbalen Flexion des Deutschen prägen aber das Gesamtsystem in bemerkenswerter Weise.
2.
Analytische Prädikate
Analytische Prädikate sind über die Struktur der Satzklammer in der deutschen Grammatik besonders tief verankert (s. Weinrich 2004, 37 f.). Sie dienen funktional der Ergänzung des synthetischen Kerns des verbalen Paradigmas im Tempus-, Modus- und GenusVerbi-System. Das führt zu einem komplexen Zusammenhang zwischen den unmarkierten und auch funktional zentralen synthetischen und den auf jeden Fall markierteren analytischen Optionen (vgl. Wurzel 1996, 504). Die dabei genutzten Hilfsverben können die vorhandene Valenz des Hauptverbs unverändert weitertransportieren ⫺ das betrifft die Tempus- (s. Heringer 1996, 70 f.) und Modus- (s. Heringer 1996, 73 f.) Formen („inhärente Kategorien“ s. Eisenberg 2004, 8), sie können aber auch, wie die Hilfsverben, die zur genusverbi-Bildung genutzt werden, diese Valenzmuster in systematischer Weise verändern (s. Heringer 1996, 36 f.; 87 f.; Eroms 2000a, 138; „relationale Kategorie“, s. Eisenberg 2004, 8). In den folgenden Beispielen wird angedeutet, mit welchen Teilen des Paradigmas man hier zu rechnen hat:
62. Wortstellung: Abhängigkeiten in der Verbalgruppe
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(6)
Die seltenen Male, dass mir vorher so ein Sammler begegnet war, hatte er sich seines Tuns geschämt. (144) (Präteritumperfekt mit sein und haben)
Texteigenschaft zu lesen ist (vgl. „TempusPerspektive“, Weinrich 2005, 207 f.; im größeren Zusammenhang Weinrich 2001, 41 f.; ähnlich Thieroff 1992).
(7)
[…] die Neuen im Dorf ebenso wie die Alten außerhalb würden bald meine guten Kunden werden. (144) (würde-Konjunktiv)
(14) Ich war des Teufels. Ich bin des Teufels. Ich werde des Teufels gewesen sein. (114)
(8)
[…] jene Stütze, die einem mit dem sogenannten Schleudertrauma umgelegt zu werden pflegt (148) (werden-Passiv und Modalitätsverb)
(9)
[…] ich war von ihnen ergriffen (154) (sein-Passiv/Adjektivprädikat)
(10) […] da war noch etwas zu erleben (154) ((passivischer) modaler Infinitiv mit sein) Tempusformen Vor allem die Tempusformen außer Präsens und Präteritum sind strukturell Prädikate mit komplexem Ausdruck (vgl. Zifonun et al. 1997, 701 f.). Bei diesen Konstruktionen sind die bei den synthetischen Formen im Flexiv enthaltenen Informationen in die zu diesem Zweck genutzten Hilfsverben ausgelagert (s. Heringer 1996, 154 f.; s. Eisenberg 2004, 5⫺ 8). Allerdings geht die Information, die durch die Hilfsverben gegeben wird, darüber hinaus. Und das in verschiedener Hinsicht (vgl. Eroms 2000a, 138; zur andersartigen paradigmatischen Einbindung der analytischen Formen vgl. auch Leiss 1992, 156 f.; s. auch Eichinger 1995, 113 f.). Das sieht man an der Ambivalenz mancher Verwendungen mit einer finiten Form von sein; so stehen die folgenden Formen von sein und Partizip II unterschiedlich fest in das verbale Paradigma eingebunden: (11) Don Juan war in dem Flugzeug kurz eingeschlafen. Als er erwachte, sah er, dass sämtliche Passagiere um ihn herum ebenfalls in Schlaf versunken waren. (47) (12) […] bevor er so verwaist war (50) (13) […] auch wenn die Gesichter verzerrt waren […] oder abwesend (62) Einerseits gilt für diese Formen etwas, was auch schon bei den synthetischen Formen anzumerken war, nämlich, dass sie ⫺ gänzlich unabhängig von der Steuerung durch die Valenzeigenschaften des verbalen Lexems ⫺ die Tempusinformation in sich tragen, die ja im Hinblick auf den Satz als eine thematische
Was zur Personenkongruenz mit dem Subjekt zu sagen war, unterscheidet sich ebenfalls nicht prinzipiell von den Verhältnissen bei den formal einfachen Verbformen, wenn die Kongruenz auch grundsätzlich mit dem Hilfs- oder Modalverb verbunden ist, nicht mit dem Vollverb. Interessanter für die Abhängigkeitsbeziehungen ist zweifellos der Sachverhalt, dass es zwei Beziehungen zwischen diesem finiten und dem infiniten Verbteil gibt, die gegenläufigen Abhängigkeiten entsprechen. Zum einen gibt das Hilfsverb als erstes Element der Satzklammer einen kataphorischen Hinweis auf das zweite Klammerelement. Die Wahl von sein bzw. haben als Markierung der Formen von Präsensperfekt bzw. Präteritumperfekt gibt einen Hinweis auf die semantischsyntaktische Grobkategorie des infiniten Hauptverbs (vgl. Eichinger 1995, 113; Engel 2004, 234 f.). So ist ein transitives Verb wie behalten der prototypische Fall für die Bildung mit haben, ein intransitives Zustandsprädikat wie bleiben ist eine der zentralen Optionen für die sein-Alternative: (15) Dieses Schwirren und Vibrieren […] hat für mich etwas Übermächtiges behalten. (12) (16) […] was mir von ihm im Ohr geblieben ist (11) Diese Verweiskraft kann nur dem lexikalischen Verb geschuldet sein. Auf der anderen Seite ist die Form des infiniten Verbteils eindeutig von dem Hilfsverb regiert. Haben und sein selegieren Partizip II-Formen (den zweiten Status des Supinums), werden als Tempussignal den einfachen Infinitiv, also den ersten Status. Insofern regiert das Hilfsverb die Form des Infinitums, das seinerseits die Wahl des passenden Hilfsverbs bestimmt. Durch diese Überlagerung der Beziehungen wird eine engere strukturelle Kohärenz signalisiert, und etwas geschaffen wie die zu einer spezifischen Einheit zusammengefassten Nuklei (vgl. z. B. Lobin 1995, 123). Die infiniten Verbteile bei der Bildung von Perfekt-/Präsensperfekt- und Plusquamperfekt-/Präteritumperfekt-Formen, sind jeweils eine Art von
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Subjekts- (sein) bzw. Objektsprädikativen (haben) (s. Eichinger 1995; Heringer 1996, 72; Askedal 2000, 401 f.; Eroms 2000a, 152 f.). Von daher ist nicht zu erwarten, dass diese Elemente Veränderungen der dependenziellen Struktur des Satzes auslösen, und das geschieht dann auch nicht; vielmehr fügen sich haben oder sein in verbale Gruppen, von denen deren Formbedingungen erfüllt werden. Gänzlich vorbei an diesen komplexeren dependenziellen Bindungen innerhalb des so entstandenen Prädikatsknotens werden die Valenzinformationen des Infinitums in den Satz hineinvererbt ( sie „perkolieren“ (Heringer 1996, 84); auch systematische Varianten wie Rezessiva oder Kausativa werden damit über die Wahl des Hilfsverb differenziert; zur ´ gel 2000). „Ableitungsrichtung“ vgl. A Analoges gilt für die Bildung des Futurs mit werden, auch wenn eine explizierende Reanalyse dieser Bildung schwerfällt (vgl. Engel 2004, 246 und 249; Fritz 2000, 139 f.). Eigentlich wäre werden ein Kandidat für die Rektion eines Partizip I ⫺ so wie das in der deutschen Sprachgeschichte auch schon angelegt war; diese Verwendung entspricht der produktiven syntaktischen Verwendung von werden als Kopula (vgl. Eroms 2000b, 18⫺21; Zifonun et al. 1997, 1699). Die Konstruktion mit dem Infinitiv erlaubt keine rechte syntaktische Rekonstruktion, stellt diese Struktur allenfalls in die Nähe der (epistemischen) Modalverben, mit denen sie daneben einige semantische Eigenheiten teilt (s. Heringer 1996, 72; Askedal 2004, 34; vgl. auch Diewald 2004, 254). Auch durch diese werdenKonstruktionen wird die Wahrscheinlichkeit des Eintretens in vergleichbarer Weise thematisiert und modifiziert, und zwar in der gegenwartsbezogenen Verwendung dieser Konstruktionen ebenso wie in der zukunftsbezogenen. (17) Er war sich im voraus gewiß, sie werde sich dort einstellen. (97) Kopula-Prädikate Das Partizip I, das wir an dieser Stelle erwartet hätten, hat die Paradigmatik der komplexen Prädikate schon in mittelhochdeutscher Zeit verlassen (s. Eroms 2000b, 16⫺20). Im heutigen Deutsch finden sich PartI-Formen zum ersten als (satzwertige) Supplemente, wobei die Satzwertigkeit die verbalen Charakteristika dieser Form noch spiegelt: (18) […] klar, dass dazu […] wieder die Pappelsamen trieben […] sich zu den Füßen
der Frauen endlich vlieshaft stauend und zusammenpappend, dabei im einzelnen sie weiter umfliegend und ihnen auch in die Ohren und Nasen kitzelnd (155) Dazu passt zum zweiten die attributive Verwendung, bei der ebenfalls Erweiterungen möglich und normal sind („erweitertes Adjektiv- und Partizipialattribut“), die aus dem verbalen Charakter dieser Form erklärlich sind: (19) […] welche in Wahrheit eine in der Höhe dahinrudernde Wildtaube war (143) Schon in den Fällen, in denen das Partizip I ⫺ zum dritten ⫺ als adjektivisches Prädikativum verwendet wird (Ihr Auftreten war glänzend) handelt es sich durchwegs um „lexikalisierte Neutral-Partizipien, die im Wörterbuch verzeichnet sind“ (Weinrich 2005, 540), das heißt um Adjektive ⫺ vgl. die Koordination in dem folgenden Beispiel: (20) […] entpuppte sich dann als buchstäblich abstoßend und unzugänglich (56) Mit dieser Konstruktion befinden wir uns ganz nah an einem anderen kritischen Bereich der erweiterten Prädikatstrukturen, den Kopula-Verbindungen (s. Eroms 2000a, 139). Auch Eisenberg (1998, 193) schlägt vor, „das Part1 aus dem verbalen Paradigma herauszunehmen und es als deverbales Adjektiv anzusehen“, also die Konstruktionen mit dem Partizip I in die Nähe der folgenden Konstruktionen zu stellen. (21) Zwar waren deren Takte immer verschieden lang […] (100) (22) Zuletzt steigerte sich der Sandsturm von Damaskus und wurde dabei nun doch eintönig. (101) (23) […] wären sie einander ungenannt geblieben (154) (24) Die Trauer machte einen überpersönlich. (101) Für die prädikativen Adjektive gibt es traditionsgemäß zwei verschiedene Darstellungen. Für die eine Analyse ergibt sich aus Kopula und Prädikat ein (komplexes und spezifisches) Adjektivprädikat (so etwa Heringer 1996, 80 f.). Für die andere stellt das prädikative Adjektiv eine Form einer Nominal- oder Prädikativergänzung dar (so z. B. bei Engel 2004, 104). In dieser letzten ⫺ derzeit in den Grammatiken des Deutschen wohl gängigeren Lösung ⫺ wird durch die Paradigmatik
62. Wortstellung: Abhängigkeiten in der Verbalgruppe
der an dieser Stelle möglichen Optionen eine von der Kopula regierte Position geschaffen (Otto ist klug/ein Genie/von bemerkenswerter Klugheit/wie er immer war), allerdings steckt in der Kopula keine valenzrelevante lexikalische Information. Die Differenz der als Kopulae betrachteten Formen sein, werden und bleiben liegt in der Phasenbenennung bezüglich einer zugeordneten Eigenschaft, über die mehr als das nicht gesagt werden kann, Eroms (2000a, 139) spricht in diesem Kontext davon, die Kopula sein sei „primär ein ordnender Relator“. In Hinsicht auf die valenzgrammatische Beschreibung hat das zur Folge, dass bei Adjektiven, die selbst weitere lexikalische Abhängigkeiten zeigen und so zum Beispiel auch Kasus regieren (Damon ist seinem Freund treu; s. unten Beleg (26)), eine mehrstufige Abhängigkeit entsteht. Die auf diese Art abhängigen Elemente bilden das Grundschema des jeweiligen Satzes, stehen aber im Prinzip auf einer tieferen Ebene als andere Ergänzungen, z. B. die Subjektergänzung. Das ergibt auf jeden Fall eine etwas schiefe Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse (vgl. Weinrich 2005, 516: „Diese [die Adjektiv-Valenz/L.E.] kann natürlich beim prädikativen Adjektiv, das ja als Nachverb einer Verbalklammer (näherhin: Kopulaklammer) fungiert, auch als Valenz des Verbs aufgefasst werden“; vgl. Eisenberg 1999, 88 f.; Eichinger 2004b, 442). (25) […] der ich mir doch sonst längst keiner Sache mehr sicher bin (101) (26) […] und wo […] nichts als ein Heulen, Röhren und Tosen hörbar geworden wäre (99) (27) Es blieb geboten, nicht zu flüchten. (98) (28) […] diese, wenn überhaupt eine, war die seine (102) (29) In keiner Zeit etwa wurde es für ihn […] Morgen (102) Wenn man die Klammerungen betrachtet, die in den bisher behandelten Fällen aufgetreten sind, so handelt es sich bei den Tempusformen um Exemplare der Grammatikalklammer, bei den Adjektivprädikaten um einen Fall der Kopula-Klammer. Bei diesem Klammertyp tauchen nicht nur verbale Elemente eines unterschiedlichen Grads von Infinitheit auf, sondern auch andere Vertretungen des Typs Nominalergänzung, die nun viel eindeutiger von dem finiten Element abzuhängen scheinen.
855 Gemeinsam erscheint diesen Konstruktionen der starke Grad an Grammatikalisierung dieser Verwendungen, der eine in keinerlei Weise aufzuweichende „Strukturvalenz“ konstituiert. Modus-Formen Neben den analytischen Konstruktionen zur Tempusbildung stehen als Ausprägung einer weiteren verbalen Kategorisierung analytische Konstruktionen, die der Signalisierung von Modalität dienen. Die würde-Form In Sonderheit bemerkenswert ist dabei die Form eines Konjunktiv III (auch als Konditionalis beschrieben, vgl. Darski 1999, 210 f.), der mit dem Hilfsverb {würd-} gebildet wird. (30) Wäre jetzt die Frage: Zahl oder Schrift?, so würde ich antworten: Schrift. (156) Im Prinzip funktionieren die Abhängigkeiten hier wie bei der Futurform, so wird diese Form (in Anschluss an Thieroff 1992; vgl. aber Zifonun et al. 1997, 1735 „stehen … systematisch neben dem Paradigma“) häufig auch als eine Art Futur der Vergangenheit interpretiert (zu den Bedingungen s. FabriciusHansen 2005, 545). (31) […] und die Prüfung würde etwas anderes als nur schwer sein (97) Das heißt, zur Abhängigkeitsrichtung lässt sich nichts Eindeutiges sagen. Das gilt hier noch verstärkt, lassen sich diese Formen doch häufig als die Verdeutlichung undeutlich gewordener synthetischer KonjunktivFormen verstehen (s. Zifonun et al. 1997, 1742), also als die Expansion einer eigentlich flexivischen Information in eine morpho-syntaktische Struktur hinein („analytischer Restriktiv“ (Weinrich 2005, 245 f.; als zentrale Verwendung beschrieben von Fabricius-Hansen 2005, 545). Konstruktionen mit Modalverben Komplexere Fälle modaler Instruktion liegen bei den Prädikaten ⫺ in einem weiten Sinn ⫺ vor, die mit Modalverben gebildet werden. Auch Modalverben regieren einen nicht durch die Infinitivpartikel zu erweiterten Infinitiv (den ersten Status des Supinums; s. Fabricius-Hansen 2005, 564 f.). Durch diese Ausdifferenzierung im Bereich der Modalität gewinnen die Modalverben aber im Vergleich zu den Hilfsverben und auch den Kopulaverben einen höheren Grad an lexikalisch-se-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
mantischer Eigenständigkeit. Sie scheinen semantisch eher die Aussage des Vollverbs im Hinblick auf verschiedene modale Verhältnisse (im Hinblick auf bestimmte Redehintergründe) zu modifizieren. Durch die jeweilige modale Semantik wird, wenn auch die Subjekte von Modalverb und regiertem Vollverb identisch sind, dem Subjekt eine Position in dem geschilderten Sachverhalt zugeschrieben (vgl. aktives wollen, mögen vs. passives müssen, sollen vs. „objektives“ können), die allein von dem Modalverb ausgeht. Zudem finden sich mit deontischem/subjektsbezogenem und epistemischem/sprecherbezogenem Gebrauch zwei deutlich voneinander geschiedene Konstruktions- (vgl. z. B. Bildung der Perfektformen: hat kommen sollen ⫺ soll gekommen sein) und Gebrauchsvarianten. Mit diesen Eigenheiten sind die Modalverben eigenständiger als die bisher behandelten Hilfsverben. Dabei steht die epistemische Verwendung insgesamt näher an den klassischen analytischen Verbformen, wie die Paradigmatisierung mit der werden ⫹ Infinitiv-Form zeigt. Man kann zwischen können, werden und müssen eine Graduierung nach Wahrscheinlichkeit erkennen, die sich desselben konstruktiven Mittels bedient. (32) Das gerade zwischen ihnen Geschehene konnte nicht alles gewesen sein. Es durfte nicht alles sein. (83) (33) Eine Dorfkatze, welche ebenso gut eine Wildkatze sein konnte (67) (34) Jemand mit solchen Augen konnte nur normal […] sein (87) (35) Er als Einheimischer hätte das wissen müssen. (87) Dagegen sind die deontischen Verwendungen vergleichsweise nahe an den Verwendungen derselben Lexeme als Vollverben (vgl. (36) vs. (37)): (36) Und wie jedes Mal […] wollte Don Juan nicht fliehen. Er sollte nicht fliehen. Er durfte nicht fliehen. Und wie jedes Mal blieb ihm zuletzt nichts anderes übrig: Er musste fliehen (39)
Konversen genus-verbi-Formen Der klassische Fall der Valenzmodifikation ist die Valenzreduktion, die mit der Bildung des Passivs verbunden ist. Mit der Passivierung werden die Vorder- und Hintergrundverhältnisse in den durch die lexikalischen Verben aufgerufenen Szenen gestaltbar gemacht. Der zentrale Fall ist das akkusativische werden-Passiv („Zweitakt-Passiv“ (Zifonun et al. 1997, 1793; Vorgangs-Passiv als Instanz des Objekts im Subjekt-Passiv (Weinrich 2005, 155 f.)). (38) Don Juan wurde jetzt von ihr bemerkt. (117) Insofern hier durch das Hilfsverb die lexikalische Struktur des Hauptverbs überformt und außerdem die Form des Partizip II (der 2. Status des Supinums) zugewiesen wird, ist ein eindeutiges Signal gegeben, dass es sich beim Hilfsverb um das formal und strukturell dominierende Element innerhalb des komplexen Prädikates handelt. Allerdings wird die Passivierbarkeit ⫺ u. d. h. die Wahl des Hilfsverbs durch syntakto-semantische Eigenheiten des lexikalischen Verbelements bestimmt. Zudem bleibt auch in diesem Fall der Punkt unverändert, dass die durch die Kongruenz primär an dieses Element gehängte Subjektposition semantisch in Übereinstimmung mit dem Partizip geregelt werden muss (vgl. „großes Passiv“ bei Heringer 1996, 87). Nicht umsonst werden daher diese Genus-verbi-Prädikate für komplexe Formen des verbalen Paradigmas gehalten. Ähnliches gilt für die anderen Passivformen bzw. verwandten Konversen. Dabei findet sich beim sein-Passiv ein gleitender Übergang zu den Adjektivprädikaten (und von da zu den sein-Perfekten; vgl. Leiss 1992, 182 f.). (39) […] ohne eingeladen zu sein (59) (40) […] war dieses in Leder gekleidet (17) (41) […] und gekleidet war sein neuer Diener vornehmer als der Herr (53) (42) Trotzdem war Don Juan von dem Paar am Ende enttäuscht. (36)
(37) Fest stand: Ihr, die ihn wollte, jetzt! auszuweichen (69)
(43) […] welche die längste Zeit schon verfeindet waren (81)
Hier scheinen die Abhängigkeiten klarer zu sein: es gibt eine differenzierbare Bedeutung, die Form des abhängigen Elements wird von den Modalverben regiert.
Dabei bleibt allerdings die spezifische Eigenschaft bestehen, dass die lexikalische Integration der „passivischen“ Bedeutung den Status der gesamten Konstruktion verändert. Das
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62. Wortstellung: Abhängigkeiten in der Verbalgruppe
ist bei den entsprechenden Perfektformen nicht der Fall, steckt bei den dem Passiv nahe stehenden Adjektivprädikaten in der lexikalisierten Form der Adjektive. Systematisch in diesem Sinne funktioniert nicht zuletzt das adjektivische Wortbildungsmuster mit dem Suffix {-bar}. (44) Beschreibbar wurde mir dafür wieder das eine oder das andere Schöne. (154) Passiverweiterungen Einen speziellen Fall stellen auch die Konstruktionen dar, die zwar strukturell als Konversen zu verstehen sind, die aber bei weitem nicht dieses Ausmaß an Paradigmatisierung zeigen: das betrifft in Sonderheit das kriegen-/ bekommen-Passiv. Bei diesen Konstruktionen ist die Dominanz des finiten Teils eigentlich noch stärker als bei allen bisher behandelten Typen, insofern ein persönliches Subjekt, das zwischen Experiencer und Patiens schwankt, schon von dem finiten Prädikatsteil her vorausgesetzt wird. (45) Sie bekam die Schulden erlassen. Je grammatikalisierter allerdings die Konstruktion erscheint, desto klarer ist die Subjektswahl eigentlich auf das infinite lexikalische Verb bezogen. (46) Er kriegte alles beschlagnahmt (Beispiele 45 und 46 nach Leirbukt 1997). Modale Varianten Mit den Auxiliaren haben und sein in Verbindung mit dem 3. Status des Supinum (zu-Infinitiv) finden sich Konstruktionen, die üblicherweise als modale Infinitive bezeichnet werden. (47) Er hatte auszuharren. (98) (48) […] selbst wo denn gar nichts zu feiern war (95) (49) […] um die es ihm zu tun war (97) In diesen Kontext gehört auch eine Reihe von weiteren, etwa reflexiven, Konstruktionen: (50) […] wie die Frau unvermutet sich hören ließ (102) Erkennbar gibt es hier aktivische und passivische Varianten, die durch die jeweiligen Hilfsverben indiziert werden: dependenziell sind
diese fast lexikalisierten Systemkerne als Gerundiv-Typen neben die Nominalprädikate zu stellen.
3.
Periphere Prädikatsgrammatik
Modalitätskonstruktionen Zwar gibt es einen funktionalen und semantischen Weg von den zuletzt behandelten modalen Typen zu den jetzt zu betrachtenden Formen zwischen Mehrwortflexion und fixierter Syntax, den Konstruktionen mit Modalitätsverben. Dennoch machen sie formal einen weiteren Schritt vom inneren Kern der komplexen Prädikate weg. Modalitätsverben wie brauchen oder drohen und weitere ähnliche Verben in entsprechender Verwendung regieren Infinitive mit zu, und damit eine Art präpositionaler Rektion. (51) […] und auch nicht zu wissen brauchte (90) (52) Einer der Gäste bekam eine Gräte in den falschen Hals und drohte zu ersticken (79) (53) […] die etwas wie Mord oder Totschlag zu verhindern suchten (87) Besonders interessant sind dabei Fälle wie der von drohen, wo die Verwendung von drohen als normalem Verb mit einem satzförmigen präpositionalen Komplement (er droht mit Rücktritt, zurückzutreten) und der eher grammatikalisierten Verwendung bei prinzipiell gleicher interner Struktur durch die Unterschiede in der semantischen Valenz von drohen sichtbar gemacht werden. Bei scheinen gibt es keine solche Doppelung, bei suchen ist der Unterschied auf die Verteilung der beiden verbalen Lexeme suchen und versuchen aufgeteilt (zu solchen Abstufungen in der Peripherie verbaler Komplexe vgl. insgesamt Zifonun 2000). Fusionsprädikate Zweifellos am Rande der systematischen Prädikatsgrammatik stehen Prädikatstypen, die aus der Überlagerung zweier syntaktischer Strukturen entstehen („Hebungsprädikate“). Der klassische Fall dafür sind die aci-Konstruktionen. Erkennbar sind bestimmte Verben der sinnlichen Wahrnehmung der dominante Teil solcher Konstruktionen; dabei ist der Rest der Struktur zweifellos unklarer. (54) […] ich sah ihn […] auf der rotgelben Erde dahinrollen (88)
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(55) Er meinte sie […] mit den Zähnen knirschen, ausspucken und vor allem aber seufzen zu hören. (84) Entsprechende reflexive Varianten nutzen das Partizip II. (56) […] sah sich der Zuhörer […] einmal frontal angeblitzt (130) Der im Hinblick auf diese Verben erwartbare Akkusativ der Person indiziert aber gleichzeitig das Subjekt des untergeordneten Infinitivs, ohne dass das formal entsprechend klargemacht würde. In gewissem Sinn entspricht diese Konstruktion den Verhältnissen beim Futur ⫺ man hat den Eindruck, dass an dieser Stelle eine akkusativische Form des Partizip I mehr Sinn machen würde; ein Konstruktionstyp also, den wir im Englischen tatsächlich finden. Wie schon festgestellt, hat aber das Partizip I im Deutschen schon lange seinen Platz in der Paradigmatik der verbalen Flexion verloren. Eine Fusion zweier prädikativer Strukturen unter Beteiligung eines „assoziativ“ untergeordneten Infinitivs findet sich auch bei dem Verb lassen. Hier ist der Fusionscharakter noch stärker, hier ist im Gegensatz zu den aci-Verben ausschließlich dieser Typ von Infinitivergänzung mit akkusativisch verschobenem Subjekt des untergeordneten Verbs möglich. (57) […] noch ließ es ihn zögern (93) Als eine Art Fusionsprädikate kann man auch Verwendungen mit kommen und Partizip II verstehen; auch ihr systematischer Wert ist nicht sehr hoch: (58) […] wie sein Körper […] durch die Bresche geflogen kam (14) Verwandt und ebenfalls nicht leicht zu analysieren ist ein anderer marginaler Typ, der an die seriellen Verbkonstruktionen mancher Sprachen erinnert und von der funktionalen Kraft des Verbs gehen profitiert: (59) Und indem ich, der Koch, ihm auf der Stelle etwas zubereiten ging […] (19) Funktionsverbfügungen Noch stärker auf die Seite einer fixierten Syntax mit grammatischen Nebeneffekten neigen passivische Nominalprädikate wie etwa die Funktionsverbfügungen mit kommen als Funktionsverb. Hier hat der eigentliche Bedeutungsträger so eindeutig nominale Charakteristik, dass er formal wenig Anspruch
darauf erheben kann, das Element in dem komplexen Prädikat zu sein, von dem gegebenenfalls die Abhängigkeiten ausgehen, allerdings bestimmt die verbale Basis, die in diesen Nominalisierungen steckt, die Kernvalenz, die dann durch das Funktionsverb modifiziert wird. Ähnliches gilt für die Funktionsverbfügungen insgesamt. (60) Sie alle hielten […] Ausschau nach dem, der […] (95) Sie sind besonders klare Fälle für jene Konstruktionen, bei denen die formale und die inhaltliche Seite sich voneinander lösen. In Beispielen wie (59) stammt die akkusativische Rektion ja offenkundig von den syntaktischen Bedingungen, die von halten gesetzt werden. Allerdings ist es ja ganz offenkundig, dass der semantische Kern der Konstruktion ganz eindeutig durch ‘ausschau- nach’ geprägt ist, das allerdings konkret als deverbales Nomen auftaucht. Wozu dann der Umweg über Funktionsverben wie halten? Offenkundig werden in solchen Konstruktionen Vorgangsphasen bzw. der Charakter als Zustand akzentuiert. Da allerdings mit diesen Spezifizierungen keine formalen Restriktionen größeren Ausmaßes verbunden sind, sollten solche Konstruktionen als Elemente einer fixierten Syntax verstanden werden (vgl. van Pottelberge 2002 zu den Schwierigkeiten, diesen Bereich angemessen zu beschreiben).
4.
Am Rande: die Lexikalklammer
Allgemeines Man befindet sich mit Konstruktionen dieses Typs an verschiedenen Schnittstellen, deren strukturelle Probleme sich oft schon in Ambivalenzen der Schreibung spiegeln. Diese Ambivalenzen kommen nicht zuletzt daher, weil es sich bei den Zweitelementen der sogenannten Lexikalklammer um Elemente handelt, die zumindest verwandt sind mit syntaktischen Einheiten, die als engste in den Bereich des Prädikats gehören, nämlich adverbialen, in Sonderheit direktionalen Bestimmungen, und auch ⫺ vor allem akkusativischen ⫺ Objekten; die folgenden Beispiele mögen die Ambivalenzen in diesen Konstruktionen illustrieren: (61) er flüchtete auf einem Steig an mir vorbei bergauf (11) war er an mir, dem Kind, vorbeigestampft (14)
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62. Wortstellung: Abhängigkeiten in der Verbalgruppe
(62) zu den ihm spürbar näher rückenden Verfolgern (12) […] schien […] dem Garten näherzukommen (13) Don Juan rückte den Stuhl näher und näher an mein Küchenfenster (23) (63) Alle meine Gartenmöbel hatte ich in einer Gartenecke zusammengeschoben (19) Unangesehen der Einzelheiten der Rechtschreibung, die hier im Fall der Adjazenz der Elemente die Worteinheit durch Zusammenschreiben kennzeichnet, sieht man, wie hier die prädikatsnächste syntaktische Position mehr oder minder stark univerbierend integriert wird. Daraus erhellt übrigens, dass es sich nur scheinbar um dieselbe Klammerposition handelt, wie sie bei den oben diskutierten mehr oder minder grammatikalisierten Formen vorherrscht. Univerbierung und ggf. wortbildungsmäßige Integration liegt auf einer anderen Ebene als die genannten „flexionsartigen“ oder modalisierenden Prozesse. Vielmehr handelt es sich um eine graduierende Folge von Mitteln, bei denen der syntakto-semantische Kern, der nach allgemeiner Annahme den Ursprung der Valenz darstellt, mehr und mehr auf das Erstelement (bzw. zweite Klammerelement) fällt. Ohne deutlich markierten Übergang bewegen wir uns hier von den syntaktischen Mitteln in die inkorporierende Seite der Wortbildung hinein (zum lediglich syntaktischen Blick auf das Problem vgl. Motsch 2004, 53). Folgen für die Prädikatshierarchie Gänzlich losgelöst von der Frage, wie man die hier zu beobachtenden Verhältnisse orthographisch repräsentieren soll, haben wir es offenkundig damit zu tun, dass wir uns in einem Übergangsbereich befinden und Phänomene vor uns haben, die man so oder so interpretieren kann. So ist im folgenden Beispiel {auseinander} zunächst als eine Verbpartikel verwendet, in der zweiten Verwendung dagegen eher als adverbiale Bestimmung:
taktische Hierarchie, die ja eindeutig von dem Verb klaffen ausgeht, in gewissem Umfang gegenläufig. Das ist die Folge davon, dass mit der Position der adverbialen Bestimmung bzw. der Verbpartikel am Ende des Mittelfeldes der rhematische Charakter betont wird. Dieser Effekt zeigt sich zum Beispiel bei den sogenannten Doppelpartikelverben, bei denen auch durch die Zusammenschreibung dieses hierarchische Dilemma neutralisiert wird. Auch in den folgenden Fällen geht es um Schemata des ‘Hervor’ bzw. des ‘Herab’, in den verbalen Basen tauchen die Modalitäten entsprechend gerichteter „Bewegungen“ auf. (65) […] die Haare unter dem Helm hervorwehten (17) […] weil der Zuschauer das [⫽ ‘ein Ereignis’/L.E.] […] mit seinem Seufzen herabwürdigte (39) Die lexikalische Füllung der Basisverben entspricht dann den bei den jeweiligen Nomina üblichen Kollokationen (vgl. Eichinger 2004c, 6 f.). Allerdings gibt es auch in diesem Fall deutlich syntaktischere Verhältnisse: (66) […] stolperte über die Wegböschung hinab in den Sumpfstreifen (141) Ein analoges Analyseproblem stellt sich auch bei den verbalen Komposita mit substantivischem oder adjektivischem Erstglied: (67) […] an den Festlichkeiten […] teilgenommen (59) Man vergleiche z. B. auch die Grade der Univerbierung in den folgenden typischen Fällen: (68) gebe: kund, preis, statt, acht, Obacht; nehme: teil, Platz, Maß, Abschied, Abstand; halte: hof, maß, stand, Schritt, Wort (s. Eichinger 2000, 192) Bei all diesen Fällen einer allmählichen Univerbierung stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von interner Strukturierung und Wirkung der Konstruktion als ganzer nach außen gegeneinander zu verrechnen ist.
(64) […] und was an dem Gewand auseinanderklaffen konnte, klaffte mehr oder weniger auseinander (17)
5.
So gesehen signalisiert die Zusammenschreibung zumindest in diesem Fall auch, dass die Hierarchie zwischen den beiden Elementen lexematisch aufgehoben ist, semantisch ist ja eher das ‘Auseinander’ der Kern. Im zweiten Fall ist die semantische Struktur und die syn-
Abhängigkeit in der Verbalgruppe hat mit Valenz zu tun, erschöpft sich aber nicht darin. Die kritische Differenz zwischen der im Kern lexikalischen Steuerung, die man Valenz nennt, und anderen Abhängigkeitsbeziehungen ist bei den synthetischen Verbformen
Schluss
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
durch die Tatsache verdeckt, dass es sich um eine Wortform handelt und damit auf einer Ebene kodiert wird, die der üblichen wortbezogenen Analyse dependenzieller Grammatiken nicht so recht zugänglich ist. Sichtbar und kritisch werden die auch dort schon zu beobachtenden Überlagerungen der Abhängigkeitsbeziehungen, wenn die Informationen zu den verbalen Kategorisierungen (Temporalität, Modalität, Aspektualität) und dem lexikalischen Gehalt in zwei Elemente auseinandertreten. Vergleichsweise unproblematisch ist das noch bei den Fällen, die man als analytische Formen in die verbale Paradigmatik eingliedern kann. Auch hier allerdings zeigen sich bereits Konkurrenzen von Abhängigkeiten, die es geboten erscheinen lassen, die hier bestehenden Abhängigkeiten als interne Strukturmerkmale einer größeren Einheit „komplexes Prädikat“ zu betrachten. Je weiter man sich aus diesen quasi-morphologischen Paradigmen herausbewegt, desto kritischer wird die Frage danach, wie das Verhältnis von externer Wirkung und interner Strukturierung zu beurteilen und zu modellieren ist. Bei den als marginal erscheinenden Fällen letztlich ist zu fragen, wie lange die Annahme einer internen Strukturierung, eines „verbalen Nukleus“ sinnvoll ist, und an welchen Stellen von der Wirkung nicht mehr in dieser Weise eingebundener syntaktischer Abhängigkeitsbeziehungen auszugehen ist.
6.
Literatur in Auswahl
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63. Wortstellung: valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen 1. 2. 3. 4. 5.
Valenz und Linearisierung Grammatische Linearisierungsfaktoren Positionspräferenzen (im Mittelfeld) Die Interaktion der Linearisierungsfaktoren Literatur in Auswahl
1.
Valenz und Linearisierung
Im Unterschied etwa zur generativen Grammatik, in der Linearstruktur und hierarchisch geordnete Konstituentenstruktur durch Projektivität unmittelbar aufeinander bezogen sind, braucht die Dependenzgrammatik eine eigene Komponente für die Regelung der Reihenfolgebeziehungen. Neuerdings wird auch hier eine projektive Abbildung der semantisch-syntaktischen Struktur auf die lineare Kette gefordert (vgl. Heringer 1996, 242 f., Eroms 2000, 311). Voraussetzung für eine „Reanalyse von Reihenfolgebeziehungen als Abhängigkeitsmarkierungen“ (Eichinger 1995, 211) ist die Annahme einer gestuften Valenzbindung; Konzepte, die alle Aktantenklassen als gleichgeordnet ansehen, können Positionspräferenzen lediglich konstatieren und al-
lenfalls mit valenzunabhängigen (informationsstrukturellen, textuellen) Faktoren erklären. Aus vielen ⫺ vor allem früheren ⫺ dependenzbasierten Darstellungen ist nur indirekt zu ersehen, dass sie in ihrer Wortstellungskomponente von unterschiedlichen Graden der Abhängigkeit ausgehen. Sie leiten aus der Valenzstruktur eine ‘Grundfolge’ ab, die traditionell in funktionalen Begriffen gefasst wird: stellungsbestimmend sei die „syntaktische Funktion (Ergänzungsklasse)“ (Engel 1988, 321), der „spezifische Satzgliedwert“ (Duden 1998, 821); vgl. auch die in vielen Darstellungen (z. B. Lenerz 1977, Uszkoreit 1986, Jacobs 1988) gängige Regelformulierung in Termini grammatischer Relationen wie ‘direktes/indirektes Objekt’. Dass Wortstellungsphänomene ⫺ zumindest im Deutschen ⫺ so nicht angemessen und ausreichend zu fassen sind, zeigt z. B. die variable Stellung des Subjekts oder die unterschiedliche ⫺ jeweils präferierte ⫺ Abfolge von Dativ- und Akkusativergänzung:
862
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Dativ- vor Akkusativergänzung: (1)
weil er niemandem etwas abgibt
(1’) *weil er etwas niemandem abgibt Akkusativ- vor Dativergänzung: (2)
weil er die Kinder diesem Einfluss entziehen will
(2’)
*
weil er diesem Einfluss die Kinder entziehen will
Zweifel an der Tauglichkeit von grammatischen Relationen zur Beschreibung der Wortstellung äußert u. a. auch Primus in verschiedenen Arbeiten (vgl. z. B. Primus 1996, 60). Stellungspräferenzen wie in (1) vs. (2) können offensichtlich nicht strukturell begründet werden, solange von einer einheitlichen ⫺ letztlich auf Rektion beschränkten ⫺ Valenzbindung ausgegangen wird. Erst ein multidimensionales Valenzkonzept, das mehrere autonome Valenzrelationen unterscheidet, wird der multifaktoriell bestimmten Wortstellung gerecht. Die stellungsrelevanten Parameter eines solchen Konzepts werden in 2. vorgestellt; daneben sind weitere ⫺ nicht valenzbasierte ⫺ grammatische Linearisierungsfaktoren zu identifizieren. Der Hauptabschnitt (3.) zeigt die Wirkung dieser Faktoren in den wichtigsten Stellungsmustern des Deutschen. In 4. wird zusammenfassend die Koalition bzw. Konkurrenz der Faktoren skizziert und diskutiert, wie die Interaktion von Linearisierungsfaktoren generell zu modellieren ist. Die Darstellung beschränkt sich auf die Positionspräferenzen verbvalenzgebundener Einheiten im Mittelfeld. Ausgeklammert bleiben also zum einen die hauptsächlich diskursbasierten Regularitäten der Vorfeld- und Nachfeldbesetzung, zum anderen die Reihenfolgebeziehungen zwischen nicht-valenzgeforderten Teilen (im Satz und innerhalb des Verbalkomplexes) sowie die Linearisierung im Bereich nicht-verbaler Valenzträger. Die Relationierung von valenzbestimmter hierarchischer Struktur und Linearstruktur setzt am Verb (als Valenzträger) und seiner Position an; dabei wird in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Auffassung Verbletzt (d. h. die im eingeleiteten Nebensatz realisierte Stellung) als Grundstellung des Verbs im Deutschen angenommen. So ist eine kongruente Formulierung für strukturelle und positionelle ‘Verbnähe’ bzw. ‘-ferne’ möglich.
2.
Grammatische Linearisierungsfaktoren
2.1. Valenzbasierte Faktoren In einem multidimensionalen Valenzkonzept, wie von Jacobs (1992; 1994) vorgeschlagen und verschiedentlich aufgegriffen und kritisch weiterentwickelt (vgl. Zifonun 1995, GDS 1997, 1030 f., Blume 2000, 15 f.), wird Valenz als Bündelung von verschiedenen, voneinander unabhängigen Relationen formaler und semantischer Art verstanden. Ein vergleichbares Konzept, in Termini der Dependenz gefasst, liegt der Stellungsanalyse Primus 1996 zugrunde (vgl. Primus 1996, 57: „multifaktorieller Dependenzbegriff“). Den Valenzrelationen im engeren Sinne ist ein Parameter voranzustellen, der den unterschiedlichen Status der Ergänzungen in der Prädikat-Argument-Struktur reflektiert (i). Die unter dem Aspekt der Wortstellung wichtigste semantische Valenzrelation ist die „Sachverhaltsbeteiligung“ (GDS 1997, 1038; Jacobs 1994, 16, Blume 2000, 28: „Beteiligtheit“); sie erfasst die Eigenschaft des Prädikats, als Argumente bestimmte Beteiligte in bestimmten Rollen zu fordern (ii). Von den formalen Valenzrelationen ist die Rektion stellungsrelevant, also die Eigenschaft des Valenzträgers, die morphologische Form ⫺ den Kasus bzw. die Präposition ⫺ der abhängigen Elemente festzulegen (iii). Die Werte, die diese Parameter annehmen, können aufgrund stellungsunabhängiger Regularitäten in eine hierarchische, auf das Verb als Valenzträger hin gerichtete Ordnung gebracht werden; damit ist eine explizite Fassung des traditionellen (meist undefiniert gebrauchten) Begriffs der strukturellen ‘Verbnähe’ gegeben. (i) Argumenthaftigkeit Mit diesem Parameter der Valenzbindung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die als Verbergänzungen klassifizierten Satzteile eine unterschiedliche Funktion bei der Realisierung einer Proposition erfüllen: sie vertreten Teile des Prädikats (Prädikativergänzung) oder fungieren als dessen Argumente (kasus- und präpositionsgebundene Ergänzungen). In der Prädikat-ArgumentStruktur nicht eindeutig festzulegen sind die adverbialen Ergänzungen. Teils werden sie als Argumente aufgefasst, die jedoch im Unterschied zu den prototypischen Argumentergänzungen eine autonome Bedeutung
63. Wortstellung: Valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen
haben (GDS 1997, 759 f.: „halbautonome Argumente“; ihnen wären semantische Rollen wie LOK, GOAL (ZIEL) zuzuweisen), teils werden sie als Prädikate interpretiert (Welke 1988, 42 f.) bzw. als Einheiten, die einen „Beitrag zur Prädikats- und Ereigniskonstitution“ leisten (Zifonun 1995, 183). Sie erhalten deswegen in der Hierarchie der Argumenthaftigkeit (ARG) die mittlere (als (ARG gekennzeichnete) Position: ⫹ARG > (ARG > ⫺ARG (ii) Semantische Rolle In der semantischen Valenzrelation der Sachverhaltsbeteiligung ist angelegt, dass die Beteiligten in bestimmten ⫺ nach dem ‘one-persent’-Prinzip unterschiedlichen ⫺ Rollen auftreten. Zum Inventar von semantischen Rollen und ihrer Hierarchisierung (‘thematische Rollen’, ‘Θ-Hierarchie’ in der generativen Grammatik) gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen, die hier nicht im Einzelnen zu diskutieren sind. Unter Stellungsgesichtspunkten ist ⫺ zumindest für das Deutsche ⫺ ein Rollenkonzept vorzuziehen, das in der Mitte zwischen minimalistischen und stark ausdifferenzierten Modellen liegt. Ungeeignet sind vor allem zweigliedrige „Proto“- bzw. „Makro“-Rollenkonzepte wie Dowty (1991) („Proto-Agent“/„Proto-Patient“) oder Van Valin/LaPolla (1997) (Makro-Rollen „actor“/ „undergoer“), weil sie den Bindungs- und Stellungsverhältnissen bei dreiwertigen Verben nicht gerecht werden. Primus (1996, 66; 1999, 54 f.) erweitert deshalb (und aus anderen Gründen) Dowtys Modell um eine mittlere Rolle (Proto-Rezipient), in der ProtoAgens- und Proto-Patiens-Eigenschaften kombiniert sind. Mit einem dreiteiligen Rollenset arbeiten z. B. auch Uszkoreit (1986) (AGENT/GOAL/THEME) und Jacobs (1988) (AGENS/DATIV/PATIENS). Insbesondere für das Deutsche bietet sich das folgende Rolleninventar an; es ist eine auf die stellungsrelevanten Rollen reduzierte Liste der in GDS (1997, 1300 f.), aber auch sonst vielfach angesetzten Rollen: AGENS (AG) ‘aktiver, verantwortlich handelnder Ereignisbeteiligter’, EXPERIENS (EXP) ‘Erfahrender, Träger einer Wahrnehmung/Emotion/Einstellung’, REZIPIENT (REZ)/ADRESSAT (ADR) ‘Empfänger’, OBJEKT (OBJ) ‘in ein Ereignis involvierter Gegenstand’, THEMA ‘Gegenstand einer kognitiven/emotionalen Relation’. Dieser Ansatz gestattet einerseits eine Bündelung der Rollen nach der Eigenschaft
863
‘(belebt’, die sich für die Erklärung vieler Wortstellungsphänomene als ausreichend erweist; andererseits stellt er genügend Rollen zur Behandlung spezieller Fälle zur Verfügung. Die Rollen lassen sich gemäß einer Salienzskala (mit den Dimensionen ‘Handlungsfähigkeit’, ‘Aktivität’, ‘Involviertheit’; vgl. GDS (1997, 1324 f.) zu folgender Hierarchie ordnen: (AG>EXP/REZ/ADR)>(OBJ>THEMA) In zusammenfassender Version: belebte Rolle (⫹bel) > unbelebte Rolle (⫺bel) (iii) Kasus Für das Deutsche (als Akkusativsprache) ist folgende Hierarchie der morphologischen Kasus anzusetzen: nom > akk > dat > gen Sie kann durch eine Reihe von Phänomenen belegt werden (vgl. dazu u. a. Marillier 1998, 48 f., Primus 1999, 17 f., Dürscheid 1999, 228 f.), vor allem durch die „Zugänglichkeit für grammatische Prozesse“ (GDS 1997, 1328). So weisen z. B. die Korrespondenz mit dem finiten Verb, die Passivbildung und die Bindungsverhältnisse bei Reflexiv- und Reziprokanaphern (Müller 1999, 780 f.) dem Nominativ (als dem Kasus des Subjekts) den ersten Rang und dem Akkusativ ⫺ vor dem Dativ ⫺ den zweiten Rang zu. Weitere Evidenz für die angenommene Hierarchie liefern der diachrone Abbau der Kasus und der Kasuserwerb (Primus 1996, 72). Für Sprachen mit einem vom Deutschen verschiedenen Kasussystem, also etwa für solche mit mehr Kasus oder für Ergativsprachen, sieht die Hierarchie natürlich im Einzelnen anders aus; als gemeinsame Grundlage für beliebige Sprachen gelten nach Primus (1999, 18; 24) zwei universelle Präferenzprinzipien (hier vereinfacht wiedergegeben): (a) Jeder ranghöhere Kasus ist morphophonologisch weniger komplex als der rangniedrigere, d. h.: je weniger flexivisch markiert, desto höher in der Rangfolge. (b) Die Selektion eines rangniedrigeren Kasus impliziert asymmetrisch die Selektion eines ranghöheren, das bedeutet: je höher der Kasus, desto mehr Verben selegieren ihn. 2.2. Valenzunabhängige Faktoren Dass die Stellung valenzgebundener Einheiten nicht nur von strukturellen Faktoren bestimmt wird, ist unbestritten; unterschied-
864
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
liche Auffassungen bestehen jedoch darüber, welcher Art die übrigen Determinatoren sind. Nach der Mehrheitsmeinung handelt es sich überwiegend um ‘nicht-grammatische’, zum Teil aber auch um originär grammatische Faktoren. Die Wirkung nicht-grammatischer Faktoren (wie z. B. Thema-Rhema-Verteilung, Bekanntheit) wird in universellem Rahmen meist mit Prinzipien der kognitiven/emotionalen Sprachverarbeitung in Verbindung gebracht; Stichworte sind hier z. B. „familiarity“, „iconicity“ (vgl. Siewierska 1988, 61 f.), „Performanz“ (Primus 1994). In vor allem auf das Deutsche konzentrierten Analysen werden nicht-grammatische Faktoren unter dem Aspekt des Grammatik-Pragmatik-Verhältnisses diskutiert (vgl. z. B. Reis 1987, Rosengren 1987); im Vordergrund steht heute ihre text/diskursfunktionale Verankerung (vgl. dazu Eichinger 1995; 1999 und die Wortstellungskomponente in Eroms 2000, wo der Weg zu den „Quellen“ der Linearität anhand der schrittweisen kontextuellen Einbettung von Sätzen zurückverfolgt wird). Wortstellungsprinzipien, die nicht aus der grammatischen Struktur herleitbar sind (aber natürlich grammatische Korrelate haben), sind hier nicht zu behandeln. Dagegen ist im Zusammenhang grammatischer Wortstellungsdetermination in Rechnung zu stellen, dass die formale Ausprägung insbesondere der kasuskodierten Argumente Einfluss auf ihre relative Abfolge hat. Es gilt folgende Hierarchie der morpho(phono)logischen Komplexität (die als eine Instanz des Behaghelschen Gesetzes der „wachsenden Glieder“ (Behaghel 1932, 6) gelten kann): Pronomen > volle NP (> PP) 2.3. Präferenzregeln und ihre Ordnung Die verschiedenen Stellungsparameter mit ihren geordneten Werten sagen die in [1] bis [4] formulierten Positionspräferenzen für Ergänzungen voraus, wobei folgende Ergänzungsklassen zugrunde gelegt werden: Subjekt (Esub) Akkusativergänzung (Eakk) Dativergänzung (Edat) Genitivergänzung (Egen) Präpositionalergänzung (Eprp) Situativergänzung (Esit) Direktivergänzung (Edir) Prädikativergänzung (Eprd)
Stellungspräferenzregeln: [1] Ergänzungen stehen gemäß ihrer Argumenthaftigkeit präferiert in der Reihenfolge E⫹ARG » E(ARG » E⫺ARG ausbuchstabiert (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Esit und Edir nicht zusammen mit Eprd vorkommen): Esub/akk/dat/gen/prp » Esit/dir/prd [2] Argumentergänzungen stehen gemäß der Rollenhierarchie präferiert in der Reihenfolge EAG » EEXP/REZ/ADR » EOBJ » ETHEMA in Kurzfassung: E⫹bel » E⫺bel [3] Kasusergänzungen stehen gemäß der Kasushierarchie präferiert in der Reihenfolge Esub(nom) » Eakk » Edat » Egen Da Edat und Egen nicht zusammen in einem Satz auftreten können, gilt: Esub » Eakk » Edat/gen [4] Kasuell (und präpositional) kodierte Ergänzungen stehen gemäß ihrer morphologischen Komplexität präferiert in der Reihenfolge EPRON » ENP (» EPP) Die strukturbasierten Regeln [1]⫺[3] sind nach ihrem Geltungsbereich, d. h. nach der Strukturdomäne, auf der sie operieren, in dieser Weise geordnet: 1. ⫹ARG E sub
E±ARG E–ARG
/ akk / dat / gen / prp
» Esit / dir » Eprd
2. höhere > niedrigere Rolle E⫹bel
» E⫺bel
3. höh. > niedr. Kasus Esub » Eakk » Edat/gen
Der Faktor der formalen Komplexität liegt quer zu den anderen; seine Wirkung wird (in 3.6.) getrennt behandelt.
3. E+ARG
> (ARG > ⫺ARG
Positionspräferenzen (im Mittelfeld)
3.1. Prädikative und adverbiale Ergänzungen Ergänzungen, die nicht Argumente vertreten, sondern den Prädikatsausdruck vervollständigen, nehmen gemäß dieser Eigenschaft die verbnächste Position ein:
865
63. Wortstellung: Valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen
(3) E+ARG
E –ARG
ob Soldaten
Mörder
sind
Entsprechendes gilt für die akkusativische Prädikativergänzung bei Verben wie nennen, ansehen als: (4) wenn jemand jemanden einen Lügner nennt Neben den prototypischen Eprd wie in (3), (4) gehören zur Klasse der Nicht-Argumente auch Einheiten, die eine solch enge Verbbindung haben, dass ihnen in der Regel noch nicht einmal Ergänzungsstatus zuerkannt werden kann; dies sind die nominalen bzw. präpositionalen Teile von Nominalisierungsund Funktionsverbgefügen (Angst haben, zur Anwendung kommen), außerdem Phraseolexeme (den Garaus machen) und ‘inkorporierte Objekte’ (Auto fahren). Adverbialen Ergänzungen, also Esit bzw. Edir, kann, da sie nie zusammen mit Prädikativergänzungen vorkommen, die gleiche Position am Mittelfeldende zugewiesen werden: (5)
dass Eskimos in Iglus wohnen
(6)
dass jemand etwas dorthin stellt
Je nachdem, ob sie als Grenzfälle von Prädikatsteilen oder von Argumenten analysiert werden (vgl. 2.1 (i)), beruht ihre Endstellung auf der Hierarchie der Argumenthaftigkeit oder auf der Rollenhierarchie, in der Rollen wie LOK, ZIEL den gegenstandsbezogenen Rollen nachgeordnet sind. 3.2. Subjekt Das Verhältnis des Subjekts zu den übrigen Ergänzungen ist seit jeher ein Problem in der Dependenzgrammatik. Nach traditioneller Auffassung hat es den gleichen Status wie die anderen Ergänzungen, in erweiterten Dependenzgrammatiken wird ihm dagegen ⫺ vergleichbar dem VP-externen Argument generativer Theorien ⫺ eine Sonderstellung zuerkannt, indem es an das finite Verb angebunden wird, während die übrigen Ergänzungen dem infiniten Verbalkomplexteil zugeordnet werden (vgl. Eroms 2000, 321). Der ambivalente Status des Subjekts als einerseits prominente, andererseits gleichgeordnete Ergänzung zeigt sich auch in seinen unterschiedlichen Positionspräferenzen.
In Strukturen mit drei Ergänzungen tritt das Subjekt als herausgehobene Ergänzung auf. Die ‘Subjektprominenz’ gründet sich strukturell zum einen auf die starke Affinität zur ranghöchsten semantischen Rolle (wann immer ⫺ in Aktivkonstruktionen ⫺ die AGENS-Rolle zu vergeben ist, wird sie als Subjekt realisiert), zum anderen darauf, dass der Nominativ den höchsten Rang in der Kasushierarchie hat. Somit nimmt das Subjekt nach [2] und [3] präferiert die erste ⫺ verbfernste ⫺ Position ein: (7) Esub
Edat
Eakk
[AG]
wenn Unternehmen Parteien Geld spenden
Diese Konstellation mit präferierter Voranstellung des Subjekts ist auch bei zweiwertigen Verben der häufigste, unmarkierte Fall: das Subjekt vertritt ⫺ als AG oder EXP ⫺ eine belebte Rolle, die andere Ergänzung typischerweise eine unbelebte, in jedem Fall eine niedrigere Rolle (z. B. dass jemand ein Haus baut / Musik liebt / dem Freund hilft / sich einer Sache annimmt / an die Karriere denkt). Bei bestimmten zweiwertigen Verben sind dagegen belebte und unbelebte Rolle umgekehrt verteilt, mit der Folge, dass Esub präferiert nachgestellt wird; hier erscheint das Subjekt zurückgestuft, als Ergänzung ‘comme les autres’. Solche Verben mit „markierter hierarchischer Struktur“ (GDS 1997, 1329) werden im Deutschen allgemein unter dem Etikett ‘psychische’ oder ‘Psych-’Verben diskutiert (terminologische Varianten sind z. B. „ThemaVerben“ (GDS 1997, 1456), „STIM(ULUS)Subj.-Verben“ (Wegener 1999, 206)). Wegener (1999, 177 f.) und Blume (2000, 199 f.) weisen markierte Strukturen dieser Art auch für andere Sprachen nach. Im Deutschen kommen als Nicht-Subjekte Eakk und ⫺ seltener ⫺ Edat in Frage; eine Liste der einschlägigen Verben findet sich in Wegener 1999 (206 f.). Eakk » Esub: Akkusativregierende psychische Verben sind z. B. ärgern, aufregen, beeindrucken, berühren, beunruhigen, bewegen, erstaunen, freuen, interessieren, langweilen, stören, treffen, überraschen, wundern in Verbindungen wie
866
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(8)
wenn jemanden etwas interessiert
(9)
weil die Anwohner der Verkehrslärm stört
(10) dass niemanden irgendwelches Verschulden trifft (nach Primus 1996, 68) (11) dass einen nichts mehr wundert Mit solchen Verben wird die emotionale Relation einer ‘erfahrenden’ Person (EXP), realisiert als Eakk, zu einem typischerweise unbelebten Gegenstand (THEMA), realisiert als Esub, ausgedrückt. Im Einklang mit der rollenbasierten Präferenzregel [2], aber entgegen der Kasushierarchie [3] steht das Subjekt auf der verbnäheren Position: (8) Eakk
Esub
[EXP]
[THEMA]
wenn jemanden etwas interessiert
Charakteristisch für diese Verben ist, dass sie auch in einem anderen Valenzrahmen auftreten können, vgl. etw. interessiert jdn. ⫺ jd. interessiert sich für etw., etw. ärgert/erstaunt jdn. ⫺ jd. ärgert sich/ist erstaunt über etw.; die Rollenverteilung bleibt dabei erhalten (vgl. GDS 1997, 1306): Eakk 兩 EXP 兩 s. interessieren für Esub interessieren:
Esub 兩 THEMA 兩 Eprp
Die syntaktisch konversen Strukturen sind also rollensemantisch und topologisch isomorph. Zur konzeptuellen Deutung der Konversen vgl. Wegener (1999). Edat » Esub: Auch in Nominativ-Dativ-Strukturen wird das Subjekt präferiert nachgestellt, wenn es eine unbelebte Rolle repräsentiert (OBJ), während die Dativrolle personal belegt ist (EXP); allerdings sind hier Unterschiede der Präferenz zu beobachten. Dies kann mit der unterschiedlichen Perfektbildung in Verbindung gebracht werden, nach der in GDS (1997, 1308) die hierher gehörenden Verben in zwei Gruppen untergliedert werden: (i)
(Perfektbildung mit sein:) gelingen, misslingen, auffallen, einfallen, entfallen, ge-
(ii)
schehen, passieren, widerfahren, zustoßen, unterlaufen (Perfektbildung mit haben:) gefallen, missfallen, zusagen, guttun, schmecken, helfen, nützen, schaden, zustehen, gehören, fehlen
Bei Verben des Typs (i) besteht eine sehr stark ausgeprägte Tendenz zur Nachstellung des Subjekts: (12) wenn jemandem etwas dazu einfällt (12’) ??wenn etwas jemandem dazu einfällt (13) weil niemandem alles gelingt (14) dass jedem mal ein Fehler unterlaufen kann Die engere Verbbindung des Subjekts zeigt sich darin, dass es zusammen mit dem infiniten Verbalkomplexteil das Vorfeld bilden kann; diese Möglichkeit ist für eine verbferne Einheit nicht gegeben (vgl. GDS 1997, 1626 f.): (14’) Ein Fehler unterlaufen kann jedem mal. (14”) *Jedem unterlaufen kann mal ein Fehler. In Konstruktionen mit Verben der Gruppe (ii) ist die Abfolge Edat » Esub weniger stark präferiert; die umgekehrte Abfolge mit Dominanz der Kasushierarchie kann leichter gewählt werden: (15) dass allen alles gefällt/gehört/… (15’) dass alles allen gefällt/gehört/… Die rollenbasierte Nachstellung des Subjekts wird am ehesten dann bevorzugt, wenn das Verb ⫺ wie im Fall von helfen ⫺ ein weiteres Rollenschema hat, in dem das Subjekt, wie die Dativergänzung, eine belebte Rolle ⫺ jedoch die ranghöhere des AGENS ⫺ vertritt. So stehen sich, mit jeweils präferierter Abfolge der Ergänzungen, gegenüber: ⫺ helfen [REZ > OBJ / Edat » Esub]: (16) dass einem Kranken eine Therapie hilft ⫺ helfen [AG > REZ / Esub » Edat]: (17) dass ein Pfleger einem Kranken hilft Außer bei psychischen Verben findet sich das Stellungsmuster Edat » Esub auch bei passivischen Konstruktionen dreiwertiger Verben, in denen die Eakk der entsprechenden Aktivstruktur als Esub erscheint; die Linearisierung
63. Wortstellung: Valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen
folgt isomorph der Rollenhierarchie REZ > OBJ, vgl.: (18) wenn man jemandem etwas anvertraut (18’) wenn jemandem etwas anvertraut wird 3.3. Dativ- und Akkusativergänzungen Kombinationen von Ergänzungen im Dativ und im Akkusativ treten bei dreiwertigen Handlungsverben auf. Sie erscheinen in zwei präferierten Abfolgen, die auf die unterschiedliche Wirkung der valenzbasierten Stellungsfaktoren zurückzuführen sind; die Erststellung des Subjekts ⫺ als Träger der AGENS-Rolle und des höchsten Kasus ⫺ ist jeweils vorausgesetzt. Edat » Eakk: Diese Abfolge bevorzugen die weitaus meisten Dativ-Akkusativ-Verben; auch deshalb wird sie mehrheitlich zur ‘Grundfolge’ erklärt. Die Präferenz beruht allein auf der Rollenhierarchie [2]; die Kasushierarchie [3] ist unwirksam. Verben mit dem Stellungsmuster Edat » Eakk sind ‘Transaktionsverben’ (im weiteren Sinne), als Untergruppen lassen sich die Verben des Gebens/Nehmens (geben, leihen, liefern, schenken, wegnehmen, stehlen) und die Verben der Mitteilung (mitteilen, übermitteln, erzählen, schildern) unterscheiden. Die Dativergänzung ist Träger der belebten Rolle REZ bzw. ADR und steht dementsprechend präferiert vor der Akkusativergänzung als Träger der unbelebten OBJEKT-Rolle: (19) Esub
Edat [ADR]
Eakk [OBJ]
dass sie niemandem etwas erzählt
Eakk kann sekundär personal besetzt sein (jdm. die Frau ausspannen / den Freund wegnehmen / ein Kind schenken); maßgeblich für die Abfolge bleibt die typische Rollenverteilung. Eakk » Edat: Verben, deren Ergänzungen präferiert oder nur in dieser Abfolge auftreten, sind z. B. anpassen, aussetzen, gleichstellen, überordnen, vorziehen: (20) weil er niemanden einer Gefahr aussetzen wollte
867
(21) dass sie den Sohn der Tochter vorzieht Die Verben drücken, wie an den (in der Regel) präpositionalen Präfixen (aus, über, vor) und dem Stamm (setzen, stellen, ziehen) erkennbar, ursprünglich eine lokale Relation aus; die verbnahe Dativergänzung entspricht historisch einer adverbialen Komponente (vgl. Wegener 1990): etwas vor eine Sache ziehen J etwas einer Sache vorziehen. Sie nimmt damit, vergleichbar den adverbialen Ergänzungen, hinsichtlich der Argumenthaftigkeit eine Zwischenposition ein. In der generativen Kasustheorie werden entsprechend Verben mit der „invertierten“ Folge akk » dat (Czepluch 1996, 61) unter der Fragestellung diskutiert, ob der „postakkusativische“ Dativ als struktureller oder als lexikalischer/inhärenter Kasus zu gelten hat (vgl. z. B. Wegener 1991, 94 f.). Die Argumenthaftigkeit der Dativergänzung ist bei den einzelnen Verben ⫺ mit Folgen für die Stellungspräferenzen ⫺ unterschiedlich stark ausgeprägt; es lassen sich grob zwei Untergruppen unterscheiden (vgl. Wegener 1990, 168 f., GDS 1997, 1312 f.): (i)
Nominalisierungsverben: anheimgeben, ausliefern, aussetzen, entziehen, preisgeben, überantworten, übergeben, überlassen, unterwerfen, unterziehen
Eakk kodiert den typischerweise belebten ADRESSATEN der Handlung, Edat ist eine Abstrakt-NP wie z. B. einer Prüfung/Reinigung (unterziehen) und vertritt ⫺ bei adverbialer Interpretation ⫺ die unbelebte Rolle GOAL oder ist als Teil des Prädikatsausdrucks anzusehen. Die Fügung Edat ⫹ V wäre dann den Nominalisierungsverbgefügen (vgl. 3.1.) zuzuordnen; wie bei diesen existieren in vielen Fällen neben den ‘Streckformen’ entsprechende einfache Verben: einer Prüfung unterziehen ⫺ prüfen, einer Gefahr aussetzen ⫺ gefährden. Die Nachstellung der Dativeinheit folgt somit der Präferenzregel [1] bzw. ⫺ bei Interpretation als Argument ⫺ der Rollenhierarchie [2], in jedem Fall außerdem der Kasushierarchie [3] (s. S. 868 oben). Eakk kann sekundär nicht-personal besetzt sein, ohne dass sich die Abfolge ändert (die Pflanzen der Kälte / den Körper der Sonne aussetzen, die Gebäude dem Verfall preisgeben); dies zeigt, dass Belebtheitsunterschiede für die Begründung des Stellungsmusters Eakk » Edat nicht ausreichen.
868
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(22)
hoben wird. Grammatisch ist die Präferenz der Abfolge Eakk » Edat allein auf die Kasushierarchie [3] gestützt. Anders als bei den Nominalisierungsverben kann diese schwach präferierte Folge ⫺ kontextuell begründet oder zu Hervorhebungszwecken ⫺ umgekehrt werden:
Esub Eakk [+ARG]
Edat [ ARG]
dass man jdn. seinem Schicksal überlässt der Justiz
ausliefert
einem Verhör
unterwirft
einem Einfluss
entzieht
Die Endstellung der Dativeinheit ist, wie die aller nominaler Prädikatsteile, fest: (23) *dass er diesen Vorwürfen den Freund ausgesetzt hat Einige der Akk-Dat-Nominalisierungsverben haben auch eine Verwendung als Transaktionsverb, so insbesondere überlassen, übergeben, entziehen; dann gilt das entsprechende ⫺ rollenhierarchisch begründete ⫺ Stellungsmuster Edat » Eakk: (24) dass er dem Freund seinen Wagen nicht überließ (GDS 1997, 1313) (25) dass man der Maria {die Kinder / den Führerschein / das Buch} entzogen hat (Müller 2000, 240) (ii)
Ordnungsrelationale Verben: angleichen, angliedern, annähern, anpassen, vorstellen, vorziehen, zuordnen, überordnen, unterordnen gleichordnen, gleichsetzen, gleichstellen, gegenüberstellen
Diese Verben (Wegener 1990, 169: „Vergleichsverben“) bezeichnen eine Ordnungsrelation zwischen zwei jeweils belebten oder ⫺ öfter ⫺ unbelebten Gegenständen: den Herrn der Dame vorstellen, persönliche Interessen dem Gemeinwohl unterordnen, das Angebot der Nachfrage anpassen; zum Teil sind Reziprok-Konstruktionen möglich (den Herrn und die Dame einander vorstellen). Edat hat, wie Eakk, Argumentstatus; aufgrund der spezifischen Relation lassen sich aber keine hierarchisch differenzierten Rollen identifizieren. Nach GDS (1997, 1335 f.) fungiert Eakk als „kognitiver Vordergrund“, Edat als „kognitiver Hintergrund“. Damit sind die Einheiten in eine höhere hierarchische Beziehung zueinander gesetzt, wobei hier allerdings nicht die unmarkierte Folge vorliegt, nach der zuerst der Hintergrund präsentiert wird, von dem dann der Vordergrund abge-
(21) dass sie den Sohn der Tochter vorzieht (21’) dass sie der Tochter den Sohn vorzieht 3.4. Periphere Muster Den zentralen Stellungsmustern mit Subjekt, Akkusativ- und/oder Dativergänzung lassen sich andere, periphere Konstruktionen, wie z. B. die mit zwei Eakk, zuordnen; die Positionspräferenzen dieser Muster können ⫺ zusammengefasst ⫺ auf Belebtheitsunterschiede zurückgeführt werden. ‘Freie’ Dative: Wie immer der Status und die Funktion der so genannten ‘freien’ Dative im Einzelnen zu bestimmen ist, in ihrem Stellungsverhalten unterscheiden sie sich nicht von den prototypischen Dativergänzungen, die eine belebte Rolle (REZ, EXP) vertreten. So können Konstruktionen mit einem dativus commodi (26) und solche mit einem possessiven (Pertinenz-) Dativ (27) dem Transaktionsmuster Edat » Eakk (vgl. 3.3.) angeschlossen werden: (26) dass man Kindern ein Konto eröffnet (27) dass er jeder Dame die Hand küsst Der dativus incommodi (28) und der iudicantis (29) verhalten sich wie die Dativergänzung in dem Stellungsmuster gelingen, passieren (vgl. 3.2.), d. h. der personale Dativ steht präferiert vor dem in der Regel nichtpersonalen Subjekt: (28) dass einem Koch das Essen anbrennt (29) wenn jemandem etwas unklar ist Genitivergänzung: Die im heutigen Deutsch peripheren Genitivkonstruktionen (zweiwertig z. B. gedenken, bedürfen, s. bemächtigen, s. rühmen; dreiwertig z. B. anklagen, beschuldigen, verdächtigen, entheben) zeigen Egen gemäß den Präferenzregeln [2] und [3] stets in Endstellung: (30) wenn jemand der Ruhe bedarf (31) dass er einen Politiker der Lüge bezichtigt hat
63. Wortstellung: Valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen
In dem Muster (Esub ») Eakk » Egen wird, vergleichbar dem Muster Eakk » Edat, in der Akkusativergänzung die Rolle des belebten involvierten Ereignisbeteiligten kodiert; in der Genitivergänzung erscheinen Abstraktnomina, die stark an die Verbbedeutung gebunden sind, sodass Egen keine genereller gefasste Rolle zugeschrieben werden kann. In der generativen Grammatik ist der adverbale Genitiv der prototypische Fall des lexikalischen Kasus. Doppelter Akkusativ: Konstruktionen mit zwei im Akkusativ realisierten Argumenten sind auf einige wenige Verben beschränkt: abfragen, abhören, lehren, kosten Ob z. B. auch bitten und fragen dazuzurechnen sind und vor allem welche strukturellen Unterschiede im Einzelnen bei diesen Konstruktionen bestehen, ist hier nicht zu diskutieren (vgl. dazu Plank 1987, Czepluch 1996, 149 f.); zur Herleitung der präferierten Abfolge reicht der bei allen Verben gegebene Belebtheitsunterschied: der Träger der belebten Rolle geht dem der unbelebten Rolle voraus: (32) dass die Mutter den Sohn die Vokabeln abhört (33) ob dies den Sportler die Karriere kosten wird Zumindest was die Kerngruppe der ‘didaktischen’ Verben betrifft, kann das Muster mit doppeltem Akkusativ ⫺ als „morphologisch markierte Variante“ (GDS 1997, 1311) ⫺ an das Transaktionsmuster Edat [REZ/ADR] » Eakk [OBJ] (vgl. 3.3.) angeschlossen werden; in der gleichen Richtung analysiert Plank (1987) den personalen Akkusativ als „direktes indirektes Objekt“. Die zunehmende Tendenz, die (historisch erklärbare) „Fehlkonstruktion“ (Wegener 1990, 163) zu ‘korrigieren’, das heißt, die in diesem Muster markierte Eakk durch die typische Edat zu ersetzen, ist vielfach belegbar; ein Beispiel: (34) Wer ist die Frau, die [einer routinierten Militärbürokratie und den Giganten der Rüstungsindustrie] dat [das Fürchten] akk lehrte? (zit. nach GDS 1997, 1518) Präpositionalergänzungen: Präpositionalergänzungen kommen in Verbindung mit dem Subjekt allein (vertrauen auf ) oder mit einer weiteren Ergänzung vor (mit Edat: jdm. zu etw. verhelfen, mit Eakk: jdn.
869
an etw. erinnern); in allen Mustern ist Eprp typischerweise nicht-personal besetzt, während die Kasusergänzungen eine belebte Rolle kodieren; deshalb und aufgrund ihrer größeren morphologischen Komplexität [4] nimmt die Präpositionalergänzung die verbnächste Position ein. In Konstruktionen mit zwei Eprp (mit jdm. über etw. sprechen/verhandeln/diskutieren) ist der letztere Stellungsfaktor ausgeschaltet, es besteht aber auch hier, ähnlich wie bei den Mitteilungsverben, ein Belebtheitsunterschied, der zu der präferierten Abfolge Eprp [⫹bel] » Eprp [⫺bel] führt (nach GDS 1997, 1319 in Rollen ausdifferenziert: KO-AGENS » THEMA): (35) dass er mit jedem über alles spricht 3.5. Die Stellungsmuster im Überblick Die Haupt-Stellungsmuster und die Hierarchien, auf denen sie basieren, sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt: 1. Esub » Eakk/dat/gen/prp/sit/dir/prd [⫹ARG > ⫺ARG; ⫹bel > ⫺bel; nom > akk/dat/gen/prp] 2. Eakk » Esub interessieren [EXP > THEMA] gelingen 3. Edat » Esub [EXP > OBJ] 4. Esub » Edat » Eakk geben [AG > REZ/ADR > OBJ] 5. (Esub ») Eakk » Edat (a) [⫹ARG > ⫺ARG] aussetzen (b) [akk > dat] vorziehen beschuldigen 6. (Esub ») Eakk » Egen [⫹bel > ⫺bel; akk > gen] 7. (Esub ») Eakk » Eakk lehren [⫹bel > ⫺bel] 8. (Esub ») Eprp » Eprp sprechen mit [⫹bel > ⫺bel] über 3.6. Pronominale vs. nominale Ergänzungen Die Stellungsrelevanz der morphologischen Komplexität ist allgemein anerkannt (z. B. Reis 1987, 27 f., Uszkoreit 1986, 888 f., Jacobs 1988, 20, Müller 1999, 789 f.; für nichteuropäische Sprachen nachgewiesen in Siewierska 1988, 33 f.); sie wird meist mit der Präzedenzregel ‘pronominal » nominal’ gefasst. Dabei ist klarzustellen, dass hier unter ‘pronominal’ nicht alle Einheiten zu verstehen sind, die üblicherweise zur Wortart Pronomen gezählt werden, sondern nur die ‘schwachen’, d. h. unbetonten bzw. gar nicht
870
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
akzentfähigen; die übrigen verhalten sich positionell eher wie volle ⫺ mit einem Nomen gebildete ⫺ NP. Es gilt grob: pronominal ⫽ {Personalpronomen, Reflexivpronomen, man, es in NichtArgument-Verwendungen} nominal ⫽ {Demonstrativpronomen, Indefinitpronomen, NP mit Nomen als Kopf} (Differenzierter wird das Stellungsverhalten pronominaler Elemente z. B. in Lenerz 1993 (Personalpronomina), Abraham 1996 (Klitika), Haftka 2000 behandelt.) Die Präferenz ‘pronominal » nominal’ kann den Effekt haben, dass die Rollen- (und Kasus-)Hierarchie ‘überschrieben’ wird; vgl. etwa (36) gegenüber (8) oder (37), wo die rollenhierarchisch ‘mittlere’ Dativergänzung (REZ) in Erststellung erscheint: (36) wenn es jemanden interessiert (37) dass ihm der Arzt eine Spritze gibt Der Formunterschied wirkt sich vor allem ⫺ deutlicher als in der Relation zwischen pronominal und nominal realisierten Ergänzungen ⫺ auf die Stellungsverhältnisse innerhalb des pronominalen Bereichs aus: bei der internen Anordnung der schwachen Pronomina ist die Valenzbindung gemäß der semantischen Rolle generell außer Kraft gesetzt; die präferierte (und in der Regel feste) Abfolge bestimmt sich allein rektional, d. h. nach der Kasushierarchie nom > akk > dat, die in diesem Fall phonetisch begründet werden kann (Wegener 1985, 253 f., GDS 1997, 1519 f.): (38) dass sie es ihm erzählt (39) dass er ihn ihr vorstellte
4.
Die Interaktion der Linearisierungsfaktoren
4.1. Feste Folgen und Positionen Auch in Sprachen mit eher freier Wortstellung wie dem Deutschen gibt es feste Folgen, zumindest sind bestimmte Abfolgen stärker präferiert als andere. Nach Primus (1996, 75 f.) lassen sich solche Präferenzunterschiede bei Argumentergänzungen durch die Interaktion zwischen semantischer und rektionaler Verbbindung erklären. Eine festere Folge ergibt sich zum einen dann, wenn die Linearisierungsfaktoren koa-
lieren, wenn also die Abfolge sowohl der Rollen- wie der Kasushierarchie entspricht. Das ist in den Stellungsmustern der Fall, in denen das Subjekt Träger der AGENS- oder einer anderen belebten Rolle ist, während die andere Ergänzung eine unbelebte Rolle vertritt, z. B.: (40) wenn einer eine Reise tut (40’) *wenn eine Reise einer tut Hierher gehören viele der Stellungsmuster, die (in 3.5) unter 1. zusammengefasst sind. Auch die feste Abfolge Eakk » Egen in Muster 6. (beschuldigen) lässt sich so erklären. Zum anderen entstehen relativ feste Folgen, wenn einer der Parameter ausfällt; es gibt dann keine „grammatische Motivation“ für eine andere Abfolge (Primus 1996, 76). So ist bei den Stellungsmustern 7. und 8., die zwei formgleiche Ergänzungen aufweisen (lehren, sprechen mit über), die Determination durch Rektion ausgeschaltet; die rollensemantische Hierarchie ist bei der Anordnung der schwachen Pronomina unwirksam. Beide Parameter kommen nicht in Betracht, wenn der Stellungsfaktor [1], die Argumenthaftigkeit, beteiligt ist; so gibt es für die Prädikativergänzung (und in schwächerem Maße für die adverbialen Ergänzungen) keine grammatische Alternative zu der funktional bestimmten verbnächsten Stellung. Das Gleiche gilt für die Dativergänzung des Stellungsmusters 5. (a) (aussetzen, vgl. (23)). Freiere Folgen, d. h. solche, die unter der Wirkung diskursbasierter Faktoren leichter verändert werden können, entstehen dann, wenn die grammatischen Determinatoren konkurrieren. Beispiele dafür, dass die Kasushierarchie eine andere Abfolge verlangt als die Rollenhierarchie, sind die Stellungsmuster 2. und 3. mit Nachstellung des Subjekts (interessieren, gelingen) und die relative Abfolge der Dativ- und der Akkusativergänzung in dem Transaktionsmuster (4.). Etwas problematisch ist das Muster 5. (b) mit relationalen Verben (vorziehen, anpassen). Die nach der Kasushierarchie präferierte Abfolge Eakk » Edat lässt sich rollensemantisch nicht stützen, so dass sie eigentlich als relativ fest gelten müsste. Tatsächlich erscheint die Dativergänzung aber oft vor der Akkusativergänzung; dies ist damit zu erklären, dass sie die Funktion des kognitiven Hintergrundes hat (vgl. 3.3) und mit ihrer Voranstellung die präferierte Folge Hintergrund » Vordergrund hergestellt wird.
63. Wortstellung: Valenzgebundene Teile und Positionspräferenzen
Der Formfaktor, nach dem pronominal realisierte Ergänzungen präferiert vor nominalen stehen, interagiert teils koalierend, teils konkurrierend mit den valenzbasierten Faktoren, und zwar hinsichtlich des Subjekts (das sich damit wiederum als prominente Ergänzung erweist). Im koalierenden Fall (Esub als strukturell höchste Ergänzung in pronominaler Form) ist die Erststellung des Subjekts fest: (41) dass er dem Freund das Buch gibt (41’) *dass dem Freund er das Buch gibt Im konkurrierenden Fall ist die der Regel PRON » NP folgende Nachstellung des Subjekts variabel; ein nominales Subjekt kann ⫺ insbesondere wenn es Träger der AGENSRolle ist ⫺ die Position eines pronominalen einnehmen: (42) dass ihm Fritz das Buch gibt (42’) dass Fritz ihm das Buch gibt (42”) dass Fritz es ihm gibt Angesichts dieser uneinheitlichen Wirkung des Formfaktors erscheint es generell zweifelhaft, ob formbezogene und strukturbasierte Hierarchien relativ zueinander geordnet werden können (vgl. Siewierska 1988, 83; auch Müller 2000, 257 hält die „direkte … Implementierung dieses Faktors“ für „nicht unproblematisch“). Stellungsfeste und stellungsvariable Einheiten verteilen sich im Mittelfeld in charakteristischer Weise. Absolut stellungsfeste Einheiten etablieren feste Positionen an den Mittelfeldrändern. Im linken Randbereich, der so genannten „Wackernagelposition“, geschieht dies durch die schwachen Pronomina, die ein ‘Cluster’ bilden und keine anderen Einheiten, auch keine nicht-valenzgebundenen Teile (Angaben), zwischen und vor sich erlauben; der rechte Randbereich ist fest für die absolut verbnächsten prädikativen Einheiten reserviert. Es entsteht so, angelagert an die Satzklammer, eine zweite positionelle Klammer, innerhalb derer sich die stellungsvariablen Einheiten um eine Mittelfeldachse herum ordnen. Zur zentripetalen Organisation des Mittelfelds unter topologischem Aspekt vgl. GDS (1997, 1557 f.; 1560), zur (informations)strukturellen Funktion der Klammerbildung Eichinger (1995, 219 f.; 1999). 4.2. Zur Modellierung der Interaktion Da unstrittig ist, dass die Wortstellung multifaktoriell bestimmt ist, und die relevanten Daten weitgehend bekannt sind, konzentriert
871
sich die Diskussion in letzter Zeit hauptsächlich darauf, wie die Interaktion der Faktoren zu modellieren ist. Es ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Faktoren nicht alle in die gleiche Richtung wirken (vgl. 4.1); so verbietet sich die Annahme einer allgemein gültigen ‘Grundfolge’ als Ergebnis des Zusammenwirkens aller Faktoren: es kann „keine absolut unmarkierte Abfolge geben, sondern immer nur eine unmarkierte Abfolge relativ zu einer bestimmten Präferenzregel mit genau einem determinierenden Faktor bzw. Parameter“ (Primus 1996, 58). Die Interaktion ist vielmehr als eine Art „Wettbewerb“ zwischen den einzelnen Abfolgeregeln bzw. Faktoren zu sehen. Die vorliegenden Wettbewerbsmodelle (im weiteren Sinne) unterscheiden sich grob danach, ob in ihnen alle Einzelfaktoren gleichzeitig interagieren oder ob vorgängig zwischen Typen von Faktoren (etwa formbezogenen, strukturellen, text-/diskursbasierten Faktoren) unterschieden wird. Dieser Ansatz findet sich z. B. in der Wortstellungskomponente der GDS (1997); dort werden die grammatisch determinierte Linearstruktur und die kommunikative (informationsstrukturelle) Gliederung zunächst getrennt gehalten und dann aufeinander bezogen, wobei sich charakteristische Zuordnungen ergeben, die aber nicht grundsätzlich hierarchisiert werden. Auch Primus (1996) unterscheidet zwischen grammatisch und pragmatisch bestimmten Abfolgen und setzt den Wettbewerb der Faktoren zunächst nur auf der grammatischen Ebene an. In expliziten Wettbewerbsmodellen erscheinen ⫺ nicht notwendig, aber typischerweise ⫺ alle für relevant erachteten Faktoren in einem Set (so z. B. thematische Rolle und (FOCUS bei Uszkoreit 1986, 895), sie werden kumulativ, in der Regel gewichtet, zur Bewertung der Akzeptabilität bzw. Grammatikalität konkreter Sätze herangezogen. Frühe Vertreter solcher Wettbewerbsmodelle sind Uszkoreit (1986), Jacobs (1988), Dietrich (1994); eine theoretische Ausarbeitung der Wettbewerbsidee, die auch zur Behandlung anderer syntaktischer Phänomene dienen kann, ist die in jüngerer Zeit entwickelte Optimalitätstheorie (OT). Sie nimmt an, dass unabhängige, verletzbare Regeln („constraints“, „Beschränkungen“) miteinander konfligieren und dass durch die gewichtete Ordnung der Regeln entschieden werden kann, welche Lösung ⫺ d. h. im Fall der Wortstellung: welche Abfolge in einem Satz ⫺ die „optimale“ ist (vgl. zur Einführung in die OT
872
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Müller 2000). Wortstellungsanalysen für das Deutsche in optimalitätstheoretischem (bisher in der Regel generativ geprägtem) Rahmen sind vor allem Müller (1999; 2000, 238 f.), Haftka (2000) (für den pronominalen Bereich); weitere, insbesondere auch sprachvergleichende Arbeiten werden in Müller (2000, 225 f.) vorgestellt und kommentiert. Es kann bezweifelt werden, dass Wortstellungsverhältnisse mit der Annahme, nur eine Abfolge sei jeweils „optimal“, d. h. grammatisch, empirisch adäquat zu erfassen sind. In dem erweiterten OT-Ansatz Müller (1999) wird deshalb das Optimalitätskonzept aufgespalten in Grammatikalität und Unmarkiertheit (wobei Grammatikalität ein komplexes System von bereits intern geordneten Regeln darstellt). Damit wird letztlich die Auffassung bestätigt, dass bei der Wortstellungsdetermination heterogene Faktoren wirksam sind, die nicht direkt hierarchisch geordnet werden können. So zieht Müller (2000, 257) den Schluss, „daß eine Behandlung der freien Wortstellung im deutschen Mittelfeld in der Optimalitätstheorie zwar keineswegs unmöglich ist, daß sich eine solche Analyse jedoch nicht in so offensichtlicher Weise anbietet, wie man das vielleicht auf den ersten Blick vermuten mag“.
5.
Literatur in Auswahl
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Ursula Hoberg, Mannheim (Deutschland)
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64. Wortstellung: textfunktionale Kriterien 2. 3. 4. 5.
Grundreihenfolge Inversion Umstellungen im Mittelfeld Ausklammerung Literatur in Auswahl
1.
Grundreihenfolge
1.
Die relative Freiheit der Wort- (bzw. Satzglied-)stellung des Deutschen als Möglichkeit für „alternative Reihungen bei gleichbleibendem propositionalem Gehalt“ (Becker/Gutfleisch-Rieck 1994, 247) regelt sich durch das hierarchisierte Zusammenwirken von „Präzedenzprinzipien“ (Jacobs 1988, 19 f.; s. a. Uszkoreit 1986, 890; Dietrich 1994, 41) teils grammatischer, teils semantischer, teils pragmatischer Art. Letztere sind insofern textlin-
guistisch, als sie „bei der Anpassung eines Satzes an den Diskurs“ wirken (Haftka 1996, 132) und für die grammatische Satzstruktur „unter der Deutungsperspektive der ThemaRhema-Gliederung“ eine „sukzessive kommunikative Interpretation“ anbieten (Eroms 1995b, 63). Alternativ zum Begriffspaar von ‘Thema’ und ‘Rhema’ wird zur Beschreibung der funktionalen Satzperspektive ⫺ etwa von Jacobs (1992, 7) ⫺ auch von „Fokus-Hintergrund-Gliederung“ als „Form der kontextuellen Vorgegebenheit“ gesprochen und diese von einer innersatzlich begründeten „TopikKomment-Gliederung“ differenziert. Diese betrifft also die „Gewichtung“ innerhalb der „kommunikativen Minimaleinheit“ ‘Satz’, jene deren Funktion bei der „Text-/Diskursorganisation“ (Hoberg 1997, 1640).
874
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Obwohl „informationsstrukturelle Faktoren auch bei noch so ‘normaler’ Wortstellung wirksam sind“ und deshalb, streng genommen, von einer rein „grammatischen Grundoder Normalwortstellung“ schwer zu sprechen ist (Jacobs 1988, 29; ähnlich Primus 1996, 58; s. a. Scaglione 1981, 151), rechtfertigt sich methodologisch die „Petitio Principii“ (Reis 1986, 157), „zwischen Beschreibung von Strukturen im Ruhezustand potentieller Aktualisierung und ihrem Zustand unter Einwirkung von Aktualisierungsmerkmalen zu trennen“ (Eichinger 1995, 213) und dort eine „kommunikativ unmarkierte Folge“ anzunehmen, wo „Einheiten nach grammatischen Faktoren angeordnet sind“ (Hoberg 1997, 1505). Eine solche ‘stilistisch normale’, „nur von der Grammatik (satzintern) determinierte Grundwortstellung“ (Rosengren 1986, 212) liegt dann vor, wenn ein Satz „bei geeigneter Betonung die meisten möglichen Foki hat, d. h. in den meisten Kontexttypen vorkommen kann“ (Höhle 1982, 141). Diese „Grundstruktur“, wie sie etwa „bei der Texteröffnung und gewöhnlich im einfachen Nebensatz“ (Eroms 1995a, 58) auftritt, ist „durch syntaktisch-hierarchische Prinzipien bestimmt“ (Haftka 1982, 193) und stellt insofern „das syntaktische Echo der Valenz“ (Eichinger 1995, 230) dar, als sich „die Elemente […] nach dem Grad ihrer syntaktischsemantischen Bindung ans Verb“ ordnen: „je enger die strukturelle Relation, desto enger auch die positionelle Relation zum Verb (in Endstellung)“ (Hoberg 1981, 234); „positionsrelevant“ ist deshalb auch „der Unterschied zwischen Ergänzungen und Angaben“ (Engel 1978, 108), also zwischen dem, was (generativistisch gesprochen) „sekundär an VP adjungiert ist“, und „dem, was schon in der D-Struktur in VP steht und dort auch in der S-Struktur repräsentiert ist“ (Haftka 1993, 865). Indem so den (in sich hierarchisch geordneten) Ergänzungen insgesamt ein „Feld der freien Angaben“ (Kindt 1994, 56) gegenüber- bzw. vorangestellt ist, ergibt sich eine „zentripetale Linearstruktur des Satzes“, hingeordnet auf die „Achse“ jener „modalen, in der Regel geltungsmodifizierenden Supplemente“, die „bei der informationellen Gliederung […] die Grenze zwischen Hintergrund und Vordergrund […] markieren“ (Hoberg 1997, 1560; ähnlich Haftka 1999, 9; für die Negation so schon Zemb 1968 u. ö.). Dass in der Grundreihenfolge das Subjekt, wiewohl valenzabhängige Ergänzung, noch vor den Angaben zu stehen kommt, lässt sich „als
eine Art grammatikalisierter Thematisierungsoperation verstehen“ (Eichinger 1995, 218), da „das Subjekt prototypisch thematisch“ ist (Eroms 1992, 4), während umgekehrt die Endstellung des finiten Verbs (im Nebensatz) der prototypischen Rhematizität des Prädikats entspricht. Im konstativen Hauptsatz (sowie in der Ergänzungsfrage) kann sich aus der grammatisch obligatorischen Zweitstellung des Finitums die typisch deutsche Verbalklammer und die seit Drach kanonische Dreigliederung des deutschen Satzes in „topologische Felder“ (Haftka 1993, 848) ergeben: Vorfeld, Mittelfeld, Nachfeld (dazu übersichtlich z. B. Weinrich 1993, 40 f., Hoberg 1997, 1502 f.). Schematisch stellt sich die Grundreihenfolge im Deutschen etwa wie in Abb. 64.1 dar. Vfin subj Subj Temp Loc
Dir Vinf Akk/Präp Dat
Caus Instr Modspr Neg Modv Abb. 64.1: Grundreihenfolge der Satzglieder im Deutschen (nach Eichinger 1995, 230)
Im Folgenden werden durch „kontextuelle Einbettung“ (Eroms 1995a, 65) bedingte Abweichungen von dieser Grundstruktur besprochen. Dabei geht es (in 2) um „Inversion“, von der das Vorfeld betroffen wird, (in 3) um Umstellungen im Mittelfeld, die man in generativistischer Terminologie als scrambling bezeichnet, sowie (in 4) um „Ausklammerung“, d. h. Verlagerung von Konstituenten ins Nachfeld. Unberücksichtigt bleiben die Abfolge von Attributen in Nominalphrasen (dazu etwa Eichinger 1991 und 1993) sowie die in koordinativen Erweiterungsgruppen, wo „Stellungsfreiheit grundsätzlich“ und universal gilt (Jacobs 1988, 13), vgl. (Dänemark,) klein, aber schön ⫽ schön, aber klein (W. Höfer).
2.
Inversion
Vorfeldbesetzung durch das Subjekt ist nicht nur in der Grundreihenfolge (von Texteröffnungssätzen) der Normalfall (Eroms 1995c, 1540), sondern hat auch in Textfortsetzungssätzen gegenüber der „alternative[n] Besetzung des Vorfelds durch Konstituenten aus dem Mittelfeld“ (Rosengren 1993, 251) ein
64. Wortstellung: textfunktionale Kriterien
relatives Übergewicht, wobei freilich im Einzelnen nach Textsorte zu differenzieren bleibt (dazu etwa Winter 1961, 203; Gadler 1982, 162; Dietrich 1994, 39). Textfunktional lässt sich Inversion unter zwei Aspekten betrachten: einerseits unter dem der ‘topikalisierten’ (d. h. ins Vorfeld versetzten) Konstituente (2.1), anderseits unter dem des ins Mittelfeld verschobenen Subjekts (2.2). 2.1. Was die Topikalisierung von Nicht-Subjekt-Konstituenten betrifft, ist prinzipiell zu unterscheiden zwischen Thematisierung (2.1.1) ⫺ die auch kontrastiv sein kann (2.1.2) ⫺ und der herkömmlicherweise als „Ausdrucksstellung“ des „Emphasesatzes“ (Erben 1972, 270) bezeichneten Rhematisierung (2.1.3) des „kommunikativ wichtigsten Satzglied[s] im Vorfeld“ (Duden 1998, 860). 2.1.1. Wegen der freien Besetzbarkeit des Vorfelds gilt „das Deutsche im Gegensatz zum subjektprominenten Englisch als topikoder themaprominent“ (Haftka 1993, 864). „In German, the grammatical principle plays a secondary role in the surface ordering of elements, and a theme-rheme sequence may be achieved simply by fronting“ (Kirkwood 1978, 237). 2.1.1.1. So können auf einen Referenten bezogene kasuelle oder präpositionale Ergänzungen, auch ohne Subjekt zu sein, unauffällig (intonatorisch nicht besonders hervorgehoben) im Vorfeld auftreten, „wenn […] (nach der Schätzung des Sprechers) der Hörer unmittelbar vor der Äußerung begonnen hat, an diesen Referenten zu denken“, z. B. in der Eröffnung eines (Antwort)Briefs wie Lieber Herr X, für Ihre Zeilen danke ich herzlich oder Ihren Brief habe ich mit Freude gelesen oder Ihrer Einladung komme ich gerne nach (Kefer 1989, 265 f., wo für diesen pragmatischen Konstituententyp der Terminus „HAKEN“ vorgeschlagen wird). Auch freie (temporale, lokale, kausale u. ä.) Angaben sind so topikalisierbar als Bezeichnungen einer kontextuell oder situativ bewusstseinspräsenten „Situation, über die etwas ausgesagt werden soll“ (Haftka 1996, 136), z. B. Zu jener Zeit / In derselben Stadt / Aus diesem Grund kam es wieder zu Unruhen. Von solchen thematisierenden Inversionen, deren vorzügliche Satzanschlussfunktion in den Beispielen an den Pronomina jener, derselbe, dieser deutlich wird, muss ein anderer, überwiegend literatursprachlich üblicher Typ
875 unterschieden werden, der in der Topikalisierung von freien Modalangaben (Halbprädikativen) besteht, z. B. Lächelnd trat er dem Freund entgegen. Solche freien Angaben enthalten nämlich durchaus ‘neue’ Information, die allerdings „entbehrt werden kann, ohne dass die Mitteilung im Textzusammenhang entstellt wird“ (Kefer 1989, 363, mit der Bezeichnung „NEBENSACHE“ für diesen Typ). Es handelt sich um eigene Prädikationen, die in einen selbständigen Satz umformbar und als solcher dem Matrix-Satz eher beidenn untergeordnet sind: ihrerseits selbst parataktisch erweiterbar, können sie auch als eigene Tongruppe „Erläuterung und Begründung des nachfolgend Geschilderten“ sein (Erben 1972, 177), z. B. Hager und hart, war sie selbst ein lebender Paragraph geworden. (Nicht zu verwechseln mit kontrastiv hervorhebender Thematisierung; s. u. 2.1.2). Ähnlich funktionieren topikalisierte satzadverbiale Angaben, z. B. Leider / Vielleicht regnet es (‘Es ist leider/vielleicht der Fall, dass es regnet’; s. a. 3.4.2). 2.1.1.2. Wegen seiner transphrastischen Funktion als Satzanschlussstelle gibt es beim Vorfeld „syntaktische Präferenzen“ für pronominale Besetzung, also für Subjektspronomina oder ⫺ bei Inversion ⫺ „für Demonstrativa in Objektfunktion“ (Haftka, 1989, 82), die als Anadeiktika gegenüber anaphorischen Personalpronomina vor allem bei neu eingeführten Themen vorgezogen werden (Koller 1984, 34; Hoffmann 1997, 558), vgl. (Zu diesem Fest erschien auch mein Bruder.) Den hatte ich seit 5 Jahren nicht mehr gesehen gegenüber (Mein Bruder erschien zu diesem Fest.) Ihn hatte ich seit 5 Jahren nicht mehr gesehen. Im Neutrum ist die Topikalisierung des akkusativischen Personalpronomens (es) sogar ungrammatisch und das Demonstrativum (das, dies) obligatorisch: (Schwester Irma erhob sich.) Das / Dies / *Es tat sie mit einer rührend verhaltenen Bewegung (Bspe modifiziert nach Engel 1988, 330). Von dieser textsyntaktischen Funktion der ‘d-Wörter’ als satzverbindendes Vorfeld-Element leiten sich ja die Relativa der, die, das ab, sowie die Brauchbarkeit bestimmter Adverbien (deshalb, da u. ä.) als ‘Konnektoren’. Satzintern lassen sich „die der VP vorausgehenden Pronomina so interpretieren, als legten sie (gegebenenfalls zusammen mit dem Subjekt) so etwas wie die ‘referentielle Basis’ für die folgende Prädikation fest“ (Lenerz 1993, 145).
876
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Zu erinnern ist im Zusammenhang von Inversion bei pronominaler Vorfeld-Besetzung auch an die Interrogativa (‘w-Wörter’) mit ihren pragmatischen und textlinguistischen Charakteristika (Illokutionsanzeige; Kataphorik) sowie an die Besonderheit des (nominativischen) „expletiven es“, das „in V-2-Sätzen oft die einzige Möglichkeit“ bietet, „das Subjekt in die gewünschte Spätposition zu bringen“ (Hoberg 1997, 1567), etwa in Ankündigungen wie (…). Es spielen die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von NN.
Derart „markierte Thematisierung“ durch Topikalisierung „eine[r] rhematische[n] Einheit, die in einem unmarkierten Satz im Hauptfeld stehen müsste“ (Haftka 1981, 755), ist auch ohne kontextuelle Kontrastivierung möglich und dann textsortenspezifisch für Schlagzeilen bzw. Kurznachrichten, z. B. Eine Konjunktu´rveränderung meldet die deutsche Bu´ndesbank in einem Bericht (zit. nach Kefer 1989, 361, der für diesen Typ den Terminus „TITEL“ verwendet; s. a. Gadler 1982, 162 f.).
2.1.2. Während es sich bei den unter 2.1.1 besprochenen Ergänzungen und Angaben im Vorfeld trotz Inversion um dessen „strukturell unmarkierte Besetzung“ durch „unmarkierte thematische Glieder“ (Hoberg 1997, 1583) handelt, geht es im Folgenden um „markierte Vorfeldbesetzung“ durch intonatorisch hervorzuhebende, i. w. S. „kontrastierte Satzglieder“ (Eroms 1995c, 1540).
2.1.2.2. Bei intonatorischer Markiertheit durch Akzentaufspaltung sind auch syntaktisch auffällige Inversionen möglich, die zeigen, dass „Topik als eine inhärent pragmatische Kategorie zu definieren“ (Molnar 1993, 155) und „das Strukturprinzip ‘Verbzweit’, das dem Vorfeld genau eine Position zuweist“, jedenfalls nicht rein syntaktisch zu fassen ist: „Das Vorfeld enthält eine Informationseinheit […] aber nicht notwendig eine syntaktische Komponente“ (Hoberg 1997, 1639). So sind restriktive Präpositionalattribute ohne ihren Nukleus als kontrastive Themen ebenso allein vorfeldfähig (Doch vor den schnellen Brütern bekam das einflussreiche Gremium A´ngst) wie umgekehrt ein solcher Nukleus ohne Attribut: Klagen wurden innerhalb der Sitzung allerdings nicht nur über Unterversorgung der Schulen mit Lehrern laut (Bspe bei Hoberg 1997, 1608). Auch in „Konstruktionen, in denen eine Nominalphrase und der dazugehörige Quantifizierer diskontinuierlich auftreten“ (Büring 1994, 92), ‘stranden’ die floating quantifiers im Mittelfeld, während die dazugehörigen NP durch Inversion kontrastiv thematisierbar sind: Die Geschenke (, die) hat der Lehrer alle den Kindern gegeben. Wohl noch häufiger ist dieser Stellungstyp bei indefiniten NP (z. B. EC-Geldautomaten gibt es mittlerweile 48 000 in 15 Ländern), besonders mit (bereichsuneingeschränkter) Konstituentennegation von Ergänzungen (Fe´hler hat er ke´ine ge´ ft wäscht der sich nı´cht macht) oder Angaben: O (Britting; zu unterscheiden von bereichseingeschränkter Negation bei unbetontem Topik: Oft wäscht er sich nicht ‘es ist oft der Fall, dass er sich nicht wäscht’; dazu Hoberg 1997, 1574 f. und 1611 f.). Schließlich können bei intonatorischer Hervorhebung auch „Verbalkomplexteile“ durch Inversion ins Vorfeld kommen (Hoberg 1997, 1620 f.), die weniger oder mehr als
2.1.2.1. Charakteristisch für derartige Satzglieder ist, dass sie zwar eine, aber „nicht die letzte stark betonte Silbe des Satzes“ enthalten und somit eine eigene Tongruppe (mit progredienter Intonation) konstituieren (Kefer 1989, 233), was durch syntaktische Herausstellung als casus pendens noch verdeutlicht werden kann. Man spricht auch von „Akzentaufspaltung“ (ebda), „intonatorische[r] Aufspaltung“ (Hoberg 1997, 1570) oder „sekundärer“ Betonung“, die das Topik dann erhält, „wenn es auf etwas referiert, was nicht unmittelbar vorerwähnt ist“, z. B. Gu´te Witze (, die) nahm ihm sicher keiner ernsthaft übel (Haftka 1996, 139, Bsp. modifiziert). Von einem „kontrastiven Thema“ kann dabei insofern gesprochen werden, als dessen Betrachtung „unter einem bestimmten Gesichtspunkt“ voraussetzt, dass im Kontext Alternativen „explizit oder implizit unter demselben Gesichtspunkt betrachtet werden“ (Kefer 1989, 227), z. B. In gewı´sser Hinsicht haben Sie re´cht (‘aber in anderer Hinsicht nicht’, Bsp. nach Engel 1988, 36) oder (Dabei hab ich bloß gesagt: Ich kenne den Jud.) Die Wa´hrheit wird man in Andorra wohl noch sa´gen dürfen (Frisch, zit. nach Kefer 1989, 229; insinuierte Alternative: ‘wenn das Lügen schon verboten ist’). Durch Inversion kontrastiv thematisierbar werden auf diese Weise sogar prototypisch rhematische Prädikative, z. B. („Dann sind sie also frei?“ fragte sie.) „Ja, fre´i bı´n ich“, sagte Karl (, und nichts schien ihm wertloser) (Kafka).
64. Wortstellung: textfunktionale Kriterien
eine primäre Satzkonstituente umfassen, z. B. Präfixe (A´uf geht die Sonne heute um 6.36 Uhr (, u´nter um 17.50 Uhr)) oder infinite Vollverbformen samt Ergänzungen bzw. Angaben, z. B. (mit kontrastiver Thematisierung) (Heppenheims Brandschützer probten am Mittwoch abend den Ernstfall. Viele Bürger aber glaubten an eine wirkliche Katastrophe […]) Das Herz in die Hose gerutscht ist auch einer Hausfrau … oder (als ‘Titel’) Trotz des schlechten Wetters gut besucht war am vergangenen Wochenende die Jubiläumslokalschau zum 90jährigen Bestehen des Kleintierzuchtvereins (Bspe nach Hoberg 1997, 1630 und 1634). Mit Vorliebe wird diese Inversion in Passivkonstruktionen zur kontrastiven Thematisierung des partizipialen Vollverbs genutzt (z. B. (… wieviele Werft- und Hafenarbeiter im benachbarten Gdynia erschossen wurden, als Mitte Dezember 1970 die Miliz und Armee der Volksrepublik Polen Befehl erhielt, auf streikende Arbeiter zu schießen.) Denn gescho´ssen und getro´ffen wu´rde. Grass), häufig in Verbindung mit rhematischer Negation in Eindrucksstellung, z. B. Gese´hen worden ist er nı´e (Doderer) oder Gesche´nkt wird ihm nı´chts (Döblin). 2.1.3. Nicht mit dieser betonten Vorfeldbesetzung zu verwechseln ist die „affektbedingte Bedarfsstellung“ (Erben 1972, 146) bei emphatischer Topikalisierung rhematischer Konstituenten wie Ge´ld hat sie gefunden! Dem Va´ter / An den Va´ter hat er geschrieben!? De´in ist mein ganzes Herz. He´iß muss man die Suppe servieren! (Bspe aus Erben 1972). Hier liegt nämlich keine Themenkontrastierung vor, sondern Inversion eines (freilich ebenfalls kontrastiv) fokussierten Rhemas, wobei in stilistischer Absicht gegen das „Präzedenzprinzip HINTERGRUND < FOKUS“ (Jacobs 1988, 20: „P5“) verstoßen wird. Allerdings lässt sich diese Abfolge auch als konform betrachten mit einer anderen topologischen Universalie, die ⫺ im Gegensatz zu „the Praguian universal that the given comes first“ ⫺ von Jespersen als „‘principle of actuality’“ postuliert wurde, „restated by Givo´n as ‘attend first to the most urgent task’“ (Haiman 1993, 903). Im Unterschied zu Äußerungen mit kontrastivem Thema (2.1.2) enthält hier „das Fokus-Element die letzte stark zu betonende Silbe des Satzes“ (Kefer 1989, 232). Rein syntaktisch scheinen dabei (abgesehen von ‘gerader’ Wortstellung mit Subjekt im Vorfeld) dieselben Inversionstypen möglich zu sein,
877 nämlich Topikalisierung von Ergänzungen (s. o.) und Angaben (Nı´e sollst du mich befragen), sowie von Verbalkomplexteilen wie Präfix (A´b geht die Post! Bspe bei Weinrich 1993, 75 f.) oder Partizip (Geschwı´egen wurde da (, daß man hätte brüllen können) Innerhofer). 2.2. Inversion ist auch unter dem Aspekt des Subjekts zu betrachten, insbesondere als Möglichkeit seiner Rhematisierung durch Verschiebung in die (Nähe der) Eindrucksstelle am Satzende, etwa wenn es „einen im Rahmen des Textes wichtigen Begriff in den Text einführt“: Größte Aufmerksamkeit verdient eine von Blumenberg im Serum eines Australnegers erstmalig nachgewiesene Serumeigenschaft (Kefer 1989, 275: mit dem Terminus ‘NEUER GRUNDBEGRIFF’ für diesen Stellungstyp). Diese Funktion lässt sich gut in Sätzen mit einwertigen Verben beobachten (Hoberg 1997, 1566), z. B. Der bessere Wein wächst auf der rechten Mainseite im Gegensatz zu Auf der rechten Mainseite wächst (ein) besserer Wein. „Auswirkungen auf die Bedeutung“ (Haftka 1999, 10), im Beispiel durch Artikelwahl amplifiziert, ergeben sich bei solchen Inversionen insofern, als „es die referentiellen Eigenschaften eines Elements sind, die für seine Extrahierbarkeit verantwortlich sind“ (Haftka 1989, 102), und „Indefinita scrambeln müssen, wenn sie generisch interpretiert werden sollen, aber nicht gescrambelt werden dürfen, sollen sie existentiell sein“ (Büring 1994, 84); man vgl. Ein Unglück ist schnell geschehen (generisch, gnomisches Präsens) mit Plötzlich ist ein Unglück geschehen (existentiell, Perfekt). Auch als Verschiedenheit in Verbvalenz (Satzbauplan) und -bedeutung lassen sich solche Oppositionen verstehen, z. B. zwischen einem Satz Schlechtwetter ist selten (mit Enom/Subj. und Epräd/adj zum zweiwertigen verbalen Kern sein1 der Bedeutung ‘eine best. Eigenschaft haben’) und seiner Inversion Selten ist Schlechtwetter (mit einem einwertigen verbalen Kern sein2 der Bedeutung ‘existieren’ und selten als freier temporaler Angabe). In Sätzen mit identifizierender Ist-Prädikation kann die Frage, inwieweit Inversion zweier Gleichsetzungsnominative vorliegt, problematisch sein. Abgesehen von Tautologien (Krieg ist Krieg) lässt sich nämlich auch in Äußerungen wie Der Mannschaftskapitän ist NN (als Antwort auf eine Frage wie Wer ist (Wie heißt) der Kapitän?) und NN ist der Mannschaftskapitän (als Klärung des Problems Wer (Welcher der Spieler) ist NN?)
878
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
streng genommen nicht zwischen Subjekt und Prädikatsnomen, sondern nur zwischen Thema und Rhema unterscheiden. Allerdings dürften solche Prädikationen meistens eine (lexikalisch begründete) qualifizierende Komponente enthalten und insofern doch auch syntaktisch nach Subjekt (Gärtner) und Prädikativ (Mörder) ‘gepolt’ sein: Der Gärtner ist der Mörder (gerade Wortfolge, antwortend auf: Und was ist mit dem Gärtner? ⫺) vs. Der Mörder ist der Gärtner (Inversion, als Antwort auf: Und wer ist der Mörder?).
3.
Umstellungen im Mittelfeld
Die Grundreihenfolge (s. o. 1) zeigt insofern eine „valenzbedingte Feldstruktur“, als das Mittelfeld seinerseits durch die Präzedenz ‘ANGABEN < ERGÄNZUNGEN’ „in zwei Felder unterteilt“ ist (Kindt 1994, 54). Diese Abfolge entspricht einerseits der syntaktisch angelegten Rhematizität von Ergänzungen (als durch das Verb in Perspektive zu bringenden Konstituenten), anderseits der systematischen Beziehung zwischen Thematizität und ‘Angabenhaftigkeit’ (im Normalfall der Ellipse thematischer Angaben; s. Koller 1995, 109) und spiegelt somit die für unmarkierte Äußerungen geltende Regel, „dass die thematischen Teile vor den rhematischen zu stehen kommen“ (Eroms 1995a, 63). Im Folgenden geht es zuerst um Umstellungen von Angaben (3.1) und von Ergänzungen (3.2), dann um Verschiebungen zwischen diesen Feldern (3.3) sowie um die Markierung der Grenze zwischen thematischen und rhematischen Konstituenten (3.4). Ausgeblendet bleibt „das Stellungsverhalten der Pronomina im Mittelfeld“ (Hofmann 1994, 5), die als Wortklasse zwar per se textfunktional wirken, deren Bewegung im Satz jedoch als „eine Instanz von Scrambling (XP-Bewegung)“ (Lenerz 1993, 117) auch grammatisch beschreibbar ist. Pronominalisierung als textlinguistisches Verfahren ist freilich ⫺ gerade in gesprochener Sprache ⫺ derart üblich, „dass in Mittelfeldern natürlicher Konversationen kaum jemals mehr als eine Voll-NP realisiert wird“ (Uhlmann 1993, 313). Gegenüber nominalen Konstituenten kommt pronominalisierten in unmarkierten Äußerungen generell Präzedenz zu (Uszkoreit 1986: „principle (e)“ ⫽ Siewierska 1993, 841: „clause (v)“; Jacobs 1988, 20: „P3“).
3.1. Zur Umstellbarkeit von Angaben 3.1.1. Insofern „die lineare Binnenstruktur des Hintergrunds […] für die Gesamtinformationsstruktur irrelevant“ ist (Hoberg 1997, 1564), hat die Umstellung thematischer Angaben keine semantischen Folgen. So können etwa lokale, temporale, kausale u. ä. Angaben ziemlich beliebig gruppiert und als „kontextspezifizierende“ Adverbialia zusammengefasst werden: Er hat gestern auf dem Heimweg wegen seiner Übermüdung einen Unfall verursacht (mit gleichwertigen sechs möglichen Serialisierungen der drei Angaben). Ähnliches gilt für „qualitative“ Modal- und Instrumentalangaben, vgl. Sie hat vorsichtig mit der Pinzette den Dorn entfernt mit gleichwertigem Sie hat mit der Pinzette vorsichtig den Dorn entfernt. In dem Maße, als sogar die Abfolge kontextspezifizierender und qualitativer Angaben frei ist, lässt sich hier von einer ‘Grundfolge’ eigentlich nicht sprechen: Er hat an jenem Tag mit dem neuen Wagen einen Unfall verursacht gegenüber Er hat mit dem neuen Wagen an jenem Tag einen Unfall verursacht. Allenfalls könnte „nach dem Kontextbezug“ (Eroms 1995a, 57) Wiederaufnahme die Voranstellung begünstigen, doch insgesamt zeigt sich, „dass bei Verschiebungen primärer und sekundärer H[intergrund]-Einheiten die kommunikativ unmarkierte Folge erhalten bleibt“ (Hoberg 1997, 1564). 3.1.2. Bedeutungsdistinktiv kann allerdings die relative Stellung quantifizierender Angaben sein, man vgl. Er ging jeden Tag lange spazieren gegenüber Er ging lange jeden Tag spazieren (Bsp. bei Hoberg 1997, 1536) oder „Unsere schöne Frau tanzt leidenschaftlich gern. Übrigens [tanzt sie] auch gern leidenschaftlich.“ (Kästner). Während im ersten Satz nur tanzen im Skopus des i. w. S. quantifizierenden (rhematischen) Adverbs gern steht (zu dem leidenschaftlich Attribut ist), umfasst im zweiten Fall der Skopus von thematischem gern die Phrase leidenschaftlich (tanzen), also [[[leidenschaftlich] gern] tanzen] vs. [gern [[leidenschaftlich] tanzen]]. (Zur Stellung existimatorischer u. ä. Angaben s. u. 3.4). 3.2. Zur Umstellbarkeit von Ergänzungen Deutlicher als für die valenzunabhängigen Angaben ist für die valenzbedingten „Partizipanten jedes Verbs […] eine bestimmte lineare Anordnung bestimmt“, „die überall dort erscheint, wo sie nicht durch eine kon-
64. Wortstellung: textfunktionale Kriterien
textbedingte Thematisierung entstellt wird“ (Sgall 1982, 68). Satzbaupläne haben also eine topologische Struktur, die „die DS-Reihenfolge widerspiegelt“, während „alle anderen Reihenfolgen Abwandlungen dieser Grundreihenfolge oder Transformationen“ sind (die „in neueren Arbeiten auch ‘Scrambling’“ genannt werden) (Haftka 1993, 863). 3.2.1. Wenn die syntaktische Grundabfolge „die Thetahierarchie im Lexikon“ widerspiegelt, bedeutet dies, „dass sie verbspezifisch bzw. verbgruppenspezifisch ist“ (Rosengren 1994, 180). Dies lässt sich an dreiwertigen Verben mit dativischer und akkusativischer Ergänzung (außer dem Subjekt) gut exemplifizieren: gemäß dem allgemeinen „Präzedenzprinzip“ „DATIV < PATIENS“ (Jacobs 1988, 19: „P2“) haben Sätze mit „Transaktionsverben“ wie geben die Grundfolge Edat < Eakk (z. B. Er schenkt Luise das Buch); demgegenüber ist für andere Verben oberflächlich gleicher Valenz (etwa „relationale“: Hoberg 1997, 1567), bei denen allerdings nicht die Dativ-Ergänzung prototypisch einen (personalen) EMPFÄNGER bezeichnet, sondern der Akkusativ mit einer Personenbezeichnung besetzt werden kann, die umgekehrte Abfolge normal, z. B. (Es ist ein Skandal), dass man das Kind dieser Kälte ausgesetzt hat (s. Dürscheid 1994, 134); die beiden Abfolgen in einem authentischen Beleg: Dürfen fünf Partner einer Gemeinschaft dem sechsten Mitglied ihren Willen aufzwingen? Oder darf einer die anderen fünf seinem Willen unterwerfen? (Hoberg 1997, 1517). Werden solche Sätze nun derart „an den Kontext oder die Sprechsituation angepasst“ (Haftka 1999, 8), dass man die personenbezeichnende Ergänzung als Rhema fokussiert (was komplementär die Kennzeichnung der nicht-personalen Größe als „Hintergrundinformation“ impliziert, Hoberg 1997, 1569 f.), ergibt sich die jeweils umgekehrte Abfolge der Ergänzungen: Dass man dieser Kälte ein so kleines Kind ausgesetzt hat! bzw. Ich erteile nunmehr das Wort dem Abgeordneten Dorn (authentischer Beleg Nr. 160 bei Rosengren 1993) oder Arbeit dem Menschen anpassen ⫺ nicht umgekehrt (authentisches Beispiel bei Hoberg 1997, 1569, aus dem auch deutlich wird, dass bei gewissen Verben die Vergabe der Kasus-Rollen mit wahrheitsfunktionalen Folgen variiert werden kann, etwa: seine Frau dem Chef oder den Chef seiner Frau vorstellen). Irrelevant ist hingegen die relative Reihenfolge von Eakk und Edat, wenn beide thema-
879 tisch sind, sodass für diesen Fall die Frage, „ob es innerhalb der Grund-WS freie Varianten (Positionsvertauschungen ohne Bedeutungsänderung) gibt“ (Kindt 1994, 56), wohl zu bejahen ist; „für thematische NP ist jede Abfolge möglich“ (Lange 1979, 246), vgl. z. B. Emma hat dem Studenten das Auto nicht geliehen ⫽ Emma hat das Auto dem Studenten nicht geliehen. 3.2.2. In ähnlicher Weise wäre auch bei anderen Satzbauplänen mit mehr als einer kasuellen oder präpositionalen (auch adverbialen) Ergänzung (außer dem nominativischen Subjekt) deren Umstellbarkeit mit der Funktion (bzw. dem Effekt) zu zeigen, dass gegenüber der Grundfolge nach links verschobene Konstituenten als „GEGEBENE SATZGLIEDER“ (Kefer 1989, 330) Hintergrundinformation thematisieren (z. B. Ich glaube, dass den Porsche unser Chef fährt oder Er hat dorthin einen Stuhl gestellt), während die nach rechts verschobenen als Rhemata in der Eindrucksstelle fokussiert werden können. Bei letzteren dürfte es sich oft um Bezeichnungen neu in den Text eingeführter Größen handeln, die dementsprechend als indefinite Nominalphrasen erscheinen wie in den meisten der folgenden (nach den Satzbauplänen in Duden 1998 nummerierten) Beispiele: Man verdächtigt dieser Diebstähle eine der Kassiererinnen (Nr. 12), Sie wählten zu ihrem Präsidenten einen Außenseiter (Nr. 13), Sie steckte in sein Sakko eine rote Rose (Nr. 14), Man verwende als Fond klare Rindssuppe (Nr. 16), Sie nannte ‘Hasi’ alle ihre Ehemänner (Nr. 19), Er erzählte von dem Vorfall einigen Journalisten (Nr. 21), Er rächte sich für diese Schmach an vielen Unbeteiligten (Nr. 23), Man hat den Kopf einem Falschen gewaschen (Nr. 33). Es zeigt sich hier (etwa in Nr. 13 oder 21), dass sogar Präpositionalobjekte, „for which the verb is subcategorized“, bezüglich ihrer (in der Grundfolge anzunehmenden) Verbadjazenz keineswegs „unaffected by interfering influences“ bleiben (so Abraham 1986, 34), sondern sehr wohl unter der Bedingung der Thematizität nach links verschiebbar sind, um Akkusativ oder Dativ als Rhemagipfel in die Eindrucksstelle zu bringen. Nur in Bezug auf Pertinenzdative scheint diesbezüglich eine Beschränkung zu bestehen, was angesichts des semantischen Teil-Ganzes-Verhältnisses der entsprechenden Bezeichnungen textlinguistisch plausibel ist: ?Der Wagen fuhr über den Fuß einem Mann (Nr. 35; noch komplexer sind die Ver-
880
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
hältnisse bei Satzbauplan Nr. 36, wo sich durch syntaktisch ‘generierte’ Adjazenz von Edat und Edir die weniger „übliche“ Abfolge Akk < Dat ergibt: Er warf den Handschuh der Dame ins Gesicht statt Er warf der Dame den Handschuh ins Gesicht; Duden 1998, 701).
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3.3.1. Rechtsverschobene rhematische Angaben sind intonatorisch fokussiert. Durch die Starktonigkeit einer solchen Konstituente kommt zum Ausdruck, dass „(nach der Schätzung des Sprechers) von einem Gesprächspartner ein Satz S’ präsupponiert wird, der mit dem Satz S bis auf die Tatsache identisch ist, daß K durch eine ihm semantisch superordinierte Variable X ersetzt wird“ (Kefer 1989, 217, mit dem Terminus ‘FOKUS’ für diesen pragmatischen Satzgliedtyp), also z. B.: Karl hat gestern das Auto verliehen J Karl hat das Auto ge´stern verliehen (, nicht sonst irgendwann). Allerdings muss es bei diesem „einfachsten Fall von Verschiebungen ohne Sachverhaltsänderung“ nicht unbedingt zu dieser „starken Rhematisierung“ (Kindt 1994, 61) der Angabe kommen, wie die folgende, ebenfalls mögliche Intonation zeigt, bei der nur der Verbalbegriff durch Fokussierung rhematisiert wird: Karl hat das Auto gestern verlı´ehen! Hier wirkt also an der Abfolge E < A die Rechtsverschiebung der Angabe nur indirekt textfunktional, insofern sie die eigentlich wichtige Linksverschiebung der Ergänzung (s. u. 3.3.2) impliziert: diese aus dem möglichen Fokusbereich der VP heraus nach links zu verschieben, ist dann möglich, wenn „sie einen Referenten hat und der Hörer (nach der Einschätzung des Sprechers) unmittelbar vor der Äußerung an diesen Referenten denkt“ (Kefer 1989, 236, mit dem
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3.3. Umstellung von Ergänzungen und Angaben Die Grundfolge ‘Angabe < Ergänzung’ sowie der kommunikative Effekt ihrer Umstellung lässt sich an Konstituenten derselben semantischen Kategorie besonders gut beobachten, vgl. Das Verb steht im Aussagesatz an zweiter Stelle J Das Verb steht an zweiter Stelle im Aussagesatz (mit lokaler E/A) oder N.N. verhält sich menschlich wie ein Schwein, aber (er verhält sich) klug als Politiker (modale E/A). Entstehen können so „schwach markierte Folgen“ (Hoberg 1997, 1564) mit (oft) rhematisierter (rechtsverschobener) Angabe (3.3.1) bzw. thematisierter (linksverschobener) Ergänzung (3.3.2).
Terminus ‘GEGEBENES’ für diesen Typ; nur nebenbei sei angemerkt, dass Kefers ‘FOKUS’-Begriff nicht gleichzusetzen ist mit dem intonatorischen Begriff der Starktonigkeit und dass es dementsprechend für ihn durchaus „Sätze ohne Fokus gibt“ [Kefer 1989, 224]; der Unterschied zwischen ⫺ in diesem Sinne: FOKUSlosem ⫺ Karl hat das Auto gestern ver lı´ehen. und Karl hat das Auto gestern verlı´eh en! ⫺ mit FOKUS ⫺ ist mit dem zweidimensionalen Modell von Issatschenko/Schädlich 1970 auch prosodisch gut beschreibbar als ‘prä-⫽postiktisch fallender Tonbruch’). 3.3.2. Unter dem Stichwort ‘Scrambling’ wird die Linksverschiebung von „Phrasen, die auf Individuen referieren, die im unmittelbar vorangehenden Kontext oder in der Gesprächssituation schon ‘gegeben’ sind, und deshalb als für den Hörer bewusstseinspräsent und in diesem hörerbezogenenen Sinne als ‘thematisch’ angesehen werden“ (Haftka 1996, 133), besonders von der generativistischen Forschung viel diskutiert. Dass die Chefin den Leuten diesen Mann angeblich gestern charmant vorstellte (Haftka ebda), illustriert mit der Präzedenz E < A, wie ‘gescrambelt’ wird „um […] ganz bestimmte informationsstrukturelle und semantische Effekte zu erzielen“ (Rosengren 1994, 182), und „dass es sinnvoll ist, diese Linksverschiebung kontextgebundener Konstituenten nicht einfach als stilistisches Phänomen aus der Syntax auszuschließen, sondern sie in die Syntax zu integrieren“ (Haftka 1989, 74). Im gegebenen Beispiel handelt es sich um definite NP, die „aus der VP herausscrambeln“ (Büring 1994, 80), was sich textlinguistisch mit ‘Vorerwähntheit’ von deren Referenten erklärt und der „Präzedenzregel: ‘Erhalt’ < ‘Wiederaufnahme’ < ‘Neu’“ (Becker/ Gutfleisch-Rieck 1994, 251; ähnlich Dietrich 1994, 41) entspricht. Nominalphrasen mit bestimmtem Artikel gehören ja prototypisch dem Hintergrundbereich an. Es gibt jedoch auch eine bemerkenswerte „Interaktion zwischen Objekt-Scrambling und der Interpretation von indefiniten DPen“ (Büring 1994, 83), vgl. (Er ist ganz nett,) nur dass er zu oft Witze erzählt mit (Er ist ganz nett,) nur dass er Witze zu oft erzählt. Während die indefinite NP Witze hier als unverschobene Eakk „einen neuen Diskursrepräsentanten“ (Büring 1994, 83) in den rhematischen Vordergrund stellt, wird sie durch Linksverschiebung zu einer generischen Bezeichnung des Hinter-
881
64. Wortstellung: textfunktionale Kriterien
grundbereichs. Die Deutlichkeit des Bedeutungsunterschieds zwischen diesen beiden Sätzen hat mit dem quantifizierenden Charakter der Angabe (oft) zu tun (s. o. 3.1.2), aber im Prinzip ergibt sich derselbe Effekt auch bei anderen Angaben, z. B. Ich habe Zeitungen natürlich gelesen (modifiziertes Bsp. für ‘GEGEBENES’ bei Kefer 1989, 235, gegenüber unmarkierter Grundfolge Ich habe natürlich Zeitungen gelesen), sowie bei Umstellungen des Subjekts (der Enom): Natürlich brutzelt zu Weihnachten im Ofen eine Gans vs. Natürlich brutzelt eine Gans zu Weihnachten im Ofen (Bsp. leicht modifiziert nach Haftka 1999, 10). Solche Wortstellungsveränderungen haben also insofern „Auswirkungen auf die Bedeutung“ (Haftka ebda), als es einen Unterschied macht, ob Peter an seinem Geburtstag ein Stück Kuchen isst oder ob Peter ein Stück Kuchen an seinem Geburtstag isst (modifiziertes Bsp. nach Büring 1994, 83). Bei Normalabfolge (A < E) bezieht sich die indefinite NP, ‘existenziell’ referierend, auf ein konkretes Kuchenstück, während bei umgekehrter Abfolge (E < A) ein Stück Kuchen ‘generisch’ interpretiert wird (und der Satz somit bedeuten kann, dass der prinzipielle Kuchenverschmäher Peter wenigstens an seinem Geburtstag eine Ausnahme macht). 3.4. Thema-Rhema-Grenze Einen besonderen Status haben bei der funktionalen Satzperspektivierung die satzadverbialen freien Modalangaben, mit denen eine (quasi metasprachliche) Prädikation über die Proposition des Satzes hinsichtlich deren Gültigkeit oder Wert vollzogen wird, etwa mit der Negationspartikel nicht, mit „Kommentaradverbien“ (Duden 1998, 371: zweifellos, hoffentlich u. ä.) oder mit Modalpartikeln (ja, halt u. ä.). Solche Angaben sind dementsprechend im Normalfall (sofern sie nicht kontrastiv akzentuiert werden) weder thematisch noch rhematisch, sondern gehören in eine eigene, dritte Kategorie (von Zemb 1979, 182 als „Prädikator“ bezeichnet). Topologisch sind sie durch ihre große Stellungsfreiheit ausgezeichnet, dank der sie „als Grenzstein zwischen Gegebenem und Neuem in einer Äußerung“ funktionieren und „so eine informationsstrukturelle Markerfunktion“ (Haftka 1999, 9) übernehmen können. 3.4.1. So ist der Negator nicht aus einer unmarkierten Position, die sich mit ‘so weit rechts als grammatisch möglich’ bestimmen lässt (Hoberg 1997, 1552), so weit nach links
verschiebbar, als semantisch oder pragmatisch nötig (Koller 1989, 29 f.). Mittels solcher Verschiebung lässt sich der Wahrheitswert einer Aussage, z. B. ‘dass Kollege A. in Wien diesen Vortrag gehalten hat’, in mannigfacher, kontextuell passender Weise in Abrede stellen, je nachdem, wo der Negator sein „Zuhause“ (Büring 1994, 85) findet: dass Kollege A. in Wien diesen Vortrag gehalten hat Nicht nicht nicht nicht nicht
Abb. 64.2.
