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German Pages 500 Year 2008
Carl-Christian Freidank | Stefan Müller | Inge Wulf (Hrsg.) Controlling und Rechnungslegung
Carl-Christian Freidank | Stefan Müller | Inge Wulf (Hrsg.) Controlling und
Rechnungslegung Aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft und Praxis Herausgegeben von Carl-Christian Freidank, Stefan Müller und Inge Wulf
Mit Beiträgen von Jörg Baetge O Werner Brinker O Udo Buscher O Günther Dey O Ulrich Döring O Andreas Eiselt O CarlȬChristian Freidank ODirk Hachmeister O Thomas Hering O Péter Horváth O Carolin Karthaus O Hans Jürgen Kirsch O Martin Kißler O Norbert Krawitz O Tim Krützfeldt O Karlheinz Küting O Lüder Kurz O Christoph Lange O Franz Jürgen Marx O Thorsten Melcher O Stefan Müller O Oliver Obermann O Jochen R. Pampel O Reinhard Pfriem O Christopher Pleister O Karin Rebmann O Thomas Reichmann O Sigrid Schaefer O Raimund Schirmeister O Uwe Schneidewind O Katrin Siebold O Jürgen Taeger O Jörg Tesch O Dietmar Tredop O Frank Wohlgemuth O Inge Wulf
Laurenz Lachnit zum 65. Geburtstag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Jutta Hauser-Fahr | Walburga Himmel Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0424-9
ȱ ȱ Univ.ȬProf.ȱDr.ȱLaurenzȱLachnitȱ InhaberȱdesȱLehrstuhlsȱfürȱBetriebswirtschaftslehre/Rechnungswesenȱȱ (WirtschaftsprüfungȱundȱControlling), InstitutȱfürȱBetriebswirtschaftslehreȱȱ undȱWirtschaftspädagogik,ȱFakultätȱII,ȱȱ CarlȱvonȱOssietzkyȱUniversitätȱOldenburg,ȱȱ AmmerländerȱHeerstraßeȱ114Ȭ118,ȱ26129ȱOldenburgȱ ȱ
Vorwort
Vorwort
Die ökonomische Seite von Unternehmen ist dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen nicht unmittelbar zugänglich, sondern wird erst durch eine ersatzweise Modellabbildung mit Hilfe des Rechnungswesens fassbar. Das Rechnungswesen ist sozusagen die Nervenzentrale des Unternehmens, mit deren Hilfe die Vorgänge und Zustände des Unternehmens erfasst, analysiert, kontrolliert, geplant und gesteuert werden. Neben dieser internen Ausrichtung auf die Unternehmensführung im Rahmen des Controllings ist das Rechnungswesen auch die Basis für die extern orientierte Unternehmensrechnung. In beiden Teilgebieten haben sich in den letzten Jahren erhebliche Umwälzungen ergeben, bis hin zu der Entwicklung, beide Bereiche als konvergentes Management-Rechnungswesen wieder stärker zu verbinden. Die grundsätzliche duale Ausrichtung prägt auch das wissenschaftliche Werk von Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit und schlägt sich konkret fassbar z.B. in der Namensgebung seines Lehrstuhls an der Universität Oldenburg nieder. Absichtsvoll, auch als Wissenschaftsprogramm zu verstehen, trägt der Lehrstuhl seit seinem Amtsantritt 1981 die offizielle Bezeichnung Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen (Wirtschaftsprüfung/Controlling). Schüler, Kollegen, Freunde und langjährige Wegbegleiter widmen ihm zu seinem 65. Geburtstag am 24. März 2008 diese Festschrift, in der die aktuellen Entwicklungen in Controlling und Unternehmensrechnung aufgezeigt werden. Einen ersten Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Arbeit von Laurenz Lachnit bildet die in der Dissertation begonnene und mit Beiträgen zum Cashflow vertiefte Befassung mit dem Problem, dass der Jahresabschluss von Unternehmen gemäß HGB über die finanzielle Seite von Unternehmen nur unzureichend informiert. Neben Bilanz (Stichtagsrechnung von Vermögen und Kapital) und GuV (Zeitraumrechnung über Ertrag und Aufwand) fehlt eine dritte Jahresrechnung als Zeitraumrechnung über Einnahmen und Ausgaben (heute: Cashflow-Statement bzw. Finanzflussrechnung). Nur der Konzernabschluss ist seit dem Bilanzrechtsreformgesetz pflichtgemäß um einen solchen Bestandteil zu ergänzen. Dieses im Einzelabschluss noch bestehende Defizit ist umso unverständlicher, als Illiquidität in unserer Rechtsordnung einen Insolvenzgrund darstellt und eine diesbezügliche Berichterstattung eigentlich vom Gesetzgeber nicht der Freiwilligkeit und dem gestalterischen Zufall überlassen werden sollte. In diesem Problemkreis sind die Dissertation von Laurenz Lachnit über Zeitraumbilanzen (1972) und die Aufsätze über Wesen und Ermittlung des Cashflows (1973 und 1975) markante Beiträge. In der Dissertation zeigt er Strukturen einer mit Bilanz und GuV verbundenen Finanzflussrechnung auf, in den Cashflow-Beiträgen klärt er grundlegend das Wesen des Cashflows und verdeutlicht erstmals prinzipiell
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Vorwort
die (heute geläufigen) Methoden der indirekten und direkten Ermittlung des Cashflows. Eine parallel laufende Befassung mit Grundfragen und Möglichkeiten einer vergleichenden Betriebswirtschaftslehre schließt seine Arbeitsphase an der Freien Universität Berlin 1973 ab. Im vorliegenden Werk befasst sich der Beitrag „Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Managementrechnungswesens“ von Prof. Dr. Stefan Müller mit dieser Problemstellung. Die anschließende Arbeitsphase an der Universität Dortmund (1973 bis 1981) setzt weitere Akzente in der wissenschaftlichen Arbeit von Laurenz Lachnit. Zum einen ist hier die Habilitationsschrift „Systemorientierte Jahresabschlussanalyse. Weiterentwicklung der externen Jahresabschlussanalyse mit Kennzahlensystemen, EDV und mathematisch-statistischen Methoden“ (1979) zu nennen, mit der die klassische Bilanzanalyse wesentliche Neuerungsimpulse erhält, z.B. in Bezug auf die externe Schätzung stiller Reserven, in Bezug auf die Nutzung von Jahresabschlussdaten für Prognosezwecke (wie etwa Aktienkursprognose) oder in Bezug auf die inhaltlichen Strukturen von Kennzahlensystemen zur Beurteilung der Erfolgs- und Finanzlage von Unternehmen. Zugleich werden in diesen Jahren von Laurenz Lachnit auch die Möglichkeiten von Kennzahlen und Kennzahlensystemen für Zwecke der Unternehmensführung bahnbrechend erarbeitet. Ein herausragendes Resultat ist hierzu z. B. das (gemeinsam mit Thomas Reichmann erarbeitete) so genannte RL (RentabilitätsLiquiditäts-)-Kennzahlensystem zu nennen, welches bis heute ein fester Bestandteil betriebswirtschaftlicher Konzepte zur Unternehmensführung mit Kennzahlen ist. In diesem Zusammenhang beleuchten PD Dr. Inge Wulf die Thematik „RLKennzahlensystem und immaterielle Potenziale“ und WP/StB Jörg Tesch „Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht“. Nicht minder beachtlich sind die in diesen Jahren von Laurenz Lachnit vorgelegten Resultate zum Gebiet der prognostischen Früherkennung und Frühwarnung mit Hilfe des Rechnungswesens. In diesem Zusammenhang befasst er sich sehr intensiv mit den Möglichkeiten betriebswirtschaftlicher Prognose auf Basis von Rechnungswesendaten. Nach eingehender kritischer Befassung und umfangreicher empirischer Testung klassischer statistischer Prognoseverfahren erarbeitet Laurenz Lachnit als Weiterentwicklung der multiplen Regressionsmethodik die sogenannte iterativ-multiple Regressionsprognostik, die sich gegenüber der geläufigen simultan-multiplen Regressionsmethodik durch größere Robustheit bei Strukturbrüchen und durch realistischere Prämissen in Bezug auf betriebliche Gegebenheiten auszeichnet. Im Kontext der internen und externen Überwachung von Unternehmen stehen hier die Beiträge von Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge und Dipl.-Ök.Thorsten Melcher „Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung“, Prof. Dr. Reinhard Pfriem „Corporate Governance - Die Unternehmung als gesellschaftlicher Akteur“ und Prof. Dr. Jürgen Taeger „Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme“.
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Vorwort
Nach dem Ruf auf den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen mit den Schwerpunkten Wirtschaftsprüfung und Controlling im Jahr 1981 werden systematisch Forschungsergebnisse sowohl im externen Rechnungswesen (vor allem zu Rechnungslegung, Bilanzpolitik und Bilanzanalyse) wie auch im internen Rechnungswesen (zu Controlling, EDV-gestützten Führungsinformationssystemen und Rechnungsweseninstrumenten für mittelständische Unternehmensführung) vorgelegt. Die Forschungen von Laurenz Lachnit zur Nutzung von Rechnungswesen für Unternehmensführung und Controlling erbringen grundlegende Konzepte zur EDVgestützten Erfolgs- und Finanzlenkung in mittelständischen Betrieben, differenziert nach produktionstypologischen Grundmustern, wie z.B. Massen- und Einzelfertigung, und werden umgesetzt in Anwendungsprogrammen auf PC-Basis. Es handelt sich hier um Ergebnisse im besten Sinne von Betriebswirtschaftslehre als angewandter Wissenschaft, die sowohl in der betriebswirtschaftlichen Theorie wie auch in der betrieblichen Praxis Breitenwirkung erzielt haben, z.B. in einer Vielzahl von Fachbeiträgen, Workshops und konkreten Umsetzungen der diesbezüglichen EDV-Programme ERFI und PROCON. Als ein Beispiel für die praktische Umsetzung sei nur erwähnt, dass das EDV-Programm des Genossenschaftsbankensektors zur Firmenkundenberatung in Sachen EDV-gestützte Erfolgs- und Finanzplanung auf dem von Lachnit entwickelten Programm ERFI beruht. Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung als Instrument der Prognose und Simulation untersucht in diesem Werk Tim Krützfeldt. Im Kontext des Controllings haben Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth „Controller und IFRS“, Prof. Dr. Carl-Christian Freidank „Die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung als Schlüsselgröße der wertorientierten Unternehmenssteuerung“, Prof. Dr. Thomas Hering „Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie“, Dr. Werner Brinker „Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG“, Dr. Christopher Pleister „Unternehmenssteuerung im genossenschaftlichen FinanzVerbund“, Prof. Dr. Udo Buscher „Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung“, Prof. Dr. Christoph Lange und Dr. Sigrid Schaefer „Verhaltensorientierung im Controlling“, Prof. Dr. Jochen Pampel „Rückkehr der Grenzplankostenrechner?“ sowie Prof. Dr. Thomas Reichmann und Dipl.-Kfm. Dipl.-Volksw. Martin Kißler „Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen“ bearbeitet. Ein weiterer Controlling-Arbeitsschwerpunkt von Laurenz Lachnit ist in den Jahren 1994 bis 1998 die Mitwirkung bei der Niedersächsischen Verwaltungsreform. Diese Mitwirkung erfolgte im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums des Inneren und hatte die Schaffung neuer betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente für die öffentliche Verwaltung in Niedersachsen zum Ziel. Konkret wurden dazu in Einzelprojekten für ausgewählte Behörden Kosten- und Leistungsrechnungen, betriebswirtschaftliche Budgetierung, Führungsberichtswesen, Qualitätscontrollingsysteme sowie Planungs- und Lenkungskonzepte auf betriebswirtschaftlicher Basis erarbeitet und praktisch umgesetzt. Diese Arbeiten waren in vieler Hinsicht grundlegend und nova-
IX
Vorwort
tiv. In Bezug auf diese Thematik beleuchtet Prof. Dr. Uwe Schneidewind das „Universitätscontrolling“. Parallel zu der Befassung mit der Ausgestaltung von rechnungswesenbasierten Führungsinstrumenten läuft in den Jahren ab 1981 auch die Arbeit an der Weiterentwicklung der externen Rechnungslegung. Ein erster Schwerpunkt war zunächst in den Jahren 1984 bis 1987 die Fortentwicklung der HGB-Rechnungslegung, aktuell z.B. in dieser Zeit durch die Verabschiedung des Bilanzrichtliniengesetzes in Deutschland. Laurenz Lachnit war einer der fünf wissenschaftlichen betriebswirtschaftlichen Gutachter im Bundestags-Rechtsausschuss bei den Anhörungen zum BiRiLiG. Seine diesbezügliche Kompetenz wurde in der Folgezeit in praktischen Umsetzungen eingebracht, z.B. in BiRiLiG-Arbeiten bei der DVFA (Ergebnis nach DVFA unter Beachtung von BiRiLiG) sowie sehr umfangreichen Steuerberater- und BankkaufleuteSchulungen im norddeutschen Raum. Im Zusammenhang mit der Fortentwicklung und Gestaltung von Unternehmensabbildungen finden sich die Beiträge von Prof. Dr. Dirk Hachmeister „Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS“, Prof. Dr. Norbert Krawitz und Dipl.-Kffr. Carolin Karthaus „Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung“. Ab Mitte der 90er Jahre arbeitete Laurenz Lachnit weiter sehr intensiv im Gebiet von Rechnungslegung und Jahresabschlussanalyse. Zum einen werden seine praktischen Bilanzanalyse-Studien bundesweit beachtet. Genannt seien nur als markanteste Beispiele die Analysen über Deutsche Telekom (1993), Daimler Benz (1996) oder als jüngstes Beispiel Cewe-Color (2007). Zum anderen legt er in diesen Jahren Abhandlungen zu kritischen Teilproblemen der Rechnungslegung vor, wie etwa True and Fair View und stille Rücklagen, Währungsumrechnung, Geschäfts- oder Firmenwertbilanzierung, Altersversorgungslasten, neue Gewinnbegriffe oder wertorientiertes Reporting, die nicht ohne Wirkung geblieben sind. Diesen Forschungsaspekten widmen sich Prof. Dr. Franz Jürgen Marx „Stille Reserven in der Steuerbilanz - Erfassung, Quantifizierung und Gestaltung der Steuerwirksamkeit“ sowie Prof. Dr. Ulrich Döring und Dipl.-Kfm. Oliver Obermann „Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen“. Zugleich werden von Laurenz Lachnit ab Mitte der 90er Jahre bei der Befassung mit Rechnungslegung und Unternehmensanalyse die Erfordernisse des Konzernabschlusses und der internationalen Bilanzierung mehr und mehr als Akzentsetzungen berücksichtigt, was im Lichte der Aktualität betriebswirtschaftlicher Befassung mit Rechnungslegung und Unternehmensanalyse nur folgerichtig ist. Prof. Dr. Hans Jürgen Kirsch und Dipl.-Kfm. Lüder Kurz „Pensionsrückstellungen nach IFRS“, Prof. Dr. Karlheinz Küting und Dr. Frank Wohlgemuth „Implikationen der Angaben zur Ermessensausübung und zu den Hauptquellen von Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht für die Bilanzanalyse“, Dipl.-Kfm. Andreas Eiselt „Aspekte einer EDV-gestützten Jahresabschlussanalyse“ sowie Prof. Dr. Raimund Schirmeister und Dipl.-Kffr. Katrin Siebold „Die Aufdeckung von Bilanzmanipulationen in der Jahresabschlussanalyse“ befassen sich mit diesen Problemstellungen. X
Vorwort
Die duale Ausrichtung von Laurenz Lachnit in der wissenschaftlichen Arbeit sowohl auf externes wie internes Rechnungswesen findet einen vorläufigen aktuellen Höhepunkt in der Publikation der Lehrbücher Bilanzanalyse (2004) und Controlling (2006). Der Wissenschaftler Laurenz Lachnit ist in Forschung, Lehre und Anwendungsumsetzung seit inzwischen mehr als 30 Jahren wirkungsvoll tätig. Die Forschungsresultate liegen in einer Vielzahl von Publikationen vor, in der Lehr- und Betreuungstätigkeit hat er eine Vielzahl von Studierenden instruiert, motiviert und unterstützt, in der Anwendungsumsetzung sind die unterschiedlichsten Wirkungslinien von Laurenz Lachnit zu nennen, reichend von Praxis-Kooperationsprojekten, EDV-Systementwicklungen, Gutachtertätigkeiten bis hin zu bundesweiten Managementseminaren. Er hat an der Universität Oldenburg die wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge stark geprägt und bei der Ausgestaltung der aktuellen Bachelor- und Masterstudiengänge Weichen für eine auch weiterhin überaus fundierte akademische Ausbildung in den Bereichen Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Controlling, Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung gelegt. Mit Bezug auf die aktuelle Hochschulentwicklung stellt Prof. Dr. Günther Dey „Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre“ dar. Zu dem Thema „Betriebliche Weiterbildung und Controlling - Zu einem schwierigen Verhältnis aus wirtschaftspädagogischer Sicht“ nehmen Prof. Dr. Karin Rebmann und Dr. Dietmar Tredop Stellung. Unser Dank gebührt den Autoren, ohne deren Bereitschaft und Geduld das Projekt nicht hätte realisiert werden können. Besonders zu Danken ist Frau Dipl.-Kffr., Dipl.Finw. (FH) Stephanie Beyer für die Übernahme der Schriftleitung, die durch ihren unermüdlichen Einsatz und ihre Akribie entscheidend zur Erstellung des Buches in der vorliegenden Form beigetragen hat. Ein herzlicher Dank gilt Frau Jutta HauserFahr vom Gabler Verlag, die diese Festschrift von der Konzeption bis zur Fertigstellung begleitet und stets mit wertvollen Anregungen und Hilfestellungen zur Seite gestanden hat. Weiterhin danken die Herausgeber besonders der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG Deutsche Treuhandgesellschaft mbH, Bremen, in Person WP/StB Herrn Heinrich Heuermann, sowie der EWE Aktiengesellschaft, Oldenburg für die finanzielle Förderung des Projekts. An dieser Stelle bleibt es Laurenz Lachnit zu wünschen, dass er sein wissenschaftliches Werk mit unveränderter Leidenschaft und innovativer Schaffenskraft fortführen kann, um weiterhin die Entwicklung von Unternehmensrechnung und Controlling mitgestalten zu können.
Hamburg und Oldenburg, im Oktober 2007 Carl-Christian Freidank
Stefan Müller
Inge Wulf
XI
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis............................................................................................XVII Teil 1: Controlling .......................................................................................................1 Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth Controller und IFRS Veränderungen im Aufgabenprofil................................................................................3 o.Univ.-Prof. Dr. habil. Carl-Christian Freidank Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung ....15 Univ.-Prof. Dr. habil. Thomas Hering Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie....................................37 PD Dr. Inge Wulf RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale ..................................................53 Tim Krützfeldt Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung als Instrument der Prognose und Simulation ......................................................................................69 Dr. Werner Brinker Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG EWE in Bewegung......................................................................................................89 Dr. Christopher Pleister Unternehmenssteuerung im genossenschaftlichen FinanzVerbund...........................107 Univ.-Prof. Dr. Udo Buscher Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung............................... 115 Univ.-Prof. Dr. Christoph Lange Dr. Sigrid Schaefer Verhaltensorientierung im Controlling Forschungsstand und Entwicklungsperspektiven......................................................139
XIII
Inhaltsverzeichnis
Prof. Dr. Jochen R. Pampel Rückkehr der Grenzplankostenrechner? Unternehmenssteuerung mit der Flexiblen Plankostenrechung ................................159 Univ.-Prof. Dr. Thomas Reichmann Dipl.-Kfm. Dipl.-Volksw. Martin Kißler Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen ......187 Univ.-Prof. Dr. jur. Jürgen Taeger Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme ...................207 Univ.-Prof. Dr. Uwe Schneidewind Universitätscontrolling Stand und Herausforderungen...................................................................................227 Univ.-Prof. Dr. Karin Rebmann Dr. Dietmar Tredop Betriebliche Weiterbildung und Controlling Zu einem schwierigen Verhältnis aus wirtschaftspädagogischer Sicht .....................247 Prof. Dr. Günther Dey Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre Herausforderungen aus dem Bologna-Prozess..........................................................265 Teil 2: Rechnungslegung.........................................................................................283 Univ.-Prof. Dr. Stefan Müller Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens .....................................................................................................285 WP/StB Jörg Tesch Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht .............................................301 Univ.-Prof. Dr. Dirk Hachmeister Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS..........319 Univ.-Prof. Dr. Norbert Krawitz Dipl.-Kffr. Carolin Karthaus Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung .........................................................................................339 Univ.-Prof. Dr. Franz Jürgen Marx Stille Reserven in der Steuerbilanz – Erfassung, Quantifizierung und Gestaltung der Steuerwirksamkeit......................................................................367
XIV ȱ
Inhaltsverzeichnis
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge Dipl.-Ök. Thorsten Melcher Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung...............387 Univ.-Prof. Dr. Ulrich Döring Dipl. Kfm. Oliver Obermann Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen....413 Univ.-Prof. Dr. Hans Jürgen Kirsch Dipl.-Kfm. Lüder Kurz Pensionsrückstellungen nach IFRS - Eine kritische Analyse der Bilanzierung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste...............................................439 Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Küting Dr. Frank Wohlgemuth Implikationen der Angaben zur Ermessensausübung und zu den Hauptquellen von Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht für die Bilanzanalyse ......................455 Dipl.-Kfm. Andreas Eiselt Aspekte einer EDV-gestützten Jahresabschlussanalyse ............................................471 Univ.-Prof. Dr. Reinhard Pfriem Corporate Governance. Die Unternehmung als gesellschaftlicher Akteur................489 Univ.-Prof. Dr. Raimund Schirmeister Dipl.-Kffr. Katrin Siebold Die Aufdeckung von Bilanzmanipulationen in der Jahresabschlussanalyse .............503 Lebenslauf von Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit......................................................521 Schriftenverzeichnis von Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit.......................................525
ȱ XV
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
AnSVG APAG BBB BCR BFuP BilKoG BilReG BiRiLiG BSC DAX DBW DCF DCGK DStR DVFA EBIT ECTS EHUG ERFI ERP EVA FASB FB FCF HGB HWR IAS IASB IFAC IFRIC IFRS IKS IRZ
Anlegerschutzverbesserungsgesetz Abschlussprüferaufsichtsgesetz Berater Brief Betriebswirtschaft Balance Chance and Riskmanagement Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bilanzkontrollgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Bilanzrichtliniengesetz Balanced Scorecard Deutscher Aktienindex Die Betriebswirtschaft Discounted Cashflow Deutscher Corporate Governance-Kodex Deutsches Steuerrecht Deutsche Verreinigung für Finanzanalyse und Asset Management Earnings Before Interest andTaxes European Credit Transfer System Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister EDV gestütztes Programm zur Erfolgs- und Finanzlenkung Enterprise Resource Planning Economic Value Added Financial Accounting Standards Board Finanz Betrieb Free Cashflow Handelsgesetzbuch Handwörterbuch des Rechnungswesens International Accounting Standard(s) International Accounting Standards Board International Federation of Accountants International Financial Reporting Interpretations Committee International Financial Reporting Standard(s) internes Kontrollsystem Zeitschrift für internationale Rechnungslegung
XVII
Abkürzungsverzeichnis
ISA JMAR JoF KapMuG KonTraG KoR
Krp PiR ROCE ROE ROI sbr SEStEG
SFAS StGB SWOT TransPuG TUG UMAG US-GAAP VorstOG WI WiSt WP WPg WPK WPO ZfB ZfbF ZfCM ZfO ZGPM ZP
XVIII
International Standards on Auditing Journal of Management Accounting Research Journal of Finance Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Zeitschrift für kapitalmarktorientierte Rechnungslegung, ab 2005 Zeitschrift für internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungslegung (KoRIFRS) Kostenrechnungspraxis Praxis der internationalen Rechnungslegung Return on Capital Employed Return on Equity Return on Investment Schmalenbachs Business Review Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Statement(s) of Financial Accounting Standard(s) Strafgesetzbuch Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats Transparenz- und Publizitätsgesetz Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Gesetz zur Unternemensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts United States Generally Accepted Accounting Principles Vorstandsvergütungs- Offenlegungsgesetz Wirtschaftsinformatik (Zeitschrift) Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wirtschaftsprüfer Die Wirtschaftsprüfung Wirtschaftsprüferkammer Wirtschaftsprüferordnung Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Controlling und Management Zeitschrift für Organisation Zustands-Grenzpreismodell Zeitschrift für Planung
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Teil 1 Controlling
1
Controller und IFRS Veränderungen im Aufgabenprofil
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth International Performance Research Institute (IPRI), Rotebühlstraße 121, 70178 Stuttgart
1
Problemstellung..................................................................................................................5
2
Das Rollenverständnis von Controllern ..........................................................................5
3
Controllingrelevante Aspekte der IFRS...........................................................................7
4
Erweiterung des Controlleraufgabenprofils durch die IFRS ........................................9
5
Integration von internem und externem Rechnungswesen? ...................................... 11
6
Zusammenfassung in Thesen ......................................................................................... 12
Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 13
3
Controller und IFRS
1
Problemstellung
Im Fokus dieses Beitrags steht das Rollenverständnis des Controllers. Die zu beantwortende Frage lautet: Wie verändern sich Rollenverständnis und Aktionsfelder von Controllern durch die IFRS? Diese Frage ist von großer praktischer Tragweite, weil die Einführung der IFRS das Gesamtsystem des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens und die damit verbundenen Aufgaben der Controller grundlegend verändert.
2
Das Rollenverständnis von Controllern
Das Selbstverständnis von Controllern in Deutschland wird prägnant durch das von der International Group of Controlling (IGC) erarbeitete Controllerleitbild wiedergegeben (vgl. Abb. 2-1).
Abbildung 2-1:
Controller-Leitbild der IGC1
Controller gestalten und begleiten den Management-Prozess der Zielfindung, Planung und Steuerung und tragen damit Mitverantwortung für die Zielerreichung. Das heißt:
Controller sorgen für Strategie-, Ergebnis-, Finanz-, Prozesstransparenz und tragen somit zu höherer Wirtschaftlichkeit bei.
Controller koordinieren Teilziele und Teilpläne ganzheitlich und organisieren unternehmensübergreifend das zukunftsorientierte Berichtswesen.
Controller moderieren und gestalten den Management-Prozess der Zielfindung, der Planung und der Steuerung so, dass jeder Entscheidungsträger zielorientiert handeln kann.
Controller leisten den dazu erforderlichen Service der betriebswirtschaftlichen Daten- und Informationsversorgung.
Controller gestalten und pflegen die Controllingsysteme.
Controller sind die internen betriebswirtschaftlichen Berater aller Entscheidungsträger und wirken als Navigator zur Zielerreichung
1
IGC, Controller-Wörterbuch, 2005, S. VII.
5
Horváth
Insgesamt geht aus dem Leitbild und vielen empirischen Studien zweierlei hervor:
Controller verstehen sich als betriebswirtschaftliche Berater des Managements, die den Management-Prozess mitgestalten und auch Mitverantwortung für die Zielerreichung tragen (vgl. hierzu Abb. 2-2).
Controller sind heute Teil des Unternehmensalltags im deutschsprachigen Raum: In nahezu allen Unternehmen ist die Controller-Aufgabe realisiert und in der ersten oder zweiten Ebene der Organisationshierarchie verankert.
Abbildung 2-2:
Rollenverständnis der Controller im Sinne des IGC-Controllerleitbildes2
IGC-Controllerleitbild: Controller gestalten und begleiten den Managementprozess der Zielfindung, Planung und Steuerung und tragen damit Mitverantwortung für die Zielerreichung Originäre Aktionsfelder der Controller
Planung
Rollenverständnis der Controller:
Berichtswesen
Steuerung/ Performance Measurement
Derivate Aktionsfelder der Controller
Gestaltung der Vorsysteme
Organisation des Controllerbereichs
Controller als betriebswirtschaftlicher Berater des Managements Controller als Methoden- und Systemdienstleister
In der Wissenschaft hat dieses Verständnis der Controller-Aufgaben heute weitgehend Akzeptanz gefunden.3 Für unsere Themenstellung sind zwei Aspekte des Controller-Rollenverständnisses von Bedeutung:
Controller sehen sich als „Managementservice“, d.h. ihre „Kunden“ sind die Aufgabenträger mit Führungsfunktionen in der Organisation. 2 3
6
IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 21. Vgl. z.B. Horváth, P., Controlling, 2006; Lachnit, L./Müller, S., Unternehmens-Controlling, 2006; Weber, J./Schäffer, U., Controlling, 2006.
Controller und IFRS
Der Verwendungszweck der von den Controllern bereitgestellten Informationen ist die Steuerung der Organisation. Der „harte Kern“ dieser Informationen stammt aus dem internen Rechnungswesen.
3
Controllingrelevante Aspekte der IFRS
Zu den IFRS gibt es bereits eine Fülle von juristischer und betriebswirtschaftlicher Literatur, die ihre Philosophie, ihr Regelungswerk, die Unterschiede zum HGB und den Umstellungsprozess behandelt. Auf sie soll hier nicht vertiefend eingegangen werden.4 Uns beschäftigt vielmehr die Frage, welche Auswirkungen die IFRS auf die Aufgaben und Aufgabenwahrnehmung des Controllers haben. Dazu soll zunächst der wesentliche controllingrelevante Aspekt der IFRS herausgearbeitet werden.5 Auf Einzelheiten der IFRS soll dabei nicht eingegangen werden. Der zentrale Punkt ist der sog. Management Approach der IFRS.6 Hierunter versteht man die Bereitstellung von Informationen für Bilanzierungszwecke, die zunächst für interne Planungs-, Steuerungs- und Berichtszwecke erstellt wurden. Der Management Approach leitet sich aus der Zielsetzung der IFRS ab, entscheidungsrelevante Informationen für den Anteilseigner bereitzustellen. Dahinter steht der Gedanke, dass die für die interne Steuerung herangezogenen Plan- und Ist-Informationen auch für den externen Investor relevant sind. Das Unternehmen soll durch die Brille des Managements wahrgenommen werden. Durch den Management Approach erzwingen die IFRS eine enge Verzahnung zwischen IFRS-Rechnungslegung und Controllinginformationen. Der Management Approach macht somit den Controller zum Informationsdienstleister für die IFRS-Rechnungslegung. In den IFRS gibt es zwei Formen des Management Approach:7
Unmittelbare Übernahme von Controllinginformationen in das IFRS-Reporting (z.B. Festlegung berichtspflichtiger Segmente).
Ableitung von Größen der IFRS-Berichterstattung auf der Basis von Controllinginformationen (z.B. bei der Bewertung von Fertigungsaufträgen).
4 5 6 7
Vgl. stellvertretend Ballwieser, W., IFRS, 2006; Wagenhofer, A., IAS/IFRS, 2005. Vgl. dazu vor allem IGC, Controller und IFRS, 2006. Vgl. hierzu IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 29-30. Vgl. Weißenberger, B. E., IFRS für Controller, 2007, S. 170-171.
7
Horváth
Die Tabelle in Abbildung 3-1 fasst die wesentlichen Felder des Management Approach zusammen.
Abbildung 3-1:
Wesentliche Anwendungsfelder des Management Approach8
Standard
Beispielhafte Anwendungsfelder des Management Approach
(Inventories)
z.B.
Rückgriff auf produktionsorientiert erfasste Herstellungskosten
IAS 11
(Construction Contracts)
z.B.
Rückgriff auf Projektplanung und -kalkulation zur Ermittlung des Fertigstellungsgrads bei Teilgewinnrealisierung (Percentage-of-Completion-Methode)
IAS 12
(Income Taxes)
z.B.
Rückgriff auf Ergebnisplanung zur Einschätzung der Werthaltigkeit aktiver Steuerabgrenzungen
IAS 14
(Segment Reporting)
z.B.
Anknüpfung der Segmentierung/Segmentkategorisierung (primär vs. sekundär) an interne Berichtsstrukturen
IAS 16
(Porperty, Plant and Equipment)
z.B.
Verwendung von Informationen über die voraussichtliche Lebensdauer von abnutzbaren Sachanlagen bzw. deren Komponenten Fundierung von Zeitwerten im Rahmen der Neubewertung durch in der Anlagenbuchhaltung für kalkulatorische Zwecke vorgehaltene Wiederbeschaffungswerte
IAS 2
z.B. IAS 18
(Revenues)
z.B.
Rückgriff auf risikoorientierte Erfassung von Geschäftsvorfällen zur Bestimmung der realisierten Umsätze
IAS 24
(Related Party Disclosures)
z.B.
Rückgriff auf separate Erfassung von Transaktionen mit nahe stehenden Personen und Unternehmen
IAS 36
(Impairment of Assets)
z.B: z.B.
Rückgriff auf Indikatoren zur unterjährigen Durchführung von Impairmenttests Bildung von Bewertungseinheiten (cash generating units) auf Basis der Objektstrukturen in der Finanz-/Cashflow-Planung Ermittlung des Nutzungswerts (value in use) auf Basis der mittelfristigen Finanz-/Cashflow-Planung
IAS 38
(Intangible Assets)
z.B.
Rückgriff auf Projektplanung und -kalkulation zur Aktivierung selbst erstellten immateriellen Vermögens bzw. Entwicklungsausgaben
IAS 39
(Financial Instruments: Recognition and Measurement) i.V. m. IAS 32 und IFRS 7
z.B.
Rückgriff auf interne Risikomanagementsysteme zur Dokumentierung von Sicherungszusammenhängen für Zwecke des Hedge Accounting
IAS 40
(Investment Properties)
z.B.
Fundierung der Zeitbewertung von Renditeimmobilien durch interne Projektplanung
IFRS 3
(Business Combinations)
z.B. z.B.
Rückgriff auf Indikatoren zur unterjährigen Durchführung von Goodwill-Impairmenttests Discounted-Cashflow-Bewertung goodwilltragender Einheiten auf Basis der mittelfristigen Finanz/Cashflow-Planung zum Zeck eines Goodwill-Impairment
IFRS 5
(Discontinued Operations)
z.B.
Rückgriff auf interne Abgrenzung stillzulegender operativer Bereiche
z.B.
Die Aufgabe heißt dann, die Controllinginstrumente so zu gestalten, dass sie neben den für die Steuerungszwecke benötigten Informationen auch die für die Bilanzierung benötigten Informationen generieren können. Allerdings gilt für das Controlling weiterhin das Primat der Unterstützung interner Managementprozesse.9
8 9
8
IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 37. Vgl. IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 35.
Controller und IFRS
4
Erweiterung des Controlleraufgabenprofils durch die IFRS
Wie wir gesehen haben, sind die IFRS und die Controlleraufgaben miteinander verknüpft: Auf der einen Seite müssen durch den Management Approach der IFRS Controller-Informationen für Bilanzierungszwecke zur Verfügung gestellt werden, auf der anderen Seite stellt sich die Frage an den Controller, inwieweit er die Kongruenz zwischen externer und interner Ergebnisrechnung herstellen will. Der Management Approach führt also zu einem Anpassungsbedarf und zu einer Erweiterung der Controlleraufgaben: Es kommt die Informationsdienstleistungsaufgabe für IFRS-Zwecke hinzu (vgl. hierzu Abb. 4-1). Der Anpassungsbedarf wird dann verstärkt, wenn im Rahmen der Umstellung auf die IFRS-Rechnungslegung eine Integration von internem und externem Rechnungswesen angestrebt wird.
Abbildung 4-1:
Veränderungen im Rollenverständnis der Controller durch die IFRSRechnungslegung10
IGC-Controllerleitbild: Controller gestalten und begleiten den Managementprozess der Zielfindung, Planung und Steuerung und tragen damit Mitverantwortung für die Zielerreichung Originäre Aktionsfelder der Controller
Planung
Berichtswesen
Steuerung/ Performance Measurement
Derivate Aktionsfelder der Controller
Gestaltung der Vorsysteme
Organisation des Controllerbereichs
Controller als betriebswirtschaftlicher Berater des Managements Rollenverständnis der Controller:
Controller als Methoden- und Systemdienstleister Controller als Informationsdienstleister für die Bilanzierung
Finanzberichterstattung auf Basis der International Financial Reporting Standards (IFRS)
10 IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 3.
9
Horváth
Da die IFRS „betriebswirtschaftlicher“ sind als das HGB, sind die den Standards innewohnenden Ansatz- und Bewertungsaufgaben eine Chance für den Controller, seine Instrumente auch für das externe Rechnungswesen nutzbar zu machen.11 Was bedeuten die Erweiterungs- und Anpassungsbedarfe in den ControllerKernfeldern Planung und Reporting? Im Bereich der Planung greifen die IFRS mehrfach auf die Informationen der Mittelfristplanung zurück. So werden z.B. für die Impairmenttests nach IAS 36 die Informationen der mittelfristigen Cashflow-Planung benötigt.12 Bei der Berichterstattung steht die Segmentberichterstattung im Mittelpunkt. Die IFRSBerichterstattung (IAS 14 / IFRS 8) verwendet die Klassifikation in primäre und sekundäre Berichtskategorien auf der Basis der internen Berichtsstrukturen.13
Abbildung 4-2:
Anpassungsmaßnahmen (beispielhaft) in den Aufgabenfeldern des Controllers bei der Realisierung der IFRS14
IGC-Controllerleitbild: Controller gestalten und begleiten den Managementprozess der Zielfindung, Planung und Steuerung und tragen damit Mitverantwortung für die Zielerreichung
Originäre Aktionsfelder der Controller Planung
Berichtswesen
Anpassung der Mittelfristplanung auf Informationsbedarfe der Bilanzierung
Bereitstellung von Informationen für die Bilanzierung (Projektcontrolling, Risikomanagement usw.)
Fundierung u. a. von Fair-Value-Ermittlung und Impairmenttests Herleitung von Planund Forecast-Größen auf IFRS-Basis Verschlankung/Beschleunigung von Planungsprozessen
Harmonisierung von externen und internen Berichtsformaten/ Einheitliche Berichtswege an die obersten Führungsebenen Entstehung neuer Berichtselemente, z.B. Überleitungsrechnungen, Impairment-Controlling
Derivate Aktionsfelder der Controller
Steuerung
(Vor-)Systeme
Organisation
Anpassung wertorientierter Erfolgskennzahlen an die IFRS-Datenbasis
Integration von Buchhaltungs-, Planungsund Konsolidierungssoftware
Aufbau von IFRSKompetenz im (Zentral-)Controlling
Incentivierung des Managements mittels IFRS-basierter Ergebnisgrößen (Definition von Brückenpositionen, Kommunikation/ Schulung)
Zeitnahe/automatisierte Bereitstellung interner/externer Größen für Bilanzierungsund Steuerungszwecke (Fast Close)
Prüfung der Eignung der Fair-Value-Bewertung für die Erfolgsmessung
Standardisierung von buchhalterischen Prozessen/Einrichtung von Shared Service Centern
Personelle Verflechtung mit Bilanzierung/Investor Relations/Wirtschaftsprüfer Übernahme von Mitverantwortung für die Finanzberichterstattung Weitergabe von Controllingkenntnissen an die Bilanzierung
Controller als betriebswirtschaftlicher Berater des Managements
Rollenverständnis der Controller:
Controller als Methoden- und Systemdienstleister Controller als Informationsdienstleister für die Bilanzierung
Finanzberichterstattung auf Basis der International Financial Reporting Standards (IFRS)
11 12 13 14
10
Zu Chancen und Risiken der IFRS für Controller vgl. Biel, A. IAS/IFRS, 2006, S. 110-112. Vgl. weitere Beispiele bei Weißenberger, B. E., IFRS für Controller, 2007, S. 181. Vgl. weitere Beispiele ebenda, S. 182. IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 63.
Controller und IFRS
Der Umstellungsprozess betrifft nicht nur Planung und Berichterstattung, sondern auch die Vorsysteme für das Controlling und die Controlling-Organisation (vgl. dazu Abb. 4-2). Auch ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass der Controller im Zuge der Umstellung auf IFRS eine Neuinterpretation der Steuerungskennzahlen vorzunehmen hat, weil diese sich durch die IFRS verändern: Vermögen, Eigenkapital und Cashflow nehmen tendenziell zu, Gewinne werden volatiler und steigen temporär an.15 Als einmalige Aufgabenstellung ist die Mitgestaltung der Umstellung von HGB auf IFRS in Verbindung mit der Anpassung des Controllingsystems noch zu nennen.16
5
Integration von internem und externem Rechnungswesen?
Die IFRS haben der Diskussion zur Integration von internem und externem Rechnungswesen im deutschsprachigen Raum neuen Auftrieb gegeben.17 Was sind die Optionen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Controller? Für die Integrationsüberlegungen gibt es die Optionen:
Verzicht auf eine Integration, vollständige Integration und partielle Integration. Der völlige Verzicht auf eine Integration wäre wohl durch die damit verbundenen Doppelarbeiten so ineffizient, dass er hier nicht weiter diskutiert werden soll. Bei der Beantwortung der Frage ob eine vollständige oder eine partielle Integration stattfinden soll, sind die unterschiedlichen Informationszwecke von IFRSBerichterstattung und Controlling zu analysieren. Die externe Rechnungslegung nach IFRS dient der Dokumentation und Entscheidungsfindung der Investoren. Die internen Informationen sollen das Management bei der Wahrnehmung seiner Steuerungsaufgaben unterstützen. Für die Integration spricht die sowohl vom Controlling als auch von den IFRS vertretende ökonomische Perspektive, die vor allem im Management Approach ihren Ausdruck findet. Allerdings sprechen die unterschiedlichen Einsatzfelder der Informationen gegen eine vollständige Integration. Eine differenzier-
15 16 17
Vgl. Weißenberger, B. E./Haas, C. A. J., Neuausrichtung, 2004, S. 62. Vgl. dazu Biel, A., IAS/IFRS, 2006, S. 29-58. Vgl. zum Thema generell Müller, S., Konvergenz, 2003.
11
Horváth
te Betrachtung spricht für eine im Einzelfall zu spezifizierende partielle Integration des internen und externen Rechnungswesens.18 Für die Aufgabenwahrnehmung des Controllers bedeutet die partielle Integration, dass die Kooperation mit dem externen Rechnungswesen sicherzustellen ist. Der Controller hat sich ausreichende Kenntnisse der IFRS anzueignen, damit diese enge Kooperation hinrechend funktioniert. Betrachtet man die Unternehmenspraxis, so lässt sich feststellen, dass unter den Aspekten der Effizienzsteigerung und der Informationsstandardisierung gegenwärtig alle Möglichkeiten genutzt werden, die Integration des Rechnungswesens voranzutreiben.19
6
Zusammenfassung in Thesen
Wir können nun die vorstehenden Befunde in Thesenform zusammenfassen: 1. Controller sind sowohl betriebswirtschaftliche Berater des Managements als auch Methoden- und Systemdienstleister in den Bereichen Planung, Steuerung, Berichtswesen und internes Rechnungswesen. 2. Die IFRS haben durch ihren Management Approach wesentliche Auswirkungen auf die Aufgaben und Aufgabenwahrnehmung des Controllers: Das Aufgabenprofil des Controllers erweitert sich um die Aufgaben der Informationsdienstleistung für IFRS-Rechnungslegungszwecke. 3. Die sich aus dem Management Approach ergebenden Veränderungsbedarfe im Controlling erstrecken sich auf alle wesentlichen Aufgabenfelder des Controllers. 4. Die Frage nach der Integration von internem und externem Rechungswesen kann dabei nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden. Notwendig ist eine eingehende Analyse des Einzelfalls, wobei in der Regel eine partielle Integration der Lösungsansatz sein wird.
18 19
12
Vgl. dazu IGC, Controller und IFRS, 2006, S. 50-60. Vgl. die Beispiele Beißel, J./Steinke, K.-H., Integriertes Reporting, 2004; Fleischer, W., Rolle, 2005; Köster, H., Vereinheitlichung, 2005; Zattler, P./Michel, U., IFRS, 2006.
Controller und IFRS
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13
Horváth
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14
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
o.Univ.-Prof. Dr. habil. Carl-Christian Freidank Inhaber des Lehrstuhls für Revisions- und Treuhandwesen und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung und Steuerwesen der Universität Hamburg. Max-Brauer-Allee 60, 22765 Hamburg*
1
Unternehmenssteuerung aus wertorientierter Sicht.................................................... 17
2
Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen ....................................................................... 18 2.1 Verwendung eines Mischzinssatzes ..................................................................... 18 2.2 Steuer- und Risikoberücksichtigung .................................................................... 20 2.2.1 Standardansatz............................................................................................ 20 2.2.2 Tax-CAPM ................................................................................................... 22 2.3 Beispielhafte Verdeutlichung ................................................................................ 23
3
Ergebnis ............................................................................................................................. 28
Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 32
*
Der Verfasser dankt Herrn Dipl.-Kfm. Remmer Sassen, M.A., für die Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.
15
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
1
Unternehmenssteuerung aus wertorientierter Sicht
Die Steigerung des Unternehmenswertes als langfristiges Ziel des Managements wird in der Betriebswirtschaftslehre schon seit langem diskutiert.1 Ende des vorherigen Jahrhunderts hat aber die Wertorientierung durch das Shareholder Value-Konzept,2 das darauf abstellt, den Marktwert des Eigenkapitals eines Unternehmens im Zeitablauf stetig zu steigern, eine Renaissance erfahren. Im Rahmen eines solchen ValueBased-Management zielen die Aktivitäten der Unternehmensleitung insbesondere auf folgenden Strategien ab, die sich wechselseitig ergänzen müssen:
Schaffung von Anreiz-(Incentive-)Systemen auf allen Führungsebenen3 Aufdeckung und Nutzung von unternehmensin- und -externen Erfolgspotenzialen.
Information aller am Unternehmensgeschehen Beteiligten über die Strategien und Ergebnisse des Wertsteigerungsmanagements im Rahmen einer investororientierten Rechnungslegungspolitik (Investor Relations, Value Reporting).4
Optimierung der in- und externen Überwachungs- und Steuerungssysteme (Corporate Governance).5 Nach h. M. bilden die zukünftig erzielbaren cashflows (Einzahlungsüberschüsse) den Ausgangspunkt für die Ermittlung des Marktwerts des Eigenkapitals. Diese Vorgehensweise wird von der Auffassung getragen, dass sich das im Unternehmenswert zu erfassende Erfolgspotenzial in den cashflows späterer Perioden niederschlägt.6 Prinzipiell erfolgt die Messung des (inneren) Marktwerts des Eigenkapitals durch Abzinsung der zukünftigen cashflows mit dem Kapitalkostensatz unter Abzug der an die Fremdkapitalgeber fließenden Anteile. In diesem Zusammenhang stellt die Planung, Kontrolle und Steuerung des Kapitalkostensatzes im Konzept des wertorientierten Controllings eine Schlüsselgröße dar, dem als Richtwert für die Erzielung einer Min1 2
3 4
5 6
Vgl. etwa Schmalenbach, E., Kostenrechnung, 1963, S. 145-193. Vgl. Bühner, R., Kapitalmarktorientierte Unternehmenssteuerung, 1996, S. 392-396; Lachnit, L./Müller, S., Probleme wertorientierter Performancedarstellung, 2002, S. 2553-2559; Lachnit, L./Müller, S., Unternehmenscontrolling, 2006, S. 225-262; Rappaport, A., Shareholder Value, 1995. Vgl. Bühler, W./Siegert, T. (Hrsg.), Unternehmenssteuerung, 1999. Vgl. Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V.: Grundsätze Value Reporting, 2002, S. 2337-2340; Fischer, T.M./Wenzel, J., Value, 2002, S. 327-332; Freidank, C.-Chr., Internationale Rechnungslegungspolitik, 2000, S. 329; Lachnit, L., Bilanzanalyse, 2004, S. 232-250. Vgl. Freidank, C.-Chr./Velte, P., Einfluss der Corporate Governance, 2007, S. 711-745; Weber, S.C./Lentfer. T./Köster, M., Corporate Governance, 2007, S. 53-61. Vgl. Günther, T., Unternehmenswertorientiertes Controlling, 1997, S. 71.
17
Freidank
destverzinsung des eingesetzten Kapitals auf allen Unternehmensebenen eine herausragende Bedeutung zukommt. Im Folgenden wird unter Berücksichtigung der Unternehmensteuerreform 20087 analysiert, wie sich die Erkenntnisse des wertorientierten Controllings auf die Ermittlung des kalkulatorischen Zinssatzes und der kalkulatorischen Zinsen bei börsennotierten Kapitalgesellschaften übertragen lassen, mit deren Hilfe die Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals in strategischen und operativen Entscheidungsrechnungen8 erfasst werden soll. Darüber hinaus spielt die Ableitung der kalkulatorischen Verzinsung aus dem Konzept der wertorientierten Unternehmenssteuerung aber auch für Dokumentationsrechnungen eine Rolle, die zur Information der öffentlichen Verwaltung etwa im Rahmen der Auftragskalkulation oder der Kostenregulierung aufzustellen sind.9 Den in der Betriebswirtschaftslehre existierenden Methoden zur Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen ist gemeinsam, dass sie das im Unternehmen gebundene Eigen- und Fremdkapital, welches sachziel- oder betriebsnotwendigen Charakter trägt und seine Verzinsung nicht bereits in anderer Form erbringt (sog. betriebsnotwendiges Kapital), in die Bemessungsgrundlage einbeziehen, auf das dann ein näher zu bestimmender kalkulatorischer Zinssatz anzuwenden ist.10
2
Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen
2.1
Verwendung eines Mischzinssatzes
Nach herrschender Meinung setzen sich die kalkulatorischen Zinsen einerseits aus pagatorischen Komponenten, insbesondere aus Fremdkapitalzinsen für die Inanspruchnahme von zinspflichtigen (Fremd-)Kapitalanteilen, und andererseits aus wertmäßigen Bestandteilen in Gestalt entgangener Kapitalerträge (Opportunitätskos7
Vgl. Ballwieser, W./Kruschwitz, L./Löffler, A., Einkommensteuer, 2007, S. 765-769; Hommel, M./Pauly, D., Unternehmensteuerreform 2008, 2007, S. 1155-1161. 8 Fischer, T.M./Schmitz, J.A., Kapitalmarktorientierte Steuerung, 1998; Männel, W., Zinsen, 1998, S. 83-97; Reiners, F., Teilprobleme, 1997, S. 55-62; Troßmann, E., Zur Rolle kalkulatorischer Zinsen, 1998, S. 310-317. 9 Vgl. hierzu Berner, J., Berechnung, 2007, S. 585 f.; Busse von Colbe, W., Regulierte Kostenermittlung, S. 115-133; Coenenberg, A.G., Kostenrechnung, 2007, S. 113-184; Diedrich, R., Eigenkapitalkosten, 2005; Freidank, C.-Chr., Kostenrechnung, 2007, S. 174 f.; Pedell, B., Kapitalmarktorientierte Ermittlung, 2007, S. 35-60; Sieben, G./Maltry, H., Bemessung, 2002, S. 402418. 10 Vgl. im Einzelnen Freidank, C.-Chr., Kostenrechnung, 2007, S. 125-131.
18
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
ten) zusammen, die durch den alternativen Einsatz des übrigen anteiligen Vermögens hätten erzielt werden können. Die Unmöglichkeit, den jeweiligen Fremd- und Eigenkapitalquellen einzelne Vermögensgegenstände genau zuzurechnen, hat zu der Überlegung geführt, für eine genauere Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen einen Mischsatz zu verwenden, der auch als Weighted Average Cost of Capital (WACC) im betriebswirtschaftlichen Schrifttum bezeichnet und aus der (Ziel-)Kapitalstruktur des Unternehmens abgeleitet wird.11 Der WACC, definiert als geforderte Mindestrendite für das vom Unternehmen eingesetzte Vermögen, die in Form von Kapitalkosten neben den übrigen Kosten durch seine Leistungen erwirtschaftet werden soll, setzt sich aus folgenden Bestandteilen zusammen. WACC
iF MF MA iE ME (1 se) 100 ME MF MA 100 ME MF MA
Die Formel verdeutlicht, dass der Zinssatz für die Aufnahme des Fremdkapitals (iF) und der (risiko- und steuerangepasste) Zinssatz für das Eigenkapital (iE) nach Maßgabe des Verhältnisses der Marktwerte des Fremdkapitals (MF) und des Eigenkapitals (ME) gewichtet und zusammengefasst werden kann, wodurch zum einen der Finanzierungs- und Leistungsbereich zu separieren sind und zum anderen die Möglichkeit besteht, den Verschuldungsgrad und damit das Haftungsrisiko des Unternehmens bei der Berechnung der kalkulatorischen Zinsen mit zu berücksichtigen. Darüber hinaus muss auch hier der Marktwert des sog. Abzugskapitals12 (MA) vom Marktwert des Fremdkapitals mit dem Ziel der Vermeidung einer Doppelverzinsung sowohl im Hinblick auf die WACC-Formel als auch auf die Bemessungsgrundlage, auf die der endgültige WACC-Faktor zur Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen im Ergebnis angewandt wird, abgezogen werden.13 Aufgrund der Schwierigkeit, jeweils die genauen aktuellen Marktwerte des Fremd- und Eigenkapitals zu bestimmen, bietet es sich an, von den Ergebnissen der jeweiligen Jahresabschlüsse (Bilanzmethode) auszugehen und diese durch Korrekturen (stille Reserven und Lasten, betriebsfremdes Vermögen, nicht bilanzierbare immaterielle Vermögensgegenstände und Abzugskapital) soweit wie möglich den Marktwerten nach Maßgabe der Berechnung des betriebsnotwendigen Kapitals anzupassen. Die Bestimmung des Fremdkapitalkostensatzes (iF) kann z.B. auf Basis vertraglicher Kreditvereinbarungen, effektiver Zinszahlungen oder aktueller Marktkonditionen erfolgen.14 Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, den Fremdkapitalkostensatz aus dem Jahresabschluss abzuleiten, indem die dort ausgewiesenen Zinsaufwendun11 12
Vgl. Busse von Colbe, W., Fremd- und Eigenkapitalkosten, 1998, S. 99. Vgl. Fischbach, S., Betriebsnotwendiges Vermögen, 2007, S. 188 f.; Freidank, C.-Chr., Kostenrechnung, 2007, S. 126-131. 13 Vgl. Pedell, B., Kapitalmarktorientierte Ermittlung, 2007, S. 50. 14 Vgl. Arbeitskreis Finanzierung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Wertorientierte Unternehmensteuerung, 1996, S. 543-578.
19
Freidank
gen, Nebenkosten der Fremdfinanzierung sowie Disagien usw. addiert und zum Bestand des nicht kurzfristigen Fremdkapitals in Beziehung gesetzt werden. Durch die Integration des Ertragsteuersatzes (se) in die WACC-Formel soll die Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalkosten von den Bemessungsgrundlagen der Gewerbe- und Körperschaftsteuer annähernd mit erfasst werden.
2.2
Steuer- und Risikoberücksichtigung
2.2.1
Standardansatz
Zunächst gilt es, den Faktor für die Gewerbesteuer (sg) unter Berücksichtigung der Steuermesszahl für den Gewerbeertrag (§ 11 Abs. 2 GewStG) (me), des Hebesatzes der Standortgemeinde (§ 16 Abs. 1 GewStG) (he) und des Verbots der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe von ihrer eigenen Bemessungsgrundlage (§ 7 Abs. 1 Satz 1 GewStG i.V.m. § 4 Abs. 5 b EStG) zu berechnen. sg
me he 100 100
Im Hinblick auf die Körperschaftsteuer bietet es sich an, den Definitivsteuersatz (§ 23 Abs. 1 KStG) (sd), ggf. zuzüglich des Solidaritätszuschlages, zugrunde zu legen. Unter Berücksichtigung des Verbots der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 5 b EStG) und der Integration des Solidaritätszuschlages (soli), der auf die Körperschaftsteuer erhoben wird (§ 2 Nr. 3 SolZG), lässt sich der kombinierte Ertragsteuersatz (se) wie nachstehend gezeigt berechnen. se = sg + (1 + soli) ȉ sd Im Rahmen der wertorientierten Unternehmensteuerung kapitalmarktorientierter Gesellschaften hat sich die Auffassung durchgesetzt, die Kosten für die Verzinsung des Eigenkapitals nicht mehr aus dem Rechnungswesen zu gewinnen, sondern sie, soweit dies möglich ist, empirisch aus Kapitalmarktdaten zu erheben. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, auf das Capital Asset Pricing-Model (CAPM)15 zurückzugreifen. Das CAPM gibt die Renditeerwartung von aktuellen und potenziellen Investoren bezüglich eines Wertpapiers in Abhängigkeit von dessen Risiko wieder. Diese Renditeforderung ist nun genau der gesuchte Eigenkapitalkostensatz (iE), der als Erwartungswert zu verstehen ist und sich sowohl aus den Kurssteigerungen des 15
20
Vgl. Günther, T., Unternehmenswertorientiertes Controlling, 1997, S. 163-169; Sharpe, W., Capital Asset Prices, 1964, S. 425-442.
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
betreffenden Wertapiers als auch den Dividendenzahlungen des betrachteten Unternehmens zusammensetzt. Er berechnet sich grundsätzlich aus dem risikolosen, nicht steuerangepassten Kapitalmarktzins einer Alternativinvestition (iA), zuzüglich des Risikozuschlags, der sich wiederum aus dem Produkt der Risikoprämie (iW - iA) und dem Faktor für das relative Risikomaß (ß) des analysierten Wertpapiers errechnet. Es muss also folgende Gleichung zur Ermittlung der Zinsen für das Eigenkapital gelten (iW = erwartete Rendite eines Marktportfolios). iE
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Risikozuschlag Der Risikozuschlag umfasst das allgemeine Risiko der Investition in eine Unternehmung, wie z.B. Missmanagement, feindliche Übernahmen, Streik, Preissteigerungen, Nachfrageverschiebungen etc., sowie das systematische Risiko, das die Schwankungen der Rendite des betrachteten Wertpapiers im Vergleich zum Markportfolio als Ausdruck für die Renditeentwicklung des Gesamtkapitalmarktes beschreibt. Die Risikoprämie entspricht dem Unterschied zwischen der erwarteten Rendite des Marktportfolios (iW) und der risikofreien Rendite (iA) in Gestalt des Kapitalmarktzinses, der üblicherweise durch den Zinssatz von sicheren, langfristigen Geldanlagen (meistens Staatsanleihen) als Alternativinvestition bestimmt wird. Für das Marktportfolio, häufig durch Aktienindizes wie z.B. den DAX repräsentiert, und den Kapitalmarktzins liegen i.d.R. Vergangenheitsdaten vor. Um nun einen durchschnittlichen Wert für die Risikoprämie zu erhalten, wird grundsätzlich das arithmetische oder geometrische Mittel verwendet, wobei die Ergebnisse in Abhängigkeit von den betrachteten Kapitalmärkten und Wirtschafszweigen häufig differieren werden. Das relative Risikomaß (ß), auch als „Risiko-Gewichtungsfaktor“ oder Unternehmensbeta bezeichnet, soll das systematische Risiko erfassen und damit beschreiben, wie stark die Rendite des zu bewertenden Wertpapiers von der Rendite des Gesamtmarktes abweicht. Je größer sich das Beta darstellt, desto unsicherer ist die Rendite, wodurch der Risikozuschlag steigen muss. Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass Investoren nur dann bereit sind, ein Wertpapier mit einem hohen Betarisiko zu halten, wenn sie eine entsprechende Rendite erwarten können. Das Beta kann empirisch durch eine Regressionsanalyse ermittelt werden, indem ein linearer Zusammenhang zwischen der Aktien- und Gesamtmarktentwicklung angenommen wird, der seinen Ausdruck in Form der CAPM-Geraden findet.16 Da es sich sogar um ein monokausales Verhältnis handelt, d.h. der Einfluss z.B. des DAX auf das einzelne Wertpapier wesentlich stärker als umgekehrt ist, kann bei der Berechnung der Regression die Methode der kleinsten Quadrate angewendet werden. Dies bedeutet, bei einem Beta 16
Vgl. Kußmaul, H., Unternehmensbewertung, 2007, S. 47-49.
21
Freidank
von Null haben die Schwankungen keine Auswirkungen auf den Kurs der Aktien, so dass sich überhaupt kein Risikozuschlag ergibt. Bei einem Beta von Eins wären sie identisch und bei einem Beta größer bzw. kleiner als Eins ist die Schwankung und damit das systematische Risiko größer oder kleiner als die Entwicklung des Marktportfolios. Mithin kann sich das Unternehmensbeta (ß) in folgenden Wertebereichen bewegen.17 ß=0
Keine Auswirkungen der Schwankungen des Marktportfolios auf den Aktienkurs des betrachteten Wertpapiers
ß=1
Schwankungen des Marktportfolios entsprechen denjenigen des Aktienkurses des betrachteten Wertpapiers
ß1
Schwankungen des Marktportfolios sind kleiner als diejenigen des Aktienkurses des betrachteten Wertpapiers
Sofern es sich um Gesellschaften handelt, die keine Börsennotierung und damit auch keinen individuellen Kurswert aufweisen, besteht die Alternative, vergleichbare (kapitalmarktorientierte) Unternehmen in die Regressionsanalyse einzubeziehen, wodurch dann auch eine (ersatzweise) Bestimmung des Unternehmensbetas und damit eines unternehmensspezifischen, angepassten Eigenkapitalkostensatzes i.S.e. benchmarkorientierten Festlegung des kalkulatorischen Zinssatzes möglich wird.18
2.2.2
Tax-CAPM
Obwohl in die vorstehende Grundformel zur Bestimmung des Eigenkapitalkostensatzes (iE) keine Steuerwirkungen eingeflossen sind, geht das Schrifttum von einer Berechnung der kalkulatorischen Zinsen nach (Ertrag-)Steuern aus.19 Diese Vorgehensweise wird von der Auffassung getragen, dass sich im Eigenkapitalkostensatz die Rendite einer Alternativinvestition am Kapitalmarkt widerspiegeln muss, deren Steuerwirkungen durch eine Korrektur desselben zu erfassen sind. Hierdurch kann nach Maßgabe des relevanten Steuersystems die unterschiedliche Besteuerung der Kapitalmarktrenditen erfasst werden. In diesem Zusammenhag wird unterstellt, dass ein rational handelnder Investor die Anlage im Privatvermögen halten wird, wodurch nach deutschem Steuerrecht eine Belastung mit Gewerbesteuer entfällt und mithin nur die Wirkungen der Einkommensteuer mit seinem persönlichen Steuersatz zu erfassen sind. Zu diesem Zwecke wird von einem typisierenden (durchschnittlichen) Einkom-
17 18 19
22
Vgl. Günther, T., Unternehmenswertorientiertes Controlling, S. 166 f. Vgl. Hachmeister, D., Unternehmenswertsteigerung, 2000, S. 195-202. Vgl. IDW, Durchführung von Unternehmensbewertungen, 2006, S. 24 und S. 34; Pedell, B., Kapitalmarktorientierte Ermittlung, 2007, S. 52-55.
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
mensteuersatz (sESt) i.S.v. § 32 a bzw. § 32 d EStG ausgegangen, wobei im Falle einer Aufspaltung der Renditen in Zinseinkünfte, Dividenden und Kursgewinne unter Berücksichtigung der differenzierten Regelungen des deutschen Steuerrechts nach Maßgabe des Halbeinkünfteverfahrens die Möglichkeit besteht, die Wirkungen der Einkommensteuer noch genauer zu bestimmen.20 Sofern man vereinfachend unterstellt, dass der typisierende Einkommensteuersatz (sESt) in voller Höhe auf die gesamte Kapitalmarktrendite einwirkt, dann kann das oben dargestellte Standardmodell zum sog. Tax-CAPM wie folgt weiterentwickelt werden. iE
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Trotz vieler Einwände gegen das CAPM-Modell21 muss berücksichtigt werden, dass es derzeit keinen von Theorie und Praxis akzeptierten besseren Erklärungsansatz gibt, der in der Lage wäre, Risiken in Form von Risikoprämien quantitativ und intersubjektiv nachvollziehbar zu erfassen.22 Wenn es zudem gelingt, die relevanten Steuerwirkungen mit hinreichender Genauigkeit zu integrieren, stellt das CAPM-Modell eine wichtige Komponente im Rahmen des WACC-Konzepts zur Bestimmung des kalkulatorischen Zinssatzes und der kalkulatorischen Zinsen dar.
2.3
Beispielhafte Verdeutlichung
Anhand der nachstehend verkürzten Schlussbilanz und den Informationen des Rechnungswesens eines Industrieunternehmens, das in der Rechtsform einer börsennotierten Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland geführt wird, sollen die gesamten kalkulatorischen Zinsen unter Zugrundlegung des WACC-Ansatzes und des Tax-CAPM nach der Bilanzmethode modellhaft berechnet werden.
Ein Gebäude zum Buchwert von 90.000 € wird nicht zur Leistungserstellung benötigt.
Der Marktwert der betrieblich genutzten Gebäude beträgt 410.000 € Die Maschinen, deren Marktwerte nicht gestiegen sind, beinhalten infolge von Sonderabschreibungen stille Reserven in Höhe von 70.000 €. 20
Vgl. Ballwieser, W./Kruschwitz, L./Löffler, A., Einkommensteuer, 2007, S. 765-769; Hommel, M./Pauly, D., Unternehmensteuerreform 2008, 2007, S. 1157-1159; Kußmaul, H., Unternehmensbewertung, 2007, S. 46; Kußmaul, H./Wegner, W./Tcherveniachki, V., Neuerungen in der Unternehmensbewertung, 2007, S. 9-12; Schultze, W./Zimmermann, R.-C., Unternehmensbewertung, 2006, S. 867-901. 21 Vgl. Ballwieser, W., Unternehmensbewertung, 2007, S. 1408-1410; Matschke, J./Brösel, G., Unternehmensbewertung, 2006, S. 570-577. 22 Vgl. Diedrich, R., Eigenkapitalkosten, 2005, S. 15-19; Günther, T., Unternehmenswertorientiertes Controlling, 1997, S. 169.
23
Freidank
Es sind geringwertige Wirtschaftsgüter von insgesamt 20.000 € sofort abgeschrieben worden.
Die Beteiligungen dienen dem unternehmerischen Sachziel und erbringen einen Gewinnanteil von 8%. Sie sind zum Tageskurs (gleich Anschaffungskurs) von 200% bilanziert.
Die Bewertung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, die zur Hälfte zu Spekulationszwecken angeschafft wurden, erfolgte zu Anschaffungskosten (= Marktwerten). Abbildung 2-1:
Verkürzte Handelsbilanz einer Kapitalgesellschaft
Aktiva Bebaute Grundstücke Maschinen Beteiligungen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Fertige Erzeugnisse Forderungen Kasse - Bank
Schlussbilanz (in €) 400.000 Eigenkapital 200.000 Bankverbindlichkeiten 140.000 Kundenanzahlungen Verbindlichkeiten 110.000 aus Lieferungen 120.000 70.000 20.000 1.060.000
Passiva 600.000 320.000 60.000 80.000
1.060.000
Ansonsten entsprechen die übrigen Bilanzwerte den Zielsetzungen einer marktwertorientierten Kapitalverzinsung. Die folgende Abbildung 2-2 zeigt die Berechnung des betriebsnotwendigen Vermögens. Geht man vereinfachend von einer proportionalen Umrechnung der Wertkorrekturen alle Vermögensgegenstände in Höhe von 45.000 € (1.105.000 € - 1.060.000 €) auf das buchmäßige Eigen- (600.000 €) und Fremdkapital (480.000 €) aus,23 dann ergibt sich die in Abbildung 2-3 dargestellte Bilanz auf der Basis von Marktwerten. Für die Kapitalgesellschaft sollen folgende Werte gelten, aus denen sich dann der nachstehende kombinierte Ertragsteuersatz (se) errechnen lässt. me
=
3,5%
he
=
500%
sd
=
15%
soli =
5,5%
23
24
Der Umrechnungsfaktor ergibt sich aus 1 + [45.000 € : 1.060.000 €] = 1,04245285.
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
sg
3,5 500 100 100
se
5,5 º 15 ª 0,175 «1 » ¬ 100 ¼ 100
Abbildung 2-2:
0,175
Berechnung des betriebsnotwendigen Vermögens
Vermögensgegenstände Bebaute Grundstücke Maschinen Beteiligungen Geringwertige Wirtschaftsgüter Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Fertige Erzeugnisse Forderungen Kasse - Bank Summe
Abbildung 2-3:
Buchwerte in € 400.000 200.000 140.000
110.000 120.000 70.000 20.000 1.060.000
betriebsfremd 90.000
55.000
145.000
betriebsnotwendig 310.000 200.000 140.000
55.000 120.000 70.000 20.000 915.000
Umbewertung
Marktwerte in € 410.000 270.000 140.000
100.000 70.000
20.000
20.000
190.000
55.000 120.000 70.000 20.000 1.105.000
Verkürzte Bilanz einer Kapitalgesellschaft auf der Grundlage von Marktwerten
Aktiva Bebaute Grundstücke Maschinen Beteiligungen Geringwertige Wirtschaftsgüter Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Fertige Erzeugnisse Forderungen Kasse - Bank
24
0,33325
Schlussbilanz (in €) 410.000 Eigenkapital 270.000 Bankverbindlichkeiten 140.000 Kundenanzahlungen Verbindlichkeiten 20.000 aus Lieferungen 55.000 120.000 70.000 20.000 1.105.000
Passiva 625.47224 333.585 62.547 83.396
1.105.000
625.472 € = 1,04245285 ȉ 600.000 €.
25
Freidank
Sofern man von einem typisierenden Einkommensteuersatz von 35% ausgeht, errechnet sich der kalkulatorische Eigenkapitalzins (iE) für die angesprochene Kapitalgesellschaft unter Berücksichtigung des Tax-CAPM und der nachstehenden Angaben vereinfachend wie folgt. iA
=
5%
W
=
9%
ß
=
1,577
sESt
=
35%
i
ª 5 § º 35 · § 9 5 · § 35 · ¨1 ¸¨ ¸ ¨1 ¸ 1,577 » 100 « 100 100 100 100 ¹ © ¹ © ¹ © ¬ ¼
iE iE
=
7,35%
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Daten lässt sich nunmehr der kalkulatorische Zinssatz mit Hilfe der aus dem WACC-Modell abgeleiteten Formel verdeutlichen, wobei von einem Zinssatz für die Aufnahme des Fremdkapitals von 5,2% ausgegangen wird. WACC =
5,2 479.528 € 145.943 € 7,35 625.472 € (1 0,33325) 100 1.105.000 € 145.943 € 100 1.105.000 € 145.943 €
WACC =
0,0121
+
0,0479
WACC = 0,06 Abbildung 2-4 zeigt abschließend die Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen für die Kapitalgesellschaft, wobei der vorläufige berechnete Betrag noch einmal um die effektiven Zinserträge solcher Bilanzposten gekürzt werden muss, die ihre Verzinsung ganz oder zum Teil selbst erbringen (z.B. Beteiligungen). Allerdings wäre es auch möglich, die in Rede stehenden Bilanzposten aus der Bemessungsgrundlage zu eliminieren und auf diese korrigierte Verzinsungsbasis dann einen angepassten kalkulatorischen Zinssatz zur Ermittlung der endgültigen kalkulatorischen Zinsen anzuwenden. Jedoch bereitet eine analoge Integration von Vermögensposten, die ihre Verzinsung ganz oder teilweise selbst erbringen, wie das Abzugskapital in die WACC-Formel Schwierigkeiten, da diese Posten sowohl mit Eigen- als auch mit Fremdkapital finanziert sein können. Aus Vereinfachungsgründen könnte z.B. eine Aufspaltung nach Maßgabe des im Jahresabschluss ausgewiesenen Verhältnisses zwischen Eigen- und Fremdkapital erfolgen. In diesem Fall wurde eine hälftige Finanzierung der Beteiligungen mit Eigenund Fremdkapital unterstellt. Die entsprechende Berechnung des WACC und der kalkulatorischen Zinsen ist nachfolgend und in Abbildung 2-5 dargestellt.
26
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
WACC =
5,2 479.528 € 215.943 € 7,35 625.472 € - 70.000 € (1 0,33325) 100 1.105.000 € 285.943 € 100 1.105.000 € 285.943 €
WACC =
0,0112
+
0,0498
WACC = 0,061
Abbildung 2-4:
(1) - (2)
= (3) (4) - (5) = (6)
Betriebsnotwendiges Vermögen Abzugskapital (2.1) Kundenanzahlungen (2.2) Verbindlichkeiten aus Lieferungen Betriebsnotwendiges Kapital Vorläufige kalkulatorische Zinsen (6% von 959.057 €) Effektive Zinseinnahmen (8% von 70.000 €) Kalkulatorische Zinsen
Abbildung 2-5:
(1) - (2)
= (3) - (4) = (5) (6)
Berechnung der kalkulatorischen Zinsen
1.105.00,00 € 62.547,00 € 83.396,00 € 959.057,00 € 57.543,42 € 5.600,00 € 51.943,42 €
Modifizierte Berechnung der kalkulatorischen Zinsen
Betriebsnotwendiges Vermögen Abzugskapital (2.1) Kundenanzahlungen (2.2) Verbindlichkeiten aus Lieferungen Betriebsnotwendiges Kapital Marktwert Beteiligungen Korrigierte Verzinsungsbasis Kalkulatorische Zinsen (6,10% von 819.057,00 €)
1.105.00,00 € 62.547,00 € 83.396,00 € 959.057,00 € 140.000,00 € 819.057,00 € 49.962,48 €
27
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3
Ergebnis
Der vorstehend dargestellte Grundansatz zur Ermittlung eines risiko- und steuerangepassten kalkulatorischen Zinssatzes und der kalkulatorischen Zinsen verdeutlicht modellhaft, wie das Konzept der wertorientierten Unternehmenssteuerung in Entscheidungs- und Dokumentationsrechnungen bei börsennotierten Kapitalgesellschaften integriert werden kann. Sofern eine Kombination der Bilanzmethode mit dem WACC-Konzept erfolgt, wird es möglich, auf der Basis geprüfter und veröffentlichter Jahresabschlüsse, die hinsichtlich einer Marktwerterfassung des betriebsnotwendigen Kapitals25 idealerweise unter Rückgriff auf die International Financial Reporting Standards (IFRS) erstellt werden sollten, repräsentative, nachvollziehbare, eindeutige und weitgehend manipulationsfreie Kapitalverzinsungen zu generieren. Zudem wird durch diese Vorgehensweise der in jüngerer Zeit erhobenen Forderung nach einer Konvergenz von in- und externem Rechnungswesen entsprochen.26 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Modellprämissen und -vereinfachungen im Falle einer unmittelbaren Anwendung des vorstehend dargestellten Konzepts in der betriebswirtschaftlichen Realität Fragen aufwerfen, die im Folgenden in ausgewählten Bereichen diskutiert werden. Zunächst hat die Ermittlung der unternehmensindividuellen Kapitalstruktur auf der Grundlage einer repräsentativen Anzahl aufgestellter, geprüfter und publizierter Jahresabschlüsse zu erfolgen, aus denen dann entsprechende Durchschnittwerte für die einzelnen Bilanzposten abgeleitet werden können. Ferner sollte auch nicht bilanzierbares immaterielles Vermögen (z.B. Human Capital, Markennamen), das das (bilanzierte) Eigenkapital nicht erhöht, aber zu einer Steigerung des Unernehmenswertes führt, nach den neueren Erkenntnissen zum Value Reporting27 bei der Ermittlung der (kalkulatorischen) Kapitalstruktur berücksichtigt werden, sofern es mit hinreichender Genauigkeit zu quantifizieren ist. Im Hinblick auf die Integration der kalkulatorischen Korrekturen des bilanzierten Vermögens in die WACC-Formel stellt sich die Frage, wie diese eindeutig den Bereichen Fremd- und Eigenkapital zuzurechnen sind. So ist aus den Daten des Jahresabschlusses z.B. nicht eindeutig zu klären, ob Gebäude, die nicht der Leistungserstellung dienen oder Umlaufvermögen, das zu spekulativen Zwecken angeschafft wurde, mit 25
Vgl. Bieg, H./Heyd, R. (Hrsg.), Fair Value, 2005; Küting, K./Hayn, M., Anwendungsgrenzen, 2006, S. 1211-1217; Velte, P., Fair Value, 2007, Sp. 452-454. 26 Vgl. Müller, S., Management-Rechnungswesen, 2003; Weißenberger, B.E., Integrierte Rechnungslegung, 2004, S. 72-77. 27 Vgl. Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Grundsätze Value Reporting, 2002, S. 2337-2340; Arbeitskreis Immaterielle Werte im Rechnungswesen der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Externe Berichterstattung, 2003, S. 1233-1237; Heumann, R., Value Reporting, 2005; Sattler, H. Markenbewertung, 2005, S. 33-57.
28
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
Fremd- oder Eigenkapital finanziert wurde. Ein ähnliches Problem stellt sich dann, wenn Vermögensposten, die ihre Verzinsung ganz oder teilweise selbst erbringen, aus der Verzinsungsbasis des betriebsnotwendigen Kapitals eliminiert werden müssen.28 Da diese Informationen in aller Regel nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand aus dem internen Rechungs- und Finanzwesen zu beschaffen sind, wurde vorgeschlagen, eine proportionale Umrechnung des gesamten Korrekturbetrages auf der Basis der Summe des buchmäßigen Fremd- und Eigenkapitals bzw. des im Jahresabschluss ausgewiesenen Verhältnisses zwischen Fremd- und Eigenkapital vorzunehmen. Die Problematik der Aufteilung der in Rede stehenden Korrekturbeträge in Fremd- und Eigenkapitalanteile wird bei der traditionellen Methode zur Ermittlung der kalkulatorischen Verzinsung29 vermieden, da diese von einer ausschließlichen Analyse der Aktivseite der Bilanz ausgeht und einen undifferenzierten, risiko- und steuerangepassten Kalkulationszinssatz zugrunde legt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Höhe des in den Jahresabschlüssen ausgewiesenen Eigen- und Fremdkapitals durch rechnungslegungspolitische Instrumente erheblich beeinflusst werden kann.30 Derartige Gestaltungen können einerseits zum Teil durch eine Analyse der Anhangangaben und ggf. der Prüfungsberichte des Abschlussprüfers aufgedeckt werden.31 Eine vollständige Sichtbarmachung der rechnungslegungspolitischen Aktivitäten, insbesondere von sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen, gelingt aber nur dann, wenn unternehmensinterne Informationen über den gesamten Instrumentaleinsatz vorliegen. Da es bei diesen Korrekturen darum geht, der kalkulatorischen Verzinsung das (betriebsnotwendige) Eigen- und Fremdkapital zu Marktwerten zugrunde zu legen, gilt es darüber hinaus, alle stillen Reserven und Lasten, die im bilanzierten Vermögen enthalten sind, soweit wie möglich in Zusatzrechnungen aufzudecken.32 Sofern das betreffende Unternehmen nach den IFRS Rechnung legt, sind diese Informationen teilweise schon in den Rechnungslegungsmedien enthalten (z.B. Wertaufholungsrücklage oder Eigenkapitalveränderungsrechnung),33 wodurch eine eindeutige Zurechnung dieser Korrekturbeträge zum Posten Eigenkapital in der WACC-Formel möglich wird. Die vorstehend dargestellte Methode zur Erfassung der Steuerbelastung setzt aufgrund der Annahme identischer Bemessungsgrundlagen bei der Gewerbe- und Körperschaftsteuer Vereinfachungen voraus. Dies entspricht jedoch nicht den gegenwärtigen und künftigen nationalen Steuergesetzen. Neben der unvollständigen Abzugsfä-
28 29 30 31 32 33
Eine eindeutige Zuordnung zum Fremdkapital ist aber bei dem Posten des Abzugskapital möglich. Vgl. Freidank, C.-Chr., Kostenrechnung, 2007, S. 125-131. Vgl. Freidank, C.-Chr./Velte, P., Rechnungslegung, 2007, S. 657-738. Vgl. Coenenberg, A.G., Jahresabschluss, 2005, S. 1030-1036; Lachnit, L., Bilanzanalyse, 2004, S. 163. Vgl. Lachnit, L., Schätzung stiller Reserven, 2000, S. 769-811. Vg. Coenenberg, A.G., Jahresabschluss, 2005, S. 367-367; Freidank, C.-Chr./Velte, P., Rechnungslegung, 2007, S. 765-767.
29
Freidank
higkeit von Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer und der im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 eingeführten sog. Zinsschranke erfolgt gegenwärtig eine unterschiedliche Behandlung von Zinsen und Dividenden beim Anteilseigener (Halbeinkünfteverfahren). Ab dem 01.01.2009 wird einheitlich eine proportionale Abgeltungssteuer in Höhe von 25% auf private Kapitalerträge, wie Zinsen und Dividenden, eingeführt.34 Da jedoch auch hier auf Antrag (i.d.R. bei niedrigeren persönlichen Einkommensteuersätzen) Ausnahmen vorgesehen sind, sollte auch die Besteuerung auf Anteilseignerebene bei der Bewertung deutscher Unternehmen berücksichtigt werden. Mischsteuersätze, die bei Rückgriff der Ausschüttungsspeisung von Kapitalgesellschaften auf mit Körperschaftsteuer vorbelastete sog. Altrücklagen auftreten konnten,35 sind ab 31.12.2006 nicht mehr relevant, da durch das „Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften“ (SEStEG) Körperschaftsteuerguthaben, die noch aus dem alten Anrechnungsverfahren stammen, nicht mehr durch eine Minderung der Körperschaftsteuer, sondern durch eine ratierliche Auszahlung ab 2008 über einen Zeitraum von 10 Jahren realisiert werden.36 Der Anspruch ist bereits in der Handelsbilanz zum 31.12.2006 in Höhe des Barwertes erfolgwirksam unter dem Posten „Sonstige Vermögensgegenstände“ zu aktivieren, wobei eine Entlastung des handelsrechtlichen Postens „Steuern vom Einkommen und vom Ertrag“, indes ohne steuerrechtliche Konsequenzen, erfolgt. Dieser Posten besitzt eindeutig Eigenkapitalcharakter und ist entsprechend in den Bilanzwert des Eigenkapitals und in die WACC-Formel einzubeziehen. Obwohl in der Grundformel zur Bestimmung des WACC der Eigenkapitalkostensatz (iE) nicht mit einem Steuerfaktor verknüpft wird, geht, wie gezeigt wurde, das jüngere Schrifttum von einem Eigenkapitalkostensatz nach (Ertrag-)Steuern aus. Hieraus lassen sich grundlegend folgende drei Szenarien ableiten:
Sofern die Alternativanlage im Privatvermögen gehalten wird, kann der Eigenkapitalkostensatz um einen typisierten persönlichen Ertragsteuersatz (sESt) gekürzt werden. Mit diesem Faktor werden die Verhältnisse eines im Inland ansässigen unbeschränkte steuerpflichtigen Unternehmenseigners und bei Kapitalgesellschaften eines Anteilseigners berücksichtigt, der die Unternehmensteile im Privatvermögen hält.
Sofern unterstellt wird, dass die Alternativanlage im Betriebsvermögen einer Personen- bzw. Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland gehalten wird, ist die Gewerbesteuer bzw. die Körperschaftsteuerbelastung mit zu berücksichtigen.
34
Dies hat insbesondere auch Auswirkungen auf die Nachsteuerrendite des angenommenen Basiszinssatzes im Tax-CAPM. Vgl. hierzu Hommel, M./Pauly, D., Unternehmenssteuerreform 2008, 2007, 1157. 35 Vgl. Freidank, C.-Chr./Velte, P., Rechnungslegung, 2006, S. 550-557 und S. 609-625. 36 Vgl. Dötsch, E./Pung, A., Änderungen des KStG, 2006, S. 2648-2656.
30
Kalkulatorische Zinsen im Kontext der wertorientierten Unternehmenssteuerung
Sofern die Alternativanlage eines inländischen oder ausländischen Anteilseigners im in- oder ausländischen Privat- oder Betriebsvermögen gehalten wird, ist auch die internationale Steuerbelastung unter Berücksichtigung von Doppelsteuerabkommen mit in die Korrektur des Eigenkapitalkostensatzes einzubeziehen. Wie dargestellt wurde, erweitert das sog. Tax-CAPM bei der Erklärung einer objektiven Kapitalverzinsung die Standardform des WACC-Ansatzes eben um die Berücksichtigung der Wirkung von persönlichen Ertragsteuern bezüglich einer Alternativanlage (Szenario 1). Durch weitere Modifikationen wird es darüber hinaus möglich, die unterschiedliche Besteuerung von Zinseinkünften, Dividenden und Kursgewinnen sowie künftige Änderungen der deutschen Unternehmensbesteuerung exakter erfassen zu können. Sollten aber die Szenarien 2 und 3 vorliegen, dann muss eine Berücksichtigung der erweiterten Steuerwirkungen bezüglich der Alternativanlage im Eigenkapitalkostensatz erfolgen. Somit wird es möglich, die Bestimmung des kalkulatorischen Zinssatzes und der kalkulatorischen Zinsen weitgehend an die betriebswirtschaftliche Realität anzupassen.
31
Freidank
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35
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
Univ.-Prof. Dr. habil. Thomas Hering Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensgründung und Unternehmensnachfolge, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Fern-Universität in Hagen, Universitätsstraße 11, 58084 Hagen (Westf.)
1
Definition des wertorientierten Controllings ............................................................... 39
2
Problemfelder des wertorientierten Controllings ........................................................ 40 2.1 Steuerungsziel und Rechengröße.......................................................................... 40 2.2 Unvollkommener Kapitalmarkt und Unsicherheit............................................. 43
3
Gestaltung des wertorientierten Controllings .............................................................. 45
4
Würdigung des wertorientierten Controllings............................................................. 49
Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 51
37
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
1
Definition des wertorientierten Controllings
Ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Controllingforschung ist immer noch ihre Selbstdefinition. Auf die grundlegenden Fragen, was denn eigentlich unter Controlling zu verstehen sei und wie sich der Gegenstand dieser Disziplin von ähnlichen betriebswirtschaftlichen Begriffsfeldern abgrenze, gibt es beinahe so viele Antworten wie Autoren.1 Auch der vorliegende Beitrag spiegelt daher ein seinem Verfasser eigentümliches Controllingverständnis wider. Danach ist Controlling eine Stabsfunktion und bedeutet Führungsunterstützung durch Informationsbeschaffung und Koordination. Neben der Berichterstattung an die Führungsinstanzen übernimmt der Controller die Versorgung der verantwortlichen Entscheidungsträger mit Planungshilfsmitteln und Daten sowie die zielsetzungsgerechte Abstimmung von Prozessen (Planung, Realisation, Kontrolle) in Organisationsstrukturen (Funktionsbereichen oder Divisionen). Diese von der Unternehmensführung gedanklich abgrenzbare Aufgabe könnte alternativ auch als Unternehmenssteuerung bezeichnet werden.2 In der Praxis ist natürlich die strikte Trennung von Führung und Steuerung nicht gegeben, besonders dann nicht, wenn ein und dieselbe Person neben Controlling- auch Führungsfunktionen wahrnimmt. Sehr häufig verwischt auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Stab und Linie die theoretische Trennlinie der jeweils ausgeübten Funktionen. Eine Parallele zur effizienten Heeresorganisation mag dies verdeutlichen: Nach preußisch-deutschem Verständnis sind Oberbefehlshaber und Generalstabschef als Einheit mit gemeinsamer Verantwortung aufzufassen.3 Klassische Beispiele liefern das erfolgreiche Zusammenwirken von Blücher und Gneisenau im Feldzug von 1815 (Ligny/Belle Alliance) oder die sich als Glücksgriff erweisende gemeinsame Ablösung von Prittwitz und Waldersee durch Hindenburg und Ludendorff 1914 im Oberkommando der 8. Armee in Ostpreußen (Tannenberg/Masurische Seen). Was hat es nun mit einem speziell „wertorientierten“ Controlling auf sich? Gemäß der betriebswirtschaftlichen Theorie leitet sich der Wert eines Gutes aus seinem betriebsindividuellen Grenznutzen in Bezug auf die zugrunde gelegte erwerbswirtschaftliche Zielsetzung ab.4 Der Wert entspricht dem Grenzpreis, der gerade noch gezahlt werden darf oder aber mindestens vereinnahmt werden muss, damit die Anschaffung oder Veräußerung des Gutes nicht wirtschaftlich nachteilig ist. Bewertungsfragen stellen sich in der betrieblichen Praxis nahezu ständig, so dass eine diesbezügliche Entschei1 2 3 4
Vgl. z.B. Littkemann, J., Controlling, 2006, S. 6-10. Vgl. zur hier vertretenen Begriffsbestimmung Hering, Th./Vincenti, A.J.F., Wertorientiertes Controlling, 2004, S. 343 f. und die dort angegebene Literatur. Vgl. z.B. Görlitz, W., Deutscher Generalstab, 1997, S. 33, 36 f. Vgl. Adam, D., Kostenbewertung, 1970, S. 25 f., 30-42; Hering, Th., Unternehmensbewertung, 2006, S. 25-27; Matschke, M.J./Brösel, G., Unternehmensbewertung, 2006, S. 6.
39
Hering
dungsunterstützung zu den erfolgswirksamsten Kernaufgaben des Controllings gerechnet werden kann: Prinzipiell jede finanzwirksame Entscheidungssituation ist daraufhin zu untersuchen, ob der Wert der beabsichtigten Transaktion den auf dem Markt zu realisierenden Preis rechtfertigt. Letzteres setzt voraus, dass der Grenzpreis nicht verletzt wird und also jede erfolgreiche Transaktion einen nichtnegativen Kapitalwert hat. Wertorientiert steuern heißt also nichts anderes als Zahlungskonsequenzen der Handlungsalternativen ermitteln und investitionsrechnerisch entscheiden. Das wertorientierte Controlling hat somit per definitionem im Wesentlichen auf die Erkenntnisse der Investitionstheorie zurückzugreifen.5 Ein wertorientierter Controller wirkt an der Quantifizierung der entscheidungsrelevanten Zahlungsströme mit und stellt die investitionstheoretischen Methoden bereit, mit deren Hilfe sich die zahlreichen zentralen und dezentralen Einzelentscheidungen im Unternehmen zielsetzungsgerecht abstimmen (koordinieren) lassen.6 Um die vermögens- oder einkommensorientierte Konsumzielfunktion der Unternehmenseigner zu maximieren, sind insbesondere die entscheidungstheoretisch richtigen Kalkulationszinsfüße für die dezentralen Kapitalwertberechnungen theoriegeleitet zu schätzen und mit einem hierarchischrückgekoppelten Planungsmechanismus zu verbinden.7 Auf die dabei auftretenden Problemfelder und einen heuristischen Lösungsvorschlag soll im Folgenden eingegangen werden.
2
Problemfelder des wertorientierten Controllings
2.1
Steuerungsziel und Rechengröße
Ordnet man, wie im Kapitel 1 geschehen, das wertorientierte Controlling der internen Unternehmenssteuerung mit investitionsrechnerischen Methoden zu, so stellt sich 5
6 7
40
Vgl. auch Lachnit, L./Müller, S., Unternehmenscontrolling, 2006, S. 225. Zu einem inhaltlich breiteren Begriffsverständnis des wertorientierten Controllings vgl. Günther, Th., Controlling, 2004. Zu den dabei anzuwendenden Methoden und Instrumenten vgl. Hax, H., Investitionstheorie, 1985; Hering, Th., Investitionstheorie, 2003. Aus diesem Grunde versteht es sich von selbst, dass bilanzielle Wertansätze auf Basis internationaler externer Rechnungslegungsvorschriften zur internen wertorientierten Unternehmenssteuerung ungeeignet sind. Vgl. dazu Olbrich, M., Wertorientiertes Controlling, 2006; Klingelhöfer, H.E., Wertorientiertes Controlling, 2006.
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
zunächst das Problem, die steuerungsleitende Zielgröße festzulegen. Weil in der Praxis die idealtypischen Voraussetzungen eines vollkommenen und vollständigen Kapitalmarkts bei vollständiger Konkurrenz nicht erfüllt sind, scheidet der in der angelsächsischen Finanzierungstheorie sowie den zahlreichen an ihr orientierten Publikationen übliche Kunstgriff aus, sich des Zielsetzungsproblems einfach durch die Propagierung der „Marktwertmaximierung“ zu entledigen. Dieses rein theoretische Konzept setzt Wert und (Markt-)Preis für jedermann gleich, wodurch dann zwar alle rationalen Marktteilnehmer das gleiche einfache Ziel verfolgen, aber zugleich fast jede Motivation zu Produktion und Handel erlischt, weil im Marktgleichgewicht nur Kapitalwerte von null und somit gerade keine „Wertsteigerungen“ erzielbar sind. Zudem ist es in sich widersprüchlich, im Falle des Fehlens organisierter Märkte „Marktwerte“ (also auszuhandelnde Preise als reale Marktergebnisse individueller Transaktionen) mit gekoppelten Versatzstücken neoklassischer Gleichgewichtsmodelle rechnerisch fingieren zu wollen, denn das reale Bewertungsproblem resultiert doch gerade daraus, dass Wert und Preis im Allgemeinen voneinander abweichen und deshalb der Preisfindung auf dem Markt die subjektiven Wertfindungen der Marktteilnehmer voranzugehen haben. Erst diese subjektiven Bewertungen schaffen Angebot und Nachfrage, die sich auf dem Markt im Preis ausgleichen (oder auch nicht, wenn es zu keiner Einigung kommt, weil die Wertvorstellungen von Käufer und Verkäufer kein Verhandlungsintervall eröffnen).8 Es geht also für das Controlling kein Weg daran vorbei, die Präferenzen der Unternehmenseigner zu ermitteln. In der Betriebswirtschaftslehre wird den Entscheidungssubjekten üblicherweise ein Wohlstandsstreben unterstellt, welches sich in einem starken Interesse an Geldausschüttungen aus dem Unternehmen (sei es durch Gewinnentnahmen oder durch Veräußerung von Anteilen) manifestiert. Je nachdem, ob die finanziellen Konsumentnahmewünsche der Eigentümer eher auf die Breite eines regelmäßigen Entnahmestroms oder auf gegenseitig kompensierbare Entnahmebeträge einzelner oder mehrerer Zeitpunkte (oder Zustände) abzielen, bietet die Investitionstheorie die Zielvarianten Einkommens- und Vermögensmaximierung an.9 Ein typisches Einkommensziel wäre ein gleichförmiger oder systematisch wachsender regelmäßiger Entnahmestrom, ein typisches Vermögensziel hingegen ein maximales Endvermögen. Als Nebenbedingungen können in beiden Fällen fix disponierte Entnahmen vorgesehen werden. Es erscheint nicht unrealistisch, dass sich die Unternehmenseigner über ihre Zielvorstellungen einigen und sie gegenüber der Unternehmensleitung äußern. Selbst auf der Hauptversammlung einer Publikumsaktiengesellschaft wäre es denkbar, alternative Zielmuster hinsichtlich der mehrheitlich gewünschten Relation von regelmäßiger Ausschüttung und investiver Thesaurierung zur Abstimmung zu stellen.
8 9
Vgl. Hering, Th., Unternehmensbewertung, 2006, S. 153-163. Vgl. Hering, Th., Investitionstheorie, 2003, S. 19-22.
41
Hering
Wenngleich das investitionstheoretische Steuerungsziel die Dimension eines Zahlungsstroms besitzt und sich darum unmittelbar Zahlungen als Rechengröße anbieten, ist es grundsätzlich möglich, auch die zur Periodenerfolgsmessung im internen Rechnungswesen und Controlling üblichen Gewinngrößen zur Rechnung heranzuziehen. Dabei muss lediglich der unter dem Namen Lücke-Theorem bekannte Zusammenhang zwischen dem entscheidungsrelevanten Zahlungs- und dem konsistent dazu berechneten Gewinnstrom beachtet werden.10 Zumindest für die Bemessung der erfolgsabhängigen Steuerzahlungen sind ohnehin Nebenrechnungen erforderlich, die auch auf (steuer)bilanzielle Daten zurückgreifen. An dieser Stelle tritt die zentrale Informationsversorgungsfunktion des Controllings deutlich hervor. Bei der Diskussion von Ziel- und Rechengrößen im wertorientierten Controlling wird häufig die Prinzipal-Agenten-Theorie ins Spiel gebracht und gegen die investitionstheoretische Steuerung eingewandt, diese suche eine sogenannte „erstbeste“ Problemlösung, während doch aufgrund des allfälligen Opportunismus der beauftragten Entscheidungsträger vielmehr nur eine „zweitbeste“ Lösung anzusteuern sei.11 Der Einwand möglicher eigennütziger Manipulationen eines Controllingsystems durch unbeobachtete Handlungen der angestellten Unternehmensleitung sowie tieferer Hierarchiestufen ist sicherlich gewichtig und rechtfertigt umfangreiche Forschungsbemühungen zur Verbesserung der Unternehmensverfassung und zur optimalen Gestaltung von Führungs-, Anreiz- und Entlohnungssystemen. Dennoch darf darüber die eigentliche Aufgabe des wertorientierten Controllings nicht aufgegeben werden, das bei ehrlichem und loyalem Verhalten der Mitarbeiter erzielbare Optimum anzusteuern. Eine Betriebswirtschaftslehre, die Täuschung und Betrug in den Mittelpunkt sämtlicher Modellierungsansätze stellte, wäre sicherlich entartet, indem sie den unerwünschten, unlauteren oder kriminellen Abweichungsfall zum Normalfall erklärte. Zu einem realistischen Menschenbild gehören aber neben einzelnen eigensüchtigen Regelverletzern immer noch in großer Zahl auch der ehrbare Kaufmann und der pflichtbewusste Angestellte, wie sie übrigens auch in der bewährten externen Rechnungslegung nach dem HGB zugrunde gelegt werden. Eine Wirtschaft, in der hingegen Treu und Glauben nichts mehr gelten und Heere von Juristen an „wasserdichten Verträgen“ zimmern, wird auch durch mehrtausendseitige Folianten detailliertester internationaler Rechnungslegungsvorschriften oder pathetische Selbstverpflichtungen zur sog. „Good Corporate Governance“ nicht vor dem Niedergang bewahrt werden. Die ungebrochene Konjunktur der agenturtheoretischen Modelle erweist sich in diesem Lichte eher als Symptom oder Begleiterscheinung denn als Medizin für wirtschaftliche (und soziale) Fehlentwicklungen. Somit wird im Folgenden weiter nach potentiell optimalen und nicht nach lediglich „zweitbesten“ Lösungen der Unternehmenssteuerung gesucht.
10 11
42
Vgl. Lücke, W., Investitionsrechnungen, 1955; Hering, Th., Investitionstheorie, 2003, S. 236. Vgl. für einen Überblick z.B. Günther, Th., Controlling, 2004, S. 325-333.
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
2.2
Unvollkommener Kapitalmarkt und Unsicherheit
Ebensowenig, wie die Zielwahl trivial über den Markt vorgegeben werden kann (siehe Unterkapitel 2.1), helfen unter realistischen Bedingungen die neoklassischen Separationstheoreme bei der Suche nach der zieloptimalen Lösung weiter. Nur auf einem vollkommenen Kapitalmarkt wären dem Controlling die richtigen Steuerungszinsfüße für sämtliche dezentralen Kapitalwertberechnungen als externe Marktzinssätze gegeben und damit alle Investitions-, Finanzierungs- und Konsumentscheidungen im Unternehmen voneinander trennbar (Fisher-Separation). Fast alle Unternehmen, insbesondere der komplette Mittelstand, agieren jedoch – im Prinzip genau wie alle Privatleute – auf mehr oder minder unvollkommenen Kapitalmärkten, auf denen regelmäßig erhebliche Transaktionskosten, spürbare Spreizungen zwischen Soll- und Habenzinssätzen sowie ernsthafte unternehmensindividuelle Eigenkapital-, Kredit- und infolgedessen Liquiditätsengpässe beobachtbar sind. Dass Finanzierungskonditionen immer bonitätsspezifischer angepasst werden, hat die Wirtschaft vor allem den sog. Basel-II-Vereinbarungen zu verdanken, welche zunehmend dazu führen, beiderseits verlässliche, vertrauensvolle Hausbankbeziehungen durch schematisch angewandte Rechenmodelle der Risikosteuerung abzulösen. Dadurch steigen die betriebswirtschaftlichen Anforderungen an das wertorientierte Controlling erheblich, denn optimale Investitions- und Finanzierungsentscheidungen erfordern unter diesen in der Realität gegebenen Umständen eine subtile Koordination durch nunmehr endogene, also unternehmensinterne Grenzzinsfüße. Aufgrund des bekannten Dilemmas der wertmäßigen Kosten muss dabei auf Erkenntnisse aus der Simultanplanung zumindest heuristisch zurückgegriffen werden, denn bekanntlich lässt sich die mathematische Komplexität eines Problems durch Dekomposition nicht überlisten.12 Vollends komplex gestaltet sich das wertorientierte Controlling aber erst dadurch, dass Dispositionen über zukünftige Zahlungsströme naturgemäß mit größter Unsicherheit einhergehen. Wie Abbildung 2-1 zusammenfassend verdeutlicht, versuchen die Ansätze der Finanzierungstheorie, diesem von Kant als unlösbar erkannten Grundproblem um den Preis „heroischer“, geradezu tollkühner Annahmen beizukommen. Um unsicherheitsbehafteten Zahlungsströmen im Kapitalmarktgleichgewicht eindeutige Werte zuordnen zu können, muss gleichsam davon ausgegangen werden, dass über dem ganzen Raum künftig möglicher Umweltzustände bereits ein lückenloses Raster sogenannter „reiner Wertpapiere“ mit bekannten und unveränderlichen Marktpreisen liegt. Letztlich kann also nur bewertet werden, was sich durch Bekanntes nachbilden lässt. Noch engere Annahmen führen auf spezielle Modelle wie das CAPM, welches geradezu das „goldene Kalb“ der angelsächsisch geprägten Vertreter des wertorientierten Controllings darstellt. 12
Zum vollkommenen versus unvollkommenen Kapitalmarkt vgl. Hering, Th., Investitionstheorie, 2003, S. 22-34, 131-142.
43
Hering
Abbildung 2-1:
Modellhierarchie unter Unsicherheit13
Zustands-Grenzpreismodell Ergebnis: Grenzpreis p*
Zustände = Zeitpunkte Approximative Dekomposition
Arbitragefreie Bewertung
Ergebnis: Bandbreite p*
Ergebnis: Gleichgewichtspreis
Vollkommener Markt
13
44
Vollkommener und vollständiger Markt
Spezielle Annahmen
Risikoanalyse
Modigliani / Miller CAPM Optionspreismodelle
Ergebnis: Bandbreite p*
Ergebnis: Gleichgewichtspreis
Investitionstheorie
Finanzierungstheorie
Entscheidungsmodelle bei vollkommenem oder unvollkommenem Markt
Gleichgewichtsmodelle bei vollkommenem und vollständigem Markt
Ziel: Subjektiver Grenzpreis p*
Ziel: Objektiver Marktpreis im Gleichgewicht
Quelle: Hering, Th., Unternehmensbewertung, 2006, S. 249.
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
Demgegenüber tritt die Investitionstheorie mit dem Anspruch an, das individuelle Entscheidungsfeld und die individuelle Zielsetzung des Entscheidungssubjekts zumindest grob zu modellieren und dafür lieber den ohnehin nicht einlösbaren Anspruch punktgenauer Bewertungen aufzugeben. Für das im Kapitel 1 definierte wertorientierte Controlling ist mithin der obere linke Kasten der Abbildung 2-1 relevant. Das heuristische Investitionsrechen- und Unternehmensbewertungsverfahren der approximativen Dekomposition verbindet das investitionstheoretische Hax-Modell des unvollkommenen Kapitalmarkts mit unsicherheitsaufdeckenden Instrumenten der Sensitivitäts- und Risikoanalyse sowie je nach Bedarf zusätzlich mit dem ZustandsGrenzpreismodell (ZGPM) der funktionalen Unternehmensbewertungstheorie. Selbstverständlich kann damit das Unsicherheitsproblem nicht beseitigt, sondern nur transparenter gemacht und der nicht formalisierbaren unternehmerischen Entscheidung zugeführt werden. Dies ist aber genau das, was ein wertorientiertes Controllingsystem leisten soll: Führungsunterstützung (Entscheidungsvorbereitung) durch Informationsbeschaffung und methodengestützte Koordination zentraler und dezentraler Teilentscheidungen.
3
Gestaltung des wertorientierten Controllings
In diesem Kapitel wird die approximative Dekomposition als Investitionsrechnungsbzw. wertorientiertes Controllingsystem kurz vorgestellt. Da das Grundmodell schon 1995 und Erweiterungen 1999 publiziert wurden, soll der Leser hier nicht mit zu vielen Wiederholungen traktiert werden. Um die Darstellung kompakt zu halten, mögen vor allem Abbildungen für sich sprechen, die teilweise aus Übertragungen und Verallgemeinerungen des Grundmodells auf erweiterte Problemstellungen stammen. Abbildung 3-1 verdeutlicht zunächst die grundsätzliche Planungshierarchie: Es wird – im Wesentlichen nach Projektumfang und strategischer Bedeutung – getrennt zwischen zentral und dezentral in den Divisionen zu fällenden Investitions-, Finanzierungs- und Bewertungsentscheidungen. Zentrale Entscheidungen sind anhand sehr übersichtlicher kleiner Totalmodelle des Hax- bzw. ZGPM-Typs (Basisansatz bzw. Bewertungsansätze) zu fällen, während die große Masse dezentraler Entscheidungen in den Divisionen stattfindet, die sich dazu der einfachen Partialmodelle Kapitalwert (für Vorteilhaftigkeitsentscheidungen) und Ertragswert (für Bewertungs-, also Grenzpreisentscheidungen) sowie der simulativen Risikoanalyse derselben bedienen. Die vom Controlling zu leistende entscheidende Koordination zwischen beiden Hierarchieebenen geschieht in einem rückgekoppelten Verfahren, welches wiederum im Ganzen der stetigen Revision durch einen rollierenden Planungsrhythmus unterliegt.
45
Hering
Gesteuert wird „von oben nach unten“ mit Lenkpreisbandbreiten, also durch Sensitivitätsanalysen ermittelten Intervallen für die endogenen Grenzzinsfüße und ggf. für sonstige Restriktions-Schattenpreise aus den Zentralmodellen. Die Rückkopplung der Divisionen erfolgt „von unten nach oben“ durch Übermittlung der aus ihren dezentralen Entscheidungen resultierenden Bandbreiten für Zahlungsmittelbedarf oder Finanzüberschuss. Die gemeldeten Zahlungsreihen verändern die in den Zentralmodellen angesetzten fixen Zahlungssalden und womöglich dadurch wiederum die Lenkpreisintervalle, wobei der Effekt durch das Unsicherheitsproblem stark gedämpft wird. Das Verfahren bricht ab, wenn entweder die Divisionen keine geänderten Entscheidungen mehr melden oder die Zentrale keine geänderten Lenkpreisintervalle mehr feststellt. Es gilt dann bis zum nächsten Lauf der rollierenden Planung die zuletzt erreichte Entscheidungslage.
Abbildung 3-1:
Hierarchie der approximativen Dekomposition14
Zentrale • Basisansatz • Bewertungsansätze
Steuerungszinsfüße
Zahlungsreihen
Divisionen • Kapitalwertrechnungen • Ertragswerte
In der folgenden Abbildung 3-2 wird die Hierarchie noch etwas detaillierter dargestellt, wobei die Betrachtung auf Basisansatz und Kapitalwertrechnungen beschränkt bleibt. 14
46
Quelle: Hering, Th., Unternehmensbewertung, 2006, S. 146.
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
Abbildung 3-2:
Detailhierarchie der approximativen Dekomposition15 Zahlungsreihen aus der intradivisionalen Planung Zusammenstellung sich gegenseitig ausschließender Zahlungsreihen Steuerungszinsfußbandbreitenbestimmung
Vorselektion I eindeutig eindeutig sonstige unvorteilhafte Zahlungsreihen vorteilhafte Zahlungsreihen Zahlungsreihen
Vorselektion II potentielle Grenzobjekte
sonstige Zahlungsreihen
Investitions- und Finanzplanung Zentrale
Variable
Konstante
„optimale“ Zinsfüße und vorteilhafte Projekte
Steuerungszinsfüße anfänglich geschätzt danach berechnet
Kapitalwertberechnungen Divisionen
vorteilhafte Projekte
unvorteilhafte sonstige vorteilhafte Zahlungsreihen Zahlungsreihen Zahlungsreihen
Die nachfolgende Abbildung 3-3 zeigt ein ausführliches Ablaufschema der Heuristik.
15
Quelle: Rollberg, R., Integrierte Unternehmensplanung, 2001, S. 181.
47
Hering
Abbildung 3-3:
Ablaufschema der approximativen Dekomposition16
Zentrale
Festlegung von Rahmenprogramm, Entnahmezielsetzung, Länge der Planungsperiode, Planungsrhythmus und -horizont sowie Kriterien für strategisch bedeutende und potentielle Grenzobjekte
Berücksichtigung der entscheidungsunabhängigen Parameter; Entscheidung über Aufnahme gemeldeter Objekte in das zentrale Modell
Hierarchiestufe
Potentielle Grenzobjekte, strategisch bedeutende Objekte und entscheidungsunabhängige Parameter
Divisionen
Qualitative und quantitative Vorselektion; pragmatische Ermittlung potentieller Grenzobjekte sowie Eruierung strategisch bedeutender Objekte
Konstante Zahlungs(saldierter Zahlungsüberschuß oder Finanzbedarf) und Zeitreihen (Nebenbedingungen) Planungsinstrumente: Totalmodell (Basismodell, linearer Optimierungsansatz); Sensitivitätsanalyse der zweiten Art Aufgaben: Ermittlung der Lenkpreisbandbreiten; Erzeugung von Ergebnisprotokollen; Entscheidung über Rückkopplung oder Abbruch
Entscheidung über zu realisierende Objekte des Totalmodells; Ermittlung geeigneter Grenzobjekte zur Einhaltung der Liquiditätsund anderer Restriktionen
16
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Planungsinstrumente: Partialmodell (Methode des (korrigierten) Kapitalwertes); simulative Risikoanalyse
Iteration Aufgaben: Dezentrale Investitionsrechnung; Treffen von klaren Entscheidungen für oder gegen ein Objekt
Lenkpreisbandbreiten (Knappheitspreise der Restriktionen); Zurückweisung nicht relevanter Objekte
Quelle: Hering, Th., Investitionstheorie, 2003, S. 339 nach einer Bildvorlage von Brösel, G., Medienrechtsbewertung, 2002, S. 192.
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
4
Würdigung des wertorientierten Controllings
Wertorientiertes Controlling kann, ausgehend von den Definitionen der betriebswirtschaftlichen Begriffe Controlling und Wert, als Entscheidungsunterstützung durch Informationsbereitstellung und Koordination im Hinblick auf die Auswahl vorteilhafter Zahlungsströme angesehen werden.17 Daraus ergibt sich einerseits eine große Nähe zur Theorie der Unternehmensbewertung und andererseits zur Investitionstheorie, deren Erkenntnisziel die finanzwirtschaftliche Beurteilung von Investitions- und Finanzierungsentscheidungen ist. Wert geschaffen wird also durch die Realisierung von Objekten mit positivem Kapitalwert, ergänzt um notwendige Grenzobjekte mit dem Kapitalwert null. Dadurch nimmt der von den Eigentümern konsumierbare Einkommens- oder Vermögensentnahmebetrag sein Maximum an. Der Gesamtwert des eigenen Unternehmens spielt dabei keine direkte Rolle, denn dieser ist lediglich für einen bestimmten Kauf- oder Verkaufsinteressenten zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt von Belang. Der Interessent mag durchaus andere Ansichten über die für das Unternehmen richtige Investitions- und Finanzierungspolitik hegen als die gegenwärtige Leitung oder Eignermehrheit. Einen für jedermann zu steigernden inneren Unternehmenswert „an sich“ gibt es nicht, wobei freilich davon auszugehen ist, dass die stetige Verwirklichung von Objekten mit aus Sicht der bisherigen Eigner und Unternehmensführung positivem Kapitalwert auch die Bewertungskalküle außenstehender Kaufinteressenten positiv beeinflussen kann. Der Wert bleibt jedoch grundsätzlich subjektiv und situationsbezogen. So klar diese Grundzusammenhänge der Bewertungstheorie sind, so wenig werden sie in vielen zeitgenössischen Quellen zur „wertorientierten Unternehmensführung“ beachtet.18 Sofern überhaupt Begriffsdefinitionen und Abgrenzungen zur bisherigen deutschen Literatur vorkommen, sind in den „wertorientierten“ Ausführungen häufig nur Spurenelemente der betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie zu finden. Als hätte es niemals eine subjektive oder funktionale Bewertungslehre gegeben und als existierte nicht mit der Investitionstheorie ein gerade in der deutschen Betriebswirtschaftslehre ausgefeiltes einschlägiges Gedankengebäude, werden von praxisorientierten Autoren und ihren theoretischen Begleitforschern immer neue Bewertungsformeln 17
Eine Gleichsetzung des wertorientierten Controllings mit dem sich möglicherweise aufdrängenden Begriff „Investitionscontrolling“ ist denkbar, soll aber hier unterbleiben, um das Investitionscontrolling bei Bedarf als eigenständigen Begriff einerseits enger (nur auf (Sach-) Investitionen bezogen und damit begrifflich auch ein Finanz(ierungs)controlling zulassend) und andererseits breiter (auf den ganzen Prozess der Anregung, Planung, Realisation und Kontrolle von Anlagen bezogen) definieren zu können. 18 Eine kurze Darstellung diverser „wertorientierter“ Modelle mit englischen Akronymen wie DCF, EVA und CFROI bieten Hering, Th./Vincenti, A.J.F., Wertorientiertes Controlling, 2004, S. 349-354.
49
Hering
postuliert und teilweise gar als Warenzeichen geschützt. Der analytische oder wenigstens heuristische Bezug dieser meist auf den Beratungsmarkt abzielenden Formeln zum finanziellen Konsummaximierungsziel der Eigentümer wird in aller Regel so wenig dargelegt wie die Einordnung der vorgeschlagenen Modelle in die – offenbar unbekannte oder als irrelevant eingestufte – deutsche Bewertungsliteratur. Dagegen sind die Anleihen aus der angelsächsischen Kapitalmarktgleichgewichtstheorie Legion, ohne dass jedoch eine kritische Reflexion der engen Anwendungsvoraussetzungen stattfindet. Zu den oben im Kapitel 2 skizzierten schwierigen, theoretisch wie für die Anwendung im Controlling relevanten Problemfeldern schweigt sich ein breiter „wertorientierter“ Literaturstrom komplett aus. Auch wenn die Investitionstheorie zur Lösung dieser Probleme keine Patentrezepte hat und lediglich Heuristiken wie die im Kapitel 3 präsentierte anbietet, muss sich die angelsächsisch geprägte Forschung an dem betriebswirtschaftlichen Problembewusstsein und der analytischen Stringenz der deutschen Bewertungsschule19 messen lassen.
19
50
Vgl. etwa Adam, D., Kostenbewertung, 1970; Hax, H., Investitionstheorie, 1985; Matschke, M.J./Brösel, G., Unternehmensbewertung, 2006.
Wertorientiertes Controlling aus Sicht der Investitionstheorie
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RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
PD Dr. Inge Wulf Vertreterin der Professur für Betriebswirtschaftslehre/Unternehmensrechnung, Institut für Wirtschaftswissenschaft, Technische Universität Clausthal, Julius-Albert-Straße 2, 38678 Clausthal-Zellerfeld
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Einleitung .......................................................................................................................... 55
2
Führungsinformationssysteme auf der Basis von Kennzahlensystemen.................. 56 2.1 Bedeutung und Aufbau des RL-Kennzahlensystems......................................... 56 2.2 Erweiterungsnotwendigkeiten im Hinblick auf immaterielle Potenziale ....... 59
3
Überlegungen zur Erweiterung des RL-Kennzahlensystems..................................... 61
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RL-Kennzahlensystem unter Berücksichtigung immaterieller Potenziale ............... 63
5
Fazit.................................................................................................................................... 66
Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 67
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RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
1
Einleitung
Der Jubilar hat sich in zahlreichen Publikationen intensiv mit der Weiterentwicklung betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme beschäftigt und hier vor allem das Rentabilitäts-/Liquiditäts-(RL-)Kennzahlensystem geprägt. Deswegen sei dieser Festschriftbeitrag der Frage gewidmet, welche Veränderungen des RL-Kennzahlensystems erforderlich sind, um die immer wichtiger werdenden immateriellen Potenziale sachgemäß mit einzubeziehen. Kennzahlen und Kennzahlensysteme spielen sowohl im externen Rechnungswesen für Analysezwecke als auch im internen Rechnungswesen für Führungsinformationszwecke eine große Bedeutung, da sie in prägnanter über betriebswirtschaftlich relevante Sachverhalte informieren. Als stringente Weiterentwicklungen des Jubilars sind vor allem die Einbeziehung von Erfolgsspaltung und Ergebnisbereinigung hervorzuheben. So bildet zum einen nicht das Jahresergebnis den Ausgangspunkt der Spitzenkennzahl des RL-Kennzahlenssystems, sondern das ordentliche Jahresergebnis mit der korrespondierenden Kapitalgröße. Zum anderen hat ein weiterer Aspekt seiner Forschungstätigkeit, nämlich die Ermittlung stiller Reserven bzw. Lasten mit entsprechender Ermittlung von sog. bereinigten Kennzahlen, zur Fortentwicklung des RLKennzahlensystems beigetragen. Darüber hinaus erfolgte eine Erweiterung des RLKennzahlensystems um wertorientierte Nachhaltigkeits- und Risikoaspekte. Geleitet von einem Hauptanliegen des Jubilars, eine möglichst zutreffende Abbildung des Unternehmens über aussagekräftige Kennzahlen(systeme) auszudrücken, ist festzustellen, dass weder in den Daten der externen Rechnungslegung noch in den überwiegend finanzzielorientierten Führungskennzahlen immaterielle Werte bzw. immateriale Potenziale ausreichend Berücksichtigung finden. Eine solche Erweiterung ist insofern notwendig, da immaterielle Potenziale als zentrale Erfolgsfaktoren für die zukünftige unternehmerische Entwicklung gelten. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von immateriellen Potenzialen soll der vorliegende Beitrag, Möglichkeiten zur Erweiterung des RL-Kennzahlensystems als Führungsinformationssystem aufzeigen, die eine möglichst weitgehende rechnerische und sachlogische Einbeziehung von immateriellen Potenzialen und somit eine ergebnisziel-, finanzziel- und potenzialorientierte Beurteilung erlauben. Zunächst werden einführend die Bedeutung und die Ausgestaltung des RL-Kennzahlensystems dargestellt und Überlegungen zur Erweiterung um immaterielle Potenziale aufgezeigt.
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Wulf
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Führungsinformationssysteme auf der Basis von Kennzahlensystemen
2.1
Bedeutung und Aufbau des RLKennzahlensystems
Kennzahlensysteme sind als Führungsinformationsinstrument insofern von großer Bedeutung, als sie komplexe betriebswirtschaftliche Sachverhalte in konzentrierter Form sachgemäß erfassen.1 Kennzahlensysteme können als Rechen- oder Ordnungssystem sowohl ein- als auch mehrdimensional ausgestaltet sein.2 Seit der Entwicklung des DuPont-Kennzahlensystems, Return on Investment (RoI),3 im Jahre 1919 basierten die Entwicklungen bis ca. 1980 im Wesentlichen auf Differenzierungen oder Ergänzungen dieses Kennzahlensystems. Die auf eine Spitzenkennzahl basierenden Kennzahlensysteme sind rechnerisch zergliedert und ggf. um weitere Spitzenkennzahlen ergänzt worden; so z.B. das Ende 1950 in Frankreich entwickelte Ratios au Tableau de Bord, das einen starken Fokus auf nicht-finanzielle Kennzahlen besitzt.4 Neben dem ZVEI-Kennzahlensystem5 aus dem Jahre 1970 ist das 1976 Rentabilitäts-Liquiditäts (RL-)Kennzahlensystem6 eine nennenswerte Entwicklung im deutschsprachigen Raum, das über ein reines Rentabilitätssystem hinaus den Aspekt der Liquidität berücksichtigt. Durch die zunehmende Ausrichtung zum Shareholder Value entstanden seit 1980 Konzepte zur wertorientierten Unternehmensführung, wozu u.a. EVATM oder ROCE zählen. Damit einhergehend ist eine Abkehr von der alleinigen Konzentration auf finanzielle Kennzahlen zu beobachten, so dass zunehmend nicht-finanzielle Kennzahlen Berücksichtigung finden. Mit der Qualitätsmanagementbewegung wurde bspw. das
1 2 3 4 5 6
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Vgl. z.B. Bartram, W.: Umsatz-Rentabilität, 1996, S. 393-403; Lachnit, L.: Kennzahlensysteme, 1976, S. 216-230. Vgl. Lachnit, L.: Kennzahlensysteme, 1976, S. 222. Vgl. E.I. Du Pont de Nemours and Company: DuPont Chart System, 1959; Staehle, W.H.: Kennzahlensysteme, 1969, S. 69-72. Vgl. Lauzel, P./Cibert, A.: Tableau de Bord, 1959. Vgl. Betriebswirtschaftlicher Ausschuss des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) e.V. (Hrsg.): ZVEI-Kennzahlensystem, 1989. Vgl. Reichmann, T./Lachnit, L.: Kennzahlen, 1976, S. 705-723 sowie Lachnit, L.: RLKennzahlensystem, 1998, S. 20-44; Reichmann, T./Lachnit, L.: Kennzahlen, 1976, S. 711-723; Reichmann, T.: Controlling mit Kennzahlen, 2001, S. 65-71.
RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
EFQM-System7 etabliert. Eine weitere Entwicklung stellten in den 90er Jahren die Systeme dar, die neben finanziellen Kennzahlen ergänzend die Perspektiven Kunden, Geschäftsprozesse und Humankapital einbinden. Dazu zählen in der ersten Generation der Skandia-Navigator8 und die Balanced Scorecard.9 Die Auswahl und Strukturierung der verschiedenen Kennzahlenwerke sind jeweils zweckorientiert ausgerichtet. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf das erfolgs- und liquiditätsorientierte RLKennzahlensystem und versucht wertorientierte Kennzahlen in das System einzubinden. Im Gegensatz zum ROI-Kennzahlensystem werden mit dem RL-Kennzahlensystem neben führungsrelevanten Größen zur nachhaltigen Sicherung des Erfolgs auch Größen zur nachhaltigen Sicherung der Finanzen abgebildet. Konzeptionell umfasst das RL-Kennzahlensystem einen allgemeinen Teil und Sonderteile, wie die folgende Grundstruktur veranschaulicht:
Abbildung 2-1:
Grundstruktur des RL-Kennzahlensystems 10 R-L-System Rentabilitätskomponenten
A. Allgemeiner Teil: gesamtunternehmensbezogene R-L-Führung
B. Sonderteil 1: produktbezogene R-L-Führung
C. Sonderteil 2: bereichebezogene R-L-Führung
7 8 9 10
Liquiditätskomponenten
Ordentliches Gesamtkapital Jahresergebnis Cash Flow Finanzfluss- BilanzLiquide Ergebnis Gesamtvermögen kennzahlen kennzahlen Mittel
Ordentl. Ordentl. Finanz- BetriebsBetriebs- Finanz- vermögen vermögen ergebnis ergebnis produktbezogene Kennzahlen, z.B. • Umsatzanteile • Auftragsbestände • Erfolge • Vermögenseinsatz • Rentabilität • Deckungsbeiträge • Kostenstrukturen bereichebezogene Kennzahlen über • Input • Output • Potentiale • Prozesse, Effizienzen • Umfeld bereichebezogene Budgets
produktbezogene Kennzahlen, z.B. Umsatz - zahlungsbegleitete variable Kosten - zahlungsbegleitete fixe Kosten = Cash Flow-Deckungsbeitrag bereichebezogene Kennzahlen über • Einnahmen • Ausgaben • Vermögens- und Kapitalausstattung bereichebezogene Budgets
Vgl. European Foundation for Quality Management: EFQM-Modell, 1999. Vgl. Edvinsson, L./Brüning, G.: Aktivposten Wissenskapital, 2000. Vgl. Kaplan, R. S./Norton, D.P.: Balanced Scorecard, 1997. Entnommen aus Lachnit, L.: RL-Kennzahlensystem, 1998, S. 25.
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Wulf
Der allgemeine Teil des RL-Systems umfasst die gesamtunternehmensbezogenen Kennzahlen zur Erfolgs- und Finanzlenkung, die unabhängig vom Unternehmenstyp als Führungsinformationen benutzt werden können. Der Sonderteil des RL-Systems dient der unternehmensspezifischen Ergänzung und konkretisierten Umsetzung der Rentabilitäts- und Liquiditätsdaten. Es handelt sich hierbei um die teilbetrieblichen Lenkungsfelder, die insbesondere als produkt(gruppen)-bezogene und als auf organisatorische Einheiten bezogene Planung, Steuerung und Kontrolle zur Führungsaufgabe werden.11 Die folgenden Ausführungen beschränken sich allerdings nur auf den allgemeinen Teil des RL-Kennzahlensystems. Dem RL-Kennzahlensystem liegt teils eine mathematische Rechenlogik, teils eine sachliche Zugehörigkeitslogik zugrunde. Durch diese Kombination von mathematischem und heuristischem Strukturierungsvorgehen wird erreicht, dass mathematische Stringenz und sachliche Vollständigkeit zusammenwirken, was Aussagekraft und Flexibilität des Kennzahlensystems erhöht.12 Die zentralen Größen im Rentabilitätsteil des RL-Systems sind das ordentliche Ergebnis und die daraus ableitbaren Rentabilitäten von Gesamtkapital, Betriebsvermögen und Finanzvermögen. Eine rentabilitätsorientierte Unternehmensführung darf aber, z.B. wegen der Zusammenhänge mit Jahresabschluss und Kapitalmarkt oder wegen der langfristig durchaus relevanten Auswirkungen unregelmäßiger bzw. außerordentlicher Sachverhalte auf die Rentabilität des Unternehmens, nicht nur die Rentabilität aus ordentlichem Ergebnis beachten, sondern muss auch Eigenkapitalrentabilität und Gesamtkapitalrentabilität auf Basis des gesamten Jahresergebnisses in die Überlegungen einbeziehen. So gibt das ordentliche Ergebnis als Zentralstück der Rentabilitätsberechnung in absoluten Beträgen keine hinreichende Auskunft über die Erfolgskraft des Unternehmens, vielmehr muss der Absolutbetrag in Relation zu dem damit verbundenen Kapital- bzw. Vermögenseinsatz gesehen werden. Diese Ergebnisrendite ist zu trennen nach Betriebs- und Finanzinvestitionen, da das Ausmaß finanzieller Engagements bei Unternehmen eine immer größere Bedeutung erlangt. Dabei können sich allerdings gewisse Abgrenzungsprobleme ergeben.13 Der Liquiditätsteil des RL-Kennzahlensystems fokussiert die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Als Spitzenkennzahl steht für die Steuerung der Liquidität der Bestand an liquiden Mitteln. Im Einzelnen sind beständebezogene und bewegungsbezogene Determinanten zu unterscheiden und in Kennzahlen auszudrücken.14 Insgesamt bietet das RL-Kennzahlensystem für die Unternehmensführung fundierte Aussagen im Hinblick auf die Kalküle Erfolg und Finanzen. Kennzahlen sind aber grundsätzlich in undifferenzierter Form für Zwecke der Unternehmensführung 11 12
Vgl. Lachnit, L.: RL-Kennzahlensystem, 1998, S. 24-26. Vgl. Lachnit, L.: RL-Kennzahlensystem, 1998, S. 24-26; Reichmann, T.: Controlling mit Kennzahlen, 2001, S. 72-73; Reichmann, T./Lachnit, L.: Kennzahlen, 1976, S. 711-723. 13 Vgl. Lachnit, L./Ammann, H.: Finanzergebnis, 1995, S. 1281-1288. 14 Vgl. ausführlich Lachnit, L.: RL-Kennzahlensystem, 1998, S. 27.
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RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
höchst problematisch.15 Um vor allem die ROI-Zusammenhänge des Unternehmens mit dem Kennzahlensystem wirkungsvoll planen, steuern und kontrollieren zu können, sind daher etliche Umgestaltungen bezüglich Inhalt der Kennzahlen und Baustruktur des Systems nötig. Neben der Aufteilung des Jahresergebnisses in ein Betriebs- und Finanzergebnis sowie ein unregelmäßiges und außerordentliches Ergebnis, ist zu beachten, dass die Wertansätze für Ergebnis und Vermögen bzw. Kapital im Controllingsystem für Zwecke der Rentabilitätsführung bzw. zur Beurteilung der wirtschaftlichen Effizienz des Werteeinsatzes eine zeitnahe und vollständige Werteabbildung erfordern. Die Ermittlung der Kennzahlen hat daher auf betriebswirtschaftlich sachgemäßer Basis zu erfolgen.16 Dies bedeutet auch, dass die zugrunde liegenden Daten möglichst auf Marktzeitwerten basieren sollten, so dass eine entsprechende Bereinigung der Erfolgs- und Vermögens- bzw. Finanzgrößen vorgenommen werden sollte.17 Spezielle Erweiterungen sind vor allem bezüglich immaterieller Potenziale erforderlich.
2.2
Erweiterungsnotwendigkeiten im Hinblick auf immaterielle Potenziale
Unter immateriellen Potenzialen werden alle Güter subsumiert, die keine wesentliche materielle Substanz aufweisen, nicht monetär sind und Träger von nachhaltigen Nutzenzuflüssen für das Unternehmen darstellen, wie z.B. das Human-, Struktur- und Beziehungskapital. Bedingt durch den strukturellen Wandel weg von arbeits- und kapitalintensiven hin zu informations- und wissensintensiven Aktivitäten der Dienstleistungs- und Hochtechnologiegesellschaft bzw. Informations- und Wissensgesellschaft verlieren die klassischen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital immer mehr an Bedeutung, während die immateriellen Produktionsfaktoren einen Bedeutungszuwachs erfahren. Dieser Wandel bringt eine Verschiebung von Sach- und Finanzvermögen hin zu immateriellen Potenzialen mit sich. Daher ist eine umfassende Unternehmensabbildung im Rechnungswesen unter Einbezug von nachhaltigen, zukunftsorientierten, für das Unternehmen relevanten Daten über die immateriellen Potenziale erforderlich, um Fehlentscheidungen aufgrund einer unzureichenden Informationsbasis über immaterielle Potenziale zu vermeiden. Eine wichtige Aufgabe des Rechnungswesens besteht demzufolge darin, nichtmonetäre und zunächst nicht-quantitative Daten in entsprechende Wertgrößen zu transformieren, um eine ganzheitliche ergebnisziel-, finanzziel- und potenzialorien15 16
Vgl. Lachnit, L.: Bilanzanalyse, 2004, S. 47. Zur Verwendung der Spitzenkennzahl ROTA (Return on Total Assets) vgl. Lachnit, L./Müller, S.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 273 und zur Verwendung von TRoTA (Total Return on Total Assets) vgl. Müller, S.: Management-Rechnungswesen, 2003, S. 272-291. 17 Vgl. Lachnit, L.: Bilanzanalyse, 2004, S. 220; Wulf, I.: Stille Reserven, 2001, S. 144-147.
