Das BUCH der Beweise [3. Aufl.] 9783642022586, 9783642022593 [PDF]

Diese deutlich erweiterte dritte deutsche Auflage von "Das BUCH der Beweise" enthält fünf neue Kapitel, in den

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Table of contents :
Front Matter....Pages I-VII
Front Matter....Pages 1-1
Sechs Beweise für die Unendlichkeit der Primzahlen....Pages 3-6
Das Bertrandsche Postulat....Pages 7-13
Binomialkoeffizienten sind (fast) nie Potenzen....Pages 15-18
Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat....Pages 19-25
Das quadratische Reziprozitätsgesetz....Pages 27-34
Jeder endliche Schiefkörper ist ein Körper....Pages 35-39
Einige irrationale Zahlen....Pages 41-47
Drei Mal π 2 /6....Pages 49-57
Front Matter....Pages 59-59
Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern....Pages 61-70
Geraden in der Ebene und Zerlegungen von Graphen....Pages 71-76
Wenige Steigungen....Pages 77-82
Drei Anwendungen der Eulerschen Polyederformel....Pages 83-89
Der Starrheitssatz von Cauchy....Pages 91-95
Simplexe, die einander berühren....Pages 97-101
Stumpfe Winkel....Pages 103-109
Die Borsuk-Vermutung....Pages 111-117
Front Matter....Pages 119-119
Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese....Pages 121-138
Ein Lob der Ungleichungen....Pages 139-146
Der Fundamentalsatz der Algebra....Pages 147-149
Ein Quadrat und viele Dreiecke....Pages 151-159
Front Matter....Pages 119-119
Ein Satz von Pólya über Polynome....Pages 161-167
Ein Lemma von Littlewood und Offord....Pages 169-172
Der Kotangens und der Herglotz-Trick....Pages 173-178
Das Nadel-Problem von Buffon....Pages 179-182
Front Matter....Pages 183-183
Schubfachprinzip und doppeltes Abzählen....Pages 185-196
Wenn man Rechtecke zerlegt....Pages 197-201
Drei berühmte Sätze über endliche Mengen....Pages 203-208
Gut genug gemischt?....Pages 209-219
Gitterwege und Determinanten....Pages 221-226
Cayleys Formel für die Anzahl der Bäume....Pages 227-233
Identitäten und Bijektionen....Pages 235-240
Vervollständigung von Lateinischen Quadraten....Pages 241-248
Front Matter....Pages 249-249
Das Dinitz-Problem....Pages 251-257
Ein Fünf-Farben-Satz....Pages 259-262
Die Museumswächter....Pages 263-266
Der Satz von Turán....Pages 267-272
Kommunikation ohne Fehler....Pages 273-283
Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen....Pages 285-290
Von Freunden und Politikern....Pages 291-293
Die Probabilistische Methode....Pages 295-304
Back Matter....Pages 304-310
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Das BUCH der Beweise [3. Aufl.]
 9783642022586, 9783642022593 [PDF]

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Zitiervorschau

Martin Aigner Günter M. Ziegler

Das BUCH der Beweise Dritte Auflage

Martin Aigner Günter M. Ziegler

Das BUCH der Beweise Dritte Auflage

Mit Zeichnungen von Karl H. Hofmann

123

Prof. Dr. Martin Aigner FB Mathematik und Informatik Freie Universität Berlin Arnimallee 3 14195 Berlin Deutschland [email protected]

Prof. Günter M. Ziegler Institut für Mathematik, MA 6-2 Technische Universität Berlin Straße des 17. Juni 136 10623 Berlin Deutschland [email protected]

ISBN 978-3-642-02258-6 e-ISBN 978-3-642-02259-3 DOI 10.1007/978-3-642-02259-3 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010  Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: deblik, Berlin Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.de)

Vorwort

Paul Erd˝os erz¨ahlte gerne von dem BUCH, in dem Gott die perfekten Beweise f¨ur mathematische S¨atze aufbewahrt, dem ber¨uhmten Zitat von G. H. Hardy entsprechend, dass es f¨ur h¨assliche Mathematik keinen dauerhaften Platz gibt. Erd˝os hat auch gesagt, dass man nicht an Gott zu glauben braucht, aber dass man als Mathematiker an das BUCH glauben sollte. Vor ein paar Jahren haben wir ihm vorgeschlagen, gemeinsam eine erste (und sehr bescheidene) Ann¨aherung an das BUCH aufzuschreiben. Er hat die Idee enthusiastisch aufgenommen und sich, ganz typisch f¨ur ihn, sofort an die Arbeit gemacht und Seiten u¨ ber Seiten mit Notizen und Vorschl¨agen produziert. Unser Buch sollte urspr¨unglich im M¨arz 1998 erscheinen, als Geschenk zu Erd˝os’ 85stem Geburtstag. Durch seinen Tod im Sommer 1996 konnte er kein Koautor werden. Stattdessen ist dieses Buch seinem Andenken gewidmet. Wir haben keine Definition oder Charakterisierung daf¨ur, was einen Beweis zum BUCH-Beweis macht; anbieten k¨onnen wir hier nur die Beispiele, die wir ausgew¨ahlt haben, in der Hoffnung, dass die Leser unseren Enthusiasmus teilen werden u¨ ber brillante Ideen, schlaues Vorgehen, wundersch¨one Einsichten und u¨ berraschende Wendungen. Wir hoffen auch, dass unsere Leser dies trotz aller Defizite in unserer Darstellung genießen k¨onnen. Die Auswahl der Beweise hat Paul Erd˝os selbst stark beeinflusst. Er hat eine große Zahl der Themen vorgeschlagen, und viele der Beweise gehen direkt auf ihn zur¨uck oder sie entstanden durch sein besonderes Talent daf¨ur, die richtige Frage zu stellen oder die richtige Vermutung zu formulieren. So spiegelt dieses Buch in großem Umfang das wider, was nach Paul Erd˝os Beweise aus dem BUCH ausmacht. Beschr¨ankt wurde unsere Auswahl von Themen dadurch, dass wir f¨ur die Lekt¨ure nicht mehr Mathematik voraussetzen wollten, als man im Grundstudium lernt. Ein bisschen Lineare Algebra, ein bisschen Analysis und Zahlentheorie, und ein ger¨uttelt Maß elementarer Konzepte und Ideen aus der Diskreten Mathematik sollten ausreichen, um alles in diesem Buch zu verstehen und zu genießen. Wir sind den vielen Menschen unendlich dankbar, die uns bei diesem Projekt geholfen und unterst¨utzt haben — unter ihnen den Studenten aus einem Seminar, in dem eine erste Version des Buches besprochen wurde, wie auch Benno Artmann, Stephan Brandt, Stefan Felsner, Eli Goodman, Hans Mielke und besonders Tom Trotter. Viele Leser der englischen Ausgabe dieses Buches haben uns geschrieben und mit ihren Anmerkungen und Hinweisen die zweite englische wie auch diese deutsche Ausgabe gef¨ordert, unter ihnen Christian Elsholtz, J¨urgen Elstrodt, Daniel Grieser,

Paul Erd˝os

DAS BUCH“ ”

VI Roger Heath-Brown, Lee L. Keener, Christian Lebœuf, Hanfried Lenz, Nicolas Puech, John Scholes, Bernulf Weißbach, Dirk Werner und viele andere. Mit der Technik und Gestaltung dieses Buches haben uns unter anderem Margrit Barrett, Christian Bressler, Christoph Eyrich, Ewgenij Gawrilow, Michael Joswig und J¨org Rambau immens geholfen. Elke Pose danken wir f¨ur den Einsatz und den Enthusiasmus, mit dem sie viele viele kleine verrauschte Diktierkassetten in perfektes LATEX verwandelt hat. Herzlichen Dank schulden wir Ruth Allewelt und Karl-Friedrich Koch vom Springer-Verlag Heidelberg. Ganz besonderer Dank (er weiß wof¨ur) geht an Torsten Heldmann. Karl Heinrich Hofmann danken wir f¨ur die wunderbaren Zeichnungen, mit denen wir diesen Band illustrieren d¨urfen, und dem großen Paul Erd˝os f¨ur seine Inspiration. Berlin, September 2001

Martin Aigner · G¨unter M. Ziegler

Vorwort zur dritten Auflage Als wir dieses Projekt vor nunmehr fast f¨unfzehn Jahren (auf Englisch) begannen, konnten wir uns unm¨oglich vorstellen, welch wunderbare und andauernde Resonanz unser Buch u¨ ber DAS BUCH haben w¨urde, mit all den herzlichen Briefen, interessanten Kommentaren, neuen Auflagen, und ¨ ¨ bis heute 13 Ubersetzungen. Es ist keine Ubertreibung zu sagen, dass DAS BUCH ein Teil unseres Lebens geworden ist. Die vorliegende dritte Auflage enth¨alt neben zahlreichen Verbesserungen, die zum Teil von unseren Lesern vorgeschlagen wurden, f¨unf neue Kapitel: zwei Klassiker, das quadratische Reziprozit¨atsgesetz und den Fundamentalsatz der Algebra, zwei Kapitel u¨ ber Packungsprobleme in der Ebene und ihre erstaunlichen L¨osungen, und schließlich einen H¨ohepunkt in der j¨ungeren Graphentheorie, die chromatische Zahl der Kneser Graphen. Wir danken allen, die uns u¨ ber alle diese Jahre geholfen und ermutigt haben. Die zweite deutsche Auflage hat von besonders wertvollen Hinweisen von David Bevan, Anders Bj¨orner, Dietrich Braess, John Cosgrave, Hubert Kalf, G¨unter Pickert, Alistair Sinclair und Herb Wilf profitiert. F¨ur die gegenw¨artige Auflage danken wir besonders France Dacar, Oliver Deiser, Michael Harbeck, Stefan Hougardy, Hendrik W. Lenstra, G¨unter Rote, Carsten Schultz und Moritz Schmitt f¨ur ihre Beitr¨age. Ganz besonderer Dank geb¨uhrt Ruth Allewelt vom Springer-Verlag in Heidelberg sowie Christoph Eyrich, Torsten Heldmann und Elke Pose in Berlin. Und schließlich verdankt dieses Buch sein attraktives Erscheinungsbild nicht zuletzt Karl Heinrich Hofmann, der immer wieder neue wunderbare Zeichnungen beigesteuert hat. Berlin, Juli 2009

Martin Aigner · G¨unter M. Ziegler

Inhalt

Zahlentheorie

1

1. Sechs Beweise f¨ur die Unendlichkeit der Primzahlen . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Das Bertrandsche Postulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Binomialkoeffizienten sind (fast) nie Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4. Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5. Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6. Jeder endliche Schiefk¨orper ist ein K¨orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 7. Einige irrationale Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 8. Drei Mal π 2 /6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Geometrie

59

9. Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern . . . . . . . . . . . . . . . 61 10. Geraden in der Ebene und Zerlegungen von Graphen . . . . . . . . . . . . .71 11. Wenige Steigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 12. Drei Anwendungen der Eulerschen Polyederformel . . . . . . . . . . . . . . 83 13. Der Starrheitssatz von Cauchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 14. Simplexe, die einander ber¨uhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 15. Stumpfe Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 16. Die Borsuk-Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Analysis

119

17. Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese . . . . . . . . . . . . 121 18. Ein Lob der Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 19. Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 20. Ein Quadrat und viele Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

VIII

Inhalt 21. Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 22. Ein Lemma von Littlewood und Offord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 23. Der Kotangens und der Herglotz-Trick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 24. Das Nadel-Problem von Buffon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Kombinatorik

183

25. Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 26. Wenn man Rechtecke zerlegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 27. Drei ber¨uhmte S¨atze u¨ ber endliche Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 28. Gut genug gemischt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 29. Gitterwege und Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 30. Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 31. Identit¨aten und Bijektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 32. Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Graphentheorie

249

33. Das Dinitz-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 34. Ein F¨unf-Farben-Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 35. Die Museumsw¨achter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 36. Der Satz von Tur´an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 37. Kommunikation ohne Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 38. Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 39. Von Freunden und Politikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 40. Die Probabilistische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

¨ Uber die Abbildungen

305

Stichwortverzeichnis

307

Sechs Beweise fur ¨ die Unendlichkeit der Primzahlen

Kapitel 1

Es liegt nahe, dass wir mit dem wahrscheinlich a¨ ltesten Beweis aus dem BUCH beginnen: Euklids Beweis, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.  Euklids Beweis. F¨ur eine beliebige endliche Menge {p1 , . . . , pr } von Primzahlen sei n := p1 p2 · · · pr + 1 und p ein Primteiler von n. Wir sehen, dass p von allen pi verschieden ist, da sonst p sowohl die Zahl n als auch das Produkt p1 p2 · · · pr teilen w¨urde, somit auch die 1, was nicht sein kann. Eine endliche Menge {p1 , . . . , pr } kann also niemals die Menge aller Primzahlen sein.  Bevor wir fortfahren, wollen wir einige (sehr u¨ bliche) Bezeichnungen einf¨uhren: so schreiben wir N = {1, 2, 3, . . .} f¨ur die Menge der nat¨urlichen Zahlen, Z = {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .} ist die Menge der ganzen Zahlen, und P = {2, 3, 5, 7, . . .} bezeichnet die Menge der Primzahlen. Im Folgenden werden wir einige weitere Beweise kennenlernen (aus einer viel l¨angeren Liste), die uns und hoffentlich auch den Lesern besonders gefallen. Wenn diese Beweise auch verschiedene Ans¨atze benutzen, so ist doch allen eine Idee gemeinsam: die nat¨urlichen Zahlen wachsen ins Unendliche, und jede nat¨urliche Zahl n ≥ 2 hat einen Primteiler. Diese beiden Tatsachen erzwingen, dass die Menge P unendlich ist. Der n¨achste Beweis ist von Christian Goldbach (aus einem Brief an Leonhard Euler 1730), der dritte Beweis ist offenbar Folklore, der vierte von Euler selbst, der f¨unfte wurde von Harry F¨urstenberg vorgeschlagen, und der letzte stammt von Paul Erd˝os. Der zweite und dritte Beweis benutzt jeweils eine spezielle Zahlenfolge.  Zweiter Beweis. Betrachten wir zun¨achst die folgenden Fermat-Zahlen n Fn = 22 + 1 f¨ur n = 0, 1, 2, . . .. Wir werden zeigen, dass je zwei FermatZahlen relativ prim sind, also muss es unendlich viele Primzahlen geben. Zum Beweis verifizieren wir die Rekursion n−1 Y k=0

Fk = Fn − 2

(n ≥ 1),

woraus die Behauptung unmittelbar folgen wird. Ist n¨amlich m ein gemeinsamer Teiler von Fk und Fn (mit k < n), so folgt aus der Rekursion, dass m auch 2 teilt, das heißt, es ist m = 1 oder 2. Der Fall m = 2 ist aber ausgeschlossen, da alle Fermat-Zahlen ungerade sind. Zum Beweis der Rekursion verwenden wir Induktion nach n. F¨ur n = 1

F0 = 3 F1 = 5 F2 = 17 F3 = 257 F4 = 65537 F5 = 641 · 6700417 Die ersten Fermat-Zahlen

4

Sechs Beweise f¨ur die Unendlichkeit der Primzahlen haben wir F0 = 3 und F1 − 2 = 3. Mit Induktion erhalten wir nun

Der Satz von Lagrange

n Y

Ist G eine endliche (multiplikative) Gruppe und U eine Untergruppe, dann ist |U | ein Teiler von |G|.  Beweis. Relation

k=0

Betrachte die bin¨are

a ∼ b : ⇐⇒ ba−1 ∈ U. Es folgt aus den Gruppenaxiomen, ¨ dass ∼ eine Aquivalenzrelation ist. ¨ Die Aquivalenzklasse eines Elementes a ist genau die Nebenklasse U a = {xa : x ∈ U }. Da nun ersichtlich |U a| = |U | gilt, ¨ zerf¨allt G in Aquivalenzklassen, die alle die Gr¨oße |U | haben. Also ist |U | ein Teiler von |G|.  F¨ur den Spezialfall, in dem U = {a, a2 , . . . , am } eine zyklische Untergruppe von G ist, besagt dies, dass m (die kleinste positive Zahl mit am = 1, genannt die Ordnung von a) die Gruppengr¨oße |G| teilt.

 n−1 Y k=0 n

 Fk Fn = (Fn − 2)Fn = n

n+1

= (22 − 1)(22 + 1) = 22

− 1 = Fn+1 − 2.



 Dritter Beweis. Angenommen P ist endlich und p die gr¨oßte Primzahl. Dann betrachten wir dieses Mal die so genannte Mersenne-Zahl 2p − 1 und zeigen, dass jeder Primteiler q von 2p − 1 gr¨oßer als p ist, was den gew¨unschten Widerspruch ergibt. Sei q ein Primteiler von 2p − 1, dann gilt 2p ≡ 1 (mod q). Da p Primzahl ist, folgt daraus, dass die 2 in der multiplikativen Gruppe Zq \{0} des K¨orpers Zq die Ordnung p hat. Diese Gruppe enth¨alt q−1 Elemente. Da wir nach dem Satz von Lagrange (siehe den Kasten am Rand) wissen, dass die Ordnung jedes Elementes die Gruppengr¨oße teilt, folgt p | q − 1 und daher p < q.  Als N¨achstes kommt ein Beweis, der elementare Analysis ben¨utzt.  Vierter Beweis. Sei π(x) := #{p ≤ x : p ∈ P} die Anzahl der Primzahlen, die kleiner oder gleich der reellen Zahl x sind. Wir nummerieren die Primzahlen P = {p1 , p2 , p3 , . . .} in aufsteigender R x Gr¨oße. Es sei log x der nat¨urliche Logarithmus, definiert als log x = 1 1t dt. Nun vergleichen wir die Fl¨ache unter dem Graphen der Funktion f (t) = 1t mit einer oberen Treppenfunktion. (Siehe den Anhang auf Seite 11, wo diese Methode erl¨autert wird.) F¨ur n ≤ x < n + 1 haben wir daher log x

1

Fk =

1 1 1 1 + + ... + + 2 3 n−1 n X′ 1 ≤ , wobei dies die Summe u¨ ber alle m ∈ N bezeichnen m soll, die nur Primfaktoren p ≤ x enthalten.

≤ 1+

Da solche Zahl m auf eindeutige Weise als ein Produkt der Form Q jede pkp geschrieben werden kann, sehen wir, dass die letzte Summe gleich

p≤x

1

2

Y X 1  pk

p∈P p≤x

n n+1

Eine obere Treppenfunktion f¨ur f (t) = 1t

k≥0

ist. Die innere Summe ist eine geometrische Reihe mit Faktor p1 , woraus log x ≤

Y

p∈P p≤x

1 1−

1 p

=

Y

p∈P p≤x

π(x) Y pk p = p−1 pk − 1 k=1

folgt. Da offensichtlich pk ≥ k + 1 ist und daher 1 1 k+1 pk = 1+ ≤ 1+ = , pk − 1 pk − 1 k k

5

Sechs Beweise f¨ur die Unendlichkeit der Primzahlen erhalten wir

π(x)

log x ≤

Y k+1 = π(x) + 1. k

k=1

Nun wissen wir, dass die Funktion log x nicht beschr¨ankt ist, und schließen daraus, dass π(x) ebenfalls unbeschr¨ankt ist: also gibt es unendlich viele Primzahlen.   Funfter ¨ Beweis. Nach Analysis kommt jetzt Topologie! Betrachten wir die folgende merkw¨urdige Topologie auf der Menge Z der ganzen Zahlen. F¨ur a, b ∈ Z, b > 0 setzen wir Na,b = {a + nb : n ∈ Z}. Jede Menge Na,b ist eine in beiden Richtungen unendliche arithmetische Folge. Wir nennen nun eine Menge O ⊆ Z offen, wenn entweder O leer ist oder wenn zu jedem a ∈ O ein b > 0 existiert mit Na,b ⊆ O. Offensichtlich ist dann jede Vereinigung von offenen Mengen wieder offen. Falls O1 und O2 offen sind und a ∈ O1 ∩O2 mit Na,b1 ⊆ O1 und Na,b2 ⊆ O2 , so ist a ∈ Na,b1 b2 ⊆ O1 ∩ O2 . Daraus folgt, dass jeder Durchschitt von endlich vielen offenen Mengen wiederum offen ist. Diese Familie von offenen Mengen erf¨ullt also die Axiome einer Topologie auf Z. Wir notieren zwei Tatsachen: (A) Jede nicht-leere offene Menge ist unendlich. (B) Jede Menge Na,b ist auch abgeschlossen. Das erste Resultat folgt direkt aus der Definition. Zu (B) bemerken wir Na,b = Z \

b−1 [

Na+i,b ,

i=1

so dass also Na,b das Komplement einer offenen Menge ist und daher abgeschlossen. Bis jetzt haben wir noch nicht von den Primzahlen gesprochen — aber nun kommen sie ins Spiel. Da jede Zahl n 6= 1, −1 einen Primteiler p hat und daher in der Menge N0,p enthalten ist, schließen wir [ Z \ {1, −1} = N0,p . p∈P

S

W¨are nun P endlich, so w¨are p∈P N0,p nach (B) eine endliche Vereinigung von abgeschlossenen Mengen und daher abgeschlossen. Folglich w¨are {1, −1} eine offene Menge, im Widerspruch zu (A).   Sechster Beweis. Unser letzter Beweis f¨uhrt uns einen großen Schritt weiter und weist nicht nur nach, P dass es unendlich viele Primzahlen gibt, sondern auch, dass die Reihe p∈P p1 divergiert. Der erste Beweis dieses

Flache Steine, ” ins Unendliche geworfen“

6

Sechs Beweise f¨ur die Unendlichkeit der Primzahlen wichtigen Resultats wurde von Euler gegeben (und ist ebenfalls sehr interessant), aber der folgende Beweis von Erd˝os ist von makelloser Sch¨onheit. Es sei p1 , p2 , p3 , . . . die Folge der PPrimzahlen in aufsteigender Ordnung. Nehmen wir an, dass die Reihe p∈P p1 konvergiert. Dann muss es eine P nat¨urliche Zahl k geben mit i≥k+1 p1i < 21 . Wir wollen die Primzahlen p1 , . . . , pk kleine Primzahlen nennen, und die anderen pk+1 , pk+2 , . . . große Primzahlen. F¨ur jede beliebige nat¨urliche Zahl N gilt somit X N N < . pi 2

(1)

i≥k+1

Sei Nb die Anzahl der positiven ganzen Zahlen n ≤ N , die durch mindestens eine große Primzahl teilbar sind, und Ns die Anzahl der positiven Zahlen n ≤ N , die nur kleine Primteiler besitzen. Wir werden zeigen, dass f¨ur ein geeignetes N Nb + Ns < N gilt, und dies wird den gew¨unschten Widerspruch ergeben, da nach Definition Nb + Ns nat¨urlich gleich N sein muss. Um Nb abzusch¨atzen, bemerken wir, dass ⌊ pNi ⌋ die positiven ganzen Zahlen n ≤ N z¨ahlt, die Vielfache von pi sind. Mit (1) erhalten wir daraus Nb ≤

X jN k N < . pi 2

(2)

i≥k+1

Nun betrachten wir Ns . Wir schreiben jede Zahl n ≤ N , die nur kleine Primteiler hat, in der Form n = an b2n , wobei an den quadratfreien Teil bezeichnet. Jedes an ist dann ein Produkt von verschiedenen kleinen Primk zahlen, und wir schließen, dass es genau quadratfreie Teile √ √ √ 2 verschiedene gibt. Weiter sehen wir wegen bn ≤ n ≤ N , dass es h¨ochstens N verschiedene Quadratteile gibt, und es folgt √ Ns ≤ 2 k N . √ Da (2) f¨ur jedes N gilt, m¨ussen wir nur eine Zahl N finden, die 2k N ≤ N2 √ erf¨ullt, oder was dasselbe ist, 2k+1 ≤ N — und solch eine Zahl ist zum Beispiel N = 22k+2 . 

Literatur [1] B. A RTMANN : Euclid — The Creation of Mathematics, Springer-Verlag, New York 1999. P1 ¨ ˝ : Uber [2] P. E RD OS die Reihe , Mathematica, Zutphen B 7 (1938), 1-2. p [3] L. E ULER : Introductio in Analysin Infinitorum, Tomus Primus, Lausanne 1748; Opera Omnia, Ser. 1, Vol. 8.

¨ [4] H. F URSTENBERG : On the infinitude of primes, Amer. Math. Monthly 62 (1955), 353.

Das Bertrandsche Postulat

Kapitel 2

Wir haben gesehen, dass die Primzahlen 2, 3, 5, 7, . . . eine unendliche Folge bilden. Daraus kann man auch folgern, dass es beliebig große L¨ucken zwischen den Primzahlen geben muss. Schreibt man n¨amlich N := 2 · 3 · 5 · · · p f¨ur das Produkt aller Primzahlen, die kleiner sind als k + 2, dann kann keine der k Zahlen N + 2, N + 3, N + 4, . . . , N + k, N + (k + 1) prim sein, denn f¨ur 2 ≤ i ≤ k + 1 hat i einen Primfaktor, der kleiner ist als k + 2, und dieser Faktor teilt auch N , und damit auch N + i. Mit diesem Rezept finden wir zum Beispiel f¨ur k = 10, dass keine der zehn Zahlen 2312, 2313, 2314, . . ., 2321 prim ist. Aber es gibt trotzdem obere Schranken f¨ur die Gr¨oße der L¨ucken in der Folge der Primzahlen. Das Bertrandsche Postulat“ besagt n¨amlich, dass ” die L¨ucke bis zur n¨achsten Primzahl nie gr¨oßer sein kann als die Zahl, an ” der wir die Suche beginnen“. Diese ber¨uhmte Behauptung wurde 1845 von Joseph Bertrand aufgestellt und immerhin bis n = 3 000 000 verifiziert. Vollst¨andig bewiesen, f¨ur alle n, hat sie Pafnuty Tschebyschew im Jahr 1850. Einen viel einfacheren Beweis hat das indische Genie Ramanujan gefunden. Unser Beweis aus dem BUCH ist von Paul Erd˝os: aus seinem ersten Aufsatz, der 1932 erschien, als Erd˝os 19 war.

Das Bertrandsche Postulat. F¨ur jedes n ≥ 1 gibt es eine Primzahl p mit n < p ≤ 2n.   Beweis. Wir werden die Gr¨oße des Binomialkoeffizienten 2n n so genau absch¨atzen, dass wir zeigen k¨onnen, dass der Binomialkoeffizient zu klein ” ausfallen“ w¨urde, wenn er keine Primfaktoren im Bereich n < p ≤ 2n h¨atte. Die Oper hat insgesamt f¨unf Akte. (1) Wir beweisen das Bertrandsche Postulat zun¨achst f¨ur n < 4000. Daf¨ur muss man nicht 4000 F¨alle u¨ berpr¨ufen: Es reicht (das ist der Landau” Trick“) zu u¨ berpr¨ufen, dass 2, 3, 5, 7, 13, 23, 43, 83, 163, 317, 631, 1259, 2503, 4001

Joseph Bertrand

8

Das Bertrandsche Postulat eine Folge von Primzahlen ist, in der jede Primzahl kleiner ist als zweimal die vorhergehende. Also enth¨alt jedes Interval {y : n < y ≤ 2n}, mit n ≤ 4000, eine dieser vierzehn Primzahlen. (2) Als N¨achstes zeigen wir Y p ≤ 4x−1 p≤x

f¨ur alle reellen x ≥ 2,

(1)

wobei unsere Notation — hier und im Folgenden — implizieren soll, dass das Produkt u¨ ber alle Primzahlen p ≤ x genommen wird. Unser Beweis daf¨ur verwendet Induktion u¨ ber die Anzahl dieser Primzahlen. Er stammt nicht aus Erd˝os’ erstem Aufsatz, aber er ist auch von Erd˝os (der Rand zeigt Notizen dazu in seiner Handschrift), und er ist ein wahrer BUCHBeweis. Zun¨achst gilt f¨ur die gr¨oßte Primzahl q ≤ x Y Y p = p und 4q−1 ≤ 4x−1 . p≤x

p≤q

Damit reicht es, (1) f¨ur den Fall zu zeigen, dass x = q eine Primzahl ist. F¨ur q = 2 erhalten wir 2 ≤ 4“, also k¨ummern wir uns jetzt um die ungeraden ” Primzahlen q = 2m+1. (Dabei d¨urfen wir mit einem Induktionsschluss annehmen, dass die Aussage schon f¨ur alle ganzen Zahlen in {2, 3, . . . , 2m} bewiesen ist.) F¨ur q = 2m + 1 zerlegen wir das Produkt und rechnen   Y Y Y 2m + 1 p = p · p ≤ 4m ≤ 4m 22m = 42m. m p≤2m+1

p≤m+1

m+1 2n (und n ≥ 3, und damit p ≥ 3) sind n u n¨amlich p und 2p die einzigen Vielfachen von p, die als Faktoren im Z¨ahler ahrend wir zwei p-Faktoren im Nenner haben. von (2n)! n!n! auftauchen, w¨  (4) Jetzt k¨onnen wir 2n atzen. F¨ur n ≥ 3 erhalten wir mit einer n absch¨ Absch¨atzung von Seite 13 f¨ur die untere Schranke   Y Y Y 2n 4n ≤ ≤ 2n · p · p, 2n n √ √ 2 p≤ 2n

und damit, weil es nicht mehr als √ Y 4n ≤ (2n)1+ 2n ·

2n n−1 > nn = 1.

Hier bezeichnen ⌊x⌋ bzw. ⌈x⌉ die Zahl x, abgerundet bzw. aufgerundet bis zur n¨achsten ganzen Zahl. Mit Hilfe der oben angegebenen Formeln f¨ur die Asymptotik der Fakult¨aten kann man sehr genaue Absch¨atzungen f¨ur die Gr¨oße der Binomialkoeffizienten ableiten. In diesem Buch brauchen wir aber nur sehr schwache und einfache Absch¨atzungen, wie die folgenden:   n ≤ 2n f¨ur alle k ≤ n, k

13

Das Bertrandsche Postulat und 

 n ≥ ⌊n/2⌋

2n n

f¨ur n ≥ 2,

mit Gleichheit nur f¨ur n = 2. Insbesondere haben wir   2n 4n ≥ f¨ur n ≥ 1. 2n n  n Der mittlere Binomialkoeffizient ⌊n/2⌋ ist n¨amlich der gr¨oßte Eintrag in      n der Folge der n Zahlen n0 + nn , n1 , n2 , . . . , n−1 , deren Summe 2n n und deren Mittelwert damit 2n ist. Schließlich halten wir als obere Schranke f¨ur die Binomialkoeffizienten   n nk nk n(n − 1) · · · (n − k + 1) = ≤ ≤ k−1 k k! k! 2 fest, was eine halbwegs vern¨unftige Absch¨atzung f¨ur die kleinen“ Bino” mialkoeffizienten am Anfang der Folge ist, f¨ur die n im Vergleich zu k groß ist.

Literatur ˝ : Beweis eines Satzes von Tschebyschef, Acta Sci. Math. (Szeged) 5 [1] P. E RD OS (1930-32), 194-198. [2] R. L. G RAHAM , D. E. K NUTH & O. PATASHNIK : Concrete Mathematics. A Foundation for Computer Science, Addison-Wesley, Reading MA 1989. [3] F. I SCHEBECK : Primzahlfragen und ihre Geschichte, Mathematische Semesterberichte 40 (1993), 121-132. [4] P. R IBENBOIM : The New Book of Prime Number Records, Springer-Verlag, New York 1989.

Binomialkoeffizienten sind (fast) nie Potenzen

Kapitel 3

Im Nachklang zu Bertrands Postulat wollen wir jetzt ein sehr sch¨ones Resultat u¨ ber Binomialkoeffizienten besprechen. Im Jahr 1892 versch¨arfte Sylvester das Bertrandsche Postulat auf die folgende Weise: Ist n ≥ 2k, so hat mindestens eine der Zahlen n, n − 1, . . . , n − k + 1 einen Primteiler p, der gr¨oßer als k ist. Man beachte, dass dies f¨ur n = 2k genau das Bertrandsche Postulat ergibt. Erd˝os gab 1934 einen kurzen und elementaren Beweis des Satzes ¨ von Sylvester, der auch aus dem BUCH stammt und auf a¨ hnlichen Uberlegungen wie im letzten Kapitel beruht. Die folgende Aussage ist offensichtlich a¨ quivalent zum Satz von Sylvester: Der Binomialkoeffizient   n n(n − 1) · · · (n − k + 1) = k k!

(n ≥ 2k)

hat immer einen Primteiler p > k. Mit dieser Beobachtung wenden wir uns einem weiteren Juwel von Erd˝os  zu. Wann ist nk eine Potenz mℓ ? Es ist leicht zu sehen, dass es unendlich viele L¨osungen f¨ur k = ℓ = 2 gibt, also der Gleichung n2 = m2 . Zun¨achst  2 bemerken wir, dass (2n−1) ein Quadrat ist, wenn dies f¨ur n2 zutrifft. Um 2 dies zu sehen, setzen wir n(n − 1) = 2m2 . Es folgt (2n − 1)2 ((2n − 1)2 − 1) = (2n − 1)2 4n(n − 1) = 2(2m(2n − 1))2 , und daher

  (2n − 1)2 = (2m(2n − 1))2 . 2  Mit dem Startwert 92 = 62 erhalten wir daher unendlich viele L¨osungen  — die n¨achste ist 289 = 2042 . Das liefert aber keineswegs alle L¨osungen. 2  Zum Beispiel beginnt mit 50 = 352 eine weitere Serie, und ebenso mit 2   1682 = 11892 . F¨ur k = 3 ist bekannt, dass n3 = m2 die eindeutige 2 L¨osung n = 50, m = 140 besitzt. Aber nun sind die Potenzen schon zu Ende. F¨ur k ≥ 4 und jedes ℓ ≥ 2 gibt es keine L¨osungen, und dies ist genau der Inhalt des Satzes von Erd˝os.

`50´ 3

= 1402

ist die einzige L¨osung f¨ur k = 3, ℓ = 2

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Binomialkoeffizienten sind (fast) nie Potenzen

Satz. Die Gleichung

  n = mℓ k

hat keine ganzzahligen L¨osungen f¨ur ℓ ≥ 2 und 4 ≤ k ≤ n − 4.   Beweis. Wir nehmen an, der Satz sei falsch, und nk = mℓ sei eine ganz n zahlige L¨osung. Dabei d¨urfen wir wegen nk = n−k voraussetzen, dass n ≥ 2k gilt. Die Annahme f¨uhren wir nun in den folgenden vier Schritten zum Widerspruch.  (1) Nach dem Satz von Sylvester gibt es einen Primteiler p von nk , der gr¨oßer als k ist. Damit teilt pℓ das Produkt n(n−1) · · · (n−k+1). Weiterhin kann nur einer der Faktoren n − i ein Vielfaches von p sein (wegen p > k), und wir schließen pℓ | n − i, und daraus n ≥ pℓ > k ℓ ≥ k 2 . (2) Wir betrachten einen beliebigen Faktor n − j des Z¨ahlers und schreiben ihn in der Form n − j = aj mℓj , wobei aj nicht durch eine echte ℓ-te Potenz teilbar ist. Nach (1) sehen wir, dass aj nur Primteiler besitzt, die kleiner oder gleich k sind. Als N¨achstes wollen wir ai 6= aj f¨ur i 6= j zeigen. Es sei im Gegenteil ai = aj f¨ur i < j. Dann haben wir mi ≥ mj + 1 und k

>

(n − i) − (n − j) = aj (mℓi − mℓj ) ≥ aj ((mj + 1)ℓ − mℓj )

>

aj ℓmℓ−1 ≥ ℓ(aj mℓj )1/2 ≥ ℓ(n − k + 1)1/2 j



ℓ( n2 + 1)1/2 > n1/2 ,

aber dies widerspricht der obigen Ungleichung n > k 2 . (3) Als N¨achstes beweisen wir, dass die ai s genau die Zahlen 1, 2, . . . , k in einer gewissen Reihenfolge sind. Nach Erd˝os ist dies das Kernst¨uck des Beweises. Da wir schon wissen, dass die ai s alle verschieden sind, gen¨ugt es zu zeigen, dass a0 a1 · · · ak−1 | k!  gilt. Substituieren wir n − j = aj mℓj in die Gleichung nk = mℓ , so erhalten wir a0 a1 · · · ak−1 (m0 m1 · · · mk−1 )ℓ = k!mℓ . Nach K¨urzen der gemeinsamen Faktoren in m0 m1 · · · mk−1 und m ergibt dies a0 a1 · · · ak−1 uℓ = k!v ℓ mit ggT(u, v) = 1. Es bleibt zu zeigen, dass v = 1 ist. Im Fall v > 1 enth¨alt v einen Primteiler p. Da ggT(u, v) = 1 ist, muss p ein Primteiler von a0 a1 · · · ak−1 sein und daher kleiner oder gleich k sein. Nach dem

17

Binomialkoeffizienten sind (fast) nie Potenzen Satz von PLegendre (siehe Seite 9) wissen wir, dass k! die Primzahl p zur Potenz i≥1 ⌊ pki ⌋ enth¨alt. Nun sch¨atzen wir den Exponenten von p in dem Produkt n(n − 1) · · · (n − k + 1) ab. Sei i eine positive ganze Zahl und seien b1 < b2 < · · · < bs die Vielfachen von pi unter den k Zahlen n, n − 1, . . . , n − k + 1. Dann haben wir bs = b1 + (s − 1)pi , und daher (s − 1)pi = bs − b1 ≤ n − (n − k + 1) = k − 1, was s ≤

jk − 1k pi

+1 ≤

jkk pi

+1

impliziert. Wir sehen also, dass f¨ur jedes i die Anzahl der Vielfachen von pi unter den Zahlen n, . . . , n−k+1, und daher auch unter den aj s, durch ⌊ pki ⌋ + 1 beschr¨ankt ist. Dies liefert uns, dass der Exponent von p in a0 a1 · · · ak−1 h¨ochstens ℓ−1 j  X kk + 1 pi i=1 ¨ sein kann, aufgrund derselben Uberlegung, die wir f¨ur den Beweis des Satzes von Legendre in Kapitel 2 benutzt haben. Der einzige Unterschied ist, dass dieses Mal die Summe bei i = ℓ − 1 endet, da die aj s keine ℓ-ten Potenzen enthalten. Insgesamt sehen wir also, dass der Exponent von p in v ℓ h¨ochstens ℓ−1 j X kk i=1

pi

 Xj k k +1 − ≤ ℓ−1 pi i≥1

sein kann, und wir haben unseren gew¨unschten Widerspruch erhalten, da v ℓ eine ℓ-te Potenz ist. Dies gen¨ugt bereits, um den Fall ℓ = 2 zu erledigen. In der Tat muss wegen k ≥ 4 eine der Zahlen ai gleich 4 sein, aber wir wissen schon, dass die ai s keine Quadrate enthalten. Also k¨onnen wir f¨ur den Rest des Beweises ℓ ≥ 3 annehmen.

(4) Wegen k ≥ 4 haben wir ai1 = 1, ai2 = 2, ai3 = 4 f¨ur gewisse i1 , i2 , i3 , das heißt, n − i1 = mℓ1 , n − i2 = 2mℓ2 , n − i3 = 4mℓ3 .

Wir behaupten, dass (n − i2 )2 6= (n − i1 )(n − i3 ) gilt. Anderenfalls setzen wir b = n − i2 und n − i1 = b − x, n − i3 = b + y mit 0 < |x|, |y| < k. Damit haben wir b2 = (b − x)(b + y)

oder

(y − x)b = xy,

wobei x = y ersichtlich unm¨oglich ist. Nach Teil (1) folgt daraus |xy| = b|y − x| ≥ b > n − k > (k − 1)2 ≥ |xy|,

Unsere Analyse bis hierher stimmt mit ` ´ der Gleichung 50 = 1402 u¨ berein: 3 50 = 2 · 52 49 = 1 · 72 48 = 3 · 42 und 5 · 7 · 4 = 140.

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Binomialkoeffizienten sind (fast) nie Potenzen ein offensichtlicher Widerspruch. Wir haben also m22 6= m1 m3 , wobei wir m22 > m1 m3 annehmen k¨onnen (der andere Fall ist analog), und wenden uns nun der letzten Kette von Ungleichungen zu. Es gilt 2(k − 1)n > = ≥

n2 − (n − k + 1)2 > (n − i2 )2 − (n − i1 )(n − i3 )

ℓ ℓ ℓ 4[m2ℓ 2 − (m1 m3 ) ] ≥ 4[(m1 m3 + 1) − (m1 m3 ) ]

ℓ−1 4ℓmℓ−1 1 m3 .

Wegen ℓ ≥ 3 und n > k ℓ ≥ k 3 > 6k ergibt dies 2(k − 1)nm1 m3

> >

4ℓmℓ1 mℓ3 = ℓ(n − i1 )(n − i3 ) n ℓ(n − k + 1)2 > 3(n − )2 > 2n2 . 6

Mit mi ≤ n1/ℓ ≤ n1/3 erhalten wir schließlich kn2/3 ≥ km1 m3 > (k − 1)m1 m3 > n, oder k 3 > n. Mit diesem Widerspruch ist der Beweis vollst¨andig.



Literatur ˝ : A theorem of Sylvester and Schur, J. London Math. Soc. 9 (1934), [1] P. E RD OS 282-288. ˝ : On a diophantine equation, J. London Math. Soc. 26 (1951), [2] P. E RD OS 176-178. [3] J. J. S YLVESTER : On arithmetical series, Messenger of Math. 21 (1892), 1-19, 87-120; Collected Mathematical Papers Vol. 4, 1912, 687-731.

Kapitel 4

Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat

Welche Zahlen k¨onnen als Summe von zwei Quadraten dargestellt werden? Diese Frage ist so alt wie die Zahlentheorie, und ihre L¨osung ist ein Klassiker in diesem Gebiet. Die gr¨oßte H¨urde auf dem Weg zur L¨osung ist der Nachweis, dass jede Primzahl der Form 4m + 1 eine Summe von zwei Quadraten ist. G. H. Hardy schreibt, dass dieser Zwei-Quadrate-Satz von Fermat ganz zu Recht als einer der besten S¨atze der Arithmetik angesehen ” wird“. Trotzdem ist einer unserer BUCH-Beweise ziemlich neu. Wir beginnen mit ein paar Aufw¨arm¨ubungen“. Zun¨achst m¨ussen wir ” zwischen der Primzahl p = 2, den Primzahlen der Form p = 4m + 1, und den Primzahlen der Form p = 4m + 3 unterscheiden. Jede Primzahl f¨allt in genau eine dieser Kategorien. Ganz leicht k¨onnen wir jetzt festhalten (mit Hilfe der Methode von Euklid), dass es unendlich viele Primzahlen der Form 4m + 3 gibt. Wenn es n¨amlich nur endlich viele g¨abe, dann k¨onnten wir die gr¨oßte Primzahl pk von dieser Form betrachten. Setzt man dann

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

= = = = = = = = = = = .. .

12 + 02 12 + 12 22 + 02 22 + 12

22 + 22 32 + 32 +

Nk := 22 · 3 · 5 · · · pk − 1 (wobei p1 = 2, p2 = 3, p3 = 5, . . . die Folge der Primzahlen bezeichnet), dann sieht man, dass Nk kongruent zu 3 (mod 4) ist, also einen Primfaktor der Form 4m + 3 haben muss, und dieser Primfaktor ist gr¨oßer als pk , Widerspruch. Unser erstes Lemma charakterisiert die Primzahlen, f¨ur die −1 im K¨orper Zp ein Quadrat ist (siehe dazu den Kasten u¨ ber Primk¨orper auf der n¨achsten Seite). Es wird uns auch einen einfachen Beweis f¨ur die Tatsache liefern, dass es unendlich viele Primzahlen der Form 4m + 1 gibt. Lemma 1. F¨ur jede Primzahl p der Form p = 4m + 1 hat die Gleichung s2 ≡ −1 (mod p) zwei L¨osungen s ∈ {1, 2, . . ., p−1}, f¨ur p = 2 gibt es genau eine solche L¨osung, w¨ahrend es f¨ur Primzahlen von der Form p = 4m + 3 keine L¨osung gibt.  Beweis. F¨ur p = 2 ist s = 1. F¨ur ungerades p konstruieren wir eine ¨ Aquivalenzrelation auf der Menge {1, 2, . . . , p − 1}, die dadurch erzeugt wird, dass wir jedes Element mit seinem additiven und seinem multiplikativen Inversen in Zp in Relation setzen, die wir mit −x bzw. x bezeichnen. ¨ Damit enthalten die allgemeinen“ Aquivalenzklassen vier Elemente ” {x, −x, x, −x},

Pierre de Fermat

20

Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat weil eine solche vierelementige Menge die Inversen f¨ur alle ihre Elemen¨ te enth¨alt. Es gibt jedoch auch kleinere Aquivalenzklassen, die auftreten, wenn einige dieser vier Elemente nicht voneinander verschieden sind: • x ≡ −x ist f¨ur ungerades p unm¨oglich. • x ≡ x ist a¨ quivalent zu x2 ≡ 1. Dies hat zwei L¨osungen, n¨amlich ¨ x = 1 und x = p − 1, und entspricht der Aquivalenzklasse {1, p − 1} der Gr¨oße 2.

• x ≡ −x ist a¨ quivalent zu x2 ≡ −1. Diese Gleichung hat entweder keine L¨osung, oder zwei verschiedene L¨osungen x0 , p − x0 : in diesem ¨ Fall ist die Aquivalenzklasse {x0 , p − x0 }. F¨ur p = 11 ist die Zerlegung {1, 10}, {2, 9, 6, 5}, {3, 8, 4, 7}; f¨ur p = 13 ist sie {1, 12}, {2, 11, 7, 6}, {3, 10, 9, 4}, {5, 8}: das Paar {5, 8} entspricht den zwei L¨osungen von s2 ≡ −1 mod 13.

Die Menge {1, 2, . . . , p − 1} hat p − 1 Elemente, und wir haben sie in ¨ Quadrupel (Aquivalenzklassen der Gr¨oße 4) aufgeteilt, plus ein oder zwei ¨ Paare (Aquivalenzklassen der Gr¨oße 2). F¨ur p − 1 = 4m + 2 folgt daraus, dass es nur ein Paar {1, p − 1} gibt, der Rest besteht aus Quadrupeln, und damit hat s2 ≡ −1 (mod p) keine L¨osung. F¨ur p− 1 = 4m muss es aber ein zweites Paar geben, und dieses enth¨alt die beiden L¨osungen von s2 ≡ −1, nach denen gefragt war.  Lemma 1 besagt, dass jeder ungerade Primteiler von M 2 + 1 von der Form 4m+1 sein muss. Das impliziert, dass es unendlich viele Primzahlen dieser Form gibt: andernfalls betrachte man (2 · 3 · 5 · · · qk )2 + 1, wobei qk die gr¨oßte solche Primzahl ist, und f¨uhre dies wie vorhin zum Widerspruch.

¨ Primkorper F¨ur jede Primzahl p bildet die Menge Zp = {0, 1, . . . , p − 1} mit Addition und Multiplikation modulo p“ einen endlichen K¨orper. ” Diese K¨orper haben viele interessante Aspekte; wir werden nur die folgenden drei einfachen Eigenschaften brauchen: + 0 1 2 3 4

0 0 1 2 3 4

1 1 2 3 4 0

2 2 3 4 0 1

3 3 4 0 1 2

4 4 0 1 2 3

· 0 1 2 3 4

0 0 0 0 0 0

1 0 1 2 3 4

2 0 2 4 1 3

3 0 3 1 4 2

4 0 4 3 2 1

Addition und Multiplikation in Z5

• F¨ur x ∈ Zp , x 6= 0, ist das Inverse bez¨uglich Addition (f¨ur das wir u¨ blicherweise −x schreiben) durch p − x ∈ {1, 2, . . . , p − 1} gegeben. Wenn p > 2 ist, dann sind x und −x verschiedene Elemente von Zp . • Jedes x ∈ Zp \{0} hat ein eindeutiges multiplikatives Inverses x ∈ Zp \{0}, mit xx ≡ 1 (mod p). Aus der Definition der Primzahlen folgt n¨amlich, dass die Abbildung Zp → Zp , z 7→ xz f¨ur x 6= 0 injektiv ist. Auf der endlichen Menge Zp \{0} muss sie damit aber auch surjektiv sein, und deswegen gibt es f¨ur jedes x ein eindeutiges x 6= 0 mit xx ≡ 1 (mod p). • Die Quadrate 02 , 12 , 22 , . . . , h2 definieren verschiedene Elemente von Zp , f¨ur h = ⌊ p2 ⌋. Dies folgt daraus, dass x2 ≡ y 2 bzw. (x+y)(x−y) ≡ 0 impliziert, dass entweder x ≡ y oder x ≡ −y gilt. Die 1 + ⌊ p2 ⌋ Elemente 02 , 12 , . . . , h2 nennt man die Quadrate in Zp .

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Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat An dieser Stelle bemerken wir ganz nebenbei“, dass es f¨ur alle Primzahlen ” eine L¨osung der Gleichung x2 + y 2 ≡ −1 (mod p) gibt. Es gibt n¨amlich p ⌊ 2 ⌋ + 1 verschiedene Quadrate x2 in Zp , und es gibt ⌊ p2 ⌋ + 1 verschiedene Zahlen der Form −(1 + y 2 ). Diese zwei Mengen von Zahlen sind aber zu groß um disjunkt zu sein, weil Zp insgesamt nur p Elemente hat, und deswegen muss es x und y geben mit x2 ≡ −(1 + y 2 ) (mod p). Lemma 2. Keine Zahl n = 4m + 3 ist eine Summe von zwei Quadraten.  Beweis. Das Quadrat einer geraden Zahl ist (2k)2 = 4k 2 ≡ 0 (mod 4), w¨ahrend Quadrate von ungeraden Zahlen (2k + 1)2 = 4(k 2 + k) + 1 ≡ 1 (mod 4) ergeben. Damit ist jede Summe von zwei Quadraten zu 0, 1 oder 2 (mod 4) kongruent.  Dies reicht uns als Beleg daf¨ur, dass die Primzahlen p = 4m + 3 schlecht“ ” sind. Also k¨ummern wir uns jetzt erst mal um die guten“ Eigenschaften ” der Primzahlen von der Form p = 4m + 1. Das folgende Resultat ist der wichtigste Schritt auf dem Weg zur L¨osung unseres Problems. Proposition. Jede Primzahl der Form p = 4m + 1 ist eine Summe von zwei Quadraten, sie kann also als p = x2 + y 2 dargestellt werden, mit nat¨urlichen Zahlen x und y. Wir werden hier zwei Beweise dieses Resultats pr¨asentieren — beide sind elegant und u¨ berraschend. Der erste Beweis gl¨anzt durch eine bemerkenswerte Anwendung des Schubfachprinzips (das schon ganz nebenbei“ vor ” Lemma 2 aufgetreten ist; Kapitel 25 bietet mehr davon), und durch einen ¨ bestechenden Ubergang zu Argumenten modulo p“ und zur¨uck. Wir ver” danken ihn dem norwegischen Zahlentheoretiker Axel Thue.  Beweis. Wir betrachten die Paare (x′ , y ′ ) von ganzen Zahlen mit √ √ 0 ≤ x′ , y ′ ≤ p, das heißt x′ , y ′ ∈ {0, 1, . . . , ⌊ p⌋}. Es gibt genau √ √ (⌊ p⌋ + 1)2 solche Paare. Mit der Absch¨atzung ⌊x⌋ + 1 > x f¨ur x = p sehen wir, dass es mehr als p solche Paare von ganzen Zahlen gibt. Also k¨onnen f¨ur ein festes s ∈ Z die Werte x′ − sy ′ , die man aus den Paaren (x′ , y ′ ) erzeugt, nicht alle modulo p verschieden sein. Also gibt es f¨ur jedes s zwei verschiedene Paare √ (x′ , y ′ ), (x′′ , y ′′ ) ∈ {0, 1, . . . , ⌊ p⌋}2 mit x′ − sy ′ ≡ x′′ − sy ′′ (mod p).

Nun nehmen wir Differenzen: Wir haben x′ − x′′ ≡ s(y ′ − y ′′ ) (mod p). Wenn wir also x := |x′ − x′′ |, y := |y ′ − y ′′ | definieren, dann erhalten wir √ (x, y) ∈ {0, 1, . . . , ⌊ p⌋}2

mit

x ≡ ±sy (mod p).

Weiterhin wissen wir, dass x und y nicht beide Null sein k¨onnen, weil die Paare (x′ , y ′ ) und (x′′ , y ′′ ) ja verschieden sind.

√ F¨ur p = 13, ⌊ p⌋ = 3 betrachten wir x′ , y ′ ∈ {0, 1, 2, 3}. F¨ur s = 5 nimmt die Summe x′ − sy ′ (mod 13) die folgenden Werte an: ′ Qy 0 1 2 3 x′ Q 0 0 8 3 11 1 1 9 4 12 2 2 10 5 0 3 3 11 6 1

22

Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat Sei nun s eine L¨osung von s2 ≡ −1 (mod p), die nach Lemma 1 existieren muss. Dann gilt x2 ≡ s2 y 2 ≡ −y 2 (mod p), und wir erhalten (x, y) ∈ Z2

mit

0 < x2 + y 2 < 2p

und

x2 + y 2 ≡ 0 (mod p).

Die Primzahl p ist aber die einzige Zahl zwischen 0 und 2p, die durch p teilbar ist. Also gilt x2 + y 2 = p: fertig!  Unser zweiter Beweis f¨ur die Proposition — ganz sicher auch ein Beweis aus dem BUCH — wurde von Roger Heath-Brown 1971 entdeckt und erschien 1984. (Eine Kurzversion in einem Satz“ wurde von Don Zagier ” angegeben.) Er ist so elementar, dass wir daf¨ur nicht einmal das Lemma 1 brauchen. Das Argument von Heath-Brown basiert auf drei Involutionen: einer ziemlich offensichtlichen, einer u¨ berraschenden, und einer ganz trivialen zum Schluß. Die zweite Involution entspricht einer versteckten Struktur auf der Menge der ganzzahligen L¨osungen der Gleichung 4xy + z 2 = p.  Beweis. Wir untersuchen die Menge S := {(x, y, z) ∈ Z3 : 4xy + z 2 = p,

x > 0,

y > 0}.

Diese Menge ist endlich: aus x ≥ 1 und y ≥ 1 folgt n¨amlich y ≤ p4 und x ≤ p4 . Damit gibt es aber nur endlich viele m¨ogliche Werte f¨ur x und y, und f¨ur gegebenes x und y gibt es h¨ochstens zwei Werte f¨ur z. 1. Die erste lineare Involution ist f : S −→ S,

(x, y, z) 7−→ (y, x, −z),

also vertausche x und y und negiere z“. Dies bildet ganz offensichtlich S ” auf sich selbst ab, und es ist eine Involution: Zweimal angewendet, ergibt es die Identit¨at. Dieses f hat offenbar keine Fixpunkte, weil aus z = 0 sofort p = 4xy folgen w¨urde, was nicht sein kann. Schließlich bildet f die L¨osungen in T := {(x, y, z) ∈ S : z > 0} auf die L¨osungen in S\T ab, die z < 0 erf¨ullen. Also vertauscht f die Vorzeichen von x − y und von z, und bildet somit auch die L¨osungen in

T

U := {(x, y, z) ∈ S : (x − y) + z > 0}

f

U

auf die L¨osungen in S\U ab. Daf¨ur m¨ussen wir nur u¨ berpr¨ufen, dass es keine L¨osungen gibt mit (x − y) + z = 0. Aber die gibt es nicht, weil daraus sofort p = 4xy + z 2 = 4xy + (x − y)2 = (x + y)2 folgen w¨urde. Was liefert uns nun die Analyse von f ? Die haupts¨achliche Beobachtung ist, dass f die Mengen T und U mit ihren Komplementen S\T bzw. S\U in Bijektion setzt; deshalb haben T und U beide die halbe Kardinalit¨at von S — also haben T und U dieselbe Kardinalit¨at.

23

Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat 2. Die zweite Involution, die wir betrachten wollen, lebt auf der Menge U : g : U −→ U,

(x, y, z) 7−→ (x − y + z, y, 2y − z).

Zun¨achst u¨ berpr¨ufen wir, dass dies u¨ berhaupt eine wohldefinierte Abbildung ist: Wenn (x, y, z) ∈ U ist, dann gilt x − y + z > 0, y > 0 und 4(x − y + z)y + (2y − z)2 = 4xy + z 2 = p, also g(x, y, z) ∈ S. Mit (x − y + z) − y + (2y − z) = x > 0 liefert dies g(x, y, z) ∈ U . Weiterhin ist g eine Involution: g(x, y, z) = (x − y + z, y, 2y − z) wird durch g auf ((x − y + z) − y + (2y − z), y, 2y − (2y − z)) = (x, y, z) abgebildet. Und schließlich hat g hat genau einen Fixpunkt:

g

(x, y, z) = g(x, y, z) = (x − y + z, y, 2y − z) gilt genau dann, wenn y = z ist. Dann haben wir aber p = 4xy + y 2 = (4x + y)y, was nur f¨ur y = 1 = z und x = p−1 4 gelten kann. Und wenn g eine Involution auf U ist, die genau einen Fixpunkt hat, dann hat U ungerade Kardinalit¨at.

U

3. Die dritte, triviale, Involution lebt auf der Menge T , und sie vertauscht einfach x und y: h : T −→ T,

(x, y, z) 7−→ (y, x, z).

Diese Abbildung ist nun ganz offensichtlich wohldefiniert und sie ist eine Involution. Wir kombinieren jetzt das Wissen, das wir aus den beiden anderen Involutionen abgeleitet haben: T hat dieselbe Kardinalit¨at wie U , und die ist ungerade. Aber da h somit eine Involution auf einer endlichen Menge von ungerader Kardinalit¨at ist, muss h einen Fixpunkt haben: Es gibt einen Punkt (x, y, z) ∈ T mit x = y, also eine L¨osung von p = 4x2 + z 2 = (2x)2 + z 2 .



Dieser Beweis liefert sogar noch mehr — n¨amlich, dass die Anzahl der Darstellungen von p in der Form p = x2 + (2y)2 f¨ur alle Primzahlen der Form p = 4m + 1 ungerade ist. (Die Darstellung ist sogar eindeutig, siehe [1, §42].) Wir m¨ussen aber auch feststellen, dass keiner der beiden Beweise effektiv ist: man versuche einfach mal, x und y f¨ur eine zehnstellige Primzahl zu finden! Effektive Methoden zur Berechnung solcher Darstellungen als Summe von zwei Quadraten werden in [2] und [7] diskutiert. Der folgende Satz beantwortet nun vollst¨andig die Frage, mit der wir dieses Kapitel begonnen hatten. Satz. Eine nat¨urliche Zahl n kann genau dann als Summe von zwei Quadraten dargestellt werden, wenn jeder Primfaktor der Form p = 4m + 3 in der Primfaktorzerlegung von n mit geradem Exponenten auftritt.

T Auf einer endlichen Menge mit ungerader Kardinalit¨at hat jede Involution mindestens einen Fixpunkt.

24

Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat  Beweis. Wir nennen eine Zahl n darstellbar, wenn sie eine Summe von zwei Quadraten ist, das heißt, wenn n = x2 + y 2 f¨ur ganzzahlige x, y ist. Der Satz folgt nun aus den folgenden f¨unf Tatsachen. (1) 1 = 12 + 02 und 2 = 12 + 12 sind darstellbar. Jede Primzahl der Form p = 4m + 1 ist darstellbar. (2) Das Produkt von zwei darstellbaren Zahlen n1 = x21 + y12 und n2 = x22 + y22 ist darstellbar: n1 n2 = (x1 x2 + y1 y2 )2 + (x1 y2 − x2 y1 )2 . (3) Wenn n darstellbar ist, n = x2 + y 2 , dann ist auch nz 2 darstellbar, wegen nz 2 = (xz)2 + (yz)2 . Die Tatsachen (1), (2) und (3) ergeben zusammen schon den dann“-Teil ” des Satzes. (4) Wenn p = 4m + 3 eine Primzahl ist, die eine darstellbare Zahl n = x2 + y 2 teilt, dann teilt p sowohl x als auch y, und damit ist n auch durch p2 teilbar. Wenn n¨amlich x 6≡ 0 (mod p) w¨are, dann k¨onnten wir ein x finden mit xx ≡ 1 (mod p), dann die Gleichung x2 + y 2 ≡ 0 mit x2 multiplizieren, und damit 1 + y 2 x2 = 1 + (xy)2 ≡ 0 (mod p) erhalten, was f¨ur p = 4m + 3 nach Lemma 1 unm¨oglich ist. (5) Wenn n darstellbar und durch p = 4m + 3 teilbar ist, dann ist n auch durch p2 teilbar, und n/p2 ist ebenfalls darstellbar. Dies folgt aus (4) und beendet den Beweis.  Wir schließen dieses Kapitel mit zwei Bemerkungen: • Wenn a und b zwei nat¨urliche Zahlen sind, die keinen gemeinsamen Primfaktor haben, dann gibt es unendlich viele Primzahlen der Form am + b (m ∈ N): dies ist ein ber¨uhmtes (und schwieriges) Resultat von Dirichlet. Genauer kann man zeigen, dass die Anzahl der Primzahlen p ≤ x von der Form p = am + b f¨ur großes x sehr genau durch die Funktion x 1 ϕ(a) log x beschrieben wird, wobei ϕ(a) die Anzahl der Zahlen b mit 1 ≤ b < a bezeichnet, die zu a teilerfremd sind. (Dies ist eine bedeutsame Verfeinerung des Primzahlsatzes, den wir ja auf Seite 10 besprochen haben.) • W¨ahrend es aber nun auf den ersten Blick so aussieht, dass f¨ur festes a und verschiedene b die H¨aufigkeit der Primzahlen gleich ist, kann man zum Beispiel f¨ur a = 4 trotzdem eine sehr schwache, aber dennoch nachweisbare Tendenz zu Gunsten der Primzahlen vom Typ 4m + 3 beobachten: F¨ur sehr großes, zuf¨alliges x gibt es n¨amlich mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Primzahlen p ≤ x vom Typ p = 4m + 3 als vom Typ p = 4m + 1. Dieser Effekt ist als “Chebyshev’s bias” ( die Parteilichkeit des Herrn Tschebyschev“) bekannt; siehe Riesel [4] ” und Rubinstein und Sarnak [5].

Der Zwei-Quadrate-Satz von Fermat

Literatur [1] A. A IGNER : Zahlentheorie, de Gruyter, Berlin 1975. [2] F. W. C LARKE , W. N. E VERITT, L. L. L ITTLEJOHN & S. J. R. VORSTER : H. J. S. Smith and the Fermat Two Squares Theorem, Amer. Math. Monthly 106 (1999), 652-665. [3] D. R. H EATH -B ROWN : Fermat’s two squares theorem, Invariant (1984), 2-5. [4] H. R IESEL : Prime Numbers and Computer Methods for Factorization, Second edition, Progress in Mathematics 126, Birkh¨auser, Boston MA 1994. [5] M. RUBINSTEIN & P. S ARNAK : Chebyshev’s bias, Experimental Mathematics 3 (1994), 173-197. [6] A. T HUE : Et par antydninger til en taltheoretisk metode, Kra. Vidensk. Selsk. Forh. 7 (1902), 57-75. [7] S. WAGON : Editor’s corner: The Euclidean algorithm strikes again, Amer. Math. Monthly 97 (1990), 125-129. [8] D. Z AGIER : A one-sentence proof that every prime p ≡ 1 (mod 4) is a sum of two squares, Amer. Math. Monthly 97 (1990), 144.

25

Das quadratische ¨ Reziprozitatsgesetz

Welches ber¨uhmte mathematische Theorem wurde am h¨aufigsten bewiesen? Der Satz von Pythagoras w¨are sicher ein guter Kandidat oder auch der Fundamentalsatz der Algebra, aber der Sieger ist zweifellos das quadratische Reziprozit¨atsgesetz der Zahlentheorie. In einer bewundernswerten Monografie f¨uhrt Franz Lemmermeyer mit Stand vom Jahr 2000 nicht weniger als 196 Beweise an. Nat¨urlich sind viele von ihnen nur geringf¨ugige Variationen von anderen, aber die Anzahl der verschiedenen Ideen, wie auch die Liste der Namen, die dazu beigetragen haben, ist h¨ochst eindrucksvoll. Carl Friedrich Gauß gab den ersten vollst¨andigen Beweis im Jahr 1801 und publizierte anschließend noch sieben weitere. Etwas sp¨ater f¨ugte Ferdinand Gotthold Eisenstein f¨unf weitere hinzu — und die Liste der Beweiser liest sich wie ein Who is Who“ der Mathematik. ” Mit so vielen Beweisen ist die Auswahl, welcher davon in das BUCH geh¨ort, nat¨urlich nicht leicht. Ist es der k¨urzeste, der ungew¨ohnlichste oder sollte man eher den Beweis k¨uren, der das gr¨oßte Potential f¨ur Verallgemeinerungen zu h¨oheren Reziprozit¨atsgesetzen hat? Wir haben zwei Beweise ausgew¨ahlt (basierend auf dem dritten und sechsten Beweis von Gauß), von denen der eine vielleicht der einfachste und h¨ubscheste ist, w¨ahrend der andere den Ausgangspunkt f¨ur fundamentale Resultate in allgemeineren Strukturen darstellt. Wie im vorhergehenden Kapitel arbeiten wir modulo p“, wobei p eine un” gerade Primzahl ist. Zp ist der K¨orper der Restklassen bei Division durch p, und wir stellen u¨ blicherweise (aber nicht immer) diese Restklassen durch die Vertreter 0, 1, . . . , p − 1 dar. Es sei ein a 6≡ 0 (mod p) gegeben, d. h. p ∤ a. Wir nennen a einen quadratischen Rest modulo p, wenn a ≡ b2 (mod p) ist f¨ur ein b, und anderenfalls einen quadratischen Nichtrest. Die p−1 2 quadratischen Reste sind daher 12 , 22 , . . . , ( p−1 2 ) ; es gibt also 2 p−1 quadratische Reste und 2 quadratische Nichtreste. In der Tat, falls i2 ≡ 2 2 j 2 (mod p) ist mit 1 ≤ i, j ≤ p−1 2 , so haben wir p | i −j = (i−j)(i+j). Aus 2 ≤ i + j ≤ p − 1 folgt nun p | i − j, d. h. i ≡ j (mod p). Um das Rechnen zu erleichtern, f¨uhren wir das sogenannte Legendre-Symbol ein. Es sei a 6≡ 0 (mod p), dann ist  a 1 falls a quadratischer Rest ist := −1 falls a quadratischer Nichtrest ist. p Die Geschichte beginnt mit Fermat’s kleinem Satz“: F¨ur a 6≡ 0 (mod p) ” gilt p−1 a ≡ 1 (mod p). (1)

Das ist leicht zu sehen: Da Z∗p = Zp \ {0} eine Gruppe mit Multiplikation

Kapitel 5

Carl Friedrich Gauß

Die quadratischen Reste f¨ur p = 13 sind 12 ≡ 1, 22 ≡ 4, 32 ≡ 9, 42 ≡ 3, 52 ≡ 12 und 62 ≡ 10; die Nichtreste sind 2, 5, 6, 7, 8, 11.

28

Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz ist, durchl¨auft die Menge {1a, 2a, 3a, . . . , (p − 1)a} wiederum alle Reste r 6≡ 0 (mod p) (1a)(2a) · · · ((p − 1)a) ≡ 1 · 2 · · · (p − 1) (mod p). Dividieren wir diese Kongruenz durch (p − 1)!, so erhalten wir ap−1 ≡ 1 (mod p). Mit anderen Worten, das Polynom xp−1 − 1 ∈ Zp [x] hat als Nullstellen alle Restklassen ungleich Null. Als N¨achstes bemerken wir die Zerlegung xp−1 − 1 = (x

p−1 2

− 1)(x

p−1 2

+ 1).

Angenommen a ≡ b2 (mod p) ist ein quadratischer Rest, dann gilt nach p−1 dem kleinen Satz von Fermat a 2 ≡ bp−1 ≡ 1 (mod p). Die quadratischen p−1 Reste sind daher genau die Wurzeln des ersten Faktors x 2 − 1, folglich p−1 2 m¨ussen die p−1 +1 2 Nichtreste die Nullstellen des zweiten Faktors x sein. Vergleichen wir dies mit der Definition des Legendre-Symbols, so erhalten wir die folgende wichtige Beziehung. Als Beispiel erhalten wir f¨ur p = 17 und a = 3, 38 = (34 )2 = 812 ≡ (−4)2 ≡ −1 (mod 17), w¨ahrend wir f¨ur a = 2 28 = (24 )2 ≡ (−1)2 ≡ 1 (mod 17) berechnen. Also ist 2 ein quadratischer Rest, w¨ahrend 3 ein Nichtrest ist.

Eulers Kriterium. F¨ur a 6≡ 0 (mod p) gilt

p−1 a ≡ a 2 (mod p). p

Daraus folgt sofort die wichtige Produktregel ab  = p

a b  , p p

(2)

da dies offensichtlich f¨ur die rechte Seite im Eulerschen Kriterium gilt. Die Produktregel ist außerordentlich hilfreich zur Berechnung des LegendreSymbols: Da jede ganze Zahl ein Produkt von ±1 und Primzahlen ist, q 2 m¨ussen wir nur ( −1 ur ungerade Primzahlen q bestimmen. p ), ( p ), und ( p ) f¨ Nach Euler gilt ( −1 ur p ≡ 1 (mod 4), und ( −1 ur p ≡ p ) = 1 f¨ p ) = −1 f¨ 3 (mod 4), was wir schon im vorhergehenden Kapitel gesehen haben. Den Fall ( p2 ) werden wir mit dem nachfolgenden Lemma von Gauß erledigen: ( p2 ) = 1 f¨ur p ≡ ±1 (mod 8) bzw. ( p2 ) = −1 f¨ur p ≡ ±3 (mod 8). Gauß f¨uhrte viele Berechnungen mit quadratischen Resten durch und studierte insbesondere die Frage, ob es eine Beziehung gibt zwischen der Tatsache, dass q ein quadratischer Rest modulo p ist und andererseits p ein quadratischer Rest modulo q, wobei p und q ungerade Primzahlen sind. Nach vielen Versuchen vermutete er und bewies schließlich den folgenden Satz.

29

Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz

Quadratisches Reziprozit¨atsgesetz. Seien p und q verschiedene ungerade Primzahlen. Dann gilt p−1 q−1 q p ( )( ) = (−1) 2 2 . p q

q−1 Ist p ≡ 1 (mod 4) oder q ≡ 1 (mod 4), so ist p−1 2 (bzw. 2 ) gerade, und es p−1 q−1 p q folgt (−1) 2 2 = 1, d. h. ( p ) = ( q ). Im Fall p ≡ q ≡ 3 (mod 4) haben wir ( pq ) = −( pq ). Somit gilt f¨ur ungerade Primzahlen stets ( pq ) = ( pq ), außer wenn beide p und q ≡ 3 (mod 4) sind.

3 Beispiel: ( 17 ) = ( 17 ) = ( 23 ) = −1, 3 also ist 3 ein Nichtrest mod 17.

Erster Beweis. Der Schl¨ussel zum ersten Beweis (welcher der dritte von Gauß ist), ist eine Abz¨ahlformel, die bald unter dem Namen Lemma von Gauß bekannt wurde. Lemma von Gauß. Es sei a 6≡ 0 (mod p). Man betrachte die Zahlen 1a, 2a, . . . , p−1 2 a und reduziere sie modulo p auf die Restklassen mit p−1 kleinstem absoluten Wert, ia ≡ ri (mod p) mit − p−1 2 ≤ ri ≤ 2 f¨ur alle i. Dann gilt a ( ) = (−1)s mit s = #{i : ri < 0}. p  Beweis. Seien u1 , . . . , us die Reste modulo p, die kleiner als 0 sind, und v1 , . . . , v p−1 −s jene, die gr¨oßer als 0 sind. Dann liegen die Zahlen 2

−u1 , . . . , −us zwischen 1 und p−1 2 und sind alle von den vj s verschieden (siehe den Beweis am Rand), also ist {−u1 , . . . , −us , v1 , . . . , v p−1 −s } = {1, 2, . . . , p−1 2 }. Wir haben daher Y Y (−ui ) vj = i

und somit

(−1)s

Y

2

p−1 2 !

j

ui

i

Y j

vj ≡

p−1 2 !

(mod p).

Nun erinnern wir uns, wie wir die Zahlen ui und vj erhalten haben; sie sind die Reste von 1a, · · · , p−1 2 a, d. h. es gilt p−1 2 !

≡ (−1)s

Y i

ui

Y j

vj ≡ (−1)s ( p−1 2 !)a

p−1 2

(mod p).

K¨urzen wir in dieser Formel p−1 2 ! und wenden Eulers Kriterium an, so erhalten wir p−1 a ( ) ≡ a 2 ≡ (−1)s (mod p), p und daher ( ap ) = (−1)s , da p ungerade ist. 

Sei −ui = vj , d. h. ui + vj ≡ 0 (mod p). Aus ui ≡ ka, vj ≡ ℓa (mod p) folgt p | (k + ℓ)a, und da p und a relativ prim sind, muss also p die Summe k + ℓ teilen, was wegen k + ℓ ≤ p − 1 nicht geht.

30

Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz Nun k¨onnen wir m¨uhelos ( p2 ) berechnen: Die Zahlen 1 · 2, 2 · 2, . . . , p−1 2 ·2 liegen alle zwischen 1 und p − 1, woraus s = #{i :

p−1 2

< 2i ≤ p − 1} =

p−1 2

− #{i : 2i ≤

p−1 2 }

= ⌈ p−1 4 ⌉

resultiert. Man sieht leicht, dass s gerade ist genau f¨ur die Primzahlen p = 8k ± 1.

Das Lemma von Gauß ist die Grundlage f¨ur viele der bekannten Beweise des quadratischen Reziprozit¨atsgesetzes. Der eleganteste ist vielleicht der von Ferdinand Gotthold Eisenstein, der Zahlentheorie anhand der ber¨uhmten Disquisitiones Arithmeticae von Gauß lernte und seinerseits vor seinem fr¨uhen Tod im Alter von 29 Jahren wichtige Beitr¨age u¨ ber h¨ohere Rezi” prozit¨atsgesetze“ lieferte. Sein Beweis besteht einfach im Abz¨ahlen von bestimmten Gitterpunkten! Es seien p und q ungerade Primzahlen und ( pq ) das Legendre-Symbol. Angenommen iq ist ein Vielfaches von q, das im Lemma von Gauß auf einen negativen Rest ri < 0 reduziert wird. Das bedeutet, es gibt eine eindeutige ganze Zahl j mit − 2p < iq − jp < 0, wobei 0 < j < 2q ist, wegen 0 < i < p2 . Mit anderen Worten, es gilt ( pq ) = (−1)s , wobei s die Anzahl der Gitterpunkte (x, y) bezeichnet, also der Paare von ganzen Zahlen x ≥ 1, y ≥ 1 mit p p q 0 < py − qx < , 0 < x < , 0 < y < . (3) 2 2 2 Analog ist ( pq ) = (−1)t , wobei t die Anzahl der Gitterpunkt (x, y) ist, mit q p q , 0 2q enthalten dieselbe Anzahl von Punkten. Dazu betrachtet man die Abbildung ϕ : q+1 ¨ berpr¨uft, dass R → S, die (x, y) auf ( p+1 2 − x, 2 − y) abbildet und u ϕ eine Involution ist. q−1 Da die Gesamtzahl der Gitterpunkte im Rechteck gleich p−1 2 · 2 ist, q−1 p−1 schließen wir, dass s + t und 2 · 2 dieselbe Parit¨at haben, und es folgt p−1 q−1 q  p  = (−1)s+t = (−1) 2 2 . p q

Zweiter Beweis. Unser zweiter Beweis verwendet nicht das Lemma von Gauß, sondern stattdessen Gaußsche Summen“ in endlichen K¨orpern. ” Gauß kam auf diese Summen beim Studium der Gleichung xp − 1 = 0 und der arithmetischen Eigenschaften des K¨orpers Q(ζ) (ein sogenannter Kreisteilungsk¨orper), wobei ζ eine p-te Einheitswurzel ist. Diese Summen waren der Ausgangspunkt f¨ur seine Suche nach h¨oheren Reziprozit¨atsgesetzen in allgemeinen Zahlk¨orpern. Zun¨achst stellen wir ein paar Tatsachen u¨ ber endliche K¨orper zusammen. A. Es seien p und q verschiedene ungerade Primzahlen und F der endliche K¨orper mit q p−1 Elementen. Der Primk¨orper von F ist Zq , es gilt also qa = 0 f¨ur jedes a ∈ F . Das wiederum impliziert (a + b)q = aq + bq ,  q da jeder Binomialkoeffizient i ein Vielfaches von q ist f¨ur 0 < i < q, q−1 und daher 0 in F . Man bemerke, dass Eulers Kriterium ( pq ) = p 2 im Primk¨orper Zq eine Gleichung ist. B. Die multiplikative Gruppe F ∗ = F \ {0} ist zyklisch, mit q p−1 − 1 Elementen. (Details finden sich im Kasten auf der n¨achsten Seite.) Nach dem kleinen Fermat ist p ein Teiler von q p−1 − 1, somit existiert ein Element ζ ∈ F der Ordnung p, das heißt es gilt ζ p = 1, und ζ erzeugt die Untergruppe {ζ, ζ 2 , . . . , ζ p = 1} von F ∗ . Man bemerke, dass jedes ζ i (i 6= p) wieder ein erzeugendes Element dieser Untergruppe ist. Wir erhalten also die Faktorisierung xp − 1 = (x − ζ)(x − ζ 2 ) · · · (x − ζ p ). Zur¨uck zum Beweis. Wir betrachten die Gaußsche Summe G :=

p−1 X i=1

( pi )

i i ζ ∈ F, p

wobei das Legendre-Symbol ist. F¨ur den Beweis leiten wir zwei verschiedene Ausdr¨ucke f¨ur Gq ab und setzen sie dann gleich.

32

Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz

¨ Die multiplikativen Gruppen endlicher Korper sind zyklisch Es sei F ∗ die multiplikative Gruppe des K¨orpers F mit |F ∗ | = n. Die Ordnung von a, bezeichnet ord(a), ist die kleinste positive ganze Zahl k mit ak = 1. Die Gruppe ist also zyklisch, wenn wir ein Element a ∈ F ∗ finden mit ord(a) = n. Ist ord(b) = d, dann ist d nach dem Lagrangeschen Satz ein Teiler von n (siehe den Kasten auf Seite 4). Klassifizieren wir die Elemente nach ihrer Ordnung, so erhalten wir X ψ(d), wobei ψ(d) = #{b ∈ F ∗ : ord(b) = d}. (5) n= d|n

Gilt ord(b) = d, so erf¨ullt jedes Element bi (i = 1, . . . , d) die Gleichung (bi )d = 1 und ist daher eine Nullstelle des Polynoms xd − 1. Da aber F ein K¨orper ist, hat xd − 1 h¨ochstens d Nullstellen, somit sind die Elemente b, b2 , . . . , bd = 1 genau diese Nullstellen. Insbesondere ist jedes Element der Ordnung d von der Form bi . d Andererseits pr¨uft man leicht nach, dass ord(bi ) = (i,d) ist, wobei (i, d) den gr¨oßten gemeinsamen Teiler von i und d bezeichnet. Es gilt somit ord(bi ) = d genau dann, wenn (i, d) = 1 ist, d. h. wenn i und d relativ prim sind. Bezeichnet ϕ(d) = #{i : 1 ≤ i ≤ d, (i, d) = 1} die Eulersche Funktion, so haben wir daher ψ(d) = ϕ(d) immer dann, wenn ψ(d) > 0 ist. Aus (5) schließen wir daher X X ψ(d) ≤ ϕ(d) . n= d|n

d|n

Da wir andererseits sehen werden, dass X ϕ(d) = n

(6)

d|n

gilt, haben wir ψ(d) = ϕ(d) f¨ur alle d, und insbesondere ψ(n) = ϕ(n) ≥ 1, also gibt es ein Element der Ordnung n.

Der folgende Beweis von (6) unbekannten Ursprungs geh¨ort ebenfalls in das BUCH. Man betrachtet die n Br¨uche Selbst im totalen Chaos ” haben wir noch die zyklische Gruppe“

1 2 k n , ,..., ,..., , n n n n k¨urzt sie zur Form nk = di mit 1 ≤ i ≤ d, (i, d) = 1, d | n, und u¨ berpr¨uft, dass der Nenner d genau ϕ(d) Mal auftritt.

33

Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz Erster Ausdruck. Es gilt Gq =

p−1 X

p−1 p−1 X i i q X iq iq q ( )q ζ iq = ( )ζ iq = ( ) ( )ζ = ( )G, p p p p p i=1 i=1 i=1

(7)

wobei das erste Gleichheitszeichen aus (a + b)q = aq + bq folgt, das zweite wegen ( pi )q = ( pi ) da q ungerade ist, das dritte aus (2), welches ( pi ) = ( pq )( iqp ) impliziert, und das letzte gilt, da iq mit i modulo p wieder alle Reste ungleich Null durchl¨auft.

Beispiel: Sei p = 3, q = 5. Dann gilt G = ζ − ζ 2 und G5 = ζ 5 − ζ 10 = ¨ ζ 2 − ζ = −(ζ − ζ 2 ) = −G, in Uberein5 2 stimmung mit ( 3 ) = ( 3 ) = −1.

Zweiter Ausdruck. Angenommen, wir k¨onnen G2 = (−1)

p−1 2

p

(8)

beweisen, dann sind wir sofort fertig. Es gilt dann n¨amlich Gq = G(G2 )

q−1 2

= G(−1)

p−1 q−1 2 2

p

q−1 2

p−1 q−1 p = G( )(−1) 2 2 . q

(9)

Setzen wir nun die Ausdr¨ucke in (7) und (9) gleich und k¨urzen G, das p−1 q−1 wegen (8) ungleich Null ist, so erhalten wir ( pq ) = ( pq )(−1) 2 2 , und somit p−1 q−1 q p ( )( ) = (−1) 2 2 . p q Wir m¨ussen also noch (8) zeigen, und dazu machen wir zwei einfache Beobachtungen: Pp Pp−1 i i • der Tatsache, i=1 ζP= 0 und daher i=1 ζ = −1. Dies folgt ausQ p p dass − i=1 ζ i der Koeffizient von xp−1 in xp − 1 = i=1 (x − ζ i ) ist, und daher gleich 0 ist. Pp−1 k Pp−2 k −1 • k=1 ( p ) = 0 und daher k=1 ( p ) = −( p ), da es gleich viele quadratische Reste wie Nichtreste gibt. Wir haben G2 =

p−1 p−1 X X ij  i  i  X j  j  ζ ζ = ζ i+j . p p p i,j j=1 i=1

Setzen wir j ≡ ik (mod p), so sehen wir p−1 X k X k  p−1 X i(1+k) G = ζ = ζ (1+k)i . p p i=1 2

i,k

k=1

1+k = 1 ist. Wir F¨ur k = p − 1 ≡ −1 (mod p) ergibt dies ( −1 p )(p − 1), da ζ bringen den Summanden k = p − 1 nach vorne und schreiben 2

G =

p−2 p−1 X k  X (1+k)i −1  (p − 1) + ζ . p p i=1 k=1

Eulers Kriterium: ( −1 ) = (−1) p

p−1 2

34 F¨ur p = 3, q = 5, G2 = (ζ − ζ 2 )2 = ζ 2 − 2ζ 3 + ζ 4 = ζ 2 − 2 + ζ = −3 = 3−1 (−1) 2 3, da 1 + ζ + ζ 2 = 0 ist.

Das quadratische Reziprozit¨atsgesetz Da ζ 1+k f¨ur k P 6= p − 1 ein erzeugendes Element der Gruppe ist, ist die i innere Summe p−1 ur alle k 6= p − 1 nach unserer ersten i=1 ζ = −1 f¨ Pp−2 Beobachtung. Der zweite Summand ist daher − k=1 ( kp ) = ( −1 p ) nach −1 2 der zweiten Beobachtung. Es folgt G = ( p )p und daher mit Eulers

Kriterium G2 = (−1)

p−1 2

p, was zu beweisen war.