Jede dieser syntaktisch möglichen Positionen von nicht hat spezifische kontextuelle Funktion(en): Im Normalfall der Satznegation steht nicht ‘so weit rechts als möglich’, also unmittelbar vor dem verbalen Prädikat (oder bei Kernform des Satzes vor dem infiniten Vollverb); mit der negierenden Äußerung: (Feststeht,) dass Kollege A. in Wien diesen Vortrag nicht gehalten hat wird der präsupponierte positive Satz oder (bei Starktonigkeit von nı´cht bzw. betontem ha´t) eine entsprechende explizite Behauptung insgesamt „polemisch“ zurückgewiesen (Moeschler 1982, 70; dahingestellt bleibe, ob bzw. in welchem Kontext eine solche Negation rein „deskriptiv“ adäquat wäre). Bei Linksverschiebung des Negators geraten weitere Satzglieder in den Skopus der Negation: dass Kollege A. in Wien nicht diesen Vortrag gehalten hat ist dann besonders richtig, wenn damit bezüglich des Themas (‘Kollege A., in Wien’) alternativ zum negierten Rhema (‘diesen Vortrag gehalten haben’) irgendeine andere Tätigkeit behauptet wird (wie ‘eine Sektion geleitet’ oder ‘im Prater spazieren gegangen’). Konstitutiv dafür ist etwa die korrigierende Fortsetzung mit sondern. (Übrigens kann diese Sondernegation bei gleicher Serialisierung durch Fokussierung auch auf den Substantivbegleiter beschränkt werden: nicht dı´esen Vortrag, sondern einen anderen). Wird ⫺ unter weiterer Linksverschiebung des Negators ⫺ gesagt, dass Kollege A. nicht in Wien diesen Vortrag gehalten hat, kommt (auch) die lokale Angabe in den von der Negation betroffenen rhematischen Bereich und das Thema ist nur mehr ‘der Kollege A.’, in Bezug auf den in Abrede gestellt wird, ‘in Wien diesen Vortrag gehalten zu haben’. Insofern die Eakk in diesem Beispiel eine definite NP ist, kann sie ihrerseits als thematisch interpretiert und aus ihrer ⫺ prototypisch
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
rhematischen ⫺ Grundfolge-Position unmittelbar vor dem Verb „über das Satzadverbiale ‘gehoben’ werden, also links vom Satzadverbiale stehen“ (Haftka 1996, 133); das Ergebnis ist eine durch „Fokusverlagerung“ (Hoberg 1997, 1570) deutliche Sondernegation der Alok: Kollege A. hat diesen Vortrag nicht in Wı´en gehalten, sondern in Vancouver. Wenn es dem Sprecher kommunikativ nötig scheint, kann der Negator auch ganz nach links, also ins Vorfeld, etwa vor das dort in Grundstellung topikalisierte Subjekt (Enom), verschoben werden: „als Grenzstein zwischen Gegebenem und Neuem“ (Haftka 1999, 9) funktioniert ein solches nicht an der Satzspitze freilich nicht mehr, denn das Resultat ist eine emphatische Äußerung mit dem Rhemagipfel am Satzbeginn (s. o. 2.1.3) und einem durchgehend thematischen Mittelfeld: Nicht Kollege A´. hat in Wien diesen Vortrag gehalten (, sondern Kollege B). Schließlich ist zu erwähnen, dass nicht sogar antezedent einer Subjunktion möglich ist, z. B. wenn diese einer kontrastiven Sondernegation unterworfen wird: Nicht da´ss Kollege A. in Wien diesen Vortrag gehalten hat, ist bedauerlich, sondern wie! Die hier beschriebenen Möglichkeiten der Sondernegation durch Linksverschiebung des Negators und „Fokusverlagerung“ lassen sich in noch markierterer Form durch „Fokusaufspaltung“ (Hoberg 1997, 1574) in Äußerungen aus zwei Tongruppen mit kontrastivem Thema (s. o. 2.1.2.1) realisieren, z. B. Geha´lten hat Kollege A. in Wien nicht dı´esen Vortrag, sondern einen anderen oder Diesen Vortrag in Wien geha´lten hat nicht Koll. A´., sondern B. u. ä. 3.4.2. Wie sich an dem gewählten Beispielssatz leicht zeigen ließe, funktionieren satzadverbiale Modalwörter (z. B. vielleicht, leider u. ä.) in ähnlicher Weise als stellungsvariable Thema-Rhema-Scheiden wie der Negator, z. B. Kollege A. hat in Wien vielleicht diesen Vortrag gehalten oder Kollege A. hat leider in Wien diesen Vortrag gehalten etc. Im Unterschied zum Negator lassen sich Modalwörter auch problemlos topikalisieren und dadurch der ganze Satz in ihren Skopus bringen: Leider/Vielleicht hat Kollege A. in Wien diesen Vortrag gehalten (s. o. 2.1.1.1). 3.4.3. Schließlich können auch modal-expressive Partikeln wie ja, halt u. ä. durch ihre variable Position im Satz zu dessen kontextueller Einbettung beitragen, vgl. z. B. Kollege
A. hat in Wien diesen Vortrag ja geha´lten (etwa als überraschte Reaktion auf das Gehalten-worden-sein des Vortrags) mit: Kollege A. hat ja in Wien diesen Vo´rtrag gehalten (womit Überraschung auch über Ort und Thema zum Ausdruck kommen kann).
4.
Ausklammerung
Das in der Grundfolge virtuelle Nachfeld konstituiert sich durch „Rechtsadjunktion“ (Haftka 1993, 864) von Konstituenten an das Verb, bzw. durch deren Ausklammerung aus dem verbalen Rahmen, der durch Finitum (in zweiter Position) und Infinitum (am Ende des Mittelfeldes) gebildet wird. Jedenfalls zu unterscheiden ist Ausklammerung i. e. S. vom spezifizierenden oder korrigierenden Nachtrag (Primus 1993, 892) einer im Satz bereits vorher gesetzten Konstituente, wie er mit entsprechender Intonation (Pause) besonders in gesprochener Sprache vorkommt, z. B. Habe ich sie dir gezeigt, die neuen Spielzeuge von Nathalie? (Bsp. bei Kefer 1989, 358). Mehr oder weniger grammatikalisiert ist Ausklammerung zum Zweck der „Informationsentflechtung“ als ein „sprachökonomisches Mittel“, „Information in einem strukturell begrenzten Rahmen so zu gliedern, daß sie überschaubar und verarbeitbar bleibt“ (Hoberg 1997, 1668 f.), z. B. ?Er hat, dass er morgen kommt, gesagt J Er hat gesagt, dass er morgen kommt. Besonders Nebensätze oder andere umfangreiche „sekundäre Komponenten“ werden so ins Nachfeld ausgelagert, wobei sich „das für Aufspaltungen typische zweigipflige Tonmuster“ ergeben kann, z. B. Stefan kann schne´ller laufen als sein Bru´der (Hoberg 1997, 1673) oder (mit Nebensatzstaffel): Er tritt in das Gespräch e´in, ohne eine Pa´use abzuwarten, die ihm den tu´rn zuspielte (umgeformt aus dem stilistisch fraglichen authentischen Beleg: Er tritt, ohne eine Pause, die ihm den turn zuspielte, abzuwarten, in das Gespräch ein [Eichinger]). An solchen Beispielen zeigt sich, wie „die Variation von Rahmenkonstruktion und Ausklammerung“ als „stilistische[s] Mittel“ der „Verständlichkeit oder Eindeutigkeit der Beziehungen“ dienen kann (Eroms 1995c, 1540). Was primäre Satzglieder betrifft, können v. a. in gesprochener Sprache freie Angaben nachtragsweise „generell ins Nachfeld rücken“ (Kindt 1994, 55; ähnlich Sgall 1982, 61), ohne dass die Grammatikalität des Satzes in Frage gestellt würde, z. B. Und ich hab
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64. Wortstellung: textfunktionale Kriterien
so wahnsinnig viel gelernt in der Zeit (authentischer Beleg bei Hoberg 1997, 1672) oder: Bis dahin ist das Geld verbraucht dann (authentischer Beleg bei Kefer 1989, 358; dort auch der Terminus ‘STÜTZE’ für diesen Typ). Solche Nachträge geben thematische Hintergrundinformation und sind deshalb notwendigerweise unbetont, wie z. B. im folgenden (literarischen, aber ich-erzählersprachlichen) Beleg: Den Löwen sah ich nı´cht während dieser Zeit (Meckel; nicht zu verwechseln mit fokussierender Sondernegation der Präpositionalphrase in Eindrucksstelle, also am Schluss des Mittelfeldes: Den Löwen habe ich nicht während dı´eser Zeit gesehen, sondern erst später). In ähnlicher Weise lassen sich v. a. in gesprochener Sprache Belege für nachtragsweise ausgeklammerte (oder eher: spezifizierend nachgetragene) fakultative Ergänzungen finden, etwa Nachdem Moskau zugestimmt hat zu dieser Nachfolge, … (dieses und andere Bspe bei Hoberg 1997, 1672 und 1660). Belege wie Vom ADAC in München ist zu uns nach Baden-Baden gekommen Doktor Johannes Seehum, ein Jurist (Hoberg 1997, 1668) relativieren die Behauptung, „dass für obligatorische Ergänzungen eine Nachfeldposition unzulässig“ sei (Kindt 1994, 50). Besonders Enom (Subjekte) und EPräp (in Passivsätzen) können nämlich dann, wenn sie „einen im Rahmen des Textes wichtigen Begriff in den Text“ einführen (Kefer 1989, 275), sehr wohl „als Schwerpunkt der Gesamtinformation“ und Träger des Hauptakzents (Hoberg 1997, 1672, mit Beispielen) in dieser extremsten Eindrucksstelle erscheinen, z. B. Diese Hypothese wird gestützt durch die Ergebnisse von Abtragungsversuchen an sprechenden Papageien (authentischer Beleg bei Kefer 1989, 275 als Bsp. für ‘NEUE GRUNDBEGRIFFE’). Angesichts solcher Beispiele ist abschließend an den (freilich auch hier nur ansatzweise beachteten) methodischen Vorbehalt zu erinnern, dass es in Wortstellungsfragen „wenig sinnvoll ist, von konstruierten Minimalsätzen auszugehen“ (Eroms 1995a, 56). Gerade die in diesem Artikel thematisierten ‘textfunktionalen Kriterien’ implizieren per definitionem, dass die „Wortstellungsbeschreibung nicht an der Satzgrenze Halt machen“ dürfte, sondern „die Text- und Diskursorganisation immer mit im Blick haben“ müsste (Haftka 1999, 9). Vielleicht hängt es mit dem damit verbundenen Aufwand zusammen, falls tatsächlich „auf dem Gebiet der Wort-
stellungsforschung der letzten Jahre keine wesentlichen Fortschritte“ (Lenerz 1981, 7) erreicht wurden und statt einer textlinguistischen Begründung deutscher Wortstellungsfreiheit wieder „syntactic weight“ als „the major determinant of word order in free word order languages“ ausgemacht wird (Hawkins 1992, 196) ⫺ was „prima facie lediglich eine Präzisierung des Behaghelschen Gesetzes der wachsenden Glieder“ zu sein scheint (Primus 1994, 50; s. a. Behaghels ‘Gesetze’ als Motto in Haftka 1999, 6). Vermutlich dürfte als corpus- wie textlinguistisches Postulat nach wie vor gelten, „that an empirically sound description of partially free word order in any particular language belongs to the class of highly complex linguistic tasks that will not be solved without the extensive use of computers“ (Uszkoreit 1986, 904).
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
65. Infinitivkonstruktionen 1. 2.
6.
Einleitung Syntaktische Funktionen von Infinitiven im Rahmen einer Valenz- und Dependenztheorie Der Infinitiv bei Tesnie`re Zur Kategorisierung valenzabhängiger Infinitive Verbketten, Topologie und Auxiliarproblematik Literatur in Auswahl
1.
Einleitung
3. 4. 5.
1.1. Infinitiv und Infinitivkonstruktion Im Hinblick auf die terminologische Unterscheidung von ‘Infinitiv’ und ‘Infinitivkonstruktion’ ist zunächst festzuhalten, dass ‘Infinitiv’ im Ausgangspunkt ein morphologischer, ‘Infinitivkonstruktion’ dafür ein syntaktischer, dependentiell zu verstehender Terminus ist. Bei Infinitivkonstruktionen ist zwischen internen (nach unten gerichteten) und externen (nach oben gerichteten) Dependenzen zu unterscheiden (vgl. Kap. 3). Durch die internen Dependenzen ergeben sich Valenz und andere Erweiterungsmöglichkeiten von Infinitiven, durch die externen werden die jeweiligen Funktionen von Infinitivkonstruktionen festgelegt. Vgl. (1): (1)
Infinitivkonstruktion: Funktion A [Infinitiv B Erweiterungen]
Ausgehend von den externen Abhängigkeitsbeziehungen ist es üblich, den Infinitiv als ‘Nominalform’ des Verbs zu bezeichnen (vgl. Bußmann 1990, 336). Diese Bezeichnung ist aus synchronischer Sicht insofern problematisch, als Infinitive zum einen für Verben schlechthin kennzeichnende Rektionseigenschaften aufweisen: ein Buch lesen, dem Verfasser danken, und zum anderen bestimmte verbale Flexionseigenschaften haben wie Passivbildung, im Deutschen analytisch: gelesen werden, im Latein synthetisch: amari, im Norwegischen entweder wie im Deutschen analytisch: a˚ bli lest, oder synthetisch: a˚ leses; Perfektbildung: gelesen haben, angekommen sein, im Lateinischen synthetisch: tulisse. In den letzteren Fällen spricht man von Infinitiv Präsens Passiv, Infinitiv Perfekt usw. (Das im Deutschen auffällige Fehlen eines Infinitiv des Futurs, etwa *lesen werden, erklärt sich aus Skopusregularitäten der deutschen Verbkettenbildung; s. Askedal 1991, 9 f.; (81)). Die
Bezeichnung ‘Nominalform’ ist eher etymologisch berechtigt, da Infinitive sich im Allgemeinen aus Verbalsubstantiven zu entwickeln scheinen (vgl. Lehmann 1993, 164 f.). Dem Verständnis des Infinitivs als grundsätzlich verbaler Form entspricht auch die im Deutschen durchgehende Möglichkeit der Substantivierung, d. h. der Nominalisierung: das Lesen, das Bücher-Lesen, das Bücher-lesenWollen usw. Solche Nominalisierungen können wiederum den Ausgangspunkt bilden für Grammatikalisierungen in Richtung auf neue verbale Fügungen. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Progressivperiphrase mit der Präposition an, die standardsprachlich auf nicht erweiterte nominalisierte Infinitive beschränkt ist (2), in Mundarten aber schon im Ergebnis weitergehender Grammatikalisierung verbale Rektion zulässt (3) (Andersson 1989): (2)
Der Bauer war am Ausmisten.
(3)
Der Bauer war den Kuhstall am ausmisten.
1.2. Morphosyntaktisches Welche sprachlichen Formen als ‘Infinitiv’ zu gelten haben, ist aus empirischer Sicht nicht ganz eindeutig, auch wenn sich im Bereich europäischer und anderer Sprachen ein weitgehender deskriptiver Konsens etabliert hat. Im Allgemeinen werden solche infiniten Verbformen als Infinitiv bezeichnet, denen syntaktische Bindung an eine manifeste Subjektkonstituente und dementsprechend Personalendungen (morphologische Kongruenzmarkierung) abgehen (weswegen sich die Frage nach dem ‘logischen’ Subjekt bzw. der ‘Orientierung’ stellt; vgl. Bech 1955, 31⫺42). (Der portugiesische flektierte Infinitiv mit Person- und Numerusendungen, der auf finite Imperfekt Konjunktiv-Formen des Latein zurückgeht, ist ein Sonderfall; vgl. dazu z. B. Parkinson 1988, 154.) Infinitive stehen in systematischer Opposition zu anderen infiniten Verbformen, für die andere Bezeichnungen verwendet werden. (Zu den im folgenden herangezogenen Infinita vgl. Lambertz 1982, 510⫺598.) Es ist hier zunächst auf die Partizipien hinzuweisen, die ⫺ anders als Infinitive ⫺ mit einem nominalen Oberglied (4)⫺(5) oder aber mit einem Subjekt oder Objekt (6)⫺(7) in Genus, Numerus und Kasus kongruieren:
65. Infinitivkonstruktionen
(4)
ein lachendes Kind
(5)
ein auf brutale Weise ums Leben gekommener Mafioso
(6)
Ïrælarnir (Nom.Pl.) hafa lı´klega veriÎ gefnir (Nom.Pl.) konunginum. (Isl., Kongruenz des Partizips gefnir mit dem Subjekt Ìrælarnir) ‘Die Sklaven waren wahrscheinlich dem König geschenkt worden.’
(7)
phı¯gboum (Akk.Sg.) habe¯ta sum giflanzo¯tan (Akk.Sg.) (Ahd., Tatian, Kongruenz des Partizips giflanzo¯tan mit dem Akkusativobjekt phı¯gboum) ‘Jemand hatte einen Feigenbaum gepflanzt.’
Vom klassischen lateinischen Gerundium (8) unterscheidet sich der Infinitiv durch fehlende Kasusflexion und vom Gerundiv(um) (9) ⫺ wie vom Partizip ⫺ durch das Fehlen einer Kongruenzbeziehung zu einem Oberglied bzw. einer modalen Sonderbedeutung: (8)
ars libros recte legendi ‘die Kunst, Bücher richtig zu lesen’
(9)
pacis faciendae causa ‘zum Zweck eines zu schließenden Friedens’
Dem klassischen Gerundium entspricht von den morphosyntaktischen Eigenschaften her der sog. „flektierte Infinitiv“ des Altwestgermanischen, der vor allem im Dativ nach der Präposition ‘zu’ (10) (aber auch nach anderen Präpositionen und im Genitiv) vorkommt und in diesen Umgebungen verbale Rektionseigenschaften hat: (10) habe¯t giwalt in erdu zi furla¯zzenne sunta¯ ‘[Er] hat Macht auf Erden, Sünden zu vergeben.’ Das lateinische Supinum I auf -tum (11) unterscheidet sich semantisch vom Infinitiv durch die Angabe einer Richtung oder eines Zwecks, das Supinum II auf -u (12) durch die Bindung an ein Adjektiv und passivisch-modale Bedeutung: (11) salutatum venire ‘(jmdn.) begrüßen kommen, kommen, (um) (jmdn.) zu begrüßen’ (12) facile intellectu est ‘Es ist leicht zu verstehen.’ Terminologische Probleme können dann entstehen, wenn gewisse Bezeichnungen tradiert werden, die morphosyntaktischen Merkmale bzw. Oppositionen aber, auf denen die Bezeichnungen ursprünglich basieren, inzwi-
887 schen aufgegeben wurden. Somit ist die deutsche infinite Form, die in der Bedeutungsangabe in (8) als Äquivalent der lateinischen Gerundiumform Verwendung findet, nicht als Gerundium, sondern einfach als Infinitiv zu bezeichnen. (Mit Bezug auf die deutsche attributive zu …-end-Form in (9) liegt es aber aufgrund struktureller Gemeinsamkeiten nahe, an der lateinischen Bezeichnung ‘Gerundiv(um)’ festzuhalten.) Ein Beispiel für die synchrone Fragwürdigkeit der auf traditionelle lateinische Bezeichnungen zurückgehenden Terminologie stellt das moderne Westfriesisch dar, das über ein umfassendes, aus sechs verschiedenen Formen bestehendes morphologisches System von Infinita verfügt. Vgl. (13)⫺(18), wo die Termini von Tiersma (1985, 74⫺77, 126⫺130, 134) zur Kennzeichnung der einzelnen Formen verwendet werden: (13) Laitsjende fytsten we nei Lytsewierrum. (Präsenspartizip) ‘Lachend radelten wir nach Lytsewierrum.’ (14) Hy hat meand. (Perfektpartizip) ‘Er hat gemäht.’ (15) Ik sil meane. (Ø-Infinitiv) ‘Ich werde mähen.’ (16) Ik hear har in ferske sjongen. (Ø-Gerundium) ‘Ich höre sie ein Lied singen.’ (17) Doarst do oer de sleat te springen? (teGerundium) ‘Wagst du über den Deich zu springen?’ (18) Hja helle my oer om op de FNP te stimmen. (om … te-Gerundium) ‘Sie überzeugte mich davon, für die Friesische Nationalistische Partei zu stimmen.’ Da beim westfriesischen sog. ‘Gerundium’ in (16)⫺(18) anders als im klassischen lateinischen Fall (8) und beim altwestgermanischen ‘flektierten Infinitiv’, auf den die Formen in (17)⫺(18) zurückgehen, keine Kasusflexion vorliegt, erscheint diese Bezeichnung hier wenig angemessen und wäre eher durch auf dem Terminus ‘Infinitiv’ basierende Bezeichnungen zu ersetzen (etwa jeweils: Ø-, Ø … -(e)n-, te … -(e)n-, om te … -(e)n-Infinitiv). Ein besonderes Problem entsteht dann, wenn bei ursprünglichen Partizipien die kennzeichnende Kongruenzflexion verloren geht und die Formen dann als gleich nichtflektierend wie ursprüngliche Infinitive erscheinen (vgl. Askedal 1995, 107⫺111). Vgl. z. B. das flektierende isländische Partizip (ge-
888
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
fnir) in (6) mit dessen nicht flektierender Entsprechung (geschenkt) in der deutschen Bedeutungswiedergabe. Um derartigen Systemveränderungen gerecht werden zu können, hat Gunnar Bech (1955, 12 f.) ‘Supinum’ als Oberbegriff für die Gruppe derjenigen Infinita eingeführt, die die für Partizipien kennzeichnende adjektivische Kongruenzflexion nicht aufweisen (und auch nicht adjektivische Distribution haben). Für das Deutsche ergibt sich in der Darstellung von Gunnar Bech das „zweidimensionale“ System in (19), das in (20)⫺(28) durch entsprechende Beispiele veranschaulicht wird: (19) 1. Status 2. Status 3. Status
1. Stufe Supinum
2. Stufe Partizipium
lieben zu lieben geliebt
liebend(-er) zu lieben(d-er) geliebt(-er)
(20) Man kann den Park mit einer schönen Landschaft vergleichen. (Supinum im 1. Status) (21) Man pflegt den Park mit einer schönen Landschaft zu vergleichen. (Supinum im 2. Status) (22) Man hat den Park mit einer schönen Landschaft verglichen. (Supinum im 3. Status) (23) der den Park mit einer schönen Landschaft vergleichende Architekt (Partizipium im 1. Status, wegen der pränuklearen Stellung flektiert) (24) der Architekt, den Park mit einer schönen Landschaft vergleichend, … (Partizipium im 1. Status, wegen der postnuklearen Stellung unflektiert) (25) der mit einer schönen Landschaft zu vergleichende Park (Partizipium im 2. Status, wegen der pränuklearen Stellung flektiert) (26) der Park, mit einer schönen Landschaft zu vergleichen, … (Partizipium im 2. Status, wegen der postnuklearen Stellung unflektiert) (27) der mit einer schönen Landschaft verglichene Park (Partizipium im 3. Status, wegen der pränuklearen Stellung flektiert) (28) der Park, mit einer schönen Landschaft verglichen, … (Partizipium im 3. Status,
wegen der postnuklearen Stellung unflektiert) Von den hier veranschaulichten Form- bzw. Distributionsmöglichkeiten werden traditionell die Supina im 1. und 2. Status (20)⫺(21) (bzw. ihre Pendants in anderen Sprachen) als ‘Infinitive’ angesehen. Mit solchen Formen werden wir uns im folgenden vorrangig beschäftigen. Von der morphologischen Form her wäre auch das postnukleare ‘Partizipium’ im 2. Status (26) dazu zu rechnen, was jedoch wegen der deutlich adnominalen Bezogenheit dieser Form unter einem Valenzaspekt weniger nahe liegt. Das Supinum im 1. Status wird häufig ‘reiner Infinitiv’, das Supinum im 2. Status mit vorangestellter Partikel zu gelegentlich ‘erweiterter Infinitiv’ genannt. Letztere Bezeichnung ist in diesem Zusammenhang wenig angemessen und sollte eher mit Bezug auf mit Ergänzungen und/oder Angaben versehene Infinitivkonstruktionen verwendet werden. Infinitivpartikeln (wie dt. zu) gehen allgemein auf Präpositionen zurück. In allen germanischen Sprachen ist eine Präposition verallgemeinert worden (engl. to, isl. aÎ usw.), in anderen Sprachen, wie beispielsweise im Französischen mit a` und de, werden mehr verwendet. In Sprachen der ersteren Art ist die Grammatikalisierung der Infinitivpartikel weiter vorangeschritten, vor allem in denjenigen Sprachen, wo zwischen Infinitivpartikel und Infinitivform kein Element stehen kann und die Infinitivpartikel sich somit als eine Art präfixales Morphem erweist. (Vgl. z. B. Deutsch und Dänisch gegenüber Englisch und Schwedisch; s. Askedal 1995, 106 f.)
2.
Syntaktische Funktionen von Infinitiven im Rahmen einer Valenz- und Dependenztheorie
2.1. Argument- und Prädikatfunktionen In einer Dependenz- und Valenztheorie der seit Tesnie`re (1966) gängigen Art wird der Satz als ein auf Über- bzw. Unterordnungsbeziehungen basierendes hierarchisches Gefüge aufgefasst, deren Hauptkonstituenten (auf Satzgliedebene) der maximal übergeordnete verbale Zentralknoten und die damit verbundenen Aktanten (Ergänzungen) und Zirkumstanten (Angaben) sind. Vor diesem Hintergrund ist zwischen internen und externen Dependenz- und Valenzbeziehungen von Infinitiven zu unterscheiden (vgl. die Ausfüh-
65. Infinitivkonstruktionen
rungen zu (1)). Die internen Beziehungen des Infinitivs sind im Prinzip die gleichen wie bei finiten Verben mit der Ausnahme, dass keine Subjektkonstituente vorhanden ist (s. Kap. 1.2). Im Hinblick auf die externen Beziehungen gilt für die drei Hauptfunktionen Prädikat, Aktant und Zirkumstant aus synchronischer Sicht die Geläufigkeitshierarchie in (29): (29) Aktant > Zirkumstant > Prädikat Der freilich marginale Prädikatgebrauch bezeugt die dominante Eingliederung des Infinitivs in das System der Verbformen. Die in modernen Sprachen größere Geläufigkeit des Aktantengebrauchs gegenüber dem Zirkumstantengebrauch entspricht nicht unbedingt den Verhältnissen in den älteren Sprachen (vgl. Gippert 1978) und ist als Ausdruck der zunehmenden Grammatikalisierung von Infinitiven als Verbformen zu werten. Man vergleiche hierzu den germanischen Partikelinfinitiv (dt. zu-Infinitiv usw.), der ursprünglich eine Art finaler adverbialer Funktion gehabt haben wird, der aber in den modernen Sprachen ganz überwiegend nichtadverbial gebraucht wird (vgl. (35)⫺(41)). Ein besonders hoher Grammatikalisierungsgrad liegt bei denjenigen Infinitiven vor, die zusammen mit einem Auxiliarverb ein komplexes Prädikat bilden (s. Kap. 5.2). Die wegen der Infinitheit und der fehlenden Subjektbindung erwartungsgemäß marginale Prädikatfunktion liegt in Fällen wie (30)⫺(32) vor: (30) Einsteigen! (31) Langsam fahren! (32) Nur nicht frech werden! Im Deutschen wie überhaupt in den modernen europäischen Sprachen ist die Zirkumstantenfunktion gegenüber der Aktantenfunktion weniger geläufig. Am ehesten als Zirkumstant einzustufen ist der sogenannte „finale Infinitiv“ in Fällen wie (33), der jedoch gegenüber entsprechenden durch eine Präposition eingeleiteten Infinitivkonstruktionen wie (34) deutlich zurücktritt: (33) Sie ging Milch und Brot einzukaufen. (34) Sie ging, um Milch und Brot einzukaufen. Bei der heute vorherrschenden Aktantenfunktion kommen Subjekt-, Prädikativ- und Objektfunktionen in Frage. Vgl. (35)⫺(41):
889 (35) Subjekt: Die Stadt zu erobern war nicht einfach. (36) Objekt1 (eines transitiven Verbs): Sie beschlossen, die Stadt zu erobern. (37) Objekt2 (eines ein Präpositionalobjekt regierenden Verbs): Sie bemühten sich, die Stadt zu erobern. (38) Objekt3 (eines genitivregierenden Verbs): Sie klagten ihn an, die Stadt erobern zu wollen. (39) Objekt4 (eines dativregierenden Verbs): Sie stimmten zu, die Stadt erobern zu wollen. (40) (Subjekt und) Subjektsprädikativ: Die Stadt zu erobern hieß, sie gegen neue Angriffe verteidigen zu müssen. (41) (Objekt1 und) Objektsprädikativ: Sie ließen ihn die Stadt erobern. Es fällt auf, dass die beiden in (38) bzw. (39) veranschaulichten Objektfunktionen im Verhältnis zu denen in (36) und (37) zunehmend marginal sind. Bei genitivregierenden Verben dürfte dies durch die Seltenheit von Genitivobjekten im heutigen Deutsch und bei dativregierenden Verben dadurch zu erklären sein, dass Dativobjekte dominant [⫹ menschlich], Infinitive aber wegen ihrer grundsätzlichen Propositionsbezogenheit durchgehend [⫹ abstrakt] sind. 2.2. Korrelate Im Deutschen finden sich neben Konstruktionen wie (35)⫺(41) auch solche wie (42)⫺ (46) mit einem auf den Infinitiv bezogenen pronominalen Element („Korrelat“, „Platzhalter“ mit kataphorischer propositionaler Referenz, s. z. B. ViF 1986, 33): (42) Erst später gelang es ihnen, die Stadt zu erobern. (43) Man überließ es ihm, die Stadt zu erobern. (44) Sie traten dafür ein, die Stadt zu erobern. (45) Sie beschuldigten ihn dessen, die Stadt erobern zu wollen. (46) Sie stimmten dem zu, die Stadt zu erobern. Das Verhältnis zwischen Korrelat und Infinitivkonstruktion bzw. zwischen diesen beiden Einheiten und dem Verb ist unter einem Valenzaspekt problematisch und hat unter-
890
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
schiedliche Beschreibungsvorschläge hervorgerufen (Colliander 1991, insbesondere 14⫺ 19). Erwogen wurden zum einen Analyse als zwei Satzglieder, die dieselbe Ergänzungskategorie vertreten, zum anderen Analyse als syntagmatisch komplexes ⫺ am häufigsten diskontinuierliches ⫺ Satzglied mit dem Infinitiv als Attribut und zum dritten auch Doppelvertretung eines Satzgliedes. Der erste Vorschlag erscheint fragwürdig angesichts des Umstandes, dass morphologische Kategorienverdoppelung im Verein mit semantischer Rollenverdoppelung im sonstigen Valenzsystem wohl unbekannt ist. Gegen den zweiten Vorschlag spricht, dass entsprechende kontinuierliche Attributkonstruktionen entweder unmöglich (47)⫺(48), nur unter besonderen Bedingungen gebräuchlich (49) oder sehr unüblich (50)⫺(51) sind und somit aus empirischer Sicht nicht als Grundlage für den gesamten Korrelatgebrauch in Frage kommen: (47) *Ihnen ist es, die Stadt zu erobern, erst später gelungen. (48) *Man hat ihm es, die Stadt zu erobern, überlassen. (49) Dafür, die Stadt zu erobern, sind sie ohne Zögern eingetreten. (50) ??Sie haben ihn dessen, die Stadt erobern zu wollen, erst später beschuldigt. (51) ?*Sie konnten dem, die Stadt zu erobern, keineswegs zustimmen. Der dritte Vorschlag basiert auf der Annahme einer kataphorischen Referenzbeziehung zwischen pronominalem Korrelat im vorangehenden Matrixsatz und im Verhältnis dazu extraponiertem Infinitivsatz in der stilistisch neutralen Normalabfolge in (42)⫺(46). Dieser Vorschlag kommt am ehesten dem besonderen typologischen Charakter des Deutschen als „Klammer-“ (Weinrich 1993, 33⫺ 87) bzw. Verbendstellungssprache (Eisenberg 1994, 361 f.) mit grammatikalisierter Extraposition satzförmiger Ergänzungen und Angaben entgegen. Der Vergleich von (35)⫺(41) einerseits und (42)⫺(46) andererseits lässt eine Kategorisierungsproblematik sichtbar werden. Die Sätze mit Korrelat in (42)⫺(46) könnten es nahe legen, Infinitivkonstruktionen als besondere Ausprägung der Kasusrektion bzw. PP-Valenz des jeweiligen Verbs und demnach als Nominativ-, Akkusativ-, Genitiv-, Dativ- oder Präpositionalergänzung einzustufen. Demge-
genüber könnten aber korrelatlose Sätze wie (35)⫺(41) eher eine Analyse des Infinitivs als eigenständiger, nicht über die nominale Rektion zu identifizierender Ergänzungskategorie als angemessen erscheinen lassen. In Kap. 4 soll gezeigt werden, dass beide Gesichtspunkte in der neueren einschlägigen Valenzund Dependenzliteratur vertreten sind. Bevor aber auf diese neueren Darstellungen eingegangen wird, sollen die eher traditionellen Sehweisen verpflichteten Gesichtspunkte von Lucien Tesnie`re, dem Initiator der modernen Dependenz- und Valenzlehre, präsentiert werden.
3.
Der Infinitiv bei Tesnie`re
Die Darstellung von Infinitiven und Infinitivkonstruktionen steht bei Tesnie`re (1966, 417⫺439) deutlich im Zeichen der traditionellen Auffassung vom Infinitiv als ‘Nominalform’ des Verbs: „On ne re´pe´tera jamais suffisamment que l’infinitif n’est pas un verbe“ (Tesnie`re 1966, 419; vgl. auch Baum 1976, 118), wobei aber auch die Zwitternatur des Infinitivs als zwischen Verb und Substantiv stehender Mischkategorie („espe`ce interme´diaire entre la cate´gorie du verbe et celle du substantif“; Tesnie`re 1966, 418) hervorgehoben wird. Die Mittelstellung des Infinitivs findet ihre genauere Beschreibung in der Unterscheidung zweier Konnexionsebenen, zum einen der „connexions infe´rieures“ und zum anderen der „connexions supe´rieures“ von Infinitiven (vgl. (1)). Tesnie`res Darstellung der Infinitivsyntax in den beiden Kapiteln über nach unten (interne) bzw. nach oben gerichtete (externe) Konnexionen ist freilich ein Kapitel über Infinitivsätze („proposition infinitive“), verstanden als infinitivischer Knoten („nœud“), vorangestellt, in dem schwerpunktmäßig auf A. c. I.-Konstruktionen und Ähnliches eingegangen wird (Tesnie`re 1966, 421⫺423). Auf der Ebene der internen Konnexionen ist von Abhängigkeitsbeziehungen die Rede, wie sie in Tesnie`res Valenzlehre (s. Tesnie`re 1966, 238 f.) ausführlicher abgehandelt werden. Die Veranschaulichung fällt etwas knapp aus. Genannt werden lediglich zweite Aktanten und darauf bezogene Prädikative (im Akkusativ). Die Exemplifizierung von Zirkumstantenfunktion bleibt auf Angaben der Art und Weise beschränkt (Tesnie`re 1966, 423 f.). Aus dependentieller und morphosyntaktischer Sicht problematisch ist die Einstufung von Caruso in avez-vous entendu chanter Ca-
65. Infinitivkonstruktionen
ruso? als Erstaktant des Infinitivs (Tesnie`re 1966, 423). Tesnie`re fasst allgemein Infinitive als das Ergebnis der Translation der Wortart Verb in die (sekundäre) Wortart Substantiv auf (I > O; Tesnie`re 1966, 417; vgl. auch Tesnie`re 1953, 20; Baum 1976, 119; Lambertz 1985, 224 f.; Lambertz 1991, 69⫺71). Vgl. schon Tesnie`re (1934b, 228): „… l’infinitif n’est autre choˆse que le verbe transfe´re´ en substantif.“ Von den nach oben gerichteten Konnexionsbeziehungen von Infinitiven wird nur der Gebrauch als Erst- und Zweitaktant veranschaulicht (Tesnie`re 1966, 425 f.). Vgl. jeweils (52) und (53): (52) Re´ussir encourage a` perse´ve´rer. (53) Alfred espe`re re´ussir. Die Zirkumstantenfunktion von Infinitiv(konstruktion)en bleibt bei Tesnie`re unberücksichtigt.
4.
Zur Kategorisierung valenzabhängiger Infinitive
In der Valenzgrammatik werden Infinitivkonstruktionen entweder als besondere Realisierungsform einer primär nichtverbalen ⫺ nominalen oder adverbialen ⫺ Ergänzungskategorie oder aber als eigenständige Ergänzungskategorie angesehen (vgl. Kap. 2.2). Das erstere Verfahren kann als ‘analogisierend’, das letztere als ‘nichtanalogisierend’ bezeichnet werden. 4.1. Infinitivkonstruktionen als sekundäre Parallelen zu nominalen Aktanten Eine Mittelstellung zwischen dem analogisierenden und dem nichtanalogisierenden Kategorisierungsverfahren nimmt Erben (1966, 231⫺238) ein, der bei der Darstellung seiner „Satzschemata“ Infinitivkonstruktionen zunächst nicht erwähnt, sie aber später „an Stelle nominaler Ergänzungsbestimmungen“ als „funktionale Zwischeneinheit zwischen Nomen und Gliedsatz“ charakterisiert, die unterschiedliche nominale und adverbiale Positionen besetzen können. Ähnlich werden bei Erben (1972, 257⫺267) „satzgliedwertige Infinitivkonstruktionen“ nicht in die Darstellung der „Satzbaupläne“ bzw. „(verb-)valenzbedingten Grundmodelle“ einbezogen. Trotz der grundsätzlichen Bezugnahme auf Bechs (1955) Statusrektionsbegriff ist etwa wie bei Erben (1966) vom „Einsetzen … in die Position des Objekts, insbesondere des Akkusa-
891 tivobjekts“ die Rede (Erben 1972, 300 bzw. 303), wodurch sich ein analogisierendes Verfahren andeutet. Ein besonders konsequenter Vertreter der analogisierenden Sehweise ist Ulrich Engel, der etwa ab 1970 bei der Kategorisierung „satzförmiger Ergänzungen“ ein Anaphorisierungsverfahren praktiziert, demzufolge Infinitivkonstruktionen (und Nebensätze) als Vertreter primär nominaler oder adverbialer Ergänzungskategorien gesehen werden. Wenn in einem Satzbauplan statt der kategoriell primären (pro)nominalen oder adverbialen Ergänzung („einfache Glieder“) ein Infinitiv (oder Nebensatz) erscheint, liegt ein ‘Ausbauplan’ vor (Engel 1970b, 384 f.; KVL 1976, 82; ViF 1986, 35). Wie von Neugeborn (1976, 69) nachgewiesen wird, besteht jedoch ein Unterschied zwischen zum einen solchen infinitivregierenden Verben, die alternativ zur Anapher auch eine nichtpronominale Ergänzung zulassen (Er befahl ihm abzumarschieren. / Er befahl es ihm. / Er befahl ihm den Abmarsch.), zum anderen solchen, wo nur die Anapher möglich ist (Man hieß ihn abmarschieren. / Man hieß ihn das. / *Man hieß ihn das Abmarschieren.), und zum dritten solchen, die weder eine Anapher noch eine nichtpronominal realisierte Ergänzung statt des Infinitivs erlauben (Er pflegt abzumarschieren. / *Er pflegt das. / *Er pflegt das Abmarschieren.). Nicht durch einfache (Personal-) Pronomina oder Adverbien, sondern erst durch ein Proverb (eine proverbiale Wendung) wie (es) tun, es geschieht o. ä. anaphorisierbare satzförmige Ergänzungen werden von Engel als besondere Gruppe der ‘Verbalia’ (‘Verbalergänzung’, ‘Verbalobjekt’, ‘Verbativergänzung’) ausgeschieden (Engel 1970b, 369 f., 374 f., 378 f.; 1971, 93; 1972, 25; s. dazu auch Engel 1980, 125 f.; KVL 1976, 79; ViF 1986, 22, 26, 31). Dem Engelschen Anaphorisierungsverfahren in etwa entsprechend erscheinen auch bei Engelen (1975, 96) ‘Infinitivsätze’ unter der allgemeinen Überschrift “Die mögliche Form der Kasusglieder” (S. 94). Die Veranschaulichung beschränkt sich auf extraponierbare zu-Infinitive (s. Gruppe (5) in (70)). Auf analogisierende Aktantenidentifizierung durch Anaphorisierung im Sinne von Engel und KVL bezieht sich auch Lambertz (1982, 319⫺322; 325⫺363) bei der valenziellen Beschreibung von Ergänzungssätzen einschließlich Infinitiven. Die Grundlage der so vorgenommenen Klassifikation liefert bei Lambertz eine Translationsbeschreibung ganz
892
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
im Sinne von Tesnie`re (I > O), die an Ausführlichkeit in bezug auf syntaktische Funktionen ⫺ Subjekt, Akkusativ-, Dativ-, Genitiv-, Ablativ-, Präpositionalobjekt, Prädikatsnomen, Verbativergänzung, Adjektivdependens ⫺ und herangezogene Sprachen über Tesnie`re (1966) deutlich hinausgeht. Anders als bei Tesnie`re wird bei Lambertz (1982, 318) auch auf den Zirkumstantengebrauch von Infinitiven (der auf einer Translation I > O > E beruhe) eingegangen. 4.2. Infinitivkonstruktionen als primäre Aktantenrealisierungen Eine deutliche Abkehr von der traditionellen Analogisierung von Infinitiven einerseits und Nominal- und Adverbialgliedern andererseits findet sich bei Gunnar Bech (1955/57), der bei infiniten Verbformen ‘Status’ (s. Kap. 1.2) als Komplementärkategorie zu ‘Kasus’ bei den Nomina einführt. Bei Bech zerfallen die syntaktischen Funktionsmöglichkeiten der in diesem Zusammenhang einschlägigen ‘Supina’ auf zwei hauptsächliche Verwendungsbereiche: zum einen den Bereich der ‘Statusrektion’, der den Objekt- und Objektsprädikativfunktionen analogisierender Kategorisierungsverfahren entspricht (Bech 1955, II. Abschnitt: Verbum ⫹ 1. oder 2. Status), und zum anderen den Bereich der nicht regierten Subjekt- und Subjektprädikativfunktionen (Bech 1957, 67⫺93), wo gleichfalls keine Identifikation mit dem Kasus Nominativ vorgenommen, wohl aber im Falle des Subjekts ein Vergleich mit entsprechenden Korrelatkonstruktionen mit nominativischem es (als besonderer Fall sog. „explikativer“ Konstruktionen; Bech 1957, 18⫺28) angestellt wird. Bechs Statusrektionsklassen basieren hauptsächlich auf der Wahl des 1. oder des 2. Status (Ø- oder zu-Infinitiv) und der Koreferenzbeziehung zwischen dem „latenten“ („logischen“) Subjekt des Infinitivs und einem mit dem infinitivregierenden Verb verbundenen Subjekt, Akkusativ- oder Dativobjekt (wobei V’ infinitivregierendes Verb, V’’ regierten Infinitiv, (1) und (2) den 1. bzw. 2. Status, und beispielsweise A’ : N’’ Referenzidentität zwischen dem “latenten” Subjekt des Infinitivs ⫺ N’’ ⫺ und dem Akkusativobjekt des infinitivregierenden Verbs ⫺ A’ ⫺ bedeuten). Vgl. die Zusammenfassung von Bechs Typisierung in (54): (54) 1. V’ (N’ : N’’) ⫹ V’’ (1) ⫺ dürfen, werden, tun, bleiben usw., z. B.: Er darf jetzt nicht mehr arbeiten.
2. V’ (N’ : N’’) ⫹ V’’ (2) ⫺ ablehnen, anfangen, anbieten usw., z. B.: Er fängt jetzt an, mehr zu arbeiten. 3. V’ (A’ : N’’) ⫹ V’’ (1) ⫺ lassen, sehen, fühlen, machen, finden, haben usw., z. B.: Man lässt ihn jetzt mehr arbeiten. 4. V’ (A’ : N’’) ⫹ V’’ (2) ⫺ anklagen, auffordern, beauftragen, bewegen usw., z. B.: Man fordert ihn auf, jetzt mehr zu arbeiten. 5. V’ (D’ : N’’) ⫹ V’’ (2) ⫺ anbieten, befehlen, einschärfen, ersparen usw., z. B.: Man befiehlt ihm, mehr zu arbeiten. 6. V’ ⫹ Reflexivpronomen ⫹ V’’ (2) ⫺ sich angewöhnen, sich anstrengen, sich einbilden, sich vornehmen usw., z. B.: Er nimmt sich jetzt vor, mehr zu arbeiten. 7. V’ ⫹ V’’ (1) oder V’’ (2) ⫺ brauchen, heißen, helfen, lehren, lernen, gehen usw., z. B.: Er braucht jetzt nicht mehr (zu) arbeiten. 8. es heißt und es gilt ⫹ Supinum, z. B.: Jetzt heißt’s arbeiten.; Jetzt gilt es mehr zu arbeiten. Zu bemerken ist, dass Gruppe 1. zweiwertige, die Gruppen 3.⫺5. und 7. dreiwertige und Gruppe 2. sowohl zweiwertige als auch dreiwertige Verben umfassen. Dasselbe Verb kann u. U. in mehr als eine Gruppe gehören (vgl. anbieten in 2. und 5.). Bei der Klassifizierung in (54) wird weder auf topologische Distributionsunterschiede noch auf die Vollverb/Auxiliar-Unterscheidung Bezug genommen. In der deutschen Valenzgrammatik wird die nichtanalogisierende Konzeption von Helbig/Schenkel (1973, 51, 98) zugrundegelegt. Bei ihnen werden für den Ø- bzw. zu-Infinitiv die Siglen „I“ bzw. „Inf “ eingeführt. Die dadurch bezeichneten Formmöglichkeiten werden im Lexikonteil durch die Schrägstrichnotation als alternative und gleichwertige Erscheinungsformen von Leerstellen bestimmter Verben vorgestellt. Vgl. z. B. (55)⫺ (56) (nach Helbig/Schenkel 1973, 139 bzw. 136): (55) sehen J Sn, Sa/pS/NSdass, ob, w, (I); Beispiel u. a.: Wir sehen ihn kommen. (56) sich einbilden J Sn, Sa/NSdass/Inf; Beispiel u. a.: Er bildet sich ein, ihn gesehen zu haben. Dem gleichen Prinzip scheinen Sommerfeldt/ Schreiber (1977, 23, 44) mit Bezug auf die Substantivvalenz zu folgen, während sie im Hinblick auf die Adjektivvalenz (1974, 43) „Infinitivgruppe/Gliedsatz“ als „Ersatzfor-
893
65. Infinitivkonstruktionen
men“ für nominal bzw. präpositional realisierte Ergänzungen ansehen. In beiden Fällen können sich Sommerfeldt/Schreiber wegen der Festlegung von Adjektiven und Substantiven auf den zu-Infinitiv auf die eine Kategorie „Inf “ beschränken. Auch bei Heringer (1970, 149⫺154, 163⫺ 165) erscheinen Infinitivkonstruktionen als primäre, nicht über nominale Ergänzungsklassen einzuführende Rektionsmöglichkeit von Prädikaten (bzw. auch als mit den „Infinitivkonjunktionen“ anstatt, ohne, um versehene Angaben).
5.
Verbketten, Topologie und Auxiliarproblematik
5.1. Verbketten Im Hinblick auf die externen Dependenzbeziehungen infiniter Verbformen macht Bech (1955, 48 f.) mit Bezug auf das Deutsche auf einen wichtigen, auch für Infinitive gültigen generellen Unterschied zwischen Kasus- und Statusrektion aufmerksam. Während ein regierendes Verb zwei Kasus auf einmal regieren kann, ist die Statusrektion auf eine infinite Verbalform beschränkt. (Subjekte und Subjektsprädikative unterliegen nicht der Rektion.) Erlaubt sind mithin die Konstruktionen in (57)⫺(58), ausgeschlossen die in (59) (von Subjekten soll hier abgesehen werden):
Während sich im Bereich nominaler Objekte die Kombinationen D⫹A, A⫹G, A⫹A finden, sind die Kombinationen *Ø-Infinitiv⫹Ø-Infinitiv, *Ø-Infinitiv⫹zu-Infinitiv, *zuInfinitiv⫹zu-Infinitiv im Prinzip ausgeschlossen. Dafür gibt es die gemischten Kasus- und Status-Rektionsmuster A⫹Ø-Infinitiv, A⫹zuInfinitiv, D⫹zu-Infinitiv (s. (54)). In der Terminologie von Bech (1955) heißt dies, dass zwei Kasus bzw. ein Kasus und ein Status miteinander kooperieren, zwei Status aber nicht miteinander kooperieren können. Aus dependentieller Sicht ergibt sich daraus für die Kasus im Unterschied zu den Status die Möglichkeit verzweigender Konfigurationen (57), während Statusformen auf nichtverzweigende Kettenbildungen im Sinne von (58) bzw. (60)⫺(61) beschränkt sind (die Unterbringung der Subjektergänzung in (60)⫺ (61) setzt den auf Valenzneutralität basierenden Auxiliarstatus des maximal übergeordneten Verbs voraus; s. 5.2). Bei infinitivregierenden Verben ohne Kooperation von Kasus und Status ergeben sich Dependenzstemmata wie (60) (vgl. auch Neugeborn 1976, 70 f.): (60)
muss
versuchen
er
(57)
zu beenden
V den Beitrag
Kasusy
Kasusx
(58)
V
V-Statusy
Kasusx
(59)
*
V-Statusx
V
V-Statusy
Bei Kooperation von Kasus und Status entstehen Stemmata wie (61) (s. S. 894 oben). In der Terminologie von Bech (1955, 25⫺ 30) ist hier von „subordinativen“ bzw. „hypotaktischen“ Verbketten, d. h. verbalen Dependenzstrukturen die Rede. (Vgl. auch Neugeborn 1976, 68 sowie die in den Hauptzügen entsprechende Konzeption von Engel 1980, 129⫺132, mit ähnlichen Dependenzdiagrammen auf S. 139 f. Mit Dependenzstrukturen dieser Art sollte das anderen Veranschaulichungszwecken dienende Verbkettenentfaltungsdiagramm bei Tesnie`re 1939, 168 f. nicht verwechselt werden.) Die jeweilige Dependenzhierarchie lässt sich durch entsprechende Indizierung zum Ausdruck bringen; vgl. (62)⫺(63) (ohne Berücksichtigung aktueller Linearisierungsregeln, vgl. dazu z. B. En-
894
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(61)
(66) … weil er versuchen2 muss 1, den Beitrag zu beenden 3.
muss
bitten
er
den Freund aufzufordern
die Redaktion
zu lassen
das Projekt fallen
gel 1980, 141⫺148; Askedal 1991; J ⫽ Dependenz- [in der Terminologie von Tesnie`re 1966: Konnexions-] Richtung, (0) ⫽ finit; (1), (2) ⫽ jeweils 1. und 2. Status): (62) muss1 (0) J versuchen2 (1) J zu beenden3 (2) (63) muss1 (0) J bitten2 (1) J aufzufordern3 (2) J zu lassen4 (2) J fallen5 (1) Die Linearisierung derartiger durch Dependenz konstituierter Verbketten erfolgt typologisch unterschiedlich. Als deutsche Nebensatzstruktur müsste (62) im Rahmen der zugrunde liegenden OV-Abfolge als die linksdirektionale Kette in (64), die lexikalisch äquivalente englische Struktur aber aufgrund der in dieser Sprache zugrunde liegenden VOStruktur als die rechtsdirektionale Kette in (65) realisiert werden: 3
(64) … weil er den Beitrag zu beenden versuchen 2 muss 1. (65) … because he must 1 try 2 to complete 3 his contribution. Im System deutscher infiniter Verbformen besteht ein grundlegender Distributions- bzw. Linearisierungsunterschied zwischen sog. „kohärenter“ und „inkohärenter“ Konstruktion (topologische „Kohärenz“ bzw. „Inkohärenz“; vgl. Bech 1955, 60⫺62). In (64) stellt die Verbkette zu beenden 3 versuchen 2 muss 1 eine durchgehend kohärente Konstruktion dar, in (66) ist die Teilkette versuchen 2 muss 1 kohärent, während versuchen 2 und zu beenden 3 inkohärent sind:
Daraus ist ersichtlich, dass Kohärenz soviel wie Integration der Konstituenten einer Infinitivkonstruktion in den Matrixsatz, Inkohärenz aber Aussonderung ⫺ wie bei zu beenden3 in (66) praktisch am häufigsten als Extraposition ⫺ aus dem Matrixsatz bedeuten. Im Rahmen der grundsätzlich linksdirektionalen OV-Struktur des Deutschen hat die Inkohärenz eine erhebliche rezeptionserleichternde Funktion, insofern als sie rechtsdirektionale Sequenzen von intern linksdirektionalen Infinitivkonstruktionen ermöglicht. So werden statt der wohl nur theoretisch vorstellbaren durchgehend linksdirektionalen Linearisierung (67) der Dependenzstruktur in (61) auf Inkohärenz beruhende, zunehmend akzeptable Ketten wie (68) und (69) gebildet: (67) … weil er den Freund die Redaktion das Projekt fallen 5 zu lassen 4 aufzufordern3 bitten 2 muss 1. (68) … weil er den Freund bitten 2 muss 1, die Redaktion das Projekt fallen 5 zu lassen 4 aufzufordern 3. (69) … weil er den Freund bitten 2 muss 1, die Redaktion aufzufordern 3, das Projekt fallen 5 zu lassen 4. Unter Heranziehung der topologischen Kohärenz/Inkohärenz-Opposition ist als Alternative zur Bechschen Infinitivrektionssystematik in (54) die Rektions- und Distributionssystematik deutscher infinitivregierender Verben in (70) zu ermitteln (s. dazu Askedal 1982 und 1991, 12 f.): (70) (1) Verben mit Ø-Infinitiv (1. Status) in obligatorisch kohärenter Konstruktion: (a) werden (im Futur und mit epistemisch-modaler Bedeutung); (b) die Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen; (c) A. c. I.-Verben: lassen, sehen, hören, fühlen, spüren, haben, finden, machen, nennen; sein (in elliptischen Konstruktionen wie etwa: Vater ist heute fischen). Z. B.: … weil sie sofort nach Hause kommen sollte / *weil sie sollte, sofort nach Hause (zu) kommen. (2) Ein Verb (brauchen) mit Ø- oder zu-Infinitiv (1. oder 2. Status) in obligatorisch kohärenter Konstruktion. Z. B.: …. weil er das dicke Buch nicht mehr (zu) lesen brauchte / *weil er nicht mehr brauchte, das dicke Buch zu lesen.
65. Infinitivkonstruktionen
(3) Verben mit zu-Infinitiv (2. Status) in obligatorisch kohärenter Konstruktion: (a) haben (mit modaler Bedeutung); (b) sein, bleiben, gehen (in modal-passivischen Fügungen); (c) bekommen, geben, es gibt (am häufigsten mit sog. „Ergänzungsinfinitiv“ in quasiattributiver Stellung bei einem (Indefinit-)Pronomen: es gab nichts zu essen); (d) scheinen, drohen, versprechen, wissen (mit modaler Bedeutung); (e) pflegen (als iteratives Aktionalitätsverb). Z. B.: …. weil er das Problem nicht zu verstehen schien / *weil er nicht schien, das Problem zu verstehen. (4) Verben mit Ø-Infinitiv (1. Status) oder zuInfinitiv (2. Status) in kohärenter und zu-Infinitiv in inkohärenter Konstruktion: (a) helfen, lehren, lernen, heißen; (b) gehen, kommen, senden, schicken. Z. B.: … als er Chinesisch sprechen lernte / als er lernte, Chinesisch zu sprechen. (5) Verben mit zu-Infinitiv (2. Status) in teils fakultativ, teils obligatorisch inkohärenter Konstruktion (etwa 350⫺500 Verben), wie versuchen, versprechen, sich leisten, sich angewöhnen, vermögen, bitten, überreden, usw. Z. B.: .… weil er das Buch nicht zu lesen versucht hatte / … weil er nicht versucht hatte, das Buch zu lesen. Die deutsche Systematik in (70) erscheint um einiges komplexer als die französische mit drei Infinitiven (Ø-, a`-, de-Infinitiv), die skandinavische mit zwei Infinitiven (Ø-, norwegisch a˚-/dänisch at-/schwedisch att-Infinitiv) und insbesondere die russische (nur Ø-Infinitiv), da diesen Sprachen eine dem Deutschen entsprechende topologische Kohärenz/Inkohärenz-Opposition abgeht. Angesichts der Klassenbildung in (70) ist der frühe Vorschlag Engels (1970a, 119), Sätze mit infinitivregierendem scheinen (Gruppe (3)), (epistemisch-modalem, s. Kap. 5.2) versprechen (Gruppe (3)) und versuchen (Gruppe (5)) gemeinsam als „Gefügeverben“ und darüber hinaus auch als Sätze mit „jeweils 2 Satzbauplänen“ aufzufassen, nicht aufrechtzuerhalten. Jedoch erscheint sein Vorschlag, den traditionellen Terminus ‘Prädikat’ durch ‘Verbkomplex’ zu ersetzen, sinnvoll, wenn letzterer Terminus nicht dependentiell, sondern topologisch ⫺ als kohärente Verbkette ⫺ verstanden und nicht auf Verbketten mit besonderen regierenden lexikalischen Elementen beschränkt wird. Unter dieser Voraussetzung wären beispielsweise die kohärenten Verbketten fallen 5 zu lassen 4 auf-
895 zufordern 3 bitten 2 muss 1 bzw. bitten 2 muss 1 bzw. fallen 5 zu lassen 4 aufzufordern 3 bzw. fallen 5 zu lassen 4 in (67)⫺(69) alle als ‘Verbkomplexe’ (bzw. ‘topologische Prädikate’) einzuordnen. Engel (1972, 27 f.) sieht allgemein den Infinitiv bei herkömmlichen Auxiliarverben, Modalverben und Vollverben als ‘Verbalergänzungen’ (s. Kap. 4.1) und die betreffenden Verbfügungen als ‘Verbkomplexe’ an (wobei die zusätzliche Kohärenzforderung nicht explizit ausgeführt wird, wohl aber aus den Beispielen hervorgeht). Die ‘Verbalergänzungen’ Engels erweisen sich demnach als syntaktisch-semantisch sehr heterogene Ergänzungsklasse. Sie umfasst den Komplex aus ⫺ nichtextraponierbarem ⫺ Infinitiv und Akkusativergänzung bei lassen, sehen usw. in A. c. I.-Konstruktionen, den teils phraseologisch festgelegten Infinitiv in Fügungen wie stehen bleiben, baden gehen, des weiteren bei Engel (1980, 125 f.) die Modalverben, tun mit Ø-Infinitiv und unpersönliches es heißt mit zu-Infinitiv und ⫺ als besondere Gruppe der ‘Modalitätsverben’ ⫺ 17 syntaktisch unterschiedliche Verben mit nicht durch ein nominales Glied substituierbarem zu-Infinitiv, und zwar mit nichtextraponierbarem zu-Infinitiv bleiben, drohen, haben, pflegen, scheinen, sein, suchen, versprechen, wissen und mit extraponierbarem Infinitiv gedenken, gelten, geruhen, sich (ge)trauen, sich unterstehen, vermögen, verstehen (Engel 1980, 127). Bei regierenden Verben mit nichtextraponierbarem Infinitiv sind Auxiliarisierungserscheinungen anzunehmen (s. Kap. 5.2), bei Verben mit extraponierbarem Infinitiv ist u. E. davon abzusehen. Die hier genannten, laut Engel eine ‘Verbalergänzung’ regierenden Verben werden insgesamt auch als ‘Nebenverben’ bezeichnet (Engel 1980, 125). Man vgl. noch die etwas ausführlichere Diskussion von ‘Modalitätsverben’ mit zu-Infinitiv bei Neugeborn (1976, 71 f.), der aber auch Nichtextraponierbarkeit des Infinitivs (s. (70) und 5.2) außer acht lässt, sowie KVL (1976, 48⫺52). 5.2. Auxiliarkonstruktionen mit Infinitiv Es besteht traditionell weitgehende, wohl aber keine allgemeine Einigkeit, dass einige infinitivregierende Verben als ‘Hilfs’- oder ‘Auxiliarverben’ gegenüber lexikalischen ‘Vollverben’ auszuzeichnen sind. Tesnie`re (1966) macht vom Auxiliarbegriff Gebrauch und spricht an verschiedenen Stellen gewisse Fügungen als Auxiliarfügungen an. Seine Bei-
896
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
spiele und Bemerkungen bleiben mit wenigen Ausnahmen im Rahmen traditioneller Auffassungen. Genannt werden das deutsche und französische periphrastische Futur mit jeweils aller und werden, französisch venir mit de-Infinitiv zur Angabe rezenter Vergangenheit, französische und deutsche Modalverbfügungen, modal-passivisches sein mit zu-Infinitiv im Deutschen (mit der Liebe ist nicht zu spaßen), kausatives faire, lassen im Französischen bzw. Deutschen und französisch empeˆcher als eine Art periphrastischen „Antikausativs“ (s. Askedal 1994, 16 f.). (In Tesnie`re 1939, 163⫺167 kommen weitere ähnliche Fügungen hinzu.) Bei Tesnie`re erfolgt keine Diskussion der Auxiliarproblematik in Zusammenhang mit der Valenzproblematik. Die Infinitive in den genannten Fügungen werden wie bei ihm üblich als Translationsprodukte beschrieben. (Vgl. insgesamt Askedal 1994, 21 f.) Bech (1955) verzichtet in seiner dependentiellen Beschreibung der Syntax deutscher Infinitive überhaupt auf den Auxiliarbegriff. Helbig/Schenkel (1973, 57 f.) dagegen entscheiden sich dafür, Infinitive, die bei den von ihnen angenommenen „Hilfsverben“ (praktisch traditionelle temporale Hilfsverben und Modalverben) vorkommen, aus der Valenzbeschreibung auszuschließen. (Allerdings werden dürfen, können, müssen und sollen in den Lexikonteil aufgenommen, wobei in einer Anmerkung zu dürfen allgemein vom „Hilfsverbcharakter der Modalverben“ die Rede ist; Helbig/Schenkel 1973, 260⫺263.) Den gleichen grundsätzlichen Gesichtspunkt scheint auch Engel (1967, 57) zu vertreten, der die „Kombination ‘Modalverb ⫹ Infinitiv“ als „generelle Transformationsmöglichkeit beliebiger Sätze“ auffasst. (In späteren Arbeiten von Engel werden indessen andere Gesichtspunkte vertreten; s. Kap. 5.1.) Unter einem Valenzaspekt liegt es nahe, solche Verbkonstruktionen als Hilfsverbbzw. Auxiliarfügungen zu bezeichnen, in denen das regierte infinite Vollverb über den Bestand an valenzbedingten Ergänzungen entscheidet (vgl. Neugeborn 1976, 66⫺68, 71; Lambertz 1982, 385). Demnach wären Valenzneutralität bzw. (annähernd) universelle Kombinierbarkeit mit Vollverblexemen ein kennzeichnendes Merkmal voll grammatikalisierter Auxiliarverben. Damit verbunden ist auf der Ebene der Verbbedeutung in der Regel eine Inhaltsfunktion allgemeiner Art im Sinne der Zeitreferenz, Modalität, Aspektualität (o. ä.) oder der Kennzeichnung von
Genus verbi (wobei im Passiv und in Medialkonstruktionen ⫺ etwa als Ausnahme von der ansonsten für Hilfsverben charakteristischen Valenzneutralität ⫺ verallgemeinerte morphosyntaktische Abwandlungen, d. h. Konversionsbeziehungen, im Verhältnis zur aktivischen Basisdiathese kennzeichnend sind). Zur Auffassung von Hilfsverben als Verben mit im Prinzip universeller Distribution sind zwei Vorbehalte zu machen. Zum einen können mit einzelnen Verben bei grundsätzlicher morphosyntaktischer Valenzneutralität semantische Präferenzen verbunden sein; so überwiegen beispielsweise beim mutmaßlichen Modalauxiliar wollen mit Ø-Infinitiv aus semantischen Gründen ohne Zweifel menschliche Subjekte, woraus sich auch tendenziell eine ⫺ freilich sehr weite ⫺ Auswahl von verfügbaren Vollverben ergibt. Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass Auxiliarverben wohl am häufigsten auf der Grammatikalisierung (Auxiliarisierung) von Vollverben beruhen, so dass mit „Persistenz“-Erscheinungen (Hopper 1991, 22) zu rechnen ist. Zu den hier angesprochenen Valenzneutralisierungserscheinungen können sich weitere auxiliarspezifische Sonderzüge morphologischer oder syntaktischer Art hinzugesellen ⫺ man denke etwa an die unregelmäßige Flexion germanischer Modalverben. Ein allgemeines syntaktisches Merkmal aller herkömmlich angenommenen deutschen Hilfsverben ist obligatorisch kohärente Konstruktion, d. h. Nichtextraponierbarkeit der dependenten infiniten Verbform. Von den Verben der Gruppe (1) in (70) gelten herkömmlich werden und die Modalverben wegen der zeitreferentiellen bzw. modalen Bedeutung als Auxiliarverben, während die A. c. I.-Verben wegen der zusätzlichen Kasusrektion ausscheiden. Bei lassen mit zusätzlicher Akkusativergänzung wäre aus semantischer Sicht darauf hinzuweisen, dass dieses Verb im gegenwärtigen Deutsch dem Status eines Kausativauxiliars nahe kommt. Sog. „Modalitätsverben“ mit nichtextraponierbarem Infinitiv in den Gruppen (2) und (3) in (70) zerfallen unter einem Valenzaspekt in zwei Hauptgruppen je nachdem, ob neben der modalen infinitivregierenden Verbvariante eine „Vollverb“-Variante mit Kasusrektion oder aber eine Verwendung mit morphosyntaktisch andersartiger Infinitivrektion vorliegt. Den ersteren Fall ver-
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65. Infinitivkonstruktionen
treten brauchen mit Ø- oder ⫺ in der geschriebenen Sprache überwiegend ⫺ zu-Infinitiv (Er braucht einen neuen Wagen.), das sich im Wesentlichen den Modalverben schon angeschlossen hat (Askedal 1998b), des weiteren pflegen (Sie pflegt ihren alten Vater.) und wohl auch scheinen (trotz des zusätzlichen fakultativen Dativobjekts; vgl. Askedal 1998a) als jeweils iteratives und epistemischmodales Hilfsverb. Den letzteren Fall, wo die Auxiliarisierung als syntaktisch-semantische Ausdifferenzierung gegenüber einer anderen infinitivregierenden Verwendung des gleichen Verbs feststellbar ist, vertreten drohen und versprechen (vgl. Askedal 1997; zu versprechen auch KVL 1976, 49 f.). Vgl. (71)⫺(72) mit infinitivregierendem Vollverb drohen bzw. versprechen gegenüber (73)⫺(74) mit entsprechendem epistemisch-modalem drohen bzw. versprechen: (71) Die Frau hatte ihm gedroht, ihn zu verlassen. (72) Sie hatte ihm nie versprochen, zu ihm zurückzukehren. (73) … als die Vase ihren Händen zu entgleiten drohte.
mit zu-Infinitiv und modaler Bedeutung vor. Vgl. (75)⫺(77): (75) Er hatte viel zu tun. (76) Er hatte zu tun. (77) Er hatte zu arbeiten. Mutmaßliche Ausgangskonstruktion ist hier (75) mit ein Akkusativobjekt (viel) regierendem haben. Dem Akkusativobjekt ist ein quasi-attributiver „Ergänzungsinfinitiv“ angeschlossen. Diese Konstruktion wird einer Reanalyse unterzogen, durch die der Infinitiv zum Prädikatsteil und haben zu statusregierendem Verb reanalysiert werden. Daraufhin können an haben auch der Infinitiv von transitiven Verben mit ausgelassenem Akkusativobjekt (76) oder der Infinitiv intransitiver Verben (77) angeschlossen werden. Ein ähnlicher Reanalysevorgang ist bei wissen als Modalitätsverb mit Fähigkeitsbedeutung zu beobachten. Vgl. (78)⫺(80): (78) Er wusste immer manches Interessante. (79) Er wusste immer manches Interessante zu berichten.
(74) … weil es ein schöner Tag zu werden versprach.
(80) Er wusste immer meisterhaft zu berichten.
In (71)⫺(72) haben drohen und versprechen zusätzliche Dativrektion und normalerweise menschliches Subjekt, in (73)⫺(74) aber keine zusätzliche Kasusrektion und keine spezifische semantische Subjektforderung. Hinzu kommt beim Vollverbgebrauch in (71)⫺(72) die Möglichkeit der Bildung periphrastischer Tempora und der Extraponierbarkeit des regierten Infinitivs gegenüber fehlenden periphrastischen Tempora und Nichtextraponierbarkeit des Infinitivs in (73)⫺ (74). Einen anderen Entwicklungsweg über Valenzänderung liegt bei haben und semantisch verwandten Verben (vgl. Gruppe (3) in (70))
Infinitivregierende Auxiliarverben bzw. „Modalitätsverben“ sowie „Voll“verben nehmen im Deutschen an der Dependenz- bzw. Skopushierarchie in (81) teil (aux ⫽ Hilfsverb, deont ⫽ deontisch, ep ⫽ epistemisch, fut ⫽ futurisch, it ⫽ iterativ, Ø ⫽ mit Ø-Infinitiv, zu ⫽ mit zu-Infinitiv; vgl. ansonsten Askedal 1991, 9). (Aus dem Schema (81) wurde die anzuschließende Kategorie 6 der maximal untergeordneten (zu-)Infinitive aus Raumgründen weggelassen.) Aus (81) ergeben sich die Möglichkeit von Verbketten wie (82)⫺(84) sowie die Unmöglichkeit von Ketten wie (85)⫺(87):
(81) Kategorie 5 (“Voll”-Verben:) versuchen (zu) empfehlen (zu) drohen (zu) versprechen (zu) helfen (Ø/zu) …
Kategorie 4
Kategorie 3
Kategorie 2
Passivaux. lassen (Ø) sehen (Ø) haben (Ø) finden (Ø) machen (Ø) …
MVdeont Perfektaux. brauchen (Ø/zu) haben (zu) wissen (zu) …
Kategorie 1 MVep werdenfut/ep (Ø) scheinenep (zu) drohenep (zu) versprechenep (zu) pflegenit (zu) (brauchenep (Ø/zu))
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(82) Er scheint1 (Kategorie 1) dem Arbeiter gedroht 3 (Kategorie 5) zu haben 2 (Kategorie 2), ihn zu entlassen 4. (83) Man hätte 1 (Kategorie 2) ihm nicht empfehlen 3 (Kategorie 5) sollen 2 (Kategorie 3), das Buch zu kaufen 4. (84) Man ließ 1 (Kategorie 4) ihn seiner Frau versprechen 2 (Kategorie 5), sie mitzunehmen 3. (85) *Er hat 1 (Kategorie 2) dem Arbeiter zu drohen 3 (Kategorie 5) geschienen 2 (Kategorie 1), ihn zu entlassen 4. (86) *Man kann 1 (Kategorie 4) ihm nicht empfehlen 3 (Kategorie 5) werden 2 (Kategorie 1), das Buch zu kaufen 4. 1
(87) *Er wurde (Kategorie 4) seiner Frau versprechen 3 (Kategorie 5) gelassen 2 (Kategorie 4), sie mitzunehmen 4. Wie schon angedeutet liegt es nahe, im Schema (81) alle zu den Kategorien 1⫺3 gehörenden Verben und aus der Kategorie 4 die Passivhilfsverben (eventuell auch lassen) als Auxiliarverben anzusehen. Es sind dies weitgehend die Verben, deren funktionelle Pendants in anderen Sprachen traditionell als Hilfsverben eingestuft werden.
6.
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John Ole Askedal, Oslo (Norwegen)
900
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
66. Subjekt- und Objektsätze 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
Nominale und satzförmige Ergänzungen Formen von Subjekt- und Objektsätzen Platzhalter Stellungscharakteristika der Ergänzungssätze Prädikattypen und semantische Rollen Literatur in Auswahl
Nominale und satzförmige Ergänzungen
Subjekte und Objekte, also die Ergänzungen bzw. Aktanten der Valenztheorie, sind zunächst einmal lediglich durch ihre strukturelle Beziehung zu anderen Einheiten im Satz bestimmt. Sie selbst verfügen darüber hinaus über eine charakteristische kategoriale Prägung. Typischerweise werden die entsprechenden Strukturpositionen durch Nominalphrasen/Substantivgruppen bzw. Präpositionen mit Nominalphrasen-Komplementen gefüllt. Nur an diesen können zudem die morphologischen Subkategorien sichtbar gemacht werden, die im Deutschen für die Differenzierung der zentralen syntaktischen Funktionen im Satz bzw. der verschiedenen Valenzstellen des Prädikats sorgen. Die allgemeine Benennung orientiert sich ja gerade an diesen morphologischen Differenzierungen, indem klassischerweise die Objekte bzw. in valenztheoretisch orientierten Arbeiten die Ergänzungen unter Einschluss des Subjekts durch die zugehörige Kasusform unterschieden werden. Neben diesen klassischen Typen von Valenzstellenfüllern finden sich aber auch satzförmige Ausdrücke der unterschiedlichsten Form. Mit solchen Subjekt- und Objektsätzen beschäftigt sich der vorliegende Beitrag. Zwar können im Prinzip alle Ergänzungen bei dem einen oder anderen Prädikat satzförmig realisiert werden, wirklich häufig ist dieser Typ der kategorialen Füllung aber nur beim Subjekt (vgl. Oppenrieder 1991), beim Akkusativobjekt (vgl. Bausewein 1990) und bei den verschiedenen Formen von Präpositionalobjekten (vgl. Breindl 1989). (1)
Mich freut (es), dass Anna doch noch angerufen hat.
(2)
Ich bedaure (es), dass Anna noch nicht angerufen hat.
(3)
Ich freue mich (darüber), dass Anna doch noch angerufen hat.
Dativobjektsätze treten kaum auf, da DativNominalphrasen typischerweise Personen bezeichnen und dementsprechend mit der Propositions- bzw. Sachverhaltscharakteristik von satzförmigen Ausdrücken nicht verträglich sind (eine Ausnahme bilden die sogenannten Freien Relativsätze). Satzförmige Genitivobjekte sind nicht von einer solchen Einschränkung betroffen, aber diese syntaktische Funktion tritt im Gegenwartsdeutschen bekanntlich nur noch relativ marginal auf. (4)
Ich stimme (dem) zu, dass Anna noch einmal anrufen soll.
(5)
Ich bin mir (dessen) sicher, dass Anna noch anrufen wird.
Satzförmige Ausdrücke binden wie nominale Ausdrücke die Valenzstellen der regierenden Prädikate. Sie können auch fast immer durch entsprechende Nominal- oder Präpositionalphrasen ersetzt werden ⫺ in den obigen Beispielen etwa durch die eingeklammerten pronominalen Formen, die dann allerdings nicht mehr nur als stellvertretende Platzhalter, sondern als vollständige Füllungen der jeweiligen Valenzstellen zu werten sind (eine der wenigen Ausnahmen bezüglich der nominalen Ersetzbarkeit ist die satzäquivalente zu-Infinitivgruppe bei sich weigern, für die sich weder eine Nominal- noch eine Präpositionalphrase einsetzen lässt). Zudem ist es nicht ausgeschlossen, satzförmige Ausdrücke mit den nominalen Typen von Valenzstellenfüllern koordinativ zu verknüpfen. (6)
Ich bedaure diesen Vorfall und dass er sich so negativ auf unsere Beziehungen ausgewirkt hat.
Ansonsten zeigen satzförmige Ergänzungen aber ein deutlich anderes Verhalten, das ihrer internen Struktur geschuldet ist: Vor allem sind sie keine Träger der üblichen Formmerkmale, die mit einer Valenzstelle verbunden sind, da sie weder kasusmarkiert werden noch als direktes Komplement von Präpositionen auftreten können. Die entsprechenden formalen Merkmale können lediglich an den stellvertretenden Platzhaltern für aus dem engeren Verband des einbettenden Satzes herausgenommene Ergänzungssätze manifest werden. Damit ist eine weitere Besonderheit satzförmiger Ergänzungen angesprochen: Sie
901
66. Subjekt- und Objektsätze
dürfen nur an den Rändern der einbettenden Struktur erscheinen. Besonders ausgeprägt zeigt sich die Sonderstellung der satzförmigen Ausdrücke bei Übernahme der Subjektfunktion. Diese wird zwar in der klassischen Valenztheorie auf eine Stufe mit den Objektfunktionen gestellt, zeigt aber dennoch genügend besondere Charakteristika (vgl. zu den Eigenschaften der Subjektrelation im Deutschen Reis (1982); Sternefeld (1985), Primus (1987)), so dass ihr in manchen neueren ‘nicht-klassischen’ Valenztheorien durchaus eine spezielle Rolle einge´ gel 2000, 83 f.; Eroms räumt wird (vgl. A 2000, 183 f.). Leitmerkmal für die Subjekthaftigkeit und die mit ihr verbundenen privilegierten syntaktischen Eigenschaften (insbesondere Kongruenz mit dem Finitum und Verschwinden in infiniten Strukturen) ist die in finiten Sätzen vergebene Nominativmarkierung. Satzförmige Ausdrücke werden hier nun zu einem besonderen Problem, da sie selbst zum einen nicht das Leitmerkmal Nominativ aufweisen, zum anderen auch die Privilegiertheit bezüglich anderer Parameter fraglich ist (vgl. Reis 1982; Oppenrieder 1991, 140 f.). So ist etwa nicht völlig klar, inwieweit Kongruenz mit dem Finitum besteht oder eine neutrale Ersatzform des letzteren (3.Ps.Sg.) verwendet wird (es sei denn, man macht die Realisierung der Person- und Numerusmerkmale am Verb und der Nominativmarkierung am Subjekt von vornherein voneinander abhängig): Die Koordination von Subjektsätzen als Test anzuwenden, wie Reis dies tut, setzt voraus, dass dadurch überhaupt eine syntaktisch pluralische Konstituente entsteht. Das Verhalten von Pronomina spricht aber dagegen, denn der Bezug auf ‘Propositionsreihen’ kann ganz allgemein nur dann pluralisch erfolgen, wenn die Propositionen nicht durch Proformen wiederaufgenommen, sondern durch Substantive wie Tatsache, Frage, Problem usw. kategorisiert werden, die dann selbst in pluralischer Form auftreten können. (7)
Wann Anna kommt und wen sie mitbringt, das lässt / *die lassen sich nicht sagen / diese Fragen lassen sich nicht leicht beantworten.
Allgemeinstes Charakteristikum der Ergänzungssätze ist also ein Auseinandertreten des Argumentstatus und des Markierungsstatus: Entsprechende Valenzstellen werden bei bestimmten Prädikaten durch einen satzförmigen Ausdruck besetzt, ohne dass dieser die ty-
pischen formalen Eigenschaften zeigen kann, die mit dieser Valenzstelle verbunden sind. In einem multifaktoriellen Konzept der Valenzbindungen, wie es Jacobs (1994) präsentiert, ist er also weniger fest gebunden als die entsprechenden Nominal- oder Präpositionalphrasen, da er nicht direkt in die formalen Bindungsrelationen eintreten kann.
2.
Formen von Subjekt- und Objektsätzen
Satzförmige Subjekte und Objekte können zwar nicht die übliche Kasusmarkierung tragen, sie sind aber in ihrer Form durchaus den steuernden Einflüssen des einbettenden Prädikats unterworfen. Dies zeigt sich zum einen an den strukturellen Satztypen, die auftreten können: Verb-Zweit-Sätze, Verb-Letzt-Sätze oder zu-Infinitivgruppen, zum anderen an den jeweils zulässigen Typen von satzeinleitenden Ausdrücken bei der Untergruppe der Verb-Letzt-Sätze. Allerdings ist dieser Typ der formalen Valenzbindung an den Prädikatsausdruck sicherlich nicht vollständig mit der sonst im Gegenwartsdeutschen typischen inhaltsneutralen Bindung gleichzusetzen, die zunächst einmal der Differenzierung der verschiedenen (Objekt-)Valenzstellen dient (ganz abgesehen von der Tatsache, dass hierbei ein Subjektsausdruck ganz direkt vom Prädikat selbst in seiner Form bestimmt wird), da mit den entsprechenden formalen Satzmerkmalen auch spezifische semantische Eigenschaften verbunden sind (ein gewisses Äquivalent im nominalen Bereich ist der Wechsel von der Akkusativmarkierung zur von-Konstruktion bei einer partitiven Interpretation im Zusammenhang mit Verben wie trinken, insofern mindestens die Wahl der zweiten Form semantische Relevanz besitzt). 2.1. Verb-Letzt-Sätze Die verbreitetste Form satzförmiger Ausdrücke mit Subjekts- oder Objektsfunktion ist die des Verb-Letzt-Satzes. Ein solcher bietet schließlich die umfangreichste Palette an Verwendungsmöglichkeiten und erhält erst durch die Wahl eines spezifischen Einleitungselementes seine charakteristische semantische Prägung. Da die entsprechenden Ausdrücke wie alle anderen Ergänzungen direkt vom Prädikat abhängen und daher die syntaktisch-semantischen Beziehungen, die sie zu anderen Teilen des Satzes eingehen, von außen bestimmt werden, enthalten sie selbst
902
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
keine relationenanzeigenden Bestandteile, wie sie für satzförmige Angaben kennzeichnend sind. Statt der adverbiellen Einleitungselemente, die aufgrund ihrer Eigencharakteristik spezifische Relationen markieren (bevor, da, falls usw.), werden ‘absolute’ Satzeinleiter verwendet ⫺ dass, ob und (einfache oder komplexe) w-Ausdrücke (zu seltenen Ausnahmen s. u.). (8)
Dass der Staatsanwalt das nicht darf, steht in jedem Strafrechtskommentar.
(9)
Ob dies durch eine ergänzende Regelung erfolge, liege in seiner Gestaltungsfreiheit.
(10) Noch ist unklar, wer wann für den entstandenen Schaden aufkommen soll. (11) Es ist erstaunlich, wie (ungeheuer) rasch sich diese Unsitte verbreitet hat. Die charakteristische semantische Prägung bezieht sich in diesen Fällen auf den Subtyp der ‘Sachverhaltspräsentation’ durch den satzförmigen Ausdruck. In Frage kommen die Darstellung eines vollständig bestimmten Sachverhalts (dass-Einleitung bei Beispiel (8)), die ‘Problematisierung’ eines Sachverhalts, der in seiner Polarität (ob-Einleitung bei Beispiel (9)) bzw. in (mindestens) einem Parameter (w-Einleitung bei Beispiel (10)) unbestimmt ist, oder aber die exklamativ überformte Darstellung eines Sachverhalts (w-Einleitung Beispiel (11)). Der im exklamativen Fall graduierend zu verstehende w-Ausdruck kann durch intensivierende Ausdrücke wie ungeheuer, enorm o. ä. modifiziert werden. Neben den w-VerbLetzt-Exklamativsätzen, die implizit eine vollständige Sachverhaltsdarstellung durch die Erschließbarkeit des bemerkenswert hohen Ausprägungsgrads einer Eigenschaft (in (11)) oder auch der bemerkenswert umfangreichen Größe (in (12) bzw. der quantitativen Lesart von (13)) bzw. bemerkenswerten Mitglieder einer Menge (in der qualitativen Lesart von (13)) einführen (zur Semantik solcher Exklamativsätze vgl. Zaefferer (1983)), gibt es auch jeweils explizitere dass-Varianten, die den exklamativischen Graduierungsaspekt durch die Verweisform so erfassen. (11)
a. Es ist erstaunlich, dass sich diese Unsitte so (ungeheuer) rasch verbreitet hat.
(12)
Es ist erstaunlich, wie (ungeheuer) viele Leute er kennt.
a. Es ist erstaunlich, dass er so (ungeheuer) viele Leute kennt. (13)
Es ist erstaunlich, wen er (alles) kennt. a. Es ist erstaunlich, dass er Ella, Fritz und Gerald kennt.
Die exklamativische Überformung ist nicht bei allen w-Ausdrücken ohne weiteres möglich, sondern nur bei denjenigen, die mit einer Graduierung verträglich sind, bzw. problemlos eine als bemerkenswert zu interpretierende Besetzung der w-Position zulassen (qualitative Interpretation), kaum also bei im weitesten Sinn kausalen w-Ausdrücken, bei denen nicht einmal die Einfügung exklamativverdächtiger Wendungen für Akzeptabilität sorgt. (14) Mich ärgert, wie ungeheuer lange ich auf dich warten musste / wer sich da alles eingemischt hat / ??warum in aller Welt ich auf dich warten musste / *warum alles ich auf dich warten musste. Die exklamativische Variante des w-VerbLetzt-Satzes lässt sich durch den Ausschluss bestimmter Typen von w-Ausdrücken, die Ersetzbarkeit durch dass-Exklamativsätze (bzw. die koordinative Verknüpfbarkeit mit solchen) und die problemlose Einfügbarkeit von explizit graduierenden Elementen (mit eindeutig exklamativischem Charakter) wie ungeheuer usw. recht gut von der nicht-exklamativischen Variante unterscheiden, für die umgekehrt die Neutralität gegenüber den semantischen Eigenheiten der w-Ausdrücke, das Zurückgreifen auf nicht-exklamativische Graduierungsausdrücke (sehr statt ungeheuer o. Ä.) und die Verknüpfbarkeit mit ob-Sätzen kennzeichnend sind. Der entsprechende formale Subtyp des Verb-Letzt-Satzes lässt sich recht einfach mit einer Klassifikation nach den beiden Merkmalen [⫹/⫺ geschlossen] und [⫹/⫺ w] erfassen (vgl. Oppenrieder 1991, 190 f.), deren Zuordnung von der Wahl des Einleitungsausdrucks und damit dem semantischen Subtyp abhängt: Sachverhaltsdarstellende, durch dass eingeleitete Verb-Letzt-Sätze (auch exklamativisch überformte) sind zu charakterisieren durch die Merkmalswertkombination [⫹ geschlossen, ⫺ w], die Polarität problematisierende ob-Sätze durch [⫺ geschlossen, ⫺ w], (mindestens) einen Parameter problematisierende w-Sententiale durch [⫺ geschlossen, ⫹ w] (die Einordnung der beiden letzten Typen als Interrogativsententiale ist sicherlich zu eng;
66. Subjekt- und Objektsätze
vgl. zu den Verwendungskontexten dieser ‘offenen’ Sententiale etwa Wunderlich (1976, 187 f.)) und schließlich w-Exklamativsententiale durch [⫹ geschlossen, ⫹ w]. Die Merkmalscharakteristik eines Verb-Letzt-Satzes muss mit den Anforderungen verträglich sein, die mit der entsprechenden Valenzstelle verbunden sind. Typischerweise steuert der zentrale Prädikatsausdruck diese Anforderungen, wobei je nachdem ganz unterschiedlich enge Forderungen vorliegen können. So ist etwa mit der Subjektstelle des Verbs wundern nur die Anforderung [⫹ geschlossen] an den satzförmigen Ausdruck verbunden, der dementsprechend in zwei Varianten auftreten kann ⫺ als reine Sachverhaltsrepräsentation oder aber als exklamativ überformte, nicht aber als Problematisierung: (15)
Mich wundert, dass ich fröhlich bin. a. Mich wundert, wie fröhlich ich bin. b. *Mich wundert, ob und wie fröhlich ich bin.
Andererseits können für die Zulässigkeit spezifischer Satzstrukturen neben dem reinen Prädikatsausdruck, sei dieser nun ein Verb oder ein prädikativer Komplex mit nicht-verbalen Bestandteilen, auch andere Teile der einbettenden Struktur verantwortlich sein, z. B. Negationsausdrücke, die eine assertierende Umgebung in eine problematisierende verwandeln können: (16)
Es ist sicher, dass er kommt / ??ob er kommt / ?wer kommt. a. Es ist nicht sicher, dass er kommt / ob er kommt / wer kommt.
Hierbei spielt offensichtlich der Einflussbereich des Negationsträgers eine Rolle: Bei der Negation des Prädikats sicher verändern sich dessen Anforderungen an den Valenzstellenfüller ⫺ entsprechend einem Prädikat mit inkorporierter Negation. (17) Es ist unsicher, ob er kommt / wer kommt. Dieser Prädikatsausdruck ist nicht mehr mit einer vollständigen Sachverhaltsrepräsentation verträglich. (17) a. *Es ist unsicher, dass er kommt. Auf der anderen Seite kann sich der Einflussbereich der Negation über den gesamten Satz erstrecken; in diesem Fall bleibt die ursprüngliche Valenzanforderung erhalten (siehe die erste Variante von (16a)). Demnach lässt sich die Veränderung der Valenzforderungen hier
903 durch eine Operation auf der Bedeutung des Prädikatsausdrucks erfassen. Relevant ist außerdem die Zugänglichkeit (verstanden als die Möglichkeit, das Bestehen eines Sachverhalts festzustellen oder bestimmte Aspekte wie die Polarität nicht entscheiden zu können) der im Ergänzungssatz ausgedrückten Proposition für den Sprecher, die Zuhörerschaft oder die in einer anderen Konstituente des einbettenden Satzes erfasste Person. Bezieht man diese Faktoren ein, dann sind auch die nicht-abgeschlossenen Varianten in der assertierenden Umgebung von (16) zumindest interpretierbar, so nämlich, dass die Polarität entschieden ist bzw. die Lückenfüllung spezifiziert werden kann, allerdings nicht von allen Kommunikationsteilnehmern (ein eingefügtes jedenfalls könnte noch klarer anzeigen, dass der Aspekt der Sicherheit (für jemanden) und nicht die Sachverhaltsspezifizierung selbst zählt, so dass in diesem letzten Punkt Informationslücken tolerierbar werden). Deutlicher wird der Einfluss des Informationsstandes beim folgenden Beispiel: (18) Mir ist im Augenblick entfallen, ob / *dass Ella kommen wollte. Ausgedrückt wird hier zunächst ein Informationsmangel bei der durch die Dativ-Nominalphrase erfassten Person; gleichzeitig kann der Sprecher aus seiner Perspektive einen vollständig spezifizierten Sachverhalt präsentieren oder aber eine bezüglich der Polarität oder eines Parameters offene Variante. Im vorliegenden Beispiel ist aus Konsistenzgründen nur die ‘Mangel-Variante’ zulässig. Handelt es sich dagegen um zwei zeitlich unterschiedliche ‘Ausschnitte’ aus dem Lebenslauf des Sprechers, sind unterschiedliche Informationsstände wiederum möglich ⫺ wie natürlich auch, wenn Sprecher und mit der DativNominalphrase erfasste Person nicht identisch sind: (18) a. Mir war entfallen, ob/dass Ella kommen wollte. b. Ihr ist im Augenblick entfallen, ob/ dass Ella kommen wollte. Für die Einbettbarkeit eines der vier verschiedenen Typen von Verb-Letzt-Sätzen sind also neben dem spezifischen Prädikatsausdruck selbst und seinen Anforderungen an die Umgebung bisweilen auch noch andere Faktoren von Belang, die sich auf die ‘Abgeschlossenheit’ oder ‘Offenheit’ einer Sachverhaltsrepräsentation aus bestimmten Perspektiven
904
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
beziehen (vgl. zu ähnlichen Überlegungen Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 2253 f.)). In anderen Fällen lässt die semantische Charakteristik der Prädikatsausdrücke keinen solchen Einfluss des Kontextes zu. So präsupponieren Verben wie ärgern oder wundern den im Subjektsatz genannten Sachverhalt und dulden dementsprechend keinesfalls eine problematisierende Variante. (19) Ihn wundert überhaupt nicht, dass / *ob sie fröhlich ist. Manche Prädikatsausdrücke sind wiederum völlig unspezifisch bezüglich der Form und der Bedeutung des Verb-Letzt-Satzes (wobei man je nach der semantischen Charakteristik des Ergänzungssatzes das Hauptprädikat durchaus etwas unterschiedlich interpretieren kann): (20) Mich beschäftigt schon lange, ob Karl kommt / wer kommt / dass Karl nicht gekommen ist / wie ungeheuer geschickt sich Karl verhalten hat. Können die formalen Merkmale, mit deren Hilfe sich die verschiedenen Formen der (absolut interpretierten) Verb-Letzt-Sätze klassifizieren lassen, so verstanden werden, dass sie als prädikatgesteuerte Formmerkmale die Zulässigkeit bestimmter Typen von VerbLetzt-Sätzen als Ergänzungen steuern? Die gerade angestellten Überlegungen zeigen, dass hier auch komplexere Bedeutungsfaktoren mit im Spiel sind, für deren Einfluss von den jeweiligen Hauptprädikaten lediglich ein Spielraum freigegeben sein muss. Für die Einbettbarkeit spezifischer Typen von VerbLetzt-Sätzen scheint daher die Bedeutung der einbettenden Umgebung ausschlaggebend, wobei der zentrale Valenzträger der wesentlichste und häufig allein ausschlaggebende Faktor ist. Von den oben eingeführten Merkmalen ist das Abgeschlossenheitsmerkmal vom semantischen Standpunkt gesehen zentraler, da die mit ihm gekoppelte Unterscheidung der Verträglichkeit mit einer voll spezifizierten und einer ‘offenen’ Sachverhaltsrepräsentation sehr häufig das einbettende Hauptprädikat bzw. die einbettende Struktur charakterisiert. Dabei ist zum Beispiel die ‘ärgern-Gruppe’ (nur voll spezifizierte Sachverhaltsrepräsentationen) deutlich umfangreicher als die ‘fragen-Gruppe’ (nur ‘offene’ Sachverhaltsrepräsentationen). Die vollständige Variante der Sachverhaltsdarstellung kann exklamativisch über-
formt sein, wobei der zugrundeliegende Sachverhalt selbst als bestehend vorausgesetzt wird. Mit dieser exklamativen Zusatzkomponente sind daher nicht alle Prädikate verträglich, die einen durch [⫹ abgeschlossen] charakterisierten Satz zulassen, z. B. nicht ‘semantische’ Prädikate wie bedeuten in Subjekts- wie Objektsstelle, bestimmte auf den ‘Realitätsgrad’ (bzw. dessen Einschätzung) eines Sachverhalts bezogene Prädikate wie möglich und sachverhaltsimplizierende Prädikate wie sorgen für in der Objektsstelle (oder auch sich kümmern um, das mit allen Typen von Verb-Letzt-Sätzen außer exklamativischen verbunden werden kann). Die Prädikate, die semantisch offene Ergänzungssätze zulassen, sind zwar typischerweise sowohl mit [⫺ w]- als auch mit [⫹ w]Varianten verträglich, nicht dagegen ein Verb wie dämmern, das neben beiden Typen von abgeschlossenen Subjektsätzen bei den offenen nur diejenigen mit der [⫹ w]-Merkmalsausprägung zulässt, oder der auf [⫹ w] beschränkte Objektsatz zu aufzählen ⫺ die Merkmalsausprägungen kommen also meistens in charakteristischen Bündeln vor, aber es gibt auch ungewöhnliche Kombinationen. (21) Später wird ihm dämmern, dass er einen Fehler begangen hat / welch ungemein großen Fehler er begangen hat / ??ob er einen Fehler begangen hat / warum er einen Fehler begangen hat. (22) Max zählt auf, wo er überall war / *ob er in Wien war oder ob er in Prag war. 2.2. Verb-Zweit-Sätze Neben absolut zu interpretierenden VerbLetzt-Sätzen treten auch Verb-Zweit-Sätze als satzförmige Ergänzungen auf (vgl. Breindl 1989, 233 f.; Bausewein 1990, 138 f.; Oppenrieder 1991, 234 f., 263 f.), und zwar als Äquivalente zu den einen Sachverhalt vollständig repräsentierenden Verb-LetztSätzen. Mit einem Verb-Zweit-Satz als Ergänzung sind im Prinzip die Prädikate verträglich, die traditionellerweise unter den Gruppen der Verba dicendi et sentiendi erfasst werden. Typischerweise handelt es sich um Objektsätze, aber auch vereinzelt um Subjektsätze. (23) Er sagte, er wisse auch nicht mehr weiter. (24) Manchen Liberalen schwant, sie erleben nun bald eine andere Republik. Auch hier darf die spezifische Form nicht mit den Anforderungen des Prädikats bzw. der
905
66. Subjekt- und Objektsätze
einbettenden Konstruktion kollidieren. Allerdings gibt es einen breiten Übergangsbereich mehr oder weniger akzeptabler ‘Pseudo-dicendi-Strukturen’, bei denen ein sprechaktcharakterisierendes Prädikat durch eines ersetzt wird, das eine redebegleitende Handlung bezeichnet, etwa im folgenden Beispiel Breindls (1989, 4⫺115): (25) Man möge sie endlich mit diesem Unsinn in Ruhe lassen, schälte sie die Kartoffeln weiter. Die Beispiele zeigen zudem, dass der Abhängigkeitsstatus von eingebetteten Verb-ZweitSätzen durch zwei Charakteristika vereindeutigt werden kann, die mit der Herausnahme aus der ursprünglichen Äußerungssituation (bzw. ‘Denksituation’) zusammenhängen: durch die Verwendung des verbalen Distanzmodus Konjunktiv I (bzw. des formal deutlicher vom Indikativ geschiedenen Konjunktiv II) und durch die Ersetzung der mit der Sprecher-Origo verbundenen deiktischen Ausdrücke. Nicht eigentlich unter die formgesteuerten abhängigen Verb-Zweit-Sätze gehören solche mit Zitatcharakter (ohne die gerade angeführten Distanzierungsmerkmale), da bei Zitaten keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der internen Struktur bestehen: Von Satzbruchstücken bis zu sämtlichen Satzstrukturen ist alles zulässig. Außer bei verbalen Valenzträgern finden sich Verb-Zweit-Sätze auch im Zusammenhang mit bestimmten komparativischen und superlativischen adjektivischen Prädikaten, die im weitesten Sinn einschätzend verwendet werden können. (26)
(Es ist) besser/am besten, du erzählst den anderen kein Wort von dieser Geschichte. a. Ich finde es besser/am besten, du erzählst den anderen kein Wort von dieser Geschichte.
Das Matrixsatzprädikat kann daneben auch völlig in den Verb-Zweit-Satz integriert werden und scheint sich dann ähnlich wie eine satzbezogene Angabe zu verhalten. (26) b. Du erzählst besser / am besten den anderen kein Wort von dieser Geschichte. (27)
Es ist mir lieber / *Es ist lieber, du erzählst nichts davon. a. Du erzählst lieber nichts davon.
Die einfache nicht-gesteigerte Form des Adjektivs kann in diese Konstruktion nicht ein-
gehen (auch hier ist es also nicht das Prädikat allein, das die Form des Subjektsatzes steuert): (26) c. Es ist besser / *gut, du erzählst den anderen kein Wort von dieser Geschichte. Als alternative Realisierung zur Verb-ZweitForm steht hier nun nicht etwa die dass-VerbLetzt-Form zur Verfügung, sondern ein durch wenn eingeleiteter Verb-Letzt-Satz. (26) d. Es ist besser, wenn/(⫽) dass du den anderen kein Wort von dieser Geschichte erzählst. Hier erfordert offenbar die Vergleichsbedeutung der Matrixstruktur mit ihrem Charakter eines Ratschlags eine konditionale Interpretation des eingebetteten Satzes. Es wird nicht auf einen gegebenen Sachverhalt Bezug genommen und dieser bewertet, sondern nur ein ‘möglicher’ Sachverhalt bewertet gegenüber anderen, die niedriger auf der durch das Adjektiv angedeuteten Bewertungsskala liegen. Der Ausschluss der dass-Einleitung kann dadurch erklärt werden, nicht dagegen die Zulässigkeit der Verb-Zweit-Struktur. Die satzadverbialähnliche Einbettbarkeit bei den bewertenden Adjektiven kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Verb-ZweitForm aus der kompakteren Alternativkonstruktion mit ihrer für ‘freie’ Aussagesätze typischen Form übernommen sein könnte. Dabei lassen durchaus nicht alle komparierten bewertenden Adjektive ohne weiteres einen Verb-Zweit-Satz zu (eventuell nur diejenigen, die recht direkt als Ratschläge interpretiert werden können und die kompakte Form zulassen): (28)
?Es ist schöner, die Vase steht auf dem Kühlschrank. a. ?Die Vase steht schöner auf dem Kühlschrank. b. Es ist schöner, wenn die Vase auf dem Kühlschrank steht.
Verb-Zweit-Sätze mit konditionalem Sinn finden sich übrigens auch gelegentlich außerhalb des komparativischen Konstruktionstyps: (29) Auf einmal wäre sie froh gewesen, sie hätte die Schuhe noch an. 2.3. zu-Infinitivgruppen Alternativ zu finiten Sätzen ist prädikatsabhängig auch eine infinite Realisierung der Ergänzung möglich, d. h. eine Struktur mit
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
oberstem Verb als zu-Infinitiv, die bis auf das fehlende Subjekt vollständig ist. (30) Ziel der utopisch anmutenden Forschung ist es, noch kleinere und leistungsfähigere Datenverarbeitungsanlagen zu bauen. Abzüglich der interpretativ zu ergänzenden Subjektsgröße handelt es sich hier üblicherweise wie bei dass-Sätzen um vollständig spezifizierte Repräsentationen von Sachverhalten. Auch hier können jedoch im Einzelfall Repräsentationen eines nur ‘möglichen’ Sachverhalts auftreten (bedingt durch einen in seiner Anwendung unterbestimmten Matrixsatz), die bei einer alternativen Formulierung durch einen finiten Satz mit dem Einleitungselement wenn und nicht mit dass verbunden werden müssten. (31)
Schöner ist es jedoch, auf dieses Köpfl emporzusteigen. a. Schöner ist es jedoch, wenn/(⫽) dass man auf dieses Köpfl emporsteigt.
Formal gesehen entspricht den zu-Infinitivgruppen bei den ‘absoluten’ Verb-Letzt-Sätzen der dass-Satz, während eine offene oder w-Charakteristik nicht mit ihnen verträglich ist (im Gegensatz z. B. zum Englischen). Entsprechend besteht auch eine weitgehende Ersetzbarkeit von zu-Infinitivgruppen durch dass-Sätze, selbst bei einem stark zum infinitivischen Subjekt neigenden Verb wie gelingen. (32) Und es wird uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint. Offenbar gibt es bei den Matrixprädikaten lediglich mehr oder weniger deutliche Präferenzen für die Infinitivrealisierung, wobei auch umgekehrt Prädikate, die typischerweise nur finite satzförmige Ergänzungen zulassen, bei semantisch passenden Umständen mit einer zu-Infinitivgruppe verträglich sind. (33) Den Fehler übersehen zu haben, ärgert mich. Passend sind die Umstände, wenn das potentielle Subjekt der zu-Infinitivgruppe von einer anderen Konstituente im Matrixsatz ‘kontrolliert’ (vgl. dazu z. B. Siebert-Ott (1983)) wird oder ‘arbiträr’ interpretierbar ist, grob gesprochen einem man-Subjekt des dass-Satzes entspricht. Allerdings kann auch dann bei manchen Prädikaten die Infinitivrealisierung blockiert sein, etwa bei einstelligen ‘semantischen’ Prädikaten wie stimmen, wahr sein
usw., die die ‘Existenz’ eines Sachverhalts betreffen, oder Prädikaten, die den ‘Evidenzcharakter’ eines Sachverhalts hervorheben (möglicherweise spielt hier eine Rolle, dass zu-Infinitivgruppen als unbestimmt, wie in Beispiel (31) oben, interpretiert werden könnten). (34)
Mir ist klar, dass ich dazu zu dumm bin / *zu dumm dazu zu sein. a. Es ist klar, dass man anrufen darf / *anrufen zu dürfen.
Da zu-Infinitivgruppen der einleitende Ausdruck fehlt, der unter anderem die syntaktische Abgeschlossenheit signalisiert, sind sie ⫺ insbesondere in der Funktion als direktes Objekt ⫺ empfänglich für Auflösungstendenzen, die sich in den so genannten kohärenten Infinitivstrukturen zeigen (vgl. dazu den Klassiker Bech (1955 [21983]) und Haider (1993, 247 f.)). In der einfachsten Form wird die zuInfinitivgruppe entgegen dem bevorzugten Verhalten von satzförmigen Ergänzungen und auch diesen Infinitivgruppen nicht extraponiert (wie in (35)), sondern ans Mittelfeldende gestellt (wie in (35a)); die beiden dadurch direkt aufeinander folgenden Verbalkomplexe können als ein einziges Prädikat reanalysiert werden, so dass bei der stärksten Form der Kohärenzbildung alle restlichen Konstituenten in einem einheitlichen Mittelfeld nach den dafür gültigen Anordnungsregeln linearisiert erscheinen (wie in (35b)). (35)
weil Schulze versuchte, es zu verkaufen a. weil Schulze es zu verkaufen versuchte b. weil es Schulze zu verkaufen versuchte
2.4. Adverbielle Ergänzungssätze Während für alle bisher genannten Formen von Ergänzungssätzen gilt, dass sie nicht-relational zu interpretieren sind, kann es in manchen Fällen auch zu einer Art Verschnitt von Subjekts- oder Objektsfunktion und bestimmten adverbiellen Funktionen kommen. Dieses Phänomen zeigt sich nicht selten bei als- und wenn-Sätzen (sowie bei konditional interpretierbaren eingebetteten Verb-ErstSätzen). Der Status der entsprechenden Formen ist allerdings umstritten (vgl. Bausewein 1990, 135 f.; Breindl 1989, 255 f.; FabriciusHansen 1980; Fabricius-Hansen/Sæbø 1983; Metschkowa-Atanassowa 1983; Oppenrieder 1991, 264 f.).
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66. Subjekt- und Objektsätze
(36) Für die Bosse der Baufirma kam es völlig überraschend, als Anfang Juni ihr größter Konkurrent ein Aktienpaket erwarb. (37) Deshalb freut ihn sehr, wenn er wie an diesem Abend erlebt, dass es auch anders sein kann. (38) Freilich wäre es unredlich, ließe man es bei solch einseitiger Geschichtsbetrachtung bewenden. Die entsprechenden Ausdrücke haben ‘Subjekts- oder Objektsgeschmack’ ⫺ allerdings lediglich in extraponierter Stellung, während sie in der Vorfeldposition die zusätzliche Einfügung eines echten Subjekts- oder Objektsausdrucks notwendig machen (beim extraponierten ‘wenn-Subjektsatz’ in (37) ist dagegen kein Platzhalter vorhanden). (36) a. Als … , kam das/*⵰ für die Bosse völlig überraschend. Andererseits legt der folgende (verkürzte) Beleg nahe, dass zumindest die extraponierten wenn-Sätze auch mit den üblichen (abgeschlossenen) absoluten Formen koordinativ verknüpft werden können, was stark dafür spricht, dass die adverbielle Relation mit der prädikatsabhängigen Relation überblendet werden kann (im einen Fall ⫺ bei als ⫺ kommt zur prädikatsabhängigen Charakteristik die zeitliche Relationierung, im anderen Fall geht es offensichtlich darum, die Faktizität bezüglich des dargestellten Sachverhalts aufzuheben; vgl. auch die Beispiele (26) ff. mit konditional interpretierten Verb-ZweitSätzen und (31) mit einer konditional interpretierten zu-Infinitivgruppe). (39) Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht zu verwundern, wenn man sich die Frage vorlegte …, und dass man diese Frage gelegentlich … 2.5. Freie Relativsätze Einen weiteren, allerdings weniger problematischen Sonderfall unter den satzförmigen Subjekts- bzw. Objektsausdrücken stellen die so genannten Freien Relativsätze dar (vgl. Breindl 1989, 224 f.; Bausewein 1990, 157 f.; Oppenrieder 1991, 217 f.; Pittner 1995). (40) Wer Banknoten nachmacht, erhält eine Freiheitsstrafe. (41) Wir essen, was uns schmeckt. (42) Ich interessiere mich, wofür du dich interessierst.
Sie sind offensichtlich nicht auf das Vorkommen mit spezifischen Prädikaten beschränkt, sondern können beliebig als Alternative zu Ergänzungen in der Form von Nominalphrasen oder Präpositionalphrasen verwendet werden. Von den attributiv gebrauchten Relativsätzen unterscheiden sie sich zum einen durch die teilweise anderen Einleitungsausdrücke (z. B. wer statt der), zum anderen dadurch, dass sie üblicherweise sowohl internen wie auch externen formalen Forderungen unterliegen (die miteinander in Einklang gebracht werden müssen), z. B. bezüglich der nominativischen Markierung in (40) oder zumindest bezüglich der Formgleichheit von (außengesteuertem) akkusativischen und (innengesteuertem) nominativischen was in (41). Die externe Formsteuerung lässt sich so interpretieren, dass diese Freien Relativsätze als Äquivalente von Nominal- bzw. Präpositionalphrasen und nicht als Sätze aufzufassen sind. Darauf deuten auch andere Phänomene hin: Anders als die sonstigen satzförmigen Ergänzungen können sie ohne Probleme im Mittelfeld stehen. (43) Deshalb muss eigentlich, wer außer Kohl Kanzlerkandidat werden will, den Parteivorsitz erstreben. Mit Platzhaltern sind sie auch bei Extraposition nicht verträglich. (43) a. Deshalb muss *es eigentlich den Parteivorsitz erstreben, wer außer Kohl Kanzlerkandidat werden will. Beide Eigenschaften teilen Freie Relativsätze mit nominalen Ergänzungen. Die ‘Nominalität’ wiederum erlangen sie dadurch, dass sie so interpretiert werden, als sei mit ihnen ein semantisch weitgehend unspezifizierter Bezugsausdruck gekoppelt (der z. B. im Fall von wer durch der oder derjenige expliziert werden könnte). Bei Prädikaten, die wie interessieren in (42) ‘echte’ satzförmige Ergänzungen mit [⫹ w]-Charakteristik zulassen, kann es zu Ambiguitäten zwischen der einfachen Ergänzungslesart (Interesse für eine Liste von Interessen) und der Relativlesart (Übereinstimmung in den Interessen) kommen.
3.
Platzhalter
Ein Spezifikum aller valenzgebundenen (nicht-adverbiellen) satzförmigen Ausdrücke ist ihre potentielle ‘Ankündbarkeit’ durch einen Platzhalter (häufig auch Korrelat ge-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
nannt, zu Korrelaten in einem weiteren Sinn vgl. Sonnenberg (1992); zu Platzhaltern von Subjektsätzen Oppenrieder (1991, 327 f.) und Marx-Moyse (1983), von Akkusativobjektsätzen Bausewein (1990, 182 f.) und Ulvestad/ Bergenholtz (1979) und (1983), von Präpositionalobjektsätzen Breindl (1989, 157 f.)), wenn die satzförmigen Ausdrücke selbst in Spätstellung, d. h. extraponiert, auftreten. Als Platzhalter und damit als Träger der Funktionsmarkierung werden generell die ‘schwächstmöglichen’ Ausdrücke gewählt, sowohl in inhaltlicher wie lautlicher Hinsicht ⫺ das unbetonte neutrale Personalpronomen es in seiner nominativischen und akkusativischen Variante und Proadverbien aus einem unbetonten pronominalen da(r)-Teil ⫺ der unter diesen Bedingungen auch seinen vokalischen Nukleus verlieren kann ⫺ und der erforderlichen Präposition (dabei, darüber/drüber, darauf/ drauf etc.) bei den Präpositionalobjektsätzen (sowie dessen bei den seltenen satzförmigen Genitivobjekten). Deutlich unterschieden werden müssen solche Platzhalter von Bezugsausdrücken, die als akzentuell starke (pronominale) Formen auftreten und die zugeordneten satzförmigen Ausdrücke bzw. zu-Infinitivgruppen als Attribute zu sich ziehen können (das, die Tatsache usw.). Der Unterschied lässt sich vor allem an den Proadverbien demonstrieren: Nur bei akzentuiertem Pronominalteil können sie als Bezugsausdrücke auftreten, ansonsten sind sie als Platzhalter zu werten (vgl. dazu ausführlich Breindl (1989, 157 f.)). (44)
DARüber/*Drüber, dass du gekommen bist, habe ich mich sehr gefreut. a. Ich habe mich DARüber/*drüber, dass du gekommen bist, sehr gefreut.
Platzhalter für satzförmige Ausdrücke bzw. zu-Infinitivgruppen sind prinzipiell unter den folgenden beiden Bedingungen zulässig: Erstens muss der Satz selbst in Spätstellung auftreten, d. h. von den beiden möglichen Stellungsvarianten Vorfeld oder Nachfeld bzw. Extraposition darf nur die letztere gewählt werden, so dass die valenzstellengerechte Interpretation als Subjekt oder Objekt nicht in den für Subjekte und Objekte normalerweise zugänglichen syntaktischen Positionen erfolgen kann, sondern gewissermaßen hinausgeschoben ist. Zweitens können offensichtlich nur valenzabhängige Sätze mit Platzhaltern verbunden werden (vgl. Oppenrieder 1991, 328 f.). Das legt den Schluss nahe, dass Platzhalter ersatzweise diejenigen formalen Merk-
male realisieren, die üblicherweise mit den vom Prädikat abhängigen Valenzstellen verknüpft sind, die aber an satzförmigen Ausdrücken nicht erscheinen können (Kasus und freie Einbettung unter Präpositionen). Auf der anderen Seite kann die entsprechende eine Leerstelle, die vom Valenzträger eröffnet wird, nicht zweimal unabhängig voneinander besetzt werden. Platzhalter können daher nur erscheinen, wenn der eigentlich valenzabhängige Ausdruck aus dem unmittelbaren Realisierungsbereich für Leerstellenfüller und ihre formale Markierung herausgenommen ist: Ein satzförmiger Ausdruck im Vorfeld bindet die Leerstelle als ganze ab; bei Spätstellung stehen dagegen die formalen Merkmale für eine Realisierung an einem möglichst schwachen Träger zur Verfügung, während die ‘semantische Abbindung’ erst in einem zweiten Schritt erfolgt. Der rein formale Charakter ist auch dafür verantwortlich, dass Platzhalter unbetonbar sind und nicht fokussiert werden können (etwa durch fokussierende Partikeln) ⫺ im Gegensatz zu Bezugsausdrücken (z. B. das). (45) Tatsächlich hat es ihn/*ihn ES/*ihn nur ES/ihn nur DAS geärgert, dass … Ein multifaktorielles Konzept der Valenzbindung, wie es in Jacobs (1994) vorgestellt wird, lässt ein solches Auseinandertreten der unterschiedlichen Arten von Valenzabhängigkeit im Prinzip zu. Bei den Platzhaltern zu satzförmigen Ergänzungen trifft man genau auf diesen Fall: Argument bzw. inhaltlich spezifiziert ist der satzförmige Ausdruck, formal spezifiziert dagegen der Platzhalter. Selbst wenn die beiden notwendigen Bedingungen für das Auftreten von Platzhaltern erfüllt sind, hängt deren tatsächliche Verwendung offenbar noch von einer Reihe von begünstigenden oder behindernden Faktoren ab (vgl. insbesondere Breindl (1989, 189 f.); Oppenrieder (1991, 340 f.) und die dort zitierte Literatur), von denen die spezifische Form des Satzes und die Art des Valenzträgers besonders wichtig sind. So tendieren einerseits Subjektsinfinitive deutlich zur Platzhaltersetzung. Bei gefallen etwa ist der Platzhalter nahezu obligatorisch, wenn das Subjekt als zuInfinitivgruppe realisiert wird, bei finiter Realisierung ist der Platzhalter dagegen optional. (46)
Mir gefällt es/??⵰, jederzeit unterbrechen zu können. a. Mir gefällt es/⵰, dass ich jederzeit unterbrechen kann.
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66. Subjekt- und Objektsätze
Ein Hauptgrund für dieses Verhalten dürfte sein, dass zu-Infinitivgruppen an sich einen deutlich stärker nominalen Charakter haben als finite Sätze, so dass die Platzhaltersetzung ihre Verwendung als Satzäquivalent unterstreicht. Andererseits unterscheiden sich die einzelnen Valenzträger selbst durchaus im Grad ihrer Verträglichkeit mit Platzhaltern, wenn auch dieser lexembestimmte Ausgangswert häufig nur einen Faktor unter mehreren darstellt (neben den beiden genannten noch mindestens Faktizität, syntaktische Konstruktion, Akzentverhältnisse, Informationsstruktur, ‘Stil’): Insbesondere bei den satzförmigen Präpositionalobjekten aber sind Platzhalter mit ihrer Spezifizierung der valenzgeforderten Präposition nicht selten obligatorisch. (47) Wir weisen darauf/*⵰ hin, dass bei Missbrauch die Karte eingezogen wird.
4.
Stellungscharakteristika der Ergänzungssätze
Satzförmige Ausdrücke (mit Ausnahme der Freien Relativsätze) unterscheiden sich in ihren Stellungsmöglichkeiten generell ganz deutlich von den funktionsgleichen Ausdrücken in der Form von Nominal- oder Präpositionalphrasen. Sie können nämlich ausschließlich an den Rändern des einbettenden Matrixsatzes ohne Probleme erscheinen (freie Adverbialsätze auch parenthetisch eingeschoben), d. h. in Spitzen- oder Spätstellung. Für die Spitzenstellung gilt wie bei anderen Konstituenten auch die Vorbedingung, dass der einbettende Satz Verb-Zweit-Stellung aufweisen muss und damit über ein Vorfeld verfügt (das nicht bereits durch satzartbestimmende w-Ausdrücke gefüllt ist). In dieser bezüglich der kategorialen Füllung neutralen syntaktischen Position sind satzförmige Ausdrücke wie andere Ausdrücke auch völlig in die einbettende Struktur integriert, so dass die Platzhalterstrategie nicht mehr anwendbar ist. Allerdings scheinen ‘absolute’ satzförmige Ausdrücke im Vorfeld per Default gemäß den zentralen Funktionen Subjekt oder direktes Objekt interpretiert zu werden, so dass für Präpositionalobjektsätze eine Ersatzstrategie angewendet werden muss: Sie treten üblicherweise nur linksversetzt auf mit dem passenden Proadverb als wiederaufnehmendem Element (zur Linksversetzung vgl. Altmann (1981)). Im übrigen werden auch Ergänzungssätze in den anderen Funktionen häufig
nicht nur ins Vorfeld gestellt, sondern linksversetzt ⫺ ein Hinweis darauf, dass sie in dieser Position typischerweise als Topik (im Sinn der Präsentation eines thematischen ‘Gegenstandes’ für den folgenden Satz) interpretiert werden. (48) Dass Anna nicht gekommen ist, ärgert mich / bedaure ich / *ärgere ich mich / darüber ärgere ich mich. Verb-Zweit-Sätze scheinen dagegen überhaupt nicht im Vorfeld auftreten zu können, da sie in diesem Fall nicht durch ein entsprechendes Prädikat als eingebettet angekündigt werden und aufgrund fehlender Unterordnungsmerkmale sofort als selbständige Strukturen interpretiert werden (Signale wie Konjunktiv I oder die Deixisverschiebung sind zu schwach, um syntaktische Abhängigkeit anzuzeigen). Statt den Selbständigkeitsstatus des Verb-Zweit-Satzes zu korrigieren, werden eher die folgenden Strukturen als parenthetisch nachgeschoben interpretiert ⫺ parallel zu den üblicheren eingeschobenen Verwendungen (in beiden Fällen mit den typischen zurückgenommenen intonatorischen Charakteristika, so dass der scheinbare Matrixsatz nicht als Informationsschwerpunkt fungieren kann). (24) a. Sie erleben nun bald eine andere Republik ⫺ (so) schwant manchen Liberalen. b. Sie erleben nun bald ⫺ (so) schwant manchen Liberalen ⫺ eine andere Republik. (Entsprechend ist Beleg (25) oben ein nicht ganz unproblematisches Beispiel für einen eingebetteten Verb-Zweit-Satz; zudem ist eine extraponierte Version ⫺ anders als bei den typischen Prädikaten mit Verb-Zweit-Ergänzungssätzen ⫺ kaum denkbar.) Diese Analyse wird durch das Verhalten der Konstruktionen mit komparativischem Matrixsatz gestützt, die gerade keine parenthetische Uminterpretation zulassen, so dass die gesamte Struktur ungrammatisch wird. (49) *Du gehst jetzt, ist besser. Ansonsten sind satzförmige Ergänzungen auf die Spätstellung beschränkt: Sie erscheinen am rechten Rand derjenigen Konstruktion, in die sie eingebettet sind, d. h. im Nachfeld bzw. einem dem Nachfeld mit seinen nicht satzförmigen ausgeklammerten Ausdrücken folgenden ‘Extrapositionsfeld’.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(50) Alles in allem dürfte evident sein nach diesem Tristan, dass mit dem Ring die Bayreuther Spitzenleistung dahin ist. Genau dieses letztere Herausnehmen aus dem eigentlichen Satzverband ist auch die Bedingung für die Verwendung eines Platzhalters als pro forma Füllung einer Valenzstelle. Neben dieser scheinbaren Doppelbesetzung einer Valenzstelle spricht auch das Verhalten von bestimmten Gradpartikeln dafür, dass extraponierte satzförmige Ausdrücke nicht zum engeren ‘Satzbereich’ gehören: Betonbare Gradpartikeln mit Bezug auf einen solchen Satz werden nämlich auch tatsächlich akzentuiert, so wie es ansonsten bei der Nachstellung dieser Partikeln hinter ihren Bezugsbereich (also bei ebenfalls nicht-normaler Abfolge) geschieht. Im hier interessierenden Fall erscheinen die Gradpartikeln zwar vor dem Bezugsausdruck, aber dieser ist von ihnen strukturell getrennt und steht zudem außerhalb des engeren Satzbereichs (vermutlich wird durch die Akzentuierung zunächst einmal signalisiert, dass die auf die Gradpartikel folgenden Ausdrücke nicht den Fokus bilden!). (51)
Mir ist NUR aufgefallen, dass die Tür nicht abgeschlossen war. a. Nur/*NUR dass die Tür nicht abgeschlossen war, ist mir aufgefallen.
Dabei erhalten die Gradpartikeln einen Akzent, wie er ansonsten für Bezugsausdrücke charakteristisch ist (mit ‘progredient’ ansteigender Tonmelodie); durch diese intonatorische Charakteristik können die zwei Versionen des Bezugsbereichs im folgenden Beispiel voneinander geschieden werden. (52) Mir ist AUCH aufgefallen, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Bei ‘progredienter’ Melodieführung auf der Gradpartikel ist der folgende Subjektsatz fokussiert, bei nicht-progredienter das Pronomen im Vorfeld ⫺ mit den entsprechenden unterschiedlichen ‘Hintergründen’, relativ zu denen die Interpretation erfolgt. Schwierigkeiten treten dann auf, wenn wie bei den so genannten Doppelgliedsatzverben zwei satzförmige Ergänzungen als Kandidaten für die Füllung des Extrapositionsfeldes vorhanden sind, da (vermutlich wegen der fehlenden Identifizierbarkeit der syntaktischen Funktion des jeweiligen Satzes) offenbar nur jeweils ein solcher Kandidat tatsächlich extraponiert werden darf (vgl. dazu
schon den „same side filter“ in Ross (1973, 554)). In diesem Fall muss auf Ausweichkonstruktionen zurückgegriffen werden. Für die Subjektsätze bedeutet ein solches Ausweichen die Umwandlung in einen Gliedteilsatz mit einem möglichst bedeutungsschwachen Bezugsausdruck (wie etwa Tatsache) ⫺ beide zusammen sind als nominaler Komplex mittelfeldfähig ⫺, während Objekte ihren Status als satzförmige Ergänzungen behalten (ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass Subjektsätze der Tendenz nach eher präsupponiert sind als Objektsätze und damit als Teil einer definiten Nominalphrase auftreten können). (53) Drückt eine Formel A eines gedeuteten Kalküls eine bestimmte inhaltlich verständliche Aussage aus, so besagt die Tatsache, dass A eine Formel ist, dass in diesem Kalkül die Formel herleitbar ist. Der Sonderstatus satzförmiger Subjekte zeigt sich noch einmal im Zusammenhang mit einwertigen nicht-verbalen Prädikaten. Hier ist nämlich bei Extraposition des abhängigen Satzes eine Verkürzung des Matrixsatzes bis auf das Prädikat selbst möglich und (zumindest in der gesprochenen Sprache, aber häufig auch in journalistischen Texten) durchaus üblich. Da der Subjektsatz keine Nominativmarkierung braucht, können die mit der Nominativmarkierung des Subjekts korrelierenden Finitheitsmerkmale vollständig fehlen. (54) Beeindruckend, dass eine baden-württembergische Katholikin darüber bestimmt, was den wahren Islam ausmacht. Schön auch von ihr, dass sie sich Zeit nimmt, um für die Emanzipation der Frauen in der islamischen Gesellschaft zu kämpfen. (55) Hauptsache, dir ist nichts passiert. (56) Ein Wunder, dass er es noch geschafft hat. (57) Am besten, du lässt dich hier nicht mehr blicken. (58) Schade, dass es nicht zur Goldmedaille gereicht hat. (59) Klar, dass du kommen kannst. Nicht zulässig sind in diesem Fall valenzabhängige Erweiterungen der Matrixstruktur (insbesondere Platzhalter), freie Erweiterungen dagegen schon. (59) a. *Mir klar / *Es klar, dass du kommen kannst.
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66. Subjekt- und Objektsätze
(60) Schön für dich, dass du diesen Preis gewonnen hast. Subjekte in Nominalphrasenform lassen diese Konstruktion generell nicht zu. (61) Schön ⫺ dieser Ring. Zwei selbständige Melodiebögen, getrennt durch eine Pause, im Gegensatz zu der ‘integrierenden’ Melodieführung in den oberen Beispielen sind ein deutlicher Hinweis auf das Vorliegen einer anderen Konstruktion: Das Prädikat ist ein Ellipsenrest, der nachgeschobene nominativisch markierte Ausdruck ist rechtsversetzt und verdeutlicht nachträglich den Bezug des ausgelassenen eigentlichen Subjekts. Als nicht-gekürzter Ausdruck wäre zu rekonstruieren: (61) a. Er ist schön ⫺ dieser Ring. Satzförmige Ausdrücke können im allgemeinen nicht direkt ins Mittelfeld integriert werden (vgl. ausführlich Oppenrieder (1991, 295 f.), sowie Dryer (1980) zu universellen Abfolgepräferenzen bei satzförmigen Ergänzungen, denen die Verhältnisse im Deutschen entsprechen), sondern werden dort parenthetisch eingeschoben. Bei Valenzstellenfüllern entfällt naturgemäß ein solches nicht-integratives Verfahren. Entscheidend für das Ausmaß der Mittelfeld(un)verträglichkeit ist der Grad der Nominalität von Sätzen, der von Verb-Zweit-Sätzen und Verb-Letzt-Sätzen über zu-Infinitivgruppen bis hin zu den in vielen Hinsichten Nominalphrasen-äquivalenten Freien Relativsätzen reicht. Während letztere wie gesehen im Mittelfeld auftreten können, lassen sich ansonsten höchstens für zu-Infinitivgruppen vereinzelte Belege finden (typischerweise zur Vermeidung einer doppelten Extraposition). (62) … wenngleich die letzten Reserven freizusetzen bisweilen daran zu scheitern scheint, dass das Herz bis zum Hals schlägt. Einen Sonderfall der Einbettung von zu-Infinitivgruppen bilden die so genannten Rattenfängerkonstruktionen, bei denen ein Relativausdruck die gesamte Konstituente, deren Teil er ist, in die Spitzenposition eines Relativsatzes ‘mit sich nach vorne pfeift’ (vgl. dazu Grewendorf (1986) und Oppenrieder (1991, 310 f.)); hinter dieser Möglichkeit steckt wiederum, dass der Infinitivgruppe ein Einleitungsausdruck fehlt, der die Spitzenposition blockieren könnte.