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tierte Beurteilung zu ermöglichen. Dabei muss sich die Unternehmensführung bewusst werden, dass es nicht vordergründig das Ziel sein kann, Buchhaltungszahlen zu optimieren. Vielmehr sind die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge von Investitionen in immaterielle Potenziale auf entsprechende Erfolgsgrößen, z.B. Jahresergebnis, NOPAT oder Cashflow, transparent zu machen und zu kommunizieren, damit effektive Steuerungsmaßnahmen zur nachhaltigen Erfolgsgenerierung angesetzt werden können. In diesem Sinne ist eine zentrale Kritik an den traditionellen Kennzahlensystemen, dass diese sich zu sehr auf finanzielle Ergebnisse konzentrieren, was mit dem Nachteil verbunden ist, dass Sachzieldimensionen, wie bspw. die Kundenorientierung, keine ausreichende Berücksichtigung finden.18 Tatsächlich sind den finanziellen Größen aber strategische Erfolgsfaktoren vorausgelagert, z.B. Service oder Produktqualität als Ausdruck der immateriellen Potenziale, die sich bspw. über die Kundenzufriedenheit – höherer Umsatz und Kostenreduzierung über Degressionseffekte - auf die finanziellen Erfolgsgrößen auswirken. Ein umfassendes Kennzahlensystem muss demnach neben finanziellen auch nicht-finanzielle Kennzahlen berücksichtigen. Die folgende Abbildung veranschaulicht diese notwendige, erweiterte Sichtweise:
Abbildung 2-2:
Finanzielle und nicht-finanzielle Kennzahlen zur Einbeziehung immaterieller Potenziale in Führungskennzahlensysteme (Auswahl)
Beziehungskapital Servicequalität Humankapital
Strukturkapital
Umsatz (-wachstum) Kundenzufriedenheit
Produktqualität
Erfolgsbeitrag (Ergebnis, Cash Flow)
Kosten(reduzierung)
Effekt auf Erfolgsfaktoren/ Werttreiber
Effekt auf Kunden und Märkte
Effekt auf den Unternehmenswert
Investition in immaterielle Potenziale
t0
...
tX Finanzielle Kennzahlen
Nicht-finanzielle Kennzahlen
Während die klassischen Führungskennzahlen primär finanzieller Natur sind, basieren Kennzahlen zur Steuerung von immateriellen Potenzialen überwiegend auf qualitativen Größen und sind somit zumeist nicht-finanzieller Natur, wie z.B. die
18
60
Vgl. Gleich, R.: Performance Measurement, 2001, S. 6.
RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
Kundenzufriedenheit u.ä.. Um eine vollständige Darstellung der erfolgs- und finanzwirtschaftlichen Unternehmenslage unter Berücksichtigung aller wertschöpfenden Bereiche in Form eines umfassenden Kennzahlensystems zu erreichen, ist eine Erweiterung der auf finanziellen Kennzahlen basierenden Führungssysteme um nichtfinanzielle Kennzahlen notwendig.19 Konzeptionell bietet sich auf der Basis des RLKennzahlensystems eine Erweiterung um wertorientierte Steuerungsgrößen an, die mit Erfolgsfaktoren der immateriellen Potenziale verknüpft werden.
3
Überlegungen zur Erweiterung des RLKennzahlensystems
Ausgehend von der Erkenntnis, dass sich die immateriellen Potenziale wertmäßig im Wesentlichen aus der Differenz zwischen Unternehmenswert und zum Marktzeitwert bewertetem investiertem Vermögen, sprich dem MVA (Market Value Added) ergeben, wird der MVA als eine zentrale Größe in das RL-Kennzahlensystem aufgenommen. Auf diese Weise wird zusätzlich zur Rentabilität und Liquidität der Sachverhalt der Wertorientierung berücksichtigt. Diese erweiterte Sicht des Kennzahlensystems wird im Folgenden RLW-Kennzahlensystem genannt. Die integrierte Gesamtbetrachtung von Rentabilität, Liquidität und Wertorientierung erfordert, dass zur Unterstützung des Managements als erweiterte Sicht die Ursachen und Wirkungen der Wertschöpfung - ausgedrückt über Kennzahlen bzw. Indikatoren in Form von Werttreiberhierarchien deutlich gemacht werden.20 Bei der Erfassung ist eine Fokussierung auf wichtige, aussagekräftige Kennzahlen bzw. Indikatoren notwendig, um eine effiziente und effektive Unternehmenssteuerung zu erreichen. Da sowohl Rentabilitäts- und Liquiditätskennzahlen als auch wertorientierte Kennzahlen als Spitzenkennzahlen im Kennzahlensystem zu berücksichtigen sind, bietet sich als Aufbau ein mehrdimensionales Rechensystem an, dass neben formallogischen (mathematisch) auch sachlogische (vermutete Ursache-Wirkungs-Beziehungen) Verknüpfungen umfasst. In diesem Sinne ist das RLW-Kennzahlensystem analog dem RLKennzahlensystem als Ordnungssystem zu verstehen.21 Während es sich bei den Rentabilitäts- und Liquiditätskennzahlen primär um Daten auf der Basis des Rechnungswesens handelt, sind bei den wertorientierten Kennzahlen auch zukunftsorientierte 19
Teilweise existieren mit der Balanced Scorecard bereits Umsetzungen; vgl. Kaplan, R. S./Norton, D.P.: Balanced Scorecard, 1997. 20 Vgl. Weber, J./Bramsemann, U./Heineke, C./Hirsch, B.: Wertorientierte Unternehmenssteuerung, 2004, S. 31-32. 21 Auch das RL-Kennzahlensystem stellt trotz rechentechnischer Verknüpfungen ein Ordnungssystem dar; vgl. Reichmann, T./Lachnit, L.: Kennzahlen, 1976, S. 710.
61
Wulf
Daten einzubeziehen, die in der Rentabilitäts- und Liquiditätskomponente nicht direkt zum Ausdruck kommen. Die wertorientierte Komponente umfasst zum einen die rechentechnischen Größen zur Ermittlung des MVA auf erfolgs- und cashflowbasierter Sicht, EVA, FCF und Kapitalkosten; zum anderen werden neben Risiken weitere Informationen über im Unternehmen vorhandene immaterielle Potenziale einbezogen. Die drei Spitzenkennzahlen sind analog dem RL-Kennzahlenssystem systematisch zu strukturieren, wie die folgende Abbildung zeigt:
Abbildung 3-1:
Konzeption des RLW-Kennzahlensystems Risiken Immaterielle Potenziale Rentabilitätskomponente
Liquiditätskomponente
Wertorientierte Komponente
gesamtunternehmensbezogene Kennzahlen, z.B. Allgemeiner Teil: Gesamtunternehmensbezogene Führung
• Ordentliches Ergebnis • Gesamtkapital/-vermögen • Jahresergebnis • ROI • Umschlagshäufigkeit • Aufwands-/Ertragsanalyse
• Liquide Mittel • Cashflow • Kapitalflussrechnung • Bilanzkennzahlen
• Unternehmenswert • MVA • Wertschöpfung der Periode (über EVA, CVA) • Potenzialportfolio
produktbezogene Kennzahlen, z.B. Sonderteil 1: Produktbezogene Führung
• Umsatzanteile • Auftragsbestände • Erfolge • Vermögenseinsatz • Rentabilität • mehrstufige Deckungsbeiträge • Kostenstrukturen
Produktumsatz - zahlungsbegleitete variable Kosten - zahlungsbegleitete fixe Kosten = CashflowDeckungsbeitrag
• Wertschöpfung der Periode (über EVA, CVA) • Erfolgsfaktoren des Human-, Beziehungs- und Strukturkapitals insb. betreffend Umsatz- und Kostentreiber
bereichebezogene Kennzahlen, z.B. Sonderteil 2: bereichebezogene Führung
• Input, Output • Potenziale • Prozesse, Effizienzen • Umfeld • bereichebezogene Budgets
• Einnahmen • Ausgaben • Vermögens- und Kapitalausstattung • bereichebezogene Budgets
• Wertschöpfung der Periode (über EVA, CVA) • Erfolgsfaktoren des Human-, Beziehungs- und Strukturkapitals insb. betreffend Umsatz- und Kostentreiber
Zur umfassenden Berücksichtigung von immateriellen Potenzialen erfolgt einerseits auf horizontaler Ebene eine Ergänzung der beiden bisherigen Spitzenkennzahlen Rentabilität und Liquidität um die dritte Spitzenkennzahl der Wertorientierung; andererseits ist auf vertikaler Ebene – durch die Hinterlegung von differenzierten finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen – eine Verknüpfung der Einflussfaktoren der immateriellen Potenziale an die Rentabilitäts-, Liquiditäts- und wertorientierte Komponente zu erreichen, was im Folgenden darzustellen ist.
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RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
4
RL-Kennzahlensystem unter Berücksichtigung immaterieller Potenziale
Im allgemeinen Teil zielt die wertorientierte Komponente des RLW-Kennzahlensystems auf die Werteschaffung des Unternehmens als Ganzes ab, die gleichberechtigt neben die beiden Spitzenkennzahlen Rentabilität und Liquidität tritt. Hierzu wird der Unternehmenswert als Spitzenkennzahl eingesetzt, da davon ausgegangen wird, dass auch die Eigenkapitalgeber an einer nachhaltigen, langfristigen Unternehmenswertsteigerung interessiert sind und keine kurzfristige Optimierung ihres Investments anstreben. Die Herleitung des Unternehmenswertes erfolgt über verschiedene Korrekturrechnungen mit Hilfe der DCF-Methode.22 Aus der Differenz des Unternehmenswertes und dem Marktwert des investierten Vermögens lässt sich der MVA ableiten. Dieser kann alternativ auch direkt über die Diskontierung zukünftiger EVATM ermittelt werden.23 Im Rahmen der wertorientierten Komponenten ist vorgesehen, beide MVAVarianten zu berechnen, so dass im Falle von bestehenden Differenzen eine Abweichungsanalyse erfolgen kann. Neben den mehrperiodischen Größen finden daher korrespondierend als einperiodische Größen der EVATM und der CVA Berücksichtigung. Die für die Berechnung notwendigen Basisgrößen lassen sich zum Teil aus den im RLKennzahlensystem enthaltenen Teilgrößen ableiten; zum Teil sind aber zusätzlich spezifische Kennzahlen für die Steuerung von immateriellen Potenzialen in das RLWKennzahlensystem zu integrieren. Im Wesentlichen können die finanziellen Daten aus der bereits existierenden integrierten Erfolgs- und Finanzplanung abgeleitet werden. Die folgende Abbildung zeigt die zusätzlichen Berechnungskomponenten für das um die wertorientierte Komponente erweiterte RL-Kennzahlensystem:
22 23
Vgl. z.B. Lorson, P.: Shareholder Value-Ansätze, 1999, S. 1329 – 1339 m.w.N. Zu Ableitung und Berechnung des MVA vgl. Eidel, U.: Verfahren, 2000, S. 77; Hostettler, S.: Führungsinstrument, 1995, S. 312.
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Abbildung 4-1:
Gesamtunternehmensbezogene wertorientierte Kennzahlen Beziehungskapital Strukturkapital Humankapital
Rentabilitätskomponente Eigenkapitalkosten risikofreier Zinssatz + ß (Beta-Faktor) * (Eigenkapitalmarkt-Zinssatz - risikofreier Zinssatz)
Fremdkapitalkosten Fremdkapitalzinsen * (1 – Steuerquote [s])
Investiertes Vermögen Bilanzsumme zum Zeitwert - nicht betriebsnotwendiges Vermögen zum Zeitwert
Wertorientierte Komponente Unternehmenswert
Liquiditätskomponente FCF
n
¦ FCF (1 WACC )
t
t
t 1
WACC
Brutto-Cashflow - (Zinszahlungen) - Investitionen
Eigenkapitalquote
EK-Zins * EK-quote + FK-Zins * FK-quote( 1-s)
Eigenkapital Gesamtkapital
MVA (Basis: Cashflow) Unternehmenswert - investiertes Vermögen
Fremdkapitalquote Fremdkapital Gesamtkapital
Brutto-Investitionsbasis Bilanzsumme + kum. Abschreibungen auf abnutzbarem SAV + Inflationsanpassung + kapitalisierte Miet- und Leasingkosten - Erworbene GFW – unverzinsliches Fremdkapital
Abgleich ROCE NOPAT investiertes Vermögen
EVA (ROCE – WACC) * Investiertes Vermögen
MVA (Basis: GuV) n
¦ EVA (1 WACCt )t t 1
CVA (CFROI – WACC) * Brutto-Investitionsbasis
CFROI Brutto-Cashflow (Bruttoinvestitionsbasis - ökonomische Abschreibung)
Börsenwert Aktienanzahl * Aktienkurs
Die beiden Komponenten Rentabilität und Liquidität bleiben in der Struktur des RLKennzahlensystems erhalten. Es werden lediglich weitere Kennzahlen für die wertorientierte Komponente eingefügt und rechentechnisch mit den Elementen der RLKennzahlen verknüpft. Zusätzlich werden für die drei Kategorien immaterieller Potenziale, Human-, Struktur- und Beziehungskapital, Kennzahlen bzw. Indikatoren hinterlegt. Ein zentrales Ziel des RLW-Kennzahlensytems ist es, die für immaterielle Potenziale relevanten Einflussgrößen auf die zentralen Berechnungsparameter des Unternehmenswertes bzw. des MVA strukturiert zu erfassen und mit geeigneten finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen zu hinterlegen. Eine zentrale Größe zur Ermittlung des Unternehmenswertes stellt der zukunftsorientierte Fortführungswert dar, dessen Ermittlung unabhängig davon, ob Multiplikatorverfahren oder mehrjährige Planungsreihen zur Anwendung kommen, mit Hilfe der iterativ-multiplen Prognose24 unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren von immateriellen Potenzialen erfolgen sollte. Bei dieser Prognosemethode werden verschiedene, singulär abgeleitete prognosetaugliche Einflussgrößen durch arithmetische Mitte24
64
Zur iterativ-multiplen Prognose vgl. Lachnit, L.: Multivariate Analyse- und Prognosemöglichkeiten, 1981, S. 595-600; Lachnit, L.: Umsatzprognose, 1992, S. 162-165.
RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
lung zur multiplen Prognose verdichtet. Die prognosetauglichen Einflussfaktoren können über Korrelationsrechnungen herausgefiltert werden. Nur jene Größen, die einen starken Zusammenhang mit der Prognosegröße aufweisen, werden für die weiteren Berechnungen berücksichtigt.25 Zur Einbeziehung der immateriellen Potenziale in die Ermittlung des Fortführungswertes sind die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge von immateriellen Potenzialen auf diese Größe zu betrachten. Es gilt gezielt zu untersuchen, welche Wirkungen die Veränderungen von immateriellen Potenzialen und ihnen zugrunde liegender Erfolgsfaktoren auf die Wertänderung des Fortführungswertes haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass teils ein direkter Einfluss und teils nur ein indirekter Einfluss auf die Erfolgsgröße vorliegt. Ein zentraler direkter Einfluss ist zumeist beim Kundenkapital gegeben, wie z.B. über das Kundenbeziehungsmanagement auf den Umsatz; eine eher indirekte Wirkung auf die Erfolgsgröße geht von den Erfolgsfaktoren des Human- und Strukturkapitals aus. Zudem ist zu beachten, dass sich Investitionen in immaterielle Potenziale ebenso wie Änderungen in der Bewertung der den immateriellen Potenzialen zugrunde liegenden Erfolgsfaktoren nicht sofort auf die unternehmerische Erfolgsgrößen auswirken, sondern erst mit einer zeitlichen Verzögerung. So können bspw. Bewertungsänderungen im Kundenbeziehungsmanagement im Folgejahr den Deckungsbeitrag beeinflussen; längerfristiger sind dagegen die Wirkungen bei Bewertungsänderungen der Erfolgsfaktoren des Humankapitals auf den Deckungsbeitrag, da diese den Deckungsbeitrag lediglich indirekt über das Kundenkapital beeinflussen. Die Anwendung der iterativ-multiplen Prognose hat zur Konsequenz, dass sich wesentliche Veränderungen der Prognose erst dann ergeben, wenn sich die Mehrzahl der prognostisch relevanten Faktoren spürbar in ein und dieselbe Richtung entwickelt. Es handelt sich um eine relativ robuste Prognosemethodik, die durchaus Veränderungen der Einflussgrößen aufnimmt, aber gegen Überreaktionen wegen partieller "Ausreißer" in den Einflussgrößen geschützt ist.26 Die Aufgabe des Controllings besteht in diesem Zusammenhang darin, die unternehmensspezifische Entwicklung und Ausgestaltung des Prognosesystems und die laufende Benutzungsbetreuung zu übernehmen, um Prognosen zur Verbesserung von Führungsentscheidungen im Unternehmen zu verankern. Überwiegend kann die Anbindung von Erfolgsfaktoren der immateriellen Potenziale daher nur auf qualitativer Basis, d.h. über nicht-finanzielle Kennzahlen erfolgen, so dass diese mit dem RLW-Kennzahlensystem sachlogisch zu verknüpfen sind.27 In aller Regel können nicht-finanzielle Kennzahlen erst nach mehreren rechentechnischen Aufteilungen der drei Spitzenkennzahlen als sog. operative Werttreiber identifiziert
25 26 27
Vgl. Lachnit, L.: Erfolgs- und Liquiditätsplanung, 1988, S. 90-91. Vgl. Lachnit, L.: Umsatzprognose, 1992, S. 162. In Anlehnung an Welge, M.K./Lattwein, J.: Value Scorecard, 2002, S. 459.
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werden und stehen dann in einem sachlogischen Zusammenhang zu den Kennzahlen der unmittelbar höheren Ebene.28
5
Fazit
Immaterielle Potenziale haben in der heutigen wissens- und informationsbasierten Wirtschaft immer mehr Bedeutung, so dass für die zieladäquate Ausgestaltung von Führungsinformationssystemen sogenannte weiche Faktoren, wie z.B. Kompetenz der Mitarbeiter, Markentreue, Kundenbeziehungen u.ä., eine immer wichtigere Rolle spielen. Neben klassischen Kennzahlen(systemen) werden im Controlling zum einen zunehmend wertorientierte Kennzahlen eingesetzt; zum anderen kommt der Balanced Scorecard immer mehr Bedeutung zu. Mit diesen beiden Instrumenten wird in gewisser Weise eine Berücksichtigung immaterieller Potenziale ermöglicht. Jedoch ist eine Unternehmenssteuerung allein auf der Basis wertorientierter Kennzahlen unzureichend, da noch keine umfassende Kopplung an immaterielle Potenziale bzw. deren Erfolgsfaktoren über Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge in Form von Werttreiberhierarchien erfolgt. Demgegenüber werden bei der Balanced Scorecard zwar explizit immaterielle Aspekte berücksichtigt, allerdings basiert dieses Instrument im Wesentlichen auf Indikatoren, so dass weder die monetäre Bewertung von immateriellen Potenzialen noch die Wirkung immaterieller Potenziale auf zentrale Unternehmenssteuerungsgrößen gelöst wird. Dieser Beitrag hat die Erweiterung des RL-Kennzahlensystems um eine wertorientierte Komponente, die wiederum mit führungsrelevanten Informationen zu immateriellen Potenzialen und deren Einflussgrößen auf zentrale Bewertungsparameter zur Ermittlung des Unternehmenswertes hinterlegt wird, gezeigt. Zu diesem Zweck sind zunächst die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen den Erfolgsfaktoren der immateriellen Potenziale und dem Fortführungswert als zentrale prognoserelevante Größen der wertorientierten Komponente herauszuarbeiten. Im nächsten Schritt kann unter Anwendung der iterativ-multiplen Regression eine sachlogische Verknüpfung der immateriellen Potenziale mit dem um die wertorientierte Komponente erweiterten RL-Kennzahlensystem erreicht werden. Für Führungszwecke ermöglicht die Berücksichtigung von Erfolgsfaktoren der immateriellen Potenziale eine transparente Ursachenforschung. Auf diese Weise können die Ursachen für Änderungen von Erfolgs-, Vermögens- und Finanzgrößen besser durchdrungen werden, was vor allem für die Ermittlung des Fortführungswertes im Rahmen der Ermittlung des Unternehmenswertes von Bedeutung ist.
28
66
Vgl. Sandt, J.: Performance Measurement, 2005, S. 434-435.
RL-Kennzahlensystem und immaterielle Potenziale
Literaturverzeichnis
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Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung als Instrument der Prognose und Simulation
Tim Krützfeldt Dezernent für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten der Universität Heidelberg, Seminarstraße 2, 69117 Heidelberg
1
Problemstellung................................................................................................................ 71
2
Konzeptionelle Grundlagen der integrierten Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung........................................................................................................ 72
3
Ausgestaltung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für Zwecke der Prognose und Simulation .................................................................... 74
4
Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung und Prognose .................................................................................................................... 78 4.1 Die Einbindung gegebener Prognoseinformationen in die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung .............................................. 78 4.2 Die Erweiterung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung um quantitative Prognoseverfahren ..................................................................... 80
5
Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung und Simulation ................................................................................................................. 82
6
Anwendungsfelder und -grenzen der vorgestellten Konzeptionen .......................... 84
7
Zusammenfassung ........................................................................................................... 86
Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 87
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Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
1
Problemstellung
Die Unternehmen sind heute vielfältigen und z. T. sehr dynamischen Veränderungsprozessen ausgesetzt. Aktuell zählen dazu beispielsweise die zunehmende Globalisierung des Wettbewerbs, verkürzte Produktlebenszyklen sowie deutliche Preissteigerungen bzw. Engpässe in der Energie- und Rohstoffversorgung. Um das Unternehmen auf Veränderungen solcher Art vorbereiten zu können, muss die Unternehmensführung die Auswirkungen der betreffenden Entwicklungen auf das Unternehmensgeschehen antizipieren. Die Prognose ist daher ein wesentliches methodisches Element des Führungsprozesses, das nicht allein in der Planungsphase, sondern in Gestalt von z. B. strategischer Überwachung und Früherkennung auch in der Kontrollphase Anwendung findet. Zwar steht für die Erstellung von Prognosen ein breites Spektrum quantitativer und qualitativer Verfahren zur Verfügung, das in den letzten Jahren insbesondere auch durch Techniken der Künstlichen Intelligenz erweitert wurde, jedoch ergibt sich bei der Prognose häufig das Problem, dass die betrachtete Entwicklung nicht punktuell wirkt, sondern in verschiedene Bereiche des Unternehmens ausstrahlt. Hinzu kommen Verstärkungs- und Kompensationseffekte, die andere, parallel verlaufende Entwicklungen verursachen und die erst durch eine gesamtheitliche Betrachtung deutlich werden. Diese Probleme stellen sich in ähnlicher Weise, wenn – im Sinne einer Simulation – die Auswirkungen bestimmter Handlungsalternativen ermittelt werden sollen. Um diese Problematik beherrschen zu können, ist ein Controllinginstrument erforderlich, das die relevanten Wirkungszusammenhänge erfasst und so die Voraussetzungen schafft, die unterschiedlichen Einflüsse in ihrer Gesamtwirkung beurteilen zu können. Ein zur Lösung des geschilderten Problems wertvoller Ansatz ist die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung, die sich durch eine gesamtheitliche Betrachtung und die Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen Erfolg, Liquidität und Vermögens- sowie Kapitalbeständen auszeichnet. Der vorliegende Beitrag soll verdeutlichen, in welcher Weise sich dieses Rechenwerk mit der Prognose kombinieren lässt. In die Betrachtung mit einbezogen werden auch sog. What-If-Simulationen, die den Prognosen nahe stehen und für deren Durchführung die integrierte Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung ebenfalls eine zweckmäßige Basis darstellt.
71
Krützfeldt
2
Konzeptionelle Grundlagen der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung
Wie auch die folgenden Ausführungen zeigen, kann die integrierte Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung in unterschiedlicher Weise ausgestaltet werden. Ungeachtet ihrer vielfältigen Erscheinungsformen bildet allerdings der sachlich-buchhalterische Zusammenhang von Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Finanzflussrechnung den konzeptionellen Kern dieses Ansatzes.1 Die folgende Abbildung veranschaulicht diesen Sachzusammenhang.
Abbildung 2-1:
Interdependenzen von Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Finanzflussrechnung2
Vorgang I.
Gewinn- und Verlustrechnung Aufwand Ertrag
Veränderungsbilanz Finanzflussrechnung + Aktiva + Passiva AusEin- Passiva - Aktiva zahlung zahlung
Erfolgszahlungen Erfolgseinzahlungen Erfolgsauszahlungen Nicht zahlungsbegleitete Erträge Nicht zahlungsbegleitete Aufwendungen
II. Investitions- und Finanzzahlungen Investitionsauszahlungen Kreditrückzahlungen Eigenkapitalauszahlungen Desinvestitionseinzahlungen Krediteinzahlungen Eigenkapitaleinzahlungen III. Erfolgssaldo IV. Liquiditätssaldo
Es wird deutlich, dass eine Veränderungsbilanz – gebildet aus den Bilanzen zweier aufeinander folgender Jahre (z. B. 2006 und 2007) – und die zugehörige Gewinn- und 1
2
72
Vgl. Buchmann, R./Chmielewicz, K. (Hrsg.): Finanzierungsrechnung, 1990, S. 19 - 27; Coenenberg, A. G.: Jahresabschlussanalyse, 2005, S. 764 - 794; Dellmann, K.: Finanzflußrechnungen, 1993, Sp. 2077 f., 2082 f.; Lachnit, L.: Unternehmensführung, 1989, S. 131 - 134. Vgl. Lachnit, L.: Finanzplanung, 2001, Sp. 896.
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
Verlustrechnung (z. B. 2007) alle erforderlichen Informationen enthalten, um eine Finanzflussrechnung für den betrachteten Zeitraum zu entwickeln. Aufgrund des systematischen Zusammenhangs ergibt sich die Finanzflussrechnung als logische Konsequenz aus den Zahlen der Gewinn- und Verlustrechnung und der Veränderungsbilanz.3 Beachtet man zusätzlich die Beziehungen, die zwischen Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung bestehen, so zeigt sich, dass die einbezogenen Kalküle aufgrund ihrer vielfältigen Interdependenzen ein eng verzahntes Rechenwerk bilden. Der Sachzusammenhang der Rechnungen hat zur Folge, dass Änderungen einer Rechnung korrespondierende Änderungen in den anderen Rechnungen bedingen, so dass im Ergebnis der betreffende Einfluss sowohl hinsichtlich seiner erfolgsbezogenen, wie auch seiner finanz-, vermögens- und kapitalbezogenen Auswirkungen erfasst werden kann. Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung lässt sich in unterschiedlichen Formen als Führungs- und Controllinginstrument nutzen. Neben der Konzeption als Istrechnung besteht die Möglichkeit, sie als Prognose- oder Planrechnung auszugestalten. Sie kann auf den Kalkülen des externen Rechnungswesens basieren (vgl. oben) und auch unter Einbezug interner Rechnungen, insbesondere der Kosten- und Leistungsrechnung, ausgestaltet werden. Zudem ist die Rechnung nicht auf eine organisatorische Ebene beschränkt. Vielmehr lässt sie sich für das Gesamtunternehmen ebenso umsetzen, wie für Unternehmensbereiche oder die übergeordnete Konzernebene und unterstützt insoweit auch die Integration von unterschiedlichen Organisationsebenen. Schließlich ist die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung hinsichtlich des zugrunde liegenden Zeitraums flexibel. D. h. die Rechnung kann sich auf unterjährige Zeiträume, Jahres- oder Mehrjahreszeiträume beziehen. Sofern die betreffenden Rechenwerke formal aufeinander abgestimmt sind, ist es möglich, die für unterschiedliche Zeiträume erstellten Rechnungen ineinander zu überführen, so dass unterschiedliche Berichts- bzw. Planungszeiträume miteinander verzahnt werden.4 Die besondere Bedeutung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für die Unternehmensführung zeigt sich zum einen darin, dass diese Rechnung mit Erfolg und Liquidität existenziell bedeutsame Unternehmensziele zum Gegenstand hat und daher für das Management einen hohen Informationswert besitzt. Zum anderen lässt sich mit den einbezogenen Rechenwerken in übersichtlicher Form das gesamte Unternehmen erfassen, da die Unternehmensprozesse regelmäßig mit Finanz-, Erfolgs-, Vermögens- oder Kapitaleffekten verbunden sind. Folgerichtig sind die Rechenwerke auch häufig Ausgangs- bzw. Zielpunkt anderer Berichts- und Planungsinstrumente, wie z. B. Budgetierungsrechnungen, Unternehmensplanungsmodellen und Kennzahlensystemen. Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung ermöglicht dadurch
3 4
Z. B. ergeben sich die Umsatzeinzahlungen im einfachsten Fall aus den Umsatzerlösen abzüglich der Bestandserhöhung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Vgl. Hahn, D./Hungenberg, H.: Controllingkonzepte, 2001, S. 616-620, 648-654; Lachnit, L./Müller, S.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 199 - 201.
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Krützfeldt
eine gesamtunternehmensbezogene Steuerung und kann die Koordination unternehmensbereichsspezifischer Aktivitäten wirksam unterstützen.5 Aufgrund der oben geschilderten Charakteristika empfiehlt sie sich nicht zuletzt auch als Lösungsansatz für die eingangs dargestellte Problematik.
3
Ausgestaltung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für Zwecke der Prognose und Simulation
Integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnungen können in ihren unterschiedlichen Varianten sowohl als Bestandteil einer umfangreichen ERP-Software6 wie auch als spezifische Softwarelösung7 erworben werden. Daneben lassen sich einfachere Formen dieser Rechnungen mit vertretbarem Aufwand auch unternehmensintern z. B. durch Mitarbeiter des Controllings erstellen. Als Softwarebasis kommen für diesen Zweck vor allem Tabellenkalkulationsprogramme in Betracht. Um die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für Prognose- und Simulationszwecke einsetzen zu können, sollte die verwendete Software in jedem Fall Anpassungen bzw. Erweiterungen der zugrunde liegenden Rechnungen ermöglichen und Schnittstellen besitzen, mit denen sich z. B. Prognosedaten in das Rechenwerk übernehmen lassen. Im Falle einer Istrechnung stellen konkrete Geschäftsvorfälle und deren buchhalterische Verarbeitung sicher, dass die erforderlichen Eingabewerte für die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung zur Verfügung stehen.8 Ein solcher Bezug ist im Falle der Prognose bzw. Simulation häufig nicht gegeben, so dass die Eingabewerte der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung auf andere Weise bestimmt werden müssen. Zwar könnten alle betroffenen Erfolgs- und Bilanzgrößen prognostiziert oder im Rahmen der Simulation vorgegeben werden, jedoch ist es häufig zweckmäßiger, ergänzende funktionale Beziehungen in die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung einzubinden, um auf dieser Basis rechnungsintern zusätzliche Werte
5
6 7 8
74
Vgl. Buchmann, R./Chmielewicz, K. (Hrsg.): Finanzierungsrechnung, 1990, S. 38 - 40; Lachnit, L./Müller, S.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 197 f., 201; Lachnit, L./Müller, S.: Risikocontrolling, 2003, S. 568 - 570. Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung wird beispielsweise durch die Strategic Enterprise Management-Komponenten von SAP unterstützt. Beispiele entsprechender Softwarelösungen finden sich u. a. bei Müller, S.: ManagementRechnungswesen, 2003, S. 371 - 395. So lösen z. B. Anlageinvestitionen in der Buchhaltung nicht allein die Buchung des Anlagenzugangs aus, sondern auch die Ermittlung und Verbuchung der zugehörigen Abschreibungen.
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
ableiten zu können. Eine solche Erweiterung des Rechenwerks kann sich z. B. auf sachlogisch bzw. empirisch begründete Zusammenhänge folgender Art stützen:9
Beziehungen zwischen Leistung bzw. Ertrag und Ressourceneinsatz (z. B. die Abhängigkeit des Materialaufwands von der Gesamtleistung),
Beziehungen zwischen Leistung bzw. Ertrag und Vermögenspositionen (beispielsweise die Bestimmung des Bestands der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in Abhängigkeit von den Umsatzerlösen),
Beziehungen zwischen Vermögens- und Aufwandspositionen (z. B. die Relationen von Abschreibungsbeträgen und zugehörigen Anlagevermögenswerten),
Zusammenhänge zwischen Vermögens- und Kapitalpositionen, d. h. von Investition und korrespondierender Finanzierung,
die an der Gewinnhöhe orientierte Bemessung der Einkommen- und Ertragsteuern. In Abhängigkeit von den Fragestellungen, die mit Hilfe der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung bearbeitet werden sollen, empfiehlt es sich, neben grundlegenden Beziehungen der o. g. Art themenspezifisch auch differenziertere Zusammenhänge in die Rechnung einzubeziehen. Dabei kann es sich beispielsweise um folgende Sachverhalte handeln:10
Für Unternehmen, die neuartige Produkte herstellen, ist u. U. die erfolgs- und finanzbezogene Abbildung von Erfahrungseffekten interessant. Diese Effekte, die zu Beginn der Produktion vergleichsweise stark sind, können durch die Einbindung entsprechender Erfahrungskurven in der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung berücksichtigt werden.11 9
Zur Anwendung solcher Zusammenhänge vgl. z. B. Lachnit, L./Ammann, H.: Erfolgs- und Finanzplanung (Teil II), 1992, S. 883 f.; Welge, M. K./Al-Laham, A.: Strategisches Management, 2003, S. 513 f. Wird eine abhängige Variable als Prozentsatz des Umsatzes bestimmt, bezeichnet man dieses Vorgehen auch als Umsatz-Prozent-Methode, vgl. Perridon, L./Steiner, M.: Finanzwirtschaft, 2004, S. 653 f. 10 Die Einbindung solcher Zusammenhänge setzt allerdings z. T. voraus, dass neben den Wertgrößen auch Mengen- und Zeitgrößen in der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung berücksichtigt werden. 11 Die Erfahrungskurve basiert auf der aus empirischen Studien abgeleiteten Aussage, dass mit jeder Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge die auf die Wertschöpfung bezogenen, inflationsbereinigten (realen) Stückkosten potenziell um einen konstanten Prozentsatz, i. d. R. 20% - 30%, sinken. Sie lässt sich mit folgender Funktion wiedergeben: y = c ȉ x-b. y kann z. B. für den Materialverbrauch der letzterzeugten Produkteinheit stehen, während x die zugrunde liegende kumulierte Produktionsmenge symbolisiert (x = 2 entspricht einer Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge). c stellt eine Konstante, im Beispiel den Materialverbrauch der ersten Produkteinheit, und b den Degressionsfaktor dar, der von der Erfahrungsrate abhängig ist. Vgl. Baum, H.-G./Coenenberg, A. G./Günther, T.: Strategisches Controlling, 2004, S. 89 f.; Kreikebaum, H.: Unternehmensplanung, 1997, S. 99.
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Krützfeldt
Unternehmen, die besonders an der erfolgs- und finanzwirtschaftlichen Abbildung von Prozessverbesserungen interessiert sind, können z. B. das Half-Life-Konzept in der Rechnung berücksichtigen.12 Dieses Konzept unterstellt, dass sich kontinuierlich eintretende Prozessverbesserungen entsprechend des physikalischen Zerfallsgesetzes entwickeln.13
Anlagenintensive Unternehmen legen u. U. Wert darauf, die Instandhaltungsaufwendungen gesondert auszuweisen. Für Planungs- und Prognosezwecke können häufig funktionale Zusammenhänge zwischen diesen Aufwendungen und den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten der betreffenden Investitionsgüter bestimmt werden.
Sofern die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für unterjährige Zeiträume erstellt wird, ist es häufig zweckmäßig, Liquiditätsspektren darin zu berücksichtigen. Aus den Liquiditätsspektren geht hervor, wie sich z. B. der Übergang von Umsatzforderungen in Einzahlungen oder von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen in Auszahlungen zeitlich verteilt.14
Für produzierende Unternehmen ist häufig die Abbildung fertigungstechnischer Zusammenhänge von Bedeutung, so z. B. die Beziehung zwischen Produktionsmenge und zugehörigem Faktoreinsatz. Für die Formulierung der erforderlichen Funktionen lassen sich sowohl die Ergebnisse quantitativer Analysen nutzen, wie sie z. B. bei der Untersuchung von Kostenabhängigkeiten gewonnen werden, als auch das Wissen und die Erfahrungen betrieblicher Experten. In den Fällen, in denen die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für mehrere Perioden erstellt wird, ist es i. A. sinnvoll, auch bestimmte zeitliche Zusammenhänge in der Rechnung zu berücksichtigen. Dazu zählen beispielsweise die zuvor genannten Liquiditätsspektren, zeitlich verzögerte Steuerzahlungen oder vertraglich terminierte Kredittilgungen. Um den Aufwand für die Ausgestaltung und Anwendung der Rechnung zu reduzieren, ist es zudem sinnvoll, Funktionen für die Fort12
Das Half-Life-Konzept ist ein Ansatz, um das mit der Kaizen-Methode verfolgte Ziel einer stetigen Verbesserung betrieblicher Prozesse zu konkretisieren. Vgl. Baum, H.-G./ Coenenberg, A. G./Günther, T.: Strategisches Controlling, 2004, S. 103 f.; Fischer, T. M./ Schmitz, J.: Messung von Prozeßverbesserungen, 1994, S. 196 - 203. 13 Das physikalische Zerfallsgesetz beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Radiumkern im nächsten Augenblick zerfällt. Für die Abbildung von Prozessverbesserungen kann folgende Exponentialfunktion eingesetzt werden: y = e-bt ȉ c. Darin gibt c beispielsweise den Faktoreinsatz wieder, der ursprünglich für einen Prozess erforderlich war, b stellt die ‚Zerfallskonstante’ dar, die das Ausmaß beschreibt, in dem der Faktoreinsatz abnimmt. t symbolisiert die Perioden und y den aktuell für die Prozessdurchführung noch erforderlichen Faktoreinsatz. 14 Vgl. Perridon, L./Steiner, M.: Finanzwirtschaft, 2004, S. 660 - 662. Die Darstellung von Liquiditätsspektren kann beispielsweise mit Hilfe von Prozentsätzen erfolgen, die angeben, welcher Anteil der jeweiligen Größe (z. B. der Umsatzforderungen) in den einzelnen Perioden des betrachteten Zeitraums zu Zahlungen führt.
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Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
schreibung bestimmter Positionen vorzusehen. Vor allem für Positionen, die sich nur selten verändern – dies trifft z. B. häufig auf einige Eigenkapitalpositionen zu – ist eine Fortschreibung zweckmäßig. Die Einbeziehung von funktionalen Zusammenhängen in die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung hat zur Folge, dass ein mathematisches, mehrere Gleichungen umfassendes Modell des Unternehmens entsteht, das vielfältige sachliche und zeitliche Beziehungen wiedergibt. Die Art und der Umfang der einzubeziehenden funktionalen Zusammenhänge sind u. a. abhängig von den unternehmensspezifischen Gegebenheiten und dem Informationsbedarf des Managements. Um den Aufwand für die Ausgestaltung und den Einsatz des Modells in einem vertretbaren Rahmen zu halten, sollte allerdings der Modellumfang anwendungsgerecht begrenzt werden. Im Hinblick darauf lassen sich folgende Empfehlungen geben:
Zusammenhänge sollten nur dann in funktionaler Gestalt in das Modell eingehen, wenn fundierte Kenntnisse über die betreffenden Sachverhalte und deren funktionale Abbildung vorliegen.15 Dadurch lässt sich auch der Gefahr begegnen, dass durch die nicht sachgerechte Formulierung von Modellfunktionen realitätsferne Modellresultate ermittelt werden.
Das Modell sollte sich auf die jeweils wesentlichen Beziehungen beschränken. D. h. die zusätzlich in die Rechnung einbezogenen Funktionen sollten einen substanziellen Einfluss auf Erfolg, Liquidität, Vermögen oder Kapital repräsentieren. In den folgenden Kapiteln 4.1 und 4.2 werden zunächst Möglichkeiten einer Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung und Prognose erörtert, bevor im Kapitel 5 dargestellt wird, wie sich die Rechnung für Zwecke der (What-If-) Simulation nutzen lässt.
15
Die Zusammenhänge, für deren funktionale Abbildung keine ausreichenden Kenntnisse zur Verfügung stehen, können mit ihren unternehmensbezogenen Effekten unmittelbar in den Modellgrößen erfasst werden, so dass auch für diese Fälle eine Berücksichtigung im Modell gewährleistet ist. So können z. B. erfahrungsbedingte Materialverbrauchsreduzierungen auf der Grundlage von Expertenurteilen oder Vergleichswerten anderer Unternehmen bestimmt und in der Erfolgsrechnung berücksichtigt werden, ohne dass eine spezielle Funktion zur Ermittlung dieser Erfahrungs(kurven)effekte in das Modell eingefügt werden muss.
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Krützfeldt
4
Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung und Prognose
4.1
Die Einbindung gegebener Prognoseinformationen in die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung
In den Kalkülen der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung schlagen sich viele Entwicklungen nieder, die aufgrund ihrer Bedeutung auch regelmäßig Gegenstand der Unternehmensprognose sind.16 Dazu zählen beispielsweise Absatz-, Umsatz-, Rohstoff- und Energiepreis- sowie Lohn- und Gehaltsentwicklungen. Die Kalküle, insbesondere die Erfolgsrechnung, stellen daher zahlreiche Schnittstellen zur Verfügung, mit deren Hilfe Prognoseinformationen in die integrierte Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung eingebracht werden können, um sie anschließend hinsichtlich ihrer erfolgs-, bilanz- und finanzbezogenen Wirkungen zu untersuchen. Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung erhält dadurch den Charakter einer Prognoserechnung. Voraussetzung für die Einbindung einer Prognose ist allerdings, dass ein quantitatives Prognoseresultat vorliegt. Qualitative Resultate, wie beispielsweise verbale Bewertungen, Klassifizierungen oder Tendenzaussagen, können naturgemäß von der Rechnung nicht weiterverarbeitet werden. Auch quantitative Prognoseresultate können nicht in jedem Fall unmittelbar in die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung übernommen werden. So setzt beispielsweise die Einbindung von Mengenprognosen, wie z. B. Absatz- und Materialbedarfsprognosen, eine entsprechende Anpassung bzw. Zerlegung der betroffenen Erfolgs-, Bilanz- oder Finanzrechnungspositionen voraus. Dies ist zwar mit einem höheren Aufwand für die Erstellung der Prognoserechnung verbunden, jedoch gewinnt andererseits die Rechnung an Aussagekraft und funktionale Zusammenhänge, wie z. B. Erfahrungs(kurven)effekte, können durch die Berücksichtigung von Mengengrößen zutreffender abgebildet werden. Die Prognosen, die als Eingangsgrößen in die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung einfließen, können das Resultat sehr unterschiedlicher Verfahren sein. Für 16
78
Als Prognose gilt eine Aussage über ein oder mehrere zukünftige Ereignisse, die auf Beobachtungen der Vergangenheit (empirische Fundierung) und auf einer Theorie (theoretische Fundierung) beruht. Vgl. z. B. Brockhoff, K.: Prognosen, 2005, S. 759; Hansmann, K.-W.: Prognosemethoden, 1993, Sp. 3546; Lachnit, L.: Umsatzprognose, 1992, S. 161.
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
die Generierung der erforderlichen Eingangsgrößen lassen sich neben den quantitativen auch qualitative Prognoseverfahren einsetzen, klassische Verfahren kommen ebenso in Betracht wie die neueren, auf der Künstlichen Intelligenz basierenden Verfahren. Und neben den eigenerstellten Prognosen können auch fremdbezogene oder kooperative Prognosen verwendet werden.17 Die folgende Abbildung zeigt beispielhaft, auf welche Weise innerhalb der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung die Auswirkungen der eingegebenen Prognosegrößen für den Anwender erschlossen werden.18
Abbildung 4-1:
Die Analyse von Prognoseinformationen in der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung (Beispiel)
Aktiva
Bilanz 07
Passiva
1
Umsatzprognose
Gewinn- und Verlustrechnung 08
Materialpreisprognose
Umsatzerlöse
…
Eigenkapital
Umsatzeinzahlungen
…
Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
…
…
Materialaufwand
…
…
Fertige Erzeugnisse und Waren
Verbindlichkeiten aus Lief. und Leist.
2
geleistete Anzahlungen
…
Aktiva
Bilanz 08
Finanzflussrechnung 08
Passiva
Forderungen aus Lief. und Leist.
Cashflow aus betrieblichen Erfolgsvorgängen
…
…
Schecks, Kassenbestand, Bankguthaben Jahresüberschuss kursiv: Eingabegrößen (Prognosen) funktionale Zusammenhänge Bezüge zur Vorperiode Lief. und Leist.: Lieferungen und Leistungen
…
Bestand liquider Mittel 1 2
Berücksichtigung des Eigenkapitalbestands aus der Vorperiode Berücksichtigung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen der Vorperiode
17
Vgl. hinsichtlich der unterschiedlichen Prognoseverfahren z. B. Brockhoff, K.: Prognosen, 2005; Hansmann, K.-W.: Prognoseverfahren, 1983; Hüttner, M.: Prognoseverfahren, 1986; Lachnit, L.: Gesamtleistungsprognose, 1995; Lachnit, L.: Umsatzprognose, 1992; Makridakis, S./Wheelwright, S. C./Hyndman, R. J.: Forecasting, 1998; Mertens, P./Rässler, S. (Hrsg.): Prognoserechnung, 2005; Weber, K.: Wirtschaftsprognostik, 1990. 18 Um eine ausgeglichene Prognosebilanz zu gewährleisten, können z. B. kurzfristige Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten entsprechend auf- bzw. abgebaut werden.
79
Krützfeldt
Es wird deutlich, dass sich mit Hilfe der Rechnung und der darin abgebildeten funktionalen Zusammenhänge aus wenigen Prognosegrößen differenzierte erfolgs-, bilanzund finanzbezogene Informationen ableiten lassen. Verglichen mit den ursprünglich vorhandenen Einzelprognosen ergibt sich ein deutlicher Informationsgewinn. Die Informationen, die sich aus der prognosebezogenen Anwendung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung ergeben, sind insbesondere für das Erfolgs- und Finanzmanagement von Interesse und lassen sich in vielfältiger Weise für Analysen und Berichte nutzen. Vor einer Interpretation und Bewertung der gewonnenen Resultate sollte allerdings sichergestellt werden, dass eine ausreichende Prognosequalität gegeben ist. Wie im Falle anderer Prognoserechnungen können für diesen Zweck u. a. statistische und empirische Tests, Sensitivitätsanalysen sowie Plausibilitäts- und Konsistenzprüfungen durchgeführt werden.19 Da die Resultate der Prognoserechnung in vielfältiger Weise beeinflusst werden - u. a. durch die einbezogenen (externen) Prognosen sowie die modellierten buchhalterischen und leistungswirtschaftlichen Zusammenhänge - kommt den Plausibilitäts- und Konsistenzprüfungen eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn jeder berücksichtigte Sachverhalt für sich genommen in der Prognoserechnung zutreffend erfasst wurde, führt das Zusammenwirken dieser Sachverhalte nicht zwingend zu plausiblen und konsistenten Resultaten. Durch die Prüfungen gilt es sicherzustellen, dass die Resultate einzeln, in ihrer Gesamtheit und im Kontext der jeweiligen Rahmenbedingungen schlüssig sind. Die Plausibilitäts- und Konsistenzprüfungen sollten sich sowohl auf formale Aspekte beziehen, wie beispielsweise den Ausschluss einer negativen Liquidität, als auch auf inhaltliche Aspekte, wie die Beachtung von Finanzierungsnormen, die Vermeidung unrealistisch hoher Bestände, die Angemessenheit des Kapazitätsauf- und -abbaus u. ä. Sofern die Tests und Prüfungen ergeben, dass die geforderte Prognosegüte nicht erreicht wird, sind die Prognoserechnung und/oder die Eingabegrößen in geeigneter Weise zu ändern, bis eine hinreichende Prognosequalität gewährleistet ist.
4.2
Die Erweiterung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung um quantitative Prognoseverfahren
In dem zuvor erläuterten Fall werden Prognoseergebnisse in eine für die Vorhersage ausgestaltete Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung eingespeist, um die Konsequenzen der prognostizierten Entwicklungen für das Unternehmen abzuleiten. Die für die Ermittlung der Prognoseresultate eingesetzten Prognoseverfahren und die integrierte 19
80
Vgl. z. B. Bukhari, I.: Marktreaktionsfunktionen, 1998, S. 297 f., S. 317 - 320, 322 - 324; Hansmann, K.-W.: Prognoseverfahren, 1983, S. 130 - 137; Hüttner, M.: Prognoseverfahren, 1986, S. 259 - 268; Küsters, U.: Evaluation, 2005, S. 368 - 386.
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung sind nicht unmittelbar miteinander verbunden. Sofern allerdings die Prognosen das Resultat quantitativer Verfahren sind, lässt sich auch eine direkte rechnerische Verbindung von Prognoseverfahren und integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung realisieren. Die Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung wird mathematisch mit den betreffenden quantitativen Prognoseansätzen verknüpft, so dass sie zum zentralen Modul eines umfassenden Prognosemodells wird. Für eine solche Verbindung kommen z. B. Sättigungsmodelle, Marktreaktionsfunktionen, Substitutionsfunktionen, Box-Jenkins-Modelle, Verfahren der exponentiellen Glättung sowie simultan-multiple und iterativ-multiple Regressionsansätze in Betracht. Die folgende Darstellung veranschaulicht am Beispiel der Umsatzerlöse, auf welche Weise die beschriebene rechnerische Verknüpfung erfolgen kann.20
Abbildung 4-2:
Die Verknüpfung quantitativer Prognoseansätze mit der Gewinn- und Verlustrechnung (Beispiel) absatzpolitische Instrumentalvariable
Absatzmarktprognose Sättigungsfunktion:
y = s ⁄ (1 + e
c 1 - b1 · t
Marktreaktionsfunktion:
)
z = c2 · (pU/pK)
b2
· (wU/wK)
Gewinn- und Verlustrechnung
b3
Marktvolumen (y) · Marktanteil (z) · Preis (pU) = Umsatzerlöse
Absatzmenge
Umsatzerlöse … sonstige betriebliche Aufwendungen davon Werbeaufwendungen … Jahresüberschuss
bi, ci: Funktionsparameter
pU:
Produktpreis des Unternehmens
e:
Eulersche Zahl (gerundet: 2,71828)
wK:
Werbeaufwendungen der Konkurrenz
s:
Sättigungsniveau (z. B. subjektive Schätzung)
wU:
Werbeaufwendungen des Unternehmens
t: pK:
Periode durchschnittlicher Produktpreis der Konkurrenz
y: z:
Marktvolumen Marktanteil
In der Darstellung ergeben sich die Umsatzerlöse aus der Multiplikation von Absatzmenge und Preis. Die Absatzmenge wiederum ist das Produkt aus Marktvolumen und Marktanteil. Während für die Prognose des Marktvolumens eine Sättigungsfunktion verwandt wird, stützt sich die Marktanteilsprognose auf eine Marktreaktionsfunktion, die u. a. die Werbeaufwendungen des Unternehmens und die Werbeaufwendungen 20
Zeitliche Wirkungszusammenhänge, wie z. B. Lag-Effekte, sind in der Darstellung nicht berücksichtigt. Es wird unterstellt, dass die Sättigungsfunktion die Entwicklung des gesamten Marktvolumens, d. h. der Erst- und der Wiederholungskäufe, hinreichend genau wiedergibt.
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Krützfeldt
der Wettbewerber als Bestimmungsgrößen des Marktanteils berücksichtigt. Die Umsatzerlöse sind folglich das Resultat eines umfassenden Prognoseansatzes, der absatzmarktbezogene sowie absatzpolitische Zusammenhänge einbezieht und über verschiedene Größen (Umsatzerlöse, Werbeaufwendungen) mit der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung verbunden ist. Das Beispiel macht deutlich, dass eine Erweiterung der integrierten Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung in der oben beschriebenen Form dem Erfolgs- und Finanzmanagement interessante Zusammenhänge erschließen kann, die häufig auch über das Unternehmen hinausreichen.21 So vermittelt beispielsweise die prognostizierte Entwicklung des Marktvolumens Hinweise auf die Lebenszyklusphase und die Zukunftsfähigkeit eines Produkts, durch die Einbindung von Marktreaktionsfunktionen lässt sich zeigen, inwieweit das Unternehmen im Wettbewerb bestehen kann u. a. m. Da viele kausale und nachhaltig wirkende Sachverhalte berücksichtigt werden können, kommt diese Form der Prognoserechnung tendenziell auch für größere Prognosezeiträume in Betracht. Durch die Erweiterung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung entsteht ein komplexes Prognosemodell, das u. U. eine Reihe potenzieller Fehlerquellen aufweist. Vor diesem Hintergrund kommt der Qualitätssicherung der Prognose eine besondere Bedeutung zu. Tests und Prüfungen, wie sie im vorhergehenden Kapitel erwähnt wurden, sind daher auch in diesem Fall ein wichtiger Bestandteil des Prognoseprozesses.
5
Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung und Simulation
In den vorhergehenden Kapiteln wurden Kombinationsmöglichkeiten der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung mit der Prognose erläutert. Im Vordergrund stand die Untersuchung zukünftiger Entwicklungen im Hinblick auf ihre erfolgs-, bilanz- und finanzbezogenen Effekte. Dabei blieben Reaktionen des Unternehmens auf diese Entwicklungen weitgehend unberücksichtigt. Dieser Aspekt tritt in den Vordergrund, wenn die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung für die Simulation genutzt wird. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den Einsatz der Simulation als Mittel der Entscheidungsunterstützung. Es geht um die Untersuchung von Maßnah21
82
Vgl. Zäpfel, G.: Strategisches Produktions-Management, 2000, S. 96 - 114.
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
men, die konkret für das Management in Betracht kommen, um auf bestimmte Entwicklungen zu reagieren oder bestimmte Veränderungen einzuleiten.22 Es ist zweckmäßig, die Simulation bestimmter Maßnahmen nicht losgelöst von den prognostizierten Entwicklungen durchzuführen, sondern den prognosebezogenen Einsatz der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung mit der Simulation zu verbinden. D. h. eine integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung, in der die prognostizierten Entwicklungen bereits berücksichtigt sind, dient als Basis, um die erfolgs-, bilanz- und finanzbezogenen Auswirkungen der vom Management erwogenen Maßnahmen zu bestimmen. Zu diesem Zweck werden die Maßnahmen, wie z. B. der Ausbau der Fertigungskapazitäten, in den betroffenen Positionen der Erfolgsrechnung (z. B. Personalaufwand) sowie der Bilanz (z. B. technische Anlagen und Maschinen) berücksichtigt. Dies kann beispielsweise ausgehend von vorhandenen Planungsunterlagen, Investitionsrechnungen, Kalkulationen u. ä. erfolgen. Sofern ein Modell besteht, wie es in Kapitel 4.2 beschrieben wurde, sind darüber hinaus ggf. auch Modellteile in die Simulation einzubeziehen, die der eigentlichen Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung vorgelagert sind. So finden absatzpolitische Maßnahmen z. B. in den Variablen einer Marktreaktionsfunktion ihren Niederschlag. Die rechnungsinternen Zusammenhänge der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung stellen sicher, dass die einbezogenen Maßnahmen differenziert in ihren Auswirkungen auf Erfolg, Bilanz und Finanzen dargestellt werden. Auf diese Weise erschließt die Rechnung dem Management neben den i. d. R. erwarteten primären Effekten auch Sekundäreffekte der betreffenden Maßnahmen, die u. U. nicht oder nicht in der jeweiligen Intensität erwartet worden sind. Für den zugrunde liegenden Verarbeitungsprozess empfiehlt sich, wie bereits für die Prognose erläutert, eine Qualitätssicherung durch Anwendung geeigneter Tests und Prüfungen. Die aus der Simulation gewonnenen Informationen stehen anschließend dem Management zur Verfügung, um - im Kontext der prognostizierten Entwicklungen - die Zweckmäßigkeit der betreffenden Maßnahmen zu beurteilen bzw. alternative Maßnahmen gegeneinander abzuwägen. Für das Management ist dies eine wichtige Unterstützung sowohl bei der Auswahl operativer Maßnahmen als auch bei der Bestimmung geeigneter Strategien.23 Die beschriebene Vorgehensweise lässt sich grundsätzlich auch sukzessive für mehrere aufeinander folgende Prognoseperioden umsetzen, so dass das Management eine Abfolge von Maßnahmen festlegen kann. Eine solche Anwendung der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung kann z. B. hilfreich sein bei der Ausarbeitung von Strategien.
22
Andere der Simulation zugerechnete Inhalte, wie z. B. komplexe (ungerichtete) Analysen des Modellverhaltens oder Monte-Carlo-Simulationen, bleiben hier außer Betracht. 23 Vgl. z. B. Lachnit, L./Ammann, H.: Erfolgs- und Finanzplanung (Teil II), 1992, S. 882 - 884.
83
Krützfeldt
6
Anwendungsfelder und -grenzen der vorgestellten Konzeptionen
Die Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung mit Prognosebzw. Simulationsmethoden lässt sich für vielfältige Aufgabenstellungen nutzen. Einige exemplarisch ausgewählte Anwendungsfelder werden im Folgenden vorgestellt. Identifikation von Chancen und Risiken: Der prognosebasierte Einsatz der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung ermöglicht es, frühzeitig Entwicklungen zu identifizieren, die aus erfolgs- oder finanzwirtschaftlicher Sicht kritisch oder möglicherweise sogar existenzgefährdend sind. Die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung nimmt insoweit eine Frühwarnfunktion wahr. Auf der anderen Seite können in gleicher Weise auch chancenreiche Entwicklungen identifiziert werden, so dass sich die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung zur Unterstützung z. B. des Chancen- und Risikomanagements24 oder der strategischen Kontrolle einsetzen lässt. Als Vorteil erweist sich in diesem Zusammenhang, dass die Rechnung das gesamte Unternehmen einbeziehen und folglich vielfältige Entwicklungen berücksichtigen kann. Dadurch wird es möglich, auch Risiken und Chancen zu identifizieren, die sich aus der Überlagerung verschiedener – und für sich genommen unspektakulärer – Entwicklungen ergeben. Bewertung von Maßnahmen und Strategien: Die in der integrierten Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung abgebildeten Maßnahmen und Strategien des Unternehmens werden im Rahmen der Rechnung hinsichtlich ihrer erfolgs-, bilanz- und finanzbezogenen Auswirkungen untersucht. Insofern trägt die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung zu einer (monetären) Bewertung dieser Sachverhalte bei.25 Für eine individuelle Bewertung ist dabei insbesondere die Verbindung mit der Simulation von Nutzen. Mit ihrer Hilfe lassen sich gezielt die erfolgs-, bilanz- und finanzbezogenen Effekte (Gewinnsteigerungen u. ä.) einer Maßnahme oder Strategie bestimmen, die dann als Anhaltspunkt für deren Bewertung sowie ggf. als Auswahlkriterium dienen können. In vergleichbarer Weise lassen sich auch z. B. Anhaltspunkte für die Bewertung von Chancen und Risiken gewinnen, indem chancen- bzw. risikoreiche Entwicklungen in die integrierte Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung einbezogen und in ihren Auswirkungen dargestellt werden. Unterstützung von Planungs- und Kontrolltechniken: Da die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung Bezüge zu zahlreichen Planungs- und Kontrolltechniken aufweist, können auch die Prognose- und Simulationsresultate der Rechnung in vielfältiger Weise genutzt und weiterverarbeitet werden. Auf die Einsatzmöglichkeiten i. Z. m. dem Chancen- und Risikomanagement, der 24 25
84
Vgl. Lachnit, L./Müller, S.: Risikocontrolling, 2003, S. 565 - 583. Vgl. Zäpfel, G.: Strategisches Produktions-Management, 2000, S. 94 - 115.
Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
Frühwarnung sowie der strategischen Kontrolle wurde bereits hingewiesen. Daneben lassen sich die Prognose- und Simulationsresultate beispielsweise als Anhaltsgrößen für die Budgetierung sowie für das Value Based Planning verwenden, sie können SWOT-,26 Portfolio- und Kennzahlenanalysen unterstützen und auch für Wirtschaftlichkeitsrechnungen genutzt werden. Die Anwendung der vorgestellten Prognose- und Simulationsrechnungen ist – wie bereits erwähnt – auf quantitativ darstellbare Sachverhalte beschränkt.27 Weitere Anwendungsgrenzen ergeben sich aus dem Informationsbedarf und der Komplexität der Rechnungen. Sowohl das Bestreben, die unternehmensinternen Zusammenhänge detailgetreu abzubilden, als auch der Versuch, die Vielfalt unternehmensexterner Zusammenhänge zu berücksichtigen, haben zur Folge, dass ein sehr komplexes Rechenwerk entsteht. Dies ist verbunden mit einem vergleichsweise großen Aufwand für die Ausgestaltung und Anwendung der Rechnung, einer erschwerten Analyse der Resultate sowie einer erhöhten Fehlerwahrscheinlichkeit. Es gilt daher einen Kompromiss zu finden zwischen der realitätsgetreuen Abbildung der (betriebs-)wirtschaftlichen Zusammenhänge und der Ausgestaltung einer möglichst einfachen Prognose- bzw. Simulationsrechnung. Die in Kapitel 3 erwähnten Empfehlungen sind in diesem Zusammenhang hilfreich. Ein anderes Problem, das allerdings primär die komplexen Prognoseansätze betrifft, ist die Informationsversorgung der Rechnungen. Zwar erschließt insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnik dem Anwender zahlreiche Informationsquellen, jedoch ist einerseits die notwendige Informationsqualität häufig nicht gegeben und andererseits werden nicht alle gewünschten Informationen zur Verfügung gestellt (z. B. Planungen und Prognosen der Wettbewerber). Für die Lösung dieses Problems können – neben den Maßnahmen zur Komplexitätsbegrenzung – Simulationen hilfreich sein. Fehlende oder unzuverlässige Prognoseinformationen werden durch Simulationswerte ersetzt, um Alternativrechnungen durchzuführen (z. B. Worst Case- und Best Case-Rechnungen). Aus den Ergebnissen kann auf die bestehende Unsicherheit geschlossen werden. Diese Information und die Ergebnisse der Alternativrechnungen lassen sich dann für die Entscheidungsfindung heranziehen.
26 27
SWOT: Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats Die Berücksichtigung qualitativer Aspekte ist allerdings möglich, wenn diese in eine quantitative Darstellungsform überführt werden können.
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7
Zusammenfassung
Im Allgemeinen stehen den Unternehmen heute zahlreiche Prognoseinformationen zur Verfügung, die sich für die Entscheidungsfindung nutzen lassen. Allerdings erweist es sich häufig als problematisch, die Auswirkungen zu bestimmen, die sich aus den prognostizierten Entwicklungen für das Unternehmen ergeben. Zum einen wirken die Entwicklungen innerhalb des Unternehmens häufig nicht punktuell, zum anderen können Verstärkungs- und Kompensationseffekte auftreten, die nicht unmittelbar zu erkennen sind. Ähnliche Probleme treten auf, wenn die Effekte der Handlungsalternativen zu untersuchen sind, mit denen das Unternehmen auf die betreffenden Entwicklungen reagieren kann. Zur Lösung dieser Probleme ist ein Instrument erforderlich, das die relevanten Wirkungsmechanismen des Unternehmens abbildet und auf dieser Grundlage die vielfältigen Auswirkungen von prognostizierten Entwicklungen oder simulierten Handlungsalternativen darstellen kann. Im vorliegenden Beitrag wurde gezeigt, dass die integrierte Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung ein für diesen Zweck geeignetes Instrument ist. Mit ihrer Hilfe lassen sich sowohl prognostizierte Entwicklungen als auch simulierte Maßnahmen und Strategien des Unternehmens hinsichtlich ihrer erfolgs-, bilanz- und finanzbezogenen Effekte analysieren. Das Management erhält insbesondere auch Informationen über die Konsequenzen, die sich aus den Prognosen bzw. Simulationen für Liquidität und Erfolg ergeben. Es kann somit die zugrunde liegenden Sachverhalte an zwei für Unternehmen existenziell bedeutsamen Zielgrößen messen. Die Kombination von integrierter Erfolgs-, Bilanz- und Finanzrechnung und Prognose bzw. Simulation kann in vielfältiger Weise zur Unterstützung des Managements eingesetzt werden. Neben der unmittelbaren Hilfestellung für das Management, beispielsweise bei der Bewertung und Auswahl von operativen Maßnahmen oder von Strategien, erfolgt auch eine indirekte Unterstützung, da die gewonnenen Resultate für andere Planungs- und Kontrolltechniken eine wertvolle Informationsbasis darstellen. Die praktische Anwendung der vorgestellten Konzeptionen stößt auf Grenzen, wenn ausgesprochen komplexe Rechnungen formuliert werden sollen oder die jeweilige Rechnung eine sehr anspruchsvolle Informationsbasis voraussetzt. Werden diese Grenzen beachtet, können allerdings Entscheidungsprozesse im Unternehmen durch den prognose- bzw. simulationsorientierten Einsatz der integrierten Erfolgs-, Bilanzund Finanzrechnung sehr wirkungsvoll unterstützt werden.
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Die integrierte Erfolgs-, Bilanz-, Finanzrechnung als Prognose- und Simulationsinstrument
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Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG EWE in Bewegung
Dr. Werner Brinker Vorsitzender des Vorstandes der EWE Aktiengesellschaft Tirpitzstraße 39, 26122 Oldenburg
1
Einleitung .......................................................................................................................... 91
2
EWE Aktiengesellschaft - Die Energie des Nordens.................................................... 92
3
Begrifflichkeiten und Aufgaben des Controllings ....................................................... 93
4
Controlling als Planungs- und Steuerungsinstrument................................................ 95 4.1 Konzernplanungssysteme - Sicherung der operativen und strategischen Erfolgspotentiale ..................................................................................................... 95 4.2 Kennzahlensysteme – Controllinginstrumente in der Unternehmung............ 96 4.3 Informationssysteme - Überwindung von Informationsproblemen ................ 97
5
Controlling bei der EWE AG .......................................................................................... 99 5.1 Planungssysteme bei EWE................................................................................... 100 5.2 Kennzahlensysteme bei EWE .............................................................................. 101 5.3 Informationssysteme bei EWE ............................................................................ 101
6
Ausblick........................................................................................................................... 102
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 105
89
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
1
Einleitung
Steigender Wettbewerb, variierende Preise, unsichere und sich ändernde gesetzliche Rahmenbedingungen bis hin zu nicht kalkulierbaren Netznutzungsentgelten sind nur einige der derzeitigen Rahmenbedingungen, die das Denken und Handeln der Akteure auf dem deutschen Energiemarkt vehement beeinflussen. Diese gegenwärtigen und auch in der Zukunft weiter zu erwartenden Marktveränderungen bedingen ein hohes Maß an Unsicherheit für die deutschen Energiedienstleister. Augenscheinlich werden diese Unsicherheiten darin, dass eine Vielzahl von neuen Problemen die Komplexität der Umwelt erhöhen, bei einer gleichzeitigen Beschleunigung des Wandels am Markt. Während in stabilen Märkten noch eine mehr oder weniger einfache Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft möglich war und Ausnahmezustände durch operative Improvisationen gelöst wurden, wird es dagegen mit zunehmender Dynamik des deutschen Energiemarktes immer dringlicher, aufkommende Diskontinuitäten frühzeitig zu erkennen und bereits erste „schwache Signale“1 zu antizipieren und diesen mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen. „Die Aufgabe des strategischen Managements ist es hierbei, den aufkommenden Wandel nicht nur zu bewältigen, sondern vielmehr diesen Wandel zu stimulieren und zum eigenen Vorteil zu nutzen. Diese aktiven Maßnahmen erfordern nicht nur eine hohe Transparenz der betrieblichen Leistungsprozesse, zusätzlich müssen Energieunternehmen präziser planen und die heute bereits langfristigen Weichen für übermorgen stellen - am sinnvollsten durch Controlling.“2 Aufgrund dieser Marktdynamik verwundert es nicht, dass der Bereich der internen Unternehmensrechnung gegenwärtig wieder3 intensiv diskutiert wird.4 Aus diesem Grund ist es besonders relevant, sich diesem Thema aus heutiger Sicht zu widmen. Zumal der deutsche Energiemarkt den gegenwärtig größten Wandlungsprozess durchlebt, ist es umso interessanter, die Entwicklung von internen Steuerungsinstrumenten am Beispiel des Energiedienstleistungsunternehmens EWE Aktiengesellschaft (EWE AG) zu betrachten und zu analysieren. Wie können externe Rahmenfaktoren die innerbetrieblichen Steuerungsinstrumente beeinflussen? Dieser Beitrag mit dem Titel „Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG“ befasst sich inhaltlich daher mit der Situation eines regionalen Energiedienstleistungsunternehmens, das aufgrund des sich rasant wandelnden Unternehmensumfeld stets mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird. Im Rahmen dieses Beitrags werden daher vier Themenschwerpunkte behandelt. Zunächst wird die 1 2 3 4
Vgl. Ansoff, H.I., Managing Strategic Surprise, 1975, S. 21. Vgl. Weissmann, F., Leitfaden Controlling, 2005, S. 37. Nachdem das Thema der internen Unternehmensrechnung in den 60er und 70er Jahren intensiv diskutiert wurde, ist es seitdem relativ still um den Bereich geworden. Vgl. Schiller, U., Informationsorientiertes Controlling, 2000, S. 1.
91
Brinker
EWE AG gefolgt von einer literarischen Definition des Begriffs Controlling vorgestellt. Im Anschluss daran werden wesentliche Kernelemente beschrieben. Aus dieser theoretischen Grundlage abgeleitet folgt die praktische Realisierung am Beispiel der EWE AG gefolgt von einem Ausblick hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Controllings bei EWE.
2
EWE Aktiengesellschaft - Die Energie des Nordens
Als fünftgrößtes deutsches Energiedienstleistungsunternehmen ist die EWE AG in der Ems-Weser-Elbe-Region, in Brandenburg, auf der Ostseeinsel Rügen und in Westpolen tätig. Der EWE-Konzern bietet ein breites Spektrum an Dienstleistungen rund um Strom, Erdgas, Telekommunikation, Informationstechnologie und Umwelt. Zum Konzern gehören neben der EWE AG mit Hauptsitz in Oldenburg weitere Tochter- und Beteiligungsunternehmen, die ihre Dienstleistungen zum Teil bundesweit anbieten. Gerade in den vergangenen Jahren ist EWE kräftig gewachsen, vor allem durch strategische Beteiligungen im Segment Energie. Der EWE-Konzern beschäftigt mehr als 5.600 Mitarbeiter und setzte im Geschäftsjahr 2006 9 Mrd. Euro um. Eigentümer der EWE AG sind die Landkreise und Städte zwischen Ems, Weser und Elbe über den Ems-Weser-Elbe Versorgungs- und Entsorgungsverband. Die Geschichte des Unternehmens begann im Gebiet Weser-Ems: Hier entstand 1930 durch die Fusion von zwei kleineren Gesellschaften ein agiler Regionalversorger. EWE gehört seit Jahren zu den bundesweit günstigsten Energiedienstleistern. Zwischen Ems, Weser und Elbe beliefert EWE über eine Million Kunden mit Strom. Darüber hinaus vermarktet EWE NaturWatt Strom, der zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen stammt. Der EWE-Konzern versorgt außerdem über 765.000 Kunden in seinem gesamten Netzgebiet mit Erdgas. Das Mittel- und Niederspannungsnetz mit einer Länge von knapp 80.000 Kilometern gehört zu den sichersten Westeuropas. Das Erdgasnetz (54.000 km) ist eines der dichtesten und sichersten regionalen Versorgungsnetze Deutschlands. Eigentümer und Betreiber der Netze ist die EWE NETZ GmbH. Die Verbundnetz Gas AG (Leipzig), die seit 2004 zum EWE-Konzern gehört, verfügt darüber hinaus über ein Transportnetz von 7.000 km Länge. Im Bereich Erdgasspeicherung gehört EWE zu den führenden Dienstleistern für andere Versorgungsunternehmen. Die EWE AG betreibt 23 Kavernenspeicher mit einer nutzbaren Speicherkapazität von 1,2 Mrd. m³. Der EWE-Konzern steht mit einem Arbeitsgasvolumen von 3,4 Mrd. m3 auf Platz 3 der deutschen Energieunternehmen. 92
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
Seit 1999 ist EWE auch auf dem polnischen Markt aktiv. Im Westen Polens bauen die Tochtergesellschaften EWE Polska und Media Odra Warta (MOW) ein Versorgungsnetz auf. EWE gehört zu den großen Unternehmen in der Region und trägt deshalb Verantwortung nicht nur als Energiedienstleister, sondern auch als bedeutender Arbeitgeber, Auftraggeber, Investor und Partner der Kommunen und Landkreise. Gegen den Trend schafft EWE neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze und bildet über den eigenen Bedarf hinaus aus. Rund 200 junge Menschen absolvieren im Jahr 2007 im Konzern eine gewerblich-technische oder kaufmännische Berufsausbildung. Auch gesellschaftlich übernimmt EWE Verantwortung und fördert sinnvolle Aktivitäten, attraktive Veranstaltungen und talentierte Menschen in und aus der Region. Die EWE Stiftung unterstützt weitere Projekte aus Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung.
3
Begrifflichkeiten und Aufgaben des Controllings
Der Begriff Controlling gilt seit seiner Entstehung als einer der wohl meist diskutierten und vor allem kontrovers interpretierten Begriffe.5 Eine erste Verwirrung stiftete bereits die deutsche Übersetzung der englischen Worte „to control“ und „Controlling“, welche fälschlicherweise zumeist mit dem deutschen Begriff der „Kontrolle“ synonym gesetzt wurden.6 Obwohl dieser sehr pragmatische Ansatz einer Definitionsfindung durchaus seine Berechtigung hat, reichen die Aufgaben und Ziele des Controlling weit über die reine Kontrolle hinaus. Weitere Schwierigkeiten bei der eindeutigen Abgrenzung und Definition des Controllings liegen weiterhin darin begründet, dass man sich grundsätzlich der Definition aus funktionaler sowie aus institutioneller Sichtweise nähern kann. Während das Controlling im funktionalen Sinne als wesentliche Managementaufgabe jeder Entscheidungsperson im Unternehmen gesehen wird, kommt dem Controlling im institutionellen Sinne die Aufgabe zu, die Unternehmensführung hinsichtlich der Planung, Kontrolle und Organisation zu unterstützen.7
5 6 7
Vgl. Baum, H.-G./Coenenberg, A.G./Günther, T., Strategisches Controlling, 2004, S. 3. Vgl. Kirschten, U., Perspektiven, 1997, S. 122; Baum, H.-G./Coenenberg, A.G./Günther, T., Strategisches Controlling, 2004, S. 3; Weber, J., Einführung Controlling, 2006, S. 11. Vgl. Weber, J., Einführung Controlling, 2006, S. 10.
93
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Um sich nicht in die variantenreichen Begriffsauslegungen des Controllings zu vertiefen, wird dem folgenden Beitrag eine Definition zugrunde gelegt, die die Facetten des Controllings weitreichend würdigen. Laut Horváth ist Controlling ein „Subsystem der Führung, dass Planung und Kontrolle sowie Informationsversorgung systembildend8 und systemkoppelnd9 koordiniert und steuert und so die Adaption und Koordination des Gesamtsystems unterstützt.“10 Aus dieser Definitionsgrundlage wird ersichtlich, dass das Controlling eine entscheidende Rolle einnimmt, die Unternehmensführung entsprechend ihrer Zielsetzung zu unterstützen. Die beschriebenen Controllingaufgaben Planung und Kontrolle sowie Informationsversorgung implizieren demzufolge die Hauptziele des Controllings, wie langfristige Sicherung der Unternehmensexistenz und die Steigerung des Unternehmenswertes.11 Gemäß der oben aufgeführten Definition von Controlling sind noch weitere Ziele, die Koordinations- und Adaptionsfähigkeit des Unternehmens, sicher zu stellen. Die Koordinationsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, einzelne Entscheidungen auf ein gemeinsames Ziel hin abzustimmen.12 Die Adaptionsfähigkeit hingegen wird als Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Situationen verstanden.13 Insbesondere die zuletzt beschriebene Aufgabe des Controllings, die Adaptionsfähigkeit eines Unternehmens, wird zukünftig besonders im Energiemarkt unter den sich zunehmend wechselnden Umweltsituationen verlangt.
8
9
10 11 12 13
94
Unter Systembildender Koordination ist die Schaffung einer Gebilde- und Prozessstruktur, die zur Abstimmung von Aufgaben beiträgt, zu verstehen. Für weitere Details zu dieser Begrifflichkeit siehe Horváth, P.: Controlling, 2007, S. 117. Unter systemkoppelnder Koordination werden hingegen jegliche Koordinationsaktivitäten verstanden, die zur Problemlösung sowie als Reaktion auf Störungen stattfinden und zudem in einer Aufrechterhaltung sowie Anpassung der Informationsverbindung zwischen Teilsystemen bestehen. Vgl. hierzu ebenso auch Weber, J.: Einführung Controlling, 2006, S. 31. Vgl. Horváth, P., Controlling, 2007, S. 145. Vgl. Baum, H.-G./Coenenberg, A.G./Günther, T., Strategisches Controlling, 2004, S. 4. Vgl. Horváth, P., Controlling, 2007, S. 135. Vgl. Bleis, C., Öko-Controlling, 1995, S. 75.
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
4
Controlling als Planungs- und Steuerungsinstrument
4.1
Konzernplanungssysteme - Sicherung der operativen und strategischen Erfolgspotentiale
Die mittel- und langfristige Sicherung der operativen und strategischen Erfolgspotentiale in einem Konzern ist ohne ein funktionierendes Planungssystem nicht realisierbar. Unter einem solchen Planungssystem wird die Gesamtheit aus Planungsträgern und -prozessen verstanden, die sich auf die zu führenden Ausführungshandlungen beziehen und zu Plänen führen.14 Aus diesem Definitionsansatz von Weber wird deutlich, dass Konzernplanungssysteme aus sowohl Planungsträgern und Planungen der Spitzeneinheiten sowie der einzelnen Basiseinheiten bzw. Prozessen zwischen diesen Elementen bestehen.15 Die eingangs erläuterte knappe Beschreibung von Konzernplanungssystemen ermöglicht nun eine Unterteilung von Planungssystemen in drei verschiedene Betrachtungsschichten: Funktional, institutionel und prozessual.16 Aufgrund des begrenzten Umfanges dieses Beitrages wird im Weiteren jedoch lediglich auf die funktionale Betrachtungsschicht der Konzernplanung eingegangen. An dieser Stelle ist jedoch zu erwähnen, dass die Komplexitätsbewältigung ein gemeinsames Merkmal der drei Betrachtungsschichten darstellt. Zumal bei der funktionalen Gestaltung von Planungssystemen die Reduzierung von Komplexitäten eine bedeutende Rolle spielt, ist es sinnvoll, die folgenden beiden Kriterien heranzuziehen, um die Bildung von komplexitätsreduzierenden Subsystemen vorzunehmen. Relative Autonomie: Subsysteme sind so zu bilden, dass das Ausmaß der internen Beziehungen größer ist als das Ausmaß der externen Beziehungen zu anderen Subsystemen, so dass sie vielmehr eigenständig arbeiten und agieren können. Hierarchische Strukturierung: Hierbei wird Hierarchie nicht mit den Über- und Unterordnungen organisatorischer bzw. personeller Hierarchien gleich gesetzt. Hierarchie wird vielmehr als rationale Deduktion sachlogischer Zusammenhänge verstanden.17 14 15 16 17
Vgl. Weber, J., Einführung Controlling, 2006, S. 75. Vgl. Hamprecht, M., Konzernplanungssystem, 1996, S. 75. Vgl. ebenda. Vgl. Laske, S./Weiskopf, R., Hierachie, 1989, Sp. 792.
95
Brinker
In der Literatur finden sich zu dem Thema der funktionalen Ebenentrennung von Planungssystemen eine Vielzahl stufenweiser Ansätze zur Komplexitätsreduzierung wieder. Ein ebenso kontrovers diskutierter, aus der Sicht der Unternehmungen jedoch pragmatischer Ansatz, stellt der Ansatz der Trennung nach operativer und strategischer Planung dar. Auf der strategischen Ebene wird die grundsätzliche Entwicklung der gesamten Unternehmung geplant.18 Dabei geht es jedoch weniger um die Prognose wahrscheinlicher Unternehmensaktivitäten, sondern vielmehr um die proaktive, also bewusste Gestaltung der Zukunft. Kennzeichnend hierfür ist, dass strategische Planungsinhalte nicht nur einzelne Unternehmensteile berühren, sondern die Entwicklung der gesamten Unternehmung berühren.19 Somit beinhaltet die strategische Planung einen gewissen „traversierenden“20 Charakter, da die Veränderung bestimmter Erfolgspotenziale eines Unternehmensbereiches zwangsläufig Auswirkungen auf die Erfolgspotenziale anderer Unternehmensteile impliziert. Auf der operativen Ebene hingegen werden grundsätzlich Produkt-MarktKombinationen, die in der strategischen Planung festgelegt werden, in Leistungsprozesse des Ausführungssystems umgesetzt. Hierbei wird in Unternehmungen oftmals nach bspw. Absatz-, Produktions- und Beschaffungsplanung unterschieden. Das Hauptziel der operativen Planung ist weitestgehend die Generierung von Umsatz und einem entsprechenden Ertrag, dessen Höhe den verursachten Aufwand übersteigt.21
4.2
Kennzahlensysteme – Controllinginstrumente in der Unternehmung
„Kennzahlen sollen relevante Zusammenhänge in verdichteter, quantitativ messbarer Form wiedergeben.“22 Kennzahlen oder auch Kennziffern sind „[…] im Allgemeinen eine Verhältniszahl oder Relation, die in zusammenfassender, teilweise auch vergröbernder Weise Zusammenhänge der wirtschaftlichen Arbeitsweise eines Unternehmens erläutern und veranschaulichen.“23 Sie sind „quantitative Daten, die als eine bewusste Verdichtung der komplexen Realität über zahlenmäßig erfassbare betriebswirtschaftliche Sachverhalte informieren sollen.“24
18 19 20 21 22 23 24
96
Vgl. Hamprecht, M., Konzernplanungssystem, 1996, S. 81. Vgl. ebenda. Vgl. Rau, K.-H., Unternehmensplanung, 1985, S. 21. Vgl. Hamprecht, M., Konzernplanungssystem, 1996, S. 82. Vgl. Horváth, P., Controlling, 2007, S. 566. Vgl. Preißler, P. R., Controlling-Lehrbuch, 2000, S. 127. Vgl. Weber, J./Schäffer, U., Balanced Scorecard und Controlling, 2000, S. 2.
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
In der Literatur lassen sich viele verschiedene Ansätze einer treffenden Definition des Begriffs Kennzahlen bzw. Kennzahlensystem finden. Es wird deutlich, dass selbst weitbekannte Experten auf dem Gebiet des Controllings unterschiedliche Auffassungen vertreten. Im Kern dienen Kennzahlensysteme dazu, dass anhand von Kennzahlen die Verknüpfung von Ursachen und daraus resultierenden Wirkungen/Reaktionen zu verdeutlichen sind, mit dem Ziel, entsprechende Maßnahmen ableiten zu können. Kennzahlen sind demnach „operative Stellhebel“25 und dienen den Managern als unverzichtbare Unterstützung bei der Steuerung eines Unternehmens. Gleichzeitig dienen Kennzahlen als Frühindikatoren für die Entwicklung von Unternehmensergebnissen. Wenn beispielsweise Reklamationsquoten steigen, die Krankheitsquote deutlich schlechter wird oder die quartalsweise ermittelte Umsatzrendite sinkt, wird sich bei Nichthandeln das Jahresergebnis deutlich verschlechtern. In diesen Fällen sind durch den Entscheidungsträger entsprechende Maßnahmen abzuleiten, wobei Kennzahlen Indikatoren für mögliche Ursachen liefern können, um negative Entwicklungen frühzeitig abzufangen. Die Anforderungen an aussagekräftige Kennzahlen sind vielfältig, wobei der Fokus auf einige wesentliche Punkte gelegt wird. Grundlegend sollten Kennzahlen aus dem aktuellen Geschäft und Tätigkeitsbereich eines Unternehmens abgeleitet werden, um die Verzahnung zwischen Kennzahl und tatsächlicher Unternehmensaktivität zu gewährleisten. Nur auf diesem Weg kann es einem Management ermöglicht werden, gelieferte Ergebnisse aus einem Kennzahlenbericht in die Entscheidungsfindung mit einfließen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist es unabdingbar, Kennzahlen in Ihrer Aussage und Ihrer Zielsetzung klar zu fixieren, die zu einer eindeutigen Definition führen und Missverständnisse bzw. Fehlinterpretationen ausschließen. Eine weitere wichtige Grundvoraussetzung für die Nutzung von Kennzahlen zu Steuerungszwecken, ist eine Bereitstellung der Zahlen im Ist und im Plan. Nur so kann ein sinnvoller Abgleich stattfinden der zur Identifizierung von Fehlentwicklungen führt. Bei allem Enthusiasmus bleibt eines abschließend zu beachten. Kennzahlen bzw. Kennzahlensysteme sollten nicht nach Belieben implementiert werden, sondern sich stets auf eine zielgerichtete und auf Bedürfnisse ausgerichtete Ausgestaltung fokussieren.
4.3
Informationssysteme - Überwindung von Informationsproblemen
Die Komplexität des unternehmerischen Handelns nimmt in der heutigen Zeit kontinuierlich zu. Dies steigert in zunehmendem Maße die Schwierigkeit der Unternehmensführung, die Existenz und den Erfolg Ihres Unternehmens dauerhaft zu sichern. Die Sicherung einer erfolgreichen Zukunft ist letztlich nur möglich, wenn in Unter25
Vgl. Weißmann, F., Leitfaden Controlling, 2005, S. 71.
97
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nehmen eine Absicherung und eine möglichst weitreichende Optimierung der Wertschöpfung erfolgt. Speziell für diesen Zweck benötigt das Management spezifische und fokussierte Informationen, die eine strategische und zukunftssichernde Ausrichtung der Unternehmung ermöglichen. Die Aufgabe zur Informationsversorgung des Managements fällt auf das Controlling zurück. Das Informationsverarbeitungs- (IV-) Controlling soll den Gesamtbereich der Informationsverarbeitung mit Controllingmaßnahmen begleiten. Theorie und Praxis im IV-Controlling kommen sich trotz erheblicher Anstrengungen in den Unternehmen nur sehr langsam näher.26 Obwohl sich unterschiedliche Forschungsrichtungen z.B. mit der Leistungsverrechnung, der Datenverarbeitung im Unternehmen und damit der Anwendung von Teilen der Controlling Idee im Informationsmanagement-Bereich beschäftigen, konnte bisher nur selten die Umsetzung einer umfassenden IVControlling-Konzeption in der Praxis festgestellt werden. Nach der Untersuchung von Zanger/Schöne bilden derzeit ein effektives Kostenmanagement, die Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Informationsverarbeitung sowie die Ausrichtung der IV an den Unternehmenszielen die wichtigsten IV-Controlling-Ziele. Die strategische Ausrichtung der IV tritt hinter den operativen Kostengrößen zurück. Weitere Anforderungen für die zukünftige Arbeit des IV-Controlling sind die Überwachung der Produktivität der Informationsverarbeitung, die Koordination der Integration neuer Technologien in die Unternehmensstrategie, die Überwachung der Informationsverarbeitungsprozesse und die Innovationsaufgaben im Hinblick auf Kostenersparnisse oder Potentialentwicklung. Portfolio-Management als Koordinationsinstrument zur Integration laufender und geplanter IS-Projekte in die Unternehmensplanung gewinnt ebenso an Bedeutung. Im Rahmen der Verflachung von Hierarchien und der zunehmenden Prozessorientierung von Unternehmen hat sich zusätzlich das organisatorische Umfeld für die Einführung der IV-Controlling-Idee verändert. Die Neuorientierung von Unternehmen an Geschäftsprozessen führt zu einer Veränderung des Führungsapparates in Unternehmen und strukturiert gleichzeitig die Grundlagen für die Informationsbereitstellung neu. Diese Neuorientierung führt im Informationsverarbeitungsbereich zu Veränderungen in den Anforderungsportfolios für ein integriertes IV-Controlling. Das IVControlling muss daher die Definition von Prozessen im Informationsverarbeitungsbereich unterstützen, die Einbindung der Datenverarbeitung in die Geschäftsprozesse sicherstellen und durch geeignete Instrumente die Kostenstruktur in einem angepassten Informationssystem zur Verfügung stellen. Ziel ist die prozessbegleitende Bereitstellung der relevanten Daten des Informationsflusses für die Steuerung der Prozesse. Dabei wird eine Reduktion der Komplexität in und zwischen Prozessen zu einem immer wichtiger werdenden Faktor innerhalb der Wertschöpfungskette und zu einer neuen Aufgabe für das Controlling. 26
98
Dies zeigen die beiden Untersuchungen von Krcmar, H., InformationsverarbeitungsControlling, 1992 und Zanger, C./Schöne, K., IV-Controlling, 1994.
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
5
Controlling bei der EWE AG
Die Entwicklung der EWE Aktiengesellschaft von einem kleinen und regionalen Energieversorger zu einem Multi-Utility Konzern mit einem Jahresumsatz von über 9 Milliarden Euro fordert dem Controlling eine rasante Anpassung auf die geänderten Rahmenbedingungen ab. Erste Ansätze des Controllings waren bei EWE schon früh integriert. Mit einem zentralisierten Kostenrechnungsansatz konnten jahrelang die erforderlichen Informationen generiert werden, die Ihren Anteil zur Steuerung des Unternehmens beitragen konnten. Mit der Fusion der EWE AG und der Überlandwerk Nord-Hannover AG (ÜNH) begann eine neue Zeitrechnung hinsichtlich der Integration weitreichender Controllinginstrumente. Die einfach strukturierte Kostenrechnung wurde den weitergehenden Anforderungen nicht mehr gerecht und wurde durch die so genannte Spartenrechnung ersetzt. Bei der Spartenrechnung wurde das Geschäft der EWE AG nach Produkten in die Bereiche Strom, Erdgas, Wasser, etc. segmentiert, wobei an einem zentralisierten Ansatz festgehalten wurde. Dieser Ansatz implizierte, dass jegliche Planungs-, Informations- und Kontrollprozesse zentral aus der Hauptverwaltung in Oldenburg gesteuert wurden. Lediglich die Planung des Brutto-Ergebnisses wurde dezentral in den Geschäftregionen vorgenommen. Der unter dem Namen „Projekt 2000“ ins Leben gerufene Arbeitskreis bekam im Jahr 2000 den Auftrag das bestehende Controllingkonzept hinsichtlich der Anforderungserfüllung zu prüfen. Das Ergebnis war ernüchternd – die Spartenrechnung konnte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Dies führte dazu, dass ein völlig neues Controllingkonzept entwickelt und 2001 in die Realität umgesetzt wurde. Dies ist die Geburtsstunde des bis heute angewandten Center-Controllings. Entgegen der vorherigen Modelle handelt es sich hierbei um einen dezentralen Controlling Ansatz, bei dem die Unternehmensstruktur in so genannten Centern abgebildet wird. Die Verantwortung dafür wird dezentral auf die jeweiligen Center verteilt, so dass die Abteilung Controlling koordinative und verdichtende Funktionen wahrnimmt. Die Weiterentwicklung des Controllings bei EWE geht mit einer deutlichen Zunahme der Bedeutung von Controllingelementen bei der Steuerung des Unternehmens einher. In der stetig komplexer werdenden Unternehmensstruktur und der stark variierenden externen Einflussfaktoren auf das Unternehmen sind interne Steuerungselemente mittlerweile unverzichtbar geworden. Einen wichtigen Beitrag kann an dieser Stelle das Controlling liefern, wobei EWE mit Hilfe der folgenden sechs Elemente gesteuert wird: 1. Operatives Ergebnis 2. Investitionsmanagement (Budgetierung) 3. Brutto-Erfolgsrechnung / Sachkostenrechnung 99
Brinker
4. Personalkosten 5. Deckungsbeitragsrechnung 6. Wertbeitragsrechnung Innerhalb dieses Bereichs spielen Planungs- und Kontrollprozesse die wesentliche Rolle, wobei Planzahlen als Zielvorgabe gesehen werden. Ein stetiger Soll-Ist-Vergleich (Kontrollfunktion) misst die Entwicklung bzw. mögliche Abweichungen und initiiert notwendige Maßnahmen, um die Zielvorstellung am Ende erreichen zu können
5.1
Planungssysteme bei EWE
Wie bereits ausführlich erläutert, stellt die Planung eine zentrale Bedeutung innerhalb der Unternehmensführung dar. Insbesondere vor dem Hintergrund der immensen Entwicklung der EWE AG zu einem der größten Energiedienstleistern Deutschlands war ein transparentes Planungssystem die Voraussetzung für den Erfolg. In den Zeiten des nicht liberalisierten Marktes fand die Planung zumeist zentral für alle Unternehmensebenen statt. Zumal die Kostenstruktur eines Energiedienstleisters stark geprägt ist durch hohe Investitionsausgaben und schwankende Bezugskosten, verwundert es nicht, dass eine Planung fast ausschließlich auf Umsatzerlöse, Investitionen und Bezugskosten fixiert ist. Eine zunehmende Marktkomplexität und wachsende Herausforderungen waren jedoch letztendlich für eine Entwicklung vom zentralen bis hin zum dezentralen Planungsprozess verantwortlich. Dieser zentrale Ansatz, der in 2000 eingeführt wurde, impliziert, dass die einzelnen Unternehmensebenen sowohl Ihr Budget als auch einzelne Zielvorgaben selbst planen. In diesem Planungsprozess kommt dem Controlling vielmehr eine Koordinationsfunktion zu. Die einzelnen Planzahlen der Unternehmensebenen werden jedoch nicht nur für einen Soll-Ist Abgleich verwendet, sondern gelten darüber hinaus zusätzlich als Zielvorgabe der einzelnen Ebenen selbst. Der Planungsprozess bei EWE lässt sich derzeit in drei Bereiche aufteilen. Zunächst wird vor Beginn eines neuen Geschäftsjahres dieses in seiner Gesamtheit vorgeplant. Auf Grund des durch viele Einflüsse schwer vorhersehbaren Energieabsatz wird diese Planung durch drei unterjährig erstellte Prognosen überprüft. Diese werden ebenfalls quartalsweise angefertigt und dienen als wichtiger Indikator für die Entwicklung des Ergebnisses der EWE AG. Neben dieser kurzfristigen Planung wird einmal im Geschäftjahr eine mittelfristige Planung (strategische Planung) mit einem Planungshorizont von 4 Jahren erstellt. Diese dient insbesondere bei strategischen Entscheidungen als unverzichtbarer Hilfsmittel. Auf eine langfristige Planung (Planungshorizont > sieben Jahre) wird aktuell noch verzichtet. Der dritte Bereich im Planungskonstrukt
100
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
der EWE beinhaltet die Planung für den Aufsichtsrat (operative Planung), die an die speziellen Anforderungen des AR angepasst wurde. Derzeit findet die Planung jeweils in Form von Exceldateien statt, und wird nicht über die einzelnen Systeme abgebildet. Die zukünftige Entwicklung der Planungssysteme sieht vor, die Planung systemimmanent abzubilden und somit einen weiteren wichtigen Beitrag zur Effizienz zu leisten. Der Planungsprozess nimmt demnach eine zentrale Rolle im Controlling der EWE AG ein. Die Bedeutung als internes Steuerungselement und Informationslieferant hat deutlich zugenommen, wobei eine zielgerichtete Steuerung des Unternehmens ohne die aus diesem Prozess generierten Informationen unmöglich scheint.
5.2
Kennzahlensysteme bei EWE
Nach der Definition Horváths „sollen Kennzahlen relevante Zusammenhänge in verdichteter, quantitativ messbarer Form wiedergeben und dem Management eines Unternehmens bei der Entscheidungsfindung als Unterstützung dienen“27. Nach Maßgabe dieser Definition wurden auch bei EWE entsprechende Kennzahlensysteme integriert, die sich analog zur „Konzernwerdung“ der EWE AG weiterentwickelt haben. Die stetig wachsenden Herausforderungen für das Unternehmen und das sich mittlerweile rasant veränderte Umfeld der EWE AG erfordern einen kontinuierlichen Anpassungsprozess der steuerungsrelevanten Kennzahlen. Neben den standardisierten Kennziffern zur Messung des Unternehmenserfolgs und der Rendite für das eingesetzte Kapital, wurden in vielen weiteren Bereichen des Unternehmens organisationsabhängige Kennzahlensubsysteme eingerichtet, die sich aus den entsprechenden Bedürfnissen ableiten. Diese Subsysteme werden in einem sogenannten Ergebnisbaum zusammen geführt und für jede weitere Managementebene verdichtet, so dass am Ende des Verdichtungsprozesses aussagekräftige Kennzahlen zur Unterstützung des Vorstandes geliefert werden können.
5.3
Informationssysteme bei EWE
Bei einer intensiveren Betrachtung des Abschnitts 4.3. wird eines sehr deutlich - das Controlling kann seine Aufgaben nur in Verbindung mit einem funktionierenden Informationssystem erfüllen. Generierte Planzahlen, Kennzahlen o.ä. können nur in
27
Vgl. Horváth, P., Controlling, 2007, S. 586.
101
Brinker
der richtig aufbereiteten Form einen positiven Beitrag zur Steuerung des Unternehmens leisten. Die EWE AG hat dieses frühzeitig erkannt und bereits mit der Leistungsrechnung ein entsprechendes Informationssystem eingeführt. Dies folgte schon damals den Anforderungen der Informationsempfänger, die analog ihrer definierten Anforderungen daraus abgeleitete Berichte erhielten. Mit der Weiterentwicklung des Controllings entwickelten sich auch die entsprechenden Informationssysteme weiter und gewährleisteten auf diesem Wege einen annähernd reibungslosen Informationsfluss. Die als Ergebnis der funktionierenden Controllingprozesse erzeugten Informationen werden im SAP-System (Einführung Anfang der 90er Jahre) entsprechend des zugeordneten Centers hinterlegt. Entsprechend der Vorgaben der Empfänger werden quartalsweise Auswertungen durchgeführt und Berichte erstellt. Dies geschieht aktuell noch unter der zur Hilfenahme von Excel, soll jedoch in naher Zukunft auf ein bereits intensiv getestetes Management Information System (MIS) umgestellt werden. Neben der quartalsweisen Berichterstattung werden regelmäßige Ad-hoc Anfragen bearbeitet, die umgehend den Anfordernden mit den gewünschten Informationen versorgen können. Dies geschieht aufgrund des integrierten Informationssystems ohne große zeitliche Verzögerung. Eine zu erwähnende Besonderheit ist die Tatsache, dass der Empfänger von Informationen aktiv auf den Umfang und die Art der Berichterstattung Einfluss nehmen kann. Somit kann der Informationsfluss flexibel den individuellen Anforderungen angepasst werden. Für die EWE AG lässt sich abschließend festhalten, dass auf Grund des ausgereiften Informationssystems, die in anderen Bereichen des Controllings generierten Informationen, zeitnah und effektiv aufbereitet bei den entsprechenden Adressaten auflaufen und so das Risiko eines Informationsstaus minimieren. Ohne ein entsprechendes System wäre die Sinnhaftigkeit der Informationsgenerierung stark in Frage gestellt.
6
Ausblick
In den vorangegangenen Abschnitten wurden viele Facetten des Controllings aufgezeigt und die EWE AG als ein praktisches Beispiel herangezogen. Dabei wurde sehr deutlich, dass jedes Unternehmen seine ganz speziellen Anforderungen an das Controlling hat und es keine allgemeingültigen Realisierungsvorschläge gibt. Eines ist jedoch hervorzuheben - ein Verzicht auf jegliche Art von Controlling und Controllinginstrumenten ist in der heutigen Unternehmenswelt nicht aufrecht zu erhalten.
102
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
Das Beispiel der EWE AG hat gezeigt, dass sich das Controlling in einem ständigen Anpassungsprozess befindet, um den sich stets wandelnden Rahmenbedingungen und Anforderungen gerecht werden zu können. Angefangen mit einer übersichtlichen Leistungsrechnung haben heutzutage komplexe Controllingsysteme Einzug in die Unternehmen erhalten. Wie wird es in den nächsten Jahren weiter gehen? Um diese Frage zu beantworten, bietet sich ein Blick auf das bekannte Beispiel EWE AG an. Die Entwicklung des Controllings bei EWE in den vergangenen Jahren hat eines deutlich gemacht - die Energiebranche befindet sich im Umbruch. Die Zunahme der Anforderungen ist auf den Wandel im Umfeld des Unternehmens zurückzuführen. Mit Beginn der Liberalisierung der Energiemärkte hat sich die Wandlungsgeschwindigkeit vervielfacht. Eine Vielzahl verschiedener Einflussfaktoren hat das Leben des Energiedienstleisters EWE verändert und wird es in den nächsten Jahren auch weiterhin tun. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf dem Energiemarkt galten in der Vergangenheit als konstant. In der Gegenwart sieht dieses Bild viel dynamischer aus. Neue Gesetze oder erlassene Verordnungen verlangen kurzfristige Anpassungen des Unternehmens und sorgen regelmäßig für Unruhe. Weitere Gesetzesentwürfe befinden sich bereits in der Diskussion und werden in der nahen Zukunft die EWE AG mit neuen Herausforderungen konfrontieren. Somit ist der politische Einfluss auf das Unternehmen einer der zentralen Einflussgrößen auf den Entwicklungsprozess. Ein weiterer nachhaltiger Veränderungsprozess ist die Entwicklung des Energiemarktes hin zum Wettbewerbsmarkt. Die Zeiten der Monopolisten sind vorüber, jedes Unternehmen muss sich dem Wettbewerb stellen und sich der notwendigen Instrumente bedienen, um diesen erfolgreich bestreiten zu können. Sowohl auf der Strom- als auch auf dem Erdgasmarkt wird der Wettbewerbsdruck kontinuierlich zunehmen. Neue Preismodelle, neue Produktvarianten oder auch Verknüpfungen mit anderen Geschäftsfeldern bieten Möglichkeiten, den Wettbewerb aktiv zu gestalten und fordert dem Controlling immer komplexere Anforderungen ab. Und auch das Unternehmen selbst befindet sich in einem kontinuierlichen Wandlungsprozess. Aus dem kleinen regionalen Energieversorger ist im Laufe der Jahre ein international operierender Konzern mit über 5.600 Mitarbeitern geworden. Eine Vielzahl von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften erfordert eine zielgerichtete Integration dieser Unternehmen, um ein hohes Maß an Effektivität und Effizienz zu erreichen. Diese Aufgabe ist ein langfristiges Projekt, denn Aktivitäten in der Schweiz, Polen oder auch in der Türkei erfordern ein gut funktionierendes Informations- und Koordinationsnetzwerk. Speziell im Hinblick auf den „Konzernwerdungsprozess“ sieht sich das Controlling bei EWE und insbesondere der Einsatz interner Steuerungselemente mit einer riesigen Herausforderung konfrontiert, die es durch intensive Arbeit und ein hohes Maß an Einsatz zu bewältigen gilt. Aus dem „AG-Controlling“ wird sich ein Konzerncontrolling entwickeln, dass dem Holding-Vorstand ein Höchstmaß an Handlungsspielräumen ermöglichen wird.
103
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Eine konkrete Aussage über die zukünftigen Entwicklungen des Controllings bei EWE lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht treffen. Doch eines ist sicher, die Geschwindigkeit der Anpassungsprozesse und die Vielfältigkeit der Anforderungen werden in den nächsten Jahren weiter deutlich zunehmen.
104
Die Entwicklung von internen Steuerungselementen am Beispiel der EWE AG
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105
Brinker
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106
Unternehmenssteuerung im genossenschaftlichen FinanzVerbund
Dr. Christopher Pleister, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Hauptgeschäftsstelle Schellingstraße 4, 10785 Berlin
1
Entwicklungslinien in der Unternehmenssteuerung der Banken............................ 109
2
Wertorientierung als Steuerungsphilosophie ............................................................. 110
3
Möglichkeiten im Rahmen einer wertorientierten Abbildung und Steuerung der Erfolgsbeiträge................................................................................................................ 112
4
Banksteuerung – quo vadis? ......................................................................................... 113
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 114
107
Unternehmenssteuerung im genossenschaftlichen FinanzVerbund
1
Entwicklungslinien in der Unternehmenssteuerung der Banken
Seit der Anwendung der Marktzinsmethode Anfang der 80er Jahre hat die Unternehmenssteuerung eine beachtliche Entwicklung genommen. Mit der Marktzinsmethode konnte erstmals der Zinsüberschuss der Bank in Ergebnisbeiträge aus dem Kundengeschäft und dem Strukturbeitrag aus der Fristentransformation aufgespalten werden. In den letzten Jahren wurden – nicht zuletzt durch aufsichtsrechtliche Entwicklungen der 6. KWG-Novelle und Basel II- die Ertrags- und Risikomessinstrumente systematisch weiterentwickelt und verfeinert. Nach dem heutigen Stand kann jedes Geschäft in seine Ertrags-, Kosten- und Risikokomponenten zerlegt werden. Hierdurch ist jedes Geschäft dezidiert kalkulierbar und die Auswirkungen auf die einzelnen Komponenten entsprechend transparent. Somit ist eine genaue Zuordnung nach dem Verursachungsprinzip möglich. Diese instrumentellen Voraussetzungen schaffen damit die Grundlage für ein strategisches Controlling und eine betriebswirtschaftlich rationale Unternehmensführung. Immer volatiler werdende Finanzmärkte und die sinkenden Margen machen differenziertere Controllinginstrumente zwingend erforderlich. Auch wenn der Geschäftszweck sowohl von Sparkassen als auch von Genossenschaftsbanken primär nicht in einer Ertrags- bzw. Wertmaximierung liegt, so ist dennoch die wertorientierte Steuerung eine wesentliche Voraussetzung, um dem Förderauftrag gerecht zu werden. In den letzten Jahren hat insbesondere der genossenschaftliche FinanzVerbund mit VR-Control als in sich geschlossenem Steuerungskonzept Anstrengungen unternommen, die Banksteuerung weiter zu professionalisieren. Dabei steht das Prinzip der Vermögensorientierung im Vordergrund. Das Gesamtbanksteuerungsverfahren umfasst
eine barwertige Kundengeschäftssteuerung (mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung),
eine Marktpreisrisikosteuerung mit Performance- und Value-at-risk-Kennzahlen, eine Ausfallrisikosteuerung, Ratingverfahren für die verschiedenen Kundensegmente sowie eine Integration aller Steuerungsbereiche in eine barwertige Risikotragfähigkeitsrechnung.
109
Pleister
Abbildung 1-1: Der Controlling-Baukasten und seine Module
2
Wertorientierung als Steuerungsphilosophie
Die Frage der Steuerungsmethode ist dabei nicht nur eine technische Thematik der Erfolgsabbildung im Controlling. Vielmehr rückt der Barwertansatz durch seine Diskontierung von Margen und Zahlungsströmen die Zukunft in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der diskontierte Wert stellt gleichsam den künftigen Periodenerfolg dar. Für eine Steuerung braucht der Vorstand allerdings beide Rechenwerke: Sowohl die barwertige Betrachtung, als auch die Gewinn- und Verlustrechnung. Schnell gewachsen und dadurch in der heutigen Zeit noch weit verbreitet ist der buchhalterische Periodenerfolg als Messlatte zur Erfolgsbewertung eines Unternehmens.
110
Unternehmenssteuerung im genossenschaftlichen FinanzVerbund
Danach ergibt sich ein positiver „Unternehmenswert“, wenn die Erträge die Aufwendungen übersteigen. Buchhalterische Gewinne eignen sich aber nicht dazu, um Veränderungen des Wertes eines Unternehmens zu messen, denn
der buchhalterische Ansatz ist vergangenheits-orientiert, er basiert auf Buchwerten statt auf Zahlungsströmen, er offeriert dem Bilanzierenden ein breites Spektrum alternativer Bewertungsansätze mit entsprechenden Wahlrechten,
er vernachlässigt die Kosten für das eingesetzte Eigenkapital, die sich in den Renditeerwartungen der Gesellschafter widerspiegeln und lässt so nicht erkennen, ob ein Unternehmen seine Kapitalkosten erwirtschaftet,
er macht das eingegangene Risiko nicht transparent und er vernachlässigt last but not least den Zeitwert des Geldes, der bei einer Diskontierung zukünftiger Cashflows berücksichtigt wird.
Auch die weit verbreiteten Kennzahlen Return on Investment (ROI) oder Return on Equity (ROE) können die beschriebenen Probleme nicht beheben. Sie setzen den buchhalterischen Gewinn lediglich ins Verhältnis zu einer Bezugsgröße im Nenner (z.B. der Bilanzsumme oder dem Eigenkapital). Damit bestehen die aufgezeigten Probleme auch weiterhin.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass einzig eine barwertige Betrachtung zukünftiger Cashflows eine geeignete Messgröße für die wertorientierte Unternehmenssteuerung darstellt.
111
Pleister
3
Möglichkeiten im Rahmen einer wertorientierten Abbildung und Steuerung der Erfolgsbeiträge
Die Möglichkeiten im Rahmen einer wertorientierten Abbildung und Steuerung der Erfolgsbeiträge bestehen ganz wesentlich in ihrer Zuordnung zu einzelnen Funktionsbereichen der Bank.
Abbildung 3-1:
Strategische Ziele nach Bankfunktionen
Management der Bank Managementprozess (Planung- Vorsteuerung- Soll-Ist-Vergleich) Sicherung des zukünftigen Geschäftserfolges
Funktionsbereich Vertrieb Optimierung
Funktionsbereich Produktion
Funktionsbereich Portfoliomanagement
Abwicklung Zahlungsverkehr Einlagengeschäft Kreditgeschäft Wertpapiergeschäft Verbundgeschäft
Optimierung Ertrag/Risiko
Vertriebserfolg
Privatkunden Basiskunden Servicekunden
Kosten
Betreuungskunden Qualität Individualkunden Firmenkunden Gewerbekunden Mittelstand
Kosten Qualität
Kostenoptimierung
Funktionsbereich Services Serviceprozess: Revision, Finanzen, Personal, Controlling, IT
Kostenoptimierung
Damit kann die Wertschöpfungskette in der Bank ausgehend vom Vertrieb in logische Einheiten zerlegt und mit den einzelnen Geschäftsgrößen optimiert werden. Die Zielfunktionen sind dabei einfach: Der Vertrieb maximiert durch systematische und umfassende Tätigkeiten seinen Deckungsbeitrag über alle Produkte und Bedarfsfelder des
112
Unternehmenssteuerung im genossenschaftlichen FinanzVerbund
Kundengeschäftes. Die Ausrichtung auf das Neugeschäft zeigt zudem die Akquisitionsleistung.
In der Produktion wird das Produktivitätsergebnis sowie die Kapazitätsauslastung optimiert: Stückkosten bzw. Sollzeiten aus den Abwicklungsprozessen werden den Istkosten bzw. Istkapazitäten der Abwicklung gegenübergestellt. Kosten und Kapazitäten können so in der Abwicklung optimal gesteuert werden.
Die Aufgabe in der Portfoliosteuerung als dritte Säule der Bank besteht in einer betriebswirtschaftlich optimalen Anlage des Vermögens unter Ertrags-/Risikogesichtspunkten. Dabei zeigt sich, dass eine Streuung zwischen verschiedenen Vermögensklassen durchaus einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Bankergebnisses leisten kann.
In diesen Bereich fällt auch die Adressrisikosteuerung mit dem Portfolioansatz. Sicherlich ist die Bestimmung eines erwarteten bzw. unerwarteten Risikos des Gesamtportfolios etwas völlig Neues, da bislang die Einzelengagementbetrachtungen im Vordergrund standen.
4
Banksteuerung – quo vadis?
Die bereits methodisch erfolgte Entwicklung der Controllinginstrumente muss in den nächsten Jahren durch ein besseres Managementverständnis der Wirkungsweise der Verfahren ergänzt werden. Zu oft sprechen Spezialisten der Steuerung und das Management nicht die gleiche Sprache. Gerade die neu eingeführten Controllinginstrumente müssen sich in der Praxis bewähren. Dabei ist der Grad an Komplexität mit der Notwendigkeit einer robusten Steuerung im Tagesgeschäft gegeneinander abzuwägen. Die Controller in den Banken müssen sich dabei als Dienstleister für das Management mit ihren Reportingsystemen verstehen. Hier gibt es noch viel zu tun.
113
Pleister
Literaturverzeichnis
BVR E.V. (Hrsg.), VR-Control Wissen, Zusammenfassung Fachkonzepte für Controller und Spezialisten, Bonn 2003.
der
VR-Control-
WIEDEMANN, A./LÜDERS, U. (Hrsg.), Integrierte Rendite-/Risikosteuerung, 2. Aufl., Münster 2006. WIMMER (Hrsg.), Wertorientierte Vertriebssteuerung in Banken und Sparkassen, Finanz Colloquium, 2. Aufl. Heidelberg, 2007.
114
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
Univ.-Prof. Dr. Udo Buscher Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Industrielles Management, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität Dresden Münchner Platz 2-3, 01069 Dresden
1
Durchlaufzeitlücke in der Auftragsfertigung ............................................................. 117
2
Durchlaufzeitcontrolling mit der Wertschöpfungsanalyse....................................... 121 2.1 Wertschöpfungsorientierung zur Vermeidung von Verschwendung ............ 121 2.2 Instrumente zur Identifikation des Durchlaufzeitverkürzungspotentials .... 123
3
Überlappende Fertigung zur Reduktion der Durchlaufzeit in der Fertigung........ 128 3.1 Überlappende Fertigung bei einem Auftrag ..................................................... 128 3.2 Überlappende Fertigung bei mehreren Aufträgen ........................................... 131
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 135
115
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
1
Durchlaufzeitlücke in der Auftragsfertigung
In einem allgemeinen Verständnis besteht die Hauptaufgabe des Controllings darin, die Unternehmensführung ergebniszielorientiert bei der Planung, Steuerung, Kontrolle und Informationsversorgung zu unterstützen.1 Einerseits gilt es hier den Erfolg und die Liquidität des Unternehmens durch eine integrierte Erfolgs- und Finanzplanung nachhaltig zu sichern.2 Andererseits geht das Controlling über das rein monetär orientierte Rechnungswesen hinaus, weil auch quantitative, nicht-monetäre und qualitative Informationen Entscheidungsrelevanz besitzen können.3 Werden die unternehmerischen Aktivitäten aus einer prozessorientierten Perspektive betrachtet, so kommt dem Controlling unmittelbar die Unterstützung der Führung bei der Planung, Steuerung und Kontrolle der direkten und indirekten Wertschöpfungsprozesse zu.4 Da sich sämtliche Wertschöpfungsprozesse in der Zeit vollziehen, stellt der durch eine Wertschöpfungskette beanspruchte Zeitbedarf eine ökonomische Handlungsdimension dar.5 Seit Ende der achtziger Jahre wird verstärkt auf die strategische Bedeutung der Zeit im Wettbewerb hingewiesen. Zahlreiche Unternehmen sehen sich veranlasst, ihre Aktivitäten hinsichtlich des Zeitfaktors zu überprüfen. Der Zeitwettbewerb (Time-based Competition) fordert von den Unternehmen unter anderem die Beherrschung verschiedener Zeitspannen. Hierzu zählt bspw. die Reaktionszeit der Unternehmen, um sich auf Nachfrageänderungen der Kunden einzustellen (Time to React). Eine weitere als Time to Market bezeichnete Zeitspanne erfasst die Zeit vom Produktentwicklungsbeginn bis zum Markteintritt des Produktes. Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht allerdings die Auftragsdurchlaufzeit. Der ursprünglich produktionswirtschaftlich geprägte Begriff der Durchlaufzeit eines Auftrages bezeichnet im engen Sinne die Zeitspanne, die vom Eintreten des Auftrages in den Produktionsbereich bis zu seiner Fertigstellung verstreicht.6 Wird eine funktionale Aufspaltung der Durchlaufzeit gewählt, so lassen sich im Wesentlichen die Komponenten Rüstzeit, Bearbeitungszeit, Liege- bzw. Wartezeit und Transportzeit unterscheiden. Häufig ist festzustellen, dass die ablauf- oder störungsbedingt auftretenden Liege- bzw. Wartezeiten einen Anteil von 80 bis 90% der Auftragsdurchlaufzeit ausmachen.7 Um zu analysieren, wie lange es dauert, um einen Kundenauftrag zu erfüllen,
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Horváth, P., Controlling, 2006, S. 134. Vgl. Lachnit, L., Erfolgs- und Finanzlenkung, 1989, S. 346-347 und Lachnit, L./Ammann, H., Unternehmensführung, 1992, S. 829. Vgl. Baum, H.-G./Coenenberg, A. G./Günther, T., Controlling, 2004, S. 4. Vgl. Töpfer, A., Betriebswirtschaftslehre, 2007, S. 1086. Vgl. Isermann, H., Managementfunktion, 2004, S. D 1-6. Vgl. Reichwald, R./Sachenbacher, H., Durchlaufzeiten, 1996, Sp. 362. Vgl. Haupt, R., Durchlaufzeit, 1997, S. 187.
117
Buscher
reicht es aber nicht aus, ausschließlich die Durchlaufzeit in der Fertigung zu betrachten. Vielmehr sind sämtliche Zeiten der Beschaffung, der Produktion und der Distribution bei der Bestimmung der Auftragsdurchlaufzeit (Order Lead Time) einzubeziehen. Bei deren Analyse bietet es sich an, diese aus einer prozessorientierten Sichtweise zu betrachten. Der Prozess der Auftragserfüllung kann als Folge verschiedener Teilprozesse aufgefasst werden. In idealtypischer Weise zeigt Abbildung 1-1 die Teilprozesse, die im Falle der auftragsorientierten Fertigung zur Abwicklung des Kundenauftrages notwendig sind (vgl. Abbildung 1-1).
Abbildung 1-1:
Idealtypische Prozessfolge zur Erfüllung eines Kundenauftrags
Auftragseingang
Design- und Konstruktionsänderungen
Beschaffung
Kunde
Lieferanten
Distribution
Endmontage
Produktion und Vormontage
Nach dem Eingang des Kundenauftrags bedarf es zunächst einer Analyse, welche Auswirkungen sich aufgrund von Design- und Konstruktionsänderungen auf die zu beschaffenden und zu fertigenden Teile und Baugruppen ergeben. Hierbei ist zwischen standardisierten und auftragsbezogenen Teilen zu unterscheiden. Während erstere aufgrund ihrer vielseitigen Verwendbarkeit unabhängig vom Kundenauftrag beschafft oder vorgefertigt werden können, lassen sich letztere erst nach Erteilung des Kundenauftrags herstellen. Aus Kostengründen ist selbstverständlich ein möglichst hoher Anteil an standardisierten Teilen anzustreben. Anhand des Ausmaßes der kundenindividuell zu erbringenden Leistungen können bei der Auftragsfertigung unterschiedliche Produktionsstrategien differenziert werden.8 Geht es im Wesentlichen darum, zumeist fremdbezogene Baugruppen und Module den Wünschen des Kunden entsprechend zusammenzusetzen, so handelt es sich um eine auftragsorientierte Montage (Assemble to Order – ATO). Bei der klassischen auftragsorientierten Fertigung (Make to Order – MTO) stellen die Unternehmen die Baugruppen und Module dagegen 8
118
Zu dieser Differenzierung vgl. bspw. Handfield, R.B., Time-based Competition, 1995, S. 6-7.
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
zu einem wesentlichen Teil selbst her. Der höchste Grad der kundenindividuellen Ausrichtung wird bei der auftragsorientierten Entwicklung (Engineer to Order – ETO) erreicht, die sich durch eine weitgehende kundenindividuelle Entwicklung und Konstruktion auszeichnet. Die Planung und Steuerung der Produktion und Montage gestaltet sich in der Auftragsfertigung als schwierig, weil die kundenindividuell herzustellenden Produkte unterschiedliche Wege durch die Produktion nehmen. Zumeist ist gleichzeitig eine Vielzahl an Produkten zu fertigen, so dass häufig unübersichtliche und instabile Produktionsprozesse anzutreffen sind. Die Summe der Zeitbedarfe, die für die Erledigung der Teilprozesse Auftragseingang, konstruktive Änderungen, Beschaffung, Produktion, Montage und Auslieferung anfallen, zuzüglich der nicht explizit in Abbildung 1-1 aufgeführten Warte- und Liegezeiten, determinieren schließlich die gesamte Auftragsdurchlaufzeit. Um bei der Auftragsakquisition erfolgreich sein zu können, spielt neben dem Preis, den Produkteigenschaften und den produktbegleitenden Dienstleistungen (Value Added Services) insbesondere die Fähigkeit eine Rolle, wie schnell das Produkt nach dem Auftragseingang dem Kunden ausgeliefert werden kann (Time to Serve). Häufig lässt sich allerdings feststellen, dass die vom Kunden gewünschte Auslieferungszeit deutlich kürzer als die Zeit ausfällt, die die gesamte Abwicklung des Auftrages in Anspruch nimmt. Die Differenz zwischen der Auftragsabwicklungszeit und der vom Kunden geforderten Auslieferungszeit wird als Lead-Time Gap bzw. Durchlaufzeitlücke bezeichnet (vgl. Abbildung 1-2).
Abbildung 1-2:
Durchlaufzeitlücke auftragsgefertigter Produkte9
Produktion
Beschaffung
Distribution
gesamte Auftragsdurchlaufzeit vom Kunden geforderte Auftragsdurchlaufzeit (Time to Serve)
Durchlaufzeitlücke
9
In Anlehnung an Schary, P.-B./Skjøtt-Larsen, T., Global Supply Chain, 1995, S. 318 und Christopher, M./Pack, H., Logistics, 1997, S. 67.
119
Buscher
Eine Möglichkeit Herr dieses Problems zu werden besteht darin, auftragsunabhängig mit der Produktion von Einzelteilen und Baugruppen zu beginnen. Dabei kennzeichnet der Order Decoupling Point bzw. der Order Penetration Point (OPP) den Zeitpunkt, in dem der Übergang von auftragsneutraler zu auftragsbezogener Fertigung vollzogen wird.10 Mit zunehmender Produktindividualisierung rückt der Order Penetration Point in der Wertschöpfungskette weiter nach vorne. Dies bedeutet gleichzeitig, dass der Anteil der kundenauftragsgetriebenen Prozesse steigt. Umgekehrt führt ein nahe am Kunden liegender Order Penetration Point dazu, dass die meisten Prozesse prognosegetrieben abgewickelt werden. Ausgehend vom Order Penetration Point werden damit stromaufwärts sämtliche Prozesse prognosegetrieben und stromabwärts kundenauftragsgetrieben abgewickelt (vgl. Abbildung 1-3).
Abbildung 1-3:
Effizient zu gestaltende Prozessabschnitte
Die Lage des Order Penetration Point in Abhängigkeit der Produktionsstrategie
se no ne g o Pr riebe se t ge ozes Pr
OPP
OPP
OPP
OPP
ETO
MTS
ATO
MTO
e en en nd trieb u K sg e e ag ess ftr Proz u a
Flexibel zu gestaltende Prozessabschnitte
Bei der Festlegung der Produktionsstrategie ist zudem die vorliegende Nachfrageunsicherheit zu berücksichtigen.11 Eine stabile Nachfrage ist für funktionale Produkte mit einem langen Produktlebenszyklus charakteristisch, die über eine längere Zeit unverändert verkauft werden und der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse dienen. Hierzu gehören bspw. viele Lebensmittel und Kraftstoffe, die in flächendeckenden Verkaufseinrichtungen vertrieben werden. Der Fokus der Produktionsstrategie liegt auf einer effizienten Gestaltung der Abläufe, so dass bei geringen Sicherheitsbeständen eine Make-to-Stock-Strategie gewählt werden kann. Schnellem technologischen Wandel unterliegende Produkte wie Computer sowie Lifestyle-Artikel der Modebran10 11
120
Vgl. Alicke, K., Planung, 2003, S. 50. Zum Einfluss der Nachfrageunsicherheit auf die Produktionsstrategie vgl. auch Olhager, J., Penetration Point, 2003, S. 326-327.
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
che zählen hingegen zu innovativen Produkten, die einen kaum vorherzusagenden Nachfrageverlauf aufweisen. Die Vorhersagbarkeit der Nachfrage wird zudem durch kurze Lebenszyklen sowie eine große Variantenvielfalt dieser Produkte erschwert. Um hohe Bestände zu vermeiden sollte idealerweise eine Make-to-Order-Strategie gewählt werden, die aber häufig aufgrund der kurzen vom Kunden gewünschten Lieferzeit nicht möglich ist. In diesem Fall bietet es sich an, die eigentliche Produktindividualisierung möglichst spät vorzunehmen. Diese Technik des Verzögerns wird auch als Manufacturing Postponement bezeichnet.12 Sie weist insbesondere den Vorteil auf, dass die in neutralem Zustand befindlichen Teile, Baugruppen oder Komponenten für eine Vielzahl von Endprodukten eingesetzt werden können und damit deren Nachfrage wesentlich stabiler verläuft als die der Endprodukte. Im Idealfall gelingt es, erst beim Eintreffen des Kundenauftrages Produktdifferenzierung vorzunehmen. Allerdings setzt dies voraus, dass es sich um modular aufgebaute Produkte handelt.
2
Durchlaufzeitcontrolling mit der Wertschöpfungsanalyse
2.1
Wertschöpfungsorientierung zur Vermeidung von Verschwendung
Eine andere hier im Mittelpunkt stehende Strategie um auf die Durchlaufzeitlücke zu reagieren besteht darin, Maßnahmen zu ergreifen, die auf die Verringerung der Auftragsdurchlaufzeit abzielen. Die Tätigkeiten, die für die Planung, Steuerung und Kontrolle der Auftragsdurchlaufzeit notwendig sind, können direkt dem Durchlaufzeitcontrolling zugeordnet werden, weil sie auf die Realisierung von Zeiteffizienzen ausgerichtet sind. Ein Durchlaufzeitcontrolling erfordert zwangsläufig die intensive Auseinandersetzung mit den für die Produktherstellung relevanten Wertschöpfungsprozessen. Ein operativ ausgerichtetes Controllinginstrument, in dessen Mittelpunkt die Wertschöpfungsprozesse stehen, ist die Wertschöpfungsanalyse.13 Sie ist primär darauf ausgerichtet, nicht
12 Vgl. Bowersox, D.J./Closs, D.J., Logistical Management, 1996, S. 472-472. 13 Vgl. Töpfer, A., Betriebswirtschaftslehre, 2007, S. 1094.
121
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wertschöpfende Prozesse zu identifizieren und zu reduzieren bzw. bestenfalls zu eliminieren. Die Vermeidung von Verschwendung (Muda) ist Ausdruck der Wertschöpfungsorientierung, die eine zentrale Forderung des Lean-Management-Konzeptes darstellt.14 Dabei werden alle nicht wertschöpfenden Tätigkeiten als Verschwendung angesehen.15 Während ein Teil dieser Tätigkeiten unter den gegebenen technologischen Gegebenheiten unvermeidbar ist (Muda Typ 1), fallen unter den Muda Typ 2 alle nicht wertschöpfenden Aktivitäten (Blindleistungen), die sich vermeiden lassen.16 Hierbei lassen sich idealtypischerweise sieben Verschwendungsarten unterscheiden, die nicht immer ganz überschneidungsfrei voneinander abgegrenzt werden können:17 1. Muda durch Überproduktion: Überproduktion entsteht, wenn den Kundenanforderungen hinsichtlich Menge, Zeit und Qualität nicht genau entsprochen wird. Es resultieren erhöhte Lagerbestände sowie längere Lager- und Durchlaufzeiten. Ein anschauliches Beispiel für die Überproduktion sind von der Leistung her überdimensionierte Anlagen, die unabhängig von der Taktzeit und damit der Kundennachfrage mit maximaler Intensität gefahren werden.18 2. Muda durch Wartezeiten: Ablauf- und störungsbedingte Wartezeiten stellen per se nicht wertschöpfende Zeiträume dar. 3. Muda durch hohe Bestände: Hohe Bestände haben einerseits vermeidbare Kapitalbindungskosten zur Folge und führen andererseits zu einer ineffizienten Raumausnutzung. 4. Muda durch Transport: Auch beim Transport von einer Arbeitsstation zur nächsten erfolgt in der Regel keine Wertschöpfung. Vielmehr besteht durch den Transport sowie durch Be- und Entladevorgänge die Gefahr, dass Schäden am Produkt entstehen. 5. Muda durch unnötige Bewegungen: Hiermit ist die Verschwendung gemeint, die aus Bewegungen eines Arbeiters bzw. einer Maschine resultieren, die vermieden werden könnten. 6. Muda durch ungeeignete Prozesse: Hierunter fallen alle Prozesse, die eine höhere Produktivität verhindern. Dies können zum einen Prozesse sein, die nicht zu der 14
15
16 17 18
122
Zu weiteren zentralen Denkweisen und Grundsätzen des Lean-Management vgl. bspw. Rollberg, Lean Management, 1996, S. 76-87 sowie Bogaschewsky/Rollberg, Prozeßorientiertes Management, 1998, S. 98-108. Rollberg weist darauf hin, dass Prozesse nur dann als wertschöpfend anzusehen sind, wenn sie eine vom Kunden wahrgenommene und honorierte Wertsteigerung bewirken, die das Ausmaß des dafür erforderlichen Wertverzehrs in Form von Faktorverbräuchen übersteigt. Vgl. Rollberg, R., Lean Management, 1996, S. 83. Vgl. zu dieser Einteilung Womack, J.P./Jones, D.T., Unternehmen, 1997, S. 23-24. Vgl. bspw. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 46. Vgl. Takeda, H., Produktionssystem, 1999, S. 153.
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
für notwendig erachteten Qualität führen und zum anderen auch Prozesse, die nicht die gewünschte Flexibilität aufweisen. 7. Muda durch Produktfehler: Jeder Produktfehler ist automatisch Verschwendung und alle weiteren an einem fehlerhaften Produkt durchgeführten Aktivitäten verlieren ihren wertschöpfenden Charakter. Da eine erfolgreiche Elimination nicht wertschöpfender Prozesse unmittelbar zu einer Verkürzung der Durchlaufzeit führt, besitzt die Wertschöpfungsorientierung eine zentrale Bedeutung für das Durchlaufzeitcontrolling. Der nächste Abschnitt wendet sich der Frage zu, wie die Verschwendung aufgedeckt werden kann.
2.2
Instrumente zur Identifikation des Durchlaufzeitverkürzungspotentials
Das Ziel dieses Abschnittes besteht darin zwei Instrumente kurz vorzustellen, die sich dazu eignen die Bereiche entlang der Wertschöpfung aufzuzeigen, in denen Verschwendung auftritt. Als erstes soll auf die sogenannte Wertzuwachskurve eingegangen werden. Sie stellt ein graphisches Instrument dar, mit dessen Hilfe die Wertschöpfung eines Auftrags, Produktes oder Bauteils während des Erstellungsprozesses abgebildet wird. Mit ihrer Hilfe können die Durchlaufzeit, die Herstellkosten und die Bestände simultan betrachtet werden und damit Hinweise für die Reduzierung der Durchlaufzeit und der Bestände gewonnen werden.19 Der Einsatzbereich der Wertschöpfungskurve bezieht sich auf den gesamten Prozess der Wertschöpfung entlang der gesamten Supply Chain. Gleichwohl stellt der Fertigungsbereich eines Unternehmens ein zentrales Einsatzgebiet dar. Die Erstellung der Wertzuwachskurve erfolgt auf Basis der Strukturlisten der Erzeugnisse, die sämtliche Eigen- als auch Fremdteile enthalten. Zunächst werden die Wertzuwachsprofile für die Herstellung der Eigenteile generiert, wobei auf die Materialeinzel- und Materialgemeinkosten, die Herstellkosten der Eigenteile sowie die benötigte Durchlaufzeit im Fertigungsbereich zurückgegriffen wird. Die Wertzuwachskurve für die Endmontage des Erzeugnisses lässt sich anschließend in analoger Weise berechnen. Um die Wertzuwachskurve für das Endprodukt zu erhalten, sind schließlich die beiden zuvor ermittelten Wertzuwachskurven zusammenzuführen. Im linken Teil der Abbildung 2-1 ist ein idealtypischer Verlauf einer Wertzuwachskurve mit werterhöhenden und nicht werterhöhenden Prozessen wiedergegeben. Während der Punkt A zum Fertigungsbeginn den Wert der eingekauften Materialien und Komponenten widerspiegelt, gibt der Punkt B die beim Ende der Fertigung anfallenden Herstellkosten an. Darüber hinaus
19
Vgl. hier und im Folgenden Fischer, T., Wertzuwachskurve, 1993, S. 367.
123
Buscher
ist es möglich, die Herstellkosten in einen Material- und einen Veredlungsanteil aufzuspalten. In einer anderen Variante der Wertzuwachskurve wird nicht nur der für den Kunden relevante Wertzuwachs abgetragen, sondern zusätzlich auch die für das betrachtete Unternehmen entstehenden Kosten, die unter anderem auch die Kosten enthalten, die aus nicht wertschöpfenden oder nicht effizienten Prozessen resultieren (vgl. den Kostenverlauf von Punkt A bis C im rechten Teil der Abbildung 2-1).20 Beim Vorliegen solcher Prozesse öffnet sich eine Lücke zwischen den beiden Verläufen, die die vorhandene Verschwendung aufzeigt. Die Kostendifferenz, die durch die Strecke zwischen den Punkten B und C repräsentiert wird, zeigt die Höhe der Verschwendung am Fertigungsende an.