Literatur [1] A. BAKER : A Concise Introduction to the Theory of Numbers, Cambridge University Press, Cambridge 1984. [2] F. G. E ISENSTEIN : Geometrischer Beweis des Fundamentaltheorems f¨ur die quadratischen Reste, J. Reine Angewandte Mathematik 28 (1844), 186-191. [3] C. F. G AUSS : Theorema arithmetici demonstratio nova, Comment. Soc. regiae sci. G¨ottingen XVI (1808), 69; Werke II, 1-8 (enth¨alt den dritten Beweis). [4] C. F. G AUSS : Theorematis fundamentalis in doctrina de residuis quadraticis demonstrationes et amplicationes novae (1818), Werke II, 47-64 (enth¨alt den sechsten Beweis). [5] F. L EMMERMEYER : Reciprocity Laws, Springer-Verlag, Berlin 2000.

Was gibt’s?“ ” Ich liefere 196 Beweise ” f¨ur quadratische Reziprozit¨at“

¨ Jeder endliche Schiefkorper ¨ ist ein Korper

Kapitel 6

Ringe sind wichtige Strukturen in der modernen Algebra. Wenn ein Ring ein Eins-Element enth¨alt, und jedes Element ungleich Null ein multiplikatives Inverses hat, so heißt R ein Schiefk¨orper. Das heißt, was R dann noch fehlt, um ein K¨orper zu sein, ist die Kommutativit¨at der Multiplikation. Das bekannteste Beispiel eines nicht-kommutativen Schiefk¨orpers ist der Ring der Quaternionen, dessen Entdeckung Hamilton zugeschrieben wird. Aber, wie der Titel sagt, muss jeder solche Schiefk¨orper notwendigerweise unendlich viele Elemente enthalten. Wenn R endlich ist, dann erzwingen die Axiome die Kommutativit¨at der Multiplikation. Dieses Resultat ist heute ein Klassiker der Algebra. Herstein schreibt dazu: Dieses Ergebnis hat die Vorstellungskraft vieler Mathematiker angeregt, ” weil es so unvermutet ist. Denn der Satz verkn¨upft zwei scheinbar zusammenhangslose Dinge, n¨amlich die Anzahl der Elemente in einem gewissen algebraischen System und die Multiplikation in diesem System.“

Satz. Jeder endliche Schiefk¨orper ist kommutativ.

Diesen wunderbaren Satz hat J. H. Maclagan Wedderburn im Jahr 1905 entdeckt. Wedderburn selber pr¨asentierte drei Beweise, ein anderer wurde von Leonard E. Dickson im selben Jahr gefunden. Weitere Beweise mit einer Vielzahl von interessanten Ideen haben sp¨ater Emil Artin, Hans Zassenhaus, Nicolas Bourbaki und viele andere publiziert. Ein Beweis aber sticht heraus in seiner Einfachheit und Eleganz. Er wurde von Ernst Witt ¨ 1931 ver¨offentlicht und verbindet elementare Uberlegungen aus zwei ganz unterschiedlichen Bereichen zu einem glorreichen Finale.  Beweis. Die ersten Ideen bilden eine Mischung aus Linearer Algebra und elementarer Gruppentheorie. F¨ur ein beliebiges Element s ∈ R sei Cs := {x ∈ R : xs = sx} die Menge der Elemente von R, die mit s kommutieren; Cs heißt der Zentralisator von s. Offenbar enth¨alt Cs die Elemente 0 und 1 und ist ein Unterschiefk¨orper von R. Das Zentrum Z ist die Menge der Elemente, die mit allen Elementen von R vertauschbar sind, das heißt \ Z := Cs . s∈R

Ernst Witt

36

Jeder endliche Schiefk¨orper ist ein K¨orper Insbesondere sind alle Elemente von Z miteinander vertauschbar, 0 und 1 sind in Z, und somit ist Z ein endlicher K¨orper. F¨ur die M¨achtigkeit von Z setzen wir |Z| = q. (Man kann zeigen, dass dabei q eine Primzahlpotenz sein muss.) Wir betrachten nun R und Cs als Vektorr¨aume u¨ ber dem K¨orper Z und folgern, dass |R| = q n gilt, wobei n die Dimension des Vektorraumes R u¨ ber Z ist, und analog |Cs | = q ns f¨ur geeignete ganze Zahlen ns ≥ 1. Nehmen wir nun an, R w¨are kein K¨orper. Dies bedeutet, dass f¨ur ein gewisses s ∈ R der Zentralisator Cs nicht ganz R ist, oder was dasselbe ist, dass ns < n gilt. Auf der Menge R∗ := R\{0} betrachten wir die Relation r′ ∼ r

:⇐⇒

r′ = x−1 rx f¨ur ein x ∈ R∗ .

¨ Man u¨ berpr¨uft leicht, dass ∼ eine Aquivalenzrelation ist. Wir bezeichnen mit As := {x−1 sx : x ∈ R∗ } ¨ die Aquivalenzklasse, die s enth¨alt. Man beachte, dass |As | = 1 genau dann gilt, wenn s im Zentrum Z liegt. Also gibt es nach unserer Voraussetzung Klassen As mit |As | ≥ 2. Nun betrachten wir f¨ur s ∈ R∗ die Abbildung fs : x 7−→ x−1 sx von R∗ auf As . Wir berechnen f¨ur x, y ∈ R∗ x−1 sx = y −1 sy

⇐⇒ (yx−1 )s = s(yx−1 )

⇐⇒ yx−1 ∈ Cs∗ ⇐⇒ y ∈ Cs∗ x, wobei wir Cs∗ := Cs \{0} setzen und Cs∗ x = {zx : z ∈ Cs∗ } die Gr¨oße |Cs∗ | hat. Somit ist jedes Element x−1 sx das Bild von genau |Cs∗ | = q ns −1 Elementen in R∗ unter der Abbildung fs , woraus wir |R∗ | = |As | |Cs∗ | schließen. Insbesondere sehen wir daraus, dass qn − 1 |R∗ | = ns = |As | f¨ur jedes s eine nat¨urliche Zahl ist. ∗ |Cs | q −1 ¨ Wir wissen, dass die Aquivalenzklassen die Menge R∗ in disjunkte Teile zerlegen. Wir fassen die zentralen Elemente in der Menge Z ∗ zusammen ¨ und bezeichnen mit A1 , . . . , At die Aquivalenzklassen, die mehr als ein Element enthalten. Aus unserer Annahme wissen wir, dass t ≥ 1 ist. Da Pt |R∗ | = |Z ∗ | + k=1 |Ak | gilt, haben wir die so genannte Klassenformel qn − 1 = q − 1 +

t X qn − 1 q nk − 1

(1)

k=1

n

ur alle k gilt. bewiesen, in der 1 < qqnk−1 −1 ∈ N f¨ Mit (1) haben wir die Algebra verlassen und sind zur¨uck bei den nat¨urlichen Zahlen. Als N¨achstes behaupten wir, dass aus q nk − 1 | q n − 1 notwendigerweise nk | n folgt. Schreiben wir n¨amlich n = ank + r mit 0 ≤ r < nk , so impliziert q nk − 1 | q ank +r − 1, dass q nk − 1 | (q ank +r − 1) − (q nk − 1) = q nk (q (a−1)nk +r − 1)

37

Jeder endliche Schiefk¨orper ist ein K¨orper und somit q nk − 1 | q (a−1)nk +r − 1 gilt, weil q nk und q nk − 1 relativ prim sind. Fahren wir so fort, so erhalten wir schließlich q nk − 1 | q r − 1 mit 0 ≤ r < nk , was nur f¨ur r = 0 m¨oglich ist, das heißt, wenn nk | n gilt. Zusammenfassend notieren wir nk | n

f¨ur alle k.

(2)

Nun kommt der zweite Teil des Beweises: die komplexen Zahlen C. Wir betrachten das Polynom xn − 1. Die Nullstellen (in C) dieses Polynoms heißen die n-ten Einheitswurzeln. Da λn = 1 ist, haben alle diese Wurzeln λ den Absolutbetrag |λ| = 1, liegen also auf dem Einheitskreis in der kom2kπi plexen Ebene. Genauer sind die Einheitswurzeln die Zahlen λk = e n = cos(2kπ/n) + i sin(2kπ/n), 0 ≤ k ≤ n − 1 (siehe die Darstellung im Kasten unten). Einige der n-ten Einheitswurzeln λ gen¨ugen einer Gleichung λd = 1 f¨ur ein d < n; zum Beispiel erf¨ullt f¨ur gerades n die Nullstelle λ = −1 die Gleichung λ2 = 1. F¨ur eine Wurzel λ bezeichnen wir mit d den kleinsten positiven Exponenten mit λd = 1; mit anderen Worten, d ist die Ordnung von λ in der Gruppe der Einheitswurzeln. Nach dem Satz von Lagrange gilt also d | n ( Die Ordnung jedes Elements einer Gruppe teilt die Ordnung der ” Gruppe“ — siehe den Kasten im Kapitel 1). Offensichtlich gibt es Wurzeln 2πi der Ordnung n, zum Beispiel λ1 = e n .

Einheitswurzeln

λk = e

2kπi n

= cos(2kπ/n) + i sin(2kπ/n),

r = |z|

    

z = reiϕ = r(cos ϕ + i sin ϕ) p geschrieben werden; dabei ist r = |z| = x2 + y 2 der Abstand von z zum Nullpunkt, und ϕ ist der Winkel zwischen der positiven x-Achse und z, im Gegenuhrzeigersinn gemessen. Die n-ten Einheitswurzeln sind daher von der Form

     

Jede komplexe Zahl z = x + iy kann in Polarkoordinaten“ als ”

|

0 ≤ k ≤ n − 1,

da f¨ur alle k

ϕ

{z } x = r cos ϕ

λ2 λnk

=e

2kπi

z = reiϕ       y = r sin ϕ     

λ1 = ζ

= cos(2kπ) + i sin(2kπ) = 1

ist. Wir erhalten die Einheitswurzeln geometrisch, indem wir ein regul¨ares n-Eck in den Einheitskreis einbeschreiben. Man beachte, 2πi dass λk = ζ k f¨ur alle k ist, wenn wir ζ = e n setzen. Mit anderen Worten, die n-ten Einheitswurzeln bilden eine zyklische Gruppe {ζ, ζ 2 , . . . , ζ n−1 , ζ n = 1} der Ordnung n.

−1

1

Die Einheitswurzeln f¨ur n = 6

38

φ1 (x) = x − 1 φ2 (x) = x + 1 φ3 (x) = x2 + x + 1 φ4 (x) = x2 + 1 φ5 (x) = x4 + x3 + x2 + x + 1 φ6 (x) = x2 − x + 1 .. .

Jeder endliche Schiefk¨orper ist ein K¨orper Nun fassen wir alle Einheitswurzeln der Ordnung d zusammen und setzen Y φd (x) := (x − λ). λ hat Ordnung d

Man beachte, dass die Definition von φd (x) unabh¨angig von n ist. Da jede Wurzel eine gewisse Ordnung d hat, schließen wir Y φd (x). (3) xn − 1 = d|n

Nun kommt die entscheidende Beobachtung. Obwohl die Einheitswurzeln λ im Allgemeinen echt-komplexe Zahlen sind, gilt: Die Koeffizienten jedes der Polynome φn (x) sind ganze Zahlen (das heißt, φn (x) ∈ Z[x] f¨ur alle n), wobei zus¨atzlich der konstante Koeffizient entweder 1 oder −1 ist. Wir wollen diese Behauptung genau verifizieren. F¨ur n = 1 ist 1 die einzige Wurzel, es ist also φ1 (x) = x − 1. Nun verwenden wir Induktion nach n, wobei wir als Induktionsvoraussetzung φd (x) ∈ Z[x] f¨ur alle d < n annehmen, und weiter, dass der konstante Koeffizient φd (x) gleich 1 oder −1 ist. Nach (3) gilt xn − 1 = p(x) φn (x) (4) wobei p(x) =

ℓ X

pj xj ,

φn (x) =

j=0

n−ℓ X

ak xk ,

k=0

mit p0 = 1 oder p0 = −1. Aus −1 = p0 a0 sehen wir, dass a0 ∈ {1, −1} ist. Angenommen, wir wissen bereits, dass alle a0 , a1 , . . . , ak−1 ∈ Z sind. Berechnen wir den Koeffizienten von xk auf beiden Seiten von (4), so finden wir k X

pj ak−j =

j=0

k X j=1

pj ak−j + p0 ak ∈ Z.

Nach Voraussetzung sind alle a0 , . . . , ak−1 (und alle pj ) in Z. Also m¨ussen p0 ak und somit auch ak ebenfalls ganze Zahlen sein, da p0 gleich 1 oder −1 ist.

Wir sind nun bereit f¨ur den coup de grˆace. Es sei nk | n eine der Zahlen, die in (1) auftreten. Dann haben wir Y Y φd (x). φd (x) = (xnk − 1)φn (x) xn − 1 = d | n, d∤nk , d6=n

d|n

Also gelten in Z die Teilbarkeitsbeziehungen φn (q) | q n − 1

und

qn − 1 φn (q) n . q k −1

(5)

39

Jeder endliche Schiefk¨orper ist ein K¨orper Da (5) f¨ur alle k richtig ist, folgt aus der Klassenformel (1) φn (q) | q − 1,

Q aber dies kann nicht sein! Warum nicht? Nun, es ist φn (x) = (x − λ), wobei λ in dem Produkt alle Wurzeln von xn −1 der Ordnung n durchl¨auft. Sei µ = a + ib eine dieser Wurzeln. Aus n > 1 (wegen R 6= Z) schließen wir µ 6= 1, was impliziert, dass der Realteil a kleiner als 1 ist. Nun gilt |µ|2 = a2 + b2 = 1, und daher |q − µ|2

=

|q − a − ib|2 = (q − a)2 + b2

=

q 2 − 2aq + a2 + b2 = q 2 − 2aq + 1

>

q 2 − 2q + 1

=

(wegen a < 1)

2

(q − 1) ,

das heißt, |q − µ| > q − 1 gilt f¨ur alle Wurzeln der Ordnung n. Und hier kommt der Clou: Y |φn (q)| = |q − λ| > q − 1, λ

was bedeutet, dass φn (q) kein Teiler von q − 1 sein kann: Widerspruch und Ende des Beweises. 

Literatur [1] L. E. D ICKSON : On finite algebras, Nachrichten der Akad. Wissenschaften G¨ottingen Math.-Phys. Klasse (1905), 1-36; Collected Mathematical Papers Vol. III, Chelsea Publ. Comp, The Bronx, NY 1975, 539-574. [2] I. N. H ERSTEIN : Algebra, Physik Verlag, Weinheim 1978. [3] J. H. M. W EDDERBURN : A theorem on finite algebras, Trans. Amer. Math. Soc. 6 (1905), 349-352. ¨ [4] E. W ITT: Uber die Kommutativit¨at endlicher Schiefk¨orper, Abh. Math. Sem. Univ. Hamburg 8 (1931), 413.

µ 1 |q − µ| > |q − 1|

q

Einige irrationale Zahlen

Kapitel 7

π ist irrational“ ” Dies geht auf Aristoteles zur¨uck, der behauptet haben soll, dass Durchmesser und Umfang eines Kreises nicht kommensurabel seien. Der erste Beweis wurde 1766 von Johann Heinrich Lambert gegeben. Im BUCH findet sich jedoch das Datum 1947: ein extrem eleganter Ein-SeitenBeweis von Ivan Niven, f¨ur den man nur elementare Analysis braucht. Man kann aber noch viel mehr aus Nivens Methode herausholen, wie Iwamoto bzw. Koksma gezeigt haben: • π 2 ist irrational und • er ist irrational f¨ur rationales r 6= 0. Die Methode von Niven hat jedoch ihre Wurzeln und Vorg¨anger: Die historische Spur f¨uhrt zu einem klassischen Aufsatz aus dem Jahr 1873 von Charles Hermite, der als Erster bewiesen hat, dass e sogar transzendent ist, das heißt, dass e nicht Nullstelle eines Polynoms mit ganzzahligen Koeffizienten ist. Bevor wir uns um π k¨ummern, besch¨aftigen wir uns deshalb mit e und seinen Potenzen und zeigen, dass diese irrational sind: Dies ist viel einfacher, und wir entsprechen damit auch der historischen Reihenfolge in der Entwicklung der Resultate. Es ist zun¨achst einmal 1815 beP sehr1 leicht zu sehen (wie Fourier im Jahr merkte), dass e = k≥0 k! irrational ist. W¨are n¨amlich e = ab , f¨ur ganze Zahlen a und b > 0, so m¨usste n!be = n!a gelten, f¨ur jedes n ≥ 0. Das kann aber nicht sein, weil auf der rechten Seite eine ganze Zahl steht, w¨ahrend wir die linke Seite mit   1 1  1 1 1 1 + + + + ... e = 1+ + +. . .+ 1! 2! n! (n + 1)! (n + 2)! (n + 3)!

folgendermaßen aufteilen k¨onnen. Sie besteht aus einem ganzzahligen Teil  1 1 1 bn! 1 + + + . . . + 1! 2! n! und einem Teil   1 1 1 + + + ... , b n + 1 (n + 1)(n + 2) (n + 1)(n + 2)(n + 3)

Charles Hermite

e := 1 + 11 + 21 + 16 + = 2.718281828... ex := 1 + x1 + X k x = k! k≥0

x2 2

+

x4 6

1 24

+ ...

+

x4 24

+ ...

42

Einige irrationale Zahlen

Eine geometrische Reihe F¨ur die geometrische Reihe Q =

1 q

+

1 q2

+

1 q3

+ ...

mit q > 1 gilt offenbar qQ = 1 +

1 q

+

1 q2

+ ... = 1 + Q

und damit 1 Q = . q−1

der ungef¨ahr nb ist, also f¨ur große n eben nicht ganzzahlig sein kann. Er ist b n¨amlich gr¨oßer als n+1 und kleiner als nb , wie man aus dem Vergleich mit einer geometrischen Reihe sieht: 1 < n+1
0 den Primfaktor 2 h¨ochstens r − 1 mal enth¨alt, n! aber genau n − 1 mal. (F¨ur r > 0 sind die Summanden also sogar gerade.) Und die Reihen, die man f¨ur r ≥ n+ 1 erh¨alt, sind f¨ur gerades n (wir haben ja n = 2m angenommen) 2b bzw.



 2 4 8 + + + ... n + 1 (n + 1)(n + 2) (n + 1)(n + 2)(n + 3)

 2a −

 4 8 2 + − ± ... , n + 1 (n + 1)(n + 2) (n + 1)(n + 2)(n + 3)

4a die f¨ur große Zweierpotenzen ungef¨ahr 4b n bzw. − n sind (wie man wieder durch Vergleich mit geometrischen Reihen sieht). F¨ur großes n = 2m heißt das aber, dass die linke Seite von (1) ein bisschen gr¨oßer als eine ganze Zahl ist, die rechte Seite ein bisschen kleiner — Widerspruch! 

Also wissen wir, dass e4 irrational ist. Um jedoch zu zeigen, dass auch e3 , e5 usw. irrational sind, brauchen wir sch¨arfere Waffen (n¨amlich ein wenig Analysis) und eine neue Idee — die im Wesentlichen auf Charles Hermite zur¨uckgeht — und f¨ur die der Schl¨ussel im folgenden Lemma verborgen liegt. Lemma. F¨ur ein festes n ≥ 1 sei f (x) :=

xn (1 − x)n . n!

(i) Die Funktion f (x) ist ein Polynom der Form 2n

f (x) =

1 X i ci x , n! i=n

dessen Koeffizienten ci ganze Zahlen sind. (ii) F¨ur 0 < x < 1 ist 0 < f (x)
0, und sei n so groß, dass n! > as2n+1 ist. Wir setzen F (x)

Die Absch¨atzung n! > e( ne )n liefert ein explizites n, das groß genug“ ist. ”

:= s2n f (x) − s2n−1 f ′ (x) + s2n−2 f ′′ (x) ∓ . . . + f (2n) (x),

wobei f (x) die Hilfsfunktion aus dem Lemma ist. F (x) kann auch als F (x)

s2n f (x) − s2n−1 f ′ (x) + s2n−2 f ′′ (x) ∓ . . .

=

geschrieben werden, weil die h¨oheren Ableitungen f (k) (x) f¨ur k > 2n verschwinden. Daran sehen wir, dass das Polynom F (x) die Gleichung F ′ (x) = −s F (x) + s2n+1 f (x) erf¨ullt. Die Produktregel f¨ur Ableitungen liefert deshalb i d h sx e F (x) = sesx F (x) + esx F ′ (x) = s2n+1 esx f (x) dx und damit N := b

Z

1

0

h i1 s2n+1 esx f (x)dx = b esx F (x) = aF (1) − bF (0). 0

Dieses N ist eine ganze Zahl, weil wegen Teil (iii) des Lemmas F (0) und F (1) ganze Zahlen sind. Aus Teil (ii) des Lemmas erhalten wir aber Absch¨atzungen von N nach unten und nach oben, 0 < N = b

Z

1

s2n+1 esx f (x)dx < bs2n+1 es

0

1 as2n+1 = < 1, n! n!

und dies zeigt, dass N keine ganze Zahl sein kann: Widerspruch.



Weil dieser Trick so erfolgreich war, wollen wir ihn gleich noch einmal verwenden. Satz 2. π 2 ist irrational.  Beweis. Wir nehmen an, dass π 2 = ab ist, f¨ur ganze Zahlen a, b > 0. Diesmal verwenden wir das Polynom   F (x) := bn π 2n f (x) − π 2n−2 f (2) (x) + π 2n−4 f (4) (x) ∓ . . . ,

das F ′′ (x) = −π 2 F (x) + bn π 2n+2 f (x) erf¨ullt. Mit Teil (iii) des Lemmas sehen wir, dass F (0) und F (1) ganze Zahlen sind.

π ist nicht rational, aber es gibt f¨ur π gute Approximationen“ durch Br¨uche ” — einige von diesen sind schon seit der Antike bekannt: 22 = 3,142857142857... 7 355 113 104348 33215

π

= 3,141592920353... = 3,141592653921... = 3,141592653589...

46

Einige irrationale Zahlen Die u¨ blichen Differentiationsregeln liefern nun   d  ′ F (x) sin πx − πF (x) cos πx = F ′′ (x) + π 2 F (x) sin πx dx = bn π 2n+2 f (x) sin πx = π 2 an f (x) sin πx, und damit erhalten wir, dass Z 1 i1 h1 F ′ (x) sin πx − F (x) cos πx N := π an f (x) sin πx dx = π 0 0 = F (0) + F (1) ebenfalls eine ganze Zahl ist. Weiterhin ist N positiv, weil es als Integral u¨ ber eine Funktion definiert wurde, die positiv ist (außer am Rand des Inn tegrationsbereichs). Wenn wir jedoch n so groß w¨ahlen, dass πa n! < 1 ist, dann liefert uns Teil (ii) des Lemmas Z 1 πan 0 < N = π an f (x) sin πx dx < < 1, n! 0 Widerspruch.



Nun kommt unser letztes Irrationalit¨ats-Resultat. Satz 3. F¨ur jedes ungerade n ≥ 3 ist die Zahl  1  1 arccos √ A(n) := π n irrational.

0

√1 n

1

Wir brauchen dieses Resultat f¨ur das dritte Hilbertsche Problem (in Kapitel 9) f¨ur n = 3 und n = 9. Nun ist A(2) = 41 und A(4) = 13 , die Einschr¨ankung auf ungerade ganze Zahlen ist also wichtig. Diese Werte leitet man leicht geometrisch her. In der Skizze auf dem Rand ist dabei die  Aussage π1 arccos √1n ist irrational“ a¨ quivalent dazu, dass sich der un” endliche Polygonzug, den man aus √1n konstruiert, und f¨ur den alle Sehnen die gleiche L¨ange haben, nie schließt. Wir u¨ berlassen es dem Leser zu zeigen, dass A(n) nur f¨ur n ∈ {1, 2, 4} rational ist. Daf¨ur unterscheidet man die F¨alle, dass n = 2m ist bzw. dass n keine Zweierpotenz ist.  Beweis. Wir verwenden das Additionstheorem α−β cos α + cos β = 2 cos α+β 2 cos 2 ,

das f¨ur α = (k + 1)ϕ und β = (k − 1)ϕ cos (k + 1)ϕ = 2 cos ϕ cos kϕ − cos (k − 1)ϕ ergibt.

(2)

47

Einige irrationale Zahlen F¨ur den Winkel ϕn = arccos( √1n ), der durch cos ϕn = √1n und 0 ≤ ϕn ≤ π definiert ist, folgt daraus f¨ur alle k ≥ 0 eine Darstellung der Form Ak cos kϕn = √ k , n wobei Ak eine ganze Zahl ist, die nicht durch n teilbar ist. Wir haben n¨amlich eine solche Darstellung f¨ur k = 0, 1 mit A0 = A1 = 1, und aus (2) und Induktion u¨ ber k erhalten wir f¨ur k ≥ 1 Ak−1 2Ak − nAk−1 1 Ak . cos (k + 1)ϕn = 2 √ √ k − √ k−1 = √ k+1 n n n n Insbesondere zeigt dies, dass Ak+1 = 2Ak − nAk−1 gilt. Da nun n ≥ 3 ungerade ist, und Ak nicht durch n teilbar ist, folgt, dass auch Ak+1 nicht durch n teilbar sein kann. Nun nehmen wir an, dass A(n) =

1 k ϕn = π ℓ

rational ist (mit ganzen Zahlen k, ℓ > 0). Dann liefert ℓϕn = kπ Aℓ ±1 = cos kπ = √ ℓ . n √ ℓ Damit ist n = ±Aℓ eine ganze Zahl mit ℓ ≥ 2, und deshalb ist n ein √ ℓ √ ℓ Teiler von n . Mit n | Aℓ erhalten wir, dass n ein Teiler von Aℓ ist, Widerspruch. 

Literatur [1] C. H ERMITE : Sur la fonction exponentielle, Comptes rendus de l’Acad´emie des Sciences (Paris) 77 (1873), 18-24; Œuvres de Charles Hermite, Vol. III, Gauthier-Villars, Paris 1912, pp. 150-181. [2] Y. I WAMOTO : A proof that π 2 is irrational, J. Osaka Institute of Science and Technology 1 (1949), 147-148. [3] J. F. KOKSMA : On Niven’s proof that π is irrational, Nieuw Archief voor Wiskunde (2) 23 (1949), 39. [4] J. L IOUVILLE : Sur l’irrationalit´e du nombre e = 2,718..., Journal de Math´ematiques Pures et Appl. (1) 5 (1840), 192; Addition, 193-194. [5] I. N IVEN : A simple proof that π is irrational, Bulletin Amer. Math. Soc. 53 (1947), 509.

Kapitel 8

Drei Mal π 2/6

P Wir wissen, dass die unendliche harmonische Reihe n≥1 n1 nicht konverP giert. Im Kapitel 1 haben wir ja sogar gezeigt, dass die Reihe p∈P 1p der Reziproken der Primzahlen divergiert. Die Summe der Reziproken der Quadratzahlen konvergiert, wenn auch nur sehr langsam, wie wir sehen werden, und sie ergibt einen interessanten Wert. Eulers Reihe. X 1 π2 = . n2 6

n≥1

Dies ist ein klassisches, ber¨uhmtes und wichtiges Resultat von Leonhard Euler aus dem Jahr 1734. Eine seiner interessantesten Interpretationen ist, dass es den ersten nicht-trivialen Wert ζ(2) der Riemannschen Zetafunktion liefert (siehe den Anhang auf Seite 56). Dieser Wert ist also irrational, wie wir in Kapitel 7 gesehen haben. Aber nicht nur das Resultat selbst hat einen Ehrenplatz in der Mathematikgeschichte, sondern es gibt auch eine Reihe extrem eleganter und trickreicher Beweise, die alle ihre eigene Geschichte haben: F¨ur einige von ihnen ist die Freude der Entdeckung und Wiederentdeckung von vielen Mathematikern geteilt worden. In diesem Kapitel pr¨asentieren wir drei solcher Beweise. ¨  Beweis. Der erste Beweis taucht als Ubungsaufgabe in dem Lehrbuch der Zahlentheorie von William J. LeVeque aus dem Jahr 1956 auf. Aber LeVeque sagt heute, er habe keine Ahnung, wo das Problem herkam; er sei sich nur ziemlich sicher, dass er nicht selber darauf gekommen sei. Der Beweis besteht aus zwei verschiedenen Auswertungen des Doppelintegrals Z1 Z1 1 I := dx dy. 1 − xy 0

0

1 in eine geometrische Reihe, F¨ur die erste Auswertung entwickeln wir 1−xy vertauschen Integration und Summation (das d¨urfen wir, weil u¨ ber eine positive Funktion integriert und summiert wird, wo Konvergenz automatisch absolute Konvergenz bedeutet), zerlegen die Summanden in Produkte, und integrieren ganz m¨uhelos:

1 1+ 14 1+ 14 + 91 1 1+ 14 + 91 + 16 1 1 1 1 1+ 4 + 9 + 16 + 25 1 1 1 1 1 1+ 4 + 9 + 16 + 25 + 36

= = = = = =

1.000000 1.250000 1.361111 1.423611 1.463611 1.491388

π 2 /6

=

1.644934.

Drei Mal π 2 /6

50

I

=

Z1 Z1 X 0

=

X

X

n≥0

y

u

1

v x 1 v 1 2

I1

I2 1 2

u 1

(xy) dx dy =

0 n≥0  Z1

n≥0

=

n

1 1 XZ Z

n≥0 0

xn y n dx dy

0

 Z1  X n n x dx y dy =

0

n≥0

0

1 1 n+1 n+1

X 1 1 = = ζ(2). 2 (n + 1) n2 n≥1

Diese Auswertung zeigt auch, dass das Doppelintegral (¨uber eine positive Funktion mit einem Pol bei x = y = 1) endlich ist. Die ganze Rechnung ist u¨ brigens auch ganz einfach und naheliegend, wenn man sie r¨uckw¨arts liest — damit f¨uhrt die Auswertung von ζ(2) auf das Doppelintegral I. Die zweite Methode zur Auswertung von I basiert auf einem Koordinatenwechsel: In den neuen Koordinaten, die durch y+x y−x u := und v := 2 2 √ gegeben sind, ist der Integrationsbereich ein Quadrat der Kantenl¨ange 12 2, das wir aus dem alten Integrationsbereich bekommen, indem wir √ erst eine Rotation um 45◦ und dann eine Verkleinerung um den Faktor 2 durchf¨uhren. Die Substitution von x = u − v und y = u + v liefert 1 1 = . 1 − xy 1 − u2 + v 2 Um das Integral zu transformieren, m¨ussen wir dx dy durch 2 du dv ersetzen, wobei der Faktor 2, der hier auftritt, die Fl¨achenverkleinerung durch unsere Koordinatentransformation kompensiert. (Er ist auch die JacobiDeterminante der Transformation; siehe den Kasten auf der n¨achsten Seite.) Der neue Integrationsbereich, und die Funktion, die wir integrieren sollen, sind beide symmetrisch in Bezug auf die u-Achse, also brauchen wir nur zweimal das Integral u¨ ber die obere H¨alfte des Bereichs berechnen (dabei tritt ein weiterer Faktor 2 auf!), den wir dann auf naheliegende Weise in zwei Teile aufteilen: I = 4

Z1/2 Zu 0

Mit

Z

0

  Z Z1  1−u dv dv du + 4 du. 1 − u2 + v 2 1 − u2 + v 2 1/2

0

dx 1 x = arctan + C wird daraus a2 + x2 a a I =

4

+ 4

Z1/2 0

  1 u √ du arctan √ 1 − u2 1 − u2

Z1

  1 1−u √ du. arctan √ 1 − u2 1 − u2

1/2

Drei Mal π 2 /6

51

Diese Integrale k¨onnte man durch die Substitutionen u = sin θ bzw. u = cos θ vereinfachen und damit schließlich auswerten. Wir gehen aber eine direktere Route, indem wir nachrechnen, dass die Ableitung von   u g(u) := arctan √ 1 − u2

durch

gegeben ist, und die von

1 g ′ (u) = √ 1 − u2

Damit k¨onnen wir Z b h ib f ′ (x)f (x)dx = 12 f (x)2 =

durch, wobei die Zuordnung von (u, v) ∈ T zu (x, y) ∈ S bijektiv und stetig differenzierbar sein muss. Dann ist das Integral I gleich Z ˛ ˛ ˛ d(x, y) ˛ f (x(u, v), y(u, v))˛ ˛du dv, d(u, v)

T

2 1 2 f (b)

a

verwenden und erhalten Z 1/2 Z ′ I = 4 g (u)g(u) du + 4 0

h i1/2 h i1 = 2 g(u)2 − 4 h(u)2 0

1

1/2



2 1 2 f (a)

d(x,y) wobei d(u,v) die Jacobi-Determinante ist: ! dx dx d(x, y) du dv . = det dy dy d(u, v) du dv

−2h′ (u)h(u) du

1/2

= 2g( 12 )2 − 2g(0)2 − 4h(1)2 + 4h( 21 )2 2 2 2 = 2 π6 − 0 − 0 + 4 π6 = π6 .



In diesem Beweis ergab sich der Wert von ζ(2) aus einem Integral mit einer ziemlich einfachen Koordinatentransformation. Eine besonders geniale Version eines solches Beweises — mit einer ausgesprochen nicht-trivialen Koordinatentransformation — wurde sp¨ater von Beukers, Calabi und Kolk gefunden. P Der Ausgangspunkt ist dabei eine Aufteilung der Summe n≥1 n12 in die geraden und die ungeraden Terme. ist die Summe der geraden P Offenbar 1 1 Terme 212 + 412 + 612 + . . . = k≥1 (2k) 2 genau 4 ζ(2), so dass die ungeP 1 1 1 1 raden Terme 12 + 32 + 52 + . . . = k≥0 (2k+1)2 genau drei Viertel der Gesamtsumme ζ(2) ausmachen. Damit ist Eulers Reihe a¨ quivalent zu X

k≥0

S

x = x(u, v) y = y(u, v)

1 . h′ (u) = − 21 √ 1 − u2

a

Wir wollen ein Doppelintegral Z I = f (x, y) dx dy berechnen. Dazu f¨uhren wir eine Variablensubstitution

r 1 − u   1−u  = arctan h(u) := arctan √ 1+u 1 − u2

durch

Die Substitutionsformel

1 π2 = . 2 (2k + 1) 8

Drei Mal π 2 /6

52

 Beweis. Wie oben k¨onnen wir diese Summe als ein Doppelintegral ausdr¨ucken, n¨amlich J =

Z1 Z1 0

0

X 1 1 dx dy = . 2 2 1−x y (2k + 1)2 k≥0

Jetzt m¨ussen wir also das Integral J ausrechnen. Und daf¨ur schlagen uns Beukers, Calabi und Kolk die folgenden neuen Koordinaten vor: s s 1 − x2 1 − y2 u := arccos v := arccos . 2 2 1−x y 1 − x2 y 2

y 1

Um das Doppelintegral zu berechnen, k¨onnen wir den Rand des Integrationsbereichs ignorieren, betrachten also x, y im Bereich 0 < x < 1 und 0 < y < 1. Damit liegen dann u, v in dem Dreieck u > 0, v > 0, u + v < π/2. Die Koordinatentransformation kann explizit invertiert werden, und dies liefert die Substitutionen

S x 1

x = v π 2

T u π 2

sin u cos v

und

y =

sin v . cos u

Nun kann man ganz leicht u¨ berpr¨ufen, dass diese Formeln eine bijektive Koordinatentransformation zwischen dem Inneren des Einheitsquadrats S = {(x, y) : 0 ≤ x, y ≤ 1} und dem Inneren des Dreiecks T = {(u, v) : u, v ≥ 0, u + v ≤ π/2} definieren. Jetzt m¨ussen wir die Jacobi-Determinante der Koordinatentransformation berechnen, und wie durch ein Wunder erh¨alt man ! sin u sin v cos u sin2 u sin2 v cos v cos2 v = 1− det = 1 − x2 y 2 . sin u sin v cos v 2 u cos2 v cos cos2 u cos u Dies heißt aber, dass sich das zu berechnende Integral zu Zπ/2 π/2−v Z J = 1 du dv 0

0

vereinfacht, und das ist einfach die Fl¨ache

π2 8

des Dreiecks T .



Wundersch¨on — umso mehr, als dieselbe Beweismethode auch zur Berechnung von ζ(2k) durch ein 2k-dimensionales Integral verwendet werden kann, f¨ur alle k ≥ 1. Wir verweisen dabei auf den Originalaufsatz von Beuker, Kolk und Calabi, und auf Kapitel 23, wo wir dies auf anderem Wege durchf¨uhren werden, mit Hilfe des Herglotz-Tricks und Eulers urspr¨unglichem Vorgehen. Trotz aller Begeisterung f¨ur diese Analysis-Beweise: Vergleichen Sie sie mit dem folgenden, ganz anderen und v¨ollig elementaren Beweis f¨ur die P 2 Formel n≥1 n12 = π6 . Man findet ihn in einer Aufgabensammlung zur

Drei Mal π 2 /6

53

Analysis der Zwillingsbr¨uder Akiva und Isaak Yaglom, deren russische Originalausgabe 1954 erschien. Unterschiedliche Versionen dieser originellen Idee wurden immer wieder entdeckt und publiziert, unter anderem von F. Holme (1970), I. Papadimitriou (1973), und von Ransford (1982), der ihn damals John Scholes zuschrieb.  Beweis. Der erste Schritt besteht in einer bemerkenswerten Relation zwischen Werten der quadrierten Kotangens-Funktion. Es gilt n¨amlich f¨ur alle m ≥ 1    π 2π mπ cot2 2m+1 . (1) + cot2 2m+1 + . . . + cot2 2m+1 = 2m(2m−1) 6

Um dies zu beweisen, beginnen wir mit der Relation eix = cos x + i sin x. Davon nehmen wir die n-te Potenz einx = (eix )n , erhalten cos nx + i sin nx = (cos x + i sin x)n und vergleichen die Imagin¨arteile:     n n sin nx = sin x cosn−1 x − sin3 x cosn−3 x ± . . . 1 3

F¨ur m = 1, 2, 3 liefert dies cot2 π3 = 13 cot2

π 5 cot2 π7

+ cot2

=2

+

+ cot2

2π 5 cot2 2π 7

3π 7

=5

(2)

Nun setzen wir n = 2m + 1, w¨ahrend wir f¨ur x die m verschiedenen rπ betrachten, r = 1, 2, . . . , m. F¨ur jeden dieser Werte gilt Werte x = 2m+1 nx = rπ und damit sin nx = 0, w¨ahrend 0 < x < π2 impliziert, dass wir f¨ur sin x wirklich m verschiedene positive Werte erhalten. Jetzt teilen wir (2) durch sinn x, und erhalten     n n 0 = cotn−1 x − cotn−3 x ± . . . , 1 3 also 0

    2m + 1 2m + 1 2m = cot x − cot2m−2 x ± . . . , 1 3

f¨ur jeden der m verschiedenen Werte von x. Damit kennen wir von dem Polynom vom Grad m       2m + 1 m 2m + 1 m−1 m 2m + 1 p(t) := t − t ± . . . + (−1) 1 3 2m + 1 die m verschiedenen Wurzeln ar = cot2

rπ 2m+1



f¨ur

r = 1, 2, . . . , m.

Also ist das Polynom identisch mit dem Polynom    2m + 1 π · · · t − cot2 p(t) = t − cot2 2m+1 1

mπ 2m+1



.

Vergleich der Koeffizienten von tm−1 in p(t) liefert nun, dass die Summe der Wurzeln  2m+1 a1 + . . . + ar =

ist, womit (1) bewiesen ist.

3  2m+1 1

=

2m(2m−1) 6

Koeffizientenvergleich: In p(t) = c(t − a1 ) · · · (t − am ) ist der Koeffizient von tm−1 gleich −c(a1 + . . . + am ).

Drei Mal π 2 /6

54 Wir brauchen noch eine zweite Gleichung vom selben Typ, csc2

π 2m+1



+ csc2

2π 2m+1



+ . . . + csc2 1 sin x .

f¨ur die Kosekans-Funktion csc x = csc2 x =

mπ 2m+1

Mit



=

2m(2m+2) , 6

(3)

1 cos2 x + sin2 x = = cot2 x + 1, sin2 x sin2 x

k¨onnen wir (3) direkt aus (1) ableiten, indem wir zu beiden Seiten der Gleichung m addieren. Damit ist die B¨uhne bereit, und alles weitere geht fast von selbst. Wir verwenden, dass im Bereich 0 < y < π2 die Beziehung Aus 0 < a < b < c folgt 0 < 1c < 1b < a1

0 < sin y < y

< tan y

1 y

< csc y,

1 y2

< csc2 y

gilt, und damit 0 < cot y < woraus cot2 y
0} f¨ur eine ganzzahlige Matrix A ∈ ZM×N einen (relativ-offenen) rationalen Kegel beschreibt. Wir m¨ussen zeigen, dass diese Menge, wenn sie nicht leer ist, dann auch ganzzahlige Punkte enth¨alt: C ∩ NN 6= ∅. Wenn C nicht leer ist, gilt dies auch f¨ur C¯ := {x ∈ RN : Ax = 0, x ≥ 1}, weil f¨ur jeden positiven Vektor ein geeignetes Vielfaches alle Koordinaten gr¨oßer oder gleich 1 haben wird. (Hier bezeichnet 1 einen Vektor, dessen Koordinaten alle gleich 1 sind.) Es reicht offenbar zu zeigen, dass C¯ ⊆ C einen Punkt mit rationalen Koordinaten enth¨alt, weil dann Multiplikation mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner f¨ur alle Koordinaten einen ganzzahligen Punkt in C¯ ⊆ C liefert. Dies l¨asst sich auf viele verschiedene Arten beweisen. Wir folgen einem bew¨ahrten Pfad, der zuerst von Fourier and Motzkin begangen wurde [8, Lecture 1]: mit Hilfe von Fourier-Motzkin-Elimination“ weisen wir nach, ” dass die lexikographisch kleinste L¨osung des Systems

x1 = 1

Ax = 0, x ≥ 1 existiert, und dass sie rational ist, wenn die Matrix A ganzzahlig ist. Daf¨ur beobachten wir, dass jede lineare Gleichung aT x = 0 zu zwei linearen Ungleichungen aT x ≥ 0, −aT x ≥ 0 a¨ quivalent ist. (Hier bezeichnet a einen Spaltenvektor und aT den transponierten Vektor.) Damit reicht es zu zeigen, dass jedes System der Form

x2

2x1 − 3x2 = 0

Ax ≥ b, x ≥ 1 x2 = 1 x1 ¯ ist durch 2x1 − 3x2 = 0, Beispiel: C xi ≥ 1 gegeben. Elimination von x2 liefert x1 ≥ 23 . Die lexikographisch kleinste L¨osung ist ( 23 , 1).

mit ganzzahligen A und b eine lexikographisch kleinste L¨osung hat, die rational ist, wenn das System u¨ berhaupt eine reelle L¨osung hat. Daf¨ur argumentieren wir mit Induktion u¨ ber N . Der Fall N = 1 ist klar. F¨ur N > 1 schauen wir uns alle Ungleichungen an, in denen xN vorkommt. Wenn x′ = (x1 , . . . , xN −1 ) fest ist, dann beschreiben diese Ungleichungen untere Schranken f¨ur xN (unter anderem xN ≥ 1) und m¨oglicherweise auch obere Schranken. Also bilden wir ein neues System A′ x′ ≥ b, x′ ≥ 1 in N − 1 Variablen, bestehend aus allen Ungleichungen aus dem System

Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern

65

Ax ≥ b, in denen xN nicht vorkommt, sowie aus allen Ungleichungen, die wir daraus ableiten, dass alle oberen Schranken f¨ur xN (wenn es welche gibt) gr¨oßer-gleich allen unteren Schranken f¨ur xN sein m¨ussen (darunter xN ≥ 1). Dieses System in N − 1 Variablen hat eine L¨osung, also nach Induktion auch eine lexikographisch kleinste L¨osung x′∗ , die rational ist. Und jetzt findet man auch leicht das kleinste xN , das mit dieser L¨osung x′∗ vertr¨aglich ist; es wird durch eine lineare Gleichung oder Ungleichung mit ganzzahligen Koeffizienten bestimmt, und ist daher auch rational.  Jetzt wenden wir uns den Zerlegungen von Polyedern zu. Hier spielen die Diederwinkel, also die Winkel zwischen benachbarten Seitenfl¨achen, eine entscheidende Rolle. Satz. ( Bricardsche Bedingung“) ” Wenn zwei 3-dimensionale Polyeder P und Q mit Diederwinkeln α1 , . . . , αr bzw. β1 , . . . , βs zerlegungsgleich sind, dann gibt es positive ganze Zahlen mi , nj und eine ganze Zahl k mit

In einem W¨urfel sind alle Diederwinkel gleich π2 .

m1 α1 + . . . + mr αr = n1 β1 + . . . + ns βs + kπ. Dasselbe gilt auch, wenn P und Q nur erg¨anzungsgleich sind.  Beweis. Nehmen wir zuerst an, dass P und Q zerlegungsgleich sind, mit Zerlegungen P = P1 ∪ · · · ∪ Pn und Q = Q1 ∪ · · · ∪ Qn , wobei Pi zu Qi kongruent ist. Wir weisen jedem Kantenabschnitt eine positive Anzahl von Perlen zu, wie laut Perlen-Lemma vorgesehen. Sei Σ1 die Summe aller Diederwinkel an Perlen auf Kanten von Bruchst¨ucken in der Zerlegung von P . Wenn auf einer Kante eines Bruchst¨ucks mehrere Perlen liegen, dann wird der Diederwinkel an der Kante entsprechend mehrmals addiert. An einer Perle, die in mehreren Bruchst¨ucken liegt, werden mehrere Winkel gemessen, aber alle in der Ebene, die auf dem entsprechenden Kantenabschnitt senkrecht steht. Wenn die Perle in einer Kante von P liegt, ergibt dies in der Summe den (inneren) Diederwinkel αj an der Kante von P . Wenn die Perle auf dem Rand von P aber nicht in einer Kante liegt, so summieren sich die Winkel an der Perle zu π. Liegt die Perle/der Kantenabschnitt im Inneren von P , so ergibt die Winkelsumme entweder 2π oder π. (Letzteres tritt auf, wenn die Perle auf einer Seitenfl¨ache eines Bruchst¨ucks liegt.) Daher erhalten wir eine Darstellung Σ1 = m1 α1 + . . . + mr αr + k1 π mit positiven ganzen Zahlen mj (1 ≤ j ≤ r) und nicht-negativem k1 . Genauso erhalten wir f¨ur die Summe Σ2 der Winkel an den Perlen f¨ur die Zerlegung Q einen Ausdruck Σ2 = n1 β1 + . . . + ns βs + k2 π mit positiven ganzen nj (1 ≤ j ≤ s) und nicht-negativem k2 .

Ein gerades Prisma u¨ ber einem gleichseitigen Dreieck hat die Diederwinkel π3 und π2 .

66

Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern Wir k¨onnen die Summen Σ1 und Σ2 aber auch aus den Beitr¨agen der einzelnen Bruchst¨ucke Pi bzw. Qi aufaddieren. Da Pi und Qi kongruent sind, messen wir dieselben Diederwinkel an den Kanten, die sich entsprechen, und das Perlen-Lemma garantiert, dass wir auch dieselbe Anzahl von Perlen aus den Zerlegungen von P bzw. Q an den sich entsprechenden Kanten haben. Also gilt Σ1 = Σ2 , und dies liefert die Bricardsche Bedingung (mit k = k2 − k1 ∈ Z) f¨ur den Fall von Zerlegungsgleichheit.

Nehmen wir nun an, dass P und Q erg¨anzungsgleich sind. Das heißt, es gibt Zerlegungen der Form ′ Pe = P ∪ P1′ ∪ · · · ∪ Pm

und

Pe = P1′′ ∪ · · · ∪ Pn′′

und

e = Q ∪ Q′1 ∪ · · · ∪ Q′m , Q

e zerlegungsgleich f¨ur die Pi′ und Q′i kongruent sind, derart dass Pe und Q sind mit e = Q′′ ∪ · · · ∪ Q′′ , Q 1 n

wobei Pi′′ und Q′′i kongruent sind (wie in der Abbildung auf Seite 63). Wieder unter Verwendung des Perlen-Lemmas platzieren wir Perlen auf alle Kantenabschnitte in allen vier Zerlegungen, wobei wir die zus¨atzliche Bedingung verlangen, dass jede Kante von Pe dieselbe Anzahl von Perlen in e (Der Beweis des Perlenbeiden Zerlegungen bekommt, und genauso f¨ur Q. Lemmas mit Hilfe des Kegel-Lemmas l¨asst solche zus¨atzlichen Bedingungen zu!) Wir berechnen wieder die Summen der Winkel an den Perlen, die wir mit Σ′1 und Σ′2 sowie Σ′′1 und Σ′′2 bezeichnen. Die Winkelsummen Σ′′1 und Σ′′2 beziehen sich auf Zerlegungen unterschiede in dieselbe Menge von Bruchst¨ucken, also erhallicher Polyeder, Pe und Q, ten wir wie oben Σ′′1 = Σ′′2 . Die Winkelsummen Σ′1 und Σ′′1 beziehen sich auf unterschiedliche Zerlegungen desselben Polyeders Pe . Weil wir in beiden Zerlegungen dieselbe Anzahl von Perlen auf die Kanten legen m¨ussen, liefert das Argument von oben, dass Σ′1 = Σ′′1 + ℓ1 π f¨ur eine ganze Zahl ℓ1 ∈ Z. Genauso erhalten wir auch Σ′2 = Σ′′2 + ℓ2 π f¨ur ein ganzzahliges ℓ2 ∈ Z, und damit Σ′2 = Σ′1 + ℓπ

f¨ur ℓ = ℓ2 − ℓ1 ∈ Z.

e in dieselbe Jetzt beziehen sich Σ′1 und Σ′2 auf Zerlegungen von Pe bzw. Q Menge von Bruchst¨ucken, außer dass die erste Zerlegung P als Bruchst¨uck hat, die zweite aber Q. Indem wir nun die Beitr¨age f¨ur Pi′ bzw. Q′i auf beiden Seiten abziehen, erhalten wir die gew¨unschte Folgerung: Die Beitr¨age von P und Q zu den entsprechenden Winkelsummen m1 α1 + . . . + mr αr

und

n 1 β1 + . . . + n s βs ,

wobei mj die Perlen auf Kanten mit Diederwinkel αj in P und nj die Perlen auf Kanten mit Diederwinkel βj in Q z¨ahlen, unterscheiden sich durch ein ganzzahliges Vielfaches von π, n¨amlich um ℓπ.  Die Bricardsche Bedingung erm¨oglicht uns jetzt eine vollst¨andige L¨osung von Hilberts drittem Problem: Wir m¨ussen nur die Diederwinkel f¨ur einige Beispiele berechnen.

67

Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern Beispiel 1. F¨ur ein regul¨ares Tetraeder T0 mit Kantenl¨ange ℓ k¨onnen wir die Diederwinkel aus der Skizze ableiten. Die Grundfl¨ache des Tetraeders ist ein gleichseitiges Dreieck, dessen Mittelpunkt M die H¨ohe AE im Verh¨altnis 1:2 teilt, und mit |AE| = |DE| erhalten wir cos α = 13 und damit α = arccos 13 . Also ist ein regul¨ares Tetraeder nie zerlegungsgleich oder erg¨anzungsgleich zu einem W¨urfel. In der Tat sind alle Diederwinkel in einem W¨urfel gleich π 2 , also verlangt die Bricardsche Bedingung, dass m1 arccos

1 3

=

n1 π2

D

C α E

M

A

+ kπ

B

f¨ur positive ganze Zahlen m1 , n1 und ganzzahliges k gilt. Aber das kann nicht sein, weil wir von Satz 3 aus Kapitel 7 wissen, dass π1 arccos 13 irrational ist. Beispiel 2. Sei T1 ein Tetraeder, das durch drei orthogonale Kanten AB, AC, AD der L¨ange u aufgespannt wird. Dieses Tetraeder hat drei rechte Winkel als Diederwinkel, und drei weitere Diederwinkel einer Gr¨oße ϕ, die wir aus der nebenstehenden Skizze berechnen: cos ϕ =

|AE| |DE|

=

1 2

1 2 √

√ 2u √ 3 2u

=

D √ 2u

√1 , 3

u A

also ϕ = arccos

u

√1 . 3

Also sind die Diederwinkel in T1 gleich π, π2 und arccos √13 . Die Bricardsche Bedingung sagt uns damit, dass dieses Tetraeder auch nicht mit einem W¨urfel desselben Volumens zerlegungsgleich sein kann, wof¨ur wir diesmal verwenden, dass 1 √1 π arccos 3

ϕ

u

C

E

B

D

irrational ist, was wir ja auch in Kapitel 7 bewiesen haben (man nehme n = 3 in Satz 3). Beispiel 3. Schließlich sei T2 ein Tetraeder mit drei aufeinander folgenden Kanten AB, BC und CD, die jeweils senkrecht aufeinander stehen und dieselbe L¨ange u haben. Es ist ganz einfach, die Winkel in solch einem Tetraeder zu berechnen (drei davon sind gleich π2 , zwei sind π4 , und einer ist π6 ), wenn wir verwenden, dass man einen W¨urfel der Kantenl¨ange u in sechs solche Tetraeder zerlegen kann (drei davon kongruente Kopien, und drei Spiegelbilder). Damit sind alle Diederwinkel in T2 rationale Vielfache von π, und mit derselben Beweismethode wie oben (insbesondere den Irrationalit¨atsergebnissen, die wir aus Kapitel 7 zitiert haben) liefert uns die Bricardsche Bedingung, dass T2 weder zerlegungsgleich noch erg¨anzungsgleich sein kann mit T0 oder T1 . Damit ist auch Hilberts drittes Problem vollst¨andig gel¨ost, weil T1 und T2 kongruente Basis und dieselbe H¨ohe haben.

u B u A

u C

68

Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern

Anhang: Polytope und Polyeder Ein konvexes Polytop im Rd ist die konvexe H¨ulle einer endlichen Menge S = {s1 , . . . , sn }, also eine Menge der Form P = conv(S) :=

n nX i=1

Bekannte Polytope: Tetraeder, W¨urfel . . .

λi si : λi ≥ 0,

n X i=1

o λi = 1 .

Einige Polytope sind uns sicherlich vertraut: so kennen wir die konvexen Polygone (2-dimensionale konvexe Polytope) und die konvexen Polyeder (3-dimensionale konvexe Polytope). Es gibt verschiedene Arten von Polyedern, die sich auf nat¨urliche Weise auf h¨ohere Dimensionen verallgemeinern lassen. Wenn beispielsweise die Menge S aus d + 1 affin unabh¨angigen Punkten besteht, dann ist conv(S) ein d-dimensionales Simplex (oder d-Simplex). F¨ur d = 2 liefert dies ein ¨ Dreieck, f¨ur d = 3 erhalten wir ein Tetraeder. Ahnlich sind Quadrate und W¨urfel spezielle d-W¨urfel, von denen beispielsweise die Einheits-d-W¨urfel durch Cd = [0, 1]d ⊆ Rd gegeben sind. Allgemeine Polytope definiert man als Vereinigungen von endlich vielen konvexen Polytopen. In diesem Buch werden wir auf nicht-konvexe Polyeder im Zusammenhang mit dem Starrheitssatz von Cauchy im Kapitel 13 stoßen, auf nicht-konvexe Polygone im Zusammenhang mit dem Satz von Pick in Kapitel 12, und dann wieder, wenn wir den Museumsw¨achter-Satz in Kapitel 35 besprechen. Konvexe Polytope kann man auch als Durchschnitte von endlich vielen Halbr¨aumen definieren. Es hat n¨amlich jedes konvexe Polytop P ⊆ Rd eine Darstellung der Form P = {x ∈ Rd : Ax ≤ b}

. . . und Permutaeder

f¨ur eine Matrix A ∈ Rm×d und einen Vektor b ∈ Rm . Mit anderen Worten: P ist die L¨osungsmenge eines Systems von m linearen Ungleichungen aTi x ≤ bi , wobei aTi die i-te Zeile von A bezeichnet. Umgekehrt ist jede solche L¨osungsmenge, wenn sie beschr¨ankt ist, ein konvexes Polytop und kann deshalb auch als konvexe H¨ulle einer endlichen Menge von Punkten dargestellt werden. F¨ur Polygone und Polyeder wissen wir, was wir uns unter Ecken, Kanten und 2-Seiten vorstellen m¨ussen. F¨ur h¨oher-dimensionale konvexe Polytope k¨onnen wir ihre Seitenfl¨achen folgendermaßen definieren: Eine Seite von P ist eine Teilmenge F ⊆ P von der Form P ∩ {x ∈ Rd : aT x = b}, wobei aT x ≤ b eine lineare Ungleichung ist, die f¨ur alle Punkte x ∈ P gelten muss. Die Ungleichung definiert also einen abgeschlossenen Halbraum, der P enth¨alt, und in dessen Begrenzungshyperebene die Seite F liegt. Alle Seitenfl¨achen eines Polytops sind selbst wieder Polytope. Die Menge V der Ecken (0-dimensionalen Seitenfl¨achen) eines konvexen Polytops ist gleichzeitig auch die inklusions-minimale Menge, f¨ur die conv(V ) = P gilt. Wenn P ⊆ Rd ein d-dimensionales konvexes Polytop ist, dann bestimmen die Facetten (die (d−1)-dimensionalen Seiten) eine minimale Menge

Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern von Hyperebenen und damit von Halbr¨aumen, die P enthalten und deren Schnitt wieder P ergibt. Inbesondere folgt daraus die folgende Eigenschaft, die wir sp¨ater noch brauchen werden: Sei F eine Facette von P , sei HF die Hyperebene, die durch F bestimmt wird, und seien HF+ und HF− die beiden abgeschlossenen Halbr¨aume, die durch HF begrenzt werden. Dann enth¨alt einer der beiden Halbr¨aume das Polytop P (und der andere nicht). Der Graph G(P ) des konvexen Polytops P wird durch die Menge V der Ecken und durch die Kantenmenge E der 1-dimensionalen Seitenfl¨achen von P gegeben. Wenn das Polytop P 3-dimensional ist, dann ist dieser Graph planar, und f¨ur ihn gilt die ber¨uhmte Eulersche Polyederformel“ ” (siehe Kapitel 12). Zwei Polytope P, P ′ ⊆ Rd sind kongruent, wenn es eine l¨angenerhaltende affine Abbildung gibt, die P in P ′ u¨ berf¨uhrt. Eine solche Abbildung kann die Orientierung des Raums umdrehen, sie k¨onnte beispielsweise die Spiegelung von P in einer Hyperebene sein, die P auf ein Spiegelbild von P abbildet. Die Polytope P und P ′ sind kombinatorisch a¨ quivalent, wenn es eine bijektive Korrespondenz zwischen den Seiten von P und den Seiten von P ′ gibt, die die Dimension und alle Inklusionen zwischen den Seiten erh¨alt. Dieses Konzept von kombinatorisch a¨ quivalent“ ist viel schw¨acher ” als Kongruenz: beispielsweise zeigt unsere Abbildung einen Einheitsw¨urfel und einen verzerrten W¨urfel“, die kombinatorisch a¨ quivalent sind (so dass ” wir jeden davon einen W¨urfel“ nennen w¨urden), aber sie sind sicher nicht ” kongruent. Ein Polytop (oder eine allgemeinere Teilmenge des Rd ) heißt zentralsymmetrisch, wenn es einen Punkt x0 ∈ Rd gibt mit x0 + x ∈ P

⇐⇒

x0 − x ∈ P.

In diesem Fall nennen wir x0 den Mittelpunkt oder das Zentrum von P .

Literatur [1] V. G. B OLTIANSKII : Hilbert’s Third Problem, V. H. Winston & Sons (Halsted Press, John Wiley & Sons), Washington DC 1978. [2] D. B ENKO : A new approach to Hilbert’s third problem, Amer. Math. Monthly, 114 (2007), 665-676. [3] M. D EHN : Ueber raumgleiche Polyeder, Nachrichten von der K¨onigl. Gesellschaft der Wissenschaften, Mathematisch-physikalische Klasse (1900), 345354. [4] M. D EHN : Ueber den Rauminhalt, Mathematische Annalen 55 (1902), 465-478. [5] C. F. G AUSS : “Congruenz und Symmetrie”: Briefwechsel mit Gerling, pp. 240-249 in: Werke, Band VIII, K¨onigl. Gesellschaft der Wissenschaften zu G¨ottingen; B. G. Teubner, Leipzig 1900.

69

Kombinatorisch a¨ quivalente Polytope

70

Hilberts drittes Problem: Zerlegung von Polyedern [6] D. H ILBERT: Mathematical Problems, Lecture delivered at the International Congress of Mathematicians at Paris in 1900, Bulletin Amer. Math. Soc. 8 (1902), 437-479. ¨ [7] B. K AGAN : Uber die Transformation der Polyeder, Mathematische Annalen 57 (1903), 421-424. [8] G. M. Z IEGLER : Lectures on Polytopes, Graduate Texts in Mathematics 152, Springer-Verlag, New York 1995/1998.

Kapitel 10

Geraden in der Ebene und Zerlegungen von Graphen

Vielleicht das bekannteste Problem u¨ ber Geraden in der Ebene wurde 1893 von James Joseph Sylvester in der Problemecke der Educational Times gestellt: Man beweise, dass es nicht m¨oglich ist, eine endliche Anzahl reeller Punkte so anzuordnen, dass jede Gerade durch zwei der Punkte immer auch durch einen dritten der Punkte geht, es sei denn, alle Punkte liegen auf derselben Geraden:

Ob Sylvester selber daf¨ur einen Beweis hatte, wissen wir nicht — die in der Educational Times publizierte Musterl¨osung“ war jedenfalls ziemlich un” sinnig. Einen korrekten Beweis hat erst Tibor Gallai [Gr¨unwald] mehr als vierzig Jahre sp¨ater angegeben; deshalb wird der folgende Satz u¨ blicherweise Sylvester und Gallai zugeschrieben. Im Gefolge von Gallais Beweis sind etliche andere, ganz unterschiedliche Beweise erschienen, unter ihnen der folgende von L. M. Kelly, der zu Recht Ber¨uhmtheit erlangt hat.

J. J. Sylvester

Satz 1. F¨ur jede Anordnung von endlich vielen Punkten in der Ebene, die nicht alle auf einer Geraden liegen, gibt es eine Gerade, die genau zwei der Punkte enth¨alt.  Beweis. Sei P die gegebene Menge von Punkten. Wir betrachten die (endliche) Menge L aller Geraden, die mindestens zwei der Punkte von P enthalten. Unter allen Paaren (P, ℓ), f¨ur die P ∈ P nicht auf ℓ ∈ L liegt, w¨ahlen wir ein Paar (P0 , ℓ0 ) aus, f¨ur das der Punkt P0 den kleinsten Abstand von der Geraden ℓ0 hat; dabei bezeichnen wir mit Q den Punkt auf ℓ0 , der am n¨achsten zu P0 liegt (also auf der Geraden durch P0 , die senkrecht auf ℓ0 steht). P0

Behauptung. Die Gerade ℓ0 tut’s! Wenn dies nicht so w¨are, dann w¨urde ℓ0 mindestens drei Punkte aus P enthalten, und damit m¨ussten zwei dieser Punkte, die wir P1 und P2 nennen, auf derselben Seite von Q liegen. Nehmen wir jetzt an, dass P1 zwischen Q und P2 liegt, wobei P1 mit Q zusammenfallen k¨onnte. Die Zeichnung auf der rechten Seite zeigt die Konfiguration. Man sieht an ihr, dass der Abstand von P1 zur Geraden ℓ1 , die durch P0 und P2 bestimmt wird, kleiner w¨are als der Abstand zwischen P0 und ℓ0 — und dies widerspricht unserer Auswahl von ℓ0 und P0 . 

ℓ0

ℓ1 Q

P1 P2

72

Geraden in der Ebene und Zerlegungen von Graphen

3

5

4

7

1

2

6

In diesem Beweis haben wir metrische Axiome ( kleinster Abstand“) und ” Ordnungsaxiome ( P1 liegt zwischen Q und P2“) der reellen Ebene ver” wendet. Brauchen wir wirklich beide Eigenschaften, zus¨atzlich zu den u¨ blichen Inzidenzaxiomen f¨ur Punkte und Geraden? Nun, dass man irgendeine zus¨atzliche Bedingung braucht, kann man an der ber¨uhmten Fano-Ebene sehen, die auf dem linken Rand abgebildet ist. Hier ist P = {1, 2, . . . , 7} und L besteht aus den sieben drei-Punkt-Geraden, die in der Zeichnung angedeutet sind, inklusive der Geraden“ {4, 5, 6}. Hier bestimmen je zwei ” Punkte immer genau eine Gerade, so dass die Inzidenzaxiome erf¨ullt sind, aber es gibt keine zwei-Punkt-Gerade. Der Sylvester-Gallai-Satz zeigt daher, dass die Fano-Konfiguration nicht so in die reelle Ebene eingebettet werden kann, dass jedes der sieben kollinearen Tripel auf einer reellen Geraden liegt — es muss in jeder reellen Einbettung immer eine krumme“ ” Gerade geben. Andererseits wurde aber von Coxeter gezeigt, dass die Anordnungsaxiome schon ausreichen, um den Sylvester-Gallai-Satz zu beweisen. Man kann also einen Beweis angeben, der u¨ berhaupt keine metrischen Eigenschaften verwendet — dies spiegelt sich auch in dem Beweis mit Hilfe der Eulerschen Polyederformel wider, den wir in Kapitel 12 angeben werden. Aus dem Sylvester-Gallai-Satz folgt ganz einfach ein anderes ber¨uhmtes Resultat u¨ ber Punkte und Geraden in der Ebene, das auf Paul Erd˝os und Nicolaas G. de Bruijn zur¨uckgeht. Aber in diesem Falle gilt das Resultat viel allgemeiner, f¨ur allgemeine Punkt-Geraden-Systeme, wie schon Erd˝os und de Bruijn bemerkt haben. Dieses allgemeinere Resultat werden wir in Satz 3 besprechen. Satz 2. Sei P eine Menge von n ≥ 3 Punkten in der Ebene, die nicht alle auf einer Geraden liegen. Dann besteht die Menge L der Geraden, die durch mindestens zwei Punkte in P gehen, aus mindestens n Geraden.

Q

... P

P3

P4

...

Pn+1

 Beweis. F¨ur |P| = 3 ist nichts zu zeigen. Sei nun |P| = n + 1. Nach dem Sylvester-Gallai-Satz gibt es dann eine Gerade ℓ0 ∈ L, die genau zwei Punkte P und Q von P enth¨alt. Wir betrachten die Menge P ′ = P\{Q}, und schreiben L′ f¨ur die Menge der Geraden, die durch P ′ bestimmt sind. Wenn die Punkte von P ′ nicht alle auf einer Geraden liegen, dann gilt nach Induktion |L′ | ≥ n und deshalb |L| ≥ n + 1, wegen der zus¨atzlichen Geraden ℓ0 in L. Wenn andererseits die Punkte in P ′ alle auf einer einzigen Geraden liegen, dann haben wir ein Geradenb¨uschel“, das genau n + 1 ” Geraden bestimmt.  Nun kommt, wie versprochen, ein Resultat, das auf sehr viel allgemeinere Inzidenzgeometrien“ anwendbar ist. ” Satz 3. Sei X eine endliche Menge von n ≥ 3 Elementen, und seien A1 , . . . , Am echte Teilmengen von X, so dass jedes Paar von Elementen in X in genau einer der Mengen Ai enthalten ist. Dann gilt m ≥ n.  Beweis. Der folgende Beweis, der manchmal Motzkin und manchmal Conway zugeschrieben wird, ist fast ein Einzeiler und wirklich bemerkenswert. F¨ur x ∈ X sei rx die Anzahl der Mengen Ai , die x enthalten. Aus den

73

Geraden in der Ebene und Zerlegungen von Graphen Annahmen folgt dabei, dass 2 ≤ rx < m gilt. Wenn nun x 6∈ Ai ist, dann gilt rx ≥ |Ai |, weil dann die |Ai | Mengen verschieden sein m¨ussen, die x und ein Element der Menge Ai enthalten. Nehmen wir nun an, dass m < n gilt. Dann haben wir m|Ai | < n rx und somit m(n − |Ai |) > n(m − rx ) f¨ur x ∈ / Ai , und damit folgt schließlich 1=

P

x∈X

1 n

=

P

P

x∈X Ai :x6∈Ai

1 n(m−rx )

>

P P

Ai x:x6∈Ai

1 m(n−|Ai |)

was absurd ist.

=

P Ai

1 m

= 1, 

Es gibt einen anderen sehr kurzen Beweis dieses Satzes, der Lineare Algebra verwendet. Sei B daf¨ur die Inzidenzmatrix von (X; A1 , . . . , Am ), so dass also die Zeilen von B den Elementen von X zugeordnet sind, w¨ahrend die Spalten von B den Mengen A1 , . . . , Am entsprechen, mit BxA :=



1 f¨ur x ∈ A 0 f¨ur x ∈ 6 A.

Nun betrachten wir das Produkt BB T . F¨ur x 6= x′ gilt (BB T )xx′ = 1, weil x und x′ in genau einer gemeinsamen Menge Ai enthalten sind, und damit 

  BB T =   

rx1 −1

0

0 .. .

rx2 −1

0

...

... ..

. 0

 ... 1   ..    1 1 .  , +    .. ..   . . 1  0 1 ... 1 1 rxn −1 0 .. .





1

1

wobei rx wie oben definiert ist. Da die erste Matrix positiv-definit ist (sie hat nur positive Eigenwerte) und die zweite Matrix positiv-semidefinit ist (sie hat die Eigenwerte n und 0), schließen wir, dass BB T positiv-definit ist, also insbesondere invertierbar mit Rang(BB T ) = n. Also hat die (n × m)-Matrix B mindestens Rang n, und wir schließen daraus n ≤ m, weil der Rang nie gr¨oßer sein kann als die Anzahl der Spalten einer Matrix. Jetzt machen wir einen Sprung und wenden uns der Graphentheorie zu. (Eine kleine Zusammenfassung graphentheoretischer Konzepte findet sich im Anhang dieses Kapitels.) Man u¨ berlegt sich leicht, dass die folgende ¨ Aussage nur eine Ubersetzung von Satz 3 in die Sprache der Graphentheorie darstellt: Satz 3′ . Wenn wir den vollst¨andigen Graphen Kn so in m kleinere Cliquen zerlegen, dass jede Kante in genau einer der Cliquen liegt, dann ist m ≥ n. Wenn wir n¨amlich X mit der Eckenmenge von Kn identifizieren, und die Mengen Ai den Eckenmengen der Cliquen zuordnen, dann erhalten wir aus Satz 3 genau diese Aussage. Unsere n¨achste Aufgabe ist nun, den Kn in m¨oglichst wenige vollst¨andige bipartite Graphen so zu zerlegen, dass jede Kante in genau einem dieser

74

Geraden in der Ebene und Zerlegungen von Graphen Graphen liegt. Daf¨ur gibt es eine ganz einfache M¨oglichkeit. Wir nummerieren die Ecken 1, 2, . . . , n. Dann nehmen wir zun¨achst den vollst¨andigen bipartiten Graphen, in dem 1 mit allen anderen Ecken verbunden ist. Dies liefert den Graphen K1,n−1 , den man auch einen Stern nennt. Als N¨achstes verbinden wir 2 mit 3, . . . , n, was einen Stern K1,n−2 liefert. Auf dieselbe Weise fahren wir fort und erhalten damit eine Zerlegung von Kn in Sterne K1,n−1 , K1,n−2 , . . . , K1,1 . Diese Zerlegung verwendet n − 1 vollst¨andige bipartite Graphen. Aber geht es nicht besser, mit weniger Graphen? Die Antwort ist Nein, wie das folgende Resultat von Ron Graham und Henry O. Pollak besagt. Satz 4. Wenn man den Graphen Kn in vollst¨andige bipartite Untergraphen H1 , . . . , Hm zerlegt, dann ist m ≥ n − 1. Interessanterweise kennt man daf¨ur, im Gegensatz zum Erd˝os-de BruijnSatz, keinen vollst¨andig kombinatorischen Beweis! Auf die eine oder andere Art scheint man Lineare Algebra verwenden zu m¨ussen. Von den verschiedenen, mehr oder weniger a¨ quivalenten Ideen betrachten wir hier den Beweis von Helge Tverberg, der vielleicht der durchsichtigste ist.

Eine Zerlegung des K5 in 4 vollst¨andige bipartite Untergraphen

 Beweis. Sei die Eckenmenge von Kn mit {1, . . . , n} bezeichnet, und seien Lj , Rj die definierenden Eckenmengen der vollst¨andigen bipartiten Graphen Hj , j = 1, . . . , m. Jeder Ecke i ordnen wir eine Variable xi zu. Da H1 , . . . , Hm eine Zerlegung des Kn bilden, haben wir X

m X X X ( xa · xb ).

xi xj =

i q1 qn , (1) wobei die Bewegung damit endet, dass q2 , q1 und

qn∗

q2 q1 + q1 qn∗ = q2 qn∗ .

αi

Q:

(2)

(3)

durch Induktion u¨ ber n (wobei wir die Ecke q1 bzw. q1′ ignorieren). Also

αn−1 q1

qn



Q :

α∗n−1 qn∗

q1

Q∗ :

α∗n−1

kollinear sind, mit

Jetzt vergleichen wir dieses Q∗ mit Q′ und erhalten q2 qn∗ ≤ q2′ qn′

qi

q2

q1

qn∗

94

Der Starrheitssatz von Cauchy haben wir (∗)

(3)

q1′ qn′ ≥ q2′ qn′ − q1′ q2′ ≥ q2 qn∗ − q1 q2

(2)

=

q1 qn∗

(1)

>

q1 qn ,

wobei (∗) die Dreiecksungleichung ist, und alle anderen Relationen schon gezeigt wurden.  Wir haben schon an einem Beispiel gesehen, dass die Aussage des Satzes von Cauchy f¨ur nicht-konvexe Polyeder nicht mehr stimmt. Bei dem angegebenen Beispiel muss man aber von der einen Version des Polyeders in die andere springen“; man kann also nicht die Seitenfl¨achen kongruent lassen ” und gleichzeitig die Winkel langsam“ von der einen in die andere Stellung ” bewegen. Man k¨onnte ja mehr verlangen:

Kann es f¨ur ein nicht-konvexes Polyeder eine stetige Bewegung geben, die die Seitenfl¨achen flach und kongruent h¨alt?

Es war verschiedentlich vermutet worden, dass keine triangulierte Fl¨ache, konvex oder nicht, eine solche Bewegung zul¨asst. Es war deshalb eine ¨ ziemliche Uberraschung, als 1977 — mehr als 160 Jahre nach Cauchys Arbeit — Robert Connelly Gegenbeispiele beschrieb: Es gibt im R3 geschlossene triangulierte Sph¨aren ohne Selbst¨uberschneidungen, die stetige Bewegungen zulassen, die alle Kantenl¨angen festhalten, bei denen also alle Dreiecksfl¨achen kongruent bleiben. Die folgende Zeichnung zeigt maßstabsgetreu ein wundersch¨ones Beispiel einer solchen beweglichen Fl¨ache, das von Klaus Steffen konstruiert wurde.

Die gestrichelten Linien in diesem Ausschneidemodell“ entsprechen den ” nicht-konvexen Kanten. Wir falten also die durchgezogenen Kanten als Berge“ und die gestrichelten Kanten ” als T¨aler“. Die Kanten in dem Beispiel ” haben die L¨angen 5, 10, 11, 12 und 17 Einheiten.

Der Starrheitssatz von Cauchy ¨ Die Theorie starrer Fl¨achen hat noch mehr Uberraschungen auf Lager: Erst vor sehr kurzem konnte Idjad Sabitov zeigen, dass bei jeder solchen Bewegung einer triangulierten Fl¨ache das eingeschlossene Volumen gleich bleibt. Sein Beweis ist auch wegen seiner eleganten Verwendung der Algebra von Polynomen und Determinanten ausgesprochen sch¨on, liegt deshalb aber auch außer der Reichweite dieses Buches.

Literatur ´ [1] A. C AUCHY: Sur les polygones et les poly`edres, seconde m´emoire, J. Ecole Polytechnique XVIe Cahier, Tome IX (1813), 87-98; Œuvres Compl`etes, IIe S´erie, Vol. 1, Paris 1905, 26-38. [2] R. C ONNELLY: A counterexample to the rigidity conjecture for polyhedra, Inst. Haut. Etud. Sci., Publ. Math. 47 (1978), 333-338. [3] R. C ONNELLY: The rigidity of polyhedral surfaces, Mathematics Magazine 52 (1979), 275-283. [4] I. K H . S ABITOV: The volume as a metric invariant of polyhedra, Discrete Comput. Geometry 20 (1998), 405-425. [5] J. S CHOENBERG & S.K. Z AREMBA : On Cauchy’s lemma concerning convex polygons, Canadian J. Math. 19 (1967), 1062-1071.

95

Kapitel 14

Simplexe, die einander beruhren ¨

Wie viele d-dimensionale Simplexe kann man so im Rd anordnen, dass sie einander paarweise ber¨uhren, also so, dass der Schnitt von je zweien immer genau (d − 1)-dimensional ist? Das ist eine sehr alte und naheliegende Frage. Wir werden die Antwort des Problems mit f (d) bezeichnen und notieren f (1) = 2, ganz trivial. F¨ur d = 2 zeigt die Anordnung von vier Dreiecken im Rand, dass f (2) ≥ 4 gilt. Es gibt keine entsprechende Anordnung von f¨unf Dreiecken, weil daf¨ur die Konstruktion des dualen Graphen, die in unserem Beispiel mit vier Dreiecken eine ebene Zeichnung des K4 gibt, eine ebene Einbettung des K5 liefern w¨urde, was nicht m¨oglich ist (siehe Seite 85). Also gilt

f (2) ≥ 4

f (2) = 4. In drei Dimensionen ist f (3) ≥ 8 noch relativ einfach zu sehen. Daf¨ur verwenden wir die Anordnung von acht Dreiecken, die im Rand gezeigt wird. Die vier schraffierten Dreiecke verbinden wir mit einem Punkt x unterhalb der Zeichenebene“, was vier Tetraeder liefert, die die Zeichen” ebene von unten ber¨uhren. Genauso werden die vier weißen Dreiecke mit einem Punkt y oberhalb der Zeichenebene verbunden. So erhalten wir eine Anordnung von acht einander ber¨uhrenden Tetraedern im R3 , also ist f (3) ≥ 8. Im Jahr 1965 hat Baston ein Buch geschrieben, mit dem er f (3) ≤ 9 bewies, und 1991 hat Zaks ein weiteres Buch ben¨otigt, um

f (3) ≥ 8

f (3) = 8 zu beweisen. Mit f (1) = 2, f (2) = 4 und f (3) = 8 braucht man nicht mehr viel Inspiration, um bei der folgenden Vermutung zu landen, die erstmals Bagemihl 1956 aufgestellt hat. Vermutung. Die maximale Anzahl von einander paarweise ber¨uhrenden d-dimensionalen Simplexen im Rd ist f (d) = 2d . Die untere Schranke, f (d) ≥ 2d , ist relativ leicht nachzuweisen, wenn wir das richtig anstellen“. Dazu braucht man einerseits einen massiven Einsatz ” von affinen Koordinatenwechseln, und andererseits eine Induktion u¨ ber die Dimension, die die folgende, st¨arkere Aussage von Joseph Zaks liefert.

Simplexe, die einander ber¨uhren“ ”

98

Simplexe, die einander ber¨uhren Satz 1. F¨ur jedes d ≥ 2 gibt es eine Anordnung von 2d einander paarweise ber¨uhrenden d-Simplexen im Rd mit einer Geraden, die f¨ur jedes der 2d Simplexe durch das Innere geht.



 Beweis. F¨ur d = 2 hat die Familie von vier Dreiecken zur Linken schon eine solche Durchstoßgerade. F¨ur den Induktionsbeweis betrachten wir jetzt eine d-dimensionale Anordnung von einander ber¨uhrenden Simplexen, die eine Durchstoßgerade ℓ hat. Jede parallele Gerade ℓ′ in ihrer N¨ahe ist ebenfalls eine Durchstoßgerade. Wenn wir jetzt ℓ′ und ℓ parallel und nahe genug beieinander w¨ahlen, dann enth¨alt jedes der Simplexe auch eine orthogonale (k¨urzeste) Verbindungsstrecke zwischen den beiden Geraden. Nur ein beschr¨ankter Teil der Geraden ℓ und ℓ′ ist in einem der Simplexe der Anordnung enthalten. Wir k¨onnen deshalb zwei weitere Verbindungsstrecken außerhalb der Anordnung hinzuf¨ugen, so dass das Rechteck, das von den beiden außerhalb liegenden Verbindungsstrecken aufgespannt wird, alle anderen Verbindungsstrecken enth¨alt. Damit haben wir eine Leiter“ so positioniert, dass jedes der Simplexe in unserer Anord” nung eine der Sprossen der Leiter im Inneren hat, w¨ahrend die vier Enden der Leiter alle außerhalb der Anordnung liegen. Der wesentliche Schritt besteht nun darin, eine Koordinatentransformation durchzuf¨uhren, die den Rd auf den Rd abbildet, und die das Rechteck, das durch die Leiter aufgespannt wird, auf das Rechteck (halbe Quadrat) abgebildet wird, das in der Zeichnung links dargestellt und formal durch

ℓ′



(−1, 1)T

x2

R1 = {(x1 , x2 , 0, . . . , 0)T : −1 ≤ x1 ≤ 0; −1 ≤ x2 ≤ 1} 0

(−1, −1)T

(0, −1)T

x1

gegeben ist. Die Anordnung Σ1 von einander ber¨uhrenden Simplexen im Rd , die wir so erhalten, hat die x1 -Achse als Durchstoßgerade, und sie ist so positioniert worden, dass jedes der Simplexe eine Strecke der Form S 1 (α) = {(α, x2 , 0, . . . , 0)T : −1 ≤ x2 ≤ 1} im Inneren enth¨alt (f¨ur ein α mit −1 < α < 0), w¨ahrend der Ursprung 0 außerhalb von allen Simplexen liegt. Nun erzeugen wir ein zweites Exemplar dieser Anordnung, indem wir die erste in der durch x1 = x2 gegebenen Hyperebene spiegeln. Die zweite Anordnung Σ2 hat die x2 -Achse als Durchstoßgerade, und in ihr enth¨alt jedes Simplex eine Strecke der Form S 2 (β) = {(x1 , β, 0, . . . , 0)T : −1 ≤ x1 ≤ 1} im Inneren, mit −1 < β < 0. Aber jede Strecke S 1 (α) schneidet jede Strecke S 2 (β), und damit schneidet das Innere jedes der Simplexe von Σ1 das Innere von jedem der Simplexe von Σ2 . Wenn wir jetzt also eine neue Koordinate xd+1 hinzuf¨ugen, und Σ als {conv(Pi ∪ {−ed+1 }) : Pi ∈ Σ1 } ∪ {conv(Pj ∪ {ed+1 }) : Pj ∈ Σ2 }

99

Simplexe, die einander ber¨uhren definieren, so liefert dies eine Anordnung von 2d+1 einander ber¨uhrenden (d + 1)-Simplexen im Rd+1 . Weiter gilt, dass die Antidiagonale

x2

A = {(x, −x, 0, . . . , 0)T : x ∈ R} ⊆ Rd alle Strecken S 1 (α) und S 2 (β) schneidet. Wir k¨onnen die dann ein bisschen kippen“ und erhalten so eine Gerade ” T

Lε = {(x, −x, 0, . . . , 0, εx) : x ∈ R} ⊆ R

d+1

x1

,

die f¨ur alle sehr kleinen ε > 0 alle Simplexe aus Σ durchst¨oßt. Und dies schließt unseren Induktionsschritt ab. 