(63) … in der amerikanischen Nahostpolitik, die Politik zu nennen (*es) nicht nur der Regierung in Jerusalem schwerfällt.
5.
Prädikattypen und semantische Rollen
Satzförmige Ausdrücke und die von ihnen repräsentierten Sachverhalte können eine ganze Anzahl an unterschiedlichen semantischen Rollen übernehmen und sind daher mit ganz unterschiedlichen Typen von Prädikaten verträglich (zu der semantisch bedingten Verträglichkeit mit den einzelnen Subtypen der Ergänzungssätze vgl. oben 2.1). Entsprechende Verben sind ein- oder zweistellig, selten dreistellig (wie das Doppelgliedsatzverb zeigen, das neben zwei satzförmigen Ergänzungen noch eine personenbezogene DativNP zulässt); daneben finden sich alle Typen von Prädikaten mit nicht-verbalen Teilen. Eine erste Gruppe machen ‘semantische’ Prädikate wie stimmen, zutreffen, bedeuten, implizieren, heißen, der Fall sein, wahr sein usw. aus, mit denen zum Teil ‘Existenzfragen’ bezüglich des vom satzförmigen Ausdruck bezeichneten Sachverhalts ins Spiel gebracht, zum anderen Sachverhalte oder Propositionen in ‘Bedeutungsbeziehungen’ gesetzt werden. Bei Prädikaten, die zur Sprechaktcharakterisierung verwendet werden, als zweiter Gruppe vertreten die satzförmigen Ausdrücke die zentrale Formkategorie der Sprechaktprodukte. Zu einer dritten Gruppe gehören Prädikate mit Subjektsätzen, bei denen der vom Subjektsatz bezeichnete (notwendigerweise als abgeschlossen repräsentierte) Sachverhalt von der semantische Rolle her als Ursache bzw. Auslöser charakterisiert werden kann, wobei als betroffene (‘effizierte’ bzw. ‘affizierte’) Größe wiederum ein Sachverhalt auftritt, z. B. bei bewirken, verursachen, verhindern usw. (in verdeckter Form z. B. bei Funktionsverbgefügen mit bringen: jemanden zum Weinen bringen), oder aber, sehr viel häufiger, eine durch eine Nominalphrase mit Objektsfunktion benannte Person (häufig als akkusativisches ‘affiziertes Objekt’), wobei im Standardfall deren psychische Beschaffenheit (oder Einstellung) in charakteristischer Weise beeinflusst wird: ärgern, freuen, frustrieren, aufregen, kränken, ärgerlich machen, traurig stimmen, gut tun, in Ärger versetzen, Sorgen machen usw. Dass es sich bei den auslösenden Sachverhalten nicht um Agentien im eigentlichen Sinn handelt,
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
zeigt sich deutlich daran, dass keine ‘instrumentale Variante’ möglich ist, sondern nur die unvermittelte Verursachung:
6.
(64)
Altmann, Hans (1981): Formen der „Herausstellung“ im Deutschen. Rechtsversetzung, Linksversetzung, Freies Thema und verwandte Konstruktionen (⫽ Linguistische Arbeiten 106). Tübingen.
Max erzürnt mich mit seinem dauernden Gequengel. a. Dass Max nicht gekommen ist, erzürnt mich *mit seiner Unverschämtheit.
Für eine ganze Anzahl an Verben aus dieser Gruppe gibt es eine statischere Alternativkonstruktion mit dem Träger der psychischen Einstellung (bzw. dem ‘abhängigen’ Sachverhalt z. B. bei sich zeigen an) als Subjekt, einem obligatorischen Akkusativreflexivum (als Kennzeichen für die fehlende Agenshaftigkeit der im Subjekt genannten Größe) und der Darstellung des ‘auslösenden’ Sachverhalts als Objekt (Präpositionalobjekt, bei personalem Subjekt häufig mit der Präposition über): sich ärgern, sich freuen, sich aufregen, ?sich kränken (in manchen Fällen existiert auch nur die statischere Variante: sich stoßen an). Zum Teil gibt es hier ganze Prädikatsfamilien, die mit satzförmigen Argumenten ⫺ in welcher syntaktischen Funktion auch immer ⫺ verträglich sind: erzürnen, zornig machen, in Zorn versetzen, erzürnt sein über / erzürnen über, sich erzürnen über. Wie eben kurz erwähnt wurde, sind satzförmige Ergänzungen einer vierten Gruppe der von einem Vorgang betroffenen affizierten oder effizierten Größe zuzuordnen; hierzu lassen sich auch die zahlreichen zu-Infinitivgruppen, fast ausschließlich mit Objektsfunktion, stellen, die einen vom Agenssubjekt oder einer Objektsgröße als zu realisierend angezielten Sachverhalt erfassen (versuchen, fertigbringen, vorschlagen, es abgesehen haben auf usw.). Fünftens beziehen sich satzförmige Ausdrücke häufig auf (abgeschlossene oder offene) Propositionen, die lediglich als Objekte von Einstellungen oder Einschätzungen einem Einstellungsträger zugeordnet werden, sei dieser bei den verbalen Prädikaten dieser Gruppe als Subjekt (wissen, glauben, vermuten usw.; die statischeren Varianten der dritten Gruppe könnten vielleicht auch hier aufgeführt werden) oder als Dativ-Nominalphrase realisiert (auffallen, schwanen usw.); bei nicht-verbalen Prädikaten ist der Träger dieser Einstellung oder Einschätzung häufig nur aus dem Verwendungskontext erschließbar (im typischen Fall handelt es sich um den Sprecher), kann aber in manchen Fällen auch explizit durch eine für-Phrase oder eine dativische Nominalphrase benannt werden (klar, schön, bezeichnend, ärgerlich, traurig, ein Skandal usw.).
Literatur in Auswahl
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67. Unpersönliche Konstruktionen
913
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Wilhelm Oppenrieder, München (Deutschland)
67. Unpersönliche Konstruktionen 1. 2. 3. 4.
1.
Einführung Zum Begriff der Unpersönlichkeit Unpersönliche Verben Literatur in Auswahl
Einführung
Im allgemeinen werden Satzstrukturen als unpersönlich betrachtet, wenn das Verb kein Subjekt oder wenigstens kein „eigentliches“ Subjekt hat. Die Beispiele (1a⫺d) stellen im Gegensatz zu (1e) unpersönliche Konstruktionen dar, wobei also das Pronomen es in diesen Fällen nicht als Ergänzung des Verbs gezählt wird, auch wenn es bestimmte subjektsähnliche und somit ergänzungsähnliche Satzgliedfunktionen erfüllt (E steht für valenzgebundene Ergänzung, A für freie Angabe). (1)
a. b. c. d. e.
Es(⫺) regnet. HeuteA regnet es(⫺). Es(⫺) wird getanzt. HierA wird getanzt. Die LeuteE tanzen gernA.
Lucien Tesnie`re charakterisiert die zentrale Problematik der unpersönlichen Konstruktionen folgendermaßen: „Il y a des verbes sans actant, des verbes a` un actant, des verbes a` deux actants et des verbes a` trois actants. […] Les verbes sans actant expriment un proce`s qui se de´roule de lui-meˆme, sans que personne ni rien y participe. C’est essentiellement le cas de ceux qui de´signent des phe´nome`nes me´te´orologiques. Ainsi dans la phrase latine pluit, ‘il pleut’, le verbe pluit de´peint une action (la pluie) sans actant. Le stemma se re´duit ici a` un simple nucle´us […], puisque, faute d’actants, il ne saurait y avoir de connexion entre ceux-ci et le verbe […] Reprenant notre comparaison de la phrase avec un petite drame […], nous dirons que, dans le cas du verbe sans actant, le rideau se le`ve sur une sce`ne ou` tombe de la pluie ou de la neige, mais vide d’acteurs.“ (Tesnie`re 1959, 106)
Für Tesnie`re muss also eine potentielle Ergänzung einen semantischen Inhalt haben bzw. einen „Mitspieler“ auf der verbspezifischen kognitiven „Szene“ darstellen, um als echte Ergänzung betrachtet werden zu können. Die Valenz ist also für Tesnie`re in diesem Sinne kein rein syntaktisches Phänomen,
914
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
sondern eher ein syntaktischer Reflex kognitiv-semantischer Inhalte. Bei ihm kommt der Zusammenhang zwischen Inhalt und Valenz darin zum Ausdruck, dass er keine dependenzielle Relation zwischen dem unpersönlichen Subjekt und dem Verb vorsieht, sondern das unpersönliche Subjekt als Element des verbalen Nukleus betrachtet.
2.
Zum Begriff der Unpersönlichkeit
Sätze ohne Subjekt werden im allgemeinen als unpersönlich betrachtet, aber z. B. in Helbig/Buscha (1984, 168 f.) werden u. a. auch Passivsätze wie Dem Schüler wird geholfen, Von den Zuschauern wurde geklatscht und Am Abend wurde getanzt ohne Subjekt als „keineswegs ‘unpersönlich’“ bezeichnet, weil das Vorhandensein eines Agens, das in den Aktivsätzen als Subjekt erscheint, die Voraussetzung der Bildbarkeit dieser Passivkonstruktionen darstelle. Ein wenig problematisch, wenn vielleicht auch nicht unmöglich, dürfte es aber sein, in dieser Weise kognitiv vorausgesetzte, zwar regelbedingte, aber nicht sprachlich ausgedrückte Elemente als in gewissem Sinne Teil der Konstruktion zu betrachten. Die agenslosen Passivkonstruktionen sind ja höchstens kontextuell mit „entsprechenden“ Aktivsätzen synonym. Konstruktionen wie etwa Mich friert (es), die mehr oder weniger synonyme persönliche Konstruktionen als Entsprechungen haben können, in diesem Falle Ich friere, müssten wohl dann auch aus ähnlichen Gründen als persönlich betrachtet werden können. Konstruktionen des Typs Ich friere mit referentiellem syntaktischem Subjekt scheinen zwar an sich ein wenig „persönlicher“ zu sein als die des Typs Mich friert (es), da sie im Gegensatz zu den letztgenannten eine „voluntative“ Interpretation erhalten können, vgl. Zimmermann (1972). Eine konsequente und wenigstens relativ eindeutige Definition des Begriffs „unpersönliche Konstruktion“ scheint am besten davon auszugehen, dass unpersönliche Konstruktionen solche Konstruktionen sind, die konstitutiv kein (eigentliches) Subjekt bzw. keine Markierung für ein solches enthalten. Die Alternative „Markierung für Subjekt“ ist deshalb notwendig, weil eine Konstruktion unter bestimmten Bedingungen persönlich sein kann, ohne dass das Subjekt explizit als Satzglied erscheinen muss. Es gibt ja z. B. Sprachen, wo das Subjekt in bestimmten Personalformen nur durch eine Personal-
endung am Verb angegeben wird oder werden kann, vgl. etwa finnisch Tulen (alternativ Minä tulen) ‘ich komme’. In Sprachen wie dem Deutschen kann das Subjekt kontextuell ausgelassen werden, vgl. etwa Komme sofort! statt Ich komme sofort! Dies bedeutet aber nicht, dass es um eine unpersönliche Konstruktion gehen würde, denn das Subjekt liegt als strukturelle Leerstelle und syntaktische Position vor, und zwar in referentieller Funktion, vgl. etwa Nikula (1986); vgl. weiter auch Abramov (1967). (Auch textverweisende Funktionen wie die anaphorische und kataphorische werden im Folgenden pauschal als „referentiell“ bezeichnet.) Es scheint also möglich zu sein, zwischen Unpersönlichkeit und unpersönlicher Konstruktion zu unterscheiden, wobei der Begriff der Unpersönlichkeit sich nur auf die Inhaltsseite, der Begriff der unpersönlichen Konstruktion dagegen sowohl auf die Inhalts- als auch auf die Ausdrucksseite der Sprache beziehen würde. Dabei könnten Sätze wie Dem Schüler wird geholfen, aber auch Mich friert (es), als unpersönliche Konstruktionen bezeichnet werden, auch wenn man sie als inhaltlich persönlich auffassen möchte, während Sätze wie Es regnet als „echte“ unpersönliche Konstruktionen betrachtet werden würden, da sie auch inhaltlich gesehen unpersönlich sind. Im Falle Dem Schüler wird geholfen wird ein präsupponiertes AGENS nicht ausgedrückt, während im Falle Mich friert (es) ein PATIENS (oder EXPERIENCER) syntaktisch als Objekt erscheint. Sowohl AGENS als auch PATIENS sind Kasusrollen, die zu den „primären Subjektrollen“ gezählt werden können, vgl. Järventausta (1991, 254 f.). Dem es in Es regnet bzw. Mich friert (es) ist es dagegen nicht möglich, eine Kasusrolle zuzuordnen. Die Analyse der unpersönlichen Konstruktionen wird im Deutschen häufig auf die Verwendung des Pronomens es überhaupt ausgedehnt, vgl. Heringer (1967, 24 f.). Da es hier eben um unpersönliche Konstruktionen geht, werden im Folgenden solche Fälle nicht behandelt, wo das es (oder Entsprechendes in anderen Sprachen) eine referentielle Funktion oder eine Platzhalterfunktion hat. Da die Valenz im Blickpunkt steht, werden weiter nur solche unpersönliche Konstruktionen behandelt, die (möglicherweise) unmittelbar durch die Valenz von Verben bedingt sind, d. h. es wird um die unpersönlichen Verben, um die Impersonalien gehen. Dabei werden eher nicht unmittelbar valenzbedingte unper-
67. Unpersönliche Konstruktionen
sönliche Konstruktionen wie etwa das unpersönliche Passiv, das „unpersönliche Reflexivum mit Modalfaktor“ (vgl. Helbig/Buscha 1984, 219 f.) und vergleichbare Konstruktionen behandelt. Nicht berücksichtigt werden auch unpersönliche Konstruktionen, die nicht durch ein Prädikatsverb (Vollverb) regiert werden, wie etwa Kopulakonstruktionen.
3.
Unpersönliche Verben
Die unpersönlichen Verben oder die „Impersonalien“ stellen ein vieldiskutiertes Problem der Sprachwissenschaft dar. Man unterscheidet dabei häufig zwischen „echten“ oder „usuellen“ „Impersonalien“ (z. B. Es regnet) und okkasionellen Impersonalien (z. B. Es riecht). 3.1. Usuelle Impersonalien 3.1.1. Die zentralen Impersonalien sind die Witterungsverben. Logisch gesehen sind diese Impersonalien problematisch, wenn von der Zweigliedrigkeit des Urteils ausgegangen wird. Einem Ausdruck wie Es regnet scheint man kein logisches Subjekt zuordnen zu können. In der älteren Sprachwissenschaft hat auch die psychologische Erklärung des unpersönlichen es der Impersonalien Anklang gefunden. „Nach dieser Theorie steht das es für eine geheimnisvolle Macht, die nicht näher zu bestimmen sei, und gerade darin wird auch der Zweck der Impersonalien gesehen.“ (Heringer 1967, 25) Diachronisch hat man die Unpersönlichkeit dadurch erklärt, dass ein früher als Subjekt stehendes Agens durch das Pronomen es ersetzt worden sei, vgl. etwa Jupiter pluit. „Im einzelnen liegen diese Ansätze vielfältig kombiniert vor.“ (Heringer 1967, 25; vgl. auch Tesnie`re 1959, 239 f.). In den meisten valenz- und dependenztheoretischen Beschreibungen scheint man heute der Meinung zu sein, dass es unpersönliche Verben gibt, wie auch, dass Witterungsverben wie hageln, regnen, schneien usw. als unpersönlich aufzufassen sind, vgl. etwa die Valenzwörterbücher Engel/Schumacher (1978), Helbig/Schenkel (1973), Schumacher (1986; enthält zwar keine Witterungsverben), VALBU ´ gel (1993), Allerton (1982), wie auch weiter A Buscha (1988), Engel (1988), Heidolph/Flämig/Motsch (1981), Helbig (1988), Helbig/ Buscha (1984), Heringer (1967 u. 1989), Horlitz (1975), Matthews (1981), Näßl (1996), Schulz (1998), Tarvainen (1984), Tesnie`re (1959) usw.
915 Als Begründung dafür, dass es bei den Witterungsverben des Typs regnen als ein rein formales Subjekt aufzufassen sei, wird u. a. Folgendes angeführt: es ist nicht kommutierbar, d. h. kann durch kein anderes sprachliches Element ersetzt werden, es hat keine referenzielle Funktion und ist (folglich) inhaltlich leer; da es inhaltlich leer ist, kann es auch nicht Träger einer kognitiv-semantischen Kasusrollenfunktion sein, vgl. auch Abschn. 1, Tesnie`re (1959). Dafür spricht weiter auch, dass „die Frage was regnet? fern liegt“, vgl. Heringer (1967, 29). ⫺ Inhaltlich, auf der semantischen Ebene, kann in einer solchen Analyse das Verb als eine wenigstens zweigliedrige Prädikation aufgefasst werden, wobei regnen ungefähr als ‘FALLEN (wasser)’ paraphrasiert werden könnte. Das Argument ist dabei eine Konstante, die nicht auf der Ausdrucksebene eine Realisierung erhält, weder als Subjekt noch als Objekt, vgl. Nikula (1994, 199⫺204). Beispiele wie es regnet dicke Tropfen, es regnet Wasser können als Fälle eines inneren Objekts erklärt werden, während Bindfäden in es regnet Bindfäden als (adverbielle) Angabe betrachtet werden kann, genau wie stark in es regnet stark, vgl. Heringer (1967, 30). Das Subjekt in die Wolke regnet stellt eher einen abweichenden, deutlich nicht-usuellen Gebrauch von regnen dar, während die Objekte in es regnet Asche, es regnet Prozesse einen metaphorischen Gebrauch oder eine Bedeutungsvariante des Verbs nahe legen, vgl. auch Heringer (1967, 30), Näßl (1996, 29 f.). Tarvainen (1973) schlägt aus fremdsprachendidaktischen Gründen vor, das „unpersönliche es“ sollte als Verbergänzung (Mitspieler) gewertet werden, „wenn es auch im inneren des Satzes bleiben muss“, Tarvainen (1973, 30). „Für einen Finnen zum Beispiel, dessen eigene Sprache sich bei den Witterungsimpersonalien normalerweise mit dem finiten Verb begnügt (sataa ‘es regnet’), ist der Gebrauch des es keine Selbstverständlichkeit, sondern muß ausdrücklich gelernt werden.“ (Tarvainen 1973, 27). Tarvainen (1973) geht aber nicht darauf ein, ob das finnische sataa ‘regnen’ eine unpersönliche Konstruktion ist oder nicht. Es liegt ja nahe, sataa als unpersönliche Konstruktion aufzufassen, da es genau dasselbe wie es regnet auszudrücken vermag. Die alternative Konstruktion sataa vettä(part) ‘es regnet Wasser’ mit vettä ‘Wasser’ als Subjekt ist aber durchaus möglich und nicht besonders markiert. Das Subjekt von sataa steht normalerweise im Kasus Par-
916
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
titiv statt Nominativ, vgl. aber vesi(nom) sataa pisaroina ‘das Wasser regnet tropfenweise’; gegen die traditionelle Auffassung, das Subjekt im Finnischen könne auch im Partitiv stehen, argumentiert Luukkainen (1988, 41⫺ 46); vgl. auch Tarvainen (1985, 102 f.). (Auch ein Akkusativobjekt ist bei sataa möglich, wenn auch nicht frequent.) Das Subjekt vettä als eine Art inneres Subjekt zu deuten ist kaum eine plausible Lösung, wenn man z. B. die folgenden Ausdrücke beachtet: sataa lunta ‘es schneit’ / ‘es regnet Schnee’, sataa rakeita ‘es hagelt’ / ‘es regnet Hagel’. Hier können also lunta ‘Schnee’ bzw. rakeita ‘Hagel’ als Subjekte (im Partitiv) von sataa aufgefasst werden. Eine mögliche Lösung wäre vielleicht, sämtliche Subjekte vom Verb sataa als normale, echte Subjekte zu betrachten, wobei der Satz sataa als elliptisch anzusehen wäre, mit der Standardannahme, dass die Leerstelle, wenn nichts dagegen spricht, durch vettä (oder vesi) besetzt werden soll. Die Bedeutung vom Verb sataa wäre demnach nicht ‘regnen’, sondern ungefähr ‘fallen’, wobei aber sehr spezifische Selektionsbeschränkungen für die Subjektswahl vorliegen würden. Dies würde auch bedeuten, dass der Satz sataa keine unpersönliche Konstruktion darstellen würde. Die Beobachtungen bezüglich des Finnischen zeigen auch, dass weder das Subjekt noch die unpersönliche Konstruktion notwendigerweise als universale Kategorien aufgefasst werden müssen (zur Heterogenität der gängigen Subjektbegriffe vgl. z. B. Reis (1982), Järventausta (1991). ⫺ Auch Götze (1979, 125⫺131) führt fremdsprachendidaktische Gründe an, wenn er mit Hinweis auf Tarvainen (1973) das es bei den Witterungsverben zwar als syntaktische Position, nicht aber zur Valenz des Verbs zählen möchte. Ein wenig problematisch dürfte es sein, fremdsprachendidaktische Überlegungen als schwerwiegende Argumente für oder gegen eine Beschreibung der Struktur einer Sprache anzuführen. In einer späteren Arbeit ist Tarvainen auch der Meinung, dass es doch keine Ergänzung im eigentlichen Sinne sein kann, „sondern als ein ‘leeres Ersatzwort’ für das bei regnen nicht mögliche referentielle Subjekt auftritt“, Tarvainen (1985, 425). Er möchte „das unpersönliche es“ aber nicht als rein grammatisch-formales Dependens innerhalb des Verbalkomplexes oder Prädikats ansehen, sondern als „eine eigene, rein formale Ergänzung mit einer eigenen Knotenposition und einer rein formalen […] Konnexion mit
dem Verb […] betrachten“, Tarvainen (1985, 425). Davon unabhängig, ob es als Teil des Verbalkomplexes oder als „rein formale Ergänzung“ beschrieben wird, wird die Konstruktion an sich offenbar als unpersönlich betrachtet. Järventausta (1991, 146 f.) begründet ihre Entscheidung, das formale Subjekt als formale Ergänzung zu betrachten, durch die folgenden Beobachtungen: Das formale Subjekt wird durch das Verb selegiert, nimmt an bestimmten subjektspezifischen Transformationen teil, verhält sich in der linearen Satzstruktur positionell wie pronominale Subjektergänzungen überhaupt und blockiert das Auftreten eines anderen Subjekts, vgl. auch Pütz (1986, 128 f.). Es geht aber auch bei der formalen Subjektsergänzung um eine unpersönliche Konstruktion, vgl. Järventausta (1991, 147 f.). ⫺ Ein etwas ähnlicher Standpunkt findet sich bei Stötzel (1970), der ein Verb wie regnen als inhaltssyntaktisch nullwertig, ausdruckssyntaktisch aber als einwertig betrachtet; bei ihm motiviert gerade die Existenz nicht-kommutierender Elemente die Unterscheidung zwischen Valenz des Inhalts und Valenz des Ausdrucks, vgl. Stötzel (1970, 101⫺103). Aber auch wenn das Subjekt nur durch eine Ausdrucksvalenz im Sinne von Stötzel (1970) selegiert wird, kann die Konstruktion als unpersönlich betrachtet werden, vgl. auch Askedal (1999, 46). In seiner französischen und deutschen Textgrammatik vertritt Weinrich den Standpunkt, dass das nicht-referentielle französische il (morphe`me horizon) bzw. das deutsche es („Horizont-Pronomen“) Träger von „Handlungsrollen“ sind und dass Verben wie pleuvoir bzw. regnen somit Subjekt-Valenz besitzen, vgl. Weinrich (1989, 83⫺86 bzw. 1993, 113⫺115). Da il bzw. es als vollwertige Subjekte und Verbergänzungen gezählt werden, kann es nach dieser Beschreibung nicht um unpersönliche Konstruktionen gehen. (Weinrich (1989, 633 bzw. 1993, 391) verwendet die Termini verbe impersonnel bzw. unpersönliche Verben innerhalb von Anführungszeichen.) Weinrich begründet seine Entscheidung durch den Begriff „Horizont“ (Weinrich 1989, 80⫺83 bzw. 1993, 381⫺394), wobei ausdrücklich betont wird, dass das Horizont-Pronomen nicht mit dem gleichlautenden „Referenz-Pronomen“ es bzw. il (morphe`me re´fe´rentiel) verwechselt werden darf (Weinrich 1993, 389 f. bzw. 1989, 80). Weinrich (1993, 391⫺394) unterscheidet zwischen den folgenden Horizont-
67. Unpersönliche Konstruktionen
Typen (Weinrich 1989, 80⫺83 ist weniger differenziert): (1) (2) (A) (B) (C) (D)
Textueller Horizont Situativer Horizont Natur-Horizont Zeit-Horizont Leiblich-seelischer Horizont Sinnes-Horizont: Gesichtssinn, Gehörsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn, Tastsinn (E) Gesellschafts-Horizont Durch das nicht-referenzielle Pronomen es (bzw. il) wird eine Beziehung zu einem bestimmten Horizont etabliert; bei den Witterungsverben und anderen vergleichbaren meteorologischen Ausdrücken geht es um den situativen Natur-Horizont: „So muß sich der Hörer bei diesem Pronomen auf den weitesten Horizont einstellen, der ihm von der Bedeutung der betreffenden Verben her nahegelegt wird. Das ist der Horizont des Naturgeschehens.“ (Weinrich 1993, 392) Durch den Begriff des Horizonts ist es Weinrich gelungen, eine wichtige Funktion nicht-referentieller Pronomina in einer einheitlichen und eleganten Weise zu beschreiben. Es ist aber kaum notwendig, davon ausgehend das nicht-referentielle Subjekt als echte Ergänzung zu betrachten. Jedenfalls entsteht eine Uneinheitlichkeit in der Valenzbeschreibung, wenn auch nicht-referenzielle Ausdrücke, die nicht als Argumente der semantischen Struktur des Valenzträgers oder als Rollen einer kognitiven Szene betrachtet werden können, als Ergänzungen aufgefasst werden. Die Funktion des formalen Subjekts scheint in der Beschreibung Weinrichs eben eine syntaktisch-pragmatische zu sein, nicht eine syntaktisch-semantische, d. h. in dem Sinne, dass der Hörer in einer bestimmten kommunikativen Situation ausgehend von der Bedeutung des Valenzträgers und seinem Weltwissen sich bei diesem Pronomen „auf einen bestimmten Horizont einstellen muss“. 3.1.2. Die Empfindungsverben vom Typ Mich friert stellen ähnliche Probleme wie die Witterungsverben dar. Das Pronomen es wird bei diesen Verben im allgemeinen als formales Subjekt und somit nicht als Ergänzung gezählt, oder wenigstens nicht als „echte“, sondern eher als „formale Subjektsergänzung“ betrachtet, wobei im allgemeinen auf die Problematik der Fakultativität des es im Satzinneren aufmerksam gemacht wird, es friert mich / mich friert (es), es gruselt mir /
917 mir gruselt (es), vgl. etwa Heringer (1967), Näßl (1996, 30 f.). Da die Empfindungsverben wegen ihrer Bedeutung in gewissem Sinne inhaltlich „persönlich“ sind, ist der Zusammenhang zwischen ihrer Syntax, Semantik und Rollenstruktur besonders interessant, vgl. Abschn. 2, wie auch etwa Wegener (1998). Der Horizont-Theorie von Weinrich (1993, 391 f.) nach würde wohl mit Hilfe des formalen Subjekts-es der Verben dieser Gruppe eine Beziehung zum situativen Sinnes-Horizont (2D) bzw. situativen leiblich-seelischen Horizont (2C) etabliert werden, vgl. Abschn. 3.1.1. Ein Verb wie kriseln scheint recht eindeutig als usuell unpersönlich betrachtet werden zu können, vgl. Es kriselt in der Wissenschaft, und z. B. der Beschreibung Järventausta (1991, 62 u. 146 f. ) nach würde das es eine rein formale Subjektsergänzung darstellen. Heringer (1989, 85 f. ) klassifiziert aber das es im eben angeführten Beispiel als referenziellthematisch, da es in Opposition zu möglichen expliziten Subjekten stehe, ohne aber ein denkbares „explizites“ Subjekt anzuführen. Beim nicht-kommutierbaren es scheint es ein wenig problematisch zu sein, von möglichen expliziten Subjekten zu sprechen. Man könnte vielleicht die Beschreibung Heringers so interpretieren, dass er ungefähr dasselbe zu erfassen versucht, wie Weinrich mit seiner Horizont-Theorie, wonach das Pronomen es bei kriseln offenbar eine Verbindung mit einem situativen Gesellschafts-Horizont etablieren würde, vgl. Abschn. 3.1.1, wie auch Weinrich (1993, 394). 3.1.3. Feste, idiomatische Wendungen wie es gibt, es hapert an, es bleibt bei, es kommt darauf an, es steht gut um, es geht mir gut, es mangelt an, es geht um usw. sind relativ eindeutig als unpersönliche Konstruktionen zu charakterisieren, vgl. etwa Näßl (1996, 32), auch in dem Falle, dass man das Pronomen es als „formale Subjektsergänzung“ betrachtet, vgl. etwa Järventausta (1991, 150). ⫺ Der Horizont-Theorie von Weinrich (1993, 391 f.) nach würde wohl mit Hilfe des formalen Subjekts-es der Verben dieser Gruppe eine Beziehung zu verschiedenen Typen von situativen Horizonten etabliert werden, und zwar in Abhängigkeit von der Bedeutung des jeweiligen Verbs und dem aktuellen Kontext, vgl. Abschn. 3.1.1. 3.1.4. Die Verben des Geschehens (geschehen, sich ereignen, passieren usw.) bieten we-
918
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
gen ihrer relativen semantischen Leere gewisse Schwierigkeiten für die Valenztheorie, vor allem, was den Status adverbieller Satzglieder betrifft, aber auch bezüglich des Subjekts. Näßl (1996, 34 f.), die selbst diese Verben zu den persönlich konstruierten Ereignisverben zählt, notiert, dass sie in der Literatur als „gebundene Impersonalien“ bezeichnet werden: „Da sie in bezug auf das Subjekt auf die 3. Person Singular oder Plural beschränkt sind, werden auch diese Verben, vor allem wenn sie mit einem Subjektsatz verbunden sind, als ‘gebundene Impersonalien’ bezeichnet.“ (Näßl 1996, 36) Wenn aber das bei den Geschehensverben vorkommende Substantiv oder Nebensatz als Subjekt gezählt wird, kann die Konstruktion nicht als unpersönlich betrachtet werden; das Subjekt wird deshalb auch in den deutschen Valenzwörterbüchern als Ergänzung gezählt. Mogensen (1992), auf den Näßl (1996) auch hinweist, argumentiert aber dafür, dass das Verb geschehen eher als Funktionswort ohne Valenz zu beschreiben wäre (gegen eine solche Auffassung, vgl. Nikula 1995). Da aber ein referenzielles Subjekt sowieso obligatorisch vorliegen muss, davon unabhängig, ob dies als Ergänzung betrachtet wird oder nicht, kann die ganze Konstruktion auch in der Beschreibung von Mogensen (1992) nicht als unpersönlich betrachtet werden. Näßl (1996, 33 f.) weist weiter darauf hin, dass auch Empfindungsverben des Typs es ärgert mich, es wundert mich in älteren Zusammenstellungen unter den sogenannten „gebundenen Impersonalien“ aufgeführt werden, was aus historischer Sicht verständlich sei, dass aber diese Verben jedenfalls im Neuhochdeutschen persönlich verwendet würden, weil das Subjektspronomen es eine Verweis- bzw. Korrelatfunktion habe. 3.2. Die okkasionellen Impersonalien Im Valenzwörterbuch Helbig/Schenkel (1973, 412) wird das Verb klingeln als einwertig beschrieben, „Der Freund klingelt“, „Das Telephon klingelt“, aber in einer Anmerkung wird notiert: „‘klingeln’ kann auch nullwertig auftreten.“ Dies würde bedeuten, dass es bei klingeln abhängig vom Kontext sowohl als referentiell und kommutierbar als auch als nicht-referentiell und nicht-kommutierbar gedeutet werden kann. Die Tatsache, dass Ausdrücke wie der Freund / das Telephon / es klingelt, ohne Variation in der lexikalischen Bedeutung des Verbs möglich sind, wie auch die Relevanz der Frage wer/was klingelt als Reak-
tion auf die Äußerung es klingelt deutet auf Kommutierbarkeit. Das es als Subjekt bei mit klingeln vergleichbaren Verben (es läutet, es spukt, es duftet, es wächst usw.) wird u. a. von Heringer (1967, 26) als „pronominal“ bezeichnet, wobei er keine unpersönliche Interpretation annimmt, vgl. auch z. B. Korhonen (1977, 249 Anm. 514). In der Terminologie von Heringer (1989, 83 f.) würde es hier um ein referentiell-thematisches es gehen. ⫺ Näßl (1996, 36 f.) führt dagegen Verben dieses Typs unter den okkasionellen Impersonalien auf, notiert aber, dass unterschiedliche Meinungen vorkommen und stellt u. a. fest: „Neben einigen Verben wie es klopft, es läutet, bei denen es leichter als inhaltsloses Subjekt akzeptiert wird, meint man bei anderen wie es spukt […] entweder eine unerklärliche Macht, eine ‘verschwommene Beziehung auf einen Handlungsträger’ erkennen zu können oder ein bestimmtes oder leicht zu ergänzendes Subjekt, das absichtlich nicht genannt wird.“ (Näßl 1996, 38) ⫺ Der HorizontTheorie Weinrichs (1993) nach würde durch das es in okkasionell unpersönlichen Konstruktionen eine Beziehung zu einem situativen Horizont etabliert werden, vgl. Weinrich (1993, 391⫺394) wie auch Abschn. 3.1.1. (Es ist möglich, dass Weinrichs Horizont-Theorie in der Tat geeigneter ist, die okkasionell als die usuell unpersönlichen Konstruktionen zu erklären.) Wie Näßl (1996, 38) notiert, sind vielleicht die „Grenzen zwischen echtem ‘unpersönlichen’ und ‘unbestimmtem’ es“ fließend und nicht eindeutig festlegbar. Wenn aber das es bei den Witterungsverben so interpretiert werden kann, dass ein Satz wie es regnet sich nur auf das Ereignis selbst beziehen würde, könnte man vermuten, dass auch bei anderen Verben eine vergleichbare Interpretation so gemeint und rezipiert werden kann, d. h. dass man z. B. sagen könnte, „es klingelt“ und dabei nur das Geräusch meinen, und keine Referenzialisierbarkeit voraussetzen würde. Die Tatsache, dass die Frage „Wer?“ oder „Was?“ auch bei dieser unpersönlichen Interpretation sinnvoll sein kann, würde dabei sprachlich gesehen eine Konsequenz der Okkasionalität darstellen, aber natürlich auch das „Weltwissen“ der Kommunizierenden widerspiegeln, nämlich dass ein Geräusch durch irgendetwas verursacht werden muss. Verben, die in der Literatur typischerweise als okkasionell unpersönlich aufgeführt werden, sind Verben der Sinneswahrnehmung, z. B. Geräuschverben wie es klingelt, es
67. Unpersönliche Konstruktionen
klopft, es läutet, es raschelt, Geruchsverben wie es riecht, es stinkt, Verben der Naturvorgänge, wie etwa es blüht, es grünt, es dämmert, es dunkelt usw. Ausgehend von Beschreibungen in Grammatiken und Handbüchern der deutschen Sprache erhält man leicht den Eindruck, dass die Verwendung von usuell persönlichen Verben in unpersönlichen Konstruktionen, abgesehen von den eben erwähnten (Typen von) Verben, eher eine Randerscheinung wäre. Die Untersuchung von Näßl (1996) zeigt aber deutlich, dass dies durchaus nicht der Fall ist, sondern dass die okkasionell unpersönlichen Konstruktionen ein produktives Ausdrucksmittel der deutschen Sprache darstellen, vgl. Näßl (1996, 255 f.). Die usuelle Unpersönlichkeit von Verben stellt eine lexikalische Valenzeigenschaft von Verben dar, während die okkasionelle Verwendung von Verben in unpersönlichen Konstruktionen sehr stark von nicht-lexikalischen Umständen bedingt zu sein scheint und höchstens indirekt durch die Valenz des Verbs beeinflusst wird.
4.
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68. Adverbial- und Relativsätze
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68. Adverbial- und Relativsätze 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1.
Adverbial- und Relativsätze: zu ihrer Form und Funktion Das Einbettungsproblem für Klauseln in Dependenzgrammatiken Klauseln als Translate Klauseleinbettung in Dependenzstrukturen ohne Translation Zum Verhältnis zwischen Adverbialsätzen und anderen subordinierten Sätzen Zum Verhältnis zwischen Relativsätzen und anderen pronominal eingeleiteten subordinierten Sätzen Fazit und Ausblick Literatur in Auswahl
Adverbial- und Relativsätze: zu ihrer Form und Funktion
Relativpartikeln (engl. that) vorkommen, vgl. dazu Abschnitt 3.3. Relativsätze können im Deutschen auf das übergeordnete Nomen unmittelbar folgen, durch andere Teile der Nominalphrase vom übergeordneten Nomen getrennt sein und dann den rechten Rand der Nominalphrase bilden oder auch durch einen Verbalblock von der Nominalphrase abgetrennt sein: (3) a. Menschen, die zufrieden sind, beneiden wir oft. b. Menschen in unserer Umgebung, die zufrieden sind, beneiden wir oft. c. weil wir oft Menschen beneiden, die zufrieden sind.
Adverbialsätze sind Sätze, die gemäß traditioneller Sehweise typischerweise durch eine semantisch zweistellige subordinierende Konjunktion ⫺ in neuerer Terminologie: durch einen Subjunktor ⫺ eingeleitet werden oder durch einen Verberstsatz gebildet werden, der einem anderen Satz vorangestellt, nachgeordnet oder in diesen eingefügt ist und dabei in einer spezifischen semantischen Beziehung zu diesem Satz steht. Vgl. in folgenden Beispielen die kursiv gedruckten Passagen:
Das übergeordnete Nomen wird häufig als ‘Kopf-Nomen’ bezeichnet. Relativsätze wie in (3) schränken das vom Kopf-Nomen Bezeichnete in spezifischer Weise ein: Während Menschen die Menge aller Menschen bezeichnet, bezeichnet Menschen, die zufrieden sind die spezifische Untermenge der zufriedenen Menschen. Relativsätze mit dieser semantischen Funktion bezeichnet man als ‘restriktive’ Relativsätze. Daneben gibt es auch Relativsätze, die keine einschränkende Wirkung haben, wie in (4). Sie werden als ‘nicht-restriktive’ oder ‘appositive’ Relativsätze bezeichnet:
(1) a. Wenn Pollen fliegen, bekommt sie Augenbrennen. b. Sie bekommt Augenbrennen, wenn Pollen fliegen. c. Sie bekommt, wenn Pollen fliegen, Augenbrennen.
(4) a. Hans, der mit allem zufrieden ist, wird oft beneidet. b. Die Menschen in unserer Umgebung, die übrigens mit allem zufrieden sind, werden oft beneidet.
(2) Fliegen Pollen, bekommt sie Augenbrennen. Vom Standpunkt der Valenz des Verbs des übergeordneten Satzes sind Adverbialsätze typischerweise Angaben. Der Adverbialsatz wird traditionell als ‘untergeordneter’ oder ‘subordinierter’ Satz bezeichnet, der jeweils andere Satz als ‘übergeordneter’ Satz. ‘Untergeordnete Sätze’ werden auch als ‘Klauseln’ bezeichnet, übergeordnete Sätze als ‘Matrixsätze’. Relativsätze sind Sätze, die typischerweise durch ein Relativpronomen eingeleitet werden, in traditioneller Sehweise einem Nomen untergeordnet sind und somit einen Teil der von dem Nomen gebildeten Nominalphrase darstellen. Neben Relativpronomina können auch Relativadverbien (wo, womit usw.) oder
Relativsätze in der bisher erläuterten Form haben die syntaktische Funktion eines Attributs zum Kopf-Nomen; valenzgrammatisch kann man sie als Angaben zum Nomen betrachten. Daneben gibt es die sogenannten ‘freien Relativsätze’, denen kein Nomen übergeordnet ist und die somit keinen Attributstatus haben können: (5) a. Wer mit allem zufrieden ist, wird beneidet. b. Wo man mit allem zufrieden ist, kann kein Neid aufkommen. Freie Relativsätze fungieren, valenzgrammatisch gesehen, als Ergänzungen wie in (5a) oder auch als Angaben zum Verb wie in (5b). Ein Relativsatz wie in (5b) kann der traditionellen Kategorie des Adverbialsatzes zuge-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
ordnet werden. Er steht, vergleichbar den Sätzen unter (1) und (2) in einer spezifischen semantischen Beziehung zum übergeordneten Satz (hier: lokale Spezifikation). Außerdem sind ‘weiterführende Relativsätze’ zu nennen, die ähnlich wie Adverbialsätze auf einen übergeordneten Satz bezogen sind und grundsätzlich diesem linear nachgeordnet werden. Sie sind valenzgrammatisch als Angaben zum Verb einzuordnen: (6) Die Menschen in unserer Umgebung sind zufrieden, was sehr zu bewundern ist. Zwischen Adverbialsätzen und Relativsätzen besteht in ihren jeweiligen typischen Funktionen eine syntaktisch-semantische Gemeinsamkeit: Sie wirken als ‘Modifikatoren’, die die syntaktische Kategorie des übergeordneten Ausdrucks nicht verändern. Valenzgrammatisch bedeutet dies, dass sie weglassbar sind und Angabestatus haben. Auf dieser Gemeinsamkeit mag auch beruhen, dass beide Satzarten in die funktionale Hauptdomäne des jeweils anderen hineinreichen: Relativsätze können auch als Angabe bezogen auf den Satz bzw. das Verb verwendet werden (vgl. (6), bzw. den freien Relativsatz in (5b)). Adverbialsätze haben neben der Funktion als Angabe zum Verb auch die der Angabe zum Nomen, vgl. (7a) gegenüber (7b): (7) a. der Tag, als der Regen kam b. der Tag, an dem der Regen kam Anzumerken ist dabei noch, dass die Kategorien ‘Adverbialsatz’ und ‘Relativsatz’ auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen: Adverbialsatz ist eine funktionale Kategorie, die Sätze nach der syntaktischen Funktion als Adverbial ordnet, Relativsatz (in erster Linie) eine strukturelle Kategorie, die Sätze nach dem Vorkommen eines Relativums (Relativpronomen, -adverb oder -partikel) ordnet. Nicht alle Adverbialsätze haben jedoch, wie mit (2) und (5b) gezeigt, die (als typisch geltende) strukturelle Gemeinsamkeit, durch einen Subjunktor eingeleitet zu sein. Nicht alle Sätze mit einem Relativum haben, wie mit (5) und (6) gezeigt, die (als typisch geltende) syntaktische Funktion des Attributs zu einem Nomen.
struktur auf einfache Weise als ein (scheinbar) einheitliches Phänomen erkennbar: Sowohl Adverbialsätze als auch Relativsätze (Attributsätze) als auch Subjekt- und Objektsätze werden im Allgemeinen einheitlich als Konstituenten der Kategorie Satz klassifiziert und in Baumstrukturen über den entsprechenden Wurzelknoten S (für ‘Satz’) mit dem Matrixsatz verknüpft. Dieser Weg ist der Dependenzsyntax verschlossen: Die Dependenzsyntax Tesnie`rescher Prägung kennt keine syntaktisch komplexen Entitäten als einfache, mit einem Knoten im Stemma identifizierbare Objekte der Theorie, insbesondere kennt sie im Allgemeinen keinen S-Knoten. (Zu entsprechenden Erweiterungen vgl. jedoch Kunze 1975, Eroms 1985; 1995.) Dependenz besteht grundsätzlich zwischen Wortformen oder Morphemen bzw. deren kategorialen Repräsentanten (vgl. dazu besonders Thümmel 1993). Es stellt sich somit die Frage nach strukturellen Gemeinsamkeiten in der dependentiellen Darstellung aller Typen eingebetteter Klauseln. Diese Frage ist je nach dependentiellem Ansatz unterschiedlich zu beantworten. Eine Sonderstellung haben dabei Ansätze, die das Einbettungsproblem einheitlich über die Translation lösen (vgl. Abschnitt 3). Bei rein dependentiellen Ansätzen, die auf die Translation verzichten, müssen im Hinblick auf die Frage nach strukturellen Gemeinsamkeiten folgende Fragen beantwortet werden: (i) Welche Abhängigkeitsbeziehungen bestehen zwischen dem regierenden Element der Klausel und Elementen des Matrixsatzes? (ii) Welches ist das ‘regierende’ bzw. ‘dominierende’ Element der Klausel? Auf beide Fragen werden in rein dependentiellen Ansätzen im Hinblick auf die Klauseltypen Adverbialsatz und Relativsatz recht unterschiedliche Antworten gegeben. Wir gehen auf solche Antworten in Abschnitt 4 ein. Dabei ist auffällig, dass insgesamt nur wenige, die sich in Spezialarbeiten zu Fragen der Dependenzsyntax äußern, komplexe Sätze behandeln.
3. 2.
Das Einbettungsproblem für Klauseln in Dependenzgrammatiken
In phrasenstrukturellen Ansätzen wird die Einbettung von Sätzen an beliebigen Konstituentenknoten einer übergeordneten Satz-
Klauseln als Translate
3.1. Allgemeines zu Adverbial- und Relativsätzen Bei Tesnie`re werden alle Typen von untergeordneten Sätzen als Ergebnis einer „Translation“ aufgefasst. Translation ist dabei so defi-
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68. Adverbial- und Relativsätze
niert: „la Translation consiste … a` transfe´rer un mot plein d’une cate´gorie grammaticale dans une autre cate´gorie grammaticale, c’esta`-dire a` transformer une espe`ce de mot en une autre espe`ce de mot“ (Tesnie`re 1959, 364). Die Translation ist also eine sprachliche Operation, bei der das Translativ als Operator fungiert, das Transferendum als Operand und das Translat als Ergebnis/Wert der Operation (vgl. Werner 1993, 23). Mit dem Kategorienwechsel ist untrennbar ein syntaktischer Funktionswechsel verbunden: Der Funktionswechsel resultiert aus dem Wechsel von Transferendum-Kategorie (mit korrelierter Funktion) zu Translatkategorie (mit korrelierter Funktion); vgl. Tesnie`re (1959, 364), Werner (1993, 35). Im Falle eines Adverbial- oder Relativsatzes handelt es sich (wie bei den Subjekt- und Objektsätzen) um eine ‘Translation zweiten Grades’, da das Transferendum kein Wort ist, sondern ein „nœud verbal avec tous ses subordonne´s e´ventuels, c’est-a`-dire une phrase entie`re“ (Tesnie`re 1959, 386). Die Translation zweiten Grades steht somit nicht vollständig in Einklang mit der TranslationsDefinition, in der auf den Wortstatus des Transferendums abgehoben wird. Es handelt sich um eine ‘Degradierung’ des Verbalknotens. D. h. um eine Übereinstimmung mit der Translationsdefinition zu erhalten, wird das Verb als eigentliches Transferendum betrachtet. Subjunktoren werden dabei als Translative zweiten Grades betrachtet. Als Ziele der Translation, als Translat („transfe´re´“), kommen Substantive (‘O’), Adverbien (‘E’) und Adjektive (‘A’) in Frage. Es bestehen also für die Translation zweiten Grades eines Verbalknotens (‘I’) folgende Möglichkeiten (‘>>’ für ‘Translation zweiten Grades’): I >> O I >> E I >> A Insbesondere im Hinblick auf die Translationen zweiten Grades lässt sich zeigen, dass die primär kategoriale Definition der Translation von einer primär funktionalen überdeckt wird (vgl. dazu Werner 1993, 37), wenn es heißt: „La proposition actancielle est ainsi un nœud verbal transfe´re´ en actant par une translation secondaire, la proposition circonstancielle un noeud verbal transfe´re´ en circonstant par une translation secondaire“ (Tesnie`re 1959, 547). Der ungelöste Widerstreit zwischen primär kategorialer und primär funktionaler Interpretation der Translation, der Tesnie`re häufig zur Last gelegt wird,
wird in der neueren Forschung in der Regel zugunsten einer (satz-)funktionalen Interpretation gelöst (etwa Lambertz 1991, Werner 1993). (Für Formklassenwechsel als primäres Kriterium bei Translationen ersten Grades sprechen sich hingegen Koch/Krefeld 1993 aus.) Korrekterweise macht erst die Anbindung der Translate an ein Regens im Stemma, die mittels der Dependenzrelation erfolgt, eine solche funktionale Bestimmung der Translate (nicht der Translation) möglich. Weber (1996, 253) verdeutlicht dies, wenn er die Translationen zweiten Grades so kennzeichnet (für die Dependenzrelation im Zeichen hier ‘J’, das jeweilige Regens befindet sich rechts des Pfeils): I >> O J I I >> E J I I >> A J O
‘Aktantensätze zum Verb, Subjekt-/Objektsätze’ ‘Zirkumstantensätze zum Verb, Adverbialsätze’ ‘Attributsätze zum Substantiv, Relativsätze’
Im Stemma wird für Translationen zweiten Grades von einer Notation mit Doppelbalken Gebrauch gemacht, die wir an einem Beispiel für die Translation zu ‘E’, und zwar an dem Adverbialsatz (1), verdeutlichen: bekommt
sie
Augenbrennen E wenn
fliegen Pollen
Abb. 68.1
Wie sich zeigt, sind reales und virtuelles Stemma hier vermischt: die Kennzeichnung des Translats als ‘E’ ist ⫺ notwendigerweise ⫺ virtuell in einem ansonsten realen Stemma. Die Darstellung im Stemma weist für alle Typen eingebetteter Klauseln gemeinsame Strukturmerkmale auf: Den Doppelbalken als Kennzeichen der Translation zweiten Grades und ein verbales Element als Transferendum. Folgende Konsequenzen der Translation für die Konnexionen im Stemma sind zu verzeichnen: Das Translat wird entsprechend den mit der Translatkategorie gegebenen Konnexionsmöglichkeiten nach oben verknüpft.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Die Dependentien des Transferendums bleiben unangetastet (vgl. Tesnie`re 1959, 544, Koch/Krefeld 1993, 152), alle Aktanten und Zirkumstanten zum Verb sind möglich. Die Dependentien des Translats sind blockiert: Es ist nicht möglich, den zu ‘E’ transferierten Satz zum Beispiel wie ein echtes Adverb durch ein weiteres Adverb zu modifizieren (analog zu Sie gewinnen zu bald ⫺ *Sie gewinnen zu, wenn sie es lösen), ebenso wie es nicht möglich ist, den zu A transferierten Satz wie ein attributives Adjektiv durch ein Adverb zu modifizieren (analog zu sehr nette Leute ⫺ *Leute sehr, die nett sind). Nur das erste Kriterium wird von allen bei Tesnie`re genannten Typen von Translationen erfüllt (vgl. auch Koch/Krefeld 1993, 153). Die beiden anderen Kriterien sind ausschlaggebend für den engeren Translationsbegriff der heutigen Forschung (unter Ausschluss von reinen Wortbildungsphänomenen). Nach Werner (1993, 189) handelt es sich bei der Translation in dieser engeren Version nur um eine „funktionelle nicht konnexionelle Integration in die Zielkategorie“, das Translat wird dabei niemals „virtuell konstantes Funktiv in einer Determinationsrelation“, es ist „nicht mehr determinierbarer essentiell terminaler Nukleus“. Translationen zweiten Grades können verstanden werden als Veränderung der syntaktischen Funktion eines syntaktischen Wortes (bzw. einer Wortverbindung) von einer primären, mit der Kategorie des syntaktischen Wortes unmarkiert verbundenen in eine sekundäre (markierte). Dabei ist sowohl die Annahme von genau vier Kategorien von „mots pleins“ (‘O’, ‘A’, ‘I’, ‘E’) als auch die Zuordnung zu genau den vorgesehenen Primärfunktionen eine Setzung, die gegebenenfalls als universales „natürlichkeitstheoretisches Axiom“ (Werner 1993, 142) zu erweisen wäre; dies wird von Tesnie`re nicht geleistet. Für die morpho-syntaktische Realisierung der Translation gibt es drei Möglichkeiten: Eine Translation wird morphologisch eineindeutig (transparent) abgebildet, wenn Transferendum und Translativ durch getrennte Morpheme oder Wörter repräsentiert sind: Dies trifft in vorliegendem Fall für die adverbialen Subjunktoren z. B. des Lateinischen (cum, si, dum), des Französischen (quand, bienque) oder des Deutschen (als, wenn, obwohl) zu, ebenso wie für die nichtadverbialen Subjunktoren lat. ut, num, franz. que, si, dt. dass, ob (vgl. dazu im Einzelnen Abschnitt 3.2).
Die Translation wird semitransparent durch einen Teil einer Wortform ausgedrückt, die gleichzeitig Träger einer syntaktischen Funktion innerhalb des Transferendums ist. Dies trifft exemplarisch für die lateinischen, französischen und deutschen Relativpronomina zu (vgl. dazu Abschnitt 3.3). Die Translation bleibt unausgedrückt. Dies ist der Fall z. B. bei deutschen Verbzweitsätzen als ‘Ergänzungssätze’ („propositions actancielles“) wie in Ich glaube, er kommt, ähnlich: engl. I believe he comes (Tesnie`re 1959, 549) und bei adverbialen Verberstsätzen wie engl. Had he come I would have been happy, franz. L’aurais-je su, je ne l’aurais pas fait, dt. Fliegen Pollen, bekommt sie Augenbrennen. Die Translationsidee wird aus den genannten Gründen vielfach kritisiert (siehe auch Koch/Krefeld 1991, Lambertz 1991, Feuillet 1996) und in den neueren dependentiellen Ansätzen in der Regel nicht aufrechterhalten. (Für die Weiterentwicklung der Translation sprechen sich jedoch aus: Holtus (1979, 83 f.), Werner (1993), Lemare´chal (1996), Weber (1996), und mit einem Plädoyer gerade für Translationen zweiten Grades Koch/Krefeld (1993, 160 f.)). Sie ist am ehesten mit einem funktionalen Ansatz in Verbindung zu bringen, nach dem Redeteile eine primäre oder prototypische syntaktische Funktion haben und weitere sekundäre. Moderner gewendet lautet dies: Das Substantiv ist primär Kopf einer als Ergänzung fungierenden Gruppe, das Adjektiv primär Kopf einer als Attribut zum Nomen fungierenden Gruppe, das Adverb ist prototypischerweise Zirkumstant. Der spezifisch translativische Effekt, der in Ansätzen mit einer von der kategorialen Ebene strikt getrennten Ebene der syntaktischen Funktionen ausgeschlossen ist, entsteht aber erst dadurch, dass die primäre Funktion als syntaktischer ‘Wert’ („valeur“) einer Kategorie begriffen wird und somit in gewisser Weise zwischen Funktion und Kategorie kurzgeschlossen wird. Die Zuordnung sekundärer Funktionen kann dann folgerichtig nur über den ‘Umweg’ einer sekundären Kategorienzuordnung zustandekommen. Die Translationsidee ist damit eine Konsequenz aus der Tatsache, dass syntaktische Funktionen in Tesnie`res Modell nicht definiert sind. 3.2. Adverbialsätze als Translate Im Falle der Adverbialsätze wird (vgl. Abschnitt 3.1) die Kategorie ‘I’ des Verbs des untergeordneten Satzes in die Kategorie ‘E’
68. Adverbial- und Relativsätze
der Adverbien umgewandelt. Die Umkategorisierung ermöglicht es dem Verb des untergeordneten Satzes, als Dependens zum Verb des übergeordneten Satzes zu fungieren. Dabei sind die Einheiten der Kategorie ‘E’ im Rahmen der Valenz ‘Zirkumstanten’, d. h. nicht durch die Valenz des Verbs des übergeordneten Satzes gebunden. Tesnie`re betrachtet subordinierende Konjunktionen, also Subjunktoren in der hier gewählten Terminologie, als semantisch leere Wörter („mots vides“), indem er sie aus der Menge der nach seiner Annahme semantisch ‘vollen Wörter’ („mots pleins“) ausschließt; vgl. Tesnie`re (1959, 63). Die ‘leeren Wörter’ haben nach Tesnie`re keine semantische Funktion. Er betrachtet sie als Translative, d. h. als ausschließlich ‘grammatische Werkzeuge’, deren einzige Rolle es ist, „de pre´ciser ou de transformer la cate´gorie des mots pleins et de re´gler leurs rapports entre eux“ (Tesnie`re 1959, 53). Da sie vorgeblich selbst keine semantischen Konnexionen zu anderen Wörtern im Satz herstellen, stellen sie auch keine strukturellen (d. h. syntaktischen) Konnexionen zwischen diesen her (vgl. Tesnie`re 1959, 364). Dies folgt aus dem Parallelismus, der nach Tesnie`re (1959, 42) zwischen strukturellen und semantischen Konnexionen zwischen den Wörtern in einem Satz besteht. Bei einer strukturellen Konnexion zwischen zwei Wörtern hängt eines von dem anderen ab, ist diesem untergeordnet. Das übergeordnete Wort ‘regiert’ das untergeordnete (vgl. Tesnie`re 1959, 13). Bei der die strukturelle Abhängigkeitsbeziehung ‘überlagernden’ semantischen Konnexion zwischen den beiden Wörtern ‘determiniert’ das syntaktisch abhängige das übergeordnete Wort, das Regens (Tesnie`re 1959, 43): Es spezialisiert die Bedeutung des Regens. Adverbiale Verberstsätze sind auf das Verb des übergeordneten Satzes ebenfalls durch eine Translation bezogen. Allerdings ist bei ihnen das Translativ morphologisch leer. Das heißt, aufgrund der a priori-Annahme, dass Subjunktoren keinen Beitrag zur Bedeutung eines Satzes leisten, gehen sie für Tesnie`re nicht in die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Wortformen, die das Satzgefüge bilden, ein. Sie sind weder Regens noch Dependens. An den Bedeutungsveränderungen, die z. B. bei einer Ersetzung von wenn durch weil eintreten, wird deutlich, dass die Annahme von der Bedeutungsleere der Subjunktoren unhaltbar ist. Folglich ist auch Tesnie`res Annahme von der Rolle der Sub-
925 junktoren in der syntaktischen Struktur nicht haltbar. Dies ist somit ein weiteres Argument gegen die Annahme, dass das Verhältnis eines untergeordneten Satzes zum übergeordneten Satz das einer Translation der syntaktischen Kategorie seines Verbs ist. 3.3. Relativsätze als Translate In diesem Abschnitt wird anhand der Darstellung des Tesnie`reschen Ansatzes auch der Phänomenbereich insgesamt umrissen, damit soll eine Referenzstelle für die Behandlung der Relativsätze insgesamt gegeben sein. Adnominale Nebensätze haben bei Tesnie`re im Sinne der Translationsidee (vgl. Abschnitt 3.1) den syntaktischen Wert eines (attributiven) Adjektivs; es handelt sich um „subordonne´es adjectives“ (Tesnie`re 1959, 557), wobei die semantische Unterscheidung zwischen „subordonne´es adjectives essentielles“ (restriktive Relativsätze) und „subordonne´es adjectives accessoires“ (appositive Relativsätze) im Stemma keinen Niederschlag findet. Die Translation kann unmarkiert bleiben wie im Arabischen, in Bantu-Sprachen und im Chinesischen. Als indoeuropäische Sprachen, die ‘parataktisch’ verfahren, nennt Tesnie`re das Englische (the man I saw yesterday) und das Bretonische. Zu ergänzen sind für den europäischen Bereich die kontinentalskandinavischen Sprachen. Festzuhalten ist außerdem, dass diese Möglichkeit hier nur in restriktiven Relativsätzen besteht und für die Subjektsfunktion des Relativums ausgeschlossen ist. Die Mehrzahl der europäischen Sprachen bedient sich jedoch mit dem Relativpronomen eines expliziten Markierers („marquant“, Tesnie`re 1959, 559) der Translation. Das Translat ist dann eine „proposition relative“. Die morphologische Veränderbarkeit des Relativpronomens (z. B. im Lateinischen, Französischen, Deutschen) verweist auf die ‘Doppelnatur’ (Tesnie`re 1959, 560) des Relativums in diesen Sprachen, die Verschmelzung zweier Funktionen in einer Form: der translativischen und der anaphorischen Funktion. Entsprechend dieser Doppelfunktion können dem Relativpronomen zwei Orte im Stemma zugewiesen werden: als Translativ innerhalb der Translationssigle und in der anaphorischen Funktion als Dependens (Aktant oder Zirkumstant) des Transferendum-Verbs. Eine zweifache stemmatische Repräsentation eines einzelnen Relativpronomenvorkommens im Satz verbietet sich jedoch. Tesnie`re erwägt daher die Aufspaltung z. B. des franz. Relativums qui in
926
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
den Translativischen Bestandteil („transfe´re`me“) qu- (mit Sitz in der Translationssigle) und den anaphorischen Bestandteil („anaphore`me“) -i als Verbdependens (vgl. Stemma 346). Diese Aufspaltung, die Tesnie`re nicht eindeutig als Aufspaltung in zwei Morpheme betrachtet, sondern die synchron eher den Status einer rekonstruktiven Materialisation von Funktionen hat, ordnet er sprachhistorisch als Agglutination eines alten Translativs, z. B. lat. que, und einer Anapher, z. B. lat. is, ein. Die franz. Formen trügen also noch die Spur einer fernen Agglutination. Relativpronomina können als Erst-, Zweit- und Drittaktant auftreten. Fungiert das Pronomen als Zirkumstant, so liegt eine Translation des anaphorischen Teils (O > E) vor, als deren Translativ eine Präposition fungiert: l’homme avec qui je cause. Sie wird bei Tesnie`re nicht im Stemma erfasst. Das präpositionale Translativ kann im Lateinischen unmittelbar dem Pronomen nachgestellt werden (quocum, quibuscum), im Englischen an das Ende der gesamten Klausel positioniert werden (the people whom I speak with). In Fällen wie der Mann, dessen Arbeit wir bewundern wird das anaphorische Element des Relativums durch eine Translation O > A erfasst: Das Anaphorem innerhalb des Relativums hat also adjektivische Funktion wie der gesamte Relativsatz selbst. Im Französischen koexistieren für diese adjektivische Funktion der Relativanapher eine synthetische Form (dont) und analytische Formen (duquel, de laquelle, desquelles usw.). Tesnie`re verweist darauf, dass in den indoeuropäischen informellen Volkssprachen und Dialekten (vor allem im romanischen und slawischen Bereich) wie auch in außereuropäischen Sprachen der translativische und der anaphorische Anteil häufig durch eigenständige Wörter realisiert werden. Als Translativ fungiert dann z. B. unveränderliches franz. que, ital. che (homonym bzw. funktionsähnlich den entsprechenden Subjunktoren), als Anaphern die klitischen Personalpronomina, vgl. auch die Darstellung von Schafroth (1993) vor allem zu den romanischen Volkssprachen. Auch die Möglichkeit, nur den translativischen Anteil durch eine unveränderliche Partikel zu realisieren, ist z. B. mit engl. that, dän./norw./schw. som, ital. che usw. gegeben. Diesen Fall der Relativpartikel (bzw. des Relativ-Subjunktors) ⫺ im Deutschen weitgehend ausgeschlossen ⫺ erörtert Tesnie`re nicht. Was die dritte Form des Relativelemen-
tes anlangt, das Relativadverb, so erörtert Tesnie`re ausführlich den Sonderfall des franz. dont. Daneben sind die üblichen mit den Interrogativadverbien homonymen Relativa wie dt. wo, franz. ou`, engl. when, where usw. zu stellen, bzw. in den germanischen Sprachen auch die Präpositionaladverbien/Pronominaladverbien wie z. B. dt. womit, wovon, engl. wherefore, whereby, ndl. waarmee, waarna usw., auf die Tesnie`re nicht explizit eingeht. Zu den Relativelementen und -konstruktionen in den europäischen Sprachen vgl. auch Smits (1989) sowie Lehmann (1984) zu deren allgemeiner Typologie. Der Fall der sog. ‘freien Relativsätze’, Relativsätze ohne Antezedens im Matrixsatz mit generalisierender (konditionaler) oder spezifischer Interpretation (Gib mir, was (auch immer) du geschrieben hast), wird von Tesnie`re nicht angesprochen. Im Französischen ist diese Form nur beschränkt möglich, in der Regel werden in entsprechender Funktion Kombinationen aus Demonstrativum ⫹ Relativum (celui … qui) eingesetzt.
4.
Klauseleinbettung in Dependenzstrukturen ohne Translation
4.1. Allgemeines Der Verzicht auf Translationen vereinfacht die strukturellen Beziehungen in der Dependenzsyntax. Translationen stellen Abbildungen von Teilstemmata (die im Grenzfall aus nur einem Knoten bestehen) in andere Teilstemmata dar. Sie sind daher nicht zu Unrecht mit Transformationen verglichen worden. In jedem Fall bilden sie einen Fremdkörper innerhalb einer Syntax, die im Übrigen (abgesehen von der ebenfalls problematischen Junktion) auf Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Wortformen bzw. Kategorien (Knoten im Stemma) beruht. Konsequenterweise wird daher in neueren Ansätzen die Einbettung von Sätzen in Sätze in der Regel über die Abhängigkeitsrelation gelöst. Im Hinblick auf Fragestellung (i) von Abschnitt 2, also die Frage nach den Abhängigkeiten zwischen Klausel und Matrixsatz gilt: Adverbialsätze stehen in den meisten Ansätzen in direkter Abhängigkeit zum Verb des Matrixsatzes (vgl. Abschnitt 4.2). Zu einer abweichenden Auffassung vgl. Abschnitt 4.3. Strukturell sind sie damit nicht von Ergänzungssätzen (Aktantensätzen) geschieden, die
68. Adverbial- und Relativsätze
ebenfalls direkt verbabhängig sind (vgl. dazu Abschnitt 6). Relativsätze stehen (im Allgemeinen) in direkter Abhängigkeit zu einem Nomen im Matrixsatz. Ihre syntaktische Funktion als Attribut ist somit strukturell eindeutig erkennbar ⫺ wenn auch eine explizite stemmatische Markierung der syntaktischen Relationen wie generell in der Tesnie`reschen Dependenzsyntax fehlt. Anders verhält es sich mit weiterführenden Relativsätzen, die als verbbezogene Angaben zu werten sind, und freien Relativsätzen, die als Ergänzungen und Angaben zum Verb auftreten. Vor allem bei Letzteren ist die mögliche Abgrenzung gegenüber ‘indirekten Fragesätzen’ in dependentiellem Rahmen zu erörtern (vgl. Abschnitt 6). Im Hinblick auf Frage (ii) in Abschnitt 2, nämlich, was als regierendes Element der Klausel zu betrachten ist, scheint es der Dependenzsyntax bisher nicht gelungen zu sein, einen für alle Fälle gültigen Kriteriensatz bereitzustellen, der festlegt, was in einer gegebenen Struktur jeweils als Regens und welche Elemente als Dependentien zu betrachten sind. Neben dem oft an erster Stelle genannten Kriterium der Weglassbarkeit werden positionelle, semantische und syntaktische Kriterien genannt (vgl. z. B. Hudson 1980, 188 f.; 1986, 78; 1991, 106 f.). Fasst man die dort genannten Kriterien kurz zusammen, so könnte bestimmt werden: Das Regens innerhalb einer dependentiellen Struktur ist dasjenige Element, das folgende Kriterien ⫺ nicht notwendigerweise aber alle ⫺ erfüllt: a) b) c) d)
e)
Das Regens ist nicht weglassbar. Das Regens bestimmt die lineare Position des Dependens / der Dependentien, nicht aber umgekehrt. Das Regens stellt den semantischen Rahmen bereit, in den das Dependens / die Dependentien eingebettet wird / werden. Das Regens stellt den syntaktischen Rahmen bereit, in den das Dependens / die Dependentien eingebettet wird / werden. Das Regens ist für die syntaktische Verbindung ‘nach außen’, also die Verknüpfung mit der übergeordneten syntaktischen Struktur zuständig, nicht das Dependens.
Dieser Kriteriensatz, der eine weitgehende Identifikation des dependenzgrammatischen Begriffs des ‘Regens’ mit dem allgemeineren
927 Konzept ‘Kopf’ impliziert (vgl. auch Heringer 1996, 34 f., 53 f.), führt bei Adverbial- und Relativsätzen nicht zu einer eindeutigen Entscheidung zwischen dem klauseleinleitenden Element (Subjunktor bzw. Relativpronomen) und dem Verb der Klausel als regierendes Element. So sind weder Subjunktoren/Relativpronomina noch die Verben der jeweiligen Klauseln weglassbar; Kriterium a) liefert somit keinen Anhaltspunkt. Subjunktor bzw. Relativpronomen bestimmen im Deutschen die Position des Verbs (Verbletztposition) und könnten somit als jeweiliges Regens betrachtet werden (vgl. b)). Auch Kriterium e) könnte für einen Status von Subjunktor und Relativpronomen als Regens sprechen. Was die beiden anderen Kriterien angeht, so sind Adverbial- und Relativsätze unterschiedlich zu behandeln: Subjunktoren stellen ohne Zweifel den syntaktischen und semantischen Rahmen bereit, in den das Klauselverb samt seinen Dependentien einzubetten ist. Sie werden vom Klauselverb weder gefordert (als Ergänzung) noch zugelassen (als Angabe). Der Subjunktor befindet sich außerhalb der Wirkungsdomäne des Klauselverbs und stellt die Verbindung zum Matrixverb her. Insofern erscheint es angemessen, den Subjunktor als oberstes Regens zu betrachten, von dem das Klauselverb abhängt. Die Kategorie der Regens und Dependentien umfassenden Konstruktion insgesamt ist aber, insofern es sich um einen Satz handelt, von der Kategorie des Dependens mit abhängig, man spricht ja nicht von ungefähr von Subjunktorsätzen, nicht von Subjunktorphrasen. Subjunktorsätze sind somit nicht als endozentrische Konstruktionen einzuordnen, bei denen die Kategorie der Gesamtkonstruktion aus Regens und Dependentien der Kategorie des Regens entspricht. Vielmehr scheinen sowohl der Subjunktor als auch das Verb der Klausel an der Bestimmung der Kategorie der Gesamtkonstruktion beteiligt zu sein (vgl. dazu Eroms 1991, 223 f.). Dies ist keine Besonderheit der Adverbialsätze; auch für Nominal- und Präpositionalphrasen gilt beispielsweise Entsprechendes. Bei Relativsätzen wird der semantische und syntaktische Rahmen, in den das Relativpronomen einzufügen ist, zunächst eindeutig vom Klauselverb bereitgestellt. Relativpronomina sind Ergänzungen oder Angaben zum Verb des untergeordneten Satzes (oder aber als Attribute Teile von Ergänzungen und Angaben zum Klauselverb). Dies spricht dafür, das Klauselverb als oberstes Regens an-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
zusetzen (vgl. die Ansätze in Abschnitt 4.4). Andererseits aber ist das Relativpronomen für die Einbettbarkeit der Gesamtkonstruktion in die übergeordnete Konstruktion zuständig, es sorgt für die Verbindung der Klausel zum externen Regens. Insofern wäre auch eine Lösung denkbar, bei der das Relativpronomen oberstes Regens ist. Diese Position wird jedoch unseres Wissens nicht vertreten, weil die interne syntaktische Steuerung durch das Verb offensichtlich dieser Lösung im Wege steht. Von den hier im Widerstreit stehenden Kriterien d) und e) ist offensichtlich Kriterium d) das stärkere. Daneben wird aber auch die Auffassung vertreten, dass das Relativpronomen gleichzeitig Regens des Klauselverbs ist und dessen Dependens. Hier kann man von einer ‘doppelköpfigen’ Analyse sprechen (Hudson 1991, 392: „two headed analysis“; vgl. Abschnitt 4.5). 4.2. Adverbialsätze als Dependens eines Knotens im übergeordneten Satz Nach der Mehrzahl der untersuchten Ansätze hängen Adverbialsätze direkt von einem Knoten des übergeordneten Satzes ab, indem dieser Knoten den obersten Knoten des Adverbialsatzes direkt dominiert. Dieser Ansatz wird von Kunze (1975, 133 f.), Engel (1994, 214) und Heringer (1996, 168 f.) vertreten. (Bei Heringer folgt diese Annahme aus seiner Annahme über die Dependenz von Adverbialen generell; vgl. hierzu Heringer 1996, 168; 212; 216.) Die Frage, worin der oberste Knoten des Adverbialsatzes besteht, beantworten die genannten Vertreter dieses Ansatzes in Abhängigkeit davon, ob ein durch einen Subjunktor gebildeter Adverbialsatz oder ein adverbialer Verberstsatz vorliegt, unterschiedlich. Für Ersteren nehmen sie an, dass dieser der Subjunktor ist, der seinerseits direkt das Verb des Adverbialsatzes dominiert (vgl. Kunze 1975, 133, Engel 1994, 143; 212 f. und Heringer 1996, 212 f.). Für die adverbialen Verberstsätze nimmt Kunze (1975, 133) an, dass der oberste Knoten das Verb des Adverbialsatzes selbst ist, Engel (1994, 215) dagegen setzt auch hier die kategoriale Position eines Subjunktors an, die in diesem Falle aber ohne spezifischen Ausdruck bleibt. Er nennt diesen Subjunktor „Null-Subjunktor“. (Heringer äußert sich zu dieser Frage nicht.) Der Ansatz orientiert sich an der Tatsache, dass der Adverbialsatz nichts an der Natur des übergeordneten Satzes verändert. Durch ihn wird dessen Bedeutung nur spezifischer
(ganz im Sinne der Annahme Tesnie`res von der semantischen Rolle der subordinierten Strukturen). Der Typ des komplexen Satzes, den das adverbiale Satzgefüge ja darstellt, wird vom übergeordneten Satz bestimmt, nicht vom subordinierten. Mit anderen Worten: Dieser Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass die Kategorie des Satzgefüges vom übergeordneten Satz determiniert wird. In diesem Ansatz ist allerdings der syntaktischen Struktur nicht die syntaktische Funktion des Adverbialsatzes zu entnehmen. D. h., wenn ein Adverbialsatz wie in (1) und (2) als Angabe im Sinne der Valenz fungiert (d. h. wenn für ihn nicht durch die Valenz des Verbs des übergeordneten Satzes eine Leerstelle ⫺ Valenzstelle ⫺ als Verbergänzung eröffnet wird), ist er in der syntaktischen Struktur an sich nicht von einer Ergänzung zu unterscheiden. Auf Verfahren, wie der Unterschied zu einer Ergänzung repräsentiert wird, gehen wir in Abschnitt 5 ein. 4.3. Adverbiale Subjunktoren als das Verb des übergeordneten Satzes dominierende Knoten Ein anderer Ansatz sieht das Verhältnis zwischen Regens und Dependens als valenzfundiert. In diesem Ansatz werden Valenzträger generell als Regens betrachtet und die Ausdrücke, die dessen Leerstellen füllen, als Dependens. Regens sind dann nicht nur Verben und Adjektive, sondern auch Satzadverbien und Präpositionen aus Satzadverbialen. Satzadverbien sind einstellige Valenzträger mit einer Leerstelle für einen Satz, Präpositionen zweistellige Valenzträger mit einer Leerstelle für eine Nominalgruppe und einen Satz. Dieser Ansatz wird von Welke (1995, 163 f.) vertreten. Welke (1995, 167) setzt bei dem Satz Emil beobachtete gestern fliegende Enten das Adverb gestern als obersten Knoten an, der das Verb beobachtete des Satzrestes dominiert. Bei dem Satz Emil beobachtete im Park fliegende Enten setzt er die präpositionale Wortform im als obersten Knoten an, die einerseits beobachtete und andererseits Park dominiert. Der Ansatz ist semantisch fundiert: Regens ist ein Ausdruck für einen semantischen Funktor ⫺ d. h. ein Valenzträger ⫺, Dependentien zu diesem Regens sind Ausdrücke für die Argumente dieses Funktors. Gemäß diesem Ansatz muss dann ein Adverbiale bildender Subjunktor das Verb des übergeordneten und das Verb des untergeordneten Satzes dominieren. Wenngleich
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68. Adverbial- und Relativsätze
Welke nicht explizit auf Adverbialsätze eingeht, lässt sich dies jedoch aus seinen Annahmen über die Situierung von Satzadverbialen wie im Park in der Abhängigkeitsstruktur ableiten. Die Verfahrensweise, Adverbien und Adverbiale bildende Präpositionen und Subjunktoren als Regens zum Verb des Satzes anzusetzen, dem sie zuzurechnen sind, lässt unerklärt, warum die Kategorie des komplexen Ausdrucks, in den die Regentien und ihre Dependentien eingehen, nicht die des obersten Regens ist, warum also z. B. der Satz Emil beobachtete im Park fliegende Enten kein Adverbial ist, sondern ein Satz oder das Satzgefüge Wenn Pollen fliegen, bekommt sie Augenbrennen kein Adverbialsatz ist, sondern ein Hauptsatz. Die Kategorie des komplexen Ausdrucks ist aber wichtig, damit dieser wiederum als Ausdruck fungieren kann, der die Valenzstellen anderer Valenzträger besetzen kann. So können die beiden genannten Sätze, nicht dagegen ‘Adverbiale’, z. B. die Valenzstelle eines Verbs oder einer koordinierenden Konjunktion besetzen, für die im Lexikon als mögliche Ergänzung ‘Sätze’ angegeben ist. Welke (1995, 167) will dieses Problem dadurch lösen, dass er im Stemma der Abhängigkeitsbeziehungen eines Satzes das Verb als „Hauptvalenzträger“ kennzeichnet. (Er tut dies, indem er das Verb zwischen Asterisken setzt.) Diese Lösung ist ad hoc. Eine ad-hocLösung ist jedoch bei einer Syntax, die den Wortformen und Wortgruppen nicht ihre möglichen syntaktischen Funktionen im Satz zuweist, nicht zu vermeiden. 4.4. Relativsätze: das Verb als oberstes Regens In Heringer (1996, 210 f.) gehören Relativsätze ebenso wie Adverbialsätze zur Gruppe der „finiten Klauseln“, die nach ihren Einleitungselementen subklassifiziert werden. Relativsätze fallen dabei unter die Einleiterklasse der „w-Klauseln“ bzw. „d-Klauseln“. w-Klauseln kommen verbdependent als Komplemente (⫽ Ergänzungen) oder Adverbiale vor, oder nomendependent bzw. dependent von einem „präpositionalen Pronomen“ (dort, wo); die mögliche Dependenz von einem Pronomen (alles, was; nichts, was; das, was) ⫺ also der Gebrauch als kontextuelle Variante der Relativsätze ⫺ wird nicht erörtert (ebenso nicht die valenzgebundene Abhängigkeit von einem Nomen wie in die Frage, wer/was). d-Klauseln hingegen werden als überwiegend einem Nomen untergeordnet
vorkommend betrachtet, also als Relativsätze im engeren Sinne. w- und d-Wörter sind nicht Regens der Klausel, sondern von deren Verb (direkt oder indirekt) abhängig. Die dependentielle Verkettung zwischen Matrixsatz und Klausel verläuft also hier so: NomenMatrixsatz J VerbKlausel J (weitere Regentien) J dWort (das jeweilige Regens befindet sich hier links des Pfeils). Die grobe klauselinterne Dependenzstruktur lautet (vgl. Heringer 1996, 220): d-Klauseln (als Relativsätze): V[….N_pro[d-/w-]…] ‘Das Verb ist Regens innerhalb einer Klausel, die als direkt oder indirekt vom Verb dominiertes Element ein d/w-Pronomen enthält’. Direkte Rektion liegt vor, wenn das d/wPronomen Kasusergänzung innerhalb der Klausel ist (z. B. der giftigsten Chemikalie, die Menschen je geschaffen haben). Indirekte Rektion liegt vor, wenn das d/w-Pronomen bei einer präpositionalen Ergänzung von einer Präposition direkt regiert wird (z. B. die Fälle, bei denen Gesundheitsschäden aufgetreten sind) oder wenn es als Genitiv-Attribut zu einer Nominal- oder Präpositionalphrase der Klausel erscheint (z. B. die Nester, deren Giftigkeit glücklicherweise nicht zur Kenntnis der Behörde gelangt; die Nester, bei deren Giftigkeit …). Das Vorkommen als Adverbial (in Form z. B. eines adverbialen Akkusativs wie in die Montage, die wir arbeiten oder einer adverbialen Präpositionalphrase wie in die Montage, an denen wir arbeiten) wird nicht erwähnt. d/w-Wörter dieser Art werden in einer ersten funktionalen Analyse einander als „definite d-Pronomen“ und „indefinite w-Pronomen“ gegenübergestellt, wobei die Definitheit des d-Wortes auf einem „anaphorischen Bezug zu einem Antezedenz“ (sic!) in der Matrix-V*” (‘V*’ für ‘Verbalphrase’) beruhe (Heringer 1996, 213). In einem weiteren Schritt stellt Heringer den pronominalen Status der d/w-Wörter in Relativsätzen in Frage. Er lehnt die Einrichtung einer eigenen Klasse der Relativpronomina ab. Aufgrund der Formidentität (bis auf „wenige Ausnahmen, die man als wieder auftauchende Morpheme erklären kann“ (Heringer 1996, 220)) wird vorgeschlagen, die d-Relativa als definite Determinierer (D_def) und die w-Relativa als interrogative Determinierer (D_int) zu betrachten, die in der pronominalen Verwendung ihre vollen pronominalen Flexionsmorpheme erhalten. Diese Analyse der Relativa impliziere die El-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
lipse des entsprechenden N-Kopfes in der Klausel. Die Anfangsstellung der d/w-Elemente sei dann durch „starke Fokussierung“ zu erklären. Bei der zweiten Analyse wird übersehen, dass das Relativum was im Gegensatz zu welcher niemals als Determinierer vorkommt (*was Kind, welches Kind). Außerdem wird in Fällen, wo der Bezugsausdruck selbst ein kataphorisches Pronomen ist (z. B. das, was; derjenige, der), die Analyse zirkulär: Wenn der Bezugsausdruck das kontextuell zu erschließende elliptische Nomen in der Klausel ist, dann stoßen ⫺ vor der Ellipse ⫺ klauselintern der relativische Determinierer und das kataphorische Pronomen zusammen und ergeben eine ungrammatische Folge (*was das; *der derjenige). Außerdem wäre das kataphorische Pronomen aufgrund analoger Argumentation ebenfalls als definiter Determinierer zu analysieren. Die enge Verflechtung zwischen dem determinativischen und dem pronominalen Subsystem, die besonders im Deutschen ins Auge fällt, wird also hier doch etwas zu kurzschlüssig und reduktionistisch erklärt. Die Unterscheidung zwischen restriktiven und appositiven Relativsätzen wird nicht behandelt. 4.5. Relativsätze: das Relativpronomen als Regens und Dependens Diese Auffassung vertreten Engel (1991, 292 f.; 1994, 218) und Hudson (1991, 383 f.) mit deutlichen Unterschieden in der Ausführung. Engel (1994, 209) unterscheidet „Relativsätze zum Nomen“ und „Relativsätze zum Verb“ (weiterführende Nebensätze), die über das unterschiedliche externe Regens, nämlich Nomen versus Verb, differenziert werden können. Was den Status des Relativpronomens angeht, so schließt Engel an die bifunktionale Sehweise Tesnie`res an: Es ist aufzuspalten in ein „subjunktives Element sjk“ und ein pronominales Element, das eine Satzgliedfunktion im Nebensatz innehat. Dabei ist in Engel (1991, 293) eine Aufspaltung in d- („sjk“) ⫹ Personalpronomen vorgesehen. In Engel (1994, 218) wird, anders als bei Tesnie`re, von einer ausdrucksseitigen Aufspaltung jedoch abgesehen. Für die Phrase die Frau, die Brot einkauft ist dann folgendes Stemma vorzusehen (mit den Differenzierungen Engels bei der graphischen Repräsentation der Dependenz, u. a. zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben):
Nomn Frau
sjk
Detn die
V einkauft
Prnn die
Noma Brot
Abb. 68.2
Relative d-Pronomina sind demnach Demonstrativa mit einem ‘stummen’ subjunktiven Anteil (translativischen Anteil nach Tesnie`re). Demgegenüber werden subjunktive w-Elemente in ein nicht-stummes subjunktives Element w- und ein Demonstrativum aufgespalten: z.B wem in w ⫹ das Demonstrativum dem, wobei eine zusätzliche „Oberflächentransformation“ aus w ⫹ dem wem erzeugt (Engel 1994, 216 f.) oder ⫺ durch den morphologischen Befund überhaupt nicht gerechtfertigt ⫺ wie in w ⫹ so (Engel 1994, 213); man vergleiche auch den Vorschlag, den adverbialen Subjunktor wenn in w ⫹ dann aufzuspalten (Engel 1991, 710). Wie der Vergleich zwischen Engel (1991) und (1994) zeigt, ist eines der Probleme dieser Vorgehensweise, dass die konkrete Form der Aufspaltung ad hoc erscheint. Hudson (1991, 383), der eine ausführliche Analyse englischer Relativsätze vorlegt, weist in dem freien Relativsatz what he bought (cost lots) dem Ausdruck what den Status als „root and link to the rest of the sentence“ zu, aber what ist nicht nur Kopf (bzw. Regens) von bought, sondern auch eines von seinen Dependentien. Damit weist Hudson die verbreitete Annahme ‘leerer’ Köpfe oder Regentien für freie Relativsätze zurück und postuliert gleichzeitig eine gemeinsame Struktur für freie und nomendependente Relativsätze. Die Doppelköpfigkeit des Relativsatzes wird dadurch erfasst, dass eine Dependenzrelation vom Relativpronomen zum Verb der Klausel führt und eine zweite von diesem zum Relativpronomen. Die beiden gegenläufigen De-
68. Adverbial- und Relativsätze
pendenzrelationen sind jeweils mit den Namen der syntaktischen Funktion etikettiert, die als je spezifische Ausprägung der Dependenzrelation betrachtet wird. So ist bought als „complement“ dependent von what und what als „object“ dependent von bought. Dieses Vorgehen impliziert eine Erweiterung der Dependenzgrammatik über in Bäumen (Stemmata) erfassbare Strukturen hinaus, denn es wird gegen die Prinzipien, dass jedes Dependens nur ein einziges Regens haben kann und dass Dependentien ihre Regentien nicht regieren dürfen, es also keine Schleifen geben darf, bewusst verstoßen. (Zu den Prinzipien vgl. z. B. Heringer 1993a, 300.) 5.
Zum Verhältnis zwischen Adverbialsätzen und anderen subordinierten Sätzen Für die in den Abschnitten 3.2 und 4.2 beschriebenen Ansätze steht die Frage, wie sie das Verhältnis zwischen Adverbialsätzen und anderen subordinierten Sätzen beschreiben. Zu den Relativsätzen liegt ein markanter Unterschied darin, dass sie anders als diese nicht durch einen Relativausdruck eingeleitet werden, der nicht nur subordinierende Funktion hat, sondern gleichzeitig Dependens des Verbs des subordinierten Satzes ist. Ein Unterschied der Adverbialsätze zu den subordinierten Sätzen, die durch die Subjunktoren dass bzw. ob gebildet sind, liegt gemäß Tesnie`re in Folgendem: dass und ob sind Translative, die das Verb des subordinierten Satzes aus der Kategorie ‘I’ (für Verben) in die Kategorie ‘O’ (für Substantive) überführen; vgl. bei Tesnie`re (1959, 546 f.). Subjunktoren, die Adverbialsätze bilden, sind Translative, die das Verb des subordinierten Satzes aus der Kategorie ‘I’ in die Kategorie ‘E’ (für Adverbien) überführen; vgl. bei Tesnie`re (1959, 638; 646) die Stemmata für französische Sätze mit dem Adverbialsätze bildenden Subjunktor quand. Dabei geht Tesnie`re davon aus, dass die typische Funktion von subordinierten Sätzen, die mit dass oder ob gebildet sind, wie die von Substantiven (Nomina) die einer Ergänzung (eines ‘actant’) ist und die typische Funktion von Adverbialsätzen wie die von Adverbien die einer Angabe (eines ‘circonstant’) ist. Diese typischen Verwendungsarten fasst er als einen Unterschied in der syntaktischen Kategorie. Wenn für Translative eine Wortart festgelegt wird, müssen in diesem Rahmen die betreffenden Unterschiede zwischen den Subjunktoren als Wortartunterschiede beschrieben werden.
931 Für Heringer (1996, 169) gibt es in der Dependenzsyntax keinen Unterschied zwischen Adverbialsätzen und durch dass bzw. ob gebildeten Sätzen. Ihr Unterschied liegt nach Heringer (1996, 212) darin, dass die Adverbialsätze im Unterschied zu den mit dass oder ob gebildeten subordinierten Sätzen nicht zum Valenzrahmen ⫺ bei Heringer: „ValenzFrame“ ⫺ des sie dominierenden Verbs des übergeordneten Satzes gehören, d. h. keine Valenzstellen dieses Verbs ausfüllen. Bei Heringer müssen die funktionalen Unterschiede dann aus den Subkategorisierungsangaben für die Verben zu entnehmen sein, die Sätze als Ergänzungen zulassen. Engel (1994, 214 f.) kennzeichnet in Stemmata Adverbialsätze ebenfalls als Angaben und durch dass und ob gebildete subordinierte Sätze als Verbergänzungen. Im Unterschied zu Tesnie`re behandelt er diese Informationen jedoch nicht als Wortartunterschiede. Vielmehr stellt er sie als Unterschiede in der Funktion der subordinierten Sätze als Angabe bzw. Ergänzung zum regierenden Verb durch Unterschiede in der Art der Kanten im Stemma (vgl. hierzu Engel 1994, 98 f.) dar, die das Verb des übergeordneten Satzes als Regens mit dem jeweiligen Subjunktor als Dependens verbinden. Die Quelle des Unterschieds muss dann die gleiche sein wie bei Heringer, nämlich der Valenzrahmen des Verbs des übergeordneten Satzes. (Die mitunter in den von Engel angeführten Stemmata zu beobachtenden Knotenetiketten ‘E’ (für ‘Ergänzung’) und ‘A’ (für ‘Angabe’) und die Unterscheidungen in der Art der Kanten sind dann redundant. Sie werden dies durch die Valenzinformationen zu den Verben, die dem Lexikon zu entnehmen sind, und durch das Wortartetikett des aktuellen Dependens des Verbs im Stemma.) Bei Kunze (1975, 221 f.) und Klimonow (1982, 65 f.) werden syntaktische Funktionen als durch spezifische „Unterordnungsrelationen“ zwischen den Knoten eines Stemmas definiert interpretiert, die durch entsprechende Markierungen der Kanten repräsentiert werden, die die Knoten des Stemmas verbinden. Einen Überblick über solche ⫺ teilweise semantisch differenzierten ⫺ Unterordnungsrelationen zwischen Adverbialsätzen und dem Regens des jeweiligen übergeordneten Satzes gibt Klimonow (1982, 146 f.). Für alle hier beschriebenen Ansätze ergibt sich, dass die Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben letztlich allein durch die Valenz des Regens des übergeordneten Satzes
932
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
begründet werden kann. Das heißt, dass die entsprechende Unterscheidung zwischen bestimmten syntaktischen Funktionen auch nur auf diesem Wege getroffen werden kann, und zwar insofern, als im Valenzrahmen des Regens die Selektion der Zahl und spezifischen Art seiner möglichen Ergänzungen angelegt ist und bei Belegung durch die entsprechenden Phrasen deren syntaktische Funktion durch die Art der Valenzstellen, die sie füllen, festgelegt ist. Dies ist unzureichend, denn Adverbialsätze können, wie Relativsätze auch, unterschiedliche syntaktische Funktionen ausüben. Zum einen können Adverbialsätze nicht nur als Angaben zu Verben oder Adjektiven fungieren, sondern auch als Attribute, die nicht als Ergänzung des sie dominierenden Nomens anzusehen sind (vgl. der Tag, als der Regen kam), oder als (Verb-)Ergänzungen (vgl. Alle hörten, wie sie schrie). Adverbialsätze in der Funktion einer spezifischen Ergänzung wären dann insofern als solche charakterisiert, als für sie im Valenzrahmen von Verben oder Adjektiven, die sie regieren können, eine entsprechende Möglichkeit vorgesehen sein muss. Die möglichen anderen beiden syntaktischen Funktionen von Adverbialsätzen bleiben dabei aber noch außerhalb einer Regelung in der Grammatik. Eine Regelung der möglichen nicht valenzabhängigen syntaktischen Funktionen von Phrasen ist jedoch erforderlich, und zwar deshalb, weil sie nicht beliebig sind. Adverbialsätze z. B. können nur Verben, Adjektiven und Nomina untergeordnet werden und dabei wie gesagt ersteren entweder als Angabe oder als Ergänzung. Im Rahmen einer Dependenzgrammatik ist folgende Regelung denkbar: Im Lexikon gibt es für die Subjunktoren und Verben (insofern Verberstsätze Adverbialsätze sein können) eine entsprechende Angabe, die besagt, welche syntaktischen Funktionen eine mit einem Wort der genannten Arten als oberstes Regens ⫺ ‘Kopf’ oder ‘Nukleus’ ⫺ gebildete Phrase bezüglich eines übergeordneten Regens ausüben kann. Dabei müsste über das Merkmal der Wortart für die Subjunktoren abzuleiten sein, dass sie Angaben bilden können. Dies müsste durch Regeln möglich sein, die Wortarten charakteristische syntaktische Funktionen zuordnen ⫺ etwa in dem Sinne, in dem von Zifonun/Hoffmann/Strecker et al. (1997, 993 f.) ‘Konstruktionskategorien’ (im Wesentlichen Phrasenkategorien) ‘Kombinationskategorien’ (d. h. funktionale Kategorien) zugeordnet werden. Bei Subjunktoren, die neben Angaben auch
Verbergänzungen bilden können, muss dann im Lexikon zusätzlich angegeben werden, dass sie außerdem Ergänzungssätze zu einem verbalen Regens bilden können. Bei den Subjunktoren, die auch Attribute bilden können, müsste zusätzlich angegeben werden, dass sie neben Angaben zu einem verbalen Regens auch Attribute zu einem nominalen Regens bilden können.
6.
Zum Verhältnis zwischen Relativsätzen und anderen pronominal eingeleiteten subordinierten Sätzen
Relativpronomina stimmen in vielen Sprachen mit den Frage- oder den Demonstrativpronomina überein. Im Deutschen liegen mit den w- und d-Formen Entsprechungen zu beiden Pronomenklassen vor. Fragepronomina (wer, was) bzw. -adverbien (wo) ⫺ so die traditionelle Analyse ⫺ kommen nun auch als Einleiteelemente untergeordneter Sätze, sogenannter ‘indirekter Fragesätze’, vor. Hier ergibt sich ein besonderer Abgrenzungsbedarf zwischen ‘indirekten Fragesätzen’ und gegebenenfalls gleichlautenden ‘freien Relativsätzen’. Beide kommen als Ergänzungen zum Verb vor, ‘freie Relativsätze’ auch als Angaben (vgl. Beispiel (5b)), indirekte Fragesätze auch als Ergänzungen zum Nomen (die Frage, wer gekommen ist). Der Fall des Vorkommens als Ergänzung zum Verb kann an folgendem Beispiel erläutert werden. In (5a), Wer mit allem zufrieden ist, wird beneidet, ist der w-Satz als freier Relativsatz zu betrachten, in Wer mit allem zufrieden ist, ist mir gleichgültig, das zwei verschiedene Lesarten hat, als indirekter Fragesatz oder freier Relativsatz. Bei Engel (1994, 208) werden beide Typen von Sätzen nach ihrer Ausdrucksform als „Nebensätze mit Fragewort“ eingeordnet. Dieses Frageelement („Frw“) hängt in beiden Fällen vom Verb des übergeordneten Satzes ab und regiert seinerseits das Verb des untergeordneten Satzes. In beiden Fällen ist auch ähnlich wie bei den Relativpronomina (vgl. Abschnitt 4.5.) eine Aufspaltung in ein subjunktives Element („sjk“) und „ein pronominales Restelement“ vorzusehen, das pauschal im Stemma durch das entsprechende Ergänzungsetikett repräsentiert wird (Engel 1994, 216). Aufgrund der semantischen Funktion unterscheidet Engel zwischen „definiten und generalisierenden Nebensätzen“ (beides ent-
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68. Adverbial- und Relativsätze
spricht den ‘freien Relativsätzen’) und Interrogativsätzen; dies findet jedoch keinen Ausdruck im Stemma. Heringer (1996, 222 f.) legt ähnlich wie Zifonun/Hoffmann/Strecker et al. (1997, 2263 f.), eine semantische Unterscheidung zwischen „referentiellen Klauseln“ und „propositionalen Klauseln“ vor, die auf freie Relativsätze und indirekte Fragesätze jeweils angewandt werden kann. Wie Engel gehen Heringer und Hudson davon aus, dass die syntaktische Struktur für beide Typen von untergeordneten Sätzen dieselbe ist. Heringer vermeidet jedoch die bei Engel getroffene Festlegung, bei dem Einleitungselement handle es sich um ein Fragewort, indem er die neutrale Bezeichnung w-Element wählt. Der Vorschlag der referierten Ansätze, von einer gemeinsamen syntaktischen Struktur für die beiden semantisch differenzierten Typen von untergeordneten w-Sätzen auszugehen, erscheint uns ⫺ trotz der z. B. in Pittner (1991) vorgebrachten Bedenken ⫺ attraktiv. Damit wäre, wie Hudson (1991, 385) es tut, eine Analyse zurückzuweisen, die bei freien Relativsätzen ein ‘leeres’ Kopf-Element annimmt und damit eine strukturelle Abgrenzung zu den indirekten Fragesätzen erzwingt. Andererseits kann es jedoch nicht genügen, für w-Sätze als Verbergänzungen generell eine Subkategorisierung für die entsprechende Ergänzungsstelle vorzusehen. Denn w-Sätze in der Funktion der indirekten Fragesätze (propositionale w-Sätze) sind nur an bestimmten Valenzstellen bestimmter Verben möglich, während w-Sätze in der Funktion der freien Relativsätze (referentielle wSätze) überall dort auftreten können, wo auch andere referentielle Ausdrücke, also vor allem Nominalphrasen, auftreten. Die Differenzierung muss daher über eine spezifischere Subkategorisierung der Valenzträger erfolgen. Dabei kann die Belegung durch einen freien Relativsatz durch eine allgemeine Regel gewährleistet werden, die besagt, dass anstelle der Belegung durch eine Nominalphrase (eine referentielle Phrase) auch eine Belegung durch einen w-Satz mit dem Merkmal erfolgen kann. Dagegen ist die Belegung durch einen w-Satz mit dem Merkmal (‘indirekter Fragesatz’) nur als spezielle Möglichkeit bei bestimmten Valenzträgern zu verzeichnen (vgl. auch Heringer 1996, 222 f.). Trotz der prinzipiell gleichartigen Struktur der w-Sätze genügen nicht alle w-Satzvorkommen den Anforderungen, die an sie jeweils bei referentiellem und propositionalem Gebrauch zu
stellen sind. So schließt z. B. das mehrfache Vorkommen von w-Wörtern in unterschiedlichen syntaktischen Funktionen (wer wann und wo dieses Verbrechen begangen hat) die Verwendung als referentieller w-Satz in der Regel aus. Diese und weitere morphologische Beschränkungen können, wie gesagt, nicht am w-Wort als Element einer Wortart selbst festgemacht werden, für dessen Lexikoneintrag grundsätzlich über eine allgemeine Regel abzuleiten ist, dass es w-Sätze mit den Merkmalen und bilden kann. Eine der beiden Möglichkeiten kann nur über weitere Eigenschaften des w-Satzes ausgeschlossen werden, die an das w-Wortvorkommen als Kopf der Konstruktion (oder vielmehr als einer der beiden Köpfe im Sinne von Abschnitt 4.5) weiterzugeben wären.
7.
Fazit und Ausblick
Überschaut man die dependentiellen Beschreibungsansätze für Adverbial- und Relativsätze zusammenfassend, so lässt sich festhalten: Die Analyse mithilfe von Translationen erweist sich ⫺ abgesehen von den generellen Problemen bei diesem Konzept ⫺ hier als ungeeignet: Sie führt insbesondere bei den Subjunktoren zu der unangemessenen Analyse als nicht-bedeutungstragende Wörter (Translative). Dependentiellen Ansätzen ohne Translative rechnen wir es als ein Verdienst zu, dass durch die Beschränkung auf die Dependenzrelation zentrale Fragen der grammatischen Struktur besonders deutlich fokussiert werden können. Zentral ist zum einen die Frage nach der Einbindung von Adverbial- und Relativsätzen in die übergeordnete Struktur. Adverbialsätze sind (vgl. Abschnitt 5) besonders funktionsvariabel. Sofern diese Funktionsvariabilität sich an unterschiedlichen übergeordneten Regentien festmachen lässt (Adverbialsätze zum Verb versus Adverbialsätze zum Nomen, ähnlich auch: Relativsätze zum Nomen versus Relativsätze zum Verb), kann dies in der Dependenzsyntax problemlos erfasst werden (vgl. Kunze 1975, 133). Dagegen stellt die Möglichkeit, Adverbialsätze als Angaben und (seltener) als Ergänzungen zu gebrauchen, dependentielle Analysen im Allgemeinen vor ein Differenzierungsproblem ⫺ und zwar dann, wenn sowohl Ergänzungen als auch Angaben als Verb-
934
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Dependentien analysiert werden. Dieses Problem kann durch subkategorisierende Angaben bei den Regentien und bei den Subjunktoren gelöst werden. Nicht erfasst werden kann damit aber das breite Funktionsspektrum von ⫺ in diesem Ansatz sämtlich verbabhängigen ⫺ Adverbialsätzen. Die Funktionsvariabiliät der Adverbialsätze, die in gewissem Umfang auch von den Relativsätzen geteilt wird, kommt in den vorliegenden Analysen kaum zur Sprache; es werden nur die jeweils typischen Funktionen beschrieben. Verwendungen von Adverbialsätzen, bei denen anders als bei den unter (1) und (2) angeführten kaum von Einbettung gesprochen werden kann, sind z. B. folgender Art: a) als weiterführender Nebensatz (vgl. Sie benahm sich höchst ungeschickt, sodass alle über sie lachten), b) als syntaktisch desintegriert (vgl. Wenn es auch schwer ist, wir müssen da durch) und c) ‘linksversetzt’ (vgl. Wenn es zu schwer ist, dann lass es). (Zu diesen Phänomenen s. Pasch et al. 2003.) Möglicherweise hilft hier die ⫺ theoretisch problematische ⫺ Einführung eines vom Verb verschiedenen und diesem übergeordneten Knotens (S-Knoten im Sinne von Kunze 1975 und Eroms 1985, 1995) als Wurzelknoten für Satzstrukturen weiter: Die Typen a) bis c) von ‘satzbezogenen’ Adverbialsätzen könnten als Regentien zu diesem Knoten analysiert werden; vgl. einen entsprechenden Analysevorschlag von Eroms (1985, 310) zu Konstruktionen mit Adverbien vor einem Hauptsatz. Allerdings bleibt dann die Frage zu beantworten, welcher syntaktischen Kategorie die Gesamtkonstruktion zuzuordnen ist. Die Antwort kann unseres Erachtens nur eine Grammatik geben, die Adverbiale als Funktoren bestimmt, die die syntaktische Kategorie ihres Arguments nicht verändern. Zur Zeit ist nicht erkennbar, wie die Dependenzgrammatik dies leisten könnte. Die zweite zentrale Frage ist die nach dem Regens des untergeordneten Satzes selbst, und damit die Frage nach der Kategorie dieser Konstruktion. Adverbial- und Relativsätze geben hier Anlass, Dogmen der klassischen Dependenzsyntax wie „Jedes Dependens hat nur ein einziges Regens“, „Ein Regens kann nicht Dependens eines seiner Dependentien sein“ in Frage zu stellen. Analysen, die ‘Doppelköpfigkeit’ zulassen (wie die von Hudson 1991), erscheinen empirisch angemessener. Die damit verbundenen Erweiterungen des klassischen Modells sind für die Zukunft vorzusehen, vor allem aber die Aus-
arbeitung expliziter Formalismen, die es erlauben, in Kooperation zwischen Regelformalismus und Lexikon den Aufbau syntaktischer Strukturen für breite Ausschnitte natürlicher Sprachen korrekt zu beschreiben. Dazu gehören auch Aussagen darüber, wie diese Strukturen semantisch interpretiert werden. Semantische Differenzierungen, die in der Syntax (bisher) nicht erfasst werden, finden sich u. a. bei Relativsätzen mit der Unterscheidung zwischen dem restriktiven und dem appositiven Gebrauch, sowie bei freien Relativsätzen gegenüber indirekten Fragesätzen. Sie sind aber auch bei Adverbialsätzen zu beobachten, z. B. wenn ein Adverbial sich semantisch nicht auf den propositionalen Gehalt des übergeordneten Satzes bezieht, sondern auf dessen Satzmodus bzw. dessen illokutive Kraft. Vgl. Da die Heizungsröhren geplatzt sind, hat es Frost gegeben. Hier begründet der da-Satz die mit dem übergeordneten Satz ausgedrückte Behauptung und nicht den im Wesentlichen durch dessen Verb bezeichneten Sachverhalt. In Konstruktionen wie Wie ich befürchtet habe, ist das Haus nicht zu retten kann der Adverbialsatz ebenfalls semantisch nicht als Angabe zum Verb des übergeordneten Satzes interpretiert werden. Vielmehr besetzt dieser semantisch eine Valenzstelle des Verbs des Adverbialsatzes. Inwieweit solche semantischen Beziehungen einen Reflex in der syntaktischen Struktur der Konstruktionen finden, ist zu klären.
8.
Literatur in Auswahl
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936
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
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Renate Pasch/Gisela Zifonun, Mannheim (Deutschland)
69. Präpositionalphrasen 1. 2. 3. 4. 5.
Einleitung Die lexikalische Kategorie Präposition Binnenstrukturen von Präpositionalphrasen Valenzeigenschaften von Präpositionalphrasen Literatur in Auswahl
1.
Einleitung
Präpositionalphrasen (PPen) sind für jede grammatische Theorie ein „sperriger“ Gegenstand, da die semantische Heterogenität der Klasse Präposition, die Vielfalt von PPStrukturen und der von ihnen repräsentierten syntaktischen Funktionen eine Integration ins jeweilige Kategorienschema schwer machen. Die Probleme sind dabei umso gravierender, je abstrakter und „minimalistischer“ die zugrundegelegten Strukturprinzipien sind, weshalb ältere generative Ansätze PPen ebensowenig adäquat erfasst haben wie Tesnie`res Dependenzgrammatik und dichotomische Valenzmodelle. Aus dieser Problemlage ergibt sich die Vorgehensweise des vorliegenden Artikels. (a) Die lexikalische Kategorie P ist gegen andere Kategorien und Syntagmen universal und als Ausprägung im Rahmen eines einzelsprachlichen Wortartsystems abzugrenzen. Der semantischen Heterogenität der Klasse zwischen Relationsträgern und reinen Relationsmarkierern kann über graduelle Konzepte von Grammatikalisierung und Subklassifizierung Rechnung getragen werden. Mit den Subklassen korrelierende strukturelle und funktionale Charakteristika von PPen werden angeführt. (b) Für PPen ist die Dependenzrichtung (Köpfigkeit) zu klären. Neben prototypischen P-NP-Phrasen sind komplexere Struk-
turen (bis zu über drei Kilo, mindestens drei Meter tief unter der Erde) und nicht-NP-Dependentien (seit heute, ab nach dem Krieg) zu erfassen. Zu klären ist auch, ob der kasusähnliche Status „regierter“ Präpositionen eine besondere Strukturzuweisung für Präpositivkomplemente rechtfertigt. (c) Die valenzgrammatische Beschreibung von PPen seit Tesnie`re (1959) wird knapp skizziert. Dabei erklärt sich, warum PPen in dichotomischen Modellen neben benefaktiven Dativen den neuralgischen Punkt bei der Abgrenzung von Ergänzungen und Angaben bildeten und warum mehrdimensionale Valenzkonzepte hier überlegen sind. Im Folgenden werden, weitgehend im Einklang mit der Tradition, drei Funktionen von PPen unterschieden: Präpositivkomplement (Präpositionalobjekt, E-präp, E5): dt. warten auf, erinnern an, s. sehnen nach, engl. wait for, believe in, frz. insister sur, tendre a`, se moquer de, ital. credere in, lamentarsi di. Eigenschaften: konstante (regierte, fixierte), desemantisierte Präposition; keine adverbialen semantischen Rollen, sondern Sachverhaltsbeteiligtenrollen ähnlich wie Kasuskomplemente; Argumentstatus. Adverbialkomplement (adverbiale Ergänzung): in/bei/neben/hinter der Mühle wohnen; nach Rom/ins Elsass/auf den Dilsberg fahren; um zehn Uhr enden, bis drei Uhr dauern. Eigenschaften: paradigmatisch austauschbare Präposition; autosemantisch kodiert; lokal- und temporal-adverbiale semantische Rollen; in der Verbbedeutung angelegt. Adverbialsupplement (adverbiale/freie Angabe): Am Mittag schläft sie auf der Wiese. Trotz Regen essen wir heute im Freien.
937
69. Präpositionalphrasen
Eigenschaften: paradigmatisch austauschbare Präposition; autosemantisch kodiert; alle adverbialen semantischen Rollen; nicht in der Verbbedeutung angelegt; fakultativ; Skopus über den Satz (Satzadverbial) oder ⫺ seltener als PP realisiert ⫺ über die VP (Verbgruppenadverbial): s. im Kreis drehen, nach Jasmin duften, auf drei Rädern fahren. Diese drei hier als Verbdependentien beschriebenen Funktionen kommen auch als Attribute (Sehnsucht nach dem Meer, Reise ans Meer, das Essen am Strand) und als Adjektivdependentien vor (böse auf sie, nach Süden orientiert, einsam in Seattle). Damit wird nicht behauptet, Nominalvalenz sei nur eine Spiegelung der verbalen Valenz, vielmehr ist mit Eichinger (1995) davon auszugehen, dass Valenz wortartspezifische Ausprägungen hat (vgl. aber die analoge dreifache Untergliederung von Präpositionalattributen bei Schierholz 2001, 284 f.). Immerhin erfüllen aber Präpositionalattribute zu Nomina wie Wut (auf), Spott (über) eher das Valenzkriterium der lexikalischen Regiertheit als Genitivattribute (vgl. Art. 59).
2.
Die lexikalische Kategorie Präposition
2.1. mots pleins vs. mots vides, lexikalische vs. funktionale Kategorie Eine universale Kategorie P hat individuelle morphosyntaktische Ausprägungen in einzelsprachlichen, oft inhomogenen Wortklassen. Aus dieser Sachlage resultiert notwendig eine gewisse Vagheit von Beschreibungen mit universalem Anspruch. Tesnie`re sieht Präpositionen nicht als „mots pleins“ wie Substantiv, Adjektiv, Verb und Adverb, sondern als „mots vides“ mit synchron rein strukturaler Funktion, mag diese auch auf ein „volles Wort“ zurückgehen (lat. de ‘von herab’ > frz. strukturell de). Sie fungieren als kategorienverändernde Translative, die z. B. in le livre de Jean aus dem Substantiv Jean ein Adjektiv machen. Die pauschale Charakterisierung vernachlässigt a) sprachspezifische Unterschiede, b) das synchrone Nebeneinander „voller“ und „struktureller“ Präpositionen in einer Sprache (zugunsten vs. für, seitens vs. von) und c) die synchrone Polysemie einzelner Präpositionen (lokal: von Bonn kommen, Spur durchs Beet ⫺ Attribut- und Passivagenskennzeichnung: die Eroberung von Rom durch die Goten). Wird, wie in jüngeren de-
pendenzgrammatischen Ansätzen üblich, die Präposition als Regens in der Phrase betrachtet, verbietet sich ein Status als Leerwort ohnehin. Problematisch ist aber auch die Einordnung von Präpositionen in ein Kategorienschema weniger lexikalischer Hauptkategorien. Im generativen Paradigma der 70er und 80er-Jahre wurden Präpositionen den lexikalischen Hauptkategorien N, V und A zur Seite gestellt (Jackendoff 1973; van Riemsdijk 1978) und über die ⫺ wenig aussagekräftigen ⫺ universalgrammatischen Merkmale [⫺N], [⫺V] definiert, die einzelsprachspezifische Ausprägungen haben: das Deutsche z.B die Nicht-Flektierbarkeit und die mit dem Zusatzmerkmal [⫹/⫺DIR] verbundene Kasusrektion. Von den drei anderen Hauptkategorien unterscheiden sich Präpositionen aber durch die relative Geschlossenheit der Klasse, durch Affinitäten zur Kasusmorphologie wie Klitisierungsprozesse (beim, zur) und durch ihre über wenige Merkmale erfassbare Semantik. Mit der Etablierung der funktionalen Kategorien DET, COMP, INFL seit Abney (1987) wurde so auch für Präpositionen ein Status als (zu Kasusmerkmalen alternative) lexikalische Repräsentationen eines funktionalen Kopfs erwogen. Abney betont den Grenzcharakter von Präpositionen zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien, jüngere Arbeiten (Fries 1991; Rauh 1995; Zwarts 1997) heben vor allem auf die Heterogenität der Klasse und den Hybridstatus einzelner Vertreter ab und klassifizieren regierte Präpositionen und adverbial verwendete unterschiedlich. Ein Hineintragen von Funktionsunterschieden ins Kategoriensystem scheint aber wenig wünschenswert, wenn wie im generativen Modell kategoriale und funktionale Ebene nicht als isomorph gelten. Eine einheitliche, übereinzelsprachlich gültige Bestimmung der Klasse P sollte folgende Merkmale berücksichtigen: (i)
Präpositionen sind semantisch zweistellige Relatoren, die prototypisch Relationen zwischen Entitäten herstellen (Schachter (1985, 35) zählt sie zu den „role markers“). (ii) Präpositionen sind syntaktisch einstellig; das interne Argument ist ein Term (nach Zifonun/Hoffmann/Strecker et al. (1997, 969 f.), im folgenden GDS). (iii) Die Projektionen von Präpositionen, PPen, sind polyfunktional. (iv) Präpositionen bilden eine relativ geschlossene Klasse, insofern diese nur
938
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
diachron durch Kategorienübertritte (vermöge, laut, kraft, längs) und Univerbierung (aufgrund, zu Gunsten) erweiterbar ist, nicht aber durch regelhafte kompositionelle oder derivationelle Wortbildungsmuster. Merkmal (i) und (ii) grenzen Präpositionen von sachverhalts- bzw. satzverknüpfenden Konjunktionen und Einleitern von Infinitivphrasen ab, mit denen sie vielfach morphologisch identisch (seit, bis, engl. before, after) oder verwandt sind (frz. apre`s que, ital. perche´). Merkmal (i) grenzt sie von Adverbien ab, für die das gleiche gilt (Die Kiste ist unten/ zu/auf ). Die vielfach übliche Gleichsetzung von Adverbien mit „intransitiven Präpositionen“ (Pittner 1999, 55 f.) oder „präpositionalen Pronomen“ (Heringer 1996, 134) ist angesichts der prinzipiellen Transitivität von Präpositionen wenig erklärungsmächtig. Die universalen Merkmale der Kategorie P sind einzelsprachlich um morphosyntaktische zu ergänzen. Fürs Deutsche muss berücksichtigt werden: (v) Präpositionen sind nicht flektierbar. (vi) Sie weisen ihrem Komplement obliquen Kasus zu. (Das grenzt sie von den Adjunktoren als und wie ab.) (vii) Sie haben eine feste Position, typischerweise vor ihrem Komplement. Fürs Deutsche ergibt sich damit ⫺ bei Beschränkung auf monolexematische Einheiten ⫺ eine Zahl von ca. 100 Einheiten; rechnet man, was die weite Definition durchaus erlaubt, auch die „präpositionswertigen Präpositionalwendungen“ (Benesˇ 1974) hinzu, erhöht sich die Zahl entsprechend. (Zur Abgrenzung vgl. Eisenberg 1979; Wellmann 1985; Rauh 1990). 2.2. Subklassifizierung Die lexikalische Klasse Präposition umfasst in vielen Sprachen neben morphologisch einfachen Formen wie engl. in, on, frz. en, a`, niederld. aan, bij komplexe Einheiten wie aufgrund/auf Grund, anstelle, unweit, engl. for the sake of, despite, concerning, ital. a causa di, di fronte a, nonostante, frz. en faveur de, a` cause de, en vue de, schwed. i början av, med hjälp av, i stället för, niederld. aangaande, namens, vanwege. Die beiden Typen werden oft als primäre und sekundäre Präpositionen bezeichnet, bei Letzteren werden monolexematische (wegen, laut) und polylexematische (anstelle, auf Grund) unterschieden (zum Engl.
Kortmann/König 1992; zum Griech. Fries 1988; zum Niederld. Zwarts 1997; zum Schwed. Lindqvist 1994). Präpositionstypologien beschreiben ihren Gegenstand auch oft mit dem in der Wortartenklassifikation zur Vermeidung einer zu feinkörnigen Klassifizierung verwendeten Kern-Peripherie-Konzept (Lehmann 1995; Lindqvist 1994; Meibauer 1995). Die Klasse spannt sich zwischen den Polen Auto-und Synsemantika bzw. lexikalisch und grammatisch auf einer Skala zunehmender Grammatikalisierung auf, auf der z. B. die Präposition für eine Mittelstellung zwischen dem lexikalischen Pol zugunsten und dem grammatischen Pol Dativ einnimmt. Die am stärksten grammatikalisierten Präpositionen sind Tesnie`res Paradebeispiele für „mots vides“, Markierer für Attributbeziehungen (von, engl. of, ital. di, frz./span. de), Passivagens (durch, von, engl. by), indirektes Objekt (engl. to, ital./span. a, frz. a`) und die „Infinitivpräpositionen“ (zu, am, engl. to, ital. di). Ihr Auftreten ist durch grammatische Regeln determiniert und in bestimmten Umgebungen obligatorisch. Stark grammatikalisiert sind auch regierte Präpositionen (warten auf, wait for), eine Subgruppe der Kernbereichspräpositionen (zu Präpositivkomplementen als typischen Resultaten von Grammatikalisierungsprozessen vgl. Hundt 2001). Näher am lexikalischen Pol finden sich monolexematische sekundäre Präpositionen, am äußersten Ende polylexematische. Rektionsvarianten zwischen Dativoder Akkusativrektion und der für sekundäre Präpositionen typischen Genitivrektion bei einigen monolexematischen sekundären zeigen anhaltende Grammatikalisierungstendenzen (Di Meola 1999). Mit den Subtypen sind unterschiedliche phonologische, syntaktische und semantische Eigenschaften korreliert, die in der nachstehenden Tabelle abgebildet sind. Es zeigt sich, dass bezüglich vieler Eigenschaften eine Trennlinie zwischen primären und sekundären Präpositionen verläuft, das Phrasenbildungspotential aber durch ein semantisches Merkmal bestimmt wird: Nur lokale und temporale PPen sind modifizierbar, egal ob als Supplement (Bsp. 1a) oder Komplement (b, c), ob mit primärer (a,b,c) oder sekundärer Präposition (d). Die Beschränkung auf einfache P-NP-Phrasen teilen Präpositivkomplemente (e) mit nicht-lokalen Supplementen (f). (1) a. Das Kind spielt ganz dicht am Zaun. b. Das Kind stand ganz dicht am Zaun.
939
69. Präpositionalphrasen Tabelle 69.1: Subklassen von Präpositionen Typ
Primäre Präposition
sekundäre Präposition
Verwendungstyp/ semantische Klasse
lokal, temporal
Semant. Status
polysemantisch
Bestand/ Beispiele
ab, an, auf, aus, bei, bis, durch, hinter, in, nach, neben, seit, über, um, unter, vor, zu, zwischen
Klassenstatus
geschlossen
offen
Phonolog. Gewicht
gering, meist einsilbig
hoch, meist mehrsilbig
Diachronie
älter; aus Lokaladverbien
jünger; Univerbierung, Klassenübertritte
Position
Voranstellung
Rektion
Dativ, Akkusativ
Genitiv/von, Dativ (selten), bei deverbalen auch Akk.
Rektionsalternation
Akkusativ-Dativ-Alternation semantisch relevant (dynamisch vs. statisch)
Genitiv-Dativ-Varianten semantisch nicht relevant
Klitisierung
ja, teilweise obligatorisch (am Essen sein, am Montag)
nein
a) nicht-lokal (kausal, modal etc.) b) „metaphorisch“ verwendete lokale P
regiert (desemantisiert)
a) nicht-lokal (kausal, modal etc.) b) Ausdifferenzierung lokaler Relationen monosemantisch
a) für, gegen, von, mit, ohne; b) unter (Kontrolle), (meiner Meinung) nach, aus (Liebe), durch (ihn) …
Voran- oder (selten) Nachstellung
an, auf, aus, für, durch, gegen, hinter, in, mit, nach, über, um, unter, von, vor, zu, zwischen
Voranstellung
a) laut, trotz, wegen, contra, unbeschadet, zugunsten, in Hinblick auf … b) inmitten, unterhalb, jenseits …
Voran- und Nachstellung, z. T. variabel
Frequenz
hoch
gering
Involvierg. in Wortbildung
ja (Auftakt, Auszeit, anfangen, vorschnell)
nein
Funktion der PP
Adverbialsupplement oder -komplement
Adverbialsupplement
Phrasenbildung
modifizierbare PP
nicht modifizierbare PP
nur bei b) modifizierbare PP
Proform für die PP
analyt. (an ihn), synthet. (daran), reine Adverbien (da)
analytisch und synthetisch, keine reinen Adverbien
nur analytisch bei b) auch reine Adverbien
c. d. e. f.
Das Kind kam bis dicht an den Zaun. zehn Zentimeter unterhalb des Firsts *Ich dachte ganz dicht an nichts. *Drei Meter unter Umständen geht es.
Eine Präpositionstypologie darf also keine elementverschiedenen Subklassen ermitteln (wie Rauh 1995 fürs Englische mit den Typen „grammatische“, „lexikalische“ und „regierte“ Präpositionen).
3.
Termkomplement
Adverbialsupplement b) auch Adv. komplement
Binnenstrukturen von Präpositionalphrasen
3.1. Einfache Präpositionalphrasen 3.1.1. Dependenzrichtung PPen sind im Bloomfieldschen Sinne exozentrisch (Bloomfield 1933, 194 f.), d. h. P und PP sind nicht identisch distribuiert und weder P noch NP sind weglassbar. Damit ist die Zu-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
ordnung von Regens und Dependens (bzw. im allgemeineren Konzept von Kopf und Komplement) über den rein strukturell definierten Rektionsbegriff bei Tesnie`re und in der generativen Theorie weniger empirisch begründet als vielmehr axiomatisch festgesetzt. In beiden Theorien wird heute die Präposition unisono als Regens der NP bzw. Kopf der PP analysiert. Diese Willkür wurde allerdings öfter als unbefriedigend empfunden. Heringer (1996) etwa versucht, den Rektionsbegriff zusätzlich mit dem Kriterium Weglassbarkeit empirisch zu stützen. Mit seiner Annahme, nicht-weglassbare Elemente seien dominant, weglassbare dependent, lässt sich aber in den exozentrischen PPen keine auf sprachlicher Evidenz basierende Dependenzrichtung herleiten. Deskriptiv inadäquat ist auch die Begründung einer Phrasenkategorie PP als Projektion der Präposition über die vermeintlich identische Distribution von P und PP, was auch der Trick der Umkategorisierung von Adverbien zu intransitiven Präpositionen nicht verbessert. Zwicky (1985) führt den Kopfbegriff auf ein Bündel von insgesamt acht morphosyntaktischen und semantischen Kriterien zurück, die nur im prototypischen Fall konvergieren. (In diese Richtung ließe sich auch Tesnie`res Idee vom „dissoziierten Nukleus“, bei dem strukturales und semantisches Zentrum in verschiedenen Wörtern lokalisiert sind (Kap. 22, 6⫺10), ausbauen). Für P-NP-Phrasen sieht Zwicky überwiegend Evidenz für die Präposition als Kopf; Hudson (1987) kommt dagegen bei Anwendung der gleichen Kriterien teilweise zu anderen Ergebnissen. Ausschlaggebend für eine empirische Absicherung der KopfZuweisung in einer P-NP-Phrase können nur die semantische Prädikat-Argument-Struktur und die Relation der Formbestimmung sein. Auf diese hebt Heringer (1996, 40) ab, wenn er Rektion als asymmetrische Kookkurrenz von bestimmten Subkategorien definiert, im Fall der PP sind das ein Kasus-Subklassifizierungsindex bei P und ein bestimmtes Kasusmorphem beim Nomen; Engel (1994, 139) fasst dies unter Valenz als „subklassenspezifische Rektion“. Die PP-Grundstruktur lässt sich damit etwa wie bei Heringer (1996, 40) darstellen:
Neben der Kasusforderung der Präposition ist auch deren Stellung anzugeben, durch Indizierung der Präposition oder der Kanten. So wird etwa bei Heringer (1996, 131) die Grundregel für die PP um des lieben Friedens willen spezifiziert zu P_zir_kas_α [~, N*_kas_α]. Über die Grundregel können auch PPen mit polylexematischen Präpositionen erfasst werden, die als phraseologische Einheiten unanalysiert bleiben. Ein Ausdruck wie im Hinblick auf die Zukunft wird synchron nicht als Attributkonstruktion PP [im NP [[Hinblick] PP [auf die Zukunft]]] analysiert, sondern umstrukturiert zu PP [P [im Hinblick auf ] NP [die Zukunft]] (vgl. Fries 1988, 50). 3.1.2. Präpositionen als Translative Dass Tesnie`res Kategorienschema inkonsistent einmal auf ontologisch-semantischen, dann wieder auf funktional-syntaktischen Kriterien aufbaut und generell an der Vermischung von kategorialer und funktionaler Ebene krankt, wurde schon früh kritisiert. Auch die kompensatorisch genutzte Translationstheorie stieß wegen ihrer Widersprüche und zu großer Mächtigkeit auf geringes, überwiegend kritisches Echo (vgl. Lamberth 1991; Werner 1993, 115 f.). Präpositionen fungieren ⫺ neben Flexionsmorphemen (liber Petr-i) und Wortbildungsaffixen (staub-ig) ⫺ bei Tesnie`re als Translative ersten Grades, die ein volles Wort der Kategorie Substantiv in ein Adjektiv (A) oder Adverb (E) überführen (Kap. 152.1). Sie sind immer intranuklear und treten nicht in Dependenzrelationen ein. Wegen der eindeutigen Korrelation von Kategorien mit Funktionen geht mit Formklassenwechsel immer Wechsel der Funktionsklasse einher. Tesnie`re verallgemeinert so typische Präpositionsfunktionen zu strukturellen Regeln. schreibt
das Buch
A von Hans
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das Buch
P_kas_ N NM_kas_
Als subkategoriale „funktionale Translative“ (Kap. 172) überführen Präpositionen den Transferenden aus einer Subkategorie in eine andere, funktionsverschiedene Subkategorie. Beispiele sind frz. a` oder der Dativ, die einen
69. Präpositionalphrasen
substantivischen Erstaktanten in einen ebensolchen Drittaktanten überführen. Die damit verknüpfte direkte Korrelation von Aktantentyp und semantischer Charakterisierung erfasst ebenfalls nur prototypische, unmarkierte Argumentstellenbelegungen. Präpositivkomplemente werden aus dem Aktantensystem ausgeklammert, wiewohl das Phänomen in vielen von Tesnie`re zitierten Sprachen existiert (vgl. Engelen 1970). Sie werden auch nicht unter die funktionale Translation eingereiht, wohin sie mit ihrem kasusähnlichen Status gut passen würden. Statt dessen werden sie der O > E-Translation subsumiert, und da der mots-vides-Charakter der Präposition wiederum eine Anbindung an die Präpositionalsemantik verbietet, vage als adverbiale Relationen charakterisiert: „denken an, sich erinnern an [penser a` quelqu’un] meint irgendwie auch die Art zu denken oder sich zu erinnern, sich mit jemandem über etwas amüsieren: damit werden die Bedingungen festgelegt, unter denen man sich amüsiert“ (Kap. 2). Von der semantischen Inadäquatheit abgesehen ist das Translationskonzept auch bezüglich der Phrasenstrukturen nicht hinreichend: Da die Konnexionsmöglichkeiten des Transferendums bei der Translation nicht berührt werden, die der Translatkategorie aber blockiert sind, wäre Modifikation adverbialer PPen ⫺ zu Adverbien transferierter Substantive ⫺ (Alfred schreibt direkt in das Buch/direkt hinein) unzulässig. Von den neueren dependenziellen Darstellungen von PPen greift nur Eroms die Translationstheorie auf: er nutzt Tesnie`res „Translation zweiten Grades“ mit einem finiten Verb im Transferendum, um Unterschiede zwischen adverbialen PPen und Präpositivkomplementen stemmatisch zu erfassen (Eroms 1981, 314 f.; 1991, 47 f.). Präpositionen betrachtet Eroms dabei in keiner Verwendung als desemantisierte Wörter, vielmehr werden auch regierte Präpositionen an die Bedeutungen von denen in Adverbialen angebunden. Das Spezifikum von Präpositivkomplementen sei aber eine besondere „Komprimierungsleistung“, die Einbettung einer Prädikation. Diese erfasst er mit verbspezifischen, im Lexikon aufzuführenden „Interpolationsprädikaten“, die über ein Satzeinbettung indizierendes Translativ ins Stemma eingeführt werden. Der Satz Wir warten auf Otto wird dann zurückgeführt auf: wir warten auf das Eintreten des Zeitpunkts, an dem Otto kommt.