Abbildung 2-1:
Wertzuwachskurven
Kosten
Kosten
Gesamtkosten, inkl. Verschwendung
Herstellkosten
A
Fertigungsbeginn
B
B
nicht werterhöhender Prozess
Zeit
C
Herstellkosten werterhöhender Prozess Fertigungsende
A Zeit Fertigungsbeginn
Fertigungsende
Die in Abbildung 2-1 unterhalb der Wertzuwachskurve grau schattiert eingezeichnete Fläche stellt ein Maß für die Kapitalbindung im Umlaufvermögen des Unternehmens während des abgebildeten Produktionsprozesses dar.21 Um die Kapitalbindung zu senken, besteht das Ziel darin, die grau schattiert eingezeichnete Fläche zu verringern.22 Dies ist erstens durch eine Senkung der Herstellkosten möglich. Eine zweite 20 21 22
124
Vgl. Hines, P. et al., Value Stream Management, 1998, S. 34f. Vgl. bspw. Günther, T., Kostenrechnung, 1997, S. 113. Bruse/Solaro sprechen an dieser Stelle von einer „logistischen Kompression“ der Wertzuwachskurve. Selbstverständlich ist die „logistische Kompression“ nur so weit vorzunehmen, bis die Kosteneinsparungen nicht von den Kosten übertroffen werden, die für die Kompression selbst anfallen. Vgl. Bruse, H./Solaro, D., Vermögenscontrolling, 1991, S. 222. Zur „logistischen Kompression“ vgl. auch Renner, A., Produktionssteuerung, 1991, S. 176-178.
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
Möglichkeit besteht darin, die Montage von werthaltigen Komponenten an das Ende des Fertigungszeitraumes zu verlagern, um den Steigungsverlauf der Wertzuwachskurve zu beeinflussen. Eine dritte und hier im Mittelpunkt stehende Möglichkeit sieht die Verringerung der Durchlaufzeit vor, wie sie bspw. durch die Einführung des Fließprinzips und der damit verbundenen Verkürzung nicht werterhöhender Prozessabschnitte realisiert werden kann.23 Ein anderes im Folgenden kurz vorgestelltes Instrument wird als Value Stream Mapping bezeichnet und verfolgt wie die Wertzuwachskurve auch das Ziel, alle möglichen Arten von Verschwendung aufzuzeigen.24 Das Instrument trägt den Begriff Wertstrom (Value Stream) im Namen, mit dem sämtliche wertschöpfenden als auch nichtwertschöpfenden Aktivitäten erfasst werden sollen, die beim Material- und Informationsfluss vom Rohmaterial bis zum Endkunden auftreten.25 Im Gegensatz zu einer Vielzahl von anderen Ansätzen, die darauf abzielen, individuelle Prozessschritte zu optimieren, liegt das Hauptaugenmerk des Value Stream Mapping auf der ganzheitlichen Betrachtung des Wertstroms. Dadurch, dass das Value Stream Mapping das Ziel verfolgt, den Wertstrom zu visualisieren und Verschwendungen aufzudecken, kann es als Implementierungshilfe für das Lean-Management-Konzept angesehen werden. Als „Papier-und-Bleistift“-Methode mit einer Menge vordefinierter Symbole kommt das Value Stream Mapping ohne EDVUnterstützung aus. Zur Erhebung des IST-Zustandes gilt es zunächst ein Produkt (bzw. eine Produktgruppe) auszuwählen, für das eine Prozessverbesserung angestrebt wird. Zur Erfassung des aktuellen Zustandes wird vorgeschlagen vom Prozessende, d.h. kundenseitig, mit der Aufzeichnung der Prozessschritte inklusive der zugehörigen Prozesszeiten zu beginnen. Zu den Prozesszeiten gehören die Durchlaufzeiten, Rüstzeiten, Laufzeiten der Anlagen, Maschinenzuverlässigkeit, Losgrößen, Anzahl der benötigten Mitarbeiter, Transportlosgrößen, Arbeitszeiten und Ausschussraten.26 Durch eine Menge an vordefinierten Symbolen für den Materialfluss, für den Informationsfluss und für allgemeine Angaben lassen sich diese Informationen strukturiert in die Prozesskarte übertragen. Eine Auswahl der Icons kann Abbildung 2-2 entnommen werden. Zur Illustration einer Value Stream Map (Wertstromkarte) soll folgendes hypothetisches Beispiel eines Herstellers von Lagern und Lagerteilen gewählt werden.27 Das betrachtete Unternehmen erhält jeden Montag von der Meyer Stahl GmbH Stahlbleche geliefert, die für die Fertigung von einer bestimmten Produktfamilie von Lagerhaltungsringen weiterverarbeitet werden. Die gefertigten Lagerhaltungsringe werden täglich 23 24 25 26 27
Vgl. bspw. Götze, U., Kostenmanagement, 2007, S. 309. Vgl. Abdulmalek, F.A./Rajgopal, J., Value Stream Mapping, 2007, S. 225. Vgl. Rother, M./Shook, J., Sehen Lernen, 2006, S. 3. Vgl. Krajewski, L./Ritzman, L./Malhotra,M., Operations Management, 2007, S. 360. Vgl. hier und im Folgenden das leicht verändert übernommene Beispiel von Krajewski, L./Ritzman, L./Malhotra, M. Operations Management, 2007, S. 360-361.
125
Buscher
einem Second-Tier-Lieferanten (MZT AG) eines Automobilherstellers ausgeliefert. Die betrachtete Produktfamilie besteht aus zwei Typen von Lagerhaltungsringen (L – Large und S – Small). Die zum Transport verwendeten Kisten können 60 Lagerhaltungsringe aufnehmen. Der Produktionsprozess besteht im Wesentlichen aus den Arbeitsschritten Pressen, Stanzen und Formen sowie Schleifen. Die Prozesscharakteristika und die Lagerbestände vor den einzelnen Prozessen des IST-Zustandes sind in der in Abbildung 2-3 wiedergegebenen IST-Wertstromkarte aufgeführt.
Abbildung 2-2:
Ausgewählte Symbole des Value Stream Mapping
Trotz des ganzheitlichen Anspruchs des Value Stream Mapping ist häufig eine Beschränkung auf das betrachtete Unternehmen („von Rampe zu Rampe“) und insbesondere auf die Durchlaufzeit in der Produktion festzustellen. Letztere kann explizit aus der Wertstromkarte abgelesen werden. Die Durchlaufzeit (in Tagen) für jedes in Abbildung 2-3 dargestellte Bestandsdreieck ergibt sich, indem die Bestandsmenge durch den täglichen Kundenbedarf dividiert wird. Exemplarisch soll die Durchlaufzeit für die Bestandsmenge (insgesamt 2250 Einheiten) vor dem Stanzen und Formen ermittelt werden. Da der tägliche Kundenbedarf bei angenommenen fünf Arbeitstagen sich auf 3200/5 = 640 Einheiten beläuft, resultiert eine Durchlaufzeit von 2250 [ME]/ 640[ME/Tag] | 3,5 Tagen. Beim Erfassen und Aufzeichnen des aktuellen Prozessablaufs bahnen oft die identifizierten Missstände bereits den Weg für erste Verbesserungsmöglichkeiten. Viele LeanProduction-Bausteine wie Beschäftigungsglättung, Losgrößenreduzierung und Kanbansteuerung können zusätzlich berücksichtigt werden, um eine Vorstellung von einem wünschenswerten SOLL-Zustand zu erhalten, der in einer SOLL-Wertstromkarte festzuhalten ist. Häufig wird darauf hingewiesen, dass ein einmal festgelegter
126
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
SOLL-Zustand nicht gleich zu Anfang einer perfekten Zukunftsvision entspricht, sondern im Zeitablauf weiter zu verfeinern ist.28 Der letzte Schritt besteht schließlich darin, konkrete Maßnahmen für die Planumsetzung zu bestimmen.
Abbildung 2-3:
Beispielhafte Value Stream Map 180/90/60/30-Tage Vorschau
4-Wochen -Vorschau Produktionsplanung und -steuerung
Meyer Stahl GmbH
MZT AG
Wöchentliches Fax
200 Bleche
Täglicher Auftrag
3.200 Stück/Woche [1.000 „L“ / 2.200 „S“]
Wochenplan
Stück/Behälter = 60 Stück 1 Schicht
Täglicher Transportplan
1x pro Woche Montag
1x am Tag
Pressen
Stanzen & Formen
1 I Stahlbleche 5 Tage
Zykluszeit 3 Sekunden Rüstzeit = 2 Stunden Zuverlässigkeit = 90% 25.200 Sek. Verfügbar
I 1000 „L“ 1250 „S“
EPE = 1 Woche
5 Tage
28
I
Rüstzeit = 30 Minuten 1 Schicht
1050 „L“ 2300 „S“
Zykluszeit 35 Sekunden Rüstzeit = 45 Minuten Zuverlässigkeit = 75% 1 Schicht
I 500 „L“ 975 „S“
25.200 Sek. Verfügbar
25.200 Sek. Verfügbar
3,5 Tage 3 Sek.
1
Zykluszeit 22 Sekunden Zuverlässigkeit = 100%
Versand
Schleifen
1
5,2 Tage 22 Sek.
2,3 Tage 35 Sek.
DLZ= 16 Tage Produktion Bearbeitungs= 60 Sek. zeit
Vgl. Rother, M./Shook, J., Sehen Lernen, 2006, S. 9.
127
Buscher
3
Überlappende Fertigung zur Reduktion der Durchlaufzeit in der Fertigung
3.1
Überlappende Fertigung bei einem Auftrag
Die Wertschöpfungsorientierung, die auf die Vermeidung von Verschwendung abzielt, stellt einen wesentlichen Schritt dar, um die Durchlaufzeit zu verkürzen. Aus dem Prozessmanagement sind aber auch noch eine Reihe anderer Maßnahmen bekannt, die zur Verkürzung der Durchlaufzeit herangezogen werden können. Hierzu zählen zunächst Strategien, die auf die Beeinflussung einzelner Prozesselemente abzielen.29 Eine naheliegende Möglichkeit der Beeinflussung liegt darin, die Prozesse schneller abzuwickeln (intensitätsmäßige Anpassung) und damit die Prozessausführungszeit zu verringern.30 Ein solches Vorgehen ist natürlich nur für solche Prozesse sinnvoll, die im Hinblick auf die gesamte Durchlaufzeit kritisch sind. Da es sich bei den Prozesszeiten zumeist nur um geschätzte Größen handelt, spielt neben der Verkürzung des Erwartungswertes auch die Kontrolle der Varianz der Prozessausführung eine wichtige Rolle. Eine kürzere Durchlaufzeit lässt sich aber auch durch eine gezielte Beeinflussung der Prozessstruktur erreichen. Neben der bereits in Kapitel 2 diskutierten Wertschöpfungsorientierung sind in diesem Zusammenhang auch die Bildung durchgängiger Prozesse (Systemintegration), die Vereinfachung bestehender Prozessstrukturen (Systemvereinfachung) sowie die Parallelisierung vormals sequentiell durchgeführter Prozesse zu nennen. Besondere Aufmerksamkeit soll hier aber der Überlappung von Produktionsprozessen geschenkt werden. Bei der Festlegung der Reihenfolge von Fertigungsaufträgen in Modellen der Ablaufplanung wird traditionellerweise davon ausgegangen, dass ein Fertigungsauftrag erst nach der kompletten Bearbeitung von einer Arbeitsstation zur nächsten weitergegeben wird. Eine Unterbrechung der Bearbeitung oder eine Aufteilung von gegebenen Aufträgen ist zumeist nicht vorgesehen.31 Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Durchlaufzeit verkürzende Wirkung der überlappenden Fertigung nicht neu ist.32 Auch das zu den engpassorientierten Steuerungskonzepten gehörende 29 30
Vgl. Buscher, U., Durchlaufzeitlücke, 2000, S. 17-18. An dieser Stelle sei auch auf die Möglichkeit einer quantitativen Anpassung hingewiesen, die eine Erhöhung der Ausführungskapazität vorsieht. Vgl. Reichwald, R./Sachenbacher, H., Durchlaufzeiten, 1996, Sp. 367. 31 Vgl. Feldmann, M., Losüberlappung, 2005, S. 18. 32 Vgl. bspw. Renner, A., Produktionssteuerung, 1991, S. 52 und Adam, D., ProduktionsManagement, 1998, S. 539.
128
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
Optimized Production Technology (OPT)-System betont in der sechsten von zehn Regeln, das dass Transportlos nicht zwangsläufig mit dem Bearbeitungslos übereinstimmen muss.33 An dieser Stelle bietet es sich an, in Anlehnung an Feldmann auf die Unterschiede zwischen Losteilung, Lossplitting und Losüberlappung einzugehen.
„Bei der Losteilung werden gegebene Lose in kleinere Quantitäten aufgeteilt und diese zeitlich getrennt eingelastet. D.h. aus dem ursprünglichen Los werden kleinere Lose gebildet und separat aufgelegt, während das ursprüngliche Los untergeht.
Bei der Lossplittung (Lot Splitting) werden gegebene Lose aufgeteilt. Die entstehenden Teillose werden gleichzeitig auf parallelen Maschinen bearbeitet.
Bei der Losüberlappung (Lot Streaming) werden gegebene Lose stufenüberlappend bearbeitet. Teile des Loses können bereits auf der folgenden Stufe eine Bearbeitung erfahren, während die Fertigstellung des restlichen Loses noch andauert.“34 Der Einfluss der überlappenden Fertigung auf die Durchlaufzeit lässt sich anschaulich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen. Ein Fertigungsauftrag, der aus 90 Teilen besteht, hat drei Bearbeitungsstationen in der Reihenfolge M1-M2-M3 zu durchlaufen. Die Bearbeitung nimmt auf der ersten Station 1,2 Zeiteinheiten (ZE), auf der zweiten Station 2,5 ZE und auf der dritten Station 0,8 ZE je Teil in Anspruch. Die Transportzeiten zwischen den Bearbeitungsstationen seien vernachlässigbar. In der Ablaufplanung wird üblicherweise eine geschlossene Fertigung unterstellt, d.h. ein Fertigungsauftrag wird erst dann zur nächsten Station weitergeleitet, wenn die Bearbeitung des Auftrags auf der vorhergehenden Station komplett abgeschlossen ist. Für das eingeführte Beispiel ergibt sich bei geschlossener Fertigung eine Durchlaufzeit von 405 ZE (vgl. den oberen Teil der Abbildung 3-1). Durch eine überlappende Fertigung lässt sich jedoch eine erhebliche Reduzierung der Durchlaufzeit erreichen. Erfolgt der Transport von einer zur anderen Bearbeitungsstation nicht in einem einzigen, sondern in drei gleich großen Teillosen, so kann nach der Fertigstellung des ersten Drittels des Fertigungsauftrages ein entsprechendes Transportlos zur nächsten Bearbeitungsstation weitergeleitet werden. Die Abbildung 3-1 verdeutlicht eindrucksvoll die Reduktion der Durchlaufzeit von 405 auf 285 ZE.
33 34
Vgl. Silver, E.A./Pyke, D.L.F./Peterson, R., Production Planning, 1998, S. 651. Feldmann, M., Losüberlappung, 2005, S. 57.
129
Buscher
Abbildung 3-1:
Durchlaufzeiten bei geschlossener und überlappender Fertigung eines Auftrages
M3 M2 Zeit
M1 333
108
405
M3 M2 Zeit
M1 36
111
261 285
Eine nicht zu vernachlässigende Planungsaufgabe stellt die Bestimmung der Anzahl und der Dimensionierung der Transportlose dar. Es ist offensichtlich, dass sich mit einer steigenden Anzahl von Transportlosen eine stärkere Überlappung und damit eine kürzere Durchlaufzeit erreichen lässt. Gleichwohl kann bei gegebener Anzahl von Transporten durch eine geeignete Dimensionierung der Transportlose eine zusätzliche Verkürzung der Durchlaufzeit erzielt werden. Bei unterschiedlich groß gewählten Transportlosen kann zwischen konsistenten und variablen Transportlosen unterschieden werden. Von konsistenten Transportlosen wird gesprochen, wenn unterschiedlich große Transportlose gebildet werden können, diese Transportlose in ihrer Größe aber über die Bearbeitungsstationen hinweg unverändert bleiben. Eine noch größere Flexibilität entsteht, wenn die Möglichkeit besteht variable Transportlose zu bilden. Sie unterscheiden sich von den konsistenten Transportlosen darin, dass ihre Größe sich beim Übergang von einer Station zur anderen ändern kann. Wird bei einer gleichbleibenden Anzahl von drei Transporten für das kleine Beispiel die Bildung von konsistenten Transportlosen erlaubt, so lässt sich mit den Transportmengen 24, 50 und 16 Teilen die Durchlaufzeit zusätzlich um 18,4 ZE auf 266,6 ZE senken (vgl. Abbildung 3-2). Dem Vorteil einer reduzierten Durchlaufzeit stehen bei konsistenten Transportlosen der größere Planungsaufwand und die aufwendigere Produktionsdurchführung gegenüber.
130
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
Abbildung 3-2:
Überlappende Fertigung eines Auftrags bei konsistenten Transportlosen
M3 M2 M1
Zeit 28,8
88,8
213,8
266,6
Bei solchen Potentialen, die die überlappende Fertigung zur Verkürzung der Durchlaufzeit beitragen kann, müssten die in der Praxis eingesetzten Produktionsplanungsund -steuerungs (PPS-)systeme diesem Ansatz adäquat Rechnung tragen. Dies ist allerdings nicht zu erkennen. Vielmehr lässt sich feststellen, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Systemen diesbezüglich überhaupt keine Unterstützung bieten und dass die Systeme, die eine Überlappung abbilden können, keine planerische Entscheidungsunterstützung leisten.35
3.2
Überlappende Fertigung bei mehreren Aufträgen
Das bisher zur Illustration der überlappenden Fertigung herangezogene Beispiel betrachtet nur die Durchlaufzeit eines einzigen Auftrages, der auf drei Stationen zu bearbeiten ist. In der Realität konkurrieren aber häufig mehrere verschiedene Aufträge um knappe Fertigungskapazitäten. Werden Produktionssysteme hinsichtlich ihres Ablauftyps unterschieden, so können im Wesentlichen zwei Formen unterschieden werden. Bei den im Rahmen der Fließfertigung auftretenden Flow-Shop-Problemen ist die Reihenfolge, in der die Fertigungsaufträge die einzelnen Arbeitsstationen (Maschinen) zu durchlaufen haben, für alle Aufträge identisch. Die typischerweise in der 35
Vgl. Feldmann, M., Losüberlappung, 2005, S. 19. Zu den zugrundeliegenden Studien vgl. François, P./Wolf, J., Drehbuch, 2001 sowie Gronau, N./Ibelings, I., Marktrecherche, 2002. Indirekt unterstützt die aktuelle Untersuchung von Lindemann et al. diese Feststellung, in der die Hypothese, dass sich der Einsatz eines MES (Manufacturing Execution System) vorwiegend für die Steuerung einer kundenauftragsbezogenen Fertigung komplexer Erzeugnisse mit längeren Durchlaufzeiten innerhalb eines heterogenen Produktionsprogramms als sinnvoll erweist, nicht bestätigt werden konnte. Vgl. Lindemann, M. et al., Marktstudie, 2006, S. 34.
131
Buscher
Werkstattfertigung angesiedelten Job-Shop-Probleme zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass die Bearbeitungsreihenfolge der Aufträge unterschiedlich sein kann. Selbst für den einfachsten Fall eines so genannten Permutations-Flow-Shops36 lässt sich zeigen, dass es für Probleme mit mehr als zwei Bearbeitungsstationen bzw. Maschinen NPschwer ist.37 Dies bedeutet, dass für in der Realität auftretende größere Probleminstanzen trotz der enormen Rechenleistung heutiger Computer eine exakte Lösung nicht erzielt werden kann. Die Integration des Gedankens der überlappenden Fertigung in die klassischen Flowund Job-Shop-Probleme weist damit die entscheidende Schwierigkeit auf, dass die ohnehin nicht unerhebliche Komplexität weiter gesteigert wird. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Forschungsaktivitäten auf Sonderfälle und sehr kleine Probleminstanzen konzentrieren, um Einblicke in die Problemstruktur zu erhalten. Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, warum aktuelle Softwarepakete nicht in der Lage sind, eine echte Planungsunterstützung zu leisten. Um eine Entscheidungshilfe bei der Lösung des Lot-Streaming-Problems zu leisten, bietet es sich zunächst an, das zugrunde liegende Problem formal zu erfassen.38 Sind die damit verbundenen Schwierigkeiten genommen, so besteht die Möglichkeit, konkrete Probleme mit kommerziellen Solvern zu lösen. Gegenstand der folgenden Betrachtungen ist ein kleines Job-Shop-Problem mit drei Aufträgen und drei Stationen bzw. Maschinen. Wieder soll der Fall der geschlossenen Fertigung (Auftragsgröße entspricht der Transportlosgröße) mit dem Fall verglichen werden, dass je Auftrag drei gleich große Transportlose gebildet werden. Die Bearbeitungsfolge der Aufträge auf den Maschinen (M1, M2 und M3) gibt die Tabelle 3-1 wieder.
Tabelle 3-1:
Bearbeitungsfolge der Aufträge auf den Maschinen
Auftrag
Operation 1
Operation 2
Operation 3
Auftrag 1
M1
M2
M3
Auftrag 2
M2
M3
M1
Auftrag 3
M2
M1
M3
Die Bearbeitungszeiten sowie die Auftragsgrößen sind in Tabelle 3-2 aufgeführt.
36
Bei einem Permutations-Flow-Shop wird zusätzlich gefordert, dass die Auftragsreihenfolge auf allen Maschinen identisch ist. 37 Zum Nachweis vgl. Garey, M./Johnson, D./Sehti, R., Complexity, 1976. 38 Zu den wenigen verfügbaren Problemformulierungen mit Losteilungsoptionen vgl. Low, L./Hsu, C.M./Huang, K.I., Lot Splitting, 2004, Biskup, D./Feldmann, M., Integer Programming Formulation, 2006 und Buscher, U./Shen, L., Integer Programming Formulation, 2007.
132
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
Tabelle 3-2:
Auftragsgröße und Bearbeitungszeiten Auftragsgröße [ME]
Auftrag
Bearbeitungszeiten [ZE] Operation 1
Operation 2
Operation 3
Auftrag 1
12
3
3
2
Auftrag 2
24
2
3
3
Auftrag 3
36
4
3
1
Im Falle einer geschlossenen Fertigung stellt sich bei der optimalen Lösung eine Zykluszeit von 336 ZE ein (vgl. Abbildung 3-3).39 Durch eine optimale überlappende Fertigung, die es erlaubt einen Fertigungsauftrag in drei gleich großen Transportlosen von einer Bearbeitungsstation zur nächsten weiterzuleiten, gelingt es die Zykluszeit auf 248 ZE zu senken.
Abbildung 3-3:
Gantt-Diagramm für das Zahlenbeispiel40
M3
A1
A2
M2
A2
M1
A3
A1
A1
A2
36
A3
Zeit
A3
120
300
336
A11 A12 A13
M3
A21
A31
M2
A21
M1
A11 A12 A13
A31
36
39 40
A32 A21
A22 A22 A23
A31
A32
112
A23
A32
A33 A22
A33 A11 A12 A13
A23
Zeit
A33
204
248
Die optimale Lösung wurde mit dem Softwarepaket LINGO 9.0 berechnet. In der Abbildung bezeichnet bspw. A13 das dritte Transportlos des ersten Auftrags.
133
Buscher
Allerdings stellt sich bei Job-Shop-Problemen mit Losteilungsoptionen heraus, dass eine optimale Lösung nur für sehr kleine Probleminstanzen möglich ist. Zur Lösung von traditionellen Flow- und Job-Shop-Problemen werden bereits seit geraumer Zeit erfolgreich sogenannte Metaheuristiken zur Problemlösung eingesetzt,41 die versuchen in vertretbarer Rechenzeit möglichst gute Lösungen zu finden.42 Es liegt daher nahe, Metaheuristiken auch zur Lösung des nunmehr um die Lot-StreamingProblematik erweiterten Problems einzusetzen. Allerdings stellen Metaheuristiken immer nur eine prinzipielle Vorgehensweise zur Verfügung, die auf die spezifischen Problemgegebenheiten anzupassen ist. Erste sehr viel versprechende Ansätze, die auf Tabu-Search-Algorithmen basieren, sind bereits in der Lage, Probleme mit 20 Aufträgen auf 15 Maschinen mit jeweils vier Transportlosen zu lösen.43 Dabei werden bei Rechenzeiten von maximal einer Stunde Ergebnisse erzielt, die weniger als zwei Prozent von einer theoretischen Untergrenze abweichen. Während es aus theoretischer Sicht interessant ist, Abweichungen von einer theoretischen Untergrenze zu bestimmen, ist für ein effektives Durchlaufzeitcontrolling in der Praxis der Vorteil dieser Verfahren darin zu sehen, dass sie in kurzer Zeit Lösungen generieren, die Zykluszeitreduktionen realisieren, die einen erheblichen Anteil an der insgesamt erzielbaren Verkürzung ausmachen. Obwohl sich durch eine überlappende Fertigung eine erhebliche Verkürzung der Durchlaufzeit erreichen lässt, bleibt sie lediglich eine Maßnahme innerhalb einer ganzheitlichen Wertschöpfungsanalyse.
41
Vgl. bspw. Nowicki, E./Smutnicki, C., Taboo Search Algorithm, 1996 und Grabowski, J./Wodecki, M., Tabu Search Algorithm, 2004. 42 Zu einem einführenden Überblick über den Einsatz von Metaheuristiken in der Maschinenbelegungsplanung vgl. Zäpfel, G./Braune, R., Moderne Heuristiken, 2005. 43 Vgl. hierzu Buscher, U./Shen, L., Integrated Tabu Search, 2007.
134
Durchlaufzeitcontrolling in der industriellen Auftragsfertigung
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138
Verhaltensorientierung im Controlling Forschungsstand und Entwicklungsperspektiven
Univ.-Prof. Dr. Christoph Lange Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Umweltwirtschaft und Controlling, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, 45117 Essen
Dr. Sigrid Schaefer Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Umweltwirtschaft und Controlling, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, 45117 Essen
1
Einleitung ........................................................................................................................ 141
2
Verhaltensorientierung in den Controllingkonzeptionen......................................... 141
3
Informationsökonomische Fundierung des Controllings aus Sicht der Verhaltensorientierung .................................................................................................. 144 3.1 Agencytheoretische Fundierung des Controllings ........................................... 144 3.2 Spieltheoretische Fundierung des Controllings................................................ 146 3.3 Erkenntniswert informationsökonomischer Theorieansätze .......................... 148
4
Verhaltenswissenschaftliche Analysen in der Controllingforschung...................... 148 4.1 Notwendigkeit verhaltenswissenschaftlicher Analysen .................................. 148 4.2 Erkenntniswert der Motivationstheorien........................................................... 149 4.3 Integration informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Analyseergebnisse................................................................................................. 153
5
Perspektiven für die Controllingforschung ................................................................ 154
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 155
139
Verhaltensorientierung im Controlling
1
Einleitung
Die Verleihung des Nobelpreises im Jahre 2002 an Daniel Kahnemann und Vernon L. Smith für die Einführung der Psychologischen Forschung in die Wirtschaftswissenschaften bzw. den Einsatz von Laborexperimenten als Werkzeuge einer empirischen ökonomischen Analyse unterstreicht die Bedeutung verhaltensbezogener Erkenntnisse für die Wirtschaftswissenschaften. Insbesondere die – mit der Delegation von Entscheidungsbefugnissen verbundenen – Probleme dezentraler Organisationen zeigen, dass es sich empfiehlt, auch das Controlling mit der Verhaltensorientierung zu verbinden. Es werden zwar, bezogen auf die Konzeptionen insb. des informations-, koordinations- und rationalitätsorientierten Controllings, – wie in diesem Beitrag zu zeigen sein wird – durchaus verhaltensbezogene Aspekte diskutiert. Auch die theoretische Fundierung des Controllings auf der Basis informationsökonomischer Theorieansätze ist auf die Analyse der Verhaltenswirkungen von asymmetrischen Informationsverteilungen und Interessenkonflikten in dezentralen Organisationen fokussiert. Eine systematische Berücksichtigung der Implikationen individuellen Informations- und Entscheidungsverhaltens ist aber in der Controllingforschung – obgleich in der deutschsprachigen Literatur seit langer Zeit gefordert – bisher nur im Einzelfall erfolgt. Vor diesem Hintergrund werden im vorliegenden Beitrag der Forschungsstand und die Entwicklungsperspektiven der Verhaltensorientierung des Controllings thematisiert. Hierzu wird zunächst der Verhaltensbezug ausgewählter Controllingkonzeptionen sowie informationsökonomischer Theorieansätze diskutiert. Daran anschließend wird am Beispiel der Motivationstheorien der Erkenntnisbeitrag der Verhaltenswissenschaften für die Ableitung von Lösungsansätzen für controllingrelevante, auf die Delegation von Führungsentscheidungen zurückzuführende Problemstellungen analysiert. Dabei wird ein Vorschlag für die sukzessive Zusammenführung informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Lösungsansätze unterbreitet. Abschließend werden Perspektiven für die Controllingforschung vorgestellt.
2
Verhaltensorientierung in den Controllingkonzeptionen
Ein Vergleich der in der Literatur diskutierten Controllingkonzeptionen zeigt, dass ihnen die Ausrichtung auf die Informations- und Entscheidungsprobleme dezentraler Organisationen gemeinsam ist. Entsprechend werden in nahezu allen Controllingkonzeptionen – unabhängig vom jeweils zugrunde liegenden Aufgabenverständnis – aus der Entscheidungsdelegation resultierende, verhaltensbezogene Probleme diskutiert.
141
Lange / Schaefer
Während Reichmann die Notwendigkeit zur „entscheidungsebenenbezogenen Informationsbereitstellung“1 ableitet, betrachtet Horváth opportunistisches Verhalten als neuen Aspekt der Koordination. Er weist darauf hin, dass die in dezentralen Organisationsstrukturen geschaffenen Handlungsspielräume Verhaltensrisiken bergen, die zu einer unvollständigen Weitergabe von z. T. manipulierten Informationen führen können. Zwischen den Entscheidungsträgern entstehen asymmetrische Informationsverteilungen, so dass sich für die Führung ein zusätzlicher Koordinationsbedarf ergibt.2 Küpper erklärt Verhaltensinterdependenzen zu einem zentralen Untersuchungsgegenstand des Controllings. Er unterstellt, dass Entscheidungsträger eines Unternehmens unterschiedliche Ziele verfolgen. Dies führt zu Interessenkonflikten, welche durch eine asymmetrische Informationsverteilung zwischen Entscheidungsträgern verschärft werden können. Das Verhalten von Entscheidungsträgern wird beeinflusst, und zwar umso mehr, je weiter Entscheidungen dezentralisiert und auf hierarchisch untergeordnete Entscheidungseinheiten delegiert sind. Es kommt zu Ressortegoismus, Informationsmanipulation oder kurz- statt langfristiger Zielorientierung, so dass die gesamtunternehmensbezogene Zielerreichung vermindert werden kann. Küpper verlangt daher, die Koordinationsaufgabe des Controllings unter Berücksichtigung von Verhaltensinterdependenzen zu gestalten.3 Schiller weist dem Controlling die Aufgabe zu, die Führungs(teil-)systeme insb. der Planung und der Kontrolle durch einen diskretionären Umgang mit dem Informationssystem des Unternehmens zu koordinieren. Entsprechend untersucht er, inwieweit das Verhalten dezentraler Entscheidungsträger durch den Trade-off aus restriktiver Informationsbereitstellung und entgeltbezogener Anreizgestaltung (z. B. in Form von Bonuszahlungen) beeinflusst werden kann. Dabei schließt er auch eine Zentralisierung von Entscheidungen nicht grundsätzlich aus. Seines Erachtens wird sie dann erforderlich, wenn dezentrale Entscheidungsträger zum Informationserwerb nicht befähigt sind oder aber Interessenkonflikte die Kosten der Anreizgestaltung so weit ansteigen lassen, dass die oberste Führungsebene sie nicht mehr zu tragen bereit ist.4 In Anlehnung an Schiller betont auch Wall den Verhaltensbezug des Controllings. Dem Controlling kommt die Aufgabe der „Beeinflussung des Informationsstandes von Akteuren in einer Delegationsbeziehung mit dem Zweck, das Verhalten dezentraler Entscheidungsträger zielgerichtet zu steuern“5 zu. Dabei können die Handlungsentscheidungen dezentraler Entscheidungsträger direkt beeinflusst werden, indem ihnen zur Erhöhung ihres Informationsstandes entscheidungsrelevante Informationen
1 2 3 4 5
142
Reichmann, Th.: Kennzahlen, 2006, S. 7. Vgl. Horváth, P.: Controlling, 2006, S. 124-127 sowie ähnlich auch Lachnit, L.: Controllingkonzeption, 1994, S. 8 f. Vgl. Küpper, H.-U.: Controlling, 2005, S. 65-80. Vgl. Schiller, U.: Informationsorientiertes Controlling, 2000, S. 169-172. Wall, F.: Informationsmanagement, 2006, S. 87.
Verhaltensorientierung im Controlling
zugänglich gemacht werden. Das Controlling kann aber auch dadurch indirekt auf Handlungsentscheidungen einwirken, dass es einen institutionellen Rahmen schafft, der Entscheidungsträger zur zieladäquaten Verwendung der zur Verfügung stehenden Informationen veranlasst. In diesen werden neben Anreizsystemen auch IT-basierte Informationssysteme integriert, da vom IT-Einsatz Verhaltenswirkungen erwartet werden können.6 Weber/Schäffer zufolge kommt dem Controlling im Rahmen der Sicherstellung der Führungsrationalität die Aufgabe der Begrenzung opportunistischen Verhaltens zu. Bestehen berechtigte Zweifel an der Ausrichtung des Handelns dezentraler Entscheidungsträger auf die von übergeordneten Entscheidungsebenen gesetzten Ziele, d. h. – in der Terminologie von Weber/Schäffer – liegen „Wollensprobleme“7 vor, wird das Controlling (reaktiv) die Handlungsergebnisse von Entscheidungsträgern hinterfragen oder (proaktiv) die Wahrnehmung einer ausreichend hohen Sanktionswahrscheinlichkeit sicherstellen.8 Zugleich wird untersucht, ob und in welchem Umfang opportunistisches Verhalten auf Delegationsversagen zurückgeführt werden kann. Das Controlling analysiert mögliche Ursachen des Delegationsversagens, um Vorschläge für Maßnahmen bspw. zur Erhöhung der Delegationskompetenz von Entscheidungsträgern abzuleiten. Die hohe Bedeutung der Verhaltenswirkungen von asymmetrischen Informationsverteilungen und Interessenkonflikten in den Controllingkonzeptionen kommt auch in der theoretischen Fundierung des Controllings zum Ausdruck. Hier tragen insb. ausgewählte Ansätze der Informationsökonomie dazu bei, Lösungsansätze für verhaltensbezogene Problemstellungen im Controlling zu erarbeiten.9 Im Folgenden soll eine Auswahl informationsökonomischer Ansätze vorgestellt werden. Die Ausführungen sind daher zunächst auf die Prinzipal Agent-Theorie fokussiert, ergänzend werden Elemente der Spieltheorie in die Analyse einbezogen. Dabei erfolgt allerdings keine vollständige Abhandlung der Theorieansätze. Auch auf eine Darstellung der zahlreichen Anwendungsgrenzen muss verzichtet werden. Gezeigt werden soll vielmehr, inwieweit informationsökonomische Ansätze für die Erklärung und Prognose des Informations- und Entscheidungsverhaltens in dezentralen Organisationen beitragen können.10
6
Vgl. Lachnit, L.: Unternehmensführung, 1992, S. 11-14 sowie Wall, F.: Informationsmanagement, 2006, S. 86 f. 7 Weber, J./Schäffer, U.: Einführung, 2006, S. 40. 8 Vgl. Schäffer, U./Weber, J.: Thesen zum Controlling, 2004, S. 463. 9 Vgl. Schaefer, S./Lange, C.: Controllingkonzeptionen, 2004, S. 115 f. 10 Vgl. auch Schaefer, S.: Erkenntnisfortschritte, 2006.
143
Lange / Schaefer
3
Informationsökonomische Fundierung des Controllings aus Sicht der Verhaltensorientierung
3.1
Agencytheoretische Fundierung des Controllings
Gegenstand der Prinzipal Agent-Theorie ist die Analyse und Gestaltung von Verhaltensbeziehungen (sog. Agency-Beziehungen) zwischen einem oder mehreren Auftraggeber(n) (Prinzipal) und einem oder mehreren Auftragnehmer(n) (Agenten). Dabei ist nicht grundsätzlich von einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis auszugehen. Agency-Beziehungen bestehen bereits dann, wenn sich Entscheidungsträger in ihrem Handeln gegenseitig beeinflussen. Typischerweise sind Entscheidungsträger in ein Geflecht von Agency-Beziehungen eingebunden. Daher kann zumeist nur situationsspezifisch beurteilt werden, ob sie als Prinzipal oder als Agent agieren. AgencyBeziehungen treten im Unternehmenskontext bspw. zwischen Entscheidungsträgern hierarchisch unterschiedlicher Entscheidungsebenen auf; auf interorganisationaler Ebene finden sie sich entlang der Supply Chain zwischen Produzenten und Lieferanten sowie etwa zwischen den Partnern strategischer Unternehmensnetzwerke.11 Zur Charakterisierung von Agency-Beziehungen geht die Prinzipal Agent-Theorie von folgenden Annahmen aus:12 Es bestehen Interessenkonflikte zwischen Prinzipal und Agent, welche bspw. durch das Streben nach Karriere oder Reputation verursacht werden können. Beide streben nach individueller Nutzenmaximierung und verfolgen somit (möglicherweise) opportunistische Ziele. Zudem wird eine asymmetrische Informationsverteilung unterstellt. Der Agent verfügt i. d. R. über einen Informationsvorsprung gegenüber dem Prinzipal, der es ihm ermöglicht, diskretionäre Handlungsspielräume zum eigenen Vorteil zu nutzen. Dabei trifft er Entscheidungen, die sich nicht nur auf sein eigenes Wohlbefinden, sondern auch (positiv oder negativ) auf das Nutzenniveau des Prinzipals auswirken. Der Prinzipal wird nun versuchen, das Verhalten des Agenten und insb. dessen Zielpräferenzen zu beeinflussen. Darüber hinaus wird er die Risiken, welche in den Agency-Beziehungen sowie in den Umfeldveränderungen begründet sind, möglichst gleichmäßig zwischen sich und dem Agenten aufteilen. Es wird ihm allerdings nicht gelingen, eine sog. first best-Lösung zu erzielen. Sie impliziert, dass Prinzipal und Agent in einem Zeitpunkt und bezogen auf 11 12
144
Vgl. Lange, C./Schaefer, S.: Controllingforschung, 2003, S. 403 f. Vgl. z. B. Elschen, R.: Agency-Theorie, 1991, S. 1007-1010 sowie Küpper, H.-U.: Controlling, 2005, S. 67 f.
Verhaltensorientierung im Controlling
ein Entscheidungsproblem symmetrische Informationen hinsichtlich der zu erwartenden Umfeldentwicklungen sowie der möglichen Reaktionsweisen des jeweiligen Partners besitzen.13 Bei Interessenkonflikten und asymmetrischen Informationsverteilungen wird der Prinzipal seine(n) Agenten nur indirekt, durch Auswahl geeigneter Anreiz- und Kontrollsysteme, zu einem seinen Zielvorstellungen entsprechenden Verhalten veranlassen können. Im Ergebnis kann daher nur eine second best-Lösung erreicht werden, welche die Risikoübernahme des tendenziell risikoscheuen Agenten gegen Gewährung möglichst minimaler Anreize maximiert. Im Vergleich zur first bestLösung entsteht dem Prinzipal ein Nutzenverlust in Höhe der sog. Agency-Kosten, die es mit Unterstützung des Controllings zu minimieren gilt. Hinsichtlich der Ursachen asymmetrischer Informationsverteilungen werden in der Prinzipal Agent-Theorie als typische Problemsituationen insb. die Situationen „hidden action“ und „hidden information“ differenziert, die in der Realität häufig kombiniert auftreten. Die überwiegende Anzahl agencytheoretischer Modelle bezieht sich auf das Problem der „hidden action“, bei der es nach der Entscheidung zur Aufnahme von Agency-Beziehungen zu asymmetrischen Informationsverteilungen kommt. Der Prinzipal kann zwar die Entscheidungsergebnisse, nicht aber das Handeln des Agenten beobachten. Daher ist es für ihn nicht erkennbar, inwieweit Ergebnisse auf Umfeldeinflüsse oder auf das Verhalten des Agenten zurückzuführen sind. Eine zuverlässige Beurteilung der Leistung des Agenten kann somit nicht erfolgen. Im Falle von „hidden information“ kann der Prinzipal das Verhalten des Agenten zwar beobachten, vor dem Hintergrund der ihm vorliegenden Informationen aber nicht beurteilen. Der Agent verfügt im Zeitpunkt der Entscheidung zur Aufnahme von Agency-Beziehungen über einen Informationsvorsprung, der sich bspw. aus der Kenntnis einer größeren Anzahl verfügbarer Entscheidungsalternativen sowie aus einer fundierteren Vorstellung von der Wahrscheinlichkeitsverteilung relevanter Umfeldzustände oder erzielbarer Ergebnisse ergibt. Wie in der Problemsituation des „hidden action“ besteht auch hier die Gefahr des Moral Hazard, da der Agent zum eigenen Vorteil eine für den Prinzipal nicht optimale Entscheidungsalternative wählen kann. Der Prinzipal kann daher sowohl bei hidden action- als auch bei hidden information-Problemen versuchen, dem opportunistischen Verhalten des Agenten durch Monitoring-Aktivitäten zu begegnen. Es können bspw. formalisierte Planungs- und Kontroll- sowie Reportingsysteme institutionalisiert werden, welche dem Abbau von Informationsasymmetrien und damit der Eingrenzung diskretionärer Verhaltensspielräume des Agenten dienen. Darüber hinaus wird der Prinzipal Anreizsysteme (z. B. in Form von anreizkompatiblen Entlohnungs-, Budget- oder Verrechnungspreissystemen) installieren, welche den Agenten zu einem zielkonformen, mit den Interessen des Prinzipals abgestimmten Verhalten motivieren.14
13 14
Vgl. z. B. Ewert, R./Wagenhofer, A.: Interne Unternehmensrechnung, 2005, S. 438 f. Vgl. etwa Küpper, H.-U.: Controlling, 2005, S. 69 sowie Lachnit, L./Müller, S.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 37.
145
Lange / Schaefer
Zur Lösung der Probleme asymmetrischer Informationsverteilungen haben sich innerhalb der Prinzipal Agent-Theorie zwei Forschungsrichtungen herausgebildet. Dies ist zum einen die in der Literatur vorherrschende normative Prinzipal Agent-Theorie, welche sich auf die formal-analytische Ableitung von Empfehlungen für die optimale Gestaltung von Agency-Beziehungen unter Berücksichtigung von Risikoaspekten konzentriert. Zum anderen wird die positivistische Agency-Theorie diskutiert, welche auf die empirisch-verbale Analyse institutioneller Ausgestaltungen von AgencyBeziehungen ausgerichtet ist. Mit Hilfe der normativen Prinzipal Agent-Theorie können aus vereinfachenden Annahmen unter Verwendung mathematischer Entscheidungsmodelle pareto-optimale Lösungen für die zielkonforme Ausgestaltung von Anreizsystemen abgeleitet werden. Mit Methoden der deskriptiven Entscheidungstheorie kann das Controlling unter Einbeziehung auch von Einflussfaktoren aus dem Unternehmensumfeld versuchen, tatsächliches Entscheidungsverhalten abzubilden, um Erkenntnisse für den entscheidungsebenenbezogenen Auf- und Ausbau von Informations- und Kommunikationssystemen zu gewinnen. Anders als die normative Theorie kann sie jedoch keine optimale oder auch nur befriedigende Lösung garantieren. In dezentralisierten Unternehmen existieren im Regelfall mehrstufige AgencyBeziehungen mit (zumeist) mehreren Prinzipalen und mehreren Agenten, die ihre Aufgaben über mehrere Perioden hinweg wahrnehmen. Es entstehen Problemsituationen (z. B. Absprachen zwischen Agenten), die in den „klassischen“, auf einen Prinzipal und einen Agenten bezogenen Prinzipal Agent-Modellen nur unzureichend abgebildet werden können. Es werden Modellerweiterungen erforderlich, die insb. unter Einbeziehung von Elementen der Spieltheorie vorgenommen werden können. Einsatzmöglichkeiten der Spieltheorie für verhaltenswissenschaftliche Analysen im Controlling sind im Folgenden zu diskutieren.
3.2
Spieltheoretische Fundierung des Controllings
Die Spieltheorie ist auf die Analyse von Entscheidungssituationen ausgerichtet, in denen mindestens zwei Entscheidungsträger als Spieler miteinander agieren und die Entscheidungen eines Entscheidungsträgers nicht nur das eigene Ergebnis, sondern auch das Ergebnis bzw. die Ergebnisse des oder der anderen Entscheidungsträger(s) beeinflussen. Dabei wird unterstellt, dass sich alle Entscheidungsträger der Entscheidungsinterdependenzen bewusst sind und dementsprechend das (mögliche) Verhalten anderer Entscheidungsträger in ihr Entscheidungskalkül einbeziehen.15 Typischerweise entsteht ein (interpersoneller) Interessenkonflikt, der durch Modellierung 15
146
Vgl. Holler, M. J./Illing, G.: Spieltheorie, 2006, S. 1.
Verhaltensorientierung im Controlling
von Spielsituationen, den sog. Spielen zwischen den Entscheidungsträgern, formalisiert und interpretiert wird. Auf Basis von Spielen werden Lösungskonzepte erarbeitet, anhand derer aus der Menge aller möglichen Entscheidungskombinationen diejenigen ausgewählt werden, welche bei rationalem Verhalten aller Entscheidungsträger zu erwarten sind. Im Kontext von Prinzipal Agent-Problemen werden zumeist nicht-kooperative Spiele diskutiert.16 In nicht-kooperativen Spielen verfolgen die Spieler ausschließlich ihre eigenen Interessen. Informationen über das Entscheidungsverhalten der Mitspieler liegen den Spielern nicht vor, da es ihnen nur äußerst begrenzt möglich ist, bindende bzw. glaubhafte Absprachen zu treffen. Dementsprechend bestimmen letztlich die Erwartungen der Spieler über die Strategiewahl ihrer Mitspieler die Lösung nichtkooperativer Spiele. Von diesen Erkenntnissen ausgehend kann das Prinzipal AgentProblem als Spiel mit unvollständigen Informationen zwischen Prinzipal und Agenten modelliert und durch Ermittlung des Bayesianischen Nash-Gleichgewichts einer Lösung zugeführt werden. Dabei kann – dem „revelation principle“17 entsprechend – die Analyse eines Bayesianischen Spiels auf anreizkompatible Mechanismen beschränkt werden, welche den erwarteten (zumeist monetären, ggf. auch nicht monetären) Nutzen aller beteiligten Spieler (Prinzipal(e) und Agenten) maximieren, sofern diese ihre Typen bzw. ihre Präferenzen und Handlungsmöglichkeiten wahrheitsgemäß deklarieren. Dabei werden Agencybeziehungen, die eine nicht wahrheitsgemäße Berichterstattung auslösen, durch adäquate, wahrheitsinduzierende Verhaltensbeziehungen ersetzt.18 Es liegt dann ein Bayesianisches Spiel vor, dessen Gleichgewicht anreizkompatibel ist. In diesem Spiel wird der Prinzipal keinen Mechanismus wählen können, mit dem er für sich und seine Agenten einen höheren Nutzen erzielt. Auch wird kein Agent durch einen nicht wahrheitsgemäßen Bericht seinen Nutzen einseitig erhöhen können. Dennoch führt die Anwendung des „revelation principle“ nicht in jeder Situation zu einer effizienten Lösung. Der Prinzipal verzichtet (möglicherweise) darauf, für die Verbesserung seines Informationsstandes einen Mechanismus einzusetzen, der den Agenten einen (noch) höheren Nutzen verspricht. Jedoch auch bei der Verbesserung des Informationsstandes wird der Prinzipal nicht in jedem Fall einen höheren Nutzen erwarten können. Dies ist darin begründet, dass Agenten auf den verbesserten, ihnen aber nicht zugänglichen Informationsstand des Prinzipals (möglicherweise) mit einem Abweichen vom ermittelten Gleichgewicht reagieren. Dann aber können sich die positiven Effekte des verbesserten Informationsstandes des Prinzipals durch gegenläufige Wirkungen aufgrund veränderter Reaktionen der Agenten mehr als kompensieren. Zusätzliche Informationen können sich somit für den Prinzipal nicht nur aufgrund der entstehenden Kosten der Informations-
16 17 18
Vgl. insb. Schiller, U.: Informationsorientiertes Controlling, 2000, S. 9. Vgl. Myerson, R.: Coordination Mechanism, 1982, S. 73. Vgl. Ewert, R./Wagenhofer, A.: Interne Unternehmensrechnung, 2005, S. 430.
147
Lange / Schaefer
beschaffung, sondern auch aufgrund der Veränderung des Informations- und Entscheidungsverhaltens der Agenten als unvorteilhaft erweisen.
3.3
Erkenntniswert informationsökonomischer Theorieansätze
Die modelltheoretischen Analysen der Informationsökonomie sind für die Lösung verhaltensbezogener Problemstellungen im Controlling von hohem Erkenntniswert. Sie tragen dazu bei, die Controllingforschung auf Verhaltensinterdependenzen zwischen Entscheidungsträgern in Delegationsbeziehungen zu lenken. Informationsökonomische Analysen stellen das Controlling in den Kontext von Anreizmechanismen, welche der Beeinflussung des Informations- und Entscheidungsverhaltens in dezentralen Organisationen dienen. Sie ermöglichen es, strukturelle Aussagen zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zum Abbau asymmetrischer Informationsverteilungen zu gewinnen. Den komplexen Anforderungen der Unternehmenspraxis an Problemlösungen zur Begrenzung opportunistischen Verhaltens können informationsökonomische Analysen – nicht zuletzt aufgrund ihrer einschränkenden, von der Realität abstrahierenden Anwendungsprämissen – (allein) allerdings nicht gerecht werden. Hierzu sind weitere Theorieansätze in die Betrachtung einzubeziehen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis wird im Folgenden untersucht, inwieweit die sukzessive Zusammenführung informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse zur Ableitung controllingrelevanter Problemlösungen beitragen kann.
4
Verhaltenswissenschaftliche Analysen in der Controllingforschung
4.1
Notwendigkeit verhaltenswissenschaftlicher Analysen
Die systematische Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse in der Controllingforschung ist in der deutschsprachigen Literatur zwar immer wieder ge-
148
Verhaltensorientierung im Controlling
fordert, bisher aber kaum umgesetzt worden.19 Es finden sich nur vereinzelt Publikationen, die auf die verhaltenswissenschaftliche Fundierung des Controllings ausgerichtet sind. Wenn überhaupt verhaltenswissenschaftliche Analysen vorgenommen werden, dann stehen weniger konzeptionelle Überlegungen als vielmehr konkrete, auf Problemstellungen aus der Unternehmenspraxis bezogene Handlungsempfehlungen oder aber die Verhaltenswirkungen ausgewählter Controllinginstrumente im Fokus der Betrachtung.20 Dabei bezeichnen die Verhaltenswissenschaften eine interdisziplinär ausgerichtete Forschungsrichtung, die sich mit der Erklärung und Prognose der vielfältigen Aspekte und Erscheinungsformen individuellen Verhaltens befasst. Ziel der Verhaltenswissenschaften ist es, (möglichst) empirisch fundierte Erkenntnisse über Ursache-WirkungsZusammenhänge im Verhalten etwa von Individuen zu gewinnen, um hieraus realtheoretische Aussagen über Bestimmungsgrößen und Gesetzmäßigkeiten individuellen Verhaltens ableiten zu können. Damit stehen verhaltenswissenschaftliche Analysen in enger Verbindung zur positivistischen Agency-Theorie, sie bilden jedoch ein Gegengewicht zur normativen Agent-Theorie. Die Verhaltenswissenschaften orientieren sich unmittelbar an der Realität. Ihnen liegen keine Modelle, sondern vor allem erfahrungswissenschaftliche Analysen zugrunde. Den Verhaltenswissenschaften wird eine Vielzahl von Theorieansätzen zugeordnet, von denen allerdings nur eine Auswahl zur theoretischen Fundierung controllingrelevanter Problemstellungen in dezentralen Unternehmen beitragen kann. Dabei kommt den Motivationstheorien – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – eine besondere Bedeutung zu.
4.2
Erkenntniswert der Motivationstheorien
Die Motivationstheorien sind aus der Psychologie abgeleitet und untersuchen, inwieweit individuelles Verhalten durch persönliche Eigenschaften und situations- bzw. umfeldbezogene Gegebenheiten beeinflusst wird. Die Erklärung individuellen Verhaltens setzt an der Bedürfnisstruktur von Entscheidungsträgern an sowie an seinen Erwartungen darüber, inwieweit Verhalten zur Bedürfnisbefriedigung beitragen kann. Aus den Bedürfnissen leiten sich die Motive ab, welche die unmittelbaren, subjektivbewussten Beweggründe des Verhaltens von Entscheidungsträgern beschreiben.21 Sie verdeutlichen zeitlich relativ beständige Ziele bzw. Interessen, welche sich vornehmlich im Sozialisationsprozess des Entscheidungsträgers herausgebildet haben. Motive
19
Vgl. Ewert, R.: Interessenkonflikte, 1992, S. 283 sowie Bramsemann, U./Heineke, C./Kunz, J.: Verhaltensorientiertes Controlling, 2004, S. 564 sowie Hirsch, B.: Erkenntnisfortschritt, 2005, S. 282. 20 Vgl. Hoffjan, A.: Controlling-Konzeption, 1998. 21 Vgl. Heckhausen, H./Heckhausen, J.: Motivation und Handeln, 2006, S. 269 f. sowie Berthel, J./Becker, F.G.: Personalmanagement, 2003, S. 40-42.
149
Lange / Schaefer
lösen Verhalten aus, wenn sie durch spezifische Situationsmerkmale dazu angeregt werden. Situationen bieten Gelegenheiten zur Befriedigung von Bedürfnissen, sie können aber auch ein Unterlassen von Handlungen bewirken. Die Merkmale einer Situation werden als Anreize bezeichnet, die Wechselwirkung von Motiv und Anreiz als Motivation. Die Motivation beschreibt demzufolge die situationsbedingte Ausrichtung des Verhaltens von Entscheidungsträgern auf ein (Bedürfnisse befriedigendes) Handlungsziel. Sie kann daher als Hauptansatzpunkt für die zielorientierte Beeinflussung des Informations- und Entscheidungsverhaltens insb. von dezentralen Entscheidungsträgern angesehen werden. Als Motivationstheorien werden in der Literatur Inhalts- und Prozesstheorien differenziert.22 Beide Theorieansätze sind zwar primär auf die Analyse des Individualverhaltens fokussiert, die Anwendung des in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften allgemein anerkannten Prinzips des Methodologischen Individualismus lässt aber eine Übertragung der Aussagen auch auf Delegationsbeziehungen in Unternehmen zu. Die Motivationstheorien verzichten – zumindest partiell – auf das Modell des „Homo Oeconomicus“ und versuchen es durch Vorstellungen zu ersetzen, die den Verhaltensbedingungen real existierender Menschen gerecht werden. Motivationstheoretische Analysen erlauben es daher, die strukturellen Aussagen der Informationsökonomie um eine zusätzliche (verhaltenswissenschaftliche) Perspektive zu ergänzen. Sie ermöglichen es, die Controllingaktivitäten und die Controllinginstrumente vor dem Hintergrund der jeweiligen situativen Gegebenheiten möglichst weitgehend auf die persönlichen Eigenschaften eines jeden Entscheidungsträgers (bzw. jeder Entscheidungsträgergruppe) auszurichten. Entsprechend kommt (auch) den Motivationstheorien bei der Anreizgestaltung eine besondere Bedeutung zu. Die Inhaltstheorien ermöglichen es im Einzelnen, den Inhalt und die Verhaltenswirkung einzelner Motive von Entscheidungsträgern zu analysieren, um hieraus Anforderungen an die verhaltensorientierte Ausgestaltung von Anreizsystemen abzuleiten. Als Instrumentarium steht ihnen bspw. die – in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur häufig beschriebene, dennoch umstrittene23 – Bedürfnispyramide von Maslow zur Verfügung, welche Einzelmotive zu fünf Bedürfnisgruppen klassifiziert. Sie erfasst insb. Sicherheits-, Zugehörigkeits-, Wertschöpfungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse, wobei angenommen wird, dass ihnen in dieser Reihenfolge Verhaltenswirkung beizumessen sind. Die Theorie der Leistungsmotivation von McClelland erklärt die Motivation von Entscheidungsträgern anhand der (lediglich) drei Schlüsselbedürfnisse Leistungsstreben, Zugehörigkeitsstreben und Machtstreben, wobei dem Leistungsstreben eine besondere Bedeutung beigemessen wird.24 Eine Weiterentwicklung der Theorie von McClelland erfolgt durch Atkinson, der neben
22
Vgl. z. B. Staehle, W.: Management, 1999, S. 218 f. sowie Bamberger, I./Wrona, Th.: Strategische Unternehmensführung, 2004, S. 270. 23 Vgl. Berthel, J./Becker, F.G.: Personalmanagement, 2003, S. 21-24. 24 Vgl. McClelland, D.C.: Human Motivation, 1985, S. 595-598.
150
Verhaltensorientierung im Controlling
personenbezogenen Einflussfaktoren auch situative Komponenten, die sich etwa aus den Erfahrungen der Entscheidungsträger bei der Lösung vergleichbarer Aufgabenstellung ergeben, in seine Analysen einbezieht.25 Insgesamt betrachtet, gewähren die Inhaltstheorien einen ersten Einblick in die Struktur und die Verhaltenswirkungen einzelner Motive von Entscheidungsträgern. Sie zeigen, dass eine ausschließliche Konzentration auf finanzielle Anreize der komplexen Bedürfnisstruktur von Entscheidungsträgern nicht gerecht werden kann. Für Entscheidungsträger können auch nichtfinanzielle Anreize, wie z. B. Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten, handlungsleitend sein. Inhaltstheorien können nicht erklären, welche kognitiven Prozesse im Entscheidungsträger ablaufen, bevor ein bestimmtes Verhalten zustande kommt. Zur Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung von Anreizsystemen erscheinen die Aussagen der Inhaltstheorien daher nicht ausreichend. Zusätzlich zu untersuchen ist, welchen Erkenntnisbeitrag das Controlling von den Prozesstheorien für die Analyse und Prognose von Entscheidungsverhalten erwarten kann. Ausgehend von den Erkenntnissen der Prozesstheorien kann das Controlling Auswirkungen der Motivation auf das Entscheidungsverhalten analysieren, ohne sich mit den Inhalten von Motiven auseinanderzusetzen. Dabei ist der Motivation nicht nur eine personenbezogene, sondern auch eine situations- bzw. umfeldbezogene Dimension zuzuordnen, so dass die beim Entscheidungsträger ablaufenden kognitiven Vorgänge bei der Bewertung situationsbezogener Anreizbedingungen in die Untersuchungen einzubeziehen sind. Prozesstheorien unterstellen – im Unterschied zu den Inhaltstheorien – rationales Entscheidungsverhalten. Die Motivation der Entscheidungsträger wird daher von dem subjektiv erwarteten „Nutzen“ ihres Verhaltens für die individuelle Zielerreichung bestimmt. Je höher bspw. Entscheidungsträger dezentraler Unternehmen die Wahrscheinlichkeit einschätzen, über die in Aussicht gestellten Anreize (z. B. Entlohnung, Personalentwicklung) ihre individuellen Ziele zu erreichen, desto eher werden sie motiviert sein, opportunistisches Verhalten zu vermeiden und unternehmerische Zielvorgaben (je nach Entscheidungsebene z. B. Kostensenkung, Deckungsbeitragserhöhung, Budgeteinhaltung, Steigerung des Residualgewinns, wie insb. des Economic Value Added, oder entsprechender Kapitalrenditen) zu erreichen. Besondere Beachtung im Rahmen der Prozesstheorien ist dem Motivationsmodell von Porter und Lawler beigemessen worden, welches Anstrengung, Leistung, Belohnung und Zufriedenheit als zentrale Untersuchungsvariablen definiert und zusätzlich Aspekte wie etwa Fähigkeiten, Persönlichkeitszüge und Rollenverständnis in die Analysen integriert.26 Dem Verständnis von Porter und Lawler zufolge wird die Motivation bzw. die Anstrengungsbereitschaft eines Entscheidungsträgers zur Erbringung einer Leistung bzw. zur zielorientierten Erfüllung der gestellten Aufgaben nicht nur von der subjektiv empfundenen Zufriedenheit mit dem individuell bemessenen Wert 25 26
Vgl. Atkinson, J.W.: Motivationsforschung, 1975, S. 391-407. Vgl. Porter, L.W./Lawler, E.E.: Managerial Attitudes, 1968, S. 159-184.
151
Lange / Schaefer
und der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit der Belohnung beeinflusst. Sie lässt sich auch mit den Fähigkeiten, den Persönlichkeitszügen sowie dem Rollenverständnis des Entscheidungsträgers erklären, so dass keine eindeutige Korrelation zwischen Motivation bzw. Verhaltensanstrengung und Leistung unterstellt werden kann. Die Zielsetzungstheorie von Locke beschreibt den Einfluss von Zielen auf die Leistung bzw. das Leistungsverhalten von Entscheidungsträgern.27 Sie basiert auf der Hypothese, dass die im Rahmen der Aufgabenerfüllung erbrachten Leistungen direkt von den gesetzten (aufgabenbezogenen) Zielen abhängen. Dabei wird den Zielen mit dem höchsten, vor dem Hintergrund der individuellen Fähigkeiten noch als realisierbar empfundenen Schwierigkeitsgrad die größte Anreizwirkung beigemessen. Zusammenfassend sind – vergleichbar den Inhaltstheorien – auch die Ergebnisse der Prozesstheorien nicht operationalisierbar. Dennoch sind sie für das Controlling u. E. von hoher heuristischer Aussagekraft. Prozesstheoretische Analysen ermöglichen, unverzichtbare qualitative Einsichten in die Strukturen und Abläufe des individuellen Motivationsverhaltens unter Berücksichtigung von personellen und situationsbzw. umfeldbezogenen Einflussfaktoren zu gewinnen. Damit kommt ihnen nicht nur für die Schaffung motivationsfördernder Anreize und Anreizsysteme eine hohe Bedeutung zu. Sie können das Controlling bspw. auch darin unterstützen, Hypothesen über die Auswirkungen institutioneller Regelungen auf das Verhalten von Entscheidungsträgern zu formulieren und empirischen Befunden gegenüberzustellen. Gerade hierin liegt der Fokus des Behavioral Accounting, auf dessen Grundlage das Controlling verhaltenswirkame Vorgabe- und Kontrollinformationen ableiten kann.28 Die Erklärungsansätze der Verhaltenswissenschaft können das Verhalten von Entscheidungsträgern in seiner hohen Komplexität nur unvollständig und nicht widerspruchsfrei abbilden. Zudem werden die vielfältigen Einflussfaktoren des Verhaltens allenfalls partiell erfasst. Die Auswahl bzw. die Ausgestaltung von Controllingaufgaben und Controllinginstrumenten lässt sich vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften allein daher nicht umfassend theoretisch fundieren. Es bedarf vielmehr sowohl der realtheoretischen Aussagen der Verhaltenswissenschaften als auch der formal-analytischen Modelle der Informationsökonomie, um Lösungsansätze für controllingrelevante, auf die Delegation von Führungsentscheidungen zurückzuführende Problemstellungen aufzeigen zu können. Daher ist im Folgenden zu diskutieren, wie eine sukzessive Zusammenführung informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Analyseergebnisse erfolgen kann.
27 28
152
Vgl. Locke, E.A./Latham, G.P.: Theory of Goal Setting, 1990, S. 86-95. Vgl. Küpper, H.-U.: Controlling, 2005, S. 217-221.
Verhaltensorientierung im Controlling
4.3
Integration informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Analyseergebnisse
Zur Integration informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Lösungsansätze ist ein sukzessives Vorgehen zu empfehlen. Die informationsökonomischen Modelle bilden dann aufgrund ihrer Geschlossenheit und Konsistenz den theoretischen Rahmen, den es mit den Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften schrittweise auszufüllen gilt. Dies sollte allerdings nicht dazu führen, dass im Sinne des ökonomischen Imperialismus der ökonomische Theorieansatz dominiert. Auch eine „Psychologisierung“ der Verhaltensannahmen informationsökonomischer Modelle oder die dem Paralleldiskurs entsprechende Übersetzung verhaltenswissenschaftlicher Annahmen in die „Logik“ der informationsökonomischen Theorieansätze erscheinen nicht zweckmäßig, zudem keine methodologischen Hinweise auf eine reflektierte Integration verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse in die informationsökonomischen Theorieansätze abgeleitet werden können.29 Sinnvoll ist es vielmehr, die informationsökonomischen Modelle im Sinne der von Lindenberg vorgestellten Methode der abnehmenden Abstraktion schrittweise um verhaltenswissenschaftliche Annahmen zu erweitern,30 um eine sukzessive Annäherung der Analyseergebnisse an die Realität zu erreichen. Aufgrund der Komplexität realer Problemsituationen können allerdings auch mit diesem Vorgehen nur Teilzusammenhänge bzw. begrenzte Ausschnitte der Realität abgebildet und erklärt werden. Die Integration der beiden Forschungsrichtungen eröffnet dem Controlling jedoch die Möglichkeit, die Verhaltenswirkungen von Delegationsproblemen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus zu analysieren und abgestimmte, theoretisch hinreichend abgesicherte Problemlösungen (z. B. Ermittlung optimaler Budgethöhen oder anreizkompatibler Verrechnungspreise) zu erarbeiten. Im Einzelnen zu eruieren ist allerdings, inwieweit auch bei einer schrittweisen Relativierung der restriktiven Annahmen die Einfachheit und Allgemeingültigkeit der informationsökonomischen Modellbildung möglichst weitgehend beibehalten und zugleich die „Balance“ zwischen den Forschungsrichtungen sichergestellt werden kann.
29 30
Vgl. Hirsch, B.: Erkenntnisfortschritt, 2005, S. 26-28 sowie die dort angegebene Literatur. Vgl. Lindenberg, S. M.: Abstraktion, 1991.
153
Lange / Schaefer
5
Perspektiven für die Controllingforschung
Zusammenfassend erscheint die sukzessive Zusammenführung informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Forschungsergebnisse für die Lösung controllingrelevanter Problemstellungen unverzichtbar. Sie ermöglicht es dem Controlling nicht nur, Situationen der Entscheidungsdelegation unter Einbeziehung der Verhaltenswirkungen von asymmetrischen Informationsverteilungen und Interessenkonflikten zu analysieren, sondern darüber hinausgehend auch qualitative Einsichten in die Verhaltenswirkungen von Motiven sowie in die Abläufe individuellen Motivationsverhaltens zu erlangen. Die Bedeutung individuellen Verhaltens für die Ableitung von Problemlösungen zeigt, dass eine stärker interdisziplinäre Ausrichtung der Controllingforschung erforderlich ist. Es sollten allerdings mit der Einordnung von Theorieansätzen (z. B. neoinstitutionalistische und strukturationstheoretische Ansätze) in den Kontext des Controllings keine zusätzlichen Überschneidungsbereiche etwa zur Personalführung und zur Organisation geschaffen werden. Eine über die Analyse der Motivationstheorien hinausgehende Auseinandersetzung etwa mit Erkenntnissen der Psychologie bzw. der Sozialpsychologie (z. B. Lern- oder Rollentheorie) erscheint jedoch sinnvoll. Im Zusammenhang mit der Integration verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse in die Controllingforschung ist u. E. die Durchführung von Experimenten, insb. von Laborexperimenten, zu erwägen.31 Ihr Erklärungsbeitrag ist in der Controllingforschung bislang vernachlässigt worden. In Experimenten wird unter kontrollierten Versuchsbedingungen und unter Einbeziehung möglichst repräsentativer Probanden eine unabhängige Variable (z. B. materieller Anreiz) manipuliert, um Auswirkungen auf andere, abhängige Variablen (z. B. Indikatoren für die Motivation von Entscheidungsträgern) zu beobachten. So erscheint es möglich, die Gültigkeit informationsökonomisch ermittelter Lösungsansätze – auch im Hinblick auf Veränderungen bei einer schrittweisen Relativierung der restriktiven Annahmen – zu überprüfen. Im Einzelnen ist dabei zu untersuchen, inwieweit das Controlling auf Erkenntnisse der empirischen Wirtschaftsforschung, insb. der Spieltheorie, zugreifen kann.
31
154
Vgl. auch Hirsch, B.: Erkenntnisbeitrag, 2007.
Verhaltensorientierung im Controlling
Literaturverzeichnis
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156
Verhaltensorientierung im Controlling
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157
Rückkehr der Grenzplankostenrechner? Unternehmenssteuerung mit der Flexiblen Plankostenrechung
Prof. Dr. Jochen R. Pampel Head of Financial Management KPMG Europe LLP, Partner KPMG DTG AG Außerplanmäßiger Professor an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Professur für Controlling, Universität Potsdam, August-Bebel-Straße 89, 14482 Potsdam,
1
Grenzplankostenrechnung als etabliertes Kostenrechnungssystem ....................... 161
2
Erfolgsmodellierung mit Integrierten Controllinginstrumenten ............................. 163
3
Informationen für die operative Unternehmenssteuerung....................................... 168 3.1 Abnehmende Bedeutung der traditionellen Kostenkontrolle......................... 168 3.2 Verhältnis der Grenzplankostenrechnung zur Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung ................................................................................. 171 3.3 Verhältnis der Grenzplankostenrechnung zur Prozesskostenrechnung ....... 172 3.4 Voraussetzungen eines effektiven und effizienten Einsatzes der Grenzplankostenrechnung .................................................................................. 175
4
Kosten, Erlöse und Ergebnisse in der strategischen Unternehmensplanung......... 176
5
Grenzplankostenrechnung als Kern des innerbetrieblichen Rechnungswesens ... 179
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 180
159
Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
1
Grenzplankostenrechnung als etabliertes Kostenrechnungssystem
Die Grenzplankostenrechnung ist ein Begriff der Praxis und steht für eine umfassende und ausgefeilte Methodik einer bezugsgrößenbasierten Kostenplanung und Kostenkontrolle, die auf der Durchführung der planmäßig-analytischen Kostenspaltung beruht. Damit gewährleistet sie, dass die Kostenschwankungen, die auf Beschäftigungsänderungen im marginalanalytischen Sinne zurückgeführt werden, als Sollkostenänderungen sicher vorhergesagt und der weiteren Abweichungsanalyse zugrunde gelegt werden können. Diese Form der internen Unternehmensrechnung büßte scheinbar im Zeichen des Aufkommens anderer Controllinginstrumente und auch des Lean Managements an Attraktivität ein, ohne jedoch in der Verbreitung in der Praxis an Bedeutung zu verlieren. Eine empirische Studie zeigt, dass in Deutschland kleinere Unternehmungen zu 49 %, mittlere zu 65 % und große zu 61 % über grenzkostenbasierte Kalkulationen verfügen und über alle Größenklassen hinweg zu 42 % Grenzkosten in kurzfristigen Erfolgsrechnung führen.1 Damit wird insgesamt ein im Vergleich zu früheren Studien höherer Anteil von Anwendern erreicht,2 allerdings ergibt die Studie auch, dass über die Hälfte aller befragten Unternehmungen gleichzeitig auch Vollkosten kalkulieren, d. h. die Grenzkostenrechnung im Rahmen einer Parallelkalkulation realisieren.3 Damit behält die Grenzplankostenrechnung im deutschsprachigen Bereich ihre Dominanz vor allem in ihrem herkömmlichen Einsatzschwerpunkt, dem Fertigungsbereich, und eine sehr große Bedeutung als grundlegender Methodenkern für die Planung und Kontrolle von Kosten in der Unternehmung überhaupt. Indirekte Leistungsbereiche werden immer noch weiter mit der Grenzplankostenrechnung durchdrungen. Doch geht dies in der Regel mit einer Annäherung an die Prinzipien der Prozesskostenrechnung einher. International und insbesondere in den USA ist die Plankostenrechnung nie so differenziert ausgebaut worden. Folglich hat hier das moderne Kostenmanagement und insbesondere die Prozesskostenrechnung noch stärker zu einer neuen, das bisherige Standard Costing ablösenden Kostenrechnung geführt. In den USA sind mit dem Activity-based-Costing indirekte Bereiche auch in der Fertigung oft erstmals kostenrechnerisch transparenter gemacht worden. Erst in der jüngeren Zeit verdichten sich die Zeichen auf eine wiederum verstärkte Beachtung. In den USA diskutiert man derzeit die Möglichkeiten der Übernahme von Prinzipien der Flexiblen Plankostenrechnung zur Stärkung der Steuerungsfunktion des Rechnungswesens, die auch mit einer Kritik
1 2 3
Vgl. Währisch, M., Kostenrechnungspraxis, 1998, S. 91 f. Siehe für einen Überblick Währisch, M., Kostenrechnungspraxis, 1998, S. 20. Vgl. Währisch, M., Kostenrechnungspraxis, 1998, S. 92 f.
161
Pampel
an der dort vorherrschenden Dominanz des Finanziellen Rechnungswesens einhergeht.4 Auch in Deutschland kommen aktuelle Publikationen zu dem Ergebnis einer nach wie vor zentralen Bedeutung des Kilgerschen Kostenrechnungssystems.5 Allerdings haben sich seit der Frühzeit der Flexiblen Plankostenrechnung die Anforderungen an die Kostenrechnung durch das Controlling erheblich gewandelt. Um zu bestimmen, wozu genau heute die Grenzplankostenrechnung eingesetzt wird und in welcher Weise sie ihren Beitrag auch effizient leisten kann, wird im Folgenden untersucht
welche Anforderungen das heutige Controlling an die Modellierung des Unternehmenserfolges stellt,
welchen Stellenwert grenzplankostenrechnerische Informationen für die operative Planung und Kontrolle haben und
inwieweit kostenrechnerische Informationen die strategische Unternehmensplanung unterstützen. Nicht weiter untersucht werden muss dagegen die EDV-technische Umsetzung der Grenzplankostenrechnung, denn der heute erreichte und auch hier dargestellte Ent-
4
5
162
Siehe hierzu Sharman, P.A./Vikas, K., German Cost Accounting, 2004, S. 322-326 und das hierzu einen Überblick gebende Interview mit President und CEO des Institute of Management Accounting. Sharman,P.A., German Controlling, 2005, S. 322-326. Sharman/Vikas bedauern auch, dass es keine englischsprachige Übersetzung zur „Flexiblen Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung“ gibt (Sharman, P.A./Vikas, K., Lessons from German Cost Accounting, 2004, S. 29). Allerdings ist bekannt, dass in den USA von Beratungen erzeugte Übersetzungen von Auszügen des genannten Werkes kursieren. In einem Sonderheft der Zeitschrift ZfCM wurden kürzlich zwei grundlegende Beiträge zur Flexiblen Plankostenrechnung (Kilger, W., Stromkosten, 2006, S. 6-13 (Originalbeitrag aus krp, 1985, Heft 4, S. 149-156)) bzw. Grenzplankostenrechnung (Plaut, H.G./Bonin, A./Vikas, K., Grenzplankostenrechnung, 2006, S. 9-15 (Originalbeitrag aus krp, 1988, Heft 1, S. 9-15) abgedruckt und aus heutiger Sicht kommentiert. So betont Zwicker die Bedeutung der Konzeption der Sollkosten als Basis für unterschiedliche Planungsmodelle (Zwicker, E., flexible Plankostenrechnung, 2006, S. 14-20) und Hörder betont, dass der Kilgersche Ansatz noch überall dort, wo Kosten noch immer sinnvoll in fixe und proportionale Kosten aufgespaltet werden können weiterhin hohe Bedeutung hat, jedoch bei der dispositiven Aufgabe der Unternehmenssteuerung seine Grenzen habe (Hörder, C., Plankostenrechnung, 2006, S. 21-25). Huch/Hanke/Viemann betonen, dass die Grenzplankostenrechnung auch für die Zukunft einen „wertvollen, jedoch nicht alleinigen Bestandteil im Konglomerat unternehmensnotwendiger Kostenrechnungssystem darstellen“; Huch, B./Hanke, M./Viemann, K., Idee von Plaut/Bonin/Vikas, 2006, S. 85. Corde/Holzwarth sehen die Grenzplankostenrechnung mit einer Vollkostenrechnung als klaren Standard, der sich gegenüber der Einzelkostenrechnung bevorzugt durchgesetzt hat; vgl. Cordes, P./Holzwarth, J., Grenzplankostenrechnung, 2006, S. 87f.
Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
wicklungstand des Controllings kann von der modernen Informationstechnologie ohne Probleme dargestellt werden.6 Da der Beitrag von Informationen im Sinne dieser Betrachtung primär auf die Unterstützung von Planung und Kontrolle abzielt, genügt es die Bedeutung an der Erfüllung dieser Aufgabe zu messen. Deshalb wird in diesem Beitrag nicht gesondert auf das Managementreporting eingegangen. In aller Regel folgen die Unternehmen im Reporting mindestens der Differenzierung der Planung und stellen den Plandaten Istwerte und Abweichungen gegenüber. Lediglich der Grad der Verdichtung für die Information auf bestimmten Hierarchieebenen hält je nach Managementkonzept und Steuerungsphilosophie noch besondere Gestaltungsaufgaben bereit, auf die hier nicht weiter eingegangen werden muss.
2
Erfolgsmodellierung mit Integrierten Controllinginstrumenten
Nach der hier zugrunde gelegten Sichtweise umfasst Controlling die ergebnis- und wertorientierte Planung und Kontrolle als Meta-Führungsfunktion sowie die Koordination des Informationsversorgungssystems. Damit wird betont, dass neben der kurzfristigen Ergebnisorientierung auch der Unternehmenswert die längerfristig relevante Zielgröße des Controllings sein muss. Mit der Meta-Führungsaufgabe unterstützt das Controlling die Unternehmensführung in einer zielgerichteten Planung und Kontrolle des Unternehmensgeschehens ohne die Koordinationsverantwortung der Unternehmensführung zu ersetzen. Deren Koordinationsfunktion unterstützt das Controlling sowohl durch das Etablieren geeigneter Abstimmungsstrukturen und -prozesse im Planungs- und Kontrollsystem im Sinne einer systembildenden Koordination als auch durch das zielgerichtete Verstärken der Diffusion von Informationen im Sinne einer systemkoppelnden Koordination.7 Zunehmend verbindet Controllerinnen und Controller ein pro-aktives Selbstverständnis.8 Sie schalten sich selbst frühzeitig in den strategischen Entscheidungsprozess ein.
6
7 8
Nur zur Illustration sei darauf hingewiesen, dass allein der Trend zur Integration unterschiedlicher Anwendungssysteme in den Unternehmen ein enormes Potenzial zur Erweiterung der Möglichkeiten des Controllings durch bessere Datenversorgung bringt. Siehe hierzu Samtleben, M./ Stadlbauer, F./Hess, T., Anwendungssystemintegration, 2005, S. 86 ff. Siehe zu dieser Unterscheidung Horváth, P., Controlling, 2006, S. 108 ff. So formuliert plakativ Große, F.P., Servicebereichsleiter Controlling Services bei der Deutschen Post World Net: „Ein Controller muss unabhängig von den Berichtslinien Laut geben“, Große, F.P./ Seidler, S., Aufbauorganisation des Controllings, 2006, S. 141.
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Pampel
Demgegenüber verlieren die routinemäßigen operativen Controllingtätigkeiten an Bedeutung. Die Controllingaufgaben werden darüber hinaus längst nicht mehr nur allein von zentralen Stellen in der Unternehmung wahrgenommen. Vielmehr findet Controlling immer stärker dezentral in den einzelnen Geschäftsprozessen statt.9 Diese Veränderung des Selbstverständnisses in Richtung proaktive Mitwirkung bei einer gleichzeitigen veränderten organisatorischen Einbindung in die Führungsprozesse und Strukturen im Unternehmen zeigt auch eine aktuelle Studie mit dem Ergebnis, dass die Aufgabe des Controllings sehr stark als beratend (41 %) oder sogar mitbestimmend (25,3 %) gesehen wird und erst dann die informierende (23,1 %) Rolle gesehen wird.10 Zunehmend wird auch in der Theorie Controlling im Kontext von Erwartungshaltungen der Verantwortungsträger, Wissensbasis und Unternehmenskultur gesehen und modelliert.11 Die richtige Konzeption hängt somit vom Führungssystem ab.12 Nicht zuletzt haben sich Controllinganforderungen auch durch die Hinwendung zum internationalen Rechnungswesen, die sowohl die Praxis als auch die Theorie in den letzten Jahren intensiv beschäftigt haben, verändert. 13 Seit jeher ist die teils divergierende, teils aufeinander Bezug nehmende Anforderung durch das externe Rechnungswesen eine Gestaltungsherausforderung für das Controlling. Teilweise erklären die konventionellen externen Regelungen die Notwendigkeit einer separaten, auf zeitnahem Erfolgsausweis und auf Vergleichbarkeit gerichteten internen Unternehmensrechnung und andererseits liefert die Kostenrechnung seit jeher wichtige Wertansätze etwa im Bereich der Bestände an fertigen und unfertigen Erzeugnissen für das externe Rechnungswesen. 9 10
Siehe auch Klein, A./Vikas, K., prozessorientierte Controlling, 1999, S. 83 f. Vgl. Pampel, J., Controllingkonzepte, 2006. In 3,5 % der Fälle wird sogar die Weisungsbefugnis angegeben; vgl. ebenda. 11 Siehe hierzu Sunder, S., Management Control, 2002, S. 173-187. Auch die Erfolgsbeiträge des Performance Measurement im Zusammenhang mit dem Anreizsystem für die strategische Veränderung des Unternehmens werden im Kontext des Vertrauens untersucht, wobei diesem Konstrukt eine wichtige Erklärungskomponente des Erfolges von Messgrößen zukommt; vgl. Chenhall, R.H./Langfield-Smith, K., Performance Measurement, 2003, S. 137 f. Generell mit der Bedeutung der Kultur befasst sich auch praxisbezogen Hoffjan, A./Nevries, P./Wömpener, A., Kulturelle Einflüsse, 2005, S. 290 ff. 12 So sieht J. Weber unterschiedliche Koordinationsmechanismen für unterschiedliche Führungsmuster und sieht für das Controlling unterschiedlich Schwerpunkte bei der Rationalitätssicherung für die plankoordinierte, durch Programme koordinierte, durch persönliche Weisungen koordinierte sowie durch selbstkoordinierte Oganisationen; siehe Weber, J., Controlling – Ein Überblick, 2003, S. 183 ff. 13 Siehe hierzu Praxisberichte über die Bemühung um sowohl „materielle Identität“ als auch dem Vermeiden von organisatorischen Trennungen von internem und externem Rechnungswesen Ohlms, D./Tomaszewski, C./Trütschler, K., Entwicklungstendenzen, 2002, S. 191 ff. Eine ähnliche Sicht für die Lufhansa gibt Kley, K.-L., wertorientiertes Controlling, 2002, S. 277 ff. und Kley, K.-L., IFRS, 2006, S. 150 ff. Hochintegriert ist als drittes Beispiel auch das externe Rechnungswesen und Controlling der Continental AG; Hippe, A., Gespräch, 2005, S. 180 ff.
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Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
Mit der Neuausrichtung des externen Rechnungswesens durch die Internationalisierung durch die International Financial Reporting Standards (IFRS) sowie die auch sehr verbreitete Anwendung der amerikanischen Rechnungslegung (US-GAAP) verändert sich dieses Beziehungsfeld. Einerseits ergeben sich aus dem externen Rechnungswesen wichtige neue Größen für die interne Unternehmenssteuerung, in dem die verstärkte Möglichkeit der Anwendung von Zeitwerten etwa zu Wertpapieren und Grundstücken, die Aktivierungsmöglichkeit von bestimmten Entwicklungskosten oder auch der sachgerechtere Ansatz von Pensionsrückstellungen, die Ergebnisse nach IFRS generell zu einer relevanten Steuerungsgröße mit realistischen Vermögens- und Gewinnausweis machen. So lange die Unternehmen ihre Jahresabschlüsse zusätzlich zu den internationalen auch weiterhin nach nationalen Regeln machen, resultieren aus der Zweigleisigkeit auch zusätzliche interessante Aufschlüsse, insbesondere für die Bilanzanalyse,14 was wiederum die Aufgabe der kapitalmarktorientierten Steuerung verkompliziert. Andererseits benötigen die Aussagen nach IFRS eine umfassendere Untermauerung durch die Kostenrechnung und andere Controllinginstrumente. So benötigt man eine Projektkostenrechnung, um für die langfristige Fertigung den Wert des Work-in-progress zum Bilanzstichtag abzubilden. Wertorientierte Kalküle müssen den Impairmenttest für immaterielle Vermögensgegenstände unterstützen. Mit dem Ausweis von Segmentberichten werden die Geschäftseinheiten, angenähert an die Strukturen der internen Ergebnisrechnung, stärker differenziert abgebildet. Höhere Anforderungen an die Abbildung einer Kapitalflussrechnung lassen der Finanzplanung einen höheren Stellenwert im Controlling zukommen, das so stärker die strategische Unternehmensführung unterstützt.15 Damit hat sich die Basis des Controllings stark verändert. Abbildung 2-1 veranschaulicht diese Entwicklung. Im oberen Teil soll sie verdeutlichen, dass im Zuge der Entwicklung des Rechnungswesens eine Vielzahl von einzelnen isolierten Instrumenten entstanden sind. Diese sollten immer wieder erneut regulatorische Anforderungen erfüllen oder dem Management größere Entscheidungssicherheit geben. Durch diese Vielzahl von Instrumenten mit zweckspezifischen Aussagen ging ein ganzheitlicher Überblick und damit letztlich die Steuerung verloren. In der Balanced Scorecard können wir einen systematischen Versuch sehen, Informationen aus unterschiedlichen Rechenkreisen sinnvoll für die Umsetzung der strategischen Unternehmenssteuerung wieder zusammen zu führen. Im Ergebnis ist der komplexe Aufbau des Rechnungswesens der Industrieunternehmen durchaus hinsichtlich der einzelnen Instrumente und deren Bedeutung gut nachzuvollziehen. Insgesamt aber bleibt die
14 15
Siehe hierzu Lachnit, L./Ammann, H./Müller, S., Jahresabschlussanalyse, 1998, S. 2177. Dies erfolgt zum Teil dadurch, dass Vorgehensweisen wie etwa der Soll-Ist-Vergleich unter dem Aspekt des Strategischen Controllings diskutiert werden; z.B. Müller, H./Grotheer, M., Controlling-Konzepte, 2002, S. 215. Allerdings findet sich dass sowohl in englisch- als auch in deutschsprachigen Lehrbüchern zum internen Rechnungswesen noch nicht in dem erwartenden Ausmaß wieder. Siehe hierzu eine Analyse von Hoffjan, A./Wömpener, A., General Management Accounting, 2006, S. 246 ff.
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Pampel
Feststellung einer mangelnden Integration. Weil die Instrumente unterschiedliche Ergebnisse ausgeben, kann diese auch zur Irritation der Unternehmenssteuerung führen. Damit ist die Schaffung eines „integrierten Erfolgs-, Finanz- und Risikomanagementsystems“16 das Gebot des wirksamen Controllings. Diese Situation zu verbessern ist seit vielen Jahren das große Ziel der Neuorientierung des Rechnungswesens. Im Wesentlichen geschieht die Annäherung der Rechenkreise über zwei Ansätze. Einerseits sind moderne Anwendungsprogramme (DataWarehouse, Management-Informationssystem) in der Lage, auch Informationen aus verschiedenen Basissystemen dem Nutzer sinnvoll strukturiert bereit zu stellen. Andererseits kann man aber auch versuchen, die Rechenkreise durch stringente Strukturierungen, Angleichung der unterschiedlichen Kategorien stärker zu harmonisieren. Besonders zweckmäßig ist beide Ansätze zu kombinieren. In der Praxis versucht man häufig in einem ersten Schritt das Management-Informationssystem aufzubauen und so auf die unterschiedlichen Instrumente zuzugreifen. In einem zweiten Schritt steigert man dessen Qualität durch eine stärkere Harmonisierung der einzelnen Rechenkreise parallel oder später. Insgesamt strebt also das Controlling nach einen handhabbareren Rechnungswesensystem, das stringente Informationen liefert.
16
166
Diese Sichtweise prägt inzwischen umfassend Controlling-Darstellungen. Siehe hierzu etwa Lachnit, L./Müller, S.; Unternehmenscontrolling, 2006, S. 219-224.
Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
Abbildung 2-1:
Von der sukzessiven Ausbildung spezieller Instrumente zum integrierten Controlling-Instrumentarium
Historisch mangelnde Integration wegen isolierter zweckspezifischer Ausprägung der Instrumente als Ausgangspunkt. extern
Nationales Rechnungswesen
- HGB-Abschluss Aggregierte Daten
- Steuerbilanz
Internationales Rechnungswesen - IFRS-Abschlüsse * Jahresabschluss * Zwischenberichte * Segmentberichte
Basisdaten
intern Balanced Scorecard
Wertorientiertes Rechnungswesen - SVA mit DCF-Methode - Investitionsrechung
Kosten Management
Controlling-Berichte
Kosten- und Erlösrechnung - Plankosten- und Deckungsbeitragsrechnung - Prozesskostenrechnung - vollkostenrechnerische Parallelkalkulation
Betriebsdatenerfassung Finanzbuchhaltung
Zusammenführung in Management Informationssysteme (MIS) Alternativ oder parallel bzw. später Integration und Harmonsierung des Rechnungswesens - Instrumentarium
Finanzielles Rechnungswesen - IAS-Abschlüsse *Jahresabschl. Kosten- und Erlösrechnung * Zwischen- Plankosten- und berichte Deckungsbei* Segmenttragsrechnung berichte - Prozesskosten- HGB- und rechnung Steuerbilanz. - vollkostenrechnerische Parallelkalkulation
- SVA mit DCF-Methode - Investitionsrechung
Nicht-finanzielle Leistungsrechnung
Kundenprofitabilität
Prozesseffizienz
Ressourcen
-
- Durchlaufzeit - Qualitätssicherheit
- Quantität - Qualität - Verfügbarkeit
Marktwachstum Marktanteil Absatzstruktur Preis- und Lieferkonditionen
Primäre Steuerungskette
Finanzielles Rechnungswesen
Wertorientiertes Rechnungswesen
Die Integration des Rechnungsweseninstrumentariums erlaubt die Bildung einer Steuerungskette zur Abbildung des Geschäftsmodells.
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Pampel
3
Informationen für die operative Unternehmenssteuerung
3.1
Abnehmende Bedeutung der traditionellen Kostenkontrolle
Aus der Unternehmenspraxis wurden in der letzten Dekade auch häufiger ablehnende Äußerungen zur etablierten Kostenrechnung laut. Diese wurden vor allem zu Beginn der 90er Jahre von Wissenschaftlern, die sich anwendungsorientiert mit den Konzepten der Kostenrechnung befassen, aufgenommen.17 Der Tenor der Unzufriedenheit mit der gängigen praktizierten Kostenrechnung fußt auf der Auffassung, dass man heute über eine zu stark ausgebaute, differenzierte und damit auch aufwändige und komplexe Kostenrechnung verfüge, die man nicht zuletzt auch mit Blick auf andere Instrumente nicht mehr in dieser Form benötige.18 In vielen Unternehmungen hat das Fertigungscontrolling als idealer Einsatzschwerpunkt des kostenrechnerischen Instrumentariums erheblich an Bedeutung verloren. Dies liegt zum einen daran, dass durch die zunehmende Automatisierung und Elektronisierung der Fertigung immer weniger Abweichungen auftreten. Dies führt zu einem Relevanzverlust für die Steuerung aus Plan-Soll-Ist-Vergleichen. Zum anderen nimmt über die reduzierte Eigenfertigungstiefe im Zuge der Integration in Wertschöpfungsnetzwerke die Bedeutung des eigenen Fertigungsbereiches für die Kostensteuerung in den Unternehmungen relativ ab.19 Die Starrheit von stark differenzierten Kostenrechnungsstrukturen behindert tendenziell die schnelle Anpassung von Fertigungsorganisation und -steuerung an neue Gegebenheiten. Während das klassische Einsatzfeld des Controllings im Fertigungsbereich zunehmend an Relevanz verliert, bestehen in den indirekten Bereichen selbst der konventionell fertigenden Industrieunternehmen noch erhebliche Ausbauerfordernisse. Die Grenzplankostenrechnung beruht auf der Verwendung von Bezugsgrößen als Grundlage der Kostenplanung, -kontrolle und -analyse sowie der Kostenverrechnung.20 Häufig ist dazu eine stärkere Differenzierung der Kostenstellen und/oder die
17
Vgl. Weber, J., Kostenrechnung, 1990; Weber, J., Entfeinerung, 1992; Weber, J., Kostenrechnung, 1993; Weber, J., Selektives Rechnungswesen, 1996; Männel, W., Schlanke Konzepte, 1995 und Pfaff, D./Weber, J., Zweck der Kostenrechnung?, 1998. 18 Vgl. Weber, J., Entfeinerung, 1992, S. 176 ff.; Männel, W., Schlanke Konzepte, 1995, S. 194 f. 19 Vgl. Weber, J., Kostenrechnung, 1990, S. 121 f. 20 Siehe zum Einsatz der Bezugsgrößen in unterschiedlichen Kostenrechnungssystemen Pampel, J. R., Bezugsgrößen, 2006, S. 892 f.
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Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
Bildung mehrerer Bezugsgrößen erforderlich. Allerdings ist im Rahmen einer konsequenten Grenzplankostenrechnung der Geltungsbereich solcher Bezugsgrößen durchaus restriktiv. Insbesondere für indirekte Leistungsbereiche erweist sich anstelle der Bildung direkter Bezugsgrößen oftmals nur die Bildung sogenannter indirekter (wertmäßiger) Bezugsgrößen als möglich. Die zunehmende Anwendung der Grenzplankostenrechnung für fixkostenintensive indirekte Bereiche sowie auch ganz generell im Dienstleistungsbereich21 geht in der Regel geradezu zwingend mit der Aufweichung des Marginalprinzips als Kostenzurechnungsprinzip einher, wenn man nicht die nur geringen Anteile leistungsvolumenabhängiger Kosten dieser Bereiche erklären will. Diese kostentheoretisch bedingte Restriktion wird in praxi oft mit einer sehr pragmatischen weiten Auslegung der Variabilität der Kosten und auch einer sehr großzügigen Anwendung des Geltungsbereiches der funktionalen Bezugsgrößen in den indirekten Leistungsbereichen umgangen. Diese Ausweitung erzwingt außerdem einen Ausbau der Leistungsrechnung. Auf den alternativen Weg der Prozesskostenrechnung wird später eingegangen. In der Umsetzung dieser Erkenntnisse lassen sich vier wesentliche Trends in der kostenrechnerischen Planung und Kontrolle ausmachen: Erstens erhält die Kostenplanung Vorrang vor der Kostenkontrolle. Dies gilt trotz aller Diskussion des Beyond Budgeting, das für eine Ablehnung stark differenzierter operativer Planung zugunsten von größeren zunächst nur unternehmerischen Freiheitsgraden der Handelnden steht. Beyond Budgeting wurde zunächst nicht nur als Managementkonzept sondern auch als eine direkte Aufforderung zur Abschaffung der operativen Planungspraxis verstanden.22 Entfällt nun aber die Übung der detaillierten Unternehmensplanung, erodiert die auf der Grenzplankostenrechnung aufbauende Ergebnisrechnung. Allerdings konnte sich diese radikale Sicht nicht durchsetzen. Diese Diskussion führte sogar auch zu Nachweisen der Erfolgswirksamkeit der kurzfristigen Unternehmensplanung bzw. Budgetierung.23 Heute spricht einiges dafür,
21
Diese Vorgehensweise bezeichnet Vikas als „Vorgangskalkulation“; siehe hierzu Vikas, K., Controlling im Dienstleistungsbereich, 1988, S. 147 ff. 22 Große Beachtung durch zahlreiche Beiträge, die aber letztlich nur die in dem Buch von Hope/Fraser formulierte Kritik am häufig überzogenen Planungsprozess das Plädoyer für größere unternehmerische Freiheit in der laufenden Geschäftstätigkeit variierten fanden Hope, J./Fraser, R., Beyond Budgeting, 2003. 23 So kommen Davila/Foster zu dem Ergebnis, dass erfolgreiche wachstumsorientierte StartupFirmen häufig sehr früh Kosten- und Finanzbudgets einführen; siehe Davila, A./Foster, G., Decisions, 2005, S. 1065 f. Und selbst wenn keine bindenden Budgets vorliegen können formulierte Zielerwartungen eine positive Wirkung auf ein erfolgreiches Management haben; siehe Rankin, F.W./Schwartz, S.T./Young, R.A., Management Control, 2003, S. 87f.; Fisher, J.G./Pfeffer, S.A./Sprinkle, G.B., Budget-Based Contracts, 2003, S. 69 ff. weisen nach, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch für Teams die Vereinbarung von Budgetziele erfolgsfördernd ist. Zu umfassende Betrachtungen zur aktuellen theoretischen Perspektive der Diskussion der Budgetierung siehe Covalski, M.A./Evans III, J.H./Luft, J.L./Shields, M.D. Budget Research, 2003, S. 3-49 und in empirischer Sicht siehe Hansen, S./Otley, D.T./
169
Pampel
dass wieder von einer höheren Akzeptanz der operativen Ergebnisplanung und damit auch der Kostenplanung ausgegangen werden kann. Die Kostenrechung muss als Instrument der Kostensteuerung zweitens frühzeitiger ansetzen. Forderungen nach einem verstärkten Einsatz von Instrumenten des Kostenmanagements, von Investitionsrechnungen und von Konzepten des wertorientierten Instrumentariums sind dabei häufig mit der Kritik an der Funktionalität der laufenden Kostenrechnung als Instrument der Unternehmensführung verbunden.24 Die Kontrolle des wirtschaftlichen Produktionsvollzugs und der Verrechnung der Kosten innerbetrieblicher Leistungen würde ohnehin in ihrer gegenwärtigen Detaillierung als relevante Managementinformation weder benötigt25 noch ist sie im Sinne von Scheingenauigkeit zielführend. Die Kostenbeeinflussung findet vor allem in der frühen Produktentwicklungsphase und in der Vorbereitung von Fertigungsprozessen statt. Zu diesem Zeitpunkt, wenn also noch nicht die üblichen Zeiten- und Mengengerüste auf Basis von Stücklisten und Arbeitsplänen bereitstehen, werden Kosteninformationen am meisten benötigt. Dies erfordert andere Methoden der Kostenplanung als sie das bisher übliche Instrumentarium der Grenzplankostenrechnung umfasst. Drittens findet inzwischen auch die verhaltenssteuernde Wirkung von Kosteninformationen Beachtung. Aus den USA kennt man die Berücksichtigung von Verhaltensaspekten als starke Strömung der Rechnungswesenforschung.26 Sie führt zu einer Erweiterung der insbesondere mikroökonomisch fundierten kostentheoretischen Grundlagen.27 Ergebnisse theoretischer und empirischer Forschung etwa auf der Grundlage der Principal-Agent-Theorie geben Hinweise darauf, dass nicht immer die „relevanten“ Kosten zu einer ergebnisoptimalen Steuerung im Gesamtunternehmen führen. Besonders für die Diskussion der Vollkostenrechnung28 vollzog sich ein Wechsel der Perspektive; Thesen, nach denen Kostenschlüsselungen Informationsgehalt besitzen können, Kostenschlüsselung die Effizienz der Nutzung von Potenzialfaktoren erhöhen können oder künftige Kostenallokationen schon ex-ante Entscheidungen beeinflussen können, verlangen nach empirischer Forschung.29
24
25 26 27 28
29
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Van der Stede, W. A., Practice Developments, 2003, S. 95 -116. Klar pro Budgeting plädiert Horngren, C. T., Management Accounting, 2004, S. 210. Vgl. Weber, J., Kostenrechnung, 1990, S. 122–124; Weber, J., Entfeinerung, 1992, S. 179 ff.; Weber, J., Selektives Rechnungswesen, 1996, S. 928 f.; Küpper, H.-U. Marktwertorientierung, 1998, S. 533 ff. Vgl. Männel, W., Schlanke Konzepte, 1995, S. 192. Siehe zu einem Überblick Birnberg, J. G., Behavioral Accounting, 1993, S. 5 ff. Siehe hierzu Pfaff, D., Fix- und Gemeinkostenallokationen, 1994, S. 185 ff. H. Wiese bezeichnet die Tatsache, dass die Praxis entgegen der Vorschläge aus der Theorie stets Entscheidungen auch auf Vollkostenbasis treffen als Theorie-Praxis-Paradox der Kostenrechnung, das mit entscheidungstheoretischen Analysen zu erklären ist; siehe Wiese, H., Theorie-Praxis-Paradox, 1994, S. 525. Siehe dazu Krahnen, J. P., Investitionsentscheidung, 1994, S. 190 f.
Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
Viertens erfährt die bestehende Bedeutung der Kostenrechnung im Fertigungsbereich durchaus eine Kompensation durch die starke Marktorientierung. Im dynamischen Wettbewerb gewinnt eine stärkere Differenzierung des marktorientierten Ergebniscontrollings immer mehr an Bedeutung.30 Dies gilt nicht nur für eine Steuerung der Profitabilität von Produkten und Produktprogrammen, sondern auch von Vertriebswegen und immer mehr von Kunden, Kundengruppen und Märkten. Die dazu erforderlichen Informationen kann nur eine mehrstufige und mehrdimensionale Absatzsegmentrechnungen auf der Basis der Deckungsbeitragsrechnung liefern.
3.2
Verhältnis der Grenzplankostenrechnung zur Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung
Die harte Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern der Grenzplankostenrechnung einerseits und der Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung andererseits in den 60er und 70er Jahren kann als inzwischen überwunden gelten. Die Abbildung von komplexen Datenstrukturen der Einzelkostenrechnung ist mit modernen Datenbanklösungen inzwischen machbar. Das strikte Vermeiden jeglicher Kalkulation über die bloße Zuordnung von relativen Einzelkosten zu den Bezugsobjekten hinaus wird inzwischen auch von den Befürwortern der Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung nicht mehr so streng postuliert.31 Andererseits haben sich neben einer primär produktionsbezogenen Grenzplankostenrechnung insbesondere für das Vertriebscontrolling mehrstufige und mehrdimensionale Deckungsbeitragsrechnungen durchsetzen können. Dabei wird allerdings die Kostenallokation und deren vielfältige Ergebnisobjekte durch Verrechnungsmethoden etwa der Bezugsgrößenkalkulation oder der Prozesskostenrechnung ergänzt, die der Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung an sich fremd sind. Die Rechenmethoden wachsen zusammen. Von inzwischen häufig nahezu gleich hoher Bedeutung ist neben der Profitabilität von Produkten auch die Differenzierung der Ergebnisbeiträge von Kunden, die auf unterschiedliche Erlöse und Kosten infolge differenzierter Distributionskanäle und Serviceanforderungen zurückzuführen sind.32 Vor allem die Abbildung des Key-AccountManagements erfordert entsprechende Deckungsbeitragsberechnungen.33 In diese Linie passen auch Vorschläge der Literatur zur Integration alternativer Kostenverteilungen zur Berücksichtigung von Gemeinkosten als Deckungsbudgets in der Preispolitik auf der Basis der Deckungsbeitragsrechnung.34 Auch wenn dies kontro-
30 31 32 33 34
Vgl. Männel, W., Anpassung, 1992, S. 115 f. Vgl. Männel, W., Entwicklungsperspektiven, 1999, S. 96. Vgl. Foster, G./Gupta, M./Sjoblom, L., Customer Profitability Analysis, 1996, S. 5 f. Siehe zu den Anforderungen Haag, J., Kundendeckungsbeitragsrechnungen, 1992, S. 25 ff. Siehe Fischer, R./Rogalski, M., Preispolitik, 1993a, S. 240 ff.
171
Pampel
verse Diskussionen auslöste,35 so hat doch etwa das Kombinieren von Deckungsbeitragsrechnungen mit den Allokationsprozeduren der Prozesskostenrechnung in der Praxis36 Eingang in das Vertriebscontrolling gefunden.
3.3
Verhältnis der Grenzplankostenrechnung zur Prozesskostenrechnung
Die Prozesskostenrechnung ist vielfach mit der Plankostenrechnung verglichen worden. Das Urteil fällt dabei unterschiedlich aus, je nachdem, ob man die Prozesskostenrechnung aus der voll- oder teilkostenrechnerischen Sicht betrachtet.37 Deshalb muss in die Würdigung der Prozesskostenrechnung unbedingt der mit ihr verfolgte Zweck eingehen.38 In den amerikanischen Ursprüngen des Acitivity-based costing gab der immer geringere Anteil volumenabhängiger Kosten in den Unternehmen Anlass, nach weiteren, anderen Kostenabhängigkeiten für das Kostenmanagement und das Controlling zu suchen.39 Auch die deutsche Adaption der Prozesskostenrechnung begründet man mit Kostenstrukturveränderungen in Richtung stark zunehmender Fixkosten.40 Auch eine Prozesskostenrechnung vermag hinsichtlich der Produktkalkulation fixe Gemeinkosten nicht in variable Einzelkosten umzuwandeln. Eine Verrechnung dieser Kosten 35 36
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172
Vgl. Kornagel, K., Preispolitik, 1993, S. 917 ff.; Fischer, R./Rogalski, M., Preispolitik, 1993b, S. 921 ff. Siehe zu einer beispielhaften Anwendung in der Unternehmungspraxis Jerger, A., Marktorientierte Ergebnisrechnung, 1995, S. 107 ff. Siehe auch umfassender Herzog, E./Zehetner, K., Prozessorientiertes Controlling, 1999, S. 288 ff. Siehe zu einem solchen Ergebnis Franz, K.-P., Prozesskostenrechnung, 1990, S. 134 sowie Franz, K.-P., Prozesskostenrechnung im Vergleich, 1990, S. 195 ff. Siehe auch Pfohl, H.C./Stölzle, W., Prozesskostenrechnung, 1991, S. 1298 f.; Müller, H., Prozesskostenrechnung, 1992, S. 70 f.; Fröhling, O., Thesen, 1992, S. 723 ff.; Götze, U./Meyerhoff, J. C., Prozesskostenrechnung, 1993, S. 84 ff. und Horváth, P./Kieninger, M./Mayer, R./Schimank, C., Prozesskostenrechnung, 1993, S. 617 ff. Dies entspricht auch eher der Tatsache, dass die Prozesskostenrechnung in den USA aus einer neuen (zusätzlichen) Ausrichtung der Kostenrechnung hervorgegangen ist; siehe zu diesem Ursprung Kaplan, R. S., One Cost System Isn´t Enough, 1988, S. 61 ff. Zu einem entsprechend differenzierten Urteil hinsichtlich der Eignung der Prozesskostenrechnung für die Planung im Kontext unterschiedlicher Zeithorizonte und Rahmenbedingungen kommen auch Schiller, U./Lengsfeld, S., Prozesskostenrechnung, 1998, S. 525. Siehe hierzu das Plädoyer für Activity-Based Costing von Drucker, P. F., Information, 1995 und den Beitrag zum ABC-Controlling Kaplan, R. S., Rollenverständnis, 1995, S. 60 ff. Siehe hierzu Backhaus, K./Funke, S. fixkostenintensiven Unternehmung, 1996, S. 109 ff.; Funke, S., Vollkostenrechnung, 1994, S. 324. Diese Sicht hält auch Stand, wenn empirisch in den letzten Jahren keine gravierende Fixkostensteigerung mehr festgestellt wird; siehe zu einer entsprechenden Untersuchung Schumann, M./Beinhauer, M., Kostenentwicklung, 1994, S. 297 ff.
Rückkehr der Grenzplankostenrechner?
führt vielmehr zwingend zur Vollkostenrechnung mit allen ihren Gefahren, vor allem als Methode der Produktkalkulation. Weniger problematisch erscheint die weitergehende und auch auf eher langfristige dispositive Wirkung abstellende Zurechnung von Kosten auf Kosteneinflussgrößen für das Kostenmanagement. Die Prozesskostenrechnung dient vor allem in der Analysephase der Kostenstrukturen, die ihrer Einführung als Steuerungsinstrument voraus geht, dem Kostenmanagement, indem sie Ansatzpunkte für die Prozessoptimierung aufdeckt, was sie zu einem Organisationsinstrument41 macht. Die laufende Prozesskostenrechnung wirkt kostenpolitisch aufgrund folgender Faktoren:
Schaffung der Steuerungsmöglichkeit in bisher pauschal kostensteuernden Un
ternehmensbereichen Abbildung der kostenstellenübergreifenden Auswirkung der Kostentreiber Ermittlung der Kosten nicht-wertschöpfender Prozesse Schaffung von Transparenz langfristig wirksamer Kosteneinflussbeziehungen Erzeugung von Kostendruck und Etablierung von Anbieter-Nachfrager-Beziehungen im Bereich innerbetrieblicher Leistungen und kalkulatorische Unterstützung des Zielkostenmanagements.
Die einzelnen Schritte der Prozesskostenrechnung sind:
Analyse des Tätigkeitsspektrums von Unternehmensbereichen Identifizierung von Kostentreibern Strukturierung von Haupt- und Teilprozessen Erfassung (und Planung) von Prozessmengen Bildung von Prozesskostensätzen und Kalkulation von Kalkulationsobjekten durch die Berücksichtigung der Prozessinanspruchnahme.
Gegenüber einer Ausweitung des Verrechnens von Kosten über Bezugsgrößen im Sinne der Grenzplankostenrechnung auch auf indirekte Bereiche, die insbesondere durch ein Abrücken von der alleinigen Verwendung zeitbezogener Bezugsgrößen erfolgt,42 offenbart der Einsatz des prozesskostenrechnerischen Instrumentariums bei näherer Betrachtung weitere methodische Unterschiede. Diese bestehen neben einer anderen Definition der Maßgrößen in Form der nicht zwingend volumenorientierten
41
Siehe hierzu umfassend Ripperger, A./Zwirner, A., Prozessoptimierung, 1995, S. 72 ff. und Niemand, S./Fröhlich, M., Organisationsgestaltung, 1994, S. 267 ff. 42 Siehe hierzu Cooper, R., Activity-Based Costing, 1992, S. 361.
173
Pampel
sogenannten Kostentreiber auch aus einer von der Grenzplankostenrechnung zu unterscheidenden Kostenkategoriebildung. Sie erfolgt in Abhängigkeit des Prozessbezugs der Kosten einer Kostenstelle, wobei eine Abstufung in:
leistungsmengeninduzierte (lmi) Prozesskosten, leistungsmengenneutrale (lmn) Prozesskosten und prozessunabhängige Kosten üblich ist.43 Die so genannten leistungsmengenneutralen Kosten stehen für Ressourcen, die für die Prozessdurchführung erforderlich sind, aber dennoch nicht in ihrer Höhe von der Anzahl der durchgeführten Prozesse abhängen (z.B. Raumkosten). Das Bestreben der Prozesskostenrechnung geht dahin, einen möglichst hohen Anteil der Ressourcenverbräuche als leistungsmengeninduzierte Kosten zu verrechnen. Unter dem Begriff des Kostentreibers ist „sowohl [eine] Messgröße[n] für die Kostenverursachung oder besser die Ressourceninanspruchnahme als auch [eine] Messgröße[n] für den Leistungsoutput“ zu verstehen.44 Die Kostentreiber stehen also sowohl zur Ressourcennutzung beispielsweise in Stunden als auch zur Leistungsmenge in einer festen Beziehung. Damit unterscheidet sich die Prozesskostenrechnung im Allokationsmechanismus primär dadurch, dass beim Verrechnen mit Kostentreibern gegenüber den Bezugsgrößen weitaus geringere Restriktionen bestehen, so dass die Allokation von Kosten auf Produkte großzügiger auf den Verbrauch von Kostengütern bezogen sind und nicht auf deren Disposition.
3.4
Voraussetzungen eines effektiven und effizienten Einsatzes der Grenzplankostenrechnung
Die von H.-G. Plaut und W. Kilger entwickelte Grenzplankostenrechnung beruht nicht nur auf einer bestimmten prinzipiellen Methodik, sondern umfasst als kostenrechnerisches Aussagensystem vielfältige konzeptionelle Festlegungen. Diese haben in ihrer theoretisch-methodischen Begründung weiterhin Bestand. Allerdings ist die Praxis schon bisher nicht uneingeschränkt der Theorie gefolgt. Quasi als Fazit der bisherigen
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Siehe zur „Grenzkostenrechnung“ auch Adam, D., Grenzkostenrechnung, 1993, Sp. 824-832. Camman, E. A., Basic Standard Costs, 1932, S. 178.
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Untersuchung ist festzuhalten, dass folgende Vereinbarungen, die hier aus Gründen des Umfanges nicht detailliert ausgeführt werden in der Praxis dominieren:45
Inzwischen beobachtet man eine weitgehende Aufgabe des wertmäßigen Kostenbegriffes, um so die Divergenzen zum externen Rechnungswesen zu reduzieren.
Grenzkostenprinzip mit längerer Fristigkeit der Kostenplanung erlaubt für das Management relevante Antworten zu geben.
Verrechnungspreise unter Berücksichtigung der Verhaltensorientierung orientieren sich stärker an unternehmenspolitischen Zielen als an komplexen und oft scheingenauen Algorithmen für die Abbildung von Leistungsbeziehungen.
Einführung der Kostenstellenrechnung im Sinne einer wirklich eben noch managementrelevanten Differenzierung.
Weitere Auslegung der Bezugsgrößensystematik im Sinne einer großzügigen Auslegung der Kostenverursachung.
Vereinfachte Behandlung der Abweichungen im Kostenstellencontrolling, da Steuerung aus Abweichung vielfach über direkte Performance Measures erfolgen.
Um den Aufwand der unterjährigen Abweichungsanalyse in der Ergebnisrechnung zu begrenzen, erfolgt eine Reduktion der Abweichungen im HerstellkostenSoll-Ist-Vergleich durch Rechnen mit Standardkosten.
Nach Managementgesichtspunkten ausgerichtete Differenzierungen der Deckungsbeitragsrechnung können zwar einerseits den Aufwand erhöhen, oft verzichtet man aber auf die Abbildung sämtlicher denkbaren Dimensionen und beschränkt sich auf die je nach Geschäftsmodell wirklich relevanten.
4
Kosten, Erlöse und Ergebnisse in der strategischen Unternehmensplanung
Gegenüber kurzfristigen Plankostenrechnungen gewinnt die langfristige Kostenplanung im Sinne der Gestaltung der Kosten durch das Kostenmanagement an Bedeutung. Das gilt sogar für die Betrachtung von Produktergebnissen und -kosten. So wendet man etwa zunehmend Life-Cycle-Costing-Konzepte an. Entscheidungen über Produkte sind zunehmend nicht nur auf der Basis von laufenden Herstell- und Vertriebskosten, sondern verstärkt auch unter Berücksichtigung ihrer Vorlaufkosten (z. B. 45
Siehe ausführliche Diskussion Kilger, W./Pampel, J./Vikas K., Plankosten- und Deckungsbeitragsrechnung, 2007, S. 19-25.
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Entwicklungskosten) und Nachlaufkosten (z. B. Entsorgungskosten) zu treffen. Der Produkterfolg stellt sich als Amortisationsproblem dar. Außerdem sind die Kostenund Erlösverläufe auch zur Untermauerung der Preispolitik zu dynamisieren. Dieser Einsatzschwerpunkt der Kosten- und Ergebnisplanung rückt die Kostenrechnung in die Nähe investitionsrechnerischer Kalküle. Die industrielle Leistungserstellung und -vermarktung erfolgt zunehmend im Konzernverbund. Für das Kostencontrolling dieser Leistungen wird neuerdings die Etablierung einer eigenständigen Konzernkostenrechnung gefordert.46 Diese Notwendigkeit ergibt sich vor allem aus den Anforderungen der Bestandsbewertung und der kalkulatorischen Untermauerung von Verrechnungspreisen, aber auch aus dem Interesse an einem konsistenten Konzerncontrolling. Die Konzernkostenrechnung führt zur Bildung eigenständiger Konzernkostenkategorien.47 Die Grenzplankostenrechnung mit dem bisher für die einzelne Unternehmung entwickelten Instrumentarium ist dafür eine geeignete Plattform. Eine neue Herausforderung an das Controlling durch Beiträge für die strategische Planung und Kontrolle liefert die Hinwendung des Managements in vielen Unternehmungen zum Shareholder Value Ansatz.48 Die Ausrichtung an den Konzepten des Shareholder Value führt zu einer weiteren Relativierung der Steuerung durch traditionelle externe und interne Periodenrechnungen. Allerdings ist für die Implementierung eines wertorientierten Controllings49 auch eine Integration in das gesamte Rechnungswesen erforderlich und es sind einige prinzipielle Probleme bei der wertorientierten Performancedarstellung50 zu beachten. Einerseits benötigt man analog zu dem investitionsrechnerischen Instrumentarium auch für die Datenerhebung im Rahmen wertorientierter Kalküle Daten aus dem internen Rechnungswesen. Andererseits müssen die Kategorien und zu verfolgenden Einflussgrößen der wertsteigenden Strategien auf die operative Handlungsebene heruntergebrochen und für die ständige Verfolgung operationalisiert werden.
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Siehe zu den Anforderungen der Konzernsteuerung an die Kostenrechnung Müller, H., Operative Unternehmenssteuerung, 1999, S. 384 ff.; Küting, K./Dusemond, M., Konzernkostenrechnung, 1994, S. 245 ff. Siehe zu der Bewältigung von Konzernverbundbeziehung, theoretischen Grundlagen, Konsolidierungsfragen der Konzernkostenrechnung sowie Praxisbeispielen von Volkswagen, Siemens, Bosch und Bayer den Bericht des Arbeitskreises Internes Rechnungswesen der Schmalenbach Gesellschaft; Franz, K.-P./Hieronimus, A. (Hrsg.), Kostenrechnung, 2003. Siehe hierzu Müller, H., operative Unternehmenssteuerung, 1999, S. 394 ff.; Küting, K./Dusemond, M., Konzernkostenrechnung, 1994, S. 245 ff. Vgl. Rappaport, A., Shareholder Value, 1999; Copeland, T./Koller, T./Murin, J., Unternehmenswert, 1998. Vgl. Pape, U., Wertorientierte Unternehmensführung, 1999; Günther, T., Controlling, 1997. Siehe hierzu umfassend und mit Rechenbeispielen Lachnit, L./Müller, S., Probleme, 2002, S. 2553-2559.
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Vor einigen Jahren entwickelte Küpper einen Vorschlag, die Kostenrechnung investitionstheoretisch zu fundieren51 und dazu auch die Kategorien Kosten und Erlöse durch diskontierte Zahlungen zu ersetzen. Die Kategorien des internen Rechnungswesens sind an sich offen.52 Daher ist es zulässig, Kosten und Erlöse auch als zukünftige diskontierte Zahlungsstromänderungen zu interpretieren. Auch wenn es mit Blick auf die Unternehmenspraxis zur Vermeidung von Missverständnissen zweckmäßiger erscheint, finanztheoretisch fundierte Kalküle auch terminologisch von den konventionellen Kosten- und Erlösrechnungen zu trennen, wird in jüngster Zeit vor allem angeregt von den Anforderungen des wertorientierten Controllings wieder verstärkt über eine Integration von Investitionsrechnung und Kostenrechnung nachgedacht. Mangels vorliegender Finanzpläne müssen die Ein- und Auszahlungsströme per Prognose ermittelt werden. Hierzu bietet die auf konkreten Zeiten- und Mengengerüsten aufbauende Kosten-, Erlös- und Ergebnisrechnung vielfach eine gute Ausgangsbasis, insbesondere wenn sie auf pagatorische Erfolgsgrößen zurückgreift. In der Shareholder Value-Analyse (SVA) von Rappaport53 wird der diskontierte freie Cashflow zum zentralen Erfolgsmaßstab erhoben. Die Schaffung von Werten setzt dabei an fünf Wertgeneratoren an: Umsatzwachstumsrate, Betriebsgewinnmarge, Ertragssteuerrate, Investitionen ins Nettoumlauf- und Anlagevermögen sowie Kapitalkosten.54 Erst diese Auflösung macht die DCF-Methode für das Management handhabbar und führt das strategische und das finanzielle Management zusammen.55 Shareholder Value im Sinne von Rappaport ist der Unternehmenswert abzüglich des Marktwertes des Fremdkapitals; der Unternehmenswert resultiert aus der Summe von Gegenwartswert des betrieblichen Cashflows während der Prognoseperiode zuzüglich Residualwert und Marktwert der börsenfähigen Wertpapiere.56 Der freie Cashflow (FCF), als relevanter Teil des betrieblichen Cashflows lässt sich definieren als „derjenige aus der betrieblichen Tätigkeit resultierende Einzahlungsüberschuß [...], der nach Abzug der Investitionen ins Anlage- und Nettoumlauf-Vermögen und der pagatorischen Ertragsteuern der Planperiode zur Ausschüttung an die Kapitalgeber oder zunächst für die Thesaurierung zur Verfügung steht“.57 So überzeugend der Nutzen des zukünftigen freien Cashflows für einen potenziellen Investor zur Wertbestimmung auch sein mag, so schwierig ist seine Ermittlung. Um zu einer hinreichend sicheren Bewertung zu gelangen, ist ein Absichern der Prognose der Zahlungsströme durch geeignete Instrumente unerlässlich. Bereits vorliegende hinrei-
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Siehe zu diesem Ansatz Küpper, H.-U., Investitionstheoretische Fundierung, 1985, S. 26 ff. So auch Holzwarth, J., Differenzrechnungen, 1993, S. 100. Dieser schlägt für eine „strategische Kostenrechnung“ die Zuordnung von mehrperiodischen Ein- und Auszahlungsänderungen auf Entscheidungsalternativen vor; ebenda S. 95 ff. Vgl. Rappaport, A., Shareholder Value, 1999. Vgl. Rappaport, A., Shareholder Value, 1999, S. 39. Vgl. Gomez, P., Wertmanagement, 1993, S. 30. Vgl. Rappaport, A., Shareholder Value, 1999, S. 40. Sieben, G., Betriebswirtschaftliche Aspekte, 1992, S. 348.
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chend differenzierte Finanzpläne dürften eher die Ausnahme sein. In der Regel sind deshalb die benötigten Cashflow-Informationen situationsspezifisch abzuleiten. Die differenzierende Ermittlung von Cashflows bedingt eine bessere Erfassung des Leistungszusammenhangs in Mengen, Zeiten und Qualitäten.58 Die Abschätzung der Cashflows zwingt letztlich dazu, konkrete Ressourcen-, Kapazitäts-, Prozess- und Produktplanungen vorzunehmen, wie sie auch einer Grenzplankostenrechnung unterliegen muss. In der Literatur wird deshalb die Ableitung des benötigten freien Cashflows aus dem internen Betriebsergebnis vorgeschlagen.59 Dazu ist das Betriebsergebnis wie folgt umzurechnen: Betriebsergebnis + im Betriebsergebnis angesetzte Abschreibungen + im Betriebsergebnis angesetzte Kapitalkosten + (ggf.) im Betriebsergebnis enthaltene sonstige kalkulatorische Kosten + Erhöhung (./. Auflösung) von langfristigen Rückstellungen = Brutto-Cashflow – Investitionen in das Anlagevermögen (./. Desinvestitionen) – Erhöhung (./. Senkung) des Working capital – Steuerzahlungen = Freier Cashflow Es widerspricht keinesfalls den Prinzipien der Kostenrechnung, auch hinsichtlich weiter in der Zukunft liegender Perioden Kosten und Erlöse auf der Basis des prognostizierten Mengen- und Zeitgerüstes zu planen. Die Genauigkeit dürfte im Vergleich zu den sonstigen Möglichkeiten der Investitionsrechnung hinreichend sein. In einer unmittelbaren Schätzung von Zahlungsströmen sind es gerade die Detailfragen der Finanzierung (z. B. tatsächlicher Zeitpunkt der Zahlung eines größeren Rechnungsbetrags), die sich am wenigsten vorhersagen lassen, während etwa der Energieverbrauch relativ gut abschätzbar ist, soweit die Prognose des Produktions- und Absatzvolumens zutrifft.
58
Diesem Grundgedanken ähnlich argumentiert auch Koch, H., Entscheidungsrechnungen, 1999, S. 203. Dieser will sogar noch weitgehender die kalkulatorische Planerfolgsrechnung in Form von variabel gehaltenen Planungszeitabschnitten auch langfristigen Entscheidungen zugrunde legen; siehe ebenda S. 195 ff. 59 Vgl. Knorren, N., Wert-Orientiertes Controlling (WOC), 1997, S. 207. Zu den Anforderungen der Überführbarkeit an die Kostenrechnung und der in diesem Zusammenspiel verbleibenden Rolle für die Kostenrechnung siehe auch Vodrazka, K., Ertragswertorientierte Unternehmensführung, 1999, S. 481 ff.
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Grenzplankostenrechnung als Kern des innerbetrieblichen Rechnungswesens
Heute wird die Kostenrechnung an sich wieder in einem etwas besseren Licht als noch vor einigen Jahren gesehen.60 Eine Kostenrechnung auf der Grundlage der Grenzplankostenrechnung ergänzt um prozessorientierte Verfahren der Kostenrechnung und eingebettet in die differenzierende Deckungsbeitragsrechnung bildet auch weiterhin den Kern des internen Rechnungswesens. Erst mit der Verknüpfung der Kategorien der entscheidungsorientierten Plankostenrechnung mit dem Zeiten- und Mengengerüst der Unternehmung wird der Unternehmenserfolg plan- und steuerbar. Darüber hinaus ist die so geschaffene Informationsbasis auch die Grundlage für operationale investitionsrechnerische und wertorientierte Kalküle.
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So führte erst kürzlich C.T. Horngren aus, dass die Techniken des Management Accountings dem Management helfen, sich auf die fundamentalen Zusammenhänge in ihren Unternehmen zu fokussieren; vgl. Horngren, C.T., Management Accounting, 2004, S. 207.
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A./Janschek, O./Müller, H. (Hrsg.): Fortschritte im Rechnungswesen. Vorschläge für Weiterentwicklungen im Dienste der Unternehmens- und Konzernsteuerung durch Unternehmensorgane und Eigentümer, Gerhard Seicht zum 60. Geburtstag, Wiesbaden 1999, S. 467 ff. WÄHRISCH, M. [Kostenrechnungspraxis, 1998]: Kostenrechnungspraxis in der deutschen Industrie, eine empirische Studie, Wiesbaden 1998. WEBER, J. [Kostenrechnung, 1990]: Change Management für die Kostenrechnung. Zum Veränderungsbedarf der Kostenrechnung, in: Controlling, 1990, S. 120 ff. WEBER, J. [Entfeinerung, 1992]: Entfeinerung der Kostenrechnung?, in: Scheer, A.-W. (Hrsg.): 13. Saarbrücker Arbeitstagung 1992. Rechnungswesen und EDV, Heidelberg 1992, S. 173 ff. WEBER, J. [Kostenrechnung, 1993]: Kostenrechnung im System der Unternehmensführung – Stand und Perspektiven der Kostenrechnung in den 90er Jahren, in: Weber, J. (Hrsg.): Zur Neuausrichtung der Kostenrechnung. Entwicklungsperspektiven für die 90er Jahre, Stuttgart 1993. WEBER, J. [Selektives Rechnungswesen, 1996]: Selektives Rechnungswesen, in: ZfB, 1996, S. 925 ff. WEBER, J. [Controlling, 2003]: Controlling im unterschiedlichen Führungskontexten – ein Überblick, in: ZfcM, 2003, Heft 3, S. 183-192. WIESE, H. [Theorie-Praxis-Paradox, 1994]: Das Theorie-Praxis-Paradox der Kostenrechnung aus verhandlungstheoretischer Sicht, in: zfbf, 1994, S. 525 ff. ZWICKER, E. [Flexible Plankostenrechnung, 2006]: „Die Plannung und Verrechnung von Stromkosten in der Grenzplankostenrechnung“ – Kilgers flexible Plankostenrechnung aus heutiger Sicht, in: ZfCM, 2006, Sonderheft 1, S. 14-20.
186
Systemgestützte ControllingKonzeption für international tätige Unternehmen
Univ.-Prof. Dr. Thomas Reichmann Universität Dortmund, Institut für Controlling, GfC e.V., Dortmund Geschäftsführender Gesellschafter der CIC GmbH Dortmund
Dipl.-Kfm. Dipl.-Volksw. Martin Kißler Mitarbeiter der CIC GmbH Dortmund
1
Aktuelle Herausforderungen........................................................................................ 189
2
Systemgestützte Controlling-Konzeption im Konzern ............................................. 189 2.1 Controlling mit Kennzahlen ................................................................................ 189 2.2 Mehrdimensionale Controlling-Konzeption ..................................................... 191
3
Wertorientiertes Controlling ......................................................................................... 194 3.1 Strategische Planung und Steuerung ................................................................. 194 3.2 Modellbildung als Element der Planung ........................................................... 196 3.3 Operatives Controlling......................................................................................... 197
4
Risikoorientiertes Berichtswesen.................................................................................. 200 4.1 Risikomanagement und Risikocontrolling ........................................................ 200 4.2 Balanced Chance- and Risk-Card........................................................................ 201 4.3 Externe Informationsbedarfe............................................................................... 203
5
Controlling-Cockpit ....................................................................................................... 204
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 206
187
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
1
Aktuelle Herausforderungen
International agierende Unternehmen sehen sich mit einer zunehmenden Dynamik und Komplexität des Unternehmensumfelds und einer stetig steigenden Wettbewerbsintensität konfrontiert. Die sich auf alle Branchen auswirkende Globalisierung verlangt einerseits eine international orientierte Positionierung mit einer länderübergreifenden Konfiguration der Wertschöpfungskette. Andererseits können international agierende Unternehmen die eigene Marktstellung nur verteidigen bzw. ausbauen, wenn sie die Chancen der einzelnen Wirtschaftsräume identifizieren und unter gleichzeitiger Berücksichtigung der damit einhergehenden Risiken nutzen. Die zunehmende Bedeutung des internationalen Kapitalmarktes bei der Finanzierung der Unternehmensaktivitäten erfordert zudem eine höhere – oftmals durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen (bspw. KonTraG, BilReG, Corporate Governance, Sarbanes-Oxley Act) forcierte – Transparenz gegenüber externen Anspruchsgruppen. Der vorliegende Beitrag verdeutlicht, wie das Controlling durch eine systematische Informationsgewinnung, -aufbereitung und -analyse sowie eine kennzahlengestützte Informationsbereitstellung das Management bei der Erfüllung dieser Aufgaben unterstützen kann.
2
Systemgestützte ControllingKonzeption im Konzern
Unter Betonung der entscheidungs(ebenen)bezogenen Informationsversorgung als zentraler Funktion verstehen wir unter Controlling die zielbezogene Unterstützung von Führungsaufgaben, die der systemgestützten Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung zur Planerstellung, Koordination und Kontrolle dient. Es handelt sich dabei um eine rechnungswesen- und vorsystemgestützte Systematik, die auf die Daten des Rechnungswesens und der weiteren betrieblichen Vorsysteme zurückgreift, um eine Verbesserung der Entscheidungsqualität auf allen Führungsstufen des Unternehmens zu gewährleisten.1
2.1
Controlling mit Kennzahlen
Das Controlling unterstützt die Unternehmensführung in einem global agierenden Konzern durch ein Führungsinformationssystem, das sich in der Ausgestaltung an 1 Reichmann, Th.: Controlling, 2006, S. 13.