A

Im Gegensatz zu dieser exponentiellen unteren Schranke sind scharfe obere Schranken viel schwieriger zu beweisen. Ein naives Induktionsargument (in dem man die von Facetten aufgespannten Hyperebenen in einer Konfiguration getrennt betrachtet) liefert nur f (d) ≤

2 (d + 1)!, 3

und dies ist von der unteren Schranke im Satz 1 ziemlich weit weg. Micha Perles hat aber den folgenden wunderbaren Beweis f¨ur eine viel bessere Schranke gefunden. Satz 2. F¨ur alle d ≥ 1 gilt f (d) < 2d+1 .  Beweis. F¨ur eine gegebene Anordnung von r einander ber¨uhrenden d-Simplexen P1 , P2 , . . . , Pr im Rd nummerieren wir als Erstes die verschiedenen Hyperebenen H1 , H2 , . . . , Hs , die durch die Facetten der Pi aufgespannt werden, und f¨ur jede von diesen w¨ahlen wir ganz beliebig eine positive Seite Hi+ und nennen die andere Seite Hi− . So finden wir zum Beispiel f¨ur die 2-dimensionale Konfiguration von r = 4 Dreiecken am Rand insgesamt s = 6 Hyperebenen (f¨ur d = 2 sind dies Geraden). Aus diesen Daten konstruieren wir die B-Matrix, eine (r × s)-Matrix mit Eintr¨agen aus {+1, −1, 0}, wie folgt:  +  +1 wenn Pi eine Facette in Hj hat und Pi ⊆ Hj gilt, Bij := −1 wenn Pi eine Facette in Hj hat und Pi ⊆ Hj− gilt,  0 wenn Pi keine Facette in Hj hat.

Die 2-dimensionale Anordnung im Rand liefert so zum Beispiel die Matrix   1 0 1 0 1 0  −1 −1 1 0 0 0  . B=  −1 1 0 1 0 0  0 −1 −1 0 0 1

H1

H5 P3

H3

P1

P2

H6 P4

H2 H4

100

Simplexe, die einander ber¨uhren Drei Eigenschaften der so erhaltenen B-Matrix wollen wir festhalten. Erstens: Weil jedes d-Simplex d + 1 Facetten hat, enth¨alt jede Zeile von B genau d + 1 von Null verschiedene Eintr¨age und enth¨alt dementsprechend genau s − (d + 1) Nullen. Zweitens: Wir haben es mit einer Anordnung von einander paarweise ber¨uhrenden Simplexen zu tun, und dementsprechend gibt es f¨ur jedes Paar von Zeilen eine Spalte, in der die eine Zeile einen Eintrag +1 hat, w¨ahrend die andere Zeile in dieser Spalte eine −1 hat. Die Zeilen sind also unterschiedlich, sogar wenn wir ihre Null-Eintr¨age ignorieren. Drittens: Die Zeilen von B stellen die Simplexe Pi dar“, als ” \ \ Pi = Hj+ ∩ Hj− . (∗) j:Bij =1

j:Bij =−1

Nun leiten wir aus B eine neue Matrix C ab, in der jede Zeile von B durch all die Zeilenvektoren ersetzt wird, die man aus ihr erzeugen kann, indem man alle Nullen durch +1 oder durch −1 ersetzt. Weil jede Zeile von B genau s − d − 1 Nullen hat, und B insgesamt r Zeilen hat, hat die Matrix C insgesamt 2s−d−1 r Zeilen. F¨ur unser Beispiel ist C eine (32 × 6)-Matrix, die mit   1 1 1 1 1 1  1 1 1 1 1 −1     1 1 1 −1 1 1     1 1 1 −1 1 −1     1 −1 1 1 1 1     1 −1 1 1 1 −1   C =  1 −1 1 −1 1 1     1 −1 1 −1 1 −1     −1 −1 1 1 1 1     −1 −1 1 1 1 −1   .. .. .. .. .. ..   . . . . . . 

anf¨angt, wobei die ersten acht Zeilen von C aus der ersten Zeile von B abgeleitet sind, die zweiten acht Zeilen entstehen aus der zweiten Zeile von B, usw. Der springende Punkt ist jetzt, dass alle Zeilen von C verschieden sind: Wenn zwei Zeilen aus derselben Zeile von B abgeleitet sind, dann sind sie verschieden, weil ihre Nullen unterschiedlich ersetzt worden sind; wenn sie aber aus verschiedenen Zeilen von B entstanden sind, dann unterscheiden sie sich, ganz egal wie die Nullen ersetzt worden sind. Aber die Zeilen von C sind (±1)-Vektoren der L¨ange s, und es gibt nur 2s verschiedene solche Vektoren. Weil die Zeilen von C alle verschieden sind, kann C h¨ochstens 2s verschiedene Zeilen haben, und damit gilt 2s−d−1 r ≤ 2s , was bereits r ≤ 2d+1 ergibt.

101

Simplexe, die einander ber¨uhren Aber nicht alle m¨oglichen (±1)-Vektoren treten in C auf, was eine strikte Ungleichung 2s−d−1 r < 2s liefert, und damit r < 2d+1 . Um dies zu sehen, beobachten wir, dass jede Zeile von C einen Schnitt von Halbr¨aumen darstellt — genauso, wie dies die Zeilen von B getan haben, durch die Formel (∗). Dieser Schnitt ist eine Teilmenge des Simplex Pi , die durch die entsprechende Zeile von B gegeben war. Jetzt w¨ahlen wir einen Punkt x ∈ Rd , der auf keiner der Hyperebenen Hj liegt, und auch nicht in einem der Simplexe Pi . Aus diesem x leiten wir einen (±1)-Vektor ab, der f¨ur jedes j notiert, ob x ∈ Hj+ oder x ∈ Hj− . Dieser (±1)-Vektor tritt in C nicht auf, weil der Halbraumschnitt nach (∗) den Punkt x enth¨alt, und damit nicht in einem der Simplexe Pi enthalten ist. F¨ur unser kleines Beispiel wird dies im Rand illustriert: Die erste Zeile der C-Matrix stellt das schattierte Dreieck dar, w¨ahrend die zweite Zeile einem leeren Schnitt von Halbr¨aumen entspricht. Der Punkt x liefert die Zeile  1 −1 1 1 −1 1 , die nicht in der C-Matrix auftritt.



Literatur [1] F. BAGEMIHL : A conjecture concerning neighboring tetrahedra, Amer. Math. Monthly 63 (1956) 328-329. [2] V. J. D. BASTON : Some Properties of Polyhedra in Euclidean Space, Pergamon Press, Oxford 1965. [3] M. A. P ERLES : At most 2d+1 neighborly simplices in E d , Annals of Discrete Math. 20 (1984), 253-254. [4] J. Z AKS : Neighborly families of 2d d-simplices in E d , Geometriae Dedicata 11 (1981), 279-296. [5] J. Z AKS : No Nine Neighborly Tetrahedra Exist, Memoirs Amer. Math. Soc. No. 447, Vol. 91, 1991.

H1

H5

x

H6

H3

H2 H4

Stumpfe Winkel

Ungef¨ahr 1950 hat Paul Erd˝os vermutet, dass jede Menge von mehr als 2d Punkten im Rd einen stumpfen Winkel bestimmt, also einen Winkel, der echt gr¨oßer ist als π2 . Mit anderen Worten, eine Teilmenge des Rd , die nur spitze Winkel (oder rechte Winkel) enth¨alt, besteht aus h¨ochstens 2d Punkten. Das Problem wurde von der Niederl¨andischen Mathematischen Gesellschaft als Preisaufgabe gestellt, bei der aber nur L¨osungen f¨ur d = 2 und f¨ur d = 3 eingereicht wurden. F¨ur d = 2 ist das Problem einfach: Wir betrachten eine Menge von 2d +1 = 5 Punkten in der Ebene. Wenn diese f¨unf Punkte ein konvexes F¨unfeck bilden, dann findet sich darin ein stumpfer Winkel (sogar ein Winkel von mindestens 108◦ ); wenn nicht, dann ist ein Punkt in der konvexen H¨ulle von drei anderen enthalten, die ein Dreieck bilden. Aber dieser Punkt sieht“ die ” drei Kanten des Dreiecks unter drei Winkeln, deren Summe 360◦ ist, also ist einer der Winkel mindestens 120◦ . (Im zweiten Fall sind auch Situationen enthalten, in denen wir drei Punkte auf einer Gerade haben, und damit einen 180◦-Winkel.) V¨ollig unabh¨angig davon, hat Victor Klee ein paar Jahre sp¨ater gefragt — und Erd˝os hat die Frage verbreitet — wie groß denn eine Punktmenge im Rd sein k¨onnte, die die folgende Antipodalit¨atseigenschaft“ hat: F¨ur ” beliebige zwei Punkte der Menge gibt es immer einen Streifen (durch zwei parallele Hyperebenen begrenzt), der die ganze Punktmenge enth¨alt, und der die beiden ausgew¨ahlten Punkte auf verschiedenen Seiten des Randes hat. Dann, 1962, haben Ludwig Danzer und Branko Gr¨unbaum beide Probleme auf einen Streich gel¨ost: sie haben die Maximalgr¨oßen f¨ur beide Probleme in eine Kette von Ungleichungen eingeh¨angt, die mit 2d anf¨angt und aufh¨ort. Also ist die Antwort 2d , sowohl f¨ur Erd˝os’ als auch f¨ur Klees Problem. Im Folgenden betrachten wir (endliche) Punktmengen S ⊆ Rd , ihre konvexen H¨ullen conv(S), und allgemeine konvexe Polytope Q ⊆ Rd . (Auf Seite 68 findet sich eine Diskussion der grundlegenden Konzepte u¨ ber Polytope.) Wir nehmen an, dass diese Mengen volldimensional sind, also nicht in einer Hyperebene enthalten. Konvexe Mengen ber¨uhren einander, wenn sie mindestens einen Randpunkt gemeinsam haben, sich aber nicht im Inneren schneiden. F¨ur beliebige Teilmengen Q ⊆ Rd und Vektoren s ∈ Rd bezeichnen wir mit Q + s das Bild von Q unter der Verschiebung, die 0 nach s verschiebt. Genauso erh¨alt man Q − s aus Q mit der Abbildung, die s in den Ursprung verschiebt.

Kapitel 15

104

Stumpfe Winkel Keine Angst: dieses Kapitel ist ein Ausflug in die d-dimensionale Geometrie, aber die Argumente im Folgenden verlangen keine hoch-dimensionale ” Intuition“, weil man sie alle im drei-dimensionalen Raum und sogar in der Ebene verfolgen, visualisieren, und damit auch verstehen kann. Unsere Abbildungen werden dementsprechend den Beweis f¨ur d = 2 illustrieren (wo eine Hyperebene“ einfach eine Gerade ist), und es bleibt Ihnen ” u¨ berlassen, sich Bilder f¨ur d = 3 zurechtzulegen (wo die Hyperebenen“ ” Ebenen sind). Satz 1. F¨ur jedes d ≥ 2 gilt die folgende Kette von Ungleichungen:

(1)  2d ≤ max #S | S ⊆ Rd , ∢(si , sj , sk ) ≤ π2 f¨ur alle {si , sj , sk } ⊆ S ( ) S ⊆ Rd , so dass S f¨ur je zwei Punkte si , sj ∈ S (2) ≤ max #S (i 6= j) in einem Streifen S(i, j) liegt, dessen paral lele Begrenzungshyperebenen s bzw. s enthalten i j ) ( d S ⊆ R , so dass die Translate P − si von P := (3) = max #S conv(S) einen Punkt gemeinsam haben, sich dort aber nur ber¨uhren   d  (4) S ⊆ R , so dass die Translate Q + si eines  ≤ max #S d-dimensionalen konvexen Polytops Q einander   paarweise ber¨uhren   S ⊆ Rd , so dass die Translate Q∗ + si eines   (5) = max #S d-dimensionalen zentralsymmetrischen konvexen   Polytops Q∗ einander paarweise ber¨uhren (6)

≤ 2d .

 Beweis. Wir m¨ussen sechs Behauptungen (Gleichungen und Ungleichungen) begr¨unden. Und los geht’s! (1) Wir nehmen als S := {0, 1}d die Eckenmenge des Standard-Einheitsw¨urfels im Rd und w¨ahlen si , sj , sk ∈ S. Aus Symmetriegr¨unden k¨onnen wir annehmen, dass sj = 0 der Nullvektor ist. Also k¨onnen wir den Winkel als hsi , sk i cos ∢(si , sj , sk ) = |si ||sk | berechnen, und das ist offensichtlich nicht-negativ. Also ist S eine Menge mit |S| = 2d , die keine stumpfen Winkel enth¨alt.

Hij + si

si

sj Hij + sj

(2) Wenn S keine stumpfen Winkel enth¨alt, dann k¨onnen wir f¨ur beliebige si , sj ∈ S parallele Hyperebenen Hij + si und Hij + sj durch si bzw. sj definieren, die senkrecht auf der Strecke [si , sj ] stehen. Dabei bezeichnet Hij = {x ∈ Rd : hx, si −sj i = 0} die Hyperebene durch den Ursprung, die auf der Geraden durch si und sj senkrecht steht, und H + sj = {x + sj : x ∈ H} ist die zu H parallele Hyperebene, die durch sj geht, usw. Also besteht der Streifen zwischen Hij + si und Hij + sj , außer si und sj , genau aus all den Punkten x ∈ Rd , f¨ur die die Winkel ∢(si , sj , x) und ∢(sj , si , x) nicht stumpf sind. Damit enth¨alt der Streifen die ganze Menge S.

105

Stumpfe Winkel (3) P ist in dem Halbraum bez¨uglich Hij + sj , der si enth¨alt, dann und nur dann enthalten, wenn P − sj in dem Halbraum von Hij enthalten ist, der si − sj enth¨alt: Eine Eigenschaft ein Objekt ist in einem Halbraum ” enthalten“ wird nicht zerst¨ort, wenn wir sowohl das Objekt als auch den Halbraum um denselben Vektor (n¨amlich um −sj ) verschieben. Genauso ist P in dem Halbraum von Hij + si , der sj enth¨alt, dann und nur dann enthalten, wenn P − si in dem Halbraum von Hij enthalten ist, der sj − si enth¨alt. Kombination dieser beiden Aussagen liefert nun, dass das Polytop P in dem Streifen zwischen Hij + si und Hij + sj genau dann enhalten ist, wenn P − si und P − sj in verschiedenen Halbr¨aumen bez¨uglich der Hyperebene Hij liegen. Diese Beziehung wird durch die Zeichnung im Rand illustriert. Zus¨atzlich liefert uns si ∈ P = conv(S), dass der Ursprung 0 in allen Translaten P − si (si ∈ S) enthalten ist. Also schneiden sich die Mengen P − si alle in 0, aber sie ber¨uhren einander nur: sie k¨onnen keine inneren Punkte gemeinsam haben, weil sie auf unterschiedlichen Seiten der entsprechenden Hyperebenen Hij liegen. (4) Dies kriegen wir umsonst: Die Aussage die Translate m¨ussen einander ” paarweise ber¨uhren“ ist schw¨acher als sie schneiden sich in einem gemein” samen Punkt, aber ber¨uhren einander nur“. Genauso schw¨achen wir eine Bedingung ab, wenn wir f¨ur P ein beliebiges konvexes d-Polytop im Rd zulassen. Schließlich k¨onnen wir auch S durch −S ersetzen.

(5) Hier ist ≥“ trivial, aber das ist nicht die Richtung, die uns wirklich ” interessiert. Unser Ausgangspunkt ist eine Konfiguration S ⊆ Rd und ein beliebiges d-Polytop Q ⊆ Rd , so dass die Translate Q + si (si ∈ S) einander paarweise ber¨uhren. Die Behauptung ist, dass wir in dieser Situation  Q∗ := 12 (x − y) ∈ Rd : x, y ∈ Q

anstelle von Q verwenden k¨onnen. Aber dies ist nicht schwer zu sehen: Erstens ist Q∗ d-dimensional, konvex und zentralsymmetrisch. Man kann auch zeigen, dass Q∗ ein Polytop ist (mit Ecken von der Form 12 (q i − q j ), f¨ur Ecken q i , q j von Q), aber das ist f¨ur uns nicht wichtig. Als N¨achstes u¨ berlegen wir uns, dass Q + si und Q + sj einander dann und nur dann ber¨uhren, wenn dasselbe f¨ur Q∗ + si und Q∗ + sj zutrifft. Daf¨ur wandeln wir sozusagen auf den Spuren von Minkowski, indem wir ¨ die Aquivalenzen (Q∗ +si ) ∩ (Q∗ + sj ) 6= ∅

⇐⇒ ∃ q ′i , q ′′i , q ′j , q ′′j ∈ Q : 12 (q ′i − q ′′i ) + si = 21 (q ′j − q ′′j ) + sj ⇐⇒ ∃ q ′i , q ′′i , q ′j , q ′′j ∈ Q : 12 (q ′i + q ′′j ) + si = 21 (q ′j + q ′′i ) + sj ⇐⇒ ∃ q i , q j ∈ Q : q i + si = q j + sj ⇐⇒ (Q + si ) ∩ (Q + sj ) 6= ∅

¨ nachweisen. Dabei verwenden f¨ur die dritte (und entscheidende) Aquiva1 lenz ⇐⇒“, dass jedes q ∈ Q als q = 2 (q + q) geschrieben werden kann, ”

Hij + si

si

P Hij + sj sj

si − sj P − sj 0

Hij

P − si sj − si

106

Stumpfe Winkel was ⇐“ liefert, und dass wegen der Konvexit¨at von Q die beiden Punkte 1 1 ′” ′′ ′ ′′ 2 (q i + q j ) und 2 (q j + q i ) in Q liegen, woraus ”⇒“ folgt. ¨ Damit erh¨alt also der Ubergang von Q auf Q∗ (den man als MinkowskiSymmetrisierung kennt) die Eigenschaft, dass sich zwei Translate Q + si und Q+sj schneiden. Damit haben wir gezeigt, dass sich f¨ur eine beliebige konvexe Menge Q zwei Translate Q + si und Q + sj dann und nur dann schneiden, wenn sich die Translate Q∗ + si und Q∗ + sj schneiden.

sj − si

ε(sj − si )

Die folgende Charakterisierung zeigt nun, dass die Symmetrisierung auch die Eigenschaft erh¨alt, dass zwei Translate einander ber¨uhren: Q + si und Q + sj ber¨uhren einander dann und nur dann, wenn sie sich schneiden, aber Q + si und Q + sj + ε(sj − si ) f¨ur jedes ε > 0 disjunkt sind. (6) Nehmen wir nun an, dass Q∗ + si und Q∗ + sj einander ber¨uhren. F¨ur einen beliebigen Schnittpunkt x ∈ (Q∗ + si ) ∩ (Q∗ + sj ) haben wir dann x − si ∈ Q∗

und x − sj ∈ Q∗ ,

und damit, da Q∗ zentralsymmetrisch ist, si − x = −(x − si ) ∈ Q∗ , und schließlich, weil Q∗ konvex ist, 1 2 (si

− sj ) =

1 2

((x − sj ) + (si − x)) ∈ Q∗ .

Daraus schließen wir, dass 12 (si + sj ) f¨ur alle i in Q∗ + sj enthalten ist. F¨ur P := conv(S) liefert dies  Pj := 12 (P + sj ) = conv 21 (si + sj ) : si ∈ S ⊆ Q∗ + sj ,

und daraus folgt, dass die Mengen Pj = 12 (P + sj ) einander nur ber¨uhren k¨onnen. Die Mengen Pj sind aber alle in P enthalten, denn alle Punkte si , sj und 1 2 (si + sj ) sind in P enthalten, weil P konvex ist. Aber die Pj s sind nur verkleinerte Translate von P , die in P enthalten sind. Der Verkleinerungsfaktor ist 12 , woraus 1 vol(Pj ) = d vol(P ) 2 Verkleinerungsfaktor 21 , vol(Pj ) = 18 vol(P )

folgt, weil wir es mit d-dimensionalen Mengen zu tun haben. Dies bedeutet, dass h¨ochstens 2d Mengen Pj in P hineinpassen, und damit |S| ≤ 2d . Und dies beendet unseren Beweis: die Ungleichungskette ist geschlossen. 

107

Stumpfe Winkel . . . aber dies ist nicht das Ende der Geschichte. Ludwig Danzer und Branko Gr¨unbaum haben die folgende, sehr naheliegende Frage gestellt: Was passiert, wenn man fordert, dass die Winkel alle spitz sein m¨ussen, wenn also rechte Winkel auch verboten sind? Sie haben Konfigurationen von 2d − 1 Punkten im Rd konstruiert, f¨ur die nur spitze Winkel auftreten, und haben vermutet, dass dies bestm¨oglich ist. Gr¨unbaum hat bewiesen, dass dies f¨ur d ≤ 3 wirklich stimmt. Aber einundzwanzig Jahre sp¨ater, 1983, haben Paul Erd˝os und Zoltan F¨uredi gezeigt, dass die Vermutung falsch ist — extrem falsch, wenn die Dimension groß ist! Ihr Beweis ist ein großartiges Beispiel f¨ur den erfolgreichen Einsatz von Ideen aus der Wahrscheinlichkeitstheorie; in Kapitel 40 werden wir eine Einf¨uhrung in die hier exemplarisch vorgef¨uhrte probabilistische ” Methode“ geben. Die folgende Version des Beweises verwendet eine kleine Verbesserung der Parameter, die von unserem Leser David Bevan stammt. √ d Satz 2. F¨ur jedes d ≥ 2 gibt es eine Menge S von 2⌊ 96 √23 ⌋ Punkten in {0, 1}d (Ecken des d-dimensionalen Einheitsw¨urfels), in der nur spitze Winkel auftreten. Insbesondere gibt es in Dimension d = 34 eine Menge von 72 > 2·34 − 1 Punkten mit nur spitzen Winkeln.  Beweis. Wir setzen m := ⌊

 6 √2 d ⌋ 9 3



und w¨ahlen 3m Vektoren

x(1), x(2), . . . , x(3m) ∈ {0, 1}d, indem wir alle ihre Koordinaten unabh¨angig und zuf¨allig auf 0 oder 1 setzen, jeweils mit Wahrscheinlichkeit 12 f¨ur jede Alternative. (Man k¨onnte eine perfekte M¨unze 3md-Mal daf¨ur werfen; aber f¨ur großes d wird dies sehr schnell langweilig.) Nun bestimmen drei Vektoren x(i), x(j), x(k) genau dann einen rechten Winkel mit Spitze x(j), wenn das Skalarprodukt hx(i)−x(j), x(k)−x(j)i verschwindet, das heißt, wenn x(i)ℓ − x(j)ℓ = 0

oder x(k)ℓ − x(j)ℓ = 0

f¨ur jede Koordinate ℓ

gilt. Wir nennen (i, j, k) ein schlechtes Tripel wenn dies passiert. (Wenn x(i) = x(j) oder x(j) = x(k) ist, dann ist der Winkel nicht definiert, aber dann ist das Tripel ganz sicher schlecht.) Die Wahrscheinlichkeit, dass ein ganz bestimmtes Tripel schlecht ist, ist d genau 34 : Es ist n¨amlich genau dann gut, wenn f¨ur mindestens eine der d Koordinaten ℓ entweder oder

x(i)ℓ = x(k)ℓ = 0, x(j)ℓ = 1, x(i)ℓ = x(k)ℓ = 1, x(j)ℓ = 0

gilt. Damit haben wir sechs schlechte M¨oglichkeiten von insgesamt acht

108

Stumpfe Winkel gleichwahrscheinlichen, und ein Tripel ist dann schlecht, wenn f¨ur jede der d Koordinaten eine schlechte M¨oglichkeit (mit Wahrscheinlichkeit 43 ) eintritt.  Die Anzahl der Tripel, u¨ ber die wir uns Sorgen machen m¨ussen, ist 3 3m 3 ,  weil es insgesamt 3m Mengen von drei Vektoren gibt, und dann jeweils 3 drei M¨oglichkeiten die Spitze auszuw¨ahlen. Die Wahrscheinlichkeiten, dass verschiedene Tripel gut oder schlecht sind, sind nat¨urlich nicht unabh¨angig voneinander: aber die Linearit¨at des Erwartungswerts (die wir durch Mittelwertbildung u¨ ber alle m¨oglichen Auswahlen bekommen; siehe Anhang)  3 d liefert, dass die erwartete Anzahl der schlechten Tripel genau 3 3m 3 4 ist. Dies bedeutet (und an diesem Punkt zeigt die probabilistische Methode, was sie kann), dass es mindestens eine M¨oglichkeit gibt, die 3m Vektoren  3 d schlechte Tripel gibt, wobei auszuw¨ahlen, so dass es h¨ochstens 3 3m 4 3 3

3m 3



 3 d 4

< 3 (3m) 6

3

 3 d 4

= m3

2 √9 6

 3 d 4

≤ m,

gilt, weil wir m genau f¨ur diesen Zweck richtig gew¨ahlt haben. Aber wenn es nicht mehr als m schlechte Tripel gibt, dann k¨onnen wir m der 3m Vektoren x(i) weglassen, so dass die u¨ brig bleibenden 2m Vektoren kein schlechtes Tripel enthalten, also nur spitze Winkel bestimmen.  Die probabilistische Konstruktion von großen Mengen von 0/1-Punkten ohne rechte Winkel kann man mit Hilfe eines geeigneten Zufallszahlengenerators leicht implementieren. David Bevan hat auf diese Weise sogar eine Menge von 31 Punkten im R15 gefunden, in der es nur spitze Winkel gibt.

Anhang: Drei Werkzeuge aus der Wahrscheinlichkeitstheorie In diesem Kapitel sind wir auf drei grundlegende Begriffe aus der diskreten Wahrscheinlichkeitstheorie gestoßen, die auch sonst immer wieder ben¨otigt werden: Zufallsvariable, die Linearit¨at des Erwartungswerts und die Markov-Ungleichung. Sei (Ω, p) ein endlicher Wahrscheinlichkeitsraum, das heißt Ω ist eine endlicheP Menge und p = Prob ist eine Abbildung von Ω in das Interval [0, 1] mit ω∈Ω p(ω) = 1. Eine Zufallsvariable X auf Ω ist eine Abbildung X : Ω −→ R. Wir definieren einen Wahrscheinlichkeitsraum auf der P Bildmenge X(Ω), indem wir p(X = x) := X(ω)=x p(ω) setzen. Ein einfaches Beispiel daf¨ur ist ein fairer W¨urfel (alle Wahrscheinlichkeiten p(ω) = 16 ) mit X = die Anzahl der Punkte auf der oberen Fl¨ache, wenn ” der W¨urfel geworfen wird“. Der Erwartungswert EX von X ist der erwartete Mittelwert, also X EX = p(ω)X(ω). ω∈Ω

109

Stumpfe Winkel Wenn nun X und Y zwei Zufallsvariablen auf Ω sind, dann ist die Summe X + Y wieder eine Zufallsvariable, und wir erhalten X E(X + Y ) = p(ω)(X(ω) + Y (ω)) ω

=

X ω

p(ω)X(ω) +

X

p(ω)Y (ω) = EX + EY.

ω

Dies kann man offenbar genauso f¨ur eine endliche Linearkombination von Zufallsvariablen zeigen: das Ergebnis ist die Linearit¨at des Erwartungswerts. Man beachte, dass wir daf¨ur u¨ berhaupt keine Annahme dar¨uber brauchen, ob die Zufallsvariablen in irgendeinem Sinne voneinander ” unabh¨angig“ sind! Unser drittes Hilfsmittel befasst sich mit Zufallsvariablen X, die nur nichtnegative Werte annehmen, was wir u¨ blicherweise mit X ≥ 0 abk¨urzen. Sei X p(ω) Prob(X ≥ a) = ω:X(ω)≥a

die Wahrscheinlichkeit, dass X einen Wert annimmt, der mindestens so groß ist wie a > 0. Dann gilt X X X p(ω), p(ω)X(ω) + p(ω)X(ω) ≥ a EX = ω:X(ω)≥a

ω:X(ω)≥a

ω:X(ω) (1,2) f¨ur alle sehr großen d.  Beweis. Die Konstruktion der Menge S geschieht in vier Schritten. (1) Sei q eine Primzahlpotenz, n := 4q − 2, und sei n o Q := x ∈ {+1, −1}n : x1 = 1, #{i : xi = −1} ist gerade .

Dieses Q ist eine Menge von 2n−2 Vektoren im Rn . Wir werden sehen, dass hx, yi ≡ 2 (mod 4) f¨ur alle Vektoren x, y ∈ Q gilt. Wir nennen x, y fastorthogonal, wenn |hx, yi| = 2 ist. Wir werden zeigen, dass eine Teilmenge

Vektoren, Matrizen und Skalarprodukte

0

B B =B B @

x

xT =

`

0

B B xx = B B @ T

1 −1 −1 1 −1

1 C C C C A

=⇒

1 −1 −1

In unserer Notation sind alle Vektoren x, y, . . . Spaltenvektoren; die transponierten Vektoren xT , y T , . . . sind also Zeilenvektoren. Das Matrixprodukt xxT ist daher eine Matrix vom Rang 1, mit (xxT )ij = xi xj . Wenn x, y Spaltenvektoren sind, dann ist ihr Skalarprodukt X xi yi = xT y. hx, yi = i

1 −1

´

1 1 −1 −1 1 −1 −1 1 1 −1 1 C C −1 1 1 −1 1 C C 1 −1 −1 1 −1 A −1 1 1 −1 1

Wir brauchen aber auch Skalarprodukte von Matrizen X, Y ∈ Rn×n , die daf¨ur als Vektoren der L¨ange n2 interpretiert werden, so dass ihr Skalarprodukt durch X xij yij hX, Y i := i,j

gegeben ist.

113

Die Borsuk-Vermutung Q′ ⊆ Q, die keinePfast-orthogonalen Vektoren enth¨alt, klein“ sein muss:  ” n−1 f¨ur sie gilt |Q′ | ≤ q−2 . i=0 i

(2) Aus Q konstruieren wir die Menge

R := {xxT : x ∈ Q} von 2n−2 symmetrischen (n × n)-Matrizen vom Rang 1. Wir interpretieren 2 sie als Vektoren mit n2 Komponenten, R ⊆ Rn . Wir werden zeigen, dass es nur spitze Winkel zwischen diesen Vektoren gibt: sie haben positives Skalarprodukt, das mindestens 4 ist. Und wenn eine Teilmenge R′ ⊆ R keine zwei Vektoren mit minimalem Skalarprodukt 4 enth¨alt, dann ist |R′ |  P q−2 n−1 klein“: |R′ | ≤ i=0 i . ” n (3) Aus R erhalten wir eine Menge von Vektoren im R( 2 ) , deren Koordinaten durch die Eintr¨age unter der Diagonalen der entsprechenden Matrizen gegeben sind: S := {(xxT )i>j : xxT ∈ R}.

Die Menge S besteht aus 2n−2 Punkten. Den maximalen Abstand zwischen diesen Punkten erh¨alt man genau dann, wenn die entsprechenden Vektoren x, y ∈ Q fast-orthogonal sind. Wir schließen daraus, dass jede Teilmenge S ′ ⊆ S von kleinerem Durchmesser als S klein“ sein muss: Pq−2 ” ′ |S | ≤ i=0 n−1 . i

(4) Absch¨atzungen: Aus (3) sehen wir, dass jede Durchmesser-reduzierende Zerlegung von S mindestens 24q−4 g(q) := Pq−2 4q−3 i=0

Teile hat. Deshalb gilt

f (d) ≥ max{g(q), d + 1}

i



n 2

f¨ur d =

= (2q − 1)(4q − 3).

Also haben wir ein Gegenbeispiel f¨ur die Borsuk-Vermutung in Dimension d = (2q − 1)(4q − 3) gefunden, wenn g(q) > (2q − 1)(4q − 3) + 1 ist. Wir werden nachrechnen, dass g(9) > 562 ist, und damit ein Gegenbeispiel in Dimension d = 561 erhalten, und weiterhin  q e 27 , g(q) > 64 q 2 16 √ d

was die asymptotische Schranke f (d) > (1,2)

f¨ur alle großen d liefert.

Details fur ¨ (1): Wir beginnen mit ein paar harmlosen Teilbarkeits¨uberlegungen.  Lemma. Die Funktion P (z) := z−2 q−2 ist ein Polynom vom Grad q − 2. Es liefert ganzzahlige Werte f¨ur alle ganzzahligen z. Die ganze Zahl P (z) ist dann und nur dann durch p teilbar, wenn z modulo q nicht zu 0 oder 1 kongruent ist.

114

Behauptung. Gilt a ≡ b 6≡ 0 (mod q), so enthalten a und b dieselbe Anzahl von p-Faktoren.  Beweis. Wir haben a = b + spm , wobei b nicht durch pm = q teilbar ist. Also gilt k < m f¨ur jede Potenz pk , die b teilt, also teilt sie auch a — und umgekehrt. 

Die Borsuk-Vermutung  Beweis. Wir schreiben den Binomialkoeffizienten als   z−2 (z − 2)(z − 3) · · · (z − q + 1) P (z) = = q−2 (q − 2)(q − 3) · · · · · · 2 · 1

(∗)

und vergleichen die Anzahl der p-Faktoren im Z¨ahler und im Nenner. Der Nenner (q − 2)! hat dieselbe Anzahl von p-Faktoren wie (q − 1)!, weil q − 1 nicht durch p teilbar ist. Die Hilfsaussage auf dem Rand liefert uns sogar, dass wir eine ganze Zahl mit genau derselben Anzahl von p-Faktoren bekommen, wenn wir ein beliebiges Produkt von q − 1 ganzen Zahlen so w¨ahlen, dass wir genau eine Zahl aus jeder Restklasse modulo q ausw¨ahlen, mit Ausnahme der Restklasse der 0. Wenn nun z zu 0 oder 1 kongruent ist (mod q), dann ist der Z¨ahler von diesem Typ: Alle Faktoren im Produkt sind aus verschiedenen Restklassen und die einzigen Klassen, die nicht auftreten, sind die Restklasse der 0 (die Vielfachen von q), und die Restklasse entweder von −1 oder +1, aber weder +1 noch −1 sind durch p teilbar. Also haben dann Z¨ahler und Nenner dieselbe Anzahl von p-Faktoren, und damit ist der Quotient nicht durch p teilbar. Andernfalls, wenn z 6≡ 0, 1 (mod q) ist, dann enth¨alt der Z¨ahler von (∗) einen Faktor, der durch q = pm teilbar ist. Gleichzeitig fehlen in dem Produkt Faktoren aus zwei benachbarten anderen Restklassen: eine von diesen besteht aus Zahlen, die u¨ berhaupt keine p-Faktoren haben, und die andere aus Zahlen mit weniger p-Faktoren als q = pm . Also haben wir dann insgesamt mehr p-Faktoren im Z¨ahler als im Nenner, und der Quotient ist durch p teilbar.  Nun betrachten wir eine beliebige Teilmenge Q′ ⊆ Q, die keine fastorthogonalen Vektoren enth¨alt. Wir wollen zeigen, dass Q′ klein“ sein ” muss. Behauptung 1. Wenn x, y verschiedene Vektoren aus Q sind, dann ist 14 (hx, yi + 2) eine ganze Zahl in dem Bereich −(q − 2) ≤

1 4 (hx, yi

+ 2) ≤ q − 1.

Sowohl x als auch y hat eine gerade Anzahl von (−1)-Komponenten, so dass die Anzahl der Komponenten, in denen sich x und y unterscheiden, ebenfalls gerade ist. Also gilt hx, yi = (4q − 2) − 2#{i : xi 6= yi } ≡ −2 (mod 4) f¨ur alle x, y ∈ Q, und damit ist 14 (hx, yi + 2) eine ganze Zahl. Aus x, y ∈ {+1, −1}4q−2 folgern wir −(4q − 2) ≤ hx, yi ≤ 4q − 2, also −(q − 1) ≤ 14 (hx, yi + 2) ≤ q. Die untere Schranke kann nie mit Gleichheit gelten, weil x1 = y1 = 1 impliziert, dass x 6= −y ist. Die obere Schranke gilt mit Gleichheit genau f¨ur x = y.

Die Borsuk-Vermutung Behauptung 2. F¨ur jedes y ∈ Q′ hat das Polynom in n Variablen x1 , . . . , xn vom Grad q − 2, das durch  1  (hx, yi + 2) − 2 1 4 Fy (x) := P 4 (hx, yi + 2) = q−2

gegeben ist, die folgende Eigenschaft: Fy (x) ist f¨ur alle x ∈ Q′ \{y} durch p teilbar, aber nicht f¨ur x = y. Die Darstellung als Binomialkoeffizient zeigt, dass Fy (x) ein Polynom ist, das nur ganzzahlige Werte annimmt. F¨ur x = y erhalten wir den Wert Fy (y) = 1. F¨ur x 6= y zeigt das Lemma, dass Fy (x) dann und nur nicht dann durch p teilbar ist, wenn 14 (hx, yi+2) modulo q zu 0 oder 1 kongruent ist. Nach Behauptung 1 passiert dies nur, wenn 41 (hx, yi + 2) entweder 0 oder 1 ist, also f¨ur hx, yi ∈ {−2, +2}. Daf¨ur m¨ussten aber x und y fastorthogonal sein, was der Definition von Q′ widerspricht. Behauptung 3. Dasselbe gilt f¨ur die Polynome F y (x) in den n−1 Variablen x2 , . . . , xn , die man folgendermaßen erh¨alt: Entwickle Fy (x) in Monome; eliminiere dann die Variable x1 und reduziere alle h¨oheren Potenzen der anderen Variablen durch die Substitutionen x1 = 1 und x2i = 1 f¨ur i > 1. Die Polynome F y (x) haben h¨ochstens Grad q − 2. Die Vektoren x ∈ Q ⊆ {+1, −1}n erf¨ullen alle x1 = 1 und x2i = 1. Damit ver¨andern die Substitutionen nicht die Werte, die die Polynome auf der Menge Q annehmen. Sie erh¨ohen auch den Grad nicht, so dass F y (x) h¨ochstens Grad q − 2 hat. Behauptung 4. Zwischen den Polynomen F y (x) gibt es keine lineare Abh¨angigkeit mit rationalen Koeffizienten, das heißt, die Polynome F y (x) mit y ∈ Q′ sind u¨ ber Q linear unabh¨angig. Insbesondere sind sie paarweise verschieden. P Nehmen wir an, dass es eine Relation der Form y∈Q′ αy F y (x) = 0 gibt, in der nicht alle Koeffizienten αy verschwinden. Nach Multiplikation mit einer geeigneten ganzen Zahl k¨onnen wir annehmen, dass die Koeffizienten alle ganzzahlig sind, aber nicht alle durch p teilbar. F¨ur jedes y ∈ Q′ liefert dann jedoch die Auswertung an der Stelle x := y, dass αy F y (y) durch p teilbar ist, also auch αy , denn F y (y) ist ja nicht durch p teilbar. Behauptung 5. |Q′ | ist durch die Anzahl der quadratfreien Monome vom h¨ochstens q − 2 in n − 1 Variablen beschr¨ankt, also  PGrad q−2 durch i=0 n−1 . i

Nach Konstruktion sind die Polynome F y quadratfrei: keines ihrer Monome enth¨alt eine Variable in h¨oherer Potenz als 1. Also ist jedes F y (x) eine Linearkombination der quadratfreien Monome vom Grad h¨ochstens q − 2

115

116

Die Borsuk-Vermutung in den n − 1 Variablen x2 , . . . , xn . Da die Polynome F y (x) linear unabh¨angig sind, kann ihre Anzahl (also |Q′ |) nicht gr¨oßer sein als die entsprechende Anzahl der Monome. Details fur ¨ (2): Die erste Spalte von xxT ist x. Also erhalten wir f¨ur verschiedene x ∈ Q wirklich verschiedene Matrizen M (x) := xxT . Wir interpretieren diese Matrizen als Vektoren der L¨ange n2 mit Komponenten xi xj . Eine einfache Rechnung

M (x), M (y) = =

n X n X

(xi xj )(yi yj )

i=1 j=1 n X

xi yi

i=1

n  X j=1

xj yj



= hx, yi2 ≥ 4

zeigt, dass das Skalarprodukt von M (x) und M (y) genau dann minimal wird, also der Winkel zwischen M (x) und M (y) maximal wird, wenn x, y ∈ Q fast-orthogonal sind.

0

B 1

B B B M (x) = B B B B @

1

1

U (x)

..

.

U (x) C C 1

C C C C C C A

Details fur ¨ (3): Es bezeichne U (x) ∈ {+1, −1}d den Vektor der Komponenten von M (x) unter der Diagonalen. Weil M (x) = xxT symmetrisch ist, mit Diagonaleintr¨agen +1, sehen wir, dass M (x) 6= M (y) auch U (x) 6= U (y) impliziert. Weiter gilt 4 ≤ hM (x), M (y)i = 2hU (x), U (y)i + n, also

n + 2, 2 mit Gleichheit dann und nur dann, wenn x und y fast-orthogonal sind.qWeil p  n die Vektoren U (x) ∈ S alle dieselbe L¨ange hU (x), U (x)i = 2 haben, bedeutet dies, dass der maximale Abstand zwischen zwei Punkten U (x), U (y) ∈ S genau dann auftritt, wenn x und y fast-orthogonal sind. hU (x), U (y)i ≥ −

Details fur ¨ (4): F¨ur q = 9 haben wir g(9) ≈ 758,31, was gr¨oßer ist als d + 1 = 34 2 + 1 = 562. Um eine allgemeine Schranke f¨ur großes d zu erhalten, verwenden wir, dass die Binomialkoeffizienten monoton und unimodal sind, sowie die Ungleichungen n! > e( ne )n und n! < en( ne )n (siehe Seite 12) und leiten  q−2 X 4q − 3 i=0

i

4q   e 4q 4q 4q (4q)! 4q 2  256 q e d8 und q = 85 + d8 + 64 > 1,2032, 16

die untere Schranke f (d) >

√ √ e (1,2032) d > (1,2) d , 13d

wenn d groß genug ist.



Ein Gegenbeispiel in Dimension 560 erh¨alt man aus der Beobachtung, dass f¨ur q = 9 der Quotient g(q) ≈ 758 viel gr¨oßer ist als die Dimension d(q) = 561. Daraus erh¨alt man ein Gegenbeispiel der Dimension 560, indem man nur dreiviertel“ der Menge S nimmt, n¨amlich all die Punkte von Q, die ” (x1 , x2 , x3 ) 6= (1, 1, 1) erf¨ullen. Die Borsuk-Vermutung ist f¨ur d ≤ 3 bewiesenermaßen richtig, aber sie konnte bisher f¨ur keine gr¨oßere Dimension gezeigt werden. Im Gegensatz dazu ist sie wahr bis d = 8, wenn wir sie auf Teilmengen der Form S ⊆ {1, −1}d einschr¨anken, wie in der obigen Konstruktion (siehe [8]). Aber im allgemeinen wie im speziellen Fall ist es durchaus denkbar und plausibel, dass es auch in vern¨unftig kleinen“ Dimensionen schon Gegen” beispiele zur Borsuk-Vermutung gibt.

Literatur [1] K. B ORSUK : Drei S¨atze u¨ ber die n-dimensionale euklidische Sph¨are, Fundamenta Math. 20 (1933), 177-190. [2] A. H INRICHS & C. R ICHTER : New sets with large Borsuk numbers, Discrete Math. 270 (2003), 137-147. [3] J. K AHN & G. K ALAI : A counterexample to Borsuk’s conjecture, Bulletin Amer. Math. Soc. 29 (1993), 60-62. [4] A. N ILLI : On Borsuk’s problem, in: Jerusalem Combinatorics ’93“ (H. Bar” celo and G. Kalai, eds.), Contemporary Mathematics 178, Amer. Math. Soc. 1994, 209-210. [5] A. M. R AIGORODSKII : On the dimension in Borsuk’s problem, Russian Math. Surveys (6) 52 (1997), 1324-1325. [6] O. S CHRAMM : Illuminating sets of constant width, Mathematika 35 (1988), 180-199. [7] B. W EISSBACH : Sets with large Borsuk number, Beitr¨age zur Algebra und Geometrie 41 (2000), 417-423. [8] G. M. Z IEGLER : Coloring Hamming graphs, optimal binary codes, and the 0/1-Borsuk problem in low dimensions, Lecture Notes in Computer Science 2122, Springer-Verlag 2001, 164-175.

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese

Die Mengenlehre, begr¨undet von Georg Cantor in der zweiten H¨alfte des neunzehnten Jahrhunderts, hat die Mathematik vollkommen ver¨andert. Die Mathematik, wie wir sie heute kennen, ist undenkbar ohne das Konzept einer Menge, oder wie David Hilbert sagte: Niemand wird uns aus dem ” Paradies (der Mengenlehre) vertreiben, das Cantor f¨ur uns erschaffen hat.“ Einer der fundamentalen Begriffe von Cantor ist die M¨achtigkeit oder Kardinalit¨at einer Menge M , bezeichnet mit |M |. F¨ur endliche Mengen bereitet dies keine Schwierigkeiten: Wir z¨ahlen einfach die Anzahl der Elemente und sagen, dass M eine n-Menge ist, oder dass M die M¨achtigkeit n hat, falls M genau n Elemente enth¨alt. Also haben zwei endliche Mengen M und N die gleiche Gr¨oße, in Zeichen |M | = |N |, wenn sie dieselbe Anzahl von Elementen enthalten. Um diesen Begriff der gleichen Gr¨oße auf unendliche Mengen zu u¨ bertragen, verwenden wir das folgende Gedankenexperiment f¨ur endliche Mengen. Nehmen wir an, eine Anzahl von Personen steigt in einen Bus. Wann werden wir sagen, dass die Zahl der Menschen genau dieselbe ist wie die Zahl der vorhandenen Sitze? Es liegt nahe, was wir tun werden: Wir fordern alle Leute auf, sich hinzusetzen. Falls jeder von ihnen einen Sitz findet, und kein Sitz frei bleibt, dann und nur dann werden die beiden Mengen (der Leute und der Sitze) in ihrer Gr¨oße u¨ bereinstimmen. Mit anderen Worten, die beiden M¨achtigkeiten sind gleich, falls es eine Bijektion der einen Menge auf die andere gibt. Und das ist auch schon unsere Definition: Zwei beliebige Mengen M und N (endlich oder unendlich) haben dieselbe M¨achtigkeit oder Kardinalit¨at genau dann, wenn es eine Bijektion von M auf N gibt. Offenbar definiert ¨ dieser Begriff der gleichen M¨achtigkeit eine Aquivalenzrelation auf den ¨ Mengen, und wir k¨onnen somit eine Zahl“ mit jeder Aquivalenzklasse ” assoziieren, genannt die Kardinalzahl dieser Klasse. Zum Beispiel erhalten wir f¨ur endliche Mengen die Kardinalzahlen 0, 1, 2, . . . , n, . . ., wobei n f¨ur die Klasse der n-Mengen steht und insbesondere 0 f¨ur die leere Menge. Wir bemerken fernerhin die offensichtliche Tatsache, dass eine echte Teilmenge einer endlichen Menge M stets kleinere Gr¨oße als M hat. Diese Theorie wird sehr interessant (und in h¨ochstem Maße nicht-intuitiv), wenn wir sie auf unendliche Mengen u¨ bertragen. Betrachten wir zum Beispiel die Menge N = {1, 2, 3, . . .} der nat¨urlichen Zahlen. Wir nennen eine Menge M abz¨ahlbar, wenn sie bijektiv auf die Menge N abgebildet werden kann. Mit anderen Worten, M ist abz¨ahlbar, falls wir die Elemente von M in der Form m1 , m2 , m3 , . . . durchnummerieren k¨onnen. Aber jetzt passiert etwas Unerwartetes. Angenommen, wir geben zu N ein neues

Kapitel 17

Georg Cantor

122

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese

g1

g2

g3 . . .

x

g1

g2 . . .

Element x dazu. Dann ist N ∪ {x} immer noch abz¨ahlbar und hat daher dieselbe M¨achtigkeit wie N! Eine h¨ubsche Illustration f¨ur dieses merkw¨urdige Ph¨anomen ist Hilberts ” Hotel“. Wir nehmen an, ein Hotel hat abz¨ahlbar viele Zimmer, mit den Nummern 1, 2, 3, . . ., wobei der Gast gi den Raum mit Nummer i belegt; das Hotel ist also vollkommen ausgebucht. Nun kommt ein neuer Gast x an und verlangt ein Zimmer, worauf ihm der Hotelmanager sagt: Tut mir leid, alle Zimmer sind belegt. Kein Problem, sagt der neue Gast: Bitten Sie doch den Gast g1 in Zimmer 2 zu gehen, g2 in Zimmer 3, g3 in Zimmer 4 und so fort, und dann werde ich den freien Raum 1 belegen k¨onnen. Zur ¨ Uberraschung des Managers (er ist kein Mathematiker) funktioniert das: Er kann tats¨achlich alle G¨aste wieder unterbringen, plus den neuen Gast x! Nun ist klar, dass der Manager einen weiteren Gast y unterbringen kann und dann einen weiteren z, und so fort. Insbesondere bemerken wir, im Gegensatz zu endlichen Mengen, dass es durchaus vorkommen kann, dass eine echte Teilmenge einer unendlichen Menge M dieselbe M¨achtigkeit hat wie die Menge M . Tats¨achlich charakterisiert dies, wie wir sehen werden, unendliche Mengen: Eine Menge ist unendlich dann und nur dann, wenn sie dieselbe M¨achtigkeit hat wie eine echte Teilmenge. Verlassen wir Hilberts Hotel und sehen wir uns ein paar vertraute Zahlbereiche an. Die Menge Z der ganzen Zahlen ist wieder abz¨ahlbar, da wir Z in der Form Z = {0, 1, −1, 2, −2, 3, −3, . . .} durchnummerieren k¨onnen. Es ist schon etwas u¨ berraschender, dass auch die Menge Q der rationalen Zahlen abz¨ahlbar ist.

1 1

1 2

1 3

1 4

1 5

2 1

2 2

2 3

2 4

2 5

3 1

3 2

3 3

3 4

4 1

4 2

4 3

5 1

5 2

1 6

Satz 1. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abz¨ahlbar.  Beweis. Wenn wir die Menge Q+ der positiven rationalen Zahlen aufreihen, wie es in dem Schema am Rand vorgeschlagen wird (wobei wir Zahlen, die schon vorgekommen sind, auslassen), so sehen wir, dass Q+ abz¨ahlbar ist. Und somit ist auch Q abz¨ahlbar: Wir setzen 0 an den Anfang der Liste und schreiben − qp direkt hinter pq . Damit erhalten wir Q = {0, 1, −1, 2, −2, 21 , − 21 , 13 , − 13 , 3, −3, 4, −4, 32 , − 32 , . . . }.



Wir k¨onnen die Abbildung im Rand auch folgendermaßen interpretieren:

6 1

Jede Vereinigung von abz¨ahlbar vielen abz¨ahlbaren Mengen Mn ist wieder abz¨ahlbar. Um dies zu sehen, setzen wir Mn = {an1 , an2 , an3 , . . .} und z¨ahlen die Vereinigung genauso auf wie vorher: ∞ S

n=1

Mn = {a11 , a21 , a12 , a13 , a22 , a31 , a41 , a32 , a23 , a14 . . . }.

Cantors Aufz¨ahlung der positiven Br¨uche wollen wir uns noch ein bisschen genauer anschauen. Aus dem Schema im Rand hatten wir die Folge 1 2 1 1 2 3 4 3 2 1 1 2 3 4 5 1, 1, 2, 3, 2, 1, 1, 2, 3, 4, 5, 4, 3, 2, 1,

erhalten und dann Duplikate (nicht-gek¨urzte Br¨uche, wie

2 4

... = 12 ) entfernt.

123

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Es gibt aber eine andere Aufz¨ahlung, die sehr viel eleganter und systematischer ist, und die keine Duplikate enth¨alt — diese wurde erst vor kurzem von Neil Calkin und Herbert Wilf beschrieben. Ihre Liste f¨angt folgendermaßen an: 1 1 2 1 3 2 3 1 4 3 5 2 5 3 4 1, 2, 1, 3, 2, 3, 1, 4, 3, 5, 2, 5, 3, 4, 1,

... .

Wir bemerken, dass hier der Nenner des n-ten Bruches immer gleich dem Z¨ahler der (n + 1)-sten Zahl ist. Mit anderen Worten,  der n-te Bruch kann als b(n)/b(n + 1) geschrieben werden, wobei b(n) n≥0 eine Folge ist, die mit (1, 1, 2, 1, 3, 2, 3, 1, 4, 3, 5, 2, 5, 3, 4, 1, 5, . . . ) anf¨angt. Diese Folge taucht erstmals in einem Aufsatz des G¨ottinger Mathematikers Moritz Abraham Stern aus dem Jahr 1858 auf. Wie erhalten wir diese Folge, und damit die Calkin-Wilf-Aufz¨ahlung der positiven Br¨uche? Dazu betrachten wir den unendlichen bin¨aren Baum, der im Rand dargestellt ist. Seine Bildungsregeln sind sehr einfach: • An der Spitze des Baumes steht 11 , und

• jeder Knoten Sohn ist i+j j .

i j

hat zwei S¨ohne: der linke Sohn ist

i i+j

1 1

1 2

und der rechte 1 3

Damit k¨onnen wir ganz leicht die folgenden vier Eigenschaften verifizieren: (1) Alle Br¨uche in dem Baum sind gek¨urzt, d. h. wenn r und s relativ prim.

r s

auftritt, dann sind

Dies gilt an der Spitze f¨ur 11 , und dann arbeiten wir uns mit Induktion nach unten. Wenn r und s relativ prim sind, dann sicher auch r und r + s und ebenso s und r + s. (2) Jeder positive gek¨urzte Bruch

r s

> 0 tritt in dem Baum auf.

Daf¨ur verwenden wir Induktion u¨ ber die Summe r + s. Der kleinste m¨ogliche Wert ist r + s = 2, also rs = 11 , und dies tritt an der Spitze auf. Wenn nun r > s ist, dann tritt r−s s nach Induktion in dem Baum auf, und wir erhalten rs als den rechten Sohn davon. Genau so tritt f¨ur r < s der Bruch r r s−r nach Induktion auf, und der hat s als seinen linken Sohn. (3) Jeder gek¨urzte Bruch tritt genau einmal auf. Das Argument daf¨ur ist ganz einfach. Wenn rs mehr als einmal auftreten w¨urde, dann w¨are r 6= s, weil jeder Knoten in dem Baum außer der Spitze i die Form i+j < 1 oder i+j j > 1 hat. Wenn aber r > s oder r < s gilt, so k¨onnen wir wieder mit Induktion arbeiten. Damit tritt jeder positive Bruch also genau einmal in unserem Baum auf, und wir k¨onnen die Br¨uche aufz¨ahlen, indem wir sie zeilenweise von links nach rechts aus dem bin¨aren Baum ablesen. Dies liefert genau die Folge, deren Anfang wir oben angegeben hatten.

2 1

1 4

1 5

3 2

4 3

...

3 5

2 3

5 2

2 5

3 1

5 3

3 4

4 1

124

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese (4) Der Nenner des n-ten Bruches in der Liste ist der Z¨ahler des (n + 1)sten.

r′ s′ −r ′

r−s s

r s

r′ s′

Dies stimmt sicher f¨ur n = 0, oder wenn der n-te Bruch ein linker Sohn ist. Nehmen wir also an, dass die n-te Zahl rs ein rechter Sohn ist. Wenn rs am rechten Rand des Baumes auftritt, dann ist s = 1, und der Nachfolger liegt am linken Rand und hat Z¨ahler 1. Liegt nun rs schließlich im Inneren, ′ und ist rs′ der n¨achste Bruch in unserer Folge, dann ist rs der rechte Sohn r′ r′ von r−s s , s′ ist der linke Sohn von s′ −r ′ , und nach Induktion ist der Nenner von

r−s s

genau der Z¨ahler von

r′ s′ −r ′ .

Also erhalten wir s = r′ .

Das war h¨ubsch, aber es kommt noch mehr. Zun¨achst stellen sich zwei ganz nat¨urliche Fragen:  – Hat die Folge b(n) n≥0 eine Bedeutung“? Z¨ahlt b(n) irgendetwas ” Sinnvolles? – Gibt es eine einfache Regel, mit der man aus der Folge bestimmen kann?

r s

den n¨achsten Bruch in

Um die erste Frage zu beantworten, verwenden wir, dass der Knoten b(n)/b(n + 1) die S¨ohne b(2n + 1)/b(2n + 2) und b(2n + 2)/b(2n + 3) hat. Nach dem Bildungsgesetz des Baumes erhalten wir damit die Rekursion b(2n + 1) = b(n) und b(2n + 2) = b(n) + b(n + 1). (1)  Mit b(0) = 1 ist die Folge b(n) n≥0 vollst¨andig durch (1) bestimmt.

Zum Beispiel h(6) = 3, mit den Hyperbin¨ardarstellungen 6 =4+2 6 =4+1+1 6 = 2 + 2 + 1 + 1.

Gibt es nun eine sch¨one“, bekannte“ Folge, die dieser Rekursionsvor” ” schrift gen¨ugt? Ja, die gibt es. Wir wissen, dass sich jede Zahl n eindeutig als eine Summe verschiedener Zweierpotenzen schreiben l¨asst — dies ergibt die u¨ bliche Bin¨ardarstellung von n. Eine Hyperbin¨ardarstellung von n ist eine Darstellung als eine Summe von Zweierpotenzen, wobei jede Potenz 2k h¨ochstens zwei Mal verwendet werden darf. Sei h(n) die Zahl solcher Darstellungen von n. Sie sind jetzt eingeladen, selbst zu u¨ berpr¨ufen, dass die Folge h(n) genau die Rekursion (1) erf¨ullt, und dies ergibt dann b(n) = h(n) f¨ur alle n. Damit haben wir u¨ brigens eine u¨ berraschende Tatsache bewiesen: Sei rs ein gek¨urzter Bruch, dann gibt es genau eine Zahl n mit r = h(n) und s = h(n + 1). Wenden wir uns nun der zweiten Frage zu. In unserem Baum gilt die Bildungsvorschrift r s

r r+s

x

also mit x := rs : r+s s

x 1+x

x+1

Wir verwenden dies nun, um einen noch gr¨oßeren unendlichen bin¨aren Baum (ohne Wurzel) zu erzeugen, der auf der n¨achsten Seite gezeigt wird.

125

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese In diesem Baum sind alle Zeilen gleich, sie beginnen jeweils mit 10 , und liefern dann die Calkin-Wilf-Aufz¨ahlung der positiven Br¨uche.

0 1

...

0 1

1 1

1 1

0 1

...

1 1

2 1

1 3 1 4 1 5

3 2 4 3

3 5

2 5

3 1 5 3

2 1

1 3

2 3 5 2

1 2

1 2

1 2

3 4

1 4 4 1

1 5

3 2 4 3

3 5

2 5

3 1 5 3

2 1

1 3

2 3 5 2

...

3 4

1 4 4 1 1 5

3 2

4 3

3 5

2 3

5 2

2 5

3 1

5 3

...

...

...

Wie kommt man nun in dieser Aufz¨ahlung von einem Bruch zum n¨achsten? Um diese Frage zu beantworten, halten wir zun¨achst fest, dass f¨ur jeden Bruch x der rechte Sohn durch x + 1 gegeben ist, der rechte Enkel durch x + 2, der k-fach rechte Sohn also durch x + k. Genauso ist der linke Sohn x x , sein linker Sohn ist 1+2x , und so weiter: Der von x gegeben durch 1+x x k-fache linke Sohn von x ist 1+kx . Um nun herauszufinden, wie man von rs = x zum n¨achsten“ f (x) in der ” Folge kommt, m¨ussen wir die Situation in der Zeichnung am Rand analysieren. Wenn wir n¨amlich irgendeine nicht-negative rationale Zahl in unserem unendlichen Bin¨arbaum betrachten, dann ist diese der k-fache rechte Sohn des linken Sohns eines Bruches y ≥ 0 (f¨ur ein k ≥ 0), w¨ahrend f (x) dann als der k-fache linke Sohn des rechten Sohnes desselben Bruches y gegeben ist. Mit den Formeln f¨ur k-fache linke S¨ohne und k-fache rechte S¨ohne erhalten wir y x = + k, 1+y wie in der Zeichnung im Rand behauptet. Hier ist k = ⌊x⌋ der ganzzahlige y Anteil von x, w¨ahrend 1+y = {x} der gebrochene Anteil ist. Und daraus erhalten wir f (x) =

y+1 = 1 + k(y + 1)

1 1 = k+1− +k

1 y+1

y y+1

=

1 . ⌊x⌋ + 1 − {x}

y y 1+y

y 1+y

y+1

+k

...

y+1 1+k(y+1)

3 4

... 4 1

...

126

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Damit haben wir eine bemerkenswerte Formel f¨ur den Nachfolger f (x) von x abgeleitet, die Moshe Newman vor kurzem gefunden hat:

Die Funktion x 7−→ f (x) =

1 ⌊x⌋ + 1 − {x}

erzeugt die Calkin-Wilf-Folge 1 1

7→

1 2

7→

2 1

7→

1 3

7→

3 2

7→

2 3

7→

3 1

7→

1 4

7→

4 3

7→ . . .

in der jede positive rationale Zahl genau einmal auftritt.

0 1

Die Aufz¨ahlung der positiven Br¨uche nach Calkin, Wilf und Newman hat noch weitere bemerkenswerte Eigenschaften. So kann man zum Beispiel nach einer schnellen Methode suchen, um den n-ten Bruch in der Folge zu bestimmen, etwa f¨ur n = 106 . Hier ist sie:

1 1 1

Um den n-ten Bruch in der Calkin-Wilf-Folge zu bestimmen, stellt man n als Bin¨arzahl n = (bk bk−1 ...b1 b0 )2 dar und folgt dann dem Pfad im Calkin-Wilf-Baum, der durch ihre Ziffern bestimmt ist, beginnend mit 0 s t = 1 . Hier bedeutet bi = 1 ”den rechten Sohn nehmen“, also ”den Nenner zum Z¨ahler dazu addieren“, w¨ahrend bi = 0 heißt nimm den ” linken Sohn“, also z¨ahle den Z¨ahler zum Nenner dazu“. ”

1 1 2

0

1 3

1 4 1 5

3 2

4 3

...

2 1

3 5

0 5 2

2 5

2 3

1 7 5

3 1

5 3

3 4

4 1

Die nebenstehende Skizze zeigt den Pfad, den man f¨ur n = 25 = (11001)2 erh¨alt: die 25. Zahl in der Calkin-Wilf-Folge ist 57 . Ganz a¨ hnlich kann man sich ein Schema u¨ berlegen, wie man f¨ur einen gegebenen Bruch st die (Bin¨ardarstellung der) Stelle n ausrechnet, an der der Bruch in der CalkinWilf-Folge auftritt. Wenden wir uns nun den reellen Zahlen R zu. Ist diese Menge ebenfalls abz¨ahlbar? Nein, sie ist es nicht. Die Idee, mit der dies gezeigt wird — Cantors Diagonalisierungsmethode — ist nicht nur von fundamentaler Bedeutung f¨ur die gesamte Mengenlehre, sondern geh¨ort ohne Zweifel auch in das BUCH als das Werk eines Genies. Satz 2. Die Menge R der reellen Zahlen ist nicht abz¨ahlbar.  Beweis. Zun¨achst stellen wir fest, dass jede Teilmenge N einer abz¨ahlbaren Menge M = {m1 , m2 , m3 , . . .} h¨ochstens abz¨ahlbar ist (also endlich oder abz¨ahlbar). Dazu brauchen wir nur die Elemente von N in der Reihenfolge aufzuf¨uhren, in der sie in M erscheinen. Wenn wir also eine Teilmenge von R finden, die nicht abz¨ahlbar ist, dann ist a fortiori auch R nicht abz¨ahlbar. Die Teilmenge M von R, die wir betrachten wollen, ist das Intervall (0, 1] aller positiven reellen Zahlen r mit 0 < r ≤ 1. Nehmen wir im Gegenteil an, dass M abz¨ahlbar ist und M = {r1 , r2 , r3 , . . .} eine

127

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Auflistung. Wir schreiben jedes rn als die eindeutige nicht-endende Dezimalentwicklung (also ohne eine unendliche Folge von Nullen am Ende): rn = 0,an1 an2 an3 ... mit ani ∈ {0, 1, . . . , 9} f¨ur alle n und i. Zum Beispiel ist 0,7 = 0,6999... Nun betrachten wir das unendliche Schema r1

= 0,a11 a12 a13 ...

r2

= 0,a21 a22 a23 ... .. .

rn

= 0,an1 an2 an3 ... .. .

F¨ur jedes n sei bn die kleinste Zahl in {1, 2}, die von ann verschieden ist. Dann ist b = 0,b1 b2 b3 ...bn ... eine reelle Zahl in unserer Menge M und hat daher einen Index, sagen wir b = rk . Aber das kann nicht sein, da bk verschieden ist von akk . Und das ist der ganze Beweis!  Bleiben wir noch einen Moment bei den reellen Zahlen. Wir stellen fest, dass alle vier Typen von Intervallen (0, 1), (0, 1], [0, 1) und [0, 1] dieselbe M¨achtigkeit haben. Beweisen wir dies beispielsweise f¨ur die Intervalle (0, 1] und (0, 1). Die Abbildung f : (0, 1] −→ (0, 1), x 7−→ y, definiert durch  3 ur 12 < x ≤ 1,  2 − x f¨     3 − x f¨ur 1 < x ≤ 1 , 4 4 2 y := 3 1 1 − x f¨ u r < x ≤  8 8 4,    ..  .

ist bijektiv. Wir brauchen dazu nur zu beobachten, dass der Wertebereich von y in der ersten Zeile 12 ≤ y < 1 ist, in der zweiten Zeile 14 ≤ y < 21 , in der dritten Zeile 81 ≤ y < 14 , und so fort. Als N¨achstes stellen wir fest, dass zwei beliebige Intervalle (einer endlichen L¨ange > 0) immer die gleiche M¨achtigkeit haben, indem wir die Zentralprojektion betrachten wie in der nebenstehenden Abbildung. Ja es gilt sogar noch mehr: Jedes Intervall (der L¨ange > 0) hat dieselbe Gr¨oße wie die gesamte reelle Gerade R. Die Zeichnung zur Rechten demonstriert dies. Wir biegen das offene Intervall (0, 1) und projizieren es vom Zentrum S aus auf R. Fassen wir zusammen: Alle offenen, halb-offenen, geschlossenen (endlichen oder unendlichen) Intervalle einer L¨ange > 0 haben alle dieselbe M¨achtigkeit. Diese M¨achtigkeit wird u¨ blicherweise mit c bezeichnet, wobei c f¨ur Kontinuum steht (dieser Name wurde fr¨uher meist f¨ur das Intervall [0, 1] verwendet). Vielleicht kam es nicht v¨ollig u¨ berraschend, dass endliche und unendliche Intervalle dieselbe M¨achtigkeit haben. Aber hier ist eine Tatsache, die jeder Intuition zu widersprechen scheint.

0

1

Eine Bijektion f : (0, 1] −→ (0, 1)

S

R

128

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Satz 3. Die Menge R2 aller geordneten Paare von reellen Zahlen (die reelle Ebene) hat dieselbe Gr¨oße wie R. Dieser Satz wie auch die Beweisidee, die Dezimalentwicklungen von zwei reellen Zahlen zu mischen, stammen von Cantor (1878). Die folgende Variante seiner Methode ist wieder aus dem BUCH. Abraham Fraenkel schreibt den eleganten Kunstgriff, der direkt eine Bijektion liefert, Julius K¨onig zu.  Beweis. Es gen¨ugt zu beweisen, dass die Menge aller Paare (x, y) mit 0 < x, y ≤ 1 bijektiv auf das Intervall (0, 1] abgebildet werden kann. Betrachten wir das Paar (x, y) und schreiben wir x, y in ihrer eindeutigen unendlichen Dezimaldarstellung wie in dem Beispiel x y

= =

0, 3 01 2 007 08 . . . 0, 009 2 05 1 0008 . . .

Man beobachte, dass wir dabei die Ziffern von x und y in Gruppen aufgeschrieben haben, wobei wir jeweils bis zur n¨achsten Ziffer ungleich Null gehen. Nun assoziieren wir zu (x, y) die Zahl z ∈ (0, 1], indem wir die erste x-Gruppe hinschreiben, danach die erste y-Gruppe, dann die zweite x-Gruppe, usw. In unserem Beispiel erhalten wir somit z = 0, 3 009 01 2 2 05 007 1 08 0008 . . . Da weder x noch y ab einem gewissen Punkt nur noch Nullen enthalten, finden wir, dass der Ausdruck f¨ur z wieder eine nicht-endende Dezimaldarstellung ist. Umgekehrt k¨onnen wir aus der Entwicklung von z unmittelbar das Urbild (x, y) ablesen.  Aus der Bijektion (x, y) 7−→ x + iy von R2 auf die komplexen Zahlen C folgt, dass |C| = |R| = c ist. Warum ist das Resultat |R2 | = |R| so unerwartet? Nun, es geht vollkommen gegen unsere Intuition der Dimension. Es besagt, dass die 2-dimensionale Ebene R2 bijektiv auf die 1-dimensionale Gerade R abgebildet werden kann. Die Dimension bleibt also durch bijektive Abbildungen im Allgemeinen nicht erhalten. Wenn wir aber zus¨atzlich fordern, dass die Abbildung und ihre Inverse beide stetig sind, dann bleibt die Dimension tats¨achlich erhalten — ein ber¨uhmtes Resultat, das zuerst von Luitzen Brouwer gezeigt wurde. Der Beweis l¨asst sich mit Hilfe des Sperner-Lemmas f¨uhren, das wir im Kapitel 25 kennenlernen werden. Bis jetzt haben wir den Begriff der gleichen M¨achtigkeit diskutiert. Wann k¨onnen wir sagen, dass M h¨ochstens so groß wie N ist? Wieder weisen uns Abbildungen den richtigen Weg. Wir sagen, dass die Kardinalzahl m kleiner oder gleich n ist, falls f¨ur Mengen M und N mit |M | = m, |N | = n eine Injektion von M nach N existiert. Offenbar ist die Relation m ≤ n unabh¨angig von den jeweilig gew¨ahlten Mengen M und N . Bei endlichen Mengen entspricht dies genau unserer Intuition. Eine m-Menge ist genau dann h¨ochstens so groß wie eine n-Menge, wenn m ≤ n ist. Nun ergibt sich aber ein grundlegendes Problem. Wir wollen nat¨urlich, dass die u¨ blichen Gesetze f¨ur Ungleichungen auch f¨ur Kardinalzahlen gelten.

129

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Sind sie aber auch wirklich richtig f¨ur unendliche Kardinalzahlen? Stimmt insbesondere, dass m ≤ n und n ≤ m zusammen m = n implizieren? Eine positive Antwort auf diese Frage liefert der Cantor-Bernstein-Satz, den Cantor 1883 angek¨undigt hat. Der erste vollst¨andige Beweis wurde von Felix Bernstein in Cantors Seminar 1897 vorgestellt. Weitere Beweise wurden von Richard Dedekind, Ernst Zermelo und anderen gegeben; der folgende geht auf Julius K¨onig (1906) zur¨uck. Satz 4. Wenn jede von zwei Mengen M und N injektiv in die jeweils andere abgebildet werden kann, dann existiert eine Bijektion von M auf N , das heißt, es gilt dann |M | = |N |.  Beweis. Wir d¨urfen annehmen, dass M und N disjunkt sind — wenn nicht, dann ersetzen wir N einfach durch eine disjunkte Kopie. Durch abwechselnde Anwendung von f und g k¨onnen wir die Elemente von M und von N hin und her abbilden. Um die Situation zu entwirren ordnen wir Elemente von M ∪ N ordentlich und u¨ bersichtlich in Ketten an. Wir beginnen daf¨ur mit einem beliebigen Element m0 ∈ M , und erzeugen daraus eine Kette von Elementen, indem wir erst f anwenden, dann g, dann wieder f , dann g, und so weiter. Die Kette kann sich schließen (dies ist unser Fall 1), wenn wir in diesem Prozess wieder auf m0 stoßen, oder er kann mit verschiedenen Elementen unendlich weitergehen. (Das erste Duplikat“ ” in der Kette kann kein anderes Element als m0 sein, wegen Injektivit¨at.)

N

M f m0

g

...

Cantor und Bernstein malen“ ”

Wenn die Kette unendlich weitergeht, dann versuchen wir sie auch r¨uckw¨arts zu verfolgen: Von m0 aus gehen wir zu g −1 (m0 ), wenn m0 im Bild von g liegt, dann zu f −1 (g −1 (m0 )), wenn g −1 (m0 ) im Bild von f liegt, und so weiter. Drei weitere F¨alle k¨onnen dabei auftreten: Das Zur¨uckverfolgen kann unendlich weitergehen (Fall 2), er kann aufh¨oren in einem Element von M , das nicht im Bild von g liegt (Fall 3), oder er kann in einem Element von N aufh¨oren, das nicht im Bild von f liegt (Fall 4).

130

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Damit zerlegt sich M ∪ N eindeutig in vier Arten von Ketten, deren Elemente wir jeweils so bezeichnen k¨onnen, dass sich die gesuchte Bijektion einfach durch F : mi 7−→ ni ergibt. Wir verifizieren dies in allen vier F¨allen getrennt: Fall 1. Endliche Zyklen auf 2k + 2 verschiedenen Elementen (k ≥ 0): m0

f

n0

g

f

m1 g

···

mk

f

nk

Fall 2. In beide Richtungen unendliche Ketten aus lauter verschiedenen Elementen: ···

m0

f

n0

g

m1

f

n1

g

m2

f

···

Fall 3. Unendliche Ketten von verschiedenen Elementen, die in einem Element m0 ∈ M \g(N ) beginnen: m0

f

n0

g

m1

f

n1

g

m2

f

···

Fall 4. Unendliche Ketten von verschiedenen Elementen, die in einem Element n0 ∈ N \f (M ) beginnen: n0

g

m0

f

n1

g

m1

f

··· 

Wie steht es mit den anderen Ungleichungen? Wie u¨ blich setzen wir m < n, falls m ≤ n ist, aber m 6= n. Wir haben eben gesehen, dass f¨ur je zwei Kardinalzahlen m und n h¨ochstens eine der drei M¨oglichkeiten m < n, m = n, m > n

Die kleinste unendliche Kardinalit¨at“ ”

gilt, und es folgt aus der Theorie der Ordinalzahlen, dass in Wahrheit genau eine dieser Relationen g¨ultig ist. (Siehe den Anhang zu diesem Kapitel, Proposition 2). Des Weiteren besagt der Satz von Cantor-Bernstein, dass die Relation < transitiv ist, das heißt m < n und n < p implizieren m < p. Die Kardinalzahlen erscheinen also in linearer Ordnung, beginnend mit den endlichen Zahlen 0, 1, 2, 3, . . .. Wenn wir das u¨ bliche Zermelo-Fraenkel Axiomensystem verwenden, so stellen wir sofort fest, dass jede unendliche Menge M eine abz¨ahlbare Teilmenge enth¨alt. Um dies zu sehen, nehmen wir ein Element von M , sagen wir m1 . Die Menge M \ {m1 } ist nicht leer (da sie unendlich ist) und enth¨alt daher ein weiteres Element m2 . Nun betrachten wir M \ {m1 , m2 } und stellen die Existenz eines weiteren Elementes m3 fest, und so fort. Die M¨achtigkeit einer abz¨ahlbaren Menge ist somit die kleinste unendliche Kardinalzahl, u¨ blicherweise bezeichnet mit ℵ0 (ausgesprochen Aleph Null“). ”

131

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Als eine Folgerung aus ℵ0 ≤ m f¨ur jede unendliche Kardinalzahl m k¨onnen wir sofort Hilberts Hotel“ f¨ur jede beliebige unendliche Kardinalzahl m ” beweisen, das heißt, es gilt |M ∪ {x}| = |M | f¨ur jede unendliche Menge M . Dazu betrachten wir eine Teilmenge N = {m1 , m2 , m3 , . . .} der Menge M . Nun bilden wir x auf m1 ab, m1 auf m2 , usw., und halten die Elemente von M \N fest. Dies ergibt offenbar die gew¨unschte Bijektion. Damit haben wir auch ein Resultat bewiesen, das wir schon einmal angesprochen hatten: Jede unendliche Menge enth¨alt eine echte Teilmenge derselben M¨achtigkeit. Als eine weitere Folgerung aus dem Cantor-Bernstein-Satz k¨onnen wir ableiten, dass die Menge P(N) aller Teilmengen von N die Kardinalit¨at c hat. Wie wir oben festgestellt haben, gen¨ugt es daf¨ur, |P(N)\{∅}| = |(0, 1]| zu zeigen. Ein Beispiel einer injektiven Abbildung in die eine Richtung ist X f : P(N) \ {∅} −→ (0, 1], A 7−→ 10−i , i∈A

w¨ahrend

g : (0, 1] −→ P(N) \ {∅},

0.b1 b2 b3 ... 7−→ {bi 10i : i ∈ N}

eine Injektion in die umgekehrte Richtung ist. Bis jetzt kennen wir die Kardinalzahlen 0, 1, 2, . . . , ℵ0 und wissen, dass die Kardinalzahl c von R gr¨oßer ist als ℵ0 . Dies legt sofort die n¨achste Frage nahe: Ist c = |R| die n¨achste unendliche Kardinalzahl nach ℵ0 ? Dabei ergibt sich das grundlegende Problem, ob eine n¨achste Kardinal” zahl“ u¨ berhaupt existiert, oder mit anderen Worten, ob ℵ1 u¨ berhaupt eine sinnvolle Bedeutung hat. Nun, ℵ1 existiert tats¨achlich — der Beweis daf¨ur ist ebenfalls im Anhang zu diesem Kapitel skizziert. Die Aussage c = ℵ1 ist als die Kontinuumshypothese bekannt geworden. Die Frage, ob die Kontinuumshypothese wahr ist, stellte f¨ur viele Jahrzehnte eine der gr¨oßten Herausforderungen in der gesamten Mathematik dar. Die Antwort, die schließlich von Kurt G¨odel und Paul Cohen gegeben wurde, bringt uns an die Grenzen des logischen Denkens. Sie zeigten, dass die Aussage c = ℵ1 vom Zermelo-Fraenkel Axiomensystem unabh¨angig ist, in demselben Sinn, wie das Parallelenaxiom von den anderen Axiomen der Euklidischen Geometrie unabh¨angig ist. Es gibt Modelle, in denen c = ℵ1 g¨ultig ist, und andere Modelle der Mengenlehre, in denen c 6= ℵ1 gilt. Im Licht dieser Tatsache ist es interessant zu fragen, ob es noch weitere Aussagen gibt (zum Beispiel aus der Analysis), die ebenfalls a¨ quivalent zur Kontinuumshypothese sind. Dabei ist es durchaus konsequent, nach einem Analysis-Beispiel zu fragen, weil historisch die ersten durchschlagenden Erfolge von Cantors Mengenlehre in der Analysis, insbesondere in der Funktionentheorie zu verzeichnen waren. Im Folgenden wollen wir eine solche Aussage vorstellen und die besonders elegante und einfache L¨osung durch Paul Erd˝os. Im Jahre 1962 stellte Wetzel die folgende Frage:

132

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese

Sei {fα } eine Familie von paarweise verschiedenen analytischen Funktionen auf den komplexen Zahlen, so dass f¨ur jedes z ∈ C die Menge der Werte {fα (z)} h¨ochstens abz¨ahlbar ist (also entweder endlich oder abz¨ahlbar); diese Eigenschaft sei mit (P0 ) bezeichnet. Folgt daraus, dass die Familie selbst h¨ochstens abz¨ahlbar ist?