941 3.1.3. Gesonderte Strukturen für Präpositivkomplemente? PPen gelten grundsätzlich als syntaktische „Inseln“ (Ross 1967), in die von außen nicht hineinregiert werden kann. Für Präpositivkomplemente wurde aber öfter ein „Aufbrechen“ der PP und Restrukturierung von [V [P NP]] zu [[V P] NP] in Betracht gezogen. Im einen, gängigen, Fall wird das nur als semantische Verrechnung der Präposition mit dem Verb, als Verschmelzung von V und P zu einer inhaltlichen Einheit verstanden. Speziell in älteren generativen Arbeiten (van Riemsdijk 1978; Hornstein/Weinberg 1981) findet sich aber auch die These, die syntaktische Struktur sei zur semantischen parallel und es entstehe wirklich ein Verbkomplex mit NP-Komplement. Ein solcher Strukturunterschied zwischen adverbialen PPen und Präpositivkomplementen müsste sich in komplementärem Verhalten bei syntaktischen Operationen wie Reflexivierung, Passivierung, PP-Aufspaltung, Kasusvergabe, Stellung und Akzentuierung niederschlagen: Fürs Deutsche lässt sich das aber nicht durchgängig nachweisen (vgl. Breindl 1989, 82 f.). Als ein Hauptargument für die Reanalyse-These wurde das „Präpositionsstranden“ angeführt, d. h. die in manchen Sprachen bestehende Möglichkeit der „Herausbewegung“ einer NP aus der PP unter Zurücklassung einer „nackten“ Präposition, die dann vom Verb quasi absorbiert wird. Das Deutsche verfügt generell nicht über diese Möglichkeit, und die damit vergleichbare Konstruktion mit ProPP-Aufspaltung bzw. -Verdoppelung (da weiß ich nichts von, da glaub ich nicht *an/dran) unterliegt phonologischen und nicht syntaktischen Restriktionen (Klumpp 1997). Die quasi-adverbiale Funktion, die im Englischen gestrandete Präpositionen haben, wird im Deutschen von Partikelverbkonstruktionen besetzt (Fries 1988, 55). Aber auch im Englischen sind Restriktionen nicht formalsyntaktisch mit Subkategorisierung und hierarchischer Position der PP erklärbar, sondern stark diskursgrammatisch gesteuert (Takami 1992; Boas 1997). Gestrandet werden können Präpositivkomplemente (What did you talk about?) ebenso wie adverbiale PPen (Which party did John write the letter after?). Auch das über Präpositionsstranden hergeleitete „Prepositional Passive“ ist nicht auf Präpositivkomplemente beschränkt (The bed was slept in). Schließlich lässt sich auch nicht nachweisen, dass ein gegebenenfalls entstehender V-P-Verbkomplex
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
sich syntaktisch wie andere Verbkomplexe verhält. In dependenzgrammatischen Ansätzen werden ⫺ außer bei Eroms’ Sonderweg über die Translation zweiten Grades ⫺ Funktionsunterschiede von PPen nicht direkt in der Stemmastruktur abgebildet, sondern nur über die Angabe des Valenzrahmens beim Verbknoten oder unterschiedliche Auszeichnung von Ergänzungs- und Angabe-Kanten erfasst. Ansätze im Rahmen der X-bar-Theorie dagegen, die mit dem Projektionsprinzip über mehrere phrasale Zwischenstufen zwischen lexikalischem Kopf und maximaler Phrase verfügen, verorten Supplemente und Komplemente an verschiedenen Projektionsstufen des Verbs: Komplemente sind adjazent zum Kopf V0, Supplemente werden als restriktive und nicht-restriktive Adjunkte rekursiv unter V1 eingeführt (kritische Diskussion jüngerer Arbeiten bei Pittner 1999, 30 f.). Adverbial- und Präpositivkomplemente unterscheiden sich nicht in ihrer strukturellen Grundposition, wohl aber in anderer Hinsicht: Bei letzteren vergibt das Verb im Verbund mit der Präposition an deren NP-Komplement Kasus und Thetarolle, sodass die NP den „semantischen Kopf“ stellt (Fries 1988, 95), während NPen in Adverbialen Kasus und Theta-Rolle von der Präposition zugewiesen bekommen und das Verb lediglich einen bestimmten Adverbialtyp selegiert. Die unterschiedliche Verbnähe von Komplementen und Supplementen, die sich über Topikalisierungstests und Fokusprojektivität auch empirisch abstützen lässt, kann in einem dependenzgrammatischen Modell nicht direkt ausgedrückt werden. 3.1.4. Präpositionalphrasen mit nicht-NPKomplementen Nicht nur im Deutschen können von manchen Präpositionen auch andere Konstituenten als NPen abhängen: Adverbphrasen (seit heute, ab da, von oben, bis morgen, nach unten), PPen (seit vor der Wende, bis hinter der Grenze, für nach dem Essen), Adjektivphrasen (gegen bar, von früh bis spät, in Rot, für nichtig halten). Inwieweit Infinitivphrasen (um zu sehen), Verbletztsätze (während er schlief ) und Subjunktorsätze (bis dass der Tod euch scheidet) als Dependentien von Präpositionen betrachtet werden, hängt von der zugrundegelegten Wortarteinteilung ab: gelten Kasusrektion und Termkomplement als definierende Merkmale für Präpositionen, sind um, anstatt, seit, während mit infinitem oder satzförmigem Komplement synchron trotz aller se-
mantischen Parallelität als Infinitiveinleiter und Subjunktoren anzusehen. Die Möglichkeit von Adverbphrasen und PPen als P-Komplementen ist im Deutschen präpositionsspezifisch und muss im Lexikoneintrag von seit, ab, von etc. verankert werden. Die innere Präposition ist nicht von der äußeren selegiert, sondern muss nur ein semantisch kompatibles temporales oder lokales Adverbial bilden können. Grammatikalisiert ist das Auftreten von PPen mit von alternativ zu flexivisch unmarkierten NPen bei genitivregierenden Präpositionen, analog zum Nominalbereich (jenseits von Eden, anstelle von Milch, inmitten von Rosen; vgl. 1.3). Die Struktur ist in allen Fällen die Grundstruktur, mit einer Adverbphrase oder PP anstelle des NP-Komplements. Die Rektionsfähigkeit der äußeren Präposition ist zugunsten der inneren außer Kraft gesetzt. Eine Rekursionsregel für Präpositionen (diskutiert bei Heringer 1996, 133) ist für diese Fälle zu mächtig, da sie die lexikalischen Idiosynkrasien nicht erfasst und bei der maximalen Anwendung auf drei Stufen (Ladungen von bis zu über zehn Tonnen) keine klare Rekursion von PPEinbettungen vorliegt: Für über, unter, gegen und die synchron festen Verbindungen bis zu und bis auf ist ein Status als quantifikationsmodifizierende Gradpartikeln plausibler (GDS 2080), da sie keinen Kasus regieren, Modifikatoren auf sie folgen können (bis zu knapp zehn Leute / *vor knapp der Grenze) und die gesamte Phrase die üblicherweise nie durch PPen realisierte Subjektsposition einnehmen kann (über zehn Leute finden Platz). Adjektivphrasen als P-Dependentien sind, abgesehen von Phraseologismen, auf die Präpositionen von und bis und die Funktion als Prädikativkomplement zu Verben wie erachten, halten für beschränkt, wo die Präposition in einem Paradigma mit dem Adjunktor als steht. Sie zeigen keine Kasusmarkierung. Andere Fälle (in Rot, schwarz auf weiß, am besten, auf Dänisch/dänisch) werden wohl trotz orthographischer Uneinheitlichkeit, besser über ein Konzept von Nominalität erfasst. 3.2. Komplexe Präpositionalphrasen In den wenigen dependenziellen Arbeiten, die komplexe PPen berücksichtigen, werden Erweiterungen meist einheitlich als Modifikatoren analysiert und die Grundregel erweitert, etwa bei Heringer (1996, 134) zu P_kas_α_[A*/N*/P*, ~, N*_kas_α]. Die Strukturen sind jedoch viel differenzierter.
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69. Präpositionalphrasen
3.2.1. Maßmodifikatorkonstruktionen Adverbiale PPen des lokal-temporalen Bereichs können durch Maß- und Dimensionsbezeichnungen modifiziert sein. (2)
hoch im Gebirge, hoch über den Wolken, tief unter der Erde, dicht am Zaun
(3)
mitten ins Herz, mitten durch die Wüste, quer durchs Beet, rings ums Haus
(4)
ganz knapp (exakt/direkt) über unter/neben/hinter/auf der Kiste
(5)
einen Meter weit vor der Ampel, einen Tag nach der Katastrophe
Der Status als Supplement, Komplement oder Attribut ist dabei nicht entscheidend, (tief unter der Erde leben/schlafen; ein Ort tief unter der Erde), und auch Adverbien lassen sich so modifizieren (tief unten, einen Tag nachher, knapp darüber). Modifikatorkategorien sind Adjektive (2, 4), Adverbien (3), Akkusativ-NPen (5), nicht aber PPen. Sie bilden keine selbständigen Adverbiale. Mehrfache Modifikation ist nicht möglich. Es gibt Selektionsbeschränkungen zwischen Modifikator und Modifikand: Die Bedeutung des modifizierten Adverbials muss mit der durch den Modifikator bezeichneten Dimension verträglich sein. Bei tief, hoch und mitten sind dann jeweils nur wenige Präpositionen möglich, rings und quer erlauben nur eine Präposition. Geringere Beschränkungen gibt es bei Modifikatoren wie exakt, knapp, direkt (4), die wie Intensitäts- und Gradpartikeln quantitätsgradierende Funktion haben. Dimensionsadjektive wie tief, weit, hoch erhalten als unerweiterte PP-Modifikatoren die Lesart ‘überdurchschnittliche Distanz’, die bei Komplementierung durch eine Extensionsangabe blockiert ist. Dieser Wechsel gilt auch in attributiver und prädikativer Funktion (Bierwisch 1988, 44). (6)
(nur) einen Zentimeter hoch über dem Boden * J hoch über dem Boden
Adverbiale Modifikatoren sind positionsfest: sie können nicht rechts von der PP stehen und nicht von ihr abgetrennt werden. (7)
*unter der Erde tief, *ins Herz mitten
(8)
*unter der Erde, und zwar tief, *ins Herz, und zwar mitten
(9)
*Einen Tag kamen sie danach.
Im X-bar-Schema werden diese Modifikatoren meist als Adjunkte auf P1-Ebene angesiedelt (Fries 1988, 45). Gegen die ebenfalls dis-
kutierte Spezifikator-Position, d. h. unmittelbar unter der maximalen P-Projektion (Wunderlich 1984, 69), hat Bierwisch (1988) Argumente vorgebracht. Dependenzgrammatisch können diese Modifikatoren nur als P-Dependentien mit Zirkumstantenstatus beschrieben werden; eine Position unter N ist für Attribute reserviert. Dass der Modifikator Skopus über die gesamte PP hat, kann nicht stemmatisch abgebildet, sondern muss über eine Zusatzannahme geregelt werden (Eroms 1985, 319 f.). unter
tief
der Erde
einen Meter
Allgemein ist bei Maßmodifikatorkonstruktionen mit struktureller Uneinheitlichkeit zu rechnen. So kann etwa quer sowohl Modifikator einer PP sein (Er ging quer durch den Garten / ging durch den Garten / *ging quer) als auch Kopf einer Adverbphrase (Der Wagen stand quer zur Fahrbahn / *stand zur Fahrbahn / stand quer.) (vgl. Breindl 2006) 3.2.2. Adverbialkombinationen Auch Adverbialkombinationen (vgl. Steinitz 1969, 127 f.; Fries 1988, 43; Pittner 1999, 85 f.) sind auf den lokal-temporalen Bereich beschränkt, das modifizierende Adverbial ist aber keine Dimensions- oder Extensionsbezeichnung, sondern selbst ein ⫺ meist typgleiches ⫺ Adverbial. Von den Maßmodifikatorkonstruktionen unterscheiden sie sich auch in anderer Hinsicht. Als Modifikatoren treten Adverbphrasen (oben im Regal, heute früh um acht), PPen (am Montag um zwei, in Rom auf dem Corso) und Subjunktorsätze (nachts, wenn es dunkel ist) auf, aber keine Adjektivphrasen. Der Modifikator ist positionsfrei und kann auch nach dem Modifikanden (im Regal oben; um zwei Uhr am Montag; wenn es dunkel ist nachts) oder in Distanzstellung stehen. (9)
Um acht sind wir heute aufgestanden.
(10) In Rom treffen wir uns im Pantheon. Die Anzahl der kombinierten Adverbiale ist im Prinzip nur pragmatisch beschränkt.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(11) Wir treffen uns in Rom auf dem Corso in der Mitte beim Obelisk … Selektionsbeschränkungen sind weniger rigide als gegenüber Dimensionsadjektiven, in begrenztem Maße sind sogar typverschiedene Adverbiale kombinierbar (neulich im Kino in der Pause; im Stadion bei Regen). Kombinierte Adverbiale können zusammen im Vorfeld stehen, bilden also eine syntaktische Einheit, die aber für unterschiedliche Restrukturierungen zugänglich ist (Wunderlich 1984, 71 f.; GDS, 2092). (12) a. In Rom treffen wir uns auf dem Corso in der Mitte beim Obelisk. b. In Rom auf dem Corso treffen wir uns in der Mitte beim Obelisk. c. In Rom auf dem Corso in der Mitte treffen wir uns beim Obelisk. Adverbialkombinationen sind meist strukturell ⫺ aber nicht notwendig semantisch ⫺ ambig. In der Struktur in Rom auf dem Corso kann ohne Bedeutungsveränderung sowohl das erste als auch das zweite Adverbial als Modifikator des jeweils anderen analysiert werden. Ist aber eines der Adverbiale ein deiktisches Adverb, so erzeugen dessen unterschiedliche Verankerungsmöglichkeiten semantische Ambiguität. Oben im Regal lässt sich mit oben als Modifikator als ‘im oberen Bereich des Regals’ analysieren, mit oben als Modifikand ergibt sich die Lesart ‘in einem oberen Bereich, z. B. des Hauses, und zwar im Regal’, (das kann also auch unten im Regal sein). Stellung und Intonation leisten keine eindeutige Disambiguierung, vermutlich gibt es aber Präferenzen (zur Intonation Pittner 1999, 90; zur Stellung GDS, 2094). Die strukturelle Ambiguität muss in einer Dependenzgrammatik über verschiedene Stemmata abgebildet werden. (Darstellungen im X-bar-Schema bei Wunderlich 1984, 69; Fries 1988, 92). Modifikator und Modifikand werden meist auf der selben X-bar-Stufe angesiedelt.) in
auf
dem Corso
auf
Rom
in
Rom
dem Corso
Abzugrenzen sind diese Strukturen von den weder adverbial- noch PP-spezifischen Attributkonstruktionen ([auf dem [Tisch im Büro]]) und Appositionen mit intonatorischem Neuansatz und Referenzidentität der Adverbiale (dort, im Schlachthofviertel, zwischen Großmarkt und Bahnhof). 3.2.3. Präpositionen als Adverbien Vor allem in germanischen Sprachen kann auf eine adverbiale PP eine direktionale Präposition bzw. ein Adverb folgen. Das übergeordnete Verb ist ein Bewegungsverb oder hat zumindest inhärente Richtungssemantik. (14) a. Unterm Zaun durch kroch ein Igel. b. Er kam hinter dem Tor (her)vor. c. Er grinste vom Garten herüber. Die PP ist topikalisierbar und das postponierte Element via Restrukturierung zu einem Partikelverb ins Verb inkorporierbar. d. Unterm Zaun ist er durchgekrochen. e. Vom Garten hat er herübergegrinst. Die PP ist als kontextuell erschließbares Argument ohne Bedeutungsveränderung weglassbar, das postponierte Element nicht. f. Er kroch durch. ⫽ kroch unterm Zaun. g. Er kam (her)vor / *Er kam hinter dem Tor. Präposition und postponiertes Element können pleonastisch dieselbe Relation bezeichnen (durch den Wald durch, auf den Berg hinauf, aus dem Wald raus, in den Wald hinein). Nur wenige Präpositionen können wie durch selbst solche adverbartigen Köpfe bilden; andere müssen dafür morphologisch zum Adverb erweitert werden ([zum Gipfel hinauf ] blicken, [an die Wand dran] nageln) und erlauben unerweitert nur die Partikelverbkonstruktion (zum Gipfel aufblicken, an die Wand annageln). Werden diese Präpositionen in Simplexverbkonstruktionen als Adverbien kategorisiert ⫺, wofür auch ihr Auftreten als Adverbien in anderen Kontexten spricht (Helm ab, die Nacht durch) ⫺ und die komplexe Phrase somit als Adverbphrase, bleibt der Status der anteponierten PP noch zu klären: kontextuelle Erschließbarkeit und Direktionalsemantik sind starke Komplementfürsprecher, andererseits werden Adverbien gemeinhin nicht als Valenzträger gesehen (generative Analyse als spezielles Komplement bei Olsen 1999). Zu diesen Strukturen sowie zu den „ungesättigten“ Adverbien rings und mitten (3.2.1) vgl. Breindl (2006).
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69. Präpositionalphrasen
3.2.4. Zirkumpositionen Oberflächensyntaktisch ähnlich sind zirkumpositionsartige Konstruktionen: (15) Nach Osten zu ballen sich Wolken. (16) Nimm vom Bahnhof aus/ab den Bus. (17) Am Bach entlang wächst Kresse. Das übergeordnete Verb muss hier kein Bewegungsverb sein, und diskontinuierliche Stellung oder Inkorporierung der Präposition ins Verb ist nicht möglich. (18) *Nach Osten ballen sich Wolken zu./ *… zuballen. Weglassbar ist nicht die PP, sondern die postponierte Präposition. (19) Nach Osten ballen sich Wolken. / *Zu ballen sich Wolken. Da diese aber nie Modifikator einer PP sein kann, ist eine Analyse plausibler, die von … an/ab, nach … zu als Einheiten auf dem Weg zur festen Zirkumposition beschreibt. Die Struktur entspricht damit der PP-Grundstruktur (3.1.1) mit einem als Zirkumposition indizierten präpositionalen Regens.
4.
Valenzeigenschaften von Präpositionalphrasen
Die Verortung präpositional kodierter Einheiten in dem auf Tesnie`re fußenden valenzgrammatischen System von Ergänzungen und Angaben (im folgenden E-A-System) ist notorisch schwierig. Ausgehend von der in Kap. 1 getroffenen Dreigliederung ergeben sich Abgrenzungsprobleme (a)
(b)
zwischen Präpositivkomplementen und nicht-lokalen (instrumentalen, kausalen, komitativen etc.) Adverbialsupplementen. Solche PPen lassen sich meist sowohl mit dem für E als auch mit dem für A gültigen Konzept beschreiben und wurden folglich valenzlexikographisch heterogen klassifiziert (vgl. Adamzik 1992): s. auszeichnen durch, brillieren mit/in, leiden an/unter, erschrecken vor, s. entschuldigen bei/für/mit, kämpfen für/ gegen, s. umgeben mit, überhäufen mit. zwischen Präpositivkomplementen und lokalen Adverbialkomplementen: münden in, s. stützen auf, hängen an, hinauslaufen auf, spalten in, (ab)zielen auf … Geläufig ist eine kategoriale Grenzziehung konkret vs. metaphorisch.
(20) Der Arzt stützte sich auf den Tisch (Adverbial) / auf neuere Studien (Präpositivkomplement) / auf einen Assistenten. (ambig) (c)
zwischen lokal-temporalen Adverbialkomplementen und -supplementen (in Rom leben/arbeiten). Die trotz einheitlicher Kodierung und Rollensemantik unterschiedliche Valenzklassifikation wird üblicherweise auf das Kritierium Impliziertheit in der Verbsemantik zurückgeführt; im generativen Schema sind damit unterschiedliche hierarchische Positionen verbunden. Da der Unterschied nicht PP-, sondern adverbialspezifisch ist, wird auf ihn nicht weiter eingegangen.
4.1. Präpositivkomplemente zwischen Kasuskomplementen und Adverbialen Die hier zugrunde gelegten drei Valenzstatus von PPen repräsentieren bereits eine Verschiebung gegenüber Tesnie`res kategorial begründeter Dichotomie von reinen Kasus als Aktanten vs. PPen als Zirkumstanten. Diese steht in der Tradition der historischen Grammatiken (vgl. Eroms 1981, 239 f.), die Präpositivkomplemente, sofern sie sie überhaupt aussondern, an das lokale System anschließen ⫺ entweder über eine „aufgewertete“ Präpositionalsemantik oder allgemein als übertragene Gebrauchsweisen adverbialer Ausdrücke (so auch Tesnie`re, vgl. 3.1.2). Mit der Etablierung eines präpositional kodierten Aktanten ging vor allem zu Beginn ein „Herunterspielen“ des Bedeutungsbeitrags der Präpositionen auf den von Kasusmorphemen einher (Duden 1959; Erben 1958 unter Bezug auf Blatz 1970; Heringer 1968). Als Argumente pro Aktantenstatus galten Unterschiede in der einzelsprachlichen Kodierung (lachen über, to laugh at, ridere di) und diachrone oder synchrone Synonymie von Präpositionalkodierung und Kasus, speziell Genitiv (lachen über, auslachen; s. erinnern an, s. einer Sache erinnern); als Gegenargumente wurden regelmäßig die immer gleichen Fälle bedeutungsdistinktiver konstanter Präpositionen (bestehen auf, aus, in; s. freuen an, auf, über; s. richten an, gegen, auf, nach; stimmen für, gegen) und Minimalpaare wie in (20) ins Feld geführt oder umgekehrt in der Tradition lokalistischer Kasustheorien die Bedeutungslosigkeit reiner Kasus bestritten (Eroms 1981). Eine Vermittlung beider Positionen bahnt sich seit den 80er Jahren von zwei Sei-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
ten her an: Semantische und konzeptuelle Beschreibungen von Präpositionen betonen die gemeinsame Grundbedeutung und die sich durch metaphorische Umdeutungen lokaler Präpositionen ergebenden gleitenden Übergänge, deren Grenzfall konstante Präpositionen darstellen; man vergleiche etwa die Übertragung der durch in ausgedrückten Enthaltenseinsrelation vom konkret-räumlichen Bereich (im Koffer, in der Sonne) in einen temporalen (im Mai), modalen (in Arbeit, in Sorge, in Frage) und in die Komplement-Verwendung (s. auszeichnen in, bestehen in) (vgl. Eroms 1981; Breindl 1989; GDS, 2113 f.; Lerot 1982; Radden 1982). Mehrdimensionale Valenzkonzepte zeigen, inwieweit Präpositivkomplemente prototypische Komplementeigenschaften teilen bzw. entbehren. 4.2. Ausgrenzungskriterien für Präpositivkomplemente Auch dichotomische Valenzkonzepte verstehen Valenz überwiegend nicht als linguistischen Grundbegriff, sondern führen sie auf Eigenschaften wie Rektion, Argumentstatus, Notwendigkeit etc. zurück (vgl. Art. 29). Für Präpositivkomplemente ergeben sich somit folgende Ausgrenzungskriterien: (i) (ii) (iii) (iv) (v)
konstante („regierte“) Präposition Obligatorik der PP Argumentstatus des PP-Denotats Möglichkeit satzförmiger Realisierung eines sachverhaltsdenotierenden Präpositivkomplements desemantisierte Präposition
Zu diesen generellen Komplement-Kriterien (Präposition als Kasusäquivalent) treten drei PP-spezifische Zusatzkriterien: (vi) nur primäre Präpositionen (vii) nur einfache, unmodifizierte PPen (viii) keine reinen Adverbien als Proformen, nur synthetische und analytische ProPPen (damit/mit dem) „Rektion“ wird in (i) nicht wie bei Tesnie`re und in der generativen Grammatik strukturell definiert, sondern im engeren Sinne der Festlegung eines Formmerkmals einer Konstituente durch eine andere. Die Übertragung des Rektionskriteriums von der Kasusmarkierung auf Präpositionen ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Präpositionen verfügen als unflektierbare Wörter nicht über Formmerkmale. Rektum ist also nicht die Präposition, sondern, präziser, die PP mit einer Präposition x und einem Kasus y; ver-
gleichbar auch die Differenzierung des Rektionsbegriffs in „inflectional selection“ und „lexical selection“ bei Hudson (1993) oder in „Kasusrektion“ und „Statusrektion“ bei Jung (1995). Hinzu kommt, dass bei fakultativer PP Formbestimmtheit durch einen übergeordneten Ausdruck ohne semantische Zusatzannahmen nicht testbar ist, vgl. Hans sieht seinen Freund / *seinem Freund / *seines Freundes vs. Hans wartet auf/für/ohne seinen Freund. In der GDS wird deshalb von zwei PP-spezifischen Formrelationen ‘Konstanz’ und ‘Kasustransfer’ Gebrauch gemacht: Ersteres bezeichnet die Festlegung der Präposition durch den Valenzträger, Letzteres trägt der Tatsache Rechnung, dass bei den Wechselpräpositionen in, an, auf auch im Komplementsystem noch Reste der Kasusopposition statisch-dynamisch bzw. bestehendes vs. entstehendes Verhältnis (Leys 1995) existieren und der NP-Kasus als von außen an die Präposition herangetragen und von dieser weitergereicht gelten muss (vgl. auf einem Irrtum beruhen vs. auf einen Irrtum abzielen; am Freund zweifeln vs. sich an den Freund wenden). Die auf die genannten kriterialen Merkmale abhebenden und im Laufe der Zeit zunehmend verfeinerten Testverfahren (vgl. Art. 54) lassen sich grob drei Typen zuordnen: Reduktionstests greifen auf Kriterium (ii) zu, Austauschtests auf (i), (iv) und die Zusatzkriterien, Auslagerungstests (und zwar-, geschehen-, und das-Test) auf Kriterium (iii). Keiner der Tests liefert eine trennscharfe Abgrenzung der Präpositivkomplemente von nicht-lokalen Adverbialen, da in den Überlappungsbereichen neben den rollensemantischen auch die syntaktisch-formalen Eigenschaften nicht distinktiv sind. So können instrumentale, kausale, komitative Rollen auch bei Supplementen mit primären Präpositionen kodiert sein, die entsprechenden PPen lassen keine Modifikatoren zu, die Präpositionen sind weitgehend spezifisch für einen bestimmten Adverbialtyp (komitativ: mit; instrumental: durch, mit), als Proformen stehen keine reinen Adverbien zur Verfügung, und satzförmige Realisierungen (dadurch, dass; damit, dass) sind möglich. Die fraglichen Präpositionen mit, durch, für, gegen sind in keiner Verwendung desemantisiert. Absolute Notwendigkeit ist meist nicht gegeben, und ob die PP ein Argument realisiert, ist mittels der Auslagerungstests bei Verben wie bestechen durch, brillieren mit etc. nicht zweifelsfrei zu entscheiden.
69. Präpositionalphrasen
Einfacher ist die Abgrenzung gegen lokale Adverbialkomplemente: mit der metonymischen Übertragung der Lokal- oder Direktionalsemantik auf Sachverhalte ist häufig eine potentiell satzförmige Realisierung verbunden, die für konkrete Ortsbezeichnungen nicht möglich ist (darin münden, dass …; darauf hinauslaufen, dass …; s. daran halten, dass …). Obligatorik, Präpositionsspezifik und semantischer Gehalt der Präposition sind dagegen keine distinktiven Kriterien. Dichotomische Klassifikationen behandeln die Überlappungsbereiche in Abhängigkeit von den Kriterien, auf die ihr Valenzkonzept aufbaut, unterschiedlich. Im logisch-semantisch fundierten „Verben in Feldern“ (Schumacher 1986, 747 f.) wird auf der Basis des Kriteriums Impliziertheit in der Verbsemantik der Komplementbereich eher großzügig gefasst und z. B. kaufen als vierstellig (wer, was, von wem, zu welchem Preis) eingestuft. Engel (1994) dehnt mit der Etablierung eines Adverbialkomplementtyps „Expansivergänzung“ ebenfalls den Komplementbereich weit in den Adverbialbereich hinein aus. 4.3. Präpositivkomplemente in mehrdimensionalen Valenzmodellen Mehrdimensionale Valenzmodelle haben einen Vorläufer in Helbig (1982), wo Tesnie`res heterogener Valenzbegriff durch Unterscheidung mehrerer Valenzebenen entzerrt wird. Aktuelle Modelle berufen sich meist auf Jacobs (unveröffentlichtes Ms. 1986; modifiziert publiziert 1994). Sein Modell wurde in Breindl (1989) ⫺ dort speziell auf PPen ⫺ und Storrer (1992) erstmals angewandt und in der GDS für grammatikographische Zwecke zu einer praktikablen E-A-Unterscheidung weiterentwickelt. (Eine Übertragung des mehrdimensionalen Valenzmodells von verbalen auf nominale Regentien diskutiert Schierholz 2001). Es geht von einem synchronen Nebeneinander mehrerer Valenzbindungsrelationen aus, die nicht notwendig zusammen auftreten, zum Teil aber in Implikationsbeziehungen zueinander stehen; zur Erfassung der PP-typischen weichen Übergänge ist ein solches Modell prädestiniert. Die von Jacobs angesetzten sieben Relationen Notwendigkeit, formale Spezifizität, Beteiligtheit, Argumenthaftigkeit, Exozentrizität, Inhaltliche Spezifizität und Assoziiertheit werden in der GDS gewichtet, zum Teil ausdifferenziert und gebündelt nach Form- und Bedeutungsrelationen. Den Komplementkandidaten werden dann für jede Relation Merkmalswerte
947 von ⫹⫹, ⫹ und ⫺ (starke, eingeschränkte, keine Bindung) zugewiesen, sodass sich individuelle „Valenzprofile“ ergeben. Zu deren Ermittlung werden einzelne, zum Teil traditionelle Testverfahren gebündelt und nach dem Filterprinzip angewendet: Ein Reduktionstest filtert zunächst notwendige Komplemente aus. In einem zweiten Schritt prüft ein Folgerungstest, ob sich eine fakultative Phrase in indefiniter Form aus dem reduzierten Ausdruck folgern lässt; dieser Test prüft das Kriterium Sachverhaltsbeteiligung und erfasst Teile der Elementarproposition, die nur unter bestimmten Kontextbedingungen weglassbar sind. (21) Uwe wartet. J Uwe wartet auf irgendetwas oder irgendjemanden. Damit lässt sich dem Rechnung tragen, dass „obligatorisch vs. fakultativ“ nicht ausreicht, um die Bedingungen des Auftretens von Valenzkandidaten zu erfassen, und stattdessen unterschiedlich weglassungsfreundliche Kontexte zu berücksichtigen und gegebenenfalls als nicht-diagnostisch auszuschließen sind (vgl. Pasch 1977). Im dritten Schritt prüft der „Anschlusstest“, ob diese weglassbare Phrase mit und das X an den reduzierten Satz anknüpfbar ist; wenn ja, ist sie ein Supplementkandidat. Der Test operationalisiert die Formrelationen Rektion, Präpositionskonstanz und autonome Kodierung; er differenziert den Übergangsbereich von fakultativen Komplementen zu Supplementen. Das feine Diagnoseverfahren lässt nun je nach Ziel verschiedene Gewichtungen und E-A-Abgrenzungen zu, z. B. formbezogene vs. inhaltsbezogene Valenzbindung. Die Ergebnisse könnten prinzipiell auch als reines Kontinuum dargestellt werden; für praktische Zwecke ist aber die axiomatische Festlegung eines Schwellenwerts sinnvoller. Die Idee gleitender Skalen von Valenzbindung findet sich bereits bei Vater (1978) und Askedal (1985); Somers (1987) rechnet mit sechs Graden von Valenzbindung. Die GDS ordnet die mit Valenzmerkmalsbündeln ausgestatteten Phrasenklassen drei Grobabschnitten zu: Komplemente des Kernbereichs, Komplemente des Randbereichs mit einer Mischung aus Komplement-Fürsprechern und -Gegenspielern und Supplemente. Präpositional kodierte Komplemente des Kernbereichs sind demnach zunächst alle notwendigen. Unter den Präpositivkomplementen ist das der kleinere Teil. Absolut notwendig sind Erstaktanten
948
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(es kommt an auf, es handelt s. um), Komplemente mit einer Art Ziel-Rolle (abzielen auf, s. beziehen auf, hinweisen auf ) und Komplemente zu bestimmten semantisch „blassen“, nicht fokussierbaren Verben (basieren auf, abstammen von, hervorgehen aus). Auch Adverbialkomplemente sind bei Fokussierbarkeit anderer Satzteile meist weglassbar (Er wohnt nicht, er haust. Ein Brand brach aus. Vgl. Pittner 1999, 64 f.) und werden erst über den Folgerungstest als Komplemente ausgewiesen. Das mehrdimensionale Valenzkonzept weist sie als markierte Fälle aus, bei denen formseitige Komplement-Gegenspieler (keine Präpositionskonstanz, autonome Kodierung) und inhaltsseitige Komplement-Fürsprecher (Sachverhaltsbeteiligung) divergieren. Präpositionskonstanz gilt bei Präpositivkomplementen eingeschränkt: zu berücksichtigen sind homonyme Verben mit unterschiedlichen Präpositionen (bestehen aus, auf, in), synonyme Rektionsvarianten (verteilen an/unter), Verben mit antonymen Präpositionen (stimmen, sprechen für/gegen) und semantische Ausdifferenzierung über Präpositionen (s. freuen auf/über/an). Folgerungs- und Anschlusstest weisen einen breiten Bereich von eingeschränkten Komplement-Kandidaten aus, eben die genannten PPen mit instrumentaler, komitativer, kausaler Note, „Mittelelemente“ bei Somers (1987). Tests, die auf das Kriterium Sachverhaltsbeteiligung zugreifen, liefern für PPen uneindeutige Ergebnisse, weil die präpositionale Kodierung ein breiteres Rollenspektrum abdeckt als die Kasuskodierung, von hierarchisch unterhalb der Agens- und Patiens-Rollen stehenden Themaund Benefaktiv-Rollen bis hin zu Goal- und Source-artigen und anderen adverbialartigen Rollen. Für adverbialartige, in der Verbsemantik implizierte PPen wäre auch eine Klassifikation als (instrumentales, kausales, komitatives etc.) Adverbialkomplement denkbar; die Beschränkung adverbialer Komplemente auf wenige vor allem lokale Klassen ist eher eine konventionelle Festlegung. Damit würde sich zwar das valenztheoretische Abgrenzungsproblem zwischen adverbialen Komplementen und Supplementen potenzieren, für sprachdidaktische Zwecke ist dies aber belanglos und die Liste der als Einheit zu speichernden Verben mit konstanten Präpositionen könnte entschlackt werden zugunsten der ohnehin zu erlernenden Korrelationen adverbialer Klassen mit bestimmten Präpositionen.
4.4. Präpositionen als Valenzträger Für die Klassifizierung von Präpositionen als Valenzträger sind zwei Traditionslinien auszumachen. Im einen Fall wird der speziellere Rektionsbegriff im allgemeineren Valenzbegriff aufgehoben, sodass alle Regentien auch Valenzträger sind. Dabei kann sowohl der engere Eisenbergsche Rektionsbegriff der Formbestimmung zugrunde liegen ⫺ so bei Stepanowa/Helbig (1978, 185 f.), wo konsequent alle Adverbiale als nicht-valenzgebunden gelten, ⫺ als auch der allgemeinere strukturelle Abhängigkeitsbegriff: auch in Engels enger Definition von Valenz über subklassenspezifische Rektion (Engel 1994, 91 f.) sind Präpositionen Valenzträger. Solcherart eingeengte Valenzkonzepte haben aber für die differenzierten Valenzbindungsrelationen im PP-Bereich zu wenig deskriptive und explanative Kraft. Colliander (1999) überträgt im Rahmen eines mehrdimensionalen Valenzkonzepts die Idee der graduellen Bindung auf den Valenzträger selbst: so wie es mehr oder minder prototypische Ergänzungen gibt, gibt es auch mehr oder minder prototypische Valenzträger. Präpositionen sind wie Nomina und Adjektive weniger typische Valenzträger, da nur semantisch, nicht aber syntaktisch divalent. In der anderen Linie, vertreten vor allem von Bondzio (1974) und Welke (1988), wird Valenz auf die logisch-semantische Ebene reduziert und die semantische Zweistelligkeit der Präposition isomorph auf die strukturelle Darstellung abgebildet. In einem Ausdruck Im Park beobachtete Emil fliegende Enten ist die Präposition semantischer Funktor über einen Satz, bzw. hat als zweistelliger Valenzträger Leerstellen für eine NP und einen Satz (Welke 1988). Bei Bondzios „Valenz zweiter Stufe“ von Adverbien, PPen und Nebensätzen wird schließlich Valenz ganz von der lexikalischen Bindung und der hierarchischstrukturellen Relation gelöst. Dabei wird das Kopfprinzip verletzt, denn der komplexe Ausdruck ist von der Kategorie S und nicht P oder Adverb. Überdies lassen sich Komplement-PPen mit Argumentstatus gar nicht als Prädikationen über einen Satz darstellen, die Valenz zweiter Stufe setzt also bereits eine valenztheoretisch zu begründende Subklassifikation voraus. Fazit: Die Einstufung von Präpositionen als Valenzträger ist nicht als fruchtbar für die Erfassung der differenzierten Valenzbindungsrelationen im PP-Bereich anzusehen und ist deskriptiv und explanativ mehrdimensionalen Valenzkonzepten deutlich unterlegen.
69. Präpositionalphrasen
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Eva Breindl, Mannheim (Deutschland)
70. Die „freien“ Dative 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Allgemeine Probleme Der Dativus ethicus Der Dativ des personalen Urteilsträgers Der Pertinenzdativ Der Dativus commodi/incommodi Das Rezipientenpassiv Die für-Phrase als konkurrierende Konstruktion Literatur in Auswahl
1.
Allgemeine Probleme
Eine ganze Reihe von Untersuchungen über den ‘freien’ Dativ in den letzten Jahrzehnten hat zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse geführt, doch keinen Konsens bezüglich seines syntaktischen Status bzw. einschlägiger semantischer Relationen im Satz gebracht. Dabei geht es um Dativgrößen, welche schon seit langem als Sonderfälle erkannt werden, die einer besonderen Beschreibung bedürfen. Für das 18. und 19. Jahrhundert seien als Beispiele genannt: Heyse (1849, 98) („Außerdem aber kann der Dativ […] in freierer Stellung und ohne von einem einzelnen Worte des Satzes gefordert zu werden, überall stehen, wo eine Beziehung des Ausgesagten auf eine dabei betheiligte oder als theilnehmend gedachte Person oder persönlich vorgestellte Sache ausgesprochen werden soll“), Aichinger (1753, 405; 409), Bödiker (1746, 397)
(„Das Licht muß den Gerechten immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen. Dieses sind Dativi commodi“). Im Rahmen der Valenztheorie gilt der ‘freie’ Dativ zunächst einmal als Kasusgröße, die nicht im Stellenplan eines Verbs verankert ist. Es lässt sich damit vermuten, dass er nicht verbspezifisch, syntaktisch frei hinzufügbar und so entsprechend eliminierbar sei. Der Begriff ‘frei’ rekurriert auf eine solche Auffassung, wobei dabei freilich mit vielfältigen Problemen zu rechnen ist: Es ist bekanntlich fraglich, ob mit Hilfe operationaler Verfahren überhaupt eindeutig zwischen obligatorischen, fakultativen und eben ‘freien’ Kasusgrößen unterschieden werden kann. Daneben gibt es auch unterschiedliche Vorkommensmöglichkeiten des ‘freien’ Dativs mit keineswegs einheitlichen Ergebnissen z. B. bezüglich der Frage nach der syntaktischen Weglassbarkeit. Darüber hinaus besteht kein Konsens über Zahl und Art dieser Vorkommensmöglichkeiten; eine Vielzahl verwendeter Bezeichnungen in Grammatiken, Nachschlagewerken sowie einschlägigen Publikationen sorgt zudem eher für Verwirrung. Allein für den Pertinenzdativ z. B. werden manchmal synonym, manchmal alternativ Bezeichnungen wie ‘sympathetischer Dativ’ oder ‘possessiver Dativ’ (auch als ‘Dativus sympatheticus’ oder ‘Dativus possessivus’) verwendet.
952
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Wesentliche Unterschiede zwischen verschiedenen Auffassungen liegen auch in der Methode der Dativbeschreibung begründet. Wenn Forscher sich bestimmten linguistischen Schulen verpflichtet fühlen und ausschließlich auf deren Basis Konzepte der Dativbeschreibung entwickeln, dann mag das wohl zu Ergebnissen ⫺ auch Fortschritten ⫺ führen, problematisch werden solche Versuche freilich dann, wenn Ad-hoc-Sätze als Belege recht gewagte Thesen stützen sollen, ja müssen. Die eigene Sprachkompetenz stößt gerade in Problembereichen der Syntax ⫺ und die Beschreibung des ‘freien’ Dativs gehört sicher dazu ⫺ an Grenzen, vor allem wenn etwa entschieden werden soll, ob ein Satz mit Dativ oder einer Konkurrenzform zum Dativ schon abweichend oder noch wohlgeformt ist. Diese Unzulänglichkeit der Intuition wird auch bei Informantenbefragungen deutlich. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade Publikationen, die auf ein umfangreiches Materialkorpus zurückgreifen, zu neuen, überzeugenden Erkenntnissen geführt haben (z. B. Johansen 1988). Die korpusanalytische Methode hinterfragt Ad-hoc-Bildungen, widerlegt sie auch und weist den Weg zu einem wesentlichen Erkenntnisziel: der Bereitstellung eines Konzepts, mit dessen Hilfe sich möglichst alle in Texten vorkommenden Dativgrößen identifizieren, benennen, voneinander abgrenzen und beschreiben lassen. Das gilt auch für Sätze mit ambigen Dativgrößen; stets müssen sich die Ergebnisse mit Hilfe von objektsprachlichen Befunden absichern lassen. Eine zentrale, noch ungeklärte Frage gilt dem syntaktischen Status des ‘freien’ Dativs an sich, d. h., es besteht keineswegs ein Konsens dahingehend, ob die verschiedenen Dativgrößen Objekte, Angaben oder gar Attribute sind. Manchmal gelten diese generell als Dativobjekte (vgl. Papasova 1988, 257; 261, einschränkend Duden 1995, 652: „[auch] wenn es sich dabei nicht um Objekte im strengen Sinn handelt“, manchmal wird einzelnen Dativgrößen Ergänzungsstatus zugestanden, so beispielsweise dem Commodi (vgl. Wegener 1985, 115, Zimmermann 1985, 38) und dem Incommodi (vgl. Krohn 1980, 144, Eisenberg 1994, 301). Das Unbehagen, nicht valenzgeforderte Größen den Ergänzungen zurechnen zu müssen, kommt dagegen dann zum Ausdruck, wenn ‘freie’ Dative als Personenangaben bzw. freie Angaben bezeichnet werden (vgl. Tarvainen 1981, 96) und ihnen „adverbiale […]
Funktion“ (Jung 1995, 156) zugeschrieben wird. Mit dem Angabebegriff fasst man aber pauschal Beziehungsverhältnisse zusammen, die eigentlich unterschiedliche Merkmale aufweisen. So wird gerade der Angabestatus für ‘freie’ Dative deshalb abgelehnt, weil Dativus commodi und Dativus incommodi nicht bei allen Verben auftreten können (vgl. Lühr 1996, 66). Insbesondere der Pertinenzdativ wird vielfach als Attribut aufgefasst, wegen seines Zugehörigkeitsverhältnisses zu einer nichtverbalen Größe (etwa einem Nomen oder Pronomen) (vgl. Helbig/Buscha 1984, 558, Engelen 1984, 146). Die adnominale Beziehung macht den Pertinenzdativ somit zum ‘Sonderfall’ innerhalb der Gruppe der ‘freien’ Dative; neben der Tatsache, dass er syntaktisch nicht weglassbar ist. Damit stellt sich dann auch die generelle Frage, ob beim Dativ von einem (zumindest in semantischer Hinsicht) homogenen Kasus gesprochen werden kann, oder ob man nur über die Annahme einer ausgeprägten Heterogenität den verschiedenen Vorkommensmöglichkeiten des ‘freien’ Dativs gerecht wird (Johansen 1988, Schmid 1988, Schöfer 1992). Die einzelnen Dativgrößen entziehen sich nämlich schon auf syntaktischer Ebene aufgrund ihrer unterschiedlichen Dependenzeigenschaften einer Pauschalbeschreibung. Daneben charakterisiert selbst ein so allgemein gehaltenes semantisches Charakteristikum wie das Belebtheitsmerkmal den Dativ nicht hinreichend: einem Schaufenster […], dem kurz zuvor Oskar, der […] Glas zersingen konnte, eine kreisrunde Lücke gesungen hatte (Günter Grass, Die Blechtrommel). Auch Personen, die nicht mehr am Leben sind, können als Dative kodiert werden, zumindest in Fällen besonderer emotionaler Zuwendung durch die Handlungsträger. Der Grad der Involviertheit der Dativgröße ist sowieso nur im Einzelfall, oft ohne Rückgriff auf den Kontext überhaupt nicht, bestimmbar. Auch die Annahme, dass der Dativ (im Vergleich zum Akkusativ) weniger stark bzw. nur indirekt am Verbalgeschehen teilhabe, basiert auf einer unzulässigen Pauschalannahme und ist sicher kein allgemein gültiges Kriterium des Dativs: Können Sie nicht dem Wallau sein Köpfchen ein bisschen auseinandernehmen, da muß doch drin sein, auf wen sein Freund gewartet hat (Anna Seghers, Das siebte Kreuz). Immerhin scheint es so zu sein, dass zahlreiche Dativreferenten das Verbalgeschehen nicht selbst herbeiführen, häufig eher ledig-
70. Die „freien“ Dative
lich indirekt betroffen sind, also geringe Agentivität vorliegt. Freilich lässt das Fälle mit reflexivem Dativ, in denen Referenzidentität zwischen Handlungsträger und der als Dativ kodierten Person im Satz vorliegt, außer Acht (Die Briefe haben wir uns eingerahmt und übers Bett gehängt (Walter Kempowski, Immer so durchgemogelt)), was ein weiteres Indiz dafür ist, dass Dativgrößen wie in den hier genannten Beispielen sich einer allgemeinen semantischen Charakterisierung entziehen, kontextuelle Präzisierungen notwendig sind, es sei denn, man subsumiert sämtliche Dativrealisierungen unter einem einzigen semantischen Merkmal (wie etwa ‘Betroffenheit’), über das gebundene und ‘freie’ Dative zwar beschreibbar werden, doch nur insoweit, als man bewusst auf Differenzierungen wie z. B. der zwischen einer Empfänger-Relation und einer NutznießerRelation verzichtet. Wer das nicht will, muss nach Kompromisslösungen suchen, dergestalt, dass die Empfänger-Relation als Realisierung einer „prototypische[n] Dativfunktion, die durch invariante und prototypisch variante Merkmale charakterisiert ist“ (Schöfer 1992, 93) angesehen wird. Über solche prototypisch variante Merkmale des Dativs wird dann z. B. die Nutznießer-Relation abgeleitet. Freilich müsse auch mit Abweichungen unterschiedlichen Grades von der prototypischen Funktion, mit Übergangsbereichen, gerechnet werden (vgl. auch: Abraham 1995, 190 f.).
2.
Der Dativus ethicus
Der Dativus ethicus (auch: ethischer Dativ) ist diejenige Dativgröße, die am häufigsten als nicht valenzgefordert bezeichnet wird. Einerseits wird strukturell-syntaktische Übereinstimmung mit anderen ‘freien’ Nominalgruppen im Dativ angenommen, andererseits lässt sich dem ethischen Dativ ein gewisser Sonderstatus zugestehen, weil auch kommunikativ-pragmatische Kriterien für seine Beschreibung herangezogen werden (müssen). Es wird angenommen, dass der Sprecher emotional Stellung nimmt und in seine Aussage konnotative Bedeutungskomponenten einfließen lässt. Er bringt so mit Hilfe einer Dativgröße seine „emotionale Anteilnahme“ (Erben 1998, 40, vgl. Engel 1994, 157), sein Interesse an der Realisierung eines Vorschlags oder z. B. einer Anweisung zum Ausdruck: Pfleg mir den Georg, bis ich wieder-
953 komm! (Anna Seghers, Das siebte Kreuz). Der ethische Dativ lässt sich durch eine Vielzahl von literarischen Beispielen belegen, findet freilich bevorzugt dann Verwendung, wenn einer Aussage eine eher umgangssprachliche Färbung verliehen werden soll. Auf syntaktischer Ebene unterliegt der ethische Dativ keinerlei Einschränkungen in Bezug auf seine Weglassbarkeit. Er ist ersetzbar und kann in seiner Leistung mit Modalpartikeln verglichen werden (vgl. Van der Elst/Habermann 1997, 92), welche auch in dialogischen Zusammenhängen auftreten, wobei der Sprecher davon ausgeht, dass der Hörer die innere Anteilnahme am Gesagten erkennt und dementsprechend handelt. Wenn Modalpartikeln und der Dativus ethicus in einem Satz nebeneinander realisiert werden, was häufig vorkommt, verstärken sie einander in ihrer kommunikativen Funktion. Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen Dativphrasen treten vor allem auf, wenn der Bereich der Vorkommensmöglichkeiten recht weit gefasst wird. So ist z. B. nicht geklärt, inwiefern das Kriterium der subjektiven Tönung auf weitere Personen übertragbar ist (Pfleg mir den Georg/?dir/?ihm den Georg, bis ich wiederkomm!). Wenn man diese Möglichkeit annimmt, muss man auch die 2. und 3. Person (Singular und Plural) als Realisierungsmöglichkeiten ins Auge fassen, ja sogar nichtpronominale Größen (wie Wegener 1985, 50). Damit geht freilich ein wesentliches Charakteristikum des Ethicus verloren, nämlich das, dass er weder betonbar noch erststellenfähig sei (vgl. Engelen 1975, 117, Helbig 1981, 330). Betonbare Dativgrößen nehmen keine feste Position im Satz ein; und das Kriterium der Permutierbarkeit innerhalb des Satzes ließe es auch nicht zu, dass man den ethischen Dativ auf Aufforderungssätze beschränkt und für ihn eine Fixposition unmittelbar nach dem Verb vorsieht (vgl. Schmid 1988, 50). Je mehr Dativphrasen man als ethische Dative bezeichnet, desto schwieriger wird es, ihn eindeutig abzugrenzen. In Sätzen wie ein ungefügter Kran ⫺ für die einen ein Wahrzeichen der Vermessenheit, anderen eine stete Mahnung zum Weiterbau (Wolfgang Lohmeyer, Die Hexe) lässt sich zwar auch das Kriterium der Teilhabe am Geschehen im Satz heranziehen, doch ist die pronominale Größe hier eben ⫺ wie andere obligatorische, fakultative und ‘freie’ Dative auch ⫺ z. B. betonbar, permutierbar und konkurriert mit der für-Phrase. Auch darf nicht übersehen
954
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
werden, dass neben die emotionale Anteilnahme die Realisierung eines Urteils tritt, welches in der Aufforderungsstruktur fehlt. Es lässt sich sogar vermuten, dass in vorliegendem Fall es besonders auf die Wiedergabe eines Urteils, einer persönlich gefärbten Meinung ankommt. Ein weiteres Kennzeichen des ethischen Dativs liegt darin, dass er neben anderen Dativgrößen stehen kann: Daß du mir ja nix von meinem Fisch nimmst! (Günter Grass, Die Blechtrommel) (vgl.: Daß du mir deinem Kind ja nix von dem Fisch nimmst!), was auch als Kriterium für seinen Sonderstatus gesehen werden kann. Was sich syntaktisch verschieden verhält, wird in der Regel nicht identischen Status (als Objekt etwa) haben (vgl. Vogel/Steinbach 1998, 77: „multiple appearance of datives“).
3.
Der Dativ des personalen Urteilsträgers
Schwierigkeiten bei der Beschreibung und Klassifizierung des Dativus ethicus treten also gerade dann auf, wenn auch Sätze mit Ist-Prädikation nach dem Muster Einziger Trost in dieser umdüsterten Zeit waren ihm die Bücher der großen Hexenspürer und Hexenbrenner gewesen (Wolfgang Lohmeyer, Das Kölner Tribunal) in die Diskussion einbezogen werden (vgl. Engelen 1975, 117, Wegener 1985, 59). Die positive Auswirkung des Satzinhalts auf die Dativgröße lässt manche Forscher vermuten, dass in solchen Fällen ein Commodi vorliege. Würde man zudem in vorliegendem Satz Einziger Trost z. B. durch Große Sorge ersetzen, handle es sich um einen Incommodi (vgl. Johansen 1988, 81). Wenn man dagegen den ⫺ traditionell so genannten ⫺ Dativus iudicantis als eine eigenständige Vorkommensmöglichkeit des ‘freien’ Dativs ansetzt (vgl. Sommer 1931, 31; Helbig 1981, 329: Dativ des Zustandsträgers/ Dativ des Maßstabs, Schmid 1988, 53: Dativ des personalen Urteilsträgers) bietet sich ein differenzierteres Beschreibungsinstrumentarium an. Der Dativ des Urteilsträgers nimmt nicht nur am Verbalgeschehen Anteil, er nimmt Stellung, bewertet dieses ⫺ im Rahmen einer Urteilsträger-Relation: Eine Person liest die Bücher der Hexenspürer und bewertet diese als Trost. Sie dient dabei als Maßstab, der genannte Zustand oder Sachverhalt gilt nur im Hinblick auf sie, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Daneben fällt auf, dass dieser Dativ häufig in Konkurrenz zur für-Phrase steht (für ihn statt ihm) und heute vielfach archaisch anmutet. Weitere Paraphrasen stehen dem Sprachverwender, etwa in der 3. Person Singular, mit nach seiner Meinung, für sein Gefühl, in Bezug auf ihn zur Verfügung. Der Sprecher muss aber nicht derselben Auffassung sein wie die Person, der ein Urteil zugestanden wird. Je größer dabei (vermutete) Auffassungsunterschiede sind, desto deutlicher kommt neben der Realisierung des persönlichen Urteils eine Richtungs-Relation zum Ausdruck: Der Trost der Bücher wendet sich der als Dativgröße kodierten Person zu. Sie ist involviert und wird schließlich zum Urteilsträger. Der Dativ des personalen Urteilsträgers ist erststellenfähig, pronominal wie nominal realisierbar und syntaktisch eliminierbar. Daneben ist Doppelmarkierung möglich: Der Hügel in ihrem Handteller war ihr zu neu und zu erstaunlich (Günter Grass, Die Blechtrommel). Neben einer Urteilsträger-Relation findet sich im Satz auch eine Pertinenz-Relation, hier mit Hilfe eines Possessivpronomens realisiert. Inwieweit die Dativgröße stehen kann bzw. muss, das hängt in Sätzen mit adjektivischem Prädikativum von der Valenz des Adjektivs ab (vgl. Sommerfeldt/Schreiber 1983). Wie bei Verben kann man bekanntlich auch bei Adjektiven zwischen obligatorischer und fakultativer Valenz unterscheiden. Größen, die nicht im Stellenplan des Adjektivs verankert sind, gelten als syntaktisch frei hinzufügbar, der Dativ ist nicht begrifflich angelegt. Das syntaktische Kriterium ist auch semantisch relevant. Bei Realisierung der Dativgröße verliert der Satzinhalt seine Allgemeingültigkeit: Alles Herren, Spee, denen Ihr problematisches Buch über die Hexenprozesse sicher schwer verdaulich ist (Wolfgang Lohmeyer, Das Kölner Tribunal). Im Adjektiv verdaulich ist keine logisch-semantische Relation begründet, die sich auf einen Urteilsträger bezieht. Sie kann aber realisiert werden als Beziehung zwischen dem nichtpersonalen Eigenschaftsträger (hier: Buch), der im Adjektiv logisch-semantisch angelegt ist, und dem persönlichen Urteilsträger, der semantisch wie syntaktisch disponibel ist (vgl. Heidolph/Flämig/Motsch 1981, 620). Adjektive wie ähnlich, gleich, nahe etc. haben einen Dativ in ihrem Stellenplan, im Satz wird eine Verhältnisträger-Relation (vgl. Schmid 1988, 78) hergestellt; in der inhaltlichen Grund-
955
70. Die „freien“ Dative
struktur sind zwei Größen angelegt, die in Bezug gesetzt und verglichen werden. Deshalb kann diese Verhältnisträger-Relation auch unter der Urteilsträger-Relation subsumiert werden. Auf diese Weise lassen sich auch Fälle der Normsetzung systematisch fassen. Wenn in Oskar war ihm wohl zu klein, nicht großäugig und bleich genug (Günter Grass, Die Blechtrommel) synkategorematische Elemente wie zu oder genug zusammen mit einer Dativgröße stehen, so soll ausgedrückt werden, ob „eine durch das Adjektiv ausgedrückte Qualität das einer Person gemäße Maß erreicht oder überschreitet“ (Brinkmann 1971, 440). Statt zu und genug können in entsprechenden Sätzen auch z. B. allzu, ein bisschen, etwas, sehr stehen. Der Normwert wird dabei von der als Dativ kodierten Person ⫺ wenn nichtpersonale Größen stehen, liegt meist metaphorische Ausdrucksweise im Rahmen einer Personifizierung vor ⫺ gesetzt, ihrem Urteil unterworfen. Der Dativ ist in solchen Fällen aber nicht generell an das Auftreten einer Gradpartikel gebunden (vgl. Erben 1998, 40, anders: Jung 1995, 158, Van der Elst/Habermann 1997, 87); er ist auch in derartigen Sätzen syntaktisch weglassbar. Die Normsetzung kann daneben auch über eine Maßstabsgröße erfolgen, die nicht dativisch realisiert wird: Oskar war zu klein für einen Dreijährigen. Die Aussage verliert dann ihre subjektive Färbung. Dabei bevorzugt das heutige Deutsch in derartigen Sätzen sowieso die für-Phrase als syntaktische Realisierung des Urteilsträgers, nicht den Dativ, wenn die synkategorematischen Elemente fehlen: Oskar war für ihn/?ihm klein. Wie in Sätzen mit adjektivischem Prädikativum steht der Dativ auch in entsprechenden substantivischen Kontexten. Er ist in der Regel nicht valenzgebunden (vgl. Sommerfeldt/ Schreiber 1983, Duden 1995, 658) und lässt sich für das heutige Deutsch belegen, obwohl er manchmal archaisch anmutet und sich deshalb verstärkt der Konkurrenz durch die fürPhrase ausgesetzt sieht: mir jedoch war Oskars Stimme über der Trommel ein ewig frischer Beweis meiner Existenz (Günter Grass, Die Blechtrommel) (⫽ für mich jedoch […]). Unabhängig von der Art des Prädikativums (adjektivisch oder substantivisch) ist die Dativgröße Urteilsträger; ob sie realisiert wird oder nicht, hängt ausschließlich davon ab, ob der Satzinhalt im Hinblick auf einen Wahrnehmungsträger eingeschränkt werden soll. Syntaktisch ist sie beliebig disponibel.
Der Dativ des persönlichen Urteilsträgers erweist sich somit neben dem ethischen Dativ wohl als derjenige ‘freie’ Dativ, welcher diese Bezeichnung auf jeden Fall zurecht trägt.
4.
Der Pertinenzdativ
Eine der Hauptschwierigkeiten des Pertinenzdativs liegt in der Frage begründet, ob diese eine Bezeichnung alle möglichen Vorkommensbereiche abdecken kann oder ob zwischen Pertinenzdativ, possessivem Dativ, Trägerdativ usw. differenziert werden soll. Wenn man etwa unterscheiden möchte zwischen einerseits einer eher lockeren Zugehörigkeitsund einer klarer definierbaren Besitz-Relation sowie andererseits einer Relation, die an das Tragen von Kleidungsstücken am Körper gebunden ist, so stößt man schnell auf Abgrenzungsprobleme (vgl. Johansen 1988, 78 f.). Diese lassen sich umgehen, wenn man die Pertinenz-Relation auf ein Verhältnis in Bezug auf Körperteile von Lebewesen sowie getragene Kleidungsstücke restringiert. Versuche, sie allgemein auf „physische[n] Kontakt zwischen Possessor und Possessum“ (Wegener 1985, 89) auszuweiten, müssen auch soziale Beziehungsgefüge (Mutter-Kind z. B.), Fahrzeuge, Behausungen, Wege, ja „Zubehör“ aller Art berücksichtigen; eine eindeutige Definition und Abgrenzung des Pertinenzdativs ist nicht mehr möglich. In dem Satz Als sie ankommen, bluten ihnen die Füße (Christa Wolf, Der geteilte Himmel) liegt eine Pertinenz-Relation mit einem Körperteillexem vor, in während ihm der Ärmel bis zum Ellenbogen hinabrutschte (Siegfried Lenz, Die Deutschstunde) eine BesitzRelation (mit einem Kleidungsstücklexem). Beide Dativgrößen können als Pertinenzdative angesehen werden. Manchmal steht statt des Pertinenzdativs das entsprechende Possessivpronomen oder ein Genitivattribut (bluten ihre Füße/sein Ärmel […] hinabrutschte). Dass diese Umschreibung ohne denotative Bedeutungsveränderung möglich ist, gilt als ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal des Pertinenzdativs bezüglich anderer ‘freier’ Dativgrößen. Gelegentlich wird angenommen, dass der Gebrauch des Dativs in derartigen Fällen die Person als Ganzes stärker zur Geltung bringe. Arbeiten mit einem umfangreichen Belegkorpus zeigen aber, dass Autoren beide Konstruktionen, auch unmittelbar nebeneinander, häufig synonym verwenden (vgl.
956
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Schmid 1988, 124⫺128). Die Possessivtransformation lässt sich zudem bei anderen ‘freien’ Dativen nicht gänzlich ausschließen. Außerdem gibt es verschiedene beschreibbare Fälle, die Genitivattribut und Possessivpronomen nicht zulassen. Man denke hier nur an phraseologische Verbindungen mit Dativ: dachte Georg, dem der Schweiß ausbrach (Anna Seghers, Das siebte Kreuz). Die Idiomatisierung sorgt hier für Einschränkungen in der freien Austauschbarkeit. Die Pertinenzrelation ist zudem oft auch doppelt markiert, mit der Dativgröße und der Konkurrenzform nebeneinander im selben Satz (Georg, dem sein Schweiß ausbrach). Dativ und Possessivpronomen bzw. Genitiv sind also kumulierbar, die Pertinenzrelation setzt aber voraus, dass wenigstens eine der möglichen Ausdrucksweisen realisiert wird (vgl. Van der Elst/Habermann 1997, 88, Glück/Sauer 1997, 50; 54). Der Pertinenzdativ ist also ersetzbar, aber nicht weglassbar, trotz denkbarer Sonderfälle, die an bestimmte Kontexte gebunden sind. Wenn die Pertinenz-Relation im Körperteillexem logisch-semantisch angelegt ist, ist zumindest strukturelle Weglassbarkeit denkbar (?Der Schweiß brach (ihm) aus). Darüber hinaus gibt es auch hier Fälle, welche die These, dass der Dativ stets belebt sein müsse, widerlegen. Eine Besitz-Relation kann auch vorliegen, wenn die Dativgröße unbelebt ist: wischte dem Spiegel ein paar getrocknete Spritzer weg (Siegfried Lenz, Der Verlust) (vgl. Vogel/Steinbach 1998, 71). Es handelt sich hier um eine autorintendierte Personifizierung, im Sinne einer enger gefassten Definition, aber um keinen Pertinenzdativ, weil weder ein Körperteil- noch ein Kleidungsstücklexem die entsprechende Relation konstituiert. Hocke (1987) hat Verblisten zur Untersuchung der Pertinenz-Relation erstellt, welche immer dann vorhanden sei, „wenn sich das im Satz beschriebene Geschehen auf einen Körperteil bzw. auf ein getragenes Kleidungsstück eines im Ablauf des Geschehens anwesenden höheren Lebewesens bezieht“ (239). Dabei gebe es Verben, deren Semantik diese Relation konstituieren, die Verben seien zentrales Beziehungselement im Satz, der Pertinenzdativ Teil der Relation, die nur auf Satzebene beschreibbar sei. Folglich gilt der Pertinenzdativ in Sätzen mit „Pertinenzverben“ (239) als Satzergänzung einer Vollverbsubklasse, welche (alternativ zu Pertinenzakkusativ oder possessivem Genitiv bzw. Posses-
sivpronomen) die Dativgröße als obligatorische Ergänzung fordert. Bei den „pertinenzfähigen Verben“ (177) dagegen handle es sich um eine Gruppe von Verben, die eine Pertinenzrelation konstituieren können, aber auch in Sätzen ohne diese Relation vorkommen. Der Bezug auf einen Patiens sei dann fakultativ. Diese Konzeption geht mithin davon aus, dass sich über Verblisten ⫺ und unter Berücksichtigung semantischer Relationen ⫺ festhalten bzw. voraussagen lässt, ob ein Pertinenzdativ realisiert werden muss oder zumindest stehen kann. Derartige Verblisten werden aber nie vollständig sein. Hocke räumt selbst ein, dass davon abgeleitete Satzbauplan-Kombinationen kaum „die Zustimmung jedes Sprechers bekommen“ (289) werden. Die adnominale Relation wird dabei nicht negiert, sondern als das die adverbale Relation ergänzende Beziehungsverhältnis aufgefasst. Insoweit ist der Pertinenzdativ interdependent; er steht nur dann, wenn er komplementiert wird durch das Körperteillexem im Satz. Verb und Körperteillexem müssen also mit dem Pertinenzdativ syntaktisch und semantisch kompatibel sein. Der Pertinenzdativ ist so „Teil einer gekoppelten Verbal-Nominal-Phrase“ (Johansen 1988, 66) und gehört folglich zu den „nicht direkt verbspezifischen“ Dativen (Johansen 1988, 66). Über Aspekte der Verbspezifität allein sind damit keine adäquaten Aussagen über den Pertinenzdativ möglich (vgl. Engel 1994, 630 f.). Weiterhin ist der Pertinenzdativ erststellenfähig, betonbar sowie durch eine Proform ersetzbar. Er ist auch subklassenspezifisch, freilich nicht im Hinblick auf den Valenzträger Verb, sondern in Bezug auf ein semantisches Kriterium innerhalb der Pertinenzrelation. Der Pertinenzdativ kommt nur in bestimmten Satzbauplänen vor (vgl. Duden 1995, 672⫺674). Er kann bezogen sein auf Subjekt, Akkusativobjekt oder Raumergänzung. In bestimmten Fällen kann statt des Pertinenzdativs auch ein Pertinenzakkusativ stehen ⫺ weitgehend ohne Bedeutungsunterschied: Er küßte ihr über die Augen und übers Gesicht (Anna Seghers, Das siebte Kreuz). Statt ihr ließe sich auch sie realisieren, der Akkusativ ist Konkurrenzform zum Dativ (vgl. anders Duden 1995, 674). In Sätzen mit einem Kleidungsstücklexem ist der Ersatz der Dativgröße durch einen Pertinenzakkusativ nicht möglich (vgl. Hocke 1987, 263). Wenn beim Pertinenzdativ Verbspezifität angenommen wird, dann gilt er auch als Er-
70. Die „freien“ Dative
gänzung (so etwa bei Hocke 1987, 255, Schöfer 1992, 98). Die Betonung der adnominalen Relation führt hingegen zur Auffassung des Pertinenzdativs als Attribut oder zumindest als attributähnliche Konstruktion (vgl. Helbig/Buscha 1984, 290, Engelen 1984, 146). Pertinenzdativ und seine Konkurrenzform Genitivattribut hätten dann identischen syntaktischen Status und weitgehend ähnliche Semantik. Die Besitz-Relation definiert auch den sog. adnominalen possessiven Dativ vom Typ dem Georg sein Goldbrüderchen (Anna Seghers, Das siebte Kreuz). Dieser steht auch an der Subjektstelle im Satz, das Possessivpronomen vermittelt im vorliegenden Fall zwischen Dativ und einer in einem Zugehörigkeitsverhältnis stehenden Größe. Er konkurriert als eher umgangssprachliche Konstruktion, obwohl sich auch literarische Belege finden lassen, vor allem mit dem standardsprachlichen Genitivattribut (vgl. Glück/Sauer 1997, 50 f.). Dabei muss die Besitz-Relation wieder sehr weit gefasst werden, um alle möglichen Fälle abdecken zu können: dem Georg sein Schmerz. Abgrenzungsschwierigkeiten treten dann auf, wenn der possessive Dativ in Objektposition steht und auch als Pertinenzdativ aufgefasst werden kann: ein so starker Wind, daß er dem Kürdchen sein Hütchen wegwehte (Grimms Märchen). Solche ambige Formen dürften auch der Ausgangspunkt für die Herausbildung eines selbständigen possessiven Dativs, der bereits für das Althochdeutsche nachweisbar ist, gewesen sein. Es kam zu einer Umdeutung der zweifachen Relation mit Pertinenzdativ hin zu einer einfachen adnominalen Beziehung, bevorzugt in Fällen mit Doppelmarkierung durch Dativ und Possessivpronomen (vgl. Schmid 1988, 249⫺253). Da die von-Phrase (das Auto von meinem Freund) (vgl. Drosdowski 1997, 18) ambig ist, neben der Besitz- auch eine Herkunfts-Relation beinhalten kann, sind Pertinenzdativ, der possessive Genitiv sowie das Possessivpronomen als ihre Konkurrenzformen sprachökonomischer.
5.
Der Dativus commodi/incommodi
5.1. Die meisten einschlägigen Publikationen behandeln Dativus commodi und Dativus incommodi insofern parallel, als identischer syntaktischer Status angenommen wird. Unterschiede finden sich in der Semantik: Beim Commodi wird der Satzinhalt für die Dativ-
957 größe als positiv oder wünschenswert, beim Incommodi als negativ oder unerwünscht aufgefasst (vgl. Engelen 1975, 118 f., Hentschel/Weydt 1990, 159 f.). Dabei gibt es freilich Beispiele, die sich ohne Kontext einer eindeutigen Zuordnung entziehen: die vier Aale, die ihm der Stauer mit einem Stein betäubt hatte (Günter Grass, Die Blechtrommel). Daneben wird die Frage, ob es sich beim Commodi bzw. Incommodi um Ergänzungen oder Angaben handelt, unterschiedlich beantwortet. Dabei werden Probleme regelmäßig an Grenzfällen wie in Sätzen mit kaufen oder verkaufen z. B. festgemacht (vgl. dazu Zimmermann 1985, 33 f., Nikula 1995, 143⫺146). Diese Verben werden in verschiedenen Publikationen als zwei-, drei- oder gar vierwertig bezeichnet. Abhängig von der jeweils angenommenen Wertigkeit des Verbs gilt die Dativgröße, die den Nutznießer der Verbalhandlung kodiert, als Ergänzung oder Angabe. Valenzwörterbücher (Engel/Schumacher 1978, Helbig/Schenkel 1983) behandeln Commodi wie Incommodi als nicht valenzgeforderte Größen, welche im Stellenplan eines Verbs nicht verankert sind. Wenn in Sätzen trotzdem ein Dativ steht, dann unabhängig von der Verbvalenz. Er wird als Größe aufgefasst, die am Verbalgeschehen beteiligt sein kann, aber nicht muss. Die Handlung wendet sich der Dativgröße nicht einmal unmittelbar zu (vgl. Vogel/Steinbach 1998, 76). Verbspezifität wird deshalb verschiedentlich angenommen, weil der Commodi nicht in jedem Satz beliebig hinzufügbar ist. Aus diesem Grund sei er nicht Angabe, sondern müsse eher den Ergänzungen zugerechnet werden. Insoweit stehe er auf einer Stufe mit valenzgeforderten Dativgrößen. Die Annahme der Subklassenspezifik beim Dativus commodi hat freilich die unerwünschte Folge, dass die Zahl der in Frage kommenden Verben nicht mehr erfassbar ist. Vollständigkeit ließe sich auf keinen Fall mehr anstreben. Damit ist das Hauptproblem angesprochen: Lässt sich, allein vom Valenzträger Verb ausgehend, festlegen, ob ein Commodi, oder welche ‘freie’ Dativgröße auch immer, im Stellenplan verankert ist? Wäre das möglich, könnten bzw. müssten sämtliche beliebig hinzufügbaren Dative Eingang in die Valenznotierung finden. Dabei ist die Gruppe der in Frage kommenden Verben nicht einmal auf „ein willkürliches Tun“ (Engel 1996, 193) beschränkbar: Noch stand ihm die Wüste offen (Wolfgang Koeppen, Der Tod in Rom). Folg-
958
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
lich kann der Commodi auch nicht als „Gefälligkeitsdativ“ (Krohn 1980, 171) bezeichnet werden. Außerdem ist der Begriff „Gefälligkeit“ nicht an den Commodi gebunden, sondern ist Charakteristikum vieler Sätze mit Dativgrößen. Daraus folgt zweierlei: 1. Auf syntaktischer Ebene lassen sich Verben wie bauen, malen, reparieren etc. nur schwer mit solchen wie ähneln, geben, schenken etc. als ‘Dativverben’ in einer Gruppe zusammenfassen. Es gibt zumindest graduelle Unterschiede hinsichtlich einer möglichen Dativrektion (vgl. Hens 1996, 345⫺347). 2. Unter logisch-semantischen Gesichtspunkten lässt sich annehmen, dass geben eine dreistellige Relation (Wer gibt wem was?) beschreibt, wohingegen bei malen ein möglicher Nutznießer der Verbalhandlung diese nur modifiziert. Dieses Bedeutungswissen basiert auf Sachwissen, welches bei malen typischerweise primär von einem Agens und einem Objekt der von dem Verb ausgedrückten Handlung ausgeht. Das wäre dann ein „minimalistischer Standpunkt“ (vgl. Nikula 1995, 144). Wenn hingegen auf der Grundlage der Kasus- und Prototypentheorie semantische Funktionen des Dativs ermittelt, also Kasusfunktionen in Abhängigkeit von der Verbsemantik beschrieben werden, dann kann das zu dem Ergebnis führen, dass ‘freie’ wie gebundene Dativgrößen Ergänzungsstatus haben. Schöfer (1992) weist in der Tat nach, dass die Rezipienten-Funktion als prototypische Dativfunktion, die auch z. B. den Commodi abdeckt, auftritt. Der Partner in einer Verfügbarkeits-Relation sei darüber hinaus aber noch präziser zu fassen, wenn man neben der Rezipienten- auch eine Nutznießerund eine Experiencer-Funktion als wichtige Dativfunktionen, welche in Sätzen auch gekoppelt auftreten können, berücksichtigt. Solche syntaktisch angewiesenen semantischen Funktionen des Dativs sind das Ergebnis einer „Valenzänderung“ (Schöfer 1992, 95) bzw. „Valenzerhöhung“ (Abraham 1983, 37, vgl. Abraham 1995, 183 f.), d. h. die Bedeutung des Verbs wird erweitert (vgl. Hens 1996, 345). Eine solche Erweiterung der Perspektive führt dann dazu, dass auch ‘freie’ Dative als determinierte Verbkomplemente mit Ergänzungsstatus angesehen werden können. Ausgehend von einer Grundvalenz kommt es zu einer Valenzerhöhung in Sätzen mit ‘freiem’ Dativ, wohingegen gebundene Dative von einem semantischen Merkmal der Grundvalenz eines Verbs unmittelbar regiert werden. Der Commodi muss also über eine
Relation zwischen varianten Merkmalen der Verbbedeutung und einer dem Sprachverwender (Hörer, Leser) bekannten Dativfunktion (etwa Kodierung des Nutznießers) identifiziert werden. Die Annahme einer Grundvalenz mit der Differenzierung zwischen Sätzen, in denen nur valenzregierte Partner auftreten (vgl. Weinrich 1993, 138: „valenzkonformer Gebrauch“), und solchen mit Valenzerhöhung („überwertiger Gebrauch“) ist somit eine Möglichkeit, ‘freie’ Dative in die Gruppe der Ergänzungen einzuordnen, ohne „die befürchtete Auflösung der Satzmodelle in Kauf nehmen zu müssen“ (Welke 1988, 73). In folgendem Satz wäre die Dativgröße demzufolge einmal obligatorische Ergänzung (zum Verb reichen), zum anderen fakultative Ergänzung (in Bezug auf halten und aufheben): denn Oskar hatte dem Matzerath zuvor nie etwas gereicht, gehalten oder aufgehoben (Günter Grass, Die Blechtrommel). Verben wie halten oder aufheben können also okkasionell eine semantische Erweiterung erfahren, je nachdem, ob ein Sprecher dies für notwendig erachtet oder nicht. Sie präsupponieren einen Nutznießer nur schwach, anders als reichen, welches einen Nutznießer bzw. Empfänger so stark präsupponiert, dass der Satz ohne Dativgröße, wenn keine kontextabhängige Ellipse vorliegt, nicht sinnvoll ist. So ließen sich dann auch prozessuale Übergänge bei Verben wie kaufen beschreiben. Ein umfangreiches Belegkorpus könnte verdeutlichen, welche Wertigkeit dieses Verb im heutigen Deutsch hat, ob der Dativ zu dessen Grundvalenz gehört oder nicht, inwiefern die Erweiterung der Grundvalenz mit einer Erweiterung der Verbbedeutung korrespondiert. Hentschel/Weydt (1990, 161) schlagen in diesem Zusammenhang die „salomonische Lösung“ vor, „Fälle, in denen der Dativ besonders häufig auftritt, als eine Übergangsphase zwischen Dativus commodi und Objektkasus anzusehen“. Über die Verbbedeutung lässt sich also der syntaktische Status des Commodi bestimmen, auch semantische Beziehungsverhältnisse vermag man zu klären; was aber den Commodi zum Funktor (als semantische Größe) macht, bedarf einer Spezifizierung. Es ist der Satzinhalt insgesamt, unter kontextuell-semantischen Bedingungen, an dem die Dativgröße so beteiligt ist, dass sie ihn als Nutznießer, als wünschenswert erfahren kann. Eine Dativgröße ist deshalb ein Commodi, weil der Satzinhalt vom Dativreferen-
70. Die „freien“ Dative
ten im Rahmen der Nutznießer-Relation so aufgefasst wird. Dieser muss, wie Beispiele zeigen, weder anwesend, noch am Leben, noch ein menschliches Wesen überhaupt sein. Bedingung für das Vorhandensein der Nutznießer-Relation ist freilich, dass der Satzinhalt so beschaffen ist, dass dieser über ein direktionales Kriterium von einem Wahrnehmungsträger rezipiert werden kann. Es werden dann eine Richtungs-Relation und eine Nutznießer-Relation gleichermaßen konstituiert. Verschiedentlich ist versucht worden, solche auf logisch-semantischer Ebene ermittelten Beziehungsverhältnisse mit Hilfe operationaler Tests abzusichern. Der Commodi gilt dabei als strukturell weglassbar und so mit einem Prädikationstest auf einen selbständigen Satz mit eigener Prädikation zurückführbar (Helbig 1981, 327). Kritik an diesem Testverfahren wurde öfter geübt, doch meist unter Rekurs auf dabei nicht einschlägige Verfahren (vgl. Schmid 1988, 162⫺165). Die Validität des Geschehenstests beruht auch auf der Möglichkeit, den Commodi z. B. vom Restsatz zu trennen. Daneben ist in Sätzen mit Commodi auch eine Possessivtransformation (mit denotativer Bedeutungsveränderung) möglich, zumal dann, wenn neben der Nutznießer-Relation die Verbalhandlung auch auf eine Besitz-Relation abzielt: macht Alfred uns Pilze mit Rührei und Bratkartoffeln (Günter Grass, Die Blechtrommel) (vgl. dazu: […] Alfred unsere Pilze/Alfred uns unsere Pilze). So ist auch Doppelmarkierung möglich, welche weniger redundant ist als etwa beim Pertinenzdativ. Dort wird die Pertinenz-Relation ja im Körperteillexem begründet. Beim obligatorischen Dativobjekt ist eine dem Commodi entsprechende Possessivtransformation schon aus strukturellen Gründen nicht möglich. 5.2. Eine wesentliche Frage, die in Bezug auf den Dativus incommodi zu stellen ist, besteht darin, ob sich dieser mit demselben Begriffsinventar wie der Commodi beschreiben lässt. Beide Dativgrößen sind betonbar, erststellenfähig, pronominal und nominal realisierbar, strukturell weglassbar; auch Doppelmarkierung, die nicht redundant ist, ist beim Incommodi möglich. Wie beim Commodi wird das Verbalgeschehen auf eine Dativgröße hin ausgerichtet, doch bewertet der Dativreferent den Satzinhalt als für ihn unerwünscht. So wird eine Geschädigten-Relation, keine Nutznießer-Relation etabliert: Ich rauchte und pö-
959 belte Leute an […] und zu Hause legte ich meiner Mutter die Beine auf den Tisch (Christa Wolf, Der geteilte Himmel). Die Person in Subjektposition tut etwas, das vom Dativreferenten wahrgenommen wird, ihn betrifft, von ihm nicht verursacht, doch als negative, nicht wünschenswerte Handlung interpretiert wird (vgl. Helbig 1981, 328, Heidolph/Flämig/Motsch 1981, 369). Manchmal wird versucht, dem Incommodi einen Sonderstatus zuzuschreiben, indem man ihn z. B. auf Sätze mit intransitiven Verben beschränkt. Das ist nicht möglich. Genauso wenig ist der Incommodi nicht deshalb verbspezifisch, weil Verbinhalte in Sätzen ausschließlich den Incommodi zulassen (vgl. Krohn 1980, 144). Vom Prädikatsverb ausgehend ist der Incommodi weder syntaktisch gefordert noch semantisch angelegt. Allein eine Negation im Satz kann aus einer Geschädigten- eine Nutznießer-Relation machen: dann wischte er dem das Heft mit dem Turnschuhfuß vom Tisch (Walter Kempowski, Immer so durchgemogelt). Somit lässt sich über das Prädikatsverb im Satz nicht bestimmen, ob ein Commodi oder ein Incommodi vorliegt. Der Satzinhalt insgesamt und die Semantik des Prädikatsverbs hängen zwar häufig eng zusammen, doch kann davon eine Abgrenzung des Incommodi vom Commodi nicht abgeleitet werden. Der Incommodi lässt sich auch auf einen selbständigen Satz zurückführen, also paraphrasieren. Als hier einschlägige Verben stehen passieren (zum Ausdruck des unbeabsichtigten Tuns) sowie bedauern (als Paraphrase des unerwünschten Ergebnisses) zur Verfügung: Ich rauchte, pöbelte und legte die Beine auf den Tisch. Das passierte meiner Mutter. Sie bedauerte das (vgl. Helbig/Buscha 1984, 553, Rosengren 1986, 280). Aus dieser Paraphrasierungsmöglichkeit folgt, dass der Dativreferent als Incommodi häufig ein Mensch ist, mindestens aber ein belebtes Wesen. Darüber hinaus lässt sich der Incommodi explizit erfragen: Wem zum Nachteil ? Die entsprechende Frage beim Commodi lautet: Wem zum Vorteil ? Das obligatorische Dativobjekt ist so nicht erfragbar. Testverfahren stützen also Überlegungen über logisch-semantische Abhängigkeitsbeziehungen im Satz. Rosengren (1986, 280) fasst nun ‘freie’ Dative als eine „extrapropositionale Komponente“ mit Beziehung zur gesamten propositionalen Struktur auf, im Unterschied zum Dativobjekt, das vom Prädikat selegiert sei. Für den Incommodi be-
960
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
deutet das, dass er ⫺ im Vergleich mit dem Dativobjekt ⫺ zwar Teil einer damit identischen logisch-semantischen Relation ist, wobei aber diese Relation auf unterschiedlichen Einheiten basiert; Extrapropositionalität schließe Ergänzungsstatus aus. Incommodi und Commodi ließen sich deshalb auf dieselbe Weise beschreiben, weil die an der Relation beteiligten Einheiten identisch seien. Es handle sich dabei eben lediglich um Varianten des ‘freien’ Dativs, unter Ausschluss von Pertinenzdativ, Ethicus sowie Iudicantis.
6.
Das Rezipientenpassiv
Neben dem Akkusativpassiv mit sein und werden gibt es in der Gegenwartssprache auch ein Rezipientenpassiv (Dativpassiv) mit haben und bekommen, erhalten sowie kriegen (vgl. Eroms 1978, 382, Heringer 1989, 208 f.): gab man den Löffel ab, und dann kriegte man ihn voller Lebertran wieder in den Hals gejagt (Walter Kempowski, Immer so durchgemogelt). In einem entsprechenden Aktivsatz könnte statt man ein Pertinenzdativ stehen, der damit subjektfähig wäre. Diese Subjektfähigkeit der Dative gilt für valenzgebundene und ‘freie’ Dativgrößen gleichermaßen (vgl. Eroms 1992, 241) und wird als Argument dafür angeführt, dass dem ‘freien’ Dativ Objektstatus zugesprochen werden müsse, denn bei der Passivdiathese ändere sich der syntaktische Status einer Größe als Ergänzung nicht (vgl. Steinbach/Vogel 1998, 77 f.). Folglich wird dann sogar dem subjektfähigen Ethicus Objektstatus zugesprochen (Johansen 1988, 70). Rosengren (1986, 283) dagegen verwendet die Dativkonverse als Testverfahren zum Nachweis der „Grenzziehung“ zwischen Dativobjekten und ‘freiem’ Dativ. Daneben bleibt zu beachten, dass bei der Passivkonverse mit gewissen Einschränkungen zu rechnen ist. Sie ist bevorzugt möglich in Sätzen mit Handlungsverben, welche einen Dativ zulassen oder regieren, es darf keine Referenzidentität zwischen Subjekt und Dativgröße vorliegen. Sie unterliegt auch „funktionalstilistischen Bedingungen“ (Eroms 1995, 1540), d. h. die Auxiliarverben bekommen, erhalten und kriegen gehören unterschiedlichen Stilebenen an. So seien die Verwendungen mit bekommen „unmarkiert“, solche mit kriegen „alltagssprachlich“; erhalten gilt als „stilistisch gehoben“. Diese Auffassung lässt sich anhand des folgenden Belegs bestätigen: Und von der haben wir die ganzen Kriege aus der Griechenzeit erzählt bekommen (Walter Kem-
powski, Immer so durchgemogelt) (vgl. auch Starke 1969, 165/166). Je mehr bekommen, kriegen und erhalten vom Sprachverwender als bedeutungsleere Auxiliarverben aufgefasst werden, desto häufiger stehen sie auch in Sätzen mit Verben, die eher das Gegenteil ihrer Bedeutungen als Vollverben bezeichnen: Er bekam den Führerschein entzogen (Beleg nach Heringer 1989, 209). Eine widersprüchliche Semantik ist in den Sätzen kaum mehr vorhanden. So kommt es bei den Verben zu einer Bedeutungsentleerung, zu Veränderungen der ursprünglichen Valenz und der Selektionsbeschränkungen. Das haben-Passiv lässt sich nur schwer belegen: weil wir ja Saevates im Bereich von Aguntum sicher belegt haben (Beispiel nach Eroms 1992, 242). Es entspricht aber durchaus dem Zustands-Passiv beim Akkusativ. Daneben stellt sich die Frage, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, die Subjektfähigkeit von einzelnen Dativgrößen als generellen Nachweis für den Objektstatus auch des ‘freien’ Dativs aufzufassen. Aufgrund der genannten Einschränkungen ist die Passivkonverse ja auch kein allgemein gültiges Charakteristikum aller Dativgrößen (vgl. Schmid 1989, 391 f.). Sie wäre mit der Substitution durch Präpositionalphrasen vergleichbar, wenn man sie als Kriterium betrachtet, mit dessen Hilfe man verschiedene Vorkommensmöglichkeiten des Dativs nicht unterscheiden kann.
7.
Die für-Phrase als konkurrierende Konstruktion
Die für-Phrase wurde schon wiederholt als Paraphrasierungs- bzw. Substitutionsmöglichkeit des ‘freien’ Dativs diskutiert. Es geht dabei um die Frage, ob bzw. inwiefern dieses Präpositionalgefüge Konkurrenzform zur Dativgröße oder gar Differenzierungskriterium ist (vgl. Matzel 1976, 152, Schmid 1981, Schöfer 1992, 31⫺34). Der Ethicus öffnet sich der für-Phrase nicht, wenn man davon ausgeht, dass er nicht betonbar ist. Auch der Pertinenzdativ lässt sich so nicht ersetzen. Wenn das für-Gefüge als Charakteristikum des Commodi angenommen wird (wie etwa von Starke 1969, 32, 40; Jung 1995, 157 f.), so muss man mit zweierlei Problemen rechnen: Einmal gibt es Fälle, in denen die Bedeutung der Präposition für so stark verblasst ist, dass das Präpositionalgefüge auch den Incommodi ersetzt: ich Unseliger, für den Neugier in geistigen Dingen immer zu einer Art Passion ausartet (Ste-
70. Die „freien“ Dative
fan Zweig, Schachnovelle). Dann steht die Präpositionalphrase auch in Konkurrenz zu fakultativen und obligatorischen Dativobjekten: Oberstleutnant von Hatzfeldt hat für die neuen Kompagnien unseres Regiments Abmarsch […] befohlen (Wolfgang Lohmeyer, Der Hexenanwalt). Daraus lässt sich ableiten, dass die für-Phrase zwar ein Charakteristikum des Commodi, weil sie dort besonders häufig auftritt, ist, aber kein Differenzierungskriterium in Bezug auf andere Dativgrößen. Ein Sonderfall liegt bezüglich des Dativs des Urteilsträgers vor. Dieser ist ein Beispiel dafür, dass eine Präpositionalphrase einen reinen Kasus in zunehmendem Maße verdrängt. Wenn er noch realisiert wird, wirkt er oft archaisch. In zahlreichen Fällen des heutigen Deutsch wäre folglich ein Dativ des Urteilsträgers anstelle der für-Phrase weniger akzeptabel: Der Pythagoras war für mich das erste mathematische Erlebnis (Walter Kempowski, Immer so durchgemogelt). Darüber hinaus lässt sich annehmen, dass das Vordringen der für-Phrase beim ‘freien’ Dativ generell durch Analogiebildungen auch gebundene Dativgrößen erfasst hat. Die Frage, inwiefern in diesen Zusammenhängen z. B. Funktionsverbfügungen vom Typ etwas/ für etwas eine Zustimmung geben eine besondere Rolle zufällt, müsste noch genauer untersucht werden (vgl. Schmid 1981, 167 f.). Auf jeden Fall kann man vermuten, dass Bedeutungsverblassung bei Präpositionen auch hier neue syntaktische Möglichkeiten eröffnet.
8.
Literatur in Auswahl
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962
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Josef Schmid, Passau (Deutschland)
963
71. Diathesen und Konversen
71. Diathesen und Konversen 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Vorbemerkungen Vorgangspassiv gehören-Passiv Rezipientenpassiv Zustandspassiv Literatur in Auswahl
1.
Vorbemerkungen
Ein und dieselbe Proposition kann sprachlich differenziert zum Ausdruck kommen ⫺ „thus we may say that Peter drives the car and The car is driven by Peter are different sentences but represent the same proposition“ (Reichenbach 1947, 15). Die jeweils unterschiedlichen Ausdrucksformen werden Diathesen bzw. Konversen genannt. Dabei versteht sich die Diathese als Oberbegriff für das Genus verbi, und umfasst neben Aktiv und Passiv auch Reflexivität und Reziprozität (vgl. Conrad 1985, 55). Die Diathese realisiert sich in wechselnder Fokussierung bzw. in der syntaktischen Rollenvertauschung zwischen Agens und Patiens, und somit ist sie auch eine Konverse (zu lat. conversio ‘Umstellung’) bzw. Kontroverse (vgl. Kotin 1998, 32). Im Aktiv hat der Agens eine Vorrangstellung ⫺ er wird immer zum Subjekt: „If there is an A(gent), it becomes the subject; otherwise if there is an I(nstrument), it becomes the subject; otherwise the subject is O(bjectiv)“ (Fillmore 1968, 33). Im Passiv dagegen hat der Patiens bzw. ⫺ im Rezipientenpassiv der Rezipient ⫺ die Vorrangstellung, und nur er wird ggf. zum Subjekt. Leo Weisgerber brachte dies auf die oft zitierte Formel, das Passiv sei „täterabgewandte Diathese“ (Weisgerber 1963, 248). Der Agens kann hier zwar fakultativ angeschlossen werden, aber er scheint einen merkmalhaften Charakter zu haben und über die syntaktische Ruhelage hinwegzugehen (vgl. Kotin 1998, 103; Eroms 2000, 385), zumal er ggf. auch unterbleiben muss. Aber auch der Patiens kann konverseninvariant bleiben, weil doch ebenfalls intransitiv gebrauchte Verben passiviert werden können (z. B. Es wurde gesungen). Dies bedeutet, dass das Passiv sich nicht unbedingt als eine agensabgewandte und/oder patienszugewandte Diathese versteht ⫺ es kann einen Sachverhalt auch agens- und patiensneutral, d. h. als eine Handlung schlechthin zum Ausdruck bringen. Daraus mag sich auch die verstärkte Passivierung der Intransi-
tiva (Es wurde Rad gefahren (Kotin 1998, 33)) erklären. Unter Passiv werden je nach dem linguistischen Modell verschiedene Konstruktionen subsumiert. In erster Linie kommen hier die Konstruktionen werden ⫹ Partizip II bzw. sein ⫹ Partizip II in Frage. Weiterhin gehört hierher die Konstruktion bekommen/kriegen ⫹ Partizip II. In der groß angelegten Mannheimer IdS-Grammatik heißt es dazu: „Die drei Passivkonstruktionen können auch als Vorgangs-, Zustands- und Rezipienten-Passiv gegeneinander abgegrenzt werden. Alle weiteren […] Konstruktionen […] bezeichnen wir nicht mehr als Passiv. Sie gehören zu den grammatischen Konversen“ (Zifonun [u. a.] 1997, 1791). Die Passivkonstruktionen verstehen sich valenzgrammatisch als „eine gesetzmäßige Reduktion der Valenz des Verbs“ (Helbig 1972, 13). Dieser Definition entsprechen im Grunde auch die kongruenten Konstruktionen mit sein ⫹ zu ⫹ Infinitiv, die sich als modale Passivparaphrasen verstehen. Dass sie nicht zum Bestand der Passivformen gerechnet werden, mag an ihrer kontextbedingten semantischen Varianz liegen, die jeweils auf die Synonymität mit müssen, sollen bzw. können zurückgeht (Das ist schnellstens nachzuholen ‘Das muss/soll schnellstens nachgeholt werden’; Das ist nur schrittweise nachzuholen ‘Das kann nur schrittweise nachgeholt werden’). Die sonstigen Konversen, die nicht unter Passiv subsumiert werden, lassen sich als rezessive Diathesen interpretieren, die den Agensaktanten voll unterdrücken, und die leere Stelle ggf. durch einen Platzhalter markieren. Es lassen sich inkongruente Rezessivkonstruktionen aktiven Charakters vom Typ Es sitzt sich gut in diesem Sessel und kongruente Rezessivkonstruktionen passiven Charakters aussondern (vgl. Sadzin´ski 1989, 143 f.). Die letzteren lassen sich wiederum in solche mit bzw. ohne obligatorische Artangabe einteilen: (1)
Das Buch liest sich angenehm.
(2)
Der Eisenstab biegt sich.
Der Typ (1) geht auf einen Aktivsatz mit einem humanen Agens zurück, während der unterdrückte Agens im Typ (2) semantisch indifferent ist. Diese Rezessivkonstruktionen mit Platzhalter-sich konkurrieren mit denen
964
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
ohne Platzhalter. Diese gehen im Unterschied zu (1) und (2) nicht auf eine permanente aktive Relation zwischen dem unterdrückten Agens und dem Patiens zurück, sondern auf eine kausative (veranlassende), was etwa im Französischen jeweils an den zugrunde liegenden Strukturen mit bzw. ohne kausatives faire erkennbar ist: (3)
2.
Die Suppe kocht. J Jemand kocht die Suppe. La soupe cuit. J Quelqu’un fait cuire la soupe. a. Die Tür öffnet sich. J Jemand öffnet die Tür. La porte s’ouvre. J Quelqu’un ouvre la porte.
Vorgangspassiv
Die Konstruktion werden ⫹ Partizip II wird Vorgangspassiv genannt. Semantisch weist es eine Affinität mit Sätzen vom Typ (3) auf, wo der Agens ebenfalls getilgt ist. Im Vorgangspassiv ist der getilgte Agens allerdings wieder enkatalysierbar (nachholbar), was in (3) blockiert bleibt. Man vergleiche das nachstehende Beispiel: (4)
Die Suppe wird (von jemandem) gekocht. ‘Jemand kocht die Suppe’.
Der Agens ist eine aktive Größe und wird in der Regel auf Menschen fixiert. Es kommen aber auch Tiere, Naturkräfte und sogar Gegenstände in Frage (vgl. Dückert/Kempcke 1986, 367): (5)
Hier gibt es viele Mücken. Dauernd wird man gestochen.
(6)
Der Baum stürzte auf die Straße. Ein Passant wurde verletzt.
In (5) und (6) werden Mücken bzw. der Baum als Agens aus dem Kontext erschlossen. In isolierten Passivsätzen wäre eher auf einen humanen Agens zu schließen (so auch Latzel 1982, 23). Verben, die einen Agens in ihrem Stellenplan haben, heißen Handlungs- bzw. Tätigkeitsverben (vgl. Schoenthal 1976, 93), und nur diese bilden in der Regel das Passiv, dessen Funktion in erster Linie auf der Herabstufung bzw. Elidierung des Agens beruht. Dabei wird im Gegenzug ggf. der Patiens fokussiert, d. h. zum Subjekt des Passivsatzes erhoben. Dies trifft allerdings nur auf den
Akkusativ zu (vgl. hierzu (4)), andere Objektskasus bleiben intakt, wie die folgenden Beispiele (nach Helbig 1972, 12 f.) zeigen: (7)
Der Lehrer hilft dem Schüler. J Dem Schüler wird (vom Lehrer) geholfen.
(8)
Der Lehrer gedachte des Toten. J Des Toten wurde (vom Lehrer) gedacht.
(9)
Der Lehrer sorgt für die Schüler. J Für die Schüler wird (vom Lehrer) gesorgt.
Vereinzelte Beispiele der Dativtransposition bei folgen (Dückert/Kempcke 1986, 367; Duden 1995, 177) bzw. bei helfen ⫺ einem bekannten scherzhaften TV-Werbespot entnommen ⫺ können über die genannte Regelmäßigkeit nicht hinwegtäuschen: (10) Das Gewitter wird von einem Regentief gefolgt. ‘Dem Gewitter folgt ein Regentief’. (11) Damit werden Sie geholfen. Einen Sonderfall bilden die spärlichen Verben mit zwei Akkusativobjekten, wie z. B. lehren, abfragen u. a. m. Einer der Akkusative ist personen-, der andere sachbezogen. Im Passiv kann im Normalfall nur der personenbezogene Akkusativ zum Subjektsnominativ werden (vgl. Dückert/Kempcke 1986, 368): (12) Man lehrte uns noch Latein und Griechisch. J Wir wurden noch Latein und Griechisch gelehrt. J *Latein und Griechisch wurden uns noch gelehrt. Diese ohnehin selten anzutreffende Passivform wird zugegebenermaßen nicht ohne Weiteres akzeptiert. Askedal (1976, 208) hält sie für ungrammatisch. Eine Passivform lässt er hier nur dann gelten, wenn der sachbezogene Aktant durch einen Satz bzw. durch eine Infinitivkonstruktion ausgedrückt wird: (13) Man hat mich gelehrt, dass dies meine Pflicht ist. J Ich bin gelehrt worden, dass dies meine Pflicht ist. Die Passivierbarkeit dieser Verben wurde inzwischen weitgehend relativiert, so dass selbst die unter (12) als ungrammatisch angesetzte Variante theoretisch zugelassen wird (vgl. Zifonun [u. a.] 1997, 1802; Eroms 2000, 401).
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71. Diathesen und Konversen
Diese Kontroversen fallen allerdings nicht so schwer ins Gewicht, weil der personenbezogene Akkusativ umgangssprachlich meist durch den Dativ ersetzt wird, so dass der sachbezogene Akkusativ im Passiv folgerichtig zum Subjektsnominativ alterniert (vgl. Dückert/Kempcke 1986, 368; Eroms 2000, 401): (14) Man fragte mir diese Lektionen ab. J Diese Lektionen wurden mir abgefragt. Alle bis jetzt gebrachten Beispiele scheinen tendenziell Handlungs- und Tätigkeitsverben mit einer aktiven Größe (⫽ Agens) zu belegen. Wo das nicht der Fall ist, ist das Verb nicht passivierbar. Dies trifft z. B. auf bekommen zu, in dessen Stellenplan kein Agens vorkommt: (15) Er hat einen Brief bekommen. J *Der Brief wurde (von ihm) bekommen. Diese These bekräftigen auch Verben, wo der Agens mit einer anderen ⫺ nichtaktiven ⫺ Größe konkurrieren kann. Nur im ersteren Fall ist das Passiv freigegeben, sonst bleibt es blockiert (vgl. Dückert/Kempcke 1986, 364): (16) Hans widerspricht seinem Freund. J Dem Freund wird (von Hans) widersprochen. (17) Die Behauptung widerspricht den Tatsachen. J *Den Tatsachen wird (von der Behauptung) widersprochen. Diese auf Anhieb einleuchtenden Kriterien sind jedoch bei vielen Verben nicht restlos nachvollziehbar. Es gibt anscheinend „zentrale […] und periphere Elemente“ der Subklasse passivfähiger Verben, d. h. „beste Exemplare der Kategorie der passivfähigen Verben, sozusagen die Paradefälle, und es gibt […] weniger gute Exemplare der Kategorie“. Die letzteren unterliegen insofern Schwankungen, als sie „nicht in allen Verwendungen, nicht für alle Sprecher usw. passivfähig sind“ (Zifonun 1992, 269 f.). So setzen sich bei manchen Verben trotz Kritik der Sprachpfleger (vgl. etwa Duden 1995, 177 f.) unerwartet Passivformen durch. Dies betrifft nicht nur folgen in (10), aber auch Verben wie verlieren und vergessen, die auf den ersten Blick semantisch gleich geartet sind, und dennoch Unterschiede in Bezug auf die Passivbildung erkennen lassen. Während bei ver-
lieren nur „gelegentlich ein Passiv gebildet [wird]“, ist es bei vergessen „allgemein üblich“ (Dückert/Kempcke 1986, 365): (18) Am meisten werden Schirme, Mützen und Hüte verloren. (19) Das wird oft und leicht vergessen. Viele Passivformen sind fachsprachenspezifisch: „Nur in psychologischer oder pädagogischer Fachliteratur kommen Formen vor wie diese Regeln werden von den Schülern gekannt, gewußt, beherrscht; das wird von den Versuchspersonen behalten, gemerkt, erinnert“ (Dückert/Kempcke 1986, 365). „In der Fachsprache findet sich bisweilen sogar erhalten im Passiv“ (Helbig 1972, 21): (20) Durch diese Reaktion werden neue Stoffe erhalten. Von einem modifizierten Transitivitätsbegriff ausgehend, wo zwischen syntaktisch transitiven (mit direktem Akkusativobjekt) und semantisch transitiven Verben (mit indirekten Objekten) unterschieden wird, kann man in gutem Einvernehmen mit Engel/Schumacher (1976, 92) jeweils vom „persönlichen“ und „unpersönlichen“ Passiv mit bzw. ohne Subjektsnominativ sprechen. Unter unpersönlichem Passiv wird folgerichtig auch dessen eingliedrige Form vom Typ (21) subsumiert, die von Helbig (1972, 17) einzig und allein als unpersönlich eingestuft wird: (21) Es wurde viel getanzt und laut gesungen. Solche eingliedrigen Passivformen werden von intransitiv gebrauchten Transitiva gebildet. Der Übergang von intransitiv gebrauchten Transitiva zu Intransitiva scheint nicht abrupt, sondern eher fließend zu sein. Während nämlich die ersteren vorhandene Objekte unterdrücken, haben wir es bei den anderen oft mit einer Inkorporierung von Objekten zu tun: (22) Dort wird oft von den Touristen gezeltet. ‘Dort werden oft von den Touristen Zelte aufgeschlagen.’ (23) Meist wird von den Gästen auf den Zimmern gefrühstückt. ‘Das Frühstück wird von den Gästen meist auf den Zimmern gegessen.’ Wenn Sätze wie (22)/(23) im Unterschied zu den durchaus üblichen Sätzen vom Typ (21) auf Kritik der Sprachpfleger stoßen, sie seien „stilistisch schlecht“ und durch entsprechende Aktivsätze zu ersetzen (Dückert/
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Kempcke 1986, 366), dann liegt das nicht an der suspekten Passivierbarkeit dieser Verben schlechthin, sondern vielmehr daran, dass hier der Agens schlecht anschließbar ist: Im unpersönlichen Passiv „läßt sich […] feststellen, daß die Sätze mit von-Phrasen weniger üblich sind als die ohne (es wird getanzt ⫺ es wird jetzt getanzt von euch)“ (Engel/Schumacher 1976, 92). Für Helbig (1972) ist hier der Agensanschluss noch restringierter, so dass das unpersönliche Passiv „bisweilen allerdings auch ⫺ wenn auch außerordentlich selten ⫺ ein Agens zu sich nehmen kann“ (Helbig 1972, 11). Dies ist wohl daraus zu erklären, dass das unpersönliche Passiv im Unterschied zu dessen persönlicher Form nur auf einen humanen Agens festgelegt ist, was aus (24) klar hervorgeht (vgl. Helbig 1972, 14): (24) Es wurde (von Hochzeitsgästen / *von den Bienen) getanzt. Wenn man weiterhin bedenkt, dass unpersönliche Passivsätze tendenziell auf aktivische man-Sätze bezogen werden (so Helbig 1972, 13): (25) Es wird getanzt. J Man tanzt. dann darf man mit Recht darauf schließen, dass wir es beim unpersönlichen Passiv mit einem semantisch inkorporierten man zu tun haben. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass der definite Agensanschluss in (22) / (23) mit dem inkorporierten indefiniten man nicht kompatibel ist, so dass folglich solche Sätze „stilistisch schlecht“ sind. Wird jedoch der Agensanschluss im unpersönlichen Passiv bei Verben mit haben-Perfekt noch geduldet, so scheint er im Falle der Verben mit sein-Perfekt, wo nicht einmal inkorporierte Objekte in Frage kommen, völlig ausgeschlossen zu sein: „Zahlreiche Verben mit sein-Perfekt erlauben […] die Bildung eines subjektlosen Passivs, obwohl sie nicht über ein Passiv mit Aktantenrepräsentation verfügen“ (Heidolph [u. a.] 1981, 551). Das bekräftigt auch Darski: „Eine Besonderheit weisen die Tätigkeitsverben auf, die ihren Infinitiv II, also auch ihr Perfekt mit sein bilden. Von diesen Verben kann nur ein unpersönliches Passiv ohne fakultative Agensangabe […] gebildet werden“ (Darski 1999, 191). Ob diese Verben überhaupt das Passiv bilden, ist zwar nach wie vor sehr umstritten, aber es werden hier meist stilistische Gründe genannt ⫺ beim deskriptiven Herangehen wird deren Passivierbarkeit (wenn auch nicht
vorbehaltslos) in der Regel eingeräumt (vgl. Duden 1995, 177). In der Befürwortung der Passivierbarkeit dieser Verben ist Eisenberg allen voran: „Egal, wieviel Stellen die Verben haben, egal, ob sie das Pf Akt. mit haben oder mit sein bilden, das unpersönliche Passiv gibt es immer“ (Eisenberg 1994, 142). Über solche Verben hinaus, wie gehen, laufen, denen auch in Engel/Schumacher (1976) die Passivierbarkeit bescheinigt wird, bezieht Eisenberg (1994) u. a. auch sterben mit ein. Dass Belege für passivische Konstruktionen mit diesen Verben zugegebenermaßen selten vorkommen, mag gerade daran liegen, dass hier wegen der Blockierung eines jeden expliziten Agensanschlusses die Konkurrenz zu äquivalenten aktivischen man-Sätzen, wo ebenfalls eine nachträgliche Spezifizierung des Agens nicht in Frage kommt, so gut wie aufgehoben ist. Im Klartext: hier haben die einfacher strukturierten Aktivsätze mit man die indefinitpersönliche Ausdrucksweise vereinnahmt. Für die Passivsätze mit intransitiven Verben sind hauptsächlich einige wenige stilistisch markierte Nischen übriggeblieben. Es sind dies in erster Linie Passivsätze mit imperativischer Illokution, die ja mit dem Imperativ den inkorporierten humanen Agens gemeinsam haben: (26) Es wird hiergeblieben! Jetzt wird aber geschlafen! (nach Duden 1995, 177) An dieser Stelle sind auch reflexive Verben sehr instruktiv. Sie werden als nicht passivfähig hingestellt (dazu stellvertretend Helbig 1972, 20), was daran liegen mag, dass das Reflexivpronomen agensidentisch ist und folglich eine vollständige Tilgung des Agens im angesetzten Passiv nicht freigibt. Man kann allerdings auch so argumentieren, dass der unverkennbare immanente humane Agens für das unpersönliche Passiv geradezu identitätsstiftend ist, so dass die Passivierbarkeit der Reflexivverben keineswegs tangiert wird. In Abraham (1995, 111) wurde eine Sichtung des anfallenden Sprachmaterials mit positivem Ergebnis vorgenommen: „Unpersönliche Passive bei stehengebliebenen akkusativischen Reflexivpronomina halte ich für über jeden Zweifel erhaben ⫺ auch, um einem erwartbaren Einwand zuvorzukommen in nichtimperativischer Verwendung“: (27) Da wurde sich zurecht geschämt/geekelt/ gegraust/geschlagen.
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71. Diathesen und Konversen
Wie dem auch sei ⫺ als imperativische Illokutionen werden diese agensinkorporierenden Konstruktionen nicht in Frage gestellt (vgl. Duden 1995, 177):
„im Deutschen nicht im Aktiv begegnen“. Als Beispiel wurde akkreditieren genannt:
(28) Jetzt wird sich nicht unterhalten! Zuerst wird sich gewaschen! Es wird sich nicht gezankt!
Während jedoch zu (31) eine Aktivform potentiell möglich ist, ist dies in den dokumentierten Passivsätzen (32) ⫺ (37) so gut wie ausgeschlossen, weil hier der für jeweils angesetzte Aktivsätze erforderliche Agens kaum erschließbar ist:
Außer in Aufforderungssätzen kann die blockierte Explizierung des humanen Agens im unpersönlichen Passiv für Zwecke der ausdruckskräftigen Stilisierung der Anonymität genutzt werden, wovon in Rilkes ‘Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge’ (Leipzig 1982, 8) in der Schilderung des enthumanisierten Sterbens auf meisterhafte Weise Gebrauch gemacht wird: (29) Dieses ausgezeichnete Hotel ist sehr alt, schon zu König Clodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Natürlich fabrikmäßig. Es wird meist angenommen, das Vorgangspassiv werde als Transform „aus den zugrundeliegenden Aktivkonstruktionen abgeleitet“ (Helbig 1972, 12). Dass Aktiv- und Passivsätze parallel gebildet werden können, leuchtet ein. Grundsätzlich ist allerdings davon auszugehen, dass sie unabhängig voneinander generiert werden. Ein passivfähiges Verb bildet zwar in der Regel auch das Aktiv, aber die beiden Genera verbi können nicht direkt aufeinander bezogen werden: „Die Annahme, daß Aktiv- und Passivsätze nur zwei Oberflächenvarianten einer identischen Tiefenstruktur darstellen, wurde vielfach kritisiert und führt vor allem bei Sätzen mit quantifizierenden Elementen zu Schwierigkeiten“ (Hentschel/Weydt 1990, 123). Als Beispiele werden hier genannt: (30) a. Jeder Anwesende beherrschte zwei Sprachen. b. Zwei Sprachen wurden von jedem Anwesenden beherrscht. Im Kommentar dazu heißt es: „Während es sich in (a) um zahlreiche verschiedene Sprachen handeln kann, so daß möglicherweise jeder Anwesende zwei andere Sprachen beherrschte, scheint dies in (b) ausgeschlossen; dafür eröffnet (b) die Möglichkeit, daß die Anwesenden auch drei und mehr Sprachen beherrschten, von denen zwei allen gemeinsam zugänglich waren“ (ebenda). Eroms (1981, 134) machte darauf aufmerksam, dass manche passivfähige Verben
(31) Er wurde in Lissabon akkreditiert.
(32) Er wurde noch im Kindesalter gelähmt. (33) Die Tötung auf Verlangen wurde damals gesetzlich verboten. (34) Im Jahre darauf wurde den jungen Pfarrersleuten zu Röcken ein Knabe geboren. (35) Und ständig werden irgendwo im Weltraum neue Sterne geboren. (36) Bei einem Verkehrsunfall […] sind zwei Menschen getötet worden. (37) Bei diesem Flugzeugunglück wurden 22 Menschen getötet. Wenn (32) ⫺ mündlich von deutschen Probanden verifiziert ⫺ ein korrekter Passivsatz ist, hat er tatsächlich kein aktivisches Pendant, obwohl das Verb lähmen sonst auch Aktivsätze vom Typ (32a) bilden kann: (32) a. Das Gift lähmt die Muskeln/den Atem. Der Satz (33) ⫺ Engel/Schumacher (1976, 91) entnommen ⫺ hat zwar sein aktivisches Pendant in (33a): (33) a. Das Gesetz verbot damals die Tötung auf Verlangen. Dies trifft allerdings nicht umgekehrt zu: Die attribuierte Variante von (33a), wie sie in (33b) vorliegt: (33) b. Das Gesetz vom 10. Mai vorigen Jahres verbot damals die Tötung auf Verlangen. wäre in (33) nicht nachzuholen. Im Satz (34) ⫺ aus einer Biographie F. Nietzsches exzerpiert ⫺ ist der Agens aufgrund der „Sachsteuerung“ zwar bekannt, aber dessen unerlässliche Explizierung im Aktiv würde nicht nur trivial anmuten: (34) a. *Im Jahr darauf gebar die Pfarrersfrau sich selbst und dem Pfarrergemahl [⫽ den jungen Pfarrersleuten zu Röcken] einen Knaben.
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In (35) dagegen ⫺ einem Kinderbuch entnommen ⫺ bleibt der Agens ein Rätsel. Der Passivsatz scheint hier gerade dazu angetan zu sein, das Wissensdefizit bezüglich des Agens zu kaschieren. Schließlich bieten auch die Sätze (36) und (37) ⫺ in Zeitungsmeldungen gefunden ⫺ keine Möglichkeit, den Agens genau zu extrapolieren. Der Verkehrsunfall bzw. das Flugzeugunglück sind Umstände, die auf keinen direkten Täter hinweisen: (36) a. *Ein Verkehrsunfall hat zwei Menschen getötet. Damit soll allerdings nicht postuliert werden, dass Aktiv- und Passivsätze überhaupt „als auseinander hergeleitet aufzufassen [sind]“, sondern dass „die Konversionsrelation, die zwischen ihnen besteht, eine paradigmatische, nicht eine syntagmatische Regularität [ist]“ (Eroms 2000, 388). Mit anderen Worten: Die beiden Konversen sind nicht auf die jeweils aktualisierten terminalen Ketten, sondern auf die abstrakten grammatischen Strukturen zu beziehen.
3.
gehören-Passiv
Dieses Passiv mit dem auxiliar gebrauchten Verb gehören ist eine Konkurrenzform zum Vorgangspassiv, und kann nach Engel „zu allen Verben gebildet werden, die ein werdenPassiv erlauben“ (Engel 1988, 458), auch wenn es im Unterschied zu diesem viel weniger frequentiert ist: „A limited number of constructions with gehören were found“ (Folsom 1966, 18). Es hat eine „ethische, mindestens appellative Komponente, also ein Merkmal ‘auffordernd’, das sich an einer allgemeingültigen oder als allgemein gültig aufgefaßten Norm orientiert“ (Engel 1988, 458), so dass es durch Aktivsätze mit Modalverben sollen oder müssen wiedergegeben werden kann. Hierzu ein Beispiel aus dem Korpus von Folsom (1966, 18): (38) a. Passiv: […] wie Guido ausgesprochen gehört. b. Aktiv: […] wie man Guido aussprechen soll. Zum Agensanschluss heißt es in Folsom: „No phrases with von or durch occur“ (Folsom 1966, 18). Nach Engel dagegen sei der Agensanschluss möglich, komme aber sehr selten vor ⫺ „immerhin hört man“ (Engel 1988, 458):
(39) Das gehört ihm doch von seinen Eltern gesagt. Solcher Unfug gehört durch die Polizei verboten.
4.
Rezipientenpassiv
Das Rezipientenpassiv hat die Form bekommen ⫹ Partizip II. Als Auxiliarverben kommen auch kriegen und erhalten in Frage. Diese Konstruktion wurde früher gar nicht erst zum Passivparadigma, sondern zu Passivparaphrasen gerechnet (vgl. Helbig 1972, 28). Für deren Aufnahme ins Passivparadigma spricht die nachvollziehbare Regel, die ihr zugrunde liegt. Das bekommen-Passiv dient zur Fokussierung des Adressaten, und kann nach Engel (1988, 457) zu allen Verben gebildet werden, die neben einem Akkusativauch ein Dativobjekt regieren. Es sind dies nicht nur Verben des Besitzwechsels, wie schenken, leihen, sondern auch solche, wie erzählen, zeigen (vgl. das Korpus in Folsom 1966, 19): (40) Er hat die Dokumente gezeigt bekommen. Bisweilen werden selbst zweiwertige Verben mit Dativ passiviert, so umstritten diese Formen auch sein mögen (vgl. Eroms 2000, 419): (41) Er bekommt geholfen. Der fehlende Agens kann in (40) als fakultativer Aktant nachgeholt werden, in (41) sind „zunächst AGENS-Vermeidungen zu konstatieren“ (Eroms 2000, 420): (40) a. Er hat die Dokumente (von seinem Vorgesetzten) gezeigt bekommen. ‘Sein Vorgesetzter hat ihm die Dokumente gezeigt.’ „Das bekommen-Passiv wird vorwiegend in der Alltagssprache gebraucht; im geschriebenen Standarddeutsch kommt es kaum vor“ (Engel 1988, 458; vgl. aber Leirbukt 1997).
5.
Zustandspassiv
Während die bis jetzt behandelten Passivformen prozessualen Charakter hatten, versteht sich das Zustandspassiv als resultativ. Der im Zustandspassiv thematisierte postprozessuale Effekt schlägt sich auch im „Zeitsprung“ (Eroms 2000, 401) zwischen dem Aktiv bzw. Vorgangs- und Zustandspassiv, d. h. in der Nachzeitigkeit des Letzteren, nieder (Jemand
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71. Diathesen und Konversen
hat den Plan gebilligt. / Der Plan ist gebilligt worden. J Der Plan ist gebilligt.). Wo der „Zeitsprung“ fehlt: (42) Die Straßen sind beleuchtet. J Die Straßen werden beleuchtet. J *Die Straßen sind (zuvor) beleuchtet worden. ist die Konstruktion sein ⫹ Partizip II keine stative Konkurrenzform mehr zum Vorgangspassiv, sondern fällt mit ihm funktional als [⫹ durativ]-markiert weitgehend zusammen (Die Straßen werden/sind ständig beleuchtet.) und unterliegt oft weiteren Restriktionen, wie z. B. metaphorischer Gebrauch (vgl. Eroms 2000, 404): (43) Er wird/ist vom Unglück verfolgt. Er wird/*ist von der Polizei verfolgt. Dass (42) gar nicht erst zum Passivparadigma gehört, sondern sich als kopulative Prädikation mit einem Verbadjektiv versteht, ist zusätzlich aus der möglichen adjektivischen Negation mit dem Präfix un- ersichtlich: (42) a. Die Straßen sind unbeleuchtet. Bei manchen Forschern bleibt der Konstruktion sein ⫹ Partizip II die Kategorie ‘Passiv’ schlechtweg vorenthalten. So meint Latzel, dass „es im Deutschen drei Genera verbi gibt: Aktiv, Passiv und Stativ“ (Latzel 1982, 3). Unter ‘Passiv’ wird hier nur das Vorgangspassiv verstanden. Auch Leiss schließt das Zustandspassiv aus dem Passivparadigma aus: „Trotzdem habe ich das ‘Zustandspassiv’ als Resultativum und nicht als Passiv eingeordnet“ (Leiss 1992, 174). Abraham geht noch einen Schritt weiter und meint, „daß es sich beim ‘Zustandspassiv’ gar nicht um ein Passiv handelt, sondern […] um ein Verbadjektiv“ (Abraham 1995, 124). Dem schließt sich auch Rapp an, indem sie das Zustandspassiv „durchweg als Kopula ⫹ AdjektivKonstruktion“ (Rapp 1996, 231) analysiert. Die in den zwei letzten Zitaten vorgeschlagene Lösung, das Zustandspassiv generell als Kopula ⫹ Verbadjektiv zu analysieren, muss zurückgewiesen werden, weil sie nur den Beispielen (aus Duden-Universalwörterbuch) unter (44) Rechnung trägt: (44) a. b. c. d. e.
Er ist querschnittgelähmt. Sie ist ungeschminkt. Die Zeitschriften sind ungebunden. Ist der aber ungehobelt. Wie kann er so ungeschliffen sein!
(44a) ist kein (Zustands)passiv, weil querschnittgelähmt kein Partizip, sondern ein (Verb)adjektiv ist; es gibt kein Verb *querschnittlähmen, und so wird querschnittgelähmt auch lexikographisch folgerichtig als Adjektiv erfasst (vgl. Duden-Universalwörterbuch). Ähnlich verhält es sich mit den anderen Belegen. Auch hier liegen (Verb)adjektive vor, weil ⫺ wie bereits zu (42a) vermerkt ⫺ nur Adjektive, nicht aber Elemente des Verbalkomplexes, mit dem Präfix un- negiert werden können (dazu Borsley 1997, 244 f., Anm. 15). Da (44b) und (44c) im Unterschied zu (44d) und (44e) auch mit der Partikel nicht negiert werden können, sind sie ambig ⫺ deren affirmative Varianten müssen kontextspezifisch als stative Konkurrenzformen des Vorgangspassivs bzw. als kopulative Prädikationen mit einem Verbadjektiv disambiguiert werden. Helbig legt nahe, dass Zustands- und Vorgangspassiv eng zusammenhängen, indem er darauf hinweist, dass „ein Zustandspassiv nur gebildet werden kann von Verben, die eines Vorgangspassivs mit werden fähig sind“ (Helbig 1968, 142). Folgerichtig heißt es dann in Helbig/Buscha: „Das Zustandspassiv wird nicht direkt vom Aktiv, sondern über das Vorgangspassiv abgeleitet“ (Helbig/Buscha 1993, 175). Es gibt allerdings Verben, die ein Vorgangspassiv bilden und ein zu erwartendes Zustandspassiv blockieren (vgl. Brinker 1971, 104): (45) *Ich bin geduzt. *Der Topf ist benötigt. *Er ist belauscht. Dies legt nahe, „außer dem syntaktischen Merkmal der Transitivität noch ein zweites (semantisches) Merkmal als Bedingung für das Zustandspassiv zu suchen“ (Helbig 1968, 143). Die meisten Verben, die das Zustandspassiv bilden, sind Perfektiva, aber auch dieser Hinweis hilft nicht weiter, weil „auch zahlreiche als durativ anzusprechende Verben durchaus mit einem Zustandpassiv vorkommen“ (Helbig 1968, 144). Als Beispiele können genannt werden: (46) Der Brief ist geschrieben. Die Straße ist gepflastert. Für Brinker sind semantische Kriterien, wie die Aktionsart (perfektiv/ imperfektiv) zu subjektiv. Er geht von einer Akzeptabilitätsgraduierung aus, so dass „beim sein-Passiv die Grenze zwischen Möglichem und NichtMöglichem nicht immer klar festzulegen sei;
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
die Reaktion der Informanten hinge vielfach auch ganz entscheidend davon ab, ob ihnen das sein-Passiv isoliert oder in einen bestimmten Kontext eingebaut vorgelegt werde“ (Brinker 1971, 105). Folglich stelle man „ein Zögern fest bei: Der Satz ist geäußert, nicht aber bei: Der Satz kann, da er nun einmal geäußert ist, nicht wieder zurückgenommen werden“ (ebenda). Brinker (1971) stellt auch die von Helbig (1968) postulierte enge Wechselbeziehung zwischen dem Vorgangs- und Zustandspassiv in Frage. Demzufolge sei das Vorhandensein des Vorgangspassivs keine notwendige Voraussetzung für das Zustandspassiv. In seinen Listen der zustandspassivfähigen Verben sind allerdings Verben ohne Pluszeichen, d. h. solche ohne Vorgangspassiv, ziemlich selten, was durch die Anm. 174 noch weiter relativiert wird: „Es ist damit […] keinesfalls gesagt, daß von den Verben ohne Pluszeichen kein werden-Passiv möglich sei. Bei einer Erweiterung des Materials könnte auch von diesen Verben […] ein werden-Passiv belegt werden“. Immerhin betrachtet er Reflexivverben sowie enthalten, die nach ihm das Zustandspassiv bilden, als ausgesprochen nicht vorgangspassivfähig. Das Verb enthalten bildet tatsächlich kein Vorgangspassiv. Wenn man aber von der bereits erwähnten Grundbestimmung des Passivs als „gesetzmäßiger Reduktion der Valenz des Verbs“ (Helbig 1972, 13) ausgeht, kann man nicht übersehen, dass bei enthalten kein Zustandspassiv anzusetzen ist, denn wie das Beispiel (47) zeigt: (47) Das Wasser ist in der Flasche enthalten. ‘Die Flasche enthält Wasser’. haben wir es hier mit derselben Zahl der Valenzstellen zu tun wie in der Basisstruktur. Es liegt hier zwar eine Konverse zum Aktiv vor, aber sie ist nicht grammatischer, sondern vielmehr lexikalischer Art, was aus der Redundanz des Partizips enthalten hervorgeht: (47) a. Das Wasser ist in der Flasche (enthalten). Die mit (46) exemplifizierte sog. „allgemeine Zustandsform“ (Helbig/Buscha 1993, 179) kommt bei anderen Verben auch in neutralisierter Form vor, wo sein und werden frei kommutieren können, wobei werden temporalen Restriktionen unterliegt (vgl. auch Eroms 2000, 404): (48) Die Stadt ist/wird von vielen Bergen umgeben.