189
Reichmann / Kißler
einem auf Kennzahlen basierenden Berichtswesen orientiert. Die Funktion von Kennzahlen besteht neben externen Analysen, etwa im Rahmen einer Bilanzanalyse oder eines Betriebsvergleichs, insbesondere in der internen Analyse, die das Ziel verfolgt, aus der historischen Entwicklung interner Daten bzw. anhand eines Betriebsvergleichs die ökonomische Situation einer Unternehmung zu beurteilen.2 Kennzahlen eignen sich als Maßgrößen für interne Entscheidungszwecke sowohl bezogen auf gesamtunternehmensbezogene Entscheidungen als auch auf unternehmerische Teilbereiche der Unternehmung, denn sie stellen zweckorientiertes Wissen für konkrete Entscheidungssituationen in verdichteter Form bereit.3 Aufgrund ihrer Klarheit, Kürze und damit verbundenen geringen Störungsanfälligkeit sind Kennzahlen geeignet, den reibungslosen Informationsfluss als Grundvoraussetzung eines funktionsfähigen innerbetrieblichen Kommunikationssystems zu gewährleisten. Die besondere Bedeutung der Unternehmenssteuerung mit Hilfe von Kennzahlen für ein international agierendes Unternehmen liegt darin, auf Basis der vorgegebenen Pläne, durch stufenweise Ableitung aller Kennzahlen – also Top-Down – auf der Grundlage der in der Planungsphase gewonnenen Datenkonstellationen, stellenspezifische Vorgabewerte zu ermitteln. Kennzahlen übernehmen damit grundsätzlich eine Doppelfunktion. Durch die Transformation prägnanter Zielvorstellungen dienen Kennzahlensysteme zum einen der Übermittlung spezifischer Aufgabenstellungen und ihrer Ausführungsanweisungen und zum anderen der unternehmensweiten Koordination der Prozesse über alle Hierarchiestufen. Ein Vergleich zwischen den geplanten und realisierten Werten der Information gibt Auskunft über das Ergebnis des betrieblichen Handelns. Der Kennzahlenkontrollprozess besteht aus drei Phasen:
Feststellung der Ist-Kennzahlenwerte (Ergebnisse der Prozessrealisierung), Vergleich von Ist- und Sollkennzahlen (Planergebnisvergleich und Abweichungsanalyse),
Initiieren von Anpassungsmaßnahmen. Ein aus Einzelkennzahlen systematisch verknüpftes Kennzahlensystem beschreibt allgemein eine Zusammenstellung quantitativer Variablen, wobei die einzelnen Kennzahlen in einer sachlich sinnvollen Beziehung zueinander stehen, einander ergänzen oder erklären und insgesamt auf ein gemeinsames übergeordnetes Ziel auszurichten sind.4 Die Aufgabe von Kennzahlensystemen besteht damit in einer exakten und aktualisierten Informationsbereitstellung sowohl auf der Ebene einzelner Entscheidungsträger durch Informationsverdichtung als auch in der Zusammenfassung für unterschiedliche Entscheidungsebenen. Aufgrund der komplexen Anforderungen, die in2 Vgl. Lachnit, L.: Bilanzanalyse, 2004, S. 50-52. 3 Vgl. Reichmann, Th.: Kennzahlen, 2003, S. 381-383. 4 Vgl. Reichmann, Th./Lachnit, L.: Kennzahlensysteme, 1977, S. 45.
190
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
nerhalb eines international agierenden Konzerns an das Controlling gestellt werden, wurde das RL-Konzern-Kennzahlensystem entwickelt. Die Spezifika des KonzernControllings und die daraus abgeleiteten Anforderungen sowie deren durch die Wissenschaft entworfenen und mittlerweile in der Praxis eingesetzten Lösungen werden in Kapitel 3.3 vorgestellt.
2.2
Mehrdimensionale Controlling-Konzeption
Grundsätzlich lassen sich die Informationsprozesse in einem Unternehmen in der Controlling-Konzeption nach Reichmann dreidimensional abbilden. Die erste Dimension basiert auf der klassischen Funktionseinteilung des Unternehmens in Beschaffung, Logistik, Produktion, Marketing sowie Forschung und Entwicklung. Die zweite Dimension bezieht sich auf Kategorien von Informationen wie Kosten- und Leistungsgrößen, Erträge und Aufwendungen sowie Zahlungsgrößen, beinhaltet des Weiteren aber auch nicht-monetäre Informationen wie Mengen- und Zeitgrößen. Die dritte Dimension stellt schließlich auf die zeitliche Komponente ab; sie lässt sich in eine operative und eine strategische Ebene differenzieren, so dass sich die gesamte Controlling-Konzeption in einen dreidimensionalen Bezugsrahmen einordnen lässt (vgl. Abbildung 2-1 und Abbildung 2-2).
Abbildung 2-1:
Mehrdimensionale Controlling- und Informationskonzeption5
Führungsinformationssysteme (Controlling)
FIS strategisch
Analyse- und Berichtssysteme (Controlling)
operativ
JA-C B-C
KuE-C P-C
F-C
L-C
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Integrationsebene
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I-C
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lung
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Technische Erfassungs- u. Steuerungssysteme
BDE
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DNC
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g
5 In Anlehnung an Reichmann, Th.: Controlling, 2006, S. 7.
191
Reichmann / Kißler
Abbildung 2-2:
Konzern-Controlling-Konzeption
Führungsinformationssysteme (Controlling)
FIS
Konzern
gisch strate
tiv o pe ra RLKennzahlensystem und BCR-Card
Analyse- und Berichtssysteme (Controlling) Führungsinformationssysteme (Controlling)
FIS
JA-C
KuE-C P-C
KuE-C P-C
F-C
L-C
Struk
M-C tur
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Abrechnungssysteme
Finanzbuchhal tung
Kostenrechnung
operativ
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operativ
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operativ
Technische Erfassungs- u. Steuerungssysteme
BDE
ZDE
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FIS
JA-C
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Kosoli dierung Legal/ Management-
M-C
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IV-C
Integrationsebene
Administrations-und Dispositionssysteme
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F-C
L-C
strategisch
B-C
rner se exte Analy toren und Fak markin g h B en c
strategisch operativ
operativ
JA-C
ProzessControlling, Planung und Simulation
Konsolidierung und Analyse der Ergebnisse pro TK FIS
B-C
Analyse- und Berichtssysteme (Controlling)
e analys Risikoimulation un d S
DNC
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lung twick d En g un ffung chunBeschauktion Fors Prodgistik g Lo ketin Mar
Damit das Management eines global aufgestellten Unternehmens zeitnah und adäquat Entwicklungen identifizieren, angemessene Entscheidungen treffen sowie deren Umsetzung nachverfolgen und steuern kann, ist eine verdichtete entscheidungsadäquate Informationsversorgung zentrale Voraussetzung für dessen Existenzsicherung im internationalen Wettbewerb. Als wesentliches Instrument hat sich hierbei der Einsatz einer kennzahlengestützten Informationsbereitstellung etabliert. Um auf Basis von Kennzahlen Analysen durchführen und Entscheidungen treffen zu können, ist die Vergleichbarkeit der Größen eine unabdingbare Voraussetzung. Die Tochtergesellschaften und strategischen Einheiten bilden innerhalb eines Konzerns – unternehmenspezifisch ausgeprägt – eigenständige (informatorische) Subsysteme. Angesichts des hohen und zugleich heterogenen Datenvolumens eines international agierenden Konzerns ist die Zielsetzung einer einheitlichen Datenbasis nur durch eine systematische Herangehensweise zu erreichen. Die Integrationsebene stellt in diesem Zusammenhang die informatorische Schnittstelle zwischen Tochtergesellschaft und Holding dar. Auf Ebene der Holding als systembildendes Element des Konzerns ist eine einheitliche Definition der verschiedenen Informationskategorien zu gewährleisten und die verschiedenen Subsysteme zu einem einheitlichen, geschlossenen System zusammen zu führen. Aufgabe des Controllings der Holding ist es, die Informationskatego-
192
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
rien der Subsysteme innerhalb der Controlling- und Informationskonzeption nach Reichmann zu diesem Zweck in ein geschlossenes System zu überführen. Greift das Controlling der Holding – wie in der Praxis üblich – zur Befriedigung von Informationsbedürfnissen des Managements auf die Daten des Rechnungswesens zurück, obliegt dem Controlling der gesamte Prozess von der Konzeption bis zur Überwachung der Zusammenführung bzw. Überführung der unter Berücksichtigung der Local-GAAP`s generierten Informationen in den Tochtergesellschaften zu vergleichbaren Informationen auf der Ebene der Holding. Die Legal- und ManagementKonsolidierung ist unter der Prämisse zu konzipieren, dass die Holding auch zeitnah auf die Informationen zurückgreifen kann, womit die Konsolidierung nicht ausschließlich eine Aufgabe zur Erstellung des Jahresabschlusses ist, sondern permanent eine essentielle Bedeutung für das Konzern-Controlling aufweist. Für die nähere Analyse eines Sachverhalts ist zusätzlich die Etablierung von Drill-Down-Funktionalitäten erforderlich. Damit ist es notwendig, seitens der Holding die Integrationsebene als Schnittstelle zu den Informationssystemen der Tochtergesellschaften zu überschreiten und auch die Struktur der Informationen in den Subsystemen für eine vergleichende Auswertung durch die Holding zugänglich zu machen. Eine einheitliche Informationsbasis schließt sich aufgrund der divergierenden länderspezifischen Ausgestaltung des Rechnungswesens naturgemäß aus. Um dennoch zu gewährleisten, dass entsprechend vergleichbare Informationen auch kurzfristig auf Ebene der Holding generiert werden können, sind entsprechende Informationen bereits in der Integrationsebene vorzuhalten. Die Ausbildung entsprechender Systeme und eines entsprechenden Know-hows gewinnt durch potentielle Veränderungen in der Rechnungslegung systembildender Elemente des Systems (insbesondere innerhalb der Holding!), welche sowohl die Aussagefähigkeit einzelner Kennzahlen als auch des gesamten Kennzahlensystems verändern kann, zusätzlich an Bedeutung. Ebenso wie die Systematik der Rechnungslegung der Subsysteme zur Herleitung der Kennzahlen und für deren Interpretation auf Ebene der Holding von entscheidender Bedeutung ist, ist retrograd auch eine veränderte Rechnungslegung der Holding im Hinblick auf die Konsequenzen für die Schnittstellendefinition zwischen Holding und Tochtergesellschaften zu analysieren.
193
Reichmann / Kißler
3
Wertorientiertes Controlling
Zielsetzung des Controllings in einem international tätigen Unternehmen ist es, den fragmentierenden und zentrifugalen Kräften einer Konzernstruktur ein verbindendes Element entgegenzustellen, das es ermöglicht, die verschiedenen Unternehmenseinheiten auf ein übergeordnetes Ziel hin auszurichten. Durch eine Shareholder Value Orientierung kann dieses interne (Koordinations-)Ziel verfolgt und zudem die Abhängigkeit der Konzerne von den internationalen Kapitalmärkten angemessen berücksichtigt werden. Dementsprechend sind alle Entscheidungen im Unternehmen vor dem Hintergrund der Auswirkung auf den Unternehmenswert zu treffen, da die Schaffung oder Vernichtung von Unternehmenswert sich direkt auf das Investitionsverhalten potentieller Investoren auswirkt und somit die Eigenkapitalausstattung respektive die Existenzsicherung des Konzerns maßgeblich determiniert.
3.1
Strategische Planung und Steuerung
Die Planung ist die Phase der Entscheidungsfindung, in der das Management der Holding die Ausgangsposition, die strategischen Ziele sowie die Mittel und Wege zu ihrer Erreichung innerhalb vorgegebener Zeitspannen und Kosten festgelegt. Abgeleitet vom zeitlichen Planungshorizont kann hierbei zwischen strategischer und operativer Planung unterschieden werden.6 Beide Planungsphasen werden durch eine – als Verbindungsglied fungierende – mittelfristige Planung ergänzt.7 In einem global aufgestellten Unternehmen wird – soweit die Holding ihrer Koordinationsaufgabe gerecht wird – die Planung Top-Down durchgeführt: Die Holding entwirft Pläne, diese werden dann auf die Tochtergesellschaften heruntergebrochen, die von diesen wiederum für die Umsetzung eine Konkretisierung erfahren. Auf das Controlling in der Holding kommen im Rahmen des strategischen Planungsprozesses von der Zielfindung bis zur Realisation und Kontrolle Planungs-, Koordinations- Informations-, und Kontrollaufgaben zu. Die Informationsversorgungsaufgabe des strategischen Controllings bezieht sich auf die Sicherstellung einer entscheidungsbezogenen Informationsbereitstellung für die Planungsträger. Dazu werden Planungsund Kontrollinstrumente hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile beurteilt und ihre Anwendungsbereiche sowie Ergänzungsnotwendigkeiten festgelegt.
6 Vgl. Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 24. 7 Vgl. Welge, M./Al-Laham, A.: Management, 2003, S. 555.
194
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
Abbildung 3-1:
Planning und Forecast
Unternehmenskultur
Planungstools Lebenszyklen
Generelle Zielplanung
5-10 Jahre Strategische Planung • Geschäftsfelder • Funktionsbereiche • Regionen
Mittelfristplanung
Portfolio
3-5 Jahre
Questionmarks Poor Dogs
• Maßnahmen • Projekte
Stars Cash Cows
Erfahrungskurve
Operative Planung • Programmplanung • Funktionsbereiche • Ressourcen
1 Jahr Fixkosten
Steuerung und Kontrolle Durchführung
Bezüglich der Zielsetzung, den Unternehmenswert im Sinne einer Shareholder Value Orientierung steigern zu wollen, kann die Unternehmensführung auf die Konzeption des Strategischen Erfolgs-Controlling zurückgreifen (vgl. Abbildung 3-2). Die für strategische Entscheidungen relevanten (strategischen) Erfolgstreiber werden durch geeignete Analyseinstrumente des strategischen Kosten- und Erfolgscontrollings als weiteren Teil des Führungsinformationssystems identifiziert, beurteilt und in ihrer Beeinflussbarkeit durch das Unternehmen dargestellt.8
8 Vgl. Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 31 f.
195
Reichmann / Kißler
Strategisches Controlling9
Abbildung 3-2: Führungsinformationssysteme (Controlling)
FIS
•Strategisches Erfolgs-Controlling Shareholder Value
strategisch
Analyse- und Berichtssysteme (Controlling)
JA-C B-C
KuE-C P-C
F-C
L-C
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Integrationsebene
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operativ
Kosoli dierung Legal/ Management-
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Planung Stamm-- Controlling- und daten Datenbank Simulation
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•Strategische Erfolgstreiber Balanced Scorecard (BSC)
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Abrechnungssysteme
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Administrations-und Dispositionssysteme
Einkaufs wesen
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BDE
ZDE
CAQ
DNC
MarketingControlling x Kundenzufriedenheit x Kundennutzen x Kundenmarktanteil x ...
ProduktionsControlling x Produktqualität x Produktionsprozesse (Wertschöpfung) x ...
LogistikControlling x Transportstruktur x Verteilstruktur x Lagerstruktur x ...
FuEControlling x Neue Produkte x Neue Dienstleistungen x Kundennutzen neuer Produkte x ...
g
•Strategisches Risikomanagement Risk Card
lung
operativ
Technische Erfassungs- u. Steuerungssysteme
PersonalControlling x Zufriedenheit x Qualität x Ausbildung x Fluktuation x ...
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•Strategisches Chancen- und Risikomanagement (Balanced Chance and Riskmanagement - BCR)
Die Umsetzung der entworfenen Pläne ist durch das Controlling mittels eines geeigneten Instrumentariums zur Steuerung und Koordination der Unternehmensaktivitäten zu unterstützen, wobei mit zunehmender Unternehmensgröße die mit diesem Teil des Planungsprozesses an das Controlling gestellten Anforderungen überproportional zunehmen. Eng verbunden mit diesem Aspekt der Steuerung und Koordination ist die Forderung nach einer ständigen Kontrolle, d.h. einer permanenten Überprüfung der Unternehmensentwicklung auf Übereinstimmung mit den vorgegebenen (Teil-)Zielen der Geschäftseinheiten.
3.2
Modellbildung als Element der Planung
Die Planinformationen haben in einem international agierenden Konzern zeitnah vorzuliegen und sind diesem Anspruch folgend in regelmäßigen Abständen zu erzeugen. Im Gegensatz zum Berichtswesen liegt der Planung ein Raum möglicher Zustände zu Grunde, die es konzeptionell zu erfassen und in einem Planungssystem zu vereinen gilt. Um die daraus erwachsene Komplexität möglicher Umweltzustände, die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den Parametern sowie die Handlungsoptionen des Unternehmens und die daraus abgeleiteten Pläne für Holding und Tochtergesellschaften handhaben zu können, sind entsprechende Modelle zu entwickeln. So9 Entnommen aus Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 32.
196
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
wohl die Konstruktion dieser Modelle als auch deren Integration in das Planungssystem der Tochtergesellschaften respektive des Konzerns obliegt dem Controlling. Die Institution Controlling erfährt damit eine Erweiterung ihres Aufgabenbereichs, indem sie sich in diesem Kontext nicht auf die Informationsbeschaffung unter Rückgriff auf das Rechnungswesen respektive einer analog zu den Strukturen des Berichtswesens abgelegten Unternehmensplanung als informatorische Grundlage beschränken kann. Das Controlling hat im Bereich der Planung an dieser Stelle selbstständig die im Planungsprozess benötigten Informationen durch die Übernahme und eigenständige Erfüllung einer Modellierungsaufgabe zu erzeugen. Diese Modelle sind auf der Ebene der Tochtergesellschaften in der Art zu konstruieren, dass einerseits eine Reduktion der in die Planung eingehenden Informationen auf wesentliche Parameter erfolgt und andererseits die einfließenden Daten konzernweit konsistent – etwa durch die Anwendung einheitlicher Algorithmen – verarbeitet werden. Die Parameter fließen dabei als Variable zunächst singulär in die jeweiligen Modelle auf der Ebene der Tochtergesellschaften ein, was in jeder dieser Tochtergesellschaften eine integrierte Unternehmensplanung erlaubt. Anschließend sind die in den Tochtergesellschaften relativ autonom vorgenommenen Planungen auf einer Metaebene zu aggregieren, um Plandaten für den Konzern zu erzeugen. Die Schnittstelle zwischen Holding und Tochtergesellschaft bildet hierfür in der mehrdimensionalen Informations- und Controllingkonzeption nach Reichmann die bereits vorgestellte Integrationsebene (vgl. Abbildung 2-2), wodurch die Harmonisierung der Informationen und damit die Vergleichbarkeit der Plandaten in der Holding gewährleistet wird. Neben der Aggregation der Planinhalte ist auf der Ebene der Holding durch das Controlling zudem die Durchführung von Szenario- und Sensitivitätsanalysen zur Unterstützung strategischer Geschäftseinheiten, Geschäftsbereiche oder Tochtergesellschaften des Konzern betreffenden (Des-)Investitionsentscheidungen zu gewährleisten. Die Planinformationen werden hierfür so aufbereitet, dass die Konsequenzen sowohl einzelner unternehmerischer Maßnahmen als auch veränderter externer Parameter (bspw. Preisveränderungen auf den Rohstoffmärkten) unter Berücksichtigung von Interdependenzen zwischen den Konzerneinheiten abgebildet werden.
3.3
Operatives Controlling
Das operative Controlling unterstützt die finanz- und erfolgsbezogene Planung und Kontrolle der Unternehmensführung durch die Bereitstellung zielbezogener (Informations-) Systeme.10 Eine besonders wichtige Kategorie von Informationen sind die Informationen über betriebliche Ziele. Ziele geben allgemein gesprochen einen zukünftigen Zustand der Unternehmung wieder. Die operative Unternehmensführung stellt 10 Vgl. Lachnit, L./Müller, S.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 25.
197
Reichmann / Kißler
die Sicherstellung einer ausreichenden (optimalen) Liquidität sowie die Maximierung des Erfolgs in den Mittelpunkt der Betrachtung. Diese Ziele besitzen eine Koordinationsfunktion, die besonders für dezentralisierte Organisationsformen Bedeutung besitzt. Die Ausnutzung der Vorteile dezentralisierter Unternehmen kann nur dann wahrgenommen werden, wenn es gelingt, mit Hilfe von Instrumenten eine Gesamtkoordination der Teilbereiche zu realisieren; eine solche Koordination kann mit Hilfe von Kennzahlen erfolgen. Das RL-Kennzahlensystem verbindet in diesem Zusammenhang ausgesuchte Kennzahlen in einem System miteinander und unterstützt dadurch das operative Controlling in optimaler Weise. Das RL-Kennzahlensystem besteht grundsätzlich aus einem allgemeinen Teil zur laufenden Planung, Steuerung und Kontrolle, der für alle Unternehmen anwendbar ist. Durch seinen nicht branchen- und firmenspezifischen Aufbau ist es für zwischenbetriebliche Vergleiche ebenso wie für den Einsatz in einzelnen Tochtergesellschaften geeignet. Im Sonderteil werden firmenspezifische Besonderheiten zur vertiefenden Ursachenanalyse und Kontrolle berücksichtigt. In diesem Teil werden auch die einzelnen Funktionen in einem Unternehmen erfasst, so dass auch diese Bereiche für ein kennzahlengestütztes Reporting zugänglich sind. Aufgrund der komplexen Anforderungen, die ein Controlling für einen international agierenden Konzern zu erfüllen hat, wurde ergänzend das RL-Konzern-Kennzahlensystem entwickelt. An der Spitze des RL-Konzern-Kennzahlensystems steht der EVA, der die Quantifizierung der potenziellen Wertschaffung des Unternehmens und seiner Teilbereiche in der oben beschriebenen Form ermöglicht. Innerhalb des Kennzahlensystems werden zusätzliche Kennzahlen vorgehalten, die in einer sachlich-logischen Beziehung zueinander stehen, und sich gegenseitig ergänzen und erklären. Als Basis einer wertorientierten Unternehmensrechnung werden auf diese Weise für die Konzernführung relevante Sachverhalte in knapper und konzentrierter Form abgebildet.
198
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
RL-Kennzahlensystem als Führungsinformationssystem11
Abbildung 3-3:
Jahresüberschuss
RL -B
Ordentl . Betriebsergebnis + Ordentl . Finanzergebnis + Außerordentl. Ergebnis
Betriebsergebnis
./.
Gesamtkapital rentabilität
RL - B
-
RL -B
Jahresüberschuß/ Jahresfehlbetrag + Zinsaufwand x 100 Gesamtkapital
Betriebsleistung Kosten
Return on Investment
Kapitalumschlags häufigkeit
RL -B
Betriebsergebnis Gesamtkapital (betriebsbedingt)
-
Umsatz rentabilität
RL -B
Umsatz Gesamtkapital (betriebsbedingt)
x 100
Betriebsergebnis Umsatz
RL -B
FIS
x 100
strategisch Außerordentliches Ergebnis Außerordentl Ertrag . /. Außerordentl Aufwand
Eigenkapital rentabilität
RL -B
-
RL -B
Erzeugnis umschlagszeit
Material umschlagszeit
RL -B
operativ
Forderungs umschlagszeit
RL -B
RL -B
JA-C
.
Jahesüberschuß Jahresfehlbetrag
.
Eigenkapital
/ Erzeugnisbestand x 100
Umsatz
Materialbestand
x T
Forderungsbestand
xT
Materialeinsatz
Umsatz
x T
B-C
KuE-C P-C
F-C
L-C
I-C
M-C
RL -B
EVA
Beteiligungsertrag + Zinsertrag /. Beteiligungsaufwand
RL -B
Kosoli dierung Legal/ Management-
Anfangsbestand an liquiden Mitteln + Ges.-Einzahlungen . /. Ges.-Auszahlungen
(ROCE – WACC) x Capital Employed
.
en taeb Me
zern Kon
Planung Stamm-- Controlling- und daten Datenbank Simulation
n icklu ntw nd E ng ng u affu chu Besch uktion rs o d F Pro ogistik g Anlagen - Personal L etin buchhal - abrechMark
operativ
Cash Flow
Working Capital
RL-B
Jahresüberschuß/ Jahresfehlbetrag + Abschreibungen +/ /. Veränderungen der Rückstellungen
RL-B
Finanzbuchhal tung
Umlaufvermögen /. kurzfristige Verbindlichkeiten
.
.
Kostenrechnung
Gesamte Verbindlichkeiten Cash Flow (genau)
RL-B
Liquiditätskoeffizient
Liquide Mittel x 100 kurzfristige Verbindlichkeiten
RL-B
Anlagendeckung
RL-B
Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital x 100 Anlagevermögen
c Fors AuftragsProdukEinkaufs Lagerabwicktionswesen steuerung wirtschaft lung
operativ Verschuldungsgrad
Fremdkapital x 100 Gesamtkapital
RL-B
BDE
ZDE
CAQ
g
nung
tung
operativ Dynamischer Verschuldungsgrad
h
e
RL-B
Liquide Mittel
reic sbe rung
IV-C
ktur Stru Finanzergebnis
Füh
DNC
n icklu ntw dE g g un ffun hun escha ktion B u d Pro ogistik g L etin Mark
g
ng icklu ntw nd E ng ng u affu chu Besch uktion d Fors Proogistik g L etin Mark
Auf der Konzeption des RL-Konzern-Kennzahlensystems basierend kann als unterjährige Renditekennzahl der ROCE als zentrale finanzwirtschaftliche Steuerungsgröße dienen. Abhängig von der Leistungsfähigkeit und der Konkurrenzsituation der einzelnen Tochtergesellschaften werden im Rahmen der Planung klassenabhängig differierend hohe Renditeanforderungen als Target-ROCE gestellt. Durch die Operationalisierung dieser Shareholder Value-kompatiblen Steuerungsgröße wird damit auch in den operativen Einheiten ein Bewusstsein für das durch die Zentrale verfolgte, wertorientierte Handeln geschaffen. Deckt das Berichtswesen dann Abweichungen von den Planwerten auf, existiert eine konzernweit akzeptierte Referenzgröße aus der unmittelbar ein erforderlicher (weiterer) Handlungsbedarf abgeleitet werden kann. 12
11 Entnommen aus Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 28. 12 Vgl. Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 40-43.
199
Reichmann / Kißler
4
Risikoorientiertes Berichtswesen
4.1
Risikomanagement und Risikocontrolling
International agierende Unternehmen sehen sich bezüglich ihrer Aktivitäten auf den Absatz-, Beschaffungs- und Kapitalmärkten hohen Anforderungen ausgesetzt. Bezüglich der Informationsbeschaffung und -aufbereitung, der Datenanalyse, Beurteilung und Kontrolle hinsichtlich der Gefahrenpotentiale müssen diese weit höhere Anforderungen an ein risikoorientiertes Management stellen, als kleine, national tätige Einzelunternehmen. Um die Marktpositionen der Unternehmen festigen und weiter ausbauen zu können, bedarf es einer genauen Kenntnis und kontinuierlichen Beobachtung der Risikopotentiale. Den verschiedenen Wirtschaftsordnungen, Wachstumsdynamiken und sozio-kulturellen Besonderheiten stellt das Unternehmen den einwirkenden Spannungen kompensatorisch wirkende Strukturen entgegen. Zielsetzung eines proaktiven Risikomanagements, dass sowohl die gesetzlichen Anforderungen als auch die veränderten Rahmenbedingungen der Kapitalmärkte und der Unternehmensumwelt berücksichtigt, ist es, zukünftige risikobehaftete Entwicklungen frühstmöglich zu identifizieren, zu analysieren, zu bewerten und fortlaufend zu überwachen, um die langfristige Anpassung des Unternehmens an sich stetig verändernde Umfeldbedingungen und die nachhaltige Existenzsicherung des Unternehmens sicherzustellen (Risikomanagement-Prozess).13 Eine vorzunehmende Abweichungsanalyse darf sich im Berichtswesen nicht darauf beschränken, die Spitzenkennzahl zu kontrollieren, sondern muss eine differenzierte Kennzahlenzerlegung beinhalten, die gegebenenfalls kompensatorische Effekte und deren Auswirkungen erfassen kann, um im Anschluss daran geeignete Korrekturmaßnahmen ableiten zu können. Elemente, die auf das Vorhandensein latenter Krisen hinweisen, können somit bereits mit zeitlichem Vorlauf identifiziert werden und eröffnen den Entscheidungsträgern die Option, auf eine – sich lediglich durch schwache Signale ankündigende – Problemstruktur frühzeitig zu reagieren. Über eine Evaluierung der verfolgten Pläne und daraus abgeleiteter Maßnahmen kann bereits nachgedacht werden noch bevor die Bedrohung im Zeitablauf konkrete Konturen annimmt, was sich sowohl auf den Handlungsspielraum als auch die Qualität der Entscheidung positiv auswirken wird. Das strategische Risikomanagement nimmt sich – auch den aktuellen Anforderungen der Kapitalmärkte und des deutschen Gesetzgebers nachkommend – einer risikoorientierten Betrachtungsweise der strategischen Ausrichtung des Unternehmens an. Neben 13 Vgl. Diederichs, M: Risikomanagement, 2004, S. 93 f.
200
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
der Identifikation der Risiken findet sowohl eine Risikobeurteilung als auch eine Steuerung der Risiken statt, die innerhalb des Risikomanagement-Prozesses durch eine fortlaufende Risikoüberwachung und Prozessüberwachung komplettiert wird.
4.2
Balanced Chance- and Risk-Card
Ein den Anforderungen des KonTraG entsprechendes Risikomanagement fokussiert auf Risiken i.S. einer negativen Zielabweichung (Verlustgefahr) und bezieht das Management von Chancen nicht in den geforderten Pflichtenrahmen ein. Unternehmerisches Handeln zeichnet sich neben dem Management von Risiken aber insbesondere durch die Identifikation und Realisierung von Erfolgspotentialen durch Nutzung von Chancen aus. Im Rahmen einer unternehmerisch ganzheitlichen Betrachtung bedarf es daher einer Ergänzung um eine erfolgsbezogene Sicht, in der Chancen und Risiken gleichzeitig berücksichtigt werden können. Die Balanced Chance and Risk Card ermöglicht eine integrierte Betrachtung von Chancen und Risiken sowie ihrer Interdependenzen. Die Synthese von Balanced Scorecard und Risikomanagement verfolgt das Ziel, die Realisierung von Strategien unter Berücksichtigung von Chancen- und Risikoerwägungen in einem Ansatz zu integrieren und diesen zur zielbezogenen Unterstützung der Führungsaufgaben durch ein geeignetes Berichtssystem zu ergänzen (vgl. Abbildung 4-1).14
14 Vgl. Diederichs, M./Kißler, M.: Corporate Governance, 2007, S. 85.
201
Reichmann / Kißler
Abbildung 4-1:
Konzeption der Balanced Chance and Risk Card15
Die in der Unternehmensplanung definierten Ziele finden Eingang in die Balanced Chance and Risk Card (BCR-Card), die als Kommunikations- und Steuerungsinstrument für die Tochtergesellschaften und die Holding dient. Sie unterstützt die Strategieimplementierung durch Verknüpfung der im strategischen Planungsprozess definierten strategischen Ziele (Chancen) mit den damit verbundenen Risiken sowie der zur Zielerreichung initiierten Maßnahmen, Projekte und strategischen Initiativen. Die mit den strategischen Zielen in Beziehung stehenden Chancen und Risiken werden unter Verwendung sowohl qualitativer und quantitativer als auch vorlaufender und nachlaufender Kennzahlen bzw. Indikatoren auf strategischer und operativer Ebene operationalisiert. Als dokumentierende Übersicht beinhaltet die BCR-Card infolgedessen eine systematische Zusammenstellung wesentlicher Kennzahlen und Indikatoren und stellt entscheidungsrelevante Informationen hinsichtlich der Wert- und Geschäftsentwicklung des Konzerns respektive dessen Tochtergesellschaften bereit.16 Nach einzelnen organisatorischen, strategischen oder rechtlichen Einheiten differenziert, enthält sie neben rein wertorientierten Kennzahlen (wie z.B. EVA, DCF) weitere Führungsgrößen (wie z.B. Umsatz, Cash-Flow, Geschäftsergebnis (EBIT) etc.). Die BCR-Card wird im Rahmen der Quartalsberichterstattung reported. Mit dem Quartalsberichtswesen einher geht ebenfalls das System der rollierenden Quartalspla15 Entnommen aus Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 38. 16 Vgl. Reichmann, Th.: Controlling mit Kennzahlen, 2003, S. 26.
202
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
nung. Ausgehend vom aktuellen Ist-Quartalsabschluss werden die folgenden vier Quartale geplant. In Konsequenz gibt es neben der Mittelfristplanung stets drei Vorschauen pro Jahr. Eine komprimierte Übersicht über die Strukturen und Inhalte des internen Berichtswesens bietet die folgende Abbildung.
Abbildung 4-2:
Internes Berichtswesen
Separates Risiko-Reporting
Monatsreporting 8x jährlich
Quartalsreporting 3x jährlich
Leistung
Strategie
Implementierung
Jährliches Reporting
Ziele/Anreize Strategische Pläne
Operative Leistungsmessung
Holding Teilkonzern SGE
Feed-ForwardKontrolle Operative Leistungsmessung: TK-SGEspezifische Kennzahlen Wertreiber Kritische Erfolgsfaktoren
Risiken
Maßnahmen Holding Teilkonzern SGE
Kontrolle Schwellenwerte Ad-Hoc-Reporting
Feed-BackKontrolle
Kontrolle Implementierung und Kontrolle: BSC/ BCR Maßnahmen Roadmap Rollierende Planung: Wertorientierte Kennzahlen Bilanz GuV
Strategische Pläne: Ziele Restriktionen Kontext Ex-Post Kontrolle: Wertorientierte Kennzahlen Bilanz GuV Ziele/Anreize: BSC/ BCR Maßnahmen
Integriertes Risiko-Reporting
4.3
Externe Informationsbedarfe
Neben den internen Informationsbedürfnissen hat das Controlling zunehmend auch die Anforderungen Unternehmensexterner – insbesondere bezüglich der Finanzierung – zu beachten. Das tradierte kontinentaleuropäische Finanzierungsmodell ist vorwiegend bankenorientiert. Unter dem Stichwort Basel II haben sich hier bereits deutliche Veränderungen ergeben, die mit einer größeren Transparenz und damit einer stärkeren Berichtspflicht der Unternehmen im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Banken einhergeht.17 Zudem gehen global agierende Unternehmen dazu über, sich zusätzlich den internationalen Kapitalmarkt zu erschließen, woraus sich wiederum
17 Vgl. Reichmann, Th./Pyszny, U.: Rating, 2006, S. 399 f.
203
Reichmann / Kißler
neue und je nach Investorengruppe durchaus verschiedenartige Ansprüche an das Berichtswesen ergeben.18 Zudem greift der Gesetzgeber in regelmäßigen Abständen – wie etwa mit seinen gesetzlichen Initiativen für eine Corporate Governance – in die Berichtspflichten des Unternehmens ein. Mit zunehmendem Internationalisierungsgrad nehmen die Anforderungen aufgrund der zu erfüllenden gesetzlichen Anforderungen überproportional zu. Die vorgestellte Controlling-Konzeption bildet in Kombination mit der Ausrichtung auf den Unternehmenswert die Basis für eine adäquate Erfüllung auch der externen Informationsbedarfe.
5
Controlling-Cockpit
Die systemgestützte Controlling-Konzeption gewährleistet die Qualität der im Unternehmen für die Planerstellung, Koordination und Kontrolle herangezogenen Informationen. Mit dem RL-Konzern-Kennzahlensystem und der Balanced Chance and Risk Card wurden zwei Instrumente eines wertorientierten Controllings vorgestellt, mit denen die gegenwärtige Situation in den verschiedenen Unternehmensebenen auch in Anbetracht der operativen und strategischen Zielsetzungen analysiert werden kann. Durch die konzeptionelle Berücksichtigung von Unternehmensmodellen (vgl. Kapitel 3.2) können durch entsprechende Planungen, wie z.B. der rollierenden Quartalsplanung, die Auswirkungen des unternehmerischen Handelns zeitnah prognostiziert und als notwendig erachtete Anpassungsmaßnahmen rasch ergriffen werden. Die Herausforderung für die Unternehmenspraxis besteht darin, diese Planinformationen in das (Standard-)Reporting zu verankern und mit einem Chancen- und Risikomanagement zu verknüpfen. Die Abbildung 5-1 illustriert ein auf diesen Prinzipien aufgebautes Controlling für einen international agierenden Konzern anhand eines „ControllingCockpits“.
18 Vgl. Gleich, R./Sasse, A./Gräf, J./Kogler, S.: Corporate Reporting, 2002, S. 337 f.
204
Systemgestützte Controlling-Konzeption für international tätige Unternehmen
Abbildung 5-1:
Vision „Controlling Cockpit“19
Die implementierte Controlling-Konzeption ermöglicht es, konkrete steuerungsrelevante Sachverhalte Top-Down nachzuverfolgen. Ergänzend werden Informationen zu weiteren relevanten Umweltfaktoren (bspw. Mitbewerber, Kapitalmarkt, Sekundärmärkte) vorgehalten. Diese multidimensionale Sicht auf das Unternehmen vermag die Zielsetzung einer entscheidungsorientierten Informationsversorgung des Managements auch in internationalen – und damit zunächst informationspluralistischen – Unternehmen in optimaler Weise zu unterstützen.
19 Entnommen aus Reichmann, Th./Hornung, K.: Controlling Trends, 2005, S. 55.
205
Reichmann / Kißler
Literaturverzeichnis
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206
Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
Univ.-Prof. Dr. jur. Jürgen Taeger Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handelsund Wirtschaftsrecht sowie Rechtsinformatik Institut für Rechtswissenschaften, Fak. II Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg
1
Corporate Governance................................................................................................... 209
2
Vom ARAG-Urteil und dem Corporate Governance Kodex zur Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts ......................................................... 211 2.1 ARAG-Entscheidung des BGH von 1997........................................................... 211 2.2 Kontroll- und Transparenzgesetz ....................................................................... 213 2.3 Deutscher Corporate Governance Kodex .......................................................... 214 2.4 Relevanz für den Mittelstand .............................................................................. 216
3
Anforderungen an das Risikoüberwachungssystem................................................. 218
4
Risikoüberwachung und Compliance: gemeinsame Aufgaben für BWL und Rechtswissenschaft................................................................................................. 221
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 223
207
Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
1
Corporate Governance
Wie kaum ein anderer Begriff kann Governance auf eine „Bilderbuch-Karriere“ zurück blicken, die noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. In den Sozialwissenschaften wird Governance bereits als „Modethema“ der Wissenschaft, das heute 30mal häufiger als noch 1990 verwendet wird, und als catchphrase der Staats- und Verwaltungsmodernisierer bezeichnet, obwohl zugleich anerkannt wird, dass das GovernanceKonzept in der politisch-administrativen Praxis tatsächlich innovativ und hilfreich ist.1 Bemerkenswert ist, dass der Begriff Governance in mehrfacher Hinsicht „global“ verwendet wird. Er ist zunächst international, weil er insofern mehr ist als ein Anglizismus, als er in den nicht-englischen Wissenschaftssprachen herausgearbeitete Termini ablöst, die mit einem spezifischen wissenschaftlichen Konzept und einer fachdisziplinären Erkenntnis verbunden waren. So ersetzt er in Deutschland die besonders in den Sozialwissenschaften und in der Politikwissenschaft etablierten Begriffe von Steuerung und Regelung bzw. Regulierung, ohne allerdings stets das Gleiche zu meinen.2 Damit ist angedeutet, dass der Governance-Begriff mitnichten schon klar konturiert ist. Global ist Governance aber auch deswegen, weil er als interdisziplinärer Verbundbegriff oder als Brückenbegriff fungiert, wie Hans-Heinrich Trute die häufig getrennt oder gar isoliert voneinander verlaufenden Fachdiskurse verbindenden Begriffe nennt.3 Waren die Begriffe Steuerung, Regulierung, Public Management und Public Policy – und damit neuerdings auch Governance – ursprünglich Themen der Sozial- und Politikwissenschaften sowie der Verwaltungswissenschaften, so haben sich zunehmend auch die Rechtswissenschaften, die Betriebswirtschaftslehre (besonders im Zusammenhang mit der Diskussion der Public Private Partnership) sowie die Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik am Diskurs beteiligt. In besonders ausgeprägter Weise lässt sich die interdisziplinäre Betrachtung auf einem Gebiet der Governance beobachten, das weniger mit Staats- und Verwaltungsaufgaben verbunden ist, sondern mit der Unternehmensverfassung. Corporate Governance wendet sich denjenigen Fragen zu, die die Aufgaben, Ziele und Kontrolle in der Unternehmensführung im Fokus haben. Auch Corporate Governance kann als Begriff auf einen raketenartigen Aufstieg verweisen; er gehört zu den in der Wirtschaftspresse und den Tageszeitungen am Häufigsten verwendeten Wörtern der Business-Terminologie. Allerorten werden neuerdings „Schools of Governance“ an Universitäten, Fachhochschulen und privaten Hochschulen gegründet, mitunter auch mit der Ergänzung von „Governance“ durch „Risk & Compliance“. Symptomatisch ist auch die Herausgabe 1 2 3
Jann, W.: Governance, 2006, S. 21-43. Mayntz, R.: Steuerungstheorie, 2006, S. 11-20. Trute, H.-H.: Verantwortungsteilung, 1999, S. 13-46. Siehe zu den Brückenbegriffen auch Hoffmann-Riem, W.: Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 11-71.
209
Taeger
neuer Fachzeitschriften mit Titel wie „Risk, Fraud & Governance“ oder „Compliance Report“. Für die Wirtschaftswissenschaften geht das Thema im Grunde schon auf Adam Smith zurück, der 1776 das Auseinanderfallen von Eigentum am Unternehmen einer- und Unternehmensführung andererseits in der stock corporation problematisierte und Zweifel an der Effizienz der Unternehmensführung hegte: „It cannot well be expected that they would watch over it with the same anxious vigilance with which the partners in a private copartnery frequently watch over their own.“4 Als Ausgangspunkt der Corporate Governance-Diskussionen werden die großen Umbrüche in den Eigentumsstrukturen und die Konzentration und Zentralisierung von Kapital in Großunternehmen und Banken identifiziert,5 die aktuell durch das Auftreten der Private Equity Gesellschaften und der Hedge Fonds verstärkt werden. Mehr denn je werden die gesellschaftliche Verantwortlichkeit der Unternehmen, die persönliche Verantwortlichkeit und Haftung der Organe für ihre ‚unternehmerischen’ Entscheidungen, die Anreizsysteme für das Management, die Transparenz der Entscheidungsfindung, die Transparenz über die Erfolgs-, Bilanz- und Finanzlage des Unternehmens durch die Rechnungslegung und die Kontrollfähigkeit und Organisation der Aufsichtsfunktion diskutiert. Es ist evident, dass sich die Betriebswirtschaftslehre und die Rechtswissenschaften hier unter dem Brückenbegriff der Corporate Governance zusammenfinden. Wenn sich die Disziplinen darin auch weitgehend einig sind, dass die Leitungspflichten des Vorstands nach der Neufassung des § 91 AktG durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)6 nur die bereits bestehenden Leitungspflichten verdeutlichen, so fallen die Ansichten über Funktion und Bedeutung des der Erkennung den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen dienenden und deshalb einzurichtenden Überwachungssystems, mit dem sich der Jubilar7 intensiv befasst, auseinander. Während ein Teil der betriebswirtschaftlichen und prüfungsnahen Literatur in der neuen Regelung nunmehr die Verpflichtung gesetzlich normiert sieht, das von der BWL geforderte umfassende Risikomanagementsystem zur Identifikation, Analyse, Bewertung, Dokumentation, Steuerung und Bewältigung von Risiken zu etablieren,8 sieht die entgegen gesetzte juristische Position, die dies teilweise als „Aktionismus der Betriebswirte und Wirtschaftsprüfer“ abtut,9 in § 91 Abs. 2 AktG eine aus der Leitungsfunktion des Vorstands abzuleitende Organisationspflicht, die der Ermessensentscheidung der Unternehmensführung unterliegt.
4 5 6 7 8 9
210
Wealth of Nations, 1937, S. 700. Jürgens, U.: Anwendungsfelder, 2006, S. 47-71. BGBl. I 1998, S. 786. Lachnit, L./Müller, St.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 216-224. Siehe dazu die Hinweise bei Schobert, J./Servatius, H.-G./Thees, A.: Anforderungen, 2006, S. 2571 (2574). Huth, M.-A.: Risikoüberwachung, 2007, S. 63.
Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
Auf die Kontroverse dieser Extreme, zwischen denen es auch vermittelnde Lösungen gibt, ist nach einem Überblick über die Historie des Regelungsgegenstandes zurück zu kommen.
2
Vom ARAG-Urteil und dem Corporate Governance Kodex zur Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts
Spektakuläre Unternehmenskrisen in Deutschland am Ende des letzten Jahrhunderts und Anforderungen der internationalen Kapitalmärkte haben auch die nationale Diskussion über die Grundsätze einer Corporate Governance intensiviert. Die letzten zehn Jahre waren demzufolge von einer bemerkenswerten Aktivität in Rechtsprechung und Rechtsetzung geprägt, um eine „gute Unternehmensführung“ oder „verantwortungsvolle Unternehmenssteuerung“ zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund spektakulärer Unternehmenskrisen in den 90er Jahren konkretisierte die ARAG-Entscheidung des Bundesgerichtshofs 1997 erstmals die Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft und förderte den Compliance-Gedanken.10
2.1
ARAG-Entscheidung des BGH von 1997
Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Sachen ARAG/Garmenbeck11 aus dem Jahre 1997 ist die Corporate Governance-Diskussion endgültig auch im deutschen Gesellschaftsrecht angekommen. Diese grundlegende, soeben zehn Jahre alt gewordene Entscheidung ist nach wie vor von aktueller Relevanz: Presseberichte über Strafverfahren und Schadensersatzforderungen gegen Manager auch aus den Vorständen – Bestechungsaffären in der Automobilindustrie (VW), Auslandsbestechungen und schwarze Kassen mit dreistelligen Millionenbeträgen in Euro in der IT-Industrie (Siemens) – prägen die Diskussion über die persönliche Verantwortung und Haftung von Mitgliedern der Gesellschaftsorgane. Dabei geht es nicht nur um kriminelles Fehlverhalten durch Bestechung oder Bilanzfälschung (Enron, Worldcom, Parmalat, FlowTex u.a.m.). Von zentraler Bedeutung ist auch die Frage nach den anzuwendenden Sorgfaltspflichten bei Managemententscheidungen. 10
Siehe dazu Damken, N.: Corporate Governance, 2007; Taeger, J./Rath, M. (Hrsg.): IT-Compliance, 2007; Mengel, A./Hagemeister, V.: Arbeitsrecht, 2006, S. 2466, und dies.: Implementierung, 2007, S. 1386, jeweils m.w.N. 11 BGH vom 21.4.1997 – II ZR 175/95 – NJW, 1997, 1926.
211
Taeger
Das ARAG-Urteil muss vor dem Hintergrund spektakulärer Unternehmenskrisen in den 90er Jahren gesehen werden: 1993 bei der Metallgesellschaft; 1996 bei der Bremer Vulkan oder dann 1999 Philipp Holzmann, um nur einige herauszugreifen, die maßgeblich auf Fehlverhalten oder Fehlentscheidungen des Managements zurückgingen. Mit der ARAG-Entscheidung hat sich der BGH zur Prüfung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern geäußert. Zugleich wurden mit dem Urteil die Pflichten des Vorstands und Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft erstmalig entscheidend konkretisiert. Anlass für diese höchstrichterliche Rechtsprechung war ein anhaltender Streit im Hause der Rechtsschutzversicherung ARAG, die als börsennotierte Aktiengesellschaft geführt wird. Der Vorstandsvorsitzende der ARAG wurde dafür verantwortlich gemacht, dass die Gesellschaft durch Finanztransaktionen Verluste von über 80 Mio. DM erlitten hatte. Die daraufhin erhobene Forderung, nämlich den Vorstandsvorsitzenden zum Ausgleich dieses Schadens heranzuziehen, wurde allerdings durch die Mehrheit des für diese Entscheidung zuständigen Aufsichtsrats abgelehnt. Einzelne Aufsichtsratsmitglieder, die diesen Mehrheitsbeschluss des Aufsichtsrats für rechtswidrig hielten, legten daraufhin Klage vor dem Landgericht Düsseldorf ein und hatten zunächst Erfolg. Am Ende des Instanzenwegs entschied der BGH, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Entscheidung, ob ein Vorstandsmitglied wegen Verletzung seiner Sorgfaltspflichten in Anspruch genommen werden soll, grundlegend zu prüfen haben. Um den Vorwurf eines schuldhaft pflichtwidrigen Vorstandsverhaltens zu rechtfertigen, müssen die Aufsichtsratsmitglieder bei der Beurteilung des festgestellten Sachverhalts berücksichtigen, dass dem Vorstand bei seiner Geschäftsführung ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar ist („Business Jugdment Rule“).12 Hierzu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken immer auch die Gefahr einer Fehlbeurteilung und Fehleinschätzung, der jeder auch noch so verantwortungsbewusst handelnde Unternehmensleiter ausgesetzt ist. So kann der Eindruck, dass dem Vorstand das nötige Gespür für eine erfolgreiche Unternehmensführung fehle, dem Aufsichtsrat allenfalls Veranlassung geben, den Vorstand abzuberufen oder nicht wieder zu bestellen. Eine Schadensersatzpflicht des Vorstands kann hieraus jedoch nicht hergeleitet werden. Der BGH weiter: Die Grenzen dieses haftungsfreien Ermessensspielraums für unternehmerische Handlungen sind aber dann erreicht, wenn der Vorwurf im Raum steht, der Vorstand habe die Gesellschaft in vorwerfbarer Weise durch ein ihm verbotenes – weil gegen Gesetz und Satzung verstoßendes – Verhalten geschädigt. In diesem Fall kann sich weder Vorstand noch Aufsichtsrat, welcher als zuständiges Kontrollorgan über die Verpflichtung des Vorstands zu rechtmäßigem Handeln und zur Wiedergutmachung eines von ihm rechtswidrig verursachten Schadens zu befinden hat, auf in12
212
Dazu grundlegend Damken, N.: Corporate Governance, 2007, sowie Huth, M.-A.: Risikoüberwachung, 2007.
Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
terne Handlungsfreiheit berufen. Vielmehr hat der Aufsichtsrat – aufgrund seiner gesetzlichen Aufgabe, den Vorstand zu überwachen und Schaden von der Gesellschaft fernzuhalten – mögliche Schadensersatzansprüche auf deren gerichtliche Durchsetzbarkeit zu prüfen und dafür zu sorgen, dass der Vorstand seiner nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG vorgesehenen Verpflichtung nachkommt, und im Weigerungsfalle selbst Klage gegen den Vorstand zu erheben. Durch das ARAG-Urteil wurde somit die Sorgfaltspflicht und zugleich auch das Haftungsrisiko der Vorstandsmitglieder erstmalig konkretisiert und damit die Diskussion über eine „gute und transparente Unternehmensführung“ mit ins Rollen gebracht, die zu einer Entwicklung im deutschen Gesellschaftsrecht führte, die unter dem Stichwort Corporate Governance zusammengefasst wird.
2.2
Kontroll- und Transparenzgesetz
Mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) wurde 1998 schließlich auf die mittlerweile in allen Industrienationen geführte Corporate Governance-Diskussion reagiert, indem das Aktiengesetz um Vorschriften über Managementpflichten und den Verantwortungsbereich des Vorstandes erweitert wurde. Die persönliche Haftung von Unternehmensführern wurde näher ausformuliert. So ist der Vorstand der Aktiengesellschaft nun auch nach dem Wortlaut der Norm ausdrücklich dafür verantwortlich, effektive Überwachungs- und Kontrollsysteme zu installieren, um eine ordnungsgemäße Unternehmensführung im Sinne einer „guten Corporate Governance“ zu gewährleisten. Durch einen Ausbau der bestehenden Überwachungsebenen mit verbesserten Kontroll- und Informationssystemen sollen potenzielle Unternehmenskrisen und Zusammenbrüche möglichst vermieden werden. Es ist ein weiteres Ziel des KonTraG, die Arbeit des Aufsichtsrats zu verbessern, um dadurch eine Stärkung der Kontrolle der Unternehmensführung durch den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung zu erreichen und somit die Transparenz im gesamten Unternehmen zu erhöhen. Die Ziele sollen durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
Die Berichtspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat sind erheblich erweitert worden.
Alle Vorstandsmitglieder sind nun explizit dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, um Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden, frühzeitig zu entdecken.
Außerdem sind sie verpflichtet, für ein angemessenes Risikomanagement und eine angemessene interne Revision zu sorgen.
213
Taeger
Eine verstärkte Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung durch Intensivierung der Berichtspflichten sollen für mehr Transparenz sorgen (§ 90 Abs. 1 AktG). Der Vorstand wird durch § 91 Abs. 2 AktG verpflichtet, Maßnahmen zu treffen und insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, um den Fortbestand des Unternehmens gefährdende Entwicklungen zu vermeiden. Die Unternehmensleitung ist danach zur Implementierung eines Risikoüberwachungssystems verpflichtet, das beispielsweise risikobehaftete Geschäfte, fehlerhafte Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich negativ auf die Finanzund Ertragslage des Unternehmens auswirken könnten, erkennbar macht. Darüber, was ein Überwachungssystem zu leisten hat, besteht – wie eingangs ausgeführt – Streit.
2.3
Deutscher Corporate Governance Kodex
Den State of the Art der Good Governance gibt der Deutsche Corporate Governance Kodex von 2002 in der Fassung von Juli 2007 wieder,13 der bereits in den 90er Jahren von Regierungskommissionen (zuletzt: Cromme-Kommission) entwickelt wurde. Der Deutsche Corporate Governance Kodex richtet sich zunächst an die Internationale Finanzwelt und erläutert das deutsche dualistische Leitungsprinzip mit der Leitung durch den Vorstand und der Kontrolle durch den Aufsichtsrat sowie die hier vorherrschende am true-and-fair-view-Prinzip orientierte Rechnungslegung. Nach Innen wiederholt der Kodex zunächst nur das, was sich schon aus dem Aktiengesetz als Verhaltenspflicht der Organe ergibt. Interessanter Weise findet sich darunter – nämlich in Ziff. 4.1.4 – auch die Pflicht, „für ein angemessenes Risikomanagement und RiskControlling“ zu sorgen, obwohl zum Zeitpunkt der Formulierung im DCGK die entsprechende „klarstellende“ Änderung des Aktiengesetzes mit der Pflicht zur Implementierung eines Überwachungssystem noch gar nicht erfolgt war. Sodann finden sich im Kodex Empfehlungen, die allerdings sehr streng sind. Die Unternehmen sind verpflichtet, im Fall des Abweichens von den Empfehlungen dies auch jährlich offenzulegen. Und schließlich enthält der Kodex Anregungen, von denen ohne Offenlegung abgewichen werden kann. 2002 nahm der Gesetzgeber mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) die Empfehlungen der Cromme-Kommission, die einer aus der Wirtschaft heraus entwickelten Initiative entsprang, auf und sorgte für den mittelbaren Eingang14 des
13 14
214
www.corporate-governance-code.de/ger/kodex/index.html; www.ebundesanzeiger.de. Insofern ist der DCGK auch eine besondere, außergesetzliche Form der Regulierung und damit auch selbst Gegenstand der sozial- und rechtswissenschaftlichen Governance-Forschung. Zur typologischen Einordnung Schuppert, G. F.: Governance, 2006, S. 371 (407). Nachweise zur kontroversen Diskussion über die Rechtsgeltung des DCGK Schlitt, Ch.: Rele-
Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
Corporate Governance Kodex, der derzeit in der Fassung vom Juni 2007 vorliegt, in das Aktienrecht. Nach dem mit dem TransPuG eingefügten § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat jährlich öffentlich festzustellen, ob den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wird oder ob von ihnen abgewichen wird („Entsprechenserklärung“). Die Erklärung ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen. Dauerhaft zugänglich wird diese als Entsprechenserklärung bezeichnet Erklärung zumeist auch im Internet. Gemäß § 161 AktG ist die Beachtung des Kodex zumindest für die börsennotierten Aktiengesellschaften auch eine Rechtspflicht geworden – allen anderen Kapitalgesellschaften wird die Beachtung des Deutschen Corporate Governance Kodex empfohlen. Über die Vorschrift des § 161 AktG hinaus sind die Empfehlungen des Kodex als fixierte Leitsätze einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung zu betrachten, Zeitgleich trat in den USA der Sarbanes-Oxley Act (SOA) in Kraft, durch den die Haftungsbedingungen für Organmitglieder stark verschärft wurden und der detaillierte Maßnahmen zur Einrichtung, Dokumentation und Überprüfung von Internen Kontrollsystemen vorsieht.15 Der SOA übte nicht nur großen Einfluss auf das US-amerikanische Corporate Governance-System aus, sondern beeinflusste auch die Entwicklung der deutschen Corporate Governance. Schließlich folgte 2005 das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), das weitere Vorschriften zur Innenhaftung von Organträgern einführte (§ 93 AktG). Danach haben die Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Entscheidung, ob ein Vorstandsmitglied wegen Verletzung seiner Sorgfaltspflichten in Anspruch genommen werden soll, grundlegend zu prüfen. Um den Vorwurf eines schuldhaft pflichtwidrigen Vorstandsverhaltens zu rechtfertigen, müssen die Aufsichtsratsmitglieder bei der Beurteilung des festgestellten Sachverhalts berücksichtigen, dass dem Vorstand bei seiner Geschäftsführung ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar ist (Business Judgment Rule).16 Ist insoweit die eine gute und transparente Unternehmensführung fördernde Gesetzgebung weitgehend abgeschlossen, so lässt sich Corporate Governance als die Gesamtheit aller internationalen und nationalen Werte und Grundsätze für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung beschreiben, die sowohl für die Mitarbei-
vanz, 2007, S. 326. Im Übrigen stellen die Empfehlungen auch einen Auslegungsmaßstab für die Sorgfaltspflichten der Organmitglieder dar. 15 Sarbanes Oxley Act, in Kraft getreten am 30.7.2002 mit Section 404 „Management Assessment of Internal Controls”. Das Regelwerk wird allerdings als zu aufwendig und zu teuer angesehen, so dass die Anforderungen gelockert werden sollen, FAZ 11.11.2006. 16 Ausführlich dazu Damken, N.: Corporate Governance, 2007. In Ziff 3.8 des DCGK in der Fassung von 2007 wurde die Business Judgment Rule aufgenommen; weil sie bereits Gesetzesrang hat, dient die Aufnahme vornehmlich dazu, ausländischen Investoren zu signalisieren, dass die Business Judgment Rule auch zum deutschen Rechtsstandard gehört.
215
Taeger
ter als auch für die Unternehmensführung von Unternehmen gelten. Dabei umfasst Corporate Governance obligatorische und freiwillige Maßnahmen:
die Einhaltung von Gesetzen und Regelwerken (Compliance17), die Befolgung anerkannter Standards und Empfehlungen sowie die Entwicklung und Befolgung eigener Unternehmensleitlinien. Die Maßnahmen dienen der Ausgestaltung und Implementierung von Leitungs- und Kontrollstrukturen. Kennzeichen guter Corporate Governance sind dabei:
Effiziente Unternehmensleitung, Wahrung der Aktionärsinteressen, zielgerichtete Zusammenarbeit der Unternehmensleitung und -überwachung, Transparenz in der Unternehmenskommunikation, angemessener Umgang mit Risiken und Ausrichtung der Managemententscheidungen auf langfristige Wertschöpfung. Gute Corporate Governance gewährleistet danach verantwortliche, qualifizierte, transparente und auf den langfristigen Erfolg ausgerichtete Unternehmensführung und soll so das Vertrauen von Aktionären und Investoren in den Kapitalmarkt stärken.
2.4
Relevanz für den Mittelstand
Der Deutsche Corporate Governance Kodex zielt auf die börsennotierten Aktiengesellschaften. Auch die Rechtsetzungsakte zur Corporate Governance der letzten Jahre konzentrierten sich auf die Aktiengesellschaft. Gleichwohl ist nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass die Vorschriften über die Verantwortlichkeit der Organmitglieder einer Aktiengesellschaft auch die Geschäftsführung der GmbH trifft. Der Gesetzgeber hat in der amtlichen Gesetzesbegründung zum KonTraG zwar darauf hingewiesen, dass die Vorstandspflicht, ein Überwachungssystem einzurichten, ebenso wenig im GmbHG kodifiziert werden solle, wie die Business Judgment Rule, dass die Vorschriften aus § 91 AktG über die Vorstandsverantwortung aber eine Ausstrahlungswir17
216
Die besondere Bedeutung von Compliance für Corporate Governance unterstreicht der Deutsche Corporate Governance Kodex in die Fassung vom Juli 2007 insofern, als in Ziffer 4.1.3 nunmehr klargestellt wurde, dass nicht nur auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, sondern auch auf die der unternehmensinternen Richtlinien hinzuwirken ist. Siehe dazu näher Wecker, G.: IT-Compliance, 2007, S. 23-27; Lensdorf, L./Steger, U.: IT-Compliance, 2006, S. 167 und Schneider, U. H.: Compliance, ZIP 2003, S. 645. Siehe die praktischen Hinweise zum Aufbau einer Compliance-Organisation bei Lampert, Th.: Compliance-Organisation, 2007, S. 142.
Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
kung auch auf andere Kapitalgesellschaften hätten und die Neuregelungen in § 93 AktG auch auf den Pflichtenrahmen der Geschäftsführer ausstrahlen. Auch die Geschäftsführer einer GmbH trifft die vorgenannten Pflichten auf Grundlage des § 43 Abs. 1 GmbHG,18 wonach sie in Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden haben, jedenfalls dann, wenn die GmbH nach ihrer Größe, Struktur und Komplexität einer Aktiengesellschaft entspricht. Das wird insbesondere auch dann gelten, wenn die GmbH den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt. Die GmbH-Geschäftsführung ist in diesem Fall also aus § 43 Abs. 1 GmbHG verpflichtet, in Angelegenheiten der Gesellschaft die § 91 Abs. 2 AktG entsprechende Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Als wünschenswert wird auch angesehen, dass die Geschäftsführung einer mit einer Aktiengesellschaft in Größe und Struktur vergleichbaren GmbH eine Entsprechenserklärung analog § 161 AktG abgibt. Diese Sichtweise wird durch die Rechtsprechung bestätigt. In einer der ersten Gerichtsentscheidungen im Anschluss an das ARAG-Urteil des BGH, die sich mit der Sorgfaltspflicht eines GmbH-Geschäftsführers bei einem Unternehmenskauf befasst, sah das OLG Oldenburg das dem Geschäftsführer bei unternehmerischen Entscheidungen zuzubilligende weite Ermessen beim Erwerb eines anderen Unternehmens als überschritten an, wenn die Grundlagen, Chancen und Risiken der Investitionsentscheidung nicht ausreichend aufgeklärt worden sind.19 Weiter heißt es in der Entscheidung, dass zumindest dann, wenn nicht ausreichende, gesicherte Erkenntnisse über das zu erwerbende Unternehmen vorhanden sind oder wenn vorhandene Informationen Unklarheiten aufweisen, eine umfassende Due Diligence durchzuführen ist. Im zu entscheidenden Sachverhalt waren weder gesicherte Erkenntnisse vorhanden, noch eine Due Diligence durchgeführt worden. Deshalb haftete der Geschäftsführer persönlich für den der Gesellschaft entstandenen Schaden. Danach ist jeder für die Gesellschaft vermögenswerte Nachteil, der bei pflichtgemäßem Handeln nicht eingetreten wäre, zu ersetzen.
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Ebenso Altmeppen, H., allerdings im Zusammenhang mit § 41 GmbHG, in: Altmeppen, H./Roth, G. H., GmbHG-Kommentar, 2003, § 41 Rn. 15, und Damken, N.: Corporate Governance, 2007, S. 109 f. 19 OLG Oldenburg vom 22.6.2006 – 1 U 34/03 – DB 2006, 2511 = BB 2007, 66 = NZI 2007, 305. Siehe zu den Sorgfaltspflichten des Genossenschaftsgeschäftsführers BGH vom 8.1.207 – II ZR 304/04 – ZIP 2007, 322.
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Taeger
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Anforderungen an das Risikoüberwachungssystem
Das Kontroll- und Transparenzgesetz brachte, wie erwähnt, mit § 91 Abs. 2 AktG die ausdrückliche Verpflichtung des Vorstands, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit den Fortbestand des Unternehmens gefährdende Entwicklungen rechtzeitig erkannt werden. Dafür ist insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten. Diese Verpflichtung zählt zu den Leitungsaufgaben und damit zu einer nicht delegierbaren, originären Aufgabe des Vorstands als dem Gesamtorgan und nicht etwa nur zu einer Verpflichtung allein des nach dem Geschäftsverteilungsplan damit betrauten Vorstandsmitglieds. Die Überwachungspflicht liegt damit in der Gesamtverantwortung des Vorstands und damit jedes einzelnen Vorstandsmitglieds.20 Der Vorstand, der das Überwachungssystem nicht oder auch nicht hinreichend einrichtet, muss vom Aufsichtsrat, wenn dieser nicht selbst schadensersatzpflichtig werden will, abberufen werden.21 Unterschiedliche Auffassungen bestehen allerdings darüber, welche Verpflichtung die mit § 91 Abs. 2 AktG vorgenommene Regelung im Detail umfasst. Laurenz Lachnit hat in seinem aktuellen, herausragenden Lehrbuch zum Unternehmenscontrolling das Grundkonzept eines Risiko-Überwachungssystems „gemäß KonTraG“ als Bestandteil eines Risikomanagement-Gesamtsystems entworfen, das sechs Elemente enthält. Zunächst ist danach als permanenter Prozess in allen Unternehmensbereichen eine Risikoidentifikation zu gewährleisten, der die Risikobewertung folgt. Das bewertete Risiko ist über Standard- und ad hoc-Berichte zu kommunizieren. Die Risikoaggregation als Kumulations- und Gesamtbewertung führt zur Risikosteuerung, bei der es um Vermeidung, Verminderung, Verlagerung und Selbsttragung geht, was wiederum zu einer Einzelrisikobewertung zurückführt. Am Ende steht dann die Relevanz-Beurteilung, die Eingang in den Risikobericht findet.22 Die Risikosteuerung ist nach Lachnit und Müller aber nicht Teil des vom KonTraG einzurichtenden Risikoüberwachungssystems, sondern des übergeordneten, nicht wegen einer Rechtspflicht, aber doch betriebswirtschaftlich gebotenen Risikomanagement-Gesamtsystems. Nach der überzeugenden Ansicht von Lachnit und Müller ist also neben der durch das KonTraG erforderlichen Einrichtung eines Risikofrühwarnsystems und eines Risikoüberwachungssystems auch die Implementierung von Verfahren zur Risikobewälti20
So zutreffend LG Berlin AG 2002, 686 (684). Siehe auch Schobert, J./Servatius, H.-G./Thees, A.: Anforderungen, 2006, S. 2571 (2574); Preußner, J.: Risikomanagement, 2004, S. 303 (305), und PS 261, DW-PN 2006, 717, Tz. 26. 20 Vgl. Huth, M.-A.: Risikoüberwachung, 2007, S. 63. 21 VG Frankfurt, WM 2004, 2167. 22 Lachnit, L./Müller, St.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 203 (206). Siehe zuvor bereits sehr pointiert und wegweisend Lachnit, L./Müller, St.: FS Strobel, 2001, S. 363.
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Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Risikomanagementsysteme
gung als Bestandteil des Risikomanagement-Gesamtsystems zu empfehlen. Das Gesamtsystem ist als ein permanenter Prozess zu verstehen, zu dem auch die Risikosensibilisierung der Unternehmensführung und Mitarbeiter gehört.23 Diese Ansicht geht mit der von der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftsprüfung ganz überwiegend vertretenen Auffassung konform, wonach es zu den Leitungsaufgaben des Vorstands i.S. des § 76 Abs. 1 AktG gehört, ein umfassendes Risikoüberwachungssystem als Bestandteil des Internen Kontrollsystem einzurichten,24 über das bei börsennotierten Aktiengesellschaften der Wirtschaftprüfer gem. §§ 317 Abs. 4, 321 Abs. 4 HGB im Prüfbericht nach den Feststellungen der Prüfung zu bestätigen hat, dass der Vorstand die Maßnahmen nach § 91 Abs. 2 AktG getroffen hat und das Überwachungssystem seine Aufgabe erfüllt. Nach der Auffassung von Lachnit und Müller ist das gesellschaftsrechtlich gebotene Risikoüberwachungssystem nur ein Bestandteil eines umfassenderen Risikomanagementsystems, das aus betriebswirtschaftlicher Sicht zum Risikocontrolling gehören sollte.25 Sie grenzt sich damit richtigerweise von der weitergehenden betriebswirtschaftlichen Auffassung26 ab, dass sich aus § 91 Abs. 2 AktG eine Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Risikomanagementsystems ergebe. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur wurde die entgegenstehende Ansicht vertreten, dass mit § 91 Abs. 2 AktG eine Konkretisierung der Leitungsaufgaben des Vorstands gem. § 76 AktG erfolgt sei und es ganz im Ermessen des Vorstands stehe, überhaupt ein Risikoüberwachungssystem einzuführen; erforderlich sei nur die Einrichtung eines Systems, mit dem zu überwachen sei, ob die eingeleiteten Maßnahmen des Vorstands zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen auch umgesetzt werden.27 Geboten sei lediglich die Überprüfung der Notwendigkeit eines solchen Kontrollsystems, so dass nur im Einzelfall einer sehr umfangreichen und komplexen Unternehmensstruktur der Ermessensspielraum schrumpfe.28 Diese Ansicht ist allerdings in Liquidation begriffen; denn es sollte auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht anerkannt sein, dass das von § 91 Abs. 2 AktG geforderte Überwachungssystem nicht
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24 25 26 27
28
Lachnit, L./Müller, St.: Unternehmenscontrolling, 2006, S. 203 (205); siehe auch schon Lachnit, L./Müller, St.: Risikocontrolling, 2003, S. 565, und Lachnit, L./Müller, St.: FS Strobel, 2001, S. 363. Siehe nur Pampel, J./Glage, D..: Risikomanagement, 2007, S. 81, m.w.N. Lachnit, L./Müller, St.: FS Strobel, 2001, S. 363 (369). Siehe dazu die Nachweise bei Huth, M.-A.: Risikoüberwachung, 2007, S. 64, Fn. 185. Hüffer, U.: AktG, 2006, § 91 Rn. 8, mit zahlreichen Nachweisen auch zur Gegenansicht. Ähnlich auch Hefermehl, W./Spindler, G., in: Kropff, B./Semler, J.: Aktiengesetz, 2004, § 91 Rn. 21, die allerdings die Verpflichtung, ein Überwachungssystem zum Erkennen bestandsgefährdender Entwicklungen daraus ableiten, dass der Oberbegriff „geeignete Maßnahme“ dieses impliziere, ebda Rn. 22, was aber noch nicht zur Einrichtung zwinge, das von Lachnit/Müller in der FS Strobel, 2001, S. 363 (368ff.), beschriebene ganzheitliche Risikoerfassungs- und -bewertungssystem zu implementieren (Rn. 23). Auch hier sei auf die Literatur verwiesen, die Huth, M.-A.: Risikoüberwachung, 2007, S. 69f., Fn. 228ff. zitiert.
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nur die Einhaltung einer Vorstandsmaßnahme überwachen oder ein existenzbedrohendes Ereignis abwenden soll, sondern generell auch geeignet sein muss, die Risiken zu beherrschen, die sich „auch aus der Aufsummierung vieler mittlerer und kleiner Risiken ergeben können“,29 die sich in der Summe eben auch als existenzgefährdend erweisen. Insofern ist die Meinung, dass es sich bei der Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystems um eine Organisationspflicht handele, bei der ein weiter Ermessensspielraum bestehe, zu kurz gegriffen. Die gesellschaftsrechtliche Meinung hat sich mit der Durchdringung des Geistes der Guten Unternehmensführung zu Recht immer mehr der betriebswirtschaftlichen Position angeglichen. Die Tendenz der Rechtsprechung, aus der ex post-Perspektive streng zu prüfen, ob die Sorgfaltspflichten, zu denen auch die Einrichtung eines Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG gehört, im Sinne von § 93 Abs. 1 S. 1 AktG vom Vorstand bzw. gem. § 43 GmbHG von der Geschäftsführung gewahrt wurden, lässt es angeraten erscheinen, die Kontroll- und Sicherungssysteme eines Risikomanagementsystems darauf hin zu überprüfen, ob sie dem neuesten Stand und der Komplexität und Risikogeneigtheit des Unternehmens entsprechen und dies auch zu dokumentieren. Eine Sorgfaltspflichtverletzung würde den Vorstand nach § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig machen (Innenhaftung). Zwar ist es richtig, dass der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien zum KonTraG im Wesentlichen eine Klarstellung der schon bislang bestehenden Sorgfaltspflichten angestrebt und eine Haftungsverschärfung nicht primär verfolgt hat. Es ist aber nicht zu verkennen, dass die in den letzten Jahren bekannt gewordenen eklatanten Fehlentscheidungen und Rechtsverletzungen des Managements und gleichzeitig steigende Anforderungen des Kapitalmarktes an die Risikobeherrschung eine Ausstrahlungswirkung auf die Anwendung der Vorschriften über die Sorgfaltspflichten in der Weise haben, dass die von der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftsprüfung30 erwarteten Standards einzuhalten sind. Nach alledem wird davon auszugehen sein, dass § 91 Abs. 2 AktG die Pflicht des Vorstands klarstellt, ein Risikoüberwachungssystem einzurichten, das in der Lage ist, das Risiko zu erkennen, zu kommunizieren, zu dokumentieren und zu beurteilen.31 Das Ergebnis der Beurteilung ist in einem Risikobericht festzuhalten. Dieses Ergebnis geht vollkommen mit der Meinung von Lachnit und Müller konform, wie es in dem Schaubild auf S. 206 des Lehrbuchs zum Unternehmenscontrolling anschaulich dargestellt wird.
29 30
Schwintowski, H.-P.: Anforderungen, 2005, S. 200 (201). Die Prüfung des Jahresabschlusses erstreckt sich ja nach § 317 Abs. 1 S. 1 HGB in Verbindung mit den IDW-Prüfstandards auch auf das Interne Kontrollsystem, dessen Bestandteil das (Risiko-)Überwachungssystem ist. 31 So auch Huth, M.-A.: Risikoüberwachung, 2007, S. 83-86.
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Risikoüberwachung und Compliance: gemeinsame Aufgaben für BWL und Rechtswissenschaft
Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft sollten den Brückenbegriff der Corporate Governance, mit dem sich die BWL wie das Gesellschaftsrecht befassen, zum Anlass nehmen, angesichts der in der Praxis der Kapitalgesellschaften sehr unterschiedlichen Komplexitätsgrade und Risikofaktoren die Kriterien für ein dem Unternehmen angemessenes Internes Kontrollsystem mit dem gesellschaftsrechtlich geforderten Überwachungssystem gemeinsam auszuloten und stärker zu konturieren. Die gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Regelungen, wie sie für Banken, Versicherungen oder den Stromhandel gelten, insbesondere die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) als aufsichtsrechtliche Regelung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zur Implementierung eines Risikomanagementsystems müssen in dieser Komplexität nicht Maßstab sein; ihnen kommt aber eine den gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsmaßstab beeinflussende Schrittmacherrolle zu.32 Das trifft in besonderer Weise auch für § 25 a Abs. 1 KWG zu, wonach die Unternehmensführung der Bank „über geeignete Regelungen zur Steuerung, Überwachung und Kontrolle der Risiken und der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowie über angemessene Regelungen, anhand deren sich die finanzielle Lage des Instituts … jederzeit mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt“, zu verfügen hat. Der These Fleischers,33 dass „Regelungen des Wirtschaftsaufsichtsrechts in ausgewählten Bereichen das Gesellschaftsrecht“ überholt haben und auf die aktienrechtliche Legalverfassung zurückwirken, ist nachdrücklich zuzustimmen. Die Unternehmensführungen sind mehr denn je für Good Governance sensibilisiert und erwarten von der Wissenschaft Unterstützung bei der Einführung von Risikoüberwachungssystemen. Die Zeit, in der ein überwiegender Teil von 700 börsennotierten Unternehmen überhaupt noch kein Risikomanagementsystem implementiert hat, dürfte zwar vorbei sein,34 die Unsicherheit über den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab bei der technischen, inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung des Überwachungssystems aber nicht. Es bietet sich sehr an, auch aus der Perspektive des Unternehmenscontrollings und des Gesellschaftsrechts, in die weiteren Arbeiten auch den Compliance-Gedanken stärker einzubeziehen. Wenn der Deutsche Corporate Governance Kodex Auswirkungen auf den Sorgfaltsmaßstab entfaltet und ein Risikomanagementsystem auch die Einhaltung aller Gesetze und externen sowie unternehmensinternen Regel32
Vgl. auch Preußner, J.: Risikomanagement, 2004, S. 303 (304), sowie dens.: Schrittmacherrolle, 2004, S. 57. 33 Fleischer, H.: Leitungsaufgabe, 2003, S. 1. 34 Das soll zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KonTraG der Fall gewesen sein; dazu Wolz, M.: Umsetzung, 2001, S. 789 (795).
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werke zu überwachen und letztlich sicher zu stellen hat, dann sind auch dafür die notwendigen Methoden und Werkzeuge zu entwickeln. Das Unternehmenscontrolling wird sich auch des Themas Compliance intensiver annehmen. Die Nachfrage nach Corporate Governance-Systemen ist groß; das Angebot entwickelt sich erst.
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Universitätscontrolling Stand und Herausforderungen
Univ.-Prof. Dr. Uwe Schneidewind Präsident der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg
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Controlling – Herausforderung für die Selbstdefinition von Universitäten .......... 229
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Controlling auf Ebene der Landeshochschulsteuerung ............................................ 232 2.1 Planungsebene....................................................................................................... 233 2.2 Informationsversorgungsebene........................................................................... 235 2.3 Kontrollebene ........................................................................................................ 237
3
Controlling auf der Ebene der Universitätssteuerung .............................................. 238 3.1 Planungsebene....................................................................................................... 238 3.2 Informationsversorgungsebene........................................................................... 240 3.3 Kontrollebene ........................................................................................................ 240
4
Controlling auf der Ebene der Fakultätssteuerung.................................................... 241 4.1 Planungsebene....................................................................................................... 241 4.2 Informationsversorgungsebene........................................................................... 242 4.3 Kontrollebene ........................................................................................................ 242
5
Fazit.................................................................................................................................. 243
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 244
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Universitätscontrolling
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Controlling – Herausforderung für die Selbstdefinition von Universitäten
Controlling als betriebswirtschaftlicher Steuerungsansatz hat es nicht leicht in deutschen Universitäten1: Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs zwischen Universiten und der Notwendigkeit von stärkerer Profilbildung wächst in den deutschen Universitäten die Sorge vor der „Verbetriebswirtschaftlichung“ und „Managerisierung“.2 Dies trifft sowohl innerhalb der Universitäten selber als auch in der hochschulpolitischen Diskussion auf massiven Widerstand: Carsten von Wissel (2007) zeigt sehr gut auf, woran dieses Unbehagen gegenüber betriebswirtschaftlichen Steuerungsansätzen liegt: Universitäten beschreiben sich in der Wahrnehmung vieler ihrer Mitglieder nicht als Organisationen. „Universitäten sind keine Unternehmen“ lautet das immer wieder geäußerte Stereotyp, das darauf hinweist, dass die Selbstbeschreibungen von Universitäten sehr viel eher angelehnt sind an ein Verständnis einer „losen Gemeinschaft Erkenntnis-Suchender“ oder einer „politischen Institution“ bzw. in einem etatistischem Verständnis dem einer „nachgeordneten Behörde“. Diese Selbstbeschreibungen stehen in einem erheblichen Widerspruch zu von außen an die Universitäten herangetragenen Anforderungen: Hier werden sie von der Hochschulpolitik, aber auch zunehmend von den Studierenden als Dienstleistungsunternehmen verstanden, insb. aber als Organisationen, die sich als Ganze im „Wettbewerb“ zu positionieren und zu behaupten haben. In Konsequenz dieses Verständnisses sind in den Universitäten der Grad institutioneller Autonomie erhöht und die Leitungen (Präsidien/Rektorate) in ihren Handlungsmöglichkeiten erheblich gestärkt worden.3 Es gilt daher: Das, was für Unternehmen selbstverständlich ist –sich als geschlossene Organisation zu verstehen-, ist für Universitäten erst noch auf dem Weg.
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In diesem Beitrag ist bewusst von „Universitäten“ und nicht allgemein von „Hochschulen“ die Rede, da sich Fachhochschulen in der Regel mit Management-orientierten Steuerungsansätzen leichter tun – u.a. auch deswegen, weil der Großteil der an ihnen lehrenden Hochschullehrerinnen über eigene Unternehmenserfahrungen verfügt. Dort, wo Begriffe in der Fachterminologie eingeführt sind, wie z. B. „Hochschulmanagement“ oder „Hochschulsteuerung“, werden diese im vorliegenden Beitrag auch so verwendet, beziehen sich im Kontext des Beitrages jedoch immer auf Universitäten. Vgl. als eine der pointierten aktuellen Kritiken Liessmann, K. P.: Unbildung, 2006, der es u.a. in folgender Form zuspitzt (S. 122): „Fast alle Steuerungs- und Kontrollverfahren wurden nicht aus den inneren Bedürfnissen und Strukturen der Universitäten entwickelt, sondern von außen, vor allem aus dem Bereich der Unternehmensberatung und der ihnen angeschlossenen Managementtechnologien, übernommen.“ Vgl. dazu z. B. von Wissel, C.: Organisationsproblem, 2007, S. 36 ff. oder auch Müller-Böling, D.: Vorstellungsstereotypen, 1994.
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Uwe Schneidewind
Dies hat unmittelbare Folgen für ein Universitätscontrolling: Denn wer „Controlling“ fordert und damit einen der wichtigsten betriebswirtschaftlichen Ansätze zur zielorientierten Steuerung von Organisationen, der impliziert automatisch, dass Hochschulen geschlossene Organisationen sind und der zielorientierten Gesamtsteuerung bedürfen. Er setzt quasi voraus, dass die Universität eine in sich integrierte, durch eine gemeinsame Leitung gesteuerte Organisation ist. Genau dies widerspricht aber dem Selbstverständnis vieler Universitätsmitglieder. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung wird der Widerstand gegen „Controlling“ dann zum Ausdruck der Auseinandersetzung über unterschiedliche Selbstbeschreibungen der Universität. Dieser von Universitätsleitungen täglich erfahrbare Befund steht in einem erheblichen Widerspruch zur Steuerungsrealität innerhalb von Universitäten. Denn natürlich finden auch heute in Universitäten umfassende Planungs-, Informationsversorgungsund Kontrollprozesse statt. Die Bedeutung aller dieser Einzelelemente für das Handeln in Hochschulen ist weitgehend akzeptiert. Dies sei nur an einigen Beispielen illustriert:
Bei der Akkreditierung von Studiengängen sowie bei Forschungsevaluationen werden umfassende Zahlen zur Bewertung der Lehre und Forschung erfasst und im Rahmen von Re-Akkreditierungen und von Re-Evaluationen auch kontrolliert.
Im Rahmen der wachsenden Zahl an Hochschulrankings wird die Leistungsfähigkeit von einzelnen Fächern und ganzen Hochschulen extern ermittelt – oft unter Rückgriff auf intern zur Verfügung gestellte Daten.
Im Zuge von indikatororientierten Mittelzuweisungen der Länder an Hochschulen legen die Hochschulen differenziert Rechenschaft über die erreichten forschungsund lehrbezogenen Indikatoren ab – dies sind insb. Zahlen wie Drittmittelvolumen, Promotionen, Zahl der Abschlüsse.
Hochschulen setzen immer öfter komplexe Change-Management-Projekte auf und gestalten diese im Sinne eines umfassenden Projektcontrollings.
Aber auch in wissenschaftlichen Kernbereichen bewähren sich stärker formalisierte Informations- und Kontrollverfahren: ein Beispiel sind kumulierte Habilitationsverfahren, bei denen mit Punkten gewichtete Beiträge in referierten Zeitschriften Auskunft darüber geben, wann eine Kandidatin bzw. ein Kandidat die Schwelle zur Eröffnung des Habilitationsverfahrens erreicht hat. Versteht man Controlling –wie in Praxis und Literatur üblich- als den Aufbau und Betrieb von führungsorientierten Planungs-, Informations- und Kontrollsystemen4, so lässt sich feststellen, dass Controlling im Sinne zahlreicher „Controlling-Inseln“ längst in Universitäten präsent ist. Diese Elemente wirken jedoch nicht in der Form in sich
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Vgl. z. B. Horváth, P.: Controlling, 2006.
Universitätscontrolling
geschlossener Planungs-, Informations- und Kontrollsysteme zusammen. Von einem geschlossenen „Universitätscontrolling“ kann nicht gesprochen werden. Eine solche mit Offensivität in die Universität hineingetragene Gesamt-ControllingsKonzeption sollte angesichts der eingangs skizzierten Widerstände auch gar nicht Ziel einer Universitätsleitung sein. Es scheint viel wichtiger, einen auch begrifflich „entspannten“ Umgang mit Universitätscontrolling zu pflegen5 und sich mehr darauf zu konzentrieren, dass die Planungs-, Informationsversorgungs- und Kontrollsysteme innerhalb einer Universität im Sinne einer möglichst guten Steuerung der Gesamtorganisation aufgebaut und aufeinander abgestimmt sind. Einem solchen Verständnis ist der vorliegende Beitrag verpflichtet. Er betrachtet den Stand der Planungs-, Informations- und Kontrollsysteme in Universitäten. Dabei konzentriert er sich bei der Darstellung auf die Analyse dieser Systeme auf drei Ebenen:
Landesebene: Die Hochschulsteuerung in Deutschland erfolgt entscheidend durch die hochschulpolitische Rahmensetzung auf der Ebene der einzelnen Bundesländer. Die meisten deutschen Hochschulen erhalten 80%-90% ihrer Mittel aus den jeweiligen Landeshaushalten. Die explizite (meistens aber implizite) Landesplanung gibt daher die Rahmenbedingungen für die Steuerung auf der Ebene der einzelnen Hochschule vor.
Universitätsebene: Auf der Ebene der einzelnen Universität erfolgt die gesamte Steuerung der Gesamtorganisation – häufig in Form allgemeiner Rahmensetzung für die Fakultäten und Fächer.
Fakultätsebene: Das „Kerngeschäft“ von Universitäten in Forschung und Lehre wird im Wesentlichen durch die Fächer und Fakultäten getragen. Die Planung, Informationsversorgung und das Controlling auf dieser Ebene sind für die Universitäten von zentraler Bedeutung. Ein in sich geschlossenes Universitätscontrolling benötigt daher idealerweise ein geeignetes Zusammenspiel von Planungs-, Informations- und Kontrollsystemen auf allen diesen drei Ebenen. Der Beitrag wird aufzeigen, dass hier noch erhebliche Defizite bestehen, und leitet daraus einige Perspektiven für die Zukunft eines Universitätscontrollings ab. Die Analyse basiert auf den Erfahrungen der Hochschulsteuerung aus der Perspektive einer Universitätsleitung.6 5 6
Vgl. als einem in diesem Sinne vorbildlichen Entwurf den Ansatz von Kappler, E.: Einführung Controlling, 2006. Der Autor ist seit 2004 Präsident der Universität Oldenburg – geprägt durch eine controllingaffine wissenschaftliche Sozialisation als Betriebswirt und in diesem Sinne auch immer wieder inspiriert durch die Arbeiten seines Oldenburger Kollegens Laurenz Lachnit. Zudem ist er u. a. als Vorsitzender des Lenkungskreises des Ausstattungs-, Kosten- und Leistungsvergleich norddeutscher Hochschulen (AKL) der HIS (Hochschulinformationssytem) GmbH und damit mit dem Stand der Universitätssteuerung in sehr unterschiedlichen Hochschulen und Bundesländern vertraut.
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Uwe Schneidewind
2
Controlling auf Ebene der Landeshochschulsteuerung
Von den rund 21,4 Mrd. Euro, die den Hochschulen in Deutschland jedes Jahr zufließen7, sind 17,3 Mrd. Euro Grundmittel, die über die Länderhaushalte zur Verfügung gestellt werden (die restlichen 4,1 Mrd. Euro setzen sich aus Drittmitteln und Verwaltungseinnahmen der Hochschulen zusammen).8 Die Landesfinanzierung der Hochschulen macht damit heute rund 80% ihrer Gesamtfinanzierung aus. Die Art der Zuweisung dieser Landesmittel und damit auch die Steuerung der Hochschulen innerhalb der Bundesländer hat sich in den letzten 10 Jahren erheblich verschoben. Kameralistische Finanzierungssysteme sind inzwischen fast flächendeckend durch Globalhaushalte abgelöst worden.9 Die Steuerung dieser Globalhaushalte durch die Landesregierungen erfolgt auf unterschiedlichen Wegen:
Zielvereinbarungen. Landesregierung und Hochschulen schließen Zielvereinbarungen ab. In diesen Zielvereinbarungen werden neben grundsätzlichen Fragen der strategischen Ausrichtung insb. die Einrichtung und Schließung von Studiengängen vereinbart. Die Zielvereinbarungen haben insb. eine politische Legitimationsfunktion gegenüber den Parlamenten für die zugewiesenen Mittel. Konkrete finanzielle Konsequenzen sind mit den Zielvereinbarungen bzw. der Einhaltung in der Regel nicht verbunden. Die Konsequenzen sind eher politischer und dann zumeist grundsätzlicher Natur: wie z.B. die Schließung ganzer Studiengänge an bestimmten Standorten oder die Zusammenlegung von Hochschulen, wie sie in den letzten Jahren in mehreren Bundesländern zu beobachten war.
Indikatorgesteuerte Mittelzuweisungen. Ein Teil der Globalhaushalte (in Niedersachsen ab 2009 z.B. 10%) werden über lehr- und forschungsbezogene Indikatoren zugewiesen.
Programmbezogene Zuweisungen. Neben den Grundzuweisungen behalten sich die Landesregierungen in der Regel vor, für konkrete (meistens forschungsorientierte oder mit Berufungen verbundene) Initiativen den Hochschulen zusätzliche
7 8
9
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Diese Zahl umfasst nicht die rund 9,1 Mrd. Euro umfassenden Verwaltungseinnahmen der Hochschulklinika aus dem Klinikbetrieb. Vgl. HRK: Hochschulen in Zahlen, 2007, wobei sich diese Zahlen auf die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes von 2004 beziehen. Neuere Zahlen auf Bundesebene liegen nicht vor. In den letzten drei Jahren haben sich an den Verhältnissen aber nur leichte Verschiebungen ergeben. Vgl. exemplarisch die sehr instruktiven Übersichtsbeiträge von Strobel, I.: Neue Steuerungssysteme, 2006 und Fangmann, H.: Hochschulsteuerung, 2006 zur Situation in Berlin und Nordrhein-Westfalen.
Universitätscontrolling
Mittel zuzuweisen. Die Programmmaßnahmen sind unmittelbar mit den Mitteln verknüpft. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden betrachtet werden, wie sich auf der Ebene des Landes die Planungs-, Informationsversorgungs- und Kontrollinstrumente darstellen.
2.1
Planungsebene
Die Planungssysteme in den Landeshochschulministerien befinden sich in fast allen Bundesländern in einem Transformationsprozess – ohne dass der Endpunkt dieser Transformationen schon klar zu bestimmen wäre. Bis weit in die 80er-Jahre waren Universitäten einer detaillierten input-orientierten Feinplanung der Landesministerien ausgesetzt. Flankiert durch eine kameralistische Finanzsteuerung waren sowohl Personal- als auch Sachmittel genau reguliert. Dennoch kann im Hinblick auf diese Steuerung kaum von Planungssystemen im Sinne eines Controllings gesprochen werden, da die Inputzuweisungen meistens inkrementell fortgeschrieben wurden. Mit Stärkung der Hochschulautonomie sowie Einführung von Globalhaushalten in den meisten Bundesländern seit den 90er-Jahren wandelte sich die Steuerungsphilosophie: An die Stelle einer detaillierten Inputsteuerung soll eine Outputsteuerung treten, die sich auf grundlegende „Ergebnisse“ des Hochschulhandelns konzentriert. Dazu gehören insb. Studierende und Absolventen in definierten Fächern, die Zahl ausgebildeter Doktoranden sowie erzielte Forschungsleistungen.10 Grundsätzlich gilt das Prinzip: Die Universitäten erbringen definierte Ergebnisse in ihren Kernaufgaben in Forschung und Lehre, dafür erhalten sie ein Globalbudget, über das sie frei verfügen können. In dieser Reinform ist diese Art der Landeshochschulsteuerung zwar in keinem Bundesland umgesetzt11, dennoch entwickeln sich alle Landeshochschulpolitiken in diese Richtung. Doch sind auch Globalhaushalte weit entfernt von vergleichbaren Budgetierungsprozessen in Unternehmen. Die Globalhaushalte wurden in der Regel durch die Verstetigung historischer Landesfinanzzuweisungen zum Zeitpunkt der Einführung festgesetzt. Eine Orientierung an konkreten Aufgabenspektren ist nicht erfolgt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Anpassungsspielräume der Landesregierungen in beide möglichen Richtungen beschränkt sind: (1) Höhere Budgets für unterfinanzierte 10
Wobei die Forschungsleistungen in der Regel über eingeworbene Drittmittel und damit über eine input-orientierte Ersatzgröße gemessen werden. 11 So findet Feinsteuerung weiterhin (mit unterschiedlichen Ausprägungen je nach Bundesland) z. B. auf der Ebene der Berufungspolitik, des Baumanagements, der Regulierung von Stromund Telekommunikationsverträgen sowie inhaltlichen Landesprogrammen statt.
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Universitäten scheitern in der Regel an der angespannten Lage von Länderhaushalten, (2) die Reduktion von Budgets, die in den letzten Jahren im Rahmen von Einsparprogrammen in vielen Bundesländern erfolgt ist, benötigt lange Anpassungszeiträume, da 60%-70% der Gesamtkosten der Universitäten im Personalbereich – zumeist in unbefristeten und nicht kündbaren Arbeitsverhältnissen - langfristig gebunden sind. Ansätze für Planungssysteme im engeren Sinne lassen sich daher derzeit nur in zwei Bereichen finden:
Dies ist einmal die Zuweisung eines Teils der Grundmittel über eine indikatororientierte Mittelzuweisung – orientiert an Outputgrößen in Forschung und Lehre (vgl. oben). Ein Teil des für die Hochschulen vorgesehenen Landeshaushaltes (in Niedersachsen sind es 10%) wird an die Hochschulen anhand dieser Indikatoren verteilt. Es handelt sich hierbei um ein „Nullsummenspiel“ für die Hochschulen, d.h. die relativ leistungsfähigeren Hochschulen werden gegenüber den relativ weniger leistungsfähigen Hochschulen besser gestellt. Es kommt jedoch zu keiner Anpassung der ausgeschütteten gesamten Mittel, d.h. auch im Falle einer erheblichen Leistungssteigerung oder eines erheblichen Leistungsabfalles aller Hochschulen bleibt das Gesamtbudget identisch. Sanktioniert werden nur die relativ schlechteren bzw. besseren Hochschulen. Dennoch ist die indikatororientierte Mittelzuweisung insofern Ausdruck eines Planungssystems, da die ausgewählten Indikatoren eine klare Orientierung über die Zielgrößen geben, an denen die Leistung der Hochschulen gemessen wird. Dies ermöglicht den Landesregierungen eine planende Akzentsetzung.12
Ein Planungsansatz, der am stärksten in die Richtung eines controlling-orientierten Planungssystems reicht, findet sich derzeit im Rahmen der Umsetzung des Hochschulpaktes 2020 und dem damit verbundenen Aufbau von gut 90.000 neuen Studienanfängerplätzen in Deutschland.13 Die Bundesregierung und die Bundesländer haben sich darauf verständigt, für den Aufbau der neuen Studienplätze 5.500 Euro pro Jahr und Studierenden zur Verfügung zu stellen.14 Bundesländer wie Niedersachsen haben diesen ihnen pauschal zur Verfügung stehenden Satz nach Studienfachgruppen ausdifferenziert, so dass Hochschulen für den Aufbau kostengünstigerer Studienplätze, z.B. in den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, eine geringere Förderung erhalten als für den Aufbau von Studienplätzen in teuren, laborintensiven Studiengängen, z.B. in den Natur- oder Ingenieurwissenschaften. In der Umsetzung des Hochschulpaktes 2020 finden sich damit ein-
12
Diese findet auch neben den genannten Hauptindikatoren (Absolventen, Doktoranden, Drittmittel) statt, indem z.B. bestimmte Zielindikatoren zur Frauenförderung oder zur Internationalisierung Eingang in die entsprechenden Indikatorsysteme finden. 13 Vgl. zum Hochschulpakt 2020 http://www.bmbf.de/de/6142.php, aufgerufen am 02.08.2007. 14 An dieser Stelle sei nicht weiter problematisiert, dass durch die Sonderegelungen für einzelne Stadtstaaten und die Neuen Bundesländer dieser ursprünglich vorgesehene Satz pro Studierenden bei der konkreten Umsetzung nicht ganz eingehalten wird.
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Universitätscontrolling
deutig Elemente eines Planungssystems: Vor dem Hintergrund der Planung von Mengen- und Preisgerüsten wird der Ausbau von Studienplätzen betrieben. Jedoch zeigt sich gleichzeitig, dass der Umgang mit solchen Planungssystemen für alle Beteiligten mit erheblichem Lernbedarf verbunden ist. Denn die Frage, wo die Planungsgrundlagen für den Aufbau neuer Studienplätze herkommen, ist erheblich umstritten: Wo sollen in welcher Zahl welche Studienplätze aufgebaut werden? Soll dies zentral für das ganze Bundesland oder bezogen auf Regionen innerhalb von Bundesländern geplant werden?15 Soll die Nachfrage von Studierenden relevant sein oder zu erwartende zukünftige Bedarfe am Arbeitsmarkt? Oder sollen die von Hochschulen im Rahmen ihrer nationalen und internationalen Profilbildungsstrategien geeigneten zusätzlichen Studienplätze/-angebote für den Ausbau Ausschlag gebend sein? All dies sind Fragen, die im Rahmen der Hochschulpakt 2020-Planungsprozesse umstritten und bisher alles andere als geklärt sind. Trotz der gerade skizzierten vereinzelten Planungsansätze auf Länderebene bleibt die Landesplanung unterdeterminiert und überlässt den einzelnen Universitäten erhebliche Freiheitsgrade für die eigene Planung – im Zuge der Stärkung der Hochschulautonomie ist dies ja durchaus auch politisch gewollt.
2.2
Informationsversorgungsebene
Da die Output-orientierte Steuerung auf Landesebene ein relativ junges Phänomen ist, bestehen im Hinblick auf die Informationsversorgungssysteme noch zahlreiche Defizite, die die Unterstützung von Planungs- und Kontrollprozessen erschweren. Die wichtigsten dieser Defizite seien im Folgenden benannt.
Unklare Datenabgrenzungen. Auch wenn Indikatoren wie „Absolventen in Regelstudienzeit“ oder „Drittmittel“ auf den ersten Blick nach einfach ermittelbaren Kenngrößen aussehen, erweist sich ihre Abgrenzung bei genaurem Hinsehen als alles andere als eindeutig. So können Drittmittel auf Einnahmen- (Umfang der Zuwendungen durch den Drittmittelgeber) oder Ausgabenbasis (Umfang der Verwendung) erfasst werden – mit erheblichen Konsequenzen für die Periodenabgrenzung. Weiterhin ist eine kosten- oder ausgabenorientierte Ermittlung möglich. Zudem gibt es unterschiedliche Abgrenzungen, was überhaupt als Drittmittel zu werten ist; so stellt sich z.B. die Frage, ob projekt- oder programmbezogene Zusatzzuwendungen des Landes an eine Hochschule als „Drittmittel“ zu werten sind. Bei großen Drittmittelprojekten mit mehreren Hochschulen können Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf die Zurechnung auf die einzelnen Hochschulen entste15
Einen solchen regionenbezogenen Ansatz ist das Land Baden-Württemberg gegangen, das mit seinem „Masterplan 2012“ den wohl differenziertesten Planungsprozess auf Länderebene vorgelegt hat: vgl. Ministerium: Masterplan, 2006.
235
Uwe Schneidewind
hen. Diese Aufzählung an Abgrenzungsherausforderungen ließe sich ohne Probleme fortsetzen. Auch die Ermittlung von Absolventen wird zu einem schwierigen Abgrenzungsproblem, wenn die Studiendauern („Absolventen in Regelstudienzeit“) als Gewichtungsfaktor berücksichtigt werden sollen, um die Zügigkeit der erfolgreichen Ausbildung an unterschiedlichen Hochschulen zu würdigen. Besonders schwierig wird die Datendefinition dann, wenn Produktivitätsmaße erfasst werden sollen, d.h. die Outputgrößen zum Personal- oder insb. einem finanziellen Input in Beziehung gesetzt werden sollen, da gerade bei der Berechnung von Ausgaben oder Kosten eines Faches oder einer Lehreinheit weitere umfassende Abgrenzungsprobleme bestehen.16
Unterschiedliche Datenerfassungssystematiken und –aggregationen. Alle der oben exemplarisch angedeuteten Abgrenzungsherausforderungen für die Daten sind Probleme, die grundsätzlich durch saubere Definitionen lösbar sind – und z.B. auch im kaufmännischen Rechnungswesen von Unternehmen gelöst werden. Im Hochschulbereich stellt sich derzeit das Problem, dass an der Datenerfassung jedoch unterschiedliche Akteure beteiligt sind, die teilweise mit verschiedenen Definitionen und Datenaggregationen arbeiten. Zu diesen Akteuren gehören u.a. die Hochschulen selber (die die Primärerfassung der Daten leisten müssen), die Ministerien, die Landesämter für Statistik, das Bundesamt für Statistik, Akkreditierungsund Evaluationsagenturen, Ratingorganisationen sowie externe Dienstleister wie die HIS AG, die mit ihrem Kosten- und Ausstattungsvergleich die Hochschulen und Landesregierungen in unterschiedlichen Ländern berät. Die Normierungsprozesse zwischen diesen Institutionen stehen erst ganz am Anfang und gestalten sich häufig sehr schwierig.
Unterschiedliche Qualitätsstandards in der Datenerfassung. Neben Unklarheiten in der Datendefinition bestehen Qualitätsmängel in der Datenerfassung. Viele der Daten (wie z.B. Promotionen, teilweise auch Absolventen) werden in den Hochschulen nur dezentral in den Fächern und Fakultäten erfasst. Je nach Personal-, Sach- und IT-Ausstattung passiert dies mit unterschiedlicher zeitlicher und inhaltlicher Zuverlässigkeit. Fehler auf der Erfassungsebene beeinträchtigen dann die Datenqualität auf allen weiteren Ebenen.
Heterogene Software-Landschaften. Schließlich wird das Informationsmanagement durch unterschiedliche Softwareumgebungen entlang der Informationskette erschwert. Neben in Hochschulen zum Einsatz kommenden Standardlösungen, z.B. von SAP, Baan oder den HIS-Softwareprodukten, existieren in vielen Hochschulen individuell programmierte Lösungen. Zudem ist –gerade auf der Ebene von Fächern und Fakultäten- häufig auch die Verarbeitung der Daten in selbst ges16
236
Vgl. hierzu exemplarisch den Kosten- und Ausstattungsvergleich der HIS GmbH, der das in dieser Hinsicht sicher differenzierteste Informationsinstrument darstellt und in dessen Rahmen die methodischen Herausforderungen umfassend reflektiert sind, vgl. Dölle, F., u. a.: Kennzahlenergebnisse, 2007.
Universitätscontrolling
talteten Excel-Tabellen üblich. Bei jeder Datenaggregation über Systemgrenzen hinweg besteht daher die Gefahr von Übertragungsfehlern. Die Informationsversorgungsebene stellt daher auf Landesebene eine große Herausforderung dar. Ihre Lösung ist auch deswegen von Bedeutung, weil erst mit dem Vertrauen in die klare Definition und die Verlässlichkeit der Daten die Akzeptanz in den Hochschulen wächst, sich auf Controlling-Ansätze (auf Landesebene) überhaupt einzulassen.
2.3
Kontrollebene
Angesichts der Defizite auf der Planungs- und der Informationsversorgungsebene erscheint es verständlich, dass die Kontrollebene auf der Landesebene bisher kaum ausgeprägt ist: Die Mittelzuweisungen über die indikatororientierten Vergaben passieren automatisiert. Hier erhalten die Hochschulen sozusagen ein unmittelbares Feedback auf ihre erbrachten Leistungen, weitere Rückkopplungen mit der Landesebene sind nicht mehr nötig. Die zwischen Land und den Hochschulen abgeschlossenen Zielvereinbarungen wären eigentlich eine hervorragende Grundlage für Kontrollschleifen des Landes mit den Hochschulen. Faktisch haben sie im Wesentlichen eine legitimatorische Funktion für die Landesparlamente. Trotz der Verpflichtung zu Zielberichten in einzelnen Bundesländern findet ein systematischer Ziel-Ergebnis-Abgleich kaum statt. Die Definition von konkreten Sanktionen bei fehlender Zielerreichung ist bisher auch nicht Gegenstand der abgeschlossenen Zielvereinbarungen. Es wird interessant zu verfolgen, wie im Rahmen des Ausbaus von Studienplätzen im Hochschulpakt 2020 Kontrollsysteme etabliert werden. Die Bundesregierung hat die Zahlung ihres Anteils an die Länder an die erfolgreiche Erhöhung der Studienanfängerzahlen bis zum Jahre 2010 geknüpft. Es wird daher zu einem Soll-Ist-Abgleich im Jahr 2010 kommen, der die Etablierung entsprechender Kontroll- und Sanktionsmechanismen auf Landesebene braucht. Die Erfahrungen im Rahmen des Hochschulpaktes 2020 könnten daher der Keim für die Weiterentwicklung von Kontrollsystemen zur Zielerreichung auf Landesebene werden.
237
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3
Controlling auf der Ebene der Universitätssteuerung
Auch wenn die Planungsvorgaben auf Landesebene für das Handeln der einzelnen Universität einen wichtigen Rahmen aufspannen, so haben die Ausführungen zur Landesebene deutlich gemacht, dass den einzelnen Universitäten umfassende Handlungsspielräume für eine eigenständige Hochschulplanung und damit den Aufbau entsprechender Planungs-, Informationsversorgungs- und Kontrollprozesse verbleiben. Im Folgenden wird eine Übersicht über die Planungs-, Informationsversorgungs- und Kontrollsysteme auf der Universitätsebene gegeben. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Universitäten auf dieser Ebene sind dabei noch größer als die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern auf der Landesebene.17 Dennoch sind Tendenzaussagen möglich, die sich auf den Großteil der staatlichen Volluniversitäten beziehen.
3.1
Planungsebene
Die Planungssysteme auf der Ebene der Universitäten befinden sich derzeit in einem intensiven Wandel. Planung auf Hochschulebene war lange Zeit „Strukturplanung“, d.h. die Zuschreibung und Weiterentwicklung von Stellenplänen auf die einzelnen Fächer bzw. auf Professuren/Lehrstühle innerhalb der Fächer. Diese Strukturplanung war in hohem Maße pfadabhängig: sie nahm von einem historischen Ist ihren Ausgangspunkt und wurde dann eher inkrementell weiterentwickelt. Auch durch die relativ schwachen Machtpositionen der Hochschulleitungen bis in die 80er Jahre hinein bestanden kaum Möglichkeiten zur Durchsetzung eines umfassenden Wandels. Mit zunehmendem Wettbewerbsdruck, der Steigerung der Autonomie der Hochschulen sowie der Stärkung der Hochschulleitungen bei oft gleichzeitiger Kürzung der Hochschulbudgets ab den 90er Jahren hat sich die Situation grundlegend gewandelt: Universitäten sind zunehmend gefordert, ihre Positionierung als gesamte Hochschule zu definieren und ihre (Struktur- und Budget-)Planungen darauf auszurichten.
17
238
So verfügen insbesondere einzelne medizinische Hochschulen aufgrund des unternehmerisch betriebenen Krankenversorgungsbetriebes teilweise über äußerst ausgereifte Controlling-Systeme, die sich auf die gesamte Hochschule erstrecken: vgl. z. B. für die Medizinische Hochschule Hannover Wichelhaus, D.: MHH, 2007. Aber auch einige staatliche VollUniversitäten sind den Weg der Einführung von geschlossenen Controlling-Ansätzen z. B. über eine Balanced Scorecard gegangen, vgl. z. B. für die Universität Mainz Einig, B./Lauer, F.: Balanced Scorecard, 2005.
Universitätscontrolling
Denn die Existenz solcher klaren Profile wird zunehmend ressourcen- und überlebensrelevant: Landesregierungen richten ihre Förderung an der Überzeugungskraft der Positionierungskonzepte aus, auch die Einwerbung externer Fördergelder gelingt nur bei klaren Positionierungsaussagen. Die entsprechenden Planungsanstrengungen haben einen entscheidenden Impuls durch die Exzellenzinitiative18 des Bundes erhalten. Gerade die dritte Förderlinie „Zukunftskonzepte“ des Exzellenzwettbewerbes prämiert(e) überzeugende, international wettbewerbsfähige Gesamtpositionierungen von Universitäten. Auch wenn letztlich nur maximal 10 Zukunftskonzepte (mit bis zu 100 Mio. Euro pro Konzept!) gefördert werden können19, so macht die Zahl von 74 deutschen Universitäten, die sich insgesamt an dem Exzellenzwettbewerb beteiligt haben, sowie 27 Universitäten, die in der ersten Runde Anträge zur 3. Förderlinie eingereicht haben, deutlich, welche Planungsimpulse von der Exzellenzinitiative ausgegangen sind. Inzwischen hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ein eigenes Programm zur Gesamtprofilbildung für kleine und mittlere Universitäten aufgelegt20, das auf hohe Resonanz in dieser Universitätsgruppe stößt und entsprechende Profilplanungen vorantreibt. Planungen zur langfristigen Gesamtausrichtung der Universität sind daher heute fast flächendeckend in allen deutschen Universitäten zu finden – ob in der Form der oben genannten Wettbewerbskonzepte oder in Form von „Leitbildern“ oder anderen Arten der Profilbeschreibung. Dies ist jedoch nur ein erster Schritt zu umfassenden Planungssystemen. Dafür gilt es, entsprechende Profile in konkrete (Teil-)ziele zu übersetzen und daraus Maßnahmenpläne abzuleiten. Der Entwicklungsstand auf dieser Ebene ist in den Universitäten sehr unterschiedlich: er reicht von eingeführten Balanced Scorecards21, der Übersetzung von Leitbildzielen in quantifizierbare „Eckpunkte“22 bis zu unterschiedlich ausdifferenzierten Formen der Zielvereinbarungen von Universitätsleitungen mit Fächern und Fakultäten, um die gesamtuniversitären Ziele auf der Ebene der einzelnen Fakultäten zu operationalisieren.
18 19 20
Vgl. http://www.bmbf.de/de/1321.php. Über die erfolgreichen Konzepte der 2. Runde wird im Oktober 2007 entschieden. Vgl. http://www.stifterverband.de/site/php/wirtschaft.php?seite=Programm&programmnr =49&detailansprechnr=733. 21 Vgl. die o. g. Beispiele von Mainz sowie der MHH Hannover. 22 Diesen Weg ist die Universität Oldenburg mit ihrem im Jahr 2005 verabschiedeten Leitbild 2010 (vgl. http://www.uni-oldenburg.de/uni/14680.html) gegangen, indem das Leitbild in konkrete Ziele in Form von Eckpunkten „übersetzt“ wird.
239
Uwe Schneidewind
3.2
Informationsversorgungsebene
In den Universitäten selber gelten im Hinblick auf die Informationsversorgungssysteme ähnliche Probleme, wie sie auf der Länderebene skizziert wurden. Die Universitäten leiden unter den Problemen der fehlenden einheitlichen Datenabgrenzung, Qualitätsschwächen in der Datenerfassung sowie der Heterogenität der Softwarelandschaft. Dies führt dazu, dass in den meisten Universitäten zahlreiche Datengrundlagen unterschiedlicher Herkunft und Qualität die Grundlage für Planungs- und Kontrollprozesse darstellen. Gerade wenn auf der Basis solcher Zahlen ressourcenrelevante Entscheidungen zu treffen sind, werden die Daten sowie die Datenqualitäten selber schnell zum Spielball inneruniversitärer Konflikte: Fächer und Organisationseinheiten argumentieren mit Datenabgrenzungen und –grundlagen, die den eigenen Interessenlagen entgegenkommen. Davon abweichendes Zahlenmaterial wird in Frage gestellt. Einem umfassenden Datenqualitätsmanagement kommt daher auf Universitätsebene eine zentrale Bedeutung zu: Es muss in der Universität klar definiert und vereinbart sein,
für welche Ziele und welche Adressaten, mit welchen Daten, aus welchen Quellen, in welcher Erhebungsqualität Planungen und Entscheidungen durchgeführt werden. Die Umsetzung eines solchen Datenqualitätsmanagements steht in den meisten Universitäten erst am Anfang.
3.3
Kontrollebene
Aufgrund des skizzierten Entwicklungstandes auf der Planungs- und Informationsversorgungsebene sind etablierte Kontrollsysteme auch auf Universitätsebene eher die Ausnahme. Je konkreter die Profilstrategien von Universitäten in Zukunft in Ziele übersetzt und im Rahmen von Zielvereinbarungen mit den Fakultäten verbindlich beschlossen werden, desto stärker werden sich vermutlich auch definierte Kontrollstrukturen entwickeln. Dieses Schließen des Controlling-Regelkreises ist auch für Bereiche eine Herausforderung, in denen in den Universitäten heute schon eine differenzierte Datenerfassung vorliegt. Ein prominentes Beispiel dafür sind Lehrveranstaltungsevaluationen. U.a.
240
Universitätscontrolling
aufgrund entsprechender gesetzlicher Vorgaben in den meisten Bundesländern werden in immer mehr Universitäten die Lehrveranstaltungen durch Studierende flächendeckend bewertet. Durch die Fragebögen liegt diesen Befragen letztlich (zumindestens implizit) auch eine Zielvorstellung von „guten“ Lehrveranstaltungen zugrunde. In welcher Form eine geeignete „Kontrolle“ der Ergebnisse und eine Ableitung von Maßnahmen aus den Ergebnissen erfolgen soll, ist aber in vielen Universitäten noch ungeklärt und z.T. heftig umstritten.23 Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die Universitäten mit hochschuladäquaten Kontrollformen und –prozessen ebenfalls erst ganz am Anfang stehen.
4
Controlling auf der Ebene der Fakultätssteuerung
Die Fakultäten stehen im Hinblick auf die Entwicklung von Controllingssystemen in einem Dilemma: Zum einen sind sie der Ort der zentralen Leistungserbringung innerhalb der Universitäten, zum anderen hängen sie bei der Etablierung von Planungs-, Informations- und Kontrollsystemen entscheidend von dem Entwicklungsstand auf der Universitäts- und Landesebene ab. Die Fakultäten haben zudem das Problem, insbesondere, wenn es sich um kleine Fakultäten handelt, dass sie nur bedingt über entsprechend qualifiziertes Verwaltungspersonal verfügen, um eigene Planungs-, Informations- und Kontrollsysteme betreiben zu können. Die immer stärkere Einführung von Fakultätsgeschäftsführer(innen) sowie die allgemeine Professionalisierung der Steuerung von Fakultäten ist ein wichtiger Schritt zur Reduktion dieser Defizite.
4.1
Planungsebene
Die Umsetzung von Profilbildungsstrategien kann letztlich planerisch nur durch eine federführende Begleitung der Fakultäten passieren. Hier existiert das Wissen über die fachimmanenten Forschungs- und Lehrzusammenhänge. Die Verknüpfung von Forschungs- und Lehrzielen mit dafür benötigten Personal- und Sachmittelressourcen muss auf der Ebene der Fakultäten passieren.
23
So spielen einige Universitäten die Ergebnisse nur an die jeweiligen Lehrenden zurück, andere lassen die Studiendekane Einblick nehmen und diese über Maßnahmen entscheiden, andere machen die Ergebnisse öffentlich, ohne konkrete weitere Maßnahmen, etc.: das Spektrum ist hier äußerst weit.
241
Uwe Schneidewind
Neben der fehlenden administrativen Unterstützung leiden die Fakultäten bei der Umsetzung entsprechender Planungen eher an mikropolitischen Strukturproblemen als an mangelnder fachlicher Planungskompetenz: die Umsetzung von Profilbildungsstrategien ist häufig mit Konfliktpotenzialen zwischen Fächern und Personen verbunden, weil sie mit der relativen Stärkung bestimmter Forschungs- und Lehrbereiche einhergeht. Die Erarbeitung und Durchsetzung solcher Profilbildungsstrategien ist eine erhebliche Anforderung an häufig nur auf zwei Jahre gewählte ehrenamtliche Dekan(inn)e(n), die danach wieder in den Kolleg(inn)enkreis zurückkehren. Die entsprechenden Planungen und ihre Durchsetzung können daher nur durch ein enges Zusammenspiel und eine gute Rollenverteilung zwischen Hochschulleitung und Fakultätsleitung funktionieren.
4.2
Informationsversorgungsebene
Auf der Informationsversorgungsebene leiden die Fakultäten in besonderem Maße unter den Defiziten auf der Universitäts- und Landesebene. Auch dort, wo universitätsseitige Systeme existieren, sind diese oft nur eingeschränkt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Fakultätsebene zugänglich bzw. individualisiert im Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse nutzbar. Die Folge ist dann häufig der Aufbau von parallelen Informationssystemen: Neben dem Universitätssystemen werden Zahlen und Auswertungen nochmals mit viel Aufwand in eigene Systeme oder in Excel-Tabellen übertragen, um sie für die eigenen Planungs- und Entscheidungstatbestände nutzbar zu machen. Hier liegt die Herausforderung darin, die universitätsweiten Systeme so zu gestalten und zu programmieren, dass sie individualisiert auch die Informationsbedürfnisse auf der Fakultätsebene befriedigen können.
4.3
Kontrollebene
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen auf der Planungs- und Informationsversorgungsebene funktionieren Kontrollschleifen auf der Fakultätsebene aufgrund der Engmaschigkeit des Regelkreises häufig noch am besten – sofern sie praktiziert werden: Wenn Fakultäten z.B. leistungsorientierte Sachmittel- oder auch Personalzuweisungen einmal vereinbart haben, dann sind die Kontrollmechanismen zumeist auch sehr gut etabliert. Auf dieser Ebene können Universitätsleitungen und Landeshochschulverwaltungen durchaus einiges von den Systemen auf Fakultätsebene lernen.
242
Universitätscontrolling
5
Fazit
Die gerade skizzierten Entwicklungslinien sollen im Folgenden in einigen Thesen zu den Entwicklungsperspektiven des Universitätscontrollings zusammengefasst werden: 1. Die Einführung von Controlling als geschlossener Steuerungskonzeption ist im Universitätsbereich vermutlich noch auf einige Zeit schwer flächendeckend durchsetzbar. Die Etablierung von aufeinander abgestimmten Planungs-, Informationsversorgungs- und Kontrollsystemen ist aber heute schon ohne Probleme möglich und findet im deutschen Universitätssystem auch statt. 2. Universitätscontrolling muss als Drei-Ebenen-Ansatz verstanden werden, der die Landes-, die Universitäts- und die Fakultätsebene miteinander verzahnt. 3. Auf allen diesen drei Ebenen findet man ein Ozillieren zwischen dem Anspruch auf eine Gesamtplanung und der Gewährung von hoher Autonomie für die nachgeordnete Ebene. Dies gilt sowohl für das Verhältnis von Landessteuerung zu den Universitäten als auch von den Universitätsleitungen zu den Fakultäten. In der Zukunft gilt es, die richtigen Gleichgewichte zwischen Rahmensetzung und individueller Füllung der Rahmen durch entsprechende Planungs-, Informations- und Kontrollsysteme zu unterstützen. 4. Die Entwicklung, Optimierung und Abstimmung der Planungssysteme auf Landes-, Hochschul- und Fakultätsebene stellt die größte und vermutlich am längsten dauernde Herausforderung dar. Die Defizite auf der Ebene der Informationsversorgungssysteme können und müssen heute schon mit Nachdruck angegangen werden. Sie schaffen die Grundlage für einen funktionierenden ControllingKreislauf. Auf der Ebene der Kontrollsysteme sollten Landesverwaltungen und Hochschulleitungen universitätsadäquate Formen erproben. Der Blick auf funktionierende Systeme in den Fakultäten sowie die Erfahrungen im Umgang mit dem Hochschulpakt 2020 können dafür eine gute Grundlage liefern. Auf diese Weise entsteht in Universitäten eine zunehmende Sensibilisierung für die produktive Kraft des geschlossenen Controlling-Regelkreises aus Planung – Entscheidung/Handeln - Kontrolle.