Kurze Zeit sp¨ater zeigte Erd˝os, dass die Antwort u¨ berraschenderweise von der Kontinuumshypothese abh¨angt. Satz 5. Wenn c > ℵ1 ist, so ist jede Familie {fα }, welche (P0 ) erf¨ullt, h¨ochstens abz¨ahlbar. Wenn andererseits c = ℵ1 ist, so existiert eine Familie {fα } mit der Eigenschaft (P0 ), welche die M¨achtigkeit c hat. F¨ur den folgenden Beweis ben¨otigen wir ein paar grundlegende Tatsachen u¨ ber Kardinal- und Ordinalzahlen. F¨ur Leser, die mit diesen Konzepten nicht vertraut sind, hat dieses Kapitel einen Anhang, in dem alle notwendigen Resultate zusammengefasst sind.  Beweis. Nehmen wir zun¨achst an, dass c > ℵ1 gilt. Wir werden zeigen, dass f¨ur jede Familie {fα } der Gr¨oße ℵ1 von analytischen Funktionen eine komplexe Zahl z0 existiert, so dass alle ℵ1 -Werte fα (z0 ) verschieden sind. Folglich muss eine Familie von Funktionen, die (P0 ) gen¨ugt, h¨ochstens abz¨ahlbar sein. Um dies zu sehen, benutzen wir unsere Erkenntnisse u¨ ber Ordinalzahlen. Zun¨achst erkl¨aren wir eine Wohlordnung auf der Familie {fα } gem¨aß der initialen Ordinalzahl ω1 von ℵ1 . Nach Proposition 1 des Anhangs bedeutet dies, dass die Indexmenge alle Ordinalzahlen α durchl¨auft, die kleiner als ω1 sind. Als N¨achstes zeigen wir, dass die Menge der Paare (α, β) mit α < β < ω1 die Gr¨oße ℵ1 hat. Da jedes β < ω1 eine endliche oder abz¨ahlbare Ordinalzahl ist, ist die Menge der Paare (α, β) mit α < β f¨ur jedes feste β h¨ochstens abz¨ahlbar. Indem wir die Vereinigung aller dieser ℵ1 -vielen β nehmen, schließen wir aus Proposition 6 des Anhangs, dass die Menge aller Paare (α, β) mit α < β die Gr¨oße ℵ1 hat. Betrachten wir nun f¨ur ein Paar α < β die Menge S(α, β) = {z ∈ C : fα (z) = fβ (z)}. Wir behaupten, dass jede dieser Mengen S(α, β) h¨ochstens abz¨ahlbar ist. Um dies zu sehen, betrachten wir die Kreisscheiben Ck vom Radius k = 1, 2, 3, . . . um den Ursprung in der komplexen Ebene. Falls fα und fβ in unendlich vielen Punkten in einem dieser Kreise Ck u¨ bereinstimmen, dann sind fα und fβ nach einem bekannten Resultat u¨ ber analytische Funktionen identisch. Also k¨onnen wir annehmen, dass fα und fβ nur in endlich vielen Punkten u¨ bereinstimmen, und dies in jedem Kreis Ck . Somit stimmen sie insgesamt S in h¨ochstens abz¨ahlbar vielen Punkten u¨ berein. Nun setzen wir S := α α die Werte {fβ (zα )} in der abz¨ahlbaren Menge D. Da α eine h¨ochstens abz¨ahlbare Ordinalzahl ist, tragen die Funktionen fβ mit β ≤ α h¨ochstens abz¨ahlbar viele weitere Werte fβ (zα ) bei, und es folgt, dass die Menge aller Werte {fβ (zα )} ebenfalls h¨ochstens abz¨ahlbar ist. Wir stellen also fest: Falls wir eine Familie {fβ } konstruieren k¨onnen, die (1) erf¨ullt, dann ist auch der zweite Teil des Satzes bewiesen. Die Konstruktion der Familie {fβ } erfolgt mit transfiniter Induktion. Als f0 nehmen wir irgendeine analytische Funktion, zum Beispiel f0 = konstant. Angenommen wir haben fβ bereits f¨ur alle β < γ konstruiert. Da γ eine h¨ochstens abz¨ahlbare Ordinalzahl ist, k¨onnen wir die Menge {fβ : 0 ≤ β < γ} in eine Folge g1 , g2 , g3 , . . . umordnen. Dieselbe Umordnung von {zα : 0 ≤ α < γ} ergibt eine Folge w1 , w2 , w3 , . . .. Wir konstruieren nun eine Funktion fγ , die f¨ur jedes n die folgenden Bedingungen erf¨ullt: fγ (wn ) ∈ D

und

fγ (wn ) 6= gn (wn ).

(2)

Die zweite Bedingung wird sicherstellen, dass alle Funktionen fγ (f¨ur 0 ≤ γ < ω1 ) verschieden sind, und die erste Bedingung ist gerade (1), ¨ und dies impliziert (P0 ) mit unserer obigen Uberlegung. Man beobachte, dass die Bedingung fγ (wn ) 6= gn (wn ) einmal mehr ein Diagonalisierungsschluss ist. Um fγ zu konstruieren schreiben wir fγ (z) :=

ε0 + ε1 (z − w1 ) + ε2 (z − w1 )(z − w2 ) + ε3 (z − w1 )(z − w2 )(z − w3 ) + . . . .

Falls γ eine endliche Ordinalzahl ist, so ist fγ ein Polynom und somit analytisch, und wir k¨onnen sicherlich Zahlen εi w¨ahlen, so dass (2) erf¨ullt ist. Nehmen wir schließlich an, γ ist eine abz¨ahlbare Ordinalzahl, dann gilt fγ (z) =

∞ X

n=0

εn (z − w1 ) · · · (z − wn ).

(3)

134

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Wir bemerken, dass die Werte der εm (m ≥ n) keinen Einfluss auf den Wert fγ (wn ) haben, das heißt, wir k¨onnen die εn Schritt f¨ur Schritt w¨ahlen. Wenn nun die Folge (εn ) gen¨ugend schnell gegen 0 konvergiert, dann definiert (3) eine analytische Funktion. Und schließlich k¨onnen wir, da D eine dichte Menge ist, diese Folge (εn ) so w¨ahlen, dass fγ den Bedingungen aus (2) gen¨ugt, und der Beweis ist vollst¨andig. 

¨ Anhang: Uber Kardinalzahlen und Ordinalzahlen

Nach einer Legende soll St. Augus” tin, als er die K¨uste entlang wanderte und u¨ ber die Unendlichkeit sinnierte, ein Kind gesehen haben, das versuchte, den Ozean mit einer kleinen Muschel auszusch¨opfen . . .“

Wir wollen als zun¨achst die Frage diskutieren, ob zu jeder Kardinalzahl ¨ eine n¨achstgr¨oßere existiert. Uberlegen wir uns als Erstes, dass zu jeder Kardinalzahl m eine Kardinalzahl n existiert, die jedenfalls gr¨oßer als m ist. Um dies zu sehen, benutzen wir wieder eine Variante der Cantorschen Diagonalisierungsmethode. Wir behaupten, dass f¨ur jede Menge M die Menge P(M ) aller Teilmengen von M gr¨oßer ist als M . Indem wir m ∈ M auf {m} ∈ P(M ) abbilden, sehen wir, dass M bijektiv auf eine Teilmenge von P(M ) abgebildet werden kann, so dass also |M | ≤ |P(M )| nach Definition gilt. Es bleibt zu zeigen, dass P(M ) umgekehrt nicht bijektiv auf eine Teilmenge von M abgebildet werden kann. Nehmen wir im Gegenteil an, dass ϕ : N −→ P(M ) eine Bijektion von N ⊆ M auf P(M ) ist. Nun betrachten wir die Teilmenge U ⊆ N aller Elemente von N , die nicht in ihrem Bild unter der Abbildung ϕ enthalten sind, also U = {m ∈ N : m 6∈ ϕ(m)}. Da ϕ eine Bijektion ist, existiert ein Element u ∈ N mit ϕ(u) = U . Nun muss entweder u ∈ U gelten oder u 6∈ U , aber beide Alternativen sind unm¨oglich! Denn wenn u ∈ U ist, so ist u 6∈ ϕ(u) = U nach Definition von U , und wenn u 6∈ U = ϕ(u), so ist u ∈ U — Widerspruch. Wahrscheinlich hat der Leser diesen Schluss schon einmal gesehen. Er ist nichts anderes als das alte Barbier-R¨atsel: Der Barbier ist der Mann, der ” genau alle jene M¨anner rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Und was ist mit dem Barbier? Rasiert er sich selbst?“ Wir gehen weiter und besprechen eine andere große Idee von Cantor, geordnete Mengen und Ordinalzahlen. Eine Menge M ist durch < geordnet, falls die Relation < transitiv ist, und falls f¨ur je zwei verschiedene Elemente a und b von M entweder a < b oder b < a gilt. Beispielsweise k¨onnen wir die nat¨urlichen Zahlen N in der u¨ blichen Weise nach ihrer Gr¨oße ordnen, N = {1, 2, 3, 4, . . .}; aber wir k¨onnen ebenso gut N in der umgekehrten Ordnung auflisten, N = {. . . , 4, 3, 2, 1}, oder auch N = {1, 3, 5, . . . , 2, 4, 6, . . .}, indem wir zuerst die ungeraden Zahlen und dann die geraden Zahlen hinschreiben.

135

Mengen, Funktionen, und die Kontinuumshypothese Hier kommt der entscheidende Begriff. Eine geordnete Menge heißt wohlgeordnet, wenn jede nicht-leere Teilmenge von M ein erstes Element hat. So sind die erste und die dritte Ordnung von N, die oben angef¨uhrt sind, Beispiele f¨ur Wohlordnungen, aber nicht die zweite. Der fundamentale Wohlordnungssatz, der durch die Axiome (inklusive dem Auswahlaxiom) impliziert wird, besagt nun, dass jede Menge M wohlgeordnet werden kann. Von nun an betrachten wir nur Mengen, die mit einer Wohlordnung versehen sind. Wir definieren zwei wohlgeordnete Mengen M und N als a¨ hnlich (oder vom selben Ordnungstyp), falls eine Bijektion ϕ von M auf N existiert, die die Ordnung respektiert, das heißt, m 0 f¨ur alle x, und es folgt, dass die Diskriminante ha, bi2 − |a|2 |b|2 kleiner als 0 ist.  Unser zweites Beispiel ist die Ungleichung vom harmonischen, geometrischen und arithmetischen Mittel: Theorem II (Harmonisches, geometrisches, arithmetisches Mittel) Seien a1 , . . . , an positive reelle Zahlen, dann gilt 1 a1

n + ···+

1 an



q a1 + · · · + an n a1 a2 · · · an ≤ , n

wobei Gleichheit in beiden F¨allen dann und nur dann eintritt, wenn alle ai gleich sind.

Kapitel 18

140

Ein Lob der Ungleichungen  Beweis. Der folgende sch¨one und ungew¨ohnliche Induktionsbeweis wird Cauchy zugeschrieben (siehe [7]). Sei P (n) die Aussage der zweiten Ungleichung, die wir in der Form  a + · · · + a n 1 n a1 a2 · · · an ≤ n schreiben. 2 2 2 F¨ur n = 2 haben wir a1 a2 ≤ ( a1 +a 2 ) ⇐⇒ (a1 − a2 ) ≥ 0, also ist die Ungleichung richtig. Nun gehen wir in zwei Schritten vor: (A) P (n) =⇒ P (n − 1) (B) P (n) und P (2) =⇒ P (2n) und aus diesen beiden Aussagen folgt ersichtlich das vollst¨andige Resultat. Um (A) zu beweisen setzen wir A :=

n−1 P k=1

 n−1 Y



P (n)

ak A

k=1

und somit

n−1 Y k=1



n−1 P

ak + A

k=1

n

ak ≤ An−1 =

Zu (B) sehen wir 2n Y

k=1

ak =

n Y

k=1

ak

2n  Y

k=n+1

ak



!n

n−1 P

n−1

P (n)

≤ P (2)



=

ak

k=1

ak n−1 ,

dann gilt

 (n − 1)A + A n n

!n−1

= An

.

2n n X ak n  X ak n n n k=1

k=n+1

2n a !2n P k = k=1 n 2

2n P

ak

k=1

2n

!2n

.

Ebenso leicht bestimmt man die Bedingung, unter der Gleichheit gilt. Die linke Ungleichung, zwischen dem harmonischen und dem geometrischen Mittel, folgt nun ohne weiteres, indem man statt a1 , . . . , an die Reziproken a11 , . . . , a1n betrachtet.   Ein zweiter Beweis. Unter den vielen weiteren Beweisen der Ungleichung vom arithmetisch-geometrischen Mittel (das Buch [2] f¨uhrt mehr als f¨unfzig an) wollen wir einen besonders eleganten besprechen, der k¨urzlich von Alzer gegeben wurde. Tats¨achlich ergibt dieser Beweis sogar die st¨arkere Ungleichung ap11 ap22 · · · apnn ≤ p1 a1 + p2 a2 + · · · + pn an Pn f¨ur beliebige positive Zahlen a1 , . . . , an , p1 , . . . , pn mit i=1 pi = 1. Wir schreiben G f¨ur den Ausdruck auf der linken Seite und A f¨ur den auf

141

Ein Lob der Ungleichungen der rechten Seite. Dabei k¨onnen wir ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit a1 ≤ . . . ≤ an annehmen. Offenbar gilt a1 ≤ G ≤ an , also muss es ein k geben mit ak ≤ G ≤ ak+1 . Daraus folgt nun k X i=1

pi

ZG 

ai

Zai  n X 1 1 1 1 − dt + pi − dt ≥ 0, t G G t i=k+1

(1)

G

da alle Integranden ≥ 0 sind. Umgeschrieben ergibt (1) Zai Zai n n X X 1 1 pi dt ≥ dt, pi G t i=1 i=1 G

G

wobei die linke Seite gleich n X

pi

i=1

ai − G A = −1 G G

ist, w¨ahrend die rechte Seite n n Y X api i − log G = 0 pi (log ai − log G) = log i=1

i=1

A G

ist. Wir folgern − 1 ≥ 0, also A ≥ G. Im Falle der Gleichheit m¨ussen alle Integrale in (1) gleich 0 sein, und dies impliziert a1 = . . . = an = G.  Unsere erste Anwendung ist ein sch¨ones Resultat von Laguerre (siehe [7]) u¨ ber Nullstellen von Polynomen. Satz 1. Angenommen, die Nullstellen des Polynoms xn + an−1 xn−1 + · · · + a0 sind alle reell. Dann liegen sie in dem Intervall mit den Endpunkten r an−1 n−1 2n − ± an−2 . a2n−1 − n n n−1

 Beweis. Sei y eine der Nullstellen und y1 , . . . , yn−1 die anderen Nullstellen. Das Polynom ist somit durch (x−y)(x−y1 ) · · · (x−yn−1 ) gegeben. Daraus erhalten wir durch Koeffizientenvergleich −an−1 an−2

= =

y + y1 + · · · + yn−1 ,

y(y1 + · · · + yn−1 ) +

also 2 an−1

=

X

yi yj ,

i n. Weiter erhalten wir R = 2 und R 2n+1 = , und dieser Bruch n¨ a hert sich 1 an, wenn n nach ∞ strebt. A 2n Doch f¨ur Polynome, die nur reelle Nullstellen haben, gibt es tats¨achlich interessante Schranken — das sieht man an dem folgenden Resultat von Erd˝os und Gallai.

Satz 2. Sei f (x) ein reelles Polynom vom Grad n ≥ 2 mit f (x) > 0 f¨ur −1 < x < 1 und f (−1) = f (1) = 0, dessen Nullstellen alle reell sind. Dann gilt 2 2 T ≤ A ≤ R, 3 3 und Gleichheit gilt in beiden F¨allen genau f¨ur n = 2. Erd˝os und Gallai bewiesen ihr Resultat mit einer raffinierten Induktion. In der Besprechung ihrer Arbeit, die auf der ersten Seite der ersten Ausgabe der Mathematical Reviews 1940 erschien, erkl¨arte George P´olya, wie die erste Ungleichung auch mit Hilfe der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel bewiesen werden kann — ein wundersch¨ones Beispiel einer gewissenhaften Besprechung und gleichzeitig eines Beweises aus dem BUCH.  Beweis von 32 T ≤ A. Da f (x) nur reelle Wurzeln hat, von denen keine in dem offenen Intervall (−1, 1) liegt, kann f (x), abgesehen von einem konstanten positiven Faktor, der am Ende herausgek¨urzt werden kann, in der Form Y Y (3) f (x) = (1 − x2 ) (αi − x) (βj + x) j

i

geschrieben werden, mit αi ≥ 1, βj ≥ 1. Die Fl¨ache A ist also durch

A =

Z1

−1

(1 − x2 )

Y i

(αi − x)

Y

(βj + x)dx

j

gegeben. Mit der Substitution x 7−→ −x erhalten wir auch A =

Z1

−1

(1 − x2 )

Y Y (αi + x) (βj − x)dx. i

j

Wenden wir nun die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel an (man beachte, dass alle Faktoren ≥ 0 sind), so ergibt dies

144

Ein Lob der Ungleichungen

Z1 h Y Y 1 A = (1 − x2 ) (αi − x) (βj + x) + 2 j i −1 i Y Y (1 − x2 ) (αi + x) (βj − x) dx j

i

≥ ≥

Z1

(1 − x2 )

1/2 Y Y dx (α2i − x2 ) (βj2 − x2 )

Z1

(1 − x2 )

1/2 Y Y (α2i − 1) (βj2 − 1) dx

−1

−1

j

i

j

i

1/2 Y 4 Y 2 = (αi − 1) (βj2 − 1) . 3 i j

An dieser Stelle berechnen wir nun f ′ (1) und f ′ (−1), wobei wir annehmen k¨onnen, dass f ′ (−1), f ′ (1) 6= 0 gilt, da sonst T = 0 und damit die Ungleichung 23 T ≤ A trivial ist. Mit (3) sehen wir Y Y f ′ (1) = −2 (αi − 1) (βj + 1) , i

und ebenso f ′ (−1) =

2

j

Y Y (αi + 1) (βj − 1) , i

j

sodass wir also die Ungleichung A ≥

2 (−f ′ (1)f ′ (−1))1/2 3

abgeleitet haben. Wenden wir nun die Ungleichung vom harmonischen und geometrischen Mittel auf −f ′ (1) und f ′ (1) an, so erhalten wir mit (2) A ≥

2 3

1 −f ′ (1)

2 +

1 f ′ (−1)

=

4 f ′ (1)f ′ (−1) 2 = T, 3 f ′ (1) − f ′ (−1) 3

und das ist genau, was wir beweisen wollten. Eine Analyse des Falles, wenn in allen unseren Ungleichungen Gleichheit gilt, ergibt sofort die letzte Aussage des Satzes.  Die Leser sind eingeladen, einen a¨ hnlich inspirierten Beweis auch f¨ur die zweite Ungleichung in Satz 2 zu finden. Nun, wie gesagt, die Analysis ist voll von Ungleichungen, aber hier ist ein Beispiel aus der Graphentheorie, wo Ungleichungen auf u¨ berraschende Weise ins Spiel kommen. In Kapitel 36 werden wir den Satz von Tur´an besprechen. In seiner einfachsten Form beinhaltet er die folgende Aussage:

145

Ein Lob der Ungleichungen Satz 3. Angenommen G ist ein Graph auf n Ecken ohne Dreiecke. Dann hat 2 G h¨ochstens n4 Kanten, wobei Gleichheit genau dann gilt, wenn n gerade ist und G der vollst¨andige bipartite Graph Kn/2,n/2 .  Erster Beweis. Dieser Beweis, der Cauchys Ungleichung benutzt, geht auf Mantel zur¨uck. Sei V = {1, . . . , n} die Eckenmenge und E die Kantenmenge von G. Mit di bezeichnen wir den Grad der Ecke i; somit gilt P ¨ ber doppeltes Abz¨ahlen). i∈V di = 2|E| (siehe Seite 190, im Kapitel u Sei nun ij eine Kante. Da G keine Dreiecke enth¨alt, gilt di + dj ≤ n, da keine Ecke gemeinsamer Nachbar von i und von j ist, und somit X (di + dj ) ≤ n|E|.

i

j

ij∈E

Es ist nun klar, dass di genau di Mal in der Summe auftritt, also erhalten wir X X n|E| ≥ (di + dj ) = d2i , ij∈E

...

...

i∈V

und somit aus der Ungleichung von Cauchy angewendet auf die Vektoren (d1 , . . . , dn ) und (1, . . . , 1) P X 4|E|2 ( di )2 n|E| ≥ d2i ≥ = . n n i∈V

Dies ergibt genau unsere Behauptung. Im Fall der Gleichheit haben wir di = dj f¨ur alle i und j, und außerdem di = n2 (wegen di + dj = n). Nun ist aber G dreiecksfrei, so dass G = Kn/2,n/2 der einzig m¨ogliche Graph ist.   Zweiter Beweis. Der folgende Beweis von Satz 3 beruht auf der Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel; er ist ein Beweis aus dem BUCH, aber ungekl¨arter Herkunft. Sei α die maximale Gr¨oße einer unabh¨angigen Menge A und β = n − α. Da G dreiecksfrei ist, bilden die Nachbarn einer Ecke i eine unabh¨angige Menge, und daraus schließen wir, dass di ≤ α ist f¨ur alle i. Die Menge B := V \A der Gr¨oße β trifft jede Kante von G. Z¨ahlen wir nun dieP Kanten von G gem¨aß ihren Endecken in B, so erhalten wir, dass |E| ≤ i∈B di gilt. Die Ungleichung vom arithmetischen und geometrischen Mittel ergibt nun |E| ≤

X

i∈B

di ≤ αβ ≤

 α + β 2 2

=

n2 , 4

und der Fall, in dem Gleichheit eintritt, wird ebenso leicht erledigt.



i

|

... {z di

}

146

Ein Lob der Ungleichungen

Literatur [1] H. A LZER : A proof of the arithmetic mean-geometric mean inequality, Amer. Math. Monthly 103 (1996), 585. [2] P. S. B ULLEN , D. S. M ITRINOVICS & P. M. VASI C´ : Means and their Inequalities, Reidel, Dordrecht 1988. ˝ & T. G R UNWALD ¨ [3] P. E RD OS : On polynomials with only real roots, Annals Math. 40 (1939), 537-548. ´ [4] G. H. H ARDY, J. E. L ITTLEWOOD & G. P OLYA : Inequalities, Cambridge University Press, Cambridge 1952. [5] W. M ANTEL : Problem 28, Wiskundige Opgaven 10 (1906), 60-61. ´ [6] G. P OLYA : Review of [3], Mathematical Reviews 1 (1940), 1. ´ [7] G. P OLYA & G. S ZEG O˝ : Aufgaben und Lehrs¨atze aus der Analysis, 1. Band: Reihen, Integralrechnung, Funktionentheorie, 4. Auflage, Heidelberger Taschenb¨ucher 73, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1970.

Der Fundamentalsatz der Algebra

Kapitel 19

Jedes nichtkonstante Polynom mit komplexen Koeffizienten besitzt mindestens eine komplexe Nullstelle. Gauß nannte diesen Satz, f¨ur den er insgesamt sieben Beweise gab, das Fundamentaltheorem der algebraischen Gleichungen“. Er ist zweifellos ” ein Meilenstein in der Geschichte der Mathematik. Reinhold Remmert schreibt dazu in seinem hervorragenden Aufsatz [5]: Die M¨oglichkeit, die” sen Satz im Komplexen beweisen zu k¨onnen, ist es vor allem gewesen, die der allgemeinen Anerkennung der komplexen Zahlen den Weg bereitet hat.“ Einige der gr¨oßten Namen haben zu diesem Thema beigetragen, von Gauß und Cauchy bis Liouville und Laplace. Ein Artikel von Netto und Le Vasseur f¨uhrt nahezu hundert Beweise an. Der Beweis, den wir vorstellen, ist einer der elegantesten und sicherlich der k¨urzeste. Er folgt einer Idee von d’Alembert und Argand und verwendet nur einige elementaren Eigenschaften von Polynomen und komplexen Zahlen. Wir danken France Dacar f¨ur Hinweise, die den Beweis noch durchsichtiger machten. Ganz a¨ hnliche Ideen findet man in Arbeiten von Redheffer [4] und Wolfenstein [6] und sicherlich in einigen anderen. Wir ben¨otigen drei Resultate, die man in einer Analysis Vorlesung lernt. (A) Polynomfunktionen sind stetig. (B) Jede komplexe Zahl mit Absolutbetrag 1 besitzt eine m-te Wurzel, f¨ur jedes m ≥ 1. (C) Cauchys Minimumprinzip: Jede auf einer kompakten Menge S definierte stetige reellwertige Funktion f nimmt auf S ein Minimum an. Pn Es sei nun p(z) = k=0 ck z k ein komplexes Polynom vom Grad n ≥ 1. Als ersten und entscheidenden Schritt beweisen wir eine Aussage, die verschiedentlich d’Alemberts Lemma oder auch Argands Ungleichung genannt wird. Lemma. Ist p(a) 6= 0, so enth¨alt jede Scheibe D um a im Inneren einen Punkt b mit |p(b)| < |p(a)|.  Beweis. Die Scheibe D habe den Radius R; die Punkte im Inneren von D sind also von der Form a + w mit |w| < R. Als Erstes zeigen wir mit einer einfachen algebraischen Umformung, dass p(a + w) als p(a + w) = p(a) + cwm (1 + r(w))

(1)

Es ist angemerkt worden, dass der sogenannte Fundamentalsatz der Algebra“ ” nicht wirklich fundamental ist, dass er nicht unbedingt ein Satz ist, sondern manchmal als Definition dient und dass er in der klassischen Form eigentlich kein Resultat aus der Algebra, sondern aus der Analysis ist.

Jean Le Rond d’Alembert

148

Der Fundamentalsatz der Algebra geschrieben werden kann, wobei c eine komplexe Zahl ungleich Null ist, 1 ≤ m ≤ n gilt, und r(w) ein Polynom vom Grad n − m ist mit r(0) = 0. Durch Summenvertauschung erhalten wir p(a + w)

=

n X

ck (a + w)k

k=0

= =

n   n X k    X X k k−i i k a w = ck ak−i wi i i i=0 i=0 k=i k=0   n X n n  X X k di wi . p(a) + ck ak−i wi = p(a) + i i=1 i=1 n X

ck

k=i

Es sei nun m ≥ 1 der kleinste Index i, f¨ur den di von Null verschieden ist. Setzen wir c = dm ein und klammern cwm aus, so erhalten wir p(a + w) = p(a) + cwm (1 + r(w)). m Als N¨achstes wollen p wir |cw | und |r(w)|mnach oben absch¨atzen. Ist |w| m kleiner als ρ1 := |p(a)/c|, dann gilt |cw | < |p(a)|. Aus der Stetigkeit von r(w) und r(0) = 0 folgt |r(w)| < 1 f¨ur |w| < ρ2 . F¨ur |w| kleiner als ρ := min(ρ1 , ρ2 ) gilt somit

|cwm | < |p(a)|

w0 a

b

und

|r(w)| < 1.

(2)

Der zweite Teil des Beweises verwendet m-te Einheitswurzeln. Es sei ζ p(a)/c , also eine komplexe Zahl mit Absolutbetrag eine m-te Wurzel von − |p(a)/c| 1, und ε eine reelle Zahl mit 0 < ε < min(ρ, R). Es sei w0 = εζ, dann behaupten wir, dass b = a+w0 ein gew¨unschter Punkt in der Scheibe D mit |p(b)| < |p(a)| ist. Zun¨achst einmal ist b in D enthalten, da |w0 | = ε < R gilt, und ferner ist nach (1) |p(b)| = |p(a + w0 )| = |p(a) + cw0m (1 + r(w0 ))|.

(3)

Nun definieren wir einen Faktor δ durch εm c w0m = c εm ζ m = − p(a) = −δ p(a), |p(a)/c| wobei nach (2) dieses δ 0 < δ = εm

|c| < 1 |p(a)|

erf¨ullt. Mit der Dreiecksungleichung erhalten wir daher f¨ur die rechte Seite in (3)  |p(a) + cw0m 1 + r(w0 ) | = |p(a) − δp(a)(1 + r(w0 ))| = |(1 − δ)p(a) − δp(a)r(w0 )| ≤
0, so dass |p(z)| > |p(0)| f¨ur alle Punkte z auf dem Kreis {z : |z| = R1 } gilt. Und schließlich besagt die eingangs erw¨ahnte dritte Tatsache (C), dass auf der kompakten Menge D1 = {z : |z| ≤ R1 } die stetige reellwertige Funktion |p(z)| das Minimum in einem Punkt z0 annimmt. Da |p(z)| > |p(0)| ist f¨ur alle z auf dem Rand von D1 , so muss z0 im Inneren liegen. Nach d’Alemberts Lemma muss dieser Minimumwert |p(z0 )| aber gleich 0 sein — und das ist der ganze Beweis.

z0

R1 0

Literatur [1] J. R. D ’A LEMBERT: Recherches sur le calcul int´egral, Histoire de l’Academie Royale des Sciences et Belles Lettres (1746), 182-224. [2] R. A RGAND : R´eflexions sur la nouvelle th´eorie d’analyse, Annales de Math´ematiques 5 (1814), 197-209. [3] E. N ETTO AND R. L E VAVASSEUR : Les fonctions rationelles, Enc. Sciences Math. Pures Appl. I 2 (1907), 1-232. [4] R. M. R EDHEFFER : What! Another note just on the fundamental theorem of algebra? Amer. Math. Monthly 71 (1964), 180-185. [5] R. R EMMERT: Fundamentalsatz der Algebra, Kapitel 4 in: Zahlen“ (H. D. ” Ebbinghaus et al., Hrsg.), Springer-Verlag, Heidelberg, 3. Auflage 2004. [6] S. W OLFENSTEIN : Proof of the fundamental theorem of algebra, Amer. Math. Monthly 74 (1967), 853-854.

Was gibt’s diesmal?“ ” Na, ich schleppe ” 100 Beweise f¨ur den Fundamentalsatz der Algebra.“

Beweise f¨ur das BUCH: ” einen f¨ur den Fundamentalsatz, einen f¨ur den Reziprozit¨atssatz!“

Kapitel 20

Ein Quadrat und viele Dreiecke

Angenommen, wir wollen ein Quadrat in n fl¨achengleiche Dreiecke zerlegen. F¨ur gerades n ist das ganz leicht. Wir zerlegen einfach die waagerechten Seiten in n2 Segmente gleicher L¨ange und ziehen eine Diagonale in jedem dieser n2 Rechtecke:

...

Nehmen wir aber nun an, dass n ungerade ist. Schon f¨ur n = 3 bereitet dies Schwierigkeiten, und nach einigem Probieren wird man wahrscheinlich auf die Idee kommen, dass es u¨ berhaupt nicht geht. Formulieren wir dies also als allgemeines Problem:

Ist es m¨oglich, ein Quadrat in eine ungerade Anzahl n von Dreiecken gleicher Fl¨ache zu zerlegen?

Dies sieht wie eine Frage aus der klassischen Euklidischen Geometrie aus und man w¨urde vermuten, dass die Antwort seit l¨angerer Zeit bekannt sein muss (vielleicht sogar schon den Griechen). Als Fred Richman und John Thomas das Problem in den 1960er Jahren allgemein bekannt machten, ¨ fanden sie aber zu ihrer Uberraschung weder jemanden, der die Antwort kannte, noch eine Literaturstelle, wo dieses Problem diskutiert wurde. Nun, die Antwort ist nein“, nicht nur f¨ur n = 3, sondern f¨ur jedes unge” rade n. Aber wie soll man so etwas beweisen? Durch Skalierung k¨onnen wir nat¨urlich voraussetzen, dass wir es mit dem Einheitsquadrat mit Ecken (0, 0), (1, 0), (0, 1), (1, 1) zu tun haben. Jede Beweismethode muss daher auf irgendeine Weise die Tatsache ausn¨utzen, dass der Fl¨acheninhalt der Dreiecke in einer Zerlegung n1 ist, mit n ungerade. Der nachfolgende Beweis von Paul Monsky, mit anf¨anglichen Beitr¨agen von John Thomas, ist ein Geniestreich und vollkommen unerwartet: Er verwendet ein algebraisches Hilfsmittel, n¨amlich Bewertungen, zur Konstruktion einer h¨ochst ungew¨ohnlichen F¨arbung der Ebene und kombiniert dies mit einigen ¨ eleganten und erstaunlich einfachen kombinatorischen Uberlegungen. Und was noch dazu kommt: gegenw¨artig ist kein anderer Beweis bekannt!

Es gibt Zerlegungen von Quadraten in eine ungerade Anzahl von Dreiecken, deren Fl¨achen fast gleich sind.

152

Ein Quadrat und viele Dreiecke Vor dem Beweis wollen wir einige Grundbegriffe u¨ ber Bewertungen zusammenstellen. Jeder kennt den Absolutbetrag |x| f¨ur die rationalen Zahlen Q (und auch f¨ur die reellen Zahlen R). Der Absolutbetrag ist eine Funktion von Q in die nicht-negativen reellen Zahlen, so dass f¨ur alle x und y folgendes gilt: (i) |x| = 0 genau dann, wenn x = 0,

(ii) |xy| = |x||y| und

(iii) |x + y| ≤ |x| + |y|

(Dreiecksungleichung).

Mit der Dreiecksungleichung wird R ein metrischer Raum, und wir erhalten den u¨ blichen Begriff von Konvergenz. Es war eine große Entdeckung um 1900, dass neben dem Absolutbetrag auch noch andere nat¨urliche Bewer” tungsfunktionen“ auf Q existieren, die die Bedingungen (i) bis (iii) erf¨ullen. Es sei p eine Primzahl. Eine beliebige rationale Zahl r 6= 0 kann eindeutig in der Form a r = pk , k ∈ Z, (1) b geschrieben werden, wobei a und b > 0 relativ prim zu p sind. Wir definieren nun die p-adische Bewertung durch |r|p := p−k , Beispiel: | 34 |2 = 4, | 76 |2 = |2|2 = 21 , und | 34 + 67 |2 = | 45 | = | 14 · 28 2 = 4 = max{| 43 |2 , | 67 |2 ).

|0|p = 0.

(2)

Die Bedingungen (i) und (ii) sind offensichtlich erf¨ullt, und f¨ur (iii) erhalten wir sogar die st¨arkere Ungleichung (iii′ ) 45 | 7 2

=

(iii′ ) |x + y|p ≤ max{|x|p , |y|p }

(nicht-archimedische Eigenschaft).

Um dies zu sehen, sei r = pk ab und s = pℓ dc , wobei wir k ≥ ℓ annehmen k¨onnen, d. h., |r|p = p−k ≤ p−ℓ = |s|p . Daraus ergibt sich a c a c |r + s|p = pk + pℓ = pℓ (pk−ℓ + ) b d p b d p pk−ℓ ad + bc = p−ℓ ≤ p−ℓ = max{|r|p , |s|p }, bd p

da der Nenner bd relativ prim zu p ist. Man sieht daraus auch leicht, dass (iv) |x + y|p = max{|x|p , |y|p } falls |x|p 6= |y|p

gilt, aber wir werden weiter unten zeigen, dass diese Eigenschaft ganz allgemein aus (iii′ ) folgt. Eine Funktion v : K → R≥0 auf einem K¨orper K, die (i) v(x) = 0 dann und nur dann, wenn x = 0, (ii) v(xy) = v(x)v(y) und (iii′ ) v(x + y) ≤ max{v(x), v(y)}

(nicht-archimedische Eigenschaft)

f¨ur alle x, y ∈ K erf¨ullt, heißt eine nicht-archimedische reelle Bewertung von K.

153

Ein Quadrat und viele Dreiecke F¨ur jede solche Bewertung v haben wir v(1) = v(1)v(1), also v(1) = 1, und 1 = v(1) = v((−1)(−1)) = [v(−1)]2 , folglich v(−1) = 1. Mit (ii) gilt deshalb v(−x) = v(x) f¨ur alle x und v(x−1 ) = v(x)−1 f¨ur x 6= 0. Jeder K¨orper hat die triviale Bewertung, die jedes Element außer der 0 auf 1 abbildet, und falls v eine reelle nicht-archimedische Bewertung ist, dann auch v t f¨ur jede positive reelle Zahl t. F¨ur Q kennen wir somit die p-adischen Bewertungen und ihre Potenzen, und ein ber¨uhmtes Theorem von Ostrowski besagt, dass jede nicht-triviale reelle nicht-archimedische Bewertung von Q von dieser Form ist. Wie angek¨undigt zeigen wir nun, dass die wichtige Eigenschaft (iv) v(x + y) = max{v(x), v(y)} falls v(x) 6= v(y) f¨ur jede nicht-archimedische Bewertung richtig ist. Dazu sei, ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit, v(x) < v(y). Dann gilt v(y) = v((x + y) − x)





max{v(x + y), v(x)} = v(x + y) max{v(x), v(y)} = v(y),

wobei die Ungleichungen aus (iii′ ) folgen, die erste Gleichung klar ist, und die anderen beiden aus v(x) < v(y) folgen. Somit ist v(x + y) = v(y) = max{v(x), v(y)}. Monskys wunderbare Idee f¨ur das Quadratzerlegungsproblem war es, eine Erweiterung der 2-adischen Bewertung |x|2 auf Q zu einer Bewertung v auf R zu verwenden, wobei Erweiterung“ bedeutet, dass v(x) = |x|2 f¨ur ” alle x ∈ Q gilt. Solch eine nicht-archimedische reelle Erweiterung existiert, aber dies geh¨ort nicht zum u¨ blichen Stoff einer Algebravorlesung. Im Folgenden pr¨asentieren wir Monskys Idee in einer Version von Hendrik Lenstra, die wesentlich weniger ben¨otigt, n¨amlich nur die Existenz einer Bewertung v auf R mit Werten in einer beliebigen geordneten Gruppe“, ” also nicht unbedingt in (R>0 , · , 1 erf¨ullt. Wie man so eine Bewertung erh¨alt, wird im Anhang erkl¨art. An dieser Stelle bemerken wir nur, dass jede Bewertung mit v( 12 ) > 1 automatisch v( n1 ) = 1 f¨ur ungerade ganze Zahlen n erf¨ullt. Aus v( 12 ) > 1 folgt n¨amlich v(2) < 1, und somit v(2k) < 1 nach (iii′ ) und Induktion 1 u¨ ber k. Daraus erhalten wir v(2k + 1) = 1 aus (iv), und somit v( 2k+1 )=1 aus (ii).

Satz von Monsky. Es ist nicht m¨oglich, ein Quadrat in eine ungerade Anzahl von Dreiecken gleicher Fl¨ache zu zerlegen.

 Beweis. Im Folgenden konstruieren wir eine spezielle 3-F¨arbung der Ebene mit erstaunlichen Eigenschaften. Eine davon ist, dass die Fl¨ache jedes Dreiecks, dessen Ecken mit allen drei verschiedenen Farben gef¨arbt sind, einen v-Wert gr¨oßer als 1 hat: Die Fl¨ache kann daher f¨ur ungerades n

Aus der Eigenschaft (iv) zusammen mit v(−x) = v(x) folgt allgemein, dass v(a ± b1 ± b2 ± · · · ± bℓ ) = v(a) ist, falls v(a) > v(bi ) f¨ur alle i gilt.

154

Ein Quadrat und viele Dreiecke nicht n1 sein. Und dann weisen wir nach, das es in jeder Zerlegung des Einheitsquadrats ein solches Regenbogendreieck geben muss, und damit wird der Satz von Monsky bewiesen sein.

(0, 1)

(1, 1)

(0, 12 )

(0, 0)

( 21 , 0)

Zur F¨arbung der Punkte (x, y) der reellen Ebene sehen wir uns das Tripel (x, y, 1) an und den maximalen Wert unter der Bewertung v. Dieses Maximum kann einmal auftreten oder zwei Mal oder sogar drei Mal. Die Farbe (blau, oder gr¨un, oder rot) h¨angt von derjenigen Koordinate von (x, y, 1) ab, f¨ur die der maximale v-Wert zum ersten Mal erscheint:    blau falls v(x) ≥ v(y), v(x) ≥ v(1), (x, y) f¨arben wir gr¨un falls v(x) < v(y), v(y) ≥ v(1),   rot falls v(x) < v(1), v(y) < v(1).

Auf diese Weise erh¨alt jeder Punkt der Ebene eine eindeutige Farbe. Die Abbildung am Rand zeigt die Farbe f¨ur jeden Punkt im Einheitsquadrat, k dessen Koordinaten Br¨uche von der Form 20 sind. (1, 0) Die folgende Aussage ist der erste Schritt zum Beweis. Lemma 1. F¨ur jeden blauen Punkt pb = (xb , yb ), gr¨unen Punkt pg = (xg , yg ) und roten Punkt pr = (xr , yr ) ist der v-Wert der Determinante   xb yb 1 det  xg yg 1  xr yr 1

mindestens 1.

 Beweis. Die Determinante ist Summe von sechs Termen. Einer davon ist das Produkt der Eintr¨age auf der Hauptdiagonale, xb yg 1. Nach Konstruktion der F¨arbung hat jeder der Diagonaleintr¨age, verglichen mit den anderen Eintr¨agen in dieser Zeile, einen maximalen v-Wert. Vergleichen wir dies daher mit dem letzten Eintrag in jeder Zeile (der 1 ist), so erhalten wir v(xb yg 1) = v(xb )v(yg )v(1) ≥ v(1)v(1)v(1) = 1. Jeder der anderen f¨unf Summanden der Determinante ist ein Produkt dreier Matrixelemente, je eines aus jeder Zeile (mit einem Vorzeichen, das f¨ur den v-Wert wie wir wissen keine Rolle spielt). Mindestens ein Eintrag ist unterhalb der Hauptdiagonale, dessen v-Wert echt kleiner als der auf der Diagonalen in derselben Zeile ist, und mindestens ein Matrixeintrag ist oberhalb der Hauptdiagonale, dessen v-Wert nicht gr¨oßer ist als der auf der Diagonale in derselben Zeile. Alle diese f¨unf Summanden der Determinante haben daher einen v-Wert, der strikt kleiner ist als der Summand, der der Hauptdiagonale entspricht. Nach Eigenschaft (iv) einer nicht-archimedischen Bewertung schließen wir, dass der v-Wert der Determinante genau durch den Summanden der Hauptdiagonale gegeben ist   xb yb 1  v det  xg yg 1  = v(xb yg 1) ≥ 1. xr yr 1 

155

Ein Quadrat und viele Dreiecke Folgerung. Auf jeder Geraden in der Ebene gibt es h¨ochstens zwei verschiedene Farben. Die Fl¨ache eines Regenbogendreiecks kann nicht 0 sein und auch nicht n1 f¨ur ungerades n.  Beweis. Die Fl¨ache eines Dreiecks mit Ecken in einem blauen Punkt pb , einem gr¨unen Punkt pg und einem roten Punkt pr ist ± 21 ((xb − xr )(yg − yr ) − (xg − xr )(yb − yr )), und das ist bis auf das Vorzeichen genau die H¨alfte der Determinante aus Lemma 1. Die drei Punkte k¨onnen also nicht auf einer Geraden liegen, da dann die Determinante 0 w¨are, was wegen v(0) = 0 nicht sein kann. Die Fl¨ache des Dreiecks kann aber auch nicht n1 sein f¨ur ungerades n, da ansonsten die Determinante ± n2 w¨are, mit v(± n2 ) = v( 12 )−1 v( n1 ) < 1 wegen v( 12 ) > 1 und v( n1 ) = 1, im Widerspruch zu Lemma 1.



Warum haben wir diese F¨arbung konstruiert? Weil wir nun zeigen werden, dass in jeder Zerlegung des Einheitsquadrats S = [0, 1]2 in Dreiecke (auch f¨ur nicht fl¨achengleiche) ein Regenbogendreieck existieren muss, und dieses Dreieck kann nach der Folgerung nicht den Fl¨acheninhalt n1 f¨ur ungerades n haben. Das folgende Lemma wird also den Beweis des Satzes von Monsky vervollst¨andigen. Lemma 2. Jede Zerlegung des Einheitsquadrats S = [0, 1]2 in endlich viele Dreiecke enth¨alt eine ungerade Anzahl von Regenbogendreiecken und damit mindestens eines.  Beweis. Das folgende Abz¨ahlargument ist kurz und elegant; wir werden eine Variante davon im Beweis von Sperners Lemma in Kapitel 25 kennenlernen.

In der gegebenen Zerlegung betrachten wir die Segmente zwischen benachbarten Ecken. Ein Segment heißt rot-blau, falls eine Endecke rot ist und die andere blau. In unserem Beispiel sind die rot-blau-Segmente violett gezeichnet. Wir machen nun zwei Beobachtungen, indem wir mehrfach die Folgerung anwenden, dass auf jeder Geraden nur Punkte mit h¨ochstens zwei verschiedenen Farben liegen k¨onnen.

156

Ein Quadrat und viele Dreiecke (A) Der untere Rand des Quadrats enth¨alt eine ungerade Anzahl von rotblau-Segmenten, da (0, 0) rot ist und (1, 0) blau, und alle anderen Ecken dazwischen rot oder blau sind. Gehen wir also von links nach rechts vom roten Ende zum blauen Ende, so ergibt sich eine ungerade Anzahl von Farbwechseln zwischen rot und blau. Die anderen Seiten des Quadrats enthalten keine rot-blau-Segmente. (B) Wenn ein Dreieck T h¨ochstens zwei Farben an seinen Ecken aufweist, so enth¨alt es eine gerade Anzahl von rot-blau Segmenten in seinem Rand, w¨ahrend jedes Regenbogendreieck eine ungerade Anzahl von rot-blau Segmenten im Rand enth¨alt. Es gibt n¨amlich eine ungerade Zahl von rot-blau Segmenten zwischen einer roten Ecke und einer blauen Ecke eines Dreiecks, aber eine gerade Zahl (m¨oglicherweise 0) zwischen jeder anderen Farbkombination zwischen den Ecken. Jedes Regenbogendreieck enth¨alt daher eine ungerade Anzahl von rot-blau Segmenten, und jedes andere Dreieck eine gerade Anzahl (zwei oder null) von Eckenpaaren mit der Farbkombination rot und blau. Nun summieren wir die Anzahlen dieser rot-blau Segmente auf dem Rand u¨ ber alle Dreiecke der Zerlegung. Da jedes solche Segment im Inneren des Quadrats zweimal gez¨ahlt wird, und eine ungerade Zahl am Rand von S auftritt, ist die Summe ungerade, also muss nach (B) die Anzahl der Regenbogendreiecke ebenfalls ungerade sein. 

Anhang: Erweiterung von Bewertungen Es ist nicht von vorne herein klar, dass man eine nicht-archimedische reelle Bewertung immer von einem K¨orper zu einem gr¨oßeren erweitern kann. Die Erweiterung ist aber m¨oglich, und zwar nicht nur von Q nach R, sondern allgemein von jedem K¨orper K zu jedem K¨orper L, der K enth¨alt. (Diese Tatsache ist als Satz von Chevalley bekannt, siehe zum Beispiel das Buch von Jacobson [1].) Im Folgenden beweisen wir viel weniger — aber genug f¨ur die Anwendung auf Zerlegungen in ungerade viele Dreiecke. Dies beginnt mit der Beobachtung, dass wir in unserem Beweis des Satzes von Monsky die Addition der Werte von v : R → R≥0 nicht verwendet haben; wir haben nur die Multiplikation benutzt und die Ordnung auf R≥0 . F¨ur unsere Zwecke gen¨ugt es daher anzunehmen, dass die Werte ungleich Null von v in einer (multiplikativen) geordneten abelschen Gruppe (G, · , 0 , · , 1 folgt. Hier ist das Resultat, das wir beweisen wollen. Satz. Der K¨orper der reellen Zahlen R besitzt eine nicht-archimedische Bewertung in eine geordnete Gruppe v : R → {0} ∪ G f¨ur die v( 21 ) > 1 gilt.  Beweis. Zun¨achst ordnen wir jeder Bewertung eines K¨orpers einen Unterring zu. (Alle Unterringe, die wir betrachten, enthalten die 1.) F¨ur eine Bewertung v : K → {0} ∪ G setzen wir R := {x ∈ K : v(x) ≤ 1},

U := {x ∈ K : v(x) = 1}.

Es ist unmittelbar klar, dass R ein Unterring von K ist; man nennt ihn den Bewertungsring von v. Weiterhin sehen wir aus v(xx−1 ) = v(1) = 1, dass v(x) = 1 genau dann gilt, wenn v(x−1 ) = 1 ist. U ist daher genau die Menge der Einheiten (der invertierbaren Elemente) von R. Insbesondere ist U eine Untergruppe von K × , wobei K × := K \ {0} die multiplikative Gruppe von K bezeichnet. Mit R−1 := {x−1 : x 6= 0} haben wir K = R ∪ R−1 . Ist n¨amlich x 6∈ R, dann gilt v(x) > 1 und daher v(x−1 ) < 1, also x−1 ∈ R. Die Eigenschaft K = R ∪ R−1 charakterisiert bereits alle m¨oglichen Bewertungsringe eines gegebenen K¨orpers. Lemma. Ein echter Unterring R ⊆ K ist der Bewertungsring bez¨uglich einer Bewertung v in eine geordnete Gruppe G dann und nur dann, wenn K = R ∪ R−1 gilt.  Beweis. Wir haben bereits die Notwendigkeit der Bedingung gesehen. Es sei nun R ein Unterring mit K = R ∪ R−1 . Wie sollen wir die Gruppe G konstruieren? Falls v : K → {0} ∪ G eine Bewertung ist, die R entspricht, dann gilt v(x) < v(y) genau dann, wenn v(xy −1 ) < 1 ist, also f¨ur xy −1 ∈ R\U . Ferner ist v(x) = v(y) dann und nur dann, wenn xy −1 ∈ U , also wenn die Gleichheit xU = yU von Nebenklassen in der Faktorgruppe K × /U gilt.

158

Ein Quadrat und viele Dreiecke Das sagt uns aber, wie wir zur Konstruktion von v vorzugehen haben: Sei G := K × /U die Faktorgruppe. Die Ordnungsrelation auf G wird definiert, indem wir xU < yU :⇐⇒ xy −1 ∈ R \ U

¨ setzen. Es ist eine h¨ubsche Ubungsaufgabe zu u¨ berpr¨ufen, dass G damit wirklich eine geordnete Gruppe wird. Die Abbildung v : K → {0} ∪ G wird dann auf die einzig vern¨unftige Weise definiert: v(0) = 0

und

v(x) := xU f¨ur x 6= 0.

Man verifiziert leicht die Bedingungen (i) bis (iii′ ) f¨ur v und dass R genau der Bewertungsring von v ist.  Um den Satz zu beweisen, gen¨ugt es also, einen Bewertungsring B ⊂ R / B zu finden. mit 21 ∈

/B Behauptung. Jeder maximale Unterring B ⊂ R mit der Eigenschaft 12 ∈ ist ein Bewertungsring. Z ⊂ R ist ein Unterring mit 12 ∈ / Z, aber als solcher nicht maximal.

Als erstes sollten wir nachweisen, dass ein maximaler Unterring B ⊂ R mit der Eigenschaft 12 ∈ / B u¨ berhaupt existiert. Das ist nicht selbstverst¨andlich, aber es folgt mit einer routinem¨aßigen Anwendung des Zornschen Lemmas, das im Kasten erl¨autert wird. Ist n¨amlich eine aufsteigende Kette von Unterringen Bi ⊂ R gegeben, die alle 12 nicht enthalten, dann hat diese Kette eine obere Schranke, gegeben durch die Vereinigung aller Unterringe Bi , da diese Vereinigung wiederum ein solcher Unterring ist.

Das Lemma von Zorn Das Lemma von Zorn ist von fundamentaler Bedeutung f¨ur die Konstruktion von maximalen Strukturen in der Algebra und in anderen Teilen der Mathematik. Es spielt auch eine entscheidende Rolle in den logischen Grundlagen der Mathematik. Lemma. Es sei P≤ eine nicht-leere halbgeordnete Menge mit der Eigenschaft, dass jede aufsteigende Kette (ai )≤ eine obere Schranke b hat, d. h. ai ≤ b f¨ur alle i. Dann enth¨alt P≤ ein maximales Element M ; mit anderen Worten es gibt kein c ∈ P mit M < c. Um die Behauptung zu beweisen, nehmen wir an, dass B ⊂ R ein maximaler Unterring ist, der 12 nicht enth¨alt. Falls B kein Bewertungsring ist, so gibt es ein Element α ∈ R\(B ∪ B −1 ). Wir bezeichnen mit B[α] den Unterring, der von B ∪ α erzeugt wird, also die Menge aller reellen Zahlen, die als Polynome in α mit Koeffizienten in B geschrieben werden k¨onnen. Ferner sei 2B ⊆ B die Teilmenge aller Zahlen der Form 2b mit b ∈ B. Da 2B eine Teilmenge von B ist, haben wir 2B[α] ⊆ B[α] und ebenso 2B[α−1 ] ⊆ B[α−1 ]. W¨are nun 2B[α] 6= B[α] oder 2B[α−1 ] 6= B[α−1 ], / B[α] und 21 ∈ / B[α−1 ] wegen 1 ∈ B, im Widerspruch so h¨atten wir 21 ∈ zur Maximalit¨at von B ⊂ R als ein Unterring, der 12 nicht enth¨alt.

159

Ein Quadrat und viele Dreiecke Wir folgern also 2B[α] = B[α] und 2B[α−1 ] = B[α−1 ], und dies wiederum impliziert, dass 1 ∈ B in der Form 1 =

2u0 + 2u1 α + · · · + 2um αm

mit ui ∈ B

(1)

1 =

2v0 + 2v1 α−1 + · · · + 2vn α−n mit vi ∈ B

(2)

und auch als geschrieben werden kann. Nach Multiplikation mit αn und Subtraktion von 2v0 αn von beiden Seiten liefert dies (1 − 2v0 )αn

=

2v1 αn−1 + · · · + 2vn−1 α + 2vn .

(3)

Nehmen wir an, dass diese Darstellungen so gew¨ahlt sind, dass m und n so klein wie m¨oglich sind. Ferner k¨onnen wir annehmen, dass m ≥ n ist, da wir ansonsten α durch α−1 ersetzen und (1) mit (2) vertauschen. Nun multiplizieren wir (1) mit 1 − 2v0 und addieren 2v0 auf beiden Seiten der Gleichung und erhalten 1 = 2(u0 (1 − 2v0 ) + v0 ) + 2u1 (1 − 2v0 )α + · · · + 2um (1 − 2v0 )αm . Wenn wir darin den Ausdruck (1 − 2v0 )αm durch das Polynom ersetzen, das wir erhalten, indem wir die Gleichung (3) mit αm−n multiplizieren, so ergibt das eine Gleichung, die 1 ∈ B als ein Polynom in 2B[α] vom Grad h¨ochstens m − 1 ausdr¨uckt. Dieser Widerspruch zur Minimalit¨at von m beweist nun die Behauptung. 

Literatur [1] N. JACOBSON : Lectures in Abstract Algebra, Part III: Theory of Fields and Galois Theory, Graduate Texts in Mathematics 32. Springer, New York 1975. [2] P. M ONSKY: On dividing a square into triangles, Amer. Math. Monthly 77 (1970), 161-164. [3] F. R ICHMAN & J. T HOMAS : Problem 5471, Amer. Math. Monthly 74 (1967), 329. [4] S. K. S TEIN & S. S ZAB O´ : Algebra and Tiling: Homomorphisms in the Service of Geometry, Carus Math. Monographs 25, MAA, Washington DC 1994. [5] J. T HOMAS : A dissection problem, Math. Magazine 41 (1968), 187-190.

Kapitel 21

´ Ein Satz von Polya uber ¨ Polynome

Unter den vielen Beitr¨agen von George P´olya zur Analysis war das folgende Resultat immer der Favorit von Paul Erd˝os — sowohl wegen der u¨ berraschenden Aussage als auch wegen der Sch¨onheit des Beweises. Sei f (z) = z n + bn−1 z n−1 + . . . + b0 ein komplexes Polynom vom Grad n ≥ 1 mit h¨ochstem Koeffizienten 1. Zu f betrachten wir die Menge C := {z ∈ C : |f (z)| ≤ 2}, also die Menge der Punkte, die von f in die Kreisscheibe vom Radius 2 um den Ursprung in der komplexen Ebene abgebildet werden. Beispielsweise ist f¨ur n = 1 die Menge C eine Kreisscheibe vom Durchmesser 4. Mit einer erstaunlich einfachen Idee entdeckte P´olya die folgende bemerkenswerte Eigenschaft dieser Menge C: Es sei L irgendeine Gerade in der komplexen Ebene und CL die orthogonale Projektion der Menge C auf L. Dann ist die totale L¨ange jeder solchen Projektion immer h¨ochstens 4. Was verstehen wir unter der totalen L¨ange der Projektion CL , und was bedeutet, dass diese L¨ange h¨ochstens 4 ist? Wir werden sp¨ater sehen, dass CL eine endliche Vereinigung von disjunkten Intervallen I1 , . . . , It ist; unsere Bedingung besagt also, dass ℓ(I1 ) + . . . + ℓ(It ) ≤ 4 ist, wobei ℓ(Ij ) die u¨ bliche L¨ange eines Intervalls bezeichnet. Durch eine Drehung der Ebene sehen wir, dass es gen¨ugt, den Fall zu betrachten, wenn L die reelle Achse der komplexen Ebene ist. Mit diesen Vorbemerkungen kommen wir nun zu P´olyas Resultat. Satz 1. Sei f (z) ein komplexes Polynom vom Grad mindestens 1 und mit h¨ochstem Koeffizienten 1. Weiter sei C := {z ∈ C : |f (z)| ≤ 2} und R die orthogonale Projektion von C auf die reelle Achse. Dann existieren Intervalle I1 , . . . , It auf der reellen Achse, die zusammen R u¨ berdecken und die Ungleichung

George P´olya

L I1

C

I2 ..

ℓ(I1 ) + . . . + ℓ(It ) ≤ 4 erf¨ullen. Offensichtlich wird die Schranke 4 in P´olyas Satz f¨ur n = 1 angenommen.

C

..

. C

.

It

162

Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome Um uns mit dem Problem etwas vertraut zu machen, betrachten wir f (z) = z 2 − 2, welches ebenfalls die Schranke 4 annimmt. Ist z = x + iy eine beliebige komplexe Zahl, so ist x die orthogonale Projektion von z auf die reelle Gerade. Mit anderen Worten R = {x ∈ R : x + iy ∈ C f¨ur ein y}. Der Leser wird keine M¨uhe haben zu zeigen, dass f¨ur f (z) = z 2 − 2 der Punkt x + iy genau dann in C liegt, wenn y

(x2 + y 2 )2 ≤ 4(x2 − y 2 )

C R

x

f (z) = z 2 − 2

Als ersten Schritt zum Beweis schreiben wir f (z) = (z − c1 ) · · · (z − cn ) mit ck = ak + ibk und betrachten das reelle Polynom p(x) = (x − a1 )· · · · (x − an ). Sei z = x + iy ∈ C, dann folgt aus dem Satz von Pythagoras

z = x + iy

y

ist. Daraus folgt x4 ≤ (x2 + y 2 )2 ≤ 4x2 , somit x2 ≤ 4, also |x| ≤ 2. Andererseits erf¨ullt jeder reelle Punkt z = x ∈ R mit |x| ≤ 2 die Ungleichung |z 2 − 2| ≤ 2, und wir erhalten f¨ur R genau das Intervall [−2, 2] der L¨ange 4.

ck = ak + ibk bk

|x − ak |2 + |y − bk |2 = |z − ck |2 und daher |x − ak | ≤ |z − ck | f¨ur alle k, also |p(x)| = |x − a1 | · · · |x − an | ≤ |z − c1 | · · · |z − cn | = |f (z)| ≤ 2.

x

ak

Wir sehen also, dass R in der Menge P = {x ∈ R : |p(x)| ≤ 2} enthalten ist. K¨onnen wir also zeigen, dass die Menge P durch Intervalle mit einer totalen L¨ange h¨ochstens 4 u¨ berdeckt wird, so haben wir den Beweis erbracht. Mit anderen Worten, unser Satz 1 wird eine Folgerung des folgenden Resultats sein. Satz 2. Sei p(x) ein reelles Polynom vom Grad n ≥ 1 mit h¨ochstem Koeffizienten 1, dessen Nullstellen alle reell sind. Dann kann die Menge P := {x ∈ R : |p(x)| ≤ 2} durch Intervalle mit einer totalen L¨ange h¨ochstens 4 u¨ berdeckt werden. Wie P´olya in seiner Arbeit [2] zeigte, folgt Satz 2 seinerseits aus einem ber¨uhmten Resultat von Tschebyschew. Ein Beweis dieses Satzes ist im Anhang enthalten, wof¨ur wir uns auf die sch¨one Darstellung von P´olya und Szeg˝o gest¨utzt haben.

Pafnuty Tschebyschew auf einer sowjetischen Briefmarke aus dem Jahr 1946

Der Satz von Tschebyschew. Sei p(x) ein reelles Polynom vom Grad n ≥ 1 mit h¨ochstem Koeffizienten 1. Dann gilt 1 max |p(x)| ≥ n−1 . −1≤x≤1 2

163

Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome Als Erstes notieren wir ein Korollar, das unmittelbar aus dem Satz von Tschebyschew folgt. Folgerung. Sei p(x) ein reelles Polynom vom Grad n ≥ 1 mit h¨ochstem Koeffizienten 1. Gilt |p(x)| ≤ 2 f¨ur alle x im Intervall [a, b], so folgt b − a ≤ 4. 2 (x − a) − 1 wird das x-Intervall  Beweis. Durch die Substitution y = b−a [a, b] auf das y-Intervall [−1, 1] abgebildet. Das zugeh¨orige Polynom

q(y) = p( b−a 2 (y + 1) + a) n hat als h¨ochsten Koeffizienten ( b−a ullt 2 ) und erf¨

max |q(y)| = max |p(x)|.

−1≤y≤1

a≤x≤b

Mit Tschebyschews Satz erhalten wir daraus b−a n n 1 2 ≥ max |p(x)| ≥ ( b−a 2 ) 2n−1 = 2( 4 ) , a≤x≤b

und daher b − a ≤ 4, also genau unsere Behauptung.



Die Folgerung bringt uns schon sehr nahe an die Aussage von Satz 2 heran. Ist die Menge P = {x : |p(x)| ≤ 2} ein Intervall, so ist die L¨ange von P h¨ochstens 4. Die Menge P muss aber nat¨urlich kein Intervall sein, wie in dem Beispiel am Rand, bei dem P aus zwei Intervallen besteht. Was k¨onnen wir u¨ ber P aussagen? Da p(x) eine stetige Funktion ist, wissen wir auf jeden Fall, dass P die Vereinigung von disjunkten abgeschlossenen Intervallen I1 , I2 , . . . ist, und dass p(x) den Wert 2 oder −2 an jedem Endpunkt eines Intervalls Ij annimmt. Dies impliziert sofort, dass es nur endlich viele solche Intervalle I1 , . . . , It geben kann, da p(x) einen Wert nur endlich oft annehmen kann. Die wunderbare Idee von P´olya war es nun, ein weiteres Polynom p˜(x) vom Grad n zu konstruieren, wieder mit f¨uhrendem Koeffizienten 1, so e = {x : |˜ dass P p(x)| ≤ 2} ein Intervall ist mit einer L¨ange mindestens e ≤ 4, ℓ(I1 )+. . .+ℓ(It ). Das Korollar liefert dann ℓ(I1 )+. . .+ℓ(It ) ≤ ℓ(P) und wir sind fertig.

 Beweis von Satz 2. Betrachten wir p(x) = (x − a1 ) · · · (x − an ) mit P = {x ∈ R : |p(x)| ≤ 2} = I1 ∪ . . . ∪ It , wobei wir die Intervalle Ij so anordnen, dass I1 das Intervall am linken Ende ist und It dasjenige am rechten Ende. Als Erstes behaupten wir, dass jedes Intervall Ij eine Nullstelle von p(x) enth¨alt. Wir wissen bereits, dass p(x) die Werte 2 oder −2 an den Endpunkten von Ij annimmt. Wenn einer dieser Werte 2 ist und der andere −2, so existiert jedenfalls eine Wurzel in Ij . Sei also p(x) = 2 an beiden Endpunkten (der Fall −2 wird analog behandelt). Es sei nun b ∈ Ij ein Punkt, in dem p(x) sein Minimum in Ij annimmt. Dann gilt p′ (b) = 0 und p′′ (b) ≥ 0. Wenn p′′ (b) = 0 ist, so bedeutet dies, dass b eine vielfache Wurzel von p′ (x) ist, und daher eine Wurzel von p(x) (siehe Resultat 1 aus

√ 1− 3

√ 1 1+ 3 ≈3,2

F¨ur das Polynom p(x) = x2 (x − 3) ist √ √ P = [1 − 3, 1] ∪ [1 + 3, ≈ 3,2]

164

Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome dem folgenden Kasten). Wenn andererseits p′′ (b) > 0 ist, so schließen wir p(b) ≤ 0 aus Resultat 2 in demselben Kasten. Somit haben wir p(b) = 0 und somit unsere Nullstelle, oder p(b) < 0, woraus wir eine Nullstelle im Intervall von b zu einem der beiden Endpunkte von Ij erhalten.

Zwei Resultate uber ¨ Polynome mit reellen Nullstellen Sei p(x) ein nicht-konstantes Polynom, das nur reelle Nullstellen hat. Resultat 1. Wenn b eine mehrfache Nullstelle von p′ (x) ist, so ist b auch eine Nullstelle von p(x).  Beweis. Seien b1 < . .P . < br die Nullstellen von p(x), mit den r Vielfachheiten s1 , . . . , sr , j=1 sj = n. Aus p(x) = (x − bj )sj h(x) schließen wir, dass jedes bj mit sj ≥ 2 eine Wurzel von p′ (x) ist, und dass die Vielfachheit von bj in p′ (x) gleich sj − 1 ist. Weiterhin sehen wir, dass es eine Nullstelle von p′ (x) zwischen b1 und b2 gibt, eine weitere zwischen b2 und b3 , . . . , und eine zwischen br−1 undPbr , und alle diese Nullstellen m¨ussen einfache Nullstellen sein, r da j=1 (sj − 1) + (r − 1) bereits zu n − 1 summiert, also genau dem Grad von p′ (x). Folglich k¨onnen die mehrfachen Nullstellen von p′ (x) nur unter den Wurzeln von p(x) auftreten.  Resultat 2. Es gilt p′ (x)2 ≥ p(x)p′′ (x) f¨ur alle x ∈ R.  Beweis. Ist x = ai eine Nullstelle von p(x), so ist nichts zu zeigen. Nehmen wir also an, x sei keine Nullstelle. Mit der Produktregel aus der Differentialrechnung berechnen wir p′ (x) =

n X p(x) , x − ak

k=1

also

n X p′ (x) 1 = . p(x) x − ak k=1

Davon nehmen wir die Ableitung, und erhalten n

X p′′ (x)p(x) − p′ (x)2 1 = − < 0. 2 p(x) (x − ak )2



k=1

I1

... I2 . . .

It−1

d z }| {

It

Hier ist nun die entscheidende Idee des Beweises. Es seien I1 , . . . , It die Intervalle wie vorhin, wobei wir annehmen, dass das Intervall It am rechten Ende genau m Nullstellen von p(x) enth¨alt (mit Vielfachheiten gez¨ahlt). Falls m = n ist, so ist It das einzige Intervall (wie eben bewiesen), und wir sind fertig. Nehmen wir also m < n an, und bezeichnen wir mit d den Abstand zwischen It−1 und It wie in der Skizze. Mit b1 , . . . , bm bezeichnen wir die Nullstellen von p(x), die in It liegen, und mit c1 , . . . cn−m die u¨ brigen Nullstellen. Nun schreiben wir p(x) = q(x)r(x), wobei q(x) = (x − b1 ) · · · (x − bm ) ist und r(x) = (x − c1 ) · · · (x − cn−m ) und set-

165

Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome zen p1 (x) = q(x + d)r(x). Das Polynom p1 (x) hat wieder den Grad n und den h¨ochsten Koeffizienten 1. F¨ur x ∈ I1 ∪ . . . ∪ It−1 haben wir |x + d − bi | < |x − bi | f¨ur alle i, und es gilt somit |q(x + d)| < |q(x)|. Daraus folgt nun |p1 (x)| ≤ |p(x)| ≤ 2

f¨ur x ∈ I1 ∪ . . . ∪ It−1 .

Falls andererseits x ∈ It ist, so sehen wir |r(x − d)| ≤ |r(x)| und somit |p1 (x − d)| = |q(x)||r(x − d)| ≤ |p(x)| ≤ 2. Dies aber bedeutet It − d ⊆ P1 = {x : |p1 (x)| ≤ 2}. Zusammenfassend sehen wir also, dass P1 die Vereinigung der Intervalle I1 ∪ . . . ∪ It−1 ∪ (It − d) enth¨alt, und daher die totale L¨ange von P1 mindestens so groß ist wie die von P. Wir bemerken weiter, dass beim ¨ Ubergang von p(x) zu p1 (x) die Intervalle It−1 und It − d in ein gemeinsames Intervall verschmelzen. Somit schließen wir, dass die Intervalle J1 , . . . , Js von p1 (x), die P1 bestimmen, eine totale L¨ange von mindestens ℓ(I1 )+. . .+ℓ(It ) haben, und dass das Intervall Js am rechten Ende mehr als m Nullstellen von p1 (x) enth¨alt. Wiederholen wir nun diese Konstruktion h¨ochstens (t − 1)-mal, so erhalten wir schließlich ein Polynom p˜(x), wobei e = {x : |˜ e ≥ ℓ(I1 ) + . . . + ℓ(It ) P p(x)| ≤ 2} ein Intervall der L¨ange ℓ(P) ist, und der Beweis ist vollst¨andig. 

Anhang: Der Satz von Tschebyschew

1

Satz. Sei p(x) ein reelles Polynom vom Grad n ≥ 1 mit h¨ochstem Koeffizienten 1. Dann gilt max |p(x)| ≥

−1≤x≤1

1 2 1 4

1

1 . 2n−1

Sehen wir uns zun¨achst einige Beispiele an, in denen die Formel mit Gleichheit erf¨ullt ist. Am Rand sind die Graphen von Polynomen vom Grad 1, 2 und 3 gezeichnet, wobei wir in jedem Fall Gleichheit haben. In der Tat werden wir sehen, dass es f¨ur jeden Grad genau ein Polynom gibt, f¨ur das der Satz von Tschebyschew mit Gleichheit gilt.  Beweis. Sei ein reelles Polynom p(x) = xn + an−1 xn−1 + . . . + a0 mit h¨ochstem Koeffizienten 1 gegeben. Da wir an dem Bereich −1 ≤ x ≤ 1 interessiert sind, setzen wir x = cos ϑ und bezeichnen mit g(ϑ) := p(cos ϑ) das daraus resultierende Polynom in cos ϑ, also g(ϑ) = (cos ϑ)n + an−1 (cos ϑ)n−1 + . . . + a0 .

(1)

Die Tschebyschew-Polynome p1 (x) = x, p2 (x) = x2 − 21 und p3 (x) = x3 − 34 x.

166

Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome Wir f¨uhren nun den Beweis in den folgenden zwei Schritten, die beide klassische Resultate der Analysis sind. (A) Wir dr¨ucken g(ϑ) als ein so genanntes Kosinuspolynom aus, also als ein Polynom der Form g(ϑ) = bn cos nϑ + bn−1 cos(n − 1)ϑ + . . . + b1 cos ϑ + b0 mit bk ∈ R und zeigen, dass der h¨ochste Koeffizient bn =

1 2n−1

(2)

ist.

(B) Es sei h(ϑ) irgendein Kosinuspolynom der Ordnung n, wobei die Ordnung n bedeutet, dass λn der h¨ochste nicht-verschwindende Koeffizient ist: h(ϑ) = λn cos nϑ + λn−1 cos(n − 1)ϑ + . . . + λ0 .

(3)

Wir zeigen |λn | ≤ max |h(ϑ)|, was angewendet auf g(ϑ) den Satz beweisen wird. Beweis von (A). Um von (1) zur Darstellung (2) zu gelangen, m¨ussen wir alle Potenzen (cos ϑ)k als Kosinuspolynome ausdr¨ucken. Zum Beispiel ergibt das Additionstheorem f¨ur den Kosinus die Formel cos 2ϑ = cos2 ϑ − sin2 ϑ = 2 cos2 ϑ − 1, so dass cos2 ϑ = 21 cos 2ϑ + 12 ist. Um dies f¨ur eine beliebige Potenz (cos ϑ)k durchzuf¨uhren, benutzen wir komplexe Zahlen mittels der Relation eix = cos x + i sin x. Die Ausdr¨ucke eix sind die komplexen Zahlen mit Absolutbetrag 1 (siehe den Kasten u¨ ber die komplexen Einheitswurzeln auf Seite 37). Insbesondere ergibt dies einϑ = cos nϑ + i sin nϑ, (4) und andererseits ist einϑ = (eiϑ )n = (cos ϑ + i sin ϑ)n .

(5)

Vergleichen wir die Realteile in (4) und (5), so erhalten wir mit i4ℓ+2 = −1, i4ℓ = 1 und sin2 θ = 1 − cos2 θ Xn cos nϑ = (cos ϑ)n−4ℓ (1 − cos2 ϑ)2ℓ 4ℓ ℓ≥0 (6) X n  n−4ℓ−2 2 2ℓ+1 − (cos ϑ) (1 − cos ϑ) . 4ℓ + 2 ℓ≥0

Wir schließen, dass cos nϑ ein Polynom in cos ϑ ist: `n´

= 2n−1 gilt f¨ur n > 0: k≥0 2k Jede Teilmenge von {1, 2, . . . , n − 1} ergibt eine Teilmenge von {1, 2, . . . , n} gerader M¨achtigkeit, wenn wir das Element n wenn n¨otig“ hinzuf¨ugen. ”

P

cos nϑ = cn (cos ϑ)n + cn−1 (cos ϑ)n−1 + . . . + c0 . Schließlich erhalten wir aus (6) f¨ur den h¨ochsten Koeffizienten Xn X n  cn = + = 2n−1 . 4ℓ 4ℓ + 2 ℓ≥0

ℓ≥0

(7)

167

Ein Satz von P´olya u¨ ber Polynome Nun drehen wir unsere Argumentation um. Wir nehmen mit Induktion an, dass (cos ϑ)k f¨ur k < n als ein Kosinuspolynom der Ordnung k ausgedr¨uckt werden kann, woraus mit (7) folgt, dass (cos ϑ)n als ein Kosinuspolynom der Ordnung n geschrieben werden kann mit dem f¨uhrenden 1 . Koeffizienten bn = 2n−1 Beweis von (B). Sei h(ϑ) ein Kosinuspolynom der Ordnung n wie in (3), und wir nehmen ohne Verlust von Allgemeinheit an, dass λn > 0. Nun setzen wir m(ϑ) := λn cos nϑ und erhalten damit m( nk π) = (−1)k λn

f¨ur k = 0, 1, . . . , n.

F¨ur einen Beweis auf Widerspruch nehmen wir nun an, dass max |h(ϑ)| < λn w¨are. Dann w¨are m( nk π) − h( nk π) = (−1)k λn − h( nk π) positiv f¨ur alle geraden k und negativ f¨ur alle ungeraden k in dem Bereich 0 ≤ k ≤ n. Wir schließen daraus, dass m(ϑ)−h(ϑ) mindestens n Nullstellen in dem Intervall [0, π] hat. Aber das kann nicht sein, weil m(ϑ) − h(ϑ) ein Kosinuspolynom der Ordnung n − 1 ist und deshalb h¨ochstens n − 1 Nullstellen hat. Somit ist (B) und daher auch der Satz von Tschebyschew bewiesen.  Der Leser kann nun leicht die Analyse vervollst¨andigen und zeigen, dass 1 cos nϑ in der Tat das einzige Kosinuspolynom der Ordnung gn (ϑ) := 2n−1 1 n mit f¨uhrendem Koeffizienten 1 ist, f¨ur das Gleichheit max |g(ϑ)| = 2n−1 gilt. Die Polynome Tn (x) = cos nϑ, x = cos ϑ werden dementsprechend die 1 Tschebyschew-Polynome (erster Art) genannt: 2n−1 Tn (x) ist das eindeutige Polynom vom Grad n mit h¨ochstem Koeffizienten 1, f¨ur das wir im Satz von Tschebyschew Gleichheit haben.

Literatur [1] P. L. C EBYCEV: Œuvres, Vol. I, Acad. Imperiale des Sciences, St. Petersburg 1899, 387-469. ´ [2] G. P OLYA : Beitrag zur Verallgemeinerung des Verzerrungssatzes auf mehrfach zusammenh¨angenden Gebieten, Sitzungsber. Preuss. Akad. Wiss. Berlin (1928), 228-232; Collected Papers Vol. I, MIT Press 1974, 347-351. ´ [3] G. P OLYA & G. S ZEG O˝ : Aufgaben und Lehrs¨atze aus der Analysis, 2. Band: Funktionentheorie, Nullstellen, Polynome, Determinanten, Zahlentheorie, 4. Auflage, Heidelberger Taschenb¨ucher 74, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1971.

Ein Lemma von Littlewood und Offord

Kapitel 22

In einem Aufsatz u¨ ber die Verteilung der Nullstellen von algebraischen Gleichungen bewiesen Littlewood und Offord 1943 das folgende Resultat: Seien a1 , a2 , . . . , an komplexe Zahlen mit |ai | ≥ 1 f¨ur alle i. Aus diesen kann man 2n m¨ogliche Linearkombinationen n X

ε i ai

i=1

Pn mit εi ∈ {1, −1} bilden. Die Anzahl der Summen i=1 εi ai , deren Werte im Inneren irgendeines festen Kreises vom Radius 1 liegen, ist dann nicht gr¨oßer als 2n c √ log n, n f¨ur eine Konstante c > 0. Einige Jahre sp¨ater verbesserte Paul Erd˝os diese Schranke, indem er den log n-Faktor entfernte, aber noch interessanter ist die Tatsache, dass er sein Ergebnis als eine einfache Folgerung aus dem kombinatorischen Satz von Sperner (siehe Seite 203) herleitete. Um ein Gef¨uhl f¨ur den Ansatz von Erd˝os zu bekommen, betrachten wir zun¨achst den Fall, dass alle ai reell sind. Wir k¨onnen dann annehmen, dass alle Zahlen ai positiv sind, weil wir sonst ai durch −ai und εi durch −ε Pni ersetzen k¨onnen. Nehmen wir an, dass viele der Linearkombinationen i=1 εi ai einen Wert in einem offenen Pn Intervall der L¨ange 2 annehmen. Jeder solchen Linearkombination i=1 εi ai ordnen wir die Teilmenge I := {i ∈ N : εi = 1} der festen Indexmenge N = {1, 2, . . . , n} zu. Wenn nun I $ I ′ f¨ur zwei solche Mengen gelten w¨urde, dann h¨atten wir X X X ai ≥ 2, ε′i ai − ε i ai = 2

John E. Littlewood

i∈I ′ \I

Widerspruch. Also bilden die Mengen I eine Antikette, und wir folgern  n aus dem Satz von Sperner, dass es h¨ochstens ⌊n/2⌋ solche Linearkombinationen gibt. Mit der Stirlingschen Formel (siehe Seite 12) erhalten wir   n 2n ≤ c√ f¨ur ein c > 0. ⌊n/2⌋ n  n Wenn n gerade ist und alle ai = 1, so gibt es n/2 Linearkombinationen Pn ur ungerades n und alle ai = 1 i=1 εi ai , die die Summe 0 ergeben; f¨

Satz von Sperner. Eine Antikette von Teilmengen einer n-elementigen Menge ` n ´ enth¨alt h¨ochstens ⌊n/2⌋ Mengen.

170

Ein Lemma von Littlewood und Offord  n gibt es ⌊n/2⌋ Linearkombinationen mit Wert 1. Betrachten wir nun das 1 3 Intervall (− 2 , 2 ), so finden wir, dass der Binomialkoeffizient tats¨achlich f¨ur alle n die beste obere Schranke darstellt.  n In derselben Arbeit vermutete Erd˝os, dass der Binomialkoeffizient ⌊n/2⌋ auch f¨ur die komplexen Zahlen die richtige Schranke ist; er konnte aber nur die Schranke c 2n n−1/2 f¨ur ein c > 0 beweisen. Mehr noch, Erd˝os vermutete, dass dieselbe Schranke in der Tat f¨ur beliebige Vektoren a1 , . . . , an mit |ai | ≥ 1 in einem reellen Hilbert-Raum g¨ultig ist, wenn wir den Kreis vom Radius 1 durch eine offene Kugel vom Radius 1 ersetzen. Erd˝os hatte nat¨urlich Recht, aber es vergingen 20 Jahre, bis Gyula Katona und Daniel Kleitman unabh¨angig Beweise f¨ur die komplexen Zahlen lieferten — oder, was dasselbe ist, f¨ur die Ebene R2 . Ihre Beweise benutzten explizit die Zweidimensionalit¨at der Ebene, und es war alles andere als klar, wie ihr Resultat auf beliebige endlich-dimensionale reelle Vektorr¨aume verallgemeinert werden k¨onnte. Doch im Jahr 1970 bewies Kleitman die allgemeine Vermutung f¨ur HilbertR¨aume mit einer Idee von bestechender Klarheit. Tats¨achlich zeigte er sogar mehr. Seine Idee ist ein wunderbares Beispiel daf¨ur, was man alles erreichen kann, wenn man die richtige Induktionsvoraussetzung findet. F¨ur alle Leser, die mit dem Begriff eines Hilbert-Raums nicht vertraut sind: Wir brauchen allgemeine Hilbert-R¨aume nicht wirklich. Da wir nur mit endlich vielen Vektoren ai arbeiten, gen¨ugt es, den gewohnten reellen Raum Rd mit dem u¨ blichen Skalarprodukt zu betrachten. Hier kommt nun Kleitmans Ergebnis.

Satz. Seien a1 , . . . , an Vektoren im Rd , jeder von der L¨ange mindestens 1, und seien R1 , . . . , Rk k offene Gebiete von Rd , wobei |x − y| < 2 f¨ur alle x, y gilt, die in demselben Gebiet PnRi liegen. Dann ist die Anzahl der Linearkombinationen i=1 S εi ai mit εi ∈ {1, −1}, deren Wert in der Vereinigungsmenge i Ri liegt, h¨ochstens gleich der Summe der k gr¨oßten Binomialkoeffizien ten nj .  n Als Spezialfall erhalten wir f¨ur k = 1 die Schranke ⌊n/2⌋ . Bevor wir den Beweis besprechen, stellen wir fest, dass die Schranke scharf ist f¨ur a1 = . . . = an = a = (1, 0, . . . , 0)T .   n n F¨ur gerades n erhalten wir n¨amlich n/2 Summen vom Wert 0, n/2−1  n Summen gleich (−2)a, n/2+1 Summen gleich 2a, und so fort. W¨ahlen wir nun Kugeln vom Radius 1 um die Punkte −2⌈ k−1 2 ⌉a,

...

(−2)a,

0,

2a,

...