Die Stadt war/*wurde von vielen Bergen umgeben. (49) Afrika und Europa sind/werden durch das Mittelmeer getrennt. Afrika und Europa waren/*wurden durch das Mittelmeer getrennt. Was die Reflexivverben anbetrifft, so kann hier mit Recht ein Zustandspassiv, auch Zustandsreflexiv genannt, angesetzt werden, das im Vergleich zum Aktiv eine reduzierte Aktantenzahl aufweist, und ⫺ wie aus (27) ersichtlich ⫺ auch mit dem (unpersönlichen) Vorgangspassiv konkurriert. Die Valenzreduktion leuchtet zunächst bei unechten Reflexiva (mit kommutierendem Reflexivpronomen) ein: (50) Er ist rasiert. J Er hat sich (zuvor) rasiert. J Jemand hat ihn (zuvor) rasiert. Bei echten Reflexiva wird das reduzierte Reflexivpronomen valenzgrammatisch nicht als Aktant angesehen (vgl. z. B. sich erholen in Engel/Schumacher 1976, 169), aber es ist doch auch mit dem Agens identisch. Wenn das Reflexivpronomen nicht agensidentisch ist, kommt das Zustandspassiv (⫽ Zustandsreflexiv) nicht zustande ⫺ vgl. hierzu (51) vs. (52): (51) Er ist erholt. J Er hat sich (zuvor) erholt. (52) *Er ist übergeben. J Er hat sich (zuvor) übergeben. Sowohl (50) als auch (51) dokumentieren den erforderlichen „Zeitsprung“ zwischen dem Zustandsreflexiv und der jeweiligen Basisstruktur. Wo er ausbleibt, kommt ein Zustandsreflexiv nicht zustande: (53) Er hat sich (zuvor) geschämt. J *Er ist geschämt. Das Zustandsreflexiv als Konverse zu reflexiven Prädikationen konkurriert mit adjektivischen Prädikativstrukturen. Die Letzteren kommen an Stelle der Reflexivformen mit einem obligatorischen Adjektiv: (54) Ich habe mich satt gegessen. J *Ich bin satt gegessen. J Ich bin satt vom Essen. (55) Ich habe mich müde gelaufen. J *Ich bin müde gelaufen. J Ich bin müde vom Laufen.
71. Diathesen und Konversen
Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass das Passiv, darunter auch das Zustandspassiv, für den fakultativen bzw. obligatorischen Abbau der Valenzstellen charakteristisch ist. Wo das nicht der Fall ist, liegt auch kein Passiv vor. Man kann also festhalten, dass das Zustandspassiv ⫺ darunter auch das Zustandsreflexiv ⫺ im Vergleich zum Vorgangspassiv das merkmalhafte Glied der Passivopposition ausmacht. Beide Passivformen sind für Herabstufung des Agens charakteristisch, die im Zustandspassiv häufiger dessen vollständige Reduktion bedeutet. Während nämlich im Vorgangspassiv ⫺ vom eingliedrigen Passiv einmal abgesehen ⫺ der Anschluss des defokussierten Agens im allgemeinen möglich ist, ist er im Zustandspassiv restringierter, was die nachstehenden Beispiele zeigen (nach Helbig 1968, 145): (56) a. Der Brief ist vernichtet. b. *Der Brief ist von ihm vernichtet. (57) a. Die Thesen sind gebilligt. b. Die Thesen sind von ihm gebilligt. Helbig (1968, 146) führt die grammatische Unkorrektheit von (56b) auf die „zu starke Affiziertheit des Akkusativobjekts“ zurück ⫺ gegenüber der „mittleren Affiziertheit“ in (57). Brinker sieht das Problem zwar ein, er geht allerdings mit dem Agensanschluss im Zustandspassiv viel großzügiger um: „Diese Deutung wird aber dem heutigen Sprachgebrauch nicht mehr gerecht, denn die subjektfähige Präpositionalphrase beim sein-Passiv ist im heutigen Deutsch keinesfalls eine ungewöhnliche Erscheinung“ (Brinker 1971, 75). Das Affiziertheitskriterium wird von ihm jedenfalls als zu subjektiv abgelehnt. Stattdessen wird auf die Korrelation zwischen dem blockierten/nichtblockierten Agensanschluss und den vorhandenen/nichtvorhandenen Reflexivkonstruktionen hingewiesen (Brinker 1971, 76). Man vergleiche jeweils die Beispiele unter (58) und (59): (58) a. Die Tür ist (*von ihm) geöffnet. Die Tür wurde (von ihm) geöffnet. Die Tür hat sich geöffnet. b. Das Kind ist bereits (*von der Mutter) gewaschen. Das Kind wurde (von der Mutter) bereits gewaschen. Das Kind hat sich bereits gewaschen. c. Er ist (*von ihr) verletzt. Er wurde (von ihr) verletzt. Er hat sich verletzt.
971 (59) a. Der Brief ist (von mir) geschrieben. Der Brief wurde (von mir) geschrieben. *Der Brief hat sich geschrieben. b. Das Dokument ist (vom Minister) unterschrieben. Das Dokument wurde (vom Minister) unterschrieben. *Das Dokument hat sich unterschrieben. c. Er ist (von der Familie) stark beansprucht. Er wird (von der Familie) stark beansprucht. *Er beansprucht sich stark. Die jeweils ersten Beispielsätze unter (58) und (59) haben auf Anhieb denselben grammatischen Stellenwert. Sie unterscheiden sich allerdings durch den jeweils blockierten bzw. freigegebenen Agensanschluss. Dies scheint daran zu liegen, dass wir es in (58) mit ambigen Formen zu tun haben, die sowohl auf ein Vorgangspassiv als auch auf Reflexivkonstruktionen zurückgehen, wohingegen in (59) ein ausgesprochenes Zustandspassiv vorliegt, das lediglich auf ein Vorgangspassiv rekurriert. Der fakultative Agensanschluss bzw. sein Fehlen ist somit ein geeigneter Verifizierungstest für die Unterscheidung echter Passivformen und kontextbedingter Konstellationen, die sich ggf. als passivähnliche Konstruktionen aus sein ⫹ prädikatives Verbadjektiv verstehen. Verbadjektive konkurrieren oft mit primären Adjektiven, was hier besonders instruktiv erscheint: (60) Das Fenster ist (*von mir) geöffnet/ offen. Passiv- bzw. passivähnliche Formen ohne Agensanschluss gehen nicht nur auf z. T. rezessive Reflexivkonstruktionen wie (58a) bzw. (61) zurück, sondern auch auf Rezessivformen ohne Reflexivpronomen wie (62) und (63). Die Rezessivformen mit und ohne sich bilden oft mit dem jeweiligen Vorgangspassiv Ursache-Folge-Ketten, auf die Bezug genommen wird: (61) Der Eisenstab wurde (von mir) so lange gebogen, bis er sich gebogen hat. J Der Eisenstab ist (*von mir) gebogen. (62) Der Faden wurde (von mir) so kräftig gerissen, dass er gänzlich riss. J Der Faden ist (*von mir) gerissen.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(63) Die Vase wurde (von mir) so kräftig zerbrochen, dass sie in unzählige Stücke zerbrach. J Die Vase ist (*von mir) zerbrochen.
Askedal, John Ole (1976): Innføring i tysk grammatikk. Oslo [u. a.].
Wo das Zustandspassiv nur auf das Vorgangspassiv rekurriert, ohne dass es den Agensanschluss freigibt, ist der Verdacht begründet, dass das Partizip II einen Hang zum Verbadjektiv hat. Gerade in den Fällen, wo der Agensanschluss unmöglich ist, kommt auch eine adjektivale Negation mit dem Präfix un- in Frage, sie ist aber unterbunden, wo der Agens angeschlossen werden kann:
Brinker, Klaus (1971): Das Passiv im heutigen Deutsch. Form und Funktion (⫽ Heutiges Deutsch, Reihe I, Bd. 2).
(64) Die Thesen sind (von Hans) gebilligt. Die Thesen sind nicht gebilligt. *Die Thesen sind ungebilligt. (65) Die Urkunde ist (vom Minister) unterzeichnet. Die Urkunde ist nicht unterzeichnet. *Die Urkunde ist ununterzeichnet. (66) Die Stadt ist (*vom Feind) zerstört. Die Stadt ist nicht zerstört. Die Stadt ist unzerstört. (67) Die Bücher sind (*vom Bibliothekar) gebunden. Die Bücher sind nicht gebunden. Die Bücher sind ungebunden. Man kann zum Schluss sagen, dass die Diathesen ⫺ und allen voran das Passiv ⫺ zum „Perspektivenwechsel im syntaktischen Bereich“ (Eroms 2000, 393) beitragen. Das Vorgangspassiv ist „geschehensbezogen“ (Engel 1988, 455) und fokussiert in der Regel den Patiens bei Herabstufung bzw. Eliminierung des Agens. Es kann auch als eingliedriges Passiv die Handlung schlechthin fokussieren, was bei Intransitiva erst recht auf Agensabgewandtheit hinausläuft. Das Zustandspassiv ist „geschehensbezogen und abgeschlossen“ (Engel 1988, 456) und ist noch stärker agensabgewandt, was ggf. die Blockierung des Agens zur Folge hat. Eingliedriges Zustandspassiv kommt selten vor ⫺ das Aufhören einer Handlung muss hier durch ein zusätzliches Adverbial wie genug markiert werden (Es ist genug getanzt. (Leirbukt 1983)).
6.
Literatur in Auswahl
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973
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Roman Sadzin´ski, Ło´dz´ (Polen)
72. Koordination in Dependenzgrammatiken 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einleitung Koordination als Erweiterung der Valenz Koordination als Instanziierung von Konjunktoren Prozedurale Theorien der Koordinationssyntax Andere Ansätze Literatur in Auswahl
1. Einleitung Mit Theorien der Koordinationssyntax sollen Antworten im Wesentlichen auf zwei Fragen gegeben werden: Was für eine Struktur haben koordinative Konstrukte? Wie ist Koordination in die Grammatiktheorie einzuordnen? Die ersten modernen Antworten auf die Frage nach der Struktur, zugleich der Spielraum aller folgenden Antworten, wurden von Bloomfield (1933) und von Tesnie`re (1959) gegeben. Bloomfield fasst Koordination als den Fall einer endozentrischen Konstruktion auf und wählt damit als Darstellungssphäre die interne Struktur der Konjunkte (vgl. Bloomfield 1933, 194 ff.). Tesnie`re beschreibt Koordination als eine Rektionsvermehrung
und beschreibt damit die Konjunkte durch ihr Verhalten nach außen (vgl. Tesnie`re 1959, Kap. 134⫺136, s. Art. 14). Obwohl diese Antworten jeweils durch ein konstituenzielles bzw. dependenzielles Herangehen an grammatische Struktur induziert worden sind, sind sie doch nicht direkt abhängig von der Art der zugrunde liegenden Grammatiktheorie. Die Relevanz der Frage nach der Einordnung in eine vorhandene Theorie ist erst im Laufe der immer stärker gewordenen Formalisierung und Strukturierung der Grammatiktheorien zutage getreten. Die zwei prototypischen Antworten auf sie sind: 1. Die Koordinationssyntax ist ein Teil der allgemeinen Syntax. 2. Die Koordinationssyntax steht außerhalb der allgemeinen Syntax und steuert ihre Anwendung. Diese zweite Antwort kann auch als die Auffassung der Koordinationssyntax als ‘Metasyntax’ bezeichnet werden. Die Einordnung der verfügbaren koordinationssyntaktischen Theorien kann nach der Art ihrer Antworten auf diese beiden zentralen Fragen geschehen. Dabei stellt sich heraus, dass die Fragen nicht unabhängig voneinander beantwortet werden können. Eine
974
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Beantwortung der ersten Frage in der Bloomfield-Tradition hat meistens die Eingliederung der Koordinationssyntax in die allgemeine Syntax zur Folge, eine Beantwortung in der Tesnie`re-Tradition dagegen ihre Behandlung als Metasyntax. Da in vielen Fällen jedoch die Einordnung einer Theorie in eine der beiden ‘Traditionen’ nicht im eigentlichen Sinne des Wortes haltbar ist, geschieht die grundlegende Gliederung nach dem theoretischen Status. Der theoretische Status einer Koordinationstheorie ist gewöhnlich nicht zu erkennen, wenn es sich um unproblematische, syntaktisch wenig interessante koordinative Konstrukte wie Paul und Katrin dreht. In der folgenden Darstellung wird deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Analyse von Konstruktionen gelegt, die augenscheinlich aus der koordinationsfreien Syntax herausfallen und oft durch die Ergänzung zuvor regulär getilgter Satzbestandteile erklärt werden. Vor allem in der Behandlung derartiger Konstrukte zeigt sich die Leistungsfähigkeit einer koordinationssyntaktischen Theorie.
(2)
2. Koordination als Erweiterung der Valenz
(3)
Nach der ursprünglich von Kunze (1972) entwickelten, von Hesse/Küstner (1985) im Rahmen der Abhängigkeitsgrammatik (vgl. Kunze 1975) detailliert ausgearbeiteten dependenzsyntaktischen Koordinationstheorie ist (1a) folgendermaßen zu analysieren (die Notation wird im vorliegenden Artikel vereinheitlicht, auf die Wiedergabe der Wortstellungsmarkiertheit der von Kunze und Hesse/Küstner verwendeten dependenziellen Strukturen wird verzichtet): (1)
a. Paul und Katrin lachen. b. lachen NOM Paul
NOM und
Katrin
Werden nun beide Satellitentypen NOM regulär instanziiert, ergibt sich eine Struktur wie (1b). (Die konkrete Bildung koordinativer Strukturen wird bei Kunze (1972) und Hesse/Küstner (1985) anders dargestellt. Kunze verbindet zwei vollständige Satzstrukturen durch Tilgungsregeln miteinander, Hesse/Küstner geben Regeln an, wie Satzstrukturen ohne Tilgungen zu überlagern sind.) Die Gleichartigkeit der Konjunkte, die aber nicht unbedingt formale Gleichheit bedeuten muss, kann in diesem (wie in allen anderen dependenziellen Ansätzen) völlig problemlos über die Satellitentypen in der Valenz eines Wortes erklärt werden. Durch Satellitentypen werden alle Konstrukte gebündelt, die zu einem Paradigma gehören. Wird im Falle der Koordination ein Satellitentyp wie in (2) verdoppelt, können die beiden resultierenden Satellitentypen durch unterschiedliche Phrasentypen instanziiert werden. (3) zeigt ein Beispiel: Erwin glaubt an den Osterhasen und dass der Mond aus Käse ist.
Wird für glauben ein Lexikoneintrag (4)
[glauben/V [NOM] [PRP (an/P | dass/ Sbj)]]
angenommen, führt eine koordinative Verdoppelung nach (2) zu folgender Struktur: (5)
[glauben/V [NOM] [PRP (an/P | dass/ Sbj)] und [PRP (an/P | dass/Sbj)]]
Der erste Präpositivergänzungstyp kann nun durch an den Osterhasen instanziiert werden, der zweite durch dass der Mond aus Käse ist. Das Konzept der Satellitentypen erlaubt also die Handhabung eines im Rahmen anderer Grammatiktheorien häufig problematisierten Phänomens. Allgemein lassen sich koordinative Strukturen nach diesem Ansatz durch eine fakultative lexikalische Redundanzregel erzeugen: (6)
Zur Darstellung des koordinierten Subjekts Paul und Katrin wird nach diesem Ansatz die direkte Rektion sowohl des ersten und des zweiten Konjunkts als auch des Konjunktors durch das Verb angenommen. Koordination lässt sich danach als ein Mittel verstehen, die Valenz von lachen in folgender Weise zu verändern:
[lachen/V [NOM]] J [lachen/V [NOM] und [NOM]]
Koordination als Erweiterung der Valenz [a … [S] … ] J [a … [S] b/Kon [S] … ]
Derartige Strukturen sind allerdings aus mindestens vier Gründen problematisch: 1. Valenztheoretischer Einwand: Die Veränderung der Valenz eines Elements als Darstellungsmittel koordinativer Strukturen missachtet den Endozentrismus der koor-
975
72. Koordination in Dependenzgrammatiken
dinierten Phrasen (Heringer et al. 1980, 143 f.). Die beiden Konjunkte in (1a) Paul und Katrin werden nicht voneinander unabhängig vom Verb regiert, sondern bilden ein Syntagma, auf das durch ein Pronomen als Ganzes Bezug genommen werden kann: Paul und Katrin lachen. Sie amüsieren sich über …
Auch Hudson (1984) hält ein Festhalten an der Baumstruktur nicht für nötig. Im Gegensatz zum vorliegenden Modell arbeiten Kunze (1975) und Hudson (1984) mit wortstellungsmarkierten Strukturen; die Aufgabe der Baumstruktur ist offensichtlich eine notwendige Folge dieser theoretischen Grundsatzentscheidung.
Die Valenz eines Elements, eine empirische Größe, sollte nicht ohne triftige semantisch motivierte Gründe abgeändert werden. Ein solcher triftiger Grund ist etwa die Passivierung. Überdies ist auch der Status (obligatorisch vs. fakultativ) der verdoppelten Satellitentypen nicht vom je anderen unabhängig. Die Verdoppelung eines fakultativen Satellitentyps wie etwa in
3. Darstellung verschiedener Lesarten: Akzeptiert man die Aufgabe der Baumstruktur, ist es, wie Hesse/Küstner (1985) überzeugend gezeigt haben, grundsätzlich möglich, auch komplizierte koordinative Konstrukte darzustellen. Allerdings muss auch dann ein hoher Preis gezahlt werden: Die verschiedenen Lesarten eines Satzes können nicht immer auf verschiedene syntaktische Strukturen abgebildet werden. Bei einer Frage wie
(7)
(8)
[essen/V [NOM] ⫹[AKK]] J [essen/V [NOM] ⫹[AKK] und ⫹[AKK]]
⫺hier gekennzeichnet durch ein vorangestelltes ‘⫹’ ⫺ macht eine zusätzliche Bedingung der ‘korrespondierenden Instanziierung’ erforderlich, will man Konstrukte wie (9)
*Paul isst Obst und.
ausschließen. Insgesamt kann also nicht darauf verzichtet werden, ein koordinatives Konstrukt gegenüber einer umgebenden Struktur als eine endozentrische Konstruktion zu repräsentieren, die sich als Ganzes genauso verhält wie ihre beiden Bestandteile.
(12) Lag das Buch auf oder unter dem Tisch? , die je nach Betonung entweder als Alternativfrage (mögliche Antwort: ja/nein) oder als Entscheidungsfrage (mögliche Antwort: darauf/ darunter) verstanden werden kann, kann beiden Lesarten nur die Struktur (13) zugeordnet werden: (13)
das Buch
2. Darstellung gemeinsamer Elemente: Ein Konstrukt wie (10) kann nicht dargestellt werden, ohne dass von der Baumstruktur (und also auch von der Darstellbarkeit dependenzieller Strukturen durch Listen) abgerückt wird (Schubert 1987, 111): (10) dass Paul viel isst und trinkt Nach Kunze (1972) und Hesse/Küstner (1985) wäre die Struktur dieses Satzes folgendermaßen darzustellen (ähnlich auch Tesnie`re 1959, Kap. 143.7; s. a. Art. 14): (11)
dass
isst
Paul
und
trinkt
viel
lag
auf
oder
unter
dem Tisch
3.
Koordination als Instanziierung von Konjunktoren
Schubert (1987, 114⫺119) bindet in seinem Ansatz den Konjunktor stärker in die dependenzielle Struktur ein. Derartiges wurde schon von Heringer et al. (1980, 144 ff.) diskutiert, jedoch unter Hinweis auf die ihrer Ansicht nach bestehende Fragwürdigkeit des Konzepts Nukleus verworfen. Auch Nikula (1976, 93 ff.) vertritt diesen Ansatz, diskutiert ihn allerdings nicht im Detail. Die Idee zu dieser Auffassung geht wahrscheinlich auf die graphische Darstellung von arithmetischen und logischen Formeln zurück, bei denen die Funktoren und Junktoren in gleicher Weise ihre Argumente ‘regieren’ wie ein Konjunktor seine beiden
976
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Konjunkte (s. z. B. van Dalen 1983, 10). Nach Schuberts Ansatz ist (1a) somit folgendermaßen darzustellen: (1)
lachen NOM und NOM
NOM
Paul
Katrin
ausgeschlossen. Entweder werden im Falle der Fakultativität beide mit dem Konjunktor kombinierbaren Satellitentypen instanziiert oder keiner. 2. Baumgraphische Darstellbarkeit gemeinsamer Satelliten: Nach Schubert (1987, 116 f.) ist das Problem der gemeinsamen Satelliten ein wichtiger Tauglichkeitstest möglicher Koordinationsstrukturen. Bei der Verwendung von Konjunktoren als Rektionsmultiplikatoren ergibt sich eine einfache Lösung: (4)
Die Valenz von lachen bleibt dabei unverändert. Der Konjunktor wird vielmehr als ein Ausdruckselement von NOM interpretiert, das selbst wiederum mit NOM in doppeltem Vorkommen kombinierbar ist: (2)
a. Paul und Katrin aus Bamberg b. (i) und NOM
Paul
Katrin
a. Valenz: [lachen/V [NOM]] b. Erster Schritt der Instanziierung: [lachen/V [NOM und [NOM] [NOM]]]
DIR aus Bamberg
Allgemein kann dieses Verfahren folgendermaßen beschrieben werden (3)
NOM
Koordination als Instanziierung eines Konjunktors a. Jeder Satellitentyp kann unabhängig von seinen Ausdrucksformen durch einen Konjunktor instanziiert werden. b. Die Instanziierung eines Konjunktors b erfüllt folgende Bedingung: [a … [S b/Kon [S] [S]] …], wenn [a … [S] … ]
Durch die Verwendung von Satellitentypen wird die Gleichartigkeit der Konjunkte in gleicher Weise wie im zuvor dargestellten Ansatz gewährleistet. Gegenüber diesem weist Schuberts Ansatz jedoch wichtige Vorteile auf: 1. Endozentrik koordinativer Konstrukte: Die koordinative Struktur bringt zum Ausdruck, dass sowohl beide Konjunkte wie auch die gesamte koordinierte Phrase Instanzen des gleichen Satellitentyps sind. Die Möglichkeit der anaphorischen Bezugnahme auf dieses Konstrukt findet auch in der Struktur ihren Niederschlag: Es ist auf eine Instanz des Typs NOM zu referieren, deren Numerus durch die Semantik des Konjunktors determiniert wird. Wenn nach (3b) die koordinierte Struktur den gleichen Status wie der koordinierte Satellitentyp besitzt, werden inkorrekte Konstrukte wie *Paul isst Obst und auf natürliche Weise
(ii) und NOM
NOM
Paul
Katrin
DIR aus Bamberg
Als ein gemeinsamer Satellit wird also als ein vom Konjunktor regierter Satellit verstanden, der offensichtlich von einem Typ sein muss, der in der Valenz beider koordinierter Elemente enthalten ist. Da in (4b.i) der fakultative Typ DIR nur bei Katrin instanziiert worden ist, muss der Vorgang der Übertragung von Teilen der Valenz auf den Konjunktor fakultativ sein. Gleichzeitig kann der auf den Konjunktor übergegangene Typ nicht mehr bei einem der koordinierten Elemente auftreten: (5)
*[[Paul] und [Katrin aus Bonn]] aus Bamberg
Für (4b.ii) muss also folgender Instanziierungsprozess angenommen werden: (6)
1. [NOM] 2. [NOM und [NOM] [NOM]] 3. [NOM und [NOM Paul [DIR]] [NOM Katrin [DIR]]] 4. [NOM und [NOM Paul] [NOM Katrin] [DIR]]
977
72. Koordination in Dependenzgrammatiken
5. [NOM und [NOM Paul] [NOM Katrin] [DIR aus Bamberg]] Das je einzelne Vorkommen von DIR in der Valenz der koordinierten Eigennamen ((6.3)) wird zu einem gemeinsamen Vorkommen außerhalb der Konjunkte in (6.4). In den Konjunkten verschwinden dabei die ursprünglichen Vorkommen von DIR. Allgemein lässt sich dieser während der Instanziierung stattfindende Vorgang folgendermaßen beschreiben: (7)
Instanziierung gemeinsamer Satelliten in koordinativen Strukturen [S b/Kon [S … [S’] … ] [S … [S’] … ] … ] J [S b/Kon [S … *[S’] …] [S … [S’] …] [S’] …]
Der Stern symbolisiert in (7), dass die nachfolgende Struktur, hier ein Satellit vom Typ S’, im entsprechenden Kontext nicht erscheinen darf. Insgesamt hat Schuberts Vorschlag also viel für sich. Doch auch hier gibt es vier grundsätzliche Einwände: 1. Koordinierbare Strukturen: Ungeklärt ist die Frage, welche von den in der Valenz der koordinierten Elemente enthaltenen Satellitentypen nach (7) in die Valenz des Konjunktors übergehen dürfen. Auf den ersten Blick wird man zu dem Schluss kommen, dass entweder alle Satellitentypen an ihrem angestammten Platz verbleiben oder alle in die Valenz des Konjunktors übergehen. Ersteres führt zur Koordinierung ganzer phrasaler Strukturen, da ja die koordinierten Elemente ihre ursprüngliche Valenz behalten und alle Satellitentypen bei ihnen regulär instanziiert werden müssen, letzteres entspricht der Koordinierung von Einzelelementen, da kein zu instanziierender Satellitentyp mehr in der Valenz der koordinierten Elemente enthalten ist. Ein Beispiel: (8)
a. Koordination von Phrasen: (i) Paul isst Käsekuchen und Katrin trinkt Bier. (ii)
b. Koordination von Einzelelementen: (i) Paul isst und trinkt viel. (ii) und
Paul
trinkt viel
isst
In (8a) wird keiner der identischen Satellitentypen der Valenz der koordinierten Verben isst und trinkt nach (7) zum Konjunktor verschoben. Subjekt und Akkusativ-Komplement werden jeweils als Satelliten der Verben instanziiert, es ergeben sich somit als koordinierte Glieder reguläre Phrasen. In (8b) werden nach der Koordinierung von isst und trinkt die in ihren Valenzen erscheinenden Satellitentypen Subjekt und Akkusativ-Komplement entfernt, um bei einfachem Vorkommen in die Valenz des Konjunktors überzugehen. Die beiden Verben sind somit nicht mehr Nuklei regulärer Phrasen, sondern Einzelelemente. Darüber hinaus ist es z. B. im Falle der Koordinierung von Modalverbkomplexen günstig, eine Mischung beider Grundformen anzunehmen: (9)
a. dass Erwin heute kommen soll und reden will b. dass VRB und
NOM
SIT VRB
Erwin heute VRB
VRB soll will VRB
kommen reden
und
isst
Paul
Während es aber in (9) vorteilhaft ist, NOM und SIT ins Rektionspotential des Konjunktors übergehen zu lassen und zu erlauben, VRB in den einzelnen Konjunkten zu instanziieren, ergibt die analoge Struktur (10b) eine recht fragwürdige Analyse von (a):
trinkt
Käsekuchen
Katrin
Bier
(10) a. Paul leiht mir, aber schenkt dir dieses Buch.
978
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
b.
aber
NOM Paul
VRB VRB leiht
AKK
schenkt dieses Buch
DAT
DAT
mir
dir
Die Struktur (10b) des bei entsprechender Betonung korrekten Satzes (10a) ist fragwürdig, weil die Satelliten der Verben auf unterschiedlichen Strukturebenen erscheinen und dadurch einen unterschiedlichen syntaktischen Rang einnehmen. Dies ist empirisch nicht haltbar. Wo ist also die Grenze anzusetzen? Sollen die ‘verschiebbaren’ Satellitentypen explizit von den ‘nicht-verschiebbaren’ unterschieden werden? Können nur Phrasen und Einzelelemente koordiniert werden, nicht aber wie in (10b) ‘dazwischen’ liegende Strukturen? 2. Intuitive Plausibilität der koordinativen Strukturen: Auch in einer Struktur wie (8b.ii) werden die eigentlichen dependenziellen Verhältnisse verschleiert. Die Rektion des Konjunktors über die Nominativ- und die Akkusativergänzung kann zwar als formale Darstellungsmöglichkeit gewertet werden, sie entspricht aber nicht der Intuition. Danach müssten nämlich beide Ergänzungen von dem gesamten Konstrukt isst und trinkt regiert werden, als würde die Koordination der Verben zu einem neuen komplexen Verb führen, das Essen und Trinken zusammenfasst: (11)
werden. Einer der Vorteile der Dependenzgrammatik ist es gerade, dass die syntaktische Struktur weitgehend mit einer in einem Prädikatenkalkül dargestellten semantischen Struktur korrespondiert (vgl. z. B. Heringer et al. 1980, 220⫺224; Projektgruppe Verbvalenz 1981). In (8b.ii) allerdings kann von einer solchen Korrespondenz keine Rede mehr sein. 4. Unvollständigkeit: Eine allein auf dem Prinzip der Konjunktorinstanziierung beruhende Koordinationstheorie ist im Gegensatz zu der im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten nicht vollständig. Gapping-Konstruktionen wie in (12) sind nicht darstellbar: (12) a. Paul hat zwei und Katrin drei Stück Torte gegessen. b. Die einen sind gestern zu uns gekommen, die anderen schon vorgestern. Die prinzipielle Unterscheidung von Lesarten in einem Fragesatz wie (13a) ist zwar möglich, die Linearisierung von (13b.ii) jedoch nicht ohne Hinzunahme einer Tilgungskomponente zu erlangen: (13) a. Lag das Buch auf oder unter dem Tisch? b. (i) Entscheidungsfrage: lag
oder
das Buch
und
unter
auf
dem Tisch
(ii) Alternativfrage: oder isst
trinkt
lag
Paul
lag
viel
Eine solche Struktur ist im Schubert’schen Modell, bei dem jeder Knoten durch genau ein Wort besetzt wird, nicht möglich (vgl. Schubert 1987, 129). Neben den syntaktischen Bedenken können auch semantische Bedenken geltend gemacht
das Buch
auf
dem Tisch
das Buch
unter
dem Tisch
979
72. Koordination in Dependenzgrammatiken
4. Prozedurale Theorien der Koordinationssyntax Das Ziel der prozeduralen Koordinationstheorien, die parallel zur Entwicklung im Bereich der Dependenzgrammatik auch in der Generativen Grammatik stattgefunden hat (vgl. Wesche 1995) ist eine einheitliche und möglichst vollständige Behandlung aller Phänomene und die explizite Repräsentation intuitiver Zusammenhänge und Unterschiede. Die von vornherein angestrebte Einheitlichkeit und Allgemeinheit soll verhindern, dass Teilbereiche allein aus theorieimmanenten Gründen ausgegliedert werden. Z. B. wird GappingKonstruktionen in den meisten Koordinationstheorien eine Sonderstellung zugedacht (die einzige Ausnahme ist die Koordinationstheorie von Hesse/Küstner (1985)), was in allen Fällen auf die formalen Schwierigkeiten zurückgeführt werden kann, die zur Erklärung dieses Konstruktionstyps notwendigen Strukturen in das jeweilige Modell zu integrieren. Besonders deutlich wird dies bei Hudson (1988; 1989). Auch in seinem ansonsten sehr ausführlichen Buch lässt Dik (1968) ausgerechnet die Gapping-Konstruktionen unbeachtet. Es gibt keine empirischen Gründe, diese Sonderstellung aufrecht zu erhalten. GappingKonstruktionen müssen deshalb durch eine kohärente Koordinationstheorie ohne formale oder theoretische Erweiterungen abgedeckt werden. Eine dependenzielle Koordinationstheorie muss die Vorteile beider grundsätzlich möglicher Ansätze ⫺ die Vollständigkeit des Valenzerweiterungsansatzes (Abschnitt 2) und die dependenziellen Differenzierungsmöglichkeiten im Konjunktor-Instanziierungsansatz (Abschnitt 3) ⫺ in sich vereinigen, dabei aber auch semantische und syntaktische Lesarten eines Konstrukts voneinander unterscheiden können. Ein wesentliches Merkmal der Dependenzgrammatik besteht darin, dass sie die Trennung von syntaktischer Struktur und Wortstellung erlaubt. Abstrakte Strukturen ⫺ sie können verstanden werden als Dokumentationen von Lexikonaktivationen ⫺ werden durch eine Linearisierungskomponente in konkrete Ketten umgeformt. Dependenzielle Theorien der Koordinationssyntax können von der Zweiteilung Struktur vs. Wortstellung und ihrer inhärenten Prozeduralität Gebrauch machen. Da es so aussieht, dass die strukturale Analyse koordinativer Konstrukte immer Unzulänglichkeiten aufweist und Koordination sich gleichzeitig auf der strukturalen wie auch auf der se-
quenziellen Ebene bewegt, so scheint die Sphäre zwischen Struktur und Oberfläche, die Domäne der Linearisierungskomponente, der geeignete Platz einer Koordinationstheorie zu sein. Die Darstellung der dependenziellen Koordinationstheorien zeigt, dass es offensichtlich prinzipielle Schwierigkeiten gibt, koordinative Konstrukte rein struktural-statisch zu beschreiben. In allen Grammatiktheorien sind prinzipielle formale oder theoretische Erweiterungen vorzunehmen, wenn Phänomene der Koordination erfasst werden sollen. Eine prozedurale Koordinationstheorie auf dependenzieller Basis ergänzt daher die Dependenztheorie um den Versuch einer konsequenten Berücksichtigung ihrer Eigenarten bei der Analyse koordinativer Phänomene. Lobin (1993) geht nicht von Standardbeispielen koordinativer Konstrukte aus, sondern von sehr komplexen, die nach anderen Ansätzen eine Kombination verschiedener Koordinationsmechanismen in sich vereinigen, wie z. B. dem folgenden Satz: (1)
Paul erzählte uns von dem Fest unserer Freunde im letzten Jahr und Katrin von dem im vorletzten.
Im zweiten Konjunkt gibt es zwei Elemente, die zu Elementen des ersten Konjunkts in einem offenkundigen Kontrast stehen: Katrin zu Paul und vorletzten zu letzten. Darüber hinaus kommen die Elemente von, dem und im in beiden Konjunkten vor. Die relevante Information des zweiten Konjunkts enthalten diese Elemente nicht; sie dienen anscheinend dazu, die mit Elementen des ersten Konjunkts tatsächlich in Kontrast stehenden Elemente Katrin und vorletzten in eine äquivalente Struktur einzubinden, denn ohne sie ist der Satz ungrammatisch: (2)
*Paul erzählte uns von dem Fest unserer Freunde im letzten Jahr und Katrin vorletzten.
Da in (1) zum Zeitpunkt des Auftretens des Konjunktors bereits ein vollständiger Satz aufgebaut ist, kann die dependenzielle Struktur dieses Teils angegeben werden (s. S. 980 oben). Lobin verwendet in seiner Variante der Dependenzgrammatik sog. komplexe Elemente, die insbesondere in Nominalphrasen und Verbalkomplexen Anwendung finden. Komplexe Elemente sind Knoten in der dependenziellen Struktur, die ihrerseits intern dependenziell strukturiert sind und auch verschachtelt auftreten können (vgl. Lobin 1993; 1995).
980 (3)
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
a.
(4)
erzählte
Paul
uns
von
erzählte
Katrin
uns
von
dem
dem
Fest
Fest
unserer
in
unserer
in
Freunde
dem
Freunde
dem
Jahr
Jahr
letzten
vorletzten
b. [erzählte [NOM Paul] [DAT uns] [PRP von [DAT [dem [NML Fest]] [POS [unserer [NML Freunde]]] [SIT in [DAT [dem [NML [Jahr [MOD letzten]]]]]]]]]
Die kontrastierenden Elemente Katrin und vorletzten können in diese Struktur anstelle von Paul und letzten eingesetzt werden, ohne dass sich an der Korrektheit der Struktur etwas ändert. Die in Kontrast stehenden Elemente scheinen also die gleiche Funktion in der dependenziellen Struktur übernehmen zu können. Wenn das so ist, müssen die kontrastierenden Elemente Instanzen desselben Satellitentyps sein, Paul und Katrin also Instanzen von NOM, letzten und vorletzten Instanzen von MOD. Die dependenziellen Verhältnisse in (1) können danach am einfachsten beschrieben werden, indem eine Struktur angenommen wird, die an den Stellen, an denen kontrastierende Ele-
mente auftreten, doppelt belegt ist. Für (1) ergibt das folgende Struktur (s. S. 981 oben). Intuitiv ergibt sich (5) aus einer Überdeckung von (3) durch (4), bei der alle strukturell identischen Elemente zu einem verschmolzen, die nicht identischen aber durch spitze Klammerung gebündelt werden. In (5) sind also zwei reguläre dependenzielle Strukturen enthalten, die aus (5) hervorgehen, wenn jeweils allein die ersten Elemente zwischen den spitzen Klammern oder die zweiten dargestellt werden. (3) wird dabei als die erste Projektion von (5) bezeichnet und (4) als die zweite Projektion, (5) selbst als eine koordinierte Struktur. Wie alle nicht-projektiven dependenziellen Strukturen ist auch (5) hinsichtlich der Wortstellung unspezifiziert. Aufgrund der doppelt belegten Teile ist diese koordinierte Struktur allerdings nicht direkt linearisierbar. Da in ihr gleichsam zwei dependenzielle Strukturen enthalten sind, die erste und die zweite Projektion, ist sie auch zweimal zu linearisieren ⫺ das erste Mal erfolgt eine Linearisierung bezüglich der ersten Projektion, das zweite Mal eine Linearisierung bezüglich der zweiten Projektion. Die Linearisierung bezüglich der ersten Projektion ergibt das erste Konjunkt, also
981
72. Koordination in Dependenzgrammatiken
(5)
a.
kommen demnach Prozesse ins Spiel, die bei nicht-koordinierten Strukturen nicht zu beobachten sind. Allerdings können nur Elemente wiederholt und übergangen werden, deren Position nur einfach belegt ist. Ein Element wie *Paul, Katrin+ wird sowohl bei der Linearisierung bezüglich der ersten als auch bei der Linearisierung bezüglich der zweiten Projektion verkettet, da ja gerade dieser Elemente wegen die Koordination vorgenommen wird. Ein Gebilde wie
erzählte
Paul, Katrin
uns
von
dem
Fest
(8)
unserer
in
Freunde
dem
Jahr
letzten, vorletzten
b. [erzählte *[NOM Paul], [NOM Katrin]+ [DAT uns] [PRP von [DAT [dem [NML Fest]] [POS [unserer [NML Freunde]]] [SIT in [DAT [dem [NML [Jahr *[MOD letzten], [MOD vorletzten]+]]]]]]]] (6)
Paul erzählte uns von dem Fest unserer Freunde im letzten Jahr
, die Linearisierung bezüglich der zweiten Projektion das zweite Konjunkt: (7)
Katrin von dem im vorletzten
Während aber im ersten Fall offensichtlich eine reguläre Linearisierung vorliegt, erscheinen nicht alle Elemente, die zur zweiten Projektion von (5) gehören, tatsächlich auch in (7). Nicht mehrfach besetzte Strukturpositionen wie erzählte, uns, Fest, unserer Freunde und Jahr werden bei der Verkettung übersprungen, während andere, von, dem und im, gegenüber (6) unverändert auch in (7) auftreten. Bei der Linearisierung einer koordinierten Struktur bezüglich der zweiten Projektion
*[NOM Paul], [NOM Katrin]+
wird deshalb ein koordiniertes Element genannt, dagegen eines wie in (5) uns ein nichtkoordiniertes oder gemeinsames Element. Handelt es sich bei einem koordinierten Element um den Nukleus oder einen Satelliten der betrachteten Struktur (wie es bei *[NOM Paul], [NOM Katrin]+ der Fall ist), wird auch von einem koordinierten Glied gesprochen. Bei der Linearisierung bezüglich der zweiten Projektion werden also nicht-koordinierte Elemente übergangen oder wiederholt, koordinierte Elemente dagegen regulär verkettet. Wenn koordinative Konstrukte nicht durch bestimmte dependenzielle Strukturen repräsentiert werden sollen, kann der Konjunktor auch nicht dependenziell in eine koordinierte Struktur eingefügt werden. Der Konjunktor determiniert stattdessen das semantische Verhältnis der beiden Projektionen zueinander. Insofern gehört er weder zur einen noch zur anderen Projektion. Der Konjunktor kann daher in einer koordinierten Struktur als Markierung dafür dienen, dass eine doppelt zu linearisierende Struktur vorliegt. Ein zweiteiliger Konjunktor wie entweder-oder teilt mit einem koordinierten Element wie *Paul, Katrin+ die Eigenschaft, zur Hälfte von der Linearisierung der ersten Projektion betroffen zu werden, zur Hälfte von der der zweiten. Auch ein Konjunktor kann deshalb als ein koordiniertes Element dargestellt werden: (9)
*entweder, oder+
Dieses Darstellungsformat ist auch bei der großen Mehrzahl der Konjunktoren, der einteiligen Konjunktoren, zu verwenden. Die erste Projektion eines einteiligen Konjunktors ist dann leer (s. auch Gazdar et al. 1985, 171): (10) a. *Ø, und+ b. *Ø, oder+ usw.
982
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Für (1) ergibt sich damit abschließend die folgende Repräsentation als koordinative Struktur: (11) a. , und erzählte
Paul, Katrin
uns
von
dem
Fest
unserer
in
Freunde
dem
Jahr
letzten, vorletzten
b. [*⵰, und+ erzählte *[NOM Paul], [NOM Katrin]+ [DAT uns] [PRP von [DAT [dem [NML Fest]] [POS [unserer [NML Freunde]]] [SIT in [DAT [dem [NML [Jahr *[MOD letzten], [MOD vorletzten]+]]]]]]]] In der ersten Projektion von (11) ist kein Konjunktorteil enthalten, und erscheint erst in der zweiten Projektion. Was bedeutet nun diese Strukturanalyse in theoretischer Hinsicht, und was vermag sie zu leisten? Die vorgeschlagene Struktur ergibt sich in strenger Fortführung der in Kapitel 2 dargestellten Grundsätze. Eine dependenzielle Struktur repräsentiert vollständig die Abhängigkeitsbeziehungen der Elemente eines Konstrukts unabhängig von ihrer Linearisierung. Eine koordinative Struktur repräsentiert vollständig die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Elementen eines ko-
ordinativen Konstrukts. (11) ist daher die vollständige dependenzielle Repräsentation von (1). Mehr Informationen über die Abhängigkeitsverhältnisse sind aus einem Konstrukt wie (1) nicht zu gewinnen. Der strukturelle Aspekt der Koordination gerät dabei allerdings fast ins Triviale, da die koordinative Struktur relativ wenig über die Gestalt der resultierenden Kette aussagt. Durch koordinative Strukturen hingegen werden also mehrere Stadien eines Prozesses dargestellt. Die beiden Projektionen einer koordinativen Struktur stehen für zeitlich einander folgende Zustände. Die erste Projektion stellt eine Ausgangsstruktur dar (die ihrerseits als dependenzielle Struktur die Dokumentation eines Instanziierungsprozesses ist), die zweite Projektion zeigt die Struktur nach der Neubesetzung von Teilen der urspünglichen Struktur. Koordinative Strukturen und koordinierte Elemente (*…+) sind also nicht als tatsächliche strukturale Entitäten zu verstehen, sondern als Mittel, zwei zeitlich getrennte Zustände gleichzeitig verfügbar zu machen. Koordinierte Elemente sind bei diesem Ansatz deshalb auch keine Objekte, die zur eigentlichen Dependenztheorie gehören. Gleiches gilt für den Konjunktor: Der Konjunktor ist ein Element, durch das angezeigt wird, dass ein Ersetzungsprozess durchgeführt wird und in welchem semantischen Verhältnis die vor und nach der Ersetzung vorliegenden Strukturen zu stehen haben. Folglich kann der Konjunktor als ein Element mit genuin prozeduralem Charakter nicht dependenziell analysiert werden. Die Stellung, die ihm in (11) zugestanden wird, ist deshalb auch nicht dependenziell zu interpretieren, sondern ist eine Koordinationsmarkierung ohne dependenztheoretische Bedeutung. Erst auf der Ebene der positionierten Struktur, wo dependenzielle Verhältnisse nur eine untergeordnete Rolle spielen, wird der Konjunktor wie ein reguläres Element behandelt. Die Theorie der prozeduralen Koordinationssyntax stimmt insofern mit Hudsons (1984; 1988) Theorie überein, die auf der Annahme beruht, dass Koordination kein dependenzielles Phänomen ist (vgl. Hudson 1984, 211). Koordination ist danach also ein Mittel, eine bereits „verwendete“ dependenzielle Struktur ein zweites Mal zu „verwenden“, nachdem Änderungen an ihr vorgenommen worden sind. So wird z. B. die dependenzielle Struktur (3) zunächst regulär linearisiert. Dann werden die in (3) vorkommenden Teilstrukturen [NOM Paul] und [MOD letzten]
983
72. Koordination in Dependenzgrammatiken
durch [NOM Katrin] bzw. [MOD vorletzten] ersetzt. Die auf diese Weise erzeugte Variante von (3), (4), wird nun erneut linearisiert, diesmal jedoch unter Verwendung einiger Sonderbestimmungen, nach denen auf die Verkettung von Elementen verzichtet werden kann, wenn auch ohne sie klar wird, welche Teile der Struktur neu besetzt worden sind. Soll nun dieser im Wesentlichen aus drei Teilen ⫺ erste Linearisierung, Ersetzung, zweite Linearisierung ⫺ bestehende Prozess grammatisch beschrieben und präzisiert werden, muss in der dependenziellen Struktur dargestellt werden können, welche Teile ersetzt werden und welche Teile nach der Ersetzung hinzugekommen sind. Die betreffenden Strukturpositionen werden deshalb simultan mit zwei Teilstrukturen besetzt, mit den Mitteln der dargestellten Notation ‘*[NOM Paul], [NOM Katrin]+’. Das zeitliche Nacheinander wird damit zu einem strukturellen Nebeneinander. Nur eine Dependenzgrammatik erlaubt auf eine natürliche Weise die vollständige Trennung von syntaktischer (⫽ dependenzieller) Struktur und Aspekten der Linearisierung. Bei der hier vorgeschlagenen prozeduralen Koordinationstheorie werden auf struktureller Ebene nur die dependenziellen Rahmenbedingungen definiert, denen ein koordinatives Konstrukt unterliegt. Die prozedurale Komponente spezifiziert allein die Linearisierung, wobei auf Probleme der dependenziellen Struktur keine Rücksicht mehr zu nehmen ist. Diese Arbeitsteilung ist in der Lage, als ein einheitlicher Rahmen für die Behandlung aller koordinativen Phänomene zu dienen (vgl. dazu die ausführliche Diskussion in Lobin 1993). Der Unterschied zwischen syntaktischer und semantischer Koordination, der sich in den beiden Lesarten von (12) Lag das Buch auf oder unter dem Tisch? manifestiert, kann beispielsweise in folgender Weise durch mehrfach belegte Strukturen ausgedrückt werden: (13) a. Lesart 1: Alternativfrage [*⵰, oder+ lag [NOM das Buch] [SIT *auf, unter+ [DAT dem Tisch]]] b. Lesart 2: Entscheidungsfrage [lag [NOM das Buch] [SIT [*⵰, oder+ *auf, unter+] [DAT dem Tisch]]]
Prozedural interpretierte koordinative Strukturen bieten also die Möglichkeit, die verschiedenen Lesarten eines Konstrukts voneinander zu trennen, ohne auf einen einheitlichen Formalismus verzichten zu müssen. Natürlich sind die den beiden Konjunkten zugrundeliegenden Strukturen (⫽ Projektionen einer koordinativen Struktur) nicht in jedem Fall so weitgehend übereinstimmend, wie es in den bisherigen Beispielen der Fall war. Eine ganz andere Situation liegt z. B. in (14) Der Jäger ging in den Wald und schoss einen Hasen. vor; in den Wald und einen Hasen können keine koordinierten Glieder sein, da sie nicht Instanzen desselben Satellitentyps sind. Die erste Projektion der gesuchten koordinativen Struktur enthält also eine Direktiv-, aber keine Akkusativergänzung, die zweite Projektion eine Akkusativ-, aber keine Direktivergänzung. Das Subjekt der Jäger ist beiden Projektionen gemein. Es liegen also folgende Strukturen vor: (15) a. Erste Projektion: ging NOM
DIR in den Wald
der Jäger
b. Zweite Projektion: schoss NOM
AKK einen Hasen
der Jäger
Eine koordinative Struktur, die sowohl (15a) als auch (b) als Projektion enthalten soll, muss dazu die Akkusativergänzung in der ersten Projektion und die Direktivergänzung in der zweiten ‘unsichtbar’ werden lassen. Dies geschieht genau wie bei den Konjunktoren durch Koordinierung mit leeren Elementen: (16) a. , und NOM der Jäger
ging, schoss DIR
in den Wald,
AKK , einen Hasen
984
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
b. [*⵰, und+] *ging,schoss+ [NOM der Jäger] *[DIR in den Wald], ⵰+ *⵰, [AKK einen Hasen]+] Die beiden Satelliten sind Teile von koordinierten Elementen, deren jeweils andere Seite leer ist. (16) erlaubt eine Darstellung von (14) ohne Zuhilfenahme von Tilgungen. Das Subjekt [NOM der Jäger] ist das einzige Glied der koordinativen Struktur, das in beiden Projektionen enthalten ist. Dass es tatsächlich auch zur zweiten Projektion gehört, zeigt die Tatsache, dass andere Linearisierungswei-
den Aufgabe ist für beide Projektionen auch der Verkettungsbereich zu ermitteln. (19) zeigt ein entsprechendes Beispiel (vgl. Hesse/Küstner 1985): (19) a. Die erste Gruppe hat die Fenster an den ganz vorne stehenden Gebäuden gestrichen und die zweite die Türen. b. Die erste Gruppe hat die Fenster und die zweite die Türen an den ganz vorne stehenden Gebäuden gestrichen. Nach den oben ermittelten Grundsätzen erhält man für (19a) folgende koordinative Struktur:
(20) [*⵰, und+ [hat [VRB gestrichen]] [NOM [die [NML [Gruppe *[MOD erste], [MOD zweite]+]]]] *[AKK die Fenster], [AKK die Türen]+ [SIT1 an [DAT den ganz vorne stehenden Gebäuden]]] sen von (16) das Subjekt in anaphorisierter Form auch im zweiten Konjunkt erscheinen lassen: (17) a. Der Jäger ging in den Wald und einen Hasen schoss er. b. Ging der Jäger in den Wald und schoss er einen Hasen? c. (dass) in den Wald der Jäger ging und er einen Hasen schoss Die Sätze zeigen, dass neben dem Übergehen und Wiederholen von nicht-koordinierten Elementen im zweiten Konjunkt auch die Pronominalisierung oder, allgemeiner, die Anaphorisierung in die Betrachtung einbezogen werden muss. Wenn ein Element nicht übergangen werden kann, kann es offensichtlich anaphorisiert werden, so z. B. obligatorisch in (17a), wie der Vergleich mit (18) zeigt: (18) *Der Jäger ging in den Wald und einen Hasen schoss. Die Linearisierungskomponente trägt also das Hauptgewicht bei der Synthese korrekter koordinativer Konstrukte. Die Linearisierung zergliedert sich in die Teilprozesse der Positionierung der Elemente einer dependenziellen Struktur und deren Verkettung. Während aber die Verkettung im nicht-koordinierten Fall, sieht man von Fragen der phonologischen Struktur einmal ab, trivial ist, erhält sie bei koordinativen Strukturen die wichtige Aufgabe, bei nicht-koordinierten Elementen zu entscheiden, ob sie übergangen, anaphorisiert oder wiederholt werden können oder müssen. Neben dieser nur die Verkettung der zweiten Projektion betreffen-
Die Linearisierung der ersten Projektion von (19) ergibt das erste Konjunkt von (19a). Bei der Linearisierung der zweiten Projektion können der Verbalkomplex und die ganze Situativangabe übergangen werden, das Subjekt ([NOM …]) wird als die zweite, die Akkusativergänzung als die Türen verkettet. (19a) und (b) sind hinsichtlich der in Kontrast stehenden Elemente völlig identisch. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass die nicht-koordinierten Elemente anders auf die beiden Konjunkte verteilt sind. In (a) erscheinen an den ganz vorne stehenden Gebäuden und gestrichen im ersten Konjunkt, in (b) im zweiten. Trotzdem lässt sich daraus kein Grund ableiten, für (b) eine andere dependenzielle Struktur anzunehmen als (20). (19a) und (b) sind also dependenziell identisch. Der Grund für den Unterschied zwischen ihnen kann dann nur innerhalb der Linearisierungskomponente zu finden sein. Hier kann wiederum die Positionierungskomponente ausgeschlossen werden, denn die Abfolge der Glieder in den jeweiligen Konjunkten ist gleich. Die Ursache des Unterschieds in (19) muss also in zwei verschiedenen Verkettungsweisen gesucht werden. In (a) wird die gesamte erste Projektion verkettet und ergibt dabei einen Satz, der auch unabhängig vom zweiten Konjunkt korrekt wäre. In (b) reicht das erste Konjunkt nur bis zum zweiten koordinierten Element, die Türen, dann beginnt schon das zweite Konjunkt. Die Verkettung wird also abgebrochen, nachdem das letzte koordinierte Element verkettet worden ist, um sofort mit der Verkettung der zweiten Projektion fortfahren zu
985
72. Koordination in Dependenzgrammatiken
können. Die Teile der ersten Projektion, die wegen des Abbruchs nicht von der Verkettung betroffen werden ⫺ die nicht-koordinierten Glieder: Situativangabe und der infinite Teil des Verbalkomplexes ⫺, werden von der Verkettung der zweiten Projektion (zu der sie ja ebenfalls gehören) betroffen. Die Steuerung des Verkettungsbereichs betrifft also den Punkt, an dem die Verkettung der ersten Projektion abgebrochen werden kann. Wie (19) zeigt, gibt es bei der Linearisierung mancher koordinativer Strukturen mehrere solcher Punkte. Dem vorgezogenen Verkettungsende der ersten Projektion entspricht ein verzögerter Verkettungsbeginn der zweiten Projektion. Einen mit diesem Ansatz sehr eng verwandten verfolgt auch Osborne (2003). Er behandelt die Koordination ebenfalls ausdrücklich auf der prozeduralen Ebene. Im Unterschied zu Lobin (1993) fasst er jedoch die Teilprozesse der Positionierung und der Verkettung zusammen, da er mit projektiven Dependenz-Strukturen arbeitet. Die zueinander in Kontrast stehenden lexikalischen Elemente erscheinen dabei auf unterschiedlichen Ebenen, die gewissermaßen perspektivisch so angeordnet sind, dass auch die koordinativen Strukturen projektiv darstellbar sind:
nerseits die dependenziellen Verhältnisse erhalten, andererseits wird auch die Wortabfolge repräsentiert. Osborne zeigt, wie die Phänomene der Koordination im Deutschen wie auch im Englischen und sogar im Lateinischen mit derartigen projektiven, mehrdimensionalen Strukturen erklärt werden können. Die Verwendung projektiver dependenzieller Strukturen rückt diesen Ansatz in die Nähe von Hesse/Küstner (1985), wobei Osborne als eine wesentliches neues Element die dritte Dimension ins Spiel bringt. Auch die von Heringer (1996) beschriebene sog. String-Koordination kann als eine prozedurale Koordinationstheorie verstanden werden, da sie auf der Idee der inkrementellen Erstellung einer strukturellen Kopie eines Strings basiert. Die String-Koordination ist eine Weiterentwicklung von Tesnie`res ursprünglicher Idee der Junktion, weshalb sie auch dort genauer beschrieben wird (s. Art. 14, Abschnitt 3).
5.
Andere Ansätze
Außer den in den vorangegangen Abschnitten dargestellten sind auch andere Ansätze zur dependenziellen Koordinationstheorie
(21) a. Franz bestellte zwei und der Kellner brachte vier Eier (Osborne 2003, 109) b. brachte
Kellner
bestellte
Franz
und-der
Eier
vier
zwei
Die gestrichelten Linien kennzeichnen in Osbornes Darstellung den Übergang von einer auf die andere Ebene. Das Konstrukt und der Kellner brachte ist somit auf einer zweiten Ebene angeordnet, zwischen denen der syntaktische Zusammenhang über die Verben hergestellt wird. Gleiches gilt für zwei und vier. In projektiven Darstellungen bleiben ei-
vertreten worden oder werden noch vertreten. Neben der ursprünglichen Analyse von Tesnie`re (1959), die in Artikel 14 ausführlich dargestellt wird, handelt es sich dabei vor allem um die Arbeiten von Engel (1982, 263 f.) und Mel’cˇuk (1988, 26⫺33; Mel’cˇuk/Pertsov 1987; Mel’cˇuk 1979), die sich auf eine andere Art dem Phänomen nähern. Nach diesem An-
986
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
satz verdoppelt der Konjunktor einen Satellitentypen nicht, sondern das zweite Konjunkt wird vielmehr direkt (Engel) oder durch Vermittlung des Konjunktors (Mel’cˇuk) durch das erste regiert. Für einen einfachen Beispielsatz wie Paul und Katrin lachen. ergeben sich folgende Strukturen: (1)
a. Engel (1982):
b. Mel’cuk ˇ (1988):
lachen
lachen
Paul
Paul
Katrin
und
und
Katrin
Schubert (1987, 113) weist darauf hin, dass in einer Struktur wie (1a) gemeinsame Satelliten nicht auf schlüssige Weise eingefügt werden können. Dieser Nachteil hat Mel’cˇuk dazu bewegt, ein ad-hoc-Konzept, die sog. Groupings (Mel’cˇuk 1988, 32 f.), einzuführen. Groupings haben die Aufgabe, das seiner Ansicht nach in koordinativen Strukturen unvermeidliche Maß an konstituenzieller Information bereitzustellen: „A grouping is a complete subtree taken as a whole; groupings must be indicated in D-trees [i. e. dependenzielle Strukturen, H. L.] wherever this is relevant.“ (ebd. 32) In Mel’cˇuks Notation erscheint ein Grouping als eine eckige Klammer, die entweder in eindimensionaler Darstellung über den zusammenzufassenden Elementen steht oder in baumgraphischer Darstellung den entsprechenden Teilbaum seitlich markiert. (2a) wäre danach in Mel’cˇuks Modell vollständig wie in (b) (vgl. Mel’cˇuk/Pertsov 1987, 465 ff.) darzustellen: (8)
a. Paul isst und trinkt. b. isst VRB und [coordin] trinkt NOM Paul
Mel’cˇuk fängt mit dieser Erweiterung die Schwierigkeiten auf, die sein Ansatz mit sich
führt. Ganz abgesehen aber von der Fremdartigkeit und dem ad-hoc-Charakter seiner Groupings im Gesamtkonzept des MeaningText-Modells, fragt sich weiterhin, nach welchen syntaktischen Kriterien sie überhaupt gebildet werden. Das Grouping in (8b) ist ja im Gegensatz zu Mel’cˇuks Aussage, die sich vier Zeilen über dem Gegenbeispiel findet, kein kompletter Teilbaum im graphentheoretischen Sinne; ihm muss also eine irgendwie linguistisch bestimmbare Teilstruktur vorschweben. Hierzu finden sich allerdings keine weiteren Ausführungen. Wie schon der Konjunktor-Instanziierungsansatz, so ist auch dieser Ansatz hinsichtlich der Klasse der Gapping-Konstruktionen unvollständig.
6.
Literatur in Auswahl
Bloomfield, Leonard (1935): Language. London. [Erstveröfftl. New York 1933] Dalen, Dirk van (1983): Logic and Structure. Berlin (korr. 2. Aufl., 1. Aufl. 1980). Dik, Simon C. (1968): Coordination. Its Implications for the Theory of General Linguistics. Amsterdam. Engel, Ulrich (1982): Syntax der deutschen Gegenwartssprache (⫽ Grundlagen der Germanistik 22). Berlin (2. überarb. Aufl.,1. Aufl. 1977). Eroms, Hans-Werner (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin/New York. Gazdar, Gerald/Klein, Ewan/Sag, Ivan A./Pullum, Geoffrey K. (1985): Generalized Phrase Structure Grammar. Oxford. Heringer, Hans Jürgen (1996): Deutsche Syntax dependentiell. Tübingen. Heringer, Hans Jürgen/Strecker, Bruno/Wimmer, Rainer (1980): Syntax. Fragen ⫺ Lösungen ⫺ Alternativen (⫽ Uni-Taschenbücher 251). München. Hesse, Harald/Küstner, Andreas (1985): Syntax der koordinativen Verknüpfung (⫽ studia grammatica 24). Berlin. Hudson, Richard A. (1984): Word Grammar. Oxford. Hudson, Richard A. (1988): Coordination and grammatical relations. In: Lingua 76, 233⫺264. Hudson, Richard A. (1989): Gapping and grammatical relations. In: Journal of Linguistics 25, 57⫺94. Kunze, Jürgen (1972): Die Auslaßbarkeit von Satzteilen bei koordinativen Verbindungen im Deutschen
987
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Henning Lobin, Gießen (Deutschland)
73. Negation in Dependenzgrammatiken 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einleitung Negation (und Frage) bei Tesnie`re Negation bei Heringer Negation bei Engel Dependenzphänomene der Negation Literatur in Auswahl
1.
Einleitung
Die Negation spielt sowohl in theoretischen Werken zur Dependenzgrammatik als auch in ausgearbeiteten grammatischen Beschreibungen auf dependenzieller Grundlage nur eine untergeordnete Rolle. Dies ergibt sich aus der Durchsicht von Gesamtdarstellungen, Übersichtsartikeln (z. B. Happ 1976, Allerton 1994, Heringer 1993a, 1993b, Hudson 1993), Einführungswerken (z. B. Emons 1978, Tarvainen 1981, Welke 1988, Weber 1992) und Spezialuntersuchungen (z. B. Vater 1973, 143 f., Rall/Engel/Rall 1977, passim). Umgekehrt wird in Arbeiten zur Negation kaum auf deren Behandlung in Dependenzgrammatiken eingegangen (z. B. Dahl 1979, Jacobs 1982, Adamzik 1987, Horn 1989, Jung/Küstner 1990, Jacobs 1991, Dahl 1993, Kahrel/van den Berg 1993, Ramat 1994, Ber-
nini/Ramat 1996). Lediglich bei Tesnie`re (s. Abschnitt 2) und in Heringers „Deutscher Syntax dependentiell“ (1996) sowie in Engels „Deutscher Grammatik“ (1991) finden sich dazu eingehendere Ausführungen (s. Abschnitte 3 und 4). Phänomene der Negation, die mit dem Dependenzgedanken in Verbindung zu bringen sind, werden in Abschnitt 5 behandelt.
2.
Negation (und Frage) bei Tesnie`re
Lucien Tesnie`re, einer der Begründer der Dependenzgrammatik, hat sich bereits in seinen frühen Werken mit der Negation beschäftigt (vgl. Baum 1976, 93 f.). Er sieht sie untrennbar mit der Frage verbunden („Inse´parable de l’interrogation“, Baum 1976, 93): Interrogation und Negation verhalten sich strukturell gleich; methodologisch gesehen können durch sie alle elementaren Komponenten eines Satzes aufgedeckt werden, wie Tesnie`re in der „Esquisse“ (1953) und in den „Ele´ments“ (1959/1965/1980) zeigt. Ein Satz wie Alfred chante lasse drei Fragen zu, was bestätige, dass er drei Elemente enthält: 1. Qui chante?,
988
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
2. Que fait Alfred?, 3. Alfred chante-t-il? / Estce qu’Alfred chante? Die Fragen 1 und 2 sind Nukleusfragen, und zwar bezieht sich 2 auf den übergeordneten Nukleus (chante), Frage 1 auf den untergeordneten Nukleus (Alfred). Frage 1 enthält den leeren Nukleus („nucle´us vide“) qui?, der bei der Antwort durch einen vollen Nukleus („nucle´us plein“) ersetzt wird. Ebenso verhält es sich bei Frage 2. Generell gilt, dass ein Satz so viele Nukleusfragen zulässt, wie er Nuklei enthält (Tesnie`re 1953, 6). Frage 3 ist eine Konnexionsfrage: Alfred und die Handlung Singen sind gegeben, „wir wissen aber nicht, ob diese beiden Begriffe zusammengebracht werden dürfen, d. h. ob eine Konnexion zwischen ihnen besteht. Die Frage bezieht sich also auf die Konnexion“ (ebd.). Wenn die Frage mit Ja beantwortet wird, liege eine Konnexion vor, bei der Antwort Nein liege keine Konnexion vor. Was für die Frage gilt, gilt gleichermaßen für die Negation, sei sie nukleus- oder konnexionsbezogen. Die Nukleusnegationen sind in Bezug auf den o. g. Ausgangssatz: Personne ne chante und Alfred ne fait rien. Nukleusnegation erfolgt durch Negationswörter, und zwar für Aktanten („actants“) durch Wörter wie (dt.) niemand, keiner, nichts (Alfred tut nichts), für Angaben („circonstants“) durch Wörter wie nirgends, niemals (Alfred singt niemals) und für Adjektive/Attribute durch Wörter wie kein (kein Mensch singt). Die entsprechenden französischen Sätze in Tesnie`res Stemmadarstellung in der „Esquisse“ (Tesnie`re 1953, 6): chante
personne ne ne fait rien
Alfred
Tesnie`res Darstellung der Konnexionsnegation (Alfred ne chante pas, Alfred singt nicht) (1953, 7): (a)
chante ne
pas
Alfred
In den „Ele´ments“ (1965, 218; 636; 639; 1980, 156) finden sich dagegen folgende Darstellungsweisen:
(b)
ne chante pas
Alfred
(c)
chante
ne pas
Alfred
(d)
chante
Alfred
ne
pas
Nach Baum (1976, 98) versucht Tesnie`re mit den unterschiedlichen Darstellungen, „syntaktisch-strukturelle und satzsemantische Perspektiven auseinanderzuhalten“. Die von Baum (ebd.) rekonstruierten „Satzbilder“ (c) und (d) „stellen die syntaktisch-strukturalen Abhängigkeiten im Falle von Relationsverneinung [Konnexionsnegation] dar. Das ne … pas ist in syntaktisch-struktureller Hinsicht Adverb. Ob es als ein Element oder aber als aus zwei Elementen bestehend aufgefaßt wird, ist im wesentlichen eine Frage der Diachronie.“ Die Satzbilder (a) und (b) „sind, wie die Nukleuskreise andeuten, Versuche, zugleich auch den semantischen Aspekt der Relationsverneinung zu erfassen. Tesnie`re hat hier also syntaktische und semantische Beziehungen im Auge.“ In den „Ele´ments“ finden sich interessante, allerdings auch diskutable Beobachtungen zur Nukleus- und zur Konnexionsnegation (Tesnie`re 1965, 217 f.; 1980, 154 f.). Wie viele andere Negationsforscher auch, vertritt Tesnie`re die Annahme, dass jede Negation auf eine positive Äußerung zurückgehe. „In der Tat wird der verneinte Sachverhalt auf dieselbe Weise ausgedrückt wie der bestätigte Sachverhalt, nur dass der Markant der Negation hinzukommt. Die Untersuchung der Negation besteht deshalb vor allem in der Untersuchung ihres Markanten“ (1980, 154). Tesnie`re übersieht dabei, dass unter bestimmten Bedingungen der Übergang vom positiven Satz zu seinem negativen Gegenstück zusätzlich zur Einführung eines negativen Markanten weitere Änderungen nach sich zieht, z. B. Il est encore la` ⫺ Il n’est plus la` (Er ist noch da ⫺ Er ist nicht mehr da). Bei plus (statt encore im positiven Satz)
989
73. Negation in Dependenzgrammatiken
bzw. mehr (statt noch) handelt es sich um negativpolare Lexikoneinheiten, deren Vorkommen abhängig ist vom Vorhandensein eines negativen Markanten. Auf die dadurch gegebenen Dependenzen gehen wir in Abschnitt 5.2 ein. Als Erstes stellt Tesnie`re die Nukleusnegation dar: „Die Nukleusnegation erstreckt sich nur auf einen Nukleus. Wenn man zum Beispiel auf eine Nukleusfrage, also eine mit leerem Nukleus wie Wer ist gekommen?, nicht mit vollem Nukleus antwortet, wobei der Nukleus mit dem Namen des Gekommenen belegt wird (Alfred ist gekommen), wenn man vielmehr ausdrücken will, daß der erste Aktant weder Alfred noch sonst jemand ist, und folglich den leeren Aktanten mit dem generellen negativen Wort niemand belegt (Niemand ist gekommen) ⫺ dann ist klar, daß es vor allem um einen Nukleus geht, und zwar um den ersten Aktanten“ (Tesnie`re 1965, 217; 1980, 154 f.). Daraus folgt für Tesnie`re, dass es neben den generellen interrogativen Wörtern (wer?, was?, wo?, wann?) generelle negative Wörter gibt. Diese „verkörpern die semantische Nullform des Aktanten oder der Angabe, die normalerweise vom Nukleus belegt werden“. Tesnie`re weiter: „Die generellen negativen Wörter entsprechen grundsätzlich den generellen interrogativen Wörtern. Wir unterscheiden also:
pas bzw. ne und pas als regierte Nuklei (Angaben) erscheinen und an Baums Erklärung. Tesnie`re betrachtet sodann die Stellung des Markanten einer konnexionellen Negation, der „in der gesprochenen Kette in den einzelnen Sprachen vor oder hinter dem Zentralnexus des Stemmas stehen“ kann (1965, 219; 1980, 156). Für die Mehrzahl der herangezogenen (vor allem europäischen) Sprachen gilt, dass der Markant vor dem Zentralnexus („nœud central“) steht (Typ lat. non intelligit). Auf das Deutsche geht Tesnie`re in diesem Zusammenhang nicht ein. Die Verhältnisse sind hier etwas komplexer als in manch anderer Sprache. Je nachdem, ob das Prädikat nur aus dem Hauptverb oder aber aus einer Kombination aus Nebenverb (Hilfs- bzw. Modalverb) ⫹ Hauptverb besteht, steht in Aussagesätzen (finiter Prädikatsteil an zweiter Satzgliedstelle) das Negationswort nach oder vor dem Hauptverb, z. B. (1)
Er singt nicht.
(2)
Er hat nicht gesungen.
(3)
Er kann nicht singen.
Bei Erststellung des finiten Prädikatsteils gilt dies ebenfalls: (4)
Sing nicht!
(5)
Singt er nicht?
Generelle negative Substantive als Aktanten: Personen: niemand Sachen: nichts Generelle negative Substantive als Angaben: Ort: nirgends, nirgendwo Zeit: nie, niemals Art und Weise: keineswegs, in keiner Weise u. a. Generelle negative Adjektive: kein- (Tesnie`re 1965, 218; 1980, 155)
(6)
Hat er nicht gesungen?
(7)
Kann er nicht singen?
Im Unterschied zur Nukleusnegation enthält die konnexionelle Negation „volle Nuklei mit je positiver Bedeutung, deren Konnexion jedoch verneint wird, und zwar mittels eines Markanten, der die Konnexion betrifft und damit zugleich für den ganzen Satz gilt“ (ebd.). Dieser Markant ist ein leeres Wort (nicht, ne … pas). „Er muß im Stemma innerhalb des Nukleus des vollen Wortes (singt [chante]) stehen, das das negierte konnexionelle Konstrukt negiert“ (ebd.). Es folgt das oben unter (b) wiedergegebene Stemma ⫺ es sei erinnert an die beiden anderen Stemmata in den „Ele´ments“, (c) und (d), in denen ne
Im Französischen liegt häufig zweigliedrige Negation vor (meist ne … pas). Im Anschluss an Damourette und Pichon bezeichnet Tesnie`re die beiden Negationselemente als Discordantial („discordantiel“) und Forklusiv („forclusif“). In Engels zusammenfassender Übersetzung: „Es handelt sich bei dem Zweigespann um einen verbabhängigen Index, der als Angabe fungiert: Beide Teile sind aufeinander angewiesen, aber unabhängig voneinander. Das Discordantial [ne] bereitet die Negation nur vor, es hebt die affirmative Vorstellung auf; erst der Forklusiv [meist pas] vollzieht die Negation und nuanciert sie zu-
Bei End-/Letztstellung des finiten Prädikatsteils geht das Negationswort dem Hauptverb voran: (8)
… dass er nicht singt.
(9)
… dass er nicht gesungen hat.
(10) … dass er nicht singen kann.
990
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
gleich“ (1980, 157). Wegen ihrer Zweigliedrigkeit wirke die Negation wie ein abgeschwächter Translativ (1965, 226), vergleichbar mit der Substantivierung eines Infinitivs (z. B. le de´jeuner/das Essen), an der zwei Mittel beteiligt sind ⫺ die Form des Infinitivs und der Artikel ⫺, die beide zusammenwirken müssen, um die Translation zu bewerkstelligen: „Jeder der beiden Translative hat […] nur eingeschränkten translativen Gehalt und bewirkt für sich allein nur eine abgeschwächte Translation; er ist daher auch nur ein abgeschwächter Translativ“ (1965, 393; 1980, 279). An die Stelle des Forklusivs pas, das die affirmative Vorstellung in ihr genaues Gegenteil umkehrt, können andere Wörter treten, die unterschiedliche Varianten der Auflösung der Diskordanz bereitstellen. Die wichtigsten sind die Restriktion, bewirkt durch gue`re (kaum) und die Limitation durch que (nur) (1965, 228). Discordantial und Forklusiv stehen wie gesagt nicht im Verhältnis der Interdependenz zueinander, und zwar in doppelter Hinsicht nicht: „Beide Elemente können auch allein stehen. Dies gilt für das Discordantial vor allem in bestimmten Wendungen, etwa nach Ausdrücken der Furcht: Je crains qu’il ne vienne ‘Ich fürchte, dass er kommt’. Der Forklusiv kommt in Kurzsätzen alleine vor, außerdem in gesprochener Alltagssprache fast allgemein [z. B. J’ sais pas]“ (ebd. ⫺ vgl. dazu Sturm 1981). Tesnie`re verknüpft damit eine diachronische Feststellung: „Ursprünglich diente das Discordantial ne allein zur Verneinung, künftig wird das Forklusiv pas ausreichen; das gegenwärtige Französisch befindet sich in einem Übergangsstadium. Entsprechendes gilt übrigens auch für das Deutsche: im Germanischen wurde durch ni, das gewöhnlich dem Verb voranging, verneint, das Althochdeutsche führt daneben allmählich Komposita wie nieman ‘niemand’, niwiht ‘nichts’ ein, und mit dem Frühneuhochdeutschen erhalten diese Formen die ausschließliche Funktion der Negation“ (1980, 157 f.). Dazwischen liegt im Mittelhochdeutschen die dem Französischen ähnliche zweigliedrige Negation wie etwa bei Walther von der Vogelweide Ich enkan sıˆn anders nicht verstaˆn (‘Ich kann ihn nicht anders verstehen’) mit baldigem Verlust der vorangestellten Negation en- (1965, 231). (Zu diesem unter dem Namen „Jespersens Zyklus“ bekannt gewordenen Phänomen vgl. Lenz 1996 und Donhauser 1996.) Im Französischen geht das Discordantial in der konnexionellen Negation
immer dem Forklusiv voran, in der Nukleusnegation (z. B. Rien ne va plus) kann die Reihenfolge auch umgekehrt werden. In Bezug auf das in der einschlägigen Literatur durchgängig behandelte Phänomen der doppelten Negation kommt Tesnie`re zu einer wichtigen Unterscheidung: der zwischen undurchlässigen („imperme´able“) und durchlässigen („perme´able“) Negationswörtern. Undurchlässigkeit liegt vor, wenn Negationswörter einander ausschließen, „bei gemeinsamem Auftreten also verstärkt positive Äußerungen bewirken“ (z. B. lat. Nemo hoc nunquam dixit ‘Das hat durchaus jemand gesagt’ [1965, 232; 1980, 158], dt. Es ist nicht nichts geschehen ‘Es ist sehr wohl etwas geschehen’). Durchlässigkeit dagegen liegt vor, wenn zu einem undurchlässigen Negationswort ein oder mehrere „Seminegativa“ treten, um die Verneinung zu bewerkstelligen, z. B. Personne n’a jamais rien dit nulle part a` ce sujet ‘Niemand hat je irgendwo etwas hierzu gesagt’ (1965, 235; 1980, 158) oder Nemo hoc unquam dixit bzw. Nunquam hoc ullus dixit ‘Das hat keiner je gesagt/Das hat niemals einer gesagt’ (1965, 236; 1980, 159): „Man vermeidet es also, nunquam und nemo im selben Satz zu verwenden, achtet aber darauf, daß eines von ihnen vorkommt, während das jeweils andere in der durchlässigen Form unquam bzw. ullus erscheint“ (ebd.). Dabei gilt generell, dass das undurchlässige generelle Negationswort in der gesprochenen Kette als Erstes erscheint. Typologisch gesehen kennt das Russische, wie die slawischen Sprachen allgemein, keine undurchlässigen Negationswörter: „In diesen Sprachen sind alle Negationswörter durchlässig. Die in ihnen vorkommenden Negationswörter schließen sich also nicht aus. […] Wenn eines dieser Wörter negativ ist, müssen es alle anderen auch sein, als ob sie die Tendenz hätten, sich hinsichtlich des negativen Wortes dem ersten anzugleichen.“ Als Beispiel nennt Tesnie`re den russischen Satz Nikto nigde nikogda e˙togo ne skazal ‘Niemand hat das je irgendwo gesagt’ (1965, 236; 1980, 159 ⫺ zum negationsabhängigen Genitiv e˙togo statt des Akkusativs e˙to im positiven Satz vgl. Abschnitt 5.3). Im Griechischen verhält es sich ebenso: „Oudeis ouden hypopteuei ‘Niemand argwöhnt etwas’“, allerdings weist die konnexionelle Negation ou(k), me¯ die „auffallende Besonderheit auf, dass sie nach links undurchlässig ist, das heißt: Ihr negativer Wert hebt den eines anderen Negationswortes, das sich in der gesprochenen Kette rechts von ihr befindet, völlig auf“ (1980,
991
73. Negation in Dependenzgrammatiken
160). So bedeutet Oudeis ou nomizei ‘Niemand denkt nicht’, d. h. ‘Jedermann denkt’, umgekehrt aber bedeutet Ouk oudeis nomizei mit rechts stehendem Negationswort oudeis: ‘Niemand denkt’ (1965, 237; 1980, 159 f.). Dies sind interessante Beobachtungen, die jedoch auch unabhängig von einer dependenziellen Fundierung der Grammatik zu machen sind und auch gemacht wurden. In Abhängigkeitsrelationen stehende Phänomene der Negation werden von Tesnie`re nicht erkannt. Hierher gehören unter den Negationswörtern solche, deren Vorkommen von der Anwesenheit (mindestens) eines weiteren Negationswortes abhängt, wie z. B. dt. weder … noch oder frz. ni … ni, die zwar erwähnt werden (1965, 222 f.; 1980, 157), deren dependenzielle Natur aber nicht erkannt wird (s. Abschnitt 5.1). Des Weiteren gehören hierher negativpolare Lexikoneinheiten und grammatische Kategorien (s. Abschnitte 5.2 und 5.3).
3.
Negation bei Heringer
In seiner ‘Deutschen Syntax dependentiell’ (laut Vorwort das Nachfolgewerk der „Deutschen Syntax“ [1970, 1973]) widmet Hans Jürgen Heringer der Negation innerhalb des Kapitels „Der einfache Satz“ im Abschnitt „Rangierteile“ einen eigenen Unterabschnitt (1996, 186⫺192). Bei Rangierteilen handelt es sich um Adverbien und Partikeln, darunter die „herausgehobene“ Partikel nicht. Rangierteile sind nur locker in die syntaktische Struktur eingebaut: „Sie sind in der Regel nicht in Phrasen integriert, und sie sind verhältnismäßig frei beweglich“ (1996, 174). Dies gilt auch für die Negationspartikel nicht. Für Heringer ist die Negation „eine interne Modifikation der Prädikation, eine Art JaNein-Schalter für die Proposition. Es wird also nicht der ganze Satz, sondern nur je eine Proposition negiert. Die Grenze einer Proposition ist eine undurchlässige Barriere, so dass die [Partikel] auch nicht in Klauseln [⫽ Nebensätze] hineinwirken kann oder aus Klauseln heraus“ (1996, 186). Propositionen sind zum einen Teilsätze, zum anderen auch attributive Adjektivphrasen, die eigenständig negiert werden können, z. B. … [nicht benötigte] Exemplare der Arbeit … Heringer beschreibt die Stellungsmöglichkeiten von nicht (unberücksichtigt lässt er die „adverbielle Negation“ mit keinesfalls, keineswegs, mitnichten, nie usw., die „integrierte Negation“ wie
in nichts, kein, niemand und die „kompositionelle Negation“ wie in Nichtbeachtung [1996, 187]). In der „Basisfolge“ eröffnet nicht die „kleine“ Verbphrase, „steht also bei V-Zweit nach kasuellen [Nominalphrasen] und nach [Satzadverbien], die auch außerhalb des Negationsskopus bleiben“: (1)
Ihre Giftigkeit gelangt glücklicherweise nicht zur Kenntnis der Behörde.
(2)
Er besucht seine Mutter selten nicht.
(3)
Der deutsche Arbeiter unterscheidet sich vielleicht nicht vom deutschen Soldaten. (1996, 187)
Die Partikel nicht „kann durch den Satz hindurchwandern in die verschiedenen Nischen“, z. B. (das Kreuz markiert die Stelle, an denen nicht zulässig ist): (4)
x Die Hamburger Prüfer zählten x die Tonnen mit Dioxin x.
Skopus der Negation ist jeweils der ganze Satz. Innerhalb dieses weiten Skopus können aber durch Fokussierung „zusätzliche semantische Ladungen zum Ausdruck kommen“. Beispiel (5) erscheint als normale Satznegation, in Beispiel (6) ist seinen Arbeitern durch Erststellung fokussiert: (5)
Der Personalvorstand redet seinen Arbeitern nicht zu.
(6)
Seinen Arbeitern redet der Personalvorstand nicht zu.
„Entsprechend kann diese [Nominalphrase] oder ein Teil dieser [Nominalphrase] Fokus sein und der negierte Satz kann zusätzlich präsupponieren, dass der Personalvorstand anderen oder anderen Arbeitern zuredet“ (1996, 188 f.). Durch „Mitbewegung von nicht“ werde diese Deutung in Beispiel (7) noch forciert, in Beispiel (8) schließlich „durch Ausformulieren einer Alternative explizit“: (7)
Nicht seinen Arbeitern redet der Personalvorstand zu.
(8)
Nicht seinen Arbeitern redet der Personalvorstand zu, sondern Eltern, Lehrern und Schülern.
Heringer erinnert in diesem Zusammenhang an „eine Analyse-Tradition, die den Satzskopus in solchen Fällen übersieht und von einer Sondernegation oder einer Teilnegation spricht. In Wahrheit wird immer der ganze
992
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Kernsatz, der gesamte Skopus negiert.“ So entspreche Satz (9) auch Satz (7): (9)
Es trifft nicht zu, dass der Personalvorstand seinen Arbeitern zuredet.
Der jeweilige Fokus kann durch Betonung, Stellung oder textuell bestimmt werden. Darüber hinaus gibt es aber „sozusagen routinisierte Fokussierungen auf semantischer Basis“ (1996, 190), beispielsweise bei den Modalverben sollen und müssen. Bei sollen werde nicht eher auf das Hauptverb bezogen, bei müssen eher auf das Modalverb selbst: (10) Du sollst dich nicht verlaufen. (11) Du musst dich nicht verlaufen. Heringer weist auf das Problem der Interpretation von weil-Sätzen hin. Aus Satz (12) und seiner Umformulierung (13) folgt nicht, dass die angesprochene Überlegung nicht realisiert wurde: (12) Die Überlegung wurde nicht realisiert, weil eine derartige Umstellung aus Kostengründen nicht in Frage kam. (13) Es trifft nicht zu, dass die Überlegung realisiert wurde, weil eine derartige Umstellung aus Kostengründen nicht in Frage kam. (1996, 190) „Prinzipiell kann ein Satz der Form ‘S1 weil S2’ falsch sein, wenn S1 nicht gilt oder S2 nicht gilt oder S2 nicht der Grund für S1 ist (und beide gelten). Dies hängt wohl damit zusammen, dass Klauseln [hier der weil-Satz] generell nicht vollständig integriert sein müssen. Darum kann auch der dritte Fall mit fokussiertem weil formuliert werden“: (14) Die Überlegung wurde realisiert, nicht weil eine derartige Umstellung aus Kostengründen nicht in Frage kam. (1996, 191) Es steht übrigens ein (von Heringer übersehenes) Verfahren bereit, das die weil-Fokussierung verdeutlicht bzw. die Zweideutigkeit von Sätzen wie (12) und (13) mit nicht im Obersatz disambiguiert: der Gebrauch von Konjunktiv-II-Formen im Nebensatz: (12) a. Die Überlegung wurde realisiert, nicht weil eine derartige Umstellung aus Kostengründen nicht in Frage gekommen wäre. (13) a. Es trifft nicht zu, dass die Überlegung realisiert wurde, weil eine derartige
Umstellung aus Kostengründen nicht in Frage gekommen wäre. (14) a. Die Überlegung wurde nicht realisiert, weil eine derartige Umstellung aus Kostengründen nicht in Frage gekommen wäre. Diese von mir so genannten „freien Konjunktive“ (Kürschner 1983, 250⫺265, in weil-Sätzen: 264 f.) treten auch in anderen Konstruktionen mit Negationsbeteiligung auf; vgl. Abschnitt 5.3. Heringer fasst seine „minimalistische Lösung“ wie folgt zusammen. Sie geht „von einer Kategorie ohne Subkategorien und einer Basisposition aus. Alles andere muss geregelt werden über den Skopus, über Fokusregeln und Bewegungsregeln“ (1996, 191) ⫺ dies bleibt aber Programm und müsste noch geleistet werden.
4.
Negation bei Engel
In seinen dependenziell ausgerichteten Werken ‘Deutsche Grammatik’ und ‘Syntax der deutschen Gegenwartssprache’ behandelt Engel die Negation im Abschnitt „Ebenenübergreifende Phänomene“ (zusammen mit der „Häufung“, der Apposition und der Kongruenz). Wir stützen uns im Folgenden auf die detaillierte Ausarbeitung in der ‘Deutschen Grammatik’. Unter „Negation“ fasst Engel „alle Funktionen von Ausdrücken zusammen, die dem Ziel dienen, etwas in Abrede zu stellen“ (1991, 779 [2004, 444]). Untertypen des InAbrede-Stellens sind 1. die Zurückweisung, mit der die Angemessenheit oder Berechtigung einer Illokution in Abrede gestellt wird, 2. das Bestreiten (zu unterteilen in a. Widerspruch und b. Verneinen), mit dem der Wahrheitswert einer Proposition in Abrede gestellt wird, 3. das Ausnehmen, das die Existenzialität einer Größe, eines Umstandes oder eines Geschehens in Abrede stellt, und 4. das Absprechen, mit dem das Vorliegen einer Beschaffenheit in Abrede gestellt wird. Engels Beispiele: (1)
Sie könnten uns mal Kaffee machen. ⫺ Ich denke ja gar nicht daran.
(2)
a. Ina liegt im Krankenhaus. ⫺ Nein. b. Ina liegt nicht im Krankenhaus.
(3)
Nicht davon wollte ich sprechen.
(4)
Nichtmitglied.
73. Negation in Dependenzgrammatiken
Zur Zurückweisung können neben formal negativen Sätzen auch positive (z. B. Bin ich Ihr Diener?, Wie komme ich dazu?) verwendet werden. Widerspruch erfolgt durch nein, durch andere negative Ausdrücke (z. B. keinesfalls, überhaupt nicht), durch negative oder positive Sätze oder in bestimmten Fällen durch andere, nichtnegative Ausdrücke (z. B. Lügner!, Angeber!) (1991, 779⫺783 [2004, 444⫺447]). Die wahrscheinlich „häufigste Art der Negation und mit Sicherheit diejenige, die in Grammatiken und Lehrbüchern am ausführlichsten ⫺ und in vielen dieser Werke ausschließlich ⫺ behandelt wird“, ist der Untertyp Verneinung des Typs Bestreiten: „Mit der Verneinung stellt der Sprecher einen Sachverhalt in Abrede und behauptet damit das Gegenteil“ (1991, 785 [2004, 445]). Elemente, die Verneinung bewirken, nennt Engel Satznegatoren. Zusätzlich zu nicht gehören dazu das „Determinativ“ kein-, die Pronomina keiner/ niemand, nichts und die Adverbien nirgends, nie(mals). Ihre Verteilung „unterliegt strengen Regeln. Sie hängen mit dem Vorkommen indefiniter Elemente im Satz zusammen“ (1991, 786). Solche indefiniten Elemente sind 1. Nominalphrasen mit indefinitem Artikel oder Nullartikel (mit Ausnahme der Eigennamen) oder mit indefinitem Determinativ, 2. Indefinitpronomina, 3. unbestimmte Adverbien wie irgendwann, irgendwo u. a. (1991, 786 [2004, 447]). Engel stellt zwei Verneinungsregeln auf, eine für Sätze, die keine indefiniten Elemente enthalten, eine zweite für Sätze mit mindestens einem indefiniten Element. Im ersten Fall wird mit nicht verneint; der Negator nicht „steht gemäß den Grundfolgeregeln immer im Mittelfeld“, z. B. Wir haben den Krieg erlebt ⫺ Wir haben den Krieg nicht erlebt (1991, 786 [2004, 447]). Im zweiten Fall wird verneint, „indem anstelle des ersten indefiniten Elementes die entsprechende negative Form eingesetzt wird“, z. B. Sie hatte sich einen neuen Mantel gekauft ⫺ Sie hatte sich keinen neuen Mantel gekauft; Das Tier braucht etwas zu fressen ⫺ Das Tier braucht nichts zu fressen; Lasst den Wagen irgendwo stehen ⫺ Lasst den Wagen nirgends stehen; Das wird irgendwann passieren ⫺ Das wird nie passieren. Bei mehreren indefiniten Elementen wird nur das erste durch seine negative Entsprechung ersetzt, z. B. Irgendwann wird etwas geschehen ⫺ Nie wird etwas geschehen (1991, 787⫺ 789). Die für die Verneinung zuständigen Negatoren werden auch beim Ausnehmen verwen-
993 det. „Das Ausnehmen besteht darin, dass Größen oder nähere Bestimmungen aus einer Menge möglicher Größen oder näherer Bestimmungen (in Ausnahmefällen auch aus Mengen möglicher Sachverhalte) ausgenommen werden“, z. B. Nicht Oskar, sondern Klaus wollte ich eigentlich sprechen; Nicht morgen, sondern erst übermorgen ist Eröffnung (1991, 789 [2004, 446]). Diese Art der Negation wird häufig als „Sondernegation“ oder „Satzgliednegation“ der „Satznegation“ (Engels „Verneinung“) gegenübergestellt: „Aber beim Ausnehmen (wie beim Absprechen [s. u.]) wird überhaupt nichts verneint, es werden im Grunde nur die denkbaren Möglichkeiten eingeschränkt, der Satz bleibt weiterhin positiv“ (ebd.). Dennoch ist festzuhalten, dass entsprechende Sätze grammatisch gesehen negativ sind, vgl. z. B. Engels Beispielsatz Keinen Pirol haben wir heute Nacht gehört (, sondern …), der sich ebenso wie die Verneinung Wir haben heute Nacht keinen Pirol gehört auf eine Konstruktion der Form Es stimmt nicht/ist nicht der Fall, dass wir heute Nacht einen Pirol gehört haben zurückführen lässt. Die vierte Form der Negation, die Engel postuliert, das Absprechen, besteht darin, dass „einer Größe eine Beschaffenheit oder ein Zustand (ein ‘Sich-Befinden’) abgesprochen wird“ (1991, 792 [2004, 447]). Es ist „vor allem auf der Ebene der Wortbildung wirksam, daneben aber auch im Bereich der Wortgruppen (bei Attributen) und selbst des Satzes (bei bestimmten Ergänzungen). In den beiden letztgenannten Bereichen zeigt sie im wesentlichen die gleichen Ausdrucksformen wie bei Verneinen und Ausnehmen“ (ebd.). Engels Beispiele: Sein Vater war Aufsichtsratsvorsitzender der Technischen Werke ⫺ Sein Vater war nicht Aufsichtsratsvorsitzender der Technischen Werke; Michaela ist missmutig ⫺ Michaela ist nicht missmutig. Daraus geht hervor, dass dieser Negationstyp immer dann vorliegt, „wenn über eine Größe prädiziert wird“ (ebd.). Wiederum ist festzuhalten, dass grammatisch gesehen dieselbe Art von Negation vorliegt wie bei der Verneinung und beim Ausnehmen: Es stimmt nicht / ist nicht der Fall, dass sein Vater Aufsichtsratsvorsitzender der Technischen Werke war / dass Michaela missmutig ist. Engel rechnet zum Absprechen auch Formen negierter Attribute (ein erwarteter Besuch ⫺ ein unerwarteter Besuch; ein Mann für den Urlaub ⫺ ein Mann nicht für den Urlaub) sowie die Verwendung antonymer Wörter
994
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(eine Frau mit Problemen ⫺ eine Frau ohne Probleme). Im Bereich der Wortbildung kommen bei Substantiven das Präfix Un- (Unglaube, Unkenntnis usw.) und das Präfix Nicht- (z. B. Nichtanerkennung, Nichtwissen) zum Einsatz, bei Adjektiven un- (unanständig, unehrlich usw.), nicht- (nichtamtlich, nichtöffentlich usw.) sowie weitere Präfixe bei Fremdwörtern. Daneben spielen Suffixe (Suffixoide) wie -frei und -los eine Rolle (z. B. bleifrei, eisfrei; arbeitslos, bargeldlos). Es ist festzuhalten, dass Engel bei der Behandlung der Negation ebenso wenig wie Heringer (und Tesnie`re) auf die Aspekte genauer eingeht, die in einer dependenziell ausgerichteten Grammatik anzusprechen und darzustellen wären.
5.
Dependenzphänomene der Negation
Wenn unter „Dependenz“ generell eine „syntaktische Relation der Abhängigkeit eines Elements A von einem Element B, die besagt, dass zwar B ohne A, nicht aber (das dependente) A ohne B vorkommen kann“, verstanden wird (Bußmann 2002, 153) und wenn des Weiteren die Bestimmung, dass es sich dabei um eine syntaktische Relation handelt, nicht zu eng verstanden wird, lassen sich für die Negation in zweierlei Hinsicht Phänomene der Dependenz (und der Interdependenz) erkennen: zum einen bei den Negationswörtern selber (weder … noch, NEG … genauso wenig), zum anderen bei Begleiterscheinungen im Bereich der Lexik (z. B. nicht einmal, NEG mehr, NEG verknusen können, NEG Auge zutun) und bestimmter grammatischer Kategorien (z. B. freie Konjunktive in weil-Sätzen [s. Abschnitt 3], Objektsgenitive im Russischen). 5.1. Dependente Negationswörter Wie in anderen Sprachen auch (z. B. ni … ni bzw. ne … ni im Französischen, neither … nor im Englischen) gibt es im Deutschen Negationswörter, die einander paarweise zugeordnet sind wie weder … noch, oder die auf ein weiteres Negationswort im Kontext angewiesen sind wie geschweige (denn) (vgl. Kürschner 1983, 145⫺151). Im ersten Fall könnte man von „Interdependenz“ sprechen, wenn nicht empirisches Material zeigen würde, dass sowohl das Erstglied (weder) durch ein anderes Negationswort (nicht, kein-, niemand, niemals usw.) ersetzt werden kann als auch das Zweitglied (noch), und zwar meist durch skalierendes geschweige (denn):
(1)
Sie zog sich niemals an noch aus.
(2)
Ich bin weder ein Trinker, geschweige Säufer.
Der negativen Konjunktion weder … noch vergleichbar ist das Paar sowenig … sowenig (vgl. Kürschner 1983, 270⫺285): (3)
Sowenig ich einsehen kann, dass das geschehen musste, sowenig verstehe ich, dass du es verschwiegen hast.
Wenn im ersten Konjunkt die Konjunktion wie eingefügt wird, kann statt sowenig auch die Fügung ebenso wenig bzw. genauso wenig verwendet werden: (4)
Ebenso/genauso wenig wie ich einsehen kann, dass das geschehen musste, ebenso/ genauso wenig verstehe ich, dass du es verschwiegen hast.
Statt der wenig-Fügung kann im ersten Konjunkt auch ein einfaches Negationswort stehen, dessen negierende Kraft im zweiten Konjunkt mit ebenso/genauso wenig weitergeführt wird: (5)
Ich kann nicht einsehen, dass das geschehen musste, (und) ebenso/genauso wenig verstehe ich, dass du es verschwiegen hast.
Umgekehrt erstreckt sich mit ebenso/genauso wenig wie im ersten Konjunkt die Negation auch auf das zweite Konjunkt, ohne dass sie eigens markiert wird: (6)
Ebenso/genauso wenig wie ich einsehen kann, dass das geschehen musste, verstehe ich, dass du es verschwiegen hast.
Dies gilt auch, wenn nicht Sätze, sondern nur Satzteile miteinander verbunden werden: (7)
Er ist ebenso/genauso wenig Christ wie du.
(8)
Er ist so wenig Christ wie du.
Das dependente Negationswort geschweige (denn) ist auf ein weiteres, vorangehendes oder folgendes Negationswort angewiesen (vgl. Kürschner 1983, 148⫺154): (9)
Er ist nicht mehr Parteivorsitzender, geschweige denn Kanzler.
(10) Er legte auf Schulbildung, geschweige auf den Besuch einer Universität keinerlei Wert. Die einzelnen Sprachen verhalten sich hinsichtlich dependenter Negationswörter unter-
995
73. Negation in Dependenzgrammatiken
schiedlich. So haben das Französische und das Englische, worauf Tesnie`re (1965, 222 f.) hinweist, Ausdrücke vom Typ non plus bzw. either zur Fortführung einer Negation: (11) Je ne chante pas. Alfred ne chante pas non plus. (12) I do not speak English and you do not speak English either. Im Deutschen steht, worauf Tesnie`re ebenfalls hinweist, sowohl positiv wie negativ die Partikel auch: (13) a. Ich singe. Alfred singt auch. b. Ich singe nicht. Alfred singt auch nicht. (14) a. Ich spreche Englisch und du (sprichst) auch (Englisch). b. Ich spreche nicht Englisch und du (sprichst) auch nicht (Englisch). 5.2. Negativpolare Lexikoneinheiten In gleicher Weise sprachspezifisch unterschiedlich ist die Distribution „negativpolarer Lexikoneinheiten“, also von Lexemen und Lexemgruppen, die nur in Kombination mit Negationswörtern vorkommen und in dieser Hinsicht Dependenzeigenschaften aufweisen (vgl. Kürschner 1983, Kap. 4 und 5 sowie den Anhang). In einigen Fällen können an die Stelle der Negationswörter andere Lexeme oder auch syntaktische Konstruktionen treten. Am stärksten eingeschränkt ist im Deutschen die Distribution des Lexems einmal, das an die Stelle von sogar oder selbst tritt, und zwar nur in unmittelbarem Kontakt mit dem Negationswort nicht: (1)
a. Sogar tanzen kann er nicht. b. Nicht einmal/*sogar tanzen kann er.
Wir bezeichnen einmal und sogar/selbst als Alternanten voneinander. Weniger stark eingeschränkt ist die Distribution des Lexems mehr als Alternante zu noch: (2)
a. Es ist nicht der Fall, dass er noch hier ist. b. Er ist nicht mehr hier.
Statt nicht können alle übrigen Negationswörter stehen, z. B.:
Aber auch Negativoide wie kaum, wenig- und selten bilden zulässige Kontexte für mehr: (5)
Kaum einer ist mehr/noch hier.
(6)
Wir gehen selten mehr/noch ins Kino.
Des Weiteren das „implikationell negative“ nur: (7)
Der Verschüttete konnte nur mehr/noch tot geborgen werden.
Statt mehr kann in den entsprechend gekennzeichneten Fällen auch die positivpolare Alternante noch erscheinen. Der Distribution von noch/mehr vergleichbar ist die von schon/noch. Allerdings darf bei Letzterem das Negationswort im selben Satz nicht vorangehen, sondern es muss dem Adverb folgen: (8)
a. Es ist nicht der Fall, dass er schon da ist. b. Er ist noch nicht da.
(9)
a. Noch ist kaum einer da. b. Kaum einer ist schon da.
(10) a. Noch ist nur Hans eingetroffen. b. Nur Hans ist schon eingetroffen. Alle bisher genannten Beschränkungen sind beim (Modal-)Verb brauchen als Alternante von müssen aufgehoben: (11) a. Es ist nicht der Fall, dass du zu kommen brauchst. b. Du brauchst nicht zu kommen. c. Keiner braucht zu kommen. d. Du brauchst nur zu kommen. Hinzu kommt als möglicher Kontextpartner das implikationell negative Lexem erst: (12) Du brauchst erst morgen zu kommen. ⫺ Nicht eher. Des Weiteren konstruktionelle Faktoren: (13) Das ist viel zu unwichtig, als dass du zu kommen brauchst. ⫺ Du brauchst nicht zu kommen. (14) Das ist mehr, als du für die Prüfung zu wissen brauchst. ⫺ Du brauchst für die Prüfung nicht so viel zu wissen. Und schließlich pragmatische Faktoren (rhetorische Fragen):
(3)
Keiner ist mehr/noch hier.
(15) Braucht er denn das zu tun? ⫺ Erwartete Antwort: Nein.
(4)
Niemals wird er sich mehr/noch blicken lassen.
Nochmals freier ist die Distribution des Adverbs je(mals):
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(16) a. Es ist nicht der Fall, dass er je(mals) verheiratet war. b. Keiner war je(mals) verheiratet. c. Kaum einer war je(mals) verheiratet. d. Wenige waren je(mals) verheiratet. e. Nur einer von ihnen war je(mals) verheiratet. f. Er ist zu feige, um je(mals) zu heiraten. g. Das ist mehr, als du je(mals) essen kannst. h. War er je(mals) verheiratet? Hinzu kommen Kontexte, die nur indirekten Bezug zur Negation haben, nämlich Relativsätze mit Bezugsgrößen, die „Einzigartigkeit“ signalisieren: (17) a. Er ist der Erste, der je(mals) auf dem Mond war. b. Er ist der Letzte, der je(mals) auf dem Mond war. c. Er ist der Einzige, der je(mals) auf dem Mond war. d. Er ist der Schönste, der je(mals) auf dem Mond war. Umgekehrt Relativsätze und Verknappungen davon mit Bezugsgrößen, die „Allheit“ signalisieren: (18) a. Alle Häuser, die er je(mals) gebaut hat, stehen noch. b. Alle je(mals) gezeigten Bilder sind gefälscht. Lexikalische Kontexte für je(mals) bilden kontrafaktive Verben (wie unterlassen), inhärent negative Verben (wie fehlen) sowie Verben, die ein Verbot, eine Warnung oder einen Zweifel ausdrücken: (19) Er unterließ es, je(mals) zu heiraten. (20) Ihm fehlte der Mut, je(mals) zu heiraten. (21) a. Sie verbot ihm, je(mals) zu heiraten. b. Sie warnte ihn, je(mals) zu heiraten. c. Sie bezweifelte, ob/dass er je(mals) verheiratet war. Auch Konditionalsätze bilden Kontexte für je(mals), und zwar zum einen solche, die nichtfaktiv zu interpretieren sind (sie behaupten ihre Proposition nicht), zum anderen solche, die kontrafaktiv zu interpretieren sind (sie präsupponieren die Negation ihrer Proposition): (22) Wenn er das je(mals) schafft, bekommt er einen Orden. ⫺ Es wird nicht behaup-
tet, eher in Zweifel gezogen, dass er das schafft. (23) Wenn er je(mals) in Rom gewesen wäre, würde er das Kolosseum kennen. ⫺ Präsupponiert, dass er nicht in Rom gewesen ist. Negativpolar ist auch die Konjunktion sondern, die auf volle Negationswörter, auf Negativoide sowie auf kontrafaktive und verwandte Prädikate folgen kann: (24) a. Das ist kein Wein, sondern Wasser. b. Die wenigsten denken selber mit, sondern verlassen sich auf ihren Chef. c. Vergessen Sie das Einzelfoto, sondern fotografieren Sie eine Reihe, eine Serie, eine kleine Bildgeschichte. Wir stehen damit am Ende der Sichtung einer Reihe von Lexikoneinheiten, deren Vorkommen davon abhängig ist, dass in ihrem Kontext entweder ein offenes, volles Negationswort steht oder dass ihr Kontext als „negationshaltig“ zu interpretieren ist. Tesnie`re führt unter der Bezeichnung „Seminegativa“ (vgl. Abschnitt 2) für das Französische, Lateinische, Englische und eben auch für das Deutsche Lexeme an, die „negationsdurchlässig“ sind (1965, 205⫺207; 1980, 158⫺160): „Sie reichen grundsätzlich alleine nicht zur Wiedergabe einer wirklichen Negation aus, sind aber speziell dazu geschaffen, sich mit den Negationswörtern zu verbinden.“ Dies trifft auf personne/ullus/anybody, auf aucun/ullus/ any usw. zu, die nur in negativen (und verwandten) Kontexten stehen können ⫺ es trifft aber nicht auf die von Tesnie`re aufgeführten deutschen Lexeme jemand, etwas, irgendwo, irgendwie, ein zu. Sie können nämlich sehr wohl in positiven Kontexten stehen. Das einzige zutreffende Beispiel ist je, das Tesnie`re in eine Reihe mit jamais/unquam/ ever stellt. Die erstgenannten Lexeme hat er womöglich deshalb aufgenommen, weil sie die Eigenheit aufweisen (auf die auch Engel aufmerksam macht, vgl. Abschnitt 4), in Kombination mit dem Negator zu niemand, nichts, nirgendwo/nirgends und kein zu „verschmelzen“ (nirgendwie existiert übrigens nicht). Die in diesem Abschnitt behandelten negativpolaren Lexikoneinheiten einmal, mehr, noch und brauchen sind markiert: Sie können nur in negativen (oder verwandten) Kontexten erscheinen. Sie haben neben sich jeweils eine unmarkierte Alternante (sogar, noch, schon, müssen), die sowohl in negativen als
997
73. Negation in Dependenzgrammatiken
auch in positiven Kontexten stehen kann. Im Unterschied dazu verfügen die Lexeme je (mals) und sondern über keine solchen unmarkierten Alternanten. Dies trifft auch auf die ca. 1000 weiteren negativpolaren Lexikoneinheiten zu, die bislang ermittelt worden sind (vgl. Kürschner 1983, Anhang), z. B. keine Menschenseele; beim besten Willen nicht; beileibe nicht, gar nicht; nicht abkönnen, nicht riechen können, jemanden nicht ruhen lassen, nichts Gutes schwanen; kein Bein auf den Boden bringen, jemandem kein Haar krümmen, nicht von schlechten Eltern sein; Da beißt die Maus keinen Faden ab, Nichts zu danken. 5.3. Dependente grammatische Kategorien Vergleichbar den im vorigen Abschnitt behandelten negativpolaren Lexikoneinheiten kann auch das Vorkommen bestimmter grammatischer Kategorien an das Vorhandensein eines negativen (oder verwandten) Kontextes geknüpft sein. Als Beispiele sind zu nennen bestimmte Konjunktiv-II-Verwendungen im Deutschen und das Vorkommen von Genitiven im Russischen und anderen slawischen Sprachen. Bei den Konjunktiv-II-Verwendungen im Deutschen sind vier Fälle zu unterscheiden. Jedes Mal handelt es sich um „freie Konjunktive“, die ohne Bedeutungsunterschied durch die entsprechenden Indikativformen zu ersetzen sind. Ihre Existenz ist, soweit ich sehe, in den Grammatiken unentdeckt geblieben. Freie Konjunktive stehen zum einen in den schon in Abschnitt 3 erwähnten weil-Sätzen, und zwar bei negiertem Obersatz: (1) a. Er weint nicht, weil er traurig wäre, sondern weil er Zwiebeln schneidet. Der Negator bezieht sich nicht auf die Proposition er weint (vielmehr wird ja gerade gesagt, dass er weint), sondern auf die Begründung für sein Weinen. Im Vergleich zu Satz 1a ist sein Gegenstück mit indikativischem weil-Satz doppeldeutig: (1) b. Er weint nicht, weil er traurig ist, sondern weil er Zwiebeln schneidet. Dieser Satz kann auch so verstanden werden, dass er nicht weint (zugegebenermaßen mit einigem Interpretationsaufwand, weil unser Alltagswissen konterkarierend dazwischentritt); der Konjunktiv in Satz 1a sorgt offenkundig für Disambiguierung. Anders ist die Funktion freier Konjunktive in den übrigen Verwendungsgruppen zu be-
schreiben. Diese sind kontrafaktive als dassSätze, Relativsätze mit offen oder implikationell negativen Obersätzen und Interrogativsätze: (2)
a. Das Wasser ist zu kalt, als dass man baden könnte. b. Das Wasser ist zu kalt, als dass man baden kann.
(3)
a. Nichts steckt in ihm, das nicht natürlich wäre. b. Nichts steckt in ihm, das nicht natürlich ist. c. Was uns fehlt, ist eine kohärente Theorie, die es uns ermöglichte, die vorgefundenen Daten kohärent zu interpretieren. d. Was uns fehlt, ist eine kohärente Theorie, die es uns ermöglicht, die vorgefundenen Daten kohärent zu interpretieren.
(4)
a. Dass Wissen Macht ist, wer hätte es so gut begriffen wie Horst Herold? b. Dass Wissen Macht ist, wer hat es so gut begriffen wie Horst Herold?
Die Verwendung der Konjunktive in diesen Sätzen kann so interpretiert werden, dass durch sie die dort enthaltene Negation, die allerdings nur „mitverstanden“ und nicht offen ausgedrückt wird, expliziert wird. Mit den „Genitiven der Negation“ im Russischen und in anderen slawischen Sprachen betreten wir ein Gebiet, das dem Dependenz-, speziell dem Valenzdenken direkter zugänglich ist als die bisher in diesem Abschnitt behandelten, im Wesentlichen auf lexikalische Kookkurrenzen bezogene Phänomene. Die mit der Überführung eines positiven Satzes in einen negativen häufig verbundene Ersetzung eines Akkusativobjekts durch ein Genitivobjekt betrifft die so genannte qualitative Valenz des Verbs, z. B. (5)
a. Ja polucˇil gazety (Akk.) ‘Ich habe die Zeitungen erhalten’ b. Ja ne polucˇil gazet (Gen.) ‘Ich habe die Zeitungen nicht erhalten’
„Genitiv und Akkusativ werden als direktes Objekt nach verneintem transitivem Verb teilweise ohne besonderen bedeutungsmäßigen oder syntaktischen Unterschied nebeneinander gebraucht. Der Akkusativ gehört dabei mehr der Umgangssprache an“ (Tauscher/Kirschbaum 1962, 501), z. B. (6)
Ja ne ljublju e˙toj masˇiny (Gen.) ‘Ich mag dieses Auto nicht’
998 (7)
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Ja ne ljublju e˙to kusˇan’e (Akk.) ‘Ich mag dieses Essen nicht’
(16) Mat’ (Akk.) svoju on ne pomnil ‘An seine Mutter konnte er sich nicht erinnern’
„In anderen Fällen ist der Gebrauch von Genitiv oder Akkusativ nach verneintem transitivem Verb durch bestimmte ⫺ teilweise allerdings einander überschneidende ⫺ Faktoren bedingt oder zumindest beeinflußt“ (ebd.). Demnach steht der Genitiv
Akkusativ und Genitiv stehen gleichermaßen, wenn das Objekt eines transitiven Infinitivs mit einem Hilfsverb konstruiert ist; die Verneinung bezieht sich häufig auf das Hilfsverb, nicht auf das Hauptverb:
1. in Sätzen mit der sogenannten doppelten Verneinung: (8)
Ja ni kopejki ne istratil ‘Ich habe nicht eine Kopeke ausgegeben’
2. wenn das Objekt partitiven Charakter hat: (9)
Papiros ona esˇcˇe¨ ne kupila ‘Zigaretten hat sie noch nicht gekauft’
3. in der Regel nach Verben der sinnlichen Wahrnehmung und der Denk-, Gefühls- und Willensäußerung: (10) Ja ne videl e˙togo pis’ma ‘Ich habe diesen Brief nicht gesehen’ 4. vorzugsweise bei Substantiven mit abstrakter Bedeutung; bei Konkreta steht häufiger der Akkusativ, vor allem bei Substantiven, die Lebewesen benennen, und bei Eigennamen: (11) On vsje¨-taki ne terjal nadezˇdy (Gen.) ‘Er hat dennoch die Hoffnung nicht verloren’ (12) On ne nasˇe¨l svoj nozˇ (Akk.) ‘Er hat sein Messer nicht gefunden’ (13) Tonkij sluzˇ ne obmanul Veru (Akk.) ‘Ihr feines Gehör täuschte Vera nicht’ Bei Gefahr der Verwechslung von Genitiv Singular mit formgleichem Nominativ (und Akkusativ) Plural wird vorzugsweise der Akkusativ verwendet. (14) Ty ne znajesˇ’ skazku (Akk. Sg.; Gen. Sg. und Nom./Akk. Pl.: skazki) ‘Du kennst das Märchen nicht’ Ebenso, wenn im Satz weitere Genitive enthalten sind und wenn das Objekt mit mehreren Attributen verbunden ist: (15) Nikto ne soobsˇcˇil emu povestku (Akk.) dnja sovesˇcˇanija (Gen.) ‘Niemand hatte ihm die Tagesordnung der Konferenz mitgeteilt’ Des Weiteren spielt die Wortfolge im Satz eine Rolle: In der Stellung vor dem verneinten Verb wird der Akkusativ bevorzugt.
(17) Ja ne mogu pisat’ socˇinenie (Akk.) oder: socˇinenija (Gen.) ‘Ich kann den Aufsatz nicht schreiben’ (Tauscher/Kirschbaum 1962, 501⫺503) Neben der Ersetzung des Akkusativs durch den Genitiv in direkten Objekten ist mit der Negation zuweilen „der Übergang zur unpersönlichen Konstruktion verbunden“ (1962, 503), z. B. (18) a. V gorode byl (Mask.) teatr (Mask. Nom.) ‘In der Stadt war/gab es ein Theater’ b. V gorode ne bylo (Neutr.) teatra (Mask. Gen.) ‘In der Stadt war/gab es kein Theater’ (19) a. On (Mask. Nom.) byl (Mask.) v klasse ‘Er war in der Klasse’ b. Ego (Mask. Gen.) ne bylo (Neutr.) v klasse ‘Er war nicht in der Klasse’ oder: c. On (Mask. Nom.) ne byl (Mask.) v klasse ‘Er war nicht in der Klasse’ (Tauscher/Kirschbaum 1962, 503 f.) Zur Negation im Russischen (und im Polnischen) insgesamt vgl. Besters-Dilger (1988), zum direkten Objekt in verneinten und Existenzsätzen Schaller (1978) und Babby (1980).
6.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
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Wilfried Kürschner, Vechta (Deutschland)
74. Modalität 1. 2. 3. 4.
1.
Sprachliche Referenz und Konstruktion aus syntaktischer Perspektive Modale Zeichen im Satz Valenz- und Dependenzkonzepte der Hierarchisierung modaler Zeichen im Satz Literatur in Auswahl
Sprachliche Referenz und Konstruktion aus syntaktischer Perspektive
Modale Zeichen gehören zum funktionalen Kernbereich der natürlichen Sprache; sie erlauben es Sprechern, zur Verwirklichung von unterschiedlichen Handlungszielen konventionelle Lexeme in abgeschlossenen grammatischen Einheiten auf individuelle Sachverhalte zu beziehen. Modalität macht auf diese Weise Wirklichkeit zeichenhaft der Kommunikation zugänglich und schafft gleichzeitig Möglichkeiten, Wirklichkeit im Zuge sprachlicher Kommunikation zu verändern. Diese beiden Perspektiven, die Nutzung von Sprache zur Abbildung und Gestaltung von Realität, werden hier mit den modalen Funktionen ‘Referenz’ und ‘Konstruktion’ identifiziert. Die grundsätzliche Basis des menschlichen Sprachgebrauchs in der Konstruktion folgt an sich bereits aus dem symbolischen Status der verwendeten ‘mots pleins’: Sätze sind in ihrer Abbildungsleistung an die Abstraktionen der enthaltenen Lexeme gebunden, deren einforderbarer Informationsgehalt sich aus der historisch gewachsenen oder absichtsvoll gestalteten begrifflichen Vernetzung des lexikalischen Kodes ergibt. Damit sind keine grundsätzlichen Einschränkungen der Abbildungsmöglichkeiten von Sprache verbunden, die jeweils vorhandenen Begriffe enthalten in ihrer semantischen Hierarchisierung jedoch
Entscheidungen über bestimmte privilegierte Abstraktionen. Diese modale Komponente des Referenzbezugs auf Sachverhalte mithilfe von appellativen Autosemantika schlägt sich für die Sprach- und Gesellschaftswissenschaften nicht zuletzt im Problem der Unterscheidung von Tatsachenaussagen und Wertungen nieder. Das System der natürlichsprachlichen Modalität ist nicht an der Konstruktion, sondern an der Referenz ausgerichtet: Der Ausdruck von Faktizität im Aussagesatz ist die zentrale modale Funktionsbedeutung, die durch ihre zeichenseitige Minimalität den Gleichlauf mit der Wirklichkeit simuliert: Das einfache Sagen kommuniziert das Gesagte als faktisch. Dem Sprecher werden dabei konventionell und pragmatisch regelmäßig Referenzabsichten unterstellt, die ihn auf die Wahrheit des Gesagten und seinen guten Glauben daran festlegen (vgl. Lyons 1977, 734). Die Referenzfunktion des Aussagesatzes steht seit den Anfängen im Zentrum der philosophischen Sprachbetrachtung, die ihn in ein Modell der sprecherfreien Wahrheit integriert, dabei aber seine pragmatischen Folgen für den Sprecher vernachlässigen muss (vgl. Frege 1967, 342 f.; Price 1988, 43 f.). Die speziellen modalen Funktionen jenseits des einfachen Sagens zeigen, dass der Gegensatz von Referenz und Konstruktion lediglich Extrempunkte markiert, zwischen denen sich modale Bedeutungen in vielfältigen Handlungsbezügen konventionalisiert haben (vgl. Calbert 1975, 9 f.; van der Auwera/Plungian 1998, 79 f.). Manche hängen eng mit der Referenz zusammen, wie z. B. die Möglichkeiten nach Wirklichkeit zu fragen oder Referenz mithilfe von Futurformen zu simulieren, die es erlauben, zukünftige Sachverhalte unter den gleichen Bedingungen wie Aussagesätze zu kommunizie-
74. Modalität
ren, obwohl der Wahrheitswert von Zukünftigem unbestimmt ist (vgl. Fritz 2000, 159). Epistemische Verwendungen von Modalzeichen spezialisieren die Referenzfunktion, sie bringen zusätzlich die Perspektive des Sprechers zum Ausdruck, um die pragmatischen Konsequenzen des Aussagesatzes für den Sprecher abzuschwächen (vgl. Bybee/Fleischman 1995, 4). Andere Funktionen wie Hypothese, Befehl und Wunsch konstruieren Wirklichkeit offensichtlich oder setzen sie in Beziehungen zum Sprecher, die über den Bezug zur Faktizität hinausgehen, so in emotionalen Äußerungen wie dem Ausruf (vgl. Ducrot 1993, 128). Semantische Modelle sprachlicher Modalität systematisieren diese Bedeutungen in Sprechereinstellungen (vgl. Pasch 1989, 1 f.) oder sogenannten ‘Redehintergründen’ (vgl. Zifonun in Zifonun/Hoffmann/Strecker u. a. 1997, 1882 f.). Aus pragmatischer Perspektive werden diese Funktionen als Handlungsbedeutungen erfasst (vgl. Rosengren 1992, 435 f.). Darüber hinaus werden auch modallogische Konzepte auf die Sprache angewendet, die die Varianten einheitlich aus der Perspektive der Referenz betrachten, einen Überblick dazu gibt Dietrich (1992, 37 f.). Die Orientierung der Objektsprache an der Referenzfunktion hat sich auch in der sprachwissenschaftlichen Modellierung durchgesetzt: Für die semantische wie die syntaktische Rekonstruktion der Modalität im Satz ist traditionell die Trennung der wahrheitsbezogenen Zeichen (in Aussage, Proposition oder Gesagtem) von den modalen Zeichen etabliert. In der Weiterführung der Unterscheidung von ‘Sagen’ und ‘Gesagtem’ wird der über das einfache Sagen hinausgehende modal zeichenhafte Anteil hier als ‘Dazugesagtes’ bezeichnet. Das Dazugesagte steht jedoch nicht immer außerhalb der Proposition, insbesondere modale Wörter wie die Modalverben können auch in die Referenzfunktion der Äußerung integriert sein. Versuche, den Bedeutungsbeitrag einzelner Wörter nach ihrem Beitrag zum Wahrheitswert zu modellieren, sind bei modalen Zeichen auch deswegen erschwert, weil modale Bedeutungen vielfach nicht in einzelnen Signifikanten isoliert werden können, sondern sich erst aus dem Verhältnis zu allen anderen modalen Zeichen im Satz und der Situation konstituieren. Angesichts vielfältiger reflexiver Bezüge zwischen Sagen und Gesagtem ist es nicht erstaunlich, dass die Modelle der Modalität von Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft seit der
1001 Antike ununterbrochen Gegenstand der Diskussion sind. Am einflussreichsten für die Sprachwissenschaft war dabei der Beitrag des linguistischen Strukturalismus, der die modale Zeichenhierarchie mithilfe eines merkmallosen Nullzeichens modelliert. Jakobson (1974, 55 f.) formulierte das Konzept der Merkmalhaftigkeit so, dass spezialisierte Zeichen die breiten Deutungsmöglichkeiten allgemeinerer Zeichen verhindern. Das Modalsystem lässt sich auf diese Weise als eine skalare Zeichenhierarchie begreifen. Sie enthält neben der semantischen Bedeutung der Implikation auch vielfältige Möglichkeiten zu pragmatischen Schlüssen, die gegenwärtig unter dem Begriff der Implikatur diskutiert werden, vgl. die Beiträge in Rolf (Hg.) (1997, 7 f.). Auch die Substanz der grundlegenden Bedeutung des Systems der Modalität kann auf diese Weise pragmatisch erklärt werden, die Faktizitätsbedeutung des Nullzeichens ergibt sich dann als skalarer Schluss aus dem Fehlen von Zeichen, die als modal ‘dazugesagt’ interpretiert werden müssten. In der Valenz- und Dependenzgrammatik trifft die Vorstellung einer modalen Zeichenhierarchie im Satz auf den Anspruch, die Verknüpfung der Wörter zum Satz im Rahmen wiederum hierarchischer Beziehungen von Wortarten zu beschreiben: Als gemeinsames Prinzip von Abhängigkeitsgrammatiken gilt, dass sie syntaktische Relationen zwischen selbstständigen Sprachzeichen durch gerichtetes Miteinandervorkommen der formbezogenen Paradigmen rekonstruieren, denen ´ gel 2000, diese Zeichen angehören (vgl. A 68 f.; Engel 1994, 23 f.; Heringer/Strecker/ Wimmer 1980, 119 f.; Welke 1995, 163 f.). Modale Zeichen sind dabei ebenso Grundlage des syntaktischen Satzes wie des pragmatischen „Setzens“ (Erben 1984, 21), was es erlaubt, das Verb sowohl als Prädikat der Argumente der Proposition als auch als Träger der zentralen modalen Bedeutungen in das Zentrum des Satzes zu stellen. Tesnie`res (vgl. 1980, 43) Postulat einer funktionalen, von der Morphologie autonomen Syntax ist für die Modalität wenig eingelöst, die vorwiegend auf der Grundlage ihrer morphologischen Manifestationen behandelt wird. Die dabei erzielten Beschreibungsfortschritte wie die gegenwärtig laufende Integration der Intonation in die Modalität fügen wiederum neue Zeichenklassen an. Modalität kann insgesamt nur als partiell syntaktisiert bezeichnet werden. Eine paradigmenbezogene Abstraktionsmöglichkeit mo-
1002
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
daler Funktionen ergibt sich nur im Bereich der nicht-wortförmigen Zeichen, in dem modale Morpheme tatsächlich Paradigmen etablieren und erschöpfen. Modale Bedeutungen speisen sich aber aus allen bekannten Zeichenklassen, wobei insbesondere ihr Anteil an wortförmigen Klassen syntaktisch parasitär erscheint. Das uneinheitliche syntaktische Bild der Modalität kann seinen Grund unter anderem in der Handlungsgebundenheit der Zeichen finden: Erfolgreiche Kommunikatoren verschleiern ihre Gestaltungsabsichten und versuchen daher, Konstruktion als Referenz auszugeben. So kann ein modales Zeichen mit der Bedeutung ‘Notwendigkeit’, z. B. in einem Satz mit dem Modalverb müssen, der logischen Schlussfolgerung wie der individuellen Konstruktion dienen, ohne dass sich formalsyntaktisch verallgemeinerbare Unterschiede zwischen diesen Deutungsmöglichkeiten ergeben.
während steigender Offset typisch für Fragesätze ist. Die Tonhöhe am Satzende ist im Übrigen mit unterschiedlichen Tonhöhenänderungen in der Hauptakzentsilbe (konvexer vs. konkaver Verlauf) kombiniert.
2.
2.1.3. Synthetische morphologische Varianten Unter den modalen Merkmalen des Verbs ist die synthetische Modusmarkierung die älteste und zentrale Markierung. Sie trägt in fester Verbindung mit der Kodierung von Tempus und Person die Finitheit des Verbs. Neben dem merkmallosen Indikativ zeigt das Deutsche ursprünglich temporal differenzierte Konjunktivreihen, die heute meist funktional unterschieden werden (Konjunktiv I und II), sowie den Imperativ. Der Imperativ wird wegen auffälliger syntaktischer Eigenheiten den übrigen Verbmodi nicht immer auf gleicher Ebene gegenübergestellt (vgl. Donhauser 1986, 264 f.).
Modale Zeichen im Satz
Modale Zeichen sind auf allen Ebenen des Satzes vertreten (vgl. Palmer 1986, 51 f.; Jongeboer 1985, 17 f.). Im Folgenden werden die von den valenz- und dependenzgrammatischen Modellen des Deutschen zu bewältigenden Formvarianten angeführt, die mit entsprechenden Anpassungen auch für andere Sprachen rekonstruiert werden können. Dabei findet eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen nicht-wortförmigen (2.1) und wortförmigen (2.2) Varianten statt, die bereits auf den prinzipiell wortorientierten Status der Valenz- und Dependenzgrammatik vorausweist. 2.1. Nicht-wortförmige Modalzeichen Im Sinne des Merkmalhaftigkeitsprinzips finden sich merkmallose modale Zeichen nur in den nicht-wortförmigen Paradigmen. 2.1.1. Intonatorische Varianten Modaler Kodierung dienen sowohl Position und Ausprägung des Satzakzents als auch Merkmale des Tonhöhenverlaufs (vgl. Altmann 1993, 1017 f.). Neben einem besonderen Akzenttyp, dem sog. nichtfokussierenden Akzent, der Satzarten wie Wunschsatz und Ausrufesatz markiert, ist vor allem die Tonhöhe am Satzende, auch Satzoffset genannt, ein entscheidendes modales Merkmal: Fallender Offset ist im Deutschen u. a. mit dem einfachen, merkmallosen Sagen verbunden,
2.1.2. Topologische Varianten Modalen Stellungsregeln unterliegt vor allem das Verb. In der Gegenwartssprache werden in Bezug auf die Stellung des Verbs unter den Satzgliedern drei Typen unterschieden: VerbErst- (V1-), Verb-Zweit- (V2-) und VerbLetzt-(VL-) Stellung. Modal merkmallos ist die V2-Stellung, V1- und VL-Stellung kodieren in selbständigen Sätzen merkmalhafte Satztypen. In die Verbstellungen sind bei entsprechenden Satzarten w-Fragewörter an typischen Positionen integriert, die wie die Konjunktionen der VL-Sätze meist als notwendige lexikalische Füllungen der syntaktischen Typen begriffen werden.