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245
Betriebliche Weiterbildung und Controlling Zu einem schwierigen Verhältnis aus wirtschaftspädagogischer Sicht ȱ ȱ ȱ Univ.ȬProf.ȱDr.ȱKarinȱRebmannȱ InhaberinȱdesȱLehrstuhlsȱfürȱBerufsȬȱundȱWirtschaftspädagogik,ȱȱ InstitutȱfürȱBetriebswirtschaftslehreȱundȱWirtschaftspädagogik,ȱFak.ȱIIȱ CarlȱvonȱOssietzkyȱUniversitätȱOldenburgȱȱ AmmerländerȱHeerstraßeȱ114Ȭ118,ȱ26129ȱOldenburgȱ ȱ ȱ Dr.ȱDietmarȱTredopȱ MitarbeiterȱamȱLehrstuhlȱfürȱBerufsȬȱundȱWirtschaftspädagogik,ȱȱ InstitutȱfürȱBetriebswirtschaftslehreȱundȱWirtschaftspädagogik,ȱFak.ȱIIȱ CarlȱvonȱOssietzkyȱUniversitätȱOldenburgȱȱ AmmerländerȱHeerstraßeȱ114Ȭ118,ȱ26129ȱOldenburgȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
1
Einleitung ........................................................................................................................ 249
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InputcontrollingȬPhaseȱalsȱAusgangspunktȱeinesȱWeiterbildungsȬControllings .. 250
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WeiterbildungsȬControllingȱausȱwirtschaftspädagogischerȱSicht............................ 254
4
Schlussbetrachtung ........................................................................................................ 258
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 261 ȱ
247ȱ
Betriebliche Weiterbildung und Controlling
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Einleitung
Betrachtetȱ manȱ dieȱ Controllingliteraturȱ zeigtȱ sichȱ spätestensȱ seitȱ denȱ 1990erȱ Jahrenȱ eineȱ veränderteȱ Sichtweiseȱ aufȱ dieȱ Mitarbeiterrolleȱ imȱ Unternehmen.ȱ Esȱ bestehtȱ einȱ weitgehenderȱ Konsensȱ dahingehend,ȱ dassȱ dieȱ humanenȱ Ressourcen,ȱ verstandenȱ alsȱ „Kompetenzen,ȱ Talentȱ undȱ Wissenȱ derȱ Mitarbeiter“1,ȱ dieȱ aufȱ langeȱ Sichtȱ wichtigstenȱ ErfolgsfaktorenȱeinesȱUnternehmensȱdarstellen.ȱȱ Indemȱ dieȱ betrieblicheȱ Weiterbildungȱ „dieȱ originäreȱ Domäneȱ derȱ Organisationȱ vonȱ Lernprozessen“2ȱdarstellt,ȱistȱsieȱfürȱdieȱKompetenz(weiter)entwicklungȱderȱMitarbeiȬ terȱ zuständig.ȱ Damitȱ erfahrenȱ dieserȱ Bereichȱ undȱ damitȱ (auch)ȱ eineȱ pädagogischeȱ PerspektiveȱaufȱdasȱUnternehmenȱeineȱerhöhteȱBedeutungszuweisung.ȱInsofernȱistȱesȱ nurȱ konsequent,ȱ wennȱ Papmehlȱ WeiterbildungsȬControlling,ȱ dessenȱ UntersuchungsȬ objektȱdieȱbetrieblicheȱWeiterbildungȱdarstellt,ȱdefiniertȱalsȱdieȱSteuerungȱundȱFördeȬ rungȱ sämtlicherȱ Aktivitäten,ȱ „dieȱ derȱ Entwicklungȱ desȱ geistigenȱ Potentialsȱ undȱ derȱ Persönlichkeitȱderȱ Mitarbeiterȱ dienenȱ undȱ gleichzeitigȱ demȱ Zielȱ gerechtȱ werden,ȱ denȱ MitarbeiterȱalsȱMitunternehmerȱzuȱentwickeln“.3ȱ Dasȱ WeiterbildungsȬControllingȱ nimmtȱ seitȱ seinerȱ begrifflichenȱ Einführungȱ 1984ȱ durchȱ Gmelinȱ diesȱ insofernȱ auf,ȱ alsȱ seitȱ Mitteȱ derȱ 1990erȱ Jahreȱ einȱ generellerȱ soȱ geȬ nannterȱbimentalerȱZugangȱzumȱWeiterbildungsȬControllingȱbetontȱwird.ȱHierbeiȱgehtȱ esȱumȱdieȱgleichberechtigteȱBerücksichtigungȱeinesȱökonomischenȱundȱeinesȱpädagoȬ gischenȱZugriffs.4ȱWeiterbildungsȬControllingȱistȱdadurchȱimȱSchnittpunktȱderȱSysteȬ meȱ „Wirtschaft“ȱ undȱ „Pädagogik“ȱ zuȱ verorten,ȱ dientȱ somitȱ gleichermaßenȱ ökonomiȬ schenȱ Verwertungsinteressenȱ undȱ individuellenȱ Entwicklungsansprüchen.ȱ Erstȱ inȱ diesemȱ Zusammenspielȱ lassenȱ sichȱ dieȱ Spezifikaȱ vonȱ betrieblichenȱ WeiterbildungsȬ maßnahmenȱerfassen,ȱdaȱMitarbeiterȱzugleichȱKonsumentenȱundȱProduzentenȱ(„ProȬ sumenten“)ȱbetrieblicherȱWeiterbildungȱsind.ȱSieȱstellenȱsomitȱausȱUnternehmenssichtȱ einerseitsȱ ökonomischȱ zuȱ verwertendeȱ Ressourcenȱ darȱ (Personalentwicklung)ȱ undȱ sindȱandererseitsȱimȱRahmenȱihrerȱselbstȱproduziertenȱWeiterbildungsprozesseȱLernȬ subjekteȱ mitȱ jeȱ eigenenȱ Bedürfnissenȱ (Persönlichkeitsentwicklung).ȱ WeiterbildungsȬ Controllingȱ befindetȱ sichȱ demzufolgeȱ inȱ einemȱ SpannungsȬȱ bzw.ȱ Wechselverhältnisȱ zwischenȱ ökonomischȱ Notwendigemȱ undȱ Machbaremȱ einerseitsȱ undȱ pädagogischȱ ErstrebenswertemȱundȱWünschenswertemȱandererseits.ȱȱ Vorȱ diesemȱ Hintergrundȱ stelltȱ sichȱ dieȱ Frage,ȱ inwiefernȱ dasȱ WeiterbildungsȬ Controllingȱ seinemȱ Anspruchȱ gerechtȱ wird,ȱ zugleichȱ ökonomischeȱ VerwertungsinteȬ ressenȱundȱeineȱpädagogischȱverstandeneȱSelbstbestimmungȱzuȱerfüllen.ȱAllgemeinerȱ formuliertȱgehtȱesȱumȱdieȱFrage,ȱinwiefernȱimȱWeiterbildungsȬControllingȱeineȱgegenȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ 2ȱȱ 3ȱȱ 4ȱȱ
Kaplan,ȱR.ȱS./Norton:ȱD.ȱP.,ȱStrategyȱMaps,ȱ2004,ȱS.ȱ12.ȱȱ Brauner,ȱE./Becker,ȱA.:ȱWissensmanagement,ȱ2004,ȱS.ȱ236.ȱ Papmehl,ȱA.,ȱPersonalȬControlling:ȱ1999,ȱS.ȱ52.ȱ Vgl.ȱz.ȱB.ȱvonȱLandsberg,ȱG.ȱv.:ȱBildungsȬControlling,ȱ1995.ȱ
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seitigȱanschlussfähigeȱInteraktionȱzwischenȱdenȱSinnzuweisungenȱdesȱSystemsȱ„WirtȬ schaft“ȱundȱdesȱSystemsȱ„Pädagogik“ȱerfolgt.5ȱDieseȱFrageȱwirdȱimȱFolgendenȱexemȬ plarischȱimȱ Rahmenȱ derȱ InputcontrollingȬPhaseȱ erörtert,ȱdaȱ dieseȱ sowohlȱ inȱ theoretiȬ schenȱ alsȱ auchȱ inȱ praktischenȱ Erörterungenȱ zumȱ WeiterbildungsȬControllingȱ eineȱ herausragendeȱStellungȱeinnimmt.6ȱ
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Inputcontrolling-Phase als Ausgangspunkt eines WeiterbildungsControllings
Controllingȱ wirdȱ vornehmlichȱ alsȱ führungsunterstützendesȱ Instrumentȱ interpretiert,ȱ dasȱderȱRationalitätssicherungȱvonȱEntscheidungsprozessenȱdient.ȱPlanung,ȱInformaȬ tionsversorgungȱundȱKontrolleȱstellenȱhierbeiȱdenȱzentralenȱEngpassȱrationalerȱUnterȬ nehmensführungȱdar.ȱDarausȱableitendȱistȱdieȱzentraleȱAufgabeȱeinesȱWeiterbildungsȬ Controllingsȱ inȱ derȱ Rationalitätssicherungȱ desȱ Funktionszyklusȱ einerȱ proaktivenȱ beȬ trieblichenȱWeiterbildungȱzuȱsehen.7ȱJederȱWeiterbildungsfunktionȱsindȱsomitȱspezifiȬ scheȱWeiterbildungsȬControllingȬProzesseȱzuzuordnen.8ȱ ImȱRahmenȱderȱInputcontrollingȬPhaseȱstehtȱdieȱWeiterbildungsfunktionȱ„BedarfsanaȬ lyse“ȱimȱMittelpunktȱderȱBetrachtung.ȱIhreȱzentraleȱAufgabeȱbestehtȱdarin,ȱsystematiȬ scheȱDatenȱfürȱdieȱPlanungȱundȱSteuerungȱdesȱWeiterbildungsprozessesȱbereitzustelȬ len.9ȱAlleȱVerfahrenȱderȱBildungsbedarfsanalyseȱkönnenȱimȱPrinzipȱaufȱdasȱzweistufiȬ geȱ Verfahrenȱ vonȱ Schönfeldtȱ (1967)ȱ zurückgeführtȱ werden,ȱ Unterschiedeȱ bestehenȱ lediglichȱinȱderȱunterschiedlichȱausgeprägtenȱDifferenziertheit.10ȱDiesȱzeigtȱsichȱauchȱ beiȱderȱMehrzahlȱderȱLehrbuchȬDarstellungen,ȱwieȱsichȱexemplarischȱbeiȱBeckerȱ(1999)ȱ zeigenȱlässt:ȱDerȱBedarfȱergibtȱsichȱausȱeinerȱSollȬIstȬAbweichung,ȱdieȱ„inȱeinemȱzweiȬ stufigenȱ Verfahren,ȱ derȱ Anforderungsanalyseȱ undȱ derȱ Adressatenanalyse,ȱ ermitteltȱ [wird]“.11ȱ EineȱBedarfsanalyseȱerfolgtȱdemnachȱdurchȱeinenȱAbgleichȱdesȱSollȬZustandsȱmitȱdemȱ IstȬZustand.ȱ Derȱ Bildungsbedarfȱ müssteȱ dannȱ nurȱ nochȱ „heraussubtrahiert“ȱ werden,ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 5ȱȱ ZumȱhierȱzugrundeȱliegendenȱSystemverständnisȱvgl.ȱTredop,ȱD.,ȱWeiterbildungsȬ 6ȱȱ 7ȱȱ 8ȱȱ 9ȱȱ 10ȱȱ 11ȱȱ
Controlling,ȱimȱErscheinen.ȱ Vgl.ȱz.ȱB.ȱSeusing,ȱB./Bötel,ȱC.:ȱBedarfsanalyse,ȱ2000.ȱ Vgl.ȱBrettel,ȱM.:ȱBildungscontrolling,ȱ1999.ȱ Vgl.ȱhierzuȱTredop,ȱD.:ȱAnalytischeȱErkundungen,ȱ2006.ȱ Vgl.ȱHuisinga,ȱR./Lisop,ȱI.:ȱWirtschaftspädagogik,ȱ1999,ȱS.ȱ309.ȱ Vgl.ȱMüller,ȱH.ȬJ./Stürzl,ȱW.:ȱBedarfsanalyse,ȱ1992,ȱS.ȱ106.ȱ Becker,ȱM.:ȱAufgabenȱundȱOrganisation,ȱ1999,ȱS.ȱ118.ȱ
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wobeiȱalsȱAusgangspunktȱdieserȱSubtraktionȱSollȬProfileȱbzw.ȱaktuelleȱoderȱzukünftiȬ geȱ Anforderungenȱ dienen.ȱ Konsequenzȱ hierausȱ wäre,ȱ dassȱ dieȱ Mitarbeiterȱ soȱ langeȱ Weiterbildungsmaßnahmenȱ„durchlaufen“,ȱbisȱsieȱsichȱdenȱAnforderungenȱangepasstȱ haben.ȱȱ Diesȱistȱnachvollziehbar,ȱwennȱwieȱbeiȱKußȱ(2000)ȱdieȱGrundlageȱfürȱdieȱBedarfsanalyȬ seȱ einȱ SollȬProfilȱ bildet,ȱ „inȱ demȱ dieȱ Anforderungenȱ anȱ dieȱ Mitarbeiterȱ detailliertȱ inȱ ihrenȱ Komponentenȱ undȱ ihrenȱ Ausprägungenȱ dargestelltȱ sind“.12ȱ Hummelȱ (1999)ȱ betontȱ zudem,ȱ dassȱ dieseȱ „Formȱ derȱ Qualifikationsbedarfsanalyseȱ …ȱ dieȱ BeantworȬ tungȱderȱFragenȱnachȱderȱbetroffenenȱZielgruppeȱ(Wer),ȱnachȱdenȱbetrieblichenȱZielenȱ (Wofür)ȱsowieȱnachȱInhaltenȱ(Was)ȱundȱderȱzeitlichenȱLageȱ(Wann)ȱderȱerforderlichenȱ Qualifizierungȱ[erlaubt].ȱSieȱführenȱdamitȱzuȱtreffsicherenȱAussagenȱüberȱdenȱqualitaȬ tivenȱ undȱ quantitativenȱ Qualifizierungsbedarf“.13ȱ Dieȱ Rolleȱ individuellerȱ Zieleȱ oderȱ dieȱvoraussetzungsvollenȱBedingungenȱzurȱZielerreichungȱwerdenȱkonzeptionellȱeherȱ nachrangigȱ angesprochen,ȱ daȱ individuelleȱ Zieleȱ nichtȱ inȱ dasȱ Schemaȱ einerȱ rationalenȱ Planungȱpassen,ȱdieȱfürȱdasȱ(WeiterbildungsȬ)Controllingȱkonstitutivȱist.14ȱ Bedarfsanforderungenȱ(SollȬProfile)ȱsindȱjedochȱkeineȱ„entscheidungsȬȱundȱinterpretaȬ tionsunabhängige,ȱ keineȱ vonȱ denȱ Interessenȱ ihrerȱAutorenȱ wieȱ ihrerȱ Rezipientenȱ unȬ beeinflußten,ȱ keineȱ unbeeinflußbaren,ȱ keineȱ einheitlichenȱ (…)ȱ Größen“15.ȱ Damitȱ sindȱ AnforderungenȱkeineȱTatsachen,ȱsondernȱTatsachenfeststellungen,ȱdieȱInterpretationsȬȱ undȱEntscheidungsprozesseȱvoraussetzen.ȱSieȱsindȱinsofernȱauchȱkeineȱMaximenȱoderȱ Determinanten,ȱ sondernȱ „nur“ȱ zuȱ berücksichtigendeȱ Realisierungsbedingungenȱ fürȱ (bildungs)praktischesȱ Handeln.16ȱ Trotzdemȱ gerätȱ beiȱ denȱ Bestimmungsgrößenȱ desȱ Weiterbildungsbedarfsȱ relativȱ undifferenziertȱ dieȱ Bedarfsnachfrageȱ „des“ȱ UnternehȬ mensȱ(SollȬProfileȱbzw.ȱAnforderungen)ȱinȱdenȱBlick.ȱWerȱjedochȱ„das“ȱUnternehmenȱ ist,ȱbleibtȱzumeistȱsehrȱvage.17ȱ JedeȱFormȱderȱBedarfsbestimmungȱbleibtȱinsofernȱsoȱlangeȱinstrumentellȱundȱobjektiȬ vistisch,ȱ solangeȱ nichtȱ alleȱ hinterȱ einemȱ Bedarfȱ stehendenȱ Interessenȱ reflektiertȱ werȬ den.ȱ Indemȱ Bedarfsanforderungenȱ „vonȱ sozialenȱ Auseinandersetzungenȱ abhängigeȱ undȱsozialemȱHandelnȱzugänglicheȱGrössenȱsind“18,ȱistȱdieȱNotwendigkeitȱeinesȱWeiȬ terbildungsbedarfsȱnichtȱinȱeinerȱAbleitungȱvonȱAnforderungenȱausȱarbeitsorganisatoȬ rischenȱund/oderȱproduktionstechnologischenȱ„Gegebenheiten“ȱzuȱsehen.19ȱȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 12ȱȱ 13ȱȱ 14ȱȱ 15ȱȱ 16ȱȱ 17ȱȱ 18ȱȱ 19ȱȱ
Kuß,ȱH.:ȱQualitätscontrolling,ȱ2000,ȱS.ȱ65.ȱ Hummel,ȱT.ȱR.:ȱBildungscontrolling,ȱ1999,ȱS.ȱ62.ȱ Vgl.ȱhierzuȱBecker,ȱA.:ȱControlling,ȱ2003;ȱTredop,ȱD.,ȱAnalytischeȱErkundungen,ȱ2006.ȱ Heid,ȱH.:ȱBeruflicheȱBildung,ȱ1998,ȱS.ȱ39.ȱ Vgl.ȱHeid,ȱH.:ȱVereinbarkeit,ȱ1999,ȱS.ȱ232.ȱ Vgl.ȱexemplarischȱbeiȱMohr,ȱM./Krcmar,ȱH.:ȱBildungscontrolling,ȱ2005,ȱS.ȱ6.ȱ Heid,ȱH.:ȱWeiterbildung,ȱ1996,ȱS.ȱ25.ȱ Vgl.ȱ exemplarischȱ fürȱ eineȱ solcheȱ Begründungȱ Hummel,ȱ T.ȱ R.:ȱ Bildungscontrolling,ȱ 1999,ȱ S.ȱ51.ȱ
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Dieserȱ Begründungskontextȱ istȱ zuȱ vereinfachend,ȱ daȱ dieȱ (vermeintlichȱ objektiven)ȱ Sachverhalteȱ bzw.ȱ Gegebenheiten,ȱ aufȱ dieȱ beiȱ derȱ Ableitungȱ vonȱ (BedarfsȬ)AnforȬ derungenȱ Bezugȱ genommenȱ wird,ȱ Resultateȱ vonȱ Zweckbestimmungen,ȱ EntscheidunȬ genȱ undȱ Handlungenȱ sind.20ȱ Diesȱ bedingtȱ wiederum,ȱ dassȱ einȱ Weiterbildungsbedarfȱ keineȱfeststehendeȱGrößeȱistȱundȱeinfachȱzuȱermittelnȱist.ȱVielmehrȱbedarfȱesȱrekursiȬ verȱ Diskussionsprozesse.ȱ Esȱ handeltȱ sichȱ beimȱ Bedarfsbegriffȱ demzufolgeȱ umȱ einenȱ relationalenȱBegriff.ȱȱ Dieȱ beschriebene,ȱ gängigeȱ Begriffsbestimmungȱ desȱ Weiterbildungsbedarfsȱ istȱ daherȱ nichtȱangemessen,ȱebenȱweilȱsichȱderȱWeiterbildungsbedarfȱnichtȱobjektivȱbestimmenȱ lässt,ȱ „sondernȱ dieserȱ abhängtȱ vonȱ denȱ Interessenȱ sowohlȱ derȱ Betriebeȱ alsȱ auchȱ derȱ Beschäftigten,ȱvonȱUnternehmenskonzeptenȱundȱWeiterbildungsstrategienȱ(z.ȱB.ȱreakȬ tivȱoderȱantizipatorisch)ȱundȱzwischenȱdenȱBeteiligtenȱausgehandeltȱwerdenȱmuß“.21ȱ Insgesamtȱbetrachtetȱistȱzuȱbeklagen,ȱdassȱ„Sondierungenȱdiesesȱundifferenziert,ȱsimȬ pel,ȱ geradezuȱ positivistischȱ registriertenȱ Qualifikationsbedarfsȱ (…)ȱ bisȱ zumȱ heutigenȱ TagȱausgesprocheneȱRaritäten“22ȱdarstellen.ȱȱ Deswegenȱ wundertȱ esȱ auchȱ nicht,ȱ wennȱ z.ȱB.ȱ Instrumenteȱ desȱ WeiterbildungsȬ Controllings,ȱ dieȱ dieȱ Bedeutungȱ diskursivȱ ausgehandeltenȱ Weiterbildungsbedarfsȱ betonen,ȱ bislangȱ kaumȱ entwickeltȱ wordenȱ sind.ȱ Jenseitsȱ programmatischȬnormativerȱ Aussagenȱ wurdenȱ bislangȱ nurȱ vereinzeltȱ solcheȱ Konzepteȱ zurȱ Bedarfsanalyseȱ entwiȬ ckelt.23ȱ Vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ hierȱ erörtertenȱ Kritikȱ handeltȱ esȱ sichȱ umȱ einȱ strukturellȱ angelegtesȱ Defizit.ȱ Weiterbildungsbedarfȱ wirdȱ alsȱ etwasȱ „offenȱ Zutageliegendes“,ȱ Fertigesȱinterpretiert,ȱdasȱabrufbereitȱinȱDatenȱgleichsamȱeingelagertȱist,ȱdieȱlediglichȱ mitȱdemȱrichtigenȱInstrumentȱentdecktȱwerdenȱmüssen.ȱDieseȱFormȱderȱBedarfserheȬ bungȱgleichtȱeinemȱtechnischȱgefärbtenȱLückenkonzept.ȱȱ EinȱsolchesȱLückenkonzeptȱistȱvonȱderȱVorstellungȱgeleitet,ȱdassȱsichȱQualifikationenȱ ausȱ Arbeitsplätzenȱ ableitenȱ lassen.ȱ Diesȱ übersiehtȱ dieȱ Interdependenz,ȱ dieȱ zwischenȱ denȱdreiȱwesentlichenȱFaktorenȱzurȱBestimmungȱdesȱWeiterbildungsbedarfsȱ(OrganiȬ sation,ȱ Technikȱ undȱ Personal)ȱ besteht.ȱ „Nurȱ inȱ einerȱ naivȬtechnoȬkratischenȱ Illusionȱ gibtȱ esȱ einȱ Deduktionsschemaȱ vonȱ gegebenerȱ Organisationȱ undȱ Technik,ȱ welcheȱ jeȬ weilsȱ dieȱ Arbeitsplätzeȱ bestimmen,ȱ zuȱ denȱ Arbeitsaufgaben,ȱ denȱ TätigkeitsanfordeȬ rungen,ȱdenȱQualifikationen,ȱdenȱKompetenzenȱundȱderȱentsprechendenȱOrganisationȱ desȱ Lernens“.24ȱ Dieȱ Konzipierungȱ derȱ Bedarfsanalyseȱ undȱ mitȱ ihrȱ dieȱ InputcontrolȬ lingȬPhaseȱ imȱ Sinneȱ einesȱ Deduktionsschemasȱ habenȱ zudemȱ einenȱ wesentlichenȱ EinȬ flussȱ aufȱ dieȱ Konzipierungȱ derȱ nachfolgendenȱ Phasenȱ desȱ WeiterbildungsȬ Controllings.ȱ Wennȱ dieȱ InputcontrollingȬPhaseȱ einerȱ plandeterminiertenȱ Logikȱ folgt,ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 20ȱȱ 21ȱȱ 22ȱȱ 23ȱȱ 24ȱȱ
Vgl.ȱHeid,ȱH.:ȱWeiterbildung,ȱ1996,ȱS.ȱ25.ȱ Baethge,ȱM./Schiersmann,ȱC.:ȱProzessorientierteȱWeiterbildung,ȱ1998,ȱS.ȱ52.ȱ Heid,ȱH.:ȱWeiterbildung,ȱ1996,ȱS.ȱ24.ȱ Vgl.ȱz.ȱB.ȱAllespach,ȱM.:ȱBeteiligungsprozess,ȱ2004.ȱ Faulstich,ȱP.:ȱStrategien,ȱ1998,ȱS.ȱ102.ȱ
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istȱ esȱ naheȱ liegend,ȱ dassȱ dieȱ nachfolgendenȱ Controllingphasenȱ lediglichȱ Mittelȱ zumȱ ZweckȱderȱPlanerfüllungȱdarstellen.25ȱ Dieȱ demȱ Lückenkonzeptȱ inhärenteȱ Logikȱ ergibtȱ sichȱ zwangsläufig,ȱ wennȱ Defiziteȱ alsȱ „objektiverȱ Bedarf“ȱ undȱ dieȱ Weiterbildungsbedürfnisseȱ sowieȱ dasȱ EntwicklungspoȬ tenzialȱderȱMitarbeiterȱalsȱ„subjektiverȱBedarf“ȱbestimmtȱwerden.26ȱDaȱeinȱ„objektiverȱ Bedarf“ȱfürȱalleȱobjektivȱvorhandenȱundȱfeststellbarȱseinȱmuss,ȱkannȱesȱnurȱamȱ„subȬ jektivenȱBedarf“ȱliegen,ȱdassȱdasȱDefizitȱnichtȱzuȱschließenȱist.ȱ Dieȱ Bestimmungȱ derȱ „objektivenȱ Seite“ȱ desȱ Bedarfs,ȱ d.ȱ h.ȱ dieȱ Anforderungsanalyse,ȱ bereitetȱ jedochȱ großeȱ Schwierigkeiten.ȱ Soȱ mussȱ zwangsläufigȱ davonȱ ausgegangenȱ werden,ȱ dassȱ dieȱ diesenȱ Anforderungsanalysenȱ zugrundeȱ liegendeȱ Stelleȱ durchȱ eineȱ Stellenbeschreibungȱpersonenneutralȱvermessenȱwerdenȱkann.ȱEinȱz.ȱB.ȱdurchȱStellenȬ beschreibungenȱdokumentiertesȱUnternehmenȱistȱjedochȱnichtȱidentischȱmitȱdemȱSoziȬ alsystemȱ „Unternehmen“.ȱ Esȱ sindȱ stetsȱ dieȱ Mitarbeiter,ȱ dieȱ dieȱ Strukturenȱ „leben“.ȱ Darausȱfolgt,ȱdassȱverschiedeneȱMitarbeiterȱdieselbeȱStelleȱjeȱandersȱwahrnehmenȱundȱ interpretierenȱ können.ȱ Eineȱ Stellenbeschreibungȱ istȱ darüberȱ hinausȱ statischȱ undȱ imȱ MomentȱihrerȱEntstehungȱbereitsȱveraltet.ȱWennȱStellenbeschreibungenȱpersonenneutȬ ralȱbestimmtȱwerdenȱkönnten,ȱwäreȱbeiȱderȱ„subjektivenȱSeite“ȱwiederumȱzwangsläuȬ figȱ vonȱ einerȱ prinzipiellenȱ Gleichheitȱ derȱ Subjekteȱ auszugehen.27ȱ Subjekteȱ machenȱ jedochȱ jeȱ eigeneȱ Wahrnehmungen,ȱ Erfahrungenȱ etc.,ȱ soȱ dassȱ dieseȱ Vorstellungȱ nichtȱ gangbarȱerscheint.ȱ DieseȱAspekteȱ führenȱ inȱ letzterȱ Konsequenzȱ dazu,ȱ dassȱ eineȱ exakteȱ Bestimmungȱ derȱ DifferenzȱzwischenȱSollȱundȱIstȱnichtȱmöglichȱist;ȱganzȱabgesehenȱvonȱderȱKategorisieȬ rungȱ „objektiv“ȱ undȱ „subjektiv“.ȱ Vielmehrȱ bestehtȱ einȱ Wechselverhältnisȱ zwischenȱ Sollȱ undȱ Ist,ȱ wasȱ durchȱ denȱ Begriffȱ einerȱ „personenbezogenenȱ Stellenbildung“ȱ zumȱ Ausdruckȱ kommt.ȱ Stellenȱ entstehenȱ hiernachȱ nichtȱ mehrȱ amȱ „Reißbrett“,ȱ sondernȱ könnenȱ aufgrundȱ bestimmterȱ Kompetenzenȱ vonȱ Mitarbeiternȱ sogarȱ erstȱ formuliertȱ werden.ȱ Damitȱ erfolgtȱ eineȱ Annäherungȱ anȱ eineȱ wirtschaftspädagogischeȱ Perspektive.ȱ Dieseȱ zieltȱ abȱ aufȱ Zusammenhängeȱ imȱ Berührungsfeldȱ vonȱ Erziehung,ȱ Lernenȱ undȱ WirtȬ schaftȱundȱorientiertȱsichȱamȱMenschenȱundȱseinemȱHandelnȱinȱwirtschaftlichenȱKonȬ texten,ȱHandlungsräumenȱundȱBedingungsgefügen.28ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 25ȱȱ 26ȱȱ 27ȱȱ 28ȱȱ
Vgl.ȱhierzuȱTredop,ȱD.:ȱAnalytischeȱErkundungen,ȱ2006.ȱ Vgl.ȱexemplarischȱbeiȱBMBW:ȱBetrieblicheȱWeiterbildung,ȱ1990,ȱS.ȱ87.ȱ Vgl.ȱWimmer,ȱR./Neuberger,ȱO.:ȱPersonalwesen,ȱ1998,ȱS.ȱ90ȱ–ȱ91.ȱ Vgl.ȱDittmar,ȱJ.:ȱPersonalentwicklung,ȱ2001,ȱS.ȱ193.ȱ
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Weiterbildungs-Controlling aus wirtschaftspädagogischer Sicht
Eineȱ wirtschaftspädagogischeȱ Perspektiveȱ istȱ inȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ betrieblicheȱ WeiterbilȬ dungȱkaumȱvorhanden,ȱsoȱdassȱdieȱ„Parteinahmeȱfürȱdasȱlernendeȱundȱsichȱbildendeȱ Individuum“29ȱnurȱunzureichendȱentwickeltȱist.ȱVielmehrȱstammenȱdieȱzurȱBeobachȬ tungȱ derȱ betrieblichenȱ Weiterbildungȱ benutztenȱ Begriffeȱ undȱ Konzepteȱ „ausȱ disȬ ziplinärenȱKontexten,ȱinȱdenenȱ(…)ȱnichtȱdieȱPerspektiveȱderȱarbeitendenȱundȱlernenȬ denȱIndividuen,ȱsondernȱeinzelwirtschaftlicheȱZielsetzungenȱundȱOrganisationsstrukȬ turenȱimȱVordergrundȱstehen“.30ȱ Daȱ Weiterbildungsmaßnahmenȱ nebenȱ unternehmerischenȱ Interessenȱ zugleichȱ dasȱ Individuumȱ mitȱ seinenȱ subjektivenȱ Interessenȱ undȱ Kompetenzenȱ imȱ Blickȱ hat,ȱ kannȱ einȱ WeiterbildungsȬControllingȱ (nichtȱ nurȱ ausȱ pädagogischerȱ Sicht)ȱ letztendlichȱ nurȱ unterȱ Einbezugȱ desȱ Lernsubjektesȱ bzw.ȱ desȱ Mitarbeitersȱ konzeptionellȱ entfaltetȱ werȬ den.ȱDennȱdasȱErgebnisȱvonȱWeiterbildungsprozessenȱistȱ(auch)ȱeinȱsubjektiverȱLernȬ zuwachs,ȱderȱnichtȱvonȱaußenȱbzw.ȱfremdȱgesteuertȱerzeugtȱwerdenȱkann,ȱsondernȱnurȱ vomȱMitarbeiterȱselbstȱ(mit)ȱzuȱproduzierenȱist.ȱDerȱMitarbeiterȱistȱinsofernȱkeinȱStörȬ faktor,ȱsondernȱeinȱnotwendigerȱBestimmungsfaktorȱbeiȱderȱGestaltungȱeinesȱWeiterȬ bildungsȬControllings.ȱ Diesȱ giltȱ insbesondereȱ fürȱ denȱ Weiterbildungsbedarf,ȱ derȱ –ȱ wieȱ skizziertȱ –ȱ gedeutetȱ werdenȱ muss.ȱ Nebenȱ einerȱ individuellenȱ Sinnzuweisungȱ istȱ zugleichȱ eineȱ BedarfsbeȬ schreibungȱ notwendig,ȱ beiȱ derȱ dieȱ Sinnzuweisungenȱ derȱ jeweilsȱ anderenȱ Beteiligtenȱ mitȱeinbezogenȱwerden.ȱDennȱwennȱdieȱamȱWeiterbildungsprozessȱBeteiligtenȱWeiterȬ bildungszieleȱ mitȱ unterschiedlichenȱ Sinnzuweisungenȱ belegen,ȱ kannȱ einȱ WeiterbilȬ dungsprozessȱ kaumȱ gelingen,ȱ wasȱ zuȱ negativenȱ Folgenȱ aufȱ derȱ fürȱ Unternehmenȱ relevantenȱ Performanzebeneȱ führenȱ kann.ȱ Eineȱ Lernanforderungȱ alsȱ Ergebnisȱ einerȱ festgestelltenȱ Bedarfslückeȱ wirdȱ insofernȱ nichtȱ automatischȱ zuȱ einerȱ (erfolgreichen)ȱ Lernhandlung.ȱEsȱsindȱvielmehrȱkommunikativeȱAushandlungsprozesseȱzuȱinitiieren.ȱ Zwarȱ erscheinenȱ dieȱ objektiveȱ Bestimmungȱ vonȱ Anforderungenȱ undȱ dieȱ GleichsetȬ zungȱvonȱLernanforderungȱundȱLernhandlungȱverlockend,ȱdieȱdamitȱimȱLückenkonȬ zeptȱ angestrebteȱ „JustȬinȬtimeȬQualifizierung“ȱ istȱ jedochȱ kaumȱ umsetzbar.ȱ Ausȱ lehrȬ lerntheoretischenȱ Gründenȱ ergibtȱ sichȱ zwangsläufig,ȱ dassȱ dasȱ lernabhängigeȱ Wissenȱ undȱ Könnenȱ zurȱ Erfüllungȱ einerȱ Anforderungȱ bzw.ȱ Arbeitsaufgabeȱ dasȱ dafürȱ ErforȬ derlicheȱüberschreitet.ȱEsȱistȱ„utopisch,ȱdieȱQualifizierungȱeinesȱMenschenȱundȱdamitȱ auchȱdiesenȱMenschenȱselbstȱaufȱeineȱFunktionȱimȱbetrieblichenȱArbeitsprozessȱreduȬ zierenȱ zuȱ wollen.ȱ Dasȱ Denken,ȱ Lernenȱ undȱ Wollenȱ einesȱ Menschenȱ lässtȱ sichȱ nichtȱ beliebigȱ einȬȱ undȱ ausschaltenȱ oderȱ aufȱ eineȱ begrenzteȱ Zuständigkeitȱ reduzierenȱ oderȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 29ȱȱ Reinisch,ȱH.:ȱEntgrenzungen,ȱ2004,ȱS.ȱ331.ȱ 30ȱȱ Reinisch,ȱH.:ȱEntgrenzungen,ȱ2004,ȱS.ȱ331.ȱ
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fixieren,ȱ soȱ restriktivȱ mancheȱ Qualifizierungskonzeptionȱ oderȱ Ȭpraxisȱ auchȱ seinȱ mag“.31ȱ Diesȱ istȱ z.ȱ B.ȱ auchȱ einȱ Grundȱ dafür,ȱ dassȱ sichȱ dieȱ anfänglicheȱ Euphorieȱ imȱ HinblickȱaufȱdasȱEȬLearningȱwiederȱgelegtȱhat,ȱdaȱgenauȱdiesesȱZielȱnichtȱerreichtȱwerȬ denȱ konnteȱ bzw.ȱ kann.ȱ Fernerȱ werdenȱ Mitarbeiterȱ durchȱ dieseȱ Formȱ restringiertenȱ Lernensȱlediglichȱzuȱangepassten,ȱaberȱnichtȱzuȱanpassungsfähigenȱMitarbeitern.ȱ AusȱSichtȱdesȱSystemsȱ„Wirtschaft“ȱistȱdieseȱDenklogikȱnachvollziehbar.ȱWissenȱwirdȱ ungenutztȱ „liegengelassen,ȱ wennȱ überȱ denȱ aktuellenȱ Bedarfȱ hinausȱ qualifiziertȱ wird“.32ȱ Ausȱ betriebswirtschaftlicherȱ Perspektiveȱ verursachenȱ dieseȱ Qualifikationenȱ demȱ Unternehmenȱ überflüssigeȱ Kosten,ȱ sieȱ „könnenȱ nichtȱ zuȱ einemȱ späterenȱ ZeitȬ punktȱ abgerufenȱ werden,ȱ weilȱ Wissen,ȱ welchesȱ nichtȱ zurȱ Anwendungȱ kommt,ȱ langȬ fristigȱverlorenȱgeht“.33ȱ DieseȱausȱSichtȱdesȱSystemsȱ„Wirtschaft“ȱalsȱFehlqualifizierungenȱbezeichnetenȱ„ÜberȬ qualifikationen“ȱ sindȱ jedochȱ unvermeidlich,ȱ daȱ einerseitsȱ eineȱ Prognoseȱ zukünftigerȱ Qualifikationsanforderungenȱ zuverlässigȱ kaumȱ möglichȱ istȱ undȱ sichȱ andererseitsȱ individuelleȱ Kompetenzenȱ ebenȱ nichtȱ aufȱ dasȱ fürȱ eineȱ Stelleȱ Notwendigeȱ begrenzenȱ lassen.ȱ Daȱ einȱ solcherȱ Wegȱ versperrtȱ ist,ȱ bietetȱ sichȱ alsȱ Alternativeȱ einȱ „QualifizieȬ rungsweg“ȱ an,ȱ derȱ dieȱ „Qualifizierungssubjekteȱ unabhängigerȱ machtȱ vonȱ unvorherȬ sehbarenȱWechselfällenȱzukünftigerȱQualifikationsanforderungen.ȱDasȱbedeutetȱnicht,ȱ dassȱ gegenwärtigeȱ undȱ absehbarȱ künftigeȱ Qualifikationsanforderungenȱ ignoriertȱ werdenȱ könnenȱ oderȱ dürfenȱ (…)ȱ dasȱ Risikoȱ einerȱ Fehlqualifizierungȱ steigtȱ [aber;ȱ K.ȱR./D.ȱT.]ȱ mitȱ derȱ Rigidität,ȱ mitȱ derȱ dieȱ Qualifizierungȱ sichȱ anȱ vorfindlichenȱ oderȱ absehbarenȱAnforderungenȱorientiert“.34ȱ EineȱsolcheȱVorgehensweiseȱverschließtȱsichȱjedochȱdann,ȱwennȱlediglichȱimȱSinneȱdesȱ skizziertenȱ Lückenkonzeptesȱ reagiertȱ wirdȱ undȱ alsȱ Ausgangspunktȱ ausschließlichȱ „die“ȱ betrieblichenȱ Qualifikationsanforderungenȱ einerȱ Stelleȱ fungieren,ȱ anȱ dieȱ sichȱ „der“ȱ Mitarbeiterȱ (lernend)ȱ anzupassenȱ hat.ȱ Selbstȱ wennȱ imȱ Rahmenȱ dieserȱ Prozesseȱ stetsȱ gelerntȱ wird,ȱ sagtȱ dieseȱ Tatsachenfeststellungȱ nochȱ nichtsȱ überȱ dieȱ Qualitätȱ desȱ LernensȱausȱundȱinwiefernȱimȱWeiterbildungsȬControllingȱnebenȱeinerȱökonomischenȱ zugleichȱ eineȱ pädagogischeȱ Perspektiveȱ konzeptionellȱ enthaltenȱ ist.ȱ Insofernȱ hatȱ dieȱ jeweiligeȱ Formȱ desȱ Lernensȱ wesentlichenȱ Einflussȱ aufȱ dieȱ Ausformungȱ derȱ KompeȬ tenzentwicklungȱ desȱ Lernenden.35ȱ Daherȱ sindȱ nebenȱ denȱ zuȱ beteiligendenȱ MitarbeiȬ ternȱ auchȱ dieȱ Lernbedingungenȱ imȱ Rahmenȱ einerȱ Weiterbildungsbedarfsanalyseȱ inȱ denȱBlickȱzuȱnehmen.ȱEineȱFokussierungȱaufȱdieȱBedingungenȱergibtȱsichȱzuvorderstȱ ausȱ denȱ Möglichkeitenȱ erzieherischenȱ Handelns:ȱ Daȱ nurȱ derȱ Lernendeȱ selbstȱ lernenȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 31ȱȱ 32ȱȱ 33ȱȱ 34ȱȱ 35ȱȱ
Heid,ȱH.:ȱKapitalȱundȱKompetenz,ȱ2004,ȱS.ȱ14.ȱ Howaldt,ȱJ./Kopp,ȱR.:ȱNeueȱPerspektiven,ȱ2000,ȱS.ȱ112.ȱ Howaldt,ȱJ./Kopp,ȱR.:ȱNeueȱPerspektiven,ȱ2000,ȱS.ȱ112.ȱ Heid,ȱH.:ȱWeiterbildung,ȱ1996,ȱS.ȱ20.ȱ KompetenzȱistȱvonȱQualifikationȱinsofernȱabzugrenzen,ȱalsȱKompetenzȱvomȱSubjektȱausȱalsȱ UmgangȱmitȱWissenȱundȱnichtȱausgehendȱvonȱbetrieblichenȱAnforderungenȱbestimmtȱwird.ȱ
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kann,ȱkannȱerzieherischesȱHandelnȱlediglichȱdieȱOrganisationȱexternalerȱBedingungenȱ erfolgreichenȱLernensȱermöglichen.ȱȱ Dieȱ Restriktivitätȱ desȱ Lückenkonzeptesȱ bietetȱ hierfürȱ keineȱ Anschlussmöglichkeiten.ȱ DieseȱMöglichkeitȱergibtȱsichȱjedochȱbeiȱdenȱsoȱgenanntenȱpartizipativȬauthentischenȱ Weiterbildungsbedarfskonzepten,ȱ dieȱ sichȱ durchȱ ihrenȱ diskursivenȱ Charakterȱ ausȬ zeichnen.ȱAuchȱ wennȱ bislangȱ eindeutigeȱ Ergebnisseȱ zurȱ ökonomischenȱ Wirksamkeitȱ partizipativȱangelegterȱWeiterbildungsbedarfskonzepteȱfehlen,ȱwirdȱjedochȱvonȱeinemȱ positivenȱ Zusammenhangȱ ausgegangen.36ȱ PartizipativȬauthentischeȱ Konzepteȱ zeichȬ nenȱsichȱimȱVergleichȱzumȱLückenkonzeptȱinsbesondereȱdadurchȱaus,ȱdassȱsowohlȱdasȱ Wissenȱ alsȱ auchȱ dieȱ Bedürfnisseȱ derȱ Mitarbeiterȱ mitȱ inȱ denȱ Prozessȱ derȱ BedarfsbeȬ stimmungȱeinbezogenȱwerden.37ȱ Mitȱ diesenȱ beidenȱ Merkmalenȱ sindȱ zweiȱ wesentlicheȱ (LernȬ)Bedingungenȱ benannt.ȱ DasȱbedeutetȱausȱpädagogischerȱSichtȱzumȱeinen,ȱdassȱderȱProzessȱderȱBedarfsfestleȬ gungȱ selbstȱ alsȱ Lernprozessȱ zuȱ modellierenȱ ist.ȱ Inȱ radikalȬkonstruktivistischerȱ Sichtȱ meintȱ dies,ȱ dassȱ Prozesseȱ derȱ Wahrnehmung,ȱ derȱ Erfahrung,ȱ desȱ Wissensȱ undȱ desȱ Handelnsȱ –ȱ ergänztȱ umȱ Spracheȱ –ȱ kreisstrukturellȱ miteinanderȱ zuȱ verbindenȱ sind.38ȱ Abstrahiertȱ manȱ zugleichȱ vonȱ unmittelbarenȱ Weiterbildungsbedürfnisinhaltenȱ undȱ fokussiertȱaufȱmöglicheȱförderlicheȱBedingungen,ȱdannȱkönnenȱzumȱanderenȱdieȱdreiȱ menschlichenȱ Grundbedürfnisseȱ nachȱ KompetenzȬȱ undȱAutonomieerlebenȱ sowieȱ derȱ WunschȱnachȱsozialerȱEingebundenheitȱnachȱDeciȱundȱRyanȱ(1993)ȱgleichsamȱalsȱopeȬ rationalisierteȱKonstrukteȱdesȱMerkmalsȱ„Bedürfnisse“ȱdienen.ȱWennȱdieseȱGrundbeȬ dürfnisseȱinȱkompetenzförderndeȱLerninfrastrukturenȱintegriertȱwerden,ȱkannȱbeiȱdenȱ MitarbeiternȱeineȱindividuelleȱKompetenzentwicklungȱbefördertȱwerden.39ȱDieȱKomȬ petenzentwicklungȱ selbstȱ bzw.ȱ dieȱdahinterȱ liegendenȱ Lernprozesseȱ sindȱ jedochȱ stetsȱ alleinȱdurchȱdieȱMitarbeiterȱselbstȱzuȱgenerieren.ȱImȱHinblickȱaufȱdieȱWeiterbildungsȬ bedarfsanalyseȱ undȱ mitȱ ihrȱ dieȱ InputcontrollingȬPhaseȱ wärenȱ demzufolgeȱ dieȱ imȱ RahmenȱeinerȱWeiterbildungsbedarfsanalyseȱablaufendenȱLernprozesseȱzuȱbetrachten.ȱ ImȱUnterschiedȱzumȱLückenkonzeptȱistȱimȱRahmenȱpartizipativȬauthentischerȱVerfahȬ renȱzurȱWeiterbildungsbedarfsanalyseȱeinȱWegȱgeebnet,ȱLernprozesseȱinȱdenȱBlickȱzuȱ nehmen,ȱdaȱdortȱMitarbeiterȱalsȱSubjekteȱwahrgenommenȱwerdenȱundȱnichtȱlediglichȱ MittelȱzumȱZweckȱderȱPlanerfüllungȱdarstellen.ȱȱ Wennȱ nunȱ derȱ Weiterbildungsbedarfȱ alsȱ konstruktivistischerȱ Lernprozessȱ reȬ formuliertȱ wird,ȱ kannȱ derȱ Weiterbildungsbedarfȱ inȱ Beziehungȱ zurȱ beruflichenȱ HandȬ lungskompetenzȱ gesetztȱ werden.40ȱ Weiterbildungsbedarfȱ alsȱ konstruktivistischerȱ Lernprozessȱ nimmtȱ hierbeiȱ gleichsamȱ dieȱ Rolleȱ einerȱ Scharnierfunktionȱ wahr.ȱ Diesȱ insbesondereȱ deshalb,ȱ daȱ Lernprozesseȱ imȱ Allgemeinenȱ Ausgangspunktȱ fürȱ eineȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 36ȱȱ 37ȱȱ 38ȱȱ 39ȱȱ 40ȱȱ
Vgl.ȱz.ȱB.ȱbeiȱWagner,ȱD.:ȱPartizipation,ȱ2004,ȱSp.ȱ1121.ȱ Vgl.ȱSchanz,ȱG.:ȱPartizipation,ȱ1992,ȱSp.ȱ1902ȱ–ȱ1903.ȱ Vgl.ȱhierzuȱausführlichȱRebmann,ȱK.:ȱPlanspiel,ȱ2001.ȱ Vgl.ȱhierzuȱausführlichȱTredop,ȱD.:ȱWeiterbildungsȬControlling,ȱimȱErscheinen.ȱ Vgl.ȱhierzuȱausführlichȱTredop,ȱD.:ȱWeiterbildungsȬControlling,ȱimȱErscheinen.ȱ
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Betriebliche Weiterbildung und Controlling
Kompetenz(weiter)entwicklungȱ sind,ȱ anȱ derenȱ Endeȱ ausȱ wirtschaftspädagogischerȱ Sichtȱ alsȱ wünschenswertesȱ Ergebnisȱ derȱ Erwerbȱ beruflicherȱ Handlungskompetenzȱ steht.ȱ DieȱBezugnahmeȱaufȱdieȱberuflicheȱHandlungskompetenzȱistȱinsofernȱrelevant,ȱalsȱimȱ Modellȱ beruflicherȱ Handlungskompetenzȱ nachȱ Rebmann/Tenfelde/Uheȱ (2003)ȱ dieȱ zweiȱ Systemeȱ „Wirtschaft“ȱ undȱ „Pädagogik“ȱ inȱ Prozesseȱ desȱ Kommunizierensȱ undȱ kooperativenȱ Handelnsȱ eintretenȱ können,ȱ ohneȱ dassȱ dasȱ SpannungsȬȱ bzw.ȱ WechselȬ verhältnisȱ derȱ beidenȱ Systemeȱ ausgeblendetȱ wird.ȱ Dadurchȱ kannȱ derȱ eingeforderteȱ bimentaleȱ Charakterȱ desȱ WeiterbildungsȬControllingsȱ theoretischȬkonzeptionellȱ beȬ rücksichtigtȱwerden;ȱundȱzwarȱausȱwirtschaftspädagogischerȱSicht,ȱdaȱdieȱZielformelȱ „beruflicheȱ Handlungskompetenz“ȱ gleichsamȱ dieȱ zentraleȱ wirtschaftspädagogischeȱ Interaktionsgrundlageȱbildet.ȱ ZuȱdenȱKernȬTeilkompetenzenȱdesȱModellsȱgehören:41ȱ 1. Sachkompetenz:ȱErwerbȱberufsrelevantenȱWissens.ȱ 2. Gestaltungskompetenz:ȱ Fähigkeit,ȱ anȱ derȱ Gestaltungȱ beruflicherȱ Praxisȱ sachkomȬ petentȱmitzuwirken.ȱ 3. Sozialkompetenz:ȱ Entwicklungȱ beruflichenȱ Selbstbewusstseinsȱ undȱ IchȬIdentitätȱ durchȱBeförderungȱsozialerȱInteraktionen.ȱ Alsȱ Verbindungsgliedȱ zwischenȱ diesenȱ dreiȱ Teilkompetenzenȱ wirkenȱ dreiȱ weitereȱ Teilkompetenzen,ȱdieȱerstȱinȱderȱVerknüpfungȱderȱdreiȱKernȬTeilkompetenzenȱerzeugtȱ werden:ȱ 4. Methodenkompetenz:ȱFähigkeit,ȱberufsrelevantesȱWissenȱimȱpraktischenȱHandelnȱ überprüfenȱ undȱ beruflicheȱ Praxisȱ beschreibenȱ undȱ erklärenȱ zuȱ könnenȱ (VerknüpȬ fungȱvonȱFachȬȱundȱGestaltungskompetenz).ȱ 5. Moralkompetenz:ȱEntwickelnȱundȱÜberprüfenȱvonȱNormenȱundȱethischenȱImperaȬ tivenȱ(VerknüpfungȱvonȱGestaltungsȬȱundȱSozialkompetenz).ȱ 6. Abstraktionskompetenz:ȱ Entwickelnȱ sprachlicherȱ Verallgemeinerungenȱ (VerknüpȬ fungȱvonȱSozialȬȱundȱFachkompetenz).ȱ InȱdiesesȱModellȱistȱdasȱSpannungsȬȱbzw.ȱWechselverhältnisȱvonȱVerwertungȱ(Systemȱ „Wirtschaft“)ȱundȱSelbstbestimmungȱ(Systemȱ„Pädagogik“)ȱproduktivȱeingelassen.ȱSoȱ zeigtȱ sichȱ dieȱ Verwertungsoptimierungȱ vonȱ Kompetenzenȱ (Tüchtigkeit)ȱ alsȱ wesentliȬ cheȱZielsetzungȱdesȱSystemsȱ„Wirtschaft“ȱvorȱallemȱinȱdenȱKompetenzbereichenȱSachȬ,ȱ GestaltungsȬȱ undȱ Sozialkompetenzȱ sowieȱ darausȱ „ableitend“ȱ inȱ derȱ MethodenȬȱ undȱ Abstraktionskompetenz.ȱ Dieseȱ Kompetenzenȱ alsȱ Qualifikationsbündelȱ sindȱ erforderȬ lich,ȱ „umȱ dieȱ neuenȱ ProduktionsȬ,ȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationsstrukturenȱ umzusetȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 41ȱȱ Vgl.ȱ imȱ Folgendenȱ Rebmann,ȱ K./Tenfelde,ȱ W./Uhe,ȱ E.:ȱ BerufsȬȱ undȱ Wirtschaftspädagogik,ȱ
2003,ȱS.ȱ108ȱ–ȱ111.ȱ
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zen“.42ȱDieseȱausȱUnternehmenssichtȱabgeleitetenȱBildungsziele,ȱd.ȱh.ȱdieȱbetrieblichenȱ AnforderungenȱanȱdenȱMitarbeiter,ȱstehenȱinȱeinemȱKonfliktȱzurȱzentralenȱZielsetzungȱ desȱ Systemsȱ „Pädagogik“,ȱ dasȱ ausgehendȱ vomȱ Subjektȱ inȱ derȱ individuellenȱ PersönȬ lichkeitsentwicklungȱinȱSelbstbestimmungȱ undȱSelbstverantwortungȱ(Mündigkeit)ȱzuȱ sehenȱist.ȱ Erkennbarȱ wirdȱ dieserȱ Konfliktȱ inȱ derȱ Teilkompetenzȱ Sozialkompetenz,ȱ dieȱ daraufȱ abzielt,ȱ Selbstbewusstseinȱ undȱ Identitätȱ zuȱ entwickeln.ȱ Ausȱ Unternehmenssichtȱ sindȱ jedochȱ nurȱ solcheȱ sozialenȱ Interaktionsfähigkeitenȱ relevant,ȱ dieȱ imȱ Einklangȱ mitȱ denȱ Unternehmenszielenȱ stehen.ȱ Abweichungenȱ davonȱ könnenȱ imȱ Extremȱ zumȱ AusȬ schlussȱausȱdemȱSystemȱführen.ȱȱ DieȱpädagogischeȱZielsetzungȱwirdȱzudemȱundȱvorȱallemȱdurchȱdieȱkreisstrukturelleȱ ZusammenführungȱderȱsechsȱKompetenzenȱzuȱeinemȱModellȱberuflicherȱHandlungsȬ kompetenzȱ befördert,ȱ soȱ dassȱ allenfallsȱ pädagogischeȱ undȱ damitȱ nurȱ nichtȬ manipulativeȱ Interventionenȱ möglichȱ sind,ȱ umȱ Handlungsfähigkeitȱ alsȱ Ganzesȱ zuȱ erzeugen.43ȱ Wennȱ lediglichȱ betrieblicheȱ Anforderungenȱ erfülltȱ werdenȱ sollen,ȱ dannȱ wirdȱvorzugsweiseȱaufȱSachȬȱundȱGestaltungskompetenzȱabgestellt.ȱDamitȱwürdeȱmanȱ jedochȱdieȱangeboteneȱInteraktionsgrundlageȱfürȱdieȱbeidenȱSystemeȱverlassen.ȱDiesesȱ ModellȱenthältȱsoȱgleichsamȱeinenȱemergentenȱCharakter,ȱdaȱdasȱGanzeȱ(HandlungsȬ fähigkeit)ȱmehrȱalsȱSummeȱseinerȱEinzelteileȱ(Teilkompetenzen)ȱist.ȱ Damitȱ ergibtȱ sichȱ ausȱ wirtschaftspädagogischerȱ Sichtȱ dieȱ Forderungȱ anȱ einȱ bimentalȱ verstandenesȱWeiterbildungsȬControlling,ȱlerninfrastrukturelleȱBedingungenȱzuȱschafȬ fen,ȱdieȱidealiterȱdieseȱTeilkompetenzenȱinȱihrerȱGesamtheitȱbefördern.ȱDiesȱwäreȱeineȱ Möglichkeit,ȱ dieȱ vonȱ Reinischȱ eingangsȱ desȱ Kapitelsȱ formulierteȱ Kritikȱ produktivȱ aufzunehmen,ȱ sichȱ mitȱ einerȱ Beobachterperspektiveȱ derȱ betrieblichenȱ Weiterbildungȱ zuȱnähern,ȱdieȱdasȱarbeitendeȱundȱlernendeȱIndividuumȱinȱdenȱBlickȱnimmt.ȱ
4
Schlussbetrachtung
AuchȱwennȱWeiterbildungsȬControllingȱaufgrundȱseinesȱgenerellȱbetontenȱundȱeingeȬ fordertenȱ bimentalenȱ Charaktersȱ einerseitsȱ inȱ einenȱ ÖkonomieȬȱ undȱ andererseitsȱ inȱ einenȱPädagogikdiskursȱeingebettetȱist,ȱscheintȱesȱabgesehenȱvonȱeinzelnenȱAbsichtsȬ erklärungenȱ einȱ Auslotenȱ einerȱ wechselseitigenȱ Anschlussfähigkeitȱ kaumȱ zuȱ geben.ȱ Diesȱ habenȱ dieȱAusführungenȱ zumȱ Weiterbildungsbedarfȱ bzw.ȱ zurȱ InputcontrollingȬ Phaseȱgezeigt.ȱDieseȱzeichnenȱsichȱdurchȱeinenȱinstrumentellenȱundȱplandeterminierȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 42ȱȱ Rebmann,ȱK./Tenfelde,ȱW./Uhe,ȱE.:ȱBerufsȬȱundȱWirtschaftspädagogik,ȱ2003,ȱS.ȱ109.ȱ 43ȱȱ Vgl.ȱRebmann,ȱK./Tenfelde,ȱW./Uhe,ȱE.:ȱBerufsȬȱundȱWirtschaftspädagogik,ȱ2003,ȱS.ȱ110.ȱ
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Betriebliche Weiterbildung und Controlling
tenȱ Charakterȱ aus,ȱ soȱ dassȱ pädagogischeȱ Dimensionenȱ keineȱ anschlussfähigenȱ SinnȬ zuweisungenȱerfahren.ȱ Werdenȱ Mitarbeiterȱ ausschließlichȱ wieȱ einȱ traditionellerȱ Produktionsfaktorȱ interpreȬ tiert,ȱdannȱbestimmenȱauchȱausschließlichȱdieȱKriterienȱdesȱökonomischenȱSystemsȱdieȱ Sinnzuweisung;ȱbezogenȱaufȱdasȱWeiterbildungsȬControlling:ȱWieȱschnellȱkonvergiertȱ Kompetenzȱ inȱ Geld?ȱ Imȱ Systemȱ „Pädagogik“ȱ benötigenȱ Weiterbildungsmaßnahmenȱ jedochȱ Zeitȱ undȱ lassenȱ sichȱ nichtȱ aufȱ dieseȱ kurzfristigeȱ Zeitdimensionȱ zurückführen.ȱ GenausoȱwenigȱistȱWissenȱvonȱderȱPersonȱzuȱtrennen,ȱdieȱesȱerworbenȱhat.ȱImȱExtremȬ fallȱwürdeȱdasȱSystemȱ„Pädagogik“ȱsoȱseineȱIdentitätȱverlieren.ȱDiesȱmündetȱdannȱinȱ dasȱ Paradoxon,ȱ dassȱ gemäßȱ derȱ Formelȱ desȱ traditionellenȱ Managementsȱ „ifȱ youȱ can`tȱ measureȱ it,ȱ youȱ can`tȱ manageȱ it“ȱ StellvertreterȬKonstrukteȱ vonȱ Wissenȱ kausalanalytischȱ gemessenȱwerden.44ȱWissenȱwirdȱsoȱgleichsamȱinȱeinenȱgreifbaren,ȱvergegenständlichȬ tenȱ Produktionsfaktorȱ transformiertȱ undȱ mittelsȱ Controllinginstrumentenȱ erfasstȱ undȱ bewertet.ȱLetztendlichȱwirdȱjedochȱetwasȱanderesȱgemessenȱundȱalsȱWissenȱdeklariert.ȱ Erstȱ dannȱ erlangtȱ Wissenȱ eineȱ Wertschätzungȱ undȱ Sinnzuweisungȱ imȱ Systemȱ „WirtȬ schaft“.ȱ Einȱ Sichtbarmachenȱ vonȱ WeiterbildungsȬControllingȬProzessenȱ durchȱ eineȱ unreflekȬ tierteȱAnwendungȱtraditionellerȱErfassungsȬ,ȱSteuerungsȬȱundȱBewertungskonzepteȱistȱ demzufolgeȱnichtȱmöglich,ȱwieȱHorváthȱundȱMöllerȱ(2004)ȱmitȱBezugȱaufȱdasȱControlȬ lingȱ immateriellerȱ Vermögenswerteȱ feststellen.ȱ Allerdingsȱ hilftȱ eineȱ reflektierteȱ AnȬ wendungȱimȱvorhandenenȱ(DenkȬ)ȱRahmen,ȱwieȱdiesȱdieȱbeidenȱAutorenȱnaheȱlegen,ȱ ebenfallsȱ nichtȱ weiter.ȱ Esȱ erscheintȱ vielmehrȱ zweifelhaft,ȱ obȱ dieȱ IntangiblesȬDebatteȱ „überhauptȱ kommensurabelȱ istȱ mitȱ demȱ vorherrschendenȱ Paradigmaȱ desȱ ȇcostȱ undȱ valueȱ reporting/accountingȇ“.45ȱ Insoweitȱ istȱ eineȱ bloßeȱAdaptionȱ bzw.ȱAusdehnungȱ desȱ betriebswirtschaftlichenȱControllingȱaufȱdenȱBereichȱderȱbetrieblichenȱWeiterbildung,ȱ wieȱesȱz.ȱB.ȱPielerȱ(2000)ȱeinfordert,ȱkaumȱgeeignet,ȱdaȱesȱdieȱspezifischenȱFaktorenȱdesȱ WeiterbildungsȬControllings,ȱd.ȱh.ȱseinenȱbimentalenȱCharakter,ȱvernachlässigt.ȱ ReflexartigȱdasȱSystemȱ„Pädagogik“ȱalsȱAusgangspunktȱzuȱwählen,ȱdaȱderȱökonomiȬ scheȱ Rahmenȱ ausȱ pädagogischerȱ Sichtȱ gleichsamȱ alsȱ störendȱ betrachtetȱ wird,ȱ hilftȱ ebenfallsȱ nichtȱ weiter.ȱ Einȱ ausschließlichȱ pädagogischȱ legitimiertesȱ WeiterbildungsȬ Controllingȱeinzufordern46ȱerzeugtȱimȱpädagogischenȱSystemȱzwarȱSympathien,ȱführtȱ jedochȱ zuȱ einerȱ vomȱ Systemkontextȱ „Unternehmen“ȱ abgekoppeltenȱ Insellösungȱ undȱ verwässertȱletztendlichȱdasȱKonzeptȱdesȱWeiterbildungsȬControlling.ȱÄhnlichesȱgiltȱinȱ nochȱgrößeremȱMaße,ȱwennȱmitȱWeiterbildungsȬControllingȱlediglichȱschulischeȱLehrȬ LernȬProzesseȱimȱweitestenȱSinneȱinȱdenȱBlickȱgenommenȱwerdenȱundȱalsȱeineȱdaraufȱ bezogeneȱ Steuerungȱ undȱ Kontrolleȱ interpretiertȱ wird.47ȱ Mitȱ WeiterbildungsȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 44ȱȱ 45ȱȱ 46ȱȱ 47ȱȱ
Vgl.ȱexemplarischȱbeiȱSchulte,ȱC.:ȱWeiterbildungsȬControlling,ȱ1995,ȱS.ȱ276ȱ–ȱ277.ȱ Habersam,ȱM./Piber,ȱM.:ȱControlling,ȱ2003,ȱS.ȱ190.ȱ Vgl.ȱimplizitȱz.ȱB.ȱbeiȱArnold,ȱR./KrämerȬStürzl,ȱA.:ȱErfolgskontrolle,ȱ1997.ȱ Vgl.ȱexemplarischȱbeiȱHense,ȱJ./Mandl,ȱH./Schratzenstaller,ȱA.:ȱBildungscontrolling,ȱ2005.ȱ
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ControllingȱwirdȱdannȱlediglichȱeinȱneuerȱBegriffȱfürȱpädagogischȱAltbekanntesȱeingeȬ führt.ȱȱ Durchȱ dieȱ oberflächlichȬselektiveȱ Rezeptionȱ pädagogischȱ anschlussfähigerȱ Begriffeȱ erfolgenȱ analogȱ zuȱ einemȱ ökonomischȬselektivenȱ Zugangȱ eineȱ Marginalisierungȱ undȱ eineȱ Verengungȱ desȱ WeiterbildungsȬControllingȬDiskurses.ȱ Jenseitsȱ einerȱ oberflächliȬ chenȱ Übereinstimmungȱ aufȱ begrifflicherȱ Ebeneȱ bleibtȱ hingegenȱ nichtȱ vielȱ übrig.ȱ Derȱ Vorgang,ȱ imȱ WeiterbildungsȬControllingȱ ausschließlichȱ pädagogischȱ anschlussfähigeȱ Begriffeȱzuȱidentifizierenȱundȱsemantischȱneuȱzuȱfüllen,ȱblendetȱrelevanteȱStrukturenȱ undȱ Prozesseȱ desȱ Systemsȱ „Wirtschaft“ȱ aus,ȱ soȱ dassȱ sichȱ derȱ Analyserahmenȱ insgeȬ samtȱ alsȱ unzureichendȱ darstellt.ȱ Insofernȱ istȱ auchȱ einȱ ausschließlichȱ pädagogischerȱ Zugriffȱ alsȱ unterkomplexȱ abzulehnen.ȱ WeiterbildungsȬControllingȱ wirdȱ durchȱ eineȱ ausschließlichȱ pädagogischȱ eingenommeneȱ Perspektiveȱ zuȱ einemȱ geschütztenȱ pädaȬ gogischenȱRaumȱdeklariertȱundȱausȱdieserȱSichtȱalsȱdefizitärȱbestimmt.ȱUnternehmenȱ sindȱ inȱ ersterȱ Linieȱ jedochȱ keineȱ „pädagogischenȱ Betriebe“,ȱ sondernȱ (auch)ȱ aufȱ ökoȬ nomischeȱZweckbestimmungenȱausgerichtet.ȱ LetztendlichȱbleibtȱeinȱeindimensionalerȱZugriffȱunterkomplex,ȱdaȱdieȱmitȱderȱBimenȬ talitätȱ eingeforderteȱ Konvergenzȱ nichtȱ bearbeitbarȱ wird.ȱ WeiterbildungsȬControllingȱ wirdȱgleichsamȱausȱseinemȱökonomischenȱundȱpädagogischenȱZusammenhangȱgerisȬ sen.ȱ Diesȱ läuftȱ insgesamtȱ aufȱ eineȱ Selbstbehinderungȱ einesȱ bimentalȱ verstandenenȱ WeiterbildungsȬControllingȬDiskursesȱhinaus.ȱȱ Dieȱ Sinnverwirklichungȱ einesȱ bimentalenȱ WeiterbildungsȬControllingsȱ bedingtȱ somitȱ dieȱ Berücksichtigungȱ beiderȱ Systeme.ȱ Dafürȱ wäreȱ einȱ multidisziplinärerȱ Zugriffȱ hilfȬ reich,ȱdaȱsichȱdasȱWeiterbildungsȬControllingȱundȱdieȱihmȱzugrundeȱliegendeȱbetriebȬ licheȱWeiterbildungȱimȱSpannungsfeldȱverschiedenerȱDisziplinenȱmitȱjeȱeigenenȱZielȬ setzungenȱundȱPrinzipienȱbewegt.ȱJenseitsȱabstrakterȱBekenntnisseȱerfährtȱdiesȱhingeȬ genȱzurzeitȱkeinenȱweiterenȱkonzeptionellenȱZugriff.ȱȱ DieȱDiskussionȱüberȱimmaterielleȱVermögenswerteȱzeigtȱjedochȱan,ȱdassȱsichȱderȱDisȬ kursȱ überȱ dasȱ (WeiterbildungsȬ)Controllingȱ allmählichȱ verändert.ȱ Auchȱ wennȱ dieseȱ Veränderungenȱ erstȱ amȱ Randeȱ erfolgen,ȱ WeiterbildungsȬControllingȱ sichȱ schwerȬ punktmäßigȱ nochȱ immerȱ amȱ koordinationsorientierten,ȱ ökonomischenȱ Controllingȱ anlehnt,ȱ zeigtȱ diesȱ dennoch,ȱ dassȱ dieȱ Wirklichkeitȱ überȱ dasȱ „wahre“ȱ oderȱ „richtige“ȱ WeiterbildungsȬControllingȱnichtȱerkennbarȱist,ȱsondernȱ„nur“ȱdieȱForm,ȱwieȱdarüberȱ gesprochenȱ undȱ wieȱ esȱ begrifflichȱ gefasstȱ wird.ȱ Vorȱ diesemȱ Hintergrundȱ verschließtȱ sichȱ dannȱ aberȱ einȱ vorauseilenderȱ Gehorsam,ȱ WeiterbildungsȬControllingȱ ausschließȬ lichȱökonomischȱzuȱinterpretieren.ȱ
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Betriebliche Weiterbildung und Controlling
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263ȱ
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre Herausforderungen aus dem Bologna-Prozess
Prof. Dr. Günther Dey Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Bremen, Werderstraße 73, 28199 Bremen
1
Einleitung ........................................................................................................................ 267
2
Der Bologna-Prozess bis 2007 ....................................................................................... 267
3
Qualitätssicherung durch Akkreditierung.................................................................. 269 3.1 Akkreditierungsrat und Akkreditierungsagenturen........................................ 269 3.2 Wesentliche Inhalte der Qualitätsprüfung......................................................... 270 3.2.1 Modularisierung und Leistungspunkte – ECTS ................................... 271 3.2.2 Lernergebnisse, Qualifikation, Kompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit ........................................................................... 272
4
Europäischer und nationale Qualifikationsrahmen................................................... 274 4.1 Sinn und Bedeutung von Qualifikationsrahmen .............................................. 274 4.2 Dimensionen der Lernziele - Deskriptoren ....................................................... 276
5
Lernziele für die Betriebswirtschaftslehre und das Controlling .............................. 277
6
Schlussbemerkung ......................................................................................................... 281
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 282
265
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
1
Einleitung
Den Hochschulen in Europa wird derzeit einiges an Änderungsbereitschaft abgefordert, nicht zuletzt auch den deutschen Universitäten und Fachhochschulen. Unter dem Stichwort „Bologna-Prozess“ versteht man die gemeinsamen Anstrengungen aller beteiligten Staaten, einen „europäischen Hochschulraum“ zu schaffen. In diesem sollen vor allem die Hochschulabschlüsse vergleichbarer gemacht werden. Aber auch schon die Schritte auf dem Weg zum Abschluss, nämlich der erfolgreiche Besuch bestimmter Lehrveranstaltungen, sollen durch eine neue Form der Dokumentation besser belegt werden. Zu dieser Dokumentation gehört die Beschreibung von Lernzielen, die in Modulen als abgegrenzte Lehr-/ Lerneinheiten erreicht werden sollen. Die Diskussion zur Formulierung solcher Lernziele befindet sich teilweise noch auf einem Niveau recht hoher Abstraktion. Mit diesem Beitrag wird die Einbettung solcher Lernzielbeschreibungen in den Bologna-Prozess dargestellt. Denn nur auf diesem Hintergrund wird der Sinn der Verpflichtung erkennbar, dass alle Fachbereiche oder Fakultäten und damit die Lehrenden in neuer Art und Weise Lernzielbeschreibungen zu erstellen haben. Zunächst skizziere ich kurz die wichtigsten Stationen des Bologna-Prozesses. Anschließend werden die Zielsetzungen der Formulierung sog. Qualifikationsrahmen erörtert. Damit wird das allgemein-abstrakte Beschreibungsraster vorgestellt, das überfachlich für verschiedene Qualifizierungsstufen formuliert ist. Diese Rahmen müssen fachspezifisch gefüllt werden. Aufbauend auf einen ersten, im Frühjahr 2007 vorgelegten Entwurf zu einem Qualifikationsrahmen für die Betriebswirtschaftslehre gebe ich einige Hinweise auf mögliche Konkretisierungen für den Bereich Controlling.
2
Der Bologna-Prozess bis 2007
Eine Abfolge von Konferenzen im Zwei-Jahres-Abstand kennzeichnet diesen Prozess, wobei die einzelnen Stationen zu immer weiter konkretisierten Vorgaben für die Hochschulen führten1: 1999 wurde in Bologna die „Bologna-Deklaration“ von 29 Bildungsministern europäischer Staaten unterzeichnet. Kernpunkt der Deklaration war die Formulierung von sechs Zielen: 1
Vgl. www.hrk-bologna.de
267
Dey
die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (undergraduate/graduate),
die Einführung eines standardisierten Punktesystems für Studienleistungen, die Förderung der Mobilität von Studierenden und Lehrenden durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen,
die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung sowie die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung. 2001 wurde in Prag der Zielkatalog um drei weitere Ziele ergänzt.
Förderung des „Lebenslangen Lernens“, Förderung der Beteiligung der Studierenden an der Gestaltung des europäischen Hochschulraums,
Förderung der Attraktivität des europäischen Hochschulraums. 2003 war Deutschland Gastgeber. Die Konferenz in Berlin führte erneut zu einer Erweiterung, aber auch Konkretisierung der zuvor genannten Ziele. So wurden die ersten beiden Bologna-Ziele mit einer Festlegung auf die Bachelor- / Master-Abschlüsse vereint, zusätzlich sollte die Doktoranden-Ausbildung in den Bologna-Prozess einbezogen werden. Für das Leistungspunktesystem erfolgte eine Festlegung auf das bereits entwickelte ECTS (European Credit Transfer System) mit seiner „Währungseinheit“ 25-30 Stunden Lernaufwand je Leistungspunkt, womit auch die beabsichtigte Verbesserung der Anerkennung von Abschlüssen verbunden war.
2005 im norwegischen Bergen wurden
Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung beschlossen, den beteiligten Staaten die Erstellung nationaler Qualifikationsrahmen auferlegt, Fortschritte erzielt bezüglich der Verleihung und Anerkennung gemeinsamer Abschlüsse, einschließlich Promotionen;
die Schaffung von flexiblen Lernangeboten im Hochschulbereich angeregt, einschließlich der Verfahren für die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse, um den Prozess des lebenslangen Lernens greifbarer zu entwickeln.
268
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
2007 schließlich in London wurde von inzwischen 46 beteiligten Staaten
die Mobilitätsförderung von Studierenden, Wissenschaftlern und Lehrenden besonders betont; vor allem sollten gemeinsame grenzüberschreitende Studiengänge mit „joint degrees“ gefördert werden,
ein Qualitätsregister beschlossen, in dem künftig qualitätsgeprüfte Akkreditierungsagenturen aus unterschiedlichen Staaten zur freien Auswahl durch die Hochschulen verzeichnet werden,
(nicht zuletzt angesichts der Problematik zu vieler zu prüfender Studiengänge) die Prozess- bzw. Systemakkreditierung neben der bisherigen Programmakkreditierung ermöglicht.
3
Qualitätssicherung durch Akkreditierung
3.1
Akkreditierungsrat und Akkreditierungsagenturen
Das Bologna-Ziel der „Förderung der Qualitätssicherung auf institutioneller, nationaler und europäischer Ebene“ bedeutet für die meisten Länder die Schaffung von Akkreditierungsstrukturen. In Deutschland bestimmt ein Akkreditierungsrat über zentrale Grundsätze der Qualitätssicherung. Durch diesen Rat erfolgt zudem die Bestellung (Akkreditierung) von Akkreditierungsagenturen. Diese sind Institutionen, die die Qualitätssicherung von Bildungseinrichtungen überprüfen. Die Agenturen entwickeln Kriterien, anhand derer die Qualitätsprüfungen von Institutionen und/oder Studiengängen durchgeführt werden. Sie sind gehalten, die Kriterien nicht autonom, sondern eingebunden in (trans)nationale QualitätssicherungsNetzwerke zu entwickeln. Faktisch findet diese Entwicklung in einer Wettbewerbssituation statt, wobei die Auftragslage auf Jahre hinaus gesichert erschien: Die Hochschulrektorenkonferenz zählt 5.660 Bachelor- und Masterstudiengänge, die von Universitäten, Fachhochschulen und
269
Dey
anderen Anbietern in Deutschland bisher entwickelt wurden.2 Angesichts einer begrenzten Anzahl von Fachleuten für die Prüfung der Programme ist ein Akkreditierungsstau entstanden, den die Agenturen kaum bewältigen können. So verwundert es nicht, dass über andere Wege der Qualitätssicherung beraten wird. Noch (!) dominiert, von einigen Modellversuchen abgesehen, die Programmakkreditierung. Geprüft werden Studienprogramme – also Studiengänge. Die Londoner Konferenz 2007 ermöglicht im Grundsatz, dass von der Prüfung einzelner Studienprogramme abgegangen wird und stattdessen Prozesse, Institutionen oder – so ein Diskussionsstand im Juni 2007 – „Systeme“ akkreditiert werden. In einer Systemakkreditierung wird die Fähigkeit der anbietenden Hochschule überprüft, Studienprogramme zu entwickeln und durchzuführen, die den geforderten Qualitätsstandards entsprechen. Auf dem Prüfstand stehen daher im Systemverbund die Strukturen, in denen die Qualitätssicherung betrieben wird, und die Prozesse, mittels derer dies geschieht, sowie exemplarisch die Studienprogramme. So lange die Programmakkreditierung noch als Standardverfahren anzusehen ist, gilt eine Erstakkreditierung für den Zeitraum der zweifachen Regelstudienzeit. Anschließend erfolgt eine Re-Akkreditierung, in der die Entwicklungen des Programms, vor allem die Maßnahmen zur Qualitätssicherung geprüft werden.
3.2
Wesentliche Inhalte der Qualitätsprüfung
Ein Akkreditierungsprozess ist ein umfangreiches Vorhaben, dessen Einzelheiten je nach Agentur unterschiedlich ausgestaltet sind.3 Teils fordern die Agenturen neben der Erstellung zahlreicher Dokumente die Abarbeitung kleinräumiger Checklisten oder Tabellen, teils wird aber auch größerer Spielraum gelassen, um die Erfüllung der Anforderungen an eine Akkreditierung darzulegen. Diese beziehen sich vor allem auf
die Bildungsziele des Studiengangskonzeptes, die konzeptionelle Einordnung des Studiengangs in das Studiensystem, das Studiengangskonzept als solches mit seinem Prüfungssystem und den Instrumenten zur Schaffung von Transparenz sowie zur Qualitätssicherung.4 Es sind also u. a. die Institution, ihre strategische Ausrichtung, die Zielgruppen für die Studienprogramme und diese selbst nach grundsätzlicher Ausrichtung, Zeitstrukturen, Inhalten mit Lernzielen und Lehrenden darzustellen.
2 3 4
270
Vgl. o. V., Statistiken zur Hochschulpolitik, 2007, S. 5. Siehe dazu beispielhaft die Hinweise, die die Agenturen auf ihren Websites geben - für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge etwa www.zeva.org oder www.fibaa.de. Vgl. Akkrediterungsrat, Akkreditierung, 2006.
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
Im sog. Kriterium 3 des Akkreditierungsrates zur konzeptionellen Einordnung des Studiengangs ist explizit auf den jeweils gültigen Qualifikationsrahmen verwiesen. Auf solche Rahmenvorgaben gehe ich in Abschnitt 4 dieses Beitrags genauer ein. Unter dem Aspekt der Lernzielbeschreibungen sind vor allem die Aspekte der Modularisierung und deren Abbildung in Leistungspunkten sowie das Konzept der Kompetenzsicherung von Bedeutung.
3.2.1
Modularisierung und Leistungspunkte – ECTS
Mit der im Bologna-Prozess verstärkten Forderung nach der Modularisierung eines Studiums sind die Hochschulen gehalten, die Strukturen ihrer Studienprogramme klarer zu gestalten. In Modulen werden Studieninhalte und Veranstaltungen zu größeren, in sich abgeschlossenen und abprüfbaren inhaltlichen Einheiten zusammengefasst. Ein Modul kann aus mehreren Veranstaltungen unterschiedlichen Typs bestehen, kann also Vorlesungen, seminaristischen Unterricht, (Labor-)Übungen, Veranstaltungen mit Projektcharakter bis hin zu Exkursionen umfassen. Mit der Einführung von Modulen ist der vielleicht wichtigste Aspekt des BolognaProzesses verknüpft: der Perspektivenwechsel „vom Input zum Outcome“. Schon bisher gab es Studienordnungen, in denen die Philosophie eines Studienprogramms beschrieben war; dies geschah jedoch eher unter Betonung der Lehrinhalte, die von den Lehrenden einzubringen waren. Charakteristika von Modulen sind hingegen
ihr Zuschnitt auf bestimmte Lerngebiete, deren Zusammenhang für die Studierenden ersichtlich ist,
die Orientierung an der Arbeitsbelastung der Lernenden, eine Quantifizierung dieser Arbeitsbelastung in Leistungspunkten, das Erreichen der Ziele des Lernprogramms als Voraussetzung des Erlangens dieser Leistungspunkte,
die Formulierung der Ziele als Definition von Lernergebnissen. An diesem letzten Punkt zeigte sich in der praktischen Umsetzung ein großer Schwachpunkt des Prozesses: Es fehlten klare Bezüge, es gab keine Vorgaben, keinen Formulierungsrahmen, keine Best-Practise-Empfehlungen dazu, wie solches zu leisten ist. Seit 2005 liegt eine abstrakte Vorgabe mit dem „Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse“ vor. Als System für die Leistungspunkte hat sich inzwischen das ECTS (European Credit Transfer System) durchgesetzt, in dem ein Leistungspunkt („Credit“) für einen Lern-
271
Dey
aufwand („Workload“) von 25 bis 30 Stunden vergeben wird – sofern das Modul mit einer Prüfung erfolgreich abgeschlossen wird. In der ersten Phase der Umstellung auf die neuen Strukturen ist von vielen Hochschulen eine eher feste Relation von Kontakt- oder Präsenzstunden zum Selbstlernaufwand festgelegt worden (oft 1:2). Für die Erstakkreditierung genügte eine Selbstverpflichtung auf das ECTS. Die Re-Akkreditierungen werden vermutlich eine genauere Belegung des studentischen Lernaufwandes erfordern.
3.2.2
Lernergebnisse, Qualifikation, Kompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit
Die in der in aktuellen Diskussion verwendeten Begriffe Lernziele / Lernergebnisse, Qualifikation, Kompetenzen sowie Beschäftigungsfähigkeit / Employability werden ausgesprochen unterschiedlich genutzt – daher hier ein Versuch der Abgrenzung5: 1. Mit der Bachelor-Master-Struktur wird den Hochschulen auferlegt, ein zweistufiges System von Abschlüssen zu entwickeln6, dessen erste Stufe (also der Bachelor) bereits zu einer Berufsqualifizierung führt. Ein Bachelor-Studium soll so ausgestaltet werden, dass seine Absolventinnen und Absolventen vom Beschäftigungssystem aufgenommen werden können. Sie müssen also zu einer Beschäftigungsfähigkeit (Employability) geführt werden. 2. Um diese Fähigkeit zu besitzen, müssen sie ein beschreibbares Bündel an Kompetenzen besitzen. Diese Kompetenzen werden von den Studierenden im Studium erworben. In Modulbeschreibungen wird erläutert, welche der Kompetenzen mit welchen Studienformen erworben werden können. In der Regel wird unterschieden nach o 5
6
272
fachlichen Kompetenzen
Siehe weitergehend auch Expertengruppe des Forums Bildung, „Kompetenzen“, 2001, darin auf S. 5: „Die Auffassung, wonach ‚Bildung’ auf die Entwicklung der Persönlichkeit ziele, ‚Qualifikation’ hingegen nur auf die ökonomische Verwertung, würde jedoch der Realität von Bildungsprozessen nicht gerecht. Die Herausforderungen des technischen und sozialen Wandels führen zunehmend dazu, dass sich die Anforderungen an die Beschäftigungsfähigkeit (Qualifizierung für den Arbeitsmarkt) immer mehr in Bereiche ausdehnen, die traditionell eher dem Bereich Gesamtpersönlichkeit zugerechnet wurden (z.B. sog. personale und soziale Kompetenzen). Persönlichkeitsentwicklung wiederum umfasst nicht nur die individuelle Selbstentfaltung, sondern auch die Fähigkeit, Verantwortung für andere und die Gemeinschaft zu übernehmen. Ohne eine vielseitig entwickelte Gesamtpersönlichkeit mit ausgeprägten Kompetenzen für persönliches und soziales Handeln ist Beschäftigungsfähigkeit heute nicht mehr denkbar; umgekehrt ist die Fähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, eine notwendige Voraussetzung für die Entfaltung der eigenen Person und für die Teilhabe an der Gesellschaft.“ Die dritte Stufe (Promotion) bleibt hier außer Betracht.
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
o
methodischen Kompetenzen
o
sozialen Kompetenzen und
o
Selbst- bzw. personalen Kompetenzen.
3. Die fachlichen Kompetenzen sind das, was in einem engeren Sinn als Qualifikation beschrieben ist, nämlich Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse, die situationsbezogen in einem beruflichen Umfeld auf Qualifikationsanforderungen treffen. Beschäftigungsfähigkeit wird somit nicht nur durch den Erwerb einer bestimmten Fach-Qualifikation erreicht. Im häufig verwendeten Begriff „Schlüsselqualifikationen“, der die drei letztgenannten Kompetenzbereiche aus Nr. 2 umfasst, wird die Abgrenzung hingegen unscharf. 4. Lernergebnisse („Learning Outcomes“) beschreiben die in den Modulen erworbenen Kompetenzen genauer. Der Begriff Lernziele kann synonym gebraucht werden. Was ist nun der Kern solcher Akkreditierungen, soweit sie für das Thema Lernzielbeschreibungen von Bedeutung sind? Wesentliche Punkte der Qualitätsprüfung sind in der Regel,
ob für das Studienprogramm und einzelne Module Lernergebnisse definiert wurden,
ob die Konzeption des Curriculums sichtbar darauf ausgerichtet ist, dass diese Lernergebnisse erreicht werden können,
wie sichergestellt wird, dass die Studierenden die formulierten Kompetenzen erreichen,
ob mit den vorgesehenen Prüfungsformen sich hinreichend feststellen lässt, ob sie die Kompetenzen erworben haben,
ob und inwieweit die Programmverantwortlichen interne Evaluationen zur Qualitätsverbesserung der Studienangebote durchführen und die Ergebnisse nutzen. So weit überhaupt Websites von Fachbereichen Informationen zu diesen Fragen darbieten, sind dort noch viele „Baustellen“ zu identifizieren. Das Dilemma beschreibt Wildt vom hochschuldidaktischen Zentrum der Universität Dortmund: „Den ‚Learning Outcome’ als ‚Kompetenzen’ zu formulieren, bereitet den Autoren der neuen Studiengänge offensichtlich das größte Problem. Schließlich genügt es in der Perspektive nicht einfach, die herkömmlichen Inhalte mit ‚Kennen’ und die Beherrschung von Forschungsmethoden mit ‚Können’ zu belegen, wenn es im Kern bei Kompetenzen um die Kombination von ‚Wissen, Fähigkeiten, Werthaltungen und Motivation’ zu situationsangemessenem und verantwortlichem Handeln in Situationen hochgradiger Komplexität und Unsicherheit orientiert an professionellen Standards nach Bley geht. Im Bezug darauf ‚Schlüsselkompetenzen’ als ‚Learning Outcomes’ 273
Dey
zu definieren, gelingt offensichtlich in den wenigsten Fällen überzeugend. Dazu fehlt allerdings bislang eine systematische Metaevaluation der Ergebnisse des gewaltigen Aufkommens von Qualitätssicherung.“ 7 Hilfestellung entsteht erst langsam mit der Konkretisierung von Qualifikationsrahmen.
4
Europäischer und nationale Qualifikationsrahmen
4.1
Sinn und Bedeutung von Qualifikationsrahmen
„Ein Qualifikationsrahmen ist eine systematische Beschreibung der Qualifikationen, die das Bildungssystem eines Landes hervorbringt. Diese Beschreibung beinhaltet:
eine allgemeine Darstellung des Qualifikationsprofils eines Absolventen, der den zugeordneten Abschluss besitzt,
eine Auflistung der angestrebten Lernergebnisse (outcomes), eine Beschreibung der Kompetenzen und Fertigkeiten, über die der Absolvent verfügen sollte,
eine Beschreibung der formalen Aspekte eines Ausbildungslevels (Arbeitsumfang in ECTS-Credits, Zulassungskriterien, Bezeichnung der Abschlüsse, formale Berechtigungen).“8 Ein Qualifikationsrahmen ist zunächst ein „abstraktes Gerüst“, um Beziehungen von Qualifikationen zu entwickeln, zu beschreiben und zu systematisieren. Er zeigt also nicht die konkreten Qualifikationen auf, die jemand erwirbt.9 Als Zweck von Qualifikationsrahmen gilt vor allem eine höhere Transparenz der Bildungswege, was als Voraussetzung für verbesserte Information und Mobilität aller Bildungsteilnehmer und Beschäftigten anzusehen ist. Durch Orientierung an Lerner7 8 9
274
Wildt, J., Vom Lehren zum Lernen, 2005, S. 6, Nr. 8. Aus: Vorbemerkung zum „Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse“, 2007, S. 240. Vgl. Rathjen, J., Qualifikationsrahmen, 2007, S. 231 ff.
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
gebnissen und damit erworbenen Kompetenzen sollen Bildungsgänge und -abschlüsse besser vergleichbar werden. Der 2005 verabschiedete „Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse“ ist dabei nur ein Teilschritt eines weitergehenden Programms, das über Hochschulen hinausgeht und alle Bildungsgänge umfassen soll. Hierfür ist auf europäischer Ebene der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) in Arbeit, er soll bis Ende 2007 verabschiedet sein. Seine nationale Umsetzung wird in einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) münden. Unter den Gesichtspunkt des „lebenslangen Lernens“ werden der EQR und der DQR künftig auch für den Hochschulbereich Bedeutung bekommen. Mittelfristig wird man sich aber mit dem genannten „Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse“ zu befassen haben. In diesem sind – notwendigerweise abstrakt, da fächerübergreifend – systematische Qualifikationsbeschreibungen vorgenommen. Folgende Grundannahmen werden dafür formuliert:
Der Qualifikationsrahmen soll mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen kompatibel sein.
Der Qualifikationsrahmen beinhaltet fachunspezifische Beschreibungen. Fachspezifische Ausgestaltungen liegen bei den Fächern und den Hochschulen. Der Qualifikationsrahmen dient nur als Referenzrahmen.
Es werden hochschultypunabhängige Beschreibungen formuliert: Der Qualifikationsrahmen unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Die unterschiedlichen Bildungsziele dieser Hochschularten sollen nicht in Frage gestellt, sondern für die Entwicklung der neuen Strukturen nutzbar gemacht werden.
Zur Verbesserung der Akzeptanz für den Qualifikationsrahmen wurde bereits in der Entwicklungsphase eine Rückkopplung mit allen relevanten Akteuren gesucht (Fakultäten- und Fachbereichstage, Studierende, Sozialpartner, Akkreditierungsagenturen).10 Der Qualifikationsrahmen unterscheidet entsprechend dem Bologna-Prozess drei Stufen (Level): die Bachelor-, die Master- und die Doktorats-Ebene. Er beschreibt die Dauer des Studiums (3-4 Jahre Bachelor-, 1-2 Jahre Master-, ohne Zeitangabe Doktoratsstudium) und die zugehörigen zu erreichenden Leistungspunkte nach dem ECTS. Auf Basis eines KMK-Beschlusses, wonach die Master-Ebene 300 Leistungspunkten entsprechen muss, kommt damit ein Bachelor-Absolvent auf 180 bis 240 Credits; ein Master-Studium umfasst somit 60 bis 120 Credits. Innerhalb des Rahmens werden allgemein Lernziele nach diesen Stufen beschrieben. In der Konkretisierung auf ein bestimmtes Fach ergeben sich daraus interessante As10
Vgl. ebenda, S. 241 f.
275
Dey
pekte, welche Lernergebnisse von einem Bachelor-Absolventen, welche hingegen erst von einem Master-Absolventen erwartet werden.
4.2
Dimensionen der Lernziele - Deskriptoren
Auf unterschiedlichen Ebenen wurde an der Verfeinerung von Lernzielen gearbeitet. Im Europäischen Qualifikationsrahmen werden als sog. Deskriptoren verwendet:
Kenntnisse: Theorie- und/oder Faktenwissen, Fertigkeiten (als kognitive und faktische Fertigkeiten), Kompetenz: Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit.11 Im Rahmen des Bologna-Prozesses haben die Dublin Descriptors Bedeutung erlangt, die von der Joint Quality Initiative12 entwickelt wurden. Auch wurden Ergebnisse des Tuning-Projekts13 berücksichtigt, um für den Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse Kategorien zu Lernergebnissen zu bestimmen. Als Deskriptoren gelten hier:
Wissen und Verstehen mit den Ausprägungen Wissensverbreiterung und Wissensvertiefung,
Können im Sinne von instrumentalen, systemischen und kommunikativen Kompetenzen. „Die Kategorie Wissen und Verstehen beschreibt die erworbenen Kompetenzen mit Blick auf den fachspezifischen Wissenserwerb (Fachkompetenz). Die Kategorie Können umfasst die Kompetenzen, die einen Absolventen dazu befähigen, Wissen anzuwenden (Methodenkompetenz) und einen Wissenstransfer zu leisten. Darüber hinaus finden sich hier die kommunikativen und sozialen Kompetenzen wieder.“14 Der Qualifikationsrahmen fasst diese Kategorien auf den drei Niveaustufen „Bachelor“, „Master“ und „Doktorat“ in fachübergreifende Beschreibungen, von denen hier Auszüge für die Ausprägung „Wissensvertiefung“ auf Bachelor- und Master-Ebene wiedergegeben werden:15
Bachelor: „Sie verfügen über ein kritisches Verständnis der wichtigsten Theorien, Prinzipien und Methoden ihres Studienprogramms und sind in der Lage ihr Wis-
11 12 13 14 15
276
Europ. Qualifikationsrahmen, Anhang I. Vgl. www.jointquality.nl. Vgl. http://bologna.owwz.de/glossar.html - Tuning-Projekt. Erläuterungen zum Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse, 2007, S. 242. Vgl. Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse, S. 245 bzw. 247.
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
sen vertikal, horizontal und lateral zu vertiefen. Ihr Wissen und Verstehen entspricht dem Stand der Fachliteratur, sollte aber zugleich einige vertiefte Wissensbestände auf dem aktuellen Stand der Forschung in ihrem Lerngebiet einschließen.“
Master: „Ihr (der Masterabsolventen, G.D.) Wissen und Verstehen bildet die Grundlage für die Entwicklung und/oder Anwendung eigenständiger Ideen. Dies kann anwendungs- oder forschungsorientiert erfolgen. Sie verfügen über ein breites, detailliertes und kritisches Verständnis auf dem neusten Stand des Wissens in einem oder mehreren Spezialbereichen.“
5
Lernziele für die Betriebswirtschaftslehre und das Controlling
Diese Lernzielbeschreibungen in ihrer grundsätzlichen und damit noch sehr abstrakten Formulierung müssen nun also konkretisiert werden, um studienprogrammbezogen oder noch weiter auf einzelne Module bezogen die anzustrebenden Lernergebnisse zu formulieren und (!) zu kommunizieren. Die Studierenden bekommen damit klarer als bisher Hinweise darauf, was von ihnen erwartet wird. Gleichzeitig kann das Instrument Lernzielbeschreibungen genutzt werden, um nach außen an potenzielle Arbeitgeber zu kommunizieren, welche Ausrichtung ein Studienprogramm erfährt. Insbesondere aber kann das Instrument genutzt werden, um auch intern Erwartungen an Module mit dem tatsächlich Angebotenen abzugleichen und ggf. bessere Abstimmungen zu erreichen. Für den Bereich der Fachhochschulen hat es bei der Betriebswirtschaftslehre ebenso wie bei der Sozialarbeit koordinierte Ansätze gegeben, den Qualifikationsrahmen disziplinbezogen zu konkretisieren. Eine Arbeitsgruppe bei der Bundesdekanekonferenz der wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereiche an Fachhochschulen16 hat hierzu einen Vorschlag vorgelegt, der in den Jahren 2007 und 2008 intensiv diskutiert werden und am Ende als Empfehlung für die Arbeit in den Fakultäten und Fachbereichen gelten soll. 17 Für den Deskriptor „Wissensverbreiterung“ beispielsweise wird auf Bachelor-Ebene vorgeschlagen:
16 17
Vgl. www.bundesdekane.de Gehmlich, V., Qualifikationsrahmen Betriebswirtschaftslehre, 2007, S. 261-279.
277
Dey
„Der Absolvent kann …
Organisationen (Unternehmen, Betriebe, Institutionen) und ihre Elemente definieren, unterscheiden und die Zusammenhänge verstehen. Dazu gehören: Zwecke, Ziele, Strukturen, Funktionen und Prozesse unter Beachtung der jeweiligen Organisationskultur, des individuellen Verhaltens und ihrer Auswirkungen nach innen und außen.
das Umfeld der Organisationen und seiner Elemente erkennen, unterscheiden und die Zusammenhänge verstehen. Dazu gehören: Wirtschaft, Umwelt, Werte und Normen, Recht, Politik, Gesellschaft, Technologie, einschließlich ihrer jeweiligen Auswirkungen für das Management auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene.
Konzepte und Instrumente des Managements erklären und bewerten. Dazu gehören: Prozesse und Verfahren effektiver und effizienter Führung von Organisationen. Dies beinhaltet Wissen über Theorien, Modelle und die Entscheidungsfindung im strategischen und operativen Kontext.“ Zur „Wissensvertiefung“ wird konkretisiert: „Der Absolvent kann …
die primären Aktivitäten einfacher Wertschöpfungsketten definieren, erklären und die Zusammenhänge kritisch hinterfragen
(…) die unterstützenden Aktivitäten der Wertschöpfungskette definieren, erklären und die Zusammenhänge kritisch hinterfragen. Dazu gehören: o
Finanzierung / Controlling: Steuerung der Finanzströme, Informationsversorgung durch internes und externes Rechnungswesen
o
Humanressourcenmanagement
o
Informations- und Kommunikationsmanagement (Inhalte, Systeme und Technologien)
o
Organisationsentwicklung / Change Management“18
Ein solcher Rahmen könnte für ein gesamtes Studienprogramm Betriebswirtschaftslehre eine Orientierung sein, noch nicht aber für Lernzielbeschreibungen auf Modulebene oder auf der Ebene eines Schwerpunktes, in dem Module, z. B. zum Controlling, 18
278
Gehmlich, V., Qualifikationsrahmen Betriebswirtschaftslehre, 2007, S. 268 und 269.
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
gebündelt sind. In Akkreditierungsverfahren wird aller Voraussicht nach aber auch diese Ebene genauer zu beschreiben sein. Beispielhaft sei dies an Lernzielen für das Controlling ausgeführt. Es geht dabei nicht um eine Vereinheitlichung solcher Beschreibungen; jeder Lehrstuhl, jedes Kollegium, jeder Fachbereich oder jede Fakultät ist vielmehr frei in der Schwerpunktsetzung oder der Betonung spezifischer Aspekte, die einer Profilbildung zuträglich sein können. Auch ist keine Vereinheitlichung auf eine bestimmte Lehrmeinung oder Denkschule nötig.19 Inwieweit die nachstehenden Beschreibungen auf einen Studienschwerpunkt, ein Modul (etwa: „Strategisches und operatives Controlling“) oder eine einzelne Veranstaltung zur Budgetierung bezogen sein können, mögen diejenigen entscheiden, die künftig solche Beschreibungen zu erstellen haben. 20 Kategorie Wissen: Der Absolvent
kann die wichtigsten Controlling-Konzeptionen verstehen und kritisch beurteilen; kann den Informationsbedarf des Managements (generell bzw. funktions- oder situationsbezogen, je nach Modul) beurteilen;
kennt die Theorien und Instrumente zur Analyse von Stärken und Schwächen von Unternehmen sowie ihrer Chancen und Risiken in der Unternehmensumwelt und kann sie in ihrer Aussagekraft beurteilen;
kann die Zusammenhänge und Interdependenzen von Budgets für Teilbereiche eines Unternehmens beschreiben;
kann die wesentlichen Elemente einer Erfolgs- und einer Finanzplanung definieren, unterscheiden und in ihren Zusammenhängen verstehen;
kennt Modelle der Integration von Erfolgs-, Finanz- und Bilanzplanungen und kann diese kritisch beurteilen;
kann die Anforderungen an das Berichtswesen eines Unternehmens beschreiben; kann IT-Werkzeuge zur Unterstützung des Controllings unterscheiden, erläutern und beurteilen.
19
Der Autor hat in einer Diskussionsrunde zum Thema die häufig geäußerte Meinung vernommen, vor einem Konsens über Lernziele zum Controlling müsse ein Konsens über ein Verständnis dessen erreicht sein, was Controlling sei. Man kann statt diese Auseinandersetzung – nicht – zu Ende zu führen, ganz einfach das erstgenannte Lernziel formulieren. 20 Die verschiedenen Vorschläge sind überarbeitete Diskussionsergebnissen von Arbeitsgruppen des AKC (Arbeitskreis von Controlling-Lehrenden an Fachhochschulen) entnommen. Sie sind zur Unterstützung und nicht in der Absicht entstanden, einen „Qualifikationsrahmen Controlling“ zu formulieren. Ein solcher wird als nicht notwendig erachtet.
279
Dey
Kategorie Können - instrumental: Der Absolvent kann
Instrumente des strategischen und operativen Controllings kontextbezogen einsetzen;
komplexe controllingrelevante Sachverhalte durch Auswahl geeigneter Instrumente analysieren;
das Management durch die Beschaffung und Aufbereitung (zielorientierter) Führungsinformationen unterstützen;
die Instrumente zur Analyse von Stärken und Schwächen eines Unternehmens sowie der Chancen und Risiken für das Unternehmen identifizieren, auswählen, anwenden und hierfür die notwendigen Daten beschaffen;
die für die Planung, Steuerung und Kontrolle eines Unternehmens oder Unternehmensbereiches erforderlichen Kennzahlen identifizieren oder ggf. konzipieren, ermitteln und in ihrer Aussage beurteilen;
den Prozess der Ableitung operativer Ziele aus strategischen Zielen implementieren;
an der Erstellung von operativen Plänen und Budgets mitwirken; den Zusammenhang von Budgets für Teilbereiche eines Unternehmens erkennen und in integrierender Sicht ein Gesamtbudget entwickeln;
Wirkungsanalysen und Abweichungsanalysen durchführen.
Kategorie Können – kommunikativ: Der Absolvent kann
einem fachfremden Publikum die Notwendigkeit des Controllings mit seinen wesentlichen Zielsetzungen erläutern;
die für die Planung, Steuerung und Kontrolle eines Unternehmens oder Unternehmensbereiches erforderlichen Kennzahlen einem Adressaten erläutern;
Analysen von Unternehmensdaten vor Fachpublikum und fachfremdem Publikum darstellen und verteidigen.
280
Lernzielbeschreibungen für eine moderne Controlling-Lehre
Kategorie Können - systemisch: Der Absolvent kann
an der Gestaltung des Planungs- und Kontrollsystem und des Informationsversorgungssystems mitwirken;
aufbauend auf einer Analyse der Unternehmenslage die passenden Kostenrechnungskonzepte identifizieren und zur Einführung vorschlagen;
mit geeigneten IT-Werkzeugen (einfache) Abläufe einer Unternehmensplanung selbst gestalten und nutzen;
das Berichtswesen eines Unternehmens mit Hinblick auf Erfordernisse der Empfänger von Standardberichten oder ad-hoc-Berichten und Abweichungsanalysen gestalten. Diese Zusammenstellung möglicher Lernzielbeschreibungen soll als allgemeine Anregung verstanden werden. Sie wurde mit Blick auf ein Bachelor-Programm formuliert. Bei manchen wird man fragen: Ist das für einen Bachelor zu weitgehend? Vermittelt das Modul in der vorgesehenen Zeit einschließlich Selbstlernaufwand den Studierenden tatsächlich diese Kompetenzen oder müssen der „Input“ und/oder die Methodik verändert werden? Auf jeden Fall wird der Blick stärker darauf gerichtet, was bei den Lernenden geschieht. Dieser Blickwechsel ist eines der zentralen Elemente des Bologna-Prozesses.
6
Schlussbemerkung
Der Bologna-Prozess wird alle Beteiligten auch auf der Fächerebene vor neue Herausforderungen stellen. Lernzielbeschreibungen spielen in den Akkreditierungsverfahren eine zunehmend wichtige Rolle. Hierfür müssen sich die Verantwortlichen den Anforderungen stellen, die aus den beschlossenen oder sich noch in Entwicklung befindenden Qualifikationsrahmen resultieren. Der Prozess bietet dabei auch Chancen äußerer und innerer Transparenz, welche bei der Planung von Studienprogrammen wie auch für die Kommunikation der Studienziele nach außen stärker als bisher entwickelt werden kann. In diesem Sinne sollte der Beitrag Anregungen liefern, die Kommunikation über die Lehrinhalte anhand veränderter Beschreibungen modern zu gestalten. Ob dies dazu führen muss, die Lehre selbst in Inhalt oder Methodik zu modernisieren, kann an dieser Stelle offen bleiben. Solches könnte durchaus ein Ergebnis der Formulierung von Lernzielbeschreibungen sein.
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Dey
Literaturverzeichnis
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Teil 2 Rechnungslegung
1
Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
Univ.-Prof. Dr. Stefan Müller Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Holstenhofweg 85, 22043 Hamburg
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Problemaufriss................................................................................................................ 287
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Grundsachverhalte......................................................................................................... 288
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Externes Nutzenpotenzial ............................................................................................. 291
4
Internes Nutzenpotenzial bei konvergenter Ausgestaltung ..................................... 294
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Fazit.................................................................................................................................. 298
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 299
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Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
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Problemaufriss
Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage von Unternehmen ist eine primär quantitative Abbildung entscheidungsrelevanter Sachverhalte nötig. Während interne Abbildungen vom Controlling zur Unterstützung etwa der Erfolgs-, Finanz- und Risikoführung benötigt werden, sind externe Unternehmensabbildungen in Form von Jahresabschlüssen gesetzlich verankert und müssen Eigen- und Fremdkapitalgebern sowie ggf. auch weiteren Stakeholdern und der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Benötigt werden retrospektive, aktuelle und prospektive Abbildungen des Unternehmens und seiner Umwelt mit quantifizierten und damit erst die Entscheidungen fundierenden bzw. die Steuerung ermöglichenden Größen. Art und Umfang dieser Abbildungen sind jedoch in der Handhabung der Praxis, von der betriebswirtschaftlichen Theorie und auch in der juristischen Kodifizierung nicht abschließend bestimmt, vielmehr ist eine ständige Weiterentwicklung von Abbildungssachverhalten, -regeln, -instrumenten und -verfahren zu konstatieren, die derzeit z.B. stark beeinflusst wird von den Grundströmungen der Shareholder-Value-Orientierung, Corporate Governance und Globalisierung. Aufgrund der differierenden Rechenzwecke hat sich primär in Deutschland eine klare Teilung des Rechnungswesens in ein internes, den Managementprozess unterstützendes und überwachendes sowie ein externes, stark steuerrechtlich orientiertes und bilanzpolitisch gestaltbares Rechnungswesen herausgebildet. Diese Trennung wird durch die stärkere Verbreitung der IFRS aber auch aus Veränderungen der Rahmenbedingungen des Rechnungswesens kritisch hinterfragt. Die Konvergenz- oder ReIntegrationsdiskussion führt gegenwärtig zur Überprüfung der Ausgestaltung der unterschiedlichsten internen und externen Rechnungsweseninstrumente unter verschiedenen Konvergenzaspekten. Neben der im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion befindlichen Konvergenz interner und externer Ausprägungen sind weitere zentrale Konvergenzen hinsichtlich der Bereiche national differierender Ausgestaltungen, der finanzwirtschaftlichen, bilanziellen und risikoorientierten Ausrichtung und der retrospektiven und prospektiven Ausprägung von Rechnungsweseninstrumenten anzustreben. Das Instrument der Kapitalflussrechnung mit der zentralen Betrachtung der Cashflows nimmt in dieser Diskussion eine besondere Rolle ein. Grundsätzlich ermöglicht sie die Dokumentation und Analyse von Entwicklung, Herkunft und Verwendung der Finanzmittel, durch die im Jahresabschluss neben der Darstellung von Vermögen und Kapital als Stichtagswerte in der Bilanz sowie der Erträge und Aufwendungen als Zeitraumrechnung in der GuV dann auch die Ein- und Auszahlungen der betrachteten Periode abgebildet werden. In dem vorliegenden Beitrag wird die konvergente Wirkung der Kapitalflussrechnung aufgezeigt, wofür zunächst kurz die Grundsachverhalte sowie die externen und internen Nutzenpotenziale dargestellt werden. Darauf auf-
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Müller
bauend wird abschließend die Einbindung in das konvergente Rechnungswesen diskutiert.
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Grundsachverhalte
Nach internationalen Rechnungslegungsnormen gehört eine Kapitalflussrechnung (Cashflow-Statement), die eine adäquate Beurteilung der Finanzlage zulässt, bereits seit Jahren zum Pflichtbestandteil des Jahresabschlusses.1 In Deutschland ist die Kapitalflussrechnung erst seit 1998 gem. § 297 Abs. 1 S. 1 HGB ein Pflichtbestandteil des Konzernabschlusses2 zunächst nur für börsennotierte Gesellschaften, mit der Verabschiedung des BilReG ab 2004 für alle Mutterunternehmen, wobei DRS 2 zu beachten ist.3 Gleichwohl wurden auch schon vorher auf freiwilliger Basis Kapitalflussrechnungen veröffentlicht. Gründe dafür liegen in der zunehmenden Bedeutung der Corporate Governance, des „Investor-Relations-Gedankens“ und nicht zuletzt auch in der wachsenden Tendenz zur Konzernierung und Globalisierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte sowie vor allem der Finanzmärkte. Auch mittelständische Unternehmen waren dadurch oft gezwungen, sich den Informationserwartungen eines internationalen Eigentümer- und Geschäftspartnerkreises zu stellen. Die Kapitalflussrechnung kann originär oder derivativ abgeleitet werden.4 Bei erstgenannter erfolgt die Ableitung direkt aus dem Unternehmen, unter Einbeziehung der zahlungswirksamen Kontenumsätze, was weitere Aufgliederungen nach Produkten, Stellen, Bereichen und Segmenten ermöglicht. Die derivativ abgeleitete Kapitalflussrechnung wird auf Basis zweier aufeinander folgender Jahresabschlüsse erstellt. Dieses Verfahren ist sowohl unternehmensintern als auch -extern durchführbar.5 Zunächst werden die Beständedifferenzen aus den Salden der einzelnen Bestände zweier aufeinander folgender Stichtagsbilanzen abgeleitet. Durch Umgliederung der negativen Beständedifferenzen auf die jeweils andere Seite der Bilanz entsteht ein Bewegungsbild,6 wobei die ermittelten Bestandsdifferenzen als Mittelbewegungen interpretiert werden können, die die finanzwirtschaftlichen Vorgänge anzeigen. Die Finanzflüsse sind jedoch noch nicht direkt aus der Bewegungsbilanz zu entnehmen, da beispielsweise Aktivminderungen auch durch nichtzahlungsbegleitete Abschreibun1 2 3 4 5 6
288
Vgl. IAS 7 ‚Cash Flow Statements’ und SFAS 95 ‚Statement of Cash Flows’. In Einzelabschlüssen kann die Kapitalflussrechnung von externer Seite weitgehend problemlos selber erstellt werden, so dass sie dort nicht als Pflichtbestandteil notwendig ist. Materiell unterscheidet sich der 1995 herausgegebene Standard des Hauptfachausschusses des Institutes der Wirtschaftsprüfer und der DRS 2 nur marginal. Vgl. Küting, K./Weber, C.-P.: Konzernabschluss, 2005, S. 527-528. Vgl. Lachnit, L.: Bilanzanalyse, 2004, S. 299. Vgl. Lachnit, L.: Finanzplanung, 2001, Sp. 895.
Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
gen verursacht sein können. Es ist daher nötig, das in der Bewegungsbilanz unter Passivmehrung ausgewiesene Jahresergebnis durch die gesamten Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung zu ersetzen, wobei zunächst die Aufwendungen als Mittelverwendung und die Erträge als Mittelherkunft klassifiziert werden. Bei ausreichender Detailliertheit der Untergliederung können jetzt die aus Abgrenzungsbuchungen resultierenden, nicht zahlungsbegleiteten Vorgänge sowohl in der GuV als auch in der Bewegungsbilanz visualisiert werden. Da durch das System der doppelten Buchhaltung Kontenbewegungen stets Soll und Haben berühren, finden sich die zu eliminierenden nicht zahlungsbegleiteten Vorgänge sowohl auf der Mittelherkunft als auch auf der Mittelverwendungsseite. So stehen z.B. die o.g. aktivmindernden Abschreibungen, die zunächst fälschlich als Mittelherkunft interpretiert wurden, in der GuV unter den Aufwendungen, die zunächst als Auszahlungen und damit als Mittelverwendung klassifiziert wurden. Durch beidseitige Eliminierung dieser Vorgänge sind die tatsächlichen Finanzflüsse zu erhalten,7 wobei die folgende Abbildung einen Überblick der Vernetzungen zwischen Erfolgs-, Bilanz- und Kapitalflussrechnung erlaubt:
Abbildung 2-1:
Vernetzungen von Erfolgsrechnung, Bilanz und Kapitalflussrechnung8
Vorgang
I.
Erfolgsrechnung Aufwand Ertrag
Veränderungsbilanz + A/-P + P/-A
Kapitalflussrechnung Auszahlung Einzahlung
Erfolgszahlungen Erfolgseinzahlungen Erfolgsauszahlungen nicht zahlungsbegleitete Erträge nicht zahlungsbegleitete Aufwendungen Erhöhung Working Capital Vermind. Working Capital
II.
Investitionszahlungen Investitionsauszahlungen Desinvestitionseinzahlungen
III. Finanzierungszahlungen Kreditrückzahlungen Krediteinzahlungen Eigenkapitaleinzahlungen IV. Erfolgssaldo V.
7 8
Liquiditätssaldo
Vgl. Lachnit, L.: Unternehmensführung, 1989, S. 132. Quelle: Lachnit, L./Müller, S.: Unternehmenscontrolling, Wiesbaden 2006, S. 183.
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Die Berichtigung der Daten aus Bilanz und Erfolgsrechnung um zahlungsunwirksame Positionen kann sowohl direkt als auch indirekt geschehen. Bei der direkten Methode werden zur Ermittlung des Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit sämtliche Aufwendungen und Erträge, die beim Entstehen keinen Finanzmittelfluss bewirkt haben, eliminiert. Es werden demnach ausschließlich Erfolgsein- und Erfolgsauszahlungen erfasst und dargestellt. Bei der indirekten Erfassung werden ausgehend von einer Gewinngröße die zahlungsunwirksamen Aufwendungen addiert und die zahlungsunwirksamen Erträge subtrahiert.9 Nach diesen Saldierungen zwischen Erfolgsrechnung und Veränderungsbilanz bleibt aus dem Beständeänderungsbild eine Übersicht der erfolgsneutralen Investitions- und Finanzierungszahlungen und aus dem Erfolgsbild eine Darstellung der Erfolgseinnahmen und Erfolgsausgaben der Periode, wobei ein Bruttoausweis zu beachten ist und eine Untergliederung in die Bereiche Cash provided by/used for Operating Activities (Fondsveränderung aus operativer Tätigkeit), Cash provided by/used for Investing Activities (Fondsveränderung aus Investitionstätigkeit) und Cash provided by/used for Financial Activities (Fondsveränderung aus Finanzierungstätigkeit)10 zu erfolgen hat. Als Gesamtwirkung dieser Finanzvorgänge ergibt sich die Mehrung oder Minderung des Bestandes an Finanzmitteln, der bei Verwendung eines Finanzmittelfonds der liquiden Mittel der Änderung der Bilanzposition entsprechen muss.11 Generell besteht die Hauptaufgabe der Kapitalflussrechnung als dritte Jahresrechnung auf dieser Basis in der detaillierten Offenlegung der Zahlungsströme,12 um Unternehmensführung, Gläubigern, Investoren und der Öffentlichkeit Informationen zu liefern über
die Fähigkeit des Unternehmens, Zahlungsüberschüsse zu erwirtschaften; den künftigen Finanzierungsbedarf; die Fähigkeit des Unternehmens, Verbindlichkeiten nachzukommen und Dividen
9 10
den zu zahlen; die Insolvenzanfälligkeit des Unternehmens im Rahmen von Kreditwürdigkeitsprüfungen; mögliche Divergenzen zwischen dem ausgewiesenen Jahresergebnis und den zugehörigen Zahlungsströmen; die Auswirkungen zahlungswirksamer und zahlungsunwirksamer Investitionsund Finanzierungsvorgänge auf die finanzielle Lage des Unternehmens.13
Vgl. Lachnit, Bilanzanalyse, 2004, S. 302. Vgl. Dyckman, T. R./Dukes, R. E./Davis, C. J.: Intermediate Accounting, 1998, Vol. 2, S. 11921194. 11 Vgl. Lachnit, L.: Modell zur integrierten Erfolgs- und Finanzlenkung (ERFI), 1992, S. 60-65. 12 Vgl. Küting, K./Weber, C.-P.: Konzernabschluss, 2001, S. 472. 13 Vgl. Kremin-Buch, B.: Internationale Rechnungslegung, 2000, S. 218; Wysocki, K. v.: Kapitalflußrechnung, 1998, S. 7.
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Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
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Externes Nutzenpotenzial
Das Nutzenpotenzial von Rechnungswesendaten ist generell abhängig von deren Relevanz und Verlässlichkeit.14 Letzteres ist bei der Kapitalflussrechnung durch die verwendeten Kalküle Ein- und Auszahlungen, die kaum unbewusst verändert oder abschlusspolitisch überformt werden können, weitgehend gegeben. Eine Ausnahme stellen offensichtliche sachverhaltegestaltende Maßnahmen zur Veränderung der Cashflowgrößen dar, wie sie etwa bei gezielten Änderungen des Working Capital erfolgen können. Zudem ergibt sich hinsichtlich der Darstellung ggf. Anpassungsbedarf. So wird einerseits hinsichtlich des zugrunde gelegten Fonds von den Rechnungslegungskonzeptionen und andererseits bezüglich der Unterteilung in Zwischengrößen bzw. Gliederungspunkte mit verschiedenen Definitionen gearbeitet.15 Empirisch kann das Ausmaß der Überformungen z.B. bei der Umstellung von HGB auf IFRS betrachtet werden. Immerhin 31% aller Unternehmen, die in den Jahren 2004-2006 auf IFRS umgestellt haben und im DAX, MDAX oder SDAX notiert sind, bieten eine Überleitung der Kapitalflussrechnung im Rahmen der Erläuterung der Auswirkungen der Erstanwendung. Generell überrascht diese vergleichsweise hohe Zahl zunächst, da einerseits die Kapitalflussrechnung nur Finanzflüsse aufzeigt, deren Vorteil es ja gerade ist, dass Bewertungsspielräume diese nicht verändern können. Somit können auch reine Umbewertungsmaßnahmen keine Auswirkungen auf die Kapitalflussrechnung haben. Andererseits gilt gerade die Kapitalflussrechnung nach IAS 7 sowohl als Vorbild für die deutsche Regelung im DRS 2 als auch für die nach US-GAAP. Gleichwohl kommt es bei einigen Unternehmen zu Unterschieden, die primär bedingt sind durch
eine andere Definition des zugrunde liegenden Fonds, d.h. in wie weit neben den liquiden Mitteln noch kurzfristige Wertpapiere mit einbezogen werden,
Änderungen des Konsolidierungskreises, so dass sich die Abbildungsbasis verändert hat, und
Umpositionierungen von Zinszahlungen, Leasinggeschäften sowie weiteren Einund Auszahlungen. Bei Letzterem wird im Gegensatz zu den ersten beiden Gründen der ausgewiesene Liquiditätsbestand nicht verändert, sondern es kommt nur zu Verschiebungen zwischen den dargestellten Positionen der Kapitalflussrechnung: Cashflow aus operativem Geschäft, aus der Investitionstätigkeit und aus der Finanzierungstätigkeit. Das Ausmaß der Unterschiede stellt sich wie folgt dar:16
14
Vgl. Kirschenheiter, M.: Information Quality, 1997, S. 43-60 und Müller, S./Peskes, M.: Segmentberichterstattung, 2006, S. 35-37. 15 Vgl. Müller, S.: Management-Rechnungswesen, 2003, S. 443. 16 Entnommen aus: Müller, S.: IFRS, 2007, S. 160.
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Abbildung 3-1:
Auswirkungen der Überleitung des Cashflows aus operativer Tätigkeit von HGB/US-GAAP auf IFRS
Dürr AG Deutz AG Continental AG K+S AG Deutsche Telekom AG GEA Group AG ElringKlinger AG DEPFA Bank PLC elexis AG Schwarz Pharma AG ProSiebenSat.1 Media AG Grammer AG Durchschnitt GfK AG KWS Saat AG Fielmann AG Deutsche EuroShop AG Jungheinrich AG -80%
-60%
-40%
-20%
0%
20%
40%
60%
Im Durchschnitt liegen die Änderungen bei -2%, die Spannbreite ist jedoch erstaunlich groß. So verringert sich der Cashflow bei der Jungheinrich AG um 79% und bei der Deutschen Euroshop AG um 40%. Dagegen weisen die Dürr AG mit Verweis auf umgegliederte Zinszahlungen und die Deutz AG deutlich höhere Cashflowwerte nach IFRS aus. Letzteres wird wie folgt kommentiert: „Die wesentlichen Änderungen in der Kapitalflussrechnung betreffen den geänderten Ausweis von nach IAS 38 aktivierungsfähigen Entwicklungskosten im Cashflow aus Investitionstätigkeit und gezahlten Zinsen im Cashflow aus Finanzierungstätigkeit.“17 Es zeigt sich, in welchem Maße auch Kapitalflussrechnungen von bilanzpolitischen Entscheidungen berührt sein können, die durch die „substance-over-form“-Regel in dem System nach IFRS Einschätzungsspielräume bezüglich der Gliederung und des Ausweises zulassen. Somit sollten Analysten sich vor überbetrieblichen Vergleichen die genaue Zusammensetzung des Cashflows aus operativer Tätigkeit genau ansehen, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Für die Einschätzung der Relevanz ist zudem die zutreffende Interpretation der Information zu beachten. Vom Ursprung her ist der Cashflow aus operativer Geschäftstätigkeit als Kennzahl entwickelt worden, um einerseits bei der Ermittlung des Jahresergebnisses mögliche abschlusspolitische Gestaltungen rückgängig zu machen (Erfolgsindikator) und andererseits den finanzwirtschaftlichen Überschuss aus der
17
292
Deutz AG, GB 2005, S. 54.
Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
betrieblichen Erfolgstätigkeit der Periode zu ermitteln (Finanzindikator).18 Der Cashflow als Erfolgsindikator ist als eigenständiger Erfolgsausdruck zu betrachten, der den aus Erfolgsvorgängen der Periode stammenden finanziellen Überschuss verkörpert, d.h. die operativen Nettoeinnahmen aus Erfolgstätigkeit.19 Während der Cashflow - allerdings unter Ausblendung von erfolgsrechnerischen Periodisierungstatbeständen - als retrospektiver Erfolgsmaßstab im Rahmen der Unternehmensanalyse Aussagen über die Entwicklung der Ertragslage in den vergangenen Perioden liefern soll, ermöglicht der Cashflow als prospektiver Erfolgsmaßstab Aussagen über die zukünftige Ertragskraft des Unternehmens.20 Im Gegensatz zum ausgewiesenen Jahresergebnis ist das abschlusspolitische Beeinflussungspotenzial beim Cashflow deutlich geringer, da dieser die Aufwandspositionen, die aus Bewertungsmaßnahmen resultieren und denen keine periodengleichen Auszahlungen gegenüberstehen, nicht mit einbezieht, sondern rückrechnet.21 Dennoch ist der Cashflow kein „richtigerer Gewinn”, da alle in der Periode nicht mit Auszahlungen verbundenen, gleichwohl betriebswirtschaftlich begründeten Aufwendungen noch nicht abgezogen sind. Lediglich der Unterschiedsbetrag zwischen überhöhtem und betriebswirtschaftlich als sachgemäß erachteten Wertansatz, wie z.B. bei einer Rückstellungsbildung, ist als Gewinnverzerrung zu betrachten.22 Außerdem bleibt ein gewisses sachverhaltegestaltendes abschlusspolitisches Potenzial. So wirken sich z.B. Leasingtransaktionen zum Teil Cashflow senkend aus, während in der Periode durch die Unternehmensführung gesteuerte Einzahlungen, wie z.B. aus bewussten Verringerungen des Working Capitals, Cashflow steigernd wirken. Daher sollte diese Größe im Rahmen der Erfolgsanalyse nur als zusätzlicher Indikator neben anderen Verfahren angewendet werden. Der Cashflow als Kennzahl für die Finanzkraft des Unternehmens ist für die Unternehmensanalyse insofern von Bedeutung, als diese zum Ausdruck bringt, inwieweit das Unternehmen in der Lage war, die notwendigen finanziellen Mittel zur Bestreitung zentraler unternehmerischer Aufgaben, wie Investition, Schuldentilgung oder Gewinnausschüttung, ohne Rückgriff auf dritte Geldgeber, d.h. aus eigener Kraft (Innenfinanzierungskraft), bereitzustellen. Insoweit ist der Cashflow ein Ausdruck der Finanzautonomie, Investitionskraft, Schuldentilgungskraft und Gewinnausschüttungskraft des Unternehmens.23 Schließlich spiegelt diese Zahl wider, inwieweit das Unternehmen eine Stärkung der Liquiditätsposition aus dem laufenden betrieblichen Erfolgsgeschehen heraus bewirken konnte.
18 19 20 21 22 23
Vgl. Lachnit, L.: Cash Flow, 1975, S. 221-223; Lachnit, L./Ammann, H.: Jahresabschlussanalyse, 2002, Rd. 111. Vgl. Lachnit, L.: Cash Flow, 1975, S. 223. Vgl. Coenenberg, A. G.: Jahresabschluss, 2005, S. 1040. Vgl. Lachnit, L.: Jahresabschlußanalyse, 1979, S. 225. Vgl. Lachnit, L.: Cash Flow, 1975, S. 223. Vgl. DVFA/SG (Hrsg.): Cash Flow, 1993, S. 599; Lachnit, L.: R/L-Kennzahlensystem, 1998, S. 33.
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Wie der Jahresabschluss bedarf aber auch die Kapitalflussrechnung einer tieferen Analyse, um die latent im Zahlenwerk enthaltenen Daten informatorisch auszuwerten.24 Analyseschwierigkeiten bereiten insbesondere die unterschiedlichen CashflowHerleitungen und die in Teilbereichen differierenden Zuordnungen.25 So wird etwa nach IFRS überwiegend nur der betriebliche Cashflow im operativen Bereich ermittelt, während die Finanzergebnisteile im Investitionsbereich und Finanzierungsbereich der Kapitalflussrechnung erfasst werden. Nach US-GAAP und HGB gibt es weitere Umgliederungsalternativen, etwa für die Zurechnung der zahlungsbegleiteten Erträge aus Anlagenabgängen, die auch unter Investitionen verbucht werden können. Als besonders problematisch ist die von vielen Leasingunternehmen genutzte Praxis anzusehen, die Veränderung der Finanzierungsforderungen als Investitionen auszuweisen. Hier ist im Rahmen der Analyse eine möglichst vereinheitlichte Cashflow-Größe zu bilden, was häufig aufgrund der i.d.R. guten Datenlage der Kapitalflussrechnung durch einfache Umsortierungsmaßnahmen gelingt. Während die absolute Höhe des Cashflows im zeitlichen Vergleich Schlüsse auf Entwicklungen der finanzwirtschaftlichen Lage von Unternehmen zulässt, erfordert eine sachliche Interpretation im Hinblick auf das Ausmaß der mit dem Cashflow ermöglichten finanziellen Aufgabenerfüllung eine Cashflow-Verwendungsrechnung26 bzw. die vollständige Kapitalflussrechnung. Somit wird generell die Relevanz des Jahresbzw. Konzernabschlusses für Management, Share- und Stakeholder durch eine Kapitalflussrechnung nachhaltig erhöht, da die Darstellung der Finanz-, aber auch der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens durch die Informationen über die Cashflows verbessert wird. Für einige Analysten sind die Informationen der Kapitalflussrechnung sogar die relevantesten Daten des gesamten Jahresabschlusses.
4
Internes Nutzenpotenzial bei konvergenter Ausgestaltung
Ein konvergentes Management-Rechnungswesen hat das Ziel, eine konsistente, wirtschaftliche und betriebswirtschaftlich sinnvolle Unterstützung der Unternehmensführung unter Beachtung der Informationsinteressen der Stakeholder zu ermöglichen.27 Unter der zentralen Prämisse, dass das Rechnungswesen seinen Zweck in dem Abbau von Informationsdefiziten hat, ist der Zustand anzustreben, bei dem keine Informati24 25
Vgl. Lachnit, Bilanzanalyse, 2004, S. 1-14. Vgl. zu den unterschiedlichen Cashflow-Definitionen in Deutschland z.B. die Aufstellung bei Benecke, B.: Management-Approach, 2000, S. 262-265. 26 Vgl. Lachnit, L./Ammann, H.: Jahresabschlussanalyse, 2002, Rd. 117 und 179-180. 27 Vgl. Müller, S.: Management-Rechnungswesen, 2003, S. 99.
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Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
onslücken bzw. Asymmetrien mehr vorliegen. In diesem (theoretischen) Fall der vollkommenen Information wäre nur eine einzige Abbildung des Unternehmens möglich, die somit als vollkonvergent und betriebswirtschaftlich tatsachengemäß anzusehen ist. Da eine absolute Objektivität nicht zu erreichen ist, kann somit nur eine subjektiv verzerrte Annäherung an diesen Zustand erreicht werden. Daraus folgt, dass die in der Theorie optimal erscheinende konvergente und betriebswirtschaftlich tatsachengemäße Ausprägung von Rechnungsweseninstrumenten in der Praxis ggf. fallweise doch in verschiedene teiloptimale Lösungen zerfallen kann. Vor diesem Hintergrund stellt die Kapitalflussrechnung für das Management nicht nur ein mächtiges Instrument für die Finanzführung dar, die die auch bei externer Anwendung aufgezeigten Informationen enthält, sondern stellt als Bindeglied zwischen GuV und Bilanz die sachliche Integration sicher, die auch im Rahmen von Planungen unerlässlich ist. Konkret kann somit erst die Konsistenz der Unternehmensabbildung(en) erreicht und damit die optimierte Führungsnutzung der Datenbasis ermöglicht werden. Sowohl im Bereich der Planung als auch bereits bei der Bestimmung der Abbildungsregeln sind die vorhandenen Interdependenzen der Kalküle Aufwand und Ertrag, Vermögen und Kapital, Ein- und Auszahlungen sowie Chancen und Risiken zu beachten. So ist zunächst bei den Abbildungsregeln die Basis-Integration durch methodische Maßnahmen anzustreben. Dies ist vergangenheitsorientiert die Verwendung der Systematik der doppelten Buchhaltung in einem geeigneten Kontenrahmen, der zahlungswirksame und -unwirksame Sachverhalte getrennt auszuweisen erlaubt. Ist die Anwendung dieser Systematik nicht möglich, wie insbesondere auf der Konzernebene oder aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Bereich der Planung, so muss die sachliche Integration über die sinnvolle Verknüpfung der Abbildungsmodule erreicht werden, wie folgende Abbildung verdeutlicht:
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Abbildung 4-1:
Sachliche Integration der Perspektiven des Rechnungswesens
Vermögen
Erträge
Kapital
Erfolgspotenziale
GuV (Erfolg) Risiken und Chancen
tigkeit
Nachhal-
Bilanz (Finanzbestände)
Aufwendungen
Kapitalflussrechnung (Finanzflüsse)
Einzahlungen
Risikopotenziale
Auszahlungen
Die sachliche Integration ist in erster Linie über die derivative Ableitung der Finanzflussrechnung aus den Daten der Bilanz sowie Erfolgsrechnung zu gewährleisten, wobei stets die Erfolgs- und Risikopotenziale in den verschiedenen Rechnungen zu berücksichtigen sind. Eine Durchbrechung der sachlichen Integration ist dann sofort daran ablesbar, dass die Vermögens- und Kapitalhöhen nicht deckungsgleich sind. Bei jeder gesamtunternehmensbezogenen Planung oder Konzernabschlusssystematik muss dieser Abgleich erfolgen. Außerdem sind etwa bei der Bereinigung der Vermögensabbildung durch die Bewertung mit Marktzeitwerten die jährlichen Veränderungen auch in der Erfolgsrechnung zu berücksichtigen sowie so zu kennzeichnen, dass keine automatisierte Einbeziehung bei der derivativen Ermittlung der Kapitalflussrechnung erfolgt. Gleiches gilt für den zusätzlichen Ansatz von immateriellen Vermögensgegenständen oder Rückstellungen sowie für andere Klassifikationen von investiven Aufwendungen. Bezüglich der konkreten Ausgestaltung problematisch ist, dass die betriebswirtschaftlich wenig sinnführende indirekte Ermittlung des operativen Cashflows in der Praxis weit verbreitet ist.28 Da es sich bei der indirekten Methode um eine Rückrechnung handelt, in der die Geldflüsse über das Jahresergebnis und die nicht zahlungsbegleite28
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Vgl. z.B. Keitz, v. I.: IASB-Rechnungslegung, 2005, S. 224.
Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
ten Erträgen und Aufwendungen abgeleitet werden, sollte eine Kapitalflussrechnung erkenntnismaximierend über direktem Weg mit der an die Erfolgsspaltungskonzeption angelehnten Cashflowspaltung in ordentlichen betrieblichen Cashflow, ordentlichen finanziellen Cashflow, unregelmäßigen Cashflow und außerordentlichen Cashflow erfolgen.29 Auf dieser Basis kann die Kapitalflussrechnung dann als liquiditätsorientierte Ist-Erfolgsrechnung interpretiert werden und somit als Gegenstück zu einer durch Abgrenzungsaspekte beeinflussten Gewinn- und Verlustrechnung fungieren, was die Überwachung der Unternehmensentwicklung verbessert. Gleichwohl stellt der Cashflow keinen besseren Gewinn dar, da betriebswirtschaftlich sinnvolle Buchungen, wie Abschreibungen und Rückstellungsdotierungen, eliminiert wurden. Zudem dürften die Ein- und Auszahlungen insbesondere bei kurzfristigen Betrachtungen großen zufälligen Schwankungen unterliegen, da z.B. mit Entscheidungen über den Kauf von Lagerbeständen oder die Tilgung von Lieferantenverbindlichkeiten der Cashflow beeinflussbar ist. Damit ist der Cashflow auch keinesfalls als Verbesserung der Anreizkompatibilität im Vergleich zu Gewinngrößen im verhaltenssteuernden Bereich zu sehen,30 da letztlich die verursachten Entwertungen des Vermögens bzw. ausgelösten Verpflichtungen sowie eine Glättung der Schwankungen mit in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Um die Integration von Chancen und Risiken bei der Betrachtung der Kapitalflussrechnung zu erreichen, sind deshalb Zusatzangaben nötig, die die potentiellen Liquiditätszu- und -abflüsse aufzeigen. Dies führt zum einen zu einer nach dem Kriterium der Liquidierbarkeit gestaffelten Aufstellung der Vermögensgegenstände bzw. zu der nach Fristigkeit sortierten Schuldenaufstellung, was in enger Verbindung zu beständebezogenen Finanzanalysen zu erfolgen hat. Zum anderen sind weitere, nicht in den Vermögensgegenständen und Rückstellungen enthaltene Chancen und Risiken zusätzlich hinsichtlich ihrer potentiellen Finanzbewegungswirkung aufzuzeigen. Durch die dafür nötige zeitliche Fortschreibung bekommt die Kapitalflussrechnung zudem neben dem retrospektiven einen prospektiven Akzent, der durch die Generierung von kompletten Plan-Kapitalflussrechnungen noch verstärkt werden kann. Werden längerfristigere Betrachtungen vorgenommen, ist jedoch eine Annäherung von Gewinn und (Free-)Cashflow zu konstatieren, da die erfolgsrechnerischen Abgrenzungsbuchungen an Relevanz verlieren. Eine vergleichende Betrachtung über Cashflows ist somit in Anlehnung an dynamische investitionstheoretische Verfahren über mehrere Perioden und mit genauen Zahlungsreihen möglich. Diese Betrachtung führt letztlich zu einer zukunftsorientierten Bilanzdarstellung, die die strategischen Nutzenpotenziale der Gegenstände der bestandsbezogenen Finanzperspektive aufzeigen kann. Dies erscheint theoretisch zwar höchst reizvoll, ist aber aufgrund der ungelösten Probleme der Einschätzung zukünftiger Werte nur ergänzend bzw. fallweise und auf konkrete Investitionsobjekte oder Finanzpläne bezogen durchführbar. 29 30
Vgl. Lachnit, Bilanzanalyse, 2004, S. 300-301. Vgl. Riegler, C.: Anreizsysteme, 2000, S. 55.
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Müller
Die Einschränkungen der Aussagekraft des Cashflows bestehen jedoch nur dann, wenn der Wert der Finanzmittelgenerierung gewinnähnlich interpretiert wird.31 Der Anspruch des Cashflows liegt aber gerade nicht darin, den Gewinn zu ersetzen, sondern ihn um die Liquiditätskomponente zu ergänzen.32 Erst die duale erfolgs- und liquiditätsorientierte Betrachtung eines Sachverhaltes ermöglicht eine sichere Einschätzung und kann als ausreichende Grundlage für die Unternehmenssteuerung und -überwachung fungieren. Daher ist der parallele Ausweis von Erfolgs- und Liquiditätswirkungen nötig.
5 Fazit Aufgrund der betrachteten Kalküle Ein- und Auszahlungen sind keine Bewertungsunterschiede zwischen der internen und der externen Darstellung zu erwarten, so dass sich die konvergenzorientierte Ausgestaltung auf die Darstellung und die zugrunde gelegten bzw. generierten Größen konzentrieren kann. Somit stellt die Kapitalflussrechnung eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, das interne und das externe Rechnungswesen im Sinne einer konvergenten Ausrichtung zu verbinden.33 Für die Unternehmensführung, Unternehmensüberwachung und Entscheidungsunterstützung der Share- und weiteren Stakeholder trägt eine Kapitalflussrechnung erheblich zum Abbau von Informationsasymmetrien bei, da nur mit Betrachtung der Finanzflüsse sinnvolle Aussagen über die finanzielle Lage des Unternehmens möglich sind. Zudem können die finanziellen Betrachtungen auch die Interpretation der Ertragslage verbessern, ohne dass der ausgewiesene Cashflow aber einen besseren Gewinn darstellen würde. Besonderes problematisch ist die Nichtberücksichtigung von latenten Risiken und Chancen sowie des Substanzverzehrs der Vermögensgegenstände bei der Darstellung. Dies kann erst bei mehrperiodischen Betrachtungen mit der Verwendung von Free-Cashflows gemildert werden. Richtig interpretiert sind die Informationen der Kapitalflussrechnung jedoch hochverlässlich und gleichzeitig hochrelevant, was das Instrument zu einem zentralen Werkzeug sowohl der Unternehmensführung als auch der externen Analyse werden lässt.
31 32 33
298
Vgl. Burger, A./Buchhart, A.: Unternehmensrechnung, 2001, S. 808. Vgl. Lee, T. A.: Cash Flow Accounting, 1981, S. 168-169. Vgl. z.B. Müller, S.: Management-Rechnungswesen, 2003, S. 172-182.
Die Kapitalflussrechnung als zentrales Instrument des konvergenten Rechnungswesens
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300
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
WP/StB Jörg Tesch Geschäftsführender Partner der Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Axel-Springer-Platz 3, 20355 Hamburg
1
Die Ausgangslage........................................................................................................... 303
2
Ein empirischer Befund ................................................................................................. 304
3
Ein Standardisierungsvorschlag................................................................................... 306
4
Das Fazit .......................................................................................................................... 312
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 316
301
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
1
Die Ausgangslage
Der Lagebericht ist ein eigenständiges Rechnungslegungsinstrument. Neben dem aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang bestehenden Jahresabschluss bildet der Lagebericht die zweite Säule der handelsrechtlichen Rechnungslegung. Geschäftsverlauf, Geschäftsergebnis und Unternehmenslage sollen – losgelöst von den Einzelposten des Jahresabschlusses - so dargestellt werden, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt wird. Insofern kommt dem Lagebericht zunächst eine Informationsfunktion zu. Daneben hat er auch eine Rechenschaftsfunktion für die Geschäftsleitung. Aus der Informationsfunktion werden mehrere Unterfunktionen abgeleitet.
Der Lagebericht ergänzt den Jahresabschluss (Ergänzungsfunktion). Der Lagebericht ist umfassender und fokussiert stärker die Zukunft als der Jahresabschluss. Eine Wiederholung der Angaben des Jahresabschlusses ist nicht Aufgabe des Lageberichtes (Komplementärfunktion).
Die Geschäftsleitung beurteilt darin sowohl das abgelaufene Geschäftsjahr als auch die voraussichtliche Entwicklung mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken (Beurteilungsfunktion).
Schließlich verdichtet der Lagebericht vielfältige Einzelinformationen zu einer Gesamtaussage (Verdichtungsfunktion). Durch das – verschiedene EU-Richtlinien umsetzende - Bilanzrechtsreformgesetz hat der den Inhalt des Lageberichts regelnde § 289 HGB eine neue Fassung erhalten. Vergleichbare Änderungen hat der in § 315 HGB geregelte Inhalt des Konzernlageberichts erfahren. In Bezug auf das Thema des vorliegenden Beitrags sind die Änderungen in § 289 Abs. 3 bzw. § 315 Abs. 1 Satz 4 HGB von Interesse, nach denen in die Lageberichte großer Kapitalgesellschaften und kapitalistischer Personengesellschaften bzw. Konzernlageberichte nichtfinanzielle Leistungsindikatoren wie Informationen über Umwelt- und Arbeitnehmerbelange einzubeziehen sind, sofern sie für das Verständnis des Geschäftsverlaufs oder der Lage von Bedeutung sind.1 Die IFRS kennen bisher keinen Lagebericht. In einem Diskussionspapier zu einem Management Commentary ist allerdings eine klare Beschreibung der nichtfinanziellen Leistung vorgesehen, soweit diese indikativ für künftige Ergebnisse und die Einschätzung der Zukunftsaussichten ist.2 Ferner sollen auch die nichtfinanziellen Leistungsindikatoren angegeben werden, die das Management zur Beurteilung der Unternehmenszielerreichung und zur Unternehmensführung einsetzt.3 Jedoch gilt auch für 1 2 3
Vgl. Tesch, J./Wißmann, R.: Lageberichterstattung, 2006, S. 11-12, 23-27, 37, 91. International Accounting Standards Boards, Management Commentary, 2005, A43. Vgl. ebd., A49.