2⌊ k−1 2 ⌋a,

171

Ein Lemma von Littlewood und Offord so erhalten wir           n n n n n + . . . + n−2 + n + n+2 + . . . + ⌋ ⌊ n+k−1 ⌋ ⌊ n−k+1 2 2 2 2 2 Summen, deren Werte in diesen k Kugeln liegen, und dies ist der gew¨unschte Ausdruck, da die gr¨oßten Binomialkoeffizienten symmetrisch um die Mitte angeordnet sind (siehe Seite 12). Ganz a¨ hnlich argumentiert man f¨ur ungerades n.  Beweis. Wir k¨onnen ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit annehmen, dass die Gebiete Ri alle disjunkt sind, und wir werden dies von nun an voraussetzen. Der Schl¨ussel zum Beweis ist die Rekursion der Binomialkoeffizienten, die uns angibt, wie die gr¨oßten Binomialkoeffizienten f¨ur n und f¨ur n − 1 n−k+1 n+k−1 zusammenh¨  n  angen. Seien r := ⌊ 2 ⌋ und s = ⌊ 2 ⌋, dann sind n n oßten Binomialkoeffizienten von n. Die Rer , r+1 ,. . . , s die k gr¨  n−1 kursion ni = n−1 + i i−1 liefert s   X n i=r

i

=

 s  X n−1 i=r

=

 s  X n−1 i=r

=

i

i

+

 s  X n−1 i=r

+

i−1

 s−1  X n−1 i i=r−1

(1)

  X  s s−1  X n−1 n−1 + , i i i=r−1 i=r

und eine leichte Rechnung best¨atigt, dass hier die erste Summe die k + 1 gr¨oßten Binomialkoeffizienten n−1 aufaddiert, und die zweite Summe die i gr¨oßten k − 1. Kleitmans Beweis geht nun mit Induktion u¨ ber n, wobei der Fall n = 1 trivial ist. Laut Formel (1) brauchen wir f¨ur den Induktionsschritt nur zu beweisen, dass die Linearkombinationen der a1 , . . . , an , die in k disjunkten Gebieten liegen, bijektiv auf die Kombinationen von a1 , . . . , an−1 abgebildet werden k¨onnen, die in k + 1 bzw. k − 1 Gebieten liegen. Behauptung. Mindestens eines der verschobenen Gebiete Rj −an ist disjunkt zu allen Gebieten R1 + an , . . . , Rk + an . Um dies zu beweisen, betrachten wir die Hyperebene H = {x : han , xi = c}, die senkrenkt auf an steht, die alle Translate Ri + an auf der Seite enth¨alt, die durch han , xi ≥ c gegeben ist, und die den Abschluss eines der Gebiete, sagen wir Rj + an , ber¨uhrt. Solch eine Hyperebene existiert, weil die Gebiete beschr¨ankt sind. Nun gilt |x − y| < 2 f¨ur x ∈ Rj und f¨ur y im

172

Ein Lemma von Littlewood und Offord

R2 + an

Rk + an

R1 + an y + an

Abschluss von Rj , weil Rj offen ist. Wir wollen zeigen, dass Rj − an auf der anderen Seite von H liegt. Nehmen wir im Gegenteil an, dass han , x − an i ≥ c f¨ur ein x ∈ Rj gilt, das heißt, han , xi ≥ |an |2 + c. Sei y + an ein Punkt, in dem H das verschobene Gebiet Rj + an ber¨uhrt, dann ist y im Abschluss von Rj , und es gilt han , y + an i = c, also han , −yi = |an |2 − c. Somit haben wir han , x − yi ≥ 2|an |2 ,

Rj + an

und schließen aus der Cauchy-Schwarz-Ungleichung Rj − an

2|an |2 ≤ han , x − yi ≤ |an ||x − y|.

an H

Wegen |an | ≥ 1 erhalten wir daraus 2 ≤ 2|an | ≤ |x − y|, einen Widerspruch. Der Pn Rest des Beweises ist einfach. Wir klassifizieren die Kombinationen Rk liegen, wie folgt. In die Klasse i=1 εi ai , die in R1 ∪ . . . ∪ P P 1 geben wir alle Linearkombinationen ni=1 εi ai mit εn = −1 und alle ni=1 εi ai mit εn = 1, deren Werte in RjPliegen, und in die Klasse 2 geben wir die n u¨ brigen Linearkombinationen i=1 εi ai mit εn = 1, deren Werte nicht in Rj sind. Pn−1 Es folgt, dass die Kombinationen i=1 εi ai aus der Klasse 1 Werte in den k + 1 disjunkten Gebieten R1 + an , . . . , Rk + an und Rj − an haben, und Pn−1 die Kombinationen i=1 εi ai der Klasse 2 Werte in den k − 1 disjunkten Gebieten R1 − an , . . . , Rk − an ohne Rj − an annehmen.  Ps Nach Induktion enth¨alt Klasse 1 h¨ochstens i=r−1 n−1 Kombinationen, i Ps−1 n−1 w¨ahrend Klasse 2 h¨ochstens i=r i Kombinationen enth¨alt — und mit (1) ist dies der ganze Beweis, direkt aus dem BUCH. 

Literatur ˝ : On a lemma of Littlewood and Offord, Bulletin Amer. Math. Soc. [1] P. E RD OS 51 (1945), 898-902. [2] G. K ATONA : On a conjecture of Erd˝os and a stronger form of Sperner’s theorem, Studia Sci. Math. Hungar. 1 (1966), 59-63. [3] D. K LEITMAN : On a lemma of Littlewood and Offord on the distribution of certain sums, Math. Zeitschrift 90 (1965), 251-259. [4] D. K LEITMAN : On a lemma of Littlewood and Offord on the distributions of linear combinations of vectors, Advances Math. 5 (1970), 155-157. [5] J. E. L ITTLEWOOD & A. C. O FFORD : On the number of real roots of a random algebraic equation III, Mat. USSR Sb. 12 (1943), 277-285.

Der Kotangens und der Herglotz-Trick

Kapitel 23

Was ist die interessanteste Formel in der elementaren Funktionentheorie? In seinem wunderbaren Artikel [2], dessen Darstellung wir folgen, schl¨agt J¨urgen Elstrodt als einen ersten Kandidaten die Partialbruchentwicklung des Kotangens vor:

π cot πx =



1 X 1 1  + + x n=1 x + n x − n

(x ∈ R\Z).

Diese elegante Formel wurde von Euler in §178 seiner Introductio in Analysin Infinitorum bewiesen, und sie z¨ahlt ohne Zweifel zu den sch¨onsten seiner vielen Entdeckungen. Wir k¨onnen die Formel sogar noch eleganter in der Form N X 1 (1) π cot πx = lim N →∞ x+n n=−N

P 1 schreiben, aber dann ist bei der Auswertung der Summe n∈Z x+n etwas Vorsicht geboten, da diese Summe nur bedingt konvergent ist, so dass ihr Wert von der richtigen“ Reihenfolge bei der Summation abh¨angt. ” Wir werden (1) mit einer Idee von bestechender Einfachheit beweisen, die Gustav Herglotz zugeschrieben wird — dem Herglotz-Trick“. Daf¨ur ” setzen wir zun¨achst f (x) := π cot πx,

g(x) :=

lim

N →∞

N X

n=−N

Gustav Herglotz

1 , x+n f (x)

und versuchen, so viele gemeinsame Eigenschaften dieser beiden Funktionen herauszuarbeiten wie m¨oglich, um dann schließlich zu zeigen, dass sie u¨ bereinstimmen m¨ussen. (A) Die beiden Funktionen f und g sind f¨ur alle nicht-ganzzahligen Werte definiert und in diesen Werten stetig. πx F¨ur die Kotangens-Funktion f (x) = π cot πx = π cos sin πx ist dies klar (siehe die nebenstehende Abbildung). F¨ur g(x) verwenden wir zun¨achst 1 1 + x−n = − n22x die Identit¨at x+n −x2 , um Eulers Formel als

π cot πx umzuschreiben.

=



1 X 2x − x n=1 n2 − x2

π 1 4

1

(2) Die Funktion f (x) = π cot πx

x

174

Der Kotangens und der Herglotz-Trick Um (A) zu beweisen, m¨ussen wir dann also zeigen, dass die Reihe ∞ X

n=1

n2

1 − x2

f¨ur jedes x ∈ / Z in einer Umgebung von x gleichm¨aßig konvergiert. Wir haben keine Probleme mit dem ersten Term, f¨ur n = 1, oder mit den Summanden mit 2n − 1 ≤ x2 , da es nur endlich viele davon gibt. Andererseits sind f¨ur n ≥ 2 und 2n − 1 > x2 , das heißt n2 − x2 > (n − 1)2 > 0, die Summanden durch 0
r = |R|, und f : N −→ R eine Abbildung, dann gibt es ein a ∈ R mit |f −1 (a)| ≥ 2. Wir k¨onnen diese Ungleichung sofort versch¨arfen: es existiert ein a ∈ R mit lnm . (1) |f −1 (a)| ≥ r

WennPnicht, dann w¨urde |f −1 (a)| < nr f¨ur alle a gelten, und somit n= |f −1 (a)| < r nr = n, was absurd ist. a∈R

1. Zahlen Behauptung. Wir betrachten die Zahlen 1, 2, . . . , 2n und nehmen irgendwelche n + 1 von ihnen. Dann gibt es unter den n + 1 ausgew¨ahlten Zahlen immer zwei, die keinen gemeinsamen Teiler haben. Auch diese Aussage ist nahezu offensichtlich. Es muss ja schließlich zwei Zahlen geben, die sich nur um 1 unterscheiden, und diese m¨ussen dann relativ prim sein. Nun drehen wir die Bedingung herum.

Mehr Objekte als F¨acher“ ”

186

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen Behauptung. Nehmen wir wieder eine Menge A ⊆ {1, 2, . . . , 2n} mit |A| = n + 1. Dann gibt es immer zwei Zahlen in A, so dass eine die andere teilt.

Beide Ergebnisse bleiben nicht richtig, wenn n + 1 durch n ersetzt wird: Dazu betrachte man {2, 4, 6, . . . , 2n} bzw. {n+1, n+2, . . . , 2n}.

Das ist nun keineswegs mehr klar. Wie Erd˝os uns erz¨ahlte, stellte er dieses Problem dem jungen Lajos P´osa w¨ahrend eines Abendessens, und als das Essen beendet war, hatte Lajos die Antwort. Das Problem blieb zeit seines Lebens eine der Lieblings- Initiations“-Fragen von Erd˝os. Die (positive) ” Antwort wird wieder durch das Schubfachprinzip geliefert. Man schreibe jede Zahl a ∈ A in der Form a = 2k m, wobei m eine ungerade Zahl zwischen 1 und 2n − 1 ist. Da es n + 1 Zahlen in A gibt, aber nur n verschiedene ungerade Anteile, m¨ussen zwei der Zahlen von A denselben ungeraden Anteil haben. Also ist eine ein Vielfaches der anderen. 

2. Folgen Hier kommt noch einer von Erd˝os’ Favoriten, enthalten in einer Arbeit von Erd˝os und Szekeres u¨ ber Ramsey-Probleme. Behauptung. In einer Folge a1 , a2 , . . . , amn+1 von mn + 1 verschiedenen reellen Zahlen gibt es immer eine ansteigende Teilfolge ai1 < ai2 < · · · < aim+1

(i1 < i2 < · · · < im+1 )

der L¨ange m + 1, oder eine absteigende Teilfolge aj1 > aj2 > · · · > ajn+1

(j1 < j2 < · · · < jn+1 )

der L¨ange n + 1, oder beides.

Die Leser sind eingeladen zu beweisen, dass das Ergebnis f¨ur mn Zahlen im Allgemeinen nicht mehr richtig bleibt.

Dieses Mal ist die Anwendung des Schubfachprinzip nicht unmittelbar zu sehen. Man ordne jedem ai die Zahl ti zu, die die L¨ange einer l¨angsten ansteigenden Teilfolge bezeichnet, die mit ai anf¨angt. Falls ti ≥ m + 1 f¨ur ein i ist, so erhalten wir eine ansteigende Teilfolge der L¨ange m + 1. Nehmen wir also an, dass ti ≤ m f¨ur alle i gilt. Die Funktion f : ai 7−→ ti , die {a1 , . . . , amn+1 } auf {1, . . . , m} abbildet, sagt uns dann nach (1), dass es ein s ∈ {1, . . . , m} gibt, so dass f (ai ) = s f¨ur mn m +1 = n+1 Zahlen ai gilt. Seien aj1 , aj2 , . . . , ajn+1 (j1 < · · · < jn+1 ) diese Zahlen. Betrachten wir zwei aufeinander folgende Zahlen aji , aji+1 . Wenn aji < aji+1 w¨are, so h¨atten wir eine ansteigende Teilfolge der L¨ange s + 1 mit Startpunkt aji , aber das kann nicht sein wegen f (aji ) = s. Damit folgt jetzt aber, dass aj1 > aj2 > · · · > ajn+1 eine absteigende Teilfolge der L¨ange n + 1 ist.  Dieses einfache Resultat u¨ ber monotone Teilfolgen kann benutzt werden, um einen bemerkenswerten Satz u¨ ber die Dimension von Graphen zu erhalten. Wir ben¨otigen f¨ur unsere Zwecke nicht den Begriff der Dimension f¨ur beliebige Graphen, sondern nur f¨ur die vollst¨andigen Graphen Kn . Er

187

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen kann auf folgende Weise formuliert werden. Sei N = {1, . . . , n}, n ≥ 3, und seien m Permutationen π1 , . . . , πm von N gegeben. Wir sagen, dass die Permutationen πi den vollst¨andigen Graphen Kn darstellen, wenn zu je drei verschiedenen Zahlen i, j, k eine Permutation π existiert, in der k nach beiden Zahlen i und j kommt. Die Dimension von Kn ist dann als das kleinste m definiert, f¨ur das eine Darstellung π1 , . . . , πm existiert. Zum Beispiel haben wir dim(K3 ) = 3, da jede der drei Zahlen in mindestens einer Permutation an letzter Stelle kommen muss, so wie in π1 = 1 2 3, π2 = 2 3 1, π3 = 3 1 2. Wie steht es mit K4 ? Man beachte zun¨achst, dass dim(Kn ) ≤ dim(Kn+1 ) gilt: dazu braucht man nur n + 1 in einer Darstellung von Kn+1 zu entfernen. Also gilt dim(K4 ) ≥ 3, und es ist tats¨achlich dim(K4 ) = 3, wie die folgenden Permutationen zeigen: π1 = 1 2 3 4,

π2 = 2 4 3 1,

π3 = 1 4 3 2.

Es ist nicht mehr so leicht zu beweisen, dass auch dim(K5 ) = 4 ist, und es ist sicher u¨ berraschend, dass dim(Kn ) = 4 bis n = 12 gilt, w¨ahrend dim(K13 ) = 5 ist. Es scheint somit, dass die Dimension eine ziemlich wilde Funktion ist. Aber das Gegenteil ist der Fall! Wenn n gegen Unendlich geht, so ist dim(Kn ) asymptotisch eine wohlbekannte Funktion — und die Methode, eine untere Schranke zu finden, liefert wieder das Schubfachprinzip. Wir behaupten dim(Kn ) ≥ log2 log2 n.

(2)

Da wir schon wissen, dass dim(Kn ) eine monotone Funktion in n ist, p gen¨ugt es, (2) f¨ur n = 22 + 1 zu zeigen, also dim(Kn ) ≥ p + 1

p

f¨ur n = 22 + 1.

Angenommen, es g¨alte dim(Kn ) ≤ p und es seien π1 , . . . , πp darstellende p Permutationen von N = {1, 2, . . . , 22 + 1}. Nun verwenden wir unser Resultat u¨ ber monotone Teilfolgen p Mal. In π1 existiert eine monotone p−1 Teilfolge A1 der L¨ange 22 + 1 (es ist egal, ob die Folge ansteigend oder fallend ist). Wir betrachten diese Menge A1 nun in π2 . Unter abermaliger Verwendung unseres Resultates finden wir in π2 eine monotone Teilfolge p−2 A2 von A1 der L¨ange 22 + 1, und A2 ist nat¨urlich auch monoton in π1 . Fahren wir so fort, so erhalten wir schließlich eine Teilfolge Ap der L¨ange 0 22 + 1 = 3, die in allen Permutationen πi monoton ist. Sei Ap = a b c, dann haben wir a < b < c oder a > b > c in allen πi . Aber das kann nicht sein, da es ja eine Permutation geben muss, in der b nach a und c kommt.  Das genaue asymptotische Wachstum wurde von Spencer (obere Schranke) und von F¨uredi, Hajnal, R¨odl und Trotter (untere Schranke) bestimmt: 1 dim(Kn ) = log2 log2 n + ( + o(1)) log2 log2 log2 n. 2

π1 : 1 2 3 5 6 7 8 9 10 11 12 4 π2 : 2 3 4 8 7 6 5 12 11 10 9 1 π3 : 3 4 1 11 12 9 10 6 5 8 7 2 π4 : 4 1 2 10 9 12 11 7 8 5 6 3 Diese 4 Permutationen stellen K12 dar

188

dim(Kn ) ≤ 4 ⇐⇒ n ≤ 12

dim(Kn ) ≤ 5 ⇐⇒ n ≤ 81

dim(Kn ) ≤ 6 ⇐⇒ n ≤ 2646

dim(Kn ) ≤ 7 ⇐⇒ n ≤ 1422564

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte: Vor Kurzem stellten Walter Morris und Serkan Hos¸ten eine Methode vor, die im Prinzip den genauen Wert von dim(Kn ) ergibt. Mit ihrem Resultat und Computerhilfe kann man ohne Weiteres die Werte berechnen, die am Rand angegeben sind. Dies ist nun wirklich bemerkenswert! Man bedenke nur, wie viele Permutationen der L¨ange 1422564 es gibt. Wie soll man entscheiden, ob 7 oder 8 von ihnen ben¨otigt werden, um K1422564 darzustellen?

3. Summen Paul Erd˝os schreibt die folgende elegante Anwendung des Schubfachprinzips Andrew V´azsonyi und Marta Sved zu: Behauptung. Gegeben seien n ganze Zahlen a1 , . . . , an , die nicht verschieden sein m¨ussen. Dann gibt es immer einen Abschnitt von aufeinander folgenden Zahlen ak+1 , ak+2 , . . . , aℓ , deren Summe Pℓ i=k+1 ai ein Vielfaches von n ist.

Zum Beweis setzen wir N = {0, a1 , a1 + a2 , . . . , a1 + a2 + . . . + an } und R = {0, 1, . . . , n − 1}. Wir betrachten nun die Abbildung f : N → R, bei der f (m) jeweils der Rest von m bei Division durch n ist. Aus |N | = n + 1 > n = |R| folgt, dass es zwei Summen a1 + . . . + ak , a1 + . . . + aℓ (k < ℓ) mit demselben Rest gibt, wobei die erste Summe auch die leere Summe sein kann, die wir mit 0 bezeichnet haben. Also hat ℓ X

ai =

i=k+1

ℓ X i=1

ai −

k X

ai

i=1

bei Division durch n den Rest 0 — Ende des Beweises.



Nun wenden wir uns dem zweiten Prinzip zu: Doppeltes Abz¨ahlen. Darunter verstehen wir das Folgende.

Doppeltes Abz¨ahlen. Angenommen, wir haben zwei endliche Mengen R und C gegeben und eine Teilmenge S ⊆ R × C. Immer wenn (p, q) ∈ S ist, dann sagen wir, dass p und q inzident sind. Wenn wir mit rp die Anzahl der Elemente bezeichnen, die zu p ∈ R inzident sind, und cq die Anzahl der Elemente, die zu q ∈ C inzident sind, so gilt X X rp = |S| = cq . (3) p∈R

q∈C

189

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen Wieder gibt es fast nichts zu beweisen. Die erste Summe klassifiziert die Paare in S gem¨aß der ersten Koordinate, w¨ahrend die zweite Summe dieselben Paare nach der zweiten Koordinate eingruppiert. Es ist sehr n¨utzlich, die Menge S mit einer Matrix darzustellen. Daf¨ur betrachtet man die Matrix A = (apq ), die Inzidenzmatrix von S, wobei die Zeilen und Spalten von A durch die Elemente von R und C indiziert werden, mit ( 1 falls (p, q) ∈ S apq = 0 falls (p, q) ∈ / S. Mit dieser Darstellung sehen wir sofort, dass rp die Summe der p-ten Zeile von A ist, und cq die Summe der q-ten Spalte. Mit anderen Worten, die erste Summe in (3) addiert die Eintr¨age von A (z¨ahlt also die Elemente in S) zeilenweise, und die zweite Summe z¨ahlt dieselben Elemente spaltenweise. Das folgende Beispiel sollte diese Korrespondenz klar machen. Es sei R = C = {1, 2, . . . , 8} und S = {(i, j) : i teilt j}. Auf diese Weise erhalten wir die Matrix am Rand, wobei wir nur die Einsen eingezeichnet haben.

4. Nochmals Zahlen Betrachten wir die Tabelle am Rand. Die Anzahl der Einsen in Spalte j ergibt genau die Anzahl der Teiler von j; wir wollen diese Zahl mit t(j) bezeichnen. Wir stellen uns die Frage, wie groß diese Zahl t(j) im Durchschnitt ist, wenn j von 1 bis n l¨auft. Mit anderen Worten, wir fragen nach der Gr¨oße n 1X t¯(n) = t(j). n j=1 Wie groß ist t¯(n) f¨ur beliebiges n? Im ersten Moment erscheint dies hoffnungslos. F¨ur Primzahlen p haben wir t(p) = 2, w¨ahrend wir f¨ur 2k eine große Zahl t(2k ) = k + 1 erhalten. Die Funktion t(n) ist also v¨ollig unregelm¨aßig, und wir vermuten, dass dasselbe auch f¨ur t¯(n) gilt. Falsch, das Gegenteil ist richtig! Doppeltes Abz¨ahlen erlaubt eine unerwartete und einfache Antwort. Betrachten wir die Matrix A vonP oben f¨ur die Zahlen 1 bis n. Z¨ahlen wir n spaltenweise, so erhalten wir j=1 t(j). Wie viele Einsen sind in Zeile i? Die Antwort ist leicht, die Einsen entsprechen den Vielfachen von i: 1i, 2i, . . ., und das letzte Vielfache, das nicht gr¨oßer als n ist, ist ⌊ ni ⌋i. Dies ergibt nun n n n n X 1X 1 X jnk 1Xn 1 t(j) = ≤ t¯(n) = = , n j=1 n i=1 i n i=1 i i i=1

¨ wobei der Fehler in jedem Summanden, beim Ubergang von ⌊ ni ⌋ zu ni , weniger als 1 ist. Somit ist der Gesamtfehler f¨ur den Durchschnitt ebenfalls weniger als 1. Die letzte Summe ist nun die n-te harmonische Zahl Hn ,

C 1 QQ R

2 3

4 5

6 7

8

1 1 1 1

1 1 1

1 1 1 1

1 1

1 2 3 4 5 6 7 8

1

n

1 2 3 4 5 6

7

8

t(n) 1 2 2 3 2 4 t¯(n) 1 32 35 2 2 37

2

4

16 7

5 2

1

1 1 1 1 1

Die ersten Werte von t(n) und t¯(n)

190

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen wir erhalten Hn − 1 < t¯(n) < Hn , und dies ergibt mit den Absch¨atzungen auf Seite 11 log n − 1 < Hn − 1 −

1 n

< t¯(n) < Hn < log n + 1.

Damit haben wir das bemerkenswerte Resultat bewiesen, dass, obwohl t(n) vollkommen unregelm¨aßig ist, die Durchschnittsfunktion t¯(n) eine einfache Gestalt besitzt: Sie unterscheidet sich von log n um weniger als 1.

5. Graphen 1

6 4

2 3

5

7

Sei G ein endlicher einfacher Graph mit Eckenmenge V und Kantenmenge E. In Kapitel 12 haben wir den Grad d(v) einer Ecke als die Anzahl der mit v inzidenten Kanten definiert. In dem Beispiel am Rand haben die Ecken 1, 2, . . . , 7 die Grade 3, 2, 4, 3, 3, 2, 3. Nahezu jedes Buch u¨ ber Graphentheorie beginnt mit dem folgenden Resultat, dem wir schon in den Kapiteln 12 und 18 begegnet sind: X d(v) = 2|E|. (4) v∈V

Zum Beweis betrachten wir S ⊆ V × E, wobei S die Menge der Paare (v, e) ist, so dass v ∈ V eine Endecke P von e ∈ E ist. Z¨ahlen wir S auf zwei Arten, so erhalten wir einerseits v∈V d(v), da jede Ecke genau d(v) zur Summe beitr¨agt, und andererseits 2|E|, da jede Kante zwei Endecken besitzt.  Obwohl das Resultat (4) so einfach erscheint, hat es dennoch viele wichtige Folgerungen, von denen wir einige in diesem Buch besprechen werden. In diesem Kapitel wollen wir die folgende sch¨one Anwendung auf ein Extremalproblem f¨ur Graphen besprechen. Hier ist das Problem: Angenommen, G = (V, E) hat n Ecken und enth¨alt keinen Kreis . der L¨ange 4 (bezeichnet mit C4 ), also keinen Untergraphen Wie viele Kanten kann G dann maximal haben? Zum Beispiel enth¨alt der Graph am Rand 5 Ecken, 6 Kanten, aber keinen Viererkreis. Der Leser kann sich leicht u¨ berzeugen, dass auf 5 Ecken die Maximalzahl tats¨achlich 6 ist, und dass dieser Graph der einzige Graph auf 5 Ecken mit 6 Kanten ohne Viererkreis ist. Betrachten wir nun das allgemeine Problem. Sei G ein Graph auf n Ecken ohne einen Viererkreis. Wir oben bezeichnen wir mit d(u) den Grad von u. Nun z¨ahlen wir die folgende Menge auf zwei Arten ab: S sei die Menge der Paare (u, {v, w}), wobei u zu v und zu w benachbart ist, mit v 6= w. Mit anderen Worten, wir z¨ahlen, wie oft der Untergraph u v

w

191

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen  P auftritt. Summieren wir u¨ ber u, so finden wir |S| = u∈V d(u) 2 . Andererseits hat jedes Paar {v, w} h¨ochstens einen  gemeinsamen Nachbarn (wegen der C4 -Bedingung). Daher gilt |S| ≤ n2 , und wir schließen   X d(u) n ≤ , 2 2 u∈V

das heißt

X

u∈V

d(u)2 ≤ n(n − 1) +

X

d(u).

(5)

u∈V

Als N¨achstes (typisch f¨ur diese Art von Extremalproblemen) wenden wir die Cauchy-Schwarz-Ungleichung auf die Vektoren (d(u1 ), . . . , d(un )) und (1, 1, . . . , 1) an. Daraus erhalten wir X 2 X d(u) ≤ n d(u)2 , u∈V

und daher mit (5) X u∈V

u∈V

2 d(u)



n2 (n − 1) + n

4 |E|2



n2 (n − 1) + 2n |E|

Mit (4) ergibt dies

X

d(u).

u∈V

oder

n2 (n − 1) n |E| − ≤ 0. 2 4 L¨osen wir die entsprechende quadratische Gleichung, so erhalten wir das folgende Resultat von Istvan Reiman. |E|2



Satz. Enth¨alt ein Graph auf n Ecken keine Viererkreise, so gilt jn √ k |E| ≤ 1 + 4n − 3 . 4

(6)

F¨ur n = 5 ergibt dies |E| ≤ 6, und der Graph von oben zeigt, dass Gleichheit gelten kann. Doppeltes Abz¨ahlen hat also auf einfache Weise eine obere Schranke f¨ur die Anzahl der Kanten ergeben. Wie gut ist die Schranke (6) im allgemeinen Fall? Das folgende sch¨one Beispiel [2] [3] [6] zeigt, dass die Schranke fast scharf ist. Wie so oft bei solchen Problemen benutzen wir endliche Geometrie.

¨ In den folgenden Uberlegungen setzen wir voraus, dass die Leser mit dem endlichen K¨orper Zp der ganzen Zahlen modulo einer Primzahl p vertraut sind (siehe Seite 20). Aus dem 3-dimensionalen Vektorraum X u¨ ber Zp konstruieren wir den folgenden Graphen Gp . Die Ecken von Gp sind die 1-dimensionalen Unterr¨aume [v] := {λv : λ ∈ Zp } f¨ur 0 6= v ∈ X; wir verbinden zwei solche Unterr¨aume [v], [w] genau dann mit einer Kante, wenn hv, wi = v1 w1 + v2 w2 + v3 w3 = 0

gilt.

192

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen (0, 0, 1)

(1, 0, 1)

(0, 1, 1) (1, 1, 1)

(1, 0, 0)

(1, 1, 0)

(0, 1, 0)

Der Graph G2 : die Ecken sind alle sieben Tripel (x, y, z) 6= 0.

Man beachte, dass es nicht darauf ankommt, welchen Vektor 6= 0 wir aus dem Unterraum nehmen. In der Sprache der Geometrie sind die Ecken die Punkte der projektiven Ebene u¨ ber Zp , und [w] ist benachbart zu [v], falls w auf der Polargeraden von v liegt. Zum Beispiel hat der Graph G2 keinen Viererkreis und enth¨alt 9 Kanten, er erreicht also fast die Schranke 10, die durch (6) gegeben wird. Wir wollen nun zeigen, dass dies f¨ur jede beliebige Primzahl p zutrifft. Als Erstes beweisen wir, dass Gp die C4 -Bedingung erf¨ullt. Ist [u] ein gemeinsamer Nachbar von [v] und [w], so ist u eine L¨osung der linearen Gleichungen v1 x + v2 y + v3 z = 0 w1 x + w2 y + w3 z = 0. Da v und w linear unabh¨angig sind, schließen wir, dass der L¨osungsraum Dimension 1 hat, und dass daher der gemeinsame Nachbar [u] eindeutig bestimmt ist. Als N¨achstes u¨ berlegen wir uns, wie viele Ecken Gp hat. Wieder weist uns doppeltes Abz¨ahlen den Weg. Der Raum X enth¨alt p3 − 1 Vektoren 6= 0, w¨ahrend jeder 1-dimensionale Unterraum p − 1 Vektoren 6= 0 enth¨alt. 3 −1 Daraus schließen wir, dass X genau pp−1 = p2 + p + 1 1-dimensionale Unterr¨aume enth¨alt, bzw. dass Gp genau n = p2 + p + 1 Ecken hat. Analog enth¨alt jeder 2-dimensionale Unterraum p2 − 1 Vektoren 6= 0, und daher p2 −1 aume. p−1 = p + 1 1-dimensionale Unterr¨ Nun m¨ussen wir noch die Anzahl der Kanten von Gp ermitteln, oder was nach (4) dasselbe ist, die Grade der Ecken. Nach Konstruktion von Gp sind die Nachbarn von [u] genau die L¨osungen der Gleichung u1 x + u2 y + u3 z = 0.

(7)

Der L¨osungsraum von (7) ist ein 2-dimensionaler Unterraum und enth¨alt daher p + 1 Ecken benachbart zu [u]. Etwas Vorsicht ist aber angebracht: Es kann passieren, dass u selbst eine L¨osung von (7) ist. In diesem Fall gibt es nur p Ecken, die zu [u] benachbart sind. Insgesamt haben wir damit das folgende Resultat erhalten: Liegt u auf dem Kegelschnitt, der durch x2 + y 2 + z 2 = 0 gegeben ist, so gilt d([u]) = p, und wenn nicht, dann gilt d([u]) = p + 1. Wir m¨ussen also noch die Anzahl der 1-dimensionalen Unterr¨aume auf dem Kegelschnitt x2 + y 2 + z 2 = 0 bestimmen. Wir nehmen nun das entsprechende Resultat voraus; es wird weiter unten bewiesen. Behauptung. Die Gleichung x2 + y 2 + z 2 = 0 hat genau p2 L¨osungen (x, y, z) ∈ (Zp )3 , und daher gibt es (weil wir die Null2 −1 l¨osung ausschließen) pp−1 = p + 1 Ecken vom Grad p in Gp . Nun k¨onnen wir unser Studium von Gp abschließen. Es gibt p + 1 Ecken vom Grad p, daher (p2 + p + 1) − (p + 1) = p2 Ecken vom Grad p + 1.

193

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen Mit (4) erhalten wir |E| = =

(p + 1)2 p (p + 1)p p2 (p + 1) + = 2 2 2 p (p + 1)p p2 + p (1 + (2p + 1)) = (1 + 4p2 + 4p + 1). 4 4

Setzen wir n = p2 + p + 1, so lautet die letzte Gleichung |E| =

√ n−1 (1 + 4n − 3), 4

und wir sehen, dass dies fast mit (6) u¨ bereinstimmt. Nun wollen wir die Behauptung beweisen. Der folgende Schluss ist eine sch¨one Anwendung von Linearer Algebra, genauer gesagt von symmetrischen Matrizen und ihren Eigenwerten. Wir werden derselben Methode in Kapitel 39 wieder begegnen, was kein Zufall ist: Beide Beweise stammen aus derselben Arbeit von Erd˝os, R´enyi und S´os. Wir stellen die 1-dimensionalen Unterr¨aume von X wie zuvor durch Vektoren v 1 , v 2 , . . . , v p2 +p+1 dar, wobei je zwei dieser Vektoren linear unabh¨angig sind. Analog stellen wir die 2-dimensionalen Unterr¨aume durch dieselbe Menge von Vektoren dar, wobei dem Vektor u = (u1 , u2 , u3 ) die L¨osungsmenge der Gleichung u1 x + u2 y + u3 z = 0 entspricht. (Nat¨urlich ist dies nichts anderes als das Dualit¨atsprinzip der Linearen Algebra.) Mit (7) sehen wir also, dass ein 1-dimensionaler Unterraum, der durch v i dargestellt wird, in dem 2-dimensionalen Unterraum, der durch v j dargestellt wird, dann und nur dann enthalten ist, wenn hv i , v j i = 0 gilt. Nun betrachten wir die Matrix A = (aij ) der Gr¨oße (p2 + p + 1) × (p2 + p + 1), die folgendermaßen definiert wird: Die Zeilen und Spalten von A entsprechen den Vektoren v 1 , . . . , v p2 +p+1 (wir verwenden dieselbe Nummerierung f¨ur die Zeilen und die Spalten), mit  1 f¨ur hv i , v j i = 0, aij := 0 sonst. A ist also eine reelle symmetrische Matrix, und wir haben aii = 1, falls hv i , v i i = 0 gilt, das heißt genau dann, wenn v i auf dem Kegelschnitt x2 + y 2 + z 2 = 0 liegt. Somit bleibt nur noch zu zeigen, dass Spur A = p + 1 gilt. Aus der Linearen Algebra wissen wir, dass die Spur gleich der Summe der Eigenwerte ist. Und hier kommt nun der Trick: W¨ahrend A kompliziert aussieht, ist die Matrix A2 leicht zu analysieren. Wir notieren zwei Tatsachen: • Jede Zeile von A enth¨alt genau p+1 Einsen. Daher gilt A1 = (p+1)1, wobei 1 der Vektor ist, der aus lauter Einsen besteht. Also ist p + 1 ein Eigenwert von A.

0

0 1 1 B1 0 1 B B1 1 0 B A=B B1 0 0 B0 1 0 B @0 0 1 0 0 0 Die Matrix f¨ur G2

1 0 0 1 0 0 1

0 1 0 0 1 0 1

0 0 1 0 0 1 1

1 0 0C C 0C C 1C C 1C C 1A 0

194

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen • F¨ur zwei verschiedene Zeilen v i , v j gibt es immer genau eine Spalte mit einer 1 in beiden Zeilen (die Spalte, welche zu dem eindeutigen Unterraum aufgespannt von v i , v j geh¨ort). Mit diesen beiden Resultaten finden wir  p+1 1 ··· 1  ..  1 p+1 . 2  A = . . ..  .. 1 ··· p+1



   = p I + J,  

wobei I die Einheitsmatrix ist und J die Matrix, die nur aus Einsen besteht. Die Eigenwerte von J sind nun p2 + p + 1 (Vielfachheit 1) und 0 (Vielfachheit p2 + p). A2 hat daher die Eigenwerte p2 + 2p + 1 = (p + 1)2 der Vielfachheit 1 und p mit der Vielfachheit p2 + p. Da A eine reelle symmetrische Matrix ist und daher diagonalisierbar, finden wir, dass A den √ Eigenwert p + 1 oder −(p + 1) hat, und p2 + p Eigenwerte gleich ± p. Aus dem Resultat 1 von oben sehen wir, dass der erste Eigenwert p + 1 sein √ √ muss. Angenommen, p hat Vielfachheit r und − p Vielfachheit s, dann gilt √ √ Spur A = (p + 1) + r p − s p. Aber jetzt sind wir am Ziel: Da die Spur eine ganze Zahl ist, muss r = s gelten, und somit Spur A = p + 1. 

6. Sperners Lemma Im Jahr 1912 publizierte Luitzen Brouwer seinen ber¨uhmten Fixpunktsatz: Jede stetige Abbildung f : B n −→ B n einer n-dimensionalen Kugel auf sich selbst hat mindestens einen Fixpunkt (also einen Punkt x ∈ B n mit f (x) = x). F¨ur Dimension 1, also f¨ur ein Intervall, folgt dies leicht aus dem Zwischenwertsatz, aber f¨ur h¨ohere Dimensionen war Brouwers Beweis einigermaßen ¨ kompliziert. Es war daher eine große Uberraschung, als 1928 der junge Emanuel Sperner (er war damals 23) ein einfaches kombinatorisches Resultat vorlegte, aus dem sowohl Brouwers Fixpunktsatz wie auch die Invarianz der Dimension unter umkehrbar stetigen Abbildungen gefolgert werden konnten. Und dar¨uber hinaus hatte Sperners elegantes Lemma einen gleichermaßen eleganten Beweis — der wieder nichts anderes als doppeltes Abz¨ahlen ist. Wir pr¨asentieren Sperners Lemma und den Fixpunktsatz von Brouwer f¨ur den ersten interessanten Fall, wenn die Dimension n = 2 ist. Die Leser sollten keine Schwierigkeiten haben, die Beweise auf h¨ohere Dimensionen zu verallgemeinern (durch Induktion u¨ ber die Dimension).

195

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen Sperners Lemma (fur ¨ n = 2). Angenommen, ein großes“ Dreieck mit Ecken V1 , V2 , V3 wird trianguliert, ” also in eine endliche Zahl von kleinen“ Dreiecken zerlegt, die Kante an ” Kante zusammenstoßen. Weiterhin nehmen wir an, dass die Ecken der Triangulierung Farben“ aus ” der Menge {1, 2, 3} erhalten, so dass Vi jeweils die Farbe i erh¨alt, und f¨ur die Ecken entlang der Kante von Vi nach Vj nur die Farben i und j benutzt werden, w¨ahrend wir im Inneren keine Einschr¨ankungen machen: die inneren Ecken k¨onnen beliebig mit 1, 2 oder 3 gef¨arbt werden. Dann muss es in der Triangulierung stets ein kleines 3-gef¨arbtes“ Dreieck ” geben, dessen Ecken mit den drei verschiedenen Farben gef¨arbt sind.  Beweis. Wir beweisen eine st¨arkere Aussage: die Anzahl der 3-gef¨arbten Dreiecke ist nicht nur ungleich Null, sie ist immer ungerade. Wir betrachten den zur Triangulierung dualen Graphen, nehmen aber nicht alle Kanten, sondern nur die, die eine Kante in der Triangulierung kreuzen, deren Endecken mit den verschiedenen Farben 1 und 2 gef¨arbt sind. Auf diese Weise erhalten wir einen partiellen dualen Graphen“, der Grad 1 hat ” in allen Ecken, die 3-gef¨arbten Dreiecken entsprechen, Grad 2 f¨ur alle Dreiecke, in denen die zwei Farben 1 und 2 verwendet werden, und Grad 0 f¨ur Dreiecke, die nicht beide Farben 1 und 2 enthalten. Wir sehen somit, dass nur den 3-gef¨arbten Dreiecken Ecken von ungeradem Grad (vom Grad 1) entsprechen. Als N¨achstes u¨ berlegen wir uns, dass die Ecke des dualen Graphen, die zur a¨ ußeren Region der Triangulierung geh¨ort, ungeraden Grad hat: Entlang der großen Kante V1 nach V2 gibt es eine ungerade Zahl von Wechseln zwischen den Farben 1 und 2. Somit kreuzt eine ungerade Zahl von Kanten des partiellen dualen Graphen diese große Kante, w¨ahrend die anderen großen Kanten nicht beide Farben 1 und 2 enthalten k¨onnen. Da die Anzahl der ungeraden Ecken in jedem endlichen Graphen gerade ist (siehe Gleichung (4)), muss die Anzahl der kleinen Dreiecke mit drei verschiedenen Seiten (die den ungeraden Ecken des dualen Graphen im Inneren entsprechen) ungerade sein.  Aus diesem Lemma k¨onnen wir nun leicht Brouwers Satz ableiten.  Beweis von Brouwers Fixpunktsatz (fur ¨ n = 2). Sei ∆ das Dreieck in R3 mit den Ecken e1 = (1, 0, 0), e2 = (0, 1, 0), und e3 = (0, 0, 1). Es gen¨ugt zu zeigen, dass jede stetige Abbildung f : ∆ −→ ∆ einen Fixpunkt hat, da ∆ zur 2-dimensionalen Kugel B2 hom¨oomorph ist. Wir bezeichnen mit δ(T ) die maximale L¨ange einer Kante in einer Triangulierung T . Es ist leicht, eine unendliche Folge von Triangulierungen T1 , T2 , . . . von ∆ zu konstruieren, so dass die Folge der maximalen Durchmesser δ(Tk ) gegen 0 konvergiert. So eine Folge kann man direkt konstruieren oder induktiv, zum Beispiel indem man f¨ur Tk+1 die baryzentrische Unterteilung von Tk nimmt. F¨ur jede dieser Triangulierungen definieren wir eine 3-F¨arbung der Ecken v, indem wir λ(v) := min{i : f (v)i < vi } setzen, so dass also λ(v) der

3 1 3

3

2

1

1

1

3 2

1

2

3

2

2

1

Die Dreiecke mit drei verschiedenen Farben sind schraffiert.

3 1 3

3

2

1

1

1

3 1

2

2

3

2

1

2

196

Schubfachprinzip und doppeltes Abz¨ahlen kleinste Index i ist, f¨ur den die i-te Koordinate von f (v) − v negativ ist. Unter der Annahme, dass f keinen Fixpunkt hat, ist diese F¨arbung wohldefiniert. Um dies zu sehen, bemerken wir zun¨aP chst, dass jedes v ∈ ∆ in der Ebene x1 + x2 + x3 = 1 liegt, und somit i vi = 1 gilt. Wenn also f (v) 6= v ist, dann muss mindestens eine der Koordinaten von f (v) − v negativ sein (und mindestens eine muss positiv sein). Pr¨ufen wir nach, dass diese F¨arbung den Anforderungen von Sperners Lemma gen¨ugt. Die Ecke ei muss die Farbe i erhalten, da die einzig m¨ogliche negative Koordinate von f (ei ) − ei die i-te Koordinate ist. Liegt aber v auf der Kante gegen¨uber ei , dann gilt vi = 0, also kann die i-te Koordinate von f (v) − v nicht negativ sein, und somit v nicht die Farbe i erhalten. Sperners Lemma besagt somit, dass es in jeder Triangulierung Tk ein 3-gef¨arbtes Dreieck {vk:1 , v k:2 , v k:3 } mit λ(v k:i ) = i geben muss. Die Folge der Punkte (v k:1 )k≥1 muss nicht konvergieren, aber da ∆ kompakt ist, existiert eine konvergente Teilfolge. Ersetzen wir die Folge der Tk durch die entsprechende Teilfolge (welche wir der Einfachheit halber wieder mit Tk bezeichnen), so k¨onnen wir annehmen, dass (v k:1 )k gegen einen Punkt v ∈ ∆ konvergiert. Nun ist der Abstand von v k:2 und v k:3 zu v k:1 h¨ochstens so groß wie die Maschenl¨ange δ(Tk ) — und die strebt gegen 0. Also konvergieren die Folgen (v k:2 ) und (v k:3 ) gegen denselben Punkt v. Aber wo liegt f (v)? Wir wissen, dass die erste Koordinate f (v k:1 ) kleiner ist als die von v k:1 , f¨ur alle k. Da nun f eine stetige Abbildung ist, schließen wir, dass die erste Koordinate von f (v) kleiner oder gleich der von v ist. ¨ Dieselbe Uberlegung gilt auch f¨ur die zweite und dritte Koordinate. Also ist keine der Koordinaten von f (v) − v positiv — und wir haben bereits gesehen, dass dies der Voraussetzung f (v) 6= v widerspricht. 

Literatur ¨ [1] L. E. J. B ROUWER : Uber Abbildungen von Mannigfaltigkeiten, Math. Annalen 71 (1912), 97-115. [2] W. G. B ROWN : On graphs that do not contain a Thomsen graph, Canadian Math. Bull. 9 (1966), 281-285. ˝ , A. R E´ NYI & V. S OS ´ : On a problem of graph theory, Studia Sci. [3] P. E RD OS Math. Hungar. 1 (1966), 215-235. ˝ & G. S ZEKERES : A combinatorial problem in geometry, Compositio [4] P. E RD OS Math. (1935), 463-470. [5] S. H OS¸ TEN & W. D. M ORRIS : The order dimension of the complete graph, Discrete Math. 201 (1999), 133-139. ¨ [6] I. R EIMAN : Uber ein Problem von K. Zarankiewicz, Acta Math. Acad. Sci. Hungar. 9 (1958), 269-273. [7] J. S PENCER : Minimal scrambling sets of simple orders, Acta Math. Acad. Sci. Hungar. 22 (1971), 349-353. [8] E. S PERNER : Neuer Beweis f¨ur die Invarianz der Dimensionszahl und des Gebietes, Abh. Math. Sem. Hamburg 6 (1928), 265-272. [9] W. T. T ROTTER : Combinatorics and Partially Ordered Sets: Dimension Theory, John Hopkins University Press, Baltimore and London 1992.

Wenn man Rechtecke zerlegt

Kapitel 26

Es gibt mathematische S¨atze mit einer eigenartigen Charakteristik: Die Aussage des Satzes ist elementar und leicht zu verstehen, aber ihn zu beweisen kann m¨uhsam sein — außer man o¨ ffnet eine geradezu magische T¨ur, und alles wird klar und einfach. Ein Beispiel ist das folgende Resultat, das auf Nicolaas de Bruijn zur¨uckgeht.

Satz. Wenn ein Rechteck in kleine Rechtecke zerlegt wird, die alle mindestens eine ganzzahlige Seitenl¨ange haben, so weist auch das große Rechteck mindestens eine ganzzahlige Seitenl¨ange auf.

Unter einer Zerlegung verstehen wir eine Bedeckung des großen Rechtecks R mit Rechtecken T1 , . . . , Tm , die paarweise leeren Schnitt im Inneren haben, wie im Beispiel am Rand. De Bruijn bewies eigentlich das folgende Resultat u¨ ber Zerlegungen eines c × d Rechtecks in kleine a × b Rechtecke: Sind a, b, c, d ganze Zahlen, so muss a wie b mindestens eine der Zahlen c oder d teilen. Dies wird sofort durch die allgemeinere Aussage von oben impliziert, indem man die Figur mit dem Faktor a1 (bzw. 1b ) verkleinert. Jedes kleine Rechteck hat dann eine Seitenl¨ange gleich 1, also muss ac oder ad eine ganze Zahl sein. Wahrscheinlich wird fast jeder zun¨achst Induktion versuchen u¨ ber die Anzahl der kleinen Rechtecke. Das funktioniert tats¨achlich, aber die Induktion muss sehr sorgf¨altig durchgef¨uhrt werden, und es gibt durchaus elegantere M¨oglichkeiten. Stan Wagon beschreibt in einer lesenswerten Arbeit nicht weniger als vierzehn Beweise, von denen wir drei ausgew¨ahlt haben, die alle ohne Induktion auskommen. Der erste, der im Wesentlichen auf de Bruijn selber zur¨uckgeht, verwendet einen sehr cleveren Trick aus der Analysis. Der zweite Beweis von Richard Rochberg und Sherman Stein ist eine diskrete Version des ersten und macht diesen noch einfacher. Die Krone geb¨uhrt aber wahrscheinlich dem dritten Beweis, der von Mike Paterson vorgeschlagen wurde: Er ist nichts weiter als doppeltes Abz¨ahlen und nur ein paar Zeilen lang. Im Folgenden nehmen wir an, dass das große Rechteck R parallel zu den x, y-Achsen mit (0, 0) in der linken unteren Ecke platziert ist. Die kleineren Rechtecke Ti haben ihre Seiten ebenfalls parallel zu den Achsen.  Erster Beweis. Es sei T irgendein Rechteck in der Ebene, wobei T sich auf der x-Achse von a nach b erstreckt und auf der y-Achse von c nach d.

Das große Rechteck hat Seitenl¨angen 11 und 8.5.

198

Wenn man Rechtecke zerlegt Hier ist de Bruijns Trick. Man betrachte das Doppelintegral u¨ ber T , Z dZ b e2πi(x+y) dx dy. c

Da

Z

c

dZ b

e

2πi(x+y)

(1)

a

dx dy =

a

Z

a

b

e

2πix

dx ·

Z

d

e2πiy dy

c

gilt, folgt, dass das Integral in (1) dann und nur dann gleich 0 ist, wenn Rb Rd mindestens einer der Ausdr¨ucke a e2πix dx oder c e2πiy dy gleich 0 ist. Wir werden zeigen, dass Z b e2πix dx = 0 ⇐⇒ b − a ist eine ganze Zahl (2) a

ZZ R

f (x, y) =

X ZZ i

gilt. Aber dann sind wir fertig! RRNach der Annahme u¨ ber die Zerlegung ist n¨amlich jedes Doppelintegral Ti gleich 0, und daher gilt wegen der AddiRR tivit¨at des Integrals auch R = 0 und somit hat R eine ganzzahlige Seite. Wir m¨ussen also nur noch (2) verifizieren. Mit Z b 1 2πix b 1 2πib−2πia e (e ) e2πix dx = = 2πi 2πi a a

f (x, y)

Ti

Additivit¨at des Integrals

=

e2πia 2πi(b−a) (e − 1) 2πi

schließen wir Z

b a

e2πix dx = 0

⇐⇒

e2πi(b−a) = 1,

und mit e2πix = cos 2πx + i sin 2πx sehen wir, dass die letzte Gleichung wiederum a¨ quivalent zu cos 2π(b − a) = 1 und sin 2π(b − a) = 0 ist. Da cos x = 1 genau f¨ur die ganzzahligen Vielfachen von 2π gilt, muss b − a ∈ Z sein, und daraus folgt auch sin 2π(b − a) = 0.  y x

Der Anteil von schwarz in dem EckRechteck ist min(x, 12 ) · min(y, 21 ) + max(x − 21 , 0) · max(y − 12 , 0), und das ist stets gr¨oßer als 21 xy.

 Zweiter Beweis. Man f¨arbe die Ebene in einem Schachbrettmuster mit schwarzen/weißen Quadraten der Gr¨oße 12 × 21 , wobei wir mit einem schwarzen Quadrat im Punkt (0, 0) starten. Nach der Annahme u¨ ber die Zerlegung muss jedes kleine Rechteck Ti gleich viel schwarz und weiß enthalten, und daher muss auch im großen Rechteck R der Anteil von schwarz und weiß gleich groß sein. Dies impliziert aber, dass R eine ganzzahlige Seite haben muss, da es anderenfalls in vier Teile zerlegt werden kann, von denen drei gleiche Anteile von schwarz und weiß besitzen, w¨ahrend das St¨uck in der rechten oberen Ecke verschiedene Anteile aufweist. Ist n¨amlich x = a − ⌊a⌋, y = b − ⌊b⌋, also 0 < x, y < 1, so ist der Anteil von schwarz gr¨oßer als der von weiß, wie aus der Figur am Rand zu erkennen ist. 

199

Wenn man Rechtecke zerlegt  Dritter Beweis. Es sei C die Menge der Ecken in der Zerlegung, f¨ur die beide Koordinaten ganzzahlig sind (zum Beispiel ist (0, 0) ∈ C), und T sei die Menge der kleinen Rechtecke. Daraus machen wir nun einen bipartiten Graphen mit der Eckenmenge C ∪ T , wobei c ∈ C benachbart ist zu allen Rechtecken, f¨ur die es eine Ecke in der Zerlegung darstellt. Aus der Voraussetzung folgt, dass jedes Rechteck 0, 2 oder 4 Ecken in C als Nachbarn hat. Ist n¨amlich eine Ecke des Rechtecks in C, dann auch die am anderen Ende einer ganzzahligen Seite. Der Graph G hat also eine gerade Anzahl von Kanten. Nun sehen wir uns C an. Jede Ecke aus C im Inneren oder entlang einer Seite von R hat in G eine gerade Anzahl von Rechtecken als Nachbarn, w¨ahrend die Ecke (0, 0) zu genau einem Rechteck benachbart ist. Also muss es noch ein weiteres c ∈ C mit ungeradem Grad geben, und dieses c kann nur eine der anderen Ecken von R sein. 

In dieser Zeichnung von G sind die Ecken in C weiß, die Ecken in T schwarz und die Kanten gestrichelt.

Alle drei Beweise k¨onnen leicht erweitert werden, so dass sie auch die folgende n-dimensionale Version des Satzes von de Bruijn liefern: Wenn ein n-dimensionaler Quader R in kleine Quader zerlegt wird, die alle mindestens eine ganzzahlige Kantenl¨ange haben, dann hat auch R eine ganzzahlige Kantenl¨ange. Wir wollen unsere Diskussion aber in diesem Kapitel in der Ebene halten, und nehmen uns daher ein Gegenst¨uck zu de Bruijns Resultat vor, das von Max Dehn stammt (viele Jahre fr¨uher) und ganz a¨ hnlich klingt, f¨ur den Beweis aber andere Ideen verlangt. Satz. Ein Rechteck kann genau dann in Quadrate zerlegt werden, wenn der Quotient der Seitenl¨angen eine rationale Zahl ist. Eine H¨alfte des Satzes ist leicht. Angenommen das Rechteck R hat Seip α tenl¨angen α and β mit α β ∈ Q, also β = q , wobei p, q ∈ N ist. Setzen wir

p Quadrate s

s := αp = βq , so k¨onnen wir wie in der Zeichnung R sofort in Quadrate der β Gr¨oße s × s zerlegen. F¨ur den Beweis der Umkehrung verwandte Max Dehn eine elegante Schlussweise, die er schon erfolgreich in seiner L¨osung des Hilbertschen dritten Problems angewandt hatte (siehe Kapitel 9). Die beiden Arbeiten erschienen in aufeinanderfolgenden Jahren in den Mathematischen Annalen.  Beweis. Es sei R in Quadrate m¨oglicherweise verschiedener Gr¨oßen zerlegt, wobei wir durch Skalierung voraussetzen k¨onnen, dass R ein a × 1 Rechteck ist. Wir nehmen nun a 6∈ Q an und leiten daraus einen Widerspruch ab. Im ersten Schritt verl¨angern wir die Seiten der Quadrate zur vollen Breite bzw. H¨ohe von R wie in der Abbildung.

q Quadrate

α

200

Wenn man Rechtecke zerlegt Das große Rechteck R ist nun in eine Anzahl von kleinen Rechtecken zerlegt; es seien a1 , a2 , . . . , aM ihre Seitenl¨angen (in irgendeiner Reihenfolge) und A = {1, a, a1 , . . . , aM } ⊆ R . Im zweiten Schritt verwenden wir Lineare Algebra. Wir definieren V (A) als den Vektorraum aller Linearkombinationen der Zahlen in A mit rationalen Koeffizienten. Man bemerke, dass V (A) alle Seitenl¨angen der Quadrate in der urspr¨unglichen Zerlegung enth¨alt, da jede solche Seitenl¨ange die Summe einiger ai s ist. Da die Zahl a nicht rational ist, k¨onnen wir {1, a} zu einer Basis B von V (A) erweitern, B = {b1 = 1, b2 = a, b3 , . . . , bm } . Schließlich definieren wir die Funktion f : B → R durch f (1) := 1,

Lineare Erweiterung: f (q1 b1 + · · · + qm bm ) := q1 f (b1 ) + · · · + qm f (bm ) f¨ur q1 , . . . , qm ∈ Q.

f (a) := −1 und f (bi ) := 0 f¨ur i ≥ 3

und erweitern sie linear auf V (A). Die folgende Definition der Funktion Inhalt“ von Rechtecken wird den ” Beweis in drei schnellen Schritten beenden: F¨ur c, d ∈ V (A) sei der Inhalt des c × d Rechtecks als Inhalt(

c

d ) = f (c)f (d).

erkl¨art. (1) Inhalt(

c1 c2

d ) = Inhalt(

c1

d ) + Inhalt(

c2

d ).

Dies folgt sofort aus der Linearit¨at von f , wobei das analoge Resultat nat¨urlich auch f¨ur senkrechte Streifen gilt. P (2) Inhalt(R) = Inhalt( ), wobei die Summe alle Quadrate in Quadrate

der urspr¨unglichen Zerlegung durchl¨auft.

Dazu m¨ussen wir nur bemerken, dass nach (1) Inhalt(R) gleich der Summe der Inhalte aller kleinen Rechtecke in der erweiterten Zerlegung ist. Da jedes solche kleine Rechteck in genau einem Quadrat der urspr¨unglichen Zerlegung liegt, so sehen wir, wieder mit (1), dass diese Summe die rechte Seite von (2) ergibt. (3) Wir haben Inhalt(R) = f (a)f (1) = −1, ) = f (t)2 ≥ 0 w¨ahrend f¨ur ein Quadrat der Seitenl¨ange t Inhalt( t ist und daher X ) ≥ 0, Inhalt( Quadrate

und das ist der gew¨unschte Widerspruch.



Wenn man Rechtecke zerlegt

201

All jenen, die noch mehr u¨ ber Zerlegungen in der Ebene erfahren wollen, ¨ empfehlen wir w¨armstens den wunderbaren Ubersichtsartikel [1] von Federico Ardila and Richard Stanley.

Literatur [1] F. A RDILA AND R. P. S TANLEY: Pflasterungen, Math. Semesterberichte 53 (2006), 17-43. [2] N. G. DE B RUIJN : Filling boxes with bricks, Amer. Math. Monthly 76 (1969), 37-40. ¨ [3] M. D EHN : Uber die Zerlegung von Rechtecken in Rechtecke, Mathematische Annalen 57 (1903), 314-332. [4] S. WAGON : Fourteen proofs of a result about tiling a rectangle, Amer. Math. Monthly 94 (1987), 601-617.

Himmel-und-H¨olle mit neuen Regeln: ” Ganze Zahlen betreten verboten!“

¨ Drei beruhmte ¨ Satze uber ¨ endliche Mengen

Kapitel 27

In diesem Kapitel besch¨aftigen wir uns mit einem Grundproblem der Kombinatorik: Eigenschaften und Gr¨oßen von speziellen Familien von Teilmengen einer endlichen Menge N = {1, 2, . . . , n}. Wir beginnen mit zwei Klassikern in diesem Gebiet, den S¨atzen von Sperner und Erd˝os-Ko-Rado. Beiden Resultaten ist gemein, dass sie viele Male wieder entdeckt wurden und dass sie jeweils ein neues Gebiet der kombinatorischen Mengenlehre initiiert haben. F¨ur beide S¨atze scheint Induktion die nat¨urliche Methode zu sein, aber die Ideen, die wir besprechen werden, sind von anderer Natur und wahrhaft inspiriert. Im Jahr 1928 stellte (und beantwortete) Emanuel Sperner die folgende Frage: Angenommen wir haben die Menge N = {1, 2, . . . , n} gegeben. Wir nennen eine Familie F von Teilmengen von N ein Antikette, falls keine Menge aus F ein andere Menge der Familie F enth¨alt. Wie groß kann eine Antikette sein? Offenbar erf¨ullt die  Familie Fk aller k-Mengen die Antiketteneigenschaft mit |Fk | = nk . Nehmen wir also das Maximum der Binomialkoeffizienten (siehe   Seite 12), so finden wir eine Antikette der n Gr¨oße ⌊n/2⌋ = maxk nk . Sperners Satz besagt, dass es keine gr¨oßeren geben kann: Satz 1. Die M¨achtigkeit einer gr¨oßten Antikette von Teilmengen einer  n n-Menge ist ⌊n/2⌋ .

 Beweis. Unter den vielen Beweisen dieses Satzes ist der folgende, der auf David Lubell zur¨uckgeht, wahrscheinlich der k¨urzesteund eleganteste. n Sei F eine beliebige Antikette. Wir haben |F| ≤ ⌊n/2⌋ zu zeigen. Der Schl¨ussel zum Beweis liegt darin, dass wir Ketten von Teilmengen ∅ = C0 ⊂ C1 ⊂ C2 ⊂ · · · ⊂ Cn = N betrachten, wobei |Ci | = i ist f¨ur i = 0, . . . , n. Wie viele solcher Ketten gibt es? Offensichtlich erhalten wir eine Kette, indem wir nacheinander die Elemente von N dazugeben, mit anderen Worten, es gibt genauso viele Ketten wie es Permutationen von N gibt, n¨amlich n!. Als N¨achstes fragen wir, wie viele dieser Ketten ein gegebenes A ∈ F enthalten. Das ist wieder leicht zu beantworten. Um von ∅ nach A zu gelangen, m¨ussen wir die Elemente von A Schritt f¨ur Schritt dazugeben, und um dann von A nach N zu gehen, m¨ussen wir die u¨ brigen Elemente hinzugeben. Enth¨alt also A genau k Elemente, so sehen wir, indem wir alle Paare von Ketten zusammenf¨ugen, dass es genau k!(n − k)! solcher Ketten gibt. Man beachte, dass keine Kette zwei verschiedene Mengen A und B von F enthalten kann, weil F eine Antikette ist.

Emanuel Sperner

204

Drei ber¨uhmte S¨atze u¨ ber endliche Mengen Um den Beweis abzuschließen, P bezeichnen wir mit mk die Anzahl der kn Mengen in F . Somit gilt |F | = k=0 mk . Aus unserer obigen Diskussion folgt, dass die Anzahl der Ketten, die irgendeine Menge aus F enthalten, gleich n X mk k! (n − k)! k=0

ist, und dieser Ausdruck kann nicht mehr sein als die Anzahl n! aller Ketten. Daraus folgern wir n X

mk

k=0

Man u¨ berpr¨uft leicht, dass die Familie aller n2 -Mengen f¨ur gerades n bzw. die zwei Familien aller n−1 -Mengen und 2 aller n+1 -Mengen, wenn n ungerade 2 ist, die einzigen Antiketten sind, die die maximale Gr¨oße erreichen!

k!(n − k)! ≤ 1, n!

oder

n X mk  ≤ 1. n k=0

k

Ersetzen wir die Nenner durch den gr¨oßten Binomialkoeffizienten so erhalten wir daraus   n n X X 1 n  m ≤ 1, also |F | = m ≤ , k k n ⌊n/2⌋ ⌊n/2⌋ k=0

und der Beweis ist vollst¨andig.

k=0



Unser zweites Resultat ist von anderer Art. Wieder betrachten wir die Menge N = {1, . . . , n}. Wir nennen eine Familie F von Teilmengen von N eine Schnittfamilie, wenn zwei Mengen in F immer mindestens ein Element gemeinsam haben. Es ist unmittelbar klar, dass die M¨achtigkeit einer gr¨oßten Schnittfamilie 2n−1 ist. Ist n¨amlich A ∈ F, so hat das Komplement Ac = N \A leeren Durchschnitt mit A und kann daher nicht in F sein. Es folgt, dass eine Schnittfamilie h¨ochstens die H¨alfte aller 2n Teilmengen enthalten kann, also |F | ≤ 2n−1 . Auf der anderen Seite betrachten wir die Familie aller Mengen, die ein festes Element enthalten, etwa die Familie F1 aller Mengen, die die 1 enthalten. F¨ur diese Familie gilt |F1 | = 2n−1 , und dieses Problem ist gel¨ost. Nun stellen wir die folgende Frage: Wie groß kann eine Schnittfamilie F sein, wenn alle Mengen in F dieselbe Gr¨oße haben, sagen wir k ? Wir wollen solche Familien k-Schnittfamilien nennen. Um uninteressante F¨alle auszuschließen, setzen wir n ≥ 2k voraus, da sonst zwei k-Mengen immer einen nichtleeren Schnitt haben, und daher nichts zu beweisen ist. Wie in dem obigen Beispiel erhalten wir eine solche Familie F1 , indem wir alle k-Mengen nehmen, die das feste Element 1 enthalten. Offensichtlich erhalten wir alle Mengen in F1 , indem wir 1 zu allen  (k − 1)-Teilmengen von {2, 3, . . . , n} dazugeben, woraus |F1 | = n−1 oßek−1 folgt. Gibt es noch gr¨ re? Nein — und das ist der Inhalt des Satzes von Erd˝os-Ko-Rado: Satz 2. Die gr¨oßte M¨achtigkeit einer k-Schnittfamilie in einer n-Menge ist n−1 ur n ≥ 2k. k−1 , f¨

Paul Erd˝os, Chao Ko und Richard Rado bewiesen dieses Resultat 1938, publizierten es aber erst 23 Jahre sp¨ater. In den Jahren seither wurde eine Vielzahl von Beweisen und Varianten pr¨asentiert, aber die folgende Idee von Gyula Katona ist besonders elegant.

205

Drei ber¨uhmte S¨atze u¨ ber endliche Mengen  Beweis. Der Schl¨ussel zum Beweis ist das folgende einfache Lemma, das auf den ersten Blick mit unserem Problem u¨ berhaupt nichts zu tun hat. Man betrachte einen Kreis C, der durch n Punkte in n Kanten zerlegt ist. Ein Bogen der L¨ange k besteht aus k + 1 aufeinander folgenden Punkten und den k Kanten zwischen diesen Punkten. Lemma. Sei n ≥ 2k, und seien die t verschiedenen B¨ogen A1 , . . . , At der L¨ange k gegeben, so dass je zwei B¨ogen eine Kante gemeinsam haben. Dann gilt t ≤ k.

Zum Beweis des Lemmas beachte man zuerst, dass jeder Punkt von C Endpunkt von h¨ochstens einem Bogen ist. H¨atten n¨amlich Ai und Aj einen gemeinsamen Endpunkt v, dann w¨urden wir diese B¨ogen in verschiedenen Richtungen durchlaufen m¨ussen (da sie verschieden sind). Aber dann k¨onnen sie wegen n ≥ 2k keine Kante gemeinsam haben. Nehmen wir nun den ersten Bogen A1 . Da jeder weitere Bogen Ai (i ≥ 2) eine Kante mit A1 gemeinsam hat, ist einer der Endpunkte von Ai ein innerer Punkt von A1 . Da diese Endpunkte aber, wie wir eben gesehen haben, verschieden sein m¨ussen, und da A1 genau k − 1 innere Punkte enth¨alt, k¨onnen wir folgern, dass es h¨ochstens k − 1 weitere B¨ogen geben kann, also h¨ochstens k B¨ogen insgesamt. 

Punkt

Kante

Ein Kreis C f¨ur n = 6. Die fetten Kanten stellen einen Bogen der L¨ange 3 dar.

Nun fahren wir mit dem Beweis des Satzes von Erd˝os-Ko-Rado fort. Sei F eine k-Schnittfamilie. Wie eben betrachten wir einen Kreis C mit n Punkten und n Kanten. Wir nehmen irgendeine zyklische Permutation π = (a1 , a2 , . . . , an ) und schreiben die Zahlen ai im Uhrzeigersinn neben die Kanten von C. Nun wollen wir die Anzahl der Mengen A ∈ F abz¨ahlen, die als k aufeinander folgende Zahlen in C erscheinen. Da F eine Schnittfamilie ist, folgt aus unserem Lemma, dass wir h¨ochstens k solche Mengen erhalten. Da dies f¨ur jede zyklische Permutation gilt, und da es (n − 1)! zyklische Permutationen gibt, ergibt dies h¨ochstens k(n − 1)! Mengen von F , die als aufeinander folgende Elemente irgendeiner zyklischen Permutation auftauchen. Wie oft z¨ahlen wir dabei eine feste Menge A ∈ F? Das ist leicht: A erscheint in π genau dann, wenn die k Elemente von A in einer gewissen Ordnung hintereinander erscheinen. Wir haben also k! M¨oglichkeiten, um A hintereinander aufzuschreiben, und weitere (n − k)! M¨oglichkeiten, um die u¨ brigen Elemente anzuordnen. Wir sehen also, dass jede feste Menge A in genau k!(n−k)! zyklischen Permutationen auftritt, also gilt   k(n − 1)! (n − 1)! n−1 |F | ≤ = = .  k!(n − k)! (k − 1)!(n − k)! k−1 Wieder k¨onnen wir die Frage stellen, ob die Familien, die ein festes Element enthalten, die einzigen k-Schnittfamilien von maximaler Gr¨oße sind. Dies ist f¨ur n = 2k sicher nicht richtig. Zum Beispiel hat f¨ur n = 4 und k = 2 die Familie {1, 2}, {1, 3}, {2, 3} ebenfalls die Gr¨oße 31 = 3.

1 3 2

4

Eine Schnittfamilie f¨ur n = 4, k = 2

206

Drei ber¨uhmte S¨atze u¨ ber endliche Mengen Allgemein erhalten  wir f¨ur n  = 2k die k-Schnittfamilien der maximalen M¨achtigkeit 12 nk = n−1 k−1 , indem wir auf beliebige Weise von jeder k-Menge jeweils entweder sie selbst oder ihr Komplement verwenden. Aber f¨ur n > 2k sind die speziellen Familien, die ein festes Element enthalten, tats¨achlich die einzigen. Die Leser sind eingeladen, sich Beweise daf¨ur zu u¨ berlegen. Als N¨achstes besprechen wir das dritte Resultat, welches wahrscheinlich das wichtigste grundlegende Theorem in der endlichen Mengenlehre ist: den Heiratssatz“ von Philip Hall, bewiesen im Jahr 1935. Der Heiratssatz ” war Ausgangspunkt des Gebietes, das wir heute Matching-Theorie nennen, mit einer Vielzahl von Anwendungen, von denen wir einige im Weiteren sehen werden (siehe zum Beispiel Kapitel 32 u¨ ber Lateinische Quadrate). Wir betrachten eine endliche Menge X und eine Folge A1 , A2 . . . , An von Teilmengen von X (die nicht alle verschieden sein m¨ussen). Wir nennen eine Folge x1 , . . . , xn ein System von verschiedenen Vertretern f¨ur {A1 , . . . , An }, falls die xi verschiedene Elemente von X sind mit xi ∈ Ai f¨ur alle i. Nat¨urlich muss so ein System, abgek¨urzt SDR (f¨ur “system of distinct representatives”), nicht existieren, zum Beispiel wenn eine der Mengen Ai leer ist. Der Inhalt des Satzes von Hall ist die genaue Bedingung daf¨ur, wann ein SDR existiert. Bevor wir den Satz formulieren, wollen wir uns die Interpretation ansehen, die dem Resultat den Namen Heiratssatz gab: Gegeben sei eine Menge {1, . . . , n} von M¨adchen und eine Menge X von Jungen. Immer wenn x ∈ Ai ist, dann sind das M¨adchen i und der Junge x daran interessiert zu heiraten, das heißt, Ai ist gerade die Menge der m¨oglichen Heiratskandidaten von M¨adchen i. Ein SDR stellt dann eine Massenhochzeit dar, in der jedes M¨adchen einen Jungen heiratet, den es mag — ohne Bigamie. Zur¨uck zu Mengen, hier ist die Aussage des Resultates.

Eine Massenhochzeit“ ”

Satz 3. Sei A1 , A2 , . . . , An eine Familie von Teilmengen einer endlichen Menge X. Ein System von verschiedenen Vertretern f¨ur diese Folge existiert dann und nur dann, wenn f¨ur 1 ≤ m ≤ n jede Vereinigung von m Mengen Ai mindestens m Elemente enth¨alt. Die Bedingung ist offenkundig notwendig: Falls m Mengen Ai zusammen weniger als m Elemente enthalten, dann k¨onnen diese m Mengen sicherlich nicht durch verschiedene Elemente vertreten werden. Aber es ist einigermaßen u¨ berraschend (und der Grund f¨ur die universelle Anwendbarkeit des Satzes), dass diese offensichtlich notwendige Bedingung auch hinreichend ist. Der Originalbeweis von Hall war ziemlich kompliziert; sp¨ater wurden mehrere ganz verschiedene Beweise angegeben, von denen der folgende (der auf Easterfield zur¨uckgeht und von Halmos und Vaughan wieder entdeckt wurde) vielleicht der nat¨urlichste ist.  Beweis. Wir verwenden Induktion u¨ ber n. F¨ur n = 1 ist nichts zu zeigen. Sei n > 1, und {A1 , . . . , An } eine Familie, die die Bedingung des Satzes erf¨ullt; wir wollen diese Bedingung mit (H) abk¨urzen. Wir nennen

207

Drei ber¨uhmte S¨atze u¨ ber endliche Mengen eine Unterfamilie von ℓ Mengen Ai mit 1 ≤ ℓ < n eine kritische Familie, falls ihre Vereinigung genau ℓ Elemente enth¨alt. Nun unterscheiden wir zwei F¨alle. Fall 1: Es gibt keine kritische Familie. Es sei x ein beliebiges Element von An . Wir entfernen x aus der Grundmenge X und betrachten die Familie A′1 , . . . , A′n−1 mit A′i = Ai \{x}. Da es keine kritische Familie gibt, wird die Vereinigung von je m Mengen A′i mindestens m Elemente enthalten. Nach Induktion existiert also ein SDR x1 , . . . , xn−1 von {A′1 , . . . , A′n−1 }, und zusammen mit xn = x ergibt dies ein SDR f¨ur die urspr¨ungliche Familie. Fall 2: Es gibt eine kritische Familie. Durch geeignete Umnummerierung der Mengen k¨onnen wir annehmen, S e dass {A1 , . . . , Aℓ } eine kritische Familie ist. Dann gilt also ℓi=1 Ai = X e = ℓ. Da ℓ < n ist, existiert nach Induktion ein SDR f¨ur A1 , . . . , Aℓ , mit |X| e mit xi ∈ Ai f¨ur alle i ≤ ℓ. es gibt also Elemente x1 , . . . , xℓ von X

Nun betrachten wir die Restfamilie Aℓ+1 , . . . , An , und nehmen irgendwelche m von diesen Mengen. Da die Vereinigung von A1 , . . . , Aℓ und diesen m Mengen wegen Bedingung (H) mindestens ℓ + m Elemente enthalten, e schließen wir, dass die m Mengen mindestens m Elemente außerhalb X enthalten. Mit anderen Worten, die Bedingung (H) ist f¨ur die Mengen e . . . , An \X e Aℓ+1 \X,

erf¨ullt. Nach Induktion existiert also ein SDR f¨ur Aℓ+1 , . . . , An disjunkt e Kombination mit x1 , . . . , xℓ ergibt ein SDR f¨ur alle Mengen Ai , von X. und der Beweis ist beendet.  Wie wir bemerkt haben, war der Satz von Hall der Anfang eines heute fast un¨uberschaubaren Gebietes, der Matching-Theorie (siehe zum Beispiel [6]). Unter den vielen Varianten und Verallgemeinerungen wollen wir nur ein besonders attraktives Resultat erw¨ahnen und die Leser einladen, einen Beweis zu finden: Angenommen die Mengen A1 , . . . , An haben alle die Gr¨oße k, wobei kein Element in mehr als k dieser Mengen enthalten ist. Dann existieren k verschiedene SDRs, so dass f¨ur jedes i die k Vertreter von Ai verschieden sind und zusammen also die Menge Ai bilden. Ein sch¨ones Resultat, das bemerkenswerte M¨oglichkeiten f¨ur Massenhochzeiten er¨offnen sollte.

A

B

C D E

{B, C, D} ist eine kritische Familie.

208

Drei ber¨uhmte S¨atze u¨ ber endliche Mengen

Literatur [1] T. E. E ASTERFIELD : A combinatorial algorithm, J. London Math. Soc. 21 (1946), 219-226. ˝ , C. KO & R. R ADO : Intersection theorems for systems of finite sets, [2] P. E RD OS Quart. J. Math. (Oxford), Ser. (2) 12 (1961), 313-320. [3] P. H ALL : On representatives of subsets, J. London Math. Soc. 10 (1935), 26-30. [4] P. R. H ALMOS & H. E. VAUGHAN : The marriage problem, Amer. J. Math. 72 (1950), 214-215. [5] G. K ATONA : A simple proof of the Erd˝os-Ko-Rado theorem, J. Combinatorial Theory, Ser. B 13 (1972), 183-184. ´ & M. D. P LUMMER : Matching Theory, Akad´emiai Kiad´o, Buda[6] L. L OV ASZ pest 1986. [7] D. L UBELL : A short proof of Sperner’s theorem, J. Combinatorial Theory 1 (1966), 299. [8] E. S PERNER : Ein Satz u¨ ber Untermengen einer endlichen Menge, Math. Zeitschrift 27 (1928), 544-548.

Gut genug gemischt?

Kapitel 28

Wie oft muss man ein Kartenspiel mischen, bis es zuf¨allig genug ist? Zufallsprozesse zu analysieren ist ein h¨aufiges Problem — sowohl im wirklichen Leben ( wie lange braucht man, um im Berufsverkehr zum Flug” hafen zu kommen?“) als auch in der Mathematik. Nat¨urlich bekommt man sinnvolle Antworten auf solche Probleme nur dann, wenn man es schafft, wirklich sinnvolle Fragen zu formulieren. F¨ur das Kartenmischen heisst dies, dass wir • die Gr¨oße des Kartenspiels festlegen m¨ussen (z. B. n = 52 Karten), dann • sagen m¨ussen, mit welcher Methode gemischt wird (hier werden wir zuerst das zuf¨allige Hineinstecken der obersten Karte analysieren und dann das realistischere und effektivere zuf¨allige Ineinanderschieben eines vorher zuf¨allig geteilten Stapels), und schließlich • m¨ussen wir erkl¨aren, was mit zuf¨allig“ bzw. zuf¨allig genug“ gemeint ” ” sein soll. Das Thema dieses Kapitels ist damit ein Modell des Kartenmischens und seine Analyse, die auf Edgar N. Gilbert und Claude Shannon (1955, nicht publiziert) und Jim Reeds (1981, nicht publiziert) zur¨uckgeht. Unsere Darstellung folgt dem Statistiker David Aldous und dem ehemaligen Zauberer und jetzigen Mathematiker Persi Diaconis [1]. Wir werden dabei nicht ganz das endg¨ultige, pr¨azise Resultat erhalten, dass siebenmaliges Ineinanderschieben ausreichend ist, um einen Stapel von n = 52 Karten so gut zu mischen, dass er praktisch zuf¨allig ist, aber wir werden immerhin eine obere Schranke von 12 erhalten. Auf dem Weg dazu werden wir verschiedene ausgesprochen sch¨one Ideen entwickeln: Halteregeln und stark gleichverteilte Zeit“, das Lemma, dass ” die Existenz solcher Halteregeln die Variationsdistanz beschr¨ankt, das Umkehrlemma von Reeds, und damit die Interpretation des Mischens als umgekehrtes Sortieren“. Am Ende wird sich alles auf zwei klassische kom” binatorische Probleme reduzieren, n¨amlich den Bildchensammler und das Geburtstagparadoxon. Also fangen wir mit diesen an!

Das Geburtstagsparadoxon Wir betrachten n zuf¨allige Leute, etwa eine Schulklasse oder ein Seminar. Mit welcher Wahrscheinlichkeit haben sie alle verschiedene Geburtstage?

Die Visitenkarte von Persi Diaconis aus seiner Zeit als Zauberer. Wenn Du ” sagst, dass du ein Professor der Stanford University bist, dann behandeln dich die Leute mit Respekt, wenn du aber sagst, dass du Zaubertricks erfindest, dann wollen sie dir ihre Tochter nicht vorstellen.“

210

Gut genug gemischt? Mit den u¨ blichen Vereinfachungen (das Jahr hat 365 Tage, keine jahreszeitlichen Schwankungen, keine Zwillinge, usw.) ist die Wahrscheinlichkeit p(n) =

n−1 Y i=1

1−

i  , 365

also kleiner als 12 f¨ur n = 23 (das ist das Geburtstagsparadoxon“), weniger ” als 9 Prozent f¨ur n = 42, und identisch 0 f¨ur n > 365 (das Schubfach” prinzip“, siehe Kapitel 25). Die Formel ist leicht einzusehen, wenn wir die Personen in einer festen Reihenfolge betrachten: Haben die ersten i Personen unterschiedliche Geburtstage, dann ist die Wahrscheinlichkeit genau i 1 − 365 , dass die Person Nummer i + 1 die Serie nicht durchbricht, weil dann noch 365 − i Geburtstage u¨ brig sind. Legt man n Kugeln unabh¨angig voneinander zuf¨allig in K Schachteln, so ergibt sich genauso die Wahrscheinlichkeit, dass keine Schachtel mehr als eine Kugel enth¨alt, als p(n, K) =

n−1 Y i=1

1−

i  . K

Der Bildchensammler

X s≥1

(1 − x)xs−1 s =

=

X s≥1

=

X

=

X

s≥0

s≥0

xs−1 s − s

X s≥1

x (s + 1) − x

s

xs s X

xs s

s≥0

1 = , 1−x

wobei als Letztes eine geometrische Reihe aufsummiert wird.

Kinder kaufen Fotos von Popstars (oder Fussballspielern) f¨ur ihre Sammelalben, aber sie kaufen sie in kleinen undurchsichtigen Umschl¨agen, so dass sie jedesmal wieder nicht wissen, welches Foto sie bekommen. Wenn es insgesamt n verschiedene Fotos gibt, wie viele Bilder muss ein Kind dann (im Erwartungswert) kaufen, bis es jedes einzelne Motiv mindestens ein Mal bekommen hat? Ein anderes Modell f¨ur dasselbe Problem: Wenn man Kugeln blind aus einer Schale herausgreift, die n unterscheidbare Kugeln enth¨alt, die Kugel aber jedesmal wieder zur¨ucklegt und gut mischt, wie oft muss man dann im Durchschnitt ziehen, bis man jede Kugel mindestens ein Mal gezogen hat? Wenn man schon k verschiedene Kugeln gezogen hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit nk , dass man in der n¨achsten Ziehung keine neue Kugel erh¨alt. Also ist die Wahrscheinlichkeit, dass man genau s Ziehungen ben¨otigt, bis man die n¨achste neue Kugel zieht, genau ( nk )s−1 (1 − nk ). Und damit ist die erwartete Anzahl von Ziehungen bis zur n¨achsten neuen Kugel genau X  k s−1  k 1 1− s = , n n 1 − nk s≥1 wie man mit Hilfe der am Rand entwickelten Reihe feststellt. Also ist die erwartete Anzahl von Ziehungen, bis wir jede der n verschiedenen Kugeln mindestens einmal erhalten haben, gleich n−1 X k=0

1 1−

k n

=

n n n n + + ··· + + = nHn ≈ n log n, n n−1 2 1

211

Gut genug gemischt? unter Verwendung der Gr¨oßenabsch¨atzung der harmonischen Zahlen, die wir uns auf Seite 11 u¨ berlegt hatten. Die Antwort auf das BildchensammlerProblem ist also, dass wir im Erwartungswert ungef¨ahr n log n Ziehungen brauchen, um jedes Motiv mindestens ein Mal zu bekommmen. Im Folgenden werden wir eine Absch¨atzung f¨ur die Wahrscheinlichkeit ben¨otigen, dass wir deutlich mehr als n log n Ziehungen brauchen: Wenn Vn die Anzahl der Ziehungen bezeichnet (dies ist eine Zufallsvariable mit dem Erwartungswert E[Vn ] ≈ n log n), dann ist f¨ur n ≥ 1 und c ≥ 0 die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, mehr als m := ⌈n log n + cn⌉ Ziehungen zu brauchen, Prob[Vn > m] ≤ e−c .

Wenn n¨amlich Ai das Ereignis bezeichnet, dass die Kugel i in den ersten m Ziehungen nicht erwischt wird, dann ist h[ i X   Prob Ai Prob[Vn > m] = Prob Ai ≤ 

i

i

1 m = n 1− < ne−m/n ≤ e−c . n

Mit ein bißchen Analysis zeigt man, ` ´n dass 1 − n1 eine monoton steigende Funktion in n ist, die gegen 1/e konver` ´n giert. Also gilt 1 − n1 < 1e f¨ur alle n ≥ 1.