2.2. Wortförmige Modalzeichen Wenn Wörter Modalität kodieren, liegen stets merkmalhafte Spezialisierungen des merkmallosen Sagens vor. Die vielfältigen Möglichkeiten, Modalität lexikalisch z. B. auch nominal (mit den Adjektiven möglich, notwendig oder den Substantiven Möglichkeit, Notwendigkeit etc.) zum Ausdruck zu bringen, werden hier zugunsten derjenigen modalen Zeichen vernachlässigt, die im Zusammenhang mit dem Verb oder dem Satz als Signifikanten syntaktischer Beziehungen diskutiert werden. Da einige Adjektive funktional als Satzadverbien auftreten können (z. B. auch notwendig) ist formseitig eine Grenzziehung allerdings problematisch.
1003
74. Modalität
2.2.1. Analytische morphologische Varianten Im verbalen Bereich haben sich im Deutschen zahlreiche aus mehreren Wörtern zusammengesetzte Konstruktionen etabliert, die u. a. modale Funktionen übernehmen und als solche immer merkmalhaft sind. Hier sind neben der Form würde mit Infinitiv auch modale Komplexe wie die modalisierenden Infinitivkonstruktionen haben und sein mit zuInfinitiv zu nennen. 2.2.2. Modalverben und Modalitätsverben Neben dem Kernbestand von Verben, die lexikalisch modale Information tragen (können, müssen, dürfen, sollen, mögen, wollen) gibt es eine Vielzahl von Verben, die zur Modalisierung von Sachverhalten verwendet werden. Typische Modalverben sind solche, die über eine modale Bedeutung verfügen und einen Infinitiv ohne zu regieren. Für die modalen Verben mit zu-Infinitiv hat sich die Bezeichnung Modalitätsverben etabliert (vgl. Engel 1991, 406 f.). Das Verb brauchen wird in negierter Form auch oft ohne zu gebraucht, befindet sich also in einem Übergangsstatus. Ob auch die Umschreibung werden mit Infinitiv, die gängig als Futurtempus betrachtet wird, als Fügung mit Modalverb oder zumindest analytisch modale Form zu gelten hat, ist umstritten (vgl. Fritz 2000, 1 f.). 2.2.3. Modalwörter und Modalpartikeln Eine Vielzahl von unflektierbaren Wörtern richtet die Satzaussage modal aus. Die gängige Unterscheidung zwischen Modalwörtern und Modalpartikeln basiert auf Unterschieden in der syntaktischen Integration dieser Wörter. Typische Modalwörter haben formal Satzgliedstatus, beziehen sich aber nicht in erster Linie auf das Prädikat, sondern auf den ganzen Satz und antworten auf Satzfragen. Modalpartikeln (alternative Bezeichnungen: Diskurspartikeln, Abtönungspartikeln) haben dagegen meist keinen Satzgliedstatus, da sie in der Regel nicht allein vorfeldfähig sind, nicht auf Fragen antworten und auch keinen Satzakzent tragen können. Grundsätzlich können Partikeln abgesehen vom Vorfeld einigermaßen frei im Satz stehen, Modalpartikeln nehmen wie andere modale Unflektierbare im abhängigen Satz jedoch in der Regel die Position zwischen Thema- und Rhemabereich ein. Auch bei Häufung gelten unter den Modalpartikeln bestimmte Stellungsregeln (vgl. Thurmair 1989, 1 f.).
3.
Valenz- und Dependenzkonzepte der Hierarchisierung modaler Zeichen im Satz
Die hier zu behandelnden Ansätze berücksichtigen die unter (2.) genannten Formvarianten auf der Ebene des Satzes (3.1.), bei der Modellierung des Verbalkomplexes (3.2.) sowie in adverbialen Gliedern, die als Angaben valenziell am Verb festgemacht werden, sich funktional aber auch auf den ganzen Satz beziehen (3.3). Daneben können unflektierte wortförmige Modalzeichen auch innerhalb von Nominalphrasen eine Rolle spielen. 3.1. Satzmodus Valenzielle und dependenzielle Satzmoduskonzepte gehen von der hergebrachten Differenzierung von Satzarten aus. Tesnie`re (1980, 146 f.) unterscheidet bereits nach intonatorischen Kriterien zwischen Entscheidungs- und Ergänzungsfragen. Die ausführliche Diskussion der Satzmodi in den letzten Jahren, vgl. etwa die Beiträge in Meibauer (Hg.) (1987, 1 f.), hat ihren Niederschlag in den meisten der hier einschlägigen Arbeiten gefunden, wobei die Lösungen im Einzelnen jedoch unterschiedlich aussehen und die immer noch offenen Fragen der Satzmodus-Problematik widerspiegeln: Die terminologische Vielfalt der Begriffe ⫺ Satzformen, Satzarten, Satztypen, Satzmodi u. a. ⫺ hat sich vor allem aus dem immer wieder neu unternommenen Versuch ergeben, durch die Einführung von Ebenen unterhalb der pragmatischen Äußerungsbedeutung einen Gleichlauf zwischen modalen Parametern und Handlungsbedeutungen herzustellen und so eine möglichst deutliche Korrelation von Form und Inhalt zu beschreiben. Tatsächlich ist von den auf Satzebene gängig berücksichtigten modalen Zeichen Akzent und Tonhöhenverlauf, Topologie von Verb und w-Ausdrücken, Ausprägung des Verbmodus und Auftreten typischer Modalpartikeln keines notwendig mit dem Entstehen einer bestimmten pragmatischen Äußerungsbedeutung verbunden. Auch stärker festgelegte Formen wie etwa der Verbmodus Imperativ erweisen sich im Sprachgebrauch als Träger unterschiedlicher pragmatischer Funktionen, vgl. die Beispiele bei Altmann (1993, 1008). Die meisten Satzmodusmodelle kombinieren deshalb die zeichenhaften Varianten, um ausdrucksseitige Grundlagen für bestimmte Funktionskomplexe zu finden, deren Verständnis freilich immer vo-
1004
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
rausgesetzt werden muss (vgl. Grewendorf/ Zaefferer 1991, 273). In der aktuellen Forschung werden dazu mindestens vier Ebenen unterschieden, wobei sich die hier verwendete Terminologie an Helbig (1998, 134) sowie Eroms (2000, 97 f.) anlehnt: Die einzelnen formseitigen Parameter bündeln sich ausdrucksseitig zu ‘Satzarten’, denen inhaltsseitig prototypische Handlungsbedeutungen als ‘Satzmodi’ entsprechen. Diese bilden die Grundlage für die Realisierung der Äußerungsbedeutung, die im Hinblick auf ihre kontextuelle und situationelle Variation weiter spezialisiert sein kann: (1)
Intonation, Wortstellung, modale Morpheme und Wörter B B B B Satzarten AB Satzmodi B Äußerung in Kontext und Situation
Alternativ dazu verlassen einige Ansätze die Formseite ganz und gliedern das Feld lediglich pragmatisch, z. B. sprechaktbezogen (vgl. Engel 1991, 35 f.). Die Ausdruck-Inhalt-Probleme der Satzmodusdiskussion resultieren im Wesentlichen daraus, dass die strukturale Orientierung an einer Merkmalhaftigkeitshierarchie mit Nullzeichen in den Satzmodusmodellen bisher wenig zum Tragen kommt. Die Bedeutung des Merkmalhaftigkeitsprinzips für die Modalität begleitet zwar regelmäßig entsprechende grammatische Abschnitte (insbesondere die Behandlung des für den Aussagemodus so wichtigen Indikativs), seine weitreichenden Konsequenzen für die Systembeschreibung schlagen sich im Einzelnen aber nur in wenigen Ansätzen nieder. So werden die Satzmodi typischerweise als eine Menge von Formvarianten mit bestimmten Inhaltsseiten aufgezählt, wodurch ein symmetrisches, also gleichberechtigtes Nebeneinandervorkommen suggeriert wird. Tatsächlich stellen die für den Satzmodus bedeutsamen modalen Parameter aber lediglich Beschränkungssignale eines Bedeutungsfeldes dar, das ohne solche zeichenhaften Einschränkungen pragmatisch auf die maximale Festlegung des Sprechers hin interpretiert wird. Syntaktisch grundlegend ist die Orientierung an der Modellierung von Wirklichkeit im Aussagesatz, die nur dann ausschließlich referenziell erfolgt, wenn der Satz in Bezug auf alle modalen Parameter unauffällig, also unmarkiert
bzw. merkmallos ist. Jeder merkmalhaft dazugesagte modale Parameter spezialisiert diese modale Grundbedeutung und verschiebt die Perspektive von der Referenz zur Konstruktion, macht also tendenziell das Sagen neben dem Gesagten explizit. Die dabei entstehenden pragmatischen Bedeutungen werden prototypisch als Satzmodi beschreibbar, kreativer Sprachgebrauch sowie kontextuelle und situationelle Besonderheiten können den pragmatischen Bezug jedoch vielfach variieren. Eine solche Variation erzielt in der Regel eine speziellere modale Bedeutung aus einer an sich für eine allgemeinere Bedeutung kodierten Form, vgl. zu den Möglichkeiten kreativer Zeichenverwendung in skalaren Paradigmen Fritz (2000, 207). Am weitesten in der Berücksichtigung der Merkmalhaftigkeitshierarchie des Satzmodus geht das Modell von Zifonun (in Zifonun/Hoffmann/Strecker u. a. 1997, 608 f.), das drei Ebenen zwischen Modalzeichen und Pragmatik vorsieht: Der Modus von kommunikativen Minimaleinheiten (KM-Modus) und Sätzen ergibt sich dabei aus grundlegenden ‘Satztypen’, die Bündelungen von modalen Merkmalen darstellen, welche von „überprägenden Formmerkmalen“ wie Verbmodus, Modalverben und anderen zu ‘Formtypen’ variiert werden. Erst diesen merkmalhaft variierten Formtypen entsprechen semantische ‘Funktionstypen’, die zum Sprechakt hinführen: (2)
KM-Modus
Formtyp
Funktionstyp
Satztyp überprägende Formmerkmale
Das nicht selten genannte Ziel, die Zusammenfassung verschiedener Formmerkmale zu Satzmodi nicht nur funktional, sondern auch formal zu begründen, könnte einem besseren Verständnis der Modalität auch im Wege stehen. Immerhin kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Idealvorstellung von Form und Funktion eine letztlich unangebrachte Forderung an natürliche Zeichenstrukturen stellt, die eventuell ökonomischer an die Bedingungen menschlicher Reizverarbeitung angepasst sind als es symmetrisch korrelierende Zeichenmodelle abbilden. Ein Verzicht auf die Beschreibung der Zusam-
74. Modalität
menhänge zwischen Form und Inhalt ist jedoch ebenfalls nicht angebracht. Er würde die unnötige Aufgabe des Ansatzes bedeuten, sprachliches Handeln auf der Grundlage der dazu verwendeten Zeichen zu erklären. Im Bereich der Literatur zu Valenz und Dependenz hat das Modell von Altmann (1993, 1019 f.), das die fünf Satzmodi Aussagesätze, Fragesätze, Imperativsätze, Wunschsätze und Exklamativsätze eingehend differenziert, den stärksten Niederschlag gefunden, etwa in knapper Form bei Heringer (1996, 152 f.) und Meibauer (1999, 70 f.), um weitere Satzarten ergänzt bei Eroms (1994, 7 f.; 2000, 106 f.). Den Satzmodi ordnet Eroms explizit 17 Satzarten zu, wobei dem merkmallosen V2-Aussagesatz mit fallendem Offset (3) ein merkmalhafter V1-Aussagesatz (4), sieben Fragesatzarten (5) bis (11), drei Aufforderungssatzarten (12) bis (14), zwei Wunschsatzarten (15) und (16) sowie drei stark spezialisierte Exklamativsatzarten (17) bis (19) gegenüberstehen: (3)
Kurzfristiges Marktdenken ruiniert den Planeten Erde.
(4)
Ruiniert kurzfristiges Marktdenken doch den Planeten Erde.
(5)
Ruiniert kurzfristiges Marktdenken den Planeten Erde?
(6)
Ob kurzfristiges Marktdenken wohl den Planten Erde ruiniert?
(7)
Ruiniert kurzfristiges Marktdenken den Planeten Erde oder nicht?
(8)
Kurzfristiges Marktdenken ruiniert den Planeten Erde?
(9)
Was ruiniert den Planeten Erde?
(10) Kurzfristiges Marktdenken tut was? (11) Was kurzfristiges Marktdenken wohl ruiniert? (12) Ruinieren Sie nicht den Planeten Erde! (13) Dass Sie mir ja nicht den Planeten Erde ruinieren! (14) Möge kurzfristiges Marktdenken nicht den Planeten Erde ruinieren! (15) Würde kurzfristiges Marktdenken doch nicht den Planeten Erde ruinieren! (16) Wenn kurzfristiges Marktdenken doch nicht den Planeten Erde ruinieren würde! (17) Ruiniert kurzfristiges Marktdenken doch einfach den Planeten Erde!
1005 (18) Dass kurzfristiges Marktdenken so einfach den Planeten Erde ruiniert! (19) Wie ruiniert kurzfristiges Marktdenken aber auch den Planeten Erde! In allen Nicht-Aussagemodi kommen alle Verbstellungsvarianten vor, wobei die VLMarkierungen in selbständigen Sätzen als besonders merkmalhaft und funktional spezialisiert erkennbar sind. Die Modi, die Wunschund Exklamativsatzarten vertreten, sind ebenso wie der VL-Aufforderungssatz zusätzlich durch Akzentsetzung merkmalhaft. Eine nähere Betrachtung der Merkmalhaftigkeitsverhältnisse notiert weitere Korrelationen der Varianten: Markierte Verbstellungen (V1, VL) sind gängig mit mindestens einem weiteren modalen Nicht-Standard-Merkmal verbunden, also etwa dem Auftreten von Partikeln im V1-Aussagesatz, dem Imperativ im V1-Aufforderungssatz, dem Konjunktiv II in den V1-/VL-Wunschsätzen usw. Solche Beobachtungen können dazu genutzt werden, zwischen den einzelnen modalen Zeichen hierarchische Bezüge zu rekonstruieren. Die Verbstellung erweist sich dabei auch dadurch gegenüber anderen modalen Signalen als übergeordnet, dass sie regelmäßig die erste grammatische Information ist, die in der linearen Abfolge eines Satzes kodiert und dekodiert wird. Da das erste Wort im Satz, wenn es kein koordinierendes Textwort ist, das diese Markierung aufschiebt, entweder finites Verb (J V1), w-Element (J V2 oder VL), Teil des ersten Satzglieds (J V2) oder subordinierende Konjunktion bzw. Relativpronomen (J VL) ist, lassen sich bereits in einer frühen Phase der Rezeption des Satzes zuverlässige Schlüsse über die Merkmalhaftigkeit der Verbstellung und damit des Satzmodus ziehen. Einen besonderen Status nehmen im Übrigen die VL-Sätze ein, deren subordinierte Basisvariante in der Regel nicht im Zusammenhang mit dem Satzmodus, sondern bei den Satzgefügen behandelt wird. Da der abhängige Satz (prototypisch: der mit dass eingeleitete Inhaltssatz) keine Handlungsbedeutung trägt, sondern die finite Abbildung der Proposition ermöglicht, sollte er sich als markierter Sondertyp in die Systematik des Satzmodus einbeziehen lassen. Bei der Nutzung dieser Satzart ohne sprecher- bzw. handlungsbezogene Bedeutung in selbstständigen Sätzen ergeben sich stark markierte Satzarten, wie es aus einer merkmalorientierten Perspektive auch zu erwarten ist.
1006
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Die Zusammenfassung der modalen Formvarianten zu den funktionalen Bedeutungsgruppen Aussage, Frage, Aufforderung, Wunsch und Exklamation erlaubt die Einbindung nicht-wortförmiger Zeichen in die Valenz- und Dependenzgrammatik, die grundsätzlich als Wortgrammatik konzipiert ist. Der satzmodale Status gilt dann als Knoten über dem Verb. Auf diese Weise wird die Satzebene in die Darstellung einbezogen, die dependenziell ausgerichtete Verbgrammatik also zur Satzgrammatik hin erweitert. Eroms (2000, 113 f.) setzt entsprechend den fünf Satzmodi folgendes Paradigma der Startsymbole des Satzes S an, das so weit wie möglich die Finalzeichen der entsprechenden verschrifteten Sätze nutzt: (20) S J {S., S?, S!, S-, S\} S. Aussagesatz S? Fragesatz S! Aufforderungssatz S- Wunschsatz S\ Ausrufesatz Die Grundstruktur des Aussagesatzes ergibt sich damit als: (21)
S
Verbalkomplex Ergänzungen
Angaben
Die Sätze (5) und (8) aus der Beispielreihe erhalten damit die folgende Struktur: S?
(22)
ruiniert Marktdenken kurzfristiges
den
Planeten Erde
Neben der Berücksichtigung des Satzmodus bietet die Einbeziehung eines Satzknotens weitere Vorteile: Sie eröffnet Stellungsfelder für syntaktische Elemente, die sich auf den Satz als ganzen beziehen und deshalb in den verbbezogenen Stemmata nur mit Kompromissen unterzubringen sind. So finden Textwörter wie die koordinierenden Konjunktionen ihren Platz über S, was einer ikonischen Abbildung ihrer Stellung im Vor-Vorfeld des
Satzes entspricht, am Beispiel des Aussagesatzes: (23) Konjunktion
S. ...
Auch modale Zeichen mit Satzbezug wie die Satzadverbien können stemmatisch adäquat als zum Satz gehörig abgebildet werden, dazu erst hier 3.2.1. Mit der Reinterpretation nichtwortförmiger Zeichen in einem Startsymbol mit Wortstatus wird keine Satzbasis gewählt, die ein konstitutionelles Element in die Abhängigkeitsgrammatik bringt. Es bleibt jedoch zu überlegen, ob es sich bei dem Verhältnis zwischen Sagen und Gesagtem tatsächlich um ein durch eine Rektionskante abzubildendes Dependenzverhältnis handelt oder ob die satzmodalen (oder auch sonstigen pragmatische Zeichen in S, das ja auch als ‘Sagen’ gelesen werden kann) nicht alternativ als zur Proposition ‘dazugesagt’ markiert werden können. Deshalb scheint auch eine parallele Beiordnung von S zum Verbalkomplex und seinen Dependentien denkbar, wie sie Eroms für das Verhältnis zwischen dem funktional zeigenden Artikel und dem inhaltlich qualifizierenden Substantiv annimmt (Eroms 2000, 253): (24) Artikel ∪ Substantiv Satzmodus ∪ Proposition Diese Sicht führt zu einer grundsätzlichen Trennung von Trägern funktionaler und inhaltlicher Information auf den zentralen Ebenen des Satzes. Überlegungen zur Finitheit ´ gel (1993, 1 f.) vordes Substantivs, wie sie A bringt, legen eine solche Parallelität ebenfalls nahe, gehen jedoch nicht von den pragmatischen Leistungen des Satzmodus sondern von dem Verhältnis zwischen Artikel und Nomen aus, das linguistisch nicht zum Bereich der Modalität gezählt wird, obwohl in der logischen Formalisierung von Modalsemantik und Quantorensemantik starke Parallelitäten bestehen, die auf das Artikelsystem anwendbar sein dürften. Ob der Status von pragmatischen und propositionalen Informationen tatsächlich auf den genannten Ebenen in dieser Weise vergleichbar ist, ist jedoch noch nicht geklärt. Auch wenn die Erweiterung des Valenzstemmas durch den Satzknoten nicht durchwegs Zustimmung findet ⫺ Heringer
74. Modalität
(1996, 152) etwa spricht sich mit dem Verweis auf die Nicht-Wortförmigkeit der modalen Parameter Intonation und Topologie grundsätzlich dagegen aus ⫺, darf sie als ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Integration funktionaler Signifikanten in das ansonsten vorwiegend propositional ausgerichtete Valenzmodell des Satzes bezeichnet werden. 3.2. Modus und Modalität des Verbs Wie die Satzmodusmodelle steht auch die modale Syntax des Verbs vor dem Problem, wortförmige und nicht-wortförmige Zeichen in konsistenten funktionalen Konzepten zu vereinigen. Die Beschreibung des Verbmodus weist dabei eine lange Tradition auf, die mit ihrer starken Ausrichtung am Lateinischen analytische Verbalkonstruktionen oft nur als umschreibend im Hinblick auf synthetische Formen betrachtet hat (3.2.1). Im Bereich der Modalverbkomplexe, die sich durchgehend auf wortförmige Einheiten gründen, wird die Einbeziehung von sprecherbezogenen Bedeutungen wie den epistemischen Funktionen von Modalverben zum Problem, die oft als grammatikalisiert betrachtet werden und dann auch syntaktisch den analytischen Modusvarianten näher stehen müssten als den formgleichen nicht-epistemisch verwendeten Modalverbkonstruktionen (3.2.2). 3.2.1. Verbmodus Die gebundenen Morpheme des Verbmodus wurden und werden in der Grammatikschreibung vielfach als Kernbestand der Modalität in den indoeuropäischen Sprachen betrachtet. Mit der Formulierung der Konzepte des Satzmodus stellt sich die Modalität am Verb jedoch als Teil einer übergeordneten Modalitätskategorie dar, die den ganzen Satz umgreift. Verbmodale Zeichen variieren danach wie alle anderen modalen Zeichen die modale Gesamtbedeutung des Satzes, die sich aus der Berücksichtigung der modalen Signifikanten in einer Art merkmalgesteuerter Gesamtrechnung ergibt. Die Dominanz des Verbmodus in der herkömmlichen Modalitätsbeschreibung ist wohl damit zu erklären, dass das synthetische verbmodale Paradigma zum einen die wesentlichen Variationen des Aussagesatzes stellt: So ist der Indikativ die Grundlage von Äußerungen, die die Faktizität der Proposition behaupten, während die Konjunktive in Modalitäts- (typisch: Hypothese durch Konjunktiv II) und Indirektheitskontexten (typisch: Sprecherverweis durch Konjunktiv I) Verwendung finden und die Entste-
1007 hung der Faktizitätsbedeutung verhindern, (vgl. Zifonun in Zifonun/Hoffmann/Strecker u. a. 1997, 1743 f.). Zum anderen sind auch die Satzmodi Befehlssatz und Wunschsatz prototypisch mit den synthetischen Verbmodi Imperativ und Konjunktiv II korreliert. Das Zusammenwirken der einzelnen Varianten des Paradigmas nach dem Merkmalhaftigkeitsprinzip wird zunehmend als pragmatisch begriffen und im Rahmen des Kooperativitätsprinzips modelliert (vgl. Lötscher 1997, 105 f.). Die Verbindung der Modusinformation mit der Information über Tempus und Numerus in der Flexion des Verbs ermöglicht der dominant valenziell ausgerichteten Verbgrammatik Tesnie`res die weitgehende Vernachlässigung der funktionalen Ebene des Satzes, da das finite Verb als lexikalischer Kern der Proposition im Zusammenhang mit seiner Flexion einen großen Teil der Funktion in nuce vereinigt. Erst die Einbeziehung von weiteren satzmodal relevanten Kennzeichen hat dazu geführt, den Satz und nicht das Verb als obersten Regens anzunehmen. Das Verb stellt dann den funktionalen Knoten im Zentrum des Satzes dar, der die Weichen für den Transport der wichtigsten grammatischen Informationen zwischen dem Satz und seinen Teilen stellt (vgl. Eroms 2000, 130). Die Verbmodusinformation fließt dabei auf allen Ebenen: Vor ihrer Bündelung hinauf zum Satz vermittelt sie informationsbezogen zwischen den zentralen Satzgliedern. Zemb (1978 (Bd. 2), 97 f.) beschreibt in Anlehnung an die Sprachtheorie von Aristoteles die prädikative Vermittlerfunktion der Modussignale zwischen thematischen und rhematischen Bestandteilen des Satzes und nennt sie phematisch: Das Phema entscheidet darüber, ob dem Thema ein Rhema zu- oder abgesprochen wird, bzw. spezialisiert dieses Verhältnis mithilfe von expliziten modalen Signifikanten. Die Abspaltung des Flexionsmorphems in einer eigenen Kategorie ist nicht nur in Dependenzgrammatiken heute allgemein verwirklicht (vgl. Heringer 1996, 57). Diese Trennung fällt einer Wortgrammatik umso leichter, wenn die Flexion in einem selbständigen Wort wie einem Auxiliar realisiert ist, also in analytischen Verbalkonstruktionen. Als analytische Konstruktion im Modusbereich ist nur die Form würde mit Infinitiv unumstritten, die in vielen Fällen einen synthetischen Konjunktiv II ersetzen kann (vgl. Fabricius-Hansen 1998, 135 f.). Das Auxiliar ist Regens des Inhaltsverbs, das hier im Infinitiv
1008
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
ohne zu erscheint (vgl. Engel 1991, 468 f.; Eroms 2000, 147 f.; Heringer 1996, 70 f.): (25)
S.
des Finitums in Sätzen mit sogenanntem Ersatzinfinitiv (hier: dürfen statt gedurft; nur selbständig: Er hat hinaus gedurft) nicht konsequent verwirklicht: (27) dass es ihn ruinieren dürfen wird.
würde
(28) *dass es ihn ruinieren dürfen hat. (29) dass es ihn hat ruinieren dürfen.
Marktdenken kurzfristiges
ruinieren den
Planeten Erde
Die Sonderstellung des Subjekts, begründet vor allem durch die Kongruenz mit dem finiten Verb, legt die Anbindung der Subjektergänzung direkt unter dem Auxiliar nahe, so Eroms (1985, 314). 3.2.2. Modalverbkomplexe Modalverben sind lexikalische Operatoren über Propositionen. Im Bereich der hier relevanten Arbeiten gelten sie entweder als valenzlos oder sie werden als einwertig mit obligatorisch satzförmiger Ergänzung eingeordnet (etwa im Rahmen der Verbativergänzung von Engel 1991, 198). Das Modalverb ist dabei Regens der von ihm abhängigen Verbalphrase, wobei es gleichzeitig Dependens eines übergeordneten auxiliaren Regens sein kann: S.
(26)
hat Marktdenken dürfen
kurzfristiges ruinieren
den
Planeten Erde
Die Struktur der Verbalphrase mit Modalverb erscheint zwar analog zu anderen Verben, die Verben regieren, sie folgt hier jedoch nicht wie gewöhnlich der Verbstellung gelesen vom Ende des entsprechenden abhängigen Inhaltssatzes, da dieser die Endstellung
Um Modalverben im Hinblick auf Auxiliarverben und Vollverben zu differenzieren werden eine Vielzahl von Kriterien herangezogen, von denen sich keines als allein ausreichend erwiesen hat (vgl. Helbig 1995, 207). So erfordert bereits die Bedingung der Rektion von Verben mit einfachem Infinitiv ohne zu auch den Ausschluss von adverbialen Infinitiven und Infinitiven in AcI- bzw. Kontrollkonstruktionen: (30) Er geht jeden Morgen kurzfristig marktdenken. (31) Wir sehen kurzfristiges Marktdenken den Planeten Erde ruinieren. (32) Wir lassen kurzfristiges Marktdenken den Planeten Erde ruinieren. Die Rekonstruktion des Status der Modalverben unter den Verben ist insbesondere dadurch erschwert, dass einzelne Modalverben wie wollen Verwendungen mit direkter Kasusrektion oder Satzrektion statt Infinitivrektion zulassen, die entweder als in Bezug auf das Vollverb elliptisch erklärt werden müssen oder homonyme Vollverbvarianten der Modalverben ins Spiel bringen: (33) Wir wollen kein kurzfristiges Marktdenken. (34) Wir wollen, dass der Planet Erde nicht ruiniert wird. Die meisten Grammatiken erfassen die Modalverben mit Infinitivrektion inzwischen als eigene Verbklasse, schlagen sie also weder den Auxiliaren noch den Vollverben zu. Die Markierung von Sätzen durch Modalverben erzielt vielfältige Bedeutungen, wobei die umfangreiche Literatur gängig zwei Hauptfunktionen unterscheidet, die hier als epistemischer und nicht-epistemischer Gebrauch bezeichnet werden, zu dieser Unterscheidung und ihrem terminologischen Niederschlag vgl. Öhlschläger (1989, 132). Während nicht-epistemisch verwendete Modalverben die Proposition bei voller Sicherheit des Sprechers im Hinblick auf die Grundbedeu-
1009
74. Modalität
tung des Modalverbs spezialisieren, ergeben sich bei epistemischen Verwendungen für alle Modalverben Bedeutungen, die eine explizite Einschätzung der Faktizität des Sachverhalts durch den Sprecher zum Ausdruck bringen (vgl. Diewald 1999, 14). Der Hörer kann den Sprecher dann nicht mehr auf seine volle Sprechersicherheit festlegen. Dies wird im Fall von dürfen besonders deutlich, das in epistemischen Verwendungen zusätzlich durch den Konjunktiv II markiert sein muss (vgl. Fritz 2000, 136): (35) Es darf ihn ruinieren. (Erlaubnis) (36) Es dürfte ihn ruinieren. (hohe Wahrscheinlichkeit) Unterschiede in der stemmatischen Darstellung beider Varianten werden aber gängig nicht gemacht: (37)
S. darf es ruinieren ihn
S. dürfte es ruinieren ihn
Befürworter einer syntaktischen Differenzierung beider Verwendungsweisen können sich auf Argumente des Grammatikalisierungsansatzes stützen, wodurch die Perspektive um diachrone Beobachtungen erweitert wird: So werden die epistemischen Verwendungen vielfach im Unterschied zu den nicht-epistemischen als grammatikalisiert bezeichnet (vgl. Diewald 1999, 20 f.). Die Herausbildung der sprecherbezogenen Faktizitätsbewertung als alternativer Bedeutungsmöglichkeit aller Modalverben seit dem Mittelhochdeutschen ist unstrittig und mit historischen Sprachbelegen unschwer nachzuzeichnen (vgl. Fritz 1997, 1 f.). Fraglich ist jedoch, ob sich tatsächlich grammatisch zwischen den Trägern der beiden Verwendungsweisen im Laufe der Zeit ein Unterschied ergeben hat, der in den syntaktischen Modellen der Gegenwartssprache berücksichtigt werden müsste. Auf der Formseite wird hier vor allem auf die abnehmende paradigmatische Variabilität der epistemischen Konstruktionen verwiesen: Die epistemischen Modalverbverwendungen sind nicht in allen Paradigmenformen grammatisch (vgl. Diewald 1999, 25 f.). Tatsächlich können die beobachtbaren Einschränkungen in Bezug
auf Tempus und Modus (vgl. im Überblick Helbig 1995, 212) aber auch als Folge der Spezialisierung der Funktionsbedeutung angesehen werden, die z. B. eine gleichzeitige Markierung des Sprecherverweises im Konjunktiv I und der sprecherbezogenen Faktizitätseinschränkung nicht zulässt. Dass die epistemischen Modalverben mit Referat und Hypothese im Wesentlichen die gleichen Funktionen wie Verbmodi abdecken, kann im Hinblick auf andere lexikalische Varianten mit gleicher Funktion kaum als Grammatikalisierungsindiz gelten. Anders als z. B. die Kodierung des hypothetischen Wunsches durch Konjunktiv II ist die Vermeidung der Festlegung des Sprechers auf die volle Faktizität der Aussage im Aussagesatz auch lexikalisch möglich: (38) Es ist vielleicht so, dass … (39) Es ist angeblich so, dass … Die Bestimmung des grammatischen Status der Modalverbkonstruktion muss wie im Fall des Satzmodus an der Formseite und nicht an der Bedeutungsseite ansetzen. Dabei ist die modale Merkmalhaftigkeit der Formen zu berücksichtigen, die zu den einzelnen Funktionsbedeutungen vermitteln. Bei den Modalverben in synthetischen Tempora ergeben sich hier kaum Ansatzmöglichkeiten, da auch auf den ersten Blick eindeutige Sätze wie (40) Der Vater muss noch das Geschirr abwaschen. (frei nach Helbig 1995, 213) in beiden Lesarten verstehbar sind. Die in diesem Zusammenhang oft angesprochenen analytischen Tempora weisen dagegen auffällige Unterschiede zwischen epistemischen und nicht-epistemischen Verwendungen auf: So zeigt Leirbukt (1984, 228 f.) an zahlreichen Beispielen, dass die manchmal formulierte Regel, analytische Infinitive nach Modalverben stellten notwendig einen Kontext für epistemische Bedeutungen dar, nicht greift: (41) Bei einem langanhaltenden Heulton müssen Sie innerhalb von 10 bis 15 Sekunden diesen Abschnitt verlassen haben. Auch Modalverbkonstruktionen weisen eine asymmetrische Opposition zwischen einer merkmallosen Form auf, die tendenziell beide Bedeutungen transportieren kann, und einer merkmalhaften Form, die auf eine Bedeutung beschränkt ist (vgl. Jakobson 1974, 132 f.). Diese merkmalhafte Form kodiert aber nicht-
1010
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
epistemische Bedeutungen, für epistemischen Gebrauch ist sie ohne weitere modale Markierung blockiert: (42) Sie haben müssen.
den
Abschnitt
verlassen
Es handelt sich um die erst in neuhochdeutscher Zeit entstandene Form mit Auxiliar und Ersatzinfinitiv, die nicht in allen germanischen Sprachen vorkommt: (43) *They have must leave this area. Die epistemischen Verwendungen, aber nicht nur diese, speisen sich dagegen aus den Kodierungen, die bereits im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen für komplexe Modalverbkonstruktionen verwendet wurden und auch in anderen germanischen Sprachen weiterleben (alle älteren Beispiele aus dem ‘Ring’ von Heinrich Wittenweiler, Konstanz um 1409, hg. v. Horst Brunner, Stuttgart 1991): (44) Er möcht die pain zerpossen han. (45) He could have broken his bones. (46) Ir möcht nit wirser han getan. (47) You could not have done worse. In Bezug auf die Grammatik des Verbalkomplexes hat sich also gerade bei den epistemisch zu verstehenden Modalverben, die im älteren Deutsch freilich nur mit dem Verb mac (nhd. mögen) einigermaßen belegt sind, wenig geändert: (48) ‘Trun, du macht ein hüerrel sein, mich triegin dann die sinne mein!’ Diese epistemische Bedeutung hat sich ausgehend von der durch semantische Merkmallosigkeit prototypischen epistemischen Bedeutung ‘können’ (vgl. Fritz 2000, 128) als Variante aller Modalverben etabliert. Dies hat etwa mit dem Fehlen von epistemischem dürfen, das nicht zusätzlich durch Konjunktiv II markiert ist, zwar einzelne morphologische Konsequenzen, diese dürften für eine syntaktische Ausgliederung des Funktionsbereichs aber nicht ausreichend sein. Die Argumente des Grammatikalisierungsansatzes lassen die Annahme einer syntaktischen Sonderstellung der epistemischen Modalverbkonstruktionen insgesamt nicht als zwingend erscheinen. Sie rekonstruieren eine Symmetrie zwischen Ausdruck und Inhalt, in der die funktionalen Bedeutungen den Bezug zu den tatsächlichen formseitigen Voraussetzungen verlieren, die
die epistemische Funktion als eine Deutungs-, aber nicht als eine Zeichenvariante von Modalverbkonstruktionen enthalten. Als tatsächlich syntaktisch zu berücksichtigende Unterschiede zwischen Modalverbkonstruktionen ergeben sich lediglich die Merkmale, die die markierte nicht-epistemische Konstruktion mit Auxiliar und Ersatzinfinitiv von den unmarkierten Modalverbkomplexen unterscheiden: (49) Markiert: S.
haben
Unmarkiert: S. S.
müssen
sie müssen ihn sie haben ihn verlassen
müssen sie ver- ihn lassen
verlassen
Weiter gehende Differenzierungen der funktional unmarkierten Varianten setzen die geeignete Deutung der Modalisierung des Sachverhalts in der Situation voraus. Je nach epistemischer bzw. nicht-epistemischer Lesart kann eine Verneinung in Modalverbkonstruktionen unterschiedlichen Bezug haben. Dies ist vor allem bei dürfte der Fall: (50) Die Ware dürfte nicht gebraucht worden sein. Je nachdem, ob der Satz als z. B. höflich modalisierte Voraussetzung für den Umtausch der Ware oder als epistemische Einschätzung des Sprechers verstanden wird, verneint nicht das Modalverb oder das Infinitivverb: (51) Die Ware dürfte-nicht gebraucht worden sein. (nicht-epistemisch; modale ‘Notwendigkeit, dass nicht’: ‘ist notwendigerweise nicht gebraucht worden’) (52) Die Ware dürfte nicht-gebraucht worden sein. (epistemisch; modale ‘Nicht-Notwendigkeit’: ‘ist nicht notwendigerweise gebraucht worden’) Diese Verhältnisse sind im Deutschen wie in anderen Sprachen dadurch verschleiert, dass die Modalverben auf der Oberfläche vielfach wie Vollverben verneint werden und nicht wie Modalausdrücke: So bedeutet etwa muss nicht ‘Nicht-Notwendigkeit’ und nicht wie für den Modaloperator erwartbar ‘Notwendigkeit, dass nicht’. Kann nicht bezeichnet normalerweise ‘Notwendigkeit, dass nicht’ und
1011
74. Modalität
nicht ‘Nicht-Notwendigkeit’. Für die Modellierung der Negationsverhältnisse von Modalverben liegen inzwischen detaillierte semantische und pragmatische Modelle vor, die eine einheitliche syntaktische Beschreibung erlauben (vgl. Lenz 1992, 1 f.): (53)
S.
dürfte
die
Ware
sein
worden
gebraucht
nicht
3.2.3. Modalitätsverbkomplexe Der Blick auf Verben wie scheinen, pflegen, drohen und versprechen hilft, die Strukturen der Verben mit modalen Bedeutungen weiter zu erhellen. In Verwendungen mit zu-Infinitiv weisen diese Verben Lesarten auf, die den epistemischen Bedeutungen von Modalverben ähnlich sind, da sie eine faktizitätsbezogene Bewertung einer Aussage vornehmen. Dies ist hier jedoch fest mit weiteren Bedeutungsgehalten verbunden (vgl. Askedal 1997, 12 f.): (54) Der Fall Yagmurdereli scheint zu bestätigen, was Günter Grass der Türkei vorwirft: staatliche Willkür.
Infinitiv die epistemische Bedeutung die Grundbedeutung des Verbs darstellt, die freilich nicht immer an eine Realisierung mit explizitem Infinitiv gebunden ist, (58) Es scheint nichts anderes möglich, als sich zu fügen., transformiert pflegen, wenn es sich auf eine Proposition bezieht, die Stelle der Akkusativergänzung zur Verbativergänzung. Drohen und versprechen verlieren in ihren epistemischen Varianten die Dativergänzung, die die entsprechenden Vollverben aufweisen. Da diese Valenzreduktion nur eine fakultative Ergänzung trifft, ergeben sich für drohen und versprechen zahlreiche ambige Verwendungen, die in der alten Rechtschreibung obligatorisch durch Kommasetzung zu differenzieren waren: (59) Er beschimpft sie und droht (,) ihren Eltern zu erzählen, dass die Tochter als „billige Nutte“ in Deutschland arbeitet. (60) Handel und Industrie versprechen (,) Ostprodukte zu ordern und Aufträge an ostdeutsche Firmen zu vergeben. Die sogenannte inkohärente Exposition der von drohen und versprechen abhängigen Infinitivkonstruktion in das Nachfeld eines untergeordneten Satzes, die Askedal (1997, 13) in Anlehnung an Bech (1955, 126 f.) nur für die nicht-epistemischen Beispielsätze als grammatisch bezeichnet, dürfte in der Gegenwartssprache auch bei epistemischen Verwendungen dieser Verben möglich sein: (61) … nach langwierigen Verhandlungen, die schon drohten, sich zu zerschlagen. (62) … weil dieser Streit versprach, große Erfindungen hervorzurufen.
(55) Argumente seien sekundär, pflegt der Kanzler Vertraute zu belehren, „ihr müßt erst einmal richtig empfinden.“
Scheinen und pflegen in dieser Funktion zeigen regelmäßig die kohärente Konstruktion, die das finite Verb am Satzende aufweist.
(56) Das Experiment Euro droht zu scheitern, noch ehe es begonnen hat.
(63) … nach langwierigen Verhandlungen, die sich schon zu zerschlagen schienen.
(57) Die für das Kabinett entworfenen „Eckpunkte“ versprechen, die Versorgungsquote für Beamte langfristig auf 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen.
(64) … weil dieser Streit große Erfindungen hervorzurufen pflegte.
Die epistemischen Bedeutungen verhalten sich dabei syntaktisch im Einzelnen ganz unterschiedlich zu den entsprechenden Vollverbbedeutungen: Während bei scheinen mit
Parallel zu den Modalverben erlauben auch die epistemischen Varianten von drohen und versprechen keine Pronominalisierung der Infinitivkonstruktion und bilden eine ganze Reihe von morphologischen Formen nicht, etwa den Imperativ. Als wichtigste Gemeinsamkeit gilt jedoch das Verhalten in komple-
1012
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Markiert: S.
Unmarkiert: S.
lassen noch infinit vorkommen, weil nur das Nebeneinander von lexikalischer Modalbedeutung und morphologischer Finitheit eine pragmatische Fokussierung des Modalausdrucks zwischen vorwiegend sprecherbezogener oder aussagebezogener Referenz von Wirklichkeit ermöglicht: Liegt der Fokus auf der Eigenbedeutung des modalen Verbs, variiert dieses die merkmallose Modalität des Sagens und eine sprecherbezogene epistemische Bedeutung entsteht. Wird das modale Verb auf die Finitheit hin fokussiert, kommt es zur Deutung der Konstruktion als nicht-epistemisch, die Modalität des Verbs findet dann ihre Begründung in nicht-epistemischen Redehintergründen des Sachverhalts. Bei werden mit Infinitiv, das keine modale Eigenbedeutung besitzt, leistet die nicht-epistemische Bedeutung vor allem die Simulation eines sprecherfreien Futurs. Die Suche nach speziellen Formmerkmalen des epistemischen Gebrauchs von Modalund Modalitätsverben, die die Forschung schon einige Jahrzehnte beschäftigt, könnte sich aufgrund der gezeigten Merkmalhaftigkeitsverhältnisse als grundsätzlich fruchtlos erweisen. Eine Bedingung für das Entstehen einer epistemischen Bedeutung könnte nämlich gerade in der syntaktischen Unmarkiertheit des modalen Verbkomplexes liegen. Zumindest ist auffällig, dass zusätzliche Merkmale wie etwa Korrelate regelmäßig die Möglichkeit zur epistemischen Deutung zerstören:
hat
droht
(70) Der Vermieter droht damit, uns zu kündigen.
xen Konstruktionen: Wenn drohen und versprechen in Perfekt-, Plusquamperfekt- oder Infinitivkonstruktionen auftreten, sind sie stets nicht-epistemisch, also vollverbbezogen zu lesen. Scheinen bildet diese Formen in der Regel nicht. Entsprechende Modalverbkonstruktionen sind in ansonsten modal merkmallosen analytischen Konstruktionen ebenfalls nicht-epistemisch (vgl. Satz (60)), infinit kommen epistemische Modalverben wie im Übrigen auch werden mit Infinitiv nicht vor: (65) Er hat (damit) gedroht, alles den Eltern zu erzählen. (66) Er hat alles den Eltern erzählen müssen. (67) Er steht kurz davor, (damit) zu drohen, alles den Eltern zu erzählen. (68) *Er steht kurz davor, alles den Eltern erzählen zu müssen/werden. (epistemisch) Die Merkmalhaftigkeitsbeziehungen erlauben deshalb für drohen und versprechen die Abstraktion analoger Regeln wie bei den Modalverben: Nicht die epistemische Variante ist morphologisch markiert, sondern eine nichtepistemische Konstruktionsmöglichkeit, die zusätzlich durch kataphorisches Korrelat (in (65) und (67): damit) merkmalhaft sein kann, stellt die spezialisierte Variante: (69)
er zu erzählen
er gedroht zu erzählen alles
alles
ihnen
ihnen
Die Restriktion, dass epistemische Bedeutungen aus ansonsten modal merkmallosen analytischen Verwendungen nicht zu gewinnen sind, hat zur Modellierung aufwendiger syntaktischer Tiefenstrukturen dieser Konstruktionen geführt, kann jedoch auch so erklärt werden, dass modale Infinitivverben immer selbst finit sein müssen, wenn sie epistemische Bedeutungen versprachlichen. Sie können sich in dieser Funktion weder von einem nicht modalen analytischen Auxiliar regieren
(71) Der Vermieter kann das, uns von heute auf morgen kündigen. Die epistemische Verwendung von modalen Infinitivverben scheint damit ähnlichen Restriktionen wie die pragmatischen Konsequenzen des Aussagesatzes zu unterliegen, die ebenfalls nur entstehen, wenn sie nicht durch weitere Merkmale verhindert sind. Solche Parallelen im Bereich der Referenzfunktion legen es nahe, den epistemischen Bereich in engem Zusammenhang mit dem Aussagesatz als ein im Kern pragmatisches Phänomen zu betrachten. 3.3. Modalangaben Die nicht-flektierten lexikalischen Wörter mit modaler Bedeutung, deren Syntax Behaghel (1923, 10) auf einer Seite bewältigt, finden heute eine sehr viel differenziertere Beachtung. Neben dem Status von Modalwörtern
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74. Modalität
und Modalpartikeln muss auch die Syntax der Verneinungspartikel nicht zur Sprache kommen, die in der Wortstellung des abhängigen Satzes denselben Platz einnimmt wie die modalen Wörter (vgl. Zemb 1978 (Bd. 2), 105):
(81) Es regnet *nicht sicher/sicher nicht.
(72) dass es vermutlich regnet. wohl nicht
Den verschiedenen Abstraktionen bei der Klassenbildung nicht-verbaler lexikalischer Wörter mit modaler Bedeutung (vgl. knapp Helbig 1990, 17 f.) entspricht die heterogene Benennung der Paradigmen, Eisenberg (1999, 227) bietet hierzu einen Überblick. In den dependenzgrammatischen Beiträgen heißen die hier als Modaladverbien bezeichneten Wörter auch Modalwörter, Modalpartikeln oder Satzadverbien. Die syntaktische Absorption im Status frei kommutierbarer Satzglieder verschleiert ihre Funktion als nicht-propositionale Bestandteile des Satzes, die ihn im Hinblick auf die Faktizität der Proposition modal spezialisieren. Die Möglichkeit zur Ausgliederung in einen Matrixsatz, die auch für Modalverben und Modalpartikeln gegeben ist, scheint einen propositionalen Status zu erlauben:
Da Modalwörter, Modalpartikeln und die Verneinung Gegenstand eigener Kapitel des vorliegenden Handbuchs sind (vgl. Art. Nr. 75 und 73), beschränken sich die folgenden Ausführungen auf grundsätzliche Überlegungen zur dependenzgrammatischen Modellierung derjenigen modalen Wörter, die im Zusammenhang mit dem Satzmodus eine Rolle spielen. 3.3.1. Satzangaben Adverbien, die satzglied- und vorfeldfähigen Vertreter der Unflektierbaren, erfüllen im Satz die Funktion als Satz- oder Verbangabe. Modaladverbien zählen dabei zu den Satzangaben, die eine Ausgliederung des Adverbs in einen Matrixsatz erlauben (vgl. Brauße in Zifonun/Hoffmann/Strecker u. a. 1997, 1122 f.). Diese ist jedoch nicht auf Adverbien mit modaler Bedeutung beschränkt: (73) Vielleicht regnet es. (74) Es ist vielleicht so, dass es regnet. (75) Heute regnet es. (76) Es ist heute so, dass es regnet. Für den satzbezogenen Status der Wörter in dieser Funktion signifikant ist die Tatsache, dass modale Satzangaben nur durch den ganzen Satz erfragt werden können. Modalwörter antworten dann direkt auf Entscheidungsfragen:
Adverbien, die nicht direkt die Faktizität qualifizieren, erfordern ein zusätzliches Satzäquivalent: (82) Regnet es? Ja, angeblich.
(83) Es ist vermutlich so, dass es regnet. (84) Es kann (so) sein, dass es regnet. (85) Es ist doch so, dass es regnet. Wenn diese Konstruktionen eine Sprechereinstellung zum Sachverhalt versprachlichen, was (insbesondere bei Modalverben) jedoch nicht immer der Fall ist, darf die resultierende unsichere Behauptung aber nicht als Behauptung der Unsicherheit missverstanden werden. Die Funktion der Modalausdrücke als zum Gesagten dazugesagt wird in den entsprechenden kompakten Sätzen deutlicher: (86) Vermutlich regnet es. (87) Es muss regnen.
(77) Regnet es? Vielleicht.
(88) Es regnet doch.
(78) *Regnet es? Heute.
Im dependenziellen Stemma hängt die modale Satzangabe vom modalen Regens ab. Modelle mit Satzknoten erlauben die Einordnung direkt unter S, vgl. Eroms (2000, 222 f.):
Dies ist allerdings auch bei manchen Adjektiven wie sicher, natürlich und anderen möglich, die in dieser Funktion dann wie die Modalwörter in der Regel unbetont sind, meist im Vorfeld stehen und von Kontrastfällen ausgenommen nicht im Fokus einer Verneinung auftreten (vgl. Erben 1984, 82 f.):
(89)
S. vielleicht regnet
(79) Regnet es? Sicher./Bestimmt./Natürlich. (80) Sicher regnet es.
es
1014
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Die Kombination mehrerer Modaladverbien ist möglich, wenn sie unterschiedliche modale Aspekte versprachlichen. Die Beschreibung dieser Möglichkeiten setzt allerdings eine eingehende semantische Differenzierung voraus, die hier nicht geleistet werden kann. 3.3.2. Modale Funktionen von Partikeln Modale Kleinwörter, die das Vorfeld nicht besetzen können und keine Satzgliedposition einnehmen, fallen dem Partikelstatus im engeren Sinne zu. Partikeln sind in der Regel unbetont und geben keine Antwort auf Entscheidungsfragen. Abgesehen vom Vorfeld sind ihre Stellungsmöglichkeiten im Satz wenig eingeschränkt, sie können im Prinzip zwischen allen Satzgliedern stehen, nehmen aber im V2-Satz meist die Stellung nach dem finiten Verb ein. Heringer (1996, 181 f.) bezeichnet sie aufgrund ihrer Stellungsfreiheiten zusammen mit den Satzadverbien und nicht als „Rangierteile“. Die Abgrenzung von anderen Nicht-Flektierbaren ist im Einzelnen noch nicht endgültig geklärt (vgl. knapp Helbig 1988, 32 f.):
(96)
S. es regnet wohl
S. es regnet wohl
(90) Es hat doch geregnet.
Da Modalpartikeln keinen Satzgliedstatus aufweisen, müssen Grammatiker wie Engel (1991, 231 f.) tendenziell auf die operationale Begründung des Satzgliedbegriffs verzichten, wenn Modalpartikeln die Funktion von verbdependenten Angaben zugeschrieben werden soll. Die Besonderheiten der Angaben mit Modalwörtern und Modalpartikeln zeigen insgesamt, dass das Konzept der Angabe an sich prototypisch propositionalisierbare Dependentien des Verbs umfasst und nur mit Kompromissen um die Einbindung der Wörter mit modalen Funktionen erweitert werden kann. Modaladverbien und teilweise auch Modalpartikeln sind im Übrigen nicht darauf beschränkt, die Satzaussage oder ihre Satzglieder zu modalisieren. Sie können auch Skopus über nominale Köpfe innerhalb von Satzgliedern haben:
(91) Es hat aber geregnet.
(97) ein wohl Betrunkener
(92) Es hat wohl geregnet.
(98) ein vermutlich Betrunkener
(93) Es hat nicht geregnet.
Die stemmatischen Abbildungen dieser Konstruktionen, die Propositionen in Nominalphrasen verdichten, zeigen das modale Zeichen als Dependens des Nomens:
Anders als Modalwörter lassen sich Modalpartikeln typischerweise nicht in Nebensätze integrieren:
(99) ein
Betrunkener ein
Betrunkener
(94) Es ist so, dass es vermutlich regnet. (95) ?Es ist so, dass es ja regnet. Während die modalen Satzangaben eine Einschätzung der Faktizität des Sachverhalts zum Ausdruck bringen, transportieren Modalpartikeln stärker spezialisierte sprecherbezogene Einstellungsinformationen, die sich bei der Umwandlung des selbstständigen Satzes in einen dass-Satz als nicht propositionalisierbar erweisen. Modalpartikeln werden deshalb entweder nach den Satzmodi (vgl. Eroms 2000, 106) oder nach den Sprechhandlungen (vgl. Weydt/Harden/Hentschel u. a. 1983, 15 f.) differenziert, in denen sie eine Rolle spielen. Ihren Platz im Dependenzstemma erhalten sie analog zu den Modalwörtern unter S oder unter dem Verb, vgl. Eroms (2000, 484 f.):
wohl
vermutlich
Der funktionale Status von nicht kann weitgehend analog zu den Modalpartikeln beschrieben werden: Auch die Verneinungspartikel lässt sich auf die Proposition, ihre Satzglieder oder deren Satzgliedteile beziehen. Für die Struktur des Modalsystems ist die Behandlung der Verneinung allerdings eine zentrale Entscheidung. Ein Modalmodell, das die Fregesche Bindung der Negation an die Satzproposition respektiert, betrachtet alle Verneinungen im Satz als Negationen entsprechender rekonstruierter Propositionen. Dies ist insofern mit den sprachlichen Erscheinungen kompatibel, als die zentrale modale Bedeutung der Faktizität im Aussagesatz durch die Negation nicht berührt wird: Auch
74. Modalität
Sätze mit Negation führen in der Regel zur ungeminderten Festlegung des Sprechers auf den Wahrheitsgehalt des Satzes und seinen guten Glauben daran. Analog können auch andere Sprechhandlungen so modelliert werden, dass Verneinungen in Fragen, Aufforderungen, Wünschen und Exklamationen vorrangig propositional eingeordnet werden. Spätestens bei der Suche nach den ausdrucksseitigen Äquivalenten der speziellen Sprechhandlungen Frage, Aufforderung usw. selbst ist die Verneinung allerdings auch als pragmatischer Signifikant unverzichtbar. Aristoteles, der bereits das behauptende Sprechen als grundsätzlich verneinend oder bejahend differenziert und damit das Gegenmodell zum verneinungsfreien Fregeschen Behaupten konstruiert hat (vgl. Ehlich 1999, 59), gibt den Rahmen für sprachwissenschaftliche Ansätze vor, die auch die Vielfalt des Sprachhandelns jenseits der Assertion beschreiben. Die durch eine handlungsbezogene Interpretation der Verneinung erweiterten Möglichkeiten zur Modellierung der sprachlichen Konstruktionsfunktion werden allerdings mit der Beschränkung der Möglichkeiten zur überindividuellen Referenz erkauft. Der Gegensatz zwischen Referenz und Konstruktion lässt sich auf diese Weise an der doppelten Rolle der zentralen Operation des Verneinens festmachen: Wir nutzen die Verneinung zur Gestaltung der Welt im Sprachhandeln, brauchen sie aber gleichzeitig, um überhaupt mit differenzierten Begriffen über die Welt sprechen zu können.
4.
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1017
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln 1. 2. 3. 4. 5.
Satzbezogene Funktionswörter Satzadverbien (Modalwörter) Abtönungspartikeln Diskurspartikeln Literatur in Auswahl
1. Satzbezogene Funktionswörter Außer den Hauptsatzkonjunktionen wie und, aber, doch und denn, die dependentiell gesehen den Satz regieren, gibt es noch eine große Anzahl weiterer, auf den Satz bezogener Wörter. Diese haben ganz unterschiedliche Aufgaben und sind wegen ihrer pragmatischen, semantischen und syntaktischen Eigenschaften auch ganz unterschiedlich darzustellen. Es handelt sich um die folgenden Gruppen: 1. Die Satzadverbien, die auch Modalwörter genannt werden. Dies sind Wörter wie wahrscheinlich, glücklicherweise und hoffentlich. Sie beziehen sich in einer noch genauer anzugebenden Weise auf den Wahrheitswert des Satzes. 2. Die Abtönungspartikeln. Diese Wörter, etwa wohl, halt oder denn, greifen auf den Satzmodus zu. 3. Die Diskurspartikeln wie ja und nein als Sprecher-Hörersignale sind dem Satz nebengeordnet. Im Folgenden werden zunächst die Satzadverbien behandelt. Sie haben jeweils klare lexikalische Bedeutungen. Abtönungs- und Diskurspartikeln sind demgegenüber eher über ihre kommunikativen Funktionen in ihrer Bedeutung festzulegen.
2.
Satzadverbien (Modalwörter)
2.1. Grundfunktionen der Satzadverbialia Neben Einzelwörtern finden sich auch Syntagmen, etwa zum Glück oder wie zu hoffen ist. Diese Ausdrücke sind, wie ihre funktionsäquivalenten Einzelwörter, satzgliedwertig. Daher wird im Folgenden auch von Satzadverbialia als einer Kategorie von Angaben gesprochen. Die Klasse der Satzadverbialia kann mit ausschließlich syntaktischen Kriterien nicht ohne weiteres eindeutig bestimmt werden. So sind die Stellungsgesetzlichkeiten zwar ein wichtiger Hinweis auf die Eigenständigkeit
dieser adverbialen Gruppe, weil sie in Aussagesätzen häufig das Vorfeld besetzen, etwa: (1)
Vielleicht holst du Sunna von der Schule ab, und ihr kommt raus, und wir bleiben einfach ein paar Tage hier. (Hermann, S. 86).
Aber sie kommen, wenn auch seltener, auch im Satzinneren vor: (2)
Er sucht vielleicht nach einer Antwort, sagt aber nichts, sondern tritt einige Male mit seinen Militärstiefeln in den Schnee. (Hermann, S. 77).
Weiter ist es auffällig, dass sie wesentlich seltener in Nebensätzen auftreten als in Hauptsätzen. Dies hängt mit ihrer Grundfunktion zusammen, die eine andere als etwa die der situierenden Adverbialia, vor allem der Temporaladverbialia ist. Auch diese haben weiten Skopus. Aber im Gegensatz zu den Satzadverbialia ist es die Proposition, auf die sie sich in ihrer Geltung erstrecken und nicht der Satz als Ganzes. Daher können Temporaladverbialia genauso häufig in Nebensätzen auftreten wie in Hauptsätzen. (3)
Gestern hat es geregnet.
(4)
Wir haben in den Nachrichten gehört, dass es gestern bei euch geregnet hat.
Der Skopus der Satzadverbialia überlagert jedenfalls den der Temporaladverbialia. (5)
Wahrscheinlich hat es gestern geregnet.
Ein Satz wie (6)
Wir vermuten, dass es bei Euch vielleicht geregnet hat.
erscheint in der Vermutungsmarkierung redundant. Das Vorkommen der Satzadverbialia in Nebensätzen muss durch Verschiebung aus einer tiefer liegenden Position erklärt werden. Daher ist statt einer syntaktischen eine semantische Bestimmung der Klasse der Satzadverbialia zunächst erfolgversprechender. Ein früher und relativ vollständiger Versuch findet sich bei Helbig (1984, 127 f.). Hier werden die Satzadverbialia, bei Helbig „Modalwörter“ genannt, folgendermaßen abgegrenzt: MW 1: [⫹ factiv] [⫹ Sprecher] [⫺ Subj] [⫺ emot]
1018
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
vermutlich, hoffentlich, wahrscheinlich, möglicherweise, vielleicht, mutmaßlich, womöglich, wohl, anscheinend, kaum, schwerlich, scheinbar … MW 2: [⫹ factiv] [⫹ Sprecher] [⫺ Subj [⫺ emot] sicher(lich), offensichtlich, selbstverständlich, gewiss, zweifellos, zweifelsohne, natürlich, bestimmt, tatsächlich, wirklich, fraglos, wahrhaftig, augenscheinlich, allerdings, freilich, selbstredend, offenbar, offenkundig, unbedingt … MW 3: [⫹ factiv] [⫹ Sprecher] [⫺ Subj] [⫹emot] bedauerlicherweise, begrüßenswerterweise, enttäuschenderweise, anerkennenswerterweise, dankenswerterweise, erstaunlicherweise, erfreulicherweise, ärgerlicherweise, (un)glücklicherweise, gottlob, leider … MW 4: [⫹ factiv] [⫹ Subj] [von] [( Sprecher] [⫺ emot] dummerweise, klugerweise, leichtsinnigerweise, vorsichtigerweise, neugierigerweise, freundlicherweise, fälschlicherweise, korrekterweise, richtigerweise, eigennützigerweise … MW 5: [⫹ factiv] [⫹[für] [( Sprecher] [⫺ emot] günstigerweise, schädlicherweise, nützlicherweise, beschämenderweise, vergeblicherweise, nutzloserweise … MW 6: [⫺ factiv] [⫹ Subj] [Ag] [( Sprecher] [⫺ emot] angeblich, vorgeblich … Es sind 6 Klassen, die nach Merkmalen, bzw. Merkmalkombinationen unterschieden werden. Die Modalwortklassen 1 und 2 umfassen im Wesentlichen die von Engel (1988, 229⫺ 231) angesetzten judikativen und verifikativen Angaben. Die Merkmale bedeuten: ⫹ factiv: Das Geschehen hat sich tatsächlich ereignet. ⫺factiv: Ob das Geschehen sich ereignet hat, ist nicht gesagt. ⫹ Sprecher: Der Sprecher des Satzes ist impliziert in der Einschätzung. ⫹ Subj: Das Subjekt des Satzes ist impliziert in der Bewertung. ⫹ emot: Das emotionelle Verhältnis des Sprechers zur Aussage.
Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1124) wählen für die Darstellung und Differenzierung der Adverbialia einen kategorialgrammatischen Ansatz. Die Satzadverbialia gehören zur Kategorie V0/V0. Danach bekommt der Satz (7)
Bestimmt kommt der Gasmann.
folgende kategorialgrammatische Darstellung: Bestimmt kommt der Gasmann V0/V0 V0/T
V0 V0 Der Ausdruck bestimmt ist nach Zifonun/ Hoffmann/Strecker ein modales Satzadverbial, und zwar ein „assertives“. Daneben kommen nach ihrer Gliederung „modal abschwächende“ und „negative“ vor. (8)
Es regnet heute wirklich.
(9)
Wahrscheinlich regnet es heute.
(10) Heute regnet es nicht. In allen diesen Sätzen gehört das Adverbial in die Kategorie V0/V0. Zifonun/Hoffmann/ Strecker weisen jedoch auf die gravierenden semantischen Unterschiede hin. Während nicht strikt wahrheitswertfunktional ist, d. h., dass aus der Falschheit von s auf die Wahrheit von nicht (s) geschlossen werden darf, ist im Falle von wirklich bei Weglassung des Wortes keine Wahrheitswertänderung zu konstatieren. Bei wahrscheinlich sei überhaupt keine Aussage über den Wahrheitswert möglich. Wörter wie wirklich und tatsächlich unterstützen die Aussage des Satzes, ohne den Wahrheitswert zu tangieren. Daher können sie sich auch in negativen Sätzen finden. In pragmatischer, semantischer und auch in syntaktischer Hinsicht ist für diese drei Zugriffsebenen eine Schichtung des Satzes anzunehmen, mit der die Funktion der syntaktischen Kategorien erfasst, d. h. auch syntaktisch dargestellt und semantisch funktional bestimmt werden kann. Die von Zifonun/Hoffmann/Strecker den Satzadverbialia als kontextspezifizierende Gruppe angeschlossenen „parametrischen“ und „nicht-parametrischen“ Adverbialia, die u. a. die temporalen und lokalen Adverbialia enthalten, werden in den meisten anderen Ar-
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75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
beiten zur Adverbialsematik und -syntax getrennt behandelt. In einer dependenzbasierten Darstellung ist die Unterschiedlichkeit gut abzubilden, indem eine unterschiedliche Bindungsstelle im Satz für sie bestimmt wird. Dies führt allerdings nicht in jedem Fall zu eindeutigen Unterscheidungen. Es sind jedoch immer prototypische Vorkommen zu finden, auf deren Folie andere zu erklären sind. Weiter ist die Unterschiedlichkeit der angesprochenen Gruppen sowohl, was die Grundeinteilung, vor allem aber was die Feingliederung betrifft, noch weiterzuführen. Besonders in den Kombinationsmöglichkeiten zeigen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Untergruppen. 2.2. Die syntaktische Darstellung der Satzadverbialia Der Satz (11) Wahrscheinlich regnet es heute hier bestimmt nicht. enthält alle Typen satzbezüglicher Adverbialia, wie sie von Zifonun/Hoffmann/Strecker angesetzt werden. Dabei bezieht sich wahrscheinlich auf die Einschätzung des Sprechers zu der Aussage, die er in dem Satz macht. Das Wort ist damit syntaktisch über dem propositionalen Teil zu binden. Es ist satzartenabhängig. Ein Fragesatz, der wahrscheinlich enthielte, ist nicht möglich: (12) *Hat es wahrscheinlich heute hier bestimmt nicht geregnet? Satzartenbezügliche Wörter sind allerdings nicht automatisch auf die Ebene von S zu heben, denn gerade die Abtönungspartikeln sind ebenfalls satzartengebunden, ihre Darstellung ist aber nicht in jeder Hinsicht der der Satzadverbialia parallel. Für diese ergibt sich jedenfalls zwanglos die Bindung an S. Der Satz (9) lässt sich dann so darstellen: , (9 )
S. Wahrscheinlich
regnet es heute Wahrscheinlich regnet es heute .
Diese Darstellungsart setzt voraus, dass in das Stemma der S-Knoten aufgenommen wird. Die Vorteile dieses Ansatzes sind in Eroms (2004) beschrieben. Die wesentlichen Kriterien sind die folgenden: Mit der Aufnahme von S in das Dependenzstemma werden die Satzarten überhaupt erst darstellbar. {S} ist die Menge der Satzarten, die sich in der Auffassung so gut wie aller neueren Grammatiken in Aussagesätze, Fragesätze, Aufforderungssätze, Wunschsätze und Ausrufesätze aufspalten. {S} ist mithin ein syntaktisches Paradigma. Auf die Abgrenzung zu den Sprechakten braucht hier nicht eingegangen zu werden. Oberstes Regens eines jeden Satzes ist also nicht das finite Verb, sondern das Satzartensymbol. Die Rechtfertigung dafür ist aus der verschrifteten Sprache leicht zu geben; es sind die Satzschlusszeichen, die auf diese Weise adäquat erfasst werden können. Denn diese sind mehr als konventionelle Gliederungssignale für den geschriebenen Satz. Die Satzschlusszeichen repräsentieren zusammen mit der Anfangsgroßschreibung den Satz als Ganzen im geschriebenen Text. Dies ist die eine wichtige Begründungstatsache, die andere ist, dass Sätze immer in einer bestimmten Gestalt verwendet werden, eben in je einer der obigen Satzarten. Auf diese Weise bekommen auch in dependentieller Schreibweise Sätze ein satzkennzeichnendes Startsymbol wie in Konstituentenstrukturgrammatiken. Dies ist konstitutionellen Schreibweisen aber insofern überlegen, als hier die Satzarten, die in konstitutionellen Darstellungen entweder sich selbst überlassen oder aber transformationell erzeugt werden, an der Spitze repräsentiert werden. Die Darstellungsform orientiert sich mit diesen Symbolen zwar an der Schriftsprache, doch ist diese auch in der Erfassung der Satzarten ja keine willkürliche oder nur konventionelle Darstellungsart, sondern protokolliert darin effektiv die deutlichen Satzartenmarkierungen der gesprochenen Sprache. Sie liegen vor allem in der Satzintonation. Als suprasegmentales Zeichen überlagert die syntaktische Intonationskontur die Wörter. Dass die Intonation darüber hinaus noch vielfältige andere, vor allem textuelle, gliedernde und steuernde Aufgaben hat, kann hier außer Betracht bleiben. Die Stemmata sind in den meisten Fällen projektiv, d. h., die Kanten schneiden sich nicht und zeigen damit, dass die Serialisierung unmarkiert ist.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Für die Satzadverbialia wird mit dieser Entscheidung gleichzeitig sichergestellt, dass etwaige Satzartenunterschiedlichkeiten miterfasst werden. Denn es sind auch Sätze wie (13) Dass du das tatsächlich geschafft hast! (14) Wenn er doch wirklich käme! mit Satzadverbialia möglich. Das Wort tatsächlich, wie auch die in diese Untergruppe gehörigen Wörter wirklich und bestimmt beziehen sich auf den Wahrheitswert des Satzes. In positiven Sätzen versichert der Sprecher/die Sprecherin damit, dass der Satz wahr ist, in negativen Sätzen, dass er (ohne den Negator) falsch ist. Im Sinne der Konversationspostulate (Grice 1975) wäre dies ein Verstoß gegen das Ökonomiegebot, denn die Wahrheit eines Satzes wird ja mit seinem Aussprechen durch den Sprecher bereits eindeutig festgelegt. Doch sind solche Versicherungssignale nicht gerade selten; sie sichern die Kommunikation in ihrem Verbindlichkeitsgrad. Auch bei ihnen ist die Bindungsstelle S. Sie sind ebenfalls satzartengebunden. Es liegt auf der Hand, dass gerade sie häufig in Entscheidungsfragesätzen vorkommen, denn der Sprecher will sich mit ihrer Hilfe versichern, ob der Kenntnisstand, über den er verfügt, mit dem des Kommunikationspartners übereinstimmt: (15) Willst du das wirklich tun? (16) Hat er es bestimmt getan? Wenn bei den beiden Typen die Bindungsstelle S ist, ist weiter festzulegen, wie die beiden Kategorien im Stemma unterschieden werden können. Das Problem tritt ohnehin nur auf, wenn zwei dieser Satzadverbialia zusammen vorkommen. Dazu lässt sich die Reihenfolge, in der sie dann auftreten, nutzen. Es stehen dann die modal abschwächenden vor den assertiven: (17) Er kommt anscheinend wirklich. (17’)
S. kommt Er anscheinend wirklich Er kommt anscheinend wirklich .
Satzadverbialia haben den Status von Angaben. Dies wird in den einschlägigen Arbeiten
nicht bestritten. Angaben werden im obigen Stemma durch einfache Kanten, Ergänzungen durch stärker gezeichnete an ihr Regens gebunden. Die Qualifizierung einer Dependenzrelation als zur Kategorie der Ergänzungen (E) oder der Angaben (A) zugehörig ist ein für die Dependenztheorie entscheidendes Faktum. Wenn man diesen Unterschied vernachlässigte, setzte man sich dem Vorwurf aus, dass mit Dependenzbindungen nur flache Strukturen zu erzeugen wären. Der Vorteil der Dependenzgrammatik gegenüber konstitutionellen Grammatiken, insbesondere der generativ-transformationellen Grammatik, der in diesem Handbuch in zahlreichen Artikeln angesprochen wird, liegt unter anderem darin, dass nicht für jedes neue Syntagma, vor allem, wenn es sich einwortig manifestiert, eine neue Phrase angesetzt zu werden braucht. Mit dem Valenzprinzip als Grundlage für Dependenz werden über die geforderten Ergänzungen hinaus in allen Phrasen von ihrem Kopf gebundene Angaben (Circonstanten, Adverbialia) zugelassen. Dies gilt zunächst für die klassischen Angaben, die verbal gebunden sind. Mit der Erweiterung der Dependenzzone (vgl. Groß 1999 und Eroms 2004) nach oben wird auch „S“ als Regens angesetzt. S bindet als E ein Verb mit seinen Dependentien. Als A bindet es die Satzadverbialia. Bei Sätzen mit kumulierten Satzadverbialia wäre allerdings zu überlegen, ob diese Wörter nicht intern voneinander abhängig sind. Dafür spricht zum Beispiel, dass bei einer einfachen Besetzung andere Wortstellungsregeln ablaufen. (18) Anscheinend kommt er. (19) Er kommt wirklich. Da aber auch (20) Anscheinend kommt er wirklich. möglich ist und offenbar die unmarkierte Abfolge darstellt, sollten die Satzadverbialia, wenn sie gehäuft auftreten, jeweils direkt an S gebunden werden, und zwar in der Reihenfolge, die sich bei den obigen Beispielen zeigt. Denn die Abfolge sämtlicher Adverbialia im Satz ist bekanntlich alles andere als beliebig. Sie zeigen in unmarkierten Sätzen, also in Sätzen, in denen keine speziellen Kontextbedingungen herrschen, im Allgemeinen den Skopus rechts. Und man kann sich auch bei den Satzadverbialia, wenn sie gehäuft auftreten, Skopusverhältnisse rekonstruieren. Be-
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75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
wertende, die Proposition modal einschätzende Satzadverbiale haben dabei offenbar weiteren Skopus als die rein wahrheitswertbezüglichen. 2.3. Die Abgrenzung der Satzadverbialia von anderen Angabetypen Bevor die Subklassifizierung der Satzadverbialia weiter dargestellt wird, ist noch auf den syntaktischen und semantischen Unterschied zu den „kontextspezifizierenden Satzadverbialia“ und den Negationen einzugehen. Dass die Temporaladverbialia und die Lokaladverbialia, die sich als kontextspezifizierende durchaus auf den ganzen Satz beziehen, nicht in die hier zu betrachtende Klasse gehören, ist evident. Sie sind propositionsbezüglich zu verstehen. Und zwar erweitern sie die valenzbedingte Kernproposition. Sie lassen sich als Sätze paraphrasieren und zeigen damit, dass sie aus der Proposition ausgelagert werden können. Diese Auffassung rekurriert auf die bekannten Proben und Tests, um den Status von Angaben zu prüfen. Mit dem Geschehen-Test Helbigscher Provenienz (Helbig 1992)) oder dem Folgerungstest bei Zifonun/Hoffmann/Strecker wird für die Angaben positiv getestet, dass sie aus der Kernproposition, die über die Valenz des jeweiligen Verbs ein Minimalereignis notiert, das selber nicht weiter reduziert werden kann, herausgezogen werden können. Mit dem GeschehenTest wird dabei auf die obligatorische Bindung von derartigen Adverbialia durch das ein Ereignis konstatierende Verb geschehen rekurriert: (21) a. Es hat hier gestern geregnet. b. Es hat geregnet. Das geschah gestern. Das geschah hier. Im kompakten Satz sind die hier als Adverbialia nachgewiesenen Wörter in die Proposition integriert. Sie gehören zur Sachverhaltsebene des Satzes. Dazu gehören die Satzadverbialia nicht. Sie liegen, wie gesagt, auf einer höheren Ebene und geben Beurteilungen des Sachverhalts in seinem Wahrheitswert aus der Sicht des Sprechers wieder. Dabei haben die Untergruppen wiederum unterschiedliche Grundfunktionen. Gänzlich anders verhält sich die Negation, vor allem nicht. Sie wird zwar in vielen Grammatiken ebenfalls als Adverbial gewertet. Aber der Geschehen-Test zeigt, dass damit kontraintuitive Ergebnisse erzielt würden.
(22) Gestern hat es hier nicht geregnet. (23) *Gestern hat es hier geregnet. Das geschah nicht. Auch die Annahme, dass mit der Satznegation der Wahrheitswert des Satzes in ähnlicher Weise wie etwa mit wahrscheinlich eingeschätzt würde, gleichsam als Endpol einer Möglichkeitsskala von ‘vollgültig’ über ‘wahrscheinlich’ bis ‘nicht’ (mit weiteren Zwischenstufen und Abschattierungen) gilt nicht, denn die Qualifizierung eines Satzes durch den Negator ändert das Prädikat in dem Sinne, als es den Wahrheitswert eindeutig umschaltet. Der Sprecher äußert sich mit negierten wie mit nichtnegierten Sätzen stets eindeutig in Bezug auf den Wahrheitswert. Zieht man die im Finitum konzentrierten aussagebezüglichen Signale in Betracht, dann versichert der Sprecher stets die Gültigkeit des Satzes mit dem Indikativmorphem. Ein Satzadverbial wie wahrscheinlich oder vermutlich dagegen stuft die Sprecherversicherung herab, sie führt eine Kautel ein. Dies hat auf den Status der Sprecherversicherung gravierende Auswirkungen, als damit in keinem Falle eine Garantie mehr für den Wahrheitswert übernommen wird. Ähnlich wie bei den Signalen, die der Konjunktiv I abgibt, nämlich eine totale Verschiebung der Wahrheitsgarantie auf eine andere Instanz als die des Sprechers, macht sich der Sprecher mit den genannten Satzadverbialia frei von der Verpflichtung, den Wahrheitswert des Satzes und damit die Gültigkeit der Aussage zu versichern. (Vgl. dazu grundsätzlich Fritz 2000). Die bekräftigenden Satzadverbialia, so konträr sie auf den ersten Blick der eben benannten Funktion erscheinen, sind ihnen dennoch semantisch verwandt. Denn mit einer Bestätigung der Gültigkeit einer Aussage durch bestimmt, ganz sicher, zweifellos werden eventuelle Vorbehalte gegen die Gültigkeit heruntergespielt. Dies impliziert aber, dass solche Vorbehalte vorhanden sind. So sind alle bisher angeführten Satzadverbialia jedenfalls von den Negatoren nicht, keinesfalls, nie und nimmer usw. fernzuhalten. Auch diese zeigen im Übrigen, dass auch hier Bekräftigungen vorgenommen werden können. Sätze mit nie und nimmer sind logisch Sätzen mit nicht äquivalent, sie haben aber andere Präsuppositionen oder Implikationen, und zwar wiederum solche, die die Gültigkeit der Aussage in Frage stellen können: (24) Er hat das nicht gesagt.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(25) Er hat das nie und nimmer gesagt. Im Gegensatz zu den Satzadverbialia sind auch solche Formen, wie die einfachen Negationen an das Prädikat direkt gebunden. Wir lassen hier die Frage der sogenannten Sondernegation außer Betracht. Ein Satz wie (24) könnte auch so verstanden werden: ‘Er hat das (zwar) nicht gesagt, wohl aber gedacht’. In solchen Fällen enthält der Satz implikativ eine positive Aussage. Um die Satznegation in ihrem direkten Bezug auf das Prädikat adäquat darzustellen, kann entweder eine oberflächennahe syntaktische Lösung gewählt werden oder eine semantisch angemessenere, die sich zudem auf die Verhältnisse in manchen Sprachen oder Sprachstufen berufen kann, bei denen die Negation direkt an das Verb gebunden ist. Im ersten Fall kann der Ansatz von Engel (1988) gewählt werden, bei dem die Negation einen besonderen Adverbialtyp darstellt, eben die Negationsangabe. Denn es darf nicht vergessen werden, dass mit der Subklassifizierung der Angabetypen, genau wie mit der Subklassifizierung der Ergänzungstypen wesentliche funktionale Gemeinsamkeiten der Elemente der jeweiligen Kategorien zum Ausdruck gebracht werden, ohne dass sich dies im Stemma, etwa durch unterschiedliche Kantenführung niederschlagen muss. Der andere Weg, ein „Negationsverb“ anzusetzen, könnte sich für das Deutsche mit dem Verweis auf die althochdeutschen Verhältnisse rechtfertigen lassen, wo das Negationselement ni proklitisch an das Verb antritt: (26) Er nigesagete daz. Diese alte Negationsform ist indogermanisches Erbe, das sich in manchen Sprachen bis heute gehalten hat, etwa im Slowakischen: (27) Neboli sme tam. ‘Nicht-waren wir dort’: ‘Wir waren nicht dort’. Die Sprachentwicklung hat im Deutschen zu einer unabhängigen Wortnegation geführt, die in der Standardsprache als Einzelnegation auftritt. Anders steht es in den Dialekten, die Mehrfachnegationen zulassen und damit neben der Skopusmarkierung noch eine Fokusmarkierung erlauben (vgl. Donhauser 1996 und Tanaka 1995). Die Ausbildung von Negationswörtern kann die oberflächenstrukturelle Nähe zu den Satzadverbialia erklären. Aber immerhin ist in der Nebensatzserialisierung der alte Platz der Nega-
tion noch bewahrt. Er steht in Kontaktstellung unmittelbar vor dem Verb. (28) dass er es nicht gesagt hat (29) dass es heute hier nicht geregnet hat Der Satz (30) Offenbar regnete es gestern hier nicht. ließe sich dann stemmatisch so darstellen: (30’)
S. Offenbar regnete es
nicht
gestern hier
Offenbar regnete es gestern hier nicht .
Dieses Stemma ist projektiv. Es muss aber hinzugefügt werden, dass Projektivität bei dieser Darstellungsweise der Negation nicht immer gegeben ist. Bei periphrastischen Prädikaten und bei Kontaktstellung mit dem Satzadverbial ergeben sich nichtprojektive Strukturen. Projektivität ist zwar ein wichtiges, aber kein generell zu verlangendes Kriterium für Dependenzstemmata. Denn Nichtprojektivität ist nicht nur Kennzeichnung von Ungrammatikalität, sondern auch von Markierungen anderer Art (vgl. Eroms 2000, 312 ff.). Der Vergleich der Satzadverbialia mit den Negationen und den Temporal- und Lokaladverbialia zeigt, dass trotz des allen gemeinsamen weiten Skopus erstens die semantischen Verhältnisse völlig unterschiedlich sind und zweitens der Aufbau der Skopusverhältnisse anders verläuft. Dies ist für die Syntax besonders wichtig und erfordert bei einer dependentiellen Darstellung eine unterschiedliche Bindungsstelle, bzw. andere Regens-Dependens-Verhältnisse. Eine alternative Möglichkeit wäre, die Satzadverbialia als mit ihrem Satz interdependent darzustellen. Ein Argument dafür wäre der Verweis auf die Möglichkeit, sie als unabhängige Sätze zu paraphrasieren. In Eroms (2000) werden Artikel und Substantiv, sowie u. a. Korrelate und ihre Bezugsausdrücke als in Interdependenz stehend angesetzt. Auf der Ebene von S lassen sich die in Abschnitt 4 behandelten Diskurspartikeln als
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75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
mit S interdependent auffassen. Die Satzadverbialia weisen aber auch Eigenschaften klassischer Angaben, nämlich der Modalangaben auf, zu denen sie verschiedentlich auch heute noch gerechnet werden. Dieser AKlasse sind sie insofern funktionsanalog, als sie den Satz modalisieren. Um dies adäquat zum Ausdruck zu bringen, ist ihre Einordnung als „A zu S“ hinreichend. 2.4. Die Subklassifizierung der Satzadverbialia In Abschnitt 2.1 sind zwei Gliederungsvorschläge für die Modalwörter genannt worden, andere liegen u. a. von Steinitz (1969), Bartsch (1972) und Heidolph/Flämig/Motsch (1981) und Behandlungen im Zusammenhang mit anderen Partikeln bei Me´trich (1993) und Me´trich/Faucher/Courdier(1992/ 1995/1998/2002) vor. Trotz merklicher Unterschiede im Einzelnen haben alle gemeinsam, dass sie für zu konstituierende Gruppen semantische Gleichartigkeit oder wenigstens Nachbarschaft ansetzen. Da die Satzadverbialia im weitesten Sinne zu den Modalisierungen gehören, sollte eine Gliederung mit den Typen beginnen, die hier einschlägig sind, also mit möglicherweise und vielleicht und nicht mit sicher oder bestimmt, denn diese Ausdrücke sind nicht einfach unter logischem Gesichtspunkt als Folgerungsoperatoren zu begreifen, sondern, wie oben dargestellt, ebenfalls modalisierende Ausdrücke, nämlich Versicherungsausdrücke. Weiter ist aus der Gliederung von Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1124 ff.) zu übernehmen, dass sich die Satzadverbialia danach gliedern lassen, ob sie einer oder mehreren modalisierenden Funktionen genügen. Gliedern ließen sie sich auch danach, in welchen Satzarten sie vorkommen und in welcher Weise sie miteinander kombiniert werden können. Dies ist allerdings bislang noch nicht systematisch untersucht worden. In der nachfolgenden Gliederung wird aber versucht, die Kombinationsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Die Reihenfolge ist dabei nicht beliebig, so lässt sich sagen (31) Hoffentlich hat er es tatsächlich erledigt.
nicht assertierenden rangieren vor denen, die dies tun. Sie lassen damit die Grundfunktion der Satzadverbialia gut erkennen: die Modalisierung des Gesamtsatzes als Äußerung. A. Wahrheitswert einschränkende Satzadverbialia 1. neutrale: anscheinend, eventuell, möglicherweise, mutmaßlich, vermutlich, vielleicht, wahrscheinlich, womöglich … 2. positiv einschätzende: hoffentlich 3. negativ einschätzende: schwerlich 4. Wahrheitswert verschiebende: angeblich, vorgeblich B. Wahrheitswert assertierende: 1. faktitive: tatsächlich, wirklich … 2. evidentielle: fraglos, selbstverständlich, offensichtlich, zweifellos … 3. zusätzlich bewertende Satzadverbialia: a. positive: berechtigt(erweise), erstaunlicherweise, glücklicherweise, gottlob … b. einschränkende: immerhin c. negative: leider, unglücklicherweise, bedauerlicherweise … 4. zusätzlich weiter qualifizierende: a. positive: begrüßenswerterweise, korrekterweise, nützlicherweise, freundlicherweise … b. negative: nutzloserweise, schädlicherweise … Für die einzelnen Gruppen sind nur Beispiele angeführt. Es scheint aber so zu sein, dass die Gruppen unterschiedlich reich besetzt sind. So ist hoffentlich offenbar ohne Alternative, wenn man von satzähnlichen Äquivalenten wie wollen wir’s hoffen und ähnlichen Ausdrücken absieht. Einige Beispiele verschiedener Gruppen sollen die Klassifikation und die gemeinsame Grundleistung der Satzadverbialia erläutern: Die außerordentlich häufigen den Wahrheitswert einschränkenden Satzadverbialia haben mit ihren neutralen Formen die Funktion, die in der Äußerung gebundene Proposition als Annahme des Sprechers darzustellen, die allerdings mehr als eine Vermutung ist.
(32) *Tatsächlich hat er es hoffentlich erledigt.
(33) Er war nach Würzburg gefahren, hatte wahrscheinlich seinen Probenplan organisiert und sein neues Quartier bezogen. (Hermann, S. 41).
Hier schlagen sich nicht nur Skopusgesichtspunkte nieder, sondern es wird auch die Rangfolge der Satzadverbialia bestätigt: Die den Wahrheitswert des geäußerten Satzes
Bei den Wahrheitswert assertierenden Satzadverbialia betonen die faktitiven die Aussage, sie versichern sie in ihrem Wahrheitswert.
Nicht aber:
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(34) Ich berührte ihn, und er verstand es tatsächlich sofort falsch. (Hermann S. 53).
(41) *Schwerlich kann er glücklicherweise nicht kommen.
Die evidentiellen sind davon nur in Nuancen verschieden, denn die Berufung auf die Selbstverständlichkeit ist ebenfalls auch nur ein Versicherungssignal.
Abschließend lässt sich als semantische Grundleistung der Satzadverbialia formulieren: Der Sprecher thematisiert mit ihrer Hilfe den Wahrheitswert des Satzes. Einschränkungen, Vorbehalte sind dabei der prototypische Fall. Bewertungen und Qualifizierungen können hinzutreten. Syntaktisch sind die Satzadverbialia ‘A zu S’.
(35) Selbstverständlich konnte er nicht arbeiten, wenn ich da war, er wollte den Text für das Bild wirklich nicht haben (Hermann, S. 182). Schließlich zwei Beispiele für Wahrheitswert assertierende Satzadverbialia, die zusätzlich bewerten: (36) Erstaunlicherweise ist es so, daß Jonina Island anders sieht durch diesen Besuch von Irene und Jonas. (Hermann, S. 86) (37) „Vielleicht ist er eine Nummer zu groß für dich“, und Ruth fragte berechtigt verständnislos „Was soll das denn heißen?“ (Hermann, S. 39) Hier enthält das letzte Beispiel im ersten Satz ein neutrales Wahrheitswert einschränkendes Satzadverbial (vielleicht). Alle Verwendungen lassen erkennen, dass die Hauptfunktion der Satzadverbialia darin zu liegen scheint, dass der Wahrheitswert des Satzes ständig durch den Sprecher selbst thematisiert wird. Die Satzadverbialia sind damit eine Art metakommunikativer Zeichen. Ihre syntaktische Einbindung auf der obersten möglichen Ebene ist auch von daher gut gerechtfertigt. Bei den Kombinationen scheinen die Wahrheitswert einschränkenden mit den assertierenden dann zusammengehen zu können, wenn letztere sich enger auf die Proposition beziehen. Diese befinden sich dann im Skopus der ersteren: (38) Wahrscheinlich kann er tatsächlich kommen. (Vgl. dazu das Stemma 17’). Ob Wahrheitswert assertierende Satzadverbien solche, die den Wahrheitswert einschränken, in den Skopus nehmen können, erscheint dagegen fraglich: (39) ?Leider kann er wahrscheinlich nicht kommen. Unter den Blockaden sind vor allem solche, bei denen sich die Bewertungen widersprechen würden: (40) *Hoffentlich kann er bedauerlicherweise nicht kommen.
3.
Abtönungspartikeln
3.1 Grundleistung der Abtönungspartikeln Die Abtönungspartikeln, auch Modalpartikeln genannt, sind eine Wortklasse, die erst in jüngerer Zeit von der Forschung beachtet worden ist. Bahnbrechend waren die Arbeiten von Weydt, insbesondere Weydt (1969), und Krivonosov (1963), sowie die von Weydt herausgegebenen Sammelbände (1977), (1979) und (1989), die Untersuchungen von Burkhardt (1982), Weinrich (1993), Ickler (1994), Nekula (1996), Authenrieth (2002) und anderer haben weitere Klärungen erbracht. Bei den Abtönungspartikeln handelt es sich um Wörter wie aber, denn und mal, die in bestimmten Satzarten vorkommen und den Satz „abtönen“. (42) Das ist aber schön. (43) Willst du denn gar nicht aufhören? (44) Komm mal her! Die Domäne ihres Vorkommens ist die gesprochene Sprache. In den älteren Grammatiken und Stilistiken sind diese und vergleichbare Wörter fast immer negativ beurteilt worden. Sie seien eigentlich überflüssig und trügen nichts zur Bedeutung des Satzes bei. In der Tat sind sie in den meisten Fällen weglassbar, ohne dass sich die Aussage in ihrem propositionalen Teil ändert. Eine genaue lexikalische Bedeutungszuweisung ist nur in den seltensten Fällen möglich. Sie wurden deswegen nicht nur als überflüssige Redundanzen, sondern vor allem als unangemessene Elemente der Sprechsprache aufgefasst, die in ausgefeilten Registern zu vermeiden seien. Mit dem Aufkommen der Pragmatik, dem Achten auf textuelle Zusammenhänge und der Höherbewertung der gesprochenen Sprache schlechthin hat sich die Situation entscheidend geändert. Abtönungspartikeln wer-
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75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
den in ihrer kommunikationssteuernden Funktion anerkannt, funktional gedeutet und als eigene Wortklasse gewertet. Dabei sind die Kontroversen über die Bewertung einiger weniger Wörter marginal. Auch über die syntaktischen Kriterien für ihre Bestimmung herrscht weitgehend Konsens. Von allen Forschern und Forscherinnen wird davon ausgegangen, dass Abtönungspartikeln nicht erststellenfähig sind. So wären die obigen Sätze mit Spitzenstellung der Abtönungspartikeln ungrammatisch. Wenn die Sätze trotzdem grammatisch sind, liegt nicht die Abtönungspartikel, sondern die entsprechende Ausgangswortklasse vor, bei (42a) die Konjunktion aber, bei (43a) die Konjunktion denn, (44a) ist in jedem Falle ungrammatisch.
Die folgenden Wörter werden gemeinhin zu den Abtönungspartikeln gerechnet. Die Auflistung führt sie alphabetisch vor. Eine Zusammenstellung nach Funktionsgruppen wäre zwar angemessener, doch betonen alle Arbeiten zu den Abtönungspartikeln, dass jede Partikel idiosynkratische Bedingungen aufweist, so dass eine Auflistung auch berechtigt ist.
(42) a. Aber das ist schön.
aber (46) Der Ball ist klein, aber er ist schön.
(43) a. Denn: Willst du gar nicht aufhören? (44) a. *Mal komm her! Der Anschluss an andere Wortarten, der diachron als Ablösungsprozess verstanden werden kann, ist ein weiteres wichtiges Kriterium für die Bestimmung der Abtönungspartikeln. Über ein anderes herrscht in der Forschung noch Uneinigkeit: die Frage der Unbetontheit. Zwar ist die Masse der Abtönungspartikeln absolut unbetonbar, aber einige wenige sind auch betonbar, bzw. kommen auch in betonten Varianten vor, und die Frage erhebt sich, ob diese Wörter dann anderen Wortklassen zuzuweisen sind. (45) Das hat er ja´/do´ch gesagt. Als Randklasse sollten diese Wörter den Abtönungspartikeln zugerechnet werden. Die prototypischen Abtönungspartikeln sind jedenfalls ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺
nicht erststellenfähig unbetont satzartentypisch an volle Wortarten anschließbar im Satz in der Art einer Enklise an andere Wörter angeschlossen.
Mit dem letzteren Kriterium zeigen sie Eigenschaften, die dem intonatorischen Bereich zugehören. Mit der Satzintonation werden in Sprachen, die über wenige oder gar keine Abtönungspartikeln verfügen, ähnliche Funktionen zum Ausdruck gebracht wie mit den abtönenden Ausdrücken, die im Deutschen Wortstatus haben.
3.2. Die Abtönungspartikeln im Einzelnen Die folgende Liste vergleicht die Abtönungspartikeln mit einem homonymen Wort, das zumeist als Ausgangswort anzusehen ist. Sie bezieht vor allem die Auffassungen von Thurmair (1989), Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1206⫺1236) und Hentschel/ Weydt (2003) ein und führt sie weiter.
(47) Hast du aber einen schönen Ball! Die Konjunktion aber ist der klassische adversative Konnektor. Mit ihm werden mögliche Folgerungen, die aus der Vorgängeräußerung gezogen werden könnten, in ihr Gegenteil verkehrt. Die Abtönungspartikel aber verstärkt das schon mit dem Modus des Ausrufesatzes ausgedrückte Erstaunen. Der signalisierte Gegensatz bezieht sich auf die durch die Situation vorgegebene Erwartungsmöglichkeit, die als Gegensatz dazu in dem Satz ausgedrückt wird. auch (48) Du bist auch dabei gewesen. (49) Du bist mir auch einer! Als Konnektivpartikel ist auch anknüpfend. Als Abtönungspartikel wird mit ihr zum Ausdruck gebracht, dass der Angesprochene in eine „besondere Klasse“ eingeordnet wird. bloß (50) Heizen müssen wir bloß im Winter. (51) Wenn es doch bloß bald Frühling wäre! Bloß wie nur fokussiert als Gradpartikel auf einen eingegrenzten Ausdruck. Die Aussage wird dadurch limitiert. Mit der Abtönungspartikel nur in Ausrufesätzen wird die Einschränkung als (einziger) Wunsch geäußert. denn (52) Denn er kommt bald. (53) Kommt er denn nicht bald?
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Die klassische Begründungskonjunktion für Aussagesätze lässt bei der Abtönungspartikel den Zusammenhang in der Weise erkennen, als damit die Frage als solche für angebracht ausgegeben wird.
Das Adjektiv einfach kann für die Funktion der Abtönungspartikel in einer Bedeutungsnuance ‘leicht einsehbar’ aktiviert werden. Das Wort motiviert damit die Aussage als berechtigt.
doch (54) Doch das ist nicht einzusehen.
etwa (64) Das waren doch nur etwa zehn Dinge.
(55) Das ist doch nicht einzusehen.
(65) Hast du das etwa vergessen?
Bei doch, das in sehr vielen abtönenden Verwendungen vorkommt, ist der Bezug auf die Konjunktion doch in der Weise gegeben, als beide eine Bekräftigung ausdrücken. In der abtönenden Funktion wird die Bekräftigung als Rechtfertigung der Äußerung formuliert.
Die Abtönungspartikel signalisiert Überraschung und Erstaunen und motiviert dadurch wiederum die Berechtigung der Frage. Der Anschluss an die Bedeutung des Gradausdrucks in der Bedeutung ‘ungefähr’ relativiert das Verb in der Frage.
eben (56) Die Fläche ist ganz eben.
erst (66) Ich habe erst heute wieder daran gedacht.
(57) Es ist eben so.
(67) Ich bin sehr vergesslich. ⫺ Aber ich erst.
Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1230 f.) schließen die Abtönungspartikel an das Adjektiv ‘gerade, glatt’ an. Das ergibt eine sinnvolle Deutung für die Funktion der Abtönungspartikel, eine Aussage als ‘gerade so’ zu markieren. Wieder zeigt sich die Prototypik der ganzen Klasse, die Verweisung auf die Äußerung an sich in ihrer Berechtigung.
Die Gradpartikel erst markiert einen Einzelausdruck, die Abtönungspartikel die gesamte Äußerung.
eh (58) Das habe ich ehe(r) gesagt. (59) Das habe ich eh schon gesagt Trotz der Auseinanderentwicklung der Wörter ist der Zusammenhang hier noch zu erkennen. Eh signalisiert, dass die Aussage früher Gesagtes wiederholt. eigentlich (60) Eigentlich habe ich das schon gesagt. (61) Wie heißt du eigentlich? Die Deutung des Wortes als Abtönungspartikel ist nicht unumstritten. Es handelt sich um ein mehrsilbiges Wort, dessen Bedeutung gut fassbar ist. Dennoch ist eine Bestimmung als Abtönungspartikel sinnvoll, weil die Ausgangsbedeutung im obigen Beispiel, ‘im Grunde, genau genommen’, auch hier aufzudecken ist, allerdings in der Funktion, damit die Frage zu motivieren. einfach (62) Das war einfach. (63) Das war mir einfach zu schwer.
⫺ halt (68) Du musst halt rechtzeitig daran denken. Halt ist eine in der Gegenwartssprache sich verbreitende Partikel, die eine lange Geschichte aufweist (vgl. Hentschel 1986). Sie hängt nicht mit halten zusammen und ist daher heute isoliert. Ihre Bedeutung ist in etwa eben zu vergleichen. Es wird die Evidenz des Ausgesagten betont. ja (69) Ja, ich habe es gewusst. (70) Ich habe es ja gewusst. Es ist hier die unbetonte, nicht emphatische Verwendung der Abtönungspartikel gemeint. Mit ihr zeigt der Sprecher an, dass der Inhalt der Aussage zu erwarten war und dass der Hörer davon ausgehen kann. Die nicht abtönende Funktion ist die Zustimmungspartikel; die Zusammenhänge sind deutlich. mal (71) Den gebe ich nur einmal. (72) Haste mal ’n Euro? Der Anschluss der Abtönungspartikel an das Zahlwort in seiner reduzierten Form lässt sich herstellen mit ‘die Frage als nur einmal, gerade einmal gestellt’ zu relativieren.
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
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nicht (73) Das habe ich aber nicht gehört.
zu erkennen: Der Hörer soll mit der Abschwächung geneigt gemacht werden, dem Ausruf des Sprechers nicht etwa zu widersprechen.
(74) Was man hier nicht alles so hört! Die Negationspartikel wird in abtönender Funktion außer in Entscheidungsfragesätzen auch in Ausrufesätzen verwendet. Mit ihr wird dem Hörer eine Bestätigungserwartung (Thurmair 1989, 162) signalisiert.
wohl (85) Mir ist nicht recht wohl bei der Sache.
nur (75) Gehen Sie nur etwas weiter!
ruhig (77) Bleib ruhig, wenn du es sagst.
Das Wort in abtönender Funktion drückt eine Sprecherkautel aus. Dadurch wird die Aussage weniger verbindlich. Der Anschluss an eine Ausgangsbedeutung ist hier nur schwer zu finden. Weitere Wörter, die als Abtönungspartikeln diskutiert werden können, sind z. B. gerade oder ohnehin.
(78) Du kannst es Tante Lenchen ruhig sagen.
(87) Das musst du gerade sagen!
Bei diesem Wort ist die semantische Reduzierung noch nicht merkbar eingetreten. Hier lässt sich verfolgen, wie eine Abtönungspartikel überhaupt entsteht. Die Bedeutung ‘frei von aller Hektik’ wird abtönend genutzt, um die Aufforderung akzeptabler zu machen.
Allerdings kann gerade an die erste Stelle treten.
(76) Wie geht es nur weiter? Vgl. hier das zu bloß Gesagte.
schon (79) Ich habe es schon bezahlt. (80) Das geht schon in Ordnung. Schon ist außerordentlich multifunktional. In der abtönenden Funktion des obigen Beispiels ist das Wort am ehesten an das Temporaladverb anzuschließen. Das Vorkommen setzt Vorgängeräußerungen voraus (was auch bei vielen anderen Abtönungspartikeln der Fall ist) und zielt auf die Zustimmungsbereitschaft des Hörers.
(86) Der hat das wohl nicht ganz ernst gemeint.
(88) Gerade du musst das sagen! Daher ist das Wort eher als Gradpartikel zu werten. Ohnehin kann als Alternative zu eh aufgefasst werden, aber das Wort hat deutlich modaladverbialen Charakter: (89) Das habe ich ohnehin/sowieso schon gesagt.
(84) Hat der sich vielleicht gewundert!
Auf die manchmal erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Abtönungspartikeln und ihre Zusammenhänge mit den Ausgangswortarten ist in den einzelnen Kommentaren eingegangen worden. Als Gemeinsamkeiten lassen sich folgende feststellen: Auffällig ist die Tendenz zur Phraseologisierung, zu idiomatischen Wendungen und Formeln. Dies lässt sich als Indikator für die Markierung relativ konstanter Gebrauchsweisen verstehen. Worin sind diese zu suchen? Als übergreifende Gemeinsamkeit aller Abtönungspartikeln schält sich heraus, dass sie die jeweilige Satzart in ihrem Verbindlichkeitsgrad tangieren. In den allermeisten Fällen wird dieser zurückgeschraubt. Daher rührt die Bezeichnung „Abtönung“. Genauer heißt dies, dass die Sprecher-Hörer-Konstellation in ihrer jeweiligen diskursgebundenen Version explizit in Rechnung gestellt wird. Eine Aussage wie
Auch bei diesem Wort ist die Ausgangsbedeutung ⫺ hier ist es ein Satzadverb ⫺ noch gut
(90) Ich habe ja schon gesagt, dass ich darüber mit mir verhandeln lasse.
überhaupt (81) Das ist überhaupt nicht wahr. (82) Das ist überhaupt unzulässig. Hier gilt Ähnliches wie für ruhig. Das Wort ist in seiner abtönenden Funktion nicht durchgängig akzeptiert. Als Steigerungsadverb drückt es einen nicht zu übertreffenden Grad aus. Diese Bedeutung eignet sich durchaus für einen Übergang in die Klasse der Abtönungspartikeln. vielleicht (83) Vielleicht hat der sich gewundert.
1028
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
wäre ohne die Abtönungspartikel ja strikter und würde dadurch schroffer klingen. Die Aussage wird gleichsam kontextfrei hingestellt. Mit der Partikel ja wird darauf rekurriert, dass der Inhalt des Satzes schon bekannt ist. Die frühere Aussage wird berufen, dadurch erscheint die neue als weniger bindend, indem sie nur etwas schon Bekanntes in Erinnerung ruft. Die Abschwächung des mit der Satzart aufgerufenen Modus beschränkt sich nicht auf die Aussagen. Auch Fragen und Aufforderungen können in ihrem Verbindlichkeitsgrad gemildert werden. (91) Manchmal fragte sie: „Warum tust du das denn?“, eine Antwort erwartete sie nicht. (Hermann, S. 40). (92) Bitte, sei bloß vorsichtig! Im Fragesatz (91) wird mit denn die Berechtigung für das Stellen der Frage überhaupt begründet. Dass die Frage sogar ins Leere geht, zeigt der Fortgang, dass gar keine Antwort erwartet wird. In der Aufforderung (92) mildert die Partikel bloß den Aufforderungsmodus, der ja für die gelingende Perlokution eine Asymmetrie zwischen Sprecher und Hörer voraussetzt. Aber die Abtönung muss durchaus nicht die Aussage abschwächen. Sie kann sie auch verstärken. (93) Das habe ich doch schon gesagt. (94) Komm mal sofort her! Im Aussagesatz (93) markiert doch die Tatsache, dass der Sprecher die Äußerung schon getan hat. Dies wird als dem Hörer bekannt unterstellt. Im Aufforderungssatz (94) unterstreicht das mal die Dringlichkeit der Aufforderung. Das heißt, die „Abtönung“ der Sätze mit Hilfe der Partikeln ist genereller als eine Markierung der jeweiligen Sprecher-HörerKonstellation zu verstehen, bei der der Sprecher den Satzmodus präzisiert. Die jeweilige Satzart wird unterstützt. Die einzelnen Abtönungspartikeln realisieren diese Funktion in jeweils unterschiedlicher Weise. Immer aber ist eine Abstimmung des jeweiligen Satzmodus auf die spezielle Sprecher-Hörer-Konstellation zu registrieren. 3.3. Die Syntax der Abtönungspartikeln Mit dieser Grundfunktion wird deutlich, dass die Abtönungspartikeln semantisch und pragmatisch auf der obersten Zugriffsebene des Satzes liegen. Sie berühren die illokutive
Ebene. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn die oben angesprochene Formelhaftigkeit in der Art eines Indikators für bestimmte Illokutionsklassen verwendet wird, etwa das Wort bloß für die energische Aufforderung oder Drohung oder die Partikel halt für evidente, notorisch bekannte Aussagen. Für die zu entwickelnde Syntax der Abtönungspartikeln ist zunächst ihre Zugriffsebene festzulegen. Sie einfach als Illokutionsindikatoren zu erfassen, ist für die syntaktische Regelung noch zu vage. Da Sprechakte Handlungsklassen sind, die sich konventionell herausgebildet haben, ist stets der Gesamtsatz mit allen seinen Elementen für die endgültige Bewertung heranzuziehen. Eine syntaktische Regelung hat aber über die Regelung des Stellungsverhaltens der Abtönungspartikeln hinaus ⫺ auf das sich die Aussagen in der Forschung ausschließlich beschränken ⫺ die Bindungsstelle festzulegen. So formuliert, ist dies eine dependentielle Aussageweise. Bei Konstitutionsgrammatiken wäre zu klären, wo die Abtönungspartikeln eingeordnet werden müssten. In generativen wie in dependentiellen oder traditionellen Grammatiken ist für die syntaktische Einordnung der Abtönungspartikeln eine komplette Fehlanzeige festzustellen. Wichtig ist für die Syntax der Abtönungspartikeln nun, dass sie, jedenfalls was ihr Vorkommen in Einzelverwendungen betrifft, nicht phrasenbildend sind (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 1206). Ihre Zugriffsebene ist, vergleichbar den Satzadverbialia, „S“, doch gibt es Unterschiede. Einmal ist der Wortcharakter der Abtönungspartikeln gegenüber den Satzadverbien deutlich schwächer ausgeprägt. Dass sie über keine definierbare denotative Bedeutung verfügen, wird in allen einschlägigen Arbeiten vorausgesetzt. Weiter ist wichtig, dass sie Affinitäten zur suprasegmentalen Ebene der Satzintonation aufweisen. Da sie sich ferner in der Art einer Enklise an ein bestimmtes Wort im Satz anschließen, ist erstens eine Kantenregelung für die Dependenzverhältnisse festzulegen und zweitens ihre Einbettungsstelle zu bestimmen. Was die Dependenzstelle betrifft, so ist „S“ ihr Regens. Da die Abtönungspartikeln sich aber nie im Vorfeld finden und unter anderem deswegen keine Phrasen bilden, kann die für die Satzadverbialia gewählte Regelung nicht einfach auf sie übertragen werden. Der Unterschied zwischen diesen beiden Klassen
1029
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
ließe sich dann auch nicht darstellen. Die Abtönungspartikeln sind keine A zu S. Daher müsste für die Zugriffsebene S noch weiter differenziert werden, etwa in Analogie zur Aufspaltung des grammatischen Morphems des verbalen Finitums. Während die Satzadverbialia durch S in seinem jeweiligen Satzmodus gebunden werden, also analog den Angaben zum Prädikat oder Teilen des Prädikates aufzufassen sind, sind die Abtönungspartikeln, wie gesagt, Markierungssignale für die Satzarten in Verrechung ihres jeweiligen Prädikats. Daher könnten sie an die Verben angeschlossen werden. Das ließe sich wie folgt begründen. Die Verben sind die zentralen Teile der Dependenzbeziehungen im Satz. Sie sind funktional außerordentlich belastet, in den meisten dependentiellen Darstellungen wird auf die Darstellung der verbinternen Regens- und Dependensverhältnisse verzichtet. Dadurch erscheint das Verb in der Tat als kompakter Satzknoten, in dem sämtliche Regelungen für den Satz zusammenfließen: die Modusregelung, die Tempusmarkierung und die Personmarkierung mit ihrer Kongruenz zum Subjekt. Diese Regelungen sind nicht einfach einsträngig, nur wird in den meisten Darstellungen darauf verzichtet, sie aufzuknoten. Macht man sie sichtbar, d. h. geht man unter die morphematische Grenze, wird deutlich, in welcher Weise das Verb die Schaltstelle für den Aufbau des Satzes ist. Mit der Einführung von S in das Dependenzstemma wird das Verb deutlich entlastet. An das Verb direkt angeknüpft sind dann die wirklich morphematisch gebundenen Regelungen. Davon sind die Kongruenzbeziehungen innersyntaktische. Die Tempus- und Modussignale dagegen sind satzbezüglich. Das Verb ist nur der Transportregler für sie. Obwohl sich auch für die Abtönungspartikeln ansetzen lässt, dass sie in Richtung der direkten Bindung an das Verb tendieren, weisen sie doch noch Wortstatus auf. Daher können sie berechtigterweise an S angeschlossen werden. Zwar werden auch die Satzadverbialia von S gebunden und so könnte sich theoretisch eine Konkurrenz zu diesen ergeben. Aber Analysen des Vorkommens der Abtönungspartikeln zeigen, dass sie de facto mit den Satzadverbialia zusammen nicht vorkommen. In den von Thurmair (1989) und Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997) angeführten hunderten von Beispielen und Originalsätzen findet sich kein einziger Fall.
Konstruieren ließen sich allenfalls Sätze wie (95) Wahrscheinlich ist es halt so. Wenn die Abtönungspartikel mit einem Adverb verbunden ist, das mit ihr zusammen eine Partikelkette bildet, scheint die Akzeptabilität höher zu sein: (96) Wahrscheinlich hat er das doch schon gesagt. Allerdings ist der Status von doch hier nicht ganz klar, es könnte sich auch um die Konjunktion handeln. Satzadverbialia und Abtönungspartikeln schließen sich also weitgehend gegenseitig aus. Dies ist semantisch und pragmatisch einleuchtend. Mit den Satzadverbialia wird der Wahrheitswert des Satzes thematisiert (bekräftigt, abgeschwächt und gegebenenfalls kommentiert), mit den Abtönungspartikeln dagegen der Satzmodus in seiner Funktion bei der Sprecher-Hörer-Konstellation. Beides auf einmal würde einen einzigen Satz überfrachten. So ließe sich der Satz (97) Was soll das denn heißen? so darstellen: (97’)
S? denn soll Was heißen
das Was soll das denn heißen?
Damit wird dem Erfordernis der Anbindung der Abtönungspartikeln an die oberste Ebene des Satzes Rechnung getragen. Der Nachteil einer solchen Darstellungsart ist, dass dabei nicht projektive Stemmata erzeugt werden, wenn das Prädikat mehrgliedrig ist. Dies kann aber in Kauf genommen werden, weil Nichtprojektivität generell eine markierte Struktur bezeichnet. Sie lässt sich in diesem Fall so deuten, dass bei Annahme von mehrdimensionalen stemmatischen Konstruktionen (wie sie etwa von Osborne 2003 bei Koordinationen angesetzt werden) die Abtönungspartikel über dem normalen zweidi-
1030
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
mensionalen Stemma liegt. Bei allen herkömmlichen Projektionsvorstellungen wird davon ausgegangen, dass nicht nur die Linearstruktur, sondern auch die hierarchische Anordnung zweidimensional ist. Bei der linearen Kette ist das unbezweifelbar; sie zeichnet die topologische Anordnung in der gesprochenen oder geschriebenen Version analog nach. Die Konstruktion eines hierarchischen Gebäudes darüber ist in jedem Fall eine bildliche, metaphorische Darstellung. Wenn sie auf zwei Dimensionen beschränkt ist, nutzt sie mit Sicherheit nicht die Verarbeitungskapazitäten, die dem Gehirn und damit der Nachzeichnung der Vernetzung zur Verfügung stehen. Ein mehrdimensionaler, zumindest dreidimensionaler Ansatz erscheint wesentlich adäquater. Damit werden u. a. auch alle Projektionsprobleme relativiert. Bei der Projektion auf die lineare Kette wird dann die Abtönungspartikel ohne
Schwierigkeiten an die Stelle gesetzt, die ihr in der gesprochenen oder geschriebenen Sprache zukommt. Zugleich wird damit einer gewissen Variationsfreiheit Rechnung getragen. Satz (97) kann auch die Abfolge (97a) aufweisen: (97) a. Was soll denn das heißen? Welche Positionen in Frage kommen, wird in Abschnitt 3.6. behandelt. 3.4. Abtönungspartikeln und Satzarten Abtönungspartikeln sind, wie zu sehen war, in besonders ausgeprägtem Maße auf die Satzarten bezogen. Sie thematisieren die jeweilige Satzart. Daher müssen sie in ihrer Funktion jeweils für die einzelnen Satzarten gesondert bestimmt werden. Allerdings weisen sie auch starke Gemeinsamkeiten über die Satzarten hinweg auf. Z. B. ist die Funk-
Tab. 75.1. Aussage
aber auch
Entscheidungsfrage w-Frage
auch
denn doch doch eben ⬇ halt eh ⬇ sowieso ⬇ ohnehin
auch bloß ⬇ nur denn denn doch
ruhig schon schon überhaupt wohl
Wunsch
Ausruf
eh ⬇ sowieso ⬇ ohnehin eigentlich ⬇ überhaupt
aber auch bloß ⬇ nur
doch
doch
doch
eben ⬇ halt
eben ⬇ halt
doch
eigentlich ⬇ überhaupt einfach
etwa auch ja mal
schon überhaupt vielleicht wohl
ja mal Noch ruhig schon überhaupt wohl
w-Ausruf
aber aber auch auch bloß/ bloß (⬇) bloß/ bloß nur/ nur ⬇ nur/ nur
doch
einfach erst ja mal
Aufforderung
einfach etwa ja
schon überhaupt vielleicht
vielleicht wohl
1031
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
tion von auch in Aussagesätzen und Fragesätzen vergleichbar: (98) Das hätte mich auch gewundert. (99) Habt ihr auch gut aufgepasst? In beiden Fällen ist die konnektive Funktion von auch deutlich. Für die wichtigsten Abtönungspartikeln in ihrer Verteilung auf die Satzarten findet sich bei Brooks (2002) eine Zusammenstellung, die mit leichten Änderungen in Tabelle 75.1 wiedergegeben wird. Die dort fett gedruckten Abtönungspartikeln sind die betonten. 3.5. Kumulation von Abtönungspartikeln Die Abtönungspartikeln im Deutschen weisen eine weitere Besonderheit auf: Sie lassen sich vielfach kombinieren. Eine eingehende Untersuchung dieses Verhaltens gibt Thurmair (1989). Sie stellt die möglichen und die nicht akzeptablen Kombinationen zusammen und registriert zunächst, dass die Bedeutungen der miteinander verbundenen Partikeln verträglich sein müssen. Ihre Ausgangshypothese ist, dass „die Bedeutung einer Modalpartikel-Kombination die Summe der Bedeutungen der Einzelpartikeln ist“ (Thurmair 1989, 204). Diese These sei an einem ihrer Beispiele erläutert (Thurmair 1989, 208). (100) Martin: Mensch, Carola kann vielleicht gut singen! Lisa: Ja, die nimmt ja auch Gesangstunden. Ja signalisiere dabei ⫺ generell ⫺ das Merkmal ‘dem Sprecher bekannt’, auch die Merkmale ‘Beziehung zur Vorgängeräußerung’ und ‘Erwartet’. „Die Äußerung, in der auch steht, liefert dafür die Begründung oder Erklärung, und durch ja wird diese Erklärung als auch ‘für den Hörer bekannt’ markiert.“ (Thurmair 1989, 209). Diese Bestimmung trifft den Sachverhalt genau. Aber „Begründung“ oder „Erklärung“ ist doch und gerade mehr als die Summe der Bedeutungen der beiden Partikeln. Es ist vielmehr eine Funktion der beiden kombinierten Bedeutungen, die sich so ergibt. In der oben angesetzten ⫺ notwendigerweise knappen ⫺ Charakteristik der Grundfunktionen der Abtönungspartikeln wird für ja nur die Anknüpfung an Bekanntes, für auch die Einordnung in eine Klasse angenommen. Die ‘Erwartbarkeit des Geäußerten’ wird mit auch erst in der Kombination aktiviert.
In manchen Fällen sind diese Funktionen allerdings schwach ausgeprägt, doch ist auch dann eher von einer gegenseitigen Verstärkung der Funktionen auszugehen als von einer reinen Summierung. Vgl. etwa: (101) „Du hast gesagt, er sei nicht der Richtige für mich.“ Ich antwortete nicht, und Ruth wiederholte „Hast du doch gesagt, oder?“. Ich mußte lachen, und sie sagte ernsthaft „Warum denn eigentlich nicht?“ (Hermann, S. 38 f.) Auch hier ist die Kombination der beiden Partikeln denn eigentlich mehr als die Summe ihrer Einzelbedeutungen. Denn rechtfertigt die Frage als solche, eigentlich motiviert sie genauer, wenn man die Bedeutungen nebeneinander stellt. In der Kombination ergibt sich eine nachdrückliche Rechtfertigung für die Frage, die auf ihre Evidenz hinausläuft. Die Partikelkombinationen stellen mithin als kompakte Formen eine weitere Möglichkeit der kommunikativen Steuerung dar, die zu den hier betrachteten Satzadverbialia und den einzelnen Abtönungspartikeln als dritte Form der auf der obersten Satzebene liegenden Sprecherstrategien zu rechnen ist. Im Folgenden sollen für wichtige und häufig vorkommende Partikelkombinationen solche Grundfunktionen zusammengestellt werden. Dazu werden vor allem die von Thurmair (1989, 203⫺292) vorgenommenen Analysen und die Ausführungen bei Eroms (2000, 484⫺487) herangezogen. ja auch: Erklärung, Begründung des Angeführten. ja wohl: Ungläubiges, aber berechtigtes Erstaunen. (102) Das ist ja wohl der Gipfel! (Krohn, S. 169) ja schon: Berechtigtes, eigentlich ausreichendes Argument. ja mal: Abschwächung einer Aufforderung. (103) Du kannst ja mal die Bücher zurückgeben. doch wohl: nachdrückliche Zustimmungserwartung. (104) Ich kann doch wohl davon ausgehen, dass ihr die Bücher selber zurückbringt. denn doch: Entrüstung (und damit Zustimmung erzwingend). (105) Das geht denn doch zu weit!
1032
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
doch nur: Bekräftigung eines Wunsches oder einer Aufforderung.
Neben Zweierkombinationen kommen auch Drei- und Mehrfachkombinationen vor.
(106) Hätte ich doch nur rechtzeitig die Bücher zurückgebracht.
(115) Habt ihr sowas denn schon mal gemacht? (Krohn, S. 162)
(107) Sag mir doch nur, wer die Bücher zurückgeben soll.
(116) Das ist denn ja nun doch wohl zuviel. Alle angeführten Bespiele enthalten die Partikelkombinationen in Kontaktstellung. Einige Kombinationsformen können auch getrennt auftreten:
doch mal: Abschwächung einer Aufforderung. (108) Mach doch mal das Fenster auf! ja auch: Evidenzmarkierung.
(117) Das ist denn meines Erachtens auch nicht angebracht.
(109) Und Wegner hatte es ja auch darauf angelegt. (Krohn, S. 28)
(118) Ob du wohl mal die Bücher eben schnell zurückbringen könntest?
wohl auch: Einschränkung der Aussage. denn auch: Skepsis (bei Entscheidungsfragen).
Der abtönende Charakter scheint bei solchen Anordnungen wieder etwas zurückgenommen zu werden. Bei der Bestimmung der Dependenzverhältnisse in Kombinationen sind drei Möglichkeiten zu bedenken: Die Kombinationen können auf gleicher Stufe jeweils unabhängig von S gebunden werden, sie können als intern voneinander abhängig aufgefasst werden oder sie können als koordiniert aufgefasst werden. Die letztere Möglichkeit scheidet aus, weil z. B. nie ein und zwischen ihnen nachzuweisen ist, der Konnektor wäre dann stets ein Nullnektiv. Die interne Abhängigkeit ist dagegen eine ernsthaft zu bedenkende Alternative. Die Abtönungspartikeln ließen sich dann auffassen als Wörter, die sich gegenseitig spezifizieren. Dem steht aber entgegen, dass die Abhängigkeitsrichtung nicht eindeutig anzugeben ist und vor allem, dass die Kombinationen keine Summierung von Bedeutung ergeben, sondern funktional zu deuten sind. Daher ist die Anbindung der ersten Partikel an S und damit gleichgeordnet alle anderen Partikeln wohl die einfachste Lösung.
(110) Kennst du denn auch die genauen Bedingungen? denn eigentlich: s. o. Beispiel (101). denn nicht: Positive Antwort erwartend (in Entscheidungsfragen). mal eben: Motivierung einer Handlung. (111) Ich wollt nur mal eben kurz vorbeikommen. schon mal: Aussagebegründung durch Anführen eines erwartbaren Argumentes. (112) Da denkt schon mal einer laut über die Kompetenz des Kollegen nach und äußert wissenschaftliche Bedenken. (Krohn, S. 101) aber auch: Benennung eines evidenten Sachverhalts zur Begründung einer Aussage. (113) Mit welchen Leuten du dich aber auch abgibst. wohl schon: Akzeptierung einer nicht zu vermeidenden Tatsache. (114) Das müssen wir wohl schon in Kauf nehmen. (119)
S. Vfin
Pron
Partabt Partabt Partabt Partabt Partabt
Adj PartGrad
Das ist denn
ja
nun
doch
wohl
zu
viel
.
1033
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
3.6. Die Serialisierung der Abtönungspartikeln Die Abtönungspartikeln sind nicht erststellenfähig. Sie stehen ausnahmslos im Mittelfeld. Wie ihre Position dort zu bestimmen ist, wird in der Forschung etwas unterschiedlich aufgefasst. Während Thurmair vorsichtig sagt, dass sie „auf die Thema-Rhema-Struktur eines Satzes reagieren“ (Thurmair 1989, 35) wird von anderen ihre Stelle als die Grenzmarkierung zwischen thematischen und rhematischen Teilen des Satzes aufgefasst (vgl. dazu Thurmair 1989, 29⫺32). Hoberg (1997, 1546⫺1548) weist ihnen folgende Charakteristika zu: Sie haben im Mittelfeld Linkstendenz, vor ihnen stehen fast immer die deiktischen Elemente, wenn diese unbetont, normal verwendet sind. Ist das deiktische der, die, das betont, steht es unmittelbar vor der Abtönungspartikel. In den angeführten Beispielen sind die Abtönungspartikeln häufig, aber nicht immer Grenzmarkierer zwischen Thema und Rhema. Dieses Stellungsverhalten ist plausibel. Betrachten wir dazu ein Beispiel mit den Abtönungspartikeln eben und doch: (120) Dann hättest du damals eben doch die Zähne zusammenbeißen sollen, Kind. (Krohn, S. 94).
Anordnungen auch als feste Fügungen verstehen, die im Satz nicht jeweils eigens zu regeln sind. Denn, wie mehrfach betont, die Abtönungspartikeln sind nicht vorfeldfähig und auch in der Mittelfeldanordnung sind sie, bis auf ganz geringe Reste, in ihrer Stellung nicht frei wählbar. Damit sind sie bis zum gewissen Grade der Stellungsfestigkeit des Finitums vergleichbar, das auch nicht durch freie Wortstellungsregeln in den Satz eingeführt wird, sondern sich in seiner Stellung aus S oder C (der Subjunktion) notwendig ergibt.
4.
Diskurspartikeln
Diskurs- und textanknüpfende Ausdrücke stehen normalerweise im Vor-Vorfeld des Satzes. (123) Ja, das war gelungen. (124) Nein, Augenblick, das müssen Sie nochmal sagen. Diese Typen dienen der Hörerversicherung und sind Signale, die der Diskurssteuerung dienen. Dabei ist die Wahl von ja und nein nicht völlig durch den Inhalt der Sätze bestimmt, denn ja und nein können bis zu einem gewissen Grade ausgetauscht werden:
Die Abtönungspartikeln markieren hier die Stelle, an welcher der gesamte für den Fortgang des Satzes relevante Bereich geäußert worden ist. Dies ist der thematische Bereich. Mit den Abtönungspartikeln beginnt der Fokus der Aussage, sie selber sind die vorweg benannte Rechtfertigung dafür im oben dargestellten Sinne. In der Terminologie von Zemb (1978) gehören sie zum „Phema“, dem Bereich des Satzes, der u. a. die Modussignale enthält und die Zuordnung des Rhemas an das Thema generell sicherstellt. Allerdings sind gerade die enklitischen oder enkliseähnlichen Anschlüsse wie in
(123) a. Nein, das war gelungen.
(121) Ich hab’s ja gleich gewusst. (122) Hat der aber gestaunt!
Ausdrücke wie (125) Ja, ist denn heut schon Weihnachten.
eher ein Argument, nach einer anderen Bestimmung für die Serialisierung als die Grenzmarkierung zwischen Thema und Rhema zu suchen. Die gewählte Anbindung der Abtönungspartikeln an S in einer „dritten Dimension“ erlaubt auch ihre Anordnung nach Gesichtspunkten, die auf die Schablonenhaftigkeit der Formulierungen mit Abtönungspartikeln reagieren. So lassen sich ihre
haben andere Funktionen. Sie sind keine Hörerreaktionen, sondern Eröffnungssignale für Diskurse. Sie lassen sich am ehesten als Illokutionsindikatoren für die Sätze auffassen, denen sie voranstehen, in (125) ist es ein ‘Vorwurf’. Unter dependentiellem Gesichtspunkt soll hier nur ihre syntaktische Darstellung interessieren. Ihre Semantik und Pragmatik, die
(124) a. Ja, Augenblick, das müssen Sie nochmal sagen. In den Ausdrücken fließen Signale für die Bestätigung der zuletzt gehörten Sätze auf propositionaler und illokutiver Ebene, Hörersignale für die Sicherung des Gehörten überhaupt auf der lokutiven Ebene und Ankündigungen für mögliche Fortführungen zusammen. Diese Signale überlagern sich, so ist die Wahl eines auf den ersten Blick bestätigenden oder eines zurückweisenden Ausdrucks nicht absolut vorgegeben.