303
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inländische Mutterunternehmen, die gemäß § 315a Abs. 1 und 2 HGB verpflichtet sind, einen Konzernabschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) aufzustellen oder gemäß § 315a Abs. 3 HGB freiwillig die internationalen Rechnungslegungsstandards anwenden, dass ergänzend ein Konzernlagebericht aufzustellen ist, in den dann entsprechend deutscher Gesetzeslage auch ggf. nichtfinanzielle Leistungsindikatoren aufzunehmen sind. Der Deutsche Standardisierungsrat (DSR) hat die Aufgabe, Standards zur Anwendung der Grundsätze über Konzernrechnungslegung zu entwickeln. Träger des Deutschen Standardisierungsrats ist das Deutsche Rechnungslegungsstandards-Committee e.V. (DRSC). Werden die vom Bundesjustizministerium bekannt gemachten Standards des DRSC zur Konzernrechnungslegung beachtet, wird vermutet, dass damit zugleich die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung befolgt werden.4 Am 7. Dezember 2004 verabschiedete der DSR den Deutschen Rechnungslegungsstandard Nr. 15 (DRS 15) zur Lageberichterstattung. Die Bekanntmachung durch das Bundesjustizministerium erfolgte am 26. Februar 2005. Die Regeln des DRS 15 sind so formuliert, dass sie – auch hinsichtlich der Angabe von nichtfinanziellen Leistungsindikatoren - den individuellen Erfordernissen von Unternehmen verschiedener Branchen und Größen gerecht werden.
2
Ein empirischer Befund
Deloitte hat 2007 erneut Vorstände und Aufsichtsräte im Hinblick auf nichtfinanzielle Leistungsindikatoren befragt.5 Zusammenfassend lässt sich als Studienergebnis festhalten, dass sich die befragten Top-Manager über die maßgebliche Bedeutung der nichtfinanziellen Leistungsindikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit im Klaren sind. Mitarbeitermotivation, Unternehmensimage und Kundenzufriedenheit sind für die Unternehmensperformance genauso wichtig wie finanzielle Leistungsindikatoren, wie etwa Umsatz- und Gewinnkennzahlen. Doch detailliertes Wissen über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren sowie geeignete Messinstrumente sind in der Unternehmensrealität eine Seltenheit. Dies resultiert zum einen aus dem Mangel an erprobten Methoden, zum anderen am unzureichenden Wissen bei der Erfassung, Evaluation und Darstellung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren. Im Vergleich zu einer 2004 durchgeführten Studie6 haben jedoch mehr Unternehmen den Wert der nichtfinanziellen Leistungsindikatoren erkannt und in ihren Geschäftsberichten berücksichtigt. Gestie-
4 5 6
304
Vgl. § 342 Abs. 2 HGB. Vgl. Deloitte: In the dark II, 2007. Vgl. Deloitte: In the dark, 2004.
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
gen ist auch die Anzahl der Firmen, die an der Entwicklung zuverlässiger Messinstrumente arbeiten. 175 Vorstände und Aufsichtsräte beteiligten sich an der schriftlichen Umfrage; mit den Vertretern großer Unternehmen wurden ergänzend Telefoninterviews geführt. Folgende Befragungsergebnisse sind hervorzuheben: 83 % der Befragten sagen, dass der Markt selbst zunehmend nichtfinanzielle Leistungsindikatoren betont. Die meisten Unternehmen geben sich selbst gute Noten für ihre Fähigkeit, finanzielle Leistungsindikatoren zu messen (87%), beschreiben diese als entweder hervorragend (43 %) oder gut (44 %). Im Gegensatz dazu beschreiben nur 29 % der Unternehmen ihre Fähigkeit, nichtfinanzielle Leistungsindikatoren zu messen, als entweder hervorragend (5 %) oder gut (24 %). Die Informationsqualität hinsichtlich nichtfinanzieller Leistungsindikatoren erfüllt die Bedürfnisse nur unvollkommen. Kundenzufriedenheit, Arbeitseffizienz, Innovationen und Mitarbeiterinformationen werden als Schlüsselwerttreiber identifiziert. Aber nur eine Minderheit von Unternehmen beschreibt die Qualität der Aufsichtratsinformationen in diesen Bereichen als hervorragend. In vielen Bereichen beschreiben mehr Führungskräfte die Informationsqualität eher mit mangelhaft als mit hervorragend. Auch die Vorstände benötigen bessere Informationen über Mitarbeitermotivation (58 %), Kundenzufriedenheit (48 %), Innovation (36 %), die Qualität der Governance (35 %), gesellschaftliche Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit (32 %), Arbeitseffizienz (31 %) und die Leistung von Supplychain- und Allianzpartnern (31 %). Im Gegensatz dazu sehen nur 20 % der Studienteilnehmer eine Verbesserungsnotwendigkeit im Bereich der finanziellen Leistungsindikatoren. Hindernisse für den breiteren Einsatz und für die Verfeinerung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren sind noch nicht entwickelte Werkzeuge, Skepsis in der Organisation in Bezug auf den Wert dieser Werkzeuge, nichtgeregelte Rechenschaft für nichtfinanzielle Leistungsindikatoren, Zeitknappheit und die Befürchtung, dass die Angabe nichtfinanzieller Leistungsindikatoren in Geschäftsberichten Wettbewerbern zu viele Informationen preisgeben würde. Trotzdem wird eine steigende Anzahl von Unternehmen die Qualität ihrer Messung von nichtfinanziellen Leistungsindikatoren verbessern und nichtfinanzielle Leistungsindikatoren auf einer breiteren Basis im Unternehmen verwenden. 37 % der Studienteilnehmer sind der Ansicht, dass der Erfolg ihres Unternehmens mehr von immateriellen Werten und Fähigkeiten abhängt als von Sachanlagen. 54 % meinen, dass zukunftsgerichtete Informationen von größerem Wert für das Management und den Aufsichtsrat sind als historische Informationen. Nach den wichtigsten nichtfinanziellen Treibern für die Unternehmensleistung befragt, antworteten die Befragten nach Häufigkeit der Nennung:
zunehmendes Reputationsrisiko, zunehmender Kundeneinfluss, zunehmender globaler Wettbewerb, 305
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zunehmende Betonung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren durch die Regulatoren,
sich beschleunigende Innovationszyklen, genauere Überprüfung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren durch die Medien, zunehmende Macht von Nicht-Regierungsorganisationen, Lobbyisten und Bürgerrechtsorganisationen. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass Anspruch und Wirklichkeit bei der Angabe nichtfinanzieller Leistungsindikatoren auseinanderklaffen. In Deutschland und der EU sind in Lageberichte großer Kapital- und kapitalistischer Personengesellschaften bzw. in Konzernlageberichte nichtfinanzielle Leistungsindikatoren einzubeziehen, sofern sie für das Verständnis des Geschäftsverlaufs oder der Lage von Bedeutung sind. In der hier vorgestellten internationalen Studie wird die Bedeutung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren hervorgehoben. Mehr als 4/5 der Befragten stellen fest, dass der Markt selbst zunehmend nichtfinanzielle Leistungsindikatoren betont, mehr als die Hälfte meinen, dass zukunftsgerichtete Informationen von größerem Wert als historische sind und mehr als 1/3 sind der Ansicht, dass der Erfolg ihres Unernehmens mehr von immateriellen Werten und Fähigkeiten abhängt als von Sachanlagen. Die Informationsqualität hingegen erfüllt die Informationsbedürfnisse nur unvollkommen. Die Messung und die Angabe nichtfinanzieller Leistungsindikatoren bleiben weit hinter denen finanzieller Leistungsindikatoren zurück. Der geäußerten Befürchtung, dass die Angabe nichtfinanzieller Leistungsindikatoren in Geschäftsberichten Wettbewerbern zu viele Informationen preisgeben würde, könnten die Standardsetter dadurch Rechnung tragen, dass mittels einer Standardisierung angabepflichtiger nichtfinanzieller Leistungsindikatoren gleiche Ausgangsbedingungen für Unternehmen und Konzerne geschaffen würden. Eine solche Standardisierung ist im einschlägigen Deutschen Rechnungslegungsstandard Nr. 15 bisher nicht enthalten, wenngleich Standardisierungsvorschläge in der Literatur bereits vorliegen.
3
Ein Standardisierungsvorschlag
Bei den finanziellen Leistungsindikatoren kann auf eine lange wissenschaftliche Beschäftigung mit Kennzahlen und Kennzahlensystemen zurückgeblickt werden.7 Seit Mitte der 1990er Jahre wird unter dem Stichwort „Value Reporting“ eine Diskussion um eine wert- und zukunftsorientierte Finanzberichterstattung geführt. Bestandteile sind neben Unternehmenswertkalkülen (Reinvermögenszeitwert, Zukunftserfolgswert) 7
306
Vgl. z.B. Lachnit, L.: Bilanzanalyse, 2004, S. 39-50.
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
und dem internen Steuerungs- und Anreizsystem sog. Nonfinancials (nichtfinanzielle Angaben).8 Der Arbeitskreis Immaterielle Werte im Rechnungswesen der Schmalenbachgesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. hat 2003 einen Standardisierungsvorschlag für die freiwillige externe Berichterstattung über immaterielle Werte vorgelegt.9 Vorgeschlagen wird ein Intellectual Capital Report, der klassifiziert wird in
Innovation Capital, Human Capital, Customer Capital, Supply Capital, Investor Capital, Process Capital, Location Capital. Auch DRS 15 greift diese Klassifizierung auf.10 Das Innovation Capital wird dabei unter Forschung und Entwicklung gefasst.11 Der Arbeitskreis schlägt für jede der Kategorien als aussagekräftig erachtete (nichtfinanzielle Leistungs-)Indikatoren zur Messung der immateriellen Werte vor. Im Einzelnen sind dies: Innovation Capital: F&E Ausgaben, Portfolio von Patenten und ähnlichen Schutzrechten, angemeldete Patente und ähnliche Schutzrechte, Patentklagen und sonstige Schutzrechtsklagen, Neuproduktrate; Human Capital: Altersstruktur der Mitarbeiter, Unternehmenszugehörigkeit, Fluktuation, Mitarbeiterqualifikation, Weiterbildung, Mitarbeiterzufriedenheit, Fehlzeiten, Wertbeitrag; Customer Capital: Kundenzufriedenheit, Kundenqualität, Marktanteil, Auflistung wesentlicher Marken, Wertbeitrag; Supply Capital: Lizenzen, Schlüssellieferanten, Wertschöpfungstiefe; Investor Capital: Aktionärsstruktur, Bedeutung bei Analysten, Betafaktor (EK Markt), Bonität (FK Markt), Ergebnisse von IR und Geschäftsberichtswettbewerben; Process Capital: Schnelligkeit der Prozessabläufe, Prozessqualität, Produktqualität;
8 9 10 11
Vgl. z.B. Baetge, J./Heumann, R.: Wertorientierte Berichterstattung, 2006. Vgl. Arbeitskreis, Immaterielle Werte, 2003. Vgl. DRS 15, 116. Vgl. DRS 15, 100-102.
307
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Location Capital: Standortqualität, Medienpräsenz, Arbeitsmarktattraktivität (Attraktivität für „Key Personnel“). Für viele der Indikatoren werden exakte Berechnungsformeln vorgeschlagen, z.B. wird die Neuproduktrate definiert als Umsatz der in den letzten 3 Jahren eingeführten Produkte zum Gesamtumsatz. Bei Strukturangaben wird die Klassifizierung vorgegeben, z.B. wird bei dem Indikator Unternehmenszugehörigkeit die Zugehörigkeitsdauer nach Jahren klassifiziert in < 5, 5 – 15, > 15. Als Berichtsformat ist für jede Kategorie vorgesehen: 1. Strategie; 2. Katalog der Indikatoren (aktueller Wert der Berichtsperiode, Werte vergangener Berichtsperioden und wenn möglich Zielwerte für zukünftige Perioden); 3. Definition und Wechselwirkung der Indikatoren; 4. Kommentar (Stand und Entwicklung der Kategorie). Die mittlerweile im Gesetz genannten Umweltbelange12 sind in dem vorliegenden Standardisierungsvorschlag noch nicht enthalten, obwohl die Kommunikation von Umweltbelangen nicht neu ist. In Betracht kommen:
allgemeine Umweltstrategie, Umweltschutzprogramme und Hinweise auf Übereinstimmungen mit Umweltnormen oder Zertifizierungen,
Fortschritte auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Einklang der durchgeführten Umweltschutzmaßnahmen mit gegenwärtigen und potenziellen Rechtsvorschriften,
umweltrelevante Indikatoren, wie z.B. quantitative Öko-Effizienzindikatoren, Hinweise auf einen etwaigen separaten Umweltbericht13. Als Leistungsindikatoren werden in der Literatur14 genannt:
Nachhaltigkeit und Abfallmanagement: Wasserverbrauch; Energieverbrauch; Treibhausgase/CO2-Emissionen; sonstige Emissionen (Luft und Wasserverschmutzung); Verwendete Rohstoffe; Anzahl der Mängelrügen, Klagen und Bußgelder wegen Umweltverstößen; Produktion erneuerbarer Energien (Angabe der Menge); Anfall an Abfall; Wiederverwerteter Abfall (Angabe der Menge); Einsatz recycelter
12 13 14
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Vgl. § 289 Abs. 3, § 315 Abs. 1 Satz 4 HGB. Vgl. Heuser, P. J./Theile, C.: Auswirkungen des Bilanzrechtsreformgesetzes, 2005, S. 206. Vgl. CSR Europe: CSR kommunizieren, 2000, S. 6.
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
Materialien - jeweils ggf. im Verhältnis zum Durchschnitt der jeweiligen Wirtschaftszweige.
Umweltaktivitäten: Anzahl und Art der Umwelt-Fortbildungs-Programme/ Prozentsatz der daran teilnehmenden Mitarbeiter; Anzahl der internen und externen Umweltaudits (in Prozent der Betriebsstätten).
Empirische Studien zeigen, dass für den Umweltbereich eine Branchendifferenzierung angebracht sein könnte. Im Hinblick auf nichtfinanzielle Leistungsindikatoren mit Nachhaltigkeitsbezug stellte Deloitte 2006 in einer Studie15 einen Bedarf für die branchenspezifische, internationale Weiterentwicklung der Indikatoren fest. Die befragten Unternehmen empfanden einen Praxisleitfaden in Deutschland am hilfreichsten, der in einem Konsultationsprozess mit zumindest einem branchenspezifischen Schwerpunkt erarbeitet werden könnte. Für einen reinen branchenübergreifenden Prozess hingegen gab es die geringste Zustimmung. Die Frage nach der Bedeutung der 6 wichtigsten globalen Nachhaltigkeitsforderungen (Klimawandel, Süßwasserknappheit, Entwaldung/Desertifikation, absolute Armut insbesondere in Entwicklungsländern, Biodiversitätsverlust, globales Bevölkerungswachstum/Migration) für den Geschäftsverlauf und die Lage des eigenen Unternehmens jetzt und in der Zukunft zeigte einerseits zwar durchweg eine Zunahme der Betroffenheit, andererseits waren die Varianzen in den Einschätzungen insgesamt sehr hoch. Dies konnte insbesondere auf unterschiedliche Einflüsse je nach Branche zurückgeführt werden und stellte ein weiteres Argument für branchenspezifische, nichtfinanzielle Leistungsindikatoren dar.16 In einer weiteren Studie17 wurden aus der Befragung relevanter Investoren und Analysten für 10 Branchengruppierungen des DAX-30 die bis zu 3 wichtigsten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren mit Nachhaltigkeitsbezug ermittelt. Die wichtigsten sind18:
Flottenverbrauch für die Automobilindustrie, Sustainable Development -Kreditrisiken und -Chancenprüfung im Commercial und Investment Banking,
Energie- und Treibhausgasintensität bei chemischer Produktion sowie den Herstellern von Industriegütern,
Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards der Lieferantenkette für Konsumgüter und Einzelhandel,
Zugangsstrategien zu Arzneimitteln für die arme Mehrheit der Menschheit bei Pharmaproduzenten, 15 16 17 18
Vgl. Deloitte: Langfristig mehr Wert, 2006. Vgl. ebd, S. 16. Vgl. Deloitte: Nachhaltig mehr Wert, 2007. Vgl. ebd., S. 36.
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Energie- und Treibhausgaseffizienz der Produktion und der Produkte der Informations- und Kommunikationsunternehmen,
Energie und Treibhausgaseffizienz von Transport- und Logistikdienstleistungen, Integrationsanteil von Nachhaltigkeitsaspekten im Asset Management sowie ökologische Prämienanreize und Risikoprüfung bei Versicherungen,
Treibhausgasintensität der Energieerzeugung bei Versorgern. Ferner enthält der Vorschlag des Arbeitskreises noch nicht das Sozialkapital des Unternehmens, also Angaben zur gesellschaftlichen Reputation des Unternehmens. Diese Berichterstattung wird unter dem Stichwort „Corporate Social Responsibility“ (CSR) in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert. Das Grünbuch der EU zur sozialen Verantwortung der Unternehmen19 nennt in diesem Zusammenhang z.B. die Entwicklung positiver Beziehungen mit der lokalen Gemeinschaft u.a. durch Sponsoring von lokalen Sport- und Kulturereignissen und durch Spenden für wohltätige Zwecke, die Förderung des Unternehmertums, den Kampf gegen die Korruption und die Menschenrechtsdimension globaler Versorgungsketten. Das Grünbuch konstatiert vielfältige Ansätze in der Sozialberichterstattung und fordert eine globale Einigung über die Art der offen zu legenden Informationen, das Berichtsformat und die Zuverlässigkeit der Bewertungs- und Auditverfahren. Als nichtfinanzielle Leistungsindikatoren für die Corporate Social Responsibility werden von CSR Europe vorgeschlagen20:
Spenden und Partnerschaften: Wert der Geldspenden/der Arbeitszeit von Mitarbeitern/der Spenden in Sachwerten; Bereiche der karitativen Unterstützung; Anzahl und Art der unterstützten karitativen Einrichtungen; Anzahl und Art der gemeinnützigen Organisationen, zu denen das Unternehmen Partnerschaften unterhält; Anzahl der Menschen, die an den vom Unternehmen organisierten Aktionen bzw. Veranstaltungen im Gemeinwesen teilnehmen;
Engagement von Mitarbeitern im Gemeinwesen: Soziales Engagement der Belegschaft (Anzahl der Beschäftigten und Stunden); von Mitarbeitern für karitative Zwecke aufgebrachte Mittel und Matching des Unternehmens;
Existenzgründungs- und Beschäftigungsförderung: Höhe der Investitionen in Wirtschaftsförderungsprojekte; Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze; Anzahl der Start-Ups; Anzahl der unterstützten bzw. in Projekte einbezogenen kleinen und mittelständischen Unternehmen; Anzahl der Personen, die an Wirtschaftsförderungs- bzw. Aus- und Weiterbildungsprojekten teilnehmen; Anzahl der Personen, die im Anschluss an die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsangeboten des Unternehmens eine Stelle bzw. eine bessere Position gefunden haben; 19 20
310
Europäische Kommission: Grünbuch, 2001. Vgl. CSR Europe: CSR kommunizieren, 2000, S. 7.
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
Ethik: Anzahl von bekannt gewordenen (versuchten und/oder vollzogenen) Bestechungs- und Korruptionsfällen sowie die betroffene Wirtschaftseinheit; Anzahl von Verträgen, die wegen Nichteinhaltung der ethischen Grundsätze des Unternehmens aufgelöst wurden (unter Nennung der Gründe); Anzahl der Meldungen an das Referat für ethische Grundsätze;
Menschenrechte: Anzahl der bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen; Alter und Anzahl der minderjährigen Beschäftigten; Verhältnis des niedrigsten Lohns zum gesetzlichen Mindesteinkommen; Anzahl der überprüften Auftragnehmer und Zulieferer.
Unter die Klassifikation „Human Capital“ sollten die arbeitsplatzbezogenen Aspekte der Corporate Social Responsibility21 gefasst werden:
Arbeitsbedingungen / Gesundheits- und Arbeitsschutz / Lohn bzw. Gehalt und Zusatzleistungen: Berufskrankheiten und –unfälle (in % der Beschäftigten); Fehlzeitenquote / verlorene Arbeitstage; Ausgaben für Gesundheits- und Arbeitsschutz; Zahl der Mitarbeiter, die an Schulungsmaßnahmen zum Gesundheits- und Arbeitsschutz teilnehmen; Personalfluktuation und Anteil der Mitarbeiter mit längerer Betriebszugehörigkeit (z.B. mehr als ein Jahr); Lohn- und Gehaltsspanne.
Chancengleichheit am Arbeitsplatz: Aufschlüsselung der Belegschaft nach Geschlecht, ethnischer Herkunft, Behinderung und Alter; Aufschlüsselung der Belegschaft nach Funktion / Vollzeit-/ Teilzeitbeschäftigung / Zeitarbeitskräften; Anteil der Frauen und Menschen anderer ethnischer Herkunft in Führungspositionen.
Aus- und Weiterbildung: Anteil der Ausgaben für Aus- und Weiterbildung an den betrieblichen Aufwendungen insgesamt; prozentualer Anteil der Beschäftigten, die an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, an der Gesamtbelegschaft; Anzahl der Stunden pro Mitarbeiter, die auf Aus- und Weiterbildung entfallen.
Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen: Anteil der anerkannten Gewerkschaften an den bestehenden Gewerkschaften insgesamt; Anzahl der Entlassungen nach Art und Standort; Anzahl der durch Arbeitskampfmaßnahmen verloren gegangenen Arbeitstage.
Weitere Einzelaspekte dürften sich in die bestehende Klassifikation einordnen lassen, so wäre beispielsweise die Herstellung von Produkten, die sich auch von Schwerbehinderten bedienen lassen („Design für alle“) unter „Innovation Capital“ zu fassen. Die verschiedentlich auch unter CSR-Gesichtspunkten betrachteten Kunden- und Lieferan-
21
Vgl. ebd., S. 6-7.
311
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tenbeziehungen sollten bereits durch die Indikatoren des Arbeitskreises abgedeckt sein. Die beiden hier vorgeschlagenen Ergänzungen in der Klassifikation ließen sich begrifflich unter „Sustainability Capital“ und „Social Capital“ fassen. Eine sich auf deutsche IFRS-Bilanzierer beziehende empirische Studie22 hat ergeben, dass keines der untersuchten Unternehmen 2005 im Rahmen seiner freiwilligen Geschäftsberichtspublizität ein dem Vorschlag des Arbeitskreises entsprechendes Intellectual Capital Statement erstellt hat. Der Vorschlag des Arbeitskreises wurde als Maßstab zugrunde gelegt, weil dieser zahlreiche Vorschläge aus der Wissenschaft aufnimmt, Relevanz gerade für kapitalmarktorientierte Unternehmen haben dürfte und die Zusammensetzung des Arbeitskreises eine gewisse Autorität und Repräsentativität beansprucht. Unternehmen berichten zwar regelmäßig über Elemente des Intellectual Capital, ohne jedoch dabei Bezug auf die Bezeichnung oder die Gliederung der Kategorien des Arbeitskreises zu nehmen. Der Kanon an Leistungsindikatoren wird von den analysierten Unternehmen nur ansatzweise und mit abweichender Berichtsqualität offen gelegt. Selbst Konzerne derselben Branche veröffentlichen selten identische Indikatoren und Kennzahlen. Die Berichterstattung erfolgt zumeist in qualitativer Form; auf quantitative Informationen wird dagegen regelmäßig verzichtet. Die Präsentation der Zusatzinformationen erfolgt formal und inhaltlich unstrukturiert. Dennoch kann der Konzernlagebericht als zentraler Ort der Intellectual Capital Berichterstattung ausgemacht werden. Als Bestimmungsfaktor für die gering ausgeprägte Neigung zur Angabe nichtfinanzieller Leistungsindikatoren wird auch hier das Geheimhaltungsinteresse vermutet.
4
Das Fazit
Obwohl – auch nach eigener Einschätzung der Unternehmen – die Bedeutung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren ständig steigt, ist die tatsächliche Berichterstattung darüber national wie international unzureichend. Diese Feststellung wurde exemplarisch mit einer globalen Deloitte-Studie aus den Jahren 2004 und 2007 sowie einer Auswertung der 2005er Berichterstattung deutscher IFRS-Bilanzierer belegt. Standardsetter könnten durch eine Standardisierung der Berichtsanforderungen eine gleiche Ausgangslage für Unternehmen schaffen und damit Befürchtungen über Wettbewerbsnachteile durch eine Veröffentlichung vermindern. Die zwischenbetriebliche Vergleichbarkeit würde durch eine solche Standardisierung erhöht. Der Vorschlag des
22
312
Hager, S./Hitz, J.M: Immaterielle Vermögenswerte, 2007.
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
Arbeitskreises „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbachgesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. aus dem Jahr 2003 ist hierfür eine geeignete Grundlage. Die dort vorgesehene Klassifikation in Innovation Capital, Human Capital, Customer Capital, Supply Capital, Investor Capital, Process Capital und Location Capital wäre aktualisierend zu ergänzen um Sustainability Capital und Social Capital. In dieser Klassifikation könnten auch die Aspekte einer Corporate Social Responsibility-Berichterstattung abgebildet werden. In Teilbereichen bietet sich eine Branchendifferenzierung an, wie hier exemplarisch für nichtfinanzielle Leistungsindikatoren mit Nachhaltigkeitsbezug gezeigt. Die Berichterstattung über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren (Nonfinancials) kann in ein umfassendes Value Reporting eingebettet werden. Den Zusammenhang zeigt das nachstehende Schaubild:
313
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Abbildung 4-1:
Die nichtfinanziellen Leistungsindikatoren als Schnittpunkt von Value Reporting und Corporate Social Responsibility-Berichterstattung
VALUE REPORTING Reinvermögenszeitwert
Zukunftserfolgswert
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht (Nonfinancials)
CORPORATE SOCIAL RESPONSIBILITYBERICHTERSTATTUNG
Innovation Capital
Human Capital
Customer Capital
Supply Capital
Investor Capital
Process Capital
Location Capital
Sustainability Capital Social Capital
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internes Steuerungs- und Anreizsystem
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
Die sog. „Nonfinancials“ stellen eine der vier Säulen des Value Reporting dar und ließen sich in einer strukturierten, standardisierten Berichterstattung über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren abbilden. Hauptaspekte einer Corporate Social ResponsibilityBerichterstattung sind Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards, die sich unter die Klassifikationen Human Capital, Sustainability Capital und Social Capital fassen ließen. Einzelaspekte betreffen auch andere Leistungsindikatoren; hier angedeutet sind Innovation Capital, Customer Capital und Supply Capital. Die nichtfinanziellen Leistungsindikatoren stünden damit im Schnittpunkt von Value Reporting und Corporate Social Responsibility-Berichterstattung, den beiden bedeutsamsten Reporting-Initiativen der letzten Zeit. Ihre - tw. branchendifferenzierte - Standardisierung könnte zu einem Meilenstein in der Unternehmensberichterstattung werden und den Lagebericht als zentrale Veröffentlichungsstelle für nichtfinanzielle Informationen noch einmal aufwerten.
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Tesch
Literaturverzeichnis
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316
Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren im Lagebericht
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317
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
Univ.-Prof. Dr. Dirk Hachmeister Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungswesen und Finanzierung, Institut für Betriebswirtschaftslehre, Universität Hohenheim, Schloß Osthof Ost, 70593 Stuttgart
1
Problemstellung.............................................................................................................. 321
2
Währungsumrechnung und Net Investment in a foreign operation............................. 322 2.1 Währungsumrechnung nach IAS 21 und Hedge Accounting............................ 322 2.2 Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb.............................. 323
3
Hedge of a net investment in a foreign operation.............................................................. 325 3.1 Grundlagen und Voraussetzungen des Hedge Accounting nach IAS 39 ......... 325 3.2 Bilanzielle Abbildung der Sicherungsbeziehung eines Net Investments ........ 329 3.3 Beispiel ................................................................................................................... 330 3.4 Würdigung............................................................................................................. 334
4
Thesenförmige Zusammenfassung.............................................................................. 335
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 336
319
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
1
Problemstellung
Laurenz Lachnit hat sich im Rahmen seiner vielfältigen wissenschaftlichen Interessen auch mit Fragestellungen der Währungsumrechnung und der tatsachengetreuen Abbildung der wirtschaftlichen Lage im Konzernabschluss beschäftigt.1 Dieser Beitrag greift diese Fragestellung auf und untersucht die Verbindung zwischen der Währungsumrechnung und der Absicherung von Währungsrisiken. Der Umfang der Währungsrisiken wird zum einen von der Ebene der Risikomessung bestimmt, da sich abhängig vom Internationalisierungsgrad unterschiedliche Währungsexposurekonzepte unterscheiden lassen: Ein Transaktionsexposure besteht, wenn bereits abgeschlossene Verträge in Zukunft zu Fremdwährungsein- und Fremdwährungsauszahlungen führen. Aufgrund der Zahlungsstromorientierung stellt es die wichtigste Grundlage für das Währungsmanagement dar, kann jedoch nicht unabhängig vom Translationsexposure betrachtet werden, welches die Positionen in Fremdwährung umfasst, sofern diese am Bilanzstichtag mit unterschiedlichen Wechselkursen umgerechnet werden. Das ökonomische Exposure ist aufgrund seiner strategischen Ausrichtung kein Bestandteil der täglichen Absicherungspraxis.2 Zum anderen ist die Struktur und Dimension der internationalen Geschäftstätigkeiten relevant: Bei Unternehmen, die über Fremdwährungstransaktionen in Form von Import- und Exportbeziehungen international tätig sind, ergibt sich das Währungsrisiko aus dem Umfang der in Fremdwährung fakturierten Bestellungen und Aufträge. Andere Unternehmen haben zusätzlich Niederlassungen im Ausland (ausländische Geschäftsbetriebe), die das Währungsrisiko um den Wert der in Fremdwährungsgebieten gebundenen Vermögenswerte und Schulden erweitern.3 Diese Nettoinvestitionen in einen ausländischen Geschäftsbetrieb (Net Investment in a Foreign Operation) sollen im Folgenden untersucht werden. Im Gegensatz zu einzelnen Fremdwährungstransaktionen, die nicht der funktionalen Währung des Unternehmens entsprechen, steht hier der Beteiligungsaspekt in Form einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb im Vordergrund. Eine Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb kann zudem in der Form eines Hedge of Net Investment in a Foreign Operation gegen Währungsrisiken abgesichert werden und stellt die dritte Möglichkeit zum Hedge Accounting neben dem Cash Flow Hedge und dem Fair Value Hedge dar.4 Für den Hedge of a Net Investment in a Foreign Operation gelten die allgemeinen Grundlagen für die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen nach IAS 39 analog. Gleichzeitig müssen die Regelungen zur Währungsumrechnung im Konzernabschluss berücksichtigt werden. 1 2 3 4
Vgl. Lachnit, L./Amman, H., Währungsumrechnung, 1998, S. 751-766. Vgl. Gamper, P. C., Währungs-Exposure Management, 1995, S. 21. Vgl. Mayrhofer, H., Währungsmanagement, 1992, S. 16-22. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 403.
321
Hachmeister
2
Währungsumrechnung und Net Investment in a foreign operation
2.1
Währungsumrechnung nach IAS 21 und Hedge Accounting
Die Normen zur Währungsumrechnung betreffen die Bilanzierung von Geschäftsvorfällen und Salden in Fremdwährung (IAS 21.3(a)), die Umrechnung von Abschlüssen ausländischer Geschäftsbetriebe, die bei der Konzernabschlusserstellung des berichtenden Unternehmens einbezogen werden (IAS 21.3(b)), sowie die Umrechnung eines Abschlusses eines Unternehmens in eine Berichtswährung (IAS 21.3(c)). Nicht in den Anwendungsbereich fallen Fremdwährungsderivate und Sicherungsgeschäfte, die in IAS 39 geregelt werden (IAS 21.4-5).5 Die Regelungen zur Umrechnung, die innerhalb des Anwendungsbereichs von IAS 21.3(b) zusätzlich beachtet werden müssen, beziehen sich auf einen konsolidierten Abschluss und erfassen die Besonderheiten aus einem Hedge of a Net Investment in a Foreign Operation. Basis für die Währungsumrechnung stellt das Konzept der funktionalen Währung dar.6 Sie ist die Währung des Wirtschaftsraums, in dem das Unternehmen primär tätig ist (IAS 21.8). Grundsätzlich handelt es sich um das Umfeld, in dem das Unternehmen hauptsächlich Zahlungsmittel generiert oder aufwendet, wobei für die Bestimmung der funktionalen Währung bestimmte Faktoren heranzuziehen sind (IAS 21.9).7 Erst wenn sich das Wirtschaftsumfeld grundlegend ändert, kommt es auch zu einer Änderung der funktionalen Währung (IAS 21.13). Die Umrechnung von Fremdwährungstransaktionen in die funktionale Währung erfolgt gemäß der Zeitbezugsmethode bei ihrer erstmaligen bilanziellen Erfassung mit dem Devisenkassakurs (Spot Exchange Rate), der zum Transaktionszeitpunkt galt (IAS 21.21).8 Sofern die Wechselkurse nicht wesentlich schwanken, dürfen wöchentliche oder monatliche Durchschnittskurse verwendet werden.9 Bei einer bilanziellen Erfassung in den Folgeperioden, die notwendig sein kann, da die entsprechenden Transaktionen zum nächsten Bilanzansatz noch nicht beglichen wurden, kommen bei der Umrechnung, abhängig von der Bilanzposition, unterschiedliche 5 6 7 8 9
322
Vgl. Grünberger, D., IAS/IFRS 2006, 2006, S. 286. Hinsichtlich der Darstellung im Jahresabschluss findet IAS 21 jedoch auch auf diese Positionen Anwendung. Vgl. Schruff, L./Wellbrock, J. M., Fremdwährung, 2006, Rz. 12. Weitere Hinweise auf die funktionale Währung eines Unternehmens liefern IAS 21.10 f. Vgl. Grünberger, D., IAS/IFRS 2006, 2006, S. 288. Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J., Internationale Rechnungslegung, 2006, S. 632.
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
Kurse zur Anwendung.10 Während alle monetären Positionen mit dem Stichtagskurs11 umgerechnet werden (IAS 21.23(a)), wobei Umrechnungsdifferenzen erfolgswirksam zu erfassen sind (IAS 21.28), wird bei der Umrechnung nicht-monetärer Posten eine weitere Unterscheidung getroffen. Wurde ein nicht-monetärer Posten zu historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten in Fremdwährung bewertet, ist der Kurs, der am Tag der Transaktion galt, heranzuziehen (IAS 21.23(b)). Ist ein nicht-monetärer Posten hingegen mit seinem Fair Value in Fremdwährung bewertet worden, muss der Kurs, der am Tag der Ermittlung des Fair Value galt, herangezogen werden (IAS 21.23(c)). Umrechungsdifferenzen werden dabei abhängig von der Erfassung der Wertänderungen nicht-monetärer Posten erfolgswirksam oder erfolgsneutral erfasst (IAS 21.30).12 Sofern die funktionale Währung von der Berichtswährung des Unternehmens abweicht, muss das Unternehmen des Weiteren mithilfe der modifizierten Stichtagskursmethode den Abschluss in die entsprechende Berichtswährung umrechnen (IAS 21.38).13 In diesem Fall müssen die Vermögenswerte und Schulden in der Bilanz des ausländischen Geschäftsbetriebs mit den Stichtagskursen umgerechnet werden, Erträge und Aufwendungen hingegen mit dem Kurs, der am Tag der Transaktion galt (IAS 21.39 (a)-(b)). Das Eigenkapital ergibt sich dabei als Residualgröße aus der Währungsumrechnung und enthält die erfolgsneutral erfassten Wechselkursänderungen in einem separaten Eigenkapitalposten (IAS 21.39(c)). Sollten monetäre Posten Teil einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb sein, bestehen für diese „Bewertungseinheit“ besondere Vorschriften zur Währungsumrechnung.
2.2
Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb
Der ausländische Geschäftsbetrieb kann ein Tochterunternehmen, assoziiertes Unternehmen, Joint Venture oder eine Niederlassung sein, dessen Geschäftstätigkeit in einem anderen Land angesiedelt ist, in einer anderen Währung ausgeübt wird, sich auf ein anderes Land oder eine andere Währung bezieht (IAS 21.8). Die Nettoinvestition stellt dabei die Höhe des Anteils dar, den das berichtende Unternehmen am Nettovermögen des ausländischen Geschäftsbetriebs hält (IAS 21.8). Bei nicht konsolidierten Unternehmen und Unternehmen, die at-Equity bilanziert wurden, entspricht dies dem
10 11 12 13
Vgl. Schruff, K./Wellbrock, J. M., Fremdwährung, 2006, Rz. 22. Der Stichtagskurs (closing rate) ist der am Bilanzstichtag gültige Devisenkassakurs (IAS 21.8). Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J., Internationale Rechnungslegung, 2006, S. 636. Vgl. Grünberger, D., IAS/IFRS 2006, 2006, S. 287 sowie S. 289.
323
Hachmeister
Buchwert der Beteiligung. Dagegen ergibt sich bei konsolidierten Unternehmen die Nettoinvestition als Summe der Vermögenswerte abzüglich der Schulden.14 Ob ein monetärer finanzieller Vermögenswert oder monetäre finanzielle Verbindlichkeit Teil einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb ist, hängt davon ab, ob ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.15 Von einem derart engen Zusammenhang ist auszugehen, wenn beispielsweise eine Ausleihung dazu dient, die Höhe des Beteiligungsengagements zu verstärken; sie hätte quasi die Bedeutung von Eigenkapital. Über eine Refinanzierung in der gleichen Währung kann eine monetäre finanzielle Verbindlichkeit allerdings auch zum Ziel haben, sich gegen Wechselkursrisiken aus der Investition in den ausländischen Geschäftsbetrieb abzusichern. Um einen wirtschaftlichen Zusammenhang herstellen zu können, darf die Rückzahlung der Forderung bzw. Verbindlichkeit in absehbarer Zeit weder geplant noch wahrscheinlich sein.16 Ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang setzt keine direkte schuldrechtliche Verbindung voraus.17 Sollte ein finanzieller Vermögenswert oder eine finanzielle Verbindlichkeit als Teil einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb i.S.d. IAS 21.15 gelten, ergeben sich für den Konzernabschluss besondere Regeln (IAS 21.32). Während im Einzelabschluss des berichtenden Unternehmens die Umrechnungsdifferenzen stets erfolgswirksam zu erfassen sind (IAS 21.33), werden sie in einem konsolidierten Abschluss, der den ausländischen Geschäftsbetrieb und das berichtende Unternehmen enthält, erfolgsneutral separat im Eigenkapital gebucht. Dieser erfolgsneutralen Erfassung liegt die Überlegung zugrunde, die monetären Posten zusammen mit der Beteiligungsinvestition als eine Bewertungseinheit zu erfassen, wobei die Langfristigkeit der Forderungen bzw. Verbindlichkeiten als eine Ausdehnung bzw. Absicherung des Beteiligungsengagements gesehen werden kann.18 Die erfolgsneutral behandelten Umrechnungsdifferenzen müssen nicht als separater Posten des Eigenkapitals ausgewiesen werden. Allerdings können sie Bestandteil mehrerer Umrechnungsdifferenzen sein, für die in Summe eine Angabepflicht besteht. Dabei ist der Saldo der Umrechnungsdifferenzen und eine Überleitungsrechnung vom Betrag zu Beginn der Periode auf jenen zum Ende der Periode zu erstellen (IAS 21.52). Darüber hinaus muss nach IAS 1.96 f. jeder Posten in die Darstellung des Eigenkapitals aufgenommen werden. Erst beim Verkauf des ausländischen Geschäftsbetriebs sind die kumulierten Umrechnungsdifferenzen aus dem Eigenkapital zusammen mit dem Erfolg aus dem Abgang in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen (IAS 21.48). Bei einem Teilabgang wird ein entsprechender Anteil der kumulierten Umrechnungsdifferenzen erfolgs14 15 16 17 18
324
Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J., Internationale Rechnungslegung, 2006, S. 584 f. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 168. Vgl. Oechsle, E./Müller, K./Holzwarth, J., IAS 21, 2006, Rz. 70. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2005, S. 169; V, IAS 21, 2006, Rn. 73. Vgl. Oechsle, E./Müller, K./Holzwarth, J., IAS 21, 2006, Rz. 70.
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
wirksam erfasst. Eine Wertberichtigung gilt nicht als Teilabgang, so dass keine Umrechnungsgewinne oder -verluste erfolgswirksam zu erfassen sind (IAS 21.49). Bei der Absicherung einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb gegen Wechselkursschwankungen besteht ein enger Zusammenhang zwischen IAS 21 und IAS 39.19 Bereits vor der erstmaligen Verabschiedung von IAS 39 wurde diese Absicherungsmöglichkeit in IAS 21 geregelt.20 Um sich für das Hedge Accounting qualifizieren zu können, gelten für die Absicherung einer Nettoinvestition dieselben restriktiven Anforderungen an Dokumentation, Designation und Effektivität wie für den Fair Value Hedge bzw. den Cash Flow Hedge.21
3
Hedge of a net investment in a foreign operation
3.1
Grundlagen und Voraussetzungen des Hedge Accounting nach IAS 39
Während unter Hedging der unter finanzwirtschaftlichen Gesichtpunkte vorgenommene Aufbau einer Sicherungsbeziehung an sich verstanden wird, bezeichnet Hedge Accounting die bilanzielle Abbildung einer Sicherungsbeziehung, die in IAS 39.71-102 geregelt wird.22 Bei Vorliegen einer Sicherungsbeziehung werden die prinzipiell bestehenden Bilanzierungsvorschriften für finanzielle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zum Teil außer Kraft gesetzt, um die Sicherungsbeziehung wirtschaftlich sinnvoll ausweisen zu können.23 Die Erfordernis spezieller Regelungen im Bereich des Hedge Accounting ergibt sich aus dem Mixed Model Approach des IAS 39 für Finanzinstrumente.24 Abhängig davon, welcher Bewertungskategorie nach IAS 39.9 die Finanzinstrumente zugeordnet sind, werden sie erfolgswirksam oder erfolgsneutral zum Fair Value oder
19 20 21 22
Vgl. Winkeljohann, N., Rechnungslegung nach IFRS, 2006, S. 174. Vgl. Kehm, P./Lüdenbach, N., Finanzinstrumente, 2007, Rz. 214. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 406. Vgl. Seidl, A., Hedge-Accounting und Risikomanagement, 2000, S. 29; Löw, E./Lorenz, K. Finanzinstrumente, 2005, S. 556. 23 Vgl. Winkeljohann, N., Rechnungslegung nach IFRS, 2006, S. 170. 24 Vgl. Eckes, B. u.a., Hedge Accounting (I), 2004, S. 416.
325
Hachmeister
zu fortgeschriebenen Anschaffungskosten bilanziert.25 Die Wertänderungen des Derivats, das zu Sicherungszwecken eingesetzt wird, erfolgt hingegen grundsätzlich erfolgswirksam.26 Obwohl wirtschaftlich gesehen Risiken abgesichert werden, entsteht im Ergebnis eine Volatilität, die den True and Fair View verletzt.27 IAS 39.86 unterscheidet drei verschiedene Formen von Sicherungsbeziehungen, wobei die Zuordnung von der Art des gesicherten Risikos abhängt. Ein Unternehmen muss deshalb vorab den Hedge abhängig vom abzusichernden Risiko klassifizieren. Wenn das Unternehmen versucht, Änderungen des Fair Value abzusichern, handelt es sich um einen Fair Value Hedge (IAS 39.86(a)). Strebt es die Absicherung gegen das Risiko schwankender Zahlungsströme an, liegt ein Cash Flow Hedge (IAS 39.86(b)) vor. Daneben kann das Unternehmen im Konzernabschluss eine Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb absichern (Hedge of a Net Investment in a Foreign Operation, IAS 39.86(c)). Ein Grundgeschäft kann neben einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb (Net Investment in a Foreign Operation) auch ein bilanzierter Vermögenswert bzw. Verbindlichkeit, eine Transaktion, die mit hoher Wahrscheinlichkeit künftig eintreten wird (Highly Probable Forecast Transaction), oder eine bilanzunwirksame feste Verpflichtung (Firm Commitment)28 sein (IAS 39.78). Von der Designation als Grundgeschäft sind gewisse Finanzinstrumente ausgeschlossen:
feste Verpflichtungen im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses, deren Designation im Hinblick auf eine Absicherung allgemeiner Geschäftsrisiken nicht möglich ist (IAS 39.AG98);
eigene Eigenkapitalinstrumente sowie darauf gerichtete geplante Transaktionen (IAS 39.86, IAS 39.IG F.2.7);
Derivate, da diese stets der Kategorie Through Profit or Loss zugeordnet sind und die Wertänderungen ohnehin direkt im Ergebnis erfasst werden (IAS 39.IG F.2.1);
finanzielle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Handelsbestands, da deren Wertänderungen erfolgswirksam berücksichtigt werden.29 Zudem wird verlangt, dass das Grundgeschäft eine einzige Position oder eine Gruppe mit gleichartigem Risikoprofil ist,30 so dass von einem Mikro-Hedge auszugehen ist, 25 26 27 28
Vgl. Jerzembek, L./GroßE, J.-F., Fair-Value-Option, 2005, S. 221. Vgl. Eckes, B. u.a., Hedge Accounting (I), 2004, S. 416 f. Vgl. Jerzembek, L./Große, J.-F., Fair-Value-Option, 2005, S. 221. Besteht eine feste Verpflichtung im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses, kann eine Designation als Grundgeschäft nur im Zusammenhang mit einer Absicherung von Fremdwährungsrisiken erfolgen (IAS 39.AG98). 29 Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 378. 30 Bei der Absicherung eines Portfolios gegen Zinsänderungsrisiken kann das Grundgeschäft auch aus einem Teil des Portfolios an finanziellen Vermögenswerten oder Verbindlichkeiten, die demselben Risiko unterliegen, bestehen (IAS 39.78).
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Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
was für Unternehmen problematisch ist, die ihre Wechselkursrisiken über einen Makro-Hedge auf Basis ihrer Netto-Exposure steuern (IAS 39.84, IAS 39.AG101).31 Zudem muss eine nicht zum Unternehmen gehörende Partei eingebunden sein (IAS 39.80). Das Gleiche gilt auch für die Designation eines Sicherungsinstruments, da bei konzerninternen Transaktionen die Sicherungsinstrumente bei der Konsolidierung eliminiert werden (IAS 39.73).32 Eine Ausnahme besteht für das Wechselkursrisiko aus einem konzerninternen monetären Posten.33 Die Voraussetzungen an ein Grundgeschäft werden von dem konzerninternen monetären Posten erfüllt, wenn aus der Währungsposition Gewinne oder Verluste resultieren, die im Rahmen der Konsolidierung nach IAS 21 nicht eliminiert werden.34 Darüber hinaus besteht eine weitere Ausnahme für eine mit hoher Wahrscheinlichkeit künftig eintretende konzerninterne Transaktion, sofern die Transaktion auf eine andere Währung lautet als die funktionale Währung des Unternehmens, das diese Transaktion abwickelt, und das Wechselkursrisiko sich auf die konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung auswirkt.35 Als Sicherungsinstrumente qualifizieren sich alle derivativen Finanzinstrumente, mit Ausnahme bestimmter geschriebener Optionen, die nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn eine erworbene Option glattgestellt werden soll (IAS 39.AG94). Nichtderivative finanzielle Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten können nur dann als Sicherungsinstrument designiert werden, wenn Fremdwährungsrisiken abgesichert werden sollen (IAS 39.72). Eine Finanzinvestition in ein nicht-notiertes Eigenkapitalinstrument, dessen Fair Value nicht verlässlich bestimmt werden kann (IAS 39.AG96), und eigene Eigenkapitalinstrumente des Unternehmens dürfen nicht als Sicherungsinstrumente eingesetzt werden (IAS 39.AG97). Regelmäßig wird ein Sicherungsinstrument in seiner Gesamtheit mit nur einem einzigen Fair Value bewertet, wobei die Faktoren, die eine Fair Value-Änderung auslösen, sich gleichzeitig bedingen (IAS 39.74). Mit gewissen Ausnahmen, bei denen eine Designation von Komponenten möglich ist36, weil i.d.R. ein perfekter Hedge erzielt werden kann, wird daher ein Sicherungsinstrument generell in seiner Gesamtheit einer Sicherungsbeziehung zugeordnet.37 Einem Grundgeschäft können als Sicherungsinstrument auch mehrere Derivate oder bei der Absicherung des Wechselkursrisikos 31 32 33
34 35 36 37
Vgl. Barckow, A./Glaum, M., Bilanzierung, 2004, S. 192; Eckes, B. u.a., Hedge Acconting (I), 2004, S. 419. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 391. Monetäre Posten sind im Besitz befindliche Währungseinheiten sowie Vermögenswerte und Schulden, für die das Unternehmen eine feste oder bestimmbare Anzahl von Währungseinheiten erhält oder bezahlen muss (IAS 21.8). Beispiele für monetäre Posten liefert IAS 21.16. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 391. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2106/2005 der Kommission vom 21. Dezember 2005. Nach IAS 39.74 kann bei Optionen der innere Wert und bei Terminkontrakten der Kassakurs als Sicherungsinstrument bestimmt werden. Vgl. Kehm, P./Lüdenbach, N., Finanzinstrumente, 2007, Rz. 205.
327
Hachmeister
mehrere nicht-derivate Instrumente bzw. eine Kombination beider Typen zugeordnet werden.38 Auch ein prozentualer Anteil des gesamten Sicherungsinstruments kann designiert werden (IAS 39.75). Das Sicherungsinstrument kann dabei nur für einen Teil der Laufzeit des Grundgeschäfts eingesetzt werden (Partial Term Hedging, IAS 39.IG F.2.17), im Gegensatz dazu ist die Anwendung von Hedge Accounting nur für einen Teil der Laufzeit des Sicherungsinstruments nicht erlaubt (IAS 39.75).39 Unter bestimmten Voraussetzungen ist es sogar möglich, ein einzelnes Sicherungsinstrument zur Absicherung verschiedener Risiken gleichzeitig einzusetzen (IAS 39.76). Um zu verhindern, dass die Grundprinzipien zur Bilanzierung von Derivaten sowie von Forderungen und Verbindlichkeiten im Rahmen der Absicherung von Wechselkursrisiken umgangen werden, gibt es zahlreiche formale Kriterien, die zwingend zu befolgen sind. Die Kriterien umfassen neben der Designation der Grundgeschäfte und Sicherungsinstrumente auch die Dokumentation der Risikomanagementziele und strategien.40 Die Dokumentation hat dabei zu Beginn der Absicherung zu erfolgen und fordert die Festlegung der Art des abzusichernden Risikos sowie eine Beschreibung, wie das Unternehmen die Effektivität41 der Sicherungsbeziehung ermitteln wird (IAS 39.88(a)). Die Bestimmung der Effektivität nimmt eine zentrale Rolle bei der Erfüllung der Anwendungsvoraussetzungen zum Hedge Accounting ein. Zur Ermittlung der Wirksamkeit ist ein prospektiver (IAS 39.88(b)) sowie ein retrospektiver (IAS 39.88(e)) Effektivitätstest notwendig, wobei der retrospektive Effektivitätstest mindestens zu jedem Zeitpunkt der Aufstellung eines Abschlusses durchzufühen ist (IAS 39.AG106).42 Die Absicherung muss als hoch wirksam eingeschätzt werden (IAS 39.88(b)), wobei die Effektivität der Sicherungsbeziehung zuverlässig feststellbar sein muss (IAS 39.88(d)).43 Während für die Ermittlung der Effektivität grundsätzlich der Quotient aus den Fair Value-Schwankungen bzw. CashflowSchwankungen des Grundgeschäfts und Sicherungsinstruments in einer Bandbreite
38 39 40 41
Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 359. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 369. Vgl. Eckes, B. u.a., Hedge Accounting (II), 2004, S. 54. Die Effektivität bezeichnet den Grad, mit dem die einem gesicherten Risiko zurechenbaren Änderungen des Fair Value oder der Cashflows des Grundgeschäfts durch Änderungen des Fair Value oder der Cashflows des Sicherungsinstruments kompensiert werden (IAS 39.9). 42 Vgl. Eckes, B. u.a., Hedge Accounting (II), 2004, S. 54. 43 Nach IAS 39.88(c) muss bei einem Cash Flow Hedge eine der Absicherung zugrunde liegende erwartete künftige Transaktion eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit haben und Risiken im Hinblick auf Schwankungen der Zahlungsströme ausgesetzt sein, die sich letztlich im Periodenergebnis niederschlagen könnten.
328
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
von 80-125 % liegen muss, um als hoch wirksam zu gelten, wird für den prospektiven Test ein zu erwartender nahezu vollständiger Ausgleich gefordert (IAS 39.AG105).44 Hinsichtlich der Methoden, die zur Ermittlung der Effektivität anzuwenden sind, liefert der Standard keine expliziten Vorschriften. Die gewählte Methode muss jedoch konform mit der Risikomanagementstrategie des Unternehmens sein (IAS 39.AG107) und stetig angewandt werden.45 Die Dollar-Offset-Methode und die statistischen Verfahren können auch für den prospektiven Effektivitätstest eingesetzt werden, wobei diese Methoden häufig um die Berücksichtigung von Toleranzwerten ergänzt werden. Sensitivitätsanalysen sind hingegen für den retrospektiven Test nicht geeignet.46 Eine Erleichterung erlaubt der Standard bezüglich der prospektiven Effektivitätsmessung. Liegt ein perfekter Hedge vor, bei dem die wesentlichen Parameter von Grundgeschäft und Sicherungsinstrument übereinstimmen, kann der quantitative Nachweis entfallen (IAS 39.AG108).47 Für den retrospektiven Effektivitätstest kann diese Erleichterung jedoch nicht angewandt werden.48 Im Rahmen einer Absicherung von Wechselkursrisiken ist es generell möglich, dass Fremdwährungsforderungen oder -verbindlichkeiten bzw. Derivate, die als Sicherungsinstrumente designiert wurden, in einer anderen Fremdwährung nominiert sind als das Grundgeschäft. Damit die Sicherungsbeziehung jedoch effektiv ist, muss eine ausreichende Korrelation zwischen den beiden Währungen bestehen.
3.2
Bilanzielle Abbildung der Sicherungsbeziehung eines Net Investments
Zum Zweck der Absicherung wird die Nettoinvestition einschließlich der Absicherung monetärer Posten, die Teil dieser Nettoinvestition sind, als ein abzusichernder Vermögenswert betrachtet.49 Die bilanzielle Abbildung der Absicherung einer Nettoinvestition folgt der bilanziellen Behandlung eines Cash Flow Hedge.50 Der effektive Teil eines Gewinns oder Verlusts eines Sicherungsinstruments ist erfolgsneutral im Eigenkapital zu erfassen (IAS 39.102(a)) und der ineffektive Teil erfolgswirksam in der GuV (IAS 39.102(b)). Als ineffektiver Teil des Sicherungsgeschäfts gilt jener Teil der Gewinne/Verluste, der die Gewinne/Verluste des Grundgeschäfts übersteigt.
44 45 46 47 48 49 50
Vgl. Barckow, A., Bilanzierung und Sicherungsbeziehungen, 2004, S. 212. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 409. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 426. Es handelt sich dabei um einen sog. Critical Term Match. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 426. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 458. Vgl. Kehm, P./Lüdenbach, N., Finanzinstrumente, 2007, Rz. 214.
329
Hachmeister
Würde das Unternehmen Positionen nicht im Rahmen der Regelungen zum Hedge Accounting im Abschluss abbilden, wären alle Änderungen aus dem Sicherungsinstrument erfolgswirksam zu berücksichtigen, während die Änderungen der Nettoinvestition erfolgsneutral erfasst werden. Die Sicherungsbeziehung ist wirtschaftlich nicht korrekt abgebildet. Der Hedge besteht somit in der auf beiden Seiten erfolgsneutralen Erfassung der entsprechenden Wertänderungen. Daher werden nicht nur Währungsdifferenzen erfolgsneutral im Eigenkapital erfasst, die aus der Umrechung ausländischer Abschlüsse mit abweichender funktionaler Währung in die Berichtswährung entstehen, sowie Differenzen, die aus der Währungsumrechnung monetärer Posten resultieren, die Teil einer Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb sind, sondern auch die Umrechnungsdifferenzen des Sicherungsinstruments, die als effektiv eingestuft werden. Dadurch wird die Volatilität des Eigenkapitals, die aus der Umrechnung der Nettoinvestition resultiert, vermindert.51 Kommt es zu einer Veräußerung des ausländischen Geschäftsbetriebs, muss der Gewinn oder Verlust aus einem Sicherungsinstrument, der dem effektiven Teil der Sicherungsbeziehung zuzurechnen ist und direkt im Eigenkapital berücksichtigt wurde, ergebniswirksam erfasst werden (IAS 39.102). Dies gilt auch für Umrechungsdifferenzen eines monetären Postens, der Teil einer Nettoinvestition ist. Sowohl beim Abgang des monetären Postens als auch bei Auflösung der Sicherungsbeziehung verbleiben diese im Eigenkapital bis der ausländische Geschäftsbetrieb veräußert wird.52
3.3
Beispiel
Ein in Euro bilanziertes Mutterunternehmen M besitzt eine 100 %-Beteiligung an dem ausländischen Tochterunternehmen T, das M am 31.07.2003 erwarb. Die Beteiligung lautet auf USD in Höhe von 5.000.000 USD. Des Weiteren gewährte M zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs dem Unternehmen T einen Kredit in Höhe von 750.000 USD. Der Kredit dient dabei Finanzierungs- und Absicherungszwecken, weshalb dessen Tilgung weder geplant noch absehbar ist. T wird zum Zweck der Konzernabschlusserstellung, die zu jedem Quartal stattfindet, vollkonsolidiert.
51 52
330
Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 404. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 170.
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
Tabelle 3-1:
Wertentwicklung der Nettoinvestition in USD53 31.03.06
30.06.06
30.09.06
31.12.06
31.03.07
Vermögenswerte T in USD 20.000.000 20.000.000 20.600.000 20.600.000 20.600.00 - Verbindlichkeiten T in USD
15.350.000 15.350.000 15.350.000 15.350.000 15.350.000
+ Kredit von M in USD
750.000
750.000
750.000
750.000
750.000
= Nettoinvestition in USD
5.400.000
5.400.000
6.000.000
6.000.000
6.000.000
Der Kredit, der T von M zu Finanzierungszwecken gewährt wurde und deshalb dauerhaft dem Geschäftsbetrieb von T dient, muss aus den Verbindlichkeiten herausgerechnet werden, da er aufgrund der Dauerhaftigkeit Eigenkapitalcharakter besitzt.54 Da die Nettoinvestition nicht in der funktionalen Währung von M lautet und im kommenden Jahr eine verstärkte USD-Abwertung erwartet wird, entschließt sich M zur Absicherung der Nettoinvestition im Konzernabschluss. Hierzu nimmt M am 31.03.2006 einen Fremdwährungskredit in Höhe von 5.400.000 USD mit einer Laufzeit von einem Jahr auf, dessen endfällige Rückzahlung am 31.03.2007 erfolgt. Zu Beginn der Laufzeit wird er zu 100 % als Sicherungsinstrument designiert. Der Wechselkurs entwickelt sich dabei zu jedem Bilanzstichtag wie folgt:
Tabelle 3-2:
Entwicklung des Wechselkurses55
Wechselkursentwicklung
31.03.06
30.06.06
30.09.06
31.12.06
31.03.07
1,210 USD/€
1,235 USD/€
1,250 USD/€
1,265 USD/€
1,280 USD/€
Aus diesen Wechselkursen ergeben sich die nachstehenden Wertentwicklungen für die Nettoinvestition und den Fremdwährungskredit in Euro:
53 54 55
Vgl. Wurzinger, S., Währungsmanagement, 2006, S. 56. Vgl. Kuhn, S./Scharpf, P., Rechnungslegung, 2007, S. 168. Vgl. Wurzinger, S., Währungsmanagement, 2006, S. 57.
331
Hachmeister
Tabelle 3-3:
Wertentwicklung Nettoinvestition und Sicherungsinstrument in Euro56 31.03.06
30.06.06
30.09.06
31.12.06
31.03.07
Vermögenswerte T in €**
16.528.926 16.194.332 19.480.000 16.284.585 16.093.750
- Verbindlichkeiten T in €**
12.685.951 12.429.150 12.280.000 12.134.387 11.992.188 619.835
607.288
600.000
592.885
585.938
= Nettoinvestition in €
4.462.810
4.372.470
4.800.000
4.743.083
4.687.500
Sicherungsinstrument in € (Kredit)**
4.462.810
4.372.470
4.320.000
4.268.775
4.218.750
+ Kredit von M in €**
*Berechnung der Werte am Beispiel zum 31.03.06: Vermögenswerte: 20.000.000/1,210 - Verbindlichkeiten: 15.350.000/1,210 + Kredit M: 750.000/1,210 = Nettoinvestition: 4.462.810; Sicherungsinstrument: 5.400.000/1,210. ** Gerundete Werte.
Dabei nimmt das Unternehmen im Zeitablauf die folgenden Buchungen vor:57
Tabelle 3-4:
Buchungssätze eines Hedge of a Net Investment in a Foreign Operation58
30.06.06 Kredit für Sicherungszweck* Rücklage aus Währungsumrechnung** Verbindlichkeiten (ohne Kredit von M)*** 30.09.06 Kredit für Sicherungszweck Rücklage aus Währungsumrechnung Verbindlichkeiten (ohne Kredit von M)
56 57
90.340 € an 334.594 € an 244.254 € an 52.470 € an 194.332 € an 141.862 € an
Rücklage aus Absicherung Diverse Vermögenswerte Rücklage aus Währungsumrechnung Rücklage aus Absicherung Diverse Vermögenswerte Rücklage aus Währungsumrechnung
90.340 € 334.594 € 244.254 € 52.470 € 194.332 € 141.862 €
Vgl. Wurzinger, S., Währungsmanagement, 2006, S. 57. Zinszahlungen, die auf den für T gewährten Kredit und den als Sicherungsinstrument gewährten Kredit entfallen, werden vernachlässigt. 58 Vgl. Wurzinger, S., Währungsmanagement, 2006, S. 58.
332
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
31.12.06 Kredit für Sicherungs51.225 € an Rücklage aus 51.225 € zweck Absicherung Rücklage aus Währungs195.415 € an Diverse 195.415 € umrechnung Vermögenswerte Diverse Verbindlichkeiten 138.498 € an Rücklage aus 138.498 € (exklusiv Währungsumrechnung Kredit von M) 31.03.07 Kredit für Sicherungs50.025 € an Rücklage aus 50.025 € zweck Absicherung Rücklage aus Währungs190.835 € an Diverse 190.835 € umrechnung Vermögenswerte Diverse Verbindlichkeiten 135.252 € an Rücklage aus 135.252 € (exklusiv Währungsumrechnung Kredit von M) * Berechnung am Beispiel zum 30.06.06: 4.462.810 - 4.372.470. ** Berechnung am Beispiel zum 30.06.06: 16.528.926 - 16.194.332. *** Berechnung am Beispiel zum 30.06.06: (12.685.951 - 619.835) - (12.429.150 - 607.288).
Sowohl zum 30.06.2006 als auch zum 30.09.2006 gleichen sich die Wertänderungen, die aus der Wechselkursschwankung resultieren, vollständig aus. Es liegt eine vollkommen perfekte Hedge-Beziehung vor. Zum 30.09.2006 hat sich zwar der Wert der Vermögenswerte von T erhöht59, dies hat allerdings erst an den zukünftigen Bilanzstichtagen Auswirkungen auf die Umrechnungsdifferenzen und die Effektivität:60
Tabelle 3-5:
Retrospektive Effektivität des Sicherungsinstruments61 30.06.06
30.09.06
31.12.06
31.06.07
Kumulierte Wertänderung Sicherungsinstrument in € Kumulierte Wertänderung Nettoinvestition in €
90.340
142.810
194.035
244.060
90.340
142.810
199.727
255.310
Retrospektive Effektivität
100%
100%
97%
96%
59
Die Werterhöhung kann z.B. aus einer Kurssteigerung von Wertpapieren der Kategorie through profit or loss ausgelöst werden. 60 Die Berechnung der Wertänderung aus den Vermögenswerten zum 30.09.2006 lautet: 20.000.000 USD/1,235 USD/€ - 20.000.000 USD/1,25 USD/€ = 194.332 €. 61 Vgl. Wurzinger, S., Währungsmanagement, 2006, S. 58.
333
Hachmeister
Durch die Erhöhung der Vermögenswerte unterschreiten die aus der Wechselkursschwankung resultierenden kumulierten Wertänderungen des Sicherungsinstruments am 31.12.2006 und am 31.03.2007 die entsprechenden Wertänderungen der Nettoinvestition. Es liegt ein sog. Under-Hedge vor, der sich allerdings noch in der zulässigen Bandbreite befindet und die Sicherungsbeziehung daher weiterhin effektiv ist. Da M nicht beabsichtigt, T gleichzeitig mit der Beendigung der Sicherungsbeziehung am 31.03.2007 zu veräußern, verbleiben die erfolgsneutral erfassten Beträge aus dem Sicherungsinstrument und der Nettoinvestition im Eigenkapital.
3.4
Würdigung
Wie aus dem Beispiel deutlich wurde, kann mithilfe eines Hedge of a Net Investment in a Foreign Operation der Wertverlust aus einer Nettoinvestition, der durch Wechselkursänderungen ausgelöst wird und die zukünftigen Zahlungsströme aus dieser Nettoinvestition vermindert, eliminiert oder, falls kein vollkommen perfekter Hedge vorliegt, reduziert werden. Da die bilanztechnische Erfassung der Sicherungsbeziehung bei dieser Hedge-Möglichkeit einem Cash Flow Hedge folgt und zukünftige Zahlungsströme abgesichert werden, besteht auch auf Ebene eines Konzernabschlusses ein Transaktionsexposure in Höhe der Nettoinvestition. Durch die Absicherung dieses Transaktionsexposure wird gleichzeitig auch das Translationsrisiko eliminiert. Da sich das Unternehmen zu einer Absicherung der Nettoinvestition erst am 31.03.2006 entschließt, der Beteiligungserwerb bereits in 2003 vollzogen wurde, besteht vom Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs an bis zum Zeitpunkt, an dem das Sicherungsgeschäft abgeschlossen und für die Sicherungsbeziehung designiert wurde, sowohl ein Transaktions- als auch zu jedem Bilanzstichtag ein Translationsrisiko aus der Nettoinvestition. Erst mit Abschluss und Designation der Sicherungsbeziehung werden für den Zeitraum, für den die Hedge-Beziehung beabsichtigt und effektiv ist und sich im Beispiel auf ein Jahr beläuft, beide Risiken ausgeschaltet. Wenn das Unternehmen zum Ende der Sicherungsbeziehung nicht beabsichtigt, die Beteiligung zu veräußern oder eine neue Sicherungsbeziehung aufzubauen, falls weitere starke Wechselkursschwankungen befürchtet werden, besteht ab dem Zeitpunkt, an dem die Sicherungsbeziehung ausgelaufen ist, wieder ein Transaktions- und Translationsrisiko. Unterlässt das Unternehmen diese Möglichkeit, werden die positiven Effekte, die durch einen Anstieg des Aktienkurses ausgelöst wurden, durch negative Wechselkurseffekte reduziert, im Extremfall eliminiert oder sogar überkompensiert. Abschließend soll, ein kurzer Blick auf den Einzelabschluss des Unternehmens geworfen werden, das die entsprechende Beteiligung zu dieser Nettoinvestition hält. Da auf Ebene des Einzelabschlusses keine Nettoinvestition in einen ausländischen Geschäftsbetrieb vorliegt, kann der Fremdwährungskredit für Zwecke der Absicherung auf dieser Ebene nicht als Sicherungsinstrument im Rahmen eines Hedge of a Net Invest-
334
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
ment in a Foreign Operation designiert werden. Es ist jedoch möglich, auf Ebene des Einzelabschlusses diesen Fremdwährungskredit als Sicherungsinstrument zur Absicherung der Beteiligung im Rahmen eines Cash Flow Hedge oder Fair Value Hedge einzubinden. Diese Hedge-Beziehung ist dabei unabhängig von der Hedge-Beziehung auf Konzernabschlussebene. Ob spezielle Regelungen überhaupt notwendig sind, um eine Sicherungsbeziehung auf der Ebene des Einzelabschlusses wirtschaftlich korrekt abzubilden, hängt davon ab, welcher Kategorie die Beteiligung angehört. Sobald die Beteiligung der Kategorie available-for-sale zugeteilt wurde und eine Sicherungsbeziehung wirtschaftlich sinnvoll abgebildet werden soll, müssen die Regelungen zum Hedge Accounting zur Anwendung kommen.
4
Thesenförmige Zusammenfassung
1. Hedge Accounting bezeichnet die bilanzielle Abbildung einer Sicherungsbeziehung zwischen einem Grundgeschäft und einem Sicherungsinstrument. Dadurch werden die prinzipiell bestehenden Bilanzierungsvorschriften für Finanzinstrumente aus dem mixed model approach teilweise außer Kraft gesetzt, um die Sicherungsbeziehung wirtschaftlich sinnvoll ausweisen zu können. 2. Die bilanzielle Behandlung eines Hedge of a net investment in a foreign operation folgt der eines Cash Flow Hedge, bei dem die Wertänderungen des Sicherungsinstruments erfolgsneutral im Eigenkapital geparkt werden, wodurch ein auf Konzernebene bestehendes Transaktionsrisiko eliminiert werden soll. Durch diese HedgeMöglichkeit werden nicht nur die zukünftigen Zahlungsströme aus dieser Nettoinvestition gesichert, gleichzeitig wird ein zu jedem Bilanzstichtag bestehendes Translationsrisiko eliminiert. 3. Verfügt ein Unternehmen über ausstehende Forderungen bzw. Verbindlichkeiten gegenüber einem ausländischen Geschäftsbetrieb, deren Abwicklung in absehbarer Zeit weder geplant noch wahrscheinlich ist, gelten diese Posten als Teil dieser Nettoinvestition. Wertänderungen solcher monetärer Posten werden nach IAS 21.32 analog zu den Wertänderungen des ausländischen Geschäftsbetriebs erfolgsneutral erfasst.
335
Hachmeister
Literaturverzeichnis
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336
Währungsumrechnung, Währungsrisiken und Hedge Accounting nach IFRS
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337
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung Univ.-Prof. Dr. Norbert Krawitz Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre II, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht der Universität Siegen, Hölderlinstr. 3, 57068 Siegen Dipl.-Kffr. Carolin Karthaus Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre II, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht der Universität Siegen
1
Problemstellung.............................................................................................................. 341
2
Initiativen in der Europäischen Union zur Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage ...................................... 342 2.1 Bemühungen der EU-Kommission..................................................................... 342 2.2 Bestrebungen auf Mitgliedstaatenebene ............................................................ 345
3
Konzeption einer gemeinsamen konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage................................................................................................... 346 3.1 Persönlicher Anwendungsbereich ...................................................................... 346 3.2 Ausgestaltung der steuerlichen Gewinnermittlung für Körperschaften....... 347 3.3 Funktionsweise der gemeinsamen konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage.......................................................................................... 348 3.4 Ausgewählte strukturelle Elemente der steuerlichen Gewinnermittlung..... 349 3.4.1 Abschreibung von Vermögenswerten.................................................... 349 3.4.2 Behandlung von Rückstellungen............................................................ 351 3.4.3 Ermittlung des steuerbaren Einkommens ............................................. 352 3.4.4 Internationale Aspekte ............................................................................. 353 3.5 Verfahren für die Aufteilung der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage auf die beteiligten Mitgliedstaaten....... 354
4
Kritische Würdigung und Ausblick............................................................................. 357
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 359
339
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
1
Problemstellung
Die Harmonisierung der direkten Unternehmensbesteuerung steht seit mehr als vier Jahrzehnten auf der Agenda der Europäischen Union (EU). Nennenswerte Erfolge sind angesichts starker Widerstände seitens der Mitgliedstaaten, die sich in ihrer fiskalischen Souveränität bedroht sahen, bisher nicht zu verzeichnen.1 Die Schwierigkeit dieser Bemühungen ergibt sich aus dem EG-Vertrag, der in Art. 93 lediglich ein Mandat für die Harmonisierung der indirekten Steuern vorsieht. Für Fragen der direkten Steuern gilt nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip (Art. 94), so dass die Zuständigkeit für diesen Bereich primär bei den Mitgliedstaaten verbleibt und die Europäische Union nur nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5) tätig wird.2 Aus dieser Ausgangslage folgt, dass die direkten Unternehmenssteuern in der Europäischen Union weiterhin von 27 nebeneinander existierenden nationalen Steuerrechtsordnungen geprägt sind.3 Die bisherigen Harmonisierungsbestrebungen haben sich daher insbesondere auch auf die steuerliche Gewinnermittlung noch nicht ausgewirkt, so dass jeder Mitgliedstaat weiterhin über ein eigenständiges Regelwerk verfügt. Die Vielfalt der steuerlichen Gewinnermittlungssysteme im Binnenmarkt erschwert die Transparenz der Steuerbelastung, da bei unterschiedlicher Bemessungsgrundlage der Steuersatz als einziger Vergleichsmaßstab nicht ausreicht, um die Höhe der effektiven Belastung zu bestimmen.4 Eine Vereinheitlichung der steuerlichen Gewinnermittlung würde somit die Transparenz der Steuerbelastung erhöhen und den Steuerwettbewerb effizienter gestalten. Eine einheitliche Gewinnermittlung ginge auch mit einer Reduktion der Befolgungskosten des Steuersystems für grenzüberschreitend tätige Unternehmen und die jeweils mit diesen Fällen befassten Finanzverwaltungen einher, die derzeit die bereits von ausländischen Behörden geprüften Daten nicht übernehmen können, sondern eine eigenständige Prüfung auf der Basis ihrer nationalen Steuernormen vornehmen müssen.5 Darüber hinaus würde eine konsolidierte Gewinnermittlung die Verrechnungspreisproblematik bei konzerninternen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen lösen, die Konsolidierung von Gewinnen und Verlusten durch die Zusammenfassung der Einzelergebnisse der Konzerngesellschaften ermöglichen,6 grenzüberschreitende Umstrukturierungen erleichtern, mögliche Doppelbesteuerungen aufgrund des Zusammentreffens von Wohnsitzland- und Quellenlandbesteuerung vermeiden und teilweise steuersystembedingte Diskriminierungen 1 2
3 4 5 6
Vgl. Oestreicher, A., Konzernbesteuerung, 2002, S. 343. Vgl. Spengel, C., Unternehmensbesteuerung, 2003, S. 29; zu den genannten Artikeln vgl. die Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2002, in: ABl. EG C 325/35 vom 24.12.2002. Vgl. generell Hey, J., Unternehmensbesteuerung, 1997; Eberhartinger, E., Internationalisierung, 2000. Vgl. Schreiber, U., Gewinnermittlung, 2004, S. 221. Vgl. Hey, J., Perspektiven, 2004, S. 205. Vgl. Watrin, C./Sievert, E./Strohm, C., Reform, 2004, S. 10.
341
Krawitz / Karthaus
von Auslandsinvestitionen beseitigen.7 Ein so konzipiertes, die Belange der Mitgliedstaaten bewahrendes gemeinsames System der Besteuerung würde schließlich die Bedeutung der EU als Unternehmensstandort stärken sowie aufgrund der Bindung an gemeinsame Regeln auch zu einer Reduzierung des Steuerwettbewerbs beitragen. Die mit den zahlreichen unterschiedlichen Regeln einhergehenden Probleme haben bereits frühzeitig zu der Forderung nach einer Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlung im Binnenmarkt geführt. So wurde schon im Jahre 1988 ein Vorschlag zur Harmonisierung von der EU-Kommission entworfen, der jedoch nicht einmal den Status eines Richtlinienentwurfs erlangte.8
2
Initiativen in der Europäischen Union zur Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage
2.1
Bemühungen der EU-Kommission
Die EU-Kommission hat sich in Umsetzung des Lissabon-Programms9 zum Ziel gesetzt, die Europäische Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Einen bedeutenden Faktor zur Erreichung dieses ambitionierten Ziels stellt die Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften im Binnenmarkt dar. Hierzu hat die Kommission im Oktober 2001 auf der Basis einer umfangreichen Studie „Company Taxation in the Internal Market“10 eine neue Strategie für die künftige Unternehmensbesteuerung in der EU vorgelegt,11 deren Anliegen langfristig in der Schaffung einer einzigen konsolidierten Körperschaftsteuer-
7
Vgl. Spengel, C./Frebel, M., Initiativen, 2003, S. 787; Wehrheim, M./Marquardt, A., Vorschläge, 2003, S. 18; Spengel, C., Unternehmensbesteuerung, 2003, S. 29. 8 Zu den ersten Überlegungen eines Vorentwurfs einer Richtlinie über die Harmonisierung der Gewinnermittlungsvorschriften vgl. Zeitler, F.-C./Jüptner, R., Steuerharmonisierung, 1988, S. 2-16; ergänzend vgl. Anders, J., Harmonisierung, 1989, S. 1384-1385; Weber, A., Standortwahl, 1998, S. 31; EU-Kommission SEK, Unternehmensbesteuerung (2001) 1681, S. 16-17. 9 Vgl. EU-Kommission KOM, Lissabon-Programm (2005) 532, S. 5-6; EU-Kommission KOM, Lissabon-Programm (2005) 330, S. 2-3. 10 Vgl. EU-Kommission SEK, Unternehmensbesteuerung (2001) 1681. 11 Vgl. EU-Kommission KOM, Binnenmarkt (2001) 582.
342
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
Bemessungsgrundlage für die grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit in der EU besteht.12 Diese Bemühungen wurden in den Jahren 200313, 200514 und 200615 durch weitere Mitteilungen erneut bekräftigt. Zur Realisierung ihres Vorhabens hat die EUKommission vier unterschiedliche Lösungsansätze diskutiert, von denen allerdings nur dem Modell der Sitzlandbeteuerung (Home State Taxation) und der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) (Common Consolidated Corporate Tax Base – (CCCTB))16 zeitnahe Umsetzungschancen eingeräumt werden.17 Das Modell der Sitzlandbesteuerung18 sieht eine Ermittlung der gesamten Bemessungsgrundlage eines Konzerns nach den Gewinnermittlungsregeln des Sitzlandes der Konzernobergesellschaft vor.19 Jeder beteiligte Mitgliedstaat würde den Teil des Gewinns, der der Tätigkeit des Konzerns in seinem Gebiet entspricht, weiterhin zu seinem Körperschaftsteuersatz besteuern. Dieses Konzept beruht auf dem Gedanken der freiwilligen gegenseitigen Anerkennung, da die teilnehmenden Mitgliedstaaten die Gewinnermittlungsvorschriften der anderen Länder akzeptieren würden. Damit erfordert die Sitzlandbesteuerung keine Harmonisierung der nationalen Rechnungslegungsvorschriften. Ferner soll dieses Modell für die Unternehmen als Wahlrecht ausgestaltet sein sowie kurz- und mittelfristig als Pilotprojekt20 vor allem der pragmatischen Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU), die grenzüberschreitend tätig sind, dienen.21 Die Kommission erhofft sich von diesem 12
13
14 15 16 17
18 19
20 21
Diese würde es den im Binnenmarkt agierenden Unternehmen ermöglichen, ihre Bemessungsgrundlagen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten nach denselben Vorschriften zu berechnen. Vgl. Oestreicher, A., Konzernbesteuerung, 2002, S. 347. Vgl. EU-Kommission KOM, Hindernisse (2003) 726. In dieser Mitteilung bekräftigte die Kommission ihre Strategie und berichtete über bereits gemachte Fortschritte. Damit geht die Kommission noch über die Vorschläge des Ruding-Ausschusses in seinem Bericht vom März 1992 hinaus, der lediglich für eine Harmonisierung verschiedener nationaler Gewinnermittlungsvorschriften plädierte. Zu den Unterschieden zwischen Ruding-Bericht und neuer Strategie der EU-Kommission vgl. EU-Kommission, Fragen (2001) MEMO/01/335. Vgl. EU-Kommission KOM, Lissabon-Programm (2005) 330; EU-Kommission KOM, Lissabon-Programm (2005) 532. Vgl. EU-Kommission KOM, Koordinierung (2006) 823. Vgl. Europäisches Parlament, Bersani-Bericht (2005) A6-0386/2005; Europäischer Wirtschaftsund Sozialausschuss, Sondierungsstellungnahme (2006) ECO/165. Vgl. Spengel, C./Frebel, M., Initiativen, 2003, S. 789. Als weitere Lösungsansätze hat die EUKommission eine „einheitliche harmonisierte Bemessungsgrundlage“ sowie eine „europäische Körperschaftsteuer“ vorgeschlagen. Zu allen Modellen vgl. ausführlich EU-Kommission SEK, Unternehmensbesteuerung (2001) 1681, S. 373-402; Spengel, C., Einheitliche Bemessungsgrundlage, 2004, S. 106-107. Vgl. hierzu ausführlich Lodin, S. O./Gammie, M., Home State Taxation, 2001. Vgl. Oestreicher, A., Konzernbesteuerung, 2002, S. 347; Spengel, C./Frebel, M., Initiativen, 2003, S. 788; Watrin, C./Sievert, E./Strohm, C., Reform, 2004, S. 9; Spengel, C., Unternehmensbesteuerung, 2003, S. 31. Vgl. EU-Kommission KOM, Sitzlandbesteuerung (2005) 702, S. 3. Das Ziel dieses Projekts besteht vor allem in der Lösung derjenigen steuerlichen Probleme, die die Expansion von KMU in andere Mitgliedstaaten am stärksten behindern und regelmä-
343
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Vorstoß, der auf breite Unterstützung bei den betroffenen Wirtschaftskreisen trifft, einen wichtigen Anstoß für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der EU. Ob sich diese Erwartungen erfüllen, erscheint zumindest fraglich, da das Projekt zahlreiche Probleme, wie beispielsweise eine EU-weit uneinheitliche Verlustverrechnung oder die insbesondere für größere Konzerne bestehende Möglichkeit der Steuergestaltung durch Sitzverlegung, birgt.22 Im Fokus der gegenwärtigen Diskussionen steht deshalb das Konzept der GKKB. Zur Erarbeitung eines geeigneten Normengefüges hat die EU-Kommission im September 2004 eine Arbeitsgruppe „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ (AG GKKB)23 eingerichtet,24 die bis Ende 2008 einen endgültigen Vorschlag für die harmonisierte Bemessungsgrundlage erarbeiten soll, der im Rahmen eines Rechtsaktes der Gemeinschaft umgesetzt werden könnte. Die Arbeitsgruppe setzt sich aus Sachverständigen aller Mitgliedstaaten zusammen, die sich vierteljährlich zu einer gemeinsamen Sitzung treffen, in der die unterschiedlichen Aspekte der GKKB erörtert werden.25 Das Programm der Arbeitsgruppe, zu dessen Bewältigung bereits Unterarbeitsgruppen eingesetzt wurden, umfasst vier Hauptarbeitsbereiche: allgemeine Fragen, strukturelle technische Elemente der Steuerbemessungsgrundlage, strukturelle rechtliche Aspekte und Konsolidierung auf Konzernebene sowie Aufteilung der Steuerbemessungsgrundlage.26 Im Mai 2007 gab die EU-Kommission in einer Mitteilung zuletzt die bisherigen Fortschritte und das weitere geplante Vorgehen zur GKKB bekannt.27 Das Konzept der GKKB geht über die Stufe der gegenseitigen Anerkennung hinaus. Es soll vielmehr grenzüberschreitend tätigen Körperschaften optional eine harmonisierte steuerliche Gewinnermittlung mit den IAS/IFRS als Anknüpfungspunkt zur Verfügung stellen,28 die zu einer einheitlichen steuerlichen Bemessungsgrundlage einer
22 23 24
25
26 27 28
344
ßig dazu führen, dass sie das Potenzial des Binnenmarkts nicht in vollem Umfang nutzen können. Vgl. ausführlich zu diesem Projekt Spengel, C./Frebel, M., Initiativen, 2003, S. 789792. Vgl. BMF, Einheitliche Bemessungsgrundlage, 2007, S. 26. Häufig wird auch der englische Begriff „Common Consolidated Corporate Tax Base – Working Group“ (CCCTB-WG) verwendet. Die Arbeitsgruppe wurde auf der informellen Tagung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ im September 2004 während des niederländischen Ratsvorsitzes, auf der die Kommission ein Non-paper über die GKKB für die Union vorlegte, eingesetzt. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 3. Die Unterarbeitsgruppen erstatten der Arbeitsgruppe regelmäßig Bericht, damit alle Sachverständigen über die Fortschritte der Arbeiten informiert sind. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 6. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 5-6. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2007) 223. Eine fakultative GKKB wird nach Einschätzung der EU-Kommission eher die Zustimmung aller Mitgliedstaaten und der Wirtschaft finden als eine obligatorische. Durch den optionalen Charakter dieses Modells kommt es in allen mitwirkenden Staaten zwangsläufig zu einer Zweispurigkeit der steuerlichen Gewinnermittlung: zum einen nach den nationalen Gewin-
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
ganzen Unternehmensgruppe führt.29 Diese ist anschließend auf die wirtschaftlichen Einheiten in den Mitgliedstaaten zu verteilen, da die Besteuerung weiterhin unverändert in den Mitgliedstaaten erfolgt. Die Höhe der Steuer richtet sich mithin nach dem in einem Mitgliedstaat geltenden Steuersatz.30
2.2
Bestrebungen auf Mitgliedstaatenebene
Die Bestrebungen zur Neuordnung der steuerlichen Gewinnermittlung kommen auch in dem am 11. November 2005 abgeschlossenen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zum Ausdruck, in dem es heißt: „Wesentliches Element einer grundlegenden Unternehmenssteuerreform wird auch die steuerliche Gewinnermittlung sein. Die Arbeiten auf EU-Ebene zur Schaffung einer einheitlichen konsolidierten Bemessungsgrundlage werden wir aktiv mitgestalten, um ein modernes wettbewerbsfähiges Bilanzsteuerrecht zu entwickeln.“31 Diese Aussage bringt deutlich die Tendenz hin zu einer Europäisierung der steuerlichen Gewinnermittlung zum Ausdruck. Die Einführung eines Regelwerks für eine gemeinsame fakultative Bemessungsgrundlage, die auf IAS/IFRS-Definitionen und -Regelungen basiert, würde in Deutschland jedoch zwangsläufig zumindest zu einer eingeschränkten Anwendbarkeit des bislang noch geltenden Maßgeblichkeitsgrundsatzes und damit zu einer Auflösung der starren Bindung der steuerlichen Gewinnermittlung an die handelsrechtlichen Grundsätze führen.32 Bestrebungen zu einer Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlung werden derzeit in zahlreichen weiteren großen kontinentalen Industriestaaten, wie bspw. in Frankreich und Italien, offenkundig. Für die Erhaltung der Souveränität der Mitgliedstaaten in diesem Bereich haben sich hingegen Großbritannien, Irland, Estland und die Slowakei ausgesprochen. Sie beteiligen sich dennoch auf der fachlichen Ebene an den
29 30 31 32
nermittlungsregeln und zum anderen nach dem EU-einheitlichen Regime. Vgl. EUKommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 8-9; Herzig, N., Chancen, 2006, S. 35. Vgl. Oestreicher, A., Konzernbesteuerung, 2002, S. 347-348; Spengel, C./Frebel, M., Initiativen, 2003, S. 788. Vgl. Schreiber, U., Gewinnermittlung, 2004, S. 218. Vgl. Bundesregierung, Koalitionsvertrag, 2005, S. 69. Noch kritischer Pellens, B./Gassen, J., EU-Verordnungsentwurf, 2001, S. 140. Eine solche Entwicklung, die umfangreiche strukturelle Änderungen erfordert, dürfte insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mit zusätzlichen Einarbeitungs- und Umstellungskosten stark belasten. Kapitalmarktorientierte Konzernmutterunternehmen, die nach der sog. IAS-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1606/2002, in: ABl. EG L 243 vom 11.9.2002) ohnehin dazu verpflichtet sind, ihre konsolidierten Abschlüsse für ab dem 1.1.2005 beginnende Geschäftsjahre nach den IAS/IFRS aufzustellen, dürften hingegen von einer stärkeren Orientierung der steuerlichen Gewinnermittlung an den internationalen Rechnungslegungsstandards nur profitieren. Vgl. Pattek, G., Vereinheitlichung, 2007, S. 243.
345
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Arbeiten zur Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlung, obwohl sie dieses Projekt politisch ablehnen.
3
Konzeption einer gemeinsamen konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage
3.1
Persönlicher Anwendungsbereich
Die Konzeption der Arbeitsgruppe ist beschränkt auf die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage und schließt damit Personenunternehmen aus.33 Diese Restriktion führt jedoch im Hinblick auf die Rechtsformneutralität der Besteuerung zu Kritik und mag insbesondere aus deutscher Sicht nicht zufrieden stellen, da in Deutschland Personenunternehmen ein hoher Status eingeräumt wird.34 Fraglich ist darüber hinaus, ob dieses Konzept nur großen grenzüberschreitend tätigen Konzernunternehmen eingeräumt werden soll,35 was zu einer Benachteiligung nur national tätiger Unternehmen führt.36 Die wahlberechtigten Unternehmen werden bevorzugt, da sie durch die Optionsmöglichkeit in der Lage wären, ihre Steuerbelastung zu beeinflussen. Schließlich ist die optionale Ausgestaltung auch aus Effizienzgesichtspunkten abzulehnen. Ein solches Wahlrecht löst Steuerplanungs- und -gestaltungsaktivitäten aus, die mit hohen Kosten verbunden sind, und führt bei Unternehmen, die beide Regelwerke anwenden, zu erheblichem Verwaltungsmehraufwand. Die Koexistenz paralleler Ermittlungssysteme für nationale und grenzüberschreitend tätige Unternehmen kann daher allenfalls für eine Übergangsphase akzeptiert werden. Die Bestrebungen der Kommission können letztlich nur darauf gerichtet sein, eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage in der EU zu etablieren, die verpflichtend ist.
33
Zu den Zweifeln dieser Einschränkung vgl. EU-Kommission, Anwendungsbereich (2006) CCCTB\WP\040\doc\de, S. 5. 34 Vgl. Hey, J., Unternehmensbesteuerung, 1997, S. 11; Sievert, E., Konzernbesteuerung, 2006, S. 232. 35 Vgl. EU-Kommission, Anwendungsbereich (2006) CCCTB\WP\040\doc\de, S. 4-5. 36 Vgl. Herzig, N., Chancen, 2007, S. 40.
346
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
3.2
Ausgestaltung der steuerlichen Gewinnermittlung für Körperschaften
Die Arbeitsgruppe der EU-Kommission hat sich im Hinblick auf die Ausgestaltung der steuerlichen Gewinnermittlung darauf verständigt, die IAS/IFRS und damit ein kapitalmarkt- und informationsorientiertes Rechnungslegungssystem als Ausgangsposition heranzuziehen, da es sich dabei um die einzige EU-weit anerkannte Rechnungslegungskonvention handelt.37 Eine Applikation des Maßgeblichkeitsprinzips nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auf die IAS/IFRS sieht die Arbeitsgruppe damit explizit nicht vor.38 Die EU-Kommission plädiert vielmehr für die Schaffung eigenständiger steuerlicher Gewinnermittlungsregeln, die sich – soweit dies möglich und sinnvoll ist – an den IAS/IFRS orientieren.39 Soweit eine Übernahme geeigneter IAS/IFRS-Einzelregelungen für die steuerliche Gewinnermittlung erfolgt, kommt es zu steuerlichen Parallelregelungen, während bei notwendigen Abweichungen eigene steuerliche Regeln gefunden werden müssen.40 Eine formelle Einigung auf endgültige Besteuerungsprinzipien, die der eigenständigen steuerlichen Gewinnermittlung zugrunde liegen, hat allerdings noch nicht stattgefunden.41 Auch wurde noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob ein offizielles Grundsatzkonzept im Rahmen der GKKB zu verabschieden ist. Die Entscheidung der Arbeitsgruppe gegen eine IAS/IFRS-Maßgeblichkeit und für eigenständige steuerliche Gewinnermittlungsregeln ist zu begrüßen.42 Hierfür spricht bereits die hohe Instabilität der IAS/IFRS,43 die sich in ständigen Änderungen der Regeln manifestiert.44 Zudem treten trotz des Komitologieverfahrens45 weiterhin ver37 38 39 40 41
42
43
44 45
Vgl. EU-Kommission KOM, Hindernisse (2003) 726, S. 19; EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 8. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 8. So auch Herzig, N., Gewinnermittlung, 2005, S. 235; Spengel, C., Rechnungslegung, 2004, S. 139; Spengel, C., IFRS, 2006, S. 682; Endres, D./Günkel, M., Steuerstandort, 2006, S. S14. Vgl. Czakert, E., Bemessungsgrundlage, 2006, S. 563; Herzig, N., Chancen, 2006, S. 36-37. Vgl. EU-Kommission, Pläne (2005) CCCTB\WP\020\doc\de, S. 5; EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 15. Die Arbeitsgruppe wählt vielmehr den informellen Ansatz, der sich auf die Klärung von Sachfragen konzentriert und Fortschritte im Wege der politischen Konsensbildung ermöglichen soll. Vgl. Herzig, N., Chancen, 2006, S. 38. Zur deutschen Diskussion vgl. bspw. Euler, R., Konsequenzen, 1998, S. 23; Fülbier, R. U./Gassen, J., Maßgeblichkeit, 1999, S. 1512-1513; Pellens, B./Gassen, J., EU-Verordnungsentwurf, 2001, S. 139; Zeitler, F.-C., Rechnungslegung, 2003, S. 1531-1532; Kahle, H., Maßgeblichkeitsgrundsatz, 2002, S. 179-188; Oestreicher, A./Spengel, C., Replik, 1999, S. 1514; Spengel, C., Unternehmensbesteuerung, 2003, S. 34. In den osteuropäischen Beitrittsstaaten, in denen die Notwendigkeit bestand, neue Systeme für die steuerliche Gewinnermittlung zu konzipieren, wurden die IFRS bereits als Ausgangspunkt verwendet und mit den notwendigen Anpassungen versehen. Vgl. Herzig, N., Chancen, 2006, S. 30. Vgl. Herzig, N., Rechnungslegung, 2006, S. 559. In einem Komitologieverfahren befindet die EU-Kommission mit Unterstützung des Regelungsausschusses auf dem Gebiet der Rechnungslegung (Accounting Regulatory Committee)
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fassungsrechtliche Probleme einer dynamischen Verweisung auf die IAS/IFRS auf.46 Auch die unterschiedliche Zwecksetzung der auf die Informationsvermittlung ausgerichteten IAS/IFRS,47 die sich insbesondere in der Fair-Value-Konzeption widerspiegelt, und der an der Zahlungsbemessungsfunktion orientierten steuerlichen Gewinnermittlung spricht insbesondere im Bewertungsbereich gegen eine steuerliche Anknüpfung an die IAS/IFRS. Eine Inkompatibilität ergibt sich aus den unterschiedlichen Perspektiven und dem unterschiedlichen Adressatenkreis. Für die vor allem an Kapitalmarktteilnehmer gerichtete Informationsfunktion im Rahmen der IAS/IFRS ist die Verwendung entscheidungsrelevanter und damit zukunftsorientierter, risikobehafteter Daten (relevance) sinnvoll,48 während die steuerliche Gewinnermittlung im Hinblick auf rechtsstaatliche Gebote wie Objektivierbarkeit, Gleichmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Besteuerung höhere Anforderungen an die Verlässlichkeit (reliability) der verwendeten Daten stellt.49 Generell ist zu konstatieren, dass die regelmäßig zunehmende Ausdifferenzierung der IAS/IFRS-Regeln im Widerspruch zu der steuerlich angestrebten Reduktion der Komplexität steht.50
3.3
Funktionsweise der gemeinsamen konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage
Die Arbeitsgruppe ist bestrebt, von Beginn an in einer einzigen Phase die gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage einzuführen.51 Zur Erreichung dieses Ziels sind drei Schritte erforderlich.52 Zunächst werden die Ergebnisse der einzubeziehenden Unternehmen nach EU-weit einheitlichen Regeln getrennt voneinander ermittelt. Hierzu bedarf es eines einheitlichen Steuerbilanzrechts. Im zweiten Schritt werden
46
47 48 49 50 51
52
348
über die Annahme und Anwendbarkeit der einzelnen IAS/IFRS-Standards (Art. 6. IAS-VO). Vgl. Merkt, H., § 238 HGB, 2006, Rn. 147. Das zentrale Problem besteht darin, ob die Verwendung der Regeln eines privaten StandardSetters wie dem IASB für Zwecke der Besteuerung gegen einen verfassungsrechtlich gebotenen Gesetzesvorbehalt verstößt und wie man diesen Vorbehalten ggf. gerecht werden kann. Vgl. Herzig, N., Rechnungslegung, 2006, S. 559; Endres, D./Günkel, M., Steuerstandort, 2006, S. S14. Vgl. Endres, D./Günkel, M., Steuerstandort, 2006, S. S14; Zeitler, F.-C., Rechnungslegung, 2003, S. 1531. Vgl. Spengel, C., Unternehmensbesteuerung, 2003, S. 34. Vgl. Herzig, N., Gewinnermittlung, 2005, S. 214; Wagner, F. W., Neuordnung, 2002, S. 1888. Ähnlich auch Kahle, H., Harmonisierung, 2006, S. 1407. Die Alternative eines zweistufigen Prozesses, in dem zunächst eine gemeinsame Bemessungsgrundlage ohne Konsolidierung und erst später eine konsolidierte Bemessungsgrundlage eingeführt wird, schließt die Arbeitsgruppe damit explizit aus. Vgl. Spengel, C., Unternehmensbesteuerung, 2003, S. 31.
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
diese Einzelergebnisse konsolidiert, wobei der steuerliche Gewinn aller einzelnen Konzerngesellschaften (Konsolidierungskreis) zusammengefasst wird. Der gesamte Konsolidierungskreis wird somit für die steuerliche Gewinnermittlung wie ein einziges Unternehmen behandelt. Zuletzt wird das konsolidierte Ergebnis nach einem Aufteilungsschlüssel auf die beteiligten EU-Staaten realloziiert.53 Dieser einphasige Ansatz der Arbeitsgruppe ist insofern als positiv zu beurteilen, als er eine eigenständige steuerliche Konsolidierung und keine Ableitung des steuerlichen Ergebnisses aus dem IAS/IFRS-Konzernabschluss vorsieht. Denn ein solcher Weltabschluss weist bereits im Hinblick auf die Abgrenzung des Konsolidierungskreises große Unterschiede zu der steuerlichen Konsolidierung auf, die lediglich auf die EU begrenzt ist und anderen sachlichen Abgrenzungsmerkmalen folgen muss.54 Darüber hinaus kann nur der einphasige Prozess die bedeutsamen steuerlichen Hindernisse grenzüberschreitender Tätigkeit im Binnenmarkt, namentlich die Verlustausgleichsund die Verrechnungspreisproblematik, vollständig lösen.55 Zu bedenken ist indes, dass die Ausgestaltung der steuerlichen Konsolidierung eine schwierige Aufgabe in Bezug auf die Einschränkung von Handlungsspielräumen darstellt.
3.4
Ausgewählte strukturelle Elemente der steuerlichen Gewinnermittlung
3.4.1
Abschreibung von Vermögenswerten
Die bisherigen Überlegungen zur Abschreibung von Vermögenswerten sind in der zuständigen Unterarbeitsgruppe bereits weit fortgeschritten.56 So einigte man sich auf eine allgemeine Definition des abschreibungsfähigen Vermögenswertes und auf die Zuordnung eines Vermögenswertes im Sinne von wirtschaftlichem Eigentum.57 Darüber hinaus hat man sich über den Ansatz immaterieller Vermögenswerte verständigt. Diese müssen ebenso wie materielle Vermögensgegenstände die Kriterien „Beherrschung“ und „künftiger wirtschaftlicher Nutzen“ erfüllen, um abgeschrieben werden
53 54 55 56
57
Vgl. Kahle, H., Gewinnaufteilung, 2007, S. 210; Herzig, N./Gellrich, K., Rückstellungen, 2006, S. 758. Vgl. Herzig, N., Chancen, 2006, S. 39. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 7. Vgl. EU-Kommission, Abschreibung (2004) CCCTB/WP\004\doc\de; EU-Kommission, Vermögensgegenstände (2005) CCCTB\WP\005\doc\de; EU-Kommission, Abschreibung (2005) CCCTB\WP\007\doc\de; EU-Kommission, Abschreibung (2005) CCCTB\WP\012\ doc\de; EU-Kommission, Abschreibung (2006) CCCTB\WP\032\doc\de. Vgl. EU-Kommission, Abschreibung (2005) CCCTB\WP\012\ doc\de, S. 3.
349
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zu können.58 Die Arbeitsgruppe hat ferner eine Differenzierung zwischen selbst geschaffenen und extern erworbenen immateriellen Vermögenswerten vorgenommen. Danach sind sowohl ein selbst geschaffener Geschäfts- oder Firmenwert als auch sonstige selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte nicht zu aktivieren.59 Bei einem entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert haben sich die Teilnehmer darauf verständigt, dass dessen Ansatz und Abschreibung über einen Zeitraum zwischen fünf und zwanzig Jahren ermöglicht werden sollte. Hinsichtlich sonstiger erworbener immaterieller Vermögenswerte besteht indes mehrheitlich die Auffassung, dass nur selten die Voraussetzungen vorliegen, unter denen diese als abschreibungsfähige Vermögenswerte zu behandeln wären.60 Ein weiteres wichtiges Zwischenergebnis betrifft die Behandlung von Veräußerungsgewinnen und -verlusten wie gewöhnliche Unternehmenseinkünfte. Es besteht auch Konsens darüber, dass nur realisierte Veräußerungsgewinne vollständig zu besteuern und realisierte Veräußerungsverluste in voller Höhe zu berücksichtigen sind.61 Ein nicht realisierter Gewinn, der auf der Erhöhung des Marktwertes eines Vermögenswerts beruht, ist damit nicht zu besteuern.62 Unterschiedliche Auffassungen bestehen dagegen bei der Frage, ob ein unrealisierter Verlust, der auf einer dauerhaften Minderung des Marktwertes beruht, steuerlich berücksichtigt werden soll.63 Teilweise wird argumentiert, dass unrealisierte Gewinne und Verluste symmetrisch zu behandeln sind. Mithin wären unrealisierte Verluste ebenso wie noch nicht realisierte Gewinne erst zu berücksichtigen, wenn sie durch Veräußerung, Zerstörung oder Ausscheiden aus dem Unternehmen realisiert würden. Eine andere Gruppe vertritt hingegen die Auffassung, dass die steuerliche Relevanz des Imparitätsprinzips, welches das allgemeine Vorsichtsprinzip konkretisiert, berührt wird.64 Danach müssten vorhersehbare Risiken und zu vermutende Verluste, die im Geschäftsjahr wirtschaftlich entstanden sind, berücksichtigt werden. Intensiv diskutiert wurde zudem die Frage, ob Abschreibungen in der Form von Einzel- oder Gruppen- bzw. Poolabschreibungen geltend gemacht werden sollen.65 Bei der Einzelabschreibung ist die Nutzungsdauer des Vermögenswerts zum Zeitpunkt des Kaufs zu schätzen und der Vermögenswert während der Nutzungsdauer einzeln abzuschreiben. Für diesen Zweck werden von den Steuerverwaltungen detaillierte Tabellen der Vermögenswerte und ihrer Nutzungsdauer geführt. Die mit diesem Ver-
58 59 60 61 62 63 64 65
350
Vgl. EU-Kommission, Vermögensgegenstände (2005) CCCTB\WP\005\doc\de, S. 4. Vgl. EU-Kommission, Vermögensgegenstände (2005) CCCTB\WP\005\doc\de, S. 6. Vgl. EU-Kommission, Abschreibung (2006) CCCTB\WP\032\doc\de, S. 7. Vgl. EU-Kommission, Abschreibung (2006) CCCTB\WP\032\doc\de, S. 2-3. Vgl. EU-Kommission, Pläne (2005) CCCTB\WP\020\doc\de, S. 8. Vgl. Czakert, E., Bemessungsgrundlage, 2006, S. 565. Vgl. EU-Kommission, Pläne (2005) CCCTB\WP\020\doc\de, S. 8. Vgl. EU-Kommission, Abschreibung (2004) CCCTB/WP\004\doc\de, S. 9; EU-Kommission, Bericht (2005) CCCTB/WP/009/, S. 4-5; ergänzend vgl. Kämpf, L., Abschreibungen, 2002, S. 681-687.
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
fahren erzielbare Genauigkeit und Objektivität erfordert indes einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand.66 Die EU-Kommission bevorzugt daher die einfachere und effizientere Gruppen- bzw. Poolabschreibung.67 Dabei wird von einer gemeinsamen „Nutzungsdauer“ aller Vermögenswerte ausgegangen, so dass eine individuelle Schätzung der Nutzungsdauer entfallen und damit ein geringerer Verwaltungsaufwand erreicht werden kann.
3.4.2
Behandlung von Rückstellungen
Die Mitglieder der Untergruppe „Rücklagen, Rückstellungen und Schulden“68 haben sich in ihren bisherigen Beratungen darauf verständigt, den IAS 37 als allgemeinen Ausgangspunkt für eine gemeinsame steuerliche Definition von Rückstellungen festzulegen.69 Danach ist eine Rückstellung dem Grunde nach zu passivieren, wenn am Abschlussstichtag eine gegenwärtige gesetzliche oder faktische Außenverpflichtung aufgrund eines vergangenen Ereignisses besteht, welche zuverlässig bewertet werden kann. Weiterhin unklar ist allerdings, ob sämtliche genannten Merkmale des Rückstellungsbegriffs unverändert in eine steuerliche Gewinnermittlung übernommen werden können. Insbesondere bedarf es der weiteren Diskussion, ob eine gemeinsame Definition der EU das in IAS 37 enthaltene Kriterium der Außenverpflichtung enthalten soll. Sind Rückstellungen nur ansatzfähig, wenn eine Verpflichtung gegenüber Dritten besteht, so sind bspw. Verpflichtungen zur Reparatur eigenen Anlagevermögens (sog. Aufwandsrückstellungen) nicht rückstellungsfähig und auch die Passivierung faktischer Verpflichtungen ist nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.70 Eng verknüpft mit einem einheitlichen Rückstellungsbegriff ist die Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit. Hier bevorzugt die EU-Kommission das Konzept der Ausarbeitung generell abzugsfähiger Rückstellungen mit einer Liste nichtabzugsfähiger Ausnahmen.71 Welche Positionen mit welchen Begründungen in eine solche Negativliste 66 67
68 69
70
71
Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 16. Vgl. EU-Kommission, Abschreibung (2005) CCCTB\WP\012\doc\de, S. 6; EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 16. Eine Lösung mit mehreren Abschreibungsgruppen verdient es nach Auffassung der Kommission, als möglicher Kompromiss eingehender geprüft zu werden, da sie in einigen Mitgliedstaaten, wie beispielsweise in Großbritannien und Skandinavien, erfolgreich angewandt wird. Vgl. zu Großbritannien Wessling, J., Großbritannien, 1994, S. 56-59.; Kämpf, L., Abschreibungen, 2002, S. 686-687. Vgl. EU-Kommission, Rückstellungen (2005) CCCTB\WP\006\doc\de; EU-Kommission, Rückstellungen (2005) CCCTB\WP\021\doc\de. Vgl. EU-Kommission, Pläne (2005) CCCTB\WP\020\doc\de, S. 9; EU-Kommission, Rückstellungen (2005) CCCTB\WP\021\doc\de, S. 3; ergänzend Herzig, N./Gellrich, K., Rückstellungen, 2006, S. 760. Herzig/Gellrich empfehlen daher für die Gestaltung einer konsolidierten Bemessungsgrundlage, das Kriterium der Außenverpflichtung in abgestufter Form für die Rückstellungsdefinition aufzunehmen. Im Einzelnen vgl. Herzig, N./Gellrich, K., Rückstellungen, 2006, S. 763. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 17.
351
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aufzunehmen sind, wird der sorgfältigen Prüfung bedürfen. Ein solcher Ansatz ist nach Ansicht der EU-Kommission im Rahmen der GKKB einfacher umzusetzen als das Modell der grundsätzlichen Nichtabsetzbarkeit unter Verwendung einer Positivliste, da dieses lediglich einen geringfügigen Aufschub des Abzugs bewirkt und die Steuerbemessungsgrundlage somit nicht langfristig schützt.72
3.4.3
Ermittlung des steuerbaren Einkommens
Die zuständige Unterarbeitsgruppe hat sich bei der Festlegung des Strukturelements „Steuerbares Einkommen“73 darauf verständigt, dass alle Einkünfte eines Unternehmens zu versteuern sind, soweit nichts anderes bestimmt ist. Als Einkünfte definiert die Gruppe den gesamten Zufluss von wirtschaftlichen Vorteilen eines Unternehmens, sofern diese Zuflüsse zu einem Wertzuwachs führen. Eine Differenzierung zwischen betrieblichen und nicht betrieblichen Einkünften kann wahrscheinlich unterbleiben.74 Aufwendungen eines Unternehmens sollen grundsätzlich zum Abzug bei der Steuerbemessungsgrundlage zugelassen werden. Eine Ausnahme besteht lediglich für Aufwendungen, die im Zusammenhang mit steuerbefreiten oder nicht steuerbaren Einnahmen stehen.75 Diese sollten in einer möglichst erschöpfenden Negativliste aufgeführt werden.76 Eine Angemessenheitsprüfung wird nur für erforderlich gehalten, wenn Transaktionen zwischen Nahestehenden erfolgt sind. Hinsichtlich der Frage nach den relevanten Kriterien für die Erfassung von Erlösen aus dem Verkauf von Gütern muss noch entschieden werden, ob an die Übertragung von wirtschaftlichem oder von rechtlichem Eigentum angeknüpft wird. Letztere Alternative könnte allerdings aufgrund des nicht im Einzelnen harmonisierten Zivilrechts in der Europäischen Union zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.77 Schließlich wird diskutiert, ob für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung an die Eröffnungs- und Schlussbilanzen oder Gewinn- und Verlustrechnungen anzuknüpfen ist.78 Wahr72 73
74 75
76 77 78
352
Vgl. Herzig, N./Gellrich, K., Rückstellungen, 2006, S. 760. Vgl. EU-Kommission, Steuerbares Einkommen (2005) CCCTB\WP\017\doc\de; EUKommission, Steuerbares Einkommen (2005) CCCTB\WP\022\doc\de; EU-Kommission, Steuerbares Einkommen (2006) CCCTB\WP\028\doc\de; EU-Kommission, Steuerbares Einkommen (2006) CCCTB\WP\043\doc\de. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 18. Geldstrafen und Geschenke, die keinen direkten Bezug zur Geschäftstätigkeit haben, wurden als steuerlich nicht abzugsfähige Posten identifiziert. Es stellte sich heraus, dass die problematischsten Fragen in diesem Bereich aber Sozialbeiträge und Steuern außer Körperschaftsteuern sind. Vgl. EU-Kommission, Programm (2006) CCCTB\WP\046\doc\de, S. 3. Vgl. EU-Kommission, Steuerbares Einkommen (2006) CCCTB\WP\028\doc\de, S. 4, Czakert, E., Bemessungsgrundlage, 2006, S. 565. Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 18. Vgl. EU-Kommission, Pläne (2005) CCCTB\WP\020\doc\de, S. 11; zu den Methoden vgl. ausführlich EU-Kommission, Steuerbares Einkommen (2006) CCCTB\WP\043\doc\de, S. 2-4.
Harmonisierte europäische Gewinnermittlung für Zwecke der Körperschaftsbesteuerung
scheinlich wird jedoch keine einseitige Entscheidung möglich sein, da für die Abgrenzung nicht abziehbarer Betriebsausgaben oder steuerfreier Betriebseinnahmen ein Heranziehen der Gewinn- und Verlustrechnung erforderlich ist und nur eine Anknüpfung an die Bilanz den unverzichtbaren periodenübergreifenden Bilanzzusammenhang gewährleistet.79
3.4.4
Internationale Aspekte
Aus internationaler Sicht steht vor allem die Frage nach der steuerlichen Behandlung von Einkünften aus Drittstaaten im Zentrum der Diskussion.80 Als Drittstaaten gelten dabei sowohl Nicht-EU-Mitgliedstaaten als auch EU-Mitgliedstaaten, die sich nicht am System der GKKB beteiligen. Nach Auffassung der Kommission wird es nur schwer möglich sein, alle Einkünfte, die ein Unternehmen erzielt, im Rahmen der GKKB zu erfassen und aufzuteilen (Welteinkommensprinzip). Eine solche Lösung könnte zudem zu einer erheblichen und für die Mitgliedstaaten kaum akzeptablen Umverteilung von Steuersubstrat führen. Die Kommission geht deshalb davon aus, dass eine räumliche Abgrenzung (water´s edge) für die Einkünfte gefunden werden muss, die in die GKKB eingehen.81 Sollten dennoch alle weltweiten Einkünfte einbezogen werden, müssen die entsprechenden Besteuerungsrechte einheitlich definiert werden. Zudem muss entschieden werden, ob und in welcher Weise die drittstaatlichen Einkünfte separat behandelt werden können (Ausscheidung). Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung schließen die Mitgliedstaaten in der Regel bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen untereinander sowie mit Drittstaaten ab, in denen festgelegt ist, wo die Steuererhebung erfolgt.82 Die Mehrzahl der Sachverständigen scheint zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Anwendung der einzelstaatlichen Vorschriften modifiziert durch die gültigen bilateralen Steuerabkommen zu bevorzugen. Ein gemeinsames Konzept im Bereich der Regeln zur GKKB für diese Problematik wird damit abgelehnt.83 Langfristig mögen jedoch Verbesserungen der in der Regel sehr uneinheitlichen Abkommen, die stets vor dem Hintergrund der jeweils betreffenden Steuersysteme ausgehandelt werden, wünschenswert sein. Für den Erfolg der GKKB wird es besonders wichtig sein zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten ihren Anteil an der Steuerbemessungsgrundlage vor potenzieller Erosion schützen. Demnach muss vermieden werden, dass in Drittstaaten entstandene Verluste, nicht aber Gewinne in den Geltungsbereich der GKKB eingeführt werden
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Vgl. Herzig, N., Chancen, 2006, S. 44. Vgl. EU-Kommission, Internationale Aspekte (2005) CCCTB\WP\019\doc\de; EU-Kommission, Internationale Aspekte (2006) CCCTB\WP\049\doc\de\rev. 81 Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 19. 82 Vgl. EU-Kommission, Internationale Aspekte (2005) CCCTB\WP\019\doc\de, S. 8. 83 Vgl. EU-Kommission, Programm (2006) CCCTB\WP\046\doc\de, S. 7.
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können. Gleichzeitig müssen Anpassungen an den bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgenommen werden, damit eine einheitliche Grundlage für die Aufteilung der harmonisierten Bemessungsgrundlage zwischen den Mitgliedstaaten geschaffen werden kann.84
3.5
Verfahren für die Aufteilung der gemeinsamen konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage auf die beteiligten Mitgliedstaaten
Die Konsolidierung der EU-weiten gemeinsamen Steuerbemessungsgrundlage erfordert einen gerechten, effizienten und einvernehmlich vereinbarten Mechanismus, um das steuerliche Gesamtergebnis des Konzerns möglichst verursachungsgerecht auf die beteiligten Konzernunternehmen zu verteilen.85 Die Zuweisung ist erforderlich, damit die Mitgliedstaaten zur Ermittlung der Steuerlast ihren jeweils eigenen Steuersatz auf den Bemessungsgrundlagenteil anwenden können, der auf die in ihren Landesgrenzen ansässigen Konzernunternehmen entfällt. Die EU-Kommission hat einige Vorarbeiten für mögliche Aufteilungsverfahren bereits geleistet.86 Die Grundidee ihres Vorschlags besteht darin, die zwischenstaatliche Erfolgszurechnung nicht mehr nach der direkten, sondern nach der indirekten Methode vorzunehmen.87 Die Abrechnung konzerninterner Lieferungen und Leistungen mittels Verrechnungspreisen, die nach dem Grundsatz des Drittvergleichs festgelegt werden,88 soll durch eine formelmäßige Aufteilung des Gesamtgewinns (Formula Apportionment) ersetzt werden. Aufgrund der Nachteile einer Schlüsselung mit Hilfe von makroökonomischen oder industrieweiten Daten89 bzw. auf Basis der Wertschöpfung
84 Vgl. EU-Kommission KOM, Fortschritte (2006) 157, S. 19. 85 Vgl. EU-Kommission KOM, Hindernisse (2003) 726, S. 24; Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 314; Kahle, H., Gewinnaufteilung, 2007, S. 213. 86 Vgl. bereits EU-Kommission SEK, Unternehmensbesteuerung (2001) 1681, S. 407-423. 87 Vgl. EU-Kommission KOM, Binnenmarkt (2001) 582, S. 51. Zu einer ersten Beurteilung der bisherigen Ergebnisse vgl. EU-Kommission KOM, Hindernisse (2003) 726, S. 24-28. 88 Zu den Nachteilen dieser Aufteilungsmethode vgl. Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 307-308. 89 Eine Schlüsselung nach makroökonomischen Daten führt beispielsweise dazu, dass der Gesamtgewinn eines Unternehmens in dem Verhältnis auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt wird, in dem das Bruttoinlandsprodukt oder die Exportüberschüsse der Mitgliedstaaten zueinander stehen. Makroökonomische Faktoren können jedoch nicht die Grundvoraussetzungen einer fairen Behandlung der einzelnen Körperschaftsteuerpflichtigen gewährleisten, da sie in einem Staat zu einer großen Diskrepanz zwischen der Wertschöpfung durch einen multinationalen Konzern und dessen Steuerzahlung in diesem Staat führen können. Zur Kritik an
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(Value Added Methode)90 steht bislang die Aufteilung der Steuerbemessungsgrundlage mittels Formelzerlegung im Mittelpunkt der Überlegungen.91 Im Rahmen des Konzeptes der Formelzerlegung, das seit vielen Jahren auch erfolgreich in den USA und Kanada angewendet wird, erfolgt die Aufteilung des konsolidierten Gesamterfolgs auf dem Beitrag jedes Steuergebietes zu den gesamten steuerpflichtigen Gewinnen eines Konzerns, indem eine vordefinierte Formel verwendet wird, von deren Faktoren man annimmt, dass sie die Quelle der Einkommensgenerierung so eng wie möglich widerspiegeln. Mithin erhalten die Steuergebiete, in denen die Einkommen generierenden Faktoren in höherem Maße vorhanden sind, einen größeren Anteil der konsolidierten Gewinne des Konzerns.92 Alle an der GKKB teilnehmenden Mitgliedstaaten sollten allerdings eine einheitliche Formel mit identischen Faktoren und Gewichtungen verwenden, um einen verzerrenden Steuerwettbewerb um die Faktoren zu vermeiden. Die traditionell in der Formel berücksichtigten Größen umfassen den Umsatz, die Lohnsumme und das Betriebsvermögen.93 Bezüglich des Schlüsselelements „Umsatz“ bedarf es zunächst der Klärung, ob die Aufteilung der Bemessungsgrundlage nach dem Ort der Umsatzrealisierung oder dem Ort des Leistungsempfangs (Bestimmungsort) erfolgen soll.94 Eine Aufteilung nach dem Bestimmungsort basiert auf dem Gedanken, dass eine Gewinnrealisierung beim Leistungserbringer erst durch die Leistungsnachfrage des Empfängers ermöglicht wird. Damit sollte auch der Staat des Leistungsempfängers am erzielten Gewinn durch den auf ihn zugeteilten Bemessungsgrundlagenanteil partizipieren. Eine solche Vorstellung widerspricht allerdings einer verursachungsgerechten Aufteilung der Bemessungsgrundlage, so dass sich der Einbezug eines so verstandenen Umsatzfak-
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diesem Verfahren vgl. Kahle, H., Gewinnaufteilung, 2007, S. 216; Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 316. Die Schlüsselung nach der in den einzelnen Mitgliedstaaten erwirtschafteten Wertschöpfung, die anhand der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage ermittelt wird, ermöglicht zwar den Rückgriff auf die Daten der harmonisierten Umsatzbesteuerung. Da jedoch eine Vielzahl von Modifikationen vorzunehmen wäre, dürfte der Erfassungs- und Verwaltungsaufwand im Rahmen dieser Methode relativ hoch sein. Darüber hinaus ist für die Berechnung der Wertschöpfung die Beibehaltung der Fremdvergleichspreise für konzerninterne Geschäftsvorfälle erforderlich, so dass erneut Verrechnungspreispflichten und Anreize zur Gewinnverlagerung durch dieses Aufteilungsverfahren eingeführt würden. Vgl. Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 317. Vgl. EU-Kommission KOM Hindernisse (2003) 726, S. 25; EU-Kommission, Programm (2006) CCCTB\WP\046\doc\de, S. 20; so auch Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 311. Vgl. ausführlich zu allen Methoden betreffend die Aufteilung der Bemessungsgrundlage AgúndezGarcía, A., Delineation, 2006; Weiner, J. M., Apportionment, 2005. Vgl. EU-Kommission, Programm (2006) CCCTB\WP\046\doc\de, S. 20; EU-Kommission, Aufteilung (2006) CCCTB\WP\047\doc\de, S. 6. Vgl. Wellisch, D., Gewinnaufteilung, 2004, S. 272. Es ist zu bedenken, dass diese klassischen Aufteilungskriterien der old economy entstammen und nicht unbedingt zu modernen wissensbasierten Unternehmen der new economy passen. Vgl. Herzig, N., Chancen, 2006, S. 40. Vgl. EU-Kommission, Aufteilung (2006) CCCTB\WP\047\doc\de, S. 9.
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tors in die Aufteilungsformel verbietet.95 Allerdings kommt es auch bei der Aufteilung nach dem Ort der Umsatzrealisierung zu keiner verursachungsgerechten Verteilung der steuerlichen Bemessungsgrundlage eines Konzerns, wenn sich beispielsweise der Sitz der Muttergesellschaft und alle Produktionsstätten in einem Staat befinden, die hergestellten Produkte jedoch vollständig über eine in einem anderen Staat ansässige Tochtergesellschaft abgesetzt werden. In diesem Fall wird die steuerliche Bemessungsgrundlage des Konzerns dem Staat zugewiesen, in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist, während die Leistungserbringung fast vollständig in dem anderen Staat erfolgt.96 Die Größen „Lohnsumme“ und „Betriebsvermögen“ eignen sich hingegen grundsätzlich als Schlüsselelemente für eine verursachungsgerechte Aufteilung der Bemessungsgrundlage, da sie in einem gewissen Ursache-/Wirkungszusammenhang mit der erwirtschafteten Leistung stehen, indem sie die Produktionsfaktoren Arbeit und Leistung repräsentieren. Allerdings ergeben sich möglicherweise Verwerfungen bei der Nutzung des Faktors „Lohnsumme“ aufgrund der unterschiedlich hohen Lohnniveaus innerhalb der Mitgliedstaaten.97 Eine Berücksichtigung lediglich der Anzahl der Beschäftigen ist von den Sachverständigen als Lösungsmöglichkeit zu erörtern. Die Schlüsselgröße „Betriebsvermögen“ wirft demgegenüber Abgrenzungs- und Ermittlungsprobleme insbesondere hinsichtlich der Zeitwertbestimmung auf.98 Ergebnisse grenzüberschreitender Tätigkeiten internationaler Konzerne lassen sich wegen der immanenten Verbundbeziehungen zwischen den einzelnen Untenehmen nicht durchgängig verursachungsgemäß auf die beteiligten Staaten aufteilen. Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Aufteilung einer GKKB anhand von Schlüsselgrößen insgesamt weniger Probleme aufweist als die Methode der Verrechnungspreisermittlung. Dies gilt vor allem dann, wenn einzelne Konzernmitglieder standortspezifische Renten erwirtschaften. Allerdings eröffnen auch die Aufteilungsfaktoren den Konzernen Ermessensspielräume zur Beeinflussung der Gesamtsteuerbelastung. So können die Unternehmen die Formelgrößen nach Höhe und Ort ihrer Entstehung strategisch wählen, um die Konzernsteuerlast zu mindern.99 Die Anreize zur Nutzung eines zwischenstaatlichen Steuergefälles bleiben mithin so lange bestehen, wie Steuersatzunterschiede existieren.
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Vgl. auch Schreiber, U., Gewinnermittlung, 2004, S. 221. Vgl. Wellisch, D., Gewinnaufteilung, 2004, S. 272. Vgl. EU-Kommission, Aufteilung (2006) CCCTB\WP\047\doc\de, S. 7. Zur ausführlichen Analyse dieser Faktoren siehe Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 318326. 99 Vgl. Wellisch, D., Gewinnaufteilung, 2004, S. 272; Kahle, H., Gewinnaufteilung, 2007, S. 216. Damit werden Arbeitsplätze und Investitionen in „Hochsteuerländern“ unattraktiver, bei Lieferungen in Mitgliedstaaten mit einem hohen Ertragsteuersatz werden die Preisforderungen der Unternehmen tendenziell steigen.
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4
Kritische Würdigung und Ausblick
Das Bestreben der EU-Kommission zur Schaffung einer GKKB verdient Unterstützung, da das Nebeneinander von 27 unterschiedlichen Gewinnermittlungssystemen hohe Transaktionskosten verursacht und die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit in der EU behindert.100 Ohne eine EU-weite Koordinierung dürfte es für die nationalen Gesetzgeber kaum möglich sein, die Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte im Einklang mit dem EU-Recht auszugestalten.101 Die Sympathien für eine Harmonisierung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage werden allerdings nicht von allen Mitgliedstaaten gleichermaßen geteilt.102 Vielmehr zeichnet sich eine Entwicklung dahingehend ab, dass die Erörterung problematischer Aspekte hinausgezögert bzw. eine Einigung auf Kompromisslösungen angestrebt wird, die fundamentale Besteuerungsgrundsätze vernachlässigt und inkonsistente Regelungen beinhaltet.103 Zudem sind die Vertreter einiger Mitgliedstaaten bestrebt, an den Regelungen des eigenen Systems festzuhalten, da die Auswirkungen der Harmonisierung der Bemessungsgrundlage unter Berücksichtigung der individuellen gesellschaftlichen und steuerlichen Gegebenheiten für die einzelnen Mitgliedstaaten durchaus erheblich sein können. Mithin ist zu erwarten, dass die Erarbeitung einer EU-weit akzeptierten Lösung noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird, zumal sich die Anzahl der EUStaaten seit dem letzten Harmonisierungsversuch mehr als verdoppelt hat. Eines der bedeutendsten Probleme im Rahmen der Schaffung der GKKB stellt die Reallokation der harmonisierten Bemessungsgrundlage auf die involvierten Mitgliedstaaten dar. Mit einem Übergang zu einer formelhaften Gewinnaufteilung würde sich der Steuerwettbewerb auf die Ansiedlung der in der Aufteilungsformel berücksichtigten Faktoren verlagern.104 Die Auswahl der Aufteilungsfaktoren sollte daher nicht nur unter dem Aspekt der verursachungsgerechten Erfolgszuordnung erfolgen, sondern auch zu einer weitgehenden Einschränkung der Möglichkeiten zu Gewinnverlagerungen führen. Zudem werden im Falle eines Übergangs auf die GKKB die Unterschiede in den effektiven Steuersätzen wesentlich transparenter. Der Steuerwettbewerb würde sich damit gegenüber der heutigen Situation verschärfen.105 Eine konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage kann daher nur bei geringen Steuersatzdiffe-
100 So auch Kahle, H., Gewinnaufteilung, 2007, S. 210; Hey, J., Perspektiven, 2004, S. 205. Zu den Wirkungen der EU-weiten einheitlichen Bemessungsgrundlage vgl. Jacobs, O. H./Spengel, C./Stetter, T./Wendt, C., Taxation, 2005, S. 414-428. 101 Vgl. Kahle, H., Harmonisierung, 2006, S. 1409. 102 So auch EU-Kommission, Pläne (2005) CCCTB\WP\020\doc\de, S. 14. 103 Vgl. Pattek, G., Vereinheitlichung, 2007, S. 244. 104 Vgl. Scheffler, W., Steuerplanung, 2005, S. 330; Spengel, C./Braunagel, R. U., Harmonisierung, 2006, S. 49; Kahle, H., Harmonisierung, 2006, S. 1409. 105 So auch BMF, Einheitliche Bemessungsgrundlage, 2007, S. 75. Spengel, C./Braunagel, R. U., Harmonisierung, 2006, S. 49.
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renzen, die beispielsweise durch die Einführung eines Mindeststeuersatzes106 oder eines Steuersatzkorridors (Mindest- und Höchststeuersatz) erreichbar sind, die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes verbessern.107 Ein solcher Mindeststeuersatz wirft jedoch wirtschaftspolitische Probleme auf und dürfte derzeit in der EU schwer durchsetzbar sein.108 Aufgrund der Reallokationsproblematik, die möglicherweise den Erfolg des gesamten Projektes gefährdet, sollte trotz der genannten Vorzüge eines einphasigen Vorgehens über die zweiphasige Einführung der GKKB nachgedacht werden. So könnte zunächst die Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage und erst in einem nächsten Schritt die Phase der Konsolidierung und Reallokation angestrebt werden. Diese Vorgehensweise würde bereits zu erhöhter Transparenz der Bemessungsgrundlage führen und der grenzüberschreitenden Verlustverrechnungsproblematik Rechnung tragen. Insgesamt ist das Projekt zur Schaffung einer GKKB sichtlich ambitioniert und mit vielen Risiken behaftet. Dies sollte aber nicht dazu führen, die Chancen zu übersehen, die eine Europäisierung im Bereich der direkten Steuern den Mitgliedstaaten bietet.