Nun nehmen wir uns ein Kartenspiel, einen Stapel von n Karten. Wir bezeichnen die Karten mit den Zahlen 1 bis n in der Reihenfolge, in der sie vorliegen — die Karte mit der 1“ ist die oberste Karte, w¨ahrend n“ ” ” die unterste bezeichnet. Mit Sn bezeichnen wir von jetzt an die Menge aller Permutationen von 1, . . . , n. Das Mischen des Stapels bedeutet somit, dass wir bestimmte zuf¨allige Permutationen auf die Ordnung der Karten anwenden. Idealerweise k¨onnte dies heißen, dass wir eine beliebige Permutation π ∈ Sn auf unsere Startreihenfolge (1, 2, . . . , n) anwen1 . Wenn wir dies den, jede Permutation mit derselben Wahrscheinlichkeit n! nur ein Mal t¨aten, so h¨atten wir unseren Kartenstapel in der Reihenfolge π = (π(1), π(2), . . . , π(n)), und dies w¨are eine perfekte Zufallsreihenfolge. Nat¨urlich sieht die Realit¨at anders aus: Beim Kartenmischen treten nur bestimmte“ Permutationen auf, vielleicht auch nicht mit gleicher Wahr” scheinlichkeit, und dies wird dann mehrmals“ wiederholt. Danach erwar” ten oder hoffen wir, dass der Stapel zuf¨allig genug“ ist. ”

Die oberste Karte zuf¨allig hineinstecken Bei dieser sehr ineffektiven Methode des Kartenmischens nehmen wir die oberste Karte vom Stapel und stecken sie wieder in den Stapel hinein, und zwar an einen der n m¨oglichen Kartenzwischenr¨aume, jeder davon mit derselben Wahrscheinlichkeit n1 . Damit wird eine der n Permutationen i ↓  τi = 2, 3, . . . , i, 1, i+1, . . . , n

auf den Stapel angewandt, 1 ≤ i ≤ n. Wenn wir dies nur ein paar Mal“ ” wiederholen, dann sieht der Kartenstapel sicher noch nicht zuf¨allig aus, wir m¨ussen also sehr oft so mischen.

So wird’s gemacht . . .“ ”

212

Gut genug gemischt? Ein typischer Ablauf des oberste-Karte-zuf¨allig-Hineinsteckens mag folgendermaßen aussehen (f¨ur n = 5): 1

2

3

2

2

4

2 3

3 4

2 4

4 1

4 1

1 5

4 5

1 5

1 5

5 3

5 3

3 2

...

Wie k¨onnen wir messen, wann der Kartenstapel zuf¨allig genug“ ist? Die ” Wahrscheinlichkeitstheoretiker haben daf¨ur unter anderem das Konzept der Variationsdistanz“ entwickelt, die ziemlich unnachsichtig die Abweichung ” vom Zufall misst. Daf¨ur schauen wir uns die Wahrscheinlichkeitsverteilung auf den n! verschiedenen m¨oglichen Reihenfolgen des Kartenstapels an, oder a¨ quivalent dazu auf den n! verschiedenen Permutationen σ ∈ Sn . Zwei Beispiele daf¨ur sind unsere Anfangsverteilung E, die durch E(id) E(π)

= 1, = 0 sonst,

gegeben ist, und die Gleichverteilung U mit U(π) =

1 n!

f¨ur alle π ∈ Sn .

Die Variationsdistanz zwischen zwei Wahrscheinlichkeitsverteilungen Q1 und Q2 wird als kQ1 − Q2 k :=

1 2

X

π∈Sn

|Q1 (π) − Q2 (π)|

erkl¨art. SetzenP wir nun S := {π ∈ Sn : Q1 (π) > Q2 (π)} und verwenden P onnen wir dies auch als π Q1 (π) = π Q2 (π) = 1, so k¨ kQ1 − Q2 k =

max |Q1 (S) − Q2 (S)|

S⊆Sn

P schreiben, mit Qi (S) := π∈S Qi (π). Offensichtlich gilt dann immer 0 ≤ kQ1 − Q2 k ≤ 1. Im Folgenden werden wir zuf¨allig genug“ inter” pretieren als kleine Variationsdistanz von der Gleichverteilung“. Dabei ist ” die Variationsdistanz zwischen der Anfangsverteilung und der Gleichverteilung fast 1: kE − Uk = 1 −

1 n! .

Nach einmaligem zuf¨alligem Hineinstecken der obersten Karte ist das noch nicht viel besser: kTop − Uk = 1 −

1 (n−1)! .

213

Gut genug gemischt? Die Wahrscheinlichkeitsverteilung auf Sn , die wir erhalten, indem wir k Mal die oberste Karte zuf¨allig in den Stapel hineinstecken, bezeichnen wir mit Top∗k . Also interessiert uns, wie sich kTop∗k − Uk verh¨alt, wenn k gr¨oßer wird, wenn wir also o¨ fter mischen. Und dieselbe Frage stellt sich f¨ur andere Methoden des Mischens. Allgemeine Theorie (insbesondere Markov-Ketten auf endlichen Gruppen; siehe z. B. Behrends [3]) impliziert, dass f¨ur große k die Variationsdistanz d(k) := kTop∗k − Uk exponentiell schnell gegen 0 geht — aber sie liefert nicht das Schwellenph¨anomen“, das man in der Praxis beobachten kann: ” f¨ur ein bestimmtes k0 ist nach k0 -maligem Mischen d(k) pl¨otzlich“ sehr ” klein. Rechts sieht man eine schematische Skizze dieser Situation.

F¨ur Kartenspieler ist die relevante Frage nicht wie groß ist nun genau die ” Abweichung von der Gleichverteilung nach einer Million Mal mischen?“, sondern reicht 7 Mal mischen?“ ” (Aldous & Diaconis [1])

d(k) 1

k0

Stark gleichverteilte Halteregeln Mit Hilfe der von Aldous und Diaconis eingef¨uhrten Halteregeln l¨asst sich ein Schwellenph¨anomen auf erstaunlich einfache Art nachweisen. Dazu stellen wir uns den Manager einer Spielbank vor, der den Mischprozess mit Adlersaugen u¨ berwacht, die einzelnen Permutationen analysiert, die auf den Kartenstapel in den einzelnen Schritten angewandt werden, und nach einer Anzahl von Schritten, die von den beobachteten Permutationen abh¨angen darf, schließlich HALT ruft. Er hat also eine Halteregel, um den Mischprozess zu beenden. Sie h¨angt nur von den (zuf¨alligen) Mischoperationen ab, die durchgef¨uhrt worden sind. Die Halteregel ist dann stark gleichverteilt, wenn die folgende Bedingung f¨ur alle m¨oglichen k erf¨ullt ist: Wenn der Prozess nach genau k Schritten abgebrochen wird, dann gilt f¨ur die daraus resultierenden Permutationen des Kartenstapels die Gleichverteilung (und zwar genau). Sei nun T mal gemischt worden, bis der Manager aufgrund der Halteregel HALT ruft. Dies ist also eine Zufallsvariable. Genauso sei die Reihenfolge des Stapels nach k-maligem Mischen durch eine Zufallsvariable Xk (mit Werten in Sn ) gegeben. Damit ist die Halteregel stark gleichverteilt, wenn f¨ur alle m¨oglichen Werte von k gilt   1 Prob Xk = π | T = k = f¨ur alle π ∈ Sn . n! Solche Halteregeln sind interessant, n¨utzlich und bemerkenswert, weil drei Aspekte zusammenkommen: 1. Stark gleichverteilte Halteregeln gibt es wirklich, und f¨ur viele Beispiele sind sie sogar sehr einfach zu beschreiben. 2. Dar¨uber hinaus kann man die Regeln auch analysieren: Die Bestimmung von Prob[T > k] reduziert sich oft auf ein einfaches kombinatorisches Problem. 3. Daraus erh¨alt man effektive obere Schranken f¨ur die entsprechenden Variationsdistanzen wie d(k) = kTop∗k − Uk.

Bedingte Wahrscheinlichkeiten Die bedingte Wahrscheinlichkeit Prob[A | B] bezeichnet die Wahrscheinlichkeit f¨ur das Ereignis A unter der Bedingung, dass B eintrifft. Dies ist also die Wahrscheinlichkeit, dass beide Ereignisse eintreffen, geteilt durch die Wahrscheinlichkeit, dass B zutrifft: Prob[A | B] =

Prob[A ∧ B] . Prob[B]

214

Gut genug gemischt? F¨ur das zuf¨allige Einmischen der obersten Karte in den Stapel ist “HALT, sobald die urspr¨unglich unterste Karte (mit Nummer n) das erste Mal in den Stapel hineingesteckt wurde!“ eine stark gleichverteilte Halteregel. Wenn wir n¨amlich die Karte n w¨ahrend dieser Mischvorg¨ange verfolgen, 1 2

2 3

3 2

2 4

2 4

4 1

3 4

4 1

4 1

1 5

1 5

5 3

5

5

5

3

3

2

...

T1 T2 so sehen wir, dass w¨ahrend des gesamten Prozesses die Reihenfolge der Karten unter dieser Karte v¨ollig zuf¨allig ist. Wenn die n-te Karte endg¨ultig bis ganz nach oben aufgestiegen und dann wieder in den Stapel eingef¨ugt worden ist, dann ist der Stapel gleichverteilt; wir wissen nur nicht, wann genau das passiert (aber der Manager weiß das). Sei nun Ti die Zufallsvariable, die z¨ahlt, wie oft man mischen muss bis erstmals i Karten unter der Karte n liegen. Wir m¨ussen also die Wahrscheinlichkeitsverteilung von T = T1 + (T2 − T1 ) + . . . + (Tn−1 − Tn−2 ) + (T − Tn−1 ) bestimmen. Aber jeder einzelne Abschnitt davon ist einfach ein Bildchensammlerproblem: Ti − Ti−1 ist die Zeit, bis die oberste Karte an einer der i m¨oglichen Stellen unterhalb der Karte n eingef¨ugt worden ist. Das ist genau die Zeit, die der Bildchensammler vom (n − i)-ten Bildchen bis zum (n − i + 1)-ten Bildchen braucht. Sei nun Vi die Anzahl der Bilder, die er kauft, bis er i verschiedene Bildchen hat. Dann ist Vn = V1 + (V2 − V1 ) + . . . + (Vn−1 − Vn−2 ) + (Vn − Vn−1 ), wobei wir gesehen haben, dass Prob[Ti − Ti−1 = j] = Prob[Vn−i+1 − Vn−i = j] f¨ur alle i und j gilt. Also f¨uhren der Bildchensammler und der obersteKarte-Reinstecker a¨ quivalente Folgen von unabh¨angigen Zufallsprozessen durch, nur in umgekehrter Ordnung (f¨ur den Bildchensammler wird es am Ende immer schwieriger). Damit wissen wir, dass die stark gleichverteilte Halteregel f¨ur das zuf¨allige Hineinstecken der obersten Karte nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit o¨ fter als k = ⌈n log n + cn⌉ mischen l¨asst: Prob[T > k] ≤ e−c .

Und das heißt wiederum, dass nach k = ⌈n log n + cn⌉-maligem Mischen unser Stapel nahezu zuf¨allig“ ist, mit ” d(k) = kTop∗k − Uk ≤ e−c , wegen des folgenden einfachen aber wesentlichen Lemmas.

215

Gut genug gemischt? Lemma. Sei Q : Sn −→ R eine beliebige Zufallsverteilung, die einen Mischprozess Q∗k mit einer stark gleichverteilten Halteregel definiert, dessen Haltezeit durch T gegeben ist. Dann gilt f¨ur alle k ≥ 0 kQ∗k − Uk ≤ Prob[T > k].  Beweis. Sei X eine Zufallsvariable mit Werten in Sn und Wahrscheinlichkeitsverteilung Q. Dann schreiben wir Q(S) f¨ur die Wahrscheinlichkeit, dass X einen Wert in S ⊆ Sn annimmt. Also ist Q(S) = Prob[X ∈ S], und im Fall der Gleichverteilung Q = U gilt U(S) = Prob[X ∈ S] =

|S| . n!

F¨ur jede Teilmenge S ⊆ Sn k¨onnen wir die Wahrscheinlichkeit, dass nach k-maligem Mischen der Stapel bez¨uglich einer Permutation in S angeordnet ist, wie folgt absch¨atzen: Q∗k (S) = Prob[Xk ∈ S] X = Prob[Xk ∈ S ∧ T = j] + Prob[Xk ∈ S ∧ T > k] j≤k

=

X j≤k

= =

U(S) Prob[T = j] + Prob[Xk ∈ S | T > k] · Prob[T > k]

U(S) (1 − Prob[T > k]) + Prob[Xk ∈ S | T > k] · Prob[T > k]  U(S) + Prob[Xk ∈ S | T > k] − U(S) · Prob[T > k].

Dies liefert

|Q∗k (S) − U(S)| ≤ Prob[T > k], weil Prob[Xk ∈ S | T > k] − U(S) eine Differenz von zwei Wahrscheinlichkeiten ist, also im Absolutwert nicht gr¨oßer als 1 sein kann.  An diesem Punkt haben wir die Analyse des Mischens durch zuf¨alliges ” Hineinstecken der obersten Karte“ abgeschlossen. Wir haben die folgende obere Schranke daf¨ur bewiesen, wie oft man mischen muss, bis der Stapel nahezu zuf¨allig“ ist. ” Satz 1. Sei c ≥ 0 und k := ⌈n log n + cn⌉. Wenn man k Mal die oberste Karte zuf¨allig in einen Stapel von n ≥ 2 Karten hineingesteckt hat, dann erf¨ullt die Variationsdistanz von der Gleichverteilung d(k) := kTop∗k − Uk ≤ e−c . Man kann auch nachweisen, dass die Variationsdistanz d(k) groß bleibt, wenn man deutlich weniger oft als n log n Mal mischt. Der Grund daf¨ur ist,

216

Gut genug gemischt? dass man es dann mit großer Wahrscheinlichkeit nicht schafft, die relative Ordnung der untersten Karten im Ausgangsstapel zu zerst¨oren. Es sollte klar sein, dass das Mischen durch zuf¨alliges Hineinstecken der obersten Karte ausgesprochen ineffektiv ist — mit den oben bewiesenen Schranken brauchen wir mehr als n log n ≈ 205 solche Schritte, bis ein Stapel von n = 52 Karten gut gemischt ist. Damit wenden wir uns jetzt einem sehr viel interessanteren und realistischeren Modell des Kartenmischens zu.

Teilen und Ineinanderschieben Wie mischen die Croupiers in der Spielbank? Sie nehmen den Kartenstapel, teilen ihn in zwei Teile, und diese werden dann ineinander geschoben, z. B. indem man Karten von den beiden halben Stapeln in unregelm¨aßigem Muster u¨ bereinanderfallen l¨asst. Jedes derartige Mischen wendet wieder eine Folge von bestimmten Permutationen auf das Kartenspiel an. Dabei nehmen wir wieder an, dass die Karten zu Beginn so mit den Zahlen 1 bis n bezeichnet sind, dass die 1 die oberste Karte ist, usw. Das Mischen durch Ineinanderschieben entspricht den Permutationen π ∈ Sn , f¨ur die (π(1), π(2), . . . , π(n)) Ein Profi mischt“ ”

aus zwei ineinander geschobenen aufsteigenden Folgen besteht (wobei man nur f¨ur die Identit¨at eine einzige aufsteigende Folge hat). Es gibt genau 2n − n verschiedene solche Permutationen. 0 0

1 2

1 1

3 4

1

5

0 0

1 2

1 1

3 4

1

5

0 1

1 3

1 0

4 2

1

5

Wenn man den Stapel n¨amlich so teilt, dass man die obersten t Karten in die rechte Hand nimmt  und die restlichen n− t Karten in die linke (0 ≤ t ≤ n), dann gibt es nt M¨oglichkeiten, die beiden Stapel ineinanderzuschieben, die alle unterschiedliche Permutationen erzeugen, außer dass es f¨ur jedes t eine M¨oglichkeit gibt, die identische Permutation zu erhalten. Es ist aber u¨ berhaupt nicht klar, welche Wahrscheinlichkeitsverteilung das Mischen durch Ineinanderschieben hat. Es gibt da keine eindeutig richtige Antwort, weil Amateure und professionelle Croupiers ganz unterschiedlich mischen. Das folgende Modell wurde 1955 von Edgar N. Gilbert und Claude Shannon in der legend¨aren Forschungsabteilung Mathematics of ” Communication“ der Bell Laboratories in New Jersey entwickelt. Es hat mehrere bemerkenswerte Eigenschaften:

Gut genug gemischt?

217

• es ist elegant, einfach und nat¨urlich,

• es modelliert recht gut, wie Amateure mischen, und • es gibt eine elegante und einfache Analyse daf¨ur.

Hier kommen drei Beschreibungen — alle drei ergeben dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung Rif auf Sn : 1. Rif : Sn −→ R wird definiert durch  n+1  f¨ur π = id,  2n 1 Rif(π) := wenn π aus zwei aufsteigenden Folgen besteht, 2n   0 sonst.  2. Mit Wahrscheinlichkeit 21n nt heben wir t Karten von dem Stapel ab, nehmen sie in die rechte Hand, und nehmen den Rest des Stapels in die linke Hand. Wenn man nun r Karten in der rechten und ℓ in der linken Hand hat, so l¨asst man die unterste Karte aus der rechten Hand r und aus der linken Hand mit Wahrscheinmit Wahrscheinlichkeit r+ℓ ℓ lichkeit r+ℓ fallen. Dies wird entsprechend wiederholt. 3. Ein umgekehrter Mischungsschritt entnimmt eine beliebige Teilmenge der Karten aus dem Stapel und platziert sie auf den verbleibenden Karten — wobei die relative Anordnung sowohl in den entnommenen als auch in den verbleibenden Karten erhalten bleibt. Solch ein Schritt ist durch die Teilmenge der Karten eindeutig bestimmt. Dabei werden al¨ le Teilmengen mit gleicher Wahrscheinlichkeit genommen. Aquivalent dazu kann man jeder Karte eine 0“ oder eine 1“ zuordnen, zuf¨allig ” ” und unabh¨angig voneinander mit Wahrscheinlichkeiten 21 , und jeweils die Karten mit einer 0“ nach oben nehmen. ” Es ist leicht zu sehen, dass alle drei Beschreibungen dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung ergeben. F¨ur (1) ⇐⇒ (3) braucht man sich nur zu u¨ berlegen, dass man die identische Permutation immer dann erh¨alt, wenn alle 0-Karten oberhalb aller 1-Karten zu liegen kommen. Dies definiert das Modell. Wie k¨onnen wir es analysieren? Wie oft muss man ineinanderschieben, bis die Kartenreihenfolge zuf¨allig genug ist? Wir werden das genaue Ergebnis nicht beweisen, aber ein ziemlich gutes, indem wir drei Komponenten zusammensetzen: (1) Statt des Kartenmischens analysieren wir die umgekehrten Mischungsschritte, (2) wir beschreiben f¨ur diese eine stark gleichverteilte Halteregel und (3) zeigen, dass der Schl¨ussel zu ihrer Analyse im Geburtstagsparadoxon liegt. Satz 2. Nach k-maligem zuf¨alligem Ineinanderschieben eines Stapels von n Karten ist die Variationsdistanz von der Gleichverteilung h¨ochstens  n−1 Y i 1− k . kRif ∗k − Uk ≤ 1 − 2 i=1

Das umgekehrte Mischen entspricht den Permutationen π = (π(1), . . . , π(n)), die aufsteigend sind bis auf h¨ochstens einen Abstieg“. Nur die identische ” Permutation hat keinen Abstieg.

218

Gut genug gemischt?  Beweis. (1) Wir versuchen zu analysieren, wie schnell uns umgekehrte Mischungsschritte von der Anfangsverteilung zu einer (fast) gleichm¨aßigen Verteilung bringen. Die umgekehrten Mischungsschritte entsprechen der Wahrscheinlichkeitsverteilung, die durch Rif(π) := Rif(π −1 ) gegeben ist. Nun verwenden wir die Tatsache, dass jede Permutation ein eindeutiges Inverses hat, und dass U(π) = U(π −1 ) gilt, und erhalten daraus kRif ∗k − Uk = k Rif

∗k

− Uk.

(Dies ist das Umkehrlemma“ von Reeds!) ” (2) In einem umgekehrten Mischungsschritt wird jeder Karte eine Ziffer 0 oder 1 zugeordnet: 0

1

0 1

4 2

1 1

3 5

0 0

1 4

1

2

1 1

3 5

1 2 3 4 5

Wenn wir uns diese Ziffern merken — sie etwa einfach auf die Karten schreiben — dann hat nach k umgekehrten Mischungsschritten jede Karte eine geordnete Folge von k Ziffern abbekommen. Unsere Halteregel ist: HALT, sobald alle Karten unterschiedliche Ziffernfolgen haben.“ ” Wenn dies eintritt, sind die Karten im Stapel nach der Gr¨oße der Bin¨arzahlen bk bk−1 ...b2 b1 sortiert, wobei bi die Ziffer ist, die im i-ten umgekehrten Mischungsschritt notiert wurde. Weil diese Ziffern aber v¨ollig zuf¨allig und unabh¨angig zugeordnet werden, ist diese Halteregel stark gleichverteilt! Im folgenden Beispiel, f¨ur n = 5 Karten, brauchen wir T = 3 umgekehrte Mischungsschritte bis wir anhalten: 000

4

00

4

0

1

1

001 010

2 1

01 01

2 5

0 1

4 2

2 3

101 111

5 3

10 11

1 3

1 1

3 5

4 5

(3) Die Laufzeit T f¨ur diese Halteregel hat exakt die Zufallsverteilung des Geburtstagsparadoxons, mit K = 2k : Wir legen zwei Karten in dasselbe Fach, wenn sie dieselbe Bin¨arzahl bk bk−1 . . . b2 b1 ∈ {0, 1}k haben. Also gibt es K = 2k Schachteln, und die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Schachtel mehr als zwei Karten landen, ist  n−1 Y i 1− k , Prob[T > k] = 1 − 2 i=1 und dies beschr¨ankt die Variationsdistanz kRif ∗k − Uk = k Rif

∗k

− Uk. 

219

Gut genug gemischt? Wie oft m¨ussen wir also mischen? F¨ur ein großes n werden wir zumindest nicht o¨ fter als ca. k = 2 log2 (n) Mal ineinanderschieben m¨ussen. Wenn wir n¨amlich k := 2 log2 (cn) setzen f¨ur ein c ≥ 1 so finden wir (mit ein bißchen 1 Analysis) heraus, dass P [T > k] ≈ 1 − e− 2c2 ≈ 2c12 ist. Die Analyse des Kartenmischens durch teilen und ineinanderschieben“ ist Teil einer ” lebendigen aktuellen Diskussion u¨ ber die richtigen Kriterien f¨ur zuf¨allig ” ¨ genug“. Diaconis [4] gibt dazu eine aktuelle Ubersicht. Explizit liefert die obere Schranke von Satz 2 f¨ur n = 52 Karten die Werte d(10) ≤ 0.73, d(12) ≤ 0.28, d(14) ≤ 0.08 — also sollte k = 12 Mal mischen zuf¨allig genug“ sein f¨ur alle praktischen Belange. Aber in der ” ” Praxis“ wird nicht 12 Mal gemischt — und das ist auch nicht wirklich n¨otig, wie eine detailierte Analyse zeigt (mit den Resultaten am Rand). Macht das wirklich einen Unterschied? Ja! Schon nach dreimaligem sorgf¨altigem Teilen und Ineinanderschieben sieht ein sortierter Stapel von 52 Karten eigentlich ziemlich zuf¨allig aus . . . ist er aber nicht. Martin Gardner [5, Chapter 7] beschreibt mehrere bestechende Kartentricks, die alle auf der verborgenen Ordnung eines solchen Stapels beruhen!

Literatur [1] D. A LDOUS & P. D IACONIS : Shuffling cards and stopping times, Amer. Math. Monthly 93 (1986), 333-348.

k 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

d(k) 1.000 1.000 1.000 1.000 0.952 0.614 0.334 0.167 0.085 0.043

Die Variationsdistanz nach k-maligem Mischen, laut [2]

d(k) 1

1

7

10

[2] D. BAYER & P. D IACONIS : Trailing the dovetail shuffle to its lair, Annals Applied Probability 2 (1992), 294-313. [3] E. B EHRENDS : Introduction to Markov Chains, Vieweg, Braunschweig/ Wiesbaden 2000. [4] P. D IACONIS : Mathematical developments from the analysis of riffle shuffling, in: “Groups, Combinatorics and Geometry. Durham 2001” (A. A. Ivanov, M. W. Liebeck and J. Saxl, eds.), World Scientific, Singapore 2003, pp. 73-97. [5] M. G ARDNER : Mathematical Magic Show, Knopf, New York/Allen & Unwin, London 1977. [6] E. N. G ILBERT: Theory of Shuffling, Technical Memorandum, Bell Laboratories, Murray Hill NJ, 1955.

Gut genug gemischt??“ ”

Kapitel 29

Gitterwege und Determinanten

Das Wesen der Mathematik ist das Beweisen von S¨atzen — und das ist, was die Mathematiker tun: sie beweisen S¨atze. Aber, um die Wahrheit zu sagen, was sie wirklich beweisen wollen, wenigstens einmal in ihrem Leben, ist ein Lemma, so wie das Lemma von Fatou in der Analysis, von Gauss in der Zahlentheorie, oder das Burnside-Frobenius Lemma in der Kombinatorik. Nun, wann wird eine mathematische Aussage ein wirkliches Lemma? Zun¨achst sollte es vielf¨altige Anwendungen haben, sogar auf Probleme, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Zweitens sollte die Aussage, sobald man sie gesehen hat, vollkommen offensichtlich sein. Die Reaktion des Lesers k¨onnte durchaus von etwas Neid durchsetzt sein: Warum habe ” ich das nicht gesehen?“ Und drittens sollten das Lemma und sein Beweis, von einem a¨ sthetischen Standpunkt aus gesehen, sch¨on sein! In diesem Kapitel wollen wir ein Beispiel solch einer eleganten mathematischen Idee pr¨asentieren, ein Abz¨ahllemma, das erstmals in einer Arbeit von Bernt Lindstr¨om 1972 bewiesen wurde. Damals weitgehend unbeachtet, avancierte das Lemma nach seiner Wiederentdeckung 1985 zu einem Klassiker der Kombinatorik, als Ira Gessel und Gerard Viennot in einer wunderbaren Arbeit das Lemma zur L¨osung verschiedenster schwieriger Abz¨ahlprobleme anwendeten. Unser Ausgangspunkt ist die u¨ bliche Permutationsdarstellung der Determinante einer Matrix. Sei M = (mij ) eine reelle n × n-Matrix. Dann gilt X det M = sign σ m1σ(1) m2σ(2) · · · mnσ(n) , (1) σ

wobei σ alle Permutationen von {1, 2, . . . , n} durchl¨auft, und das Signum von σ gleich 1 oder −1 ist, je nachdem, ob σ das Produkt einer geraden oder einer ungeraden Anzahl von Transpositionen ist. Nun gehen wir zu Graphen u¨ ber, genauer zu gewichteten, gerichteten, bipartiten Graphen. Wir ordnen den Zeilen von M die Ecken A1 , . . . , An zu und den Spalten von M die Ecken B1 , . . . , Bn . F¨ur jedes Paar i und j zeichnen wir einen Pfeil von Ai nach Bj und geben ihm das Gewicht mij , wie in der Abbildung. Mit diesem Graphen k¨onnen wir der Formel (1) folgende Interpretation geben: • Die linke Seite ist die Determinante der Wege-Matrix M , deren (i, j)-Eintrag das Gewicht des eindeutigen gerichteten Weges von Ai nach Bj ist.

A1

Ai

...

... mij

m11 mi1

mnj

... B1

An

Bj

mnn ... Bn

222

Gitterwege und Determinanten • Die rechte Seite ist die gewichtete, mit Vorzeichen versehene Summe u¨ ber alle eckendisjunkte Wegesysteme von A = {A1 , . . . , An } nach B = {B1 , . . . , Bn }. Solch ein System Pσ ist durch die Wege A1 → Bσ(1) , . . . , An → Bσ(n) gegeben, und das Gewicht des Wegesystems Pσ ist das Produkt der Gewichte der einzelnen Wege: w(Pσ ) := w(A1 → Bσ(1) ) · · · w(An → Bσ(n) ). Mit dieser Interpretation lautet die Formel (1) X det M = sign σ w(Pσ ). σ

Ein azyklischer gerichteter Graph

Was ist nun das Resultat von Lindstr¨om und Gessel-Viennot? Es ist die nat¨urliche Verallgemeinerung von (1) von bipartiten auf beliebige Graphen. Und es ist genau dieser Schritt, der das Lemma so universell anwendbar macht — und dar¨uber hinaus ist der Beweis erstaunlich einfach und elegant. Wir wollen zun¨achst die n¨otigen Begriffe zusammenstellen. Gegeben ist ein endlicher azyklischer gerichteter Graph G = (V, E), wobei azyklisch bedeutet, dass es keine gerichteten Kreise in G gibt. Insbesondere gibt es nur endlich viele gerichtete Wege zwischen je zwei Ecken A und B, wobei wir die trivialen Wege A → A der L¨ange 0 mit ber¨ucksichtigen. Jede Kante e bekommt ein Gewicht w(e). F¨ur einen gerichteten Weg P von A nach B schreiben wir kurz P : A → B und definieren sein Gewicht als Y w(P ) := w(e). e∈P

Dabei setzen wir w(P ) := 1, falls P ein Weg der L¨ange 0 ist. Seien nun A = {A1 , . . . , An } und B = {B1 , . . . , Bn } zwei Mengen von n Ecken, wobei A und B nicht disjunkt sein m¨ussen. Diesen A und B ordnen wir die Wegematrix M = (mij ) zu, mit X mij := w(P ). P :Ai →Bj

Ein Wegesystem P von A nach B besteht aus einer Permutation σ zusammen mit n Wegen Pi : Ai → Bσ(i) f¨ur i = 1, . . . , n; wir schreiben dann sign P = sign σ . Das Gewicht von P ist das Produkt der Gewichte der einzelnen Wege, n Y w(Pi ), (2) w(P) := i=1

also wieder das Produkt der Gewichte aller Kanten im Wegesystem. Schließlich sagen wir, dass das Wegesystem P = (P1 , . . . , Pn ) eckendisjunkt ist, falls die Wege von P paarweise eckendisjunkt sind.

223

Gitterwege und Determinanten Lemma. Sei G = (V, E) ein endlicher gewichteter azyklischer gerichteter Graph, seien A = {A1 , . . . , An } und B = {B1 , . . . , Bn } zwei n-Mengen von Ecken, und sei M die Wegematrix von A nach B. Dann gilt X det M = sign P w(P). (3) P: eckendisjunktes Wegesystem von A nach B

 Beweis. Ein typischer Term von det(M ) ist sign σ m1σ(1) · · · mnσ(n) , was auch als X X   sign σ w(P1 ) · · · w(Pn ) P1 :A1 →Bσ(1)

Pn :An →Bσ(n)

geschrieben werden kann. Summieren wir u¨ ber alle σ, so erhalten wir aus (2) unmittelbar die Formel X det M = sign P w(P), P

worin P alle Wegesysteme von A nach B (eckendisjunkt oder nicht) durchl¨auft. Um (3) zu beweisen, m¨ussen wir also nur mehr zeigen, dass X sign P w(P) = 0 (4) P∈N

gilt, wobei N die Menge aller Wegesysteme bezeichnet, die nicht eckendisjunkt sind. Und dies zeigen wir mit einer selten eleganten Idee. Wir zeigen die Existenz einer Involution π : N → N (ohne Fixpunkte), so dass f¨ur P und πP w(πP) = w(P)

und

sign πP

= −sign P

gilt. Dies impliziert dann (4) und damit die Formel (3) des Lemmas. Die Involution π wird auf naheliegende Weise definiert. Sei P ∈ N mit den Wegen Pi : Ai → Bσ(i) gegeben. Nach Definition gibt es ein Paar von Wegen mit einer gemeinsamen Ecke: • Sei i0 der minimale Index, so dass Pi0 eine Ecke mit einem anderen Weg gemeinsam hat.

Ai0

Aj0

X

• Sei X die erste solche gemeinsame Ecke auf dem Weg Pi0 .

• Sei j0 der kleinste Index (j0 > i0 ), so dass Pj0 die Ecke X mit dem Weg Pi0 gemeinsam hat. Nun konstruieren wir das neue Wegesystem πP = (P1′ , . . . , Pn′ ) wie folgt: • Pk′ = Pk f¨ur alle k 6= i0 , j0 .

• Der neue Weg Pi′0 geht von Ai0 nach X entlang Pi0 und von dort nach Bσ(j0 ) entlang Pj0 . Analog geht Pj′0 von Aj0 nach X entlang Pj0 und wird nach Bσ(i0 ) entlang Pi0 fortgesetzt.

Bσ(j0 )

Bσ(i0 )

224

Gitterwege und Determinanten Offensichtlich gilt nun π(πP) = P, weil der Index i0 , die Ecke X, und auch der Index j0 genau dieselben sind wie zuvor. Mit anderen Worten: Verwenden wir die Involution π zweimal, so erhalten wir genau die alten Wege Pi . Da πP und P genau dieselben Kanten verwenden, so haben wir sicherlich w(πP) = w(P). Und schließlich sehen wir, da die neue Permutation σ ′ aus der alten durch Multiplikation von σ mit der Transposition (i0 , j0 ) erhalten wird, dass sign πP = −sign P gilt, und das ist der ganze Beweis — direkt aus dem BUCH.  Das Lemma von Gessel-Viennot kann unter anderem verwendet werden, um alle wesentlichen Eigenschaften der Determinante abzuleiten — wir brauchen nur geeignete Graphen zu konstruieren. Wir betrachten daf¨ur ein besonders eindrucksvolles Beispiel, die Formel von Binet-Cauchy, eine sehr n¨utzliche Verallgemeinerung der Produktformel f¨ur Determinanten. Satz. Ist P eine (r × s)-Matrix und Q eine (s× r)-Matrix mit r ≤ s, so gilt det(P Q) =

X Z

(det PZ )(det QZ ),

wobei PZ die (r × r)-Untermatrix von P mit Spaltenmenge Z ist und QZ die (r × r)-Untermatrix von Q mit den entsprechenden Zeilen Z. A1

...

Ai

...

Bs

Bk qkj

q1j ... C1

Ar

pik

pi1 B1

...

... Cj

Cr

 Beweis. Wir konstruieren zu P den bipartiten Graphen auf A und B wie zuvor und analog den bipartiten Graphen zu Q auf B und C. Nun betrachten wir den zusammengef¨ugten Graphen, wie in der Figur am linken Rand, und bemerken, dass Pder (i, j)-Eintrag mij der Wegematrix M von A nach C genau mij = k pik qkj ist; mit anderen Worten, es gilt M = P Q. Da die eckendisjunkten Wegesysteme von A nach C in dem zusammengef¨ugten Graphen offenbar Paaren von Systemen von A nach Z bzw. von Z nach C entsprechen, folgt das Resultat unmittelbar aus dem Gessel-ViennotLemma, wenn wir nur die Formel sign(στ ) = (sign σ)(sign τ ) ber¨ucksichtigen.  Das Lemma von Gessel-Viennot ist auch die Quelle einer großen Anzahl von Ergebnissen, die Determinanten mit Abz¨ahlproblemen in Verbindung bringen. Die Idee ist immer dieselbe: Interpretiere die Matrix M als eine Wegematrix und versuche, die rechte Seite von (3) zu berechnen. Als Illustration wollen wir das urspr¨ungliche Problem studieren, das f¨ur Gessel und Viennot der Ausgangspunkt ihres Lemmas war:

Seien a1 < a2 < . . . < an und b1 < b2 < . . . < bn zwei Folgen von nat¨urlichen Zahlen. Berechne die Determinante der Matrix M = (mij ), in der mij jeweils der Binomialkoeffizient abji ist.

225

Gitterwege und Determinanten Mit anderen Worten, Gessel und Viennot wollten die Determinanten von beliebigen quadratischen Matrizen im Pascalschen Dreieck berechnen, wie etwa die Determinante 

 det  



3 1  4 1  6 1



3 3  4 3  6 3

 

3 4  4 4  6 4





3 1 0   = det  4 4 1  ,  6 20 15

der Matrix, die durch die fettgedruckten Eintr¨age im Pascalschen Dreieck am Rand gegeben ist. Als Vorbereitung zur L¨osung rufen wir uns eine wohlbekannte Tatsache in Erinnerung, die Binomialkoeffizienten mit Gitterwegen in Verbindung bringt. Daf¨ur betrachten wir ein a × b-Gitter, wie am Rand. Dann ist die Anzahl derWege von der linken unteren Ecke zur rechten oberen Ecke genau a+b a , wenn nur Schritte nach oben (Norden) und nach rechts (Osten) erlaubt sind. Der Beweis daf¨ur liegt auf der Hand: Jeder Weg besteht aus einer beliebigen Folge von b Schritten nach Osten“ und a Schritten nach Norden“, und ” ” kann daher durch eine Folge der Form NONOOON kodiert werden, die aus a + b Buchstaben besteht, a Ns und b Os. Die Anzahl dieser Folgen ist gleich der Anzahl der M¨oglichkeiten, a Positionen f¨ur den Buchstaben  N aus den insgesamt a + b Positionen zu w¨ahlen, und das ist a+b = a+b a b . Betrachten wir nun die Figur auf der rechten Seite, in der Ai im Punkt (0, −ai ) platziert ist und Bj in (bj , −bj ). Die Anzahl der Wege von Ai nach Bj in diesem Gitter, die nur Schritte nach   Norden und Osten verwenden, ist wie eben gesehen bj +(abji −bj ) = abji . Mit anderen Worten, die Matrix der Binomialkoeffizienten M ist genau die Wegematrix von A nach B in dem gerichteten Gittergraphen, wobei alle Kanten das Gewicht 1 haben, und alle Kanten nach Norden bzw. Osten gerichtet sind. Um det M zu berechnen, verwenden wir nun das Lemma von Gessel-Viennot. Es sollte klar sein, dass jedes eckendisjunkte Wegesystem P von A nach B aus Wegen Pi : Ai → Bi f¨ur alle i bestehen muss. Also ist die Identit¨at die einzig m¨ogliche Permutation, diese hat das Vorzeichen +1, und wir erhalten das wunderbare Resultat

det



ai bj



= # eckendisjunkte Wegesysteme von A nach B.

Insbesondere impliziert dies die keineswegs offenkundige Tatsache, dass Binomialdeterminanten nie negativ sind, da die rechte Seite der Gleichung ja etwas z¨ahlt. Dar¨uber hinaus erhalten wir aus dem Lemma von GesselViennot, dass det M = 0 dann und nur dann gilt, wenn ai < bi f¨ur mindestens einen Index i gilt.

1 1 1 1 1 1 1 1

1 2 3 4 5 6 7

1 3 1 6 4 1 10 10 5 1 15 20 15 6 21 35 35 21

1 7

1

a=3

b=4

B1 A1 .. .

Ai .. .

An

Bj

Bn

226

Gitterwege und Determinanten In dem oben begonnenen Beispiel haben wir 1



 det  



3 1  4 1  6 1



3 3  4 3  6 3

 

3 4  4 4  6 4

  = # eckendisjunkte  Wegesysteme in

3 4

3 4

6

Der skeptische Leser kann sich leicht die 66 eckendisjunkten Wegesysteme f¨ur dieses Beispiel aufz¨ahlen.

Literatur [1] I. M. G ESSEL & G. V IENNOT: Binomial determinants, paths, and hook length formulae, Advances in Math. 58 (1985), 300-321. ¨ : On the vector representation of induced matroids, Bulletin [2] B. L INDSTR OM London Math. Soc. 5 (1973), 85-90.

Gatterwege“ ”

Kapitel 30

Cayleys Formel ¨ fur ¨ die Anzahl der Baume

Eine der ber¨uhmtesten Formeln in der abz¨ahlenden Kombinatorik betrifft die Anzahl der bezeichneten B¨aume. Daf¨ur betrachten wir die feste Eckenmenge N = {1, 2, . . . , n}. Wie viele verschiedene B¨aume gibt es auf dieser Menge? Wir wollen diese Zahl mit Tn bezeichnen. F¨ur kleine n k¨onnen wir das ohne weiteres ausrechnen; zum Beispiel erhalten wir T1 = 1, T2 = 1, T3 = 3, T4 = 16, mit den zugeh¨origen B¨aumen in der folgenden Tafel: 1

1

2

1

2

1

2

1

1

2

1

2

1

2

3 1

2

3 1

2

1

3

4

3

4

3

4

3

4

3

4

1

2

1

2

1

2

1

2

1

3

4

3

4

3

4

3

4

3

2 3

2

1

2

1

2

3

4

3

4

3

4

2

1

2

1

2

1

2

4

3

4

3

4

3

4

Man beachte, dass wir bezeichnete B¨aume betrachten, das heißt, obwohl es nur einen Baum der Ordnung 3 im Sinne des Graphenisomorphismus gibt, gibt es 3 verschiedene bezeichnete B¨aume, die sich durch die Bezeichnung der inneren Ecke (vom Grad 2) unterscheiden. F¨ur n = 5 gibt es drei nicht isomorphe Typen von B¨aumen:

5

60

60

F¨ur den ersten davon gibt es offensichtlich 5 verschiedene Bezeichnungen, und f¨ur den zweiten und dritten jeweils 5! 2 = 60 Bezeichnungen, so dass wir insgesamt T5 = 125 erhalten. Dieser letzte Wert sollte nun gen¨ugen, um die Formel Tn = nn−2 zu vermuten, und genau dies ist Cayleys Resultat.

Satz. Es gibt nn−2 verschiedene bezeichnete B¨aume auf n Ecken.

Arthur Cayley

228

Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume Zu dieser sch¨onen Formel gibt es gleichermaßen sch¨one Beweise, die auf einer Vielzahl von kombinatorischen und algebraischen Ideen basieren. Wir wollen drei von ihnen besprechen, und dann zu dem Beweis kommen, der wohl bis heute der sch¨onste von allen ist.

1 2

1

1

2

2

 Erster Beweis (Bijektion). Die klassische und direkteste Methode besteht in der Aufstellung einer Bijektion zwischen der Menge aller B¨aume auf n Ecken und einer anderen Menge, deren M¨achtigkeit offensichtlich nn−2 ist. Nat¨urlich denken wir zuallererst an die Menge aller geordneten Folgen (a1 , . . . , an−2 ) mit 1 ≤ ai ≤ n. Daher wollen wir jeden Baum T auf eineindeutige Weise eine Folge (a1 . . . , an−2 ) zuordnen. Solch eine Zuordnung wurde erstmals von Pr¨ufer gefunden und ist in den meisten B¨uchern u¨ ber Graphentheorie enthalten. Wir wollen hier einen anderen Bijektionsbeweis besprechen, der auf Andr´e Joyal zur¨uckgeht und weniger bekannt, aber ebenso elegant und einfach ist. Dazu betrachten wir nicht gew¨ohnliche B¨aume t auf N = {1, . . . , n}, sondern B¨aume zusammen mit zwei ausgezeichneten Ecken, dem linken und dem rechten Ende , welche auch zusammenfallen k¨onnen. Ende Es sei Tn = {(t; , )} diese neue Menge; ganz offensichtlich gilt dann |Tn | = n2 Tn .

1 2

Die vier B¨aume von T2

7

1

~f G

5

2

10 3 6

4

9

8

Wir m¨ussen also |Tn | = nn beweisen. Die naheliegende erste Wahl f¨ur eine Menge der Gr¨oße nn ist nat¨urlich die Menge N N aller Abbildungen von N nach N . Unsere Formel ist demnach gezeigt, wenn wir eine Bijektion von N N auf Tn angeben k¨onnen. Sei f : N −→ N eine beliebige Abbildung. Wir stellen f als einen gerich~ f dar, indem wir jeweils Pfeile von i nach f (i) zeichnen. teten Graphen G Zum Beispiel wird die Abbildung   1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 f= 7 5 5 9 1 2 5 8 4 7

durch den gerichteten Graphen am Rand dargestellt. ~ f . Da genau eine Kante von jeder Betrachten wir eine Komponente von G Ecke ausgeht, enth¨alt die Komponente gleich viele Ecken wie Kanten, und daher genau einen gerichteten Kreis. Es sei M ⊆ N die Vereinigung der Eckenmengen dieser Kreise. Wir sehen sofort, dass M die eindeutige maximale Teilmenge von N ist, so dass die Einschr¨ankung von f auf M eine Bijektion von M nach M ist. Wir wollen   a b ... z f |M = f (a) f (b) . . . f (z) f¨ur M = {a, b, . . . , z} so schreiben, dass die Zahlen a, b, . . . , z in der ersten Zeile in ihrer nat¨urlichen Ordnung auftreten. Dies ergibt eine Anordnung f (a), f (b), . . . , f (z) von M gem¨aß der zweiten Zeile. Die Zahl f (a) sei unser linkes Ende und f (z) unser rechtes Ende. Der Baum t, der der Abbildung f entsprechen soll, wird nun wie folgt konstruiert: Wir zeichnen f (a), . . . , f (z) in dieser Reihenfolge als einen

229

Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume ~f Weg von f (a) nach f (z) und erg¨anzen dann die restlichen Ecken wie in G (wobei wir die Pfeile weglassen). In unserem obigen Beispiel erhalten wir M = {1, 4, 5, 7, 8, 9} und   1 4 5 7 8 9 f |M = , 7 9 1 5 8 4 und daher den Baum t, der am Rand abgebildet ist. Es ist unmittelbar klar, wie wir diese Korrespondenz umdrehen: Ist ein Baum t gegeben, so nehmen wir den eindeutigen Weg P vom linken zum rechten Ende. Dieser Weg gibt uns die Menge M und die Abbildung f |M . Die restlichen Korrespondenzen i → f (i) werden dann gem¨aß der eindeutigen Wege von i nach P ermittelt. 

9

1

5

8 4

7 10

2

3 6

 Zweiter Beweis (Lineare Algebra). Wir k¨onnen Tn als die Anzahl der aufspannenden B¨aume im vollst¨andigen Graphen Kn interpretieren. In Verallgemeinerung dazu betrachten wir einen beliebigen zusammenh¨angenden einfachen Graphen G auf V = {1, 2, . . . , n} und bezeichnen mit t(G) die Anzahl der aufspannenden B¨aume; damit ist also insbesondere Tn = t(Kn ). Das folgende ber¨uhmte Resultat ist Kirchhoffs Matrix-Baum-Theorem (siehe [1]). Daf¨ur betrachten wir die Inzidenzmatrix B = (bie ) von G, deren Zeilen durch V bezeichnet werden, die Spalten durch E, und deren Eintr¨age bie = 1 oder 0 sind, je nachdem, ob i ∈ e ist oder i 6∈ e. Dabei gilt |E| ≥ n − 1, da G zusammenh¨angend ist. In jeder Spalte ersetzen wir auf beliebige Weise eine der beiden Einsen durch −1 (was gleichbedeutend damit ist, dass wir Richtungen f¨ur die Kanten von G w¨ahlen), und nennen die neue Matrix C. Dann ist M := CC T eine symmetrische (n×n)-Matrix mit den Graden d1 , . . . , dn auf der Hauptdiagonale. Proposition. Es gilt t(G) = det Mii f¨ur alle i = 1, . . . , n, wobei Mii die Untermatrix von M bezeichnet, die sich aus M durch Streichung der i-ten Zeile und der i-ten Spalte ergibt.  Beweis. Der Schl¨ussel zum Beweis ist der Satz von Binet-Cauchy, den wir im vorigen Kapitel besprochen haben: Ist P eine (r × s)-Matrix und Q eine (s × r)-Matrix mit r ≤ s, so ist det(P Q) gleich der Summe der Produkte der Determinanten der sich entsprechenden (r × r)-Untermatrizen, wobei entsprechend“ bedeutet, dass wir dieselben Indizes f¨ur die r Spalten ” von P und die r Zeilen von Q verwenden. F¨ur Mii bedeutet dies X X det Mii = det N · det N T = (det N )2 , N

N

wobei N alle (n − 1) × (n − 1)-Untermatrizen von C\{Zeile i} durchl¨auft. Die n − 1 Spalten von N entsprechen einem Untergraphen von G mit n − 1 Kanten auf n Ecken, und es bleibt somit zu zeigen:  ±1 falls diese Kanten einen Baum aufspannen, det N = 0 sonst.

Eine Nichtganzstandardmethode, um ” B¨aume abzuz¨ahlen: Setze eine Katze in jeden Baum, f¨uhre den Hund spazieren, und z¨ahle, wie oft er bellt.“

230

Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume Angenommen, die n − 1 Kanten spannen keinen Baum auf. Dann gibt es eine Komponente des Untergraphen, die i nicht enth¨alt. Da die Zeilen, die dieser Komponente entsprechen, die Summe Null haben, sind sie linear abh¨angig, und es gilt daher det N = 0. Nehmen wir nun an, dass die Spalten von N einen Baum aufspannen. Dann gibt es eine Ecke j1 6= i vom Grad 1; es sei e1 die inzidente Kante. Entfernen wir j1 und e1 , so erhalten wir einen Baum mit n − 2 Kanten. Wieder gibt es eine Ecke j2 6= i vom Grad 1 mit inzidenter Kante e2 . Wir fahren auf diese Weise fort, bis j1 , j2 , . . . , jn−1 und e1 , e2 , . . . , en−1 mit ji ∈ ei festgelegt sind. Durch Permutation der Zeilen und Spalten k¨onnen wir erreichen, dass jk in der k-ten Zeile steht und ek in der k-ten Spalte. Da nach Konstruktion jk ∈ / eℓ f¨ur k < ℓ gilt, sehen wir, dass die neue Matrix N ′ eine untere Dreiecksmatrix ist mit allen Elementen auf der Hauptdiagonale gleich ±1. Es gilt somit det N = ±det N ′ = ±1, und wir sind fertig. F¨ur den Spezialfall G = Kn erhalten wir offenbar   n−1 −1 ... −1  −1 n−1 −1  , .. Mii =  ..  ...  . . −1 −1 ... n − 1 und eine leichte Rechnung zeigt det Mii = nn−2 .



 Dritter Beweis (Rekursion). Eine weitere klassische Methode in der abz¨ahlenden Kombinatorik besteht darin, f¨ur die L¨osung des Problems eine Rekursion zu finden, und aus dieser dann die explizite Formel durch Induktion abzuleiten. Die folgende Idee geht im Wesentlichen auf Riordan und R´enyi zur¨uck. Um die richtige Rekursion zu finden, betrachten wir ein etwas allgemeineres Problem (das schon in der Arbeit von Cayley erw¨ahnt wird): Sei A eine beliebige k-Menge von Ecken. Mit Tn,k bezeichnen wir die Anzahl der (bezeichneten) W¨alder auf {1, . . . , n}, die in der Menge A verwurzelt sind, die also aus k B¨aumen bestehen, wobei jeder Baum genau eine Ecke aus A enthalten muss. Offensichtlich ist dabei die Menge A f¨ur die Anzahl Tn,k nicht von Bedeutung, nur ihre Gr¨oße k, und es gilt Tn,1 = Tn .

Beispiel: T4,2 = 8 f¨ur A = {1, 2}

1 2 3

|

{z i

}

...

k

1

2

1

2

1

2

1

2

1

2

1

2

1

2

1

2

3

4

3

4

3

4

3

4

3

4

3

4

3

4

3

4

Sei nun solch ein Wald F gegeben, der in A = {1, 2, . . . , k} verwurzelt ist, und darin habe die Ecke 1 genau i Nachbarn, wie am Rand angedeutet. Entfernen wir die Ecke 1, so erhalten wir einen Wald F ′ auf {2, . . . , n}, der in {2, . . . , k} ∪ {die Nachbarn von 1} verwurzelt ist, und es gibt genau Tn−1,k−1+i solche W¨alder. Umgekehrt k¨onnen wir den Wald F konstruieren, indem wir erst i ≥ 0 festlegen, dann die i Nachbarn von 1 in {k + 1, . . . , n} ausw¨ahlen, und schließlich den Wald F ′ bestimmen. Damit haben wir gezeigt, dass f¨ur 1 ≤ k ≤ n die Rekursion

231

Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume

Tn,k =

n−k X i=0

 n−k Tn−1,k−1+i i

(1)

erf¨ullt ist, wenn wir T0,0 := 1 setzen, und Tn,0 := 0 f¨ur n > 0. Dabei ist T0,0 = 1 notwendig, um Tn,n = 1 sicherzustellen. Proposition. Es gilt und daher insbesondere

Tn,k = k nn−k−1 ,

(2)

Tn,1 = Tn = nn−2 .  Beweis. Mit (1) und Induktion erhalten wir Tn,k = =

=

=

=

n−k X

 n−k (k − 1 + i)(n − 1)n−1−k−i (i → n − k − i) i i=0 n−k X n − k  (n − 1 − i)(n − 1)i−1 i i=0 n−k n−k X n − k  X n − k  i(n − 1)i−1 (n − 1)i − i i i=1 i=0  n−k X n − 1 − k nn−k − (n − k) (n − 1)i−1 i − 1 i=1 n−1−k X n − 1 − k  n−k (n − 1)i n − (n − k) i i=0

= nn−k − (n − k)nn−1−k = k nn−1−k .



 Vierter Beweis (Doppeltes Abz¨ahlen). Die folgende wunderbare Idee von Jim Pitman gibt uns Cayleys Formel und die Verallgemeinerung (2) ohne Induktion oder Bijektion — es ist einfach doppeltes Abz¨ahlen auf besonders raffinierte Weise. Ein Wurzelwald auf {1, . . . , n} ist ein Wald zusammen mit der Wahl einer Wurzel in jedem Komponentenbaum. Es sei Fn,k die Menge aller Wurzelw¨alder, die aus k Wurzelb¨aumen bestehen. Insbesondere ist Fn,1 die Menge aller Wurzelb¨aume. Wir sehen, dass |Fn,1 | = nTn gilt, da wir in jedem Baum n M¨oglichkeiten haben, die Wurzel auszuw¨ahlen. Nun betrachten wir Fn,k ∈ Fn,k als einen gerichteten Graphen, in dem alle Kanten von den Wurzeln wegzeigen. Wir sagen, dass ein Wald F einen anderen Wald F ′ enth¨alt, falls F den Wald F ′ im Sinne von gerichteten Graphen enth¨alt. Ist F ′ ein echter Untergraph von F , so hat F offensichtlich weniger Komponenten als F ′ . Die Zeichnung zeigt zwei solche W¨alder, wobei die Wurzeln in jedem Baum als h¨ochste Ecke und eingekreist gezeichnet ist.

F2 : 8

4 3

5

2 7

6 9

1 10 F2 enth¨alt F3

F3 : 8 3 2

7

4 5 6

9

1 10

232

Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume Hier ist nun die entscheidende Idee. Wir nennen eine Folge von W¨aldern F1 , . . . , Fk eine verfeinernde Kette, falls F1 ⊃ F2 ⊃ . . . ⊃ Fk gilt, wobei Fi jeweils ein Wald in Fn,i ist. F1 ist dann also ein aufspannender Baum, und die weiteren B¨aume erh¨alt man, indem man einzelne Kanten eine nach ” der anderen“ wegl¨asst. Sei nun Fk ein fester Wald in Fn,k ; wir bezeichnen • mit N (Fk ) die Anzahl der Wurzelb¨aume, die Fk enthalten, und • mit N ∗ (Fk ) die Anzahl der verfeinernden Ketten, die in Fk enden. Nun z¨ahlen wir N ∗ (Fk ) auf zwei Weisen ab, indem wir einmal bei einem Baum F1 starten, und das andere Mal bei Fk . Angenommen F1 ∈ Fn,1 enth¨alt Fk . Da wir die k − 1 Kanten von F1 \Fk in beliebiger Reihenfolge entfernen k¨onnen, um eine verfeinernde Kette von F1 zu Fk zu bekommen, gilt N ∗ (Fk ) = N (Fk ) (k − 1)!. (3) 8

2

7

4

3

F3 −→ F2

5 6

9

1 10

Nun beginnen wir am anderen Ende. Um aus einem Fk ein Fk−1 zu erhalten, m¨ussen wir eine gerichtete Kante von einer beliebigen Ecke a zu einer der k − 1 Wurzeln der anderen Teilb¨aume ziehen, die a nicht enthalten (siehe die Abbildung links, in der wir durch Hinzuf¨ugen der Kante 7 von F3 zu F2 gelangen). Dies ergibt also n(k − 1) M¨oglichkei3 ten. Analog m¨ussen wir f¨ur Fk−1 eine gerichtete Kante von einer beliebigen Ecke b zu einer beliebigen Wurzel eines der k −2 B¨aume ziehen, die b nicht enthalten. Daf¨ur haben wir n(k − 2) M¨oglichkeiten. Fahren wir so fort, so erhalten wir N ∗ (Fk ) = nk−1 (k − 1)!, (4) und daraus mit (3) den unerwartet einfachen Zusammenhang N (Fk ) = nk−1

f¨ur jedes Fk ∈ Fn,k .

F¨ur k = n besteht Fn gerade aus n isolierten Ecken. N (Fn ) ist daher nichts anderes als die Anzahl aller Wurzelb¨aume, und wir erhalten |Fn,1 | = nn−1 , und somit Cayleys Formel.  Wir k¨onnen noch mehr aus diesem Beweis ablesen. Die Formel (4) ergibt f¨ur k = n:  # verfeinernde Ketten (F1 , F2 , . . . , Fn ) = nn−1 (n − 1)!. (5)

F¨ur Fk ∈Fn,k sei N ∗∗ (Fk ) die Anzahl der vollst¨andigen verfeinernden Ketten, F1 , . . . , Fn , deren k-tes Glied gleich Fk ist. Offenbar ist dies N ∗ (Fk ) mal die Anzahl der M¨oglichkeiten, die Kette (Fk+1 , . . . , Fn ) auszuw¨ahlen. Dieser letzter Ausdruck ist aber (n − k)!, da wir die n − k Kanten von Fk auf jede beliebige Art entfernen k¨onnen, und wir erhalten N ∗∗ (Fk ) = N ∗ (Fk )(n − k)! = nk−1 (k − 1)!(n − k)!.

(6)

Cayleys Formel f¨ur die Anzahl der B¨aume Da dieser Ausdruck nicht von Fk abh¨angt, so ergibt Division von (5) durch (6) die Anzahl der Wurzelw¨alder mit k Komponenten:   nn−1 (n − 1)! n |Fn,k | = k−1 = k nn−1−k . n (k − 1)!(n − k)! k  Da wir schließlich die k Wurzeln auf nk m¨oglichen Arten w¨ahlen k¨onnen, so haben wir aufs Neue die Formel Tn,k = knn−k−1 bewiesen, und zwar ohne jede Induktion. Wir wollen mit einer historischen Bemerkung schließen. Cayleys Arbeit aus dem Jahr 1889 wurde von Carl W. Borchardt (1860) vorweggenommen, was auch schon von Cayley erw¨ahnt wurde. Ein a¨ quivalentes Resultat erschien aber noch fr¨uher in einer Arbeit von James J. Sylvester (1857), siehe [2, Chapter 3]. Die Neuerung in Cayleys Arbeit war die Verwendung der Graphenterminologie, und der Satz wird seither mit seinem Namen verbunden.

Literatur [1] M. A IGNER : Combinatorial Theory, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1979; Reprint 1997. [2] N. L. B IGGS , E. K. L LOYD & R. J. W ILSON : Graph Theory 1736-1936, Clarendon Press, Oxford 1976. [3] A. C AYLEY: A theorem on trees, Quart. J. Pure Appl. Math. 23 (1889), 376-378; Collected Mathematical Papers Vol. 13, Cambridge University Press 1897, 26-28. [4] A. J OYAL : Une th´eorie combinatoire des s´eries formelles, Advances in Math. 42 (1981), 1-82. [5] J. P ITMAN : Coalescent random forests, J. Combinatorial Theory, Ser. A 85 (1999), 165-193. ¨ [6] H. P R UFER : Neuer Beweis eines Satzes u¨ ber Permutationen, Archiv der Math. u. Physik (3) 27 (1918), 142-144. [7] A. R E´ NYI : Some remarks on the theory of trees. MTA Mat. Kut. Inst. Kozl. (Publ. math. Inst. Hungar. Acad. Sci.) 4 (1959), 73-85; Selected Papers Vol. 2, Akad´emiai Kiad´o, Budapest 1976, 363-374. [8] J. R IORDAN : Forests of labeled trees, J. Combinatorial Theory 5 (1968), 90-103.

233

¨ Identitaten und Bijektionen

Kapitel 31

3 Wir betrachten das unendliche Produkt (1 + x)(1 + x2 )(1 x4 ) · · · P+ x )(1 + n und entwickeln es auf die u¨ bliche Weise in eine Reihe n≥0 an x , indem wir all jene Produkte zusammenfassen, welche dieselbe Potenz xn ergeben. Die Reihe beginnt also folgendermaßen: Y (1 + xk ) = 1 + x + x2 + 2x3 + 2x4 + 3x5 + 4x6 + 5x7 + . . . . (1) k≥1

Wir erhalten also zum Beispiel a6 = 4, a7 = 5, und wir vermuten (richtig), dass an u¨ ber alle Grenzen w¨achst mit n −→ ∞. Wenn wir aber nun das a¨ hnlich einfache Produkt (1−x)(1−x2 )(1−x3 ) · · · ansehen, dann passiert etwas Unerwartetes. Entwickeln wir n¨amlich dieses Produkt, so erhalten wir Y (1 − xk ) = 1 − x − x2 + x5 + x7 − x12 − x15 + x22 + x26 − . . . . (2) k≥1

Es scheinen alle Koeffizienten 1, −1 oder 0 zu sein. Aber stimmt das auch? Und wenn ja, welches Muster bilden sie? Unendliche Summen und Produkte und ihre Konvergenz spielten eine zentrale Rolle in der Analysis seit der Entdeckung der Differentialrechnung, und viele der gr¨oßten Namen in diesem Gebiet haben dazu beigetragen, von Euler bis Ramanujan. In unserem Studium von Identit¨aten wie etwa (1) oder (2) lassen wir Konvergenzfragen außer Acht — wir rechnen einfach mit den Koeffizienten. In der Fachsprache bedeutet dies, dass wir mit formalen Potenzreihen und Produkten umgehen. In diesem Rahmen wollen wir hier zeigen, wie einfa¨ che kombinatorische Uberlegungen zu eleganten L¨osungen von scheinbar schwierigen Problemen f¨uhren. Der fundamentale Begriff sind Partitionen von nat¨urlichen Zahlen. Wir nennen jede Summe λ : n = λ1 + λ2 + . . . + λt

mit λ1 ≥ λ2 ≥ · · · ≥ λt ≥ 1

eine Partition von n. P (n) sei die Menge aller Partitionen von n, mit p(n) := |P (n)|, wobei wir p(0) = 1 setzen. Was haben Partitionen mit unserem Problem zu tun? Um dies zu sehen, betrachten wir das folgende Produkt von unendlich vielen Reihen: (1+x+x2 +x3 +. . . )(1+x2 +x4 +x6 +. . . )(1+x3 +x6 +x9 +. . .) · · · (3)

5=5 5 = 4+1 5 = 3+2 5 = 3+1+1 5 = 2+2+1 5 = 2+1+1+1 5 = 1 + 1 + 1 + 1 + 1. Die Menge P (5), mit p(5) = 7.

236

Identit¨aten und Bijektionen dessen k-ter Faktor (1+xk +x2k +x3k +. . .) ist. Was P ist nun der Koeffizient von xn , wenn wir dieses Produkt in eine Reihe n≥0 an xn entwickeln? Das ist offenbar die Anzahl der M¨oglichkeiten, n als eine Summe n

=

n1 · 1 + n2 · 2 + n3 · 3 + . . .

=

1 + ...+ 1 + 2 + ... + 2 + 3 + ...+ 3 + ... . | {z } | {z } | {z } n1 n2 n3

auszudr¨ucken. Der Koeffizient ist also nichts anderes als die Anzahl p(n) der Partitionen von n. Da die geometrische Reihe 1 + xk + x2k + . . . gleich 1 at gefunden: 1−xk ist, haben wir unsere erste Identit¨ Y

k≥1

X 1 = p(n) xn . 1 − xk

(4)

n≥0

1 ¨ Weiter erkennen wir aus unseren Uberlegungen, dass der Faktor 1−x k genau f¨ur den Beitrag von k zur Partition von n zust¨andig ist. Lassen wir also 1 aus dem Produkt auf der linken Seite von (4) weg, so tritt k in keiner 1−xk Partition auf der rechten Seite auf. Als Beispiel erhalten wir unmittelbar

6 =5+1 6 =3+3 6 = 3+1+1+1 6 = 1+1+1+1+1+1 Partitionen von 6 in ungerade Teile: po (6) = 4

Y

i≥1

X 1 = po (n) xn , 2i−1 1−x

wobei po (n) die Anzahl der Partitionen von n ist, deren Summanden alle ungerade sind, und die analoge Aussage gilt nat¨urlich, wenn alle Summanden gerade sind. Q Nun sollte aber klar sein, was der n-te Koeffizient im Produkt k≥1 (1+xk ) ist. Da wir aus jedem Faktor in (3) entweder 1 oder xk nehmen, bedeutet dies, dass wir nur jene Partitionen betrachten, in denen jeder Summand k h¨ochstens einmal erscheint. Mit anderen Worten, unser urspr¨ungliches Produkt (1) hat die Reihenentwicklung Y X (1 + xk ) = pd (n) xn , (6) k≥1

7=7 7 =5+1+1 7 =3+3+1 7 = 3+1+1+1+1 7 = 1+1+1+1+1+1+1 7=7 7 =6+1 7 =5+2 7 =4+3 7 = 4 + 2 + 1. Die Partitionen von 7 in ungerade bzw. verschiedene Teile: po (7) = pd (7) = 5.

(5)

n≥0

n≥0

wobei pd (n) die Anzahl der Partitionen von n mit lauter verschiedenen Summanden ist. Jetzt zeigt die Methode der formalen Potenzreihen ihre volle Kraft. Da 1 − x2 = (1 − x)(1 + x) ist, k¨onnen wir Y

k≥1

(1 + xk ) =

Y 1 − x2k Y 1 = k 1−x 1 − x2k−1

k≥1

k≥1

schreiben, da sich alle Faktoren 1−x2i mit geraden Exponenten wegk¨urzen. Also sind die unendlichen Produkte in (5) und (6) identisch, und damit auch die Reihen, und wir erhalten das unerwartete Resultat po (n) = pd (n)

f¨ur alle n ≥ 0.

(7)

237

Identit¨aten und Bijektionen Solch eine erstaunliche Gleichung verlangt (zumindest von jedem Kombinatoriker) einen einfachen Beweis mittels Bijektion. Problem. Seien Po (n) und Pd (n) die Partitionen von n in lauter ungerade bzw. lauter verschiedene Summanden sind. Finde eine nat¨urliche Bijektion von Po (n) auf Pd (n)! Eine Reihe solcher Bijektionen sind bekannt, aber die folgende, die auf J. W. L. Glaisher (1907) zur¨uckgeht, ist vielleicht die eleganteste. Es sei λ eine Partition von n in ungerade Teile, wie sie von po (n) gez¨ahlt wird. Wir fassen gleiche Summanden zusammen und erhalten n

= =

λ1 + . . . + λ1 + λ2 + . . . + λ2 + . . . + λt + . . . + λt {z } | {z } | {z } | n1 n2 nt n1 · λ1 + n2 · λ2 + . . . + nt · λt .

Nun schreiben wir n1 = 2m1 + 2m2 + . . . + 2mr in der Bin¨ardarstellung und genauso f¨ur die anderen ni . Die neue Partition λ′ von n ist dann λ′ : n = 2m1 λ1 + 2m2 λ1 + . . . + 2mr λ1 + 2k1 λ2 + . . . . Wir m¨ussen nachpr¨ufen, dass λ′ in Pd (n) ist, und dass φ : λ 7−→ λ′ tats¨achlich eine Bijektion ist. Das ist aber leicht: Wenn 2a λi = 2b λj gilt, so haben wir 2a = 2b , da λi und λj beide ungerade sind, und somit λi = λj . Also ist λ′ in Pd (n). Ist andererseits n = µ1 + µ2 + . . . + µs eine Partition in verschiedene Summanden, dann drehen wir die Bijektion um, indem wir alle µi mit der gleichen h¨ochsten Potenz von 2 zusammenfassen und dann die ungeraden Teile mit der richtigen Vielfachheit hinschreiben. Das Beispiel am Rand sollte dies sofort klarmachen.

Zum Beispiel wird λ : 25 = 5+5+5+3+3+1+1+1+1 durch φ auf λ′ : 25 = (2+1)5 + (2)3 + (4)1 = 10 + 5 + 6 + 4 = 10 + 6 + 5 + 4 abgebildet. Wir schreiben λ′ : 30 = 12 + 6 + 5 + 4 + 3 als 30 = 4(3+1) + 2(3) + 1(5+3) = (1)5 + (4+2+1)3 + (4)1 und erhalten φ−1 (λ′ ) die Partion λ : 30 = 5 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3+1+1+1+1 mit lauter ungeraden Summanden.

Identit¨aten zwischen formalen Produkten haben uns also auf eine Gleichheit po (n) = pd (n) f¨ur Partitionen gef¨uhrt, die wir dann mit einer Bijektion best¨atigt haben. Nun drehen wir die Sache um, geben zuerst einen Bijektionsbeweis f¨ur Partitionen und folgern daraus eine Identit¨at zwischen formalen Reihen. Unser Ziel ist es, die Entwicklung der Reihe in (2) genau zu bestimmen. Sehen wir uns den Anfang noch einmal an:

4 3

1 − x − x2 + x5 + x7 − x12 − x15 + x22 + x26 − x35 − x40 + . . . . Die Exponenten (abgesehen von 0) scheinen paarweise aufzutreten, und die j=1 ersten Exponenten in jedem Paar ergeben die Folge 1

5 12 22 35 51 70

2

... ,

die Euler gut bekannt war. Diese Zahlen sind die Pentagonalzahlen f (j), deren Name durch die Figur am Rand erkl¨art ist. 2 2 Wir berechnen leicht f (j) = 3j 2−j und f¯(j) = 3j 2+j f¨ur die andere Zahl in jedem Paar. Wir vermuten also wie Euler:

Pentagonalzahlen

238

Identit¨aten und Bijektionen

Satz. Y

k≥1

(1 − xk ) = 1 +

  3j2 −j X 3j 2 +j . (−1)j x 2 + x 2

(8)

j≥1

Euler bewies diesen erstaunlichen Satz mit Hilfe von formalen Reihen, wir geben hingegen einen Bijektionsbeweis direkt aus dem BUCH. Q k  Beweis. Zun¨achst bemerken wir mit (4), k≥1 (1−x ) Pdass das Produkt n genau das Inverse unserer Partitionsreihe n≥0 p(n)x ist. Setzen wir also Y

k≥1

(1 − xk ) =:

X

c(n) xn ,

n≥0

so erhalten wir X

n≥0

 c(n)xn ·

X

p(n) xn

n≥0



= 1.

Mit Koeffizientenvergleich bedeutet dies, dass c(n) die eindeutige Folge ist mit c(0) = 1 und n X

k=0

c(k)p(n − k) = 0

f¨ur alle n ≥ 1.

Schreiben wir die rechte Seite von (8) als

∞ P

(−1)j x

(9)

3j 2 +j 2

, so m¨ussen

j=−∞

wir also zeigen, dass c(k) mit   1 f¨ur k =   c(k) = −1 f¨ur k =    0 sonst

3j 2 +j 2 , wenn 2 3j +j 2 , wenn

j ∈ Z gerade ist, j ∈ Z ungerade ist, 2

genau diese eindeutige Folge ergibt. Definieren wir b(j) = 3j 2+j f¨ur j ∈ Z und setzen diese Werte in (9) ein, so nimmt unsere Vermutung die folgende einfache Form an: X X p(n − b(j)) = p(n − b(j)) f¨ur alle n, j gerade

j ungerade

wobei jeweils nur u¨ ber die j mit b(j) ≤ n summiert wird. Damit ist die B¨uhne vorbereitet: Wir suchen nach einer Bijektion [ [ φ: P (n − b(j)) −→ P (n − b(j)). j gerade

j ungerade

239

Identit¨aten und Bijektionen Wiederum wurden verschiedene Bijektionen vorgeschlagen, aber die folgende Konstruktion von David Bressoud und Doron Zeilberger ist geradezu erstaunlich einfach. Wir geben nur die Definition von φ (die Bijektion ist sogar eine Involution) und laden die Leser ein, die einfachen Details selbst zu verifizieren. F¨ur λ : λ1 + . . . + λt ∈ P (n − b(j)) sei φ(λ) :=

 (t + 3j − 1) + (λ1 − 1) + . . . + (λt − 1) f¨ur t + 3j ≥ λ1 , (λ2 + 1) + . . . + (λt + 1) + 1 + . . . + 1 | {z }

f¨ur t + 3j < λ1 ,

λ1 −t−3j−1

wobei wir m¨ogliche Nullen auslassen. Man sieht leicht, dass im ersten Fall φ(λ) in P (n−b(j −1)) liegt, und im zweiten Fall in P (n−b(j +1)). 

Ein Beispiel: Es sei n = 15, j = 2, dann ist b(2) = 7. Die Partition 3 + 2 + 2 + 1 in P (15 − b(2)) = P (8) wird auf 9+2+1+1 abgebildet, und das ist eine Partition in P (15 − b(1)) = P (13).

Das war schon sehr elegant, aber wir k¨onnen noch mehr aus dem Ansatz herausholen. Wir kennen bereits die Identit¨at Y X (1 + xk ) = pd (n) xn . k≥1

n≥0

Mit unserer Erfahrung mit formalen Reihen bemerken wir, dass die Einf¨uhrung einer neuen Variablen y die Gleichung Y

(1 + yxk ) =

X

pd,m (n) xn y m

n,m≥0

k≥1

ergibt, wobei pd,m (n) die Anzahl der Partitionen von n mit genau m verschiedenen Summanden bezeichnet. Setzten wir y = −1, so erhalten wir Y

k≥1

(1 − xk ) =

X

n≥0

 Ed (n) − Od (n) xn ,

(10)

wobei Ed (n) die Anzahl der Partitionen von n mit einer geraden Anzahl von verschiedenen Summanden ist und Od (n) mit einer ungeraden Anzahl. Und hier ist die Pointe: Vergleichen wir (10) mit Eulers Reihe in (8), so erhalten wir das wunderbare Resultat:  2  1 f¨ur n = 3j 2±j wenn j ≥ 1 gerade ist,    2 Ed (n) − Od (n) = −1 f¨ur n = 3j 2±j wenn j ≥ 1 ungerade ist,     0 sonst. Das ist aber nat¨urlich erst der Anfang einer l¨angeren Geschichte. Die Theorie der unendlichen Produkte enth¨alt viele solche unerwartete Identit¨aten und die zugeh¨origen Bijektionen. Die ber¨uhmtesten Ergebnisse sind die so genannten Rogers-Ramanujan-Identit¨aten, benannt nach Leonard Rogers

Ein Beispiel f¨ur n = 10: 10 = 9 + 1 10 = 8 + 2 10 = 7 + 3 10 = 6 + 4 10 = 4 + 3 + 2 + 1 und 10 = 10 10 = 7 + 2 + 1 10 = 6 + 3 + 1 10 = 5 + 4 + 1 10 = 5 + 3 + 2, also Ed (10) = Od (10) = 5.

240

Identit¨aten und Bijektionen und Srinivasa Ramanujan, in denen die Zahl 5 eine mysteri¨ose Rolle spielt: Y

1 5k−4 (1 − x )(1 − x5k−1 )

=

Y

1 5k−3 (1 − x )(1 − x5k−2 )

=

k≥1

k≥1

Srinivasa Ramanujan

2

X

xn , (1 − x)(1 − x2 ) · · · (1 − xn )

X

xn +n . (1 − x)(1 − x2 ) · · · (1 − xn )

n≥0

n≥0

2

Die Leser sind eingeladen, diese Identit¨aten in die folgenden Aussagen u¨ ber Anzahlen von Partitionen zu u¨ bersetzen, die Percy MacMahon als Erster bemerkte: • Sei f (n) die Anzahl der Partitionen von n, in denen alle Summanden von der Form 5k + 1 oder 5k + 4 sind, und g(n) die Anzahl der Partitionen, deren Summanden sich um mindestens 2 unterscheiden. Dann gilt f (n) = g(n). • Sei r(n) die Anzahl der Partitionen von n in Zahlen der Form 5k + 2 oder 5k + 3, und s(n) die Anzahl der Partitionen, deren Summanden sich um mindestens 2 unterscheiden und in denen die Zahl 1 nicht auftritt. Dann gilt r(n) = s(n). Alle bekannten Beweise der Rogers-Ramanujan-Identit¨aten mittels formaler Reihen verwenden fortgeschrittene Ergebnisse aus dieser Theorie, und auch ein Bijektionsbeweis von f (n) = g(n) bzw. r(n) = s(n) wurde lange Zeit nicht gefunden. Schließlich waren 1981 Adriano Garsia und Stephen Milne erfolgreich. Ihre Bijektionen sind jedoch außerordentlich kompliziert — ein Beweis aus dem BUCH steht noch aus.

Literatur [1] G. E. A NDREWS : The Theory of Partitions, Encyclopedia of Mathematics and its Applications, Vol. 2, Addison-Wesley, Reading MA 1976. [2] D. B RESSOUD & D. Z EILBERGER : Bijecting Euler’s partitions-recurrence, Amer. Math. Monthly 92 (1985), 54-55. [3] A. G ARSIA & S. M ILNE : A Rogers-Ramanujan bijection, J. Combinatorial Theory, Ser. A 31 (1981), 289-339. [4] S. R AMANUJAN : Proof of certain identities in combinatory analysis, Proc. Cambridge Phil. Soc. 19 (1919), 214-216. [5] L. J. ROGERS : Second memoir on the expansion of certain infinite products, Proc. London Math. Soc. 25 (1894), 318-343.

¨ Vervollstandigung von Lateinischen Quadraten

Eine der a¨ ltesten kombinatorischen Konfigurationen, deren Studium bis in die fr¨uheste Zeit zur¨uckgeht, sind Lateinische Quadrate. Um ein Lateinisches Quadrat zu erhalten, muss man die n2 Felder eines (n × n)-Quadrats so mit den Zahlen 1, 2, . . . , n f¨ullen, dass jede Zahl genau einmal in jeder Zeile und in jeder Spalte erscheint. Mit anderen Worten, die Zeilen und Spalten sind jeweils Permutationen der Menge {1, . . . , n}. Wir wollen die Zahl n die Ordnung des Lateinischen Quadrats nennen. Hier ist das Problem, das wir studieren wollen. Angenommen, jemand hat schon einige der Felder mit Zahlen aus {1, 2, . . . , n} gef¨ullt. Unsere Aufgabe ist es nun, die freigebliebenen Felder so zu f¨ullen, dass wir schließlich ein Lateinisches Quadrat erhalten. Wann ist das m¨oglich? Nat¨urlich m¨ussen wir voraussetzen, dass zu Beginn unserer Aufgabe jedes Element h¨ochstens einmal in jeder Zeile und Spalte vorkommt. Wir wollen dieser Konfiguration einen Namen geben. Wir sprechen von einem partiellen Lateinischen Quadrat der Ordnung n, wenn einige Felder einer (n × n)-Matrix mit den Zahlen aus der Menge {1, . . . , n} so gef¨ullt sind, dass jede Zahl h¨ochstens einmal in jeder Zeile und Spalte erscheint. Das Problem lautet also: Wann kann ein partielles Lateinisches Quadrat zu einem Lateinischen Quadrat derselben Ordnung vervollst¨andigt werden? Sehen wir uns einige Beispiele an. Angenommen die ersten n − 1 Zeilen sind bereits gef¨ullt und nur die letzte Zeile ist noch leer. Dann k¨onnen wir ganz leicht die letzte Zeile auff¨ullen. Man braucht nur zu beachten, dass jedes Element n − 1 Mal in dem Lateinischen Quadrat auftaucht und daher in genau einer Spalte fehlt. Schreiben wir also jedes Element unten in die Spalte, in der es fehlt, so haben wir das Quadrat korrekt vervollst¨andigt. Nehmen wir nun andererseits an, dass nur die erste Zeile gef¨ullt ist. Dann ist es wieder leicht, das Quadrat zu vervollst¨andigen, indem wir n¨amlich die Elemente zyklisch verschieben, immer um einen Schritt weiter in jeder der folgenden Zeilen. Wir sehen also, dass in unserem ersten Beispiel die Vervollst¨andigung erzwungen ist, w¨ahrend wir im zweiten Beispiel eine Vielzahl von M¨oglichkeiten haben. Im Allgemeinen werden wir also umso mehr Freiheit haben, das Quadrat zu vervollst¨andigen, je weniger Felder am Anfang gef¨ullt sind. Der Rand zeigt allerdings ein Beispiel eines partiellen Quadrats, in dem nur n Felder gef¨ullt sind, das aber trotzdem nicht vervollst¨andigt werden kann, weil die obere rechte Ecke nicht gef¨ullt werden kann, ohne eine Zeilenoder Spaltenbedingung zu verletzen.

Kapitel 32

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Ein Lateinisches Quadrat der Ordnung 4

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Ein zyklisches Lateinisches Quadrat

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...

n-1 n

Ein partielles Lateinisches Quadrat, das nicht vervollst¨andigt werden kann

242

Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten

Angenommen, es sind weniger als n Felder in einem partiellen Lateinischen (n × n)-Quadrat gef¨ullt, kann man es dann immer zu einem Lateinischen Quadrat vervollst¨andigen?