1034
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
in letzter Zeit im Gegensatz zu ihrer Syntax genauer untersucht worden ist (vgl. die Abschnitte „Responsiv JA“ und „Responsiv NEIN“ bei Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 372⫺383, und den Abschnitt „Organisation von Text und Diskurs“, 507⫺591), kann nicht im Einzelnen verfolgt werden. Die Diskurspartikeln lassen sich am ehesten als mit S interdependent ansehen. Regentien können sie nicht sein, auch als Dependentien von S kommen sie nicht in Frage. Dies sind die Satzadverbien und ⫺ in anderer Weise ⫺ die Abtönungspartikeln. Da sie mit anderen Ausdrücken um den Platz im Vor-Vorfeld konkurrieren, seien zunächst die im Vor-Vorfeld vorkommenden Typen aufgelistet und zwar in der Reihenfolge, wie sie theoretisch zusammen vorkommen können. In der Praxis kommen allenfalls einige kombiniert vor. (126)
K: Konjunktion; Int: Interjektionspartikel, Kon: Konnektor; Vok: Vokativ. : Interdependenzzeichen Für die Anbindung aller dieser Elemente wird ein interdependentielles Verhältnis angesetzt. Die Ausdrücke sind, wie gesagt, nicht abhängig von S, stehen vor dem Satz, sind in ihrer Leistung selbständig und isolierbar, haben aber direkten Bezug zu dem Satz, in dessen Vor-Vorfeld sie stehen. Die Schreibkonvention ordnet sie in den Satz ein, trennt sie aber durch Kommas ab. Man erkennt, dass die Diskurspartikeln beim Zusammenvorkommen mit anderen Ausdrücken im Vor-Vorfeld nicht den ersten Platz einnehmen. Es ist allerdings hinzuzufügen, dass die Platzbesetzung erstens nicht absolut fest ist und zweitens natürlich nicht in der Fülle, wie es die Formel suggerieren könnte, vorkommt.
Links- / Diskurs- / emo- / Vor- / Finitim ... verset- partikel tives feld zung Element
K / Int / Vok / Kon- / nektor
Und ach Herr wirklich den AktenMüller ordner
nein
verflixt
den
habe ...
(127) K
Int
Vok
Kon
LinksV
PartGespr
Emot
S
Dafür einige Beispiele: (129)
(128) Int
S\
Vfin
Vfin
Ach, ist
(130)
Eakk:th'
S!
Vok
Pron
Adj
das
schön
LinksV
Pron Pron Det
.
James, reichen Sie mir den Whisky .
S.
PartGespr Emot
Vfin
Pronth'
Scotch ,
N
Pron NEG
nein, scheußlich, den mag ich
nicht .
1035
75. Satzadverbien und Diskurspartikeln
Ein Pendant zu den im Vor-Vorfeld auftretenden Diskurspartikeln stellen die „Tags“ am Schluss des Satzes dar. Auch sie sind Sprecher-Hörersignale. Hier soll ebenfalls nicht auf ihre Semantik näher eingegangen werden. Sie sind auch nicht völlig parallel zu den am Satzanfang gesetzten Wörtern. Es kommen vor allem vor ja, nicht wahr, gell und oder: (131) „Fahren wir nach Hause, ja?“ (Hermann, S. 51) (132) Das hebst du mir doch auf, ja / nicht wahr / gell? (133) „Hast du doch gesagt, oder?“ (Hermann, S. 39). Die syntaktische Darstellung ist analog der vor den Satz placierten Wörter: (134)
Er ist nicht auffindbar, der Ordner, Herr Müller, wirklich, ja, zum Donnerwetter.
, (134 )
S RechtsVEsub Vok
Brooks, Sandra (2002): Abtönungspartikeln und Satzmodus. Magisterarbeit Passau. Burkhardt, Armin (1982): Abtönungspartikeln als Mittel des Vollzugs präsuppositionaler Akte. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 10, 85⫺ 112. Donhauser, Karin (1996): Negationssyntax in der deutschen Sprachgeschichte: Grammatikalisierung oder Degrammatikalisierung? In: Lang, Ewald/Zifonun, Gisela (Hgg.): Deutsch typologisch, Berlin/ New York, 201⫺217. Engel, Ulrich (1988): Deutsche Grammatik. 2. Aufl. Heidelberg. Eroms, Hans-Werner (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin/New York. Eroms, Hans-Werner (2004): Die Ausweitung der Dependenzzone. In: Czicza, Da´niel/Hegedüs, Ildiko´/Cappel, Pe´ter/Ne´meth, Attila: Wertigkeiten, Geschichte und Kontraste. Festschrift für Pe´ter Bassola zum 60. Geburtstag. Szeged, 151⫺165.
Kon PartGespr Emot
Vfin Pron
Adj NEG
Er ist nicht auffindbar
, der Ord- Herr Müller, wirklich, ja, zum Donnerwetter ner,
Die Anordnung der Elemente ist nicht spiegelbildlich zur Vor-Vorfeldplacierung, allerdings lässt sie noch mehr Freiheit zu. So können etwa der Vokativ und der rechtsversetzte Ausdruck auch an anderer Stelle stehen. Vor allem sind die Tags insgesamt freier setzbar. Die Zitate sind entnommen aus:
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Hans-Werner Eroms, Passau (Deutschland)
76. Serialisierung in der Nominalphrase 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Typologische Probleme Dependenzstruktur Die nominale Klammer Serialisierung von Linkserweiterungen Serialisierung von Rechtserweiterungen Diachronie Literatur in Auswahl
1.
Typologische Probleme
Die gängigen sprachtypologischen Einteilungen nach den Kriterien Serialisierung (z. B. VO vs. OV) und Morphologie (z. B. isolierend vs. flektierend) stehen vor dem Problem, dass die germanischen Sprachen sich „as […] typologically ambivalent […]“ darstellen (Braunmüller 1994, 29) und dass gerade das Deutsche synchronisch ein Nebeneinander disparater Strukturen und historisch gegenläufiger Entwicklungen aufzuweisen scheint: ⫺ VO im Hauptsatz versus OV im (eingeleiteten) Nebensatz,
⫺ relativ freie Serialisierung auf Satzebene vs. relativ strikte innerhalb der Nominalphrase, ⫺ im Satz und analog in der Nominalphrase gleichzeitiger Auf- und Ausbau sowohl von VO- als auch OV-Konstruktionen im Laufe der Sprachgeschichte des Deutschen, ⫺ „Nachhinken“ des Deutschen bei der Entwicklung vom flektierenden zum isolierenden Sprachtyp im Vergleich zu anderen germanischen Sprachen, ⫺ Schwankungen im Aufbau bzw. Wiederabbau von Klammerstrukturen in der neuhochdeutschen Periode. Diese Probleme lösen sich auf, wenn man wie Ronneberger-Sibold nicht nach Einzelkriterien typisiert, sondern nach den komplexen Verfahren, mit denen in verschiedenen Sprachen universelle Kodierungsprinzipien und Dekodierungsbedürfnisse, die nicht gleichzeitig optimierbar sind, in ein je spezifisches
76. Serialisierung in der Nominalphrase
Gleichgewicht gebracht werden. Ins Verhältnis zu setzen sind dabei „Ikonismus [inhaltlich-konzeptioneller Nähe entspricht der Abstand der Ausdruckseinheiten; J. S.], eindeutige Erkennbarkeit sowohl der Funktion als auch der Grenzen der Konstituenten, eine funktionale Satzperspektive […], ferner kurze Morphemketten […], ein kleines Morpheminventar, [und …] optimale[r] Satzrhythmus.“ (Ronneberger-Sibold 1991, 229) Typologierelevante Optimierungsverfahren sind das flektierende, das isolierende und eben das klammernde, dessen prototypischer Vertreter das Deutsche ist. Während die sichere Identifizierbarkeit der Funktion und der Grenzen von Satzgliedern beim flektierenden Verfahren durch ein großes Morpheminventar und lange Morphemketten „erkauft“ wird, geschieht dies beim isolierenden (mit fester Wortstellung) durch Beschränkung der funktionalen Satzperspektive und den Verzicht auf rhythmische Optimierung. Das klammernde Verfahren geht einen „Mittelweg“. Hier wird die sichere Identifizierung der Funktion der Satzglieder durch die morphologische Markierung im Zusammenwirken mit (nominalen) Klammern gewährleistet, die vornehmlich die Grenzen von Struktureinheiten markieren. Dies lässt zusammen mit der verbalen Klammer eine optimale Gestaltung der funktionalen Satzperspektive zu, „Ikonismus“ hingegen nur sehr eingeschränkt. Innersprachliche Folgen dieses typologischen Verfahrens sind die Tendenz zur deutlichen Grenzmarkierung auf den verschiedenen Systemebenen (Glottisverschluss; Auslautverhärtung) und das Ausnutzen der semiotischen Indexfunktion, d. h. der Fähigkeit von Zeichen, auf andere Zeichen zu verweisen (z. B. durch Kongruenz). Es lässt sich nun zeigen, dass die rezente Serialisierung der deutschen Nominalphrase und ihre Entwicklung im Wesentlichen von den Faktoren bestimmt wird, die in direktem Zusammenhang mit dem von Ronneberger-Sibold beschriebenen typologischen Verfahren stehen, das das Deutsche prägt: Die nominale Klammer und ihre festen Grenzen bestimmen die Serialisierung der Attribute links vom Kernnomen (Regens), die indexikalischen Beziehungen (bzw. ihr Fehlen) die Serialisierung der attributiven Rechtserweiterungen. Die Herausbildung der nominalen Klammer erklärt die seit dem Althochdeutschen beobachtbaren Änderungen der Serialisierungsregeln.
2.
Dependenzstruktur
Die dependentielle (und serielle) Gesamtstruktur der Nominalphrase wird durch zwei
1037 unterschiedliche Beziehungen geprägt: (i) Die Beziehung zwischen der traditionell als Kernsubstantiv bezeichneten Einheit (generativ: N0) und den Determinantien (Det.) sowie (ii) die Beziehungen zwischen dem Kern der Nominalphrase und seinen Dependentien (⫽ Attributen) und den Attributen untereinander. Während (ii) sachlich, d. h. synchronisch und diachronisch, deskriptiv und analytisch im Rahmen der Dependenzgrammatik keine grundsätzlichen Probleme bereitet ⫺ hier geht es im Wesentlichen darum, begriffliche Differenzierungen und empirische Klärungen angemessen zu berücksichtigen ⫺, steht für (i) über die Grenzen der Grammatiktheorien hinweg, aber gerade auch innerhalb der Dependenzgrammatik, die Klärung grundlegender Fragen noch aus. Klärungsbedürftig ist die Strukturbeziehung zwischen den Determinantien und dem Kernsubstantiv vor allem deshalb, weil hier im Gegensatz zu den attributiven Rechtserweiterungen gegenläufige Dependenzbeziehungen vorliegen. Eine attributive Linkserweiterung kann gleichzeitig lexikalisch vom rechtsstehenden Substantiv selegiert werden, in ihrer morphologischen Form aber vom linksstehenden Determinans bestimmt sein. Je nachdem, welchen Status man der Einheit Wort zubilligt bzw. welche strukturelle Eigenständigkeit man Flexiven zubilligt, ergeben sich völlig unterschiedliche Beschreibungen, die ⫺ ganz konsequent ⫺ bis zum Konzept eines (finiten) Substantivs mit diskontinuierlichem Flexiv reichen können, das als „analytische“ Substantivform am Determinans oder („stark“ flektierten) Adjektiv auftritt (vgl. ´ gel 1993, 20⫺36; 1996). Die gewichtigen A strukturellen Parallelen zwischen den Elementen des Verbkomplexes und den Determinantien/Substantiv, die im Rahmen der DPAnalyse und der Dependenzgrammatik herausgearbeitet wurden (z. B. Abney 1987; Eroms 1985; 1988), erlauben für die meisten Zwecke eine vereinfachte dependenzgrammatische Beschreibung: Analog zum Verbkomplex im Satz wird ein in sich komplexer struktureller Kern der Nominalphrase angesetzt, der aus Determinantien, pronominalen Flexiven und Substantiv besteht und als Zentralregens der gesamten NP fungiert. Die Elemente des strukturellen Kerns leisten die (in)definitreferentielle oder generische Determination der gesamten Nominalphrase, legen ihre Satzgliedfunktion fest (Kasus, semantische Rollen) und bestimmen durch die Substantivklasse (z. B. Verbalabstrakta) ihre Gesamtstruktur.
1038
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(ii) Es sind drei Typen von Erweiterungen des komplexen strukturellen Kerns zu unterscheiden: Koordination, Unterordnung und Gleichstufigkeit. Die Unterscheidung ist notwendig, weil in der Literatur zur Nominalphrase Koordination und Gleichstufigkeit des Öfteren identifiziert werden (vgl. Helbig/ Buscha 1984, 603; Zhu/Best 1991, 216 f.), seriell bedingte Verwechslungen der Erweiterungstypen im Verstehensprozess aber zu Komplikationen führen. (a) Kern/Attr. Attr.
Attr.
(b) Kern/Attr. Attr.
(c) Kern/Attr. Attr.
Attr.
Attr.
Abb. 76.1: Erweiterungstypen
Koordination (⫽ a) liegt vor, wenn zwei Attribute mit identischer Position innerhalb der Dependenzstruktur durch nebenordnende Konjunktionen (und, aber …) verbunden oder, wenn diese fehlen, verbindbar sind. Permutationen ergeben keine Bedeutungsdifferenzen. (1)
… die Begriffe von Zeit und Gleichzeitigkeit …
(2)
… ein genäschiges, geiziges Kind
Unterordnung (⫽ b) liegt vor, wenn das Regens eines Attributs ein Attribut ist. (3)
… die scheinbar klaren Begriffe …
(4)
… den Versuch einer Rekonstruktion der Vorgeschichte …
(5)
… Richtlinien für Eingriffe in Notfällen …
Gleichstufigkeit (⫽ c) liegt vor, wenn zwei nicht koordinierte Attribute Dependentien desselben Regens sind. (6)
… die Anwendung der Tierarzneimittel durch den Tierarzt
Bei Koordination und Unterordnung sind vielgliedrige Mehrfacherweiterungen möglich, sofern in der Nominalphrase nur ein Erweiterungstyp auftritt oder ein Erweiterungstyp die Gesamtstruktur dominiert. (7)
Sie war doch ein so schwerfälliges, müdes, furchtsames, verdrossenes, schuldbewußtes, überdemütiges, boshaftes, faules, genäschiges, geiziges Kind. (Kafka)
(8)
In der Frage nach den Problemen in seinen Ausführungen über die Freiheit auf dem Gebiete der Kunst …
Ermöglicht werden solche vielfachen Strukturwiederholungen (Rekursivität) dadurch, dass die Informationsverarbeitung im Dekodierungsprozess parallel und gleichzeitig mit der seriellen Verarbeitung der Zeichen erfolgen kann, und zwar bei Koordination durch einfache Addition von Informationen, bei Unterordnung durch einfache Spezifikation. Während die Koordination formal eindeutig kodiert ist (geschriebene Sprache: Konjunktionen, Kommata; gesprochene Sprache: progrediente Intonation), die Unterordnung hingegen, wie sich empirisch zeigen lässt, im Dekodierungsprozess präferiert wird, also den Normaltyp bei fehlender oder uneindeutiger formaler Markierung darstellt, ist der Erweiterungstyp Gleichstufigkeit innerhalb der Nominalphrase an spezifische Bedingungen gebunden. Er steht daher im Mittelpunkt der folgenden Beschreibung der Serialisierungsregeln.
3.
Die nominale Klammer
Die Elemente des komplexen strukturellen Kerns enthalten nicht nur die für die Dependenzstruktur der gesamten Nominalphrase entscheidenden Informationen, sie nehmen auch in der seriellen Struktur die herausragenden Positionen ein. Die Determinantien (und die stark flektierten Adjektive) markieren in eindeutiger Weise die linke Grenze einer Nominalphrase und eröffnen die nominale Klammer. Die Flexionsmorphologie dieses linken Klammerteils bildet den Beginn einer rechtsgerichteten Kongruenzbeziehung (Numerus, Genus, Kasus), die in ebenfalls eindeutiger Weise endet, wenn ein Substantiv mit den passenden Flexionskategorien auftritt und so die rechte Grenze der nominalen Klammer markiert (vgl. Ronneberger-Sibold 1991, 218⫺221). Attribute, die innerhalb der durch formal-syntaktische Merkmale (Wortartindikatoren, Flexive) eindeutig gekennzeichneten Klammer stehen, werden im Dekodierungsprozess semantisch auf rechtsstehende Elemente der Nominalphrase bezogen, letztlich auf das klammerschließende Kernsubstantiv. Das Kernsubstantiv bildet das positionelle Zentrum der gesamten Nominalphrase. Mit dem Kernsubstantiv als rechter Grenze der nominalen Klammer kehrt sich die Dekodierungsrichtung um. Attribute au-
1039
76. Serialisierung in der Nominalphrase nominale Klammer (komplexer strukt. Kern) Det. feste Grenze
Attr.
Attr.
Dekodierungsrichtung
(...)
Attr.
N posit. Zentrum
Attr.
(...)
Dekodierungsrichtung
offene Grenze
Abb. 76.2: Serielle Gesamtstruktur der Nominalphrase (ohne Dislozierungen)
ßerhalb der nominalen Klammer, d. h. weitere Dependentien, werden grundsätzlich nach links bezogen. Wesentlich für die dependentielle Struktur ist es, dass es rechts vom Kernsubstantiv keine Möglichkeiten gibt, nominalphrasenintern die rechte Grenze der Gesamtkonstruktion zu signalisieren. Rechtserweiterungen sind nur insoweit möglich, als sie formal-syntaktisch direkt oder indirekt auf das positionelle Zentrum bezogen werden können.
4.
Serialisierung von Linkserweiterungen
4.1. Serialisierung der klammerbildenden Elemente Die Serialisierung der klammerbildenden Elemente ist strikt. Abgesehen von Split-Konstruktionen (vgl. 6.) stehen die Determinantien in der Gegenwartssprache immer links vom Kernsubstantiv. Die Determinantien sind nur sehr eingeschränkt kombinierbar. Zifonun [u. a.] (1997, 1930; 2070) führen die Nichtkombinierbarkeit („Blockade“) sogar als Definitionskriterium an, beschreiben dann aber doch Kombinationsmöglichkeiten. Obwohl die Determinantien keine Variation der Reihenfolge erlauben, bereitet die Beschreibung der Serialisierungs- und Kombinationsregeln Schwierigkeiten. Das liegt nicht zuletzt an der fehlenden klaren Abgrenzung der Gesamtklasse und den von Autor zu Autor schwankenden Subklassifizierungen. Ausschließlich aus deskriptionspraktischen Gründen wird hier die Klassifikation von Zifonun [u. a.] (1997) zugrunde gelegt. Definientien sind hiernach (i) die Fähigkeit, als Träger der morphologischen Kategorien Genus, Numerus und Kasus mit dem Kernsubstantiv eine Nominalphrase bilden zu können (NP-Bildungskriterium) sowie (ii) die Fähigkeit, die Flexionsform rechtsstehender Attribute zu bestimmen (Rektionskriterium). Das Inventar sämtlicher Einheiten, die diese Kriterien erfüllen, ist einer Liste zu entnehmen (vgl. Zifonun [u. a.] 1997, 1950).
Subklassen sind die definiten (der, die, das) und indefiniten Artikel (ein, eine), die possessiven Determinantien (mein, dein …), die deiktischen Determinantien (der, dieser, jener, derjenige, derselbe, solcher), die quantifizierenden Determinantien (einiger, etlicher, irgendein, irgendwelcher, aller, jener, mancher, mehrere, kein) und die W-Determinantien (welcher, wessen). Unter Rückgriff auf diese Festlegungen ist zunächst die besonders in der DP-Analyse vieldiskutierte Gruppe der unflektierten Determinantien (Literatur in Kolde 1996, 514⫺ 520) am äußersten linken Rand der Nominalphrase gesondert zu beschreiben. All, manch, solch, welch entsprechen nicht den Kriterien (i) u. (ii) und sind formal-syntaktisch Dependentien von echten Dependentien (selten von flektierten Adjektiven), da sie nicht ohne eine flektierte Form auftreten können (vgl. Engel 1991, 634). (9)
all meine Freunde vs.
(10) *all Freunde (11) manch ein Kind vs. (12) *manch Kind Im seriellen Dekodierungsprozess fungieren diese untereinander nicht kombinierbaren Formen als „Null-Stellen“, die auf die unmittelbar rechts von ihnen einsetzende Nominalklammer verweisen. Für die echten klammereröffnenden Determinantien im definierten Sinne lässt sich dann folgende Serialisierungsregel formulieren: Soweit Dependentien überhaupt kombinierbar sind, gilt die Reihenfolge quant. Det. alle
deikt. Det. diese diese
poss. Det. (N) Leute Leute unsere
Dass nicht alle Determinantien dieser Subklassen miteinander kombinierbar sind (z. B. *solche meine), liegt daran, dass die meisten Determinantien aufgrund ihrer Semantik an den verschiedenen Leistungen des komplexen
1040
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Referenzaktes (referentielle Determination, Quantifizierung, Spezifizierung) teilhaben, was zu Überschneidungen führt. Welche Kombinationen möglich sind, lässt sich einer von Heidolph [u. a.] (1981, 263) aufgestellten Kreuzklassifikation entnehmen. 4.2. Serialisierung der Attribute innerhalb der nominalen Klammer Die Serialisierung der Attribute innerhalb der nominalen Klammer stellt das am längsten diskutierte Problem der gesamten NP-Serialisierung dar. Es wird in der einschlägigen Spezialliteratur unter dem Stichwort Adjektivserialisierung behandelt, da hier praktisch immer von einem erweiterten Adjektivbegriff ausgegangen wird, der Numerale, Partizipialattribute und Adverbialattribute einschließt. In welchem Maße sich die Forschung hier im Kreis bewegt, wird deutlich, wenn man die frühesten Äußerungen zum Deutschen (z. B. „Die bedeutsameren […] Bestimmungen folgen den allgemeineren […] nach.“ Heyse 1849, 549) oder die meist rezipierten (z. B. „Das Wichtige [steht] später als das Unwichtige […].“ Behaghel IV 1932, 4) mit den jüngsten vergleicht: „[D]as Ausmaß des subjektiven ‘Affiziert-Seins’ [bestimmt] die Reihung“ (Schecker 1993, 121); „[E]in Attribut [steht] um so näher am Kern, als die Eigenschaft, die es ausdrückt, im betreffenden Kound Kontext der durch den Kern vertretenen Größe inhärenter ist […]“ (Valentin 1994, 287). Als problematisch erwies sich von Beginn der Forschung an, dass sich bei kontextfreien Beispielen Normalreihenfolgen ergeben (z. B. graduierbare Adjektive vor nicht graduierbaren; qualitative vor klassifikativen), für die sich aber immer Gegenbeispiele erdenken oder belegen lassen. Da auch bei subtilsten Subklassifikationen die gesuchte feste Reihenfolge disjunkter Positionsklassen nicht nachweisbar war (vgl. den Überblick in Sichelschmidt 1989, 35⫺48) und sich mit eindimensionalen unidirektionalen Skalen, die etwa von einem Kontinuum zwischen links stehenden Attributen, die der „determination of reference“ dienen, und weiter rechts stehenden, die zunehmend der „determination of concept“ dienen (Seiler 1978, 310), ausgehen, nur ein Teil der Beobachtungen erklären ließ, wird heute (i) die Rolle der nominalen Klammer herausgestellt und (ii) von einer plurizentrischen Organisation der Attribute innerhalb der Klammer ausgegangen (vgl. Eichinger 1993, 1995).
Die stabile Klammer mit ihren formal-syntaktisch eindeutig markierten Grenzen ermöglicht eine relativ freie Serialisierung der eingeklammerten gleichstufigen Attribute. Die klare Begrenzung und die Eindeutigkeit der Dekodierungsrichtung macht es den Schreibern sogar möglich, sich hier, aber eben nur hier, Freiheiten und Ungenauigkeiten der Kodierung der Dependenzbeziehungen zu erlauben, wie Schecker (1993, 108 f.) für die Kommasetzung bei authentischen Belegen gezeigt hat. Serialisierungsrelevant ist primär die spezifische Kommunikationsabsicht der Sprecher/Schreiber, die aber für die verschiedenen Teilleistungen des komplexen Referenzaktes auf präferierte Positionen zurückgreifen. Zu einem gelingenden Referenzakt, d. h. zur Identifikation des vom Sprecher/Schreiber gemeinten Diskursgegenstandes durch den Hörer/Leser, ist das Zusammenwirken dreier Teilleistungen erforderlich: die Quantifizierung, mit der sich ein Sprecher dem Hörer gegenüber auf eine bestimmte Anzahl oder eine Teilmenge von Diskursgegenständen bezieht, die Determination, mit der ein Sprecher seine Annahmen darüber ausdrückt, ob der Hörer den Diskursgegenstand identifizieren kann, sie ihm also schon bekannt sein dürften, und die Spezifizierung (bzw. Kennzeichnung) der Diskursgegenstände (Kolde 1989, 86 f.). Die drei Teilleistungen werden in erster Linie von den klammerbildenden Elementen der Nominalphrase übernommen. Die Determinantien dienen der Quantifizierung und der Determination, das Kernsubstantiv der Spezifikation bzw. Kennzeichnung. Ist der Sprecher/Schreiber nun der Ansicht, dass die mit den Determinantien und dem Substantiv gegebenen Informationen für die Identifizierung des Diskursgegenstandes nicht ausreichen, so hat er die Möglichkeit, dem Hörer/Leser mit Hilfe der klammerinternen Attribute weitere, explizitlexikalische Identifikationshilfen zu übermitteln. Für diese Informationen werden die Positionen unmittelbar neben den funktionsgleichen klammerbildenden Elementen präferiert. D. h. rechts neben den Determinantien stehen quantifizierende und determinierende Attribute (Positionsklasse 1), links vom Kernsubstantiv die restriktiv-spezifizierenden Attribute (Positionsklasse 3). Innerhalb der Positionsklasse 1, den „Artikelklassifikatoren“, wird eine Reihenfolge präferiert, die die Serialisierung der Determinantien „wiederholt“ (vgl. Eichinger 1995, 306). So folgen in (13) den quantifizierenden
1041
76. Serialisierung in der Nominalphrase nominale Klammer Positionsklasse 2 präferiert für Sprecherbeurteilungen
Positionsklasse 3
Det.
Positionsklasse 1 präferiert für quant. und determ. Attr.
Die
drei
protzigen
amerikanischen
präferiert für spezifiz. Attr.
N Autos
Abb. 76.3: Präferierte Positionen innerhalb der nominalen Klammer
und deiktischen Determinantien (alle diese) funktionsgleiche Attribute:
soll an einem Beispielsatz aus P. Süskind gezeigt werden (vgl. Valentin 1994, 287):
(13) alle diese fünf vorerwähnten Gesichtspunkte
(16) Über allem schwebt … der Generalmusikdirektor, dann kommt die erste Geige, dann die erste zweite Geige, dann die zweite erste Geige, dann die übrigen ersten und zweiten Geigen.
Innerhalb der Positionsklasse 3, den „Nominalklassifikatoren“, stehen Attribute, die die vom Substantiv nominierte Klasse von Referenzobjekten durch weitere logisch-semantische Prädikationen beschränken (graue skandinavische Metalltische). Die positionsklasseninterne Serialisierung wird nach übereinstimmender Auffassung durch den von links nach rechts größer werdenden Spezifikationsbeitrag (Seiler: „determination of concept“; Valentin: „Inhärenz“; Eichinger: „Implikation“) gesteuert. Zwischen diesen beiden sich an die klammerbildenden Elemente anlehnenden Positionsklassen liegt die präferierte Position für „das attributive Adjektiv in seiner exemplarischen Form, [… das; J. S.] dem Nomen in herausgehobener Weise eine Eigenschaft zu[ordnet]“ (Eichinger 1995, 305). Hier stehen die nicht referenznotwendigen Adjektive und Partizipialattribute, die satzsemantisch zusätzliche Prädikationen darstellen, mit denen Sprecher/Schreiber also ihr „Urteil“ (Bewertung/Einschätzung) über den Diskursgegenstand zum Ausdruck bringen können (erläuternde, explikative Attribute): (14) das entzückende biedermeierliche Kostüm Da es sich lediglich um Präferenzen handelt, sind Umstellungen (Linksversetzungen) zum Zwecke der kommunikativen Hervorhebung möglich: (15) Sie erblickte den Herd mit Töpfen und Papier, auf dem Tisch die leeren zwei Flaschen. Dass es andererseits aber im Sprecherwissen einen klaren Zusammenhang zwischen den Positionsklassen, den positionsklasseninternen Serialisierungsregeln und den hier herangezogenen satzsemantischen Funktionen gibt,
Ordinalzahlen sind prototypisch restriktivspezifizierende Attribute. Süskind nutzt bei seinem Spiel mit den Ordinalzahlen zunächst die positionsbedingt unterschiedlich hohe „Spezifizierungsleistung“ der Attribute, um dann durch bloße Wiederholung auch dem langsamsten Leser klarzumachen, dass es hier nicht um Spezifizierung, d. h. um Identifizieren von Referenten, gehen kann und dass daher ein (ironisches) Sprecherurteil kenntlich gemacht werden soll. 4.3. Nominale Linkserweiterungen Als nominale Linkserweiterungen der ersten Abhängigkeitsstufe treten Nominalphrasen im Genitiv (präponierter bzw. „sächsischer“ Genitiv) und nicht NP-bildende Substantive (enge Appositionen) auf. Das im Gegenwartsdeutschen seltene präponierte Genitivattribut (Peters Auto) teilt synchronisch eine Reihe von syntaktischen und satzsemantischen Eigenschaften mit den Determinantien des Kernsubstantivs. Es dient der definiten Determination (Merkmal ‘bekannt’) und legt die morphologische Form der rechts von ihm stehenden Attribute fest (Peters kleines altes Auto). Es steht alternativ zu den Determinantien des Kerns, lässt also keine weiteren Determinantien der Gesamt-NP zu. Die Serialisierung der zwischen einem präponierten Genitiv und dem Kern der NP stehenden Attribute entspricht derjenigen der Attribute innerhalb der nominalen Klammer. Es scheint daher nahe zu liegen, den präponierten Genitiv als Determinans oder als linkes Klammerelement zu behandeln. Gegen die Beschreibung als Determinans und damit als Element des komplexen Kerns der NP spricht, dass
1042
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
der Genitiv sich als unabhängige Nominalphrase selbst mit Determinantien verbinden kann und nach links erweiterbar ist (des armen Bruders Probleme). Von den Klammerelementen unterscheidet sich das präponierte Genitivattribut dadurch, dass es im Gegensatz zu den Determinantien nicht in der Lage ist, die linke Grenze der nominalen Klammer eindeutig zu markieren. (17) *Einer von Franklins Lehrern … baute einen Apparat, mit dem die geringe Geschwindigkeit Johns Wahrnehmung nachgewiesen werden kann. (Schülerarbeit 12. Klasse) Obwohl Johns Wahrnehmung eine mögliche korrekte NP darstellt, wird dies vom Rezipienten nicht erkannt, weil das Genitivattribut im Gegensatz zum Determinans (Geschwindigkeit der Wahrnehmung Johns) nicht als linke Grenze einer erweiterten NP erkannt wird und daher als postponierter Genitiv zu Geschwindigkeit dekodiert wird. Im Gegensatz zum präponierten Genitiv kann die präponierte enge Apposition keine NP bilden, da sie weder mit einem Determinans verbindbar noch erweiterbar ist. Enge Appositionen (Namensbestandteile, Titel, Anredenomina, Verwandtschafts- und Berufsbezeichnungen) lassen sich über ihr Flexionsverhalten definieren (Kongruenz mit dem Kernsubstantiv oder keine Kasusmerkmale) bzw. Nominativ: Helga Meyers (Bücher); Herrn Meyers (Bücher). Obwohl es sich nachweisbar um Dependentien des Kernsubstantivs handelt, sie also syntaktisch nicht als Teil eines doppelten Kerns einer NP zu analysieren sind, sind sie aufgrund ihrer satzsemantischen Funktion, d. h. ihrer Teilhabe an der Zentralnomination der NP, strikt adjazent zum rechts stehenden Kernsubstantiv. Zusammen mit der fehlenden NP-Bildungsfähigkeit führt dies dazu, dass mit dem Auftreten einer engen Apposition sämtliche Linkserweiterungen eines Kernsubstantivs blockiert sind.
5.
Serialisierung von Rechtserweiterungen
Die scheinbar hoch komplizierten Serialisierungsregeln attributiver Rechtserweiterungen bereiteten der Forschung lange Zeit erhebliche Probleme, was zu gravierenden Divergenzen in der Beschreibung führte. Wie bei Linkserweiterungen wurde versucht, seriali-
sierungsrelevante Positionsklassen zu bestimmen. Unklar waren Art und Anzahl dieser Positionsklassen (vgl. z. B. Sommerfeldt [u. a.] 1988, 238; Vater 1986, 125; Engel 1991, 636 f.). Unklar blieb auch, warum „vielfach nicht nur Elemente verschiedener [Attribut]klassen, sondern teilweise auch mehrere Elemente einer Klasse gemeinsam auftreten können“ (Engel 1991, 634). Diese Beschreibungsprobleme vereinfachen sich, wenn man berücksichtigt, dass sich die Serialisierungsregeln für die geschriebene und die gesprochene Sprache im Falle von Nominalphrasen ganz grundsätzlich unterscheiden, dass isolierte, also nicht im Satz realisierte Nominalphrasen (Überschriften, Listeneinträge) freiere Serialisierungsmöglichkeiten eröffnen und dass es selbst für die geschriebene deutsche Standardsprache unterschiedliche Konventionen gibt. Ausgangspunkt der folgenden Beschreibung sind die Serialisierungsregeln für postponierte Genitivattribute, Präpositionalattribute und attributive Relativsätze, wie sie in der geschriebenen deutschen Standardsprache nach umfangreichen empirischen Erhebungen für die große Mehrheit der Schreiber/ Leser gelten (vgl. Schmidt 1993a, 232⫺328). Von hier aus wird im Folgenden eine Gesamtbeschreibung der Serialisierungsregeln für Rechtserweiterungen ⫺ soweit bekannt ⫺ versucht. Die Fakten, die die Serialisierung von Rechtserweiterungen bestimmen, sind (i) ihre Stellung außerhalb der nominalen Klammer und die nach rechts grundsätzlich offene Grenze der Gesamt-NP sowie (ii) ⫺ komplementär ⫺ die Möglichkeit, bestimmte Rechtserweiterungen als separat und in sich klar abgegrenzt zu markieren. Fehlt (ii), liegen also nur kontinuierliche Rechtserweiterungen vor, so hat die offene rechte Grenze strikte und restriktive Serialisierungsregeln zur Folge. Ist (ii) gegeben (⫽ diskontinuierliche Rechtserweiterungen), so ergeben sich nach Maßgabe der indexikalischen Bindung (Kongruenz) freiere Serialisierungsmöglichkeiten. 5.1. Die offene rechte Grenze der Gesamt-NP Es gibt kein NP-internes Grenzsignal. Jedes substantivische Attribut (NP als Attribut) kann durch ein rechts stehendes Dependens erweitert werden, jede satzförmige Erweiterung der NP durch einen weiteren attributiven Nebensatz. (18) Eine provisorische Methode zur Abdichtung einer Lekage in der Sponung besteht darin, …
1043
76. Serialisierung in der Nominalphrase
(19) Isotope, die sich durch die Zahl der Neutronen unterscheiden, welche im Atom vorhanden sind, das … Bei Formidentität von attributiven Rechtserweiterungen und Satzgliedern (besonders Adverbial-, Präpositionalphrasen und Infinitivkonstruktionen) kann der Leser (!) angesichts der fehlenden internen Grenzsignale die strukturelle Ambiguität ohne Kontextwissen nicht auflösen. Er kann also z. B. in (20) nicht entscheiden, ob in Österreich gewählt (Satzglied) oder gelacht wird (Attribut). (20) „…“ erklärte Israels Ministerpräsident vor Studenten und löste damit am Tag der Präsidentschaftswahlen [NP- Grenze ?] in Österreich [NP- Grenze ?] lautes Gelächter aus. Die Grenze der Gesamt-NP kann nur extern signalisiert werden, etwa durch die Stellung am Satzende (Interpunktion), Stellung vor Teilen des Verbkomplexes (z. B. besteht in (18)) oder die optische Isolierung bei Nominalphrasen außerhalb von Sätzen (Schlagzeilen …). 5.2. Kontinuierliche Rechtserweiterungen Folge der fehlenden Klammern und der fehlenden NP-internen Grenzmarkierung ist, dass im Gegensatz zu den Linkserweiterungen gleichstufige kontinuierliche Rechtserweiterungen engen Restriktionen unterliegen und nur dann auftreten, wenn eine spezifische formal-syntaktische Beziehung zum positionellen Zentrum der Gesamt-NP vorliegt. In allen übrigen Fällen gilt die Adjazenzregel, d. h., ein Attribut wird als Dependens des unmittelbar links stehenden Substantivs dekodiert (Prinzip der fortlaufenden Unterordnung; vgl. (18), (19)). Die Wirkung der Adjazenzregel lässt sich am besten beobachten, wenn ein Attribut und das linksadjazente Substantiv semantisch inkompatibel sind. (21) *Bitte, beantworten Sie unsere Fragen auf der Rückseite zum bisher versicherten KFZ (Versicherungsschreiben) In (21) wollte der Schreiber das in sich komplexe Präpositionalattribut zum … KFZ auf den Kern und das positionelle Zentrum der Gesamt-NP (unsere Fragen) beziehen (⫽ Regens nach Schreiberintention). Es wäre dann gleichstufiges Attribut zu auf der Rückseite. Aufgrund der Adjazenzregel bezieht die Mehrheit der Leser das Attribut zum … KFZ beim ersten Dekodierungsversuch aber auf
Rückseite als Regens. Hier konstituiert also ausschließlich die Serialisierung eine Dependensbeziehung. Da eine solche Struktur keine sinnvolle Lesart ergibt, sieht sich der Leser zu einer Reanalyse der NP-Struktur im Sinne der Schreiberintention veranlasst. Kern = Regens
Präp. Attr. = Dependens
Präp. Attr. = Dependens
Abb. 76.4a: Struktur von (21) nach Schreiberintention
Kern = Regens
Präp. Attr. = Dependens
Präp. Attr. = Dependens
Abb. 76.4b: Struktur von (21) nach Leserdekodierung
Für eine solche serialisierungsbedingte Diskrepanz zwischen der vom Schreiber intendierten und der vom Leser dekodierten Dependenzstruktur (mit anschließender Reanalyse) wurde in Schmidt (1993a, 171) der Terminus Attribuierungskomplikation vorgeschlagen. Die Adjazenzregel gilt in kontinuierlichen Nominalphrasen grundsätzlich für alle attributiven Rechtserweiterungen, also auch für enge Appositionen, Adverbialattribute, postponierte Genitivattribute (22) und das seltene, nur in isolierten Nominalphrasen mögliche Dativattribut (24). (22) *die Gegenüberstellung Müllenhoffs der Ost- und Westgermanen (23) Kampf dem Atomtod vs. (24) *Der Kampf der Bürgerbewegung dem Atomtod Eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Sonderstellung innerhalb kontinuierlicher Nominalphrasen nehmen Attribute ein, die
1044
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
über eine formal-syntaktisch kodierte Valenzbindung eine spezifische Beziehung zum Kern der NP eingehen. Es handelt sich um Attribute, bei denen das Regens eine bestimmte syntaktische Form des Dependens selegiert, also einen Infinitiv (der Wille zu …), ein als-Attribut (die Tätigkeit als …) oder eine spezifische Präposition (der Glauben an …), nicht aber Genitivattribute, die mit jedem substantivischen Regens kombinierbar sind. Diese spezifische syntaktische Bindung zum Regens macht in bestimmten Fällen eine Serialisierung mehrerer gleichstufiger Attribute möglich. Da hier enge Restriktionen vorliegen, sollte man konsequenterweise darauf verzichten, eine eigene Positionsklasse für valenzgebundene Rechtserweiterungen anzusetzen. Die Restriktionen betreffen zum einen die Anzahl der Attribute. Außer bei Verbalabstrakta sind mehr als zwei gleichstufige Attribute kaum akzeptabel: (25) ?Frau Z. erfuhr inzwischen, dass ein Kredit ihrer Tochter in Höhe von 80.000 DM zugunsten Scholls nicht zurückgezahlt werden kann. Eine größere Rolle kommt den satzsemantischen Restriktionen zu, deren wichtigste wie folgt lautet: Attribute müssen zusammen mit dem Kern der NP im Satzzusammenhang als einheitliche Prädikation dekodiert werden können. In (26) ist dies der Fall, wie die satzförmige Paraphrase zeigt: (26) Dabei geht die Gefahr nicht von der curativen Anwendung der Tierarzneimittel durch den Tierarzt aus, sondern … Paraphrase: Es geht keine Gefahr davon aus, dass Tierarzneimittel (ARGUMENT) durch den Tierarzt (ARGUMENT) […] angewendet werden (logisch-semantisches PRÄDIKAT) … Ist diese Einheitlichkeit nicht gegeben, weil etwa wie in (21) zwei eigenständige Prädikationen vorliegen oder weil Regens und Attribute wie in (27) nicht in identischer Prädikat/ Argument-Relation stehen, so entfällt diese Serialisierungsmöglichkeit. (27) *Der Glückwunsch zum Geburtstag an Petra traf verspätet ein. Versuche, die Gesamt-NP in eine prädikative Lesart zu überführen, zeigen, dass die beiden Präpositionalattribute je unterschiedliche logisch-semantische Prädikate voraussetzen. Paraphrasen: Glück wünschen (logisch-semantisches PRÄDIKAT) zum Geburtstag
(ARGUMENT) vs. der Glückwunsch (ARGUMENT) war gerichtet (logisch-semantisches PRÄDIKAT) an Petra (ARGUMENT). 5.3. Diskontinuierliche Rechtserweiterungen Das bisher Dargelegte sollte deutlich gemacht haben, dass den scheinbar komplizierten Serialisierungsregeln für kontinuierliche Rechtserweiterungen ein sehr einfaches Prinzip zugrunde liegt: Strikte Adjazenz wird als fortlaufende Unterordnung interpretiert. Gleichstufigkeit ist nur bei formal-syntaktisch eindeutiger Valenzbeziehung und einheitlicher Prädikat/Argument-Struktur möglich. Beides bewirkt letztlich das Gleiche: Es erlaubt eine sukzessive Integration von weiter rechts stehenden Attributen in eine im Aufbau begriffene Verstehensstruktur, ohne dass syntaktische oder semantische Reanalysen vorgenommen werden müssen. Deutlich unterschieden hiervon sind die Verhältnisse bei diskontinuierlichen Rechtserweiterungen. Durch klare Grenzsignale können (oder müssen) postponierte Adjektiv- und Partizipialattribute (28), (29), (30), lockere Appositionen (34) und attributive Nebensätze als separierte und in sich abgeschlossene NP-Teile gekennzeichnet werden. (28) … ein junger Mensch mit Komplexen, strebsam und gemein, … (29) … sein Kommentar zur Aufführung, in der Hast geschrieben, … (30) Ein paarmal habe ich Ärger mit den Mädels gehabt, kleinen, großen, besonders großen. (Böll) Grenzsignale sind in der geschriebenen Sprache Kommata, in der gesprochenen Sprache der Beginn und das Ende einer eigenständigen Intonationseinheit und bei attributiven Nebensätzen zusätzlich die aus Konjunktion, Relativpronomen … und dem finiten Verb gebildete Satzklammer. Die klare Begrenzung ermöglicht Dislozierungen von der Rest-NP (⫽ Matrix-NP). Im direkten Anschluss an die Matrix-NP wirkt sie ähnlich wie eine externe Grenze der Gesamt-NP und führt zum Abbruch der sukzessiven Dekodierung als einheitliche Prädikation. Die Adjazenzregel gilt nur eingeschränkt und hat komplementäre Funktion, die Valenzbindung (z. B. bei Konjunktionalsätzen) ist nicht serialisierungsrelevant. Die wesentlichen satzsemantischen und syntaktischen Besonderheiten diskontinuier-
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76. Serialisierung in der Nominalphrase
licher NP-Teile sind: (i) Diskontinuierliche NP-Teile werden satzsemantisch als eigenständige Prädikationen rezipiert. (ii) Die syntaktische Beziehung zur Matrix-NP wird durch indexikalische Bindung (Kongruenz) hergestellt, wobei die Möglichkeit, Prädikationen frei auf Elemente der links stehenden NP zu beziehen (lineare Distanz), von der Eindeutigkeit abhängt, mit der die indexikalische Beziehung kodierbar ist. (ii) lässt sich prototypisch am attributiven Relativsatz zeigen, (i) an der in der Forschung oft verkannten lockeren Apposition. Der Relativsatz bietet die freiesten Realisierungsmöglichkeiten. Da hier durch die Genus- und Numeruskongruenz des einleitenden Relativpronomens eine eindeutige syntaktische Beziehung zu einem bestimmten Element der links stehenden NP als Regens kodiert werden kann, sind Distanzbezüge über mehrere Attribute einer NP und gleichzeitige Dislozierung über Elemente des Matrix-Satzes möglich. (31), wo das Relativpronomen ausschließlich mit dem Kern der NP (einen Kranken …, der …) kongruiert, belegt diese Möglichkeit: (31) Seitdem Paul Broca 1861 in Paris einen Kranken [Kern] mit einer Verletzung [Präp.-Attr.] der Pars opercularis [Gen.Attr.] der linken unteren Stirnwindung [Gen.-Attr.] demonstrierte [Verbum finitum], der [kongruierendes Relativpronomen] eine eigentümliche Sprachstörung zeigte, hat man die Hirnrinde mit verschiedenen Methoden nach Zentren und Rindenfeldern durchforscht. Kongruiert das Relativpronomen hingegen mit mehreren linksstehenden Attributen oder sogar einem Element des Matrixsatzes, so wird komplementär und ersatzweise die Adjazenzregel eingesetzt. Die Leser stellen beim ersten Dekodierungsversuch eine Dependenzbeziehung zum nächsten kongruierenden Substantiv her, auch wenn dies keine sinnvolle Lesart ergibt (Attribuierungskomplikation mit Reanalyse). (32) *Tagelang hat der Computerspezialist in der Buchausstellung der Bundesrepublik herumgestöbert, die in der DDR zu sehen war. (33) *In Südengland ist gestern ein Militärlastwagen auf einem vereisten Weg verunglückt, der möglicherweise mit Atomwaffen beladen war.
Deutlich werden die Zusammenhänge zwischen der Serialisierung und der Möglichkeit, eine formal-syntaktisch eindeutige indexikalische Beziehung zu kodieren, auch am postponierten Adjektivattribut: Als diskontinuierliche, aber an die linksstehende NP direkt anschließende Attribute, sind sie in der Regel unflektiert (28), (29), als dislozierte hingegen flektiert (30). (Vgl. Best/Zhu 1993, 20 f.) Die satzsemantische Leistung diskontinuierlicher Attribute zeigt prototypisch die lockere Apposition, also eine dependente NP, die mit einem Substantiv als Regens kongruiert oder keine Kasusmorphe aufweist. (Zum Grammatikermythos einer zunehmenden Tendenz zur Dativapposition vgl. Bergenholtz 1985, 34). Durch Kommata oder durch die Intonationskontur als relativ selbständige Einheit gekennzeichnet, ermöglicht sie es dem Schreiber/Sprecher, Elemente der linksstehenden NP durch eigenständige Prädikationen zu erweitern, die als bewusste Sprecherurteile rezipiert werden und semantisch sogar in eine Spannung zum nominativen Kern treten können. (34) Daß ich von der Lyrik Rilkes, eines sonst wirklich guten Mannes, … wenig halte … (Brecht) Die syntaktische Beziehung der lockeren Apposition zum Regens ist für den Rezipienten kaum weniger deutlich als beim Relativsatz: Apposition und Regens kongruieren obligatorisch in Numerus und, wie empirisch gezeigt werden kann, zu über 95 % auch im Kasus (vgl. Bergenholtz 1985, 39).
6.
Diachronie
Die Entwicklung der NP-Serialisierung hat der Forschung manche Rätsel bereitet. So haben etwa diachrone Schwankungen in Frequenz und Umfang erweiterter Partizipialattribute (Weber 1971) längere Zeit den Blick auf übergreifende Zusammenhänge verstellt. Die im Rahmen der PP-Theorie und der DPAnalyse diskutierten Split-Konstruktionen (NP-Aufspaltung) hingegen könnten den Eindruck erwecken, als habe fast kein struktureller Wandel stattgefunden. Inzwischen lässt sich ein recht klares Bild der Entwicklung zeichnen, wenn man sie mit den jüngeren Arbeiten im Rahmen der Herausbildung des klammernden typologischen Verfahrens des Deutschen beschreibt (vgl. Lötscher 1990; Ronneberger-Sibold 1991; Eichinger
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
1995) und Entwicklungen unterscheidet, die ausschließlich auf die Mündlichkeit oder ausschließlich auf die Schriftlichkeit beschränkt sind (vgl. z. B. Demske 1999). Die Entwicklung der Serialisierung im geschriebenen Deutschen lässt sich unter dem Wort Hermann Pauls (1919, 65) abhandeln: „Anfängliche Freiheiten [werden] mit der Zeit immer mehr eingeschränkt.“ Die heutigen Attributformen finden sich überwiegend schon im Althochdeutschen, auch sehr komplexe erweiterte Formen. Vollständig belegt ist das heutige Formeninventar seit dem Mittelhochdeutschen (vgl. Barufke 1995, 51 f.). Die heutigen Serialisierungsrestriktionen galten nicht. Dafür einige Beispiele: Im Mittelhochdeutschen kann das Adjektivattribut vor dem Determinans (Artikel) stehen und über Teile des Verbkomplexes nach rechts disloziert werden. (35) helfelos ein man (36) einen sıˆdıˆn segel sach er roten Noch im Frühneuhochdeutschen sind Genitivattribute nicht adjazent (vgl. Demske 1999), attributive Erweiterungen über den Kern einer NP hinweg sind bis ins 17. Jahrhundert belegt, sogar bei Opitz (38). (37) sand Johans tag ewangelisten (38) der reiche Seneca an Witz und Vermögen Für das Mittelhochdeutsche meint Barufke angesichts dieser „Stellungsfreiheiten“ ein Prinzip der „Phrasenautonomie [der Attribute im heutigen Sinne; J. S.] mit semantischer Strukturierung statt grammatischer Hierarchisierung […]“ (1995, 136) ansetzen zu können. Möglicherweise waren Satzgliedgrenzen und satzgliedinterne Dependenzbeziehungen erst in der Ausbildung begriffen. Sicher ist jedenfalls, dass die Satzgliedgrenzen und die NP-internen Dependenzbeziehungen in der geschriebenen Sprache formalsyntaktisch nicht mit der späteren Klarheit kodierbar waren. Diese Möglichkeiten wurden erst in der neuhochdeutschen Schriftlichkeit geschaffen. Die Entwicklung der nominalen Klammer, mit den Determinantien und dem Kernsubstantiv als Grenzen für Linkserweiterungen, das komplementäre Zusammenwirken der Klammerelemente und der Linkserweiterungen bei der Flexion (sog. Monoflexion), Adjektiv- und Partizipialattribute als präferierte Linkserweiterungen, die Adjazenzregel für Genitivattribute sind im Wesentlichen zu Beginn des 18. Jahrhunderts
abgeschlossen. Die für diese Zeit beobachtete Abnahme des Umfangs erweiterter Adjektivund Partizipialattribute widerspricht dieser Sicht nicht, sondern bestätigt sie: „[Z]ur Klammer gehört, dass sie nicht überdehnt werden darf.“ (Eichinger 1995, 319). Die Veränderung der Serialisierungsregeln für attributive Rechtserweiterungen, also der Dependentien außerhalb der nominalen Klammer, ist im Unterschied hierzu bis in die geschriebene deutsche Standardsprache der Gegenwart hinein beobachtbar. Das postponierte Genitivattribut verdrängt zunehmend das präponierte (im Mittelhochdeutschen ca. 95 % der Belege; vgl. Barufke 1995, 179; 201 f.), die strikte Adjazenzregel für kontinuierliche Rechtserweiterungen wird von ca. einem Drittel der heutigen Schreiber/Leser bis heute nicht angewendet. Es sind dies Schreiber/Leser, die von sich selbst angeben, relativ wenig zu lesen und mit komplexen schriftsprachlichen Konstruktionen wenig vertraut zu sein (vgl. Schmidt 1993a, 232; 336⫺340). Dass die NP-Serialisierungsregeln im Rahmen konzeptioneller und relativ unabhängiger Schriftlichkeit entwickelt wurden und werden, lässt sich nicht nur an der Adjazenzregel für attributive Rechtserweiterungen zeigen. Der Vergleich der Serialisierungsregeln der heutigen gesprochenen deutschen Standardsprache mit den freien Serialisierungsmöglichkeiten im geschriebenen Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen zeigt, dass ein Teil der Regeln inzwischen Eingang in das Gesamtsystem der Gegenwartssprache gefunden hat. So gelten die Adjazenzregel für Genitivattribute und die Restriktion, dass nicht über die Grenzen der nominalen Klammer hinaus erweitert werden kann, inzwischen auch für die gesprochene deutsche Standardsprache. Andere „anfängliche Freiheiten“ im Sinne Hermann Pauls hat die gesprochene deutsche Sprache bis heute bewahrt. Am auffälligsten sind hier die viel diskutierten Split-Konstruktionen (NP-Aufspaltung; extraction) wie z. B. (39) Studenten haben damals viele protestiert. Eine Übersicht über die verschiedenen Subtypen findet sich in Pafel (1995, 145 f.). Deskriptiv gesprochen, geht es um die Möglichkeit, ein Substantiv bzw. eine NP von „ihren“ Determinantien bzw. von einer NP als Regens zu trennen und nach links ins Vorfeld des Satzes zu „versetzen“. Für den hier diskutierten Zusammenhang ist wichtig, dass in den jüngeren Arbeiten zum Thema klarge-
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76. Serialisierung in der Nominalphrase
stellt wird, dass diese Serialisierungsmöglichkeit auf die gesprochene Sprache bzw. auf die Nachbildung konzeptioneller Mündlichkeit in der Schrift beschränkt ist und im Mündlichen eine doppelte, aufeinander verweisende intonatorische Markierung erfordert, wodurch eine in der Schrift nicht kodierbare syntaktische Beziehung zwischen den gespaltenen NP-Teilen hergestellt wird (zuletzt Kniffka 1996, 116⫺123 und Demske 1999). Indizien dafür, dass es sich hierbei trotz dieser intonatorisch kodierten syntaktischen Beziehung um die relikthafte Bewahrung älterer Serialisierungsmöglichkeiten handelt, sind nicht nur die vielfältigen textuellen, pragmatischen, informationsstrukturellen (Thema/ Rhema) und syntaktischen (geringe Komplexität) Restriktionen (vgl. Kniffka 1996, 74⫺ 115). U. Demske hat für partitive Split-Konstruktionen zudem gezeigt, dass sie auch strukturell relikthafte Züge aufweisen und sich hierin von ihren Äquivalenten mit kontinuierlicher Serialisierung unterscheiden. Im Frühneuhochdeutschen wurden partitive Attribute meist als Genitivattribute realisiert (40). Heute muss dort ein Präpositionalattribut (41) oder eine im Kasus kongruierende NP stehen (42). (40) Diser undanckbaren leüt findet man noch seer vil. (41) Von diesen undankbaren Leuten findet man noch sehr viele. (42) Undankbare Leute findet man noch sehr viele. Demske zeigt, dass der Quantitätsausdruck (seer vil) in dieser und ähnlichen Konstruktionen zu Beginn des Frühneuhochdeutschen noch als NP (⫽ nominalisiertes Adjektiv als Regens der Gesamt-NP) zu analysieren ist. Erst im Laufe des Frühneuhochdeutschen wurde er dann von den Schreibern in kontinuierlichen (!) Nominalphrasen als „Artikelwort“ (Kongruenz!) reanalysiert. Dort, wo sich pronominale und adnominale Flexion unterscheiden (z. B. bei kein), lässt sich dieser alte Strukturunterschied (⫽ relative Phrasenautonomie) zwischen kontinuierlichen und „gespaltenen“ Konstruktionen noch heute belegen: (43) Brot ist kein-es mehr da. vs. (44) Es ist kein Brot mehr da.
7.
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77. Flexion in der Nominalphrase 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Flexion und Rektion in der Nominalgruppe Die Dependenzverhältnisse Die Rolle des Dritten: das Adjektiv Fazit zur Synchronie Diachronie Literatur in Auswahl
1.
Flexion und Rektion in der Nominalgruppe
1.1. Die Komplexität der Nominalgruppe Die deutsche Nominalgruppe zeigt links wie rechts vom zentralen lexikalischen Kopf ganz erhebliche Ausbaumöglichkeiten, wie sie in den folgenden Fügungen angedeutet sind (die folgenden Beispielbelege stammen aus Wehler 2003): (1)
Utopische Hoffnungen auf einen kurzen Schlagabtausch (3) Adj ⫺ N ⫺ PräpGr
(2)
Die Hekatomben von Abermillionen Toten, die dieser Weltkrieg verschlang (3) Art⫹N ⫺ PräpGr ⫺ RelS
(3)
Den ungeahnten Wohlstandsanstieg industrialisierender Gesellschaften und die Vorherrschaft über die gesamte nichtwestliche Welt (3) Art ⫺ Adj ⫺ N ⫺ NGr;
(4)
Von ihrem Zustand vier Jahre zuvor (4) Poss ⫺ N ⫺ AdvGr
(5)
Dessen Konturen (5) PronDemgen ⫺ N
(6)
Der millionenfachen Erfahrung soldatischer Existenz im Angesicht des Todes (5) Art ⫺ Adj ⫺ N ⫺ NGrgen ⫺ PräpGr
(7)
Die These mit ihrem Anspruch auf Erklärung des Entschlusses zum Krieg aus einem Bündel innerer Ursachen (845)
Dieser Tatbestand entspricht durchaus der Tendenz des Deutschen, sowohl zentripetale wie zentrifugale Strukturen in jeweils differenzierter Funktion zu nutzen. Dieser funktionalen Differenzierung entspricht die Art der formalen Markierung. Rechts vom Nomen kennen wir rektionale oder im weiteren Sinne junktionale Anschlüsse (vgl. Valentin 1992). Die Bestandteile und Erweiterungsmöglichkeiten links vom Nomen sind durch flexivische Merkmale gekennzeichnet und durch die Interaktion dieser Elemente verbunden. Und solche flexivischen Elemente finden sich nur links vom Nomen. Es entspricht zudem den Erwartungen, die wir im Hinblick auf die generellen Kodierungsgesetzmäßigkeiten des Deutschen hegen dürfen, dass in diesem Bereich analytische und synthetische Strategien der Kodierung grammatischer Information einander überlagern (vgl. Wurzel 1996). Dabei führt die typische Art der Informationsverteilung in analytischen Strukturen zu einer Klammerbildung zwischen der Position des Artikels und dem lexikalischen Kopf der Nominalgruppe (vgl. Eichinger 1991). (8)
Die repräsentative parlamentarische Demokratie (213) Art (Adjqual ⫺ Adjklass) N
(9)
Ein so starres, menschenfeindliches System (203) Art (Adjqual ⫹ Adjqual) N
Allerdings ohne dass dieser lexikalische Kopf seiner unmittelbaren Flexionsmöglichkeiten völlig beraubt wäre.
1050
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(10) In diese vorgelagerten politischen Entscheidungsgremien (269) PrDem (Adjqual ⫺ Adjklass) N (11) Jenen realistischen Skeptikern (3) Prdem ⫺Adj ⫺ N Die gegenseitige Bindung der Elemente in solchen Klammerungen lässt schon erwarten, dass die Beziehungen und Abhängigkeiten sich nicht in einfacher unidirektionaler Dependenz erschöpfen werden. Im Unterschied zu den klassischerweise so beschriebenen Strukturen im verbalen Bereich, die in gewisser Weise analog zur rechten Hälfte der Nominalgruppe durch rektionale und junktionale Beziehungen zwischen den beiden Klammerteilen gekennzeichnet sind (vgl. Eichinger 1995), sind zumindest die wesentlichen und zentralen Bestandteile zwischen Artikel und Nomen ⫺ zentral: das adjektivische Attribut ⫺ durch die Fortdauer des flexivischen Prinzips gekennzeichnet (vgl. oben alle Beispiele außer (5); genauer s. Wiese 2004). Diesen Tatbestand benennt unter anderem der von Vladimir Admoni in die Diskussion gebrachte Terminus der Monoflexion. Auf der anderen Seite reflektiert er den Tatbestand, dass die flexivischen Grundinformationen bei Bedarf auch an den Elementen kodiert werden können, die „eigentlich“ innerhalb der Klammer stehen (vgl. die verschiedenen nominalen Gruppen in (6), zu diesen Zuweisungsregeln im Rahmen eines optimalitätstheoretischen Paradigmas vgl. Gallmann 2004). Die nominale Klammer zeigt also im Unterschied zur Verbalklammer ein homogenes Kodierungsmuster, das im systematischen Wechsel und im möglichen Platzwechsel von starken, pronominalen und schwachen, nominalen Endungstypen realisiert wird. Dabei herrscht im Ganzen eine Tendenz zur Wortgruppenflexion (vgl. auch Harnisch 2003). Das heißt: wenn das möglich ist, tritt die starke Flexion einmal und womöglich nur einmal auf; sie wird am ersten dazu geeigneten Element gewählt. Sollten weitere flektierte Elemente auftauchen, zeigen sie durch die Wahl der schwachen Flexionsendungen lediglich an, dass man sich noch im Bereich der Flexion befindet; dabei ist die Neutralform des Nominativ Singular durch die {-e}Endung besonders hervorgehoben. Prototypisch zeigen sich diese Verhältnisse im Zusammenspiel von Artikel- und Adjektivflexion: (12) Seit der protestantischen Reformation (3)
(13) Von bisher unvorstellbarer Millionenstärke (3) Deutlich different ist lediglich das einem anderen Paradigmenset entstammende Endsignal ⫺ das Flexiv rechts am nominalen Kopf der Konstruktion. Das zeigt sich besonders sichtbar daran, dass hier die „relationale Kategorie“ Kasus praktisch nicht sichtbar wird (außer den beiden Positionen Gen Sg mask/ neutr: {-(e)s}; Dat Plur: {-n}). Es handelt sich dabei um ein hartes Grenzsignal, wie sich daran zeigt, dass selbst unmittelbar nachgestellte attributive Adjektive (Typ: Röslein rot) nicht flektiert werden und so praktisch den entsprechenden adverbialen Elementen gleichgestellt sind (die Zeit damals; vgl. auch in dieser Hinsicht ambivalentes Steak englisch). Dem entspricht andererseits, dass entsprechende Attributionen adverbialer Art, sollen sie links vom Nomen auftauchen, in einer flexionsfähigen Form erscheinen müssen (die damalige Zeit) bzw. in die flexionsneutralisierende Domäne der Wortbildung aufgenommen werden (vgl. Eichinger 2000). (14) Der ehemalige Reichskanzler (449) (15) Stabilisierende Gegengewichte (960) Ganz am Rande, in Quasi-Zitaten früherer Sprachgebräuche mit auffälligem stilistischem Wert, finden sich vereinzelt unflektierte Adjektive in der Nominalklammer (vom Typ ein laut Geschrei; s. Engel 2004, 291). Die unflektierten Elemente, die systematisch im Flexionsfeld auftauchen, spiegeln im wesentlichen den Tatbestand, dass in diesem Bereich außer der grammatischen Klassifikation der Nominalgruppe nach Genus und Kasus, ggf. Numerus und der inhaltlichen Aufgabe einer semantischen Subklassifikation, die eher textuelle Aufgabe der Determiniertheitsfestlegung zu leisten ist. Sie ist klassischerweise mit den Artikeln und Demonstrativpronomina verbunden, interagiert aber auch in eigenwilliger Weise mit der Kategorie „Possessivität“ (das erklärt den Status des sogenannten sächsischen Genitivs, der zumindest in den kritischen Fällen ⫺ Mutters Haus ⫺ als possessiver Junktor gelesen werden kann, der in allen Fällen gleichzeitig die Determinationszwänge der jeweiligen Nominalgruppe füllt; vgl. auch oben Beispiel (5); vgl. Gallmanns Darstellung in Duden 2005, § 1273).
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77. Flexion in der Nominalphrase
(16) Deren Kenntnis (3) (17) Carl Schmitts Verteidigung des autoritären Staates (445) (18) Von Christi Opfer (444) Bei Determiniertheit ist Zählbarkeit impliziert: das zeigt sich am deutlichsten an der Form des unbestimmten Artikels, der ⫺ bei semantisch passenden Substantiven ⫺ einfach durch Betonung zum expliziten Numerale werden kann (vgl. aber die „Grammatikalisierung“, die in anderen Kombinationen deutlich wird: eine Zusammenarbeit […] zu erkunden (449)): (19) Insofern blieb die SPD eine Klassenpartei (354) (20) Sobald eine Partei siegte (211) Entsprechend sind dann alle anderen Kardinalzahlen und auch andere Quantoren paradigmatische Entfaltungen und Präzisierungen der „Mehrzahl“ (allerdings bereits in Adjektivposition: zweier großer Probleme; vgl. Eroms 2000, 259). (21) Von zwei so mächtigen Ideenkonglomeraten (542) (22) Dem Spitzengremium aller Landwirtschaftskammern (701) Von daher ist es wahrscheinlich ⫺ und dann auch tatsächlich so ⫺, dass artikelartige quantifizierende Wörter und Kombinationen von deiktischen Determinativa und Possessiva für die flexivischen Regelungen kritische Fälle darstellen (dieser mein guter Freund/diesem meinem guten Freund; s. Duden 2005, § 368). Funktional kann man die Integration der verschiedenen Elemente in den flektierenden Rahmen als textuell situierend (Adjsit), implizit eine Eigenschaft prädizierend (Adjqual) und klassifizierend (Adjklass) beschreiben (s. Eichinger 1991, Eroms 2000, Wiese 2004; zu formalen Korrelaten vgl. Heringer 1996, 59). Da das Ganze im Rahmen der nominalen Setzung stattfindet, werden alle Bestandteile, auch die implizit prädizierenden „Eigenschaftswörter“ als vorausgesetzte Bestandteile eines Elements genommen, über das man dann redet (vgl. Eichinger 2004). 1.2. Nominale Kategorisierungen und Flexion Unterzubringen in dem flexivischen Teil der Nominalgruppe sind die grammatikalisierten Informationen über Genus, Kasus und Nu-
merus. Daneben spielt die deiktische Kategorie der Determination eine strukturierende Rolle. Welche strukturellen Abhängigkeiten lassen sich hier beobachten? Zum ersten lässt sich feststellen, dass lediglich Genus eine unmittelbar dem nominalen Lexem und damit im weiteren Sinn der Nominalgruppe zugehörige Klassifizierung („interne Kategorie“) darstellt. Sie wird zudem im Plural höchstens indirekt und eher prototypisch enkodiert (erkennbar an der Paradigmatik der Pluralformen; s. z. B. Eisenberg 2004a, 164). Die Wahl des Numerus ist unmittelbar von der Entscheidung des Sprechers abhängig und schlägt sich formal primär in den Flexiven des Substantivs nieder. Man kann Numerus daher fast als eine Extension der lexikalischen Bedeutung verstehen. Dem entsprechen zum Beispiel gängige Klassifikationen im substantivischen Bereich, die auf Zählbarkeit bzw. ihr Fehlen rekurrieren (Kontinuativa; Pluralia tantum; s. Duden 2005, § 258⫺277). Kasus wird der Nominalgruppe durch regierende Elemente (Verben und Präpositionen) zugeordnet. Sofern es sich dabei um eine Einbettungstechnik in die grammatischen Kodierungsgewohnheiten auf Satzebene handelt, passt es zu den generellen Ordnungsmustern des heutigen Deutsch, dass und wenn diese Information primär am Artikel gegeben wird ⫺ struktureller gesprochen: in der pronominal-deiktischen Verdeutlichung. Kasus und Determination des Artikels weisen also auf die Einbindung in den Satz, die Genusmarkierung gibt uns einen Hinweis darauf, auf welches Substantiv wir warten sollen. (23) Der tief in die reichsdeutsche Gesellschaft hineinwachsende Konsens (611) Wenn uns der Artikel nicht hilft ⫺ im genusneutralisierten Fall des Plurals ⫺, unterstützen uns die prototypischen Verteilungen der Pluralflexion bei der Einordnung in das Genussystem, so z. B. der {-e}-Plural als prototypischer Fall des Plurals von Maskulina: (24) Die letzten Reste (615) Beim Numerus spricht man zu Recht nicht von Abhängigkeit, sondern von Kongruenz zwischen Nomen und der Artikel-AdjektivVerbindung, wobei der primäre Sitz der Information unklar ist. Wie angedeutet spricht Einiges für lexikalische Singular-Plural-Verankerungen, d. h. für den generellen Sitz die-
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
ser Information beim Substantiv. Wie die Zahlwörter zeigen, ist der genaue Platz dieser Differenzierung dann im (rechten) Umfeld des Artikels. (25) Der drei jungen Staaten (585) Bei Nominalgruppen handelt es sich bis auf markierte ⫺ appositionell erweiterte ⫺ Randfälle (du Glücklicher hast; wir Brüder hatten) um Instanzen der dritten Person. Im System der Pronomina finden die Gesprächsrollen ihren sprachlichen Niederschlag (s. Weinrich 2005, 94). Bei der ersten und zweiten Person hat man hier ohnehin keine Wahl (vgl. Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 33⫺ 41), aber auch bei der dritten Person ist eher die pronominale determinierte Form geeignet in grammatischer Weise die gesamte Gruppe zu vertreten als das Nomen. So sind die Formen des bestimmten Artikels gleichzeitig, zumindest in gesprochener Sprache, die Formen des häufigsten Demonstrativ- wie des gängigsten Relativpronomens (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 41 f.).
2.
Die Dependenzverhältnisse
2.1. Das grobe Schema Wie stellt sich unter den so umrissenen Verhältnissen eine Abhängigkeitsdarstellung der Flexion in der deutschen Nominalgruppe dar? Wenn auch die zentrale Stellung des lexikalischen Kopfs unbestritten ist, so ist doch ebenso klar, dass Artikel und Artikelwörter eine Sonderstellung einnehmen (vgl. z. B. Engel 2004, 287). Das zeigt sich an zwei Punkten: 1) Zum einen machen die an dieser Stelle systematisch auftretenden starken Flexive die Kategorien Kasus und Genus so klar, wie das in der deutschen Flexion überhaupt sein kann. Sie sind an die Determinative bzw. Adjektive gebunden. 2) Zum anderen wird erst aus der Verbindung eines nominalen Lexems mit einem definit oder indefinit realisierenden Merkmal ⫺ wie es der Artikel in prototypischer Weise darstellt ⫺ eine syntaktische Einheit. Die nominale Flexion in den aus dem Substantiv ausgelagerten Teilen stellt die Technik dar, wort- und satzsemantische Informationen, die der jeweiligen Nominalgruppe eigen sind bzw. die vom jeweiligen Satzrahmen festgelegt werden, in flexivische Information
umzusetzen. In diesem Sinn ist die Einheit aus Determinativ und substantivischem Lexem eine syntaktische Konstruktion, die der Rekonstruktion der in Sätzen verarbeiteten Schemata dient (vgl. Primus 1999; 2002). Flexion ist eine Art Translativ, das es erlaubt, semanto-syntaktische Abhängigkeiten in Morphologie zu übersetzen. Wenn man die Dinge so betrachtet, werden jedenfalls die relationalen Kategorien der Nominalgruppe als ganzer zugewiesen. Wenn man die Verteilung der Informationen auf die verschiedenen Bestandteile der Nominalgruppe nachvollzieht, ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild. 2.2. Genus Die zentrale Stellung des substantivischen lexikalischen Kopfs schlägt sich unmittelbar in der Informationsvererbung der Kategorie Genus nieder. Dass Substantive Genus haben, gilt als die zentrale Eigenheit und Differenz zu den anderen flektierbaren nominalen Wortarten des Deutschen (s. Duden 2005, § 219). Die Genusinformation wird von dem nominalen Kern auf die Determinative übertragen oder, wenn kein Determinativ, aber ein Adjektiv vorhanden ist, im Sinne der Wortgruppenflexion an dieses weitergereicht (vgl. z. B. Heringer 1996, 93). Von daher ist die in dieser Hinsicht eindeutig hierarchisierende Darstellung der Abhängigkeiten bei Engel (2004, 290) angemessen: (26) Nom Eisen
Det Das
Adj Andererseits kommt die Kategorisierung Genus am ⫺ primären (Suffixe sind in der Regel mit einem festen Genus verbunden) ⫺ Substantiv nicht zum Ausdruck, ihre Realisierung lässt sich allenfalls aus der gesamten Paradigmatik erschließen. Flexivisch klargemacht wird die Genuseinordnung in der starken, pronominalen Flexion, deren „Hauptmerkmalträger“ (Duden 2005, § 1518) die Artikel bzw. Adjektive sind. Um diese Ambivalenz darzustellen, sind verschiedene Modelle vorgeschlagen worden. Wie auch immer sie im Einzelnen gestaltet
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77. Flexion in der Nominalphrase
sind, so haben sie dem Tatbestand Rechnung zu tragen, dass Genus im Artikel (bzw. überhaupt links vom Nomen) ohne Kenntnis der morpho-semantischen Information aus dem Kopf-Substantiv nicht denkbar ist, ebenso wie andererseits das „starke“ pronominale Flexiv den Ort für die formale Kodierung dieser Kategorisierung darstellt. In gewisser Weise spiegelt diese Ambivalenz die Interaktion von produzenten- und rezipientenorientierten Strategien. So ruft der Produzent über das Lexem das Schema auf, von dem er sprechen will, während dem Rezipienten in Anbetracht der Bedeutung der Genusdifferenz im Deutschen möglichst frühzeitig zu Beginn der Nominalgruppe signalisiert werden soll, welches Genus das Substantiv hat, auf das zugesteuert wird; das ist besonders bei zusätzlichen Linkserweiterungen im Adjektivraum von Nutzen: (27) Die vielfach bezeugte, für einen Politiker nicht mit Gold aufzuwiegende Fähigkeit (560) (28) Der von dem jungen amerikanischen Finanzexperten Edward Tennenbaum vorbereiteten, aber vom Direktor der westzonalen Wirtschaftsverwaltung, Ludwig Erhard, beherzt ausgeführten Währungsreform (971) Sofern oberflächenorientierte Analysen existierender Texte vorgelegt werden sollen, gehen sie eher dem Rezipientenblick nach, für den es darauf ankommt, den DeterminansNomen-Typ als eine relevante Konstruktion zu erkennen. Dem entsprechen alle Darstellungsweisen, in denen die Verbindung zwischen Artikel und Nomen als eine Art Vorhalt beschrieben wird, der sich bei Erreichung des Nomens löst; die Elemente rechts von N kennen tatsächlich keine entsprechende Strukturierung (vgl. Vuillaume 1993;
s. die unübersichtliche Stufung in einem Beispiel wie (7)) und gehen gelegentlich geradezu unmerklich aus der Nominalgruppensyntax in die Satzsyntax über (Eichinger 2004), vgl. die Stellung der außerhalb-Phrase in dem folgenden Beispiel: (29) […] dass sie endlich als selbständige Formation außerhalb der SA das längst anvisierte Eigenleben führen durfte. So lässt sich etwa die Erläuterung in Eroms (2000, 253) verstehen, die zu graphischen Darstellungen des folgenden Typs führt: (30) Det ∩ N bzw. zu entsprechenden projektiv gemachten Varianten. Wenn man als zentrales morphologisches Merkmal der Nominalgruppe die Wortgruppenflexion betrachtet, kommt man eher zu einer Darstellungsweise, wie sie sich bei Heringer (1996) und strukturell auch in den frühen Arbeiten Heringers schon findet (zu Heringer 1973 vgl. Harnisch 2003), wo die Flexionsendungen letztlich nur da als von dem jeweiligen Wortkern abhängig beschrieben werden, wo sie wirklich auftauchen. Genus taucht in dieser Form bei N nicht auf, daher hat das NM (Nominalmorphem) auch keine entsprechende Differenzierungsoption (Heringer 1996, 94). Den Zusammenhang innerhalb der Wortgruppe stellen dann analoge Indizierungen her. Es bleibt in gewisser Weise unsichtbar, in welchem Umfang hier Dependenzverhältnisse realisiert sind. Welche Lösung man auch immer an dieser Stelle bevorzugt, Genus, wenn auch im Einzelnen möglicherweise nicht eindeutig zu fixieren, bleibt in seiner syntaktischen Geltung auf die Nominalgruppe beschränkt, mit der Ausnahme der Wiederaufnahme in Personal-, Relativ- und Possessivpronomina bzw. -artikel.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(32) Die Domäne des Privateigentums […] ⫺ sie war […] im Kern doch intakt (974) (33) Ungeeignet für einen Alleingang, der sie […] erheben sollte. (979) (34) Der zentralstaatliche Leviathan setzte seinen Siegeszug fort. (615) Das heißt aber jedenfalls, dass Genus nicht etwas ist, was von außen, genauer von oben, in den Kopf der Nominalgruppe eingebracht wird. Das ist deutlich anders bei den übrigen beiden Kategorisierungen. Die Kategorisierung Genus ist paradigmatisch nur ausgebaut im Singular, im Plural ist sie verdeckt vorhanden, was sich z. B. an Pronominalisierungen zeigt. (35) Jede der beiden Hegemonialmächte (979) Über die Indizierung durch die Wahl der Pluraltypen kann erst nach der Behandlung von Numerus gesprochen werden. 2.3. Kasus Kasus wird regiert, d. h. er wird der Nominalgruppe von einem regierenden Element zugewiesen, von einem Verb oder einer Präposition. Rektion gehört daher zu den Definientia dieser Wortarten. Andererseits sind unter diesem Blickwinkel Akkusativ und Dativ die prototypischen Fälle für Kasus, der Genitiv zeigt ein ambivalentes Bild ⫺ dessen kasusmäßig positive Seite bei den „neuen“ desubstantivischen Präpositionen liegt ⫺, der Nominativ ist unter diesem Aspekt ein Sonderfall. Kasus wird eindeutig am besten erkennbar durch die pronominalen/starken Endungen kodiert, wie sie funktional wie formal am besten erkennbar ihren Platz beim bestimmten Artikel finden. Das ausdifferenzierteste und damit möglicherweise untypischste Bild bietet die Flexion der Maskulina (vgl. Thieroff 2004). Hier wird die Nenn- und Absolutform Nominativ ebenso gekennzeichnet wie der zentrale Objektkasus Akkusativ ⫺ diese beiden nun in typisch flektierender Weise verbunden mit der Genusmarkierung. (36) Der protestantisch geprägte Staat (446) (37) […] gegen den verhassten „Gewerkschaftsstaat“ (514) Im Dativ ⫺ und darüber hinaus im Genitiv ⫺ stimmen Maskulinum und Neutrum überein. (38) […] zu jenem „Gewerkschaftsstaat“ (402)
(39) […] aus dem russischen Reich (150) Das Paradigma des Femininum überschneidet sich an keiner Stelle damit, es kennt zwei Positionen, deren eine Nominativ und den zentralen Obliquus umfasst, die andere gilt für den Dativ und den Randfall Genitiv. (40) […] wie sie die Partei […] verfocht (573) (41) […] die marode Partei neu aufzubauen (567) (42) […] kam ihr mehr als jeder anderen Partei zu gute (569) (43) […] zum „jungen“ Charakter der Partei (573) Bemerkenswert ist zweierlei. Offenkundig interagieren im Singular Kasus und Genus, die ja beide am Artikel bzw. Adjektiv kodiert werden. Dabei ergibt sich eine eigenwillige Symmetrie im zentralen Bereich: während Maskulinum und Neutrum im Endungssatz zusammenstimmen, passen Femininum und Neutrum insofern zusammen, als Nennform und der Kasus des direkten Objekts eine Form bekommen, der Kasus des indirekten Objekts die andere. Der Genitiv spielt bei dieser Konstellation eine eher historische Rolle. Er wird signifikanterweise im Maskulinum und Neutrum bei Setzung des Artikels dort und am Substantiv doppelt kodiert, während diese Übertreibung im Hinblick auf die Tatsache der Wortgruppenflexion beim alleinigen Auftreten eines Adjektivs aufgegeben ist (roten Weins) und in manchen Fällen ⫺ vor allem im definit-demonstrativen Bereich ⫺ zu Zweifelsfällen führt (der Dezember dieses/en Jahres). Zu den Unsicherheiten in diesem Bereich gehört auch die hochgradige Marginalisierung von Formen des unattribuierten Genitivs partitivus (er trank ein Glas ?guten Weins/*Weins/??guter Wein). (44) 4,5 Millionen deutscher Wehrbauern (712) Systematisch kritischer ist vielleicht noch eine andere Stelle: es sind dies Fälle, bei denen sich Schwankungen vor allem bei der DativFlexion schwacher Maskulina (bei fehlendem Artikel) niederschlagen. Analog zur Nennung der Nennform in den Fällen (starker Maskulina und Neutra), bei denen das Dativ-{-e} im System geschwunden ist (mit Hund und Pferd) bzw. nie da war (mit Vater und Bruder), wird eine entsprechende Taktik auch bei der schwachen Flexion gewählt, wiewohl in die schwache Endung {-en} eigentlich keine
77. Flexion in der Nominalphrase
1055
differenzierte Kasus-Information inkorporiert ist (zwischen Dirigent und Intendant). Wie stellen sich die flexivischen Abhängigkeiten bei den Kasus (in der Flexion des Singulars) unter diesen Umständen dar? Auch in diesem Fall hat man für die Flexive einen Weg über den lexikalischen Kern der Nominalgruppe anzunehmen, in Sonderheit, da eine unmittelbare Kodierung des Flexivs im pronominalen Bereich eine eindeutige Entscheidung über die Kasuszuordnung unklar lassen müsste. Der dem Nomen durch das verbale Schema bzw. die präpositionalen Vorgaben zugewiesene Platz wird durch die Flexion in Kombination mit anderen Mitteln (v. a. Selektionsbeschränkungen für die verschiedenen Rollen; Wortstellungspräferenzen bzw. Betonungsverhältnisse) ausgedrückt. Flexion stellt in diesem Kontext eine Information mittlerer Tiefe dar. Für diese Interpretation spricht auch, dass hier die Informationen über Genus und Flexionsklasse gemeinsam weitertransportiert werden und dass, bei aller Unklarheit bezüglich der Zuordnung im Einzelnen, eine deutliche Korrelation zwischen Genuszugehörigkeit und Flexionsklasse zu erkennen ist (vgl. Eisenberg 2004a, 164). Über Kasus im Plural kann erst geredet werden, nachdem die grundlegenden Daten für die Numerusdifferenzierung angesprochen sind.
fixe und über die Alternanten des flexivischen Pluralmorphems. Nicht-pluralfähige unabgeleitete Wörter sind daher für ihre Genusfestlegung auf relativ komplizierte Wahrscheinlichkeitsregelungen angewiesen. Da auch die Grundregeln von allerlei Sonderfällen überlagert sind, macht die Pluralbildung den Eindruck, zwischen den Regeln des Lexikons und denen der Morphologie zu stehen. Man kann daher annehmen, dass in diesen Fällen Plural hinreichend am Nomen indiziert ist, so dass er an den anderen Elementen der Nominalgruppe eigentlich nicht kodiert zu werden braucht. Das Vorhandensein des flexivischen Elements am Substantiv sichert, dass es als syntaktisch realisierte Instanz des substantivischen Lexems erkannt werden kann. Pluralia tantum werden so zu dem kritischen Randfall, der sie sind ⫺ immer schon realisierte Lexeme.
2.4. Numerus Den Genitiv einmal beiseite gelassen, sind die Flexionsklassen des Substantivs im heutigen Deutsch prinzipiell durch Endungslosigkeit im Singular gekennzeichnet. Der Singular erweist sich in dieser Merkmallosigkeit als die unmarkierte Option. Lediglich der ⫺ marginale ⫺ Genitiv erlaubt auf dieser Ebene eine Differenzierung: der {-es}-Genitiv kennzeichnet Nicht-Feminina. Die Reste schwacher Flexion kennzeichnen auch nur den Nominativ als Casus rectus; dass substantivierte Adjektive wie diese flektiert werden, beruht auf dem transpositionellen Charakter dieser Formen, der auch die bewusste Wahl des Genus zulässt. Anders ist das im Plural: Plural wird systematisch und konsequent synthetisch am Substantiv ausgedrückt. Die „großen“ Pluralklassen ⫺ ohne den {-s}-Plural ⫺ orientieren sich im Prinzip an der Genusverteilung. Das Genus eines Substantivs ist auf zwei Weisen in das morphologische System des Deutschen eingeschrieben: über die wortbildenden Suf-
(47) […] trotz mancher schmerzhafter Beschädigung (974)
(45) Allenthalben fehlten Arbeitskräfte (58) Indefinitheit braucht daher bei Erkennbarkeit des Plurals eigentlich nicht gesondert akzentuiert zu werden. Daher gibt es keinen unbestimmten Artikel im Plural, allenfalls Präzisierungen durch Kardinalzahlen bzw. indefinite Quantifikationswörter (viele, manche, allerlei) bzw. den von-Junktor für den indefiniten Genitiv. (46) Geburtenstarke Vorkriegsjahrgänge (573)
(48) […] ein breiter Gürtel von Wehrbauern (712) Es gibt allerdings Markierungsbedarf für Definitheit. Die merkmallose Form dafür ist offenbar die Form {die} des bestimmten Artikels. Sie ist klar die merkmalloseste Form der Kodierung für Nominative und Akkusative; so ist das ja auch schon bei den Feminina im Singular, auffällig ist hier lediglich die Singular-Plural-Differenz. In gewissem Sinn ist es damit übertrieben zu behaupten, {die} sei die Pluralform des Artikels; vielmehr spricht die Wahl dieser Form von der Aktualisierung von Definitheit in Nominativ und Akkusativ: die Numerus-Differenzen zwischen diesen Positionen müssen dann mit den anderen erwähnten Mitteln klargemacht werden. Der Dativ Plural wird dann durch die ⫺ wo das möglich ist, doppelte ⫺ Markierung der Flektiertheit mit dem generellen Flektiertheitsmarker {-en} gekennzeichnet.
1056
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(49) Sie wurde von enttäuschten Intellektuellen und Gewerkschaftern, von Politikern der Linksparteien, Journalisten […] aufgegriffen (973) Die Kodierung des Genitiv Plural ⫺ der als Kasus eine marginale Rolle spielt ⫺ geht dann ebenfalls nach dem Muster der Femininflexion: das determinative Element signalisiert den Kasus, das Substantivflexiv den Plural. (50) […] die Palette der Handlungsoptionen (973) (51) […] Entflechtung der Mammutkonzerne (975) (52) […] über den Gang der Dinge (973) Wenn man eine Analyse dieses Typs vornimmt und für wahrscheinlich hält, so prägt das Femininum eigentlich das Paradigma deutscher Substantive, gilt sein Kodierungstyp doch auch für den Plural, der ja als genusindifferent anzusehen ist. Dabei fällt nur aus dem Rahmen, dass die Dativformen im Singular und im Plural doch ganz unterschiedlich behandelt werden. Demgegenüber ist die Unterscheidung von Maskulinum und Neutrum deutlich auf die Kodierung der Genusdifferenz in der starken Flexion hin angelegt. Die Verhältnisse im Plural entsprechen dagegen im Prinzip ⫺ abgesehen von den Präferenzen des Pluralallomorphs ⫺ den Verhältnissen beim Femininum. Die Numerusmarkierungen am Artikel sind daher jedenfalls auch in diesen beiden Genera gegenüber der Kodierung am Substantiv sekundär. Der Artikel zeichnet eher zufällig die Singular-Plural-Unterscheidung nach ⫺ und das auch bei Maskulina und Neutra. Der Hauptmerkmalsträger für diese Kategorisierung ist eindeutig das Substantiv. Zu Recht ist daher die Pluralform das, was man beim Erlernen eines Substantivs mitlernt. Bei zählbaren Substantiven jedenfalls gibt es so etwas wie ein Singularsubstantiv und ein Pluralsubstantiv. 2.5. Vom Zusammenhang der Kategorisierungen Über die Pluralendungen wird zudem zumindest tendenziell auch Genus weitervermittelt. Das Femininum kann sich den {-en}-Plural als kennzeichnenden Typ leisten, da dieses Flexiv als übliches Kennzeichen für die markierte Variante von Flektiertheit ausreicht, um gegenüber den Singularformen zu diffe-
renzieren. Die (ggf. nochmalige) Setzung desselben markierten Flexivs reicht dann im Plural hin zur Kennzeichnung des einzig differenzierungswürdigen Kasus. Es ist nicht unplausibel, dass dieses Element, das innerhalb dieses Paradigmas so deutlich mit Plural assoziiert ist, nicht geeignet erscheint, um die analoge Kodierung des Dativ im Singular zu ermöglichen. Hier tritt mit dem {-er} eine deutlich differenzierende starke Form ein. Aus einer anderen flexivischen Welt stammen dann Maskulinum und Neutrum. Hier wird im Singular deutlich Genus kodiert, das in den Substantivflexiven in diesem Fall keine Stützung hat. Dabei ist insgesamt das Neutrum noch näher am Femininum. In beiden Fällen steht neben einem Einheits-Nominativ-Akkusativ eine deutliche Kodierung des indirekten Objekts. Vermutlich wegen der funktionalen Belastung des {-er}-Flexivs (hier und wie oben geschildert beim Femininum) wird der Akkusativ beim Maskulinum gesondert kodiert. Kasus wird von außen her der Nominalgruppe zugewiesen. Der Kasus gehört zu den Merkmalen, die formal zunächst nichts mit dem Substantiv zu tun haben. Das verbindet diese Kategorisierung mit dem bisher noch nicht systematisch besprochenen Teil des Kategorisierungsinventars, der determinativen Leistung. Mit diesen beiden Kategorisierungsebenen wird die Einordnung in die realisierten Valenzschemata (Kasus) und die ThemaRhema-Orientierung (Determination) geleistet. Allerdings geht in die Valenzinformation jene Doppelbindung ein, die für die Klammerstrukturen kennzeichnend ist. Die mitgelieferte Vorausmarkierung auf Genus reflektiert die Notwendigkeit der gleichzeitigen semantisch-lexikalischen Auswahl des Bezugsnomens.
3.
Die Rolle des Dritten: das Adjektiv
3.1. Adjektive und Flexion Die Definition von Adjektiven kennt wie die der anderen Hauptwortarten morphologische, syntaktische und semantische Merkmale. Je nachdem, worauf man blickt, liegt der Schwerpunkt der Wortart an leicht unterschiedlichen Stellen. Das zentrale morphosyntaktische Merkmal ist zweifellos, dass wir Adjektive die Wörter nennen, die in pränominaler flektierter Form vorkommen (zu den Verhältnissen im Einzelnen s. Zifonun/Hoffmann/Strecker
1057
77. Flexion in der Nominalphrase
1997, 46⫺48). In dieser Form dienen sie der Modifikation eines substantivischen nominalen Kerns und sind somit prinzipiell abhängige Elemente. Die Genus- und Numeruskongruenz wird daher durch das Substantiv gesteuert: (53) Dirks, linkskatholischer Anhänger eines romantisch überhöhten Sozialismusideals (973) (54) An erster Stelle (973) (55) Bewährte Politiker (973) Durch die semantische Klasse des Substantivs und die satzsemantischen oder textuellen Anforderungen an Definitheit-Indefinitheit wird die Wahl zwischen starker und schwacher Flexion bestimmt. (56) Im historischen Rückblick (979) (57) […] auf deutschem Boden (978) (58) […] einer alle westlichen Werte missachtenden, menschenfeindlichen, totalitären Diktatur (979) (59) […] des ehemaligen Reiches (978) (60) […] ihr imperiales Vorfeld (979) Diese Definitheitsvariation mit ihren formalen Konsequenzen vererbt sich dann auch im Falle einer Umkategorisierung, in deren Folge das Adjektiv die Rolle des substantivischen Kerns einnimmt (vgl. Eichinger 2000, 60 f.; 79⫺81). (61) […] der deprimierten jungen Arbeitslosen (255) (62) […] der Zustrom junger Erwerbssuchender (255) (63) ein Drittel der handwerklich Beschäftigten (271) 3.2. Die Abhängigkeiten Hier wird nochmals erkennbar, was die Nominalklammer von der Verbalklammer unterscheidet, nämlich die Tatsache, dass der gleiche Satz von Kategorisierungen über alle deklinierbaren Elemente hin gilt, so dass in den passenden Fällen die eigentlich die Klammer „füllenden“ attributiven Adjektive die Information tragen können, die typischerweise mit der Artikelposition verbunden sind. Am klarsten abhängig von allen anderen flexivischen Positionen der Nominalgruppe ist daher die Adjektivflexion, und zwar im
Falle der sogenannten schwachen Flexion. Bei ihr wird eigentlich nur die Flektiertheit des Adjektivs signalisiert ⫺ und damit die paradigmatische Differenz zur prädikativen und adverbialen Verwendung. Nur die Nennform Nominativ Singular ist innerhalb dieses Systems noch einmal abgehoben. Allerdings betrifft somit diese Abhängigkeit ausschließlich die relationalen Kategorien Definitheit und punktuell Kasus, so dass die formale Steuerung in diesem Fall durch die Position des Determinativs geleistet wird. Im Fall der starken Flexion des Adjektivs wird an ein Element, das wesentlich von einem durch Determination syntaktisch aktiv gemachten substantivischen Lexem abhängt (so kann man auch die Ausführungen in Eroms 2000, 253 f. lesen; bedauerlicherweise wird in diesem Kontext keine Analyse eines artikellosen Falles gegeben), die relationale des substantivischen Lexems kodiert, die eigentlich schon die Voraussetzung der Adjektivsetzung darstellt. Diese Markierung von Determination und die angedeutete mehr oder minder grobe Indizierung von Kasus wird damit nach rechts versetzt. Auslöser dafür ist unser Wissen über die Serialisierung links vom Nomen, das uns erlaubt einzuschätzen, dass wir beim Auftauchen eines Adjektivs die Artikelposition bereits hinter uns gelassen haben, so dass die entsprechenden flexivischen Informationen an das nächste deklinierbare Element antreten.
4.
Fazit zur Synchronie
Die flexivische Charakteristik des Deutschen mit ihrem Zusammenspiel von analytischen und synthetischen Formen und der gemeinsamen Kodierung von kategorialen Eigenheiten unterschiedlichen Charakters kompliziert die dependentielle Analyse der zu erkennenden Bestandteile morphologischer Kodierung. Die Komplikationen betreffen drei Punkte: (1) Zum ersten hat man es mit der auch am verbalen Bereich zu erkennenden gegenseitigen Abhängigkeit zwischen zwei Klammerelementen zu tun. Jedoch ist im Unterschied zu den Verhältnissen bei der Satzklammer der Raum der nominalen Klammer durch die Geltung des einheitlichen Flexionstyps Deklination gekennzeichnet. Seine Ausgestaltung variiert allerdings erheblich nach den Genera. (2) Zum anderen ist zwar die Flexion des in dieser Klammer stehenden adjektivischen Elements von der solcherart konstituierten
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
minimalen Nominalgruppe abhängig. Allerdings werden diese Verhältnisse verwirrt dadurch, dass bei nicht hinreichender Kodierung an einem determinativen Element die entsprechende flexivische Information in das Endungsinventar des Adjektivs übertragen wird. (3) Zum dritten handelt es sich von der kategorialen Zuordnung her bei Genus und Numerus um Merkmale des substantivischen Kerns, die aber flexivisch auf Determinativ und Nomen aufgeteilt sind. Bei Kasus und Determination geht es um von der Satz- und Aussagestruktur her zugewiesene Elemente der syntaktischen Realisierung in der jeweiligen Äußerung, die somit der ganzen Nominalgruppe gelten, die das im Wesentlichen am Determinativ zeigt.
5.
Diachronie
5.1. Das Grundmuster Die deutsche Nominalphrase ist also (in ihrer ausgebauten Form) so strukturiert, dass sie in relativ strenger Serialisierung das N als lexikalischen Kopf zum rechten Teil einer Klammerstruktur macht, deren linker Teil durch den D-Bereich konstituiert wird, der zugleich als funktionaler Kopf der Phrase beschrieben werden kann, insofern er entscheidende grammatische Informationen transportiert (vgl. Primus 1997; Eisenberg 2004b, 144). In der Klammer stehen im Wesentlichen adjektivische Elemente, die gemeinsam mit N und D flektieren; andere Erweiterungen stehen rechts von N. Dieses aus konsequent synchroner Perspektive skizzierte System hat (nicht zuletzt durch den Einfluss von Standardisierung) ein hohes Maß an interner Stabilität erreicht. Gleichwohl ist es natürlich das Ergebnis (oder genauer: ein Zwischenstand) eines Jahrhunderte dauernden evolutionären Prozesses, der sich rückblickend als Systemumbauprozess auf mehreren Ebenen beschreiben lässt. Am augenfälligsten ist dieser Umbau im morphologischen Bereich: Gekennzeichnet ist die Entwicklung des Systems der Flexionsendungen durch jenen primär phonologischen Prozess mit unmittelbaren morphologischen Folgen, der gemeinhin unter dem Schlagwort „Abschwächung der unbetonten End- und Mittelsilben“ (vgl. Schweikle 1996, 96 ff.) zusammengefasst wird. Geführt hat dies zu einem weitreichenden Formensynkretismus, der allerdings, wie oben gezeigt, die einzelnen Positionen durchaus nicht ununter-
scheidbar werden ließ, weil sich parallel dazu auf syntagmatischer Ebene innerhalb der Nominalphrase ein hinsichtlich des erforderlichen Inventars an Flexionsendungen sehr ökonomischer Modus etablierte, der als Monoflexion (Admoni 1982) beschreibbar ist. All dies braucht hier nicht im Detail nachvollzogen zu werden. Interessanter sind in diesem Zusammenhang zwei andere Ebenen des Systems: Zum einen ist dies die textuelle Ebene, namentlich die Organisation der Markierung von Definitheit und Indefinitheit, zentral hier die Etablierung und allmähliche Grammatikalisierung des Artikels seit althochdeutscher Zeit. Dieser Bereich ist zwar nicht im engeren Sinne dependentiell beschreibbar, insofern hier mit informationsstrukturellen Elementen Daten aus einem anderen Systemteil inferiert werden; weil er aber für die Entwicklung der syntaktischen Binnenorganisation der Nominalphrase von zentraler Bedeutung ist, wird er hier im Zusammenhang mit dem linken Klammerteil, also dem Bereich der D-Positionen diskutiert. Zum zweiten ist es die morphosyntaktische und syntaktische Ebene, die zu besprechen sein wird; hier geht es um die Herausbildung der oben beschriebenen Dependenzen in ihrer mehrfachen Verschränktheit, um Serialisierungsregeln innerhalb der Nominalphrase und um das Festwerden der Klammerstruktur und der Positionen darin; dabei bietet es sich an, die A-Positionen, also den Bereich in der Klammer, besonders zu fokussieren. 5.2. Der D-Bereich (die textuelle Perspektive) Determiniertheit ist zunächst einmal eine informationsstrukturelle Größe; sie kann textuell auf ganz verschiedene Weise ausgedrückt werden. Eine sehr einfache Methode besteht in der Setzung eines lexikalischen Elements mit explizit dieser Aufgabe; als ein solches lassen sich bestimmter und unbestimmter Artikel interpretieren. Von einem voll grammatikalisierten Artikel mit dieser Funktion kann jedoch streng genommen erst gesprochen werden, wenn im System ein Zustand erreicht ist, in dem die Setzung des Artikels im nominalen Syntagma voll erwartbar ist (d. h. umgekehrt auch seine Nichtsetzung einen funktionalen Sinn haben muss) und in dem eventuelle Konfliktfälle zwischen dieser und anderen Methoden, Definitheit anzuzeigen, klar geregelt sind (und zwar tendenziell zugunsten des Artikels).
77. Flexion in der Nominalphrase
Das Bedürfnis, textuelle Determiniertheit gesondert, und zwar auch lexikalisch kategoriell eigenständig zu markieren, kann schon im Germanischen (und früher) durch geeignete deiktische Pronomina erfüllt werden (zur Entstehung des Artikels im Deutschen vgl. Haudry 2000, Oubouzar 1992, Oubouzar 2000, Glaser 2000). Zunächst ist dies jeweils aufs Neue eine textuelle ad-hoc-Markierung, die erst allmählich in althochdeutscher Zeit regelhaft zu werden beginnt (Schrodt 2004 spricht daher für das Althochdeutsche auch nur erst von „Determinativ-Pronomen“). Frühestens bei Notker, also im späteren Althochdeutsch, kann dieses Determinativ-Pronomen als so weit grammatikalisiert, d. h. strukturell vorhersagbar, angesehen werden, dass die Bezeichnung „definiter Artikel“ angemessen scheint (für die althochdeutschen Verhältnisse im Einzelnen vgl. Schrodt 2004, 24⫺27). Im Verlaufe dieses Grammatikalisierungsprozesses erfolgte eine allmähliche Überlagerung der primär textuellen Funktion dieses Determinativ-Pronomens durch die primär syntaktische des bestimmten Artikels. Dass dies ein langsamer Prozess war, lässt sich bis in die Gegenwartssprache an bestimmten Grenzbereichen nachvollziehen. Solange die Setzung eines Determinativ-Pronomens noch rein textuell motiviert war, war sie beispielsweise unnötig (oder sogar unmöglich), wenn Definitheit durch das Substantiv ohnehin lexikalisch gegeben ist, regelmäßig etwa bei Unika: tho ward himil offen (O[tfrid] 1.25.15) (die althochdeutschen Beispielbelege zit. nach Schrodt 2004; dort auch die Quellenangaben zu den Siglen); der Übergang zum Artikel deutet sich an, wenn bei Notker neben unde sunna neskinet (N[otker] B[oethius] 19.4) auch diu sunna (NB 49.23) möglich ist. Determinierend wirken auch Präpositionen, sodass der Artikel fehlen kann: neben ter himel (NB 16.14) steht in himele (NB 45.25) (Schrodt 2004, 20). Dieser Bereich bleibt lange unsicher; nach Präpositionen können solche Unika auch im Mittelhochdeutschen ohne bestimmten Artikel stehen: doˆ gotes sun hie in erde gie (Wa[lther von der Vogelweide] 11,18) (die mittelhochdeutschen Beispielbelege zit. nach Paul/Wiehl/Grosse 1998; dort auch die Quellenangeben zu den Siglen), genauso noch im Frühneuhochdeutschen: alle geschlecht auff erttreich, in wasser vnd in luffte (Eyb 11) (die frühneuhochdeutschen Beispielbelege zit. nach Ebert/Reichmann/Solms/We-
1059 gera 1993; dort auch die Quellenangeben zu den Siglen). Solange das Determinativ-Pronomen noch vor allem textuell motiviert und nicht syntaktisch obligatorisch ist, steht es in Konkurrenz zu mehreren anderen, mehr oder weniger starken, Definitheits-Indikatoren. Definitheit kann wie bei den angesprochenen Unika lexikalisch inhärent sein. Sie kann auch durch sonstige kontextuelle Einbettungen erkennbar gemacht werden; in vielen dieser Fälle steht im Althochdeutschen erwartungsgemäß kein Determinans: quid minemo bruoder thaz her teile mit mir erbi (T[atian] 105,1); die Möglichkeit des Definitheitsbezugs aus dem Kontext reicht bis ins Frühneuhochdeutsche, regelmäßig etwa im Kanzleistil: da gegentheil [‘die Gegenpartei’] solche Gebrechen gar auff eine andere art ansieht (Spener 71). Präpositionen sind, wie angedeutet, lange Zeit keine zwingenden, aber doch deutliche Definitheits-Indikatoren; auch Relativsätze und besonders Genitiv-Attribute wirken tendenziell determinierend. Gerade diese Konkurrenzsituation macht es plausibel, dass, wenngleich mit deutlicher Verzögerung, aus dem Zahlwort ein ein analoger Indefinitheitsmarker entstehen konnte, der zunächst die Einermenge spezifizierte (und daher auch nur im Singular sinnvoll ist), der aber im Laufe der Zeit grammatische Funktion übernehmen konnte (vgl. Oubouzar 2000). Noch bei Tatian und Isidor ist ein immer Zahlwort, schon bei Otfrid zeichnet sich die heutige Artikelfunktion ab: quam in burg Samariae (T 87.1) gegenüber zi einera burg er thar tho quam (O 2.14.5). Ähnliches gilt für Genitiv-Attribute: In dem Moment, in dem sie in Konkurrenz zum Determinativ-Pronomen routinemäßig als Definitheits-Indikatoren interpretiert werden (vgl. Oubouzar 1997), d. h. Definitheit auch bei Fehlen des Determinativ-Pronomens angenommen wird, ist es zweckmäßig, Indefinitheit explizit machen zu können. Anders herum wird das Determinativ-Pronomen bzw. der bestimmte Artikel auch dort obligatorisch, wo Definitheit eigentlich schon indiziert ist, etwa bei Substantiven mit Relativsatz. Schon bei Otfrid finden sich Belege mit und ohne Determinans: tho quam ther saligo man in hus thaz ich nu sageta (O 1.15.9) neben: gisahun sie thaz wort […] thaz thie engila in irougtun (O 1.13.13). Insofern ein Relativsatz regelhaft Definitheit bedeutet, ist noch in mittelhochdeutscher Zeit die Verbindung von einem Substantiv mit einem unbestimmten Artikel und einem
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Relativsatz schwierig; dies hat die aus neuhochdeutscher Perspektive kuriose, aber in diesem Sinne durchaus systemlogische Konsequenz, dass es einige (wenige) mittelhochdeutsche Belege gibt, in denen ein und der kumulativ stehen, nämlich dann, wenn die syntaktisch (aufgrund des Relativsatzes) erwartete Definitheit neutralisiert werden soll: er truoc in sıˆme sinne ein minneclıˆche meit, und ouch in ein diu frouwe, die er noh nie gesach (N[ibe]L[ungenlied] 132,3) (vgl. Paul/Wiehl/ Grosse 1998, 388 f.). Im Laufe der Sprachgeschichte lässt sich nachverfolgen, wie die Artikelposition immer konsequenter besetzt werden muss, wobei bestimmter und unbestimmter Artikel ihren paradigmatischen Platz neben den anderen im D-Bereich einsetzbaren Pronomen erwerben (mit teilweise bis heute nicht völlig geklärten Konflikten im Kookkurrenzfalle). Der völlig artikelwortlose Gebrauch von Substantiven geht stetig zurück; das systematisch erwartbare weitere Vordringen des Artikels ist jedoch seit dem Frühneuhochdeutschen nicht zuletzt durch die Standardisierung gebremst (für die gegenwärtigen Regeln im Neuhochdeutschen vgl. Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 1951⫺1957; Duden 2005, 305⫺310 u. a.). Andererseits zeigen zahlreiche areale Varietäten des Deutschen, die ja dem Standardisierungsdruck nicht in dem Maße ausgesetzt waren, in einigen der betroffenen Bereiche einen weitaus konsequenteren Artikelgebrauch als der Standard. Das gilt beispielsweise für die im Standard generell artikellosen Personennamen, die in den meisten mittel- und oberdeutschen Dialekten regulär mit dem bestimmten Artikel stehen: der Peter, und zwar bis in die Umgangssprachen (Kunze 1999, 180 f.); das gilt teilweise auch z. B. für Kollektiva und Kontinuativa, etwa im Bairischen: Sei Freind braucht a Geid. (Eroms 1989). 5.3. Der A-Bereich (die syntaktische Perspektive) Dieser Prozess der Grammatikalisierung des Artikels, d. h. die allmähliche Überlagerung der textuellen Funktion des zunächst Demonstrativ-, dann Determinativpronomens, schließlich Artikels durch eine syntaktische, brachte neue Möglichkeiten und Erfordernisse für die Organisation des nominalen Syntagmas mit sich. Die Etablierung der Klammerstruktur auch im nominalen Syntagma (mit einigen Unterschieden, leicht versetzt und in Schüben, aber im Prinzip parallel
zu derjenigen im verbalen Syntagma) wurde möglich mit der Grammatikalisierung des Artikels, insofern dieser jetzt als linker Klammerteil (bzw. als funktionaler Kopf) der Nominalgruppe fungieren konnte. Um jedoch die neue Struktur syntaktisch voll nutzbar machen zu können, muss sie weitgehend vorhersagbar sein. In dem Maße, in dem sich der Artikel als linker Klammerteil etablierte, mussten also die Klammerränder sowie die Positionen innerhalb der Klammer fixiert werden. Für die Gesamtarchitektur bedeutet dies einerseits, dass die Klammer selbst durch den D-Bereich als festen linken Klammerteil und das N als festen rechten Klammerteil konstituiert wird. Andererseits müssen die Wahlmöglichkeiten für die Besetzung des Bereichs in der Klammer im Sinne eines möglichst hohen Grades an struktureller Vorhersagbarkeit reduziert werden. Dies wird erreicht durch einen doppeltgerichteten Entwicklungsprozess, der dazu führt, dass dieser Bereich für adjektivische Attribute, die direkt dem N dependent sind, reserviert und für andere Typen (im Prinzip) gesperrt wird ⫺ doppeltgerichtet, weil einerseits sicher gestellt werden muss, dass in diesem A-Bereich nur adjektivische Attribute zum N stehen, was auch bedeutet, dass alle anderen Erweiterungen an anderer Stelle Platz für sich reklamieren müssen (was wiederum dem Bereich rechts von N, also Positionen schon außerhalb der Klammer, zu einer besonderen Bedeutung verhilft), und weil andererseits auch alle adjektivischen Attribute zum N dort und nirgendwo anders platziert werden müssen. Als erster Schritt hin zu dieser festen Architektur der Nominalgruppe ist die Etablierung strenger Serialisierungsregeln für adjektivische Attribute zum N zu interpretieren. Für drei Teilbereiche soll der Entwicklungsgang im Folgenden kurz nachgezeichnet werden: für die Stellung einzelner Adjektiv-Attribute, für die Stellung von mehreren AdjektivAttributen zu einem Substantiv, und für Erweiterungen von attributiven Adjektiven als Phrasenköpfe. Noch im Althochdeutschen „ist die Stellung des attributiven Adjektivs in Bezug auf den nominalen Kern grundsätzlich frei: Sowohl Voranstellung wie Nachstellung des einzelnen attributiven Adjektivs war möglich.“ (Schrodt 2004, 28). Es ist jedoch die deutliche Tendenz zur Voranstellung festzustellen: „Schon in den frühesten althochdeutschen Quellen überwiegt die Voranstellung des Ad-
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jektivs. Bei Notker ist die Nachstellung einzelner Adjektive bereits spürbar im Abnehmen begriffen.“ (Schrodt 2004, 28). Beispiele für vorangestellte Adjektiv-Attribute (mit und ohne Determinans als linkes KlammerElement, teilweise in Präpositionalphrasen eingebettet): fona dhemu almahtigin fater (I[sidor] 99), thes hohisten gotes (T 53.6), in frenkisga zungun (O 1.1.114), ter baro namo (NB 8.9); mit Possessivpronomen als linkem Klammerteil: sinan einegan sun (O 1.2.34) (dagegen aber noch: in guotemo dinemo uuillen (N[otker] P[salter] 334.3)). Bei Notker ist die Voranstellung des einzelnen attributiven Adjektivs bereits der (Ausnahmen zulassende) Normalfall, insbesondere wenn ein Artikel steht (vgl. Näf 1979). Seit dem Mittelhochdeutschen ist die Voranstellung der Normalfall. ⫺ Von der Möglichkeit, attributive Adjektive nachzustellen, wird schon im Althochdeutschen nur noch eingeschränkt Gebrauch gemacht: Die Nachstellung attributiver Adjektive kommt bei Isidor nur zweimal, bei Tatian gar nicht und bei Notker nur vereinzelt und nur bei „schwereren“ Adjektiven vor, sonst noch in älteren Texten wie dem Hildebrandslied; einzig bei Otfrid sind Nachstellungen sogar häufiger als Voranstellungen: buah frono (O 1.3.1); hier ist jedoch neben Stil- und Rhythmus-Gründen der Einfluss der lateinischen Vorlage nicht zu unterschätzen. Auch im Mittelhochdeutschen ist die Nachstellung zwar selten, aber möglich; das Adjektiv bleibt dann aber unflektiert (und kommt so in die Nähe einer appositiven oder prädikativen Verwendung): der winter kalt (Wa 114,30); flektierte Formen finden sich selten: von heleden lobebæren (NL 1,2). Im Frühneuhochdeutschen ist die Nachstellung nur in ganz eingeschränkten Kontexten möglich: bei selig (wie noch im Neuhochdeutschen als Formel): von irer mutter seligen (Chr. v. Mainz 219), manchmal bei Herkunftsbezeichnungen, in der Kanzleisprache bei Textverweisen sowie in der Dichtung als Reimwort (vgl. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, 325). Im Neuhochdeutschen besteht diese Option regulär nicht mehr, allenfalls in erstarrten Sonderformen und stilistisch markierten Kontexten und dann immer unflektiert (Hänschen klein). Während sich also für die Stellung einzelner Adjektiv-Attribute der Trend zur strikten Linksserialisierung des Neuhochdeutschen schon im Althochdeutschen abzeichnet, ist die Situation bei Mehrfachattribuierungen eine andere. Wenn, was im Althochdeutschen
1061 insgesamt nicht sehr häufig der Fall ist, einem Substantiv mehrere Adjektive (sehr selten mehr als zwei) dependent sind, können diese entweder gemeinsam vor oder gemeinsam nach dem N stehen, oder sie können sich um das N gruppieren. Der erste Fall, der am ehesten der (neuen) Systemlogik der Nominalklammer entspricht, ist im Althochdeutschen noch selten: siuuelbe spizze bouma (NB 52.19); schon im Mittelhochdeutschen ist dies aber der häufigere Fall und wird mehr und mehr zur Regel. Der zweite Fall, die gemeinsame Nachstellung von zwei Adjektiven, ist schon im Althochdeutschen äußerst selten und wird eher als Apposition interpretiert. Auch im Mittelhochdeutschen kommt diese Stellung gelegentlich noch vor, wobei auch hier die Adjektive oft schon nicht mehr flektiert werden. Seit dem Frühneuhochdeutschen ist diese Variante nur in ganz bestimmten Sonderfällen möglich, und auch nur, wenn die Adjektive syndetisch verbunden sind. Häufiger ist im Althochdeutschen eine Splitstellung, bei der das erste Adjektiv vor und das zweite nach dem Bezugswort steht: ein suoze fis luzzeler (NB 180.14), der Anschluss kann auch syndetisch sein: in thesemo furleganen cunne inti suntigemo (T 44.21). Dabei flektiert das zweite Adjektiv in jedem Fall wie das erste. Dieses Muster ist zwar auch im Mittelhochdeutschen noch möglich, wobei das nachgestellte Adjektiv oft unflektiert bleibt: über den grüenen anger breit ([Wolfram,] P[ar]z[ival] 536,16), aber bereits selten; im Frühneuhochdeutschen muss das nachgestellte Adjektiv überdies mit einer Konjunktion angeschlossen werden: Vnd ich sach groß doten vnd klein (Mentelbibel Offenb. 20,12). Die zunehmende Festigkeit des rechten Klammerteils erlaubt nur noch Flexion links davon; folglich können attributive Adjektive nicht mehr regulär rechts von N stehen. Attributive Adjektive können ihrerseits als Phrasenköpfe fungieren; die systematisch bevorzugte Stellung des Kopfes ist rechts. Das gilt im Prinzip schon für das Althochdeutsche. Erweiterungen von Adjektiven durch nominale oder adverbiale Ergänzungen gibt es jedoch im früheren Althochdeutsch noch so gut wie gar nicht; erst bei Notker kommen Formen vom Typ daz ze herzen geslagena ser (NB 81.25) vor (allerdings auch nur mit einteiligen Erweiterungen; vgl. Lötscher 1990). Die Erweiterung steht nur ausnahmsweise in Extraposition: diu nider-rinnenta aha aba demo berge (NB 56.24) (wohl unter lateini-
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schem Einfluss); konkurrierende Formen sind die Stellung des Attributs rechts von N mit Linkserweiterung: einen boum ze stete standen (NB 53.15) oder, häufiger, mit Rechtserweiterung: dehein muot keuestenotez. mit redo (NB 115.6). Insgesamt ist dieser Bereich im Althochdeutschen noch sehr instabil: „Voran- und Nachstellung des erweiterten Attributs sind gleich häufig.“ (Schrodt 2004, 33); die Voranstellung scheint aber an Boden zu gewinnen (vgl. Weber 1971). In demselben Maße, in dem das Adjektiv (inklusive allfälliger Erweiterungen) auf die Position links von N (und rechts von D) festgelegt wurde, mussten umgekehrt andere Typen allmählich aus dem A-Bereich in der Klammer ausgeschlossen werden. Insgesamt verläuft dieser Vorgang deutlich zeitversetzt. Nominale Attribute im Genitiv stehen noch im früheren Althochdeutschen fast durchgängig vor ihrem Bezugswort (bei Isidor und Tatian im Verhältnis „40 : 1 nach den Zählungen von Carr 1933“ (Schrodt 2004, 22)), und zwar sowohl wenn dieses ohne Artikel steht (und also das Genitiv-Attribut determinierende Funktion haben kann): sunnun fart (O 1.17.9), als auch regelmäßig bei solchen mit Artikelwort: ther gotes boto (O 1.12.7); außerhalb der Klammer steht das Attribut nur dann, wenn es seinerseits schon ein Artikelwort bei sich hat: zi theru giburti thes kindes (O 1.14.6). Bei Notker wird dies systematisch (Borter 1982). Dennoch werden noch im Mittelhochdeutschen die weitaus größere Zahl der nicht komplexen Genitiv-Attribute vorangestellt (in strıˆtes ger (Pz 120,23)). Im Frühneuhochdeutschen gibt es dann eine Phase von abundant geformten Nominalgruppen mit aufwendigen Erweiterungen verschiedenen Typs; die Genitiv-Attribute haben auch hier ihren Platz vielfach noch links von N (von des amptmans zwin knechten (Stromer 29)), aber nur, soweit sie nicht eine gewisse Komplexität erreichen (mit […] rate und beistannd des heiligen reichs getrewen (Friedrich III RA 17,431); zur Stellung des attributiven Genitivs im Frühneuhochdeutschen vgl. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, 335⫺ 339; wie im Neuhochdeutschen mit komplexeren Attributen dieser Art umgegangen wird, dazu Schmidt 1993). Der Grund dafür, dass dieser Teil der Positionsfestlegung im nominalen Syntagma wesentlich später erfolgt und insgesamt auch unklarer bleibt als bei der Fixierung der Adjektiv-Attribute, ist darin zu suchen, dass dieser Umbau eine systematische Kollision lösen
muss: einerseits bedeutet die Grammatikalisierung des Artikels und seine feste Rolle als klammeröffnendes Element, dass Attribute prinzipiell in der Klammer, also links von N, gut aufgehoben sind. Das passt auch zur tendenziellen Rechtsköpfigkeit des Deutschen (vgl. Plewnia 2003, 257). Andererseits haben insbesondere die genitivischen Attribute (die adjektivischen weniger) von alters her determinierende Funktion. Das wiederum heißt, dass sie eigentlich nicht innerhalb der Klammer zu stehen haben, sondern eher paradigmatisch mit dem bestimmten Artikel kommutieren. Wird ein solcher obligatorisch, weicht das Genitiv-Attribut nach rechts. Ferner entsteht dann ein Konflikt zwischen Artikel des Kopfnomens der Gesamtphrase und Artikel des Kopfnomens des Attributs: bei Otfrid gibt es sowohl das Muster ther gotes boto (O 1.12.7) als auch schon das Muster thesses dages fristi (O 3.25.37), das ab dem Mittelhochdeutschen bei Voranstellung verbindlich ist. Folgerichtig bleiben bis ins Neuhochdeutsche Genitiv-Attribute, die aus einem (im Standard artikellosen) Eigennamen bestehen, vorangestellt: Martins altes Horn (Eroms 2000, 280; dass das Genitiv-Attribut in diesem Fall die D-Position besetzt, zeigt sich auch daran, dass bei der (in der Akzeptabilität schwierigen) Nachstellung wieder ein Artikelwort stehen muss: ?das alte Horn Martins), während die Voranstellung von Nominalphrasen mit Artikeln selbst bei persönlicher Referenz irgendwo zwischen hoher stilistischer Markiertheit und Ungrammatikalität angesiedelt ist: ?des Bundeskanzlers Vereidigung. Dieser Typ ist im früheren Frühneuhochdeutsch hingegen noch völlig geläufig: der stifterin swester (C. Ebner 26), geht jedoch bis zum 17. Jahrhundert spürbar zurück. Früher und klarer ist es im Frühneuhochdeutschen bei den Appellativa: zunächst die Konkreta und bald auch die Abstrakta stehen eher nach; vorangestellte Abstrakta sind meist „abstrakte Bezeichnungen für Institutionen und Gruppen, die aus Personen bestehen, z. B. der stat, des klosters […]“ (Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, 337) und haben einen stilistischen Wert. Dieser Umbauprozess bereitet zugleich einer anderen Entwicklung den Boden, die im späteren Frühneuhochdeutsch an Fahrt gewinnt: Mit der festen Erwartbarkeit eines klammeröffnenden Artikelworts auf der einen Seite und der Festlegung der Position von Genitiv-Attributen rechts von N auf der anderen Seite eröffnet sich jetzt die Möglich-
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keit zu einem neuen Wortbildungstyp. Steht ein einfaches Substantiv in der Klammer, also links von N und von ihm abhängig, aber rechts vom D der Gesamtgruppe und ohne eigenen Artikel, dann kann es kein GenitivAttribut mehr sein. Determinierend ist es dennoch, und es kann uminterpretiert werden zu einem Wortbildungselement für einen neuen Typ von Komposita (von Kalbskopf bis Sonnenschein, vgl. Paul 1920, 10⫺14; Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, 338 f.). Insgesamt ist gut erkennbar, wie sich über die Sprachstufen hinweg der Umbau der Struktur des nominalen Syntagmas vollzogen hat. Abschließend sei noch ein weiterer Bereich erwähnt, der das allmähliche Festwerden der Nominalklammer illustriert. Werden attributive Adjektive ihrerseits durch bestimmte Adverbien bzw. Partikeln modifiziert, stehen diese immer schon erwartbar linksadjazent zum Adjektiv: ahd. mit filu hohen mahtin (O 2.14.71), frnhd. ein ganc gros bu˚ch (R. Merswin 10). Im Frühneuhochdeutschen treten dann aber Fügungen auf, bei denen graduierende Adverbien bzw. Partikeln vor der Klammer stehen können: Vnd Moses war seer ein grosser Mann in Egyptenland (2. Mos. 11,3/1545). Dies funktioniert jedoch nur beim unbestimmten Artikel. Die neuhochdeutsche Standardsprache hat diese Formen wieder ausgesondert und die Modifikatoren in die Klammer zurückgeholt; in arealer Variation existieren jedoch noch immer in zahlreichen Varietäten des Deutschen strukturelle Varianten, etwa (vor allem im Oberdeutschen) in der Doppelsetzung des Artikelworts: Der Mai ist ein ganz ein paradoxer Monat. (Sonntagsblatt Bayern v. 2. 5. 2005). (Kap. 1⫺4: Ludwig M. Eichinger, Kap. 5: Albrecht Plewnia)
6.
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78. Dependenz in der Wortbildung Wurzel, Wolfgang Ullrich (1996): Morphologischer Strukturwandel: Typologische Entwicklungen im Deutschen. In: Lang, Ewald/Zifonun, Gisela (Hgg.): Deutsch ⫺ typologisch. Jahrbuch 1995 des Instituts für Deutsche Sprache. Berlin/New York, 492⫺524. Zifonun, Gisela (2004a): Plural und Pluralität im Sprachvergleich, insbesondere zwischen dem Deutschen und dem Ungarischen. In: Czicza, Da´niel et al. (Hgg.): Wertigkeiten, Geschichten und Kontraste. Festschrift für Pe´ter Bassola zum 60. Geburtstag. Szeged, 397⫺415.
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Ludwig M. Eichinger/Albrecht Plewnia, Mannheim (Deutschland)
78. Dependenz in der Wortbildung 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Der unmittelbare Reflex: verbale Wortbildung Substantive Adjektive Überblick Literatur in Auswahl
quer durch diesen Bereich läuft: die üblichen Definitionen für eine lexikalische Einheit, ein Wort, werden dadurch fließend (vgl. Duden 2005, § 1067).
Der unmittelbare Reflex: verbale Wortbildung
1.2. Trennbare Verben Eindeutig in den Wortbereich gerechnet werden die Partikelverben, bei denen zumeist eine Art generalisierter adverbialer bzw. präpositionaler Bestimmung mit in das verbale Lexem aufgenommen wird (vgl. z. B. Stiebels 1996, 86 f.; Eisenberg 2004, 264 f.; Eichinger 2000, 104 f., 160⫺167; Duden 2005, §§ 1011, 1061 f.):
1.1. Verbsyntax und verbale Wortbildung Verben stiften Verbindungen, in die sie sich einspinnen. Nicht jede der Bindungen, die ein Verb eröffnet, ist gleich eng, und wenn schon die Satzsyntax hierarchisiert, so tut das die Wortbildung noch mehr, zieht sie doch ein einzelnes Element in den inneren Kreis des Prädikats hinein. So entstehen neue Verben. Das klingt einfach und überzeugend. In Wirklichkeit haben wir es aber an vielen Stellen, bei denen es tatsächlich um die Inkorporation eines Elements geht, das zu der syntaktischen Umgebung des entsprechenden Verbs stimmt, mit gleitenden Übergängen zwischen mehr oder minder fest gefügten syntaktischen Konstruktionen und einigermaßen fest gefügten verbalen Lexemen zu tun. Manches von dem spiegelt sich in den Ambivalenzen orthographischer Regelungen. Ob ich jemanden fest halte oder ihn festhalte, macht tatsächlich einen wesentlichen Unterschied, den zwischen adverbialer Bestimmung und Objektprädikativ (vgl. Duden 2005, § 1333). Im Deutschen ist diese Ambivalenz systematisch eingebaut. Das zeigt sich daran, was man als Füllungen des linken und des rechten Klammerelements in der Lexikalklammer ansehen kann; schon dabei wird klar, dass die Grenze zwischen Wortbildung und Syntax
(1)
(2)
[…] steht Hildesheim […] als jährliches Reiseziel fest (DBmobil 6/04, 50)
[…] sie hatten dort künftige Transrapidfahrer eingewiesen (DBmobil, 07/2004, 3)
Dagegen stehen die so genannten Doppelpartikelverben, in denen durch die Orientierungspartikel her- und hin- eine weitere Ergänzung der Information gegeben wird, eindeutig näher an der selbständigen Kombinierbarkeit syntaktischer Elemente (vgl. Eichinger 2000, 105; Duden 2005 § 1066). (3)
Dann sprudelte es aus […] der Treptower Hinterhofprinzessin heraus wie aus dem Blumenmädchen Eliza Doolittle (DBmobil 07/04, 8)
(4)
Ein in den Kurpark hineinkomponiertes, rein pflanzliches Stadtwappen (DBmobil 7/04, 36)
Sie werden daher gerne als Komposita gehandelt ⫺ was am Problem der Unfestigkeit allerdings auch nichts Grundlegendes ändert
1066
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(vgl. etwa Engel 2004, 231). Man kann jedenfalls sehen, dass die adverbialen Beziehungen, die in der Satzsyntax ein hohes Maß an Prädikatsnähe besitzen, in der Wortbildung des Verbs zur Benennung von Handlungs-, Vorgangs- und Zustandstypen genutzt werden. Das sieht man auch bei anderen adverbialen Partikeln: (5)
Zu dem mein Bruder emporsang (DBmobil 06/04, 73)
Dabei spielt die räumliche Grundorientierung entlang der Hauptachsen der Körperlichkeit des Menschen und anhand zentraler topologischer Beziehungen die grundlegende Rolle (vgl. Eichinger 1989; Eichinger 2000, 161; Weinrich 2005, 1033). Anhand dieser Relationen entwickeln sich Wortbildungsmuster, denen analogische Erweiterungen folgen, von denen die Valenzbeziehungen im engeren (syntaktischen) Sinn aufgebrochen werden. Man kann das am klarsten bei den für das Deutsche typischsten Fällen der bereits angesprochenen Partikelverben sehen; schon aus dem Blick auf die folgenden Beispiele zu zwei zentralen Partikelpaaren ⫺ auf-/ab- und aus-/ ein- ⫺ geht hervor, wie hier Handlungsnamen geschaffen werden, die graduell unterschiedlichen Abstand zu einer anzunehmenden syntaktischen Fügung haben (s. auch Eichinger 2000, 231⫺242). Sehr gering ist er etwa in Beispiel (6). Hier steht neben der Verbpartikel die entsprechende Präpositionalphrase. Dennoch wird hier ‘Aufspringen’ als eine Gesamthandlung betrachtet; die Präfigierung des Verbs verändert seine Valenz auch insofern, als dadurch die Bindung der Präpositionalphrase deutlich gesenkt ist: (6)
Also sprang er auf einen anderen Zug auf (DBmobil 06/04, 52)
Deutlich anders ist das bei der selbständig sehr seltenen Präposition ab-, wo das ‘Abschließen’ einer bestimmten Handlung die ‘weg’-Bedeutung der Präposition (der Zug verkehrt ab München) gänzlich in den Hintergrund gedrängt hat, so dass sich gerade bei dieser Partikel verschiedene Nischen der Idiomatisierung entwickelt haben, die sich nur aus einer innerlexikalischen Paradigmatik erklären lassen (vgl. eine Strecke abgehen; die Post ablegen). Syntaktisch geht damit eine Fokussierung einher, die auch als Reduktion um eine mögliche direktionale Position bei den Basisverben (gehen, legen) verstanden werden kann. Die Erweiterungen dieses Mus-
ters führen dann aber auch hin zu Bildungen wie dem deadjektivischen abfertigen im folgenden Beispiel, in dem das semantische Muster des ‘Abschließens’ variiert wird. (7)
Ich wollte meinen Zug abfertigen (ebd.)