106 Vgl. Kahle, H., Harmonisierung, 2006, S. 1409. 107 Vgl. Schreiber, U., Gewinnermittlung, 2004, S. 226; BMF, Einheitliche Bemessungsgrundlage,
2007, S. 76. 108 Vgl. Hey, J., Perspektiven, 2004, S. 206. So auch BMF, Einheitliche Bemessungsgrundlage,
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Stille Reserven in der Steuerbilanz
Stille Reserven in der Steuerbilanz – Erfassung, Quantifizierung und Gestaltung der Steuerwirksamkeit ȱ ȱ Univ.ȬProf.ȱDr.ȱFranzȱJürgenȱMarxȱ InhaberȱdesȱLehrstuhlsȱfürȱAllgemeineȱBetriebswirtschaftslehre,ȱinsbesondereȱBetriebȬ licheȱSteuerlehreȱundȱWirtschaftsprüfung,ȱFachbereichȱ7:ȱWirtschaftswissenschaft,ȱ UniversitätȱBremen,ȱȱ Hochschulringȱ4,ȱ28359ȱBremenȱ ȱ ȱ ȱ 1
Problemstellung.............................................................................................................. 369
2
Begriffsabgrenzung ........................................................................................................ 370
3
SystematikȱstillerȱReservenȱinȱderȱSteuerbilanz ......................................................... 371
4
ErfassungȱstillerȱReservenȱinȱderȱSteuerbilanz ........................................................... 373 4.1 MaßnahmenȱzurȱVerbreiterungȱderȱBemessungsgrundlage ........................... 373 4.2 BewertungsvereinfachungȱdurchȱLifo................................................................ 374 4.3 GewinnrealisierungȱbeimȱTausch ....................................................................... 375 4.4 AusgleichspostenȱbeiȱEntstrickungȱvonȱWirtschaftsgütern............................. 376 4.5 GewinnermittlungsrechtlicheȱMaßnahmenȱderȱUnternehmenssteuerreformȱ 2008 ......................................................................................................................... 377
5
Quantifizierungsproblematik ....................................................................................... 379
6
GestaltungȱderȱSteuerwirksamkeit .............................................................................. 380 6.1 SteuerpolitischeȱZielsetzungen ........................................................................... 380 6.2 BilanzielleȱGestaltungsmittelȱundȱSteuerwirkungen ....................................... 381
7
Zusammenfassung ......................................................................................................... 383
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 384 ȱ
367
Stille Reserven in der Steuerbilanz
1
Problemstellung
Imȱ Rahmenȱ seinerȱ weitȱ gespanntenȱ Beschäftigungȱ mitȱ Fragestellungenȱ desȱ externenȱ RechnungswesensȱhatȱsichȱderȱJubilarȱintensivȱdamitȱbefasst,ȱobȱdieȱgeneriertenȱDatenȱ eineȱ zutreffendeȱ Vorstellungȱ vonȱ derȱ wirtschaftlichenȱ Lageȱ desȱ Unternehmensȱ zulasȬ sen.ȱ§ȱ264ȱAbs.ȱ2ȱundȱ§ȱ297ȱAbs.ȱ2ȱHGBȱstellenȱanȱdenȱJahresabschlussȱundȱdenȱKonȬ zernabschlussȱ eineȱ hoheȱ Anforderung.ȱ Unterȱ Beachtungȱ derȱ GoBȱ sollenȱ dieȱ RechenȬ werkeȱ einȱ denȱ tatsächlichenȱ Verhältnissenȱ entsprechendesȱ Bildȱ derȱ VermögensȬ,ȱ FiȬ nanzȬȱundȱErtragslageȱderȱKapitalgesellschaftȱbzw.ȱdesȱKonzernsȱvermitteln.ȱLaurenzȱ Lachnitȱ hatȱ sichȱ nachhaltigȱ damitȱ auseinandergesetzt,ȱ inȱ welcherȱ Weiseȱ diesesȱ tatȬ sachengetreueȱBildȱdurchȱunternehmenspolitischeȱMaßnahmenȱverzerrtȱwirdȱundȱmitȱ welchenȱMaßnahmenȱdasȱBerichtswerkȱausgewertetȱwerdenȱmuss,ȱumȱentscheidungsȬ relevanteȱErkenntnisseȱüberȱdieȱErfolgsȬȱundȱFinanzlageȱzuȱgewinnen.1ȱ EineȱFacetteȱdesȱProblemsȱbetrifftȱdieȱVerzerrungȱdurchȱdasȱLegenȱundȱdasȱAuflösenȱ vonȱ stillenȱ Reservenȱ undȱ stillenȱ Lasten.ȱ Schonȱ 1993ȱ hatȱ Laurenzȱ Lachnitȱ geprüft,ȱ obȱ stilleȱRücklagenȱunterȱdemȱAspektȱdesȱ„Trueȱandȱfairȱview“ȱderȱRechnungslegungȱReleȬ vanzȱ besitzen.2ȱ Dabeiȱ wurdeȱ anhandȱ empirischerȱ Datenȱ herausgearbeitet,ȱ dassȱ dasȱ Problemȱ eineȱ beachtlicheȱ betragsmäßigeȱ Größenordnungȱ aufweistȱ undȱ dassȱ einȱ InȬ formationsdefizitȱ überȱ stilleȱ Rücklagenȱ besteht.ȱ Imȱ Jahrȱ 2000ȱ beschäftigteȱ sichȱ derȱ JubilarȱintensivȱmitȱderȱSchätzungȱstillerȱReservenȱalsȱProblemȱderȱexternenȱJahresabȬ schlussanalyse.3ȱ Dieȱ Entwicklungenȱ inȱ derȱ Rechnungslegungȱ habenȱ inzwischenȱ zuȱ einerȱ Heterogenitätȱ vonȱ Normensystemenȱ fürȱ Jahresabschlüsseȱ deutscherȱ UnternehȬ menȱ geführt,ȱ dieȱ dazuȱ veranlassen,ȱ methodischeȱ Möglichkeitenȱ zurȱ Schätzungȱ stillerȱ ReservenȱzuȱentwickelnȱundȱdieȱquantitativenȱEffekteȱaufȱdasȱJahresergebnis,ȱVermöȬ gensschuldenȱ undȱ Eigenkapitalȱ desȱ Unternehmensȱ aufzuzeigen.ȱ Trotzȱ derȱ Tendenzȱ zurȱZeitwertbilanzierungȱwirdȱaufȱabsehbareȱZeitȱdieȱNotwendigkeitȱbestehenȱbleiben,ȱ (zusätzliche)ȱ Informationenȱ überȱ stilleȱ Reservenȱ durchȱ dieȱ Abschlussanalyseȱ zuȱ geȬ winnen.ȱ DerȱvorliegendeȱBeitragȱgehtȱderȱFrageȱnach,ȱwelcheȱaktuelleȱBedeutungȱstillenȱReserȬ venȱ derzeitȱ inȱ derȱ Steuerbilanzȱ zukommt.ȱ Dabeiȱ wirdȱ nachȱ Begriffsexplikationȱ undȱ Systematisierungȱ zunächstȱ dasȱ Problemȱ derȱ Erfassungȱ stillerȱ Reservenȱ näherȱ unterȬ sucht,ȱ umȱ sodannȱ derenȱ Quantifizierungȱ undȱ schließlichȱ auchȱ dieȱ Gestaltungȱ derȱ Steuerwirksamkeitȱzuȱbehandeln.ȱFragenȱderȱErfassungȱundȱKonservierungȱvonȱstillenȱ Rücklagenȱ werdenȱ zurzeitȱ ausȱ steuerbilanziellerȱ Sichtȱ sehrȱ intensivȱ diskutiert.ȱ Dieȱ steuerplanerischeȱ Zielsetzungȱ derȱ Steuerbarwertminimierungȱ führtȱ tendenziellȱ zurȱ Legungȱ stillerȱ Reservenȱ undȱ zuȱ Gestaltungen,ȱ dieȱ dieȱ Aufdeckungȱ stillerȱ Reservenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱ 2ȱ 3ȱ
Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱBilanzanalyse,ȱ2004,ȱS.ȱ108Ȭ163.ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱSchätzung,ȱ2000,ȱS.ȱ193Ȭ206.ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱStilleȱRücklagen,ȱ1993,ȱS.ȱ771.ȱ
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Marx
vermeidenȱoderȱinȱdieȱfernereȱZukunftȱverlagern.4ȱAllgemeinȱistȱaberȱdieȱTendenzȱzuȱ beobachten,ȱdassȱdieȱGewinnermittlungsregelnȱderȱSteuerbilanzȱimȱÜbergangȱzumȱ21.ȱ JahrhundertȱzuȱeinerȱBemessungsgrundlagenerweiterungȱundȱdamitȱzuȱeinerȱRedukȬ tionȱ stillerȱ Rücklagenȱ geführtȱ haben.ȱ Gewinnermittlungsrechtlicheȱ Maßnahmenȱ derȱ Unternehmenssteuerreformȱ 2008ȱ werdenȱ dieseȱ Tendenzȱ fortsetzen.ȱ Andererseitsȱ beȬ stehenȱ immerȱ nochȱ zahlreicheȱ Möglichkeiten,ȱ denȱ Zeitpunktȱ derȱ steuerwirksamenȱ ErfassungȱstillerȱReservenȱinȱdieȱ(fernere)ȱZukunftȱzuȱverlagern.ȱ
2
Begriffsabgrenzung
Stilleȱ Reservenȱ werdenȱ begrifflichȱ höchstȱ unterschiedlichȱ abgegrenzt.ȱ Nebenȱ einerȱ betriebswirtschaftlichenȱ Problemsichtȱ liegenȱ rechnungswesenorientierteȱ Definitionenȱ undȱsteuerlichȱausgerichteteȱBegriffsbestimmungenȱvor.5ȱDieȱVielzahlȱderȱDefinitionsȬ versucheȱ zeigtȱ schonȱ dieȱ besondereȱ Problematikȱ derȱ Erfassungȱ desȱ facettenreichenȱ Phänomensȱderȱ(betrieblichen)ȱRealität.ȱMöglichȱ–ȱhierȱaberȱnichtȱweiterführendȱ–ȱistȱ eineȱgüterȬȱundȱleistungswirtschaftlicheȱSicht,ȱdieȱstilleȱReservenȱbeiȱdenȱPotentialfakȬ torenȱidentifiziert.ȱSehrȱschnellȱgelangtȱmanȱallerdingsȱzuȱeinerȱrechnungswesengeleiȬ tetenȱ Sicht,ȱ dieȱ Abbildungsprozesseȱ realökonomischerȱ Vorgängeȱ undȱ Zuständeȱ aufȱ dasȱ Vorhandenseinȱ stillerȱ Reservenȱ hinȱ analysiert.ȱ Dieȱ besondereȱ Problematikȱ desȱ PhänomensȱzeigtȱsichȱauchȱinȱderȱVielfaltȱderȱimȱFachschrifttumȱverwendetenȱBegrifȬ fe.6ȱSynonymȱverwendetȱwerdenȱdieȱBegriffeȱstilleȱReservenȱ(hiddenȱreserves)ȱundȱstilleȱ Rücklagen.ȱGebräuchlichȱsindȱauchȱdieȱBegriffeȱReservefonds,ȱunsichtbaresȱEigenkapiȬ tal,ȱ versteckteȱ Rücklagenȱ undȱ vagabundierendesȱ Kapital.ȱ Darausȱ wirdȱ deutlich,ȱ dassȱ stilleȱReservenȱdurchausȱausȱdemȱJahresabschlussȱersichtlichȱseinȱkönnen,ȱdassȱesȱaberȱ zuȱihremȱWesenȱgehört,ȱnichtȱimȱbilanziellenȱEigenkapitalȱausgewiesenȱzuȱwerden.7ȱ LaurenzȱLachnitȱdefiniertȱstilleȱReservenȱalsȱEigenkapitalteile,ȱdieȱinȱderȱBilanzȱnichtȱ oderȱ nichtȱ alsȱ solcheȱ ausgewiesenȱ werden,ȱ undȱ ziehtȱ damitȱ dieȱ Differenzȱ zwischenȱ Buchwertenȱ undȱ betriebswirtschaftlichȱ stattdessenȱ alsȱ zutreffendȱ erachtetenȱ VerȬ gleichswertenȱalsȱmaßgebendȱheran.8ȱȱ Dieseȱ Definitionȱ zeigtȱ mitȱ derȱ Benennungȱ derȱ zuȱ vergleichendenȱ Werteȱ bereitsȱ ProbȬ lemeȱderȱErfassungȱauf.ȱZumȱeinenȱistȱdieȱOrientierungȱanȱderȱjeweiligenȱRechnungsȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 4ȱ 5ȱ 6ȱ 7ȱ 8ȱ
370
Dieȱ Bedeutungȱ derȱ Konzernsteuerquoteȱ hatȱ zuȱ einerȱ Relativierungȱ dieserȱ Zielsetzungȱ geȬ führt.ȱȱ Vgl.ȱHax,ȱK.,ȱWesenȱundȱwirtschaftlicheȱBedeutung,ȱ1957,ȱS.ȱ91Ȭ107;ȱClaussen,ȱC.ȱP./Scherrer,ȱ G.,ȱWolfgangȱStützel,ȱ2001,ȱS.ȱ157Ȭ176.ȱ Vgl.ȱSchaum,ȱW.,ȱSteuerpolitik,ȱ1994,ȱS.ȱ26;ȱThiele,ȱK.,ȱRechnungslegung,ȱ1999,ȱS.ȱ7.ȱȱ Vgl.ȱWulf,ȱI.,ȱJahresabschluss,ȱ2001,ȱS.ȱ53.ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱBilanzanalyse,ȱ2004,ȱS.ȱ109.ȱ
Stille Reserven in der Steuerbilanz
legungȱausgerichtetȱundȱanȱdemȱvonȱderȱRechnungslegungȱbereitgestelltenȱBuchwert.9ȱ DiesȱbirgtȱdasȱProblem,ȱdassȱstilleȱReservenȱnichtȱbilanzierungsfähigerȱWerteȱnichtȱinȱ dieȱ Betrachtungȱ mitȱ einfließenȱ können,ȱ wasȱ ggf.ȱ eineȱ nichtȱ unbeachtlicheȱ EinschränȬ kungȱderȱProblemsichtȱmitȱsichȱbringt.10ȱEineȱweiterȱgefassteȱDefinitionȱstillerȱReserȬ venȱ würdeȱ –ȱ soȱ Laurenzȱ Lachnitȱ 1993ȱ –ȱ konzeptionellȱ denȱ Übergangȱ zurȱ UnternehȬ mensbewertungȱ bedeuten,ȱ wasȱ mitȱ derȱ externenȱ Rechnungslegungȱ nichtȱ zuȱ leistenȱ sei.11ȱ Aufȱ derȱ anderenȱ Seiteȱ istȱ dieȱAusrichtungȱ anȱ einemȱ betriebswirtschaftlichȱ alsȱ zutrefȬ fendȱ erachtetenȱ Vergleichswertȱ problembehaftet,ȱ dennȱ auchȱ dieseȱ Größeȱ mussȱ erstȱ gefundenȱ werden.ȱ Alsȱ Abbildungsdifferenzenȱ sindȱ auchȱ stilleȱ Lastenȱ möglich,ȱ dieȱ dannȱvorliegen,ȱwennȱderȱtatsächlicheȱWertȱimȱAktivpostenȱunterȱdemȱBuchwertȱliegtȱ oderȱ–ȱundȱdiesȱwirdȱderȱhäufigerȱanzutreffendeȱFallȱseinȱ–ȱwennȱFremdkapitalpostenȱ zuȱniedrigȱoderȱgarȱnichtȱangesetztȱwerden.ȱDieȱBedeutungȱstillerȱLastenȱinȱderȱSteuȬ erbilanzȱdarfȱnichtȱunterschätztȱwerden,ȱdennȱinȱwesentlichenȱBereichenȱweichenȱdieȱ fürȱ dieȱ Passivseiteȱ maßgebendenȱ Bewertungsregelnȱ (inzwischen)ȱ vonȱ betriebswirtȬ schaftlichȱalsȱzutreffendȱerachtetenȱundȱhandelsbilanzrechtlichȱgebotenenȱVergleichsȬ wertenȱab.12ȱ
3
Systematik stiller Reserven in der Steuerbilanz
AnknüpfendȱanȱdieȱvonȱLaurenzȱLachnitȱvorgelegteȱStruktur13ȱsindȱauchȱfürȱdieȱSteuȬ erbilanzȱgesetzlichȱerzwungeneȱMarktzeitwertrücklagenȱundȱbilanzpolitischȱgestaltbaȬ reȱ Bewertungsrücklagenȱ zuȱ unterscheiden.ȱ Marktzeitwertrücklagenȱ zeigenȱ sichȱ alsȱ Zwangsrücklagen,ȱdieȱgleichsamȱautomatischeȱFolgeȱbestimmterȱAnsatzȬȱundȱBewerȬ tungsnormenȱdarstellen.ȱAuchȱsteuerbilanziellȱdürfenȱVermögenswerteȱnichtȱüberȱundȱ SchuldenȱnichtȱunterȱdenȱUrsprungswertansätzenȱbilanziertȱwerden.ȱDieȱSteuerbilanzȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 9ȱ 10ȱ 11ȱ 12ȱ
13ȱ
HierunterȱfälltȱdannȱauchȱeinȱBuchwertȱvonȱNullȱbeiȱalsȱansatznotwendigȱerachtetenȱVermöȬ genswerten,ȱvgl.ȱWulf,ȱI.,ȱJahresabschluss,ȱ2001,ȱS.ȱ53ȱFn.ȱ293.ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱBilanzanalyse,ȱ2004,ȱS.ȱ130ȱmitȱHinweisȱaufȱunterschiedlicheȱBilanzierungsȬ standardsȱundȱdieȱMöglichkeit,ȱergänzendeȱInformationenȱbereitzustellen.ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱStilleȱRücklagen,ȱ1993,ȱS.ȱ194.ȱ AlsȱquantitativȱsehrȱbedeutsamesȱBeispielȱkannȱdieȱnachȱ§ȱ6aȱEStGȱnurȱeingeschränktȱmögliȬ cheȱ Abbildungȱ vonȱ Altersversorgungsverpflichtungenȱ genanntȱ werden.ȱ Zurȱ Bilanzanalyseȱ vonȱPensionsrückstellungenȱvgl.ȱdenȱBeitragȱvonȱKirschȱinȱdieserȱFestschrift.ȱObȱdasȱVerbotȱ zurȱBildungȱvonȱDrohverlustrückstellungenȱ(§ȱ5ȱAbs.ȱ4aȱEStG)ȱzuȱstillenȱLastenȱgehört,ȱistȱbiȬ lanzrechtlichȱumstritten;ȱvgl.ȱCrezelius,ȱin:ȱKirchhof,ȱP.ȱ(Hrsg.),ȱEStG,ȱ2006,ȱ§ȱ5ȱRn.ȱ145.ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱSchätzung,ȱ2000,ȱS.ȱ775ȱff.ȱ
371
Marx
istȱ eineȱ amȱ Nennwertȱ orientierteȱ Geldrechnung.14ȱ Dasȱ Nominalwertprinzipȱ führtȱ beiȱ eingetretenenȱPreissteigerungenȱgleichsamȱautomatischȱzurȱBildungȱstillerȱReserven.15ȱ InȱHöheȱderȱDifferenzȱzwischenȱWiederbeschaffungspreisenȱundȱAnschaffungskostenȱ derȱ verbrauchtenȱ Güterȱ entstehenȱ soȱ imȱ Zeitverlaufȱ besteuerungsrelevanteȱ ScheingeȬ winneȱi.ȱS.ȱderȱDifferenzȱzwischenȱeinemȱaufȱBasisȱdesȱkonstantenȱGeldwertsȱermittelȬ tenȱundȱeinemȱpreissteigerungsbereinigtemȱGewinn.16ȱȱ Bewertungsrücklagenȱ sindȱ zumȱ einenȱ Wahlrechtsrücklagen,ȱ dieȱ durchȱ bewusstesȱ Ausschöpfenȱ steuerlicherȱ Optionenȱ entstehen,ȱ undȱ zumȱ anderenȱ SchätzungsrücklaȬ gen,ȱ denenȱ Ermessensentscheidungenȱ desȱ Bilanzierendenȱ aufgrundȱ unvollständigerȱ Informationȱ zugrundeȱ liegen.ȱAusȱ steuerplanerischerȱ Sichtȱ sindȱ Wahlrechtsrücklagenȱ vonȱ besonderemȱ Interesse,ȱ wobeiȱ nebenȱ gesetzlichenȱ Regelungen,ȱ auchȱ FinanzrechtȬ sprechungȱ undȱ Verwaltungsanweisungenȱ einzubeziehenȱ sind.ȱ Tendenziellȱ istȱ inȱ derȱ jüngerenȱ Vergangenheitȱ einȱ Rückgangȱ anȱ Möglichkeitenȱ zurȱ Dotierungȱ erhöhterȱAbȬ setzungenȱ undȱ Sonderabschreibungenȱ festzustellen.17ȱ Zudemȱ istȱ derȱ Bereichȱ derȱ Schätzungsrücklagenȱ insbesondereȱ infolgeȱ rigidererȱ Bewertungsregelnȱ fürȱ RückstelȬ lungenȱeingeengtȱworden.ȱ Willkürrücklagen,ȱ dieȱ aufȱ ökonomischȱ unbegründeten,ȱ gesetzlichȱ nichtȱ abgedecktenȱ Bilanzierungsweisenȱ beruhen,ȱ mögenȱ zwarȱ auchȱ gewisseȱ tatsächlicheȱ Bedeutungȱ fürȱ dieȱSteuerbilanzȱbesitzen.ȱObȱsieȱwirksamȱwerden,ȱhängtȱvonȱderȱEffektivitätȱdesȱsteuȬ erlichenȱ Ermittlungsverfahrensȱ ab.ȱ Fürȱ dieȱ weitereȱ Betrachtungȱ werdenȱ sieȱ ausgeȬ klammert.ȱȱ Nebenȱ einerȱ Differenzierungȱ verschiedenerȱ Rücklageartenȱ istȱ ausȱ steuerlicherȱ Sichtȱ vonȱBedeutung,ȱinȱwelchemȱRechenwerkȱdieȱAbbildungsdifferenzȱzuȱTageȱtritt.ȱNebenȱ GesellschaftsȬȱ undȱ Gesamthandsbilanzȱ beiȱ KapitalȬȱ undȱ Personengesellschaftȱ tretenȱ damitȱ Sonderbilanzenȱ inȱ denȱ Blickpunkt,ȱ inȱ denenȱ steuerlichȱ relevantesȱ SonderbeȬ triebsvermögenȱi.ȱS.ȱd.ȱ§ȱ15ȱAbs.ȱ1ȱS.ȱ1ȱNr.ȱ2ȱEStGȱerfasstȱwirdȱundȱzuȱdemȱkeinȱhanȬ delsbilanziellesȱ Pendantȱ existiert.ȱ Solcheȱ Reservenȱ sindȱ einerȱ externenȱ Analyseȱ nichtȱ zugänglich.ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 14ȱ Vgl.ȱHey,ȱJ.,ȱin:ȱTipke,ȱK./Lang,ȱJ.ȱ(Hrsg.),ȱSteuerrecht,ȱ2005,ȱ§ȱ17ȱRz.ȱ74;ȱWeberȬGrellet,ȱH.,ȱin:ȱ
Schmidtȱ(Hrsg.),ȱEStG,ȱ2007,ȱ§ȱ5ȱRz.ȱ82.ȱ 15ȱ Vgl.ȱSchaum,ȱW.,ȱSteuerpolitik,ȱ1994,ȱS.ȱ27.ȱ 16ȱ Vgl.ȱ z.ȱ B.ȱ Schildbach,ȱ TH.,ȱ FSȱ Schneider,ȱ 1995,ȱ S.ȱ 615;ȱ Siepe,ȱ G.,ȱ Substanzerhaltung,ȱ 1995,ȱ
S.ȱ615;ȱSeicht,ȱG.,ȱGeldentwertung,ȱ1999,ȱS.ȱ207.ȱ 17ȱ Vgl.ȱKulosa,ȱE.,ȱin:ȱSchmidtȱ(Hrsg.),ȱEStG,ȱ2006,ȱ§ȱ7aȱRz.ȱ1.ȱ
372
Stille Reserven in der Steuerbilanz
4
Erfassung stiller Reserven in der Steuerbilanz
4.1
Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
Birgtȱ dieȱ Bestimmungȱ stillerȱ Reservenȱ inȱ denȱ Rechnungslegungenȱ aufgrundȱ derȱ FinȬ dungȱ vonȱ Referenzwertenȱ mannigfacheȱ Probleme,ȱ soȱ sollȱ hierȱ derȱ Blickȱ aufȱ dieȱ VorȬ gängeȱgelenktȱwerden,ȱbeiȱdenenȱstilleȱReservenȱaufgedecktȱwerden.ȱ Dieȱ Auflösungȱ stillerȱ Reservenȱ geschiehtȱ zumȱ einenȱ durchȱ dieȱ auchȱ schonȱ ausȱ derȱ externenȱ Rechnungslegungȱ bekanntenȱ Vorgängeȱ derȱ Realisationȱ durchȱ GeschäftsvorȬ fälleȱ undȱ derȱ Bewertungsmaßnahmenȱ alsȱ vomȱ Unternehmenȱ gewollteȱ Handlungen.ȱ DarüberȱhinausȱlösenȱsichȱstilleȱReservenȱunvermeidlichȱdurchȱNutzungȱundȱZeitabȬ laufȱoderȱungewolltȱdurchȱgegenläufigeȱMarktänderungenȱauf.ȱAusȱsteuerlicherȱSichtȱ kommtȱesȱzurȱAuflösungȱstillerȱReservenȱaberȱauchȱdurchȱsoȱgenannteȱRechtsvorgänȬ ge18ȱundȱdurchȱÄnderungenȱimȱGewinnermittlungsrecht.ȱȱ Inȱ derȱ jüngerenȱ Vergangenheitȱ istȱ esȱ zunehmendȱ zurȱ Aufdeckungȱ stillerȱ Reservenȱ durchȱRechtsänderungenȱgekommen.ȱImȱBlickpunktȱstehenȱzunächstȱdieȱMaßnahmenȱ desȱSteuerentlastungsgesetzesȱ1999/2000/2002,ȱmitȱdenenȱderȱGesetzgeberȱeineȱerhebȬ licheȱ Verbreiterungȱ derȱ Steuerbemessungsgrundlageȱ erreichtȱ hat.ȱ Sämtlicheȱ MaßnahȬ menȱzuȱerfassenȱwürdeȱallerdingsȱdenȱRahmenȱdiesesȱBeitragsȱsprengen.ȱDeshalbȱseiȱ anȱdieserȱStelleȱnurȱeinȱAusschnittȱangegeben,ȱausȱdemȱersichtlichȱwird,ȱmitȱwelchemȱ quantitativenȱGewichtȱdurchȱzahlreicheȱRechtsänderungenȱzumȱ1.1.1999ȱinȱdasȱbesteȬ hendeȱ Ermittlungsrechtȱ eingegriffenȱ wurdeȱ undȱ damitȱ zumindestȱ teilweiseȱ stilleȱ ReȬ servenȱaufzudeckenȱwaren.19ȱDieȱMaßnahmenȱführtenȱvorȱallemȱzuȱeinemȱRückgangȱ vonȱBewertungsrücklagen.ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 18ȱ Vgl.ȱdazuȱdasȱBeispielȱdesȱAusgleichspostensȱunterȱ4.4.ȱ 19ȱ Vgl.ȱBDI/VCIȱ(Hrsg.),ȱSteuerbelastung,ȱ2002,ȱS.ȱ22ȱf.ȱ
373
Marx
Tabelleȱ4Ȭ1:ȱ GewinnermittlungsrechtlicheȱMaßnahmenȱdesȱStEntlGȱ1999/2000/2002ȱ Maßnahmeȱ
Rechtsgrundlageȱ
VerbotȱderȱBildungȱvonȱRückstellungenȱfürȱ AnschaffungsȬȱoderȱHerstellungskostenȱ
§ȱ5ȱAbs.ȱ4bȱEStGȱ
326ȱ
WertaufholungsgebotȱfürȱWirtschaftsgüterȱdesȱ AnlageȬȱundȱUmlaufvermögensȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱEStGȱ
910ȱ
EinschränkungȱderȱTeilwertabschreibungȱaufȱ FälleȱdauerhafterȱWertminderungȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱEStGȱ
549ȱ
AllgemeineȱVerschärfungȱderȱRückstellungsȬ bewertungȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ3aȱEStGȱ
681ȱ
AbzinsungsgebotȱauchȱbeiȱSachleistungenȱ einschließlichȱSchadensverpflichtungenȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ3aȱEStGȱ
1.185ȱ
VerschärfungȱderȱBewertungȱvonȱSchadensȬ rückstellungenȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ3aȱEStG,ȱ §ȱ20ȱAbs.ȱ2ȱKStGȱ
1.544ȱ
VerlängerungȱderȱAnsammlungsfristȱfürȱStillleȬ gungsverpflichtungenȱbeiȱKernkraftwerkenȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ3aȱBuchst.ȱ dȱS.ȱ2ȱEStGȱ
306ȱ
AufdeckungȱderȱstillenȱReservenȱbeimȱTauschȱ
§ȱ6ȱAbs.ȱ6ȱEStGȱ
492ȱ
4.2
Belastungswirkungȱ inȱMio.ȱEURȱ
Bewertungsvereinfachung durch Lifo
GroßeȱBedeutungȱfürȱdieȱBildungȱstillerȱReservenȱkommtȱnachȱwieȱvorȱdemȱnachȱ§ȱ6ȱ Abs.ȱ1ȱNr.ȱ2aȱEStGȱfürȱgleichartigeȱWirtschaftsgüterȱdesȱVorratsvermögensȱzulässigenȱ LifoȬVerfahrenȱ zu.ȱ Derȱ Steuergesetzgeberȱ hatȱ dasȱ nachȱ handelsrechtlichenȱ GrundsätȬ zenȱ(§ȱ256ȱHGB)ȱzulässigeȱVerfahrenȱmitȱdenȱZielenȱderȱVereinfachungȱundȱdemȱEntȬ gegenwirkenȱ einerȱ Scheingewinnbesteuerungȱ 1990ȱ eingeführtȱ undȱ seitdemȱ –ȱ trotzȱ mehrfacherȱÜberlegungenȱzurȱAbschaffungȱ–ȱdaranȱfestgehalten.20ȱAllerdingsȱistȱfestȬ zustellen,ȱ dassȱ Finanzverwaltungȱ undȱ Rechtsprechungȱ inȱ derȱ Folgezeitȱ dieȱ AnwenȬ dungsbreiteȱ desȱ Verfahrensȱ eingeschränktȱ haben.ȱ Wirtschaftsgüterȱ sindȱ nachȱ steuerȬ rechtlicherȱLesartȱgleichartig,ȱwennȱdiesȱ„kaufmännischenȱGepflogenheiten,ȱinsbesonȬ dereȱ derȱ marktüblichenȱ Einteilungȱ inȱ Produktklassenȱ unterȱ Beachtungȱ derȱ Unternehmensstruktur“ȱ entspricht.21ȱ Erheblicheȱ Preisunterschiedeȱ sindȱ danachȱ AnȬ zeichenȱ fürȱ Qualitätsunterschiede,ȱ soȱ dassȱ insoweitȱ keineȱ Gleichartigkeitȱ vorliegenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 20ȱ ZurȱRechtsentwicklungȱvgl.ȱFedermann,ȱin:ȱHerrmann/Heuer/Raupach,ȱEStG/KStG,ȱ§ȱ6ȱAnm.ȱ
1121aȱff.ȱ(Oktoberȱ1995)ȱundȱEllrott,ȱH.,ȱin:ȱBeck’scherȱBilanzkommentar,ȱ2006,ȱ§ȱ256ȱAnm.ȱ81.ȱ 21ȱ Rȱ6.9ȱAbs.ȱ3ȱS.ȱ2ȱEStRȱ2005;ȱkritischȱdazuȱFischer,ȱP.,ȱin:ȱKirchhofȱ(Hrsg.),ȱEStG,ȱ2006,ȱ§ȱ6ȱRn.ȱ7.ȱ
374
Stille Reserven in der Steuerbilanz
soll.22ȱNachȱhöchstrichterlicherȱFinanzrechtsprechungȱscheidetȱdasȱVerfahrenȱbeiȱVorȬ rätenȱ mitȱ hohenȱ undȱ leichtȱ zuordenbarenȱ Anschaffungskostenȱ aus.23ȱ Dieȱ Ausübungȱ desȱ Wahlrechtes,ȱ beiȱ derȱ derȱ Stetigkeitsgrundsatzȱ (§ȱ 252ȱAbs.ȱ 1ȱ Nr.ȱ 6ȱ HGB)ȱ beachtetȱ werdenȱmuss,ȱistȱbeiȱderȱerstmaligenȱAnwendungȱzwarȱnichtȱbegrenzt.ȱVonȱderȱLifoȬ Methodeȱ kannȱ inȱ denȱ folgendenȱ Wirtschaftsjahrenȱ jedochȱ nurȱ mitȱ Zustimmungȱ derȱ Finanzverwaltungȱabgewichenȱwerdenȱ(§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ2aȱS.ȱ3ȱEStG).ȱ Überȱ stilleȱ Reservenȱ durchȱ Anwendungȱ desȱ LifoȬVerfahrensȱ mussȱ inȱ derȱ externenȱ Rechnungslegungȱberichtetȱwerden.ȱNachȱ§ȱ284ȱAbs.ȱ2ȱHGBȱmüssenȱbeiȱAnwendungȱ einerȱBewertungsmethodeȱnachȱ§ȱ240ȱAbs.ȱ4,ȱ256ȱAbs.ȱ1ȱdieȱUnterschiedsbeträgeȱpauȬ schalȱfürȱdieȱjeweiligeȱGruppeȱausgewiesenȱwerden,ȱwennȱdieȱBewertungȱimȱVergleichȱ zuȱeinerȱBewertungȱaufȱderȱGrundlageȱdesȱletztenȱvorȱdemȱAbschlussstichtagȱbekannȬ tenȱBörsenkursesȱoderȱMarktpreisesȱeinenȱerheblichenȱUnterschiedȱaufweist.ȱDieȱAnȬ hangangabeȱ ermöglichtȱ demȱ Bilanzleserȱ Einblickeȱ inȱ dieȱ quantitativeȱ Bedeutungȱ derȱ eingesetztenȱBewertungsvereinfachungsverfahren,ȱindemȱbeiȱWesentlichkeitȱdieȱDiffeȬ renzȱzurȱTagespreisbewertungȱoffenȱzuȱlegenȱist.24ȱFürȱdieȱzuȱGruppenȱzusammengeȬ fasstenȱVorräteȱistȱderȱUnterschiedȱjeweilsȱinȱeinemȱBetragȱanzugeben.25ȱ EinblickeȱinȱdieȱtatsächlicheȱBedeutungȱdesȱLifoȬVerfahrensȱergebenȱsichȱausȱderȱGeȬ schäftsberichterstattungȱ derȱ Unternehmen.ȱ Imȱ Geschäftsberichtȱ derȱ Henkelȱ KGaAȱ 2005ȱistȱdieȱBilanzierungȱderȱVorräteȱbeispielsweiseȱwieȱfolgtȱerläutert:ȱ „DieȱVorräteȱsindȱzuȱAnschaffungsȬȱbzw.ȱHerstellungskostenȱbewertet.ȱVorratsbestänȬ deȱ inȱ Höheȱ vonȱ 159ȱ Mio.ȱ Euroȱ sindȱ nachȱ derȱ LifoȬMethodeȱ bewertet.ȱ Derȱ aktuelleȱ Marktwertȱliegtȱumȱ98ȱMio.ȱEuroȱüberȱdemȱLifoȬWert.ȱHiervonȱentfallenȱ1ȱMio.ȱEuroȱ aufȱ RohȬ,ȱ HilfsȬȱ undȱ Betriebsstoffeȱ sowieȱ 97ȱ Mio.ȱ Euroȱ aufȱ fertigeȱ undȱ unfertigeȱ ErȬ zeugnisse.“26ȱ
4.3
Gewinnrealisierung beim Tausch
§ȱ6ȱAbs.ȱ6ȱS.ȱ1ȱEStGȱzufolgeȱwerdenȱbeiȱTauschȱeinzelnerȱWirtschaftsgüterȱdieȱAnschafȬ fungskostenȱ nachȱ demȱ gemeinenȱ Wertȱ desȱ hingegebenenȱ Wirtschaftsgutsȱ bemessen.ȱ Derȱ Tauschȱ wirdȱ somitȱ steuerbilanziellȱ alsȱ Umsatzaktȱ interpretiert,ȱ derȱ zurȱ AufdeȬ ckungȱstillerȱReservenȱführt.ȱ DieȱRegelung,ȱ dieȱerstȱmitȱdemȱSteuerentlastungsgesetzȱ 1999/2000/2002ȱ eingefügtȱ wurde,ȱ warȱ erstmalsȱ aufȱ Erwerbeȱ nachȱ demȱ 31.12.1998ȱ anȬ zuwenden.ȱ Sieȱ zieltȱ daraufȱ ab,ȱ dieȱ ȱ bisȱ dahinȱ möglicheȱ Erfolgsneutralitätȱ bestimmterȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 22ȱ 23ȱ 24ȱ 25ȱ
Vgl.ȱEllrott,ȱH.,ȱin:ȱBeck’scherȱBilanzkommentar,ȱ2006,ȱ§ȱ256ȱAnm.ȱ97.ȱ BFHȬUrteilȱv.ȱ20.6.2000,ȱBStBlȱIIȱ2001,ȱS.ȱ636;ȱKessler,ȱW./Suchan,ȱSt.ȱW.,ȱLifo,ȱ2003,ȱS.ȱ345.ȱ Vgl.ȱEllrott,ȱH.,ȱin:ȱBeck’scherȱBilanzkommentar,ȱ2006,ȱ§ȱ284ȱAnm.ȱ181.ȱ Vgl.ȱ Krawitz,ȱ N.,ȱ in:ȱ Hofbauer,ȱ M./Kupsch,ȱ P.ȱ (Hrsg.),ȱ Bonnerȱ Handbuchȱ Rechnungslegung,ȱ §ȱ284ȱAnm.ȱ99.ȱ 26ȱ GeschäftsberichtȱHenkelȱKGaAȱ2005,ȱS.ȱ30.ȱ
375
Marx
Vorgängeȱ zuȱ verhindern.ȱ Mitȱ derȱ Neuregelungȱ wollteȱ derȱ Gesetzgeberȱ dieȱ begünstiȬ gendenȱ Wirkungenȱ desȱ sog.ȱ Tauschgutachtensȱ desȱ BFHȱ v.ȱ 16.12.195827ȱ beseitigen.ȱ Zwarȱ erkannteȱ derȱ BFHȱ darinȱ denȱ Tauschȱ vonȱ Anteilenȱ anȱ Kapitalgesellschaftenȱ alsȱ Realisationsaktȱ an,ȱ qualifizierteȱ jedochȱ beiȱ WertȬ,ȱ ArtȬȱ undȱ Funktionsgleichheitȱ derȱ getauschtenȱ Anteileȱ denȱ Vorgangȱ alsȱ erfolgsneutral.28ȱ Dannȱ liegeȱ Nämlichkeitȱ derȱ Anteileȱvor,ȱd.ȱh.,ȱbeiȱwirtschaftlicherȱBetrachtungsweiseȱsindȱhingegebeneȱundȱerhalȬ teneȱAnteileȱidentisch.ȱEinȱAnschaffungsvorgangȱliegtȱfolglichȱnichtȱvor,ȱsoȱdassȱauchȱ dieȱNotwendigkeitȱfehlt,ȱAnschaffungskostenȱi.ȱS.ȱv.ȱ§ȱ6ȱAbs.ȱ6ȱS.ȱ1ȱEStGȱzuȱermitteln.ȱ Esȱ bleibtȱ daherȱ offen,ȱ obȱ dieȱ gesetzgeberischeȱ Zielsetzung,ȱ Tauschvorgängeȱ generellȱ erfolgswirksamȱabzubilden,ȱgelungenȱist.29ȱ
4.4
Ausgleichsposten bei Entstrickung von Wirtschaftsgütern
DurchȱdasȱSEStEG30ȱwurdeȱmitȱ§ȱ4ȱAbs.ȱ1ȱSatzȱ3ȱEStGȱeineȱallgemeineȱEntstrickungsȬ normȱinȱdasȱEinkommensteuergesetzȱeingefügt,ȱdieȱderȱSicherungȱdesȱdeutschenȱBeȬ steuerungsanspruchsȱaufȱdieȱstillenȱReservenȱanlässlichȱdesȱTransfersȱvonȱWirtschaftsȬ güternȱinȱausländischeȱBetriebsstättenȱdienenȱsoll.ȱEinȱallgemeinerȱGrundsatz,ȱwonachȱ stilleȱReservenȱinȱWirtschaftsgüternȱaufzudeckenȱsind,ȱwennȱdasȱGutȱnichtȱmehrȱinȱdieȱ Gewinnermittlungȱ einbezogenȱ wird,ȱ existierteȱ imȱ deutschenȱ Steuerrechtȱ bislangȱ nicht.31ȱObȱdieȱneuȱgeschaffeneȱNorm,ȱdieȱeineȱdeutlicheȱVerschärfungȱgegenüberȱderȱ bisherigenȱ Rechtslageȱ bedeutet,ȱ europarechtlichenȱAnforderungenȱ standhält,ȱ istȱ fragȬ lich.32ȱ Konsequenzȱ derȱ Entstrickungȱ istȱ dieȱ Erfassungȱ stillerȱ Reservenȱ inȱ Höheȱ derȱ DifferenzȱzwischenȱBuchwertȱundȱgemeinemȱWertȱ(§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ4ȱS.ȱ1ȱ2.ȱHs.ȱEStG).ȱ Dieȱ fiktiveȱ Entnahmeȱ führtȱ grundsätzlichȱ zurȱ Sofortversteuerungȱ durchȱ Aufdeckenȱ einerȱBewertungsdifferenzȱmitȱdemȱgemeinenȱWert.ȱMitȱHilfeȱeinesȱwirtschaftsgutbeȬ zogenenȱ Ausgleichspostensȱ kannȱ derȱ Entstrickungsgewinn,ȱ d.ȱ h.ȱ dieȱ Differenzȱ zwiȬ schenȱdemȱnachȱ§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ4ȱS.ȱ1ȱ2.ȱHs.ȱEStGȱanzusetzendenȱgemeinenȱWertȱundȱ demȱBuchwert,ȱüberȱfünfȱWirtschaftsjahreȱlinearȱverteiltȱundȱsoȱzeitlichȱgestrecktȱderȱ Besteuerungȱ unterworfenȱ werden.ȱ Technischȱ geschiehtȱ diesȱ inȱ Formȱ einesȱ PassivposȬ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 27ȱ BFHȱv.ȱ16.12.1958,ȱDȱ1/57ȱS,ȱBStBlȱIIIȱ1959,ȱS.ȱ30.ȱ 28ȱ Vgl.ȱ zumȱ Folgendenȱ Eckstein,ȱ H.ȬM.,ȱ in:ȱ Herrmann/Heuer/Raupach,ȱ EStG/KStG,ȱ §ȱ 6ȱ Anm.ȱ
1483ȱ(10.2003).ȱ 29ȱ ZurȱfehlendenȱAnwendbarkeitȱaufȱFälleȱdesȱUmlageverfahrensȱvgl.ȱEckstein,ȱH.ȬM.,ȱin:ȱHerrȬ
mann/Heuer/Raupach,ȱEStG/KStG,ȱ§ȱ6ȱAnm.ȱ1486cȱ(10.2003).ȱ 30ȱ Gesetzȱ überȱ steuerlicheȱ Begleitmaßnahmenȱ zurȱ Einführungȱ derȱ europäischenȱ Gesellschaftȱ
undȱzurȱÄnderungȱweitererȱsteuerlicherȱVorschriftenȱv.ȱ13.12.2006,ȱBGBlȱIȱ2006,ȱS.ȱ2782.ȱ 31ȱ Vgl.ȱFörster,ȱG.,ȱSEStEG,ȱ2007,ȱS.ȱ72.ȱ 32ȱ Vgl.ȱKessler/Winterhalter/Huck,ȱÜberführung,ȱ2007,ȱS.ȱ134;ȱFörster,ȱG.,ȱSEStEG,ȱ2007,ȱS.ȱ73.ȱ
376
Stille Reserven in der Steuerbilanz
tens,ȱ derȱ alsȱ Merkpostenȱ innerhalbȱ oderȱ außerhalbȱ derȱ Steuerbilanzȱ geführtȱ werdenȱ soll.33ȱHandelsrechtlichȱkommtȱesȱnichtȱzurȱAufdeckungȱstillerȱReserven.ȱ ZurȱErreichungȱderȱStundungswirkungȱüberȱdenȱAusgleichspostenȱistȱeinȱunwiderrufȬ licherȱ Antragȱ erforderlich.ȱ Werdenȱ mehrereȱ Wirtschaftsgüterȱ innerhalbȱ einesȱ Jahresȱ transferiert,ȱsoȱkannȱderȱAntragȱfürȱsämtlicheȱWirtschaftsgüterȱnurȱeinheitlichȱausgeȬ übtȱwerden.34ȱDieȱAuflösungȱdesȱAusgleichspostensȱimȱWirtschaftsjahrȱdesȱTransfersȱ undȱinȱdenȱvierȱFolgejahrenȱ vollziehtȱsichȱunabhängigȱvomȱCharakterȱdesȱjeweiligenȱ Wirtschaftsgutes,ȱ vonȱ dessenȱ Restnutzungsdauerȱ undȱ auchȱ unabhängigȱ vomȱ späterȱ tatsächlichȱ erzieltenȱ Veräußerungserlös.ȱ DieȱAusübungȱ derȱ Optionȱ bewirktȱ einȱ zeitliȬ chesȱHinausschiebenȱderȱSteuerlastȱaufȱdieȱstillenȱReservenȱinȱHöheȱvonȱvierȱFünftelnȱ undȱeinerȱratierlichenȱErfassungȱüberȱdieȱvierȱfolgendenȱWirtschaftsjahre.ȱ
4.5
Gewinnermittlungsrechtliche Maßnahmen der Unternehmenssteuerreform 2008
Hauptzieleȱ derȱ Unternehmenssteuerreformȱ 2008ȱ sindȱ dieȱ Erhöhungȱ derȱ StandortȬ attraktivitätȱ undȱ dieȱ längerfristigeȱ Sicherungȱ desȱ deutschenȱ Steuersubstrats.35ȱ Ohneȱ dieȱReformȱwürdeȱdieȱErosionȱderȱSteuerbasisȱvoranschreitenȱundȱdieȱAttraktivitätȱdesȱ Steuerstandortesȱ vermindert.36ȱ Maßnahmenȱ imȱ Gewinnermittlungsrechtȱ tragenȱ inȱ beachtlichemȱUmfangȱzurȱGegenfinanzierungȱvonȱSteuersatzsenkungenȱbei.ȱȱ Dieȱ Abschaffungȱ derȱ geometrischȬdegressivenȱ Abschreibungȱ fürȱ beweglicheȱ WirtȬ schaftsgüterȱdesȱAnlagevermögensȱ(§ȱ7ȱAbs.ȱ2ȱEStG)ȱbeseitigtȱeineȱfürȱdieȱbetrieblicheȱ PraxisȱbedeutsameȱMöglichkeitȱderȱAufwandsvorverlagerung,ȱdieȱaberȱsicherlichȱauchȱ derȱbesondersȱhohenȱWertminderungȱimȱErstjahrȱderȱNutzungȱRechnungȱträgt.37ȱNurȱ teilweiseȱ istȱ deshalbȱ eineȱ subventionelleȱ Steuervergünstigungȱ inȱ Formȱ einerȱ WahlȬ rechtsreserveȱ gegeben.ȱ Dieȱ Streichungȱ istȱ bemerkenswert,ȱ dennȱ derȱ Gesetzgeberȱ hatȱ dieȱAbschreibungssätzeȱzurȱVerbesserungȱderȱInvestitionsbedingungenȱerstȱ200638ȱaufȱ dasȱ Dreifacheȱderȱ linearenȱAfA,ȱ maximalȱ 30ȱ %ȱ angehoben,ȱ wieȱ nachfolgendeȱ Tabelleȱ verdeutlicht.ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 33ȱ Vgl.ȱHoffmann,ȱW.ȱD.,ȱAusgleichsposten,ȱ2007,ȱS.ȱ652ȱff.ȱ 34ȱ Vgl.ȱStadler,ȱR.ȱ/Elser,ȱT.,ȱin:ȱBlumenberg/Schäferȱ(Hrsg.),ȱSEStEG,ȱ2007,ȱS.ȱ55.ȱ 35ȱ Vgl.ȱ Gesetzentwurfȱ einesȱ Unternehmenssteuerreformgesetzesȱ 2008ȱ v.ȱ 27.3.2007,ȱ BTȬDrSȱ
36ȱ 37ȱ 38ȱ
16/4841,ȱS.ȱ1;ȱBeschlussempfehlungȱdesȱFinanzausschusses,ȱBTȬDrSȱ16/5452ȱv.ȱ23.5.2007;ȱzumȱ BegriffȱSteuersubstratȱinȱderȱpolitischenȱundȱöffentlichenȱDiskussionȱvgl.ȱStrahl,ȱ M.,ȱSteuerȬ substrat,ȱ2006,ȱS.ȱ15376.ȱ Vgl.ȱebendaȱS.ȱ2.ȱ Vgl.ȱKulosa,ȱE.,ȱin:ȱSchmidtȱ(Hrsg.),ȱEStG,ȱ2007,ȱ§ȱ7ȱAnm.ȱ30.ȱ Gesetzȱ zurȱ steuerlichenȱ Förderungȱ vonȱ Wachstumȱ undȱ Beschäftigungȱ v.ȱ 26.4.2006,ȱ BGBlȱ Iȱ S.ȱ1091.ȱ
377
Marx
Tabelleȱ4Ȭ2:ȱ EntwicklungȱderȱsteuerlichȱzulässigenȱSätzeȱderȱdegressivenȱAbschreibungȱ Veranlagungszeiträumeȱ
bisȱ2000ȱ
2001Ȭ2005ȱ
2006Ȭ2007ȱ
abȱ2008ȱ
RelationȱzurȱlinearenȱAfA:ȱmaximalȱ
dreifachȱ
zweifachȱ
dreifachȱ
—ȱ
Höchstsatzȱ
30ȱ%ȱ
20ȱ%ȱ
30ȱ%ȱ
—ȱ
ȱ DieȱquantitativeȱBedeutungȱderȱAbschaffungȱverdeutlichtȱdieȱgeschätzteȱSteuermehrȬ belastungȱvonȱ3.365ȱMio.ȱEURȱalsȱvolleȱJahreswirkung.ȱNachȱderȱGesetzesbegründungȱ passtȱ derȱ Wegfallȱ zurȱ weltweitȱ vorherrschendenȱ Tendenz,ȱ Ausnahmenȱ abzuschaffenȱ undȱstattdessenȱdieȱSteuersätzeȱzuȱsenken.ȱ§ȱ7ȱAbs.ȱ3ȱEStG,ȱderȱdenȱWechselȱvonȱdeȬ gressiverȱzuȱlinearerȱAfAȱermöglicht39,ȱwirdȱebenfallsȱabgeschafft.ȱ Dieȱ Sofortabschreibungȱ fürȱ geringwertigeȱ Wirtschaftsgüter,ȱ nachȱ bestehendemȱ Rechtȱ (§ȱ6ȱAbs.ȱ2ȱEStG)ȱebenfallsȱeineȱMöglichkeitȱaktivischeȱBewertungsreservenȱzuȱschafȬ fen,ȱ wirdȱ aufȱ AnschaffungsȬ/Herstellungskostenȱ vonȱ 150ȱ EURȱ begrenzt.ȱ Gleichzeitigȱ istȱfürȱZugängeȱimȱabnutzbarenȱbeweglichenȱAnlagevermögenȱbeiȱBeträgenȱvonȱmehrȱ alsȱ 150ȱ EURȱ bisȱ zuȱ 1.000ȱ EURȱ einȱ jahrgangsbezogenerȱ Sammelpostenȱ zuȱ bildenȱ undȱ überȱ fünfȱ Jahreȱ abzuschreiben.ȱ Veräußerungen,ȱ Entnahmenȱ oderȱ Wertminderungenȱ verändernȱ denȱ Wertansatzȱ desȱ Sammelpostensȱ nicht.40ȱ Dieȱ positivenȱ AufkommensȬ wirkungenȱdieserȱMaßnahmenȱsollenȱ905ȱMio.ȱEURȱbetragen.41ȱ §ȱ7gȱEStGȱerhältȱdurchȱdieȱUnternehmenssteuerreformȱ2008ȱeinȱvölligȱneuesȱGesicht.ȱ Derȱ Gesetzgeberȱ ermöglichtȱ nunmehrȱ anstelleȱ einerȱ steuerfreienȱ Rücklageȱ einenȱ auȬ ßerbilanziellȱ wirkendenȱ Investitionsabzugsbetrag.ȱ Wenigȱ überzeugendȱ führtȱ dieȱ GeȬ setzesbegründungȱ dieȱ nachȱ derȱ Rechtsprechungȱ missverständlicheȱ Bezeichnungȱ derȱ RücklageȱalsȱAnsparabschreibungȱanȱundȱnenntȱzumȱanderenȱdieȱVermeidungȱbilanzȬ technischerȱProblemeȱwieȱBilanzberichtigungȱundȱMaßgeblichkeitȱderȱHandelsbilanz.ȱ HierȱdeutetȱsichȱeinȱausȱsystematischerȱSichtȱnichtȱüberzeugenderȱWegȱzurȱEntkoppeȬ lungȱbeiderȱRechenwerkeȱan.ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 39ȱ Zumȱ optimalenȱ Wechselȱ vgl.ȱ Schult,ȱ E.,ȱ Steuerlehre,ȱ 2002,ȱ S.ȱ 171.ȱ Nachȱ §ȱ 52ȱAbs.ȱ 21aȱ lit.ȱ g)ȱ
EStGȱistȱ§ȱ7ȱAbs.ȱ3ȱfürȱvorȱdemȱ1.1.2008ȱangeschaffteȱWirtschaftsgüterȱweiterȱanzuwenden.ȱȱ 40ȱ Vgl.ȱ Gesetzentwurfȱ einesȱ Unternehmensteuerreformgesetzesȱ 2008ȱ v.ȱ 27.3.2007,ȱ BTȬDrsȱ
16/4841,ȱBegründungȱzuȱBuchstabeȱc,ȱS.ȱ51.ȱ 41ȱ Vgl.ȱebendaȱS.ȱ44;ȱdieȱAufkommensschätzungȱberuhtȱaufȱderȱvomȱGesetzentwurfȱvorgeseheȬ
nenȱAHKȬGrenzeȱvonȱ100ȱEUR.ȱ
378
Stille Reserven in der Steuerbilanz
5
Quantifizierungsproblematik
Wieȱbereitsȱangedeutet,ȱistȱdieȱBestimmungȱeinesȱbetriebswirtschaftlichȱangemessenenȱ VergleichswertesȱfürȱdieȱQuantifizierungȱstillerȱReservenȱerforderlich.ȱDieȱWertermittȬ lungȱistȱallerdingsȱinȱvielenȱFällenȱäußerstȱproblembehaftet.ȱEinȱWertȱkannȱnurȱunterȱ Zugrundelegungȱ verschiedenerȱ Annahmenȱ gefundenȱ werden.ȱ Nurȱ seltenȱ stehtȱ zumȱ BewertungsstichtagȱeinȱrelevanterȱMarktpreisȱzurȱVerfügung,ȱanȱdemȱderȱsteuerbilanȬ zielleȱBuchwertȱgespiegeltȱwerdenȱkann.ȱȱ MöglichȱerscheintȱzumȱeinenȱeineȱAnalyse,ȱbeiȱderȱbilanzpostenorientiertȱeinȱVergleichȱ mitȱ derȱ jeweiligenȱ betriebswirtschaftlichȱ ausgerichtetenȱ SollȬBilanzierungȱ vorgenomȬ menȱ wird.ȱ Dazuȱ müssenȱ imȱ Einzelfallȱ detaillierteȱ Angabenȱ überȱ dieȱ vonȱ derȱ RechȬ nungslegungȱverarbeitetenȱrealwirtschaftlichenȱSachverhalteȱvorliegen.ȱDerȱheterogeȬ neȱ Charakterȱ bestimmterȱ Bilanzpostenȱ behindertȱ oftmalsȱ eineȱ exakteȱ betriebswirtȬ schaftlicheȱEinschätzungȱdurchȱDritte.42ȱ EinȱandererȱWegȱbestehtȱinȱderȱAnalyseȱderȱvonȱderȱhandelsrechtlichenȱRechnungsleȬ gungȱ bereitgestelltenȱ Informationen,ȱ auchȱ unterȱ Einbezugȱ zusätzlicherȱ BerichterstatȬ tungen.ȱ§§ȱ284,ȱ285,ȱ314,ȱ315ȱHGBȱenthaltenȱzahlreicheȱAngabepflichtenȱüberȱBilanzieȬ rungsmaßnahmen,ȱ dieȱ zurȱ Bildungȱ oderȱ Auflösungȱ stillerȱ Reservenȱ führen.ȱ SteuerȬ rechtlicheȱ Wahlrechtseinflüsseȱ sindȱ immerȱ nochȱ aufgrundȱ derȱ umgekehrtenȱ MaßgeblichkeitȱinȱBezugȱaufȱdenȱhandelsrechtlichenȱJahresabschlussȱzuȱkonstatieren.ȱ Dasȱ zuȱ erwartendeȱ Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzȱ wirdȱ hieranȱ voraussichtlichȱ nichtsȱ ändern,ȱ esȱ seiȱ denn,ȱ §ȱ 5ȱAbs.ȱ 1ȱ S.ȱ 2ȱ EStG,ȱ derȱ dieȱ Zwangskoordinationȱ beiderȱ Rechenwerkeȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Nutzungȱ steuerlicherȱ Wahlrechteȱ beiȱ derȱ GewinȬ nermittlungȱerzwingt,ȱwirdȱabgeschafft.ȱ Dasȱ TransPuG43ȱ hatȱ steuerrechtlicheȱ Bewertungseinflüsseȱ fürȱ nachȱ demȱ 31.12.2002ȱ beginnendeȱ Geschäftsjahreȱ aufȱ Konzernebeneȱ beseitigt.44ȱ Dieȱ Neufassungȱ desȱ §ȱ 298ȱ Abs.ȱ 1ȱ HGBȱ bedingteȱ dieȱ Auflösungȱ steuerrechtlichȱ determinierterȱ Abschreibungenȱ undȱSonderpostenȱunterȱBerücksichtigungȱlatenterȱSteuern.ȱImȱÜbrigenȱsindȱSteuerlaȬ tenzrechnungenȱ Erkenntnisquellenȱ fürȱ dieȱ Quantifizierungȱ steuerwirksamerȱ stillerȱ Reserven.ȱ Dieȱ nachȱ IASȬVOȱ vomȱ 19.7.200245ȱ undȱ §ȱ 315aȱ HGBȱ aufgestelltenȱ Konzernabschlüsseȱ nachȱinternationalenȱRechnungslegungsstandardsȱbietenȱebenfallsȱVergleichsmöglichȬ keitenȱ zurȱ Quantifizierungȱ stillerȱ Reserven,ȱ soweitȱ beizulegendeȱ Zeitwerteȱ aufȱ derȱ Grundlageȱ vonȱ Marktpreisenȱ ermitteltȱ wurden.ȱ Bekanntermaßenȱ istȱ dieȱ freiwilligeȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 42ȱ Vgl.ȱLachnit,ȱL.,ȱBilanzanalyse,ȱ2004,ȱS.ȱ130ȱf.ȱ 43ȱ Gesetzȱ zurȱ weiterenȱ Reformȱ desȱ AktienȬȱ undȱ Bilanzrechts,ȱ zuȱ Transparenzȱ undȱ Publizitätȱ
(TransparenzȬȱundȱPublizitätsgesetz)ȱv.ȱ19.7.2002,ȱBGBlȱIȱS.ȱ2681.ȱ 44ȱ Vgl.ȱWinkeljohann,ȱN./Lust,ȱP.,ȱin:ȱBeck’scherȱBilanzkommentar,ȱ2006,ȱ§ȱ298,ȱAnm.ȱ2,ȱ20.ȱ 45ȱ Verordnungȱ(EG)ȱNr.ȱ1606/2002ȱv.ȱ19.7.2002,ȱABl.ȱEGȱNr.ȱLȱ243,ȱS.ȱ1.ȱ
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Marx
AnwendungȱderȱIFRSȱimȱEinzelabschlussȱdurchȱ§ȱ325ȱAbs.ȱ2aȱHGBȱabȱdemȱGeschäftsȬ jahr,ȱdasȱnachȱdemȱ31.12.2004ȱbeginnt,ȱmöglich.ȱNachȱ§ȱ267ȱAbs.ȱ3ȱHGBȱdarfȱsichȱdieȱ Offenlegungȱ aufȱ denȱ IFRSȬEinzelabschlussȱ beschränken.ȱ Derȱ Jahresabschlussȱ nachȱ HGBȱmussȱaberȱzumȱRegisterȱeingereichtȱwerden.46ȱ Schließlichȱ kannȱ eineȱ Quantifizierungȱ stillerȱ Reservenȱ anhandȱ derȱ vomȱ Steuerrechtȱ bereitgestelltenȱ Wertmaßstäbeȱ „Teilwert“ȱ undȱ „Gemeinerȱ Wert“ȱ erfolgen.ȱ Aberȱ auchȱ hierȱliegenȱkonkreteȱWerteȱfürȱdenȱbetrachtetenȱEinzelfallȱregelmäßigȱ nichtȱunmittelȬ barȱvor,ȱsondernȱmüssenȱerstȱunterȱZugrundelegungȱmitunterȱkomplexerȱBewertungsȬ schemataȱ gefundenȱ werden.ȱ Diesȱ giltȱ bekanntermaßenȱ fürȱ denȱ unbestimmten,ȱ aufȱ FiktionenȱbasierendenȱTeilwertȱ(§ȱ6ȱAbs.ȱ1ȱNr.ȱ1ȱS.ȱ3ȱEStG),ȱdessenȱErmittlungȱinȱderȱ Praxisȱ mittelsȱ (widerlegbarer)ȱ Vermutungenȱ inȱ engenȱ Grenzenȱ anwendungstauglichȱ gemachtȱ wird.47ȱ Derȱ gemeineȱ Wert,ȱ imȱ Steuerbilanzrechtȱ nichtȱ definiert,ȱ wirdȱ durchȱ §ȱ9ȱAbs.ȱ 2ȱ BewGȱ alsȱ Einzelveräußerungspreisȱ desȱ Wirtschaftsgutesȱ imȱ gewöhnlichenȱ Geschäftsverkehrȱ interpretiertȱ undȱ ausȱ Marktpreisenȱ gleicherȱ oderȱ vergleichbarerȱ Wirtschaftsgüter,ȱggf.ȱaberȱauchȱmittelsȱfreierȱSchätzungȱdesȱVerkehrswertes,ȱabgeleiȬ tet.ȱ DieȱnurȱansatzweiseȱausgeführtenȱProblemeȱderȱQuantifizierung,ȱdieȱsichȱinȱähnlicherȱ WeiseȱbeiȱderȱErmittlungȱvonȱFairȱvaluesȱinȱderȱIFRSȬRechnungslegungȱzeigen48,ȱsollenȱ deutlichȱmachen,ȱdassȱhierinȱdieȱzentraleȱAufgabeȱderȱAbbildungȱstillerȱReservenȱliegt.ȱ Nachȱ Pythagorasȱ istȱ zwarȱ dieȱ Zahlȱ „dasȱ Wesenȱ allerȱ Dinge“.ȱ Dieȱ Reduzierungȱ desȱ Phänomensȱ aufȱ quantitativeȱAussagenȱ kannȱ aberȱ eineȱ Präzisionȱ vortäuschen,ȱ dieȱ reȬ alwirtschaftlichȱnichtȱfundiertȱist.ȱDieȱbesondereȱBrisanzȱderȱErfassungȱstillerȱReservenȱ zeigenȱRechtsvorgängeȱohneȱMarktberührung.49ȱ
6
Gestaltung der Steuerwirksamkeit
6.1
Steuerpolitische Zielsetzungen
Zielȱ einerȱ autonomenȱ Steuerpolitik,ȱ d.h.ȱ einerȱ Partialanalyseȱ vonȱ Wahlrechtenȱ beiȱ gegebenemȱ Sachverhalt,ȱ istȱ dieȱ Minimierungȱ desȱ Steuerbarwertes.50ȱ Dieseȱ steuerplaȬ nerischeȱZielsetzungȱführtȱtendenziellȱzurȱLegungȱstillerȱReservenȱundȱzuȱGestaltunȬ gen,ȱ dieȱ dieȱ Aufdeckungȱ stillerȱ Reservenȱ vermeidenȱ oderȱ inȱ dieȱ (fernere)ȱ Zukunftȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 46ȱ ZuȱdenȱweiterenȱformalenȱVoraussetzungenȱvgl.ȱ §ȱ325ȱAbs.ȱ2bȱHGBȱundȱdieȱAusführungenȱ 47ȱ 48ȱ 49ȱ 50ȱ
380
vonȱEllrott,ȱH./Aicher,ȱH.ȬP.,ȱBeck’scherȱBilanzkommentar,ȱ2006,ȱ§ȱ325ȱAnm.ȱ70ȱf.ȱ Vgl.ȱHey,ȱJ.,ȱin:ȱTipke,ȱK./Lang,ȱJ.ȱ(Hrsg.),ȱSteuerrecht,ȱ2005,ȱ§ȱ17ȱRz.ȱ145.ȱ Vgl.ȱKüting,ȱK.,ȱStellenwert,ȱ2006,ȱS.ȱ2759Ȭ2760.ȱ Vgl.ȱ4.4.ȱzurȱEntstrickung.ȱ Vgl.ȱSchneeloch,ȱD.,ȱBetrieblicheȱSteuerpolitik,ȱ2002,ȱS.ȱ67ȱf.ȱ
Stille Reserven in der Steuerbilanz
verlagern.51ȱ Besondereȱ Konstellationenȱ führenȱ zuȱ einerȱ Abkehrȱ undȱ zuȱ GestaltungsȬ empfehlungen,ȱ dieȱ eineȱ vorgezogeneȱ Realisierungȱ stillerȱ Reservenȱ zumȱ Gegenstandȱ haben.52ȱ Nachfolgendȱ werdenȱ dieȱ Wirkungenȱ sog.ȱ steuerfreierȱ Rücklagenȱ dargestellt,ȱ mitȱ deȬ nenȱ esȱ gelingt,ȱ dieȱ Steuerwirksamkeitȱ aufgedeckterȱ stillerȱ Reservenȱ zeitlichȱ zuȱ streȬ cken.ȱDieseȱInstrumenteȱermöglichenȱdieȱAufwandsvorverlagerungȱundȱdamitȱpositiȬ veȱ Zeiteffekte.ȱ Steuersatzsenkungenȱ derȱ Unternehmenssteuerreformȱ 2008ȱ verstärkenȱ dieȱ Steuerbarwertminderungenȱ durchȱ gleichgerichteteȱ Tarifeffekteȱ beiȱ KapitalgesellȬ schaften.ȱ
6.2
Bilanzielle Gestaltungsmittel und Steuerwirkungen
Dieȱ Möglichkeitȱ derȱ Übertragungȱ stillerȱ Reservenȱ beiȱ derȱ Veräußerungȱ bestimmterȱ Anlagegüterȱnachȱ§ȱ6bȱEStGȱbestehtȱ–ȱtrotzȱvielfacherȱÄnderungenȱ–ȱseitȱdemȱSteuerȬ änderungsgesetzȱ 1964.53ȱ Dieȱ Normȱ gestattetȱ dieȱ Übertragungȱ aufgedeckterȱ stillerȱ Reservenȱ beiȱ bestimmtenȱ Gruppenȱ desȱ Anlagevermögensȱ aufȱ Reinvestitionen.ȱ Derȱ Verzichtȱ aufȱ dieȱ sofortigeȱ Besteuerungȱ sollȱ derȱ Wirtschaftȱ dieȱ ökonomischȱ sinnvolleȱ AnpassungȱanȱstrukturelleȱVeränderungenȱerleichtern.54ȱSieȱsollȱzuȱeinerȱBelebungȱdesȱ Veräußerungsverkehrsȱ vonȱ langlebigenȱ Wirtschaftsgüternȱ sowieȱ Förderungȱ unterȬ nehmerischerȱ Strukturanpassungenȱ durchȱ erfolgsneutraleȱ Übertragungȱ stillerȱ ReserȬ venȱ aufȱ ersatzbeschaffteȱ Wirtschaftsgüterȱ mittelsȱ zweierȱ alternativerȱ Methodenȱ (DiȬ rektübertragungȱundȱRücklagenbildung)ȱführen.ȱȱ Einȱ durchȱ Rechtsprechungȱ undȱ Verwaltungsauffassungȱ verankertesȱ Wahlrechtȱ stelltȱ dieȱsteuerfreieȱRücklageȱnachȱRȱ6.6ȱEStRȱ(RücklageȱfürȱErsatzbeschaffung).ȱSieȱermögȬ lichtȱ dieȱ Vermeidungȱ derȱ Gewinnverwirklichungȱ durchȱAufdeckungȱ stillerȱ Reservenȱ inȱbestimmtenȱFällenȱderȱErsatzbeschaffungȱnachȱeinemȱAusscheidenȱdesȱWirtschaftsȬ gutsȱinfolgeȱhöhererȱGewalt,ȱaufgrundȱoderȱzurȱVermeidungȱeinesȱbehördlichenȱEinȬ griffs.ȱImȱUnterschiedȱzuȱ§ȱ6bȱEStGȱistȱderȱKreisȱderȱbegünstigtenȱWirtschaftsgüterȱderȱ Artȱ nachȱ aufȱ funktionsgleicheȱ WG,ȱ dieȱ auchȱ funktionsgleichȱ genutztȱ werden,ȱ beȬ grenzt.ȱ Zudemȱ bestehenȱ mitȱ einemȱ Jahrȱ fürȱ beweglicheȱ Wirtschaftsgüterȱ undȱ zweiȱ Jahrenȱ fürȱ Grundstückeȱ undȱ Gebäudeȱ erheblichȱ kürzereȱ Reinvestitionsfristen.ȱ Beiȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 51ȱ DieȱwachsendeȱBedeutungȱderȱKonzernsteuerquoteȱhatȱzuȱeinerȱRelativierungȱdieserȱZielsetȬ
52ȱ 53ȱ 54ȱ
zungȱ geführt.ȱ Vgl.ȱ Müller,ȱ R.,ȱ Konzernsteuerquote,ȱ 2002,ȱ S.ȱ 1684Ȭ1688;ȱ Zielke,ȱ R.,ȱ SteuerplaȬ nung,ȱ2006,ȱS.ȱ2585Ȭ2587.ȱ Vgl.ȱ Scheffler,ȱ W.,ȱ Strategien,ȱ 2003,ȱ S.ȱ 1719Ȭ1724;ȱ Schaum,ȱ W.,ȱ Steuerpolitik,ȱ 1994,ȱ passim;ȱ Schiffers,ȱJ.,ȱSteuergestaltung,ȱ1994ȱpassim.ȱ 16.11.1964,ȱBStBlȱIȱS.ȱ553.ȱ Vgl.ȱBTȬDrSȱIV/2400,ȱBRȬDrSȱ193/64.ȱ
381
Marx
AuflösungȱderȱRücklageȱtrittȱimȱGegensatzȱzurȱRücklageȱnachȱ§ȱ6bȱEStGȱkeinȱpauschaȬ lerȱGewinnzuschlagȱhinzu.ȱ Dieȱsog.ȱAnsparrücklageȱnachȱ§ȱ7gȱAbs.ȱ3ȱEStGȱermöglichteȱbisherȱdieȱBildungȱeinerȱ gewinnminderndenȱRücklageȱimȱVorgriffȱaufȱkünftigeȱInvestitionenȱinȱHöheȱvonȱderȬ zeitȱ 40ȱ %ȱ künftigerȱ AnschaffungsȬȱ oderȱ Herstellungskostenȱ beiȱ KleinȬȱ undȱ MittelbeȬ trieben.ȱIhreȱsteuerplanerischeȱBedeutungȱlagȱinȱderȱoptionalenȱAufwandsvorverlageȬ rungȱ undȱ derȱ Generierungȱ vonȱ ZeitȬȱ undȱ ggf.ȱ gleichgerichtetenȱ Tarifeffekten.ȱ Derȱ GesetzgeberȱhatȱdieȱNormȱbewusstȱgestaltungsoffenȱgehalten,ȱsoȱdassȱerheblicheȱMitȬ nahmeeffekteȱ zuȱ konstatierenȱ sind.55ȱ Dasȱ Abstellenȱ aufȱ dieȱ Investitionsabsichtȱ desȱ Steuerpflichtigenȱ undȱ dieȱ Erfüllungȱ formalerȱ Voraussetzungenȱ fürȱ dieȱ GlaubhaftmaȬ chungȱ habenȱ zuȱ keinenȱ einschneidendenȱ Restriktionenȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Nutzungȱ derȱ Rücklageȱ geführt.ȱ Dasȱ gestalterischeȱ Potentialȱ verdeutlichtȱ dieȱ Entscheidungȱ desȱ BFHȱ vomȱ 6.9.2006,56ȱ mitȱ derȱ eineȱ wiederholteȱ Rücklagenbildungȱ fürȱ dasselbeȱ WirtȬ schaftsgutȱ toleriertȱ wird,ȱ wennȱ derȱ Steuerpflichtigeȱ eineȱ einleuchtendeȱ Begründungȱ dafürȱ abgibt,ȱ weshalbȱ dieȱ Investitionȱ trotzȱ gegenteiligerȱ Absichtserklärungȱ bislangȱ nochȱnichtȱdurchgeführtȱwurde.ȱ Ausȱ steuerplanerischerȱ Sichtȱ stellenȱ vielfältigeȱ Übertragungsmöglichkeitenȱ undȱ temȬ poräreȱRücklagenbildungenȱbeachtlicheȱGestaltungsmittelȱdar,ȱderenȱVorteilhaftigkeitȱ sichȱ imȱ Rahmenȱ modellgestützterȱ Analysenȱ zeigt.ȱ Dieȱ Steuerwirksamkeitȱ derȱ aufgeȬ decktenȱ stillenȱ Reserveȱ kannȱ durchȱ Übertragungȱ aufȱ Reinvestitionsgüterȱ zeitlichȱ hiȬ nausgeschobenȱ werden.ȱ Derȱ Steuervorteilȱ (StV)ȱ beiȱ einemȱ Transferȱ aufȱ einȱ nichtȱ abȬ nutzbaresȱ Gutȱ ergibtȱ sichȱ wieȱ folgt,ȱ wennȱ dieȱ spätereȱ Veräußerungȱ oderȱ Liquidationȱ ausgeklammertȱwird.57ȱ ȱ
(1) StV
üSR u s B ȱ
mitȱȱ
üSRȱȱ
=ȱübertrageneȱstilleȱReserveȱ
ȱ
sBȱȱ
=ȱkombinierterȱErtragsteuersatzȱimȱJahrȱderȱBildung.ȱ
BeiȱÜbertragungȱaufȱeinȱabnutzbaresȱWirtschaftsgutȱergibtȱsichȱeinȱEffektȱinȱHöheȱvonȱ (2) StV
üSR u s B
1 q ND 1 1 58 u üSR u s A u u . ȱ ND ND q 1 q
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 55ȱ Eigenkapitalschonendeȱ Ansparabschreibungȱ alsȱ „sichȱ selbstȱ steuernderȱ Regelkreis“.ȱ „Ohneȱ
56ȱ 57ȱ
58ȱ
382
dassȱ demȱ Finanzamtȱ Investitionspläneȱ vorgelegtȱ werdenȱ müssten,ȱ istȱ dieȱ Rücklageȱ nurȱ fürȱ denȱ attraktiv,ȱ derȱ wirklichȱ investierenȱ will.“ȱ Soȱ Zeitler,ȱ F.ȬC.,ȱ Auswirkungen,ȱ 1993,ȱ S.ȱ 1708;ȱ vgl.ȱauchȱdieȱKritikȱvonȱWendt,ȱM.,ȱSteuervergünstigung,ȱ2005,ȱS.ȱ777Ȭ782.ȱ BFHȬUrteilȱv.ȱ6.9.2006,ȱXIȱRȱ28/05,ȱDStR,ȱ2007,ȱS.ȱ19Ȭ20.ȱ Eineȱ weitereȱ Ausnahmeȱ könnteȱ darinȱ bestehen,ȱ dassȱ ausgeschiedeneȱ Wirtschaftsgüterȱ stetsȱ durchȱ begünstigteȱ Wirtschaftsgüterȱ ersetztȱ werdenȱ können;ȱ vgl.ȱ Bahrs,ȱ E.,ȱ Vorteilhaftigkeit,ȱ 2003,ȱS.ȱ570.ȱ Vgl.ȱBahrs,ȱE.,ȱVorteilhaftigkeit,ȱ2003,ȱS.ȱ569.ȱ
Stille Reserven in der Steuerbilanz
DerȱSteuervorteilȱderȱÜbertragungȱistȱumsoȱgrößer,ȱjeȱlängerȱdieȱNutzungsdauerȱ(ND)ȱ desȱReinvestitionsgutesȱbemessenȱwird.ȱBeiȱSteuersatzsenkungenȱ(sBȱ–ȱsAȱ>ȱ0)ȱentstehtȱ zusätzlichȱzumȱpositivenȱZinseffektȱeinȱgleichgerichteterȱTarifeffekt,ȱderȱdieȱVorteilhafȬ tigkeitȱderȱsteuerfreienȱRücklageȱerhöht.ȱ Vorteilhaftȱ kannȱ eineȱ Rücklagenbildungȱ auchȱ ohneȱ spätereȱ Reinvestitionȱ sein,ȱ wennȱ dieȱ interneȱ Verzinsungȱ überȱ derȱ Effektivbelastungȱ durchȱ denȱ pauschalenȱ GewinnzuȬ schlagȱliegt.59ȱ
7
Zusammenfassung
DieȱAnalyseȱhatȱdieȱgroßeȱBedeutungȱundȱdieȱVielschichtigkeitȱdesȱPhänomensȱstillerȱ Reservenȱ inȱ derȱ Steuerbilanzȱ verdeutlicht.ȱ Nachȱ begrifflicherȱ Präzisierungȱ undȱ demȱ VersuchȱeinerȱSystematisierungȱoffenbartȱdieȱinhaltlicheȱAuseinandersetzungȱvielfältiȬ geȱProblemeȱbeiȱderȱQuantifizierung.ȱInȱeinigenȱFällenȱliefertȱdieȱexterneȱRechnungsȬ legungȱ wichtigeȱ Informationenȱ zurȱ Abschätzungȱ stillerȱ Reserven.ȱ Dennochȱ zeigenȱ Rechtsänderungenȱ undȱ Rechtsvorgänge,ȱ dieȱ zurȱAufdeckungȱ stillerȱ Reservenȱ führen,ȱ zentraleȱProblemeȱderȱFestlegungȱvonȱWertmaßstäbenȱundȱderȱGestaltungȱvonȱWertȬ ermittlungsprozessenȱ auf.ȱ Mitȱ Erichȱ Kästnerȱ istȱ festzustellen:ȱ „Esȱ istȱ schonȱ so:ȱ Dieȱ Fragenȱsindȱes,ȱausȱdenenȱdas,ȱwasȱbleibt,ȱentsteht.“60ȱ Gesetzgeberischeȱ Maßnahmenȱ derȱ jüngerenȱ Vergangenheitȱ habenȱ dieȱ Bildungȱ undȱ Konservierungȱ stillerȱ Reservenȱ erheblichȱ eingeschränkt,ȱ ohneȱ dassȱ sichȱ dieȱ BilanzieȬ rungsregeln,ȱ dieȱ zuȱ ihrerȱ Bildungȱ führen,ȱ maßgeblichȱ verändertȱ haben.ȱ Dieȱ weitereȱ Abkopplungȱ vonȱ derȱ handelsrechtlichenȱ Bilanzierungȱ undȱ dieȱ Bestrebungenȱ zurȱ Harmonisierungȱ derȱ steuerlichenȱ Bemessungsgrundlagenȱ inȱ derȱ EUȱ werdenȱ dieseȱ Tendenzȱfortsetzen.ȱȱ Ausȱ steuerplanerischerȱ Sichtȱ stellenȱ verbliebeneȱ Instrumenteȱ inȱ Formȱ vonȱ ÜbertraȬ gungsmöglichkeitenȱ undȱ temporärenȱ Rücklagenbildungenȱ beachtlicheȱ GestaltungsȬ mittelȱ dar,ȱ derenȱ Vorteilhaftigkeitȱ sichȱ imȱ Rahmenȱ modellgestützterȱ Analysenȱ zeigt.ȱ DieȱUnternehmenssteuerreformȱ2008ȱgibtȱmitȱdenȱtarifärenȱÄnderungenȱzusätzlichenȱ Anstoß,ȱüberȱdieȱverschiedenenȱMöglichkeitenȱderȱAufwandsvorverlagerungȱpositiveȱ Steuerbarwerteffekteȱ zuȱ generieren.ȱ Soweitȱ Ermessensrücklagenȱ betroffenȱ sind,ȱ werȬ denȱdamitȱneueȱKonflikteȱmitȱderȱFinanzverwaltungȱausgelöst.ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 59ȱ Vgl.ȱebenda,ȱS.ȱ570.ȱ 60ȱ Kästner,ȱE.,ȱSokratesȱzugeeignetȱ(Auszug),ȱ2003,ȱS.ȱ363.ȱ
383
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386
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge Leiter des Forschungsteams Baetge Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Universitätsstraße 14-16, 48143 Münster Dipl.-Ök. Thorsten Melcher Mitarbeiter im Forschungsteam Baetge, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Universitätsstraße 14-16, 48143 Münster
1
Prolog............................................................................................................................... 389
2
Wirtschaftskriminelle Handlungen.............................................................................. 390
3
Forensische Sonderuntersuchungen ............................................................................ 392 3.1 Bedarf und Zweck der forensischen Sonderuntersuchungen ......................... 392 3.2 Vorgehen und Ergebnisse bei forensischen Sonderuntersuchungen ............. 393
4
Abschlussprüfung .......................................................................................................... 395 4.1 Zweck und Umfang der Abschlussprüfung ...................................................... 395 4.2 Erwartungslücke bezüglich der Fehlerfreiheit von geprüften Jahresabschlüssen.................................................................................................. 399 4.3 Abgrenzung der Jahresabschlussprüfung von der forensischen Sonderuntersuchung ............................................................................................ 402
5
Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung (GoA) ........................................ 404 5.1 Begriff, Rechtsnatur und System der GoA......................................................... 404 5.2 Ermittlungsmethoden der GoA .......................................................................... 405 5.3 GoA auch für Unterschlagungsfälle?.................................................................. 406
6
Epilog ............................................................................................................................... 407
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 409
387
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
1
Prolog
Nicht allein bei den spektakulären Unternehmenskrisen von Enron (2001) und World Com (2002) in den USA, Parmalat (2003) und Adecco (2004) im europäischen Ausland sowie Flowtex (2000), Philipp Holzmann und Comroad (beide 2002) in Deutschland, sondern im Vorfeld fast aller Unternehmensinsolvenzen sind wirtschaftskriminelle Handlungen zu finden. Außerdem nehmen dolose Handlungen allgemein zu und verfälschen in der Regel die Jahresabschlüsse. Da nach früher üblicher Auffassung Abschlussprüfer sich nicht für die Aufdeckung von Unterschleife verantwortlich zeichneten, wurde das Vertrauen der Öffentlichkeit in geprüfte Jahresabschlüsse wegen der Unsicherheit bzgl. der Auswirkungen von dolosen Handlungen im geprüften Abschluss erschüttert. Indes ist eine Schuldzuweisung an die Abschlussprüfer, wie sie vielfach in der Öffentlichkeit und an den Kapitalmärkten vorgenommen wurde, nicht gerechtfertigt, weil ein Abschlussprüfer nicht so intensiv prüfen soll und kann, dass er jede Unterschleife entdecken könnte. Fraglich ist indes, ob die wesentlichen Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen nicht wenigstens zu einer Intensivierung der bisher üblichen Jahresabschlussprüfung führen sollten, so dass man vom Abschlussprüfer eine Aufdeckung von Unterschleife dann erwarten kann, wenn und soweit sie wesentlich und sie mit häufig angewandten Methoden herbeigeführt worden ist. Die Vorwürfe der Untreue, Bestechung und Korruption von Managern, Betriebsräten und Mitarbeitern bei der VW AG, der Siemens AG und anderen machen deutlich, dass wirtschaftskriminelle Handlungen in Unternehmen keine Ausnahmefälle sind. Im Zusammenhang mit Siemens titelte das Wall Street Journal Europe auf der Titelseite: „What did KPMG know?“.1 Hier wurde die Prüfung der Siemens AG durch KPMG Deutschland diskutiert, ohne dass tatsächliche Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Vorgehen bei der Abschlussprüfung durch KPMG vorlagen. Fakt ist, dass in Deutschland eine deutliche Zunahme der Korruption festzustellen ist und fast die Hälfte aller Unternehmen in den Jahren 2004 und 2005 zum Opfer wirtschaftskrimineller Handlungen geworden sind.2 Die häufigsten Delikte sind Diebstahl/Unterschlagung, Untreue, Betrug, Verletzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, Kriminalität, Verletzung von Patent-, Schutz- und Urheberrechten, Korruption, Fälschung von Jahresabschlüssen, Geldwäsche und Kartellrechtsverstöße. Zwar kommt das Delikt „Fälschung von Jahresabschlüssen“ in der „Studie 2006 zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland“ (KPMG) auf lediglich 6 % der wirtschaftskriminellen Handlungen, aber die Schadenshöhe der Bilanzdelikte beläuft sich auf über 60 % des Gesamtschadens.3 Im Übrigen verfälschen die Nicht-Bilanzdelikte die Jahres1 2 3
Vgl. o.V., KPMG, 2007, S. 1, 28. Vgl. KPMG (Hrsg.), Studie Wirtschaftskriminalität 2006, S. 6, 11; Fröndhoff, B., Korruption, 2006, S. 18. Vgl. KPMG (Hrsg.), Studie Wirtschaftskriminalität 2006, S. 12.
389
Baetge / Melcher
abschlüsse ebenfalls erheblich. Die publik gewordenen Fehler und Unrichtigkeiten in Jahresabschlüssen und die dadurch ausgelöste negative Stimmung in der Öffentlichkeit führten zu einer hohen Regulierungsdichte.4 Da die Öffentlichkeit erwartet, dass bei der ordnungsmäßigen Abschlussprüfung alle wirtschaftskriminellen Handlungen aufgedeckt werden, ist zu klären, welchen Beitrag die Abschlussprüfung leisten kann und wie wirtschaftskriminelle Handlungen im Prüfungsprozess zu berücksichtigen sind. Dazu sind neben den wirtschaftskriminellen Handlungen, den gesetzlichen und berufsständischen Pflichten des Abschlussprüfers auch die Erkenntnisse aus forensischen Sonderuntersuchungen zu betrachten.
2
Wirtschaftskriminelle Handlungen
Grundsätzlich sind wirtschaftskriminelle Handlungen Gesetzesverstöße. Diese Gesetzesverstöße lassen sich unterscheiden in Verstöße gegen das Bilanzrecht und in Verstöße gegen sonstige Gesetze. Diese grundsätzliche Unterscheidung ist für den Abschlussprüfer und für die Pflichten bzgl. seiner Urteilsbildung von großer Bedeutung. Während Verstöße gegen sonstige Gesetze „nur“ im Prüfungsbericht zu behandeln sind, sind Verstöße gegen das Bilanzrecht auch im Bestätigungsvermerk zu berücksichtigen. Die Verstöße gegen das Bilanzrecht werden in beabsichtigte und unbeabsichtigte Verstöße differenziert und durch das Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) in die unbeabsichtigten Unrichtigkeiten (error) und in die beabsichtigten Verstöße (fraud) unterschieden.5 Die Unrichtigkeiten werden auch als Fehler bezeichnet. Derartige Unrichtigkeiten können aus Schreibfehlern oder Rechenfehlern, aus der falschen Anwendung oder dem Übersehen von Rechnungslegungsgrundsätzen und Gesetzen oder aus fehlerhaften Einschätzungen resultieren.6 Im Gegensatz dazu stellen beabsichtigte Verstöße, die auf bewusstem Handeln beruhen, Bilanzdelikte dar. In allen diesen Fällen zeichnet der Jahresabschluss kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage.7
4
5 6 7
390
Zu nennen sind hier vor allem das KonTraG, das TransPuG, das AnSVG, das BilReG, das BilKoG, das APAG, das UMAG, das KapMuG, das VorstOG, das EHUG sowie die Regelungen zum Bilanzeid im TUG. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1424. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1423. Vgl. Sell, K., Aufdeckung von Bilanzdelikten, S. 2.
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
Bei allen beabsichtigten Gesetzesverstößen handelt es sich um bewusste Verstöße (Täuschungen und/oder Vermögensschädigungen und beabsichtigte sonstige Gesetzesverstöße) gegen Rechnungslegungsgrundsätze bzw. gegen Gesetze.8 Die ursprünglich nicht-bilanziellen Gesetzesverstöße lassen sich wiederum in vorsätzliche Verstöße mit Bereicherungsabsicht (Dolose Handlungen und Korruption) und in fahrlässige oder vorsätzliche Verstöße ohne unmittelbare Bereicherungsabsicht unterscheiden.9 Dolose Handlungen führen zu einer Schädigung des Unternehmens und damit zu einem verminderten Jahreserfolg des Unternehmens. Zu diesen dolosen Handlungen zählen vor allem Diebstahl, Betrug und Untreue. Die Korruption beschreibt, in Abgrenzung zu den dolosen Handlungen, die mittelbare Schädigung des Unternehmens durch den korrupten Mitarbeiter. Fahrlässige oder vorsätzliche Verstöße ohne Bereicherungsabsicht sind u.a. Verstöße gegen Kartellrechts- und Wettbewerbsbeschränkungen, Umweltgesetze, das Strafrecht, die Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetze oder gegen betriebs- und branchenspezifische Regelungen wie das Kriegswaffenkontrollgesetz und daraus folgende Auflagen für das Unternehmen.10
Abbildung 2-1:
Gesetzesverstöße in Anlehnung an IDW PS 210
Gesetzesverstöße
Nicht das Bilanzrecht betreffende Gesetzesverstöße
Das Bilanzrecht betreffende Gesetzesverstöße
Unbewusst
Bewusst
Vorsätzlich mit Bereicherungsabsicht
Fahrlässig oder vorsätzlich ohne unmittelbare persönliche Bereicherungsabsicht
Unrichtigkeiten Error
Verstöße Fraud
Dolose Handlungen Korruption
Sonstige Gesetzesverstöße
Konsequenzen für den Prüfungsbericht und den Bestätigungsverm erk
Konsequenzen für den Prüfungsbericht und den Bestätigungsverm erk
8
Vgl. IDW 2006, IDW PS 210, 2006, S. 1423 f.; o.V., Comroad, 2007, S.19. „Comroad-Gründer haften persönlich“. So hat der Ex-Vorstand des Unternehmens 97 % der Umsätze im Jahr 2001 frei erfunden. Nach Auffassung der Richter des Landgerichts Franfurt a.M. (AZ: 3-15 O 48/04) wurden die Anleger mit diesen Fehlinformationen vorsätzlich und auf sittenwidrige Weise getäuscht und zum Kauf der überteuerten Aktien animiert. 9 Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1424. 10 Vgl. Sell, K., Aufdeckung von Bilanzdelikten, 1999, S. 42.
391
Baetge / Melcher
3
Forensische Sonderuntersuchungen
3.1
Bedarf und Zweck der forensischen Sonderuntersuchungen
Vielfach ist nicht klar bzw. nicht bekannt, dass Unternehmenskrisen oder erhebliche Vermögensverluste zumeist mit wirtschaftskriminellen Handlungen verbunden sind. Deshalb werden häufig nicht schon bei bekannt werden der Krise oder bei konkreten Vermögensverlusten, sondern erst bei konkreten Verdachtsmomenten, oder nachdem wirtschaftskriminelle Handlungen entdeckt wurden, forensische Sonderuntersuchungen durch Forensiker oder Untersuchungen durch Strafverfolgungsbehörden eingeleitet. Forensische Sonderuntersuchungen zählen zu den in neuerer Zeit wachsenden Betätigungsfeldern der Wirtschaftsprüfer (WP) und sind im Gegensatz zur Abschlussprüfung gesetzlich nicht geregelt. Dabei dienen forensische Sonderuntersuchungen dazu, sowohl Verstöße gegen das Bilanzrecht als auch sonstige Gesetzesverstöße aufzudecken.11 Da aber Gesetzesverstöße außerhalb des Bilanzrechts juristisches Fachwissen erfordern, ist es in diesen Fällen sinnvoll, einen juristischen Berater hinzu zuziehen.12 So erfordern auch (wirtschafts-)rechtliche Fragen, wie Fragen des Insiderrechts, der Ad-Hoc-Publizität, des Datenschutzes, des Arbeitsrechts, des Aufsichtsrechts und des Strafrechts juristische Kompetenz. Neben einem Zivilrechtsexperten sollte auch ein Strafrechtsexperte hinzugezogen werden. Dabei werden neben allen Arten von wirtschaftskriminellen Handlungen vor allem haftungsrelevante Sachverhalte, die sich in einem Unternehmen ereignet haben und die meist nicht bei der Jahresabschlussprüfung aufgedeckt wurden, ermittelt. Bei forensischen Sonderuntersuchungen werden besonders ausgewiesene Wirtschaftsprüfer (Forensiker) den Strafverfolgungsbehörden aus drei Gründen vorgezogen. Erstens wollen die Unternehmen den Ruf schädigende öffentliche Diskussionen des „Falles“ vermeiden und zweitens ist die Reaktionszeit der privatwirtschaftlichen Ermittler deutlich geringer, als die der Strafverfolgungsbehörden. Drittens erwarten die Auftraggeber von externen Experten, dass ihre Vorgehensweise zur Aufklärung der Sachverhalte sowohl durch Fachwissen als auch durch größere Erfahrung und hohe Effizienz gekennzeichnet ist. Außerdem soll Unruhe im Unternehmen vermieden werden, die bei Erscheinen von Strafverfolgungsbehörden regelmäßig entsteht. Aber auch wenn die Wirtschaftsprüfer den Strafverfolgungsbehörden häufig vorgezogen werden, ist es genauso wichtig, dass die Forensiker gerichtlich verwertbare Untersuchungsergebnisse und Beweise sammeln und sichern. Denn 11 12
392
Vgl. dazu Abschnitt 2. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1425.
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
nur mit gerichtlich verwertbaren Untersuchungsergebnissen können die Leitungsorgane des Unternehmens im Bedarfsfall nach außen - also auch vor Gericht - dokumentieren, dass sie ihrer gesetzlichen Aufklärungspflicht nachkommen.
3.2
Vorgehen und Ergebnisse bei forensischen Sonderuntersuchungen
Das Vorgehen der Wirtschaftsprüfer bei forensischen Sonderuntersuchungen, lässt sich nicht mit deren Vorgehen bei der Abschlussprüfung gleich setzen. Die „normale“ Abschlussprüfung hat nämlich vor allem für eine qualitative und quantitative Vergleichbarkeit der Prüfungsergebnisse zu sorgen. Dabei wird der Prüfungsprozess durch Gesetze, die GoA, die Interpretationen der GoA und ergänzende berufsständische und ethische Normen bestimmt. Anders die forensische Sonderuntersuchung. Diese läuft, abhängig von den vorliegenden Verdachtsmomenten oder Warnhinweisen (red flags) interdisziplinär, bedarfs- und zielorientiert ab und ist jeweils an die Erfordernisse des Einzelfalls anzupassen. Allgemein kann das Vorgehen bei einer forensischen Prüfung durch die Schritte der Datensammlung und der Datenanalyse beschrieben werden. Dabei kommt es vor allem auf eine umfassende Dokumentation bzgl. des Vorgehens, der verwendeten Hilfsmittel, der Analysezeiten und der Analyseorte an, um eine hinreichende Analysequalität und die spätere Gerichtsverwertbarkeit der Prüfungsergebnisse sicherzustellen. Beziehen sich die Prüfungen auf die Geschäftsunterlagen, die Buchführung und den Jahresabschluss, so besteht indes i.d.R. die Möglichkeit, sich der in der Jahresabschlussprüfung üblichen Prüfungstechnik zu bedienen. Neben systemorientierten und ergebnisorientierten Prüfungsverfahren und einer sog. Voll- oder Auswahlprüfung13 kann auch progressiv oder retrograd geprüft werden.14 Weiterhin kann die forensische Prüfung manuell oder EDV-gestützt durchgeführt werden. Darüber hinaus können auch Kennzahlensysteme, Checklisten und kriminalistische Beziehungsanalysen helfen, eine forensische Sonderuntersuchung erfolgreich zu gestalten.15 Zwar wiederholen sich die aufgedeckten Gesetzesverstöße häufig (Bsp.: Unterschlagungen), aber die Art und Weise und der Umfang der Gesetzesverstöße ist von Delikt zu Delikt verschieden. So werden Gesetzesverstöße abhängig vom Täterkreis unter-
13
Bei einer Vollprüfung wird ein Prüfungsurteil erst gefällt, wenn sämtliche Prüfungsgegenstände eines Prüfungsfeldes geprüft wurden. Eine Auswahlprüfung liegt indes vor, wenn nicht sämtliche Prüfungsgegenstände des betreffenden Prüfungsfeldes in die Prüfung einbezogen werden. 14 Die progressive Prüfung greift den einzelnen Beleg auf und verfolgt den Buchungsweg bis in die Bilanz oder GuV, während die retrograde Prüfung an der Bilanz oder der GuV ansetzt und den Weg bis zu dem einzelnen Beleg nachvollzieht. 15 Vgl. Odenthal, R., Kriminalität am Arbeitsplatz, 2005, S. 87, 90.
393
Baetge / Melcher
schiedlich komplex verschleiert. Entsprechend liefert jede erfolgreiche forensische Sonderuntersuchung neben der Art des Gesetzesverstoßes, soweit dieser bewiesen werden kann, ein individuelles Handlungsmuster, ein Täterprofil und Mängel im internen Kontrollsystem (IKS) des Unternehmens. Aus diesen Untersuchungsergebnissen ergeben sich die weiteren forensischen Prüfungsschritte. Zuerst ist der aufgedeckte Gesetzesverstoß gerichtsverwertbar zu dokumentieren und die Kommunikation über den „Fall“ ist sorgfältig zu planen, um Imageschäden zu vermeiden. Diese Ergebnisse sind auch für mögliche Bilanzkorrekturen verwertbar und können dem Abschlussprüfer helfen, den (erteilten) Bestätigungsvermerk und den Prüfungsbericht zu überprüfen. Anschließend ist sowohl die zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung des Unternehmens als auch die persönliche Verantwortlichkeit der Täter zu klären. Dazu sind neben haftungsrelevanten Fragen auch disziplinarische Konsequenzen und bei Beteiligung des Managements, auch die Möglichkeit einer eventuellen Inanspruchnahme der - soweit vorhandenen - D&O-Versicherung zu prüfen. Vereinbarungen über Vergleiche zwischen dem Unternehmen und den Tätern sind nur vorbehaltlich der Zustimmung der Gesellschafter oder der Aktionäre zu treffen. Zu klären ist auch, aus welchen Gründen das interne Kontrollsystem versagt hat und warum die Gesetzesverstöße nicht bei der Jahresabschlussprüfung aufgedeckt wurden.16 Ein Unternehmen kann sich gegen wirtschaftskriminelle Handlungen wappnen, indem es ein Anti-Fraud-Management etabliert. So kann etwa mittels der Fraud-Triangel (vgl. Abb. 3-1) die Grundlage geschaffen werden, wirtschaftskriminellen Handlungen vorzubeugen.
Abbildung 3-1:
16 17
394
Fraud-Triangel in Anlehnung an Cressey17
Vgl. o.V., Kriminalitäts-Bekämpfung, 2006, S. 18. Vgl. KPMG (Hrsg), Anti-Fraud-Management, 2006, S. 7.
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
Die Fraud-Triangel soll veranschaulichen, dass den Tätern die Motivation (persönlich, finanziell und tätigkeitsbezogen), die Gelegenheit (fehlende oder ineffiziente Kontrollen) und die innerliche Rechtfertigung (persönlich und unternehmenskulturell) entzogen werden müssen, um beabsichtigte Verstöße (fraud) zu unterbinden. Denn Gesetzesverstöße im Unternehmen können primär durch ein erhöhtes Entdeckungsrisiko, durch eine Reduzierung der Gelegenheiten und durch eine integre Unternehmenskultur vermieden werden. Fast alle großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bieten zur Lösung dieser Aufgaben den Unternehmen, z.B. durch Implementierung eines AntiFraud-Mangements, ihre Hilfe an.18
4
Abschlussprüfung
4.1
Zweck und Umfang der Abschlussprüfung
Während die Pflichtprüfung von Jahresabschlüssen auf dem Deutschen Juristentag 1929 noch als „Zumutung für den Kaufmann“ angesehen wurde, wurde 1931 nach dem Zusammenbruch der DANAT-Bank19, per Erlass eine Notverordnung verabschiedet, mit der die aktienrechtliche Pflichtprüfung als staatliche Reaktion auf Unternehmenskrisen und Insolvenzen in der Weimarer Republik eingeführt wurde. Das nach der Einführung der Pflichtprüfung von Aktiengesellschaften entstandene Berufsbild des Wirtschaftsprüfers wird heute bestimmt durch eine Vielzahl von zusätzlichen Aufgaben, wobei die Vorbehaltsaufgabe, nämlich die gesetzlich vorgeschriebene Jahresabschlussprüfung durchzuführen und Bestätigungsvermerke zu erteilen, überwiegt. Hauptaufgabe des Jahresabschlussprüfers ist es - unabhängig von den gewählten Prüfungsmethoden und der Prüfungsplanung - das Rechnungswesen zu beurteilen.20 Die Jahresabschlussprüfungshandlungen sollen der Information der Adressaten durch den Abschlussprüfer in Bestätigungsvermerk und Prüfungsbericht dienen und sie sollen sicherstellen, dass im Jahresabschluss das Vermögen, die Schulden, die Aufwendungen und die Erträge entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen dargestellt 18 19
Vgl. o.V., Kriminalitäts-Bekämpfung, 2006, S.18. Bei der Fusion der Darmstädter Bank mit der Nationalbank entstand 1922 eine der größten deutschen Geschäftsbanken. 1931 war die DANAT-Bank die zweitgrößte Bank Deutschlands, bis sie am 13. Juli 1931 durch den Konkurs der Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei zahlungsunfähig wurde. 20 Vgl. Baetge, J./Fischer, T. R., § 317 HGB, 1990, Rn. 1 f.
395
Baetge / Melcher
werden und keine Normwidrigkeiten und Gesetzesverstöße im geprüften Jahresabschluss enthalten sind.21 Die Prüfungshandlungen sind dabei vor allem auf die Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, der Berichterstattung über die Lage des Unternehmens und der zutreffenden Darstellung der Risiken der zukünftigen Entwicklung gerichtet. Sie bilden die Voraussetzung für die Feststellung des Jahresabschlusses (§ 316 Abs. 1 HGB).22 Deshalb sind durch den Abschlussprüfer die Buchführung, der Jahresabschluss, der Lagebericht, bzw. der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht (§ 316 Abs. 1 und 2 HGB) zu prüfen. Weiterhin ist bei amtlich notierten Aktiengesellschaften nach dem KonTraG das Risikofrüherkennungssystem (§ 91 Abs. 2 AktG) vom Abschlussprüfer auf seine Funktionsfähigkeit zu beurteilen (§ 317 Abs. 4 HGB). Nach Abschluss seiner Prüfungshandlungen muss der Abschlussprüfer ein Urteil über den Abschluss abgeben, das möglichst fehlerfrei ist, damit die Jahresabschlussadressaten darauf vertrauen können.23 Deshalb ist das Prüfungsurteil mit hinreichender Sicherheit abzugeben (ISA 200.17-21). Ein Restrisiko für vom Abschlussprüfer nicht entdeckte Fehler und Verstöße im geprüften Jahresabschluss ist indes unvermeidlich und vom Abschlussprüfer nicht zu vertreten, weil die Abschlussprüfung wegen des begrenzten Prüfungshonorars keine Vollprüfung sein soll und kann, sondern eine Auswahlprüfung.24 Ein Restrisiko nicht entdeckter Fehler verbleibt vor allem bezüglich wirtschaftskrimineller Handlungen, die mit erheblicher krimineller Energie verschleiert werden (ISA 240.20). Der Zwang viele Prüffelder lediglich stichprobenartig zu prüfen, erlaubt es dem Abschlussprüfer lediglich einen statistischen Test, den sog. Hypothesentest, durchzuführen.25 Hierbei sollte die Nullhypothese (Hž) so formuliert werden, dass von einem fehlerhaften und durch Fraud verfälschten Prüfungsfeld ausgegangen wird. Mit der Gegenhypothese (Hſ) geht der Prüfer davon aus, dass das Prüffeld gesetz- und regelkonform ist. Die Nullhypothese darf der Abschlussprüfer nur ablehnen und die Gegenhypothese annehmen, wenn der Abschlussprüfer bei dem notwendigen Stichprobenumfang überwiegend fehler- und fraud-freie Elemente festgestellt hat. Von einem Hypothesentest werden i.d.R. ein Signifikanzniveau von 5 % und eine Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 % gefordert. Das Risiko, dass sich aus dem Signifikanzniveau i.H.v. 5 % ergibt, hat dabei nicht der Abschlussprüfer, sondern der Aktionär zu tragen, da die Organe des Unternehmens das Prüfungshonorar zu seinen Gunsten begrenzt haben.
21 22 23 24
Vgl. Leffson, U., Wirtschaftsprüfung, 1980, S. 317. Vgl. IDW (Hrsg.), WP-Handbuch 2006, S. 1740. Vgl. Leffson, U., Wirtschaftsprüfung, 1980, S. 8; Baetge, J., Zielvorschrift, 1985, S. 281. Vgl. IDW , IDW PS 210, 2006, S. 1426; Terlinde, C., Aufdeckung von Bilanzmanipulationen, 2005, S. 74. 25 Vgl. Hömberg, R., Stichprobenprüfung, 2002, Sp. 2291 f.
396
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
Im HGB findet sich kein expliziter Hinweis darauf, dass der Abschlussprüfer wirtschaftskriminelle Handlungen suchen und finden muss. Entsprechend vertreten Ruhnke/Schwind für das Vorgehen des Abschlussprüfers die Auffassung, dass der Abschlussprüfer zwar eine positive Suchverantwortung trägt, aber von der Echtheit der Buchführungsunterlagen, der Belege und der ihm erteilten Auskünfte ausgehen dürfe.26 Diese „Richtigkeitsvermutung“ gilt nach Ruhnke/Schwind solange, wie der Abschlussprüfer bei der Durchführung seiner Prüfungshandlungen nicht zu gegenteiligen Prüfungsfeststellungen gelangt.27 Wir vertreten dagegen die Auffassung, dass der Abschlussprüfer solange nicht von der Echtheit der Buchführungsunterlagen, der Belege und Auskünfte ausgehen darf, bis er die durch das Honorar begrenzte Auswahlprüfung bei seiner konkreten spezifischen Suche nach Fraud and Error, ohne Hinweise auf Fraud and Error gefunden zu haben, beendet hat, d.h. erst dann darf er die Nullhypothese: „Es liegt ein fehlerhaftes und durch Fraud verfälschtes Prüfungsfeld vor!“, verwerfen. Auch wenn die gesetzlichen Grundlagen für die Prüfung des Jahresabschlusses keine expliziten forensischen Prüfungshandlungen vorsehen, sind die in den Verlautbarungen des IDW und der WPK enthaltenen Anforderungen bzgl. forensischer Prüfungshandlungen bei der Abschlussprüfung zu beachten. Die Prüfungsstandards des IDW decken sich inhaltlich mit den International Standards on Auditing (ISA), die von der International Federation of Accountants (IFAC) herausgegeben werden.28 Die Prüfungsgrundsätze ISA 240 und IDW PS 210 enthalten die Grundlagen für die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten während der Jahresabschlussprüfung. Dabei zielt ISA 240 vor allem auf Verstöße gegen das Bilanzrecht, während IDW PS 210 neben Verstößen gegen das Bilanzrecht auch Unrichtigkeiten und sonstige Gesetzesverstöße umfasst. Nach ISA 240, IDW PS 210 und IDW PS 261 muss der Abschlussprüfer mittels des risikoorientierten Prüfungsansatzes eigenverantwortlich und mit der berufsüblichen Sorgfalt das Prüfungsrisiko beurteilen und die Funktion des IKS prüfen. Das Ziel des Prüfers muss es sein, mit hinreichender Sicherheit beurteilen zu können, ob der Jahresabschluss wesentliche Verstöße und Unrichtigkeiten (fraud and error) enthält. Bei der Prüfungsplanung ist zur Aufdeckung von Gesetzesverstößen vor allem das Risiko für das Vorliegen von Gesetzesverstößen einzuschätzen.29 Auf der Basis dieser Risikoeinschätzung sind die Prüfungshandlungen zu planen und zu realisieren und zwar so, dass auch Unrichtigkeiten und Verstöße, die für den Abschluss wesentlich sind, mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit aufgedeckt werden.30 Hier darf gerade nicht von einer „Richtigkeitsvermutung“ ausgegangen werden. Entsprechend ist in ISA 240 und IDW PS 210 (vgl. „Fraud House“ (Abb. 4-1)) der Prüfungsprozess zur Aufdeckung von
26 27 28 29 30
Vgl. Ruhnke, K./ Schwind, J., Fraud in der Jahresabschlussprüfung, 2006, S. 733. Vgl. Marten, K.-U./Quick, R./Ruhnke, K., Wirtschaftsprüfung, 2007, S. 731. Vgl. Terlinde, C., Aufdeckung von Bilanzmanipulationen, 2005, S. 94. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1426. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1429.
397
Baetge / Melcher
wirtschaftskriminellen Handlungen bei der Abschlussprüfung wie folgt zu strukturieren:
Abbildung 4-1: Fraud-House, vgl. ISA 240 / IDW PS 210
Dokumentation Würdigung der Prüfungsnachweise
Reaktionen auf die bedeutsamen Risiken
Der AP würdigt die Prüfungsnachweise und -handlungen (ISA 300) und hat einzuschätzen, ob die Ergebnisse analytischer Prüfungshandlungen insgesamt mit den Erkenntnissen aus allen anderen Prüfungshandlungen übereinstimmen, oder ob diese auf mögliche Verstöße hindeuten. Der AP muss Reaktionen für den Fall festlegen, dass wesentliche Verstöße festgestellt werden. Vor allem sind die unternehmensinternen Kontrollmaßnahmen auf einen Management-Override zu prüfen und die wirtschaftlichen Hintergründe wesentlicher Geschäftsvorfälle aufzudecken.
Beurteilung der Risiken von Verstößen
Der AP und das Prüfungsteam müssen das nötige Verständnis für Risikofaktoren in den einzelnen Unternehmensressorts unter Berücksichtigung von unerwarteten oder ungewöhnlichen Informationen und Hinweisen entwickeln.
Prüfungshandlungen zur Erkennung und Beurteilung von Risiken
Befragung von Unternehmensvertretern, vor allem von Vorstand, AR und Interner Revision; Einschätzung der unternehmensspezifischen Risikofaktoren und Berücksichtigung von Erkenntnissen aus analytischen Prüfungshandlungen.
Prüfungsplanung und Besprechung im Prüfungsteam
Prüfungsplanung nach ISA 200 mit kritischer Grundhaltung, die nach Aufdeckung von Fraud in Misstrauen umschlägt, offener Austausch und Einschätzung der Risikosituation im Prüfungsteam, Festlegung der Verantwortlichkeiten, Brainstorming zu Gesetzesverstößen
Prüfungsprozess in Anlehnung an ISA 240 / IDW PS 210
U.E. ist nach den immer wieder aufgedeckten Bilanzskandalen die berechtigte Erwartung an die Abschlussprüfer, dass sie die Pflichtprüfung des Jahresabschlusses grundsätzlich als Misstrauensprüfung verstehen und professionelle Skepsis (professional skepticism) gegenüber dem Prüfungsobjekt und den Personen im geprüften Unternehmen einnehmen.31 Diese Auffassung deckt sich mit ISA 240 und IDW PS 210, die von einer kritischen Grundhaltung und einer Suchverantwortung des Abschlussprüfers ausgehen und verlangen, dass der Prüfer die Möglichkeit von Gesetzesverstößen in der Rechnungslegung ausdrücklich in Betracht zieht,32 und diese Sichtweise erst auf31 32
398
Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1425. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1422, 1433.
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
gibt, wenn er bei seiner (Such-)Prüfung weder Fraud noch Error gefunden hat. Deshalb hat der Abschlussprüfer u.E. die Pflicht, seine Prüfungshandlungen so zu strukturieren, dass eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit für die Aufdeckung von Fraud and Error besteht. Dazu könnte bspw. mit einer ABC-Analyse ermittelt werden, welches die häufigsten wirtschaftskriminellen Handlungen und Methoden sind, die bei forensischen Sonderuntersuchungen aufgetreten sind. Nach den so ermittelten bedeutsamsten wirtschaftkriminellen Handlungen sollte vom Abschlussprüfer mit geeigneten Prüfungsmethoden im Rahmen seiner Auswahlprüfung gesucht werden. Ein solches Vorgehen sollte in die GoA für reguläre Abschlussprüfungen integriert werden. Somit kann u.E. der Abschlussprüfer erst mit Abschluss der Auswahlprüfung der „Richtigkeitsvermutung“ folgen, wenn er bei Wahrnehmung seiner Suchverantwortung keine Hinweise auf Fehlerhaftigkeit im Rechenwerk gefunden hat. Sollten indes bei der Abschlussprüfung nach der o.g. Vorgehensweise Gesetzesverstöße aufgedeckt worden sein oder Informationen dazu vorliegen, sind diese schnellstmöglich der Unternehmensführung mitzuteilen und es sind die prüferischen Konsequenzen zu ziehen, z.B. Ausweitung des Prüfungsumfangs. Sind Mitglieder der Unternehmensführung oder der internen Revision in die aufgedeckten Verstöße involviert, ist indes zuerst der Aufsichtsrat zu informieren. Für alle Verstöße gilt, dass diese nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich mitzuteilen sind. Da der gesamte Prüfungsprozess nur dann einen Wert hat, wenn alle beurteilten Sachverhalte zu einem vertrauenswürdigen und zutreffenden Urteil führen und da bisher nicht alle Jahresabschlussprüfer der Suchverantwortung bzgl. Fraud and Error gerecht geworden sind, ist vor allem durch publik gewordene - aber nicht durch den Abschlussprüfer aufgedeckte - Gesetzesverstöße von Mitarbeitern des geprüften Unternehmens bei den Jahresabschlussadressaten und in der Öffentlichkeit eine Verärgerung aufgetreten und dies hat die sog. Erwartungslücke bzgl. der Fehlerfreiheit von geprüften Jahresabschlüssen sogar noch vergrößert.33
4.2
Erwartungslücke bezüglich der Fehlerfreiheit von geprüften Jahresabschlüssen
§ 317 HGB verlangt vom Abschlussprüfer, unter der Prämisse der gewissenhaften Berufsausübung, dass er Unrichtigkeiten und Verstöße (vgl. dazu auch Abb. 1: Gesetzesverstöße in Anlehnung an IDW PS 210), die sich wesentlich auf die Darstellung der
33
Vgl. Leffson, U., Wirtschaftsprüfung, 1980, S. 8; Marten, K.-U./Quick, R./Ruhnke, K., Wirtschaftsprüfung, 2007, S. 420.
399
Baetge / Melcher
Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (§ 264 Abs. 2 HGB) auswirken, bei der Jahresabschlussprüfung erkennt.34 Allein aus dem Wortlaut des § 317 HGB folgern die Öffentlichkeit und wenig Sachkundige, dass der Abschlussprüfer nicht nur den Jahresabschluss, sondern alle Elemente des Rechnungswesens vollständig prüft, und erst nachdem alle Unrichtigkeiten und Verstöße aufgedeckt sind, sein Prüfungsurteil abgibt. Die Sachunkundigen erwarten, dass alle uneingeschränkt testierten Jahresabschlüsse frei sind von Fehlern und Unrichtigkeiten.35 Da die Abschlussprüfung aber wegen der allgemein gültigen Forderung nach einer Begrenzung des Prüfungshonorars eine Auswahlprüfung sein muss und keine Vollprüfung sein kann, ist eine Garantie des Abschlussprüfers für eine absolute Fehlerfreiheit des geprüften Rechnungswesens und Jahresabschlusses nicht möglich.36 Aus dieser irrigen Annahme der Fehlerfreiheit resultiert die sog. Erwartungslücke. Die Erwartungslücke resultiert auch aus der Neigung der Medien, reißerische Überschriften wirksam zu platzieren, die die nicht fachkundige Leserschaft sich kritiklos zu Eigen macht.37 Auf die Erwartungslücke kann und muss der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer mit zwei Maßnahmen reagieren. Erstens muss der Berufsstand klar machen, dass der Abschlussprüfer die (irrige) Erwartung nach einer hundertprozentigen Freiheit von Fehlern und Unrichtigkeiten (fraud and error) bei Auswahlprüfungen nicht absolut erfüllen kann. So kann wegen der i.d.R. riesig großen Zahl an Geschäftsvorfällen in den zu prüfenden Unternehmen und der auf Stichproben zu beschränkenden Prüfung keine absolute Garantie für die Abwesenheit von Unterschleife vom Abschlussprüfer übernommen werden, weil er eben nur eine Stichprobenprüfung und keine Vollprüfung auf der Basis des risikoorientierter Prüfungsansatzes ausführen kann.38 Damit ist die Erwartung der Adressaten einer hundertprozentigen Fehlerfreiheit bei uneingeschränktem Bestätigungsvermerk und bei fehlenden Mängelanzeigen im Prüfungsbericht nicht realistisch. Zweitens sollten Änderungen im Prüfungsansatz vorgenommen und genutzt werden, um die erfüllbaren Teile der Erwartungen von Urteilsadressaten zu berücksichtigen. Entsprechend könnte, da eine Vollprüfung unter Zeit- und Kostenaspekten für eine „normale“ Jahresabschlussprüfung nicht in Frage kommt, mit gegenüber der üblichen Auswahlprüfung nur geringem Zeit- und Kostenmehraufwand die Qualität der Abschlussprüfung insofern verbessert werden, dass die bei forensischen Sonderuntersu34 35 36
Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1425. Vgl. Borcherding, A./Kleen, H., Behandlung von Unregelmäßigkeiten, 2005, S. 167 f. Zwar garantieren auch die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens den Jahresabschlussadressaten nicht die Fehlerfreiheit des geprüften Jahresabschlusses und des Lageberichts, aber durch die Verpflichtung des TUG bestätigen sie, dass Jahresabschluss und Lagebericht ein tatsächliches Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln. 37 Vgl. Rückle, D., GoA, 1996, S. 108. 38 Vgl. Terlinde, C., Aufdeckung von Bilanzmanipulationen, 2005, S. 74.
400
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
chungen am häufigsten vorkommenden wirtschaftskriminellen Handlungen vom Berufsstand (z.B. vom Hauptfachausschuss (HFA) des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW)) analysiert werden und die Methoden zu deren Aufdeckung als RegelPrüfungshandlungen jeder Abschlussprüfung vorgeschrieben werden.39 Absolute Sicherheit könnte ein Prüfer den Adressaten bzgl. einer Unterschleife nur mit einer sehr aufwändigen Vollprüfung gewährleisten. Um das bei Auswahlprüfungen verbleibende (nicht gänzlich auszuschließende) Risiko verbliebener Fehler deutlich zu machen, sind die Urteilsadressaten vom Berufsstand darüber aufzuklären, welche begrenzte Reichweite und welche begrenzten Möglichkeiten eine auf Stichprobenbasis zu fundierende Pflichtprüfung selbst bei Integration der wichtigsten forensischen Prüfungshandlungen nur bieten kann. Über die bisher besprochene Erwartungslücke hinaus wird vom Abschlussprüfer teilweise sogar fälschlich erwartet, dass er wirtschaftskriminelle Handlungen verhindert.40 Tatsächlich obliegt die Pflicht, wirtschaftskriminelle Handlungen zu verhindern, den Unternehmensorganen, nämlich dem Vorstand und dem Aufsichtsrat (ISA 240.13, IDW PS 210.8).41 Das Management trägt die Verantwortung dafür, dass die Geschäfte des Unternehmens und damit auch das Rechnungswesen in Übereinstimmung mit den herrschenden Gesetzen geführt werden und ein internes Kontrollsystem (IKS) eingerichtet wird, das geeignet ist, wirtschaftskriminelle Handlungen und einen Management-Override soweit wie möglich zu verhindern.42 Neben dem Vorstand trägt der Aufsichtsrat hierbei eine Mitverantwortung (§ 111 Abs. 1 AktG). Der Abschlussprüfer unterstützt Vorstand und Aufsichtsrat dabei, Unrichtigkeiten und Verstößen vorzubeugen (IDW PS 210.11) und hat zu prüfen, ob diese gesetzlich kodifizierten Präventivaufgaben vom Vorstand und vom Aufsichtsrat wahrgenommen werden und ob funktionsfähige interne Überwachungs- und Risikomanagementsysteme im zu prüfenden Unternehmen bestehen.43 Die Auffassung, dass nicht der Abschlussprüfer, sondern der Vorstand und der Aufsichtsrat primär die Verantwortung für die nach den herrschenden Gesetzen geführten Geschäfte tragen, wird gestützt durch die aktuelle Entwicklung der handelsrechtlichen Unternehmenspublizität. So verlangt das am 20.1.2007 in Kraft getretene Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG), dass der binnen 4 Monaten nach dem Bilanzstichtag von den gesetzlichen Vertretern der börsennotierten Gesellschaften zu veröffentlichende Jahresfinanzbericht neben dem geprüften Jahresabschluss und dem Lagebericht vor allem den Bilanzeid enthält (§§ 264 Abs. 2 Satz 3, 289 Abs. 1 Satz 5 HGB). Dieser Bilanzeid ist von den gesetzlichen Vertre39
40 41 42 43
Vgl. KPMG (Hrsg.), Transparenz und klare Regeln, 2002, S. 4. „Wenn die Wirtschaftsprüfer den Erwartungen der Investoren nicht gerecht werden können, müssen die Anleger darüber aufgeklärt werden, damit sie ihre Erwartungen senken“, so Rolf E. Breuer auf der Jahrestagung der Finance Foundation 2001 in Venedig, Italien. Vgl. Marten, K.-U./Quick, R./Ruhnke, K., Wirtschaftsprüfung, 2007, S. 423. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1424; Scheffler, E., Kann der Aufsichtsrat Bilanzdelikte verhindern?, 2005, S. 196-199. Vgl. Terlinde, C., Aufdeckung von Bilanzmanipulationen, 2005, S. 121. Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1425.
401
Baetge / Melcher
tern der Unternehmen zu leisten und hat die Versicherung zu enthalten, dass der vorgelegte Jahresfinanzbericht die tatsächlichen Verhältnisse der Vermögens-, Finanzund Ertragslage des Unternehmens wiedergibt. Eine zusätzliche Präventivwirkung bzgl. Fraud and Error dürfte auch das am 10.11.2006 in Kraft getretene Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) durch die geforderte Offenlegung der geprüften Jahresabschlüsse und Lageberichte aller Kapitalgesellschaften und Genossenschaften im elektronischen Bundesanzeiger binnen der ersten 12 Monate nach dem Bilanzstichtag (§ 325 Abs. 1 HGB) haben.
4.3
Abgrenzung der Jahresabschlussprüfung von der forensischen Sonderuntersuchung
Die forensische Sonderuntersuchung und die Jahresabschlussprüfung unterscheiden sich deutlich. Für die Ausführung der Jahresabschlussprüfung schreiben die Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung, die Prüfungsstandards des Instituts der Wirtschaftprüfer (IDW) und die Berufssatzung der Wirtschaftsprüferkammer (WPK) neben dem Prüfungsablauf vor allem eine professionelle Skepsis (professional scepticism) des Abschlussprüfers vor. So darf der Prüfer bei der Abschlussprüfung gegenüber dem Prüfungsstoff und gegenüber den Mitarbeitern des zu prüfenden Unternehmens nicht von einer prinzipiellen Fehlerfreiheit ausgehen. Vielmehr muss der Prüfer solange von Mängeln im Rechenwerk ausgehen, bis er genügend positive Prüfungsinformationen über die Fehlerfreiheit gesammelt hat, dass er von einer Verlässlichkeit der Daten des Rechnungswesens ausgehen kann/darf. Bei einigen der Bilanzskandale und Unternehmenskrisen scheinen die Abschlussprüfer in die Ordnungsmäßigkeit der Belege, Nachweise und Aufklärungen von vorneherein Vertrauen gehabt zu haben. Die Abschlussprüfer gingen in diesen Fällen bei ihrer Prüfung offenbar von der unzulässigen Nullhypothese aus, dass vom zu prüfenden Unternehmen ein gesetz- und regelkonformes Rechnungswesen und ein korrekt aufgestellter Jahresabschluss vorgelegt wurden. Dementsprechend wurden die Prüfungsplanung und der risikoorientierte Prüfungsansatz früher regelmäßig unter der Annahme eines prinzipiell ordnungsmäßigen Rechnungswesens ausgerichtet und keine zureichende professionelle Skepsis gegenüber dem Prüfungsobjekt zugrunde gelegt. Als Reaktion auf dieses offenbar zugrunde gelegte – aber nicht akzeptable - Vertrauensverhältnis wurde im IDW PS 210, der die Änderungen des ISA 240 (revised) reflektiert, noch einmal die unbedingt notwendige berufsübliche Skepsis des Abschlussprüfers (professional scepticism) und die kritische Grundhaltung gefordert und betont.44 Der Prüfer muss also zunächst von einem nicht-ordnungsmäßigen Rechenwerk ausgehen und solange prüfen, bis er durch viele positive Zwischenergebnisse seiner Auswahl44
402
Vgl. IDW, IDW PS 210, 2006, S. 1422.
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
Prüfungshandlungen vom Gegenteil überzeugt ist. Für die Abschlussprüfung bedeutet dies, dass der Umfang der Prüfungshandlungen bei konkreten Verdachtsmomenten oder bei negativen Prüfungs-Zwischenergebnissen ausgeweitet wird und weitere externe Quellen, Interviews unterhalb der Managementebene und Cross Checks in die ursprüngliche Prüfungsplanung aufgenommen werden.45 Forensische Sonderuntersuchungen werden grundsätzlich außerhalb der regulären Jahresabschlussprüfung vorgenommen. Verdachtsmomente liegen bereits vor, sie sind der Anlass für den forensischen Prüfungsauftrag und es sind wirtschaftskriminelle Handlungen und Gesetzesverstöße aufzuklären. Von dem forensischen Prüfer wird also eine absolut kritische Grundhaltung verlangt. Der Mandant will keinen risikoorientierten Prüfungsansatz, der einen Kompromiss zwischen hinreichender Sicherheit des Prüfungsurteils und möglichst geringen Prüfungskosten darstellt, sondern er benötigt ein eindeutiges und gerichtsverwertbares Prüfungsergebnis.46 Für eine gerichtsverwertbare Beweissicherung ist regelmäßig eine Vollprüfung erforderlich. Diese soll entweder Inkonsistenzen aufdecken oder Geschäftsbeziehungen überprüfen und kommt einer detektivischen Arbeitsweise sehr nahe.47 Dass für diese Art von Prüfungen spezifische Instrumente wie Software (ACL, IDEA, i2, oder Watson48), Benfords Gesetz49 oder künstliche neuronale Netze (KNN)50 einzusetzen sind, die in der klassischen Jahresabschlussprüfung bisher selten verwendet werden, liegt auf der Hand.51 Die gerade benannten Beispiels-Instrumente eignen sich aber, schnell und kostengünstig große digitale Datenbestände auf Inkonsistenzen zu prüfen, bzw. mögliche Risiken zu identifizieren und sind insofern auch für die Abschlussprüfung sehr geeignet. Für die Jahresabschlussprüfung ist festzuhalten, dass bereits seit den 1980er Jahren anerkannt ist, dass in der Jahresabschlussprüfung forensische Aspekte und Prüfungsmethoden zu berücksichtigen sind.52 Dazu zählen vor allem die Verwendung von Red Flag-Checklisten53, die Berücksichtigung ungewöhnlicher und unerwarteter Verhältnisse, die Verwendung von statistischen kaskadierten Logit-Modellen und KNN ebenso die kritische Analyse von Bilanzkennzahlen (analytische Prüfungshandlungen) und 45 46 47 48
49 50 51 52 53
Vgl. Ruhnke, K./Schwind, J., Fraud in der Jahresabschlussprüfung, 2006, S. 735. Vgl. Borcherding, A./Kleen, H., Behandlung von Unregelmäßigkeiten, 2005, S. 173 f. Vgl. dazu auch Odenthal, R., Kriminalität am Arbeitsplatz, 2005, S. 81-144. Bei ACL (Audit Command Language) und IDEA (Interactive Data Extraction and Analysis) handelt es sich um kanadische Prüfsoftware, die auch von der Internen Revision verwendet wird. I2 und Watson dienen dazu Cross Checks durchzuführen und komplexe Beziehungssysteme grafisch darzustellen. So können Zusammenhänge hergestellt werden, um kriminelle Handlungen zu verdeutlichen. Vgl. Mochty, L., Die Aufdeckung von Manipulationen des Rechnungswesen, 2002, S. 725 f.; Quick, R./Wolz, M., Benfords Law, 2003, S. 208 f. Vgl. Baetge, J./Kirsch, H.-J./Thiele, S., Bilanzanalyse, 2004, S. 552 - 583. Vgl. Borcherding, A./Kleen, H., Behandlung von Unregelmäßigkeiten, 2005, S. 170 f. Vgl. Borcherding, A./Kleen, H., Behandlung von Unregelmäßigkeiten, 2005, S. 181. Red-Flag-Checklisten enthalten Risikoindikatoren, die Hinweise auf Bilanzmanipulationen geben sollen. Damit soll die Aufmerksamkeit des Abschlussprüfers auf mögliche Manipulationsfälle gelenkt werden.
403
Baetge / Melcher
Interviews mit Mitarbeitern unterhalb der Managementebene.54 Um ein bestimmtes Mindestmaß an forensischen Prüfungshandlungen in den Prozess der „normalen“ Abschlussprüfung zu integrieren, wurden in den IDW PS 210 Indizien für mögliche wirtschaftskriminelle Handlungen aufgenommen (IDW PS 210.35 - 39), die eine gewisse Ausweitung des Prüfungsumfangs erforderlich machen.
5
Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung (GoA)
5.1
Begriff, Rechtsnatur und System der GoA
Die Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung (GoA) sind ein System überindividueller Normen zur Sicherung der Vertrauenswürdigkeit des prüferischen Urteils unter der Nebenbedingung der Wirtschaftlichkeit des Urteilsbildungsprozesses. Durch die GoA soll das Verhalten des Abschlussprüfers gesteuert werden.55 Die GoA geben dem Abschlussprüfer allgemein vor, wie er die Abschlussprüfung durchzuführen hat. Da § 317 HGB den (Stichproben)-Umfang der Abschlussprüfung nicht konkretisiert, sind allgemein gültige Regeln erforderlich, die den gesetzlich gesteckten Rahmen der Abschlussprüfung ausfüllen.56 Diese Vorgaben für den Abschlussprüfer lassen sich damit in gesetzliche und berufsrechtliche Vorgaben unterscheiden.57 Auch diese Vorgaben reichen indes nicht aus, um den Prüfungsauftrag für die gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfung im Einzelnen zu konkretisieren. Dies geschieht durch Auslegung und Interpretation der in den Vorschriften verwendeten „unbestimmten Rechtsbegriffe“58, die den aktuellen Ent54
55 56 57
58
404
Vgl. IDW (2004), ISA 240, Anhang 1-3; Ruhnke, K./Schwind, J., Fraud in der Jahresabschlussprüfung, 2006, S. 736 f.; Terlinde, C., Aufdeckung von Bilanzmanipulationen, 2005, S. 258-283; Sprick, A., Prüfungshandlungen, 2006, S. 94. Vgl. Leffson, U., Wirtschaftsprüfung, 1988, S. 101. Vgl. Baetge, J./Fischer, T. R., § 317 HGB, 1990, Rn. 22; Sell, K., Aufdeckung von Bilanzdelikten, 1999, S. 51. Die gesetzlichen Vorgaben sind kodifiziert in § 317 HGB i.V.m. §§ 264 Abs. 2, 316 - 319, 321 323 HGB, § 43 WPO und § 203 StGB und werden ergänzt durch die berufsrechtlichen Vorgaben gemäß IDW PS 200, 210, 240, IDW EPS 255, IDW PS 261, 360, 400, IDW EPS 450, 470 und FG 1/1937 i.d.F. 1990. Der Terminus “unbestimmter Rechtsbegriff” stammt aus dem Verwaltungsrecht und bezeichnet Begriffe innerhalb behördlicher, gesetzlicher oder sonstiger Rechtsquellen (z.B. GoA), die aus sprachlicher Sicht keinen eindeutigen Inhalt haben. Erst durch die Auslegung
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
wicklungen und neuen Erkenntnissen flexibel angepasst werden können. So sind die GoA ohne aufwendige Gesetzesänderungen zu modifizieren. Zwar besitzen die GoA das Manko der fehlenden gesetzlichen Verbindlichkeit, aber diese kann sowohl durch ethische und moralische Verpflichtungen für die Prüfer als auch durch die gesetzliche oder vertragliche Haftung des Prüfers oder durch Maßnahmen der Berufsaufsicht sichergestellt werden.59 Die zunächst als nachteilig erscheinende Tatsache, dass den GoA die gesetzliche Verbindlichkeit fehlt, kommt letztlich unserem Anliegen entgegen, dass aktuelle Erkenntnisse und erfolgversprechende Prüfungsmethoden, die sich aus forensischen Sonderuntersuchungen in die Abschlussprüfung übernehmen lassen, in die Prüfungsprozesse der Abschlussprüfung integriert werden können.