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Z: 1 1 1 2 2 2 3 3 3 S: 1 2 3 1 2 3 1 2 3 E: 1 3 2 2 1 3 3 2 1

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Z: 1 3 2 2 1 3 3 2 1 S: 1 1 1 2 2 2 3 3 3 E: 1 2 3 1 2 3 1 2 3

Diese Frage wurde von Trevor Evans im Jahr 1960 gestellt, und die Behauptung, dass eine Vervollst¨andigung immer m¨oglich ist, wurde schnell als die Evans-Vermutung bekannt. Nat¨urlich wird man an Induktion denken, und schließlich war es auch Induktion, die zum Erfolg f¨uhrte. Aber ganz so einfach war’s nicht: Bohdan Smetaniuks Beweis von 1981, der das Problem l¨oste, ist ein wunderbares Beispiel daf¨ur, wie raffiniert manchmal eine Induktion entworfen werden muss, um schließlich zum Ziel zu f¨uhren. Und dar¨uber hinaus ist der Beweis konstruktiv, er gibt ein Verfahren an, das Lateinische Quadrat explizit aus einer beliebigen vorgegebenen partiellen Konfiguration zu vervollst¨andigen. Bevor wir uns den Beweis vornehmen, wollen wir einen genaueren Blick auf Lateinische Quadrate im Allgemeinen werfen. Wir k¨onnen ein Lateinisches Quadrat auch als eine (3 × n2 )-Matrix ansehen, die man die Zeilenmatrix des Lateinischen Quadrats nennt. In jeder Spalte dieser Matrix steht ein Zeilenindex i, ein Spaltenindex j und das Element in der Position (i, j). Die Abbildung links zeigt ein Lateinisches Quadrat der Ordnung 3 und seine zugeh¨orige Zeilenmatrix, wobei Z, S und E die Zeilen, Spalten und Elemente bezeichnen. Die Bedingung an ein Lateinisches Quadrat ist a¨ quivalent dazu, dass in je zwei Zeilen der Zeilenmatrix alle n2 m¨oglichen geordneten Paare wirklich auftreten (und daher jedes Paar genau einmal). Also d¨urfen wir in jeder Zeile die Symbole beliebig permutieren (was auf Permutationen der Zeilen, der Spalten oder der Elemente hinausl¨auft), und wir erhalten wieder ein Lateinisches Quadrat. Aber die Bedingung an die (3 × n2 )-Matrix sagt uns mehr: die Elemente spielen keine spezielle Rolle. Permutieren wir die Zeilen der Matrix als Ganzes, so sind die Bedingungen an die Zeilenmatrix nach wie vor erf¨ullt, wir erhalten also wieder ein Lateinisches Quadrat. Permutieren wir beispielsweise die Zeilen des obigen Beispiels zyklisch Z −→ S −→ E −→ Z, so erhalten wir die nebenstehende Zeilenmatrix und das zugeh¨orige Lateinische Quadrat. Zwei Lateinische Quadrate, die durch eine solche Permutation verbunden sind, heißen konjugiert. Hier kommt nun eine wichtige Beobachtung, die den Beweis durchsichtiger macht: Ein partielles Lateinisches Quadrat entspricht offenbar einer partiellen Zeilenmatrix (jedes Paar tritt in einem Paar von Zeilen h¨ochstens einmal auf), und jede Konjugierte eines partiellen Lateinischen Quadrats ist wieder ein partielles Lateinisches Quadrat. Insbesondere kann ein partielles Lateinisches Quadrat genau dann vervollst¨andigt werden, wenn irgendein konjugiertes vervollst¨andigt werden kann (wir brauchen daf¨ur nur die Konjugierte zu vervollst¨andigen und dann die Permutation der drei Zeilen umzukehren). F¨ur das Folgende ben¨otigen wir zwei Resultate, die von Herbert J. Ryser und Charles C. Lindner stammen, und die schon lange vor Smetaniuks Satz

Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten bekannt waren. Ist ein partielles Lateinisches Quadrat von der Form, dass die ersten r Zeilen vollst¨andig gef¨ullt sind und alle u¨ brigen Felder leer sind, so sprechen wir von einem (r × n)-Lateinischen Rechteck. Lemma 1. Jedes (r × n)-Lateinisches Rechteck mit r < n kann zu einem ((r+1) × n)-Lateinischen Rechteck erweitert werden.  Beweis. Wir verwenden den Satz von Hall (aus Kapitel 27). Sei Aj die Menge der Zahlen, die nicht in Spalte j auftreten. Eine zul¨assige (r + 1)ste Zeile entspricht dann genau einem System von verschiedenen Vertretern f¨ur die Familie A1 , . . . , An . Um das Lemma zu beweisen, m¨ussen wir daher Halls Bedingung (H) verifizieren. Jede Menge Aj hat die Gr¨oße n − r, und jedes Element ist in genau n − r Mengen Aj enthalten (da es genau r Mal im Rechteck auftritt). Je m dieser Mengen Aj enthalten daher zusammen m(n − r) Elemente und somit mindestens m verschiedene, und das ist genau Bedingung (H).  Dieses Lemma kann nat¨urlich iterativ angewendet werden: Also kann jedes Lateinische Rechteck zu einem Lateinischen Quadrat vervollst¨andigt werden. Lemma 2. Jedes partielle Quadrat der Ordnung n mit h¨ochstens n − 1 gef¨ullten Feldern und h¨ochstens n2 verschiedenen Elementen kann zu einem Lateinischen Quadrat der Ordnung n vervollst¨andigt werden.  Beweis. Wir bringen zun¨achst das Problem in eine bequemere Form. Mit dem Prinzip der Konjugation, das wir oben diskutiert haben, k¨onnen wir die Bedingung h¨ochstens n2 verschiedene Elemente“ durch die Bedingung ” ersetzen, dass die Eintr¨age in h¨ochstens n2 Zeilen auftreten. Nun k¨onnen wir die Zeilen vertauschen, also auch (absteigend) nach der Anzahl der darin gef¨ullten Felder sortieren. Mit anderen Worten, wir k¨onnen annehmen, dass nur die ersten r Zeilen gef¨ullte Felder haben, und dass f1 ≥ f2 ≥ . . . ≥ fr > 0 gilt, wobei fi die Anzahl der gef¨ullten Felder in Zeile i ist, mit r ≤ n2 und P r i=1 fi ≤ n − 1. Nun werden wir die Zeilen 1, . . . , r Schritt f¨ur Schritt vervollst¨andigen, bis wir ein (r × n)-Rechteck erhalten, das dann nach Lemma 1 zu einem Lateinischen Quadrat erweitert werden kann. Angenommen, wir haben die Zeilen 1, 2, . . . , ℓ − 1 bereits voll aufgef¨ullt. In Zeile ℓ gibt es fℓ gef¨ullte Felder, und durch Spaltenpermutation k¨onnen wir annehmen, dass diese Felder am rechten Zeilenende liegen. Die gegenw¨artige Situation ist in dem Beispiel rechts (f¨ur n = 8, mit ℓ = 3, f1 = f2 = f3 = 2, f4 = 1) illustriert. Hier markieren die dunklen Quadrate von Anfang an gef¨ullte Felder, die helleren zeigen jene Felder, welche w¨ahrend der Vervollst¨andigung bereits gef¨ullt worden sind. Die Vervollst¨andigung von Zeile ℓ wird nun durch eine weitere Anwendung des Satzes von Hall erreicht, aber dieses Mal auf einigermaßen raffinierte Weise. Sei X die Menge der Elemente, die nicht in Zeile ℓ auftreten, also

243

244

Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten |X| = n − fℓ , und f¨ur j = 1, . . . , n − fℓ sei Aj die Menge jener Elemente aus X, die nicht in Spalte j auftreten (weder oberhalb noch unterhalb von Zeile ℓ). Um also Zeile ℓ vervollst¨andigen zu k¨onnen, m¨ussen wir Bedingung (H) f¨ur die Familie A1 , . . . , An−fℓ verifizieren. Zun¨achst behaupten wir, dass n − fℓ − ℓ + 1 > ℓ − 1 + fℓ+1 + . . . + fr

(1)

gilt. Daf¨ur unterscheiden wir drei F¨alle: Der Pr Fall ℓ = 1 ist klar, denn dann wird aus (1) einfach die Bedingung i=1 fi < n. Im Fall fℓ−1 ≥ 2 k¨onnen wir f1 + . . . +P fℓ−1 ≥ (ℓ − 1)fℓ−1 ≥ 2(ℓ − 1) r absch¨atzen, und damit folgt (1) auch aus i=1 fi < n. Und im Fall fℓ−1 = 1 folgt fℓ = . . . = fr = 1, damit reduziert sich (1) auf n > 2(ℓ − 1) + r − ℓ + 1 = r + ℓ − 1, und dies ist wegen ℓ ≤ r ≤ n2 richtig. Seien nun m der Mengen Aj gegeben, 1 ≤ m ≤ n − fℓ , und sei B die Vereinigung dieser Mengen. Wieder durch Spaltenpermutation d¨urfen wir annehmen, dass dies die ersten m Spalten sind. Wir m¨ussen also |B| ≥ m nachweisen. Mit c bezeichnen wir die Anzahl der Felder in den ersten m Spalten des Quadrats, die Elemente aus X enthalten. Es gibt h¨ochstens (ℓ − 1)m solche Felder oberhalb Zeile ℓ und h¨ochstens fℓ+1 + . . . + fr unterhalb Zeile ℓ, woraus c ≤ (ℓ − 1)m + fℓ+1 + . . . + fr folgt. Andererseits tritt aber jedes Element x ∈ X\B in jeder der ersten m Spalten auf, es gilt also c ≥ m(|X| − |B|), und daher mit |X| = n − fℓ |B| ≥ |X| −

1 mc

≥ n − fℓ − (ℓ − 1) −

1 m (fℓ+1

+ . . . + fr ).

Es folgt |B| ≥ m, falls n − fℓ − (ℓ − 1) −

1 m (fℓ+1

+ . . . + fr ) > m − 1

ist, das heißt, falls m(n − fℓ − ℓ + 2 − m) > fℓ+1 + . . . + fr

(2)

gilt. F¨ur m = 1 und f¨ur m = n − fℓ − ℓ + 1 reduziert sich die Ungleichung (2) gerade auf (1). Damit folgt sie aber auch f¨ur alle Werte m zwischen 1 und n − fℓ − ℓ + 1, weil die linke Seite eine quadratische Funktion in m ist, mit negativem Leitkoeffizienten −1. Es bleibt also der Fall m > n − fℓ − ℓ + 1. Da jedes Element x von X in h¨ochstens ℓ − 1 + fℓ+1 + . . . + fr Zeilen enthalten ist, kann es in h¨ochstens ebenso vielen Spalten auftreten. Verwenden wir abermals (1), so sehen wir, dass x in einer der Mengen Aj enthalten ist, und wir schließen in diesem Fall B = X und damit m ≤ n − fℓ = |X| = |B|, und der Beweis ist erbracht. 

245

Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten Jetzt k¨onnen wir endlich den Satz von Smetaniuk beweisen. Satz. Jedes partielle Lateinische Quadrat der Ordnung n, in dem h¨ochstens n − 1 Felder gef¨ullt sind, kann zu einem Lateinischen Quadrat derselben Ordnung vervollst¨andigt werden.  Beweis. Wir verwenden Induktion u¨ ber n, wobei f¨ur n ≤ 2 alles klar ist. Wir betrachten nun ein partielles Lateinisches Quadrat der Ordnung n ≥ 3 mit h¨ochstens n − 1 gef¨ullten Feldern. Mit Bezeichnungen wie oben liegen diese in r ≤ n − 1 verschiedenen Zeilen mit den Nummern s1 , . . . , sr , Pr wobei es in diesen f1 , . . . , fr > 0 gef¨ullte Felder gibt, i=1 fi < n. Nach Lemma 2 k¨onnen wir annehmen, dass es mehr als n2 verschiedene Elemente gibt; es gibt daher ein Element, das nur einmal auftritt: nach Umnummerierung und Zeilenvertauschung (wenn n¨otig) erreichen wir, dass das Element n nur einmal auftritt, und zwar in der Zeile s1 . Im n¨achsten Schritt wollen wir die Zeilen und Spalten des partiellen Lateinischen Quadrats so vertauschen, dass danach alle gef¨ullten Felder unter der Diagonalen liegen — mit Ausnahme des Feldes, das mit n gef¨ullt ist, und das genau auf der Diagonalen liegen soll. (Die Diagonale besteht aus allen Feldern (k, k) mit 1 ≤ k ≤ n.) Dies erreichen wir wie folgt: Zun¨achst tauschen wir die Zeile s1 in die Position f1 . Durch Permutation der Spalten bringen wir die gef¨ullten Felder nach links, so dass das Element n als letztes in seiner Zeile auftritt, auf der Diagonalen. Als N¨achstes bringen wir die Zeile s2 in die Position 1 + f1 + f2 und wieder die gef¨ullten Felder so weit nach links wie m¨oglich. Allgemein bringen wir f¨ur 1 < i ≤ r die Zeile si in die Position 1 + f1 + f2 + . . . + fi und die gef¨ullten Felder jeweils so weit nach links wie m¨oglich. Dies ergibt offensichtlich die gew¨unschte Konfiguration. Die n¨achste Abbildung zeigt ein Beispiel daf¨ur, mit n = 7: Die Zeilen s1 = 2, s2 = 3, s3 = 5 und s4 = 7 mit f1 = f2 = 2 und f3 = f4 = 1 werden in die Zeilenpositionen 2, 5, 6 und 7 getauscht, und die Spalten so nach links permutiert, dass am Ende alle Eintr¨age außer der einen 7 unter der mit • markierten Diagonalen liegen. s1

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5 5

s4

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Um Induktion anwenden zu k¨onnen, entfernen wir nun den Eintrag n von der Diagonalen und ignorieren die erste Zeile und die letzte Spalte (auf denen dann ohnehin keine Eintr¨age liegen): Damit betrachten wir jetzt ein partielles Lateinisches Quadrat der Ordnung n − 1 mit n − 2 vorgegebenen Eintr¨agen, das nach Induktion zu einem Lateinischen Quadrat derselben

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Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten

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Ordnung n − 1 vervollst¨andigt werden kann. Am Rand sehen wir eine (von vielen) Vervollst¨andigungen des partiellen Lateinischen Quadrats von oben. Die urspr¨unglich vorgegebenen Eintr¨age sind darin fettgedruckt. Alle Eintr¨age unter der Diagonalen des Quadrats (im Beispiel grau hinterlegt) sind ¨ jetzt schon endg¨ultig. Am Rest m¨ussen wir noch Anderungen vornehmen, um das Lateinische Quadrat vervollst¨andigen zu k¨onnen. Im n¨achsten Schritt sollen die Diagonalelemente des Quadrats durch n ersetzt und die dadurch gel¨oschten Elemente jeweils in die letzte Spalte eingetragen werden. Das geht aber nicht problemlos, weil im Allgemeinen die Diagonalelemente nicht alle verschieden sind. Deshalb gehen wir vorsichtiger vor und f¨uhren sukzessive f¨ur k = 2, 3, . . . , n − 1 (in dieser Reihenfolge) die folgende Operation durch: Trage in das Feld (k, n) den Wert n ein. Dies ergibt zun¨achst ein korrektes partielles Lateinisches Quadrat. Nun vertausche den Wert xk im Diagonalfeld (k, k) mit dem Wert n im Randfeld (k, n) derselben Zeile. Wenn der Wert xk bisher nicht in der letzten Spalte auftrat, dann ist die Arbeit f¨ur das betrachtete k erledigt. Die jetzt eingetragenen Elemente in der k-ten Spalte werden danach nicht mehr ver¨andert. In unserem Beispiel geht das f¨ur k = 2, 3 und 4 ohne Probleme, und die entsprechenden Diagonalelemente 3, 1 und 6 wandern jeweils in die letzte Spalte. Die folgenden drei Bilder zeigen jeweils diese Schritte, wobei die endg¨ultig fixierten Elemente jeweils grau hinterlegt werden.

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Nun ist der Fall zu behandeln, dass der Wert xk in der letzten Spalte schon vorkommt. In diesem Falle verfahren wir wie folgt: Wenn der Wert xk auch in einem Feld (j, n) in der letzten Spalte (mit 2 ≤ j < k) steht, dann vertauschen wir auch in Zeile j den Wert xk in der n-ten Spalte mit dem Eintrag x′k in der k-ten Spalte. Falls der Wert x′k ebenfalls in einem Feld (j ′ , n) in der n-ten Spalte vorkommt, so vertauschen wir auch in der j ′ -ten Zeile die Werte in der n-ten und in der k-ten Spalte, und so weiter. Bei diesem Vorgehen entstehen in den Zeilen nie zwei gleiche Eintr¨age, weil dort immer nur Eintr¨age vertauscht werden. In der Spalte k wird im ersten Vertauschungsschritt der (neue) Wert n eingetragen, in jedem weiteren Schritt wird immer ein Element eingetauscht, das im vorherigen Schritt gerade aus Spalte k herausgetauscht worden war.

247

Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten Wir m¨ussen jetzt noch nachweisen, dass der Austauschprozess zwischen der k-ten und der n-ten Spalte nicht in eine Endlosschleife von Wiederholungen l¨auft. Dies sieht man am folgenden bipartiten Graphen Gk : Seine Eckenmenge besteht aus den Feldern (i, k) und (j, n) mit 2 ≤ i, j ≤ k, deren Elemente m¨oglicherweise ausgetauscht werden. Eine Kante zwischen (i, k) und (j, n) gibt es, wenn die Felder in derselben Zeile liegen (also f¨ur i = j), oder wenn die Felder vor dem Austauschprozess mit demselben Element gef¨ullt sind (dann ist i 6= j). In der nebenstehenden Skizze sind die Kanten f¨ur i = j gestrichelt, die anderen sind durchgezogen. Die Ecken in Gk haben alle Grad 1 oder 2. Das Feld (k, n) entspricht einer Ecke vom Grad 1; in ihr beginnt ein Weg, der auf einer horizontalen Kante in die Spalte k f¨uhrt, dann m¨oglicherweise auf einer schr¨agen Kante in die Spalte n zur¨uck, dann horizontal in die Spalte k zur¨uck, usw. Er endet in der Spalte k mit einem Wert, der in Spalte n nicht auftritt. Die Austauschoperationen, die wir durchf¨uhren, enden deshalb irgendwann damit, dass ein neues Element in die letzte Spalte getauscht wird. Dann schließen wir die Arbeit an Spalte k ab, und die Elemente in den Feldern (i, k) aus der k-ten Spalte (i ≥ 2) werden endg¨ultig fixiert. In unserem Beispiel tritt der Austauschfall“ f¨ur k = 5 auf: das Element ” x5 = 3 ist in der letzten Spalte schon vorhanden, muss also in die Spalte k = 5 zur¨uckgetauscht werden. Das Austauschelement x′5 = 6 ist aber auch nicht neu, sondern wird durch x′′5 = 5 ersetzt, und die 5 ist neu:

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xk j

x′′k

x′k j ′

xk

n

k

Gk :

Der Austausch f¨ur k = 6 = n − 1 ist schließlich unproblematisch, und die Vervollst¨andigung zum Lateinischen Quadrat ist danach eindeutig: 7

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Vervollst¨andigung von Lateinischen Quadraten . . . und dies ist auch im Allgemeinen so: in die rechte untere Ecke, in das Feld (n, n), tr¨agt man den Wert n ein, und danach kann die erste Zeile mit den jeweils fehlenden Elementen aufgef¨ullt werden (siehe Lemma 1), und der Beweis ist vollst¨andig. Um explizit an die Vervollst¨andigung des urspr¨unglich vorgegebenen partiellen Lateinischen Quadrats der Ordnung n zu kommen, m¨ussen wir nun nur noch die Element-, Zeilen- und Spaltenvertauschungen aus den ersten beiden Schritten des Beweises r¨uckg¨angig machen. 

Literatur [1] T. E VANS : Embedding incomplete Latin squares, Amer. Math. Monthly 67 (1960), 958-961. [2] C. C. L INDNER : On completing Latin rectangles, Canadian Math. Bulletin 13 (1970), 65-68. [3] H. J. RYSER : A combinatorial theorem with an application to Latin rectangles, Proc. Amer. Math. Soc. 2 (1951), 550-552. [4] B. S METANIUK : A new construction on Latin squares I: A proof of the Evans conjecture, Ars Combinatoria 11 (1981), 155-172.

Das Dinitz-Problem

Kapitel 33

Das Vier-Farben-Problem hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der Graphentheorie, wie wir sie heute kennen, und F¨arbungen sind nach wie vor ein Lieblingsthema vieler Graphentheoretiker. Hier ist ein F¨arbungsproblem, das Jeff Dinitz im Jahr 1978 gestellt hat. Es klingt ganz einfach und widerstand dennoch allen Bem¨uhungen — bis zu seiner erstaunlich einfachen L¨osung durch Fred Galvin f¨unfzehn Jahre sp¨ater. j ↓

Angenommen, wir haben f¨ur jedes der n2 Felder eines (n × n)Quadrats eine Menge von n Farben zur Verf¨ugung. Ist es dann immer m¨oglich, so jedem Feld eine seiner n Farben zuzuweisen, dass keine zwei Felder in derselben Zeile oder Spalte dieselbe Farbe erhalten?

C(i, j)

← i Im Folgenden wollen wir mit (i, j) das Feld in Zeile i und Spalte j bezeichnen und mit C(i, j) die zugeh¨orige Menge von n Farben. Betrachten wir zun¨achst den Spezialfall, wenn alle Farbmengen C(i, j) gleich sind, zum Beispiel {1, 2, . . . , n}. In diesem Fall ist das Dinitz-Problem zur folgenden Aufgabe a¨ quivalent: Man f¨ulle das (n× n)-Quadrat mit den Zahlen 1, 2, . . . , n auf solche Weise, dass in jeder Zeile und Spalte alle Zahlen verschieden sind. Solche F¨arbungen entsprechen gerade den Lateinischen Quadraten aus dem letzten Kapitel. In diesem Fall ist die Antwort auf unsere Frage also Ja. Da dieser Spezialfall so leicht ist, warum sollte Ses dann im allgemeinen Fall schwieriger werden, wenn die Menge C := i,j C(i, j) sogar mehr als n Farben enthalten kann? Die Schwierigkeit r¨uhrt daher, dass nicht jede Farbe von C in jedem Feld zur Verf¨ugung steht. W¨ahrend beispielsweise im Fall eines Lateinischen Quadrats offensichtlich jede beliebige Permutation der Farben f¨ur die erste Zeile gew¨ahlt werden kann, ist dies im allgemeinen Fall nicht mehr m¨oglich. Schon der Fall n = 2 weist auf diese Schwierigkeit hin: Wenn wir in dem Beispiel rechts am Rand die Farben 1 und 2 f¨ur die erste Zeile w¨ahlen, so gibt es in der zweiten Zeile ein Problem, weil wir die Farbe 3 f¨ur beide Felder nehmen m¨ussten. Bevor wir uns dem Dinitz-Problem zuwenden, wollen wir die Situation in die Sprache der Graphentheorie u¨ bersetzen. Wie u¨ blich betrachten wir nur Graphen G = (V, E) ohne Schlingen und mehrfache Kanten. Sei χ(G) die chromatische Zahl des Graphen G, also die kleinste Zahl von Farben, mit denen wir die Ecken so f¨arben k¨onnen, dass benachbarte Ecken stets verschiedene Farben erhalten.

{1, 2} {2, 3} {1, 3} {2, 3}

252

Das Dinitz-Problem Jede zul¨assige F¨arbung induziert eine Aufteilung der Eckenmenge von V in Klassen ( gef¨arbt mit derselben Farbe“), so dass zwischen den Ecken ” einer Klasse keine Kanten auftreten. Wir nennen eine Menge A ⊆ V unabh¨angig, wenn es keine Kanten zwischen Ecken in A gibt. Damit ist die chromatische Zahl die kleinste Anzahl von unabh¨angigen Mengen, in die die Eckenmenge V zerlegt werden kann. Im Jahr 1976 wurde von Vizing, und drei Jahre sp¨ater auch von Erd˝os, Rubin und Taylor, die folgende Variante des F¨arbungsproblems studiert, die uns geradewegs zum Dinitz-Problem f¨uhrt: Angenommen, im Graphen G = (V, E) ist f¨ur jede Ecke v eine Menge C(v) S von Farben gegeben. Eine Listenf¨arbung ist eine F¨arbung c : V −→ v∈V C(v), die die Bedingung c(v) ∈ C(v) f¨ur jedes v ∈ V erf¨ullt. Die Definition der listenchromatischen Zahl χℓ (G) liegt nun nahe: Sie ist die kleinste Zahl k, so dass f¨ur jede Liste von Farbmengen C(v), mit |C(v)| = k f¨ur alle v ∈ V , immer eine Listenf¨arbung existiert. Nat¨urlich haben wir χℓ (G) ≤ |V |. Eine gew¨ohnliche F¨arbung ist also genau der Spezialfall, dass alle Mengen C(v) gleich sind. Deshalb gilt f¨ur alle Graphen G χ(G) ≤ χℓ (G). Um zum Dinitz-Problem zu kommen, betrachten wir den Graphen Sn , der als Eckenmenge die n2 Felder unseres (n × n)-Quadrats hat, wobei zwei Felder genau dann benachbart sind, wenn sie in derselben Zeile oder Spalte auftreten. Da alle Felder in einer Zeile benachbart sind, brauchen wir jedenfalls mindestens n Farben. Dabei entspricht jede F¨arbung mit n Farben genau einem Lateinischen Quadrat, wobei die Felder, die dieselbe Zahl enthalten, jeweils eine Farbklasse bilden. Da Lateinische Quadrate, wie wir gesehen haben, f¨ur alle n existieren, schließen wir χ(Sn ) = n, und das Dinitz-Problem kann nun als χℓ (Sn ) = n ?

Der Graph S3

{1, 2}

{3, 4}

{1, 3} {1, 4} {2, 3} {2, 4}

formuliert werden. Man k¨onnte vielleicht glauben, dass χ(G) = χℓ (G) f¨ur jeden Graphen G gilt, aber dies ist keineswegs richtig. Betrachten wir den Graphen K2,4 , der links dargestellt ist. Seine chromatische Zahl ist 2, da wir eine Farbe f¨ur die zwei linken Ecken verwenden k¨onnen und die zweite Farbe f¨ur die vier Ecken auf der rechten Seite. Nehmen wir nun an, dass die Farblisten durch die Zeichnung am Rand gegeben sind. F¨ur eine F¨arbung der beiden linken Ecken haben wir dann die vier M¨oglichkeiten 1|3, 1|4, 2|3 und 2|4, aber jedes dieser Paare erscheint als eine Farbmenge auf der rechten Seite, also ist eine Listenf¨arbung mit den angegebenen Farblisten nicht m¨oglich. Es folgt χℓ (G) ≥ 3, und der Leser kann sich leicht u¨ berzeugen, dass tats¨achlich χℓ (G) = 3 gilt (daf¨ur ist es ist nicht n¨otig, alle M¨oglichkeiten auszuprobieren!). Durch Verallgemeinerung dieses Beispieles ist es ganz einfach, Graphen G zu finden, f¨ur die χ(G) = 2 gilt, χℓ (G) aber beliebig groß ist! Das Listenf¨arbungsproblem ist also nicht so leicht, wie es zun¨achst scheint.

253

Das Dinitz-Problem Kehren wir zum Dinitz-Problem zur¨uck. Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu seiner L¨osung hat Jeanette Janssen im Jahr 1992 getan, als sie χℓ (Sn ) ≤ n + 1 bewies, und den coup de grˆace hat Fred Galvin 1995 durch eine geniale Kombination zweier Resultate geliefert, die damals beide l¨angst bekannt waren. Wir wollen also zun¨achst diese beiden Resultate besprechen und dann zeigen, wie die Formel χℓ (Sn ) = n aus ihnen folgt. Zun¨achst ein paar Bezeichnungen. Wie immer sei d(v) der Grad der Ecke v. In unserem Quadratgraphen Sn hat jede Ecke Grad 2n − 2, weil sie zu je n − 1 weiteren Ecken in derselben Zeile und in derselben Spalte benachbart ist. F¨ur eine Teilmenge A ⊆ V sei GA der Untergraph, der A als Eckenmenge hat und alle Kanten von G zwischen Ecken von A enth¨alt. Wir nennen GA den von A induzierten Untergraphen, und sagen, dass H ein induzierter Untergraph von G ist, falls H = GA f¨ur ein gewisses A (n¨amlich die Eckenmenge von H) ist. ~ = (V, E), In unserem ersten Resultat geht es um gerichtete Graphen G also um Graphen, in denen jede Kante e eine Richtung hat. Die Bezeichnung e = (u, v) verwenden wir f¨ur eine Kante e mit Anfangsecke u und Endecke v. Eine solche Kante werden wir auch als u −→ v notieren. Wir k¨onnen daher vom Aus-Grad d+ (v) bzw. Ein-Grad d− (v) sprechen, wobei d+ (v) die Anzahl der Kanten mit v als Anfangsecke z¨ahlt, und analog f¨ur d− (v); offenbar gilt d+ (v) + d− (v) = d(v). Wenn wir G schreiben, so ~ ohne die Kantenrichtungen. meinen wir den Graphen G Der folgende Begriff hat seinen Ursprung in der Spieltheorie und wird eine entscheidende Rolle in unserer Diskussion spielen. ~ = (V, E) ein gerichteter Graph. Ein Kern K ⊆ V ist Definition 1. Sei G eine Teilmenge der Ecken, f¨ur die gilt: a

(i) K ist unabh¨angig in G, und (ii) f¨ur jede Ecke u 6∈ K existiert eine Ecke v ∈ K mit u −→ v. Sehen wir uns das Beispiel am Rand an. Die Menge {b, c, f } stellt einen Kern dar, w¨ahrend der von {a, c, e} induzierte Untergraph offenbar keinen Kern besitzt. Mit diesen Vorbereitungen k¨onnen wir das erste Resultat formulieren. ~ = (V, E) ein gerichteter Graph, und f¨ur jede Ecke Lemma 1. Sei G v ∈ V sei eine Farbmenge C(v) gegeben, die gr¨oßer ist als der Aus-Grad, ~ einen Kern, |C(v)| ≥ d+ (v)+1. Besitzt jeder induzierte Untergraph von G so existiert eine Listenf¨arbung von G mit einer Farbe aus C(v) f¨ur jedes v.  Beweis. Wir verwenden Induktion u¨ ber |V S |. F¨ur |V | = 1 gibt es nichts zu beweisen. Wir w¨ahlen eine Farbe c ∈ C = v∈V C(v) und setzen A(c) := {v ∈ V : c ∈ C(v)}.

b

f

c

e

d

254

Das Dinitz-Problem Nach Voraussetzung besitzt der induzierte Untergraph GA(c) einen Kern K(c). Nun f¨arben wir alle v ∈ K(c) mit der Farbe c (das ist m¨oglich, da K(c) unabh¨angig ist) und entfernen K(c) aus G und c aus C. Es sei G′ der induzierte Untergraph von G auf V \K(c) mit C ′ (v) = C(v)\c als neue Liste von Farbmengen. Man beachte, dass f¨ur jedes v ∈ A(c)\K(c) der Aus-Grad d+ (v) sich um mindestens 1 verringert hat (wegen Bedingung (ii) in der Definition eines Kerns). Somit ist die Voraussetzung d+ (v) + 1 ~ ′ nach wie vor g¨ultig. Dieselbe Bedingung ist auch f¨ur ≤ |C ′ (v)| in G die Ecken außerhalb A(c) erf¨ullt, da in diesem Fall die Farbmengen C(v) unver¨andert sind. Der neue Graph G′ hat weniger Ecken als G, und der Beweis folgt mit Induktion. 

Die Methode zum Beweis des Dinitz-Vermutung liegt nun auf der Hand: Wir m¨ussen Kantenrichtungen f¨ur den Graphen Sn finden, f¨ur die alle Aus-Grade d+ (v) ≤ n − 1 sind und die die Existenz eines Kerns f¨ur alle induzierten Untergraphen sichern. Dies erreichen wir mit unserem zweiten Resultat. Wieder ben¨otigen wir daf¨ur einige Vorbereitungen. Wir erinnern uns (aus Kapitel 10), dass ein bipartiter Graph G = (X ∪ Y, E) ein Graph mit der folgenden Eigenschaft ist: Die Eckenmenge zerf¨allt in zwei Teile X und Y , so dass jede Kante eine Endecke in X hat und die andere in Y . Mit anderen Worten, die bipartiten Graphen sind genau jene Graphen, die mit zwei Farben gef¨arbt werden k¨onnen (eine Farbe f¨ur X und eine f¨ur Y ). Nun kommen wir zu einem wichtigen Begriff mit einer sehr menschlichen Interpretation, dem eines stabilen Matchings“. Ein Matching M in einem X Y ” bipartiten Graphen G = (X ∪ Y, E) ist eine Menge von Kanten, so dass keine zwei Kanten in M eine gemeinsame Endecke haben. In dem Graphen der Abbildung links bilden die fettgedruckten Kanten ein Matching. Wir betrachten nun X als eine Menge von M¨annern und Y als eine Menge von Frauen und interpretieren eine Kante uv ∈ E so, dass u und v einer Ein bipartiter Graph mit einem Matching Heirat nicht abgeneigt w¨aren. Ein Matching ist dann eine Massenhochzeit ohne Bigamie. F¨ur unsere Zwecke ben¨otigen wir aber eine genauere (und auch realistischere?) Version eines Matchings, die zuerst von David Gale und Lloyd S. Shapley vorgeschlagen wurde. Im wirklichen Leben hat jede Person ihre Pr¨aferenzen, und diese Beobachtung wollen wir nun aufgreifen. Wir nehmen an, dass es f¨ur jedes v ∈ X ∪ Y eine Rangfolge der Menge N (v) der Nachbarecken von v gibt, N (v) = {z1 > z2 > · · · > zd(v) }. Das heißt, z1 ist die erste Wahl von v, gefolgt von z2 , und so fort. Definition 2. Ein Matching M von G = (X ∪ Y, E) heißt stabil, wenn die folgende Bedingung erf¨ullt ist: Wann immer uv ∈ E\M ist, u ∈ X, v ∈ Y , dann gilt entweder uy ∈ M mit y > v in N (u) oder xv ∈ M mit x > u in N (v), oder beides. In unserer menschlichen Interpretation ist also eine Menge von Hochzeiten stabil, wenn es niemals vorkommt, dass u und v nicht verheiratet sind,

255

Das Dinitz-Problem aber u die Person v seiner Partnerin vorzieht, falls er eine Partnerin hat, und ebenso v die Person u ihrem eventuellen Partner, was offensichtlich eine heikle Situation darstellen w¨urde. Bevor wir unser zweites Resultat beweisen, wollen wir uns die Situation anhand des folgenden Beispiels vor Augen f¨uhren: {A > C}

a

A

{c > d > a}

{C > D > B}

b

B

{b}

{A > D}

c

C

{a > b}

{A}

d

D

{c > b}

Man beachte, dass es in diesem Beispiel ein eindeutig gr¨oßtes Matching M mit vier Kanten gibt, M = {aC, bB, cD, dA}, aber M ist nicht stabil (man betrachte cA): {A > C}

a

A

{c > d > a}

{C > D > B}

b

B

{b}

{A > D}

c

C

{a > b}

{A}

d

D

{c > b}

Lemma 2. Es gibt immer ein stabiles Matching.  Beweis. Wir verwenden den folgenden Algorithmus. In der ersten Phase halten alle M¨anner u ∈ X um die Hand der Dame ihrer ersten Wahl an. Falls eine Frau mehr als einen Antrag erh¨alt, so w¨ahlt sie daraus ihren pers¨onlichen Favoriten aus und setzt ihn in ihr Vorzimmer. Falls sie nur von einem Mann einen Antrag erh¨alt, so setzt sie den in ihr Vorzimmer. Die u¨ brigbleibenden M¨anner werden abgewiesen und bilden die Kandidatenmenge K. In der zweiten Phase stellen alle M¨anner aus K ihren n¨achstbesten Antrag. Die Frauen vergleichen die M¨anner, die ihnen Antr¨age gestellt haben (untereinander, und mit dem, der gegebenenfalls in ihrem Vorzimmer sitzt), w¨ahlen daraus ihren Favoriten und setzen ihn ins Vorzimmer. Der Rest wird abgewiesen und bildet die neue Kandidatenmenge K. Nun stellen wieder die M¨anner aus K einen Antrag an die Frauen ihrer n¨achsten Wahl, und so fort. Ein Mann, der einen Antrag der Frau seiner letzten Wahl gestellt hat und wieder abgewiesen wird, f¨allt aus den weiteren Betrachtungen heraus (ebenso wie aus der Kandidatenmenge). Offensichtlich ist irgendwann die Kandidatenmenge K leer, und in diesem Augenblick stoppt der Algorithmus. Behauptung. Am Ende des Algorithmus bilden die M¨anner in den Vorzimmern zusammen mit den zugeh¨origen Frauen ein stabiles Matching.

Die fetten Kanten bilden ein stabiles Matching. In jeder Priorit¨atenliste ist die Wahl, die zu einem stabilen Matching f¨uhrt, fett gedruckt.

256

Das Dinitz-Problem Wir beobachten zun¨achst, dass im Vorzimmer jeder Frau die M¨anner immer besser werden“: sie k¨onnen nur durch Nachfolger mit gr¨osserer ” Pr¨aferenz (der Frau) abgel¨ost werden, da diese in jeder Runde die neuen Antr¨age mit dem bisherigen Vorzimmer-Kandidaten vergleicht und daraus den neuen Favoriten k¨urt. Wenn also uv ∈ E ist, aber uv 6∈ M , so hat der Mann u entweder niemals einen Antrag an die Frau v gestellt, in welchem Fall er einen besseren Partner gefunden hat, bevor er jemals zu v gekommen ist, was uy ∈ M mit y > v in N (u) impliziert; oder u hat einen Antrag an v gestellt, war aber abgewiesen worden, woraus xv ∈ M mit x > u in N (v) folgt. Und dies ist genau die Bedingung f¨ur ein stabiles Matching.  Kombinieren wir nun die Lemmas 1 und 2, so erhalten wir Galvins L¨osung des Dinitz-Problems. Satz. Es gilt χℓ (Sn ) = n f¨ur alle n.

1

2

3

3

1

2

2

3

1

1

2

3

4 1

1

2

2

3

3

4

4

 Beweis. Wie zuvor bezeichnen wir die Ecken von Sn mit (i, j), f¨ur 1 ≤ i, j ≤ n. Die Ecken (i, j) und (r, s) sind also genau dann benachbart, wenn i = r ist oder j = s. Nun nehmen wir irgendein Lateinisches Quadrat L mit Elementen aus {1, 2, . . . , n} und bezeichnen mit L(i, j) den Eintrag im Feld (i, j). Als N¨achstes machen wir aus Sn einen gerichteten ~n , indem wir die horizontalen Kanten (i, j) −→ (i, j ′ ) richten, Graphen S wenn L(i, j) < L(i, j ′ ) ist und die vertikalen Kanten (i, j) −→ (i′ , j), falls L(i, j) > L(i′ , j) ist. Wir richten also die horizontalen Kanten vom kleineren zum gr¨oßeren Element, und die vertikalen Kanten vom gr¨oßeren zum kleineren. (Der Rand enth¨alt ein Beispiel f¨ur n = 3.) Nun gilt d+ (i, j) = n − 1 f¨ur alle (i, j): Ist n¨amlich L(i, j) = k, so enthalten n − k Felder in Zeile i einen gr¨oßeren Eintrag als k, und k − 1 Felder in Spalte j einen kleineren Eintrag als k. ~n Nach Lemma 1 bleibt zu zeigen, dass jeder induzierte Untergraph von S einen Kern besitzt. Sei A ⊆ V gegeben und X die Menge der Zeilen von L, und Y die Menge der Spalten. Der Menge A ordnen wir den bipartiten Graphen G = (X ∪ Y, A) zu, in dem jedes (i, j) ∈ A durch die Kante ij mit i ∈ X, j ∈ Y repr¨asentiert wird. In dem Beispiel am Rand sind die Felder von A grau gezeichnet. Die Kantenrichtungen auf Sn induzieren auf nat¨urliche Weise eine Rangfolge auf den Nachbarschaften in G = (X ∪ Y, A), indem wir j ′ > j in ~n gilt, und i′ > i in N (j), falls N (i) setzen, falls (i, j) −→ (i, j ′ ) in S ′ (i, j) −→ (i , j) ist. Nach Lemma 2 besitzt G = (X ∪ Y, A) ein stabiles Matching M . Dieses Matching M ist, als Teilmenge von A, unser gew¨unschter Kern! Um das zu sehen, erkennen wir zuerst, dass M in A unabh¨angig ist, da die Kanten von M in G = (X ∪ Y, A) keine Endecke i oder j gemeinsam haben. Zweitens, falls (i, j) ∈ A\M gilt, so existiert nach Definition eines stabilen Matchings entweder (i, j ′ ) ∈ M mit j ′ > j ~n genau (i, j) −→ (i, j ′ ) ∈ M oder oder (i′ , j) ∈ M mit i′ > i, was f¨ur S ′ (i, j) −→ (i , j) ∈ M bedeutet, und der Beweis ist vollst¨andig. 

257

Das Dinitz-Problem Wir wollen zum Abschluss noch ein wenig weiter gehen. Der Leser hat vielleicht bemerkt, dass der Graph Sn durch eine ganz einfache Konstruktion aus dem vollst¨andigen bipartiten Graphen entsteht: Ausgangspunkt ist der vollst¨andige bipartite Graph Kn,n , mit |X| = |Y | = n und allen Kanten zwischen X und Y . Nun betrachten wir die Kanten von Kn,n als die Ecken eines neuen Graphen, in dem wir zwei solche Ecken genau dann verbinden, wenn sie als Kanten in Kn,n eine gemeinsame Endecke haben. Auf diese Weise erhalten wir offenbar den Quadratgraphen Sn . Wir sagen, dass Sn der Kantengraph von Kn,n ist. Wir k¨onnen nun dieselbe Konstruktion f¨ur einen beliebigen Graphen G vornehmen; der resultierende Graph heißt dann der Kantengraph L(G) von G. Mit diesen Bezeichnungen ist also Sn = L(Kn,n ). Allgemein ist H ein Kantengraph, falls H = L(G) gilt, f¨ur einen Graphen G. Nat¨urlich ist nicht jeder Graph ein Kantengraph; ein Beispiel daf¨ur ist der K2,4 , den wir schon fr¨uher betrachtet haben — und f¨ur diesen Graphen haben wir χ(K2,4 ) < χℓ (K2,4 ) gesehen. Aber was ist, wenn H ein Kantengraph ist? Mit einem ganz a¨ hnlichen Beweis wie oben kann gezeigt werden, dass χ(H) = χℓ (H) immer gilt, wenn H der Kantengraph eines bipartiten Graphen ist, und die Methode k¨onnte durchaus noch ein St¨uck weiter f¨uhren auf dem Weg zur L¨osung der bedeutendsten Vermutung in diesem Gebiet: Gilt χ(H) = χℓ (H) f¨ur jeden Kantengraphen H? ¨ Uber diese Vermutung ist wenig bekannt und die Dinge sehen einigermaßen kompliziert aus — aber so war es ja auch vor zwanzig Jahren mit dem Dinitz-Problem.

Literatur ˝ , A. L. RUBIN & H. TAYLOR : Choosability in graphs, Proc. West [1] P. E RD OS Coast Conference on Combinatorics, Graph Theory and Computing, Congressus Numerantium 26 (1979), 125-157. [2] D. G ALE & L. S. S HAPLEY: College admissions and the stability of marriage, Amer. Math. Monthly 69 (1962), 9-15. [3] F. G ALVIN : The list chromatic index of a bipartite multigraph, J. Combinatorial Theory, Ser. B 63 (1995), 153-158. [4] J. C. M. JANSSEN : The Dinitz problem solved for rectangles, Bulletin Amer. Math. Soc. 29 (1993), 243-249. [5] V. G. V IZING : Coloring the vertices of a graph in prescribed colours (auf russisch), Metody Diskret. Analiz. 101 (1976), 3-10.

G:

L(G) : a b

a

b

d

d c

c

Konstruktion eines Kantengraphen

Ein Funf-Farben-Satz ¨

Kapitel 34

Ebene Graphen und ihre F¨arbungen sind seit den Anf¨angen der Graphentheorie ein Gegenstand intensiver Forschungen gewesen, haupts¨achlich wegen ihrer Beziehung zum Vier-Farben-Problem. In seiner urspr¨unglichen Formulierung fragte das Vier-Farben-Problem, ob es immer m¨oglich ist, die Gebiete einer ebenen Karte so mit vier Farben zu f¨arben, dass Gebiete mit einer gemeinsamen Grenze (und nicht nur einem Grenzpunkt) immer verschiedene Farben erhalten. Die Zeichnung zur Rechten zeigt, dass das F¨arben der Gebiete wirklich dieselbe Aufgabe ist wie das F¨arben der Ecken eines ebenen Graphen. Wie in Kapitel 12 (Seite 83) platzieren wir daf¨ur einen Punkt ins Innere jedes Gebietes (inklusive des a¨ ußeren Gebietes), und wenn zwei Gebiete ein St¨uck Grenze gemeinsam haben, dann verbinden wir die entsprechenden Ecken durch eine Kante, die die gemeinsame Grenze u¨ berquert. Der Dualgraph einer Karte Der so konstruierte Graph G, der Dualgraph der Karte M , ist dann ein ebener Graph, und das F¨arben der Ecken von G im u¨ blichen Sinne ist dasselbe wie das F¨arben der Gebiete von M . Deshalb kann man sich auf das Ecken-F¨arben von ebenen Graphen konzentrieren, und wir werden dies von nun an auch tun. Dabei kann man auch annehmen, dass G keine Schlingen oder Vielfachkanten hat, weil diese f¨ur das F¨arben nicht relevant sind. Auf dem langen und steinigen Weg zur L¨osung des Vier-Farben-Problems gab es viele sch¨one elementare Ideen. Der vollst¨andige Beweis, den Appel und Haken 1976 und Robertson, Sanders, Seymour und Thomas 1997 in verbesserter Form gaben, reizte aber zus¨atzlich auch die M¨oglichkeiten von massivem Computereinsatz voll aus. Mehr als dreißig Jahre nach dem urspr¨unglichen Beweis gibt es jetzt sogar einen Computer-erzeugten Computer-¨uberpr¨ufbaren Beweis von Gonthier, aber sonst hat sich die Situation nicht wesentlich ge¨andert, und ein Beweis aus dem BUCH ist nicht in Sicht. Also sind wir etwas bescheidener, und fragen zun¨achst nach einem h¨ubschen Beweis daf¨ur, dass jeder ebene Graph 5-f¨arbbar ist. Einen Beweis f¨ur diesen F¨unf-Farben-Satz hatte Heawood schon zu Ende des 19. Jahrhunderts angegeben. Das wesentlichste Hilfsmittel f¨ur seinen Beweis (und auch f¨ur den Vier-Farben-Satz) war die Eulersche Formel (siehe Kapitel 12). Wir d¨urfen annehmen, dass der Graph G, den wir f¨arben wollen, zusammenh¨angend ist, anderenfalls f¨arben wir seine Komponenten unabh¨angig voneinander. Ein ebener Graph zerlegt die Ebene in eine Menge R von Gebieten (eines davon ist das a¨ ußere, unbeschr¨ankte Gebiet). Die Eulersche Formel f¨ur ebene, zusammenh¨angende Graphen G = (V, E) besagt |V | − |E| + |R| = 2.

Dieser ebene Graph hat 8 Ecken, 13 Kanten und 7 Gebiete.

260

Ein F¨unf-Farben-Satz Zum Aufw¨armen wollen wir uns ansehen, wie aus der Eulerschen Formel unmittelbar die 6-F¨arbbarkeit von ebenen Graphen folgt. Daf¨ur verwenden wir Induktion u¨ ber die Anzahl n der Ecken. F¨ur kleine Werte von n (insbesondere f¨ur n ≤ 6) ist die Aussage offensichtlich. Teil (A) der Proposition auf Seite 85 besagt, dass G eine Ecke v vom Grad h¨ochstens 5 hat. Nun entfernen wir v und alle Kanten, die mit v inzidieren. Dies ergibt einen ebenen Graphen G′ = G\v mit n − 1 Ecken. Nach Induktion hat dieser eine 6-F¨arbung. Da v h¨ochstens f¨unf Nachbarn in G hatte, werden auch h¨ochstens f¨unf Farben f¨ur die Nachbarn in einer F¨arbung von G′ verwendet. Also k¨onnen wir jede 6-F¨arbung von G′ zu einer 6-F¨arbung von G erweitern, indem wir v einfach eine Farbe zuweisen, die f¨ur seine Nachbarn in der F¨arbung von G′ nicht verwendet wurde. Damit ist auch G 6-f¨arbbar. Nun betrachten wir die listen-chromatische Zahl von ebenen Graphen, die schon in dem Kapitel u¨ ber das Dinitz-Problem auftrat. Offensichtlich funktioniert unsere Methode zur 6-F¨arbung auch f¨ur Listen (die Farben gehen uns nie aus), also gilt auch χℓ (G) ≤ 6 f¨ur jeden ebenen Graphen G. Erd˝os, Rubin und Taylor vermuteten 1979, dass jeder ebene Graph h¨ochstens die listen-chromatische Zahl 5 hat, dass es aber auch ebene Graphen G gibt mit χℓ (G) > 4. In beiden Punkten hatten sie Recht. Margit Voigt hat als Erste ein Beispiel eines ebenen Graphen G mit χℓ (G) = 5 konstruiert (ihr Beispiel hatte 238 Ecken), und ungef¨ahr zur selben Zeit hat Carsten Thomassen einen wirklich erstaunlichen Beweis der 5-Listenf¨arbungsVermutung gefunden. Sein Beweis ist ein beeindruckendes Beispiel daf¨ur, wie effektiv Induktionsbeweise sein k¨onnen, wenn man nur die richtige Induktionsbehauptung daf¨ur findet. Der Beweis ben¨otigt nicht einmal die Eulersche Formel!

Satz. Alle ebenen Graphen G k¨onnen 5-listengef¨arbt werden: χℓ (G) ≤ 5.

Ein fast-triangulierter ebener Graph

 Beweis. Zun¨achst bemerken wir, dass das Hinzuf¨ugen von Kanten die (listen-)chromatische Zahl nur vergr¨oßern kann. Anders gesagt, wenn H ein Untergraph von G ist, dann gilt sicherlich χℓ (H) ≤ χℓ (G). Also d¨urfen wir annehmen, dass G zusammenh¨angend ist, und dass alle beschr¨ankten Gebiete einer Einbettung durch Dreiecke begrenzt werden, w¨ahrend das unbeschr¨ankte Gebiet durch einen Kreis begrenzt wird, der auch mehr als drei Ecken haben darf. Wir nennen einen solchen Graphen fast-trianguliert. Beim Beweis des Satzes k¨onnen wir uns also auf fast-triangulierte Graphen beschr¨anken. Der Trick des Beweises besteht nun darin, die folgende st¨arkere Aussage nachzuweisen, f¨ur die dann Induktion verwendet werden kann:

261

Ein F¨unf-Farben-Satz Sei G = (V, E) ein fast-triangulierter Graph, und sei B der Kreis, der das unbeschr¨ankte Gebiet begrenzt. Wir machen folgende Annahmen u¨ ber die Farblisten C(v), v ∈ V : (1) Zwei benachbarte Ecken x, y von B sind bereits mit (verschiedenen) Farben α und β gef¨arbt. (2) |C(v)| ≥ 3 f¨ur alle anderen Ecken v of B. (3) |C(v)| ≥ 5 f¨ur alle Ecken v im Inneren. Dann kann die F¨arbung von x und y durch Auswahl aus den vorgegebenen Farblisten zu einer g¨ultigen F¨arbung von G fortgesetzt werden. F¨ur |V | = 3 ist dies offensichtlich, weil f¨ur die einzige nicht gef¨arbte Ecke v ja |C(v)| ≥ 3 Farben zur Verf¨ugung stehen, eine davon passt also“. Nun ” verwenden wir Induktion. Fall 1: Nehmen wir an, dass B eine Sehne hat, also eine Kante, die nicht zu B geh¨ort, aber zwei Ecken u, v ∈ B verbindet. Der Untergraph G1 , der durch B1 ∪ {uv} begrenzt wird und die Ecken x, y, u und v enth¨alt, ist fast-trianguliert, und hat damit nach Induktion eine Listenf¨arbung. Nehmen wir nun an, dass durch diese Listenf¨arbung den Ecken u und v die Farben γ und δ zugewiesen werden. Dann betrachten wir die andere H¨alfte G2 des Graphen, die durch B2 und uv begrenzt ist. Wenn wir nun u, v als schon eingef¨arbt betrachten, dann sind alle Induktionsannahmen auch f¨ur G2 erf¨ullt. Also kann G2 aus den zur Verf¨ugung stehenden Farben 5-listengef¨arbt werden, und damit gilt dasselbe auch f¨ur G. Fall 2: Nehmen wir an, dass B keine Sehne hat. Auf B hat die α-gef¨arbte Ecke x zwei Nachbarn: die eine ist die β-gef¨arbte Ecke y, die andere sei v0 . Seien weiter x, v1 , . . . , vt , w die Nachbarn von v0 . Da G fast-trianguliert ist, befinden wir uns in der Situation der Zeichnung am Rand. Wir erhalten nun einen fast-triangulierten Graphen G′ = G\v0 , wenn wir aus G die Ecke v0 entfernen, zusammen mit allen Kanten, die von v0 ausgehen. Dieser Graph G′ wird von dem Kreis B ′ = (B\v0 ) ∪ {v1 , . . . , vt } begrenzt. Da |C(v0 )| ≥ 3 nach Annahme (2) gilt, gibt es zwei Farben γ, δ in C(v0 ), die von α verschieden sind. Nun ersetzen wir die Farblisten C(vi ) durch C(vi )\{γ, δ}, w¨ahrend die Farblisten f¨ur alle anderen Ecken von G′ nicht ver¨andert werden. Dann erf¨ullt G′ offenbar alle Induktionsannahmen, und ist deshalb nach Induktion 5-listenf¨arbbar. Da wir dabei h¨ochstens eine der beiden Farben γ und δ f¨ur w ben¨otigen, k¨onnen wir die andere f¨ur v0 verwenden, und dies erweitert die Listenf¨arbung von G′ auf G.  Damit ist der 5-Listenf¨arbungs-Satz bewiesen, aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Eine st¨arkere Vermutung behauptete n¨amlich, dass die Listenf¨arbungszahl eines ebenen Graphen G h¨ochstens um 1 gr¨oßer sein kann als die gew¨ohnliche chromatische Zahl: Gilt χℓ (G) ≤ χ(G) + 1 f¨ur jeden ebenen Graphen G ? Weil χ(G) ≤ 4 nach dem Vier-Farben-Satz gilt, gibt es drei F¨alle:

B1

x y

G1 u

v G2 B2

v0 w

x(α) vt . . .

y(β) v2 v1

B

262

Ein F¨unf-Farben-Satz

α {α, 1, 3, 4} {α, β, 1, 2}

{α, 2, 3, 4}

{1, 2, 3, 4} {1, 2, 3, 4}

{β, 2, 3, 4}

{α, β, 1, 2}

{β, 1, 3, 4} β

Fall I: χ(G) = 2 =⇒ χℓ (G) ≤ 3 Fall II: χ(G) = 3 =⇒ χℓ (G) ≤ 4 Fall III: χ(G) = 4 =⇒ χℓ (G) ≤ 5. Der Satz von Thomassen erledigt Fall III, und Fall I wurde durch ein trickreiches (und sehr viel komplizierteres) Argument von Alon und Tarsi bewiesen. Andererseits gibt es auch ebene Graphen G mit χ(G) = 2 und χℓ (G) = 3, beispielsweise den Graphen K2,4 , den wir im Kapitel u¨ ber das Dinitz-Problem betrachtet haben. Aber was ist mit Fall II? Da geht die Vermutung schief: dies hat als Erste Margit Voigt f¨ur einen Graphen nachgewiesen, den Shai Gutner zuvor konstruiert hatte. Sein Graph mit 130 Ecken kann wie folgt erhalten werden. Wir beginnen mit einem doppelten Oktaeder“ (siehe die Abbil” dung), der offenbar 3-f¨arbbar ist. Wir w¨ahlen nun α ∈ {5, 6, 7, 8} und β ∈ {9, 10, 11, 12} beliebig, und betrachten daf¨ur die Listen, die in der ¨ Zeichnung am Rand angegeben sind. Uberpr¨ ufen Sie selbst, dass mit diesen Listen eine F¨arbung nicht m¨oglich ist! Nun nehmen wir sechzehn Exemplare dieses Graphen und identifizieren f¨ur diese jeweils die oberen und die unteren Ecken. Dies liefert einen Graphen auf 16 · 8 + 2 = 130 Ecken, der immer noch eben und 3-f¨arbbar ist. Wir weisen diesem Graphen {5, 6, 7, 8} als Farbliste f¨ur die obere Ecke und {9, 10, 11, 12} als Farbliste f¨ur die untere Ecke zu, w¨ahrend die inneren Listen entsprechend den 16 Paaren (α, β), f¨ur α ∈ {5, 6, 7, 8}, β ∈ {9, 10, 11, 12} gew¨ahlt werden. F¨ur jedes Paar (α, β) haben wir nun einen Untergraphen wie in der Abbildung, und damit ist eine Listenf¨arbung des großen Graphen nicht m¨oglich. Durch Modifikation eines anderen Beispiels von Gutner haben Voigt und Wirth einen noch kleineren Graphen mit 75 Ecken und χ = 3, χℓ = 5 konstruiert, der zus¨atzlich nur die minimale Anzahl von insgesamt f¨unf Farben in den Listen verwendet. Der aktuelle Rekord liegt bei 63 Ecken.

Literatur [1] N. A LON & M. TARSI : Colorings and orientations of graphs, Combinatorica 12 (1992), 125-134. ˝ , A. L. RUBIN & H. TAYLOR : Choosability in graphs, Proc. West [2] P. E RD OS Coast Conference on Combinatorics, Graph Theory and Computing, Congressus Numerantium 26 (1979), 125-157. [3] G. G ONTHIER : Formal proof — the Four-Color Theorem, Notices of the AMS (11) 55 (2008), 1382-1393. [4] S. G UTNER : The complexity of planar graph choosability, Discrete Math. 159 (1996), 119-130. [5] N. ROBERTSON , D. P. S ANDERS , P. S EYMOUR & R. T HOMAS : The fourcolour theorem, J. Combinatorial Theory, Ser. B 70 (1997), 2-44. [6] C. T HOMASSEN : Every planar graph is 5-choosable, J. Combinatorial Theory, Ser. B 62 (1994), 180-181. [7] M. VOIGT: List colorings of planar graphs, Discrete Math. 120 (1993), 215-219. [8] M. VOIGT & B. W IRTH : On 3-colorable non-4-choosable planar graphs, J. Graph Theory 24 (1997), 233-235.

¨ Die Museumswachter

Victor Klee hat 1973 das folgende attraktive Problem gestellt. Nehmen wir an, der Manager eines Museums will sicher gehen, dass jeder Punkt seines Museums im Blickfeld eines Aufsehers liegt. Die W¨achter werden an festen Stellen postiert, aber sie d¨urfen sich drehen. Wie viele W¨achter braucht man dann? Wir stellen uns die W¨ande des Museums als ein Polygon mit n Seiten vor. Wenn das Polygon konvex ist, dann reicht nat¨urlich ein W¨achter aus. Den W¨achter kann man dann sogar an jeden Punkt des Museums postieren. Aber im Allgemeinen darf der Grundriss des Museums ein beliebiges geschlossenes ebenes Polygon bilden.

Kapitel 35

Eine konvexe Ausstellungshalle

Es gibt wirklich verwinkelte Museen!

Wir betrachten ein Museum mit n = 3m W¨anden, dessen Grundriss ein Kamm“ ist (wie rechts angedeutet). Dann ist leicht zu sehen, dass man ” mindestens m = n3 W¨achter braucht. Der Punkt 1 im Grundriss kann n¨amlich nur von einem W¨achter beobachtet werden, der irgendwo in dem schattierten Dreieck steht, das die 1 enth¨alt, und genauso f¨ur die anderen Punkte 2, 3, . . . , m. Weil diese Dreiecke alle disjunkt sind, sehen wir, dass man mindestens m W¨achter braucht. Aber m W¨achter reichen auch aus,

... 1

2

3

...

m

264

Die Museumsw¨achter wenn man sie an die oberen Kanten der Dreiecke stellt. Indem wir ein oder zwei W¨ande hinzuf¨ugen, k¨onnen wir leicht schließen, dass es f¨ur jedes n ein Museum mit n W¨anden gibt, f¨ur das man ⌊ n3 ⌋ W¨achter braucht. Das folgende Resultat besagt, dass dies auch der schlechteste Fall ist.

Satz. F¨ur jedes Museum mit n W¨anden reichen ⌊ n3 ⌋ W¨achter aus. Diesen Museumsw¨achter-Satz“ hat als Erster Vaˇsek Chv´atal (trickreich) ” bewiesen, aber der folgende Beweis von Steve Fisk ist wirklich sch¨on. Ein Museum mit n = 12 W¨anden

 Beweis. Zun¨achst verbinden wir die Ecken des Polygons durch n − 3 sich nicht kreuzende Diagonalen, bis der Innenraum in Dreiecke aufgeteilt ist. So kann man das auf dem Rand gezeigte Museum durch 9 Diagonalen triangulieren. Dabei ist es egal, welche Triangulierung wir w¨ahlen. Nun interpretieren wir die erhaltene Figur als einen ebenen Graphen, der die Museumsecken als Ecken und die W¨ande und Diagonalen als Kanten hat. Behauptung. Dieser Graph ist 3-f¨arbbar.

Eine Triangulierung des Museums

C′ B′



A

C A

B

Das Sch¨onhardt-Polyeder: die Innenwinkel an den Kanten AB ′ , BC ′ und CA′ sind gr¨oßer als 180◦ .

F¨ur n = 3 gibt es nichts zu beweisen. F¨ur n > 3 w¨ahlen wir zwei beliebige Ecken u und v aus, die durch eine Diagonale verbunden sind. Diese Diagonale zerlegt den Graphen in zwei kleinere triangulierte Graphen, die beide die Kante uv enthalten. Nach Induktion k¨onnen wir jede H¨alfte mit drei Farben f¨arben, wobei wir annehmen d¨urfen, dass in beiden F¨arbungen die Ecke u die Farbe 1 und die Ecke v die Farbe 2 erh¨alt. Durch Zusammenkleben der Teile bzw. F¨arbungen erhalten wir eine 3-F¨arbung des ganzen Graphen. Der Rest ist einfach. Da es insgesamt n Ecken gibt, enth¨alt eine der drei Farbklassen, sagen wir die der Ecken mit Farbe 1, h¨ochstens ⌊ n3 ⌋ Ecken, und in diese Ecken stellen wir die W¨achter. Weil jedes Dreieck eine Ecke der Farbe 1 enth¨alt, sehen wir, dass die Fl¨ache eines jeden Dreiecks vollst¨andig u¨ berwacht ist, und damit auch die Grundfl¨ache des gesamten Museums.  Dem aufmerksamen Leser ist m¨oglicherweise eine kleine Schwierigkeit in unserer Argumentation aufgefallen. Gibt es eine solche Triangulierung denn wirklich immer? Auf den ersten Blick wird man wohl antworten: Ja, offensichtlich! Nun, die Triangulierung existiert immer, aber offensichtlich ist das keineswegs, und die naheliegende Verallgemeinerung auf den 3-dimensionalen Fall (Zerlegung in Tetraeder ohne zus¨atzliche Ecken) ist falsch! Das kann man zum Beispiel am Sch¨onhardt-Polyeder sehen, das links abgebildet ist. Man erh¨alt es aus einem Dreiecksprisma, indem man das Dreieck im Deckel etwas dreht, so dass die Vierecksseitenfl¨achen jeweils in zwei Dreiecke zerbrechen, jeweils mit einer nicht-konvexen Kante. Versuchen Sie, dieses Polyeder zu triangulieren! Ein Tetraeder der Triangulierung muss das Bodendreieck und gleichzeitig eine weitere Ecke

265

Die Museumsw¨achter im Deckel enthalten: aber ein solches Tetraeder ist nicht vollst¨andig im Sch¨onhardt-Polyeder enthalten. Also gibt es keine Triangulierung dieses Polyeders ohne zus¨atzliche Ecken. Um zu beweisen, dass im Fall eines ebenen nicht-konvexen Polygons eine Triangulierung immer existiert, verwenden wir wieder Induktion u¨ ber die Anzahl n der Ecken. F¨ur n = 3 ist das Polygon ein Dreieck, also gibt es nichts zu beweisen. Sei nun n ≥ 4. Um Induktion zu verwenden, reicht es, dass wir irgendeine Diagonale finden, die das Polygon P in zwei kleinere Teile zerlegt, so dass wir eine Triangulierung des Gesamtpolygons aus Triangulierungen der beiden Teile zusammensetzen k¨onnen. Wir nennen eine Ecke A des Polygons konvex, wenn der innere Winkel an der Ecke kleiner als 180◦ ist. Da die Innenwinkelsumme von P gleich (n−2)180◦ ist, muss es mindestens eine konvexe Ecke geben. Es gibt sogar mindestens drei davon: Das folgt zum Beispiel aus dem Schubfachprinzip! Oder wir k¨onnen einfach die konvexe H¨ulle des Polygons betrachten und feststellen, dass seine Ecken uns konvexe Ecken des Ursprungspolygons liefern. Nun betrachten wir die zwei Nachbarecken B und C von A. Wenn die Strecke BC ganz im Inneren von P liegt, dann ist sie unsere Diagonale. Wenn nicht, dann enth¨alt das Dreieck ABC weitere Ecken von P . Wir verschieben BC in Richtung auf A bis es die letzte Ecke Z trifft, die in ABC liegt. Nun liegt aber AZ im Inneren von P , und wir haben eine Diagonale.  Der Museumsw¨achter-Satz hat viele Variationen und Erweiterungen. Zum Beispiel k¨onnte die Grundfl¨ache des Museums ein Polygon mit L¨ochern“ ” sein! Dann reichen ⌊ n3 ⌋ W¨achter im Allgemeinen nicht mehr aus. Eine besonders h¨ubsche (ungel¨oste) Variante sieht so aus: Nehmen wir an, dass jeder W¨achter an einer Wand des Museums entlang l¨auft, und alles u¨ berwacht, was von irgendeinem Punkt der Wand aus zu sehen ist. Wie viele solche Wandw¨achter“ brauchen wir, um das gesamte ” Museum zu u¨ berwachen? Godfried Toussaint hat das Beispiel auf dem Rand konstruiert, das zeigt, dass im Allgemeinen ⌊ n4 ⌋ W¨achter n¨otig sein k¨onnen. Das Polygon hat 28 Seiten (und 4m Seiten im allgemeinen Fall), und der Leser ist eingeladen zu u¨ berpr¨ufen, dass man wirklich m Wandw¨achter braucht. Es wird vermutet, dass diese Anzahl von W¨achtern auch reicht (außer f¨ur einige kleine Werte von n), aber ein Beweis ist nicht in Sicht, und ein BUCH-Beweis erst recht nicht.

C

B Z A

266

Die Museumsw¨achter

Literatur ´ [1] V. C HV ATAL : A combinatorial theorem in plane geometry, J. Combinatorial Theory, Ser. B 18 (1975), 39-41. [2] S. F ISK : A short proof of Chv´atal’s watchman theorem, J. Combinatorial Theory, Ser. B 24 (1978), 374. [3] J. O’ROURKE : Art Gallery Theorems and Algorithms, Oxford University Press 1987. ¨ ¨ [4] E. S CH ONHARDT : Uber die Zerlegung von Dreieckspolyedern in Tetraeder, Math. Annalen 98 (1928), 309-312.

Museumsw¨achter ” in drei Dimensionen“

Kapitel 36

´ Der Satz von Turan

Ein fundamentales Resultat der Graphentheorie ist der Satz von Tur´an aus dem Jahr 1941, mit dem die Extremale Graphentheorie begonnen hat. Der Satz wurde immer wieder neu entdeckt, mit ganz verschiedenen Beweisen. Wir pr¨asentieren hier f¨unf von ihnen, und lassen die Leser entscheiden, welcher davon in das BUCH geh¨ort. Wir beginnen mit etwas Notation. Sei G ein endlicher Graph mit Eckenmenge V = {v1 , . . . , vn } und Kantenmenge E. Wenn vi und vj Nachbarn sind, dann schreiben wir daf¨ur vi vj ∈ E. Eine p-Clique in G ist ein vollst¨andiger Untergraph von G mit p Ecken, der mit Kp bezeichnet wird. Paul Tur´an hat die folgende Frage gestellt: Sei G ein einfacher Graph mit n Ecken, der keine p-Clique enth¨alt. Wie viele Kanten kann G dann h¨ochstens haben? Man erh¨alt ganz einfach Beispiele solcher Graphen, indem man V in p − 1 paarweise disjunkte Teilmengen V = V1 ∪ . . . ∪ Vp−1 , |Vi | = ni mit n = n1 +. . .+np−1 aufteilt, wobei zwei Ecken dann und nur dann durch eine Kante verbunden werden, wenn sie in verschiedenen Teilmengen Vi , Vj liegen. Wir bezeichnen den erhaltenen Graphen mit Kn1 ,...,np−1 ; er hat P ur einen solchen i w2 > 0 gibt, dann k¨onnen wir ein ε mit 0 < ε < w1 − w2 w¨ahlen, w1 auf w1 − ε und w2 auf w2 + ε ver¨andern. Die neue Verteilung w′ , die wir so erhalten, erf¨ullt f (w′ ) = f (w) + ε(w1 − w2 ) − ε2 > f (w), und wir schließen daraus, dass der Maximalwert von f nur dann angenommen werden kann, wenn wir Gewichte wi = k1 auf einer k-Clique haben, und wi = 0 sonst. Da eine k-Clique k(k−1) Kanten hat, erhalten wir 2 f (w) =

1 1 k(k − 1) 1 1− . = 2 2 k 2 k

Dieser Ausdruck steigt aber mit k, also k¨onnten wir bestenfalls k = p − 1 setzen (weil G ja keine p-Cliquen hat). Daraus schließen wir, dass f (w) ≤

1  1 1− 2 p−1

f¨ur alle Verteilungen w gilt. Insbesondere gilt diese Ungleichung f¨ur die uniforme Verteilung, die durch wi = n1 f¨ur alle i gegeben ist. Damit haben wir  1 1 1  |E| ≤ 1 − , = f w = i n2 n 2 p−1

und das ist genau (1).



Gewichte bewegen“ ”

270

Der Satz von Tur´an  Vierter Beweis. Diesmal verwenden wir Konzepte aus der Wahrscheinlichkeitstheorie. Sei G ein Graph auf der Eckenmenge V = {v1 , . . . , vn }. Wir bezeichnen den Grad von vi mit di , und mit ω(G) die Anzahl der Ecken in einer gr¨oßten Clique von G, die so genannte Cliquenzahl von G. Behauptung. ω(G) ≥

n X i=1

1 . n − di

Wir w¨ahlen eine zuf¨allige Permutation π1 π2 . . . πn der Eckenmenge V , 1 aufwobei jede der n! Permutationen mit derselben Wahrscheinlichkeit n! treten soll. F¨ur die gew¨ahlte Permutation konstruieren wir nun die folgende Menge Cπ : Die Ecke πi soll dann in Cπ liegen, wenn sie zu allen Ecken πj benachbart ist, die vor πi auftreten (j < i). Nach Definition ist Cπ eine CliqueP in G. Sei nun X = |Cπ | die zugeh¨orige Zufallsvariable. Dann gilt n X = i=1 Xi , wobei Xi die charakteristische Zufallsvariable der Ecke vi ist, die also den Wert Xi = 1 oder Xi = 0 annimmt, je nachdem ob vi ∈ Cπ oder vi 6∈ Cπ ist. Dabei geh¨ort vi zur Clique Cπ bez¨uglich der Permutation π1 π2 . . . πn dann und nur dann, wenn vi vor all den n − 1 − di Ecken auftritt, die nicht zu vi benachbart sind, also genau dann, wenn vi als erste Ecke der Menge auftritt, die durch vi und seine n − 1 − di Nicht1 nachbarn gebildet wird. Die Wahrscheinlichkeit daf¨ur ist genau n−d , also i 1 gilt EXi = n−di . Aus der Linearit¨at des Erwartungswerts (siehe Seite 109) erhalten wir daraus n n X X 1 EXi = . E(|Cπ |) = EX = n − di i=1 i=1 Insbesondere muss es eine Clique von mindestens dieser Gr¨oße geben, und das war genau die Behauptung. Um daraus den Satz von Tur´an abzuleiten, verwenden wir die Cauchy-Schwarz-Ungleichung aus Kapitel 18, n X i=1

Wir setzen ai = folglich

√ 1 n−di

n X n2 ≤ ( i=1

ai b i

2



n X i=1

a2i

n X

n=1

 b2i .

√ und bi = n − di , damit gilt also ai bi = 1, und

n n X X 1 (n − di ). )( (n − di )) ≤ ω(G) n − di i=1 i=1

(2)

An dieser Stelle verwenden wir jetzt die Voraussetzung ω(G) ≤ p − 1 des P Satzes von Tur´an. Wenn man noch die Gleichung ni=1 di = 2|E| aus dem Kapitel 25 u¨ ber doppeltes Abz¨ahlen hinzunimmt, so liefert die Ungleichung (2) n2 ≤ (p − 1)(n2 − 2|E|), und dies ist a¨ quivalent zur Ungleichung des Tur´anschen Satzes.



271

Der Satz von Tur´an Und damit kommen wir schon zum letzten unserer Beweise, der vielleicht der sch¨onste von allen ist. Sein Ursprung ist uns nicht ganz klar; wir haben ihn von Stephan Brandt, der ihn in Oberwolfach geh¨ort hat. M¨oglicherweise ist er einfach Allgemeinwissen“ unter Graphentheoretikern. Er liefert ganz ” automatisch mit, dass die Tur´an-Graphen auch die einzigen Beispiele mit maximaler Kantenzahl sind. Allerdings kann man dieses st¨arkere Resultat auch aus dem ersten oder zweiten unserer Beweise ableiten.  Funfter ¨ Beweis. Sei G ein Graph mit n Ecken ohne p-Clique und mit maximaler Anzahl von Kanten. w Behauptung. G enth¨alt keine drei Ecken u, v, w mit vw ∈ E, aber uv 6∈ E und uw 6∈ E.

v

Wir nehmen an, dass dies nicht stimmt, und betrachten die folgenden beiden F¨alle. Fall 1: d(u) < d(v) oder d(u) < d(w). Wir k¨onnen annehmen, dass d(u) < d(v) ist. Dann verdoppeln wir die Ecke v, das heißt, wir erzeugen eine neue Ecke v ′ , die genau dieselben Nachbarn wie v hat (wobei vv ′ aber keine Kante ist), entfernen u, und lassen den Rest unver¨andert. Der neue Graph G′ hat wieder keine p-Clique, und f¨ur seine Kanten-Anzahl gilt |E(G′ )| = |E(G)| + d(v) − d(u) > |E(G)|,

u

w v′

v u

ein Widerspruch. Fall 2: d(u) ≥ d(v) und d(u) ≥ d(w). Hier verdoppeln wir u zwei Mal und entfernen v und w (wie in der Zeichnung am Rand). Der daraus entstehende Graph G′ hat wieder keine p-Clique, und wir berechnen (wobei −1 von der Kante vw herr¨uhrt): |E(G′ )| = |E(G)| + 2d(u) − (d(v) + d(w) − 1) > |E(G)|. Also haben wir wieder einen Widerspruch. Die Behauptung, die wir damit gerade bewiesen haben, ist aber a¨ quivalent zu der Aussage, dass u ∼ v :⇐⇒ uv 6∈ E(G) ¨ eine Aquivalenzrelation definiert. Damit ist aber G ein vollst¨andiger multipartiter Graph, G = Kn1 ,...,np−1 , und wir haben fertig. 

w v

u

u′ u′′

272

Der Satz von Tur´an

Literatur [1] M. A IGNER : Tur´an’s graph theorem, Amer. Math. Monthly 102 (1995), 808-816. [2] N. A LON & J. S PENCER : The Probabilistic Method, Wiley Interscience 1992. ˝ : On the graph theorem of Tur´an (in Hungarian), Math. Fiz. Lapok [3] P. E RD OS 21 (1970), 249-251. [4] T. S. M OTZKIN & E. G. S TRAUS : Maxima for graphs and a new proof of a theorem of Tur´an, Canad. J. Math. 17 (1965), 533-540. ´ : On an extremal problem in graph theory, Math. Fiz. Lapok 48 [5] P. T UR AN (1941), 436-452.

Noch gr¨oßere Gewichte zu bewegen“ ”

Kommunikation ohne Fehler

Kapitel 37

Claude Shannon, der Begr¨under der Informationstheorie, stellte 1956 die folgende Frage:

Nehmen wir an, wir m¨ochten Nachrichten u¨ ber einen Kanal u¨ bertragen, auf dem einige Symbole verzerrt beim Empf¨anger ankommen ¨ k¨onnen. Wie groß kann die Ubertragungsrate maximal sein, wenn wir verlangen, dass der Empf¨anger die urspr¨ungliche Nachricht fehlerfrei rekonstruieren kann?

¨ Zun¨achst kl¨aren wir, was Shannon mit Kanal“ und Ubertragungsrate“ ” ” gemeint hat. Wir arbeiten mit einer festen Menge V von Symbolen, und jede Nachricht ist einfach eine Folge von Symbolen aus der Menge V. Wir modellieren den Kanal als einen Graphen G = (V, E), wobei V die Symbolmenge ist und E die Menge der Kanten zwischen fehleranf¨alligen ¨ Paaren von Symbolen, also Symbolen, die w¨ahrend der Ubertragung verwechselt werden k¨onnten. Wenn wir uns zum Beispiel am Telefon in Alltagssprache unterhalten, so w¨urden wir vielleicht die Buchstaben B und P durch eine Kante verbinden, weil sie der Zuh¨orer vielleicht nicht sicher unterscheiden kann. Diesen Graphen G nennen wir den Verwechslungsgraphen. Der F¨unferkreis C5 wird in unserer Diskussion eine prominente Rolle spielen. In diesem Beispiel k¨onnten 1 und 2 verwechselt werden, aber 1 und 3 ¨ nicht, usw. Idealerweise w¨urden wir gerne alle f¨unf Symbole zur Ubermittlung verwenden. Aber da wir fehlerfrei kommunizieren wollen und sollen, k¨onnen wir — wenn wir nur einzelne Symbole u¨ bertragen — von zwei Symbolen, die verwechselt werden k¨onnten, immer nur eines verwenden. Damit k¨onnen wir aus dem F¨unferkreis nur zwei verschiedene Zeichen verwenden (eben zwei, die nicht durch eine Kante verbunden sind). In der Sprache der Informationstheorie heißt das, dass wir f¨ur den F¨unferkreis eine Informationsrate von log2 2 = 1 erreichen (statt der maximalen Rate log2 5 ≈ 2,32). Es ist klar, dass uns in diesem Modell nichts Besseres u¨ brig bleibt, als Symbole aus einer maximalen unabh¨angigen Menge des Verwechslungsgraphen G = (V, E) zu u¨ bertragen. Damit ist die Informationsrate, wenn wir einzelne Symbole u¨ bertragen, gleich log2 α(G), wobei α(G) die Unabh¨angigkeitszahl von G ist. Es stellt sich aber heraus, dass wir die Informationsrate erh¨ohen k¨onnen, wenn wir l¨angere W¨orter anstelle einzelner Symbole u¨ bertragen. Nehmen

Claude Shannon

1 5

2

4

3

274

Kommunikation ohne Fehler wir zum Beispiel an, dass wir W¨orter der L¨ange 2 u¨ bertragen wollen. Die W¨orter u1 u2 und v1 v2 k¨onnen nur dann verwechselt werden, wenn eine der folgenden drei M¨oglichkeiten eintritt: • u1 = v1 , und u2 kann mit v2 verwechselt werden,

• u2 = v2 , und u1 kann mit v1 verwechselt werden,

• u1 6= v1 k¨onnen verwechselt werden und u2 6= v2 k¨onnen verwechselt werden. In der Sprache der Graphentheorie heißt das, dass wir das Produkt G1 × G2 von zwei Graphen G1 = (V1 , E1 ) und G2 = (V2 , E2 ) betrachten. Die Eckenmenge von G1 × G2 ist die Menge V1 × V2 = {(u1 , u2 ) : u1 ∈ V1 , u2 ∈ V2 }, wobei (u1 , u2 ) 6= (v1 , v2 ) dann und nur dann durch eine Kante verbunden werden, wenn ui = vi oder ui vi ∈ Ei f¨ur i = 1, 2 gilt. Der Verwechslungsgraph f¨ur W¨orter der L¨ange 2 ist also G2 = G × G, das Produkt des Verwechslungsgraphen G f¨ur einzelne Buchstaben mit sich selbst. Die ¨ Ubertragungsrate pro Zeichen f¨ur W¨orter der L¨ange 2 ist demnach p log2 α(G2 ) = log2 α(G2 ). 2

Wir k¨onnen aber nat¨urlich W¨orter einer beliebigen L¨ange n verwenden. Der n-te Verwechslungsgraph Gn = G × G × . . . × G hat die Eckenmenge V n = {(u1 , . . . , un ) : ui ∈ V }, wobei (u1 , . . . , un ) 6= (v1 , . . . vn ) durch eine Kante verbunden werden, wenn ui = vi oder ui vi ∈ E f¨ur alle i gilt. ¨ Die Ubertragungsrate pro Symbol ist f¨ur W¨orter der L¨ange n somit p log2 α(Gn ) = log2 n α(Gn ). n

Was k¨onnen wir u¨ ber α(Gn ) sagen? Zun¨achst machen wir eine einfache Beobachtung. Sei U ⊆ V eine maximale unabh¨ange Menge in G, |U | = α. Die αn Ecken von Gn der Form (u1 , . . . , un ) mit ui ∈ U f¨ur alle i bilden dann offensichtlich eine unabh¨angige Menge in Gn . Also gilt

und damit

α(Gn ) ≥

α(G)n

p n α(Gn ) ≥

α(G);

das heißt, dass die Informationsrate pro Zeichen nicht kleiner wird, wenn wir l¨angere W¨orter anstatt einzelner Zeichen u¨ bertragen. Dies ist u¨ brigens eine grundlegende Beobachtung der Kodierungstheorie: Durch Verschl¨usselung von Zeichen in l¨angeren W¨ortern oder Ketten k¨onnen wir fehlerfreie Kommunikation effizienter machen. Wenn wir den Logarithmus ignorieren, so liefert uns dies Shannons grundlegende Definition: Die Kapazit¨at eines Graphen G ist p Θ(G) := sup n α(Gn ), n≥1

275

Kommunikation ohne Fehler und Shannons Problem war, Θ(G) zu berechnen und insbesondere die Bestimmung von Θ(C5 ). Betrachten wir also C5 . Bisher wissen wir α(C5 ) = 2 ≤ Θ(C5 ). Wenn wir uns den F¨unferkreis mit der Beschriftung von vorhin ansehen oder das Produkt C5 × C5 in der nebenstehenden Zeichnung, so sehen wir, dass die Menge {(1, 1), (2, 3), (3, 5), (4, 2), (5, 4)} eine unabh¨angige Menge in C52 ist. Dies liefert uns α(C52 ) ≥ 5. Weil eine unabh¨angige Menge aus zwei benachbarten Zeilen immer h¨ochstens zwei Ecken ausw¨ahlen kann, sehen wir leicht, dass α(C52 ) = 5 ist. Also haben wir durch√Verwendung von W¨ortern der L¨ange 2 die untere Schranke auf Θ(C5 ) ≥ 5 verbessert. Bisher haben wir noch gar keine oberen Schranken f¨ur die Kapazit¨at. Daf¨ur folgen wir wieder Shannons urspr¨unglichen Ideen. Zun¨achst brauchen wir das duale Konzept zu unabh¨angigen Mengen: Eine Teilmenge C ⊆ V induziert eine Clique, wenn alle Paare von Ecken in C durch eine Kante verbunden sind. Also bildet jede Ecke selbst eine triviale Clique der Gr¨oße 1, die Kanten entsprechen den Cliquen der Gr¨oße 2, die Dreiecke sind Cliquen der Gr¨oße 3, usw. Sei C die Menge der Cliquen in G. Nun betrachten wir eine beliebige Wahrscheinlichkeitsverteilung x = (xv : v ∈ V ) auf der P Menge der Ecken, das heißt xv ≥ 0 und v∈V xv = 1. Jeder Verteilung x ordnen wir den maximalen Wert einer Clique“ zu, ” X λ(x) = max xv , C∈C

v∈C

und schließlich setzen wir λ(G) = min λ(x) = min max x

x

C∈C

X

xv .

v∈C

Vorsichtshalber h¨atten wir vielleicht inf statt min benutzen sollen, aber das Minimum existiert, weil λ(x) eine stetige Funktion auf der kompakten Menge aller Wahrscheinlichkeitsverteilungen ist. Nun betrachten wir eine unabh¨angige Menge U ⊆ V von maximaler Gr¨oße α(G) = α. Diesem U entspricht eine Verteilung xU = (xv : v ∈ V ), indem wir xv = α1 definieren wenn v ∈ U ist, und xv = 0 sonst. Da jede Clique h¨ochstens eine Ecke aus U enth¨alt, schließen wir λ(xU ) = α1 , und damit nach Definition von λ(G): λ(G) ≤

1 α(G)

oder

α(G) ≤ λ(G)−1 .