Bei den Beispielen (8) ist sichtbar, dass aus Bezeichnungen für den Ursprung, von dem etwas ausgeht (aus-), und aus Bezeichnungen von verschiedenen Modalitäten Namen für ‘Übergabehandlungen’ geschaffen werden, bei denen eine notwendige Valenzstelle für den ‘Rezipienten’ geschaffen wird, der als Dativergänzung oder entsprechende präpositionale Ergänzung (an jemanden) realisiert sein kann. (8)
Ob ich bitte den Koffer aushändigen und ihr ausrichten könnte (ebd.)
Die Partikel ein- entspricht dem kognitiv offenbar ziemlich grundlegenden ‘Schachtel’Schema, das von ziemlich örtlich verstehbaren Bildungen bzw. Verwendungen (Gepäck einladen) bis zu recht abstrakten Bildungen wie in (9) reicht. Auf jeden Fall ist eine direktionale (selten lokale) Bestimmung in das Verb integriert. Von der Auswahl der Basis hängt es ab, welche Folgen für die syntaktische Valenz das hat (vgl. z. B. Obst in die Dosen füllen ⫺ Obst einfüllen ⫺ ?Obst in die Dosen einfüllen ⫺ aber: Obst eindosen ⫺ *Obst in die Dosen eindosen; vgl. insgesamt die Beiträge in Olsen 1998; zur genaueren Entfaltung Eichinger 2000, 233). (9)
Die […] Innenstadt lädt als komplettes Fußgängerareal ein (DBmobil 06/04, 48)
Die marginaleren topologischen einfachen Präpositionen und entsprechenden Adverbien ergänzen dieses System: (10) Die sein Recht hier zu sein anzweifeln (DBmobil 10/04, 70) (11) Dieselben Leute anzuschweigen (DBmobil 07/04, 42) Dabei tritt hier zum Teil die Frage von Trennbarkeit und Nichttrennbarkeit innerhalb des einzelnen Musters auf (vgl. Duden 2005, § 1063): (12) Wir müssen nur reden, dann kommen wir schon durch (DBmobil 06/04, 74) (13) Schrundige Platten, durchlöchert wie Schwämme (DBmobil 06/04, 21) (14) Aus drei umgestürzten brennenden Autos (DBmobil 06/04, 72)
78. Dependenz in der Wortbildung
1067
(15) Rundum glücklich umsorgt (DBmobil 06/04, 49)
mäßigkeiten erkennen lassen, die von der Valenz von Basisverben zur Verwendung im Partikelverb führen würden.
(16) Hol über (DBmobil 06/04, 19) (17) von der Reichsbahn übernommen hatte (DBmobil 06/04, 7) (18) und unterstützt den Dortmunder Verein (DBmobil 06/04, 18) Pauschal kann man sagen, dass die NichtTrennbarkeit in diesen Fällen mit einem lokalen Bild ein abstraktes Schema bildet, das deutlich durch Objektfokussierung geprägt ist. Dafür spricht nicht zuletzt, dass sich, wie in den Beispielen belegt, an dieser Stelle recht häufig Formen des Partizip II finden. Auch bei den trennbaren Bildungen kommt es zur Änderung der Valenz gegenüber der verbalen Basis, da durch die zumeist direktionalen oder als obligatorisch lokal zu verstehenden Bestimmungen ein Mitspieler abgebunden wird und damit der verbale Inhalt anders akzentuiert auftritt. Im Regelfall geht damit eine Valenzreduktion einher. (19) Zander muss dann blitzschnell wieder Wasser einströmen lassen (DBmobil 07/ 04, 19) [⫽ in eine Schleuse/L.E.] Diese syntaktische Folge ist bei diesen Bildungen, bei denen es um die Benennung semantischer Handlungs-, Vorgangs-, und Zustandstypen geht, ein Nebeneffekt der semantischen Umstrukturierung. Wie angedeutet, ist die Nähe zur lokalen Basis und ihrer syntaktischen Ausformulierbarkeit im Einzelnen ganz unterschiedlich. Auffällig bleibt insgesamt, dass die Motiviertheit dieser Bildungen im Hinblick auf die Basen recht hohen Schwankungen unterliegt. Konstant ist eigentlich die Prägung der Bildungen durch die jeweilige Verbpartikel, d. h. primär geht es um Muster von Bildungen, die durch die Partikeln ab-, an-, auf-, aus-, einusw. geprägt werden. Die verwendeten Basen modifizieren allenfalls den gewählten Subtyp der dadurch angedeuteten Muster. Diese schon des öfteren (s. Eichinger 1989; Eichinger 2000, 230 f.; vgl. auch Donalies 2002, 124) angesprochene Eigenheit solcher Bildungen kommt nicht wirklich überraschend, reflektiert sie doch den aus der Adverbialsyntax wohlbekannten Tatbestand, dass direktionale Bestimmungen jedenfalls zum engsten Prädikatsbereich gehören. Vor diesem Hintergrund ist der Tatbestand zu sehen, dass sich bei einer Reihe von Bildungstypen keine Gesetz-
(20) […] ein Nachtlager […] aufschlagen (DBmobil 06/04, 23) Vielmehr werden sie, was immer sonst ihre Eigenschaften sind, in das jeweilige „Partikelschema“ integriert. Das gilt zum Beispiel für Verben, bei denen die Basis eine Art instrumentaler Modifikation liefert, also Verben wie z. B. anschalten, einschalten, anstellen; abschalten, ausschalten, abstellen. 1.3. Untrennbare Verben Im Kern der untrennbaren Verben, die mit Präfixen gebildet werden, die ohnehin tief in die grammatische Ebene eingreifen ⫺ sie „ersetzen“ etwa das ge-Präfix des Partizips II ⫺ steht die Umakzentuierung der verbalen Szene ohne das Ziel eines andersartigen Handlungstyps im Mittelpunkt. Das führt zu syntaktischen Fokussierungsprozessen, die sich etwa in „Akkusativierungen“ niederschlagen (zu dieser Objektfokussierung und den anderen Funktionen („Aspektorientierung“, „Negation“) vgl. Eichinger 2000, 223⫺229). Der klassische und am besten untersuchte Fall dafür liegt bei den Bildungen mit dem Präfix {be-} vor. Zentral ist hier zweifellos das oft semantisch mit einer holistischen Interpretation in Verbindung gebrachte Muster, das aus Simplicia, die eine punktuelle Handlung in einem Raum bezeichnen, be-Verben macht, die den Raum als direktes Objekt betreffen (und daher dann tendenziell gerne auch gesamthaft; vgl. Duden 2005, § 1056): (21) Wer denn da […] den InterCity nach Bremen bestieg (DBmobil 07/04, 42) I in den Intercity stieg (22) Über 50 Jahre lang befuhr der 71-Jährige die Mecklenburgischen Seen (DBmobil 07/04, 18) I auf den Seen fuhr Das hat häufig weitere syntaktische Umstrukturierungen zur Folge: (23) Ich decke etwas1 über etwas2 J ich bedecke etwas2 mit etwas1. (24) Fast sieben Prozent der Gesamtfläche sind mit Wasser bedeckt (DBmobil 07/04, 23) Häufig sind damit auch semantische Isolierungseffekte verbunden, die den Ergänzungsstatus der einzelnen Mitspieler verändern:
1068
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
(25) ?Ich lege Wurst auf das Brot J Ich belege das Brot (mit Wurst).
(33) Reiche Witwen seien nur begrenzt wehrfähig (DBmobil 07/04, 34)
Diesem semantischen Effekt eng verwandt ist die Signalisierung von Fachlichkeit, die systematisch mit einem Teil dieser Bildungen verbunden sind:
Die meisten dieser Bildungen haben zudem eine gewisse, wenn auch unterschiedlich eindeutige Beziehung zu Kategorien der Aspektualität. Dabei sind entsprechende Verwendungen von ent- im Wesentlichen inchoativ, ver- und zer- resultativ, bei er- finden sich beide Funktionen; für die letztgenannten drei Präfixe ist diese Funktion zentral.
(26) Voll tanken ⫺ aber bitte mit Wasser: Andre´ Haugerud befüllt die Tanks der ICE-Toiletten (DBmobil 10/04, 51) I füllt die Tanks I füllt Wasser in die Tanks. Dabei liegt hier oft ⫺ wie in dem vorstehenden Beispiel ⫺ nur eine Art Verdeutlichung einer ohnehin auch beim Simplex möglichen Objektfokussierung vor. Zum Teil sind damit andere semantische Kombinationsbeschränkungen verbunden: (27) Vor jeder Schlacht befragten sie das Tier in einer Zeremonie über ihre Erfolgsaussichten (DBmobil 07/04, 20) Wie gesagt, betrifft das nicht nur lokale Muster, sondern führt auch bei präpositionalen Ergänzungen zu entsprechenden Effekten. (28) Ich spreche mit ihm über die Finanzprobleme J Ich bespreche die Finanzprobleme mit ihm. (29) Der 1999 verstorbene Fabrizio de Andre´ besang die städtische Unterwelt (DBmobil 07/04, 28) Zudem ist die Präfigierung mit be- ⫺ wie Präfigierung insgesamt ⫺ ein Weg, semantische Schemata nicht nur über die Prädikate, sondern auch über andere Schemaelemente aufzurufen; das betrifft Verben wie bekränzen oder bedachen. (30) […] später dann exklusive Prominenz beherbergte (DBmobil 06/04, 35) Bei all den Bildungstypen wird deutlich, dass die Orientierung auf eine Akkusativergänzung hin eigentlich nur ein funktionaler Zwischenschritt auf dem Weg der Passivierung ist, (31) […] werden wir als Fernpendler bestraft (DBmobil 07/04, 42) die es dann letztlich erlaubt im Partizip II eine entsprechende Eigenschaft zu formulieren: (32) die von vielen Kirchtürmen bekrönte Silhouette (DBmobil 06/04, 24)
(34) Überall in der Weserrenaissancestadt zu entdecken (DBmobil 06/04, 49) (35) Als er die erste Skischule eröffnet hatte (DBmobil 06/04, 57) (36) Dass die irgendeinen Besoffenen erwischen (DBmobil 10/04, 73) (37) Die neuen Passagierrechte ersetzen die bisherigen Kulanzregeln (DBmobil 10/04, 44) (38) Auf der Haut ihres Partners verteilen (DBmobil 06/04, 57) Das gilt selbst für die auf den ersten Blick „inhaltlich“ (vgl. Donalies 2002, 119, 122) definierten Fälle mit ent- und zer- (s. Eichinger 2000, 225 f., 228 f.). 1.4. Bildungen mit nicht verbalen Basen Verbale Wortbildung und Valenz, das hat dann aber noch deutliche Weiterungen über diese einfachen und zentralen Fälle hinaus. Um mit dem Einfachsten zu beginnen, es gibt erklärtermaßen bei den Bildungstypen, über die wir gesprochen haben, eine nennenswerte Gruppe von Bildungen, die keine verbale Basis haben, sondern ein anderes Element aus der aufgerufenen Szene in die Basis des entstehenden komplexen Verbs bringen. Direktionale (einschiffen, eindosen) und instrumentale (aufgabeln, ausixen) Qualifikationen bilden offenbar eine probate Möglichkeit dafür. (39) Mit strahlenförmig abzweigenden Straßen (DBmobil 10/04, 33) Das gilt in analoger Weise auch für die untrennbaren Bildungen. (40) Obwohl er nach viel zu viel Bier benebelt war (DBmobil 10/04, 70) (41) Und bevölkern abends die Piazze (DBmobil 10/04, 35) Bei ihnen ist der syntaktische Effekt auf jeden Fall noch viel klarer. Vor allem, wenn das
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78. Dependenz in der Wortbildung
Ziel oder die Richtung der Handlung in der Basis genannt werden, ist logischerweise ihre nochmalige Nennung im Satz ausgeschlossen. Analoges gilt auch für deadjektivische Bildungen (vgl. Eichinger 2000, 113 f.; auch Duden 2005, § 1053) (42) […] um eine Attraktion bereichert (DBmobil 10/04, 90) An dieser Stelle ist auch des häufigen Falles der desubstantivischen Konversion zu gedenken (so jetzt auch Duden 2005, § 1077⫺ 1079). Sie stellt die zweifellos merkmalärmste Technik dar, um ein Handlungsschema über einen substantivischen Bestandteil aufzurufen, hier werden Valenzverhältnisse geschaffen; ein typisches Muster integriert ein Mittel einer Handlung in die verbale Basis: (43) Snowboarden in den Dolomiten? Inlineskaten an der Uferpromenade? (Lufthansa-Werbung; s. Eichinger 2000, 171) 1.5. Verbale Komposita Das besondere Problem der Zusammenhänge von syntaktischer Valenz und Wortbildung bei den Verben zeigt sich aber bei all den Bildungen, die in das Umfeld der Komposita gerechnet werden. Ungeachtet der Regelungen, die hier in der Orthographie getroffen sind, geht es hier zunächst um Fragen der Integration syntaktisch gebundener bzw. adjazenter Elemente. Sofern es sich um substantivische Erstelemente handelt, stellen eine Art innerer Objekte mit Auffälligkeiten im Artikelbereich den wortbildungsartigsten Fall (Rad fahren, Rat suchen, Geige spielen) dar. Schon bei diesen Fällen ist offenkundig, dass die Abgrenzung zwischen Syntax und Wortbildung bei den Verben weitaus fließender ist als bei den anderen Wortarten. Denn die Nähe zu unstreitigen Objektkonstruktionen (Auto fahren ⫺ ein großes Auto fahren) ist ebenso offenkundig wie die zu Funktionsverbfügungen und ähnlichen Konstruktionen (Unrecht tun). Man kann dieses Überschneidungsproblem als solches betrachten, man kann diesen Integrationstypus als solchen einheitlich betrachten und damit den Bereich der Wortbildung ausdehnen (das geschieht bei Weinrich (1993/2005), wo alle diese Klammerstrukturen unter dem Terminus der Konstitution zusammengefasst werden), man kann andererseits die Grenze gemäß der jeweiligen orthographischen Regelung ziehen (so bei Motsch 2004, 51 f.). Was eigentlich dahinter steht, ist, dass sich im Falle des Verbs bei den Zweifels-
fällen nicht einfach und kontextlos feststellen lässt, ob wir es mit „syntaktischer Inkorporation“ zu tun haben, die zu mehr oder minder festen syntaktischen Fügungen führt, oder mit „lexikalischer Inkorporation“, die zur Univerbierung führt: das Verb als Prädikat bietet beide Möglichkeiten an, die am Rande beide genutzt werden können. Das Paradebeispiel der syntaktischen Inkorporation, die zu komplexen Prädikaten eigener Art führt, sind die Funktionsverbfügungen (in Betracht ziehen), (44) um zum Beispiel Rückmeldung an die werbende Wirtschaft geben zu können (DBmobil 07/04, 52) vielleicht auch jene syntaktisch nicht mehr gut auflösbaren Fügungen, die man im Deutschen für das Äquivalent von seriellen Verben halten könnte (baden gehen, spazieren gehen; vgl. Eichinger 2000, 107). Dass hier noch Abstufungen vorliegen, zeigen schon diese Beispiele, je weniger das erste, „regierte“ der Verben selbständig gängig ist (zumindest in der jeweils gefragten Bedeutung), desto univerbierter erscheinen uns die Ergebnisse. Sofern es sich um verbale Zweitelemente handelt, geht es häufig um zentrale und wichtige reihenbildende Verben mit recht allgemeiner Bedeutung, wie z. B. bleiben und lassen (vgl. Eisenberg 1998, 257; Eichinger 2000, 107 f.). Man kann zeigen, dass an dieser Stelle keine feste Grenze ausgebildet ist, sondern eine Zone besteht, die das textuelle Ausbuchstabieren als syntaktische Fügung ebenso erlaubt wie die Akzentuierung eines entsprechenden (kulturell geprägten) als fest anzusetzenden Handlungskontextes. Das gilt z. B. auch für die Bildungen mit den sogenannten Doppelpartikeln: (45) Und kicherte in sich hinein (46) Ließ sich dann vom Schwung weiter torkelnd den Hang hinauftragen (DBmobil 10/04, 71) Nicht umsonst kommt es dabei gelegentlich zu scheinbaren Verdopplungen der Information (aus dem Wald herauskommen), die aber eigentlich von einer funktionalen Differenzierung der beiden Elemente zeugen und nicht von einer doppelten Besetzung der direktionalen Leerstelle. Diese Differenzierung ist zweifellos unterschiedlich deutlich; offenkundig ist, dass sie auf die verschiedenen verbalen Kategorisierungen ausgreifen kann und
1070
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
so zum Teil als ein lexikalisches Äquivalent für Aspektualitätsunterschiede gelten kann, die aufgrund der Eigenheiten der deutschen Grammatikalisierung als lexikalische Eigenheiten, also als Aktionsartunterschiede ausformuliert werden. Dieser Effekt wird besonders bei den Verbkomposita sichtbar, deren erstes Element ein Adjektiv ist, von totschlagen, über kaltstellen, trockenschleudern bis warmmachen. (47) (…) die bereits zur Einschläferung freigegebenen Tiere (DBmobil 06/04, 37) Hier ist eine syntaktische Verbindung ⫺ vom adverbialen Typ ⫺ eigentlich nur noch formal angedeutet, tatsächlich ist genau diese Realisation nicht mit den vorliegenden Bedeutungsrelationen verträglich. Hier entspricht es den orthographischen Gewohnheiten des Deutschen, die unterschiedlichen Sichtweisen in der Schreibung zu verdeutlichen, auch über die idiomatisierten Fälle hinaus (ich möchte feststellen; vgl. Eichinger 2000, 126⫺128). Erkennbar ist jedenfalls die funktionale Verwandtschaft solcher resultativer Adjektivverwendungen mit entsprechenden Verbpräfixen (totschlagen/erschlagen). Nicht weit davon sind auch die Verbkomposita mit substantivischen Erstelementen, bei denen zwischen den Elementen eine hohe kollokative Bindung vorherrscht, in der die verbale Bedeutung einer gewissen Generalisierung unterliegt (Acht geben; auch: eislaufen, Kopf stehen; vgl. Eichinger 2000, 136; jetzt auch Motsch 2004, 51 f.). Hier ist die Absetzung von den syntaktischen Fügungen relativ deutlich, daher ist hier eine rein an der morphologischen Form orientierte Schreibung am umstrittensten. 1.6. Valenz in der verbalen Wortbildung Schon bei der verbalen Wortbildung, wo von der Wortart her mit den Reflexen der verbalen Valenz zu rechnen ist, sind die Verhältnisse nicht so einfach. Es gibt drei grundsätzliche Optionen. Zum ersten kann mit dem Element, das zu einer verbalen Basis tritt, eine Valenzstelle abgebunden werden, so dass die Valenz der sich ergebenden Bildung in signifikanter Weise verändert, häufig reduziert wird. Zum zweiten kann in der verbalen Wortbildung ein Element verdoppelt werden, das trotzdem im Valenzrahmen des Basisverbs wie des komplexen Verbs verbleibt. Zum dritten kann sich die Integrationskraft der verbalen Wortbildung genau auf Fälle beziehen, die sich nicht in entsprechender Weise
morphosyntaktisch fassen lassen. Durch die potentielle Trennbarkeit einer großen Menge von Bildungen ist die Nähe zu syntaktischen Fügungen angelegt, durch die tiefe grammatische Integration der festen Bildungen die Nähe zur Flexionsmorphologie.
2.
Substantive
2.1. Wenn Substantive Valenz „erben“ 2.1.1. Der klassische Fall: nomina actionis/ „Satznamen“ Vorausgeschickt sei, dass die nomina actionis den Kern der systematisch, aber im einzelnen unterschiedlich ausgebauten Wortfamilien bilden, von denen die nennende Setzung zentraler Elemente verbaler Szenen ermöglicht wird (daneben v. a.: nomina acti (Täfelung); nomina agentis (Denker), nomina instrumenti (Rechner); vgl. Duden 2005, § 1105). Wenn Substantive Valenz erben, geht es zweifellos um die Transposition von Merkmalen, die eigentlich nicht in substantivischen Kategorisierungen formulierbar sind. Das kann ⫺ entgegen einer weit verbreiteten Ansicht ⫺ nicht folgenlos bleiben (vgl. Eichinger 2004). Das betrifft schon die Ebene der kategorialen Formen: Substantive regieren keine Kasus, sondern weisen Abhängigkeitsmarkierungen zu (zum Problem einer reinen „Angaben-Valenz“ vgl. schon Wolf 1984). Im unmarkierten Fall der zentralen Mitspieler, die nur wenig semantisch differenziert sind, tritt dafür der Genitiv ein. Es ist klar, dass wir den attributiven Genitiv lediglich aus Gewohnheit einen Kasus nennen; an der syntaktischen Stelle, von der wir sprechen, gibt es keine Kasus-Differenzierung (vgl. die Position A1 bei Bassola 2003). Ansonsten werden die nominalen Abhängigkeiten durch Präpositionen signalisiert. Es ergibt sich dabei eine neue Art von Ordnung, sofern nicht die offenkundige semantische Standarduntergliederung (lokal, temporal, kausal, modal) aufgerufen wird. (48) Die Abläufe im Weißen Haus (49) Wochen vor dem Krieg (50) Die Planung für den Nachkriegsirak (51) Ein Arsenal an Massenvernichtungswaffen Die semantisch „undeutlichen“ mehr oder minder automatisch zugewiesenen Präpositionen (von; zu, für; vgl. Siebert 1999, 75;
78. Dependenz in der Wortbildung
Eichinger 2004, 38⫺40) zeigen deutlich, dass hier im Kern eine Ursprungs- gegen eine Zielorientierung kodiert wird. (52) Nach Meinung von Fachleuten (53) Verbindungen zu Gesprächspartnern (54) Vergeltung für den 11. September (48⫺54 DBmobil 07/04, 76) Wie die von-Äquivalenz an einigen Stellen (im Moment ungeachtet stilistischer Differenzen und textueller Präferenzen) zeigt, wird der Genitiv in diesem neutralen Kontext ausschließlich als „Ursprungs-Kodierung“ genutzt. (55) Die Behauptung von Bush (DBmobil 07/04, 76) (56) Die Vorwürfe der US-Regierung (DBmobil 07/04, 76) Es wurde schon öfter festgestellt, dass die Benennung eines der zentralen Genitiv-Typen als genitivus obiectivus eher in die Irre führt: entsprechende Konstruktionen verstehen wir als Konversen (sozusagen genitivus subiectivus zum Passiv). (57) Zur Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten (DBmobil 07/04, 52) Dem indirekten Objekt entspricht bekanntlich im nominalen Bereich nichts, es wird mittels Präposition semantisch rekonstruiert (Gabe/Zahlung an, Gehorsam gegenüber). (58) Rückmeldung an die werbetreibende Wirtschaft (DBmobil 07/04, 52) Auch modale Adverbialität erleidet dieses Schicksal: sie ist logischerweise ebenfalls nur in nominaler Technik umsetzbar ⫺ das leistet weithin die entsprechende Passepartoutpräposition mit (nebst der Negation: ohne). (59) Showprogramm mit toller Musik (DBmobil 07/04, 49) Bei diesen Verhältnissen ergibt sich das Problem, dass die Elemente, die im Vergleich mit den entsprechenden satzsemantischen Verhältnissen als die zentralen valenzgebundenen Glieder erscheinen, im nominalen Bereich nicht formal differenziert werden, sondern mit dem generellen Abhängigkeitsmarkierer ‘Genitiv’ versehen werden. Klassifikatorisch schwierig daran ist, dass der Genitiv auch für Abhängigkeitsrelationen verwendet wird, die keine solche Basis haben, sondern ‘beliebige’ Beziehungen zwischen zwei substantivischen Elementen kodieren.
1071 Bei weiteren attributiven Erweiterungen überhaupt von Valenz zu sprechen, erscheint verfehlt, weder Relativsätze, noch gar Appositionen, aber auch nicht das klassische kongruierende Attribut, das Adjektiv, lassen sich so eingliedern. Das hindert nicht, dass sie durch verschiedene Arten von Dependenz gekennzeichnet sind: das ist aber etwas anderes (vgl. Eichinger 2004). Das bisher gezeichnete Bild wird exemplarisch von den nomina actionis ausgefüllt. Bei ihnen lässt sich die einigermaßen systematische Umsetzung der im Schema des Basisverbs angelegten Mitspieler realisieren, z. B.: (60) Das Engagement der Bahn für Menschen mit Handicap (DBmobil 10/04, 47) Das ermöglicht zum Teil ganz erhebliche Verdichtungen: (61) Eine gesellschaftliche Verpflichtung zum Sponsoring für Unternehmen ableiten zu wollen (DBmobil 10/04, 58) Nicht in allen anderen Fällen sind die Verhältnisse so klar. Dazu trägt nicht zuletzt der Tatbestand bei, dass es einen systematischen Übergang zwischen verbalen und nominalen Formen gibt. Der Infinitiv seinerseits als die nominalste der Nominalformen des Verbs ist ja schon so etwas wie ein Name für ein Verb, was sich auch auf dem Wege zeigt, den man Konversion (oder für diese Fälle genauer: Umkategorisierung; vgl. Eichinger 2000, 82; Duden 2005, § 1104 f.) nennt. Selbst in schon recht substantivischen Verwendungen bleiben die verbalen Basismerkmale zum Teil formal steuernd erhalten, vgl.: (62) verbal: Er kann das Lied jedes Mal schön singen / Es macht (jedes Mal) Spaß, ein Lied (jedes Mal) schön zu singen; verbonominal: Ein Lied Singen macht Spaß / Schön Singen macht Spaß / ?Ein Lied (jedes Mal) schön Singen macht Spaß; nominal: Das jedesmalige schöne Singen eines Liedes macht Spaß. Abgesehen von den strukturellen Grenzen zeugen diese Beispiele davon, dass Nominalphrasen einfach zu etwas anderem da sind als zur einfachen nominalen Drehung vollständiger verbal gegebener Sachverhalte (dazu z. B. Duden 2005, § 1106 f.). Offenbar wird es hier zunehmend schwerer, die verbalen Konstruktionstypen beizubehalten. Aber natürlich bleiben die Beziehungen, die im Verb und seiner Umgebung stecken, in allen Fällen sagbar. Irgendwann
1072
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
kippt aber die Kodierung. So sind selbst nomina actionis zum Teil nur schwer rückübersetzbar:
(64) Verlängerung des europäischen Programms zum Ankauf und der Schlachtung von Rindern (s. Eichinger 2004, 36)
(63) Random House Audio rechnet mit der „Entkörperung des Hörbuchmarktes“ (DBmobil 10/04, 61)
(65) […] Denn Golf ist nur eine Entspannungsübung für den Mann mit […] (DBmobil 04/04, 3)
2.1.2. Andere „Thematisierungen“ Die deverbalen substantivischen Derivationen haben aber nicht nur die Aufgabe, als mehr oder minder nominale Satznamen zu funktionieren; die andere Seite gerade deverbaler Derivation liegt darin, dass die damit angesprochenen Szenen in unterschiedlicher Variation aufgerufen werden können. Zentral und gleichermaßen für unsere Fälle kritisch ist ein anderer klassischer Fall, nämlich die Klasse der nomina agentis (und in vergleichbarer Weise der nomina instrumenti). In diesen Fällen können die angeschlossenen Genitive ausschließlich als direkte Objekte verstanden werden ⫺ die Subjekte sind ja durch Inkorporation in das Nomen nicht mehr greifbar, gleichzeitig schließt diese Thematisierung (um diesen satzbezogenen Terminus hier analogisch zu gebrauchen) aus, dass es sich um eine passivähnliche Konverse handeln könnte, die ja durch „Zurücksetzung“ der Subjektsrolle gekennzeichnet wäre. So wären die Genitive durch eine systematische Ambivalenz gekennzeichnet. Das erscheint aber tatsächlich nur im unmittelbaren Vergleich mit den satzsyntaktischen Verhältnissen. Es finden ja zweifellos auch unter nominalen Kodierungsbedingungen alle semantischen Mitspieler ihren Platz. Allerdings sind die zentralen Mitspieler formal neutralisiert. Sie werden dann je nach Kontext semantisch zugeordnet. So gibt der Genitiv und geben die entsprechenden von-Konstruktionen keinen anderen Hinweis als den, dass sie die Handlungs-, Tätigkeits-, Vorgangs- und Zustandssubjekte und die Rolle repräsentieren, die dem direkten Objekt entsprächen. Es handelt sich also um eine semantisch vagere Konstruktion als die Kasus im Satz. Dem entspricht, dass alle weiteren Informationen dann in präpositionalen Relationen (inhaltlich) expliziert werden. Logischerweise am kritischsten in diesem Spiel sind die Kodierungen mit „automatisierten“ Präpositionen, die entweder wirklich ihren verbalen Äquivalenten entsprechen oder einer Verdeutlichung der (zumeist finalen) Charakteristik der Relation, die im Satz durch verschiedene Objektstypen repräsentiert wäre, vgl.:
Neben den nomina actionis sind aber allenfalls noch die nomina agentis so verbnah; in vielen anderen Fällen, nicht zuletzt schon bei den nomina instrumenti, aber auch bei den nomina acti, ist eine Ablösung erfolgt, die den Nominationseffekt und seine isolierende Tendenz weitaus deutlicher macht. Schon die Bildung von nomina agentis allein ist deutlich beschränkter. Diese Thematisierung ergibt bei einer Reihe von Verben (allein) keine relevante Benennungseinheit. Solche Bildungen sind etwa deutlich lexikalisiert (Trinker) oder andererseits relativ strikt syntaktisch eingebunden (Esser/Trinker von). Die Lexikalisierung und die damit verbundene Idiomatisierung führen zu Valenzreduktionen: (66) […] einen Macher aus Leidenschaft (DB-mobil 06/04, 3) Da hier im Vergleich zum Verb die Subjektsposition im Prädikat abgebunden ist, handelt es sich um eine Technik der Objektsfokussierung. (67) Den späteren Erbauer eines Schlosses wie Linderhof […] (DB-mobil 10/04, 46) Das sieht man insbesondere auch bei Fällen, in denen den Genitiven/von-Konstruktionen oder entsprechenden Kontextbezügen im verbalen Bereich andere Elemente entsprechen als Akkusativobjekte (der Helfer/Nachfolger des Präsidenten). Offenbar ist für die syntaktischeren Bildungen eine gewisse Rollenrepräsentativität bzw. Dauer gefordert. Das ergibt dann die Bildungen, die nicht nur das Subjekt integrieren, sondern auch über alle im jeweiligen Kontext denkbaren Kontexte generalisieren: (68) Schließlich fragen viele Verbraucher inzwischen auch bei den Eiern, ob sie aus Freiland- oder aus Käfighaltung stammen (DB-mobil 10/04, 10) (69) Zahlreiche Links führen zu touristischen Anbietern, denen […] (DB-mobil 10/04, 47) (70) Locken Besucher in die Museen (DBmobil 10/04, 58)
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78. Dependenz in der Wortbildung
Daher sind Bildungen wie Befehler oder Gehorcher eher unwahrscheinlich ⫺ allenfalls durch Qualifikationen wie typisch ergänzt, erscheinen sie einigermaßen normal. Mit stilistischer Markierungsfunktion sind sie aber zu finden ⫺ gerne in literarischen Texten: (71) Du triffst deine grauenhaften Zerstörer und Umbringer auf dem Graben (Th. Bernhard, Holzfällen; s. Eichinger 2000, 79) Die nomina instrumenti sind schon formal den nomina agentis sehr verwandt, aber generell noch etwas weiter der aktuellen Füllung der rekonstruierbaren verbalen Szene enthoben. (72) Die Brenner sind überall einsetzbar, wo Gas und Öl verbrannt werden (DBmobil 07/04, 55) Ähnliches gilt für die nomina acti (im Vergleich zu den tendenziell bindungsfreudigeren nomina actionis; vgl. dazu Bassola 2003): (73) Eine Herausforderung für Ihre Branche (74) Erfindungen aus Deutschland (beide DBmobil 07/04, 52) 2.2. Von scheinbaren Erbschaften: Rektionskomposita An den Rektionskomposita, also Fügungen aus zwei Lexemen, deren rechter Teil eine relationale Basis ⫺ meist eine Art verbalen Stamm ⫺ hat, kann man zweierlei sehen (zu diesem inkorporierenden Typ vgl. Eichinger 2000, 81, 83, 128⫺131; auch Duden 2005, § 1097): zum einen, wie im Bereich der Wortbildung eine weitere Isolierung der verbalen Kerne erfolgt, und zum anderen, dass aufgrund dieser Strategien Bildungen wie diese nur recht formal mit der Gruppe der „eigentlichen“ Komposita (d. h. mit nicht relationalen Zweitgliedern) zu vergleichen sind. Zunächst zum ersten Punkt: im Hinblick auf die oben aufgewiesene relative Ambivalenz der Genitivkonstruktion wird bei der Integration eines nominalen Szenenelements als Erstglied einer solchen Bildung praktisch ausschließlich eine Objekts-Relation realisiert. (75) […] die Frau des Werftbesitzers (DBmobil 06/04, 10) Mit dieser Integration wird wie bei Komposita insgesamt üblich behauptet, dass es sich um Namen für relevante Phänomene handelt (vgl. Duden 2005, § 1097). Nun ist aber er-
kennbar, dass es sich bei den Zweitelementen von Rektionskomposita häufig und im typischen Fall um relativ allgemeine Vorgangsnamen (und vielleicht solche von entsprechenden Agenten) handelt. Typische Zweitelemente wären etwa -bearbeitung, -senkung, -erhöhung, -teilung, also Namen für sehr generelle Operationen, wie auch die Zweitelemente in den folgenden Belegen. (76) Bei der Reiseplanung (DBmobil 10/04, 47) (77) Norwegischer Erdgaslieferungen (DBmobil 10/04, 57) (78) Kulturförderung ist eine staatliche Aufgabe (DBmobil 10/04, 58) Sie sind zudem außerordentlich ergänzungsbedürftig, wenn man aus ihnen kommunikativen und textuellen Sinn ziehen will. Es ist daher funktional wenig hilfreich, davon auszugehen, in entsprechenden Bildungen würden Subklassen dieser Typen von Erscheinungen benannt. Vielmehr ist es so, dass solche Zweitelemente mögliche relevante Szenen bezeichnen, die von den Erstelementen aufgerufen werden. Das heißt, es ist übertrieben zu behaupten, ein Wort wie Steuersenkung sage etwas über die Klassen von Senkungen. Vielmehr ist es so, dass ‘senken’ eine der paradigmatischen Optionen ist, die wir mit ‘Steuern’ verbinden (in diesem Kontext ist zweifellos ‘erhöhen’ die andere). Es ist offenkundig, dass eine analoge Paradigmatisierung von ‘Zunahme’ und ‘Abnahme’ in dieser Verbalisierung auch bei anderen Erscheinungen unserer Welt eine bedeutsame Rolle spielt (etwa Temperatur-; Zins-; Blutdruck- usw.; dagegen z. B. Gewichtszu-/abnahme). In gewissem Sinne geht es also um eine Steuer/Temperatur/ Zins/Blutdruck-x-ung, eine Bezeichnung für relevante Vorgänge in dem Umfeld der als Erstglied genannten Substantive, die zwei paradigmatische Optionen kennt, die wir mit festen sprachlichen Kollokationen belegen. Das passt gut zu den Beobachtungen, die man insgesamt zu einer vernünftigen Beschreibung von Kollokationen gemacht hat. Die verbalen Elemente sind von einer Allgemeinheit, dass von ihnen her keine hinreichend genaue Spezifikation der jeweiligen Objekte geleistet werden kann. Man kann nur von der grundlegenden Struktur von Wortbildungen her erwarten, dass es um klassematisch relevante Eigenschaften geht, die das Auftreten des Erstelements bedingen.
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Dagegen wird mit der Nennung der Substantive, die als Erstelemente auftreten, eine Reihe von typischen Optionen eröffnet. Dass dabei strukturell grundlegende Prädikate ⫺ wie z. B. ‘Zu-/Abnehmen’ ⫺ in unterschiedlicher lexikalischer Ausprägung eine Rolle spielen, entspricht dem Tatbestand, dass auf diese Art und Weise innerhalb der semantischen Grobklassen, die durch die Suffixe (wie z. B. -ung ‘Vorgang’) indiziert werden, für bestimmte Sachbereiche relevante Untergliederungen bestimmt werden. Diese Eigenheit lässt erkennen, dass es um Kategorisierungen bezüglich des als Relevanzraum gesetzten Erstelements geht und nicht um Subgruppen der als Zweitelement genannten Typen. Dabei gibt es zweifellos noch eine Abstufung unter den Subtypen: so ist sowohl die Allgemeinheit der Bestimmung höher wie die Bildung lexikalischer Solidaritäten geringer in Fällen wie hyperonymischem -veränderung gegenüber spezifischerem -abnahme oder -zunahme, -sinken. Ob Abnahme, Schwund oder Reduktion den angemessenen Relator darstellen, hängt von dem gewählten Sachbereich (Steuer oder z. B. Gewicht) ab, kann aber auch z. B. den Fachlichkeitsgrad bzw. die Textsortenadäquatheit andeuten (Gewichtsabnahme; Gewichtsreduktion). In diesen Kontext gehörten auch durchaus übliche, aber stilistisch wirksame Metaphern: (79) […] der größten europäischen Softwareschmiede (DBmobil 06/04, 39) Im Einzelnen sind die dabei zu beobachtenden Gesetzmäßigkeiten schlecht untersucht (Andeutungen in Duden 2005, § 1097). Sie sind aber deutlich anders als beim klassischen Fall der Determinativkomposita. Bei ihnen treten zwei nicht relationale nominale Lexeme zusammen, bei denen versucht wird, die kollokativen Erwartungen, die in diesem Fall von beiden Seiten ausgehen, miteinander zu verrechnen. Aufgrund der prinzipiellen grammatischen Dominanz des rechten Elements bei semantischer Gleichwertigkeit in diesem Fall, kommt es zu Benennungen von Subklassen des rechten Elements. Der „gemeinsame Nenner“ der nicht genannten Relatoren ist durch die zweimaligen konkreten Setzungen relativ konkret an lebenspraktischen Zusammenhängen orientiert (etwa ‘Urheber sein’, ‘Besitzen’, ‘Bestehen aus’, ‘Ähnlich sein’). Ein gutes Kompositum wie etwa Holztür lebt davon, dass Türen etwas sind, was typischerweise (‘klassenbildenderweise’) neben anderem (Metall, Kunststoff) aus Holz
gemacht wird, und dass es zu den zentralen Verwendungen von Holz gehört, zu Türen, Fenstern und dergleichen verarbeitet zu werden. Erkennbar ist das bei den Rektionskomposita anders. Wenn man eine Bildung wie Steuererhöhung nimmt, so handelt es sich um subjektartige Setzung und implizite (passivische) Prädikation über das gesetzte Erstelement. Dabei ist die eingebaute Prädikation nicht beliebig, sondern erfüllt klassematisch zentrale Modifikationen ⫺ also eigentlich eine genauere Spezifizierung des Derivationstyps. Allerdings wird dazu eine Technik genutzt, die derivative Mittel („Suffixe“) gemeinsam mit einem verbalen Basiselement nutzt. Kennzeichnend ist dabei, dass diese Kombination eine existierende Derivation ergibt ⫺ was aber gemäß der semantischen Erläuterung fast als ein Zufall zu betrachten ist. Für die Syntax hat dieser „Zufall“ allerdings außerordentlich positive Folgen. So lassen sich die Elemente kontextuell nach Bedarf auseinandernehmen („Die Politiker sprechen wieder über die Mehrwertsteuer. Ihre Erhöhung scheint anzustehen.“). 2.3. Echte Erbschaften: Zusammenbildung So gesehen ist die Zusammenbildung ⫺ zumindest ein bestimmter formaler Typ von Zusammenbildung ⫺ der konsequentere Valenzverarbeiter. Bei ihr wird auf die Selbständigkeit des zweiten Elements keine Rücksicht genommen, vielmehr wird ein Prädikatsschema als Ganzes substantiviert. Es geht dabei um Fälle wie Kriegserklärung. Erkennbar handelt es sich um etwas kollokativ fest Angeschlossenes, was man mit ‘Kriegen’ tut. Die Festigkeit der Verbindung ist hier so hoch, dass dem Ganzen in der syntaktischen Welt ein echter Phraseologismus entspricht. Es ist offensichtlich, dass die Grenzen zwischen den beiden Bildungstypen nicht ganz klar sind, dass aber eigentlich der Zusammenbildungstyp mehr semantische Wahrscheinlichkeit für sich hat: bedingt er doch nicht die Lexikalisierbarkeit des Zweitelements. Sie ist ohnehin kritischer, wenn es nicht um die außerordentlich produktiven Vorgangsbezeichnungen auf -ung geht. So ist zum Beispiel die Bildung von eigenständigen nomina agentis, in denen nicht in irgendeiner Weise das Objekt genannt wird, nicht so einfach, wenn es nicht um den lexikalisierten Typ von beruflicher oder anerkannter usueller Tätigkeit geht. (80) […] Als […] Sportförderer und Mäzen (DB-mobil 06/04, 3)
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78. Dependenz in der Wortbildung
Selbst wenn hier eine Isolierung des Zweitglieds möglich erscheint, ergibt sie semantisch häufig nicht viel Sinn (vgl. Bildungen wie Seelentröster). (81) Als einer der Bergbahnbediener weiß Ehrlich über jedes Detail bestens Bescheid (DBmobil 10/04, 42) Darüber hinaus erreichen solche Bildungen, wenn sie nicht durch Lexikalisierung gestützt sind, relativ bald einen recht hohen Grad an Auffälligkeit (vgl. literarische Bildungen wie Denkmalerrichter). Allerdings hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass der Zwang zur Usualisierung konnotativ genutzt werden kann, reihenweise wurden Bildungen erfunden, die vom Typ Warmduscher, Frauenversteher geprägt waren. Die in den Zusammenbildungen inkorporierten Valenzbeziehungen werden zum Teil in einer Weise nutzbar gemacht, die an den Rändern dessen liegt, was man vom Bezug auf ein gesamthaftes Einzelwort erwarten würde: (82) Genießen Sie diese Appetitmacher auf mehr (DBmobil 10/04, 91). 2.4. Valenz beim komplexen Substantiv Valenz in substantivischen Wortbildungen ist im Wesentlichen das Erbe verbaler Valenzbeziehungen und entsprechender semantischer Schematisierungen. Es ist offenkundig, dass in diesen Fällen Valenz etwas Anderes heißt als bei den Verben, da Techniken lexikalischer Kondensierung mit Nominationseffekten gewählt werden, durch die Einheiten geschaffen werden, die sich nicht auf einfache Weise auf die entsprechenden syntaktischen Verbsätze beziehen lassen.
3.
Adjektive
3.1. Deverbale Derivation Es gibt bei praktisch allen größeren Gruppen adjektivischer Suffix-Derivation auch Untertypen mit verbaler Basis. Sie sind allerdings nicht in allen Fällen gleich zentral und produktiv. Bei den zahlenmäßig dominanten Suffixen spielen sie eher eine marginale Rolle ⫺ desubstantivische Bildungen liegen in der Produktivität weit davor. So sind es häufig Randgruppen wie die deverbalen Bildungen mit dem Suffix -lich, die zwar noch ihre passivisch-modale Grundstruktur erkennen lassen (veränderlich). Sie sind aber doch so stark lexikalisiert, dass sie gegenüber der
zu konstruierenden Wortbildungsbedeutung deutliche distributionelle Besonderheiten zeigen, u. d. h. semantisch einen gewissen Grad an Idiomatisierung. Das zeigt sich in eingeschränkten kollokativen Präferenzen (z. B. das eher „mediale“ veränderliches Wetter). (83) Und verlässlich dazu (DBmobil 10/04, 42) Es gibt in der deutschen Standardsprache der Gegenwart ein einziges Suffix, das durch eine ausschließlich transpositionelle Relation zu den syntaktischen Verhältnissen des Basisverbs bestimmt wird. Es handelt sich um die Adjektive auf -bar, deren Produktivität theoretisch nur durch Bedingungen beschränkt ist, die genau denen der Passivbildung entsprechen (vgl. Duden 2005, § 1154). Daher tauchen diese Adjektive bei verschiedenen Autoren auch unter den so genannten Passiversatzformen auf. Das ist offenkundig richtig, wenn man nur die in diese Adjektive eingebaute Konversenrelation betrachtet; es stimmt natürlich im Hinblick auf die primäre (attributive) Funktion des Adjektivs nur in begrenztem Ausmaße: hier bleiben die eingebauten Prädikationen auf jeden Fall implizit (essbare Frucht). Auch bei der prädikativen (sozusagen finitisierten) Verwendung trifft die Analogie nicht ganz. Auch hier wird ja die entsprechende Bedeutungskonstellation als Einheit verpackt in das entstehende Adjektivprädikat eingebracht (diese Frucht ist essbar). Trotz der Produktivitäten in manchen ⫺ vor allem fachlich geprägten ⫺ Teilbereichen (verdampfbar) ist aber auffällig, dass von den Möglichkeiten dieses Musters eigentlich recht wenig Gebrauch gemacht wird. (84) Hier ist ganzjährig ein Entspannungspaket buchbar (DBmobil 10/04, 36) Die relativ geringe Anzahl lexikalisierter Bildungen dieses Typs ist allerdings hoch rekurrent (häufig mit bestimmten Idiomatisierungseffekten, vgl. denkbar). (85) […] sei in absehbarer Zukunft gering (DBmobil 06/04, 74) Neben diesem modal-passivischen Typ steht als andere größere deverbale Option das aktivische „Dispositionsadjektiv“, das die Neigung, Anlage zu einem Tun ausdrückt (tröstlich; schmierig). (86) Der würzige und langlebige rote Mavrud (DBmobil 10/04, 18)
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VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
Allerdings ist dieser Bildungstyp nicht sehr gut ausgebaut. Sowohl bei den passivischen wie den aktivischen Bildungen lässt sich die Isolierung gegenüber den Möglichkeiten der verbalen Verwendung der Basis dieser Adjektive erkennen. In beiden Fällen sind weitere Mitspieler des Verbs erstens sehr viel schwerer zu realisieren, und wenn, dann in typisch adnominalen Techniken. Das gilt insbesondere für die Agens-Komponente bei den passivischen Bildungen, wo sich die entsprechende Position „umgedeutet“ und mit einer benefaktiv-objektartigen Präposition angebunden findet (essbar ?von/für ihn). Weniger strikt ist das bei den aktivischen Bildungen, wo sich allerdings auch entsprechende rektionale Veränderungen zeigen (war ihm tröstlich / tröstlich für ihn ⫺ wenn zum Verb; s. aber Wendungen vom Typ jmdm. Trost spenden). 3.2. Verbaladjektiv Die relative Marginalität dieser Gruppen erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass im Wortartensystem ohnehin schon eine Kategorie existiert, bei der sich der Wechsel zwischen Verb und Adjektiv definitionsgemäß eingebaut findet. Es handelt sich um die beiden Partizipien, vgl.: (87) Romane […] in gelesener Form (DBmobil 10/04, 60) (88) Zwischen Regalen und Büchertischen will das funkelnde Wurlitzer-Exemplar im Retro-Look die schmökernde Kundschaft offensichtlich verwirren (DBmobil 10/04, 60). Dabei ist das Partizip II relativ stark in das grammatisch-morphologische System des Deutschen eingebaut: (89) Bei der Umsetzung des 2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Gleichstellung von behinderten Menschen (DBmobil 10/04, 47) Das Partizip I spielt praktisch nur im Übergangsbereich zwischen marginaler Verbform und „deverbalem Adjektiv“ eine Rolle. (90) Dieser unaufhaltsam vorandrängende Mob (DBmobil 06/04, 71) (91) Das umliegende Landschaftsschutzgebiet (DBmobil 06/04, 60) (92) Er sagte es so beschwörend (DBmobil 06/04, 70)
(93) Die kommende Nacht (DBmobil 06/04, 71) Bei diesem Übergang, der durchaus auch die Formen des Partizips II betrifft, ist die Abgrenzung zwischen den beiden Wortarten durchwegs nicht einfach. (94) Nach den Erlebnissen des vergangenen Abends (DBmobil 06/04, 71) (95) Dass ich dasaß wie gelähmt (DBmobil 06/04, 71) (96) Eine gezwungene Heiterkeit (DBmobil 06/04, 71) Je nach der Dominanz eher verbaler oder eher adjektivischer Merkmale werden die Partizipien als Flexionsformen des Verbs oder als derivierte Adjektive betrachtet (vgl. Duden 2005, § 1151; Zifonun et al. 1997, 1821⫺1823). Als eines der Kriterien, auf welcher Seite dieser Grenze eine Bildung anzusiedeln ist, gilt das Fortleben bzw. die Blockierung der Valenzbeziehungen, die vom Verb ausgehen, vgl.: (97) (…) eine Reihe neuer, aufregender Erlebnisreisen (DBmobil 06/04, 50) Hier ist die Reduktion der Bindungsfähigkeit von aufregen um das Objekt, der seine semantische Generalisierung entspricht, ein deutliches Signal für den Adjektivcharakter (vgl. insgesamt Zifonun et al. 1997, 2208 f.). Das ist einigermaßen einfach anwendbar bei den Partizipien II, die gut in das verbale Flexionssystem eingebettet sind. Als Teile analytischer Prädikatsbildungen gehören sie nach allgemeiner Ansicht in den Bereich der Flexionsmorphologie. Ähnliches gilt, wenn entsprechende Fügungen als implizite Prädikationen auf dem Platz des Adjektivattributs auftauchen: zumindest bei den passivisch zu verstehenden Bildungen gibt es keine Kombinationsbeschränkungen gegenüber den Anschlüssen in der prädikativen Position. Anders ist das bei entsprechenden Attributen, die sich auf sein-Perfekte beziehen lassen. Hier scheinen adverbale Bestimmungen nur mit bestimmten Einschränkungen möglich zu sein (*der kaum/leider/tief eingeschlafene Mann; *der in die Stadt gegangene Mann; der über Bord gegangene Mann; der gestiegene Ölpreis). Hier wird offenbar an den Gebrauch dieser Form die Anforderung gestellt, einen in gewissem Ausmaß dauernden und isolierbaren Zustand auszudrücken.
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Das macht auf der passivischen Seite Verben besonders geeignet zu dieser Umkategorisierung, die lediglich ein Element in der Relation eines passivischen Subjekts brauchen, um als Zustandsbeschreibung als abgeschlossen gelten zu können. (98) Die gewünschten Ferienregionen (DBmobil 06/04, 50) (99) […] abseits der ausgetretenen Pfade (DBmobil 06/04, 50) (100) einer der frisch bewaffneten Jungen (DBmobil 06/04, 72) Dabei entfernen sich diese Bildungen in unterschiedlichem Ausmaß von den entsprechenden Verben. Im folgenden Beispiel ist die Charakteristik als Adjektiv außerordentlich deutlich: (101) […] Reisende mit ausgefallenerem Geschmack (ebd.) Hier ist die Lexikalisierung der Bildungen offenkundig. 3.3. Inkorporationsbildungen Beim Adjektiv finden wir einen Typus von Wortbildung stark ausdifferenziert, der ganz deutlich mit der Bildungsfähigkeit der Zweitelemente rechnet, ohne dass er sich in der einfachen Vererbung der Abhängigkeitsverhältnisse der entsprechenden selbständigen Verwendungen erschöpfen würde. Es handelt sich dabei um den Bildungstyp, der eine Zeitlang gerne als Halbaffixbildung bezeichnet wurde (zur derzeit gängigen Differenzierung in Komposita und Derivate vgl. Duden 2005, § 1141 f., auch Donalies 2002, 79 f., 115). Typisch für diese relativ eigenständige lexikalische Inkorporation von Elementen, die an freie Verwendungen erinnern, ohne mit ihnen identisch zu sein, sind Bildungen mit dem Zweitelement -voll (zu den im Folgenden diskutierten possessiven und privativen Bildungen vgl. Fandrych 1993). Selbständige Entsprechungen zu der Variante, die in der Wortbildung gewählt wird, ist eine, in der die Relationalität der ausgedrückten Eigenschaft explizit formuliert wird, also syntaktische Wendungen mit voll mit bzw. der dazugehörigen Präposition voller. Während aber die freie syntaktische Fügung eher von konkreten Szenen des Gefülltseins spricht (voll mit Menschen), und die Präposition konkrete und abstrakte Verwendungen ermöglicht (voller Menschen; voller Hoffnung), ist das inkorporierende Wortbildungselement eindeutig auf
den hohen Grad einer abstrakten Eigenschaft festgelegt: hoffnungsvoll. (102) Doch anspruchsvolle Kunden dürften dem Hörbuch in seiner oft liebevollen Aufmachung die Treue halten (DBmobil 10/04, 61) Entsprechend werden die antonymen Adjektive nicht mit -leer gebildet (menschenleer; luftleer; *hoffnungsleer), sondern mit -los, das in der vorliegenden Bedeutung nur sehr locker mit einer selbständigen Verwendung (der Löwe ist los, der Knopf lose; loslassen) in Bezug gesetzt werden kann: hoffnungslos (*luftlos). (103) Einen kostenlosen MP-Audio-Player (DBmobil 10/04, 61) Eigentlich kann man sagen, dass mit {-voll} und {-los} in assoziativer Anlehnung an die syntaktischen Verwendungen die zwei Pole einer Beziehung aufgerufen werden. Mit diesen Elementen wird einfach das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer Eigenschaft benannt. Das Gegeneinander ist zudem konnotativ aufgeladen, die Bezeichnung eines Nichtvorhandenseins durch {-los} ist zumeist negativ konnotiert, das gilt für die Gegenbildungen mit {-leer} ebenfalls: würdevoll ⫺ würdelos. (104) Gnadenlose Rache (DBmobil 10/04, 29) Es gibt aber auch nichtantonymische Fälle (verzweiflungsvoll; wunschlos [glücklich]), hier gilt diese Beziehung nicht. (105) Für die drahtlose Übertragung von Daten (DBmobil 10/04, 63) Dennoch gehen die lexikalischen paradigmatischen Beziehungen noch weiter. Für das positiv bewertete Nicht-Vorhandensein von etwas steht neben dem tendenziell negativen Fall {-los} das eher positiv konnotierte {-frei}. Auch die Bildungen mit diesem Element lassen sich auf eine freie relationale Variante beziehen (frei von) und von da ausgehend systematisieren. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben die Bildungen in diesem Bereich zugenommen: signalisieren sie doch häufig die Abwesenheit von im jeweiligen Kontext nicht gewünschten chemischen oder ähnlichen Stoffen oder Dingen: alkoholfrei, bleifrei. (106) Auf der kleinen, autofreien Insel (DBmobil 06/04, 49)
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Soweit wird hier eine Möglichkeit geschaffen, die im Affixsystem des Deutschen nicht vorgesehen war, nämlich das Nichtvorhandensein von etwas zu signalisieren. Im Weiteren wird hier die offenkundig kommunikativ relevante Spannbreite zwischen Vorhandensein und Nichtvorhandensein graduierend aufgespalten. Dieser Differenzierung entspricht die Bildung komplexer Wörter mit dem Zweitelement {-arm}: raucharm, nikotinarm, auf der anderen Seite aber auch welcher mit {-reich}: nährstoffreich. (107) Der verkehrsreichste Bahnhof (DBmobil 10/04, 5) Es ist offenkundig, wie in diesen Fällen die Abhängigkeitsverhältnisse, die in den entsprechenden selbständigen Adjektiven angelegt sind, für die Wortbildung paradigmatisiert worden sind (vgl. Eichinger 2000, 92⫺ 98). Das gilt auch für andere semantische Bereiche: (108) […] auskunftswilligen Abgeordneten (DBmobil 06/04, 24) Mit dem Erbe verbaler Valenz direkt und seinem paradigmatischen Einsatz hat eine weitere Stufe der Inkorporation zu tun, die einen nochmals genaueren Grad der Differenzierung der junktionalen Verbindung zwischen der Basis des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv ermöglicht. Üblicherweise spricht man hier von Partizipialkomposita. Bei ihnen handelt es sich um die adjektivische Realisierung des Musters „Rektionskompositum“. Es haben sich hier einige dominante Muster entwickelt, die beim Partizip II vor allem der Inkorporation verschiedener adverbialer Bestimmungen dienen (vgl. Eichinger 2000, 96 f.). (109) Das inselabgewandte […] Tal (DBmobil 06/04, 35) (110) Für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste (DBmobil 10/04, 47) (111) Der preisgekrönten Aufnahmen (DBmobil 06/04, 63) (112) 15 Sekunden zeitversetzt (DBmobil 06/04, 45) (113) An zukunftsweisenden Projekten (DBmobil 06/04, 11) Eine wesentliche Gruppe bilden verschiedene Bildungen, die das ‘Versehen-Sein-mit’ ausdrücken, allerdings in jeweils relativ fester, fast phraseologischer Form (eisenarmiert,
goldüberzogen, bronzebeschlagen, deckt, golddurchwirkt).
staubbe-
(114) Ein Besuch am windumtosten Cap Formentor (DBmobil 06/04, 34) (115) In den rauchverhangenen Himmel (DBmobil 06/04, 73) Beim Partizip I werden bestimmte rektional angebundene Bestimmungen integriert: (116) Der kraftstrotzenden Maschinenästhetik (DBmobil 10/04, 35) Man sieht an den Beispielen, dass wir mit gängigen Kollokationen von einzelnen verbalen Stämmen für die jeweiligen Sachverhalte rechnen können ⫺ so dass es sich hier auch um deutlich lexikalisierte Fälle handelt. Es gibt natürlich auch genereller gültige Fälle ({-reduziert}) und Adjektive, die zeigen, dass das entsprechende relationale Muster im Adjektivbereich selbständig geworden ist (Typus: goldbebrillt). (117) Vor ein paar Jahren fiel die betagte Dame plötzlich in Ohnmacht (DB-mobil 10/04, 6) Dazu passt, dass es insgesamt eine ganze Menge verbaler Wortbildungen gibt, bei denen die infiniten Formen viel normaler und natürlicher erscheinen als die finiten; vgl. etwa die folgenden be-Partizipien: (118) Unbekümmert, begeistert, bewölkt, bejahrt, beleibt (119) Die Bahn räumt behinderten Fahrgästen Zug um Zug Hindernisse aus dem Weg (DB-mobil 10/04, 47) 3.4. Autogene Adjektiv-Valenz Beim Adjektiv, anders als beim Substantiv, gibt es zweifellos Fälle, in denen eindeutig in einer Weise wie bei entsprechenden verbalen Lexemen von Valenz gesprochen werden kann. Manchmal lassen sich entsprechende Fälle direkt gegenüberstellen: so sind auch nach Auskunft der Wörterbucheinträge das Verb (jemandem) gehorchen und das Adjektivprädikat (jemandem) gehorsam sein bis in die semantischen Selektionsregeln und die Fakultativität der angesetzten Dativergänzung hinein parallel konstruiert. Erkennbar ist die morphologische Verwandtschaft der beiden Formen, die Abhängigkeit des Adjektivs vom Verb. In diesem Umfeld finden sich logischerund vernünftigerweise aber weitaus mehr Bildungen, die eine Differenzierung gegenüber
78. Dependenz in der Wortbildung
dem verwandten Verb darstellen, z. B. in Fällen wie abhängig, gegebenenfalls auch nur als stilistisch markierte und daher häufig eher beschränkter verwendbare Alternative (einer Sache bedürftig sein; sich einer Sache bewusst sein). Nicht zuletzt gehören hierher die oben schon erwähnten Adjektive in der Form von Partizipien (in etwas befangen sein; mit etwas behaftet sein; etw. gegenüber aufgeschlossen sein). (120) Bei den so genannten erdgebundenen Reisen (DB 06/04, 50) Dieses Phänomen schließt an die Valenzverhältnisse bei den primären Adjektiven an (treu; auf deren Umsetzung in deadjektivische Substantive wird nicht eigens eingegangen, man braucht aber jedenfalls deutliche nominale Abhängigkeitszeichen: jmdm. treu/ Treue zu/gegenüber jmdm.). (121) Der bordeigene Kran (DBmobil 06/04, 48/49) (122) Wasserdicht bis 50 m (DBmobil 06/04, 51) Von hier findet sich der Übergang zu den reihenbildenden Zweitgliedern, von deren Paradigmatisierung oben schon die Rede war: (123) Familiengerechte Angebote (DBmobil 06/04, 50)
4.
Überblick
Ein Titel wie Valenz und Wortbildung benennt für die von der Wortbildung betroffenen drei Hauptwortarten unterschiedliche Phänomene. Am einfachsten erscheint der Fall beim Verb: unstrittig sind die sich ergebenden Wörter die klassischen Valenzträger. Dennoch hat auch hier die Wortbildung unterschiedliche Effekte. Welche das sind, hängt von zwei Dingen ab: von der Wortart der Basis und von der Wortbildungsart. Deverbale Bildungen lassen sich im Hinblick darauf beschreiben, welche Folgen die Wortbildung für die Valenzverhältnisse des Basisverbs hat. Was hier möglich oder erwartbar ist, variiert andererseits sehr stark je nach dem gewählten Wortbildungsmuster. Bei der Bildung untrennbarer Präfixverben dominieren syntaktische und „aspektuelle“ Effekte. Dabei zeigen sich im Kernbereich (vor allem bei be- und ent-) die syntaktischen Konversen analogen Prozesse von Valenzveränderung und Valenz-
1079 reduktion, bzw. Verschiebung der Enge der Bildung der Mitspieler an das Verb. Von den aspektuellen Veränderungen ist die syntaktische Organisation im Normalfall nicht betroffen. Anders sind die Verhältnisse bei den Bildungen mit den trennbaren Partikeln. Im Kern werden durch sie direktionale (und statisch lokale) und auch andere präpositional formulierbare Bestimmungen in die Verben inkorporiert. Von unserem Thema her als zentral anzusehen sind die Bildungen, bei denen die genannten Elemente zur Bildung einer neuen Handlungsbezeichnung integriert werden und bei denen die Valenz um das solcherart abgebundene Element reduziert wird (der Ballon steigt (in die Höhe); der Ballon steigt auf ). Dass an dieser Stelle der Übergang zu Phänomenen einer fixierten Syntax gleitend ist, zeigen die entsprechenden Bildungen, bei denen mit hin- und her- verbundene Partikeln das Erstelement bzw. das rechte Klammerelement bilden. Das Diffundierende dieses Übergangs wird noch deutlicher bei verschiedenen Typen verbaler Komposition, wo zum Teil nur der Univerbierungswille die Wörter schafft (kaltstellen), bzw. ein gleitender Übergang zu seriellen Konstruktionen zu konstatieren ist, die im Deutschen nur einen marginalen Platz einnehmen (baden gehen). Auf jeden Fall handelt es sich um die Realisierung spezifischer Valenzbedingungen. Beim Substantiv schlagen sich die semantischen Rollenverhältnisse, wie sie in der syntaktisch-formalen verbalen Valenz dann grammatikalisiert auftauchen, in deverbalen Bildungen nieder, die in unterschiedlicher Weise in das System der Substantivbildung eingebaut sind. Am klarsten ist das bei den deverbalen Derivaten, die es erlauben, in systematischer Weise bestimmte Aspekte der verbalen Szene benennend zu thematisieren. Von der Systematik, die sich in der Entfaltung entsprechender Wortfamilien zeigt, sprechen auch die klassischen Benennungen wie nomen agentis, nomen actionis usw. Bei einem genaueren Blick sieht man allerdings, dass die Kodierungstechniken der Nominalsyntax doch von einer Art sind, die eine einfache Analogisierung mit den verbalen Verhältnissen verbietet. Das betrifft insbesondere den Tatbestand, dass so etwas wie Kasusdifferenzierung nicht existiert, sondern dass zwischen freier, gebundener präpositionaler und genitivischer Junktion zu unterscheiden ist. Zudem ist als weitere Option die pränominale Technik der Attribution einzu-
1080
VII. Grammatische Phänomene unter Dependenz- und Valenzgesichtspunkten
beziehen. Dass die verbalen Schemata das Verstehen steuern, zeigt sich dann besonders deutlich bei den Rektionskomposita und den Zusammenbildungen. Das schlägt sich in der paradigmatischen Nutzung dieser Bildungen nieder, die sich doch deutlich von der einfachen Lexemkombinatorik der klassischen N⫹N-Komposita unterscheidet. Die Lage bei den Adjektiven ist durch zwei Charakteristika dieser Wortart gekennzeichnet. Es gibt vergleichweise wenige primäre Adjektive. Daher wird der Bedarf an Adjektiven zentral durch transpositionelle Techniken gedeckt. In diesem Kontext spielen deverbale Derivationen ebenso eine Rolle wie Rektionskomposita und ähnliche Bildungen mit relationalen Zweitelementen. Bei all diesen Bildungstypen werden Valenzinformationen klassenbildend genutzt. Dazu kommt, dass mit den Partizipien als der zweiten Nominalform der Verben ⫺ neben den zu den Substantiven führenden Infinitiven ⫺ eine Übergangszone zu den Verben existiert, bei der Valenzinformationen geerbt und ggf. im adjektivischen Systemzusammenhang paradigmatisiert werden. Demgegenüber spielt die eigentliche Adjektivvalenz eine weitaus geringere Rolle.
5.
Literatur in Auswahl
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Ludwig M. Eichinger, Mannheim (Deutschland)
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung Dependency in Computer-Based Language Processing 79. Parsing with Dependency Grammars 1. 2. 3.
5. 6.
Introduction Survey of parsing tasks and choices Dependency parsing with a head-marked phrase structure grammar Parsing with a lexicalized dependency grammar Surface dependency parsing Select Bibliography
1.
Introduction
4.
This article deals with the analysis of natural languages by computer using dependency grammars as resources. In order to reveal the advantages and disadvantages of the dependency approach, we will proceed from a list of criteria for parsers in general and then discuss the particular choices which are on hand when dependency grammars are used. 1.1. Prerequisites of a parser From a formal point of view a language is a (possibly infinite) set of character strings. The character strings are structured, that is, elementary strings reoccur in various combinations. It is the task of a grammar to define all of the well-formed strings of a language and to describe their structure. A parser, in turn, is a computer program that accepts or rejects character strings relative to a given grammar and assigns a structural description to each accepted string. This definition implies the following prerequisites of a parser: ⫺ a grammar formalism, ⫺ a grammar, ⫺ an algorithm. As a first step, a formal notation for drawing up grammars must be created. This step may take universal principles into consideration. Next, concrete grammars of particular languages must be written in the chosen formalism. Finally, an algorithm must be invented
which determines, whether a given input is covered by the given grammar, and if so, which structural description applies to it. In the tradition of Artificial Intelligence, these three tasks are known as “knowledge representation”, “knowledge”, and “knowledge processing”. Different requirements characterize each of these tasks, e. g. expressiveness for the grammar formalism, adequacy for the grammar, efficiency for the algorithm. 1.2. Criteria for classifying parsers There are numerous technical reports about particular parsers and each conference adds a few more to the list. A substantial amount of proposals adheres to the dependency approach. It can not be the task of this article to survey this huge variety of existing implementations. What we want to achieve is a basic understanding of the essentials and a guidance for evaluating existing parsers as well as for putting together new ones. For that purpose we try to identify the issues that arise in any parser development and record the alternative solutions that exist for each identified task. Our check list comprises the following tasks and choices. Check list for parsers: (1) Connection between grammar and parser ⫺ interpreting parser ⫺ procedural parser ⫺ compiled parser (2) The type of structure to be assigned ⫺ constituency structure ⫺ dependency structure (3) Grammar specification format ⫺ rule-based specification ⫺ lexicon-based specification ⫺ parameter-valued categories (4) Recognition strategy ⫺ top-down ⫺ bottom-up
1082
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
⫺ depth first ⫺ breadth first (5) Processing the input ⫺ one-pass from left to right or from right to left ⫺ left-associative ⫺ several passes ⫺ proceeding non-continuously (6) Handling of alternatives ⫺ backtracking ⫺ parallel processing ⫺ well-formed substring table (chart) ⫺ rule filtering ⫺ looking ahead ⫺ probabilistic methods In the following sections the tasks and choices listed here are briefly described, the impact that the dependency framework has on the solutions is explained and the advantages and disadvantages of this approach are discussed. The following requirements serve as criteria for the evaluation: ⫺ The parser should be as efficient as possible both in space and time. ⫺ The capacity of the parser must cover the phenomena of natural language. ⫺ Drawing up linguistic resources for the parser should be easy.
2.
Survey of parsing tasks and choices
2.1. Connection between grammar and parser There are three ways of connecting the linguistic data with the parsing procedure: interpreting parsers, procedural parsers, compiled parsers. (i)
Interpreting parser
Grammar and parsing procedure are separate. The grammar is input to the program and interpreted by the parsing routine. The algorithm is based exclusively on the syntax of the grammar formalism, not on the contents of the individual grammar. (Aho/Sethi/ Ullman 1986, 3 f.)
The program of an interpreting parser reads the rules and the lexicon of the attached grammar before deciding what output to derive from the input text. The grammatical data is “declarative”, that is, it is formulated independently from the aspect of analysis or synthesis. In turn, the same parser can be used for many grammars of different languages. The parser’s behavior can be tuned by changing the grammatical data rather than plunging into the code of the program. These advantages of an interpreter are slightly diminished by the fact that the excessive reading of external data makes the program slow. (ii)
Procedural parser
Grammatical data and parsing procedure are no separate categories. The grammar is integrated in the algorithm. The grammar is “procedural”, that is, it is formulated as a set of instructions for the analysis of the input language. A new procedure must be programmed for each additional language. Procedural parsing played an important role in the history of computational linguistics. Most prominent are Augmented Transition Networks (ATN; Woods 1970). They are programs that start at the beginning of a sentence and try to foresee all alternatives that may occur until the program reaches the end of the sentence. Since at most stages in a sentence there are many possibilities for continuation, a network that is to cover a whole language is very complex and difficult to maintain. However, ATN parsers can be very fast and have unlimited descriptive power. Word Expert parsers are the variants of procedural parsers that are closer to the dependency view. The idea is that the individual words in a sentence interact with each other. Every word may behave differently, by its own virtue and under the influence of other words. Consequently each word meaning is implemented as a small program, a so-called word expert. Each expert “actively pursues its intended meaning in the context of other word experts and real-world knowledge”
grammar
input text
parser as interpreter
Fig. 79.1: Interpreting parser
output structure
1083
79. Parsing with Dependency Grammars parser with integrated grammar
input text
output structure
Fig. 79.2: Procedural parser
(Small 1987, 161). A prerequisite of this approach is a modular architecture of the parsing system. It has been argued that procedural parsers are better cognitive models of natural language understanding than the declarative ones. Cohen, Poldrack and Eichenbaum (1997) hold that declarative and procedural knowledge differs in their neuro-anatomic substrates, in their operating characteristics, and in the nature of the representations they use. On the other hand, it is a widely-held opinion that the distinction is not an intrinsic property of linguistic knowledge as such. If it is reasonable to assume that the same linguistic knowledge is employed by humans for listening and for speaking, then the grammar of a language should be kept separate from the computer programs that simulate the two usages, namely one for parsing and another one for generating utterances. (iii) Compiled parser The grammar is drawn up in a declarative form and exists independently from the parser. Before execution, the grammar is transformed into a procedural form by a specific program (a parser generator; Aho/Sethi/ Ullman 1986, 257 f.). In the final parser, the grammar is part of the program code. Compiled parsers embrace the advantages of declarative grammar writing, while they avoid the drawbacks in efficiency at runtime.
2.2. The type of structure to be assigned It is common in linguistics to represent syntactic structure by trees. A tree is a connected directed acyclic graph. All nodes are connected. There is exactly one node with no incoming edge (the “root”). Every other node has exactly one incoming edge. There may be any number of outgoing edges from any node but none must lead to a loop, i. e. to an incoming edge of the same node. A tree is projective if no edges cross each other. The linguistic phenomena that are modeled by trees can be quite different. First of all, trees are used for reflecting constituency structure and dependency structure. (i)
Constituency structure
The nodes in a constituent tree reflect smaller or larger segments of the input string. The edges represent the composition of larger phrases from elementary ones. Each level in a phrase structure tree denotes another phase of segmentation of the original sentence or phrase. The topmost node covers the whole expression; subordinated nodes cover smaller parts of the same expression and so on. (ii)
Dependency structure
All units that correspond to the nodes in a dependency tree are elementary segments of the input string. Each arc denotes the syntagmatic relationship between an elementary segment and one of its complements or ad-
grammar
parser generator
input text
Fig. 79.3: Compiled parser
parser with integrated grammar
output structure
1084
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung S
a)
VP
NP
GP NP Ger annoying
Vtger hate
Noun students
b)
Noun professors
S VP
NP
NP
Vt hate
Noun students
Adj annoying
Noun professors
Fig. 79.4: Constituency trees
juncts (Tesnie`re 1959). All nodes belong to the same unique and exhaustive segmentation. Larger segments are present implicitly as a combination of elementary segments in the tree. a)
Vtger hate
Ger annoying Noun professors
Noun students
b)
Vt hate
Noun professors Noun students
Fig. 79.5: Dependency trees
Adj annoying
The constituency model is focused on the concatenation of strings; the dependency model is focused on the functional complementation of syntactic units. Usually this difference has an impact on the way the grammar is conceived and on the applicable parsing algorithms. However, both approaches are compatible if the notion of “head” is introduced in the constituency framework. In a head-marked constituency grammar, one of the immediate constituents of each constituent must be the head. It can be stipulated in addition that the head constituent must be an individual word (cf. Jackendoff 1977). The following criteria for heads can be found in Zwicky (1985): Often there is one word in the construction which has a distribution parallel to the construction as a whole. It is semantically the generic term of the whole construction. Typically, this word bears the morpho-syntactic marking indicating the relationship of the construction to other constructions. It requires the existence of other members in the construction and determines their particular inflectional form. For example hate is a concept that necessarily involves someone who hates and something hated. The latter can be an object or an event. Hence, a subject and a direct object or a gerund construction with known morpho-syntactic properties can be predicted with almost a hundred percent certainty when the verb hate turns up. The lexical filling of the subject (e. g. students) and the object phrase (e. g. professors) are by no means arbitrary either. It seems that ultimately it is lexical semantics that determines syntax. The main cause of inefficiency of parsers is the generation of useless intermediate results. Individual words as heads of phrases are a remedy against such bad performance because they maximally constrain the syntagmatic relationships. What are the advantages of dependency representations as compared to constituencybased head-marked grammars? Most important is the fact that grammatical functions can be integrated more easily in the dependency framework. The hierarchy of nodes in a dependency structure is designed in a way that all substitutions of a node preserve the grammatical function. For example, all the surface realizations of the subjects in the sentences of (1) are a result of the expansion of the same complement node depending on the verb surprise.
1085
79. Parsing with Dependency Grammars
(1)
a. His reactions surprised me. b. That he should make such mistakes surprised me. c. To see him here surprised me. d. What surprised you?
The interrogative pronoun what in (1) d. carries the same functional label subject as the subject portions in (1) a.⫺c. that are the answers to sentence d. The functional label yields the relevant portions for answering the question, although the subjects in (1) are instances of quite different constituents: a noun phrase, a that-clause, and an infinitive construction. Last but not least, the paths along which features must be propagated for unification are longer in constituent trees than in dependency trees. For example, in Figure 79.4 four edges must be passed in order to check the agreement between students and hate while just one edge suffices in Figure 79.5. This is a considerable gain in efficiency. Still, both constituency and dependency trees might be too limited to model all phenomena of natural languages, especially those that relate to linearity rather than to hierarchy. Discontinuous constituents, coordination, ellipses are cases in point. In spite of these deficiencies, trees are likely to survive in computational linguistics because of their technical convenience. The advantage of trees from a computational perspective is the fact that there is exactly one path from any node to any other node and, hence, there is always an efficient way to access any information distributed in the tree. The further development of dependency grammar is probably moving into the direction of enrichments of the trees by new types of attributes decorating the nodes (cf. HSK 25.1, 44, chapter 6).
Figure 79.6 displays the four possible combinations (Hellwig 1978, 70 f.).
Constituency Dependency
rule-based
lexicon-based
G1 G2
G3 G4
Fig. 79.6: Grammar types with rule-based or lexicon-based specification
Let as briefly compare the four formalisms. (i) Rule-based specification The grammar consists of a set of so-called production rules. All of the well-formed character strings of a language are generated by rewriting symbols according to the rules. The essence of this approach is the assumption of an abstract structure which provides the honeycombs for the words and phrases in the concrete case. Syntactic relationships are a matter of the rules, while the lexicon provides simple bricks. G1 is the type of Generative Phrase Structure Grammar introduced in Chomsky (1957, 26⫺27). Chomsky’s example is (2)
the man hit the ball
Figure 79.7 and 79.8 show the G1-rules and the associated phrase marker. (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi)
Sentence J NP ⫹ VP NP J T ⫹ N VP J Verb ⫹ NP T J the N J man, ball, etc. Verb J hit, took, etc
Fig. 79.7: Phrase structure rules Sentence
2.3. The Grammar specification format It is a different matter to decide what kind of formal structure should reflect the grammatical relationships and to find a way to define and build the structural representation. There are two principal approaches: the rule-based specification of grammars which is accompanied by a sentence-oriented view on syntax and the lexicon-based specification which implies that words ultimately determine syntactic constructions. Rule-based and lexiconbased specifications of grammars are to a certain extent independent of the constituency-dependency distinction. The matrix in
NP
VP
T
N
Verb
the
man
hit
NP
T
N
the
ball
Fig. 79.8: Constituency tree generated with phrase structure rules
1086
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
G2 is the type of early dependency grammars as they have been suggested by Hays (1964) and Gaifman (1965). Figure 79.9 displays the rules needed for sentence (2). (i) V (N * N) (ii) N (T *) (iii) T (*)
V ⫽ {hit, took, etc.} N ⫽ {man, ball, etc.} T ⫽ {the}
symbol above the slash as the new joint category. The process is repeated. Brackets are removed when they coincide with the boundaries of constituents. In this way, the constituency tree shown in Figure 79.12 is built on top of the sequence of words in (2). S
Fig. 79.9: Rules of a dependency grammar
The symbol in front of the brackets is the head; the symbols within the brackets represent the dependents. The asterisk marks the linear position of the head among its dependents. The categories in the rules are parts-ofspeech. Parts-of-speech are assigned to the words in the lexicon. There are no categories for larger constituents. Categories that can be the head in a sentence and, hence, can serve as starting points in the generation process must be specially marked. We use an underscore for this purpose. Figure 79.10 shows the tree that results from the applications of the rules. V (hit)
N
(N\)/N
the
man
hit
(ii) Lexicon-based specification G3 is a lexicon-based constituency grammar. A case in point is Categorial Grammar (cf. Bar-Hillel/Gaifman/Shamir 1964). The grammar is simply a set of words associated with categories as displayed in Figure 79.11. the man ball hit took
N/N N N (N \ S) / N (N \ S) / N
N
N/N
N
the
ball
Fig. 79.12: Constituency tree built with a categorical grammar
G4 is the type of dependency grammar that solely relies on valency descriptions in the lexicon. The lexicon that can cope with example (2) is introduced in Figure 79.13. the man ball hit took
T the
Fig. 79.10: Dependency tree generated with dependency rules
N\S
N/N
N ball
N man
T the
N
T (T) N (T) N (N) V (N) (N) V (N)
Fig. 79.13: The lexicon of a valency grammar
Symbols in brackets represent dependents; the symbol outside the brackets is the head. The control is exerted by the lexicon. If the category of a neighboring constituent is the same as an expected dependent in a valency description then a dependency subtree can be formed. The tree resulting from our example is shown in Figure 79.14. hit (N)V(N)
man (T) N
ball (T) N
Fig. 79.11: The lexicon of a categorical grammar
If a lexical category includes a slash and if the neighboring constituent has the same category as the category specified below the slash, then a subtree can be built with the
the T
the T
Fig. 79.14: Dependency tree built with a valency grammar
1087
79. Parsing with Dependency Grammars
The isomorphic trees of the two constituency and the two dependency approaches (compare Figure 79.8 with Figure 79.12 and Figure 79.10 with Figure 79.14) prove that rulebased grammars and lexicon-based grammars can under certain provisions be strongly equivalent. While the lexical categories of the lexicon-based grammars are transparent with regard to the combinatorial potentials of the lexical item, the rule-based variants use categories in the lexicon which are syntagmatically opaque. However, rule-based grammars can not do without the lexical valency information either. In order to avoid wrong lexical selection, Chomsky (1965, 94) introduced the so-called “strict subclassification”, that is, each lexical item is provided with information about the constituency structure into which it fits. A similar subclassification is necessary for rule-based dependency grammars of the Hays-Gaifman type. The subclassification of lexical items in a rule-based grammar looks very much like the entries of the corresponding lexicalized grammar. It seems that one does not loose very much if one does without rules altogether. (iii) Parameter-valued categories A few words about the format of categories should conclude this section on the specification format of grammars. While rule-based systems certainly profit from parameter-valued categories, the lexicalized versions of grammars do not work at all without them. A word as well as a phrase can be classified according to a host of features. It is advantageous to use complex categories that are composed of “bundles” of subcategories. The essence of parameter-valued categories lies in the distinction between feature type and concrete features. The feature type, often called “attribute”, is treated as a parameter that may assume “values”, i. e. the concrete features. Since the parameter is always made explicit, generalizations can be expressed by means of attributes alone, e. g. the agreement of phrases in number or gender can be stipulated without mentioning singular and plural, masculine, feminine and neuter. The mechanism of instantiation and calculating agreement is often referred to as “unification”. In contrast to conventional pattern matching, there is no pre-established assignment of one item as pattern and the other one as instance. The instantiation of an attribute that is to be shared by two constructs can go in both directions and the directions may differ for different attributes in the same category. Agree-
ment with respect to many properties may be propagated in this way across long distances up and down in trees. In principle, each attribute can reflect another dimension. Many forms of ambiguity can be represented compactly and elegantly and processed efficiently. Huge trees can grow from lexical seeds formulated with complex categories. The whole grammar adopts the character of an equation rather than that of a generative device (Kratzer/Pause/von Stechow 1974, Hellwig 1980, Shieber 1986). There are many variants of this kind of grammar writing. Some authors base their “typed-feature structures” in formal logic, others rely on the concept of “constraints” in recent mathematical frameworks. Constraint programming (CP) is actually an emergent software technology for declarative description and effective solving of large, particularly combinatorial, problems (Barta´k 1999, Koller/Niehren 2002). Enrichments of syntactic trees with non-recursive features have the formal properties of attribute grammars in the sense of Knuth (1968). It depends on the attributes whether an attribute grammar is context-free or beyond. Attributes may be introduced that cover phenomena of natural languages that are context-sensitive in nature. 2.4. Recognition strategy We now turn to the algorithms that enable the computer to reveal the structure inherent in a character string. Let us, for the time being, concentrate on constituency grammars (cf. Figure 79.7 and Figure 79.8). The root of a constituency tree is often known in advance. It is the category of the constituent under consideration, in most cases a sentence (S). The exterior nodes of the tree (t1, … tn) are also known. They are identical with the elementary units of the input string and are identified and classified by means of the lexicon (usually in terms of parts-of-speech). What is unknown is the interior coherence of the tree. Figure 79.15 illustrates the point of departure. The area of the unknown in the tree is dotted. S
?? t1
Fig. 79.15: The search tree
tn
1088
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
The interior of the tree has to be filled with the aid of the grammar. The following strategies differ in how they proceed from the known to the unknown. (i) Top-down analysis The root of the search tree is the starting point. Proceeding from top to bottom, nodes are added according to the grammar rules, until the sequence of terminal nodes is reached. For example, after the rule S J NP ⫹ VP has been applied, we have the situation of Figure 79.16. S NP
VP
tn
t1 Fig. 79.16: Top-down analysis
The top-down strategy makes use of the production rules in the direction from left to right. Connecting a symbol in the tree occurring on the left side of the rule with the symbols on the right side of the rule is called “expansion”. The procedure is also said to be “expectation driven” since the new symbols are hypotheses of what units will be found in the input string. (ii) Bottom-up analysis Here, the lexical elements are the point of departure. In accordance with the grammar, new nodes are linked to old ones, thus proceeding from bottom to top until the root of the tree has been reached. After a rule NP J T ⫹ N has been applied somewhere in the sentence, the situation is like Figure 79.17. S
? NP
t1
T
Fig. 79.17: Bottom-up analysis
N
tn
The bottom-up strategy makes use of the production rules in the direction from right to left. The symbols in the tree corresponding with the right hand side of a rule are connected with the symbol on the left side of the rule. This method is called “reduction”. The procedure is also said to be “data driven” since only those categories that are present in the input lead to the application of a rule. (iii) Depth first The left-most (or the right-most) symbol created in the previous step is always processed first, until a terminal symbol has been reached (or, in the case of bottom-up analysis, the root of the tree has been reached). This strategy is reasonable in combination with a top-down analysis since the terminal nodes must be inspected at the earliest possible stage in order to verify or disprove the derivation. In the following tree, the left context of the constituent A is already verified by the derivation of the terminals t1 till tm. Hence, one can be sure that the expansion of A is worth the effort. S
?A
t1
tm
tn
Fig. 79.18: Depth first analysis
(iv) Breadth first Here the symbols are processed first that are on the same level of expansion or reduction. As a consequence, the tree is filled in its entire width. This is a useful organization for a bottom-up analysis since all of the immediate constituents must have reached the same level and be complete with respect to their own constituents before they can be linked to a larger constituent. A stage in such a breadth-first analysis is illustrated by the tree in Figure 79.19. Both top-down analysis and bottom-up analysis have advantages and disadvantages. The advantages of top-down parsers result from the fact, that these parsers rely, in a sense, on expectations what comes next. The advantages of bottom-up parsers result from the fact that they are data-driven, i. e. they
1089
79. Parsing with Dependency Grammars
primary principle of control. If the parser moves from left to right, sentence boundaries may be crossed readily and entire texts can be parsed on-line.
S
A
B
t1
C
tn
Fig. 79.19: Breadth first analysis
will not expand a rule that will have no chance with respect to the actual input. The disadvantage is that a top-down parser may generate expansions that will never be met by the terminal elements while a bottom-up parser may construct constituents from terminal elements which are obsolete in the broader context. Ideally both principles should be combined, which is the case in some advanced parsers like the top-down chart parser with divided productions (Earley 1970, Aho/Ullman 1972, 320 f.) or the tablecontrolled shift-reduce parser (Aho/Ullman 1977, 198⫺248; Tomita 1986). The recognition strategies mentioned above can be carried over to dependency trees, although linguistically, the distinction means something different here. In the dependency framework, the fundamental recognition strategy is slot filling. Top-down analysis means proceeding from the governing to the dependent element while bottomup analysis proceeds from the dependent to the governing element. Whilst the first alternative can be said to be expectation-driven, both procedures are more or less data-driven, since all of the nodes in a dependency tree represent lexical elements. If you take the dependency approach, the nodes in the interior of the search tree in Figure 79.15 are also known in advance: there must be exactly one node for each word. What is unknown, are the links between the nodes. Searching for links can start at the top, at the bottom or anywhere in the middle of the tree and proceed in various directions. 2.5. Processing the input Another issue is how the parser proceeds through the input. The following possibilities exist, which can partly be combined. (i)
One-pass from left to right or from right to left In this case the transition of the parser from one position in the input to the next is the
(ii) Left-associative In addition to processing the input from left to right, it may be stipulated that the next constituent is accepted only if it is compatible with the analysis of the complete context on the left of it. A parser that checks this property is called left-associative. An incremental parser is one that connects new input with the left context on a word-by-word basis. It is not easy to fulfill the left-association requirement, especially in a dependency framework, but it is something worth striving for. A left-associative parser mirrors the incremental understanding of a sentence by humans, which is obviously very effective. (iii) Several passes Several passes through the input may occur, because other control principles guide the process. Cascaded applications of programs may create a series of intermediate representations. Each application replaces or adds something which is then the input to the next application. Principles, like “easy-first parsing” may be applied. Parsing with finitestate-transducers is an example (Abney 1996; Roche 1997). (iv) Proceeding non-continuously Processing the input may not be continuous at all but may start from several points in the input and proceed from there to the left and to the right. This kind of “island-parsing” is well-matched to the valency principle of dependency grammars: Start parsing with the main verb, then look for subjects and objects and so forth. Such a strategy could also be useful for partial parsing and information extracting tasks. Other parsers try to identify the edges of a constituent first and then fill the inner space, e. g. parsers that are built on top of a part-of-speech tagger (Ait-Mokhtar/ Chanod 1997). There is plenty room for inventions. 2.6. Handling of alternatives Alternatives occur while filling the search tree, because there is not (yet) enough context or because the input is ambiguous. If alternative transitions to the next state are possible in the course of parsing the following actions can be taken.
1090 (i)
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
Backtracking
The alternative grammar rules are processed one after the other. The path of one particular alternative is pursued as far as possible. Then the parser is set back to the last road’s fork and the path of the next alternative is tracked. This procedure is continued until all alternatives have been checked. The disadvantage of this method is the loss of all information gathered in course of paths that have been given up eventually. Since a branching of rules at a higher level does not imply that everything is different on the lower level, the same work might be done over and over again. (ii) Parallel-processing All alternatives are pursued simultaneously. As a consequence, the program’s control has to cope with several concurrent results or paths. If the hardware does not support real parallel processing, the steps within the parallel paths are in fact processed consecutively. Without further provisions this method is inefficient, because it always arrives at the worst case of checking all possible combinations. (iii) Well-formed substring table (chart) The parser stores all intermediate results in a data structure called “well-formed substring table” or “chart”. Each entry in the table contains an identification of an input segment, e. g. the positions of the segment’s start and end, and the information so far created by the parser for this particular segment, e. g. its grammatical category or even a complete parse tree. Every intermediate result can be re-used in any new combination. The parser checks for any new segment if it combines with any of the old segments in the chart. At the end of the execution the table should contain at least one segment that covers the whole input. The structural description associated with this segment is the parsing result. This organization guarantees that no work is done more than once. (iv) Rule filtering Another strategy is to reduce the number of alternatives when they arise. The choice of a rule of the grammar can be made dependent on various heuristics. For example, a table could be consulted, which contains all the derivable terminals given a particular non-terminal category. Additional attributes in the
grammar, including semantic features, may narrow down the applicable rules. (iv) Looking ahead Looking ahead is another kind of avoiding wrong decisions (Aho/Ullman 1977, 198⫺ 248; Hellwig 1989, 389 f.). The choice of a rule depends on the next k categories in the input beyond the segment to be covered by the rule. A function “first of follow” is necessary that yields all the first elements of all the constituents that can follow a given constituent according to the rules of the grammar. The idea is to delay the application of a rule until the next element occurs in the input that certainly cannot belong to the current construction. For example, the subject-NP in a sentence is constructed only after the first element of the VP has shown up. If there is only one possibility left, after taking into account the next k categories, the grammar has the LL(k) or LR(k) property and the parser can work deterministically. Obviously, natural languages as a whole do not have the LL(k) or LR(k) property, since ambiguity is their inherent feature. Nevertheless, it should be possible to process large portions of text deterministically if enough context is taken into account. (v) Probabilistic methods If there is a conflict, it is a reasonable action to try the most frequent rule first. The problem is the acquisition of frequency data for rule applications. Obviously, the frequencies of rules must be gathered from corpora automatically. Since this is impossible for highlevel intertwining rules, the common procedure is to simplify the grammar. In the extreme case, the syntactic relationships are reduced to n-grams, i. e. the sequences of n words or n categories. The frequency of ngrams can be counted in a corpus. Probabilistic parsing, then, is the task to compute the probability of a sentence by optimizing the probabilities of the contained n-grams. This method has certain merits in the framework of speech recognition. It has been noted however that statistics of lexical dependencies would be much more adequate than the simple n-gram model (Charniak 2001; Jurafsky, Martin 2000, 447 f.).
3.
Dependency parsing with a headmarked phrase structure grammar
Context-free phrase-structure grammars have been studied extensively since half a century and efficient parsing algorithms are available
1091
79. Parsing with Dependency Grammars Rules: (R-1) '(R-2) (R-3) (R-4) (R-5) (R-6) (R-7) (R-8)
Lexicon: S NP NP NP NP VP VP GP
J J J J J J J J
NP ⫹ VP Noun Det ⫹ Noun Adj ⫹ Noun Pron Vt ⫹ NP Vtger ⫹ GP Ger ⫹ NP
Det Adj Noun Noun Pron Vt Vtger Ger
⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽
{the, their} {loving, hating, annoying, visiting} {relatives, students, professors} {love, hate} {they} {love, hate, annoy, visit} {love, hate} {loving, hating, annoying, visiting}
Fig. 79.20: A grammar fragment of English
for them. Could the existing parsing technology for phrase structures be utilized for dependency parsing as well? The goal of this chapter is to settle this question. One way of understanding a theory is by observing how it functions in practice. Therefore the following presentation takes the form of examples. The grammar fragment in Figure 79.20 covers ambiguous sentences like the one in Figure 79.4. (3)
students hate annoying professors
The parser must reconstruct the derivation of the sentence from the starting symbol S on the basis of the rules in Figure 79.20. Possible recognition strategies are top-down, bottomup, depth-first, and breadth first. Alternatives can be handled by backtracking, parallel processing, a well-formed substring table or looking-ahead. 3.1. Top-down recognition A top-down depth-first phrase-structure parser with backtracking can be implemented as follows (Aho/Ullman 1972⫺73, 289 f.). The core is a working space for replacements according to the rules of the grammar. At the beginning the working space just contains the starting symbol. A position variable points to the first word in the input. There is an empty stack for “snapshots” and a key for recording successfully applied rules called “parse key”. Two procedures make up the parser: expansion and recognition. Top-down phrase-structure backtracking
parser
same symbol then put a snapshot of the current state on a stack. The snapshot consists of the current derivation in the working space, the current word position, the parse key, and the next rule to try in case of a dead-end. Repeat the expansion as long as there is a rule for expanding the new leftmost symbol. If there is no rule any more then try Recognition. Recognition: If the leftmost symbol in the working space is the same as the lexical category of the word at the current position then remove the symbol from the working space, move the position to the next word, and try Expansion for the new leftmost symbol. If the symbol in the working space cannot be recognized, a former rule application might have been incorrect. Therefore, restore the state recorded in the most recent snapshot, that is, store the old derivation in the working space, set the current position to the old position, and restore the old parse key. Remove the last snapshot from the stack and then try the next rule for Expansion. If the end of the input is reached and the working space is empty then output the parse key. If the working space is not empty then a former decision might have been wrong. In this case backtracking is necessary. The same is true if more than one result is possible due to ambiguous input. Restore previous states as long as there is still a snapshot on the stack.
with
Expansion: Loop through the rules. If the leftmost symbol in the working space is the same as the symbol on the left hand side of the rule then replace the symbol in the working space by the symbols on the right hand side of the rule. Add the number of the applied rule to the parse key. If a subsequent rule in the grammar starts with the
Consulting the lexicon for sentence (3) yields the following, partly ambiguous, categories: (4)
Noun ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ Noun
The stages of the parser while processing input (4) are illustrated in Figure 79.21. The last row of Figure 79.21 is in fact not the end of the parsing process. In order to
1092
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
P Category at P
Derivation
Parse key
Explanation
1 1 1 2 2 3 3 3 3 3 3 4 5
S NP ⫹ VP Noun ⫹ VP VP Vt ⫹ NP NP Noun NP Det Noun NP Adj Noun Noun ⫺
⫺ 1 1,2 1,2,* 1,2,*,6 1,2,*,6,* 1,2,*,6,*,2 1,2,*,6,* 1,2,*,6,*,3 1,2,*,6,* 1,2,*,6,*,4 1,2,*,6,*,4,* 1,2,*,6,*,4,*,*
start snapshot 1; expansion R-1 expansion R-2 “Noun” recognized snapshot 2; expansion R-6 “Vt” recognized snapshot 3; expansion R-2; recognition fails backtracking, restore snapshot 3 snapshot 3; expansion R-3; recognition fails backtracking, restore snaphot 3 expansion R-4 “Adj” recognized “Noun” recognized; first result found
Noun Noun Noun Vt/Vtger Vt/Vtger Adj/Ger/Noun Adj/Ger/Noun Adj/Ger/Noun Adj/Ger/Noun Adj/Ger/Noun Adj/Ger/Noun Noun Noun
Fig. 79.21: Stages of a top-down depth-first phrase-structure parser with backtracking (S) (S (NP) (VP)) (S (NP (Noun students)) (VP)) (S (NP (Noun students)) (VP (Vt hate) (NP))) (S (NP (Noun students)) (VP (Vt hate) (NP (Adj annoying) (Noun professors))))
1 1,2,* 1,2,*,6,* 1,2,*,6,*,4,*,*
Fig. 79.22: Generation of a phrase structure description
find the second reading of sentence (3) the parser has to backtrack to snapshot 2 und try another VP-expansion. The described algorithm consumes the input categories from left to right until the workspace is empty. It is a pure recognition algorithm. In order to output a structural description of the input sentence, we chose to maintain a key consisting of the numbers of the successfully applied rules. A parse tree can be generated by expansion of the start symbol according to these rules. Figure 79.22 illustrates the generation of a structural description for the key [1,2,*,6,*,4,*,*]. An asterisk in the key denotes lexical substitution. Schematic backtracking is the least efficient strategy. The same result can be reached more effectively by other top-down parsers, e. g. the Early chart parser, Kuno’s Predictive Analyzer or Augmented Transition Networks (ATN), to name only a few (cf. Hellwig 1989; Lombardo/Lesmo1996). 3.2. Bottom-up recognition The opposite of the top-down depth-first strategy is the bottom-up breadth-first strategy. A simple algorithm for the latter is the following (Dietrich/Klein 1974, 70 f.). Bottom-up breadth-first Parser Reduction: Start with a record containing the sequence of categories assigned to the
words in the input. This is the current record. Loop through all rules. The rightmost symbol on the right hand side of the rule is called the “handle”. Loop through all symbols in the current record. If the handle is equal to a symbol in the record, then check if the rest of the symbols in the rule matches with symbols in the record. If so, then create a new record with the matching symbols replaced by the symbol on the left side of the rule. Any new record that is identical to an existing one is discarded. As long as new records have been created in the course of reductions, make one after the other the current record and try the Reduction procedure on them. Parsing is successful if at the end at least one of the records contains the start symbol alone. Figure 79.23 displays the records created for the same input and using the same grammar as in the top-down example above. Immediate constituents are put into brackets rather than being replaced in Figure 79.23. The bracketed representation can serve as a complete structural description at the end of the procedure. All expressions in brackets are supposed to be invisible to the algorithm, though. The records marked by an asterisk in Figure 79.23 are discarded because they already
1093
79. Parsing with Dependency Grammars No.
Reduction:
Rule:
Applied to:
1 2 3 4 5 * 6 * 7 * 8 9 10 * * 11 12 13
Noun ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ Noun NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ Noun Noun ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ NP (Noun) Noun ⫹ Vt/Vtger ⫹ NP (Adj ⫹ Noun) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ NP (Noun) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ NP (Noun) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ NP (Adj ⫹ Noun) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ Adj/Ger/Noun ⫹ NP (Noun) Noun ⫹ Vt/Vtger ⫹ GP (Ger ⫹ NP (Noun)) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ NP(Adj ⫹ Noun) Noun ⫹ VP (Vt ⫹ NP (Adj ⫹ Noun) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ GP (Ger ⫹ NP (Noun)) NP (Noun) ⫹ VP(Vt ⫹ NP (Adj ⫹ Noun)) NP (Noun) ⫹ Vt/Vtger ⫹ GP (Ger ⫹ NP (Noun)) NP (Noun) ⫹ VP (Vt ⫹ NP (Adj ⫹ Noun) NP (Noun) ⫹ VP (Vtger ⫹ GP (Ger ⫹ NP (Noun))) S (NP (Noun) ⫹ VP(Vt ⫹ NP (Adj ⫹ Noun))) S (NP (Noun) ⫹ VP (Vtger ⫹ GP (Ger ⫹ NP (Noun))))
⫺ 2 2 4 2 2 4 2 8 2 6 8 6 2 2 7 1 1
⫺ 1 1 1 2 2 2 3 3 4 4 5 6 7 8 9 10 12
Fig. 79.23: Records of a bottom-up breadth-first parser
exist. Creating, checking and discarding useless records is time consuming. Hence this type of a parser can not be recommended in practice. The same result can be produced more efficiently by other bottom-up parsers, e. g. the Cocke-Kasami-Younger chart parser or the Tomita table-controlled shift-reduce parser with look-ahead (cf. Hellwig 1989). 3.3. Creating dependency output It is possible to create dependency output with constituency parsers. The precondition is a head-marked phrase structure grammar (Hays 1966, 79). In Figure 79.20, the constituents which we regarded as heads have been printed in bold. In principle, a dependency structure emerges if the node of each head-marked immediate constituent in a constituency tree is moved up and replaces the dominating node while all other relationships are kept intact. Another option is the direct construction of dependency output on the basis of the Rules: (R-1) (R-2) (R-3) (R-4) (R-5) (R-6) (R-7) (R-8)
parse key. For this purpose we reformulate the grammar of Figure 79.20 resulting in Figure 79.24. This grammar consists of normal production rules with terminals and non-terminals. The arrow denotes constituency. The symbols on the right hand side reflect the concatenation of constituents. Brackets, however, have a special meaning. They denote subordination in the sense of dependency. The phrase structure parser ignores these brackets. When the output is created on the basis of the parse key, the bracketing is observed. Let us use the parse key [1,2,*,6,*,4,*,*] generated in Figure 79.21. Figure 79.25 illustrates the replacements according to our reformulated grammar yielding a dependency description of sentence (3). Obviously a dependency structure can be produced by applying a mapping function to the output of phrase structure parsers. Can all that is known about efficiency and comLexicon:
S NP NP NP NP VP VP GP
J J J J J J J J
(NP) VP Noun (Det) Noun (Adj) Noun Pron Vt (NP) Vtger (GP) Ger (NP)
Det Adj Noun Noun Pron Vt Vtger Ger
⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽ ⫽
Fig. 79.24: A phrase structure grammar indicating dependencies
{the, their} {loving, hating, annoying, visiting} {relatives, students, professors} {love, hate} {they} {love, hate, annoy, visit} {love, hate} {loving, hating, annoying, visiting}
1094
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
Replacement:
Parse key:
S (NP) VP (Noun) VP (Noun students) (Noun students) (Noun students) (Noun students) (Noun students) (Noun students)
⫺ 1 2 * 6 * 4 * *
VP Vt (NP) Vt hate (NP) Vt hate ((Adje) Noun) Vt hate ((Adje annoying) Noun) Vt hate ((Adje annoying) Noun professors)
Fig. 79.25 Generation of a dependency structure
plexity of phrase structure parsers be applied to the task of dependency parsing then (Fraser 1989, 297)? The answer is likely to be yes for rule-based dependency grammars. They seem to be equivalent to head-marked phrase structure grammars. Further experiments with this type of grammar and how it fits with the known algorithms are desirable.
4.
Parsing with a lexicalized dependency grammar
True dependency analysis is akin to a wordoriented view on syntax rather than to a sentence-oriented one. That is why a lexicalized grammar with complement slots seems more appropriate for specifying dependencies than production rules. This chapter presents a bottom-up chart-based parser for this type of grammars. The example adheres to the notation of Dependency Unification Grammar (DUG; Hellwig 2003), but there are several similar approaches, for example Covington’s dependency parser for variable-word-order languages (Covington 1990) and McCords Slot Grammar (McCord 1990). 4.1. Resources From the perspective of DUG, dependency is a relationship between heads and complements. Heads are usually single words; com-
plements may be structured, consisting of heads and complements in turn. Suppose the following sentence has to be parsed (compare HSK 25.1, Figure 44.1): (5)
the robot picks up a red block
Fig. 79.26 illustrates the structure that is imposed by a DUG on the string of words in (5). A dependency structure implies a constituency structure. Any head together with its dependents forms a constituent. The constituents of sentence (5) are depicted in Figure 79.26 by square boxes. In the DUG notation, what is surrounded by matching brackets is a constituent. The parser starts with collecting the available information about the particular words in the input. Figure 79.27 displays the grammatical categories provided in the morphosyntactic lexicon: Since each word is looked up in isolation it may be morpho-syntactically ambiguous. That is why there are disjuncts of features in the specifications, e. g. number[singular, plural]. Usually these disjuncts dissolve in the course of the parsing process. In addition to the paradigmatic categories associated with each word in Figure 79.27, the parser needs information about the possible syntagmatic relationships between the
picks
robot
the
up
block
a
red
Fig. 79.26: Dependency structure as a relationship between heads and complements
1095
79. Parsing with Dependency Grammars No.
Description:
1 2 3 4 5 6 7
(string[the] lexeme[definite’] category[determiner] number[singular, plural] determined[⫹]) (string[robot] lexeme[robot] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺]) (string[picks] lexeme[pick] category[verb] form[finite] tense[present] voice[active] person[he,she,it] ) (string[up] lexeme[up] category[particle]) (string[a] lexeme[indefinite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹] vowel[⫺]) (string[red] lexeme[red] category[adjective] use[attributive, predicative] vowel[⫺]) (string[block] lexeme[block] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺])
Fig. 79.27: Morpho-syntactic categorization of the words in the example
words. A way to picture a syntagmatic relationship is the assumption of a head that opens up a slot for a dependent. The words in Figure 79.26 are such heads, the square boxes can be seen as slots, and each arrow represents a relationship between one head and one slot. The task of the parser is simply to insert fillers into slots if they fit. This process has to be repeated recursively until all words and word groups have found a slot and all mandatory slots have found a filler. If the parser is to follow this strategy, all relevant properties of heads and dependents of any syntagmatic relation must be specified. This can be done in form of so-called templates. template [+subject]:
category[verb] form[finite,subjunctive] s_position[6]
role[subject] category[noun] person[C] determined[+] s_position[4])) Fig. 79.28: A template for a dependency relation
The template in Figure 79.28 can be paraphrased as follows: “If there is a finite or subjunctive verb in a virtual sixth position in the sentence then there may be a phrase which depends on the verb and is headed by a noun in the virtual fourth position of the sentence. The noun phrase is functioning as the subject, the phrase must be congruent with the verb with respect to person and it must be determined, for example by inclusion of a determiner.” Templates are partial specifications of trees. The set of trees that conform
to this partial specification form a syntactic equivalence class (Sikkel 1997, 69) Figure 79.29 comprises all the templates needed for parsing sentence (5). The name of each template is included in the head term. A tag at the beginning of the slot term denotes the left or right adjoining of the filler. Various types of slots may be distinguished. The rest of the attributes describe properties of the head and the dependent constituent. Not all of the attributes are context-free. For example, the position of various phrases in the sentence (s_position) and the position of the words in a noun phrase (n_position) can not be handled by a context-free automation, but they can be easily checked by a computer. The templates must be associated with the lexeme and reading attribute of each word. In this way the combination capabilities of individual words are described. The data structure for this purpose is called “syntactic frame”. Figure 79.30 contains the syntactic frames needed for the example. DUG distinguishes between complements and adjuncts. A complement specified in a syntactic frame indicates that a certain dependent is expected in the environment of the given word. An adjunct template in a frame means that the given word can itself be made dependent of another word as an adjunct. So far, the parser is equipped with a grammar consisting of a morpho-syntactic lexicon, a set of templates, and a lexicon of syntactic frames. Next, we introduce a wellformed substring table or chart for keeping track of the parser’s actions and for storing intermediate results. Figure 79.31 illustrates the state of the chart after the lexicon has been consulted. Each row in the chart refers to a smaller or larger segment of the input. At the beginning, the chart contains as many rows as there are readings of words in the input. The columns contain information associated with each segment. Let us assume that the numbers in the first column refer to the linguistic
1096
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
a) Templates for subject, particle of phrasal verbs and direct objects (template[⫹subject] category[verb] form[finite,subjunctive] s_type[statement] s_position[6] (< slot[regular] role[subject] category[noun] person[C] determined[⫹] s_position[4])) (template[⫹phrasal] category[verb] s_position[6] (> slot[regular, select] role[phrasal_part] category[particle] s_position[14,19])) (template[⫹dir_object] category[verb] voice[active] s_position[6] (> slot[regular] role[dir_object] category[noun] determined[⫹] s_position[17]))
b) Template for determiners of singular count nouns (template[%dete_count_singular] category[noun] noun_type[count] number[singular] n_position[10] (< slot[adjunct] role[determination] category[determiner] number[singular] determined[C] n_position[2]))
c) Template for the Determiner a/an (template[%dete_count_singular_a] category[noun] noun_type[count] number[singular] n_position[10] (< slot[adjunct] role[determination] category[determiner] number[singular] determined[C] vowel[C] n_position[2]))
d) Template for adjectives (template[%attr_adj] category[noun] n_position[10] (< slot[adjunct, multiple] role[attribute] category[adjective] use[attributive] vowel[C] n_position[6])) Fig. 79.29: A sample of templates
(lexeme[pick] reading[lift] (complement[⫹phrasal] lexeme[up]) (complement[⫹subject]) (complement[⫹dir_object])) (lexeme[definit’] (adjunct[%dete_count_singular, %dete_count_plural, %dete_non_count])) (lexeme[indefinit’] (adjunct[%dete_count_singular_a)) (lexeme[red] (adjunct[%attr_adj])) Fig. 79.30: Syntactic frames assigned to the lexemes and readings of the words
No.
Input segment:
L
R
H
F
Template used:
1 2 3 4 5 6 7
the robot picks up a red block
1 2 3 4 5 6 7
1 2 3 4 5 6 7
⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺
⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺
⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺ ⫺
Fig. 79.31: The chart after the words in the example have been read
79. Parsing with Dependency Grammars
descriptions of the segments. At the beginning these are the ones extracted from the morpho-syntactic lexicon and displayed in Figure 79.27. Two rows are provided for storing the left (L) and the right (R) boundary of the segments in terms of a word count. Two more rows show the original head (H) and the original filler (F) from which the segment in question has been composed. The template used for joining the slot and the filler is displayed in another row. 4.2. Bottom-up slot-filling The task of fitting fillers into slots until the final dependency structure emerges can be organized in many ways. We chose a program architecture that has the potential for parallel processing. It consists of four processes that can be executed in parallel and are connected via message queues: the Scanner, the Predictor, the Selector, and the Completer. The algorithms for these processes are roughly the following. Bottom-up slot-filling chart parser Scanner: Read the input text until the end of file. Divide the input text into elementary segments according to the strings stored in the morpho-syntactic lexicon (multi-word lexical entries are possible). Save the description for each reading in the lexicon associated with each particular segment and register it in the chart. Send the identification of each new item to the Predictor. Predictor: As long as the receiving queue is not empty, read an item (and remove it from the queue). Extract the lexeme from the corresponding description and retrieve all syntactic frames available for the lexeme in question. Inspect all the templates that are mentioned in each frame. Compare the constraints in the template with the information collected by the Scanner. If the lexical attributes and the attributes in the template contradict each other then discard the template, otherwise merge the attributes of both sources. If the procedure is successful, it results in a lexically instantiated template: Slots are subordinated to the individual lexeme in the case of complements. A virtual head is superordinated to the individual lexeme in the case of an adjunct. The device may result in a disjunction of descriptions due to competing syntactic frames and competing templates. Store the
1097 augmented description, update the registry in the chart and send the identification of each item to the Selector. Selector: As long as the receiving queue is not empty, read an item (and remove it from the queue). Search for entries in the chart whose segments are promising candidates for mutual combination with the given segment. As long as continuous combination is requested, a candidate segment is promising if the position of its rightmost word (R) is equal to the leftmost word (L) of the given segment minus one. Send the identifications of the resulting pairs of chart entries to the Completer. Note that the receiving queue of the Selector is fed by both the Predictor and the Completer process. The former introduces lexical segments; the latter submits composed segments for further combination. In this way the slot-filling activity is recursive. Completer: As long as the receiving queue is not empty read a pair of chart entries (and remove it from the queue). Try to combine the descriptions of both segments according to the following slot-filling device. Inspect the descriptions associated with both chart entries for slots. If a slot is found then check whether the description of the other chart entry meets the specified filler requirements. If there are unfilled obligatory slots in the filler description then discard this candidate right away. Apply the unification method appropriate to each attribute while comparing slot and filler and while checking the agreement of filler and head. If filler fits into a slot and if the agreement constraints (symbol C in the templates) are satisfied then form a new description in which the filler description replaces the slot. Remove all slots from the head that are alternatives to the slot just filled. Save the new description and register it in the chart. The value of L in the new row is the L-value of the left segment, the value of R in the new row is the R-value of the right segment. Check whether the segment spans the whole input. If this is the case then output the description. Otherwise pass the chart entry of the new segment to the Selector. The chart that results from processing the example is shown in Figure 79.32. The descriptions connected with the chart entries are displayed in Figure 79.33. The filler portion of
1098
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
No.
Input segment:
L
R
H
F
Template used:
8 9 10 11 12 13
The robot The robot picks The robot picks up Red block a red block The robot picks up a red block
1 1 1 6 5 1
2 3 4 7 7 7
2 3 9 6 11 10
1 8 4 7 5 12
% dete_count_singular ⫹subject ⫹phrasal % attr_adj % dete_count_singular_a ⫹dir_object
Fig. 79.32: The chart at the end of the slot-filling process
No.
Description:
8
(string[robot] lexeme[robot] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺] determined[⫹,U] n_position[2,10] (< role[determination] string[the] lexeme[definite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹,C] n_position[2]))
9
(string[picks] lexeme[pick] category[verb] form[finite] tense[present] voice[active] person[he,she,it] s_ type[statement] s_position[4,6] (< string[robot] role[subject] lexeme[robot] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺] determined[⫹,U] n_position[2,10] s_position[4] (< role[determination] string[the] lexeme[definite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹,C] n_position[2])))
10
(string[picks] lexeme[pick] category[verb] form[finite] tense[present] voice[active] person[he,she,it] s_ type[statement] s_position[4,6,14] (< string[robot] role[subject] lexeme[robot] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺] determined[⫹,U] n_position[2,10] s_position[4] (< role[determination] string[the] lexeme[definite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹,C] n_position[2])) (> string[up] role[phrasal_part] lexeme[up] category[particle] s_position[14]))
11
(string[block] lexeme[block] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺] n_position[6,10] (< role[attribute] string[red] lexeme[red] category[adjective] use[attributive] vowel⫺,C] n_ position[6]))
12
(string[block] lexeme[block] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[-] determined[⫹,U] vowel[⫺,U] n_position[2,6,10] (> role[determination] string[a] lexeme[indefinite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹,C] vowel[⫺,C] n_position[2]) (< role[attribute] string[red] lexeme[red] category[adjective] use[attributive] vowel[⫺,C] n_ position[6]))
13
(string[picks] lexeme[pick] category[verb] form[finite] tense[present] voice[active] person[he,she,it] s_ type[statement] s_position[4,6,14,17] (< string[robot] role[subject] lexeme[robot] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺] determined[⫹,U] n_position[2,10] s_position[4] (< role[determination] string[the] lexeme[definite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹,C] n_position[2])) (> string[up] role[phrasal_part] lexeme[up] category[particle] s_position[14]) (> role[dir_object] string[block] lexeme[block] category[noun] noun_type[count] number[singular] person[it] vowel[⫺] determined[⫹,U] vowel[⫺,U] n_position[2,6,10] s_ position[17] (< role[determination] string[a] lexeme[indefinite’] category[determiner] number[singular] determined[⫹,C] vowel[⫺,C] n_position[2]) (< role[attribute] string[red] lexeme[red] category[adjective] use[attributive] vowel[-,C] n_position[6])))
Fig. 79.33: Dependency descriptions associated with the chart entries
1099
79. Parsing with Dependency Grammars
each description is underlined. Entry 13 in the chart is the one that indicates a complete coverage of the example sentence. The corresponding structure 13 in Figure 79.33 is the desired result of the parser. 4.3. Enrichments At first sight a slot-and-filler parser has many advantages. As opposed to most parsers, the number of rules/slots that must be checked is independent of the size of the grammar. It depends solely on the number of templates assigned to the encountered words. The parser is data-driven and expectation-driven at the same time, or more precisely, even its expectations are data-driven. It is easy to draw up lingware in the DUG framework. Complement and adjunct descriptions are modular, so few side effects are to be expected from the addition of more descriptions to the system. How about the coverage? There are properties of natural languages that cannot be represented by simple dependency trees. Flexible word order, scope, discontinuity, coordination, ellipsis, nucleus, raising, scrambling and other syntactic phenomena require an enrichment of the trees by additional attributes (see Hellwig 2003). The result is an attribute grammar (Knuth 1968, Van Wijngaarden 1969, Pagan 1981) whose generative capacity is gradually extending into the context-sensitive area. The algorithm for each attribute must be built in the parser. The implementation may be similar to “agents” or “word experts”. Neuhaus/Bröker (1997) point out that the complexity of parsing non-projective dependency structures is in principle NP-complete. However, the implementation of attributes in form of agents opens up the possibility of introducing all kinds of heuristics which are likely to result in polynomial costs. Word Expert Parsing (Small/Rieger 1982; Small 1987) deserves to be mentioned here once more. Word Experts are kind of a procedural variant of dependency parsing. Parsing is conceived as a distributed process of interacting words. Each word is connected with an expert process. Processes communicate with each other in some organized way. The most advanced system of this sort for German is ParseTalk (Bröker/Hahn/Schacht 1994). A weakness of lexicalized dependecy parsers is the lack of a sentence prefix, i. e. a completely recognized string from the beginning of the sentence up to the word that is to
fill a slot. Fillers often occur in a sentence before a slot is available, which impedes an incremental slot-filling. The design of incremental parsers for dependency grammars is still a challenge (cf. Lombardo 1992; Daum 2004; Nivre 2004).
5.
Surface dependency parsing
One must admit that the kind of parsers we described in the previous chapters is not the focus of attention nowadays. Speech recognition and text retrieval are the areas that are most important today in commercial applications. Programs in these environments must be robust and fast. Preferably the analysis is shallow and planar. Speech recognition should proceed word by word without interruption. Text retrieval searches for information in large amounts of running text. Many researchers try to achieve these goals with statistical methods. In this chapter we will check how the dependency approach accommodates to this kind of surface-oriented language processing. 5.1. Finite-state recognizers and transducers The first choice for a fast linear recognizer of character strings is a finite-state automaton (FSA). The basic idea of such an automaton is the simultaneous advancement within two symbol sequences: the character string in the input and a pattern stored in the computer. The pattern is often represented as a network. The arcs of the network denote input units, the nodes of the network represent states of the parser in the course of inspecting the input. The arcs define under what conditions the parser is allowed to move from one state to the next. (Aho/Sethi/Ullman 1986, 183 f.). The network of states is kind of a flowchart of the program. The patterns for an FSA can also be represented declaratively in form of so-called regular expressions. A regular language is the type of language generated by a regular grammar (Chomsky’s hierarchy Type 3). Regular expressions are a way to formulate such a grammar. There are algorithms to transform regular expressions into the transition table of an FSA. This is an instance of a compiled parser illustrated in Figure 79.3. Parsing with an FSA is favorable, because any non-deterministic FSA can be transformed into a transition network that can be processed deterministically (Aho/Sethi/Ullman 1986, 117 f., 132 f.). In a non-determinis-
1100
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung
tic environment, costly backtracking devices are needed in order to recover from a deadend, if a wrong decision has been made. In contrast, at any state of a deterministic procedure the next step is totally clear, given the next symbol in the input. A parser of this type performs recognition in linear time while others need cubic time at best. J J J J
(1)
NP NP NP NP
(2)
{Det? Adj* N 兩 Pron}
(3)
1 1 1 1 2 2
Noun Det ⫹ Noun Adj ⫹ Noun Pron Det Adj N Pron Adj N
2 2 3/e 3/e 2 3/e
Fig. 79.34: A deterministic recognizer for noun phrases
Figure 79.34 (1) displays the four NP-rules of the grammar fragment in Figure 79.20. These four rules are re-phrased as a single regular expression in (2). This regular expression is transformed into a deterministic state-transition table in (3). Each row in the table indicates a starting state, a condition, and a target state. The algorithm for a deterministic recognizer is very simple. Deterministic Recognizer Transition: Check the transition table for a row with the actual state as the starting state and the category of the word in the actual position as the condition. Make the target state the actual state, increase the current position by one and repeat Transition, until the end of the input is reached. If the end of the input is reached and the automaton is in an ending state (denoted by “/e” in Figure 79.34) then accept the input. Reject the input otherwise. Of course natural languages are not regular. They include embedding, long-distance agreement and ambiguity which cannot be coped with by FSAs. Nevertheless, applications like speech recognition and text retrieval are an incentive to approximate a deterministic behavior of the parsers. At present, many researchers are pinning their hopes on finite-state transducers (FST) to reach this goal.
An FST is a finite-state transition network with transitions labeled by pairs of symbols (u:l). In contrast to a finite-state recognizer, an FST produces output while scanning the input. We ignore bi-directional mapping for the moment, so u in the transition label denotes characters in the input and l denotes characters in the output. l includes a symbol for the empty string. The number of characters or strings on both sides in the pair need not to be the same. A finite-state transducer maps between two regular languages. A transduction is valid only, if the string on the input side takes the finite-state transducer to a final state. In the simplest case, a transducer is used to output a structural description or some other result if the parser is a finite-state recognizer. However, transducers can be arranged in “cascades”. The subsequent transducer takes the output of the previous one as input. The output of cascaded transducers may be equivalent to the expansion or reduction of production rules. Hence, cascaded FST are at least as power-full as context-free grammars (Laporte 1996, Abney 1996). This is not exciting, because any classical parser processes each of its intermediate derivations in an FSA fashion. FSTs are attractive, because they focus on the word stream rather than on the hierarchical structure. Parsing viewed as string transformation is appealing when scanning large amounts of text is the task. A parser that in the first place inserts labels into the input stream fits in well with the current SGML/ XML markup of documents. Often the document has been pre-processed by a part-ofspeech tagger and the goal is now to annotate larger segments and to classify them by syntactic functions. The properties of FSTs are well-matched with the present tendency towards lexicalized phrase structure grammars. Most FSTs nowadays use regular expressions that in one way or the other contain explicit words. An example is Roche’s transducer (Roche 1997). (6)
John thinks that Peter kept the book.
(7)
(S (N John N) thinks that (S (N Peter N) kept (N the book N) S) S)
(7) is the expected output of Roche’s transducer for sentence (6). The point of departure is a syntactic dictionary. The entries needed for example (6) are displayed in Figure 79.35. Each entry in the dictionary is turned into a separate transducer, which contains a regular
1101
79. Parsing with Dependency Grammars N thinks that S N kept N John Peter the book
analysis can be reassigned when more information is available. Pattern precision should be kept high, though. Aı¨t-Mokhtar/Chanod (1997) hold that the ordering of transducers is in itself a genuine linguistic task.
S S N N N
Fig. 79.35: Fragment of a syntactic dictionary
expression for the input, made up from the left column of the dictionary, and a pattern for the output. The corresponding transducers are listed in Figure 79.36. Parsing simply consists of applying all the transducers on the input string and then checking if the output is different from the input. If it is, then the output is turned into the input and the set of transducers is applied to the string again. We don’t go into details here. It is easy to see how example (6) is turned into the tagged sentence (7) with this method. Lexicalized cascaded transducers are an interesting variant of the G3-type of grammars, which we associated with lexicon-based constituency grammars in section 2.3 above. Regular expressions might have advantages in describing the units of lexicalized constituency grammars, as compared to the hierarchically structured categories of categorial grammar. A huge amount of material of the type needed for lexicalized FSTs has been collected for French by Maurice Gross and his group at LADL (now domiciled at the University of Marne-la-Valee´). His lexicon-grammar consists of so-called sentence forms drawn from very fine-grained classifications of verbs, including the frozen parts in idioms or support verb constructions (Gross 1984). At present a lot of efforts are spend to refine the methods of FST-parsing (Laporte 1996; Ellworthy 1999; Oflazer 2003.) The FST technique gives much freedom to heuristics. One principle is doing the easiest tasks first, e. g. marking apparent beginnings and endings of syntactic units first. Parsing proceeds by growing islands of certainty. Containment of ambiguity is possible. A former Tthinks_that Tkept_N TJohn TPeter Tthe book
[S a thinks that b S] [S a kept b S] [N John N] [N John N] [N the book N]
Fig. 79.36: A list of transducers
J J J J J
5.2. Link grammar parsing It is easy to see that the lexicalized transducers mentioned above exploit dependency relations. Why don’t we base surface parsing on a dependency grammar right away? Figure 79.37 illustrates a view on dependency that is focused on the stream of words. that-comp subj
obj
John thinks NNP VBP
subj
that Peter IN NNP
kept VBN
obj det the DT
book NN
Fig. 79.37: Dependency relations projected onto the word stream
Dependencies in Figure 70.36 are classified by grammatical functions. Part-of-speech tags have been added, as it is usual in many applications. The tags in the example stem from the Penn Treebank Project (http:// www.cis.upenn.edu/~treebank/home.html). The arcs in Figure 79.37 lead from the dependent to the dominating word, rather than the other way around as in dependency trees. This is favorable for the following reason. If dependency relations are encoded bottom-up then each word has to be provided with exactly one link. The stream of words and the syntactic tagging can be made completely planar, as it is shown in Figure 79.38. John thinks that Peter kept the book
Fig. 79.38: Tagging words with dependency information
(S[N a N] that [S b S] S) (S [N a N] [N b B] S) (N John N) (N John N) (N the book N)
1102
VIII. Dependenz in der maschinellen Sprachverarbeitung I
+ +
Qd
LEFT-WALL
+
SIs
can.v
MVpn
+
+
+ Ox
+
he
see.v
me
+
today
Fig. 79.39: An output of the link grammar parser
Dependency links between words in a linear sequence are a characteristic feature of Dick Hudson’s Word Grammar. According to Hudson, the advantage of dependency analysis is its total flatness. It is a fact that surface dependency analysis can always be translated into a phrase structure. But exactly this fact is the proof that non-terminal phrase structure categories are superfluous (Hudson 2003, 520). An advanced implementation of surface dependency parsing is the freely available Link Grammar Parser developed by Daniel Sleator, Davy Temperley and John Lafferty (Sleator/Temperley 1993). Figure 79.39 is the output of their online parser for sentence (8). (8)
parsing example (8). Curly brackets denote optionality. can.v: SI⫹ & {Q-} & I⫹ he: SIssee.v: I- & O⫹ & {MV⫹} me: Oxtoday: MVpnFig. 79.40: Example of lexicon entries
The task of the parser is to check the expectations expressed by the connectors in the lexicon and to form a link if the connectors of two words fit in the actual constellation.
can he see me today
The parser creates labeled links connecting pairs of words. The inventory of links reflects a wide variety of syntactic constructions, including many rare and idiomatic ones. In the example, SI connects subject nouns to finite verbs in subject-verb inversions; O connects verbs to their objects; I connects infinite verb forms to modal verbs; MV connects verbs to adverbs that follow; Q connects the wall to the auxiliary in simple yes-no questions. The “wall” is an artificial construct marking the beginning of the sentence. It is treated like a word. The labels can be varied by lower-case subscripts. Labels without subscripts match with labels with subscripts; labels with subscripts match with each other. s stands for singular, pn for pronoun, d for decision question, and x for pronouns as object