5.2
Ermittlungsmethoden der GoA
Zur Gewinnung von GoA lassen sich die deduktive, die induktive und die hermeneutische Ermittlungsmethode unterscheiden. Bei der deduktiven Methode werden GoA durch „Nachdenken“ aus den Zwecken der Abschlussprüfung gewonnen. Dazu werden spezielle Prüfungsregelungen daraufhin untersucht, ob sie mit den gesetzlichen Vorschriften zur Jahresabschlussprüfung vereinbar sind. Es wird also von den (gesetzlichen) Zielen bzw. den Zwecken der Jahresabschlussprüfung auf die Mittel geschlossen, die dazu beitragen, die gewünschten Ziele zu erreichen.60 Gemäß der induktiven Ermittlungsmethode werden GoA aus der in der Praxis festzustellenden best practice generiert.61 Dazu wird das als vorbildlich zu bezeichnende Prüfverhalten von Abschlussprüfern empirisch-statistisch erhoben. Allerdings ist die induktive Methode vor allem bei neuartigen Prüfungsfragen nicht anwendbar, weil die Prüfer noch nicht über die nötigen Erfahrungswerte verfügen.62 Nach der hermeneutischen Ermittlungsmethode werden die gesetzlich gewollten Zwecke und die getroffenen Wertungen der Abschlussprüfer nachvollzogen und die GoA „abgeleitet“. Bei der hermeneutischen Methode werden die Ansichten des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer und die Ansichten der Jahresabschluss- und Prü-
59
60 61 62
gewinnt der „unbestimmte Rechtsbegriff“ an Trennschärfe. Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe sind die Begriffe „angemessen“, ordnungsgemäß“ oder „ordnungsmäßig“. Vgl. Rückle, D., GoA, 1996, S. 119 f. So kann der Abschlussprüfer schadenersatzpflichtig werden, wenn er bei der Durchführung der Jahresabschlussprüfung den Empfehlungen des IDW (den GoA) nicht gefolgt ist. Vgl. Rückle, D., Die GoA, 2002, Sp. 1031. Vgl. Wüstemann, J., Wirtschaftsprüfung, 2005, S. 21. Vgl. Wüstemann, J., Wirtschaftsprüfung, 2005, S. 21.
405
Baetge / Melcher
fungsberichtsadressaten simultan berücksichtigt und damit werden sowohl die induktive als auch die deduktive Ermittlungsmethode angewendet.63
5.3
GoA auch für Unterschlagungsfälle?
Nach der kurzen Skizzierung der drei wesentlichen Ermittlungsmethoden von GoA kommen wir zu dem Schluss, dass sich die hermeneutische Ermittlungsmethode für unser Anliegen, aus den Erkenntnissen von forensischen Sonderuntersuchungen Konsequenzen für die Abschlussprüfung zu ziehen und die GoA und deren Interpretation entsprechend anzupassen, am besten geeignet sind, um die Erwartungslücke bzgl. Fraud and Error zumindest zu verringern. Da die GoA ergänzend zu den gesetzlichen Regelungen und zu den Prüfungsstandards des IDW und der Berufssatzung der WPK sehr flexibel an aktuelle Sachverhalte, z.B. an das immer häufigere Auftreten von bestimmten Bilanzdelikten, angepasst werden können, sind sie ein geeignetes Instrument, um die Erwartungslücke, die bzgl. der Aufdeckung von Fraud and Error durch den Abschlussprüfer in der Öffentlichkeit und bei den Jahresabschlussadressaten besteht, zu verringern. Ausgehend vom Zweck der Abschlussprüfung, nämlich mit hinreichender Sicherheit und Genauigkeit ein vertrauenswürdiges Prüfungsurteil abzugeben, müssen die Abschlussprüfer die ihnen bekannten am häufigsten vorkommenden Arten von wirtschaftskriminellen Handlungen bei der Prüfung der Jahresabschlüsse berücksichtigen. Damit bleibt der eigentliche Zweck der Jahresabschlussprüfung unverändert, aber die Herangehensweise und die Grundhaltung des Jahresabschlussprüfers muss deutlich durch die kritische Grundhaltung (professional skepticism) bei negativen Teilprüfungsergebnissen und bei vorliegenden Verdachtsmomenten durch ausgesprochenes Misstrauen geprägt sein. Diese kritische Grundhaltung ist vor allem bzgl. möglicher Fehler und Unrichtigkeiten im Jahresabschluss zu wahren. In diesem Sinne wurden sowohl im ISA 240 als auch im IDW PS 210 Überlegungen zur Aufdeckung von wirtschaftskriminellen Handlungen berücksichtigt und durch die Anhänge 1-3 im ISA 240 (revised) bzw. durch die Nennung möglicher Indizien für das Vorliegen von wirtschaftskriminellen Handlungen im IDW PS 210 konkretisiert.64 Diese Überlegungen und Erkenntnisse stammen aus den Erkenntnissen von forensischen Sonderuntersuchungen und aus publik gewordenen Bilanzskandalen und Korruptionsaffären. Aufbauend auf dem bisherigen Stand des IDW PS 210 sollten u.E. mindestens jährlich, bspw. durch eine Erhebung, die am häufigsten vorkommenden Arten von Delikten 63 64
406
Vgl. Baetge, J./Fischer, T. R., § 317 HGB, 1990, Rn. 23. Vgl. IDW, ISA 240, 2004, Anhang 1-3; IDW PS 210.35.
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
und die Delikte mit den größten Schadenshöhen ermittelt werden, um diese als aufdeckungspflichtig in den GoA zu berücksichtigen. Hierbei sollten auch die den wirtschaftskriminellen Handlungen zugrunde liegenden Methoden und die Möglichkeiten zu ihrer Aufdeckung berücksichtigt werden. Zwar kann nicht jeder einzelne Sachverhalt aufgedeckt werden, doch lassen sich die wichtigsten Methoden und Schwachstellen in den Unternehmen durch entsprechende Prüfungsmethoden identifizieren. Da wirtschaftskriminelle Handlungen indes nicht nur Verstöße gegen das Bilanzrecht, sondern auch sonstige Gesetzesverstöße umfassen, ist u.E. die Jahresabschlussprüfung auch im Hinblick auf die Prüfung der unternehmensinternen Kontrollorgane zu intensivieren. Dies ist wichtig, da die Kompetenz zur Aufdeckung von sonstigen Gesetzesverstößen nicht vom Abschlussprüfer allein erwartet werden kann. Entsprechend sollte in diesem Zusammenhang das Interne Kontrollsystem (IKS), die interne Revision und das Risikofrüherkennungssystem (§ 91 Abs. 2 AktG) besonders gewissenhaft geprüft werden, weil Mängel in diesen Systemen häufige Ursachen für Unterschleife sind.65 Zu diesem Zweck sind die GoA (nicht nur) im Hinblick auf Bilanzrechtsverstöße bei entsprechenden Anlässen zu aktualisieren. Dabei ist die Aktualität der Prüfungsstandards für die Prüfung der unternehmensinternen Kontrollorgane besonders wichtig. Dies erfordert, dass die Prüfungsstandards über den IDW PS 210 hinaus potenzielle wirtschaftskriminelle Handlungen berücksichtigen. Schließlich bieten die GoA, trotz der fehlenden gesetzlichen Verbindlichkeit, dem Abschlussprüfer die Grundlagen für seine Beweisführung in möglichen Haftungsund Schadenersatzprozessen. Der Abschlussprüfer darf, wenn er die Abschlussprüfung Gesetzes- und GoA-konform und mit der geforderten kritischen Grundhaltung durchgeführt und dabei keine wesentlichen Fehler festgestellt hat, mit hinreichender Sicherheit von der Richtigkeit der ihm vorgelegten Unterlagen ausgehen. Ein verbleibendes Restrisiko für die Nichtaufdeckung von Fraud and Error ist dann lediglich der Tatsache zuzuschreiben, dass die Abschlussprüfung keine Vollprüfung sein kann.
6
Epilog
Wie gezeigt, kann die Qualität der stichtagsbezogenen und risikoorientierten Abschlussprüfung - wegen des Anspruchs auf effiziente Prüfungsdurchführung - keiner Vollprüfung gleichkommen. Wirtschaftkriminelle Handlungen wurden früher meist durch Zufälle und/oder durch forensische Sonderuntersuchungen aufgedeckt, da 65
Vgl. Baetge, J./Fischer, T. R., § 317 HGB, 1990, Rn. 27; Rückle, D., Aufgaben des Aufsichtsrates, 2007, S. 435 f.
407
Baetge / Melcher
diese, im Gegensatz zur Abschlussprüfung, nicht unter der Restriktion begrenzter Prüfungs-Budgets durchgeführt werden. Die bei den Abschlussprüfungen der Vergangenheit aufgetretene Erwartungslücke bzgl. der Aufdeckung von Fehlern und Unrichtigkeiten (fraud and error) durch den Abschlussprüfer lässt sich verringern, wenn die Erkenntnisse aus forensischen Sonderuntersuchungen und den publik gewordenen Bilanzskandalen und Korruptionsaffären die am häufigsten festgestellten Handlungsmuster und die Methoden der Täter ermittelt werden und die Prüfungsmethodik bei der regulären Abschlussprüfung darauf ausgerichtet wird, die wesentlichsten Mängel dieser Art aufzudecken. Diese Erkenntnisse sind bei künftigen Abschlussprüfungen zu berücksichtigen. Da sich in der öffentlichen Wahrnehmung bzgl. der Qualität und der Leistungsfähigkeit der Jahresabschlussprüfung eine sog. Erwartungslücke herausgebildet hatte, war zu klären, wie diese bestmöglich verringert werden kann. Damit stellte sich die Frage, wie die Qualität der Abschlussprüfung in dieser Hinsicht verbessert werden kann. Da Änderungen der gesetzlichen Regelungen nur langsam realisiert werden können, bieten sich Änderungen bzw. Anpassungen der GoA zur schnelleren Qualitätsverbesserung der Abschlussprüfung an, da in die GoA geeignete Prüfungshandlungen zur Aufdeckung von Fraud and Error integriert werden können. Bspw. könnte mittels einer ABC-Analyse jährlich festgestellt werden, welche wirtschaftskriminellen Handlungen am häufigsten vorkommen und welche Täterprofile, Handlungsmuster und Methoden diesen wirtschaftskriminellen Handlungen zugrunde liegen. Diese Informationen zur Aufdeckung der häufigsten wirtschaftskriminellen Handlungen sollten anschließend bei der Neufassung der Prüfungsstandards verarbeitet werden. Wenn die Prüfungsstandards, wie von uns gefordert, bei neuen Erkenntnissen, z.B. zur Verringerung von Erwartungslücken, aktualisiert werden und die Abschlussprüfer diese Aktualisierungen berücksichtigen, wird sich die Aufdeckungsquote wirtschaftskrimineller Handlungen signifikant verbessern. Die Konkretisierungen bzw. die Verbesserungen der Prüfungsstandards tragen dazu bei, alle Abschlussprüfer für das Thema „Wirtschaftskriminalität“ zu sensibilisieren. Bei der Abschlussprüfung sollte insgesamt mehr Wert auf die Prüfung des IKS, der internen Revision und der Risikomanagement- und Frühaufklärungssysteme (§ 91 Abs. 2 AktG) gelegt werden, denn nur wenn das Unternehmen gegen wirtschaftskriminelle Handlungen durch solche Systeme vorab gewappnet ist und nicht erst auf Unterschleife reagiert, kann vermieden werden, dass Gelegenheiten zur Unterschleife genutzt werden. Außerdem sollten die Prüfungserkenntnisse bei Vorliegen schwacher IKS und unzureichender Risikomanagement- und Frühaufklärungssysteme, genau wie die Erkenntnisse aus den aktuellen forensischen Sonderuntersuchungen, in die Prüfungsstandards eingearbeitet werden.
408
Erkenntnisse aus forensischen Prüfungen für die Jahresabschlussprüfung
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411
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Döring Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungswesen und Steuerlehre, Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Lüneburg Scharnhorststraße 1, 21335 Lüneburg Dipl. Kfm. Oliver Obermann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Rechnungswesen und Steuerlehre, Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Lüneburg Scharnhorststraße 1, 21335 Lüneburg
1
Einleitung ........................................................................................................................ 415
2
Zielsystem, Zielgrößen und Instrumente der Rechnungslegungspolitik ............... 416 2.1 Rechnungslegungspolitisches Zielsystem ......................................................... 416 2.2 Rechnungslegungspolitische Zielgrößen ........................................................... 418 2.3 Rechnungslegungspolitische Instrumente......................................................... 420
3
Wirkungsweise rechnungslegungspolitischer Maßnahmen..................................... 422 3.1 Primärwirkungen.................................................................................................. 422 3.2 Sekundärwirkungen ............................................................................................. 423 3.3 Beispielhafte Abbildung der Wirkungsweise ausgewählter rechnungslegungspolitischer Maßnahmen................................................................. 425 3.3.1 Grundlegende Annahmen....................................................................... 425 3.3.2 Ermessensentscheidung bei der Bewertung von Rückstellungen...... 426 3.3.3 Wahlrechte bei der Bewertung von Vorräten........................................ 428
4 Schlussfolgerungen hinsichtlich der Auswirkungen auf rechnungslegungspolitische Zielsetzungen ........................................................................................ 429 5
Fazit.................................................................................................................................. 433
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 434
413
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
1
Einleitung
Externe Interessengruppen einer Unternehmung haben das Problem, dass sie im Gegensatz zum Management bei ihren Entscheidungen in der Regel nicht über umfassendes Wissen hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens verfügen. Diese Informationsasymmetrie zwischen der Unternehmensleitung und den externen Interessengruppen soll durch die Rechnungslegung, d.h. durch die transparente Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens mittels finanzieller Abbildung, abgebaut werden. Als wesentliche Rechenschafts- und Informationsinstrumente finden hierbei der Jahresabschluss und der Lagebericht bzw. Konzernabschluss und Konzernlagebericht Anwendung. Die Rechnungslegungsvorschriften sind dabei abstrakt verfasst, um eine allgemeine Anwendbarkeit zu ermöglichen. Der Preis, der für die abstrakten Regelungen gezahlt werden muss, sind fehlende oder unscharfe Regelungen, Ermessensregelungen und die notwendige Einräumung von expliziten Wahlrechten. Als Folge davon ergeben sich Gestaltungsspielräume für den Informationsgeber (das bilanzierende Unternehmen). Werden diese Gestaltungsmöglichkeiten zur bewussten Beeinflussung der Informationsempfänger (externen Interessengruppen) ausgenutzt, um diese zu Entscheidungen zu veranlassen, die den Zielsetzungen der Unternehmensleitung entsprechen, wird von Rechnungslegungspolitik1 gesprochen.2 Hierbei nutzt die Unternehmensleitung die vorhandene Informationsasymmetrie aus, mit dem Ziel, die Informationen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften in ihrem Sinne zu modifizieren. Die externen Interessengruppen haben hingegen für ihre Entscheidungsfindung nur die vom Unternehmen veröffentlichten Daten zur Verfügung und keine darüber hinausgehenden Einsichtsrechte.3 Die Adressaten bedienen sich daher zur Aufbereitung dieser Daten der Bilanzanalyse. Die Bilanzanalyse steht somit vor der schwierigen Aufgabe die Rechnungslegungsinformationen so zu strukturieren und aufzubereiten, dass sie Aufschluss über die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Unternehmens geben. Um dieses Themenfeld hat sich Lachnit in Forschung und Lehre durch seine zahlreichen Veröffentlichungen besonders verdient gemacht.4 Trotz der Möglichkeit der Bilanzanalyse bleiben die vom Unternehmen veröffentlichten Informationen die wichtigste Entscheidungsgrundlage der Interessengruppen. Damit jedoch eine zielgerichtete Modifikation der Rechnungslegungsinformationen von Seiten des Unternehmens erfolgen kann, muss es die von den Interessengruppen zugrunde gelegten Entscheidungs- bzw. Zielgrößen kennen. Hat der Informationsgeber die Möglichkeit, die Entscheidungsgrößen der jeweiligen Interessengruppen mit 1 2 3 4
Die Begriffe Bilanz-, Jahresabschluss- und Rechnungspolitik werden teilweise synonym verwendet, vgl. Sieben, G., Rechnungslegungspolitik, 1998, S. 5. Vgl. Lachnit, L., Bilanzanalyse, 2004, S. 61. Vgl. Vollmuth, H. J., Bilanzen, 1997, S. 18. Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Lachnit, L., Bilanzanalyse, 2004; Lachnit, L./Müller, S., Rechnungslegung und Ratingsysteme, 2005.
415
Döring / Obermann
hinreichender Sicherheit zu bestimmen, kann er durch die Ausnutzung der Gestaltungsspielräume innerhalb der Rechnungslegungsvorschriften bzw. realer Sachverhaltsgestaltung (rechnungslegungspolitisches Instrumentarium) die Größen in seinem Sinne beeinflussen. Bei dem Einsatz des rechnungslegungspolitischen Instrumentariums muss der Informationsgeber jedoch die Wirkungsweise der einzelnen Maßnahmen auf die relevanten Zielgrößen genau analysieren. Denn sowohl die Außerachtlassung wichtiger Zielgrößen als auch die Nichtbeachtung später eintretender Umkehrwirkungen der Maßnahmen können zu einem Pyrrhussieg führen. Im vorliegenden Beitrag wird aufgezeigt, inwieweit bei rechnungslegungspolitischen Maßnahmen Primär- und Sekundärwirkungen auftreten und welchen Einfluss diese Wirkungen auf das Erreichen von rechnungslegungspolitischen Zielsetzungen des Unternehmens haben können. Dazu werden in einem ersten Schritt das Zielsystem, die Zielgrößen und das rechnungslegungspolitische Instrumentarium herausgearbeitet. Anschließend werden im Rahmen der Wirkungsanalyse die Primär- und Sekundäreffekte rechnungslegungspolitischer Maßnahmen erläutert und anhand zweier ausgewählter Maßnahmen veranschaulicht. Im vierten Abschnitt werden anschließend die Auswirkungen auf die rechnungslegungspolitischen Zielsetzungen diskutiert und Schlussfolgerungen zum Einsatz des Instrumentariums abgeleitet.
2
Zielsystem, Zielgrößen und Instrumente der Rechnungslegungspolitik
2.1
Rechnungslegungspolitisches Zielsystem
Die Rechnungslegungspolitik stellt neben den realwirtschaftlichen Entscheidungen in den Bereichen Beschaffung, Produktion, Absatz, Investition und Finanzierung einen Teilbereich der Unternehmenspolitik dar. Die Unternehmenspolitik koordiniert die genannten Segmente mit Ausrichtung auf die Erreichung der Unternehmensziele, wobei das Oberziel eines Unternehmens in der Regel die langfristige Gewinnmaximierung ist. Die Rechnungslegungspolitik ist als derivative Partialpolitik anderen Teilpolitiken untergeordnet. Ihre Ziele werden grundsätzlich aus den Vorgaben der Finanzund Publizitätspolitik (bzw. Informationspolitik) abgeleitet.5
5
416
Vgl. Heinhold, M., Bilanzpolitik, 1984a, S. 389; Freidank, C.-Chr., Rechnungslegungspolitik, 1990, S. 7 f.; Nobach, K., Bilanzpolitik, 2006, S. 165 f.; Tanski, J. S., Bilanzpolitik, 2006, S. 3 f.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
Die Aufgabe der Finanzpolitik besteht in der bestmöglichen Koordination der Zahlungsströme des Unternehmens. Insbesondere soll die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens sichergestellt werden. Dabei gewinnen die Steuer- und Ausschüttungspolitik, als Unterkategorien der Finanzpolitik, häufig einen dominierenden Einfluss auf die Rechnungslegungspolitik. Zielsetzungen aus diesen Bereichen können beispielsweise die Steuerbarwertminimierung oder die Verringerung der Ausschüttungsquote sein. Die Publizitätspolitik beinhaltet die Darstellung des Unternehmens in Hinblick auf den Stand und die Entwicklung der Wirtschaftlichkeit, Liquidität, Kapitalstruktur, sozialen Leistungen etc.6 Die Adressaten sollen über das Unternehmen und dessen wirtschaftliche Aktivitäten zielgerichtet informiert werden. Als rechnungslegungspolitische Zielsetzungen können in erster Linie Sicherung und Akquirierung von externen Finanzierungsmöglichkeiten genannt werden. Zielsetzung kann aber auch die Schaffung eines arbeitnehmer- und umweltfreundlichen Bildes des Unternehmens in der öffentlichen Wahrnehmung sein, um einen verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt oder eine höhere Akzeptanz der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Unternehmens zu erreichen. Neben den aus der Unternehmenspolitik abgeleiteten Zielen sind auch die Individualziele der Entscheidungsträger der Rechnungslegungspolitik zu berücksichtigen. Entscheidungsträger rechnungslegungspolitischer Maßnahmen ist in erster Linie die Unternehmensleitung,7 der die Pflicht obliegt, den Jahresabschluss aufzustellen (§§ 242 Abs. 1 S. 1, 264 Abs. 1 S. 1 HGB). Während die Individualziele der Unternehmensleitung bei eigentümergeführten Unternehmen mit den Unternehmenszielen grundsätzlich deckungsgleich sind, kann es bei managementgeführten Unternehmen zu Abweichungen kommen. Diese resultieren aus der persönlichen Nutzenmaximierung des Managements. Insbesondere wenn die Bezüge des Managements von der Höhe des gegenwärtig ausgewiesenen Gewinns abhängen, wird es versuchen, möglichst positive Ergebnisse auszuweisen.8 Aber auch Arbeitsplatzsicherung oder Machtund Prestigestreben können individuelle Zielsetzungen des Managements sein.9 Werden die einzelnen Zielsetzungen im Rahmen der Rechnungslegungspolitik einander gegenüber gestellt, wird ersichtlich, dass es zu Zielkonflikten kommen kann. Ein in der Literatur häufig genanntes Beispiel ist der Konflikt zwischen dem in der Steuerpolitik dominierenden Wunsch der Erfolgsnachverlagerung und dem Interesse der Erfolgsvorverlagerung zur Erfüllung der Ansprüche der Manager und Kleinaktionä-
6 7
8 9
Vgl. Wöhe, G., Bilanzpolitik, 1997, S. 688. Darüber hinaus können auch unterhalb der Unternehmensleitung stehende Personen mittels rechnungslegungspolitischer Maßnahmen Einfluss auf die Rechnungslegung des Unternehmens nehmen. Vgl. Küting, K., Bilanzpolitik und Bilanzanalyse, 1996, S. 936. Vgl. Reibis, Chr., Rechnungslegungspolitik, 2005, S. 23; Gaber, Chr., Bilanzpolitik, 2004, S. 340 f.; Hofmann, Chr., Bilanzielle Darstellungsspielräume, 2004, S. 137-171. Vgl. Freidank, C.-Chr., Rechnungslegungspolitik, 1990, S. 15.
417
Döring / Obermann
re.10 Teilweise kommt es aber auch zu Zielidentitäten, wenn z.B. ein stabiler Gewinnausweis angestrebt wird, um Fremdkapitalgeber anzuwerben bzw. für eine positive Beurteilung des Managements zu sorgen. Um die Konflikte bei den Zielsetzungen zu lösen, müssen Zielprioritäten aufgestellt werden.11 Dies verlangt jedoch eine Vernachlässigung untergeordneter Ziele. Alternativ könnte auch versucht werden, die unterschiedlichen Zielsetzungen jeweils soweit zu verfolgen, dass der gesamte Nutzengewinn aus der Rechnungslegungspolitik für das Unternehmen bzw. Management maximiert wird. Dies dürfte jedoch ein schwieriges Unterfangen sein, da die rechnungslegungspolitischen Wirkungen auf die Adressaten – zumindest hinsichtlich des Umfangs der Auswirkung – mit Unsicherheiten behaftet sind.12 Beispielsweise kann der Erfolg einer rechnungslegungspolitischen Maßnahme zur Verbesserung des Bankenratings des Unternehmens und der damit vermeintlich einhergehenden Zinssatzsenkung im Voraus nur schwer abgeschätzt werden.13 Daher können zwar die Entscheidungsgrößen der Adressaten analysiert werden, die Auswirkungen der rechnungslegungspolitischen Maßnahmen bleiben, mit Ausnahme der Steuerpolitik, in der Regel jedoch ungewiss.14 Weiterhin ist zu beachten, dass die von der Rechnungslegungspolitik verfolgten Zielsetzungen unterschiedliche zeitliche Horizonte haben. So könnte der Wunsch zur Verbesserung der Beurteilung durch die Fremdkapitalgeber aus einem einmaligen Finanzierungsbedarf aufgrund von Kapazitätserweiterung resultieren. Liegt dann die entsprechende Finanzierung vor, tritt diese Zielsetzung in den Hintergrund.
2.2
Rechnungslegungspolitische Zielgrößen
Rechnungslegungspolitische Maßnahmen dienen dem Zweck, die Entscheidungen der Adressaten zu beeinflussen. Daher muss sich die Rechnungslegungspolitik zur Zielerreichung an den Entscheidungsgrößen der Adressaten ausrichten.15 Diese Entscheidungsgrößen stellen für die Rechnungslegungspolitik die zu beeinflussenden Zielgrößen dar. Zur Systematisierung der Adressaten bietet sich eine Klassifizierung nach deren Interessen und den daraus resultierenden Informationsbedürfnissen an. Die Interessen leiten sich dabei aus den Bindungen der Adressaten zum Unternehmen ab. 10 11 12
13 14 15
418
Vgl. Packmohr, A., Bilanzpolitik und Bilanzmanagement, 1984, S. 2; Freidank, C.-Chr., Rechnungslegungspolitik, 1998, S. 101; Hilke, W., Bilanzpolitik, 2002, S. 12. Vgl. Wöhe, G., Bilanzpolitik, 1997, S. 691; Pfleger, G., Bilanzpolitik, 1991, S. 27; Peemöller, V. H., Bilanzanalyse und Bilanzpolitik, 2003, S. 175. Dies dürfte wohl dazu führen, dass die Maßnahmen zur Ergebnisglättung in der Praxis grundsätzlich präferiert werden. Vgl. Scheffler, W., Bilanzplanung, 2002, S. 188; Packmohr, A., Gewinnglättungsverhalten, 1998, S. 508; Bieg, H./Kußmaul, H., Rechnungswesen, 2003, S. 225. Vgl. Henselmann, K./Leischel, K., Rating, 2006, S. 49. Zur Kapitalmarktrelevanz vgl. Lindemann, J., Rechnungslegung, 2006, S. 967-1003 m.w.N. Vgl. Küting, K./Weber, C.-P., Bilanzanalyse, 2004, S. 410.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
Zu den Adressaten, die bei ihren Entscheidungen primär auf erfolgsbezogene Größen (gegenwärtige und zukünftige Ertragslage) abstellen, zählen u.a. die Gesellschafter bzw. Investoren des Unternehmens sowie die Finanzbehörden. Diese Gruppe hat die Gemeinsamkeit, dass sie direkt oder indirekt am Erfolg des Unternehmens teilhaben. Die Aktionäre interessiert beispielsweise das Dividenden- und Kursentwicklungspotential des Unternehmens, um die Entscheidungen über Kaufen, Verkaufen oder Halten der Aktien des Unternehmens treffen zu können. Hingegen haben Banken, Lieferanten, Kunden und die weiteren Gläubiger eines Unternehmens in erster Linie ein Interesse an der planmäßigen Leistungserfüllung der mit dem Unternehmen geschlossenen Verträge. Eine Bank wird daher die Rechnungslegungsinformationen in der Regel zunächst dahingehend auswerten, ob die vertraglich fixierten Zins- und Tilgungszahlungen geleistet werden können. Als relevante Zielgrößen kommen somit u.a. die Rentabilität, die Eigenkapitalausstattung (als Verlustauffangpotential) und der Liquiditätsstatus in Frage.16 Die weiteren Adressatengruppen von Rechnungslegungsinformationen haben keine unmittelbaren (vertraglichen) Beziehungen zu dem Unternehmen, können jedoch Einfluss auf dessen Tätigkeiten und Entwicklungen haben. In diese Gruppe fallen u.a. Konkurrenzunternehmen und die Öffentlichkeit. Die Konkurrenzunternehmen möchten aus den Rechnungslegungsinformationen Rückschlüsse auf die gegenwärtige und künftige Strategie des Unternehmens ziehen, um ggf. eine Anpassung der eigenen Strategien vorzunehmen. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist hingegen vielfältiger. Im Mittelpunkt stehen im Allgemeinen die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Arbeitsplatzsituation, die Umweltbelastung sowie auf die wirtschaftliche und damit auch finanzielle Lage bestimmter Regionen.17 Die Gruppe der Meinungsbildner (Finanzanalysten, Anlageberater oder Ratingagenturen u.a.) dienen den anderen Adressatengruppen als vorgeschobene Institutionen. Ihr Informationsinteresse leitet sich aus dem Informationsinteresse der Gruppe ab, für die sie eine Untersuchung durchführen bzw. eine Handlungsempfehlung aussprechen. Da die Gruppe der Meinungsbildner für eine Vielzahl von Unternehmensexternen beratend tätig ist, hat ihre Beeinflussung die Wirkung eines Multiplikators. Dies resultiert insbesondere daraus, dass sich viele Marktteilnehmer aufgrund der steigenden Marktkomplexität überfordert fühlen und daher auf die gebündelten Informationen der Meinungsbildner zurückgreifen.18
16
Beim Bankenrating können eine Vielzahl von Kennzahlen zur Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zum Einsatz kommen, vgl. Schüller, R., Finanzrating, 2007, S. 82-94. 17 Vgl. Clemm, H., Bilanzpolitik, 1989, S. 360. 18 Vgl. Reibis, Chr., Rechnungslegungspolitik, 2005, S. 15 m.w.N.
419
Döring / Obermann
2.3
Rechnungslegungspolitische Instrumente
Die rechnungslegungspolitischen Instrumente, die zur Erreichung der Zielsetzungen eingesetzt werden können, lassen sich klassischerweise in die Gruppen institutionelle, formelle und materielle Mittel unterteilen.19 Unter institutionellen Mitteln bzw. zeitlichen Mitteln werden Maßnahmen verstanden, die grundsätzliche Tatbestände des Jahresabschlusses fixieren. Hierzu zählen die terminliche Festlegung des Bilanzstichtages, der Bilanzaufstellung und –veröffentlichung.20 So können Unternehmen mit saisonalem Geschäft durch die gezielte Wahl des Bilanzstichtages negative Auswirkungen auf die Entscheidungsgrößen der Adressaten vermeiden (z.B. Bilanzstrukturkennzahlen). Die formellen Mittel dienen in erster Linie publizitätspolitischen Zielen und sind auf die Präsentation der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage unter Ausnutzung des Jahresabschlusses, des Lageberichtes und weiterer Medien ausgerichtet. Sie nehmen dabei keinen wertmäßigen Einfluss auf den Jahresabschluss und weitere Berichterstattungen, sondern modifizieren die Darstellung der äußeren Form von Informationen.21 Unter anderem fallen die Wahlrechte hinsichtlich der Ausführlichkeit der Anhangsangaben und des Lageberichtes in diese Kategorie. Die materiellen Mittel werden sowohl zur Erreichung von finanz- als auch publizitätsorientierten Zielen eingesetzt. In erster Linie dienen sie zur Steuerung des periodischen Ergebnisausweises bzw. bestimmter Kennzahlenniveaus.22 Die materiellen Instrumente werden in reale Sachverhaltsgestaltung und buchmäßige Sachverhaltsdarstellung unterteilt. Unter realer Sachverhaltsgestaltung wird der zielgerichtete Einsatz von Geschäftsvorfällen mit bilanzieller Wirkung verstanden.23 Die Ziele der Rechnungslegungspolitik sind somit hauptsächlich oder ausschließlich Auslöser für die Umsetzung der Geschäftsvorfälle. Die buchmäßige Sachverhaltsdarstellung kann auch als Rechnungslegungspolitik i.e.S. bezeichnet werden24 und basiert auf gesetzlichen Ansatz- und Bewertungsalternativen. Sie schafft im Gegensatz zur Sachverhaltsgestaltung keine neuen Geschäftsvorfälle, sondern verändert im Nachhinein deren wertmäßige Darstellung. Sie hat demzufolge im Rahmen des rechnungslegungspolitischen Instrumentariums häufig den höchsten Stellenwert, da grundsätzlich rechnungslegungspolitische Gestaltungswünsche erst nach Kenntnis der wirtschaftlichen
19 20 21 22 23 24
420
Vgl. Heinhold, M., Bilanzpolitik, 1984b, S. 449; Scheffler, W., Bilanzplanung, 2002, S. 189; sowie ähnlich auch Freidank, C.-Chr., Rechnungslegungspolitik, 1998, S. 107. Vgl. Heinhold, M., Jahresabschluß, 1996, S. 413-414; Scheffler, W., Bilanzplanung, 2002, S. 190; Ossadnik, W., Rechnungslegungspolitik, 1998, S. 172. Vgl. Veit, K.-R., Bilanzpolitik, 2002, S. 6. Vgl. Freidank, C.-Chr./Velte, P., Rechnungslegung, 2007, S. 675; Vollmuth, H. J., Bilanzen, 1997, S. 277; Pfleger, G., Bilanzpolitik, 1991, S. 22. Vgl. Küting, K., Fair Value, 2005, S. 505. Vgl. Veit, K.-R., Bilanzpolitik, 2002, S. 5; Heinhold, M., Jahresabschluß, 1996, S. 419.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
Gegebenheiten entstehen. Sie sollen daher im Folgenden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die materiellen Mittel können in (explizite) Wahlrechte und Ermessensspielräume aufgeteilt werden. Bei der Überlegung, welche Instrumente zur bestmöglichen Erreichung der rechnungslegungspolitischen Zielsetzungen angewendet werden sollten, ist eine Wirksamkeitsanalyse durchzuführen.25 Neben der Wirkungsweise, die im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein wird, gibt es weitere Beurteilungs- und Auswahlkriterien26, die berücksichtigt werden müssen. Hierzu zählen die Flexibilität, die Erkennbarkeit und die Kosten einer rechnungslegungspolitischen Maßnahme. Abbildung 2-1:
Zielsystem, Zielgrößen und Instrumente der Rechnungslegungspolitik Beispiel Individuelle Zielsetzung
Unternehm enspolitik
Beschaffungspolitik
Absatzpolitik
Finanzpolitik
Informationspolitik
Gewinnm axierung
Akquirierung von Frem dkapital
…
Zielsetzungen der Rechnungslegungspolitik
Verbesserung der Beurteilung durch Frem dkapitalgeber
Zielgrößen für die Rechnungslegungspolitik
Eigenkapitalquote Eigenkapitalrentabiltiät
Auswahl der rechnungslegungspolitischen M aßnahm en
Erm essenspielräum e bei Rückstellungen oder Form elle M ittel
M aterielle M ittel
Institutionelle M ittel
W ahlrechte
Erm essensspielräum e
Flexibilität
Erkennbarkeit
Bewertungswahlrechte bei Vorräten
Beurteilungskriterien
W irkungsweise
25 26
Kosten
Vgl. Küting, K., Bilanzpolitik, 2004, S. 602. Zu den Beurteilungs- und Auswahlkriterien vgl. Nobach, K., Bilanzpolitik, 2006, S. 219; Kirsch, H., Bilanzpolitisches Instrumentarium, 2006, S. 1267-1271; Ziesemer, S., Rechnungslegungspolitik, 2002, S. 31-45; Wagenhofer, A./Ewert, R., Unternehmensrechnung, 2003, S. 204 f.; Fuchs, M., Jahresabschlußpolitik, 1997, S. 30-34; Hinz, M., Jahresabschlusspolitik, 1994, S. 136-143; Stein, H.-G., Konzernpolitik, 1993, S. 983-987; Pfleger, G., Bilanzpolitik, 1991, S 52-83.; Wohlgemuth, F., Bilanzpolitik, 2007, S. 72-82.
421
Döring / Obermann
3
Wirkungsweise rechnungslegungspolitischer Maßnahmen
3.1
Primärwirkungen
Unter Primärwirkungen werden die Auswirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen zum Zeitpunkt ihrer Ausübung verstanden.27 Sofern die rechnungslegungspolitischen Effekte sich auf einen Jahresabschluss begrenzen, braucht der Bilanzierende keine Nachwirkungen in den folgenden Perioden beachten. Der Einsatz der rechnungslegungspolitischen Mittel orientiert sich dann ausschließlich an den augenblicklichen Zielsetzungen der Rechnungslegungspolitik.28 Dies trifft bei Maßnahmen zu, die sich nicht bedingt durch Bilanzidentität und Bilanzzusammenhang in den Folgeperioden umkehren. Die Auswahl solcher Maßnahmen ist allerdings sehr begrenzt. Insbesondere zählen die Wahl des Aufstellungs- oder Feststellungszeitpunktes dazu. Um die Primärwirkungen abschätzen zu können, müssen die Wirkungsrichtung, der Wirkungsumfang, die Wirkungsart und die Wirkungsbreite analysiert werden. Die Wirkungsrichtung gibt an, inwiefern es zu einer relativen Veränderung von Zielgrößen, wie beispielsweise einer Kennzahl, durch die rechnungslegungspolitische Maßnahme kommt.29 Der Wirkungsumfang legt in diesem Zusammenhang das Ausmaß fest, mit dem sich die Zielgröße ändert. Um die konkrete Effektivität einer Maßnahme sichtbar zu machen, muss das Resultat der Maßnahme ins Verhältnis zu einer Referenzgröße gesetzt werden.30 Weiterhin können die Maßnahmen auf ihre Wirkungsart hin untersucht werden. Während Maßnahmen mit unmittelbarem Effekt bereits bei Anwendung das Erreichen des angestrebten Ziels der Rechnungslegungspolitik unterstützen, bilden Instrumente mit mittelbarer Wirkung lediglich die Ausgangsbasis für weitere rechnungslegungspolitische Eingriffe.31 Zudem muss noch die Wirkungsbreite beachtet werden. Sie gibt Aufschluss darüber, welche Veröffentlichungen des Un-
27 28 29 30 31
422
Vgl. Ziesemer, S., Rechnungslegungspolitik, 2002, S. 34; Kußmaul, H./Lutz, R., Bilanzpolitische Instrumente, 1993, S. 402; Meyer, M., Wertorientierte Berichterstattung, 2005, S. 270. Vgl. Harder, U., Bilanzpolitik, 1962, S. 141. Vgl. Fuchs, M., Jahresabschlußpolitik, 1997, S. 31; Bieg, H./Kußmaul, H., Rechnungswesen, 2003, S. 225; Nobach, K., Bilanzpolitik, 2006, S. 220; Wohlgemuth, F., Bilanzpolitik, 2007, S. 76. Vgl. Fuchs, M., Jahresabschlußpolitik, 1997, S. 31; Hinz, M., Jahresabschlußpolitik, 1994, S. 139; vgl. hierzu die Beispiele im Abschnitt 3.3. Ausführlich dazu vgl. Wohlgemuth, F., Bilanzpolitik, 2007, S. 75; Ziesemer, S., Rechnungslegungspolitik, 2002, S. 32; Hinz, M. Jahresabschlußpolitik, 1994, S. 140.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
ternehmens durch die rechnungslegungspolitische Maßnahme betroffen sind.32 Im Rahmen der Wirkungsbreite wird beispielsweise analysiert, inwieweit rechnungslegungspolitische Maßnahmen in einem HGB-Abschluss über die Maßgeblichkeit auch in der Steuerbilanz Wirkungen entfalten. Bei einem IFRS-Abschluss stellt sich die Problematik infolge fehlender Verknüpfung mit der Steuerbilanz nicht. Bei der Wirkungsanalyse ist immer zwischen den Auswirkungen der Rechnungslegungspolitik auf die Rechnungslegung und den daraus resultierenden Konsequenzen auf das Entscheidungsverhalten der Adressaten zu unterscheiden. Die primären Auswirkungen auf die rechnungslegungspolitischen Zielgrößen lassen sich bei Maßnahmen, die nach dem Bilanzstichtag vorgenommen werden, genau bestimmen. Insbesondere lässt sich der Wirkungsumfang einer Maßnahme quantitativ ermitteln, da die unmodifizierte Bilanz die entsprechenden Referenzgrößen liefert. Bei den Maßnahmen, die vor dem Bilanzstichtag vorgenommen werden, besteht hinsichtlich der Bestimmung der Primärwirkungen eine gewisse Restunsicherheit. Diese ist jedoch in der Regel zu vernachlässigen, da die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Änderung aufgrund des grundsätzlich kurzen Zeitraumes zwischen rechnungslegungspolitischer Maßnahme und Stichtag relativ gering ist. Die Entscheidung hinsichtlich der Primärwirkungen ist somit als Entscheidungssituation unter (Quasi-) Sicherheit zu klassifizieren. Die Konsequenzen auf das Entscheidungsverhalten der Adressaten lassen sich hingegen in der Regel nur schwer prognostizieren.
3.2
Sekundärwirkungen
Von den Primärwirkungen sind die Sekundär- oder Folgewirkungen der rechnungslegungspolitischen Maßnahmen zu unterscheiden, die erst in den folgenden Perioden auf die rechnungslegungspolitischen Zielgrößen wirken.33 Dabei sind wiederum die Wirkungsrichtung und der Wirkungsumfang zu analysieren. Die Wirkungsart und -breite werden grundsätzlich im Zeitpunkt der Ausübung der rechnungslegungspolitischen Maßnahme determiniert, so dass sich in den Folgeperioden selten Änderungen ergeben und sie somit vernachlässigbare Größen darstellen. Hinsichtlich der Wirkungsrichtung können die Sekundärwirkungen mit den Primärwirkungen gleichgerichtet oder zu diesen gegenläufig sein.34 Eine gleichgerichtete Wirkung entsteht – wie in Abschnitt 3.3 gezeigt wird – immer dann, wenn neben einer Erfolgsverlagerung auch eine Veränderung der Bilanzstruktur vorliegt, diese in den Folgeperioden beibehalten wird und eine relevante Zielgröße im Rahmen der Rechnungslegungspolitik 32
Vgl. Pfleger, G., Bilanzpolitik, 1991, S. 52; Kirsch, H., Bilanzpolitisches Instrumentatrium, 2006, S. 1268. 33 Vgl. Bieg, H./Kußmaul, H., Rechnungswesen, 2003, S. 225; Wagenhofer, A./Ewert, R., Unternehmensrechnung, 2003, S. 204. 34 Vgl. Ziesemer, S., Rechnungslegungspolitik, 2002, S. 34; Harder, U., Bilanzpolitik, 1962, S. 142.
423
Döring / Obermann
darstellt.35 Üblicherweise kommt es jedoch aufgrund des Bilanzzusammenhanges zur Umkehrung rechnungslegungspolitischer Maßnahmen und damit zu (den Primärwirkungen) entgegengesetzten Auswirkungen.36 Dieser Effekt wird auch als „Zweischneidigkeit der Bilanz“ bezeichnet.37 Der Umkehreffekt muss nicht zwangsläufig spiegelbildlich zum Primäreffekt erfolgen. So führt die Ausübung des Wahlrechts zur Aktivierung eines Geschäfts- und Firmenwertes nach HGB zu einer Erfolgsrealisierung als Primärwirkung. Die Umkehrung als Sekundärwirkung verteilt sich jedoch mittels Abschreibungen über mehrere Perioden. Es wird hier die zeitpunktbezogene oder zeitraumbezogene Umkehrung unterschieden. In diesem Zusammenhang ist auch die Wirkungsdauer einer Maßnahme kritisch zu würdigen. Sie bezeichnet den Zeitraum, in dem die rechnungslegungspolitische Maßnahme bestimmte Wirkungen entfaltet.38 Die Wirkungsdauer hängt stark von dem Kriterium der Flexibilität ab. Je nachdem, ob die Maßnahme sich in den Folgeperioden automatisch umkehrt oder ob ein aktives Handeln des Bilanzierenden erforderlich ist, kann die Wirkungsdauer unterschiedlich lang sein. Sie muss daher immer einzelfallabhängig analysiert werden. Der Wirkungsumfang der Sekundäreffekte kann zwar als Veränderungsgröße abgeschätzt werden, aber die tatsächlichen Auswirkungen auf die Zielgrößen sind unsicher, da die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, auf die die Sekundärwirkungen in Zukunft treffen werden, ungewiss sind. Zur Beurteilung der Sekundärwirkungen müssen daher Planabschlüsse erstellt werden, welche die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens widerspiegeln.39 Diese dienen dann als Referenzgröße, um die Auswirkung auf die rechnungslegungspolitischen Zielgrößen beurteilen zu können. Anders als bei der Primärwirkung kann somit bei den Sekundäreffekten die Auswirkung auf das Rechnungswesen nicht sicher ermittelt werden. Folge dieser Unsicherheit ist, dass die Sekundäreffekte u. U. eine Wirkung verursachen, die den Zielsetzungen der Rechnungslegungspolitik entgegensteht. Beispielsweise kann dies bei der Zielsetzung der Ergebnisglättung eintreten, wenn eine Erfolgsvorverlagerung vorgenommen wird, um einen Verlust aufzufangen. Sofern das Unternehmen in der Umkehrungsperiode entgegen der Planung dann doch einen Verlust erwirtschaftet, wird dieser zusätzlich mit dem Umkehrungseffekt der Maßnahme belastet. Hierbei ist zusätzlich zu beachten, dass die Unsicherheit hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zielgrößen mit steigender Wirkungsdauer der Maßnahme zunimmt.
35 36 37 38
Vgl. Abschnitt 3.3. Zu realen Sachverhaltsgestaltungen vgl. Hinz, M., Jahresabschlusspolitik, 1994, S. 142. Vgl. Bieg, H./Kußmaul, H., Rechnungswesen, 2003, S. 225. Vgl. Ziesemer, S., Rechnungslegungspolitik, 2002, S. 34; Stein, H.-G., Konzernpolitik, 1993, S. 986. 39 Vgl. Freidank, C.-Chr./Velte, P., Rechnungslegung, 2007, S. 667.
424
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
Abbildung 3-1:
Wirkungsweise rechnungslegungspolitischer Maßnahmen
Zeitpunkt t0
Adressaten -ebene
Unternehmensebene
Entscheidungssituation
Zeitpunkt t1
Zeitpunkt t2
sicher
Zeitpunkt t3
Zeitpunkt tn
unsicher
Primärwirkung
Sekundärwirkung
Sekundärwirkung
Sekundärwirkung
Sekundärwirkung
Wirkungsrichtung
Wirkungsrichtung
Wirkungsrichtung
Wirkungsrichtung
Wirkungsrichtung
Wirkungsumfang
Wirkungsumfang
Wirkungsumfang
Wirkungsumfang
Wirkungsumfang
Wirkungsart
Wirkungsart
Wirkungsart
Wirkungsart
Wirkungsart
Wirkungsbreite
Wirkungsbreite
Wirkungsbreite
Wirkungsbreite
Wirkungsbreite
Auswirkung auf die Zielgrößen
Auswirkungen im Zeitpunkt t0
Auswirkungen im Zeitpunkt t1
Auswirkungen im Zeitpunkt t2
Auswirkungen im Zeitpunkt t3
Auswirkungen im Zeitpunkt tn
Konsequenzen auf die Entscheidungen der Adressaten
Konsequenzen der Maßnahme im Zeitpunkt t0
Konsequenzen der Maßnahme im Zeitpunkt t1
Konsequenzen der Maßnahme im Zeitpunkt t2
Konsequenzen der Maßnahme im Zeitpunkt t3
Konsequenzen der Maßnahme im Zeitpunkt tn
Wirkungsweise der rechnungslegungspolitischen Maßnahme
3.3
Beispielhafte Abbildung der Wirkungsweise ausgewählter rechnungslegungspolitischer Maßnahmen
3.3.1
Grundlegende Annahmen
Die folgenden vereinfachenden Beispielsfälle gehen von einem Unternehmen aus, das mittels Rechnungslegungspolitik eine bessere Beurteilung durch die Fremdkapitalgeber erzielen möchte.40 Diese Zielsetzung stellt eine längerfristige Ausrichtung der Rechnungslegungspolitik des Unternehmens dar. Das Unternehmen nimmt als Zielgrößen der Fremdkapitalgeber die Kennzahlen Eigenkapitalquote (Verhältnis Eigen-
40
Zur Analyse der Aktionsparameter einzelner rechnungslegungspolitischer Maßnahmen vgl. Meyer, M., Wertorientierte Berichterstattung, 2005.
425
Döring / Obermann
kapital/Gesamtkapital) und Eigenkapitalrentabilität (Verhältnis Erfolg/Eigenkapital41) an. Als rechnungslegungspolitische Maßnahmen werden der Ermessensspielraum bei der Bewertung von Rückstellungen und die Wahlrechte bei der Bewertung von Vorräten analysiert. Ohne solche rechnungslegungspolitischen Eingriffe belaufe sich der ausgewiesene Jahreserfolg in der laufenden und in den vier Folgeperioden (Planung) auf jeweils 100 GE. Eine Ausschüttung soll immer in Höhe von 100 GE vorgenommen werden. Das Vermögen des Unternehmens beträgt 1.000 GE, wobei das Kapital sich aus 500 GE Eigenkapital und 500 GE Fremdkapital zusammensetzt.
Abbildung 3-2:
: Grundlegenden Annahmen
Zeitpunkt t0
Unternehmensebene
Entscheidungssituation
Zeitpunkt t1
Zeitpunkt t2
sicher
Zeitpunkt t3
Zeitpunkt tn
unsicher
Erfolg
100 GE
100 GE
100 GE
100 GE
100 GE
Vermögen
1.000 GE
1.000 GE
1.000 GE
1.000 GE
1.000 GE
Eigenkapital
500 GE
500 GE
500 GE
500 GE
500 GE
Fremdkapital
500 GE
500 GE
500 GE
500 GE
500 GE
Eigenkapitalquote
50 %
50 %
50 %
50 %
50 %
Eigenkapitalrentabilität
20 %
20 %
20 %
20 %
20 %
Zielgrößen
Im Folgenden werden die Wirkungsweisen der zwei o.g. rechnungslegungspolitischen Maßnahmen dargestellt. Es wird dabei jeweils nur die Wirkungsrichtung und der Wirkungsumfang der Maßnahmen erörtert.
3.3.2
Ermessensentscheidung bei der Bewertung von Rückstellungen
Bei der Bildung von Rückstellungen hat der Bilanzierende aufgrund der Ungewissheitskomponente grundsätzlich einen Ermessenspielraum bei der Festlegung der Höhe der Verpflichtung. Dieser resultiert daraus, dass sich bei der Schätzung unge41
426
Richtigerweise ermittelt sich die Eigenkapitalbasis als Durchschnittswert der Periode. Vorliegend werden bei der Eigenkapitalbasis die Periodenendwerte zugrunde gelegt, da dies für die Kernaussage der folgenden Analyse von untergeordneter Bedeutung ist.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
wisser Beträge in der Regel nicht ein richtiger Wert ermitteln lässt, sondern nur eine mögliche Bandbreite. Innerhalb dieser Bandbreite kann der Bilanzierende sein Ermessen ausüben. Im Beispielsfall soll angenommen werden, dass das Unternehmen seine Rückstellungen in einer bestimmten Höhe geschätzt und bereits in seiner Planung berücksichtigt hat. Die Rückstellungen könnten insgesamt auch um 100 GE niedriger angesetzt werden. Da die tatsächlichen Zahlungen jedoch ungewiss sind, wird bei der weiteren Planung davon ausgegangen, dass Zahlungen in Höhe der ursprünglich angesetzten Rückstellungen in Periode t2 fällig werden. Wenn das Unternehmen seine Rückstellungen um die 100 GE herabsetzen sollte, ergeben sich folgende Auswirkungen auf die Zielgrößen.
Abbildung 3-3:
Auswirkung auf die Zielgrößen bei Ermessenspielräumen hinsichtlich der Bewertung von Rückstellungen
Zeitpunkt t0
Unternehmensebene
Entscheidungssituation
Zeitpunkt t1
Zeitpunkt t2
sicher
Zeitpunkt t3
Zeitpunkt tn
unsicher
Erfolg
200 GE
100 GE
0 GE
100 GE
100 GE
Vermögen
1.000 GE
1.000 GE
1.000 GE
1.000 GE
1.000 GE
Eigenkapital
600 GE
600 GE
500 GE
500 GE
500 GE
Fremdkapital
400 GE
400 GE
500 GE
500 GE
500 GE
Eigenkapitalquote
60 %
60 %
50 %
50 %
50 %
Eigenkapitalrentabilität
33 %
17 %
0%
20 %
20 %
Zielgrößen
Als Primärwirkung ist zu beobachten, dass die Maßnahme hinsichtlich der Wirkungsrichtung die Zielgrößen, Eigenkapitalquote und Eigenkapitalrentabilität, verbessert. Der Wirkungsumfang ist aufgrund des gewählten Zahlenmaterials relativ hoch. Als Sekundärwirkungen ergeben sich in der Periode t1 zwei unterschiedliche Effekte. Die Eigenkapitalquote ist im Vergleich zum Ausgangsfall weiterhin höher. Allerdings kommt es bei der Eigenkapitalrentabilität zu einer der Primärwirkung entgegengesetzten Auswirkung. Die Eigenkapitalrentabilität sinkt aufgrund der höheren Eigenkapitalbasis. In der Periode t2 kommt es zur Umkehrung der Maßnahme. Die voraussichtlich zu niedrig gebildeten Rückstellungen führen zu höherem Aufwand und damit zu einem Ergebnis von 0 GE. Als Sekundärwirkung ergibt sich in dieser Periode zunächst das Absinken der Eigenkapitalquote auf die Höhe, die ohne rechnungsle-
427
Döring / Obermann
gungspolitische Maßnahme vorgelegen hätte. Als zweiter Effekt folgt aufgrund des Ergebnisausweises eine Eigenkapitalrentabilität von 0 %. Nach der Umkehrung der Maßnahme sind die Ergebnisse in den Folgeperioden unverändert. Insgesamt ergibt sich ein kurzfristiger Anstieg der Eigenkapitalquote. Eine Verschlechterung der Eigenkapitalquote unter den Ausgangswert liegt nicht vor. Die Eigenkapitalrentabilität verschlechtert sich hingegen zu den Ausgangswerten im Rahmen der Sekundärwirkungen. Im Rahmen einer Trendanalyse wird den Adressaten eine negative Entwicklung des Unternehmens bis zum Zeitpunkt t2 suggeriert.
3.3.3
Wahlrechte bei der Bewertung von Vorräten
Bei der Bewertung von Vorräten werden dem Bilanzierenden nach den Rechnungslegungsvorschriften des HGB oder der IFRS unterschiedliche Wahlrechte eingeräumt (z.B. bei Auswahl des Verfahrens zur Bewertung gleichartiger Vorräte)42. Die Wahlrechte beziehen sich auf eine bestimmte Methodik, um die Vorräte zu bewerten. Sie unterliegen grundsätzlich dem Stetigkeitsprinzip.43 Im Beispielsfall soll jedoch ein zulässiger Wechsel der Methode zur Bewertung der Vorräte dazu führen, dass das Unternehmen die Vorräte um 100 GE höher ansetzen darf. Auch bei dieser Maßnahme zeigt sich, dass hinsichtlich der Primärwirkung die Zielgrößen positiv beeinflusst werden. Bei der Rechnungslegung nach IFRS bleibt der Erfolgsausweis bei 100 GE, da eine Änderung von Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften grundsätzlich erfolgsneutral zu erfolgen hat.44 Als Sekundäreffekte zeigen sich in den Folgeperioden eine um fünf Prozentpunkte erhöhte Eigenkapitalquote und eine aufgrund der höheren Vermögensbasis um drei Prozentpunkte verringerte Eigenkapitalrentabilität. Ein automatischer Umkehreffekt dieser Maßnahme tritt nicht ein. Es ist ein aktives Handeln des Bilanzierenden oder die Beendigung des unternehmerischen Engagements erforderlich. Es handelt sich somit zunächst um einen fortgesetzten Sekundäreffekt.45
42 43 44 45
428
§ 255 Abs. 3, § 256 HGB bzw. IAS 2.25. § 252 Abs. 2 HGB bzw. IAS 8.13. IAS 8.19 (b). Vgl. Harder, U., Bilanzpolitik, 1962, S. 143.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
Abbildung 3-4:
Auswirkung auf die Zielgrößen bei Wahlrechten hinsichtlich der Bewertung von Vorräten
Unternehmensebene
Zeitpunkt t0
Entscheidungssituation
sicher
Zeitpunkt t1
Zeitpunkt t2
Zeitpunkt t3
Zeitpunkt tn
unsicher
Erfolg
200 (100) GE*
100 GE
100 GE
100 GE
100 GE
Vermögen
1.100 GE
1.100 GE
1.100 GE
1.100 GE
1.100 GE
Eigenkapital
600 GE
600 GE
600 GE
600 GE
600 GE
Fremdkapital
500 GE
500 GE
500 GE
500 GE
500 GE
Eigenkapitalquote
55 %
55 %
55 %
55 %
55 %
Eigenkapitalrentabilität
33 (17) %*
17 %
17 %
17 %
17 %
Zielgrößen
* Klammerwerte beziehen sich auf den IFRS-Abschluss
4
Schlussfolgerungen hinsichtlich der Auswirkungen auf rechnungslegungspolitische Zielsetzungen
Durch Maßnahmen der buchmäßigen Sachverhaltsdarstellungen können Erfolgsverschiebungen vorgenommen werden. Neben den Erfolgsverschiebungen haben solche Maßnahmen auch einen Einfluss auf die Bilanzstruktur des Unternehmens. Bei Zielgrößen, die bei der Beurteilung auf Bilanzstrukturkennzahlen zurückgreifen, ergeben sich Auswirkungen bis zur vollständigen Umkehrung der Maßnahmen. Im Beispielsfall der Rückstellungen ist die Eigenkapitalquote bis zur Umkehrung der Maßnahme in t2 erhöht. Während die Erfolgssituation über die Totalperiode unverändert bleibt, kommt es zu einem zeitweiligen Anstieg bzw. Absinken bei den Bilanzstrukturkennzahlen. Diese Veränderung bleibt bis zur Umkehrung der Maßnahme bestehen und führt anders als bei der Erfolgswirkung nicht zu einer entgegengesetzten Wirkung, sondern nur zu einer Rückkehr auf den ursprünglichen Wert. Sofern das Unternehmen im Rahmen einer langfristigen Zielsetzung als Zielgröße eine Bilanzstrukturkennziffer
429
Döring / Obermann
hat, kommen somit insbesondere Maßnahmen mit einer langen Wirkungsdauer in Frage. Die Erfolgswirkung buchmäßiger Sachverhaltsdarstellungen zeigt stets eine der Primärwirkung entgegengerichtete Sekundärwirkung. Hinsichtlich des Zeitpunktes bzw. Zeitraumes, in dem der Umkehreffekt eintritt, kann zwischen Maßnahmen unterschieden werden, die sich automatisch umkehren und solchen, die erst durch aktives Handeln bzw. durch Beendigung des unternehmerischen Engagements entsprechende Effekte zeigen. Während im Falle der Rückstellungen der Umkehrungseffekt durch den Wegfall der Unsicherheitskomponente automatisch eintritt, wird bei der Bewertung der Vorräte eine Umkehrung erst durch eine Entscheidung ausgelöst. Zwar scheinen demnach Maßnahmen, bei denen keine automatische Umkehrung erfolgt (grundlegende Wahlrechte und Ermessensspielräume hinsichtlich Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden), vorteilhafter zu sein, jedoch muss hierbei beachtet werden, dass diese Maßnahmen grundsätzlich im Rahmen des Jahresabschlusses erläutert werden müssen und damit auch einer gewissen Erkennbarkeit unterliegen. Die angestrebte Beeinflussung der Adressaten kann daher bei dieser Gruppe möglicherweise nicht erreicht werden. Die Beeinflussung der Adressaten hängt von den Veränderungen ihrer Entscheidungsgrößen (Zielgrößen der Rechnungslegungspolitik) ab. Eine rechnungslegungspolitische Maßnahme muss jedoch nicht zwangsläufig alle Zielgrößen einer bestimmten Adressatengruppe im Sinne der Zielsetzung des Unternehmens beeinflussen. Im Beispielsfall wurden die Eigenkapitalrentabilität und Eigenkapitalquote als Zielgrößen einer Adressatengruppe identifiziert. Eine rechnungslegungspolitische Verbesserung der Eigenkapitalquote führt c.p. zu einer Verschlechterung der Eigenkapitalrentabilität in den Folgeperioden. Der Entscheidungsträger steht somit vor der Wahl, welche der Größen positiv und welche negativ beeinflusst werden soll. Eine mögliche Lösung könnte eine Gewichtung der Zielgrößen bieten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Präferenzen einzelner Fremdkapitalgeber (also innerhalb einer Adressatengruppe) hinsichtlich der Auswahl und der Gewichtung möglicher Zielgrößen unterschiedlich sein können. Ebenso wie diese Präferenz bezüglich der Zielgrößen kann auch das Ausmaß der Reaktion auf deren Änderung unterschiedlich sein. Hierbei spielt die jeweilige Risikoeinstellung der Adressaten eine wichtige Rolle. Im ersten Beispielsfall steigt die Eigenkapitalrentabilität in t0 auf 33%. Dieser Anstieg kann durch die Fremdkapitalgeber zwar positiv bewertet werden, unter Umständen ist jedoch das Ausmaß der Reaktion nicht so hoch, wie die entsprechende Reaktion auf das Absinken der Eigenkapitalrentabilität in den beiden Folgeperioden. Das heißt, Verbesserungen und Verschlechterungen einer Entscheidungsgröße können innerhalb einer Adressatengruppe durchaus unterschiedlich bewertet werden. In diesem Zusammenhang muss auch beachtet werden,
430
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
dass bei den Adressaten bestimmte Schwellenwerte46 vorliegen können, deren Überbzw. Unterschreiten überhaupt erst eine Reaktion auslöst. Zum Beispiel könnte eine Bank die Zinskonditionen von der Kennzahl Eigenkapitalrentabilität abhängig machen. Hätte diese Bank Schwellenwerte von 20% und 35% definiert, würde es im ersten Beispielsfall im Rahmen der Primärwirkung keine Konsequenz seitens der Bank geben. Die Unterschreitung der 20%-Grenze in den Zeitpunkten t2 und t3 hätte hingegen eine Zinsanpassung zu Ungunsten des Unternehmens zur Folge. Neben der unterschiedlichen Auswahl und Gewichtung der Zielgrößen muss das Unternehmen somit auch bedenken, dass die Reaktionen der Adressaten auf Veränderungen der relevanten Zielgrößen unterschiedlich ausfallen können. Diese unterschiedlichen Präferenzen hinsichtlich der Auswahl und Gewichtung der Zielgrößen sowie deren Veränderung können im Rahmen der Rechnungslegungspolitik allerdings auch genutzt werden. Wenn beispielsweise die Fremdkapitalgeber eher die Eigenkapitalquote zur Beurteilung heranziehen und die Forderungen der Arbeitnehmer eher im Zusammenhang mit der Eigenkapitalrentabilität stehen, würden, bezogen auf den zweiten Beispielsfall, keine negativen Sekundärwirkungen für das Unternehmen auftreten (ggf. negative Auswirkung beim Primäreffekt). Denn die Erhöhung der Eigenkapitalquote würde zu sinkenden Zinsen und die Verminderung der Eigenkapitalrentabilität zu niedrigeren Forderungen seitens der Arbeitnehmer bei Tarifverhandlungen führen. Daneben kann eine Sekundärwirkung auch positiv ausfallen, wenn sich im Zeitablauf die relevanten Zielsetzungen der Rechnungslegungspolitik ändern. In Abhängigkeit von den übergeordneten Zielen kann die Zielsetzung der Rechnungslegungspolitik eher kurzfristig oder langfristig sein. Der Einsatz von rechnungslegungspolitischen Mitteln könnte so abgestimmt werden, dass entsprechend der sich im Zeitablauf ändernden Zielsetzungen immer positive Effekte auftreten. Dies könnte im ersten Beispielsfall relevant sein, wenn im Zeitpunkt t0 wichtige Verhandlungen mit den Fremdkapitalgebern anstehen und im Zeitpunkt t2 eine Tarifverhandlung mit den Arbeitnehmern. Diese zeitliche Präferenz zeigt sich insbesondere auch bei den individuellen Zielsetzungen der Manager, die nicht aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden. Sollte ein Manager noch eine zeitlich begrenzte Verweildauer im Unternehmen haben, besteht u.U. ein Interesse eine Erfolgsvorverlagerung in die verbleibenden Jahre vorzunehmen, um einen möglichst positiven Eindruck bei den Adressaten zu hinterlassen. Gleichzeitig wird durch den Umkehrungseffekt im Rahmen der Sekundärwirkungen gezeigt, dass der Nachfolger anscheinend Schwierigkeiten bei der Unternehmensleitung hat. Auch der neue Manager hat ein Interesse daran, die Erfolgssituation zu Beginn eher schlecht darzustellen und über die Sekundärwirkungen eine positive Trendentwicklung zu suggerieren. Die negative Situation zu Beginn seiner Tätigkeit könnte damit begründet werden, dass erst die „Altlasten“ des Vorgängers beseitigt 46
Zur Schwellenwertproblematik vgl. Lindemann, J., Rechnungslegung und Kapitalmarkt, 2004, S. 256-285.
431
Döring / Obermann
werden müssen. Diese zeitliche Präferenz bei der Rechnungslegungspolitik führt nicht selten dazu, dass dem Wechsel der Unternehmensleitung zunächst eine Phase verringerten Erfolgsausweises folgt.47 Die zeitlichen Präferenzen des Entscheidungsträgers können auch dazu führen, dass die zeitlich eher eintretenden Primärwirkungen durch den Entscheidungsträger höher gewichtet werden als die später eintretenden Sekundärwirkungen. Der Entscheidungsträger nimmt dabei eine Diskontierung der zeitlich verlagerten Sekundärwirkungen vor. Im ersten Beispielsfall würden die aus der Erfolgsverlagerung resultierenden Erfolge im Zeitpunkt t0 höher bewertet als die sich durch die Umkehrung ergebende Verminderung des Erfolges im Zeitpunkt t2. In diesem Zusammenhang spielt die Planbarkeit bei der Auswahl rechnungslegungspolitischer Instrumente eine sehr große Rolle. Da unsicher ist, auf welche wirtschaftliche Situation des Unternehmens die Sekundärwirkungen in Zukunft treffen, wird den planbaren und absehbaren Primärwirkungen die größere Bedeutung beigemessen. Dies gilt insbesondere bei Maßnahmen mit langer Wirkungsdauer, da die Unsicherheit hinsichtlich der Sekundärwirkungen zunimmt, je weiter diese in der Zukunft liegen. Diese kurzfristige Denkweise kann sehr gefährlich sein, wenn negative Entwicklungen des Unternehmens in der Zukunft durch die Sekundärwirkungen noch verstärkt werden. Der Einsatz des rechnungslegungspolitischen Instrumentariums ist somit nicht nur hinsichtlich der Konsequenzen auf die Entscheidungen der Adressaten, sondern auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zielgrößen der Rechnungslegungspolitik eine Entscheidung unter Unsicherheit und hängt damit von der Risikobereitschaft des Entscheidungsträgers ab. In Bezug auf die Risikobereitschaft des Entscheidungsträgers ist zu berücksichtigen, dass es neben der Ungewissheit über das Ausmaß der Wirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen bei den Adressaten auch zu Reaktionen auf den bloßen Einsatz dieser Maßnahmen kommen kann. Dies kann im Rahmen der Bilanzanalyse nicht nur zu einer Neutralisierung der Maßnahmen führen, sondern ist häufig auch mit Sanktionen durch die Adressaten verbunden. So beinhalten viele Ratingverfahren von Banken einen Abschlag auf die Ratingnote des Unternehmens, wenn der Einsatz von Rechnungslegungspolitik nachgewiesen bzw. vermutet wird. Entsprechend vorsichtig werden auch Aktionäre bzw. potentielle Aktionäre bei ihren Investitions- bzw. Desinvestitionsentscheidungen reagieren (ggf. durch Sicherheitszuschläge). Der Fiskus kennt solche Sanktionsmechanismen nicht, womit die Steuerbilanzpolitik unbeeinflusst von eventuellen Sanktionen vorgenommen werden kann.48
47 48
432
Vgl. Fockenbrock, D., Gewinnverlagerung, 2007, S. 20. Vgl. Wöhe G./Döring, U., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 2005, S. 1039.
Primär- und Sekundärwirkungen von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen
5
Fazit
Der Einsatz der Rechnungslegungspolitik ist häufig ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hofft der Entscheidungsträger durch rechnungslegungspolitische Maßnahmen die Adressaten in seinem Sinne beeinflussen zu können. Auf der anderen Seite kann er jedoch die Wirkung der Maßnahmen nicht vollumfänglich abschätzen. So können für einzelne Adressatengruppen zwar im Prinzip Zielgrößen für die Rechnungslegungspolitik abgeleitet werden, die resultierenden Entscheidungen der Adressaten auf Veränderung dieser Größen allerdings nicht bzw. schwer. Darüber hinaus ergeben sich weitere Unwägbarkeiten, wie die unsichere wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens und die damit einhergehende Unvorhersehbarkeit der Situation auf die die Sekundäreffekte in der Zukunft treffen werden. Wie die vorangehenden Ausführungen gezeigt haben, müssen zur Beurteilung der Wirkungsweise von rechnungslegungspolitischen Maßnahmen sowohl zeitliche als auch risikobezogene Präferenzen beachtet werden. Bedauerlicherweise liegt bei manchen Entscheidungsträgern eine sehr kurzfristige Sichtweise vor. Während sie besonderes Augenmerk auf die absehbaren und planbaren Primäreffekte legen, vernachlässigen sie bei ihren Planungen mögliche Sekundäreffekte. Insgesamt sollte die Rechnungslegungspolitik mit all ihren Unsicherheitskomponenten in die langfristige Unternehmensplanung integriert werden. Ansonsten kann sich ein vermeintlicher Erfolg beim Einsatz der rechnungslegungspolitischen Maßnahmen im Nachhinein als Nachteil für das Unternehmen bzw. den Entscheidungsträger herausstellen.
433
Döring / Obermann
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437
Pensionsrückstellungen nach IFRS Eine kritische Analyse der Bilanzierung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste
Univ.-Prof. Dr. Hans Jürgen Kirsch Institut für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung der Universität Münster, Universitätsstraße 14-16, 48143 Münster
Dipl.-Kfm. Lüder Kurz Wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung der Universität Münster, Universitätsstraße 14-16, 48143 Münster
1
Einleitung ........................................................................................................................ 441
2
Bewertung der Pensionsrückstellung und des Pensionsaufwandes........................ 442
3
Die Ermittlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste .................. 443
4
Die Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste ................ 444 4.1 Die „delayed recognition“ ....................................................................................... 444 4.2 Die „immediate recognition“................................................................................... 446 4.3 Die „immediate recognition outside profit or loss“ ................................................. 447
5
Die differenzierte Berücksichtigung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste ............................................................................................................................ 448
6
Schlussbetrachtung ........................................................................................................ 451
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 452
439
Pensionsrückstellungen nach IFRS
1
Einleitung
Pensionsrückstellungen haben erhebliche wirtschaftliche Bedeutung bei der bilanziellen Abbildung der wirtschaftlichen Tätigkeit von Unternehmen nach IFRS. So betrugen beispielsweise die Pensionsrückstellungen der DAX30-Unternehmen für das Geschäftsjahr 2002 kumuliert ca. 108 Mrd. € gegenüber einer kumulierten Eigenkapitalsumme i. H. v. ca. 363 Mrd. €.1 Zudem beeinflussen Pensionszusagen wesentlich den Periodenerfolg. Im Geschäftsjahr 2005 betrugen für die DAX30 Unternehmen allein die versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste, die nur einen Teil der gesamten Erfolgswirkung aus Pensionsverpflichtungen ausmachen, 48,6 Mrd. €.2 Diese Bedeutung wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass Änderungen der Finanzierung und somit des bilanziellen Ausweises von Pensionsrückstellungen Ergebniswirkungen auslösen, die unter Umständen starke Aktienkursschwankungen nach sich ziehen können.3 Umso schwerwiegender erscheint es, dass die Bilanzierung von Pensionsverpflichtungen nach IFRS bisher nur unbefriedigend gelöst worden ist.4 Insbesondere die Bilanzierungswahlrechte im Bereich der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste stoßen vielfach auf Kritik.5 Selbst der IASB betrachtet diese bilanztheoretisch inkonsistenten Wahlrechte6 als nicht ideal und billigt der gegenwärtigen Lösung lediglich einen Interims-Status zu.7 Gegenwärtig arbeitet eine Arbeitsgruppe des IASB an einer Anpassung des IAS 19, die sich der dringendsten Problemfelder des Standards annehmen soll.8 Als Ergebnis dieser Überarbeitung wird in 2010 mit der Verabschiedung eines Interims-Standards gerechnet.9 Hier soll einen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet werden. Dazu wird die Bewertung von Pensionsrückstellungen unter besonderer Berücksichtigung der bilanziellen Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste dargestellt und im Lichte des IFRS-Abschlusszweckes der „decision usefulness“ kritisch gewürdigt. Anschließend wird basierend auf dieser Würdigung ein alternativer Vorschlag für eine differenzierte Erfassung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste vorgestellt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Lachnit, L./Müller, S., Bilanzanalytische Behandlung, 2004, S. 501 und 503. Die Abschlüsse wurden sowohl nach IFRS als auch nach US-GAAP erstellt. Vgl. Rohatschek, R./Schiemer, V. S., Diskontierungssatz und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 233. Vgl. Küting, K./Keßler, M., Pensionsrückstellungen nach HGB und IFRS, 2006, S. 192. Im Folgenden wird ausschließlich die Bilanzierung von „defined benefit plans“, also leistungsorientierter Pensionszusagen betrachtet. Vgl. z. B. Zimmermann, J./Schilling, S., Änderungen der Bilanzierung, 2004, S. 490-491. Vgl. Baetge, J./Haenelt, T., Pensionsrückstellungen im IFRS-Abschluss, 2006, S. 2419. Vgl. IAS 19.BC48E (rev. 2004) und IAS 19.BC48G (rev. 2004). Phase I des Projektes „Post-employment benefits“. Vgl. o. V., Employee benefits, 2006, S. 7.
441
Kirsch / Kurz
2
Bewertung der Pensionsrückstellung und des Pensionsaufwandes
Pensionsrückstellung werden gemäß IAS 19 (rev. 2004) nach der Projected Unit Credit Method bewertet, die auf Schätzungen über die zukünftige Entwicklung versicherungsmathematischer Parameter wie z. B. der Sterblichkeit, der Fluktuationsquote oder dem Rententrend basiert.10 Ziel dieser Methode ist es, den Barwert der bereits vom Arbeitnehmer erdienten Pensionsleistung zu ermitteln und die Pensionsverpflichtung periodengerecht über dessen Dienstzeit zu verteilen. Diesem Konzept liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Pensionsanspruch über die Dienstzeit des Arbeitnehmers erarbeitet wird. Der bereits erdiente Teilanspruch ist auf den Bilanzstichtag abzuzinsen und stellt die Grundlage der Rückstellungsbewertung dar.11 Der Bilanzansatz ist ausgehend vom zunächst ermittelten Barwert noch um verschiedene Bestandteile, wie noch nicht ergebniswirksam erfasste versicherungsmathematische Gewinne und Verluste, Pensionsplanänderungen und Neuzusagen12 zu modifizieren. 13 Des Weiteren wird der Verpflichtungsbarwert mit dem Barwert des zur Deckung der Versorgungsverpflichtung bestimmten Vermögens, des sogenannten Planvermögens verrechnet.14 Gemäß IAS 19.61 (rev. 2004) setzt sich der Pensionsaufwand aus dem Dienstzeitaufwand der Periode, der als vom Arbeitnehmer erdienter Pensionsanspruch zu verstehen ist, zusammen. Hinzu kommen der aus der Aufzinsung des Dienstzeitaufwandes entstehende Zinsaufwand, der erwartete Erfolg aus der Anlage des Planvermögens, und die Auswirkungen von Planänderungen und Abgeltungen.15 Dieser Betrag wird noch um erfolgswirksam erfasste versicherungsmathematische Gewinne und Verluste ergänzt. Da der Rechnungsleger im Bereich versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste ein Wahlrecht zur erfolgswirksamen bzw. zur erfolgsneutralen Erfassung hat, kann dieser Posten einen sehr unterschiedlichen Einfluss auf das Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens haben. Dieses soll im Folgenden vertieft werden.
10 11 12 13 14
15
442
Vgl. IAS 19.63 (rev. 2004) und 19.83-19.87 (rev. 2004). Vgl. dazu Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J., Internationale Rechnungslegung, 2006, S. 428431, sowie Wagenhofer, A., Internationale Rechnungslegungsstandards, 2005, S. 299-302. Diese werden im nachzuverrechnenden Dienstzeitaufwand abgebildet. Vgl. hierzu Feld, K.-P., Die Bilanzierung von Pensionsrückstellungen, 2003, S. 583-584. Zu den Anforderungen an das Planvermögen vgl. IAS 19.7 (rev. 2004). Eine Diskussion der Saldierung, auf die im Folgenden nicht näher eingegangen werden soll, findet sich in IAS 19.BC68A-19.BC68L (rev. 2004). Vgl. vertiefend zu den einzelnen Bestandteilen Wagenhofer, A., Internationale Rechnungslegungsstandards, 2005, S. 310-311, sowie Feld, K.-P., Die Bilanzierung von Pensionsrückstellungen, 2003, S. 638-639.
Pensionsrückstellungen nach IFRS
3
Die Ermittlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste
Um die Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste würdigen zu können, ist zunächst deren Entstehung und Charakter zu beleuchten. Versicherungsmathematische Gewinne und Verluste entstehen durch Abweichungen der tatsächlichen Parameterentwicklung von Parameterschätzungen bzw. aus intertemporalen Änderungen der Parameterschätzungen. Bereits zum Geschäftsjahresbeginn wird der Barwert am Geschäftsjahresende unter Schätzung der hierbei zu berücksichtigenden Parameter wie Zinssatz, erwartete Planvermögensrendite, Rententrends, Fluktuationsquoten und der biometrischen Daten wie Sterblichkeit und Invalidität ermittelt. Am Geschäftsjahresende findet die Bewertung der Pensionsrückstellung aufgrund der Daten dieser Schätzung statt.16 Soweit bis zu diesem Zeitpunkt Änderungen in den Annahmen der Bewertungsparameter eingetreten sind, werden diese Änderungen über die versicherungsmathematischen Gewinne oder Verluste berücksichtigt.17 Versicherungsmathematische Gewinne und Verluste stellen somit notwendige Anpassungen des Barwertes der Pensionsverpflichtung bzw. des Planvermögens aufgrund Änderungen der erwarteten Parameter dar. Sie treten in der Realität nahezu zwingend18 und in erheblicher Höhe19 auf. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext, dass sowohl die Parameterannahmen zum Geschäftsjahresbeginn wie die zum Geschäftsjahresende Schätzungen darstellen und sich lediglich durch ihre Aktualität unterscheiden. Beide Annahmen unterliegen somit dem Problem der Unsicherheit.20 Versicherungsmathematische Gewinne und Verluste sind somit als Schätzfehler zu charakterisieren, die sich wirtschaftlich nicht von den restlichen Bestandteilen des Pensionsaufwandes unterscheiden.21 IAS 19 (rev. 2004) sieht für die bilanzielle Behandlung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste im Grunde drei unterschiedliche Möglichkeiten vor. Neben der auch als Korridormethode beschriebenen Methode der „delayed recognition“ 16
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Dieses Vorgehen soll Wertschwankungen der langfristigen Pensionsrückstellungen aufgrund der am Bilanzstichtag bestehenden, kurzfristigen Parametereinflüsse vorbeugen. Vgl. Lachnit, L./Müller, S., Bilanzanalytische Behandlung, 2004, S. 498. Vgl. Küting, K./Keßler, M., Pensionsrückstellungen nach HGB und IFRS, 2006, S. 196. Beispielsweise bei Anpassungen aufgrund der Berücksichtigung der aktuellen Inflationsrate oder Anpassungen der „Heubeckschen Tafeln“. Vgl. Gohdes, A. E./Baach, E., Rechnungszins und Inflationsrate, 2005, S. 2738. So führt eine geringfügige Zinsänderung aufgrund der Langfristigkeit der Verpflichtung zu erheblichen Änderungen der Rückstellung. Vgl. Höfer, R./Früh, H. G., Rechnungszins bei internationalen Bewertungen, 2005, S. 2428, sowie Hoffmann, W.-D., Zinseffekte, 2006, S. 63. Vgl. Küting, K., Der Stellenwert der Bilanzanalyse, 2006, S. 2759. Vgl. Zimmermann, J./Schilling, S., Änderungen der Bilanzierung, 2004, S. 488.
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Kirsch / Kurz
erlaubt IAS 19 (rev. 2004) auch die „immediate recognition“, also die erfolgswirksame Berücksichtigung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste. Seit der letztmaligen Überarbeitung des IAS 19 im Dezember 2004 ist zu diesen beiden Methoden die Möglichkeit der erfolgsneutralen „immediate recognition outside profit or loss“ hinzugekommen.
4
Die Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste
4.1
Die „delayed recognition“
IAS 19.92-19.95 (rev. 2004) erlauben, die Erfassung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste über einen längeren Zeitraum zu verteilen. Dies wird dadurch erreicht, dass versicherungsmathematische Gewinne und Verluste, soweit diese innerhalb eines Korridors von 10% des Maximums aus dem Barwert der Pensionsverpflichtung und dem Barwert des Planvermögens liegen, nicht im Abschluss abgebildet werden. Diese nichtberücksichtigten Gewinne und Verluste werden in einer Nebenrechnung geführt und beeinflussen das Periodenergebnis nicht. Überschreiten die versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste indes die Korridorgrenze, ist der überschreitende Teil ab der Folgeperiode erfolgswirksam auf die durchschnittliche Restdienstzeit der Arbeitnehmer zu verteilen.22 Im Ergebnis unterbleibt somit der Ausweis der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste, die innerhalb des Korridors liegen, sowohl im Rückstellungsausweis in der Bilanz als auch im Aufwandsausweis der Gewinn- und Verlustrechnung. Versicherungsmathematische Gewinne und Verluste, die die Korridorgrenze überschreiten, werden erst im Anschluss an die Periode ihrer wirtschaftlichen Verursachung über einen langen Zeitraum gestreckt in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigt. Dieser Verfahrensweise liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Änderungen der Parameter im Zeitablauf ausgleichen. Ziel der Methode der „delayed recognition“ ist es dann, eine Erfolgswirkung aus unerwarteten Entwicklungen der Parameter zu vermeiden, da diese unter Umständen durch ihre Höhe das operative Ergebnis um ein
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Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J., Internationale Rechnungslegung, 2006, S. 433-436, sowie Wagenhofer, A., Internationale Rechnungslegungsstandards, 2005, S. 304-305.
Pensionsrückstellungen nach IFRS
vielfaches übertreffen und somit den Informationswert des Periodenergebnisses erheblich beeinträchtigen könnten.23 Dies gelingt unzweifelhaft. Sowohl der Bilanzposten der Pensionsrückstellungen als auch der Posten des Pensionsaufwandes unterliegen aufgrund versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste nur einer vergleichsweise geringen Volatilität. Durch diesen Glättungsmechanismus werden die Pensionsverpflichtung und das Planvermögen allerdings nur unvollständig gezeigt. Dies ist unproblematisch, soweit die zugrunde gelegte Annahme zutrifft, dass versicherungsmathematische Gewinne und Verluste transitorischen Charakter haben, sich also über die Gesamtperiode ausgleichen.24 Hinsichtlich einiger Einflussfaktoren, wie z. B. der Sterblichkeit oder Gehalts- und Rententrends, kann dies allerdings nicht erwartet werden.25 Überdies werden die erfolgswirksam berücksichtigten Gewinne und Verluste über einen erheblichen Zeitraum gestreckt, so dass die Pensionsrückstellungen zu einem konkreten Zeitpunkt beachtliche stille Lasten enthalten können.26 Diese stillen Lasten können zwar den umfangreichen Anhangangaben entnommen werden,27 dies wird dem durchschnittlich geschulten Bilanzleser allerdings nur schwer gelingen.28 Zudem ist die Informationsrelevanz des Anhangs tendenziell als geringer einzuschätzen als die des Rechenwerks.29 Des Weiteren ist zu kritisieren, dass die Ergebnisse der Folgeperioden durch die Verteilung der die Korridorgrenze überschreitenden Gewinne und Verluste mit periodenfremden Ergebnisbestandteilen verzerrt werden.30 Dies wirkt dem Ziel entgegen, ein aussagefähiges Periodenergebnis zu zeigen.
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Vgl. Baetge, J./Haenelt, T., Pensionsrückstellungen im IFRS-Abschluss, 2006, S. 2417. So IAS 19.95 (rev. 2004). Vgl. Pawelzik, K. U., Pensionenspiegel, 2005, S. 738, sowie Theile, C., Pensionsverpflichtungen, 2006, S. 19-20. Vgl. Lachnit, L./Müller, S., Bilanzanalytische Behandlung, 2004, S. 498-499, sowie Zimmermann, J./Schilling, S., Änderung der Bilanzierung, 2004, S. 486. Zudem entsteht durch den langen Zeitraum der Verrechnung der Anreiz zur Bilanzpolitik. Vgl. in diesem Zusammenhang zum Thema „Backloading“ Thoms-Meyer, D., Grundsätze, 1996, S. 189-191. Vgl. Höfer, R./Lüschper, R./Verhuven, T., Erfolgswirksame und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 290. Vgl. Rohatschek, R./Schiemer, V. S., Diskontierungszinssatz und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 241, sowie Wohlgemuth, F., Bilanzpolitik und Bilanzanalyse, 2007, S. 335. Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Sellhorn, T., Bilanzierung leistungsorientierter Pensionspläne, 2004, S. 137. Vgl. Baetge, J./Haenelt, T., Pensionsrückstellungen im IFRS-Abschluss, 2006, S. 2417.
445
Kirsch / Kurz
4.2
Die „immediate recognition“
Neben der „delayed recognition“ erlauben IAS 19.93 (rev. 2004) und 19.95 (rev. 2004) jede Methode einer schnelleren erfolgswirksamen Verrechnung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste, soweit diese stetig angewendet wird. Dies kann im Extremfall die sofortige erfolgswirksame Erfassung sämtlicher versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste in der Periode ihrer Entstehung bedeuten.31 Nach dieser Methode können die versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste in ihrer vollen Höhe dem Zahlenwerk entnommen werden. Im Gegensatz zur „delayed recognition“ entfällt die Notwendigkeit einer Nebenrechnung. Der Vorteil dieser Methode kann somit in dem vollen Ausweis des Saldos aus dem Barwert der Pensionsverpflichtung und dem Barwert des Planvermögens gesehen werden.32 Der Pensionsaufwand umfasst sowohl die sich aufgrund der Schätzung zum Periodenbeginn ergebenden Bestandteile des Pensionsaufwandes, als auch die auf der tatsächlichen Entwicklung der Einflussparameter beruhenden Schätzungsabweichungen. Problematisch bei Anwendung der „immediate recognition“ ist die erhebliche Volatilität des Periodenergebnisses, die durch die unmittelbar vollständige Berücksichtigung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste verursacht wird.33 Zu Recht muss daher befürchtet werden, dass die Informationen, die der Abschluss vermitteln soll, durch kurzfristige Effekte erheblich verzerrt sind und der Informationswert des Abschlusses, insbesondere der Gewinn- und Verlustrechnung, durch die Anwendung dieser Methode negativ beeinflusst wird.34 In der Praxis wird die Methode der „immediate recognition“ bisher kaum angewendet.35
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Im Folgenden wird von diesem Extremfall ausgegangen, da die Vor- und Nachteile dieser Methode anhand dieses Falles am deutlichsten herausgearbeitet werden können. Vgl. Rohatschek, R./Schiemer, V. S., Diskontierungszinssatz und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 237. Bei dieser Methode besteht kein Anreiz zur Bilanzpolitik durch zu vorteilhafte Schätzungen. Vgl. hierzu Küting, K./Keßler, M., Pensionsrückstellungen nach HGB und IFRS, 2006, S. 201. Obwohl auch der Bilanzposten der Pensionsrückstellungen hier durch kurzfristige Effekte erheblich beeinflusst werden kann, überwiegt der Informationsvorteil des vollen Verpflichtungsausweises. Zu dem Vorschlag, dieser Bilanzsummenvolatilität mit einem geglätteten Durchschnittszinssatz zu begegnen vgl. Gohdes, A. E., Bilanzierung, 2006, S. 992. Vgl. Baetge, J./Haenelt, T., Pensionsrückstellungen im IFRS-Jahresabschluss, 2006, S. 2417, sowie Küting, K./Keßler, M., Pensionsrückstellungen nach HGB und IFRS, 2006, S. 201. Zwar hält der IASB in IAS 19.BC48E (rev. 2004) i. V. m. IAS 19.BC48C (rev. 2004) eine hohe Volatilität im Zusammenhang mit Pensionsrückstellungen für akzeptabel, gibt aber in IAS 19.BC48E (rev. 2004) und in IAS 19.BC41 (rev. 2004) zu, dass unter den gegenwärtigen Regelungen zur Berichterstattung die „immediate recognition“ informationsverzerrend wirken kann. Vgl. Gohdes, A. E., Bilanzierung, 2006, S. 992, sowie Rohatschek, R./Schiemer, V. S., Diskontierungssatz und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 239. Vgl. zu möglichen Gründen hierfür
Pensionsrückstellungen nach IFRS
4.3
Die „immediate recognition outside profit or loss“
Mit der Änderung des IAS 19 in 2004 hat der IASB den Standard um ein drittes, gleichrangiges Wahlrecht zur Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste ergänzt. Ziel dieser Methode ist es, einen vollständigen Bilanzausweis bei geringer Volatilität des Periodenergebnisses zu erreichen.36 Nach IAS 19.93A-19.93D (rev. 2004) i. V. m. IAS 1.96 (rev. 2005) können die versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste ähnlich wie bei der Methode der “immediate recognition” in voller Höhe in der Periode ihrer Entstehung erfasst werden. Die Berücksichtigung beeinflusst indes nicht das Periodenergebnis, da sämtliche versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste erfolgsneutral im Eigenkapital gebucht werden. Die Gewinnund Verlustrechnung bleibt insofern von dieser Methode unberührt, während die Pensionsrückstellung den vollständigen Saldo des Barwertes der Pensionsverpflichtung und des Barwertes des Planvermögens darstellt. Die erfolgsneutral berücksichtigten versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste sind im „statement of recognised income and expense“, einer Eigenkapitalveränderungsrechnung, zu zeigen. Durch die Berücksichtigung der Schätzungsabweichungen im Eigenkapital bleibt die Gewinn- und Verlustrechnung von aus kurzfristigen Parameterschwankungen resultierenden Auswirkungen unbeeinflusst. Der Pensionsaufwand und somit das Periodenergebnis unterliegen bei Anwendung der „immediate recognition outside profit or loss“ nur einer vergleichsweise geringen Volatilität. Des Weiteren ist zu begrüßen, dass die Verpflichtung vollständig in der Bilanz gezeigt wird.37 Kritisch anzumerken ist allerdings, dass diese Methode eine spätere erfolgswirksame Berücksichtigung der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste nicht vorsieht. Die erfolgsneutrale Berücksichtigung ist somit unumkehrbar. Dies führt zu einer Durchbrechung des Kongruenzprinzips, die Summe der Periodenerfolge entspricht nicht mehr dem Erfolg der Gesamtperiode.38 Als Folge hieraus entsteht ein erheblicher Anreiz für das rechnungslegende Unternehmen, die Einflussparameter zu Periodenbeginn (innerhalb plausibilisierbarer Bewertungsspannen) möglichst günstig zu schätzen, um die am Periodenende erfolgsunwirksam behandelten versicherungs-
anschaulich Höfer, R./Lüschper, R./Verhuven, T., Erfolgswirksame und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 291. 36 Vgl. Gohdes, A. E./Recktenwald, S., Jahresabschlüsse der DAX-Unternehmen, 2006, S. 1022. 37 Vgl. Baetge, J./Haenelt, T., Pensionsrückstellungen im IFRS-Abschluss, 2006, S. 2417-2418. 38 Vgl. Küting, K./Keßler, M., Pensionsrückstellungen nach HGB und IFRS, 2006, S. 200, sowie Rohatschek, R./Schiemer, V. S., Diskontierungssatz und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 238. Diese Aussage relativiert sich, wenn man unter Erfolg auch die Eigenkapitalveränderungen des „statement of recognised income and expense“ versteht. Vgl. hierzu Lachnit, L./Müller, S., Other comprehensive income, 2005, S. 1637.
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Kirsch / Kurz
mathematischen Verluste möglichst hoch bewerten zu können.39 Im Ergebnis können durch diese bilanzpolitische Maßnahme sowohl dass Periodenergebnis als auch die für den Kapitalmarkt wichtige Kennzahl des Ergebnisses je Aktie gesteigert werden.40 Insbesondere dieser Anreiz zur Bilanzpolitik und die Durchbrechung des Kongruenzprinzips lassen diese Methode vor dem Anspruch einer entscheidungsnützlichen Rechnungslegung als wenig geeignet erscheinen.
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Die differenzierte Berücksichtigung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste
Die Verschiedenartigkeit der Behandlungsmöglichkeiten versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste erschwert die Vergleichbarkeit und die Analyse von Abschlüssen erheblich.41 Zu dem kommt hinzu, dass Wahlrechte grundsätzlich problembehaftet sind. Keine Alternative der Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste nach IAS 19 (rev. 2004) wird somit dem Anspruch einer informationsvermittelnden Rechnungslegung in vollem Umfang gerecht. Die Reduzierung der Wahlrechte auf nur eine Methode zur Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste, die die genannten Kritikpunkte berücksichtigt, könnte der Vergleichbarkeit und der Informationsqualität von Abschlüssen dienlich sein. Der IASB hält die sofortige Erfassung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste in der Periode ihres Entstehens einem Glättungsmechanismus überlegen.42 Dieser Auffassung kann gefolgt werden, da bei einer sofortigen Erfassung zum einen eine Verfälschung späterer Periodenergebnisse mit periodenfremden Ergebnisanteilen unterbleibt und zum anderen ein voller Verpflichtungsausweis in der Bilanz sichergestellt ist. Beides ist vor dem Hintergrund einer dem Zweck der „decision usefulness“ dienenden Rechnungslegung zu begrüßen. Zu beachten ist hier allerdings, dass sowohl die umfassende erfolgswirksame Erfassung im Sinne der Methode der „immediate recognition“ als auch die vollständige erfolgsneutrale Erfassung im Sinne der Methode der „immediate recognition outside profit or loss“ problematisch sind.43 Eine Lösung 39 40 41 42 43
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Im Grunde genommen handelt es sich hier um eine Art des „Backloading“. Vgl. Thoms-Meyer, D., Grundsätze, 1996, S. 189-191. Vgl. Gohdes, A. E., Bilanzierung, 2006, S. 1022. Vgl. Küting, K./Keßler, M., Pensionsrückstellungen nach HGB und IFRS, 2006, S. 199, sowie Lachnit, L./Müller, S., Bilanzanalytische Behandlung, 2004, S. 497. Vgl. IAS 19.BC40 (rev. 2004). Vgl. Abschnitte 4.2 und 4.3.
Pensionsrückstellungen nach IFRS
kann hier allerdings eine differenziertere Betrachtung des sehr heterogenen Postens der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste bieten. Versicherungsmathematische Gewinne und Verluste resultieren aus der Änderung unterschiedlicher Parameter, die sich in ihrem Charakter teilweise erheblich von einander unterscheiden. So können die Parameterwirkungen in Anlehnung an die konzeptionellen Grundlagen der oben diskutierten Methoden nach deren Umkehrbarkeit im Zeitablauf oder nach deren Volatilität unterschieden werden. In Bezug auf den Ausgleich im Zeitablauf kann z. B. unterstellt werden, dass sich die durch Zinswirkung verursachten Teile der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste durch die langfristig zu beobachtenden Zinsschwankungen tendenziell ausgleichen dürften, während sich z. B. die Auswirkungen von Abweichungen der biometrischen Daten wie der Sterblichkeit, der Invalidität, der Fluktuation sowie die Auswirkungen von Renten- und Gehaltstrends im Zeitablauf eher nicht ausgleichen werden.44 Hinsichtlich des Kriteriums der Volatilität kann beobachtet werden, dass Zinswirkungen oft einen erheblichen Einfluss auf die Höhe der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste haben. Sie können daher als hochvolatil angesehen werden.45 Die Abweichungen der biometrischen Daten und der Renten- und Gehaltstrends unterliegen dagegen vergleichsweise geringeren Schwankungen und machen daher in der Regel einen erheblich geringeren Teil der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste aus. Da sich diese Einflussgrößen außerdem durch gegenläufige Wirkungen untereinander zum Teil kompensieren, können sie insgesamt eher als wenig volatil angenommen werden.46 Bei der obigen Kritik der derzeit in IAS 19 vorgesehenen Methoden zur Behandlung der versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste wurden als Hauptargumente gegen die sofortige erfolgswirksame Erfassung vor allem die hohe Ergebnisvolatilität und gegen die ergebnisneutrale Behandlung der Bruch des Kongruenzprinzips sowie deren unvollständige Umkehrbarkeit im Zeitablauf47 ins Feld geführt. Mit der obigen differenzierten Betrachtung der unterschiedlichen Parametereinflüsse kann diesen Kritikpunkten zielgerichtet begegnet werden. So sollten diejenigen versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste, die sich im Zeitablauf voraussichtlich ausgleichen, wie der Zinseinfluss, erfolgsneutral im Sinne 44
Vgl. Theile, C., Pensionsverpflichtungen, 2006, S. 20, sowie Pawelzik, K. U., Pensionenspiegel, 2005, S. 738. 45 Vgl. Höfer, R./Früh, H. G., Rechnungszins bei internationalen Bewertungen, 2005, S. 2429, sowie Gohdes, A. E./Baach, E., Rechnungszins und Inflationsrate, 2005, S. 2738. 46 Vgl. Höfer, R./Früh, H. G., Rechnungszins bei internationalen Bewertungen, 2005, S. 2429, sowie Gohdes, A. E./Recktenwald, S., Jahresabschlüsse der DAX-Unternehmen, 2006, S. 1023. 47 Der IASB begründet die Durchbrechung des Kongruenzprinzips in IAS 19.95 (rev. 2004) mit der Umkehrbarkeit der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste, stellt die eigene Annahme aber bereits in IAS 19.BC48D (rev. 2004) in Frage.
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der Methode der „immediate recognition outside profit or loss“ erfasst werden.48 Eine Verzerrung der Information des Jahresergebnisses würde hierdurch unterbleiben. Außerdem bliebe das Kongruenzprinzip unter der Annahme, dass sich der Zinseinfluss langfristig umkehrt und somit selbst ausgleicht, unverletzt.49 Die Summe der Ergebnisse der Einzelperioden würde somit mit dem Ergebnis der Gesamtperiode übereinstimmen.50 Biometrische Einflussparameter wie Änderungen der Sterblichkeit, der Invalidität und der Fluktuation sowie Einflüsse durch Anpassungen von Gehalts- und Rententrends, sind dagegen eher unumkehrbar und zudem wenig volatil. Vor allem der erste Aspekt spricht für eine ergebniswirksame Berücksichtigung gemäß der Methode der „immediate recognition“. Es wäre nicht gerechtfertigt, diese Schätzungsabweichungen, die sich im Zeitablauf nicht umkehren und somit in Folgeperioden auch zu Auszahlungen führen, nicht im Periodenergebnis abzubilden.51 Aufgrund der geringen Volatilität des auf diese Parameter zurückzuführenden Anteils der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste, ist dabei die Gefahr einer Verzerrung des Informationsgehaltes des Periodenergebnisses durch diese sofortige Erfassung in der Gewinn- und Verlustrechnung als eher gering einzuschätzen. Im Ergebnis könnte so ein vollständiger Bilanzausweis der Pensionsverpflichtung52 bei aussagekräftigem Periodenergebnis ohne periodenfremde Ergebnisbestandteile erreicht werden.53 Anreize zur Bilanzpolitik durch zu optimistische Schätzungen sind kaum gegeben, da die Schätzungsanpassungen noch in derselben Periode erfolgswirksam werden.54 Als problematisch kann sich lediglich die Aufteilung der versiche48
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Eine spätere Erfolgswirksamkeit wie bspw. nach US-GAAP in SFAS 87.29 und SFAS 87.32 vorgesehen, wird hier nicht befürwortet, da dies zum einen nicht dem Charakter des sich selbst ausgleichenden Postens gerecht wird und zum anderen zu periodenfremden Ergebnisanteilen in Folgeperioden führt. So auch Baetge, J./Haenelt, T., Pensionsrückstellungen im IFRS-Abschluss, 2006, S. 2418 Fn. 92. Inwiefern hier ein Ausweis im „statement of recognised income and expense“ zielführend ist, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Vgl. hierzu kritisch Pawelzik, K. U., Pensionenspiegel, 2005, S. 740. Zumal diese sich wirtschaftlich nicht vom Dienstaufwand der Periode unterscheiden. Die hohe Volatilität des Bilanzpostens der „Pensionsrückstellungen“ wird vom IASB als unproblematisch im Sinne einer möglichen Informationsverzerrung angenommen. Vgl. IAS 19.BC41 (rev. 2004) in dem der IASB die hohe Volatilität nur für die Ergebnispräsentation als problematisch einstuft. Die Aussagefähigkeit des Abschlusses sollte in diesem Zusammenhang noch um in die Werte der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung überführbare Anhangangaben zu den Bestandteilen der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste ergänzt werden. Vgl. zu der Problematik der unzureichenden Anhangangaben Rohatschek, R./Schiemer, V. S., Diskontierungssatz und erfolgsneutrale Erfassung, 2006, S. 241, sowie Pawelzik, K. U., Pensionenspiegel, 2005, S. 735. Untersuchungen lassen darauf schließen, dass mittels des Zinssatzes kaum Bilanzpolitik betrieben wird. Vgl. Gohdes, A. E./Recktenwald, S., Jahresabschlüsse der DAX-Unternehmen, 2006, S. 1021.
Pensionsrückstellungen nach IFRS
rungsmathematischen Gewinne und Verluste erweisen. Durch die multiplikative Verknüpfung der Einflussparameter ist ein Teil der versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste nicht unmittelbar auf seine Ursachen zurückzuführen. Für diesen Teil kann allerdings eine anteilige Zuordnung auf die Einflussparameter als angemessen angesehen werden.
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Schlussbetrachtung
Die vorgehende Untersuchung sollte zeigen, mit welchen erheblichen Problemen die Behandlung versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste nach IAS 19 (rev. 2004) behaftet ist. Während bei der Methode der „delayed recognition“ hauptsächlich der unvollständige Bilanzausweis und periodenfremde Ergebnisbestandteile in den Folgeperioden zu kritisieren sind, ist bei der Methode der „immediate recognition“ die hohe Ergebnisvolatilität zu beanstanden. Die in 2004 eingeführte Behandlung nach der Methode der „immediate recognition outside profit or loss“ durchbricht das Kongruenzprinzip und weckt so erheblichen Anreiz zur Bilanzpolitik. Den Zweck der „decision usefulness“ erfüllen sämtliche Wahlmöglichkeiten nur in sehr beschränktem Umfang. Zusätzlich soll der vorgestellte Aufsatz einen Beitrag zur aktuellen Diskussion zur Überarbeitung der Behandlungsmöglichkeiten versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste leisten. Zu diesem Zweck sollte dargestellt werden, wie der Ausweis eines unverzerrten und periodengerechten Ergebnisses bei gleichzeitigem Ausweis der vollständigen Pensionsverpflichtung ermöglicht werden kann. Die differenzierte Behandlung der Einflussparameterwirkungen versicherungsmathematischer Gewinne und Verluste kann hierzu einen Lösungsansatz bieten.
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Kirsch / Kurz
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453
Ermessensausübung und Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht
Implikationen der Angaben zur Ermessensausübung und zu den Hauptquellen von Schätzungsunsicherheiten im IFRSRecht für die Bilanzanalyse ȱ ȱ ȱ Univ.ȬProf.ȱDr.ȱKarlheinzȱKütingȱ LeiterȱdesȱInstitutsȱfürȱWirtschaftsprüfungȱanȱderȱUniversitätȱdesȱSaarlandesȱȱ ȱ ȱ ȱ Dr.ȱFrankȱWohlgemuthȱ EhemaligerȱMitarbeiterȱdesȱInstitutsȱfürȱWirtschaftsprüfungȱȱ anȱderȱUniversitätȱdesȱSaarlandesȱ ȱ ȱ ȱ
1
OffenlegungȱderȱErmessensausübungȱeinesȱBilanzierendenȱnachȱIASȱ1................ 457 1.1 Vorbemerkung....................................................................................................... 457 1.2 BilanzierungsȬȱundȱBewertungsmethoden ........................................................ 458 1.3 OffenlegungserfordernisseȱgemäßȱIASȱ1.113ȱff................................................. 459 1.4 OffenlegungserfordernisseȱgemäßȱIASȱ1.116ȱff................................................. 463
2
Fazit.................................................................................................................................. 466
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 468 ȱ
455ȱ
Ermessensausübung und Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht
1
Offenlegung der Ermessensausübung eines Bilanzierenden nach IAS 1
1.1
Vorbemerkung
Unter Bilanzanalyse1 ist die Aufbereitung (Verdichtung) sowie die Auswertung erkenntniszielorientierter Unternehmensinformationen mittels Kennzahlen, Kennzahlensystemen und sonstiger Methoden zu verstehen. Auf dieser Grundlage soll die Beurteilung des Unternehmens in seiner Gesamtheit ermöglicht werden. Bilanzpolitik2 umfasst die bewusste – im Rahmen der durch die Bilanzierungsnormen gezogenen Grenzen – und im Hinblick auf die Ziele des Unternehmens zweckorientierte Beeinflussung der publizierten Unternehmensdaten. Sie erfolgt mit der Absicht, „die Rechtsfolgen des Jahresabschlusses und das Verhalten der Informationsempfänger entsprechend den Zielen der Unternehmenspolitik zu beeinflussen“3. Bilanzanalyse und Bilanzpolitik stehen nicht isoliert nebeneinander, vielmehr besteht zwischen ihnen eine enge Wechselbeziehung und ein Spannungsverhältnis.4 So wird z.B. aus Sicht der Bilanzanalyse Bilanzpolitik als umso gefährlicher und wirksamer eingestuft, je weniger diese erkannt wird.5 Falls ein externer Abschlussleser durch die Offenlegungserfordernisse eines Rechnungslegungssystems nicht in die Lage versetzt wird, die bilanzpolitischen Gestaltungen eines Bilanzierenden zu identifizieren, besteht die Gefahr einer stillen und unerkannt bleibenden Bilanzpolitik, die die wahre Unternehmenslage kaschiert. Je stärker hingegen ein Rechnungslegungssystem einen Bilanzierenden dazu zwingt, die angewandte Bilanzpolitik offen zu legen, desto eher wird ein externer Abschlussleser in die Lage versetzt, die Effekte und Auswirkungen der angewendeten Bilanzpolitik in sein Entscheidungskalkül einzubauen und zu neutralisieren.6 Eine nicht nur aber im Besonderen für die Bilanzanalyse bedeutsame Komponente der Offenlegungspflichten eines Bilanzierenden stellen die im Zuge der Neufassung des IAS 1 durch die Einführung der Paragraphen 113-124 hinzugekommenen Angabepflichten dar. Diesbezüglich verlangt das IASB zum einen, dass ein Bilanzierender die
1 2 3 4 5 6
Zu grundlegenden Fragen der Bilanzanalyse vgl. Küting, K./Weber, C.-P., Bilanzanalyse, 2006; Wohlgemuth, F., Bilanzanalyse IFRS, 2007, S. 9. Zu grundlegenden Fragen der Bilanzpolitik vgl. Küting K., Bilanzpolitik, 2004, S. 591. Kropff, B., Grenzen Bilanzpolitik, 1983, S. 184. Vgl. hierzu Küting, K., Spannungsverhältnis, 1996, S. 934 ff. Vgl. Baetge, J./Ballwieser, W., Rationale Bilanzpolitik, 1978, S. 526. Vgl. Wöhe, G., Möglichkeiten der Bilanzpolitik, 1985, S. 759.
457
Küting / Wohlgemuth
Ermessensausübung des Managements bei der Anwendung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden für Beträge, die den Abschluss wesentlich beeinflussen, anzugeben hat. Zum anderen hat ein Bilanzierender die wichtigsten zukunftsbezogenen Annahmen, durch die ein beträchtliches Risiko für eine Anpassung der Vermögenswerte und Schulden entstehen kann, offen zu legen. IAS 1.113 konstituiert folglich eine Angabepflicht für die im Zusammenhang mit einer Bilanzierungs- und Bewertungsmethode stehenden Ermessensausübungen des Managements, die einen wesentlichen Einfluss auf die im Abschluss offen gelegten Beträge haben.7 IAS 1.116 erweitert dies auf die Prognosen des Managements hinsichtlich zentraler Annahmen über die zukünftige Entwicklung.8
1.2
Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden
Als Bilanzierungs- und Bewertungsmethode fasst das IFRS-Regelwerk „die besonderen Prinzipien, grundlegende Überlegungen, Konventionen, Regeln und Praktiken, die ein Unternehmen bei der Aufstellung und Darstellung eines Abschlusses anwendet“9, auf. Hieraus wird deutlich, dass die Angabepflichten der IAS 1.113 ff. nicht auf den Einzelsachverhalt ausgerichtet sind, sondern nur auf Ermessensausübungen, die von einem Einzelsachverhalt abstrahieren und ein methodisches Vorgehen bezogen auf die Anwendung einer Bilanzierungs- und Bewertungsmethode beinhalten, abzielen. Aus dieser Unterscheidung heraus können sich in Abhängigkeit der Definition einer Bilanzierungs- und Bewertungsmethode durch den Bilanzierenden erhebliche Abgrenzungsprobleme ergeben. Bei einer engen Definition wird er über weniger Sachverhalte, in denen Ermessen ausgeübt wurde, berichten, als dies bei einer weiten Definition der Fall ist. Das IFRS-Regelwerk gibt bezüglich einer engen oder weiten Definition von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden keine konkrete Hilfestellung vor, sondern erwähnt lediglich, dass bei „der Entscheidung darüber, ob eine spezifische Bilanzierungs- und Bewertungsmethode anzugeben ist“, das Management eine Abwägung dahin gehend vorzunehmen hat, „ob die Angaben den Adressaten zu verstehen helfen, auf welche Art und Weise Geschäftsvorfälle, sonstige Ereignisse und Bedingungen in der dargestellten Vermögens-, Finanz- und Ertragslage wiedergegeben werden“10. Dem Bilanzierenden steht somit bereits ein Ermessensspielraum zu, was er als Bilanzierungs- und Bewertungsmethode versteht. Aufgrund des expliziten Methodenbe7 8
Vgl. KIRSCH, H., Offenlegung, 2004, S. 481. Vgl. KIRSCH, H., Jahresabschlussanalyse, 2004a S. 136; Teitler, E., Offenlegungspflichten, 2006, S. 179 ff. 9 IAS 8.5. 10 IAS 1.110, beide Zitate. Des Weiteren gibt das IFRS-Regelwerk vor, dass jedes Unternehmen die Bilanzierungs- und Bewertungsmethode berücksichtigt, die ein Abschlussadressat erwarten würde; vgl. IAS 1.111. Auch diese Formulierung lässt eine notwendige Konkretisierung vermissen.
458
Ermessensausübung und Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht
zugs kann dies aber keine Pflicht – unabhängig von der seitens eines Bilanzierenden gewählten Definition – zur Berichterstattung über die Ermessensausübung im Einzelfall bedeuten, weil eine solche gerade keinen Methodenbezug aufweist und so nicht unter den Berichterstattungspflichten der IAS 1.113 ff. zu subsumieren ist. So könnte auch die These vertreten werden, dass jede Ermessensausübung bei der Anwendung einer Einzelvorschrift unter die in IAS 1.113 geforderte Angabepflicht über die Ermessensausübung bei der Anwendung einer Bilanzierungs- oder Bewertungsmethode fällt und folglich Angabepflichten auslöst. Dieser Meinung wird im Weiteren nicht gefolgt, da IAS 1.113 auf systematische Entscheidungen im Sinne eines methodischen Vorgehens abstellt; demgegenüber wird die Ausübung von Schätzermessen in wesentlichen Fällen, welche ein beträchtliches Risiko für die ausgewiesenen Vermögenswerte und Schulden bedeuten, durch die Vorschriften des IAS 1.116 abgedeckt. In IAS 1.114 werden nicht abschließend Sachverhalte aufgezählt, in denen das Management einen Ermessensspielraum bei der Anwendung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden hat und somit Ermessensentscheidungen trifft. Gemeinsam ist diesen Beispielsachverhalten die Erfordernis einer systematischen Ermessensausübung des Bilanzierenden bezüglich des Treffens einer Bilanzierungsentscheidung, welche über die Anwendung einer Einzelvorschrift hinausgeht. IAS 1.115 nennt zwar IAS 27 als Beispiel, dass die in IAS 1.113 geforderten Angaben bereits als Angabepflichten in speziellen Standards verankert sind.11 Aus diesem Beispielsachverhalt kann jedoch keine Pflicht zur Offenlegung über die Ermessensausübung des Managements hinsichtlich der Anwendung einer Einzelvorschrift abgeleitet werden, denn auch in diesem Fall ist ein methodisches Vorgehen des Bilanzierenden erforderlich, welches bei einem gleich gearteten Sachverhalt wieder zur Anwendung käme, unabhängig davon, dass im Fall des IAS 27 ein Einzelsachverhalt zu beurteilen ist. Als weiteren Beispielsachverhalt beinhaltet IAS 1.115 die Ermessensausübung des Managements bei der bilanziellen Behandlung von Immobilien nach IAS 40 oder nach IAS 16. Hierbei muss das Management die vom Unternehmen entwickelten Kriterien angeben, die ihm eine Abgrenzung zwischen Immobilien, die im normalen Geschäftsbetrieb gehalten werden, und solchen, die als Finanzinvestitionen einzustufen sind, erlaubt.
1.3
Offenlegungserfordernisse gemäß IAS 1.113 ff.
IAS 1.113 gibt bezüglich der Offenlegungserfordernisse bei der Ermessensausübung des Managements in der Anwendung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden
11
So sind nach IAS 27 die Gründe anzugeben, aus denen die Beteiligung an einem anderen Unternehmen kein Beherrschungsverhältnis begründet, auch wenn mehr als die Hälfte der tatsächlichen oder möglichen Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar gehalten werden.
459
Küting / Wohlgemuth
den Detaillierungsgrad dieser Angaben nicht konkret vor. Darüber hinaus sind Angaben nur für diejenigen Ermessensentscheidungen zu machen, die von wesentlicher Bedeutung für den jeweiligen Abschluss sind. Der Bilanzierende hat folglich die Möglichkeit, in Abhängigkeit seiner Definition von „wesentlich“ Angabepflichten über die Ermessensausübung bei der Anwendung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden auszulösen oder zu vermeiden. Der Detaillierungsgrad der unternehmensseitig gemäß IAS 1.113 vorzunehmenden Angaben korreliert unmittelbar mit der Auslegung des Managements bezüglich dieser Angabepflicht. Lüdenbach merkt diesbezüglich an, dass in den IFRS sogar die Offenlegung des Ermessens selbst ermessensbehaftet ist.12 Er spielt mit dieser Aussage darauf an, dass die unvermeidliche Subjektivität, die bei einer Fülle von Bilanzierungsentscheidungen herrscht, auch auf Ebene der Anhangangaben vorhanden ist. Nichtsdestotrotz ist bei der Auslegung des Detaillierungsumfangs eine Bandbreite zwischen einer sehr restriktiven Informationspolitik, die ausschließlich darauf hinweist, dass Ermessen des Managements ausgeübt wurde, ohne nähere Angaben und Erläuterungen der Ausübungsgründe zu machen, und einer expansiven Informationspolitik, die detailliert die Gründe aufführt und erläutert, die zu der Festlegung eines bestimmten Ermessens geführt haben, denkbar. Durch eine reine Angabe der Sachverhalte, bei denen ein Bilanzierender Ermessen ausgeübt hat, ist dem Abschlussleser hingegen wenig geholfen. So bringen die Ausführungen im Henkel Geschäftsbericht 2006 zu den gemachten Schätzungen und Annahmen einem externen Abschlussleser nur einen sehr geringen Informationsmehrwert: „Für die Erstellung des Konzernabschlusses müssen Schätzungen vorgenommen und Annahmen getroffen werden. Diese haben Einfluss auf die angegebenen Beträge für Vermögenswerte, Schulden und Eventualverbindlichkeiten zum Bilanzstichtag sowie den Ausweis von Erträgen und Aufwendungen des Berichtszeitraums. Die sich tatsächlich ergebenden Beträge können von diesen Schätzungen abweichen“13. All diese Informationen sind dem Abschlussleser auch schon vorher bekannt. Die diesbezüglichen Informationen im BMW Geschäftsbericht 2006 sind nicht wesentlich informativer: „Die Aufstellung des Konzernabschlusses unter Beachtung der IFRS erfordert, dass Annahmen getroffen und Schätzungen verwendet werden, die sich auf Höhe und Ausweis der bilanzierten Vermögenswerte und Schulden, der Erträge und Aufwendungen sowie der Eventualverbindlichkeiten auswirken. Die Annahmen und Schätzungen beziehen sich im Wesentlichen auf die konzerneinheitliche Festlegung von Nutzungsdauern, die Bilanzierung und Bewertung von Rückstellungen sowie die Realisierbarkeit zukünftiger Steuerentlastungen. Die tatsächlichen Werte können in Einzelfällen von den getroffenen Annahmen und Schätzungen abweichen. Änderungen werden zum Zeitpunkt einer besseren Kenntnis erfolgswirksam berücksichtigt“14. 12 13 14
460
Vgl. Lüdenbach, N., Disclosure, 2007, Rz. 76. Henkel Geschäftsbericht 2006, S. 78. BMW Geschäftsbericht 2006, S. 78.
Ermessensausübung und Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht
Immerhin erfährt der externe Abschlussleser in diesem Fall, auf welche Vorgänge sich die Annahmen und Schätzungen im Wesentlichen beziehen. Etwas ausführlicher sind die diesbezüglichen Angaben im Metro und im Linde Geschäftsbericht 2006 einzustufen. So konstatiert Lüdenbach wohl zu Recht, dass unternehmensseitig die reine Angabe der Sachverhalte, bei denen ein Bilanzierender Ermessen ausgeübt hat, hinsichtlich des Erfüllens der Angabepflicht, realistisch ist: „Bescheidener, aber realistischer Zweck ist die konkretisierte Offenlegung der Tatsache, dass die Bilanzierung ermessensbehaftet und damit subjektiv ist“15. Über die reine Nennung der Ermessensausübung hinaus würden aber Angaben zu den Gründen, warum ein bestimmtes Ermessen ausgeübt wurde, einen externen Abschlussleser in die Lage versetzen, bestimmte Entscheidungen eines Bilanzierenden besser zu verstehen und folglich risikoadjustiert in sein eigenes Entscheidungskalkül einzubauen.16 So sollte beispielsweise bei der bilanziellen Erfassung von Entwicklungsausgaben benannt werden, aus welchem Grund, d. h. bei welchem Kriterium Ermessen des Managements ausgeübt wurde, welches zu einer Nichtaktivierung führte. Als ein Musterbeispiel für die Offenlegung der Ermessensentscheidung eines Bilanzierenden, welche über die reine Nennung der Ermessensausübung hinausgeht, ist der Schering Geschäftsbericht 2006 zu nennen, in dem hinsichtlich der Ermessensentscheidung zur Aktivierung von Entwicklungskosten Folgendes ausgeführt wird: „Entwicklungskosten sind, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, als immaterieller Vermögenswert zu aktivieren. Unter anderem muss hinreichend sicher sein, dass die Entwicklungsmaßnahme zukünftig zu einem Nutzenzufluss führen wird. Nach unserer Einschätzung ist bei der Entwicklung pharmazeutischer Produkte erst ab dem Zeitpunkt der behördlichen Zulassung hinreichende Sicherheit dafür erreicht, dass ein Entwicklungsprojekt zukünftig zu einem Nutzenzufluss führen wird. Demzufolge werden sämtliche Entwicklungskosten für pharmazeutische Produkte bis zum Zeitpunkt der Zulassung sofort aufwandswirksam erfasst. Bei erworbenen Entwicklungsprojekten besteht dagegen die Vermutung der Werthaltigkeit. Sie werden als immaterielle Vermögenswerte aktiviert“17. Diese Offenlegung einer Ermessensentscheidung verdeutlicht einem externen Abschlussleser die Problematik, die mit der Aktivierung von Entwicklungsausgaben verbunden ist, und sensibilisiert ihn hinsicht-
15 16
Lüdenbach, N., Disclosure, 2007, Rz. 47. Kirsch beispielsweise begrüßt zwar grundsätzlich die Offenlegung der Einschätzungen und Beurteilungen des Managements gemäß IAS 1.113, da durch diese Offenlegung dem externen Jahresabschlussleser die Bedeutung der Einschätzungen und Beurteilungen des Managements und somit der subjektiven Elemente des Jahresabschlusses für seine Aussagekraft verdeutlicht werden; er kritisiert aber auch, dass ohne eine generelle Angabepflicht der eine Einschätzung im Wesentlichen tragenden Gründe den Informationsbedürfnissen einer externen Adressatenschaft nicht Genüge getan wird; vgl. Kirsch, H., Jahresabschlussanalyse, 2004a, S. 67. 17 Schering Geschäftsbericht 2006, S. 80.
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Küting / Wohlgemuth
lich möglicher Unsicherheitspotenziale. Nach dem Wortlaut der Vorschrift des IAS 1.113 ist die Angabe von Entscheidungsgründen bei der Ermessensausübung nicht vorgesehen. Es mutet aber seltsam an, dass in IAS 1.115 explizit bei den Beispielfällen, in denen in anderen Standards schon eine Offenlegung vergleichbar zu der nach IAS 1.113 implementiert ist, eine Angabe der Gründe für eine Ermessensausübung vorgesehen ist. Allerdings ist nicht bei jeder Ermessensausübung die Angabe von Gründen, die zu dieser spezifischen Ermessensausübung geführt haben, aussagekräftig. So würde es keinen Sinn machen, neben der Offenlegung einer quantifizierten Entscheidungsgrenze beispielsweise bei der Leasing-Bilanzierung Gründe anzugeben, die zu der Festlegung dieser Grenze geführt haben. Als darüber hinaus sehr vorbildlich ist der Detaillierungsgrad der Ausführungen zu den Schätzungsunsicherheiten durch Bayer anzusehen. Bayer gibt im Geschäftsbericht 2006 detailliert Auskunft über die im Konzern getroffenen Annahmen und Schätzungen, welche Auswirkungen auf die Höhe und den Ausweis der bilanzierten Vermögenswerte und Schulden, Erträge und Aufwendungen sowie der Eventualverbindlichkeiten haben. Insbesondere die Erläuterungen der mit erheblichen Schätzungsunsicherheiten behafteten Rückstellungsbilanzierung sind als sehr aussagekräftig einzuschätzen. So analysiert Bayer, um die Aussagekraft der Schätzungsergebnisse bei der Rückstellungsbilanzierung zu erhöhen, für ausgewählte wesentliche Rückstellungsarten, welche für die Finanz-, Vermögens- und Ertragslage des Konzerns von wesentlicher Bedeutung sein können, die Auswirkung von Parameteränderungen. Diesbezüglich wird im Geschäftsbericht festgehalten: „Zur Untersuchung der möglichen Unsicherheit hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeiten wurden die Auswirkungen von jeweils fünfprozentigen Änderungen der individuell angesetzten Eintrittswahrscheinlichkeiten analysiert. Bei langfristigen verzinslichen Rückstellungen werden die Effekte einer Veränderung des verwendeten Zinssatzes um jeweils einen Prozentpunkt berücksichtigt“18. Fraglich ist, inwieweit der Detaillierungsgrad der unternehmensseitig zu machenden Angabepflichten zu erfolgen hat. Wenn man aus dem Detaillierungsgrad der Erläuterungspflichten des IAS 1.120 Rückschlüsse auf den Grad der Offenlegung der IAS 1.113 ff. zieht, ist festzuhalten, dass die letztgenannten Angabepflichten keine Quantifizierungen verlangen,19 wie dies in IAS 1.120 vorgesehen ist, nach dem beispielsweise Sensitivitätswerte von Buchwerten20 oder Bandbreiten, die die Auswirkungen realistischerweise anzunehmender unterschiedlicher Umweltszenarien quantifizieren, anzugeben sind.21 Dieser Einschätzung ist bezogen auf die Angabe von Buchwerten zuzustimmen, da die Angabe unterschiedlicher Buchwerte in Abhängig18 19 20
Bayer Geschäftsbericht 2006, S. 121. Vgl. Kirsch, H., Jahresabschlussanalyse, 2004a, S. 67. Anzumerken ist, dass IAS 1.120(b) nicht explizit eine Quantifizierung der Sensitivität der Buchwerte vorschreibt. So dürfte auch eine qualitative Angabe („stark schwankend“) ausreichen, um der Angabepflicht Genüge zu tun. 21 Vgl. Lüdenbach, N., Disclosure, 2007, Rz. 47; Teitler, E., Offenlegungspflichten, 2006, S. 180.
462
Ermessensausübung und Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht
keit verschiedener Umweltszenarien bezogen auf die Offenlegungserfordernisse der IAS 1.113 ff. grundsätzlich zu keinen sinnvollen Ergebnissen führt.22 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gemäß IAS 1.116 ff. primär Schätzungsunsicherheiten über zukunftsbezogene Angaben offen zu legen sind, bei denen eine wie in IAS 1.120 geforderte Sensitivitätsanalyse einem externen Abschlussleser wertvolle Einblicke in die zu erwartenden Bewertungsunsicherheiten von Vermögenswerten und Schulden gibt. Nichtsdestotrotz schließen die Normen der IAS 1.113 ff. eine Quantifizierung der ermessensbehafteten unbestimmten Rechtsbegriffe nicht aus. Aus der Regelung des IAS 1.113 ist de lege lata keine Angabepflicht über die Offenlegung einer quantifizierten Entscheidungsgrenze ableitbar. Es wäre aber zu überlegen, eine solche de lege ferenda in den Fällen zu fordern, in denen ohne eine diesbezügliche Angabe ein externer Abschlussleser nicht in der Lage ist, die Grenzziehung des Bilanzierenden hinsichtlich bestimmter Bilanzierungssachverhalte zu erkennen. Diese Quantifizierung würde folglich im Sinne einer Entscheidungsgrenze fungieren. Durch eine solche Angabe würde der Bilanzierende das Ergebnis seiner Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs offen legen, eine Erläuterung dieses Auslegungsprozesses wäre vor dem Hintergrund der Zielsetzung der IFRS nach Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen allerdings nicht notwendig, da mit ihr keine Verbesserung des Erkenntnisstands einherginge. Es ist aber festzuhalten, dass im Regelfall die Offenlegung einer quantifizierten Entscheidungsgrenze für unbestimmte Rechtsbegriffe keinen Sinn macht, da zum einen die für die Abbildung des Unternehmensgeschehens notwendigen Freiheitsgrade des Bilanzierenden eingeschränkt würden und zum anderen eine einheitliche unternehmensübergreifende Bezugsbasis nicht vorgegeben werden kann.
1.4
Offenlegungserfordernisse gemäß IAS 1.116 ff.
Neben den Angabepflichten der IAS 1.113 ff. hat ein Unternehmen gemäß IAS 1.116 ff. die wichtigsten zukunftsbezogenen Annahmen sowie die Quellen von Schätzungsun-
22
A. A. Kirsch, H., Jahresabschlussanalyse, 2004, S. 141, der auch für die Offenlegungserfordernisse der IAS 1.113 ff. die Angabe alternativer Einschätzungen des Bilanzierenden und deren Auswirkungen auf die Buchwerte als wünschenswert erachtet. Wenn man die in IAS 1.114 aufgeführten Beispielsachverhalte betrachtet, erscheint eine Offenlegung unterschiedlicher Buchwerte nur bedingt sinnvoll. Beispielsweise entscheidet sich ein Bilanzierender dafür, Finanzinstrumente bis zur Endfälligkeit zu halten und dementsprechend zu bewerten. Eine Angabe des Buchwerts, der aufgrund einer abweichenden Kategorisierung bei Zugang der Finanzinstrumente und damit einhergehender Bewertungsfolgen anzusetzen wäre, bringt aus einer externen Warte keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
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sicherheiten anzugeben. Letzteres beinhaltet im Besonderen Angaben über die Art der Annahmen, die bei Ermessensentscheidungen hinsichtlich unsicherer Zukunftserwartungen getroffen wurden, die Sensitivität der festgelegten Buchwerte von diesen Annahmen, die Bandbreite der Auswirkungen möglicher Eintrittsszenarien auf die Buchwerte der betroffenen Vermögenswerte und Schulden sowie die Erläuterung der vom Bilanzierenden vorgenommenen Anpassungen früherer Annahmen.23 Hierunter fallen beispielsweise Angaben über die verwendeten Parameter bei der Bestimmung von Wertminderungsbedarfen. Vorbildlich sind diesbezüglich die Ausführungen im Bayer Geschäftsbericht 2006 zu den Werthaltigkeitsüberprüfungen, vermitteln sie einem externen Abschlussleser doch eine umfassende Transparenz in ein sehr komplexes Themenfeld der Unternehmensberichterstattung, welche man in anderen Geschäftsberichten nicht in der Ausführlichkeit oder überhaupt nicht findet. Im Einzelnen führt Bayer dazu Folgendes aus: „Die nachfolgenden Sensitivitätsangaben dienen der Verdeutlichung des potentiellen Ausmaßes einer Wertminderung des Bayer-Konzerns auf Segment-Ebene. Wäre der tatsächliche Barwert der künftigen Cashflows zehn Prozent niedriger als der angenommene Barwert, würde dies für den Nettobuchwert des Geschäfts- oder Firmenwerts im Segment Crop Protection eine Wertminderung um 146 Mio. € bedeuten. Ferner wären die Restbuchwerte im Segment Systems um 42 Mio. € zu mindern. Schwerpunkt unserer Analyse sind die Segmente Crop Protection und Systems, da diese unseres Erachtens die einzigen Segment sind, in denen eine Wertminderung des Geschäfts- oder Firmenwerts und sonstiger immaterieller Vermögenswerte unter den oben genannten Annahmen nach vernünftigem Ermessen wesentliche nachteilige Auswirkungen auf die Geschäftsergebnisse der jeweiligen Segmente haben könnte. Würden die im Rahmen des Werthaltigkeitstests verwendeten durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten um zehn Prozent erhöht, ergäbe sich ein Wertminderungsbedarf in Höhe von 85 Mio. € für das Segment Crop Protection sowie in Höhe von 34 Mio. € für das Segment Systems. Bei der Quantifizierung unserer Sensitivitätsanalyse haben wir eine Minderung um zehn Prozent angenommen, da eine negative Veränderung bis zu dieser Höhe unseres Erachtens nach vernünftigem Ermessen möglich ist. Wir halten größere Veränderungen aufgrund unserer Erfahrungen in den Segmenten Crop Protection und Systems nach vernünftigem Ermessen nicht für wahrscheinlich“24. Diese Beschreibung versetzt einen externen Abschlussleser in die Lage, die Auswirkungen eines möglichen Wertminderungsbedarfs zu erkennen und in seinem eigenen Investitioskalkül zu berücksichtigen. Ebenfalls hervorzuheben sind die diesbezüglichen Angaben im Schering Geschäftsbericht 2006, in dem es heißt: „Die Kürzung der angenommenen jährlichen Wachstumsraten um jeweils einen Prozentpunkt würde den geschätzten Zeitwert der Segmente um insgesamt rund 500 Mio.€ reduzieren. Eine Wertberichtigung für die zugeordneten Geschäftswerte würde in keinem Segment erforderlich werden. Die Erhöhung des Diskontierungszinssatzes um zwei 23 24
464
Vgl. IAS 1.120. Bayer Geschäftsbericht 2006, S. 122.
Ermessensausübung und Schätzungsunsicherheiten im IFRS-Recht
Prozentpunkte würde den geschätzten Zeitwert der Segmente um insgesamt rund 1.300 Mio.€ reduzieren. Eine Wertberichtigung für die zugeordneten Geschäftswerte würde in keinem Segment erforderlich werden“25. Diese i