−1 Shannons pBeobachtung war nun, dass λ(G) sogar eine obere Schranke f¨ur alle n α(Gn ) bildet, und deshalb auch f¨ur Θ(G). Um dies nachzuweisen, reicht es zu zeigen, dass f¨ur Graphen G, H

n

λ(G × H) = λ(G)λ(H) n

gilt, weil daraus λ(G ) = λ(G) folgt, und damit α(Gn ) ≤ p n α(Gn ) ≤

λ(Gn )−1 = λ(G)−n λ(G)−1 .

(1)

Der Graph C5 × C5

276

Kommunikation ohne Fehler Um Formel (1) zu beweisen, verwenden wir den Dualit¨atssatz der Linearen Programmierung (siehe [1]) und erhalten daraus λ(G) = min max x

C∈C

X

xv = max min y

v∈C

v∈V

X

yC ,

(2)

C∋v

wobei auf der rechten Seite das Maximum u¨ ber alle Wahrscheinlichkeitsverteilungen y = (yC : C ∈ C) auf C gebildet wird. Nun betrachten wir G × H und nehmen f¨ur x und x′ Verteilungen, die die Minima λ(x) = λ(G) und λ(x′ ) = λ(H) erreichen. Auf der Eckenmenge von G ×PH weisen wir der (u, v) jeweils den Wert z(u,v) = xu x′v zu. PEckeP Wegen (u,v) z(u,v) = u xu v x′v = 1 liefert dies eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Nun sind die maximalen Cliquen in G × H gerade von der Form C × D = {(u, v) : u ∈ C, v ∈ D}, wobei C und D Cliquen in G bzw. H sind. Also erhalten wir X z(u,v) λ(G × H) ≤ λ(z) = max C×D

=

max

C×D

(u,v)∈C×D

X

xu

u∈C

X

x′v = λ(G)λ(H)

v∈D

nach Definition von λ(G × H). Genauso kann man auch die umgekehrte Ungleichung λ(G × H) ≥ λ(G)λ(H) zeigen, indem man den dualen Ausdruck f¨ur λ(G) in (2) verwendet. Insgesamt haben wir also Θ(G) ≤ λ(G)−1 f¨ur alle Graphen G gezeigt. Jetzt wollen wir diese Beobachtungen auf den F¨unferkreis und allgemeiner 1 1 ,..., m ) auf den auf den m-Kreis Cm anwenden. Die Gleichverteilung ( m 2 Ecken liefert uns λ(Cm ) ≤ m , weil jede Clique h¨ochstens zwei Ecken 1 f¨ur die Kanten und enth¨alt (m ≥ 4). Genauso erhalten wir, indem wir m 2 0 f¨ur die Ecken setzen, die untere Schranke λ(Cm ) ≥ m aus dem dualen 2 Ausdruck in (2). Wir schließen daraus λ(Cm ) = m und somit Θ(Cm ) ≤

m 2

f¨ur alle m. Wenn nun m gerade ist, dann gilt offenbar α(Cm ) = m 2 und m−1 damit auch Θ(Cm ) = m . F¨ u r ungerades m ist jedoch α(C ) = m 2 2 . n F¨ur m = 3 ist C3 und damit auch jedes Produkt C3 eine Clique, woraus wir α(C3 ) = Θ(C3 ) = 1 erhalten. Der erste interessante Fall ist also der F¨unferkreis, f¨ur den wir bis jetzt √ 5 5 ≤ Θ(C5 ) ≤ 2 nachgewiesen haben.

(3)

277

Kommunikation ohne Fehler Mit Hilfe seiner Methoden aus der Linearen Programmierung (und einigen anderen Ideen) gelang es Shannon, die Kapazit¨at f¨ur viele Graphen zu berechnen, insbesondere f¨ur alle Graphen mit h¨ochstens f¨unf Ecken — mit einer einzigen Ausnahme, dem F¨unferkreis C5 , f¨ur den er u¨ ber die Schranken in (3) nicht hinauskam. Dies war der Stand der Dinge f¨ur mehr als zwanzig Jahre, bis L´aszl´o Lov´asz mit einem √ bemerkenswert einfachen Ansatz zeigen konnte, dass wirklich Θ(C5 ) = 5 gilt. Ein scheinbar sehr schwieriges kombinatorisches Problem fand damit eine unerwartete und besonders elegante L¨osung. Lov´asz’ Kernidee war die Darstellung der Ecken v des Graphen durch reelle Vektoren der L¨ange 1, so dass zwei nicht-benachbarte Ecken in G immer orthogonalen Vektoren entsprechen. Wir wollen eine solche Menge von Vektoren eine orthonormale Darstellung von G nennen. Es ist klar, dass es eine solche Darstellung immer gibt: man nehme einfach die Einheitsvektoren (1, 0, . . . , 0)T , (0, 1, 0, . . . , 0)T , . . . , (0, 0, . . . , 1)T in Dimension m = |V |. F¨ur den Graphen C5 erhalten wir eine orthonormale Darstellung im R3 , indem wir einen Schirm“ mit f¨unf Speichen v 1 , . . . , v 5 von Einheitsl¨ange ” betrachten. Nun o¨ ffnen wir diesen Schirm (mit der Spitze im Ursprung) bis zu dem Punkt, an dem die Winkel zwischen nicht-benachbarten Speichen genau 90◦ sind. Lov´asz hat dann gezeigt, dass die H¨ohe h des Schirms, also der Abstand zwischen 0 und S, die obere Schranke 1 Θ(C5 ) ≤ 2 h liefert. Eine einfache Rechnung ergibt h2 =

(4)

√1 ; 5

wir pr¨asentieren sie in einem √ Kasten auf√der n¨achsten Seite. Daraus folgt aber Θ(C5 ) ≤ 5, und damit Θ(C5 ) = 5. Schauen wir uns jetzt an, wie Lov´asz die Ungleichung (4) bewiesen hat. (Seine Ergebnisse waren eigentlich viel allgemeiner.) Man betrachte das u¨ bliche Skalarprodukt hx, yi = x1 y1 + . . . + xs ys von zwei Vektoren x = (x1 , . . . , xs ), y = (y1 , . . . , ys ) im Rs . Dann ist |x|2 = hx, xi = x21 + . . . + x2s das Quadrat der L¨ange |x| von x, und der Winkel γ zwischen x und y ist durch cos γ =

hx, yi |x||y|

gegeben. Also gilt hx, yi = 0 dann und nur dann, wenn x und y orthogonal sind.

 S       0

     

h

Der Lov´asz-Schirm

278

Kommunikation ohne Fehler

b

Funfecke ¨ und der goldene Schnitt

a

b−a

A

B

E

M S

C

D

¨ Die Tradition der Astethik besagt, dass ein Rechteck eine besonders sch¨one“ Form hat, wenn nach Abschneiden eines Quadrats der Sei” tenl¨ange a ein Rechteck u¨ brig bleibt, das dasselbe Seitenverh¨altnis hat wie das urspr¨ungliche. Die Seitenl¨angen eines solchen Rechta ecks m¨ussen ab = b−a erf¨ullen. Wenn wir das Seitenverh¨altnis mit 1 b oder τ 2 − τ − 1 = 0. τ := a bezeichnen, so erhalten wir τ = τ −1 L¨osung√der quadratischen Gleichung liefert den goldenen Schnitt τ = 1+2 5 ≈ 1,6180. Nun betrachten wir ein regelm¨aßiges F¨unfeck der Kantenl¨ange a, und bezeichnen mit d die L¨ange seiner Diagonalen. Schon Euklid (Buch XIII,8) wusste, dass ad = τ ist, und dass der Schnittpunkt zweier Diagonalen die Diagonalen wieder im Verh¨altnis des goldenen Schnittes teilt. Hier kommt der Beweis von Euklid selbst: Die gesamte Winkelsumme des F¨unfecks ist 3π, der Winkel an jeder Ecke also gleich 3π 5 , und wir erhalten ∢ABE = π5 , weil ABE ein gleichschenkliges Dreieck ist. Daraus folgt aber ∢AM B = 3π 5 , also sind die Dreiecke ABC und AM B a¨ hnlich. Das Viereck CM ED ist eine Raute, weil seine gegen¨uberliegenden Seiten parallel sind (wie man an den Winkeln sieht), und deshalb gilt |M C| = a und damit |AM | = d − a. Aus der ¨ Ahnlichkeit von ABC und AM B erhalten wir schließlich |AC| |AB| a |M C| d = = = = = τ. a |AB| |AM | d−a |M A| Es geht aber noch weiter. Wir u¨ berlassen es dem Leser nachzuweisen, dass der Abstand s von einer Ecke zum Mittelpunkt S des F¨unfecks 2 durch s2 = τd+2 gegeben ist (daf¨ur beobachte man, dass BS die Diagonale AC in einem rechten Winkel schneidet und halbiert). Um unseren Ausflug in die Geometrie zu beenden, betrachten wir nun den Lov´asz-Schirm, der ja ein regelm¨aßiges F¨unfeck aufspannt. Da nicht-benachbarte Speichen (der L¨ange 1) einen√rechten Winkel bilden, liefert uns der Satz von Pythagoras d = 2 und damit 4 2 = √5+5 . Eine nochmalige Anwendung des Satzes von s2 = τ +2 Pythagoras ergibt nun f¨ur die H¨ohe h = |OS| das versprochene Resultat √ 1+ 5 1 h 2 = 1 − s2 = √ = √ . 5+5 5

279

Kommunikation ohne Fehler Unser n¨achstes Ziel ist eine obere Schranke f¨ur die Shannon-Kapazit¨at eines Graphen G, der eine besonders sch¨one“ orthonormale Darstellung ” besitzt. Daf¨ur sei T = {v(1) , . . . , v (m) } eine orthonormale Darstellung von G im Rs , wobei v (i) der Ecke vi entspricht. Wir nehmen nun zus¨atzlich an, dass alle Vektoren v (i) mit dem Vektor 1 (1) (v + . . . + v (m) ) m

u :=

denselben Winkel (6= 90◦ ) einschließen, oder a¨ quivalent dazu, dass das innere Produkt hv (i) , ui f¨ur alle i denselben Wert hv (i) , ui = σT 6= 0 hat. Wir nennen diesen Wert σT die Konstante der Darstellung T . F¨ur den Lov´asz-Schirm, der den F¨unferkreis C5 darstellt, ist die Bedingung ~ hv (i) , ui = σT sicherlich erf¨ullt, mit u = OS. Der Beweis der oberen Schranke vollzieht sich nun in drei Schritten. (A) F¨ur eine beliebige Wahrscheinlichkeitsverteilung x = (x1 , . . . , xm ) auf V setzen wir µ(x) :=

|x1 v (1) + . . . + xm v (m) |2

und µT (G)

:=

inf µ(x). x

Sei U eine gr¨oßte unabh¨angige Menge in G mit |U | = α. F¨ur diese definieren wir xU = (x1 , . . . , xm ) mit xi = α1 f¨ur vi ∈ U und xi = 0 sonst. Da alle Vektoren v (i) Einheitsvektoren sind, und f¨ur nicht-benachbarte Ecken hv (i) , v (j) i = 0 ist, schließen wir m m X 2 X 1 1 µT (G) ≤ µ(xU ) = xi v (i) = x2i = α 2 = . α α i=1 i=1

Damit haben wir µT (G) ≤ α−1 , also α(G) ≤

1 . µT (G)

(B) Als N¨achstes berechnen wir µT (G). Wir brauchen daf¨ur die CauchySchwarz-Ungleichung ha, bi2 ≤ |a|2 |b|2 f¨ur Vektoren a, b ∈ Rs . Angewendet auf a = x1 v (1) + . . . + xm v (m) und b = u ergibt diese Ungleichung hx1 v (1) + . . . + xm v (m) , ui2 ≤ µ(x) |u|2 .

(5)

280

Kommunikation ohne Fehler Nach Annahme gilt hv (i) , ui = σT f¨ur alle i, und damit hx1 v (1) + . . . + xm v (m) , ui = (x1 + . . . + xm ) σT = σT f¨ur jede Verteilung x. Insbesondere muss dies also f¨ur die Gleichverteilung 1 1 ,..., m ) gelten, und dies liefert |u|2 = σT . Damit reduziert sich (5) auf (m σT2 ≤ µ(x) σT f¨ur alle x, also µT (G) ≥ σT . 1 1 Andererseits erhalten wir f¨ur x = ( m ,..., m ) aber 1 (v (1) + . . . + v (m) )|2 = |u|2 = σT , µT (G) ≤ µ(x) = | m

und damit µT (G) = σT .

(6)

Insgesamt haben wir also bewiesen, dass die Ungleichung α(G) ≤

1 σT

(7)

f¨ur jede beliebige orthonormale Darstellung T mit Konstante σT gilt. (C) Um diese Ungleichung auf Θ(G) zu erweitern, verfahren wir wie folgt: Wir betrachten wieder das Produkt G × H von zwei Graphen. Nehmen wir an, dass G und H orthonormale Darstellungen R und S in Rr bzw. Rs haben, mit Konstanten σR bzw. σS . Sei v = (v1 , . . . , vr ) ein Vektor in R und w = (w1 , . . . , ws ) ein Vektor in S. Der Ecke in G × H, die dem Paar (v, w) entspricht, ordnen wir dann den Vektor vwT := (v1 w1 , . . . , v1 ws , v2 w1 , . . . , v2 ws , . . . , vr w1 , . . . , vr ws ) ∈ Rrs zu. Man u¨ berpr¨uft ganz leicht, dass R × S := {vwT : v ∈ R, w ∈ S} eine orthonormale Darstellung von G × H mit Konstante σR σS ist. Mit (6) liefert dies µR×S (G × H) = µR (G)µS (H). F¨ur Gn = G × . . . × G und die Darstellung T von G mit Konstante σT heißt das µT n (Gn ) = µT (G)n = σTn , und mit (7) folgt jetzt α(Gn ) ≤ σT−n ,

p n α(Gn ) ≤ σT−1 .

281

Kommunikation ohne Fehler Damit haben wir aber den Beweis von Lov´asz abgeschlossen: Satz. F¨ur jede orthonormale Darstellung T = {v(1) , . . . , v (m) } eines Graphen G mit Konstante σT gilt Θ(G) ≤

1 . σT

(8)

1 T und damit Speziell f¨ur den Lov´asz-Schirm haben wir u = (0, 0, h= √ 4 ) 5 √ 1 (i) 2 √ σ = hv , ui = h = 5 , also Θ(C5 ) ≤ 5. Damit ist Shannons Problem gel¨ost.

Wir wollen die Diskussion noch ein St¨uck weiterf¨uhren. Aus (8) sehen wir, dass wir eine Darstellung von G mit einer m¨oglichst großen Konstanten σT finden m¨ussen, um eine m¨oglichst gute obere Schranke f¨ur Θ(G) zu erhalten. Hier kommt eine Methode, die uns eine orthonormale Darstellung f¨ur jeden Graphen G liefert. Dazu ordnen wir G = (V, E) die Adjazenzmatrix A = (aij ) zu, die folgendermaßen definiert ist: Sei V = {v1 , . . . , vm }, dann setzen wir  1 f¨ur vi vj ∈ E, aij := 0 sonst.

A ist eine reelle symmetrische Matrix mit Nullen in der Hauptdiagonalen. Jetzt brauchen wir zwei Resultate aus der Linearen Algebra. Das erste besagt, dass A als symmetrische (m × m)-Matrix m reelle Eigenwerte λ1 ≥ λ2 ≥ . . . ≥ λm hat (von denen einige gleich sein k¨onnen), und dass die Summe der Eigenwerte gleich der Summe der Diagonaleintr¨age von A ist, also 0. Damit muss der kleinste Eigenwert negativ sein (außer in dem trivialen Fall, wenn G keine Kanten hat). Sei p = |λm | = −λm der Absolutbetrag des kleinsten Eigenwertes; dann betrachten wir die Matrix M := I +

1 p

A,

wobei I die (m × m)-Einheitsmatrix bezeichnet. Dieses M hat die Eigenwerte 1 + λp1 ≥ 1 + λp2 ≥ . . . ≥ 1 + λpm = 0. Nun zitieren wir das zweite Resultat (den Hauptachsensatz der Linearen Algebra): Wenn M = (mij ) eine reelle symmetrische Matrix mit nicht-negativen Eigenwerten ist, dann gibt es Vektoren v (1) , . . . , v (m) ∈ Rs mit s = Rang(M ), so dass mij = hv (i) , v (j) i

(1 ≤ i, j ≤ m)

ist. Insbesondere erhalten wir f¨ur M = I + p1 A ( mii = 1 f¨ur i = j, (i) (j) hv , v i = 1 f¨ur i 6= j. p aij Da nun aij = 0 ist f¨ur vi vj 6∈ E, sehen wir, dass die Vektoren v (1) , . . . , v (m) in der Tat eine orthonormale Darstellung von G bilden.

Schirme mit f¨unf Speichen“ ”



  A=  

0 1 0 0 1

1 0 1 0 0

0 1 0 1 0

0 0 1 0 1

1 0 0 1 0

Die Adjazenzmatrix von C5

     

282

Kommunikation ohne Fehler Diese Konstruktion wollen wir nun auf die m-Kreise Cm f¨ur ungerades m ≥ 5 anwenden. Hier berechnet man ganz leicht, dass p = |λmin | = π ist (siehe den Kasten). Jede Zeile der Adjazenzmatrix enth¨alt genau 2 cos m zwei Einsen, die Eintr¨age einer Zeile der Matrix M summieren sich daher immer zu 1 + 2p . F¨ur die Darstellung {v(1) , . . . , v (m) } bedeutet dies hv (i) , v (1) + . . . + v (m) i = 1 +

2 p

= 1+

1 π , cos m

und somit hv (i) , ui =

1 π −1 (1 + (cos m ) ) = σ m

f¨ur alle i.

Die Eigenwerte von Cm Sei A die Adjazenzmatrix des Kreises Cm . Um die Eigenwerte (und Eigenvektoren) zu beschreiben, verwenden wir die m-ten Einheits2πi wurzeln. Diese sind 1, ζ, ζ 2 , . . . , ζ m−1 f¨ur ζ = e m — siehe den Kasten auf 37. Sei nun λ = ζ k eine dieser Wurzeln, dann behaupten wir, dass (1, λ, λ2 , . . . , λm−1 )T ein Eigenvektor von A zum Eigenwert λ + λ−1 ist. In der Tat rechnet man leicht nach:       1 λ + λm−1 1  λ   λ2 + 1   λ   2   3     λ   λ + λ   −1  λ2 A =  = (λ + λ )  .  ..     ..  ..  .      . . m−1 m−2 m−1 λ 1 + λ λ Da nun die Vektoren (1, λ, . . . , λm−1 ) linear unabh¨angig sind (sie bilden eine so genannte Vandermonde-Matrix), schließen wir, dass f¨ur ungerades m die reellen Zahlen ζ k + ζ −k

= [(cos(2kπ/m) + i sin(2kπ/m)] + [cos(2kπ/m) − i sin(2kπ/m)] = 2 cos(2kπ/m)

(0 ≤ k ≤

m−1 2 )

genau die Eigenwerte von A sind. Nun ist der Kosinus eine monoton fallende Funktion, und deshalb ist 2 cos

 (m − 1)π 

der kleinste Eigenwert A.

m

= −2 cos

π m

283

Kommunikation ohne Fehler Wir k¨onnen deshalb unser Hauptresultat (8) anwenden und erhalten Θ(Cm ) ≤

m π −1 ) 1 + (cos m

f¨ur ungerades m ≥ 5.

(9)

π Wegen cos m < 1 ist die Schranke (9) f¨ur jedes m besser als die Schranke m Θ(Cm ) ≤ 2 , die wir fr¨uher gefunden hatten. Inbesondere ist cos π5 = τ2 , √ der goldene Schnitt ist. F¨ur m = 5 erhalten wir also wobei τ = 5+1 2 wieder √ 5 5( 5 + 1) √ √ = 5. Θ(C5 ) ≤ = 4 1 + √5+1 5+ 5

Die orthonormale Darstellung, die die allgemeine Konstruktion liefert, ist f¨ur den F¨unferkreis nat¨urlich genau der Lov´asz-Schirm“. ” Und was ist mit C7 , C9 und den anderen ungeraden Kreisen? Durch 2 3 Betrachtung von α(Cm ), α(Cm ) und anderen kleinen Potenzen kann die m−1 untere Schranke 2 ≤ Θ(Cm ) sicherlich verbessert werden, aber f¨ur kein ungerades m ≥ 7 stimmen die besten bekannten unteren Schranken mit den oberen Schranken aus (8) u¨ berein. Zum Beispiel wissen wir f¨ur m = 7 nur √ 4 108 ≤ Θ(C7 ) ≤

7 , 1 + (cos π7 )−1

also 3,2237 ≤ Θ(C7 ) ≤ 3,3177. Auch mehr als zwanzig Jahre nach Lov´asz’ wunderbarem Beweis f¨ur √ Θ(C5 ) = 5 bleiben diese Probleme offen, und man h¨alt sie f¨ur sehr schwierig — aber diese Situation hatten wir ja schon mal.

Literatur ´ [1] V. C HV ATAL : Linear Programming, Freeman, New York 1983. [2] W. H AEMERS : Eigenvalue methods, in: “Packing and Covering in Combinatorics” (A. Schrijver, ed.), Math. Centre Tracts 106 (1979), 15-38. ´ : On the Shannon capacity of a graph, IEEE Trans. Information [3] L. L OV ASZ Theory 25 (1979), 1-7. [4] C. E. S HANNON : The zero-error capacity of a noisy channel, IRE Trans. Information Theory 3 (1956), 3-15.

Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen

Im Jahr 1955 hat der Zahlentheoretiker Martin Kneser im Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ein harmlos aussehendes Problem gestellt, das zu einer der großen Herausforderungen der Graphentheorie wurde, die erst dreiundzwanzig Jahre sp¨ater L´aszl´o Lov´asz mit einer brillanten und v¨ollig unerwarteten L¨osung unter Verwendung des Borsuk” Ulam-Satzes“ aus der Topologie gemeistert hat. Es passiert immer wieder in der Mathematik, dass auf die L¨osung eines lange offenen Problems sehr bald eine k¨urzere L¨osung folgt, und so war es auch hier. Innerhalb von Wochen zeigte Imre B´ar´any, wie man eine Version des Borsuk-Ulam-Satzes mit einem anderen schon lange bekannten Resultat kombinieren kann, um die Kneser-Vermutung zu erledigen. Dies war der Stand der Dinge bis 2002, als ein junger Bachelorstudent namens Joshua Greene das B´ar´any-Argument noch weiter vereinfachte, und es ist seine Version des Beweises, die wir in diesem Kapitel pr¨asentieren. Aber wir sollten von vorne anfangen. Wir betrachten die folgenden Graphen K(n, k), die man heute Kneser-Graphen nennt, f¨ur ganze Zahlen n ≥ k ≥ 1: die Eckenmenge V (n, k)  ist die Familie der k-Teilmengen von {1, . . . , n}, also |V (n, k)| = nk . Zwei solche k-Mengen A und B sind im Graphen K(n, k) genau dann benachbart, wenn sie disjunkt sind, A ∩ B = ∅. Wenn n < 2k ist, dann schneiden einander zwei k-Mengen immer, und das liefert den uninteressanten Fall, dass K(n, k) keine Kanten hat. Also setzen wir von jetzt an n ≥ 2k voraus. Kneser-Graphen stellen eine interessante Verbindung zwischen Graphentheorie und endlichen Mengen her. Wir k¨onnen zum Beispiel die Unabh¨angigkeitszahl α(K(n, k)) betrachten, also fragen, wie groß eine Familie von paarweise sich schneidenden k-Mengen sein kann. Die Antwort  liefert der Satz von Erd˝os-Ko-Rado aus Kapitel 27: α(K(n, k)) = n−1 k−1 . Genauso k¨onnen wir nach anderen wichtigen Parametern f¨ur diese Graphenfamilie fragen, und Kneser hat den interessantesten herausgegriffen: die chromatische Zahl χ(K(n, k)). Wie schon in fr¨uheren Kapiteln verstehen wir unter einer (Ecken-)F¨arbung eines Graphen G eine Abbildung c : V → {1, . . . , m}, so dass benachbarten Ecken unterschiedliche Farben zugewiesen werden. Die chromatische Zahl χ(G) ist dann die kleinste Anzahl von Farben, f¨ur die es eine zul¨assige F¨arbung von V gibt. Mit anderen Worten, wir wollen die Eckenmenge V als eine disjunkte Vereinigung von m¨oglichst wenigen Farbklassen schreiben, V = V1 ∪˙ · · · ∪˙ Vχ(G) , wobei jede Menge Vi kantenfrei sein muss.

Kapitel 38

{1, 2} {3, 5}

{4, 5}

{3, 4} {2, 5}

{1, 3}

{2, 4}

{1, 4}

{2, 3} {1, 5} Der Kneser-Graph K(5, 2) ist der ber¨uhmte Petersen-Graph.

Daraus folgt χ(K(n, k)) ≥

|V | α

=

(nk) = (n−1 k−1 )

n . k

286

Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen 1

3

3

3 2

1 1

2

2 1 Die 3-F¨arbung des Petersen-Graphen

F¨ur K(n, k) entspricht dies einer Zerlegung V (n, k) = V1 ∪˙ · · · ∪˙ Vχ , f¨ur die jedes Vi eine Familie von einander paarweise schneidenden k-Mengen ist. Da wir n ≥ 2k annehmen, schreiben wir im Folgenden n = 2k + d, mit k ≥ 1, d ≥ 0. Hier ist eine einfache F¨arbung von K(n, k), die d + 2 Farben verwendet: F¨ur i = 1, 2, . . . , d + 1 sei Vi die Menge aller k-Teilmengen, die i als kleinstes Element haben. Die restlichen k-Teilmengen sind alle in der Menge {d + 2, d + 3, . . . , 2k + d} enthalten, die nur 2k − 1 Elemente hat. Also schneiden sie sich alle, und wir k¨onnen die Farbe d + 2 f¨ur sie verwenden. Damit haben wir χ(K(2k + d, k)) ≤ d + 2 gezeigt, und Kneser behauptete, dass diese obere Schranke die richtige Zahl liefert. Die Kneser-Vermutung: Es gilt χ(K(2k + d, k)) = d + 2.

F¨ur d = 0 besteht K(2k, k) aus disjunkten Kanten, eine f¨ur jedes Paar von komplement¨aren k-Teilmengen. ¨ Also ist χ(K(2k, k)) = 2, in Ubereinstimmung mit der Vermutung.

Vermutlich wird jeder erst einmal versuchen, den Beweis mit Induktion u¨ ber k und d zu f¨uhren. In der Tat ist die Vermutung f¨ur die F¨alle k = 1 und d = 0, 1 leicht zu beweisen, aber der Induktionsschritt von k nach k+1 (oder von d nach d + 1) scheint nicht zu funktionieren. Also formulieren wir die Vermutung stattdessen als Existenzproblem: Wenn die Familie der k-Teilmengen von {1, 2, . . . , 2k + d} in d + 1 Klassen aufgeteilt wird, V (n, k) = V1 ∪˙ · · · ∪˙ Vd+1 , dann enth¨alt Vi f¨ur mindestens ein i ein Paar A, B von disjunkten k-Teilmengen. Die brillante Einsicht von Lov´asz war, dass das Problem einen topologischen Kern hat, der sich mit einem ber¨uhmten Satz u¨ ber die d-dimensionale Einheitssph¨are S d = {x ∈ Rd+1 : |x| = 1} im Rd+1 knacken l¨aßt. Der Borsuk-Ulam-Satz. F¨ur jede stetige Abbildung f : S d → Rd von der d-Sph¨are in den d-dimensionalen Raum gibt es gegen¨uberliegende Punkte x∗ , −x∗ , die auf denselben Punkt f (x∗ ) = f (−x∗ ) abgebildet werden. Dieses Resultat ist ein Juwel der Topologie; es findet sich zuerst in Borsuks ber¨uhmtem Aufsatz von 1933. Wir skizzieren einen Beweis im Anhang; f¨ur den vollst¨andigen Beweis verweisen wir auf Abschnitt 2.2 in Matouˇseks wunderbarem Buch “Using the Borsuk-Ulam Theorem”, dessen Titel ja schon die Durchschlagskraft und Anwendungsf¨ulle des Resultats demonstriert. In der Tat gibt es auch viele a¨ quivalente Formulierungen f¨ur den Satz, die die zentrale Stellung dieses Satzes untermauern. Wir werden eine Version verwenden, die man auf ein Buch von Lyusternik und Shnirel’man aus dem Jahr 1930 zur¨uckf¨uhren kann, das also sogar Borsuk vorwegnimmt.

Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen

287

Satz. Wenn die d-Sph¨are S d durch d + 1 Mengen u¨ berdeckt wird, S d = U1 ∪ · · · ∪ Ud ∪ Ud+1 , wobei jede der ersten d Mengen U1 , . . . , Ud entweder offen oder abgeschlossen ist, dann enth¨alt eine der d + 1 Mengen ein Paar von gegen¨uberliegenden Punkten x∗ , −x∗ .

Der Fall, dass alle d+1 Mengen abgeschlossen sind, stammt von Lyusternik und Shnirel’man. Der Fall, dass alle d + 1 Mengen offen sind, wird genauso oft verwendet und ebenfalls Lyusternik und Shnirel’man zugeschrieben. Die Beobachtung von Greene war, dass der Satz auch dann stimmt, wenn alle d + 1 Mengen entweder offen oder geschlossen sind. Wie sich zeigen wird, brauchen wir nicht einmal dies: f¨ur Ud+1 ist keine solche Annahme n¨otig. Im Beweis der Kneser-Vermutung werden wir nur den Fall verwenden, dass U1 , . . . , Ud offen sind.  Beweis des Lyusternik-Shnirel’man Satzes mit Hilfe von Borsuk¨ Ulam. Sei S d = U1 ∪ · · · ∪ Ud ∪ Ud+1 eine Uberdeckung mit den beschriebenen Eigenschaften, und nehmen wir an, dass keine der Mengen Ui gegen¨uberliegende Punkte enth¨alt. Wir definieren eine Abbildung f : S d → Rd durch  f (x) := d(x, U1 ), d(x, U2 ), . . . , d(x, Ud ) .

Hier bezeichnet d(x, Ui ) den Abstand von x zu Ui . Weil dieser stetig von x abh¨angt, ist die Abbildung f stetig. Also sagt uns der Satz von BorsukUlam, dass es gegen¨uberliegende Punkte x∗ , −x∗ gibt mit f (x∗ ) = f (−x∗ ). Da Ud+1 keine gegen¨uberliegenden Punkte enth¨alt, muss mindestens einer der Punkte x∗ und −x∗ in einer der Mengen Ui enthalten sein, sagen wir in Uk (k ≤ d). Wenn wir n¨otigenfalls x∗ mit −x∗ vertauschen, d¨urfen wir annehmen, dass x∗ ∈ Uk ist. Insbesondere ist dann d(x∗ , Uk ) = 0, und aus f (x∗ ) = f (−x∗ ) erhalten wir, dass auch d(−x∗ , Uk ) = 0 gilt. Wenn jetzt Uk abgeschlossen ist, dann folgt aus d(−x∗ , Uk ) = 0, dass −x∗ ∈ Uk ist, und wir erhalten den Widerspruch, dass Uk gegen¨uberliegende Punkte enth¨alt. Wenn Uk offen ist, dann folgt aus d(−x∗ , Uk ) = 0, dass −x∗ in Uk liegt, dem Abschluss von Uk . Insbesondere ist Uk dann in S d \(−Uk ) enthalten, weil dies eine abgeschlossene Teilmenge von S d ist, die Uk enth¨alt. Aber dies bedeutet, dass −x∗ in S d \(−Uk ) liegt, also nicht in −Uk liegen kann, und daher x∗ nicht in Uk liegt, Widerspruch.  Als zweiten Bestandteil seines Beweises hat Imre B´ar´any einen anderen Existenzsatz verwendet, der die Sph¨are S d betrifft. Satz von Gale. Es gibt eine Anordnung von 2k + d Punkten auf der S d , so dass jede offene Hemisph¨are mindestens k von diesen Punkten enth¨alt. David Gale hat diesen Satz 1956 bei seinen Untersuchungen u¨ ber Polytope mit vielen Seitenfl¨achen gefunden. Er hat daf¨ur einen komplizierten Induktionsbeweis angegeben, aber in der R¨uckschau k¨onnen wir heute ganz einfach eine solche Menge angeben und ihre Eigenschaften nachweisen.

Der Abschluss von Uk ist die kleinste abgeschlossene Menge, die Uk enth¨alt (also der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die Uk enthalten).

288

Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen Mit diesen Resultaten bewaffnet ist es jetzt ganz einfach, das Knesersche Problem zu erledigen, aber Greene hat gezeigt, wie es noch einfacher geht: wir brauchen nicht einmal den Satz von Gale. Es reicht aus, eine beliebige Anordnung von 2k +d Punkten auf der (d+1)-dimensionalen Sph¨are S d+1 in allgemeiner Lage zu haben, was bedeutet, dass keine d + 2 dieser Punkte auf einer Hyperebene durch den Mittelpunkt der Sph¨are liegen d¨urfen. Offensichtlich ist dies f¨ur d ≥ 0 m¨oglich.  Beweis der Kneser-Vermutung. Als Grundmenge nehmen wir 2k + d Punkte in allgemeiner Lage auf der Sph¨are S d+1 . Nehmen wir an, dass die Menge V (n, k) aller k-Teilmengen dieser Menge in d+1 Klassen aufgeteilt ist, V (n, k) = V1 ∪˙ · · · ∪˙ Vd+1 . Wir m¨ussen jetzt ein Paar von disjunkten k-Teilmengen A und B finden, die zur selben Klasse Vi geh¨oren. F¨ur i = 1, . . . , d + 1 definieren wir

x Hx Eine offene Hemisph¨are in der S

2

Oi = {x ∈ S d+1 : die offene Hemisph¨are Hx mit dem Pol x enth¨alt eine k-Teilmenge aus Vi } . Jede dieser Mengen Oi ist offen, und zusammen mit der abgeschlossenen Menge C = S d+1 \ (O1 ∪ · · · ∪ Od+1 ) u¨ berdecken die offenen Mengen Oi die Sph¨are S d+1 . Der Satz von Lyusternik-Shnirel’man sagt uns jetzt, dass eine dieser Mengen gegen¨uberliegende Punkte x∗ und −x∗ enthalten muss. Die Menge C kann es nicht sein! Denn wenn x∗ , −x∗ in C liegen, dann folgt aus der Definition der Oi , dass die Hemisph¨aren Hx∗ und H−x∗ weniger als k Punkte enthalten. Aber das bedeutet, dass mindestens d + 2 ¨ H x∗ ∩ H −x∗ bez¨uglich des Nordpols x∗ liegen, Punkte auf dem Aquator also auf einer Hyperebene durch den Mittelpunkt. Aber das kann nicht sein, weil die Punkte in allgemeiner Lage gew¨ahlt waren. Also enth¨alt eine der Mengen Oi ein Paar x∗ , −x∗ , es gibt also k-Teilmengen A und B, beide in der Klasse Vi , mit A ⊆ Hx∗ und B ⊆ H−x∗ . x∗ A

−→

B

−→

Hx ∗

−x∗

H−x∗

Aber da wir offene Hemisph¨aren betrachten, sind Hx∗ und H−x∗ disjunkt, also sind A und B disjunkt, und das ist der ganze Beweis.  Man mag sich fragen, ob man wirklich ein hochentwickeltes topologisches Werkzeug wie den Borsuk-Ulam-Satz braucht, um eine Behauptung u¨ ber endliche Mengen zu beweisen. Die Topologie kann man umgehen: Jiˇr´ı Matouˇsek hat vor kurzem einen h¨ubschen kombinatorischen Beweis gefunden — aber bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch in seinen ¨ kombinatorischen Uberlegungen topologische Intuition und topologische Strukturen.

289

Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen

Anhang: Eine Beweisskizze fur ¨ den Satz von Borsuk-Ulam F¨ur jede generische Abbildung (die man auch als Abbildung in allgemeiner Lage kennt) von einem kompakten d-dimensionalen Raum in einen ddimensionalen Raum erwartet man, dass jeder Punkt im Bild nur eine endliche Anzahl von Urbildern hat. F¨ur eine generische Abbildung von einem (d + 1)-dimensionalen in einen d-dimensionalen Raum erwarten wir f¨ur jeden Punkt im Bild ein 1-dimensionales Urbild, also eine endliche Menge von Kurven. Sowohl im Fall von glatten Abbildungen, als auch im Kontext von st¨uckweise linearen Abbildungen kann man ganz leicht beweisen, dass es zu jeder Abbildung eine generische Abbildung in ihrer N¨ahe gibt. Hier wollen wir zeigen, dass jede generische Abbildung fe : S d → Rd eine ungerade Anzahl von gegen¨uberliegenden Punkten identifiziert (insbesondere endlich viele, und mindestens einen). Wenn f : S d → Rd keine gegen¨uberliegenden Punkte identifizieren w¨urde, dann g¨abe es nahe bei f auch eine generische Abbildung fe ohne eine solche Identifizierung. Nun betrachten wir die Projektion π : S d → Rd , die einfach die letzte Koordinate wegl¨asst; diese Abbildung identifiziert den Nordpol“ ed+1 der ” d-Sph¨are mit dem S¨udpol“ −ed+1 . F¨ur die gegebene Abbildung f : S d → ” Rd konstruieren wir eine stetige Deformation von π nach f ; wir interpolieren also zwischen diesen zwei Abbildungen (zum Beispiel linear) und erhalten so eine stetige Abbildung F : S d × [0, 1] −→ Rd ,

Sd t=1

f

S d × [0, 1]

F

Rd π

d

mit F (x, 0) = π(x) und F (x, 1) = f (x) f¨ur alle x ∈ S . (Solch eine Abbildung nennt man eine Homotopie.) Jetzt perturbieren wir F vorsichtig in eine generische Abbildung Fe : S d × [0, 1] → Rd , von der wir je nach wieder annehmen d¨urfen, dass sie glatt oder st¨uckweise linear auf einer engmaschigen Triangulierung von S d × [0, 1] ist. Wenn diese Perturbation klein genug“ ist und vorsichtig vor” genommen wird, dann identifiziert die perturbierte Version der Projektion π e(x) := Fe(x, 0) immer noch die zwei gegen¨uberliegenden Punkte ±ed+1 und keine anderen. Wenn Fe hinreichend generisch ist, dann ist die Menge  M := (x, t) ∈ S d × [0, 1] : Fe (−x, t) = Fe (x, t)

in S d × [0, 1] nach dem Satz u¨ ber implizite Funktionen (glatte oder st¨uckweise-lineare Version) eine Menge von Pfaden und geschlossenen Kurven. Zus¨atzlich ist diese Menge offenbar symmetrisch, das heißt (−x, t) ∈ M dann und nur dann wenn (x, t) ∈ M . Die Pfade in M k¨onnen Endpunkte aber nur bei t = 0 oder t = 1 haben, also auf dem Rand von S d × [0, 1]. Die einzigen Endpunkte bei t = 0 sind jedoch bei (±ed+1 , 0), und die beiden Pfade, die an diesen beiden Punkten anfangen, liegen sich symmetrisch gegen¨uber, bleiben also disjunkt und k¨onnen nur bei t = 1 enden. Das zeigt, dass es dort L¨osungen gibt f¨ur Fe (−x, t) = Fe (x, t), also f¨ur f (−x) = f (x).

t=0

Sd

(S d , 1) t=1

f F (ed+1 , 0)

Rd π

t=0

(−ed+1 , 0)

(S d , 0)

290

Die chromatische Zahl der Kneser-Graphen

Literatur ´ ANY ´ : A short proof of Kneser’s conjecture, J. Combinatorial Theory, [1] I. B AR Ser. B 25 (1978), 325-326. [2] K. B ORSUK : Drei S¨atze u¨ ber die n-dimensionale Sph¨are, Fundamenta Math. 20 (1933), 177-190. [3] D. G ALE : Neighboring vertices on a convex polyhedron, in: “Linear Inequalities and Related Systems” (H. W. Kuhn, A. W. Tucker, eds.), Princeton University Press, Princeton 1956, 255-263. [4] J. E. G REENE : A new short proof of Kneser’s conjecture, American Math. Monthly 109 (2002), 918-920. [5] M. K NESER : Aufgabe 360, Jahresbericht der Deutschen MathematikerVereinigung 58 (1955), 27. ´ : Kneser’s conjecture, chromatic number, and homotopy, J. Com[6] L. L OV ASZ binatorial Theory, Ser. B 25 (1978), 319-324. [7] L. LYUSTERNIK & S. S HNIREL’ MAN : Topological Methods in Variational Problems (in Russian), Issledowatelski˘ı Institute Matematiki i Mechaniki pri O. M. G. U., Moscow, 1930. [8] J. M ATOU Sˇ EK : Using the Borsuk-Ulam Theorem. Lectures on Topological Methods in Combinatorics and Geometry, Universitext, Springer-Verlag, Berlin 2003. [9] J. M ATOU Sˇ EK : A combinatorial proof of Kneser’s conjecture, Combinatorica 24 (2004), 163-170.

Von Freunden und Politikern

Kapitel 39

Es ist nicht bekannt, wer sich als Erster das folgende Problem ausgedacht hat, oder wer ihm seine menschliche Note gegeben hat. Hier ist es: Nehmen wir an, dass in einer Gruppe von Leuten je zwei Personen immer genau einen gemeinsamen Freund haben. Dann gibt es immer einen Politiker“, den alle zum Freund haben. ” In der mathematischen Literatur kennt man dies als den Freundschaftsatz. Bevor wir das Problem in Angriff nehmen, wollen wir es in graphentheoretische Sprache fassen. Wir interpretieren die Leute als die Eckenmenge V eines endlichen Graphen und verbinden zwei Ecken durch eine Kante, wenn die entsprechenden Personen Freunde sind. Wir nehmen dabei stillschweigend an, dass die Freundschaft immer gegenseitig ist, das heißt, wenn u ein Freund von v ist, dann ist auch v ein Freund von u, und weiter, dass niemand mit sich selbst befreundet ist. Damit nimmt der Satz die folgende Form an:

Das L¨acheln eines Politikers“ ”

Satz. Sei G ein endlicher einfacher Graph, in dem zwei Ecken immer genau einen gemeinsamen Nachbarn haben. Dann gibt es immer eine Ecke, die zu allen anderen Ecken benachbart ist. Zun¨achst sollten wir festhalten, dass es wirklich Graphen mit dieser Eigenschaft gibt; siehe die Abbildung, in der u den Politiker bezeichnet. Die Windm¨uhlengraphen“ sind aber die einzigen Beispiele mit der ” gew¨unschten Eigenschaft. Man u¨ berlegt sich n¨amlich leicht, dass in der Gegenwart eines Politikers nur diese Graphen m¨oglich sind. Dann ist zu bemerken, dass der Satz wirklich nur f¨ur endliche Graphen stimmt. Man kann n¨amlich mit einem endlichen Graphen G0 anfangen (beispielsweise mit einem F¨unferkreis), in dem keine zwei Ecken mehr als einen gemeinsamen Nachbarn haben, und dann den folgenden Konstruktionsschritt wiederholen: Der Graph Gk+1 entsteht aus Gk , indem man man f¨ur jedes Paar von Ecken in Gk ohne gemeinsamen Nachbarn eine neue Ecke als gemeinsamen Nachbarn hinzuf¨ugt. So entsteht iterativ ein unendlicher Freundschaftsgraph ohne Politiker. Es gibt mehrere Beweise des Freundschaftsatzes, aber der erste Beweis, von Paul Erd˝os, Alfred R´enyi und Vera S´os, ist doch etwas Besonderes.  Beweis. Nehmen wir an, die Behauptung w¨are falsch, und G w¨are ein Gegenbeispiel, das heißt keine Ecke von G ist mit allen anderen Ecken

.. .

u

Ein Windm¨uhlengraph

292

Von Freunden und Politikern ¨ benachbart. Die Uberlegung, die daraus einen Widerspruch ableitet, hat zwei Teile: der erste ist Kombinatorik, der zweite ist Lineare Algebra.

u w1

w2 w3

... z2

v

wk

... z3 . . . zk

(1) Wir behaupten, dass G ein regul¨arer Graph ist, dass also d(u) = d(v) f¨ur alle u, v ∈ V gilt. Daf¨ur wollen wir festhalten, dass die Bedingung des Satzes impliziert, dass es in G keine Kreise der L¨ange 4 geben kann. Dies wollen wir die C4 -Bedingung nennen. Zun¨achst weisen wir nach, dass nicht-adjazente Ecken u und v immer den gleichen Grad d(u) = d(v) haben. Sei d(u) = k, wobei w1 , . . . , wk die Nachbarn von u sind. Genau eine der Ecken wi ist benachbart zu v, und wir d¨urfen annehmen, dass dies w2 ist. Weiterhin ist dieses w2 dann zu genau einer anderen Ecke wi benachbart, und wir k¨onnen annehmen, dass dies w1 ist, dass wir also die Situation in der nebenstehenden Zeichnung vorliegen haben. Die Ecke v hat mit w1 den gemeinsamen Nachbarn w2 , und mit wi (i ≥ 2) einen gemeinsamen Nachbarn zi (i ≥ 2). Wegen der C4 -Bedingung m¨ussen alle diese zi verschieden sein. Wir schließen daraus ¨ d(v) ≥ k = d(u). Weil wir diese Uberlegung mit vertauschten u und v wiederholen k¨onnen, muss also d(u) = d(v) = k gelten. Um den Beweis von (1) abzuschließen, beobachten wir, dass jede Ecke außer w2 entweder zu u oder zu v nicht-adjazent ist und deshalb auch Grad k haben muss, nach dem, was wir schon bewiesen haben. Aber auch w2 hat einen nicht-Nachbarn (wegen d(w2 ) < n − 1), also auch Grad k, und damit ist G k-regul¨ar. Wenn wir die Grade der k Nachbarn von u aufsummieren, so erhalten wir k 2 . Nun hat jede Ecke im Graphen (außer u) genau einen gemeinsamen Nachbarn mit u. Wir haben also jede Ecke genau einmal gez¨ahlt, außer der Ecke u, die insgesamt k-mal gez¨ahlt wurde. Also ist die gesamte Eckenzahl des Graphen G gleich n = k 2 − k + 1. (1) (2) Der Rest des Beweises ist eine wunderbare Anwendung von StandardResultaten der Linearen Algebra. Zun¨achst einmal muss k gr¨oßer als 2 sein, denn f¨ur k ≤ 2 sind nach (1) nur die Graphen G = K1 und G = K3 m¨oglich, und diese sind beide spezielle Windm¨uhlengraphen. Nun betrachten wir die Adjazenzmatrix A = (aij ), die wie auf Seite 281 definiert wird. Nach Teil (1) enth¨alt jede Zeile dieser Matrix genau k Einsen, und nach der Bedingung des Satzes gibt es f¨ur beliebige zwei Zeilen immer genau eine Spalte, in der beide eine 1 haben. Weiterhin besteht die Hauptdiagonale aus Nullen. Also haben wir   k 1 ... 1  1 k 1    A2 =  . = (k − 1) I + J , . . . ...   ..  1 ... 1 k

wobei I die Einheitsmatrix ist und die Matrix J aus lauter Einsen besteht. Man sieht nun sofort, dass J die Eigenwerte n (mit der Vielfachheit 1)

293

Von Freunden und Politikern und 0 (mit Vielfachheit n − 1) hat. Daraus folgt, dass A2 die Eigenwerte k − 1 + n = k 2 (von Vielfachheit 1) und k − 1 (von Vielfachheit n − 1) hat. Nun ist A symmetrisch, also auch diagonalisierbar, und die Eigenwerte von A2 sind die Quadrate der Eigenwerte von A. Wir schließen daraus, dass A√ die Eigenwerte k (mit Vielfachheit 1, zum Eigenvektor (1, . . . , 1)√T ) und ± k − 1 hat. Nehmen wir √ nun an, dass r der Eigenwerte gleich k − 1 und s von ihnen gleich − k − 1 sind, mit r + s = n − 1. Damit sind wir aber praktisch am Ziel. Da die Summe der Eigenwerte von A gleich der Spur ist (und die ist 0), erhalten wir √ √ k + r k − 1 − s k − 1 = 0. Insbesondere ist also r 6= s und √

k−1 =

k . s−r

√ √ Daraus folgt, dass k − 1 eine ganze Zahl h ist (wenn m rational ist, dann muss es eine ganze Zahl sein!), und wir erhalten h(s − r) = k = h2 + 1. Damit teilt h aber sowohl h2 + 1 als auch h2 , also gilt h = 1 und k = 2, und diesen Fall hatten wir schon ausgeschlossen. Damit sind wir bei einem Widerspruch angekommen, und der Beweis ist vollst¨andig.  Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Wir k¨onnen den Freundschaftssatz auch folgendermaßen formulieren: Sei G ein Graph mit der Eigenschaft, dass es zwischen zwei Ecken immer genau einen Weg der L¨ange 2 gibt. Dann muss G ein Windm¨uhlengraph sein. Aber was ist, wenn wir Wege einer gr¨oßeren L¨ange als 2 betrachten? Eine Vermutung von Anton Kotzig besagt, dass die entsprechende Situation unm¨oglich ist: Kotzigs Vermutung. Sei ℓ > 2. Dann gibt es keinen endlichen Graphen, in dem es zwischen zwei Ecken immer genau einen Weg der L¨ange ℓ gibt. Kotzig selbst hat seine Vermutung f¨ur ℓ ≤ 8 verifiziert. In [3] ist die Vermutung bis ℓ = 20 bewiesen, und A. Kostochka hat uns k¨urzlich mitgeteilt, dass sie inzwischen bis ℓ = 33 verifiziert ist. Ein allgemeiner Beweis (und schon gar einer aus dem BUCH) scheint aber in weiter Ferne zu liegen.

Literatur ˝ , A. R E´ NYI & V. S OS ´ : On a problem of graph theory, Studia Sci. [1] P. E RD OS Math. 1 (1966), 215-235. [2] A. KOTZIG : Regularly k-path connected graphs, Congressus Numerantium 40 (1983), 137-141. [3] A. KOSTOCHKA : The nonexistence of certain generalized friendship graphs, in: “Combinatorics” (Eger, 1987), Colloq. Math. Soc. J´anos Bolyai 52, NorthHolland, Amsterdam 1988, 341-356.

Die Probabilistische Methode

Kapitel 40

Wir haben dieses Buch mit den ersten Aufs¨atzen von Paul Erd˝os in der Zahlentheorie begonnen. Wir schließen es nun mit dem Beitrag zur Mathematik, der wohl sein gr¨oßtes Verm¨achtnis bleiben wird — der Probabilistischen Methode, die er gemeinsam mit Alfred R´enyi entwickelt hat. In ihrer einfachsten Form besagt sie:

Wenn auf einer Menge von Objekten die Wahrscheinlichkeit, dass ein Objekt eine bestimmte Eigenschaft nicht hat, kleiner als 1 ist, dann muss es ein Objekt mit der Eigenschaft geben.

Wir haben damit also ein Existenzresultat. Es mag sehr schwer sein (und das ist es auch oft), ein solches Objekt wirklich zu finden, aber wir wissen, dass es existiert. Hier pr¨asentieren wir drei Beispiele der Probabilistischen Methode (mit ansteigendem Schwierigkeitgrad), die alle drei von Erd˝os stammen, und schließen dann mit einer besonders eleganten, recht neuen Anwendung. Als Aufw¨arm¨ubung betrachten wir eine Familie F von Teilmengen Ai derselben Gr¨oße d ≥ 2 einer endlichen Grundmenge X. Wir sagen, dass F 2-f¨arbbar ist, wenn es eine F¨arbung der Grundmenge X mit zwei Farben gibt, so dass in jeder Teilmenge Ai beide Farben auftreten. Es ist ganz offensichtlich, dass man nicht jede Mengenfamilie so f¨arben kann. So k¨onnte F zum Beispiel aus allen Teilmengen der Gr¨oße d einer (2d − 1)Menge X bestehen. Dann ist es ganz egal, wie wir X 2-f¨arben, es gibt immer d Elemente, die dieselbe Farbe bekommen. Andererseits ist aber auch klar, dass jede Teilfamilie einer 2-f¨arbbaren Familie von d-Mengen selbst wieder 2-f¨arbbar ist. Also interessiert uns die kleinste Anzahl m = m(d), f¨ur die es eine Familie von m Mengen gibt, die nicht 2-f¨arbbar ist. Anders gesagt, ist m(d) die gr¨oßte Zahl, die garantiert, dass jede Familie mit weniger als m(d) Mengen 2-f¨arbbar ist. Satz 1. Jede Familie mit h¨ochstens 2d−1 d-Mengen ist 2-f¨arbbar, das heißt m(d) > 2d−1 .  Beweis. Sei F eine Familie von d-Mengen, die aus h¨ochstens 2d−1 Mengen besteht. Wie f¨arben X zuf¨allig mit zwei Farben, wobei alle F¨arbungen gleich wahrscheinlich sein sollen. F¨ur jede Menge A ∈ F sei EA das Ereignis, dass die Elemente von A alle dieselbe Farbe bekommen. Da es

Eine 2-gef¨arbte Familie von 3-Mengen

296

Die Probabilistische Methode genau zwei solche F¨arbungen gibt, ist d−1

Prob(EA ) = ( 12 )

.

Also gilt mit m = |F | ≤ 2d−1 (wobei die Ereignisse EA nicht disjunkt sind!) Prob(

[

A∈F

EA )
0 hat man eine 1 untere Schranke der Form R(k, k) > 2( 2 +ε)k oder eine obere Schranke der Form R(k, k) < 2(2−ε)k nachweisen k¨onnen. Unser drittes Resultat ist eine weitere sehr sch¨one Illustration der Probabilistischen Methode. Wir betrachten einen Graphen G auf n Ecken mit hoher chromatischer Zahl χ(G), f¨ur den also jede korrekte F¨arbung zwingend viele verschiedene Farben verwendet. Dann k¨onnte man annehmen, dass G auch einen großen vollst¨andigen Untergraphen enthalten muss. Aber dies ist bei Weitem nicht richtig. Schon in den 40er Jahren hat Blanche Descartes Graphen mit beliebig großer chromatischer Zahl und ohne Dreiecke konstruiert, also Graphen, f¨ur die jeder Kreis mindestens die L¨ange 4 hat; f¨ur eine a¨ hnliche Konstruktionen siehe den Kasten rechts. In diesen Beispielen gab es jedoch immer viele Kreise der L¨ange 4. Kann man das noch verbessern? K¨onnte man fordern, dass es u¨ berhaupt keine kleinen Kreise gibt und trotzdem beliebig hohe chromatische Zahl? Die Antwort ist Ja! Um das zu quantifizieren, bezeichnen wir die L¨ange eines k¨urzesten Kreises in G als die Taillenweite γ(G) von G; dann gilt der folgende Satz, den Paul Erd˝os als Erster bewiesen hat. Satz 3. F¨ur jedes k ≥ 2 gibt es einen Graphen G mit chromatischer Zahl χ(G) > k und Taillenweite γ(G) > k. Die Strategie daf¨ur ist a¨ hnlich zu den vorangegangenen Beweisen: Wir betrachten einen gewissen Wahrscheinlichkeitsraum auf Graphen und zeigen dann, dass die Wahrscheinlichkeit f¨ur χ(G) ≤ k kleiner als 12 ist, und ebenso, dass die Wahrscheinlichkeit f¨ur γ(G) ≤ k kleiner als 21 ist. Damit folgt dann, dass Graphen mit den gew¨unschten Eigenschaften existieren.  Beweis. Sei V = {v1 , . . . , vn } die Eckenmenge, und p eine feste Zahl zwischen 0 und 1, die wir erst sp¨ater (mit Bedacht) festlegen werden. Der Wahrscheinlichkeitsraum G(n, p) besteht aus allen Graphen mit Eckenmenge V , wobei die einzelnen Kanten unabh¨angig voneinander jeweils mit Wahrscheinlichkeit p auftreten. Mit anderen Worten, wir betrachten ein Bernoulli-Experiment, bei dem jede einzelne Kante mit Wahrscheinlichkeit p zum Zug kommt. Beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur,

299

Die Probabilistische Methode n den vollst¨andigen Graphen Kn zu erhalten, genau Prob(Kn ) = p( 2 ) . Alln gemeiner gilt Prob(H) = pm (1 − p)( 2 )−m , wenn der Graph H genau m Kanten hat. Zun¨achst betrachten wir die chromatische Zahl χ(G). Mit α = α(G) bezeichnen wir die Unabh¨angigkeitszahl, also die gr¨oßte Kardinalit¨at einer unabh¨angigen Menge in G. Weil f¨ur jede F¨arbung mit χ = χ(G) Farben jede Farbklasse unabh¨angig sein muss (und damit Gr¨oße ≤ α hat), gilt auf jeden Fall χα ≥ n. Wenn also α klein ist im Vergleich zu n, dann muss χ groß sein; darauf arbeiten wir also hin. Sei nun 2 ≤ r ≤ n. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine feste r-Menge in V r unabh¨angig ist, ist (1 − p)(2) , und mit demselben Argument wie in Satz 2 schließen wir daraus   r n Prob(α ≥ r) ≤ (1 − p)(2) r r r−1 ≤ nr (1 − p)(2) = (n(1 − p) 2 )r ≤ (ne−p(r−1)/2 )r ,

weil 1 − p ≤ e−p f¨ur alle p gilt.

Dreiecksfreie Graphen mit hoher chromatischer Zahl Hier ist eine Folge von dreiecksfreien Graphen G3 , G4 , . . . mit χ(Gn ) = n. Wir beginnen mit G3 = C5 , dem 5-Kreis; also ist χ(G3 ) = 3. Nehmen wir nun an, dass wir den Graphen Gn mit der Eckenmenge V schon konstruiert haben. Der neue Graph Gn+1 hat dann die Eckenmenge V ∪ V ′ ∪ {z}, wobei die Ecken v ′ ∈ V ′ bijektiv den Ecken v ∈ V zugeordnet sind und z eine weitere Ecke bezeichnet. Der Graph Gn+1 hat drei Arten von Kanten: Erstens nehmen wir alle Kanten aus Gn ; zweitens wird jede Ecke v ′ mit genau den Nachbarn von v in Gn verbunden; und drittens verbinden wir z mit allen Ecken v ′ ∈ V ′ . Damit erhalten wir aus G3 = C5 als G4 den so genannten Mycielski-Graphen. Der Graph Gn+1 ist offenbar wieder dreiecksfrei. Um χ(Gn+1 ) = n + 1 zu beweisen, verwenden wir Induktion u¨ ber n. Wir betrachten eine beliebige n-F¨arbung von Gn , und darin eine Farbklasse C. Dann muss es eine Ecke v ∈ C geben, die mit mindestens einer Ecke aus jeder weiteren Farbklasse verbunden ist; sonst k¨onnten wir die Ecken in C entsprechend auf die n − 1 anderen Farbklassen aufteilen, was zu χ(Gn ) ≤ n − 1 f¨uhren w¨urde. Aber damit ist klar, dass v ′ (die Ecke in V ′ , die dem betrachteten v entspricht) in dieser n-F¨arbung dieselbe Farbe zugewiesen bekommt wie v. Also treten alle n Farben auch in V ′ auf, und wir brauchen eine neue Farbe f¨ur z.

G3 :

G4 :

Konstruktion des Mycielski-Graphen

300

Die Probabilistische Methode k

F¨ur ein gegebenes festes k > 0 w¨ahlen wir nun p := n− k+1 und wollen damit zeigen, dass f¨ur hinreichend große n

1

 1 n < Prob α ≥ 2k 2

(3) 1

ist. Weil die Funktion n k+1 schneller w¨achst als log n, gilt n k+1 ≥ 6k log n n ⌉ liefert dies f¨ur hinreichend große n, und damit p ≥ 6k logn n . F¨ur r := ⌈ 2k pr ≥ 3 log n, und damit ne−p(r−1)/2 = ne−

pr 2

p

3

1

1

1

1

e 2 ≤ ne− 2 log n e 2 = n− 2 e 2 = ( ne ) 2 ,

und dies konvergiert gegen 0, wenn n gegen Unendlich geht. Also gilt (3) f¨ur alle n ≥ n1 . Jetzt k¨ummern wir uns um den zweiten Parameter γ(G). Wir wollen zeigen, dass es nicht zu viele Kreise gibt, deren L¨ange h¨ochstens k ist. Sei 3 ≤ i ≤ k, und A ⊆ V eine feste i-Menge. Die Anzahl der m¨oglichen i-Kreise auf A ist gerade die Anzahl der zyklischen Permutationen von A, geteilt durch 2 (weil wir den Kreis in beiden Richtungen durchlaufen k¨onnen), und damit gleich (i−1)! oglichen 2 . Die Gesamtzahl der m¨  n (i−1)! i-Kreise ist damit i 2 , und jeder solche Kreis tritt mit Wahrscheinlichkeit pi auf. Sei X nun die Zufallsvariable, die die Kreise der L¨ange h¨ochstens k z¨ahlt. Um X abzusch¨atzen, verwenden wir zwei einfache aber elegante Hilfsmittel. Das erste ist die Linearit¨at des Erwartungswerts, und das zweite ist die Markov-Ungleichung f¨ur nicht-negative Zufallsvariable, also EX , Prob(X ≥ a) ≤ a wobei EX den Erwartungswert von X bezeichnet. Im Anhang zu Kapitel 15 wurden beide Hilfsmittel diskutiert. Sei XC die charakteristische Zufallsvariable eines Kreises C der L¨ange i. Das heißt, wir setzen XC = 1 oder 0, je nachdem, ob C in dem Graphen i auftritt oder nicht; also EX PC = p . Da X die Anzahl aller Kreise der L¨ange ≤ k z¨ahlt, gilt X = XC , also EX =

k   X n (i − 1)! i=3

i

2

k

pi ≤

1 1X i i np ≤ (k − 2)nk pk , 2 i=3 2

wobei die erste Gleichung wegen der Linearit¨at des Erwartungswerts gilt, 1 und die letzte Ungleichung aus np = n k+1 ≥ 1 folgt. Nun wenden wir die Markov-Ungleichung mit a = n2 an und erhalten Prob(X ≥

n 2)



1 (np)k EX ≤ (k − 2) = (k − 2)n− k+1 . n/2 n

Hier geht die rechte Seite gegen 0, wenn n gegen Unendlich geht, so dass wir p(X ≥ n2 ) < 12 f¨ur n ≥ n2 haben.

301

Die Probabilistische Methode Nun sind wir aber auf der Zielgeraden. Unsere Analyse zeigt, dass es f¨ur n n ≥ max(n1 , n2 ) einen Graphen H mit n Ecken gibt, der α(H) < 2k n erf¨ullt und weniger als 2 Kreise der L¨ange ≤ k hat. Nun entfernen wir aus jedem dieser Kreise eine Ecke und bezeichnen mit G den daraus resultierenden Graphen. F¨ur ihn gilt offenbar γ(G) > k: die Eigenschaft, große Taillenweite zu haben, bleibt offensichtlich beim Entfernen von Ecken n erhalten. Da G mehr als n2 Ecken hat und α(G) ≤ α(H) < 2k erf¨ullt, haben wir χ(G) ≥

n n n/2 ≥ > = k, α(G) 2α(H) n/k

und damit ist der Beweis zu Ende.



Man kennt auch explizite Konstruktionen f¨ur (extrem große) Graphen von hoher Taillenweite und chromatischer Zahl. (Im Gegensatz dazu weiß man nicht, wie man rot-blau-F¨arbungen ohne große einfarbige Cliquen konstruieren soll, deren Existenz ja durch Satz 2 gesichert ist.) Bemerkenswert an dem Erd˝os-Beweis ist aber immer noch, dass er die Existenz relativ kleiner Graphen mit hoher chromatischer Zahl und Taillenweite liefert. Wir beenden unsere Exkursion in die Welt des Zufalls mit einem wichtigen Resultat aus der geometrischen Graphentheorie (die wieder auf Paul Erd˝os zur¨uckgeht) und f¨ur das der Beweis aus dem BUCH noch ganz frisch ist. Wir betrachten einen einfachen Graphen G = G(V, E) mit n Ecken und m Kanten. Wir wollen G nach Art der ebenen Graphen in die Ebene zeichnen. Dabei wissen wir aber aus Kapitel 12 — als Folge der Eulerschen Formel — dass ein ebener Graph G h¨ochstens 3n − 6 Kanten haben kann. Wenn also m gr¨oßer als 3n − 6 ist, dann muss es Kreuzungen von Kanten geben. Die Kreuzungszahl kr(G) ist dann ganz nat¨urlich definiert: sie ist die kleinste Anzahl von Kreuzungen, die f¨ur eine Zeichnung von G m¨oglich ist. Also gilt kr(G) = 0 dann und nur dann, wenn G eben ist. F¨ur eine solche minimale Zeichnung gilt: • Keine Kante kann sich selber kreuzen.

• Kanten mit gemeinsamer Endecke k¨onnen sich nicht kreuzen. • Zwei Kanten k¨onnen sich nicht mehrmals kreuzen.

All dies folgt, weil wir in jedem der drei F¨alle mit Hilfe der auf dem Rand dargestellten Operationen eine Zeichnung desselben Graphen mit weniger Kreuzungen konstruieren k¨onnen. Damit d¨urfen wir ab jetzt annehmen, dass die betrachteten Zeichnungen die drei Bedingungen erf¨ullen. Sei nun G in die Ebene R2 mit kr(G) Kreuzungen gezeichnet. Wir k¨onnen sofort eine untere Schranke f¨ur die Anzahl der Kreuzungen angeben. Daf¨ur betrachten wir den folgenden Graphen H: Die Ecken von H sind die Ecken von G plus die Kreuzungspunkte, und die Kanten von H sind die St¨ucke der Originalkanten zwischen urspr¨unglichen Ecken und Kreuzungspunkten. Der so erhaltene Graph H ist eben und einfach (dies folgt aus unseren drei Annahmen!). Die Anzahl seiner Ecken ist n + kr(G) und die Anzahl der

302

Die Probabilistische Methode Kanten ist m + 2kr(G), weil jede neue Ecke Grad 4 hat. Die Schranke f¨ur die maximale Anzahl von Kanten f¨ur einen ebenen Graphen liefert uns also m + 2 kr(G) ≤ 3(n + kr(G)) − 6, das heißt kr(G) ≥ m − 3n + 6.

(4)

F¨ur den vollst¨andigen Graphen K6 ergibt dies beispielsweise Eine Zeichnung von K6 mit 3 Kreuzungen

kr(K6 ) ≥ 15 − 18 + 6 = 3, und in der Tat gibt es eine Einbettung mit nur 3 Kreuzungen. Die Schranke (4) ist ganz brauchbar, wenn m nur linear mit n w¨achst, aber wenn m im Vergleich zu n gr¨oßer wird, dann ver¨andert sich das Bild wie folgt. Satz 4. Sei G ein einfacher Graph mit n Ecken und m Kanten, wobei m ≥ 4n gelten soll. Dann ist kr(G) ≥

1 m3 . 64 n2

Dieses Resultat, das Kreuzungslemma, hat eine interessante Geschichte. 1 Es wurde von Erd˝os und Guy 1973 vermutet (wobei statt 64 nur eine Konstante c > 0 gefordert wurde). Die ersten Beweise gaben Leighton 1982 1 1 statt 64 ) und unabh¨angig davon Ajtai, Chv´atal, Newborn und (mit 100 Szemer´edi. Das Kreuzungslemma war aber nicht sehr bekannt und wurde von vielen noch lange nach den urspr¨unglichen Beweisen f¨ur eine offene Vermutung gehalten. Das a¨ nderte sich schlagartig, als L´aszl´o Sz´ekely es 1997 in einem wundersch¨onen Aufsatz auf mehrere ganz unterschiedliche schwierige geometrische Extremalprobleme anwendete. Der Beweis, den wir hier pr¨asentieren, entstand im Email-Austausch zwischen Bernard Chazelle, Micha Sharir und Emo Welzl und geh¨ort ganz ohne Zweifel in das BUCH.  Beweis. Wir betrachten eine minimale Einbettung von G und bezeichnen mit p eine Zahl zwischen 0 und 1 (die erst sp¨ater festgelegt wird). Nun erzeugen wir einen Untergraphen von G, indem wir die einzelnen Ecken von G jeweils unabh¨angig voneinander mit Wahrscheinlichkeit p ausw¨ahlen; den so erhaltenen induzierten Untergraphen bezeichnen wir mit Gp . Seien np , mp , Xp die Zufallsvariablen, die die Anzahl der Ecken, Kanten und Kreuzungen in Gp z¨ahlen. Nun gilt kr(G) − m + 3n ≥ 0 nach (4) f¨ur jeden Graphen, also auch f¨ur den Erwartungswert E(Xp − mp + 3np ) ≥ 0. Die einzelnen Erwartungswerte E(np ), E(mp ) und E(Xp ) k¨onnen wir aber auch einzeln bestimmen: Offenbar gilt E(np ) = pn. Weiterhin ist

303

Die Probabilistische Methode E(mp ) = p2 m, weil eine Kante in Gp dann und nur dann auftritt, wenn auch ihre beiden Ecken in Gp liegen. Und schließlich ist E(Xp ) = p4 kr(G), weil eine Kreuzung nur dann in Gp liegt, wenn alle ihre 4 (unterschiedlichen!) beteiligten Ecken im Untergraphen Gp liegen. Die Linearit¨at des Erwartungswerts liefert nun 0 ≤ E(Xp ) − E(mp ) + 3E(np ) = p4 kr(G) − p2 m + 3pn, das heißt kr(G) ≥

p2 m − 3pn m 3n = 2 − 3. p4 p p

(5)

ochstens 1 Und jetzt kommt der Clou: Wir setzen p = 4n m (und das ist h¨ nach unserer Annahme), und (5) liefert   4m 3n 1 m3 1 = − , kr(G) ≥ 2 3 64 (n/m) (n/m) 64 n2 und wir sind fertig.



Paul Erd˝os h¨atte sich u¨ ber diesen Beweis gefreut.

Literatur ´ [1] M. A JTAI , V. C HV ATAL , M. N EWBORN & E. S ZEMER E´ DI : Crossing-free subgraphs, Annals of Discrete Math. 12 (1982), 9-12. [2] N. A LON & J. S PENCER : The Probabilistic Method, Third edition, WileyInterscience 2008. ˝ : Some remarks on the theory of graphs, Bulletin Amer. Math. Soc. [3] P. E RD OS 53 (1947), 292-294. ˝ : Graph theory and probability, Canadian J. Math. 11 (1959), 34-38. [4] P. E RD OS ˝ : On a combinatorial problem I, Nordisk Math. Tidskrift 11 (1963), [5] P. E RD OS 5-10. ˝ & R. K. G UY: Crossing number problems, Amer. Math. Monthly [6] P. E RD OS 80 (1973), 52-58. ˝ & A. R E´ NYI : On the evolution of random graphs, Magyar Tud. [7] P. E RD OS Akad. Mat. Kut. Int. K¨ozl. 5 (1960), 17-61. [8] T. L EIGHTON : Complexity Issues in VLSI, MIT Press, Cambridge MA 1983. [9] L. A. S Z E´ KELY: Crossing numbers and hard Erd˝os problems in discrete geometry, Combinatorics, Probability, and Computing 6 (1997), 353-358.

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Das BUCH der Beweise

¨ Uber die Abbildungen

Es ist f¨ur uns ein Privileg und ein großes Vergn¨ugen, diesen Band mit wunderbaren Originalzeichnungen von Karl Heinrich Hofmann (Darmstadt) illustrieren zu k¨onnen. Herzlichen Dank! Die regul¨aren Polyeder auf Seite 84 und das Faltmodell einer flexiblen Sph¨are auf Seite 94 sind von WAF Ruppert aus Wien. J¨urgen Richter-Gebert aus M¨unchen hat die zwei Abbildungen auf den Seiten 86/87 beigesteuert und Ronald Wotzlaw aus Berlin die PostscriptGraphiken f¨ur die Seiten 154/155. Das Foto von Chris Faust auf Seite 263 zeigt das von Frank Gehry entworfene Weisman Art Museum in Minneapolis. Der Grundriss stammt von der Dolly Fiterman Riverview Gallery hinter dieser Fassade. Die Portraits von Bertrand, Cantor, Erd˝os, Euler, Fermat, Herglotz, Hermite, Hilbert, P´olya, Littlewood und Sylvester sind aus dem Fotoarchiv des Mathematisches Forschungsinstituts Oberwolfach, mit Genehmigung. (Herzlichen Dank an Annette Disch!) Das Bild von Fermat stammt aus dem Band von Stefan Hildebrandt und Anthony Tromba: The Parsimonious Universe. Shape and Form in the Natural World, Springer-Verlag, New York 1996. Das Gauß-Portrait auf Seite 27 ist eine Lithographie von Siegfried Detlev Bendixen, die 1828 in den Astronomischen Nachrichten erschienen ist, und die Wikipedia zur Verf¨ugung stellt. Das Eisenstein-Portrait reproduzieren wir mit freundlicher Genehmigung von Prof. Karin Reich aus einer Sammlung von Kabinett-K¨artchen“ im ” Besitz der Mathematischen Gesellschaft Hamburg. Das Portrait von Cayley haben wir dem Photoalbum f¨ur Weierstraß“ ” (herausgegeben von Reinhard B¨olling, Vieweg 1994) entnommen, mit Genehmigung der Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz. Das Cauchy-Portrait reproduzieren wir hier mit Genehmigung aus den ´ Sammlungen der Ecole Polytechnique in Paris. Das Bildnis von Hermite stammt aus dem ersten Band seiner gesammelten Werke. Die Briefmarken-Portraits von Buffon, Tschebyschew, Euler und Ramanujan finden sich auf Jeff Millers WWW-Seite http://jeff560.tripod.com mit Mathematiker-Briefmarken. Wir danken f¨ur seine Hilfe und freundliche Erlaubnis.

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¨ Uber die Abbildungen Das Portraitfoto von Claude Shannon stammt aus der Sammlung des MITMuseums. Das Portrait von Ernst Witt kommt aus Band 426 (1992) des Journals f¨ur die Reine und Angewandte Mathematik, mit Genehmigung des Verlages Walter de Gruyter. Es wurde ungef¨ahr 1941 aufgenommen. Das Foto von Karol Borsuk hat Isaac Namioka 1967 aufgenommen; wir drucken es hier mit seiner freundlichen Genehmigung. Wir danken Dr. Peter Sperner (Braunschweig) f¨ur das Portrait seines Vaters, und Vera S´os f¨ur das Foto von Paul Tur´an. Herzlichen Dank an Noga Alon f¨ur das Portrait von A. Nilli!

Stichwortverzeichnis

abz¨ahlbar, 121 Additionstheoreme, 175 adjazente Ecken, 75 Adjazenzmatrix, 281 allgemeine Lage, 288 Antikette, 203 arithmetisches Mittel, 139 Aus-Grad, 253 azyklischer gerichteter Graph, 222 Baum, 76 benachbarte Ecken, 75 Bernoulli-Zahlen, 55, 177 Bertrandsches Postulat, 7 ber¨uhrende Simplexe, 97 Bewertungen, 152, 156 Bewertungsring, 157 bezeichnete B¨aume, 227 Bijektion, 121, 235 Bildchensammler, 210 Binet-Cauchy-Formel, 224, 229 Binomialdeterminante, 225 Binomialkoeffizient, 15 bipartiter Graph, 76, 254 Borsuk-Ulam-Satz, 286 Borsuk-Vermutung, 111 Bricardsche Bedingung, 65 Brouwers Fixpunktsatz, 194 Buffons Nadel-Problem, 179 Calkin-Wilf-Baum, 123 Cantor-Bernstein-Satz, 129 Cauchy-Schwarz-Ungleichung, 139 Cauchys Arm-Lemma, 92 Cauchys Minimumprinzip, 147 Cauchys Starrheitssatz, 91 Cayleys Formel, 227 chromatische Zahl, 251, 285 Clique, 76, 267, 275 Cliquenzahl, 270

C4 -Bedingung, 292 C4 -freier Graph, 190 Determinanten, 221 Diederwinkel, 65 Dimension, 128 Dimension von Graphen, 186 Dinitz-Problem, 251 dreiecksfreier Graph, 299 Dualgraph, 83, 259 durchschnittliche Teilerzahl, 189 Durchschnittsgrad, 84 ebener Graph, 83, 260 Ecke eines Graphen, 75 Ecke eines Polyeders, 68 eckendisjunkte Wegesysteme, 222 Eckengrad, 84, 190, 253 Ein-Grad, 253 einfacher Graph, 75 Einheits-d-W¨urfel, 68 Einheitswurzeln, 37 elementares Polygon, 88 endliche K¨orper, 32, 36 endliche Mengen, 203 Erd˝os-Ko-Rado-Satz, 204 erg¨anzungsgleich, 62 Erwartungswert, 108 Eulers Kriterium, 28 Eulers Polyederformel, 83 Eulersche Funktion, 32 Eulersche Reihe, 49 Evans-Vermutung, 242 Facette, 68 fast-orthogonale Vektoren, 112 fast-triangulierter Graph, 260 Fermat-Zahlen, 3 Fixpunkt, 194 formale Potenzreihen, 235

308

Stichwortverzeichnis Freundschaftsatz, 291 Fundamentalsatz der Algebra, 147 Gaußsche Summe, 31 Geburtstagsparadoxon, 209 geometrisches Mittel, 139 geordnete abelsche Gruppe, 156 geordnete Menge, 134 gerade Funktion, 177 gerichtete Graphen, 221, 253 Gessel-Viennot-Lemma, 221 gewichtete gerichtete Graphen, 221 Gitterbasis, 88 Gitterpunkte, 30 Gitterwege, 221 goldener Schnitt, 278 Grad einer Ecke, 84, 190 Graph, 75 Graph eines Polytops, 69 Graphenf¨arbung, 259 gut genug gemischt?, 209 Halteregeln, 213 harmonische Zahlen, 11 harmonisches Mittel, 139 Heiratssatz, 206 Herglotz-Trick, 173 Hilberts drittes Problem, 61 Hyperbin¨ardarstellung, 124 induzierter Untergraph, 76, 253 initiale Ordinalzahl, 136 Involution, 22 inzident, 75 Inzidenzmatrix, 73, 189, 229 Irrationale Zahlen, 41 isomorphe Graphen, 75 Jacobi-Determinante, 51 Kanal, 273 Kante eines Graphen, 75 Kante eines Polyeders, 68 Kantenabschnitt, 62 Kantengraph, 257 Kapazit¨at, 274 Kardinalzahl, 121 Kegel-Lemma, 64

Kegelschnitt, 192 Kern, 253 Ketten, 203 Klassenformel, 36 Kneser-Graphen, 285 Kneser-Vermutung, 286 Koeffizientenvergleich, 53 kombinatorisch a¨ quivalent, 69 komplexe Polynome, 161 kongruent, 69 Kontinuum, 127 Konvergenzgeschwindigkeit, 54 konvexe Ecke, 265 konvexes Polytop, 68 Kosinuspolynom, 166 Kreise, 75 Kreuzungslemma, 302 Kreuzungszahl, 301 kritische Familie, 207 Lateinisches Quadrat, 241, 251 Lateinisches Rechteck, 243 Legendre-Symbol, 27 Lemma von Gauß, 29 lexikographisch kleinste L¨osung, 64 lineare Erweiterung, 200 Linearit¨at des Erwartungswerts, 109, 180 listen-chromatische Zahl, 252, 260 Listenf¨arbung, 252, 260 Littlewood-Offord-Problem, 169 Lov´asz-Schirm, 277 Lyusternik-Shnirel’man-Satz, 287 M¨achtigkeit, 135 Markov-Ungleichung, 109 Matching, 254 Matrix vom Rang 1, 113 Matrix-Baum-Theorem, 229 Mersenne-Zahlen, 4 Minkowski-Symmetrisierung, 106 monotone Teilfolgen, 186 Museumsw¨achter-Satz, 264 Mycielski-Graph, 299 Nadeln, 179 Newmans Funktion, 126 nicht-archimedische Bewertung, 157

309

Stichwortverzeichnis nicht-archimedische reelle Bewertung, 152 Ordinalzahl, 134 Ordnung eines Gruppenelements, 4 orthonormale Darstellung, 277 p-adische Bewertung, 152 Partition, 235 Partitionsidentit¨aten, 236 Pentagonalzahlen, 237 periodische Funktion, 174 Perlen-Lemma, 63 Petersen-Graph, 285 planarer Graph, 83 platonische K¨orper, 84 Polyeder, 61, 68 Polygon, 68 Polynome mit reellen Nullstellen, 141, 164 Polytope, 103 Primk¨orper, 20 Primzahlen, 3, 7 Primzahlsatz, 10 Probabilistische Methode, 295 Produkt von Graphen, 274 projektive Ebene, 192 Punktkonfiguration, 77 Quadrate, 20 quadratischer Nichtrest, 27 quadratischer Rest, 27 Quadratisches Reziprozit¨atsgesetz, 29 Ramsey-Zahl, 296 Regenbogendreieck, 154 Riemannsche Zeta-Funktion, 56 Rogers-Ramanujan-Identit¨aten, 239 rot-blau Segment, 155 Satz von Gale, 287 Satz von Lagrange, 4 Satz von Legendre, 9 Satz von Lov´asz, 281 Satz von Monsky, 153 Satz von Pick, 88 Satz von Sylvester, 15 Satz von Sylvester-Gallai, 71

Satz von Tschebyschew, 162 Satz von Tur´an, 267 Schiefk¨orper, 35 Schirm, 277 Schlingen, 75 Schnittfamilie, 204 Sch¨onhardt-Polyeder, 264 Schubfachprinzip, 185 Seite, 68 Shannon-Kapazit¨at, 274 Simplex, 68 Skalarprodukt, 107, 112, 277 Sperners Lemma, 194 Sperners Satz, 203 Spiegelbild, 69 stabiles Matching, 254 Steigungen, 77 Stern, 74 Stirlingsche Formel, 12 stumpfe Winkel, 103 stumpfen Winkel, 103 Summen von zwei Quadraten, 19 Sylvester-Gallai-Satz, 86 System von verschiedenen Vertretern, 206 Taillenweite, 298 tangentiales Dreieck, 142 tangentiales Rechteck, 142 transzendente Zahlen, 41 Tschebyschew-Polynome, 167 Tur´an-Graphen, 267 ¨ Ubertragungsrate, 273 unabh¨angige Menge, 76, 252 Unabh¨angigkeitszahl, 273, 285, 299 unendliche Produkte, 235 Ungleichungen, 139 unimodal, 12 Untergraph, 76 verfeinernde Kette, 232 Verwechslungsgraph, 273 vielfache Kanten, 75 Vier-Farben-Satz, 259 vollst¨andige bipartite Graphen, 75 vollst¨andige Graphen, 75 Volumen, 95

310

Stichwortverzeichnis Wahrscheinlichkeitsraum, 108 Wahrscheinlichkeitsverteilung, 269 Wald, 76 Wege, 75 Wege-Matrix, 221 Windm¨uhlengraphen, 291 wohlgeordnet, 135 Wohlordnungssatz, 135 W¨urfel, 68 Wurzelwald, 231

Zentralisator, 35 zentralsymmetrisch, 69 Zentrum, 35 zerlegungsgleich, 62 Zornsches Lemma, 158 Zufallsvariable, 108 zusammenh¨angende Komponenten, 76 zusammenh¨angend, 76 Zwei-Quadrate-Satz, 19 zweifaches Abz¨ahlen, 188 2-f¨arbbares Mengensystem, 295